(Ausgegeben am 29. August 2018)

Niedersächsischer Landtag

Stenografischer Bericht

21. Sitzung

Hannover, den 22. August 2018

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: Dr. Stefan Birkner (FDP) ...... 1783 Olaf Lies, Minister für Umwelt, Energie, Bauen Mitteilungen der Präsidentin ...... 1769 und Klimaschutz ...... 1786 Feststellung der Beschlussfähigkeit ...... 1769 Tagesordnungspunkt 3: Zur Geschäftsordnung: Wiard Siebels (SPD) ...... 1769 Abschließende Beratung: Christian Grascha (FDP) ...... 1770 a) Änderung der Geschäftsordnung des Nieder- sächsischen Landtages - Antrag der Fraktion der Tagesordnungspunkt 2: AfD - Drs. 18/1087 - b) Änderung der Geschäfts- ordnung des Niedersächsischen Landtages - Aktuelle Stunde ...... 1770 Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU - Drs. 18/1196 - Beschlussempfehlung des a) Kriminelle Familienclans in Niedersachsen - Ältestenrats - Drs. 18/1410 ...... 1788 Unternimmt die Landesregierung genug? - Antrag Wiard Siebels (SPD)...... 1788, 1794 der Fraktion der AfD - Drs. 18/1441 ...... 1770 Christian Grascha (FDP) ...... 1789 Jens Ahrends (AfD) ...... 1771 (GRÜNE) ...... 1790 Ulrich Watermann (SPD) ...... 1772 Dana Guth (AfD) ...... 1791, 1793 Dr. Marco Genthe (FDP) ...... 1772 Dr. Gabriele Andretta (SPD) ...... 1792 Thomas Adasch (CDU) ...... 1773 Jens Nacke (CDU) ...... 1793 Belit Onay (GRÜNE) ...... 1774, 1775 Beschluss ...... 1795 Christopher Emden (AfD) ...... 1774 (Zu a: Erste Beratung: 17. Sitzung am 19.06.2018) Boris Pistorius, Minister für Inneres und (Zu b: Direkt überwiesen am 28.06.2018) Sport ...... 1776 Tagesordnungspunkt 4:

b) Windenergieausbau zwischen EEG und Klima- Erste Beratung: schutz - Solidarität mit den Beschäftigten aller ENERCON-Betriebe - Antrag der Fraktion der SPD - Entwurf eines Gesetzes zur Aufnahme des Drs. 18/1444 ...... 1777 Staatsziels „Klimaschutz“ in die Niedersächsi- - Gesetzentwurf der Fraktion Johanne Modder (SPD) ...... 1777 sche Verfassung Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/1396 - dazu: Meta Janssen-Kucz (GRÜNE)...... 1778, 1785 Fokus Stefan Wirtz (AfD) ...... 1779 Klima: Schluss mit Sonntagsreden, konkrete - Ulf Thiele (CDU) ...... 1780, 1786 Maßnahmen umsetzen - Sofortprogramm jetzt! Antrag gem. § 23 Abs. 1 S. 2 GO LT der Fraktion Dr. Bernd Althusmann, Minister für Wirt- schaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/1397 ...... 1795 ...... 1782, 1787

I Niedersächsischer Landtag - 18. Wahlperiode - 21. Plenarsitzung am 22. August 2018

Imke Byl (GRÜNE) Tagesordnungspunkt 7: ...... 1795, 1797, 1803, 1807, 1809 Christian Meyer (GRÜNE) ...... 1797 Vereidigung des neu gewählten Mitglieds und der Wiebke Osigus (SPD) ...... 1798 neu gewählten stellvertretenden Mitglieder des Dr. Stefan Birkner (FDP) Staatsgerichtshofs ...... 1832 ...... 1799, 1801, 1807, 1808 Professor Dr. Hermann Butzer ...... 1832 Martin Bäumer (CDU) ...... 1800, 1801 Wulf Sonnemann ...... 1832 (GRÜNE) ...... 1801 Wilhelm Mestwerdt ...... 1833 Christopher Emden (AfD) ...... 1804 Anke van Hove ...... 1833 Olaf Lies, Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz ...... 1805, 1806, 1807, 1809 Tagesordnungspunkt 8: Jörg Bode (FDP) ...... 1806 Ausschussüberweisung ...... 1810 Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Geset- Außerhalb der Tagesordnung: zes über den Staatsgerichtshof - Gesetzentwurf der Fraktion der FDP - Drs. 18/1384 ...... 1833 Unterrichtung durch die Ministerin für Ernährung, Dr. Marco Genthe (FDP) ...... 1833 Landwirtschaft und Verbraucherschutz über das Christian Calderone (CDU) ...... 1834 aktuelle Geschehen hinsichtlich der Dürre .... 1810 Ulf Prange (SPD) ...... 1836 Barbara Otte-Kinast, Ministerin für Ernährung, Helge Limburg (GRÜNE) ...... 1837 Landwirtschaft und Verbraucherschutz .... 1810 Christopher Emden (AfD) ...... 1838 (GRÜNE) ...... 1812, 1819 Ausschussüberweisung ...... 1839 Hermann Grupe (FDP) ...... 1814 Karin Logemann (SPD) ...... 1815 Tagesordnungspunkt 9: Dana Guth (AfD) ...... 1816 Helmut Dammann-Tamke (CDU) ...... 1816, 1819 Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes über die Wahl der Mit- Tagesordnungspunkt 5: glieder der Verbandsversammlung des Regional- verbandes „Großraum Braunschweig“ - Gesetz- Erste Beratung: entwurf der Landesregierung - Drs. 18/1408 ...... 1839 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Nie- Bernd Lynack (SPD) ...... 1839 dersächsischen Gesetzes über Ladenöffnungs- Christoph Plett (CDU) ...... 1840 und Verkaufszeiten - Gesetzentwurf der Fraktion Julia Willie Hamburg (GRÜNE) ...... 1841, 1842 der FDP - Drs. 18/1383 neu...... 1820 Ulrich Watermann (SPD) ...... 1842 Jörg Bode (FDP) ...... 1820, 1823, 1826 Björn Försterling (FDP) ...... 1843 Uwe Schwarz (SPD) ...... 1821, 1823 Christopher Emden (AfD) ...... 1844 Stefan Henze (AfD) ...... 1823 Ausschussüberweisung ...... 1844 Christoph Eilers (CDU) ...... 1824 Eva Viehoff (GRÜNE) ...... 1825, 1827 Tagesordnungspunkt 10: Dr. Carola Reimann, Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung ...... 1827 Abschließende Beratung: Ausschussüberweisung ...... 1828 Fan(sozial)arbeit stärken: Fanprojekte in Nieder- sachsen besser ausstatten - Antrag der Fraktion Tagesordnungspunkt 6: der FDP - Drs. 18/83 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport - Drs. 18/1412 Wahl eines Mitglieds und von stellvertretenden ...... 1845 Mitgliedern des Staatsgerichtshofs - Wahlvor- Jan-Christoph Oetjen (FDP) ...... 1845 schlag des Ausschusses zur Vorbereitung der Wahl Dunja Kreiser (SPD) ...... 1845 der Mitglieder des Staatsgerichtshofs - Drs. 18/1413 André Bock (CDU) ...... 1846 ...... 1828 Jens Ahrends (AfD) ...... 1847 Professor Dr. Hermann Butzer ...... 1831 Belit Onay (GRÜNE) ...... 1847 Wulf Sonnemann...... 1831 Boris Pistorius, Minister für Inneres und Wilhelm Mestwerdt ...... 1831 Sport ...... 1848 Anke van Hove ...... 1832 Beschluss ...... 1849 (Direkt überwiesen am 19.12.2017)

II Niedersächsischer Landtag - 18. Wahlperiode - 21. Plenarsitzung am 22. August 2018

Tagesordnungspunkt 11:

Abschließende Beratung Begleitetes Fahren ab 16 - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU - Drs. 18/1072 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt- schaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung - Drs. 18/1373 ...... 1849 Gerda Hövel (CDU) ...... 1849, 1851 Detlev Schulz-Hendel (GRÜNE) ...... 1850, 1852 Stefan Henze (AfD) ...... 1851 Jörg Bode (FDP) ...... 1852 Stefan Klein (SPD) ...... 1853 Beschluss ...... 1854 (Erste Beratung: 20. Sitzung am 22.06.2018)

III Niedersächsischer Landtag - 18. Wahlperiode - 21. Plenarsitzung am 22. August 2018

Vom Präsidium:

Präsidentin Dr. Gabriele Andretta (SPD) Vizepräsidentin Petra Emmerich- Kopatsch (SPD) Vizepräsident Bernd Busemann (CDU) Vizepräsident Frank Oesterhelweg (CDU) Vizepräsidentin Meta Janssen- Kucz (GRÜNE) Schriftführer Markus Brinkmann (SPD) Schriftführer Matthias Möhle (SPD) Schriftführerin Hanna Naber (SPD) Schriftführerin Sabine Tippelt (SPD) Schriftführer Rainer Fredermann (CDU) Schriftführerin Gerda Hövel (CDU) Schriftführerin Gudrun Pieper (CDU) Schriftführer Heiner Schönecke (CDU) Schriftführer Belit Onay (GRÜNE) Schriftführerin Hillgriet Eilers (FDP) Schriftführer Christopher Emden (AfD) Schriftführer Stefan Henze (AfD)

Auf der Regierungsbank:

Ministerpräsident Staatssekretär Dr. Jörg Mielke, Stephan Weil (SPD) Staatskanzlei

Minister für Inneres und Sport Staatssekretär Stephan Manke, Boris Pistorius (SPD) Ministerium für Inneres und Sport

Finanzminister Staatssekretärin Doris Nordmann, Reinhold Hilbers (CDU) Finanzministerium

Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Staatssekretär Heiger Scholz, Dr. Carola Reimann (SPD) Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung

Kultusminister Staatssekretärin Gaby Willamowius, Grant Hendrik Tonne (SPD) Kultusministerium

Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisie- Staatssekretär Dr. Berend Lindner, rung Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitali- Dr. Bernd Althusmann (CDU) sierung

Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Staatssekretär Rainer Beckedorf, cherschutz Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Barbara Otte- Kinast (CDU) cherschutz

Justizministerin Staatssekretär Dr. Stefan von der Beck, Barbara Havliza (CDU) Justizministerium

Minister für Wissenschaft und Kultur Staatssekretärin Dr. Sabine Johannsen, Björn Thümler (CDU) Ministerium für Wissenschaft und Kultur

Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Olaf Lies (SPD)

Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten Staatssekretärin Jutta Kremer, und Regionale Entwicklung Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten Birgit Honé (SPD) und Regionale Entwicklung

IV Niedersächsischer Landtag - 18. Wahlperiode - 21. Plenarsitzung am 22. August 2018

Beginn der Sitzung: 10.31 Uhr. Wiard Siebels (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: und Herren! Ich möchte für die SPD-Fraktion einen Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegin- Antrag nach § 66 Abs. 1 Nr. 2 der Geschäftsord- nen und Kollegen! Ich begrüße Sie namens des nung stellen. Es geht dabei die Verschiebung von Präsidiums. Ich hoffe, dass Sie alle eine erholsame Tagesordnungspunkten. Sommerpause hatten und jetzt bereit zu neuen Taten sind. Am Donnerstag wird vonseiten des Präsidiums mitgeteilt werden, dass Herr Minister Olaf Lies Ich eröffne die 21. Sitzung im 9. Tagungsabschnitt entschuldigt ist. Ich möchte dies bereits heute des Landtages der 18. Wahlperiode. thematisieren. Diese Entschuldigung wurde im Ältestenrat noch nicht richtig akzeptiert, zumindest von den Fraktionen der FDP und der Grünen nicht. Tagesordnungspunkt 1: Wir leisten aber noch Überzeugungsarbeit. Mitteilungen der Präsidentin (Helge Limburg [GRÜNE]: Sie lag ja auch nicht vor!) Ich darf die Beschlussfähigkeit des Hauses fest- stellen. - Sie liegt Ihnen aber heute vor. Sie ist Ihnen mündlich vorgetragen worden, und sie ist Ihnen im Zur Tagesordnung: Die Einladung für diesen Ta- Nachgang zur Ältestenratssitzung auch schriftlich gungsabschnitt sowie die Tagesordnung ein- zugegangen. Wie Sie sich dazu verhalten, dürfen schließlich des Nachtrages und der Informationen Sie ja selbst entscheiden. zu den von den Fraktionen umverteilten Redezei- ten liegen Ihnen vor. - Ich stelle das Einverständnis Nun verhält es sich aber so, dass am Donnerstag, des Hauses mit diesen geänderten Redezeiten also an dem Tag, für den sich Herr Minister Lies fest. - Die heutige Sitzung soll nach der vorliegen- entschuldigt hat, zwei Dringliche Anfragen auf der den Tagesordnung gegen 18.50 Uhr enden. Tagesordnung stehen. Dabei handelt es sich zum einen um den Tagesordnungspunkt 14 a - eine Für die Initiative „Schulen in Niedersachsen online“ Dringliche Anfrage der Grünen, die das Umweltmi- werden in den kommenden Tagen Schülerinnen nisterium betrifft - und zum anderen um die Dringli- und Schüler des Windthorst-Gymnasiums aus che Anfrage der FDP-Fraktion unter 14 b. Meppen mit einer Onlineredaktion live aus dem Landtag berichten. Die Patenschaft dafür hat der (Christian Meyer [GRÜNE]: Gutes Abgeordnete Bernd-Carsten Hiebing übernommen. Management!) - Vielen Dank, Herr Kollege! Ich glaube, es liegt im Interesse aller Fraktionen (Beifall) des Hauses, dass der Minister, den Sie in der Dringlichen Anfrage - übrigens zufällig - am Don- Die mir für heute zugegangenen Entschuldigungen nerstag befragen wollen, persönlich antworten teilt Ihnen nunmehr die Schriftführerin Frau Kolle- kann. Deswegen beantrage ich einen Tausch die- gin Eilers mit. Bitte! ser beiden Punkte, also Tagesordnungspunkt 14 a und 14 b mit Tagesordnungspunkt 24, nämlich der Schriftführerin Hillgriet Eilers: Fragestunde am Freitag. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Für heute haben sich entschuldigt: von der Frakti- Zusammengefasst: Die beiden Dringlichen Anfra- on der SPD Herr Stefan Politze und Frau Dr. Thela gen würden wir gerne auf den Freitag und die Fra- Wernstedt. gestunde von Freitag auf Donnerstag verschieben, sodass zu jedem Punkt der jeweils zuständige Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Minister alle Ihre Fragen hier im Haus ordnungs- gemäß beantworten kann. Das ist unser Antrag. Vielen Dank, Frau Kollegin. - Bevor wir in der Ta- gesordnung fortfahren, gibt es eine Meldung zur Vielen Dank. Geschäftsordnung. Herr Kollege Siebels, SPD- Fraktion, bitte! (Beifall bei der SPD und bei der CDU)

1769 Niedersächsischer Landtag - 18. Wahlperiode - 21. Plenarsitzung am 22. August 2018

Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Herr Siebels, habe ich das richtig interpretiert? Vielen Dank, Herr Kollege Siebels. - Ebenfalls zur (Wiard Siebels [SPD]: Ja!) Geschäftsordnung: Herr Kollege Grascha, bitte! Es liegt also ein einfacher Tausch vor, Herr Kolle- Christian Grascha (FDP): ge Grascha. Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kol- leginnen und Kollegen! Zur Erläuterung, wie das Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Verfahren normalerweise abläuft: Es ist in diesem Wer diesem Antrag des Kollegen Siebels seine Haus Usus, dass, wenn z. B. Termine im Bundes- Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das rat anstehen, die Mitglieder der Landesregierung Handzeichen. - Gegenprobe! - Damit hat der An- entschuldigt werden. In absoluten Ausnahmefällen, trag der SPD-Landtagsfraktion die Mehrheit im bei anderen Terminen, bei denen der Grund wirk- Hause erreicht, bei Gegenstimmen der FDP- lich auf der Hand liegt, sind einvernehmliche Ent- Fraktion und der Fraktion der AfD. - Vielen Dank. schuldigungen üblich. Dann wird so verfahren. Wir werden Ihnen das In diesem Fall verhielt es sich aber so: Im Ältesten- noch mitteilen lassen. rat lag den Fraktionen nichts vor. Sie, Herr Kollege Siebels, haben im Ältestenrat deutlich gemacht: Na Ferner möchte ich Sie darüber unterrichten, dass ja, es liegt zwar nichts vor, die Begründung wird mich heute Morgen ein Schreiben der Landwirt- aber sicherlich so überzeugend sein, dass wir der schaftsministerin mit der Ankündigung erreicht hat, Entschuldigung zustimmen werden. - Dem sind wir zum aktuellen Geschehen hinsichtlich der Dürre logischerweise nicht gefolgt. heute eine Unterrichtung des Landtages vorneh- men zu wollen. Die Unterrichtung soll gegen Es ist ja so - das wissen Sie -: Die Kohlekommissi- 13.30 Uhr erfolgen. on tagt am Donnerstag. Umweltminister Lies ist dort aber noch nicht einmal ordentliches Mitglied. Wir können nun in die weitere Tagesordnung ein- Dies bringt uns zu dem Ergebnis, dass wir zum treten. Es folgt der erste Teil der Aktuellen Stunde. einen der Entschuldigung widersprechen - es ist Ich rufe also auf den klar, dass wir das natürlich nicht so ohne Weiteres machen können -, also die Entschuldigung nicht akzeptieren. Zum anderen werden wir auch gegen Tagesordnungspunkt 2: die Verschiebung der Tagesordnungspunkte stim- Aktuelle Stunde men. (Beifall bei der FDP) Wie aus der Tagesordnung zu ersehen ist, hat der Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Ältestenrat die Aktuelle Stunde in der Weise aufge- Vielen Dank, Herr Kollege Grascha. - Weitere teilt, dass heute die Anträge der Fraktion der AfD Wortmeldungen sehe ich nicht. und der Fraktion der SPD und morgen die Anträge der anderen drei Fraktionen behandelt werden Wir werden über diesen Antrag zur Geschäftsord- sollen. nung nun abstimmen. Die in unserer Geschäftsordnung für den Ablauf Herr Kollege Siebels hat für die SPD- der Aktuellen Stunde geregelten Bestimmungen Landtagsfraktion beantragt, die Tagesordnungs- setze ich bei allen Beteiligten, natürlich auch bei punkte 14 a und 14 b von Donnerstag auf Freitag der Landesregierung, als bekannt voraus. und im Gegenzug den Tagesordnungspunkt 24 - das ist die Fragestunde - von Freitag auf Donners- Ich rufe auf tag zu verschieben. (Christian Grascha [FDP]: An welche Stelle am Donnerstag?) a) Kriminelle Familienclans in Niedersachsen - Unternimmt die Landesregierung genug? - An- - Ich habe den Antrag so verstanden, dass die trag der Fraktion der AfD - Drs. 18/1441 Fragestunde an die Stelle der Tagesordnungs- punkte 14 a und 14 b treten soll.

1770 Niedersächsischer Landtag - 18. Wahlperiode - 21. Plenarsitzung am 22. August 2018

Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Jens lehnen den deutschen Rechtsstaat vielfach ab. Ahrends, AfD-Fraktion. Bitte! Ihre Stärke schöpfen sie dabei aus einem Zusam- menhalt nach innen (Unruhe) Alle anderen Abgeordneten darf ich um Aufmerk- (Unruhe - Glocke der Präsidentin) samkeit bitten. und einer strikten Abgrenzung nach außen. So leben sie in ihrer eigenen Parallelwelt mitten unter Jens Ahrends (AfD): uns. Sie haben ihre eigene Rechtsprechung. Prob- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ne- leme werden entweder durch gewalttätige Ausei- ben Islamisten, Salafisten, islamistischen Gefähr- nandersetzungen der Clans untereinander oder dern, Terroristen, linken und rechten Extremisten durch einen eigenen islamischen Friedensrichter hat Deutschland - und damit auch Niedersachsen - gelöst. Unsere Gesetze haben für die meisten ein weiteres ganz erhebliches Problem: das Prob- Clanmitglieder, von denen ca. 50 bis 60 % polizei- lem der organisierten Kriminalität durch sogenann- lich bekannt sind, keinerlei Bedeutung. te Familienclans. Prozesse gegen diese Mitglieder der Familienclans Auf eine Anfrage der AfD an die Bundesregierung, zu führen, ist für die Justiz ein Riesenproblem, da wie viele Familienclans mit wie vielen Mitgliedern Zeugen eingeschüchtert, Polizisten und Staatsan- in Deutschland derzeit aktiv seien, bekamen wir wälte bedroht werden. So verwundert es wirklich die Antwort: nicht, dass viele Prozesse mit Bewährungsstrafen „Der Bundesregierung liegen zur Anzahl enden. Ein Richter, der 2012 eine lebenslange ‚krimineller Großfamilien‘ in Deutschland Haft gegen ein Clanmitglied ausgesprochen hat, keine Erkenntnisse im Sinne der Anfrage lebt seitdem hinter Panzerglas in seiner Privat- vor.“ wohnung: Er hatte ernstzunehmende Morddrohun- gen erhalten. Viele Richter trauen sich von daher Diese Antwort zeigt sehr deutlich, dass das Prob- vermutlich nicht mehr, harte Strafen gegen diese lem der kriminellen Familienclans viel zu lange Clanmitglieder auszusprechen. Drogenhandel, ignoriert wurde. Die Mhallamiye-Kurden - kurz Körperverletzung und andere Straftaten werden „M-Kurden“ -, um die es hierbei in der Hauptsache mit Bewährungsstrafen belegt. Aber auch in den geht, kommen ursprünglich aus der südanatoli- Gefängnissen geben die Clans den Ton an. schen Provinz Mardin. Die meisten stammen aus dem dortigen Ort Rajdiye. Der gesamte Ort lebt Ein weiteres Problem ist, dass Angehörige dieser aktuell im Wesentlichen von Geld aus Deutsch- Familien bewusst aus Straftaten herausgehalten land, das die Großfamilien an ihre dortigen Ver- werden, da man möchte, dass sich diese Famili- wandten überweisen. Diese M-Kurden sind seiner- enmitglieder für den Polizeidienst bewerben. Sie zeit aus der Türkei in den Libanon und von dort werden von den Clans finanziell versorgt, haben aus als Flüchtlinge bzw. Asylbewerber über Beirut ein sauberes Führungszeugnis und bewerben sich nach Norddeutschland gekommen. dann als Polizist. Der Presse entnimmt man heute, dass aktuell bis Eine Anfrage der AfD-Fraktion hier im Niedersäch- zu 200 000 Mitglieder, von denen laut NDR ca. sischen Landtag hat ergeben, dass Verwandt- 25 000 in Niedersachsen wohnen, in Deutschland schaftsverhältnisse mit kriminellen Familienclans sind. Nicht alle Mitglieder sind kriminell. Aber der bei Polizeianwärtern nicht geprüft werden. Ein- überwiegende Teil dieser Familien bezieht schlägige Berichte z. B. aus der Polizeischule Ber- Hartz IV, und viele von ihnen zusätzlich Geld mit lin zeigen den hohen Andrang von Migranten für Schutzgelderpressung, Einbrüchen, Drogenhan- den Polizeiberuf. Es steht daher zu befürchten, del, Raub und auch Flüchtlingsschleuserei. Auch dass unsere Polizeikräfte langfristig gezielt unter- vor Mord schrecken sie nicht zurück. Die so er- wandert werden sollen und mit den Familienclans langten Millionen werden in Hotels, Spielhallen, zumindest in Teilen zusammengearbeitet wird. Shisha-Bars und andere Immobilien investiert, die Bereits 2013 war die Clankriminalität Gegenstand dann durch deren Vermietung und gewerbliche einer Anfrage hier im Landtag. Seitdem ist die Zahl Nutzung sauberes Geld abwerfen, mit dem man der Straftaten der Clans von 600 auf fast 900 im gut und gerne in Deutschland leben kann. letzten Jahr angestiegen, eine Zunahme um 40 %. Auch in der dritten Generation sehen wir kaum Ja, es wurden jetzt zusätzliche Stellen geschaffen. eine Spur von Integration. Die Familienmitglieder Es wurden auch Razzien durchgeführt, mit der

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GSG 9 im Einsatz - das muss man sich mal vor- ländlichere Bereiche, z. B. auch mein Wahlkreis, stellen! der Landkreis Diepholz, dort die Stadt Diepholz und die Stadt Syke. Dort geht es bis hin zu zersto- Das begrüßen wir ausdrücklich. Aber wir müssen chenen Autoreifen an Privatfahrzeugen von Poli- endlich mit aller Entschlossenheit handeln. Clan- zisten. strukturen müssen länderübergreifend aufgeklärt werden. Diese arbeiten mittlerweile flächende- Richtig ist auch, dass Politik lange Zeit nicht rea- ckend, sogar im ländlichen Raum. Die Mitglieder giert hat, jedenfalls nicht in angemessener Weise. müssen identifiziert werden. Zeugen, aber auch Da spreche ich nicht von zwei oder vier Jahren, Staatsanwälte, Richter und Polizisten müssen sondern das ist eher ein Problem von möglicher- wirksam geschützt werden. Strafen müssen ent- weise Jahrzehnten. Dieses Thema ist in der politi- sprechend dem Gesetz in voller Höhe ohne Angst schen Diskussion immer unangenehm, weil die vor Repressalien ausgesprochen werden. Integrationsdebatte im Hintergrund sozusagen immer mitgeht. Hätte Politik an dieser Stelle Unrechtmäßig erworbener Besitz muss - so wie in schneller reagiert, dann wäre uns möglicherweise Berlin kürzlich geschehen - beschlagnahmt wer- die eine oder andere AfD-Fraktion in unseren Par- den, wenn das Geld aus Straftaten stammt. Geld- lamenten erspart geblieben. ströme müssen unterbrochen und Konten eingefro- ren werden. Da, wo möglich, müssen kriminelle (Beifall bei der FDP und Zustimmung Intensivstraftäter abgeschoben werden, um die bei der CDU) Bevölkerung wirksam zu schützen. Abschiebung kann auch hier Leben retten! Meine Damen und Herren, dabei bezieht sich die Diskussion nicht auf bestimmte Volksgruppen oder Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Glaubensgemeinschaften. Es geht um Kriminalität (Beifall bei der AfD) auf Basis familiärer Netzwerke. Insoweit gibt es durchaus auch Überschneidungen mit der rus- Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: sisch-eurasischen organisierten Kriminalität oder auch mit verschiedenen Rockerclubs, in Berlin Vielen Dank. - Es folgt nun für die SPD-Fraktion sogar mit irgendwelchen Rappern. Herr Kollege Watermann. Bitte! (Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!) Ulrich Watermann (SPD): Richtig ist aber auch - und das ist ganz sicher -: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen Der von der AfD hier gerade prognostizierte Unter- und Herren! Unternimmt die Landesregierung ge- gang des christlichen Abendlandes wird jedenfalls nug? - Ja. Die SPD-Fraktion steht voll zu unserer an dieser Stelle nicht stattfinden. Polizei, zu den weiteren Sicherheitskräften und zur Justiz in Niedersachsen. (Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der Vielen Dank. CDU) (Beifall bei der SPD und Zustimmung Meine Damen und Herren, die FDP hat in der letz- bei der CDU) ten Wahlperiode schon Konsequenzen aus diesen steigenden Zahlen angemahnt: sowohl bei der Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Polizei als auch bei der Justiz. Anfang dieses Jah- Vielen Dank, Herr Kollege Watermann. - Das Wort res hat Nordrhein-Westfalen reagiert. Dort gibt es für die FDP-Fraktion hat nun Herr Kollege 1 135 neue Stellen in der Justiz. Es gibt vor Ort Dr. Genthe. Bitte! sogenannte Vor-Ort-Staatsanwälte, die sich aus- schließlich mit der Problematik der Clans beschäf- Dr. Marco Genthe (FDP): tigen. Das ist dort sehr richtig, weil sich die Clans Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ganz dort an bestimmten Orten konzentrieren. In Nie- so einfach möchte ich es mir an dieser Stelle jetzt dersachsen ist die Situation allerdings ein wenig doch nicht machen. anders. Richtig ist auf jeden Fall, dass Kriminalität durch Die Niedersächsische Landesregierung hat mit Familienclans ein steigendes Problem in Deutsch- dem Landesrahmenkonzept zur Bekämpfung kri- land und auch in Niedersachsen ist. Betroffen sind mineller Clans den richtigen Schritt unternommen. nicht nur Bremen, Berlin und Essen, sondern auch Der Aufbau von Netzwerken, die Sensibilisierung

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von Richtern und Staatsanwälten, die Fortbildung Niedersachsen überregional und flächendeckend für die übrigens oft vergessenen Mitarbeiter der vorzufinden. Kennzeichnend für das Phänomen Justizvollzugsanstalten - das alles ist der richtige sind der hohe Abschottungsgrad dieser durch eth- Weg. nische Zugehörigkeit und Familienstrukturen ge- prägten Gruppierungen, ihr hohes Mobilisierungs- Man kann aber auch noch deutlich mehr tun, z. B. und Aggressionspotenzial sowie die Ablehnung eine zentrale gemeinsame Ermittlungsgruppe, deutscher Gesetze und Normen. bestehend aus Polizei, Zoll, Finanzbeamten, Vete- rinärbeamten, Gewerbeaufsicht und einiges mehr, Daher ist von einem großen Dunkelfeld auszuge- etwa durch die Schaffung einer Schwerpunkt- hen, weil Konflikte intern geregelt werden und Op- staatsanwaltschaft oder durch das Einsetzen von fer und Zeugen mit einem hohen Bedrohungs- und Vorprüfern bei den Polizeiinspektionen und bei den Gefährdungspotenzial konfrontiert sind. Außer Polizeikommissariaten, die dann entsprechende gegen Opfer und Zeugen richten sich Gewaltan- Informationen auch weiterleiten. Die Clans müssen wendungen und Morddrohungen der Clans auch auf diese Art und Weise quasi durch alle damit gegen Polizei und Justiz, wie etwa die Ereignisse befassten Behörden eingekreist werden. Die FDP- um den Sarstedter Ampelmord 2012/2013 zeigten. Fraktion - das kann ich hier ankündigen - wird Ihnen dazu noch ein ganz konkretes Konzept vor- Aufgrund der unterschiedlichen Erscheinungsfor- legen. men der Clankriminalität und der Delikte in diesem Bereich kommt es auch zu sehr unterschiedlichen Meine Damen und Herren, der Rechtsstaat gilt für Einsatzlagen. Eine exakte zahlenmäßige Erhe- alle. Das heißt, Parallelgesellschafen können und bung ist daher nicht möglich. Neben der Quantität dürfen wir nicht dulden. stellt jedoch insbesondere die Qualität der Einsät- ze eine große Herausforderung dar. Schon kleine Die FDP plädiert immer für einen schlanken Staat, Anlässe wie Verkehrsunfälle und Verkehrskontrol- der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert. Die len können sich schnell zu tumultartigen Einsatzla- Durchsetzung des Rechtsstaates ist eine solche gen ausweiten, die viele Polizeibeamtinnen und Kernaufgabe, die im Rahmen der Gesetze, aber -beamte binden. gleichsam auch durchaus robust bewältigt werden muss, d. h. im Bereich der Clankriminalität auch Verehrte Kolleginnen und Kollegen, deshalb wurde durch den niedrigschwelligen Einsatz von Spezial- in Niedersachsen der Nutzen einer intensiven Zu- kräften, die nicht an dem Delikt, sondern an dem sammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei Täter orientiert sind. Aber Belehrungen - das zeigt bei der Verfolgung der organisierten Kriminalität auch das Vorgehen der schwarz-gelben Landes- schon vor einiger Zeit erkannt und in einem ge- regierung in Nordrhein-Westfalen - braucht die meinsamen Runderlass von MI und MJ vom FDP-Fraktion an dieser Stelle jedenfalls nicht. 20. Mai 2016 näher ausgestaltet. Die Zahl der Vielen Dank. herausragenden Einsätze im Zusammenhang mit kriminellen Clans in Niedersachsen ist von 143 im (Beifall bei der FDP und bei den Jahr 2016 auf 248 im Jahr 2017 angestiegen. Da- GRÜNEN) ran können wir sehen, dass unsere Polizei den Druck auf diese Ausprägung der organisierten Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Kriminalität bereits deutlich erhöht hat. Im Juli des Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Genthe. - Für die vergangenen Jahres trat außerdem ein Bundesge- CDU-Fraktion spricht nun Herr Kollege Adasch. setz in Kraft, dass die strafrechtliche Vermögens- abschöpfung erleichtert.

Thomas Adasch (CDU): Zum 1. März 2018 wurde eine Landesrahmenkon- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- zeption zur Bekämpfung krimineller Clanstrukturen gen! Clankriminalität ist ein Thema, das die Men- in Niedersachsen unter Federführung des MI und schen nicht nur in Niedersachsen, sondern in ganz Mitzeichnung des MJ in Kraft gesetzt. Diese dient Deutschland beschäftigt. Die Bekämpfung kriminel- der Intensivierung der Bekämpfung von Clankrimi- ler Clanstrukturen stellt die niedersächsische Poli- nalität auf jeder Ebene, auch bereits deutlich un- zei und Justiz vor große Herausforderungen und terhalb der OK-Schwelle oder der bandenmäßigen ist Bestandteil einer landesweiten Schwerpunkt- Begehungsweise. Darin ist seitens der Justiz vor- setzung. Die Clanstrukturen und die damit verbun- gesehen, dass die Staatsanwaltschaften An- denen kriminellen Handlungen der Clans sind in sprechpartner mit entsprechendem Lagehinter-

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grund- und Phänomenwissen zur Verfügung stel- Es ist vollkommen klar: Ein Mörder ist ein Mörder. len. Diese sollen bei einschlägigen Einsatz- und Da ist es völlig egal, welchen Background er hat. Verfahrenslagen als behördeninterne Berater und Justitia ist an dieser Stelle blind, meine sehr geehr- Netzwerkplaner für die Zusammenarbeit mit der ten Damen und Herren. Polizei agieren. Herr Ahrends, Ihre Gerichts- und Richterinnen- und Auch die Zusammenarbeit mit den Justizvollzugs- Richterschelte möchte ich an dieser Stelle aus- anstalten wird in der Landesrahmenkonzeption drücklich zurückweisen. thematisiert. Ziel ist die frühzeitige Erkennung von (Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!) kriminellen Clanstrukturen innerhalb der Justizvoll- zugsanstalten und von Häftlingen mit Kontakt zu Die Richterinnen und Richter sind eine der tragen- solchen Strukturen außerhalb der Anstalten. den Säulen unseres Rechtsstaates. Sie sind dieje- nigen, die Recht sprechen und davor auch keine Verehrte Kolleginnen und Kollegen, im ganzen Angst haben und haben müssen. Land Niedersachsen werden rechtsfreie Räume nicht geduldet. Wo sich kriminelle Strukturen er- (Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN, kennen lassen, geltende Gesetze ignoriert werden bei der SPD und bei der FDP sowie und das Recht in die eigenen Hände genommen Zustimmung bei der CDU) wird, greift die Polizei konsequent durch. Dabei ist die Eingriffsschwelle niedrig, und rechtlich zulässi- Der Kollege Adasch hat gerade richtigerweise die ge Maßnahmen werden konsequent ausgeschöpft. gesetzlichen Änderungen, die beispielsweise die Es gilt die Null-Toleranz-Strategie. Die niedersäch- Vermögensbeschlagnahmung, aber auch die Be- sische Polizei und Justiz werden dabei auch die schlagnahmung von Fahrzeugen usw. ermögli- gute Zusammenarbeit mit anderen Dienststellen chen, erwähnt. Alles das gibt es schon. Die Polizei auf Landes- und Bundesebene fortsetzen. ist mit dieser Thematik als ein Schwerpunkt ihrer Arbeit sehr intensiv beschäftigt. Das ist auch richtig Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. so, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU und bei der SPD) Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Herr Kollege Onay, ich darf Sie unterbrechen. Herr Emden bittet darum, eine Frage stellen zu dürfen. - Vielen Dank, Herr Kollege Adasch. - Es folgt nun Ja. - Bitte, Herr Kollege! für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kolle- ge Onay. Bitte! (Zuruf von der SPD: Ach nee!)

- Das bedarf nicht Ihrer Kommentierung, liebe Kol- Belit Onay (GRÜNE): legen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehr- ten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn Bitte, Herr Emden! doch einmal eines klarstellen, weil in der Diskussi- on um Clankriminalität häufig der Eindruck erweckt Christopher Emden (AfD): wird, als sei das ein Tabu, an das man sich nicht Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Onay, ich oder erst neuerdings herantraut. Das ist mitnichten glaube, wir haben unterschiedliche Reden gehört. so. Ich habe mich gerade gefragt, wo denn bitte der Kollege Ahrends in seiner Rede eine Richterschel- (Beifall bei den GRÜNEN) te gehabt haben soll. Ich habe sie nicht gehört, Ich habe noch keinen Innenminister, keinen Poli- und hätte ich sie gehört, hätte ich als Berufsrichter zeipräsidenten, keinen Menschen mit sicherheits- da sicherlich aufgeschrien. Insofern ist meine Fra- politischer Verantwortung erlebt, der allen Ernstes ge: Was in der Rede von Herrn Ahrends haben Sie Mord, Waffenbesitz oder Menschenhandel als als Richterschelte interpretiert? folkloristisch oder als kulturelle Besonderheit abge- (Helge Limburg [GRÜNE]: Er hat ge- tan und von deren Verfolgung abgesehen hätte, sagt, sie würden zu weich urteilen, meine sehr geehrten Damen und Herren. weil sie sich nicht trauen! - Wiard Sie- (Beifall bei den GRÜNEN, bei der bels [SPD]: Die Frage wurde von CDU und bei der FDP) Herrn Limburg beantwortet!)

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Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: so anfällig für Kriminalität? Woher kommt das ei- Vielen Dank. Die Frage ist angekommen und wird gentlich? jetzt beantwortet. - Bitte, Herr Kollege! Ich möchte ausdrücklich auf die vom Berliner Se- nat in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2015 Belit Onay (GRÜNE): mit dem Titel „Paralleljustiz“ von Professor Dr. Ro- Sie können das ja im Stenografischen Bericht he und Dr. Jaraba hinweisen. Darin ist zum einen nachlesen. Ich werde Ihnen das jetzt nicht referie- die Problematik mit Fokus auf Berlin sehr gut auf- ren. Der Kollege Ahrends sitzt ja neben Ihnen und geschlüsselt, zum anderen aber auch, warum es hat wahrscheinlich noch das Redemanuskript dort überhaupt so attraktiv für diese Gruppe geworden liegen. Sie können ja einmal hineinschauen. ist, sich im kriminellen Bereich zu bewegen. Dabei spielen externe Faktoren wie die Beschränkung (Beifall bei den GRÜNEN) des Zugangs zum Arbeitsmarkt über zehn Jahre Aber zurück zur Thematik: Herr Ahrends, Sie ha- oder länger, die zwangsweise Unterkunft in Hei- ben auch von der Unterwanderung der Polizei men und die damit zusammenhängende Selbstiso- gesprochen. Anlass für diese Diskussion war ja lation, die Kürzung der Sozialhilfe bis zu 20 oder eine Situation in Berlin. Ich habe mir die Zitate des 25 %, das Ausgeben von Wertgutscheinen usw. Ausbilders, der den Stein damals ins Rollen ge- eine Rolle. Damit hängt natürlich der Rückzug, die bracht hat, extra einmal herausgesucht. Ich lese Selbstisolation zusammen. das Zitat des Ausbilders aus einer „Panorama“- Eine Rolle bei diesem Problem spielt aber auch Meldung vom 7. November 2017 vor: der gleichzeitige Rückzug der Staatsmacht aus „Ich habe noch nie so was erlebt, der Klas- diesen Bereichen. Auch mit Blick auf Möglichkeiten senraum sah aus wie Sau, die Hälfte Araber der Kontaktaufnahme mit diesen Bereichen hat und Türken, frech wie Sau. Dumm. Konnten man leider in den letzten Jahren, vor allem in Ber- sich nicht artikulieren.“ lin, etwas verpennt. In der Studie wird aber auch darauf eingegangen, dass das nicht einheitlich der Und weiter heißt es: Fall ist. Es gibt auch sehr gute Beispiele dafür, wie „Das sind keine Kollegen, das ist der Feind. beispielsweise mit Clanoberhäuptern oder Perso- Das ist der Feind in unseren Reihen.“ nen, die in diesen Bereichen tonangebend sind, Kontakt aufgenommen werden und mäßigend Richtig ist, dass die Polizei Berlin und der Polizei- eingewirkt werden kann. All diese Beispiele sind, präsident das ausdrücklich zurückgewiesen und glaube ich, nicht von der Hand zu weisen. eine solche Unterwanderung ausgeschlossen ha- ben, weil es dafür keine Anhaltspunkte gibt. Ich Ganz entscheidend ist, dass in dieser für diesen glaube, aus diesem Zitat lässt sich das auch nicht Personenkreis schwierigen Situation der Clan, die ableiten, ganz im Gegenteil. Es hat mich schon eigene familiäre Struktur der letzte sichere Hafen sehr gewundert, dass sich sowohl die politische als ist, auch die mediale Diskussion aufgrund solcher (Zuruf von den AfD: Oh!) Zitate eher um Unterwanderung und nicht um die falsche Annahme eines solchen Ausbilders, der wo emotionale Bindung entsteht. Und wenn es offensichtlich für seinen Beruf nicht geeignet ist, dann zu Kriminalität kommt und diese archaischen, gedreht hat und dass dies die Diskussion bestimmt tribalen Strukturen plötzlich Aufwind bekommen, hat. entstehen dort

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der (Christopher Emden [AfD]: Parallel- SPD) welt!)

Aber einmal weg von den polizeilichen Maßnah- eine Parallelwelt - Sie sagen es - und der Boden men, die alle richtig sind und schon benannt wor- für kriminelle Strukturen, meine sehr geehrten den sind: Ich glaube, für uns, für die Länder, muss Damen und Herren. es um unsere Kompetenzen gehen, und zwar um die Gefahrenabwehr und vor allem um die Präven- Darüber hinaus gibt es weitere Probleme dieser tionsarbeit. Da lohnt, glaube ich, ein genauer Blick Gruppe. Ich glaube, insgesamt muss es auch für in diese Clan- und Familienstrukturen: Warum ist uns darum gehen, wie wir das Thema Prävention ein bestimmter Teil innerhalb dieser Clanstrukturen angehen können, wie wir die Perspektiven gerade

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für Geflüchtete oder Menschen, die neu hierher- leljustiz und eine Art familieninternes Gewohnheits- kommen, attraktiver machen können. recht, das sie über die Verfassung unseres Landes stellen. Es kann kein Zweifel daran bestehen: Dort, In diesem Zusammenhang weise ich auch noch wo es stattfindet, untergräbt das in Teilen unseren einmal auf die Befunde des Kriminologischen For- Rechtsstaat. - Ein solches kriminelle Verhalten schungsinstituts hin. Meine sehr geehrten Damen dulden wir nicht. Wir zeigen null Toleranz überall und Herren, ich glaube, wir wären gut beraten, sie da, wo wir ihm begegnen. uns noch einmal im Detail anzuschauen. (Beifall bei der SPD) Vielen Dank. Wir akzeptieren es nicht, wenn Mitglieder von (Beifall bei den GRÜNEN und Zu- Clans sich nicht integrieren, Parallelgesellschaften stimmung bei der SPD) schaffen oder gar Selbstjustiz üben. Deshalb ist die Clankriminalität seit 2013 auch ein strategi- Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: scher Schwerpunkt im Rahmen der Bekämpfung Vielen Dank, Herr Kollege Onay. - Nun hat das der Kriminalität hier bei uns in Niedersachsen. In Wort für die Landesregierung Herr Innenminister manchen Regionen, die besonders betroffen sind, Pistorius. Bitte! haben die Polizeibehörden ganz gezielte, regiona- le Konzepte gegen die Clankriminalität entwickelt, Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: um den jeweiligen Besonderheiten vor Ort gerecht Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und werden zu können. Diese regionalen Konzepte Herren! Ich möchte diese Aktuelle Stunde gerne bildeten die Basis für die im März 2018 in Kraft dazu nutzen, die Debatte über das Thema Krimina- gesetzte landesweite Rahmenkonzeption zur Be- lität durch Familienclans etwas zu versachlichen. kämpfung von Clankriminalität, mit der einheitliche Standards - das war wichtig - gesetzt wurden. Die Bekämpfung von Clankriminalität bildet bereits seit Jahren einen Schwerpunkt in der Kriminali- Wir, meine Damen und Herren, gehen also intensiv tätsbekämpfung durch die Landesregierung. Das und aktiv gegen diese Strukturen vor. Mit unserer Phänomen wurde zunächst hauptsächlich im Zu- landesweiten Rahmenkonzeption stellen wir sicher, sammenhang mit den sogenannten Mhallamiye- dass erstens bereits den Beamten des Einsatz- Kurden erkannt und in den Gremien der Innenmi- und Streifendienstes ein standardisiertes Maß- nisterkonferenzen regelmäßig diskutiert. Dort er- nahmenpaket zur Verfügung steht, zweitens ein folgt eine Abstimmung. konsequentes Einschreiten bei niedriger Ein- schreitschwelle möglich ist - das ist entscheidend Aus den Handlungsempfehlungen der IMK haben für das Verfolgen der Null-Toleranz-Strategie - und die niedersächsischen Polizeibehörden spezifische drittens frühzeitig die Justiz und andere Behörden Konzepte erarbeitet, um ortsansässige kriminelle einbezogen werden und Informationen übergrei- Familienclans oder Clanmitglieder effektiv und fend ausgetauscht werden können. wirksam zu bekämpfen. Unser Ziel ist es, diesen Strukturen konsequent, mit allen zur Verfügung Meine sehr geehrten Damen und Herren, der stehenden rechtsstaatlichen Mitteln zu begegnen. jüngste Einsatz in Nienburg und Celle zeigt im Übrigen beispielhaft, dass die Polizei konsequent Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir und erforderlichenfalls mit größtem Kräfteaufgebot von kriminellen Familienclans sprechen, dann ha- gegen kriminelle Familienclans vorgeht. Die Wir- ben wir es dabei mit unterschiedlichen Delikten kung ist bisweilen bemerkenswert. und Verfahren zu tun, zu denen es aus ganz un- terschiedlichen Anlässen kommt. Clankriminalität Auslöser war eine gewaltsame Auseinanderset- ist nicht automatisch organisierte Kriminalität. Die zung zwei rivalisierender Großfamilien am 22. Juli, Täter agieren bisweilen unterhalb dieser Schwelle. bei der auch Schusswaffen und Schlagstöcke ein- Es kann zu extremen Eskalationen kommen, wenn gesetzt und mehrere Personen erheblich verletzt z. B. gegen die sogenannte Familienehre versto- worden waren. Unter Einbindung von Spezialein- ßen wird, aber auch Provokationen und vermeint- heiten aus 13 Bundesländern und Kräften der lich nichtige Anlässe können zu Gewaltexzessen GSG 9 ist die Polizei vergangene Woche in der führen - das tun sie immer wieder. Region gegen Mitglieder dieser beiden Familien vorgegangen. Dabei wurden insgesamt 21 Wohn- Für viele der Clanmitglieder zählen unsere rechts- objekte durchsucht und Waffen beschlagnahmt. staatlichen Prinzipien nicht. Für sie gilt eine Paral-

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Das zeigt: Wer unsere Gesetze und Normen igno- Fürsorgepflicht ihres Unternehmens spüren. Ganz riert und das Recht in die eigenen Hände nimmt, im Gegenteil: Hier versucht ein Großunternehmen, erhält die klare Antwort des Rechtsstaates, meine sich auf eine sehr dreiste Art und Weise aus der Damen und Herren. Verantwortung zu stehlen. Genau das, meine Da- men und Herren, dürfen wir nicht zulassen. (Beifall bei der SPD und bei der CDU) (Beifall bei der SPD und bei der CDU) Ich möchte zum Schluss sehr deutlich machen: Mir ist bewusst, dass sich manche Menschen, vor Offiziell ist die Rede von einem drohenden Abbau allem in deutschen Großstädten, von der Clankri- von 835 Stellen. Betroffen sind die Standorte WEC minalität bedroht fühlen. Genau deshalb nehmen Turmbau in Emden und Magdeburg. Dort verlieren wir dieses Thema auch so ernst - es ist auch ein 320 Menschen ihren Arbeitsplatz, davon 190 in ernstes Thema. Das ist allerdings kein Grund für Emden; bei WEC Site Services GmbH in Wes- Panikmache und das Entwerfen düsterer Szenari- terstede sind 150 und beim Rotorblattzulieferer en über unseren Staat. Das ist kein Grund für Po- Aero Ems in Haren 235 Beschäftigte betroffen, und pulismus und Hetze gegen ganze Bevölkerungs- am ENERCON-Stammsitz in Aurich werden wohl gruppen. 130 Stellen wegfallen. Vielen Dank. Aber wir alle wissen, meine Damen und Herren: Im Kern reden wir über weitaus mehr Arbeitsplätze, (Beifall bei der SPD und bei der CDU) weil auch andere Zulieferer betroffen sein werden, Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: wenn nicht zügig - auch in Berlin - die entspre- chenden Entscheidungen getroffen werden. Die IG Vielen Dank, Herr Minister. - Weitere Wortmeldun- Metall spricht sogar von einem Verlust von bis zu gen sehe ich nicht, sodass ich die Besprechung 2 000 Jobs. zur Aktuellen Stunde der AfD schließen kann. Meine Damen und Herren, wir im Nordwesten sind, Ich eröffne die Besprechung zu was den Umgang mit den Beschäftigten und den Gewerkschaften bei ENERCON angeht - insbe- sondere, wenn es um die Mitbestimmung und die b) Windenergieausbau zwischen EEG und Kli- Gründung von Betriebsräten geht -, einiges ge- maschutz - Solidarität mit den Beschäftigten wöhnt. In einer solch schwierigen Phase aber zu aller ENERCON-Betriebe - Antrag der Fraktion behaupten, das Unternehmen ENERCON sehe der SPD - Drs. 18/1444 sich nicht in der Verantwortung, da es um Zuliefe- rer und nicht um Tochtergesellschaften gehe, ist Ich erteile der Fraktionsvorsitzenden der SPD, ein Schlag ins Gesicht aller Kolleginnen und Kolle- Frau Modder, das Wort. Bitte! gen. (Beifall bei der SPD und bei der CDU) Johanne Modder (SPD): Deshalb zu Recht das Motto: „Wir sind Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und ENERCON!“ Herren! Meine Fraktion hat das Thema „Windener- gieausbau zwischen EEG und Klimaschutz - Soli- (Beifall bei der SPD und bei der CDU) darität mit den Beschäftigten aller ENERCON- Die Kolleginnen und Kollegen setzen trotz alledem, Betriebe“ zur Aktuellen Stunde angemeldet, weil es trotz allen Drucks weiter auf den Dialog. Sie wollen brandaktuell ist, uns das Thema „gute Arbeit“ wich- über Alternativen, über Neuausrichtung der Stand- tig ist und wir die Energiewende zum Erfolg führen orte, über Kurzarbeit, über Weiterqualifizierung wollen. oder auch die Versetzung der betroffenen Mitarbei- (Beifall bei der SPD und bei der CDU) ter an andere Standorte reden. Dafür brauchen sie Zeit. Ich finde, das ist verständlich und steht ihnen Um es gleich am Anfang deutlich zu formulieren: auch zu. Meine Fraktion steht geschlossen hinter den Be- schäftigten der ENERCON-Betriebe. Unsere un- Meine Damen und Herren, die Unternehmensfüh- eingeschränkte Solidarität gehört den betroffenen rung hat bislang sehr ungeschickt auf entspre- Kolleginnen und Kollegen an den verschiedenen chende Gesprächsangebote reagiert. Sie hat die Standorten und deren Familien - Familien, die Einladung sowohl von Herrn Wirtschaftsminister völlig alleingelassen werden und nichts von der Dr. Althusmann als auch die des Bundeswirt-

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schaftsministers, Herrn Altmaier ausgeschlagen. Das tun sie, um sich für ihre Kolleginnen und Kol- Dann aber zur Übergabe eines Förderbescheides legen einzusetzen. Dafür herzlichen Dank. des Bundes zu kommen, finde ich beschämend. (Beifall bei der SPD und bei der CDU) Das lässt tief blicken. Lassen Sie uns heute hier ein deutliches Signal (Beifall bei der SPD und bei der CDU) setzen. Die Tür ist noch nicht zu. Vielleicht lenkt Meine Damen und Herren, ich danke der Landes- die Unternehmensführung endlich ein und arbeitet regierung - insbesondere Herrn Dr. Althusmann an sozialverträglichen Lösungen mit. und Olaf Lies - für die klaren Worte der vergange- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. nen Woche. Interessant wäre allerdings, jetzt erst einmal - wenn all die Betriebe nicht mehr (Beifall bei der SPD und bei der CDU) ENERCON sind - zu wissen: Was ist dann : ENERCON eigentlich noch? Und wie ist zu erklä- Präsidentin Dr. Gabriele Andretta ren, dass der ENERCON-Chef, Herr Kettwig, bis Vielen Dank, Frau Kollegin. - Es folgt für die Frak- vor Kurzem noch Geschäftsführer der betroffenen tion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Jans- Firmen war? sen-Kucz. Bitte!

