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SWR2 Musikstunde

Dänische Entdeckungen (2) Niels Wilhelm Gade und

Von Jörg Lengersdorf

Sendung: Dienstag, 28. Juli 2015 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Ulla Zierau

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SWR2 Musikstunde, 28. Juli 2015

Dänische Entdeckungen (2) Niels Wilhelm Gade und Carl Nielsen

„Als ganz besonders ausgezeichnet müssen wir hierbei noch das Direktionstalent des Herrn Gade erwähnen. Es ist nicht nur die große Sicherheit und Umsicht allein, mit welcher er das Orchester führt, zu rühmen. Er besitzt eine eigene, seltene Gabe, ähnlich der unvergleichlichen Gabe Mendelssohns, …ohne große und auffallende Mühe das rechte Verständnis, den rechten Geist, die poetische Stimmung… hineinzubringen.“

Das schreibt die Allgemeine musikalische Zeitung aus nach der Uraufführung von Gades zweiter Symphonie im Januar 1844. In Leipzig ist man sich einig: Gade ist nicht nur ein riesiges Kompositionstalent, sondern auch ein begnadeter Dirigent. In Dänemark ist man sich dagegen kaum bewusst, wieviel Erfolg Gade in Leipzig hat. In Kopenhagen gilt Gade nach wie vor als einfacher Geiger der königlichen Kapelle, der sich in Leipzig fortbildet. Während Gade also im folgenden Frühjahr mit der Kopenhagener Musikbürokratie noch um die Verlängerung seines Reisestipendiums kämpfen muss, kommt dann auch ein verlockendes Angebot vom Gewandhaus: Gade soll zweiter Musikdirektor des Gewandhauses werden und am Leipziger Konservatorium unterrichten. Auf einen Schlag ist Gade beruflich arriviert, eine sensationell steile Karriere. In den Jahren zwischen 1845 und 1847 übernimmt Gade die eine Hälfte der Gewandhauskonzerte, die andere dirigiert Mendelssohn. Und Mendelssohn hat unendliches Vertrauen in seinen 8 Jahre jüngeren Schützling. So dirigiert Gade beispielsweise die Uraufführung von Mendelssohns Violinkonzert, während er sich privat sicher noch Ratschläge vom weltberühmten Kollegen für seine eigene dritte Symphonie holt.

Musik 1, 7.01min Niels Wilhelm Gade Presto aus Symphonie Nr. 3 op. 15 Stockholm Sinfonietta Neeme Järvi LC 03240-BIS, EAN 7318590003381

Die dritte Symphonie von Niels Wilhelm Gade steht eindeutig unter dem Einfluß Mendelssohns, das bemerkt man nach der Uraufführung im Dezember 1847 zunächst in Leipzig. „So feines hat Gade in seinen früheren Werken nicht geliefert“, schreibt der Kritiker der allgemeinen musikalischen Zeitung anschließend. Inzwischen ist die Kunde von Gades Triumphen endlich auch nach Dänemark gedrungen. Und dass ein vormals als so typisch nordisch wahrgenommener Komponist jetzt ausgerechnet unter deutschen Einfluß zu geraten scheint, macht den Kopenhagenern nun doch Sorgen. „Wenn Gade nur bloß kein Germane wird“, schreibt der dänische Kollege Hartmann an einen befreundeten Komponisten.

Aber tatsächlich ist Gade offenbar genau auf diesem Pfad: langfristig deutsch zu werden. Sein weiterer kometenhafter Aufstieg ist allerdings auch einer Tragödie zu verdanken. Kurz vor der Uraufführung der dritten Symphonie in Leipzig ist mit nur 38 Jahren verstorben. Gade selbst hat das Gedenkkonzert dirigiert. Bald darauf übernimmt Gade die alleinige Leitung der Gewandhauskonzerte. , auch im Gespräch für die Position, wird nicht berücksichtigt. Dass Gade bewusst in die Fußstapfen Felix Mendelssohns tritt, hört man nicht nur der dritten Symphonie an. Auch Gades Oktett für Streicher, fertiggestellt kurz nach Mendelssohns Tod, ist eine Verbeugung vor dem verstorbenen Förderer. Ähnlichkeiten mit Mendelssohns berühmtem Oktett sind weder zufällig, noch unbeabsichtigt.

