SPD – 05. WP Fraktionssitzung: 19. 10. 1966

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19. Oktober 1965: Fraktionssitzung

AdsD, SPD-BT-Fraktion 5. WP, Ord.: 19. 10. 1965–1. 3. 1966 (alt 1038, neu 1). Überschrift: »Protokoll der Fraktionssitzung am Dienstag, dem 19.௔10. 1965 um 14.00 Uhr«. Anwe- send: 209 Abgeordnete; Fraktionsassistenten: Bartholomäi, Daul, Gaebler, E. Heinrich, Hofer, Jäger, Laabs, List, Maier, Niemeyer, Roth, Scheja, P. Schmidt, Schubart; PV: Nelke, Ritter; SPD-Pressedienst: Exler; Vorwärts: Stallberg; außerdem: Brandt. Prot.: Winkler. Zeit: Beginn 14.00 Uhr.

Vor Eintritt in die Tagesordnung spricht Fritz Lucie Kurlbaum-Beyer und Georg Kur- lbaum Glückwünsche zu ihrer Verehelichung aus.1 Fritz begrüßt die neuen Fraktions- mitglieder2 und richtet ein besonders Wort des Dankes an die ausscheidenden Abge- ordneten. Stellvertretend für alle anderen nennt er dabei die Namen von Heinrich Rit- zel, Fritz Baade, , Clara Döhring, Paul Bleiß, Gerhard Kreyssig, Ernst Wil- helm Meyer und Oskar Matzner.3 Zu 1. der TO: Willy , der mit starkem Beifall begrüßt wird, betont in seinem politischen Lagebericht, daß das Godesberger Programm und die darauf aufbauenden Beschlüsse auch weiterhin Grundlage sozialdemokratischer Politik sein werden. Ebenso bleibe gültig, was auf dem Parteitag in Karlsruhe4 erarbeitet worden sei. Aufgabe der SPD-Fraktion werde es sein, die Regierungskoalition ständig mit dem Katalog ihrer Wahlversprechen zu konfrontie- ren. Die SPD werde weder das Feigenblatt dieser Koalition noch Lückenbüßer für fehlende Mehrheiten sein. Verfassungsänderungen werde es nur geben können, wenn dabei die Vorstellungen der SPD berücksichtigt werden.5 Für eine Gemeinsamkeit in der Außen- und Deutschlandpolitik sei mehr nötig als nur Information. Es bedürfe dazu gemeinsamer Beratung und Willensbildung. Hinsichtlich der Stellung der Berliner Abgeordneten warnt Willy vor »spektakulären« Initiativen. Man solle jedoch gleich zu Beginn der parlamentarischen Arbeit den Bundestagspräsidenten darauf hinweisen, daß die Frage noch weiterer Überlegungen bedürfe.6 Die SPD habe keine Veranlassung zur

1 Kurlbaum-Beyer gehörte dem seit 1953 unter ihrem früheren Namen Beyer an, Georg Kurlbaum war MdB seit 1949. 2 Der SPD-Fraktion gehörten zu Beginn der 5. WP insgesamt 217 Abgeordnete an, davon 15 Berliner und zwei Hospitanten – Hermann Ahrens (Salzgitter) und Heinz Kreutzmann. – Hermann Ahrens (1902-1975) von 1951-1963 MdL (BHE) Niedersachsen, 1959-1963 stellv. Ministerpräsident und Mi- nister der Finanzen in Niedersachsen, 1962 Bundesvors. der Gesamtdeutschen Partei/BHE, war auf der Landesliste der SPD Niedersachen in den Bundestag gewählt worden. Heinz Kreutzmann (geb. 1919) ab 1950 Gesamtdeutscher Block/BHE, 1958 Mitgl. des Parteipräsidiums, ab 1961 Mitgl. des gschf. Bundesvorstandes der Gesamtdeutschen Partei (DP-BHE), 1965 stellv. Landesvors. in Hessen, gewählt auf der Landesliste der SPD Hessen, trat am 1. 2. 1967 zur SPD über. 3 Von den Mitgl. der SPD-Fraktion waren am Ende der 4. WP 42 ausgeschieden; 54 Abgeordnete waren neu in der Fraktion. 4 Neben den auf dem Parteitag vom 23.-27. 11. 1964 beratenen und verabschiedeten Entschließungen bezog sich Brandt wohl vor allem auf die von ihm dort vorgetragenen »Grundzüge des sozialdemo- kratischen Regierungsprogramms«. Vgl. Nov. 1964, S. 895-911. 5 Brandt spielte auf die Notstandsverfassung an. 6 Zu Brandts Position in dieser Frage vgl. auch seinen Vortrag in der »Parteiratssitzung in Berlin am 11. 12. 1965« (S. 23 f.), AdsD, PV vom 22. 9. 1965 bis 15. 7. 1966. – Eine entsprechende Anregung gab Mommer am 14. 10. 1965. Vgl. Vermerk über die interfraktionelle Besprechung am 14. 10. 1965. Parl. A. 5. WP Ältestenrat, Bd. 1. Nach einer Vorprüfung durch Schäfer, Mattick und Wehner be-

