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HESSEN-FORST

Hessische Naturwaldreservate im Portrait Weserhänge

NW-FVA Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt 2 Einführung

Naturwaldreservate werden in Hessen bereits seit mehr als 25 Jahren kontinuierlich untersucht. Den Auftakt für dieses langfristig orientierte Forschungs- programm bildete ein Beschluss des Hessischen Landtages im September 1988. Im Mittelpunkt des Programms steht die Entwick- lung von Waldstruktur, Vegetation, Flora und Fau- na (sieben Standard-Tiergruppen, Fledermäuse, gebietsweise weitere Tiergruppen) in nutzungsfrei- en Waldgebieten. Wenn möglich, werden parallel auch benachbarte Wirtschaftswälder (Vergleichsflä- chen) mit gleicher Methodik untersucht. Dieser Ver- gleichsflächenansatz in Verbindung mit der intensi- ven zoologischen Forschung zeichnet das hessische Naturwaldreservate-Programm im bundesweiten Kontext aus. Anlässlich des 25-jährigen Bestehens des hessi- schen Naturwaldreservate-Programms richtete die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt (NW- FVA) im September 2013 gemeinsam mit dem Lan- desbetrieb Hessen-Forst und dem Hessischen Minis- terium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eine Fachtagung in aus, die auch eine Exkursion in das Naturwaldreser- vat „Weserhänge“ beinhaltete. Das Naturwaldreservat „Weserhänge“ zählt zu den jüngsten hessischen Naturwaldreservaten. Es liegt im Osten des Reinhardswaldes, dem größten und nördlichsten Waldgebiet in Hessen und umfasst ei- nen typischen Ausschnitt der zur hin abfallen- den Buchenwälder. Im vorliegenden Heft wird der aktuelle Forschungs- stand in diesem Naturwaldreservat erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Neben Ergebnissen zu den Themen Waldstruktur und Vegetation wurde die Tiergruppe der Fledermäuse mit hoher Intensität und methodisch neuen Ansätzen untersucht. Darü- ber hinaus erbrachten die Analyse der historischen Nutzungsgeschichte und die Auswertung von hoch aufgelösten digitalen Geländemodellen neue Er- kenntnisse zur Waldgeschichte des Gebietes.

3 Inhaltsverzeichnis

Seite Einführung 3

Weserhänge 5

Übersichtskarte 20/21

Waldstruktur 22

Bodenvegetation 26

Fledermäuse 31

Ausblick 34

Literaturhinweise, Impressum 35

4 Blick vom Wesertal auf das Naturwaldreservat um den Staufenberg Weserhänge

Zwischen , Weser und liegt insgesamt 96 Hektar groß. Einbezogen das nördlichste und mit rund 20.000 sind die Forstorte „Kuhberg“, „An Paulis Hektar zugleich größte Waldgebiet Hes- Stein“, „Staufenberger Grund“, „Linsen- sens: der . Er ist Teil eines berg“, „Staufenbergereie“ und „Großer Naturraumes, zu dem jenseits der Weser Staufenberg“. Das einen Kilometer nord- auch die überwiegend in Niedersach- westlich von (Veckerha- sen gelegenen Waldgebiete und gen) gelegene Gebiet wurde als eines gehören. Geologisch ist der der letzten hessischen Naturwaldreservate Reinhardswald Teil des „Sollinggewölbes“, 1997 ausgewiesen, nachdem kurz zuvor einer weitgestreckten Aufwölbung der eine teilweise Erntenutzung stattgefunden Schichten des Mittleren Buntsandsteins. hatte. Sie bilden hier eine wellige, nach Westen Im Bereich der östlich exponierten Hänge schwach geneigte, aber östlich zur We- wird das Gebiet großflächig von Frost- ser hin steil abfallende und teilweise tief schuttdecken des Mittleren Buntsandsteins zertalte Hochfläche mit Höhen zwischen geprägt, die von Lösslehm überlagert 300 und 450 m über NN. Die höchsten sind. Charakteristisch sind hier zahlrei- Erhebungen sind die Basaltdurchbrüche che Quellstandorte sowie mehrere tief des Gahrenberges und des Staufenber- eingeschnittene Bachtäler. An der Kuppe ges, beide 472 Meter über NN. Das Na- des Staufenberges sind tertiäre Basalte turwaldreservat „Weserhänge“ umfasst (überwiegend Feldspatbasalt, kleinräu- im Bereich des Totalreservates einen 78 mig auch Basalttuff) und ringförmig mio- Hektar großen Landschaftsausschnitt vom zäne Ablagerungen (gelber Quarzsand, Staufenberg bis zum Wesertal (160 Meter Ton und Braunkohle) erhalten geblieben. ü. NN). Die im Norden und Süden an- Unterhalb der Kuppe überdeckt teilweise grenzende mehrteilige Vergleichsfläche ist Basaltschutt den Buntstandstein. Sowohl

5 Bodenprofil einer Braunerde auf Lösslehm über Buntsandstein an einem Untersuchungspunkt der Bodenzustandserhebung im Bereich der Vergleichsfläche auf Basalt- als auch auf Buntsandstein- Wichtige Klimakenngrößen für das Ge- verwitterungsböden dominieren im Ge- biet sind eine mittlere Jahrestemperatur biet Braunerden. Im südlichen Teil der von 8 °C, eine mittlere Temperatur in der Vergleichsfläche liegt am Mittelhang auf Vegetationsperiode von 14,5 °C sowie ca. 250 Meter ü. NN ein Untersuchungs- ein Jahresniederschlag von 820 mm, punkt der bundesweiten Bodenzustands- davon fast die Hälfte (380 mm) in der erhebung. Das zugehörige Bodenprofil Vegetationsperiode. Die mittlere Jahres- kann als typisch für weite Bereiche des schwankung der Lufttemperatur beträgt Naturwaldreservates angesehen werden. 16,5 °C. Bodentyp ist hier eine Braunerde auf Löss- Außerhalb der stau- und grundwasserbe- lehm über Buntsandstein. Der Wasser- einflussten Böden wäre die Rotbuche heu- haushalt wird als frisch, die Nährstoffver- te auf über 90 Prozent der Reinhardswald- sorgung als mittel (mesotroph) eingestuft. Fläche die von Natur aus dominierende Im Dezember 1991 hat eine Kalkung Baumart. Sie kam nach pollenanalyti- (drei Tonnen pro Hektar) der von Natur schen Befunden um 900 v. Chr. im Gebiet aus sauren Böden stattgefunden. Wie alle zur Massenausbreitung. Dies entspricht anderen forstlichen Maßnahmen außer archäologisch der späten Bronzezeit, als der Verkehrssicherung sind Kalkungs- bereits eine Siedlung im Wesertal nördlich maßnahmen im Naturwaldreservat und in von Hemeln am Rande des Bramwaldes einer Pufferzone um das Reservat herum existierte. Ein Bronzebeil aus dieser Epo- heute ausgeschlossen. che wurde beim heute nicht mehr existie-

6 renden Forsthaus Hemelberg gefunden, wüst liegender Orte unterlag meist keiner das etwa zwei Kilometer vom Naturwald- Wiederbewaldung, sondern wurde von reservat entfernt lag. benachbarten Dörfern aus weiter landwirt- Im Mittelalter war die Hochfläche des schaftlich genutzt. Dies gilt beispielsweise Reinhardswaldes an vielen Stellen besie- für das Dorf Herboldessen/Harboldissen, delt und bildete kein geschlossenes Wald- das sich im Wesertal unterhalb des heu- gebiet mehr. Dies gilt besonders für den tigen Naturwaldreservates befand und nördlichen Reinhardswald, wo als Relikt um 1400 wüst fiel. Seine genaue Lage ist der einstigen landwirtschaftlichen Nut- noch nicht bekannt. zung so genannte Hoch- oder Wölbäcker Der Reinhardswald war bei der fränkischen in bundesweit einmaliger Ausdehnung er- Landnahme um 800 n. Chr. Reichsforst halten geblieben sind. Während steile Ab- geworden und gehörte seit der Mitte des hänge des Reinhardswaldes zum Wesertal 15. Jahrhunderts den hessischen Land- hin wohl immer bewaldet waren, befand grafen. Diese hatten an einer stärkeren sich im Wesertal selbst im Mittelalter eine Wiederbesiedelung des Waldgebietes vor Reihe kleinerer Ansiedlungen. Diese wur- allem aus jagdlichen Gründen kein Inter- den später im Rahmen eines Konzentra- . Die ab 1334 zum Schutz der Pilger tionsprozesses zugunsten von größeren des Wallfahrtsorts Gottsbüren erbaute Dörfern wieder aufgegeben. Die Feldflur wurde ab 1490 von den hes-

Ausschnitt der 1705-1710 entstandenen Landesaufnahme von Johann Georg Schleenstein mit ungefährer Lage des Naturwaldreservates