Musik 2, 3.47min Niels Wilhelm Gade Scherzo aus Oktett op.17 Süddeutsches Streichoktett LC 07118-STIEGLITZ, Bestellnummer: 10294 EAN 4002716102944

Wenn man Niels Wilhelm Gade übel wollte, bezeichnete man ihn schon zeitlebens als Mendelssohn Epigonen. Aber möglicherweise klingt Gades Oktett von 1848 auch deshalb so mendelssohnartig, weil Gade das Cliché vom nordischen Komponisten in seinen 30er Jahren offenbar abstreifen will. Die Bemühungen Gades, eine Karriere als Künstler in der Leipziger Tradition zu machen, bekommen allerdings bereits kurz nach Mendelssohns Tod Gegenwind. Zunächst sind es wohl Eifersüchteleien von national gesinnten Kritikern, die in Leipzig lieber keinen Dänen auf dem Chefposten sehen würden, sondern beispielsweise Robert Schumann. Aber dann bricht der erste deutsch dänische Krieg um den Status von Schleswig und Holstein im März 1848 aus. Dänen werden in den Ländern des deutschen Bundes plötzlich als Feinde betrachtet. In Leipzig häufen sich dänenfeindliche Affronts, Freunde beobachten, dass Gade zunehmend verunsichert erscheint. Indes kommen aus Kopenhagen nun plötzlich Angebote für einen beruflichen Neuanfang in Dänemark. Gade plant wohl schon im Frühjahr seine Ausreise, indes muss er noch eine letzte Leipziger Demütigung ertragen: Im Juni wird er formell zum Dienst in der Leipziger Bürgerwehr berufen. Falls er sich weigere, persönlich vor dem Kommunalgarden Ausschuss den Handschlag für die deutsche Sache zu leisten, werde er zwangsrekrutiert…

Das ist nun zu viel für Gade. Er geht zurück nach Kopenhagen, und nachdem er als musikalischer Prophet lange nichts galt im eigenen Land, beginnt damit sein Aufstieg zum wichtigsten Mann der dänischen Musikszene seiner Zeit. Gades „Vierte“ ist seine erste Symphonie, die nicht in Leipzig, sondern in Kopenhagen uraufgeführt wird.

Musik 3, 5.00min Niels Wilhelm Gade Finale aus Symphonie Nr. 4 op. 20 Stockholm Sinfonietta Neeme Järvi LC 03240 BIS EAN 7318590003381

Am 16. November 1850 wird Niels Wilhelm Gades vierte Symphonie in Kopenhagen uraufgeführt, bei seiner ersten symphonischen Dänemark Premiere steht Gade natürlich selbst am Pult. In Leipzig beginnt man indes schon kurz nach Kriegsende offenbar, Gade zu vermissen. Bis 1860 werden immer wieder Angebote aus Leipzig kommen, um den geflohenen Gade zurück zu gewinnen. Der macht allerdings zunächst einen Bogen um Leipzig. Die Wertschätzung, die Gade trotzdem nach dem Kriegsende wieder in der Mendelssohn Stadt genießt, zeigt sich auch in einer einfachen Statistik. In den folgenden Jahren wird Gades 4. Symphonie in Leipzig immerhin 4mal so häufig aufs Programm gesetzt, wie in Kopenhagen, und das, obwohl Gade seit seiner Rückkehr zum Chef der wichtigsten Kopenhagener Musikinstitution aufgestiegen ist: des Musikvereins. Bis zum Ende seines Lebens wird Gade diesen Posten behalten und damit die dänische Musikszene wie kein anderer im 19. Jhd prägen. Zunächst kümmert sich Gade als Dirigent um die Arbeit an der Basis: da das Kopenhagener Orchester in keinster Weise mit dem Leipziger Niveau mithalten kann, probt er akribisch jede einzelne Stimme mit jenen Musikern, die teilweise schon Probleme mit dem Notenlesen haben. Auch vor drakonischen Maßnahmen schreckt er nicht zurück. Er schlägt vor, schlechte Spieler auch schlechter zu bezahlen. Ausländische Beobachter der Kopenhagener Szene bemerken jedenfalls, wie sich das musikalische Niveau des Musikvereins innerhalb kürzester Zeit vervielfacht. Nebenbei hat Gade offenbar noch Zeit übrig. Er wird 1851 Organist an der Kopenhagener Garnisonskirche.

