Quick viewing(Text Mode)

Hansische Geschichtsblätter

Hansische Geschichtsblätter

HANSISCHE GESCHICHTSBLÄTTER

HERAUSGEGEBEN

VOM

HANSISCHEN GESCHICHTSVEREIN

111. JAHRGANG

1993 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN Zuschriften, die den Aufsatzteil betreffen, sind zu richten an Herrn Prof. Dr. Klaus FRIEDLAND, 24226 Heikendorf, Kreienholt 1. Besprechungsexemplare und sonstige Zuschriften wegen der Hansischen Umschau an Herrn Dr. Volker H EN N , Universität Trier, Fachbereich III, Postfach 3825, 54286 Trier.

Manuskripte werden in Maschinenschrift erbeten. Korrekturänderungen, die einen Neusatz von mehr als einem Zehntel des Beitragsumfanges verursachen, werden dem Verfasser berechnet. Die Verfasser erhalten von Aufsätzen und Miszellen 20, von Beiträgen zur Hansischen Umschau 5 Sonderdrucke unentgeltlich, weitere gegen Erstattung der Unkosten.

Die Lieferung der Hansischen Geschichtsblätter erfolgt auf Gefahr der Empfänger. Kostenlose Nachlieferung in Verlust geratener Sendungen erfolgt nicht.

Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt.

Eintritt in den Hansischen Geschichtsverein ist jederzeit möglich. Der Jahresbeitrag beläuft sich z. Zt. auf DM 40 (für in der Ausbildung Begriffene auf DM 20). Er berechtigt zum kostenlosen Bezug der Hansischen Geschichtsblätter. - Weitere Informationen gibt die Geschäftsstelle im Archiv der Hansestadt Lübeck, Mühlen­ damm 1-3, 23552 Lübeck. HANSISCHE GESCHICHTSBLÄTTER

HERAUSGEGEBEN

VOM

HANSISCHEN GESCHICHTSVEREIN

111. JAHRGANG

1993 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN RED AK TIO N

Aufsatzteil: Prof. Dr. Klaus Friedland, Kiel

Umschau: Dr. Volker Henn, Trier

Für besondere Zuwendungen und erhöhte Jahresbeiträge, ohne die dieser Band nicht hätte erscheinen können, hat der Hansische Geschichtsverein folgenden Stiftungen, Verbänden und Städten zu danken:

P ossf.h l -St if t u n g zu L üb ec k

F reie u n d H a nsestadt H a m b u r g

F reie H ansestadt B r em en

H a nsestadt L ü beck

St a d t K ö l n

Sta d t B raunschweig

L andschaetsverband W estfa len -L ippe

L andschaftsverband R h e in l a n d

ISSN 0073-0327 Inhalt

Nachruf

Karl H. Schwebcl (1911-1992). Von Herbert Schwarzwälder (Bremen)...... V

Aufsätze

Beobachtungen zum Lübecker Stockholm-Verkehr am Ende des 15. Jahrhunderts. Von Hans-Jürgen Vogtherr (Uelzen) . . . 1 Der Eigenhandel hansischer Seeleute vom 15. bis 17. Jahrhundert. Von Thomas Brück (Greifswald)...... 25 Johannes Domann (1564-1618) und der Niedergang der Hanse. Diplomatie und Krisenmanagement im frühen 17. Jahrhundert. Von Hermann Queckenstedt (Osnabrück) ...... 43 Die Einwohnerschaft Alt-Rigas im Jahre 1786. Von Vasilij V. Dorosenko (Riga) ...... 97

Berichte

Bericht über das „Hansische Novgorod-Colloquium“ 1992. Von Klaus Friedland (Heikendorf) ...... 125 Akteure und Gegner der Hanse. Zur Prosopographie der Hansezeit. Wissenschaftliches Kolloquium in memoriam Prof. Dr. phil. habil. Konrad Fritze. Von Ralf-Gunnar Werlich (Greifswald) ...... 127

Hansische Umschau

In Verbindung mit Norbert Angermann, Detlev Ellmers, Ant­ jekathrin Graßmann, Rolf Hammel-Kiesow, Elisabeth Harder- Gcrsdorff, Erich Hoffmann, Petrus H.J. van der Laan, Herbert Schwarzwälder, Hugo Weczerka und anderen bearbeitet von Volker Henn. Allgemeines...... 133 Schiffahrt und Schiffbau ...... 154 Vorhansische Zeit ...... 174 Zur Geschichte der niederdeutschen Landschaften und der benachbarten Regionen...... 186 Westeuropa ...... 236 Skandinavien...... 244 Osteuropa...... 255 Für die Hanseforschung wichtige Zeitschriften...... 284

Hansischer Geschichtsverein

Jahresbericht 1992 ...... 288 Liste der Vorstandsmitglieder ...... 291

Dr. Karl-Heinz Schwebel KARL H. SCHWEBEL 1 9 1 1 - 1992

Am 15. Dezember 4992 nahm der Tod Karl H. Schwebel, dem ehema­ ligen Ltd. Staatsarchivdirektor in Bremen, die Feder aus der Hand. Bis zuletzt hatte er unter vollem Einsatz seiner Kräfte an einem materialreichen Opus über die Entwicklung von Bremens Handelsbeziehungen zur Karibik bis 1815 gearbeitet und es fast vollendet. Der Lebens- und Berufsweg zwang Karl H. Schwebel manches auf, was seiner empfindsamen Natur und eigenständigen Intelligenz zuwider war. Geboren wurde er am 5. September 1911 in Grohn, das damals noch eine hannoversch-preußische Industriegemcinde nördlich von Bremen war. Sein Vater war dort Lehrer, und der Sohn wuchs in bescheidenen häuslichen Verhältnissen auf. Er besuchte 1921 bis 1930 das Realgymnasium (das heu­ tige Gerhard Rohlfs-Gymnasium) in der kleinen bremischen Hafenstadt Vegesack. Hier legte er die Reifeprüfung ab. Dann verließ er die provinzielle Enge seiner Heimat, der er aber weiter­ hin verbunden blieb, und studierte Geschichte, Anglistik und Romanistik in Freiburg i.B., Berlin, Göttingen, Poitiers und Exeter. Zu seinen akademi­ schen Lehrern gehörten so bedeutende Gelehrte wie Brandi, Hasenclever, Heimpel, Ritter und Schramm. Vor allem in Göttingen knüpfte er manche Kontakte und fand in Prof. Hasenclever den kundigen Betreuer seiner Dissertation über ein zentrales bremisches Thema: „Bremens Beziehungen zu Kaiser und Reich, vornehmlich im 18. Jahrhundert“. 1934 bis 1936 arbeitete er im Staatsarchiv Bremen, um Material für seine Dissertation zu gewinnen und hatte dabei im damaligen Direktor Hermann Entholt einen väterlichen Förderer. Entholt war Mitglied zahlreicher wis­ senschaftlicher Gremien und gab auch dem Hansischen Geschichtsverein manche Impulse. Ihm fühlte sich Schwebel lange Jahre verpflichtet, obwohl der Umgang mit diesem Bremer Historiker-Patriarchen nicht immer ganz leicht war. Im Februar 1937 wurde die Promotion in Göttingen abge­ schlossen, und es folgte das 1. Staatsexamen; doch ging Schwebel nicht in den Schul-, sondern in den Archivdienst. 1938/39 war er Volontär im Staatsarchiv Bremen, dessen Leitung inzwischen Friedrich Prüser, ein eifri­ ger Förderer der Hansegeschichte und des Hansischen Geschichtsvereins, übernommen hatte. 1939/40 absolvierte Schwebel seine Archivausbildung am Preußischen Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem; dann folgte das 2. Staatsexamen und der Dienst als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Staatsarchiv Bremen. Hier mußte er den zur Wehrmacht eingezogenen Leiter, Friedrich Prüser, vertreten. Anfang 1941 mußte er die Sicherung der Urkunden und Akten vor dem Bombenkrieg vorbereiten und unternahm mehrere Reisen zu den vorgesehenen Auslagerungsorten, u. a. nach Königs­ VI Nachruf

berg, Bernburg/Saale und Grasleben bei Helmstedt. Die im Archivgebäude an der Tiefer verbliebenen Akten mußten später aus der zerbombten Ruine geborgen werden. Dann erreichte Schwebel im Mai 1941 der Gestellungsbefehl zur Wehr­ macht, obwohl er alles andere als ein strammer Soldat war. Er tat als Funker Dienst in Rußland, lag wegen Lähmung eines Beines im Lazarett zu Prag, konnte zwischendurch im Staatsarchiv arbeiten und war am Schluß des Krieges Soldat in Hamburg. Während des Wehrdienstes wurde er 1942 Ar­ chivassessor und 1944 Archivrat. Nach dem Kriege war sein Förderer Her­ mann Entholt kommissarischer Archivdirektor, und es oblag Schwebel die schwierige Aufgabe einer Rückführung der Archivalien nach Bremen. Sie wurden in einem Luftschutzbunker Am Dobben untergebracht, während in einem nahen Patrizierhaus die Dienstzimmer des Archivs eingerichtet wurden. Dort erfolgte die Neuordnung der durcheinandergeratenen Ar­ chivbestände, und mehrfach fuhr Schwebel nach Potsdam, um die von den Russen erbeuteten und dann an die DDR übergebenen Archivalien zu sichten und zu ordnen. Als Friedrich Prüser 1957 in den Ruhestand ging, wurde Schwebel sein Nachfolger als Direktor. Er war und blieb in erster Linie Archivar; seinem Beruf widmete er die meiste Kraft. Vor allem strebte er aus der Notunterkunft Am Dobben heraus; aber es dauerte noch Jahre, bis das neue Archivgebäude am Fedelhören mit dem geräumigen Magazinturm 1964 bis 1968 gebaut wurde. Nach und nach erweiterten sich die Aufgaben des Archivs und auch des Personalbestandes. Die überregionalen Berufsinteressen brachten es mit sich, daß Schwebel in zahlreichen nationalen und übernationalen Gremien tätig war; so war er auch nicht nur Mitglied des Hansischen Geschichtsvereins, sondern auch jahrelang im Vorstand, 1972 bis 1975 sein 2. Vorsitzender und Geschäftsführer. Es zeugt von seinem unermüdlichen Fleiß, daß er dennoch eine beträchtliche Zahl von qualitätvollen Veröffent­ lichungen verfaßte. Seine Arbeitsweise vereinigte zweierlei: eine sorgfältige, oft minutiöse Auswertung der Quellen und eine brilliante Darstellung, die selbst die stoffreichste Untersuchung lesenswert macht. Die schlichte gemeinverständliche Formulierung lag ihm nicht so sehr. Daher hat er auch nie ein Werk verfaßt, das auf eine größere Auflage abzielte. Selbst die „Monographien“ sind von Thema und Anlage her eher Aufsätze. Die von ihm bearbeiteten Gebiete sind vielgestaltig: Er begann mit der politischen Geschichte Bremens, dann kam Personen- und Familiengeschichte hinzu; es folgte die neuere Kirchengeschichte, die eine durchaus philosophische Komponente hatte. Deshalb faszinierte ihn auch die geistige Entwicklung des großen Bremer Bürgermeisters Smidt so sehr, die er in zahlreichen Vorträgen darstellte. Zuletzt beschäftigte ihn jahrelang die bremische Han­ delsgeschichte. Die Hansegeschichte ist mit einer sehr gelehrten Arbeit vertreten: „Der Stralsunder Friede (1370) im Spiegel der historischen Li­ Nachruf VII

teratur“ (1970). Das Alltagsleben und die größeren Zusammenhänge der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, soweit sic nicht Handelsgeschichte war, fanden nicht so sehr sein Interesse. Die neueste Geschichte beschäftigte ihn zwar als Bürger und war auch Gegenstand mancher temperamentvollen Unterhaltung, aber nicht so sehr seiner wissenschaftlichen Arbeit. Von großer Bedeutung für die letzten 30 Jahre seines Lebens war es, daß der Hansische Geschichtsverein - ungewollt - ehestifterische Wirkung hatte: Auf der Tagung des Vereins, die von der Arbeitsgemeinschaft der DDR 1959 in Erfurt ausgerichtet wurde, lernte Schwebel die verwitwete Geographin Dr. Marianne Rubow-Kalähne aus Greifswald kennen. Prof. Sprömberg, damals Leiter der HGV-Arbeitsgemeinschaft in der DDR, sprach beide in einer freundlichen Fehlleistung als Ehepaar an. Doch der Weg dahin war damals voller politischer Hindernisse. Die beiden leisteten gemeinsam Ordnungsarbeiten an den Bremer Archivalien in Potsdam und beschlossen dann zu heiraten. Welche Probleme das für die Funktionäre der DDR bedeutete, kann man nur ahnen; vermutlich spielte dabei die Tätigkeit im damals noch gesamtdeutschen Hansischen Geschichtsverein sowie die Fürsprache von polnischen und russischen Archivaren der Table Ronde des Archives, zu denen Schwebel Kontakte hatte, eine Rolle. Jedenfalls konnte die Heirat im August 1962 stattfinden, und am 28. Februar 1963 traf Frau Dr. Schwebel dann in Bremen ein. 30 Jahre währte die glückliche Ehe, zu der auch eine fruchtbare wissenschaftliche Zusammenarbeit gehörte. Schwebel war ein Freund gepflegter Geselligkeit und beschränkte sich dabei nicht auf einen Kreis von Historikern und Archivaren. Rotary-Club, Lesegesellschaften und häusliche Feiern spielten für ihn eine große Rolle, auch noch, als gesundheitliche Rückschläge ihn zunehmend behinderten. Man konnte sich mit ihm über vieles unterhalten, freundlich, witzig und kritisch; Mittelmäßigkeit und Kumpelhaftigkeit waren ihm zuwider; politische Anpassung, zu der er bisweilen gezwungen wurde, schätzte er nicht. Eine große Freude bereitete ihm die Rückkehr eines Teils der Archi­ valien, die er vor einem halben Jahrhundert verpackt hatte und die eine Odyssee von Bremen in ostdeutsche Salzbergwerke über Rußland in die DDR erlebt hatten. Seinen Beitrag zu einer umfangreichen bremischen Kirchengeschichte vollendete er noch; bei der Arbeit über Bremens Handelsbeziehungen zur Karibik, die ihn und seine Frau lange beschäftigte, gelang ihm der Abschluß nahezu. Adolf E. Hofmeister hat sich als Herausgeber bereiterklärt, die letzten Ergänzungen nachzutragen. Der Hansische Geschichtsverein hat in ihm einen langjährigen Förderer, die bremische Geschichtswissenschaft einen vorbildlichen Archivar und einen Forscher mit persönlichem Stil verloren. Die Zeit hat ihn hart gebeutelt, doch ein langes Leben gab ihm Gelegenheit, sein Lebenswerk zu vollenden. Herbert Schwärzw älder

BEOBACHTUNGEN ZUM LÜBECKER STOCKHOLM-VERKEHR AM ENDE DES 15. JAHRHUNDERTS1

von HANS-JÜRGEN VOGTHERR

In der jüngeren Vergangenheit ist Schweden als Ort hansischer Aktivitäten in der wissenschaftlichen Literatur in Deutschland stark in den Hinter­ grund getreten. Das dürfte seine Ursache darin haben, daß die Arbeit der Koppe-Schule mit der - leider - ungedruckten Dissertation von Helga Rossi1 abgebrochen ist. Durch die große Arbeit Koppes2 sind wir über die lübisch-schwedischen Beziehungen vor allem in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts informiert, durch die Helga Rossis über die beginnende Wasa-Zeit. Die hier anschließenden Beobachtungen zum Lübecker Stockholm- Verkehr sind aus einer Bearbeitung der Lübecker Pfundzollregister her­ vorgegangen, die in den Jahren 1492 bis 1496 angelegt wurden, als Lübeck Pfundzoll erhob, um damit Ausgaben zur Seebefriedung auf der Ostsee zu decken. Diese Ausgaben waren der Stadt entstanden, weil sie „Friede­ schiffe“ gegen einige Freibeuter in die Ostsee gelegt hatte, die in mehr oder minder enger Zusammenarbeit mit der dänischen Krone den hansischen Seeverkehr auf den Ostseelinien verunsicherten. Die Vorgeschichte des Pfundzolls muß hier unerörtert bleiben, und auf die technischen Fragen nach seiner Erhebung ist nur soweit einzugehen, als es das Verständnis unseres Themas erfordert. Wichtig erscheint zunächst, die Stellung des Lübecker Han­ dels mit Schweden im Gesamtsystem des Lübecker Ostseehan­ dels dieser Jahre zu bestimmen. Mit knapp 15% des Lübecker Ge­ samtumsatzes über See in der Zeit vom 15.4.1492 bis zum 1.7.1496

Im Text erweiterte und mit Anmerkungen versehene Fassung eines Vortrages, gehalten bei der Pfingsttagung des Hansischen Geschichtsvereins in Kiel am 10. Juni 1992 1 Helga Rossi, Die natie der Holmevarer zu Lübeck zwischen 1520 und 1540, Diss (Ms.) Kiel 1959. Die kurze Zusammenfassung ihrer Arbeit, die sie selbst besorgt hat (in: Stadt und Land in der Geschichte des Ostseeraumes, Wilhelm Koppe zum 65. Geburtstag überreicht von Freunden und Schülern, hg. vor Klaus Friedland, Lübeck 1973, S. 179-200) ist kein zureichender Ersatz. Hilfreich ist allenfalls, daß sie hier ein Personenregister zu ihrer Arbeit nachreicht und damit den Umgang mit ihrem Text erleichtert. 2 Wilhelm Koppe, Lübeck-Stockholmer Handelsgeschichte im 14. Jahrhundert = Ab­ handlungen zur See- und Handelsgeschichte im Aufträge des Hansischen Geschichtsver­ eins herausgegeben von Fritz Rörig und Walther Vogel, NF. Band II, Neumünster 1933 2 Hans-Jürgen Vogtherr steht der Schwedenhandel in seinem Wert nach dem Livland- und dem Preußenhandel an dritter Stelle, immerhin noch vor dem Handel mit Schonen und dem mit Mecklenburg und Pommern (siehe Graphik 1!). Der überwiegende Teil des Lübecker Handels hat Stockholm als Partner, wesentlich geringer ist der Anteil Südschwedens, Abo ist statistisch fast ganz zu vernachlässigen. Der Handel mit Gotland ist nur mit Bedenken hier einzubeziehen, hat doch der dänische König nach dem Sturz Ivar Axelssons im Jahre 1487 seine Rechte auf die Insel wieder stärker zu begründen versucht. Politisch ist also dieser Handel hier auszuscheiden, wirtschaftsgeographisch mag er in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen.

Graphik 1: Anteil der Handelswege am Lübecker Ostseehandel vom 15.4.1492 - 1.7.1496

Livland 4 5 %

ohne Angabe 1% Preußen Meckl./Pom. 20% 8%

Dänemark 12% Schweden 15% Der Lübecker Stockholm-Verkehr 3

Im einzelnen zeigen die Lübecker Pfundzollregister die folgende Struktur des Lübecker Schwedenhandels:

Tabelle 1: Der Anteil der schwedischen Regionen am Lübecker Schwedenhandel (in Mark lübisch)

Handelswcg Import Export gesamt = % Schweden 192.244 120.892 313.136 100,0

Stockholm 176.288 99.513 275.801 88,0

Südschweden 10.923 17.719 28.642 9,2

Äbo 1.708 3.516 5.224 1,7

(Gotland) 3.325 144 3.469 1,1

Zeitlich gesehen bedeutet das Jahr 1493 einen Höhepunkt im Handel mit Schweden, das Jahr 1495 fällt als Seuchenjahr aus dem Rahmen, und das Jahr 1496 ist nur zu einem kleinen Teil erfaßt (siehe Graphik 2!).

Die Gesamtbilanz des Lübecker Ostseehandels ist in dieser Zeit passiv.-5 Verantwortlich dafür sind die hohen Lübecker Einfuhren aus Livland. Auch die Gesamtbilanz des Lübecker Schwedenhandels bietet sich als ausgeprägt passiv dar (siehe Graphik 3). Eine genauere Durchsicht zeigt, daß der Charakter der Lübecker Handelsbilanz mit Schweden durch die Daten des Handels mit Stockholm bestimmt ist. Als aktiv zeigt sich dage­ gen die Bilanz des Lübecker Handels vor allem mit Südschweden. Sjöden erklärt die Passivität des Handels mit dem „kolonialen“ Charakter des Lübecker Schwedenhandels, der vordringlich an der Einfuhr von Rohstof­ fen interessiert war. Demgegenüber sei der Eigenbedarf der schwedischen Wirtschaft, die noch stark an der sich selbst versorgenden Hauswirtschaft orientiert war, geringer gewesen. Bedarf an höherwertigen Gütern habe noch wenig bestanden. 4 Sicher übersieht aber diese Argumentation, daß die schwedischen Metalle Kupfer und Eisen, die in ihrem Wert ca. 80 % des Lübecker Imports aus Schweden ausmachten, erst durch die Verbindungen

3 Diese Feststellung beruht auf einer Auszählung der Pfundzollregister mit EDV, die der Verfasser vorgenommen hat. Sie soll mit einer Veröffentlichung der Ergebnisse in Kürze nachprüfbar gemacht werden. Dort wird auch eine Auseinandersetzung mit der bisher erschienenen Literatur zu den Pfundzollregistern, insbesondere zum Charakter der Handelsbilanzen erfolgen. 4 Sjöden, C.C., Stadsbor i Sturetidens Stockholm. In: Studier och Handlingar rörande Stockholms Historia II, Uppsala 1953, S. 44-95, hier: S. 64 4 Hans-Jürgen Vogtherr

Graphik 2: Jahresbilanzen des Lübecker Schwedenhandels vom 15.4.1492 - 1.7.1496

m.lüb. (Tausender)

i Import Export

mit Lübeck oder Danzig auf den mitteleuropäischen Märkten verwertbar wurden und ihr Erlös dadurch der schwedischen Wirtschaft zugutekam. Soweit einige Feststellungen zu den Eckdaten des Lübecker Schweden­ handels. Zur Aussagefähigkeit der Pfundzollregister für unsere Fragestellung sind Der Lübecker Stockholm-Verkehr 5

Graphik 3: Gesamtbilanz des Lübecker Schwedenhandels vom 15.4.1492 - 1.7.1496

Import

Export 3 9 % einige Vorüberlegungen nötig. Der Schreiber bucht den Stockholm-Verkehr der Jahre 1492 bis 1494 schiffsweise, wobei die Schiffe im allgemeinen mit dem Namen des Schiffers bezeichnet werden. 1495 heißt eine der entsprechenden Positionen dagegen ut den holmschen schepen vam Holm körnende [...], unter dieser Überschrift wird nicht nach einzelnen Schiffen, sondern nach Befrachtern gebucht, jedoch auch hier fast durchgängig mit Angabe des Schiffers, der die Fracht transportierte. In einzelnen Fällen fehlt jedoch diese Angabe, das hat zur Folge, daß dann nicht alle Waren einem Schiff zugewiesen werden können. Wenn also Ladungen berechnet werden, bleibt aus diesem Grunde immer ein Unsicherheitsfaktor. Die Buchungspraxis wirft ein weiteres Problem auf: 1492 werden Waren unter der Bezeichnung ut her Stens holk ohne Angabe eines Schiffers gebucht. An einer Stelle5 heißt es [...] in her Stens holk in Kil 1 terlink laken [...]■ Daraus muß geschlossen werden, daß Hans Kil, der als Schiffer in demselben Konvoi auftritt, der Schiffer des Holk ist, den Sten Sture auf der Linie Stockholm - Lübeck betreibt, der Schreiber bucht also unter zwei differenten Bezeichnungen, meint aber ein und dasselbe Schiff. Ebenso ist gelegentlich die Rede von her Stens karvel, hier jedoch ist es nicht möglich,

3 Satz 8464, Exportregister e31v 6 Hans-Jürgen Vogtherr

den Namen eines Schiffers mit diesem Schiff zu verbinden, man kann aber annehmen, daß er unter den mitfahrenden anderen Schiffern des jeweiligen Konvois auch genannt ist. 14% werden Waren in Hermen Mesmans scbip ausgeführt, dabei wird nicht, wie sonst üblich, Hermann Mesmann als Schiffer genannt, sondern das Schiff wird als das seinige bezeichnet. Diese Stelle läßt vermuten, daß statt des Schiffers gelegentlich auch der Name des Reeders genannt werden kann. Die unterschiedliche Bezeichnung des Holk Sten Stures einmal mit dem Schiffstyp in Kombination mit dem Namen des Reeders und zum anderen mit dem Namen des Schiffers ist ja ein Bespiel dafür. Ebenso ist zu fragen, ob der Stockholmer Kaufmann, Reeder und Ratmann Nils Jönsson Scriver wirklich der Schiffer des sehr kleinen Schiffes ist, das 1495 im Stockholm-Lübeck-Verkehr zu beobachten ist, oder ob er hier lediglich als Reeder verstanden wird. In seiner ersten Bearbeitung der Pfundzollregister hat Friedrich Bruns bereits einige Beobachtungen zum Umfang des Schiffsverkehrs, zur Art und Größe der beteiligten Schiffe und zu den Umlaufzeiten mitge­ teilt.6 Dabei hatte er sich mit Eigentümlichkeiten der Buchungsweise in den Pfundzollregistern auseinanderzusetzen, die klare Feststellungen er­ schweren. Sowohl im Import als auch im Exportregister werden viele Schiffer unter jeweils demselben Ziel- oder Herkunftsort innerhalb we­ niger Wochen mehrfach genannt. Wenn z.B. 1494 unter dem Namen des Schiffers Gert Gilow nach Stockholm mit dem Datum na crucis (3.5.) und später na pinxsten (18.5.) Waren verzollt werden, so bezeichnen diese Daten selbstredend nicht zwei Reisen, sondern müssen als unterschiedliche Buchungsdaten einer Reise angesehen werden, wobei eins der Daten auch den Abreisetag bezeichnen mag. Für diese Buchungspraxis gibt es in den Pfundzollregistern eine Fülle von Beispielen. Bei Reisen etwa nach Stock­ holm oder nach Reval ist die Entscheidung, daß es sich um ein und dieselbe Reise handeln muß, sehr leicht zu treffen, das wird jedoch für den Verkehr zu den nahe liegenden Zielen wie Schonen oder Mecklenburg/Pommern nicht immer möglich sein. Für den Verkehr zwischen Lübeck und Stockholm lassen sich die folgenden Zahlen an ein - und auslaufenden Schiffen feststellen:

6 Friedrich Bruns, Die lübeckischen Pfundzollbücher von 1492 - 1496 [= Pfund­ zollbücher]. In: HGbll. 1904/05, S. 108-131; 1907, S. 457-499; 1908, S. 357-407 Der Lübecker Stockholm-Verkehr 7

Tabelle 2: Zahl der in Lübeck ein- und auslaufenden Schiffe im Stockholm-Verkehr der Jahrte 1492 - 1496

1492 1493 1494 1495 1496 von Stockholm 27 31 30 20 5 nach Stockholm 21 15 18 15 10

Die Differenzen zu der Auszählung von Friedrich Bruns7 sind gering, sie beruhen darauf, daß in Einzelfällen verschiedene Namensformen ein und demselben Schiffer zugeordnet werden konnten. - Auch seiner Festellung, daß der Beginn der jährlichen Schiffahrt im allgemeinen Mitte März liegt, ihr Schluß um Martini, ist nichts hinzuzufügen.8 Abweichungen davon erklärt er mit den unterschiedlichen Wetterlagen. - Die Umlaufdauer im Stockholm-Verkehr errechnet er mit durchschnittlich 2 Mona­ ten.9 Dazu muß jedoch bedacht werden, daß lange Umlaufzeiten auch in den ungenauen Buchungsterminen begründet sein können. Mit Sicherheit können sich die Umlaufzeiten auch durch Konvoitermine verlängern, an die sich die Schiffer zu halten hatten. Neben den langen Umlaufzeiten, die Bruns nennt, finden sich aber auch sehr kurze, so für Schiffer Andreas Jacobsen mit 40 Tagen (Abreise nach Stockholm 1494 März 30, Ankunft in Lübeck 1494 Mai 8) oder für Schiffer Gert Bur mit 46 Tagen (1493 März 17 - 1493 Mai 1). Sicher sind das aber Reisen unter günstigen Bedingungen gewesen, denn sie spiegeln nicht die Regel wider. Aus den Pfundzollregistern lassen sich Beobachtungen zu der Frage ablesen, wie weit in diesen Jahren auf der Linie Lübeck - Stockholm das Konvoisystem angewendet worden ist. 1492 wird der Lübecker Import demnach im wesentlichen in zwei Konvois abgewickelt, wenn man die Einzelfahrer abrechnet, die Anfang Mai aus Stockholm eintreffen. Aller­ dings haben wir keine Nachrichten darüber, ob schon vor dem Beginn der Erhebung des Pfundzolls am 15. April Schiffe im Stockholm-Verkehr gefahren sind. Der große Konvoi, der am 15.7. mit 17 Schiffen in Lübeck gebucht wird, befördert eine verzollte Ladung im Wert von rund 32.600 m lüb., dazu kommen erhebliche Mengen an Waren, die aus unterschiedlichen Gründen zollfrei sind. Zu diesem Konvoi gehörte auch der Lübecker Schiffer Tornas Möller, der mit Genehmigung Sten Stures u.a. 100 Last Roggen geladen hatte, die Lübecker Kaufleute aus Schweden ausführen durften, um einen akuten Mangel in Lübeck zu beheben. Zur Sicherung

7 ebda., 1904/05, S. 118f. Bruns zählt von Stockholm 29/31/30/21/5 Schiffe, nach Stockholm 23/15/19/15/10. 8 ebda. S. 114f. 9 ebda. S, 121 f. 8 Hans-Jürgen Vogtherr

dieser Fracht vor Ausliegern hatte Sten Sture sogar sein Kraweel mitge­ geben.10 Dieses entgegenkommende Verhalten Sten Stures ist Teil seiner Politik dieser Monate, sich stärker Lübeck und den wendischen Städten zu nähern. Der zweite Konvoi, dessen Ankunft etwa um den 16. Oktober anzusetzen ist, beförderte eine verzollte Ladung von etwa 20.700 m lüb., also etwa zwei Fünftel des Importes aus Stockholm im Jahre 1492.

Tabelle 3: Ankunfts- und Abreisetermine der Schiffe im Lübecker Stockholm-Verkehr 1492 und 1493

Import Export

Datum Schiffe Datum Schiffe 6.5.1492 2 1.5.1492 4 15. 7. 17 20. 5. 2 16.10. 8 15. 8. 7 29. 9. 3 28.10. 4 25.11. 1 31.1.1493 1 17.3.1493 2 1. 5. 8 21. 4. 1 15. 6. 3 - 1 2. 7. 1 16. 5. 3 10. 8. 3 13. 7. 1 24. 8. 6 15. 8. 1 27. 9. 2 1. 9. 3 16.10. 7 16.10. 1 1.11. 1 11.11. 1

Die Übersicht über die Ankunfts- und Abreisetermine der beiden Jahre in Lübeck zeigt, daß eine ähnliche Bündelung zu größeren Konvois wie im Import 1492 im Lübecker Export kaum stattfindet. Die gemeinsame Buchung von 7 Schiffen unter dem 15.8. läßt vermuten, daß sie als kleinerer Konvoi angesehen werden können. Im Jahre 1493 ist man offensicht­ lich auch beim Lübecker Import davon abgegangen, größere Konvois zu bilden. Unter dem Datum des 31.3.1493 verzeichnet das Importregister die Verzollung der Güter auf dem Schiff Oleff Tavestes, der auch schon 1492 als Einzelfahrer die Saison eröffnete. Die gemeinsame Buchung von 8 Schiffen am 1.5., 6 am 24.8. und 7 am 16.10.1493 lassen allenfalls kleinere Konvois vermuten. Zwar werden unter demselben Termin des 31.3. („na

10 Hanserecesse [= HR], III. Abt (1477-1539), bearb. von Dietrich Schäfer, 9 Bde., 1881-1913. Hier: HR III 3, Nr. 82 Der Lübecker Stockholm-Verkehr 9

palmen“) 3 Schiffe aus Reval, 2 aus Königsberg, 4 aus Danzig und eins aus Söderköping eingetragen, daraus jedoch zu schließen, daß eine Absprache unter den Schiffern aus so verschiedenen Herkunftshäfen zur Bildung eines Konvois geführt haben könnte, dürfte abwegig sein. Die folgenden Jahre bieten ein ähnliches Bild wie das Jahr 1493. Man kann zusammenfassend sagen, daß von 1493 an das Instrument der Konvoischiffahrt im Lübecker Stockholm-Verkehr nur schwach ausgeprägt ist, wesentlich schwächer, als etwa zur gleichen Zeit in der Revalfahrt. Das muß zu dem Schluß führen, daß die Lübecker Maßnahmen zur Sicherung der Seewege auf der Ostsee, die von Sten Sture unterstützt wurden, offensichtlich erfolgreich waren. Das wird auch durch Caspar Weinreichs Danziger Chronik gestützt, die von 1492 bis 1496 keine Seeräuber in der Ostsee nennt, in allen anderen Jahren aber durchgängig zu klagen hat." Allerdings darf man nicht zu weitgehende Schlüsse aus den vorgelegten Daten ziehen, denn sie geben gewissermaßen eine Momentauf­ nahme wieder. Die ausführlich überlieferten Buchungsdaten der Pfundzollregister legen die Frage nahe, ob sie etwas über die Hafenliegezeiten der einzelnen Schiffe aussagen.12 Als Hafenliegezeit kann theoretisch die Differenz zwischen dem Buchungstermin der Ankunft und dem der Abfahrt des jeweiligen Schiffers in Lübeck angesehen werden. Methodisch stößt dieser Ansatz jedoch auf erhebliche Schwierigkeiten. Die beförderten Güter eines Schiffes können durchaus an verschiedenen Terminen gebucht werden (so z.B. Oleff Taveste von Stockholm 1492 Oktober 16 und 21 oder Pauwel Oleffsen von Stockholm 1493 August 15 und 24). Wenn man Daten dieser Art verwenden will, dann ist dies nur mit der Unterstellung möglich, daß jeweils der erste Buchungstermin der Ankunftstag ist. Daß dies nicht unbedenklich ist, liegt auf der Hand. Am deutlichsten werden die Schwierigkeiten in zwei Fällen, in denen die Ankunft zweier Schiffe am selben Tag gebucht wird wie ihre Abfahrt nach Stockholm (Peter Ruters und Magnus Oleffs Einbuchung aus Stockholm 1492 Oktober 28, am selben Tag die Buchung der Abfahrt). Eine Ha­ fenliegezeit von 0 Tagen ist jedoch als irreal anzusehen. Die genaue Interpretation des Kontextes dieser Daten zeigte jedoch, daß hier ein Konvoi von vier Schiffen angenommen werden muß, dessen frühester Einbuchungstermin eines seiner Schiffe als Ankunftstermin angesehen werden kann (Oleff Taveste 1492 Oktober 16), so daß man zu einer berechneten Liegezeit von 12 Tagen kommt.

11 C.G. Styffc, Bidrag tili Skandinaviens historia, 5 Bde., Stockholm 1859-1884, hier Bd. 4, S. XCV, Anm. 2 12 Der folgende Abschnitt geht auf eine Anregung zurück, die Herr Professor Dr. D. Ellmers in der Diskussion nach dem Vortrag gegeben hat. 10 Hans-Jürgen Vogtherr

Große Differenzen zwischen Ein- und Ausbuchung müssen durchaus nicht immer als Hafenliegezeiten angesehen werden. In dieser Zeit können auch Fahrten unternommen worden sein, die sich nicht in der Zollbuchung niederschlagen, so z.B. Leerfahrten oder Fahrten mit nicht zollpflichtigen Gütern wie z.B. Getreide. Auch hier bleiben Unsicherheiten. Schließlich muß bedacht werden, daß die Pfundzollbücher besonders 1492 insofern keine normale Situation widerspiegeln, als in diesem Jahr das Instrument der Konvoischiffahrt verstärkt angewendet wird und der Zusammenschluß zu größeren oder kleineren Konvois die Liegezeiten im Hafen beeinflussen kann, am wahrscheinlichsten in Richtung einer Verlängerung. Alle diese Einschränkungen müssen im Auge behalten werden und können nur dazu führen, daß die folgenden Zahlen mit großem Vorbehalt aufgenommen werden dürfen. Insgesamt konnte in 32 Fällen die Differenz in Tagen zwischen der Einbuchung eines Schiffes, das aus Stockholm kam, und seiner Ausbuchung wiederum nach Stockholm festgestellt werden. Die Ergebnisse stellen sich wie folgt dar:

Tabelle 4: Differenzen zwischen Ein- und Ausbuchung in Lübeck (= Hafenliegezeiten)

Tage Schiffe Tage Schiffe 45 3(K ) 17 1 38 1 16 2 31 5 (K) 15 6 29 1 12 4 25 1 10 1 24 2 9 1 21 1 7 1 19 1 5 I (K) = Konvois des Jahres 1492

Nimmt man die vorgelegten Daten ohne jede Bewertung hin, dann errechnet sich in diesen 32 Fällen eine durchschnittliche Differenz zwischen angenommener Ankunft und der Abfahrt von 21,5 Tagen als möglicher Liegezeit. Eine nähere Durchsicht der Daten erlaubt eine etwas andere Bewertung: In acht Fällen des Jahres 1492 sind ausgesprochen große Differenzen zwischen möglicher Ankunft und Abfahrt zu beobachten, die durch die großen Konvois vom 15.7. (Ankunft aus Stockholm) und 15.8. bzw. 29.8. (Abfahrt nach Stockholm) zu erklären sind. Hier ist deutlich eine Verlän­ Der Lübecker Stockholm-Verkehr 11 gerung der möglichen Liegezeit durch den Zusammenschluß zu Konvois anzunehmen. Nimmt man diese Werte aus der Tabelle, da sie offensichtlich die Ergebnisse stark beeinflussen, und erinnert sich daran, daß in den Jahren 1493 und 1494 die Konvoischiffahrt kaum noch eine Rolle spielt, daß hier also keine Sonderbedingungen beobachtet zu werden brauchen, dann verringert sich die durchschnittliche Liegezeit auf 16,6 Tage. Dieser Wert kann als Durchschnitt der Hafenliegezeiten in der Stockholmschiffahrt dieser Jahre angesehen werden. Er kann allerdings nur ein erster Anhalt sein und müßte mit den entsprechenden Daten auf anderen Linien ver­ glichen werden. Auf die grundsätzlichen methodischen Bedenken, die oben ausgebreitet wurden, sei dabei noch einmal ausdrücklich hingewiesen. Die Frage nach den Ladungsgrößen und den Tragfähigkei­ ten der hansischen Schiffe ist in letzter Zeit stärker in den Mittelpunkt gerückt. Zollregister empfehlen sich zur Beantwortung dieser Frage als Quelle, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen. Die Angaben dieser Register müssen es möglich machen, die Fracht ihrer Zusammensetzung nach zweifelsfrei zu bestimmen, sie mengenmäßig zu berechnen und sie einem bestimmten Schiff zuzuweisen. Dabei darf eine solche Untersuchung nicht bei Einzelergebnissen stehenbleiben, sondern sie sollte zum Ziel haben, die Ladungsgrößen möglichst aller Schiffe eines Hafens oder einer Linie zu erfassen und damit eine Vorstellung von der Leistungsfähigkeit der Schiffahrt in einer bestimmten Zeit oder einer bestimmten Region zu geben. Die geforderten Voraussetzungen werden von den Lübecker Aufzeich­ nungen zum Stockholm-Verkehr annähernd erfüllt. Es ist fast durchgängig möglich, den Inhalt und die Zusammensetzung der Fracht zu bestimmen, sie kann zumindest für den Lübecker Import aus Stockholm mit hoher Genauigkeit mengenmäßig berechnet werden, und sie ist für die Jahre von 1492 bis 1495 im allgemeinen auch einem bestimmten Schiff zuzu­ weisen. Die Aufzeichnungen des Jahres 1496 verfahren summarischer: Hier wird, wie überall, zunächst nach Kaufleuten gebucht, allerdings häufig mit Zusätzen des Typus [...] uth dre schepen [...], die eine Zuweisung der Fracht zu einem bestimmten Schiff unmöglich machen. Das größte Problem liegt bekanntlich in der Umrechnung mittelalter­ licher Ladungseinheiten auf metrische Größen, die uns erst eine relativ zuverlässige Vorstellung von den Tragfähigkeiten der Schiffe geben. Das methodische Vorgehen ist in Harald Witthöfts umfassender Arbeit zur historischen Metrologie13 und in der Dissertation von Thomas Wolf14 zu

13 H. Witthöft, Umrisse einer historischen Metrologie zum Nutzen der wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Forschung (Veröffentlichungen des Max-Planck-Institutes für Geschichte, Band 60), 2 Bde., Göttingen 1979 14 Th. Wolf, Tragfähigkeiten, Ladungen und Maße im Schiffsverkehr der Hanse vornehmlich im Spiegel Revaler Quellen = Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte, hrsg. vom Hansischen Geschichtsverein, NF Bd. 31, Köln 1986 12 Hans-Jürgen Vogtherr

Tragfähigkeiten und Ladungen vornehmlich im Reval-Verkehr diskutiert worden, und man kann auf die dort vorgelegten Ergebnisse zurückgrei­ fen, sie sind hier lediglich auf die Verhältnisse des Stockholm-Verkehrs zuzuschneiden. Beide haben deutlich gemacht, daß sich die Umrechnung mittelalterlicher Maße in metrische Normen unterschiedlich schwierig ge­ staltet. Tonnengut, wie Lüneburger Salz, Hering, Bier, Butter oder Ose- mund, läßt sich mit wünschenswerter Genauigkeit in metrischen Größen beschreiben. Schwieriger wird es, wenn Begriffe wie droge tunne, bereven tunne o.ä. erscheinen: Sie können nur mit metrischen Annäherungswerten erfaßt werden, die letztlich hypothetisch bleiben. Schließlich gibt es mittel­ alterliche Maßeinheiten, die sich einer Umrechnung in metrische Größen gänzlich entziehen. Hierher gehören z.B. alle Verpackungseinheiten des Tuchs wie packen, paxken, tunne oder terling, weil sie letztlich keine Gewichts-, sondern lediglich Zähleinheiten darstellen. Dafür, daß unter diesen Größen sehr verschiedene Gewichte verstanden werden können, ist der Rezeß des Hansetages von 1498 in Lübeck ein beredtes Zeugnis, auf dem u.a. Höchstzahlen für einzelne Stücke Tuch pro Terling festgelegt wurden.15 Die Lübecker Ausfuhr nach Schweden und insbesondere nach Stock­ holm weist in der Mehrzahl solche Ladungsteile auf, die mit metrischen Normen nicht faßbar sind, also Frachten, die nach Tucheinheiten, Stück, Kisten und Tonnen unbestimmbarer Gewichte (z.B. Gewürze, Bücher, Harnische usw.) gemessen werden. Im Lübecker Export nach Stockholm wäre auf diese Weise nur ein Bruchteil in metrische Größen umrechenbar. Daher eignet sich die Ausfuhr nicht als Berechnungsgrundlage für La­ dungsgrößen. Nur in wenigen Fällen, in denen nämlich einzelne Ladungen aus klar umrechenbaren Monoladungen wie etwa Salz oder Bier bestehen, kann eine Ladungsgröße auch für den Lübecker Export nach Stockholm metrisch errechnet werden. Wesentlich günstiger liegen die Dinge im Lübecker Import aus Stock­ holm: Hier ist das Gewicht der Ladungen größtenteils metrisch errechen­ bar. Die Ursache dafür ist, daß aus Stockholm im wesentlichen Rohstoffe eingeführt werden, deren Gewichte metrisch zu erfassen sind, also vor allem Kupfer, Eisen und Fette. Im Durchschnitt gelingt es, etwa 90 % der jeweiligen Ladung in ihrem Gewicht auf diese Weise zu bestimmen. Als Unsicherheit bleibt dabei, daß bestimmte Güter in Lübeck zollfrei ein­ geführt werden konnten, so Getreide als Grundnahrungsmittel, Mehl, aber auch Güter des schwedischen Adels und der schwedischen Geistlichkeit. So blieb z.B. der durchaus nicht geringe Eigenhandel Sten Stures des Alte­ ren zollfrei. Geistliches Gut und Herrengut werden aber im allgemeinen trotzdem in den Registern aufgeführt, auch wenn sie zollfrei sind, und

15 HR III 4, Nr. 79, §61, S. 92 Der Lübecker Stockholm-Verkehr 13 können daher mitberechnet werden, für Getreide und Getreideprodukte finden sich jedoch nur 1492 Angaben, nicht mehr jedoch in den späteren Jahren. Im ganzen ist aber anzunehmen, daß es aus Stockholm nur einen geringen Import an diesen Gütern gegeben hat. Im gesamten Lübecker Stockholm-Verkehr waren 74 Schiffer festzustel­ len. Für 61 Schiffe konnten die Ladungen errechnet werden, für 13 war dies nicht möglich: 9 dieser Schiffe werden jeweils nur einmal im Export genannt, für die restlichen 4 Schiffe war die Import-Ladung nicht erre­ chenbar. Alle 13 Schiffe werden nur einmal genannt. - Die Ladungsgrößen werden in den Tabellen 5 und 6 aufgeschlüsselt. Die Zahlen könnten den Eindruck entstehen lassen, daß die kleinen Schiffe bis 501 im Stockholm-Verkehr vorgeherrscht haben. Von der Frachtmenge her gesehen, befördern die 41 kleinen Schiffe bis 50 t La­ dungsgröße insgesamt jedoch nur eine errechenbare Fracht von 857,3 t, also 17,7 %, die 20 mittleren bis großen Schiffe dagegen 3.992,3 t, entspre­ chend 82,3 % der beförderten Güter. Demzufolge ist die Hauptmenge der Fracht mit Schiffen von 50 bis 150 t transportiert worden. Insofern entspricht dieses Bild des Lübecker Stockholm-Verkehrs auch den Größen, die Wolf für die Schiffe im Innerostsee-Verkehr im 15. Jahrhundert an­ hand der Revaler Quellen errechnet hat.16 Nur ein Schiff überschreitet die Ladekapazität von 100 Last, die in der Umrechnung mit 180 bis 2001 wiederzugeben wäre. Es handelt sich dabei um das Schiff des Lübecker Schiffers Tornas Möller, das nur auf einem Stockholm-Umlauf 1492 verzeichnet ist. Es transportierte hierbei, wie bereits erwähnt, zusam­ men mit anderer Fracht 100 Last Getreide von Stockholm nach Lübeck, insgesamt mehr als 341 t, und scheint allein wegen dieser für den Lübecker Stockholm-Verkehr außergewöhnlichen Fracht einmalig auf dieser Linie eingesetzt gewesen zu sein. Tornas Möller ist sonst durchgängig als Revalfahrer bekannt.

Tabelle 5: Kleine Schritte (- 50 t) im Stockholm-Verkehr (N=41)

-10t -20 t -30 t -40 t -50 t insgesamt 18 5 5 8 5 darunter mehrfach genannt 3 1 2 2 2 darunter einmal genannt 15 4 3 6 3

16 Wolf, Tragfähigkeiten, S. 176. Seine Vermutung, daß der Schwedenverkehr mit kleinen Schiffen von 30 bis 40 Last abgewickelt worden sei (S. 182), muß für den Stockholm- Verkehr daher korrigiert werden. 14 Hans-Jürgen Vogtherr

Tabelle 6: Mittlere (51-200 t, N=19) und große Schiffe (über 200 t, N=l) im Stockholm-Verkehr

100 t 150 t 200 t 400 t insgesamt 11 8 1 darunter mehrfach genannt 9 6 darunter einmal genannt 2 2 1

Wenden wir uns nun den Nachrichten zu, die sich über die Schiffer im Stockholm-Verkehr gewinnen lassen. Dabei werden die Schif­ fer außer acht bleiben, die lediglich im Gelegenheitsverkehr auftreten. Im Mittelpunkt des Interesses stehen die Schiffer, die den Stockholm-Verkehr im eigentlichen Sinne tragen. Daher fragt die folgende Einteilung nun nicht nach der Größe des einzelnen Schiffes, sondern die Zuordnung eines Schiffers zu einer Gruppe erfolgt nach der Intensität, mit der er am Stockholm-Verkehr teilnimmt. Die Gruppen setzen sich dann wie folgt zusammmen: 1. 8 Schiffer sind über mehrere Jahre hinweg nur im Import und Export von und nach Stockholm zu beobachten, sie betreiben also einen reinen Linienverkehr zwischen Lübeck und Stockholm, ohne daß andere Häfen von Lübeck aus angelaufen werden. 2. 7 Schiffer fahren ebenso im Linienverkehr mit Stockholm, laufen daneben aber auch andere Ziele an. 3. 28 Schiffer werden lediglich ein- oder zweimal allein im Stockholm- Verkehr genannt, sonst nirgends in den Registern. 4. Für weitere 31 Schiffer ist die Stockholmfahrt ebenfalls als Gelegenheits­ fahrt einzustufen. Für sie wird Stockholm als Ziel oder Herkunftsort auch nur ein- oder zweimal, allerdings neben anderen Zielen genannt. Es sind allerdings nicht unbedingt immer kleine Frachten, die hier transportiert werden, denn hierher gehört auch ein Schiffer wie der erwähnte Lübecker Tornas Möller, der mit einer Fracht von mehr als 341 Tonnen auf einer Fahrt eine Sonderstellung im Stockholm-Verkehr einnimmt. Man kann die beiden letzten Gruppen mit insgesamt 59 Schiffern da­ durch zusammenfassen, daß man bei ihnen Gelegenheitsfahrt als gemein­ sames Kennzeichen konstatiert. Für sie ist die Linie Stockholm - Lübeck also nicht das Zentrum ihrer Schiffer-Tätigkeit. Anders sieht die Situation für die beiden ersten Gruppen aus: Für 15 Schiffer ist die Linienfahrt zwischen Lübeck und Stockholm ganz oder nahezu ausschließlich Gegenstand ihres Berufes. Das wird nicht nur durch Der Lübecker Stockholm-Verkehr 15

die Häufigkeit ihrer Fahrten angedeutet, sondern auch durch die Menge der beförderten Fracht unterstrichen. Auch hier wird den Berechnungen der Lübecker Import aus Stockholm zugrundegelegt. Das errechenbare Gewicht der Importgüter Lübecks aus Stockholm in der registrierten Zeit beträgt unter den dargestellten Voraussetzungen mindestens 4.849,7 t. Diese Zahl dürfte etwa 90 % des Gesamtexportes entsprechen, der Rest ist metrisch nicht errechenbar. Davon befördern die Schiffer der ersten Gruppe, die also über mehrere Jahre hinweg einen aus­ schließlichen Linienverkehr zwischen Lübeck und Stockholm unterhalten, insgesamt 46,2 % der importierten Güter von Stockholm nach Lübeck. Die Schiffer der Gruppe 2, die ebenfalls über mehrere Jahre Linienverkehr zwischen Stockholm und Lübeck aufrechterhalten, daneben jedoch noch andere Ziele anlaufen, verfrachten 21,6%. Addiert man beide Zahlen, so ergibt sich, daß die 15 Schiffer, die Linienverkehr zwischen Stockholm und Lübeck betreiben, 67,8 % des gesamten Imports von etwa 4.849,71 aus Stockholm nach Lübeck bringen. Auf den Gelegenheitsverkehr der 59 restlichen Schiffer entfallen danach nur 32,2 % des Lübecker Imports aus Stockholm. Diese Rechnung dürfte die Rolle dieser 15 Schiffer des Linienverkehrs im Stockholm-Verkehr unterstreichen. Die folgenden persönlichen Daten der wichtigsten Stockholmschiffer sollen die Möglichkeit geben, sie näher zu identifizieren. Dabei soll vor allem die Gruppe der 8 Schiffer untersucht werden, die einen Linienverkehr ausschließlich zwischen Lübeck und Stockholm betreiben und mit der beförderten Fracht an der Spitze stehen. Die Zahlen gründen sich, wie dargestellt, auf eine Abschätzung der importierten Güter. Unter den Schiffern auf der Stockholmlinie nimmt Gert Bur eine herausgehobenc Stellung ein. Seine Bürgerschaft in Kalmar ist für die Jahre 1488 und 1491 durch zwei Eintragungen im Lübecker Niederstadtbuch gesichert.17 1493 wird er im Stockholmer Stadtbuch jedoch als „unser Bürger“ bezeichnet, als es um einen angeblich ungesetzlichen Kupfer­ kauf geht.18 Er hat demnach zwischen 1491 und 1493 die Stockholmer Bürgerschaft erworben. Die Lübecker Pfundzollregister bekunden Fahrten für ihn zwischen Lübeck und Stockholm in den Jahren 1492 bis 1494, 1495 und 1496 erscheint er nicht in den Lübecker Aufzeichnungen. Seine Fahrten auf dieser Route kann man als Linienverkehr bezeichnen, denn er fährt in diesen Jahren jeweils zwei Umläufe zwischen beiden Städten. Auf anderen Linien tritt er nicht auf.