7 sischen Landgrafen zum Jagdschloss um- Diese Maßnahme, die der Vermeidung gebaut. Seitdem bildete die Anlage den von Wildschäden in der Feldflur dienen Mittelpunkt des höfischen Jagdbetriebes sollte, wurde am Reinhardswald bereits in Hessen-. Historische Karten des im Frühjahr 1666 abgeschlossen. Dass 18. Jahrhunderts verzeichnen zahlreiche jedoch die Veckerhagener Feldflur auch jagdliche Einrichtungen im Reinhards- um 1750 noch unter „starckem Wildfras“ wald. So ist beispielsweise auf der Kuppe litt, geht aus einer Steuerkatasterbeschrei- des Staufenbergs im Bereich des heutigen bung hervor. Danach beschäftigte die Naturwaldreservates auf der „Leopold- Gemeinde Veckerhagen zu dieser Zeit Karte“ von 1719 und der „Rüstmeister- acht Feldhüter, um diese Schäden zu mi- Karte“ von 1724 eine „Saltz-Lecke“ ein- nimieren. getragen. 1822 wurde der gesamte Reinhardswald Die Schalenwilddichte im Reinhardswald zum „Leibgehege“ des Kurfürsten von Hes- war aufgrund der jagdlichen Aktivitäten sen, das 1831 bei der Trennung des hes- immer sehr hoch, was zu vielen Konflikten sischen Staatsvermögens vom Privatbesitz mit der örtlichen Bevölkerung führte. Ab des Kurfürsten dem fürstlichen Vermögen 1665 sah eine landgräfliche Verordnung zugeschlagen wurde. Infolge der Jagdge- vor, dass die Untertanen um die Hoch- setze des Revolutionsjahres 1848 wurde waldungen Gräben anlegen und deren der Bestand des Rot- und Schwarzwildes Ränder mit Wildhecken bepflanzt sollten. im Reinhardswald in kurzer Zeit durch die

Lage des heutigen Naturwaldreservates auf der Niveaukarte des Kurfürstenthums Hessen von 1857. Erkennbar sind das nach 1848 entstandene Wildgatter am östlichen Gebietsrand sowie der Steinbruch an der Kuppe des Staufenberges.

8 Durch das Naturwaldreservat führt ein mit Eichen bestandener alter Triftweg, auf dem das Weide- vieh von Veckerhagen aus auf die Reinhardswald-Hochfläche getrieben wurde. Bevölkerung drastisch reduziert. Daher schließlich des Naturwaldreservates und erfolgte kurz darauf die Einrichtung eines seiner Vergleichsfläche vor allzu hohem über 3.000 Hektar großen Geheges mit Rotwilddruck schützen sollte. Holzzaun durch Oberförster Ernst Wilhelm Auch wenn die den Reinhardswald um- Harnickell (1796-1862). Das heutige Na- gebenden Orte über keinen Waldbesitz turwaldreservat „Weserhänge“ und seine verfügten, so besaß ihre Bevölkerung Vergleichsfläche waren in dieses Gatter doch jahrhundertealte Nutzungsrechte eingeschlossen. Der Gatterverlauf fällt am Wald. Neben der Holznutzung spiel- mit der Ostgrenze des Reservates und der ten dabei vor allem die Waldweide und Vergleichsfläche zusammen. Ab 1865/66 -mast sowie die Streunutzung eine Rolle. wurde eine Erweiterung um ca. 5.000 Diese jahrhundertelange bäuerliche Nut- Hektar vorgenommen. Das seit 1950 als zung beeinflusste, zusammen mit dem Wildschutzgebiet ausgewiesene Gatter Holzverbrauch für die frühneuzeitliche umschließt heute fast den gesamten süd- Industrie (vor allem Glas- und Eisenhüt- lichen Reinhardswald. Es ist Staatsjagdre- ten), die Waldvegetation des Reinhards- vier und soll auch der Wildforschung, dem waldes stark. So wurden im 19. Jahr- Naturschutz und der Öffentlichkeitsarbeit hundert viele Bestände insbesondere auf dienen. Innerhalb des Wildschutzgebietes der Reinhardswald-Hochfläche als stark existierte von 1989 bis 2008 zusätzlich aufgelichtet und arm an Verjüngung be- ein sogenanntes Trenngatter, das in drei schrieben. Ein Großteil dieser Flächen Teilflächen auf insgesamt 2.000 Hektar wurde ab der zweiten Hälfte des 18. Jahr- die Buchenbestände der Weserhänge ein- hunderts mit der im Gebiet eingeführten

9 servates „Weserhänge“ und seiner Vergleichsfläche bis heute erkennbare Auswir- kungen auf die Struktur und Artenzusammensetzung der Waldbestände gehabt und werden daher im Folgen- den dargestellt. Die Nutzung der sommer- lichen Waldweide („Gras- oder Blumenhute“) und der herbstlichen Mast wurde von den Städten und Gemein- Die „Schweinseiche“ war ein markanter mehrhundertjähriger den am Reinhardswald als Hutebaum im südlichen Teil der Vergleichsfläche. Bereits in ein von altersher überkom- den 1980er Jahren abgestorben, brach der noch stehende menes Recht angesehen. hohle Stamm im September 2013 zusammen. Die einzelnen Ortschaften ließen ihr in einer Herde gesammeltes Vieh von Hir- ten auf gemeinschaftlich genutzte Weideflächen im Reinhardswald treiben. Für diesen Viehtrieb gab es Trif- ten, die oft geradlinig ver- liefen und an beiden Seiten mit Eichen bepflanzt waren. Je nach Entfernung wurden die Tiere abends zurückge- trieben oder blieben über Nacht in so genannten Lägern im Wald. Bereits in Die Schweinseiche wird bereits 1905 im „Forstbotanischen einer landgräflichen Anwei- Merkbuch“ für die Provinz Hessen-Nassau besonders hervor- sung an die Förster im Rein- gehoben und hatte zu dieser Zeit einen Stammumfang von hardswald von 1624 und 7,68 Metern und eine Höhe von 30 Metern. Auf dem um in der Forstordnung von 1930 entstandenen Foto mit den beiden Radfahrern wirkt sie 1629 sind Bemühungen noch sehr vital. erkennbar, einige Waldtei- Fichte aufgeforstet. Dennoch sind im le von der Beweidung auszunehmen und Reinhardswald Reste alter Eichen-Hute- „in Hege zu legen“. Mit dem ab 1747 er- wälder und mit Eichen bepflanzter Triften lassenen Waldhute-Reglement vom Rein- in größerem Maße erhalten geblieben als hardswald wurde dann schließlich das in anderen deutschen Waldgebieten. Die bis dahin mehr oder weniger regellose skizzierten historischen Nutzungseinflüsse Hüten im Wald, die so genannte Koppel- haben auch im Bereich des Naturwaldre- hute, abgeschafft. Das Reglement hatte

10 das Ziel, für 29 umliegende Ortschaften 1885. Die „Erneuerte Beschreibung und und Einzelhöfe den Viehbesatz im Wald Holzertrags-Berechnung“ des Forstrevie- zu begrenzen und feste Hutebezirke ein- res Veckerhagen weist den Forstort „Stau- zurichten, die mit Trift- und Hutesteinen fenbergereie“ bereits 1842 als „hutefrei“ markiert wurden. Durch dieses Regelwerk aus. sind wir sehr genau darüber informiert, In vielen forstlichen Beschreibungen wie viel Vieh die einzelnen Gemeinden in des 18. und 19. Jahrhunderts wird der den Wald trieben und welche Hutebezirke schädliche Einfluss der Waldweide auf ihnen zugeteilt waren. Für die Gemeinde die Gehölzverjüngung und den Waldzu- Veckerhagen ist aus dieser Zeit ein Vieh- stand insgesamt beklagt. Nur selten ist er bestand von 85 Pferden, neun Fohlen, 31 jedoch in seiner Größenordnung genau- Ochsen, 248 Kühen, 121 Rindern, 532 er abschätzbar. Die aus dem Waldhute- Schafen, 263 Schweinen, 27 Ziegen so- Reglement vorliegenden Zahlen sind eine wie acht Eseln überliefert. Nach Aussage einzigartige Grundlage für eine solche des Waldhute-Reglements lag dieser Wert Einschätzung. Die in diesem Zusammen- um etwa 50 Prozent über dem Sollwert. hang aussagekräftigste Größe ist die so Es wurde daher festgelegt, dass bei Be- genannte Besatzstärke. Sie gibt die mitt- schwerden über unzureichende Huteflä- lere Tierdichte, ausgedrückt in Groß- chen eine Reduktion des Viehbestandes erfolgen müsse. Weiterhin wurde zunächst der Hutebezirk für das Zugvieh beschrie- ben, der eine Waldfläche von etwa 350 Hektar umfasste und ortsnah im Bereich des heutigen Naturwaldreservates und seiner Vergleichsflächen lag. Der Flur- und Forstortname „Kuhberg“ deutet noch auf diese ehemalige Nutzung hin. Der Hute- bezirk für das Rindvieh wurde ebenfalls genau umrissen. Er schloss die Fläche der Zugviehhute mit ein und erreichte insge- samt eine Größe von etwa 1.600 Hektar. Schafe durften nur ausnahmsweise einen genau definierten Waldbereich von etwa 400 Hektar nördlich des Hemelbaches beweiden, der heute noch „Schafhute“ heißt. Ziegen und Esel mussten sich im Offenland aufhalten bzw. wurden im Stall gefüttert. Der Schweineeintrieb in den Wald wurde schließlich auf die herbstli- che Mastzeit beschränkt. Das Reglement Infolge des Waldhute-Reglements wurden 1748 die Hutebezirke der huteberechtigten von 1747 war ein deutlicher Schritt hin Orte mit Hutesteinen abgegrenzt. Neben der zu einer Begrenzung der Huterechte. Ihre Jahreszahl trägt dieser (außerhalb des Natur- endgültige Ablösung erfolgte für die Ge- waldreservates stehende) Stein die Aufschrift meinde Veckerhagen zwischen 1877 und VHH (Veckerhagener Hute) N. 11.