Musik 4, 0.55min Niels Wilhelm Gade Trio Nr. 2 C Dur (wohl bereits 1837 entstanden) Olivier Vernet, Orgel Ligia UPC 387549902003

Indem Niels Wilhelm Gade 1851 Organist an der Garnisonskirche in Kopenhagen wird, tritt er in traditionsschwere Fußstapfen. Einer von Gades Organistenvorgängern ist der Komponist Johann Peter Emilius Hartmann, 12 Jahre älter als Gade und anders als der 34jährige Gade kein Emporkömmling in der dänischen Musikszene. Hartmann stammt aus einer alten deutschstämmigen Musikerfamilie und bekleidet bei Gades Dienstantritt schon seit einem halben Jahrhundert wichtige Posten im Kopenhagener Kulturleben. Als Kind schon soll Hartmann mit den Kindern der Königsfamilie im Garten gespielt haben. Dementsprechend sicher ist seine Position in der Kopenhagener Gesellschaft. Dass 10 Jahre vorher die Uraufführung von Gades erster Symphonie nicht in Kopenhagen stattgefunden hatte, lag auch daran, dass der mächtige Musikfunktionär Hartmann sich letztlich kaum für Gade eingesetzt hatte. Inzwischen scheint sich Hartmanns Verhältnis zu Gade geändert zu haben. Aus dem kleinen Talent Gade ist ein großer Komponist geworden. Und so darf Gade, der Tischlersohn, es sich 1851 tatsächlich erlauben, bei Hartmann um die Hand von dessen Tochter Sophie anzuhalten. Hartmann erkennt sicher die Perspektiven des ehrgeizigen Gade, er stimmt zu. Am 27. April 1852 findet die Hochzeit in der Garnisonskirche statt. Als Verlobungsgeschenk hatte Sophie vorher von ihrem Ehemann eine wunderschöne Frühlingsfantasie für 4 Sänger, Klavier und Orchester erhalten.

Musik 5, 5.06min Niels Wilhelm Gade Frühligsfantasie op. 23 Tivoli Symphonieorchester und Konzertchor Michael Schonwandt Naxos 8554958

„Nun hebt und belebt sich die zagende Brust in neuer Lust, denn die Liebe, die Liebe ist da! Sie kam mit dem Frühling und hat mich beglückt. Ich fühl sie im Herzen und sing es entzückt: ihr Reich, nun schloß sie mir´s auf.“, so heißt es im Text von Edmund Lobedanz, den Niels Wilhelm Gade für seine Sophie vertont in der Frühlingsfantasie op. 23. Mit Sophie fährt Gade auch 1853 wieder einmal nach Leipzig, wo man ihn zuletzt doch überredet hat, noch einmal eine halbe Spielzeit am Gewandhaus zu dirigieren, trotz der Demütigungen während des Krieges fünf Jahre zuvor. Einmal mehr dirigiert Gade in Leipzig seine neueste Schöpfung: die fünfte Symphonie. Stolz schreibt die frisch verliebte Sophie aus Leipzig an ihren Vater, wie sehr die Leute in Deutschland Augen machten, wenn sie Musik ihres Gatten Niels hörten. Am 20. Mai 1855, zurück in Kopenhagen, schenkt Sophie den Zwillingen Felix und Emma das Leben. Gade komponiert 8 Tage später noch ein Geburtstagslied für die ermattete Sophie und ein Wiegenlied für die Kinder, aber Sophie hat sich noch nicht von den Strapazen der Zwillingsgeburt erholt. Sie stirbt drei Wochen später, auch die neugeborene Zwillingsschwester überlebt den ersten Sommer nicht. Gade ist monatelang unfähig, zu komponieren. Das letzte große Werk aus den Ehejahren mit Sophie ist eine schon vorher fertig gestellte Kantate über die Ballade von Herrn Oluf, der auf dem Weg zu seiner Hochzeit mit der Elfenkönigin den Todesreigen tanzt.