1 Archiv der Hansestadt Lübeck [=AHL], Niederstadtbuch [=NStb] 1488 Viti martiris; Wilhelm Ebel, (Hrsg.), Lübecker Ratsurteile, 3 Bde, Göttingen 1955-1958, hier: Band I, Nr. 509 18 Stockholm Stads Tänkeböcker 1-3 [= SSTb], utg. genom Joh. Ax. Almqvist = Stockholms stadsböcker frän äldre tid, andra Serien, Tänkeböcker 1-3 , Stockholm 1917 - 1944. Hier: SSTb 3, S. 105 16 Hans-Jürgen Vogtherr

Von 1492 bis 1494 befördert er mindestens 561 t von Stockholm nach Lübeck und steht damit an der Spitze aller Stockholm-Schiffer. Als größte Ladung seines Schiffes lassen sich für eine Fahrt im Jahre 1493 insgesamt knapp 136 t errechnen, er scheint also ein Schiff im oberen Bereich der Schiffsgrößen im Stockholm-Verkehr zu fahren. Gert Bur erscheint 1488 erstmalig in den Quellen.19 Kalmarer Kaufleute erklären gegenüber dem Lübecker Niederstadtbuch, sie hätten mit ihm einen Transport von 19 Pferden nach Lübeck vereinbart und wollten dafür 42 Mark Fracht zahlen. Obwohl die Pferde schon verladen gewesen seien, habe Gert Bur sie nach einigen Tagen wieder ausgeschifft und sei leer nach Lübeck gefahren. Eine Begründung für dieses Vorgehen gibt die Quelle nicht, es geht beiden Kaufleuten offensichtlich darum, vor dem Niederstadtbuch zu bekunden, daß die Schuld für die nicht eingehaltene Lieferung nicht bei ihnen lag. Interessant an diesem Eintrag ist, daß Gert Bur 1488 noch im Kalmar-Verkehr fährt, später ist er auf dieser Linie nicht mehr nachzuweisen. Pferde als Ausfuhrartikel Südschwedens sind nicht ungewöhnlich, Söderköping führt 1474 bis 1476 über 150 Pferde nach Danzig aus.20 Auch 1491 geht es in einer Schadensstreitigkeit in Lübeck, an der er beteiligt ist, um einen Pferdetransport.21 In den Pfundzollregistern erscheint Gert Bur nicht nur als Schiffer, sondern auch als Kaufmann mit einem nicht unbedeutenden Eigenhandel. Insgesamt verzollt er unter seinem Namen Waren im Wert von 1.182 m lüb-, davon 1.152 m lüb. im Stockholm-Handel. Die importierten Güter, die er verzollt, bestehen fast ausschließlich aus Metallen, nämlich 13 Mesen Kupfer und 9 Last Osemund. Daneben deklariert er 1493 1 Last Lachs. Er exportiert 9 Faß Einbecker Bier und 8 Last Salz. 1 Last Osemund im Wert von 30 m lüb. führt er wiederum aus Lübeck nach Stralsund aus. Seinen Eigenhandel betreibt er offensichtlich teilweise in Gesellschaft mit dem Kalmarer köpsven Jacob Becker. 1496 sichert dieser ihm eine Auszahlung von 186 m lüb. in Lübeck zu.22 1497 heben beide ihre Gesellschaft auf.23 1498 klagt Bur in Lübeck wegen etlicher Güter, es handelt sich um Salz und Hopfen, die ihm verlorengingen, als das Schiff des Schiffers Peter Nachtraven in den schwedischen Schären auf Grund geriet.24 Er beförderte demnach seine Handelsgüter nicht nur mit dem eigenen Schiff, das spricht für einen größeren Rahmen seines Eigenhandels. Gert Bur ist aber nach den Quellen dieser Jahre nicht nur als Schiffer und Kaufmann bekannt, sondern auch als Bevollmächtigter Sten Stures des

19 AH L, NStb 1488 Viti martiris 20 S. Ljung, Söderköpings Historia. Första delen. Tiden tili 1568. Söderköping 1949. S. 246 21 Ebel, Ratsurteile I, Nr. 509 22 SSTb 3, S. 308 23 AH L, NStb 1487 Thome apl. 24 Ebel, Ratsurteile I, Nr. 859 Der Lübecker Stockholm-Verkehr 17

Älteren in dessen geschäftlichen Angelegenheiten. Das wird bei mehreren Anlässen deutlich, so unter anderem bei der Auseinandersetzung des deutschstämmigen Stockholmer Kaufmanns Hinrik van dem Bussche mit Sten Sture. Hinrik hatte 1491 nach einem Streit mit seinem Schwager Erik Gislesson um eine Erbschaft, die ihren beiden Frauen zustand, auf Anraten des Stockholmer Rates eine Reise nach Lübeck angetreten, um dort das versiegelte Handlungsbuch seines Schwiegervaters Hans Ekerholt zu holen, mit dem in Stockholm die Erbstreitigkeiten geklärt werden sollten. Er kehrte jedoch nicht zurück, so daß es den Anschein hat, als habe er sich der Klage seines Schwagers in dieser Angelegenheit entziehen wollen. 1492 versucht Könne, die Ehefrau Hinrik van dem Bussches, die zunächst in Stockholm zurückgeblieben war, mit dem Schiff Gert Burs ebenfalls die Stadt zu verlassen. Sten Sture bekam Nachricht davon und ließ sie in den schwedischen Schären von dem Schiff holen.25 Ihre Abreise trug alle Züge einer Flucht, die durch das Eingreifen Sten Stures verhindert wurde. Dieser wendet sich in dieser Angelegenheit an den Lübecker Rat und verfolgt dort die Sache weiter. Der spätere Fortgang ist hier nicht weiter zu erörtern. Ob die Ursache der Abreise Hinrik van dem Bussches wirklich Erbstreitigkeiten waren oder politischen Gegensätze zwischen Hinrik van dem Bussche und Sten Sture, kann schwer entschieden werden. In der schwedischen Literatur hat man vermutet, daß Hinrik van dem Bussche wohl zur politischen Opposition gegenüber Sten Sture gehörte.26 Eine Eintragung im Lübecker Niederstadtbuch 1492 Dez 6 läßt auch geschäftliche Gegensätze zwischen beiden vermuten.27 Schiffer Gert Bur tritt hier als Bevollmächtigter Sten Stures auf, der Forderungen gegenüber Hinrik van dem Bussche in Höhe von 800 m lüb. mit einer Besäte decken will. Die Lübecker Kaufleute Hermann Ruckerdink, Hermann Wulf und Hermann Huntenberg bürgen jedoch für Hinrik van dem Bussche, so daß Gert Bur auf die Besäte verzichtet. Ein anderer Fall macht seine offensichtlich weitreichenden Vollmachten deutlich, die er im Aufträge Sten Stures ausübt. In den Pfundzollregistern zeigt sich, daß er für Sten Sture Güter transportiert und in Lübeck bei der Zollstelle als zollfrei deklariert. 1493 exportiert er für Sten Sture 4 Stück Wein und 3 Fässer Einbecker Bier, 1494 importiert er für ihn 15 Mesen Kupfer, 4 Last Osemund und 1 Last Tran. Als Sten Stures Faktor in Lübeck übernimmt der Lübecker Kaufmann Hans Junge diese Waren, denn der eigentliche Hauptteil des Eigenhandels Sten Stures geht über ihn, wie wir aus den Pfundzollregistern wissen, die im allgemeinen als Grund für die Zollfreiheit das Eigentum Sten Stures an diesen Waren nennen. Hans Junge betreut von 1492 bis 1494 insgesamt 12 Sendungen von und nach Stockholm, wobei eine Einzelsendung von 40 Last Osemund im Jahre

25 SSTb 3, S. 64 26 C.C. Sjöden, Stockholms borgerskap under Sturetiden, Stockholm 1950, S. 285 27 C.W. Pauli, Lübeckischc Zustände im Mittelaltcr III, Leipzig 1878, S. 236 18 Hans-Jürgen Vogtherr

1493 allein einen Wert von 1.200 m lüb. ausmachte. 1495 bekundet das Lübecker Niederstadtbuch, daß Gert Bur als Prokurator Sten Stures bei Hans Junge und Sander Oldendorp in Lübeck einen Kredit von 4.580 m lüb. aufgenommen habe, [...] welke summe geld [...] vorthan in des heren Steyn unde des rykes myt profyt unde besten na dessulven heren Steyns bevele vorthan, angekarte unde gelecht [...]28 werden sollte. Zur Verwendung des Geldes im einzelnen hat Gert Bur Vollmacht. Hans Junge ist uns aus Geschäften mit Sten Sture bekannt, Sander Oldendorp kennen wir als Oldermann der Goldschmiede29 und Oldermann der Heiligen- Leichnams-Bruderschaft. Er ist im Schwedenhandel nicht vertreten, er nimmt nur 1492 und 1493 insgesamt drei zollfreie Sendungen entgegen, deren Zollfreiheit allerdings nicht begründet wird. Es muß sich aber um Herrengut oder geistliches Gut handeln. Als Sicherheit für das Darlehen bleibt [...] Ernst van den Hude, des heren Steyns denre, to ghizel [...] in Lübeck, alle Güter Sten Stures in Lübeck werden den Gläubigern verpfändet. Dieser Ernst van der Hude ist in den Quellen nicht näher zu identifizieren. 1496 erscheint der Stockholmer Priester Antonius Keller in Lübeck, um sich im Aufträge Sten Stures u.a. darum zu bemühen, das Darlehen endgültig zu tilgen, indem er sich nach Westen begibt, um dort die Güter Sten Stures zu verkaufen und das Geld einzuziehen.30 Bei dieser Gelegen­ heit werden Handelsverbindungen von Stockholm bis nach Brügge in allen persönlichen Beziehungen deutlich, die Quelle ist also ein willkommener Beleg für die einzelnen Stationen des Lübecker Westhandels. Sten Stures Waren kommen, häufig mit Schiffer Gert Bur, nach Lübeck und werden dort von seinem Faktor Hans Junge übernommen. Während der Laufzeit des Darlehens übernimmt Ernst van der Hude die Aufgabe, die Güter westwärts zu expedieren {[...] sodane gudere, alse Ernst van der Hutten van wegen hem Steens erben, westwerdt hanteret [...]). Er wird sich dabei der Hamburger Faktoren Ernst Junges bedient haben, als deren Namen wir für die achtziger Jahre die Hamburger Werner Boneke, Hinrik Vaget, Hans Soltouw, Gorries Rover und Ratke Holle31 kennen. Als Empfänger der Waren in Brügge werden die Kaufleute Diderick Rapedouw und Dide- rick Passche genannt. Passche zumindest ist durch spätere Verbindungen mit Schweden bekannt: 1500 wird er aus der Hanse gewiesen, weil er Direktverkehr zwischen Seeland und Stockholm betrieb und Gesellschaft mit Außenhansen hatte.32 Es dürfte sich um denselben Diderick Passche handeln, den 1501 der Stockholmer Kaufmann Mattes Lutke mit seinem

28 ebda., S. 120 29 AH L, NStb 1484 Marg. virg. 30 AHL, NStb 1496 Agnetis virg. 31 Staatsarchiv Hamburg, Senatsakten 111-1 /CI. VII Lit Eb No. 10 und Lit Ed No. 11 passim 32 Hansisches Urkundenbuch [=HUB], hrsg. vom Verein für Hansische Geschichte, 11 Bde., Halle und Leipzig 1876-1939, hier Bd. XI, Nr. 1222 Der Lübecker Stockholm-Verkehr 19

Schiff für eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela chartert: Es ist eines der frühen Beispiele für den direkten Seeverkehr von Schweden nach Spanien.33 1495 und 1496 ist Gert Bur in den Pfundzollregistern nicht erwähnt, er ist in dieser Zeit mit diplomatischen Aufträgen Sten Stures beschäftigt. Im Dezember 1494 richtete Sten Sture ein Schreiben an den Lüneburger Rat, in dem er mitteilte, daß sein „Getreuer“ Gert Bur den Auftrag habe, [...] knechte upp to nemende vann mynent wegenn [...], er dächte dabei an Jost Lorber und dessen Leute.34 In der Tat kam es dann auch dazu, daß Jost Lorber mit Söldnern zur Unterstützung Sten Stures nach Schweden ging. Er blieb dort nur eine begrenzte Zeit, 1496 Juni 30 dankte Sten Sture Lüneburg, er habe Jost Lorber wieder zurückgeschicktP3 1495 Januar 29 bittet Sten Sture Danzig um Unterstützung seiner „Dieners“ Gert Bur in den ihm aufgetragenen Angelegenheiten.36 Eine ebensolche Bitte geht am 2. Mai desselben Jahres an Wismar.37 Diese Angelegenheiten werden nicht näher beschrieben, offensichtlich ist es aber Gert Burs Aufgabe, die hansischen Städte zur Unterstützung Schwedens gegenüber dem drohenden Einfall Rußlands in Finnland zu bewegen. 1496 übernimmt der schon erwähnte Stockholmer Priester und Kaplan Sten Stures Antonius Keller diese Aufgabe, wie wir aus einem Schreiben Lübecks an Rostock wissen.38 Es ist dieselbe Gelegenheit, bei der er auch die geschäftlichen Fragen Sten Stures in Lübeck regelt. Aus den vorgelegten Quellen wird uns zusammenfassend das Bild eines schwedischen Schiffers deutlich, der einen erheblichen Anteil am Schiffs­ verkehr zwischen Lübeck und Stockholm hatte und auch Eigenhandel betrieb, daneben offensichtlich auch das Vertrauen Sten Stures des Alte­ ren genoß und von ihm in geschäftlichen und diplomatischen Missionen eingesetzt wurde. Er ist in gewisser Weise das Stockholmer Gegenstück zu seinem Zeitgenossen, dem Lübecker Kaufmann, Ratsherren und Diplo­ maten Hermann Mesmann, sicher nur in der Rolle vergleichbar, die er zwischen den Städten Stockholm und Lübeck spielte, bestimmt nicht in den umfangreicheren materiellen Möglichkeiten, die Mesmann zur Verfügung standen. Schiffer Hans Kil folgt mit einer beförderten Fracht von etwas über 405 t in den Jahren 1492 und 1493. Er unternimmt in diesen beiden Jahren jeweils mehrere Fahrten zwischen Stockholm und Lübeck, überwintert 1493/1494 in Lübeck und verläßt die Stadt 1494 März 30 in Richtung Stockholm, also zum angesichts der Witterung offensichtlich frühestmöglichen Zeitpunkt. Danach erscheint er nicht mehr im Pfundzollregister. Er ist mit großer

3-’ Sjöden, borgerskap, S. 275 34 HUB XI, Nr. 798 35 ebda., Nr. 954 36 HR III 3, Nr. 409 37 ebda., Nr. 411 38 ebda., Nr. 718 20 Hans-Jürgen Vogtherr

Sicherheit der Schiffer, der den Holk Sten Stures des Alteren fährt.39 1495 wird er in Stockholm in einer Pfandsache erwähnt.40 1498 verliert er sein Schiff auf der Heimreise von Danzig nach Stockholm, wohl durch einen Unglücksfall, einer Reise, [...] tha han foor her Stens arende tili Danzke

Auf dieser Fahrt hatte er auch ein Kabel an Bord, das er für Sten Sture transportierte. Auch diese Nachricht macht ein Dienstverhältnis zu Sten Sture wahrscheinlich. - Seine Bürgerschaft ist in dieser Zeit nicht klar ersichtlich. Wir haben erst eine Nachricht aus dem Jahre 1506, als sich Lübeck bei König Hans von Dänemark über das Vorgehen däni­ scher Auslieger beschwert.42 Danach sei Hans Kil 1505 mit einer Ladung Baiensalz nach Schweden gefahren und dort verstorben. Mit dem neuen Schiffer Dierich Lange sei das Schiff auf der Rückreise von dänischen Ausliegern genommen worden. Da diese Demarche des Lübecker Rates bei König Hans auf eine Beschwerde der Lübecker Stockholmfahrer beim Lübecker Rat zurückgeht, kann man annehmen, daß Kil zu dieser Zeit Lübecker Bürger war. Es ist aber durchaus möglich, daß Kil vor dem Sturz Sten Stures des Alteren 1497 die Bürgerschaft einer schwedischen Stadt hatte. Eindeutige Belege für sein Bürgerrecht in Stockholm finden sich für Peter Ruter oder, wie er in den schwedischen Quellen heißt, Rytter, der in den Jahren 1492 bis 1494 mit mehreren jährlichen Fahrten in den Pfundzollregistern vertreten ist. Er befördert in dieser Zeit Importgüter in Höhe von gut 377 t nach Lübeck. Auch er tritt 1495 und 1496 in den Registern nicht mehr in Erscheinung. Er stammt aus einer Stockholmer Familie vielleicht deutschen Ursprungs. Uber seine Schwester ist er mit dem deutschstämmigen Stockholmer Kaufmann Claus Werdermann verschwägert. Er selbst ist zweimal verheiratet und hat einen Sohn Johann, der die Familie in Stockholm weiterführt. 1495 ist Peter Ruter zusammen mit Schiffer Gregers Andersson Schaffer der Stockholmer Liebfrauengilde.43 In den Jahren 1502 bis 1509 wohnt er im Ostquartier der Stadt und zahlt jährliche Steuern bis zu 3 m stockh., das läßt auf eine solide wirtschaftliche Situation schließen.44 In den Stockholmer Stadtbüchern tritt er seit 1478 auf45, häufig in Handelsangelegenheiten. Ein Beleg für seine Teilnahme am Lübecker Stockholm-Verkehr findet sich schon früh: 1487 segelt er von Lübeck nach Stockholm, dabei wird sein Schiff von Ivar

39 wie Anm. 8 40 SSTb 3, S. 256 41 ebda., S. 380 42 HR III 5, Nr. 86 43 SSTb. 3, S. 262 44 Stockholms Stadsböcker frän äldre tid, tredje Serien 2: Skotteboken 1501-1510 [= SSSkb], passim 45 SSTb 1, S. 146 Der Lübecker Stockholm-Verkehr 21

Axelsson genommen.46 1494 hat der Lübecker Kaufmann, Reeder und Diplomat Hermann Mesmann, dessen intensive Handelsverbindungen mit Schweden bekannt sind, am Schiff Peter Ruters einen Anteil von einem Viertel, das entspricht 300 m lüb.47 Schiffer Oleff Taveste ist auch nur in den Jahren 1492 bis 1494 in den Pfundzollregistern aufgeführt. Er befördert in dieser Zeit 291 t Importgüter aus Stockholm nach Lübeck. Er ist 1487 als Stockholmer Bürger erwähnt48 1471/72 ist er zuständig für die Söderport, daneben übt er andere Ämter für die Stadt aus.49 Als Mitglied der Heiligen-Leichnams-Gilde bezahlt er 1473 als einmaligen Betrag 3 Mark stockholmisch.50 1 501 entrichtet er 1 Mark Steuern und wird dabei mit seinem Wohnsitz im „södra quarter“ aufgeführt.51 In den Stockholmer Stadtbüchern erscheint er ab 1484 als Eideshelfer, Testamentarier usw..52 1490 kauft er ein Steinhaus in der Stadt für 200 Mark stockholmisch.53 Geschäftsbeziehungen mit dem Stockholmer Kaufmann und Bürgermeister Bengt Smälänning werden 1490 und 1498 deutlich.54 1495 kauft der Rat der Stadt von ihm den halben Anteil an seinem Schiff und rüstet es mit ihm zusammen aus.55 Im Zusammenhang mit dem Schiff, einem Kraweel, dürften Zahlungen der Stadt in Höhe von insgesamt 6 Mark an ihn im Jahre 1501 stehen.56 Um die Jahreswende 1503/04 scheint er gestorben zu sein. Seine Frau kann das Haus nicht halten, da Stadt und Kirche Forderungen an ihn hatten. Schiffer Gregers Andersson tritt auch unter der Bezeichnung Lange Gregers in den Pfundzollbüchern auf. Er transportiert 1492 bis 1494 gut 174 t von Stockholm nach Lübeck. 1495 erscheint er nur noch mit einer Fahrt am 14. Juni nach Stockholm, er muß also vorher leer oder mit nicht zollpflichtigen Gütern nach Lübeck gefahren sein. An seiner Stockholmer Bürgerschaft besteht kein Zweifel: 1490 tritt er vor dem Stockholmer Rat in einer Verhandlung als Zeuge auf und wird dabei als Stockholmer Bürger bezeichnet.57 1495 ist er zusammen mit Peter Ruter Schaffer der Liebfrauengilde.58 1 501 bis 1503 bezahlt er mit dem Wohnsitz im quarter

46 HR III 4, Nr. 429 § 19 von 1503. Damals war der entstandene Schaden seitens des dänischen Königs noch nicht reguliert. 47 zitiert nach Ph. Dollinger, Die Hanse, Stuttgart 1966, S. 545 48 Stockholms Stadsböckcr frän äldre tid, första Serien 2, Stockholms Stads Jordebok 1474-1498, utg. genom Hans Hildebrand, Stockholm 1914, S. 98 49 Isak Collijn, (Hrsg.), Handlingar rörande Helga Likamens Gille i Stockholm I, Gillesboken 1393-1487, Stockholm 1921, S. 171 50 ebda., S. 79 51 SSSkb S. 13 52 SSTb 2, S. 65, 95 usw. 53 ebda., S. 408 34 ebda., S. 415; SSTb 3, S. 401 55 SSTb 3, S. 223 f., S. 229 36 SSSkb S. 31, S. 34 37 SSTb 2, S. 414 38 SSTb 3, S. 262 22 Hans-Jürgen Vogtherr

innan m wr zwischen 8 und 12 Öre Steuern.59 Von 1474 an60 wird er in den Stockholmer Stadtbüchern erwähnt und dabei sowohl als skeppare wie auch als köpsuen bezeichnet. Auffällig ist, daß er mit Sicherheit einmal 1492 wegen ungesetzlichen Kaufes zu der hohen Strafe von 40 Mark verurteilt wird.61 Worin das Vergehen bestand, wird nicht deutlich. - Insgesamt wird Gregers Andersson nie im Zusammenhang mit deutschen Schiffern oder Kaufleuten genannt, er hat offfensichtlich nur Verbindungen zu Schweden. Schwieriger liegen die Dinge bei Schiffer Andreas Kristoffer. Er befördert gut 158 to, und dies nur in den Jahren 1492 und 1493, von Stockholm nach Lübeck. 1489 hat er sich wegen einer Auseinandersetzung mit dem Schweden Erick Gislesson vor dem Stockholmer Rat zu verantworten, das Verfahren wird aber vertagt, und er muß einen Bürgen aufbieten, daß er sich nach seiner nächsten Reise dem Gericht wieder stellt.62 Dieser Vorgang spricht gegen ein Stockholmer Bürgerrecht. Ansonsten erscheint er zwischen 1479 und 1499 des öfteren in den Stockholmer Stadtbüchern, einmal auch als Taxator gestohlenen Gutes in einem Diebstahlsverfahren.63 1493 ist im Lübecker Importregister ein Schiffer Kristoffer aus Kalmar oder Söderköping kommend vermerkt.64 Wenn dieser Schiffer mit Andreas Kristoffer identisch sein sollte, könnte dies vielleicht auf engere Kontakte mit einem dieser Orte schließen lassen. Da er in deutschen Quellen überhaupt nicht genannt wird, dagegen häufiger in schwedischen, wird man bei ihm das Bürgerrecht einer schwedischen Stadt vermuten können. Schiffer Pauwel Oleffsen dürfte identisch sein mit dem skeppare Paval oder skeppare Paval Olsson in den Stockholmer Stadtbüchern. Er befördert 1492 bis 1494 mindestens 152,7 t von Stockholm nach Lübeck. Danach tritt er nicht mehr in Erscheinung und bietet damit dasselbe Bild wie die anderen schwedischen Schiffer dieser Gruppe. Er besitzt in Stockholm, zumindest zeitweise, ein Steinhaus.65 1484 wird er das erstemal genannt, als er als Eideshelfer für Cristin, die Frau des deutschstämmigen Kaufmanns Mattes Lutke, auftritt.66 Für Lutke erscheint er 1485 auch als Zeuge.67 Mit seinem Schiff scheint er in Diensten der Stadt zu stehen: Für Dezember 1485 ist ein Ratsbeschluß des Stockholmer Rates überliefert, an skipper Paval zu schreiben, er solle Fracht für 2 Mark pro Last annehmen und nach Stockholm bringen. Sollte er keine Fracht bekommen, dann möge er sich mit dem ersten offenen Wasser nach Danzig begeben, um dort

59 SSSkb, S. 22, 65, 10 60 SSTb 1, S. 1 61 SSTb 2, S. 607 62 SSTb 2, S. 366 63 ebda., S. 258 64 S. 76r 65 SSTb, S. 255 66 ebda., S. 52 67 ebda., S. 106 Der Lübecker Stockholm-Verkehr 23

Baiensalz, Hopfen oder was er sonst bekommen könne, für Stockholm zu laden.68 Leider wird nicht der Ort angegeben, wo Pauwel Oleffsen über Winter liegt. Auf städtische Aufträge weist auch hin, daß er 1510 „für sein Schiff nach Kalmar“ 50 Mark bekommt.69 Mit Steuerzahlungen ist er im Schoßbuch nicht enthalten. Alle Angaben über ihn deuten aber darauf hin, daß er Schwede ist, der enge Beziehungen zu Stockholm unterhält. Einwandfrei als Lübecker ist der letzte Schiffer dieser Gruppe, Hans Kannengeter, zu identifizieren. Er tritt in den Pfundzollregistern in den Jahren 1492, 1495 und 1496 im Stockholm-Verkehr auf und befördert hier mindestens 120,2 t von Stockholm nach Lübeck. Er begegnet uns erstmals 1482 als Zeuge in Lübeck70 und wird 1486 im Rezeß des wendischen Städtetages als Lübecker Bürger bezeichnet.71 Er bezeugt hier, daß Lübecker Schiffer vor England nicht an dem Raub eines bretonischen Schiffes beteiligt waren, das von dem Freibeuter Pining genommen worden war. In dasselbe Jahr fällt der erste Beleg für seinen Schwedenverkehr: Ihm wird bei 40 Mark Strafe untersagt, in Stockholm Lachs in sein Schiff zu nehmen.72 Dies ist im Zusammenhang damit zu sehen, daß in Stockholm eine Ausfuhr von Nahrungsmitteln in dieser Zeit nur zugelassen wurde, wenn die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt war. 1498 erleidet Kannengeter, offensichtlich durch eigenes Verschulden, Schiffbruch und muß sich wegen der Schadenersatzansprüche vor dem Stockholmer Rat verantworten.73 Unter den acht Schiffern, die ausschließlich im Linienverkehr zwischen Lübeck und Stockholm anzutreffen sind und deren persönliche Daten vor­ gestellt wurden, haben demnach fünf mit Sicherheit Stockholmer Bürger­ recht (Gregers Andersson, Gert Bur, Hans Kil, Peter Ruter, Oleff Taveste), bei zwei weiteren sind sehr enge Beziehungen zu Schweden festzustellen, ohne daß man jedoch das Bürgerrecht einer schwedischen Stadt nachweisen könnte (Andreas Kristoffer, Pauwel Oleffsen), lediglich einer der Schiffer, Hans Kannengeter, ist zweifelsfrei Lübecker Bürger. Damit verbindet sich auch eine Beobachtung, die die Pfundzollregister nahelegen: Außer Hans Kannengeter, dem einzigen sicheren Nichtschweden, ist keiner der Schiffer in den Jahren 1495 und 1496 verzeichnet. Linienschiffer des Stockholm- Verkehrs, die offensichtlich über das Bürgerrecht einer schwedischen Stadt verfügen, nehmen am Stockholm-Lübecker Linienverkehr der Jahre 1495 und 1496 nicht teil. Als Erklärung kann vermutet werden, daß Sten Sture im Jahre 1495 alle die Schiffe zusammenzieht, über die er Verfügungsgewalt hat. Es ist die Zeit der sich zuspitzenden Krise zwischen Schweden und Rußland. Am 18.11.1495 bricht er in der Tat mit einer Flotte von Stockholm

68 ebda., S. 123 69 SSSkb S. 360 70 AHL, NStB 1482 conv. Pauli, S. 35 71 HR III 2, Nr. 26, §62 und 63 72 SSTb 2, S. 169 73 SSTb 3, S. 359 ff. 24 Hans-Jürgen Vogtherr

aus nach Finnland auf, zu einem Unternehmen gegen russische Intervasi­ onstruppen, das angesichts des widrigen Winterwetters kaum Erfolg hat.74 Aus der Tatsache, daß zu dieser Gruppe auch Andreas Kristoffer und Pauwel Oleffsen gehören, kann auch von daher geschlossen werden, daß sie Schweden sind. Wenn man im Auge behält, daß von diesen acht Schiffern in der untersuchten Zeit gut 46 % der errechenbaren Güter nach Lübeck im­ portiert werden, dann folgt daraus, daß der Güterverkehr dieser Jahre zwischen Stockholm und Lübeck zum entscheidenden Teil in den Händen der Schiffer mit einem schwedischen Bürgerrecht liegt, die diese Route im Linienverkehr befahren. Unter ihnen ist der Anteil der Namen mit eindeutig skandinavischem Charakter (Andersson, Oleffsen, Taveste) zu beachtlich, als daß man in dieser Gruppe nur deutsche Schiffer sehen könnte, die auf begrenzte Zeit ein schwedisches Bürgerrecht innehatten. Das läßt sich mit einiger Sicherheit nur von Hans Kil behaupten. Abschließend noch ein Wort zu den Schiffern der beiden anderen Grup­ pen: Zu der zweiten Gruppe, als die die Schiffer bezeichnet wurden, die zwar auch Linienverkehr auf der Stockholm-Route betreiben, daneben aber auch andere Ziele besuchen, ist die Menge der überlieferten Daten weniger dicht. Von den sieben Schiffern dieser Gruppe lassen sich lediglich zwei als Lübecker feststellen, die Herkunft der anderen bleibt undeutlich. Unter den Gelegenheitsfahrern der dritten Gruppe, deren Bürgerschaft sicher nachgewiesen werden kann, halten sich Stockholmer und Lübecker Schiffer die Waage. Die Herkunft eines erheblichen Teils läßt sich nicht exakt bestimmen. Anhand der vielen ausgeprägt skandinavischen Namens­ formen ist auch in dieser Gruppe ein bedeutender Anteil schwedischer Schiffer zu vermuten. Zusammenfassend ist festzustellen, daß es die untersuchten Daten nahelegen, die Bedeutung der schwedischen Schiffer im Stockholm-Verkehr dieser Zeit wesentlich höher einzuschätzen, als dies bisher geschehen ist.

74 Styffe, Bidrag III, S. 190 D ER EIGENHANDEL HANSISCHER SEELEUTE VOM 15. BIS 17. JAHRHUNDERT9 von THOMAS BRÜCK

Am 8. Dezember 1615 wandten sich die Stralsunder Hundertmänner sowie die Viergewerke der Stadt mit einem umfänglichen Schreiben an ihren damaligen Landesherren, den Herzog von Pommern-Wolgast Philipp- Julius. Das Schriftstück enthält eine Vielzahl von Monita, welche auf den Bürgervertrag Bezug nehmen, dessen endgültige Fassung im folgenden Jahr rechtskräftig wurde. Die Kritik der Bürgervertreter und der vier großen Ämter, der Bäcker, Schuster, Schneider und Schmiede, betraf unter anderem den Erwerb des Stralsunder Bürgerrechts durch die Bootsleute, wie er lctztendlich doch im Artikel 11 des Vertrages sanktioniert worden war.1 Zur Begründung ihrer Klage führten die Hundertmänner und Viergewerke an, daß fast alle boßleute auch Kauffleute, oder ja des Kauffmans mitgesellen sein, wiewoll sie vom Kleinen anfangen pflegen, bis sie zum großem kommen.2 In diesem Zusammenhang führten sie verschiedene Ratsherren und Großkaufleute an, die ihren wirtschaftlichen und politischen Aufstieg als einfache Besatzungsmitglieder begannen.3 In der Beschwerde heißt es weiter: betten nun die boßleute schlechts boßleute, vnndt in der dreger Ordnung bleiben sollen, so wurden sie nimmer brawer, Kauffleute, gewandtschneider Alterleute, Rhatts= vndt Cämerheren geworden sein.*

Geringfügig geänderter und mit Anmerkungen versehener Vortrag, gehalten auf der 108. Jahresversammlung des Hansischen Geschichtsvereins in Kiel am 10. Juni 1992. 1 Zu den innerstädtischen Auseinandersetzungen in Stralsund zu Beginn des 17. Jahrhunderts und dem Bürgervertrag von 1616 vgl. H. Langer, Stralsund 1600 - 1630. Eine Hansestadt in der Krise und im europäischen Konflikt (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte, Bd. IX), Weimar 1970, S. 161 - 221; Geschichte der Stadt Stralsund, hg. von H. Ewe (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Stralsund, Bd. X), 2. Aufl., Weimar 1985, S. 137 - 155, v.a. S. 153; Sammlung gemeiner und besonderer Pommerscher und Rügischer Landes=Urkunden, Gesetze, Privilegien, Verträge, Constitutionen und Ordnungen, hg. von J.C . Dähnert, Bd. II, Stralsund 1767, S. 67 - 112, v.a. S. 79 - 82 (Art. 11). 2 Vorpommersches Landesarchiv Greifswald (im folgenden La.A. Gr.) Rep. 5, Tit. 67, Nr. 18/11: Schreiben der Hundertmänner und Viergewerke von Stralsund an den Herzog von Pommern-Wolgast, Philipp-Julius, vom 8. Dezember 1615, fol. 71 a. 3 Ebenda, fol. 71 a - 71 b; Vgl. auch H. Langer, Spätmittelalterliche Lohnarbeit im Spiegel der Stralsunder Gerichtsbücher und Handwerkerakten, in: Greifswald-Stralsunder Jahrbuch, Bd. 10, Weimar 1973, S. 88. 4 La.A.Gr., Rep. 5, Tit. 67, Nr. 18/11, fol. 71 b - 72 a. 26 Thomas Brück

Die heftige Kritik der Bürgervertreter an dieser Passage des Vertrags­ entwurfes hatte ihre Ursache somit in wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Im Erwerb des Bürgerrechts durch die einfachen Besatzungsmitglieder sahen die Angehörigen der mittleren Kaufmannschaft und die Handwerker offensichtlich einen begünstigenden Faktor, der es den Seeleuten in stärke­ rem Maße als zuvor ermöglichen konnte, Handel zum eigenen Vorteil zu treiben. Hierbei folgten die Schiffsbesatzungen aber nur einer allgemeinen Tendenz, in deren Folge auch die Handwerker bestrebt waren, die starren Zunftgrenzen zu durchbrechen und den eigenen Handel auszuweiten. Gleiche Erscheinungen sind bei vielen Angehörigen der Unterschichten, zum Beispiel den Brauerknechten, zu beobachten.5 Im folgenden ist somit zu fragen, welchen Bedingungen der Eigenhandel der Seeleute unterworfen war und aus welchen Quellen verschiedentlich Besatzungsmitglieder einen Reichtum schöpfen konnten, der ihnen den Aufstieg in die städtischen Mittelschichten oder gar die Oberschicht ge­ stattete. Hierbei ist gleichzeitig die Bedeutung des Bürgerrechts für die Seeleute zu beleuchten sowie das Verhältnis zwischen Seemann und Kauf­ mann. Hierbei sollen die Schiffer weitgehend außerhalb der Betrachtung bleiben, da sie in der Mehrzahl ohnehin den Kaufleuten zuzurechnen sind. Sie besaßen zumeist das Bürgerrecht und verfügten über Grundbesitz innerhalb und außerhalb der Städte. Auf Grund des Partenbesitzes war es ihnen außerdem möglich, von vornherein größere Warenmengen auf ihren Schiffen zu transportieren, also nicht nur jene Menge an eigenem Frachtgut, das sie als Führung kostenlos mit sich nehmen durften. Für die einfachen Besatzungsmitglieder stellte die Führung neben der Heuer eine wichtige Grundlage ihres Lebensunterhaltes dar. In den Röles d’Oleron wurde die Möglichkeit für die Seeleute fixiert, anstelle der in Geld ausbezahlten Löhnung eine bestimmte Menge Frachtraum für Waren

5 Darüber hinaus trieben Schopenbrauer, Träger und Fleischerknechte in kleinem Umfang Handel. Vgl. Langer (wie Anm. 1) S. 47, 50 - 51, 67 - 68, 89, 138 - 139. Gegen diesen Handel richtete sich folgende Passage des Bürgervertrages: „ Wiewohl auch diejenigen, so auf die Schopenbrauer— oder Trägerschaft die Bürgerschaft gewonnen, sich an solchem ihrem angenommenen Beruf begnügen zu lassen, und sich anderer Kaufmannschaft und Handthierung zu äussern schuldig seyn. Weil dennoch die Erfahrung bezeuget, daß etliche derselben der Kaufmannschaft und allerley Handlung zu merklichem Abbruch und Präjudiz gereichet, auch sonsten eine grosse Confusion unter den Ständen gebähret, und dahero keinesweges zu gedulden; Demnach ist deswegen beliebet, daß die Schopenbrauer und Träger, so die Schranken ihres Berufs mit Kaufhandel überschreiten, und ihr Amt verlassen, hinführo 40 Reichsthaler über voriges erlegtes Bürgergeld, der gemeinen Trese zum Besten, gleich ändern Kaußeuten, so das Bürgerrecht gewinnen, zu erlegen und abzustatten schuldig seyn, auch angehalten werden sollen.“ Dähnert (wie Anm. 1), S. 81 (Art. 11). Die Klage der Hundertmänner und Viergewerke läßt vermuten, daß sich dieser Abschnitt des Bürgervertrages ursprünglich nicht nur auf die Schopenbrauer und Träger beziehen sollte, sondern auf alle Personen, die im dritten Grade Bürger werden konnten, somit auch auf die Bootsleute. Der Eigenhandel hansischer Seeleute 27

kostenlos zur Verfügung gestellt zu bekommen.6 Hierbei wurden Varianten in Betracht gezogen, die auch in der Praxis der hansestädtischen Schiffahrt eine wichtige Rolle spielen sollten.

So konnten die Seeleute das Schiff auf eigene Rechnung befrachten oder ihren Anteil am Frachtraum den Befrachtern allgemein zur Verfügung stellen. In diesem Zusammenhang durften Seeleute ihren Anteil am Frach­ traum einzelnen Kaufleuten übertragen.7 Besonders die zuletzt genannte Möglichkeit war für den Eigenhandel der Seeleute von Bedeutung, wovon im folgenden noch zu handeln sein wird. In bezug auf die sich entwickelnden deutschen See- beziehungsweise Schiffsrechte wies Wilhelm Ebel darauf hin, daß die Führung im Gegensatz zu den Bestimmungen der Röles d’Oleron nunmehr eine Ergänzung des Lohnes darstellte, eine Ergänzung, die sowohl in Geld als auch in Form einer bestimmten Menge an Frachtraum in Anspruch genommen werden konnte.8 Wollte der einzelne Seemann selbst Waren über See bringen, so waren hierfür anfänglich bestimmte Mengen und Warensorten im hamburgischen und lübischen Schiffsrecht als Richtwerte vorgesehen.9 Zudem konnte ein Besatzungsmitglied vom Heimatort auch andere Waren mitnehmen, jedoch durfte er ein bestimmtes Quantum, 5 oder 4 „Pfund schwer“ be­ ziehungsweise „Tonnen“, nicht überschreiten. Sofern die Seeleute materiell nicht in der Lage waren, eigene Waren zu handeln, konnten sie sich die Führung in Geld ausbezahlen lassen. Die Berechnungsgrundlage bildete in diesem Zusammenhang die durchschnittliche „Fracht“, die der Schiffer für den Transport während der Fahrt erhielt. Der Seemann bekam dann anteilig für die ihm zustehende Ladungsmenge respektive den Frachtraum einen bestimmten Betrag.10 Diese Verfahrensweise blieb im 13. bis 16.

6 K.-F. Krieger, Ursprung und Wurzeln der Roles d’Oleron (Quellen und Darstellun­ gen zur Hansischen Geschichte, NF, Bd. XV), Köln-Wien 1970, S. 20, 141. Die Wahl für die Seeleute, sich für Geld anheuern zu lassen oder eine bestimmte Menge an Frachtraum für eigene Waren zu nutzen, war in Danzig offensichtlich noch während des 16. und 17. Jahrhunderts gebräuchlich. Vgl. B. Janik, Najstarszy tekst prawa morskiego w Gdansku, Gdansk 1961, S. 159 (Art. 19), S. 185 (Art. 19). 7 Krieger (wie Anm. 6) S. 20, 139 - 140. 8 W. Ebel, Gewerbliches Arbeitsvertragsrecht im deutschen Mittelalter, Weimar 1934, S. 66 - 70. Das Rigaer Stadtrecht, enthält die Bestimmung, daß ein Schiffsmann „sal hebben binnen landes twe punt to erer voringe, vnde dor den sunt sal he hebben ver punt to voringe, na heringhtale to rekene.“ Die Quellen des Rigischen Stadtrechts bis zum Jahr 1673, hg. von J.G.L. Napiersky, Riga 1876, S. 200 (Tit. XI, Art. 19, § 2). 9 Quellen zur Hanse-Geschichte, hg.von R. Sprandel (Ausgewählte Quellen zur deut­ schen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. XXXVI), Darmstadt 1982, S. 397 - 410. 12 Ebel (wie Anm. 8) S. 69. 28 Thomas Brück

Jahrhundert gleich, obwohl seit dem 16. Jahrhundert feste Geldbeträge als Äquivalent für die Führung angestrebt wurden.11 Vor einiger Zeit äußerte Thomas Wolf berechtigte Zweifel daran, daß die Zahl jener Besatzungsmitglieder, die mit Waren handelten, hoch angesetzt werden müsse. Auf Grund der Revaler Zollregister und einer umfang­ reichen Schadensaufstellung aus dem Jahre 1441 vertrat er die Ansicht, daß sich zumindest im 15. Jahrhundert die Mehrheit der Seeleute ihre Führung in Geld auszahlen ließ, also in Höhe des durchschnittlichen Frachttarifes.12 Die von T. Wolf angeführten Relationen zwischen den Warenmengen, die von Seeleuten gehandelt wurden, sowie dem Gesamt­ volumen des Seehandels einer Stadt kann man mit Hilfe weiterer Unter­ suchungen bestätigen. So hatten in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts Danziger Seeleute am Seehandel ihrer Stadt folgenden Anteil (Angaben in Prozent):13

Zeitraum Export Import 1407 - 1423 5,6 6,3 1426 - 1432 10,5 4,1 1436 - 1442 1,6 3,7

Leider liegen derzeit für andere Städte im Vergleichzeitraum keine statisti­ schen Angaben vor. Für das 17. Jahrhundert können jedoch mit Bezug auf Stralsund ähnliche Aussagen getroffen werden. So erwarben zwischen 1616 und 1629 122 Bootsleute das Bürgerrecht der Stadt.14 In den Pfundzollre­ gistern Stralsunds erscheint aber nur ein geringer Prozentsatz dieser Besat­

11 Ebenda; HR III, 9, Nr. 593, Art. 12; P.E. Hasse, Aus der Vergangenheit der Schiffer­ gesellschaft in Lübeck. Festschrift zur Feier des fünfhundertjährigen Bestehens, Lübeck 1901, Anlage 9, Art. 13; Stadtarchiv Stralsund (im folgenden StadtA.Str.) Protokolle des Kammergerichts, 1567 - 1581, Rep. 3, Nr. 1545, fol. 327 b - 328 a (1580 April 13): Der Schiffer Peter Muss schuldete einem Besatzungsmitglied mit Namen Hans Lemekowen fünfeinhalb Taler „Fracht“ und zweieinhalb Gulden „vor die voringhe...van der Schotlan- dischen Reisen“. 12 T. Wolf, Befrachtung und Umschlag-Faktoren für die Abwicklung des hansischen Seeverkehrs, in: Die Hanse. Lebenswirklichkeit und Mythos, hg. von J. Bracker (Ausstel­ lungskatalog, Museum für hamburgische Geschichte), Hamburg 1989, Bd. 1, S. 583. 13 H. Samsonowicz, Struktura handlu gdanskiego w pierwszej polowie XV wieku, in: Przeglad H istoryczny, Bd. 53, Warszawa 1962, S. 707 - 708, 715. 14 Ein direkter Nachweis der Berufe ist zumeist erst seit Abschluß des Bürgervertrages von 1616 möglich, zumal von diesem Zeitpunkt an die Berufe in den Bürgerbüchern verzeichnet sind. Für die früheren Perioden kann die berufliche Tätigkeit oftmals nur mit Hilfe der Bürgen erschlossen werden, die bei der Aufnahme des neuen Bürgers gutsagten. Hinweise auf die Berufe finden sich selbstverständlich auch in anderen Quellen. Vgl. StadtA.Str., Bürgerbuch, 1572 - 1700, HS III/2; Das älteste Stralsunder Bürgerbuch (1319 - 1348), bearb. v. R. Ebeling (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Bd. I), Stettin 1925. Der Eigenhandel hansischer Seeleute 29 zungsmitglieder als Händler.15 Obgleich auch andere Seeleute in Stralsund Handel trieben,16 darf man den Anteil der einfachen Besatzungsmitglieder an der Ein- und Ausfuhr nicht zu hoch ansetzen. Die Gründe, welche die Seeleute in diesem Zusammenhang zum größten Teil daran hinderten, die vorynghe zur Verbesserung ihrer eigenen finan­ ziellen Lage zu nutzen, sind vielfältig. Während der Schiffahrtssaison durften sich die meisten Besatzungsmitglie­ der nur eine begrenzte Zeit an Land aufhalten, um ihre eigenen Geschäfte zu tätigen. Im übrigen waren sie zu dem Be- und Entladen der Schiffe, vor allem wenn diese auf Reede lagen, ebenso verpflichtet, wie zum Wachdienst an Bord. Außerdem mußten sie die Erlaubnis des Schiffers, das Fahrzeug verlassen zu dürften, einholen.17 Hinzu kam, daß die Seeleute an verschiedenen Orten und im Hinblick auf bestimmte Waren nicht ständig Handel treiben durften. Eine Willkühr des Wismarer Rates aus dem Jahre 1411 legte zum Beispiel fest, daß ein Schiffsmann, Bootsmann oder Bürgerknecht mit Mützen, Strümpfen, Tuchresten, mit Krämerware und anderem Kaufmannsgute, wenn es sein Eigentum war und er sie über Sand und See in die Stadt gebracht hatte, einen Feiertag und zwei Werktage innerhalb eines halben Jahres ausstehen durfte.18

15 Von den Seeleuten, die zwischen 1616 und 1629 das Bürgerrecht Stralsunds erwarben, führten 16 nachweisbar im Jahre 1628 (Johannis bis Michaelis) Bier unterschiedlicher Qualität aus. Des weiteren verzollte der Schiffer Marten Galle gemeinsam mit seinen Bootsleuten 14 Tonnen Bier. Darüber hinaus führten mehrere, nicht näher benannte Seeleute einmal sieben Tonnen Bier und in einem anderen Fall eine Last Bier aus. StadtA.Str., Zulageregister für ausgeschifftes Bier und Essigmengen, 1628 (Johannis bis Michaelis) Rep. 35, Nr. 351, fol. 4 a, 11 a, 13 a.In diesem Zeitraum wurden aus Stralsund insgesamt 4704,5 Tonnen Bier ausgeführt. Der Anteil der Seeleute belief sich bei ca. 180 Tonnen Bier auf etwa 3,8 % des Gesamtvolumens. Ähnliche Verhältnisse ergeben andere Zulageregister der Jahre 1628 und 1629. StadtA.Str., Zulageregister für ausgeschifftes Bier, 1628 (Michaelis bis Weihnachten), 1629 (Ostern bis Johannis), Rep. 35, Nr. 349. Leider liegen für andere Waren mit Ausnahme von Essig keine konkreten Mengenangaben vor, die den Handel Stralsunder Seeleute im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts erfassen. Vgl. Langer (wie Anm. 1), S. 126, 138. Zur Kritik der Zulageregister ebenda, S. 124 - 126. 16 StadtA.Str.: Zulageregister für Fremde, 1628 - 1629, Rep. 35, Nr. 491: unter dem 25. Oktober 1628: Peter Schmitt (Bootsmann) - 10 Schock Zwiebeln; unter dem 23. April 1629 Andres Tewes (Bootsmann aus Kopenhagen) - ein Schiffspfund Speck; Rep. 35, Nr. 349: unter dem 20. Mai 1629 Andres Onig von Christianopel drei Tonnen Bier für seine drei Bootsleute. 17 Sprandel (wie Anm. 9) S. 398 (Art. 7), 400 - 402 (Art. 16), 405 (Art. 9); Hasse (wie Anm. 11) Anlage 9, Art. 12, 26, 31; Ebel (wie Anm. 8) S. 63 - 65; Krieger (wie Anm. 6) S. 126 - 127 (Art. V, VI); P. Heinsius, Das Schiff der hansischen Frühzeit (Quellen und Darstellungen zur hansi sehen Geschichte, NF, Bd. XII), 2., verb. Aufl., Weimar 1986, S. 239 - 241; J. Bracker, Maritime Alltagserfahrungen im Spiegel der Flamburger Schiffsrechte, in: Die Hanse (wie Anm. 12) S. 581; Janik (wie Anm. 6) S. 169 (Art. 30), S. 201 (Art. 30). 18 F. Techen, Etwas von der mittelalterlichen Gewerbeordnung, insbesondere der wendischen Städte, in: HGbll, Bd. 9 (1900), Jg. 1897 (1898), S. 59. 30 Thomas Brück

In Hamburg konnten Schiffs- und Bootsleute Rosinen, die sie von ihren Fahrten mitbrachten, einen Tag in der Woche - zumeist am Dienstag, sofern es nicht ein Feiertag war, - auf der Trostbrücke zum Verkauf anbieten. Anders schal ze niment daghelikes utweghen vnde uorkopen, ane he sy in dem kremere-ampte.19 Ebenfalls in Hamburg durften Schiffs- und Bootsleute oder jene, die nur twe edder dre lakene vthe der see brachten in desse stad, die Tuche im Kleinhandel verkaufen.20 Die Möglichkeit, darüber hinaus auf Märkten21 Waren zu veräußern, garantierte aber ebensowenig den Besatzungsmitgliedern den vollständigen Absatz ihrer Waren mit Gewinn, da sie wohl kaum über Angebot und Nachfrage im Zielhafen rechtzeitig informiert waren und ihre Einkäufe darauf einstellen konnten. Infolge des zeitlich begrenzten Aufenthaltes in einem Hafen muß die Frage gestellt werden, wo und wie sie die restlichen, unverkauften Waren lagern konnten. Sofern sie nicht am jeweiligen Ort über einen Geschäfts­ partner verfügten, bestand nur in der Heimatstadt beziehungsweise im Heimatort eine Lagermöglichkeit, die allerdings sehr begrenzt war, zumal bis in das 16. Jahrhundert die Seeleute in der Stadt zumeist in Wohnkellern wohnten.22 Die angeführten Beispiel machen deutlich, daß der Seemann bei seinem Eigenhandel einer Vielzahl von Schwierigkeiten gegenüberstand. Damit im Zusammenhang gab es wohl keine oder nur geringe Sicherheiten, die die Mehrheit der Seeleute Geschäftspartnern hätte bieten können. Das Bürgerrecht, verbunden mit Grundeigentum war für die meisten Seeleute mit Bezug auf das 15. Jahrhundert wohl gänzlich auszuschließen, auch jenes im minderen Grade, wie es von Besatzungsmitgliedern häufig im 16./17. Jahrhundert erworben wurde23. Die Fluktuation auf den Schiffen24

19 J. Bolland, Hamburgische Burspraken 1394 bis 1594. Mit Nachträgen bis 1699, Teil 2 (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg, Bd. VI/2), Hamburg 1960, Nr. 42, §9. 20 Ebenda, Nr. 24, § 1. 21 Vgl. Techen (wie Anm. 18) S. 60 - 61, 63; C.F. Wehrmann, Die ältesten Lübeckischen Zunftrollen, Lübeck 1872, S. 239: „Item so mögen de frombden des jars eyns to markede stan dre dage myt kesen, mit heringe vnde myt schullen, vnde nicht mer.“ 22 Vgl. M. Scheftel, Gänge, Buden und Wohnkeller in Lübeck. Bau- und sozialge­ schichtliche Untersuchungen zu den Wohnungen der ärmeren Bürger und Einwohner einer Großstadt des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Häuser und Höfe in Lübeck, Bd. 2), Neumünster 1988, S. 75, 83, 92. 23 D. Kohl, Das Haus Seefahrt in Bremen, in: HGbll 1912, S. 37 - 38; Scheftel (wie Anm. 22) S. 75; W. Brehmer, Bestimmungen über den Erwerb des Bürgerrechts im Jahre 1611 (Beiträge zur Lübeckischen Geschichte, Teil 10), in: ZVLGA, Bd. 5, Lübeck 1888, S. 290. Andererseits war der Danziger Steuermann Hinrick Czanow Bürger seiner Heimatstadt. HUB, Bd. 6, Nr. 911, Bd. 7.1, Nr. 767, § 57; Vgl. Anm. 14. 24 W. Woywodt, Untersuchungen zur Geschichte der hansischen Seeleute vom 14. bis Der Eigenhandel hansischer Seeleute 31

veringcrte zudem die Chance für stabilere geschäftliche Verbindungen. Die Kaufleute haben derartig unsicheren Kandidaten, die sich in anderen Städten oder Ländern einer Strafe wegen Veruntreuung entziehen konnten und sehr schwer kontrollierbar waren, kaum Waren oder Geld anvertraut. Darüber hinaus ist zu bezweifeln, daß die Mehrheit der Besatzungsmitglie­ der über ausreichende kaufmännische Kenntnisse verfügte. Vielen Seeleuten fehlten demnach geschäftliche Beziehungen zu Kaufleuten, die sie beson­ ders zur Zeit der Schiffahrtssaison beim Platzhandel unterstützten, ihnen möglicherweise Geld für den Kauf von Waren vorstreckten und durch die Kenntnis der Marktlage halfen.25 Daraus ergibt sich, daß die voringhe für die meisten Besatzungsmitglie­ der, die auf sich allein gestellt Handel treiben wollten, wenig Aussicht auf finanzielle Behäbigkeit oder gar Reichtum versprach.26 Trotzdem vermitteln die Schadensaufstellungen, aber auch andere Schriftzeugnisse Informationen, welche die Aufmerksamkeit auf geschäft­ liche Verbindungen zu Kaufleuten lenken. Verschiedentlich sind für die Seeleute weitaus größere Warenmengen aufgelistet, als diese nach den Seerechten als Führung über See bringen durften. So wurde mit Bezug auf das 15. Jahrhundert für einen Hans Colmensee, der auf dem Schiff des Peter Brun fuhr, angegeben, daß er unter anderem ein Hundert Salz an Frachtgut mit sich führte. Die angegebene Gesamtsumme belief sich auf 200 Mark preußisch. Den gleichen Betrag nannte der Steuermann Jacob Zefelt für Salz, Kleider, Harnisch sowie andere persönliche Dinge, die Zefelt auf dem gleichen Schiff untergebracht hatte. Es ist anzunehmen, daß er eine ähnlich große Menge Salz als Frachtgut an Bord besaß.27 Nach anderen Angaben hatten Besatzungsmitglieder weiterer Schiffe zwischen der zwei- bis fünffachen Menge an Führung geladen.28 Darüber hinaus werden „Schiffskinder“ zum 16. Jahrhundert, Phil. Diss., Berlin 1957, S. 32 - 34, 52, 71; Vgl. HR I, 2, Nr. 119, 156, §2 ; 157; HR III, 1, Nr. 318, §4 (S. 265). 25 W. Stark, Uber Platz- und Kommissionshändlergewinne im Handel des 15. Jahr­ hunderts, in: Hansische Studien VI; Autonomie, Wirtschaft und Kultur der Hansestädte (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte, Bd. 23), Weimar 1984, S. 131. 26 So wurden im Jahre 1521 die Schilfs- und Bootsleute, die sich vor allem für die Bergenfahrt anheuern ließen, als „schamele unde arme geszellen“ bezeichnet. HR III, 7, Nr. 413, § 134; W. Woywodt wies darauf hin, daß diese Bezeichnung nicht verallgemeinert werden dürfe. Woywodt (wie Anm. 24) S. 102; Vgl. K. Fritze, Am Wendepunkt der Hanse. Untersuchungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte wendischer Hansestädte in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des historischen Instituts der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Bd. 3), Berlin 1967, S. 163; T. Brück, Stellung und Aufgaben von Bootsleutebruderschaften vom Ende des 15. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, in: Einungen und Bruderschaften in der spätmittelalterlichen Stadt, hg. von P. Johanek (Städteforschung A/32), Köln-Wien 1992 (im Druck). 27 HUB, Bd. 7.1, Nr. 767, §9. 2S So die Seeleute Cleis Holste, Hermen Heket, Hynrik Smyth, Cleis Damerow und Bernd Kule. HUB, Bd. 7.1, Nr. 767, §§9, 11, 17. 32 Thomas Brück

direkt als Befrachter genannt, so im Fall des Schiffers Ludeke Grotewale. Von den angegebenen neun Hundert Salz auf seinem Schiff gehörte ein Hundert zwei Besatzungsmitgliedern.29 Diese Angaben ließen sich durch weitere ergänzen.30 Für viele dieser Seeleute ist zu bezweifeln, daß sie tatsächliche Ei­ gentümer des mitunter mehrere Last umfassenden Frachtgutes waren, auch wenn sie nach außen formell als solche auftraten. Vielmehr ist anzunehmen, daß sie die Waren als Kommissionäre für Kaufleute erwarben, zumeist wohl von Geschäftspartnern ihrer Auftraggeber, wie man es für das 17. Jahrhundert an Hand von nur sehr wenigen Beispielen nachweisen kann. Hierbei handelte es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um „Sendeve“- Geschäfte, „bei dem den Ausreisenden Ware oder Geld zum Ein- und Verkauf mitgegeben wurden.“31 Derartige Kommissionsgeschäfte, die für den Kommittenten ständig mit einem erhöhten Risiko verbunden w^aren, konnten nur mit Personen ab­ geschlossen werden, die selbst Eigenhandel betrieben oder dazu berechtigt waren.32 Diese Voraussetzung, obgleich bei allen Besatzungsmitgliedern gegeben, reichte, wie bereits erwähnt, jedoch kaum aus, um unter Umständen ein Gesellschaftsverhältnis zwischen einem Kaufmann und einem Besatzungs­ mitglied herbeizuführen. Untersucht man die Schriftzeugnisse etwas näher, fällt auf, daß es sich bei den Kommissionären vielfach um ganz bestimmte Gruppen an Bord handelte. Da ist zum einen der Steuermann, Stellvertreter des Schiffers, der im Notfall die Leitung des Fahrzeuges übernehmen konnte. Des weiteren zählten dazu die Schiffsleute, aus deren Reihen die Schiemänner hervorgingen, qualifizierte Fachkräfte, die im Gegensatz zur einfachen Decksbesatzung für die Takelage mitverantwortlich waren und deren Mitspracherecht im Schiffsrat bis in das 15. Jahrhundert Berücksichtigung finden mußte. Hinzu kamen Besatzungsmitglieder, die nicht unmittelbar mit seemänni­ schen Arbeiten betraut waren. Das betraf unter anderem den Schiffs­ zimmermann. Unter den „Händlern“ ist ebenfalls der Schiffsschreiber zu

29 Ebenda, § 16. 30 Vgl. ebenda, §§24, 57, 102; HUB, Bd. 6, Nr. 362, §8: „en tymmerman uppe deme schepe“ - 25 Tonnen Bier; Ph. Dollinger, Die Hanse, 4. Aufl., Stuttgart 1989, S. 205. 31 W. Stark, Handel, in: Handbuch Wirtschaftsgeschichte, Bd.l, Berlin 1981, S. 571. 32 Vgl. Stark (wie Anm. 25) S. 140 - 144; Th. Hirsch, Danzigs Handels- und Gewerbege­ schichte unter der Herrschaft des Deutschen Ordens, Leipzig 1858, S. 227; G. Mickwitz, Aus Revaler Handelsbüchern. Zur Technik des Ostseehandels in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Helsingfors 1938, S. 126 - 127. Der Eigenhandel hansischer Seeleute 33 finden, welcher als Rechnungsführer des Schiffers ohnehin eine Vertrau­ ensstellung besaß, und schließlich der Koch, dem gleichsam eine Sonder­ stellung eigen war.33 Selten oder überhaupt nicht erscheinen im 15. Jahrhundert Bootsleute oder gar Schiffsknechte als Eigentümer von Frachtgütern. Bei den Bootsleuten dürfte es sich um Haupt- oder Hochbootsleute handeln, denen auf den großen Schiffen auch die Leitung des Deckspersonals oblag.34 Hingegen konnten kleinere Fahrzeuge mit einem geringen Personalbesatz eines Hauptbootsmannes entbehren.35 Diese Berufsgruppen genossen auf Grund ihrer beruflichen Stellung und ihrer Qualifikation eine gewisse Achtung an Bord. Als Fachkräfte waren sie vielfach das Ziel der Abwerbung, besonders nach Zeiten militärischer Auseinandersetzungen.36 Welchen Grad der Wertschätzung derartige Be­ satzungsmitglieder besaßen, geht daraus hervor, daß im Zusammenhang mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung Steuer-, Schiffs- und Bootsleu­ te sowie Köche als tuchbare loveswerdige mannes bezeichnet wurden.37 Verschiedentlich stimmen die Familiennamen von solchen Besatzungsmit­ gliedern mit jenen von Kaufleuten und Schiffern überein.38 Dieser Fest­ stellung mag in den meisten Fällen keine verwandtschaftliche Beziehung zugrunde liegen, kann aber hin und wieder angenommen werden. Ihre Wohnungen bezogen die Seeleute im weitesten Sinne in den Häusern der Kaufleute und Schiffer,39 wodurch sich eine engere persönliche Bezie­ hung ergab. Die Gesamtheit dieser Voraussetzungen konnte dazu führen, daß die Kaufleute mit Besatzungsmitgliedern Kommissionsgeschäfte abschlossen, auch wenn ihre Zahl in den Quellen sehr selten ist. Hierbei ergaben sich

33 Heinsius (wie Anm. 17) S. 235 - 238; Krieger (wie Anm. 6) S. 19, 124 (Kap. II); Bracker (wie Anm. 17) S. 582; Dollinger (wie Anm. 30) S. 203; Seemannssprache. Wortge­ schichtliches Handbuch deutscher Schifferausdrücke älterer und neuerer Zeit auf Ver­ anlassung des Königlich Preußischen Ministeriums der geistlichen, Unterrichts= und Medizinal=Angelegenheiten, Hrsg. F. Kluge, Halle/Saale 1911, S. 686 - 687. 34 Kluge (wie Anm. 33) S. 124 - 125 sowie die dort angeführten Belege. In solchen Fällen übernahm mitunter ein Bootsmann die Aufgaben des Hoch­ bootsmannes, ohne als solcher bezeichnet zu werden. Jedoch widerspiegelt die höhere Heuer die gestiegene Verantwortung dieses Seemannes. StadtA.Str., Rechnungsbuch eines Stralsunder Schiffers, 1631 - 1637, Rep. 15, Nr. 388. 36 Woywodt (wie Anm. 24) S. 51 - 52; Brück (wie Anm. 26). 37 HUB, Bd. 6, Nr. 1074. 38 So der Name des Hermen Heket und Merten Heket mit dem des Danziger Kaufmannes Hans Heket. Vgl. HUB, Bd.7.1, Nr.36; 363, §1; 704 §4; 767, §§5,11,42. Vgl. hierzu außerdem die Orts- und Personenregister in: HUB, Bde. 6, 7.1, und 8. 39 Vgl. Scheftel (wie Anm. 21) S. 83. 34 Thomas Brück

sowohl für den Kauf- als auch für den Seemann verschiedene Vorteile.40 Das Frachtgut unterlag während der Fahrt einer ständigen Kontrolle. Der betreffende Seemann konnte zudem genaue Anweisungen über die Verwen­ dung der Güter oder die mitgegebenen Geldbeträge erhalten, obgleich er vermutlich „volle Dispositionsfähigkeit wie jeder Kommissionär“ besaß.41 Den Seeleuten selbst war es, vor allem zu Beginn ihrer Handelstätigkeit, so möglich, Waren auf Kredit oder eine entsprechende Bezahlung für ge­ leistete Kommissionsgeschäfte zu erlangen und ihre finanziellen Mittel zu vergrößern.42 Hinzu kam, daß ein Seemann bei steigender Finanzkraft eine Handelsverbindung mit seinem Auftraggeber in Form der wedderlegginge eingehen konnte.43 Indem die mitgeführten Warenmengen vergrößert wur­ den, ließen sich zudem Detailhandelsverbote in den Ziclhäfen umgehen.44 Neben derartigen Kommissionsgeschäften waren die Besatzungsmitglie­ der auf andere Art bestrebt, Handel zu treiben. Im Jahre 1473 kaufte der als Osterling bezeichnete Koch Ludeke Mertens, der auf dem Holk des Kampener Schiffers Timan Blankert fuhr, während einer Reise von Bergen