Ich würde mir wünschen, dass heute hier aus die- Meta Janssen-Kucz (GRÜNE): sem Haus ein Appell an die Unternehmensführung Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich von ENERCON geht, die ausgestreckte Hand an- will mich an dieser Stelle erst einmal dem Gruß an zunehmen und endlich in einen ernsthaften Dialog die Betriebsräte, die in Teilen hier zu Gast sind, an mit der Gewerkschaft und den Arbeitnehmervertre- die IG-Metall-Vertreter, aber auch an alle Unter- tern einzutreten. stützer vor Ort anschließen und mich bei ihnen (Beifall bei der SPD und bei der CDU) bedanken. Schön, dass Sie hier sind. Ich hoffe, dass wir gemeinsam stark sind. Meine Damen und Herren, die Krise bei dem (Beifall bei den GRÜNEN und bei der Windkraftanlagenhersteller ENERCON macht aber SPD) auch sehr deutlich: Bei der Energiewende haben wir ein ernsthaftes Problem. Wir brauchen nicht Unsere Solidarität ist Ihnen an dieser Stelle ge- nur ein klares Bekenntnis in Bezug auf ein erhöh- wiss. tes Ausbauziel für erneuerbare Energien, sondern Ich finde es wirklich bitter, dass der 1. August ne- wir brauchen jetzt die richtigen Schritte - und wir gativ in die ostfriesische, die niedersächsische und brauchen sie schnell -, wie z. B. die angekündigten auch die bundesdeutsche Geschichte eingehen Sonderausschreibungen. Hier ist der Bundeswirt- wird. An diesem Tag hat der Energieanlagenher- schaftsminister Altmaier nach seiner Reise, bei der steller ENERCON verkündet, sich zukünftig inter- es um den Netzausbau ging, auch im Wort. nationaler aufstellen zu wollen, da die Auftragslage Ich stimme unserem Umweltminister Olaf Lies zu: in Deutschland stark rückläufig sei. Das bedeutet Wir können unsere Klimaschutzziele nur erreichen, nichts anderes, als dass weltweit die Energiewen- wenn wir auch die Energiewende vorantreiben. Wir de vorankommt, während Deutschland auf die brauchen jetzt klare und verlässliche Rahmenbe- Bremse tritt. Damit ist der massive Arbeitsplatzab- dingungen, einen zügigen Netzausbau und Maß- bau bei ENERCON verbunden. Das betrifft alle nahmen zur Netzentlastung, aber auch endlich die Betriebe, die wirklich ENERCON sind, sowie zu- Sektorenkopplung, die Erzeugung von Wasserstoff sätzlich die Zulieferbetriebe und die Speditionen aus Wind- und Solarstrom sowie auch die Speiche- vor Ort. Denn auch alle Verträge mit ihnen sind rung in Kavernen. Niedersachsen hat alle Chan- schon gekündigt. cen, hier eine entscheidende Rolle für das Gelin- Wir reden also nicht nur über 800 Arbeitsplätze, gen der Energiewende zu spielen. Wir müssen sie die voraussichtlich in der betroffenen Region verlo- aber auch nutzen. Die Zeit drängt. rengehen, wenn nichts passiert, sondern es geht Zum Schluss will ich einen besonderen Dank an um weit über 1 000 Arbeitsplätze. Ich hoffe nicht, die hier heute anwesenden Betriebsräte und Ge- dass die Zahlen der Gewerkschaften noch weiter werkschaftsvertreter richten, die im Moment viel bestätigt werden. Wir haben seit Anfang 2017 in auf sich nehmen und viel Druck aushalten müssen. der Windenergiebranche schon rund 2 500 Ar- beitsplätze verloren. Das ist bitter für die Energie-

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wende. Vor allem aber ist es für die Arbeitnehme- wichtig, diesen Dialog vor Ort - mit den Betriebsrä- rinnen und Arbeitnehmer und ihre Familien sowie ten und mit den Gewerkschaften - jetzt massiv für die betroffenen Regionen bitter, wo es um wei- einzufordern, an neuen Arbeitsmodellen sowie an tere Arbeitsplätze geht. Möglichkeiten zu arbeiten, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Denn wir haben eine Zeit von ein bis (Beifall bei den GRÜNEN) zwei Jahren zu überbrücken. Es kann doch wohl Deshalb muss klar sein: ENERCON muss sich nicht angehen, dass wir über 1 000 Menschen seiner Verantwortung den Arbeitnehmerinnen und nach Hause schicken; denn dann ist deren Know- Arbeitnehmern sowie der Region gegenüber stel- how weg. Wir brauchen aber das Know-how dieser len. Hanne Modder hat das Thema „Förderbe- Menschen. scheide“ angesprochen. Es ist doch wirklich un- Ein Wort noch in Richtung der Landes- und Bun- säglich: Wie kann Herr Ferlemann da eigentlich despolitik: Bitte keine Krokodilstränen! Bitte, han- noch hingehen? Das hat nichts mit Türaufhalten zu deln Sie!. Wir brauchen in Sachen Arbeitsplätze tun. Da muss man einfach sagen: Leute, so läuft sowie in Sachen Klimaschutz Taten. es hier nicht. - Unsere gesamte Subventionspolitik gehört an dieser Stelle auf den Prüfstand. Entwe- (Beifall bei den GRÜNEN) der wir haben eine Sozialpartnerschaft, oder wir Sonst wird das nichts. Sonst sind auch unsere haben keine. Wenn sich jemand davon aus- Solidaritätsbekundungen hier und heute reine Ma- schließt, kann er auch keine Fördergelder kassie- kulatur. Also Ärmel hoch und anpacken! ren; denn das sind unsere Steuergelder. (Beifall bei den GRÜNEN) (Beifall bei den GRÜNEN) In den letzten Wochen hat mich - ich habe die Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Pressemeldungen dazu verfolgt - etwas wirklich Vielen Dank. - Für die AfD-Fraktion hat das Wort geärgert: Unser Bundeswirtschaftsminister Altmai- der Abgeordnete Wirtz. er tauchte nach über einem Jahr jetzt endlich in der Region auf und sprach über Trassenführung Stefan Wirtz (AfD): usw. Es ist aber überhaupt nichts passiert. Er be- Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Da- wertet den Rückgang in der Windenergiebranche men und Herren! Sehr geehrte Frau Modder, Sie sogar als Erfolg. Das hätte vermeintlich den An- haben dieses Thema auf die Tagesordnung der stieg der Strompreise ausgebremst. Ich finde, das heutigen Sitzung gesetzt. Damit war Ihnen schon ist eine Aussage, die extrem absurd ist. Man muss im Vorfeld eines gewiss: ENERCON ist heute sich einfach einmal vor Augen führen, mit welchen Thema im Landtag. - Die Schlagzeile haben Sie. Summen Kohle und Atomkraft seit Jahrzehnten Jetzt muss aber noch wesentlich mehr hinterher massiv subventioniert werden. kommen. (Beifall bei den GRÜNEN) Sie sprechen in Ihrer Titelzeile von Solidarität. Das Meine Damen und Herren, dieses Ausbremsen der erinnert mich an viele Solidaritätsbekundungen erneuerbaren Energien hat fatale Folgen in den gerade aus Ihrer Partei in der Vergangenheit. Bei- Bereichen Arbeitsplätze sowie - allem voran - Kli- spielhaft nenne ich Stichworte wie Holtzmann, maschutz. Ich kann hier - bei allen Solidaritätsbe- Hochtief oder zuletzt Opel, bei denen sich die Grö- kundungen - in Richtung Berlin, aber auch in Rich- ßeren Ihrer Partei wie etwa Gerhard Schröder und tung Niedersachsen nur ganz deutlich sagen: auch Ihr Herr Gabriel solidarisch gezeigt haben, Schaffen Sie diese Bremsklötze ab, werden Sie aktiv waren, die Ärmel, wie es schien, hochge- aktiv. Niedersachsen bzw. Ostfriesland ist das krempelt und eine Solidaritätsbekundung geäußert Windenergieland Nummer eins. Wegen des grü- haben, die aber nicht lange anhielt. nen EEGs sind wir eine Vorzeigeregion. Machen (Zurufe von der SPD) Sie das bitte nicht kaputt! Jetzt meine Frage an Sie: Was passiert denn, (Beifall bei den GRÜNEN) wenn Sie aus dem Blitzlicht dieses Tages heraus Wir sollten uns auch nichts vormachen. Es wurde sind? Was passiert denn, wenn bei den Betrieben jetzt angekündigt, Sonderausschreibungen auf den der Blitz einschlägt? Sind Sie dann immer noch in Weg zu bringen. Die dauern aber. Parlamentari- der Lage, Solidarität zu zeigen oder zu leisten? sche Mühlen mahlen langsam. Deshalb ist es so Was passiert denn, wenn hier der Theaterdonner

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verhallt ist und es in den Betrieben tatsächlich den müssen. - Das ist eine Solidaritätsleistung, die einmal rumpelt, wie es jetzt zu drohen scheint? die Gesellschaft insgesamt bereits erbracht hat. Sie hat der Windenergiebranche anscheinend aber (Zuruf von Johanne Modder [SPD]) nicht genug genützt. Was passiert, wenn Sie von der Bühne abgetreten Die größte soziale und solidarische Leistung der sind? Menschen aber ist der hohe Strompreis, den wir (Glocke der Präsidentin) alle zu bezahlen haben. Die deutschen Stromprei- se sind die höchsten in Europa. Ursache dafür ist Glauben Sie denn, so können Sie eintreten? vor allem die Energieumlage. Vielleicht haben Sie mit „Solidarität“ aber auch (Johanne Modder [SPD]: Was ist etwas anderes gemeint, und zwar die soziale denn Ihre Antwort?) Komponente, die in Ihrer Partei gern wieder einmal entdeckt werden muss. Gelegentlich kommt es ja Das heißt: Sie fordern hier eine Solidarität ein. Wir vor, dass Sie wieder an das „S“ in Ihrer Parteibe- haben eben schon gehört: Das könnte Makulatur zeichnung denken. sein. - Es droht nun der Umstand, dass Sie diese Solidarität hier zwar ankündigen, letztendlich aber (Johanne Modder [SPD]: Ach herrje!) nichts passieren wird. Das Entscheidende ist hier aber die soziale Markt- (Johanne Modder [SPD]: Was ist wirtschaft, mit der Betonung auf „Marktwirtschaft“. denn Ihre Antwort?) Die Windenergie ist seit Jahrzehnten subventionie- rungsbedürftig. Sie ist nicht allein standfähig. Sie Diese Regelungen werden die Betriebe miteinan- ist alles andere als zukunftsgewiss. Das ist eine der finden. Die Aussichten sind ungewiss. Es be- völlige Normalität; denn niemand kann die Zukunft steht die Möglichkeit, im Export zu arbeiten. Es sicher voraussagen. besteht auch die Möglichkeit, im Rückbau und in der Entsorgung zu arbeiten. Zurzeit gibt es 1 000 t Zu den sozialen Eingriffen, die in die soziale an Verarbeitungskapazitäten im Bereich Rückbau Marktwirtschaft - es ist Ihre Partei, die dafür schon und Entsorgung. Wir brauchen aber 20 000 bis längst hätte zuständig sein müssen - hätten vorge- 40 000 t, wenn die ganzen Altanlagen abgebaut nommen werden müssen, gehört etwa die Vermei- werden. Hier finden wir ein Marktsegment, das dung von Monopolbildungen und von Abhängigkei- vielleicht für die Zulieferer von ENERCON interes- ten, wie sie derzeit zwischen Zulieferern und sant werden könnte. ENERCON bestehen. Was Sie am Ende aber vielleicht doch meinten, (Zuruf von Johanne Modder [SPD]) war nicht „sozial“ oder „solidarisch“, sondern eher „sozialistisch“ oder „Aufstehen ohne Sahra“. Dann - Frau Modder, benutzen Sie einfach das Mikro, wenn Sie Zwischenfragen haben; dann kann ich sage ich: Bleiben Sie sitzen, bleiben Sie liegen und Sie besser verstehen. machen lieber nichts! Vielleicht regelt es sich dann ohne Ihr Eingreifen von Staatsseite aus besser. Die soziale Marktwirtschaft hätte das längst regeln Danke sehr. müssen. Das wäre auch Ihre Verantwortung gewe- sen. (Beifall bei der AfD - Dr. Christos Pantazis [SPD]: Wenn das die Alter- Vielleicht meinen Sie aber auch, dass die Solidari- native sein soll!) tät der Bevölkerung verstärkt werden sollte. Dazu muss ich Ihnen aber eines sagen: Sie hängen weit Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: zurück, wenn Sie erst heute von Solidarität spre- chen. Die Bevölkerung ist schon längst solidarisch. Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion hat nun das Die Windenergiebranche hat bei der Zulassung, Wort Herr Kollege Thiele. Bitte! aufgrund der verkürzten Planauslage, bei der För- derung - Fördergelder haben Sie ja angespro- Ulf Thiele (CDU): chen -, bei der Errichtung, beim Betrieb und auch Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! beim Rückbau so viele Vorteile wie kaum eine Sehr geehrte Betriebsräte von ENERCON! Es ist andere Branche. Die Bundesregierung hat sogar gut und richtig und erkennbar notwendig, dass der beschlossen, dass für solche Großanlagen noch Niedersächsische Landtag heute den geplanten nicht einmal regelmäßige TÜV-Prüfungen stattfin- Arbeitsplatzabbau bei ENERCON, das Verhalten

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der Geschäftsleitung in dieser Krise und auch die Jetzt verkündet dieses technologische Vorzeigeun- Lösungsmöglichkeiten für diese Branche themati- ternehmen in dieser Situation einen Abbau von siert. Eines haben wir schon gelernt: Den Kollegen 835 Stellen direkt beim Konzern. 835 Schicksale, von der AfD sind die Mitarbeiter bei ENERCON 835 betroffene Familien in Ostfriesland, im Ems- erkennbar völlig egal. land, im Ammerland, in Magdeburg. Bei den Zulie- ferern noch einige Hundert mehr durch gekündigte (Beifall bei der CDU und bei der SPD) Verträge. Das haben wir schon gehört. Ich halte das Verhalten der Geschäftsleitung in dieser Situa- Umso wichtiger ist es - dafür danke ich im Namen tion für zynisch. der CDU-Fraktion sehr herzlich -, dass in den letz- ten Wochen sowohl Wirtschaftsminister Bernd (Zustimmung bei der CDU und bei der Althusmann als auch Bundeswirtschaftsminister SPD) Peter Altmaier und Energieminister Olaf Lies sowie viele weitere Vertreter der Gewerkschaften, der Denn aus einem Konzern mit 13 000 Beschäftigten Agentur für Arbeit, der Kammern und zahlreicher wird nach Lesart der Unternehmensleitung plötz- anderer Gruppen viele Gespräche geführt haben, lich eine kleine mittelständische Firma mit 400 um die Krise bei ENERCON zu bewältigen, um Mitarbeitern und 12 600 Arbeitnehmern in der Zu- auch bei den notwendigen Prozessen zur Gestal- lieferindustrie, für die man keine Verantwortung tung der Energiewende einen Schritt voranzu- trägt und auf die man keinen Einfluss hat. kommen und um insbesondere aber auch dafür zu Meine Damen, meine Herren, diese Mitarbeiter sorgen, dass der Arbeitsplatzabbau bei ENERCON haben bisher einen wesentlichen Beitrag zum Er- sowie auch bei den echten Zulieferern von folg des Konzerns geleistet. ENERCON - ich rede jetzt nicht von den Tochter- gesellschaften - verhindert, reduziert, abgemildert (Beifall bei der CDU und bei der SPD) werden kann. Diese Mitarbeiter sind ENERCON. Darum ist es In diesen Dank können wir leider nicht die Ge- auf der einen Seite wichtig und richtig, dass die schäftsleitung von ENERCON einschließen, zu- Landesregierung und die Bundesregierung jetzt an mindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt. ENERCON - Maßnahmen arbeiten, um die Energiewende vo- das zeigt sich in dieser Krise offenkundiger als je ranzubringen. zuvor - ist ein Konzern mit zwei Gesichtern. Auf Es ist auch nachvollziehbar, dass das Unterneh- der einen Seite ist ENERCON Motor, Technologie- men dies einfordert, um die Auftragsdelle, die 2014 führer in der Windenergiebranche, weltweiter maßgeblich durch die EEG-Novelle entstanden ist, Marktführer in Hightech für die Windenergie, in zu überbrücken und den Markt zu stabilisieren und Deutschland Marktführer, was die Marktanteile um dafür zu sorgen, dass es am Ende des Tages angeht. ENERCON hat großartige Ingenieursleis- die Energiewende „Made in Germany“ und, ja, tungen vorzuweisen. ENERCON ist Innovations- auch „Made by ENERCON“ bleibt und nicht zu treiber sowohl in der Branche als auch in der „Made in China“ wird. Wachstumsregion Emsachse bei uns vor Ort. ENERCON ist Arbeitgeber von weltweit 13 000 Auf der anderen Seite müssen wir von einem Kon- Mitarbeitern. zern, der dies einfordert, der gleichzeitig einfordert, dass er subventioniert wird, Zuschüsse bekommt Auf der anderen Seite hat ENERCON eine kom- und als Technologieführer unterstützt wird, erwar- plexe verschachtelte und kaum zu verstehende ten, dass seine Unternehmensleitung jetzt endlich Konzernstruktur, um erstens Steuerminimierung zu Verantwortung für ihre eigenen Arbeitnehmer betreiben - das ist erkennbar und muss einem übernimmt, dass er die Einladung von Landeswirt- nicht gefallen - und um zweitens die Mitarbeiter- schaftsminister Bernd Althusmann annimmt und mitbestimmung sowie die Arbeitnehmerrechte sich endlich mit den Mitarbeitern, den Arbeitsagen- innerhalb des Konzerns so gering wie irgend mög- turen und anderen an einen Tisch setzt, um dar- lich zu halten. In der schwierigen Situation, in der über zu diskutieren, wie wir den Arbeitsplatzabbau wir uns jetzt befinden, wird offenkundiger denn je, zumindest reduzieren können, wie wir die Krise wie schwierig das Verhältnis der Konzernleitung gemeinsam bewältigen können, wie wir mit den von ENERCON beim Thema Arbeitnehmerrechte, Mitarbeitern gemeinsam durch diese Lage kom- Mitbestimmung und gegenüber den Gewerkschaf- men und wie wir dort, wo es notwendig ist, Sozial- ten ist. pläne miteinander verabreden können, um den

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Schaden für die Mitarbeiter so gering wie möglich (Minister Dr. Bernd Althusmann: Das ist zu halten. mir bekannt!) Es reicht nicht, immer nur Erfolge zu verkünden. - Sie sind damit vertraut. Jetzt haben Sie das Wort. Man muss in einer schwierigen Lage auch Verant- wortung übernehmen, und zwar insbesondere für Dr. Bernd Althusmann, Minister für Wirtschaft, seine Mitarbeiter. Genau das fordern wir heute Arbeit, Verkehr und Digitalisierung: gemeinsam ein. Vielen Dank. - Sehr verehrte Frau Präsidentin! Herzlichen Dank. Meine Damen und Herren! Die Lage in der deut- schen Windenergiebranche ist mehr als besorg- (Lebhafter Beifall bei der CDU und bei niserregend. Das ist sie aber nicht erst seit heute. der SPD) Gerade Niedersachsen ist schon längst betroffen, wenn auch fast unbeachtet. Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Im Zusammenhang mit der jetzigen Situation bei Vielen Dank, Herr Thiele. - Da die FDP-Fraktion ENERCON muss man auch erwähnen, dass es noch keine Wortmeldung abgegeben hat, hat nun bereits im Dezember letzten Jahres einen Arbeits- für die Landesregierung Herr Wirtschaftsminister platzabbau von über 400 Stellen gab, nämlich bei Dr. Althusmann das Wort. Carbon Rotec, ebenfalls einem Windenergieanla- genhersteller. Schon damals war erkennbar, dass Dr. Bernd Althusmann, Minister für Wirtschaft, die Windenergiebranche schwierigen Zeiten ent- Arbeit, Verkehr und Digitalisierung: gegengeht. Die Lage bei ENERCON ist so ernst, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich gehe davon dass ich Ihnen, meine sehr geehrten Damen und aus, dass der Wortmeldezettel jetzt abgegeben Herren Vertreter von ENERCON - da mache ich wird. keinen Unterschied zwischen Zulieferern oder (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das tue ich!) exklusiven Zulieferern und ENERCON; ENERCON ist ENERCON, und sie gehören dazu -, - Ich weiß gar nicht, ob man bei diesem Thema immer so taktisch denken sollte nach dem Motto: (Beifall bei der CDU) Wir reden erst nach der Landesregierung! die uneingeschränkte Unterstützung der Nieder- (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Wieso tak- sächsischen Landesregierung in Gänze zusichern tisch? Das hat etwas mit Parlamenta- darf in dem Bemühen, den geplanten Arbeitsplatz- rismus zu tun, Herr Minister!) abbau von rund 835 Stellen abzumildern. Gänzlich aufhalten werden wir ihn wohl nicht können. Es - Okay, dann nehme ich das zurück, lieber Stefan geht nicht nur um Stellen, sondern es geht vor Birkner. allem um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Wenn das ihren Familien, die hinter diesen Stellen stehen. Ich Parlament es wagt, nach der Landesre- habe sie persönlich kennengelernt. gierung zu sprechen, ist das Taktik? Meine Damen und Herren, ich habe den eindringli- Was ist das denn für ein Parlaments- chen Appell an die Geschäftsleitung von ENER- verständnis?) CON, dass das hohe Gut der Sozialpartnerschaft - Nein, aber üblicherweise redet die Landesregie- ernst genommen wird. Ich erwarte, dass die Ge- rung bei Aktuellen Stunden immer erst am Ende, schäftsleitung eines Konzerns, der in der Vergan- wenn die Fraktionen das Vorrecht genossen ha- genheit auch vom Land Niedersachsen Förderun- ben, zum Thema zu sprechen. gen in Höhe von rund 5 Millionen Euro für ver- schiedene Projekte über die Jahre 2000 bis 2006 Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: und 2007 bis 2012 erhalten hat, sich gemeinsam mit uns und allen Betroffenen an einen Tisch setzt Darf ich hier kurz mäßigend eingreifen? und eine Lösung sucht. Das ist erwartbar. (Minister Dr. Bernd Althusmann: Wir (Beifall bei der CDU) brauchen das nicht weiter auszuführen!) Die Landesregierung hat unmittelbar nach einem - Einen Moment, bitte, Herr Minister Dr. Althus- Anruf durch die Geschäftsleitung einen Termin mit mann! Nach der Geschäftsordnung können die Herrn Kettwig und Herrn Wobben vereinbart. In Fraktionen sich jederzeit zu Wort melden. diesem Gespräch wurde sehr deutlich die derzeiti-

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ge Lage von ENERCON mit Blick auf den deut- Bei aller Kritik, die sich an die Geschäftsleitung schen Windenergiemarkt dargestellt. Die Umsatz- richtet, möchte ich aber auch betonen: Die Tür ist einbrüche sind drastisch, und die Nachfrage nach nicht geschlossen; die Tür bleibt geöffnet. Jeder, Windenergie ist - das zeigen die Vorauszahlen auf der mit uns sprechen will, kann das tun. Sie haben das erste Halbjahr 2019 - in den Keller gegangen. das Gespräch mit uns gesucht, wenn auch ge- Das ist nachvollziehbar. trennt zwischen Betriebsräten und der Geschäfts- leitung. Ich finde, es wäre ein gutes Signal aller Ebenso bleibt nachvollziehbar, dass man jetzt für Verantwortlichen, wenn wir uns jetzt zurückbewe- die erwähnte Talsohle von zwei Jahren eine Über- gen würden. Es ist immer besser, man redet mitei- gangslösung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbei- nander als übereinander. ter bei ENERCON suchen muss. Dazu gehören solche Aspekte wie Zeitarbeit und Kurzarbeit sowie Ich fordere nur eines: einen fairen Umgang mit den alle anderen Fragen, die im Rahmen eines or- Betroffenen, eine ordentliche Behandlung der Lan- dentlichen Verfahrens für einen Sozialplan längst desregierung bzw. der Vertreter der Bundesregie- hätten erörtert werden können. rung. Insbesondere fordere ich, das notwendige Gespräch jetzt offen und konstruktiv zu führen und Ich finde es bedauerlich, und es ist nicht akzepta- mit einem Ergebnis in den nächsten Wochen im bel, wie bislang gehandelt wurde. In der nächsten Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Woche werden wir erneut versuchen - ich habe eines wichtigen Energiekonzerns für Niedersach- persönlich bereits um einen Termin gebeten -, mit sen abzuschließen. der Geschäftsleitung von ENERCON eine Verein- Vielen Dank. barung dahin gehend zu treffen, alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen. Dazu gehören auch die (Lebhafter Beifall bei der CDU) IG Metall mit Herrn Geiken und unsere Betriebsrä- te - u. a. Herr Özdemir und Herr Rainer Hüring, die Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: ich vorhin draußen begrüßen konnte. Ich freue Vielen Dank, Herr Minister. - Das Wort hat nun für mich, dass wir uns hier wiedersehen. Ich bin sehr die FDP-Fraktion Herr Fraktionsvorsitzender sicher, dass wir versuchen werden, eine gemein- Dr. Birkner. same Lösung zu finden. Dr. Stefan Birkner (FDP): Die Ursachen, die mit der Novelle des EEG von 2014 zur jetzigen Situation geführt haben, werden Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und wir jedoch nicht kurzfristig ändern können. Wir Herren! Sehr geehrter Herr Minister, lassen Sie werden die Übergangsregelungen der Jahre 2016 mich eingangs noch etwas zu Ihrer Bemerkung bis 2018 mit der Festbetragsvergütung nicht kurz- von vorhin sagen. Ich will eines deutlich machen: fristig auflösen können. Wir werden auch die ein- Wenn ein Parlamentarier sich herausnimmt, nach gebrochene Nachfrage am Windenergiemarkt nicht Ihnen zu sprechen, dann ist das nicht mit dem mit kurzfristigen Lösungen im Hinblick auf Sonder- Vorwurf zu kommentieren, dies sei Taktik. Dieser ausschreibungen ausgleichen können. Wir müssen Vorwurf deutet eher auf ein etwas gestörtes Par- aber alles dafür tun. lamentsverständnis hin. Das Parlament ist nicht die kritiklose Bühne für Ihre Darstellung. Vielmehr Die Bundesregierung hat über Herrn Peter Altmai- müssen Sie sich mit dem, was Sie sagen, einer er dem Herrn Ministerpräsidenten und mir in Ge- parlamentarischen Debatte stellen. Deshalb ist es sprächen persönlich zugesichert, dass die Son- selbstverständlich, dass Parlamentarier sich her- derausschreibung von 4 MW jetzt kommen wird. ausnehmen können, nach Ihnen zu sprechen. Das Wir gehen davon aus, dass die Gesetzgebung des werden wir auch künftig so halten. Bundes zügig auf den Weg gebracht wird, und (Beifall bei der FDP und bei den appellieren an unsere Bundespolitiker in den bei- GRÜNEN sowie Zustimmung bei der den Bundestagsfraktionen von CDU und SPD, AfD) diesen Gesetzentwurf so schnell wie möglich auf den Weg zu bringen, damit die Sonderausschrei- Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bungen kommen und die Nachfrage wieder an- komme zur Sache. steigt. So können wir die nächsten ein bis zwei Ja, die Mitarbeiter von ENERCON sind in dieser Jahre durch entsprechende Maßnahmen überbrü- schwierigen Situation auf jeden Fall zu unterstüt- cken. Das ist unser Ziel. zen. Da steht die FDP-Fraktion selbstverständlich

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auf der Seite der Mitarbeiter. Es ist allerdings sehr ein Jahr lang diskutiert worden und von der Wind- bemerkenswert - das ist zu Recht angesprochen energiebranche auch an die Politik herangetragen worden -, wie sich die Geschäftsleitung der Firma worden. Ich bin schon einigermaßen verwundert, ENERCON hier verhält. dass Sie sagen, jetzt müsse Berlin sich bewegen. Was bitte haben Sie denn eigentlich in den letzten Auch zu unseren Zeiten war es schon so, dass Monaten mit Blick auf diese Fragestellung getan? man mit politischen Forderungen gerade in Rich- Sie haben doch sehenden Auges zugelassen, tung Förderung der erneuerbaren Energien immer dass diese Situation entstanden ist! Insofern ist es sehr schnell und direkt konfrontiert wurde, zum Teil nicht wirklich überzeugend, dass Sie jetzt hier die- sehr weit gehend, manchmal sogar unangemes- se Betroffenheitsrhetorik pflegen. sen weitgehend. Wenn die Geschäftsleitung aber dann, wenn die Politik auch einmal Wünsche an (Beifall bei der FDP und bei den sie hat, einfach abtaucht, dann ist das ein sehr GRÜNEN) gestörtes Verständnis von Verantwortung, das in Aber die gesamte Problematik, die sich jetzt dar- aller Deutlichkeit zu kritisieren ist. stellt, ist - das ist eigentlich der politische Kern - (Beifall bei der FDP und bei den Ausdruck einer fehlgeleiteten Energiepolitik, die GRÜNEN sowie Zustimmung bei der auf eine Art Subvention - wir haben das hier heute CDU) schon gehört -, auf eine Umlage aufbaut. Aufgrund dieser Systematik ist das Wirtschaftsgeschehen Wir fordern, wie es hier zu Recht bereits gesche- immer auf politische Entscheidungen angewiesen hen ist, dass die Verantwortung anerkannt wird, und von ihnen abhängig, und damit ist es mit allen und zwar für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damit verbundenen Unsicherheiten konfrontiert. im Konzern, und dass man sich nicht einfach zu- rückzieht. Nachdem das EEG in den Anfangsjahren richtig und wichtig war, um in einer Nische eine Techno- Aber, Frau Modder und Herr Minister, viel mehr als logie zu etablieren, werben wir schon lange und Betroffenheitsrhetorik habe ich von Ihnen nicht auch weiterhin dafür, einen Weg zu finden - man vernommen. hätte ihn schon längst finden müssen -, um zu (Beifall bei der FDP und bei den einem marktwirtschaftlichen Geschehen zu kom- GRÜNEN) men. Man darf nicht länger an der Umlage festhal- ten, weil Unternehmen wegen dieses Instruments Sie weisen darauf hin, dass man Alternativen bie- in Fallen laufen, aus denen sie sich nicht mehr ten müsse. Übergangslösungen werden in den befreien können, weil sie nicht Herren des Markt- Raum gestellt. Es heißt, man brauchte eine Neu- geschehens sind. ausrichtung; Kommunikation und Zeit würden be- nötigt. Alles das ist sicherlich richtig. Aber was sind (Beifall bei der FDP und Zustimmung denn ganz konkret die Vorschläge der Landesre- bei der AfD) gierung? Was sind ganz konkret die Vorschläge Lassen Sie mich noch eines zu den Regulierun- von SPD und CDU, wie man den Mitarbeiterinnen gen, die Sie jetzt kritisieren, sagen: Ihre Regierung und Mitarbeitern seitens der Politik zur Seite ste- hat die Regelung zu den Bürgerwindparks unter- hen kann? stützt. Es gibt eine Bundesratsentschließung, mit (Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!) der SPD und Grüne damals genau diese Regelung wollten. Jetzt zu sagen, nun müssten doch mal Oder sind die Möglichkeiten vielleicht begrenzt? andere liefern, ist nicht ganz konsequent und nicht Dann sollten Sie das ehrlicherweise aber auch ganz aufrichtig. Sie tun so, als ob Sie damit nichts sagen und nicht den Eindruck erwecken, Sie könn- zu tun hätten. Es darf nicht verschleiert werden, ten hier eine Lösung bewerkstelligen. Da haben dass das Ergebnis Ihrer Politik ist. Dafür haben Sie Sie eindeutig zu wenig geliefert. jetzt auch die Verantwortung zu tragen. (Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN) (Beifall bei der FDP - Glocke der Prä- sidentin) Das gilt umso mehr, als die Problematik, die mit den sogenannten Bürgerwindparks auf die Wind- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ab- energie zugekommen ist, nicht überraschend vom schließend ergänzen: Wenn Sie jetzt nach Berlin Himmel gefallen ist. Das hat sich ja abgezeichnet. rufen, ist auch das nicht wirklich überzeugend. Die Das ist monatelang, wenn nicht sogar schon über zahlreichen Bundeswirtschaftsminister - Herr Alt-

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maier, sein Vorgänger Herr Gabriel und auch der immer versucht, das EEG irgendwie plattzuma- Vorvorgänger; ich weiß schon gar nicht mehr, wer chen. Seit fünf Jahren regiert in Berlin eine GroKo. es davor war - und auch die Landesminister - das Wer hat da etwas auf den Weg gebracht? waren nicht so viele; es waren mindestens zwei: Ein Wirtschaftsminister sollte doch das Ohr am Herr Lies und Herr Althusmann - erzählen uns seit Puls der Zeit haben. Sie haben alle seit Anfang Jahren, es müsse beim Netzausbau vorangehen, 2017, spätestens seit Ende 2017 diesen Einbruch man müsse endlich zu Veränderungen kommen. mitgekriegt. Es erstaunt mich sehr, dass Sie jetzt Aber es passiert doch nichts. Sie haben keine so erstaunt tun. Wieso suchen Sie nicht das Ge- Antworten auf die Fragen, die auch hier in Nieder- spräch? Wieso haben Sie es nicht schon längst sachsen gestellt werden. gesucht? Wieso haben Sie nicht seit über einem Das gesamte Projekt der Energiewende hat übri- halben Jahr oder einem Jahr Druck auf die Bun- gens - um auch das noch einmal deutlich zu sa- desregierung aufgebaut? gen - kein einziges Gramm CO eingespart, aber 2 Sie kennen unsere Position zu dem Halbsatz zu Milliarden verschlungen. den Sonderausschreibungen, den Sie in den Koali- tionsgesprächen ausgehandelt haben: Auch das Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: ist richtiger Murks. Da versuchen Sie noch irgend- Herr Dr. Birkner, Sie müssen zum Schluss kom- wie die Kurve zu kriegen, nachdem Sie dem EEG men. politisch großen Schaden zugefügt haben. Und in Sachen Energiewende kommen Sie keinen Milli- Dr. Stefan Birkner (FDP): meter voran. Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. (Beifall bei den GRÜNEN) Es hat ein überreguliertes System geschaffen, in Dialog ist das eine. Ich fordere wirklich politisches dem Unternehmen politischen Entscheidungen Handeln. Ducken Sie sich nicht weg! Sie sitzen schutzlos ausgesetzt sind. Sie können am Ende doch in Berlin mit in der Regierung! Sie sitzen auch nichts dagegen tun. Dieses System ist zum Schei- im Bundesrat! Bringen Sie etwas auf den Weg! tern verurteilt.

Sie haben keine Antworten auf diese Fragen. Sie Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: werden erleben, dass noch viel mehr Arbeitsplätze Jetzt ist die Redezeit vorbei. gefährdet werden. Dann werden Sie genauso be- troffen und hilflos regieren. Meta Janssen-Kucz (GRÜNE): (Lebhafter Beifall bei der FDP und bei Die Zeit des Zögerns, Zauderns und Ausbremsens der AfD) ist vorbei. Das haben Sie lange genug gemacht.

Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: (Beifall bei den GRÜNEN - Minister Olaf Lies meldet sich zu Wort) Nun gibt es weitere Wortmeldungen nach § 71 Abs. 3. - Vielleicht noch einmal ein Beitrag zur Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Erklärung: Abgeordnete haben jederzeit die Mög- lichkeit, Mitgliedern der Landesregierung zu erwi- Ebenfalls nach § 71 Abs. 3 erteile ich das Wort dern, auch wenn ihnen keine Redezeit mehr zur Herrn Kollegen Thiele, CDU-Fraktion. Verfügung steht. (Jens Nacke [CDU]: Auch die Landes- Von § 71 Abs. 3 macht nun Frau Kollegin Janssen- regierung hat jederzeit Gelegenheit, Kucz, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Gebrauch. sich zu melden! Man muss nur hingu- Frau Kollegin, anderthalb Minuten! cken!) - Herr Minister, möchten Sie jetzt oder - - - Meta Janssen-Kucz (GRÜNE): (Minister Olaf Lies: Ich ziehe jetzt zu- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dia- rück und spreche danach!) log ist das eine, und Dialog muss man einfordern. Das andere ist das Thema EEG, und dazu habe - In Ordnung. Auch das können wir hier frei regeln. ich heute überhaupt nichts von Wirtschaftsminister Bitte, Herr Kollege Thiele! Auch Sie haben andert- Althusmann gehört. Wer hat es denn so verkorkst? halb Minuten. Seit 13 Jahren ist die CDU am Werkeln. Sie hat

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Ulf Thiele (CDU): Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Ich dachte, der Vielen Dank, Herr Thiele. - Wir haben nun noch- Minister wollte sofort sprechen. mals Wortmeldungen von der Landesregierung. Zunächst Herr Umweltminister Lies. Bitte! Ein offenes Wort: Ich hätte mir gewünscht, dass wir - die Herrschaften auf der Rechtsaußen-Seite Olaf Lies, Minister für Umwelt, Energie, Bauen ausgenommen; das war erwartbar - hier einen und Klimaschutz: breiten Schulterschluss hinkriegen. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr Ich danke Stefan Birkner für seine Ausführungen geehrte Frau Janssen-Kucz, ich bin über Ihre Bot- im Hinblick auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbei- schaft ein wenig verwundert, weil wir in der letzten ter. Die Debatte über die Frage der Ausgestaltung Legislatur schon genau diese Initiativen ergriffen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes hilft uns in haben, die wir jetzt gemeinsam in der Großen Koa- der Diskussion um die Mitarbeiterinnen und Mitar- lition fortsetzen, nämlich dafür zu sorgen, dass die beiter bei ENERCON im Moment, ehrlich gesagt, Rahmenbedingungen - die wir übrigens alle woll- null Komma gar nicht weiter. ten -, Bürgerwindparks zu unterstützen, fehlgelau- (Beifall bei der CDU und Zustimmung fen sind. Das ist ein Fehler der Politik. Das muss von Johanne Modder [SPD] - Zurufe man eingestehen. Das ist falsch gelaufen. Wir von den GRÜNEN - Unruhe - Glocke müssen das so zügig wie möglich korrigieren. Ich der Präsidentin) glaube, es ist ein klares Signal dieses Landtages, dass wir allesamt immer der festen Überzeugung Ich weise auch den Vorwurf zurück, der hier, ich waren, das zu korrigieren. glaube, von Stefan Birkner, gemacht wurde, der Was man nicht braucht, ist, jetzt sozusagen einen Minister habe nicht gesagt, was jetzt zu tun ist. - Spaltpilz in dieses Land zu treiben. Hier sollten wir Das hat er sehr konkret getan! Er hat sehr konkret geschlossen vorgehen und geschlossen die Forde- gesagt, dass er zwei Dinge tut: rungen stellen. Das muss unser Ziel sein. Erstens diskutiert er mit Bundeswirtschaftsminister (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Peter Altmaier über die schon im Koalitionsvertrag der CDU) des Bundes wegen der hier diskutierten Delle in der Auftragslage verankerten Sonderausschrei- Wir haben übrigens - ich will daran erinnern, weil bung, um sie so schnell wie möglich in Berlin um- es ein Signal war, von dem ich mir, gebe ich zu, gesetzt zu bekommen. Er tut das in dem Wissen, mehr versprochen hätte - im Herbst letzten Jahres dass das nicht von heute auf morgen möglich ist, dieses Thema schon größer diskutiert und im Wirt- sondern erst in anderthalb bis zwei Jahren Wir- schaftsministerium eine große Veranstaltung kung zeigen kann. Aber die Delle zu verkürzen, ist durchgeführt, bei der ein Vertreter von ENERCON ein sinnvoller Beitrag, um das Problem zu lösen, und auch ein Vertreter der Gewerkschaft anwe- weil wir parallel dazu - wenn wir einen verkürzten send waren und bei der eine gemeinsame Positio- Zeitraum haben - natürlich besser in der Lage sind, nierung entstanden ist, die aber leider in der Öf- über Kurzarbeit - auch das hat er deutlich ge- fentlichkeit kein Thema war. Manchmal ist das so: macht -, über Arbeitszeitmodelle innerhalb eines Du hast die richtigen Themen zur richtigen Zeit, Sozialplans im Gesamtkonzern und auch über die aber sie finden nicht die Öffentlichkeit und den Frage von Arbeitsplatzwechseln eine Lösung für Nachhall. Leider muss erst etwas Negatives wie die betroffenen Arbeitnehmer zu erreichen. ein Arbeitsplatzabbau geschehen, damit die Fol- gen klar werden und gehandelt wird. Darüber möchte er zweitens mit der Konzernlei- Aber das war schon die gemeinsame Botschaft. tung und den Arbeitnehmervertretern gemeinsam Ich appelliere daran, dass diese gemeinsame Bot- verhandeln. Er hat eine erneute Einladung dazu schaft zum Erhalt auch wieder funktioniert. ausgesprochen, um diesen Prozess zu moderie- ren. Dafür sind wir ihm sehr dankbar. Wir haben daraufhin als Große Koalition die Initia- tive in den Bundesrat eingebracht, die Vergünsti- Herzlichen Dank. gungen für die Bürgerwindparks auszusetzen, sodass sozusagen für längere Zeit keine (Beifall bei der CDU) BImSchG-Genehmigungen erteilt werden; denn

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das haben Spekulanten genutzt und auf Preise Zum Verfahren der Bürgerenergieprojekte, die gesetzt, die wahrscheinlich nie erzielbar sind. maßgeblich auch von Ihnen mit angestoßen wur- den, ist schon zu sagen, dass der breite Ausbau im Wir haben als Große Koalition in der Bundesrats- Jahr 2017 dazu geführt hat, dass wir aufgrund initiative darauf gedrungen, dass die nachholenden fehlender Planungsgenehmigungen und -verfahren Ausschreibungen zügig auf den Weg gebracht wahrscheinlich frühestens im Jahr 2020/2021 mit werden, und wir haben als Große Koalition in Ber- einem erneuten Anziehen der Konjunktur bzw. der lin dafür gesorgt, dass zusätzlich 2 GW pro Jahr Nachfrage rechnen können. ausgeschrieben werden. Zu Ihrem Vorwurf, wir hätten nichts getan: Im Meine Damen und Herren, das klare Signal des Rahmen des Verfahrens zur EEG-Novelle 2017 Niedersächsischen Landtags muss heute doch wurde frühzeitig auf die Probleme und Risiken sein, dass genau das auf den Weg gebracht wird: hingewiesen. hier in Niedersachsen geschlossen für den Ausbau der erneuerbaren Energien eintreten und sich in Am 8. Juli 2016 wurde der vom Bundestag be- Berlin mit Nachdruck dafür einsetzen, dass diese schlossene Gesetzentwurf zur Beschränkung des Ausschreibungen auf den Weg gebracht werden. Ausbaus der Windenergie abgelehnt. Das wäre ein klares und gutes Signal dieses Land- tages, meine Damen und Herren. Dann gibt es den sogenannten Cuxhavener Ap- pell 2.0, bei dem sich die Wirtschaftsminister und (Beifall bei der SPD und bei der CDU) -senatoren der norddeutschen Länder generell - auch auf Initiative der IG Metall Küste - entspre- Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: chend eingebracht haben. Vielen Dank. - Nun hat noch einmal Herr Wirt- schaftsminister Dr. Althusmann für die Landesre- Es gab am 25. August 2017 einen Branchendialog. gierung das Wort. Niedersachsen hat im Januar 2018 - also in unse- rer Regierungsverantwortung - kurzfristig eine Dr. Bernd Althusmann, Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung: eigene Bundesratsinitiative eingebracht und nötige Korrekturmaßnahmen gefordert. Es ging dabei Sehr verehrte Frau Abgeordnete Janssen-Kucz, auch um das Ausschreibungsvolumen des Jahres Ihren Vorwurf, der sich ja in erster Linie an mich 2018, das jedoch nur einmalig um 2 000 Megawatt richtete, diese Landesregierung sei untätig geblie- erhöht wurde. Am Ende kam es tatsächlich nur zu ben, weise ich mit aller gebotenen Höflichkeit zu- einem Ausschreibungsvolumen von 1 400 Mega- rück, weil er schlicht nicht den Tatsachen ent- watt. spricht. Darüber hinaus haben wir die Forderung nach Ungeachtet dessen, was Umweltminister Olaf Umsetzung von Sonderausschreibungen in Be- Lies - auch mit Kenntnis der Vorgängerkoalition schlüssen auf folgenden Ministerkonferenzen an und Ihrer eigenen Verantwortung innerhalb dieser den Bund gerichtet: bei der Besprechung der Re- Koalition - gierungschefs der norddeutschen Länder am (Zuruf von der CDU: Hört, hört!) 24. Mai 2018, bei der Umweltministerkonferenz am 8. Juni 2018 - ich war selbst dabei - und bei der hier erklärt hat, möchte ich darauf aufmerksam Wirtschaftsministerkonferenz am 27. und 28. Juni machen, dass wir erstens im Rahmen der Gesprä- 2018 im Saarland. che deutlich gemacht haben, dass wir sämtliche Instrumente, die ein Land hat - von Bürgschaften Am 6. August habe ich persönlich das Gespräch bis hin zu weiteren, flankierenden Maßnahmen bei mit der Geschäftsleitung hier in Niedersachsen der Unterstützung der sogenannten Zulieferbetrie- gesucht und gefunden. be -, unterstützen werden. Am 12. August hat es ein Telefonat mit dem Bun- Wir haben zweitens den engen Kontakt mit der desminister für Wirtschaft gegeben. Arbeitsagentur gesucht, um auch frühzeitig even- tuell Alternativen zu finden. Dabei wollen wir Am 16. August haben wir mit den betroffenen Be- ENERCON natürlich nicht aus der Pflicht entlas- triebsräten unter Einladung der Geschäftsleitung sen, weiter das Gespräch zu suchen. gesprochen.

