(Ausgegeben am 23. Juni 2016)

Niedersächsischer Landtag

Stenografischer Bericht

99. Sitzung

Hannover, den 8. Juni 2016

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 18: Frank Oesterhelweg (CDU) ...... 9881 Wiard Siebels (SPD)...... 9883, 9888, 9890 Mitteilungen des Präsidenten ...... 9863 Christian Meyer, Minister für Ernährung, Feststellung der Beschlussfähigkeit ...... 9863 Landwirtschaft und Verbraucherschutz ...... 9884, 9888 Zur Geschäftsordnung: Helmut Dammann-Tamke (CDU) ...... 9888, 9889 Jens Nacke (CDU) ...... 9863, 9866, 9868 Hans-Joachim Janßen (GRÜNE) ...... 9888, 9890 (GRÜNE) ...... 9864 Christian Grascha (FDP) ...... 9865 c) „Es sind meine Daten!“ - Privatheit schützen - Grant Hendrik Tonne (SPD) ...... 9865 Grundrechte stärken! - Antrag der Fraktion der FDP Thomas Schremmer (GRÜNE) ...... 9867 - Drs. 17/5868 ...... 9891 Jörg Bode (FDP) ...... 9869 Jan-Christoph Oetjen (FDP) ...... 9891 Andrea Schröder-Ehlers (SPD) ...... 9892 Persönliche Bemerkung: Mechthild Ross-Luttmann (CDU) ...... 9894 Jörg Bode (FDP) ...... 9869 (GRÜNE) ...... 9895 Boris Pistorius, Minister für Inneres und Tagesordnungspunkt 19: Sport ...... 9896

Aktuelle Stunde ...... 9870 d) Beschwerdestelle, Kennzeichnungspflicht, Abschaffung von Polizeipferden und Polizeihun- a) Jugend an der Demokratie beteiligen - Wahl- den - wann überdenken die Grünen endlich ihr recht ab 16 Jahren auf bei Landtagswahlen - Bild von der Polizei? - Antrag der Fraktion der CDU Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 17/5863 ...... 9870 - Drs. 17/5864 ...... 9898 Immacolata Glosemeyer (SPD) ...... 9870, 9872 Angelika Jahns (CDU) ...... 9898, 9904 Volker Meyer (CDU) ...... 9871, 9872 Ulrich Watermann (SPD) ...... 9899 Dr. Stefan Birkner (FDP) ...... 9873 Jan-Christoph Oetjen (FDP) ...... 9900, 9905 Helge Limburg (GRÜNE) ...... 9874 Meta Janssen-Kucz (GRÜNE) ...... 9901 Boris Pistorius, Minister für Inneres und Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport ...... 9876 Sport ...... 9903, 9904 Gudrun Pieper (CDU) ...... 9876 Persönliche Bemerkung: b) Milchmenge reduzieren statt Milchviehhaltung Thomas Adasch (CDU) ...... 9905 ruinieren - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen - Drs. 17/5866 ...... 9877 Anja Piel (GRÜNE) ...... 9877 Hermann Grupe (FDP) ...... 9879, 9887, 9889

I Niedersächsischer Landtag - 17. Wahlperiode - 99. Plenarsitzung am 8. Juni 2016

Tagesordnungspunkt 20: Tagesordnungspunkt 26:

Abschließende Beratung: Grundlage für die Ausweisung des Drömlings als a) Verhandlungen mit Eckert & Ziegler direkt, UNESCO-Biosphärenreservat in Niedersachsen transparent und jetzt führen! - Antrag der Fraktion schaffen - länderübergreifende Zusammenarbeit der CDU - Drs. 17/3708 - b) Atommüllkonditionie- fördern - Antrag der Fraktion der SPD und der Frak- rung am Standort Braunschweig-Thune: Geneh- tion Bündnis 90/Die Grünen- Drs. 17/3836 - Be- migungen überprüfen, Strahlenschutz strikt um- schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, setzen, Anwohnerinnen und Anwohner schützen Energie und Klimaschutz - Drs. 17/5715 - Ände- - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion rungsantrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/5833 Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/5061 - Beschluss- ...... 9930 empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Energie Zurücküberweisung in den Ausschuss ...... 9930 und Klimaschutz - Drs. 17/5700 - Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/5861 ...... 9906 Tagesordnungspunkt 23: Heidemarie Mundlos (CDU) ...... 9906, 9909, 9911, 9912 Abschließende Beratung: Marcus Bosse (SPD) ...... 9908 Einwanderung zukunftsfähig gestalten - Kommu- Dr. Gero Hocker (FDP) ...... 9909 nen entlasten - Antrag der Fraktion der SPD und der (GRÜNE) ...... 9910, 9911 Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/3124 - Christoph Bratmann (SPD) ...... 9912, 9913 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres Gerald Heere (GRÜNE) ...... 9913 und Sport - Drs. 17/5649 ...... 9930 , Minister für Umwelt, Energie Bernd Lynack (SPD) ...... 9930 und Klimaschutz ...... 9914 Angelika Jahns (CDU) ...... 9932, 9934 Beschluss ...... 9915 Jan-Christoph Oetjen (FDP) ...... 9934, 9936 (Zu a: Direkt überwiesen am 29.06.2015) (GRÜNE) ...... 9934, 9936 (Zu b: Direkt überwiesen am 29.01.2016) Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport ...... 9937, 9938 Tagesordnungspunkt 21: Adrian Mohr (CDU) ...... 9938 Beschluss ...... 9938 Besprechung: (Erste Beratung: 61. Sitzung am 19.03.2015) Konsequenzen aus den Krankenhausmorden ziehen - Sonderausschuss zur Stärkung der Pati- Tagesordnungspunkt 24: entensicherheit einsetzen - Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Frak- Abschließende Beratung: tion der CDU und der Fraktion der FDP - a) Chancen des Repowerings für verträgliche Drs. 17/2884 - Abschlussbericht des Sonderaus- Windenergie an Land wahrnehmen: Flächen effi- schusses „Stärkung der Patientensicherheit und des zient nutzen, Rahmenbedingungen verlässlich Patientenschutzes“ - Drs. 17/5790 ...... 9916 gestalten! - Antrag der Fraktion der SPD und der Christian Calderone (CDU), Berichterstatter Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/5475 - ...... 9916 Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Annette Schwarz (CDU) ...... 9917 Drs. 17/5784 (neu) - b) Konflikte beenden - Wind- Dr. Thela Wernstedt (SPD) ...... 9921 energieerlass zurücknehmen - Antrag der Fraktion Thomas Schremmer (GRÜNE) ...... 9922 der FDP - Drs. 17/5477 - Beschlussempfehlung des Dr. Stefan Birkner (FDP) ...... 9924 Ausschusses für Umwelt, Energie und Klimaschutz - Drs. 17/5713 ...... 9938 Tagesordnungspunkt 22: Dr. Gero Hocker (FDP)...... 9939 Volker Bajus (GRÜNE)...... 9940, 9945 Erste Beratung: Heiner Schönecke (CDU) ...... 9940 Stärkung der Patientensicherheit und des Patien- Frank Henning (SPD) ...... 9942 tenschutzes - Niedersächsisches Krankenhaus- Axel Miesner (CDU) ...... 9944, 9945 gesetz (NKHG) muss weiter verändert werden - Stefan Wenzel, Minister für Umwelt, Energie Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bünd- und Klimaschutz ...... 9946 nis 90/Die Grünen - Drs. 17/5835 ...... 9925 Beschluss ...... 9947 Uwe Schwarz (SPD) ...... 9925 (Zu a und b: Erste Beratung: 96. Sitzung am 15.04.2016) Annette Schwarz (CDU) ...... 9927 Sylvia Bruns (FDP)...... 9928 Thomas Schremmer (GRÜNE) ...... 9928 Cornelia Rundt, Ministerin für Soziales, Ge- sundheit und Gleichstellung ...... 9929 Ausschussüberweisung ...... 9930

II Niedersächsischer Landtag - 17. Wahlperiode - 99. Plenarsitzung am 8. Juni 2016

Tagesordnungspunkt 25: Petra Emmerich-Kopatsch (SPD) ...... 9964 Olaf Lies, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Abschließende Beratung: Verkehr ...... 9967 a) Keine Kapazitätserweiterung von Schacht Beschluss ...... 9969 Konrad - stattdessen Überprüfung nach aktuel- (Erste Beratung: 97. Sitzung am 04.05.2016) lem Stand von Wissenschaft und Technik - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis Tagesordnungspunkt 29: 90/Die Grünen - Drs. 17/4356 - b) Sicherheit ge- währleisten - Genehmigtes Endlager nach aktuel- Abschließende Beratung: lem Stand von Wissenschaft und Technik in Be- a) Budget für Arbeit im Sinne der UN-Behinder- trieb nehmen - Antrag der Fraktion der CDU - tenrechtskonvention weiterentwickeln - Antrag Drs. 17/5508 - Beschlussempfehlung des Ausschus- der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis ses für Umwelt, Energie und Klimaschutz - 90/Die Grünen - Drs. 17/5284 - b) Beschäftigungs- Drs. 17/5714 - Änderungsantrag der Fraktion der möglichkeiten für Menschen mit Behinderungen FDP - Drs. 17/5886 ...... 9947 verbessern - Antrag der Fraktion der CDU - Marcus Bosse (SPD) ...... 9947 Drs. 17/5291 - Beschlussempfehlung des Ausschus- Miriam Staudte (GRÜNE) ...... 9949 ses für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Björn Försterling (FDP) ...... 9950 Migration - Drs. 17/5764 ...... 9969 Martin Bäumer (CDU) ...... 9951 Beschluss ...... 9969 Stefan Wenzel, Minister für Umwelt, Energie (Zu a: Erste Beratung: 92. Sitzung am 09.03.2016) und Klimaschutz ...... 9952 (Zu b: Direkt überwiesen am 07.03.2016) Beschluss ...... 9953 (Zu a: Erste Bratung: 76. Sitzung am 14.10.2015) Tagesordnungspunkt 30: (Zu b: Direkt überwiesen am 08.04.2016) Abschließende Beratung: Tagesordnungspunkt 27: Konflikte frühzeitig minimieren - Bibermanage- ment entwickeln - Antrag der Fraktion der FDP - Abschließende Beratung: Drs. 17/4351 - Beschlussempfehlung des Ausschus- Bewährte Biomasseenergiequellen im ländlichen ses für Umwelt, Energie und Klimaschutz - Raum erhalten - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/5741 ...... 9969 Drs. 17/5143 - Beschlussempfehlung des Ausschus- Dr. Gero Hocker (FDP) ...... 9969 ses für Umwelt, Energie und Klimaschutz - Ernst-Ingolf Angermann (CDU) ...... 9970 Drs. 17/5766 ...... 9953 Axel Brammer (SPD) ...... 9971 Dr. Hans-Joachim Deneke-Jöhrens (CDU) Lutz Winkelmann (CDU) ...... 9972 ...... 9954, 9956, 9959 Hans-Joachim Janßen (GRÜNE) ...... 9973 Karsten Becker (SPD) ...... 9955, 9957 Jörg Bode (FDP) ...... 9973 Dr. Gero Hocker (FDP) ...... 9957 Stefan Wenzel, Minister für Umwelt, Energie Volker Bajus (GRÜNE) ...... 9958, 9959 und Klimaschutz ...... 9974 Hermann Grupe (FDP) ...... 9959 Beschluss ...... 9974 Stefan Wenzel, Minister für Umwelt, Energie (Direkt überwiesen am 12.10.2016) und Klimaschutz ...... 9960 Beschluss ...... 9961 Tagesordnungspunkt 31: (Direkt überwiesen am 11.02.2016) Abschließende Beratung: Tagesordnungspunkt 28: Sofortige Übernahme der Unterbringungs- und Betreuungskosten für Asylsuchende durch das Abschließende Beratung: Land! - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/3184 - TTIP: Niedersachsens Chancen nutzen - Europäi- Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres sche Standards wahren - Antrag der Fraktion der und Sport - Drs. 17/5742 ...... 9974 CDU - Drs. 17/5634 - Beschlussempfehlung des Ansgar-Bernhard Focke (CDU) Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenhei- ...... 9975, 9977, 9979 ten, Medien und Regionalentwicklung - Drs. 17/5740 Gerald Heere (GRÜNE) ...... 9976 ...... 9961 Bernd Lynack (SPD) ...... 9977, 9979 Dirk Toepffer (CDU) ...... 9961, 9964, 9968 Jan-Christoph Oetjen (FDP) ...... 9980 Maaret Westphely (GRÜNE) ...... 9962, 9964 Belit Onay (GRÜNE) ...... 9981 Jörg Bode (FDP) ...... 9963, 9966 Beschluss ...... 9982 (Direkt überwiesen am 18.03.2015)

III Niedersächsischer Landtag - 17. Wahlperiode - 99. Plenarsitzung am 8. Juni 2016

Tagesordnungspunkt 32:

Abschließende Beratung: „Wir machen die Musik!“ fortführen - Mittel für das erfolgreiche Musikalisierungsprogramm weiterhin bereitstellen - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/5482 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur - Drs. 17/5744 ...... 9982 Burkhard Jasper (CDU) ...... 9982 Almuth von Below-Neufeldt (FDP).... 9983, 9984 Volker Bajus (GRÜNE) ...... 9984, 9987 Ulf Prange (SPD) ...... 9985 Dr. Gabriele Heinen-Kljajić, Ministerin für Wissenschaft und Kultur ...... 9988

Beschluss ...... 9989 (Direkt überwiesen am 08.04.2016)

Persönliche Bemerkung: Burkhard Jasper (CDU) ...... 9989

Tagesordnungspunkt 33:

Abschließende Beratung: Die Energie im Abwasser nutzen und damit die

Wärmewende unterstützen - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/4324 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Energie und Klimaschutz - Drs. 17/5716 neu ...... 9989 Axel Miesner (CDU)...... 9990 Dr. Gero Hocker (FDP) ...... 9990 Sigrid Rakow (SPD) ...... 9991 Volker Bajus (GRÜNE) ...... 9992, 9994 Martin Bäumer (CDU) ...... 9993 Christian Calderone (CDU) ...... 9994 Stefan Wenzel, Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz ...... 9994 Beschluss ...... 9995 (Direkt überwiesen am 06.10.2015)

IV Niedersächsischer Landtag - 17. Wahlperiode - 99. Plenarsitzung am 8. Juni 2016

Vom Präsidium:

Präsident Bernd Busemann (CDU) Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta (SPD) Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann (SPD) Vizepräsident Karl-Heinz Klare (CDU) Schriftführerin Ingrid Klopp (CDU) Schriftführerin Gabriela Kohlenberg (CDU) Schriftführer Klaus Krumfuß (CDU) Schriftführer Clemens Lammerskitten (CDU) Schriftführer Markus Brinkmann (SPD) Schriftführer Stefan Klein (SPD) Schriftführerin Sigrid Rakow (SPD) Schriftführerin Sabine Tippelt (SPD) Schriftführer Belit Onay (GRÜNE) Schriftführerin Elke Twesten (GRÜNE) Schriftführerin Hillgriet Eilers (FDP)

Auf der Regierungsbank:

Ministerpräsident (SPD)

Minister für Inneres und Sport Staatssekretär Stephan Manke, Boris Pistorius (SPD) Ministerium für Inneres und Sport

Finanzminister Staatssekretär Frank Doods, Peter-Jürgen Schneider (SPD) Finanzministerium

Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Staatssekretär Jörg Röhmann, Cornelia Rundt (SPD) Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung

Kultusministerin Staatssekretärin Erika Huxhold, Frauke Heiligenstadt (SPD) Kultusministerium

Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Olaf Lies (SPD)

Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz Christian Meyer (GRÜNE)

Justizministerin Staatssekretärin Stefanie Otte, Antje Niewisch- Lennartz (GRÜNE) Justizministerium

Ministerin für Wissenschaft und Kultur Staatssekretärin Andrea Hoops, Dr. Gabriele Heinen- Kljajić (GRÜNE) Ministerium für Wissenschaft und Kultur

Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz Stefan Wenzel (GRÜNE)

V Niedersächsischer Landtag - 17. Wahlperiode - 99. Plenarsitzung am 8. Juni 2016

VI Niedersächsischer Landtag - 17. Wahlperiode - 99. Plenarsitzung am 8. Juni 2016

Beginn der Sitzung: 9.04 Uhr. Fraktion, zur Geschäftsordnung vor. Bitte sehr, Herr Nacke! Präsident Bernd Busemann: Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 99. Sit- Jens Nacke (CDU): zung im 36. Tagungsabschnitt des Niedersächsi- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schen Landtages der 17. Wahlperiode. Gemein- Ich möchte in meinem Geschäftsordnungsbeitrag sam mit den Schriftführern wünsche ich Ihnen auf die Debatte Bezug nehmen, die wir gestern in einen guten Morgen! diesem Hause zum Landesvergabegesetz geführt haben. (Zurufe: Guten Morgen, Herr Präsident!) Während der Abstimmung zum Landesvergabege- setz gab es einen Zwischenruf, der lautete: Die Tagesordnungspunkt 18: anderen sind also für Kinderarbeit! - Gemeint wa- Mitteilungen des Präsidenten ren damit die Fraktionen von CDU und FDP, die sich für den von der FDP eingebrachten Entwurf eines Landesvergabegesetzes eingesetzt hatten. Das Haus ist gut besetzt. Wir dürfen die Be- Der Kollege Bode hat daraufhin das Wort ergriffen, des Hauses feststellen. schlussfähigkeit auf diesen Zwischenruf hingewiesen und darum Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesord- gebeten, dass sich derjenige, der ihn getätigt hat, nungspunkt 19, der Aktuellen Stunde. Anschlie- dafür entschuldigt. ßend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge Dieser Zwischenruf wurde von dem Kollegen der Tagesordnung fort. Schremmer getätigt. Ich habe daraufhin das per- Die Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten sönliche Gespräch mit dem Kollegen Schremmer der Multi-Media Berufsbildenden Schulen werden gesucht und ihn noch einmal ausdrücklich gebe- im Laufe des heutigen und der folgenden Tage ten, sich für diesen Zwischenruf zu entschuldigen. wieder Sendungen im Rahmen des Projektes Denn selbstverständlich war der Zuspruch zur „Landtagsfernsehen“ erstellen. Sie halten sich Kinderarbeit in keinem Zeitpunkt ein Beweggrund während der Plenarsitzungstage im Vorraum zum für CDU und FDP, sich für dieses Gesetz auszu- Raum der Landespressekonferenz sowie im Raum sprechen. der Landespressekonferenz selbst auf und führen Das wissen Sie auch ganz genau, Herr Schrem- dort auch Interviews durch. Die einzelnen Sendun- mer, und trotzdem machen Sie einen derartigen gen stehen im Internet auf der Homepage der Zwischenruf in diesem Landtag. Das ist „eine Un- Schule - www.mmbbs.de - bereit und sollen über art“, wie der Kollege Bode es gestern genannt hat. den Regionalsender LeineHertz 106.5 und den Ich gehe noch weiter: Das gehört sich nicht in ei- Fernsehsender h1 ausgestrahlt werden. nem solchen Parlament. Die heutige Sitzung soll gegen 20.15 Uhr enden. (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Wir haben es selber in der Hand, das wie gestern etwas zu beschleunigen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß nicht, wie viele von Ihnen heute Gelegenheit hat- Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt ten, im Frühstücksfernsehen Cem Özdemir zu Ihnen nunmehr Herr Klein als Schriftführer mit. sehen, der genau diesen Punkt heute noch einmal angesprochen und gesagt hat: Wir müssen auf- Schriftführer Stefan Klein: passen, dass wir in einem Parlament nicht in einer Guten Morgen auch von mir! Für heute haben sich Art verrohen, dass wir uns nicht mehr - - - entschuldigt: von der Landesregierung Herr Fi- (Lachen bei der SPD und bei den nanzminister Schneider ab 11 Uhr, von der SPD- GRÜNEN sowie Beifall bei der SPD - Fraktion Herr Kollege Pantazis und von der FDP- Miriam Staudte [GRÜNE]: Dann zei- Fraktion Frau Kollegin König. gen Sie doch einmal, dass Ihnen et- was daran liegt, dass es keine Kin- Präsident Bernd Busemann: derarbeit gibt! So etwas Pathetisches! Vielen Dank, Herr Klein. - Meine Damen und Her- Unmöglich! Sagen Sie doch einmal ren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, liegt inhaltlich etwas zu dem Vorwurf! - hier eine Wortmeldung des Kollegen Nacke, CDU- Weitere Zurufe)

9863 Niedersächsischer Landtag - 17. Wahlperiode - 99. Plenarsitzung am 8. Juni 2016

Präsident Bernd Busemann: Mitgliedern der Landesregierung zu gehen - hier Ich darf Herrn Watermann und alle anderen um anmahnen, dass wir alle in den Debatten doch Ruhe bitten. Herr Nacke zitiert gerade den Bun- vorsichtiger miteinander umgehen sollten. despolitiker Özdemir. (Beifall bei den GRÜNEN und bei der (Anhaltende Zurufe) SPD) Der Zwischenruf war hart und pointiert, gar keine Jens Nacke (CDU): Frage. Er hat noch einmal deutlich gemacht: Wir müssen (Christian Dürr [FDP]: Bitte was, er aufpassen, dass wir in einem Parlament nicht in war „pointiert“? Er unterstellt, dass wir einer Art verrohen, für Kinderarbeit sind, Herr Kollege!) (Lachen bei der SPD) Er bezog sich darauf, ob gesetzliche Maßnahmen dass wir uns am Ende nicht mehr wundern dürfen - gegen Kinderarbeit - nicht nur in Deutschland, Zitat Cem Özdemir -, wenn die Trolls dann über worauf der Kollege Bode Bezug genommen hat, uns herfallen. sondern auch in anderen Ländern - ergriffen wer- (Johanne Modder [SPD]: Darüber soll- den, ob wir versuchen, Kinderarbeit möglichst zu ten Sie einmal nachdenken, Herr Na- vermeiden, wenn es um die Beschaffung von Pro- cke!) dukten geht. Darum ging es in der Debatte. Da war es zugegebenermaßen ein sehr zugespitzter, har- Das Wort „Trolls“ war an dieser Stelle zitiert; das ter Beitrag. ist im Internet ein Begriff. Ich wundere mich nur vor allem über eines, Herr Ich habe daher die Bitte, Herr Kollege Schremmer, Kollege Nacke: Sie echauffieren - - - dass Sie wenigstens heute - Sie haben gestern nicht die Gelegenheit gefunden - hier nach vorne (Weitere Zurufe) kommen und sich für diesen Zwischenruf ent- schuldigen. Sie wissen es besser. So etwas gehört Präsident Bernd Busemann: sich nicht, und so etwas müssen sich CDU und Einen kleinen Moment, bitte, Herr Limburg! - Ich FDP in diesem Hause nicht gefallen lassen, auch kann das hier auch unterbrechen. Dann machen wenn bei Ihnen die Nerven blank liegen. wir in 30 Minuten einen Neustart. Sie können es sich aussuchen. Der Abend ist eh lang genug. - (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Für die FDP wäre dann gleich Herr Grascha dran. Präsident Bernd Busemann: Herr Limburg, fahren Sie fort! Vielen Dank, Herr Nacke. - Ich habe diesen Betrag unter § 75 Abs. 2 der Geschäftsordnung subsu- Helge Limburg (GRÜNE): miert, worin es um den Ablauf der Sitzungen geht. Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Nacke, Sie echauffieren sich hier über einen Zwischenruf Jetzt ist Herr Limburg dran, ebenfalls zur Ge- der Grünen und vergessen dabei das, was Ihre schäftsordnung. Bitte sehr! eigene Fraktion gegenüber der rot-grünen Koaliti- on und der Landesregierung immer wieder vor- Helge Limburg (GRÜNE): bringt. Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Nacke, ich begrüße aus- Der Kollege Dammann-Tamke hat uns in der De- drücklich, dass Sie hier heute Morgen Cem Özde- batte um die Vogelgrippe vorgeworfen, wir Grüne mir zitiert haben. Sie sollten das viel häufiger tun würden uns über die Vogelgrippe freuen, weil sie und gelegentlich auch seine Auffassungen in Ihre uns politisch in den Kram passe - eine absolute politischen Entscheidungen einfließen lassen. Unverschämtheit! Auf eine Entschuldigung warten wir bis heute. (Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD) Es mutet allerdings befremdlich an, wenn ausge- rechnet Sie - der Sie nicht davor zurückscheuen, Der Kollege Oesterhelweg hat den Herrn Landwirt- hier auch in harte, persönlichste Auseinanderset- schaftsminister mit NS-Rhetorik belegt und ihm zungen mit Kolleginnen und Kollegen und auch mit Blockwartmentalität vorgeworfen. Auch das eine

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absolute Unverschämtheit! Eine Entschuldigung ist Darauf muss man an dieser Stelle aber nicht ein- bis heute ausgeblieben. gehen. (Beifall bei den GRÜNEN und bei der Was er gestern geäußert hat, ist beleidigend für SPD) meine Fraktion, es ist beleidigend für die CDU- Fraktion. In der Tat ist es so, wie der Kollege Na- Noch einmal der Kollege Oesterhelweg: Er hat den cke gesagt hat: Das ist eine Verrohung der politi- Grünen vorgeworfen, sie würden mit Straftätern schen Debatte. Der Landtag verhält sich hier nicht und Straftaten sympathisieren. - Auch da: Wir war- vorbildlich für die Debattenkultur in unserem Lan- ten auf eine Entschuldigung. de. (Beifall bei den GRÜNEN und bei der Man muss sich doch die Frage stellen: Wohin führt SPD) das eigentlich? - Heute geht es in der Aktuellen Sie haben den gestrigen Tag angesprochen. Ges- Stunde beispielsweise um das Thema „Bürger- tern sind dem Finanzminister Peter-Jürgen Schnei- rechte und Datenschutz“. Wollen Sie uns, die wir der aus Ihren Reihen Wahnvorstellungen vorge- uns für Bürgerrechte und Datenschutz einsetzen, worfen worden, als es um die Haushaltsdebatte den Vorwurf machen, dass wir uns auch für Kin- ging. derschänder stark machen? Oder wohin führt die- se Debatte, meine Damen und Herren? - Das ist Herr Kollege Nacke, wir können gern über den Stil unglaublich! in diesem Haus diskutieren, aber dann anhand aller Beiträge und nicht nur anhand eines einzel- (Beifall bei der FDP und bei der CDU - nen Beitrages, der Ihnen gerade nicht passt. Christian Dürr [FDP]: Genauso läuft das! - Anja Piel [GRÜNE]: Was ist das Vielen Dank. für ein Vergleich?) (Starker, anhaltender Beifall bei den Herr Kollege Schremmer, Sie haben sich hier im GRÜNEN und bei der SPD) Hause schon mehrmals vergaloppiert. Aber Sie hatten immer die Größe, sich anschließend dafür Präsident Bernd Busemann: zu entschuldigen. Irgendwann müsste aber auch Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. - Jetzt hat, einmal ein Lerneffekt eintreten. Ich hoffe, dass Sie ebenfalls zur Geschäftsordnung, der Kollege die Gelegenheit nutzen, sich in diesem Hause bei Grascha für die FDP-Fraktion das Wort. Bitte! meinen Kolleginnen und Kollegen zu entschuldi- gen. Christian Grascha (FDP): (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- legen! Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich bin etwas Präsident Bernd Busemann: erschrocken. Denn die Debatte, die wir gestern Vielen Dank, Herr Grascha. - Nun hat sich zu dem geführt haben - ich war eigentlich davon ausge- gleichen Thema der Kollege Tonne für die SPD- gangen, dass das ein Einzelfall gewesen sein wird Fraktion zu Wort gemeldet. und heute die Möglichkeit bestehen wird, sich vor (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Jetzt wird diesem Hohen Haus zu entschuldigen -, spiegelt es persönlich!) offensichtlich die Meinung zumindest eines weiten Teils der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wider. Grant Hendrik Tonne (SPD): Frau Staudte hat gerade noch einmal die Frage Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gestellt: „Was sagen Sie denn zu dem Vorwurf, Ich will die Debatte aufgreifen und nehme gern mit, dass Kinder beispielsweise in Steinbrüchen arbei- dass wir uns an geeigneter Stelle, beispielsweise ten?“, als wenn Sie mit Ihrem Landesvergabege- im Ältestenrat, über den Umgang miteinander ver- setz irgendetwas dagegen tun würden. Das ist ständigen sollten. wirklich beschämend, meine Damen und Herren. Ungeheuerlich! (Jörg Bode [FDP]: Das scheint drin- gend notwendig zu sein!) (Beifall bei der FDP und bei der CDU) - Herr Bode, ich teile die Einschätzung, dass das Abgesehen davon, Frau Kollegin Staudte, liegt der dringend notwendig ist. Ich bin allerdings immer Herr Kollege Schremmer fachlich völlig falsch. wieder über die unterschiedlichen Auslegungen

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überrascht, wenn insbesondere seitens der Oppo- Jens Nacke (CDU): sitionsfraktionen deutlich ausgeteilt wird und dann Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! eine deutliche Antwort kommt. Ich bedauere die Einlassungen von Herrn Limburg Ob man das als entschuldigungswürdig beurteilt und Herrn Tonne zu diesem Sachverhalt. Sie de- oder nicht - ja oder nein -, lasse ich dahingestellt. cken sich auch nicht mit dem, was Herr Schrem- Das muss man untereinander ausmachen. Zumin- mer mir gestern gesagt hat, nämlich dass er sich dest war das nicht ordnungsrufwürdig. Denn einen noch eine entsprechende Formulierung zu diesem Ordnungsruf hat es offensichtlich nicht gegeben. Punkt überlegen will. Ich weiß nicht, warum das so ist. (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Wenn das Ich möchte nur auf den Verlauf der Debatte ver- der Maßstab ist!) weisen. Im Verlauf der Debatte hat der Kollege Ich stelle ein Ungleichgewicht fest zwischen dem, Schminke in seinem Redebeitrag das Thema Kin- was Sie meinen, hier im Plenum äußern zu kön- derarbeit angesprochen, und zwar mit einer For- nen, und dem, was Sie hier im Plenum einstecken mulierung, die uns nicht gefallen kann, wenn Sie mögen. uns mit dem Hinweis konfrontieren, dass sich die- ses Gesetz und diese Fragestellung auch auf Kin- (Beifall bei der SPD und bei den derarbeit in Indien beziehe. In einer vernünftigen GRÜNEN - Christian Grascha [FDP]: und harten Auseinandersetzung, wie wir sie uns in Das hat etwas mit Anstand zu tun!) einer Landtagsdebatte wünschen, ist es selbstver- Ich will das mit einem konkreten Beispiel unterle- ständlich in Ordnung, einen solchen Punkt anzu- gen. Sie beschweren sich und sagen, das sei nicht sprechen. Frau Westphely hat in ihrer Rede im in Ordnung gewesen. Dazu will ich Ihnen Folgen- Übrigen auf diesen Punkt nicht Bezug genommen. des sagen: Am gestrigen Tag hat der Kollege Bley Herr Schminke hat gesagt, wir müssen in diesem hier eine Rede gehalten, in der er, an den Kollegen Parlament alles - dafür mag aus Ihrer Sicht mög- Schminke gewandt, zu Protokoll gegeben hat: In licherweise auch das Landesvergabegesetz ge- der Tat haben wir in der letzten Woche erlebt, dass eignet sein - gegen Kinderarbeit tun. Das unter- Herr Schminke eine hervorragende Mettwurst ge- stützt doch selbstverständlich das ganze Parla- macht hat. Damit hört es aber auch auf. - Das ist ment. Herr Schminke wäre nie auf die Idee ge- genauso persönlich diskreditierend. Das gehört kommen, CDU oder FDP irgendetwas anderes zu sich in dieser Runde ebenfalls nicht. unterstellen. (Beifall bei der SPD und bei den Während des Abstimmungsverfahrens hat aber GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU Herr Schremmer gesagt: „Die anderen sind also für - Anja Piel [GRÜNE]: Das ist schäbig! Kinderarbeit.“ Damit haben Sie uns gegenüber - Christian Dürr [FDP]: Was ist das für genau diesen Vorwurf erhoben. Damit schwenken ein Vergleich? Das ist das Gleiche, Sie auf etwas ein, was auch Herr Schminke getan als wenn man uns unterstellt, Kinder- hat, indem er - er meint das immer scherzhaft und arbeit zu fördern?) hat das auch nicht zum ersten Mal getan - gesagt hat: Wir sind die Guten, und Ihr seid die Bösen. Wenn Sie sich, wie heute Morgen geschehen, eine Aussage von Herrn Özdemir zu eigen machen, Das ist die Art, in der Sie hier vortragen. Dafür darauf hinweisen, sie zitieren und sagen, darüber müssen Sie sich entschuldigen. Das bedeutet eine sollten wir nachdenken, dann - ich finde, dass das Verrohung in diesem Parlament, die diesem Par- eine gute Gelegenheit ist - trifft das Sie in mindes- lament nicht gut tut. tens dem gleichen Umfang. (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Vielen Dank. Das ist Ihr Problem, Herr Schremmer. Kommen (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Sie doch einfach nach vorn und stellen Sie das den GRÜNEN) richtig, wenn Sie über das Ziel hinausgeschossen sind! Das wäre dringend geboten. Präsident Bernd Busemann: (Lebhafter Beifall bei der CDU und bei Vielen Dank. - Das Wort zur Geschäftsordnung hat der FDP - Miriam Staudte [GRÜNE]: noch einmal Herr Kollege Nacke. Bitte! Wie man sich nur so aufregen kann!)

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Präsident Bernd Busemann: gestellt worden sind. So möchte ich das gern ver- Danke, Herr Nacke. - Herr Schremmer, darf ich Ihr standen wissen. Handzeichen als Wortmeldung zur Geschäftsord- (Christian Grascha [FDP]: Das ist er- nung verstehen? - Bitte sehr! schreckend, Herr Schremmer! Er- schreckend!) Thomas Schremmer (GRÜNE): Ich will noch eines hinzufügen - und das sage ich Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! aus voller Überzeugung -: Selbstverständlich ist Herr Nacke, ich habe die gestrige Debatte sehr niemand in diesem Parlament für Kinderarbeit oder aufmerksam verfolgt. Ich will auch erläutern, wa- für ausbeuterische Kinderarbeit. Ich sage das ein- rum ich diesen Zwischenruf, der sehr pointiert war, mal ganz deutlich. wie es der Kollege Limburg zu Recht gesagt hat, (Christian Grascha [FDP]: Das haben (Christian Grascha [FDP]: Das war ei- Sie aber gesagt! Das haben Sie aber ne Frechheit!) gesagt! - Weitere Zurufe) gemacht habe. Das war nicht das Ziel meines Zwischenrufes. Ganz eindeutig nicht. Aber: Die Debatte zeigt doch Herr Kollege Bode hatte während der Debatte das moralische Dilemma, das Sie haben. vorgetragen, dass sich mittlerweile viele Unter- nehmen nicht mehr an Ausschreibungen beteili- (Zurufe von der CDU und von der gen, weil sie u. a. diese Ausschreibungskriterien FDP - Unruhe) nicht erfüllen. Sie wollen auf der einen Seite Wirtschaftsförde- rung betreiben. Sie halten sich dabei wie auch wir (Jörg Bode [FDP]: Nein, das habe ich alle an die Gesetze in Deutschland. Wenn es aber nicht gesagt! Das ist eine Frechheit!) darum geht, die Verhältnisse in den Entwicklungs- - Beziehungsweise haben Sie gesagt, dass sie in ländern, also die Verhältnisse vor Ort, zu kritisie- der gesamten Produktionskette nicht sicherstellen ren, dann schweigen Sie. Dann schweigen Sie zu können - ich müsste noch einmal im Protokoll diesem Punkt! nachlesen - - - (Zuruf von der CDU: Das stimmt doch (Jörg Bode [FDP]: Nein! Das ist eine gar nicht! - Christian Grascha [FDP]: Frechheit! Das habe ich überhaupt Das ist eine Unverschämtheit! - Zuruf nicht gesagt! Das ist gelogen! - Chris- von der CDU: Sie machen es ja im- tian Grascha [FDP]: Belegen Sie das! mer schlimmer! Jetzt hör aber auf! - Unglaublich! - Weitere Zurufe) Unruhe - Gegenruf von Hans-Joachim Janßen [GRÜNE]: Ihr könnt euch - Sie haben nach meiner Wahrnehmung auf jeden doch gleich noch einmal melden! Fall deutlich gemacht, dass es Ihnen lieber wäre, Dann macht es doch auch! - Gegenru- wenn sich alle Unternehmen an den öffentlichen fe von der CDU und von der FDP) Ausschreibungen beteiligen könnten. Das hat bei Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das „C“ in Ihrem Par- mir den Verdacht genährt, dass Sie nicht mit Ihrer teinamen - - - ganzen Kraft alles dafür tun wollen, um Kinderar- beit auch in anderen Ländern zu verhindern. Das (Unruhe) nämlich leistet dieses Vergabegesetz aus meiner Sicht sehr wohl, Präsident Bernd Busemann: Herr Schremmer, einen Moment! - Jetzt warten wir (Beifall bei den GRÜNEN und bei der erst einmal, bis Ruhe einkehrt. SPD - Jörg Bode [FDP]: Das ist ja ha- nebüchen!) (Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP) weil es so ist, dass sich andere Unternehmen an diesen Ausschreibungen beteiligen, die das si- - Jetzt warten wir, bis Ruhe einkehrt. cherstellen können. Also muss es möglich sein, (Anhaltende Unruhe) durch ein solches Vergabegesetz auch im erwei- terten Ausland Produkte zu beschaffen, die eine - Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen ja Kommune braucht und die nicht von Kindern her- vorhin ein Angebot gemacht.

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Thomas Schremmer (GRÜNE): Ich sage es noch einmal ausdrücklich: Selbstver- Genau darum geht es. Das ist eine wichtige Debat- ständlich ist niemand von Ihnen dafür - auch ich te. bin es nicht -, dass wir Produkte verwenden, die durch Kinderarbeit hergestellt werden. Das glaube (Zurufe von der CDU und von der ich ganz sicher. Ich kann das für mich nicht sicher FDP) in Anspruch nehmen; denn ich weiß nicht sicher, ob das Hemd, das ich heute anhabe, nicht auch - Das ist überhaupt nicht der Fall. Erzählen Sie durch Kinderhände gegangen ist. Das ist so. nicht so was. Sie wissen genau, dass das nicht so ist. Fakt ist aber: Wenn ich in einer Debatte über eine Gesetzesvorlage sage - so wie Herr Bode, wie ich Präsident Bernd Busemann: es wahrgenommen habe -, dass sich alle Unter- Also jetzt letzter Versuch. Es kehrt jetzt sofort Ru- nehmen an Ausschreibungen beteiligen sollen, he ein! also auch diejenigen, die die Kriterien aus unserer Sicht möglicherweise nicht erfüllen, dann unterstel- Thomas Schremmer (GRÜNE): le ich, dass das nicht mit ganzer Konsequenz ver- folgt wird. Jetzt vielleicht noch zwei Sätze. (Jörg Bode [FDP]: Das stimmt doch Präsident Bernd Busemann: nicht! Das wird doch nicht besser Nein, nein, Herr Schremmer, einen Moment. dadurch, dass er hier rumlügt! - Wei- tere Zurufe) Wir befinden uns jetzt in einer Geschäftsordnungs- debatte über den Ablauf der gestrigen Sitzung, Das war mein Zwischenruf. Nicht mehr und nicht anknüpfend an eine von Ihnen gestern gemachte weniger. Das will ich hier deutlich sagen. Das kön- Bemerkung. Es ist in Ordnung, dass jetzt auch Sie nen Sie so annehmen, wie Sie es möchten. Ich sich hier zur Geschäftsordnung gemeldet haben. jedenfalls habe zu diesem Thema nicht mehr zu Sie sollten sich jetzt aber in dem engeren Rahmen sagen. der Geschäftsordnung bewegen und sich auf Ihre Vielen Dank. gestrige Bemerkung beziehen. (Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN Jetzt aber gehen wir in eine allgemeine Debatte und bei der SPD - Jörg Hillmer [CDU]: über, was ich unterbinden möchte. Ich denke, noch Sie haben es nur noch schlimmer ein paar Bemerkungen, und dann haben wir es. gemacht!) Danach möchte Herr Bode noch eine persönliche Bemerkung abgeben. Darauf komme ich aber Präsident Bernd Busemann: gleich noch zurück. Meine Damen und Herren, zur Geschäftsordnung Bitte! liegen mir jetzt keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. - Doch noch? - Auf ein Neues, Herr Na- Thomas Schremmer (GRÜNE): cke. Bitte! Ich glaube, dass die Debatte nur dann zu verste- hen ist, wenn man den Kontext herstellt. Nächsten Jens Nacke (CDU): Sonntag ist der Welttag gegen Kinderarbeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ich will das noch einmal deutlich machen. Wir ha- Kollege Schremmer, ich freue mich, dass Sie zu- ben gestern eine Debatte geführt, die auch mit mindest deutlich gemacht haben, dass Sie den diesem Thema zu tun hatte. Ich glaube, man muss Fraktionen von CDU und FDP nicht unterstellen, sich in diesem Haus auch in einer Debatte über dass sie für Kinderarbeit sind. einen Gesetzentwurf deutlich verhalten. Das aber Ich kann aber nicht verstehen, warum Sie, wenn hat mir gestern gefehlt. Deswegen dieser Zwi- das Ihre Position ist, gestern mit dem Satz „Die schenruf. anderen sind also für Kinderarbeit“ jedoch exakt (Jens Nacke [CDU]: Entschuldigen das Gegenteil zum Ausdruck gebracht haben und Sie sich jetzt für diesen Satz oder es wie die Kollegin Polat einfach nicht hinbekom- nicht?) men, sich hier zu entschuldigen.

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Das, was Sie hier aufgeführt haben, ist ein Unding! men und Herren? - So etwas zu glauben, ist doch Das gehört sich nicht. Ich beantrage, dass das im irre! Es gibt doch niemanden, der niedersächsi- Ältestenrat thematisiert wird. schen Handwerkern unterstellt, mit Kinderarbeit zu arbeiten, meine Damen und Herren! (Beifall bei der CDU und bei der FDP) (Zustimmung bei der FDP und bei der Präsident Bernd Busemann: CDU - Anja Piel [GRÜNE]: Das hat Meine Damen und Herren, ich glaube, jetzt liegt niemand gesagt! - Hans-Joachim wirklich keine Wortmeldung mehr zur Geschäfts- Janßen [GRÜNE]: Das hat niemand ordnung vor. behauptet! - [GRÜ- NE]: Meine Güte! Bleiben Sie doch Ich erteile jetzt Herrn Bode entsprechend § 76 einmal bei dem, was er gesagt hat!) unserer Geschäftsordnung das Wort zu einer per- sönlichen Bemerkung. Sie kennen die Spielre- Frau Staudte, der Zwischenruf, den Sie eben ge- geln. Bitte sehr! macht haben, dass wir uns nicht drum scheren würden, ob in den Steinbrüchen in Indien Kinder (Miriam Staudte [GRÜNE]: Jetzt bitte für unsere Produkte arbeiten, ist ebenso infam, erst mal für zweimal „Lügen“ ent- und den weise ich ebenfalls entschieden zurück. schuldigen! Das steht im Protokoll!) Ich will Sie nur einmal darauf hinweisen: Wenn Sie Jörg Bode (FDP): sich die parlamentarischen Drucksachen einmal genau anschauen würden, würden Sie feststellen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dass meine Fraktion und auch ich im Zusammen- Ich habe mich zu einer persönlichen Bemerkung hang mit der Frage Abkommen mit und Ansiedlung aufgrund der Zwischenrufe von Frau Staudte und von chinesischen Unternehmen im JadeWeserPort aufgrund der Einlassungen von Herrn Schremmer Anfragen dahin gehend gestellt haben, ob Minister gemeldet. Lies dieses Thema dort tatsächlich mit berücksich- Herr Schremmer hat wahrheitswidrig gesagt, ich tigt. hätte mich in der gestrigen Debatte über das Lan- Das heißt, wir haben uns im Zusammenhang damit desvergabegesetz dafür ausgesprochen, dass sich auch um die Frage gekümmert, ob nach Nieder- in Niedersachsen auch solche Unternehmen an sachsen von Kindern hergestellte Produkte kom- Ausschreibungen beteiligen können sollen, die men können. Ich würde Ihnen einmal empfehlen, nicht sicherstellen können, dass sie im Zusam- die Antwort darauf zu lesen; denn dann würden menhang mit ihren Produktionsabläufen Kinderar- Sie nicht dieses Haus mit Fragen malträtieren, beit tolerieren bzw. von Kindern hergestellte Pro- sondern den Minister. dukte bewusst einkaufen. Er hat hier gerade ge- sagt, ich würde mich dafür aussprechen, dass sich (Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Was hat alle Unternehmen, also auch diejenigen, die die das denn mit der Sache zu tun?) Vorgaben nicht einhielten, weil sie sie nicht einhal- ten könnten, an den Ausschreibungen beteiligen Präsident Bernd Busemann: können sollten. Herr Kollege, wir befinden uns im Bereich einer Ich habe in der gestrigen Debatte vielmehr gesagt, persönlichen Bemerkung. Sie aber sind in der dass sich in Niedersachsen insbesondere die Sachdebatte. Handwerksbetriebe darüber beklagen, dass die (Gerd Ludwig Will [SPD]: Lesen Sie Bürokratieanforderungen, die allein durch dieses doch mal das Protokoll nach! Dann Vergabegesetz hervorgerufen werden, dazu füh- wissen Sie, was hier gesagt wurde!) ren, dass sie es aufgrund ihrer internen Strukturen bei der Bearbeitung von Ausschreibungen, sage Jörg Bode (FDP): ich einmal, einfach nicht mehr leisten können, die- Ich weise die Anschuldigung von Herrn Schrem- sem Bürokratieaufwand gerecht zu werden und mer, was ich in der gestrigen Debatte angeblich nachzuweisen, dass in ihren Produktionsketten gesagt haben soll, entschieden zurück. Ich habe Kinderarbeit nicht stattfindet. nicht darauf Bezug genommen, dass Unternehmen Wie kommt man eigentlich auf den Gedanken, die Produktionsketten nicht einhalten, sondern ich dass im niedersächsischen Handwerk Kinderarbeit habe darauf Bezug genommen, dass die Bürokra- Gang und Gäbe wäre, meine sehr verehrten Da- tie, die mit dem Ausfüllen von Formularen verbun-

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den ist, Unternehmen von der Beteiligung an Aus- begonnen, und ich habe festgestellt, dass die jun- schreibungen abhält. gen Menschen, die im Zuschauerbereich sitzen, sehr aufmerksam zugehört haben. Ich setze also Ich weise auch die von der Kollegin Staudte voraus, dass bei ihnen ein großes politisches Inte- soeben gemachte Bemerkung zurück, dass wir uns resse vorhanden ist, und das führt mich gleich zu darüber freuen würden, dass Kinder in Steinbrü- unserem Thema im Rahmen der Aktuellen Stunde. chen arbeiten. Das Wahlalter für die Landtagswahl auf 16 herab- (Lebhafter Beifall bei der FDP und bei zusenken, ist uns ein zentrales jugendpolitisches der CDU - Miriam Staudte [GRÜNE]: Anliegen. Jugendliche sollen das Recht erhalten, So genau nehmen Sie es mit der die Zukunft ihres Landes mitzugestalten, und sie Wahrheit!) sollen nicht länger nur eine Beobachterrolle ein- nehmen müssen. Präsident Bernd Busemann: Vielen Dank. - Meine Damen und Herren, es lie- (Beifall bei der SPD und bei den gen, wie gesagt, keine weiteren Wortmeldungen GRÜNEN) zur Geschäftsordnung und auch keine Wortmel- Dies ist auch dringend notwendig; denn angesichts dungen zu persönlichen Bemerkungen mehr vor. einer immer älter werdenden Gesellschaft stellen Herr Kollege Bode, für Ihren Ausspruch vorhin Jugendliche bald eine gesellschaftliche Minderheit „dass er hier rumlügt“ bekommen Sie einen Ord- dar. Die Absenkung des Wahlalters ist ebenfalls nungsruf. Das ist unparlamentarisch; darüber müs- eine Frage des fairen Interessenausgleichs. Des- sen wir nicht streiten. halb ist es überaus wichtig, dass ihre Stimme Ge- wicht hat und ihnen das notwendige Werkzeug zur (Jörg Bode [FDP]: Nein, muss man politischen Mitbestimmung gegeben wird: das auch nicht!) Recht, zu wählen. Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zum Ich weiß, einige von Ihnen argumentieren gerne mit dem Reifegrad von jungen Menschen. Mit 16 sind allerdings viele schon Teil der Arbeitswelt Tagesordnungspunkt 19: oder müssen für sich richtungsweisende Schwer- Aktuelle Stunde punkte setzen. Sie zahlen Steuern und Sozialab- gaben, sie kümmern sich um ihre Zukunft und übernehmen Verantwortung für ihr Leben. Das ist Für diesen Tagesordnungspunkt sind mir vier die Realität. Themen benannt worden, deren Einzelheiten Sie der Tagesordnung entnehmen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, und nicht nur das: Jugendliche sind engagiert. Viele von ihnen über- Die in unserer Geschäftsordnung für den Ablauf nehmen ehrenamtlich in Initiativen, Vereinen und der Aktuellen Stunde geregelten Bestimmungen Verbänden Verantwortung oder setzen sich für den setze ich bei allen Beteiligten, auch bei der Lan- Umwelt- oder Tierschutz ein. Und denken Sie doch desregierung, als bekannt voraus. bitte an die vielen Jugendlichen, die sich vorbildlich Ich eröffne die Besprechung zu bei der Flüchtlingsfrage engagiert haben und im- mer vor Ort waren! Das war sehr verantwortungs- voll. a) Jugend an der Demokratie beteiligen - Wahl- (Beifall bei der SPD und bei den recht ab 16 Jahren auf bei Landtagswahlen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 17/5863 GRÜNEN) Mit dem Gesetzentwurf zur Absenkung des Wahl- alters für die Landtagswahl möchten wir die Grund- Zu Wort gemeldet hat sich Frau Glosemeyer, SPD- lage schaffen, um ihre praktische politische Teilha- Fraktion. Sie haben das Wort. Bitte! be zu stärken. Zusätzlich gehen wir damit gegen schwindende Wahlbeteiligung an. Jungen Men- Immacolata Glosemeyer (SPD): schen fehlen heutzutage leider zunehmend Vorbil- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen der. Zu meiner Zeit war es selbstverständlich, dass und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die die Eltern und Großeltern wählen gegangen sind. Debatte heute Morgen hat ja schon sehr emotional Bei vielen von uns wurde zu Hause politisch disku-

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tiert. Häufig hat man erst einmal auch das gewählt, Jugend Niedersachsen. Sie erhalten eine große was die Eltern oder Großeltern wählten, und man- Unterstützung und vertreten die große Mehrheit che tun es heute noch. der niedersächsischen Schülerinnen und Schüler.

Diese Aufgabe übernimmt heute zunehmend die Vor mehr als 20 Jahren - also 1995 - war Nieder- Schule und zukünftig auch die Landeszentrale für sachsen das erste Bundesland, welches das politische Bildung. Wenn Jugendliche dann in ih- Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre ge- rem sozialen Verbund zum Wählen motiviert wer- senkt hat. Wir waren Vorreiter eines neuen Demo- den, ist der Bezug zur Politik greifbar, und die kratieverständnisses. Heute sind uns viele Bundes- Chance ist groß, dass die jungen Menschen auch länder im Norden voraus; denn sie haben das in Zukunft ihr Wahlrecht wahrnehmen. Ziel muss Wahlalter auch für die Landtagswahl gesenkt. es doch sein, immer mehr Menschen für ihre Grundrechte zu begeistern, damit sie wählen ge- Das Bündnis 16 möchte, genau wie ich, in einer hen. modernen und mutigen Welt leben, in einer Ge- sellschaft, die mündige Bürger hervorbringt. Zeigen Deshalb appelliere ich heute an Sie, sehr geehrte Sie den Mut und den Willen zur Veränderung! Ge- Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, die ben Sie den Jugendlichen eine Chance, ihre Le- Abstimmung zu unserem Gesetzentwurf zur Ab- benswelt mitzugestalten! senkung des Wahlalters für die Landtagswahl frei- zugeben. Wenn Sie sich schon nicht überwinden (Starker, anhaltender Beifall bei der können, als Fraktion insgesamt zuzustimmen, SPD und bei den GRÜNEN) dann stellen Sie es doch - darum bitte ich Sie - wenigstens den Kolleginnen und Kollegen frei, wie Präsident Bernd Busemann: sie abstimmen. Denn mittlerweile stehen Sie mit Vielen Dank, Frau Glosemeyer. - Als Nächstes Ihrer Auffassung alleine da; Sie isolieren sich. liegt mir eine Wortmeldung aus der CDU-Fraktion vor. Kollege Volker Meyer, bitte sehr! Seit unserer letzten Plenardebatte zu diesem Thema ist die interfraktionelle Unterstützung ge- wachsen. Nach den letzten Beratungen hat sich Volker Meyer (CDU): die FDP-Fraktion entschlossen, dem Gesetzent- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten wurf zuzustimmen. Vielen Dank noch einmal an die Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal muss JuLis für die geleistete Überzeugungsarbeit! man feststellen, dass die Beratungen über den Gesetzentwurf zur Senkung des Alters für das (Beifall bei der SPD und bei den aktive Wahlrecht für die Landtagswahl auf 16 Jah- GRÜNEN) re noch andauern. Insoweit gibt es noch keine Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, die Um- abschließende Meinungsbildung innerhalb der setzung hängt nun von Ihnen ab. Ich kann mir CDU-Landtagsfraktion. Allerdings ist es auch kein nicht vorstellen, dass Sie allen Jugendlichen, die Geheimnis, dass es nicht unbedingt auf der politi- wählen wollen - denn wir reden hier immer noch schen Agenda der CDU steht, das Wahlalter auf von einem Recht und nicht von einer Pflicht -, die- 16 abzusenken. Die uns bisher vorliegenden Ar- se Möglichkeit verweigern wollen. Nehmen Sie gumente gegen und für die Absenkung des Wahl- sich bitte den Brief vom Bündnis 16 zu Herzen, alters sprechen eher für eine Ablehnung des Ge- den Sie alle erhalten haben! Alle Ihre Argumente setzentwurfs. und vielleicht auch Befürchtungen werden in die- Die Überschrift Ihres Antrages zur Aktuellen Stun- sem Brief entkräftet. de lässt den Eindruck entstehen, dass die Absen- Ich möchte an dieser Stelle noch einmal alle Initia- kung des Wahlalters das einzige Mittel ist, um toren des Briefes, die sich im Bündnis 16 zusam- Jugendliche an Demokratie zu beteiligen. Ich glau- mengetan haben, benennen; denn der Brief war be, diesem Eindruck muss man deutlich wider- wirklich sehr bemerkenswert. sprechen. (Beifall bei der SPD und bei den (Zustimmung bei der CDU) GRÜNEN) Die CDU-Landtagsfraktion hat im April dieses Jah- Das Bündnis besteht aus den JuLis, den Jusos, res ein jugendpolitisches Meeting mit einer ganzen der Grünen Jugend, dem Landesschülerrat, der Reihe von Vertretern aus den Jugendverbänden Landjugend, der SoVD-Jugend und der Türkischen durchgeführt. Dabei wurde deutlich, dass Jugend-

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liche ganz andere Erwartungen an Politik haben, Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch der als Sie hier versuchen, zu suggerieren. immer wieder behauptete Zusammenhang zwi- schen dem Wahlrecht mit 16 und der Förderung (Zustimmung bei der CDU) des Verständnisses für politische Entscheidungs- Den Jugendlichen geht es vornehmlich um die prozesse sehen wir nicht. Alleine durch das Recht Erhöhung der Zuschüsse für die Jugendverbands- der Teilnahme an der Wahl wird dieses Verständ- arbeit, um die Gewährung von Freistellungsmög- nis nicht gefördert. Notwendig ist vielmehr eine lichkeiten für Jugendarbeit, um die Einrichtung von gute politische Bildung in den Schulen, die wir Regionalstellen für Jugendarbeit und um Modelle bisher immer unterstützt haben und in Zukunft für anlassbezogene Beteiligungen an Entschei- auch weiter unterstützen werden. dungen des Landtages. Präsident Bernd Busemann: Wir haben großen Zuspruch für diese Art der Ju- gendarbeit bekommen. Deshalb können Sie hier Herr Kollege Meyer, lassen Sie eine Zwischenfra- nicht behaupten, Frau Glosemeyer, wir seien in ge von Frau Glosemeyer zu? unserer Arbeit isoliert. Das stimmt absolut nicht! Volker Meyer (CDU): (Beifall bei der CDU - Johanne Mod- Gerne. der [SPD]: Beim Wahlalter!) Die eben genannten Punkte sind die Punkte, die Präsident Bernd Busemann: Jugendliche heute beschäftigen. Dabei ist die Dis- Bitte! kussion um das Wahlalter nur eine Randerschei- nung - eine Diskussion, die vor allem in Jugend- Immacolata Glosemeyer (SPD): verbänden stattfindet. Da Sie den Landesjugendring ansprachen: Wissen (Petra Tiemann [SPD]: Das ist ihnen Sie auch, dass der Landesjugendring das Wahlal- so wichtig!) ter jetzt sogar auf 14 Jahre gesenkt haben möch- te? Ist Ihnen das bekannt? - Sie sollten mit den Jugendverbänden reden, an- statt hier immer nur dazwischenzurufen, Frau Tie- (Zurufe von der CDU) mann! Volker Meyer (CDU): (Zustimmung bei der CDU) Sehr geehrte Frau Glosemeyer, das ist mir selbst- In vielen Gesprächen, die Mitglieder der CDU in verständlich bekannt. Dies geht auch aus der Stel- Schulen, Vereinen und im Alltagsleben mit Ju- lungnahme des Landesjugendrings zum Nieder- gendlichen in dem in Rede stehenden Alter führen, sächsischen Kommunalverfassungsgesetz hervor. nehmen wir weiterhin mehrheitlich die Ablehnung Aber das ist eine Diskussion, die eben nur beim dieser Forderung wahr. Umfragen bestätigen diese Landesjugendring und nicht bei den Jugendlichen Einschätzung. So wurden bei der 15. Shell-Studie vor Ort geführt wird. Das ist der Punkt, den ich insgesamt 2 532 Jugendliche im Alter von 12 bis eben angesprochen habe. 25 Jahren gefragt, ob eine Senkung der Alters- (Beifall bei der CDU) grenze bei Bundestagswahlen auf 16 Jahre für sie infrage käme. Lediglich 24,7 % befürworteten die- Ebenso sind wir der Ansicht - das zeigen auch die se Forderung. Auch die neueste Shell-Studie be- Wahlen in den von Ihnen angesprochenen nord- scheinigt zwar ein zunehmendes Interesse an deutschen Ländern -, dass die bedauerlicherweise Politik, aber fordert nicht, wie von den Grünen hier absinkende Wahlbeteiligung durch die Ausdeh- schon einmal angesprochen, die Absenkung des nung des Kreises der Wahlberechtigten nicht er- Wahlalters. höht wird. Selbst bei der diesjährigen Vollversammlung des Wir teilen die völlig richtige Auffassung, dass durch Landesjugendrings war dies in der Diskussion mit die Absenkung des Wahlalters auch keine tektoni- den Landtagsabgeordneten zunächst kein Thema. schen Verschiebungen in der politischen Land- Erst als der Kollege der Grünen diese Forderung schaft zu erwarten sind. Daran erkennen Sie - ich ansprach, kam es zu einer Anmerkung seitens glaube, darin unterscheiden wir uns auch -, dass eines Verbandsvertreters, aber es fand keine Dis- wir uns bei dieser Frage nicht von einem politi- kussion statt. schen Kalkül leiten lassen,

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(Helge Limburg [GRÜNE]: Was ist das diesem Fall bei den Jugendlichen - voraussetzt, für eine Unterstellung?) sodass eine Bezugnahme auf Strafmündigkeit, Geschäftsfähigkeit und Ähnliches zwar ein Indiz, sondern dass wir die vorhandenen Argumente aber am Ende nicht das leitende Motiv und das gewissenhaft abwägen. leitende Argument sein kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das jugendpoliti- Konkret geht es um die Teilhabe an der entschei- sche Meeting der CDU-Landtagsfraktion hat deut- denden politischen Willensbekundung in einer lich gemacht, dass es in der Jugendarbeit wesent- Demokratie, also um die Wahl des Parlaments. lich wichtigere Dinge gibt als das Wahlalter. Las- Dabei sollten nach unserer Auffassung die Anfor- sen Sie uns gemeinsam diese Themen angehen, derungen an den Reifegrad nicht überspannt wer- damit sich die Jugendlichen stärker an den demo- den, also die Hürden nicht zu hoch gehängt wer- kratischen Prozessen beteiligen! Damit tun wir den den, zumal man mit einem realistischen Blick auf Jugendlichen einen Gefallen und würden eine die Gesamtwählerschaft sehen muss, dass der erfolgreiche Politik für die Jugendlichen und Kinder Reifegrad auch bei Erwachsenen durchaus unter- in Niedersachsen machen. schiedlich ausgeprägt sein kann. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Johanne Modder [SPD]: Das stimmt!) (Beifall bei der CDU) - Das soll selbst in diesem Parlament der Fall sein. Präsident Bernd Busemann: (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) Vielen Dank, Herr Kollege Meyer. - Aus den Frak- Meine Damen und Herren, man muss natürlich tionen liegen mir keine weiteren Wortmeldungen immer die gesamte Gruppe betrachten, aber wir vor. sehen, dass die Jugendlichen ab 16 Jahren im (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Die Grünen Großen und Ganzen sehr wohl in der Lage sind, wollen nicht reden? Dann mache ich die Tragweite und Relevanz der Entscheidungen, das! - Dr. Stefan Birkner [FDP] gibt die bei einer Landtagswahl zu treffen sind, zu beim Präsidium einen Wortmeldezet- überblicken. Wir sehen sie in der Lage, politische tel ab) Prozesse und Meinungen zu beurteilen und sich eine eigene Meinung dazu zu bilden. - Herr Birkner, bleiben Sie gleich vorn. Sie sind an der Reihe. Bitte! Deshalb sagen wir - dies ist in der Debatte bereits ausgeführt worden -: Es gibt zahlreiche Belege Dr. Stefan Birkner (FDP): dafür, dass sich Jugendliche engagieren, etwa bei uns, bei den Jungen Liberalen, die sehr aktiv sind, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und aber natürlich auch in anderen politischen Grup- Herren! Ausgangspunkt der Diskussion um das pierungen und in anderen gesellschaftlichen Fel- Wahlalter von 16 Jahren ist Artikel 8 unserer Lan- dern. Aus unserer Sicht gibt es somit keinen hin- desverfassung. Darin steht, dass die Wahl allge- reichenden Grund, den jungen Menschen das mein ist. Alle Bürgerinnen und Bürger haben also Wahlrecht vorzuenthalten; denn die Ausgangssitu- zunächst einmal das Recht zu wählen, somit das ation ist ja - darauf komme ich noch einmal zu- gesamte Volk. Ein Ausschluss hiervon ist nur mög- rück -: Grundsätzlich darf das gesamte Volk wäh- lich und zulässig, wenn zwingende Gründe dafür len, und nur ausnahmsweise darf das Wahlrecht vorliegen. Dafür ist wiederum entscheidend, ob beschränkt werden. Insoweit sagen wir - auch man annimmt, dass eine bestimmte Bevölkerungs- nach Diskussionen, die wir in der Partei durchaus gruppe noch nicht die Fähigkeit hat, sich sachkun- streitig geführt haben, und nachdem wir einen dig - in diesem Fall an einer Landtagswahl - zu entsprechenden Parteitagsbeschluss herbeigeführt beteiligen. Das wäre ein Grund, um zu sagen: Wir haben -, dass diese Grenze bei 16 Jahren zu zie- ziehen eine Altersgrenze ein. hen ist. Dabei ist es nach unserer Auffassung nicht not- (Beifall bei der FDP und bei den wendig, alle Altersgrenzen, die es im deutschen GRÜNEN - Zustimmung von Johanne Rechtssystem gibt, einheitlich zu betrachten. Viel- Modder [SPD]) mehr wird man es von Fall zu Fall entscheiden und dabei schauen müssen, worauf es in dem konkre- Meine Damen und Herren, ich will damit aber auch ten Fall ankommt und welchen Reifegrad man - in deutlich machen - das stört mich persönlich in der

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Diskussion, die hierüber geführt wird -, dass wir Helge Limburg (GRÜNE): damit in der Konsequenz keinen erzieherischen Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Ansatz verfolgen. In der Diskussion wird immer Herren! Ich möchte im Wesentlichen auf den Bei- wieder gesagt, dies sei ein Instrument der Politi- trag des Kollegen Meyer eingehen, nicht weil mich kerziehung, der Demokratieerziehung. Dies kann die beiden anderen Beiträge nicht interessiert hät- ein Nebenaspekt sein. ten, sondern weil bei uns, wie Sie sich denken (Christian Dürr [FDP]: Ja!) können, sehr viel Einigkeit mit Frau Glosemeyer und Herrn Birkner besteht. Aber wenn man der Auffassung ist, dass junge Menschen diese Fähigkeit haben, dann müssen Herr Kollege Meyer, Sie haben gegen das Wahlal- sie diese in dem Moment schon haben, und dies ter von 16 Jahren ausgeführt, dass das Wahlalter darf nicht als ein Instrument verstanden werden, nicht das einzige Mittel der demokratischen Betei- um sie dahin zu führen. ligung sei. Diese Auffassung teile ich ausdrücklich. Insoweit besteht zwischen uns ein Konsens. Aber Also sagen wir ganz klar: Ab 16 Jahren ja. Wenn in unserer parlamentarischen Demokratie ist es es positive Nebenaspekte gibt, so sind diese natür- schon das Wichtigste. Deswegen meinen wir lich auch gerne gesehen. Aber wir sagen nicht, schon, dass diese Debatte über demokratische dass wir das Wahlalter mit 16 wollen, um junge Beteiligung nicht darauf beschränkt werden darf, Menschen zur Demokratie zu erziehen. Nein, dann aber schon die zentrale Debatte in Bezug auf poli- sind sie schon in der Lage, diese Entscheidung zu tische Beteiligung sein muss. treffen, und dann wollen wir ihnen das auch zu- trauen. Herr Kollege Meyer, Sie haben außerdem ausge- (Beifall bei der FDP und Zustimmung führt, dass - auch insoweit haben wir Konsens - bei den GRÜNEN) durch eine Senkung des Wahlalters keine großen Verschiebungen zu erwarten sind, und dann haben Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ab- Sie gesagt, daran könne man sehen, dass Sie, die schließend noch einen Satz sagen. Selbstver- CDU, nicht aus politischem Kalkül argumentierten ständlich ist es das gute Recht der SPD-Fraktion, und dass das Sie von uns unterscheide. - Falls Sie hier diese Debatte zu führen. Wir hätten uns aber damit sagen wollen, dass wir die Senkung des zunächst eine Diskussion im Rechtsausschuss Wahlalters nur aus politischem Kalkül anbringen, gewünscht, wo die Debatte ja anhängig ist und wo dann weise ich das zurück. Für uns sind andere nach dem gemeinsam vereinbarten Zeitplan für Argumente handlungsleitend. Denn in der Tat wäre August dieses Jahres eine mündliche Anhörung politisches Kalkül hier völlig fehl am Platz, meine vorgesehen ist. Das ist sicherlich der Ort, an dem Damen und Herren. man diese Debatte vertiefen und, nachdem die schriftlichen Ergebnisse der Anhörung vorliegen, (Beifall bei den GRÜNEN und bei der die Argumente im Gespräch im Einzelnen weiter SPD) vertiefen kann. Meine Damen und Herren, ich teile ausdrücklich Unterm Strich halten wir, wie gesagt, auch nach die Auffassung von Herrn Dr. Birkner, dass das durchaus streitigen Diskussionen in der Partei und Wahlrecht nicht als erzieherisches Instrument ein- auch in der Fraktion, die sich dem Votum dann gesetzt werden kann. Dazu ist das Wahlrecht zu angeschlossen hat, das Wahlalter von 16 Jahren wichtig. Man muss das Wahlrecht auf ein Alter für die Landtagswahlen für richtig und würden da- senken, von dem man ausgeht, dass zumindest her eine entsprechende Initiative unterstützen. die Mehrheit der Bevölkerungsgruppe sozusagen in der Lage ist zu wählen und das nicht erst durch Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. das Wahlrecht erlernt. Das muss schon vorher (Beifall bei der FDP, bei der SPD und passieren. bei den GRÜNEN) Aber durch eine Wahlaltersenkung auf 16 würden Präsident Bernd Busemann: wir erreichen, dass in den meisten Fällen - längst nicht in allen Fällen, aber in den meisten Fällen - Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Birkner. - Schließlich die erste Wahl noch in die Schulzeit fallen würde. liegt jetzt auch noch die Wortmeldung aus der Das würde bedeuten, dass es die Möglichkeit gä- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Kollege Hel- be, im Schulunterricht begleitet über Wahlen zu ge Limburg, ich erteile Ihnen das Wort. Bitte sehr! diskutieren, jetzt auch mit Unterstützung durch die

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Landeszentrale für politische Bildung, die alle vier es drängendere Fragen wie Krieg, Flüchtlingssitua- Fraktionen hier gemeinsam beschlossen haben. tion, Umweltzerstörung, Klimawandel oder soziale Man hätte also die Möglichkeit, im Rahmen der Verwerfungen. All das sind zunächst einmal wich- Schule den ersten Wahlgang argumentativ zu be- tigere Fragen. Aber das heißt ja nicht, wenn man gleiten und die jungen Menschen noch stärker zur von der Wahlmündigkeit ausgeht, dass man des- Demokratie hinzuführen. Wir meinen, das ist ein halb zur Beteiligung an demokratischen Wahlen wichtiger Punkt. vorenthalten sollte. Wir meinen, es ist Zeit für die Senkung auf 16 Jahre. Meine Damen und Herren, es gibt einen Brief- wechsel zwischen dem Bündnis Wahlalter 16 und Ein letzter Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen: dem Fraktionsvorsitzenden der CDU, Herrn Thüm- Im September dieses Jahres sind Kommunalwah- ler. len. Wir alle in diesem Hause wissen, dass das (Björn Thümler [CDU] spricht mit Jens aktive Kommunalwahlalter bei 16 Jahren liegt. Ich Nacke [CDU]) kenne keine Partei und keine Kollegin und keinen Kollegen, von der oder dem das infrage gestellt - Herr Thümler hat gerade etwas anderes zu tun - wird und es wieder auf 18 anheben möchte. in Ordnung. Aber wenn wir alle uns hier immer wieder einig Herr Thümler hat einen Brief von dem Bündnis sind und die Bedeutung der Kommunalpolitik und erhalten und hat ihn mit einem offenen Brief be- die große Bedeutung der Arbeit der Politikerinnen antwortet. Zunächst einmal begrüße ich es aus- und Politiker in den Kommunen betonen, ist es drücklich, Herr Thümler, dass in Ihrem Brief wie dann nicht widersinnig zu sagen: „Na ja, bei dieser auch im Beitrag des Kollegen Meyer deutlich ge- so bedeutsamen, in der Tat ersten und am nächs- worden ist, dass die Diskussion zum Thema Wahl- ten an den Bürgern liegenden demokratischen altersenkung in der CDU nicht abgeschlossen ist Instanz dürfen Leute ab 16 mitwählen, aber auf der und offensichtlich auch in Ihren Reihen mit großer Landes- und Bundesebene ist das nicht der Fall.“? Ernsthaftigkeit argumentativ geführt wird. Das ist in Wahrheit doch nicht in sich logisch zu In Ihrem Briefwechsel gehen Sie u. a. auf das Ar- erklären. gument der Parteimitgliedschaft ein. Innerhalb der CDU ist die Parteimitgliedschaft schon ab 16 mög- Kommunalwahlen sind ja nicht etwa ein Anhängsel lich, in anderen Parteien noch früher. In der Tat ist der Demokratie, gleichsam etwas unwichtigere es ein gewisser Widerspruch, wenn wir einerseits Wahlen, in deren Fall es nicht schadet, wenn auch davon ausgehen, dass Jugendliche ab 16 oder schon 16- und 17-Jährige wahlberechtigt sind. sogar früher in der Lage sind, einer Partei beizutre- Nein! Kommunen sind doch die Keimzelle der De- ten und sich zu engagieren. Sie dürfen Parteiämter mokratie! Wenn wir uns dort im Hinblick auf das annehmen, sie dürfen an parteiinternen Wahlen Wahlalter 16 einig sind, dann kann ich nicht nach- teilnehmen und können damit die Politik und die vollziehen, warum wir uns bei Landtagswahlen Demokratie in diesem Lande deutlich beeinflussen. nicht auf 16 Jahre einigen können, liebe Kollegin- Dazu, sagen Sie, sind sie reif, aber um anderer- nen und Kollegen. seits am eigentlichen Wahlakt teilzunehmen, sind sie noch nicht reif. Das ist ein Widerspruch. Auch (Beifall bei den GRÜNEN und bei der insofern bitte ich die CDU, ihre Haltung zum Wahl- SPD) alter auch unter diesem Aspekt noch einmal zu Ich hoffe und gehe davon aus, dass die Beratun- überprüfen. gen im Rechtsausschuss genauso konstruktiv (Beifall bei den GRÜNEN und Zu- weitergeführt werden wie hier in dieser Aktuellen stimmung bei der SPD) Stunde; so ist das im Rechtsausschuss zu erwar- ten. Vielleicht gelingt es uns nach der Anhörung Es sind verschiedene Studien angesprochen wor- noch, zu einem gemeinsamen Beschluss zu kom- den. In der Tat neigt - soweit ich das überblicken men. kann - die Mehrzahl der veröffentlichten Jugend- studien dazu zu sagen: Ja, Jugendliche sind ab 16 Vielen Dank. Jahren reif für die Wahlmündigkeit. (Beifall bei den GRÜNEN und Zu- Das ist unabhängig von der Frage, ob das die stimmung bei der SPD) drängendste Frage ist. Herr Meyer, natürlich gibt

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Präsident Bernd Busemann: über 20 Jahren - so lange gibt es das kommunale Vielen Dank, Herr Limburg. - Aus den Fraktionen Wahlrecht für junge Menschen ab 16 -, dass sich liegen keine weiteren Wortmeldungen vor, sodass diese Regelung bewährt hat, und zwar ohne Ab- ich jetzt der Landesregierung das Wort erteile. Herr striche. Niemand würde auf die Idee kommen, das Minister Pistorius, Sie haben das Wort. Rad an dieser Stelle zurückzudrehen. Deswegen ist es richtig, diesen Weg weiterhin zu Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: verfolgen. Es ist ein Schritt zu mehr Beteiligung, zu Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und mehr direkter politischer Beteiligung und damit Herren! Mit der Absenkung des Wahlalters von 18 auch zu mehr Verantwortung für 16-Jährige, wenn Jahren auf 16 Jahre führen wir hier keine neue wir diesen Schritt gehen. Diskussion. Dementsprechend gibt es auch einen Gesetzentwurf der die Regierung tragenden Frak- Präsident Bernd Busemann: tionen von SPD und Grünen, der aktuell beraten Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage der wird. Wir alle - das ist in der Debatte schon deut- Kollegin Pieper zu? lich geworden - kennen die Vorteile, die sich aus einer solchen Reform ergeben und ergeben kön- Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: nen. Niemand bestreitet sie wirklich. Aber gerne! Junge Menschen bekommen eine stärkere Stim- me. Sie bekommen eine Stimme. Sie bekommen Präsident Bernd Busemann: mehr direkten Einfluss auf politische Verhältnisse. Bitte! Das ist ein wichtiger Beitrag. Auch ich stimme Herrn Dr. Birkner ausdrücklich zu: Es geht nicht Gudrun Pieper (CDU): darum, das Wahlalter abzusenken, um politische Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie die Frage Bildung und politisches Interesse zu fördern, son- zulassen. dern es geht darum, das als Ausdruck einer sich deutlich abzeichnenden Entwicklung zu kenn- Sie haben eben die Absenkung des Wahlalters zeichnen, nämlich der, dass sich die Menschen in von 21 Jahren auf 18 Jahre erwähnt. Das war den zurückliegenden 50 Jahren verändert haben. 1974. Ich kann mich noch sehr genau daran erin- nern; denn es betraf mich damals vom Alter her. Ich habe es mal nachgeschlagen: Die Frage der Sie haben dabei eines vergessen zu erwähnen: Es Absenkung des Wahlalters von 21 auf 18 hat sei- wurde nicht nur das Wahlalter abgesenkt, sondern nerzeit nicht mindere, sondern noch heftigere Dis- auch das Alter für die Erlangung der Volljährigkeit kussionen ausgelöst. Es waren schlimmste Be- wurde abgesenkt. fürchtungen für den Bestand der Demokratie for- muliert worden, wenn sich so junge und unreife (Helge Limburg [GRÜNE]: Das hat er Menschen an Wahlen beteiligen könnten. Ich erwähnt!) glaube, über diesen Punkt sind wir hinaus. Wäre es dann nicht sinnig, auch die Grenze für die Dass 16-Jährige heute einen anderen Bildungs- Volljährigkeit auf 16 Jahre herabzusetzen? und Reifestand haben als vielleicht vor 40 oder 50 (Zustimmung bei der CDU) Jahren, auch darüber, glaube ich, muss man nicht lange diskutieren. Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: (Volker Meyer [CDU]: Volljährigkeit?) Ohne dass ich eine Zuständigkeit für die Frage der Volljährigkeit hätte, sage ich Ihnen: Ich kann mir - Auch das Volljährigkeitsalter ist ja irgendwann durchaus vorstellen, dass eine solche Debatte herabgesetzt worden, wenn Sie das bitte einmal einsetzen wird, gerade weil sich die Generation zur Kenntnis nehmen wollen. verändert hat. Eine Regelung, wie sie auch der aktuelle Gesetz- (Jens Nacke [CDU]: Oh!) entwurf vorsieht, hat also erhebliche Vorteile. Wir wissen, dass wir damit den Beteiligungswunsch Ob man das am Ende befürwortet oder nicht - ich und das Beteiligungsbedürfnis der jungen Men- würde so etwas ungern für mich ad hoc auf eine schen aufgreifen. Deswegen ist es auch ein Spie- Zwischenfrage im Parlament abschließend beurtei- gelbild der Entwicklung, die wir seit vielen Jahren len. Ich neige dazu, mir erst eine Faktengrundlage auf der kommunalen Ebene haben. Wir wissen seit zu verschaffen, bevor ich mir eine Meinung bilde.