40 In Stralsunder Kaufmannsbüchern des 17. Jahrhunderts kommen verschiedentlich Eintragungen vor, die sich darauf beziehen: „15 t bers de tunne 10 Dutteken Nam peter langen sin bossmann van mi In Juwen Namen vnd ghaff mi 8 Daler tho 4 m(rk) des blifft mi peter lange Noch 6 daler 4 ß dit kreigen des Dundcrdages vor micheles“ (26. September) 1605. StadtA.Str., Schuldbuch des Ernst Sternhagen, 1597 - 1624 (o. Sign.), fol. 65 b. Die Frau des Schiffers Klaus Petersen notierte 1633 in ihrem Geschäftsbuch: „ de 6 nowemb(ris) hebbe yck by Hans gouw Hindrich Krummer syne boßman Engelbert gesant de bauen geschreuen - 25 m 4 ß“. Diese 25 Mark und vier Schillinge übersandte Frau Petersen dem Geschäftspartner ihres Mannes für Waren, die er am dritten und neunten Oktober des gleichen Jahres geliefert hatte. StadtA. Str., Geschäftsbuch eines Unbekannten, 1629 - 38 (alte Sign. Rep. 2, H 3, Nr. 60 a). Der Bootsmann Hans Gouwe erwarb im Jahre 1622 als Sohn eines Stralsunder Bürgers das Bürgerrecht der Stadt im dritten Grade. StadtA.Str., HS III/2. Zu Klaus Petersen vgl. K.-F. Olech nowitz, Handel und Schiffahrt der späten Hanse (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte, Bd. IV), Weimar 1965, S. 138 - 139. Des weiteren enthalten die Zulageregister vereinzelt Hinweise auf Kommissionsgeschäfte von Kaufleuten mit Besatzungsmitgliedern. So übergab ein Hans Wiese an Schiffer und Bootsleute eines Schiffes eine Last Bier, die mit dem damals üblichen Pfundzoll von einem Schilling pro Tonne (= 14 Schillinge sundisch) verzollt wurde. StadtA.Str., Rep. 35, Nr. 351, fol. 13 a. 41 Stark (wie Anm. 25) S. 141; Dollinger (wie Anm. 30) S. 219; J. Schildhauer/ K. Fritze/ W. Stark, Die Hanse, 6. Aufl., Berlin 1985, S. 128; K. Friedland, Die Hanse, Stuttgart- Berlin-Köln, S. 168 - 169. Ähnliche Verfahrensweisen lassen sich für den Gütertransport über Land nach weisen. Vgl. G. M ickwitz (wie Anm. 32) S. 147 — 148. 42 Vgl. Stark (wie Anm. 25) S. 141, 144 - 145; Dollinger (wie Anm. 30) S. 219; Mickwitz (wie Anm. 32) S. 118 - 121. 43 Vgl. FIR II, 2, Nr. 608, §27: „Ok schal en islik knecht edder copgeselle, de wedderlecginge hefft van etliken inwoneren der stede van der hensze komen tor stede dar he is wedderlecht unde doen gude rekenschup denyennen, den he des plichtig is in dem rechten...“ Die Bezeichnung Knecht dürfte ebenso auf Besatzungsmitglieder anzuwenden sein, die eine Handelsgesellschaft mit Kaufleuten beziehungsweise Schiffern eingegangen waren. Vgl. M ickwitz (wie Anm. 32) S. 110 - 111, 121. 44 Vgl. Wehrmann (wie Anm. 21) S. 239, 270 - 274; Hirsch (wie Anm. 32) S. 316. Der Eigenhandel hansischer Seeleute 35

nach Amsterdam einem als Nordfahrer bezeichneten Gonder Joensson Fisch aus Bergen ab. Die vereinbarte Kaufsumme, 90 Gulden bergisch, blieb der Koch aber dem ursprünglichen Befrachter schuldig. Einige Zeit danach bestätigten in der Stadt Kämpen der Schiffer und der Steuermann des Holks, auf dem Ludeken Mertens gefahren war, sowie weitere Per­ sonen den Kauf.45 Für das Jahr 1477 erscheint in den Quellen unter den Namen der Englandfahrer aus Bergen, die in Boston verkehren, ebenfalls ein Ludeke Mertens.46 Hier und in anderen Fällen, ist zu erkennen, daß der Eigenhandel von Seeleuten den sozialen Aufstieg ermöglichte. Der Handel der Besatzungsmitglieder umschloß aber auch die Verbin­ dung zu Seeleuten anderer Schiffe und in fremden Häfen. Aus den Rech­ nungen des Sluyser Wasserbaillifs vom 20. September 1407 bis 8. Januar 1408 geht hervor, daß ein Matrose von einer Genueser Karakke 12 Pfund Strafe zahlen mußte, da er unter Umgehung des Brügger Stapelzwanges einem Deutschen mit Namen Hans Roye sechs Pfund Kampfer verkaufte und zudem eine Anzahl nysadre47 zum Kauf auf der Karakke anbot.48 Zum Jahre 1403 enthalten die Rechnungen des Wasserbaillifs die Nachricht von der Bestrafung deutscher Seeleute, darunter eines Jean le Roy „wegen Schlägerei mit Vlamen und Widerstand gegen die Baillifsdiener“.49 Es ist zu vermuten, daß dieser Jean le Roi oder le Roy mit jenem Deutschen identisch war, dem der Matrose von der Karakke Waren verkaufte oder anbot. Die Verfahrensweise im Eigenhandel der Schiffsbesatzungen veränderte sich im 16. und 17. Jahrhundert kaum, obgleich sie nun deutlicher gefaßt werden kann. Die Schiffsrechte widerspiegeln in einigen Passagen die Reaktion auf die veränderten Verhältnisse in der Schiffahrt. Der beruflichen Differenzierung an Bord wurde in bezug auf die Führung insofern Rechnung getragen, als man den Besatzungsmitgliedern, vom Schiffer bis zum Kajütenknecht, un­ terschiedliche Frachträume zuordnete50. Des weiteren ist eine deutlichere Differenzierung nach der Handelsrichtung, nach Ost- oder Westfahrt, zu beobachten, die aber schon in früheren Perioden anzutreffen war.51

45 HUB, Bd. 10, Nr. 504. 46 HUB, Bd. 10, Nr. 599. 47 “nysadre“ - getrocknete Damascenerpflaume. HUB, Bd. 5, Nr. 853 (S. 441); S. 636. 48 HÜB, Bd. 5, Nr. 853 (S. 441). 49 HUB, Bd. 5, Nr. 589 (S. 297). 30 HR III, 9, Nr. 593, Art. 6; StadtA.Str., Hanseatisches Seerecht oder Ordnung der Ehrbaren Hansestädte betreffend die Schiffahrt, 1591, HS 31/25, Art. 53; J.C. Dähnert (wie Anm. 1) Bd. III, Stralsund 1769, S. 460 (Tit. 13, Art. 6). 51 Vgl. Napiersky (wie Anm. 8); Ebel (wie Anm. 8), S. 69 - 70. Nach den Seerechten von 1591 und 1614 sollten die Seeleute für Fahrten nach Spanien und Frankreich nicht das Recht der Führung erhalten. StadtA.Str., HS 31/25, Art. 53; J.C. Dähnert (wie Anm. 1) Bd. III, S. 459 (Tit. 13, Art. 1); W oywodt (wie Anm. 24) S. 105 - 107, 123. 36 Thomas Brück

Zudem enthält die Lübecker Ordinanty upp de Schipperen und Bosslüden die Festlegung, daß kein Schiffer einem Besatzungsmitglied die Führung einzuräumen verpflichtet war, wenn man das Schiff vollständig beladen hatte.52 Diese Festlegung korrespondierte mit der Tatsache, daß die Mehr­ heit der Seeleute ohnehin nicht von dem Recht der Führung Gebrauch machte. Eine Passage der Lübecker Ordinanty von 1542 ist hierbei von besonderem Interesse. Der Artikel 8 führt dazu aus:53 Item so schall ock nemanth des ändern syne fönnge vorkopenn ane des schipperen wetent unde willen by verlust syner föringhe. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß verschiedentlich See­ leute die zwei- bis fünffache Menge an Führung auf die Schiffe brachten. Offensichtlich hatten sie das Recht auf den Frachtraum anderen Besat­ zungsmitgliedern abgekauft. Dieser Verfahrensweise wurde vermutlich in früherer Zeit weniger Beachtung geschenkt. Infolge der steigenden finan­ ziellen Möglichkeiten einiger Besatzungsmitglieder schien sich diese Praxis nunmehr in einen schwer zu kontrollierenden Prozeß zu verwandeln, bei dem förmlich am Schiffer und den Reedern vorbei auf den Fahrzeugen mehr oder weniger große Warenposten transportiert werden konnten. In solchen Fällen mußte der betreffende Seemann lediglich den durchschnitt­ lichen Frachttarif, sogar bei sehr wertvoller Ladung, an seinen Standesge­ nossen zahlen.54 Ein weiteres Moment wirkte sich ebenfalls für die Handel treibenden Seeleute begünstigend aus. Die Bestrebungen, den jeweiligen Führungsmengen feste Geldzahlungen entgegenzusetzen, barg die Gefahr in sich, daß die Seeleute, denen man den Frachtraum abkaufte, nicht einmal mehr den durchschnittlichen Frachttarif erhielten, die gezahlten Beträge also hinter der Preisentwicklung zurückblieben. Es ist eine Tatsache, daß sich auch im 16. und 17. Jahrhundert ein Teil der Seeleute nicht mit dem Handel ihrer Führung zufriedengab. Die Aussagen Hamburger Bürger aus dem Jahre 1560 über ihren früheren Handel als Seeleute machen deutlich, daß sie mitunter weitaus größere Warenposten veräußerten. Sie betrieben, dem Beispiel der Schiffer und Kaufleute folgend, vor allem mit den Bewohnern des Umlandes verschiedener Städte an der

52 Hasse (wie Anm. 11) Anlage 9, Art. 9. 53 Ebenda. Die gleiche Festlegung wurde in die Schifferordnung von 1572 und die Seerechtskodifikation von 1591/1614 aufgenommen. Zudem waren die Besatzungsmit­ glieder verpflichtet, den Reedern das Vorkaufsrecht für ihre Führung einzuräumen. Der Anlaß für diese Bestimmungen waren „allerhand Unordnunge von wegen des Schiffsvolks Führinge“, speziell die Salzführung. J.C. Dähnert (wie Anm. 1) Bd. III, S. 460 (Tit. 13, Art. 5); Ebel (wie Anm. 8) S. 69 - 70; Woywodt (wie Anm. 24) S. 106. 54 Vgl. hierzu den Artikel 10 im Lübeckischen Schiffsrecht von 1299, in: Sprandel (wie Anm. 9) S. 405; Ebel (wie Anm. 8) S. 69. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, daß ein Seemann einem anderen dessen Waren, die er als Führung im Schiff geladen hatte, abkaufte. Vgl. Anm. 45. Der Eigenhandel hansischer Seeleute 37

Nordseeküste einen schwunghaften Handel. In diesem Zusammenhang wurde immer wieder die Verbindung von See- und Kaufmann hervorge­ hoben.55 Wie umfangreich der Eigenhandel der Seeleute tatsächlich war und in welche Richtungen das einzelne Besatzungsmitglied seine Handelstätigkeit entfaltete, geht aus den Quellen selten hervor. Zumeist ist nur eine Haupthandelsrichtung faßbar. Es gab aber auch Seeleute, deren Handel breiter gefächert war, wenngleich sie sich auf einen bestimmten geographischen Raum konzentrierten. Zu ihnen zählte der Bootsmann Hans Vith, der, ursprünglich Bewohner Rügens, im Jahre 1628 vor den Truppen Wallensteins nach Stralsund geflohen war, hier das Bürgerrecht erwarb und seine Braut, die ebenfalls von der Insel Rügen stammte, in der Stralsunder Nikolaikirche heiratete.56 Auf Grund eines Inventarverzeichnisses über seinen Nachlaß sind wir nicht nur über die persönlichen Gegenstände gut unterrichtet, sondern ebenso über die geschäftlichen Beziehungen des Bootsmannes. So schuldete ihm ein Marten Bukert aus Bergen/Norwegen 200 Gulden. Dafür hatte Hans Vith versprochen, Bier an eine nicht näher bezeichnete Person zu liefern. Darüber hinaus trat Vith als Gläubiger von Einwohnern in Norrköping, Riga, Christianopel und Greifswald auf. In allen Fällen sind jeweils die Geldbeträge, 200 Mark schwedisch, 21 Taler schwedisch, 59 Taler schwedisch und 17 Mark, aufgeführt. Trotzdem ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß Hans Vith als reisender Geldverleiher unterwegs war. Hinter jedem Betrag verbergen sich mit Gewißheit Warenposten, die er entweder geliefert oder für die er, unter Umständen aus vorangegangenen Geschäften, Geld vorgestreckt beziehungsweise als Außenstände bei dem betreffenden Zahler zu stehen hatte. Darüber hinaus waren Stralsunder Bürger sowie mehrere Bewohner Rügens seine Schuldner. Hier sind es aber nicht nur Geldbeträge, die im Inventarverzeichnis erscheinen. Laut seiner Aufstellung war er Gläubiger eines Daniel Krassow, der ihm für eine Tonne Dorsch zehn Gulden, für ein Schiffspfund Leinsaat 13 Mark sowie für ein Liespfund bergischen Fisch zwei Gulden schuldete. Heinrich Hase in Ramitz auf Rügen und Jacob Laude schuldeten ihm für jeweils eine halbe Tonne Spurten57 fünf Mark, Claus Gouwe aus Varsnevitz,

55 Niederländische Akten und Urkunden zur Geschichte der Hanse und zur deutschen Seegeschichte, bearb. von R. Häpke, Bd. 2: 1558 - 1669, Lübeck 1923, Nr. 91, v.a. §8. 56 Für die folgenden Angaben StadtA.Str.: Inventar des Nachlasses des Bootsmannes Hans Vith, 1629, Rep. 3, Nr. 5120; Trauregister St. Nikolai, 1628 (Verkartung des Stadtarchivs). 57 Spurten: getrocknete Kehlstücke, Kehlgräten und Innereien der Stockfische. In diesem Falle dürfte es sich um Kehlstücke und Innereien der Fische handeln, die bis in das 18. Jahrhundert aus Norwegen nach Stralsund gebracht wurden und hier verschiedentlich als Nahrungsmittel dienten. Vgl. J.C. Dähnert, Platt=Deutsches Woerter=Buch nach der alten und neuen Pommerschen und Ruegischen Mundart, Stralsund 1781, S. 455; Bartholomaei 38 Thomas Brück

ebenfalls auf Rügen, sechs Gulden für eine Tonne Spurten. Von einem Tite Godtschalk aus Boldevitz/ Rügen sollte er noch fünf Gulden für eine Tonne Teer bekommen. Sein Verwandter Jacob Vith mußte 28 Gulden an ihn zahlen. Dafür hatte er Hans Vith bereits 60 Pfund Flachs, das Pfund zu sechs Schillingen gerechnet, und zehn Pfund Garn, das Pfund zu einem halben Dukaten, geliefert.58 Die erwähnten Produkte waren somit Erzeugnisse vor allem aus Norwe­ gen, Livland und aus dem Bereich Vorpommern. Durch das bisher Gesagte ergibt sich für den Handel des Hans Vith folgendes ungefähres Bild: Der Bootsmann erwarb bei Verwandten oder Freunden auf der Insel Rügen und in Stralsund Waren, anfangs wohl als Kommissionär, später als tatsächlicher Eigner. Mit diesen ging er in Stralsund oder in anderen Seestädten der Umgebung an Bord von Schiffen, die nach Skandinavien und Livland fuhren. Hierbei steht, nach der Menge der aufgeführten Waren zu urteilen, Bergen in Norwegen an erster Stelle. Hierher brachte er vor allem landwirtschaftliche Erzeugnisse und verkaufte sie oder handelte andere Produkte ein. Diese setzte er im Gegenzug in Stralsund oder Rügen im Verwandten- und Bekanntenkreis ab. Mit Sicherheit waren einige der Personen, denen gegenüber er als Gläubiger auftrat, seine Geschäftspartner. Hierbei verwundert es nicht, daß sich darunter auch eine Frau befand. Die Witwe des Hans Schmedes aus Riga gehörte wahrscheinlich zu den Mitgliedern der Großen Gilde, die entweder Gassenhandel betrieben oder der Krämerkompanie zuzurechnen waren. Nach Aussage des russischen Kaufmannes Johannes Garfeld umfaßte im Jahre 1647 die Große Gilde in Riga 435 Mitglieder, darunter ebenfalls Frauen, die Kleinhandel trieben.59 In Stralsund selbst gehörten der Bader Peter Zeyer, ein Hinrich Vohrtt und ein Hinrich Kluke, der Hans Vith 24 Mark Sundisch für zwei Tonnen Spurten schuldig blieb, zu den Geschäftspartnern oder Abnehmern. Peter Zeyer und Hinrich Vohrtt

Sastrowen Herkommen, Geburt und Lauff seines gantzen Lebens, auch was sich in dem Denckwerdiges zugetragen, so er mehrentheils selbst gesehen vnd gegenwärtig mit angehöret hat, von ihm selbst beschrieben, hg. von G.Ch.F. Mohnike, Teil 1, Greifswald 1823, S. 125, Anm. 2. 58 Mit großer Wahrscheinlichkeit kaufte Hans Vith, wie viele Kaufleute, einen Teil der landwirtschaftlichen Produkte von bestimmten Lieferanten. Diese wiederum erhielten von ihm Kredite. Andere Bootsleute bemühten sich offensichtlich auch um den Aufbau dauerhafter Beziehungen zu den Bewohnern ländlicher Gebiete, um von ihnen direkt Erzeugnisse der Landwirtschaft zu erwerben. Vgl. Mickwitz (wie Anm. 32) S. 30; K.-P. Zoellner, Vom Strelasund zum Oslofjord. Untersuchungen zur Geschichte der Hanse und der Stadt Stralsund in der zweiten Hälfte der 16. Jahrhunderts (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte, Bd. 14), Weimar 1974, S. 80; R. Häpke (wie Anm. 55). 59 G. Jensch, Der Handel Rigas im 17. Jahrhundert. Ein Beitrag zur livländischen Wirt­ schaftsgeschichte in schwedischer Zeit, in: Mitteilungen aus der livländischen Geschichte, Bd. 24, H. 2, Riga 1930, S. 72, Anm. 1. Der Eigenhandel hansischer Seeleute 39 schuldeten Hans Vith jeweils 300 und 240 Mark sundisch. Mit dem Bader- Meister Peter Zeyer verband Hans Vith zudem ein besonderes Verhältnis. Zeyer war einer der beiden Vormünder, die Hans Vith für seinen noch unmündigen Sohn einsetzte. Es ist verständlich, daß Hans Vith auf Grund seiner Tätigkeit nicht alle angegebenen Handelsverbindungen mit gleicher Intensität aufrechterhalten konnte. Des weiteren nahmen Kauf und Verkauf bekanntlich längere Zeit in Anspruch, das heißt die von seinen Geschäftspartnern übernommenen Waren mußten teilweise erst bewirtschaftet werden, sofern die Produkte nicht zum eigenen Verbrauch bestimmt waren.60 Daraus erklären sich auch die bisweilen langen Zeiträume, innerhalb derer ihm Personen Geldbeträge und Zinsen schuldeten.61 Ob ein Teil dieser geschäftlichen Beziehungen den Fernhandelsgesellschaften auf Gegenseitigkeit ähnelte, muß dahingestellt bleiben, es wäre aber denkbar.62 Des weiteren trat auch Hans Vith als Schuldner auf, wenngleich die Beträge gering sind. Seiner Schwester Trine schuldete er jeweils 13 Taler schwedisch, 17 Gulden sowie eine Mark Sundisch. Hier liegt die Vermutung nahe, daß sich Katharina als Gesellschafterin an den Geschäften ihres Bruders beteiligte, ohne jedoch aktiv in Erscheinung zu treten. Weiterhin war der Bootsmann Schuldner des Schiffers Joachim Wolter für achteinhalb Mark Sundisch für Hering so Ich Ins landt geschicket an Jacob Viht, vnd Ties Viht, meines Vaters bruder darvon mir noch bezahlung restirt. Auch solche kleineren Kommissionsgeschäfte gehörten zum Handelsge- bahren des Bootsmannes, wobei davon auszugehen ist, daß derartige Han­ delsaktivitäten auch von Seeleuten in früherer Zeit getätigt worden sind. Im Falle des Hans Vith ist ebenfalls nicht anzunehmen, daß er sein relativ großes Vermögen im Alleingang erwirtschaften konnte. Mit einiger Sicher­ heit kann vorausgesetzt werden, daß auch er der Hilfe eines Kaufmannes beziehungsweise Schiffers bedurfte für den Aufbau geschäftlicher Bezie­ hungen. In wessen Auftrag er jedoch anfänglich Handel betrieb, geht aus den Quellen leider nicht hervor. Vielleicht unterstützte ihn der erwähnte Schiffer Joachim Wolter. Welche Bedeutung unter anderem dem Kommisionshandel auch im 17. Jahrhundert zukam, geht aus einer Aussage Lübecker Schiffer von 1659 hervor. Danach war den Bootsleuten der freie Handel in der Stadt ebenso erlaubt. Die Lübecker Schiffergesellschaft bestätigte, auf Anfrage der Stralsunder Schifferkompanie, in zwei Schriftstücken vom 12. und 29.

60 W. Stark, Untersuchungen zum Profit beim hansischen Handelskapital in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte, Bd. 24), Weimar 1985, S. 14. 6,1 So schuldete ihm der Einwohner von Norrköping Ladwig Thene 200 Mark und die Rente von zwei Jahren in Höhe von 24 Mark. 62 Vgl. Mickwitz (wie Anm. 32), S. 127 - 129, 137, Anm. 3. 40 Thomas Brück

Oktober 1659 die Aussagen über die Handelsfreiheit sowohl der Schiffer als auch der Bootsleute der Travestadt. Außerdem verwiesen die Altesten und Alterleute auf jenen Handel, der durch die Schiffer und Bootsleute im Aufträge fremder Kaufleute, unter anderem aus Schweden und Kurland, betrieben wurde. Den Schiffern, Steuer- und Bootsleuten war es aber verboten, ihre Waren nach Pfunden zu verkaufen. Außerdem durften sie Kupfer und Eisen nicht nach Hamburg oder über Land veräußern. Jedoch konnten sie diese Metalle an Frembde zur wasser verkaufen. Die Seeleute waren verpflichtet, für ihre Waren den Zoll sowie die anderen städtischen Zulagen zu bezahlen. Des weiteren durften sie mehr Waren, als es die vorgeschriebene Menge ihrer Führung gestattete, auf den Schiffen transportieren. In solchen Fällen mußten sie, wie alle Befrachter, an den Schiffer oder die anderen Reeder Frachtgebühren entrichten.63 Im Gegensatz zum 15. Jahrhundert schien sich seit dem 16. Jahrhundert der soziale Status einer größeren Zahl von Besatzungsmitgliedern zu verbessern. So erwarben Steuer- und Bootsleute nicht nur Grundbesitz in ihren Heimatstädten, vor allem Buden, seltener Häuser, sondern ebenfalls das Bürgerrecht, wenn auch im minderen Grade. Förderlich wirkte sich in diesem Zusammenhang das Streben der städtischen Obrigkeit aus, die finanziellen und anderen Leistungen, die mit dem Erwerb des Bürgerrechts verbunden waren, für die Stadt nutzbar zu machen und diesen Teil der Einwohnerschaft einer stärkeren Kontrolle zu unterwerfen.64 Der Erwerb von Grundeigentum und des Bürgerrechts erhöhte selbst­ verständlich die Sicherheiten, die von den Seeleuten geboten werden konn­ ten, sowie ihre Vertrauenswürdigkeit gegenüber Geschäftspartnern. Sie wa­ ren allerdings nicht, wie bereits dargelegt, eine unabdingbare Voraussetzung für den Eigenhandel der Besatzungsmitglieder. Auf der sozialen Stufenleiter stiegen verschiedentlich die Seeleute zum Schiffer, Kaufmann und mitunter zum Ratsherren auf. Der größte Teil der Besatzungsmitglieder etablierte sich im 16. und 17. Jahrhundert als ein Berufsstand, dessen Vertreter aber wirtschaftlich sehr unterschiedlich gestellt waren.65

63 Vgl. hierzu die Aussagen Lübecker Schiffer gegenüber den Vertretern der Stralsunder Schifferkompanie am 10 August 1659 sowie zwei Schreiben der Lübecker Schifferge­ sellschaft vom 12. und 29. Oktober 1659. Stralsunder Schifferkompanie: Handel und Schiffahrt, 1637 - 1870, Rep. Nr. 277; Beziehung der Stralsunder Schifferkompanie zu auswärtigen Kompanien in anderen Städten, 1623, 1659, 1718, 1777, 1923 , Rep.-Nr. 358; Beschwerden der Schifferkompanie an und über den Rat, 1650 - 1681, Rep.-Nr. 293 (Schreiben der Schifferbrüder an den Rat, 1. Oktober 1659). 64 Vgl. Geschichte der Stadt Stralsund (wie Anm. 1) S. 155; Lübeckische Geschichte, hg. von A. Graßmann, 2., überarb. Aufl., Lübeck 1989, S. 232 - 233, 443 - 444. 63 Hierbei spielte die Herkunft offensichtlich eine wichtige Rolle. So hatten Besatzungs­ mitglieder, wie zum Beispiel die Söhne oder Stiefsöhne von Schiffern, bessere Vorausset­ zungen, um zum Schiffer oder Kaufmann aufzusteigen. Diese Möglichkeit wurde zwar Der Eigenhandel hansischer Seeleute 41

Überblickt man das bisher Dargelegte, so kann festgestellt werden, daß nur ein Teil der Seeleute von dem Recht der Führung für den eigenen Handel Gebrauch machte. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte hierbei der Kommissionshandel, der von den Seeleuten in Kombination mit ihrem Properhandel betrieben wurde. Verschiedentlich gelang es Besatzungs­ mitgliedern, einen recht bedeutenden Handel aufzubauen, wobei sie sich entweder auf eine oder auf wenige Hauptrichtungen konzentrierten. Mit Hilfe der Seerechte versuchte die städtische Obrigkeit seit dem 16. Jahrhundert den Eigenhandel der Schiffsbesatzungen zu begrenzen oder zugunsten der Kaufleute gänzlich aufzuheben.66 Die diesbezüglichen Pas­ sagen der Seerechte, vor allem der Seerechtskodifikation von 1591/1614, erwiesen sich nicht nur deshalb als eine Fiktion, weil sich sowohl die Seeleute als auch späterhin die Schiffer gegen derartige Eingriffe in ihren Handel zur Wehr setzten. In der Realität waren die geschäftlichen Verbin­ dungen zwischen Seemann und Kaufmann wohl immer noch von einiger Bedeutung, war doch der seefahrende Kommissionär für den kaufmänni­ schen Kommittenten mitunter ebenso wichtig wie der Kredit und Waren liefernde Händler für den am Handel teilhabenden Seemann. Der Entzug des Rechtes, Eigenhandel zu treiben, beraubte den Warenverkehr zur See eines nicht ganz unwichtigen Elements, zumal die Kaufleute ihre Waren immer seltener über See begleiteten und das Transportgut zumeist einer Aufsicht bis zum Bestimmungsort entbehrte. Das Interesse eines Besat­ zungsmitgliedes an der sicheren Weiterleitung der Waren erhöhte sich in dem Maße, wie sein eigener Handel mit dem der Kaufleute verbunden war.

nicht in jedem Falle genutzt. Jedoch waren verschiedentlich diese Besatzungsmitglieder finanziell bessergestellt als ihre Standesgenossen. Vgl. J. Focke, Das Seefahrtenbuch des Brüning Rulves, in: Bremisches Jahrbuch, Bd. 26, Bremen 1916, S. 91 - 144, v.a. S. 96, 99, 139. 66 Zu den Streitigkeiten zwischen Schiffsvolk sowie Schiffern und Kaufleuten um die Führung sowie die Höhe der Heuer vgl. Woywodt (wie Anm. 24) S. 99 - 108, 123; Vgl. Anm. 50.

JOHANNES DOMANN (1564 - 1618) UND DER NIEDERGANG DER HANSE

Diplomatie und K r i s e n m a n a g e m e n t im frühen 17. Jahrhundert

von HERMANN QUECKENSTEDT

1. Einführung1

„Er war ein gewaltiger, gravitätischer Mann und ein vortrefflicher Orator, sonderlich in deutscher Sprach, dass Seinesgleichen in Beredenheit nicht viel über ihn sollten erfunden werden, und war von Geburt aus Osnabrück in Westphalen. Er hatte sich viel und in weit abgelegenen Oertern, Ländern und Königreichen versucht und in Legationssachen sich gebrauchen lassen, als in Hispanien, Frankreich, England, Italien, Moskau, Polen, Schweden, Dänemarken und an vielen ändern Orten mehr, und ist seines Alters ungefähr bei sechzig Jahren gewesen, aber starker Leibesperson, also dass er nicht viel zu Rathhaus gegangen, sondern sich meistentheils dahin fahren lassen, in welchem ihm zwar willfahret worden, weil er im Rathschlagen geschwind und sich vernünftig darin wissen zu erzeigen.“2 Wer war der Mann, dem eine zeitgenössische Rostocker Chronik so große fachliche Qualitäten bescheinigte? Es sollen hier anhand der Leistun­ gen Johannes Domanns wesentliche Aspekte hansischer Außenpolitik und deren Problematik zu einer Zeit aufgezeigt werden, da der Stern der Hanse zu erlöschen drohte. Besonderes Gewicht wird daher den Gesandtschaf­ ten nach Moskau (1603) und Spanien (1607/1608) sowie dem hansischen Bündnis mit den Generalstaaten beigemessen. Gerade in der gemeinsam getragenen politischen Demonstration nach außen spiegelt sich auch der innere Zustand der hansischen Gemeinschaft wieder. Auf der Basis der hansischen Historiographie läßt sich vornehmlich das Wirken Domanns in der Außenpolitik nachvollziehen. Einen begrenzten

1 Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung einer Hausarbeit, die im Wintersemester 1989/90 an der Westfälischen Wilhelms-Univerität Münster im Fachbereich Geschichte im Rahmen des Hauptseminars „Das Ende der Hanse im 17. Jahrhundert“ bei Prof. Dr. Heinz Duchhardt entstanden ist. 1 Zit. nach Bachmann S. 97. 44 Hermann Queckenstedt

Einblick gestattet das veröffentlichte Material ferner im Zusammenhang mit Domanns Rolle während der Braunschweiger Unruhen und der Aus­ einandersetzung dieser Stadt mit ihrem Landesherrn. Initiativen Johannes Domanns zur inneren Erneuerung der Hanse finden sich dagegen nur spo­ radisch; daher muß die Antwort auf diesen Fragenkomplex einer eigenen, auf umfangreichen Vorarbeiten in den einschlägigen Archiven basierenden Studie Vorbehalten bleiben. Auch das Wirken Domanns als Jurist und Staatsrechtler kann an dieser Stelle nicht gewürdigt werden. Einerseits würde dies bei der Fülle seiner juristischen Expertisen und Abhandlungen den Rahmen der Arbeit sprengen, andererseits sind diese Quellen nur an verstreuten, teils sehr schwer zugänglichen Orten zu erreichen. Schließlich soll auch Domann als Dichter unberücksichtigt bleiben, denn dieser Aspekt seines Wirkens ist bereits eingehend gewürdigt worden.3 Gültig bleibt aber noch immer die Feststellung des Osnabrücker Dom­ kapitulars Johannes Rhotert, der 1910 in einem Vortrag vor dem „Verein für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück“ erklärte, der „Lebens­ gang und die Tätigkeit des rührigen Mannes verdienten eine eingehendere Untersuchung.“4

2. Das Amt des Hansesyndikus

2.1 Der erste Syndikus: Heinrich Sudermann

Das Amt des Hansesyndikus wurde 1556 eingerichtet; erster Inhaber war der Kölner Patriziersohn Heinrich Sudermann. Der promovierte Jurist hatte das Amt bis zu seinem Tod im Jahr 1591 inne. Zunächst wählte man ihn für jeweils sechs Jahre, 1576 wurde er dann auf Lebenszeit angestellt. Sudermann unternahm während seiner Amtszeit fast 50 Reisen im diplo­ matischen Dienst der Hanse. Einen wesentlichen Teil seiner Arbeitskraft verwandte er auf das Hansekontor in Antwerpen, das langfristig jedoch nicht zu halten war. Zu seinen Aufgaben gehörte es ferner, ein hansisches Urkundenverzeichnis anzulegen, die Geschichte der Hanse zu verfassen und ein Seerecht zu formulieren. Diese drei Projekte konnte er indes nicht vollenden. Trotz seines großen Engagements mußte Sudermann immer wieder um sein Gehalt kämpfen; die Zahlungsmoral seines Auftraggebers erwies sich als äußerst schlecht.5

3 Insbesondere von Kuhlmann. 4 Schirmeyer S. 211. 5 Dollinger S. 432 f. Zur Biographie Sudermanns s. Wriedt, Sudermann; Ennen, Suder­ mann; Simson, Organisation; S. 381-385. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 45

2.2 Zeit der Vakanz

Nach dem Tod Heinrich Sudermanns im Jahr 1591 wurde das hansische Syndikat zunächst nicht neubesetzt. Dafür waren insbesondere finanzielle Gründe ausschlaggebend; verschiedene Städte glaubten, die damit verbun­ denen Kosten sparen zu können. Die hansischen Schriftsachen wurden von den Lübecker Sekretären und Syndicis mitverwaltet. Beim Hansetag 1598 drängte die Direktorialstadt dann aber vehement auf die erneute Anstellung eines hansischen Syndikus oder Sekretärs, da die eigene Kanzlei durch die zusätzliche Arbeit überlastet sei. Als Lübeck sogar mit dem Rücktritt vom Direktorium drohte, einigten die Städte sich lediglich darauf, einen Lübecker Sekretär für seine zusätzlichen Aufgaben im Dienst der Hanse zu entlohnen.6 Im folgenden Jahr sprach sich die Gemeinschaft dafür aus, für zehn Jahre einen qualifizierten Bewerber als Sekretär einzustellen und ihm 400 Taler jährlich zu zahlen. Trotz ihrer Zustimmung zu einer besonderen Kontribution kamen einige Städte ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nach. Im Jahr 1600 standen zwar vier Kandidaten - unter ihnen der Lübecker Sekretär Johannes Brambach - zur Wahl; diese wurde indes vertagt. 1605 kam dann die Anstellung eines Syndikus erneut auf die Tagesordnung des Hansetages, der sich für den Stralsunder Syndikus Dr. Johannes Domann entschied.7

2.3 Hansetage

Während der Hansetage gab es eine feste Sitzordnung, die den Bürgermei­ stern der Stadt Lübeck die vornehmsten Plätze einräumte. Neben diesen nahm seit 1572 der hansische Syndikus Platz, dessen hervorragende Stel­ lung so dokumentiert wurde. Die Lübecker Bürgermeister hatten bis 1611 auch die Verhandlungsleitung inne, die sie dann dem hansischen Syndikus abtraten.8 Uber die Rolle des Syndikus im Verlauf der Beratungen schreibt Simson: „Es wurde bei Beginn der Beratung jedes Gegenstandes der be­ treffende Artikel nebst den dazu gehörigen Schreiben und Aktenstücken sowie den eingelaufenen Suffragien einzelner Städte verlesen und durch einen der Lübecker oder den hansischen Syndikus, unter Umständen auch den Vertreter einer anderen Stadt ein vollständiges Referat erstattet.“9

6 Simson, Organisation; S. 386. 7 Simson, Organisation; S. 386 f. Zur Zeit der Diskussionen um die Anstellung eines Sekretärs hatte Domann Heinrich ßrokes als Kandidaten für das Amt vorgeschlagen. Im Gegenzug leistete Brokes dann Wahlhilfe für den Syndikatskandidaten Domann. (Brokes, II; S. 466 f). 8 Simson, Organisation; S. 230 ff. 9 Simson, Organisation; S. 233 f. Zum weiteren Verlauf der Hansetage vgl. S. 233 ff. 46 Hermann Queckenstedt

Eine sichtbare Abwertung scheint das Amt des Hansesyndikus dann nach Domanns Tod erfahren zu haben, als es kommissarisch verwaltet wurde. Der damalige Amtsinhaber fand seinen Platz auf dem Hansetag des Jahres 1619 nicht neben den Bürgermeistern Lübecks, sondern an einem gesonderten Tisch vor diesen. Von hier aus dürfte eine Sitzungsleitung kaum noch möglich gewesen sein.10

3. Johannes Domanns Herkunft und Bildungsweg

Johannes Domann wurde am 2. Mai 156411 als Sohn des Bürgers der Osnabrücker Neustadt Hans Domann geboren. Der Osnabrücker Rat finanzierte ihm zumindest einen Teil seiner Ausbildung an der Rostocker Universität, an der auch Domanns Bruder Stephan studierte.12 Als Sieb- 1 zehnjähriger wurde Johannes in Rostock immatrikuliert.1’ Wegen Geld­ mangels mußte er seine Studien unterbrechen und nahm in Lemgo das Amt eines Konrektors an.14 Nach der Wiederaufnahme des Studiums in Rostock wechselte Domann an die Helmstedter Universität und wurde dort im Herbst 1591 unter Vorsitz des Professors Andreas Cludius zum Doktor iuris promoviert.15 Um seine Promotion zu finanzieren, heiratete er und versicherte sich so der Mitgift der Rostocker Bürgertochter Margarete Hake.16 Bereits im Juli 1591 war eine erste Arbeit des angehenden Doktors der Rechte veröffentlicht worden. Nachdem der holländische Humanist Justus Lipsius Westfalen und insbesondere das südliche Oldenburg spöttisch aufs Korn genommen hatte, verfaßte der streitbare Jurist Johannes Domann

10 Bruns, Platzordnung; S. 182. Siehe dazu Abb. 1 S. 49 der vorliegenden Arbeit. 11 Datumsangaben nach dem alten Stil. Zum Geburtsdatum Domanns vgl. Kuhlmann S. 6. Er führt aus, daß der Geburtstag Domanns lediglich durch eine Gratulationsschrift seiner Familie und seiner Bekannten zum 50. Geburtstag belegt ist (vgl. Bachmann, S. 95 und Mantels, Lied; S. 471 f.) 12 Zu Stipendium, Familie und Heimatort Osnabrück s. Queckenstedt S. 54-57 sowie S. 68-72. Kuhlmann erwähnt einen weiteren Bruder namens Hermann, der ebenfalls in Rostock immatrikuliert gewesen sei (Leben und Dichten; S. 7 f). 13 Kuhlmann S. 8. Seinen Angaben zufolge war Rostock damals eine Universitätsstadt, in der besonders viele Westfalen und Osnabrücker ihre Studien trieben. 14 Die Dauer dieser Unterbrechung ist nicht bekannt. Kuhlmann beruft sich auf Brokes. 15 Zum Datum der Promotion vgl. Kuhlmann S. 9 (6. Sept. 1591, nach Datierung der Doktorthesen) gegen Lappenberg (4. Oktober 1591). 16 Nach Möhlmann (nicht immer zuverlässig) Tochter des Gregorius Hake und der Ursula geb. Beselin. Bei Brokes heißt es zur Heirat: „Er hatte keine Mittel zu den Expensen, sondern ließ sich ein mit einer Bürgerstochter zu Rostock, daher er etlichermaßen die sumptus zu seiner Promotion und Doktorstande bekam.“ (II; S. 466). Kuhlmann führt aus: „Schon hier sei gesagt, daß diese Heirat für Domann geradezu verhängnisvoll geworden ist“ (Leben und Dichten; S. 9). Vgl. zur weiteren Geschichte dieses abfälligen Urteils Queckenstedt S. 73 f., Anm. 77. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 47 eine geharnischte Antwort.17 Gewidmet war die Schrift dem Grafen Johann von Oldenburg und Delmenhorst, dem sich Domann wohl als künftiger Beamter empfehlen wollte.18

4. Johannes Domann als Syndikus von Stralsund

4.1 Domanns Wirken in Stralsund

Statt in die Dienste der Grafen von Oldenburg zu treten, nahm Johannes Domann 1592 das Amt des zweiten Syndikus der Stadt Stralsund an, die ihn zunächst ein Jahr auf Probe beschäftigte. 1596 bestellte ihn der Rat der Stadt zum Subsyndikus, zwei Jahre später zum Syndikus.19 Domann trat zu einer Zeit an die Spitze der Stralsunder Verwaltung, die einerseits durch Auseinandersetzungen innerhalb der Bürgerschaft zwischen Rat und Hundertmännern sowie andererseits durch Konflikte der Stadt mit den Herzögen von Pommern-Wolgast geprägt war. Er gewann zunehmenden Einfluß auf die städtische Politik, der den Höhepunkt erreichte, nachdem der frühere Bürgermeister von Stralsund, Sastrow, 1603 gestorben war.20 Fock beurteilt das diplomatische Geschick, mit dem Domann die Interessen der Stadt vertrat, skeptisch: „[...] der Eifer, mit dem er für die Aufrechterhaltung der städtischen Privilegien kämpfte, führte ihn nicht selten hart an die Grenze pedantischer, das Gemeinwohl gefährdender Prinzipienreiterei.“21 Domanns engagiertes Eintreten für die Rechte des Rates brachte ihn schnell in Mißkredit bei einem Teil der Mitbürger sowie beim Herzog Philipp Julius, der seine Kontrolle über die Stadt verstärken wollte.22 Als die pommerschen Vorderstädte dann auf Initiative Domanns dem minderjährigen Herzog Philipp Julius die Huldigung verweigerten, ver­ langte dieser von den Domann ablehnend gegenüberstehenden Alter- und Hundertmännern die Auslieferung des Syndikus. Schließlich kam die Hul­ digung unter Vorbehalt zustande: Die Stadt Stralsund brachte den Fall

17 Kuhlmann S. 10 f. Die ersten beiden Auflagen tragen den Titel „Johannis Domani pro Westphalia ad CI. virum Justum Lipsium Apologeticus. [...]“, ein weiterer Druck den Titel „Joan. Domanni Osnabrugensis Vindiciae pro Westphalia Adversus Justum Lipisium. [...]“. Ausführlich dazu Löffler. 18 Kuhlmann S.ll. Ein solches „auf sich aufmerksam machen“ war in der frühen Neuzeit nichts Ungewöhnliches. Vgl. dazu die Ausführungen Brigitte Jahnkes zum Versuch des Theologen Gerhard Arnold Rump, durch die Widmung einer Schrift bei den Grafen von Tecklenburg Sympathien zu erwerben (Rump; S. 58). 19 Kuhlmann S. 11. 20 Kuhlmann S. 12. 21 Fock, S. 37. 22 Kuhlmann S. 13. 48 Hermann Queckenstedt

gleichzeitig auf Vorschlag Domanns vor das Reichskammergericht, worin der junge Herzog einen Affront sah.23 Während seiner Rückreise vom Hansetag 1604 entging Domann nur knapp der Gefangennahme durch Herzog Philipp Julius und flüchtete nach Rostock. Von dort kehrte er auf einem bewaffneten Schiff über den Seeweg nach Stralsund zurück, sah sich in der Folgezeit aber nach einem neuen Aufgabenfeld um.24 Dazu bemerkt Heinrich Brokes: „Er strebete sehr für der Stadt Stralsund Freiheit, und opponirte sich hart, wenn der Landesfürst ein und anders bei der Stadt und Landschaft wider ihre Freiheit begehrte, wodurch er in große Ungnade kam, also daß ihm Anno 1604 sehr ward nachgetrachtet, und durfte nicht sicher aus der Stadt reisen.“25

4.2 Domann und die Hanse vor seiner Berufung

Seit 1598 trat Johannes Domann auf dem diplomatischen Parkett der Hanse in Erscheinung. Im Sommer dieses Jahres vertrat er die Stralsunder Belange auf dem Hansetag in Lübeck.26 An Domanns Auftritte während der langwierigen Verhandlungen vom 16. Juni bis zum 3. August27 erinnert Heinrich Brokes in seinen Aufzeichnungen: „Anno 1598 im Sommer kam er erstmals zu Lübeck auf den Hansetag als Syndicus der Stadt Stralsund und hielt sich bei den consilijs sehr wohl.“28 Einer der hier verhandelten Tagesordnungspunkte war die Zukunft des hansischen Rußlandhandels.

2j Kuhlmann S. 13 f. Über die Behandlung der Städte anläßlich der Hochzeit des Herzogs im Sommer 1604 bemerkt Fock: „[...] die Gesandten der Städte, selbst die des mächtigen Danzig einbegriffen, erhielten als Getränk nur Bier und wurden in einem Zimmer mit dem gemeinen Gesinde gespeist; weder zum Tanz noch zum Anschauen der Ritterspiele wurden sie zugezogen“ (S. 38). 24 Kuhlmann S. 14. Noch aufzuarbeiten ist das Wirken Domanns in Stralsund. Dort hatten sich die Mißstimmigkeiten zwischen Rat und Bürgerschaft nicht zuletzt an der schlampigen Verwaltungsführung des Rates entzündet. Insbesondere das Rechnungswesen und die Verwaltung der Kirchen- und Stiftungsgüter ließen zu wünschen übrig. Unter anderem boten die Schoßregister von 1602 bis 1612 Grund für Beanstandungen. Erst eine vom Herzog angeordnete Rechnungsprüfung des Jahres 1612 deckte das Ausmaß der Mißwirtschaft auf. Vgl. dazu Fock S. 63 ff. Im Februar 1612 kehrte Johannes Domann als Leiter einer hansischen Delegation noch einmal an seine alte Wirkungsstätte zurück, um beim Herzog gegen dessen Vorgehen gegen den Rat und den ersten Syndikus Lambert Steinwich zu protestieren und zwischen beiden Parteien zu vermitteln. Vgl. dazu Fock S. 58 sowie Langer S. 190. In beiden Arbeiten wird Domann als Hansesyndikus bezeichnet, obwohl er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bzw. noch nicht wieder im Amt war. Das Domann sicherlich für Verhandlungen mit dem Herzog ungeeignet war, belegt eine Äußerung von Philipp Julius aus dem Februar 1612: Domann sei ein Schelm gewesen, sein Nachfolger Lambert Steinwich sei dagegen ein noch größerer Schelm (Adler S. 241). 2- Brokes, II; S. 466 f. 26 Kuhlmann S. 12. 27 Schweitzer spricht von einer Verhandlungszeit zwischen dem 11. Juni und 3. August (S. 322). 25 Brokes, II; S. 466. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 49

Während der Diskussionen entwickelten sowohl Lübeck als auch Stralsund unterschiedliche Vorschläge für diplomatische Initiativen. Während Lübeck Verhandlungen mit dem polnischen König über die Zusage sicheren Geleits für die Kaufleute als dringlichste Maßnahme bewertete, favorisierte Stralsund sofortige Verhandlungen mit dem Zarenhof in Moskau. Nachdem Lübeck sich mit seiner Auffassung durchgesetzt und gemeinsam mit Rostock das Mandat für die Verhandlungen mit dem polnischen Hof erhalten hatte, legte der Hansetag die Gesandtschaft nach Moskau in die Hände Lübecks, Rostocks und Stralsunds. Schließlich wurden die Finanzierung geregelt und die Instruktionen für die Gesandtschaften nach Polen und Russland formuliert.29 Ein zweiter Streitpunkt zwischen Lübeck einerseits sowie Stralsund und Hamburg andererseits galt dem Alleingang Lübecks im diplomatischen Verkehr mit Dänemark. Als Ergebnis gesonderter Verhandlungen hatte der dänische König Lübeck vom Lastzoll befreit.30 Bei dem starken En­ gagement Stralsunds in dieser Frage dürfen wir annehmen, daß Johannes Domann gerade hier besonders in Erscheinung trat. Um die alten Privile­ gien durch Christian IV. für die ganze Hanse bestätigen zu lassen, beauf­ tragte der Hansetag die Städte Lübeck, Hamburg, Rostock und Stralsund mit einer Gesandtschaft nach Kopenhagen. Diese erhielt am 1. Oktober eine Audienz beim König, dessen Bescheid vom 14. Oktober nicht den gewünschten Erfolg brachte.31 Während des Hansetages wurde Johannes Domann mit Heinrich Brokes bekannt. Aus dieser ersten Begegnung entwickelte sich dann eine Bekannt­ schaft, die sich für die Hanse als äußerst fruchtbar erweisen sollte. An diese ersten Kontakte erinnert sich Heinrich Brokes in seinem Tagebuch: „Die Sundischen Abgesandten hatten damals bei Hans Spangenberg, meinem Schwager, ihre Herberge, daher ich dieselbige Zeit mit ihm [Domann] in vertrauliche Freund- und Brüderschaft gerieth, also daß wir hernach

29 Zusammenfassung des Rezesses bei Blümcke S. 1 ff. 30 Blümcke S. 4. Er bemerkt weiter, daß diese Bevorzugung Lübecks auch den Unwillen Stettins, Kölns und Danzigs hervorrief. 31 Vgl. dazu Schweitzer S. 322-326. Ob Johannes Domann an dieser Gesandtschaft beteiligt war, geht aus der Literatur nicht hervor. Kuhlmann spricht jedoch von einem nachhaltigen Eindruck, den er bei den Delegierten hinterlassen habe. Der Hansetag habe ihm die Leitung einer Gesandtschaft übertragen, die in Schweden wegen des russisch-schwedischen Vertrages von Teusina intervenieren sollte. Der Durchbruch bei den Verhandlungen sei den Gesandten jedoch versagt geblieben (Kuhlmann S. 12 f). Leider gibt er keinen Beleg für die Gesandtschaft an. Eine diplomatische Reise nach Schweden erwähnt auch Lappenberg, Lied; S. 452. In der übrigen benutzten Literatur findet sich kein Hinweis darauf. 50 Hermann Queckenstedt

allewege miteinander durch Briefe communicirten, sowohl in publicis als privatis,“32 Im Jahr 1600 wurde Johannes Domann trotz seines engen Verhältnisses zu Heinrich Brokes gegen Lübeck aktiv, nachdem der dortige Rat die pommerschen Städte direkt zu einer Tagfahrt eingeladen hatte. In einem Protestbrief an den Lübecker Rat vom 19. Mai 1600 machte er klar, daß die Ladung in Pommern ein altes Recht der Stralsunder sei.33 Vier Jahre später richteten sich Domanns Aktivitäten erneut gegen das Haupt der Hanse.34 Er gehörte während des Hansetages vom 1. März bis 24. April 1604 zu den Wortführern einer Opposition gegen Lübeck, die dem dortigen Rat eigennütziges Verhalten im Zusammenhang mit der hansischen Gesandtschaft des Jahres 1603 nach Moskau vorwarf.35 Als Vertreter Stralsunds waren neben Domann der Bürgermeister Henning Parow sowie die Ratsherren und Teilnehmer der moskovitischen Legation, Nikolaus Dinnies und Johann Steilenberg, nach Lübeck gereist. Die Inter­ essen Lübecks wurden vertreten durch die vier Bürgermeister Alexander Lüneborg, Jacobus Bordingk, Godthardt van Hövelen und Conrad Ger­ mers, die beiden Syndici Laurentius Finkelthaus und Martinus Nordanus sowie die Ratsherren Joachim Wibbekingk, Georg Grunwell, Heinrich Kerckring und Hermann von Dörne.36 Die Abfertigung der Gesandtschaft nach Moskau war noch auf den Beschluß des Hansetages von 1598 zurückgegangen. Rostock hatte bereits auf dem Wendischen Städtetag vom 4. bis 23. Oktober 1600 um Befreiung

32 Brokes, II; S. 466. Auffallend ist indes die Art, in der Brokes Domanns Charakter­ schwächen betont (S. 466 ff). Bei der Lektüre seiner Ausführungen gewinnt man den Eindruck, daß der Lübecker Bürgermeister die Karriere des Juristen mit Neid verfolgte. Vgl. dazu auch Queckenstedt, S. 69, Anm. 64. 33 Kuhlmann S. 14. 34 Kuhlmann S. 14. 3:> Nach Ansicht Otto Blümckes liegt „die vornehmste Bedeutung der Legation nicht auf dem handelspolitischen, sondern auf dem Gebiete der inneren Geschichte des Bundes selbst. Wohl kaum über eine zweite Begebenheit aus der letzten Zeit der Hanse hat glücklicher Zufall die Akten in gleicher Vollständigkeit erhalten. In ihnen ist die Möglichkeit gegeben, die Vorgeschichte, den ganzen Verlauf und das Nachspiel der Gesandtschaft bis ins kleinste hinein zu verfolgen, aber sie werfen auch die grellsten Schlaglichter auf die inneren Zustände des rasch seiner Zersetzung entgegen eilenden Bundes.“ (Vorwort S. VII). Ähnlich auch Neubauer: „Die Gesandtschaft von 1603 wird unter dem Blickwinkel der Versuche, die Hanse seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts noch einmal zu erneuern, betrachtet werden können. [...] Er [der Rußlandhandel] machte im übrigen deutlich, daß die Divergenz der Interessen innerhalb der Hanse nicht mehr zu überwinden war. Die Gesandtschaft von 1603 ist u.a. ein Symptom dafür, daß sich dieser Sachverhalt bereits lange vorher an Einzelerscheinungen ablesen läßt.“ (S. 84). 36 Blümcke S. 205. Vertreten waren hier folgende weitere Städte: Köln, Bremen, Wismar, Magdeburg, Braunschweig, Danzig, Hildesheim, Hamburg und Lüneburg. Germers und Kerckring waren nebem dem Lübecker Sekretär Brambach als lübische Gesandte nach Moskau gereist. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 51 von der Legation gebeten, so daß deren Durchführung nun auf Lübeck und Stralsund übergegangen war.37 Sowohl im Vorfeld der Gesandtschaft als auch während der Reise selbst hatten etliche Vorfälle zu der Vermutung Anlaß gegeben, Lübeck wolle Stralsund aus der Gesandtschaft drängen und behandele seine Vertreter als zweitrangig. Als der russische Zar dann tatsächlich die Privilegien der von allen Städten finanzierten Legation auf die Stadt Lübeck beschränkte, versagten die Stralsunder dem lübischen Abschlußbericht die Zustimmung und brachten die Angelegenheit in Form einer Anklage vor den Hansetag.38 Zusätzlich beschwerte sich Danzig darüber, daß die Lübecker einem Danziger Bürger verweigert hatten, sich auf eigene Kosten an der Gesandtschaft zu beteiligen. Ferner sei Lübeck nicht im Danziger Interesse aktiv geworden.39 Bereits an der Vorbereitung der Delegation war Johannes Domann beteiligt gewesen; so weilten er und der Stralsunder Ratsherr und spätere Gesandte Nikolaus Dinnies am 18. August 1602 zu einer Besprechung mit den designierten lübischen Gesandten, Bürgermeister Conrad Germers und Ratsherr Heinrich Kerckring, in Lübeck.40 Dabei ging es neben weiteren Fragen um die Anpassung der Instruktion der Gesandtschaft an die politi­ sche Lage des Jahres 1602.41 Bei der Anzahl der im Vorfeld von Stralsund zu regelnden Schwierigkeiten dürfte Domann einen Teil seiner Arbeits­ kraft auf die Vorbereitungen verwendet haben.42 Um so mehr werden ihn lübische Angriffe gegen seine Person gestört haben, die im Stralsundischen Gesandtschaftsbericht verzeichnet sind: „Der Bürgermeister geantworttet: Eure herrn haben immerda viel zeittung und unnötige sorge; sie haben uns da ein unnutz schreiben zugesandt, mag wol ein famos libel heissen, wollen aber dagegen schreiben, das mugen sie wissen; sie sagen, wir faren spatziren vor iren, der Stette, geld, welchs sich so nicht erhielte; es were

