NEWSLETTER 1 25 Jahre Hauptstadtbeschluss GESCHICHTE Berlin Als Politisches Zentrum Der Bundesrepublik Mit Nationale Selbstverständnis Der Deutschen Betraf
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NEWSLETTER 1 25 Jahre Hauptstadtbeschluss GESCHICHTE Berlin als politisches Zentrum der Bundesrepublik mit nationale Selbstverständnis der Deutschen betraf. Die dem Reichstagsgebäude, dem Kanzleramt und dem politische Debatte, die darüber geführt wurde, war al- Bundesrat ist uns Deutschen und auch den auslän- lerdings nicht voraussetzungslos. In der Gründungs- www.klett.de dischen Beobachtern inzwischen zur Selbstver- phase der Bundesrepublik wurde angesichts der ständlichkeit geworden. Unmittelbar nach der Wieder- Teilung Deutschlands in Ost und West und des Sonder- vereinigung war es allerdings keineswegs sicher, dass status Berlins vom Parlamentarischen Rat festgelegt, Berlin künftig Regierungssitz und damit Zentrum der dass Bonn der „vorläufige Sitz der Bundesorgane“ sein deutschen Bundespolitik sein würde. Am 20. Juni 1991 sollte. Diese Regelung wurde vom ersten deutschen beschloss der Deutsche Bundestag in einer offenen Bundestag bestätigt, allerdings mit folgendem Zusatz: und umkämpften Abstimmung mit knapper Mehrheit „Die leitenden Bundesorgane verlegen ihren Sitz in die den Umzug von Bonn nach Berlin. Hauptstadt Deutschlands, Berlin, sobald allgemeine, Berlin – bis 1990 auch Hauptstadt der DDR – hatte als freie, gleiche, geheime und direkte Wahlen in ganz Regierungssitz eine Tradition, die ins Kaiserreich, die Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone durch- Weimarer Republik, aber auch in Zeit des National- geführt sind. Der Bundestag versammelt sich alsdann sozialismus zurückreicht. Danach hatte sich die Bonner in Berlin.“ Damit war eine Richtlinie für den Fall einer Republik seit ihrer Gründung im Jahr 1949 als stabil, Wiedervereinigung vorgegeben. wirtschaftlich erfolgreich und außenpolitisch verläss- Allerdings war Bonn nach über 40 Jahren auch mehr lich erwiesen. Nun sollte der Regierungs-sitz und das als ein Übergangssitz der Regierung geworden. Die Parlament wieder in die alte Hauptstadt Berlin wech- Ministerien hatten sich in Bonn eingerichtet, die ent- seln. Warum war die Abstimmung in dieser Frage der- sprechende Infrastruktur war geschaffen und vor allem art knapp und umkämpft? Und warum ging die war die Bonner Republik eine stabile Demokratie im Entscheidung zugunsten Berlins und nicht Bonns aus? Inneren und ein verlässlicher und friedlicher Partner Sollte damit letzten Endes sogar ein Stilwandel der nach außen geworden. Deshalb war es nicht selbstver- deutschen Politik verbunden sein? ständlich, dass entsprechend der Entscheidung aus dem Gründungsjahr mit der Hauptstadt auch der Sitz Die Entscheidung im Bundestag der Regierung nach Berlin verlegt werden sollte. In Klar war, dass im Prozess der Wiedervereinigung nach Artikel 2 des Einigungsvertrages wurde das weitere 1989 auch die Frage nach der Hauptstadt und dem Sitz Vorgehen festgelegt. Dort hieß es: „Hauptstadt der Regierung schnell auf die politische Tagesordnung Deutschlands ist Berlin. Die Frage des Sitzes von kommen würde, weil dies nicht nur eine organisato- Parlament und Regierung wird nach der Herstellung rische Frage war, sondern ein Thema, das im Kern das der Einheit Deutschlands entschieden.“ 1 Das alte Bundeskanzleramt in Bonn mit der Skulptur „Large Two Forms“ von Henry Moore. Foto, 10. Oktober 1986 © Ernst GmbH, Verlag dieser Klett Leipzig Von 2016. Druckvorlage für ist Vervielfältigung die den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet. Die sind Kopiergebühren abgegolten. © Ullstein Bild GmbH (BPA), Berlin GmbH (BPA), © Ullstein Bild AB_2016_05.indd 1 06.05.2016 09:47:25 NEWSLETTER 2 25 Jahre Hauptstadtbeschluss GESCHICHTE Die folgende Debatte wurde in der Politik über die weiter in Bonn tagen zu lassen. Demgegenüber waren bestehenden Parteigrenzen hinweg mit großer diejenigen, die Bonn favorisierten, weniger zu Zuge- Leidenschaft geführt. Der damalige Bundespräsident ständnissen bereit, weil man ein klares Ergebnis er- www.klett.de Richard von Weizsäcker setzte sich nachdrücklich für wartete. Berlin als Regierungssitz ein. Unterstützt wurde er da- Die Entscheidung des Bundestages wurde im In- und bei sowohl von Kanzler Helmut Kohl als auch von be- Ausland unterschiedlich kommentiert. Während die deutenden Politikern der Opposition, wie Willy Brandt deutsche Presse die durch die emotionale Debatte und oder Hans-Jochen Vogel. Eine große Zahl der die Entscheidung ausgedrückte Spaltung der Republik Abgeordneten befürwortete allerdings Bonn als hervorhob und eine wirkliche Wiedervereinigung noch Regierungssitz. Dies zeigte sich in einer Umfrage vier in weiter Ferne sah, wurde im Ausland vor allem die Tage vor der Abstimmung, bei der Bonn mit 343 zu 267 historische Dimension in den Blick genommen und die Stimmen noch relativ deutlich den Vorzug