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(Beifall bei der SPD und bei den Von daher kann ich Sie nur ermuntern: Geben Sie GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Volle Gas! Dann schaffen wir es noch. Rechtsfähigkeit mit 16: Vertreten Sie Danke. das wirklich?) (Beifall bei der SPD und bei den - Das habe ich doch gar nicht gemacht, Herr Na- GRÜNEN) cke. Ich habe es Ihnen in diesem Hause schon mehrmals gesagt: Manchmal hilft Zuhören bei der Präsident Bernd Busemann: Erkenntnisgewinnung. Aber wenn Sie daran kein Interesse haben, kann ich Ihnen leider auch nicht Vielen Dank. - Meine Damen und Herren, zu die- helfen. sem Antrag für die Aktuelle Stunde unter TOP 19 a „Jugend an der Demokratie beteiligen …“ liegen (Beifall bei der SPD und bei den keine weiteren Wortmeldungen vor. GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Sie haben gerade in Aussicht gestellt, Ich darf um allgemeine Aufmerksamkeit bitten. dass das denkbar wäre!) Bevor wir in der Aktuellen Stunde fortfahren, möch- te ich Ihren Blick auf den Tagesordnungspunkt 26 - Nein, ich habe gesagt - - - Herr Nacke, lassen Sie lenken, der für heute Nachmittag vorgesehen ist. diese hilflosen Versuche der Legendenbildung Es handelt sich um den Antrag „Grundlage für die einfach sein! Ausweisung des Drömlings als UNESCO-Bio- sphärenreservat in Niedersachsen schaffen - län- (Zustimmung bei der SPD) derübergreifende Zusammenarbeit fördern“ der Ich habe erklärt, dass eine solche Diskussion ir- Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die gendwann einsetzen wird. Das kann ich mir vor- Grünen. stellen. Und wie wir - - - Ich frage hierzu ab: Mir wurde signalisiert, dass die Fraktionen übereingekommen sind, diesen Antrag (Jens Nacke [CDU]: Seien Sie doch in den Ausschuss zurückzuüberweisen. Habe ich nicht so nervös, Herr Minister! Es tut das richtig vernommen? Ihnen doch keiner was!) (Zurufe von der FDP: Davon wissen - Herr Nacke, wenn ich nervös bin, dann sind Sie wir nichts! Darüber muss geredet Berufshektiker. werden!)

(Heiterkeit und Zustimmung bei der - Dann muss darüber geredet werden. Dann rufen SPD) wir den Punkt später, notfalls heute Nachmittag, noch einmal auf. Lassen Sie es einfach gut sein! Wir setzen die Aktuelle Stunde fort: Präsident Bernd Busemann: Herr Minister, Herr Nacke, bitte keine Dialoge! Es b) Milchmenge reduzieren statt Milchviehhal- redet die Landesregierung. tung ruinieren - Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen - Drs. 17/5866 Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: Zurück zur Sache! Lassen Sie mich als zuständi- ger Minister für Wahlen noch einen Hinweis geben. Es hat sich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Wenn wir die Absenkung des Wahlalters auf 16 Frau Anja Piel zu Wort gemeldet. Bitte sehr! gemeinsam wollen - worauf ich hoffe -, dann soll- ten wir uns damit etwas beeilen, jedenfalls dann, Anja Piel (GRÜNE): wenn sie für die nächste Landtagswahl noch Wir- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die kung erzielen soll. Wir müssen uns dann unter aktuelle Entwicklung der Milchpreise ist drama- Umständen mit Auswirkungen auf die Wahlkrei- tisch. Der Preisverfall begann spätestens 2006 mit seinteilung beschäftigen, und wir müssen berück- der Aufstockung der Milchquote. Inzwischen hat sichtigen, dass die Delegiertenversammlungen sich die Lage aber derart zugespitzt, dass ein Liter anstehen. Milch nur noch um die 20 Cent kostet.

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Der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Björn freier Markt. Subventionen fließen nicht erst seit Thümler, hatte noch 2014 für Christian Meyers gestern. Wenn aber gefördert wird, so liegt es in Forderung nach einem EU-weiten Mengenregulie- unserer politischen Verantwortung, dafür zu sor- rungssystem für die Milch- und Fleischerzeugung gen, wie und was gefördert wird. Bei der Milchpro- nur höhnische Worte übrig. Ich zitiere: duktion allein auf den Markt zu vertrauen, wäre aber auch deshalb falsch, weil Landwirte eben „Meyers angebliche Überkapazitäten sind mehr sind als nur Unternehmer. Ammenmärchen!“ Niedersachsens Milchbauern schützen unsere Verehrter Kollege Thümler, die meisten Ammen Allgemeingüter. Sie leisten einen wichtigen Beitrag verstehen von Milch wahrscheinlich mehr als Sie. zum Grundwasserschutz, zum Hochwasserschutz (Zustimmung bei den GRÜNEN) und zum Klimaschutz, ebenso zum Tier- und Ar- tenschutz. Das können sie aber nur, wenn sie nicht Und Meyers Ammenmärchen ist für die Milchbäue- um ihre Existenz fürchten müssen, sondern wenn rinnen und -bauern bittere Realität. Denn unbestrit- gesichert ist, dass sie mit ihren Erträgen auch ihre ten haben wir es derzeit mit einer massiven Über- Familien ernähren, produktion zu tun. (Zustimmung bei den GRÜNEN - Hel- (Jens Nacke [CDU]: Ein etwas kruder ge Limburg [GRÜNE]: Richtig!) Vergleich!) die Zukunft ihrer Kinder sichern und die Pflege - Ja, vielleicht versteht er mehr von Märchen. Auch ihrer alten Leute organisieren können. Hierfür zu das kann sein. streiten, ist - mit Verlaub - unsere und auch Ihre Meine Damen und Herren von der CDU, Sie ma- Pflicht, meine sehr geehrten Kollegen von der CDU chen es sich nach wie vor zu leicht mit der Ein- und von der FDP. schätzung, (Beifall bei den GRÜNEN und Zu- (Björn Thümler [CDU]: Wir machen stimmung bei der SPD) uns das zu leicht?) Meine Damen und Herren, die Niedersächsische es handelt sich ausschließlich - ich zitiere aus Ih- Landesregierung, rem Antrag - um einen „weltweiten Nachfragerück- (Helmut Dammann-Tamke [CDU]: gang und Marktversagen im Inland, verursacht Wer führt in Niedersachsen das durch einen übermächtigen Lebensmitteleinzel- Agrarressort?) handel, der von nur noch fünf Unternehmen domi- niert wird.“ insbesondere unser Landwirtschaftsminister, arbei- tet hart daran, in Niedersachsen die Fehler der Meine Damen und Herren, das eigentliche Prob- Vergangenheit auszumerzen. Die sind nicht nur in lem ist ganz einfach: Die Milchmenge ist in der EU Niedersachsen passiert, sondern auch in Europa, seit Wegfall der Quoten um 6,1 Millionen t bzw. um Herr Dammann-Tamke. Mit dem politisch gewoll- 3,8 % gestiegen. Und Deutschland ist leider Teil ten Prinzip „Wachse oder weiche!“ hat sich die dieser Fehlentwicklung. Zahl der Höfe in Deutschland zwischen 1999 und Um zu verstehen, dass ein zu hohes Angebot den 2015 halbiert. Es kann doch nicht unser gemein- Preis ruiniert, muss man nicht einmal Betriebswirt- samer Wille sein, dass das so weitergeht. schaft studiert haben. Dafür reicht schon eine soli- (Beifall bei den GRÜNEN und Zu- de kaufmännische Ausbildung. stimmung bei der SPD - Helmut Ich finde es falsch, in diesem Zusammenhang von Dammann-Tamke [CDU]: Dann ma- Marktversagen zu reden. Im Grunde genommen ist chen Sie uns doch einmal konkrete es ein ordnungspolitisches Versagen, was in die- Vorschläge! Das hat der Minister nicht sem Fall vorliegt. Politische Verantwortung ist an getan!) dieser Stelle mehr, als einfach auf die Selbstregu- Mit dem Weidemilchprogramm, der Ausgleichszu- lierung des Marktes zu hoffen. Das können auch lage für Grünland und diversen Agrarumweltpro- Sie von der CDU und von der FDP nicht wirklich grammen können wir in Niedersachsen zielgerich- wollen. tet fördern und gleichzeitig die Produktionsmengen Meine Damen und Herren, Sie wissen genau wie reduzieren. Auch die Förderprämie für die Umstel- ich: In der Landwirtschaft herrscht ohnehin kein lung von konventioneller auf eine ökologische Pro-

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duktion kann und soll niedersächsischen Unter- (Jens Nacke [CDU]: Sie haben ihn nehmen eine wirtschaftliche Perspektive bieten. doch nicht fahren lassen! Von uns aus hätte er gehen können!) (Zuruf von Helmut Dammann-Tamke [CDU]) haben Sie als Opposition natürlich zweifellos ein Zeichen gesetzt, auf das die Welt gewartet hat. - Herr Dammann-Tamke, ich bin Ihnen sehr dank- bar für Ihren Zwischenruf. Wir beide wissen näm- (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜ- lich - insofern ist es auch wichtig, dass wir heute NEN) darüber sprechen -: All das reicht noch lange nicht. Ob Sie damit allerdings den Milchbauern einen Die Lösungen müssen auch aus Berlin und aus Gefallen getan haben, das müssen Sie selbst ver- Brüssel kommen. antworten. (Beifall bei den GRÜNEN - Helge Meine Damen und Herren, mit unserer Forderung, Limburg [GRÜNE]: Richtig!) 5 Mark pro Liter Benzin, waren wir - das gebe ich Ich will Ihnen dafür nur ein Beispiel nennen. Ein zu - 1998 nicht besonders erfolgreich. vernünftiger Ansatz zur Mengenregulierung wäre (Christian Grascha [FDP]: Es ist etwa das indexbasierte Marktverantwortungspro- nichts dabei herausgekommen! gramm. Der Vorschlag liegt lange vor. Sind die Nichts! Auch nicht null!) Preise aufgrund von Überkapazitäten nicht mehr kostendeckend, dann kommt es zuerst zu einer Wie wäre es mit 40 Cent für einen Liter Milch? Ich freiwilligen Reduzierung der Mengen. Wenn die glaube, das wäre mehrheitsfähig. nicht mehr greift - je nach Abstufung in der Krise -, Vielen Dank. kommt es zu einer verpflichtenden Mengenredukti- on. Das ist ein abgestuftes System, was in Krisen- (Beifall bei den GRÜNEN und Zu- zeiten in Kraft tritt, und es wäre ein guter Kompro- stimmung bei der SPD) miss gewesen. Präsident Bernd Busemann: Meine Damen und Herren, es ist aber klar, dass Vielen Dank, Frau Kollegin. - Es spricht jetzt Herr eine solche Steuerung - Grupe, FDP-Fraktion. Bitte sehr! (Zuruf von Helmut Dammann-Tamke [CDU]) Hermann Grupe (FDP): Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen - ich komme gleich zu Ihnen, Herr Dammann- und Kollegen! Wenn Politiker den Eindruck erwe- Tamke; Sie brauchen sich in der Zwischenzeit cken, als könnten sie die Preise machen, dann nicht zu langweilen - nur auf europäischer Ebene muss man schon misstrauisch werden. Es ist näm- erfolgen kann. Dafür - damit sind wir dann wieder lich immer die Unwahrheit. bei Ihnen - muss sich der Bundesagrarminister, Herr Schmidt, in Brüssel einsetzen. Sie wiederum, (Zustimmung bei der FDP) meine Damen und Herren von der CDU, tragen die Meine Damen und Herren, Aufgabe von Politik ist Verantwortung dafür, diese Forderung an die Kol- es, Rahmenbedingungen zu setzen, und zwar legen und auch an Ihre Schwesterpartei heranzu- möglichst verlässliche Rahmenbedingungen, durch tragen. Das sind Sie den niedersächsischen die sich Unternehmen wirtschaftlich sinnvoll entwi- Landwirten schuldig. ckeln können. (Beifall bei den GRÜNEN) (Anja Piel [GRÜNE]: So ist es!) Meine Damen und Herren, unser Agrarminister Nun versucht ja die Politik genau das Gegenteil. Meyer - Sie versucht wieder klarzumachen, dass sie mit (Glocke des Präsidenten) tollen Subventionen den notleidenden Landwirten hilft. - ich komme gleich zum Ende - setzt sich in Berlin Es wurden gerade die Milchgipfel angesprochen. und Brüssel für unsere Landwirte ein, so man ihn Im Bund wurden nach einem Milchgipfel denn lässt. Damit, dass man in Niedersachsen 100 Millionen Euro versprochen. Da hat man in der nicht mit seinem Minister beim Milchgipfel vertreten breiten Bevölkerung den Eindruck, der Reichtum war, bei den Bauernbetrieben nimmt nie wieder ein

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Ende: 100 Millionen Euro - das ist ja nun richtiges ten lassen und ihnen mit klaren Rahmenbedingun- Geld. Damit ist den Betrieben aus der Patsche gen dabei helfen, wieder auf die Beine zu kom- geholfen. men.

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen sagen, Meine Damen und Herren, man muss in die Be- was die 100 Millionen Euro im wirtschaftlichen triebe gehen. Ein Landwirt hat mir gesagt: Die Vergleich wert sind. Allein die letzte Superabgabe, Milchpreise werden sich wieder erholen. Leider die die Milchbetriebe wegen Überlieferung zahlen dauert es diesmal sehr, sehr lange. Aber die Dün- mussten, hat 300 Millionen Euro betragen. Wenn geverordnung mit den horrenden Kosten bleibt. man den Betrag von 100 Millionen Euro auf die Und die dreht uns den Hals um. milchviehhaltenden Betriebe umlegt, dann sind das pro Betrieb 1 400 Euro. Ein Betrieb macht zurzeit, (Beifall bei der FDP) in dieser tiefen Krise, im Durchschnitt monatlich Was ist in der Krise zu tun? - Die Grünen kommen 2 500 Euro Defizit. Das heißt, durch diese Zahlun- mit der staatlich gelenkten Mengenregulierung, gen kann man das Siechtum vielleicht noch um 14 meine Damen und Herren. Ich habe extra nicht Tage verlängern. Das ist alles. Das ist die Einord- „Milchquote“ gesagt. Wir kennen sie seit 30 Jahren nung dieses Betrages. und haben sie ausgenutzt. Sie sagen, die Mengen- Ich will Ihnen sagen, was die Politik stattdessen tut regulierung solle anders funktionieren als die klas- und was bei den Bauern dann wirklich ankommt. sische Milchquote. Ich sage Ihnen: Der Fehler ist Da wird eine Düngeverordnung ins Werk gesetzt, grundsätzlicher Natur. Wir haben aus politisch über deren Zweckmäßigkeit und über deren Ziel- gesteuerten Mengenregulierungen gelernt: Die genauigkeit man wirklich streiten kann. Diese Dün- Politiker haben leider nicht das Interesse, für uns geverordnung kostet die deutschen Landwirte 1, 2 oder 3 % Bauern die Preise hochzuhalten. nach der Berechnung von Experten 2 bis 3 Milliar- Politik hat vielmehr das nachhaltige Interesse, die den Euro jährlich. Verbraucherpreise für die große Masse der Wähler günstig zu halten. (Zustimmung bei der FDP - Zuruf von den GRÜNEN) (Anja Piel [GRÜNE]: Darüber müssen Das ist das 20- bis 30-Fache von diesem jämmerli- Sie aber nicht mit mir sprechen! Da haben Sie den falschen Adressaten!) chen Almosen, mit dem man versucht, deutlich zu machen, man würde den Landwirten helfen. Das Die Milchquote hat dazu geführt, dass die Zahl der ist nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein. Betriebe in diesen 30 Jahren von 369 000 auf Das ist gar nichts. 78 000 abgenommen hat. 21 % der Betriebe sind (Beifall bei der FDP - Jörg Bode übrig geblieben, 80 % der Betriebe haben die Pro- [FDP]: Das ist ein Ding!) duktion aufgegeben. Das ist das Ergebnis von staatlicher Mengenregulierung, die Sie jetzt wieder Hinzu kommt - daran beteiligt sich unser nieder- hier ins Spiel bringen wollen. Darauf fällt wirklich sächsischer Minister an vorderster Front - eine Flut niemand mehr herein. von kostentreibenden Auflagen bis hin zu den Kon- trollgebühren, die dann von den Betrieben zu zah- (Beifall bei der FDP und Zustimmung len sind. bei der CDU) Meine Damen und Herren, machen Sie es sich Wenn ich mit Bauern rede, dann frage ich immer: einmal an einem einfachen Beispiel deutlich! Wenn Gibt es im Saal jemanden, der für Milchquote oder ein Betrieb heute vor der Aufgabe steht, er soll aus staatliche Mengenregulierung ist? - Daraufhin hat Umweltgründen in einem laufenden Betrieb eine sich noch niemand gemeldet. Silageplatte bauen, dann hat er nicht einen Cent Mehreinnahmen. Bei einem mittleren Betrieb sind Ich will Ihnen sagen, was dringend nötig wäre. das bei den heutigen technischen Anforderungen (Anja Piel [GRÜNE]: Da bin ich mal schnell 100 000, 200 000 Euro. Es ist der direkte gespannt!) Abschied aus der Milchproduktion, es ist der direk- te Weg in die Betriebsaufgabe, wenn Sie in einer Als Erstes wäre wichtig, die Fusion von Edeka und solch prekären Situation die Betriebe mit Auflagen Tengelmann, die der Wirtschaftsminister geneh- überlasten. Wir brauchen endlich eine Atempause. migt hat, zu unterlassen, um die überwältigende Wir müssen die Betriebe endlich in Ruhe wirtschaf- Macht des Lebensmitteleinzelhandel, mit der die

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Preise gedrückt werden, dadurch nicht noch weiter (Beifall bei der CDU und Zustimmung zu stärken. bei den GRÜNEN) (Glocke des Präsidenten) Ich halte es für mehr als unanständig, dass der Lebensmitteleinzelhandel wertvolle Lebensmittel Der Ausfall durch das Russlandembargo wird auf verramscht und für Lockangebote regelrecht miss- 600 Millionen bis etwa 1 Milliarde Euro beziffert. Es braucht. wäre dringend nötig, den internationalen Handel wieder zu stärken und einen Ausgleich zu schaf- (Beifall bei der CDU und Zustimmung fen. Hier hat Politik in die Märkte eingegriffen. bei den GRÜNEN) Wenn die Politik in die Märkte eingreift, ist es auch Meine sehr verehrten Damen und Herren, die neue ihre verdammte Pflicht, zu versuchen, neue Märkte Milchexpertin Piel hat uns auf unsere Pflichten zu erschließen, um das, was man dadurch verur- hingewiesen. Das brauchen Sie nicht zu tun, Frau sacht hat, wieder auszugleichen. Kollegin. (Beifall bei der FDP und bei der CDU - (Anja Piel [GRÜNE]: Och, das können Hans-Joachim Janßen [GRÜNE]: Sie aber aushalten!) Neue Märkte mit 18 Cent pro Liter? - Glocke des Präsidenten) Aber ich will es Ihnen einmal ganz deutlich sagen: Es gibt nun einmal nicht diese einfachen Lösun- - Herr Präsident, ich komme zum Schluss. gen. Wir brauchen auch ein Ausstiegsprogramm für (Helge Limburg [GRÜNE]: Das hat Betriebe, die den Ausstieg vorziehen wollen und niemand gesagt!) dadurch nicht unnötige Vermögensverluste erlei- den müssen. Wir brauchen vor allem ein Aus- Es gibt nicht diese Patentrezepte. Sie machen den stiegsprogramm aus dieser ewigen Verordnungs- Verbrauchern, den Menschen und den Landwirten und Kontrollpolitik, die die Betriebe zusätzlich be- etwas vor, was Sie nicht bewirken können. Sie lastet. Außerdem brauchen wir - dabei sollten Sie allein können das Problem nicht lösen. nicht immer nur auf den Bund zeigen - Bürg- (Anja Piel [GRÜNE]: Das adressieren schaftsprogramme, die helfen, die schwierige Situ- Sie mal an Herrn Grupe!) ation zu überbrücken. Es hat eine europäische Dimension, meine sehr Präsident Bernd Busemann: verehrten Damen und Herren. Wenn wir auf euro- Herr Kollege, jetzt ist es gut. päischer Ebene keine vernünftige Lösung verein- baren und andere ihre Produktion in zweistelligen Hermann Grupe (FDP): Prozentzahlen erhöht haben, dann werden wir dadurch nur unsere Marktanteile senken. Etwas Gerade da sollte das Agrarland Nummer eins tätig anderes wird dabei nicht herauskommen. werden. (Beifall bei der CDU) (Beifall bei der FDP) Sie haben bei der Abschaffung der Quote mitge- Präsident Bernd Busemann: wirkt. Das wurde in 2003 beschlossen. Frau Kün- Vielen Dank, Herr Grupe. - Es folgt für die CDU der ast hat mitgemacht. Sie vergessen das gerne. Herr Abgeordnete Frank Oesterhelweg. Bitte sehr! Aber ich erinnere Sie auch gerne daran, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Unruhe) (Anja Piel [GRÜNE]: Wenn Sie mit Ih- - Aber nur, wenn Ruhe einkehrt. - Herr Janßen, ja! ren eigenen Fehlern genauso ehrlich umgingen, dann wäre es ja gut!) Frank Oesterhelweg (CDU): Wenn Sie von Mengensteuerung reden, dann Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und muss diese Mengensteuerung aus der Branche Herren! Die Lage auf dem Milchmarkt und die Si- heraus kommen. Das kann der Staat nicht regeln, tuation unserer Betriebe mit Erzeugerpreisen von meine sehr verehrten Damen und Herren. 20 Cent sind eine Katastrophe. Die Tatsache, dass Milch im Laden billiger ist als beispielsweise Rin- (Beifall bei der FDP - Jörg Hillmer derdungpellets, ist ein Skandal. [CDU]: So ist es!)

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Deswegen muss der Staat die Stellung der Erzeu- Eines will ich Ihnen sagen: Wir erwarten, dass das ger durch das Agrarmarktstrukturgesetz stärken, in diesem Jahr im Dezember klappt und nicht ei- damit sie sich zusammentun und absprechen dür- nen Tag später! fen. Das ist wichtig. Dahinter stehen wir. (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Meine Damen und Herren, wir müssen die Absatz- Es geht um die Gewinnglättung. Es geht um die förderung innen stärken, indem wir Milchabsatz- Auflösung von Rückstellungen. Es geht um die plattformen schaffen. Wir müssen die Marktmacht Steuerbefreiung bei Veräußerungsgewinnen, wenn der Erzeuger verbessern, wie ich angedeutet ha- Schulden getilgt werden. Und es geht auch um be. Das, was Herr Gabriel macht, geht genau in Steuerstundungen. Alles das gehört dazu. Auch die andere Richtung. dafür haben wir uns einzusetzen. (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Eins ist auch klar, wenn man ehrlich ist: Es geht auch darum, Ausstiegs- und Übergangshilfen und Wir müssen uns auch um die Exportförderung - Anreize dazu zu schaffen. Betriebsübergänge das sehen Sie, meine Damen und Herren von den müssen erleichtert und dürfen nicht erschwert wer- Grünen, immer sehr, sehr skeptisch - für wirklich den. Dazu gehört auch eine vernünftige Beratung. hochwertige Produkte aus Deutschland und Nie- dersachsen kümmern; denn das ist unsere Aufga- (Anja Piel [GRÜNE]: Da sind wir bei be. Natürlich gehört dazu auch die Frage des Ihnen!) Russlandembargos. Darüber wird, Herr Kollege Das, was Sie mit unserer Kammer hier veranstal- Grupe, selbstverständlich zu reden sein. ten, geht genau in die falsche Richtung, meine Aber Folgendes ist doch auch klar: Der einzelne sehr verehrten Damen und Herren. Landwirt, dem Politik, Berater und alle möglichen (Beifall bei der CDU und bei der FDP - Leute gesagt haben, dass er investieren und auf Widerspruch bei den GRÜNEN) dem Gebiet ein bisschen mehr in Gang kommen muss, kann dagegen eigentlich nichts machen. Der Es ist angesprochen worden: Wir dürfen den Bau- einzelne Landwirt muss seine Kredite bedienen. Er ern das Leben nicht noch schwerer machen: durch braucht Umsatz. Das kann er über Menge machen. Auflagen zur Silagelagerung, durch Mistplatten, die Deswegen ist ihm das auch nicht vorzuwerfen. Er jetzt noch in die Landschaft gebaut werden sollen, kann eine Kuh nicht einfach wie eine Maschine durch die Düngeverordnung - darin stimme ich zu - abstellen. Auch das muss klar sein, meine sehr und durch den Unsinn, der hier bei EU-Anträgen verehrten Damen und Herren. veranstaltet wird, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Anja Piel [GRÜNE]: Das wird an kei- ner Stelle gefordert, Herr Oesterhel- (Beifall bei der CDU) weg!) Frau Hendricks ist auch nicht dazu angetan, der Deswegen müssen wir den Betrieben Zeit ver- Landwirtschaft das Überleben zu sichern. schaffen, um auf diese Situation reagieren zu kön- Unsere Landwirte brauchen Folgendes, bei dem nen. Sie auch einmal mitmachen können - es nützt nichts, wenn man ab und zu mal einen Aufkleber (Vizepräsident Karl-Heinz Klare über- an die Regierungsbank klebt oder heute irgend- nimmt den Vorsitz) wann Milch verteilt; das könnten auch wir machen; Dazu gehört ein ganzes Maßnahmenbündel. Dazu das hilft den Menschen aber nicht -: Sie brauchen gehören kurzfristige Liquiditätshilfen und Kredite. Planungssicherheit und Verlässlichkeit, meine sehr Dazu gehören Bürgschaften. Mich interessiert, was verehrten Damen und Herren. Dann wäre ihnen hier in Sachen Bürgschaften wirklich läuft. Nie- schon sehr geholfen. mand weiß etwas. Dazu gehört auch die Verlänge- (Beifall bei der CDU und bei der FDP) rung von Kreditlaufzeiten. Und dazu gehört übri- gens auch, dass man Prämien rechtzeitig auszahlt Vizepräsident Karl-Heinz Klare: und die Auszahlung nicht über Monate verzögert, meine sehr verehrten Damen und Herren. Danke, Herr Oesterhelweg. - Jetzt hat sich Wiard Siebels, SPD-Fraktion, gemeldet. Sie haben das (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Wort.

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Wiard Siebels (SPD): Ihre Unterlagen, oder Sie melden sich bei mir, und dann stelle ich Ihnen das gerne zur Verfügung. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst, darauf hinwei- Im Übrigen hat der Finanzminister des Landes sen, dass wir uns in der derzeitigen Situation tat- Niedersachsen - ich glaube, als einer der Ersten in sächlich in einer echten Krise befinden. Deutschland überhaupt - sofort das Instrument der Steuerstundung ins Spiel gebracht, um Liquidität Ich will an dieser Stelle erwähnen - auch wenn sich auf den Höfen zu halten, meine Damen und Her- der Titel des Antrages für die Aktuelle Stunde nur ren. auf das Thema Milch bezieht -, dass wir uns auch in anderen Bereichen der Landwirtschaft bzw. Die öffentliche Auseinandersetzung - das erleben landwirtschaftlichen Produktion in Niedersachsen wir auch heute - wird fast ideologisch geführt. Ent- in einer echten Preiskrise befinden. Die von der weder ist die Absatzförderung - so wie der Kollege SPD-Fraktion initiierte Anhörung im Ausschuss, die Grupe und der Kollege Oesterhelweg dies zum ich für eine sehr gute und zielführende Anhörung Thema gemacht haben - oder die Reduzierung der halte, hat das deutlich gemacht. Menge die Lösung. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Ich halte es für sinnvoll und ange- Ich will nur zwei Zahlen nennen, die sich auf die bracht, dass wir auf beiden Seiten tätig werden. Preisdifferenz zwischen 2015 und 2016 beziehen: Eine Absatzförderung ist sicherlich sinnvoll und beim Ferkelpreis minus 4,7 % - das sind Preise, hilfreich, wird aber beispielsweise beim Russland- die schon einige Wochen zurückliegen - und bei embargo höchstens noch als Signal an den Markt der Milch minus 15,7 %, meine Damen und Her- gewertet werden können. Alle Fachleute sagen, ren. Dem liegt ein Milchpreis von 24,2 Cent zu- ernsthafte Absatzförderung in diesem Bereich ist grunde, der heute schon gar nicht mehr erzielt eigentlich nicht mehr zu erwarten. wird, meine Damen und Herren. Sie alle sehen also, dass dieser Bereich wirklich von einer echten Alle sind sich aber gleichzeitig einig, Herr Dam- Krise erfasst ist. mann-Tamke, dass die Milchmenge zu hoch ist. Wir streiten uns eigentlich nur über die Frage, wie (Helmut Dammann-Tamke [CDU]: wir sie gemeinsam wieder herunterkriegen, ob das Man muss auch die Kosten beleuch- die Marktteilnehmer alleine können - der einzelne ten!) Landwirt wohl kaum; Herr Oesterhelweg hat das, wie ich finde, sehr zutreffend beschrieben - oder - Ja, auch die Kosten muss man beleuchten! Herr ob wir als Staat in dieser Frage eingreifen können Dammann-Tamke, vielleicht ergänzen Sie das und sollten. alles gleich im Detail noch. Ich will Ihnen aber nicht widersprechen. Sie haben etwas Richtiges gesagt. Dann gibt es einen Milchgipfel, den der Kollege Ich schreibe Ihnen einen Punkt auf - ganz klasse! Schmidt - seines Zeichens Bundesagrarminister und CSU-Mitglied - einberufen hat, bei dem weder (Beifall bei der SPD und bei den die Länder noch alle Verbände der Milcherzeuger GRÜNEN) eingebunden sind. Dann gibt es ein 100-Millionen- Euro-Hilfspaket. Herr Hilbers ist ja ganz ange- Die Anhörung hat zu verschiedenen Ergebnissen strengter Verfolger dieser Debatte. - Herr Hilbers, geführt; das haben wir auch in der heutigen Debat- Sie als Meister der Zahlen können ja einmal aus- te erlebt. Ich will aber ausdrücklich sagen, dass rechnen, was das für die einzelne Kuh und für fast alle Ergebnisse Lösungsvorschläge beinhal- einen durchschnittlichen Betrieb bedeutet. - Ich ten, die mittel- oder langfristig helfen. Beispielswei- glaube, es ist deutlich geworden, dass dieser se das Instrument der Steuerglättung wird sinn- Milchgipfel am 30. Mai eine einzige Farce gewesen vollerweise nicht bei der heutigen Krise helfen, ist, meine Damen und Herren. sondern kann bei volatileren Märkten in der Zu- kunft vielleicht eine Lösung darstellen. Für heute (Beifall bei der SPD und bei den hilft das aber gar nichts. GRÜNEN - Helmut Dammann-Tamke [CDU]: Wer ist da eigentlich in der Herr Kollege Oesterhelweg, Sie haben Bürgschaf- Großen Koalition?) ten angesprochen. Sie haben gesagt, darüber sei nichts bekannt. Es liegt eine Antwort auf eine - „Wer ist da eigentlich in der Großen Koalition?“, Mündliche Anfrage des Kollegen Dammann-Tamke fragt Herr Dammann-Tamke. Bis heute streiten vor. Vielleicht sichten Sie gelegentlich noch einmal sich CDU und CSU wie die Kesselflicker darüber,

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Herr Dammann-Tamke, ob man die Hilfen mit einer Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Reduzierung der Milchmenge verbinden sollte. Nein. Keine Zwischenfragen. Vielleicht sollten Sie diesen Streit gelegentlich mal austragen und gemeinsam beenden. Denn wenn (Christian Grascha [FDP]: Was ist Sie dort nicht endlich mit einer Stimme sprechen, denn dabei herausgekommen?) dann werden wir das Elend der Milchbauern auch in Niedersachsen nicht lösen können, Herr Dam- Wiard Siebels (SPD): mann-Tamke. Sie müssen da tätig werden. Leider ist meine Redezeit abgelaufen. Ich freue (Beifall bei der SPD und bei den mich über zahlreiche Kurzinterventionen. Aber GRÜNEN - Helmut Dammann-Tamke vielleicht ist auch die FDP mal bereit, sich des [CDU]: Vielleicht sollten Sie einmal mit Problems anzunehmen, dass die Milchmenge in den Leuten reden!) Deutschland und in Europa zu hoch ist. Sonst kommen wir an dieser Stelle nicht weiter. Die FDP - das will ich an dieser Stelle auch nicht verschweigen - setzt noch einen drauf. Da gibt es (Christian Dürr [FDP]: Das glaubt am Dienstag wieder einen Milchgipfel in Berlin, und Ihnen doch keiner, dass Sie das hin- die FDP kündigt an dieser Stelle das Pairing auf, kriegen! Lächerlich!) weil sie der Auffassung ist, dass der Kollege Meyer Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. eine falsche Politik vertritt. (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Erstens ist es nicht Ihre Aufgabe, das zu bewerten. den GRÜNEN) Ich finde, dass es angemessen wäre, dem nieder- sächsischen Agrarminister die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung zu ermöglichen. Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Vielen Dank, Herr Siebels. - Es liegen tatsächlich (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei zahlreiche Bitten um Kurzinterventionen vor. Aber den GRÜNEN) wir lassen keine zu. Das machen wir einfach nicht. Zweitens will ich deutlich darauf hinweisen, dass Nach § 77 Abs. 2 gibt es bei Aktuellen Stunden der rheinland-pfälzische Landwirtschaftsminister - und bei Dringlichen Anfragen keine Kurzinterven- Wissing oder so ähnlich muss er heißen; Herr Kol- tionen. lege Dürr, vielleicht rufen Sie ihn einmal an - an (Jörg Bode [FDP]: Das sollte eine dieser Veranstaltung teilgenommen hat. Zwischenfrage werden!) (Christian Grascha [FDP]: Er hat ge- - Fragen wurden nicht zugelassen. sagt, es ist nichts dabei herausge- kommen! - Christian Dürr [FDP]: Und Jetzt hat sich der Herr Landwirtschaftsminister was ist dabei herausgekommen?) Christian Meyer gemeldet. Bitte schön! Das nennt man dann wohl „Doppelzüngigkeit“. Ich Christian Meyer, Minister für Ernährung, Land- sage Ihnen: Das war ein klassisches Eigentor. Ich wirtschaft und Verbraucherschutz: kann nur davon ausgehen, Herr Grupe, dass nicht Sie das zu verantworten haben, sondern wahr- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die scheinlich Sie, Herr Kollege Dürr. Aber das war Fraktionsvorsitzende der Grünen hat von Ammen- ganz bestimmt nicht der Sache dienlich. märchen gesprochen. Ich habe auch gelernt, dass weiterhin bei CDU und FDP Ammenmärchen er- (Beifall bei der SPD und bei den zählt werden. GRÜNEN) Wenn man die Redebeiträge in der Debatte noch Vizepräsident Karl-Heinz Klare: einmal nachliest, muss man ja den Eindruck ha- ben, dass der grüne Landwirtschaftsminister in Es sind dreimal Zwischenfragen erbeten worden. Niedersachsen mit seiner Politik dafür verantwort- Wollen Sie sie beantworten? lich ist, dass europaweit die Milch- und Schweine- fleischpreise gesenkt worden sind. - Das sind Ne- (SPD): Wiard Siebels belkerzen! Das sind Ablenkungsversuche, die Sie Nein. machen.

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(Beifall bei den GRÜNEN und bei der Sie haben natürlich recht, wenn da jetzt die 100- SPD - Christian Dürr [FDP]: Das hat Millionen-Euro-Pakete kommen. Wenn da gerech- doch keiner gesagt!) net wird: Die sind übrigens nicht nur für Milchbau- ern, sondern für alle Landwirte. Da komme ich bei - Doch! Sie haben von Silageplatten geredet. der Unfallversicherung auf 350 Euro pro Jahr. - So (Christian Dürr [FDP]: Wer hat das viel Verlust macht jeder Milchviehbetrieb momen- denn gesagt, Herr Kollege? Sagen tan am Tag! Wir haben 1,2 Milliarden Euro Ein- Sie doch einfach mal die Wahrheit!) nahmeverluste bei der Milchmenge allein bei den Landwirten in Niedersachsen. Deshalb haben wir Sie haben von Auflagen geredet. Sie haben von ja eine große Wirtschaftskrise, und deshalb ist es der Kammer geredet. Sie sollten sich einmal an richtig, sich um das eigentliche Problem zu küm- Ihre Verantwortung erinnern! mern, dass wir eine Übermenge am Markt haben. (Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN (Helmut Dammann-Tamke [CDU]: und bei der SPD - Zurufe von der Was macht der Ressortminister in CDU und von der FDP) Niedersachsen?) - Ich kann ja Ihre Nervosität verstehen. - Wir geben als einziges Bundesland 100 Millionen Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Euro Grünlandprämie aus. Das ist mehr, als Schmidt mit seinen ganzen Paketen macht! Herr Minister, ich darf Sie unterbrechen. Es gibt zwei Bitten um Zwischenfragen. (Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD) (Helge Limburg [GRÜNE]: Schon nach zwei Sätzen?) Es ist ganz wichtig, dass wir das im Frühjahr aus- gezahlt haben. Christian Meyer, Minister für Ernährung, Land- wirtschaft und Verbraucherschutz: (Zuruf von Helmut Dammann-Tamke [CDU]) Nein. Ich verstehe Ihre Nervosität; denn wir sind ja wei- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: ter. Wir haben einen einstimmigen Beschluss der Nein, sie werden nicht zugelassen. Agrarminister von CDU/CSU, SPD und Grünen auf der Agrarministerkonferenz. Ich kann Ihnen berich- Christian Meyer, Minister für Ernährung, Land- ten: Gestern im Bundesrats-Agrarausschuss ha- wirtschaft und Verbraucherschutz: ben sich Mecklenburg-Vorpommern und Nieder- Es gab am Montag noch einen weiteren Gipfel. sachsen mit einer riesigen Mehrheit durchgesetzt mit der Aufforderung gegenüber dem Bund, jetzt Dazu hat der Herr Seehofer in München eingela- den. Tausende konventionelle Milchbauern haben die Notbremse zu ziehen. Wir können es nicht dort mit Plakaten demonstriert, auf denen stand: zulassen, dass unsere Milchviehbetriebe in „Bist du Bauer und hast noch eine Kuh, wähl‘ nie Deutschland und Niedersachsen weiterhin diese wieder CDU/CSU!“ Verluste machen. Wir müssen doch zu Ihrer Politik der Weltmarktori- (Helmut Dammann-Tamke [CDU]: entierung, zu den Billigpreise fragen: Wer hat denn Was macht der niedersächsische Ag- die rosigen Zeiten nach Quotenende versprochen? rarminister hier im Milchland Nummer - Ihr Bundeslandwirtschaftsminister, Herr Schmidt, eins?) hat den Landwirten noch im Januar 2016 in einem Wenn Sie sagen, es muss jetzt Ausstiegspro- Interview erzählt, der Preis würde bald wieder auf gramme geben, dann müssen Sie auch sagen, 37 Cent steigen. - Das ist eine Verhohnepiepelung dass Sie das Höfesterben fördern wollen. der Landwirte, die um ihre Existenzen bangen! (Helmut Dammann-Tamke [CDU]: (Beifall bei den GRÜNEN und bei der Was macht der zuständige Minister SPD - Helmut Dammann-Tamke hier im Milchland Nummer eins?) [CDU]: Was macht der niedersächsi- sche Landwirtschaftsminister? Das ist Herr Oesterhelweg hat gesagt: Sie müssen sich die Frage!) jetzt darum kümmern, diesen Ausstieg zu nehmen.

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Von daher: Lenken Sie nicht ab! Sie haben eine Ich kann ja Ihre Schmerzen verstehen, dass Ihre Verantwortung! Wachstumspolitik gescheitert ist, dass Ihre Milch- bauern jetzt fragen. (Helmut Dammann-Tamke [CDU]: Sie sind der Ressortminister und haben (Helmut Dammann-Tamke [CDU]: die Verantwortung!) Was ist die Antwort auf meine Frage?)

Sie haben den Landwirten rosige Zeiten verspro- Sie haben doch gesagt - das alles können Sie in chen! Sie haben mit riesigen Stallbausubventio- den Pressemitteilungen von CDU, CSU und FDP nen - da haben Sie mich hier ja immer kritisiert - nachlesen -: Wenn die Quote weg ist, investiert in diesen Boom noch angeheizt. die Ställe! Baut immer größere! Der Markt wird es schon richten! - Der Markt richtet es aber nicht so, (Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN wie Sie ihn eingerichtet haben. Deshalb geht es und bei der SPD - Helmut Dammann- jetzt darum, auf europäischer Ebene Mehrheiten Tamke [CDU]: Was macht der nieder- zu bekommen. sächsische Agrarminister?) (Helmut Dammann-Tamke [CDU]: Sie haben mit dem AFP zu zwei Dritteln Kuhställe Was macht der Minister in Nieder- gefördert. Heute sagen Landwirte: Gut, dass es sachsen?) diese Förderung nicht mehr gibt. Ich habe kleiner gebaut. Ich hätte sonst ein riesiges Minus. Da können Sie noch so viel streiten. Da helfen jetzt nicht Tröpfcheninfusionen, sondern da gibt es nur (Helmut Dammann-Tamke [CDU]: eine gemeinsame Lösung. An dieser Stelle zitiere Was macht der niedersächsische ich gerne noch einmal meinen neuen Kollegen Landwirtschaftsminister? Wer hat die Herrn Wissing, der der FDP - - - Ressortverantwortung?)

Deshalb setzt sich Niedersachsen für das einzig Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Richtige an. Wir brauchen eine europäische Lö- Herr Minister! sung, keine niedersächsische und keine Bundes- lösung. (Miriam Staudte [GRÜNE]: Er hat doch Nein gesagt) Herr Dammann-Tamke, Sie sollten einmal lesen, Gilt dieses Nein auch jetzt? was wir die ganze Zeit sagen: Niedersachsen ist keine Insel. Das wissen wir. Aber vielleicht setzen , Minister für Ernährung, Land- Sie sich einmal dafür ein, dass das, was der Bun- Christian Meyer wirtschaft und Verbraucherschutz: desratsausschuss beschlossen hat, dass das, was die CDU/CSU-Agrarminister beschlossen haben, Keine Fragen! Dafür sind die Zwischenrufe zu laut. endlich auf europäischer Ebene umgesetzt wird. Herr Wissing sagt heute - - - (Helmut Dammann-Tamke [CDU]: (Zurufe von der CDU und von der Was macht der niedersächsische FDP) Landwirtschaftsminister?)

Das wäre richtig. Vizepräsident Karl-Heinz Klare:

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der Herr Minister, ich unterbreche Sie noch einmal SPD) kurz. Meine Damen und Herren, ich kann verstehen, Wir haben drei bis fünf - - - dass es bei so einer emotionalen Debatte auch (Helmut Dammann-Tamke [CDU]: viele Zwischenrufe gibt. Aber der Redner muss Was machen Sie? - Gegenruf von hier ausreden können. Er muss auch mitdenken Miriam Staudte [GRÜNE]: Das ist ja können und darf nicht ständig durch Schreierei nicht auszuhalten! - Petra Tiemann unterbrochen werden. Ich darf Sie bitten, das zu [SPD]: Was ist denn das für eine akzeptieren. Sie können gerne Zwischenrufe ma- Dauerbefeuerung hier? - Miriam chen. Aber versuchen Sie nicht, den Redner vom Staudte [GRÜNE]: Hat er keine Rede- Mikrofon wegzureden. Das hat keinen Zweck von zeit von seiner Fraktion bekommen?) dahinten.

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Herr Minister, Sie haben das Wort. Bitte schön, (Helmut Dammann-Tamke [CDU]: Der Herr Meyer! zuständige Ressortminister hat bisher nicht einen Satz über Niedersachsen Christian Meyer, Minister für Ernährung, Land- verloren!) wirtschaft und Verbraucherschutz: Dann haben wir endlich wieder bessere Einkom- Ich will zitieren, was mein neuer FDP-Landwirt- men im ländlichen Raum. Denn hier geht es um schaftsministerkollege aus der Ampelkoalition in die Wirtschaftlichkeit und die Existenz von über Rheinland-Pfalz heute in der Neuen Presse zum 10 000 Milchviehbetrieben in Niedersachsen. Milchgipfel gesagt hat, zu dem die hiesige FDP ja der Meinung ist, das ist unnötig, und das alles soll (Beifall bei den GRÜNEN und bei der man nicht machen. SPD - Helmut Dammann-Tamke [CDU]: Sie haben über Rheinland- (Christian Grascha [FDP]: Der war to- Pfalz, über den Bund und über Euro- tal enttäuscht, weil nichts dabei her- pa geredet, aber noch nicht über Nie- ausgekommen ist! - Helmut Dam- dersachsen!) mann-Tamke [CDU]: Der Minister re- det fünf Minuten und hat noch nichts Vizepräsident Karl-Heinz Klare: zu Niedersachsen gesagt!) Vielen Dank, Herr Minister. - Wir haben die Bitte Ich zitiere ihn und stimme ihm darin auch zu: um zusätzliche Redezeit erhalten. „Der Landwirtschaftsminister von Rheinland- (Miriam Staudte [GRÜNE]: So viel, Pfalz, Volker Wissing (FDP), erklärte, das wie da gerufen wurde, müsste man Konzept von Minister Schmidt überzeuge ihn was abziehen!) nicht. ‚Finanzielle Hilfen alleine werden die Dem können wir nach § 71 Abs. 2 unserer Ge- Probleme der Bauern nicht lösen, sondern schäftsordnung nur dann entsprechen, wenn der langfristig noch verschärfen.‘“ Minister die Redezeit überzogen hat. Minister Nötig seien marktwirtschaftliche Lösungen für faire Meyer hat um 36 Sekunden überzogen. Herr Gru- Preise. pe, Sie bekommen 36 Sekunden. - Sie auch, Herr Dammann-Tamke, aber nach Herrn Grupe. - Bitte Das ist richtig. Marktwirtschaft heißt, Angebot und schön! Nachfrage wieder in Einklang zu bringen. (Christian Dürr [FDP]: Sie verstehen Hermann Grupe (FDP): unter Marktwirtschaft etwas anderes Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie als der Kollege Wissing!) haben Ihren Kollegen, Herrn Minister Wissing, zwar zitiert, allerdings nicht ganz vollständig. Er hat Und deshalb brauchen wir jetzt eine europaweite nämlich als Hauptergebnis festgehalten, dass die- befristete entschädigungslose Mengenreduzie- ses Treffen ohne jedes konkrete Ergebnis zu Ende rung, wie es die Agrarminister aller Länder be- gegangen ist. schlossen haben. Das ist der einzige Weg. (Miriam Staudte [GRÜNE]: Wenn Herr (Christian Dürr [FDP]: Das hat doch Meyer da gewesen wäre, hätte es ein Wissing gar nicht gefordert! So ein Ergebnis gegeben!) Quatsch! - Helmut Dammann-Tamke [CDU]: Der Minister hat noch nichts zu Diese Milchgipfelei ist nur noch peinlich. Niedersachsen gesagt!) Beim Pairing machen wir keine Kompromisse. Das Werfen Sie keine Nebelkerzen, sondern sorgen gilt für uns uneingeschränkt. Aber nicht für solche Sie dafür, dass der Milchpreis wieder raufgeht! Showveranstaltungen! Wenn Ihr Staatssekretär da war, war das völlig ausreichend. (Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD) Herr Meyer, Sie haben eben Ihr Konzept entlarvt. Sie haben die modernen Ställe für mehr Tierwohl Und das ist in der Marktwirtschaft ganz einfach: diffamiert. Sie lassen die alten Ställe. Durch Ihre Angebot und Nachfrage bestimmten den Preis. überzogenen Auflagen treiben Sie die Bauern von Sorgen wir dafür, dass das wieder in Einklang den Höfen, weil man mit diesen alten Ställen an- kommt! gesichts der neuen teuren Auflagen hinsichtlich

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Mist- oder Silageplatten nicht weiterexistieren aber wenn, dann höchstens nachrangig. Das müs- kann. sen Sie zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der FDP und bei der CDU - (Beifall bei den GRÜNEN) Christian Dürr [FDP]: So ist es!) Im Übrigen, Herr Dammann-Tamke: Der Minister hat sehr wohl auch über Niedersachsen geredet, Vizepräsident Karl-Heinz Klare: insbesondere z. B. im letzten Satz. Vielen Dank. - Herr Dammann-Tamke, bitte schön! (Lachen bei der CDU und bei der Helmut Dammann-Tamke (CDU): FDP) Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich stelle fest, dass Ich empfehle Ihnen, das im Protokoll nachzulesen. wir heute im Niedersächsischen Landtag eine De- (Beifall bei den GRÜNEN und bei der batte zur Agrarkrise hatten - mit dem Schwerpunkt SPD) Milchwirtschaft - und der zuständige Ressortminis- ter in einer etwa fünfminütigen Rede nicht einen Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Satz über Niedersachsen verloren hat. Nicht einen Vielen Dank. - Herr Siebels für die SPD-Fraktion, Satz in Richtung der niedersächsischen Landwirte! bitte schön! (Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Dann haben Sie wohl nicht zugehört! - Wiard Siebels (SPD): Miriam Staudte [GRÜNE]: Was ist ei- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will gentlich los mit Ihnen? - Weitere Zuru- es kurz machen. fe von den GRÜNEN) Herr Dammann-Tamke, Ihren Einwurf, der Agrar- Er hat uns berichtet, was in Rheinland-Pfalz los ist, minister habe die Situation in Niedersachsen in was im Bundesrat los ist, was auf Bundesebene seiner Rede nicht hinreichend berücksichtigt, will los ist und was in Europa los ist. ich zurückweisen, weil diese Krise in der Tat nicht Er hat die Ressortverantwortung in Niedersachsen nur niedersachsenweit ist, sondern mindestens als dem Milchland Nummer eins. Aber außer bundesweit, wenn nicht sogar europaweit. Schlagzeilen wird in seinem Ressort nichts produ- Das bringt mich zu folgender Aussage: Ich glaube, ziert. es hilft uns allen nicht weiter, wenn wir uns gegen- (Beifall bei der CDU und bei der FDP) seitig die Verantwortung in die Schuhe schieben. Deswegen begrüße ich sehr, dass die Agrarminis- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: terkonferenz unter Vorsitz von Till Backhaus den Vorschlag gemacht hat, dass sich die Agrarminis- Vielen Dank, Herr Dammann-Tamke. - Herr ter in Brüssel zusammenfinden, um europaweit Janßen, Sie haben ebenfalls die vorgegebene Zeit; wenigstens Lösungsansätze für diese Krise zu die ist für alle gleich. Das ist zwar ein bisschen erarbeiten. eng, aber Sie kriegen das hin. Bitte schön! Vielleicht können Sie sich diesem Vorschlag ja (Heiner Schönecke [CDU]: Wie viele anschließen. Ich würde es begrüßen, wenn sich Kühe haben Sie schon gemolken?) auch der Bundesagrarminister diesem Vorschlag anschließen könnte. Hans-Joachim Janßen (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht Vielen Dank. auch recht schnell. (Beifall bei der SPD und bei den Ich möchte einen Satz zu Herrn Grupe sagen, GRÜNEN) Stichwort „alte Ställe und neue Ställe“. Im Rahmen der Agrarinvestitionsförderung ist in der Vergan- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: genheit vor allem das Größenwachstum innerhalb Herr Minister Meyer, bitte schön! dieser Ställe gefördert worden. Wir haben das so umgestellt, dass jetzt der Tierschutz ein wesentli- Christian Meyer, Minister für Ernährung, Land- ches Kriterium beim Bau der Ställe ist. Es ist nicht wirtschaft und Verbraucherschutz: völlig ausgeschlossen, dass wir noch in zusätzliche Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Großställe bzw. in Vergrößerungen investieren, das nur noch einmal kurz klarstellen: Ich habe sehr

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wohl über niedersächsische Programme geredet. Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Das wird Herr Dammann-Tamke wegen seiner Vielen Dank, Herr Minister. - Herr Dammann- Zwischenrufe nicht gemerkt haben. Tamke, Sie haben 1:10 Minuten. Die anderen, die sich dann melden, auch. Bitte schön! Ich sage es Ihnen noch einmal ganz klar: Nieder- sachsen hat per Kabinettsbeschluss aus der zwei- Helmut Dammann-Tamke (CDU): ten Säule im ELER-Programm fast 100 Millionen Euro ausschließlich für Grünland- und Weideprä- Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie mien vorgesehen. Die ersten Tranchen sind jetzt als Ressortminister tragen die Verantwortung im gerade, im Frühjahr, überwiesen worden. Das Agrarland Nummer eins, nämlich in Niedersach- macht kein anderes Bundesland. Das machen wir sen. für unsere Milchviehhalter. (Miriam Staudte [GRÜNE]: Das ist so billig! Das ist unter Ihrer Würde!) (Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Christian Dürr [FDP]: Sie haben Sie tragen die Verantwortung dafür, dass Ag- das Geld erst einmal zwei Monate zu rarprämien verspätet ausgezahlt werden. Es ist zu spät überwiesen! Sie haben es denen befürchten, dass das in diesem Jahr wieder so eben nicht gegeben!) laufen wird.

Wir haben ein sehr erfolgreiches Weidemilchkon- Und Sie führen mit Ihrem Haus die Milchviehhalter zept. In der vergangenen Woche haben sich Bau- und die gesamte Öffentlichkeit hinter die Fichte. - ernverband, BDM, AbL, Umweltverbände und alle „Lügen“ ist nicht parlamentarisch, deswegen sage Molkereien darauf geeinigt, wie wir in Niedersach- ich: „hinter die Fichte“. sen die Weidehaltung voranbringen. Warum? - Sie haben zur Anhörung im hiesigen Agrarausschuss eine Vorlage eingebracht, in der (Beifall bei den GRÜNEN und bei der steht, dass es ein Bürgschaftsprogramm für Liqui- SPD) ditätshilfen gibt. Fakt ist: Kein Milchviehbetrieb, der Das ist mindestens so schwierig wie ein einstimmi- die Liquidität nicht mehr darstellen kann und dem ger Beschluss der Agrarministerkonferenz. die Hausbank sagt, er bekommt nichts mehr, hat die Chance auf eine Bürgschaft aus diesem Pro- Das fördern wir aus Landesmitteln. Daran sollten gramm. Sie sich auch einmal erinnern, wenn wir an die Informieren Sie sich! Ihr Haus hat in eine Vorlage Verbraucher appellieren. Niedersachsen hat die definitiv die Unwahrheit geschrieben. Wenn Sie es tiergerechteste und grünste Haltung. Wir haben die nicht glauben: Ich kann Ihnen die schriftlichen Be- meisten Kühe auf der Weide. Und trotzdem trinken weise aus der Finanzwirtschaft vorlegen. wir Milch aus Bayern, die versuchen, den Eindruck einer Idylle zu erwecken, die es dort aber gar nicht (Beifall bei der CDU und bei der FDP) gibt. Deshalb ist Weidemilch auch eine Marktchan- ce. Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Hermann Grupe, bitte schön! Und wir haben die Bioprämien auf das höchste Niveau unter allen Bundesländern gebracht, was Hermann Grupe (FDP): die Weidehaltung und das Grünland angeht. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier Also tun Sie bitte nicht so, als würden wir unsere wurde jetzt mehrfach betont, dass die Lösung eu- Bauern in Niedersachsen im Regen stehen lassen! ropäisch sein muss und nicht nur niedersächsisch Wir helfen denen mehr als andere Länder oder als sein kann. Aber da muss ich Sie enttäuschen: Die der Bundeslandwirtschaftsminister mit seinen Ab- Lösung ist nur weltweit zu organisieren. Ein Zei- lenkungsvorschlägen. chen, das gerade viel Mut macht, ist, dass in Neu- seeland die Milchmenge um 1 % zurückgegangen (Beifall bei den GRÜNEN und bei der ist. Weltweite Einflüsse beeinflussen unsere Preise SPD - Christian Grascha [FDP]: Die hier direkt. Bauern sind alle schier begeistert! Herr Janßen hat argumentiert, dass es die Förde- Das erlebe ich jedes Mal, wenn ich rung der großen Ställe war, die zu einer Auswei- mit denen spreche!) tung der Milchmenge geführt hat. Dazu möchte ich

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darauf hinweisen, dass sich die Milchmenge bei Vizepräsident Karl-Heinz Klare: uns nur um etwa 2 bis 3 % ausgeweitet hat. Im Herr Kollege, die Zeit ist um. Gegensatz dazu liegt die Ausweitung in anderen europäischen Ländern im zweistelligen Bereich. Hans-Joachim Janßen (GRÜNE): Nehmen Sie bitte auch einmal zur Kenntnis, dass Dann ist es gut. moderne Ställe auch als Gemeinschaftsställe, in (Beifall bei den GRÜNEN) Kooperationen gebaut werden. Junge Milchbauern wollen schließlich auch so leben wie die anderen Vizepräsident Karl-Heinz Klare: jungen Menschen, die wollen auch mal Wochen- ende haben, die wollen auch mal in Urlaub fahren Vielen Dank. - Herr Siebels, Sie haben das Wort. usw. Wiard Siebels (SPD): Wenn Sie das alles an den Pranger stellen und Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und lediglich die alten Verhältnisse, den kleinen Maß- Herren! Herr Thiele, Herr Kollege Dammann-Tam- stab, konservieren wollen, dann beweisen Sie ke hatte von „hinter die Fichte führen“ gesprochen, erneut, dass Sie Zukunft der Landwirtschaft im was das Bürgschaftsprogramm angeht. Wege stehen. (Helmut Dammann-Tamke [CDU]: (Beifall bei der FDP) Jawohl!) Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Ich will mich dieser Ausdrucksweise nicht an- Herr Janßen, bitte schön! schließen, will aber den Vorschlag machen: Wenn es bei der Umsetzung dieses Programms - wir Hans-Joachim Janßen (GRÜNE): haben über Bürgschaften auch im Rahmen der Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anhörung durchaus gesprochen - tatsächlich Liquiditätsbürgschaften gibt es durchaus. Aller- (Zuruf von Helmut Dammann-Tamke dings gibt es sie nicht für die Fälle, in denen im [CDU]) Ergebnis mit einem Ausfall des Darlehens zu rech- nen ist. Was würde die Opposition hier sagen, - darf ich einmal ausreden, Herr Kollege Tamke? - wenn das Land Niedersachsen in einem hohen Schwierigkeiten gibt, dann können wir das im Aus- Umfange Geld ersetzen müsste? Würde sie das schuss gemeinsam diskutieren. als sinnvollen und zweckgerichteten Umgang mit (Hermann Grupe [FDP]: Sehr gut!) Steuermitteln bezeichnen? Es hat mich gewundert - darauf will ich einmal (Zuruf von Helmut Dammann-Tamke hinweisen -, dass Herr Kollege Oesterhelweg - ich [CDU]) weiß gar nicht, wo er gerade ist - gesagt hat, es Zu der von Herrn Grupe aufgeworfenen Frage: In gebe nichts darüber. Auf einmal gibt es doch et- Deutschland beziehen sich 80 % des Handels mit was. Die Vorlage ist bei Ihnen wiederaufgetaucht. Milchprodukten auf die EU. Ob wir da weltweit (Heiterkeit von Anja Piel [GRÜNE] - agieren müssen, möchte ich doch sehr in Zweifel Zuruf von Helmut Dammann-Tamke ziehen. Ich glaube, es wäre schon sehr viel ge- [CDU]) wonnen, wenn wir auf der europäischen Ebene eine Mengenregelung hinbekämen. An dieser Stelle kann man wohl einmal die Frage stellen: Wer versucht hier eigentlich wen hinter die (Zuruf von Hermann Grupe [FDP]) Fichte zu führen? In absoluten Zahlen war die Steigerung der Milch- (Beifall bei der SPD und bei den menge in Deutschland im Übrigen die größte in der GRÜNEN) EU. Prozentual sind die Steigerungen zwar z. B. in den Niederlanden und in Irland größer - völlig rich- Herr Kollege, Sie kommen ständig auf die Frage tig. Aber absolut ist die Milchmenge in Deutschland von Verantwortung zu sprechen und versuchen zu am stärksten gewachsen. Auch das sollten Sie unterstellen, dass der niedersächsische Landwirt- einmal zur Kenntnis nehmen. schaftsminister nicht gerecht werde. (Beifall bei der GRÜNEN - Zurufe von (Björn Thümler [CDU]: Wird er ja auch der CDU) nicht!)

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Ich will einmal ganz vorsichtig darauf hinweisen, Burkhard Hirsch, oder - hier in Herr Kollege, dass dieser niedersächsische Land- Hannover - Michael Ebeling diese Freiheitsrechte wirtschaftsminister in der Krise tätig ist, dass er einklagen und recht bekommen. Politik muss dann Lösungsvorschläge macht. handeln und die Gesetze anpassen. Meistens geschieht das auch, aber eben gerade nur so weit, (Zurufe von der CDU und von der wie das Gericht es vorgegeben hat. FDP) Ist es aber nicht eigentlich die Aufgabe von Politik, Die müssen Ihnen nicht gefallen. Aber das unter- die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit scheidet ihn ganz wesentlich vom Bundeslandwirt- vorzunehmen? schaftsminister, der völlig abgetaucht ist und sich an einem völlig überflüssigen ideologischen Streit (Zustimmung bei der FDP) zwischen CDU und CSU beteiligt. Darf Politik diese Aufgabe den Gerichten überlas- Vielen Dank, dass Sie zugehört haben. sen? Wenn es nicht Parlamentarier sind, meine (Beifall bei der SPD und bei den sehr verehrten Damen und Herren, die „Im Zweifel GRÜNEN - Zuruf von Hermann Grupe für die Freiheit!“ sagen, wer ist es dann? [FDP] - Weitere Zurufe) In den aktuellen sicherheitspolitischen Debatten geht es doch oft gar nicht darum, was Sicherheit Vizepräsident Karl-Heinz Klare: schafft, sondern darum, das Sicherheitsgefühl der Meine Damen und Herren, wir hatten im Rahmen Bevölkerung zu steigern. Helfen Kameras im öf- dieser Aktuellen Stunde jetzt wirklich ausreichend fentlichen Personennahverkehr wirklich, wenn sich Gelegenheit, die Positionen auszutauschen. Die niemand die Bilder live ansieht und im Notfall auf Besprechung zu Punkt b ist jetzt beendet. Viel- den roten Knopf drückt und die Polizei verständigt? leicht kommen wir auch emotional ein bisschen - Nein, lieber Olaf Lies - er ist jetzt nicht da -, das herunter. bringt nichts. Das ist Scheinsicherheit, gleichzeitig Wir kommen zum nächsten Thema - es ist auch aber ein Eingriff in die Privatheit. sehr spannend -: (Beifall bei der FDP und Zustimmung von Meta Janssen-Kucz [GRÜNE]) c) „Es sind meine Daten!“ - Privatheit schützen Die Novelle des Polizeigesetzes steht an. Im Ent- - Grundrechte stärken! - Antrag der Fraktion der wurf steht, dass die Videoüberwachung öffentlicher FDP - Drs. 17/5868 Plätze weiterhin möglich sein soll, wenn damit dem Begehen schwerwiegender Ordnungswidrigkeiten entgegengewirkt werden kann. Ist wirklich eine Das Wort hat Jan-Christoph Oetjen. Bitte schön, Balance zwischen den Sicherheitsinteressen der Herr Oetjen! Bevölkerung und dem Schutz der bürgerlichen Freiheiten gegeben, wenn wegen Ordnungswidrig- Jan-Christoph Oetjen (FDP): keiten ein öffentlicher Platz videoüberwacht und Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Hunderttausende von Menschen aufgezeichnet gen! Angst ist ein schlechter Ratgeber. Nach den werden? - Ich meine: Nein. Terroranschlägen vom 11. September 2001 wur- Ich möchte auf das Thema Funkzellenabfragen den aber, getrieben von ebendieser Angst, auf der hinweisen, zu dem wir in dieser Plenarwoche einen ganzen Welt Sicherheitsgesetze verschärft, Befug- Entschließungsantrag eingereicht haben. Hier nisse von Polizei und Geheimdiensten ausgeweitet haben wir als Politik der Polizei eine Eingriffsbe- und bürgerliche Freiheiten eingeschränkt, auch bei fugnis erteilt. Aber die Polizei ist nicht in der Lage, uns in Deutschland und in Niedersachsen, von uns zu sagen, wie oft dieses Instrument ange- allen Parteien. wandt wird und mit welchem Erfolg. Ich habe gro- Nach und nach werden diese bürgerlichen Frei- ßen Zweifel, dass die Nutzung immer verhältnis- heitsrechte jedoch zurückgewonnen. Es sind aller- mäßig ist. dings nicht Regierungen, die diese Freiheitsrechte (Beifall bei der FDP - Helge Limburg einfordern und Überreaktionen nach dem 11. Sep- [GRÜNE]: Ja, Zweifel haben wir tember korrigieren, sondern Gerichte, vor denen auch!) Bürger wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,

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Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch bei der heitsrechte einsetzen soll, wenn sie Ratgeber für derzeitigen Bundesregierung sind die bürgerlichen Politik in solch schwierigen Fragen sein soll, dann Freiheiten nicht in guten Händen. Der Beschluss braucht sie die notwendige Unterstützung und - vor zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeiche- allen Dingen hier bei uns in Niedersachsen - mehr rung zeigt genau dies. Personal.

Meine Damen und Herren, uns Parlamentariern Ich wünsche mir, dass wir zu einer parlamentari- sind die Grundrechte der Menschen in diesem schen Kultur zurückkommen, in der die Worte von Land anvertraut. Es ist unsere Aufgabe, diese Datenschützern und Bürgerrechtlern nicht wegge- Grundrechte zu verteidigen und zwischen den wischt werden, dass wir zu einer parlamentari- Bedürfnissen von Freiheit und Sicherheit abzuwä- schen Kultur zurückkehren, in der der Eingriff in gen. Ich wünsche mir, dass wir - wie es die Nor- bürgerliche Freiheiten sorgsam abgewogen wird, weger nach dem Attentat von Utøya getan haben - zu einer Kultur, in der Freiheitsrechte nicht auf dem innehalten, bevor wie bürgerliche Freiheiten ein- Altar scheinbarer Sicherheit geopfert werden, son- schränken. Ich wünsche mir, dass wir lieber zwei- dern in der es heißt: Im Zweifel für die Freiheit! mal abwägen, ob ein Instrument für die Polizei oder den Geheimdienst wirklich notwendig ist und - Vielen Dank. vor allen Dingen - ob es für den Zweck, den es erfüllen soll, verhältnismäßig ist. (Beifall bei der FDP und Zustimmung bei den GRÜNEN) Es geht darum, dass wir als Parlamentarier uns nicht von Angst und Misstrauen anstecken lassen dürfen, in keinem Lebensbereich. Das gilt für Angst Vizepräsident Karl-Heinz Klare: vor religiösem Terrorismus; in der öffentlichen Vielen Dank, Herr Oetjen. - Jetzt hat sich Andrea Debatte werden manchmal ganze Religionsge- Schröder-Ehlers, SPD-Fraktion, zu Wort gemeldet. meinschaften in einen Sack gesteckt. Das gilt auch Bitte schön! für die Landwirtschaft; wir sollten eigentlich davon ausgehen, dass Menschen die Regeln einhalten Andrea Schröder-Ehlers (SPD): und wir nicht alles dreimal kontrollieren müssen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht darum, dass wir als Politik Vertrauen in die Liebe FDP, vielen Dank für dieses Thema. Man Menschen haben und die Kräfte der Zivilbevölke- könnte sich natürlich fragen, wo die Aktualität rung stärken müssen, statt bürgerliche Freiheiten steckt. einzuschränken. (Beifall bei der FDP und Zustimmung (Christian Dürr [FDP]: Funkzellenab- bei den GRÜNEN) frage!) Aber Sie wissen ja, ich schätze Debatten zu die- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: sem Thema. Herr Kollege, Herr Watermann bittet Sie, eine Zwi- schenfrage zuzulassen. (Jörg Bode [FDP]: Videoüberwachung in Hannover!) Jan-Christoph Oetjen (FDP): Angesichts des täglichen Umgangs mit unseren Er hat noch die Gelegenheit, zu reden. Daten und der massiven Veränderung in unserer Gesellschaft kann man schon begründen, dass es Vizepräsident Karl-Heinz Klare: in die Aktuelle Stunde gehört. Dann bitte schön! (Christian Grascha [FDP]: Haben Sie Jan-Christoph Oetjen (FDP): eigentlich Ahnung vom Thema?) Ich bin der Überzeugung, Herr Präsident, dass wir - Herr Grascha, wir können diese Debatte gerne zu diesem Zweck den niedersächsischen Daten- noch vertiefen. schutzbeauftragten ähnlich ausstatten sollten, wie die Kollegen in Schleswig-Holstein ihren Daten- (Christian Dürr [FDP]: Was ist denn schutzbeauftragten ausgestattet haben. Wenn sich mit Üstra und Funkzellenabfrage?) eine Behörde effektiv für Datenschutz und Frei-

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Wir haben ja heute Morgen darüber gesprochen, auf hingewiesen, dass wirtschaftliche Macht politi- dass wir eine sachliche Debatte führen wollen. sche Macht usurpieren kann.

(Christian Grascha [FDP]: Was ist Die Datensammler rücken sehr, sehr dicht an uns denn mit diesen Themen? Die sind und unsere existenziellen Bedürfnisse heran. Das doch wohl aktuell!) ist genau auf uns zugeschnitten, so hilfreich, so Zum Thema Datenschutz in dieser allgemeinen freundlich. Aber es macht uns abhängig und be- Form können wir alle mitreden, und dazu müssen herrscht uns irgendwann. Auf der einen Seite Ser- wir alle mitreden. vice pur, aber auf der anderen Seite keine klaren Haltepunkte für die Aufnahme und Beurteilung von (Beifall bei der SPD) Informationen.

Meine Damen und Herren, Big Data verwandelt die Auch die öffentliche Meinungsbildung bleibt dabei Welt. Wir alle hängen mittlerweile am Netz und im mit der Zeit auf der Strecke. Zeitungen oder öffent- Netz. Unsere Daten sind längst eine sehr lukrative liche Medien werden immer weniger genutzt. Heu- Handelsware. Immer mehr Daten werden verfüg- te klickt man seine Informationen zusammen. Udo bar gemacht. Algorithmen ersetzen immer mehr Di Fabio, der frühere Verfassungsrichter - sicher- Entscheidungsprozesse. Wer im Supermarkt ein- lich kein Sozialdemokrat -, wies kürzlich darauf hin, kaufen geht, sollte sein Handy auf Flugmodus dass die neuen Informationsbedingungen im Netz setzen, damit nicht sein ganz persönliches Ein- auch etwas mit den neuen populistischen Bewe- kaufsverhalten getrackt werden kann. gungen in Europa und in den USA zu tun haben Ich denke, wir alle haben begriffen, dass zwischen dürften. Eine besorgniserregende Entwicklung! der alten Industrie und den Internetakteuren längst Meine sehr verehrten Damen und Herren, um die ein Wettlauf begonnen hat, wer die Wirtschaft der Überschrift Ihres Antrages zur Aktuellen Stunde Zukunft beherrscht. aufzugreifen: Meine Daten gehören mir heute nicht Big Data und neue Kommunikations- und Informa- mehr wirklich. Es steht außer Frage, dass auch die tionsformen, große Umbrüche in unserer Wirt- staatlichen Versuchungen immer wieder auf den schaft verändern auch unsere Gesellschaft - wie Prüfstand gehören. Aber mein Recht auf informati- sollte es auch anders sein: wo viel Licht ist, ist onelle Selbstbestimmung lässt sich gegenüber auch viel Schatten -, während wir alle genauestens dem Staat durchsetzen. Da entfalten die Grund- darauf achten, Herr Oetjen, was demokratisch rechte ihre Abwehrfunktion, auch bei Videoüber- legitimierte Akteure dürfen und was sie nicht dür- wachung und auch bei Funkzellenüberwachung, fen. Lassen Sie mich die Entscheidung des Bun- Herr Oetjen. desverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz aufgrei- fen, die in unserem aktuellen Gesetzgebungsver- Im Netz ist das sehr viel schwieriger. Wie soll mich fahren zum Verfassungsschutzgesetz starke Be- der Staat wirklich wirksam schützen, wenn ich rücksichtigung findet. Gestatten Sie mir hier noch freiwillig alle meine Daten - gegen kostenlose Nut- folgenden Einschub: Vielen Dank noch einmal an zung von ein paar Kommunikationsmöglichkeiten - Herrn Dr. Wefelmeier und an Herrn Dr. Miller. Man preisgebe? könnte fast den Eindruck haben, dass sie den Karlsruher Richtern zur Seite gestanden haben, als Meine Damen und Herren, die Aufgabe, die wir in diese ihre Entscheidung formuliert haben. der Politik zu leisten haben, ist ziemlich groß und umfänglich. Wir brauchen in Deutschland - besser Meine Damen und Herren, all diese Dinge schüt- noch auf europäischer Ebene - Regelungen über zen uns gegenüber dem Staat. Aber es gibt bei digitale Systeme. Netzintermediäre brauchen klare Privaten, bei Google, bei Facebook und bei Regelungen in Europa. Die Anfänge dafür sind WhatsApp, eine globale Vorratsdatenspeicherung gemacht. Die Safe-Harbor-Entscheidung des ungeahnten Ausmaßes. EuGH oder die vor ein paar Wochen verabschiede- te Datenschutz-Grundverordnung der EU setzen Wem anderes als einer sogenannten Wirtschafts- dafür Eckpunkte. Aber ich glaube, allen hier im partei soll ich es sagen? - Die Gesetzmäßigkeit der Raum ist klar, dass das nicht reichen wird. Daten- Netzökonomie führt zu riesigen Informationsmono- schutz am Arbeitsplatz, im Privatleben und bei den polen, die uns sehr beunruhigen müssen. Als So- staatlichen Stellen bleibt ein zentrales Thema der zialdemokratin kann ich Ihnen sagen: Schon im Zukunft. Godesberger Programm von 1959 haben wir dar-

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Meine Damen und Herren von der FDP, über diese Wir leben in einer Welt, in der Informationen über Frage sollten wir gern öfter diskutieren. Da sind Personen zu immateriellen Werten mit großer wir, glaube ich, gar nicht so weit auseinander. Nachfrage werden. Wir leben auch in einer Welt, in der beständig mehr Daten, Bild- und Tonaufnah- Vielen Dank. men erstellt und gespeichert werden, als man es (Beifall bei der SPD und bei den sich noch im letzten Jahrhundert hätte vorstellen GRÜNEN) können. Diese Entwicklungen brauchen immer neue Regelungen. Faktisch - auch das muss fest- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: gestellt werden - hinkt unser Recht den techni- schen und gesellschaftlichen Entwicklungen be- Vielen Dank, Frau Schröder-Ehlers. - Es hat sich ständig hinterher. Frau Mechthild Ross-Luttmann für die CDU- Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön! So stellt sich gegenwärtig die Frage, ob die gesetz- lichen Vorgaben gegenüber Google, Apple oder Mechthild Ross-Luttmann (CDU): Facebook nicht verschärft werden sollten. Wir dür- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und fen aber auch nicht vergessen, dass die Menschen Herren! Es sind meine Daten! Ja: Meine Daten diese Daten zumindest häufig in großer Unbe- sind meine Daten, und das Recht auf informatio- kümmertheit freiwillig diesen Unternehmen über- nelle Selbstbestimmung umfasst selbstverständlich lassen. Hier sehe ich nach wie vor großen Informa- mein Recht, grundsätzlich selbst über die Preisga- tions- und Aufklärungsbedarf. be und die Verwendung meiner Daten zu bestim- men. Die Befugnis, grundsätzlich über die Offenba- Es gibt auch weitere Beispiele dafür, dass das rung persönlicher Lebenssachverhalte zu ent- Grundrecht nach den Prinzipien der praktischen scheiden, bedarf in unserer hochtechnisierten Welt Konkordanz in das Gleichgewicht mit anderen eines besonderen Schutzes, dies insbesondere berechtigten Interessen gebracht werden muss. vor dem Hintergrund der heute scheinbar unbe- Ich will hier die Aufnahmen von Kameras in Autos, grenzten technischen Möglichkeiten. Was kann von sogenannten Dashcams, nennen. Solange heute nicht alles technisch gespeichert oder in Landschaftsaufnahmen gefertigt werden, völlig Bruchstücken von Sekunden völlig unabhängig unproblematisch. Wenn aber der Straßenverkehr von Entfernungen an viele andere Adressaten aufgenommen und gespeichert wird, ist, so glaube versandt werden! ich schon, das Recht auf informationelle Selbstbe- stimmung Dritter betroffen. Die Aufnahmen können Aber, meine Damen und Herren, nicht alles, was sicherlich manches Mal einen Beitrag zur Aufklä- technisch möglich ist, ist auch rechtlich erlaubt rung von Unfallhergängen und Straftaten leisten oder sollte gar erlaubt werden. Ich denke, hierüber sowie helfen, in Straf- und Zivilverfahren zutreffen- besteht bei uns Einigkeit. Jeder Einzelne muss vor der und vielleicht auch gerechter zu entscheiden. unbegrenzter Erhebung, Speicherung und Verwer- Die Rechtsprechung hierzu ist uneinheitlich. Der tung seiner Daten wirksam geschützt werden. Das Verkehrsgerichtstag in Goslar hat dafür plädiert, Bundesverfassungsgericht hat 1983 in seinem diese Aufnahmen unter Bedingungen zu erlauben. wegweisenden sogenannten Volkszählungsurteil Wenn wir das wollen, brauchen wir eine klare ge- die informationelle Selbstbestimmung aus dem setzliche Regelung, die einen sachgerechten Aus- allgemeinen Persönlichkeitsrecht - Artikel 2 Abs. 1 gleich zwischen Beweisinteresse und Persönlich- und Artikel 1 des Grundgesetzes - abgeleitet und keitsrecht schafft. somit als Grundrecht anerkannt. Ein weiteres Beispiel ist die private und staatliche Allerdings, meine Damen und Herren, gilt dieses Videoüberwachung. Ein weiteres Beispiel: Fremde Grundrecht nicht schrankenlos, wie das Bundes- Kameras in Schlafzimmern, also im höchstpersön- verfassungsgericht in mehreren Entscheidungen lichen Lebensbereich, sind nicht zu rechtfertigen. festgestellt hat. Es steht im Spannungsverhältnis zwischen dem Recht des Einzelnen auf den (Zustimmung bei der CDU) Schutz seiner eigenen Daten und den überwie- genden Informationsinteressen der Allgemeinheit. Auf der anderen Seite kann man aber auch nicht Die CDU-Landtagsfraktion bekennt sich ausdrück- erwarten, dass man z. B. als Besucher eines lich zu dieser Rechtsprechung des Bundesverfas- hochkarätigen Fußballspiels oder einer Fernseh- sungsgerichts! show nicht gefilmt wird.