37 Zusammenfassung des Rezesses durch Blümcke S. 8. Im ersten Abschnitt „Vorge­ schichte der Legation vom Jahre 1603“ liefert er Regesten von Briefen und Urkunden, die bereits im Vorfeld der Gesandtschaft Gründe für die späteren Verstimmungen zwischen deren Lübecker und Stralsunder Angehörigen enthalten. Stralsund selbst hatte insgesamt 3646 Gulden für die Legation aufzubringen, ohne den geringsten Vorteil aus deren Ergebnis ziehen zu können. Vgl. dazu sowie zu den übrigen Ausgaben der Stadt in Hanse- und Außenangelegenheiten Langer S. 173 f. 38 Dieser Eindruck wird vermittelt durch die Regesten und Quellen bei Otto Blümcke. Ein detaillierteres Eingehen auf die einzelnen Belege ist im Rahmen dieser Arbeit allerdings nicht möglich. Zur Gesandtschaft und deren Verlauf siehe Brehmer. Er geht allerdings auf die Kontroversen zwischen den Lübeckern und Stralsundern nur am Rande ein. Da er seiner Darstellung die Reiseberichte Brambachs, Meiers und eines Gefolgsmanns Brambachs zugrundelegt, kommt hier vornehmlich der lübische Standpunkt zu Geltung. Wenig Neues bietet für unsere Fragestellung Neubauer. 39 Simson, Organisation; S. 241 f. 4“ Blümcke S. 28. 41 Blümcke S. 68. 42 Domanns Mitwirken läßt sich natürlich letztlich nur durch ein genaues Akten- und Archivstudium nachweisen. 52 Hermann Queckenstedt

ihr geld, das sie verzehreten; dass sie an ortern fast 16 tage stille gelegen, were nicht also, konten uff der post nicht faren; sie hetten gemeint, man hette D. Doman zu haus gelassen, nun segen sie, das diese je so unnutze briefe alss jener von sich schreiben; man Hesse sie warten, was sie machten, und in die kuchen sehen.“43 Hier zeigt sich, daß Domann sich seiner starrköpfigen Haltung und kleinlichen Argumentation wegen innerhalb der Hanse Feinde gemacht hatte. Nach solchen Anfeindungen wurde der Kampf gegen die lübischen Gesandten auch sein persönliches Anliegen. So können wir davon ausge­ hen, daß Domann zumindest maßgeblich an der Abfassung des zweiten Teils des „Complementum Subdelegatorum Stralessundensium ad relatio- nem dominorum Subdelegatorum Lubecensium de legatione Ruthenica sive Moschowitica“ mit der Überschrift „Generalia Lubecensium“44 beteiligt war. Hier äußerte sich Stralsund zur lübischen Reaktion auf die eigentli­ chen Vorwürfe. In der Zusammenfassung Otto Blümckes heißt es dazu: „Ueber das angebliche famose Libell würden die Lübecker, nachdem es hier verlesen worden, jetzt wohl selbst anders urtheilen. Die zugegebenen Worte: einen Domann habe man zu Hause gelassen u.s.w. enthielten eine öffentliche Injurie, gegen welche sich Schreiber rechtliche Eiferung Vorbehalte.“45 Wie schon in der Huldigungsfrage, machte Domann erneut seine Bereitschaft zum Ausnutzen aller verfügbaren Rechtsmittel deutlich. Leider finden sich bei Blümcke nicht die Originaltexte mit den Positionen Lübecks und Stralsunds. Bei der Lektüre der Regesten drängt sich der Eindruck auf, daß Johannes Domann glänzend vorbereitet war und seine Argumentation die der Lübecker an Schärfe und Präzision weit übertraf. Er gab hier eine eindrucksvolle Kostprobe seiner hervorragenden juristischen Fähigkeiten. Einen sicherlich nicht ganz unparteiischen Bericht über den Hansetag gab Johannes Domann am 8. April 1605 in Anklam vor dem Pommerschen Städtetag. Sein Referat spiegelt aber auch die aggressive Stimmung wieder, die unter den Sendboten in Lübeck herrschte und die hansische Gemein­ schaft vor eine Zerreißprobe stellte: „Darauf die von Lubegk vier tage deliberiret undt eine beschwerliche schrifft dagegen eingewandt, dahero auch die anwesende von Stetten auffgestanden und davon ziehen wollen, wan nicht der alte Canzler Bordingus mit sonderbahrer tapferkeit undt bewechlicher oration sie zurugkgezogen, auch ihnen zu gemuth gefuhret, wan man so fahren und den corpus Hanseaticum trennen wolte, so wurde

43 Zit. aus dem Stralsundischen Gesandschaftsbericht, Blümcke S. 83 f. Vgl. dazu Blümckes Zusammenfassung der lübischen Reaktion, in der die Anschuldigungen zurück­ gewiesen werden. Der Ausspruch über Domann wird indes zugegeben (Berichte; S. 210 f). 44 Blümcke S. 221-228. 45 Blümcke S. 224 f. Auf S. 223 bezeichnet Blümcke Domann als Verfasser. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 53

dies der letzte conventus bleiben; endtlich wehre es zur erkundnus der ansehestette gestehet worden. [...] Den Gesandten von Lubegk wehre diess vorgehalten: sie hetten unrecht undt unbillig gehandelt undt wehre die Hansehe wol befugt, sie mit harter straff zu belegen; aber es hetten die anwesenden Stette geschlossen, in specie die drei, alss Bürgermeister herr Cunrad Germers, item herr Kerckrink undt Brambach, alle uncosten, so uf die legation gewandt, aufzulegen, bei allen Hansehezusammenkunfften, consultationibus, legationibus in ewigkeit nicht geduldet werden solten. [...] Da wehre Brambach46 alss ein verdambter mensch gestanden undt geflehet, auch zur defension sie zu gestatten gebeten. Endlich ist uf fleissige intercession undt vorbitt Ein Rath von Lubegk entschuldiget worden, aber die gesandten in ihrer schulde geblieben. Des anderen Tages wehren ein ausschoss zu behörung des Schwedischen legaten verordnet; alss aber Brambach dabei gewesen, wehre der ausschoss ufgestanden undt bei ihnen alss einen unehrlichen man nicht sitzen wollen, wie auch die ändern gesandten von Lubegk woll in acht tagen nicht in consessum kommen.“47 Nachdem sich die Verhandlungen immer mehr zu einem Verhör Lübecks entwickelt und dessen Vertreter eine Reihe der Anklagen als gerechtfertigt akzeptiert hatten,48 forderte der Hansetag ein gänzliches Beigeben Lübecks: „so lang Lübeck das Ihrige defendier, könne man keine billige media furschlagen, auch in aliis articulis nicht vorfaren, dieweill keine spes con- foederationis, so lang dies Cuntor hingeriessen bleibt und dem Werck nicht geholffen.“49 Es wurden sogar Überlegungen zum Ausschluß Lübecks aus der Hanse angestellt: „Es sein sonsten die Erbar Sehestette auff die von Lubeckh dermassen eiferig unndt vorbittert, das sie sich ad partem verne­ men lassen, wofern dieses von denen von Lubeckh nicht auff andere wege gerichtet würde, wollen sie dieselben von der Hänse gahr ausschliessenn unndt das directorium ann einen anderen ortt vorleggenn, welches aber oh­ ne grosse Zerrüttung unndt vorkleinerung der Löblichen Societet vielleicht nicht abgehen würde“50, heißt es in einem Lagebericht der Braunschweiger Sendboten an ihren Rat. Erst das Einlenken des Lübecker Bürgermeisters

46 Vgl. Bruns, Syndiker; S. 105. Johannes Brambach wurde 1607 seiner Verdienste wegen Dompropst und auf Vorschlag des Domkapitels 1610 aufgrund seiner kirchlichen Würde zum dritten Syndikus berufen. Möglicherweise erwuchs Domanns besondere Abneigung gegen Johannes Brambach aus der Konkurrenzsituation beider Männer. Immerhin war der Lübecker Sekretär 1600 einer der Anwärter für das hansische Sekretariat gewesen, das man statt des Syndikats einzurichten gedachte. Offenbar liebäugelte Domann 1604 mit einem Wechsel von Stralsund nach Lübeck (Brokes, II; S. 467). 47 Blümcke S. 232 f. 48 Blümcke S. 228. 49 Blümcke S. 231. Blümcke S. 232. 54 Hermann Queckenstedt

Bording führte zu einem Ausgleich der Interessen. Lübeck übernahm die Kosten für die Legation51 und erklärte, in Moskau auf eine Ausdehnung der Privilegien auf die ganze Hanse wirken zu wollen.52 Dem Rezeß selbst ist die Härte der Auseinandersetzung nicht mehr anzumerken. Er ist in einem versöhnlichen Ton gehalten. Sogar der Ausschluß der lübischen Gesandten von den Aktivitäten der Hanse wurde zugunsten der Bedingung abgemil­ dert, ihnen lediglich die Teilnahme an den bevorstehenden Gesandtschaften nach England und Dänemark zu untersagen.53 Nach der Schließung des Londoner Stalhofes und der Verschlechterung des politisch-wirtschaftlichen Klimas zwischen der Hanse und England unter der Königin Elisabeth setzte jener, im Zeichen der Auseinander­ setzungen um die Haltung Lübecks stehende Hansetag auf den neuen Regenten Jakob I. Die Städte beschlossen eine Gesandtschaft nach Lon­ don zu schicken, die dem König zur Thronbesteigung gratulieren und eine Bestätigung der alten Privilegien erreichen sollte. Mit der Leitung der Delegation wurde der Bremer Ratsherr Heinrich Kreffting betraut, weitere Mitglieder stellten vermutlich die Städte Lübeck, Köln, Hamburg, Danzig und Stralsund. Unter ihnen war der Lübecker Ratsherr Heinrich Brokes, möglicherweise auch Johannes Domann als Stralsunder Syndikus. Kreffting arbeitete eine Denkschrift aus, in der er zu belegen suchte, daß die Aberkennung der Privilegien juristisch nicht haltbar sei.54 Im Juni reiste

51 Diese beliefen sich auf 32162 Gulden 11 Schilling und 10 Pfennig (Brehmer S. 51 und Blümcke S. 192). Hierin sind Zinsen für geliehenes Kapital sowie einige kleinere Posten noch nicht enthalten, so daß die Endsumme auf 36156 Mark 7 Schilling und 10 Pfennig Lüb. lautete (Blümcke S. 192). 52 Blümcke S. 233 f. 53 Vgl. das Schreiben der Braunschweiger Vertreter vom 9. April 1604 an ihren Rat. Auszug in Blümcke S. 235. 54 Beutin, Endkampf; S. 48 und Barthold S. 498. Lappenberg erwähnt Domann dagegen in der Liste der Gesandten nicht: „Doch ward gleichzeitig die Absendung einer stattlichen Gesandtschaft nach Flandern, England und Frankreich beschlossen, an welchen Theil nahmen Lübeck durch den Syndicus Dr. Finkelthaus und Senator Heinrich Brokes, Hamburg durch die Rathsherren Hieronymus Vogeler und Lt. Sebastian von Bergen, Cöln durch den Bürgermeister Johann Bolandt und Dr. Johann Michael von Cronenberg, und Bremen durch den Syndicus Johann Kreffting und Dietrich Hoyer. Auch Danzig, die Vermittlerin, erschien dabei durch ihre Abgeordneten Walter von Holle und Wessel Mittendorp“ (Lappenberg, Stahlhof; S. 109 f). Heinrich Brokes macht ebenfalls in seinen Aufzeichnungen keine Mitteilung über Stralsunder Gesandte, bei ihm fehlen indes auch die Namen der Kölner. (Brokes, I; S. 282). Nach von Bippen waren Lübeck, Köln, Bremen, Hamburg und Danzig mit der Legation betraut. Von Stralsund ist hier nicht die Rede (Bippen, Bremen; S. 246). Grassby weist darauf hin, daß der venezianische Gesandte in London in seinem Bericht vom 4. August von zehn, sechs Tage später von 12 Gesandten spricht. Er bemerkt weiter: „Auch die Vollmachten und Beglaubigungsschreiben zeigen kleinere Abweichungen; letztere nennen Bremen nicht und sprechen von 10 Kommissaren. Stralsund scheint den Auftrag abgelehnt zu haben, so daß 2 Delegierte aus Lübeck, Köln, Hamburg, Bremen und Danzig - letztere nicht akkreditiert - kamen“ (S. 96; Anm. 128). Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 55

die Gesandtschaft ab.55 Ihre Gespräche verliefen indes fast ergebnislos. Als einzige Frucht der Verhandlungen wurde im September 1605 der Stalhof an die Hanse zurückgegeben.56

5. Johannes Domann im Dienst der Hanse

5.1 Erste Aktivitäten

Nachdem seine Sicherheit in Stralsund nicht länger gewährleistet zu sein schien, übernahm Johannes Domann den seit nunmehr 14 Jahren vakanten Posten des Hansesyndikus.57 Als Alternativen zu dieser Berufung wären für ihn Tätigkeiten an den Fürstenhöfen in Mecklenburg, Celle oder Lüneburg in Frage gekommen, zu denen er gute Kontakte unterhielt.38 Während des Hansetages 1605 in Lübeck wurde Domann berufen und vereidigt. Paul Simson vermutet, daß er - wie seinerzeit Sudermann bei seiner ersten Bestellung - für sechs Jahre angestellt wurde. Neben seinem Gehalt gewährte man ihm ein Handgeld von 200 Talern sowie einen Beitrag zu den Umzugskosten von Stralsund nach Lübeck von 50 Talern, denn der Wohnsitzwechsel in die Direktorialstadt wurde ihm zur Auflage gemacht. Stralsund bestand darauf, daß Domann seine Geschäfte dort noch ein Jahr weiterführte. So verlegte der neue Hansesyndikus erst im September 1606 seine Wohnung nach Lübeck.59 Publizistische Projekte hatten bereits zu den Aufgaben Heinrich Suder- manns gehört, waren von diesem jedoch nicht vollendet worden. So erging bei Domanns Wahl der Auftrag, eine Hansegeschichte zu schreiben, das hansische Seerecht schriftlich festzuhalten und die bisherigen Hanserezesse

55 Brokes, I; S. 282. 56 Grassby S. 104 f. 57 Dazu bemerkt Brokes: „Darumb [wegen der Schwierigkeiten] trachtete er darnach, daß er vom Stralsunde möchte wegkommen und hatte große Sinnigkeit und Begierde, in dieser Stadt [Lübeck] zu wohnen, und derselben bedient zu sein, entweder pro Syndico reipublicae oder Hanseatico, weil man damit umgieng einen Syndicum Hansae zu bestellen. Er war aber bei Vielen sehr odios, zum Theil weil er gar zu freiredend war und sich dem eigennützigen Handeln etlicher Städte und Leute hart zuwider setzte, zu Zeiten mit gutem Grunde und Fug, zu Zeiten auch mit Importunität und Ungestumicheit, wie er denn auch sich nebst ändern, insonderheit unsern Gesanten, so in der M oscow gewesen, hart zugegensetzte und mit verursachte, daß ein solcher beschwerlicher Receß wider diese gute Stadt Anno 1604 wegen der Moscowitischen Legation und Verrichtung ward verfertiget“ (II; S. 467). 3S Kuhlmann S. 14 f. 39 Simson, Organisation; S. 387 f; Fock S. 39; Kuhlmann S. 14 f. Heinrich Sudermann war während seiner ganzen Amtszeit in Köln wohnen geblieben. 1581 hatten die Städte beschlossen, daß er nach Lübeck umziehen sollte. Sudermann widersetzte sich diesem Ansinnen jedoch erfolgreich (Simson, Organisation; S. 384). 56 Hermann Queckenstedt

und -privilegien zu sammeln. Er sollte ferner eine Schrift zur Verteidigung der hansischen Rechte gegenüber den Engländern ausarbeiten. Da Domann von seiner Anstellung bis zum März 1611 wegen seiner diplomatischen Reisen lediglich 16 Monate in Lübeck anwesend war, blieb ihm kaum Zeit, diese Arbeiten auszuführen. Dies sollte später den Unmut der Städte erregen.60 Mit der Konföderationsnotel von 1604 hatten die Hansestädte bereits vor Domanns Anstellung Bemühungen um eine Verfassungsreform des Bundes abgeschlossen.61 So konnte sich der neue Syndikus zunächst dringlichen diplomatischen Aufgaben zuwenden: 1605 unternahm Johannes Domann eine diplomatische Reise nach Kalmar zu Herzog Karl von Södermanland, dem späteren Karl IX., der gegen König Sigismund von Polen um die schwedische Königswürde kämpfte. Nachdem Karl lübische Schiffe auf der Ostsee hatte kapern lassen und Christian IV. vergeblich zwischen der Hanse und Karl vermittelt hatte, sollte der Hansesyndikus nunmehr den Ausgleich mit Schweden herbeiführen. Allerdings war bereits ein Jahr zu­ vor ein Verhandlungstermin zwischen Lübeck und Schweden in Stralsund gescheitert, weil die schwedischen Delegierten nicht anreisten.62 Dem Beschluß des Hansetages von 1605 zufolge sollte noch im gleichen Jahr eine Gesandtschaft zu Christian IV. geschickt werden, um von diesem den Abbau der dänischen Handelshemmnisse zu erreichen. Neben dem neuen Syndikus Domann erhielten Bremen, Stralsund und Hamburg dazu den Auftrag. Ob die Legation dann jedoch tatsächlich erfolgte, ist unklar.63 Im April 1606 führte Domann Verhandlungen mit den süddeutschen Reichsstädten, die er für einen Zusammenschluß mit den Hansestädten zu gewinnen suchte. Dabei ging es um die Problembereiche: „Handha­ bung des Landfriedens, Abwendung feindlicher Gewalt, Sicherheit des Verkehrs, Kriegsanstalten zum Schutz eines verunrechteten Bundesgliedes, und Entsatz eines belagerten.“64 Dieser Vorstoß erregte das Mißtrauen des

60 Simson, Organisation; S. 388. 61 Vgl. zu den mehrjährigen Vorbereitungen und der zögerlichen Unterzeichnung durch verschiedene Städte Simson, Organisation; S. 402 ff, zur Notel selbst S. 408 f. 62 Pauli, Brokes; S. 467; Schweitzer S. 328 f; Kuhlmann S. 16; Simson, Organisation; S. 388. Während Schweitzer über den Ausgang der Gespräche Domanns nichts bekannt ist, war die Reise Kuhlmann zufolge nicht erfolgreich. Ob Domann bereits im Zusammenhang mit dem Vermittlungsversuch des Jahres 1604 an seiner damaligen Wirkungsstätte Stralsund eine Rolle gespielt hatte, bedarf noch der Klärung. 63 Schweitzer S. 341 f. 64 Barthold S. 500 und Lappenberg, Lied; S. 452. Kuhlmann dagegen verlegt die Verhandlungen in das Jahr 1605 (S. 16). Demgegenüber führt Simson aus, der Auftrag zu den Verhandlungen mit den Reichsstädten sei 1605 an Köln ergangen. Tatsächlich hätten aber Bremen, Lübeck, Magdeburg und Braunschweig die Gespräche geführt, als diese im Mai 1606 Gesandte zum Reichstag nach Worms entsandten. Mit der weiteren Verhandlungsführung habe der Hansetag 1606 den Syndikus Domann sowie die Städte Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 57

Kaiserhofes, der einen Zusammenschluß der wichtigsten Städte des Reiches ablehnte. Rudolf II. ergriff nun die Initiative und verlangte „innerhalb vier Wochen a dato Prag 30. Mai von den Hansestädten die Edition ihrer Privilegien und Statuten“65. Da die Frist sehr kurz bemessen war, beauftragte die Hanse ihren Syndikus lediglich mit einer Anwort auf das kaiserliche Ansinnen.66 Dieser hatte zudem darum gebeten, ihm die Edition zu erlassen, damit er sich vorrangig um die vier daniederliegenden Kontore kümmern könne.67 Wegen Domanns und weiterer Gesandter Reise zum Reichstag nach Worms verschob Lübeck den Hansetag des Jahres 1606 von Cantate (6. Mai) auf Trinitatis (16. Juni).68 Als die Versammlung dann zusammentrat, beschäftigte sie sich mit der desolaten Kassenlage der hansischen Gemein­ schaft. Schon seit längerer Zeit hatte man angestrebt, Rücklagen zu bilden. Johannes Domann schlug nun vor, daß die Gesellen des Kontors in Bergen 6 bis 10 Reichstaler zahlen sollten, wenn sie sich selbständig machten. Auch für die übrigen Kontore wollte er diese Abgabe einführen, um so langsam einen hansischen Bundesschatz anzulegen. Von allen von den Städten eingenommenen Strafgeldern sollten 50 Prozent in die gemeinsame

Bremen und Magdeburg beauftragt. Diese Gesprächsrunde sei dann 1608 auf dem Regensburger Reichstag zustande gekommen, habe jedoch keine Annäherung gebracht. Schließlich sei die Angelegenheit auf dem Hansetag 1608 einem Ausschuß übertragen worden und dann im Sande verlaufen (Organisation; S. 421 f). Vgl. dazu auch Bippen, Bremen; S. 254. 65 Zk. nach Kuhlmann S. 16. 66 Kuhlmann S. 16 f. 67 Barthold S. 501. Bei seiner Situationsbeschreibung des Kontors in Bergen bezieht sich Fock auf den Rezeß des Jahres 1605: „Die Insassen der Comtoire, wo es deren noch gab, und die Häuser nicht ganz geschlossen waren, verfielen beim Mangel einer ordnungsmäßigen Thätigkeit in Liederlichkeit und wüstes Treiben aller Art. Eine zum Zweck der Visitation nach dem Comtoir von Bergen in Norwergen entsandte hansische Commission fand die Comtoiristen in ärgerlichem Zwist mit ihrem Prediger; sie hatten sich bei ihren Affen- und Fastnachtsspielen in Kirchen- und Meßgewänder vermummt, und zeichneten sich sonst durch unordentlichen Lebenswandel und Excesse aller Art aus; die Bestimmungen der Statuten, welche das Saufen, Fressen, Unzucht und andere Laster verboten, wurden gar nicht mehr, wie es hätte sein sollen, von den mit der Leitung beauftragten Alter- und Meistermännern verlesen, und die Hanse fand sich nach der Rückkehr der Commission veranlaßt, eine eindringliche Ermahnung zu ordentlichem Lebenswandel an ihre Angestellten nach Bergen zu richten“ (S. 86). Zu den anderen Kontoren bemerkt Simson: „Die Stelle des Antwerpencr Kontorsekretärs ging 1591 ein [...]. Mit der Verwaltung des glänzenden, schon seit Jahren verödeten Hauses wurde Johann thor Westen als Hausmeister betraut [...]. Unter seinem 1604 eingesetzten Nachfolger, dem aus Danzig stammenden Tobias Mittendorf, vollzog sich der völlige Verfall des Kontors. Ebenso wie in Antwerpen begnügte man sich in London damit, die elenden Reste einstiger hansischer Herrlichkeit durch einen Inspektor oder Verweser verwalten zu lassen“ (Organisation; S. 394). 68 Brokes, I; S. 296. Vgl. Häpke S. 381; Nr. 1011. In diesem Brief Lübecks an Köln wird die Verschiebung mit dem am 11. Mai in Worms einberufenen allgemeinen Städtetag begründet, bei dem Syndikus Domann die Interessen der Hanse vertreten sollte. 58 Hermann Queckenstedt

Kasse fließen, vom Bürgergeld der Städte je ein Reichstaler. Schließlich machte er sich für eine besondere Kontribution für ein Arar stark. Zwar nahmen die Gesandten die Vorschläge mit Ausnahme der Kontribution an, ausgeführt wurden sie - vielleicht wegen der nun folgenden langen Abwesenheit Domanns aus Lübeck - jedoch nicht.69 Einer der weiteren Tagesordnungspunkte war ein besorgniserregender Bericht des späteren hansischen Konsuls in Lissabon, Hans Kampferbeck, über die künftigen Aussichten des Spanienhandels.70 Nachdem er den Städten zu baldigem Handeln geraten hatte, beschlossen die Delegierten, ei­ ne Gesandtschaft mit Vertretern der Städte Lübeck, Hamburg und Danzig71 zu Verhandlungen mit dem spanischen König auf die iberische Halbinsel zu schicken.72 Die Delegation sollte mit dem spanischen Hof über Han­ delserleichterungen für die Hansestädte verhandeln, nachdem Spanien seit dem Machtantritt Philipps III. 1598 die Einfuhrbedingungen für eine Reihe von Waren verschärft hatte.73 Dies war besonders dringlich, da England und Frankreich bereits durch gesonderte Verträge der Hanse gegenüber im Spanienhandel im Vorteil waren.74 Zudem klagten die hansischen Spa­ nienhändler immer wieder über Übergriffe des portugiesisch-spanischen Zollpersonals gegen Schiffe und Ladung.75 Der Hansetag formulierte eine Instruktion in 21 Punkten für die Gesandtschaft, ließ ihr dabei aber durchaus Verhandlungsspielraum.76

69 Simson, Organisation; S. 435 f. Er vermutet, daß die Umsetzung der Beschlüsse sowohl am Einspruch des Kontors in Bergen wie an der schlechten Zahlungsmoral der Städte hinsichtlich der Bürger- und Strafgelder scheiterte. 70 Kestner S. 11; Beutin teilt mit, daß Kampferbeck den Bericht 1605 zunächst in Form einer Denkschrift beim Lübecker Rat eingereicht hatte (Konsulatswesen; S. 442). In der Literatur wird Kampferbeck vorwiegend als hansischer Gewährsmann in Spanien gewürdigt. Kellenbenz weist demgegenüber darauf hin, daß er bereits beim Hansetag 1605 im heimlichen Auftrag Philipps III. auftrat (Unternehmerkräfte; S. 21). 71 Vgl. Kestner S. 4 und S. 10. Er verweist darauf, daß diese drei Städte in der Zeit vor 1606 den Hauptanteil am Spanienhandel der Hanse hatten. 72 Kuhlmann S. 17. 73 Dazu Kellenbenz, Unternehmerkräfte; S. 29. 4 Vgl. dazu Kellenbenz, Unternehmerkräfte; S. 19 f. Die Maßnahmen richteten sich insbesondere gegen Waren aus den Niederlanden und zielten auf eine Schädigung des niederländischen Handels und Gewerbes ab. Der Hansetag hatte bereits im Mai 1605 beschlossen, den gebürtigen Revaler Hans Kampferbeck zum Konsul in Lissabon zu ernennen. Kampferbeck war verwandt mit einem Lübecker Geschlecht gleichen Namens und war im Portugalhandel aktiv. In Verhandlungen mit dem spanischen Hof erreichte er, daß ein neuer hoher Zoll vorläufig mit der Bedingung ausgesetzt wurde, daß die Hanse schnellstens eine Gesandtschaft nach Spanien entsende. (Ebd.; S. 21 f). 7:> Zu den einzelnen Beschwerdepunkten über das Gebaren in Lissabon und Sevilla vgl. Kestner S. 8 f. Anlaß zur Besorgnis gab auch die Inquisition, die Schiffe und Seeleute auf ketzerische Schriften hin zu untersuchen wünschte (ebd.; S. 10). Vgl. dazu auch Fock S. 95. 76 Kestner S. 15. Er führt im einzelnen folgende Punkte auf: - Bestätigung der alten Privilegien für Portugal und deren Ausdehnung auf Spanien. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 59

Die Kosten für die Reise sollten durch einen Last- und Wertzoll auf alle nach Spanien fahrenden und von dort kommenden Schiffe gedeckt werden. Für die Erhebung des Lastzolls von einem Schilling je Last und des Wertzolls von 18 Pfennigen je 200 Mark waren die Seestädte zuständig. Die Einnahmen dieser sogenannten „Hispanischen Collecte“77 sollten dann jährlich zum Michaelistag (29. September) nach Lübeck abgeführt und durch zwei Mitglieder des dortigen Rates sowie vier Spanienfahrer verwaltet werden.78

5.2 Die Gesandtschaft nach Spanien79

Die Delegation brach am 20. November 1606 unter Leitung von Johannes Domann auf, nachdem es zwischen dem Rat der Stadt Lübeck und dem Hansesyndikus zu Auseinandersetzungen um die Führung der Gesandt­ schaft gekommen war. Der von den Lübeckern favorisierte eigene Ratsherr Heinrich Brokes machte schließlich einen Konipromißvorschlag, nachdem Domann mit Nichtteilnahme gedroht hatte: Brokes schlug vor, Domann die Verhandlungsvollmacht zu überlassen, die Direktion jedoch zwischen ihnen beiden zu teilen.80 Hamburg und Danzig hatten ihre Ratsherren Jeronymus Vogeler und Arnold von Holten in die Gesandtschaft dele­ giert.81

- Schadensersatz aller bisherigen durch Spanien verursachten Verluste. (Allein Danzigs Forderungen beliefen sich auf 100.000 Dukaten.) - Freier Handel mit Indien, Brasilien und St. Thomas. - Monopol auf deutsche Waren in Spanien. - Bündnisangebot an Spanien. - Aufhebung des 30prozentigen Zolls als Minimalergebnis. - Übergabe der Geschäfte an einen Gewährsmann bei zu langer Dauer der spanischen Entscheidung. Brokes, I; S. 297. 78 Brokes, I; S. 297. 79 Unter besonderer Berücksichtigung der Aufzeichnungen Heinrich Brokes. 8“ Dazu schreibt Brokes: „Der Herr Doctor Domann wohnete dasmal zu Lübeck, und weil er als Hansescher Syndicus über alle Doctoren und Rathspersonen ging, fiel zwischen dem Rathe zu Lübeck und ihm Streit ein, ob er oder ich sollte die Präcedenz in instructione als auch sonst bei währender Legation im gehende und stehende haben. [...] Gemelter Syndicus hatte hiegegen viel Disputirens und difficultates einzuwenden, und zog solches an, als wenn es ihm zum Schimpf und Verkleinerung geschehe, wollte auch defendiren, es gebührete ihm, aldieweil kein Lübischer Bürgermeister deputiret, stellete sich auch, als wollte er lieber zu Hause bleiben und nicht fortziehen, als weichen.“ (Brokes, I; S. 299 f). Zum Kompromiß vgl. Kellenbenz, Unternehmerkräfte; S. 22. 81 Pauli, Brokes; S. 299. Über die Teilnahme des Danziger Stadtsekretärs Wenzel Mittendorf im Gefolge Arnold von Holtens ist sich die Forschung uneinig. Während Kestner (S. 13) und Kellenbenz (Unternehmerkräfte; S. 22) ihn als Begleiter des Danziger Gesandten nennen, betont Simson (Reise; S. 41), daß Mittendorf lediglich mit von Holten nach Lübeck und Hamburg reiste und dann umkehrte. Simson beruft sich dabei auf die Aufzeichnungen von Holtens. 60 Hermann Queckenstedt

Die Delegation reiste über Bremen, Osnabrück, Münster, Hamm, Dortmund, Hagen, Lennep, Köln und Aachen nach Brüssel, wo sie ihre ersten Aufträge erledigte. Besonders Bremen, Köln und Aachen bereiteten den Reisenden einen herzlichen Empfang. Nachdem die Gesandtschaft schon in Westfalen und im Rheinland wegen der schlechten und unsicheren Straßen lediglich kleine Tagesetappen zurückgelegt hatte, reiste sie von Aachen an im Schutz von 30 Soldaten bis nach Brüssel, wo sie am 21. Dezember eintraf. Hier führten die Gesandten Gespräche mit Vertretern der Stadt Brüssel und hatten zwei Audienzen bei Erzherzog Albrecht von Österreich, dem spanischen Statthalter in den Niederlanden.82 Bereits dieses Treffen hatte für das Ziel der Reise nach Spanien einen hohen Stellenwert, denn der Statthalter spielte in der Diplomatie des spanischen Hofes in Nordwest- und Nordeuropa eine Schlüsselrolle.83 Noch in Brüssel fertigten die Gesandten eine Denkschrift für den Erzherzog an.84 Von Brüssel aus machten die Gesandten einen „Abstecher“ nach Ant­ werpen, um im dortigen Hansekontor nach dem Rechten zu sehen. Dieses fanden sie in einem so schlechten Zustand vor, daß sie noch an Ort und Stelle einen Bericht über die Reparaturbedürftigkeit des Gebäudes anfertigten und nach Lübeck schickten.85 Zurück in Brüssel hatten sie noch eine Unterredung mit dem spanischen Feldherrn Marquis von Spinola. Hier war ihr Ziel, „die gemeine Hansische Societät und insonderheit die nächst belegenen Westphälischen und Cölnischen Hansestädte zu recom- mandiren, damit ihrer Bürger Güter und Boten von Kriegsleuten nicht möchten beschwert werden, und daß er wollte gute Justiz und Disciplin unter den Kriegsleuten halten.“86 Spinola gab ihnen hierauf einen positiven Bescheid. Am 14. Januar 1607 machten sich die Gesandten auf den Weg nach Paris, wo sie acht Tage später eintrafen. Am 29. Januar gewährte ihnen König Heinrich IV. eine Audienz. Dieser bestätigte der Hanse die alten Privilegien: „Nach geendigter Proposition ließ der Kunnig durch Herrn Sylleri custodem sigilli et vicecancellarium uns antworten, stand aber auf vom Stuhl und trat gar nahe zu uns. Der Herr Sylleri zeigte kurz latinis verbis an, daß Ihrer Kunniglichen Majestät ganz lieb wäre der Gesandten Ankunft und was sie wegen ihrer Herren hätten angebracht, erbot sich zu beständiger Continuation aller Freundschaft und kunniglicher Gnade, er wollte unserm Begehren Statt geben und daneben der Ehrbaren Städte Schreiben beantworten.“87 Noch vor ihrer Abreise ließen die Gesandten die

82 Brokes, I; S. 302 ff.Details über den Empfang in Osnabrück bei Queckenstedt S. 61. 83 Kellenbenz, Unternehmerkräfte; S. 17. Er betont, daß häufig Angehörige der dortigen Regierung als spanische Gesandte mit den Hansestädten verhandelten. 84 Brokes, I; S. 303. 8:1 Brokes, I; S. 303 f. 86 Brokes, I; S. 304. 87 Brokes, I; S. 305. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 61 vom König bestätigten Privilegien in einer Auflage vom 50 Exemplaren drucken und veröffentlichen.88 Am 6. Februar verließen die Gesandten Paris und reisten über Fontainebleau, Orleans, Tours, Bordeaux, Bayonne, Rochelle, Irun und Alcala nach Madrid weiter. In Bordeaux, Bayonne und Rochelle legten sie Briefe des Königs vor, um die Privilegien auch hier registrieren und publizieren zu lassen.89 Am 2. April trafen die Gesandten in Madrid ein, wo sie der König auf eigene Kosten prächtig einquartieren ließ und ihnen auch das Personal stellte. Nachdem sie das Angebot König Philipps zu einer Audienz am 8. April abgelehnt hatten, um zunächst angemessene Bekleidung für sich und ihre Diener schneidern zu lassen, kamen sie am 12. April mit dem Herzog von Lerma zusammen. Dieser verschaffte ihnen eine noch prunkvollere Unterkunft in einem Palast, der für die Witwe Kaiser Maximilans II. errichtet worden war.92 Am 20. April empfing der König die Gesandten in Aranjuez. Der Einzug der hansischen Delegation geriet zu einer prachtvollen Demonstration, die den Gesandten ein trügerisches Bild hansischer Macht und hansischen Glanzes vermittelte. „Ihre Majestät aber wie auch die Kunnigin waren im Fenster und sahen uns mit unseren Kutschen und Dienern in der Ordnung ziehen. Nach einer Viertelstunde ward uns angemeldet, Ihre Majestät wartete unser. Also wurden wir zu Hofe gefordert und geführt vom Contador und Governador. Unsere jungen Gesellen, welche alle in Sammet gekleidet mit seidenen Manteilen, worunter Freiherren, Edelleut und vernehmer Leute Kinder aus unseren Städten* waren, 18 an der Zahl, gingen vor uns her. Der Contador und Governador führten unsere Gesellen vor uns her. Darauf gingen wir zwei Gesandte zugleich beisammen. Unsere Diener, 16 an der Zahl, folgeten uns. Wie wir in dem großen Saal waren, kamen uns viele große Herren entgegen, worunter der Duca de Alba und der Duque de Zea war, und führeten uns in des Kunniges Gemach. Ihre Majestät war auf einer Gallereyen und stund an einem Tisch. Etwas hinter ihm zu Rugge war der Margraf von Velada, des Kunniges obrister Hofmeister und Camarero. Unsere Junggesellen gingen alle vor uns hinein, thaten dem Kunnige Reverenz und stellten sich an eine Seiten. Wir folgeten darauf und thaten dem Kunnige drei Reverenzen und die dritte vor Ihrer Majestät so nahe und tief, daß sie uns hießen aufstehen.“91 Dieser Auftritt mußte das Selbstbewußtsein der Hansen stärken, ihre Enttäuschung war später umso größer. Johannes Domann ergriff für die Gesandtschaft das Wort und hielt eine lateinische Ansprache. Er ging kurz auf die Geschichte der guten

88 Brokes, I; S. 306. 89 Brokes, I; S. 306. 90 Brokes, I; S. 308. 91 Brokes, I; S. 309 f. 62 Hermann Queckenstedt

Verbindungen zwischen der Hanse und Spanien ein und gratulierte Phi­ lipp zur Geburt seines Sohnes.92 Der König versprach den Gesandten einen baldigen positiven Bescheid ihrer Bitte nach weiteren Privilegien für hansische Kaufleute93, nachdem er bereits im Vorfeld der Audienz mehrfach sein Wohlwollen bekundet hatte. Zunächst schien die Abwick­ lung der Geschäfte in Madrid dem Wunsch der Gesandten entsprechend zu verlaufen. Gleich nach ihrer Rückkehr von der Audienz ließ Philipp ihnen mitteilen, er benötige zehn Schiffe und wolle diese nicht - wie bisher - konfiszieren lassen, sondern mieten. Getrübt wurden ihre Hoff­ nungen auf zügige Verhandlungen jedoch, als die spanischen Beamten nach zwölf Wochen immer noch Zweifel an der Legitimation der ha- nischen Delegation vorschoben und so den Abschluß verzögerten. Erst am 28. Oktober erhielten die Gesandten nach zähen Verhandlungen die schriftliche Ausfertigung der Privilegien und Verträge, die für die Hanse sicher das Maximum des Erreichbaren darstellten.94 Der König war bereit, hansische Schuldforderungen zu begleichen, den 30prozentigen Zoll sowie den Salzzoll in Portugal abzuschaffen und der Hanse einen Konsul in Lis­ sabon und einen Agenten in Madrid zuzugestehen. Zudem wollte Philipp III. die portugiesischen Privilegien bestätigen und ähnliche Vorrechte für Andalusien und Kastilien gewähren. Die Hanse sowie die oberdeutschen Städte Ulm, Straßburg, Augsburg und Nürnberg erhielten das Monopol auf deutsche Waren für zehn Jahre. Der Handel mit Produkten aus den ab­ gefallenen niederländischen Provinzen sowie Handelstätigkeiten von deren emigrierten Bürgern aus Hansestädten nach Spanien sollten indes weiterhin ausgeschlossen bleiben. Schließlich verweigerte Philipp auch den freien Handel mit Westindien und Brasilien.95 Johannes Domann sprach sich dafür aus, wegen „dunkler und bedenkli­ cher Punkte“96 dem König einen ablehnenden Bescheid zu geben und ihn zu günstigeren Konditionen zu drängen. Innerhalb der Gesandschaft ent­ stand zudem ein Streit zwischen dem Syndikus und Jeronymus Vogeler.97 Erneut trat Heinrich Brokes mäßigend auf und machte sich - unter Verweis auf die schleppenden Verhandlungen - für eine Unterzeichnung stark.

92 Kestner S. 16. Er zitiert dazu aus der Instruktion: Domann sollte sich „mit einer kurzen, runden und anmuthigen Rede bei der kgl. Maj. insinuiren und dero Gnade und Gunst zu gewinnen suchen.“ 93 Brokes, I; S. 310 94 Brokes, I; S. 311. Zu den Legitimationsfragen vgl. Kestner S. 17 f: Erst am 24. Juli gaben sich die Spanier mit den vorliegenden Vollmachten zufrieden. 95 Kellenbenz, Unternehmerkräfte; S. 22 und Kestner S. 19. % Brokes, I; S. 316. 97 Dabei ging es um Punkt 23 der königlichen Ausfertigung. Uber den Inhalt des strittigen Artikels finden sich bei Brokes keine Angaben (I; S. 316). Zuvor hatte Vogeler bereits seine Zustimmung zu einer Passage verweigert, die mit den Niederlanden verbündete Hansestädte von den Privilegien ausschloß (Brokes, I; S. 315). Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 63

Während der Abschiedsaudienz sollte dem König aber eine Denkschrift mit der Bitte um weitere Privilegien übergeben werden. Zum Eklat wäre es dann fast noch vor der Unterzeichnung der Verträge gekommen, als Johannes Domann sich weigerte, die spanischen Originalausfertigungen statt deutscher oder lateinischer Übersetzungen zu unterschreiben. Hein­ rich Brokes beruhigte ihn jedoch mit der Versicherung, daß die Zweitschrift für den Hansegebrauch genau mit dem spanischen Original übereinstimm­ te.98 Nachdem die Gesandten den eigentlichen Auftrag ihrer Mission, die Verhandlungen mit dem König über Handelsprivilegien für die Hanse, erfüllt hatten, bereiteten sie sich auf die Heimreise vor. Neben den lange aufgeschobenen Pflichtbesuchen bei den Madrider Gesandten der Städte Venedig, Genua und Florenz unterzogen sie sich Abschiedsaudienzen beim König, dem Herzog von Lerma, dem Erzbischof von Toledo und bei der Königin.99 Die Heimreise traten die Mitglieder der Gesandtschaft getrennt an. Zunächst trennte sich Heinrich Brokes von der Delegation, um über Frankreich, Süddeutschland und Prag zurück nach Lübeck zu reisen.100 Johannes Domann wollte die Gelegenheit nutzen, um sich in den Häfen Portugals und Kastiliens über die Umsetzung der Verhandlungsergebnisse zu unterrichten.101 Er reiste nach Lissabon, Setubal, Cadix102, San Lu- car und Sevilla, konnte aber keine Handelserleichterungen als Folge der Verhandlungen erkennen. Aus diesem Grund wurde er erneut in Madrid vorstellig, um auf eine Umsetzung der Vereinbarungen zu drängen. Zudem tauchten Schwierigkeiten mit der Amtseinsetzung Hans Kampferbecks als Konsul in Lissabon auf, weil der Rat von Portugal ihm die Anerkennung verweigerte.103 Im Februar 1608 erhielt der Syndikus in Madrid ein Schrei­

9S Brokes, I; S. 316. 99 Brokes, I; S. 317 f. 100 Brokes, I; S. 318 ff. Heinrich Brokes traf dort am 17. Januar 1608 nach einer zehnwöchigen Heimreise ein. Insgesamt war er im Auftrag der Hanse 62 Wochen unterwegs gewesen. (Brokes, I; S. 322). 101 Kuhlmann S. 17. 122 Hier hatte Domann Kontakt zu dem Danziger Kaufmann Abraham Rike. Mit diesem sprach er über die Übernahme des Konsulats für Kastilien, das die Hanse einzurichten plante (Kellenbenz, Unternehmerkräfte; S. 295). 10j Kuhlmann S. 17; Kellenbenz, Unternehmerkräfte; S. 23. Fock teilt mit, daß das Gehalt des Konuls in Lissabon (1000 Dukaten) bald gekürzt werden mußte, weil es durch die Einnahmen aus der hansischen Spanienfahrt nicht gedeckt wurde (S. 95). Schließlich kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Hansestädten und ihrem Konsul. Dieser wurde zunächst abgemahnt und dann abgesetzt. Am 23. Juni 1614 berief ihn jedoch der spanische König als seinen Vertrauensmann zum Konsul in Lissabon: „Wir Phillipp ... fügen hiemit zu wissen, daß auf das Vertrauen, so wir zum Hans Kampferbecken deutscher Nation haben, daß ehr das Ambt der Consulschaft der nachbenanten Nationen, als Deutschen, Osterlender und Niederländer in diesser Stadt bedienen soll, gleichwie solches in unserem Dienste behaglich und den besagten Nationen zu gueten geschehen kahn“ (vgl. Beutin, Konsulatswesen; S. 443 f). Die Hanse hatte nunmehr nach nur sechs 64 Hermann Queckenstedt

ben, in dem sich neun hansische Kaufleute aus Lissabon über fortdau­ ernde Handelshemmnisse beklagten.104 Am 8. März 1608 verließ Domann die spanische Hauptstadt.105 Auf der Heimreise besuchte er noch einige süddeutsche Reichsstädte, unter anderem Nürnberg.106 Arnold von Holten war über Malaga, Granada, Valencia, Barcelona und Genua nach Danzig zurückgereist und traf dort am 6. Mai 1608 ein.107 Jeronymus Vogeler kehrte gar erst im Jahr 1610 von der Reise heim.108 Uber die Kosten dieser „kostspieligsten und prunkvollsten“10' Gesandt­ schaft der Hansestädte, deren Erfolg ja ausgesprochen begrenzt war, be­ merkt Heinrich Brokes: „Es hat diese Legation den Ehrbaren Städten ein Großes gekostet, wol 40.000 Reichsthaler. Dazu haben die jungen Gesellen, so mit uns hineingezogen, für sich wol 10.000 Rthlr. verzehrt. Der Kunnig hat die 32 Wochen, die wir alda (in Madrid) stille lagen, auf unsere Zehrung wol 70.000 Rthlr. gewendet.“110 Diese Kosten waren zunächst von den mit der Gesandtschaft beauftragten Städten vorgestreckt worden; Danzig hatte allein 17.400 Gulden ausgelegt.111 Auf dem Hansetag im September 1608 legte Syndikus Domann in Lübeck seinen Gesandtschaftsbericht vor. Dort kritisierten die Delegierten sowohl den nicht vollständig befriedigenden Ausgang der Mission als auch den langen Aufenthalt Domanns auf der iberischen Halbinsel. Man diskutierte sogar den Vorschlag, angesichts der inquisitorischen Übergriffe auf hansische Schiffe den Spanienhandel vorübergehend oder auf Dauer einzustellen. Schließlich nahm der Hansetag das Verhandlungsergebnis an, ohne die Verträge - den Wünschen der Spanier entsprechend -

Jahren ihre selbständige diplomatische Vertretung in Lissabon und damit in Spanien und Portugal wieder verloren: Nach dem Waffenstillstand zwischen Spanien und den Generalstaaten im Jahr 1609 hatten die Städte ihre Bedeutung für Philipp eingebüßt. 104 Kellenbenz, Unternehmerkräfte; S. 289 f. Bereits während des Aufenthaltes in Madrid hatte sich Brokes für ein Schiff aus Lübeck eingesetzt, dessen Kapitän als mutmaßlicher Ketzer inhaftiert worden war, nachdem die Inqusition zwei verdächtige Schriften sichergestellt hatte (Kestner S. 19). 103 Kellenbenz, Unternehmerkräfte; S. 23. 106 Lappenberg, Lied; S. 453 und Barthold S. 504. Nürnberg und andere Städte waren ja in die spanischen Verträge mit einbezogen worden. Zudem könnten diese Besuche auch im Zusammenhang mit dem vor Domanns Abreise geplanten Bündnis der Hanse mit den süddeutschen Reichsstädten stehen. 107 Kestner S. 20. 108 Kuhlmann S. 17. Kellenbenz bemerkt über Vogeler: „[...], der Schwager des großen Spanienhändlers Barthold Beckmann. Vogeler hat, während er Gesandter in Spanien war, im Gegensatz zum hansischen Syndicus Domann auf die Spanier einen so günstigen Ein­ druck gemacht, daß sie ihn als geheimen Korrespondenten beauftragten; der Briefwechsel erfolgte unter dem Pseudonym ,Hieronimo van Morenfleit*.“ (Unternehmerkräfte; S. 347). 109 Kellenbenz, Unternehmerkräfte; S. 22. 1 lu Brokes, I; S. 322. 111 Simson, Organisation; S. 431. Zu dieser Zeit waren 453 Taler = 604 Gulden. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 65

zu ratifizieren.112 Nach der Rückkehr Domanns war das Gerücht laut geworden, er sei in Spanien katholisch geworden und wolle in die Dienste König Philipps treten. Da der Syndikus dem nicht energisch entgegentrat und eine Verteidigung gegen so unsinnige Anschuldigungen ablehnte, betrachtete man diese zusehends als glaubwürdig.113

5.3 Domanns Arbeit bis zu seinem Rücktritt

Nach seiner Rückkehr aus Spanien verfaßte Johannes Domann die „Notwendige Verantworttung der vereinigten Hansee-Stätte wider etliche Schriften ...“,114 mit der die Hanse auf öffentliche Angriffe reagierte. Diese gingen unter anderem von Braunschweiger Herzog Heinrich Julius aus, der die Hanse „als eine verbotene Conspiration und Rottirung“ abkan­ zelte.113 Domann versuchte nunmehr, die Gegenseite mit juristischen und historischen Argumenten zu widerlegen.116 Die Schrift selbst ist eines der grundlegenden Gutachten zur reichsrechtlichen Stellung der Hanse, auf das sich Staatsrechtler des 17. und 18. Jahrhunderts immer wieder bezogen.117 Direkt auf Domanns „Verantworttung“ stützte sich der Lübecker Syndikus Dr. David Gloxin in einer Denkschrift, mit der er die Berücksichtigung des Hansebundes beim westfälischen Frieden zu sichern suchte.118 Domanns Verantwortung wurde erstmals 1609 in Lübeck gedruckt. Uber seine Aufgabe als hansischer Geschichtsschreiber bemerkt er darin: „[...] in massen, wann unser gemeiner Syndikus die nächsten Jahr hero etwas mehr Zeit gehabt vnnd nicht durch unterschiedliche langwierige Legationes in Schweden, Niederland, Frankreich und Hispanien etc. in Verfassung unser hansischen Historien, die ihm vorlengst anbefohlen verhindert in offenem Truck publiciert sein sollte.“119 Offenbar rückten die Arbeiten an der Verantwortung auch die Anstrengungen um die Sammlung der hansischen

112 Kellenbenz, Unternehmerkräfte; S. 23 f und Barthold S. 504. Kestner zitiert den Hansetag hinsichtlich der Verhandlungen mit den Worten: „ungeachtet man sie gerne noch besser gesehen.“ (Handelsverbindungen; S. 21). Zu den Diskussionen um die Übergriffe der Inquisition vgl. Fock, Geschichten; S. 95 und S. 106 f. 113 Simson, Organisation; S. 389. 114 Ebel S. 145. Er nennt in Anm. 2 folgende Werke, in denen die Schrift gedruckt ist: „Lünig, Reichsarchiv XIV. Pars spec. Cont. IV, Teil 2, (1714)“ und „C. vom Hagen, Inst. Jurisprudentiae publicae univ. (Lips. 1614)“. Kuhlmann bemerkt in Anmerkung 2, daß diese Schrift in „Schadaens, Sleidanus continuatus S.1416-1425, Straßburg 1620“ enthalten ist (S. 18). Frensdorff weist auf eine von Werdenhagen besorgte Übersetzung ins Lateinische in dessen Hansegeschichte hin: „de rebus publ. hanseat. VI S. 7“ (S. 137, Anm. 3.). Vgl. auch Lappenberg, Lied; S. 453. 113 Frensdorff S. 137. 116 Auf die Argumentation Domanns geht Frensdorff kurz ein (S. 137 f). 117 Ebel S. 145 und S. 149. 118 Vgl. Frensdorff S. 138-141. 1,9 Zit. nach Kuhlmann S. 18 f. 66 Hermann Queckenstedt

Dokumente wieder verstärkt in den Blickpunkt. Beim Deputationstag120 1609 faßten die Teilnehmer einen Beschluß zur Unterstützung Domanns bei den Arbeiten am Kompendium der Hanseakten, der dann jedoch auf geringe Resonanz stieß: Die einzelnen Städte sollten zunächst Verzeichnisse ihrer hansischen Akten an Domann schicken und ihn später auch leihweise mit den Originalen ausstatten. An Köln ging zusätzlich die Aufforderung, den Nachlaß Sudermanns nach Lübeck bringen zu lassen.121 Als Haupttagesordnungspunkt des Deputationstages von 1609 wurde eine Gesamtabrechnung der hansischen Kasse vorgelegt, der zufolge etliche Städte in Zeiträumen von bis zu hundert Jahren ihren finanziellen Verpflichtungen nur teilweise oder gar nicht nachgekommen waren. Damit erfüllten Johannes Domann sowie die vier Quartierstädte und Bremen nach mehrjährigen Vorarbeiten ihren Auftrag, die hansischen Rechnungen zu prüfen. Die Außenstände beliefen sich auf 300.000 bis 400.000 Taler. Angesichts der oft lange zurückliegenden Schulden beschloß man, nur nach 1579 entstandene Forderungen anzumahnen, die sich insgesamt immer noch auf 20.000 Reichstaler beliefen. Die Schulden bei der Bundeskasse waren mit fünf Prozent zu verzinsen, mangelnde Zahlungsbereitschaft der säumigen Städte sollte mit deren Ausschluß geahndet werden.122 Mit den zu erwartenden 20.000 Talern gedachten die Gesandten die Ausgaben für laufende Geschäfte zu decken und insbesondere das Gehalt Domanns zu bezahlen. Schließlich hatte man offenbar aus dem Fehlschlag der spanischen Gesandtschaft gelernt: Außer Dienstreisen Domanns zu einzelnen Mitgliedstädten sollten aus der Bundeskasse keine Reisen mehr finanziert werden. Zuständig für die Kassenführung war nicht etwa der Syndikus, sondern zwei Lübecker Ratsherren, die diese Aufgabe künftig ohne Entschädigung und ohne Hilfe von Schreibern zu übernehmen hatten.123 Bereits seit 1610 gab es in der Hanse Tendenzen, den Syndikus zu entlassen. Da seine sechsjährige Amtszeit ohnehin 1611 auslief, erklärten die Städte, Johannes Domann solle sein Amt bis zum nächsten Hansetag weiter ausüben, danach werde über eine Neubesetzung beraten. Zudem war es wie schon während der Amtszeit Heinrich Sudermanns immer wieder zu Unregelmäßigkeiten bei der Gehaltszahlung gekommen. Beim Hansetag im März 1611 zog der Syndikus die Konsequenz aus den Querelen: Er gab sein Amt bei der Hanse auf, nachdem er zuvor bereits

120 Zu den sogenannten Deputationstagen luden die wendischen Städte ein. Diese Tagfahrten dienten durchweg der Vorbereitung von Hansetagen. Der Deputiationstag von 1609 war indes nicht von den wendischen Städten einberufen worden, sondern vom Hansetag des Jahres 1608. Er war von diesem legitimiert worden, eigenständig Entscheidungen zu treffen (Simson, Organisation; S. 238). 121 Simson, Organisation; S. 388. 122 Simson, Organisation; S. 433 f.; Fock S. 85 f. 123 Simson, Organisation; S. 434 f. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 67 in Rostock die Stellung des Syndikus übernommen hatte.124 Bei diesem Schritt könnten neben den beruflichen auch familiäre Gründe eine Rolle gespielt haben. Möglicherweise zog es seine Ehefrau von Lübeck wieder in ihre Heimatstadt. Heinrich Brokes jedenfalls berichtet: „Er ward also bei Vielen verhasset und so sehr, wie vorhin, nicht mehr beliebet und respektiret. Daher trachtete er wiederum von Lübeck, renuncirte seine hansische Bestallung und nahm den Syndicat beim Rathe zu Rostock an, dazu sein Weib eine große Ursache war.“123 Weiteren Anlaß zur Kritik an Domann gab der schleppende Fortgang der schriftlichen Aufträge, die der Syndikus ja zum Teil noch von seinem Vorgänger Sudermann übernommen hatte. Er wies seine Kritiker darauf hin, daß sie in ähnlichen Fällen mit Sudermann weitaus nachsichtiger verfahren seien.126 Vor seinem Ausscheiden erklärte Johannes Domann 1611, daß er das Seerecht sowie die Schrift zur Rechtfertigung der Ansprüche in England127 vollendet habe und auch das Kompendium der Hanseakten128 weitgehend fertiggestellt sei. Die Hansegeschichte sei demgegenüber über das Anfangsstadium nicht hinaus gelangt. Mit dem Seerecht befaßte sich nun ein Ausschuß, der die Vorlage redigierte und für den Druck vorbereitete. Diese Arbeiten zogen sich drei Jahre hin, so daß die erste Auflage des Seerechts erst 1614 veröffentlicht werden konnte. Trotz seiner Leistungen auch auf diesem Gebiet hatte sich Domann die Gegnerschaft weiter hansischer Kreise zugezogen. Dagegen gehörte Danzig zu den wenigen Städten, die ihm ihre Zufriedenheit über seine bisherige Arbeit ausdrückten und ihm eine gute Fortsetzung wünschten.129 In Rostock verfaßte Domann noch 1611 eine Stellungnahme zum „Casus Castritianus“, einem Streit zwischen der Stadt und der Universität. Diese wurde am 23. Dezember unter dem Titel „Eines Erbarn Raths der Stadt

124 Simson, Organisation; S. 389 f. Auf mögliche finanzielle Gründe für den Rücktritt weist auch Bachmann hin (S. 94). 123 Brokes, II; S. 467 f. Kuhlmann betont, daß die eigentlichen Gründe für den Abschied unklar sind und Gegenstand weiterer Forschung sein müßten. Das Zitat ist bei ihm indes unkorrekt wiedergegeben (S. 20). Ob die Rezesse des am 26. Februar 1611 beginnenden Hansetages auf diese Frage hin ausgewertet worden sind, ist mir nicht bekannt. Gleichwohl scheint der Wunsch von Margarete Domann nach einer Rückkehr in ihre Heimatstadt durchaus naheliegend. Immerhin war ihr Gatte infolge seiner diplomatischen Reisen selten in Lübeck gewesen. 126 Simson, Vermächtnis; S. 342, Anm. 3. Als Quelle nennt er das Danziger Archiv XXVIII, 78, Bl. 73-95. 12 Mit dieser Frage beschäftige er sich im „Status controversiae Hansi-Anglicanae hodiernus nach dem den 29. Sept. 1607 emanirten Kays. Dekret“ und in den „Rationes dubitandi et decisio“. Ausfertigungen beider Schriften befanden sich in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts im Lübecker Archiv (Angl. IV, 4). Vgl. Beutin, Endkampf; S. 76, Anm. 9. 128 Eine Ausfertigung des „Compendium Recessuum“ befand sich noch 1929 im Rostocker Ratsarchiv. Vgl. Beutin, Endkampf; S. 76, Anm. 9. 129 Simson, Organisation; S. 388 f. 68 Hermann Queckenstedt

Rostock Kurtze Verantwortung der vermeinten Relation aus Veronica von Joannis Castritii genanter Erhöhung zu stewr der Warheit in Druck gegeben“.130

5.4 Domanns Rückkehr: Unterhändler und Schlichter

Auch als Rostocker Syndikus beschäftigte sich Johannes Domann weiter­ hin mit gesamthansischen Problemen. Insbesondere Lübeck fürchtete eine verstärkte Gegnerschaft Christians IV. von Dänemark und drängte des­ halb auf eine Annäherung an die niederländischen Generalstaaten.131 Die Niederlande und die Hanse waren die Hauptleidtragenden der dänischen Politik, die den Handel durch Zollerhöhungen im Sund sowie das Verbot der Schweden- und Estlandfahrt stark einschränkte. Allein 1611 kaperten die Dänen 30 lübische sowie acht niederländische Schiffe, von denen sie vier lübische und zwei niederländische wieder frei gaben. Erste Kontakte hinsichtlich einer niederländisch-hansischen Allianz hatte im Herbst 1611 die Rückreise von niederländischen Gesandten aus Dänemark ergeben, die König Christian nicht zu einer Lockerung der Handelsbarrieren bewegen konnten und daher neue Wege ausloteten. Sie verhandelten in Lübeck nun mit Bürgermeister Heinrich Brokes und Syndikus Martin Nordanus.132 Bremen hatte bereits am 29. Mai 1611 in einem Brief an Lübeck die Möglichkeit verstärkter Zusammenarbeit mit den Generalstaaten erwogen: „Wir haben das schreiben an die kun. maytt. zu Denfnemarck] zu abschaffung der hohen licenten mit beliebet und versiegelt. Es mag helfen als viel es kan, darzu wir gleichwol schlechte aber größere hoffnung zu den herrn generalstaten beschehener contrediction und Opposition haben und [es] muchte vieleicht nicht undienlich sein das man uff mittel und wege gedächte, damit man sich mit den herrn staten in diesem fall coniungiren für einen man stehen und mit gemeinem rath das werck treiben zum weinigsten hochbemelte herrn staten incitiren muchte, das sie ihnen diese sache desto fleißiger angelegen sein lassen wollten.“133 Mit dem Tod Karls IX. von Schweden - Christans nordeuropäischem Widersacher - am 30. Oktober wurde die Lage für Lübeck noch gefährlicher.134 Insbesondere Heinrich Brokes suchte weiterhin den Rat Johannes Do­ manns und reiste daher am 30. Oktober nach Rostock, um mit ihm die Vorbereitungen für den bevorstehenden Hansetag zu besprechen.135

