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SWR2 Musikstunde

Dänische Entdeckungen (1) Niels Wilhelm Gade und

Von Jörg Lengersdorf

Sendung: Montag, 27. Juli 2015 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Ulla Zierau

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SWR2 Musikstunde, 27. Juli 2015

Dänische Entdeckungen (1) Niels Wilhelm Gade und Carl Nielsen

Man kann beide wohl getrost als die wichtigsten Symphoniker der dänischen Musikgeschichte bezeichnen, Niels Wilhelm Gade und Carl Nielsen. Obwohl letzterer kurzzeitig Schüler des ersteren war, trennt hörbar ein halbes Jahrhundert Kulturhistorie die beiden Männer. Dass Lehrer Gade seinen Schüler Nielsen irgendwie nachhaltig beeinflusst haben könnte, lässt sich musikalisch kaum nachweisen. Niels Wilhelm Gade wurde kurz vor seinem Tod endgültig wahrgenommen als ein großer Konservativer der europäischen Musik, ein Mann der Rückschau ins 19. Jhd. Und es waren just jene Umbruchsjahre, in denen der junge Carl Nielsen die dänische Musik auf ein neues, völlig anders klingendes, Jahrhundert vorbereiten sollte. Beiden Komponisten ist die SWR2 Musikstunde dieser Woche gewidmet, denn beide, Gade wie Nielsen, wurden auf unterschiedliche Art und Weise volkstümlich im nördlichen Nachbarland. Im Falle des knapp 50 Jahre älteren Niels Gade ist die Volkstümlichkeit leicht nachzuweisen. Es gibt bis heute kaum eine dänische Hochzeit, die ohne Musik von Gade auskommt. Quer durch alle Gesellschaftsschichten ist Gade ein Heiratsschlager. Und auch auf der Hochzeit von Kronprinz Frederik mit der zukünftigen Prinzessin Mary von Dänemark 2004 durfte ein Stück nicht fehlen: der Hochzeitswalzer von Niels Wilhelm Gade…

Musik 1, 2.57min Niels Wilhelm Gade „Brudevalsen“ aus: Et Folkesagn Dänisches Radiosinfonieorchester Harry Damgaard CPO 9994262 LC 08492

Es geht das Gerücht, Niels Wilhelm Gade hätte seinen eigenen Hochzeitswalzer so furchtbar gefunden, dass er ihn eines Tages zusammengeknüllt in den Papierkorb geworfen hätte. Und wenn nicht ein befreundeter Musiker den Hochzeitswalzer aus dem Müll gerettet hätte, dann wäre diese Musik nicht zum populärsten Hochzeitshit überhaupt in Dänemark geworden.

Aber fangen wir von vorne an, in Gades Elternhaus in Kopenhagen: Etwa um das Jahr 1817 beginnt dort der einfache Tischler Soren Nielsen Gade, sein Geschäft zu erweitern. Er baut nun nicht mehr nur Schränke und Tische, sondern auch Geigen und Gitarren. Und 1817 ist auch jenes Jahr, in dem Frau Marie Sophie Gade dem einzigen Kind der beiden das Leben schenkt, Niels Wilhelm.

Die Eltern scheinen nun keineswegs überdurchschnittlich musikalisch zu sein, zumindest nicht als ausführende Musiker, aber immerhin erhält Niels mit 6 Jahren vom Vater seine erste Kindergitarre geschenkt, etwas später eine Geige. Aber erst mit 13 Jahren bekommt Niels Gade erstmals strukturierten Musikunterricht, und selbst da scheint ihn Musik erstaunlicherweise nicht sonderlich zu interessieren.

Denn Niels Gade möchte eigentlich Schauspieler werden. Eine solche Laufbahn ist allerdings für Vater Gade nicht akzeptabel. Er will den Sohn im elterlichen Betrieb halten. Natürlich soll der einzige Erbe Instrumentenbauer werden. Und erst, als der Junge Niels Gade erkennt, dass es aus der Welt der Geigen und Gitarren wohl zunächst keinen Ausweg gibt, beginnt er mit dem Üben. Ab diesem Zeitpunkt, mit etwa 15 Jahren, macht er dann offenbar auch rasante Fortschritte. Mit 16 Jahren hat Niels Wilhelm Gade seinen ersten Auftritt als Geiger in einem Kopenhagener Hotel.