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Anfang Januar sprachen sich 88 % aller Frauen siert, übertragen und verkauft. Noch nie waren und 75 % aller Männer bei einer Umfrage für mehr Datenströme so begehrt wie heute. Unternehmen Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen und in wie Google und Facebook oder auch andere Inter- Verkehrsmitteln aus netunternehmen machen hiermit Milliardenumsät- ze. Wenn man diese Unternehmen fragt, vertreten (Zustimmung bei der CDU) diese offensichtlich den Standpunkt, dass es sich - sicherlich auch eine Reaktion auf die Übergriffe in bei diesen Daten um freie und besitzerlose Güter Köln -, gleichwohl ist das eine beachtliche Zustim- handelt. mung. Auch im Zusammenhang mit der Überwachung Für uns gehören öffentliche Busse und Bahnen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch die sowie Haltestellen zu den Bereichen, in denen Arbeitgeber, aber auch im Zusammenhang mit der eine umfassende Videoüberwachung richtig sein Vorratsdatenspeicherung im staatlichen Bereich kann. Sie kann helfen, Verdachtsfälle zu klären werden immer wieder Möglichkeiten und Räume und Täter zu überführen. Sie kann das Sicher- geschaffen, um solche Daten abzugreifen. Dass heitsgefühl von Reisenden und Mitarbeitern erhö- diese Daten keine besitzerlosen Güter sind, son- hen und für mehr Schutz sorgen. Allerdings gilt das dern ganz tiefe Einblicke in die höchstpersönlichen nicht unbegrenzt. Lebensbereiche geben und im Grunde genommen Interessen, Gedanken, Bewegungen und Über- Die Landesregierung hat sich für mehr Videoüber- zeugungen widerspiegeln, ist uns allen relativ klar. wachung ausgesprochen. Sie ist dann aber auch Auch der technische Fortschritt macht es mithilfe in der Pflicht, für klare rechtliche Grundlagen Sorge solcher Daten möglich, Persönlichkeiten verblüf- zu tragen. fend komplex abzubilden. (Beifall bei der CDU) Deshalb bedarf es ganz klarer politischer und ge- Meine Damen und Herren, das Recht auf informa- setzlicher Spielregeln. Herr Oetjen hat recht, wenn tionelle Selbstbestimmung ist ein hohes Gut. In er in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass dieses Recht sollte nur zum überwiegenden es ein Missverhältnis gibt zwischen Legislative, Schutz des Allgemeininteresses gemäß der Vor- Exekutive und Judikative, zumindest mit Blick auf gaben des Bundesverfassungsgerichtes eingegrif- die Aufgabenwahrnehmung. Das Urteil des Bun- fen werden, und auch nur aufgrund einer Rechts- desverfassungsgerichts von vor mehr als 30 Jah- grundlage, aus der sich Voraussetzungen und ren zur Volkszählung und auch das Recht auf in- Umfang genau ergeben. Dann, meine Damen und formationelle Selbstbestimmung wurden bereits Herren, kann ich sagen: Ja, es sind meine Daten, genannt. aber in diesen engen Grenzen kann ich auch tei- Darüber hinaus gibt es weitere Gerichtsurteile, len. auch aktuelle. Zwei Beispiele möchte ich nennen: (Beifall bei der CDU) erstens das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung aus dem Jahr 2010, mit dem Grundgesetzwidrig- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: keit festgestellt und ein diffus bedrohliches Gefühl Vielen Dank, Frau Ross-Luttmann. - Jetzt hat sich des Beobachtet-Seins unterstrichen worden war, Belit Onay gemeldet. Bitte schön, Sie haben das das durch die Vorratsdatenspeicherung entstehen Wort. kann. Nennen möchte ich zweitens das aktuelle Urteil Belit Onay (GRÜNE): zum sogenannten BKA-Gesetz vom April dieses Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehr- Jahres. Dieses Urteil sagte ganz klar aus, dass der ten Damen und Herren! Vielen Dank an die FDP- Gesetzgeber das Gesetz zu unbestimmt und zu Fraktion dafür, dass wir heute Gelegenheit haben, weit formuliert habe und dass es - ich zitiere - feh- zu diesem Thema zu sprechen! Die Aktualität die- len würde an flankierenden rechtsstaatlichen Absi- ses Themas ist, glaube ich, durchgehend, und cherungen insbesondere zum Schutz des Kernbe- gerade auch wegen der Rechtsprechung war es reichs privater Lebensgestaltung. Das wird sicher- wichtig, dieses Thema auf die Tagesordnung zu lich auch von uns in Niedersachsen berücksichtigt nehmen. werden müssen, gerade wenn wir über das Poli- zeigesetz sprechen. Das allerdings ist schon der Gerade in der heutigen Zeit werden persönliche Fall. Daten wie nie zuvor erfasst, gespeichert, analy-

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Sehr interessant ist zum Teil auch die politische nung erlassen wird, weil in ihr viele wichtige Rech- Reaktion auf dieses Urteil. Der Innenminister - - - te verankert sind. Beispielhaft erwähnen möchte ich das Recht auf Vergessen-Werden, also das (Zuruf) Recht auf Löschung von Informationen - gerade für - Der Bundesinnenminister; Verzeihung. Ich will junge Menschen ist dies ein sehr wichtiges keine Missverständnisse aufkommen lassen. Recht -, Informationspflichten und Transparenz, One-Stop-Shop-Ansatz, wirksame Sanktionen, die Der Bundesinnenminister sprach davon - ich zitie- dem Datenschutz endlich auch einmal Kraft verlei- re -, dass es nicht Aufgabe des Gerichts sei, stän- hen, meine sehr geehrten Damen und Herren. dig dem Gesetzgeber in den Arm zu fallen. Aber gerade in diesem Bereich verhält es sich doch Damit ist, glaube ich, aber nur der erste Schritt anders herum. Vielmehr muss darauf geachtet gemacht worden. Der Prozess geht weiter. Vor werden, dass der Gesetzgeber mit solchen Geset- allem ist es ein technischer Prozess, der sich zen nicht dem Datenschutz, nicht der Freiheit schnell weiterentwickelt. Insofern sind wir als Poli- ständig in den Arm fällt. tik, als Legislative in der Pflicht, anständig und zeitgemäß darauf zu reagieren. (Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Christian Grascha Vielen Dank. [FDP]) (Beifall bei den GRÜNEN und bei der An dieser Stelle möchte ich einen Punkt anspre- SPD) chen, den schon Herr Oetjen erwähnt hatte, näm- lich dieses Gefühl von Sicherheit. Auch Frau Ross- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Luttmann hat es angesprochen. Meines Erachtens Vielen Dank, Herr Onay. - Jetzt hat sich der Herr ist es wichtig, sich den Vorstoß von Verkehrsminis- Minister gemeldet. Herr Minister Pistorius, Sie ter Olaf Lies noch einmal etwas genauer anzu- haben das Wort. schauen. Er war etwas differenzierter. Ich habe mich bei ihm noch einmal genau erkundigt, wie Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: sich dieser Vorstoß genau darstellt. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Ganz wichtig ist dabei ein Punkt. Es gab eine Um- Herren! Der Datenschutz beschäftigt uns seit Be- frage, bei der viele - ich meine, 80 % der Befrag- ginn dieser Wahlperiode. Ich kann mich an meine ten - geantwortet haben, dass sie sich sicher füh- ersten Reden zu diesem Thema erinnern, als es len, wenn es eine Videoüberwachung gibt. Genau um die Frage der Balance ging zwischen den Bür- das aber ist, glaube ich, das Problem; denn diese gerrechten, den Freiheitsrechten und dem vom Sicherheit ist, was den unmittelbaren Schutz an- Verfassungsgericht geschaffenen Grundrecht auf geht, trügerisch. Keine Kamera wird runterspringen informationelle Selbstbestimmung auf der einen und eine Straftat verhindern. Außerdem werden Seite sowie den Rechten, den Notwendigkeiten, die Videoaufzeichnungen nicht direkt beobachtet. der Verantwortung des Staates auf der anderen Insofern handelt es sich hier nur um eine trügeri- Seite, mit seinem Handeln für Sicherheit zu garan- sche Sicherheit. Der Hinweis auf die abschrecken- tieren. Die Diskussion verläuft fast immer nach de Wirkung ist zwar richtig, aber auch das ist, dem gleichen Muster. Es gibt diejenigen, die dem glaube ich, schwer zu fassen. Deshalb muss an Staat zutiefst misstrauen und ihm am liebsten gar dieser Stelle zwischen Freiheit, Datenschutz und keine Kompetenzen geben würden, weil sie sagen: Sicherheitsgefühl abgewogen werden. Wir trauen ihm nicht als Institution oder den Men- schen, die die Ämter bekleiden, auf die es an- Meine sehr geehrten Damen und Herren, trotz all kommt. - Das ist die eine extreme Seite, hier im dieser Kritik - ich bin ja ein Freund von Optimismus Haus nicht vertreten. und ein eher optimistischer Mensch - möchte ich eines nicht unerwähnt lassen, nämlich die Daten- Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die dem schutz-Grundverordnung, die vom europäischen Staat am liebsten jedes Instrument in die Hand Gesetzgeber als wichtiger Meilenstein insbesonde- geben würden, schranken- und grenzenlos in der re im Bereich des Datenschutzes gerade auf den irrigen Annahme, Sicherheit sei - wie der ehemali- Weg gebracht worden ist. Damit schließen wir den ge Bundesinnenminister Friedrich es einmal ge- Flickenteppich des Datenschutzes in ganz Europa. sagt hat - ein Supergrundrecht. Wir alle wissen, Der Landtag hatte sich ja einstimmig dafür ausge- dass dem nicht so ist. Weder Freiheit noch Sicher- sprochen, dass eine Datenschutz-Grundverord- heit noch informationelle Selbstbestimmung sind

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Supergrundrechte. Wir alle wissen, dass die nämlich genau deshalb, weil wir uns der Verant- Grundrechte eben auch in der täglichen operativen wortung sowohl für das eine als auch für das ande- Arbeit einer stetigen und ständigen Ausbalancie- re bewusst sind. Wir müssen - wenn Sie mir diese rung unterliegen müssen. Die Juristen nennen das Bemerkung erlauben - dazu nicht erst - wie soll ich „Schrankentrias“. Wir müssen uns immer wieder sagen? - aus einem zehnjährigen Tiefschlaf erwa- darum bemühen, zu erkennen, dass das eine chen wie die FDP. Daniel Precht hat einmal das Grundrecht durch den Schutz eines anderen ein- Buch geschrieben: „Wer bin ich und wenn ja, wie geschränkt werden kann, natürlich nur nach klaren viele?“ - Diese Frage könnte man sich ja auch bei Kriterien und verfassungsrechtlich überprüfbar. der FDP stellen. Damit Sie mich aber nicht falsch verstehen: Ich freue mich darüber, dass diese Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns immer Phase bei Ihnen beendet ist; denn Sie haben wäh- wieder vor Augen führen, dass Datenschutz kein rend Ihrer zehnjährigen Regierungszeit hier in Selbstzweck ist, genauso wenig wie auch Sicher- Niedersachsen ja alles mitgemacht, was auf den heit. Jede Diskussion über Einzelaspekte dieser Tisch kam. Aber ich freue mich darüber und be- Diskussion führt immer wieder zu der gleichen grüße es sehr, dass Sie diesen Weg eingeschla- Erkenntnis. Ja, Sie können über Videoüberwa- gen haben; denn das ist die FDP, die ich von frü- chung diskutieren. Wir können über Videoüberwa- her kenne. chung diskutieren. Wir werden zweierlei feststellen: (Christian Dürr [FDP]: Ihr habt doch Videoüberwachung garantiert keine Sicherheit. gestern dagegen gestimmt! Ihr habt Videoüberwachung garantiert aber Sicherheits- doch die Entfristung gemacht!) empfinden sowie Abschreckung und Verfolgung. Wir werden die entsprechenden verfassungsmäßi- Das heißt, man darf nicht so eindimensional sa- gen Vorgaben erfüllen. Wir werden in Niedersach- gen: Das eine lehnen wir ab, weil …, und deshalb sen als eines der ersten Länder die Vorgaben des brauchen wir das andere. - Wir müssen konstatie- Bundes umsetzen. ren, dass Sicherheitspolitik auch viel damit zu tun hat, wie Sicherheit empfunden wird. Wenn sich Ich könnte jetzt noch ausführen - aber das Thema jemand nicht sicher fühlt - auch dann, wenn er es ist ja Gott sei Dank nicht näher angesprochen wor- objektiv zu sein scheint -, ist er schon in diesem den -, was das z. B. für Datenbanken und Daten- Augenblick in seiner Freiheit eingeschränkt. Des- sammlungen im Umfeld von Fußballspielen bedeu- wegen hängt eines am anderen. Deshalb müssen tet. wir die Diskussion immer wieder sorgfältig führen. Ich jedenfalls bin sehr zuversichtlich, dass wir in Niedersachsen sowohl eine hervorragende Umset- Die Europäische Datenschutz-Grundverordnung zung der europäischen Datenschutz-Grundverord- und auch das Urteil des Bundesverfassungsge- nung erreichen als auch im Gefahrengesetz Rege- richts sind hier schon angesprochen worden. Bei- lungen beschließen werden, die dazu führen, dass des verpflichtet uns, entsprechende Umsetzungs- wir guten Gewissens sagen können: Das Urteil des schritte vorzunehmen; was die Europäische Da- Bundesverfassungsgerichts findet in Niedersach- tenschutz-Grundverordnung angeht, bis 2018, was sen selbstverständlich unmittelbare Anwendung. das Bundesverfassungsgerichtsurteil angeht, noch schneller. Wir haben das bereits in das laufende Danke schön. Gesetzgebungsverfahren zum Gefahrenabwehr- gesetz eingearbeitet. Wir werden den Gesetzent- (Beifall bei der SPD und bei den wurf so ausgestalten, dass er den Anforderungen GRÜNEN) und damit auch dem Datenschutz und dem verfas- sungsrechtlich garantierten Recht auf informatio- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: nelle Selbstbestimmung Rechnung trägt. Die FDP-Fraktion möchte zusätzliche Redezeit - eine Minute. Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Da- tenschutz ist bei dieser Landesregierung genauso (Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Auf wie die innere Sicherheit in den besten Händen, mein Kontingent! Wir haben noch Re- dezeit für das nächste Thema der Ak- (Zustimmung bei der SPD und bei den tuellen Stunde! - Gegenruf von Helge GRÜNEN) Limburg [GRÜNE]: Das geht nicht! Das haben wir geändert! - Gegenruf

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von Christian Dürr [FDP]: Natürlich Der Parteitag der Grünen von Gifhorn hat dies nun kann er das! Er hat noch Redezeit!) wieder bewiesen. Ihr Bild der Polizei, das aus den linksradikalen Wurzeln der 70er-Jahre stammt, ist - Nein, nach der Auslegung unserer Geschäftsord- immer noch lebendig. nung können Sie jetzt eigentlich nicht mehr reden. Es gibt aber vielleicht noch andere Möglichkeiten. (Gerald Heere [GRÜNE]: Das ist eine Ansonsten sind wir mit diesem Tagesordnungs- Unverschämtheit!) punkt durch. Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich will Ich rufe auf Ihnen folgende Anzeichen nennen: Erstens: die Forderung der Abschaffung des Ver- fassungsschutzes, den Frau Piel 2012 in Stade als d) Beschwerdestelle, Kennzeichnungspflicht, „Scheißhaufen“ bezeichnete. Abschaffung von Polizeipferden und Polizei- hunden - wann überdenken die Grünen endlich (Zurufe von der CDU: Unglaublich!) ihr Bild von der Polizei? - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/5864 Zweitens: die Beschwerdestelle beim Staatssekre- tär des Innenministeriums, die für uns eine Miss- trauensstelle ist. Zuletzt berichtete die Nordwest- Zu Wort gemeldet hat sich Angelika Jahns von der Zeitung am 14. Mai 2016, dass sich die Polizisten CDU-Fraktion. hierdurch an den Pranger gestellt fühlen und mas- senhaft falsche Anschuldigungen erhoben werden. Angelika Jahns (CDU): (Thomas Adasch [CDU]: Genau so!) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Drittens: die Kennzeichnungspflicht. Während das politische Landschaft ist permanent in Bewegung. Vermummungsverbot bei Demonstrationen von Dabei kann es aus vielfältigen Gründen auch zu den Grünen politisch immer bekämpft wurde, sol- Überraschungen kommen. Selbst Parteien entwi- len Polizisten besser identifizierbar werden, wenn ckeln sich weiter und überdenken frühere Grund- sie dem autonomen Block gegenüberstehen. Für- sätze. Nur die niedersächsischen Grünen scheinen sorge, meine Damen und Herren, sieht anders rückwärtsgewandt zu bleiben. aus. (Gerald Heere [GRÜNE]: Äußerst platt!) (Beifall bei der CDU) Gerade heute titelt die Neue Presse zur geplanten Viertens: die vielen weiteren Einschränkungen im Änderung des Demonstrationsrechts durch Rot- Polizeirecht, die im Koalitionsvertrag festgehalten Grün: „Eine Politik aus vergangenen Zeiten“. Das sind, aber zum Glück noch nicht umgesetzt worden sagt alles, meine Damen und Herren. Sie halten sind. Hoffentlich bleibt es dabei. krampfhaft an drei Jahre alten Koalitionsvereinba- rungen fest, die sich durch die geänderte Sicher- Fünftens: die Verweigerung zusätzlichen Perso- heitslage längst überholt haben. nals für den Verfassungsschutz, dem man mehr Bürokratie aufhalst, aber das notwendige Personal (Zustimmung bei der CDU und bei der dafür verweigert - und das in der gegenwärtigen FDP) Bedrohungslage! Herr Präsident, meine Damen und Herren, sehr (Björn Thümler [CDU]: Pfui!) geehrte Kollegen aus der Grünen-Fraktion, das macht sehr deutlich: Sie in Niedersachsen bleiben Sechstens: das nun auf dem Landesparteitag der bei Ihren antiquierten Auffassungen. Ihr Verhältnis Grünen geforderte Verbot des Einsatzes von zur Polizei ist mehr als fragwürdig. Während sich Diensthunden und Dienstpferden. grüne Landesverbände in Baden-Württemberg und (Zuruf von der CDU: Lächerlich!) Hessen sowie die grüne Bundestagsfraktion deut- lich der Polizei und den Sicherheitsbehörden an- Sie misstrauen nicht nur den Polizistinnen und nähern, ist das Verhältnis der niedersächsischen Polizisten, sondern auch den Pferden und Hunden Grünen zur Polizei immer noch von Misstrauen der Polizei - wie absurd! und Argwohn geprägt. (Beifall bei der CDU - Thomas Adasch (Zustimmung bei der CDU) [CDU]: Unerhört!)

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Siebtens: die ebenfalls neue Forderung nach einer Ich gehe davon aus, dass Sie sich für die Vorha- unabhängigen Treuhandstelle für Protokolle von ben, die Sie bei den letzten Parteitagen angekünigt Polizeieinsätzen und Polizeivideos. haben, bei unseren Polizistinnen und Polizisten entschuldigen und diese zurücknehmen werden. Herr Präsident, meine Damen und Herren, in Zei- Danke schön. ten völlig überlasteter Polizeibeamtinnen und -be- amter, einer steigenden Gewalt gegen diese, einer (Beifall bei der CDU und Zustimmung stärker werdenden terroristischen Bedrohung und bei der FDP) fehlenden Respekts bestimmter Gruppen mit Mig- rationshintergrund - ich erinnere an das Buch von Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Frau Kambouri - sieht der Landesparteitag der niedersächsischen Grünen als einziges Problem Vielen Dank, Frau Jahns. - Zu Wort gemeldet hat der inneren Sicherheit das Problem von Polizeige- sich jetzt Ulrich Watermann, SPD-Fraktion. Bitte walt und das Problem, dass Pferde und Hunde schön! Demonstranten einschüchtern könnten. So ist man in der Debatte nicht mehr ernst zu nehmen. Ulrich Watermann (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Liebe Mitglieder der grünen Landtagsfraktion, wir Herren! Die Aktuelle Stunde ist ja wirklich gut zu- hören ständig, dass Ihnen der Kampf gegen Stig- sammengestellt. Es gibt Themen, die man doch matisierung und Ausgrenzung von gesellschaftli- heißer diskutieren kann, und es gibt Themen, die chen Gruppen wichtig sei. Ich bin der Ansicht, dass ganz in Ruhe diskutiert werden. Sie beständig, von Anfang an, eine Politik und Rhetorik der Ausgrenzung und Stigmatisierung Bei der Diskussion zum Thema Datenschutz ka- gegen die Polizei führen. men sehr ausgewogene Reden aus allen Fraktio- nen. Das sollte vielleicht für das Thema innere (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Sicherheit und Polizei sowie Umgang und Einstel- lung der Parteien und Fraktionen damit bzw. dazu Ihre Anträge auf Parteitagen und Ihre Wahlpro- auch gelten. gramme sprechen eine klare Sprache. Ich möchte Die Kollegin Ross-Luttmann hat eben sehr ausge- dazu ein weiteres aktuelles Beispiel nennen: Die wogen über das Thema Videoüberwachung ge- Grüne Jugend Göttingen hat im April eine Broschü- sprochen. Ich kann mich noch an die vergangene re über die Beweissicherungs- und Festnahmeein- Innenausschusssitzung erinnern, in der die CDU- heit der Bereitschaftspolizei in Göttingen vorge- Fraktion dieses Thema sehr hochstilisiert hat und stellt mit dem Titel „How to BFE - Die Beweissiche- die Gefährdung der inneren Sicherheit damit in rungs- und Festnahmeeinheit. Zwischen Männlich- Verbindung gebracht hat. keitsritualen, Korpsgeist und Anonymität“. Titel des ersten Kapitels: „Am Anfang war der Schlagstock“. Ich glaube, wir wären gut beraten, wenn wir den Themenbereich innere Sicherheit, Verfassungs- (Helge Limburg [GRÜNE]: Es ging schutz, Polizei und Umgang damit immer ausge- sogar um Tierschutz bei dem Thema, wogen diskutieren würden. Denn dabei bedarf es Frau Kollegin! Das hätten Sie sich mal einer sehr großen Abwägung. Der Kollege Oetjen, angucken sollen!) der mir eine Zwischenfrage dazu nicht gestattet hat, hat gesagt, dass man aufpassen muss, dass Meine Damen und Herren, liebe Mitglieder der es nicht bei jedem Ereignis zu einer Verschärfung grünen Landtagsfraktion, gehen Sie bitte in sich! kommt. Überlegen Sie bitte selbstkritisch, ob Sie nicht in Bei den Beratungen zum Verfassungsschutzge- überholten ideologischen Vorstellungen und Tradi- setz haben wir beim Thema Beobachtung von tionen verhaftet sind! Grenzen Sie sich klar von Minderjährigen über das Alter 16 bzw. 14 gespro- unsachlicher Ablehnung unserer Polizei ab! Bedie- chen. Wir haben dazu jetzt einen ausgewogenen nen Sie nicht mehr den Linksradikalismus mit die- Vorschlag vorgelegt, aber Ihr Kollege Landesvor- sen Initiativen! Und kommen Sie nach bald 40 sitzender hat gesagt, das wäre überhaupt nicht Jahren auf die Sachebene zurück! ausreichend.

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Ich würde Ihnen empfehlen, gelegentlich auch in tut, immer ausgewogen ist. Das werden wir, ge- die eigenen Reihen zu schauen und zu schauen, nauso wie beim Datenschutz, immer von Fall zu ob fehlende Ausgewogenheit immer nur anderen Fall, von Situation zu Situation tun, und wir wer- vorgehalten werden kann. den - auch das sage ich Ihnen - mit den bestehen- den Gefahrenpotenzialen am besten umgehen, (Beifall bei der SPD und bei den wenn wir nicht jedes hochstilisieren und wenn wir GRÜNEN) sagen: Wir sind stolz darauf, dass wir in Nieder- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sachsen eine gute Polizei, einen guten Verfas- müssen mit Blick auf ganz viele Situationen bei der sungsschutz haben. Wir sagen ganz deutlich: Wir Polizei darüber beraten, wie wir sie stärken kön- sind in Niedersachsen sicher. nen. In der Koalition sind wir uns dabei völlig einig Sie können ganz sicher sein, dass dieses Thema - auch bei vielen Punkten, die auch Sie fordern. bei dieser Koalition gut aufgehoben ist. Ich denke, wir alle sollten uns ganz gründlich an Vielen Dank. die eigene Nase fassen und uns fragen, ob wir nicht gerade im Moment die Polizei durch das (Beifall bei der SPD und bei den Hochstilisieren von Ereignissen und die Nutzung GRÜNEN - Thomas Adasch [CDU]: von parlamentarischen Instrumenten in einem Das war ja dünn!) erheblichen Maße belasten. Wir müssen aber auch wissen, dass das eine erhebliche Belastung be- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: deutet. Vielleicht müssen wir auch da das Ausge- Danke, Herr Watermann. - Jan-Christoph Oetjen, wogene nach vorne stellen. FDP-Fraktion, bitte! Sie haben das Wort. (Beifall bei der SPD und bei den Jan-Christoph Oetjen (FDP): GRÜNEN) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn gen! Als Freie Demokraten wenden wir uns gegen man das Thema so wichtig nimmt und als Stream die Stigmatisierung von Polizisten, genauso wie wir durch den Landtag treibt, dann muss man sich uns gegen die Stigmatisierung von Muslimen oder gelegentlich auch fragen, warum Sie - worüber ich anderen richten. Das ist für mich eine Selbstver- gestern völlig erschüttert war -, wenn wir über so ständlichkeit. etwas wie die Bestandsdatenabfrage reden, bei der Abstimmung einfach sitzen bleiben. Sie ma- (Ottmar von Holtz [GRÜNE]: De- chen nicht mit, sagen aber auf der anderen Seite, monstranten oder Fußballfans!) die innere Sicherheit sei Ihnen sehr wichtig. Ich - Oder Fußballfans oder Demonstranten. Das ist sage Ihnen: Sie sind zulasten der Polizei sitzen für mich gar keine Frage. geblieben. Deshalb sollten Sie, bevor Sie anderen Fraktionen und Parteien vorschreiben, bestimmte (Helge Limburg [GRÜNE]: Sehr gut!) Dinge zu überdenken, erst einmal Ihre eigene Rol- Insofern ist natürlich schon zu fragen, ob man, le überdenken. Ich glaube, damit hätten Sie genug wenn man Politik gestaltet, eine Kultur des Ver- zu tun. trauens oder eine Kultur des Misstrauens hat. Sie können sicher sein: Ein Parteitag kann prüfen Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grü- und beschließen und tun, was er will. Das ergeht nen, Sie sind an der Stelle natürlich nicht frei von uns auf Parteitagen immer wieder so. Aber wir Misstrauen. Sie misstrauen Landwirten, Sie miss- werden hier in dieser Koalition nur das machen, trauen Polizisten. was wir miteinander vereinbaren. Ich sage klipp und klar: Dabei kann jeder alles prüfen, wir werden (Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Das aber ganz bestimmt nicht mitmachen, wenn bei stimmt doch gar nicht! Wie kommen den Hunden und bei den Pferdestaffeln etwas Sie denn auf diese Idee? - Miriam verändert werden soll. Staudte [GRÜNE]: Anscheinend miss- trauen Sie uns! Das ist wohl auch eine (Beifall bei der SPD, bei der CDU und allgemeine Zuschreibung, oder?) bei den GRÜNEN) Das machen Sie durch solche Beschlüsse deutlich. Wir werden darüber reden - das sage ich in aller Ich will Sie eigentlich nur ermuntern, wenn Sie Deutlichkeit -, ob die Einsätze und das, was man über solche Dinge parteiintern diskutieren oder

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solche Anträge in den Niedersächsischen Landtag Die CDU, heute vertreten durch Frau Jahns, hat einbringen - was bisher noch nicht der Fall ist; ich wieder keinen Versuch ausgelassen, Misstrauen bedanke mich beim Kollegen Watermann, dass er zu säen und Unsicherheiten zu schüren. Liebe ausdrücklich sagt, mit der SPD ist, was Pferde und Frau Jahns, mit Ihrem Beitrag und Ihrem Vokabu- Hunde angeht, nichts zu machen; das ist eine kla- lar haben Sie wieder etwas auf das Konto der re Ansage, die ich begrüße -, sich einmal in die Rechtspopulisten eingezahlt. Ob Sie das wirklich Rolle des anderen zu versetzen, sich beispielswei- wollen, ist die Frage. se in die Rolle der Kollegen der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit in Göttingen, die von der (Beifall bei den GRÜNEN - Wider- Kollegin Jahns zitiert wurde, versetzen und fragen: spruch bei der CDU) Wie gehen wir eigentlich damit um? Wir gehen ganz bewusst einen anderen Weg, im Natürlich gibt es auch in der Polizei genauso wie Dialog mit der Polizei und mit den Bürgerinnen und unter Landwirten und Muslimen Leute, die sich Bürgern, und wir haben in drei Jahren rot-grüner nicht an die Regeln halten. Das ist doch völlig klar. Regierungszeit unserer Polizei gemeinsam den Das aber zu verallgemeinern, ist sicherlich der Rücken gestärkt. Denken Sie an das Stellenhe- falsche Weg. bungsprogramm, die Abschaffung Ihres A-11er- Erlasses, an die Schaffung neuer Stellen für An- Insofern, Herr Kollege Watermann, muss man wärterinnen und Anwärter, die wir unbedingt ver- abwägen, wie wir in der FDP das getan haben, als es um die Frage des Verfassungsschutzes und stetigen müssen. darum ging, ob Daten gespeichert werden oder (Beifall bei den GRÜNEN - Helge nicht. Dazu hat der Kollege Birkner gestern deut- Limburg [GRÜNE]: Richtig! Sehr gut! lich gemacht, dass wir der Meinung sind, dass wir Genau!) bei der Altersgrenze von 14 Jahren, die ja derzeit gesetzlich festgelegt ist, bleiben sollten, was ja Wir, Rot-Grün, werden ebenso gemeinsam die auch von niemandem, rechtlich gesehen, hinter- Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten wieder auf fragt wurde. Aber natürlich ist das eine Abwä- bundesweiten Durchschnitt anheben sowie die gungsfrage, die man sich nicht leicht macht. Heilfürsorge, die Sie im Chor abgeschafft haben, Insofern glaube ich, dass wir, bezugnehmend auf wiedereinführen. die vorherige Debatte, solche Themen sowohl auf (Beifall bei den GRÜNEN - Thomas der einen wie auf der anderen Seite vielleicht mit Adasch [CDU]: Das ist ja wohl der ein bisschen weniger Schaum vorm Mund diskutie- Gipfel! Die hat die SPD abgeschafft! - ren sollten. Weitere Zurufe von der CDU) Vielen Dank. Das stärkt die Arbeit der Polizei, das stärkt die (Beifall bei der FDP und Zustimmung Motivation, und das trägt auch zur Verbesserung bei der SPD - Ulrich Watermann der Sicherheitslage bei. Wir stellen uns den aktuel- [SPD]: Dem stimme ich ausdrücklich len Herausforderungen in der Sicherheitspolitik. zu!) Lieber Herr Dürr, für uns als Bürgerrechtspartei ist Vizepräsident Karl-Heinz Klare: es selbstverständlich, dass wir Entscheidungen Vielen Dank, Herr Oetjen. - Meta Janssen-Kucz, immer wieder auf den Prüfstand stellen und auch Bündnis 90/Die Grünen, Sie haben sich zu Wort neue Wege gehen, um die Qualität der polizeili- gemeldet. Sie haben das Wort. Bitte schön! chen Arbeit und damit auch das Vertrauen in diese Arbeit zu stärken. Meta Janssen-Kucz (GRÜNE): (Christian Dürr [FDP]: Sie haben es Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worum gestern abgelehnt! Sie haben gestern geht es, wenn wir uns konstruktiv mit der Arbeit das Gegenteil getan! - Zurufe von der unserer Polizei auseinandersetzen? - Es geht um CDU ) Vertrauen, Vertrauen auf beiden Seiten, aufseiten der Bürgerinnen und Bürger und aufseiten der Dazu gehört der in Göttingen begonnene Dialog- Sicherheitsbehörden, der Polizei. prozess ebenso wie die Beschwerdestelle für Bür- (Zurufe von der CDU) gerinnen und Bürger und Polizei.

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Vielleicht zur Erinnerung: Wenn man sich konkret onal und dem Menschenrechtsausschuss der UN damit beschäftigt, bemerkt man: Es handelt sich erhoben. um ein Beschwerde- und Ideenmanagement, (Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann (Ulf Thiele [CDU]: Das scheint ja su- übernimmt den Vorsitz) per zu laufen!) Wenn Sie in der Lage sind, über Ihren Tellerrand das mittlerweile viele Wirtschaftsbetriebe, öffentli- zu schauen, stellen Sie fest, dass die individuali- che Einrichtungen, Krankenhäuser, Pflegeeinrich- sierte anonymisierte Kennzeichnung in immer tungen fest etabliert haben, um ihre Arbeit durch mehr Bundesländern umgesetzt wird, auch zu- Transparenz und Fehlerkontrollen stetig zu ver- sammen mit Ihren Kollegen von der CDU. bessern. Das ist auch unser Ziel. (Beifall bei den GRÜNEN) (Beifall bei den GRÜNEN) Dazu noch einen Satz: Wenn Vorwürfe nicht auf- Dass es offensichtlich Handlungsbedarf gibt, lieber geklärt werden, verlieren beide Seiten: die Polizei Kollege Thiele, macht nicht zuletzt das interne an Glaubwürdigkeit und Respekt und die Betroffe- Gutachten zur Bundespolizeiwache in Hannover nen das Vertrauen in demokratische Kontrolle und deutlich. Es geht um Kommunikationsmängel, rechtsstaatlichen Schutz. Das wollen wir nicht, fehlendes Controlling, und, ich glaube, das werden auch Sie nicht wollen, (Ulf Thiele [CDU]: Das ist nicht zu meine Kollegen von CDU und FDP. glauben!) (Zustimmung bei den GRÜNEN) aber auch um Übergriffe, die man nicht durch Still- Die rot-grüne Landesregierung befindet sich bei schweigen, personelle Veränderungen und Ver- diesem Thema im Dialog mit den Polizeiorganisa- setzungen behebt, sondern man muss sie kon- tionen, und wir werden ein gemeinsames Ergebnis struktiv-kritisch aufarbeiten und strukturelle Mängel erzielen. beheben. (Ulf Thiele [CDU]: Herr Innenminister, Jetzt noch zu unserem viel zitierten Parteitagsbe- können Sie sich bitte gleich einmal vor schluss in Gifhorn. Wir Grüne streben in Nieder- unsere Polizisten stellen? Das ist ja sachsen an, den Einsatz von Polizeihunden und unerträglich!) -pferden auf Versammlungen auf den Prüfstand zu stellen. - Herr Thiele, Ihre Zwischenrufe sind wirklich uner- träglich! (Zurufe von der CDU: Oh! Ach so!) (Beifall bei den GRÜNEN und bei der - Wenn Sie richtig lesen könnten, hätten Sie das SPD - Zurufe von der CDU: Aber rich- mitgekriegt. tig! - Es wird auch durch lautes Uns allen ist klar, dass wir auf Polizeipferde bei Schreien nicht besser!) Großveranstaltungen wie beim Fußball nicht ver- Zu einer sachlichen Debatte gehört es, dass man zichten können. Aber dennoch müssen wir die feststellt: In Organisationen wie der Polizei läuft Gesamtlage auch unter dem Aspekt - - - vieles richtig, leider läuft aber auch manches falsch. Das gilt es abzustellen, und das ist unser Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: Ziel. Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Auch Ihr Misstrauen gegen die individualisierte anonymisierte Kennzeichnung sollten Sie einmal Meta Janssen-Kucz (GRÜNE): überdenken. Staatliches Vorgehen, gerade wenn Ja, ich muss wegen der Zwischenrufe noch es um die Ausübung von Gewalt geht, muss immer kurz - - - auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden kön- nen. Dennoch müssen wir die Gesamtlage auch unter dem Aspekt des Tierschutzes betrachten. (Beifall bei den GRÜNEN) (Ulf Thiele [CDU]: Gegen Hooligans Aus gutem Grunde wird auch diese Forderung ja, gegen den Schwarzen Block nach der individuellen Kennzeichnung von Men- nicht?) schenrechtsorganisationen wie Amnesty Internati-

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Ich möchte noch einen Satz vorlesen. Der Landes- Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: rechnungshof hat 2007 folgende Feststellung ge- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und troffen: Herren! Als ich den Wortlaut des Antrages zur „Die Reiterstaffeln der Polizei verursachen Aktuellen Stunde las, habe ich mir zunächst ge- hohe Kosten. Gleichwohl gibt es nur wenige dacht: Da kann ich ja sitzen bleiben, dazu muss ich Einsätze, die den relativ teuren Einsatz von nichts sagen, ich muss ja nicht beantworten, was Pferden erfordern." die Grünen schon beantworten. - Aber dann habe ich mir gedacht: Ich gönne Ihnen mal etwas und (Ulf Thiele [CDU]: Herr Minister!) rede doch dazu.

Wieso stellt man das nicht auf den Prüfstand? (Heiterkeit bei der SPD)

Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: Meine sehr geehrten Damen und Herren, fangen wir mit der Beschwerdestelle an. Immer wieder Frau Kollegin, jetzt geht es nicht mehr. Sie müssen wird sie zitiert, immer wieder wird sie mit allen wirklich zum Schluss kommen. möglichen Synonymen betitelt, die ihr nicht immer gerecht werden, sondern die sie zum Teil auch Meta Janssen-Kucz (GRÜNE): diskreditieren, meine Damen und Herren. Wegen der Störungen: Ich will noch einen Satz zu Die Beschwerdestelle - darauf wurde mehrfach den Rangern sagen: hingewiesen - ist keine Stelle für Beschwerden nur (Zurufe von der CDU und von der über die Polizei, sondern eine Stelle, bei der man FDP) sich über alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung beschweren kann. Sie bezieht sich auf alle Belan- Wir als Grüne sind felsenfest davon überzeugt: Wir ge und kann übrigens auch aus den Verwaltungen brauchen die Polizeipferde vor allem als Ranger in selbst heraus angerufen werden. Aber ich will das der Elbtalaue und, Kollege Thiele, auch - nicht in die Länge ziehen.

Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: Wer hier sagt, die Beschwerdestelle sei eine Miss- trauensstelle, den bitte ich, sich einfach mal die Frau Kollegin, ich schalte jetzt ab. Es tut mir leid. Zahlen anzuschauen; gelegentlich hilft es ja, sich Das geht wirklich nicht. mit Zahlen zu beschäftigen. 281 Beschwerden hat es im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit (GRÜNE): Meta Janssen-Kucz der Polizei gegeben. Davon waren ca. 6 % teilwei- - im Nationalpark Wattenmeer. se begründet und ca. 6 % begründet. Das sind zusammen etwa 25 Beschwerden, die zumindest (Zurufe von der CDU: Das ist un- teilweise begründet waren. glaublich! Das ist dämlich!) Wenn Sie das an der Tatsache spiegeln, dass wir Danke. bei der Polizei etwa 24 000 Beschäftigte haben - (Beifall bei den GRÜNEN und Zu- im Vollzug und in allen anderen Bereichen - und stimmung bei der SPD - Christian das mit der Zahl der Kontakte je Beschäftigtem Grascha [FDP]: Bei anderen Rednern zwischen Polizei und Bürger und Jahr multiplizie- wird immer abgeschaltet!) ren, dann kommt dabei heraus - auf jeder Seite dieses Hohen Hauses, auch für die Grüne Jugend Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: und auch für die Jugendorganisationen aller ande- ren Parteien -, dass es keinen Grund gibt, dieser Sie alle kennen die Fünfminutenregelung für die Polizei zu misstrauen, Aktuelle Stunde. Das kann man hier nicht über- strapazieren. Es tut mir leid. Sie müssen sich (Anja Piel [GRÜNE]: Genau!) trotzdem daran halten. Sie sehen ja die Uhr vor sich. sondern dass es darum geht, die wenigen Fehler, die gemacht und bei der Beschwerdestelle zu Ge- Jetzt hat zu diesem Thema der Aktuellen Stunde hör gebracht werden, aufzuarbeiten, um diese für die Landesregierung noch Herr Minister Pistori- hervorragende Polizei noch besser zu machen. us das Wort. Nur darum geht es, meine Damen und Herren!

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(Zustimmung bei der SPD und bei den rungsstelle titulieren sollen; denn der Begriff „Be- GRÜNEN) schwerdestelle“ zeigt doch eindeutig, dass die Polizei eher in Misskredit gebracht werden soll. Zur Qualität der Beschwerden: Hier wurde gesagt, Oder sehen Sie das anders? das sei die Aufforderung zum Denunziantentum. Denunziantentum erfolgt normalerweise anonym. (Zustimmung bei der CDU) Wir hatten im vergangenen Berichtszeitraum nur elf anonyme Beschwerden, die auch entsprechend Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: behandelt wurden - nämlich gar nicht. Liebe Frau Jahns, ich bin Ihnen für die Zwischen- Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser frage zutiefst dankbar, weil sie mir Gelegenheit Beschwerdestelle irgendeinen Nimbus anzuheften, gibt, noch einmal darauf hinzuweisen, dass diese ist nichts anderes als interessengeleitet. Und wer Landesregierung - jedenfalls der Innenminister und das tut, sollte sich schämen. einige andere auch - nicht zu irgendwelchen Eu- phemismen neigen. Was dort eingeht, sind Be- (Beifall bei der SPD und bei den schwerden. Danach kann man die Stelle auch GRÜNEN) benennen. Ich weiß nicht, wo das Problem liegt: Lassen Sie mich hinzufügen: Wir sagen, die Be- Beschwerden sind in einer transparenten, demo- schwerdestelle dient der Qualitätsverbesserung. kratischen Verwaltung etwas völlig Legitimes. Wir sagen, die Beschwerdestelle dient der Verbes- (Beifall bei der SPD und bei den serung der polizeilichen Arbeit. Die Beschwerde- GRÜNEN) stelle dient dazu, diese Polizei noch bürgerorien- tierter zu machen. Jemand, der nicht will, dass Also müssen Beschwerden aufgearbeitet werden. man aus Fehlern lernt, braucht keine Beschwerde- Also kann das Ding auch so heißen. Ich sehe die stelle. Befindlichkeiten nicht. Ich weiß, dass es hier und da Murren gibt, dass es so etwas überhaupt gibt. Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: Aber das ist dem Prozess geschuldet. Ich weiß, dass der überwiegende Teil unserer hervorragen- Herr Minister, ich darf Sie unterbrechen. Frau den Polizei damit überhaupt kein Problem hat. Jahns möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Kommen wir zur Kennzeichnungspflicht - dazu nur Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: wenige Sätze -: Diese Landesregierung zeichnet Wenn ich diesen Gedanken beendet habe. Das sich dadurch aus, dass sie im Umgang mit der kann allerdings noch einen Augenblick dauern. Polizei zur Besonnenheit, zu Ruhe und zu Ausge- wogenheit neigt - übrigens nicht nur im Zusam- Wer nicht will, dass wir aus Fehlern lernen und menhang mit der Polizei. Das heißt, dass wir eine besser werden, der lehnt eine Beschwerdestelle solche Entscheidung nicht übers Knie brechen - ab. Wer nicht will, dass wir uns daran orientieren, genau aufgrund der Implikationen, die eine Kenn- mehr Bürgerorientierung zu erreichen, der braucht zeichnung mit sich bringt. So werden wir das The- keine Beschwerdestelle und lehnt sie ab. Wer ma in aller Ruhe irgendwann zu einem Ende brin- schließlich nicht besser werden will, der lehnt sie gen. auch ab. Also weiß jetzt jeder von uns, wo er steht, meine Damen und Herren. Abschließend - damit da keine Missverständnisse aufkommen -: Exekutivverantwortlicher für die Ein- (Beifall bei der SPD und bei den sätze der Polizei ist der Innenminister, zusammen GRÜNEN) mit seinen Führungskräften in den Polizeidirektio- Jetzt bitte die Zwischenfrage von Frau Jahns! nen und im Innenministerium. Jeder kann Be- schlüsse zu Fragen der Einsatzmittel A, B oder C Angelika Jahns (CDU): fassen. Am Ende entscheiden wir - und das wer- den wir auch weiterhin tun - nach taktischen Erwä- Herr Minister, Sie haben eben dargestellt, wie Sie gungen, nach strategischen Erwägungen, nach die Beschwerdestelle verstehen. Ich frage Sie Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten und nach nach den vielen Hinweisen aus den Polizeikreisen, Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten. Daran wird sich wie dort die Beschwerdestelle aufgenommen wird. auch nichts ändern. Wenn sie nur der Optimierung der Arbeit der Poli- zei dienen soll, dann hätten Sie sie vielleicht nicht Ich schätze die Grüne Jugend sehr für ihre Polari- als Beschwerdestelle, sondern eher als Optimie- sierung und für ihre Pointierung bei der Formulie-

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rung bestimmter Fragestellungen. Aber ich muss ja diger Hilfestellung - so möchte ich es ausdrücken - nicht jede Position teilen und tue das auch aus- durch den Landesdatenschutzbeauftragten haben, drücklich nicht. Es bleibt beim Einsatz von Pferden wenn es darum geht, Gesetzentwürfe zu beraten. und Hunden - jedenfalls solange ich Innenminister Deswegen bin ich der Überzeugung, dass wir den bin, und das wird noch eine Weile der Fall sein. Landesdatenschutzbeauftragten, (Beifall bei der SPD) (Anja Piel [GRÜNE]: Die!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, kommen wir zum Schluss. Diese Landesregierung und die dass wir die Landesdatenschutzbeauftragte und sie tragenden Fraktionen stehen uneingeschränkt ihre Behörde mit Personal besser ausstatten müs- zu ihrer niedersächsischen Polizei. Diese Landes- sen. Ich habe dazu den Vorschlag gemacht, sich regierung und die sie tragenden Fraktionen haben am schleswig-holsteinischen Modell zu orientieren. größtes Vertrauen in die Arbeit der niedersächsi- Ich hätte gern von der Landesregierung gewusst, schen Polizei und deren Qualität. ob sie sich diesem Vorschlag annähern könnte. (Thomas Adasch [CDU]: Irgendwie (Zuruf von Petra Tiemann [SPD]) kommt das bei der Polizei nicht an!) - Der Minister kann selber entscheiden, Frau Kol- Meine Damen und Herren, vielleicht hören Sie legin Tiemann, ob er darauf antworten möchte irgendwann einfach mal auf, permanent diesen oder nicht. geradezu kümmerlichen Versuch zu unternehmen, Ich jedenfalls würde mir wünschen, dass die Lan- einen Keil zwischen diese Landesregierung, die desregierung für die Haushaltsberatungen im sie tragenden Fraktionen und diese hervorragende nächsten Jahr ein deutlich erhöhtes Budget für die Polizei zu treiben. Die Polizei ist das im Übrigen Landesdatenschutzbeauftragte vorsieht, damit wir auch leid, meine Damen und Herren. als Parlament in datenschutzrechtlichen Fragen (Beifall bei der SPD und bei den eine bessere Unterstützung bekommen. GRÜNEN) Vielen Dank.

Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: (Beifall bei der FDP) Vielen Dank, Herr Minister. - Die FDP-Fraktion hat Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: noch 2:19 Minuten Restredezeit zu diesem Thema der Aktuellen Stunde. Herr Kollege Oetjen hat sich Vielen Dank, Herr Kollege Oetjen. - Im Rahmen dazu noch einmal zu Wort gemeldet. Bitte schön, dieser Aktuellen Stunde sind alle Redezeiten aus- Sie haben das Wort. geschöpft. Die Landesregierung hat ihre Redezeit nicht überzogen, sodass es keine zusätzliche Re- Jan-Christoph Oetjen (FDP): dezeit geben kann. Herr Vizepräsident Bachmann! Verehrte Kollegin- Bevor ich die Aktuelle Stunde schließe, erteile ich nen und Kollegen! Da Herr Vizepräsident Klare mir dem Kollegen Thomas Adasch das Wort, der sich vorhin keine zusätzliche Redezeit einräumen woll- zu einer persönlichen Bemerkung nach § 76 der te, möchte ich meine Redezeit jetzt nutzen, um an Geschäftsordnung gemeldet hat. dieser Stelle wegen der wichtigen sicherheitspoliti- schen Fragestellungen, die hier diskutiert werden, Herr Adasch, ich weise Sie auf Folgendes hin: Es auf die grundsätzliche Frage der Aktuellen Stunde gibt nur zwei Kriterien. Ein Kriterium kommt nicht unter c) zurückzukommen, Herr Minister. infrage. Sie haben nicht selber geredet. Sie kön- nen also keine eigenen Ausführungen berichtigen. Sie haben gesagt, bei der Landesregierung sei der Sie können nur zu Angriffen, die gegen Sie als Datenschutz in sicheren Händen. Aber auch Sie Person hier geäußert wurden, Stellung nehmen. wissen, dass die Landesregierung keine Gesetze Halten Sie sich bitte daran! Sie haben nach § 76 beschließt, sondern das macht dieses Haus. Sie der Geschäftsordnung die maximale Redezeit. Ich machen uns Vorschläge zu Gesetzen. Wenn man erteile Ihnen das Wort. Bitte! sich die Entscheidungen, die dieses Haus unab- hängig von der farblichen Couleur getroffen hat - Thomas Adasch (CDU): das kann man auch auf andere Landesparlamente Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! oder den Bundestag ausweiten -, anschaut, dann Ich fasse mich ganz kurz. stellt man fest, dass wir einen Mangel an sachkun-

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Es ist von der Kollegin Janssen-Kucz ausgeführt Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag der worden, dass die CDU die freie Heilfürsorge bei Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die der Polizei abgeschafft habe. Hierdurch fühle ich Grünen in unveränderter Fassung anzunehmen mich als Mitglied der CDU-Fraktion persönlich und den Antrag der Fraktion der CDU abzulehnen. angegriffen, weil diese Aussage schlichtweg falsch Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. ist. Wir treten in die Beratung ein. Da der Antrag der (Widerspruch bei der SPD) CDU älter ist und aufgrund des vorliegenden Än- derungsantrages erhält zunächst die Fraktion der Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: CDU das Wort. Ich erteile Frau Kollegin Heidema- Herr Kollege, das ist geklärt. Stellen Sie Ihre Rede rie Mundlos das Wort. Bitte schön! bitte ein. Es geht nur um Angriffe, die gegen Sie als Person gerichtet wurden. (Heidemarie Mundlos [CDU] stellt die Höhe des Mikrofons ein) Thomas Adasch (CDU): - Frau Kollegin, Sie bekommen einen kleinen Zu- Die freie Heilfürsorge ist durch die SPD abge- schlag, da die Uhr schon vor der technischen Kor- schafft worden. rektur lief. Jetzt beginnen Sie bitte.

Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: Heidemarie Mundlos (CDU): Nein, Entschuldigung. Herr Kollege, ich schalte Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Präsident! das Mikrofon ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen jetzt über ein sehr komplexes Thema: Radioaktivität, (Thomas Adasch [CDU] verlässt das Strahlenschutz, Eckert & Ziegler Nuclitec, ein Be- Redepult) trieb in Braunschweig. Zu diesem Thema hat die Ich will es noch einmal erklären: Wir haben diesen CDU vor einem Jahr einen Antrag eingebracht. Es Streitfall schon öfter gehabt. Es geht nicht um gab dann eine Unterrichtung, eine Anhörung, ei- Gruppen. Es geht nicht um Fraktionen. Es geht nen Antrag von SPD und Grünen und jetzt auch nicht um gesellschaftliche Teile, die gemeint sind einen Änderungsantrag der CDU, der beide Erst- und in die man sich möglicherweise einbezogen anträge zusammenfasst. sieht. Es ist eine Schutzvorschrift für Abgeordnete, Wir als CDU wollen eine Lösung. Wir zeigen uns die hier persönlich angesprochen wurden, und kompromissbereit. SPD und Grüne halten aus- zwar persönlich genannt wurden. Deshalb ist die- schließlich ihre Ideen für die richtigen. Ich halte ser Beitrag so nicht zulässig gewesen. Ich habe das für ziemlich arrogant. ihn deswegen unterbunden. (Beifall bei der CDU und Zustimmung Die Aktuelle Stunde ist damit für diesen Tagungs- bei der FDP - Zuruf von der SPD) abschnitt beendet. Das erinnert mich an die Künstlerin Annett Ich rufe auf den Louisan, wenn sie sagt: „Geh‘ mir weg mit deiner Lösung. Sie wär‘ der Tod für mein Problem.“ Tagesordnungspunkt 20: (Wiard Siebels [SPD]: Die war aber Abschließende Beratung: nicht im Landtag! - Heiterkeit bei der a) Verhandlungen mit Eckert & Ziegler direkt, CDU) transparent und jetzt führen! - Antrag der Frakti- Worum geht es? - Seit 1971 gibt es am Standort on der CDU - Drs. 17/3708 - b) Atommüllkonditi- onierung am Standort Braunschweig-Thune: Wenden-Thune in Braunschweig unternehmeri- Genehmigungen überprüfen, Strahlenschutz sche radioaktive Nutzung. Der heutige Betrieb strikt umsetzen, Anwohnerinnen und Anwoh- Eckert & Ziegler Nuclitec konzentriert sich auf An- ner schützen - Antrag der Fraktion der SPD und wendungen in der Krebstherapie, die industrielle der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/5061 Radiometrie und nuklearmedizinische Diagnostik. - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Um- Dieser Betrieb ist einer der weltweit größten Her- welt, Energie und Klimaschutz - Drs. 17/5700 - steller auf diesem Sektor, und er ist wegen seiner Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Arbeit auf höchstem Sicherheitsniveau geachtet. Drs. 17/5861 Das weiß auch diese Landesregierung. Sie unter- hält selber Verträge mit Eckert & Ziegler und be-

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dient sich des Fachwissens, z. B. bei Schulung (Dr. Hans-Joachim Deneke-Jöhrens und Ausbildung in Gewerbeaufsichtsämtern sowie [CDU]: Darauf können wir lange war- bei der sachgemäßen Behandlung und Entsorgung ten!) von Plutonium-Beryllium-Quellen aus Schulen, also von Materialien aus dem Bereich der öffentli- Die Realität sieht anders aus, in der Tat. Die erfor- chen Hand. derlichen Kapazitäten werden nicht geschaffen. Die Firmen sehen sich gezwungen, die bearbeite- Im medizinischen Sektor ist Radioaktivität bei Di- ten Abfallprodukte sehr lange - für meine Begriffe agnose und Therapie nicht wegzudenken, und sie zu lange - auf dem Firmengelände zu lagern. Der ist bei der Krebsbehandlung eine der zentralen Firma wird der Schwarze Peter zugeschoben, und Säulen der Therapie mit kontinuierlich verbesser- sie wird für ihr Handeln dann auch noch kritisiert. ten Verfahren überhaupt. Trotzdem: Es bleibt ein Betrieb mit Gefährdungspotenzial. Sicherheit, liebe Die Firma kann gar nicht anders, selbst wenn sie Kolleginnen und Kollegen, hat Vorrang vor wirt- will; denn es fehlen die Landeskapazitäten. Dafür schaftlichem Handeln und Erfolgsstreben. Das ist ist die Landesregierung verantwortlich - und nie- unabdingbar. Ich kenne auch niemanden, der das mand sonst. anders sehen würde. (Beifall bei der CDU) (Zustimmung bei der CDU - Zuruf von der CDU: Genau!) Das ist absolut inkonsequent. Ich hoffe, dass sich das nach dem heutigen Beschluss ändern wird. Daher bestand auch immer Konsens: keine Be- handlung kontaminierter Asse-Lauge vor Ort, keine Auch die Forderung, Unternehmensteile, die mit Bearbeitung von Rückbauprodukten aus Kern- radioaktiven Stoffen umgehen, an einen anderen kraftwerken am Standort Braunschweig. Standort zu verlagern, ist für uns kein Tabu. Es darf bei der weiteren Verbesserung der Sicherheit Deshalb auch unsere Forderung in unserem Ur- für die Menschen vor Ort kein Lösungsweg ausge- sprungsantrag: Die Landesregierung soll mit der schlossen werden. Firma Vereinbarungen auf freiwilliger Basis treffen, um Emission und Immission zu verringern, Um- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, eigentlich gangsgenehmigungen zu reduzieren und Online- müssten nun alle im Landtag unserem Änderungs- veröffentlichungen der Messdaten aus der Umge- antrag zustimmen können. Er beinhaltet die Forde- bungsüberwachung in Echtzeit zu bewirken, was rungen von beiden Ursprungsanträgen und die inzwischen erfolgt ist. Und siehe da: Die Landes- Punkte, was getan werden sollte, und er beinhaltet regierung hat begonnen, derartige Verhandlungen das umfangreichere Maßnahmenpaket. zu führen. Da frage ich mich: Warum lehnen SPD und Grüne unsere Forderungen ab? - Unverständ- Diejenigen, die die CDU-Forderungen ablehnen, lich. springen zu kurz. Es beschleicht einen das Gefühl, es geht hier nicht um eine Lösung für die Men- SPD und Grüne haben nunmehr einen Antrag schen vor Ort. Ich kann es mir nicht verkneifen, es vorgelegt. Einige der Forderungen will ich einmal noch einmal zu sagen: „Geh‘ mir weg mit deiner aufgreifen. Sie sind ja in unseren Änderungsantrag Lösung! Es könnt‘ ja sein, sie ist der Tod für mein eingearbeitet worden: Problem!“ Strikte Umsetzung der Vorgaben der Strahlen- schutzverordnung. - Logisch. Was denn sonst? Liebe Freunde, verantwortungsvolle Politik zum Wohle der Menschen sieht anders aus! Aufhebung der 2 000-Stunden-Regelung. - Hat sich durch einen neuen Zaun erledigt. (Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP) Überprüfung der Deckungsvorsorge für den Ernst- fall. - Längst möglich. Dem sollten Sie sich heute stellen und unserem Änderungsantrag nun doch noch zustimmen. Spannender ist die Forderung: Lagerungsmenge auf dem Außengelände beschränken. - Das ist nur Vielen Dank. umsetzbar, wenn die Landesregierung Kapazitäten in einer Landessammelstelle schafft. (Beifall bei der CDU und bei der FDP)

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Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: Technik an der Stelle, in einem Wohngebiet, nie- Vielen Dank, Frau Mundlos. - Es hat jetzt für die mals genehmigt werden. - „Never, never, never“ SPD-Fraktion das Wort Herr Abgeordneter Marcus sage ich an der Stelle. Das ist im Grunde genom- Bosse. men ein Unding. Ich sage in aller Deutlichkeit: Dieser verantwortungslose Zustand, wie er dort Marcus Bosse (SPD): zutage tritt, darf auf Dauer keinen Bestand haben. Sehr geehrter Herr Vizepräsident Bachmann! Lie- Im Übrigen hat in der Anhörung niemand gesagt, be Kolleginnen und Kollegen! Das Thema ist im dass unser Antrag irgendwelche Defizite aufzeigt. Grunde genommen gar nicht so komplex, wie Kol- Solche Aussagen gab es nicht. Diejenigen, die an legin Mundlos es hier wohl vorgaukeln möchte. der Anhörung teilgenommen haben, waren mit (Martin Bäumer [CDU]: Sie gaukelt unserem Antrag zufrieden. Darum ist er vernünftig doch nicht!) und richtig. Eckert & Ziegler verarbeitet medizinische und auch Frau Kollegin Mundlos, uns unterscheidet ein wissenschaftliche radioaktive Stoffe und verpackt ganz, ganz wesentlicher Punkt. Dieser Punkt sie. Diese Stoffe werden in Konrad-Containern taucht immer wieder auf. Sie versuchen in Ihren entsprechend gelagert. Dazu komme ich gleich. Anträgen immer wieder, mit dem Unternehmen auf einer freiwilligen Basis zu agieren. Ich frage mich Die Verpackung in Konrad-Container und die La- an der Stelle aber: Wie soll man denn mit einem gerung in Konrad-Containern erfolgen in einem Unternehmen zusammenarbeiten, das alles und Wohngebiet und in unmittelbarer Nähe zu einer jeden beklagt? - Das Unternehmen beklagt bei- Schule und zu einem Jugendzentrum. Grundlage spielsweise die Bürgerinitiative vor Ort, weil sie sind natürlich - klar - die Strahlenmengen, die ge- angeblich den Zaun beschädigt habe. Wie kann nehmigt worden sind und die verarbeitet werden man denn mit einem Unternehmen zusammenar- sollen und von dem Unternehmen auch unbedingt beiten, das gegen wirklich jeden klagt und an der verarbeitet werden wollen. Ich denke, genau darin Stelle wirklich ein großes Misstrauen aufbaut? - besteht der Casus knacksus. Sicherheit und Kon- Das unterscheidet uns sehr deutlich, meine sehr trolle gehen an der Stelle vor. Es sind nicht nur ein verehrten Damen und Herren. Dutzend oder zwei Dutzend Container, es sind mittlerweile fast 100 Container, die da stehen - (Beifall bei der SPD und bei den Konrad-Container, die in einem Lager stehen, das GRÜNEN) komplett fast auseinanderplatzt. Diese Selbstverpflichtung mutet geradezu lächer- Auch in der Hinsicht muss ich Sie enttäuschen. lich an. Auch das muss man an der Stelle einmal Diese Container werden in alle möglichen Bundes- deutlich sagen. Die Anwohner würden es nicht länder geliefert und nicht nur nach Niedersachsen. verstehen, wenn man eine freiwillige Selbstverein- Eckert & Ziegler verpackt für alle möglichen Bun- barung schließen wollte. Dem Unternehmen geht desländer, um die Container dafür abliefern zu es natürlich darum, Profit zu machen. Das ist ja können. Diese Container stehen da auch nicht ein auch legitim. Dieses Unternehmen ist fast einzigar- Jahr, zwei Jahre oder drei Jahre; diese Container tig in Deutschland. Für die Anwohner ist wichtig, stehen zum Teil bis zu sechs Jahre da, mitten in dass es keine weitere Ausweitung der Genehmi- einem Wohngebiet. Das ist ein Zustand, den man gungen gibt, meine sehr verehrten Damen und auf Dauer nicht dulden kann und auf den man Herren. reagieren muss, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN) GRÜNEN) Es gilt also unbedingt der Schutz der Anwohner. Ich denke, das muss und soll oberste Priorität ha- Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: ben. Man muss auch Folgendes wissen - das hat Vielen Dank, Herr Kollege Bosse. - Auf Ihre Rede Kollegin Mundlos aus irgendeinem Grunde verges- hat sich die Kollegin Mundlos zu einer Kurzinter- sen, zu sagen -: Dieser Betriebsstandort würde, vention gemeldet. Sie haben 90 Sekunden. Bitte, wie in der Anhörung deutlich wurde, Frau Mundlos, Frau Kollegin! nach dem heutigen Stand von Wissenschaft und

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Heidemarie Mundlos (CDU): dezeit. Dafür bekommen Sie zu gegebener Zeit das Wort. Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege! Ich habe doch gar nicht bestritten, dass die Container Jetzt geht es mit der FDP-Fraktion weiter. Das dort zu lange stehen. Aber warum stehen sie denn Wort hat der Herr Kollege Dr. Gero Hocker. zu lange da? - Weil es nachweislich so ist - und das ist nicht zum ersten Mal Thema hier im Hau- Dr. Gero Hocker (FDP): se -, dass Landeskapazitäten fehlen. Das ist et- was, bei dem die Landesregierung längst hätte Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehr- handeln können. ten Damen und Herren! Die Firma Eckert & Ziegler produziert, wie Sie alle wissen, seit vielen, vielen Im Übrigen ist es nicht so, dass wir einer Verlage- Jahren an diesem Standort. Die Wohngebiete, die rung des Betriebes nicht zustimmen würden. Dann Kollege Bosse eben erwähnt hat, sind teilweise muss aber der Minister handeln, sich auf den Weg sozusagen herangewachsen und um dieses Fir- machen und einen anderen Standort suchen, ger- mengelände herumgewachsen. Deswegen kann ne gemeinsam mit dem Betrieb. Aber dann muss man trefflich darüber streiten, wie man mit Anträ- man miteinander reden. gen auf Ausweitung der bisherigen Genehmigun- gen umgehen mag. Sie sagen, dass geklagt wird, es Prozesse gibt und auch die Firma davon Gebrauch macht. Ich bitte Zu dem rot-grünen Antrag. Das Lob, dass die Lan- Sie! Sie haben in Ihren Antrag hineingeschrieben - desregierung jetzt auch alle bisher erteilten Ge- und wir wollen das übernehmen -, dass alle rechtli- nehmigungen auf den Prüfstand stellen will, geht chen Möglichkeiten ausgeschöpft werden können. schon einmal gar nicht, meine sehr verehrten Da- Wir leben in einem Rechtsstaat. Was für die Lan- men und Herren. Wenn eine Genehmigung erteilt desregierung gilt, was für eine Stadt gilt, was für wird, dann muss sich der Antragsteller darauf ver- Institutionen gilt, das muss doch auch gleicherma- lassen können, dass diese Genehmigung Bestand ßen für Betriebe und für Bürgerinnen und Bürger hat. Das gilt für den Bauantrag eines Häuslebau- gelten! ers ebenso wie für eine Windkraftanlage oder für ein Kohlekraftwerk und erst recht für ein mittel- (Beifall bei der CDU und bei der FDP) ständisches Unternehmen wie Eckert & Ziegler. Ich sage Ihnen, warum mit dem Betrieb geredet Sie führen den Rechtsstaat ad absurdum, wenn werden sollte und freiwillige Vereinbarungen ge- Sie erteilte Genehmigungen infrage stellen, nur schlossen werden sollten. Ganz einfach: Gesetzli- weil Sie, sehr verehrter Herr Kollege Bosse, den che Regelungen dauern oft sehr lange, zumal der Rücken nicht gerademachen wollen. hier zu regelnde Sachverhalt bis zur europäischen (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Ebene reicht. Wir möchten, dass es schneller un- terhalb dieser Ebene etwas gibt, was justiziabel Sie möchten mit Ihrem Antrag den Schutz vor und belastbar ist. Das macht die Landesregierung Störmaßnahmen vor Dritten erhöhen, wie Sie sehr doch in anderen Themenfeldern auch. Warum also deutlich formulieren. Ich möchte gerne wissen, nicht auch hier? - Weil sie nicht will. woran Sie dabei konkret denken. Sie führen immer wieder gerne den Absturz eines Düsenflugzeuges Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: mitten auf das Firmengelände oder einen Terror- anschlag an. Wenn derartige Szenarien eintreten So, und das war es, Frau Kollegin. würden, dann hätten wir völlig andere Probleme (Beifall bei der CDU und bei der FDP) als die, die Sie befürchten.

Sie wissen, dass die 90-Sekunden-Regelung von Wenn Sie konsequent wären, dann müssten Hun- mir - das wissen Sie - stringent angewendet wird. - derte, ja Tausende Unternehmen in Niedersach- Vielen Dank. sen - und zwar nicht nur die Hersteller von medizi- nischen Geräten wie Eckert & Ziegler, sondern Ich schaue in Richtung SPD-Fraktion. Sie haben ebenso Biogasanlagen oder Windkraftanlagen - für 90 Sekunden die Gelegenheit zur Erwiderung. derselben Prüfung unterzogen werden. Wir haben Möchte das jemand in Anspruch nehmen? - Wenn ja erst vor einigen Monaten im Landkreis Roten- es keine Wortmeldung gibt, dann geht es nicht. burg erlebt, welche Auswirkungen es auf Flora und Gut. Die 90 Sekunden zur Erwiderung werden Fauna hat, wenn Substrat aus einer Biogasanlage nicht in Anspruch genommen. Sie haben Restre- in ein Gewässer gelangt oder wenn Windkraftanla-

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gen bei starkem Sturm zum Teil wie Streichhölzer eine Anhörung durchgeführt. Es ist ganz klar ge- zusammenklappen. Aber da legen Sie ganz offen- worden: Wir brauchen hier mehr als das, was im sichtlich andere Maßstäbe ab. Ursprungsantrag der CDU gefordert worden ist, nämlich mehr als nur freiwillige Gespräche, um Ich halte Ihnen ein anderes Argument entgegen, eventuell zu einer Einigung zu kommen. das die Kollegin Mundlos eben schon angedeutet hat. Wenn von dem Unternehmen Eckert & Ziegler Der Hauptkritikpunkt an den Arbeiten, die dort Ihrer Meinung nach eine solche Gefahr ausginge, geleistet werden, ist eben nicht, dass diese Arbei- dann müsste die Landesregierung doch erst recht ten überhaupt getätigt werden, sondern dass sie ein Interesse daran haben, dass es endlich eine an diesem Ort getätigt werden. Es ist nicht so, Entscheidung zugunsten von Schacht Konrad gibt, dass das Wohngebiet immer näher herangerückt damit die Container, von denen gerade gespro- ist, sondern die Aufgaben der Firma haben sich chen wurde, dann endlich in einem Endlager si- deutlich ausgeweitet. cher endgelagert werden können. Aber auf der Es ist schon erwähnt worden: Nach heutigen Si- einen Seite kritisieren Sie das Unternehmen, und cherheitsanforderungen wäre dieser Standort nicht auf der anderen Seite bewegen Sie sich nicht ei- mehr genehmigungsfähig. Es gibt aber immer noch nen Millimeter, wenn es darum geht, endlich ein die bestandskräftige und unbefristete Altgenehmi- Endlager für schwach und mittelradioaktive Abfälle gung. zu genehmigen. Das ist unredlich, meine Damen und Herren. Sie verhalten sich unredlich, wollen Ein Punkt, der uns weiterhin unterscheidet, ist - Sie als Speerspitze der Bürgerinitiative Punkte machen haben das in Ihrer Rede gerade auch angedeutet, und merken dabei gar nicht, wie inkonsistent Ihre Frau Mundlos - die 2 000-Stunden-Regelung. Wir Haltung in dieser Frage ist. sehen das immer noch als einen sehr großen Kri- tikpunkt, auch wenn es einen neuen Zaun gege- Die von der CDU geforderten freiwilligen Vereinba- ben hat. Das ist sozusagen ein Präzedenzfall. rungen sind der richtige Weg, dem wir uns bei der Grenzwerte gelten an allen anderen Standorten Abstimmung gleich anschließen werden. quasi für das gesamte Jahr. Alle Strahlenbelastun- Vielen Dank. gen, die sich dort im Gesamtjahr angesammelt haben, werden gemessen. In Braunschweig-Thune (Beifall bei der FDP und Zustimmung geht man davon aus, dass man sich dort lediglich von Heidemarie Mundlos [CDU]) 2 000 Stunden aufhält.

Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: Rechtlich ist das alles nicht ganz einfach. Aber wir unterstreichen mit unserem Antrag und dem Be- Vielen Dank, Herr Dr. Hocker. - Das Wort hat jetzt schluss, den wir gleich fassen werden, dass wir für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kol- wollen, dass an diesen Punkten weiter gearbeitet legin Miriam Staudte. wird und alle rechtlichen Möglichkeiten ausge- schöpft werden sollen. Miriam Staudte (GRÜNE): (Beifall bei den GRÜNEN) Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehr- ten Damen und Herren Abgeordnete! Ich finde es Bislang hat es keine Anzeichen der Firma dafür sehr gut, dass wir in dieser Wahlperiode anhand gegeben, dass man bereit ist, Genehmigungen der vorliegenden Anträge überhaupt im Parlament zurückzugeben. Ich glaube, wir alle wissen, dass und im Ausschuss über die Firma Eckert & Ziegler das Thema Atommüllkonditionierung, also die end- und die Problematiken, die es dort gibt, debattiert lagergerechte Verpackung, ein sehr großes Thema haben. Das ist ja schon eine lange Geschichte. und auch ein großes Geschäftsfeld in den nächs- Auch in der vergangenen Wahlperiode war das ten Jahren sein wird. Insofern muss man hier, schon häufig ein Thema. glaube ich, auf strikte Regelungen drängen. Die Ausgangssituation ist dargestellt worden. Vielleicht noch ein Aspekt zum Schluss: Ich kann Eckert & Ziegler konditioniert in Braunschweig- verstehen, dass die Anwohner vor Ort auf den Thune radioaktive Abfälle. Wir waren mit einer Barrikaden sind. Man hat ja gerade in Leese ein Delegation der Fraktion vor Ort und haben uns die falsch deklariertes Fass gefunden. Das muss um- Produktionsanlagen angeguckt. Ich denke, alle verpackt und neu deklariert werden. Wer hat das regionalen Abgeordneten stehen in einem sehr falsch deklariert? - Es kam aus Braunschweig- engen Kontakt mit dieser Firma. Wir haben auch Thune von den Vorgängern der dortigen Nuklear-

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firmen und wird dort jetzt für sehr viel Geld - Miriam Staudte (GRÜNE): 30 000 Euro pro Fass - neu konditioniert. Ich kann Vielen Dank, sehr geehrter Herr Präsident. - Frau verstehen, dass das besonderen Unmut hervorruft. Mundlos, ich möchte gerne darauf eingehen, weil Sie wiederholt haben, dass dort jetzt ein Zaun ist. - (Beifall bei den GRÜNEN) An allen anderen Standorten sind doch auch Zäu- ne vorhanden! Das erklärt doch überhaupt nicht Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: die unterschiedliche Behandlung, warum an ande- Vielen Dank, Frau Kollegin Staudte. - Auch auf Ihre ren Standorten der Grenzwert auf ein Jahr und in Rede hat sich Frau Abgeordnete Heidemarie Braunschweig-Thune nur auf 2 000 Stunden bezo- Mundlos zu einer Kurzintervention gemeldet. Frau gen wird. Kollegin, Sie haben für 90 Sekunden die Gelegen- Außerdem möchte ich noch einmal betonen: Ein heit. Bitte schön! Grenzwert bedeutet ja nicht, dass alles, was da- runter bleibt, nicht schädlich ist, gerade was niedri- Heidemarie Mundlos (CDU): ge Strahlenbelastungen angeht. Es gab ja die Liebe Frau Staudte, ich sage es ausdrücklich noch KiKK-Studie, bei der die Interpretationen ausei- einmal, weil Sie auch auf die 2 000-Stunden- nandergegangen sind. Grenzwerte sind mal fest- Regelung abgehoben haben: Dadurch, dass dieser gelegt worden. Aber was die Schädlichkeit angeht: Zaun gezogen wurde, ist an diesem Zaun selbst Das, was auf den menschlichen Körper einwirkt, ist ein Jahresdaueraufenthalt nicht mehr schädlich. so komplex, dass man nicht generell sagen kann, Dort ist nichts mehr messbar. Insofern ist diese alles, was unter dem Grenzwert ist, schadet über- Forderung damit hinfällig und hat sich erledigt. Das haupt nicht. ist überholt. Ich finde es gut, dass Sie sehr viele Punkte aus Wenn Sie sagen, diese freiwilligen Dinge reichen unserem Antrag übernommen haben. Wir haben Ihnen nicht: Man kann doch das eine tun, ohne da wirklich eine sehr breite Übereinstimmung. Das das andere zu lassen. Wer sich jetzt nur auf diesen stimmt auch. Aber es gibt einige Punkte, die nicht rechtlichen Weg oder nur auf den gesetzlichen erwähnt worden sind. Ich habe nie verstanden, Weg begibt, der braucht dafür sehr viel Zeit. Das warum Sie unsere gesamte Begründung heraus- dauert. Ich habe das erwähnt. Das geht bis zur gestrichen haben. Denn darin werden viele Punkte europäischen Ebene, um bestimmte Dinge zu ver- sehr deutlich erläutert. ändern. Das dauert mir einfach zu lange. (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Die Be- gründung wird ja nicht mitbeschlos- Ich möchte, dass die Gelegenheit genutzt wird, sen!) dass das, was Ihre Landesregierung begonnen hat, intensiviert wird, dass auch wirkungsvoller Es ist schade, dass die FDP da scheinbar über- gehandelt wird, dass Gespräche laufen und dass haupt kein Problembewusstsein entwickelt hat. man versucht, jetzt schnell etwas zu erreichen. Ich möchte auch noch sagen: Gespräche finden ja Das andere, was Sie zusätzlich wollen, kann man ohnehin statt, auch mit der Landesregierung. Sie durchaus tun. Das ist aber etwas, was lange dau- wissen ganz genau, dass Herr Minister Wenzel zu ert und Energie kostet. Die würde ich zunächst etlichen Diskussionsveranstaltungen - - - einmal gerne auch für diese Gespräche aufge- (Der Präsident schaltet der Rednerin wandt sehen, um für die Bürgerinnen und Bürger das Mikrofon ab) vor Ort hier und heute etwas zu erreichen und nicht erst in zehn Jahren. Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Frau Kollegin, das waren die 90 Sekunden. Kurzin- tervention und Erwiderung jeweils 90 Sekunden - Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: gleiches Recht für alle. Vielen Dank. Vielen Dank, Frau Mundlos. - Zur Erwiderung hat (Miriam Staudte [GRÜNE]: Herzlichen sich Kollegin Staudte gemeldet. Sie haben die Dank!) Möglichkeit dazu und haben ebenfalls 90 Sekun- - Ich kann für Sie die Geschäftsordnung nicht än- den im Rahmen der Erwiderung auf die Kurzinter- dern. Dafür gibt es die Uhr vor Ihnen. Darauf sieht vention. man, wie weit es ist.

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Im Rahmen der Restredezeit der SPD-Fraktion hat das vor Ort nicht unbedingt für Vertrauen gesorgt jetzt der Kollege Christoph Bratmann für maximal hat. 2:42 Minuten das Wort. Bitte, Herr Kollege! Hinzu kommt, dass sich, wie mein Kollege Marcus Bosse schon dargestellt hat, die Firma bisher sehr Christoph Bratmann (SPD): klagefreudig - um nicht zu sagen: klagewütig - Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehr- gezeigt hat. Sämtliche Versuche der Stadt Braun- ten Damen und Herren! Liebe Kollegin Mundlos, schweig, mit einem Bebauungsplan zu einem ver- wir beide wissen ja, dass das Thema Eckert & nünftigen Miteinander zwischen den Anwohnerin- Ziegler vor Ort in Braunschweig und speziell in nen und Anwohnern und der Firma zu kommen, Wenden-Thune ein langwieriges Problem ist und sind bisher von Eckert & Ziegler beklagt worden. für viel Verunsicherung in der Bevölkerung gesorgt Darüber hinaus wurde der NDR für seine Bericht- hat - wie gesagt, nicht nur im Stadtteil Wenden- erstattung verklagt. Auch die Bürgerinitiative Strah- Thune, sondern in ganz Braunschweig. lenschutz wurde verklagt.

Ich begrüße in diesem Zusammenhang - das zeigt, Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Ge- wie groß das Interesse vor Ort ist - auch den örtli- waltenteilung ist in unserem Rechtsstaat ein hohes chen Bezirksbürgermeister Hartmut Kroll, der heu- Gut. Schon allein deshalb sind der Landesregie- te der Sitzung beiwohnt. rung und hier speziell dem Umweltminister bei der (Beifall bei der SPD und bei den Rücknahme von Umgangsgenehmigungen und bei GRÜNEN) der Einschränkung der Geschäftstätigkeit von E- ckert & Ziegler Grenzen gesetzt. Frau Mundlos, ich freue mich, dass Sie sich mit großer Vehemenz des Themas angenommen ha- Diese Grenzen, meine sehr verehrten Damen und ben. Sie signalisieren, Sie hätten mit Ihrem CDU- Herren, müssen wir aber ausloten. Denn letztlich Antrag die Lösung. Tatsächlich haben Sie sie geht es um die Sicherheit der Menschen - nicht nur nicht. Aber Sie haben sich sehr engagiert dieser in Wenden und in Thune, sondern in ganz Braun- Thematik angenommen. Wir haben vor Ort wäh- schweig -, und da können wir nicht allein auf Frei- rend der zehnjährigen Regierungszeit von willigkeit setzen. Schwarz-Gelb immer genau auf dieses Engage- Vielen Dank. ment gewartet, meine sehr verehrten Damen und Herren. Jetzt kommt es aber, während Sie in der (Beifall bei der SPD) Opposition sind. Ich will in einigen Punkten skizzieren, warum das Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: mit der freiwilligen Selbstvereinbarung vor Ort so Vielen Dank, Herr Kollege Bratmann. - Eine weite- kritisch gesehen wird. Das liegt vor allem daran, re Kurzintervention auf diese Rede kommt von der dass diese Firma in der Vergangenheit massiv Kollegin Mundlos. Sie haben 90 Sekunden. Vertrauen verspielt hat. Dazu will ich zwei Beispie- le nennen. Heidemarie Mundlos (CDU): Es ist immer gesagt worden, die Firma Eckert & Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziegler Nuclitec verarbeitet schwach radioaktives Herr Bratmann, als Sie von der Verunsicherung vor Material aus der Medizintechnik, was - das wissen Ort sprachen, haben Sie vergessen zu erwähnen, wir alle, und das ist völlig unstrittig - dringend be- dass es diesen Firmenkomplex seit über 40 Jahren nötigt wird. Auf Nachfrage im Jahr 2011 ist aller- gibt. Die Verunsicherung ist entstanden, als es dings herausgekommen, dass dort auch hoch ra- diesen Zwischenfall in Fukushima gab. dioaktives Plutonium als Restbestand aus dem (Helge Limburg [GRÜNE]: Das war längst stillgelegten DDR-AKW Greifswald gelagert kein Zwischenfall! Das war eine wurde. Atomkatastrophe!) Darüber hinaus ist herausgekommen, dass in einer Das kann ich auch nachvollziehen. Es ist verständ- Hochglanzbroschüre den Aktionären vermittelt lich, dass dort dann Zusammenhänge gesehen wurde, man könne am Standort Braunschweig wurden und Sorgen entstanden sind. Es sind aber auch hoch radioaktives Material aus der Asse ver- auch Ängste geschürt worden, wodurch sich das arbeiten. Davon ist die Firma mittlerweile längst Ganze zugespitzt hat. abgerückt. Aber Sie können sich vorstellen, dass

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Ich bin genau wie Sie der Meinung, dass wir hier Einen Punkt muss ich aber noch anführen. Es geht für Vertrauen sorgen sollten. Wir sollten dafür sor- hier nicht um Fukushima. Die Verunsicherung, was gen, dass für die Bürger mehr Sicherheit entsteht. radioaktive Strahlung angeht, herrscht spätestens Da gibt es überhaupt keinen Dissens. seit Tschernobyl 1986 vor. Aber gerade deshalb kann ich nicht nachvollzie- (Heidemarie Mundlos [CDU]: Wer hat hen, warum Sie glauben, dass Sie mit Ihren Forde- denn da regiert?) rungen den Stein der Weisen gefunden hätten - Dass man vor über 50 Jahren einen Betrieb, der mit Ihren Forderungen, Frau Staudte, die wir im radioaktive Materialien verarbeitet, in einem Übrigen vollständig in unseren Antrag übernom- Wohngebiet angesiedelt hat, hat einfach damit zu men haben. Jede einzelne Ihrer Forderungen ist tun, dass man in den 60er-Jahren völlig andere bei uns mit eingeflossen. Vorstellungen davon hatte, wie gefährlich Radioak- Ich kann nur sagen: Wer wirklich Sicherheit für die tivität ist. Ich erinnere mich an Filme aus den 50er- Menschen will, wer wirklich will, dass der Riss, der und 60er-Jahren, die zeigten, wie Soldaten z. B. durch den Ort geht, wieder gekittet wird, wer wirk- der amerikanischen oder der japanischen Armee lich will, dass die Kinder der Mitarbeiter aus den der Explosion von Atombomben beigewohnt ha- Betrieben in Kita und Schule nicht mehr gemobbt ben. Damals dachte man, das alles wäre völlig werden, wer wirklich will, dass da wieder ein fried- ungefährlich. volles Miteinander entsteht, der darf keinen Ver- Die Einstellung zur Radioaktivität hat sich geän- such auslassen und muss jeden Lösungsweg be- dert. Die Wissenschaft - - - schreiten. Aber genau das tun Sie nicht. (Der Präsident schaltet dem Redner (Beifall bei der CDU) das Mikrofon ab) Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: Vielen Dank, Frau Mundlos. - Herr Kollege Brat- mann möchte erwidern. Er hat für 90 Sekunden die Herr Kollege, wenn Sie auf die Uhr schauen, wis- Gelegenheit dazu. Bitte, Herr Kollege! sen Sie, warum ich Ihnen das Mikrofon abgeschal- tet habe. Die 90 Sekunden sind um. Vielen Dank. Christoph Bratmann (SPD): (Beifall bei der SPD) Liebe Kollegin Mundlos, ich will ein bisschen ver- Auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat eine söhnlicher werden. Schließlich sind wir ja beide Restredezeit, und zwar von 1:34 Minuten. Die dafür, dass vor Ort Ruhe eingekehrt - was so möchte der Kollege Gerald Heere in Anspruch schnell aber nicht passieren wird - und dass es zu nehmen. Ich erteile ihm das Wort. Bitte, Herr Kol- einem vernünftigen Miteinander der Anwohnerin- lege! nen und Anwohner, der Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter von Eckert & Ziegler, der Vertreterinnen Gerald Heere (GRÜNE): und Vertreter der Bürgerinitiative usw. kommt. Ich habe im Übrigen mitnichten behauptet, dass wir Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehr- insofern den Stein der Weisen gefunden hätten. ten Damen und Herren! Es geht hier um ein Unter- nehmen in Braunschweig-Thune, das von drei Ich erkenne an, dass Sie jetzt im Prozess der Er- Seiten mit Wohnbebauung umgeben ist, das im- kenntnis sind. Der Antrag, den Sie zuerst vorgelegt mense Umgangsgenehmigungen hat und das hatten, war ja noch völlig konträr zu dem Antrag Ausnahmeregelungen bei der Strahlenemission in von Rot-Grün. Inzwischen haben Sie weite Teile Anspruch nimmt. Frau Mundlos, da hilft auch kein des rot-grünen Antrags übernommen und in Ihren Zaun. Wenn laut den Onlinedaten des NLWKN Antrag eingearbeitet. regelmäßig einzelne Strahlungs-Peaks ausgesto- (Heidemarie Mundlos [CDU]: Wir ha- ßen werden, dann kann man das nicht mit irgend- ben uns schon um das Thema ge- welchen Zäunen beheben. kümmert, als Sie sich noch nicht da- (Beifall bei den GRÜNEN - Miriam mit beschäftigt haben!) Staudte [GRÜNE]: Genau! - Dr. Ste- Das zeigt, dass Sie auf dem richtigen Weg sind. fan Birkner [FDP]: Das will ja auch Sie haben nur noch nicht den richtigen Schluss niemand! Das ist doch nicht Sinn der gezogen. Aber weiter so! Zäune!)

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Ich will die Sinnhaftigkeit dieses Unternehmens Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: nicht in Frage stellen. Aber vor dem Hintergrund Danke schön. - Weitere reguläre Wortmeldungen der Lage und der genannten Neubaupläne müssen im Rahmen der Debatte liegen nicht vor. Die Lan- wir dies auch politisch begleiten und Maßnahmen desregierung möchte von ihrer Redezeit jetzt Ge- ergreifen. Hier geht mein Dank schon einmal an brauch machen. Das Wort hat Herr Umweltminister das MU, das die Überwachung bereits intensiviert Wenzel. hat und weiter tätig sein wird. Die Befürchtungen in der umliegenden Bevölke- Stefan Wenzel, Minister für Umwelt, Energie und rung müssen sehr ernst genommen werden. Wir Klimaschutz: Grüne sind vor Ort schon länger im Gespräch: mit Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! der Initiative, aber auch mit dem Unternehmen. Ich möchte einige Anmerkungen zu dem machen, was meine Vorredner ausgeführt haben. Das Unternehmen will jetzt mit freiwilligen Maß- nahmen die Kritik ersticken, und die CDU orches- Herr Dr. Hocker, man darf hier nicht die Bundes- triert das hier im Landtag mit einem entsprechen- und die Landeszuständigkeit vermischen. Sie ha- den Antrag. Dazu sage ich ganz klar: Dieser Frei- ben das alles mal so munter durcheinandergerührt. willigkeit traue ich keinen Zentimeter, solange das Wir handeln dort, wo wir handeln können. Aber wir Unternehmen alles und jeden mit Klagen über- lassen uns ungern für etwas verantwortlich ma- zieht. chen, was eindeutig in der Zuständigkeit des Bun- des liegt. (Miriam Staudte [GRÜNE]: Genau!) Zu der Frage nach dem Überprüfungsbedarf: In Der Kollege Bratmann hat dazu schon diverse den zehn Jahren, bevor wir Verantwortung über- Beispiele benannt. nommen haben, hat es eine Reihe von Genehmi- Die Umgangsgenehmigungen sind so großzügig gungen gegeben, bei denen die nach UVP-Recht bemessen, dass sie mit der bisherigen Produktion erforderliche Vorprüfung nicht durchgeführt wurde. nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft werden. Inzwischen ist das alles rechtskräftig. Das lässt Gleichwohl will sie das Unternehmen nicht reduzie- sich nachträglich auch nicht heilen. Aber das und ren, weil es dann nach eigener Aussage nicht auch die 2 000-Stunden-Regelung sind der Grund, mehr so flexibel am Weltmarkt agieren und auf warum wir gesagt haben, dass wir die Genehmi- Vorrat einkaufen kann. gungen, die dieses Unternehmen hat, noch einmal sehr grundsätzlich überprüfen. Diese reinen Marktinteressen können aus Sicht der Politik aber keineswegs über dem Schutzinteresse Das Ganze ist ein sehr komplexer Vorgang, der der Anwohnerinnen und Anwohner stehen. umfangreiche Arbeiten erfordert. In diesem Rah- men prüfen wir beispielsweise die Grundlagen der (Heidemarie Mundlos [CDU]: Das Störfallanalyse von 2012. Wir prüfen, ob eine stimmt nicht! Die Firma ist zu Gesprä- nachträgliche Beschränkung der Genehmigung chen bereit!) nach Art und Umfang möglich ist. Die basiert auf Daher ist es richtig, dass die Landesregierung alle § 7 der Strahlenschutzverordnung. Möglichkeiten prüft, um die Umgangsgenehmigun- Darüber hinaus führen wir Gespräche, um auch gen rechtswirksam zu reduzieren. Und das, Herr durch freiwillige temporäre Maßnahmen sicherzu- Hocker, gilt ausdrücklich auch für Umgangsge- stellen, dass Risikopotenziale gesenkt werden. nehmigungen, die zum Teil noch für alte Betriebe Das kann aber allenfalls eine Übergangslösung ausgesprochen wurden und jetzt für die Nachfolger sein. Mir liegt sehr daran, hier zu einem festen gelten sollen. rechtlichen Rahmen zu kommen, auf den sich die Bürgerinnen und Bürger verlassen können. Die Sie können nicht einfach sagen, es müssen Ge- Bürgerinnen und Bürger sollen anhand von Mes- nehmigungen auf Dauer, sozusagen für die Ewig- sungen, die öffentlich zugänglich sein sollen, fest- keit ausgestellt werden. Das ist doch eine Politik stellen können, von gestern. Man muss das an die aktuellen Be- stände und die aktuelle Situation anpassen. (Zustimmung von Gerald Heere [GRÜNE]) Vielen Dank. ob das alles in diesem Rahmen liegt. Gleichzeitig ist das aber natürlich auch für ein Unternehmen ein (Beifall bei den GRÜNEN) rechtlicher Rahmen. Allein auf freiwillige Maßnah-

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men abzustellen, halte ich gerade im Bereich des Gleichwohl sind wir daran interessiert, solche Mög- Atomrechts für keinen guten Gedanken. lichkeiten zu finden. Auch in der Endlagerkommis- sion werden alle Fragen der Zwischenlagerung (Beifall bei den GRÜNEN und bei der und Konditionierung von schwach, mittel- und hoch SPD) radioaktiven Abfällen sehr intensiv diskutiert. Auch die Frage einer künftig dafür notwendigen Infra- Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten struktur ist natürlich Gegenstand der Debatte. Ich Jahren eine ganze Reihe von Maßnahmen durch- kann Ihnen versichern: Wenn wir irgendeine Chan- geführt. Wir sind aber - zusammen mit einem Gut- ce sehen, mehr Raum zwischen medizinisch- achter - noch intensiv dabei, zu prüfen, was hier in technische oder konditionierungstechnische An- Zukunft notwendig ist. Wir werden selbstverständ- wendungen und die Wohnbebauung zu bekom- lich alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, men, werden wir sie nutzen. Aber Hoffnungen zu um hier für die Sicherheit von Mensch und Natur machen, dass sich von heute auf morgen etwas zu sorgen. ändern wird, ist schwierig. Das schließt z. B. eine Überprüfung der maximalen Insofern können Sie darauf vertrauen, dass wir Dauer des Verweilens betrieblicher Abfälle auf alles tun, was rechtlich denkbar ist. Wir hoffen, dem Betriebsgelände ein. Frau Mundlos, der Be- dass wir so zeitnah so möglich vorankommen. trieb könnte diese Abfälle der Landessammelstelle andienen. Wenn es das aber nicht will, sondern Ich danke Ihnen fürs Zuhören. andere Entsorgungswege nutzen will, dann kön- nen wir ihn nicht dazu zwingen. Trotzdem haben (Beifall bei den GRÜNEN und bei der wir ein Interesse daran, dass die auf dem Grund- SPD) stück gelagerten Mengen reduziert werden. Das ist überhaupt keine Frage. Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann:

Auch das Thema „Störeinwirkungen Dritter“ wird Vielen Dank, Herr Minister. - Weitere Wortmeldun- überprüft. Wir rechnen damit, dass die neue gen liegen mir zu Tagesordnungspunkt 20 nicht SEWD-Richtlinie unsere Handlungsmöglichkeiten vor. Deswegen schließe ich die Beratung. in diesem Bereich erweitern wird. Ich halte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, für Wir haben dafür gesorgt, dass Messergebnisse damit einverstanden, dass wir zunächst über den auch im Internet öffentlich zugänglich sind. Wir Änderungsantrag abstimmen, auch weil er am arbeiten auch daran, die Deckungsvorsorge neu umfassendsten ist; er sieht die Annahme beider festzusetzen; wir überprüfen sie. Ausgangsanträge in einer von ihnen abweichen- den Fassung vor. Falls dieser abgelehnt wird, (Zustimmung von Gerald Heere stimmen wir anschließend über die einzelnen [GRÜNE]) Nummern der Beschlussempfehlung ab.

Am Ende steht natürlich immer die Hoffnung: Ge- Wer also dem Änderungsantrag der Fraktion der lingt es vielleicht, diesen Betrieb an einen anderen CDU in der Drucksache 17/5861 zustimmen will, Ort zu lenken, wo die Wohnbebauung nicht so eng den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. - Ich frage ist? nach den Gegenstimmen. - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Das Zweite war die Mehr- Ich glaube, wir sind uns in diesem Haus einig: Man heit. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. würde heute versuchen, größere Abstände zwi- schen Industrie und Gewerbe einerseits sowie Wir kommen daher zur Abstimmung über die Nr. 1 Wohnbebauung und Schulen andererseits zu le- der Beschlussempfehlung des Ausschusses. gen. Das ist gewachsene Bebauung. Wer der Nr. 1 der Beschlussempfehlung des Aus- Ich habe aber auch vor Ort gesagt: Da können wir schusses folgen und damit den Antrag der Fraktion keine großen Hoffnungen machen. Denn auch an der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen jedem anderen Ort würden sich die gleichen Fra- in der Drucksache 17/5061 unverändert annehmen gen stellen. Auch dort würden Anwohnerinnen und will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich frage Anwohner fragen: Gibt es nicht andere Möglichkei- nach Gegenstimmen. - Gibt es Enthaltungen? - Es ten? ist mit großer Mehrheit so beschlossen.

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Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Nr. 2 Thema gewidmet haben und den Willen in sich der Beschlussempfehlung. trugen, heute einen von allen Fraktionen dieses Landtages getragenen Bericht vorzulegen. Wer der Nr. 2 der Beschlussempfehlung des Aus- schusses folgen und damit den Antrag der CDU- (Beifall) Fraktion in der Drucksache 17/3708 ablehnen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstim- Ein Dank gilt dem Ausschussdienst, insbesondere men? - Enthaltungen? - Sie sind auch hier der Herrn Rasche, Herrn Kühn und Herrn Diedrich. Ein Beschlussempfehlung des Ausschusses gefolgt. besonderer Dank gilt Herrn Rasche, der mir die Sitzungsleitung tatsächlich einfach gemacht hat. Der Tagesordnungspunkt 20 ist damit abgeschlos- sen. Ein Dank gilt dem Stenografischen Dienst, insbe- sondere Herrn Pohl, der die langen und inhaltlich Ich rufe auf den tiefen Anhörungen ganz hervorragend und in kur- zer Frist protokollarisch niedergelegt hat.

Tagesordnungspunkt 21: Ein Dank geht auch an das IT-Management des Besprechung: Landtages, das uns erstmals in der Geschichte Konsequenzen aus den Krankenhausmorden des Landtages ermöglichte, Sitzungen via Skype ziehen - Sonderausschuss zur Stärkung der durchzuführen - Landtag 4.0! - Antrag der Frak- Patientensicherheit einsetzen Ein Dank geht an Herrn Professor Duttge vom tion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Zentrum für Medizinrecht der Universität Göttingen der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP - und seinem Mitarbeiter, Herrn Lammers, der uns Drs. 17/2884 - Abschlussbericht des Sonderaus- bei der Erstellung des Abschlussberichtes nicht schusses „Stärkung der Patientensicherheit und unerheblich unterstützt hat. des Patientenschutzes“ - Drs. 17/5790 (Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ausge- Meine Damen, meine Herren, auch im Beisein von hend von dem soeben erwähnten Antrag aller im Herrn Marbach von der Interessenvertretung der Landtag vertretenen Fraktionen hat der Landtag in Opfer darf ich noch einmal erwähnen, dass der seiner 57. Sitzung am 18. Februar 2015 beschlos- Niedersächsische Landtag in seiner 57. Sitzung sen, einen Sonderausschuss zur Stärkung der am 18. Februar 2015 diesen Sonderausschuss Patientensicherheit einzusetzen. Der Auftrag und eingesetzt hat, nachdem ab Mitte November 2014 die Rahmenbedingungen für die Arbeit des Aus- über ein laufendes Strafverfahren gegen einen schusses ergaben sich aus der als Drucksache ehemaligen Krankenpfleger des Klinikums Del- 17/2964 herausgegebenen Unterrichtung über den menhorst wegen des Verdachts des dreifachen Landtagsbeschluss. Mordes und des zweifachen Mordversuches be- richtet worden und die Zahl die Verdachtsfälle Zum Abschluss seiner Arbeit hat der Sonderaus- während des Verfahrens immer größer geworden schuss seinen Bericht in der Drucksache 17/5790 war. vorgelegt. Hierzu ist eine mündliche Berichterstat- tung vorgesehen, die der Vorsitzende des Sonder- Inzwischen wissen wir, dass das bis dahin Un- ausschusses, Herr Christian Calderone, über- denkbare traurige Gewissheit geworden ist. Wir nommen hat. Herr Kollege, ich erteile Ihnen das haben es nach heutigem Kenntnisstand mit der Wort. größten Tötungsserie - man wird sagen müssen: Mordserie - der deutschen Nachkriegsgeschichte Christian Calderone (CDU), Berichterstatter: zu tun. Die Betroffenheit und das Mitgefühl, das der Landtag bei Einsetzung des Sonderausschus- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ses den Opfern und Hinterbliebenen bekundet hat, habe eine begrenzte Redezeit. Dennoch möchte begleiteten daher die Arbeit dieses Sonderaus- ich als Vorsitzender des Sonderausschusses schusses. „Stärkung der Patientensicherheit und des Patien- tenschutzes“ zu Beginn einen herzlichen Dank Dieser sollte untersuchen, wie es zu der Mordserie ausrichten: einen Dank an die Kolleginnen und kommen konnte, und dazu die vorhandenen Kon- Kollegen im Landtag, die sich in den vergangenen trollmechanismen im Gesundheitswesen kritisch 16 Monaten mit großer Ernsthaftigkeit diesem durchleuchten, um parlamentarische Initiativen zur

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Gewährleistung von mehr Patientensicherheit und derausschusses. Sie haben sich bei all denen Patientenschutz ergreifen zu können. bedankt, die Sie in Ihrer Arbeit unterstützt haben. Ich glaube, ich darf anlässlich Ihres Berichtes den Mit dieser Aufgabe wirkte der Sonderausschuss, Dank des gesamten Landtages an Sie und Ihre mithin der Landtag, weit über die Landesgrenzen Kolleginnen und Kollegen aus unserer Mitte aus- hinaus. Er leistete einen Beitrag zu einer nötigen sprechen, die diese Arbeit geleistet haben. Vielen bundesweiten Diskussion in dieser Sache. Dank! Denn, meine Damen und Herren, der Niedersäch- (Beifall) sische Landtag ist nach unserer Kenntnis das ers- te deutsche Parlament, welches sich in dieser Wir kommen jetzt zur Aussprache über den Be- Ausführlichkeit mit dem Phänomen der Pflegemor- richt. Dazu hat sich als Erste Frau Kollegin Annette de befasst hat. Das war auch dringend erforderlich. Schwarz für die CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. (Beifall) Annette Schwarz (CDU): Der Bericht will und kann keine Beschlussvorlage Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anfang sein, der man zustimmen muss, um bestimmte 2015 wurde der Sonderausschuss „Patientensi- Regeln zu ändern oder neue zu setzen. Der Be- cherheit“ gemeinsam von allen Fraktionen, einver- richt enthält viele Handlungsanweisungen, die der nehmlich getragen, ins Leben gerufen, weil ein Umsetzung bedürfen: durch die Krankenhausträ- Krankenpfleger nachweislich gemordet hatte. ger, teils aber auch durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und schließlich auch durch den Bund Die Aufgabe des Sonderausschusses bestand und das Land selbst. nicht darin, parallel zu den damals laufenden Ge- richtsverfahren Ermittlungsarbeit zu betreiben, Der Bericht des Sonderausschusses ist in diesem sondern die Fragen zu stellen: Wie konnte das Sinne also kein Abschlussbericht. Er ist eher eine geschehen? Wie kann man dem vorbeugen? Wie Zusammenfassung von Arbeitsaufträgen. baut man dem am besten einen Riegel vor? Meine Damen und Herren, ich hoffe, der Bericht Wir haben durch zahlreiche Anhörungen darüber verschwindet nicht in den Schubladen der Parla- hinaus auch Informationen bekommen, wie even- mente und der Ministerien, sondern ich hoffe, er tuell die Strukturen in den Krankenhäusern und die fordert Bund, Land und Kliniken gleichsam ge- Arbeit in der Pflege verbessert werden können. meinsam heraus, insbesondere auch die Kliniken. Denn eines kann politisch nicht verordnet werden: Eines lässt sich vorweg sagen, und zwar mit gro- der Geist auf den Stationen in den Krankenhäu- ßer Bestimmtheit: Tötungsdelikten in Krankenhäu- sern, in den Altenpflegeheimen. Denn nicht zuletzt sern oder in Pflegeheimen wird man wohl nie ein Geist der gegenseitigen Achtung in den Häu- gänzlich vorbeugen können, man wird sie wohl nie sern, der Achtung zwischen Pflegern und Patien- gänzlich ausschließen können. Aber die mittlerwei- ten, zwischen Pflegern und Pflegern sowie zwi- le festgestellte hohe Anzahl und auch die hohe schen Verwaltung und Pflegedienst erschwert oder Anzahl noch vermuteter Delikte in den beiden Fäl- verhindert jene Vorfälle, die Grundlage der Einset- len in Delmenhorst und Oldenburg, um sie exemp- zung des Sonderausschusses waren. Achtung larisch zu nennen, darf sich nicht wiederholen. kostet zunächst einmal nichts. Sie bringt aber viel Meine Damen und Herren, in der Pflege müssen ein. keine Fehler passieren. Fehler können passieren. Lassen Sie uns die Arbeit dieses Sonderaus- Das gilt überall, wo Menschen handeln. Aber vor- schusses also in den politischen Alltag transferie- sätzliche Fehler, die sogar zum Tode führen, dür- ren und daraus politische Initiativen ergreifen. Wir fen nicht geschehen. Es ist immer die Frage, wie sind es den Menschen in Niedersachsen und den viel Vertrauen man in medizinische Einrichtungen Opfern schuldig. und Pflegeeinrichtungen setzt. Anfang dieses Jah- res gab es die Meldung „Hebamme vor Gericht, Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Mordversuche bei Entbindung in einer Klinik in Bad (Lebhafter Beifall) Soden in Hessen“. Ich finde es positiv - das wird hier im Hause sicher- Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: lich gemeinsam so getragen -, dass der Sonder- Vielen Dank, Herr Kollege Calderone als Vorsit- ausschuss einvernehmlich eingesetzt wurde und zender dieses vom Parlament eingesetzten Son- dass wir dort eine sehr konstruktive und auf die

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Sache bezogene Arbeit geleistet haben. Wir haben bis vier Monate für die Auswahl durch das Ministe- es vermieden, die Diskussion über strittige Punkte rium benötigt werden, sollte die Benennung in den so weit zu treiben, dass ein Minderheitenvotum als nächsten Wochen kurzfristig erfolgen. erforderlich erachtet worden wäre. Im Falle des (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Sonderausschusses wäre das völlig unangebracht gewesen. Wir sind kein Parlamentarischer Unter- Diese zeitliche Differenz zwischen der Einsetzung suchungsausschuss gewesen. Wir haben aber eines Landesbeauftragten und der Einsetzung der immer wieder den Punkt gefunden, deutliche Aus- Patientenfürsprecher würde ich als unglücklich sagen zu treffen, wo Alternativen bezüglich der bezeichnen. Ich hoffe, dass sich das nachher bes- Handlungsmöglichkeiten in den Krankenhäusern ser einspielt, damit man dann den Praxisbezug vorhanden sind. sehen kann und gerade auch die ehrenamtlichen Dass das Thema sehr wohl auch auf Bundesebe- Patientenfürsprecher hinreichende Resonanz und ne eine Rolle spielt, wobei es auch um das Patien- Anerkennung finden. tenwohl geht, zeigt sich an der Broschüre des Wesentlich eingreifender ist der Vorschlag in dem Deutschen Ethikrates „Patientenwohl als ethischer Bericht, auf den jeweiligen Stationen einen Stati- Maßstab für das Krankenhaus“, die in diesem onsapotheker einzusetzen. Unbestritten ist die be- Frühjahr erschienen ist und wonach die Selbstbe- ratende Funktion eines Stationsapothekers gerade stimmung des Patienten Vorrang hat. für die Mediziner als sehr positiv zu bewerten. Das Patientenwohl und Patientensicherheit sind aller- setzt allerdings voraus, dass am Markt hinreichend dings zwei verschiedene Dinge. Deswegen möchte Fachkräfte vorhanden sind. In großen Kliniken ich einige Punkte aus dem Bericht aufgreifen. lässt sich so etwas mit Sicherheit eher umsetzen als in kleinen Häusern. Oder aber man müsste sich Wir haben die Einsetzung von Patientenfürspre- noch einmal über bestimmte Regularien unterhal- chern in den niedersächsischen Kliniken aufge- ten, wie man das auffangen kann. nommen. In der Öffentlichkeit wird das oft so ver- standen, dass mit der Einsetzung von Patienten- Bei den „Unit-Dose“-Verfahren wird angeregt, ein fürsprechern auch die Patientensicherheit erhöht Modellprojekt durchzuführen. Allerdings wird in wird. Die Patientenfürsprecher dienen allerdings dem Bericht auch darauf hingewiesen, dass vorher vorrangig dazu, dass die Kommunikation verbes- ein Gutachten erstellt werden sollte, wie eine prak- sert wird, dass ein besseres Verständnis füreinan- tische Umsetzung in Deutschland möglich ist. der gegeben ist. Ein Patientenfürsprecher kann Vor allem ist die Frage zu klären, inwiefern das nicht stündlich neben dem Patienten oder bei OPs Umpacken von Fertigarzneimitteln in Einzeldosen anwesend sein. Das ist überhaupt nicht seine Auf- mit dem Arzneimittelgesetz vereinbar ist. Es sind gabe. Von daher würde ich in diesem Zusammen- sehr wohl also auch noch rechtliche Fragen zu hang nicht vorrangig von einer Verbesserung der beleuchten. Sicherheit sprechen. Ich glaube, da sind wir d’accord. Sie haben es, Herr Kollege Schwarz, im Die Strukturierung der Fehlermeldesysteme, des Ausschuss immer wieder betont. sogenannten Whistleblowing, kann ein Anschub für eine nationale Strategie der Patientensicherheit Qualitäts- und Risikomanagement kann eventuell sein. Das betrifft dann ganz Deutschland. Hinweise geben. Dies ist seit dem 1. Januar 2016 bei den Patientenfürsprechern verpflichtend. Aller- Die Meldung von Krankenhausmitarbeitern über dings muss man dazu sagen, dass sie bislang Vorkommnisse, bei denen Fehler unterlaufen sind, noch nicht überall eingesetzt worden sind. In 40 setzt allerdings ein hohes Vertrauen darin voraus, Kliniken scheinen sie noch zu fehlen. Ich glaube, wie mit diesen Meldungen umgegangen wird. Sie erst nach zwei bis drei Jahren wird sich die Wir- müssen anonymisiert sein, damit keine Rück- kungsweise von Patientenfürsprechern bewerten schlüsse auf einzelne Personen möglich sind. Man lassen. muss auch sicher sein, dass es für denjenigen, der eine solche Meldung macht, keine abträglichen Eine wesentlich stärkere koordinierende Aufgabe Konsequenzen hat. Wenn nämlich eine Bestrafung wird man dem Landesbeauftragten für den Patien- erfolgt, ist das Vertrauen zerstört, und Fehlermel- tenschutz zuweisen können. Die Benennung dungen kommen nicht mehr. Fehlermeldungen müsste eigentlich kurz bevorstehen. Nachgedacht brauchen wir aber, um Fehler vermeiden zu kön- wird darüber in der Landespolitik bereits seit März nen. Darin liegt noch eine gewisse Crux. 2015. Wenn die Ausschreibung erfolgt ist und drei

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Hinsichtlich der Qualitätsmanagementrichtlinie gibt tun haben. Bei Niels Högel hat sich aber gezeigt: es bereits das CIRS. Ich glaube, das ist den meis- Es wäre günstiger gewesen, wenn man das hinter- ten bekannt. Allerdings gibt es auch andere Sys- fragt hätte. teme, z. B. das BBB-System - berichten, bearbei- Zur Arzneimittelkommission: Nicht überall ist eine ten, beheben. Beides muss man gelten lassen solche eingerichtet worden, da dazu bislang keine können. Man darf sich nachher nicht nur auf ein rechtliche Verpflichtung besteht. Die Betrachtung System kaprizieren. der Arzneimittelabgabe unter ökonomischen As- (Beifall bei der CDU) pekten hat bislang - z. B. im Fall von Delmenhorst - nie zur Folge gehabt, dass dort die Abgabe von Auch die Deutung melderelevanter Ereignisse ist Gilurytmal, einem offensichtlich nicht teuren Medi- bislang offensichtlich schwer umsetzbar. Hier kament, aufgefallen ist. Wenn man hier etwas än- brauchen die Krankenhäuser letztendlich Unter- dern will, muss man entsprechende Regelungen stützung. Man kann mit Sicherheit bestimmte Vo- im Niedersächsischen Krankenhausgesetz veran- raussetzungen aus der Luftfahrt übernehmen. kern. Es bedarf zudem einer zufriedenstellenden Aber ein Krankenhaus ist nun einmal kein Flug- Klärung der Frage, wie man den zusätzlichen zeug. Das sind immer noch zwei verschiedene Mehraufwand finanziell unterfüttern will. Dinge. Auch beim Whistleblowing, beim anonymen Mel- (Björn Thümler [CDU]: Wohl wahr!) desystem, muss man letztendlich schauen, dass Meine Damen und Herren, wenn hier Qualitäts- Vertrauen besteht, um über angebliches Gerede in mängel deutlich werden und wenn Fehlermeldun- den Krankenhäusern wie z. B. auch im Fall des gen da sind, muss immer auch das Vertrauen bei Niels H. Meldung zu machen und um sich hinterher den Krankenhäusern begründet sein, dass es nicht nicht selbst rechtfertigen zu müssen. sofort Konsequenzen finanzieller Art nach sich Zu den Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen zieht oder dass eventuell darüber nachgedacht sowie -statistiken kann man letzten Endes nur wird, ob dieses Krankenhaus weiterhin im Kran- eines sagen: Es ist eine rückwärtige Schau. Nach kenhausplan beibehalten werden kann. Wir wissen vorne hin kann man keine Aussagen machen, sehr wohl um die Überlegung, dass das Qualitäts- sondern hier geht es darum, dass nur garantiert siegel hinsichtlich der Frage eine Rolle spielt, in- wird, dass Missstände aufgedeckt werden. Aller- wieweit Krankenhäusern in Zukunft finanzielle dings bedürfen diese Morbiditäts- und Mortalitäts- Mittel gewährt werden. Wenn wir das praktizieren, konferenzen einer hohen Professionalisierung und haben wir im Flächenland Niedersachsen ein gro- Standardisierung. Auch das muss in den Kranken- ßes Problem. Wie das in Deutschland gesehen häusern erst einmal geübt werden. wird, muss die Diskussion zeigen. Ich muss hinzufügen: Wenn dies nicht sehr klein- Auch die Ausbildung in der Gesundheits- und in zellig erfolgt, ist das Risiko von Fehlinterpretatio- der Krankenpflege wird durch das Pflegeberufege- nen sehr hoch, da die Stationen, je nach ihren setz, das momentan auf Bundesebene diskutiert Fachaufgaben, sehr unterschiedlich gestrickt sind. wird, mit Sicherheit eine Verbesserung erfahren. Nach meinem Dafürhalten stößt auch die Entkop- Auch das Vorkommen von Grenzerfahrungen pelung von der Todesfeststellung außerhalb der muss in der Ausbildung Berücksichtigung finden, Leichenschau auf gewisse Vorbehalte, die sich damit Pflegekräfte darauf vorbereitet sind. ebenfalls im Bericht widerspiegeln. Zum einen Ebenso muss die Weiterbildung Bestandteil der muss das Bestattungsgesetz geändert werden, Pflichtschulung sein. Allerdings wird sich immer die und zum anderen ist auch der Arztvorbehalt mit zu Frage stellen: Können wir das den Krankenhäu- klären; denn in diesem Zusammenhang wird auch sern personell zumuten? Haben sie hinreichend die Honorierungsfrage berührt. Letztendlich muss Personal, um die Teilnahme von Mitarbeitern an die Gebührenordnung für Ärzte geändert werden, Schulungen auffangen zu können? allerdings auch die Leitlinie der Deutschen Gesell- schaft für Rechtsmedizin, die dies mit den Regeln Nun ein Wort zur Beschränkung der Nebentätigkei- zur Durchführung der ärztlichen Leichenschau ten. Wir haben sehr wohl gesehen, dass es in der bislang nicht vorsieht. Praxis ein Vollzugsdefizit gibt. Man schlägt ein Nebentätigkeitsmonitoring vor. Es sind Verwal- Auch bei den staatsanwaltlichen Organisationsab- tungstätigkeiten, die nicht unbedingt mit Pflege zu läufen ist vor Ort durch die Arbeit des Sonderaus-

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schusses mittlerweile eine Verbesserung erwirkt Auch das Arbeitsklima im Gesundheitswesen und worden. Sicherlich hat die personelle Ausstattung die Stellenausdünnung aus ökonomischen Erwä- qualitativ noch etwas Luft nach oben, aber sie ist gungen heraus - vielfach auch in Krankenhäu- verbessert worden. Trotzdem hat der Beschluss sern - müssen uns nachdenklich stimmen. Wenn des Landgerichts Oldenburg wegen der Strafverei- letztendlich die Ökonomie über die Pflege ent- telung im Amt im Herbst 2015 mit Sicherheit nicht scheidet, sind wir mit dem menschlichen Antlitz das volle Verständnis gerade der Angehörigen der sehr weit weg vom Patienten. Opfer gefunden, die immer noch danach fragen: Gibt es hier noch einmal eine Möglichkeit, selbst Auch die Verbesserung der Organisations- und initiativ zu werden, wenn man das Gefühl hat, dass Kommunikationsstrukturen - Prozessabläufe - ein Ermittlungsverfahren nicht zügig aufgenommen müssen optimiert werden. Ich glaube, dass wir am wird? Beginn eines Weges sind, auf dem man letztend- lich schauen muss, ob die Personalressourcen Es gibt den Vorschlag des Rechtsbehelfs zur Er- ausreichen. zwingung der Einleitung eines Ermittlungsverfah- rens. Ich glaube, dass man den Ausschuss für Meine Damen und Herren, am Ende meiner Rede Rechts- und Verfassungsfragen damit betrauen möchte ich mich dem Dank des Ausschussvorsit- sollte, diesen Aspekt in aller Sorgfalt zu beleuch- zenden anschließen und sagen, dass wir hier auf ten, damit nicht eine zu hohe Erwartungshaltung eine neue Art und Weise zusammengearbeitet geschürt wird, während das Ergebnis letztendlich haben. Ich denke in diesem Zusammenhang auch aber außerordentlich enttäuschend ist, weil es an die Arbeit in dem Redaktionsteam zur Vorberei- nicht funktioniert. tung des Berichts, die von einem Wissenschaftler, Ziel des Ausschusses war die Wiederherstellung nämlich von Herrn Prof. Duttge, unterstützt wurde. des Vertrauens der Bevölkerung in Krankenhäuser Ich habe diese Zusammenarbeit als sehr fruchtbar und in die Krankenpflege. Nicht nur Patienten und und konstruktiv empfunden. Danken möchte ich Angehörige sind verunsichert, sondern auch die allen Kollegen, aber auch der Vertretung der An- Krankenhausmitarbeiter sowie die Ärzte und die gehörigen der Opfer - Herr Marbach ist hier heute Pflegekräfte sind verunsichert und brauchen Un- zugegen -, den Vertretern der beteiligten Kliniken, terstützung, damit sie ihre Aufgaben besser wahr- die in Teilen sehr offen darüber berichten mussten nehmen können. Ich glaube, das sollte unser we- und auch wollten, den Ministerien für die Unterrich- sentliches Bestreben sein. tungen, die manche Kommunikationsprobleme mit nachfolgenden Behörden vielleicht auch verringert (Beifall bei der CDU und bei der FDP) haben, der Soko Kardio sowie allen Experten, die Deutlich sollte aber auch werden, dass das, was uns in der Anhörung ihre Sachkenntnis und ihre am Ende des Berichtes unter drei Punkten ver- Zeit zur Verfügung gestellt haben. merkt worden ist, nicht zu unterschätzen ist. (Beifall) Wir brauchen mehr Ressourcen für die Pflege. Das ist in Deutschland und auch hier in Niedersachsen Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und schon vielfach gesagt worden. Es braucht mehr Kollegen, auch für die sachliche, konstruktive und Geld, es braucht mehr Personal, und der Pflegebe- auch einvernehmliche Zusammenarbeit möchte ich ruf muss attraktiver ausgestaltet werden. Vorrangig danken; denn es gab nicht den uns trennenden ist nicht nur eine höhere Bezahlung, sondern ent- Streit und Dissens. Wenn wir nachher vielleicht scheidend ist vielfach der Personalschlüssel, damit wieder über die einzelnen Punkte streiten, ist es eben nicht dieser massive Zeitdruck entsteht. Ich gut, dass wir hier zumindest den Bericht einver- will damit nicht sagen, dass jemand, der einem nehmlich vorstellen. Zur Lösung der Probleme mag hohen Zeitdruck ausgesetzt ist, automatisch zum man dann sicherlich wieder unterschiedliche An- Mörder wird. Aber Fehler resultieren daraus. Und sichten haben. Fehler können sehr wohl auch zum Tode führen. Von daher muss es unser Bestreben sein, die Danke schön. Rahmenbedingungen zu verbessern. (Zustimmung bei der CDU und bei der (Lebhafter Beifall bei der CDU und bei FDP sowie von Uwe Strümpel [SPD] der FDP sowie Zustimmung bei der und von Dr. Thela Wernstedt [SPD]) SPD und bei den GRÜNEN)

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Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: vorsitzende und auch die Kollegin Schwarz haben Auch Ihnen, Frau Kollegin Schwarz, ganz herzli- Ihnen bereits einen Überblick über die Arbeit der chen Dank für Ihre Rede. - Jetzt hat das Wort für letzten Monate gegeben. Uwe Schwarz aus unse- die SPD-Fraktion Frau Kollegin Dr. Thela Wern- rer Fraktion wird beim nächsten Tagesordnungs- stedt. punkt darauf eingehen, was wir ändern wollen, um die Sicherheit für Patientinnen und Patienten zu Dr. Thela Wernstedt (SPD): erhöhen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich Was aber muss sich in den Köpfen ändern? Was habe in meinem Berufsleben schon viele Men- braucht es neben intelligenten Kontrollmechanis- schen in Not gesehen und behandelt. Etlichen men und Sicherungssystemen? - Medizin und konnte ich durch schnelles Eingreifen das Leben Pflege sind beides konservative, hierarchische retten, vielen konnte ich mit anderen ärztlichen Wissens- und Verhaltenssysteme, die Sicherheit in Kollegen die Gesundheit zurückgeben oder zu- existenzieller Krisensituation vermitteln sollen. mindest ihr Leiden lindern. Wer mit Fachkompe- Gleichzeitig sollen sie innovativ sein. Und sie sol- tenz, Herz und Verstand seinen Aufgaben im len effektiv arbeiten, mit den Solidarbeiträgen der Krankenhaus nachkommt, kann in Minutenschnelle Krankenversicherungen verantwortungsvoll umge- ein Vertrauensverhältnis zu Patienten und Angehö- hen. rigen aufbauen, das durch die Krisenzeit und auch darüber hinaus trägt. Wenn man das auf den Punkt bringt, kann man sagen: Feudalismus trifft Neoliberalismus. Un- Wer einmal Teil einer konzentrierten Stille im OP- durchlässige, in der Medizin männlich strukturierte Saal war, in der jede Hand weiß, was sie tut, kennt Machtstrukturen, die Wissen, Habitus und Netz- die hohe Fachkompetenz, die das voraussetzt. werke nur gegen hohe Disziplin, Selbstverleug- Wer als Notarzt im Rettungshubschrauber geses- nung und Unterwerfung weitergeben, walten in sen hat, im Landeanflug dem Piloten bei der Su- einer Institution, die mit hohem technischen und che nach störenden Hochspannungsmasten gehol- finanziellen Aufwand so viele Überschüsse wie fen und erlebt hat, dass der Pilot später selbstver- möglich produzieren soll. Das hat den Vorteil, dass ständlich die Infusionsflasche hält, kennt den Entscheidungen getroffen werden und Verantwor- Teamgeist, der keine Worte braucht. tung zurechenbar wird. Es hat den Nachteil, dass Warum erzähle ich Ihnen das? - Wir haben zur viel Kompetenz und Engagement in den Strukturen Kenntnis nehmen müssen, dass in Niedersachsen verbrannt werden. ein qualifizierter Krankenhausmitarbeiter aus der Berufsgruppe der Pfleger mindestens 30 Men- Bei diesen Ungleichzeitigkeiten bleibt eine wichtige schen in einem Krankenhaus getötet hat. Und Ressource auf der Strecke: Das sind die Men- obwohl bereits über ihn geredet wurde, ein Ver- schen, die in verschiedenen hoch qualifizierten dacht bestand, dauerte es viel zu lange, bis er Berufen in diesem System arbeiten. Sie gehen oft angeklagt wurde. mit großer Motivation in die Ausbildung und in den Beruf und stecken bald in einem Hochleistungsar- Diese Tötungsserie hat bei uns Abgeordneten beitsfeld fest. Jeder Patient bringt eine eigene große Betroffenheit ausgelöst. Das Verbrechen, Krankheit, eine eigene Geschichte, gelegentlich Menschen zu töten, wiegt am schwersten. Der auch eine Tragödie mit, will empathisch behandelt, Vertrauensbruch gegenüber den Menschen, die gut versorgt und möglichst heil nach Hause entlas- sich ihm und den anderen Teammitgliedern anver- sen werden. Es sind eben keine Waren, die produ- traut haben, ist furchtbar. Die Zerstörung des ziert werden, sondern ist die Begleitung eines kri- Teamgeistes wirkt dauerhaft zersetzend. Juristi- senhaften Lebensabschnitts. sche Ignoranz und verschlampte Verfahren haben das Vertrauen in den Rechtsstaat beschädigt. Eine In die schöne Arbeit mit kranken Menschen haben solche Zerstörung von Menschenleben und Ver- sich längst die Mechanismen der industriellen Wa- trauen in Institutionen und Zusammenarbeit muss renproduktion eingefressen mit der Logik von Qua- überdacht und besprochen werden. Und es muss litätsmanagement, Effektivitätssteigerungen und etwas geändert werden. Wachstumsvorgaben und machen Krankenversor- gung zu einer erschöpfenden und zermürbenden Die vier Landtagsfraktionen haben sich dieser Arbeit. Es gibt ja Gründe für den Fachkräftemangel Aufgabe stellvertretend für alle niedersächsischen bei der Pflege und bei den Ärzten. Bürgerinnen und Bürger gestellt. Der Ausschuss-

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Das macht niemanden zum Mörder. Aber ein Ar- Alle Leistungen am Patienten - Leben retten, Ge- beitsfeld, das von den Mitarbeitern jeden Tag sundheit wiederherstellen und Leiden lindern - sind Höchstleistungen an Empathie, moralischer Ur- gemeinsame Aufgaben und Erfolge. Die Heilberufe teilskraft, Fachwissen und Verantwortung verlangt, müssen einsehen, dass es das Ideal des helden- macht anfällig für Manipulationen - entweder sich haften einzelnen Arztes oder Rettungsassistenten und der Welt zu zeigen, den hohen Anforderungen nicht gibt. Dauerhaft in einem hoch getakteten, gewachsen zu sein, oder sich in den Gedanken durchtechnisierten und stark arbeitsteiligen Ge- hineinzusteigern, allein etwas gegen das viele Leid sundheitssystem zu arbeiten, gelingt nur als Team. unternehmen zu müssen. Der Psychiater Prof. Karl Es gilt, die Teamfähigkeit professionell zu stärken Beine hat das in einer großen Studie zu Patienten- und damit Achtsamkeit und Entlastung zu schaf- tötungen herausgearbeitet. fen. Es gilt, die Effektivitätsspirale zu durchbre- chen, die immer weniger zunehmend erschöpften Ich glaube, dass die Heilberufe dringend eine Re- Menschen immer mehr abverlangt. flexion ihres Berufsselbstverständnisses brauchen. Das können wir als Landtag nicht verordnen, aber Einzelne Tötungen werden wir auch in Zukunft wir können es laut als Aufforderung ins Land tra- nicht verhindern können, aber wir können die Zahl gen. In einem Team, das das eigene Handeln re- verringern und eine so entsetzliche Serie verhin- flektiert, kann das Leid anderer besser gemeinsam dern. Wir haben viel zu tun. getragen werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und bei den (Beifall) GRÜNEN)

Wir wissen das aus der Psychiatrie und der Pallia- Vizepräsident Klaus-Peter Bachmann: tivmedizin. Durch Reflexionen über die Sinnhaf- Auch Ihnen vielen Dank, Frau Dr. Wernstedt. - tigkeit von Therapiefortführung oder -abbruch kön- Jetzt hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nen Entlastung und Verstehen von Maßnahmen der Kollege Thomas Schremmer das Wort. erreicht werden. Das wissen wir aus der Ethikbera- tung. Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Thomas Schremmer (GRÜNE): anderen Berufsgruppen oder intensiviertere Zu- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- sammenarbeit können für alle Entlastung und neu- gen! Ich glaube, man hat an dem Beitrag von Frau es Wissen geschaffen werden. Kollegiale Gesprä- Dr. Wernstedt gemerkt, dass wir uns in dem Son- che, Supervision und eine gegenseitige Achtung - derausschuss nicht nur um eine Aufarbeitung ge- das wurde bereits angesprochen - sind bewährte kümmert haben. Diese Vorgänge haben uns auch Instrumente, um zu bemerken, wann es einem sehr nachdenklich gemacht. Deshalb bieten wir Teammitglied schlecht geht. Kein Mitarbeiter in nicht nur Lösungen an, sondern fordern auch zum einem Krankenhaus oder einer anderen Einrich- Nachdenken auf. tung muss das Leid der Welt für sich allein tragen. Im Februar 2015 wurde Niels H. wegen zweifachen Anerkennung von Fehlbarkeit und ein professiona- Mordes verurteilt. Normalerweise ist ein Urteil das lisierter Umgang mit Schuld sind dringend auf die Ende einer Aufklärung. Im Fall von Niels H. war es Tagesordnung der Kammern der Heilberufe zu jedoch genau umgekehrt: Es war erst der Anfang. setzen. Im Gesundheitssystem geht es um viel - Nachdem er während des Prozesses gestanden um Überleben und Wiederherstellung von Ge- hatte, 90 weiteren Patientinnen und Patienten Gilu- sundheit. Wer da Fehler macht, trägt große rytmal gespritzt zu haben, war klar, dass wir uns Schuld. Wer Überleben auf Kosten von Leben mit dem Ausmaß seiner Taten weiter würden be- inszeniert, wie Niels H., erringt Bewunderung, so- schäftigen müssen. Deshalb war es eine richtige lange die Perversion beruflicher Anerkennung und notwendige Entscheidung, diesen Sonderaus- unerkannt bleibt. schuss einzurichten. Ich glaube, es war auch im Sinne der betroffenen Angehörigen ein sehr guter Der Gedanke ist bisher nicht denkbar: Einer von Schritt, liebe Kolleginnen und Kollegen. uns verstößt gegen die Regeln. Er hilft nicht heilen, sondern verletzt und tötet. - Aber es muss denkbar (Beifall bei der SPD und bei den werden: Ja, auch in unserem Team gibt es Men- GRÜNEN) schen, die andere verletzen, die eine Entwicklung Ich möchte mich eingangs ausdrücklich bei Ihnen nehmen können, andere zu töten. allen, die mitgewirkt haben, für die konstruktive

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und zielführende Zusammenarbeit im Sonderaus- versorgen. Die Anzahl der Patienten ist innerhalb schuss bedanken. Dieser Dank gilt ausdrücklich der letzten 15 Jahre um 20 % gestiegen; hingegen auch der Landtagsverwaltung und Prof. Duttge und wurde jede siebte Pflegestelle gestrichen. Das gilt seinem Team. Besonders zu danken ist aber auch natürlich zunehmend auch für das ärztliche Perso- den vielen angehörten Organisationen und Einzel- nal. personen, die äußerst offen und konstruktiv auch Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist klar: Da über Probleme berichtet haben, was - für mich und bleibt wenig Zeit für patientensensible Pflege. sicherlich auch einige andere wahrnehmbar - si- Auch das ist eine Erkenntnis aus den Anhörungen. cherlich nicht immer ganz einfach war. Ich bin Frau Schwarz sehr dankbar, dass sie auf (Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta die Stellungnahme des Deutschen Ethikrats hin- übernimmt den Vorsitz) gewiesen hat. Dieser macht es immer recht gut und gibt am Ende Empfehlungen heraus. Ich habe Die Krankenhäuser in Niedersachsen leisten eine mir noch einmal die Empfehlung zur Verbesserung hervorragende Arbeit. Ich glaube, wir können Ver- der Pflegesituation im Krankenhaus angesehen. trauen in unsere Häuser haben. Aber im Sonder- Diese besagt, das Bundesministerium für Gesund- ausschuss sind auch einige Regelungslücken zu- heit sollte für eine nachhaltige Verbesserung der tage getreten, die zumindest dazu beigetragen Pflegesituation im Krankenhaus sorgen. So sollten haben, dass die Taten von Niels H. lange unent- Pflegepersonalschlüssel in Abhängigkeit von Sta- deckt geblieben sind. Der vorliegende Abschluss- tions- und Bereichsgrößen für Krankenhäuser ent- bericht bietet dazu ein umfassendes Bild. Es geht wickelt und implementiert werden. - Ich glaube, in erster Linie um Arzneimittelsicherheit, aber im das wäre der richtige Schritt, um mehr Qualität in Besonderen eben auch - das ist schon dargestellt der Versorgung von Patientinnen und Patienten in worden - um risikobehaftete Kommunikations- und den Krankenhäusern zu erzeugen. Ablaufstrukturen in den Krankenhäusern. (Beifall bei den GRÜNEN) Abgesehen davon - diesen Punkt möchte ich spe- ziell aufnehmen - sind mir durch die Ausschussar- Ich denke auch - das ist die entscheidende Er- beit zwei weitere Aspekte klar geworden, die nicht kenntnis -, dass Gesundheit und medizinische nur vor dem Hintergrund der kriminellen Handlun- Versorgung eben keine Ware sein dürfen. Wir gen problematisch sind, sondern zu grundsätzli- sollten gerade diesen Punkt noch einmal näher in chen Fehlentwicklungen führen. den Blick nehmen. Das können wir als Erkenntnis aus den schrecklichen Ereignissen mitnehmen: Die Kollegin Wernstedt hat es schon pointiert an- Unsere Krankenhäuser sind Institutionen der Da- gesprochen: Es geht um die zunehmende Ökono- seinsvorsorge, und als solche sollten wir sie auch misierung im Gesundheitswesen und um die Ar- behandeln. Das ist keine generelle Kritik an dem beitsbedingungen, vor allem in der Pflege. System, sondern wenn sich Fehlentwicklungen dieser Art ergeben - das haben fast alle Anzuhö- Ich denke, dass sich die Ökonomisierung des Ge- renden im Ausschuss deutlich gesagt -, dann muss sundheitswesens in der betriebswirtschaftlichen man an dieser Stelle Konsequenzen ziehen. Nutzenorientierung - man könnte auch Gewinnma- ximierung sagen - darstellt und auch deregulieren- Liebe Kolleginnen und Kollegen, man wird Taten de Effekte hat, die sich im vorliegenden Fall - das wie die von Nils H. oder ähnliche Taten womöglich kann man aufgrund der Anhörungen wohl eindeu- nicht verhindern können, aber wir können sie er- tig sagen - mindestens negativ verstärkend aus- schweren, und wir wollen unseren Beitrag dazu gewirkt haben. Sie führt in den Krankenhäusern zu leisten, indem wir im nächsten Tagesordnungs- steigendem Kostendruck. Ich würde, zumindest in punkt einen Entschließungsantrag zur Beratung Einzelfällen, von Fließbandmedizin sprechen. vorlegen. Wir wollen weiterhin Unterstützungsan- gebote für Krankenhäuser machen, aber wir müs- Was aber besonders erschreckend ist, ist der hohe sen in erster Linie für bessere Arbeitsbedingungen Personalabbau. In Deutschland ist mittlerweile das im Gesundheitswesen sorgen - nicht nur, damit es Zahlenverhältnis zwischen Patientinnen und Pati- keine Mordserien mehr gibt, sondern auch, damit enten und Pflegekräften im OECD-Vergleich am alte und kranke Menschen angemessen versorgt schlechtesten. In Deutschland betreut eine Pflege- werden. kraft im Schnitt zehn Patienten, z. B. in Norwegen vier. Pflegekräfte müssen immer mehr und immer Ich komme zum Schluss, danke Ihnen noch einmal ältere, kränkere Menschen in immer kürzerer Zeit für die Zusammenarbeit und freue mich auf die

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Zusammenarbeit hinsichtlich des Entschließungs- Maßnahmenbündel angeschaut und konkrete antrages, den wir gleich hier beraten werden, im Schlussfolgerungen - einmal mehr, einmal weniger Ausschuss. konkret, wie man sagen muss - daraus gezogen.

Vielen Dank. In diesem Zusammenhang ist mir ein Punkt wich- tig - Herr Schremmer, vielleicht darf ich das deut- (Beifall bei den GRÜNEN und bei der lich machen, weil mir das in Ihrem Wortbeitrag SPD) eben etwas verkürzt dargestellt war -: Es ist nicht die eine Ursache, die sich hier als die identifizieren Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: lässt und die dazu geführt hat, dass dieser Täter Vielen Dank, Herr Kollege Schremmer. - Für die diese Morde hat begehen können. Vielmehr hat FDP-Fraktion hat nun Herr Kollege Dr. Birkner das ein ganzes Bündel von einzelnen Aspekten, die Wort. Bitte! ineinander gegriffen haben, dazu geführt. Deshalb ist eine Darstellung, die die Effizienzanforderungen Dr. Stefan Birkner (FDP): an den Krankenhausbetrieb besonders hervorhebt, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und aus meiner Sicht verkürzt. Mir ist es wichtig, deut- Herren! Wir haben uns in dem Sonderausschuss lich zu machen, dass wir gerade bei dieser Kons- zur Stärkung der Patientenrechte mit einer Mord- tellation im Nachhinein identifizieren können, an serie ungeheuren Ausmaßes beschäftigen müs- welchen Stellen, wenn - das muss man auch so sen. Das muss man sich immer wieder verdeutli- deutlich sagen - einzelne Personen anders gehan- chen. Das hat es so, in dieser Form, in diesem delt hätten, als sie gehandelt haben, weitere Mor- Ausmaß, noch nicht gegeben. Das, was hier zum de hätten verhindert werden können. Daraus die Ausdruck gekommen und deutlich geworden ist, generelle Schlussfolgerung zu ziehen, Effizienzan- hat zumindest ein trauriges Alleinstellungsmerk- forderungen seien der ausschlaggebende Punkt, mal, und das in einem besonders geschützten möchte ich zumindest in diesem Kontext relativie- Bereich, im Krankenhaus, wo man Pflege und ren, zurückweisen und sagen: Dies ist ein komple- Fürsorge erwartet und eben nicht einen Angriff auf xer Vorgang, bei dem es sich verbietet, ihn auf Gesundheit und Leben. Das ist in besonderer Art einzelne Punkte zu reduzieren. und Weise geeignet, das Grundvertrauen in die (Beifall bei der FDP) sozialen Einrichtungen, in Krankenhäuser, in Pfle- geeinrichtungen, zu erschüttern. Daraus, meine Damen und Herren, wird auch schon deutlich, dass die Arbeit eigentlich erst jetzt Deshalb ist es richtig gewesen, dass wir uns als beginnt. Der Kollege Calderone hat als Vorsitzen- Landtag dieses Themenkomplexes intensiv ange- der auch darauf hingewiesen. Eigentlich war dies nommen haben. Ich denke, es besteht einmal eine erst die Vorarbeit. Jetzt geht es darum, aus den politische Verantwortung, der wir hier gerecht wer- Empfehlungen konkrete politische Handlungen, den müssen, aber zum anderen natürlich auch konkrete organisatorische Handlungen abzuleiten. eine moralische Verpflichtung, zu versuchen, dem Dabei sind nicht nur wir als Niedersächsischer nachzugehen und, wenn schon die Taten nicht Landtag mit der entsprechenden Kompetenz aus- verhindert werden konnten, zumindest zu identifi- gestattet, sondern das wird bundespolitische Fol- zieren, welche Schlussfolgerungen daraus gezo- gerungen haben müssen, der Bundesgesetzgeber gen werden müssen, um alles zu tun, was nötig ist, wird tätig werden müssen, aber auch alle anderen um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholt. Akteure, die im Krankenhausbereich und im Pfle- Meine Damen und Herren, Ziel dieses Ausschus- gewesen tätig sind, werden anhand des Berichts ses war es - ich denke, wir sind dem nachgekom- hoffentlich die eine oder andere Maßnahme prü- men und haben dieses Ziel erreicht -, organisatori- fen, um zu schauen, ob sie einen Beitrag dazu sche und rechtliche Defizite zu identifizieren, und leisten können, die Qualität zu verbessern und die zwar in Form eines Sonderausschusses und nicht Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich in der Form eines Parlamentarischen Untersu- solche Fälle nicht wiederholen. chungsausschusses. Ich denke auch - gerade im Wir werden solche Dinge voraussichtlich nicht Nachgang -, dass sich dieses Instrument bewährt gänzlich ausschließen können, aber ich denke, wir hat. als Niedersächsischer Landtag haben eine wichti- Wir haben uns - hierauf haben die Kolleginnen und ge Grundlage gelegt. Ich würde mich freuen, wenn Kollegen schon Bezug genommen - ein ganzes das dann tatsächlich auch von denen, die die

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Kompetenzen haben, aufgegriffen würde, um ein- sowohl durch den Bund als auch durch die ande- zelne Punkte noch näher abzuklären und die ren Bundesländer. Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. (Zustimmung) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Uns ist im Sonderausschuss immer klar gewesen, (Beifall bei der FDP) dass wir keine Ermittlungsbehörde sind und dass es wahrscheinlich auch zukünftig Gewaltverbre- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: chen in Gesundheitseinrichtungen geben wird; Vielen Dank, Herr Dr. Birkner. - Weitere Wortmel- auch darauf haben die Vorrednerinnen und -redner dungen liegen nicht vor, sodass ich die Bespre- hingewiesen. Insofern ging es bei den Schlussfol- chung zum Bericht schließen kann. gerungen um die Fragestellung, welche Möglich- keiten wir sowohl auf der Bundes- als auch auf der Ich rufe auf den Landesebene haben, durch gesetzgeberische Maßnahmen derartige Vorkommnisse zukünftig zu minimieren. Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung: Dabei sind erneut sehr grundsätzliche Probleme in Stärkung der Patientensicherheit und des Pati- unserem Gesundheitswesen deutlich geworden, entenschutzes - Niedersächsisches Kranken- z. B. die Unterversorgung bestimmter Bereiche, hausgesetz (NKHG) muss weiter verändert mangelnde Personalausstattung oder auch deutli- werden - Antrag der Fraktion der SPD und der che Mängel einzelner Vergütungssysteme. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/5835 Folgen sind häufig eine dauerhafte Überlastung von Beschäftigten, und damit durchaus verbunden auch hohe Risiken für Patientinnen und Patienten. Zur Einbringung des Antrags erteile ich dem Kolle- gen Uwe Schwarz, SPD-Fraktion, das Wort. Bitte! Bei dieser grundsätzlichen Frage ist der Bundes- gesetzgeber gefordert. Allerdings sind wir der Auf- Uwe Schwarz (SPD): fassung, dass dort, wo Landeszuständigkeit gege- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ben ist, sehr zeitnah Konsequenzen gezogen wer- Unter dem vorausgegangenen Punkt haben wir den sollten. Ich glaube, dass wir alle das so se- uns mit dem Abschlussbericht des Sonderaus- hen - da sind wir alle uns einig -: Diese Konse- schusses „Stärkung der Patientensicherheit und quenzen im eigenen Zuständigkeitsbereich zu des Patientenschutzes“ befasst. ziehen, sind wir sowohl den Opfern als auch vor allem den Hinterbliebenen schuldig. (Unruhe) Diesem Ziel dient der vorgelegte Antrag von Rot- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Grün zur Stärkung der Patientensicherheit und des Patientenschutzes, zunächst durch Änderungen Einen Moment, bitte, Herr Kollege Schwarz! - Kön- sowohl im Niedersächsischen Krankenhausgesetz nen bitte die Beratungen in der Mitte des Plenar- als auch im Niedersächsischen Bestattungsgesetz. saals nach draußen verlegt werden! - Vielen Dank. - Bitte, Herr Kollege! Zwei wesentliche Änderungen sind bereits im ver- gangenen Jahr umgesetzt worden; sie sind hier Uwe Schwarz (SPD): eben schon erwähnt worden. Wir müssen bei den bereits erwiesenen Morden Erstens ist die am 1. Januar 2016 in Kraft getrete- und der Vielzahl von noch zu untersuchenden ne Regelung zu nennen, in allen Krankenhäusern Fällen in den Krankenhäusern Delmenhorst und verpflichtend Patientenfürsprecherinnen und -für- Oldenburg davon ausgehen - das ist eben schon sprecher einzuführen. Ich finde es sehr erfreulich, deutlich geworden -, dass es sich bei Niels Högel dass immerhin drei Viertel aller Kliniken in Nieder- um den bisher größten Massenmörder in der bun- sachsen dies bereits vollzogen haben. desdeutschen Geschichte handelt. Dieser war nun rein zufällig in Niedersachsen unterwegs. Es hätte Zweitens ist die Schaffung eines Landespatienten- auch jedes andere Bundesland treffen können. schutzbeauftragten zu nennen. Damit betritt Nie- Deshalb war ich durchaus sehr erstaunt - um nicht dersachsen Neuland und ist nach Nordrhein- zu sagen: ziemlich ärgerlich - über die mangelnde Westfalen erst das zweite deutsche Flächenland, Unterstützung der Arbeit des Sonderausschusses das eine unabhängige Anlaufstelle gleichermaßen

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für Patientinnen und Patienten, für Institutionen durch ihren Arbeitgeber, das Krankenhaus, regel- und auch für Patientenfürsprecherinnen und -für- mäßige begleitende Reflektionen über berufsbe- sprecher in den Kliniken schafft. dingte Belastungen und Erfahrungen anzubieten, z. B. in Form von Supervision, und zwar für die Mit dem vorliegenden Antrag fordern wir nun zu Betroffenen freiwillig. Wir glauben, dass auf diese weiteren Änderungen im Niedersächsischen Kran- Art und Weise sehr früh der schleichende Verlust kenhausgesetz auf. Wir wollen die verpflichtende von Selbstkontrolle und Tendenzen zur Übermü- Einstellung von Stationsapothekerinnen und -apo- dung erkannt werden können. Ich weise darauf thekern in allen niedersächsischen Krankenhäu- hin, dass Täter vergangener Tötungsserien in sern vorsehen. Ich weise darauf hin, dass es bei Krankenhäusern zumeist am sogenannten Burn- den noch knapp mehr als 190 Krankenhäusern in out-Syndrom erkrankt waren, was natürlich durch Niedersachsen nur noch 28 Krankenhausapothe- eine extreme Stressbelastung hervorgerufen wor- ken gibt. Alle anderen Häuser lassen sich extern den war. beliefern. Dadurch erhöhen sich die Schwierigkei- ten, Auffälligkeiten bei der Verwendung von Medi- Meine Damen und Herren, im Gesundheitswesen kamenten frühzeitig zu entdecken. Stationsapo- herrscht ein erheblicher Verdrängungswettbewerb. theker sollen deshalb beratend für das ärztliche Hier intern auf mögliches Fehlverhalten oder gar Personal auf den Stationen tätig werden und die auf kriminelles Handeln hinzuweisen, kann für die dort erfolgte Medikamentenabgabe im Sinne einer Betroffenen zu argen Schwierigkeiten führen. Dies sachkundigen medizinischen und pharmakologi- ist übrigens auch bei den durch uns zu untersu- schen Begleitung unterstützen. Sie werden so zu chenden Fällen der Fall gewesen. Insofern setzen zentralen Schnittstellen der Arzneimittelbelieferung wir auf anonyme Meldesysteme, die es bisher in und den Abläufen auf einer Station. Krankenhäu- Krankenhäusern nicht gibt. Auch CIRS ist übrigens ser, die das Instrument bisher auf freiwilliger Basis kein anonymes Meldesystem. Wir brauchen drin- eingerichtet haben, haben damit gute Erfahrungen gend Möglichkeiten, damit sich Beschäftigte an gemacht. eine neutrale Stelle wenden können, ohne dass Rückschlüsse auf ihre Identität gezogen werden Ferner sollen Krankenhäuser in Ergänzung eines können. Solche Möglichkeiten, die nicht zugleich Stationsapothekers verpflichtet werden, eine klinik- als unkollegiales Denunzieren empfunden werden, interne Arzneimittelkommission einzusetzen. Die können im Extremfall lebensrettend sein. Aufsicht über Apotheken hat in Niedersachsen die Apothekerkammer. Jedoch dort, wo es keine Kran- Neben diesen gravierenden Änderungen im Nie- kenhausapotheken mehr gibt, endet ihre aufsichts- dersächsischen Krankenhausgesetz gibt es noch rechtliche Tätigkeit mit der Übergabe der Medika- einzelne kleine Änderungen. Wir schlagen vor, mente an der Krankenhaustür. Aufgabe einer kli- entsprechende Korrekturen im Niedersächsischen nikinternen Arzneimittelkommission ist es daher, Bestattungsgesetz vorzunehmen. Zum Beispiel soll den Bestand, die Ausgabe und die Verwendung die Blutentnahme und -untersuchung künftig obli- von Arzneimitteln sowie vor allem die strikte Ein- gatorischer Teil einer Leichenschau werden. Im haltung der ärztlichen Verordnungen zu überwa- Fall Högel hätte das sehr schnell Aufschluss über chen. Das Klinikum Oldenburg hat nach der Fest- bewusst herbeigeführte Tötungen gegeben. nahme von Niels Högel von sich aus eine hausei- gene Arzneimittelkommission mit gutem Erfolg Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich eingerichtet. möchte mich auch an dieser Stelle bei allen Kolle- ginnen und Kollegen für die wirklich ausgespro- Ferner wollen wir die Möglichkeit schaffen, modell- chen kollegiale fraktionsübergreifende Zusammen- haft neue Organisations- und Personalstrukturen arbeit im Sonderausschuss bedanken. Ich würde zu erproben. Wenn Krankenhauspersonal, insbe- mir wünschen, wenn das bei den zu klärenden sondere auf Intensivstationen, über Jahre hinweg Folgerungen in unserer eigenen Zuständigkeit bei hohen psychischen Belastungen ausgesetzt ist, dem vorliegenden Antrag im Fachausschuss ge- benötigt es zumindest übergangsweise eine Ent- nauso konstruktiv durchgeführt wird. lastung. Ein Rotationssystem für Pflegekräfte könnte hierbei für Entlastung sorgen. Dies gibt es Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. bisher in niedersächsischen Krankenhäusern nicht. (Beifall bei der SPD und bei den Das gilt gleichermaßen für das von uns vorgese- GRÜNEN) hene Angebot, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

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Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Von daher haben die Krankenhäuser nicht die Ressourcen, um das finanzieren zu können, was Vielen Dank, Herr Kollege Schwarz. - Für die CDU- Sie vorschlagen. Fraktion hat nun Frau Kollegin Schwarz das Wort. Bitte! Meine Damen und Herren, hierbei spielen die Fi- nanzmittel für den laufenden Betrieb in Anbetracht Annette Schwarz (CDU): der Unterfinanzierung eine Rolle, die die Kranken- häuser jedes Mal zu vermelden haben. Das ist Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr nicht neu; das weiß auch die Sozialministerin, die geehrter Herr Kollege Schwarz, ich hatte es schon bereits im Juli 2014 zusammen mit dem Ver- vorhin gesagt: Es sind viele gute Vorschläge. Über bandsdirektor der Krankenhausgesellschaft fest- die Umsetzung werden wir uns wahrscheinlich gestellt hat, dass die Krankenhäuser mehr Geld streiten müssen. brauchen. Das ist durch die Pressemitteilung der Mit den Vorschlägen, die sich insbesondere auf die Krankenhausgesellschaft in Niedersachsen vom Änderung des Niedersächsischen Krankenhaus- März 2016 erneuert worden, in der es heißt: „Nie- gesetzes beziehen - mit Stationsapotheker, mit dersächsische Krankenhäuser weiterhin in schwie- Rotationsprinzip, mit Supervision -, kann man sehr rigem Fahrwasser“. In dieser Pressemitteilung wird wohl einiges Wichtige in den Krankenhäusern auf allerdings auch bestätigt, dass die Krankenhäuser den Weg bringen. Sie haben zusätzlich vorge- ein großes Interesse daran haben, eine hohe Qua- schlagen, ein obligatorisches Fehlermeldungssys- lität bieten zu können. Damit sollten wir sie nicht tem in Form von Whistleblowing einzuführen. Hier- allein stehen lassen und sagen: Ihr bekommt et- zu kann ich ergänzen: Dieses System wird derzeit was aufgedrückt. Seht zu, wie ihr das bewerkstel- am Klinikum Oldenburg aufgebaut. Vielleicht soll- ligt! - Das muss man vielmehr finanziell unterfüt- ten wir uns in der Ausschussberatung der dabei tern. gesammelten Erfahrungen in Form einer Unterrich- Dies haben wir seitens der CDU bereits im Oktober tung bedienen, auch zu den Fragen, wie weit es 2015 mit unserem Antrag „Leistungsfähige, bür- gediehen ist, wie viel es kostet und welche Vo- gernahe und humane Krankenhäuser in Träger- raussetzungen dafür zu schaffen sind. vielfalt in Niedersachsen erhalten und fortentwi- ckeln“ sowie mit unserem Antrag im März dieses Auch das „Unit-Dose“-Verfahren bei der Medika- Jahres „Niedersachsen muss jetzt in seine Kran- mentenversorgung ist mit Sicherheit gut und rich- kenhäuser investieren!“ in die Wege geleitet. tig. Es hängt davon ab, wie groß das Krankenhaus ist. Das setzt auch voraus, dass ein Stationsapo- (Zuruf von der CDU: Genau!) theker zur Begleitung dabei ist. Wir müssen prüfen, Meine Damen und Herren, wenn Sie jetzt Ihren inwieweit die fachlichen Ressourcen dabei gege- Antrag so zeitnah in die Beratung über den Bericht ben sind. Nicht nur die fachlichen Ressourcen, des Sonderausschusses mit einbringen, dann be- sondern auch die Kosten werden eine Rolle spie- gründet das mit Sicherheit auch die Erwartung, len; denn auch das ist in der Anhörung im Sonder- dass Ihre Ministerin, Frau Ministerin Rundt, in den ausschuss zur Stärkung der Patientensicherheit Entwurf für den Doppelhaushalt 2017/2018 hinrei- deutlich geworden: Hierfür wird man zusätzliches chende finanzielle Mittel einstellen wird, damit Geld brauchen. diese Maßnahmen umgesetzt werden können. Wenn man infolge der beabsichtigten Änderungen Ich freue mich auf konstruktive Beratung. Ich kann an den genannten Stellschrauben in den Kranken- jetzt schon ankündigen: Wir hätten gern eine häusern feststellen sollte, dass sie diese nicht in mündliche Anhörung, damit wir das hier im Dialog die Praxis umsetzen können, sondern Qualitäts- mit den Betroffenen klären können. einbußen vermelden müssen, wenn über diese Danke. Schiene also Krankenhausstandorte infrage ge- stellt werden, dann haben wir einem Flächenland (Beifall bei der CDU und Zustimmung wie Niedersachsen keinen guten Dienst erwiesen; bei der FPD) denn gerade die Notfall- und die Akutversorgung spielen eine große Rolle, obwohl sie für die meis- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: ten Krankenhäuser wenig einträglich sind. Vielen Dank, Frau Kollegin Schwarz. - Für die FDP-Fraktion hat nun Frau Kollegin Bruns das (Zustimmung bei der CDU) Wort. Bitte!