130 Kuhlmann S. 20. 131 Kuhlmann S. 21. l->2 Wiese S. 49 f und Schweitzer S. 372. 133 Zit. nach Schweitzer S. 373, Anm. 161, der seinerseits aus einem Brief zitiert, den Brokes am 7. März 1615 an Domann geschrieben hat und in dem der Bremer Brief nach Schweitzers Ansicht wörtlich wiedergegeben ist. 134 Wiese S. 53. 135 Kuhlmann S. 21. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 69

Am 1. November kam es dann in Rostock zu Gesprächen zwischen Gesandten Danzigs, Wismars, Stralsunds und Lübecks, das zudem die Vertretung Lüneburgs, Bremens und Hamburgs übernommen hatte. Hier ging es vornehmlich um die Allianz mit den Niederlanden, die neben handelspolitischen Vorteilen auch der inzwischen vom Kaiser geächteten Stadt Braunschweig eine Rückenstärkung in ihren Auseinandersetzungen mit dem Landesherrn bringen konnte. Lübeck, Hamburg, Bremen, Lüne­ burg und Magdeburg waren als sogenannte korrespondierende Städte mit Braunschweig in ein engeres Bündnis getreten und hatten bereits in den Braunschweiger Angelegenheiten im September Kontakte nach Den Haag geknüpft.136 Ergebnis des Rostocker Treffens war eine Reise des Lübecker Syndikus Nordanus nach Den Haag, wo er am 18. Januar 1612 während einer Audienz den Generalstaaten die hansischen Vorstellungen vortrug.137 Zur gleichen Zeit wie Nordanus waren auch die braunschweigischen Gesandten Bürgermeister Zacharias Boling, Oberstleutnant Blasius von Eyckenburg und Dr. Franz Drösmann in Den Haag. Gemeinsam mit Nordanus erhielten sie am 23. Januar eine Audienz. Schließlich sagten die Generalstaaten Hilfe für Braunschweig sowie Prüfung des Vorschla­ ges zum Bündnis mit der Hanse zu.138 Sowohl der Besuch Brokes bei Johannes Domann als auch die Gespräche in Rostock zeigen, daß beim ehemaligen Hansesyndikus nach wie vor Fäden gesamthansischer Politik zusammenliefen. In seinen Aufzeichnungen bemerkt Brokes, „daß diese tractaten sehr große difficultates würden haben und daß so woll weinig bei.Lübeck als ändern Stetten vorhanden, die sonderlich etwas dabey verrichten konnten und wolten, ohne allein was der gewesene hansischer Syndicus Domann“.139 Am 27. Januar kehrte Nordanus aus Den Haag zurück, und zwei Tage später begann der Hansetag in Lübeck. Hier hielten sich die Lübecker bezüglich der angestrebten Allianz noch sehr bedeckt und eröffneten den anwesenden Gesandten lediglich die Ergebnisse der Gesandtschaft, die die Auseinandersetzungen Braunschweigs und Lemgos mit ihren Landesherren betrafen.140 Schon am ersten Verhandlungstag, am 29. Januar, wurde über eine Neuanstellung Johannes Domanns als Hansesyndikus verhandelt, nachdem Heinrich Brokes die Vertreter der anwesenden Städte Lübeck, Bremen, Hamburg, Rostock, Stralsund, Wismar, Magdeburg, Braunschweig, Hildesheim, Danzig und Lüneburg von seinen Qualitäten überzeugt hatte.141 Eine endgültige Entscheidung erging in dieser Frage

136 Wiese S. 51. I3/ Kuhlmann S. 21 und Wiese S. 51 f. 138 Wiese S. 52 f. 139 Zit. nach Kuhlmann S. 21. 140 Wiese S. 61 f. 141 Kuhlmann S. 21. Teilnehmende Städte bei Wiese S. 62. 70 Hermann Queckenstedt

wohl noch nicht.142 Die Delegierten beschlossen, Nordanus erneut nach Den Haag zu senden. Diese Reise trat er sowohl mit einer Vollmacht der Hanse wie mit gesonderten Instruktionen Lübecks an. Er erhielt am 12. März eine erste Audienz und konnte nach weiteren Gesprächsrunden noch im März einen Entwurf des Konföderationsvertrages mit nach Hause nehmen.143 Den Entwurf legten Heinrich Brokes und Martin Nordanus noch vor dem Hansetag vom 5. Mai in Lüneburg, Bremen und Hamburg vor. Die Delegierten des Hansetages beschlossen dann, Heinrich Brokes und Johannes Domann nach Den Haag zu entsenden und über ein Bündnis sowie die Wiederaufnahme niederländischer Städte in die Hanse verhandeln zu lassen.144 Ferner übertrugen sie Domann das Amt des hansischen Syndikus für zwei Jahre. Sein Gehalt betrug nunmehr 300 Taler.145 Gleichzeitig blieb er weiter als Syndikus in Rostocker Diensten und behielt auch seinen Wohnsitz in der Heimatstadt seiner Frau.146 Er verwaltete das Amt des Hansesyndikus damit im Grunde nebenamtlich, auch wenn es einen großen Teil seiner Arbeitskraft in Anspruch nahm. Dieses Modell war - ohne das die Städte dies bereits ahnten - zukunftsweisend und wurde nur noch 1618 für ein dreiviertel Jahr durch die Anstellung Domanns als hauptamtlicher Hansesyndikus mit Sitz in Lübeck unterbrochen. Am 25. Juni reisten die beiden Gesandten nach Den Haag ab. In Del­ menhorst begegneten sie dem bremischen Syndikus Möller, der sich auf dem Rückweg vom Frankfurter Wahltag befand. Hier erfuhren Brokes und Domann, daß die Bündnisbestrebungen trotz des Bemühens um Geheim­ haltung in Frankfurt bekannt geworden waren und sich der spanische Ge­ sandte bereits darüber beschwert hatte. Die beiden Gesandten setzten ihre Reise dennoch fort und erhielten am 6. Juli147 eine Audienz in Den Haag. Nach zähen Verhandlungen einigten sich die hansischen und niederländi­ schen Vertreter am 21. Juli auf eine Verteilung der militärischen Lasten im Kriegsfall: Beide Seiten sollten je 7000 Soldaten zu Fuß, 1200 Pferde und 24

142 Diese Ansicht vertritt im Gegensatz zu Kuhlmann (S. 21), der sich auf die Ausführungen Brokes stützt, Simson. Er vermutet, daß Domann erst beim Hansetag im Mai mit der Übernahme des Syndikats betraut wurde, da er hier lediglich als Vertreter Rostocks anreiste (Organisation; S. 390, Anm. 2). 143 Wiese S. 62 f. 144 Wiese S. 66 und Schweitzer S. 374. Brokes erinnert sich in seinem Tagebuch an die ablehnende Haltung Domanns: „Und wie dazu der Hansische Syndicus vorgeschlagen und ersucht ward, hat er sich alleine dazu nicht wollen gebrauchen lassen, sondern wie er gesehen, daß diese Tractaten schwer und daß in vielen difficultatibus ich Mittel vorschlug, [...] so hat er angezeiget, sofern als die Ehrb. Städte mich auch dazu deputiren und Ein Ehrb. Rath allhie gebrauchen und dimittiren würde, so wollte er es nebenst mir auf sich nehmen, sonsten wäre es ihm bedenklich.“ (I; S. 347). 145 Simson, Organisation; S. 390. 146 Kuhlmann S. 21. 147 Bei Brokes ist vom 8. Juli die Rede (II; S. 15). Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 71

Schiffe ausrüsten, um den Ostseehandel zu sichern. Vermutlich unter dem Eindruck der Informationen Möllers überschritten Domann und Brokes ihre Instruktionen in diesem Punkt. Gleichzeitig vereinbarte man, auf eine Entspannung im nordischen Krieg hinzuarbeiten, und die Generalstaaten sagten diplomatische Unterstützung für Braunschweig und Lemgo zu.148 Noch am selben Tag erhielten die Gesandten ihre Abschiedsaudienz beim Prinzen Moritz. Seine besondere Gunst bewies dieser Brokes und Domann mit einem Mittagsmahl, an das sich ein halbstündiges Gespräch in gelöster Atmosphäre anschloß. Uber diesen Abschied vermerkt Brokes in seinem Tagebuch: „An der Tafel ward zu Ihrer fürstlichen Gnaden rechten Hand ich gesetzet, und Dr. Doman neben mir, [...] Nach Essens, wie aufgehoben war, stunden die Grafen und Herren auf. Ihr Excellenz aber ließ uns Beide und Graf Heinrich [von Oranien] besitzen bleiben und ward uns Handwasser gegeben, nach welchem er noch wohl eine gute halbe Stunde ohne Trinken mit uns an der Tafel blieb von allerhand Sachen discourrirend und fragend.“149 Am nächsten Tag verließen Brokes und Domann Den Haag. Auf dem Rückweg erstatteten sie in Bremen und Hamburg Bericht über ihre Mission und trafen am 4. August wieder in Lübeck ein.153 Der eigens wegen der hansisch-niederländischen Verhandlungen für den 25. Oktober nach Lübeck einberufene Tag der Korrespondierenden Städte, an dem auch Rostock, Wismar und Danzig teilnahmen, mochte sich indes nicht auf ein Bündnis festlegen.151 Lediglich Rostock erklärte eine bedingte Zustimmung.152 Johannes Domann legte der Versammlung eine in Leipzig erschienene Druckschrift vor, in der das angeblich bereits zwischen den Generalstaaten und zwölf Hansestädten geschlossene Bündnis als Union gegen Dänemark und den Papst diffamiert wurde.153 Am 14. November forderte der Kaiser die Hansestädte auf, ihm über den Stand der Bündnis­ verhandlungen Bericht zu erstatten und die Initiative nicht fortzusetzen. Nachdem Lübeck ein ausweichendes Rechtfertigungsschreiben verfaßt hat­ te, erhielt Johannes Domann den Auftrag, dieses persönlich nach Prag zu bringen.154

148 Kuhlmann S. 21; Wiese S. 68 f; Schweitzer S. 374; Bippen, Bremen; S. 269 f. 149 Brokes, II; S. 17. 150 Brokes, II; S. 17 f. 131 Kuhlmann S. 21; Wiese S. 72; Bippen, Bremen; S. 270. 152 Wiese S. 74. Die bedingt zustimmende Haltung Rostocks dürfte dessen Syndikus Johannes Domann entscheidend mit beeinflußt haben. Bei Brokes heißt es zur Rostocker Position: „wollten sich nicht absondern, wenn sie es nur könnten tragen.“ (II; S. 24). In diese Richtung gehen auch die Ausführungen Bippens, Bremen; S. 271. 15:1 Bippen, Bremen; S. 271. Wegen des zwischen den Hansestädten vereinbarten Still­ schweigens über die Bündnisbemühungen hatte der Rostocker Rat seine Bürger Ver­ schwiegenheit geloben lassen, als er sie über das Projekt unterrichtete. Darauf überreichte einer der Einwohner den Ratsleuten die Leipziger Druckschrift. l!>4 Barthold S. 507. Vgl. Lappenberg, Lied; S. 453, der von einer Gesandtschaft Johannes Domanns und Heinrich Brokes nach Prag berichtet. 72 Hermann Queckenstedt

Auch der am 4. Februar 1613 eröffnete Hansetag155 brachte kaum eine Veränderung in der Unionsfrage: Braunschweig erklärte nunmehr seine bedingungslose Zustimmung; Rostock blieb bei seiner zustimmenden Hal­ tung für den Fall, daß die Union gemeinschaftlich beschlossen werde. Die anderen Städte verhielten sich jedoch weiter abwartend. Am Nachmittag kamen dann im Anschluß an die Beratungen im Plenum die vier Bürger­ meister Lübecks mit Johannes Domann zusammen, um in vertraulichen Gesprächen das weitere Vorgehen festzulegen. Dabei eröffneten sie dem Syndikus den Plan Lübecks, ein Separatbündnis mit den Generalstaaten abzuschließen, was bei Domann auf lebhafte Zustimmung stieß. Er hoffte auf diesem Weg, die anderen Städte doch noch zum Handeln bewegen zu können. Domann billigte auch den Vorschlag Lübecks, zunächst eine gemeinsame generalstaatisch-hansische Gesandtschaft nach Kopenhagen zu schicken, die über Handelserleichterungen verhandeln sollte. Aus takti­ schen Gründen bot Domann an, er wolle diesen Vorschlag zur Diskussion stellen, was im Verlauf der nächsten Sitzungen auch geschah. Dieser erste Schritt zum gemeinsamen Handeln fand mit Ausnahme Braunschweigs die Zustimmung der Städte.156 Auf Anraten Heinrich Brokes gingen Lübeck und die Generalstaaten daraufhin eine separate Allianz ein, die nach einer erneuten Legation des Martin Nordanus im Frühjahr ratifiziert und am 17. Mai in Den Haag besiegelt wurde.157 Hier wurde Lübeck durch Bürgermeister Brokes, Syn­ dikus Nordanus und Sekretär Felthusen vertreten.158 Zum Bündnis selbst bemerkt Wiese: „Die Allianz war defensiv, ihr Zweck die Verteidigung des Handels in Nord- und Ostsee; bestehende Verträge sollten, jedoch salvo praesenti foedere, nicht verletzt werden; man öffnete sich gegenseitig die Häfen und gestand den Untertanen der Gegenpartei alle Rechte der eigenen Untertanen zu; etwaige Handelsstörer - und damit ist in erster Linie doch Dänemark gemeint - sollten erst auf friedlichem Wege, im Notfall aber durch Gewalt, zunächst durch Repressalien zum Nachgeben gebracht werden. Die Dauer der Allianz war auf 15 Jahre berechnet. Fremde Mächte konnten ihr beitreten. Ein lübischer Agent sollte sich im Haag, ein nie­ derländischer in Lübeck aufhalten.“159 Noch Ende Mai startete Lübeck erneute Versuche, die übrigen Städte zum Beitritt zu bewegen. Hierbei leistete auch Johannes Domann seinen Beitrag, indem er zu Gesprächen nach Danzig reiste. Danzig hatte in dieser Frage eine zögerliche, jedoch keineswegs ablehnende Haltung eingenommen160, mochte sich indes auch

155 Teilnehmende Städte waren Bremen, Rostock, Hamburg, Magdeburg und Braun­ schweig. Danzig, Wismar und Lüneburg äußerten sich schriftlich zu den Bündnisplänen. 156 Brokes, II; S. 32 f. Vgl. zu diesem Hansetag auch Schweitzer S. 378. 157 Kuhlmann S. 21; Schweitzer S. 379 f. 158 Wiese S. 79. 159 Wiese S. 79 f. 160 Brokes, II; S. 268. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 73 trotz Domanns Zureden nicht zum Handeln entschließen.161 Hamburg, Bremen, Rostock, Lüneburg und Magdeburg erhielten schriftlich Nach­ richt über die neue Entwicklung.162 Auch Braunschweig hatte sich im Vorfeld bemüht, diesem Bündnis beizutreten. Dieses Ansinnen scheiterte jedoch nicht zuletzt, weil man sich nicht auf eine Kontributionsquote der bedrängten Stadt einigen konn­ te.163 Zudem fürchtete Lübeck eine allzuenge Zusammenarbeit mit Braun­ schweig, weil der Kaiser noch immer nicht die Reichsacht gegen die Stadt aufgehoben hatte.164 Am 5. Juli sprach Nordanus wegen der dänischen Rüstungsanstrengungen gegen Lübeck bereits wieder bei den Generalstaa­ ten vor und blieb bis zum Herbst in Den Haag.165 Gleichzeitig bekundete auch der König von Schweden Interesse, dem Bündnis beizutreten.166 Im September schickten auch Braunschweig und Magdeburg Gesandte an die Generalstaaten, die diesen ein gemeinsames Bündnis vorschlagen sollten. Am 21. September einigte man sich auf die Konditionen der lübisch- niederländischen Allianz; das Bündnis zwischen Braunschweig, Magdeburg und den Generalstaaten wurde indes nie ratifiziert.167 Im Dezember signa­ lisierte eine Bremer Gesandtschaft in Den Haag die Bereitschaft der Stadt, der lübisch-niederländischen Allianz beizutreten. Konkrete Schritte wur­ den nicht vereinbart.168 In den nächsten beiden Jahren stand das Bündnis mit den Generalstaaten wieder auf der Tagesordnung der Hansetage und die Kontakte zwischen einzelnen Städten - insbesondere Braunschweig - und Den Haag hielten an. Beim Hansetag 1614 drohte Lübeck gar vom hansischen Direktorium zurückzutreten, falls die Städte sich dem Bündnis nicht anschlossen.169 Brokes berichtet, diese von ihm abgefaßte Drohung sei „in sujnma dahin gerichtet, daß dieser Stadt Gelegenheit nicht wäre, das Hansische Wesen länger also zu Schimpf und Schande zu dirigiren. Da nun die ändern Städte nicht geneiget wären, das Hansische corpus anders zu fassen und zu stärken, so müßten wir uns des begeben und die Hansestädte Gott und der Zeit befehlen, und inmittelst sehen, wie wir

161 Brokes, II; S. 275. 162 Brokes, II; S. 268. 163 Wiese, S. 75 f. 164 Brokes, II; S. 275. 165 Wiese S. 83 ff. 166 Brokes, II; S. 270. Im Herbst 1614 schlossen Schweden und die Generalstaaten dann ein separates Bündnis (Brokes, II; S. 271). 167 Wiese S. 87 ff. 168 Wiese S. 91. 169 Simson, Organisation; S. 240. Er schränkt die Bereitschaft Lübecks, endgültige Konsequenzen zu ziehen, jedoch ein: „Daraus [aus mehrfachen Drohungen dieser Art] ist übrigens ersichtlich, dass es Lübeck mit seiner so häufig ausgesprochenen Absicht niemals recht Ernst gewesen ist, sondern dass es sie hervorzukehren pflegte, um auf die anderen Städte einen Druck auszuüben und die Erfüllung seiner dem allgemeinen Besten dienenden Wünsche von ihnen zu erlangen.“ (Ebd.; S. 240 f.). 74 Hermann Queckenstedt

unserer Stadt Bestes in Acht hätten und zu besserem Stande mit Hülfe der Herren Staaten gelangen könnten.“170 Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Die Städte einigten sich darauf, bei der nächsten, für den 24. August 1615 festgesetzten Tagfahrt eine definitive Entscheidung zu fällen.171 Wie notwenig die Wiederbesetzung des hansischen Syndikats gewesen war, zeigte sich auch in den Auseinandersetzungen in Braunschweig, bei denen Domann des öfteren als Vermittler auftrat. Einerseits galt es, die Konflikte zwischen Rat und Bürgerschaft zu schlichten, andererseits die zwischen Stadt und Herzog. Im Januar 1614 trug Johannes Domann zur Freilassung des gefangenen Braunschweiger Bürgermeisters Conrad von Walbeck bei.172 Für seine Vermittlerdienste zahlte die Stadt Braunschweig dem Syndikus zehn Heinrichsnobel.173 Im selben Jahr erneuerte die Hanse ihren Vertrag mit Domann um weitere zwei Jahre zu den selben Konditio­ nen und gewährte ihm eine besondere Zahlung von 200 Talern.174 In der Einladung zum Hansetag hatte Lübeck allerdings die Städte aufgefordert, für das Syndikat einen qualifizierten Bewerber vorzuschlagen.175 Domanns Position war also noch immer nicht unumstritten, eine Alternative gab es indes nicht. Seit 1615 spielte Domann die Schlüsselrolle in den diplo­ matischen Aktivitäten der Hanse. Im Vorfeld des Hansetages nutzte er diese Situation, um mit seiner Demission zu drohen: Lübeck teilte in der Einladung mit, daß Domann „ad locum directorii sich erclert hatt, daß seine gelegenheitt nicht sey, bey seinem ohne daß mühesehliger function unnd ahngehenden alther mitt verwaltungh des hansischen syndicats sich hinfüro mehr überladen zulaßen“. Erneut forderte Lübeck Vorschläge für einen Nachfolger.176 Die Direktorialstadt wollte wohl im Fall von Domanns Rücktritt nicht wieder allein in die Verantwortung genommen werden. Domanns Vertragspoker trug erste Früchte: Angesichts der Rücktrittsdro­ hung gab es Bestrebungen, sein Gehalt zu erhöhen. Danzig schlug sogar vor, dem Syndikus künftig 500 Taler zu zahlen. Eine Einigung in dieser Frage kam zwar nicht zustande, Domann blieb aber im Amt. Parallel zu der hansischen Diskussion scheint auch Rostock bestrebt gewesen zu sein, Johannes Domann fester an sich zu binden.177 Möglicherweise hatte der

170 Brokes, II; S. 283. 171 Brokes, II; S. 283. 172 Brokes, II; S. 288 f; auch Kuhlmann S. 22. Vgl. dazu Spiess, Braunschweig; S. 168. Conrad (Cort) von Walbeck war Patrizier und bis zu seiner Verhaftung Kleiner Bürgermeister der Altstadt. Die Kritik seiner Kontrahenten richtete sich unter anderem gegen sein Eintreten für das Bündnis mit den Generalstaaten. Zudem war er herzoglicher Lehnsmann. 173 Lappenberg, Verbot; S. 328, Anm. 1. 174 Simson, Organisation; S. 390. 173 StAOs Dep 3 b I Nr. 629, Bl. 285 v. Vgl. auch Queckenstedt S. 64 f. 176 StAOs Dep 3 b I Nr. 629, Bl. 323 v und Bl. 321 r. 177 Simson, Organisation; S. 390. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 75

Syndikus sowohl seine Rostocker wie seine hansischen Dienstherren durch Rücktrittsdrohungen unter Druck gesetzt. Zu Beginn des Jahres 1615 reiste Domann nach seinem Besuch beim niedersächsischen Kreistag (Beginn 15. Januar) in Celle am 19. Januar ge­ meinsam mit dem lübischen Ratsherrn Thomas von Wickede und weiteren hansischen Gesandten nach Braunschweig, um dort bei den städtischen Unruhen zu vermitteln. Im Februar 1615 berichtete er in Lübeck über die Fortschritte in den Braunschweiger Angelegenheiten,178 „daß die innerliche Unruhe gutermaaßen gestillet, der Ausschuß abgeschafft, der Rath von Neuem bestätiget, ihm von den Bürgern in allen 5 Weichbilden geschworen sei; daß die Gefangenen erlediget, die Ausgewiesenen wieder hineingestellet werden sollten und daß man hinfüro den Ehrb. Hansestädten folgen und mit denselben einhellig auf dienliche Mittel trachten wollte, wie sie mit ihrem Landesfürsten möchten reconciliirt werden.“179 Erneut zeigte sich die Stadt Braunschweig dankbar für Domanns Eingreifen. Der Braun­ schweiger Rat „verehrte“ dem Rechtsgelehrten einen vergoldeten, schweren Pokal, in dem sich zusätzlich hundert Goldgulden befanden. Darüber hinaus zahlte man ihm 60 Goldgulden zur Zehrung.180 Noch im Februar 1615 sandte man den Syndikus nach Dänemark181, wo Lübeck zum 1. März ein völliges Handelsverbot drohte. Hier galt es die Einigkeit der Hanse zu demonstrieren, nachdem Christian IV. es über Jahre hinweg abgelehnt hatte, mit dem Bund zu verhandeln. Statt dessen strebte er getrennte Abmachungen mit den einzelnen Städten an, wogegen sich der Hansetag vom November 1614 aber ausdrücklich ausgesprochen hatte. Im Vorfeld der Legation hatte man sämtliche Hansestädte aufgefordert, ihre Vollmachten für die Gesandtschaft auszustellen. Um einen Überblick über die Resonanz zu haben, legte Domann ein „Verzeichnuß der stete deren mandata den kon. reichsreten bei der proposition am 20. Marti) ubergeben sind“ an. Hier zeigte sich, daß nur noch die Hälfte der Städte an den dänischen Privilegien interessiert war oder hansische Einigkeit demonstrieren wollte.182

178 Brokes, II; S. 294 und Kuhlmann S. 22. 179 Brokes, II; S. 294. 1S“ Lappenberg, Verbot; S. 329, Anm. 1. 181 Brokes, II; S. 409 und Kuhlmann S. 22. 182 Schweitzer S. 385 ff. Uber die von Domann genannten Zahlen macht Schweitzer keine Angaben. Vgl. zur Mitgliedzahl Simson, Organisation; S. 216 f. Er schreibt, daß die Hanse bei ihren Verhandlungen mit Spanien in den Jahren 1606 bis 1608, an denen Domann ja maßgeblich beteiligt war, mehrfach von 72 Mitgliedstädten ausgegangen ist. Von 72 Städten war ferner bereits auf den Hansetagen von 1601 und 1553 die Rede. 1608 war dann jedoch festgesetzt worden, daß das entscheidende Kriterium die Besiegelung der hansischen Konföderation von 1604 sein sollte. Andererseits legte Domann dem Hansetag von 1612 eine Liste vor, in der er vierzehn Städte als zur Hanse gehörig ansah: Lübeck, Köln, Braunschweig, Bremen, Hamburg, Rostock, Stralsund, Wismar, Danzig, Lüneburg, Stettin, Greifswald, Magdeburg und Hildesheim. Im Fall von Stettin und Greifswald wies 76 Hermann Queckenstedt

Am 27. Februar 1615 trafen die Gesandten Lübecks, Hamburgs, Bremens und Deventers in Kopenhagen ein. Dagegen wurden die Delegierten Ro­ stocks, Wismars, Stralsunds, Stettins und Danzigs mit Syndikus Domann an der Spitze wegen des Eisgangs auf der Ostsee bis zum 14. März in Rostock aufgehalten. Erst am 18. März erreichten auch sie Kopenhagen, was Christians Mißfallen erregte. Am 20. März gewährte er ihnen eine Audienz, in der sie ihre Kreditive und Vollmachten übergaben. Zwei Tage später ließ der König in seinem Bescheid mitteilen, daß er nur mit den einzelnen Städten, nicht aber mit einer hansischen Gesandtschaft insgesamt verhandeln wollte. Die Gesandten ließen sich nicht auf dieses Ansinnen ein, zumal ein anonymer Schreiber - vermutlich Heinrich Brokes - Domann in einem Brief vom 7. März mitgeteilt hatte, daß der englische Gesandte Anstruther zur Vermittlung nach Dänemark unterwegs sei. Auch Lübeck, das wegen seiner angeblichen Verfehlungen gegen den dänischen König separat verhandelte, konnte keine günstige Entwicklung vermelden.183 Am 5. April erhielt die hansische Delegation ihren endgültigen Bescheid. Darin setzte der König den 15. März 1616 als den Tag fest, an dem einzelne Städte um eine Bestätigung der Privilegien nachsuchen konnten. Am 9. April schrieb Johannes Domann an Lübeck, daß die Bitte der Hansevertreter um eine Abänderung des Ergebnisses erfolglos geblieben sei.184 Die Gesandtschaft machte erneut die Bedrohung der Hansestädte und die Behinderung des Handels durch Christian IV. deutlich, so daß Jo­ hannes Domann den Städten beim Korrespondenztag in Lüneburg zur Konföderation mit den Generalstaaten riet.185 Noch deutlicher wurde der Syndikus beim Hansetag im September (Beginn 12. September), wo er die Delegierten geradezu zur Allianz drängte.186 Während der Verhandlungen beschloß man, beim dänischen König noch einmal schriftlich um eine günstigere Erklärung nachzusuchen.187 Bei diesem Hansetag wurden die niederländischen Hansestädte Arnhem, Nimwegen und Deventer durch die Gesandten Biel, van den Sande und Sticke vertreten.188 Eigene Delegierte hatten ferner Lübeck, Bremen, Hamburg, Rostock, Wismar, Magdeburg, Braunschweig, Danzig und Lüneburg entsandt. Die Vertreter Rostocks, Hamburgs, Wismars und Lüneburgs hatten jedoch keine Vollmacht zu

er jedoch auf deren geschwächte Position gegenüber dem Landesherrn hin (Sartorius S. 628). 183 Schweitzer S. 388 ff. 184 Schweitzer S. 391. In einem Brief vom 7. April teilte der Danziger Sekretär Wenzel Mittendorf dem Hansesyndikus mit, er wolle ihm eine „Preußische Chronik“ senden, in der auch hansisch-dänische Angelegenheiten behandelt würden. Damit sollte vermutlich der rechtliche Standpunkt der Hanse untermauert werden. 185 Kuhlmann S. 22. 186 Kuhlmann S. 22. 187 Schweitzer S. 394. 188 Wiese S. 110. Er hält es für wahrscheinlich, daß die drei Deputierten auch Vollmacht von Zütphen, Doesborg und Harderwyk erhalten hatten. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 77 einem Beschluß über das Bündnis, so daß eine Entscheidung erneut nicht getroffen werden konnte. In dieser Situation rieten Heinrich Brokes und Johannes Domann, diese Frage in einen Ausschuß zu verweisen und möglichst rasch auf schriftlichem Weg die Ansicht der Prinzipale ein­ zuholen.189 Am 18. September wurden die Briefe abgeschickt, einen Tag später bewegten Domann und Brokes die Vertreter Rostocks, Hamburgs, Wismars und Lüneburgs, persönlich neue Instruktionen einzuholen. Bis zum 24. September trafen die zustimmenden Antworten ein. Bereits einen Tag später genehmigte der Hansetag die Allianz.190 Die Generalstaaten erteilten am 25. September den drei in Lübeck weilenden niederländischen Gesandten die Vollmacht, für sie zu verhan­ deln und entweder mit der Hanse insgesamt oder mit einzelnen Städten Bündnisse abzuschließen. Ferner ermächtigten sie Biel, van den Sande und Sticke, für den Fall einer weiteren Auseinandersetzung zwischen Braun­ schweig und Herzog Friedrich Ulrich militärische Schritte der General­ staaten anzudrohen.191 Ende September führten die Niederländer intensive Bündnisverhandlungen mit Johannes Domann, den die Städte Rostock, Stralsund, Wismar, Stettin, Greifswald und Hildesheim bevollmächtigt hatten. Zudem hatte der Syndikus von weiteren Städten das nicht so weit reichende Mandat, die Allianz vorzubereiten. Er betonte den Wunsch der Städte nach dem suffragium resolutivum. Ferner unterbreitete Domann einen Vorschlag zur Verteilung der Lasten. Die Hansestädte sollten diese mit den Niederlanden im Verhälntnis 22:100 teilen, wobei die Quoten für die einzelnen Städte wie folgt angegeben wurden: Lübeck und Hamburg je 5; Danzig 3; Bremen 2; Rostock, Stralsund, Magdeburg, Braunschweig und Lüneburg je 1; Wismar, Stettin, Greifswald und Hildesheim je 0,5.192 Für Rostock erklärte Domann, eine Benachteiligung eines Verbündeten solle wie ein Schaden zum Nachteil aller bewertet und entsprechend behandelt werden. Die Stadt selbst fürchtete zu diesem Zeitpunkt um ihre Bierexporte nach Dänemark, denen dort höhere Zölle drohten.19-’ Nachdem bereits am 17. September hansische Truppen der Korrespon­ dierenden Städte die Belagerung Braunschweigs durch Herzog Friedrich

189 Brokes, II; S. 413. Wiese S. 110 f. Erstaunlich ist es, daß auch in Rostock der Meinungsbildungsprozeß nicht abgeschlossen war, nachdem die Stadt 1612 Einverständnis signalisiert hatte und Domann nach wie vor ihr Syndikus war. Diese Haltung könnte darauf hindeuten, daß Domann seinen Einfluß auf die Politik in Rostock durch verstärkte hansische Verpflichtungen und häufige Abwesenheit eingebüßt hatte. 19C Brokes, II; S. 413 und Wiese S. 111. 191 Wiese S. 112 f. Zudem lieferten die Generalstaaten militärische Ausrüstung an Braun­ schweig und erlaubten Bremen mit Unterstützung niederländischer Offiziere 100 Knechte anzuwerben. 192 Wiese S. 112 f. 193 Wiese S. 113. 78 Hermann Queckenstedt

Ulrich194 durchbrochen hatten und in die Stadt gelangt waren, kam dort Bewegung in die starre Haltung der Kontrahenten und erste Verhandlungen bahnten sich an.195 Genau einen Monat später schlossen die Hanse und das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg ein Bündnis ab.196 Parallel dazu verliefen die Verhandlungen mit den Gesandten der Generalstaaten über das Bündnis. Besondere Probleme bereitete dabei die endgültige Festsetzung der Quoten. Hamburg und Magdeburg drängten darauf, ihren Anteil zu senken.197 Magdeburg beschuldigte Johannes Domann einer willkürlichen Festsetzung der eigenen Lasten, die wegen der Armut der Stadt zu hoch seien.198 Heinrich Brokes riet den staatischen Gesandten schließlich zum Nachgeben in diesem Punkt.199 Im Oktober demonstrierten die Generalstaaten im Braunschweiger Konflikt endgültig ihren Willen zum Eingreifen: Prinz Heinrich von Oranien marschierte mit 3000 Musketieren, 1500 Reitern, zwei halben Kartaunen, drei Feldstücken und 400 Wagen auf die belagerte Stadt zu.200 Nun kam es zu ernsthaften Friedensverhandlungen, an denen auch Johannes Domann, Heinrich Brokes sowie Gesandte aus Hamburg be­ teiligt waren. Am 13. November bezogen sie Quartier in Celle.201 Zehn Tage später einigte man sich auf einen Waffenstillstand, der seitens der Hansestädte mit dem Lübecker Siegel sowie den Unterschriften der De­ legierten der fünf Korrespondierenden Städte und Johannes Domanns in Vertretung der übrigen Hansestädte beglaubigt wurde. Am 24. November begann die abschließende Verhandlungsrunde im Kloster Steterburg. Für

194 Er gehörte der welfischen Linie Braunschweig-Wolfenbüttel an, die nicht mit der hansefreundlich gesinnten Linie Braunschweig-Lüneburg zu verwechseln ist. Die Linie Braunschweig-Wolfenbüttel endete mit Friedrich Ulrich. 195 Wiese S. 113 ff; Schweitzer S. 398 f. Jede der Korrespondierenden Städte hatte sich verpflichtet, für diese unter dem Kommando des Obersten Graf Friedrich von Solms stehende Streitmacht 10000 Thaler zu bezahlen. Uber die Geschichte des Bündnisses der „Korrespondierenden Städte“ schreibt Simson: „Wenn man auch schon kriegerisches Einschreiten für Braunschweig im Sinne der geplanten Konföderation in Aussicht nahm, so kam man [vor 1605] doch nicht zu dem geringsten Ergebnis. Erst im Jahre 1605 wurde die Sache von Bremen wieder vorgebracht, aber auch die Hansetage von 1605 und 1606, die darüber weiter berieten, brachten nichts zustande. Da traten wieder unter Bremens Führung Lübeck, Bremen, Hamburg, Magdeburg, Lüneburg und Braunschweig im Herbst 1605 zu Verhandlungen zusammen, die schon gleich darauf zur militärischen Unterstützung Braunschweigs und 1607 zum Abschluss eines engeren Bündnisses zwischen den sechs korrespondierenden Städten“ führten, zu dem auch den anderen Hansestädten der Zutritt offen stehen sollte.“ (Organisation; S. 420). Zum Zustandekommen des Bündnisses vgl. auch Bippen, Kreffting. 196 Wiese S. 116. 197 Wiese S. 116 ff. Dort auch Angaben zur langen Liste der hamburgischen Son­ derwünsche. 198 Wiese S. 118. 199 Wiese S. 119. 200 Wiese S. 119 f. 201 Brokes, II; S. 388. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 79 die Hanseseite scheint deren Syndikus die Verhandlungen geführt zu haben, zumindest trat er am ersten Tag als Wortführer auf. Am 25. Novem­ ber drohten die Gespräche in eine Sackgasse zu führen; die kaiserlichen Deputierten baten daraufhin Domann und Brokes zu einem separaten Gespräch und mahnten sie zur Kompromißbereitschaft. Hauptstreitpunkte waren die Schadenersatzforderungen der Stadt für vom Herzog eingezo- gene Landgüter, die Huldigungsfrage sowie das Problem, wer die Garantie des künftigen Friedensvertrages übernehmen sollte. Den entscheidenden Durchbruch erreichte man am 20. Dezember. Nunmehr zeigten sich auch die Hansevertreter mit Ausnahme Johannes Domanns kompromißbereit.222 Am 21. Dezember 1615 ratifizierten und besiegelten Braunschweig und der Herzog den Vertrag von Steterburg, mit dem sie ihren Streit bei­ legten. Erneut gab sich Domann starrköpfig und blieb dem Akt fern.203 Der Herzog von Braunschweig lud für die kommenden Tage sowohl die Delegation der Generalstaaten als auch die der Hanse zu einem Empfang nach Wolfenbüttel ein, dem Domann und Brokes im Gegensatz zu Thomas von Wickede gemeinsam fernblieben. Die Aufgaben Domanns und Brokes waren indes in Braunschweig noch nicht erfüllt: Nun galt es die zerstrittene Bürgerschaft wieder zu versöhnen.204 Gegen Ende des Jahres traten auch die Bündnisgespräche zwischen der Hanse und den Generalstaaten in die entscheidende Phase. Man einigte sich auf eine Quote von 1 für Rostock, Stralsund, Magdeburg und Lüneburg sowie 0.5 für Wismar, Greifswald und Anklam. Der Braunschweiger Beitrag -wurde nicht endgültig geregelt. Am 25. Dezember beschlossen beide Seiten die Vereinbarungen, die den freien Handel auf Nord- und Ostsee sowie den hierin mündenden Flüssen, die Gleichbehandlung aller Partner durch dritte Mächte sowie gegenseitigen militärischen Beistand sichern sollte. Wegen fehlender Vollmachten der Gesandten von Rostock, Stralsund, Wismar, Greifswald, Anklam, Magdeburg und Lüneburg konnte das Vertragswerk aber noch nicht ratifiziert werden. Heftigen Einspruch gegen die Abmachungen erhoben die kaiserlichen Kommissare, die den Abschluß verboten.205 Hamburg und Bremen waren am 25. Dezember nicht vertreten gewesen. Zwischen den niederländischen Gesandten und den Vertretern dieser beiden Städte kam es zu Jahresbeginn zu einem neuerlichen Gerangel um die Quoten. Am 20. Januar 1616 kehrten Biel, van den Sande und Sticke in die Generalstaaten zurück, den Hansestädten

202 Brokes, II; S. 399 ff. 2=3 Brokes, II; S. 401. Er bemerkt in seinen Aufzeichnungen, daß er „in absentia D. Domanni“ das Wort ergriffen habe. Dies deutet erneut auf die Führungsrolle Domanns innerhalb der Delegation hin. Vgl. auch Wiese S. 127 f. 204 Brokes, II; S. 402 f. 205 Wiese S. 128 ff. 80 Hermann Queckenstedt

verblieb bis zur geplanten Ratifizierung des Vertragswerkes am 10. Mai noch Zeit, strittige Fragen zu klären.206 Zunächst mußte sich die Hanse wieder mit den dänischen Angelegen­ heiten beschäftigen, da der König zum 15. März Gesandte der Städte erwartete, die sich für jede Stadt separat die alten Privilegien bestätigen lassen sollten. Da der Hansetag vom September beschlossen hatte, dieser dänischen Aufforderung nicht nachzukommen, verfaßte Johannes Domann ein Entschuldigungsschreiben. Er rechtfertigte das Ausbleiben der Gesand­ ten mit der Nichtbeantwortung des hansischen Modifikationsgesuches vom September 1615 und erklärte, die Städte wüßten nicht, ob ihr Erscheinen genehm sei.207 Den 10. Mai als vereinbarten Termin konnten die Generalstaaten und die Hanse indes nicht einhalten. Ende Mai 1616 begann eine letzte zähe Verhandlungsrunde zwischen den Niederländern und einer hansi­ schen Gesandtschaft, die den Vertrag in Den Haag gleich beschwören und besiegeln sollte. Als hansischer Syndikus leitete Johannes Domann diese Delegation und vertrat selbst die Städte Rostock, Stralsund, Wis­ mar, Lüneburg, Greifswald und Magdeburg.208 Weitere Gesandte waren Syndikus Martin Nordanus aus Lübeck, Bürgermeister Dietrich Hoyers, Syndikus Dr. Gerlach Buxtorff und Heinrich von Cappeln aus Bremen, Bürgermeister Johann Wetken und Syndikus Vincenz Möller aus Hamburg sowie Bürgermeister Henning Haverland, Sekretär Johann Olemann und Georg Heinrich Bolfras aus Braunschweig.209 Die Delegationen feilschten erneut um die Quoten: Lübeck, Hamburg, Bremen und Braunschweig baten um eine Neufestsetzung ihres Beitrages und zeigten sich zunächst wenig kompromißbereit. In dieser Situation schlug Johannes Domann vor, die Kontributionen der einzelnen Städte zu addieren und dann den so festgesetzten hansischen Beitrag neu zu verteilen. Die angebotene Quote von 21:100 hielt er indes nicht für annehmbar. Weitere Vorschläge beider Seiten bewegten sich zwischen 16,75 und 20. Erst am 10. Juni gelang der endgültige Durchbruch: Man einigte sich auf 17,5 von denen 5,5 auf Lübeck, 3,5 auf Hamburg, 1,5 auf Bremen, 2 auf Braunschweig, 1 auf Rostock, Stralsund, Magdeburg und Lüneburg sowie 0,5 auf Wismar und Greifswald entfallen sollten.210 Am 13. Juni ratifizierten beide Seiten den

206 Wiese S. 130 ff. 207 Schweitzer S. 397. 1617 schließlich gelang König Christian der Abschluß separater Vereinbarungen mit den Bremer Bergenfahrern. Diese erhielten ein Sonderprivileg, daß beim Hansetag 1618 heftige Kritik der anderen Städte auslöste. Nach längerem Zögern gab der Bremer Rat schließlich hansischen Forderungen nach und erklärte, das Privileg solle nicht genutzt werden (Fock S. 88). 228 Kuhlmann S. 22 und Wiese S. 134. 2“9 Wiese S. 134 f. 210 Wiese S. 135-140. Braunschweig sollte wegen seiner Kriegsschäden in den ersten sechs Jahren eine Quote von 1 entrichten. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 81

Vertrag und am folgenden Tag beschworen ihn Johannes Domann und der Präsident der Generalstaaten, Tacco van Burmania. Zum Abschied erhielt jeder hansische Gesandte eine goldene Kette im Wert von 200 und eine goldene Medaille im Wert von 100 Gulden. Die Kette Domanns kostete 400 Gulden.211 Nunmehr hielt die hansische Delegation es für ratsam, den Kaiser über das Bündnis zu informieren. Johannes Domann setzte eine Mitteilungs- und Rechtfertigungschrift auf, die anschließend von Heinrich Brokes redigiert wurde.212 Die mehrjährige Annäherung zwischen Generalstaaten und Hanse hatte dazu geführt, das die niederländischen IJsselstädte im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts ihre hansischen Kontakte wieder verstärkten. Dies geschah allerdings weniger durch eigene Initiative als auf Veranlassung der „Großmächtigen Herren der Generalstaaten“. Dazu bemerkt Bert Looper: „Die Generalstaaten wollen die Städte aktiv einschalten in die Diplomatie im Ostseegebiet. So bittet man zum Beispiel Deventer, Abgeordnete für die Mission zu stellen, die 1615 mit dem dänischen König verhandeln muß. Auch besuchten die gelderschen und overijsselschen Städte in dieser Periode auf Initiative der Generalstaaten die allgemeinen Hansetage.“213 Ebenso wie die Generalstaaten sah aber auch die Hanse im Fall der IJs­ selstädte die Chance, deren alte Bundeszugehörigkeit für die Einflußnahme auf den neuen Bündnispartner zu nutzen. Direkt nachdem die Verträge besiegelt worden waren, betonte die Delegation um Domann, daß an sich gesonderte Verhandlungen mit den niederländischen Hansestädten hätten geführt werden müssen. Diese gehörten nach wie vor der Hanse an. Insofern könne diese alte Verbindung einschließlich der daraus re­ sultierenden Verpflichtungen zur Grundlage der neuen Allianz werden.214 Diese Einschätzung stieß bei den Generalstaaten auf wenig Gegenliebe und verdeutlicht die Schwierigkeiten der Hanse, sich angesichts ihrer Struktur im territorialstaatlichen Europa zurechtzufinden. Am 29. August traf Dr. Toppius von Aysema als ständiger Agent der Generalstaaten in Lübeck ein. Am 2. September machte er seinen An­ trittsbesuch bei Heinrich Brokes, dessen Bürgermeisterkollegen Alexander Lüneborg und Dr. Möller, dem Hansesyndikus Domann und dem lübi­ schen Superintendenten. In der folgenden Zeit kam es dann mehrfach zu Reibereien zwischen ihm und der Hanseführung. Bereits am 27. November mußte Brokes in einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Domann und

211 Wiese S. 142. 212 Brokes, II; S. 415. 213 Looper S. 79. 214 Looper S. 79 f. Offenbar wurden niederländische Städte wieder als vollwertige Mitglieder angesehen und sogar mit wichtigen organisatorischen Aufgaben betraut. So erging zunächst 1617 an Nimwegen und ein Jahr später an Deventer und Nimwegen der Auftrag, die Mitgliedstädte des Kölner Quartiers - mit Ausnahme der westfälischen Städte - an ihre finanziellen Pflichten zu erinnern (Simson, Organisation; S. 429). 82 Hermann Queckenstedt

Aysema vermitteln. Im März 1618 geriet Brokes seinerseits mit Aysema in Auseinandersetzungen um Statusfragen des Diplomaten. Brokes verwies diesen auf seinen untergeordneten Agentenrang und wurde dabei von Do­ mann sowie hamburgischen und bremischen Gesandten unterstützt.213 1617 gewährte man Johannes Domann für das abgelaufene wie für das neue Dienstjahr je 600 Taler und forderte ihn auf, von Rostock nach Lübeck zurückzukehren.216 Im Mai besuchte der Hansesyndikus den Korrespondenztag in Celle und leitete sowohl im Mai wie im November den Konvent der zehn Städte in Lübeck.217 1618 wiederholte die Hanse ihre Aufforderung, Domann solle nach Lübeck umziehen. Man bot ihm nunmehr eine Anstellung zu stark verbes­ serten Konditionen an. Neben einem jährlichen Gehalt von 1000 Reicht- stalern sowie einem jährlichen Wohngeld von 100 Reichstalern gewährte man ihm ein einmaliges Gunstgeld von 2000 Reichstalern. Lediglich Köln und Rostock sprachen sich gegen diese Regelung aus: Köln erschien die Dotierung zu hoch, Rostock wollte vermutlich seinen Syndikus nicht verlieren. Danzig hatte demgegenüber sogar den Vorschlag unterbreitet, Domann - wie seinerzeit auch Sudermann - auf Lebenszeit anzustellen.21S Nun erwarb Domann ein Haus in der Lübecker Königstraße. Bei der Stadt Lübeck bekleidete er zusätzlich nebenamtlich die Stelle eines Syndikus, die mit 300 Reichstalern dotiert war.219 Dazu notierte der Kämmereiherr Joachim Wibeking 1618 in das Kämmerei-Ausgabenbuch: „Anno 1618 in dem Majo gehaltenen hansischen Dage is Doctor Domannus, der gemeinen Ansae Syndicus, von einem ehrb. Radte diesser Stadt zui einem Syndico bestellet und angenommen, auch jährliches ime darfur 300 Reichsth. in specie in 4 Quartalen zui bezalende vursprochen worden, worvon das erste Quartall auf Johannis 1618 betagt wirdt.“220 Neben Lübeck zahlten weitere Städte Domann für besondere Dienste, die er zusätzlich zum hansischen Syndikat übernahm.221 Nebenamtliche Aufgaben waren für Johannes Domann zu diesem Zeitpunkt bereits zur Routine geworden. Neben seinen Verpflichtungen für die Stadt Rostock und die Hanse hatte er wohl bereits einige Jahre als Rat in den Diensten des Herzogs Johann Albrecht II. von Mecklenburg- Güstrow gestanden. Dieser suchte wegen der Erbstreitigkeiten mit seinem Bruder Adolf Friedrich von Schwerin Unterstützung bei den Hansestädten

213 Brokes, II; S. 426. 216 Simson, Organisation; S. 390. 217 Kuhlmann S. 23. 218 So nach Simson, Organisation; S. 390 f. Kuhlmann (S. 23) setzt dagegen die Dotierung des Amtes mit 1000 Talern usw. bereits für das Jahr 1617 an. Hier fehlen aber gesonderte Belege für die einzelnen Sachverhalte. 2,9 Kuhlmann S. 24. 222 Bruns, Syndiker; S. 107. 221 Simson, Organisation; S. 391. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 83

Rostock und Wismar, die auf dessen Territorium lagen. Bereits am 6. Dezember 1614 hatte Adolf Friedrich beiden Städten das Bündnis mit den Niederlanden untersagt. Am 5. April 1616 beteiligte sich Domann an einer Gesandtschaft aus Rostock und Wismar, die zwischen den beiden Brüdern vermitteln sollte.222 Beim Abschluß des Bündnisses zwischen den Generalstaaten und der Hanse am 13. Juni stand auch ein späterer Beitritt Mecklenburgs mit einer Quote von 2,75 zur Diskussion. Möglicherweise vertrat Johannes Domann bei den Verhandlungen auch mecklenburgische Interessen.223 Am 28. Juli desselben Jahres war er Gast Johann Albrechts bei der Taufe eines güstrowschen Prinzen. Am 27. Mai 1617 kam dann die Einigung zwischen Johann Albrecht und Adolf Friedrich zustande.224 Im Großherzoglichen Archiv in Schwerin fand man später auch zwei Lieder Domanns, die wohl als Folge seiner Aufgabe als Rat Herzog Johann Albrechts dorthin gelangt sind.225 Das Jahr 1618 stand für Johannes Domann noch einmal ganz im Zeichen der hansischen Beziehungen zu den Generalstaaten und der dänischen Querelen. Im Mai und Juli verhandelten er und Brokes in Hamburg, Lübeck und Mölln mit niederländischen Gesandten, als diese sich auf dem Weg zum bzw. auf dem Rückweg vom dänischen Hof befanden.226 Hier hatten sie sich um eine Beschwichtigung Christians IV. bemüht, der noch wegen eines Vorfalls während der braunschweigischen Auseinandersetzun­ gen aufgebracht war. Damals hatten die Truppen der Korrespondierenden Städte zwei dänische Unterhändler gefangen gesetzt. Christian hatte die Angelegenheit vor den Kaiser gebracht und mit Handelsbeschränkungen geahndet. Nachdem der Kaiser eine hansische Rechtfertigung akzeptiert und die niederländische Gesandtschaft in Kopenhagen nichts erreicht hatte, wollten die Städte schriftliche Rechtfertigungs- und Unschuldsbeweise lie­ fern. Neben Hamburg und Bremen sprach sich gegen diesen Vorschlag aber auch Johannes Domann aus227, der am 1. August seine letzte Reise nach Den Haag angetreten hatte und sich von unterwegs her äußerte. Auf der Reise legte Domann sowohl in Hamburg als auch in Bremen seine Instruk­ tionen vor, die auf eine harte Haltung Dänemark gegenüber ausgerichtet waren.228 Während Hamburg beipflichtete, sprach sich Bremen für einen

222 Kuhlmann S. 23. Wiese S. 141. Sowohl Mecklenburg als auch das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg, zu dem Domann früher ja gute Kontakte unterhalten hatte, traten dem Bündnis später bei (Ebd.; S. 142 und Brokes, II; S. 415). Bippen bemerkt ferner, daß beide Herzöge auch dem Bündnis der Korrespondierenden Städte beitraten: Christian von Lüneburg im Oktober 1615 und Johann Albrecht 1616 (Bremen; S. 276). 224 Kuhlmann S. 23. Ob Domann dabei eine Rolle gespielt hat, geht aus den Ausführun­ gen Kuhlmanns nicht hervor. 22:1 Bachmann, Lieder; S. 95. 226 Brokes, II; S. 420 f und Kuhlmann S. 24. 22/ Hierzu vgl. Schweitzer S. 401-405. 228 Brokes, II; S. 422. 84 Hermann Queckenstedt

zurückhaltenderen Kurs aus. In Den Haag angekommen, konnte Domann zunächst noch seine Geschäfte aufnehmen und erste Gespräche führen. Während seines Aufenthaltes erkrankte er jedoch an „sehr gefährlichem Fieber und Brustkrankheit“229. Am 20. September 1618 starb Johannes Domann, nachdem er bereits zuvor das Bewußtsein verloren hatte. Am 6. Oktober wurde sein Leichnam in Den Haag beigesetzt. An seinem Begräbnis nahmen neben Prinz Moritz von Oranien und Graf Wilhelm von Nassau unter anderem der französische, der englische und der schwedische Gesandte in den Niederlanden teil.“230 Auf der Rückreise von Den Haag hatte Domann Verhandlungen mit Bremen, Osnabrück und Münster über eine Begleichung der Schulden führen wollen, die die westfälischen Städte bei der Hanse hatten. Diese waren auch deshalb entstanden, weil Köln sich als Quartierstadt nicht mehr ausreichend um die Zahlung der Beiträge seiner nachgeordneten Städte kümmerte. Nach Domanns Tod gingen zunächst auch die Anstrengungen zur Verbesserung der Zahlungsmoral in dieser Region zurück.231 Das prunkvolle Begräbnis ihres Repräsentaten stieß innerhalb der Hanse auf herbe Kritik, nachdem die Generalstaaten ihrem Bündnispartner die Rechnung zugestellt hatten. Auch um die Forderungen von Domanns Witwe an den Dienstherrn ihres Gatten gab es Streit. Während sie um Zahlung der gesamten Rückstände von 825 Talern bat, gewährte ihr der Hansetag 1619 lediglich 300 Taler „aus Gnaden“. Immerhin hatte sich Danzig noch dafür ausgesprochen, ihr das letzte Quartalsgehalt auszu­ zahlen und ihr aus dem dienstlichen Nachlaß ihres Mannes die Akten zu übergeben, die Hanseangelegenheiten nicht berührten.232 Unerledigt blieb beim Tode Domanns die hansische Geschichte; Joh. Angelus Werdenhagen nutzte aber seine Aufzeichnungen für die erste Gesamtdarstellung: De re- buspublicis Hanseaticis Tractatus Generalis. Lugduni Bata vorum 1630.233 Werdenhagen sah sich selbst als Vollender des an Sudermann und Domann ergangenen Auftrages, die Hansegeschichte zu verfassen.234

229 Brokes, II; S. 423, Anm. 25. 230 Kuhlmann S. 24. 231 Simson, Organisation; S. 429. 232 Simson, Organisation; S. 391. Die Stadt Osnabrück erhob nach Domanns Tod die Forderung nach Rückzahlung seines Stipendiums (Queckenstedt S. 54 und S. 67 f.). In zweiter Ehe heiratete Margarete Domann 1921 den Arzt Professor Dr. Johann Aswerus Amring (Möhlmann S. 6). 233 Kuhlmann S. 19. Er schreibt: „Er [Werdenhagen] verwandte Domanns Vorarbeiten und fügte als Kap. 11 von Pars IV dessen compendium legum hanseaticarum et decretorum ein, die Rudolf II. 1606 verlangt hatte, aber noch nicht in Druck gekommen waren.“ 234 Schwebel S. 5 und Simson, Organisation; S. 391. Über diese unkritische Apologie der Hanse fällte Georg Sartorius in seiner eigenen Arbeit zur „Geschichte des Hanseatischen Bundes“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein vernichtendes Urteil: „Jede Seite beurkundet den Mangel an aller Critik und die gänzliche Unwissenheit des Mannes. Es gehört eine nicht geringe Resignation dazu, diesen Unsinn zu lesen, und man beklagt mit Recht die Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 85

6. Die Nachfolge Johannes Domanns

Nach Domanns Tod bat Lübeck die übrigen Hansestädte um Vorschläge für dessen Nachfolge. Danzig machte sich hierbei für den früheren rigi- schen Syndikus Dr. Jakob Godeman stark, der aus Lüneburg kam, 1618 in polnischen Diensten stand und Bereitschaft signalisierte, im Falle der Wahl das Amt anzutreten.235 Als weiterer Kandidat wurde der Stralsunder Bürgermeister und Syndikus Dr. Lambert Steinwich ins Gespräch gebracht, dessen Biographie der Johannes Domanns durchaus ähnlich ist. Der Dok­ tor der Rechte stammte aus Düsseldorf und hatte zunächst in Diensten der Stadt Anklam gestanden. 1601 war der Dreißigjährige als zweiter Syndikus Stralsunds an Domanns Seite getreten: „Nachdem die hohe Notdurfft erfordert, einen gelerten Mann, den man in der Stad hochangelegenen Sachen, Handelstagen, Zusammenkünften, Tagfahrten, und wer es zu jeder Zeit nothigk zum reden, schreiben, rathen und thaten zu gebrauchen, bey und nebenst jetzigem Syndico Herrn Doctor Johann Domann bey die Stad pro subsyndico zu bestallen“, heißt es in Steinwichs Anstellungsurkunde.236 Domann kannte Steinwich bereits vor der Zusammenarbeit in Stralsund und hatte dessen Berufung unterstützt.237 1604 wurde Steinwich zum Konsyndikus neben Domann befördert, 1606 folgte er diesem im Amt des Ersten Syndikus nach. Wie Domann war auch Steinwich in Auseinandersetzungen mit Herzog Philipp Julius verstrickt: Auf dessen Initiative verlor er zwischenzeitlich sogar sein Amt und bewarb sich daraufhin 1616 erfolgreich um das Lübecker Syndikat. Fast gleichzeitig erlaubte aber auch Philipp Julius die Wiederanstellung Steinwichs als Syndikus von Stralsund, wo er dann am 6. August zudem zum Bürgermeister gewählt wurde.238 Zwischen beiden Städten gab es 1616 eine längere Auseinandersetzung um Lambert Steinwich. In dieser Situation ergriff die Stadt Rostock Partei für Stralsund: Man wird wohl davon ausgehen dürfen, daß Domann für diese Parteinahme mitverantwortlich war.239 Uber diese Vorgänge heißt es bei Bruns: „Dr. Lambertus Steinwich, Ratssyndikus von Stralsund, hat ,anno 1616 den 1. Mai sich laut einer (auf den 31. März zurückdatierten) Bestallung und gegeben Reverses pro syndico bestellen lassen, wie er auch selbigen Tages seinen Aidt coram consulibus uffm neuwen Gemach abgelegt; seine Bestallung soll auff Ostern anno 1616 angehen/ Da jedoch der Rat zu Stralsund auf der vertraglichen halbjährigen Kündigung bestand und am 6. August verschwendete Zeit, wenn man am Ende sich gestehen muß, daß man gar nichts gelernt hat.“ (Zit. nach Schwebel S. 5). 235 Simson, Organisation; S. 391. 236 Adler S. 236 f. 237 Adler S. 239. 238 Fock S. 76. Zu Steinwichs Wirken in Stralsund s. auch Langer S. 212. 239 Zum Verlauf der Auseinandersetzungen s. Adler S. 245 ff. 86 Hermann Queckenstedt