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Resignation. Das Bedürfnis nach ständiger selbstkritischer Aussprache sei aber durch- aus gerechtfertigt. Fritz betont, ebenso wie , daß der Maßstab für das Verhalten der SPD- Fraktion das vor der Wahl ausgearbeitete Programm7 sein werde. Die Antwort auf die bevorstehende Regierungserklärung8 werde zu den ersten Aufgaben der Fraktion gehö- ren. Zu 2. und 3. der TO: Fritz begründet den Vorschlag des Fraktionsvorstandes, dem Fraktionszusammen- schluß von CDU und CSU in dieser Legislaturperiode nicht zuzustimmen, da die CDU und die CSU je nach Nutzen getrennt oder als Einheit auftreten.9 Die SPD sollte aber einen Mehrheitsbeschluß des Bundestages auch dann respektieren, wenn er gegen die Stimmen der SPD gefaßt werde und für diesen Fall dem Vorschlag der stärksten Fraktion bei der Besetzung des Amtes des Bundes[tags]präsidenten zustimmen.10 Für die Wahl des Vizepräsidenten schlage der Vorstand erneut Carlo Schmid und Erwin Schoettle vor.11 Im Zusammenhang mit diesen Wahlvorschlägen stellt Fritz klar heraus, daß der im Spiegel (Nr. 43, 1965) veröffentlichte Artikel (Schoettle: Geld von Genos- sen) die Tatsachen verzerrt und verfälscht darstelle.12 Man müsse wissen, daß sich in der amerikanischen Besatzungszone die Parteien nicht direkt an Zeitungsverlagen betei- ligen durften. Eine solche Beteiligung sei vielmehr nur über einzelne Personen möglich gewesen. Erwin Schoettle habe die 20 000 RM, die er von aus der