11 vieheinheiten (GVE) pro Jahr und Hektar, ten Hutebezirk der Gemeinde Veckerha- wieder. Eine Großvieheinheit entspricht gen ebenfalls von 0,1 GVE/Hektar. Zum 500 Kilogramm. Die im 18. Jahrhundert Vergleich: Für eine naturschutzorientierte eingesetzten Nutztierrassen waren in der Beweidung von Grünland in produktions- Regel etwas kleiner als die heute verbrei- schwachen Lagen werden heute in Hes- teten. So kann man für ein Pferd von 1,1 sen 0,3 bis 0,5 GVE/Hektar empfohlen, GVE, für ein Fohlen von 0,6 GVE, für für produktive Standorte hingegen bis zu einen Ochsen von 1 GVE, für eine Kuh 1,5 GVE/Hektar. von 0,7 GVE, für Jungrinder von 0,5 GVE Neben der Waldweide war die Streunut- und für Schafe von 0,1 GVE ausgehen. zung die wichtigste forstliche Nebennut- Neben diesen Zahlen kann eine Bewei- zung des Reinhardswaldes. Da künstlicher dungsdauer von vier Monaten (Mai bis Dünger noch nicht vorhanden war, wurde August) zugrunde gelegt werden, die für Waldstreu (Gras, Heidekraut, Farn, Moos die Waldhute im Reinhardswald beschrie- und Laub) mit Sense und Rechen zusam- ben wurde. Dabei wird angenommen, mengetragen, in die Ställe eingestreut dass jährlich etwa ein Drittel der Hute- und später zusammen mit dem Dung der fläche „ins Gehege gelegt“, also nicht Nutztiere auf den Äckern ausgebracht. beweidet wurde. Daraus lässt sich eine Eine langfristige Folge der Streunutzung Besatzstärke für die Zugviehhute von 0,2 war in den ortsnahen und gut zu errei- GVE/Hektar errechnen, für die Schafhute chenden Waldbeständen eine Unterbre- von 0,1 GVE/Hektar und für den gesam- chung des Stickstoff-Kreislaufs, da zu viel

In der Nähe des Paulisteines gibt es noch kleinere Eichenbestände mit Hutewaldcharakter.

12 Die Éisenhütte in Veckerhagen im Jahr 1862. Aquarell von Conrad Pfort. Stickstoff aus den Böden entfernt wurde. der Streunutzung erfolgte ab 1840. In Die Streunutzungsberechtigungen der preußischer Zeit regelte die Verordnung Dörfer am Reinhardswald waren nicht so vom 13.5.1867 die allmähliche Ablö- alt wie die seit dem Mittelalter bestehen- sung dieses Rechts, die dann im Falle von den Weideberechtigungen. Stattdessen Veckerhagen endgültig in den 1890er wurden sie durch Verjährung erworben, Jahren erfolgte. da ihre Ausübung so lange toleriert wor- Am 21.8.1443 verweilte Landgraf Ludwig den war, bis sie schließlich als Gewohn- auf der Jagd im Reinhardswald „by de heitsrecht anerkannt werden mussten. Glassehutten“. Dies ist einer der ältesten Dass die Streunutzung in Hessen bereits schriftlichen Nachweise von Glashütten im 16. Jahrhundert eine wichtige Rolle in Nordhessen. Für den Reinhardswald spielte, ist beispielweise in den Holzord- sind gegenwärtig mehr als 60 Standor- nungen von 1593 und 1617 erkennbar, te ehemaliger Glashütten bekannt; die in denen das „Ausfegen“ der Wälder als meisten stammen aus dem Mittelalter. ein „schädliches Werk“ bezeichnet wur- Reste einer mittelalterlichen Glashütte de. Nachdem die Streunutzung bis zum wurden im südlichen Teil der Vergleichs- Ende des 18. Jahrhunderts weitgehend fläche gefunden. Eine weitere lag knapp unbeschränkt ausgeübt worden war, be- außerhalb des Nordteils der Vergleichs- grenzte in Hessen-Kassel die Verordnung fläche. Im zwei Kilometer nördlich gele- vom 24.10.1783 das Laubsammeln genen Olbetal betrieb der aus Großal- vorwiegend auf offene Huteflächen und merode stammende Glasmacher Adam ausgewachsene Heisterwaldungen. Aber Götze (1595-1691) mit seinen beiden auch hier durfte das Laub nur im Beisein Söhnen ab 1657 eine Glashütte. Ob- von Forstbediensteten gesammelt wer- wohl die Hütte nach den Untersuchun- den, und zwar im Herbst oder Frühjahr gen einer Forstkommission noch für fünf für acht bis 14 Tage und ausschließlich Jahre Holz hatte, musste sie 1671 ge- mit hölzernen Rechen. „Forstunkräuter“ schlossen werden, da der Holzverbrauch wie Heidekraut oder Heidelbeere durf- der Glashütten des Reinhardswaldes zu- ten nur noch gerupft und nicht mit der gunsten eines Ausbaues der Eisenindus- Hacke entnommen werden, um den hu- trie stark eingeschränkt wurde. Der jähr- mosen Oberboden nicht abzutragen. liche Holzverbrauch einer Glashütte wird Eine weitere gesetzliche Einschränkung für das 16./17. Jahrhundert mit 1.400

13 entstand dann 1581 wäh- Hangverlauf rend der Regentschaft seines Holzkohleauflage Sohnes Wilhelm IV. (1532- mit Erde gemischt 1592) in Vaake, das eben- falls an der Weser liegt. Der notwendige Eisenstein kam Hangabstich dazu aus dem Reinhards- wald selbst sowie aus Ho- Aufgeschüttetes Bodenmaterial henkirchen bei Kassel. Ob einige kleine Gruben süd- lich der Staufenberg-Kuppe Schema eines Hangmeilerplatzes (Meilerplatte). Die Größe der Platten liegt an den Weserhängen meist bei 11 bis 12 m. mit dieser Gewinnung von Eisenerz im Zusammenhang stehen oder ob sie vielleicht als Tongruben zu interpretie- ren sind, konnte noch nicht abschließend geklärt wer- den. Unmittelbar nach Grün- dung der Vaaker Eisenhütte wurden die Oberförster an- gewiesen, für das Anlegen von „Kohlstetten“ im Rein- hardswald zu sorgen. Hier stellten die Köhler die für Über ein aus Laserscandaten abgeleitetes digitales Gelän- den Schmelzprozess nötige demodell (DGM1) lassen sich im Naturwaldreservat und in Holzkohle zunächst in Gru- der Vergleichsfläche insgesamt 74 Meilerplatten (schwarz ben her, nach deren Größe umrandet) lokalisieren. Sie sind hier vor allem in den in abge- sie von der Eisenhütte be- legeneren und steileren, schwer erreichbaren Waldteilen kon- zentriert. Holzkohle konnte wesentlich leichter abtransportiert zahlt wurden. Erst ab dem werden als das etwa doppelt so schwere Holz. Ausgang des 16. Jahrhun- derts wurden Meilerplatten bis 3.000 Festmetern pro Jahr beziffert. (Kohlplatten) angelegt und die Bezahlung Noch 1550 stand Landgraf Philipp der der Köhler erfolgte nach Fudern (1 Fuder Großmütige (1504-1567) der metallver- = 3,4 m³). Im Jahre 1617 wurde die Ei- arbeitenden Industrie kritisch gegenüber senhütte dann nach Knickhagen bei Kas- und wollte „den Wald umb Eisen, bley sel verlegt. Zu dieser Zeit ist bereits von oder kupffer erze nit verderben lassen“. einer „Verwüstung“ des Reinhardswaldes Die Notwendigkeit, Salzpfannen und Ros- durch den Holzverbrauch der Eisenhütte te für die Saline Sooden zu produzieren, die Rede. veranlasste ihn jedoch bereits 1555 zur Ab 1666 kam die Eisenhütte nach Vecker- Vergabe eines Privilegs für eine Eisenhütte hagen, weil dort die Versorgung mit Holz- bei Lippoldsberg an der Weser. Die ers- kohle aus den damals im Mittelwaldbe- te landesherrliche Eisenhütte in Hessen trieb bewirtschafteten Buchenwäldern der