Steinwich zum Bürgermeister erwählte, gab der Lübecker Rat den ihm vom Stralsunder Protonotar Joachim Martin vorgetragenen Vorstellungen und der Bitte Steinwichs, ihn unter diesen Umständen seines Eides zu entbinden, nach und beschloß am 13. August, ,das dem Gesanten der Reverß restituirt und dagegen die Bestallung wider angenommen werden solte; solches ist“ - wie der Ratssekretär Theodor Glazar fortfährt - ,von mir geschehen den folgenden 14. augusti, und hab ich die Bestallung auff die Kernerei gelieffert den 15. augusti 1616.’“240 Auch hinsichtlich der Berufung Steinwichs in das Amt des hansischen Syndikus gab es Parallelen zwischen Domann und Steinwich: Hatte letz­ terer bereits 1616 die Konsequenzen aus dem Mißverhältnis zum Herzog durch den Wechsel nach Lübeck ziehen wollen, so plante er dies erneut beim Hansetag im Mai 1619 durch den Wechsel an die Verwaltungsspitze des Städtebundes. Wie Domann sah auch Steinwich in seiner Berufung die Chance, endlich die Stralsunder Querelen hinter sich zu lassen. Rat und Hundertmänner von Stralsund bemühten sich nach Steinwichs Wahl sogleich darum, ihn in ihren Diensten zu halten. Offenbar gab es zunächst auch Tendenzen, Steinwich - ähnlich wie Johannes Domann in Rostock - die Geschäftsführung von Stralsund aus zu gestatten. Er scheint auch tatsächlich mit Unterstützung des Lübecker Syndikus Faber zumindest ansatzweise für die Hanse tätig geworden zu sein.241 Im Rezeß des Han­ setages von 1620 wird er gleichzeitig mit den Abgebordneten Lübecks geführt und als Doktor der Rechte und hansischer Syndikus bezeichnet.242 1621 machte Stein wich den Vorschlag, die Exekutivkraft der Hanse durch einen ständigen, mit Entscheidungsbefugnissen ausgestatteten Ausschuß zu stärken.243 Offenbar hatte Steinwich bereits im Vorfeld des Hansetages 1621 auf Bitten und Veranlassung des Stralsunder Rates auf das Amt verzichtet.244

240 Bruns, Syndiker; S. 105 f. Zu diesen Vorgängen bemerkt Brokes: „Da er [Steinwich] aber ausziehen und seine Wohnung allhier nehmen wollte, haben Rath und Bürgerschaft zum Stralsund solches difficultirt und beim Rathe allhier endlich so viel durch Bitte und anderer Städte Vorschrift (Fürschreiben) erhalten, daß der Rath sich solcher Bestallung begeben“ (II; S. 426, Anm. 27). 241 Adler, Steinwich; S. 251 f. Er betont: „In der Praxis hingegen erwies sich dieser Plan zweifellos als undurchführbar, denn Steinwich hat niemals die Stelle eines Generalsyn­ dikus angetreten“ (S. 252). Dabei beruft er sich auf eine Mitteilung des Staatsarchivs Lübeck vom 20. April 1931 (Akt. Rep. I S. 80,1). Simson teilt unter Berufung auf das Danziger Missiv LV, 92/4 mit, daß Steinwich einen Teil von Domanns Aufgaben übernahm (Organisation; S. 391 f), ebenso Fock S. 76. 242 Fock S. 76, Anm. 2. Im Rezeß von 1619 erscheint er dagegen nur als Bürgermeister Stralsunds und Doktor der Rechte (Bruns, Platzordung; S. 183). 243 Fock S. 90; Simson, Organisation; S. 234. Ein ähnlicher Vorschlag war bereits 1619 abgelehnt worden. 244 Fock S. 76. Simson erklärt demgegenüber mit Bezug auf Danziger Archivalien, daß Steinwich sein Amt bereits 1620 niedergelegt und der Lübecker Syndikus Faber daraufhin die Geschäfte kommissarisch übernommen habe (Organisation; S. 391 f). Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 87

Im „Recessus und Abscheid auffgerichtet bey dem hansischen conventhum Lübeck, gehalten den 12. Octobris Anno 1621“ heißt es zum 16. Artikel: „Endlich und zum sechszehenden ist bey dem articul von wiederbestellun- ge des hansischen syndicats ein schreiben des hern Lamberti Steinwichen, bürgermeistern und Syndici der statt Stralsund verlesen und die anttwortt darauff des inhaltts, wie die beylage sublit. H vermeldett, beschloßen worden.“245 Dennoch brachte der Hansetag 1621 eine Entscheidung über die Neubesetzung des Amtes zustande. Zwar schlug Danzig noch einmal Godeman als Nachfolger vor, erwog aber gleichzeitig die Betrauung eines Sekretärs mit den nötigen Geschäften. Köln lehnte eine Besetzung aus finanziellen Gründen ganz ab. Schließlich übertrug man - wie im Jahr 1612 Johannes Domann - dem Lübecker Syndikus Dr. Johann Faber das Amt als Nebentätigkeit und zahlte ihm gleichfalls 300 Taler. Für die von ihm seit 1618 bereits geleistete Arbeit sollte er nachträglich jährlich 200 Taler erhalten.246 Im Rezeß heißt es dazu: „Und obwoll der punct der wiederbestallunge eines gewißen und bestendigen hänsischen Syndici an die erbarn Stätte im ausschreiben und vorhin zu mehrmaln gedachtt, auch dartzu gewiße personen nominiret und vorgeschlagen, so hatt man doch in betrachtunge jetzigen zustands des hänsischen collegij und daß nach verfließunge kurtzer jahre von ernewerunge und prorogation, auch beßer verfaßunge des hänsischen bunds nohttwendig raktt gehalten werden müste, mitt diesem wercke nichtt zu eilen vor gutt angesehen sondern dieweiln die hern abgesante sich erinnert, auch vernommen, waßmaßen der syndicus der statt Lübeck Dr. Johan Faber, nichtt allein die vergangnen drey jahr seit hern Dr. Domanni sehl. ableiben verfloßen, mehrentheils die hänsische Sachen in seiner expedition und Verwaltung gehabtt, sondern auch den erbb. Stätten noch ferners und bis ihnen eine verenderunge darin fürtzunehmen belieben würde zu diensten gewertig zu sein sich erbotten. Alß ist mitt demselben mitt consens und beliebunge der hern directorn wie auch uff verhoffte ratification der ändern erbb. Stätte dahingeredt und gehandeltt, das er die nechstkünfftige und bis uff das 1624. jahr alle der hänsischen societdt furfallende sachen, und was darin zuthun und zuverrichtten, vorigen syndicis nach laut ihrer gehabten bestallunge (jedoch ausser Verfertigung der darin vermeltten Schrifften) obgelegen mit allem fleiß als und anstatt eines hänsischen Syndici warten und vorsehen. Und dagegen und vor solche seine aufnehmende mühe und arbeitt vor die verfloßene drey jahr jedes jahr 200 und vor künfftige ein jedes jahr 300 reichsthaler pro annuo salario

245 StAOs Dep 3bl Nr. 630 Bl. 34 v. Die Beilage ist in den Osnabrücker Akten jedoch nicht auffindbar. 246 Simson, Organisation; S. 392. Faber war zunächst in Speyer als Syndikus tätig gewesen und auf Vorschlag von Heinrich Brokes nach Lübeck berufen worden (Brokes, II; S. 427, Anm. 27). 88 Hermann Qucckenstedt

aus der hansischen cassa zugewarten haben solte. Welches auch gedachtter syndicus von den hern deputirten also zu dancke angenommen und sich zu allen mügelichsten officien und willigsten diensten offerirt und anerbotten hart.“247 Faber hatte dem Rezeß zufolge also bereits während Steinwichs Amtszeit einen Teil der Geschäfte geführt. Anm.: So etwa beim Hansetag 1619, wo er die auswärtigen Gäste begrüßte und die einleitenden Ausführungen zu einzelnen Tagesordnungspunkten machte (Bruns, Platzordnung; S. 182) und wurde dafür nun auch entlohnt. Besonders letzterer Umstand mag angesichts der durchweg knauserigen Haltung der Städte als Beleg dafür gelten, daß Faber nach Domanns Tod neben Steinwich eine wichtige Rolle innerhalb der Hanse spielte. Inzwischen hatten die Städte eingesehen, daß der Syndikus nicht gleichzeitig die diplomatischen Fäden knüpfen, die Tagesgeschäfte führen und zudem die juristischen wie historischen Grundlagen des Hansebundes aufarbeiten konnte. Der Schwerpunkt der Arbeit sollte nunmehr stärker im Verwaltungsbereich liegen: Angesichts der desolaten Kassenlage erhielt Johann Faber 1621 den Auftrag, die Rech­ nungen erneut zu ordnen.248 Schließlich wollten sich die Gesandten mit der Bestellung bis ins Jahr 1624 in dieser Angelegenheit eine Verschnaufpause verschaffen. Der frühe Tod des neuen Syndikus machte jedoch diese Pläne zunichte: Faber starb bereits am 2. August 1622.249 Im Laufe der Jahre wurde die Mitverwaltung des hansischen Syndikats durch einen Lübecker Syndikus zur Gewohnheit, dieses Modell blieb bis zum faktischen Ende der Hanse im Kraft.250 So übernahm der Lübecker Syndikus Dr. Otto Tancke 1628 das hansische Syndikat neben seinen Aufgaben für die Direktorialstadt.251 Der letzte auf einem Hansetag bestellte hansische Syndikus war Dr. Bernhard Diderich Brauer von Hachenburg, der am 10. Juni 1669 gewählt wurde. Er starb am 19. Januar 1686.252

7. Wertung

Johannes Domann ist der typische Vertreter eines neuen Standes in der Verwaltung der Hansestädte, der mehr und mehr Einfluß auf die politische

247 StAOs Dep 3bl Nr. 630 Bl. 34 v - 37 r. Auch Bruns beruft sich auf diesen Rezeß, wenn er schreibt: „Johann Faber D., geboren zu Stettin am 27. Dezember 1581, wurde [...] im Oktober 1621 mit der bereits seit Dr. Domanns Tode ,mehrenteils‘ vorläufig von ihm verrichteten Warnehmung aller hansischen Geschäfte einstweilen auf drei weitere Jahre betraut“ (Syndiker; S. 106). 248 Simson, Organisation; S. 434. 249 Bruns, Syndiker; S. 106. 250 Simson, Organisation; S. 392. 231 Bruns, Syndiker; S. 108. 252 Bruns, Syndiker; S. 111. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 89

Entwicklung gewann. Als selbstbewußter junger Aufsteiger verfocht er die Interessen seines Auftraggebers bis zur letzten Konsequenz. Die Anrufung des Reichskammergerichts durch Stralsund in der Auseinandersetzung mit Herzog Philipp Julius um die Huldigungsfrage mag hierfür ebenso als Beleg gelten, wie Domanns hartes Vorgehen gegen Lübeck im Zusammenhang mit der Moskauer Gesandtschaft. Professionelle Amtsführung setzte sich durch, Amtsinhaber waren be­ reit, ihre Stellungen zu wechseln. Ihr Engagement beruhte weniger auf patriotischen Erwägungen als auf ihrem Amtsverständnis und ihren Kar­ rierechancen. Hier lag ein wesentlicher Unterschied zu Heinrich Suder­ mann, der Zeit seines Lebens die enge Verbindung zu seiner Vaterstadt Köln pflegte und trotz aller Widerstände und Rückschläge das Amt des Hansesyndikus ohne Rücktrittsgedanken verwaltete. Johannes Domann dagegen zog die Konsequenzen aus herber Kritik und legte das Amt zwischenzeitlich nieder. Anders als noch bei Sudermann beruhte Domanns Selbstbewußtsein nicht auf seiner patrizischen Herkunft, sondern ausschließlich auf seinen fachlichen Qualitäten, die er nicht zuletzt zum eigenen Vorteil geschickt einzusetzen wußte. Seine Berufung und erneute Bestellung nach dem Abschied können als Beleg dafür gewertet werden, daß sich auch die Hanse dieser Entwicklung nicht verschließen wollte.253 Paul Simson bezeichnet die Jahre von 1598 bis 1621 als eine Zeit „hoch­ gesteigerten hansischen Lebens“254 und begründet dies mit der Häufigkeit der Hansetage. In diesem Zeitraum seit dem ersten Auftritt Domanns auf einem Hansetag fanden insgesamt 20 Tagfahrten nach Lübeck statt, in den Jahren 1600, 1612 und 1614 kamen die Delegierten gleich zweimal zusam­ men.255 Diese große Anzahl hansischer Zusammenkünfte geht sicherlich nicht ausschließlich auf Domanns Syndikat zurück, belegt aber, daß er sein Amt während einer stürmischen Phase in der Geschichte des Hanse­ bundes übernahm und durch seine Initiativen und Anstrengungen wichtige Entwicklungen miteinleitete. Die hansische Gemeinschaft war zu diesem Zeitpunkt noch so lebendig, daß sie sich im Fall dringender Entscheidungen über den Beschluß des Jahres 1604 hinwegsetzte, den Hansetag nur noch etwa alle drei Jahre und möglichst im Sommer einzuberufen.256

253 Ähnlich wie die Bewertung Johannes Domanns müßte die Lambert Steinwichs ausfallen. 254 Simson, Organisation; S. 221. 253 Simson, Organisation; S. 221. 256 Simson, Organisation; S. 225 ff. In der in diesem Jahr verabschiedeten Konfödera­ tionsnotel fehlte allerdings ein Passus zur früheren Praxis, unentschuldigtes Fernbleiben von Hansetagen zu ahnden. Dies war sicherlich ein Vorteil angesichts der häufigen Tagfahrten der kommenden Jahre, deren Beschlüsse aber nach wie vor für alle Städte verbindlich blieben. 90 Hermann Queckenstedt

Die diplomatische Anerkennung auswärtiger Mächte mochte die Anhänger der Hanse bisweilen über den an sich desolaten Zustand ihres Bundes hinwegtäuschen. Johannes Domann blieb Zeit seines Lebens Realist, was sich auch in seinen Liedern über die Hanse zeigt. Er sah das Ende nahen und hoffte auf vernünftiges, besonnenes und uneigennütziges Handeln für die Gemeinschaft. Die divergierenden Interessen ließen diese Gemeinsamkeit nicht mehr zustande kommen. In dem kleinlichen Gerangel um Abgaben und Kontributionen fanden sie einen Ausdruck, der dem Anspruch des Bündnisses diametral gegenüberstand. Oft hätte Johannes Domann mit mehr Taktgefühl und größerer Kom­ promißbereitschaft Verhandlungen geschickter führen können. Die aus­ gleichende Diplomatie Heinrich Brokes konnte hier manches Mal die Wogen glätten. Der Lübecker Ratsherr und Bürgermeister glich Domanns Halsstarrigkeit in entscheidenden Verhandlungsphasen durch seine einsich­ tige und moderate Haltung aus. Beide entwickelten sich langsam zu den eigentlichen Antriebskräften hansischer Politik. Ein dauerhafter Erfolg war aber weder ihrer regen diplomatischen Tätigkeit, noch ihren beiden größten Leistungen beschieden: Das Bündnis mit den Niederlanden zerbrach in den Wirren des 30jährigen Krieges, ja es hielt nicht einmal der ersten Bewährungsprobe nach Domanns Tod stand. Als die Generalstaaten an­ gesichts des bevorstehenden Krieges mit Spanien seit 1620 die hansische Militärhilfe einforderten, erhielten sie von ihrem Bündnispartner eine Ab­ fuhr.257 Die Stadt Braunschweig konnte ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Landesherrn nicht dauerhaft wahren und verlor diese - zwei Jahre nach dem letzten Hansetag - im Jahr 1671 engültig.

257 Fock S. 97. Hier heißt es weiter: „ [...] vergebens deducirte der niederländische Gesandte, Toppius von Aitzema, die Pflicht der Hanse an diesem Kriege, in dem es sich um die gemeinsame Religion, um politische und merkantilische Freiheit handelte, auch ihrerseits activ Theil zu nehmen; es blieb bei dem ablehnenden Bescheid, so daß endlich der Gesandte nach langen fruchtlosen Verhandlungen im Jahr 1624 entrüstet erklärte: die ihm schriftlich von den Städten ertheilte Antwort, wie er sie zu Constantinopel und Algier bei den Seeräubern nicht würde erhalten haben, verdiente ihnen zerrissen vor die Füße geworfen zu werden.“ Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 91

8. Abbildung

Skizze der Platzordung des Hansetages von 1619 im Stadtarchiv Münster.258

'JrvmVii )C YSjamto

NO \6XJ)•j y>tt

u ] jlim osA stgujtcMj. 'tfum fnimHtto B sc^uKv.-.i. e (ttn .p et hc"iuem- mßtiert auf* suusira. {(£ -f(_ vaiti*i sutun> ppre& *tiitt,L "c‘ 9 P cUxftrum,, City Ute _L. &iatj.Huvi- iiißccmunbH äecuntun.. tcittum., h ß i v L O) AinotjUirunotflii CjiJui et prim? meji tem. suam expUe&tant juxt*. *•***- ':d, Ö70 cUdstOKt'.■ ■ gincii&int ‘ t D -iT' ■ -A •_____

258 Altes Archiv A XII 53. 92 Hermann Queckenstedt

9. Literaturverzeichnis

Ungedruckte Quellen

Staatsarchiv Osnabrück (StAOs) Dep 3 b I Nr. 629 und Nr. 630: Akta betr. Teilnahme der Stadt am Hansebunde.

Gedruckte Quellen

BLÜMCKE, Otto (Hrsg.): Berichte und Akten der Hansischen Gesandt­ schaft nach Moskau im Jahre 1603. Halle 1894. (Hansische Geschichtsquellen Bd. VII). BROKES s. Pauli HAPKE, Rudolf (Hrsg.): Niederländische Akten und Urkunden zur Geschichte der Hanse und zur deutschen Seegeschichte. Bd. 2. 1558-1669. Lübeck 1923. PAULI, Carl Wilhelm: Aus dem Tagebuche des Lübeckischen Bürger­ meisters Henrich Brokes. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte. 1/1860. S. 79-92, S. 173-183, S. 281-347. [zit.: Brokes, I]. Aus dem Tagebuche des Lübeckischen Bürgermeisters Henrich Brokes. Einschließlich Brokes Mittheilungen über den Hansa-Syndikus Dr. Domann. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 2/1867. S. 1-37, S. 254-296, S. 367-470. [zit.: Brokes, II]

Sekundärliteratur

ADLER, Fritz: Lambert Steinwich. Bürgermeister von Stralsund (1571-1629). In: Baltische Studien N.F. 38/1936. S. 228-264. ANDERSON, William: Lambert Steinwichs Epitaphium in der Nikolaikir­ che zu Stralsund. In: Baltische Studien N.F. 30/1928. S. 79-83. ANGERMANN, Norbert: Die Hanse und Rußland in den Jahren 1584- 1603. In: Hansische Geschichtsblätter 102/1984. S. 79-90. BACHMANN, Johannes / KRAUSE, K.E.H.: Zwei Lieder Do­ manns. In: Hansische Geschichtsblätter 3/1881. S. 91-97. BARTHOLD, F.W.: Geschichte der deutschen Hansa Bd. 3. Leizig 1862. BEUTIN, Ludwig: Zur Entstehung des deutschen Konsulatswesens im 16. und 17. Jahrhundert. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 21/1928. S.438-448. [zit.: Beutin, Konsulatswesen] BEUTIN, Ludwig: Hanse und Reich im handelspolitischen Endkampf gegen England. Berlin 1929. [zit.: Beutin, Endkampf] BIPPEN, Wilhelm von: Geschichte der Stadt Bremen Bd. 2. Bremen 1898. [zit.: Bippen, Bremen] BIPPEN, Wilhelm von: Heinrich Kreffting und das engere Bündnis der sechs korrespondierenden Hansestädte. In: Bremisches Jahrbuch 18/1896. S. 151-174. [zit.: Bippen, Kreffting] BREHMER, Wilhelm: Die Hansische Gesandtschaft nach Moskau im Jahre 1603. In: Hansische Geschichtsblätter 18/1889. S. 27-51. Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 93

BRUNS, Friedrich: Die Lübecker Syndiker und Ratssekretäre bis zur Ver­ fassungsänderung von 1851. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 29/1938. S. 91-168. [zit.: Bruns, Syndiker] BRUNS, Friedrich: Eine Platzordnung des Hansetages von 1619. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 24/1928. S. 179-196 [zit.: Bruns, Platzordnung] DOLLINGER, Philippe: Die Hanse. 4. erw. Auflage. Stuttgart 1989. EBEL, Wilhelm: Die Hanse in der deutschen Staatsrechtsliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Hansische Geschichtsblätter 65/66/1940/1941. S. 145-169. ENNEN, Leonhard: Der Hansische Syndikus Heinrich Sudermann aus Köln. In: Hansische Geschichtsblätter 2/1876. S. 1-58. [zit.: Ennen, Sudermann] FINK, Georg: Die rechtliche Stellung der deutschen Hanse in der Zeit ihres Niedergangs. In: Hansische Geschichtsblätter 61/1936. S. 122-137. FINK, Georg: Diplomatische Vertretungen der Hanse seit dem 17. Jahrhundert bis zur Auflösung der Hanseatischen Gesandtschaft in Berlin. In: Hansische Geschichtsblätter 56/1931. S. 112-155. FOCK, Otto: Aus den letzten Zeiten Pommerscher Selbständigkeit. Wallen­ stein und der große Kurfürst vor Stralsund. (Rügensch-Pommersche Geschichten aus sieben Jahrhunderten Bd. 6). Leipzig 1872. FRENSDORFF, F.: Das Reich und die Hansestädte. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 20/1899. S. 115-163. FRIEDLAND, Klaus: Die Hanse. Stuttgart/Berlin/Köln 1991. FRIEDLAND, Klaus: Der Plan des Dr. Heinrich Suderman zur Wiederher­ stellung der Hanse. In: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 31/32 / 1956/57. S. 184-244. GRASSBY, Richard: Die letzten Verhandlungen zwischen England und der Hanse 1603-1604. In: Hansische Geschichtsblätter 76/1958. S. 73-120. HASSEBRAUK, G.: Herzog Friedrich Ulrich und die Stadt Braunschweig. In: Jahrbuch des Geschichtsvereins für das Herzogtum Braunschweig 10/1911. S . 154-172. HASSEBRAUK, G.: Herzog Heinrich Julius und die Stadt Braunschweig. In: Jahrbuch des Geschichtsvereins für das Herzogtum Braunschweig 9/1910. HEROLD, Hans-Jörg: Gutachten über ein Bündnis evangelischer Fürsten mit den Hansestädten aus dem Jahre 1608. In: Hansische Geschichtsblätter 87/1969. S. 91-104. JAHNKE, Brigitte: Der Tecklenburger Geschichtsschreiber Gerhard Arnold Rump. Mit einem Anhang: Auszüge aus dem ersten Kirchbuch der evangelischen Kirchengemeinde Wersen. In: Tecklenburger Beiträge 1/1988. S. 54-66. KELLENBENZ, Hermann: Domann, Johannes. In: Neue Deutsche Bio­ graphie. Bd. 4. Berlin 1959. S. 65-66. KELLENBENZ, Hermann: Spanien, die nördlichen Niederlande und der skandinavisch-baltische Raum in der Weltwirtschaft um 1600. In: Vierteljahreshefte für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 41/1954. S. 289-332. KELLENBENZ, Hermann: Unternehmerkräfte im Hamburger Portugal- und Spanienhandel 1590-1625. Hamburg 1954. (Veröffentlichungen der Wirt­ schaftsgeschichtlichen Forschungsstelle e.V. Bd. 10). [zit.: Kellenbenz, Unternehmer­ kräfte] KESTNER, Ernst: Die Handelsverbindungen der Hansa, speciell Danzigs 94 Hermann Queckenstedt

mit Spanien und Portugal seit 1583. In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichts­ vereins 5/1881. S. 3-22. KEUSSEN, Hermann: Heinrich Sudermann. In: Allgemeine Deutsche Bio­ graphie 37/1894. S. 121-127. KUHLMANN, Gottfried: Leben und Dichten des Hansesyndicus Johan­ nes Domann. Münster 1907. LAPPENBERG, Johann Martin: Urkundliche Geschichte des Hansi­ schen Stahlhofes zu London. 2. Bde. Hamburg 1851. Bd. 1 [zit.: Lappenberg, Stalhof] LAPPENBERG, Johann Martin: Des Syndicus Domann Lied von der deutschen Hanse. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 2/1847. S. 451-471. [zit.: Lappenberg, Lied] LAPPENBERG, Johann Martin: Das Verbot von Werdenhagens hansi­ scher Geschichte. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 2/1847. S. 328-333. [zit.: Lappenberg, Verbot] LANGER, Herbert: Stralsund 1600-1630. Eine Hansestadt in der Krise und im europäischen Konflikt. (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte Bd. 9). Weimar 1970. LÖFFLER, Klemens: Justus Lipsius und die Westfalen. In: Zeitschrift des Vereins für rheinische und westfälische Volkskunde 4/1907. S. 161-171. LOOPER, Bert: Hansebewußtsein in den IJsselstädten. In: Hansische Ge­ schichtsblätter 109/1991. S .65-81. MANTELS, W.: Domann, Johann. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 5. Neudruck der 1. Auflage von 1877. Berlin 1968. S. 323 f. [zit. Mantels, Domann] MANTELS, W.: Des Syndicus Domann Lied von der deutschen Hanse. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 2/1867. S. 470-487. [zit. Mantels, Lied] MÖHLMANN, Gerd: Geschlechter der Hansestadt Rostock im 13.-18. Jahrhundert. Neustadt a.d. Aisch 1975. NEUBAUER, Helmut: Das Moskauer Privileg für Lübeck 1603. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 16/1968 NF. S. 70-84 QUECKENSTEDT, Hermann: Ein „groß achtbar und hochgelehrter her“. Zur Biographie des aus Osnabrück stammenden Hansesyndikus Johannes Domann. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück 97/1992. S. 53-75). SARTORIUS, Georg: Geschichte des Hanseatischen Bundes. Dritter Theil. Göttingen 1808. SCHIRMEYER, Ludwig: Sitzungsberichte [3. Sitzung]. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück 35/1910, S. 211/212. SCHLEKER, Ludwig: Reisebericht der Hansischen Gesandtschaft von Lübeck nach Moskau und Nowgorod im Jahre 1603. In: Hansische Geschichtsblätter 17/1888. S. 29-62. SCHWEBEL, Karl H.: Zur Historiographie der Hanse im Zeitalter der Aufklärung und der Romantik. In: Hansische Geschichtsblätter 82/1964. S. 1-20. SCHWEITZER, V.: Christian IV. von Dänemark und sein Verhältnis zu den niederdeutschen Städten bis zum Jahr 1618. In: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 8/1900. S. 314-409. SIMSON, Paul: Die Reise des Danziger Ratsherrn Arnold von Holten durch Johannes Domann und der Niedergang der Hanse 95

Spanien und Oberitalien in den Jahren 1606-1608. In: Archiv für Kultur-Geschichte 6/1908. S. 39-70. [zit.: Simson, Reise] SIMSON, Paul: Ein Vermächtnis des hansischen Syndikus Dr. Heinrich Sudermann zu Danzig. In: Hansische Geschichtsblätter 12/1906. S. 341-345. [zit.: Simson, Vermächtnis] SIMSON, Paul: Die Organisation der Hanse in ihrem letzten Jahrhundert. In: Hansische Geschichtsblätter 13/1907. S. 207-244 sowie S. 381-438. [zit.: Simson, Organisation] SPIESS, Werner: Geschichte der Stadt Braunschweig im Nachmittelalter. Vom Ausgang des Mittelalters bis zum Ende der Stadtfreiheit (1491-1671). 1. Halbband. Braunschweig 1966. [zit.: Spieß, Braunschweig] SPIESS, Werner: Die Braunschweiger Revolution von 1614 und die De­ mokratisierung der Ratsverfassung 1614-1671. Mit einem Exkurs: Die vierzehn ratsfähigen Gilden der Stadt. In: Jahrbuch des Braunschweigischen Geschichtsvereins 2.F. 7/1935. S. 55-71. [zit.: Spieß, Revolution] WAGNER, Gisela: Osnabrück als Stadt der Hanse. Osnabrück 1980. (Heimatkunde des Osnabrücker Landes in Einzelbeispielen. Heft 4). WIESE, Ernst: Die Politik der Niederländer während des Kalmarkriegcs (1611-13) und ihr Bündnis mit Schweden (1614) und den Hansestädten (1616). Hei­ delberg 1903. (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte Bd. 3). WRIEDT, Klaus: Heinrich Sudermann (1520-1591). In: Rheinische Lebens­ bilder Bd. 10. Köln 1985. S. 31-45. [zit.: Wriedt, Sudermann] WRIEDT, Klaus: Das gelehrte Personal in der Verwaltung und Diplomatie der Hansestädte. In: Hansische Geschichtsblätter 95/1978. S.15-37. [zit.: Wriedt, Personal]

D IE EINWOHNERSCHAFT ALT-RIGAS IM JAHRE 1786

von VASILIJ V. DOROSENKO (t)*

Vasilij Vasil’evic Dorosenko, Dr. habil, ist., Korrespondierendes Mitglied der Lettischen Akademie der Wissenschaften, Professor an der Universität Riga, seit 1991 Korr. Mitglied der Baltischen Historischen Kommission, Göttingen, wurde 1921 in Krymsk bei Krasnodar‘ geboren. Er starb uner­ wartet am 24. März 1992 in Riga. D. studierte in Moskau insbesondere bei A.l. Neusychin, S.D. Skazkin und B.F. Porsnev. Nach Riga holte ihn 1950 der Mediävist J. Zutis. - Die Hanseforschung rezipiert seine Arbeiten seit 1960. Neben Monographien wie „Umrisse einer Agrargeschichte Lettlands im 16.]h.u, 1960, oder „Handel und Kaufmannschaft Rigas im 17. Jh.“, 1985, weckten Ds. gleichfalls in strikter Quellenbindung verfaßte Aufsätze weitreichende Beachtung, nicht zuletzt, weil hier Handelsgeschichte or­ ganisch in den ökonomischen Horizont des Rigaer Hinterlandes mündet. D. dokumentiert damit sehr kompakt die gesamteuropäische Bedeutung des „ Massivs“ der Rigaer Archivbestände. Auch auf internationaler Ebene (z. B. Kopenhagen 1974; Edinburgh 1978; Prato 1979; Stockholm 1988) warb er um Mitarbeit an der Erschließung des für die Sozial- und Wirt­ schaftsgeschichte des Ost-Westverkehrs einmaligen Potentials (Zoll- und Handlungsbücher; Stadt- u. Staatsakten etc.). Kurz vor dem Abschluß stand sein umfassendes Werk „Riga im Ostseehandel des 18. Jahrhunderts. “ Die nachstehende, 1988 verfaßte und bislang nicht veröffentlichte Arbeit gehört in diesen Rahmen. Die Redaktion der Hansischen Geschichtsblätter verdankt vorstehende Zeilen - auf knappstem Raum Nachruf und wissenschaftliche Würdigung zugleich - Frau Professor Dr. Elisabeth Harder-Gersdorff, die das Manuskript verfügbar machte und übersetzte. Es steht für die wesentliche Mitwirkung außerdeutscher Länder an der Hanseforschung, die Vasilij V. Dorosenko beispielhaft repräsentiert hat. Uber Rigas Wirtschaft und Gesellschaft am Ende des 18. Jahrhunderts ist Vieles bekannt. Riga entsandte in seiner Eigenschaft als europäischer Großhafen jährlich bis zu tausend Schiffe in den Westen. Sein Außenhan­ delsumsatz belief sich auf sechs Millionen Taler im Jahr. Dabei entfielen zwei Drittel dieser Summe auf die Ausfuhren (Hanf und Flachs, Roggen und Holz). Im Rahmen der Einfuhr spielte neben den üblichen Waren - Johann Christoph Brotze1 nannte Salz, Manufakturwaren, Hering, Texti­ lien, Wein, Obst - westliches Silber in Form von Talern und Dukaten die

Übersetzung aus dem Russischen: Elisabeth Harder-Gersdorff. 1 Zu Johann Christoph Brotze (1742-1823) vgl. unten, S. 114. 98 Vasilij V. Dorosenko

Hauptrolle. 1792 zum Beispiel betrug die Einfuhr fast drei Millionen Taler. 1,4 Millionen davon bestanden in Geldmünzen. Der allwissende Brotze verzeichnet auch, daß am Ende des Jahrhunderts in Riga 24 515 Einwohner lebten. Nach Brotze gab es in der Stadt damals 800 Häuser aus Stein, 1 436 aus Holz, sieben „Fabriquen“, das heißt Manufakturen, 14 Schulen und 17 Kirchen.2 In den Grundzügen ist auch die Struktur der rigaischen Bevölkerung bekannt. 1766, als die Zahl der Einwohner etwas geringer war (21 165 Seelen), bestritten die Deutschen 45,2 Prozent, die Letten 36,9 Prozent, die Russen 10,0 Prozent, die „Polen“ (einschließlich der Weißrussen und möglicherweise sogar der Lettgallen) 7,9 Prozent. Das gilt nur für Riga als Stadt mit den Vorstädten, nicht für den ländlichen Umkreis, wo die der Stadt zugehörigen Bauern lebten.3 Die Revision von 1782 erfaßte auch die Bevölkerung der „Mark“, die Bauern. Die Zahl der Einwohner beiderlei Geschlechts betrug insgesamt 27 856 Seelen. Davon stellte die herrschaftsausübende Oberschicht (Rats­ leute, Beamte, Geistlichkeit) 1 035, die Bürgerschaft der Großen Gilde („Kaufmannschaft“) 2 454 und die der Kleinen Gilde („Handwerker­ schaft“) 3 881. Die Anzahl der nicht-bürgerlichen Bewohner, also die einfachen, im städtischen Erwerbsleben beschäftigten Leute, belief sich auf 15 936, die ländliche Bevölkerung der rigischen Mark schließlich be­ stand in 4 550 Seelen. Es ist indes nicht einfach, ethnische (nationale) Strukturen zu ermitteln. Den Großteil des „einfachen Volks“ stellten die Letten. Das waren in der damaligen Terminologie „Einwohner von verschiedener Condition, die jedoch weder LandEdelleute, noch Bürger sind, und sich durch mancherlei geringe Nebengewerbe, Handarbeit und Tagelohn ernähren.“4 Exakte Zahlen sind selbstverständlich wichtig. In der Sache aber geht es nicht nur um numerische Angaben zu dieser oder jener Bevölkerungs­ gruppe. Man möchte hinter den Gruppen auch die Menschen genauer erfassen. Wie gestaltete sich ihre individuelle Existenz in der Abhängigkeit von der Art ihrer Beschäftigung? Vom Niveau ihres Wohlstands? Von der sozialen oder nationalen Zugehörigkeit? Wie sahen die Familien aus? Gab es gruppenspezifische Lebenserwartungen? Auf welchen Wegen gelangten die Einzelnen in die Stadt? Woher stammten die Rigaer Bürger, die Kauf­ leute und Handwerksmeister, die Gesellen und Lehrjungen, die einfachen „Arbeiter“? Wie verteilten sich diese Gruppen auf die Straßen der Stadt? Welcher Teil der Bürgerschaft verfügte über Grundeigentum, und welcher war „unbesitzlich“?

2 J.Ch. Brotze, Livonica XV, Riga o.J., S. 189. 3 Verzeichnis der Einwohner in der Stadt Riga und ihren Vorstädten 1766, Zentrales Lettisches Staatsarchiv (LCW A) Fs. 233, op 1., d. 797, fol. 12-13 4 Revision aller Einwohner der Stadt Riga im Jahr 1782, LCW A Fs. 673, op. 1, d. 691, fol. 36—40 Die Einwohnerschaft Alt-Rigas im Jahre 1786 99

Die historische Demographie ist eine arbeitsintensive Disziplin. Die gewaltigen Massive der Quellen zur Bevölkerungsgeschichte Rigas im Feu­ dalzeitalter sind nur teilweise erforscht. Die bekannte Arbeit R. Brambes5 trieb ihre Erschließung voran, einige Revisionen (1791 und 1795) indes sind statistisch nur zur Hälfte ausgewertet. Und das ist nicht verwunderlich: ein so vielschichtiger Gegenstand wie Riga läßt sich nicht mit einem Husarenstreich erobern. Man muß ihn Schritt für Schritt erschließen. Ein gutes Beispiel für eine „Teillösung“ der Aufgabe bietet die Diplomarbeit von M. Jakovleva über die Besiedlung Pardaugavas.6 Gegenstand der vorliegenden Studie ist das „StadtEinwohnerVerzeich- niß der GouvernementsStadt Riga Angefertigt im Jahr 1786“, das sich im Bestand der Großen Gilde des ehemaligen Rigaer Stadtarchivs befindet.7 Bei dem „Verzeichnis“ von 1786 handelt es sich nicht um einen „Extrakt“ aus Unterlagen, die nicht überliefert sind, wie es bei den Verzeichnissen von 1766, 1782, 1787 und späteren der Fall ist. Es handelt sich de facto um eine Primärquelle, die alle Bewohner der Innen- oder Altstadt detailliert erfaßt, also den Raum zwischen den Wällen (etwa 35 Hektar), die noch im 17. Jahrhundert, jedoch ohne Pallisaden, angelegt wurden. Mit der Einführung der sogenannten Statthalterschaftsregierung und des Polizei­ reglements (1786) gliederte man die Stadt in zwei Hälften, eine nördliche und eine südliche. Als Grenzlinie zwischen den Hälften dienten die Kalk- und die Schaalstraße, die ungefähr dem Verlauf der heutigen Leninstraße folgten. Die Hälften ihrerseits teilte man jeweils in zwei Quartiere. Für die Aufnahme der nördlichen Quartiere zeichnete M.W. Fischer verantwort­ lich, für die südlichen A.G. Sengbusch, was beide mit ihrer Unterschrift bezeugen. Bei beiden handelte es sich um angesehene städtische Kaufleute und Reeder. Mathias Wilhelm Fischer, Altester der Schwarzenhäupter, war gleichzeitig Bürger und „hauptsächlich englischer Commissionair“ (94,50). Alexander Gottschalk Sengbusch, Altester der Großen Gilde, ist bekannt wegen seiner weitreichenden Handelsoperationen und seiner aktiven Be­ teiligung in der Selbstverwaltung der Stadt (96,131). Das „Verzeichnis“ (genauer: Buch) von 1786 registriert Vornamen, Fami­ liennamen und Alter jedes Bewohners, des Einheimischen wie des Hin­ zugezogenen, sowie seinen Familienstand: ledig, verheiratet (Name der Ehefrau) oder Witwer; Zahl der Kinder mit Angabe ihrer Namen und des Alters; Immobilien des Bewohners, das heißt Besitz oder Nichtbesitz von Häusern, Speichern, Buden oder anderen Gebäuden. Aufenthalt in der

5 R. Brambe, Rigas icdzlvotäji feodälisma perioda beigäs, 18. gs. beigäs un 19. gs. pirmajä puse, Riga 1982 6 M. Jakovleva, Pardaugavas kä Rigas priekspilsetas attistlba velä feodälisma posmä (pec kartogräfiska materlala), Riga 1987 7 LCW A Fs. 223, op. 1, d. 94-97 (1786). - Verweise auf diese Quelle erscheinen im folgenden unmittelbar im Text. Dabei bezieht sich die erste, zweistellige Zahl auf die Nummer der Bände (94-97), die zweite auf die jeweilige Seite (alte Paginierung). 100 Vasilij V. Dorosenko

Stadt: ständig oder nur zeitweise. Bei den gehobenen Bürgern verzeichnet die Erhebung deren Pflichten oder Ehrenämter (Kurzbiographien!), bei allen übrigen Bewohnern die Art der Beschäftigung („Gewerbe“) oder die Quellen des Unterhalts („Nahrung“). Dabei beachtet die Erhebung offen­ bar nicht alle Forderungen der Instruktion sorgfältig. Ihre Terminologie jedenfalls ist nicht unbedingt einheitlich. Apotheker zum Beispiel stufte sie sowohl als Handwerker wie als Kaufleute und sogar als „Literaten“ ein. Wir können zudem in keiner Weise ausschließen, daß im Verzeichnis einzelne Personen und sogar ganze Gruppen der Bevölkerung fehlen (vgl. unten zu den Tagelöhnern). Insgesamt betrachtet jedoch findet man die ständigen Bewohner der Altstadt sorgfältig registriert und dargestellt. Dabei waren alle Einwohner einem bestimmten Haus oder Hausbesitzer zugeordnet. Zu den Zielen der Erhebung gehörte unter anderem die Numerierung der Häuser in allen Straßen Alt-Rigas. Auf den Nummernhinweis im Verzeichnis („No.“) aber folgt stets eine noch leere Stelle. Die auf beiden Seiten der Düna hinter den Wällen gelegenen Vorstädte entzogen sich, wie üblich, einer Beachtung durch die Erhebung. All dieses verdeutlicht, daß der Wert des „Verzeichnisses“ von 1786 nicht so sehr auf der Statistik beruht, die es liefert, sondern vor allem auf der qualitativen Charakterisierung der Einwohnerschaft Rigas, die es ermöglicht. Als Einheiten der Erhebung und Beschreibung fungieren in unserer Quelle nicht Häuser (oder Höfe), sondern die Familien und an erster Stelle - die Häupter der Familien. In jedem der vier Bücher sind die Familien in alphabetischer Ordnung aufgelistet. Für die Familienvorstände gibt es ausführliche Angaben. Die übrigen Mitglieder der Familie, auch wenn es sich um Witwen handelt, die dem Haus vorstehen, werden lediglich lapidar charakterisiert. Die restlichen Hausbewohner (z.B. die Gesellen der Kaufleute, die Handwerksgesellen, Arbeiter, Dienstboten) findet man, obwohl sie bei einem genannten Hausherrn („bey N.N.“) wohnen, nach ihrem Platz im Alphabet gesondert registriert. Die gut lesbare Präsentation des Materials bezeugt, unter anderem, daß wir es mit einer Reinschrift zu tun haben: die Anlage der vier Bücher stützt sich auf eine Menge zunächst in Kladdeform erstellter Unterlagen.

Die Kaufmannschaft des Jahres 1786 bestand aus 445 Familien in sehr unterschiedlichen Positionen und Vermögenslagen. An oberster Stelle stand das Patriziat, das in der Stadt die unbestrittene Herrschaft innehatte. Es ist nicht einfach, diese Gruppe in der Masse der Kaufleute zu identifizieren. Das Verzeichnis enthält ungefähr ein halbes Hundert Familien, die zu verschiedenen Zeiten Bürgermeister (5 Fälle), Ratsmänner (16), Alteste der Großen (Kaufmanns-) Gilde (24) oder Alteste der Gilde der Schwarzen- häupter (7) gestellt haben. Viele von ihnen, etwa ein Dutzend, befaßten Die Einwohnerschaft Alt-Rigas im Jahre 1786 101

sich nicht mit dem Handel, sie bezogen ihre „Nahrung“ aus Wählämtern, die sie gegen Vergütung oder ehrenhalber ausübten. So erfahren wir zum Beispiel, daß der Bürgermeister Johann Heinrich Schick „als RechtsGelehrter ein obrigkeitliches Amt“ verwaltet und „sonst kein Gewerbe“ ausübt (95,277). Derartige Bemerkungen („öffentliches Amt“, „sonst kein Gewerbe“) finden sich auch im Hinblick auf Perso­ nen, die Positionen im Justiz-, Verwaltungs- und Zollwesen (Portorium, Akzise) innehatten oder, wie die Sekretäre in der Ratskanzlei, notarielle Funktionen ausübten. Viele dieser „Bürokraten“ hatten ein Studium an westeuropäischen Universitäten absolviert und sich einer Beamtenlaufbahn von Jugend an verschrieben. Andere trennten sich zugunsten öffentlicher Ämter erst in reiferem Alter von den Handelsgeschäften. - Es ist typisch, daß sich in dieser Gruppe viele Witwer finden. Mit 55 Jahren lag ihr Durchschnittsalter weitaus höher als das der „einfachen“ Kaufleute, die bei einer unteren Altersgrenze von 25 und einer oberen von 65 Jahren im Durchschnitt nur 43 1/2 Jahre alt wurden. Neben den amtsmäßigen Privilegien, die zu Einfluß, Macht und Ein­ kommen verhalfen, erweist sich der Grundbesitz, vor allem innerhalb der Stadt, als wesentliches Merkmal der patrizischen Elite. Zu diesem Kreis der Mitglieder des Rates und der Großen Gilde gehören nur fünf, die weder Häuser noch Grundstücke besaßen. Hingegen verfügten die restlichen 35 Personen über bis zu hundert Immobilien-Objekte, darunter 57 Häuser. Es besaß zum Beispiel der ehemalige Bürgermeister Friedrich Barber drei Häuser, fünf Speicher und zwei Gärten (94,20); die Witwe des Altermanns Daniel Friedrich Haffstein zwei Häuser, zwei Speicher und vier Grundstücke (97,64); der frühere Ratsmann Johann Heinrich Hast wiederum besaß sechs Immobilien, das heißt Gebäude oder Grundstücke (94, 82). In einer anderen Lage befanden sich die Altesten der Schwarzenhäupter, die gewöhnlich als „unbesitzlich“ angeführt sind. Andererseits stand die Sphäre des städtischen Grundbesitzes einschließ­ lich größerer Konzentrationen auch für diejenigen Großkaufleute offen, die formell nicht zu den Ratsleuten, Altermännern und so weiter gehörten. Beispiele hierfür sind Th. Zuckerbecker (10 Objekte, darunter vier Häuser), Chr.C. Raawe (4 Objekte), Chr.Fr. Blumenthal (5 Objekte) und andere. Offensichtlich muß man auch diese Leute zum Patriziat rechnen, um so mehr, als auch sie neben dem aktiv betriebenen Handel Ämter außerhalb der Magistratsverwaltung, etwa im Versicherungswesen oder bei der Han­ delskasse wahrgenommen und besondere Positionen, als Titularrat zum Beispiel, innegehabt haben. Die große Mehrheit der ehrbaren Stadtväter jedoch befaßte sich im Grundsatz mit Handelsgeschäften, sogar noch im hohen Alter (Hast- 79 Jahre, Barber-71 Jahre). Namentlich deshalb bezeichnete man sie als 102 Vasilij V. Dorosenko

„Großhändler“. Unter denen wiederum, die lediglich als „Kaufmann“ erfaßt sind, stoßen wir auf Weinhändler, Bierbrauer, Seidenhändler. Auch sie versahen neben ihren Geschäften Ehrenämter. Es ist interessant, daß drei Kaufleute dieser gehobenen Gruppe, die jeweils über einen Platz in der Amterhierarchie verfügten, - Dokmann Christian Hübbenet, Altermann Georg Christian Scheumann und Ratsherr Ernst Ebel, - als „Kommissionäre“ bezeichnet werden. Alle drei galten nicht als Eingesessene im engsten Sinn, da sie oder ihre Väter nicht in Riga „gebürtig“ waren. Es gelang ihnen jedoch, das Bürgerrecht sowie städtischen Grundbesitz zu erwerben und gleichzeitig im Auftrag auswär­ tiger Firmen Handel zu treiben. Die Vereinbarkeit derart unterschiedlicher Orientierungen in einer Person war in früheren Zeiten, als Kommissions­ geschäfte sich überwiegend in der Hand von Fremden befunden und den Besitz des Bürgerrechts ausgeschlossen haben, undenkbar. Jetzt aber betä­ tigte sich Christian Hübbenet, Sohn eines Vorstehers des Lizent-Kontors, verheiratet mit einer Tochter des angesehenen Rigaer Kaufmanns George Berckholtz, als Beauftragter englischer Firmen („als Fremder Großbritan­ nischer Commissionaire“) und trat gleichzeitig als Bürger und Amtsträger der Großen Gilde in Erscheinung (95,113). Dem Handel als hauptsächlicher „Nahrung“ widmeten sich 373 Perso­ nen. Am häufigsten treten sie mit der einfachen Bezeichnung „Kaufmann“, ohne Zusatz (70 Namen), auf. Andere Formulierungen sagen genauer: „Kaufmann und Großhändler“, „Kaufmann und Salzhändler“ und so weiter. Die Aufzählung der „Großhändler“ erfaßt 56 Namen. Zu den „Großen“ zählt allerdings auch ein Dutzend Witwen aus so angesehenen Rigaischen Familien wie Baade, Berens, Bulmerincq, Poswon, Strauch, Wevell und anderen. Uber die Maßstäbe ihrer Handelsoperationen sind wir aus anderen Quellen unterrichtet, aber auch im „Verzeichnis“ fallen ihre Verbindungen zur kaufmännischen Elite und ihr bedeutender Immobilien­ besitz ins Auge. - So etwa besaß die Witwe des Arend Berens, geborene Zuckerbecker, zwei Lagerhäuser (Speicher) und ein Gut in Pardaugava (96,9). Der Witwe des Altermanns J.G. Schwartz, auch eine geborene Zuckerbecker, gehörten außer einem Haus ein Speicher und ein Eiskeller (96,128). Beide Kauffrauen befanden sich im fortgeschrittenen Alter und hatten sich aus diesem Grund offenbar von den Geschäften zurückgezogen. In vergleichbaren Fällen führten angesehene Witwen mit ererbten Häusern und weiteren Gebäuden (so die Witwe des Heinrich Norden: 3 Objekte; des Daniel Friedrich Haffstein: 8 Objekte) die Handelsgeschäfte fort (97,64 u. 120). Die Schicksale der genannten Firmen unterschieden sich voneinan­ der, an ihrer Zugehörigkeit zum Stand der „Großhändler“ aber läßt sich, wenn unmittelbare Belege auch fehlen, kaum zweifeln. Einige der großen Firmen, die wir aus anderen Unterlagen kennen, treten in der vorliegenden Quelle überhaupt nicht auf. Zum Beispiel gibt es unter Die Einwohnerschaft Alt-Rigas im Jahre 1786 103

den Personen, die zwischen 1747 und 1777 das Bürgerrecht erworben haben, vier Träger des Namens Berner. Aber nur einen von ihnen, den 67jährigen Gabriel Leonhard Berner, registriert die Erhebung von 1786. Nicht vermerkt sind dort auch Figuren wie J.T. Boserup (Bürger seit 1773), J.T. Helmsingk (Bürger seit 1777), der Holzhändler J. Napierski (Bürger seit 1780), N.W. Rückmann (Bürger seit 1785) und andere mehr. - Manches spricht dafür, daß unsere Quelle den Hausbesitz von Großkaufleuten nicht unbedingt vollständig erfaßt.8 Es stimmt auch bedenklich, daß im Verzeichnis von 1786 insgesamt nur zwei Personen auftreten, die sich auf den „Bauernhandel“ spezialisiert haben, nämlich Carl Christoph Rickmann (94,173) und Johann Georg Spohr (97,151). Dagegen stößt man im städtischen Bürgerbuch immer wieder auf Bauernhändler. Allein 1777-1780 treten dort J.T. Berndt, F.A. Schwartz, N.D. Bienemann, J.Chr. Berner und andere in dieser Eigenschaft auf. Im Falle der „Großhändler“ rückt die Quelle vor allem den üppigen Immobilienbesitz dieser Oberschicht in den Blick. Ein steinernes Haus und zwei bis drei Speicher in der Hand eines „Großkaufmanns“ sind übliche Erscheinungen. Ausgesprochen bedeutend erscheinen die Besitztümer des Herman Fromhold (95,77-79), dessen weitreichende Handels- und Bankgeschäfte durch ein Geschäftsbuch der Jahre 1782-1785 bekannt sind. Im Innern der Stadt gehörten Fromhold zwei Steinhäuser in der Schmiedegasse und fünf Speicher (ebenfalls aus Stein), ein weiterer Speicher in der Vorstadt, ein „Garten nebst Wohngebäuden am Bleichthor“ sowie zwei Plätze in der Umgebung der Stadt. Das sind insgesamt immobile Besitztümer. - Wenige Jahre vor seinem Tod erwarb Fromhold, der mehrere Güter unterschiedlicher Größe in Livland gekauft hatte, den erblichen Adel. Wie Fromhold lebte der ehemalige Bürgermeister Friedrich Barber „theils in der Stadt, theils auf seinen Gütern in Liefland“. Das Verzeichnis weist ihn, wie wir hörten, als Eigentümer von drei steinernen Häusern (in drei verschiedenen Straßen), fünf Speichern und zwei Gärten, insgesamt also von zehn Objekten, aus (94,20-22). - Mit vier bis sechs Objek­ ten weniger aufsehenerregend, aber durchaus bemerkenswert, erscheinen Besitzkonstellationen von solchen Rigaer Großkauf leuten wie J.H. Hast (94,82), G.J. Bremer (95,15), M.U. Poorten (95,214e), Carl Berens (96,8) und Herman Ramm (96,114).