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Meine Damen und Herren, der Vorwurf, wir seien rung des Fragerechts. Genau darum geht es bei untätig geblieben, entbehrt wahrlich jeglicher dem Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung, Grundlage. den die Fraktionen von SPD und CDU vorgelegt haben. Vielen Dank. Ich will kurz sagen, worum es im Kern geht. Es (Beifall bei der CDU und bei der SPD) sind im Wesentlichen zwei Punkte: erstens die Abschaffung der bisherigen sogenannten Mündli- Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: chen Anfragen. Sie werden ersetzt durch - das hat Vielen Dank, Herr Minister Althusmann. - Weitere sich im Sprachgebrauch schon ein bisschen Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist der ers- durchgesetzt - die Kleine Anfrage zur schnellen te Teil der Aktuellen Stunde beendet. schriftlichen Beantwortung, die nach Art und Um- Ich rufe auf den fang genau an der Mündlichen Anfrage ausgerich- tet ist. Sie soll aber in Zukunft nicht mehr an Ple- narabschnitte und damit an Plenarzeitabläufe ge- Tagesordnungspunkt 3: koppelt sein, sondern immer - sofern das nach Art Abschließende Beratung: und Umfang möglich ist - innerhalb von 14 Tagen a) Änderung der Geschäftsordnung des Nie- von der Regierung beantwortet werden, aber, wie dersächsischen Landtages - Antrag der Fraktion gesagt, nach Art und Umfang wie die bisherige der AfD - Drs. 18/1087 - b) Änderung der Ge- Mündliche Anfrage. Ich glaube, das bietet dem schäftsordnung des Niedersächsischen Land- Parlament und den Abgeordneten die Möglichkeit, tages - Antrag der Fraktion der SPD und der Frak- losgelöst von Plenarzeitabschnitten immer inner- tion der CDU - Drs. 18/1196 - Beschlussempfeh- halb von 14 Tagen die Antworten der Landesregie- lung des Ältestenrats - Drs. 18/1410 rung zu bekommen. Ich will auch nicht verhehlen, dass es möglicher- weise auch für die Landesregierung durchaus eine Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen, den Antrag der Erleichterung bringen kann, wenn die aus der Mitte Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU in des Parlaments an die Landesregierung gerichte- geänderter Fassung anzunehmen und den Antrag ten Fragen nicht mehr geballt und immer an den der Fraktion der AfD abzulehnen. Plenarabschnitt gekoppelt innerhalb weniger Tage Ich erteile nun Herrn Kollegen Siebels, SPD- beantwortet werden müssen, sondern sich im Fraktion, das Wort. Bitte! Zweifel verteilen je nach dem Bedarf der Abgeord- neten. - Das ist der erste Punkt, den wir in unse- (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das scheint rem Geschäftsordnungsantrag behandeln. ein längerer Vortrag zu werden!) Der zweite Punkt ist, glaube ich, insbesondere im Wiard Siebels (SPD): Hinblick auf die Außenwirkung noch relevanter, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen nämlich die Umgestaltung der Fragestunde, die wir und Herren! Die FDP mutmaßt, das scheint ein in dieser Woche ja von Freitag auf Donnerstag längerer Vortrag zu werden. vorgezogen haben. Sie lief mit der 60-Minuten- Regelung immer ein bisschen Gefahr - ich will es (Vizepräsident Bernd Busemann vorsichtig formulieren -, dass die zweite Anfrage

übernimmt den Vorsitz) nur dann noch thematisiert wurde, wenn die 60 Nein, aber ich habe hier eine Mappe mit all den Minuten nicht schon für die erste Anfrage aufge- Vorgängen, die uns in den vergangenen Monaten braucht worden sind. Das hat ganz offensichtlich seit Beginn der Legislaturperiode in Bezug auf wohl auch dazu geführt, dass sich die Fragesteller Parlamentsreformen - will ich einmal im weitesten bemüht haben, die 60 Minuten so mit Fragen zu Sinne sagen -, in Bezug auf Veränderungen von füllen, dass die 60 Minuten ausgeschöpft werden, Ausschussgrößen, in Bezug auf Veränderungen damit die zweite Anfrage - je nachdem, welcher von finanziellen Zuschüssen an die Fraktionen - Partei-Couleur sie zuzurechnen war - möglicher- Oppositionszuschlag und alles das, was dazuge- weise nicht mehr drankam. hört - beschäftigt haben. Die bisherige Regelung hat zudem möglicherweise Aus meiner Sicht wäre der vorerst letzte Punkt im ein bisschen den Nachteil gehabt - das dürften vor Zuge dieser kleinen Parlamentsreform die Ände- allem die Oppositionsfraktionen kritisieren -, dass

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die Möglichkeiten der Regierung, Redezeit für die schiedenen Instrumente der Geschäftsordnung Beantwortung in Anspruch zu nehmen, schier un- auszuwählen. Deshalb werden wir, so wie es der begrenzt waren, sodass Sie gelegentlich den Ein- Ältestenrat empfohlen hat, diesem Antrag nicht druck gehabt haben dürften, es erfolge hier im zustimmen. Rahmen einer Fragestunde beinahe eine förmliche Der Vorschlag von SPD und CDU ist ausgewogen Regierungserklärung. Diesem Eindruck muss ich und vernünftig und wird das Fragerecht und die natürlich entschieden widersprechen. Art und Um- Ausgestaltung der Sitzungen des Parlaments be- fang der Antworten jedenfalls dieser Landesregie- reichern. rung waren immer genau angemessen. Aber da Sie diesen Eindruck hatten, ist es, glaube ich, rich- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. tig, dass wir das Ganze ein bisschen auflockern und vorsehen, in Zukunft pro Plenarabschnitt im- (Beifall bei der SPD und bei der CDU) mer genau zwei Anfragen - also von zwei Fraktio- nen - zu behandeln. Die Verwaltung - an dieser Vizepräsident Bernd Busemann: Stelle mein herzliches Dankeschön - hat eine groß Vielen Dank, Herr Kollege Siebels. - Es hat sich angelegte mathematische Berechnung durchge- jetzt gemeldet für die Fraktion der FDP Herr Abge- führt, um diese zwei Fragesteller pro Plenarab- ordneter Christian Grascha. Herr Grascha, bitte schnitt über die kommenden Plenarabschnitte so sehr! auszurechnen, dass sich alle dabei gerecht be- handelt fühlen. Wir tun das jedenfalls. Ich hoffe, Christian Grascha (FDP): das gilt auch für die anderen Fraktionen. Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- Des Weiteren ist vorgesehen - das ist ein zentraler legen! In der Tat sprechen wir hier über eine grö- Punkt -, dass die Redezeit in Zukunft limitiert ist, ßere Reform der Geschäftsordnung des Nieder- also zusätzliche Redezeit bei der Regierung auch sächsischen Landtages. Ich glaube, dass insbe- zusätzliche Redezeit bei den Fraktionen auslöst, sondere die Mitarbeiter der Landtagsverwaltung und die Fraktionen auch die Möglichkeit haben, ein und der Fraktionen aufatmen werden, wenn diese Schlussstatement zu den Ausführungen der Lan- konzentrierte Form bei den Mündlichen Anfragen desregierung abzugeben. Damit wird das Frage- jetzt wegfällt. Das hilft im Arbeitsablauf insgesamt. recht der Abgeordneten gestärkt, und es wird - ich Ich möchte dazu aber auch noch etwas grundsätz- will es mit meinen Worten sagen - Waffengleichheit licher ausführen. Wir reden hier nämlich über das zwischen Regierung und Parlament hergestellt. Frage- und Informationsrecht der Abgeordneten im Darüber hinaus werden sich die Diskussionen Parlament. Dieses Frage- und Informationsrecht ist dadurch vielleicht etwas lockerer und thematisch ein Grundpfeiler der parlamentarischen Demokra- bereichernder gestalten und von den Zuschauerin- tie. Was der Kollege Siebels gerade gesagt hat, ist nen und Zuschauern etwas besser verfolgt werden natürlich richtig: Wir wollen mit dieser Reform dazu können. Außerdem werden, so glaube ich, die beitragen, dass die Debatten lebendiger werden. politischen Botschaften für die Presse dann etwas Das ist aber nur die eine Seite. Die andere Seite ist knapper und präziser auf den Punkt gebracht aus- die Frage, was der Bürger von diesen Änderungen fallen. hat. Und da stehen zwei Punkte im Fokus: Zum So stellen wir uns das vor. Wir haben unter den einen geht es darum, dass wir, die Abgeordneten, Fraktionen, ich sage einmal, locker vereinbart, für unsere parlamentarische Arbeit Informationen dass wir nach einem halben Jahr evaluieren - so brauchen, um aus diesen Informationen Alternati- würde man neudeutsch sagen -, ob sich die Ände- ven zum Regierungshandeln zu entwickeln. Der rung bewährt hat, ob der vorgesehene Zeitumfang Vorteil für den Bürger ist, dass er, z. B. bei einer angemessen ist oder ob er regelmäßig überschrit- Wahl, aus diesen Alternativen wählen kann. Zum ten wird. anderen führt das Fragerecht dazu, dass für uns Abgeordnete das Handeln der Regierung transpa- Ich komme zu meinem letzten Punkt. Es gibt auch renter wird. Und wenn wir diese Transparenz ha- einen Antrag der Fraktion der AfD auf Änderung ben, hat der Bürger sie auch. der Geschäftsordnung. Ich interpretiere ihn so, dass in Zukunft alle Anfragen innerhalb von 14 Es geht hier also - das will ich ausdrücklich sagen - Tagen beantwortet werden sollen. Ich glaube aber, nicht nur um die Rechte der Opposition, sondern dass das allein schon deshalb nicht notwendig ist, um die Rechte aller Abgeordneten hier im Haus. weil der Abgeordnete die Möglichkeit hat, die ver- Wir alle haben die Pflicht und die Verantwortung,

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die Regierung zu kontrollieren. In diesem Parla- Vizepräsident Bernd Busemann: ment sollten keine Abgeordneten sitzen, die ledig- Vielen Dank, Herr Kollege Grascha. - Ebenfalls zur lich der verlängerte Arm der Regierung sind. Wir Geschäftsordnung spricht jetzt von der Fraktion sollten ein selbstbewusstes Parlament sein. Der Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Limburg. Bitte! Souverän hat uns mit dieser Macht ausgestattet und uns entsprechend legitimiert. Helge Limburg (GRÜNE): (Beifall bei der FDP und bei den Vielen Dank, Herr Präsident. Genau genommen GRÜNEN) spreche ich aber zur Änderung der Geschäftsord- nung und ausnahmsweise einmal nicht zur Ge- Nun stellt sich natürlich die Frage, wie die Praxis in schäftsordnung, obwohl diese Landesregierung diesem Hause ist. Und da muss ich leider feststel- auch heute Morgen schon wieder genug Anlass len, dass es zu dem, was ich gerade gesagt habe, dafür gegeben hätte. Aber dazu vielleicht an ande- eine Diskrepanz gibt. rer Stelle mehr.

Nehmen wir als Beispiel das Polizeigesetz. SPD Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und CDU haben den Entwurf für ein Polizeigesetz Meine beiden Vorredner haben es bereits betont: eingebracht. Im Parlament gab es dazu eine Anhö- Das Fragerecht der Abgeordneten ist ein hohes rung. Es gab zahlreiche kritische Stellungnahmen, parlamentarisches Gut. Es gehört zusammen mit und der GBD hat von verschiedensten kritischen dem Haushaltsrecht zu den ältesten Parlaments- juristischen Fragen gesprochen. Aber obwohl das rechten, die erstritten worden sind. Herr Kollege Polizeigesetz noch im parlamentarischen Verfah- Grascha hat es gerade dargestellt: Das Recht, ren ist, hat der Ministerpräsident schon gesagt: Fragen zu stellen - und vor allem das Recht, Ant- Das ist mir alles egal, das Polizeigesetz wird so worten zu bekommen -, ist fundamental dafür, verabschiedet, wie es eingebracht wurde. dass das Parlament seine Kontroll- und seine Transparenz- und Öffentlichkeitsfunktion ausüben Das, meine Damen und Herren, entspricht nicht kann. dem Parlamentsverständnis, das ich habe. Der Ministerpräsident ist in diesem Haus nur ein Hun- Die nun vorgesehene Reform der Fragestunde dertsiebenunddreißigstel. Ich erwarte von den durch die Einführung des neuen Instruments der Fraktionen, dass sie sich nichts von der Regierung Kleinen Anfrage zur kurzfristigen schriftlichen Be- diktieren lassen, sondern selbstbewusst Entschei- antwortung ist in der Tat eine grundlegende. Die dungen treffen und Beschlüsse des Parlaments Fragestunde in der jetzigen Form gibt es in Nie- herbeiführen. Dazu dienen solche Anhörungen. dersachsen schon sehr lange. Die Geschäftsord- nungsregeln dazu sind in den letzten Jahren auch (Beifall bei der FDP und bei den nahezu unverändert geblieben. In der Parlaments- GRÜNEN) praxis hat sich die Fragestunde über die Jahre allerdings deutlich verändert; Herr Siebels hat das Deswegen ist die nun vorgesehene Änderung der gerade ausgeführt. Während, wie man den Proto- Geschäftsordnung eine Stärkung des Parlamenta- kollen über die Sitzungen aus den 1980er-Jahren rismus und eine Stärkung der Abgeordnetenrech- entnehmen kann, seinerzeit durchaus bis zu zwölf te. Ich halte die Entscheidung, die wir jetzt treffen, Fragen behandelt wurden, hat sich die Praxis in für sehr wichtig. Sie ist ein sehr wichtiger Schritt zu den vergangenen Jahren dahin entwickelt, dass in einem selbstbewussten Parlament, zu mehr aller Regel nur noch die erste Frage drangekom- Transparenz und damit zu einer Stärkung der par- men ist und danach der für die Fragestunde be- lamentarischen Demokratie. stehende Zeitrahmen schon verbraucht war.

Ich würde mir wünschen, dass dieser Aspekt in der Dies hat auch den Hintergrund, dass die Redezeit Praxis stärker zum Ausdruck kommt. Ich würde mir der Landesregierung nach der Landesverfassung in dieser Frage vonseiten der Regierungsvertreter nicht begrenzt werden kann. Das heißt, die Lan- mehr Respekt wünschen. desregierung hat immer unbegrenzt Redezeit. In normalen Parlamentsdebatten gibt es dafür einen Vielen Dank. Ausgleich, nämlich den § 71 Abs. 3 der Geschäfts- ordnung, der garantiert - das haben wir vorhin (Beifall bei der FDP und bei den erlebt -, dass Parlamentarierinnen und Parlamen- GRÜNEN) tarier erwidern können, sodass das Parlament

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immer das letzte Wort haben kann. In der Frage- wir die Antwort garantiert noch an dem Tag be- stunde gab es diesen Ausgleich bislang nicht. Par- kommen haben - auch wenn sie vielleicht nicht lamentarierinnen und Parlamentarier durften immer immer befriedigend war -, haben wir jetzt natürlich nur fragen, und zwar auch nur so viel, wie es ihr das Risiko, dass die Landesregierung Fristverlän- Fragenkontingent hergab, während die Landesre- gerung beantragt. Wir gehen aber davon aus - gierung teilweise stundenlange Regierungserklä- auch im Kontext der Rechtsprechung des Staats- rungen abgegeben hat. gerichtshofs -, dass die Landesregierung diese 14- Tage-Frist regelmäßig einhalten wird. Ansonsten Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist jetzt würde das Ziel dieser Reform tatsächlich ins Leere Schluss. Das begrüße ich ausdrücklich an der laufen. Initiative von SPD und CDU, die ja auf einen Vor- schlag von SPD und Grünen aus der letzten Wahl- Wir werden Sie daran messen, dass Sie sich an periode zurückgeht. Jetzt ist es so, dass dann, diese Vorgaben halten. wenn die Landesregierung ihre Redezeit überzieht, automatisch auch das Parlament mehr Redezeit Vielen Dank. bekommt. Damit wird gewährleistet, dass auch in (Beifall bei den GRÜNEN und bei der der Fragestunde das Parlament das letzte Wort FDP) haben kann. Ich will nicht verhehlen, dass die Abschaffung der Vizepräsident Bernd Busemann: Fragestunde in der bisherigen Form bei uns nicht Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. - Zur Ge- unumstritten war; denn natürlich hat sie gerade schäftsordnungsdebatte - respektive der Debatte auch in dem beschriebenen Aufklärungsinteresse über die Änderung der Geschäftsordnung, Herr einen großen Reiz gehabt. Um es in Zahlen aus- Kollege - hat sich jetzt für die Fraktion der AfD zudrücken: Wir Grüne sind jetzt zwölf Abgeordne- Kollegin Dana Guth gemeldet. Bitte sehr! te. Das heißt, wir hatten die Möglichkeit, auf der öffentlichen Bühne des Parlaments 24 Nachfragen Dana Guth (AfD): zu stellen. In der neuen Fragestunde haben wir, Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Damen und wie jede andere Fraktion auch, nur noch zwei Herren! Ich muss gestehen: Ich habe Sie vermisst, Nachfragen, und alles andere passiert sozusagen diese Aufmerksamkeit, dieses nette Begrüßen in schriftlich. Das ist ein gewichtiger Schritt, der die diesem Parlament. Ich freue mich, dass wir wieder Opposition durchaus zu dem Reflex veranlassen da sind. Wunderbar! könnte, diese Änderung abzulehnen und dafür einzutreten, dass die Fragen weiterhin in dem bis- Wir befassen uns heute mit dem Antrag zur Ände- herigen Umfang auf der öffentlichen Bühne be- rung der Geschäftsordnung, welchen wir im letzten handelt werden müssen. Diesem Reflex haben wir Plenum schon eingereicht hatten, und natürlich - aber nicht nachgegeben, weil es auch unser Anlie- welch Überraschung! - unter demselben Tages- gen ist, das Parlament und die Aufmerksamkeit für ordnungspunkt auch mit einem Geschäftsord- das Parlament insgesamt zu stärken. Deshalb nungsänderungsantrag der Großen Koalition. Das werden wir diesen Weg mitgehen. Fragerecht der Abgeordneten nach Artikel 38 des Grundgesetzes ist eines der wichtigsten Instru- Herr Siebels, zum Schluss haben Sie gesagt, wir mente, unser Kontrollrecht auszuüben. Gut, wir haben vieles verändert, und jetzt ist erst mal haben jetzt über mehrere Vorschläge zu debattie- Schluss mit Reformen. - Das ist natürlich nicht der ren. Für uns ist erst einmal ein wichtiger Punkt: Fall, aber ich glaube, Sie haben das auch gar nicht AfD wirkt. Wir freuen uns darüber. Zugestanden so gemeint. Mir ist wichtig klarzustellen: Die größte sei Ihnen zumindest, dass Ihnen das Ganze wohl und wichtigste Reform, nämlich die Stärkung der etwas unangenehm war. Die Nachfrage aus der Minderheitenrechte in diesem Parlament, steht Verwaltung, ob wir wohl unseren Antrag zurück- immer noch aus. Wir werden zusammen mit der ziehen würden, kam überraschend. Aber wir wer- FDP weiterhin darauf drängen, dass wir in diesem den das natürlich nicht tun. Punkt zu gewichtigen Veränderungen kommen. Lange Bearbeitungszeiten von bis zu sechs Wo- (Beifall bei den GRÜNEN und bei der chen oder sogar mehr behindern unsere Arbeit, FDP) und das mehr als nur ein bisschen. Jetzt werfen Ein letztes Wort zu der neuen 14-Tage-Frist. Im Sie, was Anfragen betrifft, zumindest einen Krümel Unterschied zu der bisherigen Fragestunde, in der des Entgegenkommens auf den Tisch, wonach

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jeder Abgeordnete zwei Anfragen mit maximal drei Im Sinne einer gewissen Relativierung wurden wir Fragesätzen pro Monat stellen kann und diese aufgefordert, die vorgeschlagene Formulierung zu auch in einer Frist von zwei Wochen beantwortet verwenden: Eine denkbare Formulierung wäre aus bekommen soll. - Na, sowas! Waren Sie es nicht, unserer Sicht: „ist doch die Variante des betäu- die im letzten Plenum die Zwei-Wochen-Frist auf- bungslosen Schlachtens - des sogenannten grund des Urteils des Staatsgerichtshofs geradezu Schächtens - weiterhin gebräuchlich.“ - Erklären ins Lächerliche gezogen haben, ohne dabei zu Sie mir den Unterschied zwischen „weiterhin Usus“ merken, dass Sie selbst aufgrund ewiger Bearbei- und „weiterhin gebräuchlich“! Dann können wir tungszeiten in der letzten Legislaturperiode genau weiter diskutieren. gegen diese Sache geklagt haben, sehr geehrte Die Frage, ob man „weiterhin Usus“ durch „weiter- Damen und Herren von der CDU? hin gebräuchlich“ ersetzen darf, kostet schon ein- Der Staatsgerichtshof hat es Ihnen 2016 ins mal mehr als eine Woche Bearbeitungszeit. Da Stammbuch geschrieben: unverzüglich! Zwar ging sind wir wieder bei Fristen, meine Damen und man dabei davon aus, dass die Beantwortung in Herren. bis zu vier Wochen in der Regel unverzüglich ist. Wikipedia definiert Usus als „Gewohnheit“, und Es steht aber jedem frei, hier in diesem Parlament genau das trifft in diesem Fall auch zu. Sie haben zu beantragen, eine kürzere Frist zu vereinbaren. die Genehmigung erteilt, Sie haben es wieder zu- Unser Vorschlag der Einführung einer allgemeinen gelassen, und Sie haben es bis zum letzten Tag Zwei-Wochen-Frist ist dem § 104 der Geschäfts- geschafft, uns die Informationen dazu vorzuenthal- ordnung des Bundestages entnommen. Ich glaube ten. Das nenne ich Usus. nicht, dass irgendjemand hier in diesem Haus die- se Regelung für verfassungswidrig halten könnte. Uns geht es mit unserem Änderungsantrag nur um eines: die konkrete und vollständige Beantwortung Sei’s drum! Wir debattieren heute über zwei oder unserer Fragen in einer angemessenen Frist. vier Wochen. Diese Frage ist uns wichtig, aber das Wenn auf sprachpolizeiliche Maßnahmen wie in ist am Ende nicht der Kernpunkt. Die Beantwor- dem dargestellten Fall verzichtet würde, hätte das tungsfrist ist insofern relevant, als der Aufwand, schon eine Verkürzung der Bearbeitungszeit zur den es erzeugt, die Antworten auf unsere Fragen Folge. ausweichend, inhaltsleer oder so am Thema vorbei zu formulieren, dass stets und ständig weitere (Glocke des Präsidenten) Nachfragen notwendig sind, jede Menge Zeit kos- Auch wenn Sie unseren Antrag ablehnen werden - tet. weil das so Usus ist; oder muss ich ebenfalls „wei- Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben, wie das in terhin gebräuchlich“ sagen? -, werden wir Ihrem der Praxis aussieht. Es werden bereits Verzöge- Antrag zustimmen. Solange wir noch die kleinste rungen bei der Einreichung von Anfragen produ- Fraktion im Landtag sind, müssen wir an Oppositi- ziert. In meiner Anfrage zum betäubungslosen onsrechten nehmen, was Sie uns zugestehen. Schlachten vom 28. Juni 2018 verwendete ich die Vielen Dank. Formulierung: „ist doch die Variante des betäu- bungslosen Schlachtens - des sogenannten (Beifall bei der AfD) Schächtens - weiterhin Usus“. Am 6. Juli 2018 - Vizepräsident Bernd Busemann: acht Tage nach der Einreichung - bekamen wir Bescheid, dass wir nicht weiterhin „Usus“ sagen Vielen Dank, Frau Kollegin. - Es gibt den Wunsch dürfen. Das hat ein Geschmäckle von Zensur. Wir nach einer Kurzintervention durch die Abgeordnete wurden aufgefordert, eine vorgeschlagene Alterna- Dr. Andretta. Bitte sehr! tive zu verwenden. Dr. Gabriele Andretta (SPD): (Wiard Siebels [SPD]: Von wem denn?) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weise für - Von der Verwaltung. meine Fraktion den Vorwurf, dass wir hier im Land- tag eine Sprachpolizei haben, entschieden zurück. (Wiard Siebels [SPD]: Das werden wir Es gibt keine Sprachpolizei, und die wird es auch alle! - Weitere Zurufe) nicht geben in unserer Demokratie. - Das kostet meine Redezeit. Wir können das ger- (Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei ne bilateral diskutieren. den GRÜNEN und bei der FDP)

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Vizepräsident Bernd Busemann: (Miriam Staudte [GRÜNE]: Allerdings!) Vielen Dank. - Frau Kollegin Guth, wollen Sie erwi- Sie glauben gar nicht, wie viele Telefonate ich in dern? diesem Zusammenhang schon mit der Landtags- (Dana Guth [AfD]: Danke, ich habe al- verwaltung geführt habe. les gesagt!) Vizepräsident Bernd Busemann: Danke. - Dann fehlt noch die CDU-Fraktion. Herr Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollege Nacke, bitte sehr! Kollegin Guth zu? (CDU): Jens Nacke Jens Nacke (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aber selbstverständlich. Bitte schön! Wir ändern heute die Geschäftsordnung des Nie- dersächsischen Landtages. Ich hatte zunächst Dana Guth (AfD): durchaus die Überlegung angestellt, ob es wirklich Vielen Dank für die Zulassung der Frage. sinnvoll ist, an einem solch prominenten Platz über eine Fragestellung, die uns ja eher intern beschäf- Dann würde ich von Ihnen gerne wissen: Was ist tigt, zu sprechen, oder ob es nicht wichtiger, richti- für Sie der Unterschied zwischen „weiterhin Usus“ ger und vernünftiger wäre, Sachfragen in den Vor- und „weiterhin gebräuchlich“? Wenn Sie mir das dergrund zu stellen und die Zeit, die wir haben, zu erklären, nehme ich den Beitrag gerne teilweise nutzen, um über Anträge zu sprechen, die ein zurück. Sachthema haben. (Miriam Staudte [GRÜNE]: Das haben Aber ich halte es für richtig, an dieser prominenten wir nicht zu bewerten! - Weitere Zuru- Stelle über die Änderung der Geschäftsordnung zu fe) sprechen. Es geht nämlich nicht allein um die technische Bearbeitung dessen, was wir hier tun, Jens Nacke (CDU): sondern es geht tatsächlich um eine fundamentale Wissen Sie, Frau Kollegin, es ist ja nun nicht mei- Stärkung der Oppositionsrechte. Der Kollege Sie- ne Aufgabe, die Verwaltung an dieser Stelle zu bels hat dazu einiges ausgeführt, und das halte ich verteidigen. Ich will es gleichwohl tun, weil ich es auch für vernünftig. nachvollziehen kann. Die CDU-Fraktion war in der letzten Legislaturperi- Für mich wäre der Sprachgebrauch „ist weiterhin ode in der Opposition, und wir haben uns mit der Usus“, dass es gängige Praxis sei, damaligen Landesregierung sehr intensiv über die Frage auseinandergesetzt, wie die Oppositions- (Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig!) rechte in diesem Haus gewahrt werden müssen während der Sprachgebrauch „ist weiterhin ge- und sollen. Wir haben auch vor dem Staatsge- bräuchlich“ offenlässt, ob es häufig, selten oder richtshof die eine oder andere Auseinandersetzung nur ganz, ganz selten passiert. Das ist der Unter- geführt, um genau diese Fragestellung abschlie- schied: Das eine ist sachlich, und das andere ist ßend zu klären. eine politische Wertung. Dass Sie den Unterschied nicht verstehen, tut mir leid. Ich kann es nachvoll- Und es ist eben nicht so, wie Sie es sich vorstellen, ziehen, dass die Landtagsverwaltung hier interve- Frau Guth, dass es kein Problem ist, die „Unver- niert hat. Sie hat richtig gehandelt nach der Ge- züglichkeit“ zu definieren und das alles auf 14 Ta- schäftsordnung. ge zu verkürzen - nein! Wir haben das mit der Landesregierung sehr intensiv besprochen. Es ist (Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei vernünftig, zu sagen, dass Anfragen sachlich for- den GRÜNEN und bei der FDP) muliert werden müssen. Das ist die Vorausset- Aber ich räume ein, das ist eine Erfahrung, die zung, die auch bei uns in der Geschäftsordnung über 15 Jahre Parlamentarismus gewachsen ist. steht, und die Landtagsverwaltung ist in der Tat Im ersten Jahr hätte ich mich auch schwer getan, aufgefordert, die Einhaltung dieser Voraussetzung den Unterschied zu verstehen. zu kontrollieren. Und wenn Sie Ihre Anfragen nicht sachlich stellen, dann muss die Landtagsverwal- (Heiterkeit bei der SPD - Ulrich Wa- tung intervenieren. - Das hat uns übrigens alle termann [SPD]: Das kann ich mir gar getroffen. nicht vorstellen!)

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Ich möchte noch Folgendes sagen: Ich finde die Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen. Christian Erwiderungsmöglichkeiten, die wir bei der Frage- Wulff hat gesagt: Wir müssen politische Veranstal- stunde eingeführt haben, genau richtig. Es ist nicht tungen, den politischen Diskurs darauf ausrichten, in Ordnung gewesen, was in der Fragestunde pas- dass Menschen, die gleichsam zufällig in eine siert ist, dass eine Landesregierung sehr umfang- solche Veranstaltung geraten, sagen: Was hier reich ausgeführt hat, dass sie auf Nachfragen noch passiert, ist gut. Was hier passiert, ist anspre- einmal umfangreich ausführen konnte und dass chend. Das ist ein respektvoller Umgang miteinan- man als Parlamentarier keine Gelegenheit hatte, der. Ich würde gerne bei solch einer Gruppe dabei zu reagieren und ein Statement, eine Stellung- sein. Ich würde gerne bei solch einem Gespräch nahme zu dem, was besprochen wird, abzugeben. dabei sein. Ich würde gerne dabei sein und in Ich glaube, dass wir sehr gut damit fahren, wie das solch einer Organisation mitwirken - sei es eine jetzt verändert wird. politische Jugendorganisation, sei es eine Partei, sei es aber auch ein Parlament. Ich möchte an dieser Stelle aber noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Am vergan- Auch wir müssen uns die Frage stellen, ob die genen Samstag hat die Junge Union Niedersach- Menschen, die uns auf den Zuschauertribünen sen ihr 50-jähriges Jubiläum gefeiert. Der eine zuhören, sagen: Wir würden gerne als Parlamenta- oder andere wird sich wundern, dass die erst 50 rier dort unten sitzen und mitdiskutieren, weil auf Jahre alt ist. Es war der Zusammenschluss der JU- einem hohen Niveau diskutiert wird. - Der eine Verbände Hannover, Braunschweig und Olden- oder andere mag an dieser Stelle vielleicht sagen: burg, der zu der Gründung der Jungen Union Nie- Der hat es gerade nötig; wir haben über ihn in der dersachsen geführt hat. letzten Wahlperiode einiges gehört - und man hat an dieser Stelle auch Recht. (Beifall bei der CDU) Wir müssen auf einem hohen Niveau diskutieren. Bei dieser Veranstaltung ist natürlich auch auf die Ich appelliere noch einmal - auch mit Blick auf das, Geschichte des Landes Niedersachsen zurückge- was heute Morgen hier schon wieder passiert ist -, blickt worden, u. a. von dem amtierenden Vorsit- dass jeder diesem Anspruch gerecht wird, dass zenden der Jungen Union Niedersachsen. Besuchergruppen von hier weggehen und sagen: Die diskutieren auf hohem Niveau. Zu Gast war auch der ehemalige Ministerpräsident und Bundespräsident Christian Wulff, den ich seit Wir haben da etwas Nachholbedarf. Das betrifft - Langem einmal wieder bei einer Veranstaltung mit Verlaub - auch Ihre Einlassung, Frau Guth. habe reden hören. Christian Wulff hat darauf hin- gewiesen, dass den Jugendorganisationen - und Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. er meinte damit bestimmt alle Parteien - eine be- (Beifall bei der CDU und bei der SPD) sondere Verantwortung zukommt, weil wir zurzeit in unruhigen politischen Zeiten leben. Er hat aus- Vizepräsident Bernd Busemann: gemacht, dass gerade die junge Generation wie- Vielen Dank, Herr Kollege Nacke. - Es hat sich für der politischer wird und wieder etwas intensiver die SPD-Fraktion noch einmal der Kollege Siebels sagt: Es reicht nicht aus, sich darum zu kümmern, gemeldet. Sie haben noch ein wenig Restredezeit. was aus der eigenen Karriere und aus dem eige- Da wir nicht kleinlich sind: eine gute halbe Minute. nen Leben wird, und nur zu fragen, wie man die Bitte! eigene Freizeit und die eigenen beruflichen Wege gestaltet. Man muss den Blick darüber hinaus Wiard Siebels (SPD): schärfen und wieder politischer werden. Vielen Dank. - Ich will es kurz machen. Frau Guth, Ich möchte diesen Eindruck ausdrücklich bestäti- Sie sind auf unseren Antrag zur Änderung der gen. Ich denke, Christian Wulff hat an dieser Stelle Geschäftsordnung gar nicht richtig eingegangen. Recht. Damit fällt uns als Parteien eine besondere Aber geschenkt! Aufgabe zu. Diese besondere Aufgabe betrifft na- Ich stelle nur fest: Sie haben beantragt, § 46 zu türlich gerade dieses Parlament. Deswegen müs- ändern. Sie wollen den bisherigen Wortlaut belas- sen wir mit besonderer Sorgfalt darauf achten: sen und die 14-Tage-Regelung, von der Sie ge- nicht nur, wie wir die Regeln in diesem Parlament sprochen haben, anfügen. Der bisherige Wortlaut gestalten, sondern auch, wie wir die Debatten in beinhaltet aber einen Verweis auf § 45 der Ge- diesem Parlament gestalten. schäftsordnung. Dort heißt es in Satz 2, dass An-

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fragen, durch deren Inhalt der Tatbestand einer Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen? - Das strafbaren Handlung begründet wird - das ist hier war dann einstimmig. uninteressant - oder die Werturteile oder parlamen- Rein formell muss ich noch über die Nr. 2 der Be- tarisch unzulässige Wendungen enthalten, unzu- schlussempfehlung abstimmen lassen. Wer der lässig sind. Nr. 2 der Beschlussempfehlung des Ausschusses Sie selbst haben also diese Formulierung in Ihrem folgen und damit den Antrag der Fraktion der AfD Antrag erneut vorgeschlagen. Es ist doch logisch, in der Drucksache 18/1087 ablehnen will, den bitte dass aufgrund dieser Formulierung, die in der Ge- ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthal- schäftsordnung enthalten ist - Sie selbst wollen sie tungen? - Das Erste war die deutliche Mehrheit. wieder hineinschreiben; das steht in Ihrem An- Damit ist der Antrag der Fraktion der AfD abge- trag -, die Verwaltung gehalten ist, zu handeln und lehnt. genau zu kontrollieren, ob solche Wendungen Das war der Tagesordnungspunkt 3. enthalten sind oder nicht. Wenn Sie im Einzelfall eine Entscheidung als Meine Damen und Herren, ich rufe nun auf den sachlich falsch kritisieren, steht Ihnen das selbst- verständlich zu. Das ist aber keine Kritik am Frage- Tagesordnungspunkt 4: recht und erst recht keine Kritik an der Exekutive, Erste Beratung: an der Landesregierung. Denn nicht die Landesre- gierung macht das, sondern die Landtagsverwal- Entwurf eines Gesetzes zur Aufnahme des tung. Vielleicht gucken Sie gelegentlich mal ein Staatsziels „Klimaschutz“ in die Niedersächsi- - Gesetzentwurf der Fraktion bisschen genauer hin. sche Verfassung Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/1396 - dazu: (Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei Fokus Klima: Schluss mit Sonntagsreden, kon- den GRÜNEN und bei der FDP) krete Maßnahmen umsetzen - Sofortprogramm jetzt! - Antrag gem. § 23 Abs. 1 S. 2 GO LT der Vizepräsident Bernd Busemann: Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/1397 Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir liegen zu diesem Tagesordnungs- punkt keine weiteren Wortmeldungen vor, sodass (Imke Byl [GRÜNE] beginnt mit ihrer wir in die Abstimmung eintreten können. Rede) Ich lasse über die Nr. 1 der Beschlussempfehlung - Frau Kollegin, was ist los? Immer der Reihe nach! abstimmen. Dort geht es um den § 17 b Abs. 1 der Der Antrag gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 GO LT wird Geschäftsordnung. Hierzu liegt eine Änderungs- eingebracht durch die Kollegin Imke Byl. - Jetzt empfehlung des Ausschusses vor. Wer diese Än- sind Sie dran. Ich erteile Ihnen das Wort. derungsempfehlung so beschließen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - (Heiterkeit) Dies war einstimmig. Imke Byl (GRÜNE): Ich komme zu den §§ 46 bis 49 der Geschäftsord- nung. Auch hierzu liegt eine Änderungsempfeh- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen lung des Ausschusses vor. Wer sich dem an- und Herren! schließen möchte, den bitte ich um ein Handzei- „Wir wollen keine Sonntagsreden schwin- chen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann war gen, sondern handeln und unsere selbst ge- auch dies einstimmig. steckten Klimaziele umsetzen. Das sind wir Unter Einbeziehung der soeben beschlossenen unseren Kindern und Enkelkindern schul- Änderungsempfehlungen, rufe ich nun zur dig.“ Schlussabstimmung auf. Wer dies so beschließen Große Worte! Dieser weise Satz stammt aber aus- möchte, der hebe die Hand oder stehe, noch bes- nahmsweise einmal nicht von mir, sondern aus ser, nun auf. einer Pressemitteilung des Umweltministers Olaf (Heiterkeit - Wiard Siebels [SPD]: Lies. Beides gleichzeitig, oder was?) (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Da steht - Doppelt hält besser, Herr Siebels! viel drin!)

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- Da steht viel drin, das stimmt. Diese Jahre müssen wir unbedingt auch in Nieder- sachsen nutzen! Die Große Koalition und auch Herr Lies sind jetzt seit einem Dreivierteljahr, seit über 240 Tagen, im (Beifall bei den GRÜNEN) Amt. Wir haben uns die Mühe gemacht, und extra Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen für Sie alle Klimaschutzmaßnahmen, die seitdem und Herren, morgen tagt wieder die Kohlekommis- auf den Weg gebracht worden sind, aufgelistet. Es sion der Bundesregierung. Wir haben bereits heute war harte Arbeit. Wir sind jede Pressemitteilung, Morgen darüber gesprochen. Ich glaube, es ist jeden Antrag durchgegangen und saßen stunden- sehr wichtig und gut, dass wir den Kompromiss lang im Büro. Herausgekommen ist das hier: gefunden haben, die den Klimaschutz betreffenden (Die Rednerin zeigt ein leeres Blatt Tagesordnungspunkte auf den Freitag zu ver- Papier - Zurufe: Ah! Oh!) schieben. Nichts! Rein gar nichts! (Wiard Siebels [SPD]: Ja!) Meine Fraktion dagegen hat bereits vorgelegt und Denn Olaf Lies hat die Verantwortung, diesem im Februar einen fertigen Entwurf zu einem Klima- Plenum Rede und Antwort zu stehen, aber er ist gesetz zu Klimaschutz und Anpassung an den auch in der Kohlekommission. Klimawandel in den Landtag eingebracht. Bis heu- (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Aber ohne te von der Großen Koalition als Reaktion darauf: Rederecht! Er hört nur zu!) Nichts! Ohne einen schnellen Kohleausstieg sind unsere Ein unter Grün erarbeitetes Landesenergieszena- Klimaziele wertlos, völlig unerreichbar. Und trotz- rio mit dem Weg hin zu 100 % Erneuerbaren liegt dem wird noch verhandelt. Umweltminister Lies vor. Auch das in diesem Entwurf zum Klimagesetz vertritt Niedersachsen in der Kohlekommission. Ja, festgeschriebene Integrierte Energie- und Klima- er darf nicht mitstimmen, aber er darf beraten, und schutzprogramm mit konkreten Klimaschutzmaß- so, wie wir Herrn Lies kennen, kann er gut reden. nahmen liegt dem Umweltministerium vor. Und was ist mit all dem passiert, seitdem die Große (Beifall bei der SPD - Dr. Stefan Birk- Koalition die Regierung stellt? - Sie erraten es: ner [FDP]: Aber dabei kommt nichts Nichts! Rein gar nichts! heraus! - Christian Meyer [GRÜNE]: Am Freitag hören wir, was herausge- Währenddessen höre ich immer wieder zugegebe- kommen ist!) nermaßen schöne Reden zum Klimaschutz und zur Energiewende durch unseren Umweltminister Und genau das erwarte ich von ihm: Dass er sich im Plenum, bei eigens einberufenen Pressekonfe- für unsere Küste einsetzt, die vom Meeresspiegel- renzen und bei weiteren Terminen. Es ist erstaun- anstieg bedroht ist. lich, wie viel man über den Klimaschutz reden (Zustimmung bei den GRÜNEN) kann, ohne auch nur eine einzige richtige und ech- te Maßnahme anzugehen! Dann aber auch noch Dass er sich für unsere Landwirtschaft einsetzt, die Pressemitteilungen herauszugeben, in denen man mit den veränderten Klimabedingungen kämpft. sich selbst über reine Sonntagsreden beschwert - Dass er sich für die Menschen einsetzt, die durch da fehlen einem langsam wirklich die Worte. Das Starkregen und Hochwasser bedroht sind. Und ist zynisch! dass er sich für all die vielen Menschen einsetzt, die hier in Niedersachsen in der Solar- und natür- (Beifall bei den GRÜNEN und Zu- lich vor allem in der Windkraftbranche Arbeit ge- stimmung von Jörg Bode [FDP]) funden haben. Während wir hier reden und die Große Koalition im (Beifall bei den GRÜNEN) Bereich Klimaschutz immer noch nicht angefangen hat zu arbeiten, werden weiterhin viel zu viele Ohne die Windkraft funktioniert keine Energiewen- Treibhausgase ausgestoßen, wird die Klimakrise de. Und doch ist genau diese Branche durch die weiter angeheizt. Dieser Hitzesommer war doch EEG-Novelle oder eher gesagt durch die Verhinde- nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen rungspolitik der Bundes-GroKo akut bedroht. Nicht wird. Wir haben nur noch ein paar Jahre zur Verfü- nur ENERCON baut Arbeitsplätze ab. Das haben gung, wenn wir die Folgen der Klimakrise auf ein wir heute sogar vom Wirtschaftsminister gehört. Er menschenverträgliches Maß begrenzen wollen. ist übrigens leider nicht mehr hier. Die ganze Bran-

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che droht gerade - genauso wie zuvor die Solarin- Imke Byl (GRÜNE): dustrie - zusammenzubrechen. Was Altmaier hier Ja. veranstaltet, ist, ehrlich gesagt, Wahnsinn! Nicht einmal die Sonderausschreibungen, die ja nur die Vizepräsident Bernd Busemann: Fehler des kranken Systems notdürftig reparieren Bitte, Herr Meyer! sollen, lässt er zu. In der Kohlekommission sieht es genauso drama- Christian Meyer (GRÜNE): tisch aus. Auch dort blockiert die GroKo Zukunfts- Vielen Dank. - Wir reden hier ja über die Verfas- entscheidungen. Herr Lies, Sie haben die Pflicht, sung und über das Chefsachenthema Klimaschutz. sich in Niedersachsen, im Bund und in der Kohle- Deshalb möchte ich Sie fragen, wie Sie es bewer- kommission für all diese Menschen, für einen ten, dass sowohl der Ministerpräsident, der das als schnellen Ausstieg und für den Klimaschutz einzu- Chefsache sieht, als auch der Wirtschaftsminister setzen. und die Landwirtschaftsministerin - in ihrem Be- (Zustimmung bei den GRÜNEN) reich werden die Folgen des Klimawandels beson- ders deutlich - hier nicht anwesend sind? Stimmen Schön und gut! Aber was musste ich stattdessen Sie mir zu, dass der Umweltminister beim Thema am Montag lesen? - Dass sich Lies gemein macht Klimaschutz in der Landesregierung anscheinend mit den fünf Kohleländern und „Augenmaß beim isoliert ist? Kohleausstieg“ fordert! Ehrlich gesagt, ich bin ein bisschen hinten rübergefallen. Erklären Sie das (Zustimmung bei den GRÜNEN) mal den Menschen, die aufgrund der verheeren- den Verhinderungspolitik der Bundes-GroKo nun Imke Byl (GRÜNE): arbeitslos werden oder deren Lebensgrundlage Offensichtlich wird er völlig alleine gelassen. Des- zerstört wird! Das lässt einen wirklich fassungslos wegen bieten wir ihm ja unsere Hilfe an. zurück. (Beifall bei den GRÜNEN und Zu- (Beifall bei den GRÜNEN) stimmung von Jörg Bode [FDP]) Ich bitte um Aufklärung: Ist Ihnen der Ernst der Es ist trotzdem desaströs, zu sehen, wie wenig Lage mittlerweile überhaupt bewusst geworden? ernst die Landesregierung dieses Thema nimmt. Diese Kohlekommission droht zu einem Vollfiasko Heute Morgen noch schöne Worte, und jetzt, wie zu werden, und unser Umweltminister hat nichts gesagt, wieder nichts! Besseres zu tun, als Stimmung gegen einen Ich sprach über den Klimaschutz in der Landesver- schnellen Kohleausstieg zu machen? Was treiben fassung. Olaf Lies hatte diesen Vorschlag auch Sie da in dieser Kommission? Wir kämpfen doch damit erklärt, dass mit einem entsprechenden Kli- für den Klimaschutz und für die Energiewende! macheck jeder Antrag und jeder Gesetzentwurf auf (Zustimmung bei den GRÜNEN) seine Klimarelevanz geprüft würde. Das wäre dann alles superklasse, alles würde sich zum Besseren Genau daran wollen wir Sie heute erinnern. Wir drehen. wollen endlich einmal Taten der GroKo statt immer nur Worte, Worte, Worte! Deshalb bringen wir hier Doch ein solcher Klimacheck bringt rein gar nichts, den Vorschlag ein, den Klimaschutz in die Landes- wenn er keine Auswirkungen auf die getroffenen verfassung aufzunehmen. Vielleicht erinnern Sie politischen Entscheidungen nimmt. Wenn am Ende sich: Genau dieser Vorschlag kommt von Umwelt- trotzdem weiter die Autobahnen gebaut werden, minister Lies, der ihn selbst medienwirksam bei ein neues Kohlekraftwerk in Stade kommt, unsere einer Pressekonferenz vorgestellt hat, damit es Moore weiter zerstört werden und die Massentier- nicht immer nur „bei Sonntagsreden“ bleibe. Auch haltung nicht endlich beendet wird, dann ist das wenn die CDU selbst bei diesem Vorschlag mal wieder einmal nichts anderes als reine Symbolpoli- wieder direkt blockiert hat - Überraschung! -, neh- tik! men wir Lies trotzdem gerne beim Wort. (Beifall bei den GRÜNEN)

Vizepräsident Bernd Busemann: Und genau deshalb belassen wir es nicht bei Sonntagsreden. Stattdessen legen wir zusätzlich Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage des zum Gesetzentwurf zur Verfassungsänderung ein Abgeordneten Meyer zu? Sofortprogramm Klimaschutz vor, mit dem die

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GroKo und auch der Umweltminister endlich direkt Zum zweiten möchte ich mich dem Thema gerne anfangen können zu arbeiten. sachlich nähern, da Ihr Antrag darauf gerichtet ist, die Niedersächsische Verfassung zu ändern. Wir fordern das versprochene Klimagesetz und eine Bundesratsinitiative für eine angemessene „Klimaschutz“ ist ein Sammelbegriff für Maßnah- CO2-Bepreisung, damit Klimazerstörung endlich men, die die globale Erwärmung abmildern oder etwas kostet. verhindern sollen. Auf den ersten Blick ist das posi- (Zustimmung bei den GRÜNEN) tiv zu bewerten. Mit nachhaltiger Politik auf den ersten Blick ist es allerdings nicht getan. Gut Ge- Das neue Kohlekraftwerk in Stade muss verhindert meintes muss auch gut gemacht werden. werden, und wir müssen auch in Niedersachsen endlich raus aus der Nutzung des Klimakillers Koh- Meine Damen und Herren, wir müssen uns daher le! mit zwei Fragen beschäftigen: Erstens. Sind Klima- und Umweltschutz ein erstrebenswertes Ziel? Wir wollen einen Bürgerenergiefonds, mit dem Zweitens. Ist die Änderung der Landesverfassung Niedersachsen direkt die eigenen Bürgerinnen und dafür der richtige Weg? Bürger unterstützen kann. Wir wollen ein Bonusprogramm für die energeti- (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Natürlich sche Gebäudesanierung und mehr Energieeffizi- nicht! - Gegenruf von Christian Meyer enz. [GRÜNE]: Das hat Lies doch gefor- dert!) Der Ausbau der A 39, der A 20 und der A 33-Nord muss selbstverständlich gestoppt werden, und Zu 1: Wir als SPD-Fraktion schließen uns hier stattdessen muss Geld in Busse und Bahnen in- vollumfänglich den Worten unseres Umweltminis- vestiert werden! ters Olaf Lies an.

(Beifall bei den GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Und wir müssen die Tierhaltung endlich an die Er griff bereits Anfang August richtigerweise dieses verfügbaren Flächen koppeln und raus aus der Thema als elementar auf. Wir als SPD stehen Massentierhaltung! stabil für den Schutz von Klima und Umwelt. Wenn Schauen Sie sich unser Sofortprogramm an! Darin man an Niedersachsen denkt, kommen viele Bilder können Sie alles wiederfinden und alles nachle- in den Sinn, beispielsweise von grünen Wiesen, sen. Und dann bitte auch endlich umsetzen. Wir von weiten Landstrichen mit Landwirtschaft und haben keine Zeit mehr für Sonntagsreden. Da Wald. Dies alles ist Lebensgrundlage für uns und haben Sie absolut recht! Aber dann machen Sie für zukünftige Generationen. Das ist unser Zuhau- doch endlich etwas! Fangen Sie endlich an zu se. Das ist uns natürlich wichtig. Nicht zuletzt die- arbeiten! jenigen, die schon einmal versprochen haben, auf ein Neugeborenes aufzupassen, oder sich mit den Danke! Dimensionen beschäftigt haben, was von uns (Beifall bei den GRÜNEN) bleibt, wenn das Leben einmal zu Ende geht, wer- den wissen, was ich damit meine. Vizepräsident Bernd Busemann: Meine Damen und Herren, wir erleben allerdings Vielen Dank, Frau Kollegin Byl. - Meine Damen nicht nur hier in Niedersachsen, sondern weltweit und Herren, das war die Einbringung des Gesetz- einen Wandel des Klimas, der zur Besorgnis führt. entwurfs. Wir setzen die Beratung jetzt fort: Für Wir erleben Extremsituationen in der Natur und in dies SPD-Fraktion spricht Kollegin Wiebke Osigus. den Wetterlagen. Letztlich beschäftigt sich der Bitte! Klimaschutz mit der Gesundheit der Erdatmosphä- Wiebke Osigus (SPD): re. Wir erleben, dass diese Atmosphäre kränkelt. Experten sagen, dass ein Umdenken gute Chan- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu- cen hätte, diese Prozesse abzumildern. Es geht nächst einmal verwahre ich mich für die gesamte allerdings nicht mehr darum, ob wir handeln sollen, SPD-Fraktion gegen den Vorwurf, wir würden uns sondern wir müssen handeln! Insgesamt ist daher nicht um das Thema Klimaschutz kümmern. die Forderung nach mehr Klima- und Umwelt- (Beifall bei der SPD) schutz durchweg zu begrüßen.