Musik 2, 3.29min Niels Wilhelm Gade Allegro non troppo aus Violinsonate Nr. 3 op. 59 Bratchkowa, Dora {Violine}, Meyer-Hermann, Andreas {Klavier} CPO 999644-2

Dora Bratchkova und Andreas Meyer-Hermann mit dem Scherzo aus Niels Gades dritter Violinsonate, die erst fünf Jahre vor Gades Tod entsteht, 1885. Gut 50 Jahre vorher, 1833, ist die Violine zwar nicht Gades erste Passion, aber bis dahin seine erfolgreichste. Als der 16jährige kurz nach dem Auftritt im Hotel sogar auf der Bühne des königlichen Theaters in Kopenhagen geigen darf, macht er bereits einigen Eindruck. Die Presse schreibt von seltenem Talent, fehlerfreiem Spiel und sauberer Technik, und das, obwohl Gade ja bis zu diesem Zeitpunkt kaum professionell ausgebildet worden ist. Die Vorzeichen ändern sich nun abrupt. Ab 1834 genießt der 17jährige das Privileg, an der königlichen Kapelle unterrichtet zu werden, soll gar im Orchester selbst mitspielen. Außerdem bekommt Gade nun auch Kompositionsunterricht und Theoriestunden. Gades Lehrer, ein gewisser Berggreen, ist nur 16 Jahre älter als der Schüler, aber ein gewissenhafter Pädagoge. Und Berggreen setzt offenbar großes Vertrauen in seinen neuen Schüler. Als Berggreen gebeten wird, eine Schauspielmusik für ein Theaterstück zusammenzustellen, lässt er Niels Gade die Ouvertüre schreiben. Die Anekdote fehlt nun in keiner Biografie: Als Niels Gade bei den Proben zum Schauspiel zum ersten Mal seine eigene Ouvertüre hört, ist er von der Musik derart entsetzt, dass er nach der Probe alle Stimmen einsammelt und verbrennt.

Gades erstes Orchesterwerk wird also ein persönliches Fiasko.

Dennoch stellt die kurze Lehrzeit bei Berggreen entscheidende Weichen für Niels Gades Zukunft im musikalischen Miniaturformat. Volksliedbearbeitungen sind entscheidender Bestandteil von Berggreens Unterricht

Musik 3, 0.50min Niels Wilhelm Gade Nr. 5 aus: Skandinavische Volkslieder Je teente paa Kjolsta ifior Edoardo Torbianelli, Klavier SAS PC10191, LC 01554

Niels Gades erster Kompositionslehrer Andreas Peter Berggreen besteht auf dem intensiven Studium von kleinen Liedern und Volksweisen. Volksmusik sei der Weg zur künstlerischen Wahrheit, davon ist Berggreen überzeugt. Schüler Gade verabeitet in seiner Lehrzeit Stapelweise Volkslieder, von denen er einige später veröffentlicht, auch das gerade gehörte fünfte dänische Volkslied aus einer Sammlung, die er wohl 1842 zusammenstellt.

Ob in Dänemark oder im benachbarten Deutschland: Die Romantik des 19. Jhds ist die große Zeit des Volkslieds, ein aufstrebendes Bürgertum in ganz Europa ist auf der Suche nach nationalen Wurzeln. Nicht alle Melodien, die als uralte Volkslieder verkauft werden, sind dabei wirklich alt oder überliefert, vieles ist schlicht im volkstümlichen Ton neukomponiert. Ein Modehungriges Publikum will gefüttert werden mit Volksmelodien und Volksmärchen. Sicher lässt sich Gade schon während seiner Lehrjahre auf der Suche nach dem volkstümlichen Ton dabei nicht nur von seinem Lehrer Berggreen beeinflussen, sondern mehr noch vom deutschen Romantiker . Begeistert vom Wirken Robert Schumanns gründet sich in Kopenhagen ein Kreis von jungen Leuten, die sich in Anlehnung an Schumanns Kampf gegen musikalisches Philistertum die „Davidsbündler“ nennen. Teil der Kopenhagener Davidsbündler wird auch der junge Niels Gade. Und ab und zu kommt ein dänischer Poet namens Hans Christian Andersen bei den Sitzungen der Davidsbündler vorbei. Mit Hans Christian Andersen arbeitet Gade wohl einige Monate an einem groß dimensionierten Märchenprojekt namens „Agnete und der Wassermann“. Letztlich kommt es nur zur Fertigstellung einiger Minuten Musik.