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(Unruhe) Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: - Ich darf Sie alle noch einmal um Ihre Aufmerk- Vielen Dank, Frau Bruns. - Für die Fraktion Bünd- samkeit bitten. - Bitte, Frau Kollegin! nis 90/Die Grünen hat Herr Kollege Schremmer das Wort. Sylvia Bruns (FDP): Thomas Schremmer (GRÜNE): Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lie- Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und be Kolleginnen und Kollegen! Ich würde gern ein Herren! Um auf den vorigen Tagesordnungspunkt paar Fragen ergänzen. Zunächst möchte ich aber zurückzukommen: Herr Dr. Birkner hat darauf hin- anmerken, dass der Antrag das ist, was man ei- gewiesen, dass es sich nicht um den einzigen gentlich haben möchte. Denn der Kollege Calde- Zusammenhang handelt. Ich will noch einmal aus rone hat gesagt: Wir möchten nicht einen Bericht der Broschüre des Ethikrates zitieren. Es gab im des Sonderausschusses haben, der dann irgend- letzten Jahr eine Umfrage unter den Chefärzten wo in der Schublade liegt, sondern wir möchten aller deutschen Krankenhäuser. 70 % haben deut- damit tatsächlich ein aktives politisches Handeln lich gemacht, dass sie sich durch die wirtschaftli- bewirken. - Deshalb finde ich es richtig, sich mit chen Rahmenbedingungen in ihrer Berufsaus- einem Antrag zu beschäftigen. übung beschränkt sähen. Auch das ist ein Hinweis Dennoch teile ich viele Fragen. Die werden sich darauf, wie es - jedenfalls zum Teil - in einzelnen sicherlich im Lauf der Diskussion ergeben, etwa zu Krankenhäusern zugeht. den Stationsapothekern, weil sich tatsächlich im Wir haben aus dem Bericht Handlungsbedarf ab- Antrag oftmals die Vorschläge des Sonderaus- geleitet. Ich glaube, es ist richtig, dem mit einem schusses wiederfinden. Die Beschlussempfehlun- Entschließungsantrag gleich Gesicht zu verleihen, gen sind ein bisschen anders, sodass man tat- den wir heute vorlegen. Es geht in den einzelnen sächlich in die Tiefe gehen sollte. Grundsätzlich Punkten erstens um Arzneimittelsicherheit, also finden sich alle Punkte darin wieder. Deswegen darum, in allen Krankenhäusern mindestens die wäre es etwas seltsam, wenn ich jetzt sagen wür- Funktion von Stationsapothekerinnen zu etablie- de: Bestimmte Punkte kommen nicht hinein; denn ren, sodass pharmakologische Fragen beraten der Bericht des Sonderausschusses ist ja einver- werden können, mögliche Neben- und Wechsel- nehmlich genehmigt worden. - Dennoch werden wirkungen besser eingeschätzt werden können wir über den Punkt sprechen müssen, den die usw. Die Apothekerkammerpräsidentin hat deutlich Kollegin Schwarz angesprochen hat, um einfach gemacht, dass sie das für eine richtig gute Idee für uns eine Hausnummer zu haben und um fest- hält. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht zustellen: Was kostet uns das? Was müssen wir davon auszugehen, dass es uns an geeigneten einstellen? Was können wir erwarten? Wer bezahlt Fachkräften mangelt. Das will ich auch sehr deut- es? lich sagen. Das sind Fragen, die wir im Ausschuss werden Zweitens wollen wir den Krankenhäusern - das hat klären müssen. Dennoch bin ich eigentlich guter sich bei allen Beratungen im Sonderausschuss Hoffnung, dass wir es gut geregelt bekommen widergespiegelt - die Möglichkeit geben, modellhaft können. Ich würde mich der Forderung anschlie- neue Personalorganisationsstrukturen zu erpro- ßen, eine mündliche Anhörung durchzuführen, um ben, z. B. auf Intensivstationen, wo jeden Tag eine in bestimmten Fragen Klarheit zu haben, z. B. ob belastende Tätigkeit spürbar ist, zu prüfen, ob es die Gremien der Ärzte- und Apothekerkammer, die Rotationssysteme geben kann. Natürlich sind die bei den Stationsapotheken Modellprojekte entwi- Tätigkeiten auf den Intensivstationen besser be- ckeln sollen, solche Modellprojekte bereits auf den zahlt. Auch das ist oft ein Grund, warum wir in Weg gebracht haben und wo man einhaken kann. diesen Stationen keine Rotation haben. Gleichwohl Das ist, finde ich, interessant und auch wichtig für halte ich das für einen richtig guten Vorschlag, der die Umsetzung. sich auch aus dem Sonderausschuss ergeben hat, Ich freue mich auf die Ausschussberatung. genauso wie eine verpflichtende oder zumindest eine umfassende Supervision für die Pflegekräfte, Vielen Dank. die jeden Tag eine sehr schwere Arbeit leisten. Ich glaube, dass das den Krankenhäusern gut zu Ge- (Beifall bei der FDP sowie Zustim- sichte stünde. Man hat in der Supervision vielfach mung bei der CDU und bei der SPD) Gelegenheit, auch beispielsweise über Fehlerquel-

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len oder über Belastungen des Alltags zu spre- Der Sonderausschuss zur Stärkung der Patienten- chen. sicherheit hat die sogenannten Klinikmorde unter- sucht und Lösungsvorschläge erarbeitet, um die Ich dritter wichtiger Punkt ist auch die Frage - das Sicherheit in den niedersächsischen Krankenhäu- hatten wir im Sonderausschuss mehr als einmal sern zu verbessern. erörtert -: Wie kommuniziert man? Wie kommt man eigentlich dazu, über Fehler zu diskutieren, ohne Ich möchte die Gelegenheit nutzen, allen Mitglie- gleich in Verdacht zu geraten, Kollegenschelte zu dern dieses Sonderausschusses, der Landtags- betreiben? - Ich glaube, ein anonymes Whistleblo- verwaltung und den zahlreichen Mitgliedern der wing-System in Krankenhäusern zu etablieren, unterschiedlichen Institutionen und Professionen wäre der richtige Schritt. Einige Krankenhäuser für die geleistete Arbeit herzlich zu danken. machen das zum Teil ja schon mit Meldesystemen. Wir hatten von der Medizinischen Hochschule Gut war auch, dass Zeit gewesen ist, dass es Ge- Hannover einige Berichte. Ich glaube, es wäre legenheit gab, abseits vom Einzelfall einmal über richtig, das systematisch zu etablieren. grundsätzliche Fehlentwicklungen im Gesund- heitswesen zu sprechen. Das Stichwort der Öko- Viertens glaube ich, dass viele Krankenhäuser nomisierung ist hier bereits gefallen. sehr gut damit fahren, Mortalitätsstatistiken nicht nur zu erstellen, sondern darüber auch in internen Aber zu den Details: Wir haben bereits die Einfüh- Kommissionen zu beraten und sie dann gegebe- rung von Patientenfürsprecherinnen und Patien- nenfalls mit der Arzneimittelkommission abzuglei- tenfürsprechern erfolgreich umgesetzt. Mittlerweile chen. haben fast alle niedersächsischen Krankenhäuser diese neue Funktion etabliert. Parallel zur Imple- Ich glaube, abschließend sagen zu können, dass mentierung der Patientenfürsprecherinnen und die geforderten Maßnahmen dazu beitragen, kri- -fürsprecher finden auch bereits Schulungen statt, minelles Handeln in Zukunft zumindest weitestge- damit eben über den SoVD diejenigen, die sich hend zu verhindern. In jedem Fall verbessern sie gemeldet haben und dieses Tun ehrenamtlich in die Arzneimittelsicherheit im Allgemeinen und bie- Angriff nehmen wollen, auch die bestmögliche ten, jedenfalls nach unserer Auffassung, Entlas- Unterstützung haben. tungen für die Pflegekräfte und leisten einen Bei- trag für das Risikomanagement. Außerdem haben wir die Funktion des Landesbe- Ich freue mich auf die Beratungen, und ich hoffe, auftragten für Patientenschutz neu geschaffen und dass diese genauso konstruktiv erfolgen wie die bereits Auswahlgespräche geführt. Die Entschei- Beratungen im Sonderausschuss. dung ist getroffen. Sobald diese Funktion nach Abschluss des formellen Personalbesetzungsver- Vielen Dank. fahrens umgesetzt sein wird, wird der Landespati- (Beifall bei den GRÜNEN und bei der entenschutzbeauftragte die Stärkung der Patien- SPD) tensicherheit auf Landesebene weiter voranbrin- gen.

Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Wir werden die Vorschläge des Sonderausschus- Vielen Dank, Herr Kollege Schremmer. - Für die ses in Angriff nehmen. Zum Beispiel der Vor- Landesregierung hat nun Frau Sozialministerin schlag, zukünftig eine Blutentnahme und -unter- Rundt das Wort. Bitte! suchung als obligatorischen Teil einer jeden Lei- chenschau einzuführen, muss näher betrachtet Cornelia Rundt, Ministerin für Soziales, Gesund- werden. In einem ersten Schritt ist es sicherlich heit und Gleichstellung: sinnvoll, das Gespräch mit dem Rechtsmedizini- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und schen Institut der Medizinischen Hochschule Han- Herren! Die für uns alle eigentlich noch immer nover zu suchen, um die Einsatzmöglichkeiten zu unvorstellbaren Ereignisse in den Kliniken Olden- beleuchten. burg und Delmenhorst haben uns erschüttert, und Erfreulich sind auch die Vorschläge, Meldepflichten sie erschüttern uns immer wieder aufs Neue. Uns bei der Leichenschau einzuführen, die Sektions- alle, so denke ich, bedrückt nach wie vor das Leid quote zu erhöhen, Arzneimittelkommissionen zu der Angehörigen, das immer noch kein Ende fin- etablieren, Stationsapothekerinnen und -apotheker den kann. einzustellen, Mortalitäts- und Morbiditätskonferen-

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zen einzuführen bis hin zu anonymen Meldesys- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: temen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir fahren mit Ich bin für diesen Antrag dankbar und sichere zu, den Beratungen fort. dass wir umgehend die notwendige Novellierung Ich rufe auf den des Niedersächsischen Krankenhausgesetzes und andere Regelungen auf den Weg bringen werden, weil uns die Stärkung des Patientenschutzes und der Patientenrechte ein erhebliches Anliegen ist. Tagesordnungspunkt 23: Abschließende Beratung: (Beifall bei der SPD und bei den Einwanderung zukunftsfähig gestalten - Kom- GRÜNEN) munen entlasten - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/3124 - Beschlussempfehlung des Aus- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: schusses für Inneres und Sport - Drs. 17/5649

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Weitere Wortmel- dungen liegen nicht vor, sodass ich die Beratung Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag unver- schließen kann. ändert anzunehmen.

Ich komme zur Ausschussüberweisung. Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Federführend soll der Ausschuss für Soziales, Wir kommen zur Beratung. Ich erteile für die SPD- Frauen, Familie, Gesundheit und Migration sein. Fraktion Herrn Kollegen Lynack das Wort. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das (Unruhe) Handzeichen. - Vielen Dank. Dann haben Sie so beschlossen. - Ich darf um Ruhe im Plenarsaal bitten, sodass wir beginnen können. - Lieber Herr Kollege Grascha, Ich komme zurück auf den auch Sie waren gemeint. - Herr Kollege Tanke! - Vielen Dank.

Bitte, Herr Lynack! Tagesordnungspunkt 26: Grundlage für die Ausweisung des Drömlings Bernd Lynack (SPD): als UNESCO-Biosphärenreservat in Nieder- sachsen schaffen - länderübergreifende Zu- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sammenarbeit fördern - Antrag der Fraktion der Dieser Entschließungsantrag gehört nun schon zu SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen- unseren Spätlesen. Wir haben ihn hier im Plenum Drs. 17/3836 - Beschlussempfehlung des Aus- erstmalig im März des vergangenen Jahres bera- schusses für Umwelt, Energie und Klimaschutz - ten. Drs. 17/5715 - Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/5833 Seitdem hat sich in der Tat einiges verändert. Wir haben vieles erreicht, und dennoch bleibt immer noch eine ganze Menge zu tun. Die Herausforde- rung der schnellen Unterbringung ist der Heraus- Die Fraktionen sind übereingekommen, diesen forderung der Integration und Teilhabe gewichen. Antrag in den Fachausschuss zurückzuüberwei- sen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Insofern halte Und doch, meine sehr verehrten Damen und Her- ich das Haus für damit einverstanden. ren, scheint es wie ein Déjà-vu zu sein. Noch im- mer stellt es sich so dar, dass sich der Bund leider Es ist jetzt 13.32 Uhr. Wir treten in die Mittagspau- nur unzureichend an den Kosten der Flüchtlingshil- se ein und sehen uns hier um 15 Uhr wieder. fe beteiligt. Gerade mal rund ein Viertel der gesam- ten Kosten trägt der Bund. Der Rest verbleibt bei (Unterbrechung der Sitzung von den Ländern und bei den Kommunen. 13.32 Uhr bis 15.01 Uhr) (Unruhe)

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Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: das Fehlen zulässiger Einwanderungsmöglichkei- Einen Moment, bitte, Herr Kollege Lynack! - Ich ten die Menschen zu Tausenden in die Hände von hatte eben um Ruhe gebeten. Das gilt immer noch. Schleppern getrieben hat. Und trotzdem gibt es - Herr Kollege Tanke, ich will Ihnen sagen, dass immer noch Politikerinnen und Politiker, die davor ich Sie hier im Blick habe. ihre Augen verschließen, nach dem Motto: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. (Heiterkeit) Deutschland, meine Damen und Herren, ist ein - Das gilt auch für alle anderen, die sich jetzt freu- Einwanderungsland, und es liegt an uns - genauer en. gesagt: auch wieder am Bund -, diese Einwande- Bitte! rung human zu gestalten und den Schleusern ihre Geschäftsgrundlage zu nehmen, damit wir den Bernd Lynack (SPD): Menschen, die zu uns kommen, endlich eine Per- spektive geben können. Danke. (Beifall bei der SPD und bei den Ich weiß ja, dass viele gerade auf der rechten Sei- GRÜNEN) te des Hauses am liebsten über diesen Umstand hinwegsehen und nach dem Motto verfahren wür- Meine Damen, meine Herren, es geht um viel mehr den: Lieber Finanzminister, mach‘ deine Schatulle als um die unsäglichen Debatten über sichere und auf, und dann regelt sich alles von alleine. unsichere Herkunftsländer. Es geht nämlich um Menschen. Unter ihnen sind sehr viele Menschen, Aber das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann es die über das Asylverfahren versuchen, sich hier ein nicht sein. Der Bund steht hier genauso in der neues Leben aufzubauen. Für diese Menschen ist Verantwortung wie wir als Länder und wie natürlich das Asylverfahren jedoch der falsche Weg. Noch auch die Kommunen. Und noch dazu trägt der dazu ist er völlig aussichtlos. Bund die politische Gesamtverantwortung. Dies gilt auch für unsere Behörden, die sich mit (Beifall bei der SPD und bei den langen, komplexen Verwaltungsverfahren beschäf- GRÜNEN) tigen müssen, obwohl die Erfolgsaussichten mehr Wenn wir in den Ländern und auch die Länder als gering sind. Hier vergeuden wir wertvolle Res- selbst nicht zusammenhalten, schafft es der Bun- sourcen, die wir besser für ein gelingendes Ein- desfinanzminister nämlich ein ums andere Jahr, wanderungssystem einsetzen sollten: für unsere seine Monstranz des ausgeglichenen Haushalts Gesellschaft und alle, die sich hier einbringen wol- auf unsere Kosten vor sich herzutragen. Aber so len und auch sollen. stelle ich mir eine ausgewogene Lastenverteilung Mit einer gewissen Erleichterung konnten wir in nicht vor, liebe Kolleginnen und Kollegen! den letzten Wochen feststellen, dass sich auch (Beifall bei der SPD und bei den beim BAMF endlich wieder etwas bewegt hat. GRÜNEN) Dennoch liegt man immer noch weit hinter dem zurück, was man ein zufriedenstellendes Arbeits- Wir sind uns einig darüber, dass die Menschen, die tempo nennen könnte. zu uns geflüchtet sind, eine große Chance für un- ser Land sind. Aber dafür muss - wie übrigens bei Dass sich die Situation heute zum Teil besser dar- allen Zukunftsthemen - Geld in die Hand genom- stellt, liegt vor allem daran, dass die Balkanroute men werden. geschlossen wurde. Die mangelhafte Ausstattung des BAMF gerade beim Personal ist und bleibt das Das, was aus Berlin bisher an Zusagen gekommen zentrale Thema, liebe Kolleginnen und Kollegen. ist, kann bestenfalls ein erster Zwischenschritt sein. Für eine gleichmäßige Verteilung der Kosten Jetzt ist es Zeit, Rückstände peu à peu aufzuarbei- haben wir nämlich noch reichlich Luft nach oben. ten. Doch was machen wir, wenn die Zahlen wie- Ich würde mich sehr freuen, wenn diese Tatsache der steigen? - Ich kann nur hoffen, dass der zu- auch innerhalb der Regierungskoalition in Berlin ständige Bundesinnenminister nicht die falschen gemeinsam vertreten werden könnte. Schlüsse zieht und die Personalstruktur nicht wie- der auf das vorherige Maß zurückfährt. Seit Jahren steht die Forderung nach einem Ein- wanderungsgesetz mit der Möglichkeit zur legalen Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, Immigration im Raum. Wir mussten erleben, wie wir sehen, dass es nach wie vor noch sehr viel zu

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tun gibt. Hier in Niedersachsen müssen wir zu- niedersächsischen Kommunen mit Ihren neuen sammenhalten, um die bereits angestoßenen Bälle Regelungen zur Durchführung von Abschiebungen am Laufen zu halten. Knüppel zwischen die Beine geworfen. Der Entschließungsantrag, den ich Ihnen zur Zu- (Zustimmung bei der CDU - Filiz Polat stimmung empfehle, ist ein Zwischenschritt, der [GRÜNE]: Das ist ja unverschämt!) unsere klare Erwartungshaltung auf den Punkt Im nächsten Absatz begrüßt der Landtag, dass die bringt: die einer offenen Gesellschaft mit einer Landesregierung mit einer Flüchtlingskonferenz die verlässlichen Zukunftsperspektive, und zwar für Verbesserung der Aufnahme von Flüchtlingen alle Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen. initiiert hat. - Am Montag tagte erneut eine Flücht- Danke schön. lingskonferenz, von der Staatskanzlei organisiert, unter dem Titel „Niedersachsen packt an!“. Die (Beifall bei der SPD und bei den Konferenz ist gut, der Name ist falsch. Sie packen GRÜNEN) nicht an. Sie schieben Verantwortung weg und gestalten nicht. Wo ist der große Ansatz der Nie- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: dersächsischen Landesregierung zur Integration Vielen Dank, Herr Kollege Lynack. - Für die CDU- von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt? Wie viele Fraktion hat nun Frau Kollegin Jahns das Wort. syrische Flüchtlinge haben Ausbildungsplätze beim Bitte! Land bekommen? (Unruhe - Glocke der Präsidentin) Angelika Jahns (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Der Antrag ergeht sich dann weiter in Beschimp- Thema Einwanderung ist das politische Thema der fung der Bundespolitik. - Das haben wir eben auch heutigen Zeit. Es ist leider ein Thema, das die wieder gehört. Ich frage Sie: Gibt es im Bund keine Gesellschaft spaltet. Auf der einen Seite stehen Beteiligung der SPD? Regiert die CDU/CSU dort diejenigen, die rufen „Kein Mensch ist illegal!“ und allein? die Zuwanderung ohne jede Einschränkung erlau- (Helge Limburg [GRÜNE]: Ob die ben möchten. Auf der anderen Seite stehen dieje- CSU im Bund regiert oder Opposition nigen, die jede Form der Zuwanderung ablehnen macht, ist die Frage!) und am liebsten jeden Zugewanderten aus Deutschland rausschmeißen würden. Das sind die Meine Damen und Herren, der größte Unterschied beiden Extreme. Zwischen diesen beiden Extre- zwischen uns besteht dort, wo es konkret wird. Da men müssen wir in Deutschland eine sinnvolle, wird wieder das Märchen erzählt, dass das deut- gerechte und praktikable Lösung finden. sche Einwanderungsrecht zu streng und unmodern sei. - Es gibt ein Einwanderungsgesetz. Es heißt Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wenn „Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit es etwas gibt, was man an diesem Entschlie- und die Integration von Ausländern im Bundesge- ßungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen biet“. Dieses Gesetz ist nach Ansicht internationa- begrüßen kann, dann ist es, dass man hieran sehr ler Migrationsexperten, beispielsweise bei der gut die bestehenden Unterschiede und Ansichten OECD, eine der liberalsten Gesetzgebungen welt- in der Zuwanderungspolitik sehen kann. weit zur Einwanderung. Inzwischen wird es teilwei- se sogar von klassischen Einwanderungsländern Schauen wir uns die Details des Antrags an! wie Kanada in manchen Punkten kopiert, wie z. B. Zunächst einmal ergehen Sie sich wieder in Eigen- der Erteilung befristeter Aufenthaltserlaubnisse zur lob und behaupten, das Land würde seinen Aufga- Arbeitssuche. Kanada und andere Länder verab- ben bei der Aufnahme und Integration von Flücht- schieden sich mittlerweile von dem Punktesystem, lingen gerecht werden. das Sie sich wünschen. Umbenennen und verbes- sern kann man das Gesetz. Dafür haben wir uns Sie behaupten, Sie würden eine humanitäre frühzeitig ausgesprochen. Flüchtlingspolitik betreiben. Tatsächlich haben Sie zu spät reagiert. Angebote des Bundes zur Über- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die nahme von Kasernen wurden viel zu spät ange- Kernfrage ist jedoch, ob die Zuwanderung noch nommen. Sie haben den Juni, Juli und August weiter erleichtert werden soll oder wie wir sie bes- 2015, als die Landesaufnahmebehörde schon ser steuern wollen. Wir glauben, dass die Zuwan- völlig überfüllt war, verschlafen. Sie haben den derung nicht etwa erleichtert werden sollte.

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Deutschland - und damit auch Niedersachsen - ist Bereits jetzt werden die geltenden gesetzlichen zu einem Hauptziel der weltweiten Migration ge- Regelungen zu oft nicht durchgesetzt. Zu viele der worden. abgelehnten Asylbewerber bleiben im Ergebnis in Deutschland und vor allem auch in Niedersachsen. (Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Schauen Die Menschen verstehen dies nicht. Viele wählen Sie sich einmal an, was in Kenia los deswegen später vermeintliche Alternativen. Wir ist und in Jordanien!) müssen aber unterscheiden, ob jemand die Vo- Der Zustrom an Flüchtlingen, der im letzten Jahr raussetzungen als Flüchtling oder als Zuwanderer bei ungefähr 1 Million Personen lag, ist nicht die auf den Arbeitsmarkt erfüllt. Tun wir das nicht, einzige Form der Zuwanderung. Der Großteil der zerstören wir den gesellschaftlichen Konsens und Zuwanderung erfolgte bis zum letzten Jahr durch fördern politische Extremisten. europäische Freizügigkeit, durch Familiennachzug Es ist daher falsch, wenn diese Landesregierung oder auch durch Zuwanderung in den Arbeitsmarkt bei der Integration nicht danach unterscheiden mit der Blauen Karte. Alleine 2014 zogen fast möchte, ob jemand bleiben kann oder gehen 600 000 Menschen mehr nach Deutschland, als muss. Wenn wir hier nicht unterscheiden, schaffen wegzogen. 2015 waren es ca. 1,1 Millionen Men- wir Faktoren, die die irreguläre Zuwanderung för- schen. Es ist ein Märchen, dass die Zuwanderung dern. Dann funktioniert auch kein neues Einwan- nach Deutschland schwer wäre. derungsgesetz. (Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Was Sie Eine weitere Lockerung des Zuwanderungsrechts da erzählen, das sind Märchen! - Un- ist daher falsch. Wir müssen dazu kommen, dass ruhe - Glocke des Präsidentin) unsere großzügigen Regelungen auch durchge- setzt werden. Auf diese müssen wir verweisen. Wir Meine Damen und Herren von SPD und Bünd- dürfen die Asylbewerber ohne Rechtsanspruch nis 90/Die Grünen, wenn Sie ein neues Einwande- nicht hier belassen. rungsgesetz verlangen, müssen Sie sagen, ob Sie mehr Zuwanderung wollen, gleich viel oder weni- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, SPD ger. Sollen die Tore weiter geöffnet werden? und Bündnis 90/Die Grünen müssen sich ent- scheiden, ob sie die bösen Bilder der Abschiebun- Wir glauben, dass die Tore nicht weiter geöffnet gen in Kauf nehmen und das geltende Recht um- werden sollten. Wir dürfen unsere Gesellschaft bei setzen oder ob sie die Zuwanderung noch weiter der Integration nicht überfordern. Wir brauchen ein fördern möchten. Zuwanderungsrecht, das auch in wirtschaftlich Willkommenskultur an sich ist kein Wert. Ein Wert schlechten Zeiten funktioniert. ist es, wenn wir politisch Verfolgte und Kriegs- flüchtlinge aufnehmen, wenn wir Studenten auf- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: nehmen, wenn wir Familien zusammenführen und Frau Kollegin Jahns, lassen Sie eine Frage der wenn wir zusammen mit Menschen, die bestimmte Kollegin Polat zu? Kriterien erfüllen, an einem noch besseren Deutschland arbeiten. Das ist die Zuwanderung, Angelika Jahns (CDU): die wir wollen. Eine Zuwanderung, die im Ergebnis wahllos und anspruchslos ist, schafft Parallelge- Nein. sellschaften und führt zu einer Spaltung der Ge- sellschaft, die wir nicht wollen können. Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Meine Damen und Herren, wenn Sie jeweils immer Frau Jahns, bei dieser Gelegenheit: Die Zeitanzei- nur mit dem Finger nach Berlin zeigen, dann kann ge an Ihrem Pult ist ausgefallen, wie Sie festge- ich Ihnen nur sagen: Erfüllen Sie hier Ihre Aufga- stellt haben. Wir haben das aber hier oben im ben! Erledigen Sie hier das, was nötig ist! Führen Blick. Sie hier die gesetzlichen Grundlagen aus!

Angelika Jahns (CDU): (Widerspruch bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ottmar von Holtz Danke. - Wir müssen die Ängste und Befürchtun- [GRÜNE]: Es ist nicht zu glauben, gen der Bevölkerung ernst nehmen und dürfen sie was man sich hier anhören muss! Ei- nicht verleugnen. ne Zumutung!)

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In diesem Sinne hoffe ich, dass wir Deutschland Ich sage es noch einmal: Das Thema Asyl auf der gemeinsam besser gestalten. einen Seite und das Thema Wirtschaftsmigration auf der anderen Seite in einen Topf zu werfen, ist (Beifall bei der CDU) genau der falsche Weg.

Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Vielen Dank. Vielen Dank, Frau Kollegin. - Zu Ihrer Rede gibt es (Beifall bei der FDP, bei der SPD und eine Kurzintervention des Kollegen Oetjen, FDP- bei den GRÜNEN) Fraktion. Bitte!

Jan-Christoph Oetjen (FDP): Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Vielen Dank, Herr Oetjen. - Frau Kollegin Jahns gen! Eines der Probleme in der Debatte um Zu- antwortet Ihnen. wanderung ist ja - - - Angelika Jahns (CDU): (Filiz Polat [GRÜNE]: Die CDU!) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich - Frau Kollegin, auch das hilft in der Sache nicht. denke, es ist ganz deutlich geworden, dass wir Das sage ich ganz ehrlich. gerade diese Differenzierung vorgenommen und Eines der Probleme ist, dass immer wieder ver- eben nicht alles in einen Topf geworfen haben. Der schiedene Rechtskreise vermischt werden: Asyl Unterschied zwischen Asyl und Zuwanderung be- auf der einen Seite, Zuwanderung auf der anderen steht natürlich. Wenn Sie in Ihrem Antrag auf Asyl Seite. Das alles in einen Topf zu werfen, bringt uns und Zuwanderung nicht differenziert eingehen, nicht weiter. dann muss man halt zu den einzelnen Punkten so Stellung nehmen und kann das nicht anders dar- (Zustimmung bei der FDP, bei der stellen. SPD und bei den GRÜNEN) Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, an einem Verehrte Frau Kollegin Jahns, wenn Sie hier sa- positiven Recht hier in Deutschland zu arbeiten. gen, Deutschland hat schon ein ganz liberales Ich habe deutlich gemacht, welche Möglichkeiten Zuwanderungsrecht, dann stimmt das für den Teil es im Moment schon gibt und dass es Möglichkei- Asylrecht. Ja, wir haben ein - jedenfalls im Ver- ten gibt, die gesetzlichen Grundlagen anders aus- gleich zu anderen Ländern - sehr liberales Asyl- zuführen. Das haben andere Bundesländer ge- recht. Wir sind einigermaßen stolz darauf, dass wir zeigt, z. B. bei dem Thema Abschiebung. Das ist das in Deutschland haben. Aber zu sagen, deswe- nicht alles, aber es gehört zu dem Gesamtpaket. gen brauchten wir kein Einwanderungsrecht mehr, Auch das muss man berücksichtigen. ist natürlich eine falsche Schlussfolgerung. Danke schön. (Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN) (Zustimmung bei der CDU) Denn das eine ist der Schutz vor Verfolgung, und das andere ist die Ermöglichung von Zuwanderung Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: in unseren Arbeitsmarkt nach den Bedürfnissen Vielen Dank, Frau Jahns. - Wir fahren in der Bera- unseres Arbeitsmarktes. Der Kollege Thümler hat tung fort. Nun hat für die Fraktion Bündnis 90/Die bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt, dass Grünen Frau Kollegin Polat das Wort. Bitte! auch er es so sehe, dass wir ein solches Einwan- derungsrecht brauchen. Filiz Polat (GRÜNE): Ich kann wirklich nicht verstehen, dass Sie in Ihrer Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Rede wieder alles in einen Topf geworfen und Herren! Ich hatte gehofft, dass sich die CDU- gesagt haben: Wir haben hier 1,1 Millionen Men- Fraktion hier doch noch anders zur Modernisierung schen, die zugewandert sind. - Auch Sie wissen: des Einwanderungsrechts positioniert. Im Septem- Das sind Menschen, die aus ihren Heimatländern ber letzten Jahres keimte wieder eine Debatte zur vertrieben wurden und die wahrscheinlich - oder Modernisierung des Einwanderungsrechtes auf, hoffentlich - in ihre Heimatländer zurückgehen gerade vor dem Hintergrund, dass viele Zuwande- werden. rer - Zuwandererinnen und Zuwanderer -

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(Christian Dürr [FDP]: Das mit dem Deshalb fordern wir in Nr. 2 die Abschaffung des Gendern ist immer ganz schwierig in Asylbewerberleistungsgesetzes. Das ist ein Son- der Sprache! - Jens Nacke [CDU]: Sie dergesetz, das es so in keinem anderen EU-Land muss das machen! Sonst gibt es wie- gibt. Das Problem an diesem Gesetz ist, dass sich der Zuschriften aus jedem Kreisver- der Bund einfach aus der Affäre ziehen kann. Er band!) kann die Asylverfahren in die Länge ziehen. Durch erneute Berichterstattung kann dafür gesorgt wer- nach Deutschland gekommen waren, die die Mög- den, dass die Asylverfahren nicht beschleunigt lichkeit gesucht hatten, über den Weg des Asyls durchgeführt werden und die Menschen deshalb nach Deutschland einzuwandern. im Asylbewerberleistungssystem und im System Insofern wird diskutiert, auf der einen Seite das der Gestattung hängenbleiben und von allen Ar- Einwanderungsrecht zu modernisieren und zu beitsmarktinstrumenten ausgeschlossen sind, die liberalisieren und auf der anderen Seite Menschen Sie nach dem SGB-System, nach der Sozialge- legal die Einreise zu ermöglichen, damit sie nicht setzgebung, nutzen könnten. den Weg über das Asylsystem gehen müssen. Der sozialdemokratische Partner auf Bundesebene Die SPD hat auf Bundesebene zum wiederholten hat es trotz der Störfeuer von CDU und CSU ge- Male versucht, ihre Koalitionspartner, insbesonde- schafft, auch im Zusammenhang mit den Asylpa- re die Partner von der CSU, davon zu überzeugen, keten I und II eine Liberalisierung des Arbeits- dass noch in dieser Legislaturperiode der Entwurf marktrechts durchzusetzen. Ich nenne die Ab- eines Einwanderungsgesetzes auf den Tisch ge- schaffung der Vorrangprüfung im Zusammenhang legt wird. Dann gab es das Sommerinterview mit mit der aktuellen Beratung eines Integrationsge- Seehofer. Er hat die Position vertreten, die Sie jetzt setzes. Niedersachsen hat bereits angekündigt, auch hier vertreten haben, Frau Jahns, was mich landesweit die Vorrangprüfung auszusetzen. Dafür wundert, weil Sie im letzten Jahr schon einmal bedanke ich mich an dieser Stelle bei Herrn Minis- weiter waren. Er hat die Position vertreten, dass es terpräsidenten Weil. ein Einwanderungsgesetz mit der CSU nicht geben wird, wenn das Einwanderungsgesetz mehr Ein- (Beifall bei den GRÜNEN und bei der wanderung bedeutet, was schon Schizophrenie in SPD) sich bedeutet, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es gibt eine Öffnung des Arbeitsmarktzugangs ab (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜ- dem dritten Monat. Auch dies ist ein Fortschritt, der NEN und bei der SPD) aber nicht die strukturellen Probleme im Asylbe- Die Kanzlerin hat daraufhin gleich am nächsten werberleistungssystem löst. Auch hier hängen die Tag dementiert, und Kanzleramtschef Altmaier hat Leute fest. Wir reden über Gesundheitskarte und gesagt, dass die CDU über ein neues Einwande- Gesundheitskosten, die die Kommunen tragen und rungsrecht nachdenken möchte. Ich meine auch, die wir über die Kostenpauschale abfedern. All das dass auf Ihrem Parteitag im Dezember ein ent- wäre nicht nötig, wenn die Menschen in den Sozi- sprechender Beschluss gefasst wurde. Ich habe algesetzbüchern mitgedacht würden. das aber in der Kürze der Zeit nicht nachsehen Der Antrag enthält zwei Kernpunkte, zum einen die können. Forderung nach einem modernen Einwanderungs- Ihr Antrag stammt zwar aus dem vergangenen recht. Jahr. Die darin enthaltenen Punkte sind aber trotz (Glocke der Präsidentin) der Dynamik, die dieses Thema im vergangenen Jahr erfahren hat, aktueller denn je. Noch immer Damit verhindern wir, dass Menschen über das haben wir keinen Entwurf der Bundesregierung zur Asylsystem kommen, obwohl sie besser über den Modernisierung des Einwanderungsrechts auf dem Weg der Einwanderung kommen könnten. Das Tisch liegen. Weiterhin gibt es eine strukturelle betrifft Arbeitsmigranten und Studierende aus afri- Benachteiligung von Land und Kommunen bei der kanischen Ländern. Das betrifft aber auch Men- Finanzierung der Kosten im Bereich der Zuwande- schen aus dem Kosovo oder anderen Balkanstaa- rung aus humanitären Gründen. Hier besteht ein ten, die dann nicht den Weg über das Asylsystem strukturelles Defizit, bedingt durch das Asylbewer- suchen müssen, sondern den Weg über ein libera- berleistungsgesetz. les Einwanderungsrecht nehmen könnten, ähnlich (Zuruf von Angelika Jahns [CDU]) wie das die Polen in den 90er-Jahren getan haben.

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Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: dass Menschen zu uns kommen, damit wir in Sie müssen zum Schluss kommen, Frau Kollegin! Deutschland unseren Wohlstand auf Dauer erhal- ten können. Filiz Polat (GRÜNE): (Beifall bei der FDP, bei der SPD und Wir fordern mit dem Antrag außerdem die Abschaf- bei den GRÜNEN) fung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Das wä- Als sehr positiv an dem Antrag empfinde ich, dass re eine Win-win-Situation für die Kommunen und deutlich wird, dass ein Wechsel zwischen den die Flüchtlinge. Rechtskreisen Asyl und Zuwanderung möglich sein Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. muss. Das ist eine Forderung, die auch wir erhe- ben. Wir bekommen hier im Haus doch oft genug (Beifall bei den GRÜNEN und bei der Petitionen, in denen es heißt: Wir haben jeman- SPD) den, der einen Asylantrag gestellt hat und einen Arbeitsplatz annehmen will. Es gibt auch jeman- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: den, der ihn einstellen will. Er muss aber erst ein- Vielen Dank, Frau Polat. - Nun hat das Wort für die mal in das Land ausreisen, aus dem er gekommen FDP-Fraktion Herr Kollege Oetjen. ist, um dort einen Antrag bei der Deutschen Bot- schaft zu stellen, um dann wieder nach Deutsch- Jan-Christoph Oetjen (FDP): land einreisen zu können. - Liebe Kolleginnen und Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Kollegen, das ist doch wirklich Unsinn, den wir hier gen! „Deine Chance ist unsere gemeinsame Zu- in Deutschland betreiben. Davon müssen wir weg. kunft“ - das ist der Titel des FDP-Papiers zum (Beifall bei der FDP, bei der SPD und Thema Zuwanderung, das wir schon deutlich vor bei den GRÜNEN) diesem Antrag in dieses Haus eingebracht haben. Wir als Freie Demokraten sind der festen Über- Wir wollen, dass es eine strukturelle Entlastung für zeugung, dass wir endlich ein modernes Einwan- die Kommunen gibt. Es ist richtig, dass Sie sagen, derungsrecht für Deutschland brauchen. dass der Bund hier in die Verantwortung muss, insbesondere wenn es um die Krankheitskosten (Beifall bei der FDP, bei der SPD und geht. Ich sage an dieser Stelle aber genauso deut- bei den GRÜNEN) lich: Solange der Bund nicht in die Verantwortung Deutschland ist ein Einwanderungsland. Ich sage geht, muss das Land in die Verantwortung gehen diesen Satz einfach viel zu gerne. Deutschland ist und die Kommunen entlasten. Wir haben heute in ein Einwanderungsland. den Zeitungen gelesen- damit befassen wir uns noch unter einem anderen Tagesordnungspunkt -, (Helge Limburg [GRÜNE]: Sag ihn dass die Kommunen 600 Millionen Euro vorfinan- doch noch einmal!) zieren. Ich glaube, dass sich das Land durchaus Dafür brauchen wir ein ordentliches Einwande- mehr anstrengen könnte. rungsgesetz bzw. Einwanderungsrecht, damit Asyl Auch zum BAMF steht viel Richtiges in dem An- eben Asyl bleibt und diejenigen, die eigentlich aus trag. Darin steht, dass das BAMF besser ausge- wirtschaftlichen Erwägungen zu uns zuwandern stattet werden muss. Das sieht auch die FDP so. und hier in den Arbeitsmarkt möchten, nicht vor der Wir haben einen Vorschlag zum vorübergehenden Situation stehen, keine andere Wahl zu haben, als humanitären Schutz gemacht. Wäre diesem Vor- einen Asylantrag zu stellen, obwohl sie eigentlich schlag gefolgt worden, hätte die Möglichkeit be- gar nicht in das Asylverfahren gehören. standen, das BAMF strukturell zu entlasten, Wir wollen, dass wir mit einem Einwanderungsge- (Zustimmung von Christian Dürr setz für unseren Arbeitsmarkt Einwanderungs- und [FDP]) Zuwanderungsmöglichkeiten zulassen. Ich sage das sehr deutlich - das haben wir auch in unserem damit es die Asylanträge schneller abarbeiten Papier beschrieben -: Dabei geht es nicht nur um kann. Ein Antrag, wie wir ihn hier im Landtag ge- Hochqualifizierte. In vielen Regionen, übrigens stellt haben, ist im schleswig-holsteinischen Land- auch in Niedersachsen, suchen Betriebe Fachar- tag mit den Stimmen von SPD, Grünen, Piraten beiter. Sogar Auszubildende werden gesucht, mei- und FDP angenommen worden. Ich bedanke mich ne sehr verehrten Damen und Herren. Ich glaube, für diese Initiative. Diesen Mut hatten Sie leider dass wir in Deutschland wirklich Bedarf haben, nicht, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Die

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Grundaussage in Ihrem Antrag, dass das BAMF geblendet, welche Chancen in der Zuwanderung besser personell auszustatten ist, stimmt. stecken. Oder anders gesagt: Wer Boateng nicht als Nachbarn haben möchte, dem ist auch egal, ob (Glocke der Präsidentin) Boateng aufgrund eines Einwanderungsgesetzes - Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. oder aus purer Not zu uns gekommen ist, meine Damen und Herren. Wir teilen aber nicht die Lobhudelei, die Sie in Ihrem Antrag formulieren, insbesondere wenn es (Beifall bei der SPD und bei den um die Flüchtlingskonferenz geht, liebe Freundin- GRÜNEN) nen und Freunde. Insgesamt steht nicht nur wenig Die Mehrheit in unserem Land - das ist das Gute - Falsches, sondern vor allem viel Richtiges in dem denkt zum Glück nach wie vor anders, wie im letz- Antrag. Deshalb werden wir als FDP-Fraktion ihm ten Jahr angesichts der überwältigenden Hilfsbe- zustimmen. reitschaft deutlich geworden ist, die unsere Bevöl- Vielen Dank. kerung landauf, landab gegenüber den Flüchtlin- gen gezeigt hat und sie bei der großen Aufgabe (Beifall bei der FDP, bei der SPD und Integration auch weiterhin zeigt. bei den GRÜNEN) Wir sollten allerdings differenzieren, anders als Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: dies in mancher Rede auf den genannten Veran- Vielen Dank, Herr Kollege Oetjen. - Für die Lan- staltungen, aber auch andernorts geschieht; denn desregierung hat das Wort nun Herr Innenminister ein Einwanderungsgesetz muss losgelöst vom Pistorius. Bitte! Asylrecht betrachtet werden. Bei einem Einwande- rungsgesetz geht es darum, Zuwanderung zu Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: steuern und gleichzeitig den Paragraphendschun- gel zu lichten und zu ordnen, in dem sich Men- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und schen aus Ländern außerhalb Europas erst einmal Herren! Es gehört zu den hinlänglich bekannten zurechtfinden müssen, wenn sie bei uns arbeiten Erkenntnissen, dass die demografische Entwick- wollen. lung längst gewaltige Spuren in Deutschland hin- terlässt. In immer mehr Branchen fehlen Fachkräf- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: te. Das gilt im akademischen wie im nicht akade- mischen Bereich. Bestimmte Regionen schrump- Herr Minister Pistorius, ich darf Sie kurz unterbre- fen stark und haben auch deshalb immer schlech- chen! - Der Kollege Mohr bittet darum, eine Frage tere Zukunftschancen. Das hat erst im vergange- stellen zu dürfen. nen Mai wieder eine bundesweite Untersuchung eindrucksvoll untermauert. Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: Einen Moment! Etwas später. Alle diese Trends - das wissen wir alle gemein- sam - werden sich in den nächsten Jahren noch Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: einmal verschärfen. Deswegen ist völlig klar: Deutschland braucht Zuwanderung, meine Damen Gleich. - Bitte! und Herren, und zwar legale Einwanderung. Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: (Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- Meine Damen und Herren! Es geht eben nicht NEN und bei der FDP) darum, liebe Frau Jahns, Tore zu öffnen. Ich kann Für mich steht auch fest: Wer solche Einwande- nur davor warnen, diese Diktion zu gebrauchen rungswege verhindert oder blockiert, der schadet oder davon zu reden, ob man nun mehr oder we- am Ende Deutschland als Standort insgesamt, niger Menschen kommen lassen will. meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD und bei den (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN) GRÜNEN) Und es ist falsch, bei 1,1 Millionen Menschen von Das gilt vor allem, aber nicht nur für diejenigen, die „Zugewanderten“ zu sprechen. Das waren Flücht- ständig von Überfremdung faseln, egal, ob bei linge, aber keine Arbeitsmigranten und keine Men- AfD-Veranstaltungen, bei Pegida-Kundgebungen schen, die hier als Arbeitskräfte gebraucht werden. oder sonst wo. Dort wird regelmäßig mutwillig aus- Wir müssen endlich deutlicher und nachhaltiger

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differenzieren: Wir brauchen ein Asylrecht für die (Johanne Modder [SPD]: Er hat es Menschen, die unseren Schutz brauchen. Wir nicht verstanden!) brauchen ein Einwanderungsgesetz für die Men- Ich habe ausdrücklich gesagt: Demjenigen, der schen, die wir brauchen. Auf diese einfache For- Boateng nicht als Nachbarn haben will, dem ist mel kann man es bringen, meine Damen und Her- nämlich auch egal, wie Boateng ins Land gekom- ren. men ist, ob als Einwanderer, ob als Flüchtling oder (Beifall bei der SPD und bei den ob er hier geboren worden ist. Derjenige hat ledig- GRÜNEN) lich rassistische Motive.

Deswegen müssen diese Regelungen leichter und (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei transparenter werden, damit hier mehr möglich ist. den GRÜNEN)

Und: Ja, das Integrationsgesetz ist bei allen Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Schwächen, die ein solches Gesetz im ersten Wurf hat, ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es Vielen Dank, Herr Minister. - Weitere Wortmeldun- kann aber nur die Vorstufe zu einem Einwande- gen liegen nicht vor, sodass ich die Beratungen rungsgesetz sein. Deswegen bin ich zwar nicht schließen kann. besonders ausgeprägter, aber doch guter Hoff- Wir kommen zur Abstimmung. nung, dass auch die CSU und Teile der CDU ir- gendwann endlich einlenken. Wir brauchen diese Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses Initiative jetzt, und zwar völlig unabhängig davon, folgen und damit den Antrag der Fraktion der SPD wie hoch die Flüchtlingszahlen sind. und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 17/3124 unverändert annehmen will, (Beifall bei der SPD und bei den den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - GRÜNEN) Enthaltungen? - Der Beschlussempfehlung wurde mit Mehrheit gefolgt. Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Ich rufe jetzt auf den Herr Minister, Sie wollten eine Frage zulassen.

Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: Tagesordnungspunkt 24: Ich bin noch da. Abschließende Beratung: a) Chancen des Repowerings für verträgliche Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Windenergie an Land wahrnehmen: Flächen effizient nutzen, Rahmenbedingungen verläss- Wir sehen Sie. Wunderbar. - Bitte, Herr Mohr! lich gestalten! - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/5475 Adrian Mohr (CDU): - Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrter Drs. 17/5784 (neu) - b) Konflikte beenden - Herr Sportminister, meines Erachtens haben Sie Windenergieerlass zurücknehmen - Antrag der mit Herrn Boateng eben ein völlig falsches Beispiel Fraktion der FDP - Drs. 17/5477 - Beschlussemp- gewählt. Sie haben gesagt, es sei egal, ob er als fehlung des Ausschusses für Umwelt, Energie und Asylbewerber oder sonst wie zugewandert sei. Ist Klimaschutz - Drs. 17/5713 Ihnen bekannt, dass Herr Boateng in Berlin gebo- ren wurde? Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag der (Johanne Modder [SPD]: Er hat es Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die nicht verstanden! - Weitere Zurufe von Grünen unverändert anzunehmen und den Antrag der SPD und von den GRÜNEN) der Fraktion der FDP abzulehnen.

Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. Herr Mohr, ich danke Ihnen. Ich zeige Ihnen gern Der Änderungsantrag der Fraktion der CDU zielt den Satz, den ich mir aufgeschrieben habe, weil auf eine Annahme des Antrags der Fraktion der ich mir gedacht habe, dass der eine oder andere SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in nicht aufmerksam zuhört, wenn ich spreche. einer geänderten Fassung.

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Ich eröffne die Beratung und erteile das Wort Herrn verbrennen, die die Menschen nicht schlafen las- Kollegen Dr. Hocker, FDP-Fraktion. Bitte! sen und die unsere Heimat zerstören, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dr. Gero Hocker (FDP): (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde heute ausdrücklich nicht Am Beispiel des Landkreises Aurich zeigt sich sehr über den mit Windkraftanlagen einhergehenden eindrucksvoll, zu welchem - und ich sage das ganz Werteverlust von Immobilien sprechen. Ich werde ausdrücklich so - Filz es führt, wenn Jahr für Jahr auch nicht über die unzureichenden Transport- Milliarden und Abermilliarden Euro durch das Er- möglichkeiten sprechen, weil der Netzausbau nicht neuerbare-Energien-Gesetz und quasi klamm- hinterherkommt. Ich werde auch nicht sprechen heimlich am Parlament vorbei, ohne dass irgend- über Vogelschutz, über Infraschall, über die Zer- ein Abgeordneter für diesen Betrag die Hand he- störung des Landschaftsbildes. Meine Argumente ben müsste, umverteilt werden und sich dieser dazu sind Ihnen bestens bekannt. Automatismus fortsetzt. (Helge Limburg [GRÜNE]: Können Sie (Unruhe - Glocke der Präsidentin) sie wiederholen? Ich habe sie verges- Der Landkreis Aurich ist über verschiedene Ge- sen!) sellschaften Betreiber von Windkraftanlagen und Ich möchte heute einzig und allein über den Be- gleichzeitig die diese Parks genehmigende Behör- such sprechen, den eine Delegation des Umwelt- de. Er profitiert finanziell unmittelbar davon, dass ausschusses am Freitag der vergangenen Woche er möglichst viele Anlagen genehmigt. Meine Da- im Landkreis Aurich absolviert hat und für den ich men und Herren, das wäre ungefähr so, als wür- mich noch einmal ganz herzlich bedanken möchte. den wir hier in diesem Hohen Hause die Gewalten- Danken möchte ich auch dafür, dass von jeder teilung auflösen, als würden ausführende und ge- Fraktion jeweils ein Kollege daran teilgenommen setzgebende Gewalt, Landesregierung und Parla- hat. ment, sozusagen miteinander verschmolzen. Das wäre so, als würden in Aktiengesellschaften, Kapi- Meine Damen und Herren, was wir dort zu Gesicht talgesellschaften Aufsichtsrat und Vorstand mitein- bekommen haben, ist schon einmalig. - Nein, es ist ander verschmolzen oder als würden am kom- leider nicht einmalig, sondern es gibt in Deutsch- menden Sonntag die Fußballnationalmannschaft land sogar eine ganze Reihe von Beispielen. Der nicht gegen, sondern mit der Ukraine spielen, und Landkreis Aurich erzeugt aus Onshorewindenergie die Schiedsrichter gleich noch mitmachen, sodass bereits jetzt das Fünffache der Strommenge, die er nicht mehr kontrolliert würde, ob Regeln tatsächlich eigentlich erst im Jahr 2050 erzeugen müsste. Er noch eingehalten werden. Das ist die Situation im ist also 34 Jahre im Voraus; denn er erzeugt be- Landkreis Aurich. Das ist nicht mehr hinnehmbar, reits jetzt - - - meine sehr verehrten Damen und Herren. (Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE]) Das alles ist keine Verschwörungstheorie. Das - Ja, Moment, ich wäre da ein bisschen vorsichti- alles findet nicht in irgendeiner Bananenrepublik ger. statt, nicht in Somalia, nicht in einem Failed State, nicht in Nordkorea oder sonst wo, sondern im Er erzeugt schon jetzt fünfmal so viel Strom, wie er Nordwesten Niedersachsens, in Aurich, wo wir eigentlich erst im Jahr 2050 erzeugen müsste. davon ausgegangen sind, dass Rechtsstaatlich- Trotzdem wird munter weitergebaut, meine sehr keit, Gewaltenteilung und parlamentarische Kon- verehrten Damen und Herren. An der Grenze zwi- trolle keine Worthülsen sind. schen den Landkreisen Aurich und Wittmund wird in diesen Tagen auf wenigen Hektar Fläche die (Zustimmung bei der FDP) 200. Windkraftanlage in Betrieb genommen, und Und damit nicht genug. Gewählte Ratsmitglieder Dutzende weitere sind geplant. nutzen ihr Mandat, um Plänen zur Errichtung von Wenn unser Besuch an der Küste eines ganz deut- Windkraftanlagen zuzustimmen, an denen sie wie- lich gezeigt hat, dann Folgendes: Deutschland derum selbst beteiligt sind. Windparks werden braucht keinen zusätzlich volatil erzeugten Strom, erweitert, aber Umweltverträglichkeitsprüfungen Deutschland braucht Speicher, Deutschland werden nicht vorgenommen, obwohl das sogar braucht Transportmöglichkeiten, aber keine weite- nach Auffassung der Landesregierung nötig wäre, ren hoch subventionierten Windmühlen, die Geld meine sehr verehrten Damen und Herren.

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Deswegen fordere ich den Herrn Innenminister Windenergie, die Energie des Nordens, nicht völlig Pistorius auf, seiner Verantwortung als oberste zum Lückenfüller degradiert wurde. Aufsicht für unsere Landkreise nachzukommen Auch wenn die grün- und rot-geführten Länder ins- und diesen unhaltbaren Praktiken, die es in Aurich gesamt Schlimmeres verhindert haben, bleiben und anderswo in Deutschland gibt, Einhalt zu ge- angesichts der weiter bestehenden, willkürlichen bieten. Obergrenze für Ökostrom die Pläne des Bundes- (Beifall bei der FDP) kabinetts ein herber Rückschlag für die Energie- wende - und übrigens auch für den Klimaschutz. Vor diesem Hintergrund auch noch Windkrafterlas- Denn dieser Kurs steht im Gegensatz zu dem, was se zu verabschieden, die auf noch mehr Anlagen nach den Pariser UN-Klimabeschlüssen eigentlich setzen, die die Abstände zur Wohnbebauung re- erforderlich ist. duzieren und die noch mehr Geld in dieses System spülen, meine Damen und Herren, ist unverant- Was hat Bundeskanzlerin Merkel eigentlich ge- wortlich. Deswegen sollen keine neuen Anlagen meint, als sie die Teilnehmer des Klimagipfels gebaut werden, die dann elegant sozusagen als begrüßte und sagte: „Wir müssen handeln!“? - „Repowering“ beschrieben werden, aber am Ende Ökostrom-Bremsen? Die Verkleinerung der 2014 doch nur zu mehr Windkraftanlagen führen. zugesagten Ausbaukorridore? Eine politische Flau- te für die Beschäftigten in der Windenergiebran- Herr Kollege Janßen, Sie sind ja am vergangenen che? Freitag mit dabei gewesen, als wir mit den Bürger- initiativen diskutiert haben. Ich habe Ihnen ange- Nein, meine Damen und Herren, mit dem EEG sehen, wie sehr auch Sie das betroffen gemacht 2016 können wir so nicht zufrieden sein, wenn wir hat - das nehme ich Ihnen sehr wohl ab -, als wir Energiewende und Klimaschutz ernst nehmen. dort mit dem Blick auf die 200 Anlagen gestanden haben. Ihre Worte waren: Das macht mich sehr Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: betroffen. Herr Kollege Bajus, lassen Sie eine Frage des Ich finde das auf der einen Seite ehrenwert. Aber Kollegen Schönecke zu? auf der anderen Seite reicht Betroffenheitsrhetorik nicht aus, um diese Situation aus der Welt zu Volker Bajus (GRÜNE): schaffen. Machen Sie Ihrer Landesregierung Bei- Aber bitte! ne, damit sie ihren Windkrafterlass ersatzlos streicht! Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Danke. Bitte, Herr Kollege! (Beifall bei der FDP) Heiner Schönecke (CDU): Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Herr Kollege Bajus, könnten Sie dem Hohen Hau- Vielen Dank, Herr Dr. Hocker. - Das Wort hat nun se vielleicht auch erzählen, welcher Minister denn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kolle- in Berlin in der Hauptsache die Vollbremsung beim ge Bajus. Bitte! EEG durchführen wollte? (Zustimmung bei der CDU) Volker Bajus (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Volker Bajus (GRÜNE): Herren! Kommen wir zur Sache! Lieber Kollege Schönecke, wer in Berlin regiert, In diesen Tagen wird die Novelle zum Erneuerba- wissen wir alle, wer die zuständigen Minister sind, re-Energien-Gesetz verhandelt - heute im Übrigen auch. im Bundeskabinett. In schwierigen Verhandlungen (Zurufe von der CDU: Ach!) hat sich Niedersachsen gegen die ursprünglich drohende Vollbremsung bei der Energiewende Das liegt doch auf der Hand. Dafür brauchen wir gewehrt. Ich möchte mich dafür insbesondere bei hier doch nicht ernsthaft ein Weiterbildungspro- Ministerpräsident Stephan Weil und unserem Um- gramm. weltminister Stefan Wenzel bedanken. Ihrem hart- (Zustimmung bei den GRÜNEN) näckigen Einsatz ist es zu verdanken, dass die

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Aber zu der Frage, welche Fraktion hierbei welche sein, und nicht eine Desinformation und Anti- Rolle spielt und sich wie eingesetzt hat, kommen Kampagnen, wie sie hier einmal mehr von der FDP wir noch. Und dass es dabei verschiedene Länder- betrieben werden. interessen gibt, wissen Sie doch auch. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, gut, (Zurufe von Frank Oesterhelweg dass Sie hier ein Bekenntnis gegen die EEG-Pläne [CDU] und Jörg Hillmer [CDU] - Glo- ablegen, gegen die entsprechenden Minister und cke der Präsidentin) die Bundeskanzlerin Merkel, die in Berlin das Sa- Wo Ihr Schwur geblieben ist, frage ich mich ange- gen haben, wie Herr Schönecke gerade betont hat. sichts Ihres Antrags heute auch. Dazu kommen wir Schade, dass Sie unserem Angebot einer gemein- aber gleich noch. samen Initiative aber nicht nachkommen wollten. Denn ein gemeinsames Signal aus Niedersachsen Meine Damen und Herren, wir sollten dringend könnte vielleicht auch den Blockierern vom wirt- Energiewende und Klimaschutz ernster nehmen. In schaftspolitischen Flügel der CDU in Berlin etwas diesen Tage erleben wir ja einmal mehr, was Kli- entgegensetzen. makrise heißt: eine besorgniserregende Zunahme von Wetterextremen, lokale Katastrophen, ganze (Jörg Hillmer [CDU]: Gabriel ist doch Dörfer unter Wasser, Straßenzüge verwüstet und nicht in der CDU!) erstmals in der Geschichte der Wetteraufzeich- nung ein zerstörerischer Tornado nördlich der El- Vorneweg sind es doch die CDU-MdBs Fuchs oder be, mitten durch Hamburg. Meine Damen und Pfeiffer, die keine Gelegenheit auslassen, um ge- Herren, das gab es noch nie. gen die Erneuerbaren Stimmung zu machen, z. B. mit dem Kostenargument, mit dem ausgerechnet Deswegen halten wir an unseren Forderungen gegen die Windkraft an Land Kampagne gemacht fest; denn sie sind in der Sache vernünftig und wird, die inzwischen bekanntermaßen kostengüns- klimapolitisch dringend geboten. tigste Energiequelle. Meine Damen und Herren, die EEG-Reform wirkt Und wer die kleinen Akteure, die Bürgerenergiege- auch kontraproduktiv, wenn es um das Re- sellschaften und die Stadtwerke, vom Markt powering von Windkraftanlagen geht. Rund ein drängt - davon gibt es übrigens in Niedersachsen Viertel aller aktuell genutzten Windkraftstandorte in überdurchschnittlich viele -, der behindert damit Niedersachsen wäre nach heutigem Recht - vor den Wettbewerb, um den es hier gerade gehen allem wegen der Abstände - nicht mehr genehmi- soll, mit kostentreibenden Folgen. Meine Damen gungsfähig. Es wäre gut für die Akzeptanz, wenn und Herren, das ist doch absurd, und das betreibt diese bald verschwänden. Ihre Fraktion mit. Sie müssten aufstehen und de- Auch brauchen wir mehr Gerechtigkeit, was die nen einmal kräftig die Meinung sagen. Ich kann Verteilung im Land angeht. Es kann doch nicht nicht verstehen, warum das nicht passiert. sein - ich hatte das Gefühl, da waren sich die Ver- treter des Umweltausschusses in Aurich und Witt- (Zustimmung bei den GRÜNEN und mund mit Blick auf diese Region einig -, dass in bei der SPD) einigen Regionen eine Vielzahl von Anlagen ge- Und dann die Netzthese: Der Norden würde mit baut wird und mancherorts keine einzige Anlage dem Netzausbau nicht hinterherkommen. - Hier steht. Das kann nicht gerecht sein; hier brauchen wird mit dem Getöse um vermeintliche Netzeng- wir eine gerechtere Lastenverteilung. pässe nur von den eigenen Versäumnissen abge- Gerade dafür ist der niedersächsische Windkrafter- lenkt. Tatsächlich hat Niedersachsen die Hälfte der lass wichtig; denn er gibt mit seinem regionalisier- Leitungen in seiner Hoheit bereits genehmigt. Alle ten Flächenansatz - Herr Dr. Hocker, den müssten weiteren Projekte sind auf dem Weg. Die Bilanz Sie endlich zur Kenntnis nehmen - hierzu wichtige des Bundes dagegen ist beim Netzausbau gleich Hinweise und sorgt damit für rechtssichere, weil null. menschen- und umweltgerechte, Abwägungen bei der Standortwahl. Zugleich werden die Hürden für Energiespeicher und flexibles Lastmanagement erhöht statt abge- Saubere, belastbare Planverfahren in kommunaler baut. Und die alten Kohlemeiler dürfen weiter flei- Hoheit - das muss doch unsere Antwort auf die ßig die Netze verstopfen. Bedenken von Anwohnerinnen und Anwohnern

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Meine Damen und Herren - ich komme zum Ich bedanke mich auch ausdrücklich bei unserem Schluss -, so werden doch vermeintliche Netzeng- Ministerpräsidenten Stephan Weil und unserem passgebiete überhaupt erst geschaffen. Es gibt in Umweltminister Stefan Wenzel. Berlin offensichtlich einige, deren Ziel ist es, die Energiewende abzuwürgen - vermutlich, um die (Zustimmung bei der SPD) alten, schwächelnden Stromkonzerne wieder an Die beiden haben sich nämlich in sehr vorbildlicher den Topf zu bringen. und in intensiver Art und Weise dafür eingesetzt, Das aber ist Politik von gestern und mit uns nicht dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht zu machen. Niedersachsen steht für die Energie- ausgebremst wird. welt der Zukunft - für 100 % Klimaschutz mit 100 % Dennoch - so muss ich leider sagen - können wir erneuerbaren Energien. mit den vorläufigen Ergebnissen der Bund-Länder- Meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Gespräche aus niedersächsischer Sicht nicht ganz Aufmerksamkeit. zufrieden sein. Bis 2025 sollen zwischen 40 und 45 % des Stromverbrauchs über Ökostrom ge- (Beifall bei den GRÜNEN und bei der deckt werden. Vor dem Hintergrund, dass der SPD) Stromanteil aus erneuerbaren Energien bereits heute ein Drittel beträgt, ist diese Zielsetzung zu- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: mindest aus niedersächsischer Perspektive nicht Vielen Dank, Herr Bajus. - Nun hat für die SPD- besonders ambitioniert. Fraktion Herr Kollege Henning das Wort. Bitte! Deshalb fordern wir in unserem Entschließungsan- trag, dass das Ausbauziel für erneuerbare Ener- (SPD): Frank Henning gien von 45 % ausdrücklich keine Obergrenze sein Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nieder- darf und noch ausbaufähig ist. sachsen ist das Windenergieland Nummer eins. Das ist gut so, und das soll auch so bleiben. In Berlin hat man sich nun darauf verständigt, für die Windenergie an Land einen Zubau von (Beifall bei der SPD und bei den 2 800 MW brutto jährlich festzulegen. Das ent- GRÜNEN) spricht in etwa einer Menge von rund 1 000 Wind- rädern. Bisher waren es 2 500 MW netto. Die Eini- - Das fängt ja gut an! gung sieht leider auch vor, den Ersatz alter durch Mit über 8 600 MW stellt Niedersachsen etwa ein neue Anlagen, sogenannte Repowering-Projekte, Fünftel der in der Bundesrepublik installierten Leis- dabei mit anzurechnen. Um eine gute Netzauslas- tungen. Als Beitrag zum Klimaschutz und zur tung zu gewährleisten, dürfen höchstens 60 % des Energiewende unterstützt die SPD-Fraktion des- durchschnittlichen Neubaus der letzten Jahre in halb glasklar den weiteren Ausbau der Windener- Norddeutschland sein. gie. Damit können wir aus niedersächsischer Perspek- Der Ausbau ist aber auch unter wirtschaftlichen tive nicht zufrieden sein. Wir bleiben deshalb bei Gesichtspunkten sinnvoll. In der niedersächsi- der Forderung in unserem Entschließungsantrag, schen Windenergiebranche sind mittlerweile über dass der Ausbaupfad für die Onshorewindenergie 30 000 Menschen beschäftigt. 2013 wurden alleine mit 2 500 MW netto erhalten bleibt und dass das in Niedersachsen 500 Millionen Euro in neue sogenannte Repowering auch weiterhin nicht auf Windparkprojekte investiert. In der Windenergie- den Zubau angerechnet wird. branche in Niedersachsen und entsteht - zusammengerechnet - eine jährliche Bruttowert- Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes schöpfung von 3,4 Milliarden Euro. sieht überdies vor, dass neue Windkraftanlagen nur noch gefördert werden, wenn sie erfolgreich an Wir als Niedersachsen haben also allen Grund, Ausschreibungen teilnehmen. Nach Ansicht der uns für norddeutsche Interessen einzusetzen und SPD-Fraktion ist es ein grundsätzlich richtiger An- die Windenergie unter Klimaschutzgesichtspunk- satz, auszuschreiben, um Kosten zu senken. Das ten, aber auch unter den gerade genannten wirt- vorgesehene Verfahren allerdings führt zu einer schaftspolitischen Gesichtspunkten weiter voran- massiven Marktverzerrung zulasten mittelständi- zutreiben. scher und vor allem kommunaler Unternehmen.

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Ich habe nichts gegen ein effizientes Ausschrei- ten, sondern zu weniger Windenergiestandorten bungsverfahren, das die zukünftigen Umlagebelas- kommen. tungen vor allem für die Bürgerinnen und Bürger so gering wie möglich hält. Das Verfahren muss (Zuruf von Dr. Gero Hocker [FDP]) aber so ausgestaltet sein, dass Chancengleichheit Repowering ist wünschenswert, weil durch die für alle Anbieter besteht. Effizienzgewinne beim Ersatz von Altanlagen die Die derzeitigen Pläne des Bundeswirtschaftsminis- Gesamtzahl der Anlagen deutlich reduziert werden teriums würden insbesondere die kommunalen kann. Außerdem können Anlagen, die bisher an Stadtwerke stark benachteiligen. Das Risiko, keine eher ungeeigneten Standorten stehen, abgebaut Förderzusage zu erhalten, können große Energie- und an anderen, besseren, neuen Standorten ge- konzerne und internationale Investmentgesell- bündelt errichtet werden, sodass sie das Land- schaften auf viele Kleinprojekte verteilen. Kleinere schaftsbild insgesamt weniger verspargeln. Windkraftprojektierer wie beispielsweise die Stadt- werke Osnabrück als kommunales Unternehmen Auch unter Akzeptanzgesichtspunkten macht können das gerade nicht. Je nach Windprojekt Repowering Sinn, nicht zuletzt, weil neue Anlagen bewegen sich die notwendigen finanziellen Vorleis- leiser laufen, niedrigere Rotordrehzahlen aufwei- tungen im sechs- bis siebenstelligen Euro-Bereich. sen und damit in der Bevölkerung auch weit weni- Eine solche Summe werden örtliche und regionale ger störend wahrgenommen werden. Akteure nicht investieren wollen, wenn völlig offen Dies alles sind gute Gründe, um ein neues ist, ob sich diese Vorarbeiten überhaupt rentieren. Repowering-Modell zu entwickeln, das auch unter Für Bürgerenergiegesellschaften sieht der Gesetz- der Regie eines Ausschreibungsmodells, wie vor- entwurf zwar eine Ausnahmeregelung vor, dies gilt gesehen, Anreize für eine vorzeitige Erneuerung aber gerade nicht für kommunale Unternehmen, von Altanlagen bieten muss. und das ist das Problem. Die Folge: Viele investiti- onswillige Stadtwerke werden sich zurückziehen, Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Satz wenn sie zunächst große finanzielle Vorleistungen zum FDP-Antrag sagen, den wir natürlich nicht erbringen müssen, ohne zu wissen, ob sie eine unterstützen werden. Entgegen Ihrer Behauptung Förderung bekommen. ist der Windenergieerlass keine verbindliche Rechtsgrundlage, sondern allenfalls eine Interpre- Ich zitiere: „Ohne Verlässlichkeit keine Investitio- tations- und Orientierungshilfe zur Abwägung bei nen - dieses Risiko gehen wir als kommunales der kommunalen und regionalen Planung. Dem- Unternehmen nicht ein“, betonte der Osnabrücker entsprechend sind die Regelungen des Windener- Stadtwerkechef Manfred Hülsmann dieser Tage gieerlasses eben auch nicht ausdrücklich Bestand- vor der örtlichen Presse. teil des Landes-Raumordnungsprogramms. Die Dabei sind die lokalen Akteure und insbesondere konkreten Abstandsregeln ergeben sich auch nicht die kommunalen Stadtwerke ein wichtiger Motor aus dem Windenergieerlass, sondern sie ergeben und Treiber der Energiewende. Viele kommunale sich aus naturschutzrechtlichen Bestimmungen, Klimaschutzprogramme wären gefährdet, wenn die vor allen Dingen aus dem Bundes-Immissions- kommunalen Stadtwerke oder regionale Initiativen schutzgesetz und natürlich aus dem Baugesetz- nicht mehr wie bisher in regenerative Projekte buch. Das war vorher so, und das wird auch in investieren könnten. Wir dürfen den Ausbau der Zukunft so sein. Das alles sind bundesrechtliche erneuerbaren Energien nicht ausschließlich den Regelungen. Wir geben also mit dem Windener- großen internationalen Investmentgesellschaften gieerlass lediglich eine Hilfestellung bei der kom- überlassen und die Energiewende sofort ausbrem- munalen Planung. sen, sondern müssen weiterhin auch kommunal Ihr Antrag liegt neben der Sache und - das haben gestalten und den kommunalen Unternehmen eine Sie hier sehr deutlich ausgeführt, Herr Dr. Hocker - Chance geben. dient lediglich populistischem Wahlkampfgetöse, Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und und auf das werden wir nicht weiter eingehen. Kollegen, ein wesentlicher Anteil des weiteren Ausbaus der Windenergieerzeugung muss durch Ich danke für die Aufmerksamkeit. das sogenannte Repowering bewerkstelligt wer- (Beifall bei den GRÜNEN und bei der den. Im Gegensatz zu der Auffassung von Herrn SPD) Dr. Hocker wird es dadurch nicht zu mehr Standor-

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Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: ten Zielen entfernt. Zudem habe sich die Wettbe- Vielen Dank, Herr Kollege. - Nun hat die CDU- werbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft aufgrund Fraktion das Wort. Herr Kollege Miesner, bitte! der gestiegenen Stromkosten seit dem Jahr 2000 spürbar verschlechtert.

Axel Miesner (CDU): Das alles sind Hinweise darauf, dass es nötig ist, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen über das EEG 2016 nachzusteuern, um den Wirt- und Herren! Aus den heutigen Pressemitteilungen schaftsstandort Deutschland und damit auch das und aus dem Pressedienst des Bundesenergiemi- Industrieland Niedersachsen weiterhin attraktiv zu nisteriums, in dem Herr Gabriel ja Chef ist, kann halten. man Folgendes zitieren: Zu all dem sagen Sie gar nichts. Den Bereich des „EEG 2016 schafft einen Paradigmenwech- Netzausbaus habe ich bereits angesprochen. Wir sel und ist Start für die nächste Phase der können heute lesen - - - Energiewende.“ (Volker Bajus [GRÜNE]: Was sagen Das schreibt Herr Gabriel heute in seinem Presse- Sie denn, Herr Miesner? Haben Sie bericht. Weiter heißt es in seinem Newsletter: auch eine Meinung? - Weitere Zurufe „Boom beim Ökostrom - ja, aber so, dass er von der SPD und von den GRÜNEN) bezahlbar bleibt und bei Verbrauchern an- - Herr Schmidt, Sie sollten heute einmal den Pres- kommt: Dafür sorgt das EEG 2016.“ sedienst des Landtages lesen. Herr Henning und Herr Bajus, Sie haben zwar viel Die Braunschweiger Zeitung schreibt heute, Wah- erzählt, aber wenig gesagt. Zu den Stromkosten le–Mecklar komme wohl erst 2020. haben Sie gar nichts gesagt. Es ist Ihnen anschei- nend ganz egal, in welche Richtung sich der Die Hoheit liegt ganz allein beim Land Niedersach- Strompreis entwickelt. sen. Hier passiert aber gar nichts. Sie sorgen letzt- endlich dafür, dass die Energiewende ausge- Sie haben auch überhaupt nichts zum Netzausbau bremst wird, nämlich dadurch, dass der Strom gar gesagt, der nötig ist, damit der Strom, den Sie über nicht dort ankommt, wohin er soll: zum Verbrau- Windkraftanlagen erzeugen wollen, auch zum Ver- cher. braucher kommt. Sie haben auch nichts zu den Themenbereichen (Meta Janssen-Kucz [GRÜNE]: Sie der Versorgungssicherheit und Akzeptanz gesagt. sollten einmal dpa lesen, wenn Sie Lesen Sie einmal die aktuelle Ausgabe der Neue schon beim Lesen sind!) Energie! Dort ist die Rede vom Ausbaufaktor Ak- Schauen Sie einmal in den Monitoringbericht für zeptanz. Sie sollten einmal hineinschauen, bevor das Energieleitungsausbaugesetz, in die aktuelle Sie sich hier hinstellen und schöne Worte finden. Ausgabe für das erste Quartal 2016.