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Meine Damen und Herren, nun zu dem Vorschlag, rinnen und Bürger vor bestimmten Gefahren und dieses Ziel als Staatsziel in der Verfassung zu Entwicklungen zu schützen. verankern: Was ist ein Staatsziel? - Ein Staatsziel Bei uns gehört - wie auch schon von der Kollegin ist letztlich eine verbindliche Zielvorgabe, eine Osigus aus Artikel 1 zitiert - zu den Staatsgrund- Leitplanke für zukünftiges Handeln. An der wird sätzen - nicht zu den Staatszielen, sondern zu den sich unser Tun ausrichten. Ein Ziel legt allerdings Staatsgrundsätzen - der Erhalt der natürlichen weder Weg noch Mittel fest. Die hier angestrebte Lebensgrundlagen. Deshalb gehört die Aufgabe, Verfassungsänderung würde daher die bisherigen die Umwelt zu schützen und die natürlichen Le- Ziele ergänzen, wäre letztlich zwar zunächst eine bensgrundlagen zu erhalten, seit jeher zu den Absichtserklärung, spielte aber in sämtliche Berei- Kernaufgaben des Staates und bedarf schon aus che mit hinein. Danach wäre eine weitere Ausge- diesen Überlegungen heraus zunächst einmal staltung z. B. durch ein niedersächsisches Klima- keiner besonderen Erwähnung. schutzgesetz und diverse Klima- und Umwelt- schutzprogramme erforderlich. Auf diese strahlt Dies gilt - an dieser Stelle kann man überlegen, ob das Staatsziel dann aus. das ein weitergehender Aspekt ist - nach unserem Verständnis auch gegenüber künftigen Generatio- Meine Damen und Herren, bisher fällt der Umwelt- nen, also nicht nur auf das Hier und Jetzt bezogen, und Klimaschutz unter Artikel 1 Abs. 2 der Nieder- sondern auch auf die Zukunft. sächsischen Verfassung unter „Schutz der natürli- chen Lebensgrundlagen“, eine weitere Absiche- Das gilt nicht nur für den Bereich des Umwelt- rung findet sich unter Artikel 20 a des Grundgeset- schutzes und die natürlichen Lebensgrundlagen, zes - Schutz der Lebensgrundlage und Tier- sondern zu den staatlichen Aufgaben und Zielen schutz -, ebenso auf europäischer Ebene. Es ist gehört es auch, die innere Sicherheit zu gewähr- schlichtweg falsch, zu behaupten, dass wir grund- leisten, eine funktionierende Justiz vorzuhalten, sätzlich keinen Schutz haben. Die Frage ist letzt- soziale Mindeststandards zu realisieren. Die Ge- lich: Wollen wir in einer Staatszielbestimmung ein währleistung einer angemessenen Infrastruktur besonderes, herausragendes Gut deutlich ma- gehört dazu, aber dazu gehört auch, eine qualifi- chen, das dann in sämtliche Lebensbereiche mit zierte Bildung anzubieten. Das alles sind wichtige hineinspielt? Staatsfunktionen. Niedersachsen wäre das erste Bundesland, das Nun kommt der Herr Umweltminister und greift Klimaschutz ausdrücklich nennt, und unsere Frak- einen Aspekt aus diesen wichtigen staatlichen tion begrüßt das auch. Sicherlich wird zu diskutie- Funktionen heraus, um ihn besonders zu betonen. ren sein, inwieweit wir unsere Verfassung schlank (Miriam Staudte [GRÜNE]: Der ist halten möchten und die bisherigen Vorgaben des auch besonders!) Grundgesetzes ausreichen. Fest steht allerdings, dass unser heutiges Tun entscheidet, wie die Welt Damit wird am Ende erreicht, dass die anderen morgen aussehen wird. wichtigen Funktionen irgendwie relativiert werden. Denn ich greife einen Punkt dieser wichtigen staat- Ich freue mich daher auf die Beratungen im Aus- lichen Funktionen heraus und sage, der sei jetzt schuss und bedanke mich für Ihre Aufmerksam- besonders wichtig. Aber wie verhält er sich denn keit. dann mit anderen wesentlichen Aufgaben und (Beifall bei der SPD sowie Zustim- Zielen, die der Staat hat? mung bei der CDU) In gewissen Punkten hat man das ja schon ge- macht. In Artikel 6 der Landesverfassung finden : Vizepräsident Bernd Busemann sich Kunst, Kultur und Sport als Staatsziel be- Vielen Dank, Frau Kollegin Osigus. - Jetzt folgt die schrieben, Arbeit und Wohnen in Artikel 6 a und in Fraktion der FDP. Es spricht Herr Dr. Stefan Birk- 6 b der Tierschutz. Da sehe ich zum einen die ner. Gefahr der Relativierung, zum anderen frage ich mich, was sich der Minister eigentlich wirklich da- Dr. Stefan Birkner (FDP): von verspricht, dass der Klimaschutz dort mitauf- genommen wird. Denn zum einen ist er schon Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und durch die Verfassung abgedeckt, zum anderen Herren! Der Staat hat gewisse Schutzfunktionen. würde es zu einer Relativierung führen. Zu seinen Kernaufgaben gehört es, seine Bürge-

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Was ist der Mehrwert, den sich der Minister ver- das Zentrum stellt. So wie es ja auch auf internati- spricht? - Er wird uns das vielleicht gleich erklären. onaler Ebene völlig zu Recht mit den Nachhaltig- In seiner Pressemitteilung hat er gesagt: Dann keitszielen der Vereinten Nationen getan wird. müsste man bei Gesetzesvorhaben auch wirklich (Glocke des Präsidenten) genau abwägen und genau darlegen, welche Auswirkungen das aufs Klima hat. - Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Herr Minister, das glauben Sie doch wahrschein- Das bedeutet, dass man die ökologischen, die lich selbst nicht! Das könnten Sie zum einen jetzt ökonomischen und die sozialen Belange in einen schon tun. Dafür brauchen Sie keine Verfassungs- vernünftigen Ausgleich miteinander bringen muss. änderung. Zum anderen erfolgt das bezüglich Das gilt auch für das wichtige Ziel des Klimaschut- Kunst, Kultur und Sport, Arbeit und Wohnen und zes. Auch dort muss dieser Gedanke Eingang Tierschutz ja auch nicht. Das sind ja Staatsziele, finden. Deshalb ist eine Priorisierung in Form einer die formuliert sind. Wie kommen Sie denn jetzt auf Verfassungsänderung und der Formulierung eines die Schlussfolgerung, dass sich durch die Neuein- Staatszieles nicht zielführend. führung dort substanziell etwas ändern würde? Im Übrigen ist der Antrag der Grünen insofern nicht Insofern ist das reine Symbolpolitik, die Sie hier zielführend, als das Ziel des Klimaschutzes absolut betreiben, Herr Minister. Sie wollten einfach mal gesetzt wird und damit die Gefahr einhergeht, dass wieder eine Pressemitteilung machen. In der steht andere wichtige Ziele eben nicht mehr hinreichend so viel, was man kritisch hinterfragen kann. Diese Berücksichtigung finden. ganzen Widersprüchlichkeiten und die Punkte, in (Miriam Staudte [GRÜNE]: Wir strei- denen Sie bisher nichts getan haben - die Kollegin chen ja nichts raus!) von den Grünen, Frau Byl, hatte darauf schon hingewiesen - zu offenbaren, würde hier einen Vielen Dank. ganzen Tag bedürfen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN) Vizepräsident Bernd Busemann: Lassen Sie mich noch zu einem weiteren Punkt Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Birkner. - Jetzt ist etwas sagen, nämlich zum Entschließungsantrag die CDU-Fraktion an der Reihe. Es spricht Herr der Grünen! Dieser Antrag ist in wesentlichen Tei- Abgeordneter Martin Bäumer. Herr Bäumer, ich len durch einen Alarmismus geprägt, den wir nicht erteile Ihnen das Wort. Bitte! mittragen können. Sie sprechen da von einem Hitzesommer. Das scheint mir einfach sachlich Martin Bäumer (CDU): falsch zu sein. Sommer sind in der Regel warm. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Das ist sozusagen die Eigenheit. Das Problem ist Herren! Die Verfassung eines Landes ist ein hohes die Dürre. Sie übersehen hier komplett, dass wir Gut. Damit regeln wir die Grundzüge unseres Zu- einfach zu wenig Wasser in diesem Sommer hat- sammenlebens. Nicht umsonst haben unsere Vor- ten und man sich damit auseinandersetzen müss- fahren festgelegt, dass es einer Mehrheit von zwei te. Dritteln in diesem Parlament bedarf, um die Ver- fassung zu ändern. Jenseits des Alarmismus, der sich dort wiederfin- det, ist es viel entscheidender in der politischen (Christian Meyer [GRÜNE]: Und die Bewertung, dass es unserer Auffassung nach geben Sie uns nicht!) eben nicht sein kann, dass man andere Belange Damit spielt man nicht. Doch genau das, meine pauschal dem wichtigen Ziel des Klimaschutzes sehr geehrten Damen und Herren, ist das Ziel der unterwirft, ihn sozusagen vor die Klammer zieht, Kolleginnen und Kollegen von den Grünen mit und damit den Weg eröffnet, dass man möglicher- diesem Gesetzentwurf. weise andere politische oder ideologische Ziele unter dem Deckmantel des Klimaschutzes reali- (Widerspruch bei den GRÜNEN - siert und wichtige andere Interessen zurück- Miriam Staudte [GRÜNE]: Wie bitte? schiebt. Der Klimaschutz ist kein Spielball!) Deshalb werben wir dafür, dass man bei allen die- Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, sen Diskussionen den Nachhaltigkeitsgedanken in geht es darum, die Äußerungen eines Mitgliedes

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dieser Landesregierung zu nutzen, um damit Un- lich gemacht, dass es zur Änderung der Verfas- ruhe in dieses Haus zu tragen. Aber ich sage sung große Mehrheiten braucht, und die sehe ich Ihnen: Das wird Ihnen nicht gelingen! Auf dieses in diesem Fall nicht. Spiel fallen wir nicht herein! Das ist ein netter Ver- (Zustimmung bei der CDU) such, mehr aber auch nicht. (Widerspruch bei den GRÜNEN - Vizepräsident Bernd Busemann: Christian Meyer [GRÜNE]: Koalitions- Herr Kollege Bäumer, gestatten Sie noch eine krise!) Zwischenfrage, dieses Mal von Herrn Wenzel? Natürlich gibt es keine Denkverbote in der Politik in Niedersachsen. Jeder kann seine Meinung frei Martin Bäumer (CDU): sagen. Auch das ist im Übrigen ein Grundrecht. Aber gerne. Aber für Ideen, die man hat, braucht es Mehrhei- ten, in diesem Fall sogar große Mehrheiten, und Vizepräsident Bernd Busemann: die Mehrheiten für eine Änderung der Verfassung Bitte! in dieser Frage sehe ich nicht. (Miriam Staudte [GRÜNE]: Das Klima Stefan Wenzel (GRÜNE): in der Koalition ist offenbar auch nicht Sehr geehrter Herr Bäumer, müssen wir zukünftig das Beste!) bei Äußerungen der Minister Ihrer Landesregie- rung davon ausgehen bzw. sie von vornherein so Man könnte zudem die Frage stellen, warum Sie einordnen, dass sie Schall und Rauch sind? als Grüne diesen Gesetzentwurf nicht schon in der letzten Wahlperiode vorgelegt haben. Ist Ihnen das (Beifall bei den GRÜNEN) damals nicht eingefallen, oder ist das heute das durchsichtige Manöver, für das ich es halte? Martin Bäumer (CDU): (Zustimmung bei der CDU) Herr Kollege Wenzel, ich glaube, dass wir sehr kluge Ministerinnen und Minister in dieser Landes- Vizepräsident Bernd Busemann: regierung haben. Alles, was sie äußern - und wir Herr Bäumer, lassen Sie eine Zwischenfrage des begrüßen die vielen Äußerungen -, lassen wir uns Kollegen Dr. Birkner zu? immer ziemlich gut durch den Kopf gehen. Aber wir als Fraktion haben auch das Recht, zu bestimmten Martin Bäumer (CDU): Dingen eine eigene Meinung zu haben. Gerne. (Helge Limburg [GRÜNE]: Aber wir auch! - Das haben Sie uns gerade Dr. Stefan Birkner (FDP): abgesprochen!) Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Kol- Ich denke, die haben Sie als Fraktion in den ver- lege Bäumer, herzlichen Dank, dass Sie die Zwi- gangenen Jahren auch gehabt. Insofern braucht schenfrage zulassen. man an der Stelle nicht zu befürchten, glaube ich, Ich habe die Frage - weil Sie den Gesetzentwurf dass es da Unruhe gibt. Ihr Versuch heute Morgen der Grünen gerade als „Spiel“ bezeichnet haben -, wird nicht zum Ziel führen. wie Sie die gleichlautende Forderung in der Pres- (Zustimmung bei der CDU - Imke Byl semitteilung des Herrn Umweltministers bewerten. [GRÜNE]: Was für ein Versuch?) Ist das Ihrer Ansicht nach auch ein Spiel mit der Verfassung? Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Verfassung ist in den vergangenen Jahren immer (Beifall bei der FDP und bei den wieder mal geändert worden. Der Schutz von Kin- GRÜNEN - Christian Meyer [GRÜNE]: dern und Jugendlichen oder die Themen Arbeit, Gute Frage!) Wohnen und Tierschutz sind mit in die Verfassung aufgenommen worden. Das alles sind sehr konkre- Martin Bäumer (CDU): te Ziele, die in diesem Parlament eine große Herr Kollege, ich glaube, ich habe deutlich ge- Mehrheit bekommen haben und auf die wir auch macht, dass es in der Politik in Niedersachsen Einfluss haben. Auch wenn man einzelne Positio- keine Denkverbote gibt. Ich habe aber auch deut- nen kritisch betrachten kann, können wir feststel-

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len, dass wir die Situation der Menschen in diesen Meine Redezeit reicht leider nicht aus, um das Bereichen ganz konkret ändern können. umfassend und im Detail auszuführen. Ich bin aber fest davon überzeugt - das sage ich sehr deutlich -, In Artikel 6 a - er ist vorhin schon erwähnt worden - dass wir uns mit der Aufnahme des Klimaschutzes heißt es: in die Verfassung gewaltig verheben. Die Trocken- heit in diesem Frühjahr und in diesem Sommer und „Das Land wirkt darauf hin, dass jeder deren Folgen werden wir im nächsten Jahr noch Mensch Arbeit finden und dadurch seinen spüren. Aber sie hatte ganz andere Ursachen: Das Lebensunterhalt bestreiten kann und dass war die Unbeweglichkeit von Hochdruckgebieten, die Bevölkerung mit angemessenem Wohn- die in großer Entfernung von Niedersachsen ein- raum versorgt ist.“ fach stillgestanden und dafür gesorgt haben, dass Darüber, ob wir genug Wohnraum haben, wird das Wetter bei uns so stabil war, wovon die Urlau- gerade sehr intensiv diskutiert. Ich glaube, wir ber und die Vermieter an der Küste profitiert ha- werden viel Geld in die Hand nehmen müssen, um ben, während den Landwirten die Feldfrüchte auf diesem Ziel gerecht zu werden. dem Halm vertrocknet sind und ihnen Schäden in Milliardenhöhe entstanden sind. In Artikel 6 b heißt es: „Tiere werden als Lebewe- sen geachtet und geschützt.“ Auch darüber disku- Wie wollen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen von tieren wir in diesem Hause sehr häufig und immer den Grünen, denn verfahren, wenn wir das nächs- sehr konkret. Wir können die Frage stellen, ob wir te Mal so ein Hochdruckgebiet haben und das dem gerecht werden. Wildlebende Tiere müssen Staatsziel Klimaschutz in der Verfassung steht? damit rechnen, dass sie von anderen Tieren aufge- Wollen wir dann gemeinsam dafür beten, dass fressen werden. Aber wie fühlen sich Haustiere, dieses Hochdruckgebiet weiterzieht? Wollen wir die hinter wolfssicheren Zäunen leben und grasen gemeinsam pusten? Ich kann mir nicht vorstellen, und trotzdem angefallen und getötet werden? - wie wir das angehen werden. Nicht einmal in diesem Bereich, liebe Kolleginnen Natürlich war das Wetter in diesem Jahr sehr und Kollegen von den Grünen, werden wir dem warm. Kollege Birkner hat vorhin ausgeführt, dass Thema Tierschutz vollständig gerecht. man damit im Sommer rechnen muss. Aber es gab in den vergangenen 350 Jahren, seit dem Jahr Und jetzt kommen Sie mit Ihrer abstrakten Forde- 1666, insgesamt 24 Jahre, die ähnlich warm waren rung und sagen, wir müssten das Klima schützen. - wie dieses Jahr. Selbst der Spiegel hat davon ge- Ich glaube, man müsste erst einmal eine Grund- schrieben, dass es im Jahr 1540 eine große Dürre satzdebatte darüber führen, was wir damit meinen. gab. Ich kann mir vorstellen, dass man bei 137 Abge- ordneten mindestens 135 Meinungen dazu haben (Imke Byl [GRÜNE]: Ist das gerade Ihr wird. Ernst?)

Ich will mit Ihnen heute Morgen aber nicht darüber Der Vorteil ist, liebe Kollegin Byl, dass Sie, Um- streiten, was Klima ist; das können Sie in jeder weltminister Lies und ich damals noch nicht gebo- Bibliothek nachlesen. Dann schlagen Sie aber bei ren waren. der Gelegenheit auch bitte einmal das Wort „Wet- Aber völlig durchsichtig wird Ihr Manöver, wenn ter“ nach! Sie werden feststellen, dass es auch da man sich mal die Begründung Ihres Gesetzent- bei der Definition gewaltige Unterschiede gibt. wurfs anschaut. Unter Nr. 3 - Voraussichtliche Kosten und haushaltsmäßige Auswirkungen - Nicht, dass Sie mich falsch verstehen - was Sie ja schreiben Sie wortwörtlich: immer gerne tun -: Es gab in den vergangenen Jahren Beobachtungen, die uns zeigen, dass das „Das Gesetz hat keine unmittelbaren Aus- Wetter heute anders ist, als es früher war. Aber bei wirkungen auf die Haushalts- und Finanz- der gesamten Diskussion über dieses Thema fehlt wirtschaft des Landes, der Gemeinden und mir gerade bei den Kolleginnen und Kollegen von Gemeindeverbände.“ den Grünen die Offenheit, über die möglichen Wer so etwas formuliert, meine sehr geehrten Da- Gründe dafür umfassend zu diskutieren. Ich habe men und Herren, der kann im Grunde nur eins im das einmal live erlebt, als Kollegin Staudte gesagt Kopf haben: Das, was wir heute haben, ist alles in hat: Über gewisse Dinge darf man gar nicht nach- Ordnung; es gibt keinen Grund, etwas zu ändern. - denken. - Das würde sie nie wieder machen. Oder es handelt sich bei Ihrem Gesetzentwurf um

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eine Luftbuchung, die weder ernst gemeint noch Imke Byl (GRÜNE): ernsthaft gemacht ist. Sehr geehrter Herr Kollege! Das ist ein weiterer Grund, sich gegen diesen Ge- (Miriam Staudte [GRÜNE]: Man weiß setzentwurf auszusprechen. nicht, wo man anfangen soll!)

Vizepräsident Bernd Busemann: - Ja. Ich bin, ehrlich gesagt, ziemlich platt. So et- was hätte ich aus der AfD-Ecke erwartet. Herr Bäumer, Herr Kollege Limburg möchte noch eine Zwischenfrage platzieren. (Widerspruch bei der CDU - Jörg Hillmer [CDU]: Sie müssen lernen, mit Widerspruch umzugehen!) Martin Bäumer (CDU): Wir sind es ja gewohnt, von dort erklärt zu be- Ich bin mit meinen Ausführungen fast am Ende; kommen, dass es zwar den Klimawandel gibt, aber der Kollege muss sich dann zu einer Kurzinterven- nicht den menschengemachten Klimawandel. tion melden. Wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe - ich bitte da um Aufklärung -, dann wollen Sie mir er- Vizepräsident Bernd Busemann: zählen, dass es jenen menschengemachten Kli- Okay. mawandel nicht gibt. Ich bin, gelinde gesagt, ent- setzt; denn ich hatte gedacht, da sei die CDU Martin Bäumer (CDU): schon weiter. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe (Beifall bei den GRÜNEN - Jörg Hill- Kolleginnen und Kollegen, die CDU-Fraktion in mer [CDU]: Zuhören!) diesem Landtag wird sich weiterhin nicht mit Luft- Es ist auch sehr bezeichnend, dass, wenn sich buchungen beschäftigen, sondern sie wird sich mit eine Partei - übrigens nicht zum ersten Mal - für konkreter und nachhaltiger Politik beschäftigten. den Klimaschutz einsetzt, gleich ein großes strate- Wir werden die Sorgen und Probleme der Men- gisches Manöver da hineinverdächtigt wird. Ich schen aufnehmen, auf der Basis der Sicherung der kann Ihnen sagen: Dahinter steht ein großes stra- Lebensgrundlagen und für den Schutz der Natur. tegisches Manöver, nämlich für den Klimaschutz! Mit dem Klimaschutzgesetz werden wir uns im (Beifall bei den GRÜNEN) Ausschuss beschäftigen. Das, was die Kollegin Zu guter Letzt: Wir greifen hier einen Vorschlag vorhin vorgetragen hat, reicht mit Sicherheit für Ihres Ministers auf! Und dann wird uns unsere eine Diskussion auf einem Parteitag der Grünen Meinung abgesprochen, und es heißt, wir bringen Jugend, aber wird einer ernsthaften Diskussion im Unruhe ins Parlament. - Was soll das überhaupt Parlament meiner Meinung nach nicht gerecht. Ich heißen? Ich verstehe wirklich nicht, was dieser freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. Redebeitrag gerade sollte, und bitte um Aufklä- Vielen Dank. rung. Danke schön. (Beifall bei der CDU) (Beifall bei den GRÜNEN) Vizepräsident Bernd Busemann: Vizepräsident Bernd Busemann: Vielen Dank, Herr Kollege Bäumer. Es gab bei den Vielen Dank, Frau Kollegin Byl. - Herr Kollege Grünen einen weiteren Wunsch nach einer Zusatz- Bäumer? - Sie sind geneigt; 90 Sekunden, bitte! frage, aber der Redner hatte bereits deutlich ge- macht, dass er seine Rede zu Ende führen will und Martin Bäumer (CDU): keine Zusatzfragen mehr zulässt. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Es gibt jetzt den Wunsch nach einer Kurzinterven- Herren! Darauf, liebe Kollegin Byl, werde ich nicht tion. Ursprünglich hatte sich Herr Kollege Limburg hereinfallen. Wenn Sie alle Menschen, die sich gemeldet; sie wird jetzt aber von Frau Kollegin Byl ernsthaft mit gewissen Themen beschäftigen wol- vorgetragen. Bitte sehr! len, gerade im Bereich Klima, Umwelt und Wetter, in die AfD-Ecke stecken wollen, dann weiß ich

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schon, was dahintersteckt. Ich werde mir auch in terfragen offensichtlich mit der AfD gleichgesetzt Zukunft nicht verbieten lassen, über gewisse Dinge werden. ernsthaft nachzudenken. (Beifall bei der AfD) (Imke Byl [GRÜNE]: Ernsthaft! Was ist Sie sind schon ein ganz schönes Stück weiter, als denn Ihre Meinung? Erklären Sie uns ich bisher den Eindruck hatte. Dazu gratuliere ich das doch mal!) Ihnen, und ich freue mich, diesen Eindruck, der bei Wenn Sie behaupten - das können Sie gerne Ihnen so langsam entsteht, hier in den nächsten nachlesen -, ich hätte in meiner Rede den men- Jahren noch verstärken zu können. schengemachten Klimawandel geleugnet, dann Ansonsten möchte ich zum Thema Folgendes tun Sie etwas, was Sie häufig tun: Sie stellen Be- sagen: hauptungen in den Raum und arbeiten sich daran ab. Ich habe in keinem Teil meiner Rede gesagt, Der Gesetzentwurf stimmt in zweierlei Hinsicht dass ich solche Dinge leugnen würde. Aber ich nachdenklich. Erstens. Vor einigen Monaten hatten lasse es mir nicht verbieten, über gewisse Dinge wir eine Diskussion, bei der es u. a. um das sehr kritisch nachzudenken. Staatsziel Tierschutz ging. Das geschah im Rah- men der Debatte über das Schächten. Dabei ging (Miriam Staudte [GRÜNE]: Welche es um das von uns beantragte Verbot des betäu- Dinge denn?) bungslosen Schächtens. Denn das ist meine Aufgabe. Und ich sage Ihnen Ich erinnere mich an eine unglaubliche Anzahl zu einem ganz konkreten Punkt Ihres Entschlie- wirklich unerträglich unqualifizierter Äußerungen in ßungsantrages ganz deutlich: Heute Mittag um dieser Debatte. Auch erinnere ich mich daran, 12 Uhr war in Deutschland eine Stromproduktion dass es eine ein wenig sachliche Debatte mit dem von ca. 80 GW vorgesehen. 30 GW davon werden Vertreter der Grünen-Fraktion, Herrn Meyer, gab. mit Braunkohle erzeugt, der Rest zum großen Teil In ihr ging es so ein bisschen um die Frage: Was mit Sonne. Wind haben wir aktuell relativ wenig. ist eigentlich eine Staatszielbestimmung? Er war Wenn Sie sich als Vertreterin der Grünen-Fraktion zwar juristisch auf dem Holzweg; aber nichtsdes- hier hinstellen und sagen, dass Sie aus der Kohle totrotz habe ich bemerkt, dass sich die Grünen aussteigen wollen, dann erwarte ich von Ihnen damit schon einmal befasst haben. Offensichtlich eine Antwort, wie Sie sicherstellen wollen, dass in sind sie aber ohne Weiteres bereit, eine Staats- diesem Land das Licht nicht ausgeht. zielbestimmung für den Tierschutz auf dem Altar der Religionsfreiheit zu opfern. Vielen Dank. Das heißt, mit der Überzeugung, dass ein Staats- (Lebhafter Beifall bei der CDU und bei ziel auch wirklich etwas ist, das in alle Bereiche der FDP) ausstrahlt - Frau Osigus hat das vorhin juristisch ganz treffend ausgeführt -, scheint es bei den Grü- Vizepräsident Bernd Busemann: nen nicht allzu weit her zu sein. Da frage ich mich Vielen Dank, Herr Bäumer. - Jetzt folgt die Fraktion natürlich - auch das sprach der eine oder andere der AfD. Es spricht der Abgeordnete Christopher Vorredner schon an -, ob das nicht am Ende ledig- Emden. Bitte sehr, Herr Emden, ich erteile Ihnen lich eine Mogelpackung bzw. ein bisschen Popu- das Wort. lismus ist nach dem Motto „Wir wollen wieder ein- mal zeigen, dass wir bei unserem Lieblingsthema (Unruhe) Klimaschutz etwas machen!“, ohne dass man es wirklich ernst nimmt. - Wir dürfen aber um Ruhe bitten! Das gilt auch für Herrn Siebels und einige andere. Diese Frage drängt sich übrigens ein weiteres Mal auf, wenn man sich das Ganze anguckt. Der Ge- Bitte sehr! setzentwurf bezieht sich auf das Staatsziel Klima- schutz. In Artikel 6 c heißt es: „Das Land schützt Christopher Emden (AfD): die Umwelt, die Biodiversität und das Klima …“ Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das heißt, es gibt außer Klima noch ein bisschen Ich stelle als Quintessenz aus den Redebeiträgen mehr. Das gerät ein bisschen aus dem Blickwinkel. von eben mit einer gewissen Genugtuung fest, Ich weiß nicht, ob die Grünen inzwischen der ver- dass inzwischen kritisches Nachdenken und Hin- längerte Arm der Lobby der regenerativen Ener-

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gien geworden sind oder woher sonst das rührt. Es sodass jetzt die Landesregierung an der Reihe ist. verengt sich bei Ihnen, wenn es um Tierschutz Herr Umweltminister Lies, bitte sehr! Sie haben oder andere Umweltmaßnahmen geht, immer auf das Wort. das Klima. Gucken Sie sich einmal das Müllprob- lem auf dieser Welt und ganz konkret in unserem Olaf Lies, Minister für Umwelt, Energie, Bauen Land an! Dazu habe ich bisher wenig gehört. Es und Klimaschutz: geht immer nur um das Klima. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Wenn Sie sich so intensiv mit dem Klima befassen, Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir dann erstaunt es mich wiederum, dass Sie das noch einmal über die Rückkehr zur Kernkraft dis- ganze Thema so einseitig und ideologisch mit kutieren, hat mich jetzt doch ein bisschen über- Scheuklappen betrachten. Es gibt nämlich durch- rascht. Ich glaube, wir sind inzwischen bei all den aus - ich rege an, darüber einmal nachzudenken - Fragen, die wir in Niedersachsen zu lösen haben, andere Lösungsmöglichkeiten. Es gibt nicht nur so weit, dass das für uns keine Debatte mehr ist. den Ausbau der regenerativen Energien, sondern noch wesentlich vielfältigere Möglichkeiten. Ich will gleich vorweg sagen: Ich bin vom Staatsziel Klimaschutz und Schutz vor Klimafolgen fest über- Ich finde es ein bisschen bedauerlich, dass sich zeugt. Ich glaube, wer das verfolgt hat, wird gese- die Debatte immer darauf konzentriert. Wenn man hen haben, dass es um zwei Dinge geht. Was die Scheuklappen ablegt und überlegt, wie man mich anbelangt, hängt das vielleicht damit zusam- dahin kommen könnte, die CO2-Emissionen bei men, dass man als Ressortminister eine klare Ver- Berücksichtigung des Umweltschutzes, des Schut- antwortlichkeit hat, zu der man übrigens auch ei- zes der Biodiversität und des Tierschutzes wirk- nen Eid geschworen hat. Vielleicht hängt das auch sam zu reduzieren, dann könnte man auf den Ge- damit zusammen, dass ich von der Küste komme danken kommen, dass Windkraftanlagen vielleicht und weiß, was die Auswirkungen des Klimawan- nicht das Allheilmittel sind, sondern dass es besse- dels bedeuten. Auch im letzten Jahr - ich erinnere re Möglichkeiten gibt. daran - haben viele, die dabei waren, vor Ort ge- (Miriam Staudte [GRÜNE]: Was denn?) sehen, welche Folgen Extremwetterlagen haben, die wiederum Folgen des von Menschen verur- Sie aber tragen die Windkraftanlagen wie eine sachten Klimawandels sind. Sie haben die Folgen Monstranz vor sich her. Die sind für Sie offensicht- des ausgebliebenen Klimaschutzes gesehen. lich unantastbar und die einzige Möglichkeit, dem Dadurch sind Millionenschäden entstanden. Klimawandel entgegenzutreten. Das ist zu kurz gedacht. Wissen Sie, warum es an dieser Stelle so ent- scheidend ist, auch über ein Staatsziel bzw. die Ich kann Ihnen zum Schluss noch eines mit auf Verfassung zu reden? - Weil es bei dem Thema den Weg geben: Auch ich war Anfang der Nuller- Klimaschutz und Schutz vor Klimafolgen um etwas jahre im Wendland und habe gegen die Atomkraft Schleichendes geht. Das findet in Sonntagsreden demonstriert. Dann habe ich mich vertieft mit der statt, führt aber ansonsten nicht zu festen Maß- gesamten Thematik auseinandergesetzt. Dabei bin nahmen. Dabei rede ich nicht von Maßnahmen, die ich zu dem Ergebnis gekommen: Es geht nicht, nur man innerhalb von acht Monaten umsetzt. Der auf die Windkraft zu setzen und die Atomkraft zu schleichende Prozess des Klimawandels führt verteufeln und quasi abschaffen zu wollen, ohne dazu, dass wir, wenn wir so wie bisher weiterma- dass das technisch überhaupt möglich ist. Übri- chen, im Jahre 2100 einen Temperaturanstieg von gens müsste das durch andere Kraftwerke ent- 5 Grad haben werden. Wir reden darüber, dass sprechend aufgefangen werden. Das ist zu kurz Extremwetterereignisse zunehmen werden. Die gedacht. Denken Sie einmal darüber nach, Ihren Dürre, die wir in diesem Jahr noch sozusagen als Ansatz eventuell ein bisschen zu erweitern, zu besonderes Ereignis sehen, wird natürlich nicht erneuern und in eine richtige Richtung zu bringen! jedes Jahr auftreten. Auch Extremwetterlagen mit Vielen Dank. Hochwasser werden nicht jedes Jahr auftreten, aber sie werden zunehmen. (Beifall bei der AfD) Meine Damen und Herren, wir hinterlassen das Vizepräsident Bernd Busemann: nicht uns sowie unseren Kindern und Enkelkin- Vielen Dank, Herr Kollege Emden. - Aus dem Ple- dern, sondern allen Generationen nach uns. Ge- num liegen mir keine Wortmeldungen mehr vor, nau dieser schleichende Prozess, der dafür sorgt,

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dass das tägliche Handeln eben nicht davon ge- Jahre hinweg fortgesetzt wird, weil sie an die Be- prägt ist, dass man an jeder Stelle und bei jeder schäftigung denken. Entscheidung berücksichtigt, welche Folgen das für den Klimawandel bzw. dessen Auswirkungen Es gibt da eine ganz klare Zielsetzung. Auch ich hat, ist ein Grund, weshalb wir bei all dem, was wir bin übrigens ganz klar der Meinung: Natürlich stei- tun, berücksichtigen müssen, dass Klimaschutz gen wir aus der Kohle aus, und natürlich werden von elementarer Bedeutung ist. wir auch ohne Kohle eine gesicherte Stromversor- gung haben. Das geht aber nicht von heute auf Deswegen bin ich davon überzeugt, dass der Kli- morgen, sondern wir brauchen einen Prozess, mit maschutz - das gilt aber bitte auch für die Folgen dem wir beides schaffen, nämlich den Ausstieg des Klimawandels - als wichtiger Baustein in der aus der Verwendung fossiler Energieträger und die Verfassung verfestigt wird. Damit wird das Problem konkrete Umsetzung des Einsatzes erneuerbarer nicht gelöst, aber es findet eine Sensibilisierung Energien. statt. Wir werden damit der Verantwortung gerecht, die wir für Hunderte von Jahren für die Menschen Vielleicht steckt sozusagen der Ansatz des Ingeni- nach uns haben. Deswegen halte ich das für eine eurs dahinter, zu sagen, es gibt nicht nur schwarz richtige Entscheidung, meine Damen und Herren. oder weiß. Wir brauchen vielmehr einen schrittwei- sen, geregelten und konsequenten Ausstieg aus (Beifall bei der SPD) fossilen Energieträgern sowie einen konsequenten Ausbau der Erneuerbaren. Meine Damen und Her- Vizepräsident Bernd Busemann: ren, wir haben gerade beim Thema ENERCON Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des schon ganz klar gesagt, dass wir sogar die Grund- Abgeordneten Bode zu? lagen dafür haben, das auch sicherzustellen und weltweit zu bauen. Das muss, glaube ich, die Bot- Olaf Lies, Minister für Umwelt, Energie, Bauen schaft sein, meine Damen und Herren. und Klimaschutz: (Beifall bei der SPD) Ja, klar. Ich will noch etwas dazu sagen, warum ich gerade Vizepräsident Bernd Busemann: das Thema „Folgen des Klimawandels“ für etwas durchaus Bedenkenswertes halte. Mehr kann ich Bitte, Herr Bode! als Impuls nicht geben; entscheiden wird das Par- lament. Jörg Bode (FDP): Vielen Dank, Herr Minister. - Vor dem Hintergrund, Die Frage des Verfassungsranges ist bedenkens- dass Sie gerade ausgeführt haben, dass Sie sich wert. Wir haben dort den Naturschutz geregelt. für die Reduzierung der Erderwärmung einsetzen Glauben Sie mir, es gibt viele Punkte, die konträr wollen, möchte ich von Ihnen - dabei beziehe ich laufen. Bei denen ist es schon schwierig, die Na- mich auf den Brief, den Sie als Energieminister mit turschutzfrage und die Klimaschutzfrage zusam- anderen Landesministern an die Kohlekommission menzubringen. Die Naturschutzfrage und die Fra- geschrieben haben - gerne wissen, welche Positi- ge der Folgen des Klimawandels sind aber noch on Sie für die Landesregierung in der Kohlekom- schwieriger in Einklang zu bringen. mission zum Kohleausstieg vertreten und ob die (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das steht Grünen eventuell einen strategischen Fehler ge- da nicht drin! Natürliche Lebensgrund- macht haben, indem sie Sie dorthin gehen lassen. lagen!)

Olaf Lies, Minister für Umwelt, Energie, Bauen - Genau! Das ist, glaube ich, auch ein Stück weit und Klimaschutz: der Naturschutz. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Der Klima- Herren! Sehr geehrter Herr Bode, ich glaube, das wandel!) steckt in der Botschaft. Wenn Sie gelesen haben, was die Länderminister von sich gegeben haben, - Nein, eben nicht. Ich will gerne die Diskussion haben Sie natürlich erkannt, dass die Länderminis- zulassen, ob es der Klimaschutz ist. Aber die Fol- ter in Verantwortung für einen ganz starken Braun- gen des Klimawandels sind es definitiv nicht. kohletagebau eigentlich wollen, dass er noch über

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Deswegen liegt es in unserer Verantwortung, ei- antwortung als richtigen Weg beschrieben hat. Im nen solchen Impuls zu setzen und darüber eine Übrigen beschließt darüber nicht die Landesregie- Diskussion zu führen. Denn ich glaube, dass der rung, sondern das Parlament. Hier gibt es eine Klimareport mit seinen darin aufgezeigten deutli- Mehrheit oder nicht. Dieser Ansatz löst eine Dis- chen Auswirkungen des Klimawandels und auch kussion aus, die wir hier führen müssen. Ich werbe die Vorstellung davon, was wir beim Klimaschutz sehr dafür, dass wir hier eine Mehrheit für die Auf- erreichen können, für uns Verpflichtung sein müs- nahme des Staatsziels „Klimaschutz und Klimafol- sen. Wir müssen die Verpflichtung definieren, aber gen“ in die Niedersächsische Verfassung bekom- nicht, um das zu relativieren, was in diesem Report men. steht - in keinster Art und Weise. Aber die Form dessen, was darin steht, macht den Stellenwert Vizepräsident Bernd Busemann: des Klimaschutzes und den Stellenwert der Not- Herr Minister, noch einmal: Auch die Kollegin Byl wendigkeit, den Folgen des Klimawandels zu be- möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. gegnen, relativ deutlich. Deswegen halte ich es für richtig, auch diesen Schritt konsequent zu gehen, Olaf Lies, Minister für Umwelt, Energie, Bauen mit all den Diskussionen, die wir bis dahin führen. und Klimaschutz: Was ich aber für falsch halte - auch das will ich Ja, gerne. ganz offen sagen -, wäre, die Hälfte dessen, was ich gesagt habe, mal eben als Gesetzentwurf ein- Vizepräsident Bernd Busemann: zubringen mit dem Ziel, eine politische Debatte Im Paket. Ich weiß nicht, ob Sie mit Ihrer Antwort loszutreten, die am Ende nur zu einer Diskussion schon fertig waren. Sie fassen es aber eh zusam- hier im Parlament führt. Stattdessen sollten wir men. Bitte! diese Debatte, weil in unserem Land das Klimage- setz diskutiert wird - deshalb verstehe ich übrigens Imke Byl (GRÜNE): auch die Entschließung nicht -, nutzen, um an dieser Stelle - das ist der Ansatz - auch eine kon- Vielen Dank. - Vor dem Hintergrund, dass Sie ge- krete Diskussion über Sinn, Zweck und Umset- rade das Klimagesetz erwähnt haben, frage ich zungschancen einer Verfassungsänderung zu Sie: Wann können wir endlich mit dem Entwurf der führen. Das, meine Damen und Herren, wäre ein Großen Koalition rechnen? Wann werden wir die sachgerechter Umgang. Ehre haben, diesen Entwurf im Umweltausschuss endlich diskutieren zu dürfen? Vizepräsident Bernd Busemann: (Beifall bei den GRÜNEN - Miriam Herr Minister, Herr Dr. Birkner möchte eine Zwi- Staudte [GRÜNE]: Herr Bäumer blo- schenfrage stellen. Darf Herr Dr. Birkner noch? ckiert wahrscheinlich noch!)

Olaf Lies, Minister für Umwelt, Energie, Bauen Olaf Lies, Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz: und Klimaschutz: Ja, gerne. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir haben uns darauf verstän- Dr. Stefan Birkner (FDP): digt, dass darüber im Ausschuss diskutiert wird, Vielen Dank. - Herr Minister, vor dem Hintergrund dass sich die Fraktionen dazu eine ganz klare Ihrer Ausführungen, dass Sie die Aufnahme des Position bilden werden und dass aus der Mitte des Klimaschutzes als Staatsziel in die Niedersächsi- Parlaments heraus genau diejenigen Punkte defi- sche Verfassung begrüßen, frage ich Sie, ob diese niert werden, die in einem Klimagesetz geregelt Position von der Landesregierung gemeinsam werden sollen. Glauben Sie mir: Daran werden getragen wird. sich die Landesregierung, vor allem aber auch das Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Kli- Olaf Lies, Minister für Umwelt, Energie, Bauen maschutz intensiv beteiligen. und Klimaschutz: Das halte ich für einen klugen Weg. Denn er führt Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und zu einer breiten Diskussion, zu der Sie eine Reihe Herren! Nein, das ist keine in der Landesregierung von Anregungen gegeben haben, zu der auch ich, abgestimmte Position. Vielmehr ist das eine Positi- glaube ich, eine Reihe von Anregungen gegeben on, die der Umweltminister in seiner Ressortver- habe, zu der aber auch die Fraktionen hier im Par-

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lament mit Sicherheit eine Menge beitragen kön- Wenn wir Klimaschutz ernst meinen und entspre- nen. Das ist der Weg - den haben wir auch schon chend handeln wollen, dann wird das auf jeden beim letzten Mal beschrieben -, den wir gehen Fall eine Jahrhundertaufgabe sein, die nicht mit müssen, bis eine Entschließung mit Punkten auf wenigen einzelnen Entschließungen und wenigen dem Tisch liegt, die inhaltlich richtig sind. einzelnen Punkten zu lösen sein wird. Wenn dies eine Jahrhundertaufgabe ist, muss diese Aufgabe Den Glauben zu erwecken - das noch kurz an Verfassungsrang haben - als Mahnung, als Richt- dieser Stelle -, dass man dann, wenn man in der schnur für unser Handeln als verantwortungsbe- Opposition ist, vergessen kann, dass man auch wusste Vertreter des Volkes. einige Jahre in der Regierung war und Verantwor- tung getragen hat, greift meines Erachtens ein Vielen Dank. bisschen kurz. Auch das gehört meines Erachtens (Beifall bei der SPD) mit zur Wahrheit dazu. Das sollten Sie bei Ihrer Argumentation nicht vergessen. Vizepräsident Bernd Busemann: (Beifall bei der SPD - Zurufe von den Vielen Dank, Herr Minister Lies. - Die FDP - na- GRÜNEN) mentlich Herr Dr. Birkner - hat um zusätzliche Re- dezeit nach § 71 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung - Übrigens gemeinsam! gebeten. Der Minister hat seine Redezeit etwas überzogen. Ich würde einmal sagen: Ich gebe Meine Damen und Herren, die wichtige Botschaft dabei ist, dass wir dieses Thema im Parlament in Ihnen 1:30 Minuten. den Ausschüssen diskutieren. Darauf lege ich sehr viel Wert. Dr. Stefan Birkner (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Ich werbe sehr dafür, dass wir die Bedeutung der Herren! Sehr geehrter Herr Minister, ich finde, Ihre Definition dieses Staatsziels sehr ernst nehmen, Ausführungen haben eben noch einmal sehr deut- und zwar - ich will es noch einmal betonen - nicht lich gemacht, dass Sie der Ernsthaftigkeit des nur vor dem Hintergrund des Klimaschutzes, son- Themas Klimaschutz nicht gerecht werden. dern auch vor dem Hintergrund der Anpassung an die Klimafolgen. Mit Blick auf das, was in den (Beifall bei der FDP und bei den nächsten Jahren möglicherweise auf uns zu- GRÜNEN) kommt, will ich nur einmal daran erinnern, was es Sie haben auf der einen Seite gesagt, dass dieses bedeuten würde, wenn es zu diesem Anstieg des Thema so herausragend ist, dass man es in die Meeresspiegels kommen würde. Sehr wohl sind Verfassung aufnehmen muss. Sie haben es zu wir in Deutschland, in Niedersachsen in der Lage, Recht als Jahrhundertaufgabe usw. beschrieben. einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Der besteht Gleichzeitig werfen Sie aber den Grünen vor, dass nicht nur darin, CO2 einzusparen, sondern vor sie hier einen Gesetzentwurf eingebracht haben, allem darin, Lösungen zu definieren und zu liefern, der genau Ihre Forderungen aufgreifen würde, und mit denen es uns gelingen kann, die Klimaschutz- attackieren die Grünen, indem Sie sagen, dass ziele zu erreichen. das hier nur instrumentalisiert werde. Andererseits Meine Damen und Herren, wir alle - zumindest der haben Sie innerhalb der Landesregierung aber gar allergrößte Teil - kennen die zentrale Bedeutung keine Mehrheit für Ihr eigenes Vorhaben. Gerade des Klimaschutzes und vor allem die damit ver- ist doch deutlich geworden, dass zumindest die bundene Notwendigkeit, uns auch an die Folgen Kollegen von der CDU Ihrem Vorhaben eher skep- des Klimawandels anzupassen; denn wir wissen tisch bzw. klar ablehnend gegenüberstehen und schon heute, dass wir nicht alles lösen und in den dass Sie innerhalb der Landesregierung für das Griff bekommen können. zentrale Thema, das Sie als Jahrhundertaufgabe beschrieben haben, nicht einmal eine abgestimmte Das, meine Damen und Herren, ist die Verantwor- Position herbeigeführt haben. tung, die wir auch für nachfolgende Generationen Wie ernst meinen Sie es eigentlich, wenn Sie sich haben. Als Staatsziel in der Verfassung ist dies nicht einmal die Mühe machen, mit Ihren Kabi- Auftrag an den Gesetzgeber, den Klimaschutz und nettskollegen darüber zu reden und zu streiten, die Anpassung an die Klimafolgen bei all seinem damit dieser wichtige Punkt vorangebracht wird? - Tun zu beachten. Das ist doch ein klares Anzeichen dafür, dass Sie

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dieses Thema oberflächlich abhandeln und nur dieser Wirtschaftsminister? - Das waren Sie, Herr eine reine Show betreiben. Sie können zum Klima- Lies! schutz nichts substanziell Konkretes vorweisen, (Beifall bei den GRÜNEN) sondern Sie wollen hier nur symbolhaft agieren und sagen: Jetzt müssen wir es in die Verfassung Was wollen Sie denn mit Ihrem Verweis auf die aufnehmen, dann wird alles gut! - In Wahrheit tun Regierungsverantwortung bezwecken? - Wir ha- Sie nichts. Keine konkreten Vorschläge, die sich ben uns für den Klimaschutz eingesetzt. Wir ver- von unseren Vorschlägen oder von den Vorschlä- suchen es auch weiterhin, werden aber blockiert. gen der Grünen unterscheiden! Wir würden die Zu diesem Herumgeschachere mit dem Klimage- Klimafolgenbewältigung in den Mittelpunkt stellen. setz: Das ist ja meine erste Legislatur. Trotzdem Darum können Sie sich konkret kümmern. Statt- kann ich mich zu Recht darüber aufregen, dass wir dessen aber führen Sie eine Scheindebatte über auf unseren Entwurf hin, den wir im Februar ein- eine Aufnahme in die Landesverfassung, die am gebracht haben und den Sie gut kannten, weil er Ende nichts bewegen wird. aus der letzten Legislatur war, noch immer keine Ich bin gespannt: Sie als Landesregierung haben Reaktion bekommen haben. Es ist mir, ehrlich ein Initiativrecht; das wissen Sie. Selbstverständ- gesagt, egal, ob der Entwurf jetzt von den Fraktio- lich können Sie eine Gesetzesinitiative ergreifen. nen von SPD und CDU oder von der Regierung Der Gesetzentwurf der Grünen wird voraussichtlich kommt. Ich hätte aber gern etwas zum Weiterar- abgelehnt. Ich bin gespannt darauf, wann Ihr Ge- beiten. setzentwurf oder der Gesetzentwurf der SPD- (Zustimmung bei den GRÜNEN und Fraktion kommt. Das muss ja demnächst passie- bei der FDP) ren. Aktuell wird das im Ausschuss blockiert. Es hieß, (Beifall bei der FDP und bei den nach der Sommerpause kommt der GroKo- GRÜNEN) Entwurf. - Ich habe aber nichts! Ich stehe mit lee- Ich erwarte hier eine klare Positionierung dahin ren Händen da! gehend, dass Sie sich um den Klimaschutz küm- (Miriam Staudte [GRÜNE]: Die stehen mern, statt hier immer nur diese symbolhaften und mit leeren Händen da!) oberflächlichen Debatten zu führen. Dafür ist die- ses Thema viel zu wichtig. Wir müssen doch irgendwie einmal weiterkommen. Sowohl aufseiten der SPD-Kollegin als auch bei (Beifall bei der FDP und bei den Ihnen gab es überhaupt nichts Konkretes. Kein GRÜNEN) einziges Wort über eine echte Klimaschutzmaß- nahme! Es ist genau so, wie hier gerade erwähnt Vizepräsident Bernd Busemann: wurde: Immer nur reden, reden, reden, aber es gibt überhaupt keinen Inhalt zum Klimaschutz. Das ist Ebenfalls nach § 71 Abs. 3 unserer Geschäftsord- kein Spaßthema, sondern purer, blanker Ernst. Sie nung hat jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- haben den Klimaschutzreport selber vorgestellt. nen Frau Kollegin Byl das Wort. Auch Ihnen gebe Insofern frage ich mich, was wir noch machen ich anderthalb Minuten. sollen.