14 Köhler beim Aufbau eines Kohlenmeilers im Weserbergland (Anfang des 20. Jahrhunderts)

Weserhänge besonders günstig war. In aus dem Jahr 1746 listet fünf Hüttenköh- Veckerhagen arbeitete die landgräfliche ler sowie einen nebenberuflichen Köhler und später kurhessische Eisenhütte, die mit auf. 1874 werden in den Steuerverzeich- ihrer Produktion landesweite Bedeutung nissen der Gemeinde Veckerhagen elf hatte, bis 1903. Wichtigste Vorausset- Köhler genannt. Hinzu kommt eine unbe- zung für den Schmelzbetrieb der Eisenhüt- kannte Zahl von Gesellen. ten war die Bereitstellung von Holzkohle, Durch überlieferte Hüttenrechnungen so- die für die Eisenverarbeitung besser als wie durch die 1767 vom hessischen Rent- die schwefelhaltige Braunkohle geeignet kammersekretär, Ingenieur und Baumeis- ist und auch nicht so weit transportiert ter Franz Ludwig Cancrinus (1738-1816) werden musste. Für die Verhüttung einer verfasste „Beschreibung der vorzüglichs- Einheit Eisen in der Eisenhütte Veckerha- ten Bergwerke...“ sind wir über den Holz- gen war das anderthalbfache Gewicht kohlebedarf der Eisenhütte Veckerhagen an Holzkohlen notwendig. Um die Ver- gut informiert. So benötigte die Hütte im sorgung der Hütte mit Holzkohle sicher Durchschnitt der Jahre 1668-1677 insge- zu stellen, erfolgte die Beauftragung von samt 900 Fuder (3.060 m³) Holzkohlen Köhlern, denen die landgräflichen Förs- im Jahr. Diese Menge wurde zunächst von ter das notwendige Holz zuwiesen. In den drei Köhlern mit ihren Gesellen im Olbe- Kirchenbüchern von Veckerhagen lassen tal, im Hemelbachtal und auch am Stau- sich für das 17. bis 19. Jahrhundert zahl- fenberg im Bereich des heutigen Natur- reiche Köhlerfamilien nachweisen. Das waldreservates produziert. Später kamen Einwohnerverzeichnis von Veckerhagen weitere Waldbereiche als Produktionsorte

15 Mittelalterlicher Hohlweg im nördlichen Teil der Vergleichsfläche hinzu. Nach Angaben von Cancrinus lag (1736-1803) verfasste Beschreibung der jährliche Bedarf der Eisenhütte um (Jagd-Forst Exercitienbuch vom Vecker- 1767 bei 1.000 Fudern (3.400 m³) Holz- häger Forst) vermittelt ein anschauliches kohle. Dafür waren etwa 2.000 Klafter Bild der kurz zuvor durch den Siebenjäh- Holz (7.100 m³) erforderlich. Bevorzugt rigen Krieg (1756-1763) stark in Mitlei- wurde Buchenholz verwendet, seltener denschaft geratenen Waldbestände des auch Erlen- und Birkenholz. Cancrinus Reinhardswaldes. Darin weist Schmin- beschreibt auch die Anlage eines Kohlen- cke auch auf die negativen Folgen der meilers: „In einen Haufen, der mit Rasen Holzkohlegewinnung hin: „...es wird der und Kohlstübe (Erdmaterial gemischt mit mehrste junge Aufwuchs durch die Kohl- Holzkohle) gedekt wird, werden 30 bis 35 stätten, Zusammenschleppen des Holzes, Klafter (107-124 m³) Holz eingeschoben. Abfahren der Kohlen und Unachtsamkeit Auf ein Fuder Kohlen, das 12 Maas, ein der Köhler selbst bis auf den Grund ver- jedes Maas aber 12 Kubikfus enthält, ge- dorben...“. hen 1 7/8 Klafter (6,7 m³), wann es gut Mit dem zunehmenden Einsatz von Holz, 2 Klafter (7,1 m³), wann es Mittel- Steinkohle nahm im 19. Jahrhundert holz, und 2 1/8 Klafter (7,5 m³), wann es die Nachfrage der Metallverarbeitung schlechtes Birken- und Erlenholz ist.“ nach Holzkohle ab. Allerdings erlangte Eine bei seinem Dienstantritt 1763 durch die Holzkohle am Ende des Jahrhunderts Oberförster Johann Wilhelm Schmincke eine größere Bedeutung im Zusammen-

16 hang mit der Entwicklung von chemi- angelegt, wurden sie später mit Kalk- scher Industrie und Sprengstoffindustrie schotter befestigt. als Großabnehmern. Bis 1921 erfolg- Die markante Basaltkuppe des Staufen- te die Verkohlung des Holzes im Wald, berges unterlag im Laufe der Jahrhun- danach vorwiegend in Fabriken. Aber derte vielfältigen Nutzungseinflüssen. Der noch bis etwa 1960 betrieben zwei Köh- bereits erwähnte Oberförster Schmincke ler Hochmeiler im Hemeltal neben der fand auf ihr einen großen Haufen Steine, Landstraße sowie weitere Erdmeiler um den er als „ein Überbleibßell von dem in den Staufenberg. Im nördlich gelegenen den Einöden gepflogenen Götzendienst Bodenfelde an der Weser (Niedersach- der alten Deütschen“ interpretierte. Durch sen) wurde 1896 eine Holzkohlefabrik archäologische Funde lässt sich diese In- gegründet. In diesem Werk werden heute terpretation jedoch nicht erhärten. 100.000 Tonnen regionales Buchenholz Ein ca. 1 m hoher, quadratischer Stein auf pro Jahr verkohlt, um Grillholzkohle her- dem Großen Staufenberg hat ab 1836 zustellen. als Vermessungspunkt im Zusammen- Ältester Weg im Gebiet um den Großen hang mit der Erstellung der „Niveaukarte Staufenberg ist vermutlich ein mittelal- des Kurfürstenthums Hessen“ gedient. Die terlicher Fernweg, der vom Bramwald eingemeißelte Abkürzung „W K“ bedeutet kommend über die Weserfurt zwischen „Wilhelm Kurfürst“. Ein forstfiskalischer Hemeln und Veckerhagen verläuft und am Südostrand des nördlichen Teils der Vergleichsfläche in den Wald hineinführt. Hier ist ein Hohlwegbündel im Gelände gut erkennbar. Der weitere Verlauf er- folgte dann in nordwestlicher Richtung über die Sababurg in das benachbarte Westfalen. Bedeutung und Alter des We- ges werden durch den Flurnamen „Stieg“ unterstrichen. Karten des 18. und 19. Jahrhunderts zeigen einen Triftweg („Baselied“) süd- lich des Kuhberges, der sich am Kleinen Staufenberg verzweigt und dann entwe- der westlich vom Kleinen Staufenberg auf die Hochfläche in Richtung „Schafhute“ und „Staufenberger Bruch“ oder unter- halb des Staufenberges über die heute noch gut erkennbare Eichenallee auf die Reinhardswald-Hochfläche führt. Die größeren, meist hangparallelen Wege sind erst in preußischer Zeit (ab 1866) Der „Paulistein“ im südlichen Teil der Ver- gleichsfläche erinnert an königlichen Forst- für die Holzabfuhr aus den Weserhängen meister Heinrich Julius Pauli. Er starb hier am angelegt worden. Ursprünglich mit örtli- 10.8.1908 nach erfolgreicher Jagd auf einen chem Buntsandstein- und Basaltmaterial Rehbock an einem plötzlichen Herztod.

17 Der Basalt des Staufenberges wurde zur Gewinnung von Wegeschotter bis in die Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg abgebaut. Das aus dem Jahr 1930 stammende Foto zeigt die schräg liegenden Basaltsäulen im Bereich der Bergkuppe. Basaltsteinbruch auf dem Staufenberg- Kuppe ist schon auf der Niveaukarte des Kurfürstenthums Hessen erkennbar und wurde ab etwa 1850 zur Gewinnung von Wegeschotter bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg betrieben. Der Niederhessische Touristenverein, Zweig- verein Veckerhagen, beschloss 1898 un- ter Vorsitz des Oberförsters Heinrich Julius Pauli (1846-1908), der die Oberförsterei Veckerhagen von 1886 bis zu seinem Tod leitete, die Errichtung eines Aussichtstur- mes („Bismarckturm“) und das Aufstellen von Bänken auf dem Staufenberg. Wie aus einem Beitrag in der Hofgeismarer Zeitung von 1928 hervorgeht, war das Vorhaben zu dieser Zeit noch nicht umge- setzt worden. Ein hölzerner Aussichtsturm, der zugleich zu Vermessungszwecken und als Feuerwachtturm diente, dürfte in den Der Aussichtsturm auf dem Staufenberg. Das 1930er Jahren errichtet worden sein und Foto entstand in den 1930er Jahren. wurde um 1970 wieder abgebaut.