(Beifall bei der CDU) Es ist nämlich gar nichts passiert. Sie lassen sich Diese Information bekommen Sie garantiert auch: hier dafür feiern, dass Sie entsprechende Plan- In der AKTIV, der Zeitung des Instituts der deut- feststellungsbeschlüsse fassen. Die werden für schen Wirtschaft, vom März 26. März 2016 wird den Bereich Ganderkesee–St. Hülfe jetzt sogar aufgezeigt, wie sich der Strompreis für die Privat- vom NABU beklagt. Die sorgen dafür, dass die haushalte von 2007 bis 2015 entwickelt hat. Er Leitungen nicht gebaut werden, und Sie sprechen stieg um fast 50 %. davon, hier immer mehr Windkraft auszubauen. Sie sind diejenigen, die die Lagegunst in Nieder- Auch das ist Ihnen wahrscheinlich entgangen. Im sachsen nicht nutzen, um möglichst kostengünstig aktuellen Magazin des Cicero - Ausgabe Juni Strom aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. 2016 - heißt es, um 33 % sei der Strom für deut- sche Privathaushalte im Schnitt teurer als im Rest (Anja Piel [GRÜNE]: Nein, nein!) der Europäischen Union. Sie sind die großen Vollbremser hier bei uns im Abschließend darf ich den IW-Dienst des Instituts Land Niedersachsen. Sie sind ja auch sich selbst der deutschen Wirtschaft zitieren. In der Ausgabe nicht einig. Schauen Sie einfach mal, was Herr vom 7. April heißt es, auch beim Ausbau der Netze Tanke bei sich in seinem Bereich tut! Hierzu heißt sei Deutschland noch weit von den selbst gesteck- es in der Braunschweiger Zeitung vom 12. April

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2016: „Tanke kämpft seit 2004 gegen Windpark“. - jus gesagt hat, was irgendwelche anderen Kolle- Das ist die Realität! gen irgendwann gesagt haben. Uns interessiert aber eigentlich - dafür kommen wir hier doch zu- (Zuruf von der CDU: Zusammen mit sammen -, was die Position der CDU-Landtags- Gabriel!) fraktion zur EEG-Novelle ist. Dazu haben wir nichts - Zusammen mit Gabriel, genau! gehört!

Die Grünen konnten sich auf ihrer Landesdelegier- (Beifall bei den GRÜNEN und bei der tenkonferenz, also quasi auf ihrem Landespartei- SPD) tag, Ende Mai, über die Abstandsregelungen nicht einig werden. Jetzt ist ein Kompromiss erarbeitet Ich erwarte doch, dass Sie - genauso wie wir alle - worden, um die Akzeptanz vor Ort herzustellen: zunächst für die Interessen des Landes eintreten. 700 m. - Wenn man den Windenergieerlass aber Sie haben hier deutlich kritische Worte gehört, und ganz genau liest, dann sieht man, dass es eigent- zwar unabhängig von der Parteizugehörigkeit, lich nur 400 m sind. Dazu muss man letztendlich auch gegenüber denjenigen, die in Berlin in der fragen, wann der Windenergieerlass angepasst Verantwortung stehen, auch vom Kollegen Hen- wird. ning. Selbstverständlich hat der Ministerpräsident die Interessen des Landes Niedersachsen zu al- (Helge Limburg [GRÜNE]: Nicht lererst vertreten. Für uns gilt der Satz: Erst das 400 m, sondern 700 m!) Land - dann die Partei. - Ihnen ist das offensicht- Wir stehen zu den erneuerbaren Energien. Wir lich fremd. wollen auch weiterhin die erneuerbaren Energien (Beifall bei den GRÜNEN - Lachen bei ausbauen. der CDU und bei der FDP) Damit werden in Niedersachsen rund 55 000 Ar- Ich will hier eine Ansage hören: Wie stehen Sie zu beitsplätze gesichert und weitere bei uns geschaf- der Novelle? Wie sehen Sie das für Niedersach- fen. Wir haben die Lagegunst in Niedersachsen, sen? Stehen Sie hinter den erneuerbaren Energien ganz besonders an der Küste. Dort liegen wir bei und der Windenergiebranche? Oder drücken Sie Windstromerzeugungskosten von ungefähr sich einmal mehr, wie Sie das hier schon die gan- 5,3 Cent. Das wissen auch Sie. Das ist deutlich ze Zeit machen? - Statt zusammen mit uns zu weniger, als mit Fossilen-Kraftwerken überhaupt kämpfen, drücken Sie sich und versuchen, uns die erreicht werden kann. Schuld dafür zu geben. Das kann doch nicht wirk- Von daher: Bremsen Sie nicht die Energiewende in lich wahr sein! Sie machen Parteipolitik und keine Niedersachsen aus! Arbeiten Sie endlich an dem vernünftige Politik für die Energiewende! Ausbau der Netze! Schaffen Sie entsprechende rechtskräftige Beschlüsse! Dann werden wir erfolg- (Beifall bei den GRÜNEN und bei der reich agieren. SPD)

Vielen Dank. Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: (Zustimmung bei der CDU und bei der Vielen Dank, Herr Kollege Bajus. - Herr Kollege FDP) Miesner antwortet Ihnen. Bitte!

Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Axel Miesner (CDU): Vielen Dank, Herr Miesner. - Es gibt auf Sie eine Herr Kollege Bajus, scheinbar haben Sie gar nicht Kurzintervention durch den Kollegen Bajus. Bitte! zugehört.

Volker Bajus (GRÜNE): (Lachen bei der SPD) Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Zum Thema: Ich habe gesagt, wir stehen hinter der Herren! Herr Miesner, ich muss mich schon sehr Energiewende. Aber Sie sorgen doch dafür, dass wundern. Wir haben hier eine Aussprache über die die Energiewende letztendlich nicht umgesetzt Novelle zum EEG, über die derzeit in Berlin disku- wird, weil Sie in Niedersachsen gar keine Leitun- tiert wird, und Sie nehmen Stellung, und zwar nicht gen bauen. Was nützen Ihre vielen Windkraftanla- zur Position der CDU-Landtagsfraktion, sondern zu gen, wenn Sie keine Leitungen bauen? dem, was Herr Henning gesagt hat, was Herr Ba-

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(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Eine Bemerkung noch zu Ihnen, Herr Dr. Hocker: Marcus Bosse [SPD]: Sind Sie für den Sie haben in einer Mündlichen Anfrage zu dem Ausbau oder nicht?) von Ihnen zitierten Fall angefragt. Ich will Ihnen nur den Hinweis geben, dass der Landkreis Aurich am Das ist in Wirklichkeit genau der Vorwurf, den 14. Juli 2011 im Umweltministerium angefragt hat- Ihnen auch Herr Gabriel immer wieder macht, auch te, ob dieses Modell mit Recht und Gesetz verein- im Schreiben vom Februar an das Land Nieder- bar ist. Dazu ist ihm mit Datum vom 25. August sachsen: Wo bleibt Niedersachsen beim Energie- 2011 mitgeteilt worden, dass gegen dieses Modell leitungsausbau? - Niedersachsen kommt nicht keine Bedenken bestehen. Gleichwohl schauen wir nach. Das ist genau der Punkt, der uns von der uns das noch einmal genau an; denn es gibt natür- Bundesseite vorgeworfen wird: Niedersachsen lich auch Modelle, die nicht zulässig und nicht fordert, weitere Windkraftanlagen zu bauen und rechtskonform sind. Wir jedenfalls werden darauf die Windkraft weiter auszubauen, aber es werden achten, dass solche Modelle in der Praxis nicht keine Leitungen gebaut. - Genau das ist doch der Raum greifen. - Meine Damen und Herren, das ist Vorwurf des Bundes an das Land Niedersachsen, jetzt aber nur eine Detailfrage. und Sie sorgen dafür, dass der Vorwurf hier an- kommt. Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: (Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP) Herr Minister, ich darf Sie kurz unterbrechen. - Herr Kollege Hillmer bittet darum, eine Frage stel- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: len zu können. Vielen Dank, Herr Kollege Miesner. - Nun hat Herr , Minister für Umwelt, Energie und Umweltminister Wenzel das Wort für die Landes- Stefan Wenzel regierung. Bitte! Klimaschutz: Nein, ich möchte erst einmal zum eigentlichen (Zuruf von der CDU: Da sind wir aber gespannt!) Gegenstand der Debatte ausführen.

- Ich bitte um etwas mehr Ruhe im Plenarsaal. Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta:

Stefan Wenzel, Minister für Umwelt, Energie und Dann fahren Sie fort. Klimaschutz: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Her- Stefan Wenzel, Minister für Umwelt, Energie und ren! Das ist angesichts der Herausforderungen, vor Klimaschutz: denen wir stehen, eine durchaus interessante Ge- Meine Damen und Herren, ich bin dem Minister- mengelage. Ich glaube, das, was wir gestern in präsidenten und auch den anderen Ministerpräsi- den Medien sehen und hören mussten, beispiels- denten, vor allen Dingen denen der norddeutschen weise aus Damme oder aus Hamburg, hätte sich Länder, sehr dankbar, dass sie dafür gesorgt ha- wohl niemand von uns träumen lassen. Das ist ben, dass im Rahmen einer Ministerpräsidenten- eigentlich ein Grund, an einem Strang zu ziehen; konferenz noch einmal das gesamte EEG auf die denn längst ist eine Entwicklung eingetreten, bei Tagesordnung kam. der man sich wirklich Sorgen machen muss, meine Damen und Herren. Ich glaube, das war durchaus notwendig, weil ge- rade aus Berlin, auch aus Kreisen der CDU/CSU- (Dr. Gero Hocker [FDP]: Und deswe- Bundestagsfraktion, Vorschläge auf den Tisch gen bauen wir Windmühlen? Das ist gekommen sind, die uns hier in Niedersachsen doch albern!) gewaltig viele Arbeitsplätze gekostet hätten. Dann Deswegen würde ich mich sehr freuen, wenn es wäre es nämlich mit dem Thema „Verlässlichkeit gelänge, am Ende die Energiewende nicht nur zu und Planungssicherheit“ vorbei gewesen, meine einem gemeinsamen Projekt zu machen, sondern Damen und Herren, und das gerade auch in einem auch zu einem Projekt, das immer und stets auch Bereich, in dem es um zukunftsfähige und zu- für Planungssicherheit und Verlässlichkeit sorgt. kunftsträchtige Arbeitsplätze geht, um Zukunfts- Manche Debatte der vergangenen Monate lässt branchen und um Produkte geht, die weltweit auch da Sorge aufkommen. nachgefragt werden.

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Wir sind hier zum Teil Weltmarktführer, wir sind mung über die Beschlussempfehlung des Aus- hier Technologieführer. Ich möchte, dass das so schusses. bleibt. Wer der Nr. 1 der Beschlussempfehlung folgen (Beifall bei den GRÜNEN und bei der und damit den Antrag der Fraktion der SPD und SPD) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Druck- sache 17/5475 unverändert annehmen möchte, Ich würde mich freuen, wenn das ganze Haus den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - dahintersteht. Enthaltungen? - Der Beschlussempfehlung des Wir wollen in diesem Bereich Sorge tragen, dass Ausschusses wurde gefolgt. das, was wir in Damme und Hamburg gesehen Wir kommen nur zu Abstimmung über die Nr. 2 der haben, Einzelfälle bleiben. Wir wissen um unsere Beschlussempfehlung. vielen Hundert Kilometer Deiche. Wir wissen um die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wer der Nr. 2 folgen und damit den Antrag der Deswegen wird es auch darum gehen, z. B. einen Fraktion der FDP in der Drucksache 17/5477 ab- Kohleausstiegsplan auf den Weg zu bringen, der lehnen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. dafür sorgt, dass die Netze nicht verstopft werden. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit wurde der Beschlussempfehlung gefolgt. Wir, meine Damen und Herren, Herr Miesner, ha- Ich rufe auf den ben den größten Anteil am Leitungsbau zu stem- men. Aber davon haben wir schon die Hälfte ge- nehmigt. Der Bund hat 3 500 km Leitungen zu Tagesordnungspunkt 25: bauen und davon noch nicht einen einzigen Kilo- Abschließende Beratung: meter genehmigt. Das ist die Herausforderung! a) Keine Kapazitätserweiterung von Schacht Auch da würde ich mir wünschen, dass es aus Konrad - stattdessen Überprüfung nach aktuel- Berlin endlich einmal Rückenwind gibt. lem Stand von Wissenschaft und Technik - Vielen Dank fürs Zuhören. Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/4356 - (Beifall bei den GRÜNEN und bei der b) Sicherheit gewährleisten - Genehmigtes End- SPD) lager nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik in Betrieb nehmen - Antrag der Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Fraktion der CDU - Drs. 17/5508 - Beschlussemp- Vielen Dank, Herr Minister Wenzel. - Weitere fehlung des Ausschusses für Umwelt, Energie und Wortmeldungen sehe ich nicht, sodass ich die Klimaschutz - Drs. 17/5714 - Änderungsantrag der Beratungen schließe. Fraktion der FDP - Drs. 17/5886

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag der Wir stimmen zunächst über die Nr. 1 der Be- Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die schlussempfehlung ab. Grünen in unverändert anzunehmen und den An- Zu dieser Nummer der Beschlussempfehlung liegt trag der Fraktion der CDU abzulehnen. der bereits erwähnte Änderungsantrag der Fraktion Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. der CDU in der Drucksache 17/5781 neu vor. Der auf Annahme in einer geänderten Fassung zielen- Der Änderungsantrag der Fraktion der FDP zielt de Änderungsantrag entfernt sich inhaltlich vom auf eine Annahme beider Anträge in einer geän- ursprünglichen Antrag. Wir stimmen daher zu- derten Fassung. nächst über diesen Änderungsantrag ab. Falls er Ich eröffne die Beratung und erteile Herrn Kollegen abgelehnt wird, stimmen wir anschließend über die Bosse, SPD-Fraktion, das Wort. Bitte! Beschlussempfehlung ab.

Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU Marcus Bosse (SPD): in der Drucksache 17/5781 neu zustimmen möch- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! te, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenpro- Ich denke, es ist gut und vernünftig, dass sich der be! - Enthaltungen? - Dem Änderungsantrag wur- Niedersächsische Landtag und die Fraktionen des de nicht gefolgt. Wir kommen daher zur Abstim- Landtages noch einmal des Themas Schacht Kon-

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rad annehmen und sich nicht damit abfinden, wie Stadt Wolfenbüttel ist in Luftlinie etwa 5 km ent- die Beschlusslage zum Teil und wie der Verlauf fernt, das Stadtgebiet von Braunschweig etwa zurzeit ist. 6 km. Aus diesem Grund sah sich die Region ver- anlasst, diesen Appell zu beschließen. Es gab ein Klar ist auch - das muss man für die Diskussion richtig deutliches, großes, starkes Votum aus der und die Debatte wissen -, dass Konrad nach dem Region, aus den Gebietskörperschaften. Im Übri- heutigen Stand von Wissenschaft und Technik so gen ist das überwiegend einstimmig beschlossen nicht mehr genehmigt werden würde. Das heißt, worden: mit den Stimmen der FDP und vor allen Schacht Konrad würde als Lagerstätte letzten En- Dingen mit den Stimmen der CDU. des nach dem Endlagersuchgesetz ausscheiden. Das muss man angesichts der ganzen Debatte Deutlich ist auch - das findet sich darin auch wie- und der Diskussion, die dann noch folgt, von vorn- der -, dass eine Neubewertung nach dem Stand herein wissen. von Wissenschaft und Technik die Forderung sein muss. Ein Auswahlverfahren zu Schacht Konrad hat es nicht gegeben. Es ist auch nicht der beste Standort Ich betone noch einmal: Die Region steht hierbei gewählt worden, sondern es ist der erstbeste ganz, ganz eng zusammen. Nun kommt es - das Standort gewählt worden. Ich sage es ganz deut- hat mich schon enttäuscht; da wende ich mich, von lich: Falls Konrad kommt - das eint ja alle Fraktio- mir aus gesehen, an die rechte Seite des Hau- nen hier im Landtag -, muss die Erweiterung von ses -: eine Resolution zur hannoverischen Resolu- Schacht Konrad ausgeschlossen werden. tion der umweltpolitischen Sprecher der Fraktionen von CDU und CSU in den Bundesländern. Die Warum sage ich das? - Ich sage es deswegen, haben im Februar hier getagt. So weit, so schlecht. weil es natürlich nicht angehen kann, dass die Abfälle aus der Asse, die zurückgeholt werden Diese Resolution endet so: Eine schnellstmögliche sollen, dann einfach in den Schacht Konrad kom- Inbetriebnahme von Schacht Konrad ist notwendig, men. Luftlinie etwa 15 km voneinander entfernt, da die beim Bau der Kernkraftwerke anfallenden kann es nicht angehen, dass Teile der Region an schwach und mittelradioaktiven Abfälle dort sicher dieser Stelle gegeneinander ausgespielt werden. entsorgt werden sollen. Darin sind sich alle Fraktionen einig. Das spiegelt sich auch in den Anträgen wider. Ich sage Ihnen: Ich bin darüber erschüttert. - Ich sage Ihnen auch: Ich bin darüber enttäuscht. - Das Wir sehen uns in unserem Antrag dadurch bestä- ist ein Verrat an der Region, und das ist auch ein tigt, dass alle Anzuhörenden gesagt haben: Der Verrat an Niedersachsen. Als Niedersachse dürfte Antrag ist gut. Wir brauchen an der Stelle keine man so etwas nicht unterschreiben. Änderungen. - Es war eine große Anhörung. Der Oberbürgermeister der Stadt Salzgitter, CDU, war (Zustimmung bei der SPD und bei den da und auch verschiedene andere Vertreter von GRÜNEN) Gewerkschaften und Verbänden. Das Votum war Ich hätte erwartet, dass man sich schützend vor ziemlich deutlich: Nein, sagt die Region, Schacht die Region und auch schützend vor Niedersachsen Konrad soll und darf an der Stelle nicht kommen. stellt. Die Sprecher aus den anderen Verbänden - Ich will durchaus lobende Worte zu dem Ände- ob aus Bayern, Baden Württemberg oder sonst rungsantrag der FDP sagen, mit dem wir wirklich woher - reiben sich doch die Hände, wenn die eine ganze Menge gemeinsam haben und der fast CDU so etwas hier beschließt. An der Stelle muss auf der richtigen Linie liegt. Leider habe ich den man eng zusammenstehen. Punkt der Rückholung nicht gefunden. Insofern Ich frage mich auch: Woher nehmen Sie die sage ich ganz deutlich: Es eint uns an der Stelle Kenntnis, dass Konrad sicher ist, meine sehr ver- eine ganze Menge. ehrten Damen und Herren? Es gab vor einigen Wochen einen Appell der Regi- Ich sage noch eines: Sie versündigen sich an der on. Bundesumweltministerin Hendricks war vor Stelle an der Region Braunschweig. Ihre Kollegin- Ort. Dabei wurde ganz deutlich, dass die Region nen und Kollegen in den Räten im Raum Braun- Salzgitter und die Region Braunschweig ganz, schweig haben anders beschlossen als Sie. Dem ganz eng und ganz, ganz dicht beieinandersteht. sollten Sie auch entschlossen entgegentreten. Das Die Einlagerung in Schacht Konrad würde ja nicht haben Sie aber nicht getan. nur die Stadt Salzgitter betreffen. Mitnichten. Die

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Ich stelle fest: Die CDU ist an dieser Stelle ganz, wir haben ja viel mehr schwach und mittelradioak- ganz, ganz tief gespalten, und zwar zwischen der tiven Müll, als wir dachten. Also planen wir eben Region Braunschweig und der CDU-Landtags- einmal die Erweiterung für Schacht Konrad. fraktion, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir werden heute bei der Abstimmung sehr genau Ich freue mich sehr, dass nicht nur wir uns, son- hinsehen, wie sich die Abgeordneten der CDU- dern auch die FDP sich gegen die Erweiterung Landtagsfraktion verhalten. ausspricht. Was jetzt etwas schwierig ist: Sie von- seiten der FDP haben uns gestern den Antrag Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. hereingereicht. Ich schließe mich dazu grundsätz- (Beifall bei der SPD und bei den lich der Bewertung durch Herrn Bosse an. Mir ist GRÜNEN) aber z. B. eines noch nicht klar, nämlich dass Sie unter Punkt 1 des Antrags fordern, dass die Erwei- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: terung von Schacht Konrad ohne ein erneutes Vielen Dank, Herr Kollege Bosse. - Für die Frakti- Planfeststellungsverfahren auszuschließen ist. Es on Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Staudte das wird nicht ganz deutlich: Meinen Sie nun ein Plan- Wort. - Ich darf noch einmal um Ihre Aufmerksam- feststellungsverfahren für den gesamten Standort - keit bitten. das wäre natürlich zu begrüßen; dann können wir davon ausgehen, dass sich die Sache dort ohne- Miriam Staudte (GRÜNE): hin erledigt hat -, oder meinen Sie nur ein Plan- feststellungsverfahren für den zweiten Teil, für die Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehr- Erweiterung? ten Damen und Herren Abgeordnete! Ich möchte am Anfang noch einmal ausführen, warum wir Es ist eigentlich das Perfide an dem bisherigen eigentlich diese Sicherheitsbedenken haben. Plan der Bundesregierung, dass diese erneute Schließlich ist es ja ein rechtskräftig genehmigter Überprüfung erst nach Inbetriebnahme des ersten Standort, der dort ausgebaut wird. Teils, nachdem die Zuständigkeit vom Land auf Der wesentliche Punkt ist sicherlich: Es handelt den Bund übergegangen ist, stattfinden würde. sich beim Schacht Konrad eben um ein ehemali- ges Erzbergwerk, teilweise ausgebeutet. Allein das Vielleicht noch ein Satz zu der Arbeit der Endla- wäre schon ein Grund, nach den heutigen Maß- gerkommission. Das Bundesumweltministerium hat stäben auf den dortigen Standort zu verzichten. ja dorthin den Auftrag gegeben: Bitte prüft, ob wir Denn damals sind bei der Ausbeutung Wegsam- nicht ein gemeinsames Endlager für den hoch keiten entstanden. Probebohrungen in alle Rich- radioaktiven Müll und den schwach und mittelradi- tungen sind der Normalfall. Die schaffen eben oaktiven Müll finden können! - Die Kommission hat dann Wegsamkeiten für Wasser, was, wie wir alle sich sehr widerwillig mit der Thematik befasst - wissen, sehr schlecht in einem Endlager wäre. denn das ist eigentlich nicht ihr Auftrag - und hat nun eine Empfehlung ausgesprochen bzw. tendiert Aber grundsätzlich sagt man heutzutage eigent- in die Richtung, zu sagen: Na ja, wir gucken dann, lich, man möchte kein Endlager da errichten, wo wenn wir den Standort für den hoch radioaktiven mit Bodenschätzen zu rechnen ist und wo vielleicht Müll gefunden haben, ob dort nicht auch der mittel- künftige Generationen irgendwann einmal auf der radioaktive und schwach radioaktive Müll hinein Suche nach diesen Bodenschätzen das Atommüll- kann. - Ich glaube, es ist das Gegenteil einer Be- lager anbohren könnten. friedung der Endlagersuche, wenn man der Regi- Aber auch die Schachtansatzpunkte - die Schäch- on, die irgendwann den hoch radioaktiven Müll te sind ohnehin sehr instabil; deshalb verzögert nehmen soll, sagt: So, jetzt kriegt ihr den, und den sich auch der Ausbau extrem - sind auch nicht anderen nehmt ihr bitte gleich noch mit dazu! nach hydrogeologischen Gesichtspunkten ausge- wählt worden. Wasser tritt jetzt schon ein. Insofern appelliere ich an Sie: Stimmen Sie unse- rem Antrag zu! Die Planungen sind aus den 80er-Jahren. Sie müssten eigentlich schon längst überprüft werden. Danke. Besonders heikel wurde die Situation, als im ver- gangenen Jahr die Bundesregierung bei ihrem (Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN nationalen Entsorgungsprogramm, das nach Brüs- und Zustimmung bei der SPD) sel geliefert werden musste, festgestellt hat: Huch,

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Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: irgendwann auslaufen werden, und dass man auch Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die FDP-Fraktion diese Abfälle endlagern muss. - Alle haben die hat nun Herr Kollege Försterling das Wort. Angst, dass der Schacht Konrad irgendwann durch die Hintertür genau dafür herhalten muss. Björn Försterling (FDP): Das wollen wir von vornherein ausschließen. Ich Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und glaube, für diesen Ausschluss braucht es ein star- Herren! Es ist eigentlich gar kein Geheimnis, dass kes Signal des Niedersächsischen Landtags, mei- sich die Positionen zu Schacht Konrad, die hier in ne sehr geehrten Damen und Herren. diesem Haus mitunter diametral vertreten sind, auch entsprechend diametral in der FDP-Fraktion Für uns ist auch noch wichtig - das hat auch Wolf- vereinen. Deswegen haben wir innerhalb der FDP- ram König in der Anhörung zum Ausdruck ge- Fraktion in den letzten Tagen und Wochen über- bracht -, dass trotz des Planfeststellungsbeschlus- legt, wie man nicht nur für unsere Fraktion einen ses aus 2002 fortlaufend der Stand von Sicherheit entsprechenden Kompromiss formulieren könnte, und Technik angepasst wird. Wir wollen aber, dass sondern wie man diesen Kompromissvorschlag die Öffentlichkeit in diese Anpassung transparent vielleicht auch dem ganzen Haus unterbreiten einbezogen wird, und zwar nicht nur mit öffentli- könnte. Deswegen wären wir sehr froh, wenn die chen Anhörungen des Bundesamtes für Strahlen- Regierungsfraktionen möglicherweise noch einmal schutz, wie es schon gestartet worden ist, sondern abwägen, ob es für sie sinnvoller ist, also mit ihrer wir wollen, dass sich auch Bürgerinitiativen und die Einstimmenmehrheit ihren Antrag zu beschließen Stadt Salzgitter in diesem Verfahren äußern dür- oder vielleicht auch gemeinsam ein einstimmiges fen, und nicht so wie bei der letzten Veranstaltung Signal vom Landtag auf der Grundlage des Kom- des Bundesamtes für Strahlenschutz, wo die Bür- promissvorschlags der FDP-Fraktion auszusen- gerinitiativen und die Stadt Salzgitter kein Rede- den. recht bekommen haben. Das halten wir für einen Die Kollegin Staudte hat zu Recht gesagt: Wir fatalen Fehler des Bundesamtes für Strahlen- befinden uns gerade in einem Dilemma. Alle wis- schutz. sen, es gibt deutlich mehr schwach und mittelradi- oaktive Abfälle, als die Einlagerungskapazität von Letzter Punkt: Nicht nur für die Menschen vor Ort, Schacht Konrad hergibt. - Deswegen macht man sondern auch für die Menschen bei der Asse ist es sich vor Ort Sorgen, ob Schacht Konrad zum jetzi- entscheidend wichtig, dass man die Transportstu- gen Zeitpunkt schon erweitert werden sollte. Das die der GRS noch einmal prüft, und zwar insbe- ist dann nur mit einem gesamten neuen Planfest- sondere unter Berücksichtigung der Frage, ob man stellungsverfahren möglich, und dann stellt sich in der GRS-Studie für die Anlieferung an Schacht tatsächlich die Frage, ob es genehmigt werden Konrad dieselben Parameter und Rahmenbedin- würde oder nicht. Ich kann das nicht abschließend gungen genommen hat, die uns jetzt das Bundes- beurteilen. Meine persönliche Einschätzung ist, amt für Strahlenschutz hinsichtlich des Abtrans- dass es dann für eine Genehmigung schwierig ports der möglicherweise zurückgeholten Abfälle aussehen würde. aus der Asse präsentiert hat. Ich erkenne nämlich auf den ersten Blick, dass dort unterschiedliche Genau deswegen hat man vor Ort mitunter die Annahmen getroffen worden sind. Für mich ist Befürchtung, dass man Schacht Konrad erst ein- nicht erklärbar, warum die Belastung eines Men- mal in Betrieb nimmt und dann in der Phase des schen, der bei Atomtransporten am Straßenrand Betriebs feststellt: „Wir brauchen aber noch mehr steht, beim Antransport von radioaktiven Abfällen Endlagerkapazitäten für schwach und mittelradio- anders sein soll als beim Abtransport von radioak- aktive Abfälle“, und dann im laufenden Betrieb eine tiven Abfällen. Auch insofern muss die GRS-Studie Erweiterung beschließt. Dazu sagen wir: Auch das überprüft werden. kann dann nur mit einem Planfeststellungsverfah- ren laufen. - Auch darauf beziehen sich Sorgen der Mein Appell lautet also: Lassen Sie uns vielleicht Menschen vor Ort, die sagen: Möglicherweise will doch noch einmal überlegen, ob wir ein gemein- man dann die Erweiterung ohne Planfeststellungs- sames Signal des Niedersächsischen Landtags verfahren durchziehen unter dem Notstand, dass entsenden können! man immer noch Hunderttausende Kubikmeter schwach und mittelradioaktive Abfälle in Landes- (Beifall bei der FDP) sammelstellen hat, deren Betriebsgenehmigungen

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Vizepräsidentin Dr. Gabriele Andretta: Dieser Satz stammt nicht von mir. Ich hätte mir nie erträumen lassen, dass ich einmal Herrn Wolfram Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion hat nun Herr König hier im Landtag zitieren würde. Kollege Bäumer das Wort. Bitte! (Helge Limburg [GRÜNE]: Das hat er Martin Bäumer (CDU): nicht verdient!) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Das hat er im April 2016 gesagt: Herren! Ich hoffe, dass der Kollege Bosse mittler- weile wieder ein wenig heruntergekommen ist. „Wir brauchen Schacht Konrad als sicheres Denn das, was er hier vorhin vorgetragen hat, war Endlager!“ ja ein wenig von Emotionalität geprägt. Das hat Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir ha- aber nach meiner Auffassung einen tiefen Einblick ben in unserem Antrag aus dem April ein klares in die Rechtsstaatlichkeit der SPD ermöglicht. Bekenntnis dieses Landtags zu Schacht Konrad Lieber Kollege Bosse, Schacht Konrad ist plan- gefordert. festgestellt, Schacht Konrad ist genehmigt, (Präsident Bernd Busemann über- Schacht Konrad ist vor Gericht beklagt worden, nimmt den Vorsitz) und Schacht Konrad ist noch da. Wenn Sie Schacht Konrad einfach aus der Hand geben wol- Wir haben gefordert, dass dieser Landtag das len, wenn Sie meinen, dass wir Schacht Konrad Bundesamt für Strahlenschutz bei dem, was es in nicht mehr brauchen und dass es andere Überle- Sachen Schacht Konrad tut, unterstützt. Wir haben gungen gibt, dann muss ich Ihnen sagen: Das tut gefordert, dass bei allem, was man in Sachen mir leid. Herr Jüttner und Herr Gabriel, die beide Schacht Konrad tut, jederzeit der Stand von Wis- Ihrer Partei angehören, haben 2002 gesagt: In senschaft und Technik zu gelten hat. Wir haben Schacht Konrad wird jetzt endgelagert. auch gefordert, dass es keine Erweiterung ohne einen erneuten Planfeststellungsbeschluss geben (Christian Dürr [FDP]: So ist es!) darf. - Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich stelle fest: Wir sind auf der Höhe der Zeit. Die haben das gesagt. Wenn Sie das heute auf den Prüfstand stellen, dann muss man sagen: So Das, was uns SPD und Grüne im letzten Jahr vor- sieht es mit der Verlässlichkeit der SPD aus! Was gelegt haben, klingt hingegen nach außen so, als vor 14 Jahren noch galt, gilt heute nicht mehr! ob man in Schacht Konrad atomare Abfälle einla- Meine sehr geehrten Damen und Herren, gute gern möchte. Im Kern geht es aber eigentlich da- Nacht, wenn diese Partei regiert! rum, die Einlagerung in Schacht Konrad zu verhin- dern. Das, meine sehr geehrten Damen und Her- (Beifall bei der CDU und bei der FDP) ren, offenbart ganz deutlich: Sie sagen uns hier - Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin ich sage das nicht zum ersten Mal - immer nur das, dem Kollegen Försterling und der FDP sehr viel was nicht geht. Aber Sie sagen nicht, was geht. dankbarer, weil sie nämlich versucht hat, alle Posi- (Christian Dürr [FDP]: So ist es!) tionen, die es dazu gibt, zusammenzufassen. Ich sage Ihnen ganz deutlich, lieber Herr Kollege Förs- Dann erleben wir natürlich permanent, dass dann, terling: Das, was Sie aufgeschrieben haben, kön- wenn irgendwo ein Fass vor sich hinrostet - es ist nen wir mittragen. Das enthält im Kern das, was normal, dass Metallfässer nach einer gewissen auch wir fordern. Insofern sind wir da nicht ausei- Anzahl an Jahren und Jahrzehnten rosten; wer nander. Wenn es ein deutliches Signal dieses Physik gehabt hat, der weiß das -, skandalisiert Landtages geben soll, dann ist die CDU dabei. wird, ohne dass die Ursache benannt wird. Die Dann hängt es nur noch von SPD und Grünen ab. Ursache liegt darin, dass Sie in der Frage, wo Schauen wir einmal, ob sie in der Lage sind, das endgelagert wird, nicht vorankommen. mitzugehen! Meine sehr geehrten Damen und Herren von der (Beifall bei der CDU und bei der FDP) SPD, Ihr Kollege Tonne tut mir in dieser Situation leid. Er ist zwar im Moment nicht hier vorne, aber Meine sehr geehrten Damen und Herren: ich sehe ihn da hinten. Er tut mir leid, weil der ar- me Kerl bei sich zu Hause das Sammellager in „Wir brauchen Schacht Konrad als sicheres Leese hat. Er muss seinen Bürgerinnen und Bür- Endlager. gern erklären, warum das da steht und steht und

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steht und in 10 Jahren und in 20 Jahren immer Stefan Wenzel, Minister für Umwelt, Energie und noch da steht. Den Menschen da vor Ort ist ver- Klimaschutz: sprochen worden: Eines Tages wird das, was da Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! steht, abtransportiert und kommt in ein Endlager. - Im Oktober 2015 hatte ich bei der Beratung dieses Der Kollege Tonne mit seiner SPD aber ist nicht in Antrags schon einige Ausführungen zur Historie der Lage, dafür zu sorgen. Das, meine sehr geehr- und zum Nationalen Entsorgungsprogramm der ten Damen und Herren, ist ein Armutszeugnis! Bundesregierung gemacht. Ich nehme an, dass (Beifall bei der CDU und bei der FDP) diese Diskussion vor allem deshalb hier wieder auf die Tagesordnung gekommen ist. Wenn der Kollege Bosse sich hier vorne hinstellt und sagt, die CDU habe da etwas formuliert, was Herr Bäumer, bei der CDU scheint nicht alles in ganz, ganz schlimm sei, und alle Bundespolitiker Erinnerung geblieben zu sein. Woher käme sonst und Landespolitiker der CDU gesagt hätten, dass Ihre Forderung nach einem Bekenntnis zum Plan- das Lager in Niedersachsen bleiben müsse, weil feststellungsbeschluss? - Es ist ganz offensichtlich sie darüber froh seien, dann muss ich Ihnen, Herr und auch von höchstrichterlicher Stelle bestätigt, Kollege, sagen: Diesen Antrag haben wir sehr dass das Umweltministerium damals, nach dama- wohl beschlossen - wohlwissend, dass wir das, ligem Stand von Wissenschaft und Technik, eine was wir einmal verabredet haben, einhalten müs- bestandskräftige Genehmigung erteilt hat. Aller- sen, und wohlwissend, dass es über Schacht Kon- dings sind zwischen der Erstellung der Planunter- rad hinaus einen Mehrbedarf für Abfälle gibt. Alle lagen und dem Beginn der Umbauarbeiten zu ei- anderen Bundesländer wissen, dass dieser Mehr- nem Endlager für schwach und mittelradioaktiven bedarf irgendwo ein Endlager braucht und dass Müll mehr als zwei Jahrzehnte vergangen. Ich auch sie bei der Frage der Suche nach einem wei- denke, auch das ist unstrittig. Die wirklich wichti- teren Endlager für schwach und mittelradioaktive gen und zentralen Forderungen sollten wir daher in Abfälle betroffen sein können. der Errichtungsphase jetzt gemeinsam verfolgen. Sie sind auch im Antrag der Regierungsfraktionen Die Anhörung, die wir zu diesem Thema gehabt aufgeführt. Auf den kurz vor Toresschluss einge- haben, war bekanntlich öffentlich. Insofern kann brachten Änderungsantrag der FDP möchte ich ich herzlich gerne das zitieren, was Herr König dort nicht im Detail eingehen. Er ist im Kern ein Echo gesagt hat. Das entspricht im Grunde immer dem, auf den Antrag der CDU. was die Sprecher von CDU und CSU schon im Februar gesagt haben. Meine sehr geehrten Da- Es kommt auf die Neubewertung der Konzeption men und Herren, Herr König hat gesagt - ich zitie- und Einlagerungssituation nach dem aktuellen re -: Stand von Wissenschaft und Technik an. Dies „Das kann ich als verantwortlicher Betreiber muss nach der Errichtung von Konrad genaues- nicht mit vertreten. Vielmehr haben wir einen tens berücksichtigt werden. Das haben auch CDU klaren Auftrag, nämlich die Errichtung des und FDP im Grundsatz in ihren Anträgen über- Endlagers, und zwar so schnell wie möglich nommen. Natürlich ist das aber in erster Linie Auf- unter den bestmöglichen Sicherheitsansprü- gabe des zuständigen Bundesamtes für Strahlen- chen. Dem kommen wir nach.“ schutz, mithin des Bundes. Aber als Teil der Lan- desregierung und als zuständige Fachaufsicht, die Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich stelle die Umrüstung bergrechtlich genehmigt und über- fest: Wir brauchen Schacht Konrad als sicheres wacht, übernimmt natürlich auch mein Haus hier Endlager. Dem ist nichts hinzuzufügen. große Verantwortung.

Vielen Dank. Niedersachsen hatte Ende letzten Jahres zum Nationalen Entsorgungsprogramm der Bundesre- (Beifall bei der CDU und bei der FDP) gierung Stellung bezogen und hat sich vehement gegen die optionale Erweiterung von Schacht Kon-

Präsident Bernd Busemann: rad ausgesprochen. Dies blieb vom Bund zunächst Vielen Dank, Herr Kollege Bäumer. - Es hat sich unbeachtet. Erst die 70 000 Einwendungen von jetzt die Landesregierung zu Wort gemeldet. Es Bürgerinnen und Bürgern aus der Region, die in- möchte sprechen Herr Umweltminister Wenzel. nerhalb sehr kurzer Frist zusammenkamen, haben Bitte sehr, ich erteile Ihnen das Wort. Wirkung gezeigt.

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Meine Damen und Herren, der Bund hat hier zwar schließend über die einzelnen Nummern der Be- Einsicht gezeigt und den Passus einer Erweite- schlussempfehlung ab. rungsoption aus dem Programm gestrichen. Gleichwohl hat die Bundesregierung eingeräumt, Wer also dem Änderungsantrag der Fraktion der dass diese Option nicht für immer vom Tisch ist. FDP in der Drucksache 17/5886 zustimmen will, Niedersachsen braucht aber mehr Gewissheit, und den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer möchte das vor allem vor dem Hintergrund, dass sich bis- ablehnen? - Enthaltungen? - Das Zweite war die her immer alle Planungen auf Niedersachsen kon- Mehrheit. Damit ist der Änderungsantrag der Frak- zentriert haben. Deshalb werden wir nach wie vor tion der FDP abgelehnt. beim Bund darauf dringen, eine Erweiterung von Ich komme jetzt zu der Abstimmung zu Nr. 1 der Konrad verbindlich und dauerhaft auszuschließen. Beschlussempfehlung, betreffend den Antrag der Die Forderungen der Regierungsfraktionen gehen Fraktion der SPD und der Fraktion der Grünen. allerdings weiter als die der Opposition. Natürlich, Wer der Nr. 1 der Beschlussempfehlung des Aus- Herr Bäumer, geht eine Erweiterung von Konrad schusses folgen und damit den Antrag der Fraktion nicht ohne ein neues Planfeststellungsverfahren. der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Das ist schlicht und einfach die Rechtslage. Aber in der Drucksache 17/4356 unverändert annehmen so weit will ich es auf gar keinen Fall kommen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegen- lassen und sehe mich hierin auch mit der überwie- probe! - Enthaltungen? - Das Erste war die Mehr- genden Mehrheit aller Bürgerinnen und Bürger in heit. Damit ist die Nr. 1 gemäß der Beschlussemp- großem Einvernehmen. fehlung des Ausschusses angenommen. Meine Damen und Herren, in der Atommüllkom- Ich komme zu der Abstimmung zu Nr. 2 der Be- mission haben wir auch die Endlagerung von nicht schlussempfehlung, betreffend den Antrag der konradgängigen Abfällen intensiv diskutiert. Wir Fraktion der CDU. befassen uns aktuell mit Empfehlungen für die Lagerung dieser Abfälle. Zu den Grundsätzen der Wer der Nr. 2 der Beschlussempfehlung des Aus- Kommission gehört auch die Betrachtung früherer schusses folgen und damit den Antrag der Fraktion Vorhaben zur dauerhaften Lagerung radioaktiver der CDU in der Drucksache 17/5508 ablehnen will, Abfälle. Auch die Erfahrungen mit Konrad zählen den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - dazu und sind bewertet worden. Enthaltungen? - Damit ist der Beschlussempfeh- Von daher gibt es, denke ich, genügend Argumen- lung des Ausschusses gefolgt und der Antrag der te, den Antrag der Regierungsfraktionen anzu- Fraktion der CDU abgelehnt. nehmen und den Antrag der CDU und der FDP Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und abzulehnen. Gleichwohl würde ich mich freuen, Kollegen, durch Beschlussfassung von heute Mor- wenn die Oppositionsfraktionen hier über ihren gen wissen Sie, dass der Tagesordnungspunkt 26 Schatten springen und dem Antrag zu einem ein- in den zuständigen Fachausschuss zurücküber- vernehmlichen Votum verhelfen könnten. wiesen wurde.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören. Ich gehe somit zu Punkt 27 über. Ich rufe auf (Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD) Tagesordnungspunkt 27: Präsident Bernd Busemann: Abschließende Beratung: Vielen Dank, Herr Minister Wenzel. - Meine Damen Bewährte Biomasseenergiequellen im ländli- und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir zu chen Raum erhalten - Antrag der Fraktion der diesem Tagesordnungspunkt nicht vor, sodass wir CDU - Drs. 17/5143 - Beschlussempfehlung des die Beratungen damit beendet haben. Ausschusses für Umwelt, Energie und Klimaschutz - Drs. 17/5766 Jetzt geht es um die Abstimmung. Ich halte Sie für damit einverstanden, dass wir zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag in der FDP abstimmen, der die Annahme beider Aus- geänderter Fassung anzunehmen. gangsanträge in einer gemeinsamen Fassung Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. vorsieht. Falls er abgelehnt wird, stimmen wir an-

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Wir treten in die Beratung ein. Es hat sich zunächst den Strom dann einspeisen zu können, wenn er im für die Fraktion der CDU der Abgeordnete öffentlichen Netz benötigt wird. Dr. Hans-Joachim Deneke-Jöhrens gemeldet. Ich (Beifall bei der CDU) erteile Ihnen das Wort. Bitte! Gerade hierfür steht ein großer Investitionsbedarf Dr. Hans-Joachim Deneke-Jöhrens (CDU): an: für eine Leistungserhöhung der BHKWs, zu- sätzliche Gasspeicher, größere Trafos und eine Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und entsprechende Anlagensteuerung. Herren! Während bisher die Stromproduktion der Biomasseanlagen fortwährend und als Grundlast Meine Damen und Herren, Anlagenbetreiber wer- zu sehen war, geht es jetzt darum, diese Energien den diese volkswirtschaftlich sinnvolle Investition systemdienlich zu gestalten. Denn die Biomasse- nur dann tätigen, wenn sie nach der bisherigen anlagen können flexibel gefahren werden und da- Förderperiode eine Anschlussförderung bekom- mit einen großen und wichtigen Beitrag zur Sys- men. Die im Dezember letzten Jahres gefassten temstabilität unserer Stromnetze leisten. Bundesratsbeschlüsse zur Stärkung der Stromer- zeugung aus Biomasse waren gut und richtig und Dabei geht es zum einen darum, kurzfristige Ver- ein erster wichtiger Schritt auf dem zukünftigen brauchsschwankungen ausgleichen zu können. Weg. Zum anderen geht es darum, über den Tag hinweg Schwankungen zu egalisieren, die bei der Produk- In den weiterhin auf verschiedensten Ebenen ge- tion von erneuerbarem Strom aus Wind und Pho- laufenen Gesprächen wurden diese Ansätze auf- tovoltaikanlagen auftreten. genommen und weitergesponnen. Klar ist: Es be- darf im EEG 2016 einer Regelung, die nachhaltig In Niedersachsen können Biogasanlagen momen- ist und die richtigen Signale setzt. tan 1 000 MW stündlich in das öffentliche Netz (Beifall bei der CDU) einspeisen. Um diesen Strom zukünftig auch als Instrument zur Netzstabilität erhalten und nutzen So darf es im EEG 2016 nicht zu einer Verord- zu können, ist es dringend notwendig, dass diese nungsermächtigung kommen, in der nur eine Biomasseanlagen auch weiterhin wirtschaftlich wachsweiche Willensbekundung deklariert wird produzieren können, d. h. dass diejenigen Anla- und die Verantwortung von den Parlamenten auf gen, die bereits ab 2020 und dann fortwährend aus die Regierungsbänke abgeschoben wird. Wir brau- der bisherigen Vergütung herausfallen werden, ein chen Ansagen aus den Parlamenten zum EEG Nachfolgesystem erfahren, welches die weitere 2016 und zu dem möglichen Fortbestand der Bio- wirtschaftliche Nutzung der Anlagen ermöglicht. massestromproduktion.

Zusätzlich stehen bei vielen Anlagen nach einer (Beifall bei der CDU) gewissen Laufzeit Ertüchtigungsmaßnahmen an, Dazu gehört nach Meinung der CDU-Fraktion eine beispielsweise bei der Errichtung von größeren Anschlussregelung in einem Marktdesign, das zum Lagerkapazitäten für Gärprodukte. Das Gärprodukt Erhalt des Bestandes führt und darüber hinaus muss langfristig gelagert werden; denn nur so kann einen moderaten Ausbau im Rahmen des EEG es zu den Zeiten ausgebracht werden, zu denen 2014 ermöglicht. Hierbei müssen besonders Anla- die Pflanzen die Nährstoffe benötigen. gen Unterstützung bekommen, die zukünftig Pro- (Beifall bei der CDU) dukte aus der Nahrungsmittelindustrie und sonsti- ge Abfälle vergären können und damit eine sinn- Und, meine Damen und Herren, natürlich muss in volle Nachnutzung dieser Stoffe ermöglichen. die Anlagentechnik und die Wärmenetze investiert (Heiner Schönecke [CDU]: Sehr rich- werden, um sie zu erhalten und zu ertüchtigen. tig!) Denn nach 10 bis 15 Jahren Laufzeit sind die An- lagen verschlissen und bedürfen einer Erneue- Zudem muss es zukünftig verstärkt möglich sein, rung. die tierischen Exkremente in die Vergärung zu bringen. Gülle, Mist und andere Reststoffe aus der Doch das bedeutet noch keine Fortentwicklung, Tierhaltung sollten erst einer energetischen Nut- noch keinen Fortschritt. Der liegt in der Entschei- zung zugeführt werden, um dann als Dünger im dung, den Weg in die Flexibilisierung der Anlage Pflanzenbau zu dienen. Das ist nachhaltige Praxis. zu gehen, d. h. mit entsprechenden Investitionen eine flexible Stromproduktion zu ermöglichen, um (Beifall bei der CDU)

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Um die Wirtschaftlichkeit der oftmals kleinen Bio- nichts raus. Und wo man Pusteblume reintut, masse-Gülle-Anlagen kleiner bäuerlicher Familien- kommt auch nur Pusteblume raus. betriebe zu verbessern, ist es notwendig, dass sie (Beifall bei der CDU) viel flexibler als bisher einspeisen dürfen, dass sie entsprechend dem Stoffanfall oder dem Energie- Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag bedarf reagieren können. wollen wir ein klares Signal nach Berlin senden, indem wir deutlich machen, dass wir Biomas- Wenn wir weiterhin die bewährten Biomasseener- seenergiequellen erhalten wollen, um unsere länd- giequellen im ländlichen Raum erhalten wollen, lichen Räume zu stärken, um die Wärmenetze dann müssen wir Signale setzen, die Planungssi- weiterhin betreiben und weiterentwickeln zu kön- cherheit und Nachhaltigkeit bedeuten. Nur dann nen und weil wir die Wertschöpfung im ländlichen werden wir die Anlagenbetreiber motivieren kön- Raum brauchen. Zur Planungssicherheit braucht nen, ihre Anlagen weiterzuentwickeln, zu erhalten es verlässliche Rahmenbedingungen für die Zu- und auf die dringend notwendige flexible Strom- kunft. produktion umzustellen. (Glocke des Präsidenten) (Beifall bei der CDU) Letzter Satz: Das, was bisher in verschiedenen Die jetzt von Rot-Grün zu unserem Antrag einge- Gremien diskutiert wurde, war sicherlich richtig und brachten Veränderungen sind zum Teil nachvoll- notwendig. Aber es gibt noch Dinge, die zu ver- ziehbar, nämlich dann, wenn es darum geht, dass bessern sind, wie z. B. der Höchstgebotspreis. Und künftig verstärkt Rest- und Abfallstoffe wie Bioab- es muss ein Korrektursystem geben, sodass auch fälle, Getreidestroh, Gülle, Gebrauchtholz oder kleine Anlagen zukünftig die Möglichkeit haben, in Landschaftspflegematerial eingebracht werden der Ausschreibung erfolgreich zu sein. sollen, oder wenn es um die Unterstützung der Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Kraftwerke auf Holzbasis geht. (Beifall bei der CDU) (Volker Bajus [GRÜNE]: Das ist nicht nur nachvollziehbar, das ist sogar Präsident Bernd Busemann: richtig!) Vielen Dank, Herr Kollege Deneke-Jöhrens. - Es - Das habe ich vorhin gesagt. Das stand auch in folgt jetzt für die Fraktion der SPD der Abgeordne- unserem Antrag. Aber Sie haben es noch einmal te Karsten Becker. Bitte sehr, Herr Becker! verstärkt. Vielen Dank, Herr Bajus, das unterstüt- Karsten Becker (SPD): zen auch wir. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Was aber nicht geht, Herr Bajus, ist die Ablehnung Wir in Niedersachsen wollen natürlich auch unse- des Betriebs von Biogasanlagen auf Maisbasis ren Beitrag leisten, um das in Paris von der Welt- und anderen Fruchtarten, die Sie hier missver- gemeinschaft vereinbarte Klimaschutzziel, den ständlich als „Monokulturen“ bezeichnen. Wir bau- durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg auf en alles, was auf den Feldern steht, in Monokultur deutlich unter 2 °Grad im Vergleich zu den vorin- an. Auch die Biobetriebe tun das. dustriellen Werte zu begrenzen, zu erreichen. Da- zu müssen wir auf alle regenerativen Energiefor- Sie müssen also zunächst einmal erklären, was mit men zugreifen. Und neben Wind und Solarenergie den Begriffen gemeint ist. Dazu können Sie ja ist das in einem Agrarland wie Niedersachsen gleich ausführen. natürlich die Biomasse, die bei uns eine wesentli- Wenn es um eine Fütterung ausschließlich mit che Rolle spielt. Mais geht, dann wollen wir das auch nicht. Aber es In Niedersachsen sind heute 1 546 Biogasanlagen wird auch zukünftig nicht möglich sein, in der Grö- und 25 Holzheizkraftwerke in Betrieb. Sie tragen ßenordnung ausschließlich mit Abfallstoffen oder an der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren aber Gülle und Mist zu arbeiten. Es wird als Energien einen Anteil von 29 %. Damit leistet die Grundbasis und Grundfütterung sicherlich nötig biogene Energie in Niedersachsen nach der Wind- sein, auch Mais und andere Stoffe wie Getreide kraft den größten Beitrag zur Stromerzeugung aus oder Zuckerrüben, die als Monokultur vom Acker erneuerbaren Quellen. kommen, einbringen zu können. Denn das weiß jedes Kind: Wo man nichts reintut, da kommt auch (Heiner Schönecke [CDU]: Sehr richtig!)

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Meine Damen und Herren, diese Bilanz ist das EEG-Förderung fallenden Anlagen klug zu regeln, Ergebnis des Zubaus bis 2014. Die Novelle des indem die förderlichen Aspekte der Bioenergie EEG 2014 hat mit der deutlichen Kürzung der Ein- weiter gestärkt und die belastenden ökologischen speisevergütung faktisch zu einem Ausbaustopp Folgen minimiert werden. Mit dem EEG 2016 muss geführt. Zum Bestand sind in der Folge kaum noch ein Marktdesign für die Biogasanlagen verbunden neue Anlagen hinzugekommen. Der vorgesehene werden, das geeignete Abfallstoffe und nachhalti- Ausbaukorridor wird nicht ausgeschöpft. ge Energiepflanzen fördert und das Anreize zur Flexibilisierung von Bestandsanlagen setzt, um Wenn die Bestandsanlagen ab 2020 sukzessive deren Potenzial zur Bereitstellung von Regelener- aus der Förderung fallen, dann ist ihr Weiterbetrieb gie und Systemdienstleistungen noch stärker zu gefährdet, da an der Strombörse kein ausreichend entwickeln und nutzbar zu machen. hoher Preis erzielt werden kann, um allein die Substrateinsatzkosten zu decken. Dann macht der Erhalt der bestehenden Biogasinf- rastruktur unter energiesystemischen, unter ökolo- Damit entfielen dann sowohl die auf der Bioener- gischen und unter ökonomischen Aspekten Sinn. gieerzeugung aufgebauten Wärmenutzungskon- Vor allen Dingen werden die Menschen in der Bio- zepte als auch die mit der Bioenergienutzung mög- energie dann mehr sehen als bloß einen Konkur- lichen Systemdienstleistungen, z. B. für einen si- renten für den Lebensmittel- und Futtermarkt, cheren Stromnetzbetrieb. Das wäre bedauerlich, durch den sich der ökonomische Druck auf die meine Damen und Herren. Denn Biogas hat, richtig knapper werdenden landwirtschaftlichen Flächen erzeugt und angewendet, als gut steuerbare und weiter erhöht. einfach speicherbare regenerative Energie auch zukünftig eine wesentliche Rolle in der Energie- An dieser Stelle, meine Damen und Herren von der wende - CDU, springen Sie mit Ihrem Antrag, dessen Ziel- richtung und grundsätzliche Ausrichtung völlig (Zustimmung bei der CDU) richtig ist, leider zu kurz. Wenn Sie wirklich etwas nicht etwa weil der Anbau und die Energieum- für die Bioenergie tun wollen, dann empfehle ich, wandlung von Biomasse so herausragend effizient sich unserem Antrag anzuschließen. Dann könnten wäre - wir könnten mit Fotovoltaik auf den Anbau- wir mit einem entsprechend wirkungsvollen Signal flächen deutlich mehr Strom erzeugen -, sondern in Berlin aufschlagen. weil die Systemdienstleistungen der Bioenergie Vielen Dank. diese Energieform gerade bei weiter steigenden Anteilen der fluktuierenden erneuerbaren Energien (Beifall bei der SPD und bei den zu einer idealen Ergänzung von Windenergie und GRÜNEN) Fotovoltaik machen. Als gut speichbarem Energie- träger mit hoher Energiedichte kommt Biogas bei Präsident Bernd Busemann: der Substitution fossiler Brennstoffe zusätzliche Vielen Dank, Herr Becker. Bedeutung zu, besonders im Prozesswärmebe- reich. (Dr. Hans-Joachim Deneke-Jöhrens [CDU] meldet sich zu einer Kurzinter- Diesen Vorteilen stehen aber strukturelle Nachteile vention) der Energieerzeugung aus Biomasse gegenüber. Insbesondere der bevorzugte Einsatz von Mais Der nächste Redner ist nun Dr. Gero Hocker, FDP. beim Energiepflanzenanbau verursacht beträchtli- - Oh, habe ich etwas übersehen? Dann nehmen che ökologische Probleme. Herr Dr. Deneke- wir die Kurzintervention noch mit. 90 Sekunden für Jöhrens, ich will das gerne konkretisieren. Die Herrn Dr. Deneke-Jöhrens. Bitte! Belastungen von Natur, Landschaft und Grund- wasser durch die Vermaisung und durch die ent- Dr. Hans-Joachim Deneke-Jöhrens (CDU): sprechende Güllefracht machen deutlich, dass Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und eine Veränderung der Rahmenbedingungen für Herren! Sie machen den Fehler, den Mais zu ver- den Einsatz der Bioenergie erfolgen muss, und teufeln. Sie sprechen hier schon wieder von einer zwar sowohl auf der Input- als auch auf der Out- „Vermaisung“ der Landschaft. Schauen Sie sich putseite. einmal Ihr Vorzeigebiomassekraftwerk in Jühnde an! Auch das wird mit Mais betrieben, und es wird Mit der Novellierung des EEG besteht jetzt die nachhaltig betrieben. Möglichkeit, die Anschlussförderung für die aus der

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Sie haben hier von Effizienz und von Nachhaltig- Aus Ihrem Antrag geht hervor, dass Sie auf ganz keit gesprochen. Mais ist - vielleicht zusammen mit andere Elemente setzen wollen. Sie haben da der Zuckerrübe - die Pflanze, die am effizientesten insbesondere die Vergärung von Gülle im Blick. und nachhaltigsten in einem Biomassekraftwerk zu Ganz ehrlich: Wer sich ein bisschen mit Landwirt- verwenden ist. Meiner Ansicht nach ist die Mi- schaft auskennt, der wird wissen, dass Gülle Mais schung das Beste. nicht substituieren kann und dass Sie auch in Zu- kunft auf Mais setzen müssen, wenn Sie auf diese Sie müssen - das aber tun Sie nicht - Mais als Technologie setzen. Das ist ganz klar. einen wichtigen Baustein anerkennen. - Das sagen wir jedenfalls. - Mais sollte aber nicht der einzige (Zustimmung bei der FDP und bei der Baustein sein. Wir wollen nicht 100 % Mais, son- CDU) dern Maisanteile. Aber diese Anteile werden groß Anders wird das nicht funktionieren. Da hat jemand sein müssen. Sonst rechnet sich eine Biomassean- bei Ihnen seine Hausaufgaben nicht gemacht. Sie lage nicht. Wer das ablehnt und verneint, der be- sollten wissen, dass Gülle zu 95 % aus Wasser wegt sich jenseits der Realität. besteht, und aus Wasser ist eben nicht so viel Danke. Energie zu machen wie aus Mais. (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Es kann nicht angehen, dass wir als Politik mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz Anreize dafür Präsident Bernd Busemann: schaffen, dass sich unsere Landwirtschaft - die Branche, in der wir in Niedersachsen quasi Kern- Vielen Dank, Herr Dr. Deneke-Jöhrens. - Herr Be- kompetenzen besitzen, in der wir besser aufge- cker möchte antworten, ebenfalls innerhalb von 90 stellt sind als jedes andere Bundesland und die Sekunden. mehr Arbeitsplätze schafft als fast alle anderen Wirtschaftsbereiche - von ihrem originären Auftrag Karsten Becker (SPD): trennt. Es kann nicht angehen, dass ein Landwirt Herr Deneke-Jöhrens, die Realität beim Ausbau gar keine andere Wahl hat, als sukzessive zum von Biogasanlagen war, dass es zu einer deutli- Energiewirt zu werden und sich peu à peu von chen Ausweitung der Maisanpflanzungen gekom- dem zu trennen, was er am besten kann, nämlich men ist. Das Landschaftsbild hat sich völlig verän- von der Erzeugung von Nahrungs- und Futtermit- dert. Es ist zu deutlich stärkeren Einträgen von teln. Es kann nicht angehen, dass unsere Land- Gülle gekommen. Es geht darum, diese Entwick- wirtschaft Kernkompetenzen verliert. Das aber ist lung nicht durch den Bau weiterer Biogasanlagen das Ergebnis der Förderpolitik, die aus Berlin noch voranzutreiben, sondern ein deutliches Sig- kommt und die Sie hier unterstützen. nal dafür zu setzen, dass die Landwirtschaft sich wieder - in Anführungszeichen - normalisiert. Die (Beifall bei der FDP) Landwirtschaft soll sich durch die Vielfalt der an- Ich mache ausdrücklich keinem Landwirt den Vor- gebauten Produkte auszeichnen und nicht durch wurf, dass er sich die Vorzüge dieses Systems eine Konzentration auf Mais, die die Baudichte von sichert. Aber Politik muss doch erkennen, dass uns Biogasanlagen scheinbar erfordert. dieses EEG bei der Bewältigung der Energiewen- Danke. de überhaupt nicht weiterhilft. Dieses staatlich aufgeflanschte System zerstört die Kernkompeten- (Zustimmung bei der SPD und bei den zen, die auf Höfen in Niedersachsen seit fünf, GRÜNEN) zehn, manchmal sogar fünfzehn Generationen vorhanden sind und stetig weiterentwickelt wurden. Präsident Bernd Busemann: Der Schwarze Peter liegt da nicht beim Landwirt. Danke schön. - Jetzt aber spricht Herr Dr. Gero Aber Politik muss sich fragen, ob die Anreize, die Hocker von der FDP. Bitte sehr! sie setzt, tatsächlich ins Jahr 2016 gehören. (Beifall bei der FDP - Volker Bajus Dr. Gero Hocker (FDP): [GRÜNE]: Darüber reden wir heute! Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Welche Anreize wollen Sie setzen?) Herren! Ich bin dem Kollegen Deneke-Jöhrens für Was in Berlin auf den Weg gebracht wurde, ist die Kurzintervention dankbar, die er eben gemacht nach unserer Auffassung nicht einmal ein Tropfen hat. auf den heißen Stein. Die Große Koalition ist bei

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der Energiewende die Koalition des sprichwörtli- Regelfähigkeit und die Systemdienlichkeit, die chen kleinsten gemeinsamen Nenners. diese Form so wertvoll machen. Hinzu kommen Aspekte wie der Einsatz nachwachsender Rohstof- Sie haben insofern recht, als sich Biogasanlagen fe, die Stärkung des ländlichen Raums und die wohltuend von der Windenergie und der Sonnen- dezentralen Eigentümerstrukturen. energie mit ihrer volatilen Einspeisung absetzen. Biogas kann man transportieren und speichern. Deshalb haben wir Grüne von Anfang an die Bio- Damit erfüllt es zwei wichtige Kriterien, die die energie unterstützt. Wir tun das auch heute. Auch anderen sogenannten erneuerbaren Energien wir können die Augen allerdings nicht davor ver- nicht besitzen. schließen, dass die bisherige Förderung erhebliche Fehlentwicklungen verursacht hat. Auch die Ak- Weil wir die Landwirte, die einfach nur das EEG zeptanz der Bioenergie hat darunter gelitten. Hier nutzen, hinter dem Sie stehen und das Sie immer müssen wir im Sinne einer umwelt- und sozialver- wieder neu beschließen, nicht an den Pranger träglichen Nutzung umsteuern. Die Fördersystema- stellen wollen, haben wir uns im Ausschuss enthal- tik hat zu einer Fehlnutzung auf den Feldern ge- ten und werden das auch hier tun. Unsere Auffas- führt und - ja, das muss man auch so sagen; das sung ist, dass dieses EEG mit seinem falschen sagen auch die Menschen - auch zu immer mehr Anreizsystem endlich abgeschafft werden muss. Maisflächen, die in manchen Landstrichen zumin- Im Gegenzug müssen wir unsere Landwirte stär- dest zu dem Eindruck einer Monokultur geführt ken, statt sie durch immer neue Düngemittelver- haben, sodass die Leute den Eindruck haben, die ordnungen und andere bürokratische Hemmnisse Landschaft ist vermaist. zu schwächen. Damit machen wir unsere Landwir- te schwach. Deswegen sagen wir, dass Landwirte Diese Maisflächen passen prima zur Gülleentsor- entlastet werden müssen. Dann können sie auch gung in all den Regionen, in denen es viel zu viel den Wegfall dieses EEG kompensieren. Gülle gibt. Das wiederum führt zu zusätzlichen Belastungen des Grundwassers und der Natur. Vielen Dank. Zugleich hat der Biogasboom auch die Konkurrenz (Beifall bei der FDP) um die knappen Ackerflächen verschärft und den Anstieg der Bodenpreise zusätzlich befördert. Das Präsident Bernd Busemann: ist das, was wir nicht wirklich wollen können. Vielen Dank, Herr Kollege. - Nunmehr folgt Herr Kollege Volker Bajus von der Fraktion Bünd- Das EEG, meine Damen und Herren, darf keine nis 90/Die Grünen. Bitte sehr! Sie haben das Wort. Subventionen für Fehlentwicklungen in der Land- wirtschaft und in der Landschaft bedeuten, son- Volker Bajus (GRÜNE): dern es soll diese und die Landwirte stärken. Die Bioenergie muss als Standbein für die Landwirte Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und erhalten bleiben. Dies darf nicht zulasten von Herren! Die EEG-Novelle war heute schon Thema. Mensch und Umwelt gehen. Dabei geht es in der Tat auch um die Zukunft der Bioenergie. Leider steht in der politischen Debatte (Zustimmung von Helge Limburg häufig nur das Thema Mengenbegrenzung im Mit- [GRÜNE]) telpunkt. Tatsächlich geht es aber um mehr. Das Das tut mir leid, Herr Deneke-Jöhrens, aber wir haben meine Kollegen von der CDU und der SPD hätten im Ausschuss zu Ende diskutieren sollen, schon angesprochen. wie viel Maisanbau für dieses Land gut und richtig Leider bleibt die EEG-Reform auch hier nur Stück- ist und wie viel mehr wir wollen. Ich glaube nicht, werk mit womöglich kontraproduktiven Folgen, dass die Menschen in Weser-Ems oder die Men- während wir eigentlich an einem soliden Rahmen schen im Landkreis Rotenburg oder in anderen für eine kostengünstige, klimafreundliche und übri- Regionen einen zusätzlichen Energiemaisanbau gens auch verlässliche Energiewende arbeiten für richtig halten. Ich glaube auch nicht, dass die müssten. Landwirte das wollen, die nämlich mit den Flächen doch ganz andere Dinge machen können. Im Fall von Bioenergie ist doch nicht die Frage nach dem Wieviel der Knackpunkt, sondern die Wir sehen also die Zukunft, den Zubau in der Nut- Frage ist doch: Wie soll die Biomassenutzung ei- zung von Rest- und Abfallstoffen, von Bioabfällen, gentlich aussehen? - Es sind die besonderen von Grünschnitt, von Gülle, von Stroh und Rest- technischen Eigenschaften der Bioenergie wie die holz. Dort gibt es erhebliches Potenzial. Da sind

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wir doch beieinander. Offensichtlich hätten wir da Landes trifft das aber nicht zu. Dort sind die Ver- eine gemeinsame Position finden können. Natür- hältnisse andere. lich wollen wir eine Anschlussförderung für Be- Danke schön. standsanlagen - das macht Sinn -, wenn diese Anlagen für die bedarfsgerechte Steuerung umge- (Beifall bei der CDU) rüstet werden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN) Präsident Bernd Busemann: Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt kommt die Schade, dass Sie von der CDU an diesem Punkt Kurzintervention des Kollegen Grupe. Auch Sie nicht mit uns zusammenkommen wollten! Anders haben 90 Sekunden. Bitte! kann ich das nicht sehen. Unsere Landwirte hätten sich über ein geschlossenes Signal nach Berlin mit Hermann Grupe (FDP): Sicherheit mehr gefreut. Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen Vielen Dank. und Kollegen! Es wäre schön, wenn wir zu einer (Beifall bei den GRÜNEN und bei der sachlichen Beurteilung kämen. Die Biomasse hat SPD) als ein Teil des gesamten Energiemixes mit Si- cherheit große Bedeutung. Sie könnte eine noch Präsident Bernd Busemann: größere Bedeutung bekommen, wenn wir in Zu- kunft gezielt die Möglichkeiten der Speichertechno- Vielen Dank, Herr Kollege Bajus. - Mir liegen zwei logien nutzen würden. Gerade im Falle der Bio- Wortmeldungen für Kurzinterventionen vor. Die gasanlagen, die kurz vor dem Auslaufen der Be- erste stammt von Herrn Dr. Deneke-Jöhrens. Ich standsgarantie stehen - bei den ersten Anlagen erteile Ihnen das Wort für maximal 90 Sekunden. sind in vier oder fünf Jahren die zwanzig Jahre Danach hält sich Herr Kollege Grupe bereit. abgelaufen -, könnte man gezielt Speichermög- lichkeiten, wie sie heute schon angedacht werden, Dr. Hans-Joachim Deneke-Jöhrens (CDU): nutzen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bajus, Sie bieten auf der einen Seite In Ihrem Antrag werden leider einige Illusionen Gespräche an und sagen, wir hätten uns einigen verbreitet. So sprechen Sie davon, dass Mist und können. Auf der anderen Seite sagen Sie katego- Gülle ein großes Potenzial bieten. Ich muss Sie risch: Es geht uns um das, was zugebaut wird, und leider enttäuschen! Erstens werden die allermeis- dafür lassen wir keinen Mais zu. - In dem gleichen ten Reststoffe schon heute einer sinnvollen Ver- Atemzug reden Sie von Pachtpreisen und fabulie- wertung zugeführt. Zweitens sind die Möglichkeiten ren herum. Ihnen muss doch klar sein, dass der sehr begrenzt. Gülle besteht bekannterweise zu Methanertrag bei Anlagen, die mit Mais gefüttert 95 % aus Dihydrogenmonoxid, also aus Wasser. werden, am höchsten ist. Das dürfte unbestritten Daraus können Sie kaum Energie gewinnen, au- sein. Auch bei Anlagen, die mit Zuckerrüben und ßer Sie betreiben damit ein Wasserrad. Sie müs- Mais gefüttert werden, gibt es die höchsten Me- sen die Energie aus Mais und anderen Stoffen thanerträge. Diese Anlagen sind wirtschaftlich. gewinnen. Beim Mist sieht das ähnlich aus. Die Potenziale sind sehr begrenzt. Wenn Sie das da- Sie sagen aber plakativ: Wir erlauben nur noch rauf reduzieren wollen, wird der Bereich der Bio- Anlagen, die mit Reststoffen, mit Materialien aus energie sehr stark zurückgehen. Eine sachlichere der Landschaftspflege oder sonst irgendwelchen Betrachtung wäre hier sehr wichtig. Materialien gefüttert werden. Nur noch solche An- lagen sollen zugebaut werden. Das führt zu Netz- (Beifall bei der FDP) stabilität und sichert die gesamte Branche ab. Präsident Bernd Busemann: Unter den Bedingungen bekommen Sie aber kei- nen Zubau! Wir hätten darüber reden müssen, wie Vielen Dank, Herr Kollege Grupe. - Ich ahne, Herr hoch der Maisanteil beim Zubau sein darf. Ich Bajus, dass Sie erwidern wollen. Bitte sehr! stimme Ihnen zu: Eine Anlage, die in einem Gebiet entsteht, in dem schon sehr viel Mais angebaut Volker Bajus (GRÜNE): wird, stört das Landschaftsbild, und es stört auch Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und die Menschen vor Ort sicherlich, wenn der Herren! Herr Grupe, ich muss mich wundern. Was Maisanbau ausgeweitet wird. Auf weite Teile des will die FDP eigentlich? - Herr Dr. Hocker hat ge-

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rade erklärt, dass Sie das EEG komplett abräumen sicherstellen müssen, dass das zukunftsfähig ist. wollen. Sie wollen die Landwirte in diesem Bun- Nicht alles, was in der Vergangenheit investiert desland im Stich lassen, die auf eine Anschlussfi- wurde, ist tatsächlich zukunftsfähig. An mancher nanzierung warten und die eine vernünftige För- Stelle sind z. B. Anlagen ohne Wärmekonzept derkulisse für ihre Produkte, für Bioenergie erwar- gebaut worden. In manchen Landkreisen hat man ten. Sie stellen sich aber hier hin und greifen uns ein bisschen zu viel des Guten versucht und hat an, weil wir angeblich nicht konsequent genug nun Probleme mit den Einträgen von Gärresten. seien. Das ist doch absurd. Sie wissen, nicht was Auch das muss man im Blick behalten, weil wir Sie wollen! Energiepolitik gibt es bei der FDP of- unsere Landschaft nicht überfordern dürfen. Wir fensichtlich nicht mehr. Ich kann das nicht verste- müssen jetzt darauf achten, wenn es um die neue hen. Förderung geht. Wir haben sehr, Herr Dr. Birkner, für eine Anschlussförderung gekämpft. Viele Das Thema Gülle ist sowohl von uns als auch von Landwirte haben sich hier eine Einkommensquelle Herrn Dr. Deneke-Jöhrens angesprochen worden. erschlossen, die nicht einfach wegbrechen darf. Gibt es einen Unterschied zwischen CDU-Gülle und grüner Gülle oder roter Gülle? - Das ist ge- (Zustimmung von Ingrid Klopp [CDU]) nauso absurd. Wir brauchen eine zukunftsfähige Weiterentwick- Ich glaube, das Einzige, was Sie in Sachen Ener- lung. Sowohl die Betreiber bestehender Anlagen giepolitik können, ist, Nebelkerzen zu werfen, po- als auch die Betreiber von Neuanlagen müssen pulistische Forderungen zu verbreiten und ab und sich an solchen Ausschreibungen beteiligen kön- zu, wenn Sie einmal an das Mikro dürfen, so zu nen. Die Bedingungen müssen so sein, dass die tun, als würden auch Sie etwas für die Landwirt- Systemeigenschaften und die Speichermöglichkei- schaft in diesem Lande machen. In Wirklichkeit ten genutzt werden und dass in sinnvoller Art und sind Sie doch die Neinsagerpartei geworden. Das Weise möglichst auch eine Wärmenutzung erfolgt. sehen wir gerade heute wieder an diesen Punkten. Das ist eine Einkommensquelle, die dazu beiträgt, Vielen Dank. dass eine Anlage langfristig wirtschaftlich betrieben werden kann. (Beifall bei den GRÜNEN - Hermann Grupe [FDP]: Das reicht ja noch nicht In diesem Zusammenhang spielen auch die Bera- einmal für den Kindergarten!) terinnen und Berater eine große Rolle, damit sich die Landwirte nicht für eine falsche Technologie Präsident Bernd Busemann: oder eine falsche Anlagenstruktur entscheiden. Wir Vielen Dank. - Meine Damen und Herren, aus dem alle haben Verantwortung dafür, dass dies in die Plenum liegen mir keine Wortmeldungen mehr vor. richtige Richtung geht. Das ist beileibe kein Selbst- Aber die Landesregierung möchte noch reden. Ich läufer. Vielmehr hatten wir harte Diskussionen. Wir erteile Herrn Umweltminister Wenzel das Wort. haben unter den Bundesländern lange gesucht, bis Bitte sehr! wir genügend Bündnispartner gefunden hatten, um eine kritische Masse für entsprechende Beschlüs- Stefan Wenzel, Minister für Umwelt, Energie und se im Bundesrat zu erzielen. Ich hoffe, dass es Klimaschutz: gelingt. Dabei sollten wir aus manchem Fehler der Vergangenheit lernen. Es ist eine neue Technolo- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten gie. Es ist klar, dass man bei neuen Technologien Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Grupe und manchmal Fehler macht. Aber jetzt wissen wir Herr Dr. Hocker, wenn ich die Redebeiträge von mehr als vor 15 Jahren. Darauf gilt es aufzubauen. Ihnen beiden höre, nehme ich zwei sehr unter- schiedliche Positionen wahr. Der eine will alles Ich danke Ihnen herzlich fürs Zuhören. abschaffen, und der andere will noch etwas für die Landwirtschaft herausholen. Irgendwie passt das (Beifall bei den GRÜNEN und bei der nicht zusammen. SPD) (Hermann Grupe [FDP]: Doch!) Präsident Bernd Busemann: Ich glaube, wir müssen unseren Landwirten einer- Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und seits sagen, dass wir das, was mit dem Biogas Herren, weitere Wortmeldungen liegen uns nicht bisher gemacht wurde, auch in Zukunft wollen. Wir vor. müssen ihnen andererseits aber sagen, dass wir