Imke Byl (GRÜNE): (Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Da kann ich mich meinem Vorredner Vizepräsident Bernd Busemann: weitestgehend anschließen. Herr Minister Lies, Sie haben die Regierungsverantwortung erwähnt, die Die Landesregierung möchte noch einmal in die wir Grünen in der letzten Legislatur mitgetragen Debatte eingreifen. Herr Minister Lies, bitte! haben und die wir auch gerne fortgeführt hätten. Genau daraus ist doch das Klimagesetz resultiert. Olaf Lies, Minister für Umwelt, Energie, Bauen Genau dafür haben wir uns eingesetzt. Warum ist und Klimaschutz: es denn so spät gekommen? - Doch auch deswe- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und gen, weil es blockiert wurde. Und von wem wurde Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, es blockiert? Von wem wurde der Klimaschutz wir müssen hier zwei Dinge trennen. Im Klimage- blockiert? - Vom Wirtschaftsminister! Und wer war setz müssen wir - ich habe vorhin gesagt, dass mir

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der Entwurf, den wir hatten, nicht weit genug geht - ich richte diese Frage auch an die Parlamentari- diejenigen Punkte detailliert regeln, die wir hier schen Geschäftsführer -, dass wir den nächsten gesetzlich regeln können. Tagesordnungspunkt jetzt noch nicht aufrufen, sondern die Unterrichtung stattfinden lassen. Au- (Christian Meyer [GRÜNE]: Das wer- ßerdem hat die Regierung es in der Hand, immer den wir sehen!) dann zu reden, wenn sie möchte. Alle warten auf Wir müssen - das ist absolut richtig - auf der Bun- diese Unterrichtung. desebene den gleichen Weg gehen. Ich bin je- doch, offen gesagt, ein bisschen erstaunt, dass der Verfassungsrang des Klimaschutzes als Symbol- Außerhalb der Tagesordnung: politik betrachtet wird. Ich will offen sagen: Die Unterrichtung durch die Ministerin für Ernäh- Verfassung hat für mich einen hohen Stellenwert, rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und zwar über die Legislaturperioden hinweg. Das über das aktuelle Geschehen hinsichtlich der ist genau der Grund, warum man sie nicht beliebig Dürre ändern kann. Darum geht es doch in der Diskussion: Wir brau- Frau Ministerin, ich erteile Ihnen das Wort. Bitte chen beides, wenn nicht noch mehr: ein konse- sehr! quentes Handeln in einzelnen, klar definierten Positionen, die im Parlament diskutiert und ent- (Beifall bei der CDU) schieden werden, und damit auch ein starkes Kli- magesetz. Barbara Otte-Kinast, Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir über ein im Laufe der Legislaturperioden möglicherweise zu Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielen änderndes Klimagesetz hinaus eine starke Positi- Dank, dass Sie mir jetzt die Gelegenheit zur Unter- onierung innerhalb der Verfassung zum Klima- richtung geben. Das Thema Dürre passt meiner schutz und zu den Folgen des Klimawandels benö- Meinung nach sehr gut im Anschluss an die voran- tigen. Deswegen finde ich es immer ärgerlich, gegangene Debatte. wenn gesagt wird, dass eine Sache fehle. Beides Schauen Sie sich bitte diesen Regenmesser an! ist gemeint, beides gehört zusammen - und beides ist ein starker Beitrag, den Niedersachsen leisten (Die Rednerin zeigt ein Gefäß) kann. Er ist leer. An vielen Orten in Niedersachsen sieht (Beifall bei der CDU - Zuruf von den der Regenmesser wohl ähnlich aus, wahrschein- GRÜNEN: Dann machen Sie doch lich sogar staubiger. Es hat seit April kaum einen mal beides!) Tropfen Niederschlag gegeben. Bis zu 200 l Re- gen pro Quadratmeter fehlen, oft sogar deutlich Vizepräsident Bernd Busemann: mehr. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Das Für weite Teile Niedersachsens müssen wir des- war die erste Beratung dieses Gesetzentwurfs. halb von einer schweren Dürre sprechen. Wie sieht Jetzt folgt die Ausschussüberweisung. es da draußen aus? - Bei meinen Besuchen vor Ort habe ich es oft gesehen: Daumenbreit ziehen Federführend soll der Ausschuss für Rechts- und sich Risse durch den ausgetrockneten Marschbo- Verfassungsfragen sein, mitberatend der Aus- den. Das Getreide ist winzig. Maispflanzen sind schuss für Umwelt, Energie, Bauen und Klima- braun wie Tabak und ganz ohne Kolben. Inzwi- schutz. Wenn Sie das auch so sehen, bitte ich um schen sind sie vielerorts abgeerntet - sechs Wo- ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltun- chen zu früh! Dort, wo normalerweise Kühe wei- gen? - Dann ist das einstimmig so beschlossen. den, ist die Grasnarbe völlig ausgebrannt. Insge- Meine Damen und Herren, wie die Präsidentin samt weisen alle Ackerkulturen und das Grünland heute Morgen schon angekündigt hat, beabsichtigt erhebliche Trockenschäden auf; auch der Wald ist die Landesregierung in Person der Landwirt- stark betroffen. schaftsministerin Otte-Kinast, eine Unterrichtung (Vizepräsident Frank Oesterhelweg zum Thema Dürre abzugeben. Es ist zwar noch übernimmt den Vorsitz) nicht ganz 13.30 Uhr, aber ich gehe davon aus -

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Meine Damen und Herren, zurzeit sprechen wir als 30 % seiner durchschnittlichen Jahresernte von einer Erntemenge von 4,7 Millionen t Getreide verloren hat und in seiner wirtschaftlichen Existenz für Niedersachsen. Das sind 22 % weniger als in bedroht ist, kann bis zu 50 % seiner Ausfälle als 2017. Es ist die schlechteste Getreideernte seit finanzielle Hilfe erwarten. 1976. Dabei gibt es große regionale Unterschiede. Der Bund errechnete daraus einen Bedarf an Fi- Manchmal führten schon wenige Gewitterschauer nanzhilfen auf Bundesebene von 300 Millionen zu einer besseren Ausgangslage. Euro bis 340 Millionen Euro aus öffentlicher Hand. Festzuhalten bleibt: Von den Dürreschäden sind Bund und Länder beteiligen sich jeweils zur Hälfte. die Region Lüneburg, einige Kreise in Küstennähe Also stehen für alle Bundesländer zwischen sowie der Kreis Vechta besonders stark betroffen. 150 Millionen Euro und 170 Millionen Euro aus Ausbleibender Niederschlag und eine zum Teil dem Bundeshaushalt zur Verfügung. geringe Speicherkapazität des Bodens für Feuch- Verehrte Damen und Herren, Sie werden sich nun tigkeit führten in diesen Gebieten beim Getreide im fragen: Was macht Niedersachsen? - Für mich ist Vergleich zum Vorjahr zu Ertragseinbußen zwi- klar: Wer in seiner wirtschaftlichen Existenz be- schen 30 % und 40 %. droht ist, dem muss geholfen werden. Noch ist In anderen Regionen wie Braunschweig und Han- völlig offen, in welcher Höhe Hilfsmittel vom Bund nover fiel ebenfalls kaum Regen. Dort ging die zu uns nach Niedersachsen fließen werden. Im Getreideernte um etwa 15 % bis 20 % zurück. Augenblick gehen wir davon aus, dass sich der Schaden bei den existenzbedrohten Betrieben in Eine Ernte auf dem Niveau des Vorjahres ver- Niedersachsen insgesamt auf bis zu 80 Millionen zeichneten die Kreise Bentheim, Emsland und Euro belaufen könnte. Davon sollen 50 % ausge- Leer, die von einigen Gewitterschauern profitierten. glichen werden. Für die Betriebe, die durch die Fakt ist aber auch: Die Hektarerträge bei Brotge- Dürre in Existenznot geraten sind und wirklich treide sind im Vergleich zum Vorjahr nur um keinerlei Spielraum mehr haben, werden Bund und 15,7 % und gegenüber dem mehrjährigen Mittel Länder den Ausgleich der Dürreschäden jeweils nur um 18,3 % gesunken. Außerdem beobachten zur Hälfte übernehmen. Demnach könnte sich der wir einen seit Wochen anziehenden Markt. Wer Anteil Niedersachsens auf bis zu 20 Millionen Euro Getreide hat, lagert ein, um einen möglichst hohen belaufen. Erlös zu erzielen. Das Antragsverfahren soll jetzt im Herbst eröffnet Am stärksten betroffen sind jedoch spezialisierte werden. Die Landesregierung wird umgehend au- Futterbaubetriebe, die überwiegend Grünland be- ßerplanmäßig einen Betrag in Höhe von 5 Mil- wirtschaften. Kein Regen - kein Gras! Der zweite lionen Euro bereitstellen. Der Bund stockt diese und dritte Schnitt fehlt häufig völlig. In der Folge Summe um weitere 5 Millionen Euro auf. Damit wurden viele Kühe in den Stall geholt, um sie dort kommen die ersten 10 Millionen Euro noch im Jahr mit Futter und Wasser ausreichend zu versorgen. 2018 auf die Höfe. Deshalb habe ich bereits gemeinsam mit Olaf Lies Wir werden den Landtag bitten, die weiteren Mittel zur Solidarität unter den Landwirten aufgerufen. im Haushalt 2019 bereitzustellen. Die nächsten Wo immer es geht, sollte in diesem Jahr Mais bes- Tage werden in Absprache mit dem Bund darüber ser in den Trog anstatt in den Biogasbehälter wan- Klarheit verschaffen, wie das Verfahren genau dern. Für den Winter rechnen wir mit Engpässen in laufen wird. Am kommenden Montag findet in Ber- der Versorgung der Tiere. lin das nächste Treffen dazu statt. Bis Mitte Sep- Meine Damen und Herren, auf Basis aller Fakten tember soll eine Verwaltungsvereinbarung zwi- und Daten steht fest: Es ist ein außergewöhnliches schen Bund und Ländern unterschrieben werden. Naturereignis. Nach vorsichtigen Schätzungen Das Finanzministerium wird dem Landtag als rechnen wir in der niedersächsischen Landwirt- Haushaltsgesetzgeber entsprechende Deckungs- schaft mit Schäden in Höhe von 985 Millionen Euro vorschläge unterbreiten. Ich danke an dieser Stelle und in der Forstwirtschaft mit Schäden in Höhe von dem Kollegen Reinhold Hilbers für den offenen 299 Millionen Euro. Dialog über die Möglichkeiten der Finanzierung. Bundesagrarministerin Julia Klöckner gab vor einer Meine Damen und Herren, von Anfang an haben Stunde bekannt: Wir haben eine Dürre, die ein wir hier in Niedersachsen eine ganze Reihe pra- nationales Ausmaß annimmt. Demnach greift die xisnaher Stellschrauben genutzt, um unseren nationale Rahmenrichtlinie. Der Landwirt, der mehr Landwirten Entlastung zu verschaffen. Im Vorder-

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grund steht zunächst die Mobilisierung aller Futter- niken, klimaangepasste Stallbaulösungen und reserven, die noch nutzbar sind. Wir haben die als kluger Waldumbau. ökologische Vorrangflächen ausgewiesenen Bra- Die Landwirtschaft gehört zu den innovativsten chen für Futtermittelzwecke freigegeben. Zudem Branchen. Selbstverständlich werden wir im Rah- zeichnet sich die Möglichkeit ab, dass Zwischen- men der neuen EU-Förderperiode diese Innovati- früchte auf ökologischen Vorrangflächen als Futter onskraft auch einfordern. genutzt werden können. Zur Sicherung der niedersächsischen Agrarstruktur Das neue Internet-Marktportal der Landwirtschafts- brauchen wir alle zukünftigen Familienbetriebe. kammer und des Landvolks ist ein weiterer Bau- stein. Dort können Landwirte, die händeringend Um es deutlich sagen: Die Dürre ist noch nicht Grundfutter suchen, auf diejenigen treffen, die vorbei, und sie wird Auswirkungen bis ins nächste noch Grundfutter anbieten können. Jahr haben. Das gilt für die gesamte Natur.

Wir haben darüber hinaus auch die Möglichkeit Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. geschaffen, dass Biobetriebe ihre Futtervorräte mit (Starker, anhaltender Beifall bei der konventionell angebautem Grundfutter ergänzen. CDU, bei der SPD und bei der AfD) Durch die Allgemeinverfügung des LAVES vom 1. August 2018 wurde die Verwendung von nicht- Vizepräsident Frank Oesterhelweg: ökologischen bereits geernteten Raufuttermitteln Herzlichen Dank, Frau Ministerin, für diese Unter- für tierhaltende Ökobetriebe zugelassen. richtung. Daneben sind auch finanzielle Entlastungen vor- Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach gesehen. Wir planen, die Auszahlung der Direkt- unseren Gepflogenheiten ist eine Besprechung zu zahlungen vorzuziehen. Voraussichtlich können eröffnen und durchzuführen, wenn mindestens schon Anfang Dezember die Mittel an die Landwir- zehn Mitglieder des Landtages dies verlangen. Da te fließen und die vielfach angespannte Liquidität seitens der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schon der Betriebe verbessern. eine Wortmeldung vorliegt, nämlich von der Kolle- Auch das Niedersächsische Finanzministerium hat gin Staudte, gehe ich davon aus, dass das so sein seinen Teil dazu beigetragen, Betrieben in Notla- soll. Wenn dem nicht widersprochen wird, dann gen zu helfen. Für betroffene Landwirte besteht die machen wir das so. Möglichkeit, Anträge auf Stundung der Steuerzah- Ich stelle fest, dass die Unterrichtung 10:40 Minu- lungen oder Anpassung der Vorauszahlungen bei ten gedauert hat. Nach unseren Gepflogenheiten ihrem Finanzamt zu stellen. erhalten die beiden „großen“ Fraktionen - bitte immer in Anführungsstrichen; ich will ja nicht wer- Verehrte Damen und Herren, ich möchte ausdrück- ten - die gleiche Redezeit für die Besprechung und lich betonen, dass nicht nur Hilferufe bei mir ange- die drei „kleinen“ Fraktionen die Hälfte dieser Zeit. kommen sind. Im Gegenteil, nachdem die Forde- Es ergeben sich also folgende Redezeiten: für die rung des Bauernverbandes nach 1 Milliarde Euro Fraktionen der SPD und der CDU je 10:40 Minu- auf dem Tisch lag, meldeten sich Bauern bei mir, ten, für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die denen der automatische Ruf nach der öffentlichen Fraktion der FDP und die Fraktion der AfD je 5:20 Hand zu weit geht. Sie nehmen ihre unternehmeri- Minuten. sche Verantwortung sehr ernst und arbeiten oft seit Generationen mit und in der Natur. Das Wetter ist Die erste Wortmeldung liegt vor. Das Wort hat die Teil des üblichen Geschäftsrisikos. Kollegin Staudte. Bitte schön!

Trotzdem ist die wirtschaftliche Ausgangslage in Miriam Staudte (GRÜNE): den einzelnen Betrieben sehr unterschiedlich, und deshalb reagieren wir jetzt auch. Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehr- ten Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Wer wegen der Dürre pauschal nach einem gene- Frau Ministerin, vielen Dank, dass Sie zu diesem rellen Umbau der Land- und Forstwirtschaft ruft, Thema hier das Wort ergriffen haben. Wir hatten der verkennt, was in der Praxis schon längst zu damit, ehrlich gesagt, auch gerechnet. Ich hatte sehen ist. Im Bereich der Klimaanpassung tut sich eigentlich eher gedacht, es würde eine richtige jede Menge: robustere Sorten, weitere Fruchtfol- Regierungserklärung, noch etwas fundierter, mit gen, moderne, wassersparende Beregnungstech- Vorbereitungszeit und schriftlichen Dokumenten für

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uns. Aber immerhin eine Unterrichtung - das finde sprochen; das ist sehr wichtig für die Landwirt- ich gut. schaft -, aber eben auch ein wirklich radikaler Kli- maschutz. Ich möchte auf verschiedene Aspekte eingehen. Zur Klimafolgenanpassung: Sie haben es so dar- Etwas verwundert hat mich - wobei es nach den gestellt, als würde schon alles getan, als flössen vorhergehenden Debatten zum Thema Klima- Fördermittel genau in diesen Bereich. Das ist nicht schutz vielleicht doch gar nicht so unerwartbar so. Die momentane Landwirtschaftspolitik ist auf war -, dass Sie in Ihrer Unterrichtung das Wort weitere Spezialisierung, auf Effizienzsteigerung „Klimawandel“ nicht in den Mund genommen ha- ausgerichtet. Wir sehen aber, dass der Klimawan- ben. Ich halte das für ein großes Versäumnis. Von del und die Unberechenbarkeit des Klimas dazu einer Landwirtschaftsministerin würde ich nach führen, dass die Landwirtschaft sich wieder breiter einem solchen Hitzesommer ganz deutliche Worte aufstellen muss, dass die Betriebe diversifizieren erwarten, im Sinne der Landwirtschaft. Bei der müssen, dass es gut ist, wenn Landwirte mehrere CDU würden sie vielleicht lauten: Konsequenter Standbeine haben. Wenn man nicht nur die Acker- Klimaschutz ist für die Landwirtschaft alternativlos. kulturen, sondern auch den Obstbau betrachtet, - Da hätten wir geklatscht. dann sieht man, dass die Auswirkungen sehr un- (Beifall bei den GRÜNEN) terschiedlich sind. Insofern halten wir ein wirklich grundsätzliches Überdenken der Landwirtschafts- Das wäre wirklich ein Statement gewesen, gerade politik für notwendig. Dafür gibt es viele Gründe. nachdem Kollege Bäumer hier den von Menschen Aber die Ernteverluste in diesem Jahr zeigen, dass verursachten Klimawandel infrage gestellt hat. das besonders dringend ist. Nach diesem Sommer und seinen immensen Unter dem Stichwort Klimafolgenanpassung müs- Schäden für die Landwirtschaft müssen wir über sen wir uns z. B. auch mit dem Humusaufbau be- unterschiedliche Punkte diskutieren. fassen. Viele Biobetriebe berichten ja, dass sie Natürlich müssen wir über Sofortmaßnahmen nicht so sehr unter der Dürre gelitten hätten, weil sprechen. Ich spreche explizit nicht nur von Sofort- sie eine gute Humusschicht hätten, die viel Feuch- hilfen, weil es nicht nur um Geld geht, sondern tigkeit speichert. Da müssen wir weiterarbeiten. auch um andere Maßnahmen, z. B. die Umwid- Wir müssen diese Erkenntnis nutzen. mung von Energiemais zu Futtermais. (Zurufe von der CDU: Das berichten Aus unserer Sicht ist es wichtig und unerlässlich, auch konventionelle Betriebe! - Gera- über eine Reduzierung der Tierbestände zu disku- de die Biobetriebe haben gelitten!) tieren. Wir sehen ja jetzt: Wir haben zu wenig Fut- - Sie können sich auch noch zu Wort melden. ter für die Tierbestände in Niedersachsen. Wir müssen uns auch mit besseren Bewässe- Wir haben ohnehin zu wenig Fläche, um die Gülle rungssystemen sowie mit Tiertransporten und Stäl- auszubringen, aber das verschärft sich auch noch len befassen. Ich glaube nicht, dass es beim The- durch die aktuelle Situation: Die Pflanzen sind ma Tiertransporte mit dem einen Erlass getan ist. nicht wie sonst gewachsen. Der Mais ist vielleicht nur halb so hoch. Er hat also auch nicht so viele (Beifall bei den GRÜNEN) Nährstoffe aus dem Boden aufgenommen. Das Es ist auch nicht damit getan, dass in einigen Stäl- bedeutet: Die sind da noch, und wir können jetzt len Eukalyptusöl zur Kühlung versprüht wird. Wir nicht einfach weiter Gülle ausfahren. - Dazu würde brauchen da wirklich konkrete Anforderungen, mich eine Stellungnahme von Ihnen interessieren. damit Tiere, die in Ställen gehalten werden, solche Wenn es dann gleich wieder heißt, Ausnahmen Hitzeperioden unbeschadet überstehen. von dem neuen Güllerecht seien notwendig, sage Das sind wichtige Herausforderungen. ich: Nein, genau das Gegenteil ist notwendig. Wir müssen gerade in diesem Jahr das Problem ange- (Glocke des Präsidenten) hen und dafür sorgen, dass weniger Gülle anfällt. Thema Klimaschutz: Die Landwirtschaft muss si- (Beifall bei den GRÜNEN) cherlich auch ihren Beitrag dazu leisten - Stichwor- te „Methanemissionen“, „Lachgasemissionen“ -, Zu den weiteren Herausforderungen - neben den sich selbst zu schützen. Ich erwarte da noch sehr, Sofortmaßnahmen - gehören die Klimafolgenan- sehr viel mehr. passung - die FDP hat das gerade schon ange-

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Sie sagten eben, wir wissen noch nicht, wie viel kann nun wirklich nicht die Antwort sein. Insgesamt der Bundesmittel im Land Niedersachsen ankom- will sie 340 Millionen Euro zusammenbringen, aber men. Wenn das Land Niedersachsen ein Drittel die Länder sollen den Löwenanteil dabei tragen. aller Schäden gemeldet hat - - - Und das Ganze wird dann als Dürrehilfe verkauft.

Vizepräsident Frank Oesterhelweg: Meine Damen und Herren, wenn es bei diesen Zahlen bleibt, ist klar, dass die Landwirtschaft min- Frau Kollegin, Sie sind 20 Sekunden drüber. destens 90 % des Gesamtproblems allein zu tra- gen hat. Das kann man bewerten, wie man will. Miriam Staudte (GRÜNE): Auf jeden Fall ist der Beitrag, den die Politik hier in Danke. - Wenn das Land Niedersachsen ein Drittel den Raum gestellt hat, mehr als gering und wird der Schäden gemeldet hat, - diesem Jahrhundertereignis in keinster Weise ge- recht. Ich kann nur appellieren, keinen Closed Vizepräsident Frank Oesterhelweg: Shop zu machen und zu sagen „Das war‘s!“, son- 25! dern danach zu gehen, wie die Betroffenheit, wie die Bedürftigkeit wirklich ist. Miriam Staudte (GRÜNE): Ich will hier aber auch betonen: Wir Landwirte ste- - dann hoffe ich, dass Sie auch dafür sorgen, dass hen zu unserer unternehmerischen Verantwortung, ein Drittel der Mittel hierher kommt. und deswegen ist es wichtig, die Betriebe mindes- (Beifall bei den GRÜNEN - Helge tens mittelfristig krisenfester zu machen. Aber lei- Limburg [GRÜNE]: Sehr gut!) der geschieht exakt das Gegenteil, wie man bei- spielsweise an der Diskussion darüber erkennt, ob Vizepräsident Frank Oesterhelweg: man - Frau Staudte hat es angesprochen - bei der Vielen Dank. 30 Sekunden Überschreitung - na ja! Düngeverordnung Lockerungen vornehmen will. Wir schauen bei den nächsten Kollegen dann Meine Damen und Herren, das kann man machen, auch. - Die nächste Wortmeldung: Kollege Grupe oder man kann es lassen. In keinem Betrieb in für die FDP-Fraktion. Bitte schön! Deutschland und in Niedersachsen geht die Dün- gebilanz in diesem Jahr auf. Das weiß jeder, der Hermann Grupe (FDP): ein bisschen Sachverstand hat. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man auf einen Zielertrag hingewirtschaftet Die Bundesregierung hat festgestellt, dass die hat und dann derartige Ausfälle bekommt, kann Folgen der Dürre von nationalem Ausmaß sind. das nicht aufgehen. Und wenn man ein solches Sie meint abschätzen zu können, dass 10 000 Ausnahmeereignis dann zum Anlass nimmt, die Betriebe in ihrer Existenz gefährdet sind. Das wä- Düngung für die kommenden Jahre einzuschrän- ren 4 %. Kollege Bäumer hat in der Debatte vorhin ken, dann kommen auf die breite Masse der völlig zu Recht von Schäden in Milliardenhöhe Landwirte Schäden zu. Man lässt sie mit den gesprochen. Das ist das, was uns die Experten Schäden weitestgehend allein und verschärft damit sagen: Die Gesamtschäden betragen laut den das Problem, sich selbst gegen diese Krisen zu Einschätzungen von vor einigen Wochen mehrere schützen - was die Landwirte gern tun wollen. Milliarden Euro. Deswegen kann ich nur appellieren, die Dünge- Mich wundert allerdings, dass man hier heute so verordnung so anzupassen, dass sie praxisgerech- klare Zahlen in den Raum stellt. Nach meiner ter wird, dass sie dem Ziel, das Grundwasser zu Wahrnehmung hält die Dürre noch an. Ich telefo- schützen, besser entspricht, aber dass sie den niere jeden Tag mit meinen Söhnen, um mit ihnen Betrieben zugleich die nötigen Freiheiten lässt, zu besprechen, was wir überhaupt noch aussäen eine vernünftige und ordnungsgemäße Landwirt- können. Wir hatten lange darauf gehofft, dass auf schaft zu betreiben. den Wiesen irgendwann doch noch etwas Gras In dieser Diskussion wird sehr häufig eine „Agrar- wächst. Welche Folgeschäden wir im nächsten wende“ angemahnt. Meine Damen und Herren, Jahr haben werden, ist überhaupt noch nicht ab- liebe Frau Ministerin, da stimme ich Ihnen aus- zusehen. drücklich zu. Sie haben sehr zutreffend beschrie- Meine Damen und Herren, wenn Bundesministerin ben, dass sich die Landwirtschaft in einem ständi- Klöckner einen Beitrag von 150 Millionen Euro in gen Entwicklungs- und Modernisierungsprozess den Raum stellt, verharmlost sie das Problem. Das befindet und dass wir diese Hausausforderungen

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gemeinsam mit der Wissenschaft annehmen und nen und Leidtragenden des Klimawandels. Des- versuchen müssen, Antworten zu geben. Das tun wegen muss die Landwirtschaft krisenfester ge- wir aber auch. macht werden, deswegen muss sie Instrumente an die Hand bekommen, um besser gegen diese Din- Zum Schluss, meine Damen und Herren: Falls ge, die allgemein verursacht werden, gewappnet irgendwer meinen sollte, dass die Biolandwirtschaft zu sein. die Antwort wäre, möchte ich darauf verweisen, dass einige Länder, auch Niedersachsen, den Vielen Dank. Biobetrieben erlaubt haben, konventionelles Futter (Beifall bei der FDP und bei der CDU) zu verfüttern. Ich will hier klipp und klar sagen: Die biologisch wirtschaftenden Betriebe haben genau- : so ein Anrecht auf Hilfe und brauchen genauso Vizepräsident Frank Oesterhelweg Hilfe wie die konventionell wirtschaftenden Betrie- Vielen Dank, Herr Kollege Grupe. - Für die SPD- be. Fraktion hat sich nun die Kollegin Logemann ge- meldet. Bitte schön! (Miriam Staudte [GRÜNE]: Natürlich!) Man soll hier also nicht so tun, als seien sie etwa Karin Logemann (SPD): die Antwort, meine Damen und Herren. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Wie viele von Ihnen war ich heute Morgen beim ökumenischen Gottesdienst in der Marktkirche. Zusammenfassend möchte ich Ihnen sagen: Wir Dort sprach Landesbischof Manzke, und er sagte: müssen die Landwirtschaft mittelfristig krisenfester „Wir haben in vielem ein wunderbares Land, und machen. Wir schlagen als einen Baustein von vie- dieses gilt es in unseren Grenzen zu gestalten.“ len vor, eine Risikoausgleichsrücklage zu bilden, Ich saß da und dachte - Frau Klöckners Erklärung damit die Betriebe in guten Jahren für solche Er- war ja angekündigt -: Was kommt heute auf uns eignisse vorsorgen können. Die Meteorologen zu? Was erwartet uns heute? sagen uns - Minister Lies hat es ausgeführt -, dass wir mit solche Ereignisse in Zukunft häufiger rech- Laut dem Deutschen Wetterdienst war der Mai nen müssen. Darauf müssen wir uns vorbereiten. 2018 der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeich- nungen. Dazu kam der böige Wind, der in weiten (Christian Meyer [GRÜNE]: Als die Teilen für hohe Verdunstungsraten sorgte. Bei der CDU an der Regierung war, gab es Wintergerste weisen die vorzeitig abgereiften das ja nicht!) Grannen auf Hitzestress und Wassermangel hin. Der Mais fristet an vielen Orten ein kümmerliches Wir Landwirte sind nicht die Verursacher des Kli- Dasein und setzt keine Kolben an. Das dringend mawandels. Ein solcher Vorwurf ist unsäglich. Die benötigte Gras wächst nicht nach. Die Landwirte Klimaexperten sagen uns, der Anteil der Landwirt- stehen vor Herausforderungen, wie sie in ihrem schaft macht vielleicht 10 % aus. Das heißt, die Berufsalltag nicht alltäglich sind. Die Tiere auf den Ursache für 90 % liegt woanders. Aber diese 10 % Weiden und in den Ställen wollen alle das Gleiche: Anteil haben wir natürlich, weil wir 7,5 Milliarden Sie wollen fressen. Menschen auf diesem Erdball ernähren und auch einigen anderen Aufgaben nachkommen. Sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße die Entscheidung von Bundesagrarministerin Julia (Miriam Staudte [GRÜNE]: Ich dachte Klöckner, die gerade durch unsere Landwirt- immer, die anderen Länder ernähren schaftsministerin, Frau Otte-Kinast, erläutert wur- uns!) de. Auch, dass die Landesregierung für Härtefälle Die Frage ist doch: Kann man das vermeiden, und sofort und unkompliziert 5 Millionen Euro Nothilfe wenn ja, in welchem Maße? - Bei anderen Dingen, zur Verfügung stellt, begrüße ich außerordentlich. beispielsweise dem Fliegen, kann man vielleicht Die Feststellung, dass die Folgen der Dürre ein Einschränkungen vornehmen, aber bei der Ernäh- nationales Ausmaß erreicht haben, halte ich für rung nicht; ich glaube, da sind wir uns auch einig. gerechtfertigt. Jetzt greift die nationale Rahmen- Natürlich wollen wir versuchen, besser zu werden, richtlinie. Für die Landwirte heißt das: Wer mehr aber diese Möglichkeit ist sehr eingeschränkt, da als 30 % seiner durchschnittlichen Jahresernte wir schon absolut spitze sind. Wir sind nicht die verloren hat und in seiner wirtschaftlichen Existenz Verursacher, sondern wir sind die Hauptbetroffe- bedroht ist, kann finanzielle Hilfe erwarten. Das ist

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richtig und wichtig. Dabei ist darauf zu achten, mehr, als es nun endlich auch die Bundeslandwirt- nicht nach dem Gießkannenprinzip zu unterstüt- schaftsministerin geschafft hat, sich dazu endgültig zen, sondern einen Kriterienkatalog für Fördermög- zu positionieren. lichkeiten zu gestalten, der, breit angelegt, da hilft, Es stimmt mich allerdings nachdenklich, dass be- wo Betriebe gefährdet sind. reits jetzt der finanzielle Rahmen für ein Thema Unsere Landwirtschaftsministerin, Frau Otte-Ki- abgesteckt ist, das nach meinem Eindruck weiter nast, hat sehr schnell auf die Herausforderungen reichende Konsequenzen hat, die sich noch über der Dürre reagiert. Im Vordergrund stand und steht viele Jahre für die Landwirtschaft auswirken wer- immer die Futterbeschaffung. Dafür an dieser Stel- den. Ich halte diese Festlegung momentan für zu le mein ausdrücklicher Dank, Frau Ministerin! kurz gesprungen. Morgen steht ein Antrag von uns auf der Tagesordnung, bei dessen Einbringung ich (Beifall bei der SPD und bei der CDU) darauf näher eingehen möchte. Unter anderem sind folgende Maßnahmen umge- Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden wir setzt oder vorgesehen - sie wurden hier schon natürlich nachdrücklich unterstützen, weil wir ge- aufgezählt -: die vorgezogene Auszahlung der nauso wie Sie sehen, dass die Landwirtschaft Direktzahlungen, Steuerstundungen, die Freigabe dringend Hilfe braucht. Nach den Nässeschäden in der als ökologische Vorrangflächen ausgewiese- den vergangenen Jahren kam dieses Jahr die nen Brachen für Futtermittelzwecke, der Anbau Dürre. Ich glaube, das kann auf Dauer kein norma- von Zwischenfrüchten - eine genaue Regelung ler Betrieb stemmen. Von daher sind hier Solidari- steht hier noch aus -, die gut angenommene Fut- tät und Hilfe für unsere Landwirtschaft gefordert. terbörse der Landwirtschaftskammer und die Mög- lichkeit für Biobetriebe, mit konventionellem Futter Ansonsten werde ich mich, wie gesagt, morgen bei zu unterstützen. Das Szenarium der Betroffenheit der Begründung unseres Antrags noch auf einige ist regional sehr unterschiedlich - das wissen wir weitere Themen beziehen und möchte die Rede- alle -, und deshalb gilt es, Unterstützung passge- zeit jetzt nicht weiter strapazieren. nau zu gestalten. Vielen Dank. Ich denke, uns alle eint die Frage, wie wir uns ge- meinsam mit unseren Landwirten besser auf zu- (Beifall bei der AfD) künftige Extremwetterlagen vorbereiten können. Wir müssen schauen, innerhalb welcher Grenzen Vizepräsident Frank Oesterhelweg: wir in unserem wunderbaren Land - um noch ein- Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die CDU-Fraktion mal den Bischof zu zitieren - Antworten und Lö- hat nun das Wort Herr Kollege Dammann-Tamke. sungen finden können. Bitte schön! Alles in allem bin ich froh über die Entscheidung Helmut Dammann-Tamke (CDU): der Bundesagrarministerin und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Herzlichen Dank. Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Ich zitiere aus der „Empfehlung für eine „nie- (Beifall bei der SPD und bei der CDU) dersächsische Strategie zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels“: Vizepräsident Frank Oesterhelweg: Vielen Dank, Frau Kollegin Logemann. - Für die „Die längsten Trockenperioden im Sommer- AfD-Fraktion hat sich nun Frau Kollegin Guth ge- halbjahr zwischen April und September meldet. Bitte schön! dauern in weiten Teilen Niedersachsens im Jahresmittel 16 bis 17 Tage.“ Dana Guth (AfD): Aber wie sieht es tatsächlich aus? - In meiner Herr Präsident! Liebe Kollegen! Ich muss sagen, Heimatregion, in der besonders betroffenen Elbe- dass mich die Regierungserklärung unserer Land- Weser-Region, haben wir die letzten nennenswer- wirtschaftsministerin sehr freut, weil hierdurch end- ten Niederschläge am 9. April gehabt. Wir zählen lich Bewegung in etwas gerät, was seit Wochen jetzt 135 Tage ohne nennenswerte Niederschläge. ohne greifbaren Ansatz diskutiert wird. Von daher Und es ist völlig klar - da stimme ich dem Kollegen möchte ich dafür erst einmal Danke sagen. Ich Grupe ausdrücklich zu -: Diese Dürreperiode ist glaube, dass das ein Ansatz und ein wirklich guter noch nicht abgeschlossen. Wir müssen uns auch Schritt in die richtige Richtung ist, und das umso weiterhin sehr große Sorgen machen, welche

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Auswirkungen sie insbesondere auf die Futter- Deutschland Hilfen in Höhe von 1 Milliarde Euro grundlage der Tiere hat. braucht.

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang aber (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Suggeriert? der differenzierte Blick. Zum einen müssen wir - Lachen bei den GRÜNEN) regional differenzieren. Wir wissen durchaus, dass die Auswirkungen in Niedersachsen unterschied- Fakt ist, dass diese Forderung in der Debatte im lich sind. Betrachten wir nur einmal die Nachbar- politischen Raum in völlig unterschiedliche Rich- landkreise Leer und Wittmund. Im Landkreis Leer tungen ausgeschlachtet worden ist. Aber bevor ich war die Getreideernte sehr gut, im Landkreis Witt- auf das politische Ausschlachten zu sprechen mund gab es die gleichen katastrophalen Auswir- komme, möchte ich einen kurzen Blick in die See- kungen wie andernorts. Außerdem müssen wir lenlage von niedersächsischen Familien in der nach Betriebsausrichtung differenzieren. Ein Ver- Landwirtschaft und vielleicht auch des einen oder edler, ein Schweine- oder Geflügelhaltungsbetrieb, anderen geben, der in diesem Jahr zu den Ernte- ist mit Sicherheit anders betroffen als jemand, der dankfesten gehen und folgenden Choral anstim- für seine Kühe, für seine Rinder eine Futtergrund- men wird: lage braucht. Und auch innerhalb der Gruppe der „Wir pflügen und wir streuen Milchviehbetriebe müssen wir differenzieren, weil den Samen auf das Land, es natürlich ein Unterschied ist, ob ein Betrieb auf doch Wachstum und Gedeihen Futtervorräte aus dem Vorjahr zurückgreifen kann steht in des Himmels Hand: oder ob seine Futtergrundlage beispielsweise aus der tut mit leisem Wehen Weide und Silage aus Gras besteht. sich mild und heimlich auf und träuft, wenn heim wir gehen, Ich bin der Bundesministerin und unserer nieder- Wuchs und Gedeihen drauf.“ sächsischen Landwirtschaftsministerin äußerst dankbar, dass sie in den vergangenen 135 Tagen, Diese Weise von 1783 - die im Übrigen im Jahr in denen der Ruf nach staatlichen Hilfen immer 1800 erstmals hier im Raum Hannover in einer lauter wurde, sehr besonnen und sehr differenziert Liedersammlung für Volksschulen veröffentlicht immer wieder darauf hingewiesen haben, dass wir wurde -, gibt einen deutlichen Hinweis darauf, dass vonseiten des Parlaments und des Finanzministe- diejenigen Landwirtsfamilien, die im christlichen riums Steuermittel nicht einfach nach Gefühl und Glauben verwurzelt sind, und auch die, die Atheis- Wellenschlag zum Fenster hinauswerfen können, ten sind, sehr wohl wissen, dass die Ernte nicht sondern dass es hier ein klares Verfahren gibt. selbstverständlich ist und dass man dem Gedan- Dieses ist heute durch die Feststellung, dass die ken, dass die Natur am letztlich entscheidenden Folgen der Dürre ein nationales Ausmaß erreicht Hebel sitzt, sehr große Ehrfurcht entgegenbringt. haben, auf den Weg gebracht worden. Unsere Ministerin hat hier ja auch sofort erklärt, wie Nie- (Miriam Staudte [GRÜNE]: Aber das dersachsen mit dieser Lage umgehen will. Ansons- ist ja keine Natur mehr! Das ist Kli- ten liegt die Initiative natürlich bei den Ländern, mawandel! - Gegenruf von Jörg Hill- aber selbstverständlich brauchen wir die Kofinan- mer [CDU]: Das wissen Sie doch gar zierung des Bundes. nicht!)

Die Redebeiträge haben mir gezeigt, dass wir uns Dann allerdings haben wir erlebt, dass politische hier im Parlament weitgehend einig darüber sind, Kräfte dieses Thema besetzt haben. Sie haben dass wir helfen wollen und helfen müssen und sich mit Ihrem Zwischenruf ja auch nicht umsonst dass wir vor allen Dingen den Betrieben helfen gerade in diesem Moment gemeldet, verehrte Kol- wollen, die sich in existenzieller Not befinden. Das legin Staudte: Landwirte sind Opfer und Verursa- eigentlich Spannende an dieser Debatte ist für cher zugleich. - Das verfängt natürlich bei weiten mich deshalb, wie die gesellschaftspolitische Dis- Teilen unserer Bevölkerung. Das verfängt natürlich kussion in den vergangenen Wochen verlaufen ist. bei den 80 Millionen, die, wenn sie in den Super- Ich gebe zu, dass der Bauernverbandspräsident, markt gehen, überhaupt nicht bemerken, dass es Herr Rukwied, mit der aus der hohlen Hand ins eine Dürre gibt. Denn weil wir eine reiche Volks- Feld geführten Schadenssumme von 1 Milliarde wirtschaft sind und uns es leisten können, werden Euro eher Öl ins Feuer gegossen hat; denn damit wir überall auf diesem Globus die Nahrungsmittel hat er suggeriert, dass die Landwirtschaft in einkaufen, die uns hier vor Ort verlorengehen.

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Spüren werden das nur die, die die Futtergrundla- Kuh ist ungleich besser als der ökologische Fin- ge brauchen: die Betriebe selbst. gerabdruck pro Liter Milch bei einer 5 000-Liter- Kuh. Deshalb ist es auch ein Beitrag der Landwirt- Aber jetzt zurück zu Ihrem Vorwurf! Ich darf in schaft zum Thema Klimaschutz, dass sie über diesem Zusammenhang Katrin Göring-Eckardt Jahrzehnte Hochleistungstiere gezüchtet hat; denn zitieren - Frau Kollegin Staudte hat sich heute in diese sind - gemessen an dem Ausstoß von klima- ähnlicher Weise eingelassen -: Landwirte seien schädlichen Gasen - ungleich produktiver als das, Opfer und Verursacher zugleich, und Hilfe für die was Ihnen vorschwebt. Landwirtschaft dürfe es nur geben, wenn endlich der ökologische Umbau der Landwirtschaft begin- (Beifall bei der CDU und bei der AfD) ne. Jetzt kommen wir zu einem ganz entscheidenden Ich möchte Ihnen dazu ein paar Fakten geben. Punkt, warum Sie mit Ihrem Karo - Klein-Klein - 2016 wurden in Niedersachsen 283 000 ha für die viel zu kurz greifen. Westeuropa ist nach wie vor - Bioenergieproduktion aufgewendet, davon trotz aller heutigen Diskussionen über den Klima- 267 000 ha Ackerland und 16 000 ha Grünland. wandel - die Region auf der Welt mit den sichers- Wollen Sie mir erzählen, dass das kein Beitrag der ten Erträgen. Wir haben in etwa 30 % Mindererträ- Landwirtschaft zum Klimaschutz ist? Annähernd ge. Aber im Vergleich zu den Extremen überall jeder neunte Hektar in Niedersachsen wird für anders auf diesem Erdball haben wir hier einen Bioenergieproduktion aufgewendet. Das ist ein relativ sicheren Produktionsstandort. Die FAO Verdienst der Landwirtschaft. Ein Landwirt ist nicht schätzt, dass sich die Lebensmittelproduktion automatisch gleich Bioenergiewirt, weil er eine weltweit bis 2050 um 70 % erhöhen muss, damit Biogasanlage baut, sondern er bleibt ein Landwirt. wir auf diesem Globus die Bevölkerung ernähren (Beifall bei der CDU und bei der FDP) können. Wir können es uns überhaupt nicht erlau- ben, ideologisch basierte Änderungen der Land- Die Landwirte haben im Übrigen nahezu geschlos- wirtschaft, die einzig und allein dem Zweck dienen, sen alle Onshoreflächen für den Windenergieaus- weniger zu produzieren, hier in Westeuropa auf bau zur Verfügung gestellt, und sie haben selbst den Weg zu bringen. Das wäre eventuell - nach auf eigenes unternehmerisches Risiko in diese Ihrer Vorstellung - ein Beitrag zum Klimaschutz. Technik investiert. Auch das ist ein Beitrag der Was aber unsere ethische Verantwortung für die Landwirtschaft zum Klimaschutz. Ernährung der Bevölkerung angeht, liefen wir (Beifall bei der CDU) hiermit vollkommen in die falsche Richtung. Landwirte bauen in unseren Dörfern Nahwärme- (Beifall bei der CDU) netze auf Holzbasis, Holzhackschnitzelheizungen. Sie sind unternehmerisch unterwegs. Auch das ist Ich komme zum Schluss und auf das eigentliche ein Beitrag der Landwirtschaft zum Energiewandel. Thema zurück, das von mir mit „differenzierter Landwirte sind in großen Teilen auch Waldbesit- Blick“ betitelt wird. Ja, es ist richtig: Wir müssen zer. Und wenn ich Waldbesitzer bin und über den differenziert hinschauen. Ja, es ist richtig: Wir Waldanbau einen Beitrag zum Klimaschutz leiste, müssen die Betriebe, die in existenzielle Not gera- bin ich dann deshalb kein Landwirt mehr? - Nein, ten sind, durch öffentliche Gelder unterstützen. Sie machen es sich in diesem Fall zu einfach. Aber eines ist auch klar: Viele Landwirte waren unzufrieden mit der Aussage von Rukwied; denn Sie wollen auch die großen Tierhaltungsanlagen diese Landwirte fühlen sich als Unternehmer. Sie nach Möglichkeit verbieten. Schauen Sie sich doch wollen sich dem Wettbewerb und dem Markt stel- einmal diese großen neuen modernen Tierhal- len, und sie wollen nicht staatlicher Bittsteller sein. tungsanlagen an! - Riesige Dächer. Auf nahezu Deshalb haben wir die Situation, dass wir einer allen dieser Dächer sind Photovoltaikanlagen. kleinen überschaubaren Gruppe von Landwirten - Auch das ist ein Beitrag zum Klimaschutz, Frau weil sie in existenzieller Not sind - hier unter die Kollegin. Ihr Karo greift viel zu kurz. Arme greifen müssen. Aber eine Förderung mit (Beifall bei der CDU) Gießkanne, wer auch immer das fordern mag, ist absolut fehl am Platze. Ich gehe jetzt noch auf einen weiteren Bereich ein - das kann ich Ihnen nicht ersparen -, auf den Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ökologischen Fingerabdruck. Der ökologische Fin- (Beifall bei der CDU und bei der SPD) gerabdruck pro Liter Milch bei einer 10 000-Liter-

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Vizepräsident Frank Oesterhelweg: Vizepräsident Frank Oesterhelweg: Vielen Dank, Herr Dammann-Tamke. - Zu einer Herzlichen Dank. - Herr Kollege Dammann-Tamke Kurzintervention auf Ihren Beitrag hat sich die Kol- möchte antworten. Bitte schön! legin Staudte gemeldet. Bitte schön! (Christian Meyer [GRÜNE]: Dann sa- gen Sie auch mal was zu: „Nur einmal Miriam Staudte (GRÜNE): die Woche Fleisch essen“!) Vielen Dank, Herr Präsident. - Da Herr Dammann- Tamke mich nun mehrmals angesprochen hat, Helmut Dammann-Tamke (CDU): möchte ich selbstverständlich auf das Gesagte eingehen. Vielen Dank. - Frau Kollegin Staudte, ich will meine kurze und wertvolle Redezeit nicht dafür aufbrin- Sie haben ja selbst gesagt: Wir müssen differen- gen, um das alles, was Sie hier gerade dargelegt ziert schauen. Natürlich ist es richtig, dass sehr haben, auseinanderzupulen. viele Landwirte als Energiewirte große Investitio- nen getätigt und Flächen bereitgestellt haben, und Eines ist doch Fakt, Frau Kollegin Staudte: Unsere das begrüßen wir. Ich frage Sie aber einmal: Was Gesellschaft, d. h. jeder unserer 80 Millionen Bun- sagen denn die Landwirte eigentlich zur letzten desbürger, leistet hoffentlich ihren Beitrag zum Novelle des EEG von CDU und SPD? Ich glaube, Klimaschutz. Was Sie wollen, ist eine staatlich sie waren nicht so sehr begeistert. Insofern spiele organisierte Landwirtschaft nach Ihren politischen ich den Ball einmal zurück: Wenn Sie weiterhin Vorstellungen, das Angebot dahin verändern, dass wollen, dass die Landwirtschaft in diesem Bereich die 80 Millionen Bundesbürger, die mit ihrem Kon- viel zum Klimaschutz beitragen kann, dann setzen sumverhalten jeden Tag darüber entscheiden, wie Sie sich für eine Novelle des EEG ein! bei uns Nahrungsmittel produziert werden, über die Hintertür der Veränderung des Angebots dahin Was Sie nicht angesprochen haben, sind die Me- gebracht werden, dass auch sie über ihre Konsum- thanemissionen, die Lachgasemissionen durch entscheidung ihren Beitrag zum Klimaschutz leis- Überdüngung, Stickstoff usw. Das regt die Lach- ten. gasproduktion an, und Lachgas ist sehr viel - ich (Glocke des Präsidenten) glaube über 200-fach - schädlicher als CO2. Es bleibt auch sehr lange in der Atmosphäre aktiv. Das mag ja in der Theorie vielleicht sogar funktio- (Glocke des Präsidenten) nieren. Aber solange wir offene Weltmärkte haben, werden mindestens ein paar Millionen von diesen Diesen Problemen, die durch die Tierhaltung mit 80 Millionen Bundesbürgern weiter das argentini- verursacht werden, muss sich auch die Landwirt- sche Steak essen, weil sie es können, weil sie es schaft stellen. Das ist nicht nur ein Vorwurf an die hier günstig einkaufen, und unsere Landwirte sind Landwirtschaft, das ist ein Appell an uns alle, und dann raus aus der Nummer. Das ist der Fehler, ich würde dazu auch gerne noch einmal etwas von den Sie in diesem Zusammenhang machen. Frau Otte-Kinast hören, die ja auch einmal gesagt hat, wir sollten alle weniger Fleisch essen. (Beifall bei der CDU und bei der AfD - Christian Meyer [GRÜNE]: Ihre Regie- (Glocke des Präsidenten) rung fordert doch, weniger Fleisch zu Das kann doch in so einem Zusammenhang auch essen! - Miriam Staudte [GRÜNE]: Sie einmal angesprochen werden. Und ja, es ist natür- sollten lieber einmal etwas zur Me- lich richtig - - - thanemission sagen!)

Vizepräsident Frank Oesterhelweg: Vizepräsident Frank Oesterhelweg: Frau Kollegin! Hier bin ich nicht so geduldig. „1:30 Vielen Dank, Herr Kollege Dammann-Tamke. - Minuten“ ist angesagt, da sind Sie jetzt 6 Sekun- Herr Kollege Meyer und andere: Sie reden dau- den drüber. ernd vom Essen. Ich mache darauf aufmerksam, dass das noch ein bisschen dauert. Miriam Staudte (GRÜNE): (Heiterkeit) Okay. Wir haben das Thema ja noch ein paarmal auf der Tagesordnung. Wir haben nämlich noch Tagesordnungspunkt 5 - die PGFs wollten das nicht absetzen -, und dann (Beifall bei den GRÜNEN) haben wir auch noch eine Wahl vor uns. Wenn es

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jetzt etwas disziplinierter läuft, können Sie dann bereits seit 2016 einen neuen Entwurf angemahnt. umso früher die Entscheidung treffen, ob Sie - Die CDU hatte vollkommen recht, meine sehr Fleisch essen wollen oder nicht. geehrten Damen und Herren.

Ich rufe auf den (Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Nach der Landtagswahl in Niedersachsen gab es Tagesordnungspunkt 5: dann eine Große Koalition. Der Koalitionsvertrag Erste Beratung: widmet sich auch der Frage der Sonntagsöffnung. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Nie- Es gibt durchaus eine etwas unklare Formulierung, dersächsischen Gesetzes über Ladenöffnungs- wie sie denn geändert werden sollte. Deshalb mel- und Verkaufszeiten - Gesetzentwurf der Fraktion dete sich der Fraktionsvorsitzende der CDU, der der FDP - Drs. 18/1383 neu Kollege Toepffer, am 5. Februar 2018 zu Wort. Er erklärte: „Niedersachsen benötigt schnell ein neu- es Ladenöffnungsgesetz.“ Herr Kollege Toepffer, Zur Einbringung hat sich für die FDP-Fraktion der Sie haben vollkommen recht. Kollege Bode gemeldet. Bitte schön! (Beifall bei der FDP - Dirk Toepffer Jörg Bode (FDP): [CDU]: Danke!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben das am 5. Februar gesagt. Zwischen Das Thema Ladenöffnung, insbesondere die Frage uns beiden scheint es aber eine Differenz in der von Sonntagsöffnungszeiten, beschäftigt das Ple- Bewertung des Wortes „schnell“ zu geben. Das ist num und die Öffentlichkeit seit Jahren. Das liegt jetzt schon ein halbes Jahr her. Für mich ist es daran, dass nach einer Entscheidung des Bundes- nicht „schnell“, dass es bis heute noch keinen Ent- verfassungsgerichts das bestehende Ladenöff- wurf der CDU, der SPD oder der Landesregierung nungszeitengesetz in Niedersachsen nicht ausrei- gibt. Für mich ist das eher langsam. chend definiert, wann Geschäfte an den vier Sonn- tagen, an denen zusätzlich geöffnet werden kann, (Beifall bei der FDP und bei den tatsächlich rechtlich korrekt nach den Vorgaben GRÜNEN) des Verfassungsgerichtes öffnen dürfen. Das mag aber auch daran liegen, meine sehr ge- Das führt zu der skurrilen Situation - weil der Land- ehrten Damen und Herren, dass der Kollege tag und die Landesregierung in Niedersachsen Toepffer ein Problem in der Abstimmung über die bisher keine Konkretisierungen im Gesetz vorge- Frage hat, ob die Sonntagsöffnung - so wie es das nommen haben -, dass Gemeinden eine Sonn- Gesetz in Niedersachsen früher eigentlich vorsah - tagsöffnung beschließen, dass dort Vorbereitun- auf die einzelne Verkaufsstelle bezogen werden gen sowohl bei den Einzelhändlern als auch für sollte, d. h. ob es stadtteilbezogen auch andere Veranstaltungen in der Stadt getroffen werden und Öffnungszeiten als in der übrigen Kommune geben am Ende manchmal am Freitag vor der Öffnung kann. Verwaltungsgerichte entscheiden müssen, ob Sonntagsöffnung stattfindet oder nicht, mit all den Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Kol- vorgelagerten Kosten für Anstrengungen und Un- lege Toepffer hat jetzt einen großen Erfolg erzielt. sicherheiten bei den Händlern, den Besuchern und Die FDP-Fraktion hat in diesem Gesetzentwurf auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ebenfalls seine Forderung vorgelegt, dass es bei von denen fast alle - wahrscheinlich sogar wirklich jeder Verkaufsstelle einzelne Regelungen geben alle - sich freiwillig gemeldet haben, weil sie sich darf, dass stadtteilbezogen andere Sonntagsöff- nämlich über die Zulagen freuen, die sie bei einem nungen als im Rest der Kommune gemacht wer- Einsatz am Sonntag bekommen. den können. Die CDU hat deshalb dieses Thema bereits am Durch unsere - dem Kollegen Toepffer sehr nahe 17. Mai 2017 hier im Landtag thematisiert. Der kommende - Formulierung im Gesetzentwurf hat Abgeordnete Jasper sagte damals, dass diese sich offenbar, wie wir heute Presseberichten ent- Rechtsunsicherheit immer noch gestiegen ist, und nehmen konnten, auch die Landesregierung ent- warf der damaligen Landesregierung vor, dass sie schlossen, in dieser Frage eine ähnliche Regelung trotzdem immer noch nicht gehandelt hat. Er nann- ins Auge zu fassen, die aber nicht ganz so weitge- te dies eine Zumutung und erklärte, die CDU habe hend ist, wie der Kollege Toepffer es eigentlich

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wollte. Von daher hat er sich in der Koalition an- findung eine rechtssichere Lösung, die praktikabel scheinend nicht ganz durchsetzen können. und anwendbar ist, bekommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sei‘s Wir freuen uns, dass sich die Landesregierung drum! Diese Frage ist noch nicht der Kern des jetzt anscheinend doch bewegt. Wir würden aber Problems. Der Kern des Problems ist eigentlich die als Landtag empfehlen, nicht darauf zu warten. Frage: Wie definieren wir - und da wissen wir von Denn - der Kollege Toepffer hat uns alle ermahnt - der Landesregierung nicht, wie sie sich verhalten wir brauchen dieses Gesetz schnell. Deshalb freue will - die Ereignisse, an denen sonntags geöffnet ich mich auf die schnelle Beratung im Ausschuss. werden darf? Herzlichen Dank.