Musik 6, 1.22min Niels Wilhelm Gade Epilog aus „Elverskud“ op. 30 Tivoli Symphonieorchester und Konzertchor Michael Schonwandt Naxos 8554958

Drum rat’ ich jedem Jüngling an Der reiten will im Haine Er reite nicht nach der Erlenhöh’ Zu schlummern im Mondenscheine. Hüt’ dich, o hüt’ dich vor Erlenhöh’ Wo Erlenjungfrauen singen!

Bis heute ist Niels Wilhelm Gades Vertonung der Ballade von Herrn Oluf und Erlkönigs Tochter, die ihm im Tanz den Tod bringt, eine Art dänischer Nationalkantate. Wohl auch deshalb, weil Gade hier wiederum zu den Wurzeln seines Erfolgs zurückkehrt, viele Melodien in Elverskud basieren auf alten Volksliedüberlieferungen, der Stoff ist erneut eine nordische Legende.

Nach dem Tod seiner Ehefrau Sophie vollendet Gade fast 2 Jahre lang kein größeres Werk, bis zum Jahresanfang 1857. Das Jahr beginnt mit der grotesken Falschmeldung einer deutschen Zeitung, Gade habe sich neu verlobt, mit Clara Schumann. Tatsächlich wird Niels Wilhelm Gade sich sogar noch 1857 neu verheiraten, aber nicht mit Clara Schumann. Neue Frau Gade wird wiederum eine Tochter aus bestem musikalischen Hause: Mathilde, Stieftochter des einflussreichen Verlegers Emil Erslev. Und im März 1857 kommt es im Kopenhagener Musikverein zur Aufführung des Stücks, mit dem Gade sich aus der Lebenskrise geschrieben hat: der sechsten Symphonie…

Musik 7, 6.07min Niels Wilhelm Gade Andantino – Allegro molto vivace aus Symphonie Nr. 6 op. 32 Stockholm Sinfonietta Neeme Järvi LC 03240-BIS Bestellnummer: 356 EAN: 7318590003565

Im Mai des Jahres 1860 wird Niels Wilhelm Gade von seiner zweiten Ehefrau Mathilde ein weiterer Sohn geboren: Axel Wilhelm Gade. Axel Gade wird später selbst Komponist und Geiger werden. Patenonkel des Stammhalters wird der Vater von Gades verstorbener erster Frau, Johann Peter Emilius Hartmann. Der frühere Schwiegervater ist in seiner Wichtigkeit für die dänische Musikszene längst von Niels Wilhlem Gade überholt worden. Gade gilt nicht nur als erfolgreicherer Komponist, sondern auch als weitaus besserer Dirigent. Die Qualitätsverbesserungen, die Gade mit dem aus Laien und Profis zusammengesetzten Orchester des Musikvereins erreicht hat, ist ein Quantensprung, und auch das Kopenhagener Publikum wird als Teil einer Musikvermittlungsinitiative in den Blick genommen. Gade versucht, mit kanonisch angelegten Programmen den vergleichsweise wenig verwöhnten Kopenhagenern einen Gesamtüberblick über die wichtigsten Werke der Musikgeschichte zu verschaffen. Er führt in sogenannten historischen Konzerten Bach und Händel auf, wie er es in Leipzig bei Mendelssohn abgeschaut hat, spielt aber auch sogenannte „Neudeutsche“ wie Wagner und Liszt. Tatsächlich führen Gades Initiativen dazu, dass der deutsche Kapellmeister Hans von Bülow während eines Besuchs sich explizit über die hervorragende musikalische Bildung des Kopenhagener Publikums äußert . Aus deutscher Sicht ist das Kompliment verständlich. Insgesamt spielt Gade vor allem deutsche Komponisten, was ihm viel Kritik einträgt, er engagiere sich zu wenig für junge skandinavische Komponisten. Ein Leipziger Korrespondent schreibt gar in der allgemeinen musikalischen Zeitung, die Kopenhagener Musikszene sei unter Gade deutscher geworden, als die Deutschen selbst.