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Wir kommen zur Abstimmung. „Augen zu und durch geht nicht. Jetzt hilft nur Überzeugungsarbeit mit maximaler Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses Transparenz.“ zustimmen und damit den Antrag der Fraktion der CDU in der sich aus der Beschlussempfehlung Frau Emmerich-Kopatsch hat dann im Plenum ergebenden geänderten Fassung annehmen will, gesagt, was sie davon hält - ich zitiere aus dem den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stenografischen Bericht -: Enthaltungen? - Das Erste war die Mehrheit. Damit „Das will, wie gesagt, im Moment niemand ist der Beschlussempfehlung zugestimmt und der hören.“ Antrag der CDU-Fraktion in einer geänderten Fas- sung angenommen worden. Deutlicher hat der Minister hier eigentlich nur sel- ten eine Klatsche ins Gesicht bekommen. Meine Damen und Herren, wir kommen zu dem (Beifall bei der CDU und bei der FDP - Petra Emmerich-Kopatsch [SPD] lacht) Tagesordnungspunkt 28: Abschließende Beratung: - Frau Emmerich-Kopatsch, wie soll man denn TTIP: Niedersachsens Chancen nutzen - Euro- sonst bewerten, wenn der Minister sagt, man solle päische Standards wahren - Antrag der Fraktion Überzeugungsarbeit leisten, Sie aber sagen, dass der CDU - Drs. 17/5634 - Beschlussempfehlung im Moment niemand Werbung für TTIP hören will? des Ausschusses für Bundes- und Europaangele- - Das müssen Sie einmal erklären. Das kriegt man genheiten, Medien und Regionalentwicklung - doch nicht zusammen. Seien Sie doch ehrlich! Sie Drs. 17/5740 haben Ihren Minister hier wie schon bei der A 39 erneut im Regen stehen lassen, von den Grünen getrieben. So und nicht anders ist es. Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzu- (Beifall bei der CDU und bei der FDP) lehnen. Weil es insbesondere die Grünen waren, die hier Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. vorangegangen sind, will ich mich jetzt noch ein- mal an die betreffenden Kolleginnen und Kollegen Wir treten ein in die Beratung. Es spricht zunächst wenden. Man kann hier lange darüber diskutieren, der Abgeordnete Toepffer für die CDU-Fraktion. was in einem solchen Abkommen stehen soll und Bitte! nicht stehen darf. Über Inhalte sollte man immer reden. Wenn Sie aber ehrlich sind: Um die Inhalte Dirk Toepffer (CDU): geht es Ihnen doch gar nicht mehr. Sie wollen die Diskussion um Inhalte im Keim ersticken. Das ist Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser doch die Wahrheit! Antrag ist erst vor Kurzem, am 4. Mai, ins Plenum eingebracht worden, also zu einem Zeitpunkt, zu (Beifall bei der CDU und bei der FDP) dem TTIP zugegebenermaßen unter einem star- Wir wollen und wollten den Abschluss der Ver- ken öffentlichen Druck stand und als die Forderung handlungen abwarten und die Beurteilung dann laut wurde, man solle die Verhandlungen sofort den gewählten Parlamenten überlassen. Und Sie? abbrechen. Wenn der Ausschuss diesen Antrag in - Sie fürchten die Entscheidung dieser Parlamente. Rekordzeit beraten hat, dann leider nicht deshalb, Und deswegen wollen Sie die Verhandlungen von weil man TTIP unterstützen wollte. vornherein beenden. So und nicht anders ist es. Die Positionen im Ausschuss waren klar und ein- (Zustimmung von Jörg Bode [FDP]) deutig. CDU und FDP sind mit Minister Lies der Dabei, meine Damen und Herren, ist Ihnen wirklich Meinung, dass gerade jetzt Zeichen für TTIP ge- jedes Mittel recht. Ich erinnere nur einmal an das setzt werden sollten. SPD und Grüne aber sind Mai-Plenum. Seinerzeit kamen Sie mit einem An- anders als Minister Lies der Meinung, dass man trag zur Aktuellen Stunde und wollten die vermeint- gerade jetzt am besten gar nichts tut. Ich zitiere lichen Enthüllungen von TTIP-Leaks aufklären. den Minister aus der NWZ vom 26. April 2016, weil Einen „Enthüllungsskandal“ haben Sie da an die es einfach so schön plastisch ist, Herr Minister. Sie Wand geschrieben. Es waren Herr Bode und ich, sagten damals - Zitat -: die Ihnen dann erklärt haben, dass all das, was als

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Enthüllung an die Wand geschrieben worden ist, Sie ohnehin glauben, dass diese Parlamente als bekannt war. Das gesamte Konfliktpotenzial war Kontrollorgane nicht mehr funktionieren. schon lange öffentlich bekannt. (Zustimmung bei der CDU - Zurufe (Miriam Staudte [GRÜNE]: Bestätigt!) von den GRÜNEN) - Frau Staudte, auch damals haben Sie einen Zwi- Man kann die Debatte gerade und auch sehr gut schenruf gemacht, der da lautete: Das macht es mit jungen Menschen führen. Ich war gestern nicht besser. - Da haben Sie recht. Natürlich wird Abend nach dem Plenum mit Herrn Bode bei einer es nicht besser, wenn Konflikte vorher bekannt Veranstaltung verschiedener politischer Jugendor- sind. Das gibt Ihnen aber doch nicht das Recht, ganisationen. Da waren Attac-Sympathisanten und der Öffentlichkeit weiszumachen, dass hier irgend- auch ein Redner von denen, da waren junge jemand belogen worden ist oder dass irgendetwas Transatlantiker. Und ich kann Ihnen eines sagen: geheim gehalten worden ist. Das ist doch unred- Die haben lange darüber diskutiert, was in ein lich. solches Abkommen hineingehört. Am Ende waren sie völlig unterschiedlicher Meinung - gar keine (Beifall bei der CDU und bei der FDP - Frage -, genau wie hier. Aber anders als hier hat Zuruf von Helge Limburg [GRÜNE]) man da in der Diskussion TTIP wenigstens eine - Herr Limburg, ich sage Ihnen einmal eines: Bei Chance gegeben. Ich kann Ihnen sagen: Diese TTIP agieren Sie und Ihre Partei eigentlich nicht jungen Menschen waren weitaus weiter als manch mehr anders als Donald Trump. ideologisch verhaftete Parlamentarier. (Lachen bei den GRÜNEN) (Zustimmung bei der FDP - Zuruf von Helge Limburg [GRÜNE]) Ja, Sie schüren Ängste, Sie verunsichern die Men- schen, und Sie fördern das Misstrauen gegenüber - Herr Limburg, wer Verhandlung ablehnt, weil er parlamentarischen Institutionen. Sie müssen das der Meinung ist, dass er sich mit seiner Meinung schlicht einmal nachlesen. Sie müssen einmal die letztendlich nicht durchsetzen wird, der leistet der Äußerungen von Donald Trump zu TTIP nachlesen Demokratie wahrlich einen Bärendienst. und diese neben Äußerungen grüner Politiker le- Vielen Dank. gen. Dann werden Sie bemerkenswerte Überein- stimmungen finden. (Beifall bei der CDU und bei der FDP)

(Zustimmung bei der CDU) Präsident Bernd Busemann: Sie tun das, indem Sie den Eindruck erwecken, Vielen Dank, Herr Kollege Toepffer. - Es folgt jetzt Parlamentarier würden sich von den USA über den für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kollegin Tisch ziehen lassen. Sie tun das, indem Sie den Maaret Westphely. Bitte sehr! Eindruck erwecken, es würden Geheimverhand- lungen geführt. Sie tun das vor allem, indem Sie Maaret Westphely (GRÜNE): den Eindruck erwecken, gewählte Parlamentarier Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen würden sich nicht an den Menschen orientieren, und Kollegen! Ein Antrag zur Akzeptanzbeschaf- die sie gewählt haben, sondern sie würden gegen fung für TTIP, ohne dass wir wissen, was und wie die Interessen dieser Menschen entscheiden. Das gerade eigentlich verhandelt wird, ist geradezu ist zutiefst unredlich. absurd. (Beifall bei der CDU und bei der FDP - (Zustimmung bei den GRÜNEN) Anja Piel [GRÜNE]: Wer sagt denn so Auch wenn die Argumente zu diesem Thema in was?) etlichen Debatten ausgetauscht worden sind, will - Ja, Sie glauben nicht daran, dass diese Parla- ich trotzdem noch ein paar Worte zu dem Antrag mente funktionieren; denn sonst würden Sie doch und auch wieder zu dem Vorwurf sagen, dass wir sagen: Verhandelt doch erst einmal zu Ende, und uns hier undemokratisch verhalten würden. dann wird das dort entschieden. - Man stellt sich Nach wie vor sind die Zahlen zum volkswirtschaft- übrigens die Frage - mir ist das heute Morgen so lichen Nutzen in Ihrem Antrag falsch und geschönt. gegangen -, warum Sie sich eigentlich dafür ein- Alle haben das inzwischen verstanden, außer setzen, das Wahlalter für junge Menschen, wenn scheinbar der CDU in Niedersachsen. es um Parlamentswahlen geht, zu senken, wenn

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Nur so ein Tipp am Rande: Mit diesen irreführen- gulierung in vielen Bereichen nicht nur auf der den Fakten schaffen Sie keine Akzeptanz, sondern Staatenebene, sondern auch auf der Ebene der eher verstärken Sie damit die Unsicherheit. Uns einzelnen Bundesstaaten statt. Daran wird auch kann das aber nur recht sein; TTIP nichts ändern. Auch das ist aus unserer Sicht wieder ein Beispiel dafür, dass der proklamierte (Zuruf von der CDU: Das glaube ich!) Nutzen in keinem Verhältnis zu den Risiken steht. denn wir Grüne haben von Anfang an das Ver- (Beifall bei den GRÜNEN) handlungsmandat für TTIP zwischen Europa und den USA abgelehnt. Insofern ist es nicht undemo- Alles in allem kann ich nur sagen: Wir haben be- kratisch, sondern es ist nur konsequent, wenn wir reits eine Entschließung mit unseren zentralen immer und immer wieder fordern, die Verhandlun- Kritikpunkten zu TTIP beschlossen. Es gab ver- gen auf der Grundlage dieses Mandats zu stop- schiedene Bundesratsinitiativen, auch von Nieder- pen. Das müssen Sie auch einmal so hinnehmen. sachsen aus initiiert, mit denen versucht wurde, Im Ausschuss haben Sie es immerhin anerkannt. das Schlimmste zu verhindern, (Beifall bei den GRÜNEN) (Zustimmung bei der CDU: Oh!) Und das aus gutem Grund; denn das Vorsorge- wie insbesondere die private Schiedsgerichtsbar- prinzip in Europa ist für uns nicht verhandelbar. keit. Aktuell sehen wir überhaupt keine Veranlas- Vor diesem Hintergrund wäre eine Rechtsharmoni- sung, unsere ablehnende Haltung zu überdenken. sierung oder eine gegenseitige Anerkennung der Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Standards kaum möglich, ohne die Schutzziele auf der einen oder auf der anderen Seite zu verletzen. (Beifall bei den GRÜNEN) Ich empfehle in diesem Zusammenhang die Lektü- Präsident Bernd Busemann: re einer Stellungnahme des TÜV. Diese enthält sehr interessante Hinweise darauf, auch wenn sich Vielen Dank, Frau Kollegin. - Es gibt den Wunsch die Ausführungen nur auf einen Teil der Standards nach einer Kurzintervention auf Ihren Redebeitrag beziehen sollten. Die Gefahr einer Absenkung der vom Kollegen Bode. Sie haben anderthalb Minu- Standards einzugehen, lehnen wir ab. ten. Ein weiterer wichtiger Grund für unsere Ablehnung (Gudrun Pieper [CDU]: Es gibt zwei! ist, dass private Schiedsgerichte zwischen zwei Herr Toepffer auch!) demokratischen und rechtsstaatlichen Wirtschafts- - Das war auch der Wunsch auf eine Kurzinterven- räumen nichts zu suchen haben. tion? (Beifall bei den GRÜNEN) (Dirk Toepffer [CDU]: Ja!) Es gibt inzwischen viele Beispiele dafür, wie mit - Gut. dieser intransparenten und nicht unbedingt neutra- Bitte, Herr Bode! len Gerichtsbarkeit versucht wurde, demokratisch gefällte Entscheidungen auszuhebeln. Deshalb ist Jörg Bode (FDP): es höchste Zeit, dass auf globaler Ebene Alternati- ven wie die Schaffung eines internationalen öffent- Herr Präsident! Frau Westphely, Sie haben eindeu- lichen Gerichtshofes eingeführt und alte Verträge tig gesagt, dass Sie das Mandat der Europäischen mit dem althergebrachten Investitionsschutz Schritt Kommission für die Verhandlungen ablehnen und für Schritt abgelöst werden. einen Abbruch der Gespräche wollen. Das muss man sich mal vorstellen: Sie wollen nicht einmal Nun noch ein Wort zum Thema Reichweite der den Versuch unternehmen, mit den Vereinigten Vereinbarungen zwischen der EU und den USA Staaten zu einem Abkommen zu kommen. gerade für den hiesigen Mittelstand. Bei der vom (Helge Limburg [GRÜNE]: Wenn wir Landtagspräsidenten organisierten Veranstaltung das Mandat nicht teilen? Was würden im letzten Jahr hier in diesem Raum wurde der Sie machen als großer Demokrat?) Vertreter der EU-Kommission gefragt, inwieweit die bundesstaatlichen Regelungen und Verhandlun- Sie wollen nicht einmal den Versuch unternehmen, gen zu TTIP mit den USA überhaupt mit der dorti- den Verbrauchern Produkte kostengünstiger anzu- gen föderalen Gesetzgebung in einem Zusam- bieten. Sie wollen nicht einmal den Versuch unter- menhang stehen. Denn in den USA findet die Re- nehmen, Bürokratie abzubauen. Sie wollen nicht

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einmal den Versuch unternehmen, mittelständi- „Die Politik muss sich fragen, warum es schen Unternehmen den Markt USA zu öffnen, um nicht gelungen ist, mehr Menschen von dem dort Kunden bedienen zu können. Sie wollen die- Sinn von Verhandlungen zu überzeugen.“ sen Versuch nicht unternehmen, weil Sie Freihan- Frau Westphely, wenn man Sie hier hört, muss del nicht wollen. man sich diese Frage tatsächlich nicht stellen. (Helge Limburg [GRÜNE]: Ach Quark! (Beifall bei der CDU und bei der FDP - Nicht unter diesen Bedingungen!) Thomas Schremmer [GRÜNE]: Unse- Sie lehnen Globalisierung ab, Sie lehnen Außen- re Aufgabe ist es, Schaden von der handel ab, meine sehr geehrten Damen und Her- Bevölkerung abzuwenden!) ren. Vor dem Hintergrund, dass 75 % der Wirt- schaftsleistung in Deutschland vom Außenhandel Präsident Bernd Busemann: abhängt, ist das ein erschreckendes Zeugnis, das Danke. - Frau Westphely, Sie wollen reagieren? - Sie hier ablegen. Das ist ein Arbeitsplatzvernich- Anderthalb Minuten, bitte! tungsprogramm für Deutschland, wenn Sie sich mit dieser Forderung durchsetzen. Maaret Westphely (GRÜNE): Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen kommen Sie eigentlich dazu, nicht einmal das und Herren! Selbstverständlich lehnen wir Grüne Gespräch mit Partnern führen zu wollen, die uns in den Außenhandel nicht ab. Wir lehnen auch den vielen Dingen Seite an Seite über Jahrzehnte hin- Freihandel nicht in Gänze ab. weg unterstützt haben? - Wenn wir mit den ameri- (Zurufe von der CDU) kanischen Vertretern nicht einmal mehr reden kön- nen sollen, wenn Sie schon das Gespräch mit Aber die Frage ist immer, auf welche Grundlage er ihnen ablehnen, was soll das denn, bitte, in der stattfindet. Zukunft für eine freundschaftliche Verbindung zwi- schen Deutschland, Europa und den USA sein? Ich habe eben entscheidende Punkte genannt: Wir befürchten die Absenkung von sozialen und Um- Deshalb meine herzliche Bitte: Überdenken Sie weltstandards und haben Bedenken mit Blick auf Ihre Position, seien Sie doch gesprächsbereit, und den geplanten Ausbau des Investitionsschutzes. hören Sie sich erst einmal das Ergebnis an! Wenn Das alles steht im Mandat und ist Grundlage der nicht das dabei herauskommt, was Sie sich wün- Verhandlungen. Deswegen lehnen wir die Ver- schen, dann lehnen Sie es ab. Aber warten Sie handlungen ab. Aber das heißt nicht, dass wir mit erst das Ergebnis ab! Bewerten Sie dann, wie das unseren Partnern nicht auch weiterhin sprechen Ergebnis ist - gut oder schlecht -, und sagen Sie würden. dann Ja oder Nein! Aber sagen Sie nicht, dass man nicht einmal mehr mit den Amerikanern reden (Beifall bei den GRÜNEN) darf. Das ist doch wirklich diskriminierend. Präsident Bernd Busemann: (Zustimmung bei der FDP und bei der Danke schön. - Es folgt jetzt für die Fraktion der CDU) SPD die Kollegin Petra Emmerich-Kopatsch. Bitte sehr! Präsident Bernd Busemann: Vielen Dank, Herr Kollege. - Es folgt jetzt Herr Petra Emmerich-Kopatsch (SPD): Kollege Toepffer. Sie haben ebenfalls 90 Sekun- Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen den. und Kollegen! Werter Herr Toepffer, ich glaube, es ist etwas in Vergessenheit geraten, dass wir be- Dirk Toepffer (CDU): reits vor drei Jahren gemeinsam mit den Grünen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die eine wirkliche wegweisende und noch heute gülti- brauche ich gar. Der Kollege Bode hat eigentlich ge Landtagsentschließung verabschiedet haben, in alles gesagt. der steht, auf welcher Grundlage aus Sicht der SPD und der Grünen die Verhandlungen über ein Ich will nur eine Anmerkung ergänzen: Herr Lies transatlantisches Handelns- und Investitionsab- hat in dem fraglichen Interview in der NWZ am kommen stattfinden können. Diese Meinung, die 26. April 2016 folgenden Satz gesagt: wir schon vor drei Jahren formuliert haben, vertre-

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ten auch die Bundeskanzlerin und die Bundesre- Herr Kollege Toepffer, Sie haben in Ihrem Antrag gierung insgesamt. geschrieben, man soll die Menschen faktenbasiert aufklären. Dagegen hat ja niemand etwas. Dazu (Uwe Schünemann [CDU]: Aber wa- muss man aber die Fakten kennen! Es ist nicht rum lehnen die Grünen das dann ab?) falsch, das machen zu wollen. Aber was sollen wir Insofern haben wir bisher gar nichts falsch ge- transparent erklären, wenn die USA weiterhin auf macht. Ich würde niemals, Kollege Toepffer, dem strikter Geheimhaltung ihrer Verhandlungsposition Wirtschaftsminister Olaf Lies - denn einen besse- bestehen? - Das wird nicht möglich sein! ren hatten wir fast nie - - - (Zustimmung bei der SPD und bei den (Heiterkeit) GRÜNEN) - Ich musste gerade überlegen, wer das gewesen Wir sind der Meinung - und das ist der einzige sein könnte. wirklich wichtige Grund -, dass TTIP innerhalb dieser kurzen Zeit gar nicht mehr kommen kann. (Jörg Bode [FDP]: Ich habe da einen Frau Kollegen Pieper, andere und ich waren vor Verdacht!) zwei Jahren bei der Generalkonsulin der USA. Sie Also ich kenne keinen besseren als Minister Olaf hat uns damals gesagt, dass TTIP 2015 abge- Lies. schlossen sein muss, weil es sonst wegen der anstehenden Präsidentschaftswahl nichts mehr (Beifall bei der SPD - Zurufe von der werden kann. SPD: Geht doch!) (Jörg Hillmer [CDU]: Glauben Sie, Insofern können wir es recht kurz halten. dass Trump gewinnt?) In Ihrem Antrag ist doch im Prinzip eine Forderung Jetzt ist 2016, und das Zeitfenster geht immer formuliert: Wir sollen Werbung dafür machen, dass weiter zu. Was nach der Wahl in Amerika kommt, TTIP eine wichtige Sache. wissen wir alle nicht. Es ist bedauerlich, dass es (Gudrun Pieper [CDU]: Das tut doch nicht möglich sein wird, dass die nationale Gesetz- gebung - wie in Ihrem Antrag gefordert - nicht be- nicht so weh! - Weitere Zurufe von der CDU) einträchtigt wird. Die Generalkonsulin hat uns da- mals schon gesagt, dass die USA auf Schiedsge- - Sie fordern das in Ihrem Antrag; das können Sie richten bestehen werden. Sie werden von dieser nicht wegdiskutieren. Wenn Sie andere Leute hier Forderung nicht abrücken. Wir sind aber nicht be- als Donald Trump nennen, dann sage ich: Sie reit, auf diese Forderung einzugehen. Insofern wird versuchen wie Donald Duck, immer wieder gegen das eine sehr schwierige Angelegenheit; denn ein dieselbe Wand zu laufen. TTIP light wird von keiner Seite gewünscht. Ihre einzige inhaltliche Forderung ist, dass wir (Reinhold Hilbers [CDU]: Schicken Sie Werbung für TTIP machen sollen. Dazu muss man mal Sigmar Gabriel!) sagen: Wir sind doch gar dafür zuständig! - Ihre - Ja, ja. Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel, hat gesagt: Wir wollen TTIP. - Sie hat aber auch nicht ein einziges Was die Lebensmittelsicherheit und den Verbrau- Mal irgendetwas dazu geklärt - genauso wenig wie cherschutz anbelangt, weichen die USA ebenfalls die Handelskommissarin oder die Kommission nicht von ihrem Nachsorgeprinzip ab, während wir insgesamt. Niemand hat sich die Mühe gemacht, auf Vorsorgeprinzipien bestehen werden. Gerade auf die Menschen zuzugehen und zu sagen, wofür die Bauern in Niedersachsen - deswegen habe ich TTIP denn steht. Nicht einmal der Versuch wurde mich auch gewundert, als Frank Oesterhelweg hier unternommen! Das hat sich ganz bitter gerächt; klatschte wie ein begeisterter Anhänger von TTIP; denn es hat sich eine sehr, sehr große Bewegung denn er kennt sicherlich sehr viele Bauern; er aus einer guten, kampagnefähigen Organisation kennt auch den Verbandspräsidenten - herausgebildet, die Ängste geschürt hat. Ob sie (Frank Oesterhelweg [CDU]: Wie bitte?) berechtigt sind oder nicht, will ich hier gar nicht bewerten. fürchten um ihre hiesigen bäuerlichen Strukturen. Niemand kann ihnen derzeit diese Angst nehmen (Uwe Schünemann [CDU]: So eine und ihnen sagen, dass die Amerikaner bereit sind, Kritik an Herrn Gabriel ist aber hart!) auf ihre Wünsche zu verzichten, sodass ihre völlig

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anders strukturierte Landwirtschaft unsere Agrar- was als Verhandlungsergebnis festgeschrieben branche nicht gefährdet. Wir müssen den Men- werden soll, ist selbstverständlich. Denn wenn man schen Sorgen und Ängste nehmen. Aber eine keine eigenen Vorstellungen und Wünsche hätte, Werbemaßnahme würde in diesem Fall nicht aus- bräuchte man gar nicht zu verhandeln. Ich finde es reichen. schon einmal gut, dass diese Offenheit heute zum Tragen kam und Sie nicht die gleiche Position Wir alle gemeinsam haben gesagt, dass wir natio- eingenommen haben wie Ihr Koalitionspartner. nale Standards im Arbeitsrecht - das ist uns natür- lich besonders wichtig - und zum Schutz der Ar- Aber auch durch Ihren Beitrag - bei dem, was Sie beitnehmer halten wollen. Wir werden niemals an gesagt haben, war sehr viel Richtiges dabei - ist diesen Standards rütteln. Ich glaube nicht, dass es deutlich geworden, dass es ein großes Problem so schnell gelingen wird, die USA davon zu über- gibt: dass wir viel zu wenig über die Chancen re- zeugen. den, die TTIP hat, dass wir die Chancen nicht ver- Alles in allem kann man festhalten: In den Ver- mitteln und nicht erklären, dass es quasi eine handlungen wurde nicht genug erreicht. Sie haben Freude ist, sich das Ergebnis anzuschauen und zu zu lange gedauert. Das Zeitfenster wird sehr eng. bewerten. Stattdessen wird immer über ominöse Wir befürchten, dass auch demnächst nicht viel Risiken gesprochen, was, wie Sie richtig gesagt Neues kommen wird. Überall sind Absetztenden- haben, von einer sehr gut entwickelten und ge- zen bemerkbar. Jean-Claude Juncker sagte schon: schulten Kampagne, insbesondere von Attac, in Na ja, könnte schwierig werden. - Selbst die Wirt- die Bevölkerung getrieben wird, sodass man ei- schaftswoche schreibt, dass das wohl vor der Prä- gentlich nur noch Risiken diskutieren muss, die sidentschaftswahl nichts mehr wird. Wir hier im noch nicht einmal Verhandlungsgegenstand wa- Landtag sollten nicht die Letzten sein, die noch so ren. tun, als könnte man werbewirksam verkäufliche Als dieses Chlorhühnchen in den Medien immer Inhalte, die wir überhaupt nicht kennen, an das rauf und runter diskutiert wurde, wurde in den Volk bringen. Gruppen gar nicht darüber gesprochen, weil von Transparenz, wie von Ihnen gefordert, werden wir vornherein klar war, dass das Chlorhühnchen gar damit nicht erreichen. Wir halten an unserem nicht auf die Agenda kommt. So geht es auch mit Landtagsbeschluss zu TTIP von vor drei Jahren anderen Bereichen. fest. Wir halten ihn immer noch für wegweisend. Genauso muss man sagen, dass es durchaus Das heißt nicht, dass wir dagegen sind - ganz im auch Falschaussagen in den Medien gab, auch Gegenteil. Aber wir knüpfen Bedingungen daran, von Vertretern der Landesregierung. Die Staats- und davon weichen wir nicht ab. sekretärin im Umweltministerium hat im ZDF eine Vielen Dank. eindeutig falsche Aussage zu TTIP-Bestandteilen gemacht und hat sich geweigert, das hinterher zu (Beifall bei den GRÜNEN und bei der korrigieren. Es gibt dazu einen intensiven Schrift- SPD) wechsel mit der Europäischen Kommission.

Präsident Bernd Busemann: Von daher müssen wir uns auch die Frage stellen: Vielen Dank, Frau Kollegin. - Es folgt jetzt für die Wie gehen wir eigentlich mit der Aufgabe um? - Fraktion der FDP der Abgeordnete Jörg Bode. Man kann, wie es Frau Emmerich-Kopatsch getan Bitte sehr! hat, sagen: Das ist doch gar nicht unsere Zustän- digkeit. - Meine sehr geehrten Damen und Herren, Jörg Bode (FDP): bei so etwas Wichtigem wie der Chance, dem Mit- telstand den Markt in den USA zu öffnen, Produkte Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! günstiger zu machen, sollten wir uns nicht auf die Frau Emmerich-Kopatsch, ich bin sehr erleichtert, Frage zurückziehen, wer zuständig ist und wer dass Sie etwas anderes gesagt haben als die Grü- nicht, sondern selber das Heft in die Hand nehmen nen eben und deutlich gemacht haben, dass Sie und dafür werben und erklären, mit den Menschen für die Verhandlungen zwischen der Europäischen reden, die Chancen darlegen und es nicht Attac Union und den USA zu TTIP offen sind. Dass Sie - überlassen, ominöse Risiken in den Raum zu stel- wie wir alle - Bedingungen daran knüpfen, Forde- len, die wir dann wieder wegzudiskutieren versu- rungen stellen und auch Wünsche haben, was bei chen, obwohl sie vorher gar nicht da waren. TTIP herauskommen soll, dass Sie sich wünschen,

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Das ist etwas, was mir fehlt. Deshalb begrüße ich hier anwesende Wirtschaftsminister! - die Initiative der CDU, uns erneut selber den Auf- Zuruf: Das ist okay! - Zuruf: Der SPD trag zu geben und die Landesregierung sozusagen oder insgesamt?) mit nach vorn zu stellen, damit den Menschen erklärt wird, welche Chancen TTIP hat und welche Olaf Lies, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Ver- Risiken gar nicht vorhanden sind, weil hinterher kehr: noch durch Parlamente entschieden werden muss Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und es Kontrollinstrumentarien gibt. Wir haben sehr häufig hier im Parlament, aber ich Herr Minister Lies, Frau Emmerich-Kopatsch hat denke, viele von uns haben auch außerhalb des gesagt, alles sei geheim, und keiner wisse etwas. Parlaments intensiv über die Frage des Freihan- Sie sind derjenige, der sogar in den Leseraum delsabkommens diskutiert, und wir alle haben un- hineindarf. Ich hoffe, dass Sie auch dort waren und sere ganz eigenen Erfahrungen damit gemacht. Es intensiv gelesen haben, damit Sie Frau Emmerich- gibt eigentlich kaum eine Veranstaltung, in der es Kopatsch die letzten Zweifel nehmen können. Mich nicht so ist: Die ganze Zeit ist die Stimmung recht würde schon interessieren, inwieweit Sie sich ne- positiv, bis ein besonderes Thema aufkommt - es ben den Interviews in der NWZ, die sicherlich gut gibt mehrere solcher Themen, aber dies ist ein und richtig sind, tatsächlich auch inhaltlich in den besonderes Thema -: TTIP. Alle meinen, eigentlich Leseräumen informiert haben. sollten sie lieber nichts dazu sagen, und dann kippt die Stimmung. - Das ist bedauerlich. (Zurufe von den GRÜNEN) (Zustimmung von Kathrin Wahlmann Frau Emmerich-Kopatsch und Herr Minister Lies, [SPD] und Jörg Bode [FDP]) ich habe eine herzliche Bitte. Frau Emmerich- Denn ich denke, man kann über dieses Thema Kopatsch, Sie haben gesagt: Wir wollen nicht die diskutieren, auch kritisch diskutieren, und muss Letzten sein, die TTIP hochhalten, während sich hinterher auch nicht immer einer Meinung sein. andere schon in die Büsche geschlagen haben. Aber es besteht das Gefühl: Rede lieber gar nicht (Miriam Staudte [GRÜNE]: Das ma- darüber. - Das ist schade. Ich bedaure sehr - ich chen Sie jetzt!) will das ganz offen sagen -, dass es am Anfang der Debatte nicht gelungen ist aufzuzeigen, worum es Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist geht und was wir mit einem solchen Freihandels- populär, gegen TTIP zu sein und sich hinter Attac abkommen erreichen wollen. Daher hat - ich neh- zu stellen. Es mag auch populär sein, nichts zu me das sehr ernst - die eher kritische und sorgen- machen und nicht aufzufallen, weil man nicht zu- volle Debatte den medialen Raum gefüllt, und am ständig ist. Ende blieb wenig Zeit. (Miriam Staudte [GRÜNE]: Schwarm- Das meinte ich damit, als ich sagte, Politik müsse intelligenz nennt man das!) sich fragen, ob sie an der Stelle den richtigen Weg Aber wir als Politiker sind nicht dafür da, das Popu- gegangen ist und ob man geglaubt hat, wenn man läre zu tun. Wir sind dafür da, das Richtige zu tun nicht darüber redet, gibt es ein Abkommen, das und das Richtige danach populär zu machen. Das verhandelt wird und dann durchgeht, und unter- sollten wir gemeinsam tun. schätzt hat, dass die kritische, negative Debatte den Raum so sehr füllt, dass man die positive De- Herzlichen Dank. batte gar nicht mehr führen kann. Daraus müssen (Beifall bei der FDP und bei der CDU) wir lernen.

Präsident Bernd Busemann: Präsident Bernd Busemann: Vielen Dank, Herr Kollege Bode. - Meine Damen Herr Minister, der Abgeordnete Toepffer möchte und Herren, aus dem Plenum liegen mir keine etwas fragen. weiteren Wortmeldungen vor. Aber für die Landes- regierung möchte Wirtschaftsminister Olaf Lies Olaf Lies, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Ver- sprechen. Bitte sehr! kehr: Gerne. (Zurufe von der CDU: Der Beste! - Zu- ruf von der CDU: Nein, der Zweitbes- (Uwe Schünemann [CDU]: Der Beste! te! - Lothar Koch [CDU]: Der beste - Heiterkeit)

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Dirk Toepffer (CDU): Deswegen schaue ich mit einem letzten Rest von Optimismus auf die verbleibenden Monate der Herr Minister, vor dem Hintergrund, dass Sie jetzt Verhandlungen. Aber klar ist die Botschaft aus den über knapp eineinhalb Minuten beklagt haben, USA, die wir auch am Rande der Hannover Messe dass es Menschen gibt, die sich in der Situation gehört haben: Wenn es nicht gelingt, das Abkom- derzeit nicht trauen, für TTIP zu werben, weil sie men in der Amtszeit von Obama zu verabschieden, Angst haben, dass ihnen der Sturm ins Gesicht gibt es große Zweifel, dass mit dem Übergang auf bläst - ich sehe, Sie nicken -: Meinten Sie damit die Amtszeit des nächsten Präsidenten - hoffent- Frau Emmerich-Kopatsch, weil sie gesagt hat, im lich auf Clinton; es kann ja noch schlimmer kom- Moment will es niemand hören, wenn man für TTIP men, wenn am Ende tatsächlich Trump gewinnt - Werbung macht? die Perspektive für einen Neuanfang besteht. Nie- (Zustimmung bei der CDU - Zuruf von mand geht davon aus, dass dieser Übergang dazu der CDU: Eine berechtigte Frage! - führt, dass die Verhandlungen einfach fortgesetzt Widerspruch bei der SPD und bei den werden. GRÜNEN) Das müssen wir als Erkenntnis anerkennen, damit, sollte es nicht zum Abschluss kommen, es aber Präsident Bernd Busemann: eine Chance dazu gibt, eine nächste Debatte Bitte sehr, Herr Minister! sachlicher zu beginnen, selber das Heft in die Hand zu nehmen und nicht irgendwann nur zu Olaf Lies, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Ver- reagieren. Das ist wohl der große Fehler gewesen. kehr: Ich glaube nicht, dass der Wahlkampf in den USA Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! im Moment dazu beiträgt, dass die Verhandlungen Herr Toepffer, Frau Emmerich-Kopatsch hat die befördert werden. Mein Eindruck ist, dass der Situation beschrieben: Wir haben ein Problem: Wahlkampf in den USA dazu führt, dass die Ver- Selbst wenn wir darüber reden wollen, erreichen handlungen fast untergehen, dass fast überhaupt wir die Menschen mit der Debatte ja gar nicht. keine Chance mehr besteht.

Deswegen machen wir weiter. Ich nutze jede Ge- Ich setze trotzdem sehr darauf, dass die Verhand- legenheit, in jeder Verhandlung, jede Situation, in lungsführer der EU und vor allen Dingen natürlich jeder Diskussion, in der ich bin, spreche ich das auch die Vertreter der Bundesregierung mit den Thema offen an. Ich glaube, ich habe auch hier im klaren Positionen, die wir hier vereinbart haben, Haus mehrfach meine klare Haltung deutlich ge- die Chancen, die noch bestehen, nutzen. Ich wer- macht. de an jeder Stelle, an der ich gefragt werde, meine klare Haltung deutlich machen. Trotzdem denke An ihr werde ich auch nichts ändern. Aber ich ich, ist das Signal „Wir fangen jetzt mit einer Kam- glaube, wir haben sehr früh in der Debatte und pagne an!“ das falsche Signal. nicht heute einen Fehler gemacht. Es ist heute nicht sinnvoll, eine intensive öffentliche Debatte zu In Bezug auf die Versachlichung, in den persönli- einem Thema zu führen, die wir eigentlich proaktiv chen Gesprächen, in den guten Argumenten und schon viel früher hätten führen müssen. Das muss in der klaren Haltung, was wir nicht wollen, steht man zumindest als Erkenntnis für sich aufnehmen. die niedersächsische Position seit Jahren fest, steht die Position der Bundesregierung fest, und Die Diskussion, die wir führen, die schwierig ist, die daran sollten wir auch deutlich festhalten. wir aber trotzdem führen, ist von meiner Seite im- mer von folgenden Fragen getragen worden: Wel- Herzlichen Dank. che Chancen bestehen? Welche Risiken müssen wir abfangen? Welche Eckpunkte müssen definiert (Beifall bei der SPD und bei den werden? - Ich will daran erinnern, dass dazu auch GRÜNEN) der Landtag einen klaren Beschluss gefasst hat. Dazu hat auch die Bundesregierung eine klare Präsident Bernd Busemann: Haltung. Dazu hat der Bundeswirtschaftsminister eine klare Haltung, hinter der wir alle uns vereinen Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und können und die auch Maßstab für die Verhandlung Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht ist. vor.

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Wir treten in die Abstimmung ein. Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzu- lehnen. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Antrag der Fraktion der CDU Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. in der Drucksache 17/5634 ablehnen will, den bitte Wir treten jetzt in die Beratung ein. Völlig erwartet ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Ent- befindet sich seit Längerem Herr Dr. Gero Hocker haltungen? - Das Erste war die Mehrheit. Damit ist für die FDP-Fraktion in der Poleposition. Bitte! der Antrag der CDU gemäß Beschlussempfehlung des Ausschusses abgelehnt. Dr. Gero Hocker (FDP): Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehr- dem ten Damen und Herren! Häufig genug wird uns Politikern der Vorwurf gemacht, den wahrschein- lich jeder in diesem Haus kennt, nämlich dass wir Tagesordnungspunkt 29: nur dann reagieren, wenn der Druck zu groß wird, Abschließende Beratung: wir aber bestimmte Entwicklungen, die sich ab- a) Budget für Arbeit im Sinne der UN-Behinder- zeichnen, nicht frühzeitig erkennen, um frühzeitig - Antrag tenrechtskonvention weiterentwickeln auch politisch die Rahmenbedingungen dafür zu der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis setzen, dass man mit sich abzeichnenden Proble- 90/Die Grünen - Drs. 17/5284 - b) Beschäfti- men tatsächlich umgehen kann. gungsmöglichkeiten für Menschen mit Behin- derungen verbessern - Antrag der Fraktion der Wenn wir die Diskussion über den Wolf, die wir CDU - Drs. 17/5291 - Beschlussempfehlung des morgen wahrscheinlich noch führen werden, mit Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie, Ge- dieser Maßgabe vergleichen - oder auch die Grau- sundheit und Migration - Drs. 17/5764 gansproblematik in Ostfriesland oder auch andere Entwicklungen -, dann wird deutlich, dass das ein Vorwurf ist, der uns immer wieder ereilt: Ihr hättet Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, die Anträge in früher reagieren müssen! - Deswegen hat die FDP- einer geänderten Fassung anzunehmen. Fraktion diesen Antrag auf den Weg gebracht, weil wir das Konfliktpotenzial in den Bereichen Land- Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. wirtschaft, Deichsicherheit, Hochwasserschutz und Im Ältestenrat waren sich die Fraktionen einig, ähnlichen Bereichen, das sich durch die Auswei- dass über diesen Punkt ohne Besprechung abge- tung der Biberpopulation ergibt, mehr erkennen. stimmt wird. - Ich höre keinen Widerspruch und Ich möchte Sie ganz herzlich einladen, dass wir lasse insofern gleich abstimmen. heute in diesem Hohen Hause vielleicht doch noch Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zu einer einheitlichen Position kommen, um - ganz zustimmen und damit die Anträge in der sich aus einfach - bereits frühzeitig auf den Vorwurf, der der der Beschlussempfehlung ergebenden geänderten Politik allzu häufig gemacht wird, auf Probleme erst Fassung annehmen will, den bitte ich um ein zu reagieren, wenn sie so groß geworden sind, Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - dass man ihnen hinterherläuft, reagieren zu kön- Einstimmig ist so beschlossen. Der Beschlussemp- nen. fehlung des Ausschusses wurde gefolgt. Ich lade Sie herzlich ein, mit zu beschließen, dass Ich rufe auf den wir bereits jetzt zu einem frühen Zeitpunkt ein Bi- bermanagement auf den Weg bringen, das sich gerne an dem Bibermanagement orientieren kann, Tagesordnungspunkt 30: das es seit einiger Zeit in Bayern gibt. Abschließende Beratung: Das bayrische System ist praxiserprobt und wäre Konflikte frühzeitig minimieren - Biberma- unserer Meinung nach auch für Niedersachsen nagement entwickeln - Antrag der Fraktion der eine vernünftige Lösung, gerade auch, um die FDP - Drs. 17/4351 - Beschlussempfehlung des betroffenen Landwirte zu entschädigen, wenn sie Ausschusses für Umwelt, Energie und Klimaschutz von Biberbauten und einer Unterspülung ihrer Flä- - Drs. 17/5741 chen betroffen sind, die dann nicht mehr bewirt- schaftet werden können.

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Deswegen möchte ich Sie herzlich einladen, sich Auch hierbei geht es erneut darum, die Entwick- konstruktiv nicht nur in die Diskussion, sondern lung frühzeitig zu erkennen, einen angemessenen auch in die Abstimmung einzubringen. und angepassten Managementplan zu entwickeln und Antworten auf zukünftige Herausforderungen Vielen Dank. zu liefern. (Beifall bei der FDP) Zurzeit genießt der Biber in der öffentlichen Wahr- nehmung höchste Akzeptanz. Das muss auch so Präsident Bernd Busemann: bleiben, besonders dort, wo er aktiv ist. Doch wo Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt hat sich für die der Hochwasserschutz gefährdet ist und die Nut- CDU-Fraktion Kollege Ernst-Ingolf Angermann zu zung von Flächen beeinträchtigt wird, muss mit Wort gemeldet. Bitte! entsprechenden Maßnahmen früh genug reagiert werden. Ernst-Ingolf Angermann (CDU): In Bayern werden Biberschäden, die trotz präventi- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ver Maßnahme entstehen, zu 80 % ausgeglichen. haben der Biber und der Wolf in Niedersachsen Das dortige Management basiert auf vier Säulen: gemeinsam? Information der Betroffenen durch Biberberater, Erstens. Beide wurden in Niedersachsen ausgerot- präventive Maßnahmen, Zugriffsmaßnahmen und tet. Ausgleichsmaßnahmen. Das ist ein System, das Vertrauen und Akzeptanz schafft. Zweitens. Nach der Grenzöffnung sind beide zu- rückgekehrt. Hier in Niedersachsen haben wir zurzeit den Ein- druck, dass wir hinsichtlich der Entwicklung der Drittens. Beide bereiten Probleme, wo sie ange- Biberpopulation an einem ähnlichen Punkt sind wie kommen sind. vor drei Jahren beim Wolf. Die Fehler beim Um- Viertens. Die Landesregierung versäumt offen- gang mit dem Wolf dürfen sich beim Biber nicht sichtlich auch beim Biber, frühzeitig mit einem wiederholen. entsprechenden Managementprogramm auf die (Zustimmung bei der CDU und bei der Herausforderungen zu reagieren. FDP) Angenagte Bäume, zu Dämmen aufgetürmte In der Unterrichtung zum hier vorliegenden Antrag Zweige und Äste, aufgestaute Flüsse und weit wurde berichtet, dass das Bibermanagement zur- verzweigte Auenlandschaften bilden die Spuren zeit auf kommunaler Ebene ausgeführt wird, was des Bibers, wo er sich angesiedelt hat. Das ist in zurzeit sicherlich richtig und auch gut ist. Aber einigen Teilen unseres Landes kaum übersehbar. langfristig ist das nicht zielführend; denn die Popu- Von rund 700 bis 800 Bibern können wir in Nieder- lation wird erheblich zunehmen, und damit werden sachsen momentan ausgehen. Die Population auch die Herausforderungen zunehmen. Gewäs- steigt allerdings relativ stark an. Die Elbtalaue, der serunterhaltungsverbände und Kommunen werden Aller-Leine-Bereich und besonders der Bereich zukünftig sowohl personell als auch finanziell über- Ems-Hase sind zurzeit Vorzugsgebiete mit den fordert sein. Deswegen frühzeitig Information, Prä- stärksten Revieren. Aber auch der Allerbereich, vention und damit Schadenvorsorge sowie Scha- der Drömling und mittlerweile sogar die Landes- densausgleich! In Niedersachsen muss es das Ziel hauptstadt sind von den Veränderungen durch den sein, speziell hierzu einen Beitrag zu leisten. Biber betroffen. Wenn unsere Gesellschaft diese Art schützen will - So zeigen sich Untergrabungen in Uferbereichen offenbar will sie das -, dann muss sie auch zur und an Landwirtschaftsflächen, Uferabbrüche, Vorsorge und zum Ausgleich von Schäden bereit Geländeeinbrüche sowie Unterminierungen von sein. So werden wir auch in diesem Bereich lang- Dämmen und Deichen. Die Stauung von Wasser- fristig Akzeptanz erhalten. läufen durch Dammbauten und die Hebung des Wasserstandes durch eine Verstopfung von Rohr- Wir unterstützen den Antrag der FDP-Fraktion also durchlässen werden zunehmend erkennbar. Die voll und ganz, um Konflikte frühzeitig zu minimie- Entwicklung in Niedersachsen ist sicherlich noch ren und ein Bibermanagement zu entwickeln. Es lange nicht so wie in Bayern, wo man genau diese muss jetzt an einem Konzept für Bibermanage- Entwicklung erkannt und effektive Maßnahmen im ment gearbeitet werden. Dazu gehört vorrangig der Rahmen eines Bibermanagements ergriffen hat. Ausbau einer Beratungsmöglichkeit zur Konflikt-

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minderung, speziell für Unterhaltungsverbände Das Bibermanagement ist bei den unteren Natur- und die Landwirtschaft, die mit am stärksten betrof- schutzbehörden in sehr guten Händen. Ich kann fen ist; denn sie sind zu allererst betroffen, wenn mir nicht vorstellen, dass diejenigen, die in diesem ihre Flächen durch die Nässe nicht mehr befahrbar bestehenden System bereits arbeiten, es sonder- sind. lich witzig fänden, wenn das Land an dieser Stelle jetzt, zu diesem Zeitpunkt, eingreifen würde. Meine Damen und Herren, diese Regierung - un- sere Regierung - hat den großen Vorteil, dass in Nach der Unterrichtung durch das Ministerium ist Bayern ein funktionierendes System besteht. Man uns bezüglich der drei Forderungen in Ihrem An- braucht es also nicht neu zu erfinden. Selbst wenn trag Folgendes deutlich geworden: die Biberpopulation in Bayern zurzeit erheblich höher ist als die hiesige, sollte man bereits jetzt Erstens. Ein Konzept zum Bibermanagement, z. B. auch in Niedersachsen ein effektives System im- zur Konfliktminimierung, zu entwickeln, ist nicht plementieren, das die Entwicklung der Population erforderlich. Diese Aufgaben werden vor Ort be- begleitet und möglicherweise auch steuert; denn reits wahrgenommen. das ist nachhaltiger Naturschutz, das ist nachhalti- Zweitens. Präventionsmaßnahmen zu fördern, ist ger Artenschutz im Einklang mit der Gesellschaft überflüssig, weil sie vor Ort bedarfsorientiert be- sowie mit den betroffenen Personen vor Ort. reits ebenfalls laufen.

Auch hier ist vorausschauendes Agieren angesagt, Drittens. Ein Ausgleichssystem für Biberschäden wie wir es beim Wolf fortwährend gefordert haben. nach dem Vorbild des Freistaates Bayern zu ent- Dort haben Sie es nicht geleistet. Machen Sie wickeln, ist ebenfalls nicht erforderlich. In Bayern hierbei nicht den gleichen Fehler, und lassen Sie leben zehnmal so viele Biber wie in Niedersach- nicht die betroffenen Personen mit ihren Proble- sen. Das ist in der Dimension überhaupt nicht ver- men alleine! gleichbar.

Herzlichen Dank. Es bleibt auch die Frage: Entwickeln wir jetzt für (Beifall bei der CDU und bei der FDP) jede geschützte Art ein Managementsystem, wenn sie in irgendeiner Art und Weise Schaden anrich- tet? - Ich denke dabei z. B. an den Maulwurf oder Präsident Bernd Busemann: den Marder. Bestimmte natürliche Einflüsse müs- Vielen Dank, Herr Kollege Angermann. - Es folgt sen nun einmal als gegeben hingenommen wer- für die SPD-Fraktion der Kollege Axel Brammer. den. Bitte! (Zurufe von der CDU) (SPD): Axel Brammer - Ich weiß nicht: Das alles ist ganz witzig, ja? - Gut. Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- legen! Wie sich zwischenzeitlich nach einer Unter- (Jens Nacke [CDU]: Sie wollen ein richtung durch das MU herausgestellt hat, reden Maulwurfmanagement? - Lachen bei wir heute über einen Antrag, der eigentlich über- der CDU) flüssig ist. - Nein. Herr Nacke - - - (Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN) Präsident Bernd Busemann: Ruhe, bitte, liebe Kollegen! - Herr Kollege, fahren Die FDP fordert ein Bibermanagement, das in den Sie fort. betroffenen Bereichen längst stattfindet. Wo es erforderlich ist, kümmern sich die unteren Natur- (SPD): schutzbehörden im übertragenen Wirkungskreis Axel Brammer zusammen mit allen Beteiligten um diese Aufga- Herr Nacke, ich habe noch genügend Redezeit. ben, und das sogar sehr erfolgreich. Ich erkläre Ihnen das mal.

Die Schäden, die zurzeit im überschaubaren Maß Vorhin wurde hier vom Wolf gesprochen. Jetzt sind anfallen, würden ein auf Landesebene organisier- wir beim Biber. Ich bin gespannt, wann, wenn ir- tes Management mit all seinen Kosten und dem gendwo Kohle abgegriffen wird, wir beim Maulwurf personellen Aufwand nicht rechtfertigen. sind. Das ist der entscheidende Punkt.

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(Heiterkeit - Zustimmung bei der SPD Präsident Bernd Busemann: und bei den GRÜNEN - Zuruf von Danke schön. - Herr Brammer, die Zeit bleibt an- Frank Oesterhelweg [CDU] - Jens gehalten. Sie können antworten. Nacke [CDU]: Im Moment sind hier die Mücken ganz fies! Ich wäre für ein Axel Brammer (SPD): Mückenmanagement!) Vielen Dank. - Herr Winkelmann, eines ist mir bei Ihrem Redebeitrag eben, bezogen auf den letzten Präsident Bernd Busemann: Tagesordnungspunkt, klargeworden. Ich weiß jetzt, Herr Kollege, einen Moment! - Herr Oesterhelweg, warum ich diesen Vertrag mit den Amerikanern bei aller Heiterkeit, hier redet nur einer, und das ist eigentlich nicht will. Herr Brammer. Wir brauchen die notwendige Ru- he. (Heiterkeit - Jens Nacke [CDU]: Mit Kanada haben wir schon einen ge- (Jens Nacke [CDU]: Ich wäre für ein schlossen, Herr Kollege! Mit Kanada Mückenmanagement!) gibt nichts!) - Herr Nacke, bitte! - Auf geht’s! Was den Vergleich mit dem Maulwurf angeht: Ich habe das eben schon einmal erklärt. Sie können Axel Brammer (SPD): das letztendlich hier lächerlich machen. Wir haben Bestimmte natürliche Einflüsse müssen nun einmal die Diskussion um den Wolf gehabt. Jetzt sind wir als gegeben hingenommen werden. Das geht vom beim Biber, und wir werden irgendwann beim Wildbiss bis zum Mückenstich, wie Sie es eben Maulwurf landen. Das geht nicht. Wir können so sagten, Herr Nacke. Natürlich, keine Frage! Wir nicht handeln. können uns auf der einen Seite über derartige Die unteren Naturschutzbehörden vor Ort handeln Gegebenheiten ärgern. Auf der anderen Seite im übertragenen Wirkungskreis, und zwar das, was sollten wir uns jedoch freuen, dass unsere Natur sie leisten können. Das Land ist eigentlich nur stellenweise noch intakt ist. dann gehalten einzugreifen, wenn es irgendwo nicht mehr geht. Das ist beim Wolf so gewesen. Präsident Bernd Busemann: Das ist aber beim Biber noch lange nicht so. Herr Brammer, der Kollege Winkelmann möchte Ich fahre jetzt fort. eine Zwischenfrage stellen. (Beifall bei der SPD und bei den Axel Brammer (SPD): GRÜNEN) Bitte!. Kein Problem. Ich habe das hier auch aufgeschrieben: Schäden durch natürliche Einflüsse müssen in erträglicher Lutz Winkelmann (CDU): Höhe von denjenigen bewältigt werden, die sich Herr Kollege Brammer, da Sie eben den Biber, durch die Nutzung des jeweiligen Raumes diesen zumindest nach meiner Wahrnehmung, in einen Einflüssen aussetzen. Dazu gehört: Wenn es zu vergleichbaren Kontext mit Maulwurf oder Mücke schwer wird, muss es das Land tun. gestellt haben, meine Frage an Sie: Deshalb bleibt es dabei: Der Biber stellt, zumindest Ist Ihnen bekannt, dass in weiten Bereichen Kana- derzeit, nicht ein so großes Problem dar, dass wir das Biber, und zwar ganzjährig, mit Dynamit in die mit einem Managementsystem auf Landesebene Luft gesprengt werden - also Biberburgen, aber eingreifen müssten. Wie die FDP immer wieder auch Biberdämme, weil Biber Wasser anstauen mit propagiert, brauchen wir keine zusätzliche, wenig dem Effekt, dass Eisenbahndämme oder Straßen hilfreiche Bürokratie. oder sonstige Infrastrukturkomponenten aufge- Die unteren Naturschutzbehörden betreiben vor weicht oder der Zerstörung anheimgestellt wer- Ort in Verbindung mit den Naturschutzverbänden den? und den für die Gewässerunterhaltung Zuständi- Ist Ihnen das bekannt, und halten Sie von daher gen ein erfolgreiches Bibermanagement. Deshalb den Vergleich mit dem Maulwurf immer noch für lehnen wir den Antrag der FDP ab. angemessen? Vielen Dank. Danke schön. (Beifall bei der SPD)

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Präsident Bernd Busemann: Ziel der naturschutzfachlichen Bemühungen in Niedersachsen ist es, der Natur wieder mehr Vielen Dank, Herr Kollege. - Es folgt jetzt für die Raum zu geben. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kollege Hans- Joachim Janßen. Bitte! Präsident Bernd Busemann:

Hans-Joachim Janßen (GRÜNE): Herr Kollege, lassen Sie eine Frage des Abgeord- neten Bode zu? Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Biber war in Niedersachsen ausgerot- Hans-Joachim Janßen (GRÜNE): tet. Er wurde intensiv bejagt. Viele seiner Lebens- Ja, gern. räume wurden zerstört. Nun ist er zurück und nach mehr als 200 Jahren wieder heimisch: in der Elb- Jörg Bode (FDP): talaue, im Aller-Leine-Bereich, an der Hase, der Ems und im Drömling. Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. Bislang verursacht der Biber dort keine größeren Sie haben gerade gesagt, dass die FDP jeden Probleme. Die Zusammenarbeit der unteren Na- Wolf oder einige Wölfe in Niedersachsen besen- turschutzbehörden mit den jeweils zuständigen dern wollte. Mir persönlich ist von keinem Kollegen Unterhaltungs- und Flächennutzungsverbänden aus der Landtagsfraktion eine derartige Aussage funktioniert. Kleine Schäden werden schnell und oder ein Beschluss der FDP bekannt. Können Sie unbürokratisch gelöst. Mit gemeinsamen Ortsbe- mir sagen, woher Sie Ihren Kenntnisstand haben, gehungen und Beratungen werden Schadensfälle und wer von uns wann und wo einen Wolf besen- beseitigt. Im Konfliktfall können so zügig Ausnah- dern wollte? - Abschießen: ja. Aber besendern: megenehmigungen für die Beseitigung von Biber- nein. bauten erteilt werden. (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Dieser kooperative Ansatz war bislang sehr erfolg- reich, auch dank der Unterstützung von Natur- Hans-Joachim Janßen (GRÜNE): schutzverbänden und z. B. der Biosphärenreser- vatsverwaltung Elbtalaue. Ich korrigiere mich gern, wenn die Auffassung der FDP diejenige ist, jeden Wolf abzuschießen. Für diesen Einsatz möchte ich mich an dieser Stel- (Jörg Bode [FDP]: Jeden nicht! Jeden le bei allen beteiligten Akteuren sehr herzlich be- auffälligen!) danken. Der Umgang mit dem Biber ist vor Ort in guten Händen. Wir sehen daher überhaupt keinen Sie sagten ja, jeden auffälligen Wolf abzuschie- Anlass, in diese etablierten lokalen und regionalen ßen, wobei wir dann darüber diskutieren müssten, Strukturen reinzugrätschen. was denn unter „auffällig“ zu verstehen wäre. Dann korrigiere ich das gern. Aber zumindest habe ich Aber, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen doch sehr den Eindruck: Sie wissen gern sehr und Kollegen von der FDP, ich bin doch sehr ver- genau Bescheid, was jeder Wolf in Niedersachsen wundert, dass Sie als Liberale so eine Vollkas- vormittags, nachmittags, abends und in der Nacht komentalität vertreten, jedes Wildtier besendern, tut. Dieses Eindruckes kann ich mich nicht verweh- für jeden angeknabberten Ast entschädigen. Viel- ren. Wenn es anders sein sollte, nehme ich das leicht tun Sie sich da mal mit dem Abgeordneten gern zurück. Miesner zusammen, der noch ganz anderen Um- weltrisiken auf der Spur ist und in einer Kleinen (Jens Nacke [CDU]: Sie wollen Maul- Anfrage wissen wollte: Was unternimmt die Lan- würfe besendern? -Jörg Bode [FDP]: desregierung für die Sicherheit unserer Einwohner Insekten? - Petra Tiemann [SPD]: Ein im Hinblick auf die Gefahren durch Bäume? bisschen mehr Ernst in der Debatte!)

(Anja Piel [GRÜNE]: Genau! - Weitere - Nein. Maulwürfe wollen wir nun nicht besendern. Zurufe) Ich plädiere doch dafür, zu einem etwas gelasse- neren Umgang mit der Natur zurückzufinden. Es Meine Damen und Herren, ich plädiere doch eher geht nicht um ein Mikromanagement jedes einzel- dafür, zu einem etwas gelasseneren Umgang mit nen Wildtieres. Denn es ist ein Erfolg für den Na- der Natur zurückzufinden. turschutz, wenn sich seltene Wildtiere in Nieder-

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sachsen wieder ansiedeln. Dabei wird es immer Diskussion geführt und wird eine vergleichsweise wieder auch zu Begegnungen zwischen Mensch sehr geringe Zahl von Tieren schon zum Gegen- und Tier kommen. stand von Forderungen bezüglich eines besonde- ren Managements gemacht. Ich kann Ihnen versi- (Vizepräsident Karl-Heinz Klare chern: Unsere unteren Naturschutzbehörden ha- übernimmt den Vorsitz) ben in ihrer Zuständigkeit die Sache sehr gut im Sofern keine erheblichen Schäden entstehen oder Griff. Da wir fachlich sehr versierte Expertinnen eine Gefahr für die Sicherheit zu befürchten ist, und Experten haben, ist das Thema dort sehr gut sind unnötige Eingriffe und Störungen zu vermei- aufgehoben. Auch die Naturschutzverbände wir- den. So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich. ken hier teilweise mit, etwa in der Region Hanno- ver. Der Biber ist zurück, doch der Abwärtstrend bei der Artenvielfalt insgesamt ist ungebremst. Wir wollen Meine Damen und Herren, ich sehe auch keine keine ausgeräumten Landschaften, in denen kein Veranlassung, hier jetzt einen neuen Ausgleichs- Vogel singt und keine Hummel brummt. Deshalb mechanismus oder neue Geldleistungen des Lan- brauchen wir mehr Raum für Natur, begleitet von des vorzusehen. Die Beseitigung vom Biber verur- einem niedrigschwelligen und umsichtigen Ma- sachter Behinderungen oder Veränderungen ob- nagement, wie es bislang beim Biber der Fall ist. liegt bei Gewässern zweiter Ordnung den Unter- haltungsverbänden, bei Gewässern erster und Insofern - das hat die Unterrichtung durch die Lan- dritter Ordnung den Flächeneigentümerinnen und desregierung ergeben - ist Ihr Antrag, meine Da- Flächeneigentümern. men und Herren von der FDP, schlicht überflüssig ist. Da kann ich mich meinem Kollegen Brammer (Jörg Hillmer [CDU]: Ach, klasse! nur anschließen. Ziehen Sie ihn zurück! Das wäre Ich danke Ihnen herzlich fürs Zuhören. richtig. (Beifall bei den GRÜNEN und bei der Vielen Dank. SPD) (Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD) Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Vielen Dank, Herr Minister. - Weitere Wortmeldun- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: gen liegen nicht vor. Vielen Dank. - Jetzt hat sich der Minister gemeldet. Wir kommen zur Abstimmung. Herr Minister Wenzel, bitte schön! Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Antrag der Fraktion der FDP Stefan Wenzel, Minister für Umwelt, Energie und in der Drucksache 17/4351 ablehnen möchte, den Klimaschutz: bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Erste war die Mehrheit. Der Antrag ist abge- Ursprünglich war der europäische Biber in weiten lehnt. Teilen Europas verbreitet. Dann wurde er fast aus- gerottet. Entlang der Ems wurden vor einigen Jah- Ich rufe auf den ren acht Biber wieder ausgesiedelt. Das sind die Urväter und Urmütter der etwa 680 Biber, die heu- te erfreulicherweise wieder in Niedersachsen leben Tagesordnungspunkt 31: - wirklich erfreulicherweise. Herr Janßen hat aber Abschließende Beratung: auch darauf hingewiesen, dass wir leider bei vielen Sofortige Übernahme der Unterbringungs- und Arten einen erheblichen Druck haben. Beispiels- Betreuungskosten für Asylsuchende durch das weise die Lerche - ein Vogel, den wir alle als Land! - Antrag der Fraktion der CDU - selbstverständlich wahrgenommen haben, wenn er Drs. 17/3184 - Beschlussempfehlung des Aus- im August über den abgeernteten Stoppelfeldern schusses für Inneres und Sport - Drs. 17/5742 sein Lied sang - ist in ihrem Bestand um 70 % zurückgegangen. Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzu- Es gibt auf der einen Seite viele Tierarten, die uns lehnen. Sorgen machen. Auf der anderen Seite wird hier Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. vermehrt immer wieder über einzelne Tiere eine

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Wir kommen zur Beratung. Zu Wort gemeldet hat haben, liebe CDU! Dieses Gesetz sich der Kollege Ansgar-Bernhard Focke, CDU- stammt aus Ihrer Zeit!) Fraktion. Bitte schön, Herr Focke! Das waren nicht Sie, sondern das waren die Men- schen vor Ort in den Rathäusern, in den Kreishäu- Ansgar-Bernhard Focke (CDU): sern und die Ehrenamtlichen. Sie von Rot-Grün Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und hier im Landtag haben sich weggeduckt und kläg- Herren! Seit 449 Tagen oder 64 Wochen oder lich versagt. einem Jahr und fast drei Monaten liegt unser An- trag diesem Haus vor. Nur drei Punkte hat dieser (Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Das war Antrag - ein Antrag, der seit fast 450 Tagen dem ein schwarz-gelbes Gesetz!) Landtag vorliegt! Sie haben immer nur mit dem Finger in Richtung (Belit Onay [GRÜNE]: Ist das Kritik Bund gezeigt. Von Ihnen ist aber zur Bewältigung am Haus?) der Flüchtlingskrise überhaupt nichts gekommen. Erster Punkt: Wir haben die Übernahme der vollen (Beifall bei der CDU - Petra Tiemann Kosten für die Unterbringung, die medizinische [SPD]: Das glaubt ihr doch selber Versorgung, den Unterhalt und die Betreuung der nicht!) Asylsuchenden gefordert. 600 Millionen Euro Kredit bei den Kommunen! Sie Zweiter Punkt: Die Kapazitäten des Landes zur haben sich geziert und dann irgendwann festge- Unterbringung von Asylbewerbern aus sicheren legt, dass Sie den Kommunen pauschal 9 500 Eu- Herkunftsländern sollten ausgebaut werden. ro pro Monat pro Flüchtling erstatten, allerdings mit zwei Jahren Verzögerung. Sprich: Die Kommunen Dritter Punkt: Wir haben Sie aufgefordert, einen müssen das zwei Jahre vorfinanzieren. Nachtragshaushalt zur Finanzierung der Unterstüt- zung der Kommunen vorzulegen. Dann gibt es die sogenannte Stichtagsregelung. Wir haben schon mehrfach gesagt, dass wir auch Ich halte nach 449 Tagen fest: Sie haben es nicht davon wegkommen müssen. Wenn jemand am geschafft, diese drei Punkte zufriedenstellend ab- 2. Januar kommt, dann zehn Monate in einem zuarbeiten. Landkreis ist und danach ausreist, wird er zum (Detlef Tanke [SPD]: Eben waren es Stichtag 31. Dezember eines Jahres nicht gezählt. noch 450 Tage!) Dem Landkreis werden dann keine Kosten vom Land erstattet. Das ist ein weiterer Skandal, meine Sie haben in der Frage der Unterstützung der Damen und Herren! Kommunen bei der Bewältigung der Flüchtlingskri- se auf ganzer Linie versagt. (Beifall bei der CDU) (Zustimmung bei der CDU - Johanne Dann feiern Sie sich hier für 120 Millionen Euro Modder [SPD]: Spärlicher Applaus bei Soforthilfe ab. Dabei kommen davon 80 Millionen der CDU!) Euro vom Bund. Auch hier haben Sie sich mit den Federn anderer geschmückt. Wie stellt sich denn die Realität dar? Einige Beispiele für das Leben des Landes auf (Zuruf von Detlef Tanke [SPD]) Pump bei den Kommunen: - Herr Tanke, dass Sie immer dazwischenrufen, Der Landkreis Cloppenburg hat eine Forderung wissen wir inzwischen. Das können wir immer im gegenüber dem Land von 29,7 Millionen Euro. Protokoll nachlesen. (Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Nach ei- Wie stellt sich die Realität nach einem Jahr und nem Gesetz, das Sie verabschiedet drei Monaten dar? - 600 Millionen Euro Kredit ha- haben!) ben Sie inzwischen bei den Kommunen, indem Sie auf Pump leben - und das bei den Kommunen, die Dabei sind Leistungen für z. B. Sprachkurse, mit größtem Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mit- Flüchtlingssozialarbeit, Kosten für den Kauf von arbeiter sowie der Ehrenamtlichen die Flüchtlings- Wohncontainern oder durch Umbauten und Lang- krise bewältigt haben. zeitanmietungen nicht mit eingerechnet. Die Forde- rungen allein gegenüber dem Land: 29,7 Millionen (Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Nach ei- Euro. nem Gesetz, das Sie verabschiedet

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Der Landkreis Oldenburg - mein Heimatlandkreis -: Abschließend - der letzte Punkt -: Das Asylverfah- minus 11,1 Millionen Euro. rensbeschleunigungsgesetz aus dem Herbst wur- de vom Bund gemacht. Darin wurde festgelegt, Der Landkreis Verden, aus dem der Abgeordnete dass die Asylbewerber aus den sicheren Her- Mohr stammt: minus 13,4 Millionen Euro. kunftsländern in den Erstaufnahmeeinrichtungen Die Stadt Wolfsburg - Angelika Jahns hat es mir verbleiben sollen. Auch das lag mit unserem An- noch einmal bestätigt -: minus 17,8 Millionen Euro. trag bereits im März 2015, über ein halbes Jahr vorher, vor. Ich stelle fest: Drei einfache Punkte - Der Landkreis Harburg - Heiner Schönecke -: mi- nichts erledigt - versagt - setzen - sechs! nus 42,8 Millionen Euro. Die Stadt Peine: minus 17,5 Millionen Euro. (Anja Piel [GRÜNE]: Ach du meine Güte! Jetzt ist es aber gut! - Lachen Und Ihre Landeshauptstadt: minus 47,4 Millionen bei der SPD) Euro. Wir stimmen heute ab. Sie haben viel zu lange Insgesamt, unter dem Strich, schulden Sie den gebraucht, dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Kommunen noch 598,725 Millionen Euro. Viel Nehmen Sie es hin, wie Sie wollen! Sie haben in Spaß! Ich finde es unverantwortlich, dass Sie das den Punkten versagt. Sie leben auf Pump bei den auf dem Rücken der Kommunen machen. Kommunen. Das müssen Sie sich jetzt anhören. (Beifall bei der CDU und bei der FDP - Vielen Dank. Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Das ist Ihr Gesetz, Herr Focke! Das haben Sie (Beifall bei der CDU und bei der FDP - verabschiedet!) Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Jetzt set- Wir haben zu dem Thema eine Anhörung durchge- zen Sie sich erst einmal!) führt. Die Kommission für Migration und Teilhabe, deren Arbeit unglaublich wichtig ist und die sich Vizepräsident Karl-Heinz Klare: damit beschäftigt hat, hat gesagt, der Antrag soll in Herr Kollege Heere, Sie haben sich zu einer Kurz- unveränderter Fassung angenommen werden. Der intervention gemeldet. Bitte schön! Flüchtlingsrat lobt den Bund für seine finanziellen Anstrengungen, um die Kommunen zu entlasten. Gerald Heere (GRÜNE): Aber es heißt in seiner Stellungnahme weiter - ich zitiere -: Auch das Land Niedersachsen wird sich Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehr- weiterhin an den Kosten der Aufnahme beteiligen ten Damen und Herren! Herr Focke, wie Sie hier müssen. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hin- mit lauten Worten Nebelkerzen werfen, das ist mal tergrund der vom Land Niedersachsen vertretenen wieder eindeutig nur populistische Politik, die ein- Programmatik, den Kommunen nicht die Unter- seitig versucht, irgendwem was in die Schuhe zu bringung und Verpflegung, sondern auch eine schieben, und nicht deutlich macht, wie die Situati- aktive Unterstützung und Ermöglichung von Teil- on wirklich ist. habe abzuverlangen. - Auch der DGB schreibt - ich (Beifall bei den GRÜNEN und bei der zitiere -: Bund und Länder müssen die Kommunen SPD) deshalb finanziell mehr als bisher bei der Aufgabe der Unterbringung unterstützen. Der Bund tut sein Warum haben die Kommunen Forderungen ge- Mögliches. genüber dem Land? - Das basiert auf einem Ge- Sie haben sich bei den Verhandlungen im Bundes- setz, das Sie verabschiedet haben, auf einer rat enthalten. Sie haben sich weggeduckt. Sie Rechtsgrundlage, die alt ist; denn es war immer haben keine Entscheidung getroffen. Sie waren in so, dass die Zahlungen nachträglich an die Kom- der Situation der Bewältigung der Flüchtlingskrise munen gehen. Daran hat sich nichts geändert. nicht handlungsfähig, meine Damen und Herren. Warum sind es jetzt höhere Summen geworden? - Völlig klar: Weil wir mehr Flüchtlinge haben. - (Beifall bei der CDU und Zustimmung Wenn es mehr Flüchtlinge gibt, gibt es mehr For- bei der FDP - Johanne Modder [SPD]: derungen der Kommunen an das Land. Mensch, was soll denn so ein Quatsch! Das glaubt Ihnen doch Ihre (Beifall bei den GRÜNEN und bei der eigene Fraktion nicht!) SPD)

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Ich verstehe nicht, worin der Skandal liegt. sen. Alle Punkte, die Sie gerade genannt haben, haben wir hier vorgeschlagen. Sie haben hier die Was haben wir gemacht? - Wir haben nicht nur die Mehrheit. Gemacht haben Sie nichts. Versagt auf Summe erhöht, wir haben die Summe von gerade ganzer Linie! Sie hätten das Gesetz doch ändern mal 5 000 und ein bisschen - das war die Summe können. Das haben Sie nicht gemacht. zu Ihrer Regierungszeit - auf im nächsten Jahr 10 000 Euro erhöht. Wir haben zusätzlich den (Unruhe bei der SPD) Abrechnungszeitraum um ein halbes Jahr verkürzt. Sie haben hier die Mehrheit. Sie hätten das Gesetz Wir haben zusätzlich eine Soforthilfe an die Kom- ändern können. Sie hätten sagen können: Wir munen zur Zwischenfinanzierung vereinbart. Wir schaffen die Zweijahresfrist ab. Wir erstatten jedes haben darüber hinaus mit den Kommunen und Jahr zum Stichtag. - Das aber haben Sie nicht dem Innenministerium Rahmenbedingungen dafür gemacht. Sie haben versagt. Sie haben hier die gesetzt, wie die Kommunen das in ihren Haushal- Mehrheit. Sie haben auf die aktuelle Situation nicht ten ordentlich berechnen und einstellen können. reagiert, meine Damen und Herren. Das alles hat diese rot-grüne Landesregierung (Beifall bei der CDU und bei der FDP) gemacht. So schnell sind Ihre Nebelkerzen ausge- gangen. Was die Soforthilfe angeht, so haben Sie gerade noch einmal gesagt, dass zwei Drittel vom Bund Vielen Dank. kamen. Also lassen Sie sich nicht für das Geld von (Beifall bei den GRÜNEN und bei der anderen Leuten feiern! SPD) Die Mehrkosten bei den Kommunen für die kurz- fristige Einrichtung durch die Amtshilfe, die hier im Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Landtag noch Thema war und nachmittags an die Vielen Dank, Herr Heere. - Es waren Wortmeldun- Kommunen gegangen ist: Wir alle können uns gen. Antworten Sie, Herr Focke? noch daran erinnern, also Wohncontainer, Umbau- (Ansgar-Bernhard Focke [CDU]: Ja!) ten. Auf den ganzen Kosten bleiben die Kommu- nen sitzen. Millionen von Euro! Und das ist Ihre - Okay. Bitte schön, Herr Focke! Verantwortung!