18 Blick vom Naturwaldreservat „Weserhänge“ auf den niedersächsischen Bramwald mit der im We- sertal liegenden Ortschaft Glashütte

Kurzcharakteristik des Naturwaldreservates Größe Totalreservat: 78 ha, Vergleichsfläche: 96 ha geographische Lage 1 km nordwestlich von Veckerhagen (Gemeinde Rein- hardshagen) Höhenlage 160 bis 472 Meter über Meereshöhe Naturraum Solling, Bramwald und Reinhardswald Geologie Mittlerer Buntsandstein, tertiärer Basalt, teilweise Löss- auflagen Böden Braunerde Klima Berglandklima (submontan, schwach subatlantisch) Waldbestand Buchenwald Vegetationstyp Hainsimsen-Buchenwald, Waldgersten-Buchenwald

19 Total - reservat KS

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TTotalotal - rreservateservat

VVer-er- gleichsflgleichsfl äächeche

21 Waldstruktur Osthang des Staufenberges befindet sich zudem ein geschlossener Eschenbestand. Der Hauptbestand des Totalreservats Die erste Aufnahme der Waldstruktur und der Vergleichsflächen besteht zum fand im Naturwaldreservat Weserhänge überwiegenden Teil aus alten Buchen im Jahr 2001 statt. Eine Wiederholungs- mit einzeln bis horstweise eingemisch- aufnahme wurde 2013 durchgeführt. Der ten Eichen, Fichten und Lärchen. Das Holzvorrat des Derbholzbestandes (≥7 cm Luftbild aus dem Jahr 2008 lässt einen Durchmesser in Brusthöhe) wurde durch überwiegend aufgelockerten und von ei- die Nutzungen vor der Ausweisung auf ner Eichenallee (Viehtrift) durchzogenen ein annähernd gleich hohes Niveau im Buchen-Altholz-Bestand erkennen. Am Totalreservat (288 m3 je Hektar) und in 3 800 der Vergleichsfläche (286 m je Hektar) Anzahl Bäume Holzmasse in Kubikmeter abgesenkt. Im Verlauf der darauffol- 700 Sonstige genden Jahre haben sich die beiden 600 Fichte Birke Teilflächen deutlich auseinander entwi- Esche 500 Rotbuche ckelt. Während der Vorrat im Totalre- Eiche servat um 95 m3 auf 383 m3 je Hektar 400 angestiegen ist, wurde dieser Zuwachs 300 in der Vergleichsfläche genutzt, sodass sich hier der Holzvorrat kaum verändert 200 hat. Insgesamt zeigen diese Ergebnis- 100

Anzahl Bäume bzw. Kubikmeter Holz je Hektar Kubikmeter Anzahl Bäume bzw. se, dass die recht starke Auflichtung der

0 Waldbestände vor der Ausweisung des 2001 2013 2001 2013 2001 2013 2001 2013 TR VF TR VF Naturwaldreservates nicht zu einer La- Stammzahl und Volumen des lebenden Derbholz- bilisierung der Altbuchen geführt hat. bestands im Naturwaldreservat Weserhänge. Ver- Auffällig ist die starke Zunahme der glichen werden Totalreservat (TR) und Vergleichs- fläche (VF) für die Jahre 2001 und 2013. Stammzahl der Buche in beiden Teilflä- chen. Dieser erhebliche Einwuchs jun- 100 Stückzahl Kubikmeter ger Bäume wurde offenbar durch die 90 Auflichtung der Waldbestände vor der 80 Totholz stehend Totholz liegend Ausweisung in Gang gesetzt. 70 Die Totholzentwicklung im Naturwald- 60 reservat Weserhänge weicht von der- 50 jenigen der meisten anderen Natur- 40

30 waldreservate deutlich ab. Während

20 in den anderen Gebieten bei der Erst-

Stückzahl bzw. Kubikmeter Holz je Hektar Kubikmeter Stückzahl bzw. 10 aufnahme ein recht geringer Wert und

0 nachfolgend ein erheblicher Aufbau 2001 2013 2001 2013 2001 2013 2001 2013 TR VF TR VF registriert wurden, zeigen die Weser- Stammzahl und Volumen des Totholzes im Na- hänge bereits bei der Erstaufnahme turwaldreservat Weserhänge (stehendes Totholz einen vergleichsweise hohen Totholz- ≥7 cm Durchmesser in Brusthöhe, liegendes Tot- vorrat von rund 23 m3 je Hektar ohne holz ≥20 cm am stärkeren Ende, ohne Stubben). Verglichen werden Totalreservat (TR) und Ver- signifikante Unterschiede zwischen To- gleichsfläche (VF) für die Jahre 2001 und 2013. talreservat und Vergleichsfläche. Auch

22 Color-Infrarot-Luftbild des Naturwaldreservates Weserhänge aus dem Jahr 2008

Lage des heutigen Naturwaldreservates auf der „General Charte des Forstreviers Veckerhagen“ von 1841. Die Karte zeigt bereits einen flächendeckenden Buchenbestand im Bereich des Natur- waldreservates (grüne Signatur).

23 Am Mittelhang des Staufenberges sind große Flächen sowohl im Totalreservat (Hintergrund) als auch in der Vergleichsfläche (Vordergrund) von dichter Buchen-Verjüngung geprägt. dieser Befund dürfte mit den Nutzungen vor lerdings weist die Vergleichsfläche eine er- der Ausweisung zusammenhängen. heblich größere Stückzahl an Totholzobjek- Daher wird der Totholzvorrat bei der Erst- ten auf. Hier wird der Totholzvorrat zwar aus aufnahme vermutlich vor allem durch auf mehr Einzelstücken als im Totalreservat auf- der Fläche verbliebene Erntereste gebildet. gebaut. Diese sind jedoch erheblich kleiner. Dafür sprechen auch die Ergebnisse einer Stehendes Totholz spielt in beiden Flächen flächendeckenden Totholzinventur im Jahr bisher kaum eine Rolle. 1998 durch Hermann-Josef Rapp (Rein- Sowohl der erhebliche Einwuchs an jungen hardshagen). Dabei wurde ein Totholzvor- Bäumen in den Derbholzbestand als auch rat von rund 25 m3 je Hektar einschließlich die Zunahme der Pflanzenzahl in der Hö- Stubben ermittelt. 20 m3 je Hektar waren henklasse >3,0 m zeigen, dass die Gehölz- frisches oder nur mäßig zersetztes Totholz – verjüngung im Laufe des Untersuchungszeit- offenbar die Erntereste der vorherigen forst- raumes erheblich aufgewachsen ist. Dieser lichen Eingriffe. Entwicklungsprozess geht zwangsläufig mit Im weiteren Entwicklungsverlauf ist die einer starken Abnahme der Pflanzenzahlen Nachlieferung an Totholz geringer als die in den unteren Höhenklassen einher. So ist laufende Zersetzung, sodass die Totholz- die Stückzahl an Gehölzpflanzen unter einer menge von 2001 bis 2013 durchschnitt- Höhe von einem halben Meter von 12.800 lich um 2,7 m3 auf rund 20 m3 je Hektar auf rund 2.600 Stück je Hektar und damit absinkt. Nach 13 Jahren ähneln sich die auf etwa ein Fünftel des Ausgangswertes beiden Teilflächen weiterhin sehr stark. Al- gesunken. Auch die Pflanzenzahl in der an-

24 schließenden Höhenklassen (0,5 bis 3,0 m niederschlagen. Tatsächlich zeigen Total- Höhe) ist stark gesunken. reservat und Vergleichfläche im Verlauf Die Verjüngungsschichten bestehen fast des 12-jährigen Untersuchungszeitraumes ausschließlich aus Buchenpflanzen. Da- entsprechende Unterschiede bei der Ge- neben spielen Esche (nur im Totalreservat hölzverjüngung. So ist die Gesamtpflan- im Bereich des Staufenberges), Eberesche, zenzahl in der stärker aufgelichteten Ver- Fichte, Birke und Hainbuche eine gewisse gleichsfläche weniger stark gesunken (auf Rolle. Der Anteil der Mischbaumarten hat 48 % des Wertes von 2001) als in dem sich von 7,3 % im Jahr 2001 auf 5,6 % sich schließenden Totalreservat (auf 27 % im Jahr 2013 vermindert. Birken und Fich- des Ausgangswertes von 2001). Während ten wurden bei der letzten Aufnahme nicht in der Vergleichsfläche die Pflanzenzahl mehr in der Gehölzverjüngung an den in der obersten Verjüngungsschicht auf Probekreisen gefunden. das 4,2-fache angewachsen ist, zählt sie Interessant ist es, ob sich die bereits beim im Totalreservat nur das 1,1-fache des Holzvorrat erkennbaren Unterschiede zwi- Ausgangswertes im Jahr 2001. Offenbar schen Totalreservat und Vergleichsfläche dämpft der zunehmende Bestandesschluss auch in einem unterschiedlichen Entwick- der Altbäume die Entwicklung der Gehölz- lungsgang der nachwachsenden Schicht verjüngung. Pflanzenzahlen der Gehölzverjüngung im Naturwaldreservat Weserhänge in den Jahren 2001 und 2013 (Mittelwerte aus 82 Probekreisen) Baumart Jahr Höhenklasse Summe <0,5 m 0,5 bis 3,0 m >3,0 m Rotbuche 2001 11.610 3898 1259 16.766 2013 2.371 1580 3073 7.024 Esche 2001 946 15 15 976 2013 205 0 0 205 Eberesche 2001 93 20 5 117 2013 10 10 15 34 andere 2001 68 20 5 93 Laubbäume 2013 5 5 0 10 Fichte 2001 54 10 0 63 2013 0 0 0 0 Birke 2001 10 15 5 29 2013 0 0 0 0 Eiche 2001 20 5 5 29 2013 5 0 0 5 Hainbuche 2001 0 0 5 5 2013 10 0 151 161 andere 2001 0 0 0 0 Nadelbäume 2013 0 0 5 5 Summe 2001 12.800 3.980 1.298 18.078 2013 2.605 1.595 3.244 7.444