Musik 4, 2.10min Niels Wilhelm Gade Vise om Agneten og Havmanden Majken Bjerno, Tove Lonskov Label Kontrapunkt, EAN 0716043227921 Bestellnr: 32279

Agnete und der Wassermann. Die alte dänische Ballade vom lüsternen Wassermann, der die schöne und tugendhafte Agnete zu sich in die Tiefe lockt, inspiriert viele dänische Dichter, unter anderem auch Hans Christian Andersen, mit dem Niels Wilhelm Gade an einem Agnete Projekt arbeitet, dessen Spuren sich in Gades Veröffentlichungen später allerdings nur noch in einigen Liedern wiederfinden lassen, wie dem gerade gehörten.

Im Sommer 1838, mit 21 Jahren, hat Niels Wilhelm Gade das Bedürfnis, sich von seinem Lehrer Berggreen in Kopenhagen zu emanzipieren, das Schülerdasein endgültig zu beenden. Gade kündigt seinen Geigerposten in der königlichen Kapelle und wagt ein mutiges Experiment. Er, der Orchestergeiger, möchte testen, inwieweit sein instrumentales Talent für eine Solokarriere reicht. Und so plant der junge Mann eine Virtuosen-Tournee durch ganz Skandinavien. Ein ehrgeiziges Projekt, schließlich ist Gade als Virtuose außerhalb von Kopenhagen noch nie in Erscheinung getreten, und nun will er allein über unsichere Konzerteinnahmen die Reisekosten bestreiten.

Die Reise wird in persönlicher Hinsicht wohl ein Erfolg, tatsächlich fühlt Gade, endlich aus dem Schatten seines Lehrers getreten zu sein. In anderer Hinsicht ist die Tournee eine Katastrophe. Gade bekommt nur wenige Konzerte organisiert, die Einnahmen reichen weder für Kost noch Logis unterwegs. Der Fehlschlag führt dazu, dass Gade am Ende seiner finanziellen Ressourcen einen Brief an seine Eltern verfasst, indem er sie bittet, ihm Geld für die Rückreise zu schicken. Er sei pleite. Zurück in Kopenhagen fürchtet Gade eine ärgerliche Reaktion seiner Eltern, aber die sind nur froh: der verlorene Geigenvirtuose ist sicher zurück.

Musik 5, 4.11min Niels Wilhelm Gade Capriccio für Violine und Orchester Christina Astrand, Violine Dänisches Philharmonisches Orchester, Iona Brown Danacord DACOCD 510

Eigentlich ein Spätwerk von Niels Wilhelm Gade, dieses Capriccio für Violine und Orchester, aber es erinnert daran, dass Gade eben auch deshalb so viel von brillanten Geigeneffekten wusste, weil er selbst als 21jähriger Mann eine Virtuosenkarriere avisiert hatte, auch wenn er daran vergleichsweise kläglich gescheitert ist.

Während die Tournee durch Schweden und Norwegen im Sande verläuft, definiert sich Gade als Künstler neu. Komponieren wird jetzt sein oberstes Ziel. Und Gade dokumentiert diese neue Entwicklung ausführlich in einem Kompositionstagebuch, dass er von 1839 bis 1841 führt. So gut wie alle Werke aus dieser frühen Phase der Künstlerwerdung sind dabei außermusikalisch inspiriert. Mal sind es Volksballaden, die Gade seinen frühen Werken zugrunde legt, mal Märchen und Heldenlegenden, mal eigene Gedichte. Sein erstes mehrsätziges Streichquartett konzipiert Gade auf Textzeilen aus Goethes Gedicht „Willkommen und Abschied“:

Es schlug mein Herz geschwind zu Pferde! Es war getan, fast eh gedacht. Die Nacht schuf tausend Ungeheuer; doch frisch und fröhlich war mein Mut…

Musik 6, 1.35min Niels Wilhelm Gade Serenata Scherzando aus Streichquartett F Dur Kontra Quartett BIS CD 545 EAN 7318590005453

Eigentlich hatte Gade Zeilen aus Goethes Gedicht „Willkommen und Abschied“ auch den Schlusstakten seines frühen F Dur Quartetts zugrunde legen wollen, aber im Laufe des Stücks scheint Gade sein Programm geändert zu haben. Das Gedicht wird zugunsten anderer Einfälle bei Seite gelegt. Oft in dieser frühen Schaffensphase von Gade kann man anhand der Aufzeichnungen nachvollziehen, dass er Poesie nur als Zündfunken braucht, und sich während des Komponierens vom ursprünglichen Konzept löst. Kurz nach Gades kammermusikalischen Gehversuchen kommt dann der orchestrale Durchbruch mit Gades ebenfalls dichterisch inspirierter Ouvertüre. Die Kopenhagener Musikgesellschaft lobt 1840 einen hoch dotierten Preis aus: Die beste neu komponierte Orchesterouvertüre soll mit 20 bis 25 Dukaten belohnt werden. Die Ausschreibung klingt nun fast wie eine Drohung: bestenfalls annehmbare Werke sollten nicht belohnt werden. Mittelmaß finde keine Gnade.