Ansgar-Bernhard Focke (CDU): (Beifall bei der CDU und bei der FDP - Gerald Heere [GRÜNE]: Das ist ein- Herr Kollege, der Einzige, der hier offensichtlich fach unwahr! - Ottmar von Holtz vernebelt ist, sind Sie, wie ich ganz ehrlich feststel- [GRÜNE]: Das ist unglaublich, was len muss. hier einfach so behauptet wird!) (Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Widerspruch bei den GRÜNEN Vizepräsident Karl-Heinz Klare: und bei der SPD) Herr Focke, jetzt hat sich Bernd Lynack, SPD- Ich kann jedenfalls keine Nebelkerzen erkennen, Fraktion, gemeldet. Bitte schön, Herr Lynack! sondern nur Fakten. Die Fakten habe ich übrigens aus Antworten der Landesregierung auf unsere Bernd Lynack (SPD): Anfragen. Von daher verstehe ich Ihre Aufregung Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nicht. Herr Focke, eines geht mir gar nicht in den Kopf rein: Wenn es Gott sei Dank weniger Menschen (Reinhold Hilbers [CDU] - zu den gibt, die zu uns kommen, weil sie unseren Schutz GRÜNEN -: Das steht heute auf der und unsere Hilfe brauchen, dann soll es eine ande- ersten Seite der HAZ! Sie sollten sich re, nicht so schlimme Situation sein, sodass die schämen!) pauschalen Kosten nicht erhöht werden müssen. Wir haben eine besondere Situation bei der Bewäl- Aber wenn es mehr Flüchtlinge werden, dann tigung der Flüchtlingskrise gehabt. muss das selbstverständlich sofort getan werden? - Es ist beschämend, dass hier mit zweierlei Maß (Johanne Modder [SPD]: Ach!) für dieselben Menschen gemessen wird. Besondere Situationen bedeuten, dass Regierun- (Beifall bei der SPD und bei den gen handeln müssen, dass sie Gesetze anpassen GRÜNEN) müssen und dass Gesetze geändert werden müs-

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Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Kern haben Darüber hinaus beruht diese Erhöhung auf einer wir uns mit den Forderungen dieses Antrages heu- einvernehmlichen Vereinbarung mit den kommuna- te schon einmal befasst, wenn auch wesentlich len Spitzen dieses Landes. differenzierter. (Johanne Modder [SPD]: Genau!) Auch im federführenden Ausschuss ist dieser An- trag zusammen mit zwei weiteren Anträgen bera- Wenn Sie an der Anhörung teilgenommen haben - ten worden. Herr Focke, ich gebe Ihnen recht. ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, ob Dazu hat es auf Ihren Wunsch hin eine Anhörung Sie dabei gewesen sind; nach dem Redebeitrag gegeben. Dieser Anhörung sind wir nachgekom- unterstelle ich beinahe, dass das nicht der Fall men. Von daher finde ich es ein bisschen witzig, gewesen ist; denn dann wäre Ihnen das noch im dass Sie hier anfangen nachzurechnen, wie viele Ohr; ich könnte es auch zitieren -, dann wissen Tage wir brauchen, um den Anzuhörenden Zeit zu Sie, dass die kommunalen Spitzenverbände die- geben, in den Ausschuss zu kommen, und um ses Engagement ausdrücklich gelobt haben. diese Anhörung auswerten zu können. Sie wissen (Beifall bei der SPD und bei den selbst genauso gut wie wir, wie lange so etwas GRÜNEN) dauert. Ich finde, dass es wirklich kein guter Stil ist, sich Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleibt dabei. dann hier im Plenum hinzustellen und so etwas zu Wir sind uns darin einig, dass die finanzielle Situa- behaupten. Aber die Debatte dazu hatten wir be- tion der Kommunen angespannt war und zum Teil kanntlich schon zu Beginn des heutigen Tages. auch angespannt ist. Insofern besteht, differenziert betrachtet, natürlich Handlungsbedarf. Heute hat es eine Zeitungsberichterstattung in der Hannoverschen Allgemeinen gegeben. Darin ist Auch nach den heute bereits zum wiederholten auch Herr Bullerdiek vom NLT zitiert worden. Er Mal geführten Diskussionen stellt sich mir aber hat gesagt: Sicherlich ist es nicht ganz so gut, dass immer noch die Frage, ob Länder und Kommunen das nachträglich gezahlt werde. Aber das Wich- hier allein in der Hauptverantwortung stehen. Ich tigste - und das ist der Kern des ganzen Prob- will es wirklich nicht gebetsmühlenartig wiederho- lems - ist, dass die Kosten überhaupt erstattet len, doch Sie müssen das jetzt einfach mal ertra- werden. - Ich stelle fest, die Kosten werden erstat- gen: Der Bund ist durch die Aufnahme von Flücht- tet; denn auf diese Landesregierung ist Verlass, lingen in der innenpolitischen Gesamtverantwor- liebe Kolleginnen und Kollegen. tung. Dementsprechend hat sich der Bund in sol- chem Maße zu beteiligen. (Beifall bei der SPD - Jörg Hillmer [CDU]: Das kriegt ihr auch vom Bund!) (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN) Und noch eines obendrauf: Innerhalb desselben kurzen Zeitraums, von dem ich hier eben gespro- Allerdings ist der Bund bei Weitem unter seinen chen habe, ist es darüber hinaus gelungen, zu- Möglichkeiten geblieben. Das hatte ich vorhin bei sätzliche Mittel für Integrationskurse, für Sprach- Tagesordnungspunkt 23 hier schon zum Besten kurse, für zusätzliches Personal und zur Unterstüt- gegeben. zung der großartigen Hilfe unzähliger ehrenamtli- cher Kräfte sowie für die Wohnraumförderung zur An dieser Stelle lohnt sich übrigens ein Blick nicht Verfügung zu stellen - alles abgebildet in zwei ganz so weit zurück - Herr Focke, Herr Heere hat Nachtragshaushalten und solide durchfinanziert eben noch einmal darauf hingewiesen; auch ich bis in den aktuell gültigen Haushalt für das Jahr versuche es noch einmal -: Innerhalb von nur we- 2016 hinein. Das ist nicht nichts, und es gibt kei- nigen Monaten haben wir in Anerkennung der ho- nen Grund, das schlechtzureden. hen Belastungen vor Ort die jährliche Pauschale um rund 3 000 Euro pro Person auf nunmehr (Beifall bei der SPD und bei den 9 500 Euro erhöht. Ab dem kommenden Jahr sind GRÜNEN) es 10 000 Euro. Das ist nicht nichts, lieber Herr Focke. Keine Angst, ich frage jetzt nicht danach, wie die Flüchtlingspauschalen in den vergangenen 10 (Beifall bei der SPD und bei den bzw. 13 Jahren erhöht worden sind. Das wäre ja GRÜNEN) ein Messen mit zweierlei Maß.

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Lassen Sie uns nach vorne schauen und sehen, Die gab es im Übrigen nicht nur in dieser Anhö- wie wir eine für alle Ebenen ausgewogene und vor rung, sondern auch - mein Kollege Jan-Christoph allen Dingen gelingende Integration sicherstellen Oetjen nickt - in den anderen Anhörungen, die wir können. Ein guter Anfang wären klare Regelungen zu den Themen Flüchtlingsunterbringung, Ab- und Zuständigkeiten für Sprachkurse sowie ein- schiebungen usw. gehabt haben. Die kommunalen heitliche Standards für Gesundheitskosten und Spitzenverbände wurden in ihrer Wortwahl zuneh- den Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. mend drastischer - weil die Situation immer drasti- Das hilft den betroffenen Menschen und unseren scher wurde - und verzweifelter. Kommunen gleichermaßen. Und wenn es dann Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen aber auch noch gelingt, schnellere Entscheidungen vom auch einmal sagen, was ich in den Anhörungen BAMF zu bekommen, sind wir unserem Ziel einen der kommunalen Spitzenverbände beobachte: wesentlichen Schritt nähergekommen. Anstatt sich sachlich zu beteiligen, hinterfragen Sie Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich die Entscheidungsprozesse innerhalb der kommu- halte fest: Der vorliegende Antrag hat sich zwi- nalen Spitzenverbände. Das haben wir bei der schenzeitlich überholt. Die Landesregierung hat letzten Anhörung erlebt, bei der es allerdings nicht innerhalb der vergangenen Monate nicht nur mit um Flüchtlingsfragen, sondern um den Großraum zwei Nachtragshaushalten massiv auf die gestell- Braunschweig ging. ten Anforderungen reagiert, sondern wir haben Der Antrag ist nur deswegen überholt, weil der auch die Kapazitäten in unseren Erstaufnahmeein- Bund gehandelt hat. Der Bund hat im Herbst die richtungen erheblich aufgestockt. Die Vorausset- Entscheidung getroffen, die eigentlich Sie hätten zungen für schnellere, vereinfachte Asylverfahren treffen müssen. hat der Bund mit seinen Asylpaketen I und II ge- schaffen. Aber eine Baustelle bleibt noch: (Johanne Modder [SPD]: BAMF!) Jetzt ist es am Bund - genauer gesagt: an unserem Herrn Bundesinnenminister -, zusammen mit sei- 600 Millionen Euro bei den Kommunen auf Pump nem BAMF zu zeigen, dass er in der Lage ist, schneller zu handeln und den Antragsrückstau (Johanne Modder [SPD]: Was macht abzuarbeiten. Das hilft den Kommunen. Es be- das Bundesamt?) schleunigt vor allem aber die Integration, und ge- und die Millionen von Euro, die die Kommunen nau darauf kommt es jetzt an. aufgewendet haben, um in der Amtshilfe kurzfristig die Aufgaben des Landes bei der Unterbringung Notwendig dafür ist der Wille zur Veränderung und, und Betreuung von Flüchtlingen wahrzunehmen. Herr Focke, manchmal auch der Mut, überholte Anträge zurückzuziehen. Da haben Sie versagt. Das Geld bleibt bei den Kommunen hängen und wird für andere Dinge Herzlichen Dank. fehlen. Da haben Sie Ihre Verantwortung nicht wahrgenommen. (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN) (Beifall bei der CDU - Johanne Mod- der [SPD]: Sechs, setzen, Herr Fo- cke!) Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Vielen Dank, Herr Lynack. - Herr Kollege Focke Vizepräsident Karl-Heinz Klare: möchte eine Kurzintervention machen. Sie haben Vielen Dank. - Herr Lynack möchte antworten. das Wort, Herr Focke. Bitte!

Ansgar-Bernhard Focke (CDU): Bernd Lynack (SPD): Sehr geehrter Herr Kollege Lynack, selbstver- Danke schön, Herr Präsident. - Herr Focke, ich ständlich war ich bei der Anhörung zugegen. Ich muss mich dem Kollegen Heere anschließen, der kann mich noch sehr gut an die drastischen Worte vorhin von Nebelkerzen gesprochen hat. von Dr. Trips und den anderen Vertretern der (Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Nebel- kommunalen Spitzenverbände erinnern. kerzen? Fetteste Pyros sind das!)

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Wir haben über Ihren Antrag gesprochen, und Sie „Städte und Gemeinden strecken 600 Millio- führen sachfremde Erwägungen ins Feld, z. B. wie nen für Flüchtlinge vor“. in anderen Anhörungen gesprochen wird. Es ist Herr Bullerdiek, der übrigens, lieber Kollege Ly- einfach kein guter Stil, sich nicht mit der Sache nack, vom Städte- und Gemeindebund ist, sagt auseinanderzusetzen. dort in der Tat: Ja, die kommunalen Spitzenverbände haben hart „Das ist ärgerlich, wenn man in die Kredite mit uns gerungen, und wir sind ihren Argumenten gehen muss.“ zugänglich gewesen. Ja, wir waren uns bewusst, dass die Amtshilfe ein Mittel ist, das vor Ort wirk- Weiter heißt es dann: lich schwer wiegt. Aber wir sind damit sehr sensi- bel umgegangen. Die Landesregierung, die Mitar- „Wichtig sei, dass am Ende alle Kosten vom beiterinnen und Mitarbeiter haben vorher wirklich Land vollständig übernommen würden. Das alles getan. Der Innenminister hat mehrfach im werde in Harburg nicht der Fall sein, meint Plenum berichtet, dass im Dreischichtbetrieb gear- Freudewald:“ beitet wurde, um die Menschen unterzubringen. - das ist der Sprecher des Landkreises Kreis Har- (Beifall bei der SPD und bei den burg - GRÜNEN) „Die zugesagte Pauschale reiche nicht aus. ‚Unsere realen Kosten liegen bei 13 000 Eu- Eines möchte ich doch mal festhalten: Es hat nie- ro.‘“ mand im Winter auf der Straße leben müssen; denn die Landesregierung hat alles getan, damit In Hannover sind sie, wie Sie wissen, noch höher. die Menschen untergebracht werden können. (Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Was (Beifall bei der SPD und bei den würden die jetzt mit euren 5 000 Euro GRÜNEN - Zurufe von der CDU und machen?) von der FDP) Dass die Kosten, die auf kommunaler Ebene ent- Das kleinzureden, ist eine Unverschämtheit, liebe stehen, erst mit einer solch großen Verzögerung Kolleginnen und Kollegen, gerade gegenüber den erstattet werden, ist ein Abladen der Last auf den Menschen, die dafür arbeiten. Schultern der Kommunen. Das sollten Sie been- den! Mein zweiter Punkt ist das, was ich eben schon aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung von (Beifall bei der FDP und bei der CDU) heute zitiert habe. Ich würde die Aussage von Deswegen ist der Antrag der Unionsfraktion auch Herrn Bullerdiek einfach zur Kenntnis nehmen - nicht überholt. Der erste Punkt ist nach wie vor auch dass es sich um eine einvernehmliche Ver- aktuell. einbarung zwischen dem Land und seinen Kom- munen handelt. In dem zweiten Punkt geht es darum, dass die Menschen, die aus sicheren Drittstaaten kommen - Danke schön. der Kosovo und Albanien sind in dem Antrag ge- (Beifall bei der SPD und bei den nannt; dazu gehören aber auch noch einige ande- GRÜNEN) re -, nicht auf die kommunale Ebene verteilt wer- den. Das hat das Land mittlerweile zugesagt.

Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Anders, als der Kollegen Lynack gesagt hat, baut Danke, Herr Lynack. - Das Wort hat jetzt Jan- das Land mittlerweile Kapazitäten nicht mehr auf, Christoph Oetjen, FDP-Fraktion. Bitte schön! sondern baut sie ab, obwohl auf der kommunalen Ebene immer noch ein sehr großer Druck herrscht, Jan-Christoph Oetjen (FDP): die Menschen unterzubringen. Die Anfrage, die ich neulich gestellt habe, hat ergeben, dass auf der Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- kommunalen Ebene noch etwa 30 Turnhallen be- gen! Sie haben hier von Nebelkerzen gesprochen. legt sind, in denen über 2 000 Menschen leben. Die Wahrheit, in der die Kommunen leben, ist al- Ich sage von dieser Stelle aus ganz klar: Sorgen lerdings das, was heute in der Hannoverschen Sie als Land dafür, dass den Kommunen die Allgemeinen Zeitung zu lesen ist: Flüchtlinge nicht so schnell zugewiesen werden,

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sondern dass sie länger in den Landesaufnahme- nalen Spitzenverbände im Vorfeld geäußert haben einrichtungen bleiben! und auf die man sich dann geeinigt hat. Ich glaube, dass das eine gute Zahl ist. (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Verschaffen Sie den Kommunen Luft, diese Turn- Es ist angesprochen worden: Wir haben in unse- hallen freizumachen, damit sie am Ende der Feri- rem Land teilweise unterschiedliche Kostenfakto- en, sofern sie nicht erst saniert werden müssen, ren. In einem Flächenland wie Niedersachsen ist wieder den Schülern zum Sport zur Verfügung das nicht verwunderlich. Vielleicht müsste man stehen! Das wäre eine Maßnahme, mit der Sie die sich eine andere Abrechnungsmodalität überlegen. Kommunen richtig unterstützen würden und für die Dafür waren aber die kommunalen Spitzenverbän- Ihnen alle dankbar wären. de nicht offen. Das ist jedoch eine andere Frage. (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Angesprochen worden ist auch die Lücke von zwei Jahren. Die haben wir zu minimieren versucht. Hinzu kommt, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Erstens werden die BAMF-Zahlen, die als Grund- Die kommunalen Spitzenverbände haben, wie Sie lage dienen, vorgezogen, sodass man auf knapp richtig gesagt haben, die Anstrengungen des Lan- eineinviertel Jahre kommt. Zweitens versuchen wir, des natürlich gelobt. Das haben sie getan, weil die Lücke mit einer Abschlagszahlung zu schlie- alles, was gut ist, ihnen was bringt. Aber die kom- ßen, um die Last, die in den Kommunen natürlich munalen Spitzenverbände haben auch gesagt, nach wie vor zu spüren ist, etwas zu mindern. dass der Antrag, den die Union eingereicht hat, genau das ist, was sie brauchen. Und deswegen Viel entscheidender ist aber die Frage, wie sich der haben sie sich genauso wie die Kommission für Bund beteiligt, den Sie hier über die Maßen loben. Migration und Teilhabe dafür ausgesprochen, die- Lediglich 25 % der Kosten trägt der Bund. Gerade sen Antrag anzunehmen. heute um 16.30 Uhr ging über dpa, dass die Län- Wir wollen die Kommunen unterstützen, und daher der ein Defizit von knapp 21 Milliarden Euro bekla- werden auch wir von der FDP-Fraktion diesem gen und vom Bund ganz klar fordern, hier in die Fi- Antrag zustimmen. nanzierungsverantwortung einzusteigen, Schäuble sich aber noch sträubt und blockiert. Vielen Dank. Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Ihrem (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Antrag sprechen Sie auch die medizinische Ver- sorgung an. Das möchte ich aufgreifen. Dieses Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Beispiel zeigt, wie sich der Bund aus der Verant- Vielen Dank, Herr Oetjen. - Jetzt hat sich Belit wortung stiehlt. Onay, Bündnis 90/Die Grünen, zu Wort gemeldet. Bitte schön! Das Asylbewerberleistungsgesetz sieht geringe medizinische Standards für die Flüchtlinge vor und Belit Onay (GRÜNE): verlagert die Kostenlast auf die kommunale Ebene. Das ist ein Unding. Insofern muss zum einen das Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehr- Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft werden - ten Damen und Herren! Auch meines Erachtens das ist im Sinne der Flüchtlinge -, und zum ande- hat sich der Antrag, auch weil er so lange im Ver- ren muss der Bund Verantwortung übernehmen fahren war, erledigt. Ich möchte allerdings die Kritik und in die Finanzierung der medizinischen Kosten an der Arbeitsweise des Innenausschusses zu- einsteigen. Sie erinnern sich, Herr Focke: Die rückweisen. Herr Focke, Sie wissen, dass wir die kommunalen Spitzenverbände haben diesen Kos- Beratung dieses Antrags einvernehmlich mit der tenfaktor mit 2 600 oder 2 700 Euro beziffert. Beratung von zwei weiteren Anträgen zusammen- gefasst haben: einem von der FDP und einem von Die Liste des Versagens auf Bundesebene lässt Rot-Grün. Insofern haben wir auch die Anhörun- sich leider fortsetzen. Gestern ging wieder durch gen dazu zusammengefasst. die Medien, dass das BAMF nicht so arbeitet wie Aber zurück zu den inhaltlichen Punkten. angekündigt, dass es im Mai fast 10 000 Fälle weniger bearbeitet hat als im April und dass es bei Die Erhöhung der Pro-Kopf-Pauschale wurde hier der Bearbeitung weiter hinterherhinkt. Da muss schon angesprochen. Die 10 000 Euro sind keine sich der Bund noch einmal aufraffen. gegriffene Zahl, sondern die Zahl, die die kommu-

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Die meisten Punkte in Ihrem Antrag sind, wie ge- Dabei war Niedersachsen damals ein Aufsteiger- sagt, erledigt, und die anderen können wir nicht land. Dieses Musikalisierungsprogramm ist dafür mittragen. Insofern werden wir diesen Antrag ab- ein Beispiel. lehnen. (Beifall bei der CDU und bei der FDP) (Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD) Durch „Wir machen die Musik!“ werden in den Tagesstätten und Grundschulen in der Fläche Kinder aus allen sozialen Schichten, auch aus Vizepräsident Karl-Heinz Klare: zugewanderten Familien, erreicht, unabhängig von Vielen Dank, Herr Onay. - Weitere Wortmeldungen ihren individuellen Fähigkeiten. Die Evaluation hat liegen nicht vor. dies bestätigt. Zudem zeichnet sich das Programm Wir kommen zur Abstimmung. durch eine sehr effiziente Verwendung öffentlicher Gelder aus. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Antrag der Fraktion der CDU Angeregt wurde, Qualitätsstandards festzulegen, in der Drucksache 17/3184 ablehnen will, den bitte die Eltern stärker einzubeziehen, Fortbildungskon- ich jetzt um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - zepte zu erarbeiten, die Arbeitsbedingungen für Das Erste war die Mehrheit. Der Antrag ist abge- das musikpädagogische Personal zu verbessern lehnt. und einen Entwicklungsplan aufzustellen. Insge- samt aber wurde festgestellt: Dieses Musikalisie- Ich rufe auf den rungsprogramm ist seit der Einführung im Schul- jahr 2009/2010 eine großartige Erfolgsgeschichte. In diesem Schuljahr werden mehr als 37 000 Kin- Tagesordnungspunkt 32: der davon profitieren. Abschließende Beratung: „Wir machen die Musik!“ fortführen - Mittel für (Zustimmung bei der CDU) das erfolgreiche Musikalisierungsprogramm Das Programm unterstützt Integration und Inklusi- weiterhin bereitstellen - Antrag der Fraktion der on. Auch die Sprachfähigkeit wird durch Musik CDU - Drs. 17/5482 - Beschlussempfehlung des gefördert. Musizieren trägt zu einem rücksichtsvol- Ausschusses für Wissenschaft und Kultur - len, toleranten und wertschätzenden Miteinander Drs. 17/5744 bei. Das Programm bewirkt eine musikalische Brei- tenförderung und ermöglicht das Entdecken und die Unterstützung von Talenten. Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzu- lehnen. Den 78 teilnehmenden Musikschulen danke ich herzlich für das großartige Engagement. Ich freue Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. mich darüber, dass der Geschäftsführer des Lan- Wir kommen zur Beratung. Es hat sich der Kollege desverbandes niedersächsischer Musikschulen, Burkhard Jasper, CDU-Fraktion, gemeldet. Bitte Herr Klaus Bredl, heute hier ist, um sich diese schön, Herr Jasper! Debatte anzuhören. (Beifall bei der CDU und bei der SPD) Burkhard Jasper (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Ich danke auch den Kooperationspartnern, den Herren! Zu Beginn meiner Tätigkeit hier im Nieder- 680 Kindertagesstätten und 472 Grundschulen. sächsischen Landtag habe ich mich oft darüber Einig sind wir uns nun darüber, dass dieses Pro- gewundert, dass SPD und Grüne die zehnjährige gramm über das Schuljahr 2016/2017 hinaus fort- Regierungszeit von CDU und FDP oft so negativ geführt werden soll. Zu dieser Entwicklung hat darstellen. sicherlich auch unser Antrag beigetragen. (Lachen bei der SPD und bei den Aber die CDU will mehr. Sie will einen Ausbau GRÜNEN - Helge Limburg [GRÜNE]: dieses Programms, damit noch mehr Kinder er- Heute wissen Sie, wie schlecht es reicht werden. Dazu werden wir natürlich - ich ge- damals wirklich war! Jetzt wundern he davon aus, dass Sie das gleich ansprechen - Sie sich nicht mehr!) einen Finanzierungsvorschlag unterbreiten, sofern

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der Entwurf der Landesregierung solche Mittel Musikalisierungsprogramm nicht mehr angeboten nicht vorsehen sollte. wird, weil in einem anderen Stadtteil ein sozialer Brennpunkt entstanden ist? Soll einer Grundschule Schon im September 2013 hat die CDU einen mitgeteilt werden, dass es im Nachbardorf mehr Ausbau dieses Musikalisierungsprogramms gefor- Flüchtlinge gibt und deshalb das Musikalisierungs- dert. Trotz des engagierten Einsatzes meiner Kol- programm gestrichen wird? - Die CDU will die Ge- legin Gabriela Kohlenberg wurde der damalige sellschaft nicht spalten. Wir wollen durch das Mu- Antrag abgelehnt. Sie haben sich nicht einmal der sikalisierungsprogramm Menschen zusammenfüh- Mühe unterzogen, einen Änderungsantrag zu un- ren. Wir wollen mehr Kinder erreichen. terbreiten. Während unter der CDU/FDP-Regierung die Mittel Den Antrag haben wir auch gestellt, um unsere von 500 000 Euro über 1,55 Millionen Euro auf Kulturministerin bei den Haushaltsberatungen im 1,75 Millionen Euro gesteigert wurden, herrscht Kabinett zu stärken. Unterstützen Sie mit der An- nun unter SPD und Grünen Stagnation. Sie treten nahme dieses Antrages die Ministerin, damit die mit 1,95 Millionen Euro auf der Stelle. Geplant war Regierung einen Haushaltsplanentwurf mit einer aber, schon 2015/2016 Landesmittel in Höhe von Steigerung der Mittel für das Musikalisierungspro- 2,35 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. gramm vorlegt! Stimmen Sie deshalb dem CDU- Antrag und damit einer Erhöhung der Mittel für das Die Kommunen leisten einen hohen Beitrag, um Musikalisierungsprogramm zu! Dann können noch das Niveau zu halten, und wollen noch mehr tun, mehr Kinder davon profitieren. Kinder und Eltern aber stoßen an Grenzen, wenn das Land nicht werden es Ihnen danken. kofinanziert. Ich nenne als Beispiel die Stadt Os- nabrück. Für „Wir machen die Musik!“ gibt das (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Land 68 000 Euro, während die Stadt 115 000 Eu- ro dazugibt. Der Beitrag der Stadt ist also inzwi- schen höher als der Beitrag des Landes. Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Beim Parlamentarischen Frühstück des Landes- Vielen Dank, Herr Jasper. Sie haben noch fünf verbandes niedersächsischer Musikschulen am Zehntelsekunden. Das war praktisch eine Punkt- 8. März 2016 stand auf dem Wunschzettel, dieses landung. - Die nächste Wortmeldung stammt von Musikalisierungsprogramm auszubauen. Die CDU Almuth von Below-Neufeldt. Sie haben das Wort. schließt sich dieser Forderung an. SPD und Grüne wollen dieses Programm aber offensichtlich nicht Almuth von Below-Neufeldt (FDP): ausbauen. Das kann ich nicht nachvollziehen. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und (Zustimmung bei der CDU) Herren! Sehr geehrter Herr Bredl! „Wir machen die Ich habe nachgelesen, dass der Abgeordnete Vol- Musik!“ - ein Erfolgsmodell über viele Jahre und ker Bajus von den Grünen in Politik und Kultur ein Erfolgsmodell, das nun ganz offensichtlich am erklärte: Scheideweg steht. Kein Antrag von der SPD und von den Grünen, und der gute Antrag der CDU ist „Für die Kulturpolitik würde ich mir einfach abgelehnt. mehr Geld wünschen. Weil Spielräume durch Umschichtung zu erreichen, das geht Sie alle, meine Damen und Herren, kennen be- nicht!“ stimmt die Werbung von „Brot für die Welt“: Weni- Da kann ich nur sagen: Stimmen Sie unserem ger ist leer. - Dieser Slogan bedeutet, übertragen Antrag zu! Dann erreichen Sie das. auf den CDU-Antrag: Weniger heißt singen. - Ja, singen ist ein Teil der Musik, ist Teil der Weltspra- (Beifall bei der CDU) che. Singen ist aber nicht das Gleiche wie das Dabei werden auch für die Verwirklichung der Erlernen eines Instrumentes. Frau Ministerin, Sie Empfehlungen der Evaluation, auf die ich eben haben 2013 z. B. in Leer erlebt, wie kleine Kinder hingewiesen habe, mehr Mittel benötigt. im Vorschulalter mit ihren Geigen auftraten. Sie hatten sich schick gemacht, sie hatten geübt, sie Bei begrenzten Mitteln heißt das Zauberwort nun hatten sich mit dem Instrument auseinanderge- „Schwerpunktsetzung“. Da frage ich mich: Wie setzt, und sie haben voller Stolz gezeigt, was sie wollen Sie das machen? Soll einem Kindergarten schon können. mitgeteilt werden, dass in dieser Einrichtung das

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Nicht nur Musikschulen, sondern auch viele, viele Volker Bajus (GRÜNE): Kindergärten und Grundschulen sind engagiert, Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Kindern Musikinstrumente und die Musik näherzu- Herren! Ich muss mich ein bisschen wundern, Frau bringen. von Below-Neufeldt. Herr Jasper hatte das auch Meine Damen und Herren, Musik fragt nie nach gesagt. Wer redet eigentlich von Kürzen oder sozialer Herkunft, nach Alter oder Migrationshin- Streichen? Hat nicht die Landesregierung erst vor tergrund. Musik verbindet alle! Sie berührt, bewegt sechs Wochen erklärt, dass das Programm weiter- und unterstützt die Entwicklung von Persönlichkeit geht? - Wir können gern darüber diskutieren, wie und kognitiven Fähigkeiten. Das wissen alle, viel- es weitergeht, wie viel Mittel mehr zusammen- leicht aber nicht die Landesregierung. kommen und worauf man sich fokussiert.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU) Wirklich geschockt bin ich ein bisschen über Sie, Frau von Below-Neufeldt, die Sie gerade eine Musik ist wichtig für die ganzheitliche Bildung und Kampagne von „Brot für die Welt“ zitiert haben. Bei die Entwicklung von Interessen. Musik erschließt dieser Kampagne geht es um den Kampf gegen nämlich eine andere Welt. Musik erschließt neue den Hunger in der Welt. Die Kampagne läuft unter Horizonte, und das befördert die Teilhabe, meine dem Motto: „Weniger ist leer“. Damen und Herren, die Sie gerade für Benachtei- ligte immer wieder fordern und fördern wollen. Wollen Sie allen Ernstes ein Musikalisierungspro- gramm dieses Landes, das auch im nächsten Jahr (Beifall bei der FDP und bei der CDU) mit mindestens 2 Millionen Euro weiterläuft, mit entwicklungspolitischen Fragen und dem Kampf Meine Damen und Herren, das Projekt „Wir ma- gegen den Hunger vergleichen? - 40 000 Men- chen die Musik!“ wurde evaluiert. Den Evaluati- schen sterben auf dieser Welt täglich an Hunger. onsbericht vom Januar habe ich vorgestern be- Ich kann nicht verstehen, wie man so zynisch sein kommen - ungefähr so schnell wie mit der Fla- kann. schenpost; aber davon ganz abgesehen. Offenbar regiert es sich ganz famos ohne eigene Anträge, (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das ist ohne Arbeit investieren zu müssen. Besorgt macht doch absurd! Das ist doch eine Un- mich - das muss ich an dieser Stelle sagen -, dass verschämtheit, wie Sie das missver- der Musikunterricht in Schulen oft nicht mehr von stehen wollen!) Musiklehrern erteilt wird, sondern von anderen Rüsten Sie rhetorisch ab! Das kann doch nicht Fachlehrern. Ich frage mich wirklich: Wo ist die wahr sein! Wir alle sind uns doch einig, dass Musik Wertschätzung für Fachbildung, und wo ist die etwas zum Freuen ist. Dass Sie das miteinander in Wertschätzung für kulturelle Bildung? Verbindung bringen, kann ich nicht verstehen. Das Meine Damen und Herren, die Steuereinnahmen müssen Sie zurücknehmen. Das hat hier nichts zu sprudeln. Sie werden doch hoffentlich nicht an den suchen. Kindern sparen wollen. Dann könnte man sich nur Vielen Dank. fremdschämen, und Ihren Koalitionsvertrag könnte man dann nur als Märchenbuch bezeichnen. (Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Führen Sie „Wir machen die Musik!“ fort! Das ist Vizepräsident Karl-Heinz Klare: richtig und gut. Nehmen Sie sich den Evaluations- Frau von Below-Neufeldt möchte antworten. Bitte bericht zu Herzen! Machen Sie weiter „Wir machen schön! Sie haben das Wort. die Musik!“.

Danke schön. Almuth von Below-Neufeldt (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Herren! Herr Bajus, jetzt hier die große Moralkeule zu schwingen, finde ich lächerlich Vizepräsident Karl-Heinz Klare: (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Unterirdisch!) Vielen Dank. - Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Bajus gemeldet. Bitte schön! und total überzogen.

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(Volker Bajus [GRÜNE]: Sie haben 2016/2017. Das ist überhaupt nicht der Fall. Dass angefangen!) Sie das suggerieren und damit Unsicherheit in die Musikschulen bringen, finde ich nicht gut. Schauen - Ich habe jetzt die Gelegenheit zu sprechen, und Sie in die mittelfristige Finanzplanung des Landes! das will ich gerne tun. Dort steht, dass die Förderung in Höhe von Ich habe einen Werbeslogan zitiert. Ich habe in 1,95 Millionen Euro bis einschließlich zum Jahr keiner Weise das Musikprogramm des Landes mit 2020 abgesichert ist. Damit haben die Musikschu- dem Kampf gegen den Hunger in der Welt vergli- len für das Programm „Wir machen die Musik!“ chen, sondern ich habe lediglich eine Werbezeile Planungssicherheit. Das ist doch erst einmal eine zitiert. Die habe ich genutzt, um darauf hinzuwei- gute Nachricht. sen, was Sie möglicherweise im Sinn haben. (Beifall bei der SPD und bei den Ihre Aussage nehme ich nun als Versprechen, GRÜNEN) dass das Musikalisierungsprogramm fortgeführt wird. Dafür, Herr Bajus, danke ich Ihnen. Vizepräsident Karl-Heinz Klare: (Beifall bei der FDP und bei der CDU - Herr Prange, ich darf Sie kurz unterbrechen. Frau Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Das ha- von Below-Neufeldt möchte Ihnen gerne eine Zwi- ben wir im Ausschuss schon gesagt!) schenfrage stellen.

Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Ulf Prange (SPD): Vielen Dank. Ja, gern! (Burkhard Jasper [CDU] meldet sich Vizepräsident Karl-Heinz Klare: zu einer Kurzintervention) Bitte schön! - Herr Jasper, Herr Bajus hatte das Wort zu einer Kurzintervention. Almuth von Below-Neufeldt (FDP): Jetzt hat das Wort Ulf Prange für die SPD-Fraktion. Herr Prange, vielen Dank, dass Sie die Zwischen- Bitte schön, Herr Prange! frage zulassen.

Ulf Prange (SPD): Ihre Ausführungen freuen mich. Ich frage mich, ehrlich gesagt, an dieser Stelle aber, warum Ihre Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will Fraktion dem Antrag der CDU-Fraktion nicht zuge- versuchen, die Stimmung ein wenig herunterzuko- stimmt hat. Können Sie das beantworten? chen. Ich möchte erst einmal damit beginnen, deutlich zu machen, dass die Arbeit, die an den Ulf Prange (SPD): Musikschulen geleistet wird, hervorragend ist. Das sollte an dieser Stelle einmal betont werden. Herr Der Antrag der CDU besteht aus zwei Komponen- Bredl - auch ich begrüße Sie ganz herzlich -, rich- ten. Er enthält vier Punkte, man kann ihn aber so ten Sie das bitte Ihren Musikschulen, Ihren Mit- zusammenfassen, dass es zum einen darum geht, streitern aus. Wir finden das, was dort geleistet sicherzustellen, dass das Programm weitergeht, wird, ganz hervorragend. wobei suggeriert wird, dass das nicht der Fall sei. Dem können wir natürlich nicht zustimmen. Das ist Ich will auch klarstellen, dass das Musikalisie- doch durch Regierungshandeln, durch Handeln rungsprogramm „Wir machen die Musik!“ ein gro- von Rot-Grün erledigt. ßer Erfolg ist. Ich glaube, das wird hier niemand bestreiten. (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN) Einem erledigten Antrag können wir nicht zustim- men. Vor diesem Hintergrund wundert es mich tatsäch- lich - das geht ein wenig in die Richtung dessen, Der zweite Punkt ist die Erhöhung. Dass das ein was Herr Bajus klarzustellen versucht hat -, wie gutes Programm ist, ist klar. Wir befinden uns aber Sie eigentlich dazu kommen, dass das Programm doch gerade in den Haushaltsberatungen. Von ausläuft. In dem Antrag der CDU-Fraktion ist die daher können wir uns schon zum jetzigen Zeit- Rede von einem Auslaufen des Programms punkt - dafür haben Sie sicherlich Verständnis, und

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das können Sie auch nicht erwarten - noch nicht Musikschulen profitieren gleichermaßen, insbe- festlegen. sondere aber auch die Kinder.

Ich will noch einmal sagen und betonen: Es ist Seit dem Regierungswechsel haben wir jedes Jahr unheimlich gut, was im Rahmen dieses Program- 1,95 Millionen Euro für „Wir machen die Musik!“ mes passiert, dass nämlich Kindern ungeachtet bereitgestellt. Deswegen verstehe ich nicht, dass ihrer wirtschaftlichen, sozialen und ethnischen dies hier infrage gestellt wird. Wir werden das auch Herkunft sowie ihrer körperlichen und geistigen weiterhin tun und sind insofern, glaube ich, ein Fähigkeiten frühzeitig ein Zugang zu Gesang, Mu- verlässlicher Partner der Musikschulen. sik und Tanz ermöglicht wird. Das ist auch eine (Beifall bei der SPD und bei den Ermöglichung von kultureller und gesellschaftlicher GRÜNEN) Teilhabe und damit auch ein ursozialdemokrati- sches Anliegen. Deswegen diese 1,95 Millionen Jetzt zur Forderung der CDU nach einer Erhöhung Euro weiterhin. der Mittel. Diese Forderung kommt in der Tat zu früh. Zum einen ist das Programm gerade erst Herr Jasper hat hier eben schon ein paar Zahlen evaluiert worden, was wir drei hier schon vorgetra- genannt; ich will sie nicht wiederholen. Es werden gen haben. Wir haben uns im Ausschuss unterrich- in Niedersachsen extrem viele Kinder in der Al- ten lassen. Diese Unterrichtung wollten Sie ja gar tersgruppe bis zehn Jahre erreicht. Es gibt 1 000 nicht. Sonst kenne ich es so, dass von den Oppo- Kooperationspartner, die mitwirken. Das ist sicher- sitionsparteien im Ausschuss immer Unterrichtun- lich eine Erfolgsgeschichte, die wir in keinster Wei- gen oder Anhörungen gefordert werden. Hier aber se infrage stellen. Das ist eine Bereicherung des sollte am Ende der Tagesordnung nach einer lan- Bildungsangebotes in unseren Kitas und Grund- gen Beratung noch einmal schnell durchgewinkt schulen und stärkt nachhaltig die musikpädagogi- werden. Wenn man sich damit gar nicht so dezi- sche Kompetenz der dort tätigen pädagogischen diert auseinandersetzt, wirkt das Ganze auch ein Fachkräfte. bisschen wie Effekthascherei. Dass Musik in der Gruppe für die Persönlichkeits- Wir haben dann gesagt: Wir wollen diesen Bericht entwicklung und die Lernfähigkeit von Kindern gut im Ausschuss vorgestellt bekommen. - Das hat ist, Selbstbewusstsein und auch soziale Kompe- das MWK schließlich auch gemacht. Es hat davon tenzen stärkt, ist, glaube ich, deutlich und klar. berichtet, dass es diese positive Erkenntnislage Deswegen ist das Programm „Wir machen die gibt. Es hat aber auch gesagt, dass es Empfehlun- Musik!“ geeignet - das ist hier schon erwähnt wor- gen u. a. zur Festlegung von Qualitätsstandards den -, zum Gelingen von Integration und Inklusion und auch hinsichtlich der Erstellung eines Entwick- beizutragen. Das sind doch die vor uns stehenden lungsplans gibt. Herausforderungen. Dazu leistet die Musik einen Beitrag. Dafür noch einmal vielen Dank von der Das MWK hat weiter darüber berichtet, dass es SPD-Fraktion! dazu Abstimmungsprozesse gibt. Die müssen wir, denke ich, zunächst einmal abwarten, um auch zu (Beifall bei der SPD und bei den schauen, wie man nachsteuern kann und was an GRÜNEN) zusätzlichen finanziellen Mitteln benötigt wird, um Wir haben jetzt das Ergebnis der Evaluation vorlie- an dieser Stelle weiterzukommen. gen. Das Ergebnis ist äußerst positiv ausgefallen. Ohne Frage sind die Bereiche Integration und In- Es wird bestätigt, dass das Programm seinem klusion in der letzten Zeit hinzugekommen, die strategischen Anspruch voll gerecht wird. Es wird auch einen höheren Aufwand nach sich ziehen. auch bescheinigt, dass eine positive Wirkung für Dass Kultur auf diesen Tätigkeitsfeldern stark en- die Entwicklung der teilnehmenden Kinder fest- gagiert ist, hier eine große Rolle spielt, kulturelle stellbar ist. Dass insbesondere Kinder aus bil- Teilhabe ermöglicht und über Sprache und dungsfernen Schichten durch das Programm er- Sprachentwicklung einen großen Beitrag leisten reicht werden, ist, glaube ich, eine sehr positive kann, ist sicherlich richtig. Man kann darüber Entwicklung und ein großes Verdienst. Das möchte nachdenken, für diese zusätzliche Aufgabe, die ja ich hier noch einmal betonen. auch viele andere Akteure im Bereich der Kultur Dass darüber ein niedrigschwelliges vielfältiges leisten, einen Topf zur Verfügung zu stellen, auf Angebot entsteht, liegt auch an der Dezentralität den die unterschiedlichen Träger dann zugreifen des Programms. Die Kooperationspartner und die können. Man kann aber auch schauen: Machen

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wir konkret etwas für eine bestimmte Institution, Volker Bajus (GRÜNE): einen Verband oder wie auch immer? - Diese De- Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und batte führen wir zurzeit. Das ist der eine Punkt. Herren! Über die Bedeutung von Musik brauchen Deswegen werden wir uns hier heute nicht ab- wir eigentlich nicht lange zu streiten; denn darüber schließend positionieren können. herrscht hier allenthalten Einigkeit. Musik macht Der zweite Punkt ist die Schuldenbremse. Die die Menschen aufmerksam, macht sie fröhlicher Einhaltung der Schuldenbremse wird von Ihnen, und befördert das kommunikative Miteinander, wie meine lieben Kollegen von der Opposition, immer wir erst gestern bei einem Wortbeitrag meines mit großem Nachdruck eingefordert. Insofern ist es Kollegen Heere hier im Haus erleben durften. dann auch erforderlich, an dieser Stelle Gegenfi- (Zustimmung bei den GRÜNEN) nanzierungsvorschläge zu unterbreiten. Im Aus- schuss haben Herr Bajus und ich entsprechend Musik bringt Menschen zusammen, schafft durch nachgefragt. Eine Antwort haben wir darauf aber gemeinsames Musizieren wiederum Gemeinschaft nicht bekommen. und hilft, kulturelle Brücken zu überschreiten, und führt zu mehr interkulturellem Verständnis. Herr Jasper, Sie haben jetzt einen Vorschlag un- terbreitet; sozusagen aus der Hüfte geschossen. Doch genug geplaudert. Um Frank Zappa zu zitie- Darauf kann ich mich jetzt nicht einlassen. Ich ren: Über Musik zu reden, ist, wie über Architektur kann Ihnen nur sagen: Wir wollen dieses Pro- zu tanzen. - Nun ist nicht jedem das Talent eines gramm fortführen und weiterentwickeln. Wir sind Zappas in die Wiege gelegt. Deswegen ist es gut, bemüht, in den Haushaltsberatungen dafür Mittel dass wir in Niedersachsen eine sehr reiche und zur Verfügung zu stellen. Es geht aber auch um vielfältige Musiklandschaft haben. Der Verband ist Priorisierungen. Hier ist schon öfter gesagt wor- ja gerade erst 50 Jahre alt geworden. Ein sehr den, dass nicht alles, was wünschenswert ist, letz- guter Anlass, sich auch hier noch einmal bei allen ten Endes realisierbar ist. Die Ressourcen sind Aktiven zu bedanken, vornweg stellvertretend bei eben knapp. Vor diesem Hintergrund werden wir Herrn Bredl, den wir heute ja im Publikum begrü- intern noch einmal über die Frage zu sprechen ßen dürfen. haben, wo Priorisierungen vorzunehmen sind. Diesen Beratungen kann und will ich heute nicht Die Musikschulen sind aber auch Partner des Mu- vorgreifen. sikalisierungsprogramms „Wir machen die Musik!“. Das Programm läuft schon seit 2009. Dazu liegt Ich denke, im Sinne der Sache wäre es schön, nun eine aktuelle Evaluation vor, der man eben- wenn wir zu einem Dialog zurückkommen würden. falls die Erfolgsbilanz entnehmen kann: mehr als Sie, liebe Kollegen von der CDU, sind jetzt vorge- 165 000 Kinder insgesamt erreicht, allein in diesem prescht, was für eine Oppositionspartei durchaus Jahr mehr als 37 500. - Das sind über 100 000 legitim ist. Ich hoffe, dass wir an diesem erfolgrei- Unterrichtsstunden. Beteiligt sind daran im Land chen Programm gemeinsam weiterarbeiten wer- fast 1 200 Kitas und Grundschulen. den. Die positive Botschaft ist zunächst einmal: Finanzielle Mittel stehen zur Verfügung, um das Fazit - das haben auch meine Vorredner gesagt -: Programm im bisherigen Umfang fortzuführen. Das Musikalisierungsprogramm hat Kinder im gan- Über eine Erhöhung der Mittelansätze werden wir zen Land erreicht, die kulturelle Bildung in der dann im Rahmen der Haushaltsberatungen spre- Breite gefördert und zur Entdeckung von Bega- chen. Dort gehört es hin. Deshalb haben wir zu bungen beigetragen. Deswegen, meine Damen diesem Zeitpunkt auch noch keinen Antrag dazu. und Herren, ist es gut, dass das Ministerium für Wissenschaft und Kultur, dass unsere Kollegin Vielen Dank. Gabriele Heinen-Kljajić schon vor Monaten ver- lautbart hat: Ja, das erfolgreiche Programm geht (Beifall bei der SPD und bei den weiter. GRÜNEN) (Beifall bei den GRÜNEN und bei der Vizepräsident Karl-Heinz Klare: SPD) Vielen Dank, Herr Prange. - Jetzt hat sich Volker Offensichtlich haben die Kollegen von CDU und Bajus, Bündnis 90/Die Grünen, zu Wort gemeldet. FDP das aber nicht ganz verstanden. Deswegen Bitte schön! mussten wir das jetzt noch einmal laut sagen.

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Die Evaluation hat aber auch wichtige Hinweise Die große Stärke des Programms „Wir machen die darauf gegeben, dass und wie das Programm wei- Musik!“ ist zweifelsohne der Umstand, dass alle terentwickelt werden soll und kann. Das ist der Kinder erreicht werden, und zwar ungeachtet ihres Punkt, bei dem man beim CDU-Antrag stutzig wird. sozialen Hintergrunds. An dieser Stelle in Richtung Neben allem berechtigtem Lob an die Musikschu- Landesverband der Musikschulen: Chapeau! Ich len und alle anderen Beteiligten ist es doch vor weiß, dass Sie uns dieses Programm vor Jahren - allem - geben Sie es doch zu! - Eigenlob - so hat ich glaube, auf einer Jahresversammlung - vorge- Herr Jasper seine Ansprache hier doch auch be- stellt und der Politik nahegelegt haben, es umzu- gonnen - für das unter eigener Regierungsbeteili- setzen. Es ist, wie wir, glaube ich, heute alle ge- gung auf den Weg gebrachte Programm. meinsam feststellen können, zweifelsohne eine Erfolgsgeschichte geworden. Vor lauter Selbstlob wird dann der Blick auf das Eigentliche, nämlich auf das Programm, dessen (Zustimmung bei den GRÜNEN und Inhalte und seine Zukunft, verstellt. Das, meine bei der SPD) Damen und Herren, ist eben nicht zielführend. Denn wir alle wissen: Stillstand ist Rückschritt. - - Ja, das ist einen Applaus wert! Das müssten auch Sie wissen, Herr Jasper. (Beifall bei den GRÜNEN und bei der Nach sieben Jahren brauchen wir doch Nachjustie- SPD sowie Zustimmung von Burkhard rungen und Anpassungen. Wir brauchen eine Wei- Jasper [CDU]) terentwicklung des Programms, die sich noch stär- Aber auch das beste Programm muss kontinuier- ker vor allem auf Teilhabe, die Zielgruppe selbst lich weiterentwickelt werden. Deshalb haben wir im und das Erreichen auch bildungsferner Schichten letzten Jahr eine Evaluation in Auftrag gegeben, fokussieren muss. Genau daran arbeiten alle Be- um fünf Jahre nach dem Start des Programms zu teiligten. Dafür schon einmal vielen Dank! schauen, wo wir eigentlich stehen und wo es viel- Der CDU-Antrag hilft dabei nicht. Er steht der Zu- leicht Nachsteuerungsbedarf gibt. kunft im Wege. Daher kann man ihn nur ablehnen. Die Ergebnisse dieser Evaluation liegen jetzt vor Vielen Dank, meine Damen und Herren. und bestätigen diesem Programm insgesamt, dass es seinem strategischen Anspruch gerecht wird. (Beifall bei den GRÜNEN und bei der Vor allem freut mich, dass es sich tatsächlich be- SPD) wahrheitet hat, dass dieses Programm auch Kinder aus Familien, in denen Musik vielleicht nicht zwin- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: gend zum Alltag gehört, erreicht und so positiv Vielen Dank, Herr Bajus. - Zu Wort gemeldet hat wirken kann. Das heißt, gerade in Sachen kulturel- sich Frau Dr. Gabriele Heinen-Kljajić. Frau Ministe- ler Teilhabe hat dieses Programm seine Mission rin, Sie haben das Wort. wirklich erfüllt.

Zugleich macht die Evaluation wichtige Vorschläge Dr. Gabriele Heinen-Kljajić, Ministerin für Wis- für eine Weiterentwicklung, so z. B. zur dezentra- senschaft und Kultur: len Struktur des Programms. Die dezentrale Struk- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tur ist grundsätzlich eine Stärke, und ich glaube, es Meine Vorredner haben bereits darauf hingewie- ist richtig, dass wir auch in Zukunft keine zentralen sen - das muss ich eigentlich gar nicht weiter aus- Vorschriften - analog zu einem Curriculum in der führen -, dass das Programm „Wir machen die Schule -, etwa für die Inhalte der Musikalisierungs- Musik!“ längst über die Mipla auch für die Folgejah- stunden, vorgeben. Aber die Evaluation hat auch re abgesichert ist und selbstverständlich fortgeführt gezeigt, dass wir an manchen Stellen vielleicht wird. Dafür hätte es eigentlich keines Antrags be- einheitliche Qualitätsstandards brauchen, bei- durft. spielsweise bei der Qualifikation des Personals, das die Angebote umsetzen soll. Diese Standards (Beifall bei den GRÜNEN und bei der werden wir selbstverständlich in enger Abstim- SPD) mung sowohl mit dem Landesverband der Musik- Ich glaube, außer Ihnen, Frau von Below-Neufeldt, schulen als auch mit sozusagen seiner Privat- hatte auch niemand mehr wirklich daran gezwei- schulschwester, dem Musikschulverband Nieder- felt. sachsen-Bremen, entwickeln.

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„Wir machen die Musik!“ ist in einigen Regionen (Ottmar von Holtz [GRÜNE]: Er zieht stärker in Kindergärten, in anderen Regionen stär- seinen Antrag zurück!) ker in Grundschulen präsent. Wenn wir uns Nie- dersachsen auf einer Landkarte anschauen, dann Ich gehe davon aus, dass Sie die Geschäftsord- stellen wir fest, dass das Programm durchaus sehr nung kennen. Sie haben das Wort, Herr Jasper. unterschiedlich aufgestellt ist. Ich glaube, es ist ein kluger Hinweis der Evaluatoren, dass wir uns über- Burkhard Jasper (CDU): legen sollten, so etwas wie einen Entwicklungsplan Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und zu erstellen. Mit einem solchen Entwicklungsplan Herren! Da mich der Abgeordnete Volker Bajus in wäre auch die Chance verbunden, die Teilhabeef- seiner Kurzintervention erwähnt hat, möchte ich fekte des Programms weiter zu stärken. Aber auch darauf hinweisen, dass ich in meiner Rede nicht diesen Punkt werden wir mit den Beteiligten bera- davon gesprochen habe, dass Mittel gekürzt oder ten. gestrichen werden. Ich habe vielmehr gesagt, dass Ich finde, wir sollten uns im Rahmen der Entwick- sich die CDU darüber freut, dass das Programm lungsplanung auch noch einmal anschauen, wo - fortgesetzt wird, aber wir dafür sind, dass mehr z. B. stadträumlich - wir die größten Effekte erzie- Mittel zur Verfügung gestellt werden. len können, wenn es darum geht, vor allem Kin- (Filiz Polat [GRÜNE]: Wie viel habt ihr dern aus bildungsfernen Schichten durch die För- denn in den Haushalt eingestellt?) derung eine Chance auf kulturelle Teilhabe zu geben. Ich finde es jedenfalls sehr schön, dass die Exakt so war es. Musikschulen ihre Kooperationsprojekte bewusst in den Stadtteilen durchführen, in denen sie bis- (Beifall bei der CDU und bei der FDP) lang unterrepräsentiert waren. Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Ein weiterer Beitrag, den dieses Programm sicher- lich leisten kann, ist auch schon angesprochen Vielen Dank. - Wir kommen jetzt zur Abstimmung worden, nämlich der Beitrag zur Integration. Kinder zu Tagesordnungspunkt 32. sind offen für alle Klänge und Töne. Unabhängig Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses von ihren kulturellen Wurzeln lassen sie sich auf folgen und damit den Antrag der Fraktion der CDU Musik ein. Von daher spielt dieses Programm auch in der Drucksache 17/5482 ablehnen will, den bitte eine zentrale Rolle beim Thema Integration. ich jetzt um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Wir werden dieses Programm also weiterentwi- Das Erste war die Mehrheit. ckeln. Ich will mich an dieser Stelle noch einmal Ich rufe jetzt den letzten Tagesordnungspunkt auf, ausdrücklich beim Landesverband der Musikschu- den wir heute behandeln, nämlich den len für die gute Zusammenarbeit bedanken.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD) Tagesordnungspunkt 33: Abschließende Beratung: Auch in Sachen Kooperation ist dieses Projekt ein Die Energie im Abwasser nutzen und damit die Best-Practice-Beispiel, das wir selbstverständlich Wärmewende unterstützen - Antrag der Fraktion fortführen werden. der CDU - Drs. 17/4324 - Beschlussempfehlung (Beifall bei den GRÜNEN und bei der des Ausschusses für Umwelt, Energie und Klima- SPD) schutz - Drs. 17/5716 neu

Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag in Vielen Dank, Frau Ministerin. - Wir sind damit am geänderter Fassung anzunehmen. Ende der Beratung zu diesem Tagesordnungs- punkt. Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Der Abgeordnete Burkhard Jasper hat sich jetzt zu Wir kommen zur Beratung. Die erste Wortmeldung einer persönlichen Bemerkung nach § 76 unse- kam von Axel Miesner, CDU-Fraktion. Bitte schön, rer Geschäftsordnung zu Wort gemeldet. Herr Miesner!

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Axel Miesner (CDU): 2 000 Hallen- und Freibäder, die sich anbieten, um Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Abwärme in sogenannte Nutzwärme zu überführen Herren! Unser Antrag trägt den Titel „Die Energie und sie effizient zu nutzen. Es geht darum, energe- im Abwasser nutzen und damit die Wärmewende tische Nachbarschaften zu bilden und Wärmeka- unterstützen“. Wir sprechen immer wieder - heute taster zu erstellen. Ich verweise in diesem Zu- Nachmittag auch - über die Energiewende, aber in sammenhang auf eine Ausarbeitung der Uni Wirklichkeit ist das ja eine reine Stromwende. Wir Oldenburg und der Hochschule Osnabrück unter wollen uns aber auch dem Bereich der Wärme Federführung und Führung der Metropolregion zuwenden. Denn die Energiewende wird nur zu- Nordwest. Von daher sind schon andere im Begriff, sammen mit der Wärmewende gelingen. dieses Thema fortzuführen. Wir haben eine sehr gute Anhörung durchgeführt, Das ganze Thema „Energie im Abwasser“ führt mit sehr guten fachlichen Darstellungen derer, die letztlich ein Schattendasein; das darf man wohl so sich damit beschäftigen; u. a. die Stadtwerke Os- feststellen. Es stellt auch im technologischen Be- nabrück, der OOWV, das Energieforschungszen- reich eine Nische dar. Kollege Burkhard Jasper, trum, der Strategierat Weser-Ems und auch eine Heinz Rolfes und ich von der CDU-Fraktion haben Fachfirma waren dabei. Von allen Beteiligten wur- eine entsprechende Anfrage dazu an die Landes- de unser Antrag als sehr gut und als wegweisend regierung gestellt. Die Landesregierung antwortet beschrieben. Daher hatten wir keinen Anlass, un- darauf in der Drucksache 17/3975: seren Antrag nach der Anhörung zu ändern. „Das Potenzial der Wärme im Abwasser für Schade finden wir allerdings, dass die Regierungs- die Energieversorgung wird gering einge- fraktionen SPD und Grüne diesem Antrag, der schätzt.“ wegweisend ist und der anerkannt und gelobt wur- Fachleute, die in Niedersachsen sehr erfolgreich de, nicht zustimmen können. Wahrscheinlich ist unterwegs sind, aber auch in benachbarten Bun- irgendwo ein Komma oder ein Punkt falsch ge- desländern an Hochschulen unterrichten, sagen setzt. Aber wir bleiben bei unserem Antrag, weil er allerdings, dass bundesweit weit über 2 Millionen fundiert und wegweisend ist und die Dinge voran- Wohnungen mit dieser Wärme recht gut beheizt bringt. werden könnten. Das ist schon ein Grund, sich Vielen Dank. dieses Themas anzunehmen und es vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. (Beifall bei der CDU)

Unser Arbeitskreis unter der Leitung unseres Kol- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: legen Martin Bäumer hat das Moskaubad - so Vielen Dank, Axel Miesner. - Zu Wort gemeldet hat heißt es -, ein Freibad in Osnabrück, besucht. Dort sich Herr Dr. Gero Hocker, FDP-Fraktion. Bitte ist in den letzten Jahren ein sehr innovatives Pro- sehr, Herr Dr. Hocker! jekt umgesetzt worden, um Restwärme aus dem Wasser zu nutzen, so CO - das ist ja auch das 2 Dr. Gero Hocker (FDP): Ziel - einzusparen und damit einen Beitrag zur Energiewende zu leisten. Dort sind, wie gesagt, Herr Präsident! Meine - - - innovative Akteure unterwegs, die einfach sagen: (Unruhe) Wir krempeln die Ärmel auf. - Sie tun sich mit leis- tungsfähigen und innovativen Ingenieurbüros aus - Vielen Dank, Herr Präsident, für Ihre Aufmerk- dem Bereich Osnabrück-Emsland zusammen, um samkeit! Vielen Dank natürlich auch dem gesam- diese Anlagen zu konzipieren und sie schließlich ten Hohen Haus. technologisch zur Marktreife zu führen. Diese so- genannte Prozesswärmerückgewinnungsanlage ist Vizepräsident Karl-Heinz Klare: weltweit die effizienteste. Das Datenblatt zu dieser Dr. Hocker, vielen Dank, dass Sie immer darauf Anlage sagt aus, dass die Wärmerückgewinnung achten, dass wir auch aufmerksam sind. Aber das zu 100 % erfolgt und die Energieeinsparung sage machen wir bei Ihnen ganz bestimmt. - Bitte schön! und schreibe 95 % beträgt. Das ist ein sehr guter Ansatz, um hier weiter tätig zu werden. Dr. Gero Hocker (FDP): Vielen Dank für den Hinweis. - Jetzt sind aber ge- Prädestinierte Branchen sind die Papierindustrie, nug Freundlichkeiten ausgetauscht. Brauereien, Molkereien, in Deutschland aber auch

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Meine Damen und Herren, ich bin dankbar, dass Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Herr Kollege Miesner auf die Problematik hinge- Danke schön, Herr Dr. Hocker. - Jetzt hat sich wiesen hat, dass ein Großteil der Energiewende Sigrid Rakow, SPD-Fraktion, zu Wort gemeldet. nicht allein durch die Stromwende zu bewerkstelli- Bitte schön! gen ist, sondern ein Großteil der Energiewende tatsächlich Wärmewende bedeutet. Es ist deswe- Sigrid Rakow (SPD): gen eine gute und richtige Idee, die bereits vor- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! handene Wärme aus den Abwässern zu nutzen, Herr Kollege Miesner, um Punkt und Komma kann anstatt neue Energie zu produzieren. man manchmal ganz hervorragend und intensiv Auch die vorgeschlagenen Kooperationen sind streiten. Ich habe es zum Teil auch so empfunden; ganz bestimmt ein wichtiger Meilenstein im Bereich denn unsere Anträge liegen ja nun wirklich sehr der Effizienz. Da ist eine Förderung speziell auch nah beieinander. - Aber ich will vorn anfangen. durch den Abbau von Hindernissen sinnvoll. Dieser 85 % des Energieverbrauchs in Haushalten wer- Gedanke ist bei dem Änderungsvorschlag von den für Raumwärme und Wassererwärmung ver- SPD und Grünen leider derart zusammengestri- wendet. In der Industrie sind es 75 %, die auf den chen worden, dass ich mich schon wundern muss, Wärmebereich entfallen. Allein diese beiden Zah- dass Sie diesem Thema nur eine derart über- len zeigen schon, dass es Grund genug gibt, sich schaubare Aufmerksamkeit widmen wollen, meine um die Rückgewinnung von Wärme zu kümmern. sehr verehrten Damen und Herren. Als Ziele stehen dabei die CO2-Einsparung, das Worüber ich aber dann ganz ausdrücklich gestol- Gelingen der Energiewende, aber durchaus auch pert bin, ist, dass Sie bei diesem Thema ausge- Innovation und technologischer Fortschritt im rechnet die Klima- und Energieagentur zur Unter- Raum. stützung einbinden wollen, die für mich in der Ver- Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund gangenheit noch in keinster Weise nachgewiesen haben wir einmütig - alle Fraktionen im Umwelt- hat, dass sie prädestiniert dafür wäre und eine ausschuss - den CDU-Antrag begrüßt. Wir alle entsprechende Kompetenz dafür besäße. Mein waren uns auch darin einig, dass wir uns intensiv Eindruck ist, dass hier nur eine grüne Institution mit mit ihm befassen wollen. Aufgaben versehen werden soll, damit das viele Geld, was an Steuergeldern ausgegeben wird, (Unruhe) jetzt dazu führt, dass man einen Rechtfertigungs- - Ich sehe einen fröhlichen Herrn Grupe und würde nachweis darüber erbringt, dass bei dieser Klima- gern wissen, ob ihn meine Rede so fröhlich stimmt und Energieagentur tatsächlich auch Aufgaben oder ob es interessante Dinge dort drüben gibt. wahrgenommen werden. Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Interessant ist ausdrücklich die Differenz zwischen den Studien. Die eine geht von bis zu 2 Millionen Herr Grupe, Sie haben verstanden, was Frau Ra- Wohnungen aus, die beheizt werden könnten, auf kow gesagt hat? - Ich hätte es nicht schöner sagen der anderen Seite spricht die Analyse der Klima- können. und Energieagentur nur von 500 000 Haushalten. (Zuruf von Hermann Grupe [FDP]) Das unterscheidet sich um den Faktor 4. Am Ende weiß man nicht richtig weiter. - Alles klar! Bitte sehr, Frau Rakow! Ich glaube, dass es sinnvoll ist, dieses Thema aufgetan zu haben. Ich finde es richtig, dass die (SPD): CDU-Fraktion diesen Antrag eingebracht hat. Wir Sigrid Rakow werden ihn unterstützen und würden uns freuen, Ich komme zu meinem Thema zurück. könnten wir auch auf Ihrer Seite ein bisschen mehr Wir haben eine Anhörung durchgeführt. Wir haben Bereitschaft erkennen, dass Energiewende nicht eben schon die Aufzählung gehört, wer alles dabei alleine Stromwende, sondern eben auch Wärme- war. Es war wirklich eine sehr interessante Anhö- wende heißen soll. rung. Wir haben wichtige Hinweise und Erkennt- Vielen Dank. nisse daraus gewonnen, insbesondere auch auf- grund der Erfahrungen aus der praktischen An- (Beifall bei der FDP) wendung.

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Wir haben z. B. gehört, dass Wärmerückgewin- aufmerksam zugehört, daraus gelernt und wollen nung aus Abwasser das Wärmepotenzial hat, um diese Erkenntnisse in einer Entschließung festhal- 18 000 Haushalte zu erwärmen. Wenn man die ten und heute mit beschließen. Man muss nicht Industrieprozesse berücksichtigt, kommt man auf Dinge in den Entschließungstext schreiben, die eine Zahl von 500 000 Haushalten, die man damit von der Klimaschutz- und Energieagentur schon in erwärmen könnte. Diese Zahlen vermitteln also Angriff genommen worden sind. Das können wir durchaus das Gefühl, man sollte sich kümmern. hier anerkennen, aber das muss nicht neu gefor- dert werden. Die Anhörung ergab auch, dass die Technik für Wärmerückgewinnung vorhanden ist, dass es also Darum haben wir Ihren Antrag gestrafft und an das an sich nichts Neues ist. Sie ergab dann aber auch angepasst, was wir gehört haben. Dann haben wir wieder als Gegenpunkt: Nicht alles, was möglich einen Änderungsvorschlag eingebracht. Damit ist, ist wirtschaftlich. - Und sie ergab - das ist ein haben wir das Ergebnis, was heute hier vorliegt wichtiger Hinweis für uns gewesen -, dass ein und was wir in dieser Form gerne beschließen Kümmerer vor Ort hilfreich sein kann und dass möchten. Wir hatten ja an Sie von der CDU das man das Thema kommunizieren muss, damit es Signal ausgesandt, eine gemeinsam getragene breitere Unterstützung findet. Beschlussempfehlung zu schreiben. Aber dem haben Sie sich total verweigert, da war ja nichts Wir haben gehört, dass eine Leitlinie zur Abwär- mehr möglich. menutzung hilfreich wäre. Daran arbeitet aber die KEAN schon längst. Insofern muss man das hier Also, meine Damen und Herren von der CDU, nicht noch einmal fordern. Wir sehen: Die Klima- nutzen Sie heute die Chance, etwas Sinnvolles und Energieagentur ist durchaus mit dem The- gemeinsam mit uns auf den Weg zu bringen! menkomplex befasst. Springen Sie über Ihren Schatten! Stimmen Sie dem geänderten Antrag zu! Wir haben eben vom Kollegen Miesner schon ge- hört, dass die Abwässer aus Brauereien, Molkerei- Zum Schluss: Ich wünsche allen, die sich mit der en und aus der Papierherstellung für die Abwär- Energierückgewinnung aus Abwasser befassen, menutzung besonders geeignet sind. Auch diese ganz viel Erfolg, damit dieses Thema wirklich vo- befassen sich durchaus schon mit dem Thema. rankommt.

Grundsätzlich lässt sich zusammenfassen, dass Ihnen danke ich fürs Zuhören. die Anhörung gezeigt hat: Das Thema ist wichtig. Viele wollen sich darum kümmern. Wir haben ge- (Beifall bei der SPD und bei den hört, dass viel Wissen um die Möglichkeiten der GRÜNEN) Energiegewinnung vorhanden ist, dass aber die- ses Wissen verbreitet werden muss, dass z. B. nur Vizepräsident Karl-Heinz Klare: sehr wenig Menschen bis jetzt informiert sind und Vielen Dank, Frau Rakow. - Jetzt hat sich Volker dass in Oldenburg die Wirtschaftlichkeit in einem Bajus, Bündnis 90/Die Grünen, zu Wort gemeldet. Projekt nachgewiesen werden konnte. Die Ener- Bitte schön! gierückgewinnung aus Abwasser ist dort durchaus wirtschaftlich mit dem vergleichbar, was andere (GRÜNE): Heizungstechniken erbringen können. Volker Bajus Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Wir haben erfahren, dass es in Osnabrück erfolg- Herren! Wir haben heute ja schon intensiv über die reiche Projekte gibt, dass es dort das ReWIN, das Zukunft der Wind- und auch der Bioenergie sowie Regionale Wärmekataster Industrie, gibt. Auch das die geplante EEG-Novelle diskutiert. Doch die muss propagiert werden, genauso wie andere Umstellung der Stromversorgung auf Erneuerbare Projekte, die Abwärmenutzung zum Thema haben. ist ja nur ein Teil der Energiewende. Das Ganze sollten wir stärker aufgreifen, und wir sollten uns auch in diese Kommunikation einbe- Um die in Paris vereinbarten Klimaschutzziele zu ziehen. erreichen, um auf 80 oder gar 100 % Ökoenergie zu kommen, müssen wir endlich auch die Wärme- Meine Damen und Herren von der CDU, wir haben wende vorantreiben. Das bedeutet vor allem: Wir überhaupt kein Problem damit, anzuerkennen, brauchen eine Effizienzrevolution im Wärmebe- dass Sie dieses Thema präsentiert haben. Aber reich. die Koalitionsfraktionen haben in der Anhörung

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Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich (Zustimmung bei der CDU - Zurufe begrüße Ihre Unterstützung für die Wärmewende von der SPD und von den GRÜNEN: in Niedersachsen ausdrücklich. Ich kann aber nicht Oh! Ganz großes Kino!) wirklich nachvollziehen, dass Sie sich dabei vor allem auf die Nutzung von Abwärme aus dem Ab- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: wasser konzentrieren. Bitte schön! Anlass für Ihren Antrag war ja offensichtlich ein Projekt der Stadtwerke Osnabrück. Diese betrei- Volker Bajus (GRÜNE): ben mit großem Erfolg auch die städtischen Bäder. Herr Bäumer, ich habe ja schon vorhin erklärt, Dort wurde bereits 2011 eine sogenannte DUPUR- dass das hier eher keine Weiterbildungsveranstal- Wärmerückgewinnungsanlage installiert. So ganz tung ist. Aber da es um meine Heimatstadt geht, kann ich nicht verstehen, warum die CDU diesen kann ich gerne versuchen, das für Sie aufzuklären. Besuch erst über vier Jahre nach der Installation In der drittgrößten Stadt Niedersachsens - die Kol- der Anlage auf den Weg bringen konnte und damit legen aus Oldenburg mögen mir diesen Hinweis diese Technik entdeckt hat. Aber gut, das müssen verzeihen - Sie sich erklären. (Zustimmung von Frank Henning 2014 hat die Anlage ein Upgrade bekommen. An- [SPD]) bieter ist - und damit bleiben wir erfreulicherweise in Niedersachsen - das Lingener Unternehmen leben über 165 000 Menschen. Jedem einzelnen Jaske & Wolf. Das Ergebnis spricht für sich: 100 % davon gehören die Stadtwerke Osnabrück. Es tut Wärmerückgewinnung, 95 % Energieeinsparung, mir furchtbar leid, dass ich einer davon bin, der sich damit so sehr identifiziert, dass er sagt: Das 85 % CO2-Reduktion, eine Jahresarbeitszahl von fast 20. Ich freue mich also sehr, dass die CDU- sind meine Stadtwerke. - Ich glaube, das sehen Fraktion so sehr Gefallen an meinen Stadtwerken die Kollegen Jasper und Henning genauso; denn in Osnabrück sie machen einen wirklich tollen Job. Danke, dass Sie mir erlaubt haben, Herr Bäumer, hier ausdrück- (Zurufe von der CDU: „Meine“?) lich darauf hinzuweisen. Sie durften sich ja selbst davon überzeugen. und an den in Osnabrück maßgeblich von Rot- Grün beförderten Klimaschutzaktivitäten gefunden (Beifall bei den GRÜNEN und bei der hat. SPD)

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- Damit ist der Werbeblock für Osnabrück beendet, stimmung bei der SPD - Zuruf von der und ich spreche weiter zum eigentlichen Thema. CDU: Das sind nicht Ihre Stadtwerke!) Die Anhörung im Umweltausschuss hat uns ja bestätigt, dass es um mehr gehen muss. Wir müs- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: sen an der Quelle ansetzen. Wir sollten die Wärme Herr Bajus, Herr Bäumer möchte Ihnen eine Zwi- nicht im Abwasserrohr auffangen - denn dort ist es schenfrage stellen. viel aufwendiger -, sondern nach Möglichkeit schon vorher und deswegen die Prozesse selbst in den Volker Bajus (GRÜNE): Blick nehmen. Das Ziel ist also, überhaupt die Entstehung von Abwärme zu vermeiden und den Ja, gerne, Herr Bäumer. vorhandenen Rest zu nutzen und gar nicht erst im Abwasserkanal ankommen zu lassen. Daher ist Vizepräsident Karl-Heinz Klare: diese Technik in einem nur sehr begrenzten An- Bitte! wendungsbereich zielführend. Das hat übrigens Herr Hannemann von den Stadtwerken Osnabrück Martin Bäumer (CDU): im Ausschuss ausdrücklich erläutert. Vielen Dank, Herr Kollege Bajus. - Vor dem Hin- tergrund, dass Sie eben „meine Stadtwerke Os- Vizepräsident Karl-Heinz Klare: nabrück“ gesagt haben, frage ich Sie: Sind das Herr Kollege, ich unterbreche Sie noch einmal. vielleicht auch die Stadtwerke von Herrn Henning Herr Calderone möchte Ihnen jetzt eine Zwischen- und von Herrn Jasper? frage stellen.

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Volker Bajus (GRÜNE): Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Ich möchte den Punkt erst zu Ende ausführen. Vielen Dank, Herr Bajus. - Jetzt hat sich der Um- weltminister zu Wort gemeldet. Herr Wenzel, Sie Für die Wärmewende darf dieses Aktionsfeld also haben das Wort. nicht zu eng geschnitten sein. Wir dürfen dabei nicht nur über Abwasser reden. (Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN: Gehören auch Ihnen Jetzt kommt Herr Calderone. Stadtwerke? - Die Stadtwerke gehö- ren uns allen! - Gemeineigentum?) Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Stefan Wenzel, Minister für Umwelt, Energie und Herr Calderone, bitte! Klimaschutz:

Christian Calderone (CDU): Was ist mit unseren Stadtwerken? Danke schön, Herr Bajus. - Können Sie mir erzäh- (Zuruf) len, warum Ihre Stadtwerke den CDU-Antrag so - Ja, auch wir haben Stadtwerke. Zum Glück! toll fanden? (Heiterkeit bei der SPD) (Zustimmung bei der CDU) Scherz beiseite.

Volker Bajus (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nicht nur die Stadtwerke Osnabrück finden Ihren Ich bin der CDU sehr dankbar, dass sie das The- Antrag gut, sondern auch wir haben das ausdrück- ma Wärme und auch das Thema Abwärmenutzung lich nicht nur im Ausschuss, sondern auch hier auf die Tagesordnung gesetzt hat. formuliert. Wir haben hier im Landtag in den letzten Jahren Aber - jetzt komme ich zu meinem Schlusssatz - sehr viel über die Stromversorgung aus erneuerba- wir haben, aufbauend auf Ihrem guten, aber leider ren Energien gesprochen. Wir haben aber zu sel- nur sehr eng fokussierten Antrag und aufbauend ten über das Thema Wärmewende gesprochen. auf den Ergebnissen der Anhörung - in der Sie Darin steckt ein gewaltiges Potenzial. Das ist der ausdrücklich gelobt worden sind; das will ich hier schlafende Riese der Energiewende. wiederholen -, einen umfassenden Änderungsvor- Dieses Potenzial gilt es zu heben. Geschätzt könn- schlag vorgelegt und hatten die Hoffnung, Sie ten wir über 12 000 GWh je Jahr allein im Bereich würden mit uns darüber reden. des produzierenden Gewerbes durch Energieein- Aus mir nicht bekannten Gründen - das bleibt sparung schlicht und einfach dem Klima quasi wahrscheinlich bis heute Ihr Geheimnis - haben zugutekommen lassen. Das ist ein gewaltiges Po- Sie mit uns über den Änderungsvorschlag nicht tenzial. Anschaulich dargestellt, würde diese Ener- einmal geredet. Heute habe ich einmal mehr keine gieeinsparung einer durchschnittlichen jährlichen Sachargumente dazu gehört. Offensichtlich haben Gasbezugsmenge von ca. 540 000 privaten Haus- Sie keine Lust. Das ist sehr schade. halten im Jahr 2013 entsprechen.

Unser Änderungsvorschlag ist gut und zielführend. Es ist in der Tat ein Potenzial, zu dem in der Regel die Kommunen gefragt sind, zu dem betriebliche Sie müssen mit sich selbst abmachen, warum Sie im Abwasser steckengeblieben sind, meine Damen Netzwerke gefragt sind und zu dessen Hebung viel und Herren. Wissen über Wärmenutzung notwendig ist. Manchmal gibt es in Gewerbegebieten Betriebe, (Heiterkeit bei den GRÜNEN und bei die Wärme benötigen, während andere Kälte be- der SPD) nötigen. Diese Betriebe können, wenn sie sich optimal zusammenschließen, ihre Potenziale ge- Heute haben Sie noch die Chance, das zu ändern. meinsam nutzen und sich gegenseitig ergänzen.

Vielen Dank. Aber das braucht natürlich Voraussetzungen, das braucht Planungsprozesse, das braucht das ent- (Beifall bei den GRÜNEN und bei der sprechende Know-how, und das braucht die Ma- SPD) nagerinnen und Manager, die dieses Potenzial

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heben können. Von daher ist das Thema bera- men? - Der Beschlussempfehlung ist gefolgt wor- tungsintensiv. den.

Deswegen ist das ein Thema, zu dem die Klima- Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der schutz- und Energieagentur gerade auch kleine Beratung für den heutigen Tag angelangt. Ich und mittlere Unternehmen beim betrieblichen wünsche Ihnen einen schönen Abend. Wer zu den Energiemanagement berät und den Aufbau von Parlamentarischen Abenden geht, dem wünsche solchen Energieeffizienznetzwerken unterstützt. ich einen interessanten Aufenthalt. - Bis morgen um 9 Uhr! Dabei wollen wir vor allen Dingen auch Sorge da- für tragen, dass es z. B. gelingt, Bundesmittel hier- Schluss der Sitzung: 19.31 Uhr. zu optimal zu nutzen. Hierzu hat der Bund kürzlich eine Statistik im Zuge der Beantwortung einer Kleinen Anfrage zusammengestellt. Ihr können Sie entnehmen, dass Niedersachsen das bereits her- vorragend geschafft hat und allein hier in Nieder- sachsen 60 Millionen Euro aus diesem Bereich der Bundesprogramme investiert werden konnten.

Wir sind damit auf Platz 2 der Bundesländer. Aber da ist noch Luft nach oben! Das heißt, wir wollen das noch deutlich steigern. Deswegen werden wir in diesem Bereich die Beratungsangebote verstär- ken. Dort wollen wir auch die Förderprogramme, die wir aufgelegt haben - beispielsweise bei öffent-

lichen Trägern, bei Kultureinrichtungen oder auch im Bereich betrieblicher Effizienz, Ressourcen- und Energieeffizienz - verstärken.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das ist ein wichtiger

Ansatz. Insofern bin ich dankbar, dass die Regie- rungsfraktionen das Thema aufgegriffen, das Thema Abwasser um das gesamte Thema Wär- mewende erweitert und damit hier einen wichtigen Pflock eingeschlagen haben. Wir werden es bestmöglich vorantreiben und un- terstützen. Ich würde mich freuen, wenn das ganze Haus das unterstützt.

Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Vielen Dank, Herr Minister. - Weitere Wortmeldun- gen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der CDU-Frak- tion in der sich aus der Beschlussempfehlung er- gebenden geänderten Fassung annehmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstim-

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