erhielt. Bei Wahl Berlins als folgerichtiger und notwendiger Schritt der Abstimmung am 20. Juni stimmte das Parlament gewertet. dann aber dennoch für Berlin. Was war geschehen? Der Abstimmung war eine elfstündige Debatte vo- Berlin wird Hauptstadt rangegangen, die als Sternstunde des deutschen Nach dem Parlamentsbeschluss stand die praktische Parlamentarismus bezeichnet werden kann, weil unab- Umsetzung des Umzugs nach Berlin an. In dem Antrag hängig von Parteigrenzen um die Sache gestritten im Bundestag war festgelegt, dass in vier Jahren wurde. Im Wesentlichen gab es drei Gruppen: Die Regierung und Parlament in Berlin arbeitsfähig sein westdeutschen Politiker, die Berlin favorisierten, argu- müssten und in zehn bis zwölf Jahren die „volle mentierten, dass sich mit der Frage über den Funktionsfähigkeit Berlins als Parlaments- und Regierungssitz das nationale Schicksal entscheiden Regierungssitz“ erreicht sein sollte. Die große Heraus- würde, ohne aber genau zu sagen, was damit eigent- forderung war, dass hierbei die Funktionsfähigkeit bei- lich gemeint war. Berlin als Hauptstadt wurde in viel- der Institutionen durchgängig gewährleistet bleiben fältiger Weise als Symbol eines politischen Aufbruchs musste, was einige organisatorische Schwierigkeiten präsentiert, beispielweise im Sinne einer angemes- mit sich brachte. Zu klären blieb zudem, wie nach dem senen Repräsentation für ein wiedervereinigtes Umzug künftig die Zusammenarbeit zwischen Berlin Deutschlands. Hier wurde etwa auf die Größe und die und Bonn funktionieren sollte. Denn in dem Beschluss politische Tradition als Hauptstadt Bezug genommen. des Bundestages war vorgesehen, dass es eine Politiker aus Ostdeutschland sahen in dem Votum für Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin geben sollte, Berlin ein positives Signal zur Wiedervereinigung und die 1994 schließlich im Berlin-Bonn-Gesetz festge- „ein Symbol des Entgegenkommens“. Die Gruppe, die schrieben wurde. Festgelegt wurde darin, dass das Bonn als Sitz der Regierung erhalten wollte, argumen- Kanzleramt und 10 von 19 Ministerien nach Berlin ge- tierte ohne oder ausdrücklich gegen jedes nationale hen sollten. Zwei Drittel der Beamten sollten aber in Pathos vor allem mit wirtschaftlichen und logistischen den Ministerien in Bonn bleiben. Zunächst sollte Berlin Gesichtspunkten. Die Region Bonn, hieß es, dürfe vom als Hauptstadt ausgebaut und umgestaltet werden. Arbeitgeber Bund nicht alleine gelassen werden, eben- Der neue Regierungssitz sollte auch durch die so wurden die hohen Kosten angeführt. Aber auch die Architektur und Infrastruktur angemessen repräsen- Gefahr der Zentralisierung eines eigentlich föderalen tiert werden. Die erste Institution, die ihren Dienstsitz Staates oder die Re-Nationalisierung Deutschlands, in Berlin bezog war am 11. Januar 1994 der Bundes- wurden vorgebracht und mit der Demut und Be- präsident, der von der Bonner Villa Hammerschmidt in scheidenheit, für die Bonn symbolisch stand, argumen- das Schloss Bellevue zog. Zum Sitz des Parlaments tiert. In der Debatte spiegelte sich so neben ökono- wurde vom Ältestenrat das frühere Reichstagsgebäude mischen und logistischen Erwägungen vor allem eine bestimmt. Zur Umgestaltung des Reichstages wurde Auseinandersetzung über das nationale und politische ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben, ebenso Selbstverständnis wider. für den an den Reichstag angrenzenden Spreebogen, Offensichtlich hatte die Debatte viele der Abge- wo das politische Zentrum der Bundesrepublik mit ordneten letztlich zum Umdenken bewegt. 320 der 660 Kanzleramt und Abgeordnetenhaus seinen Platz fin- anwesenden Abgeordneten stimmten für den Verbleib den sollte. Richtig Fahrt nahm die Umgestaltung in Bonn, 338 stimmten für Berlin, bei einer Enthaltung Berlins durch das Berlin-Bonn-Gesetz auf, in dem fest- und einer ungültigen Stimme. Einen entscheidenden gelegt wurde, das die Gesamtkosten des Umzugs Anteil an dem Ergebnis hatte aber auch, dass sich die 20 Milliarden D-Mark betragen durften, wovon aber Berlin-Befürworter mehr und mehr zu Zugeständnissen 4 Milliarden als Ausgleich für die Region Bonn vorgese- bereit erklärten und damit hofften, ihre Chancen ver- hen waren. Von da an wurde das Zentrum Berlins zu © Ernst GmbH, Verlag dieser Klett Leipzig Von 2016. Druckvorlage für ist Vervielfältigung die den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet. Die sind Kopiergebühren abgegolten. bessern zu können. Hierzu gehörten etwa eine einer einzigen Baustelle. Umbauten für die Ministerien Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin, ein finanzi- und Arbeiten an der Infrastruktur standen auf dem eller Ausgleich und die Zusicherung, den Bundesrat Plan. Am 4. Februar 1997 erfolgte der Spatenstich für AB_2016_05.indd 2 06.05.2016 09:47:25 NEWSLETTER 3 25 Jahre Hauptstadtbeschluss GESCHICHTE das neue Kanzleramt. Das erste Ministerium, das sei- Eine neue Generation an Politiker