schloß der Fraktionsvorstand, daß Erler einen Brief zum Stimmrecht der Berliner Abgeordneten an Gerstenmaier schreiben solle. »In Berlin und Bonn« solle »möglichst gleichzeitig das Problem ange- packt werden«, wobei sicherzustellen sei, »daß möglichst alle Parteien in Berlin, zumindest aber die im Senat vertretenen das Vorgehen im Bundestag voll und ganz decken« und auch dort »möglichst Einvernehmen zwischen den Fraktionen« herzustellen sei. »Protokoll der Vorstandssitzung am Dienstag, d. 12. 10. 1965« und »am Mittwoch, d. 20. 10. 1965«, AdsD, Fraktionsvorstand. Protokolle und Tgo von Okt. 1965 bis 12. 12. 67. – Vgl. auch Nr. 125, TOP 1. 7 Gemeint sind die verschiedenen programmatischen Erklärungen der »Regierungsmannschaft« der SPD, bes. die vom 8. 1. 1965 über die »Grundzüge sozialdemokratischer Regierungspolitik«. Vgl. 1965, Erklärungen der SPD-Regierungsmannschaft, S. 5-13. 8 Zur Regierungserklärung Erhards vom 10. 11. 1965 siehe BT Sten. Ber. 60, S. 17-33; vgl. Nr. 125, Anm. 4 und 127, Anm. 1. 9 Der Fraktionsvorstand hatte diese Empfehlung am 12. 10. 1965 besprochen. Vgl. »Die SPD-Fraktion teilt mit« Nr. 291/65. (In dem Vorstandsprot. findet sich dagegen kein Hinweis). Mommer teilte demgemäß in der interfraktionellen Besprechung am 14. 10. 1965 mit – siehe Anm. 6 – daß die SPD auf einer förmlichen Abstimmung gemäß § 10, Abs. 1, Satz 4 der GO bestehen werde. Nach § 10 der GO des Bundestages Abs. 1 waren Fraktionen »Vereinigungen von Mitgliedern des Bundestages, die der gleichen Partei angehören«. Die »Bildung einer Fraktion« durch Abgeordnete, »die nicht Mit- glieder ein und derselben Partei sind, kann nur mit Zustimmung des Bundestages erfolgen«. 5, S. 110. 10 In der 1. Sitzung des neugewählten Bundestages am 19. 10. 1965 wurde die Bildung der Fraktion von CDU/CSU gegen die Stimmen der SPD-Abgeordneten gebilligt. Gerstenmaier von der CDU/CSU wurde anschließend erneut mit 385 Stimmen bei 21 Neinstimmen und 98 Enthaltungen (weiße Stimmkarten) zum Präsidenten des Bundestages gewählt; BT Sten. Ber. 60, S. 1 f. – Zum Vorgehen zu Beginn der 4. WP siehe Nr. 2, TOP 1 b. 11 Vgl. das in Anm. 6 zit. Protokoll der Sitzung des Fraktionsvorstandes am 12. 10. 1965. Für ihre Wahl am 19. 10. 1965 siehe BT Sten. Ber. 66, S. 4 f. 12 In dem genannten Artikel in »Der Spiegel« Nr. 43 vom 20. 10. 1965, S. 47 f. wurde der Eindruck erweckt, daß Schoettle ihm 1946 von der SPD zur Verfügung gestelltes Geld (20 000 RM) zur Meh- rung des Privatvermögens genutzt und sich als »nahezu dreifacher Millionär [. . .] unlängst dem Zu- griff des SPD-Vorstandes« entzogen habe. »Wehners Pressetruks« und andere »Bonner Genossen« drängten »darauf, den Genossen Schoettle nicht mehr für das Amt eines Bundestagsvizepräsidenten zu nominieren«.

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Parteikasse erhalten habe, der Partei wieder zurückgezahlt.13 Laut Gesellschaftsvertrag der »Stuttgarter Nachrichten« bedürfe der Verkauf des [Färber]14-Anteils an die »Kon- zentrations-GmbH«15 der Zustimmung der übrigen Gesellschafter. Eine solche Zu- stimmung sei jedoch nicht zu erreichen gewesen.16 Fritz unterbreitet den Änderungsvorschlag für § 10 der Fraktionsgeschäftsordnung. Danach sollen künftig der Präsident und die Stellvertreter des Präsidenten des Bundes- tages, die Mitglieder der Fraktion sind, kraft Amtes dem Vorstand angehören.17 Zum landsmannschaftlichen Zusammenschluß der bayerischen und der nordrhein- westfälischen Abgeordneten18 erklärt Fritz , daß er nicht zur Aufspaltung in verschie- dene organisatorische Gruppen führen dürfe. Ein solcher Zusammenschluß sei jedoch durchaus zweckmäßig, wenn damit die Öffentlichkeitsarbeit in der Heimat wirksamer gestaltet werden könne. Zur Einführung der Neulinge in die parlamentarische Arbeit kündigt Fritz eine Klau- surtagung in Bonn oder im Raum Bonn an.19 In der Aussprache schlägt Franz vor, bereits heute den Fraktionsvorsitzenden zu wäh- len. Fritz entgegnet, daß dem die Geschäftsordnung entgegenstehe, da der Fraktions- vorsitzende auf Vorschlag des Vorstandes zu wählen sei.20 Fritz schlägt vor, bei der Wahl des Bundestagspräsidenten gegen den Präsidenten zu stimmen. Der Genosse regt an, daß der jeweilige Vorsitzende des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung dem Ältestenrat angehören solle. Die Fraktion faßt folgende Beschlüsse: Dem Zusammenschluß der CDU und der CSU zu einer einheitlichen Fraktion soll nicht zugestimmt werden.10 Gerstenmaier soll von der Fraktion zum Präsidenten gewählt werden.10 Die Fraktion stimmt dafür, daß Carlo Schmid und Erwin Schoettle zu Vizepräsidenten gewählt werden.11 Der Änderungsvorschlag zu § 10 der Fraktionsgeschäftsordnung wird akzeptiert.17