25 Bodenvegetation Im Gebiet wurde 2013 an jedem zwei- ten Gitternetzpunkt die Vegetation auf Im Naturwaldreservat „Weserhänge“ do- 10 x 10 m großen Probequadraten er- miniert auf den bodensauren, mit Löss fasst. Insgesamt wurden 85 Vegetations- bedeckten Buntsandsteinverwitterungs- aufnahmen erstellt. Davon lagen 77 auf böden von Natur aus der Hainsimsen- Buntsandstein- und acht auf Basaltböden. Buchenwald. Auf den basenreichen Ba- Auf den bodensauren Standorten sind die saltverwitterungsböden im Bereich der Baumschichten der Vergleichsfläche mit Staufenberg-Kuppe ist hingegen der einem mittleren Deckungsgrad von 81 % Waldgersten-Buchenwald die natürliche etwas lichter als die des Totalreservates Waldgesellschaft. Durch forstliche Maß- (87 %). Die nutzungsbedingte Auflich- nahmen sind im Gebiet aber auch von tung der Vergleichsfläche zeigt sich be- anderen Laub- und Nadelhölzern ge- sonders in der oberen Baumschicht, die prägte Waldtypen entstanden. Dazu ge- hier im Mittel nur 39 %, im Totalreservat hören im Totalreservat im Südwesten ein hingegen 59 % bedeckt. Die mittleren größerer, nach Windwurf größtenteils zu- Deckungsgrade der unteren Baumschicht sammengebrochener und im Norden ein sind mit jeweils 46 % im unbewirtschaf- kleinerer Fichtenbestand. Im Totalreservat teten und im bewirtschafteten Gebietsteil wie auch in der Vergleichsfläche gibt es gleich hoch. Die Strauchschicht spielt in kleinere Bestände von Europäischer Lär- der Vergleichsfläche mit durchschnittlich che. Schließlich sind ein Eschen-Bestand 22 % Deckungsgrad aufgrund des besse- im Bereich der Staufenberg-Kuppe und ren Lichtangebotes eine deutlich größere ein Eichen-Bestand im südlichen Teil der Rolle als im Totalreservat, wo sie im Mittel Vergleichsfläche zu finden. acht Prozent bedeckt. Auch in der Kraut-

Viele Buchen-Altbestände auf bodensauren Standorten im Totalreservat zeichnen sich durch einen geringen Deckungsgrad der Strauch-, Kraut- und Moosschicht aus.

26 Nach Holzerntemaßnahmen sind Teile der Vergleichsfläche von Arten der Waldverlichtungen wie dem Roten Fingerhut (Digitalis purpurea) geprägt. schicht zeigen sich deutliche Unterschie- moos (Hypnum cupressiforme) und das de: Ihre mittlere Deckung liegt im Totalre- Schöne Frauenhaarmoos (Polytrichum servat bei nur zwei Prozent, während sie in formosum) zu den kennzeichnenden Ar- der Vergleichsfläche acht Prozent beträgt; ten. die mittlere Artenzahl liegt bei vier bzw. Mit dem Rotem Straußgras (Agrostis ca- sieben Arten. Bei den Moosen zeigen sich pillaris), dem Land-Reitgras (Calamagros- im Hinblick auf den mittleren Deckungs- tis epigejos), der Winkel-Segge (Carex grad (ein Prozent) und die mittlere Arten- remota), dem Roten Fingerhut (Digitalis zahl (zwei Arten) keine Unterschiede. purpurea), dem Gewöhnlichen Hohl- Im Hainsimsen-Buchenwald gehören zahn (Galeopsis tetrahit), der Flatter-Bin- weit verbreitete Säure- und Mäßigsäu- se (Juncus effusus), dem Wald-Sauerklee rezeiger der Kraut- und Moosschicht wie (Oxalis acetosella) und der Himbeere der Gewöhnliche Dornfarn (Dryopteris (Rubus idaeus) treten auf den bodensau- carthusiana), die Weißliche Hainsimse ren Standorten einige vorwiegend durch (Luzula luzuloides), die Artengruppe Ech- Bewirtschaftung geförderte Störungszei- te Brombeere (Rubus fruticosus agg.), ger in der Vergleichsfläche häufiger auf das Gewellte Katharinenmoos (Atrichum als im Totalreservat. Allerdings sind die undulatum), das Krückenförmige und das Unterschiede in der Ausstattung mit Stö- Samt-Kurzbüchsenmoos (Brachythecium rungszeigern zwischen beiden Teilflächen rutabulum, B. velutinum), das Sichelige geringer als in vielen anderen hessischen Kleingabelzahnmoos (Dicranella hete- Naturwaldreservaten, die bereits seit län- romalla), das Zypressenförmige Schlaf- gerer Zeit bestehen.

27 Naturwaldreservaten vergleichsweise kur- zen Stilllegungszeitraum zurückzuführen. Am Kuhberg in der Umgebung des Paulisteins deuten das Vorkommen von Licht liebenden Zeigerarten nährstoffar- mer Bedingungen wie der Besenheide (Calluna vulgaris), dem Grannenlosen Schaf-Schwingel (Festuca filiformis), dem Gefleckten Johanniskraut (Hypericum maculatum) und der Blutwurz (Potentil- la erecta) sowie Dominanzbestände der Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) noch heute auf den Einfluss von Waldweide und Streunutzung hin. Auch im Bereich Die Pillen-Segge (Carex pilulifera) ist eine typi- der angrenzenden Eichen-Allee, die sche Art bodensaurer Buchenwälder. Sie wird durch Bodenstörungen gefördert. durch das Naturwaldreservat und seine Vergleichsfläche hindurchführt, kommen Auch in Bezug auf die Waldbindung der diese Arten noch vor, wenn auch sehr Pflanzenarten sind die Unterschiede zwi- vereinzelt. Allerdings wurde diese ehema- schen Totalreservat und Vergleichsfläche, lige Viehtrift im 20. Jahrhundert wieder- anders als beispielsweise in den boden- holt gedüngt, um sie als Wildäsungsflä- sauren Buchenwäldern der Naturwaldre- che nutzen zu können. Dadurch sind vor servate „Goldbachs- und Ziebachsrück“ allem konkurrenzkräftige Stickstoffzeiger und „Schönbuche“, gering. In beiden Teilflächen dominieren Pflanzenarten, die sowohl im Wald als auch im Offenland vorkommen (Totalreservat: 54 %, Ver- gleichsfläche 58 %). Arten der geschlos- senen Wälder haben jedoch im Totalre- servat mit 45 % einen höheren Anteil als in der bewirtschafteten Vergleichsfläche, wo sie 37 % des Artenbestandes ausma- chen. Arten der Waldränder und -verlich- tungen fehlen im Totalreservat ganz, sind aber auch in der Vergleichsfläche mit ei- nem Anteil von einem Prozent sehr selten. Waldarten mit Schwerpunkt im Offenland kommen in der Vergleichsfläche mit drei Prozent häufiger vor als im Totalreservat, Die Seegras- oder Zittergras-Segge (Carex bri- wo sie nur ein Prozent erreichen. Die ver- zoides) ist eine auffällige, zur Bildung von Domi- nanzbeständen neigende Grasart, die am Stau- gleichsweise geringen Unterschiede zwi- fenberg und im Hemelbachtal häufig auftritt. Sie schen den Teilflächen in Bezug auf Stö- wurde in einigen Regionen Deutschlands früher rungszeiger und Waldarten sind wohl in als Polstermaterial verwendet. Ob dies im Rein- erster Linie auf den gegenüber anderen hardswald auch üblich war, ist nicht bekannt.