Wir wollen, dass nicht nur die Personenanzahl, die (Beifall bei der FDP) an einer Veranstaltung in einer Kommune teil- nimmt, entscheidend ist. Wir wollen, dass auch Vizepräsident Frank Oesterhelweg: gemeinwohlbezogene Veranstaltungen als ein entsprechendes Ereignis genutzt werden können. Vielen Dank, Herr Kollege Bode. - Für die Fraktion Wir wollen, dass auch die Innenstadtbelebung, die der SPD hat sich nun Herr Kollege Uwe Schwarz Attraktivierung von Innenstädten durchaus Werte gemeldet. Bitte schön! sein können, bei denen eine Kommune entschei- den darf: Das ist es uns tatsächlich wert. Das wol- Uwe Schwarz (SPD): len die Menschen bei uns als Gemeinwohlorientie- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber rung haben. - Das ist der wichtige Grund, den wir Herr Bode, ich hatte schon fast Entzugserschei- brauchen. nungen. Normalerweise kommen Sie jährlich; die- ses Mal haben Sie zwei Jahre gebraucht. Die FDP schlägt Ihnen ebenfalls vor - das kam in den letzten Wochen auch wieder in die Diskussi- Ich will nur noch einmal daran erinnern, dass das on -, die Frage der Öffnungszeiten beispielsweise aktuelle Ladenschlussgesetz, welches beklagt von Bäckereien mit auszuräumen. Die bisherigen wurde, aus der Feder der früheren Landesregie- Öffnungszeiten von drei Stunden, die im alten Ge- rung von CDU und FDP stammt, unter maßgebli- setz stehen, waren damals ja auch ein gegriffener chem Einsatz des damaligen Wirtschaftsministers. Kompromiss. Sie haben sich aber einfach nicht als Ich denke, wir beide wissen, wer das gewesen ist. praktikabel herausgestellt. Wenn ein Bäcker oder ein Konditor Brötchen backt und morgens verkau- 2009 hat dann das Bundesverfassungsgericht fen will, hat er dafür drei Stunden Zeit. Wenn er strenge Regeln für die punktuelle Aufhebung des aber am Nachmittag seinen Kuchen verkaufen will, Schutzes an Sonn- und Feiertagen vorgegeben darf er die übriggebliebenen Brötchen nicht mehr und festgestellt: Ein rein wirtschaftliches Interesse mit verkaufen. Da entstehen irre Situationen, in rechtfertigt keine Sonntagsöffnung. - Dennoch denen man die Brötchen dann teilweise mit Butter stellte die Landesregierung anschließend fest, beschmiert, damit es keine frischen Brötchen mehr dass sich das niedersächsische Ladenschlussge- sind, sondern ein anderes Produkt, das man dann setz bewährt habe und verfassungskonform sei. verkaufen darf. Dann gab es den 27. Dezember 2015, also den Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen ersten Sonntag nach Weihnachten. In Hannover Sie uns auch hier eine praktikable Regelung fin- wurden die Läden geöffnet, und ver.di beklagte den! Wir schlagen Ihnen deshalb vor, auf fünf auch diese Öffnung vor dem Verwaltungsgericht Stunden zu erhöhen, um dieses Problem zu lösen. erfolgreich. Trotzdem stellte die FDP in Person Wir sind aber in der Ausschussberatung auch ger- ihres stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Herrn ne bereit zuzustimmen, falls es andere Vorschlä- Bode - ich sage mal: trotzig - fest, ich zitiere: Eine ge - beispielsweise vom Kollegen Toepffer - geben Ausweitung der Zahl der Tabusonntage sei nicht würde, die eine noch praktikablere Lösung ins nachvollziehbar und schränke die Möglichkeiten Auge fassen. der Händler unnötig ein. Mindestens diesbezüglich stelle ich fest, dass Sie Wichtig wäre jetzt aber, dass wir hinsichtlich der sich in Ihrem Gesetzentwurf korrigiert haben, denn Frage der Sonntagsöffnung, der Rechtssicherheit nun würden auch Sie ja am 27. Dezember nicht für Kunden, für Beschäftigte, aber auch für den mehr öffnen. Bürger und die Kommune bei der Entscheidungs-

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Viel erstaunlicher finde ich im Übrigen, Herr Bode, Vielen Dank für den Offenbarungseid! Ich sage Ihre Begründung: Ihnen, mit uns und mit dieser Koalition nicht!

„Bei der Zulassung von Ausnahmen vom (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Was ma- Verbot der Sonntagsöffnung sollen alle chen Sie denn? Was ist Ihre Lösung?) Kommunen gleichbehandelt werden, insbe- sondere dürfen kleine Gebietskörperschaf- Von einer Nichtausweitung sind Sie meilenweit ten hinsichtlich der möglichen Öffnungen entfernt. Die Gewinner dieser Vorgehensweise - nicht gegenüber großen Städten benachtei- das haben wir hier zigmal diskutiert - sind die gro- ligt werden.“ ßen Handelsketten, sind die Discounter, mit dem Ziel entsprechender Gewinnmaximierung. Die Ehrlich gesagt: Das kam mir bekannt vor. Wissen Verlierer Ihres Vorschlages sind die kleinen Ein- Sie auch warum? Diese Formulierung haben Sie zelhändler, die nicht 24 Stunden selber arbeiten 1 : 1 aus der Koalitionsvereinbarung von SPD und können und sich auch kein zusätzliches Personal CDU abgeschrieben. leisten können. Es sind Zehntausende Beschäftig- (Jörg Bode [FDP]: Wir wollen doch, te, vorwiegend Frauen, die zusätzlich in Minijobs dass Sie zustimmen!) abgedrängt werden und bei denen Altersarmut vorprogrammiert ist. Und es sind Familien, bei Es gibt einen Unterschied: Bei uns steht nicht „sol- denen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf len“, sondern „müssen“. Das ist ein ziemlich gra- nahezu unmöglich wird. vierender Unterschied. Meine Damen und Herren, in Wirklichkeit gibt es Gleich mit abgeschrieben haben Sie den vorher- nichts, was zwingend nur nach 20 Uhr oder an gehenden Satz: einem Sonntag gekauft werden muss, allenfalls „Ausdrückliches Ziel ist es, die Sonntagsöff- aus der Apotheke, und dafür gibt es entsprechen- nungszeiten nicht auszuweiten.“ de Bereitschaftsdienste. Wir wissen, dass es in einem Flächenland wie Niedersachsen ausgespro- Ich denke, das ist ein Versehen von Ihnen gewe- chen schwierig ist, eine allgemein verträgliche sen, denn das passt tatsächlich überhaupt nicht zu Regelung hinzubekommen, die sowohl in den Bal- Ihrem Gesetzestext. Darin werden die Öffnungs- lungsgebieten, insbesondere in den beiden Groß- möglichkeiten von bisher vier auf zwölf Sonntage, städten, als auch in der Fläche einvernehmlich plus ein Anlass, also auf 13, ausgeweitet. Und Sie gelöst werden kann. Das ist mehr oder weniger die haben darauf hingewiesen, dass in der gestern Quadratur des Kreises. verteilten Neufassung Ihres Gesetzentwurfs nun die bisher zulässigen drei Stunden Ladenöffnung Aber eines steht auch fest: Diese Koalition wird an jedem Sonntag bei bestimmten Waren sogar das Ladenöffnungsgesetz, wie vereinbart, unter auf fünf Stunden erweitert werden sollen, d. h. Beachtung des verfassungsrechtlich garantierten Backwaren, Zeitungen, Straßenkarten, Schreib- Sonntagschutzes an die aktuelle Rechtsprechung materialien, Toilettenartikel, Filme, Tonträger, Ge- anpassen. Vor allem allerdings werden wir dabei schenkartikel, Spielzeug, Lebens- und Genussmit- die Interessen von Beschäftigten mit in den Fokus tel usw. Also alles, was man nur dringend am nehmen und nicht ausschließlich das Thema der Sonntag kaufen kann und was man offenkundig Gewinnmaximierung, was bei Ihnen wieder im auch nicht in drei Stunden erledigen kann. Vordergrund steht. Ich denke, insofern werden Sie sich nicht wundern: Meine Damen und Herren, die Begründung lautet bei der FDP ganz schlicht: In der Praxis haben sich Dieser Gesetzentwurf ist genau das Gegenteil von drei Stunden als nicht ausreichend erwiesen. - Na dem, was das Bundesverfassungsgericht be- gut, da ist sie wieder - man muss nämlich noch schlossen und vorgegeben hat, und er wird mit weiter lesen -, die alte FDP-Ideologie, Geschäfte dieser Koalition nicht zu machen sein. rund um die Uhr zu öffnen. Spannend ist nämlich Ihr Alternativvorschlag unter II: (Beifall bei der SPD) „Schaffung flexibler Öffnungszeiten, die es Vizepräsident Frank Oesterhelweg: traditionellen Geschäften ermöglicht, rund um die Uhr zu öffnen. Dies beträfe dann Vielen Dank, Herr Kollege Schwarz. - Es liegt die auch das allgemeine Verkaufsverbot an Meldung zu einer Kurzintervention vor. Das Wort Sonntagen, das aufzuheben wäre.“ hat der Kollege Bode. Bitte schön!

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Jörg Bode (FDP): Uwe Schwarz (SPD): Sehr geehrter Herr Kollege Schwarz, Sie haben Herr Kollege Bode, ich will ja keinen filigranen unseren Gesetzentwurf in einem wesentlichen Teil Streit beginnen. Aber ich finde, der Unterschied nicht richtig verstanden oder nicht richtig gelesen. zwischen zwei zusätzlichen Öffnungssonntagen und zwölf ist nicht ganz minimal. Wir haben keinesfalls vorgeschlagen, dass je Ver- kaufsstelle zwölf zusätzliche Öffnungen an Sonn- (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Sie haben tagen ermöglicht werden sollen. Wir haben zu dem es immer noch nicht verstanden!) Vorschlag des Kollegen Toepffer, den wir schon - Doch, Sie haben zwölf reingeschrieben! Ich habe vorher geteilt haben, gesagt: Es soll auch bezirks- das Thema durchaus verstanden. Hinzu kommt weit Möglichkeiten geben, sonntags zu öffnen; das eine anlassbezogene Sonntagsöffnung, das macht muss aber nicht für die ganze Stadt gelten. Wenn 13. man aber keine Einschränkung machte, wäre es in der Stadt Hannover mit ihren 13 Bezirken möglich, Ich sage Ihnen noch einmal: Bei den Sonntagsöff- an 52 Sonntagen im Jahr zu öffnen, nämlich dann, nungen in Hannover gibt es ein Problem. wenn alle Bezirke unterschiedliche Sonntage wäh- (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Lesen ist len. An dieser Stelle haben wir gesagt, dass es das eine, verstehen das andere!) dafür eine Limitierung geben muss. Von daher sollen es insgesamt nur zwölf Sonntage im Jahr je - Ich kann es doch lesen! Entschuldigung! Sie Stadt sein. Bezirksübergreifend soll man sich über schlagen zwölf zusätzliche Öffnungen vor. gemeinsam ausgewählte Sonntage Gedanken Wenn es darum geht, Lebensmittel nicht wegzu- machen müssen. werfen, sollten Sie es bitte anders formulieren. Wie ich der heutigen Presse entnommen habe, Denn Sie beziehen sich auf die Formulierung in sagt die Landesregierung, dass es zwei zusätzli- § 2 des Ladenöffnungsgesetzes. Dazu gehört all che Sonntagsöffnungsmöglichkeiten in den Bezir- das, was ich Ihnen vorgelesen habe. Dazu gehört ken zusätzlich geben soll. Das heißt, die Landes- im Prinzip eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung. Das regierung ist von unserem Regelungsansatz gar ist in der Tat das, was Sie in Ihrer Alternative eröff- nicht so weit entfernt. Da kann man sich relativ nen. schnell verständigen, meine sehr geehrten Damen Sie wollen doch etwas ganz anderes: Sie wollen und Herren. alle Läden rund um die Uhr öffnen, weil Sie glau- Herr Kollege Schwarz, wenn Sie zu den Bäckerei- ben, das sei die richtige Konkurrenz zum Internet- en, die nun einmal so heißen und in diese Be- handel. Das steht in Ihrer Begründung! Dazu sage schreibung passen, einen besseren Vorschlag ich Ihnen: Das ist mit uns nicht zu machen! haben, um dem Problem Rechnung zu tragen, (Zustimmung bei der SPD - Christian dass man Butter auf vom Sonntagmorgen übrig Grascha [FDP]: Das ist doch wirklich gebliebene Brötchen schmieren muss - das kann Quatsch!) man als durchaus irre betrachten -, damit sie am Sonntagnachmittag noch verkauft werden dürfen Vizepräsident Frank Oesterhelweg: und nicht als Lebensmittel weggeschmissen wer- Herzlichen Dank. den müssen - das ist die Situation, vor der wir ste- hen -, wenn Sie eine andere und besser geeignete (Christian Grascha [FDP]: Das ist ein Formulierung finden, sind wir gerne bereit, zu Ihrer ideologischer Grabenkampf! - Gegen- Formulierung zu kommen oder auf die von Herrn ruf von Uwe Schwarz [SPD]: Den führt Toepffer zurückzukommen. Aber wir müssen doch ihr!) für die Situation, dass Lebensmittel weggeschmis- Als Nächste hat sich die Fraktion der AfD zu Wort sen werden müssen, eine Lösung finden! gemeldet, der Kollege Henze. Bitte schön! Herzlichen Dank. Stefan Henze (AfD): (Beifall bei der FDP) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Vizepräsident Frank Oesterhelweg: Herren! Verehrte Kollegen von der FDP, unstrittig ist, dass wir in Niedersachsen dringend Rechtssi- Danke, Herr Kollege Bode. - Herr Schwarz möchte cherheit bei der Regelung von verkaufsoffenen antworten. Bitte schön! Sonntagen brauchen, damit nicht immer wieder die

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Verwaltungsgerichte und das Verfassungsgericht Wir wollen auch den Interessen der Mitarbeiter eingeschaltet werden müssen. Auch wir hier war- gerade in solchen Betrieben Rechnung tragen. ten eigentlich schon seit August 2017 - noch unter Auch sie brauchen ein Wochenende zur Erholung. der vorherigen Regierung - darauf, dass hierzu ein Schließlich sind sie Menschen und keine Maschi- Gesetz gemacht wird. nen! Es wäre schön, wenn Sie auch das einmal in den Blick nehmen würden. Daher ist der von Ihnen eingebrachte Gesetzent- wurf sogar nachvollziehbar. Allerdings sticht mir in Vielen Dank. diesem Entwurf zu sehr Ihr Wahlprogramm durch, (Beifall bei der AfD) (Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das ist ein schwerer Vorwurf!) Vizepräsident Frank Oesterhelweg: das die Belange der Beschäftigten leider nicht Danke, Herr Kollege Henze. - Für die CDU-Frak- genug im Blick hat. tion hat nun der Kollege Christoph Eilers das Wort. Bitte schön! (Zurufe von der FDP) - Bleiben Sie ruhig, es kommt noch härter! Christoph Eilers (CDU): In der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf heißt Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen es: „Das Ziel dieses Gesetzentwurfs ist eine An- und Kollegen! Das Niedersächsische Gesetz über passung der Verkaufszeiten unter Berücksichti- Ladenöffnungs- und Verkaufszeiten beschäftigt gung“ - jetzt kommt es: - „der Arbeitnehmerrech- dieses Haus schon sehr lange. Ich will auf die His- te“ - die kann ich nicht finden - „und des verfas- torie nicht eingehen; meine Vorredner Herr sungsrechtlichen Sonntagsschutzes“ - auch den Schwarz und Herr Bode haben es ausgeführt. Wir finde ich nicht - „an aktuelle Rechtsprechung und alle haben aufmerksam die Diskussion und die Rechtsansichten.“ „Rechtsansichten“: schön, aber aktuelle Rechtsprechung zu diesem Thema ver- gegriffen! folgt. Verehrte Kollegen, das nehmen wir Ihnen nicht ab; Die Koalition ist sich bewusst, dass das Gesetz denn in der Begründung sagen Sie unter II doch einer Nachjustierung bedarf und hat bereits im unmissverständlich, was Sie eigentlich wirklich Rahmen der Koalitionsverhandlungen folgende wollen, nur trauen Sie sich nicht, das zu vertreten. Eckpunkte festgehalten: Sie verstecken sich hinter einem Wort: Das sei Erstens. Man will das niedersächsische Gesetz an eine „Alternative“. die aktuelle Rechtsprechung anpassen. Ihre Kollegen in Bund und anderen Ländern sind Zweitens. Dabei sind insbesondere die Arbeitneh- hierbei weitaus ehrlicher. In Ihrem Wahlprogramm merrechte und der verfassungsrechtliche Sonn- aus dem Bundestagswahlkampf 2017 fordern Sie: tagsschutz zu berücksichtigen. „Jedes Geschäft soll demnach selbst ent- Drittens. Die Sonntagsöffnungszeiten sollen nicht scheiden können, wann es öffnet und ausgeweitet werden. schließt. Das allgemeine Verkaufsverbot für den Einzelhandel an Sonntagen wollen wir Viertens. Bei der Zulassung von Ausnahmen vom aufheben. Wir wollen auch andere Verbote, Verbot der Sonntagsöffnung muss eine Gleichbe- wie Dienstleistungen an Sonn- und Feierta- handlung zwischen den Kommunen - Uwe gen anzubieten, aufheben.“ Schwarz hat es erwähnt - unabhängig von deren So steht es auch in Ihrem bayerischen Wahlpro- Größe gewährleistet sein. gramm. Das nur, um die Aktualität Ihres Stand- Ein entsprechend umfassender Gesetzentwurf punkts zweifelsfrei zu belegen! unserer Koalition wird hier zeitnah eingebracht Weitere Ladenöffnungszeiten dienen zunächst nur werden. den großen Konzernen und ihren Filialen. Die Meine Damen und Herren, der vorliegende Ge- Wettbewerbssituation der kleinen und mittleren setzentwurf der Fraktion der FDP steht auf den Betriebe verschlechtert sich sogar weiter, weil sie ersten Blick im Einklang mit diesen Zielsetzungen. nun nicht nur gegen die Onlinekonkurrenz, son- Allerdings hat die FDP hierbei nach der Maxime dern auch gegen ihre regionalen und größeren „Schnelligkeit statt Sorgfalt“ einen Entwurf vorge- Wettbewerber antreten müssten. legt, der es zwar vor unserem auf die Tagesord-

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nung dieses Hauses geschafft hat, in der Sache Unsere Grund- und Mittelzentren hätten hier ein- jedoch zu kurz greift. deutig einen Nachteil, und der Sonntagsschutz würde in den Oberzentren konterkariert werden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- richts aus dem Jahr 2009 und die des Verwal- Die SPD und die CDU werden einen eigenen Ge- tungsgerichts Hannover aus dem Oktober 2015 setzentwurf einbringen, der speziell bei der Anzahl bedingen eine Novellierung des Gesetzes, ob- der insgesamt möglichen Sonntagsöffnungen pro wohl - die Anmerkung sei hier erlaubt - das OVG Kommune von dem der FDP abweichen wird. Wir Lüneburg in seinem Beschluss vom 5. Mai 2017 freuen uns auf die Diskussion und Beratung im festgestellt hat, dass die bestehende Vorschrift Ausschuss. verfassungskonform ausgelegt werden könne. In Anbetracht der genannten Urteile ist eine genaue- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. re Ausgestaltung des Gesetzes gefordert. (Beifall bei der CDU und bei der SPD) Nach dem Vorschlag der FDP wäre eine Öffnung nur zulässig, wenn ein im Verhältnis zum beab- Vizepräsident Frank Oesterhelweg: sichtigten Öffnungsumfang „angemessener An- Vielen Dank, Herr Kollege Eilers. - Für die Fraktion lass“ vorliegt. Ich bin kein Jurist. Allerdings wage Bündnis 90/Die Grünen hat nun Frau Kollegin ich zu behaupten, dass diese Formulierung nicht Viehoff das Wort. Bitte schön! für Rechtsklarheit sorgen wird. Der Begriff „ange- messener Anlass“ wird eher die Kreativität zur Eva Viehoff (GRÜNE): Definition unbestimmter Rechtsbegriffe der Gerich- te fordern als Rechtsklarheit für Bürger und Ge- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit nehmigungsbehörden bringen. dieser ersten Lesung des von der FDP eingebrach- ten Gesetzentwurfs sind die Spiele eröffnet, die da (Zustimmung bei der CDU) heißen: Wer bietet den Unternehmen in Bezug auf Sonntagsöffnungen sind für viele Unternehmen in die verkaufsoffenen Sonntage in unseren Kommu- unseren Grund-, Mittel- und Oberzentren wichtig. nen mehr, und wer beachtet am wenigsten die Sie bringen zusätzlichen Umsatz, neue Kunden Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden akquiriert, und die Unternehmen können und bietet ihnen möglichst wenig? ihre Leistungsfähigkeit präsentieren. Oft bieten die Um es gleich zu Beginn zu sagen: Ja, das nieder- Sonntagsöffnungen mit ihrer Anlassbezogenheit sächsische Ladenöffnungsgesetz muss novelliert parallel zu den Einkaufsmöglichkeiten eine Platt- werden; denn wir brauchen Rechtssicherheit, aber form für Vereine und Ehrenamtliche, um ihre Arbeit nicht mehr verkaufsoffene Sonntage. Das Bundes- der Öffentlichkeit vorzustellen. verfassungsgericht hat - das haben viele der vo- Bei dem neuen Ladenöffnungsgesetz darf es aber rangegangenen Redner schon gesagt - deutlich nicht zu einem inflationären Umgang mit Sonn- gesagt, dass es um Rechtssicherheit und eine tagsöffnungen kommen. Der verkaufsoffene Sonn- genaue Definition der Anlassbezogenheit geht, tag muss etwas Besonderes bleiben! und zwar immer unter Beachtung des Gebots der Sonntagsruhe. So reicht es nicht aus, mögliche (Beifall bei der CDU und Zustimmung Anlässe aufzuzählen, sondern es ist wichtig, sich bei der SPD) diese genau anzuschauen; denn nur eine einfache Wir begrüßen, dass die FDP mit dem von ihr ein- Aufzählung bringt keine Rechtssicherheit. gebrachten Gesetzentwurf Druck macht. Gerade (Zustimmung bei den GRÜNEN) für unsere kleinen Unternehmen in den Grund- und Mittelzentren sowie für Vereine und Ehrenamtliche Obwohl die FDP schreibt, dass sie die Sonntags- ist es wichtig, dass hier Rechtssicherheit geschaf- öffnung nicht ausweiten will, tut sie es dennoch. fen wird. Denn für die großen Städte und Oberzentren ist es nach ihrem Vorschlag möglich, an bis zu zwölf Kritisch sehen wir im Gesetzentwurf der FDP die Sonntagen im Jahr zu öffnen - zwar an unter- Möglichkeit von bis zu vier Öffnungen je Stadt bzw. schiedlichen Stellen, aber es sind zwölf Sonntags- Ortsteil bei maximal zwölf verkaufsoffenen Sonn- öffnungen. Die Kirchen, Gewerkschaften und die tagen pro Gemeinde. Diese Regelung führt zu betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer Ungleichbehandlung der Kommunen. Profi- haben sie dazu anscheinend nicht gefragt. tieren würden die großen Städte, die Oberzentren.

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Wir meinen - dafür stehen wir zusammen mit der Sonntag sollte tatsächlich für möglichst viele Men- Landesallianz für den freien Sonntag in Nieder- schen ein freier Tag sein. sachsen -: Vier Sonntage sind genug! Auch vier Danke. plus zwei Sonntage, die anscheinend der Koaliti- onsentwurf vorsieht, auf den wir noch warten, sind (Beifall bei den GRÜNEN - Unruhe) zu viel. Vizepräsident Frank Oesterhelweg: (Beifall bei den GRÜNEN) Vielen Dank, Frau Kollegin Viehoff. - Es war in den Eines ist klar: Durch die Sonntagsöffnungen wer- letzten Minuten und Sekunden etwas unruhig. Ich den kein T-Shirt, kein Kleid, keine Hose, kein Buch darf darauf aufmerksam machen, dass wir die und kein Stift mehr verkauft! Mehr Umsatz in unse- Beratung möglichst zügig abschließen wollen. ren Geschäften generiert man mit Kundinnen- und Kundenbezogenheit und der persönlichen Bera- Auch die Stimmung an der Regierungsbank tung vor Ort. Das ist der Vorteil im Vergleich zum scheint wirklich ganz hervorragend zu sein, wie Onlinehandel und nicht, dass ständig geöffnet ist. man manchmal am Lachen hört. Offensichtlich folgt auch keine der Ministerinnen und keiner der (Beifall bei den GRÜNEN) Minister der Debatte. Dabei sollten Sie doch die nächste Rednerin hören, das ist nämlich die Frau Das erreicht man aber nur, wenn man Zufrieden- Sozialministerin. Bitte schön! heit bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mern generiert. Das schafft man mit guter Bezah- (Zuruf: Es gibt eine Kurzintervention!) lung, Tariftreue und Wertschätzung den eigenen - Entschuldigung! Das war mein Fehler. Da hatte Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber. Mei- ich zu viel Elan. Ich hätte fast den Wunsch des ne Damen und Herren, ich glaube, dort gibt es im Kollegen Bode auf eine Kurzintervention verges- Einzelhandel einen deutlichen Handlungsbedarf. sen. Bitte schön! Es wäre also gut gewesen, wenn der vorliegende Gesetzentwurf auf die Rechte der Arbeitnehmerin- Jörg Bode (FDP): nen und Arbeitnehmer Rücksicht nehmen würde. Herr Präsident! Frau Kollegin Viehoff, damit kein Das tut er aber nicht. Wir alle wissen hoffentlich, Missverständnis entsteht: Das Ladenöffnungsge- dass an diesen Sonntagen Arbeitnehmerinnen und setz schützt keine Arbeitnehmerinnen- und Arbeit- Arbeitnehmer arbeiten und weitere Arbeitszeit nehmerrechte. Dafür haben wir Arbeitsschutzge- generieren, zusätzlich zu der Arbeitszeit zu den setze, Arbeitszeitgesetze und die Tarifvereinba- bereits möglichen Öffnungszeiten, die weit über rungen zwischen den Sozialpartnern in diesem 20 Uhr hinausgehen. Rechtlich kann an Werktagen Bereich. Durch das Ladenöffnungsgesetz wird heute schon von 0 bis 24 Uhr geöffnet sein. All auch die individuelle Arbeitszeit weder verkürzt dem trägt der Gesetzentwurf nicht Rechnung. noch verlängert, noch wird in einer anderen Art Da im Einzelhandel vornehmlich Frauen arbeiten, und Weise an dieser Stelle eingegriffen. möchte ich einen Satz aus der Begründung zitie- Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ren: sind für mich übrigens auch, dass jemand, der wegen der hohen Zuschläge gerne am Sonntag „Auswirkungen … auf Familien sowie auf die arbeiten und für sich und seine Familie diese Zu- Verwirklichung der Gleichstellung von Frau- schläge verdienen möchte, dies auch tun kann. en und Männern“ Auch das ist ein Recht, das man bei dieser Dis- Die Antwort: kussion im Auge haben muss.

„Keine.“ (Frauke Heiligenstadt [SPD]: Das ist ja zynisch!) Ich musste das mehrfach lesen, liebe FDP. Ich bleibe dabei sprachlos zurück. Sie alle haben sich ja Gedanken über den Ab- schnitt II gemacht - diese Alternative schlagen wir (Beifall bei den GRÜNEN) Ihnen ja bewusst nicht vor, sondern einen anderen Weg -, und Sie haben schon nachgeschaut, was Ich bin gespannt auf die nun folgenden Beratun- bei der FDP auf Bundesebene und in Bayern in gen mit unterschiedlichen Gesetzentwürfen. Wir den Wahlprogrammen steht. Grüne finden: Vier Sonntage sind genug. Der

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Ich kann Sie beruhigen: Sie hätten einfach in das auch die, die im Einzelhandel arbeiten. Wenn an Landtagswahlprogramm der FDP Niedersachsen vier Sonntagen geöffnet ist, ist das ausreichend. schauen müssen. Darin steht, dass wir es freistel- Ansonsten ist die Sonntagsruhe einzuhalten. len wollen, wann man von Montag bis Sonntag öffnet und wann nicht. (Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben Ihnen das in diesem Entwurf nicht vor- Vizepräsident Frank Oesterhelweg: geschlagen, weil wir wissen - wenn Sie auf einem unserer Parteitage gewesen wären, hätten Sie Danke, Frau Kollegin Viehoff. - Jetzt hat Frau Mi- diese Diskussion mitverfolgen können -, dass dies nisterin Dr. Reimann das Wort. Bitte schön! verfassungswidrig wäre. In unserem Programm steht das, weil wir eine Grundgesetzänderung Dr. Carola Reimann, Ministerin für Soziales, Ge- haben wollen, um diese Freiheit zu erreichen. sundheit und Gleichstellung: Solange wir diese Grundgesetzänderung nicht Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abge- haben, werden wir - übrigens anders als die GroKo ordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! beim Polizeigesetz - beim Ladenöffnungsgesetz Das Niedersächsische Gesetz über Ladenöff- dem Landtag keinen offensichtlich verfassungswid- nungs- und Verkaufszeiten, das wir kurz „Laden- rigen Gesetzentwurf vorlegen. Deshalb haben wir öffnungszeitengesetz“ nennen, soll einen Aus- diese Regelung so eingebracht. gleich zwischen dem Sonntagsschutz und den Interessen des Einzelhandels schaffen. (Beifall bei der FDP) Hier geht es sehr wohl auch um die Arbeitszeit und Vizepräsident Frank Oesterhelweg: das Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer, um die Konkurrenzfähigkeit des Ein- Danke, Herr Bode. - Frau Kollegin Viehoff möchte zelhandels gegenüber Onlineangeboten. Es geht antworten. Bitte schön! um den Sonntag in der Familie und die Möglich- keit, manchmal außerhalb der Werktage einzukau- (GRÜNE): Eva Viehoff fen. Es ist also insgesamt eine Herausforderung, Herr Bode, selbstverständlich werden die Rechte diese Interessen in einen guten Ausgleich zu brin- der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht in gen. diesem Gesetz geregelt. Aber dieses Gesetz hat Auswirkungen auf diese Rechte. Wenn Sie glau- Sehr geehrte Abgeordnete, es ist schon gesagt ben, dass im Einzelhandel bei den Sonntagsöff- worden: Derzeit besteht Anpassungsbedarf infolge nungen Feiertags- und Sonntagszuschläge gezahlt der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und werden, müssen Sie sich einfach mal die Beschäf- der Verwaltungsgerichte. Deshalb haben wir auch tigungsarten im Einzelhandel anschauen. im Koalitionsvertrag vereinbart, das Ladenöff- nungszeitengesetz unter besonderer Berücksichti- (Beifall bei den GRÜNEN) gung der Arbeitnehmerrechte und des verfas- Es gibt da sehr viele 450-Euro-Kräfte. Die arbeiten sungsrechtlichen Sonntagsschutzes an die aktuel- für 450 Euro. Dann gibt es nicht einen Cent mehr. le Rechtsprechung anzupassen. Wenn Sie wissen, wie sich die großen Discounter Dazu werde ich dem Kabinett in den nächsten gerade zurzeit verhalten, was ihre Tariftreue be- Wochen einen Gesetzentwurf vorlegen. Dieser trifft, dann finde ich es schon ein bisschen schwie- schlägt vier Sonntagsöffnungen pro Gemeinde und rig zu verstehen, dass Sie meinen, dass man sich Jahr vor. Darüber hinaus können zwei zusätzliche im Einzelhandel eine goldene Nase verdienen Öffnungen in jeweils einem Ortsbereich erfolgen, könnte. und die Sonderöffnung einzelner Verkaufsstellen, (Beifall bei den GRÜNEN - Jörg Bode z. B. bei Jubiläen, bleibt erhalten. Maximal vier [FDP]: Das habe ich gar nicht gesagt!) Sonderöffnungen pro Ortsbereich im Jahr sind möglich. Und persönlich kann ich Ihnen sagen: Die Idee, am 27. Dezember 2015 hier in Hannover die Lä- Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wol- den zu öffnen, hat mein Familienleben deutlich len den Sonn- und Feiertagsschutz erhöhen. gestört; denn ich habe in meiner Familie eine Per- (Zustimmung von Dr. Gabriele Andret- son, die im Einzelhandel gelernt hat. Ich möchte ta [SPD]) gern, dass die Menschen sonntags frei haben,

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Sonntagsöffnungen sollen zukünftig an allen staat- Meine Damen und Herren, ich begrüße zunächst lich anerkannten Feiertagen und am 27. Dezember alle Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des verboten sein. Staatsgerichtshofs, die in und vor den Logen Platz genommen haben, um uns heute bei diesem (Zustimmung bei der SPD) Wahlvorgang zu begleiten bzw. zu beobachten. Neben den traditionellen Anlässen soll die Sonn- Ihnen ein herzliches Willkommen! tagsöffnung auch zugelassen werden können, um (Beifall) die Sichtbarkeit der Gemeinden oder ihrer zentra- len Einkaufsbereiche zu erhöhen. Mein besonderer Gruß gilt dabei dem Präsidenten des Staatsgerichtshofs Herrn Dr. Herwig van Das ist insgesamt ein ausgewogener Vorschlag, Nieuwland und dem heute zur Wahl stehenden der die Interessen von Handel und Belegschaft zukünftigen stellvertretenden Mitglied Frau van ausgleicht und den Sonntag schützt, Rechtssi- Hove, dem zukünftigen Mitglied Herrn Professor cherheit schafft und den Kommunen Gestaltungs- Dr. Butzer und den zukünftigen stellvertretenden spielräume gibt. Mitgliedern Herrn Mestwerdt und Herrn Sonne- Sehr geehrte Abgeordnete, die FDP-Fraktion geht mann - wenn sie denn gewählt werden. Ihnen ein mit zwölf Öffnungen weit über den aktuellen Stand ganz besonders herzliches Willkommen! des Ladenöffnungszeitengesetzes hinaus. (Beifall) (Jörg Bode [FDP]: Vier!) Meine Damen und Herren, für die Wahl von Mit- Dafür sind wir nicht zu haben. gliedern und stellvertretenden Mitgliedern des Staatsgerichtshofs hat der Ausschuss zur Vorbe- Die Gesetzentwürfe können sicherlich zusammen reitung der Wahl der Mitglieder des Staatsge- im Parlament beraten werden. Dann können wir richtshofs den Wahlvorschlag in der Drucksache beide Vorschläge - oder noch mehr Vorschläge, 18/1413 vorgelegt. falls diese vorgelegt werden - diskutieren, die Un- terschiede nochmals darstellen und zu einer guten Gemäß Artikel 55 Abs. 2 der Niedersächsischen Entscheidung kommen. Verfassung werden die Mitglieder und stellvertre- tenden Mitglieder des Staatsgerichtshofs vom Danke. Landtag ohne Aussprache mit einer Mehrheit von (Beifall bei der SPD und bei der CDU) zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder des Land- tages, mindestens aber mit der Mehrheit seiner Vizepräsident Frank Oesterhelweg: Mitglieder auf sieben Jahre gewählt. Nach § 3 Herzlichen Dank, Frau Ministerin. - Die Beratung Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Staatsge- ist damit beendet. richtshof geschieht dies in geheimer Wahl. Wir kommen zur Ausschussüberweisung. (Unruhe) Federführend soll der Ausschuss für Soziales, - Ich möchte sehr darum bitten, dass Sie diese Gesundheit und Gleichstellung, mitberatend der Erläuterungen, die nicht ganz unwichtig sind, auf Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen Ihren Plätzen verfolgen. Ich bitte um die gebotene sein. Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Ruhe und Aufmerksamkeit. - Vielen Dank. Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Dann ist das so beschlossen. geheime Wahl wird mit Stimmzetteln durchgeführt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Grundlage ist der Wahlvorschlag in der Drucksa- um Ihre besondere Aufmerksamkeit. Wir kommen che 18/1413. nun zum Für die Wahl jeder der vier vorgeschlagenen Per- sonen erhalten Sie einen Stimmzettel. Sie geben Ihr Votum ab, indem Sie „Ja“ ankreuzen, wenn Sie Tagesordnungspunkt 6: die zur Wahl stehende Person wählen möchten, Wahl eines Mitglieds und von stellvertretenden oder „Nein“ ankreuzen, wenn Sie sie nicht wählen Mitgliedern des Staatsgerichtshofs - Wahlvor- möchten. Wenn Sie sich enthalten möchten, kreu- schlag des Ausschusses zur Vorbereitung der zen Sie „Enthaltung“ an. Ich mache darauf auf- Wahl der Mitglieder des Staatsgerichtshofs - merksam, dass in diesem Fall Enthaltungen die Drs. 18/1413 gleiche Wirkung wie „Neinstimmen“ haben.

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Die Mitglieder des Landtages werden durch den des Namensaufrufs gesondert aufgerufen werden, Schriftführer Herrn Henze aufgerufen und kommen ihre Stimmen abzugeben. dann bitte einzeln hier nach vorn. Auf der - von mir aus gesehen - rechten Seite des Präsidiums erhal- Für die Zeit, in der ich meine Stimme abgebe, bitte ten Sie Ihren Stimmzettel. Gehen Sie dann bitte ich Frau Vizepräsidentin Janssen-Kucz, mich hier einzeln zur Wahlkabine. Nach dem Vermerken zu vertreten. Ihres Votums falten Sie den Stimmzettel und wer- Meine Damen und Herren, wir beginnen mit dem fen ihn in die entsprechend gekennzeichnete Namensaufruf. Frau Kollegin, bitte schön! Wahlurne. (Schriftführerin Gerda Hövel verliest Mit Ihrem Einverständnis beauftrage ich Frau die Namen der Abgeordneten: Schriftführerin Tippelt - unterstützt durch die Land- tagsverwaltung -, die Stimmzettel auszugeben und Thomas Adasch (CDU) die Wählerliste zu führen, Herrn Schriftführer Dirk Adomat (SPD) Onay, Aufsicht darüber zu führen, dass immer nur Jens Ahrends (AfD) ein Mitglied des Landtages zur Wahlkabine geht, Dr. Bernd Althusmann (CDU) und Frau Schriftführerin Eilers - ebenfalls unter- Dr. Gabriele Andretta (SPD) stützt durch die Landtagsverwaltung -, die Aufsicht Holger Ansmann (SPD) und Namenskontrolle bei den Wahlurnen durchzu- Matthias Arends (SPD) führen. Martin Bäumer (CDU) Karsten Becker (SPD) Ich bitte alle Mitglieder des Landtages, darauf zu Jochen Beekhuis (SPD) achten, dass die Kreuze auf dem Stimmzettel kor- Dr. Stefan Birkner (FDP) rekt angebracht werden, sodass keine Zweifel über Karl-Heinz Bley (CDU) die Gültigkeit Ihrer Stimme entstehen können. André Bock (CDU) Wer den Stimmzettel beschädigt, verändert oder Jörg Bode (FDP) mit Zusätzen oder anderen Kennzeichen versieht, Marcus Bosse (SPD) macht ihn ungültig. Es sind daher auch nur die in Stephan Bothe (AfD) der Wahlkabine bereitliegenden Kugelschreiber Axel Brammer (SPD) zur Stimmabgabe zu benutzen. Die Verwendung Christoph Bratmann (SPD) eines anderen Schreibgerätes ist als unzulässige Markus Brinkmann (SPD) Kennzeichnung anzusehen, die zur Ungültigkeit Sylvia Bruns (FDP) des Stimmzettels führt. Bernd Busemann (CDU) Imke Byl (GRÜNE) Die Mitglieder des Landtages bitte ich, bis zum Christian Calderone (CDU) Aufruf ihres Namens auf ihren Plätzen sitzen zu Helmut Dammann-Tamke (CDU) bleiben und nach der Stimmabgabe gleich wieder Dr. Karl-Ludwig von Danwitz (CDU) Platz zu nehmen. Unnötiges Herumlaufen und Jörn Domeier (SPD) -stehen stört den Wahlablauf. Uwe Dorendorf (CDU) Ich bitte nun die drei genannten Schriftführerinnen Thomas Ehbrecht (CDU) bzw. Schriftführer, ihr Amt zu übernehmen. Christoph Eilers (CDU) Hillgriet Eilers (FDP) Frau Kollegin Eilers bitte ich, sich davon zu über- Christopher Emden (AfD) zeugen, dass die Wahlurnen leer sind. Petra Emmerich-Kopatsch (SPD) (Schriftführerin Hillgriet Eilers: Die Ur- Björn Försterling (FDP) nen sind leer!) Rainer Fredermann (CDU) Christian Fühner (CDU) - Die Frau Kollegin hat sich davon überzeugt: Die Dr. Marco Genthe (FDP) Wahlurnen sind leer. Immacolata Glosemeyer (SPD) Bevor wir jetzt - durchgeführt von der Kollegin Hö- Christian Grascha (FDP) vel; das ist eine Änderung im Programm - zum Hermann Grupe (FDP) Namensaufruf kommen, weise ich die an der Dana Guth (AfD) Durchführung des Wahlvorgangs beteiligten Präsi- Julia Willie Hamburg (GRÜNE) diumsmitglieder darauf hin, dass sie ebenso wie Thordies Hanisch (SPD) der Sitzungsvorstand erst nach der Beendigung Karl Heinz Hausmann (SPD)

1829 Niedersächsischer Landtag - 18. Wahlperiode - 21. Plenarsitzung am 22. August 2018

Frauke Heiligenstadt (SPD) Thiemo Röhler (CDU) Tobias Heilmann (SPD) Harm Rykena (AfD) Karsten Heineking (CDU) Dr. Alexander Saipa (SPD) Frank Henning (SPD) Uwe Santjer (SPD) Bernd-Carsten Hiebing (CDU) Marcel Scharrelmann (CDU) Reinhold Hilbers (CDU) Oliver Schatta (CDU) Jörg Hillmer (CDU) Jörn Schepelmann (CDU) Eike Holsten (CDU) Dr. Frank Schmädeke (CDU) Gerd Hujahn (SPD) Heiner Schönecke (CDU) Meta Janssen-Kucz (GRÜNE) Andrea Schröder-Ehlers (SPD) Burkhard Jasper (CDU) Doris Schröder-Köpf (SPD) Petra Joumaah (CDU) Detlev Schulz-Hendel (GRÜNE) Rüdiger Kauroff (SPD) Uwe Schünemann (CDU) Alptekin Kirci (SPD) Claudia Schüßler (SPD) Stefan Klein (SPD) Susanne Victoria Schütz (FDP) Veronika Koch (CDU) Annette Schütze (SPD) Horst Kortlang (FDP) Uwe Schwarz (SPD) Dunja Kreiser (SPD) Kai Seefried (CDU) Deniz Kurku (SPD) Volker Senftleben (SPD) Clemens Lammerskitten (CDU) Wiard Siebels (SPD) Sebastian Lechner (CDU) Dr. Stephan Siemer (CDU) Dr. Silke Lesemann (SPD) Miriam Staudte (GRÜNE) Kerstin Liebelt (SPD) Ulf Thiele (CDU) Dr. Dörte Liebetruth (SPD) Björn Thümler (CDU) Olaf Lies (SPD) Dirk Toepffer (CDU) Peer Lilienthal (AfD) Eva Viehoff (GRÜNE) Helge Limburg (GRÜNE) Ulrich Watermann (SPD) Karin Logemann (SPD) Stephan Weil (SPD) Oliver Lottke (SPD) Stefan Wenzel (GRÜNE) Bernd Lynack (SPD) Lasse Weritz (CDU) Christian Meyer (GRÜNE) Editha Westmann Volker Meyer (CDU) Klaus Wichmann (AfD) Anette Meyer zu Strohen (CDU) Stefan Wirtz (AfD) Axel Miesner (CDU) Mareike Lotte Wulf (CDU) Johanne Modder (SPD) Sebastian Zinke (SPD)) Matthias Möhle (SPD) Dr. Marco Mohrmann (CDU) Vizepräsident Frank Oesterhelweg: Hanna Naber (SPD) Jens Nacke (CDU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Dr. Esther Niewerth-Baumann (CDU) noch einmal um einen Augenblick Aufmerksamkeit Frank Oesterhelweg (CDU) bitten. Der Namensaufruf ist beendet. Ich bitte nun Jan-Christoph Oetjen (FDP) die am Wahlverfahren beteiligten Schriftführerin- Belit Onay (GRÜNE) nen und Schriftführer - Frau Tippelt, Herr Onay und Wiebke Osigus (SPD) Frau Eilers -, nacheinander abzustimmen. An- Dragos Pancescu (GRÜNE) schließend wählt dann der Sitzungsvorstand, und Dr. Christos Pantazis (SPD) Frau Vizepräsidentin Janssen-Kucz wird kurz die- Anja Piel (GRÜNE) sen Platz hier einnehmen. Gudrun Pieper (CDU) Boris Pistorius (SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich fra- Christoph Plett (CDU) ge, ob noch eine Abgeordnete oder ein Abgeord- Guido Pott (SPD) neter im Saal ist, die oder der noch nicht gewählt Ulf Prange (SPD) hat. - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Der Philipp Raulfs (SPD) Wahlgang ist geschlossen. Das Wahlergebnis wird Laura Rebuschat (CDU) in Kürze bekanntgegeben.