Zunächst ist Gade wohl auch deshalb zögerlich, er reicht bis zum ersten Fristablauf nichts ein. Erst als er auf der Straße von einem Kommissionsmitglied angesprochen wird, dass man sicher von ihm eine Arbeit erwarte und wohl auch seinetwegen den Einsendeschluss verschieben könne, macht sich Gade an die Arbeit. Gades Ouvertüre „Nachklänge von Ossian“ ist die letzte aller Einsendungen, eingereicht am 16. Januar 1841, anderthalb Monate nach der Begegnung auf der Strasse Zwei Monate später steht fest: Niels Wilhelm Gade ist der Stern der jungen dänischen Komponistengeneration, bekommt den Preis, und seine Ossian Ouvertüre bleibt bis heute ein Repertoireschlager.

Musik 7, 6.41min Niels Wilhelm Gade Nachklänge von Ossian Staatliche Philharmonie Rheinland Pfalz, Ole Schmidt CPO 999 362-2 EAN 761203936229

Die Melodie, die am Ende von Niels Wilhelm Gades Ossian Ouvertüre ganz in der Ferne langsam verhallt, kommt 1841 möglicherweise manchem Jury Mitglied des Kopenhagener Kompositionswettbewerbs seltsam bekannt vor. Und sicher ist diese unendlich breit vorgetragene Melodie mit ihrem versteckten Wiedererkennungswert das Erfolgsgeheimnis der Ouvertüre. „Moment mal, das kenn ich doch“ – dieser Aha Effekt ist ja das Rezept so manchen Ohrwurms Das lyrische Hauptthema der Ouvertüre ist die etwa zehnfach verlangsamte Melodie eines jahrhundertealten dänischen Volkslieds, mit dem Niels Wilhelm Gade wohl während seiner Studienzeit an der königlichen Kapelle bekannt geworden war.

„Ramund wäre ein besserer Mann gewesen, wenn er bessere Kleider gehabt hätte“, heißt es im mittelalterlichen Original, das die Keimzelle der Ossian Ouvertüre bildet.

Musik 8, 0.28min Ramund var sig en bedre mand Musica Ficta Den danske Sangskat Vol. 7 EAN 0 747313 242429 Naxos

Mit der Verwendung eines mittelalterlichen Zitats horcht Gade in der Ossian Ouvertüre am romantischen Puls der neuen Zeit. Dass die der Ouvertüre zugrundeliegenden Gedichte eines keltischen Barden Ossian aus grauer Vorzeit sich später als raffinierte Fälschungen eines englischen Hauslehrers erweisen, schadet der Rezeption ebenfalls wenig. Dem gefälschten Ossian Mythos sind letztlich unzählige Erzeugnisse der europäischen Kulturgeschichte zu verdanken.

Und obwohl der falsche Ossian Mythos ins keltische Schottland weist, gilt Gade auch durch die Wahl des Stoffes bald als typisch nordischer Komponist Skandinaviens. Mit dem dänischen Volkslied und der vermeintlich noch irgendwie nordischen Mythologie im Gepäck wird Gade zum ersten skandinavischen Nationalkomponisten und zum Exportartikel. Im fernen wird man auf den Mann aus Dänemark aufmerksam. Der Leipziger Gewandhausdirektor bemerkt sofort: Gades Ossian Ouvertüre ist etwas fürs Leipziger Publikum, wo nordische Mythen gerade groß im Schwange sind.

Mendelssohn beauftragt im Januar 1842 die Leipziger Erstaufführung des Stücks. Und nur ein Jahr später, im Frühjahr 1843, zeitigt das Leipziger Förderprogramm einen weiteren triumphalen Höhepunkt in Gades Karriere. Mendelssohn selbst dirigiert am Gewandhaus die Uraufführung der ersten Symphonie des gerade 26jährigen. Der sitzt derweil vermutlich geschmeichelt und gespannt in Kopenhagen und drückt aus der Ferne die Daumen für seine Symphonie. Gade hat Mendelssohn bis dahin noch nie persönlich getroffen. Die Noten hat er per Post geschickt.