28 Zwergsträucher wie die Heidelbeere (hier in der Vergleichsfläche am Kuhberg) wurden im Rein- hardswald durch die Waldweide und Streunutzung jahrhundertelang gefördert. wie Kriechender Hahnenfuß (Ranunculus Esche eine wichtige Rolle. Während in repens), Stumpfblättriger Ampfer (Rumex der oberen Baumschicht die Esche mit obtusifolius), Große Brennnessel (Urtica durchschnittlich 68 % Deckung dominiert dioica) und Weiß-Klee (Trifolium repens) (Buche: 50 %), deckt die Buche in der gefördert worden. unteren Baumschicht 75 %, während die Auf den basaltgeprägten Böden, die nur Esche hier nur einen mittleren Deckungs- im Totalreservat vorkommen, ist auf grö- grad von 25 % erreicht. Durch das grö- ßerer Fläche die Esche eingebracht wor- ßere Lichtangebot in Strauch- und Kraut- den. Diese Baumart kommt auf diesen schicht erreichen beide Schichten mit im nährstoff- und basenreichen Standorten Mittel 20 % deutlich höhere Werte als auf sicher auch von Natur aus als Mischbaum- den bodensauren Standorten im Gebiet. art vor. Schon 1855 wird der Staufenberg Die mittlere Gefäßpflanzen-Artenzahl im „Baedeker“ als eine mit Eschen be- liegt bei 10, die der Moose bei nur einer wachsene Basaltkuppe beschrieben. In Art. Typische Arten der Krautschicht sind der Baumschicht, die mit durchschnittlich hier die Wald-Zwenke (Brachypodium syl- 70 % Deckung deutlich lichter ist als in vaticum), die Sparrige Segge (Carex mu- den stärker buchengeprägten Waldbe- ricata), die Rasen-Schmiele (Deschampsia ständen auf Buntsandstein mit Lössüber- cespitosa) und das Wald-Veilchen (Viola deckung, spielt die Rotbuche neben der reichenbachiana).

29 Der Straußfarn (Matteuccia struthiopteris) ist In der Krautschicht der Eschen-Bestände am eine floristische Besonderheit an der Staufen- Staufenberg dominiert stellenweise die Rasen- berg-Kuppe. Die Art kam hier 1896 noch sehr Schmiele (Deschampsia cespitosa). Sie zeigt häufig vor. Nachdem ab 1921 der Bestand, of- wechselfeuchte Böden an. fenbar infolge von Entwässerungsmaßnahmen, komplett erloschen war, ließ Forstmeister Franz (Impatiens parviflora), der bundesweit in Kühbacher in den Jahren 1931 und 1932 etwa Wäldern häufigste Neophyt sowie das 20 Farnpflanzen aus Hausgärten in Veckerha- nur in der Vergleichsfläche auftretende gen entnehmen und am alten Wuchsort in ein Indische Springkraut (Impatiens glandu- Kulturgatter ausbringen. Kühbacher leitete die Oberförsterei Veckerhagen von 1921 bis 1933. lifera). Die letztgenannte Art breitet sich vom Wesertal ausgehend, wo sie seit Ausschließlich auf Basaltböden kommen mehreren Jahrzehnten vorkommt, zuneh- im Naturwaldreservat „Weserhänge“ das mend auch an den Weserhängen des Einblütige Perlgras (Melica uniflora), das Reinhardswaldes aus. Wald-Bingelkraut (Mercurialis perennis) und das Wald-Veilchen (Viola reichen- bachiana) vor. Alle drei Arten gelten als ausbreitungsschwach und sind zur Fernausbreitung nicht in der Lage. Es ist daher eine ausbreitungsbiologisch sehr interessante Frage, wie solche eng an basenreiche Waldstandorte gebundenen Arten in einer großräumig bodensauren Waldlandschaft wie dem Reinhardswald geeignete Standorte erreichen können. Sehr lange Zeiträume und seltene Zu- fallsereignisse, beispielsweise die Aus- breitung von Pflanzensamen im Fell von Das aus dem westlichen Himalaja stammende Wildtieren, bieten eine Erklärung für die- Drüsige Springkraut kann bis zu drei Meter hoch ses Phänomen. werden. Eine einzige Pflanze produziert im Jahr In den Buchenwäldern der Weserhänge mehr als 4.000 Samen, die aus der reifen Kap- sel bis zu sieben Meter weit geschleudert wer- sind nur wenige gebietsfremde Pflan- den. Die Art kam 1839 als Gartenpflanze nach zenarten (Neophyten) zu finden. Hier- England und wurde Anfang des 20. Jahrhun- zu zählen das Kleinblütige Springkraut derts erstmals in Deutschland nachgewiesen.

30 Fledermäuse und eine geringere Artenvielfalt wurden in flächenhaft ausgebildeten und dicht ge- Das Naturwaldreservat „Weserhänge“ mit schlossenen Jungbeständen festgestellt, seiner Vergleichsfläche wurde von Juni bis die zurzeit als Nahrungshabitat wenig August 2013 intensiv fledermauskund- geeignet sind. Hier ist der Flugraum der lich untersucht. Dabei wurde erstmals im Fledermäuse einengt und die Zugänglich- Rahmen der hessischen Naturwaldreser- keit des Waldbodens als Nahrungsraum vateforschung mit einer automatischen einschränkt. akustischen Erfassung durch stationäre Unter den im Naturwaldreservat „Weser- Aufnahmegeräte (Batcorder), an insge- hänge“ nachgewiesenen Fledermausarten samt sechs Standorten gearbeitet. Zusätz- sind einige eng an Wald gebundene Ar- lich fanden im Juli zwei ganznächtliche ten, wie die Bechsteinfledermaus und die Netzfänge statt. Fransenfledermaus zu finden. Beide sind Mit der beschriebenen Methode wurden mittelgroße Fledermausarten mit einem im Gebiet insgesamt 11 Fledermausarten Gewicht von 8 bis 10 Gramm. Aufgrund nachgewiesen. Das ist mehr als die Hälfte ihrer besonderen Echoortungsfähigkeiten aller in Hessen vorkommenden Arten und sowie ihres sehr wendigen Fluges kön- die zweithöchste Artenzahl, die bisher in nen beide Arten sehr kleinräumig vom einem hessischen Naturwaldreservat ge- Waldboden bis zur Baumkrone Insekten funden wurde. Im Vergleich der beprobten erbeuten. Dabei ist es der Bechsteinfle- Waldstandorte zeigte sich, dass die das dermaus wegen ihrer sehr großen Ohren Gebiet durchschneidende Eichenallee mit sogar möglich, die Krabbelgeräusche ihrer hohen Dichte an naturwaldähnlichen von Raupen und Faltern auf Blättern zu Strukturen (z. B. Baumhöhlen, stehendes hören. Dies kann die Fransenfledermaus Totholz) und ihrem großen Nahrungsan- nicht, die auf Spinnen spezialisiert ist und gebot die höchste Nachweishäufigkeit gerne Weberknechte vom Waldboden aufweist. Auf der Windwurffläche im Süd- absammelt. Das Beispiel der beiden sehr westen des Totalreservates war die Nachweishäufigkeit am zweithöchsten, was vor allem durch das derzeit sehr günstige Nahrungsangebot zu erklären ist. Bei Betrach- tung der Buchenbestände sind keine Unterschiede zwischen Totalreservat und Vergleichsfläche erkennbar. Stattdessen wirkt sich die Schichtung der Bestände sehr deutlich auf Nachweishäufig- keit und Artenvielfalt der Fle- dermäuse aus. Nur sehr ge- ringe Fledermausaktivitäten Die Große Bartfledermaus wurde bisher in zwei hessischen Naturwaldreservaten nachgewiesen.

31 den, was wiederum verdeutlicht, dass die Weser und das Naturwaldreservat einen Gesamtlebensraum für die Nymphenfle- dermaus darstellen. Die Kombination aus einem alten Wald und einem an Insekten reichen Fluss ist ebenso wichtig für die Wasserfledermaus wie für die Mückenfledermaus. Beide su- chen Baumhöhlen auf und fliegen am Gewässerufer (Mückenfledermaus) oder direkt über dem Wasser (Wasserfleder- maus), um die in dichten Schwärmen fliegenden Zuckmücken zu jagen. Die ökologische Nische der Wasserfleder- mäuse ist es, Beuteinsekten direkt von der Wasseroberfläche abzufangen. Bis zu 4.000 Mücken muss ein Weibchen pro Nacht fangen, um seinen Energiebe- darf zu decken. Wochenstubenkolonien der Wasserfledermaus finden sich oft in Die Zwergfledermaus kommt in allen unter- Spechthöhlen. Dabei finden sich etwa 30 suchten hessischen Naturwaldreservaten vor. bis 40 Weibchen zusammen. Lediglich ein ähnlich aussehenden Arten zeigt, dass Junges bringt jedes Weibchen zur Welt. jede Fledermausart ihre eigene ökologi- Es wird nackt geboren und braucht etwa sche Nische hat und vielfältige Wälder fünf Wochen, bis es zu einer flugfähigen entsprechend vielen Fledermausarten Le- Fledermaus herangewachsen ist. In dieser bensraum bieten können. Zeit werden die Jungtiere ausschließlich Eine weitere Besonderheit im Gebiet der mit Muttermilch versorgt. Entsprechend Weserhänge ist die Nymphenfledermaus. hoch ist der Energiebedarf der Weibchen. Sie wurde erst vor gut zehn Jahren als Etwa zwei Drittel ihres Körpergewichtes eigenständige Fledermausart entdeckt. müssen sie im Laufe einer Nacht an In- In Hessen kennen wir bislang erst eine sekten erbeuten, um nicht zu verhungern Wochenstubenkolonie aus einem an al- und genügend Milch produzieren zu ten Eichen reichen Wald im Rhein-Main- können. Bis zu 40 verschiedene Höhlen Gebiet. Wochenstubenkolonien setzen werden von einer Wochenstubenkolo- sich aus Weibchen zusammen, die ge- nie während der Sommermonate aufge- meinsam ihre Jungtiere großziehen. Die sucht und das alljährlich wiederkehrend. Nymphenfledermaus macht dies gerne in Wälder müssen somit eine hohe Baum- Baumspalten, die durch Blitzeinschläge höhlendichte aufweisen, um Kolonien entstehen oder hinter der losen Rinde alter der Wasserfledermaus beherbergen zu und absterbender Bäume. In Fachkreisen können. Zwischen den besetzten Specht- gilt die Nymphenfledermaus deswegen höhlen und den Nahrungsräumen an der auch als „Urwaldart“. Ihre Nahrungsräu- Weser können bei der Wasserfledermaus me sind meist in Gewässernähe zu fin- mehrere Kilometer liegen. Die sogenann-