1830 Niedersächsischer Landtag - 18. Wahlperiode - 21. Plenarsitzung am 22. August 2018

Ich unterbreche gleich die Sitzung, bitte aber alle Meine Damen und Herren, ich gebe das Wahler- Mitglieder des Landtages, auf ihren Plätzen zu gebnis zu Nr. 1 b des Wahlvorschlages für die bleiben. In dieser Zeit werden die am Wahlvorgang Wahl eines stellvertretenden Mitglieds des Staats- beteiligten Schriftführerinnen und Schriftführer - gerichtshofs bekannt. Abgegeben wurden 134 Frau Tippelt, Herr Onay und Frau Eilers - sowie Stimmen, davon 134 gültig; keine Stimme ist un- Frau Vizepräsidentin Janssen-Kucz, Herr Vizeprä- gültig. 122 Mitglieder des Landtages haben mit Ja sident Busemann und ich die Stimmen auszählen. und 11 mit Nein gestimmt. Ein Mitglied des Land- tages hat sich der Stimme enthalten. Die Sitzung ist unterbrochen. Bitte bleiben Sie im Raum. Mit Ja haben, wie bereits erwähnt, 122 Mitglieder des Landtages gestimmt. Damit ist die nach Artikel (Unterbrechung der Sitzung von 55 der Niedersächsischen Verfassung erforderli- 15.38 Uhr bis 15.54 Uhr) che Mehrheit gegeben. Herr Sonnemann ist zum stellvertretenden Mitglied des Staatsgerichtshofs Vizepräsident Frank Oesterhelweg: gewählt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir set- zen die unterbrochene Sitzung fort. Wir haben (Beifall) schon angedeutet, dass es bei solchen Wahlen Herr Sonnemann, ich frage Sie, ob Sie die Wahl sinnvoll wäre, eine zweite Zählkabine aufzustellen annehmen. (Beifall) Wulf Sonnemann: und mehr Stimmzähler einzusetzen. Ein Vorschlag Ja, Herr Präsident, ich nehme die Wahl an. aus der Praxis - darüber wird demnächst beraten werden. Vizepräsident Frank Oesterhelweg: Meine Damen und Herren, ich gebe das Wahler- Herzlichen Dank. Dann darf ich auch Ihnen im gebnis zu Nr. 1 a des Wahlvorschlages für die Namen des ganzen Hauses herzlich gratulieren. Wahl eines Mitglieds des Staatsgerichtshofs be- kannt. Abgegeben wurden 134 Stimmen, davon Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gebe 134 gültige; keine Stimme war ungültig. 130 Mit- das Wahlergebnis zu Nr. 1 c des Wahlvorschlags glieder des Landtags haben mit Ja und drei mit für die Wahl eines stellvertretenden Mitglieds des Nein gestimmt. Es gibt eine Enthaltung. Staatsgerichtshofs bekannt. Abgegeben wurden 134 Stimmen, davon 134 gültig, keine ungültig. Die Mehrheit der gesetzlichen Zahl von 137 Abge- 128 Mitglieder des Landtages haben mit Ja, 5 mit ordneten beträgt 69. Die Zweidrittelmehrheit von Nein gestimmt. Ein Abgeordneter/eine Abgeordne- 134 Mitgliedern des Landtages, die an der Wahl te hat sich enthalten. teilgenommen haben, beträgt 89. Mit Ja haben 130 Mitglieder des Landtages gestimmt. Damit ist die Mit Ja haben, wie bereits erwähnt, 128 Mitglieder nach Artikel 55 der Landesverfassung erforderliche des Landtages gestimmt. Damit ist die nach Arti- Mehrheit gegeben. Herr Professor Dr. Butzer ist kel 55 der Niedersächsischen Verfassung erforder- zum Mitglied des Staatsgerichtshofs gewählt wor- liche Mehrheit gegeben. Herr Mestwerdt ist zum den. stellvertretenden Mitglied des Staatsgerichtshofs gewählt worden. (Beifall) (Beifall) Herr Professor Dr. Butzer, ich frage Sie, ob Sie die Herr Mestwerdt, ich frage Sie, ob Sie die Wahl Wahl annehmen. annehmen. Professor Dr. Hermann Butzer: Wilhelm Mestwerdt: Herr Präsident, ich nehme die Wahl an und danke Ja, Herr Präsident, ich nehme die Wahl an. Vielen für das breite Vertrauen. Dank. (Beifall) Vizepräsident Frank Oesterhelweg: Vizepräsident Frank Oesterhelweg: Ganz herzlichen Dank und herzlichen Glück- Dann darf ich im Namen des ganzen Hauses ganz wunsch. herzlich gratulieren. (Beifall)

1831 Niedersächsischer Landtag - 18. Wahlperiode - 21. Plenarsitzung am 22. August 2018

Meine Damen und Herren, ich gebe das Wahler- der neu gewählten stellvertretenden Mitglieder gebnis zur Nr. 2 des Wahlvorschlags für die Wahl des Staatsgerichtshofs eines stellvertretenden Mitglieds des Staatsge- richtshofs bekannt. Abgegeben wurden 134 Stim- men, alle 134 gültig, keine ungültig. 122 Mitglieder Ich bitte Herrn Professor Dr. Butzer, Herrn Sonne- des Landtags haben mit Ja, 12 haben mit Nein mann, Herrn Mestwerdt und Frau van Hove, nach gestimmt. Enthaltungen gibt es nicht. vorne zu kommen und sich hier vor der Bank der Landesregierung aufzustellen. Ich werde Sie gleich Mit Ja haben, wie bereits erwähnt, 122 Mitglieder bitten, nacheinander den in § 4 Abs. 2 Satz 1 des des Landtags gestimmt. Damit ist die nach Arti- Staatsgerichtshofsgesetzes vorgeschriebenen Eid kel 55 der Niedersächsischen Verfassung erforder- zu leisten. liche Mehrheit gegeben. Frau van Hove ist zum stellvertretenden Mitglied des Staatsgerichtshofs Der Eid lautet: gewählt worden. „Ich schwöre, das Richteramt getreu dem (Beifall) Grundgesetz der Bundesrepublik Deutsch- land, getreu der Verfassung des Landes Frau van Hove, ich darf Sie fragen, ob Sie die Niedersachsen und getreu dem Gesetz aus- Wahl annehmen. zuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und Anke van Hove: nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu die- Ja, Herr Präsident, ich nehme die Wahl an. nen.“ Der Eid kann mit der Beteuerung „So wahr mir Gott Vizepräsident Frank Oesterhelweg: helfe“ oder ohne sie geleistet werden. Dann gratuliere ich Ihnen ganz herzlich. Ich bitte nun die Anwesenden, sich zu erheben. (Beifall) Sehr geehrter Herr Professor Dr. Butzer, ich darf Ihnen allen einen herzlichen Glückwunsch und Sie nun bitten, den Eid zu leisten. eine gute Hand. Professor Dr. Hermann Butzer: Und Ihnen allen danke für die große Geduld. Der Herr Ministerpräsident wird den Gewählten gleich Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundge- in der Mittagspause - wenn man sie noch so nen- setz der Bundesrepublik Deutschland, getreu der nen darf - im Leibnizsaal die Ernennungsurkunden Verfassung des Landes Niedersachsen und getreu aushändigen. Die nach dem Gesetz vorgesehene dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Vereidigung ist dann als erster Tagesordnungs- Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen punkt unserer Nachmittagssitzung vorgesehen, die und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen. um 17.30 Uhr beginnt, wie mir gerade mitgeteilt So wahr mir Gott helfe. wurde. Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Um 17.30 Uhr endet die Mittagspause, und dann treffen wir uns zur Vereidigung wieder hier im Saal. Vielen Dank. (Beifall) (Unterbrechung der Sitzung von 15.59 Uhr bis17.31 Uhr) Nun darf ich Herrn Sonnemann bitten, seinen Eid zu leisten. Bitte! Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir setzen nun Wulf Sonnemann: die Beratungen fort. Ich darf Sie dazu um Ihre Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundge- Aufmerksamkeit bitten. setz der Bundesrepublik Deutschland, getreu der Verfassung des Landes Niedersachsen und getreu Ich rufe auf den dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen. Tagesordnungspunkt 7: So wahr mir Gott helfe. Vereidigung des neu gewählten Mitglieds und

1832 Niedersächsischer Landtag - 18. Wahlperiode - 21. Plenarsitzung am 22. August 2018

Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Tagesordnungspunkten 11, 18, 20 in Verbindung Vielen Dank. mit 21 und 29 gegenüber den Ihnen vorliegenden Zeiten noch einmal geringfügig verändert werden. (Beifall) Die Landtagsverwaltung wird die geänderten Re- Herr Mestwerdt, bitte leisten Sie Ihren Eid! dezeiten in das Redezeitverwaltungssystem einar- beiten, sodass dem entsprochen wird. Vielen Wilhelm Mestwerdt: Dank. Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundge- Ich rufe auf den setz der Bundesrepublik Deutschland, getreu der Verfassung des Landes Niedersachsen und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Tagesordnungspunkt 8: Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen Erste Beratung: und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ge- So wahr mir Gott helfe. setzes über den Staatsgerichtshof - Gesetzent- wurf der Fraktion der FDP - Drs. 18/1384 (Beifall)

Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Zur Einbringung erteile ich dem Herrn Kollegen Nun, Frau van Hove, bitte ich Sie, Ihren Eid abzu- Dr. Genthe das Wort. Bitte! legen. Dr. Marco Genthe (FDP): Anke van Hove: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Indi- Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundge- vidualverfassungsbeschwerde ist eigentlich schon setz der Bundesrepublik Deutschland, getreu der ein Wortungetüm, das sich wirklich nur Juristen Verfassung des Landes Niedersachsen und getreu ausdenken können. Der Gesetzentwurf, den wir dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Ihnen heute vorlegen, ist denn auch relativ lang Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und sicherlich keine lockere Abendlektüre. und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen. So wahr mir Gott helfe. Um was geht es? - Nach Artikel 3 Abs. 2 der Nie- dersächsischen Verfassung ist das Grundgesetz (Beifall) Bestandteil unserer Landesverfassung. Unsere Landesverfassung geht jedoch in manchen Berei- Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: chen über das Grundgesetz hinaus. Das gilt für Ich darf Ihnen allen nochmals die Glückwünsche den Bereich der Diskriminierungsverbote, für den des gesamten Landtages aussprechen. Mögen Sie Bereich Bildung, den Schutz von Kindern und Ju- mit Ihrem Wirken dem Wohle des Landes Nieder- gendlichen und auch den Bereich der Wissen- sachsen und seinen Bürgerinnen und Bürgern schaftsfreiheit. dienen! Die Bürger in Niedersachsen haben jedoch keine Vielen Dank. Möglichkeit, den Staatsgerichtshof in Bückeburg (Beifall) anzurufen, wenn sie den Eindruck haben, in die- sen niedersächsischen Rechten verletzt worden zu Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in der sein. Sie haben keine Möglichkeit, durch einen Tagesordnung fortfahren, möchte ich darauf hin- Antrag bei dem niedersächsischen Verfassungsge- weisen, dass die Fraktion der AfD nach Ablauf der richt eine Bestimmung des niedersächsischen Frist für die Umverteilung der Redezeiten darum Rechtes auf die Vereinbarkeit mit der niedersäch- gebeten hat, die von ihr mitgeteilten Redezeiten in sischen Landesverfassung überprüfen zu lassen. vier Fällen noch einmal korrigieren zu dürfen. In einem solchen Fall gibt es auch nicht die Mög- Wie mir mitgeteilt wurde, haben sich die Parlamen- lichkeit, dies durch das Bundesverfassungsgericht tarischen Geschäftsführer der Fraktionen darauf in Karlsruhe vornehmen zu lassen. Denn das Bun- verständigt, diesem Wunsch der Fraktion der AfD desverfassungsgericht wacht über die Einhaltung zu entsprechen. der Bundesverfassung, sprich: des Grundgeset- Ich gehe daher von Ihrem Einverständnis aus, zes. Es überprüft nicht die Vereinbarkeit mit den in dass die Redezeiten der Fraktion der AfD zu den der niedersächsischen Landesverfassung verbürg-

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ten weiteren Grundrechten. Hier, meine Damen beitern unterstützen lassen. Der personelle Auf- und Herren, besteht eindeutig eine Rechtsschutz- wand hält sich daher sehr, sehr in Grenzen. lücke. Meine Damen und Herren, es werden sicherlich Die FDP-Fraktion hat das bereits in der letzten gleich Sprecher der großen Fraktionen auftreten Wahlperiode zum Anlass genommen, sich mit und den Standpunkt vertreten: Das brauchen wir in diesem Thema zu befassen. Wir haben eine Ex- Niedersachsen nicht! Das haben wir noch nie ge- pertenanhörung durchgeführt, die wir auch in ei- macht! - Insoweit lohnt sich der Blick über den nem Tagungsband dokumentiert haben. Dieser Tellerrand in andere Bundesländer. Tagungsband ist hier in der Bibliothek einsehbar. Von 16 Bundesländern haben bereits 13 eine Lan- An der Anhörung hatten der Präsident des Nieder- desverfassungsbeschwerde eingeführt. Dazu ge- sächsischen Staatsgerichtshofes, Herr van hören seit dem letzten Jahr auch Nordrhein- Nieuwland, der damalige Staatsminister der Justiz Westfalen und Schleswig-Holstein. Es fehlen ne- aus Sachsen, Herr Martens, und Herr Professor - ben Niedersachsen lediglich Bremen und Ham- und nunmehr Richter beim Staatsgerichtshof - burg. Da Hamburg jedoch keine Grundrechte in Butzer teilgenommen. Beteiligt waren also die der Landesverfassung verankert hat, machte sie Praxis und auch die Wissenschaft. dort insoweit nur wenig Sinn. Unter den genannten 13 Bundesländern befinden sich solche mit Minis- Alle drei Referenten haben sich für die Einführung terpräsidenten sowohl der CDU als auch der SPD. der Individualverfassungsbeschwerde in Nieder- Spätestens das, meine Damen und Herren, sollte sachsen ausgesprochen. Die Gründe liegen in Ihnen doch zu denken geben. dem von mir eben aufgezeigten Bedarf und der Tatsache, dass auch praktische Erwägungen einer (Beifall bei der FDP) Einführung nicht entgegenstehen. So ist insbeson- Je nachdem, wie dieser Rechtsbehelf am Ende in dere die Frage der Finanzierung kein Gegenargu- Niedersachsen ausgestaltet wird, könnte es - ge- ment. Der Niedersächsische Staatsgerichtshof trifft gebenenfalls nach Erschöpfung des Rechtswe- im Durchschnitt dreieinhalb Entscheidungen pro ges - gerade auch das neue niedersächsische Jahr. Er ist also zurzeit nicht über Gebühr belastet. Polizeigesetz sein, das von dem Niedersächsi- Die Erfahrungen aus anderen Bundesländern zei- schen Staatsgerichtshof beurteilt werden könnte. gen, dass mit ca. 80 bis 100 Verfassungsbe- Meine Damen und Herren, Niedersachsen sollte schwerden pro Jahr zu rechnen sein würde. Damit bei dem Schutz von Bürgerrechten nicht ganz un- würden auf jeden Richter des Staatsgerichtshofes ten im Vergleich mit den anderen Bundesländern vielleicht 10 Beschwerdeverfahren pro Jahr zu- verortet sein. Geben Sie auch den niedersächsi- kommen. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg schen Bürgern die Möglichkeit, ihre Rechte in Nie- gab es 2016 89 Verfassungsbeschwerden, 2017 dersachsen geltend zu machen! 42 und im ersten Halbjahr 2018 23. Vielen Dank. Meine Damen und Herren, die geringe Anzahl (Beifall bei der FDP) dieser Entscheidungen sagt natürlich nichts über deren Bedeutung aus. Wie bedeutend einzelne Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Gerichtsentscheidungen für die gesellschaftliche Diskussion sein können, ist aktuell sehr gut zu Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Das Wort für die beobachten. CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Calderone. Bitte! Die Belastung kann zusätzlich in Grenzen gehalten (Vereinzelter Beifall bei der CDU) werden, wenn unzulässige oder offensichtlich un- begründete Verfassungsbeschwerden im schriftli- Christian Calderone (CDU): chen Verfahren durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen werden können. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der FDP tatsächlich dankbar, Für die inhaltliche Unterstützung der Richter steht dass sie dieses Thema wieder auf die Tagesord- in Sachsen z. B. lediglich ein Referent des höhe- nung des Niedersächsischen Landtages gesetzt ren Dienstes zur Verfügung. Bei der Vorbereitung hat. Wir kennen es grundsätzlich schon aus der der Entscheidungen können sich die dortigen Ver- letzten Periode, und ich habe mir sagen lassen, fassungsrichter von zwei wissenschaftlichen Mitar- dass das Thema auch in den davor liegenden

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Wahlperioden hier im Landtag diskutiert wurde. wir werden uns sehr genau das Verhältnis zwi- Meine Damen und Herren, so viel Kontinuität freut schen Bundesverfassungsbeschwerde und Lan- einen Christdemokraten naturgemäß ganz grund- desverfassungsbeschwerde vor dem Hintergrund sätzlich. Also herzlichen Dank! ansehen müssen, dass doppelte Strukturen den Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger am (Zustimmung bei der CDU - Dr. Stefan Ende eben nicht verstärken, sondern einfach nur Birkner [FDP]: Sie können das auf ei- doppelt sind. ne höhere Stufe heben!) Auch in der letzten Periode fiel die Einbringung Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und des entsprechenden Gesetzentwurfs zusammen Kollegen, natürlich besteht in Niedersachsen auch mit der Wahl von Mitgliedern des Staatsgerichtsho- heute bereits ein umfassender Grundrechteschutz: fes. Das gibt mir die Gelegenheit, alle anwesenden durch die Gerichtsbarkeit, durch die Zugangsmög- Richterinnen und Richter auch im Namen der lichkeit zum Bundesverfassungsgericht und auch CDU-Fraktion hier im Landtag herzlich willkommen durch die Möglichkeit, den Europäischen Gerichts- zu heißen. hof anzurufen. Mit anderen Worten: Schon heute haben wir in Niedersachsen einen effektiven, um- In der letzten Periode fiel die Behandlung des da- fassenden, umfassend wirksamen und einklagba- maligen FDP-Gesetzentwurfs der Diskontinuität ren Grundrechteschutz. anheim. Der neue Gesetzentwurf gibt uns jetzt Gelegenheit, diese Thematik noch einmal umfas- Schließlich sehe ich ein weniger rechtliches, son- send zu behandeln. Ich bin der FDP deswegen dern ein eher faktisches Argument, ein Argument dankbar, dass sie dieses Thema wieder auf die der Prioritätensetzung. In einer Zeit, in der wir als Tagesordnung gesetzt hat, weil wir uns im Zuge CDU und SPD zusammen mit der Landesregie- der Beratungen 70 Jahre nach Gründung unseres rung weiter daran arbeiten, die Justiz zukunftsfest Bundeslandes noch einmal ganz intensiv mit unse- zu machen durch mehr Richterinnen und Richter, rem Selbstverständnis als Staat und mit unserer durch mehr Staatsanwälte, durch die Umsetzung Staatlichkeit werden auseinandersetzen können; von PEBB§Y 1.0, durch die Schaffung von denn der Argumentation der FDP kann man ja auf Schwerpunktstaatsanwaltschaften, durch Aufwen- den ersten Blick durchaus etwas abgewinnen: dungen für die Wachtmeistereien und für die Si- Niedersachsen hat eine verfassungsgebende Ver- cherheit in den Gerichten, durch die Einführung sammlung; das ist dieses Hohe Haus. Niedersach- der E-Akte und des elektronischen Rechtsver- sen hat eine Verfassung, in der für die Bürgerinnen kehrs, durch die Stärkung der Zentralstelle Terro- und Bürger dieses Landes Grundrechte festgelegt rismusbekämpfung bei der Generalstaatsanwalt- sind. Aber zum Verfassungsgericht Niedersach- schaft Celle, durch neue Möglichkeiten der Zeu- sens besteht keine Zugangsmöglichkeit im Wege genvernehmung auch über Distanzen hinweg, einer Individualverfassungsbeschwerde. durch eine bessere Förderung für all jene, die in Niedersachsen das Recht bewahren und durch- Da kann man sich fragen, ob dies nicht tatsächlich setzen, und durch bessere räumliche Rahmenbe- ein Defizit in der Eigenstaatlichkeit Niedersachsens dingungen. In dieser Zeit der nötigen großen Auf- und - schlimmer noch - eine Rechtsschutzlücke für wendungen für die niedersächsische Justiz muss die Bürgerinnen und Bürger darstellt, wie es die auch die politische Diskussion erlaubt sein, wo es FDP in ihrem Gesetzentwurf formuliert. Es könnte in der niedersächsischen Justiz tatsächlich die zumindest dann eine Rechtsschutzlücke sein, größten Handlungsbedarfe gibt und wo nicht. wenn durch das Nichtvorhandensein der Individu- alverfassungsbeschwerde in Niedersachsen Bür- Ja, meine Damen und Herren, der Kollege Genthe gerinnen und Bürger daran gehindert wären, ihre hat es gesagt: Es gibt in anderen Bundesländern landesverfassungsrechtlich garantierten Grund- die Individualverfassungsbeschwerde, sogar in rechte tatsächlich durchzusetzen. den meisten: in 11 von 16 Bundesländern. Zum Ob das wirklich der Fall ist, werden wir uns in den Föderalismus gehört aber eben auch, dass sich Ausschussberatungen sehr genau ansehen müs- jedes Land seine Struktur selbst nach den Kriterien sen. An mich zumindest ist in der zugegebener- schafft, die es für richtig und wichtig hält. Deshalb maßen sehr überschaubaren Zeit meiner Mitglied- ist der Blick in andere Bundesländer in dieser Fra- schaft hier im Niedersächsischen Landtag dieses ge vielleicht nicht sehr hilfreich. Thema aus der Bürgerschaft nicht nur nicht mas- (Beifall bei der CDU) siv, sondern gar nicht herangetragen worden. Und

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Wagen wir diesen Blick dennoch, so ist zu prüfen, Dieses Haus - das ist eben schon gesagt worden - ob der Grundrechteschutz in diesen 11 Bundes- hat sich bereits mehrfach mit der Einführung der ländern für die Bürgerinnen und Bürger im Ver- Individualverfassungsbeschwerde beschäftigt, gleich zu jenen 5 Bundesländern ein verbesserter zuletzt im Jahr 2014. Die Landesverfassungsbe- ist, die diese Beschwerdemöglichkeit nicht kennen. schwerde ist unter Juristen umstritten. So ist es Auch dieser Betrachtung sollten wir uns in den nun einmal. Wenn man Juristen befragt, gibt es Ausschussberatungen widmen, die im Übrigen nicht immer nur eine Meinung. In der 2014 im aufgrund der nicht ganz trivialen Fragestellung Rechtsausschuss durchgeführten, hochrangig durchaus mit der nötigen Zeit und Ausführlichkeit besetzten Anhörung gab es nicht nur Zustimmung, stattfinden sollten. Auch darauf freue ich mich. es gab auch kritische Anmerkungen und Hinweise, zum Teil auch Ablehnung. Ich will der FDP aber Herzlichen Dank. durchaus zugestehen, dass sich seinerzeit die im (Beifall bei der CDU und Zustimmung Ausschuss angehörten Experten mehrheitlich für bei der SPD) die Einführung ausgesprochen haben. Sie weisen darauf hin, dass es die Individualver- Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: fassungsbeschwerde bereits in den meisten Bun- desländern gibt. Die Ausgestaltung in den Ländern Vielen Dank, Herr Kollege Calderone. - Es folgt ist aber ziemlich unterschiedlich. Bayern hat die nun für die SPD-Fraktion Herr Kollege Prange. Verfassungsbeschwerde mit der Möglichkeit der Bitte! Popularklage seit 200 Jahren, sicherlich die weit- gehendste Regelung. In den neuen Bundesländern Ulf Prange (SPD): ist nach der Wiedervereinigung eine Landesver- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu- fassungsbeschwerde flächendeckend eingeführt nächst möchte auch ich die anwesenden Richte- worden, allerdings zum Teil sehr restriktiv wie in rinnen und Richter des Staatsgerichtshofs ganz Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt. herzlich begrüßen und im Namen meiner Fraktion In diesem Zusammenhang will ich betonen, dass den neu gewählten Mitgliedern Glückwünsche es neben der Frage, ob wir uns für die Einführung aussprechen. Sie sind uns hier im Haus immer der Individualverfassungsbeschwerde entschei- herzlich willkommen! den, auch darum gehen wird, wie wir sie gegebe- Die Intention des Gesetzentwurfs der FDP ist es, nenfalls ausgestalten. Da sind die unterschiedli- den Niedersachsen die Möglichkeit zu geben, Ver- chen Regelungen in den Ländern maßgeblich und letzungen ihrer eigenen Grundrechte nicht nur in zeigen, dass es an dieser Stelle Gestaltungsspiel- Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht geltend räume gibt. zu machen, sondern auch vor unserem Staatsge- Ich will Ihnen ausdrücklich zugestehen, dass die richtshof in Bückeburg. Unsere Verfassung sieht Landesverfassungsbeschwerde geeignet ist, das vor, dass dem Staatsgerichtshof Aufgaben durch Landesverfassungsrecht und die Werte unserer Gesetz zugewiesen werden können. Die Einfüh- Verfassung stärker im Bewusstsein der Nieder- rung der Individualverfassungsbeschwerde ist also sächsinnen und Niedersachsen zu verankern. ohne eine Änderung der Verfassung möglich. Aber Ferner würde der Staatsgerichtshof in seiner Be- braucht Niedersachsen die Landesverfassungsbe- deutung und Wahrnehmbarkeit gestärkt und mehr schwerde? zu einem Gericht der Bürgerinnen und Bürger. Die Stärkung des Grundrechtsschutzes ist ein Ich will die Frage aufgreifen, ob es eine Rechts- richtiges und gewichtiges Anliegen. Das möchte schutzlücke gibt, die die Einführung der Landes- ich hier ausdrücklich klarstellen. Richtig ist aber verfassungsbeschwerde rechtfertigt oder gar un- auch, dass wir eine relativ schlanke und eher or- umgänglich macht. ganisationsrechtlich ausgerichtete Verfassung in Mit der Inkorporationsklausel in Artikel 3 Abs. 2 Niedersachsen haben. Die unterschiedlichen Satz 1 unserer Verfassung haben wir die Grund- Staats- und Verfassungstraditionen der Bundes- rechte des Grundgesetzes in unserer Verfassung länder darf man nicht aus dem Blick verlieren. Die verankert. Das hat keinen bloßen Appellcharakter, Mütter und Väter unserer Verfassung haben sich sondern es sind eigene Landesgrundrechte ge- bewusst gegen die Landesverfassungsbeschwer- schaffen worden. Diese Grundrechte sind aber de entschieden. letztlich inhaltsgleich mit denen des Grundgeset-

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zes und können daher auch beim Bundesverfas- (Dr. Marco Genthe [FDP]: Das kann sungsgericht geltend gemacht werden. nicht das Argument sein!) Unsere Verfassung - das haben Sie angespro- Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen, chen - kennt daneben landesspezifische Grund- nämlich die Frage, ob wir diese personellen Res- rechte: das Recht auf Bildung, die Kinderrechte, sourcen nicht an anderer Stelle benötigen, nämlich den Schutz der akademischen Selbstverwaltung. zur Entlastung der Justiz. Eine kurze Dauer von Diese landesspezifischen Grundrechte eröffnen Verfahren vor den Gerichten sorgt nämlich auch weitere Schutzrechte, für die es keinen Grund- für effektiven Rechtsschutz und stärkt das Vertrau- rechtsschutz gibt. Zum Teil sind sie aber im en in den Rechtsstaat. Die rot-schwarze Koalition Grundgesetz mitabgedeckt. Denken Sie beispiels- hat sich deshalb vorgenommen, für Personalver- weise an die akademische Selbstverwaltung, die stärkung in der Justiz zu sorgen. Im Nachtrags- über die Wissenschaftsfreiheit im Grundgesetz haushalt haben wir damit bereits begonnen und zumindest teilweise abgedeckt ist. Ob hier eine wollen diesen Weg weitergehen. grundlegende Rechtsschutzlücke besteht, werden Abschließend möchte ich sagen, dass das Ansin- wir im Ausschuss zu erörtern haben. nen, den Grundrechtsschutz zu stärken, gut und Ferner möchte ich darauf hinweisen - das hat Herr richtig ist. Die Beratungen im Ausschuss werden Calderone schon gesagt -, dass unsere Landes- zeigen, ob die Einführung der Individualverfas- und Bundesgerichte, allen voran das Bundesver- sungsbeschwerde dazu maßgeblich wird beitragen fassungsgericht, aber auch der Europäische Ge- können. richtshof für Menschenrechte einen sehr umfängli- Vielen Dank. chen Grundrechtsschutz sicherstellen. Ob es durch die Einführung der Individualverfassungsbe- (Beifall bei der SPD und bei der CDU schwerde zu einer Entlastung des Bundesverfas- sowie Zustimmung bei den GRÜNEN) sungsgerichts kommt - das wird ja auch immer angeführt -, ist eine weitere Frage, mit der wir uns Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: dann beschäftigen müssen. Es ist selbstverständ- Vielen Dank, Herr Kollege Prange. - Für die Frakti- lich zunächst Angelegenheit des Bundes, dafür zu on Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Abgeord- sorgen, dass es dort schnellere Verfahren und neter Limburg das Wort. vielleicht auch mehr Ressourcen gibt. Der andere Punkt ist: Da es die Möglichkeit der Helge Limburg (GRÜNE): Individualverfassungsbeschwerde in so vielen Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Bundesländern gibt, hätte man schon jetzt eine und Kollegen! Die Stärkung des Grundrechts- Entlastungswirkung feststellen müssen. Das schutzes für die Menschen in Niedersachsen ist spricht eigentlich gegen dieses Argument. Dage- ganz ohne Frage ein hohes und wichtiges Ziel. gen spricht auch, dass die Fallzahlen, die sich Darauf haben meine Vorredner bereits zu Recht zwischen 20 und 160 Verfahren im Jahr bewegen, hingewiesen. eher gering sind. Insofern könnte das fraglich sein. Die Frage, die wir alle uns aber miteinander und Ein weiterer Gesichtspunkt sind das Verhältnis jetzt anhand des Vorschlages der FDP-Fraktion zwischen Landes- und Bundesverfassungsbe- erneut stellen müssen, ist, ob ein bloßes Mehr an schwerde sowie dessen Ausgestaltung. Dazu, möglichen Rechtsbehelfen im Ergebnis zwangsläu- Doppelzuständigkeiten zu vermeiden bzw. eine fig ein Mehr an Grundrechtsschutz bedeutet. Ich randscharfe Abgrenzung herzustellen, haben Sie will nicht verhehlen, dass ich da ein gewisses Maß einen Vorschlag gemacht. Ob dieser Vorschlag im an Skepsis habe. Gesetzentwurf der FDP trägt, werden wir im Aus- Wir hatten - darauf hat Herr Dr. Genthe schon schuss zu klären haben. hingewiesen - eine umfangreiche Anhörung in der Sie haben die Kosten angesprochen. Ihre Berech- letzten Wahlperiode. Herr Professor Dr. Burmeister nung von 200 000 Euro halte ich durchaus für hat aus meiner Sicht sehr treffend darauf hinge- plausibel. In Zeiten, in denen die Haushaltslage wiesen, dass mit jedem neuen Rechtsbehelf eine des Landes einigermaßen entspannt ist, mag die- Erwartung geweckt wird, und zwar die Erwartung ser überschaubare Mehrbedarf vertretbar sein. bei Bürgerinnen und Bürger, dass, wenn sie bis- Aber in Zeiten von Haushaltskonsolidierung hat lang nicht zu ihrem vermeintlichen oder auch tat- man schon über kleinere Beträge diskutiert. sächlichen Recht gekommen sind, sie nun mit

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diesem neuen Rechtsbehelf ihr Ziel erreichen. Das lich ein verfassungskonformes Polizeigesetz zu kann natürlich nur der Fall sein, wenn man im juris- verabschieden. tischen Sinne tatsächlich recht hat und nicht nur (Christian Grascha [FDP]: Das wäre gut!) subjektiv meint, recht zu haben. Wenn diese Hoffnung aber enttäuscht werden Was ich sagen möchte, ist: Jede Bürgerin oder sollte, dann wird es selbstverständlich Rechtsbe- jeder Bürger - das haben Sie gesagt - kann sich in helfe gegen dieses Polizeigesetz geben, so wie es Niedersachsen an die Gerichte wenden. Wenn es sie auch in der Vergangenheit gegeben hat, als in diesem Verfahren um Zweifel an der Vereinbar- CDU und FDP hier regiert und unter Innenminister keit eines vorliegenden Gesetzes mit Landesver- Schünemann ein verfassungswidriges Polizeige- fassungsrecht geht, können die Gerichte in Nie- setz verabschiedet haben und es aus Niedersach- dersachsen nach unserer Landesverfassung sen eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde in schon jetzt das Verfahren aussetzen - das wissen Karlsruhe gab. Sie, Herr Kollege - und das jeweilige Gesetz dem Staatsgerichtshof vorlegen. Es gibt also keine di- Warum an der Stelle die Möglichkeit der Verfas- rekte Möglichkeit, zum Staatsgerichtshof zu gehen, sungsbeschwerde in Bückeburg zwingend not- aber es gibt diese Möglichkeit im gerichtlichen wendig ist, erschließt sich mir also nicht. Dieses Verfahren. Am Ende eines langen Gerichtsverfah- Polizeigesetz wird auch unter den gegebenen Vo- rens steht dann selbstverständlich der Weg nach raussetzungen so jedenfalls nicht dauerhaft in Karlsruhe offen. Das Bundesverfassungsgericht Kraft bleiben; da bin ich sicher. nimmt dann eine vollumfängliche Prüfung des Ich freue mich auf die Ausschussberatungen über Grundrechtsschutzes anhand des Grundgesetzes den Vorschlag der FDP. und unter Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Vielen Dank. vor. Wo der Mehrwert liegt, wenn der Staatsge- (Beifall bei den GRÜNEN und Zu- richtshof in Bückeburg diesen umfassenden Maß- stimmung von Ulf Prange [SPD]) stab ebenfalls anlegt, ist mir, offen gesagt, nicht ersichtlich. Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Meine Vorredner haben es gesagt: Es gibt in Nie- Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. - Für die AfD- dersachsen eigene Landesgrundrechte. Aber Fraktion spricht nun Herr Abgeordneter Emden. wenn wir ehrlich sind, sind es doch eher wenig an der Zahl. Die meisten Grundrechte in unserer Ver- Christopher Emden (AfD): fassung sind eine Adaption der Grundrechte des Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Her- Grundgesetzes, weil in unserer Verfassung eine ren! Auch ich möchte zunächst einmal die anwe- entsprechende Klausel enthalten ist. senden Richterinnen und Richter des Staatsge- richtshofs hier begrüßen und gratuliere den neu (Dr. Marco Genthe [FDP]: Wenig heißt gewählten Mitgliedern zur Wahl. nicht unbedeutend!) Ich möchte meiner Freude darüber Ausdruck ver- Warum es sozusagen für die Wahrung der im leihen, dass wir hier eine wirklich sachliche und Grundgesetz geregelten Grundrechte, die ich in fundierte Debatte über dieses Thema führen, wie der Tat für sehr, sehr bedeutend halte, Herr Kolle- ich es bisher in den Monaten meiner Landtagszu- ge Dr. Genthe, ein weiteres Instrument braucht gehörigkeit selten erlebt habe. Ich glaube, das ist bzw. warum das bisher bestehende Instrument der gut so, und das sollte bei einem so wichtigen The- Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe nicht aus- ma wie diesem auch so sein. Auch wenn dieses reicht, ist mir, offen gesagt, nicht ersichtlich. Thema in diesem Hause offensichtlich schon häu- figer debattiert wurde, sehe ich doch die Chance - Sie haben ein konkretes, noch hypothetisches zumal es zu Beginn dieser Legislaturperiode in die Beispiel angesprochen, und zwar das niedersäch- Debatte eingebracht wurde -, dass wir vielleicht sische Polizeigesetz. Ich muss sagen: Ich gebe durch eine ebenso fundierte und sachliche Debatte trotz der Äußerungen des Abgeordneten Weil oder im Ausschuss zu einem guten Ergebnis kommen. des Herrn Ministerpräsidenten Weil - das weiß ich nicht so genau - die Hoffnung nicht auf, dass die- Ich muss sagen: Ich finde den Vorschlag bzw. den ses Parlament das Selbstvertrauen hat, eigen- Vorstoß der FDP durchaus interessant. Es gibt ständige Beratungen durchzuführen und tatsäch- aber auch einiges, was man wirklich abwägen

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muss. Fast alles ist in dieser Debatte von meinen abgeordneten wirklich schönere Dinge gibt, als zu Vorrednern schon angesprochen worden. Insofern einem Gesetzentwurf zu sprechen, mit dem im kann ich mich entsprechend kurz fassen. Ich glau- Kern das eigene Handeln zurückgedreht werden be, die Details besprechen wir im Ausschuss. soll. Das ist ungefähr so wie in einem weltbekann- ten Brettspiel, bei dem es Ereigniskarten gibt, auf In Anbetracht dieser fundierten, sachlichen Debat- denen steht: Gehen Sie zurück auf Los! Ziehen Sie te, die hier heute geführt wurde, muss ich auch keine 4 000 Euro ein! - Mit anderen Worten: Alles ausdrücklich sagen: Ich freue mich auf eine quali- zurück auf Anfang! tativ hochwertige Ausschussberatung. Eigentlich ist der Gesetzentwurf, über den wir heu- Danke schön. te beraten, nicht nur im Wesentlichen, sondern (Beifall bei der AfD) einzig und allein dazu da, eine Regelung abzu- schaffen, der ich selbst vor wenigen Monaten - ich Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: weiß nicht mehr ganz genau, wie lange es her ist - Vielen Dank, Herr Kollege. - Weitere Wortmeldun- noch zugestimmt habe. Wenn man dann unter gen liegen nicht vor, sodass ich die Beratung diesen Umständen wieder hier vorne steht, ist das schließen kann. doch ein bemerkenswerter Vorgang. Wir kommen zur Ausschussüberweisung. (Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Vier Monate!) Federführend soll der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen und mitberatend der Aus- - Vielen Dank, Julia Willie Hamburg, für die Nach- schuss für Haushalt und Finanzen sein. Wer so hilfe! beschließen möchte, den bitte ich um das Hand- Aber, meine Damen und Herren, ich kann Ihnen, zeichen. - Dann haben Sie so beschlossen. ohne auch äußerlich rot zu werden und mit gutem Ich rufe auf den Gewissen, versichern, dass es mir heute gar nicht so schwer fällt, hier vorne zu stehen und über den Gesetzentwurf der Landesregierung zu sprechen. Tagesordnungspunkt 9: (Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Das Erste Beratung: ist bitter!) Entwurf eines Gesetzes über die Wahl der Mit- glieder der Verbandsversammlung des Regio- Die Regelungen zur Direktwahl waren schon in der nalverbandes „Großraum Braunschweig“ - letzten Wahlperiode ziemlich umstritten, und das Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 18/1408 nicht nur in der Region, sondern auch hier bei uns im Parlament. Deshalb haben wir gleich zu Beginn der neuen Wahlperiode mit unserem Koalitions- Zur Einbringung erteile ich das Wort der Landesre- partner verabredet, dass wir uns im Laufe der gierung. - Die Landesregierung möchte den Ge- Wahlperiode nicht zu sehr mit den kommunalen setzentwurf nicht einbringen. Spitzenverbänden, den Vertreterinnen und Vertre- (Zuruf: Was ist das denn?) tern aus der Region und auch in der Koalition dar- über streiten wollen, und haben in den Koalitions- Dann erhält das Wort für die SPD-Fraktion Herr vertrag die Formulierung aufgenommen, die Di- Kollege Lynack. rektwahl wieder abzuschaffen. Die Regelung, dass (Björn Försterling [FDP]: Wir können die Mitglieder der Verbandsversammlung, die zu- es auch lassen!) sätzlich zu den Vertretungen der Mitgliedskommu- nen besteht, direkt von den Bürgerinnen und Bür- - Jetzt hat der Kollege Lynack das Wort. Ich bitte gern gewählt werden, ist in der Systematik unserer um Ihre Aufmerksamkeit. Kommunalverfassung zugegebenermaßen etwas Bitte, Herr Kollege! schräg. Das sehe ich so, und das sehen große Teile mei- Bernd Lynack (SPD): ner Fraktion so. Unser Koalitionspartner sieht das Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen ohnehin so. Die kommunalen Spitzenverbände und Kollegen! Sie können sich sicherlich vorstel- sehen das so. Am allerwichtigsten ist: Die betroffe- len - Herr Kollege Bode hat ja schon darauf auf- nen Kommunen im Großraum Braunschweig se- merksam gemacht -, dass es für einen Landtags- hen das in jedem Fall so, verehrte Kolleginnen und

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Kollegen. Es ist also offensichtlich rundum richtig Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: und, ich finde, auch ein Stück weit wichtig, dass wir Vielen Dank. - Das Wort für die CDU-Fraktion hat uns deshalb auf den Weg machen, die entspre- nun Herr Kollege Plett. Bitte! chenden Regelungen wieder zurückzunehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Oppositi- Christoph Plett (CDU): on, es ist ja eben schon angeklungen: Sie können Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete des Hohen gut und gerne und natürlich vollkommen zu Recht Hauses! Die CDU unterstützt diesen Gesetzent- fragen, wie smart es von uns als SPD jetzt ist, wurf der Regierungskoalition. Der Regionalverband dass wir seinerzeit noch aktiv dafür waren und die Großraum Braunschweig bildet für die Braun- Direktwahl für den RGB gefordert haben. Die Ant- schweiger Region ein wesentliches Gremium zur wort auf diese Frage liegt auf der Hand. Ich bin Diskussion und auch zur Bündelung der Ergebnis- gerade darauf eingegangen. Des Rätsels Lösung se im Braunschweiger Land. ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Ich finde, man sollte das umsetzen, was man den Wählerin- Die Aufgaben des Regionalverbandes sind die nen und Wählern versprochen hat. Dafür gehen wir Regionalplanung und die Verkehrsplanung. Die in die Beratungen nach dieser ersten Beratung Mitglieder aus den kreisfreien Städten Braun- heute im Plenum. schweig, Salzgitter und Wolfsburg sowie den Landkreisen Gifhorn, Goslar, Helmstedt, Peine und Ich finde es richtig und wichtig, jetzt auch ein Stück Wolfenbüttel sind bisher in der Regionalversamm- weit das Positive zu betonen, nämlich dass es lung gut aufgehoben. durchaus möglich ist, eigene Entscheidungen kri- tisch zu reflektieren, zu überdenken, zu revidieren Die bisherige Entsendung der Mitglieder aus den und sich auch einzugestehen, dass vielleicht eine von mir eben genannten Kommunen hat bisher zu Sache zurückgenommen werden kann, und dann einem guten Ergebnis beigetragen. Die von den auch konsequent dazu zu stehen und dem Taten Landkreisen und Städten entsandten Mitglieder folgen zu lassen. Es ist nämlich niemals gut, wenn haben ihren Teil dazu beigetragen, dass die Identi- sich die Politik beratungsresistent zeigt und einfach fikation im Braunschweiger Land sich auf jeden nur auf der falschen Linie beharrt, um ja nur keinen Fall gut entwickelt hat und dort auch zu einer Zu- Fehler zugeben zu müssen. sammenführung der Region beigetragen hat. Wir als CDU-Abgeordnete können aus unserer Sicht (Zustimmung bei der AfD) sagen: Die Regelung hat sich bewährt. Wir sind uns auch einig, dass wir nicht in einer Eine direkte Wahl der Mitglieder - so wie es noch Welt leben wollen, in der wir immer noch über die in der letzten Legislaturperiode überlegt und um- Atomkraft oder die Rückkehr zum G 9 beraten gesetzt worden ist - ist meiner Meinung nach nicht wollen. Das sind doch Dinge, die wir auch kurz und allein zu beurteilen. Vielmehr muss der Gesamtzu- schmerzlos mit vielen Beratungen hinter uns ge- sammenhang in der Braunschweiger Region beur- bracht haben. teilt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Präsi- Ich will auf die auch im Koalitionsvertrag aufgeführ- dentin, lassen Sie uns also an die Arbeit gehen te und versprochene Regierungskommission zur und in den Fachberatungen in den Ausschüssen Kommunalreform hinweisen. Der Parlamentarische dafür sorgen, dass wir schnell wieder auf Los ste- Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion hat hen, auch damit die Menschen und vor allen Din- gerade noch einmal darauf hingewiesen, dass er gen die Kommunen in der Region Braunschweig davon ausgeht, dass diese Kommission zeitnah ganz schnell wissen, dass wir wieder auf Los ste- tätig werden wird. Jens Nacke sprach von 2018. hen. Ich finde, die 4 000 Euro Spielgeld lassen wir Wenn wir dieses Gesetz und diese Überlegung einfach auf dem Feld liegen. Auch der Finanzmi- einer Direktwahl mit der genannten Kommission in nister, der jetzt leider nicht da ist, wird sie auf dem Zusammenhang bringen, dann müssen wir fest- Feld liegen lassen; denn er ist von Anfang an nicht stellen, dass das vor diesem Hintergrund ein von Los heruntergegangen. Schritt zu viel wäre. Wir wollen vielmehr erreichen, Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. dass sich die Region organisch entwickelt. Herzlichen Dank fürs Zuhören. Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt, dass im Braunschweiger Land auf jeden Fall unterschiedli- (Beifall bei der SPD) che Interessen zu wahren sind. Ich erinnere an die

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Diskussion, die der damalige Oberbürgermeister te ich die SPD-Direktkandidaten aus der Region von Braunschweig angeregt hat. Dabei ging es um Braunschweig fragen, wie Sie sich eigentlich hier eine Region, die zur Folge gehabt hätte, dass die gerade fühlen, wenn Sie permanent Versprechen, darunter liegenden kommunalpolitischen Ebenen die Sie in Wahlkämpfen vor Ort von sich gegeben hätten aufgelöst werden müssen. Das hat erhebli- haben, sowie Dinge, die sie hier etabliert haben, chen Widerspruch hervorgerufen. Nach unserer nun auf Druck des Koalitionspartners CDU suk- Auffassung ist dieser Prozess noch nicht beendet. zessive zurückdrehen müssen. Ich stelle mir das Ich glaube, dass wir mit dem vorliegenden Gesetz- reichlich unangenehm vor, liebe Kolleginnen und entwurf, den die Landesregierung hier eingebracht Kollegen. hat, diese Probleme in den Ausschüssen noch (Beifall bei den GRÜNEN) einmal gut darlegen können. Denn ich verstehe nicht, dass Sie sich als stärkere Des Weiteren glaube ich, dass am Ende dieses Koalitionsfraktion in einer Region, in der Sie so Diskussionsprozesses gute Ergebnisse für die viele Direktkandidaten stellen, die Butter vom Brot Braunschweiger Region erreicht werden. Aus die- nehmen lassen müssen. Auch Ihre Anliegen - der sem Grunde glaube ich, dass es richtig ist, was Südniedersachsenplan, aber auch beispielsweise auch mein Vorredner von der SPD-Landtagsfrak- die von Ihnen eingeführte Direktwahl - werden tion gerade gesagt hat: Wir werden das als Auftrag zurückgedreht. Dass Sie sich das von CDU haben nehmen, die von mir geschilderten Probleme und abtrotzen lassen, finde ich für unsere Region äu- Aufgaben noch einmal Revue passieren zu lassen. ßerst bedenklich. Das gilt auch für die realen Aus- Auch für die aus dem Braunschweiger Land kom- wirkungen. menden Braunschweiger, Peiner, Wolfenbütteler, Salzgitteraner und Goslarer Abgeordneten werden Nehmen wir das Beispiel mit den Fördergeldern. wir zu einem guten Ergebnis kommen. Dazu haben wir ja hier im Parlament auch eine Anfrage gestellt. Zulasten von CDU-Hochburgen (Björn Försterling [FDP]: Helmsted- müssen Sie massiv auf europäische Fördermittel ter!) verzichten. Ich halte das für unsere Region für - Ganz genau, auch die Helmstedter werden mit einen Skandal und kann nicht verstehen, dass Sie bedacht. Vielen Dank, Herr Försterling! sich hier nicht stärker durchsetzen können. Ich freue mich auf die Beratung dieses Gesetzent- Außerdem geht es um die Frage der Verlässlich- wurfes. keit. Herr Lynack, es ist sehr interessant, dass Sie sagen, dass Sie dazulernen. Ich habe weder von Haben Sie herzlichen Dank für Ihre geschätzte Ihnen noch von dem geschätzten Kollegen der Aufmerksamkeit. CDU irgendein Argument hören können, das ge- (Beifall bei der CDU) gen die Direktwahl dieser Verbandsversammlung spricht. Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: (Beifall bei den GRÜNEN) Vielen Dank, Herr Kollege. - Es folgt nun für die Es geht auch in diesem Zusammenhang um das Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin andere Thema der Regierungszeit Ihrer GroKo, Hamburg. Bitte! nämlich um die Demokratie. Sie als Große Koaliti- on sind sich augenscheinlich einfach selbst genug. Julia Willie Hamburg (GRÜNE): Wenn Sie einen fragilen Kompromiss gefunden Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! haben - das haben wir hier schon mehrfach er- Wenn ich an die Kommunalpolitik, das Thema lebt -, dann darf an diesem nicht gerüttelt werden. Regionalförderung und das Handeln der GroKo in So ist es auch hier beim Thema Direktwahl. den letzten Monaten denke, fallen mir vor allem Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Es hat noch drei Aspekte ein: Vorstoß zur Heraufsetzung der keine einzige Direktwahl stattgefunden. Sie wollen kommunalen Fraktionsgrößen, Umverteilung der dieses Instrument begraben, bevor es überhaupt Fördermittel zulasten der Region Braunschweig jemals durchgesetzt werden konnte. Ich finde es und jetzt die Abschaffung der Direktwahl beim gerade im Hinblick auf die Idee einer Regionsbil- Regionalverband Braunschweig. dung äußerst traurig, dass Sie es der Bevölkerung Was fällt dabei auf? - Es geht viel um Demokratie nicht erlauben wollen, darüber zu entscheiden, wer und viel um die Region Braunschweig. Dazu möch- ihre Interessen in der Verbandsversammlung ver-

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tritt. Denn gerade eine Direktwahl bedingt doch, Reform gebracht hat, in der Substanz erhalten dass man sich politisch intensiv über die Themen haben. Es gibt eine Frage, die schon damals - streitet, die dort besprochen werden. Man redet auch bei uns - umstritten war, nämlich ob es eine dort über die Richtungen im Hinblick auf die Frage, Direktwahl geben soll und ob es vernünftig ist, eine wie sich die Region weiterentwickeln soll. Region direkt zu wählen, wenn es auch Kreistage gibt, ohne dass man das ineinander übergehen Sie haben eben ausgeführt, dass das den Prozess lässt. Es kann eine sinnvolle Diskussion sein, ob behindert, der dazu führen würde, dass die Region das in unserer Kommunalverfassung gut geregelt Braunschweig ihre Rolle findet. Das halte ich für ist. vollkommen verkehrt. - Sie hören mir noch nicht einmal zu. Das, was die Opposition hier sagt, Ich finde, es macht uns hier aus, dass wir in der scheint nicht wichtig zu sein. Okay. Lage sind, ab und zu dafür zu sorgen, einen Aus- Es ist aber relativ deutlich, dass gerade diese gleich herzustellen. In einer Koalition - wie immer Themen, was deren Zuständigkeiten anbelangt, sie auch geartet ist - gibt es ein Geben und Neh- klar definiert sind. Die Verbandsversammlung darf men. Dagegen kann man Sturm laufen. Vielleicht bestimmte Themen bearbeiten. Andere Themen sollte man aber darüber nachdenken, die Kraft liegen eindeutig in den Zuständigkeiten der kom- dafür aufzuwenden, die eingeleitete Reform mit munalen Gremien und werden auch nicht angetas- Leben zu erfüllen und zu gucken, zu welchem tet. Warum, liebe GroKo - beantworten Sie es Zeitpunkt man die nächsten Schritte gehen kann. mir! -, wagen Sie an dieser Stelle nicht mehr De- Vielen Dank. mokratie? - Ich finde Ihre Entscheidung äußerst traurig, das jetzt zu verändern. Wir werden dage- (Beifall bei der SPD - Helge Limburg gen Sturm laufen. [GRÜNE]: Das machen Sie ja gerade nicht! Sie würgen die Reform ab!) (Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP) Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: Vielen Dank, Herr Watermann. - Herr Kollege Lim- Vielen Dank, Frau Hamburg. - Auf Ihre Rede gibt burg, ich habe das jetzt so verstanden, dass die es eine Kurzintervention des Kollegen Watermann, Kollegin Hamburg antwortet. Bitte! SPD-Fraktion. Bitte! Julia Willie Hamburg (GRÜNE): Ulrich Watermann (SPD): Herr Kollege Watermann, um bei dem Bild von Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen Herrn Lynack zu bleiben: Sie gehen gerade nicht und Herren! Wir antworten jetzt mal nicht als Gro- Schritt für Schritt nach vorne, sondern Sie ziehen Ko, sondern als Sozialdemokraten. bei der Region Braunschweig zurück auf Los.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Oh!) (Zustimmung bei den GRÜNEN - Hel- Frau Kollegin Hamburg, es ist einfach so, dass wir ge Limburg [GRÜNE]: Richtig!) die Demokratie an vielen Ecken gemeinsam er- Ich möchte hier einmal darauf hinweisen, dass das probt haben, indem wir an vielen Punkten mitei- Ihr geschätzter Kollege ausgeführt hat. nander gerungen und Kompromisse für politische Antworten zu den unterschiedlichsten Themenfel- Natürlich bedeutet eine Koalition auch immer ein dern entwickelt haben. Der Kompromiss in einer Geben und Nehmen. Ich frage Sie aber ganz ehr- Koalition ist immer ein Geben und Nehmen unab- lich, wo für die Region Braunschweig das Geben hängig davon, ob sie eine große oder eine kleine ist. Das kann ich beim besten Willen nicht erken- ist, ob sie die Farben rot oder grün oder andere nen. Meiner Meinung nach drehen Sie hier zurück, Farben hat. Man ringt immer in der Sache um ei- und Ihre SPD-Kolleginnen und -Kollegen in der nen Kompromiss. Der Kompromiss - das habe ich Region Braunschweig haben das Nachsehen und schon oft genug gesagt - hat den wunderbaren müssen sich überall dafür rechtfertigen, warum sie Vorteil, dass die eine wie die andere Seite damit sich nicht gegen ihren Koalitionspartner durchset- gut leben kann. zen können. An dieser Stelle kann ich einfach kein fruchtbares Miteinander und keine Weiterentwick- Sie können absolut sicher sein, dass wir die fun- lung im Interesse unseres Landes erkennen. damentalen inhaltlichen Punkte, die die damalige