13 Gemeint ist die 1946 erfolgte Beteiligung von Schoettle an den »Stuttgarter Nachrichten«. Neben ihm waren ebenfalls mit je ein Drittel Otto Färber von der CDU und Henry Bernhard für die Liberale Gruppierung beteiligt. In der »Sitzung des Präsidiums am 19. 10. 1965«, AdsD, Präsidium vom 13. 5. 1965 bis 29. 10. 1965, wurde die Angelegenheit ausgiebig erörtert. Danach hatte Schoettle die 20 000,- Reichsmark für seinen Gesellschafteranteil als Darlehen »vom Volksblatt durch Max Denker« erhal- ten und später 15 000,- DM zurückgezahlt. Er glaube, damit »das Darlehen gut abgegolten« zu ha- ben. 14 In Or. versehentlich »Ferber«. 15 Die »Konzentration GmbH«, Direktor seit 1958 Fritz Heine (SPD), war eine Holdinggesellschaft der Presse und Pressebeteiligungen der SPD. 16 Den Anteil von Otto Färber erwarb der Süddeutsche Verlag (München), in dem u. a. die »Süddeut- sche Zeitung« erschien; vgl. den in Am. 12 zit. Spiegel-Artikel und die in Anm. 13 erwähnte Präsidi- umssitzung. 17 Vgl. SPD 1964/65, S. 22. – Einen entsprechenden Vorschlag hatte der Fraktionsvorstand am 12. 10. besprochen. »Protokoll der Vorstandssitzung am Dienstag, d. 12. 10. 1965«, AdsD, Fraktionsvor- stand. Protokolle und Tgo von Oktober 1965 bis 12. 12. 1967. Zur GO der Fraktion vgl. Einleitung. 18 Die bayerischen SPD-Abgeordneten hatten 1949 zunächst eine »Verbindungsstelle« gebildet, aus der die Landesgruppe hervorging. Sie wählte sich seit 1953 einen Vorstand. Vors. der Landesgruppe war bis 1969 Wilhelm Marx. Vgl. , Im Dienst der Demokratie, S. 296. 19 Siehe Nr. 128, Anm. 4. 20 Nach § 13 der GO der Fraktion; vgl. Einleitung.

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Die Fraktion stimmt dafür, daß die Fraktionsgeschäftsordnung der vergangenen Legis- laturperiode übernommen wird.21 Es wird beschlossen, daß der Fraktionsbeitrag auch weiterhin 20% der Grundentschä- digung betragen solle.22 (Zuvor hatten die Genossen Müller-Emmert und Dröscher vorgeschlagen, die Abstimmung darüber zu verschieben und das Problem möglichst bald eingehend zu diskutieren. Dieses Begehren wurde von der Fraktion abgelehnt). Zu 4. der TO: Karl erklärt, daß die Sitzordnung im Plenarsaal dieselbe sein werde wie in der vergan- genen Legislaturperiode.23 Die Sitzordnung der Neulinge richte sich nach dem Alpha- bet. Zu 5. der TO: Es erfolgt der Namensaufruf der Fraktionsmitglieder des 5. Deutschen Bundestages. Zu 6. der TO: Die nächste Fraktionssitzung wird für Mittwoch, den [20].24௔10. um 14.00 Uhr einberu- fen. Zu 7. der TO: – regt an, daß in der kommenden Legislaturperiode größere Pausen zwischen den Sit- zungswochen eingelegt werden sollten, weil sonst die Arbeit in den Wahlkreisen zu kurz käme. Bonn, den 22.௔10. 1965 gez. Winkler

21 Siehe Einleitung. 22 Vgl. Nr. 1, TOP 1. 23 Vgl. Nr. 2, Anm. 2. 24 In Or. versehentlich »22«; siehe Nr. 125.

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