32 ten Transferflüge zwischen Höhlenbaum Haben sie einen Käfer vernommen, so und Nahrungshabitat fliegen die Tiere lassen sie sich ähnlich wie ein Mäusebus- im Schutz der Vegetation, das heißt un- sard bei der Mäusejagd fallen und fan- ter überhängenden Ästen der Ufergale- gen den Käfer, um ihn an Ort und Stelle rie, entlang von Hecken, Hohlwegen und zu verspeisen. Bis zu 40 Laufkäfer kann Baumreihen. diese Fledermausart pro Nacht verzeh- Die Große Bartfledermaus ist der Wasser- ren. Weitere Fledermausarten im Natur- fledermaus im Aussehen sehr ähnlich. Mit waldreservat Weserhänge sind der Große kaum 20 Zentimetern Flügelspannweite Abendsegler, die Zwergfledermaus sowie ist sie eine unserer kleinsten Fledermaus- die Rauhautfledermaus. arten in Hessen. Sie bewohnt ebenfalls Bislang wurden die Fledermäuse in 14 gerne Spalten an Bäumen und kann hessischen Naturwaldreservaten vom dabei sehr große Kolonien mit mehr als Rhein-Main-Tiefland bis in die Höhenla- 200 Individuen bilden. Manchmal fliegt gen der Mittelgebirge Hessens untersucht. sie zehn Kilometer und mehr bis in ihre Dabei zeigt sich, dass allgemein mit zu- Jagdgebiete. Je größer eine Kolonie ist, nehmender Höhenlage und dem damit desto weiter ist der Aktionsraum der ein- verbundenen raueren Klima die Arten- zelnen Tiere, um Nahrungskonkurrenz zu vielfalt und auch die Dichte der Fleder- vermeiden. mäuse absinken. Das Alter eines Waldes Die größte hessische Fledermausart ist ist bei der Besiedlung durch Fledermäu- das ebenfalls in den Weserhängen nach- se eine entscheidende Komponente. Mit gewiesene Große Mausohr. Mit einer ansteigendem Baumalter und zuneh- Flügelspannweite von annähernd 40 mendem Stilllegungszeitraum wird auch Zentimetern und einem Gewicht von 30 im Naturwaldreservat „Weserhänge“ die Gramm und mehr sind die Tiere riesig Baumhöhlendichte zunehmen, so dass im Vergleich zu den bislang vorgestellten die Konkurrenz um Baumhöhlen abnimmt Fledermausarten. Große Mausohren be- und insgesamt mehr Quartiere für Fleder- siedeln vor allem geräumige Dachböden, mäuse zur Verfügung stehen. von wo aus sie allnächt- lich bis zu 20 Kilometer zwischen Quartier und Nahrungsraum zurück- legen können. Große Mausohren nutzen Wäl- der im Schwerpunkt zur Nahrungssuche. Dabei wenden sie ebenfalls eine verblüffende Jagd- strategie an: Sie fliegen bodennah durch alte Wälder und achten auf die Krabbelgeräusche von Laufkäfern, die über den Waldboden laufen. Fliegende Rauhautfledermaus

33 Ausblick immer stark ähneln. Auch die Gehölzver- jüngung ist infolge der Auflichtung auf bei- Mit der Ausweisung des Naturwaldreser- den Teilflächen stark in Gang gekommen. vates „Weserhänge“ kam 1997 für dieses Allerdings sind die Pflanzenzahlen der jun- Waldgebiet eine vielfältige Landnutzungs- gen Gehölze und auch der Krautschicht- geschichte zum Abschluss. Noch bis zum Deckungsgrad auf der stärker aufgelich- Ende des 19. Jahrhunderts hatten vor al- teten Vergleichsfläche deutlich größer als lem Waldweide und Streunutzung sowie im Totalreservat. Unterschiede sind auch der große Holzbedarf der Glas- und Ei- bei der Holzmasse erkennbar, die in den senhütten starken Einfluss auf die Waldbe- unbewirtschafteten Waldbeständen schon stände. Die Analyse solcher historischen deutlich angewachsen ist. Nutzungseinflüsse auf der Grundlage Mit zunehmender Dauer einer ungesteuer- von Archivmaterial und hoch aufgelös- ten Walddynamik und einem längeren Be- ten digitalen Geländemodellen bringt die obachtungszeitraum werden die Untersu- Naturnähediskussion in Wäldern deutlich chungen auf der Basis von Zeitreihen stark weiter. In der Zusammenschau mit den an Bedeutung gewinnen. Auf der Grundla- dokumentierten forstlichen Eingriffen der ge der Naturwaldreservateforschung wer- letzten Jahrzehnte bietet sie Erklärungsan- den die forstlichen und naturschutzfach- sätze für die heutige Waldstruktur sowie lichen Vorstellungen über naturnahe und die Zusammensetzung der Waldvegeta- natürliche Waldzustände und -entwicklun- tion und -fauna. So kann im Naturwald- gen objektiviert. Damit entsteht eine wich- reservat „Weserhänge“ der kurz vor der tige, von verschiedenen Interessengruppen Ausweisung durchgeführte letzte forstliche akzeptierte Diskussionsgrundlage, deren Eingriff als Hauptursache dafür angese- Wert in Zukunft beispielsweise im Kontext hen werden, dass sich das Totalreservat der erwarteten Klimaänderungen oder und seine Vergleichsfläche beispielsweise kontroverser Diskussionen um den Natur- im Hinblick auf ihr Totholzangebot noch schutz im Wald weiter steigen wird.

34 Weiterführende Literatur

Bonnemann, A. (1984): Der Reinhardswald. – Hann. Münden. 451 S. Lotze, S. (1985): Die Eisenhütte in Veckerhagen 1666-1903. – Kassel. 122 S. Lotze, S. (1997): Veckerhagen in sieben Jahrhunderten. – Hofgeismar/Reinhardshagen. 364 S. Rapp, H.-J. (2002): Reinhardswald – Eine Kulturgeschichte. – Kassel. 250 S.

Impressum Herausgeber: Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt (NW-FVA), Grätzelstr. 2, 37079 Göttingen, http://www.nw-fva.de Landesbetrieb HESSEN-FORST, Bertha von Suttner-Str. 3, 34131 Kassel, http://www.hessen-forst.de Gesamtredaktion: Dr. Marcus Schmidt, Dr. Peter Meyer (NW-FVA)

Text: Dr. Markus Dietz, Dr. Peter Meyer, Dr. Marcus Schmidt

Karten: Dr. Marcus Schmidt (NW-FVA)

Layout: Etta Paar (NW-FVA)

Druck: Printec Offset, Kassel

Bildnachweis: Bogon: S. 31-33; Hessische Verwaltung für Bodenmanagement und Geo- information: S. 14u, 23o; Heuser-Hildebrandt (2002, verändert): S. 14o; Kasel (HLUG): S. 6; Lotze, S. 10u, 13, 18u; Schmidt: S. 1-5, 9, 10o, 11, 12, 16, 17, 19, 24, 26-30, 34, 36; Stadtmuseum Kassel: S. 18o; Verein Heimat und Kultur Gieselwerder e. V.: S. 15

ISSN 2191-107X

Kartengrundlage: Top. Karte 1:25.000 Nr. 4423 © HLBG

Göttingen, Oktober 2014

Umschlagvorderseite: Hainsimsen-Buchenwald am Unterhang des Staufenberges im Total- reservat

Umschlagrückseite: Großes Springkraut, Roter Holunder, Rothirschkalb, Eichenfarn, Blind- schleiche (von oben nach unten)

35 www.hessen-forst.de www.nw-fva.de