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Warum ausgerechnet die direkte Demokratie da- (Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz runter leiden soll, erschließt sich mir beim besten übernimmt den Vorsitz) Willen überhaupt nicht. Ja, es war damals umstrit- Interessant ist übrigens, dass hier als Rechtferti- ten. Aber, Herr Watermann, auch Sie wissen, was gung gesagt wurde: Politik muss auch einmal be- Demokratie ist. Das hat damals ja nicht allein Rot- reit sein, Fehler einzugestehen und zu korrigieren. Grün durchgesetzt, sondern es gab intensive inter- - Selbst wenn es ein Fehler wäre, so ist er noch fraktionelle Gespräche, in denen wir es beinahe gar nicht gemacht worden; denn es ist noch gar geschafft hätten, auch mit der CDU eine Einigung nicht direkt gewählt worden. zu erzielen. Das ist aber leider nicht gelungen. Wir haben aber die FDP mit an Bord gehabt, sodass (Zustimmung bei der FDP und bei den wir in diesem Parlament eine deutlich größere GRÜNEN - Helge Limburg [GRÜNE]: Mehrheit hatten als nur unsere rot-grüne Koaliti- Richtig!) onsmehrheit. Das ist schon eine schöne Prophezeiung gewe- Demokratie ist auch, eine Entscheidung zu treffen, sen, dass man gesagt hat: Na ja, das wäre ein wenn weite Teile eines Parlamentes das für richtig Fehler gewesen; deshalb machen wir es schon halten. Meistens können doch gerade in solchen jetzt rückgängig, bevor wir den Fehler überhaupt Situationen dann, wenn sich viele Parteien auf begehen können. - Nein, eine andere Tatsache hat etwas einigen, gute verlässliche Rahmenbedin- hier eine Rolle gespielt. Die CDU wollte das da- gungen gefunden werden. Schade, dass es an mals nicht. Der CDU-Landesverband Braun- dieser Stelle offensichtlich noch nicht gereicht hat. schweig wollte noch einmal groß auftrumpfen. Man Wir können politische Meinungen aber auch wieder wollte in den Koalitionsverhandlungen ein deutli- drehen. ches Zeichen dahin gehend setzen, dass man in den Koalitionsverhandlungen als CDU-Landes- (Beifall bei den GRÜNEN) verband Braunschweig ein gewichtiges Wort mitzu- reden hat. Dann hat man sich entschieden zu sa- Präsidentin Dr. Gabriele Andretta: gen: Unser politisches Kalkül, unsere politische Vielen Dank. - Es folgt nun für die FDP-Fraktion Botschaft als CDU-Landesverband ist, dass wir der Abgeordnete Försterling. Bitte! nicht wollen, dass die Menschen über die Zusam- mensetzung der Verbandsversammlung direkt Björn Försterling (FDP): abstimmen. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Das Ziel scheint sozusagen darin bestanden zu Herren! Es ist schon erstaunlich, dass dieser Ge- haben, die Verbandsversammlung nach wie vor setzentwurf der Landesregierung nicht von der dafür zu nutzen, altgedienten Kommunalpolitikern Landesregierung eingebracht wird. Dann hätte sich dann, wenn sie vom politischen Leben Abschied nämlich der Innenminister hier hinstellen und erklä- nehmen, noch eine Art Betthupferl zu geben. Ge- ren müssen, warum er in der letzten Legislaturpe- nau so stellt sich mancherteils auch diese Ver- riode noch einen anderen Gesetzentwurf vertreten bandsversammlung dar. Ich empfehle jedem, ein- hat. Das wäre ihm wahrscheinlich schwerer gefal- fach mal die Broschüre des Regionalverbands len als dem Kollegen Watermann, der es eigentlich aufzumachen, in der alle Verbandsmitglieder ab- auf den Punkt gebracht hat, als er gesagt hat: Na gedruckt sind. Dann kann man sich sein eigenes ja, bei uns gab es ehrlicherweise auch damals Bild von dieser Verbandsversammlung machen. schon Zweifel daran, ob das so richtig ist. Die CDU Wenn man sich dann noch ein bisschen tiefer die wollte das in den Koalitionsverhandlungen unbe- politisch wegweisenden Beschlüsse dieser Ver- dingt so haben. Also haben wir es ihr gegeben, bandsversammlung anschaut, sieht man, dass es und wir haben uns dafür etwas genommen - ich vielleicht eines anderen Systems bedürfte, um kenne jetzt aber die Details über die internen Ver- diesen Regionalverband zu dem schlagkräftigen handlungen zu wenig -, was uns wichtiger gewe- Regionalverband zu machen, den wir uns wün- sen ist. schen. (Ulrich Watermann [SPD]: Da können Es kann doch nicht sein, dass wir alle heute Vor- Sie sicher sein!) mittag darüber geredet haben, wie wichtig es ist, künftig auch Windparks auszuweiten, während es So wird es gewesen sein. Deswegen wird die Di- der Regionalverband Brauschweig mit seiner Ver- rektwahl jetzt wieder rückgängig gemacht. bandsversammlung seit Monaten und Jahren nicht

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schafft, in der Region Braunschweig Windvorrang- haben. Vielleicht begreifen Sie aber auch nicht, wo flächen auszuweisen. Man kann für oder gegen die Sie in die falsche Richtung laufen. Deshalb fehlt es einzelnen Flächen sein. In der Tat schafft es aber Ihnen auch an Mut, weil es Ihnen schon an Ein- der Regionalverband nicht, das voreinanderzube- sicht fehlt. kommen. Eine Stärkung der Verbandsversamm- Wie dem auch sei: Es mutet auf jeden Fall merk- lung hätte vielleicht dazu beigetragen, dass der würdig an, dass das der Grund sein soll. Man hätte Regionalverband auch in seiner Arbeit gestärkt es zunächst einmal austesten können; denn die wird. erste Direktwahl stand ja erst noch an. Diese wird (Zustimmung bei der FDP und bei den es jetzt nicht mehr geben. GRÜNEN) Warum schenken Sie den Leuten nicht reinen Spannend ist auch, dass man nur die Direktwahl Wein ein und sagen ihnen - das wurde eben schon zurückdreht. Man dreht aber nicht den Aufgaben- angesprochen -, dass es aufgrund der Koalitions- zuwachs beim Regionalverband zurück. Auch der verhandlungen so gekommen ist, wie es jetzt ist. Verbandsrat, der damals geschaffen worden ist, Sie haben sich da nicht durchsetzen können bzw. damit die Hauptverwaltungsbeamten mitreden wollten das vielleicht auch gar nicht und haben können, wird nicht zurückgedreht. Das einzige, einen Kuhhandel gemacht. Wie auch immer. was zurückgedreht wird, ist die direkte Beteiligung Das führt dazu - auch das ist schon angeklungen -, der Bürger am Kommunalwahltag bei der Ent- dass die direkte Demokratie bzw. die direkte Betei- scheidung über die Zusammensetzung der Ver- ligung der Bürger nicht gestärkt wird. Das ist et- bandsversammlung. was, was wir von der AfD als Verfechter von mehr Ganz ehrlich: Wenn man sagt, dass der Regional- Demokratie, als die wahren Demokraten in diesem verband dazu beitragen soll, das Braunschweiger Hause natürlich bedauern müssen. Land zu stärken, eine Einheit des Braunschweiger (Beifall bei der AfD) Landes zu formieren, warum sollen dann die Men- schen, die zusammenwachsen sollen, nicht auch Hinzu kommt: Wenn Sie die Region Braun- darüber abstimmen, wer dieses Zusammenwach- schweig - die Landkreise wurden eben ja schon sen in der Verbandsversammlung organisieren alle aufgeführt - wirklich effektiv stärken wollen, soll? - Das ist wirklich ein Armutszeugnis für die dann wäre es richtig, eine Versammlung zu haben, direkte Demokratie. die auch eine direkte demokratische Legitimation hat. Wenn Sie diese Stärkung aber nicht wollen (Beifall bei der FDP und bei den und stattdessen wollen, dass es dort so weitergeht GRÜNEN) wie bisher, dann ist es sicherlich richtig, wieder dorthin zurückzukehren, wo Sie schon einmal wa- Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: ren. Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die AfD-Fraktion Noch einmal: Angesichts der Erosion der Demo- hat sich der Abgeordnete Christopher Emden zu kratie, die ich hier in diesem Hause schon öfter Wort gemeldet. angesprochen habe, ist es sicherlich ein Schritt in die verkehrte Richtung, wenn man Demokratie Christopher Emden (AfD): reduziert, statt sie zu stärken. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Her- ren! Ach, würden Sie von der Landesregierung Danke. doch häufiger mal auf die Idee kommen, etwas (Beifall bei der AfD) noch einmal zu überdenken, eine Fehlentwicklung zu erkennen und Dinge zurückzudrehen! Das wür- Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: de diesem Land, glaube ich, verdammt guttun. Das Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen keine wei- passiert aber leider nur höchst selten. teren Wortmeldungen vor. Jetzt haben wir von der SPD gehört: Ja, das war Wir kommen zur Ausschussüberweisung. ein Versehen. Ein Jahr nach der Einführung haben wir gesehen, dass es doch nicht das Richtige war. Federführend soll der Ausschuss für Inneres und Man muss das jetzt korrigieren, und man hat auch Sport sein, mitberatend der Ausschuss für Rechts- den Mut, etwas zu korrigieren. - Ich habe bisher und Verfassungsfragen. Wer dem zustimmen will, nicht den Eindruck gehabt, dass Sie dafür den Mut den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstim-

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men? - Enthaltungen? - Sehe ich nicht. Damit ist Außerdem wollen wir den Versuch unternehmen, der Gesetzentwurf einstimmig überwiesen. dass insbesondere bei den Fanprojekten in der 3. Liga - weil dort die finanziellen Mittel nicht so Wir kommen jetzt zum stark ausgeprägt sind - die zur Verfügung stehen- den Mittel von der DFL komplett gegenfinanziert werden. Das ist zumindest das Ziel. Tagesordnungspunkt 10: Abschließende Beratung: Wir fordern zugleich, dass sich der Fußball stärker Fan(sozial)arbeit stärken: Fanprojekte in Nie- engagiert, insbesondere bei den Fanprojekten in dersachsen besser ausstatten - Antrag der Frak- der Bundesliga und in der 2. Bundesliga. Ich bin tion der FDP - Drs. 18/83 - Beschlussempfehlung davon überzeugt, dass wir einen guten Kompro- des Ausschusses für Inneres und Sport - miss vorlegen. Drs. 18/1412 In Oldenburg finden derzeit Diskussionen statt, auch dort ein Fanprojekt auf den Weg zu bringen. Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag mit Daher hoffe ich, dass wir demnächst ein sechstes Änderungen anzunehmen. Fanprojekt an den Start bringen, das wir von Lan- desseite fördern können. Wir treten jetzt in die Beratung ein. Von der an- tragstellenden FDP-Fraktion hat das Wort der Kol- Nochmals vielen Dank für die gute Beratung im lege Jan-Christoph Oetjen. Bitte! Ausschuss. (Beifall bei der FDP und bei den Jan-Christoph Oetjen (FDP): GRÜNEN sowie Zustimmung bei der Hochverehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegin- SPD und der CDU) nen und Kollegen! Ich möchte mich zu Beginn der abschließenden Beratung zu diesem Entschlie- Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: ßungsantrag bei allen Fraktionen für die sehr kon- Ich danke Ihnen auch. - Für die SPD-Fraktion hat struktive Beratung bedanken. Sie hat zwar ein sich die Abgeordnete Dunja Kreiser gemeldet. bisschen Zeit in Anspruch genommen, aber gut Ding will ja Weile haben. Heute können wir jeden- Dunja Kreiser (SPD): falls gemeinsam einen guten Beschluss hier im Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Da- Niedersächsischen Landtag treffen. men und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Das Thema Fanprojekte hatten wir als FDP- gen! Seit 1993 müssen die Clubs in der Bundesli- Fraktion schon in der vergangenen Legislaturperi- ga und in der 2. Bundesliga Fanbeauftragte be- ode in den Niedersächsischen Landtag einge- nennen. Waren diese zunächst meist ehrenamtlich bracht. Unser Ziel ist es, die Arbeit der Fanprojekte tätig, müssen sie seit der Saison 2011/2012 in Niedersachsen zu stärken. Fünf Projekte sind hauptamtlich tätig sein. Das sieht das „Nationale derzeit am Start: in Wolfsburg, in Hannover, in Konzept Sport und Sicherheit“ vor. Braunschweig, in Osnabrück und in Meppen. Die- Nachdem die Lizensierungsbedingungen den Ver- se Projekte leisten vor Ort einen wichtigen Beitrag einen einen intensiven und transparenten Dialog zur Präventionsarbeit und für den Dialog mit Fuß- mit ihren Fanszenen vorgeschrieben haben, wurde ballfans. Ich möchte mich an dieser Stelle bei all die Zahl der hauptamtlichen Fanbeauftragten auf denjenigen bedanken, die in den Fanprojekten mindestens zwei erhöht. Auch die Vereine der diese wichtige Arbeit verrichten. 3. Liga müssen einen Fanbeauftragten benennen. Finanziert werden die Fanprojekte je zur Hälfte aus Dieser ist zumeist ehrenamtlich tätig. Landes- und kommunalen Mitteln und aus Mitteln In Niedersachsen gibt es zurzeit fünf Projekte - der Deutschen Fußballliga. 30 000 Euro erhalten Herr Oetjen hat sie gerade aufgeführt; ich zähle sie die Fanprojekte derzeit vom Land; hinzu kommen jetzt nicht noch einmal auf -, bundesweit gibt es 59 kommunale Mittel in unterschiedlicher Höhe sowie Projekte. Fußball-Fanprojekte begegnen gewalt- die Komplementärmittel seitens der DFL. förmigem Verhalten sowie rassistischen oder Wir haben das Ziel - das wollen wir heute be- rechtsextremistischen Einstellungen in der Fan- schließen -, diese Mittel deutlich aufzustocken. szene. Für uns ist es wichtig, dass die Anliegen „Deutlich aufstocken“ heißt: Wir wollen, dass alle der Fanbeauftragten und der Fans angehört wer- Fanprojekte mindestens 50 000 Euro bekommen. den. Insbesondere in den 3. Ligen gibt es oftmals

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mehr Probleme als in der Bundesliga und in der Dunja Kreiser (SPD): 2. Bundesliga, sodass wir eine Anhebung auf min- Fußball ist nicht der wichtigste Sport auf der Welt - destens 50 000 Euro pro Fanprojekt fordern. Das außer vielleicht in Braunschweig -, aber ganz si- gilt vor allem für die 3. Liga und darunter. cher der am besten besuchte. Die Unterstützung In der Sitzung des Innenausschusses am 19. De- der Fansozialarbeit ist, wie vorhin erläutert, ein zember 2017 plädierte der Kollege Jan-Christoph wichtiges Konzept für die Zusammenarbeit in der Oetjen auf eine gemeinsam getragene Beschluss- Gesellschaft. empfehlung, um aus der Mitte des Parlaments das Danke. Signal zu senden, dass die Arbeit der Fanprojekte nicht nur wertgeschätzt wird, sondern auch stärker (Beifall bei der SPD sowie Zustim- finanziell unterstützt werden müsste. Sehr geehrte mung bei der CDU und bei der FDP) Damen und Herren, ich teile diese Auffassung des Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: Kollegen Oetjen uneingeschränkt. Danke auch Ihnen. - Für die CDU-Fraktion spricht Mit dem jetzt geeinten Antrag ist die deutliche fi- nun der Abgeordnete André Bock. Bitte schön! nanzielle Unterstützung gewährleistet. Aber nicht nur das. Wir fordern mit diesem Antrag zugleich (Beifall bei der CDU) mehr Kofinanzierung durch den DFL und den DFB in der Bundesliga und in der 2. Bundesliga. André Bock (CDU): Dadurch können die Mittel von Land und Kommu- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe nen in der 3. Liga und darunter gezielter eingesetzt Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über Fußball werden. sprechen - vielleicht über das letzte Spiel des Her- zensvereins, etwa des HSV, (Glocke der Präsidentin) (Jörg Bode [FDP]: Du meintest jetzt - Ich sehe, meine Zeit ist knapp. Hannover, oder?) Uns allen muss klar sein: Fansozialarbeit ist in oder über das Spiel des SV Drochtersen/Assel erster Linie eine Form der Jugendsozialarbeit, sie gegen den FC Bayern München am vergangenen unterstützt aber auch junge Erwachsene bis 27 Wochenende; ein großes Ereignis im Landkreis Jahren. Sie hilft jungen Menschen, sich nicht von Stade -, haben wir zunächst die besten Spielsze- extremistischen Gruppierungen verleiten zu lassen nen, die Torchancen und im besten Fall natürlich oder gewalttätig zu werden. Fansozialarbeit ist auch Tore vor Augen. somit wichtig für die gesamte Gesellschaft. Fanbe- auftragte leisten, wie Herr Oetjen es bereits ausge- Hier und dort muss aber leider auch über Gewalt- führt hat, eine wertvolle Aufgabe. Ihnen gilt es szenen bei Fußballspielen gesprochen werden, unseren Dank auszusprechen. weil nicht immer alles so friedlich verläuft, wie man sich das beim Fußball wünscht. Wenn so viele (Glocke der Präsidentin) Menschen aufeinandertreffen und beim Spiel emo- tional in Wallung geraten, dann kommt es zu un- Ich will es kurz machen. Für uns ist es wichtig, schönen Szenen. Außerdem locken sportliche dass die Fußballfans in Niedersachsen, die viel Großveranstaltungen immer wieder auch die so- Zeit und Kraft in die Unterstützung ihrer Clubs genannten Chaoten an, wobei ich Gewalt in und investieren, sich weiter mit ihrem Verein identifizie- um Stadien nicht per se als fußballspezifisches ren können. Mit der zunehmenden Kommerzialisie- Problem bezeichnen würde. rung entfremdet sich die Anhängerschaft zuneh- mend von ihren Clubs. Deshalb ist die Fortführung Insofern ist es gut, dass es neben anderen wirk- der Fandialoge von großer Bedeutung. samen Mitteln gegen Gewalt auch die Fansozial- arbeit gibt, eine Form der Jugendsozialarbeit. Hier Prävention, also Fansozialarbeit, kann und darf in Hannover übt man das bereits seit Mitte der nicht nur als Rand- und Problemgruppenarbeit 80er-Jahre aus. Hier wurde es initiiert und seitdem verstanden werden, sondern sie setzt besonders praktiziert. Das jüngste Projekt läuft seit 2014 in beim Fußball in der Mitte der Gesellschaft an. Meppen.

Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: Fahrten zu Auswärtsspielen, Informationsveran- staltungen, Filmvorführungen, Freizeitkultur und Letzter Satz, Frau Kollegin! erlebnispädagogische Angebote, Drogen-, Gewalt-

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und Extremismusprävention - das Repertoire an Jens Ahrends (AfD): Fanprojekten ist enorm groß und deckt die vielen Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und verschiedenen Facetten von Fußball ab. Fanpro- Herren! Wir machen es kurz und schmerzlos. Der jekte sind mehr als nur die Betreuung von vor- Antrag der FDP, Fanprojekte finanziell stärker zu nehmlich jungen Fußballfans. Wer sich einmal fördern, wird von der Fraktion der AfD unterstützt. damit beschäftigt, stellt ganz schnell fest: Fanpro- Wir sehen in den Fanprojekten eine wichtige Ju- jekte zeigen Wirkung. Das jüngste Beispiel in Mep- gendsozialarbeit, die der Gewaltprävention dient pen zeigt: Dort sind Fanrandale und Stadionverbo- und damit den Fußball sicherer macht. te deutlich zurückgegangen. Wir würden uns wünschen, dass jede Art von Ext- Der Landtag und die Landesregierung beschäfti- remismus in diesen Projekten abgelehnt wird. Das gen sich heute nicht das erste Mal mit diesem wäre schön. Thema. Die Fansozialarbeit stand auch in den vergangenen Jahren immer wieder auf der Tages- Fanprojekte sind eine sozialpädagogische Maß- ordnung. Daher ist es genau richtig, von Zeit zu nahme, und sie genießen bei den Fans hohe Ak- Zeit hinzuschauen und zu fragen: Wo stehen wir zeptanz und Vertrauen. Sie sind Austauschplatt- heute? Wo können wir nachsteuern und noch bes- formen zwischen den Vereinen, den Stiftungen, ser unterstützen? den Ordnungsdiensten und Sicherheitsbeauftrag- ten sowie der Polizei. So gesehen, erfüllen sie eine Für die CDU war und ist es das Ziel, sozusagen wichtige Aufgabe in der Betreuung von Jugendli- noch eine Schippe draufzupacken. Für die guten chen und jungen Erwachsenen, und sie helfen, Fanprojekte! Vor allem aber - das ist auch bei mei- präventiv gegen gewalttätige Ausschreitungen nen Vorrednern bereits angeklungen - soll die Si- vorzugehen. tuation in der 3. Liga und darunter in den Fokus Die geforderte finanzielle Unterstützung der 3. Liga genommen und gestärkt werden; denn auch dort ist nicht vollumfänglich in die Beschlussempfeh- geht es darum, mehr Mittel zur Verfügung zu stel- lung eingeflossen. Aber wir denken, dass ab der len und letztlich Kofinanzierungsmittel von DFL 3. Liga Finanzmittel in Höhe von 50 000 Euro pro und DFB besser ausschöpfen zu können. Darüber Fanprojekt ausreichend sein sollten, zumal das hinaus muss, so wie es Uwe Schünemann in sei- nach oben offen ist. ner Zeit als Minister getan hat, weiter intensiv auf ein noch stärkeres Engagement von DFL und Wir begrüßen ausdrücklich, dass eine Aufteilung Deutschem Fußballbund gerade in den beiden der Kosten vorgesehen ist - Mittel aus der Finanz- ersten Ligen hingewirkt werden. Zunächst aber gilt hilfe für den LandesSportBund Niedersachsen, es, die aktuell laufenden fünf Projekte besser aus- Mittel der Jugendhilfe - und dass die Kofinanzie- zustatten und nachhaltig weiter zu unterstützen. rungsmittel von DFB und DFL ausgeschöpft wer- den sollen. Ich freue mich sehr, dass wir zu einer gemeinsa- men Beschlussempfehlung gekommen sind. Jan- Wir halten dies im Hinblick auf die zu verhindernde Christoph Oetjen, die FDP hat einen weitgreifen- Gewalt für dringend angebracht. Aus diesem den Antrag vorgelegt. Wir lassen uns künftig - so Grund unterstützen wir den Antrag der FDP. sehen es die fünf Punkte der Beschlussempfeh- Vielen Dank. lung - jährlich über die Fansozialarbeit unterrich- ten. An der einen oder anderen Stelle kann man (Beifall bei der AfD) daher gerne nachsteuern, falls es da Bedarf gibt. Ich freue mich jedenfalls auf den gemeinsamen Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: Beschluss. Vielen Dank, Herr Ahrends. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Belit Vielen Dank. Onay, bitte! (Beifall bei der CDU sowie Zustim- mung bei der SPD und der FDP) Belit Onay (GRÜNE): Vielen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Mei- Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: ne sehr geehrten Damen und Herren! Auch mei- nerseits ganz herzlichen Dank an Jan-Christoph Vielen Dank, Herr Bock. - Für die AfD-Fraktion der Oetjen und auch an die FDP für diesen Antrag! Abgeordnete Ahrends! Auch in der jetzigen Fassung - die Große Koalition

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hat den Antrag etwas abgespeckt - können wir ihn Boris Pistorius, Minister für Inneres und Sport: mittragen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits im vergangenen Jahr hatte ich eine Es ist schon viel gesagt worden: Fanprojekte sind bessere finanzielle Ausstattung der niedersächsi- ungemein wichtig. Der Innenausschuss hat in den schen Fanprojekte gefordert. Umso mehr freuen letzten Jahren Polizeieinsätze bei größeren Spie- mich dieser Entschließungsantrag und die frakti- len begleiten und mit Vertreterinnen und Vertretern onsübergreifende Zustimmung zu ihm. Das ist ein von Fanprojekten sprechen können. So haben wir wichtiges, ein gutes Signal. uns über die Arbeit vor Ort informieren können, darüber, was dort geleistet wird, was dort gemacht An den fünf Standorten, die schon genannt wur- wird, nicht nur bei Hochrisikospielen, bei wirklich den, wird wirklich hervorragende Arbeit geleistet. schwierigen Konstellationen, sondern 365 Tage im Es wäre schön, wenn demnächst Oldenburg dazu- Jahr. käme.

Die Arbeit der Fanprojekte ist tatsächlich sehr Die Arbeit der Fanprojekte ist ein wichtiger Be- kleinteilig. Das passt dazu, wie die „Kurven“, wie standteil der Gewaltprävention im Zusammenhang die Fanszenen aufgestellt sind. Wir haben in Nie- mit Fußballspielen in Niedersachsen. Über die dersachsen sehr bunte „Kurven“. Sehr gute Arbeit - Fanprojekte haben wir - Belit Onay hat recht: Man vielfach soziale Arbeit - wird dort gemacht und darf keine übersteigerten Erwartungen damit ver- auch von den Fans mitgetragen. Zum Beispiel binden - die Chance, vor allem junge Menschen zu haben die Fans hier in Hannover Turniere mit erreichen, bevor sie in gewalttätige oder sonst Flüchtlingen veranstaltet. In Braunschweig gibt es fragwürdige Teile der Szene geraten. Das ist der aktuell eine sehr starke Sensibilisierung für Demo- eigentliche Ansatz. Diejenigen, die bereits gewalt- kratie, beispielsweise im Rahmen des Protests tätig sind oder sich weit entfernt haben, erreichen gegen das anstehende Polizeigesetz. Ein breites wir mit den Fanprojekten in der Regel nicht mehr. Bündnis setzt sich demokratisch gegen Rassis- Wir haben in der Vergangenheit bei Fußballspielen mus, für eine vielfältige „Kurve“ und für eine vielfäl- und vor allem auf dem Weg dorthin immer wieder tige Gesellschaft ein. erlebt, dass Chaoten - in einigen Fällen muss man Die Fansozialprojekte zu stärken, ist gut. Man soll- konkreter und präziser sagen: Kriminelle - den te aber nicht zu viel Hoffnung in sie setzen. Denn Fußball für ihre Gewaltorgien missbrauchen. Daran die gewaltbereite Szene erreicht man nur schwer. wird deutlich: Wir müssen die friedliche Fankultur Gerade wenn es um Hooligans geht, ist das in den Stadien in ganz Deutschland weiter stärken schwierig. Es kommt dann eher darauf an, wie die und unterstützen. Dazu gehört dann eben auch „Kurve“, die Fanszene, die Ultras usw. aufgestellt eine bessere finanzielle Ausstattung der Fanpro- sind. Sie sind eine der größten Jugendbewegun- jekte. gen. Wenn sie zur Selbstkontrolle in der Lage sind, Ich habe im vergangenen Jahr intensive und sehr dann können sie Menschen heraushalten, die nur konstruktive Gespräche mit Vertretern aller nieder- Gewalt, Rassismus und all das Schlechte in die sächsischen Fanprojekte geführt, mit den Fanbe- „Kurven“ bringen, dann können sie sich vor sol- auftragten der niedersächsischen Fußballklubs chen Menschen schützen. Dabei werden sie von und Vertretern der bundesweiten Interessenge- den Fansozialprojekten gestärkt. meinschaft aktiver Fußballfans, die sich „Unsere Kurve“ nennt. Durch die Gespräche hat sich ge- Insofern werden wir diesen Antrag mittragen. zeigt, dass die präventive Arbeit der Fanprojekte Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. mit der Fanszene enorm wichtig ist. Sie arbeiten direkt an der Basis, genießen Vertrauen, nehmen (Beifall bei den GRÜNEN sowie Zu- Probleme und Entwicklungen unmittelbar wahr und stimmung bei der SPD, bei der CDU machen - das kann man ohne Einschränkung sa- und bei der FDP) gen - vor Ort einen sehr wichtigen und richtig guten Job. Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: (Zustimmung bei der SPD) Vielen Dank, Herr Kollege Onay. - Zur abschlie- Meine Damen und Herren, umso mehr bedaure ßenden Beratung hat sich der Minister für Inneres ich, dass wir heute den einschlägigen Medien ent- und Sport, Boris Pistorius, zu Wort gemeldet. nehmen mussten, dass die Fanszene auf Bundes-

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ebene den Dialog mit den Verbänden abgebro- Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. chen und für beendet erklärt hat. Ich halte das für Die erste Wortmeldung ist die Wortmeldung der ein falsches Signal, will aber gar keine Schuldzu- Abgeordneten Gerda Hövel aus der CDU-Fraktion. weisungen machen. Ich werde auch in den nächs- Bitte! ten Monaten an meinem Angebot zum Dialog mit den Fanprojekten und Fanszenen vor Ort festhal- (Vereinzelt Beifall) ten. Denn ich glaube, alles ist in dieser Situation besser, als nicht miteinander zu reden. Gerda Hövel (CDU): Mit der Erhöhung des Landesanteils um mehr als Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen 50 % auf eine Fördersumme von 50 000 Euro pro und Kollegen! Ich habe Sie in der letzten Plenarsit- Projekt versetzen wir die Fanprojekte in die Lage, zung bei der Einbringung des vorliegenden An- ihre gute Arbeit zu intensivieren und weiter auszu- trags in meinen Wahlkreis mitgenommen. Ich habe bauen. Wenn wir den Landesanteil an der Finan- an den tragischen Unfalltod von vier jungen Men- zierung der Fanprojekte erhöhen, hat dies einen schen in Dissen erinnert und versucht, das Thema weiteren positiven Effekt, der schon beschrieben „begleitetes Fahren ab 16“ noch ein Stück näher wurde, nämlich dass sich dadurch auch die Beteili- an uns heranzuziehen, noch näher, als es die be- gungen von DFL und DFB erhöhen. Die nieder- stimmt schon sehr aussagekräftigen Zahlen und sächsischen Fanprojekte stehen dann auch im Statistiken möglich machen. Bundesvergleich sehr gut da. Deswegen findet Damals zeichnete sich hier im Plenum schon eine dieser Entschließungsantrag meine volle Unter- große Übereinstimmung ab, die sich im weiteren stützung. Verlauf der Fachausschusssitzung dann auch kon- Vielen Dank. kretisierte. Jetzt hoffe ich, dass wir den heutigen Tagungsabschnitt mit einem gemeinsamen Be- (Beifall bei der SPD sowie Zustim- schluss beenden können, so wie es bei dem vor- mung bei der CDU und bei der FDP) hergehenden Antrag gerade so gut geklappt hat. Denn wir sollten gemeinsam dazu beitragen, dass Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: sich die Zahl der Unfallopfer bei Fahranfängern Vielen Dank, Herr Minister. ebenso weiter verringert wie die Zahl der Fahrfeh- ler und der Ordnungswidrigkeiten. Wir sollten ge- Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses meinsam unseren Beitrag dazu leisten, zukünftiges folgen und damit den Antrag der Fraktion der FDP Leid zu verhindern, und dazu, dass Niedersachsen in der Drucksache 18/83 in geänderter Fassung - beim Schutz der Risikogruppe der Fahranfänger vorliegend in Drucksache 18/1412 - annehmen will, weiter vorangeht. den bitte ich um ein Handzeichen. - Der Antrag ist angenommen. Ein Modellprojekt zum begleiteten Fahren mit 16 aufzulegen, ergibt Sinn; darin sind wir uns einig. Ich glaube, mit der Erhöhung der Mittel gibt dieser Der Erfolg des begleiteten Fahrens ab 17 unter- Landtag ein gutes Signal für den Ausbau, die Stär- mauert unser Projekt. Darüber hinaus hat der kung und vor allem die Anerkennung der Fansozi- Deutsche Verkehrssicherheitsrat seine Unterstüt- alarbeit. Ihnen vielen Dank dafür! zung dieses Vorhabens in den letzten Wochen Wir kommen jetzt zum erneut bekräftigt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Erfahrung ist die Währung, die auf der Straße zählt. Der Zusam- Tagesordnungspunkt 11: menhang zwischen Fahrpraxis und einer umsichti- Abschließende Beratung geren, rücksichtsvolleren und unfallfreieren Fahr- Begleitetes Fahren ab 16 - Antrag der Fraktion weise ist evident. Deshalb müssen wir auch alles der SPD und der Fraktion der CDU - Drs. 18/1072 tun, um Fahranfänger für das begleitete Fahren zu - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt- gewinnen, und zwar von Anfang an. schaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung - Drs. 18/1373 (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Heutzutage machen viele Jugendliche den Führer- schein erst kurz vor ihrem 18. Geburtstag. Es ist Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag unver- bedauerlich, dass so wenige das Jahr, das ihnen ändert anzunehmen. zum begleiteten Fahren zur Verfügung steht, nicht

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vollständig nutzen. Etwa 3 000 bis 5 000 km Fahr- Herr Schulz-Hendel, Sie bemerkten in der letzten leistung sind für einen stabilen Sicherheitsgewinn Sitzung sinngemäß, wer das begleitete Fahren mit notwendig, und - da sind wir uns alle einig - das 16 Jahren unterstütze, der müsse Menschen mit schafft man nun einmal nicht in wenigen Monaten. 16 auch wählen lassen. Mein lieber Herr Kollege, Deshalb ist es wichtig, dass sich Niedersachsen Sie müssen den Antrag schon genau lesen! Wir zusammen mit anderen Bundesländern auf euro- möchten das begleitete Fahren mit 16 ermögli- päischer Ebene für die Herabsetzung des Min- chen. Wenn Sie dieses Prinzip auf das Wählen destalters für den Führerschein einsetzt. übertragen: Wie soll das aussehen? Sollen Be- gleitpersonen in der Wahlkabine darauf achten, Da scheint sich heute über die Fraktionen hinweg dass das Kreuz an der richtigen Stelle gemacht ein breiter Konsens abzuzeichnen. Nur die Vertre- wird? ter einer Fraktion dieses Hauses müssen wir noch restlos überzeugen. Schon in der ersten Lesung (Beifall bei der CDU und bei der AfD - klangen die Kritikpunkte der Bündnis 90/Die Grü- Jens Nacke [CDU]: Das finde ich ein nen an. Ich hoffe, dass es heute gelingt, sie restlos schlüssiges Argument!) auszuräumen. Das haben Sie - so hoffe ich jedenfalls - sicherlich Ihr größter Kritikpunkt ist, dass wir fordern, mit der nicht ernst gemeint. Versicherungswirtschaft Anreize für eine höhere Stimmen wir alle diesem wichtigen Antrag zu! Uns Beteiligung von Fahranfängern beim begleiteten eint doch die Fürsorge für die Fahranfänger und Fahren ab 16 zu diskutieren und dafür zu werben. die Erhöhung der Verkehrssicherheit insgesamt. Aber Ihre Unterstellungen in diesem Zusammen- hang sind nicht gerade zielführend, und deshalb Ich danke Ihnen. will ich sie hier auch nicht wiederholen. Wir möch- (Beifall bei der CDU und bei der SPD) ten, dass möglichst viele junge Menschen Zugang zu verstärkter Fahrpraxis bekommen. Deshalb ist Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: es völlig legitim, dass wir um breite Unterstützung für dieses Projekt werben. Da können finanzielle Vielen Dank, Frau Hövel. - Zu Ihrem Redebeitrag Anreize, wie sie einige Versicherungsunternehmen liegt eine Kurzintervention des Kollegen Schulz- bereits anbieten, ein zusätzlicher Baustein sein. Es Hendel von der Fraktion der Grünen vor. Bitte, geht darum, Fahranfängern interessante Möglich- 90 Sekunden! keiten aufzuzeigen. Anreizsysteme, die sicheres Fahren belohnen, sind wichtig. Detlev Schulz-Hendel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Herr Schulz-Hendel, Sie sagen, es sei kein Defizit, Frau Hövel, wenn Sie aufmerksam zugehört hät- dass nicht alle Jugendlichen sofort mit 17 - oder ten, hätten Sie die Punkte, die Sie jetzt von sich bald mit 16 - ihren Führerschein machen. Die jun- gegeben haben, nicht von sich gegeben. gen Leute, die ihn nicht machen - so habe ich das verstanden -, übernähmen Verantwortung; schließ- Ich habe keine Unterstellung bezüglich der Versi- lich sei ja der ÖPNV das viel bessere, weil ökologi- cherungswirtschaft betrieben, sondern ich habe im schere Transportmittel. - Herr Schulz-Hendel, mein Ausschuss - wie ich es auch schon im Landtag Wahlkreis liegt im ländlichen Raum. Bei uns fahren getan habe - lediglich angemerkt, dass ich davon junge Menschen nicht aus reiner Bequemlichkeit ausgehe, dass die Versicherungswirtschaft das mit dem Auto, sondern weil sie ihre Schule oder begleitete Fahren für 16-Jährige sehr eigenver- ihren Ausbildungsplatz mit vertretbarem Zeitein- antwortlich in ihren Versicherungsverträgen be- satz erreichen müssen. Der ÖPNV ist bei uns nicht rücksichtigen wird, nämlich so wie das begleitete so komfortabel wie in den Städten. Fahren für 17-Jährige auch. Das war überhaupt keine Unterstellung. Wir fordern nicht, dass jeder Jugendliche den Füh- rerschein erwerben soll. Wir wollen lediglich, dass Zweitens. Wenn ich davon rede, dass immer mehr die jungen Menschen, die ein Auto steuern möch- Jugendliche auf das Statussymbol Auto verzichten, ten, dies mit genügend Erfahrung tun. Das ist doch dann geht das nicht gegen das begleitete Fahren kein Argument gegen die Nutzung anderer Ver- mit 16, sondern ist ein Hinweis darauf, dass sich kehrsmittel! Auch das Autofahren wird zukünftig die Bedürfnisse der Jugendlichen an vielen Stellen wesentlich emissionsärmer sein. verändern.

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(Beifall bei den GRÜNEN - Helge pretieren. Das Zweite ist, dass das Thema Wahlal- Limburg [GRÜNE]: Zum Glück!) ter 16 überhaupt nichts damit zu tun hat, ob man mit 16 begleitet fährt. Drittens. Ich werde richtig sauer, wenn Sie hier engagiert für junge Menschen im Alter von 16 Jah- (Beifall bei der CDU und bei der AfD - ren kämpfen - was total richtig ist -, aber nicht end- Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Es lich Ihre Blockadehaltung aufgeben, junge Men- geht bei beidem um Verantwortung) schen an demokratischen politischen Prozessen teilhaben zu lassen, was selbstverständlich wäre. Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: (Beifall bei den GRÜNEN - Helge Für die AfD-Fraktion liegt eine Wortmeldung des Limburg [GRÜNE]: Sehr richtig!) Abgeordneten Henze vor. Bitte! Ich finde, die Jugendlichen ab 16 haben Anspruch darauf, darüber mitzuentscheiden, wer ihre Belan- Stefan Henze (AfD): ge - auch hier im Landtag - vertritt. Das sollten Sie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und endlich begreifen! Herren! Wir halten es für einen wichtigen und rich- (Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von tigen Schritt, das begleitete Fahren mit 16 Jahren der CDU: Warum nicht eher? Warum in einem Modellversuch zu erlauben, und werden nicht mit 15? - Gegenruf von Julia Wil- ihm zustimmen. lie Hamburg [GRÜNE]: Ja, warum Laut einer Studie der Verkehrswacht verursachten nicht früher?) die Teilnehmer am begleiteten Fahren mit 17 rund 30 % weniger Unfälle und begingen 20 % weniger Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: Verkehrsverstöße als klassische Fahranfänger. Herr Kollege Schulz-Hendel, die 90 Sekunden sind Zusätzlich gab es nur halb so viele Fahrten unter um. - Frau Hövel, möchten Sie erwidern? - Sie Alkohol- oder Drogeneinfluss wie in der Ver- haben ebenfalls 90 Sekunden. gleichsgruppe. Ein erfahrener Beifahrer kann dem (Julia Willie Hamburg [GRÜNE]: Habe Fahranfänger in Stresssituationen helfen sowie ich etwas verpasst? - Helge Limburg ihm eine realistische Einschätzung seiner eigenen [GRÜNE]: Sie müssen etwas verpasst Fähigkeiten vermitteln. Dies ist wichtig, da sich haben! - Zuruf von Jens Nacke [CDU]) viele Führerscheinanfänger überschätzen und dann z. B. in scharfen Kurven oder bei unvorher- - Immer mit der Ruhe! Es funktioniert alles auch in gesehenen Situationen die Kontrolle über ihr Fahr- der letzten halben Stunde. Frau Hövel kommt und zeug verlieren, sich und andere gefährden und wird erwidern. schwere Unfälle verursachen. Gerade die ersten 5 000 km sind für Anfänger mit einem extrem ho- Gerda Hövel (CDU): hen Unfallrisiko verbunden, da der Fahranfänger Lieber Kollege Schulz-Hendel, was man gerade noch keine Routine beim Einlegen z. B. von Gän- von Ihnen gehört hat, war ja mal wieder klar: Sie gen oder für die Vorfahrtsregelungen an Kreuzun- versuchen, Themen miteinander zu vermischen, gen entwickelt hat, was ihn vom Verkehrsgesche- die überhaupt nichts miteinander zu tun haben. hen um ihn herum immer wieder ablenkt.

(Beifall bei der CDU und bei der AfD - Jetzt erlauben Sie mir eine kleine Anmerkung. Das Jens Nacke [CDU]: So ist es!) kann ich mir an dieser Stelle nicht versagen. Sie, verehrte Kollegen von den anderen Fraktionen, Das machen Sie immer dann, wenn man Sie dabei tragen die politische Mitverantwortung dafür, dass erwischt hat, dass Sie völlig falsch argumentiert dieser vom Volk gewählte Landtag hier nicht ab- haben. schließend über dieses Thema entscheiden darf, Um noch einmal auf das Thema Versicherungsge- weil die Kompetenzen und die Souveränität selbst sellschaften zurückzukommen: Sie haben doch die bei so eindeutig hier beheimateten Entscheidun- Frage gestellt, ob wir mit Steuergeldern Versiche- gen längst nach Brüssel abgetreten sind. Ohne rungsgesellschaften subventionieren wollen. Aber Einwilligung aus Brüssel und der EU können selbst dabei haben Sie uns ganz bewusst nicht richtig wir hier nicht mehr allein entscheiden. Dies zeigt, verstehen wollen! - Das ist das eine: dass Sie Aus- wie wichtig die Rückverlagerung von Kompetenzen sagen einfach falsch wiedergeben oder fehlinter- für die Souveränität unseres Landes ist. Nehmen

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Sie diesen Gedanken ruhig mal mit in Ihren Feier- (Jens Nacke [CDU]: Da sind wir ja abend. wieder!)

Vielen Dank. Diese positive Haltung, meine Damen und Herren, zu einer nachhaltigen Mobilität begrüßen wir aus- (Beifall bei der AfD) drücklich. Das ist kein Widerspruch zum begleite- ten Fahren ab 16. Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: (Beifall bei den GRÜNEN - Helge Wir kommen jetzt zum nächsten Wortbeitrag - des Limburg [GRÜNE]: Richtig!) Kollegen Detlev Schulz-Hendel, Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen. Die Forderung, die Übergangsphase auf zwei Jah- re auszuweiten, um damit noch mehr Fahrpraxis Detlev Schulz-Hendel (GRÜNE): als bisher zu erwerben, ist auch nicht neu. Schon im Jahre 2017 warb die damalige rot-grüne Lan- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! desregierung für das begleitete Fahren mit 16 mit Schon das Modellprojekt „Begleitetes Fahren mit dem Ziel, dass Niedersachsen erneut eine Vorrei- 17“, das 2004 in Niedersachsen startete und seit terrolle bei der Verbesserung der Verkehrssicher- 2008 bundesweit möglich ist, hat gezeigt, dass heit von jungen Menschen einnehmen sollte. junge Menschen weniger Unfälle verursachen, wenn sie eine Weile in Begleitung eines Erwach- (Jörg Hillmer [CDU]: Dann habt ihr senen Fahrpraxis sammeln können. So haben die wohl damals etwas vergessen!) Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Modellver- Aus diesem Grunde noch einmal sehr deutlich: Wir suchs in Niedersachsen knapp ein Drittel weniger stimmen diesem Antrag zu. Wir halten den Punkt, Unfälle verursacht als Fahranfänger einer Kontroll- betreffend die Versicherungswirtschaft, nach wie gruppe, die ihre Führerscheinprüfung erst mit 18 vor für überflüssig. Er ist aber für uns nicht ganz so abgelegt hatten. Dauerhaft sollen die Unfallzahlen entscheidend. um rund ein Fünftel gesunken sein. Deswegen unterstützen wir natürlich auch selbstverständlich Und noch einmal mein Appell, weil bald Feier- kraftvoll und vollen Herzens diesen Antrag. abend ist und man Menschen, die etwas nicht verstehen, eine Hausaufgabe mitgibt: Das Wahl- (Jens Nacke [CDU]: Das klang aber recht ab 16 hat hiermit nichts zu tun. Aber diese eben noch ganz anders!) Blockadehaltung sollten Sie trotzdem aufgeben. - Das klingt gar nicht anders, Herr Nacke! (Beifall bei den GRÜNEN)

(Jens Nacke [CDU]: Natürlich!) Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: Begleitetes Fahren mit 17 ist bei einem Teil der Vielen Dank. - Für die FDP-Fraktion spricht der jungen Erwachsenen beliebt. Mit rund 70 000 soll Abgeordnete Jörg Bode. Bitte schön! rund die Hälfte aller Führerscheinprüflinge das Angebot des vorzeitigen Führerscheinerwerbs Jörg Bode (FDP): nutzen. Gleichwohl - das habe ich letztes Mal ge- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sagt, und das wiederhole ich sehr gerne - zeigen Auch wir werden aus voller Überzeugung diesem Studien seit vielen Jahren, dass immer mehr Her- Antrag zustimmen; denn immerhin war es Walter anwachsende ein komplett anderes Verhältnis zum Hirche, der damals gegen viele Widerstände das Auto und zum Autofahren haben als ältere Gene- begleitete Fahren mit 17 eingeführt hat. rationen. Immer mehr junge Menschen wollen bewusst später oder sogar gar nicht den Führer- Es hat sich eines bewahrheitet: Wenn eine Autori- schein machen, tätsperson nicht nur in der Fahrstunde neben ei- nem jungen Menschen sitzt, sondern auch öfter mit (Jörg Hillmer [CDU]: Herr Kollege, es ihm gemeinsam fährt und abends beim Abendbrot, gibt keine Führerscheinpflicht!) vielleicht zu Hause, mit ihm das Ganze in einer anderen Wortwahl und Deutlichkeit, als dies ein und viele, die eine Fahrprüfung ablegen, wollen Fahrlehrer darf, rekapituliert, macht das mehr Ein- kein eigenes Auto besitzen, sondern sich lieber an druck als manch eine zusätzliche Fahrstunde, die Carsharing-Modellen beteiligen, das Rad nehmen man macht, und führt zu einer erhöhten Verkehrs- oder den ÖPNV nutzen. sicherheit. Das ist ein ganz positiver Aspekt. Es ist

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daher richtig, dass wir den Versuch des begleiteten - Sie können gerne weiterklatschen, Herr Nacke! Fahrens ab 16 jetzt starten lassen. Das wäre angemessen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will (Jens Nacke [CDU]: Ätsch! Wir haben noch etwas zu den Ausführungen der AfD zu Eu- als Erste geklatscht! - Heiterkeit) ropa, die ich in dieser Form ganz schrecklich fand, sagen. Das ist natürlich für die Idee der AfD kon- Da meine Vorredner schon relativ viel über den sequent: Wenn man die Grenzen in Europa schlie- Hintergrund gesagt haben, lassen Sie es mich auf ßen will, dann muss man auch die Freizügigkeit, einen Punkt bringen. Wir wollen das begleitete auch was sozusagen die gegenseitige Anerkennt- Fahren mit 16, weil wir die Fahrpraxisbegleitung nis von Mobilität angeht, einschränken. erhöhen wollen, damit auch die Verkehrssicherheit erhöht werden kann und Unfälle vermieden wer- Wir müssen uns immer vor Augen führen, was den. Das ist im Kern unser Ziel, das wir mit diesem diese fatale Sichtweise auf Europa dann, wenn sie Antrag verfolgen. Dabei befinden wir uns in guter in Deutschland und woanders überhandnimmt, Gesellschaft, denn der bereits angesprochene bedeutet: dass wir nicht mehr in ein anderes Land Verkehrssicherheitsrat - Frau Hövel hat es bereits fahren können, dass unsere Führerscheine dort gesagt -, der Verkehrsgerichtstag, alle relevanten nicht mehr einfach so anerkannt werden können Akteure, der ADAC, der Fahrlehrerverband und der etc. Wenn man in Deutschland und Europa sozu- TÜV Nord, teilen diese Forderung. Es gibt auch sagen zurück zur Kleinstaaterei gelangen will, bereits in einigen Landtagen Beschlüsse zum be- dann muss man auch bei der Mobilität, beim Ver- gleiteten Fahren ab 16; Brandenburg und Schles- kehr, die Grenzen schließen. wig-Holstein seien hier genannt. Wir befinden uns, (Dana Guth [AfD]: Das stimmt doch wie gesagt, mit dieser Forderung in guter Gesell- gar nicht! - Julia Willie Hamburg schaft. Das ist auch gut, weil der Druck auf Europa [GRÜNE]: Aber natürlich!) erhöht werden muss. Dort soll die Regelung geän- dert werden. Wir haben eben davon gehört. Wir werden jedenfalls mit aller Kraft dagegen kämpfen. Wir haben es schon gehört: Wir sind nicht Herr des (Zurufe von der FDP, bei der SPD und Verfahrens. Das ist die Europäische Union. Dort bei der CDU) gibt es bereits Debatten im sogenannten Führer- schein-Ausschuss der Europäischen Kommission - Wir werden dafür werben, dass man in Europa die was es nicht alles gibt! Die Regelung ist so, dass Idee des Führerscheins ab 16 aufgreift. Ich würde es aktuell - und damit möchte ich auch die Aussa- mich freuen, wenn Sie uns dabei unterstützen. ge von Herrn Henze etwas relativieren - ein vorge- schriebenes Mindestalter für die Führerscheinklas- (Beifall bei der FDP - Dirk Toepffer se, die zur Pkw-Fahrt berechtigt, gibt, und das liegt [CDU]: Zweite gute Rede heute! bei 18 Jahren. Die Mitgliedstaaten haben aber die Kompliment!) Möglichkeit, unter gewissen außergewöhnlichen Umständen oder bei gewissen Faktoren das Alter Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: auf 17 Jahre zu reduzieren - das ist damit dann im Vielen Dank, Herr Bode. - Für die SPD-Fraktion Grunde das Höchstalter. Es obliegt den Mitglied- spricht der Abgeordnete Stefan Klein. Bitte! staaten, das zu tun. Wir haben das in Deutschland gemacht, und jetzt geht es darum, dass eben die- Stefan Klein (SPD): ses Mindestalter bei der Mitgliedstaatenregelung Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und auf 16 Jahre reduziert wird, damit wir hier die Ge- Kollegen! Es ist schön, dass unser gemeinsamer legenheit bekommen, dieses gute Projekt in die SPD/CDU-Antrag hier heute wohl große Zustim- Tat umzusetzen. Das wollen wir, und dafür haben mung finden und einmütig beschlossen wird. Das wir große Unterstützung hier im Haus und auch ist auch richtig so. Niedersachsen war bereits Vor- darüber hinaus. reiter beim begleiteten Fahren ab 17 und ist dies als Initiator beim begleiteten Fahren mit 16 - jetzt In diesem Sinne danke ich Ihnen fürs Zuhören und unter Minister Dr. Althusmann und damals, 2017, freue mich auf den einstimmigen Beschluss. unter Herrn Minister Olaf Lies. (Beifall bei der SPD, bei der CDU und (Beifall bei der CDU und bei der SPD) bei der FDP)

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Vizepräsidentin Meta Janssen-Kucz: Vielen Dank, Herr Kollege Klein. - Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und damit den Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU in der Drucksa- che 18/1072 unverändert annehmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Sehe ich nicht. Damit ist dieser An- trag einstimmig angenommen. (Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir schließen damit den ersten Plenartag. Ich weise noch einmal darauf hin, dass der Parla- mentarische Abend der Region Hannover im Zoo Hannover stattfindet, und wünsche Ihnen einen angenehmen Abend mit interessanten Gesprä- chen. Wir sehen uns morgen früh um 9 Uhr. Danke schön. Schluss der Sitzung: 19.11 Uhr.

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