Musik 8, 2.25min Niels Wilhelm Gade Zweites Fantasiestück aus op. 43 für Klarinette und Klavier Duo Rivier LC 11995-PERC.PROductions EAN 4260029190540

Wo Gade nicht nach Mendelssohn klingt, da klingt er umso mehr nach Schumann, könnte man böswillig formulieren, angesichts dieses Fantasiestücks, das in jeder Hinsicht, besetzungstechnisch, formal, musikalisch, vor allem eben an Gades Schumannverehrung denken lässt. Geschrieben hat Gade die Fantasiestücke op. 43 Mitte der sechziger Jahre, genau zu jenem Zeitpunkt, da er endgültig die Kopenhagener Musikszene nach dem bei Schumann und Mendelssohn erlernten Leipziger Vorbild modellieren soll.

1867 wird Niels Wilhelm Gade erster Direktor des gerade neugegründeten Kopenhagener Konservatoriums. Der Fächerkanon, den Gründungsrektor Niels Wilhelm Gade für die Studenten entwirft, entspricht dem Modell, dass Gade in Leipzig kennen gelernt hatte. Und nicht wenigen besonders begabten Studenten empfiehlt Gade sogar neben der Kopenhagener Ausbildung weitere Studien in Leipzig. Letztlich zieht das Leipziger Konservatorium auch deshalb skandinavische Komponisten wie Edward Grieg oder Christian Sinding an, weil Gade in Dänemark beständig für das Leipziger Modell wirbt. Die überwiegende Zahl von Gades Kopenhagener Schülern berichtet dabei von einem sehr inspirierenden Unterrichtsklima, was ein wenig verwundert, denn andere Studenten erinnern sich vor allem an ermüdend unzusammenhängende Monologe des Lehrers über Philosophie und Weltgeschichte. Ansonsten legt Gade bei seinen Eleven vor allem Wert auf Disziplin, Fleiß und Ordnung. Seine feine Ironie im Unterricht ist bei Studenten berüchtigt, aber Gade kann auch herrisch und unwirsch auftreten. Gades erster Biograf bringt die Ausbrüche auf den Punkt: Gade konnte grob wie ein Ochse werden.

Musik 9, 2.55min Niels Wilhelm Gade Allegro scherzando aus: Holbergiana op. 61 Staatsphilharmonie Rheinland Pfalz, Ole Schmidt LC 08492-cpo 999362-2 EAN 761203936229 1884, anlässlich des 200sten Geburtstages des norwegisch dänischen Dichters Ludvig Holberg schreibt Niels Gade eine Orchestersuite, die Holbergiana, die heute bei weitem nicht so populär ist, wie die Holberg Suite, die aus gleichem Anlass geschrieben hat. Grieg kritisiert an Gade das, was viele junge Skandinavier am mächtigsten Mann der dänischen Musik kritisieren: er sei hoffnungslos konservativ, und er habe durch die Anbiederung an die Leipziger Schule seine spezifisch dänischen Wurzeln verloren. Gade selbst äußert dazu weitsichtig am Ende seines Lebens, dass er aus der Nationalen Idee einfach nicht s mehr herauspressen könne. Er behält formell seine wichtigen Positionen in der Kopenhagener Musik bis zu seinem Tod 1890. Aber sein Nachruhm bleibt so problematisch, wie es sich in zwei Punkten zusammen fassen lässt: vielen Dänen war er zu deutsch, vielen Deutschen zu dänisch. Und so findet man in vielen Nachrufen die leise Unterstellung, Gade sei ein etwas zu provinzielles Genie gewesen, welches es beinahe von Leipzig aus zu Weltruhm gebracht hätte. Die dänische Symphonik auf den höchsten Gipfel führen wird nach Gades Tod ein Mann, den Gade vermutlich nicht auf der Rechnung hat, obwohl er kurzzeitig sein Lehrer wird. Ein junger Mann hatte im Mai 1883 bei Gade während der Mittagszeit kurz nach dem Essen geklingelt, um ihm aufgeregt ein Streichquartett zu zeigen. Fast gelangweilt hatte Gade ein dürres Lob verteilt, nichts deutet darauf hin, dass der alte Mann geahnt hätte, welch steile Karriere der 18jährige in Zukunft machen würde. Der Name des Jungen mit dem Streichquartett: Carl Nielsen. Aber das ist eine neue Geschichte.

Musik 10, auf Schluss Niels Wilhelm Gade Andante espressivo aus: Novelletten op. 58,2 Deutsche Kammerphilharmonie Neuss Johannes Goritzki Z2323 WDR Eigenproduktion