Musik 9, 6.54min Niels Wilhelm Gade Finale aus Symphonie Nr. 1 Stockholm Sinfonietta Neeme Järvi LC 03240; BIS 339, EAN 7318590003398

Wieder ist es ein dänisches Lied, das für das spezifisch skandinavische Kolorit dieser ersten Symphonie von Niels Wilhelm Gade sorgt. Drei von vier Sätzen des halbstündigen symphonischen Erstlings werden dominiert von einer Melodie, die in Dänemark gesungen wird zu einer Ballade über den dänischen König Waldemar. König Waldemars Jagd ist wieder eine jener Volksweisen, die Niels Wilhelm Gade während seiner Studienjahre in Dänemark für Chor gesetzt hat. Während die Melodie des Waldemar Lieds im Symphoniefinale in Dur triumphal hinausposaunt wird, steht das volkstümlich klingende Original im Satz von Gade in Moll.

Musik 10, 0.27min Niels Wilhelm Gade Pa Sjolunds fagre Sletter – Kong Voldemars Jagt Ars Nova , Paul Hillier Z3933-Dacapo Records Bestellnummer: 6.220568 EAN: 747313156863

Mit dem alles überstrahlenden Zitat eines dänischen Liedes ist Niels Wilhelm Gades erste Symphonie die bis dahin sicher ausgewiesen dänischste Großschöpfung der Musikhistorie überhaupt. Insofern wirkt es wie Ironie der Geschichte, dass Gade in den Jahren seines Durchbruchs in Dänemark sehr viel weniger Erfolge feiert als im benachbarten Deutschland. Während Mendelssohn in Leipzig über die Musik aus dem Norden Jubelhymnen verfasst, hält man in Kopenhagen die erste Symphonie Gades für zu unbedeutend, um überhaupt aufgeführt zu werden. Ein Kopenhagener Kritiker nimmt gar Bezug auf die Leipziger Erfolge und schreibt gallig, in Leipzig würde man ja häufig geschmackliche Fehlurteile fällen. Schumann sei schließlich auch ein Beispiel für Musik, die erst in den Himmel gehoben würde, um später in Vergessenheit zu geraten.

Als die erste Symphonie Gades in Kopenhagen zunächst keine Chancen einer Aufführung bekommt, In Leipzig aber riesige Erfolge zeitigt, kehrt Gade Dänemark den Rücken. Auf Mendelssohns wiederholte Bitte hin fährt der junge Däne im Herbst 1843 nach Leipzig. Immerhin bekommt er ein Kopenhagener Reisestipendium. Mit dem Kopf ist er ohnehin schon fort. Nachdem er seine erste Symphonie Felix Mendelssohn Bartholdy gewidmet hat, widmet er die zweite gleich ganz zuversichtlich dem Leipziger Gewandhausorchester. Die Uraufführung seiner zweiten Symphonie dirigiert Gade selbst. Natürlich im Leipziger Gewandhaus.

Robert Schumann, im Publikum sitzend, schreibt später über die Musik, man höre in ihr die lieblichen Buchenwälder Dänemarks rauschen. In Dänemark selbst hört man davon wenig.

Musik 11, 3.47min Niels Wilhelm Gade Dritter Satz aus Symphonie Nr. 2 Stockholm Sinfonietta Neeme Järvi LC 03240-BIS 355 EAN: 7318590003558

Der ehemalige Kopenhagener „Davidsbündler“ Niels Wilhelm Gade schließt kurz vor der Premiere seiner zweiten Symphonie in Leipzig, die er selbst dirigiert, tatsächlich Freundschaft mit seinem ehemals aus der Ferne angebeteten Idol Robert Schumann. Häufig wird er bei den Schumanns eingeladen, verbringt Nächte in Auerbachs Keller mit Robert Schumann. Und am 15. Dezember 1843, kurz vor der Premiere der „Zweiten“, erhält Gade auch die höheren kammermusikalischen Weihen. Daheim bei Schumanns musiziert er auf der Geige. Es ist ein exklusives Hauskonzert in Anwesenheit der Leipziger Musikelite. Auf dem Programm: Gades erste Violinsonate op. 6, gewidmet Clara Schumann. Die Widmungsträgerin selbst sitzt am Flügel. Robert Schumann bietet anschließend das „Du“ an. Niels Wilhelm Gade, 26 Jahre alt, scheint angekommen…

Musik 12, auf Schluss Niels Wilhelm Gade Erster Satz aus Violinsonate Nr. 1 op. 6 Bratchkowa, Dora {Violine}, Meyer-Hermann, Andreas {Klavier} CPO 999644-2 EAN: 761203964420