8 In dem Kataster von 1766-67, das später ergänzt wurde, verfügte die Witwe des P.E. Kröger über den größten Immobilien-Komplex. Außer dem Wohnhaus gehörten dazu zehn Speicher, die nach der Taxation 1783/1785 auf 13 027 Taler veranschlagt wurden. In unserer Quelle von 1786 jedoch finden sich vier Krögers, aber ihre Merkmale (Alter, Vornamen, Hausbesitz) passen nicht zu dem bezeichneten Komplex. 104 Vasilij V. Dorosenko

Zugleich gab es eine Reihe von Kaufleuten, die keine Immobilien (Häu­ ser oder Grundstücke) besaßen. Als „unbesitzlich“ figurieren mindestens neun „Großhändler“, einschließlich August Wilhelm Barcley de Tolli, 30 Jahre, dem Träger eines adligen Namens, der als „Altester der Großen Gil­ de und Deputierter zur Anfertigung des StadtEinwohner-Buchs“ (97,18) auftritt. Entgegen der üblichen Regel konnten sich angesehene Bewohner der Stadt offenbar auch ohne Grundeigentum halten, falls sie Wohn- und Wirtschaftsgebäude mieteten. Ein Teil der Rigaer Kaufleute, wenn auch ein kleiner, investierte sein Kapital in gewerbliche Unternehmen. Das Verzeichnis von 1786 kennt fünf Fälle dieser Art. Christian Conrad Raawe gehörte „die ehemalige Schiffswerft mit Wohn- und anderen Gebäuden bebaut neben der Zucker- fabrique am Kiehlgraben“ (97,141). Ernst Heydevogel besaß außer Häusern und Grundstücken in der Stadt „einen Hof ... an der Stintsee mit einer Amidam und Puderfabrique“ (97,66). Carl Gustav Hollmann unterhielt eine „Nadelfabrique“ mit angeschlossenem Laden (95,105), der Altermann Stegmann eine Fabrik, die Spielkarten herstellte (94,195). Johann An­ dreas Weidemann schließlich tritt als Besitzer einer „Strumpf-Fabrik“ auf (97,176). Wahrscheinlich sind das nicht alle Manufakturen, welche damals in Riga existierten. Für 1792 erwähnt J.Chr. Brotze, ohne die Eigentümer zu nennen, drei weitere Objekte: je eine Papier- und eine Baumwoll-Fabrik, zudem eine Sägemühle.9 Die kapitalkräftigen Vertreter der Kaufmannschaft interessierten sich nicht sehr für Manufakturen, sondern weit mehr für Landbesitz mit teil­ weise feudalem Charakter, nämlich für kleine Güter in der Umgebung der Stadt. Man bezeichnete sie als „Höfchen“ und ließ sie in 25 Fällen als kaufmännischen Besitz registrieren. Diese Einzelhöfe oder „Landhäuser“, „Gärten“, „Länder“ befanden sich im Umkreis Rigas, in Pardaugava oder auf den Inseln, in Spilwe, auf der Roten Düna oder einfach in dieser oder jener Vorstadt. Solche Anwesen in der Umgebung besaßen J.F. Schilder, F. Barber, Berens von Rautenfeld, J.Ch. Klatzo, G. Vegesack, M. Holst, A.H. Grote und andere, durchwegs angesehene Bürger. Adelstitel führten dem Verzeichnis von 1786 zufolge, unabhängig vom Landbesitz, lediglich aufgrund von Verdiensten oder aus anderen Gründen, sechs Rigaer Kaufleute: Barcley de Tolli, Chr. Brettschneider, Johann Theo­ dor von Essen, Herman Fromhold, Samuel Gerngroß und M.W. Fischer. Besonders profilierten sich solche Kaufleute, die als Schiffsherren oder Reeder agierten. Auf diesem Gebiet zeichneten sich die Rigaer Kaufleute nicht durch besonderes Engagement aus. Den Hafen erreichten im Lauf eines Jahres, wie wir erfuhren, bis zu tausend Schiffe, den Rigaer Bürgern

9 J. Ch. Brotze, wie Anm. 2. Die Einwohnerschaft Alt-Rigas im Jahre 1786 105

selbst gehörte von dieser Flotte nur ein verschwindend kleiner Teil. Das Verzeichnis von 1786 nennt zehn Schiffseigentümer, obwohl es anderen Quellen zufolge etwas mehr gewesen sind. Sie gehörten insgesamt gesehen zu der kaufmännischen Oberschicht, die wir als Gruppe der „Groß­ händler“ kennengelernt haben; Ratsmann D. Bothführ, A.G. Sengbusch, Bürgermeister E. Wevell und andere. In unserem Verzeichnis fehlt als Schiffsbesitzer der oben erwähnte Fromhold. Für seine Beteiligung an der Rigaer Reederei jedoch liegen zuverlässige Belege aus den 1780er Jahren vor. Im Rigaer Handel des 18. Jahrhunderts spielte der Wechselverkehr eine bemerkenswerte Rolle. Die Möglichkeit, mit einem Handelspartner ohne aufwendige Geldtransporte durch den Wechseltransfer ins Reine zu kom­ men, führte zu einer Beschleunigung des Warenumschlags. 1786 gab es dem Verzeichnis zufolge drei Kaufleute, die auf Wechseloperationen spezialiert waren und als „Wechsel-Negotianten“ firmierten: Samuel Strauch, Johann Heinrich Thorwarth und Jürgen Christian Weltzien (95,270, 301 u. 337). In allen drei Fällen handelte es sich nicht um einheimische, sondern um zugezogene oder um Söhne zugezogener Kaufleute. Zwei von ihnen er­ langten Hausbesitz und Bürgerrecht. Sie bezeichneten sich als Kaufleute, die neben dem üblichen Handel auch Wechselgeschäfte tätigten: „und treibt Wechselhandlung“. Als zeitweise größter Kaufmann und Bankier wirkte bis 1785 der schon mehrfach erwähnte Herman Fromhold. Die Rigaer Bevölkerungserhebung von 1786 erfaßt ihn, sichtlich wegen seiner bevorstehenden Niederlassung auf dem Lande, bereits unter der Kategorie „ohne Gewerbe“ (95,77). Als besondere Gruppe der Rigaer Kaufmannschaft stellen sich die „Kommissionäre“ oder „Negotianten“ dar. „Kommission“ bedeutet Han­ del im Auftrag oder jedenfalls mit Beteiligung einer anderen, zum Bei­ spiel holländischen oder englischen Firma. Als Agenten oder Faktoren westeuropäischer Firmen traten die Kommissionäre in Riga schon im 17. Jahrhundert, wenn nicht bereits früher, auf. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gehörten zu dieser Gruppe, wenn wir den Eintragungen des „Gewichtszolls“ folgen, 25 bis 30 Exporteure, vor allem Großkaufleu­ te. Die meisten Kommissionäre besaßen keine Bürgerrechte. Sie unterzogen sich folglich auch nicht den Pflichten normaler Bürger. Sie mußten sich als „Fremde“ in den strengen Rahmen der Handelsreglemente fügen und durften keine direkten Geschäfte mit den Lieferanten der Produkte aus Weißrußland und Rußland abschließen. Um so eifriger bemühten sich die Kommissionäre, alle Operationen, die mit der Ausfuhr dieser Waren in den Westen zusammenhingen, in die Hand zu bekommen. Nach den Rigaer Schiffsbüchern verkauften die Bürger die zur Ausfuhr bestimmten Waren den Beziehern im Ausland nicht unmittelbar, sondern namentlich den Kommissionären vor Ort. Letztere adressierten die Waren an ihre 106 Vasilij V. Dorosenko

ausländischen Auftraggeber, besorgten die Verladung auf die Schiffe, und sicherten sich in dieser Weise, wie man annehmen möchte, einen nicht unbedeutenden Anteil am Gewinn aus den Exportgeschäften. So beachtenswert das Gewicht dieser Gruppe im Rigaer Handel war, so wenig wissen wir über sie. Kommissionäre erwarben selten das Bürger­ recht. 1780 gab es nur zwei Fälle: J.J. Berckholtz und Willem de Bruyn. Um so größeres Interesse erregen die Angaben des Verzeichnisses von 1786. Dort treten überraschend viele Kommissionäre auf, insgesamt 37. Möglicherweise ist das ein Anzeichen dafür, daß sich ausgesprochen viele Rigaer Kaufleute dem Außenhandel zuwandten. Zum Recht des Bürgers trat hier das Recht, als Kommissionär die Verladung von Gütern auf fremde Schiffe vorzunehmen. Darin liegt der Sinn von Formeln wie „N.N. ist Bürger und Kaufmann und treibt Commissions-Handel“. In vier von 37 Fällen kam eine andere Formulie­ rung zum Zuge, die unterstrich, daß einige Großhändler mit Bürgerstatus Kommissionen als „Fremde“ bedienten. In diesen Fällen handelt es sich stets um Zugezogene oder um die Söhne von Zugezogenen, wie William Collins („treibt als Fremder einen Commissions-Handel“), M.W. Fischer („englischer Commissionär“), Christian Hübbenet („treibt als Fremder großbrittanische Commission“) und schließlich Jacob de Bruyn („Hollän­ discher Commissionair und Schiffsherr“).10 Viele Kommissionäre waren mit Sicherheit zunächst keine Rigaer Bürger. Sie stammten aus Westeuropa oder anderen Städten des Baltikums. Häufig jedoch erwarben sie wie J. de Bruyn, J.G. Norenberg, E. Wevell, J.B. Bruns, T.G. Croon und andere die Bürgerrechte später. Gut ein Drittel von ihnen erscheint in unserer Quelle jedoch als in Riga gebürtig, als „hiesig“. In der Regel waren die Kommissionäre jünger als die gewöhnlichen Rigaer Kaufleute, wobei ihr Immobilienbesitz sich als sehr viel bescheidener erweist. 14 von 37 Kommissionären besaßen in der Stadt kein eigenes Haus. Rund 70 Rigaer Kaufleute firmieren im Verzeichnis von 1786 einfach als „Kaufmann“ oder „Händler“. In anderen, durchaus zahlreichen Fäl­ len gibt es Hinweise auf eine Spezialisierung: Händler in Kolonialwaren oder Gewürzkrämer (37 Personen), Weinhändler (25), Salzhändler (16), Seidenhändler oder -krämer (16), Tuch-, Leinen-, Galanterie- und sonstige Kramwarenhändler, einschließlich der Lumpenhändler (23), Holzhändler (9), Verkäufer von Eisen und Eisenwaren (5), von Glas (2); schließlich auch Buchhändler (1). Außerdem finden sich Apothekenbesitzer (7), die mit dem entsprechenden Sortiment Handel trieben. Darüber hinaus sind noch 20 Besitzer kleiner Läden (Buden) zu erwähnen, die vermutlich eine den Krämern vergleichbare Rolle gespielt haben.

10 Hierzu „Verzeichniß“, wie Anm. 7: 94, 32 u. 50; 95, 113; sowie 96, 19 Die Einwohnerschaft Alt-Rigas im Jahre 1786 107

Zum Kreis der Handelsleute gehören auch die ziemlich zahlreichen Bierbrauer („treibt Brauerei“), insgesamt 20 Personen, sowie Verkäufer alkoholischer Getränke („treibt Schenkerey“): 22 Personen. Mit dem einen wie dem ändern befaßten sich oft Witwen von Kaufleuten, darunter auch Witwen von Großkaufleuten wie die 70jährige Witwe des Altermanns der Großen Gilde Helmsingk (96,56). Bei insgesamt 72 Eintragungen des Jahres 1786 handelt es sich um alte Menschen: Witwen und Witwer, die sich vom aktiven Handel zurück­ gezogen hatten („ohne Gewerbe“), dabei häufig aber noch Ehrenämter ausübten. Von den Kaufleuten abgesehen bewegten sich in der Sphäre des Handels die Makler, Buchhalter, Braker, Wääger, Schreiber, Kassierer, Kontrolleure, Dienstboten verschiedener Art, Sekretäre und andere „Beamte“ der Stadt mehr oder weniger nachhaltig. Die Makler (6 Personen) hatten als Vermittler von Handelsgeschäften kein Recht, Geschäfte im eigenen Interesse abzuschließen (95,67, 134). Bei einem der Makler ist angemerkt, daß er Bürger ist (95,3). Das trifft sicher auch für andere Makler zu, in jedem Fall für diejenigen, die eigene Häuser besaßen und bisweilen auch andere Immobilien. „Unbesitzlich“ waren nur zwei von ihnen. Alle Makler hatten Familien und lebten weitgehend selbständig. Auf zwei von ihnen, Johann Hinrich Eyffler und Johann Friedrich Knieriem, stößt man des öfteren in Geschäftsbriefen von Rigaer Kaufleuten und in anderen Unterlagen vom Ende des 18. Jahrhunderts. Hohes Sozialprestige genoß auch der Buchhalter. Unter dieser Bezeich­ nung finden wir fünf Personen. Zwei von ihnen gehörten gleichzeitig zur Kategorie der Kaufleute. Die Buchhalter arbeiteten im städtischen Dienst, bei Handels- und Versicherungskassen oder beim Abwickeln von Konkursen und Auktionen. Die beiden Kaufleute/Buchhalter hatten eigene Häuser. Abraham Sengbusch arbeitete als Buchhalter bei seinem älteren Bruder, dem bekannten Kaufmann, der für die Zählung des Jahres 1786, wie wir hörten, verantwortlich zeichnete. Zwei andere Buchhalter, jüngere Junggesellen, arbeiteten bei englischen Firmen (G. Renny & Co.; Sutthoff, Miln & Co.). In der Geschäftswelt beruhte die Autorität dieser Experten auf dem Übermaß buchhalterischer Zuständigkeit in den „Imperien“ der Handelsfirmen. Der Beruf an sich war schon ein Stück Karriere. Mit der Qualitätsprüfung, dem „Bracken“ der Waren vor ihrer Verfrach­ tung zur See, befaßten sich 12 Personen. Zu ihnen gehört Michael Gründel, Sohn eines zugewanderten Schweden, 46 Jahre alt, mit Frau und vier Kin­ dern, der als „Bürger und Masten-Bracker“ ein Haus in der Schmiedegasse (96,49) besaß. Zwei Bracker befaßten sich mit Hering, die übrigen mit Flachs und Hanf. Von Gründel abgesehen waren alle Bracker deutschstäm­ mige Bürger, Familienhäupter und zweifellos wohlhabend. Sechs von ihnen besaßen Steinhäuser. - Dasselbe gilt für die an der Waage Beschäftigten, 108 Vasilij V. Dorosenko

die „Wäger im Stadtdienste“. Von ihnen gab es acht und außerdem zwei „Wagemeister“. Praktisch alle befanden sich in fortgeschrittenem Alter und verfügten in der Regel über Grundeigentum. Auf einer unteren Stufe der städtischen Handelsverwaltung rangierten die Schreiber. Hiervon finden sich fünf. Sie alle hatten Familien, lebten aber „unbesitzlich“, ohne Vermögen. Als „Bedienstete“ verschiedener Art treten schließlich 25 Personen auf: beschäftigt im Packhaus oder an der Brücke, bei der Stadtkasse und im Lizent-Kontor, im Akzise-Kontor und im Weinkeller, an der Kasse, im Wettegericht und so weiter. Als Charakteristikum dieser Gruppe fällt ihre feste Verwurzelung in der Stadt auf. Fast alle sind schon bejahrt und haben Familien, wirken aber im Vergleich zu den zuvor genannten Gruppen weniger abgesichert. Nur drei der „Bediensteten“ besaßen eigene Häuser und vielleicht sogar den Status eines Bürgers. Bevor der Kaufmann eine eigene Handlung führte, gingen die langen Jahre seiner Ausbildung ins Land. Sie begannen im Jünglingsalter und zogen sich etwa bis zum dreißigsten Lebensjahr, wenn nicht noch länger, hin. Der Knabe („Lehrbursche“, „Lehrling in der Handlung“) und sodann der Geselle sammelten bei ihren Patronen, oft waren es ältere Verwandte, Erfahrungen. Bei guten Voraussetzungen (Wohlwollen des Patrons, Erfolg beim Ausführen von Aufträgen, günstige Heirat) konnte der junge Mann im Lauf der Zeit zu eigenen Geschäften übergehen, ein Haus beziehen, die Bürgerschaft erwerben und so weiter. Beginnen wir mit den „Gesellen“ der Kaufleute. Sie erscheinen in unserer Quelle mit insgesamt 76 Vertretern, von denen nur drei verheiratet sind. Das Durchschnittsalter der Gesellen liegt etwas über 30. Wir stoßen dabei auf Gesellen von 40 bis 50, ja 59 und 65 Jahren. Hier deutet sich an, daß es für einen Handlungsgehilfen nicht leicht war, den Stand eines selbständigen Kaufmanns zu erreichen. Besonders bemerkenswert aber erscheint an die­ ser Gruppe, daß sie im Prinzip, nämlich zu 90 Prozent, aus Einheimischen bestand. Bei zwei Dritteln, also bei rund 50, handelte es sich um in Riga gebürtige Menschen. 16 Gesellen stammten aus Livland, einer aus Kurland, und nur sechs treten im Verzeichnis als „Fremde“ auf. Familiennamen von Gesellen wie Barber, Roloff, Ebel, Rauert, Hellmann und andere bezeugen zudem, daß Rigaische Kaufleute häufig jüngere Verwandte als Gehilfen einstellten. Da der Geselle bei seinem Patron wohnte, heißt es in der Quelle jeweils „bei N.N.“. Verschiedene Großkaufleute, zum Beispiel Eberhard Wevell, hielten sich zwei bis drei Gesellen. Insgesamt 79 Lehrlinge registriert das 1786er Verzeichnis. Jeder dieser „Lehrburschen“ gehörte zum Haushalt des Patrons. Der Großkaufmann Johann Heinrich Holländer beschäftigte drei Lehrlinge, bei den Kaufleuten Ahrens und Wörmann arbeiteten je zwei. Normalerweise hielten sich Kaufleute nur einen Lehrling. Das Durchschnittsalter betrug 18 Jahre, Die Einwohnerschaft Alt-Rigas im Jahre 1786 109 die ältesten waren 25, die jüngsten 11 bis 12 Jahre alt. Wie die Gesellen rekrutierten sich die Lehrlinge fast durchgehend aus Einheimischen, sei es aus Riga, sei es aus anderen Städten Livlands. Drei Lehrlinge aus Kurland fallen als Ausnahmen bereits auf. Zur Herkunft von annähernd 400 Rigaer Kaufleuten liefert das Ver­ zeichnis konkrete Angaben. Das hat insofern besonderes Gewicht, als dieses Moment in anderen Quellen nur episodisch auftritt. Die Zahl der einheimischen, das heißt der in Riga gebürtigen Kaufleute, beträgt lediglich 140. Bei allen ändern handelt es sich um Zugereiste. 27 Personen sind einfach als „Fremde“ ohne einen speziellen Herkunfts­ vermerk erfaßt. Bei ausgesprochen vielen, nämlich 119 Personen, handelt es sich um Auswanderer aus dem Herzogtum Kurland. Überwiegend bleibt aber im Dunkeln, woher sie namentlich stammten. Von den genauer gefaßten Angaben verweisen 13 auf Kurländer aus Mitau, 11 aus Bauska, 6 aus Libau und je ein bis zwei Leute aus Tuckum und Jekabpils. Das Bestreben derartig vieler Kurländer, in Riga Fuß zu fassen, spricht für das wirtschaftliche und demographische Potential des Herzogtums. Gleichzeitig trägt die Erscheinung dazu bei, die notorische Schwäche des Bürgertums in den kurländischen Städten besser zu verstehen. Die besten Kräfte setzten sich ab, um sich in der „Metropole“, in Riga, zu assimilieren. Nur wenige Rigaische Kaufleute stammten aus Estland (8 Personen, davon 6 aus Narva). In den estnischen Teilen Livlands (Dorpat, Walk, Per- nau und Watselina) waren acht Menschen beheimatet. Erstaunlich gering wiederum ist der Anteil von Zuzüglern aus Vidzeme: sieben aus Wenden und einer aus Lemsal. In sieben Fällen nennt das Verzeichnis als Geburtsort dieses oder jenes Kaufmanns Livland allgemein, ohne Konkretisierung. Insgesamt stammten nur 30 Rigaer Kaufleute aus Livland, das ja, im Gegensatz zu Kurland, zum Zarenreich gehörte. 103 Rigaer Kaufleute nannten als Geburtsort westeuropäische Städte. Sechs von ihnen kamen aus Schweden, vier aus „Polnisch Preußen“, acht aus Danzig, zwei aus Memel, zwei aus Kaunas, zwei aus Flensburg, zwei aus Holland. Aus Böhmen, der Schweiz, Ungarn, Petersburg und Trub- cevsk zog es je einen Kaufmann nach Riga. Bei allen übrigen handelt es sich - durchgängig - um Zuwanderer aus Deutschland. Hier treten vor allem die deutschen Hansestädte hervor, nämlich Lübeck mit dreizehn, Hamburg mit fünf und Bremen mit drei Zuwanderern. Den restlichen Einzugsbereich bilden überwiegend, wenn nicht ausschließlich, Länder und Städte in Norddeutschland, das heißt Ostpreußen, Preußen, Mecklenburg, Pommern, Brandenburg; Sachsen sowie die beiden Lausitzen, Thüringen, Hessen und Westfalen. Häufiger als andere Orte treten Königsberg und Wismar (je 4 Zuwande­ rer), Berlin und Stralsund (je 2) auf. Die übrigen deutschen Städte, um die 110 Vasilij V. Dorosenko

dreißig an der Zahl, sollen nicht einzeln aufgezählt werden: das hieße einen großen Teil vom damaligen Deutschland durchzurastern. Im 18. Jahrhun­ dert erwiesen sich die deutschen Territorien als eine wichtige Quelle der Versorgung des Rigaer Handels mit Fachkräften, eine Erscheinung, die sich verstärkt, wie wir sehen werden, bei den Handwerkern beobachten läßt.

Als Handwerksmeister erfaßt das Verzeichnis insgesamt 446 Personen. Als „Meister“ gehörten sie in ihrer überwiegenden Mehrheit, zu fast 90 Prozent, Zünften oder Ämtern an. Die Bezeichnung „Meister“ fehlt in Fällen, in denen ein Fachmann außerhalb einer Zunft, also unabhängig, arbeitete. In derartigen Fällen, es sind ungefähr 50, finden sich anstelle des Meistertitels andere Formeln wie „beschäftigt sich mit (der und der ) Profession“ oder „lebt von seiner Profession, ohne zum hiesigen Amt zu gehören“ (94,124). Hinweise dieser Art besagen nicht, daß es in Riga an Verboten für eine außerzünftige Betätigung gefehlt habe. In den meisten Fällen handelte es sich um Witwen verstorbener Handwerksmeister (insgesamt mehr als 30), also um Witwen von ehemaligen Angehörigen der entsprechenden Zunft. Offenbar galten sie nicht als Zunftmitglieder. Im allgemeinen konnte eine Witwe unter dem Namen des Mannes Weiterarbeiten, das kam jedoch nur selten vor. Gewöhnlich setzte sie die Geschäfte außerhalb der Zunft fort, oder sie fand andere Erwerbsquellen. Zur Veranschaulichung drei Beispiele: Die Witwe des Schneiders Linschau (67 Jahre, erwachsene Kinder) be­ trieb „kein Gewerbe“ (95,155). Von der 54jährigen Witwe eines Sattlers, welche drei Ehemänner überlebt und fünf Kinder aufgezogen hatte, heißt es, sie treibe „die SattlerProfession“ (95,296). Die Witwe des Drechslers Neuhoff wiederum (51 Jahre, 5 Kinder) „nährt(e) sich durch Handarbeit“ (97,119). Außerhalb der Ämter konnten auch beim Vorhandensein einer für das Handwerk zuständigen Zunft zum Beispiel Uhrmacher (96,12), Maurer (96,16) oder Tischler (97,189) ihrem Beruf nachgehen. Aus irgendwel­ chen Gründen (Fehlen eines Amtes?) arbeiteten Bierbrauer (5), Ligger (2) und „Mechaniker“ (96,146) unzünftig. In einzelnen Fällen unterhielt der Meister seine Werkstatt außerhalb der Stadtgrenzen. So beispielsweise der Müller Friedrich Hollstein. Außer einem Haus mit Speicher erwarb er eine Windmühle „am Wall bei der Carlspforte“ (96,60). Christian Gottlieb Wolgemuth besaß ebenfalls „über der Düna auf Torncall (Tornakains) eine Windmühle“ (97,178). Johann August Hetzel bezeichnete sich als „Stadt-Gießer“, er wohnte „im StadtGießhaus“, und besaß einen Garten „an der Weide“(97,70). Hier schloß das Zunftsystem einen bestimmten Betrieb offenbar aus. Einzelne Handwerker wiederum verdingten sich, wie der Töpfer Gott­ fried Haase oder der Architekt Christoph Haberland, vertraglich bei öf­ Die Einwohnerschaft Alt-Rigas im Jahre 1786 111

fentlichen Arbeitgebern für fünf bis zehn Jahre. In dieser Zeit unterlagen sie nicht der Kontrolle der Ämter (97,71 u. 72). Das Verzeichnis von 1786 erwähnt für Riga 50 Handwerksämter (Zünf­ te), die in ihrer zahlenmäßigen Besetzung erheblich voneinander abwei­ chen. Im Durchschnitt entfielen auf ein Amt 10 bis 12 Meister. Am stärksten besetzt waren die Zünfte der Schneider (70 Meister), der Schuh­ macher (42), Tischler (29), Sattler, Fleischer, Glasbläser, Perückenmacher (je 15), der Kürschner (12), der Uhrmacher und der Kutschenbauer (je 10 Meister). In allen erwähnten Fällen handelte es sich um deutsche Zünfte. Eine Ausnahme stellten die Schneider und die Schuhmacher dar. Für diese beiden Sparten gab es außer den deutschen auch „einheimische“ Ämter. Dem einen gehörten sechs, dem anderen drei Meister an. Als Kuriosum fällt aber auf, daß diese „hiesigen“ Ämter wiederum durchgehend von Deutschen besetzt waren. Das bezeugen nicht nur die eindeutig deutschen Familiennamen, das bekräftigen auch die Hinweise auf ihre Herkunft. Lediglich der „einheimische Schneider“ Johann Friedrich Pose (96,110) war in Kurland geboren. Alle übrigen „einheimischen“ Meister werden ausdrücklich als Ausländer (aus Danzig, Königsberg, Preußen, Sachsen und Magdeburg) bezeichnet. Die Meister hatten in der Regel Familien, nur 73 von 446 waren un­ verheiratet. Stellt man in Rechnung, daß 112 Meister kinderlos waren, dann entfielen auf jede Familie, bei einer Gesamtzahl von 1 044 Kindern in dieser Gruppe, etwas weniger als drei Kinder. Uber die Hälfte der Meister besaß in der Stadt eigene Häuser (239 Steinhäuser), bisweilen auch andere Immobilien wie Keller, Schuppen, Grundstücke. Hatte ein Meister zwei Häuser, dann war das, wie im Falle eines Radmachers und eines Kupferschmiedes, eine große Seltenheit. Andererseits besaß die Witwe des Bäckermeisters Saernau, die den Beruf ihres Mannes erfolgreich fortgesetzt hatte, drei Häuser (94,186). Das Alter der Meister lag meistens zwischen 35 und 60 Jahren. Meister unter 27 bis 28 Jahren finden sich nicht, zumal sie vor dem Eintritt in das Amt ausnahmslos eine Lehre und eine Gesellenzeit abzuleisten hatten. 1786 registrierte man insgesamt 71 Handwerksgesellen. Es zeigt sich, daß die große Mehrheit der Meister, insgesamt fünf Sechstel von ihnen, ohne Gesellen auskam. Die meisten Gesellen weisen die Ämter der Maurer (31), der Zimmerleute (7), der Fleischer und der Goldarbeiter (je vier Gesellen) aus. In der Regel, jedoch nicht zwangsläufig, lebte der Geselle im Haus seines Meisters. Uber die Hälfte der Gesellen (39) war verheiratet, insgesamt hatten sie 56 Kinder. Das mittlere Alter eines Gesellen lag bei 37 Jahren. Die jüngsten waren um 24 Jahre alt, man stößt aber auch auf Gesellen von 58, 63, 68 und sogar 73 Jahren. Die Schwierigkeiten, in den Meister­ 112 Vasilij V. Dorosenko

stand aufzusteigen, waren sichtlich groß. Das „Amt“ präsentierte sich als geschlossene Gesellschaft. Auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie rangierten die Lehrlinge („Lehrburschen“). Es ist auffällig, daß sich die Verteilung der Lehrlinge auf die Ämter völlig anders gestaltet als die der Gesellen. So findet man bei den Maurern insgesamt nur zwei Lehrlinge, bei den Zimmerleuten überhaupt keine. Dagegen beschäftigte das Amt der Schneider, das nur zwei Gesellen unterhielt, 13 Lehrlinge. Bei den Malern arbeiteten überhaupt keine Gesellen, aber 14 Lehrlinge. Das gleiche gilt für die Schuhmacher mit 11 Lehrlingen. Bei den Tischlern (2 Gesellen) arbeiteten 10 Lehrlinge. An die fünf bis acht Lehrlinge wiederum drängten sich in den Handwerken der Glaser, Apotheker, Buchbinder, Perückenmacher und Fleischer. Die Mehrzahl der registrierten Ämter beschäftigte entweder gar keine oder nur ein bis zwei Gesellen. Es ist jedoch zu beachten, daß die Quelle bei 32 von insgesamt 152 Lehrjungen nicht sagt, welches Handwerk sie erlernten. Die mengenmäßige Relation zwischen Gesellen und Lehrlingen in den Rigaer Zünften hing offensichtlich mit den Besonderheiten des Handwerks zusammen. Eine größere Anzahl von Gesellen findet sich da, wo spezielle Fertigkeiten eine lange Ausbildung erforderlich machten, oder dort, wo der Meister auf einen qualifizierten Mitarbeiter (Maurer, Zimmermann) angewiesen war. Falls der Meister im Einmann-Betrieb arbeiten konnte (Schneider, Schuster, Maler, Tischler), umgab er sich nur mit Lehrlingen. Die Lehrjungen, im Durchschnitt 16 bis 17 Jahre alt, eigneten sich bekannt­ lich als effiziente Hilfskräfte für schlechtere Arbeiten, eine Lehre genossen sie oft nur dem Namen nach. Unter den Lehrjungen stoßen wir auf 12- bis 13jährige Knaben, das Höchstalter in dieser Gruppe ist 24. Familienväter gab es hier, versteht sich, überhaupt nicht. Sehr aufschlußreiche Angaben liefert unser Dokument zur Herkunft der Rigaischen Handwerkerschaft im Jahr 1786. Im Vergleich zu den Kaufleuten fällt bei den Handwerkern die Zuwande­ rung von außen noch mehr ins Gewicht. Der Geburtsort der Handwerks­ meister ist in 412 Fällen verzeichnet. Einheimisch, also in Riga geboren, sind 85. Alle übrigen kamen von außen, und zwar in der Regel von weit her. Im Baltikum, vorwiegend in Kurland, lagen die Geburtsorte von 38 Meistern, darunter findet sich sechsmal Libau, Reval viermal, Dorpat vier- und Mitau dreimal. Fünf Handwerker stammten aus Polen, drei aus Litauen. Einfach nur als „Ausländer“, entweder auf den Meister selbst oder auf seinen Vater bezogen, kennzeichnet unsere Quelle 33 Meister. Auf 233 Meister entfallen als Geburtsort verschiedene, insgesamt mehr als 50 europäische Städte, überwiegend wieder in Norddeutschland. Die Streuung der Herkunftsorte kann nicht genau, sondern nur in Umrissen rekonstruiert werden, da in einigen Fällen lediglich von Preußen, Mecklen- Die Einwohnerschaft Alt-Rigas im Jahre 1786 113

bürg, Sachsen, Brandenburg und so weiter die Rede ist, während in ande­ ren Fällen konkrete Ortschaften dieser und anderer deutscher Territorien festgehalten sind. 17 Handwerksmeister waren aus Schweden zugewan­ dert: ihren Namen nach durchgängig Deutsche. 25 Meister stammten aus Danzig und anderen Städten der polnischen Küste (auch in diesen Fällen hauptsächlich Deutsche), sieben kamen aus Dänemark, je einer aus Böhmen und der Schweiz. Die Heimat der restlichen Rigaer Meister lag, wie ihre Geburtsorte belegen, fast zu gleichen Teilen in Ost- und Westdeutschland. Im Osten treten allgemein Preußen (11 Zuwanderer), Königsberg (10), Mecklenburg (10), Brandenburg (7), Rostock (7), Stralsund und Wismar (je 4) hervor. In Mitteldeutschland hatte als Herkunftsland eindeutig Sachsen die Priorität, woher insgesamt 27 der in Riga niedergelassenen Meister stammten. Danach rangierten Thüringen mit sechs, Hannover mit ebenfalls sechs und Schlesien mit sieben Zuwanderern. Hiervon abgesehen erwähnt die Erhebung unter den west- und mitteldeutschen Städten konkret Lübeck (8 Zuwanderer), Hamburg und Bremen (je 4), Dresden (6) sowie Leipzig, Magdeburg und Breslau (je drei). Aus fast dreißig weiteren Städten im damaligen Deutschland - von Bielefeld bis Gumbinnen - registrierte man in Riga je einen Zuwanderer. Etwas anders sieht es mit der Herkunft der Handwerksgesellen aus und völlig anders mit den Lehrlingen. Die Gesellenschaft bestand zur Hälfte - bei den Meistern war es ein Viertel - aus Einheimischen. 27 von ihnen waren sogar in Riga geboren. - Die andere Hälfte dagegen stammte aus Norddeutschland, sechs wiederum kamen aus Sachsen. Die Lehrjungen rekrutierten sich beinahe ausschließlich aus den im Baltikum ansässigen Deutschen. 96 von insgesamt 152 Lehrlingen sind schlicht als „hiesige“, also in Riga gebürtige, verzeichnet, elf kamen aus Livland, sechs aus Dorpat, fünf aus Wenden, vier aus Pernau und so weiter. Ihren Vor- und Familiennamen zufolge handelte es sich hier überwiegend, wenn nicht ausschließlich, um Söhne aus deutschen Familien. Der einzige in Polen geborene Lehrjunge, Jakob Christian Doering, der als 13jähriger bei einem Uhrmachermeister in der Lehre stand, war auch deutsch (95,50).

Eine besondere Position nahmen die Literaten in der städtischen Ge­ sellschaft ein. Das waren studierte Leute, vorwiegend in städtischen und teilweise in staatlichen Einrichtungen beschäftigt. Im Bereich des Gesundheitswesens begegnen uns vier Doktoren der Me­ dizin, vier Chirurgen und drei einfache Arzte. In diesen Rahmen gehören auch sechs Apothekenbesitzer, die den Beruf des Pharmazeuten mit dem Verkauf medizinischer „Materialien“ verbanden. Ein Teil der Mediziner hatte westliche Universitäten absolviert, war mit Ehrentiteln königlicher Provenienz wie „Rat“ ausgestattet und bezog offensichtlich städtische oder staatliche Gehälter. Neben den „Doktoren“ und „Chirurgen“ gab es die im 114 Vasilij V. Doroscnko

besonderen Praxisbezug engagierte Gruppe von Ärzten, deren Angehörige als „Wundt-Arzt“ oder als „Arzt und Bader“ firmieren. Zur Sprache kommt auch, unter anderem, ein „Amt“ der Rigaer Chirurgen (95,341). Alle Vertreter medizinischer Berufe sind auch Familienväter, wenn wir von Witwen und Witwern absehen. Samt Frauen und Kindern gehörten zu dieser Gruppe 50 Personen. Die Mehrheit der Mediziner und Apotheker verfügte über Hausbesitz, insgesamt über 11 Wohnhäuser, die Apotheken nicht mitgerechnet. Unerwartet dürftig präsentiert sich dem Verzeichnis zufolge im Alten Riga die „Zunft“ der Schulmeister. Dafür aber begegnen uns Namen be­ rühmter Männer. Allen voran der unvergeßliche Johann Christoph Brotze. Brotze, damals 45 Jahre alt, verheiratet, drei Kinder, war „aus Görlitz in der Oberlausitz“ nach Riga gekommen.11 Er besaß ein Haus in der Schloßgasse, Mitgift der Ehefrau, wirkte als „Conrector des Kayserlichen Licei“, befand sich jetzt aber im Ruhestand (94,4). Sodann begegnet uns Johann Heinrich Flor, der Verfasser eines in seiner Zeit bekannten Lehrbuchs für kaufmännisches Rechnen. Flor war gebür­ tiger Lübecker, 56 Jahre alt, verheiratet und Vater von drei Kindern. Er besaß jedoch kein eigenes Haus. Er „nährt sich“, heißt es, „von seinem Dienst als Schulhalter an der Jacobs-Schule“ (94,51). - Wir stoßen auch auf die Witwe des Pfarrers Daniel Merkel, welche ebenfalls nicht im eigenen Haus wohnte, während sie sich und ihre Kinder mit einer „Pension und Privatschule“ (95,195) durchbrachte. Es finden sich zudem: ein „Translateur der rußischen Sprache beym Magistrat und Lehrer der nehmlichen Sprache bei der DomSchule“ (95,202); ein weiterer „Schulhalter“ (97,146); ein Tanz­ lehrer (95,102); ein Lehrer „in der Mathematic und im Zeichnen“ (94,23); ein „Schullehrer im Waisenhause“ (95,183); der Inhaber eines „Instituts für junge Frauenzimmer“ (96,16); ein Übersetzer für Polnisch (94,63). Insgesamt verzeichnet die Quelle zehn Lehrer. Mit Frauen und Kindern war das eine Gruppe von 32 Personen. Über Grund- und Hausbesitz verfügten Lehrer in der Regel nicht. Zur „technischen Intelligenz“ gehörte Daniel Gottfried Zweytinger, den man zusammen mit seinem Bruder, dem Chirurgen, aus Berlin herange­ zogen hatte. Zweytinger hatte bis 1786 als Ingenieur auf den Domänen des Preußischen Königs gearbeitet und nun in Riga den Posten eines städ­ tischen „WasserKunstmeisters und BauDirectors“ (96,166) übernommen. Der berühmte Baumeister Christoph Haberland, 45 Jahre alt, gebürtiger Sachse, tritt in unserer Quelle als „MaurerMeister“ und gleichzeitig als

11 Von dem Projekt einer fünfbändigen Teiledition des umfassenden Werkes, das J. Chr. Brotze hinterließ, liegt als erster Band vor: Johans Kristofs Broce, Zlmejumi un apraksti, 1. sejums: Rigas skati, Jaudis un ekas (Johann Christoph Brotze, Zeichnungen und deren Beschreibungen in fünf Bänden, Bd. 1: Rigaer Ansichten, Menschen und Gebäude), Hg. T. Zeids, Riga 1992 (Zusatz E. H.-G.). Die Einwohnerschaft Alt-Rigas im Jahre 1786 115

„KronsArchitect“ auf. Seit 1775 amtierte er als „Adjunct des Stadtbaucs“ und als Vorsitzender des „Werk-Meister-Amts“. In den letzten Jahren jedoch unterstanden ihm die kirchlichen Bauten innerhalb der Zitadelle (97,72). - Bis 1786 wirkte der „StadtPhysicus“ Anthon Tuchart in Riga, wo seine Witwe noch lebte (95,303). Aus dem Ausland hatte man auch den Verleger G.F. Keil (94,115) herangeholt. - Die drei Meister des Buchbin­ der-Amtes (97,36,83 u. 86) wiederum gehörten zur Handwerkerschaft. Überraschend zahlreich präsentierten sich Vertreter der Künste: vier Maler und 14 Musiker. Zu jeder der fünf großen Kirchen gehörte ein Organist. Einer von ihnen, Johann Gottfried Muthel, „ein Ausländer“, wirkte an der Petrikirche als „MusicComponist und Organist“ (95,191). Die restlichen Musikanten standen als „StadtMusici“ im Dienst der Stadt. Es gab außerdem einen „TheaterMeister“, welcher, wie übrigens auch die Mehrheit der Musikanten, von auswärts stammte (97,68). Der einzige Bildhauer, Christian Benjamin Schulz, war aus Danzig nach Riga gezogen (94,189). - Sodann treten noch zwei Maler auf, die man jedoch nicht zwingend zu den Kunstmalern zählen kann, möglicherweise übten sie das normale Malerhandwerk aus. J.G. Bötticher, ebenfalls aus Danzig, unter­ richtete, wie wir sahen, außer in Mathematik auch im Zeichnen (94,23). Bei diesen Jüngern der Musen handelte es sich so gut wie durchgehend um Familienväter. Uber Immobilienbesitz jedoch verfügten sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht. Eine besondere, zweifellos recht privilegierte Gruppe bildeten die stu­ dierten Juristen, die wir als Komponenten des Patriziats hier bereits ken­ nengelernt haben. Sie sind im Verzeichnis mit zehn Personen vertreten und stammen in der Regel aus jenen Familien des Patriziats, die die bedeutenderen Positionen in der Kaufmannschaft und in der städtischen Verwaltung seit eh und je innehatten. Zu den „Rechtsgelehrten“ gehör­ ten Gottfried Berens (63 Jahre), Samuel Gerngroß (48 J.), J.H . Schick (69 J.), Melchior Widau (70 J.) und J.F. Bulmerincq (26 J.). Als gängige Formel für diese Leute findet man Hinweise auf ein „öffentliches“ oder „obrigkeitliches“ Amt. In einigen Fällen gibt es konkretere Angaben wie „in der Ratskanzlei“, „beim Magistrat“, „Assessor1 und so weiter. Die ansehnlichsten Juristen avancierten im Lauf der Zeit zu Ratsherren und Bürgermeistern. Sie alle gehörten zur Gruppe derer, die in der Altstadt über Hauseigentum verfügten. Einige besaßen sogar Speicher oder Ländereien außerhalb der Stadt. In den verschiedenen Gerichtsinstanzen, vor allem den städtischen, be­ tätigten sich auch jüngere Vertreter des Rechtswesens (12 Personen). Es handelte sich um „Advokaten“, „Notare“ und „Sekretäre“ des Vogtge­ richts, des Hofgerichts und so weiter. Diese Menschen waren in der Regel jünger, hatten aber auch dann, wenn sie nicht in Riga geboren waren, dort seit langem Fuß gefaßt. Als Beispiel kann ein gewisser Johann Georg 116 Vasilij V. Dorosenko

Romanus aus Mecklenburg dienen. Der 34jährige besaß ein Steinhaus „am Wall“, zudem ein Holzhaus in Torijakalns. Von ihm heißt es: „praktiziert als Vereidigter Advokat am hiesigen Gericht“ (96,117). 15 Eintragungen beziehen sich auf Regierungsbeamte. Das heißt auf Kollegien- und Titularräte, die beim Zoll oder in den Gerichten arbei­ teten, auf Rentmeister, auf den Schloßvogt, einen „Provinzialsekretär“, eine „Zolldirektor“ und - ziemlich selten - auf Militärs. Eine demographi­ sche Charakterisierung stößt auf Schwierigkeiten, da notwendige Angaben fehlen. Unklar bleibt, woher sie kamen; ihre familiäre Lage, die Anzahl der Kinder usw. bleiben unerwähnt. Es entsteht der Eindruck, daß unser Verzeichnis kein besonderes, zum Beispiel fiskalisches Interesse, an den Staatsbeamten gehabt hat. Steuern entrichteten sie offenbar nicht, es sei denn als Hauseigentümer. Sie alle besaßen eigene, in der Regel wohler­ worbene Steinhäuser. Die bevorstehende Numerierung der Häuser könnte erklären, daß die Erhebung auch diese, der Stadt nicht „untertänigen“ Einwohner einbezogen hat. Die Mängel des Verzeichnisses von 1786 treten im Hinblick auf eine vollständige Erfassung der Einwohnerschaft besonders kraß hervor, sobald es um Kirchenleute, Adlige und Staatsbeamte geht. Zwei Witwen von Pastoren (D.Merkel, v.Essen), ein Kirchenältester, einige Kirchendiener und drei Glöckner (davon 2 bei der Domkirche) bieten nur einen kleinen Ausschnitt der protestantischen Geistlichkeit. Vertreter des Adels, wenn auch nicht viele, wohnten schon im Mittelalter in Riga. In der Erhebung finden sich Adlige oder ihre Witwen nur in acht Fällen. Als Beamte oder Militärs genossen sie wohl wegen ihres Hausbesitzes Beachtung. Hier begegnen wir so bekannten Figuren wie der Witwe des General-Gouverneurs, der Reichsgräfin Browne, geborene Gräfin Mengden, dem Grafen Mengden, Otto von Vietinghoff, Rittmeister H.G. von Ahnrep, der Witwe des Freiherrn von Kamphausen, Leonhard Joh. von Budberg und anderen. Die Angaben für diese Gruppe bleiben stets lakonisch. Sie erfassen faktisch nur den Hausbesitz des Adels, der in der Altstadt residierte.

Die Unterschichten der Stadtbevölkerung, das einfache Volk, gliedert sich im Rahmen unserer Quelle hauptsächlich nach den Formen des Erwerbs, der Sicherung des Lebensunterhalts. Zwei grundlegende Kategorien treten hier eindeutig hervor: die selbständigen Arbeiter und die Dienstboten. Als „Arbeitsmänner“ oder auch solche, die „von Handarbeit“ leben, erfaßt die Quelle insgesamt 153 Personen. Das waren in der Regel Familien­ väter mit einem heimischen Herd. Auf alleinstehende Personen treffen wir in diesen Kreisen praktisch überhaupt nicht, wenn wir Witwen und Witwer außer betracht lassen. Mit Frauen und Kindern gehörten zur Gruppe der Arbeitsmänner 489 Menschen, darunter 202 Kinder. In der Regel bestand Die Einwohnerschaft Alt-Rigas im Jahre 1786 117 eine Familie aus drei bis vier Personen, obgleich sich auch Familien mit vier bis fünf Kindern finden. Mit dem Stichwort „kein eigener Hausbesitz“ ist das Haupt-Kennzei­ chen der „Arbeitsmänner“ genannt. Sie alle sind als „unbesitzliche“, zu­ gleich aber seßhafte, ständige Einwohner („hält sich hier auf“) charakteri­ siert. Insofern ähnelt ihre Lage, zum Beispiel, jener der „Gesellen“. Anders aber als bei den Gesellen verrät die Quelle nicht, in welchen Häusern die Arbeitsleute wohnen. Hierzu bestand kein Anlaß: der Arbeiter mietete oder pachtete einfach einen Raum bei einem Hausbesitzer, Kaufmann oder Handwerksmeister, ohne ihm persönlich oder arbeitsmäßig verpflichtet zu sein, wie es bei den Gesellen und Lehrlingen der Fall war. Das Verzeichnis von 1786 enthält konkrete Hinweise auf die Herkunft und sogar die ethnische Zugehörigkeit der Arbeitsleute. In den beiden Büchern, für die A.G. Sengbusch zeichnete (96 u. 97), heißt es in Dutzen­ den von Fällen unumwunden, dieser oder jener Arbeiter sei „ein Lette“. 73 Eintragungen bezeichnen den Betreffenden als „Einheimisch“, also in Riga geboren. Neun Arbeitsleute stammten aus Kurland, sieben aus dem südlichen Estland, neun aus Polen (davon 2 aus Danzig), zwei aus Litauen. Eigentliche „Ausländer“, insgesamt sechs, kamen in der Regel aus deutschen Städten. Eindeutig kann man höchstens 40 Prozent der Arbeiter als Letten einordnen. Hierfür spricht außer den oben erwähnten zwölf Eintragungen die namensmäßige Analyse: Unter den „Arbeitern“ kommen sechs „Osolings“, vier „Kalnings“, drei „Sarrings“ und so weiter vor. Falls „neutrale“ Familiennamen auftreten, kann man auf die lettische Zugehörigkeit der Arbeiter aus ihren Vornamen, zudem aus den Namen ihrer Frauen oder der Kinder schließen. Den „Arbeitsmännern“ verwandt sind die „Tagelöhner“. Merkwürdiger­ weise kommen sie in unserer Quelle selten vor. Insgesamt finden sich zehn Namen von Tagelöhnern, darunter fünf lettische. Fast alle sind verheiratet (8 Ehefrauen), Kinder jedoch erweisen sich als Rarität (insgesamt nur 5). Wie die Arbeitsleute mieteten sich die Tagelöhner bei den Hausbesitzern ein, während sie ihren Lebensunterhalt an anderer Stelle verdienten. Die dürftige Besetzung dieser Kategorie, die zudem nur in dem ersten Band der Erhebung (94) auftritt, läßt sich vielleicht damit erklären, daß die Bearbeiter der drei anderen Bücher die Tagelöhner gar nicht als besondere Kategorie betrachtet und sie den Arbeitern zugerechnet haben. Den „Arbeitsmännern“ ähneln ohne Zweifel auch solche Fachleute wie Hanfbrecher (9 Personen, ebenfalls Letten) und andere (15 lettische Na­ men) wie Köche, Wächter, Pförtner, Feuerwehrleute, Lampenputzer. Mit Frauen und Kindern umfaßte diese Gruppe 75 Personen. Sie alle waren „unbesitzlich“. Hier aber überwogen die Alleinstehenden, wobei es sich keineswegs um alte Leute handelte. Sie lebten entweder in öffentlichen Unterkünften (z.B. „im Stadthause an der Carlspforte Ravelin“, 96,83 118 Vasilij V. Dorosenko

u.123) oder bei Privatpersonen, bei denen sie Dienst taten, wie zum Beispiel der 24jährige Kutscher Jacob Kruming bei dem Kaufmann Miln. Die zu Beginn dieses Abschnitts vorgestellte Gruppe der „Arbeits­ männer“ kann man in jeder Hinsicht als „Oberschicht“ des einfachen Volkes bezeichnen. Unabhängig davon, ob sie über bestimmte Fähigkei­ ten verfügten oder nicht, war diesen Menschen der Tatbestand sozialer Selbständigkeit gemeinsam, also die Möglichkeit, über die eigene Person zu verfügen. Als ständige Einwohner Rigas waren sie zweifellos frei. Hinweise auf Hörigkeit stellen in dieser Schicht eine Ausnahme dar. Eine solche Ausnahme verkörperte, zum Beispiel, der Kutscher des Pastors Schmidt. Der 40jährige „Erbkerl“ führte den Namen Martin, er hatte eine Frau und zwei Kinder (96,97). Zur untersten Schicht des städtischen Proletariats gehörten alle Arten von Dienstboten. Diese Schicht erscheint insofern sehr homogen, als sie fast ausschließlich aus Alleinstehenden bestand. In der Quelle unterscheiden sie sich voneinander eigentlich nur durch ihr Alter. Das Verzeichnis von 1786 registriert insgesamt 142 „Hausknechte“, 62 „Dienstleute“, 23 Kutscher und 49 „Dienst“- oder „Hausjungen“. Es gibt in allen Fällen an, bei wem in Riga diese Leute dienten. Beispiel einer kurzgefaßten Eintragung: „Jahn, 22 Jahre, hier gebürtig, hält sich hier auf. Ist Knecht bei (dem Kaufmann) D.S. Göbel“ (95,133). Manchmal wird die Dauer der Ansässigkeit von Knechten durch den Hinweis auf ihre ebenfalls in Riga geborenen Eltern besonders hervorgehoben (95,130). Damit, schließlich, lieferten sie den Beleg für ihre persönliche Freiheit. Wahrscheinlich gab es keine wesentlichen Unterschiede zwischen „Haus­ knechten“ und „Dienstleuten“. Bei beiden Gruppen liegt das Durch­ schnittsalter zwischen 20 und 30 Jahren. Bei der dritten Gruppe, den Halbwüchsigen oder Burschen, betrug das Alter 15 bis 17 Jahre. - Einen Dienstboten mit Familie kann man sich nicht gut vorstellen. Eigentlich alle waren alleinstehend. - Es fällt auf, daß in dieser Gruppe der städti­ schen Einwohner gar keine Namen von Frauen auftreten. Im Dienst der deutschen Herrschaften sollten sich doch Köchinnen, Ammen, Zimmer­ mädchen und andere Vertreter weiblicher Berufe befunden haben. Die Be­ schäftigung weiblicher Arbeitskräfte aus der Unterschicht in den Häusern der Kaufleute und Handwerksmeistern jedoch wird von unserer Quelle praktisch nicht zur Kenntnis genommen. Insoweit wie alle diese Menschen ständig in der Stadt ansässig waren, galten sie sichtlich als Freie. Zwar betrachtete sich der Bürger und Hausbe­ sitzer als den Herrn seiner Diener, leibeigen oder hörig waren sie ihm nicht. Ausnahmen aber gab es insofern, als sich ein Teil der lettischen Dienstleute nicht von seiner hörigen Herkunft gelöst hatte. Ein gewisser Juris, 16 Jahre alt, „ein Erbunterthan vom Gute Dahlen“, diente bei dem Rigaer Bürger Timm (95,131). Dieser Timm hielt sich einen weiteren Knecht, den Die Einwohnerschaft Alt-Rigas im Jahre 1786 119

33jährigen, in Wenden geborenen Janis als seinen Eigenbehörigen („ein Unterthan“). Ein 35jähriger Bedienter des Konsuls (Ratsmann) Helmund bezeichnete sich als „Erbunterthan des Herrn Minister von Krüdeners“ (95,85). Einige der Dienstleute, und zwar Letten, die bei diesen oder jenen Hausbesitzern in Riga wohnten, registrierte man als „lettische Erbkerle“ (96,70 u. 97; 97,79, 80,116). Bei anderen ist angegeben, daß sie an einen Grundherren „Kopfgeld“ anstelle von Abgaben entrichteten (97,81 u. IOC). Es kam auch vor, daß sich ein Dienstmann als „Untertan“ eines namhaften Bürgers bezeichnete wie „Johann Biber ... ein Erbunthertan des Herrn Secretair Jannau“ (95,21). Die Schicht der Dienstleute aller Art ist samt den Frauen und Kin­ dern, die ab und zu auftreten, mit insgesamt 280 Personen faßbar. An einem Übergewicht der Letten (mindestens 160) ist hier nicht zu zweifeln. Von terminologischen Nuancen abgesehen galt, daß alle durch „Dienste“ gebundenen Leute ihren städtischen Herren sozusagen „zugeschrieben“ waren. Dieser Knecht befindet sich „bey N.N.“, heißt die Formulierung der Quelle. Wo grundherrschaftliche Ansprüche nicht Vorlagen, gehörte der Diener oder Knecht zu den freien Leuten, deren Freiheit durch den langen Aufenthalt in der Stadt abgesichert war. Folgen wir den offenbar unvollständigen Angaben der Quelle, so lebten in der Altstadt annähernd 500 Letten. Im wesentlichen rekrutierten sie sich aus „Arbeitsmännern“, also Lohnarbeitern. Es handelte sich um 81 Personen, mit ihren Familien stellten sie insgesamt 253 Einwohner. Die offiziell zweitstärkste Gruppe der lettischen Bevölkerung bildete das Haus­ personal (139 Personen, mit Familien 157). Ausschließlich Letten versahen die Dienste der Kutscher (23 Personen, mit Familien: 34) und der Hanf­ brecher (9 Personen, mit Familien: 27). Zusammen mit den übrigen macht das 477 Personen. Wir behalten dabei im Blick, daß es sich ausschließlich um die ständig in der Altstadt Ansässigen handelt, die ihre Wohnung in den Häusern der Kaufleute, Handwerksmeister und Beamten hatten, in jenen Häusern, die zum Zwecke der Numerierung erfaßt wurden. Die ausschlaggebenden Niederlassungen der Letten befanden sich bekanntlich in den Rigaer Vorstädten, vor allem in Pardaugava. Das gilt insbesondere für weibliche Dienstboten und für die Tagelöhner. Aus dem gleichen Grund treten, außer einigen Hanfbrechern, auch die Vertreter der elf lettischen Bruderschaften, zum Beispiel der Fuhrleute, der Fährmänner, Lotsen und Mast-Braker und andere nicht auf. Wenn sogar im Hinblick auf die Letten in der Altstadt unser Wissen fragmentarisch bleibt, dann umso mehr im Hinblick auf andere Nationali­ täten. Das Verzeichnis von 1786 erwähnt 30 Namen, die sich zur Hälfte auf Polen, im übrigen auf Weißrussen und Russen beziehen. Zusammen mit ihren Familien (nur wenige von den Slawen waren verheiratet, da es sich vorwiegend um Hausknechte, verhältnismäßig junge Burschen, handelte) 120 Vasilij V. Dorosenko

betrugen sie nicht mehr als 50 Personen. Der Ausdruck „Russen“ verstand sich damals im weitesten Sinn. Er meinte nicht unbedingt die eigentlich­ en Russen, öfter dagegen Weißrussen oder Polen und manchmal auch Lettgallen. Deshalb sind Eintragungen wertvoll, in denen ein Geburtsort erscheint. Zum Beispiel Jakub Lukoschinsky „aus Weißreußen“ (94,129), Jevgraf Wasiljow „aus Polotzko“ (=Polodsk, 94,226) und so weiter. Zwei­ mal stoßen wir auf russische Leibeigene: den „Hausknecht“ Nikita und einen Aloschka, den Dienstmann eines Rigaer Bürgers. Aus anderen quellenmäßig erschlossenen Dokumenten jener Zeit ist bekannt, daß mehr als ein Dutzend russischer Kaufleute in Riga lebte, darunter so große wie Sawin, Kurendin, die Leljuchins und andere. Das Verzeichnis erwähnt lediglich Friedrich (früher: Fedor) Sawin, dem es gelungen war, sich einzudeutschen, und ein Haus sowie die Bürgerrechte zu erwerben (97,155). Das Fehlen weiterer Russen erklärt sich durch den Umstand, daß sogar höchst erfolgreiche russische Kaufleute außerhalb der Stadtbefestigung lebten. Das belegt in einem Fall eindeutig die Auflistung der Immobilien des Rigaer Großkaufmanns Thomas Zuckerbecker. Er besaß in der Vorstadt Grundstücke, und es stellt sich heraus, daß auf einem von ihnen das „Haus des Kaufmanns Trubenskoy“ (96,165) stand. Petr Ivanovic Trubenskoy erwarb das Bürgerrecht 1784, er lebte jedoch ebenso wie seine Landsleute „in der Vorstadt“. Die nachstehende Tabelle faßt auf allgemeiner Ebene die Berechnungen zusammen, die sich aus dem Material insgesamt ergeben. Im alten, inneren Teil der Stadt Riga zählt das Verzeichnis von 1786 insgesamt 5 358 Per­ sonen und 681 Häuser. Zum Einzugsbereich der Großen Gilde gehörten 1 797 Personen, zur Kleinen Gilde 2 181, zu den in städtischen Diensten beschäftigten Fachleuten aller Art rechneten 512, zum „einfachen Volk“ schließlich 868 Personen. Dabei muß man beachten, daß die Altstadt, deren Grenzen durch die Wälle und Pallisaden festlagen, nicht einmal ein Zehntel des tatsächlichen Territoriums der Stadt einnahm. Für das „Stadtinnere“ einschneidend cha­ rakteristisch ist die Vorherrschaft der deutschen, im allgemeinen gleichzei­ tig auch privilegierten Bewohner. Noch ausschlaggebender aber wirkte das Vorherrschen der Letten und anderer „Undeutscher“ in den Vorstädten und in der Umgebung Rigas auf beiden Seiten der Düna.

Darüber hinaus ist die Soziotopographie Alt-Rigas von größtem Interesse. Die Eintragungen der Bewohner im Verzeichnis von 1786 sind alphabetisch geordnet, die der Häuser und der anderen Gebäude hingegen nach Straßen. Die Numerierung der Häuser wurde lediglich ins Auge gefaßt, aber nicht verwirklicht. Deshalb kann man die Lage der Häuser im Stadtplan nicht bestimmen. Im wesentlichen aber ist ihre Plazierung nachvollziehbar. Die Häuser und Grundstücke der Händler und Handwerker, der Beamten und

Die Einwohnerschaft Alt-Rigas im Jahre 1786 Personen

50 49

83 79

“ Unbesitzliche „ 166 152 189 280 489 202 1 813 1

- 2 31 8 2 43 nee Objekte Andere 74

- - - Speicher 97

------Wohnhäuser 55 27 681 97 86 239 360

Gebäude Grundstücke u. insgesamt

50 49 79 83 Personen 192 280 166 152 489 320 5 5 358 1 863 1 1 635 1

4 Kinder 95 22 153 2 2 473 1 044 1

------5 15

Frauen 38 69

Personen 308 882 Männer 30 59 49 7198 39 56 79 76 3 153 134 202 152 242 16 446 373 445 1 9001 985

Insgesamt ZugereisteArbeiter (Weißrussen, Polen) Literaten Hausjungen Hausknechte Lehrlinge im Handwerk im Lehrlinge SelbständigeArbeitsleute Handwerksgesellen Lehrlinge im Handel im Lehrlinge Kaufgesellen Spezialisten, Beamte Handwerksmeister Kaufte uteKaufte Soziale Gruppen Bevölkerung und Immobilienbesitz in Alt-Riga 1786

©V.V. Dorosenko Riga 1988 VIII. 122 Vasilij V. Dorosenko

Literaten konzentrierten sich nicht in jeweils gesonderten Bereichen. Die verschiedenen Gruppen wohnten durchgängig in Streulage, untereinander vermischt. Etwas anderes ist, schon wegen der intensiven Mobilisierung des Grundbesitzes durch Käufe und Verkäufe, nicht vorstellbar. Nicht weniger als drei Viertel des Hausbesitzes registriert das Verzeichnis als „käuflich erworben“. Weitaus seltener ist von Erbschaften oder von Neubauten die Rede. Die Schmiedegasse war, nach ihrem Häuserbestand zu urteilen, am stärksten bewohnt. Dort gab es 23 Häuser von Kaufleuten, 44 von Hand­ werkern und neun von Beamten, insgesamt also 76 Hausbesitzer. In der Sandgasse und den dazugehörigen Gäßchen befanden sich 51 Häuser: 32 davon besaßen Kaufleute, 12 Handwerker und sieben Beamte. An der Kaufgasse standen insgesamt 33 Häuser, von denen 22 Kaufleuten, acht Handwerksmeistern und drei „Literaten“, nämlich Ärzten, gehörten. 20 bis 30 Häuser gab es jeweils in der Marstall-, Schloß-, Pferde-, Kalk-, Königs- und Jacobsgasse. Insgesamt zählte man auf dem Territorium der Altstadt mehr als ein halbes Hundert Straßen und Winkel. Oft bezeich- neten lediglich Angaben wie „Am Wall“, „An der Pforte“ oder „Bei den Schanzen“ den Standort eines Hauses. Nach diesem Muster wohnten in einigen Straßen mehr Kaufleute, in anderen mehr Handwerker. Besonders elitäre Wohnbezirke existierten weder für die eine noch für die andere Gruppe der Hausbesitzer. Der reiche „Kommissionär“ oder „Großhändler“ konnte Nachbar eines kleinen Krämers oder Schankwirts sein. Im Milieu der Handwerker deutet nichts darauf hin, daß man sich irgendwie nach Berufsgruppen, zum Beispiel nach Ämtern geschlossen, niedergelassen hat. Die Namen der Straßen sagen nichts über ihre Bewoh­ ner. In der Böttgergasse lebten zwei Töpfer, ein Maurer und ein Fleischer. In der Schmiedegasse hatten sich außer 23 Kaufleuten 44 Handwerker aus 19 verschiedenen Ämtern niedergelassen, darunter: 4 Hufeisenschmiede, 3 Wagenmacher, 3 Schneider, 2 Kupferschmiede, 2 Klempner, 2 Schuhma­ cher, 2 Schlosser, 1 Tischler, 1 Böttger, 1 Sattelmacher, 1 Stiefelmacher, 1 Kürschner, 1 Fleischer, 1 Bäcker. Ähnlich stand es mit der Kaufgasse, wo keineswegs nur Händler (insgesamt 22) zu hause waren. Dort wohnten zudem acht Handwerker, nämlich 2 Tischler, 2 Klempner, 1 Buchbinder, 1 Handschuhmacher, 1 Uhrmacher und 1 Goldschmiedemeister. Die Streu­ ung der Handwerke über die verschiedenen Viertel und Winkel der Stadt verdient dabei unsere Aufmerksamkeit nicht etwa als Anzeichen für den Verfall des Zunftwesens. Die Rigaer „Ämter“ (Bruderschaften) nämlich erlebten im 18. Jahrhundert, nach allem zu urteilen, eine Blüte. Man möchte auch annehmen, daß sich die Angehörigen verschiedener Zünfte selbst in den vorangehenden Zeiten untereinander vermischt, und nicht gruppen­ weise nach Ämtern, niedergelassen haben. Die Einwohnerschaft Alt-Rigas im Jahre 1786 123

Der Erhebung von 1786 zufolge gäbe es in Riga mindestens 681 Wohn­ häuser. Als ihre Besitzer treten in 360 Fällen Kaufleute, in 239 Fällen Hand- werksmeister auf. Die restlichen Hausbesitzer waren hauptsächlich Beamte und Literaten. Hier handelte es sich durchgehend um „Steinhäuser“. Zu ihnen muß man ein halbes Dutzend Häuser zählen, deren Lage sich nicht ermitteln läßt, sowie eine unbestimmte Anzahl von Holzhäusern, die in der Altstadt jedoch eine Ausnahme darstellten. Bei den hier vorgestellten Größenordnungen geht es selbstverständlich immer um Mindestwerte. Sie kommen aber der Wirklichkeit ziemlich nahe, besser jedenfalls als die Angaben zur Bevölkerung, die durch das Verzeichnis weniger vollständig erfaßt ist. Die Bearbeiter waren schon deshalb gehalten, den gesamten Hausbesitz zu erfassen, weil die Erhebung auch die Numerierung der Häuser vorsah. In vielen Fällen verzeichneten sie zusätzlich den Immobilienbesitz außerhalb der Altstadt. Da ging es um „Landhäuser“, „Grundstücke“, „Ländereien“, „Gärten“ und sogar um kleine Güter („Höfchen“). Die meisten Objekte dieser Art, ungefähr 25, befanden sich in der „Vorstadt“, worunter man das rechte Ufer der Düna verstand, und in Par- daugava (mindestens 10). Insofern beschränkte sich der Immobilienbesitz Rigaischer Bürger nicht auf den Raum, den die Stadtwälle begrenzten.

Die „Einwohnerschaft Alt-Rigas“ präsentiert sich weitgehend als privile­ gierte Minderheit der im Wachstum begriffenen Stadt. Als Zuwanderer aus Deutschland, die zum Teil von weit her kamen, zog es nicht nur Kaufleute und Handwerker nach Riga. Zu ihnen gehörten auch Beamte, Gesellen und Lehrlinge. Letten als angestammte Bewohner des Landes stellten in der Innenstadt kaum mehr als ein Zehntel der Einwohner. Sie lebten dort als „Arbeitsmänner“ und „Dienstleute“. Die eigentliche lettische Stadtbevölkerung sammelte sich in Rigas Vorstädten. Hier übertraf ihre Einwohnerzahl in den ausgehenden 1780er Jahren die Präsenz der Letten im „historischen“ Teil der Stadt bei weitem. - Mit dem Prozeß der Verschmelzung dieser Vorstädte mit dem Zentrum aber, das heißt mit der Entstehung „Groß-Rigas“ im 19. Jahrhundert, beginnt eine neue Epoche. Sie stellt der Geschichtsforschung neue Fragen und Aufgaben.

BERICHT UBER DAS „HANSISCHE NOVGOROD-COLLOQUIUM“ 1992

Vom Sonnabend, dem 13.Juni 1992 (Anreise, Begrüßungsgespräch) bis zum Donnerstag, dem 18. Juni 1992 (Abschlußdiskussion, Abreise) fand in Novgorod ein Colloquium zum Thema „Der Rußlandhandel der Hanse und der Großmarkt Novgorod“ statt. Teilnehmer waren 28 russische und deutsche Historiker sowie ein polnischer, der aus Krankheitsgründen kurzfristig absagen mußte, jedoch sein Referat übersandte, das verlesen und mit den anderen in Diskussion und Auswertung einbezogen wurde. Die Referate betrafen die Handelswege, die Handelsbilanz, die Topogra­ phie und die fernhandeisbezogene Sozialstruktur Novgorods (im Vergleich mit Hansestädten) sowie Vorgänge am Kontor selbst (prosopographisch, kulturell, sprachlich, wirtschaftlich). Kongreßsprachen waren Deutsch und Russisch (Simultandolmetscher, teils von Novgorod gestellt, teils eigene). Colloquien an den Plätzen der alten hansischen Kontore und Außen­ handelsmärkte werden von der hansehistorischen Forschung seit 1970 durchgeführt (1970: Bergen, veröffentlicht als Band XVII der Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte, bearb. von Klaus Friedland, 1971; 1974 London, Band XXIII; 1984 Visby, Band XXXII; 1988 Brügge, Band XXXVI; als letztes jetzt an dem noch verbliebenen großen Han­ delsemporium Novgorod (Janin: „Die Gründung von St. Petersburg ... bedeutete, wie es hieß, daß ein Fenster nach Europa eröffnet wurde; daß Novgorod jahrhundertelang zuvor die Tür nach Europa weit offenthal­ ten hatte, war damals vergessen“). Es lag nahe, in Novgorod einleitend die ortsbezogene wissenschaftliche Fragestellung sowie die alten (Land- und See-) Straßenverbindungen (Samsonowicz, Weczerka) anzusprechen. Im übrigen verfolgten die Kontorcolloquien die Ziele: erstens die Kollegenschaft, den deutschen Hanseforschern zum Teil schon enger ver­ bunden, in aktuelle Verbindung mit der deutschen Hanse- und Wirt­ schaftsgeschichtsforschung zu bringen; zweitens die ortsbezogenen Er­ kenntnismittel (archäologische, topographische, kulturgesellschaftliche = museale) in den Forschungszusammenhang einzubeziehen; drittens die jun­ ge Forschergeneration (Studenten, Jungwissenschaftler an den deutschen und den Gastländeruniversitäten) einzubeziehen; viertens das Interesse bei öffentlichen (Instituts-, Universitäts- usw.) Stellen in den Gastländern zu fördern. 126 Berichte

Diese Zielsetzungen wurden in Novgorod mit besonderem Nachdruck verfolgt, wobei die Aktualisierung der kollegialen Kontakte in Verbindung mit neuerschlossenen Erkenntnismitteln herausragende Bedeutung hatten, da durch die Forschungen der Abt. Novgorod-Archäologie bei der rus­ sischen Akademie der Wissenschaften (Janin) völlig neuartige Erkennt­ nisse zur (Siedlungs- und) Sozialstruktur, auch eigentums- und grund­ rechtlicher Art im früheren Novgorod in Verbindung gebracht werden konnten mit jüngeren Forschungen zur Metrologie (Witthöft), Handelsbi­ lanz (Choroskiewicz, North, Harder, Stark, Rybina). Es gelang, die so gewonnenen und in der Diskussion teilverarbeiteten Informationen zu der gänzlich neuen Fragestellung zu eröffnen, wie zwei nach Sprache, Gesellschaftsnormen sowie kulturellen Traditionen verschiedenartige (und dabei religiös einander allenfalls nicht diametrale) Wirtschaftsgemeinschaf­ ten bzw. -Systeme den Kontakt miteinander nicht nur finden, sondern für Jahrhunderte festigen und dabei für Europa höchst effizient machen konnten. Das Novgorod-Colloquium wurde insoweit durch die Beteiligung junger Wissenschaftler (North, Reitemeier, Schubert, Hammel) bedeutend gefördert, u. a. im Bereich der Sozio-Topographie im Vergleich, der sprach­ lichen und personalen Kommunikation. Die literarisch-ikonographischen Berührungsgebiete zeigten weitere Referate auf (Seidensticker, Heinsius). Die Ausgangs-Fragestellung sowie Neues zur späteren Kontorgeschichte griffen Angermann und Friedland auf, bei denen auch die Planung und Durchführung des Colloquiums lag. Das Novgorod-Colloquium darf, dies auch im Vergleich mit den bis­ herigen „Kontor-Colloquien“ in Bergen/Norw., London, Visby, Brügge, in seinen bisher abzusehenden Ergebnissen als herausragend gewertet wer­ den. Das gilt für die Förderung des wissenschaftlichen Erkenntnispro­ zesses, die nicht ausreichend als das bei wissenschaftlichen Konferenzen üblicherweise Erzielte klassifiziert wäre, sondern originären Wert hat (s. oben betr. Zusammenschluß zweier Wirtschaftssysteme). Hervorragend bewährte sich, daß ein von Forschern verschiedener Nationen sowie Al­ tersgruppen sowie auch Disziplinen (Archäologie, Geschichte) mit ver­ gleichbar ausgeprägtem Interesse bearbeiteter Fachbereich (hier: Hanse­ geschichte, europäische Wirtschaftsgeschichte des ausgehenden Mittelal­ ters, Geschichte der Urbanisierung) von diesen im unmittelbaren Kon­ takt aufgesucht wurde, was zu einer außergewöhnlich erfreulichen und nutzbringenden Zusammenarbeit zwischen Forschern der alten und der neuen Bundesländer und des neuen Rußland führte und von einer ganz unerwarteten Aufmerksamkeit (und entsprechenden gastfreundschaftlichen Aufwendungen) der gastgebenden Stadt- und Bezirksverwaltung sowie der Presse begleitet war. Klaus Fnedland AKTEURE UND GEGNER DER HANSE - ZUR PROSOPOGRAPHIE DER HANSEZEIT

Wissenschaftliches Kolloquium in memoriam Prof. Dr. phil. habil. Konrad Fritze

Am 5. und 6. November 1992 fand in Greifswald ein wissenschaftli­ ches Kolloquium unter dem Thema „Akteure und Gegner der Hanse - Zur Prosopographie der Hansezeit“ statt. Eingeladen hatte dazu das Historische Institut der Ernst-Moritz-Arndt Universität unter der Lei­ tung seines Direktors Doz. Dr. Wernicke, der inzwischen den dortigen Lehrstuhl für mittelalterliche und Hansegeschichte bekleidet. Gewidmet war die Veranstaltung dem im Januar des Vorjahres verstorbenen Direktor des Historischen Institutes Greifswald und Ordinarius für mittelalterliche Geschichte Prof. Dr. phil. habil. Konrad Fritze. Damit wurde nicht nur der verdienstvolle und international anerkannte Mittelalterhistoriker, dessen Forschungsschwerpunkt auf der Stadt- und Hansegeschichte lag, geehrt, sondern auch seine eigene Forschungsarbeit fortgesetzt. Er selbst hatte nämlich noch ein entsprechendes Forschungsthema, die Personengeschich­ te der Hanse, angeregt und konzipiert. Die Kollegen aus der Greifswalder Forschungsgruppe für Stadt- und Hansegeschichte, deren langjähriger Lei­ ter Prof. Fritze war, brachten somit auch durch die Wahl des Themas die hohe Wertschätzung zum Ausdruck, die Prof. Fritze bei ihnen genoß. Daß diese sich nicht nur auf Greifswald beschränkte, zeigte das große internationale Interesse, sich an dem Kolloquium mit einem Beitrag zu beteiligen. Insgesamt meldeten sich neben 14 deutschen Kollegen auch Re­ ferenten aus Dänemark, den Niederlanden, Polen, Rußland und Schweden mit Vorträgen zu Wort. Weitere Beiträge gingen dem Veranstalter schriftlich zu. Möglich wurde die Veranstaltung durch die finanzielle Unterstützung der Thyssenstiftung. Zum Auftakt der Veranstaltung begrüßte der Rektor der Ernst- Moritz-Arndt Universität, Magnifizenz Prof. Dr. Zobel, die etwa 150 Teilnehmer in der historischen Aula der Alma Mater Gryphiswaldensis. In seiner Eröffnungsrede verwies er auf die weit zurückreichende Tradition hansischer Geschichtsforschung an der Universität und auf den bedeu­ tenden Anteil des zu Ehrenden an der Etablierung eines entsprechenden Forschungsschwerpunktes am Historischen Institut nach 1945. Gemeinsam mit Prof. Johannes Schildhauer und einigen anderen Kollegen war gerade er es, der den Ruf der neueren Greifswalder Hansegeschichtsforschung 128 Berichte

mitbegründete und diese Forschungsrichtung auch gegen ideologisch mo­ tivierte Widerstände verteidigte. Ein Ruf, der auch von neueren Sichtweisen nach dem Jahr 1989 nicht beeinträchtigt wurde1. Der Rektor betonte ebenso Prof. Fritzes Bemühungen, entgegen der allgemeinen Linie einen breiten fachlichen Austausch in alle Ffimmelsrichtungen zu pflegen, um den Kontakt zur internationalen Forschung aufrecht zu erhalten, was ihm u. a. im Rahmen der Hansischen Arbeitsgemeinschaft gelang. Die Internationalität der Bemühungen Prof. Fritzes unterstrich auch der Beitrag „Konrad Fritze in der Internationalen Assoziation zur Er­ forschung der nördlichen Meere“ von Dr. Michael North (Kiel), der über dessen Arbeit in eben dieser Organisation berichtete und vor allem seinen maßgeblichen Anteil an der Vorbereitung der 5. internationalen Konferenz „Handel und Kultur in den nördlichen Meeren“ im April 1989 in Ro­ stock herausstellte. Zudem betonte er Prof. Fritzes Beitrag zu den nach der Wende sehr schnell und intensiv zustande gekommenen Kontakten zwischen den historischen Einrichtungen der Universitäten Greifswald und Kiel, Kontakte, die in gemeinsamen Forschungsprojekten und Lehrveran­ staltungen mündeten. Doz. Dr. Wernicke bemerkte zunächst, daß die ersten Ansätze des Kiel-Greifswalder Forschungsprojektes „Hanse-Brügge“ von Greifswalder Seite noch durch Prof. Fritze angedacht wurden, ein Forschungsprojekt, welches sich am Abend noch näher vorstellte. In seinem Vortrag „Zur Prosopographie der Hansezeit“ ging Dr. Wernicke dann auf Anliegen und Probleme des Tagungsthemas sowie auf weitere Forschungen zur Personengeschichte im Bereich der Hanse ein. Prof. Erich Hoffmann (Kiel) war es, der als erster eine konkrete histo­ rische Persönlichkeit ins Blickfeld der Teilnehmer rückte, und zwar einen Gegner der Hanse. In seinen Ausführungen über „König Waldemar IV. als Politiker“ verfolgte er dessen politischen Werdegang, den er in drei große Etappen untergliederte, und unterzog vor allem Strategie und Taktik dieses Königs beim Erreichen seiner Ziele nicht zuletzt gegenüber der Hanse einer eingehenden Wertung. Auch Doz. Dr. Göran Dahlbäck (Stockholm) behandelte in seinem Bei­ trag „Der schwedische Reichsverweser Sten Sture der Altere und die deut­ schen Städte 1470-1550“ eine Person, die nicht die Hanse vertrat. Bedingt durch die allgemeine politische Konstellation, war dessen Verhältnis zu den Hansestädten stark beeinflußt vom Verhältnis Schwedens zu Dänemark.

1 „Im übrigen unterscheiden sich die Geschichts-Fachbereiche nach Qualität von Universität zu Universität sehr. Sehr gut sind etwa die Geschichte der Hanse in Greifswald oder die Sozialgeschichte in Leipzig.“ - Prof. Jürgen Kocka in dem Artikel „Es droht eine Zementierung der alten Verhältnisse - Geschichtswissenschaft in Ostdeutschland“. In: „Die Welt“ vom 19. 12. 1990. Akteure und Gegner der Hanse 129

Inwieweit ein zu vermutender umfangreicher Eigenhandel Stures und da­ mit private Interessen dessen Verhältnis zu den Hansestädten beeinflußt haben, ließ sich leider wegen fehlender Quellen nicht ausmachen. Nach einer Pause wurde die Tagung in den Räumen des Rubenowhauses in der Fischstraße fortgesetzt, wo zunächst Prof. Marian Biskup (Torun) über „Elbinger Kaufleute und Ratsherren des 14. und 15. Jahrhunderts“ sprach. Dies waren Jochen von Folmerstein, dessen Anteil am zweiten hansisch-dänischen Krieg 1367-1370 hervorgehoben wurde, und Jochen II. von Thorn, der im Spannungsverhältnis zwischen den preußischen Städten und dem Deutschen Orden gezeigt wurde. Prof. Gerhard Theuerkauf (Hamburg) beschäftigte sich mit „Hinrich Murmester und Hermann Lan- genbeck, Bürgermeister von Hamburg (1467-1517)“ und wies auf zahl­ reiche Gemeinsamkeiten in den persönlichen Verhältnissen hin. Beide pro­ movierte Juristen erlangten nacheinander die Bürgermeisterwürde in Ham­ burg, was Prof. Theuerkauf u. a. eine wachsende juristische Durchdringung der städtischen Gesellschaft konstatieren ließ. Am Nachmittag stellte Detlef Kattinger (Greifswald) „Johann von Douai - einen hansischen Diplomaten im 13. Jahrhundert“ vor und chrakterisierte ihn als einen ratstreuen Skandinavienspezialisten unbekannter Herkunft, der es in Lübeck zu Ratswürden brachte und dessen Spur sich bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts wieder verliert. In diesem Jahrhundert war auch der Vortrag von Dr. Volker Henn (Trier) „Tideman Lemberg, ein Dortmunder Hansekaufmann des 14. Jahrhunderts“ angesiedelt, welcher als Finanzbankier, nicht jedoch als Abenteurer und Spekulant skizziert wurde und dessen Geschäfte in England im Mittelpunkt der Betrachtungen standen. Anschließend bemühte sich Prof. Bernd Hucker (Vechta) in seinem Vortrag „Lichnatus von Gotland“, das Umfeld dieses wenig bekannten Mannes näher zu beleuchten. Das letzte Referat dieses Tages „Der lübische Bürgermeister Heinrich Rapesulver“ hielt Dr. Jens E. Olesen (Odense). Er kennzeichnete ihn als den Leiter der lübischen Politik von 1425-1440 und stellte insbesondere seine Rolle im hansisch-dänischen Verhältnis jener Jahre heraus. Zu vorgerückter Stunde stellte sich unter der Leitung von Prof. Paravi- cini (Kiel) und Doz. Dr. Wernicke (Greifswald) dann noch am Abend das Kiel-Greifswalder Forschungsprojekt „Hanse-Brügge“ einem zahl­ reichen interessierten Publikum vor. Zentrales Anliegen dieses von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes ist es, Brügger Steuerbücher der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts mit Methoden der modernen Datenverarbeitung auszuwerten und eine Identifizierung von in diesen Büchern genannten Namen mit anderweitig bekannten hansischen Kaufleuten zu ermöglichen. Die Vorstellung erfolgte in erster Linie durch Prof. Paravicini sowie durch die zahlreichen z. T. studentischen Bearbeiter, 130 Berichte

wobei auf Anliegen, Schwierigkeiten und Zielvorstellungen des Projektes eingegangen wurde. Den Freitag eröffnete Prof. A.L. Choroskevic (Moskau) mit Ausführun­ gen über „Novgoroder und Pskower Partner der Hanse“, wobei sie die schwierige Quellenlage anmerkte. Sie stellte die Gruppen vor, mit denen die deutschen Kaufleute in diesen Städten in Berührung kamen, und ging auf die Stellung der deutschen Kontore in Novgorod ein. Dr. Heidelore Böcker (Berlin) begab sich auf „Die Spuren der Kauf­ mannsfamilie Loitz im vorpommerschen Hinterland“. Schlaglichtartig be­ leuchtete sie die Entwicklung dieser Familie über mehrere Generationen vom 15. bis ins 16. Jahrhundert, ihren wirtschaftlichen Aufstieg und den ökonomischen Zusammenbruch in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Einer Person aus Vorpommern galt auch die Aufmerksamkeit von Dr. Ralf-Gunnar Werlich (Greifswald). In seinem Beitrag „Wulf Wulflam - ein hansischer Diplomat aus Stralsund“ entwarf er das Bild eines hansischen Politikers, der wie kein zweiter im letzten Jahrzehnt des 14. und im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts die Kontakte der Hanse mit den skandinavischen Reichen wahrnahm und an zentralen historischen Ereignissen jener Zeit aktiv beteiligt war. „Die Hansestadt Rostock und die Moltkes - Schlaglichter auf ein Spannungsverhältnis“ war das Thema zu dem Dr. Ernst Münch (Rostock) referierte. Er verfolgte die Konflikte des in Toitenwinkel in unmittelbarer Nachbarschaft zu Rostock sitzenden Zweiges des mecklenburgischen Adelsgeschlechts mit der Handelsstadt über fünf Jahrhunderte bis zu seinem Niedergang im 17. Jahrhundert. Nachdem der von Prof. Maria Bogucka (Warschau) eingereichte Bei­ trag „Johann Färber, Bürgermeister von Danzig“ verlesen worden war, beschäftigte sich Prof. Herbert Langer mit „Hansischen Syndici - Jurispru­ denz im Ausklang des Bundes“. Ihn beschäftigte die hansische Tätigkeit der Syndici Sudermann und Doman in der zweiten Hälfte des 16. bzw. in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und ihre Versuche, die Konföderation neu zu beleben. In einem ähnlichen zeitlichen Rahmen bewegte sich Prof. Hans-Dieter Loose (Hamburg) mit seinem Vortrag „Der Hamburgische Senatssyndicus Vicent Garmers (1620-1687) und das Ende der Hanse“, dessen umfang­ reiche Verstrickungen in die internationale Politik im weiteren zeitlichen Umfeld des letzten Hansetages (1669) er veranschaulichte. Dr. Antjekathrin Graßmann (Lübeck) betrachtete den etwa gleichen Zeitraum dann aus lübischer Sicht, indem sie über „Den Lübeckischen Syndicus und Bürgermeister Dr. David Gloxin (1597-1671) - aus der täglichen Arbeit eines Diplomaten in der Spätzeit der Hanse“ referierte, der sich mit Nachdruck für die Hanse eingesetzt habe. Auch der folgende Beitrag von Dr. Lodevik Blok (Utrecht) „Pieter de la Court (1618-1685) - Tuchfabrikant und Publizist“ war in der hansischen Akteure und Gegner der Hanse 131

Spätzeit angesiedelt und würdigte diesen als den wichtigsten holländischen Autor der politischen Ökonomie. Zum Abschluß des zweitägigen Kolloquiums wurden die Zuhörer durch Dr. Friedrich Bernward Fahlbusch (Warendorf) noch einmal in das 13. Jahrhundert zurückversetzt. In seinem Vortrag „, Konstanz und die Hanse: Könige, Kaufleute, Unterhändler“ ging er gegen die vorherrschende Charakterisierung des hansischen Raumes als königsfern an und betrachtete die Kontaktpersonen zwischen der Königsmacht und dem Norden. Die beiden Tage des Kolloquiums gewährten sowohl Einblicke in persönliche Schicksale von Personen, die in der einen oder der anderen Form mit der Hanse in Kontakt standen, als auch in allgemeine Probleme der Personengeschichtsschreibung im hansischen Umfeld, so daß dem Anliegen der Tagung, den Austausch zwischen den Fachkollegen in diesem Bereich zu fördern, entsprochen werden konnte. Die Veröffentlichung der 20 Vorträge nebst einigen eingesandten Bei­ trägen in einem Sammelband im Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar, ist geplant. Ralf-Gunnar Werlich

HANSISCHE UMSCHAU

In Verbindung mit Norbert Angermann, Detlev Ellmers, Antjekathrin Grafl- mann, Rolf Hammel-Kiesow, Elisabeth Harder-Gersdorff Erich Hoffmann, Petrus H.J. van der Laan, Herbert Schwarzwälder, Hugo Weczerka und anderen

bearbeitet von Volker Henn

ALLGEMEINES

Urkunden zur Geschichte des Städtewesens in Mittel- und Niederdeutschland, Bd. 2: 1351 - 1475, bearb. von Friedrich Bernward Fahlbusch, Friedrich-Wilhelm Hemann, Heinz Stoob und Michael Tönsing, hg. von Friedrich Bernward Fahlbusch und Heinz Stoob (Städteforschung C/4, Köln 1992, Böhlau, XXV, 449 S., 1 Kte.). - Sieben Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes (s. HGbll. 104, 1985, 113 f.) ist jetzt der zweite Band dieser nützlichen Urkundensammlung vorgelegt worden, der die Zeit seit dem „Schwarzen Tod“ bis zum Jahre 1475 umfaßt. Dabei markiert das Stichjahr 1475 weniger eine „Epochengrenze“ in der Geschichte des Städtewesens, sondern ist aus „pragmatischen Erwägungen“ (XXI) gewählt worden; ein dritter Band, der bis etwa 1590 reichen soll, befindet sich bereits in Bearbeitung. - Geboten werden 341 Stücke, von denen 46 in der vorliegenden Sammlung erstmals veröffentlicht werden. Das Gliederungsschema ist im we­ sentlichen beibehalten worden. Geändert wurde lediglich das erste Kapitel, das im ersten Band den Ursprüngen des Städtewesens gewidmet war, jetzt unter der Überschrift „Städtisches Baugefüge“ Urkunden zur topographischen Entwick­ lung und zur baulichen Gestalt der spätmittelalterlichen Stadt enthält. Hinzuge­ kommen sind im Kapitel „Kirchen und Kultur“ ein Abschnitt über „Städtisches Brauchtum und Kulturleben“, sowie im Kapitel „Rechtsleben“ ein Abschnitt über die „Rechtspflege“, die ergänzende Bereiche des städtischen Alltagslebens beispielhaft dokumentieren. Daß es bei der Zuordnung der einzelnen Stücke gelegentlich zu Überschneidungen kommt, ist bei der Komplexität des Urkun­ deninhalts wohl unvermeidlich. Um wie vieles dichter die urkundliche Überlie­ ferung im späten Mittelalter fließt (mit den daraus resultierenden Möglichkeiten einer differenzierteren Betrachtung stadtgeschichtlicher Probleme) mag folgende Beobachtung wenigstens andeuten: Während im ersten Band 302 Urkunden ausreichen mußten, um mehr als ein halbes Jahrtausend stadtgeschichtlicher Entwicklung exemplarisch zu dokumentieren, stehen die im vorliegenden Band 134 Hansische Umschau

zusammengetragenen 341 Texte für nur 125 Jahre! Waren bei der Auswahl der Urkunden in erster Linie die Sachgesichtspunkte entscheidend, so haben sich Bearbb. doch bemüht, die Städte des behandelten Raumes einigermaßen gleichgewichtig zu berücksichtigen. Wenn gleichwohl Städte wie Göttingen oder Hildesheim und einige andere überdurchschnittlich oft berücksichtigt sind, dann liegt dies hauptsächlich daran, daß die formalen Voraussetzungen durch das Vorhandensein gedruckter Quelleneditionen/Urkundenbücher entsprechend günstig waren. Denn wenn auch die archivalische Überlieferung bei der Be­ arbeitung des vorliegenden Bandes stärker berücksichtigt worden ist als beim ersten Band, so stützt sich auch der zweite vornehmlich auf bereits publiziertes Urkundenmaterial. Ein Anmerkungsapparat, der Informationen zur Überliefe­ rung, in einzelnen Fällen zur Neudatierung der Urkunden, und weiterführende Literaturhinweise enthält, verschiedene Register, darunter ein Register der Orts­ und Personennamen sowie ein Sachregister, das stellenweise die Funktion eines Glossars übernimmt, beschließen einen Band, der sich ohne Zweifel als ein hilfreiches Instrument der stadt- und hansegeschichtlichen Forschung und Lehre erweisen wird. V.H.

Klaus Friedland, Die Hanse (Urban Taschenbücher 409, Stuttgart 1991, Kohlhammer, 222 S.). - Jeder horcht auf, wenn ein ausgewiesener Hanseforscher wie F. sich zu dem Thema äußert, dem er die wissenschaftliche Tätigkeit von Jahrzehnten gewidmet hat. Die Kompetenz des Vfs. ist unbestritten, sein Mut, auf 180 Oktavseiten (so viel umfaßt der eigentliche Text) die Hanse zu beschreiben, erfordert Respekt. - Nach des Vfs. eigenen Worten will sein Taschenbuch „den Weg öffnen“ zu den schon vorhandenen Quellenwerken und zur Literatur; es steht demnach dem Genre der Einführungen nahe. F . holt weit aus: Ganz modern beginnt er mit einem ideologiekritischen Kapitel über den Begriff Hanse, um dann ausführlich auf den Namen und die Anfänge der Hanse einzugehen. Sie wird als Kind des „Fernhandels“ und der „Urbanisierung“, des „Kaufmanns“ und des „Bürgers“ (so die Kapitelüberschriften) gesehen, das zu Ende des 13. Jhs. sozusagen großjährig geworden ist. Zeitabschnitte und Sachthemen sind miteinander verknüpft; besonders hervorzuheben ist die Einbettung dieser Frühgeschichte in den weitgespannten Rahmen der Rechts­ und Sozialgeschichte Europas. Jeder Ansatz zu falscher Lübeck- oder Ostsee- Zentriertheit fehlt. Aber es sind mit dieser Darstellung schon 130 von den 180 Seiten verbraucht. Vielleicht hätte der Autor sich auf Entstehung und Frühgeschichte beschränken sollen, denn die restlichen Kapitel, die die hansische Geschichte bis 1669 abdecken wollen, sind einfach zu kurz. Womit die Hanse eigentlich handelte, was sie damit wo bewirkte, warum sie hier stärker, dort schwächer als die Konkurrenz war, das alles konnte so gut wie gar nicht mehr angesprochen werden. Die Vorlieben des Autors, die den ersten Kapiteln ihren Reiz gaben, werden ihm nun eher zum Verhängnis, weil so vieles ungesagt bleibt. Enttäuschend ist die redaktionelle Gestaltung: Schreibfehler, sachliche Irrtümer (S. 85 „Parochialen“ für Pfarrer; S. 170 zweimal die Anm. 26, die aber so, wie sie auf S. 197 steht, zum vorangegangenen Unterkapitel „Sprache und Kultur“ S. 166 f. mit Anm. 19-21 zu gehören scheint; S. 176 „in Köln 1348 und 1370“ für 1370 und 1396; S. 197 Anm. 18 ein verlorenes „als“; S. 200 Anm. 6 führt F. Allgemeines 135 einen nicht existenten Zcitschriftenartikel an, verweist aber zum Glück auf die frühere korrekte Angabe) und stilistische Härten erklären sich vielleicht aus der Eile, mit der Vf. sein Manuskript schließlich zum Abschluß brachte. Aber man fragt sich am Ende doch, für wen das Buch gedacht ist. Als Beitrag zum Werden der Hanse ist es originell und anregend und aus der Distanz geschrieben, die den Blick für die Weite des Themas verleiht. Aber als Einführung ist es nicht gerade eingängige Kost, auch nicht immer zuverlässig bei den Belegen. Daher gilt ihm der Beifall so, wie es jetzt vorliegt, nur zum Teil. Das Versprechen des Titels wird nicht voll erfüllt. Joachim Deeters

Daß Lübeck das „Haupt“ der Hanse gewesen ist - nicht die Hauptstadt in einem modernen staatsrechtlichen Sinne (alle daran anknüpfenden Überlegun­ gen gehen ins Leere!) -, gilt im hansegeschichtlichen Schrifttum als eine so selbstverständliche Tatsache, daß selten nach den konkreten Funktionen gefragt wird, die Lübeck in dieser Eigenschaft wahrgenommen hat. Stuart Jenks, A Capital without a State: Lübeck ,caput tocius hanze' (to 1474) (Historical Research 65, 1992, 134-149), ist dieser Frage jetzt nachgegangen und zu dem Ergebnis gekommen, daß Lübeck als „ene hovetstad der ... hense“ der gewisser­ maßen administrative Mittelpunkt der Gemeinschaft war, dessen Hauptaufgabe darin bestand, die Willensbildungsprozesse innerhalb der Hanse anzustoßen und zu organisieren. Deutlich zeigt sich dies - ex negativo - an der Hand­ lungsunfähigkeit der Hanse in den Jahren zischen 1408 und 1416, als Lübeck wegen der innerstädtischen Unruhen seine gesamthansischen Verpflichtungen nicht wahrnehmen konnte. Ausdrücklich wurden Lübeck und die benachbarten wendischen Städte 1418 damit beauftragt, „umme des gemenen besten willen“ zwischen den Hansetagen die gemeinsamen Geschäfte zu führen, wobei die Städte freilich nur so lange bereit waren, Entscheidungen zu akzeptieren, wie diese den eigenen Interessen entgegenkamen. Trotzdem hat sich Lübeck seiner besonderen Aufgabe gestellt und auch in Kauf genommen, daß sie eine hohe materielle Belastung für die Stadt darstellte. V.H.

Für Volker Henn hat Der Lübecker Hansetag im Sommer 1418 einen schwer zu beurteilenden Stellenwert (Beiträge zur deutschen Volks- und Al­ tertumskunde 26, 1988/91, 25-41). Der Stralsunder Frieden von 1370 gilt im allgemeinen als Höhepunkt hansischer Machtentfaltung, nach dem ein „Nach­ lassen der Kräfte“ einsetzte. Vf. hat mit Recht Zweifel an dieser pauschalen Einschätzung. Zweck der Hanse war vor allem die Sicherung von Handelsmo­ nopolen und Handelswegen; das geschah durch Verhandlungen und Boykott, in Ausnahmefällen durch Kriege. Vf. gibt auch zu bedenken, daß hansische Ak­ tionen im allgemeinen nur von den direkt am jeweiligen Problem interessierten Städten getragen wurden. So war auch die Beteiligung der einzelnen Hansestädte am dänischen Krieg von sehr unterschiedlichem Gewicht. Mißt man die „Kraft“ der Hanse nicht nur an Kriegen, sondern am Umfang des Handels der einzelnen Städte, so nahm sie nach 1370 sicher zu, wobei zu bedenken ist, daß der Handel nicht nur im Rahmen der Hanse, sondern zu einem großen Teil neben der Hanse stattfand. Die Unsicherheit auf diesem Gebiet ergibt sich aus dem Wesen des labilen Städtebundes. Vf. widmet diesem allgemeinen Problem etwa die Hälfte 136 Hansische Umschau

seines Aufsatzes. - Der Hansetag von 1418 war im wesentlichen eine Reaktion auf die Wiederherstellung der Ratsherrschaft in Lübeck. Die dort beschlossenen „Statuten“ dokumentieren in ihrem Hauptteil die Absicht, auch in den ande­ ren Hansestädten die Ratsherrschaft zu festigen. Das hatte bekanntlich keinen dauerhaften und allgemeinen Erfolg, wenn auch die Hanse oder zumindest die Mehrheit der Mitgliederstädte auf Revolutionen mit einer Verhansung reagierte, eine Maßnahme, die für die betroffene Stadt keineswegs katastrophale Folgen haben mußte. Die „Statuten“ von 1418 enthalten aber auch eine Reihe von handelspolitischen und auf die Seeschiffahrt bezogene Vorschriften, die zunächst nur zeigen, wie es die an der Formulierung beteiligten Städte gehalten haben wollten; es ist zu vermuten und sogar wahrscheinlich, daß keineswegs alle Städte und Kaufleute jede Bestimmung genau beachteten. Vf. weist auch darauf hin, daß die Bestimmung, der Genuß von Hanseprivilegien sei mit dem Bürgerrecht einer Hansestadt verbunden, Probleme ergibt: Woran erkennt man eigentlich, ob und wann eine Stadt „zur Hanse“ gehörte? In diesem Zusammenhang stellt Vf. fest, daß die „Statuten“ von 1418 keine „Verfassung“ der Hanse im modernen Sinne waren, durch die etwa Zugehörigkeit, Struktur, Rechte und Pflichten genau geregelt wurden, sondern ein Versuch, die anstehenden aktuellen Probleme zu lösen. Dabei bleibt offen, ob die vereinbarten Regeln überhaupt von allen Hansestädten befolgt wurden und welche Folgen eine Mißachtung hatte. Am Schluß beschäftigt sich Vf. mit dem Entwurf der „Tohopesate“ von 1418. Sie bestimmte die Einzelheiten gegenseitiger Hilfe und wollte den Rat von Lübeck zu einer Art Bundesgericht machen. Der Entwurf dokumentiert aber lediglich Vorstellungen, die in einzelnen Städten, wohl vor allem in Lübeck, entwickelt wurden. Es wäre zu untersuchen, wie die einzelnen Hansestädte in der politischen Praxis Landfriedenspolitik betrieben haben und ob sie dabei den Rahmen hansischer Tohopesaten beachteten. Es ist wahrscheinlich, daß jede Stadt dabei nach den regionalen und aktuellen Gegebenheiten, weniger nach den vom Städtebund gesetzten Normen handelte. Es ist das Verdienst des Vfs., die konstitutiv erscheinenden Elemente des Hansetages von 1418, bes. das „Statut“ und die Tohopesate, relativiert zu haben. H.Scbzv.

An „hansefernem" Ort hat Stuart Jenks einen Aufsatz mit dem Titel Werkzeug des spätmittelalterlicben Kaufmanns: Hansen und Engländer im Wan­ del von ,memoria* zur Akte (mit einer Edition von ,Tbe Noumbre of Weygbtys’) (Jb. für fränk. Landesforschung 52, 1992, 283-319) veröffentlicht, in dem er sich kritisch mit der auf Fritz Rörig zurückgehenden These auseinandersetzt, wonach die „Einführung der Schriftlichkeit... gleichbedeutend war mit der Lese- und Schreibfähigkeit eines jeden Kaufmanns oder Ratsherrn“ (286). Weitaus wichtiger als das Lesen und Schreiben, das man durch entsprechend ausgebil­ dete Personen erledigen lassen konnte, war für den geschäftlichen Erfolg die Fähigkeit des Rechnens resp. der marktgerechten Kalkulation über weite Räume. Am Beispiel des Londoner Kontors und der aus dem Kontor überlieferten Aktenbestände geht Vf. auch auf den in den Kontoren erreichten Grad der Verschriftlichung ein. Im Anhang veröffentlicht er ein um die Mitte der 60er Jahre des 15.Jhs. in London entstandenes Kaufmannshandbuch, das die Maß- Allgemeines 137 und Gewichtssysteme in England und im Ausland, das kaufmännische Verhalten sowie die Modalitäten des Wollhandels zum Gegenstand hat. V.H.

Matthias Puhle, Die Vitalienbrüder. Klaus Störtebeker und die Seeräuber der Hansezeit (Frankfurt/New York 1992, Campus Verlag, 199 S., 31 Abb., 3 Ktn.). 1391, also vor rund 600 Jahren, haben die mecklenburgischen Hansestädte zur Unterstützung der Politik ihrer Herzöge, ihre Häfen für alle diejenigen geöffnet, die das Königreich Dänemark zu schädigen versprachen. Damit haben diese beiden Städte selber die Läuse in den hansischen Pelz gesetzt, die ein Jahrzehnt lang zuerst in der Ostsee, dann in der Nordsee die Plage der Handelsschiffahrt werden sollten, die Vitalienbrüder. Vf. sondiert sorgfältig das historische Umfeld dieser Seeräubergruppe und entwirft ein verläßliches Bild ihrer Unternehmungen nach den nicht eben reichhaltigen historischen Quellen. Deutlich scheidet er davon die spätere Sagenbildung, die sich besonders um den 1400 in Hamburg hingerichteten Störtebeker rankte. D.E.

Der Aufsatz von Hermann Queckenstedt mit dem Titel Ein „groß achtbar und hochgelehrter her“ ist ein Beitrag Zur Biographie des aus Osnabrück stammenden Hanse-Syndikus Johannes Domann (OsnMitt. 92, 1992, 53-75) und beruht neben einer sorgfältigen Auswertung der einschlägigen Li­ teratur auf Akten des Staatsarchivs Osnabrück. In anderen Hansearchiven mag sich weiteres Material finden. Domann wurde in Osnabrück geboren, studierte mit einem Stipendium seiner Heimatstadt in Rostock und Helmstedt. 1605 wurde er Hansesyndikus und war als solcher wohl ein geschickter Diplomat, der zunächst vor allem die Aufgabe hatte, die Hanse zu erneuern. Uber dieses Problem gibt es eine umfangreiche Literatur. Der Schwerpunkt der zweiten Amtszeit Domanns waren die Verhandlungen über das Bündnis mit den Nie­ derlanden. Es wäre noch zu untersuchen, welches Gewicht die neben Domann beteiligten Personen (Brokes, Kreffting usw.) in all diesen Verhandlungen hat­ ten. Vf. beschreibt zum Schluß die Bindungen Domanns zu Osnabrück, die im wesentlichen familiärer Natur waren. Bekannt wurde er vor allem als Verfasser des Hanseatenliedes. H.Schw.

Gerd Steinwascher, Heimatforschung und mittelalterliche Quellen. Ei­ ne Einführung (Schriften zur Heimatpflege. Veröffentlichungen des Niedersächs. Heimatbundes. Bd. 6, Hildesheim 1992, Verlag Augut Lax, 63 S., 2 Abb.). - Das Bändchen wendet sich in erster Linie an den Heimatforscher, der nicht durch ein Geschichtsstudium auf seine Arbeit vorbereitet ist. Es will ihm Mut machen, seine Aufmerksamkeit trotz bestimmter quellenbedingter Schwierigkeiten auch den mittelalterlichen Jahrhunderten zuzuwenden. Zu diesem Zweck liefert Vf. eine knapp gehaltene Quellenkunde, wobei die Urkunden etwas ausführlicher behandelt werden, geht auf Probleme der Überlieferung und Aufbewahrung des Materials ein, gibt Ratschläge zur Ermittlung der Quellen und erörtert am Beispiel ausgewählter Urkunden aus dem niedersächsischen Raum Probleme, die bei der Interpretation auftreten können. Vielleicht wäre es zweckmäßig gewesen, nicht nur Urkunden als Beispiele auszuwählen, sondern auch anderes Quellenmaterial (Urbare, Rechnungen, Weistümer u. ä.) vorzustellen. Bei den 138 Hansische Umschau

Hilfsmitteln wäre es sicherlich hilfreich gewesen, unabhängig von dem Hinweis auf frühere Veröffentlichungen, auch einige Sachwörterbücher und Handbücher anzugeben; auch den Hinweis auf speziell mittellateinische Wörterbücher und Glossare vermißt man. V.H.

Mare Balticum. Beiträge zur Geschichte des Ostseeraumes in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift zum 65. Geburtstag von Erich Hoffmann, hg. von Werner Paravicini unter Mitwirkung von Frank Lubowitz und Henning Unverhau (Kieler Historische Studien, Bd. 36, Sigmaringen 1992, Jan Thorbecke Verlag, XIX, 503 S., 32 Abb.). - Der Titel dieser Fest­ schrift, der den Arbeitsgebieten des auf diese Weise zu seinem 65. Geburtstag geehrten Ordinarius für schleswig-holsteinische Landesgeschichte an der Kieler Universität gewissermaßen eine Klammer gibt, läßt erwarten, daß auch der Hansehistoriker reiche Belehrung findet. Von den 34 Beiträgen können 17 der schleswig-holsteinischen Landesgeschichte, fünf der allgemeinen Stadtge­ schichte, neun der Geschichte der nordischen Reiche (insbesondere Dänemarks) und drei der Minderheitengeschichte zugeordnet werden. Vor allem Kieler und dänische Kollegen, Freunde und Schüler sind mit Beiträgen von der Wikingerzeit bis zur Zeitgeschichte vertreten. Einem Vorwort und einer Tabula Gratulatoria folgt eine sehr persönlich gehaltene und dem bisherigen Leben, Wirken und Werk des Jubilars sehr nahekommende Laudatio von Lorenz Rerup. Nach Abfolge der zeitlich geordneten Artikel findet sich ein nach Jahren geordne­ tes Verzeichnis der Schriften Erich Hoffmanns und der von ihm betreuten Dissertationen. - Es ist an dieser Stelle unmöglich, alle Beiträge vorzustellen. Allein jene mit hansischem Bezug seien hervorgehoben. Die vorhansische Zeit ist mit mehreren Beiträgen vertreten. Carsten Müller-Boysen,„o« thaet baechord Denamearc“. Politische Geographie von Bord eines Wikingerschiffes aus betrachtet (21-37), äußert sich zu den in Quellen überlieferten Beschrei­ bungen von Handelsfahrten in der Spätwikingerzeit und der darin zu findenden Scheidung zwischen Süd- und Norddänemark, die auch für weitere Jahrhunderte spürbar war. Ähnlich geht Sten Körner, Schweden in frühmittelalterlichen Quellen (53-59), dem Vorkommen der Schweden in der frühmittelalterlichen Chronistik (Rimbert, Adam, Helmold), in dem der Weg vom Stammesgebiet zum Reich nachvollzogen werden kann, nach. - Christian Radtke, König Magnus der Gute und Haithabu/Schleswig (67-91), untersucht die allgemeine politische Situation im Grenzraum der Siedlungsgebiete von Dänen, Slawen und Sachsen in der ersten Hälfte des ll.Jh s. in ihrer Bedeutung für die Entstehung Schleswigs neben der Frühstadt Haithabu als zunächst mehr herrschaftlich­ kirchliches Zentrum. Daran anknüpfend berichtet Niels Lund, Knuts des Heiligen beabsichtigter Zug nach England im Jahre 1085 (101-110), von dem vergeblichen Versuch, alte angelsächsische Herrlichkeit wiederherzustellen, der aber am Widerstand der Großen scheiterte. Eine ähnliche Frage behandelt J orn S a n d n e s , Germanisches Widerstandsrecht und die Schlacht bei Stiklestad 1030, (61-66). Helmut G. Walther, Die Entscheidung zur Gründung einer „ci- vitas holsatorum“. Zum Verhältnis von Bettelordenskloster und Stadtgründung am Beispiel Kiels (125-135), kann das Zusammenwirken von herrschaftlichem Willen der Holsteinergrafen (insbesondere Graf Adolf IV.) und der Wirksamkeit Allgemeines 139 der Franziskaner auch hinsichtlich der Frühgeschichte Kiels vor Augen führen. Zwei Beiträge (Flenning Unverhau, Die Herzöge WaldemarIV. and Erich II. von Schleswig. Zwei Biographien, 137-153; Esben Albrectsen, Uber die rechtliche Stellung des Flerzogtums Schleswig im Spätmittelalter, 155-164) behandeln ein Territorium, das im Konflikt zwischen Dänemark, der Hanse und norddeutschen Fürsten stets einen Zankapfel darstellte. Das Herausdriften Schleswigs aus dem dänischen Reichsverband (H. Unverhau) und die Abwehr anderer Abhängigkeitsbestrebungen wird plausibel vorgestellt. Werner Paravicini, Das Haas Namar im Ostseeraum (165-193) gibt, indem er die Nachwirkungen der Heirat von König Magnus II. Eriksson von Schweden mit Blanka von Namur 1335 verfolgt, eine Übersicht über Quellen, in denen Vertreter aus dem Grafenhaus Namur im Ostseeraum im 14. Jh. aufgefunden worden sind. Die „erstaunliche geographische Mobilität des Adels“ (187) ist im Rahmen der dynastischen wie der Preußenfahrtverbindung zu erklären. Die Betätigung und das Interesse blieb aber nur partiell und episodisch. -Konrad Fritze, Erich von Pommern and die Sandzollfrage (203-211), nahm diese zum Aufhänger, um die Politik des dänischen Königs von Pom­ mern den Hansestädten gegenüber zu charakterisieren. Der Sundzoll ist nicht im Zusammenhang mit dem Ausbruch des wendisch-dänischen Krieges 1426 zu sehen, da er erst 1429 erlassen worden ist. - Jens E. Olesen, Die doppelte Königswahl 1448 im Norden (213-231), stellt das Problem, ob die Kalmarer Union nach dem Tod König Christophs fortbestand, unter Erklärung der Umstände, wie sich die Wahl Karl Knutssons zum König von Schweden und Christians zum König von Dänemark vollzog, dar. Eine irgendwie gear­ tete Einflußnahme Lübecks bzw. der Hansestädte wird zwar nicht unerwähnt gelassen, sieht man von der Anwesenheit des Hamburger Bürgermeisters Hein­ rich Koting in Kopenhagen während der Wahl Christians zum König und der Vidimierung einer Urkunde in der Lübecker Ratskanzlei einmal ab, so ist es allein der Hinweis auf die Anwesenheit von Vertretern aus Lüneburg, Hamburg und Lübeck bei der Wahl König Christians, der ein gewisses Interesse vermuten läßt. Dies ist bemerkenswert. Führt man sich aber die Bedeutung der Hansestädte für die Politik Eriks von Pommern im Beitrag zuvor vor Augen und wird von Klaus Friedland, Handelsstadt, Landesherr und nationales Königtum als Kriegsgegner and als Ordnangsmächte. Die „ Grafenfehde“ 1532- 1537 (233-239), bei der Schilderung des scheinbaren Regionalkonflikts auf der Folie allgemeingeschichtlicher Vorgänge wie gesamteuropäischer Verbindungen auf die noch beträchtliche Wirkung Lübecks und der Hanse hingewiesen, so bleibt doch einiges unausgesprochen. Themen hanseatischer Geschichte werden mit dem Beitrag von Gunnar Svahnström, Das Epitaph des Lübecker Bürgermeisters Bartholomeus Tinnappel in der Visbyer Domkirche (241-244), und von Antjekathrin Graßmann, Die Ernennung Heinrich Wilhelm von Gerstenbergs zum dänischen Konsul in Lübeck 1777. Ein Beitrag zur hansestädtischen Diplomatiegeschichte (303-314), berührt. - Schleswig-Holstein als Brückenregion von Süden nach Norden, von Westen nach Osten hat Erich Hoffmann zu vielen zeitlosen Studien angeregt, die ihn als Landeshistoriker stets über die Grenzen haben schauen lassen. Das gleiche zeichnet diesen Sammelband aus. Dem Leser werden in vielen Dateilstudien große Themen der Geschichte 140 Hansische Umschau

vorgestellt. Über die Bedeutung einer Landschaft im Wandel, über die Rolle des Königtums, der Herrschaft, über Grenzen als trennendes oder verbindendes Phänomen, über das Werden und Vergehen von Territorien und über ihre Relikte, um deren Pflege sich der Jubilar größte Verdienste erwarbH. Wernicke

Aus Archiven und Bibliotheken. Festschrift für Raymund Kottje zum 65. Ge­ burtstag, hg. von Hubert Mordek (Freiburger Beiträge zur mittelalter­ lichen Geschichte. Studien und Texte, Bd. 3, Frankfurt/M. 1992, Peter Lang Verlag, XI, 658 S.). - Die stattliche Festschrift enthält 34 Beiträge namhafter Gelehrter, die sich entsprechend den Forschungsschwerpunkten des Geehrten in der Hauptsache mit Themen der Kirchengeschichte, speziell der kirchlichen Rechtsgeschichte, aber auch solchen der allgemeinen Reichsgeschichte - etwa zur Geschichte des Investiturstreits (Karl Josef Benz,Joh. 10, 1-14 in der theologischen Argumentation Gregors VII. gegen Simonie und Laieninvestitur, 239-269), zum staufischen Herrschaftsverständnis (Odilo Engels, Gottfried von Viterbo und seine Sicht des staufischen Kaiserhauses, 327-345) oder zur Entstehung des Kurkollegs: Heinz Thomas, König WenzelI., Reinmar von Zweter und der Ursprung des Kurfürstentums im Jahre 1239 (347-372), der zu erwägen gibt, ob nicht die bekannte Erzämtertheorie im Umkreis des böhmischen Königs entwickelt worden sein könnte - befassen. Hier ist vor allem auf drei Beiträge hinzuweisen: Theo Kölzer äußert sich Nochmals zum ältesten Koblenzer Zolltarif (291-310), dem vor wenigen Jahren erst Bert Thissen eine eingehende Studie gewidmet hatte (vgl. HGbll. 108, 1990, 132). Der Koblenzer Rheinzoll, den Heinrich II. 1018 dem Trierer Erzbischof Poppo von Babenberg geschenkt und den dieser seinerseits in den 40er Jahren des ll.Jh s. dem neu gegründeten St. Simeon-Stift in Trier übertragen hatte, bietet den Historikern vor allem seiner Überlieferung wegen immer wieder Stoff zu kontroversen Diskussionen. Dabei geht es insbesondere um die Datierung der auf Heinrich IV. gefälschten Urkunde (D H IV, t 487) von (angeblich) 1104. Auch K. wendet sich gegen die Thesen Despys und hält an der älteren Datierung des Diploms (bald nach 1104) fest, während die Kopie im Evangeliar des Koblenzer St. Kastor-Stifts seiner Meinung nach in das letzte Drittel des ll.Jh s. zu setzen ist. Die auffallenden Bestimmungen über die Abgaben der Bäcker und Schuster an den Zöllner und die Frage, warum eigentlich Eb. Bruno sich zu Beginn des 12. Jhs., als er schon nicht mehr im Besitz des Zolles war, den Tarif weisen ließ, erklärt resp. beantwortet K. mit dem Hinweis auf das Nebeneinander von Fluß- und Marktzoll und die wechselseitigen Anteile des Erzbischofs bzw. des Stifts an den Zolleinkünften. In der gefälschten Kaiserurkunde sieht K. den Versuch des Simeon-Stifts, die eigenen Rechte gegenüber erzbischöflichen Ansprüchen zu sichern. Das letzte Wort in dieser Sache dürfte allerdings noch nicht gesprochen sein. - Ingo Krüger, Das spätmittelalterliche Nürnberg. Autonomiebestrebungen einer Stadt im Spiegel ihres Schriftguts (421-428), zeigt beispielhaft, wie im städtischen Verwaltungs­ schriftgut, namentlich in den städtischen Urkunden (einschließlich der Siegel), seit der Mitte des 13. Jhs. die Emanzipation des Rates und sein Aufstieg zum allein maßgeblichen Selbstverwaltungskörper der Bürgerschaft sichtbar wird. - Frühe Verlagsverträge im ostschvjäbischen Textilrevier sind Gegenstand eines Allgemeines 141

Aufsatzes von Rolf Kießling (443-458). Die ältesten Nachrichten über auf Verlagsbasis organisierte Tuchproduktion im östlichen Schwaben, sowohl in der Barchent- wie auch in der Leinenherstellung, reichen nicht über die 90er Jahre des 14. Jhs. zurück. Anhand einiger Beispiele aus Nördlingen, Memmingen und Kempten im Allgäu beschreibt Vf. die Organisation der Geschäfte. Es zeigt sich, daß zunächst die Kaufleute aus den größeren Handelszentren (Augsburg, Nürnberg, Ulm) als Verleger auftraten, aber seit Beginn des 15. Jhs. schon von einheimischen Kaufleuten zurückgedrängt wurden. Neben ihnen traten bald auch Handwerker-Verleger auf. Offen bleibt, ob die neue Technik der Barchentweberei und die damit verbundenen Probleme der Rohstoffbeschaf­ fung (Baumwolle aus Venedig), das Vordringen des Verlagswesens stimuliert haben. V.H.

Das andere Wahrnehmen. Beiträge zur europäischen Geschichte. August Nitschke zum 65. Geburtstag gewidmet, hg. von Martin Kintzinger, Wolfgang Stürner, Johannes Zahlten (Köln 1991, Böhlau, 809 S., 18 Abb., 13 Tab., 1 Kte.) - Von den insgesamt 46 Beiträgen, deren Themen­ vielfalt den weitgespannten wissenschaftlichen Interessen August Nitschkes auf eindrucksvoll angemessene Weise ihre Reverenz erweist, seien hier angezeigt: Josef Fleckenstein, Zum Aufstieg der Wettiner. Bemerkungen über den Zusammenhang und die Bedeutung von Geschlecht, Burg und Herrschaft in der mittelalterlichen Adels- und Reichsgeschichte (83-99), beschreibt den Prozeß, in dessen Verlauf die aus ihrem Allodialbesitz zwischen Harz und Saale nach Osten vordringende Adelsfamilie zunächst um die atypische, weil erst spät erworbene „Stammburg“ Wettin (Mitte 11. Jh.) zu einem neuen Namen und Eigenbewußtsein findet, um dann - immer unter geschickter Anbindung der eigenen Machtinteressen an die Ziele der Reichspolitik - als Markgrafen, und gleichsam im Schatten eines neuen Stammsitzes, der Reichsburg Meißen, ihren Aufstieg in die Reihen der Reichsfürsten zu erleben; zu Beginn des 12. Jhs. symbolisiert die Titulatur Konrads als ,Graf von Wettin und Markgraf von Meißen' den komplementären Charakter der beiden „Stammsitze“, über die das gewonnene Land mit dem Altsiedelland verklammert sowie der Selbst­ findungsprozeß eines Geschlechts abgeschlossen wird, dessen Herrschaft dem Land zwischen Saale und Elbe ein neues Gesicht gegeben hat und das von dieser Basis aus bald auch nach Westen, nach Thüringen, ausgreifen sollte. - In . politischer, wirtschaftsorganisatorischer, gesellschaftlich-geistesgeschichtlicher, baulich-architektonischer und sozialpsychologischer Perspektive stellt Otto Borst „Burg“ und „Stadt“ (295-308) gewissermaßen als ,Systeme' einander gegenüber; dabei steht in anfangs strikter, letztlich jedoch wieder zurückge­ nommener, idealtypischer Konfrontation die Burg für das „Feudale“, Feste, Abgeschlossene, Unzugängliche, für Eindimensionalität, Isolation, „Singularis­ mus“, „Monolog“, „Herrschaft“ usw., die Stadt für das „Bürgerliche“, Offe­ ne, Zentrale, Miteinander, für Vielfalt, Pluralismus, Dialog, Innovation, „Ge­ nossenschaft“, Gemeinde, Kollektiv usw.; neben geistreichen, aber nicht im­ mer stilsicheren Apercus läßt das grob typisierende Vergleichsverfahren aller­ dings kaum mehr zu als banale Generalisierung. - Miroslav Polivka, Prager Waffenhandwerke des 14. und D. Jahrhunderts. Zum Stand und zu 142 Hansische Umschau

den Veränderungen in der Hussitenzeit (309-322), strebt die Verbindung von Wirtschafts-, Sozial- und Militärgeschichte an und kann aufzeigen, wie die im Vergleich etwa zu Nürnberg und Köln bis in die zweite Hälfte des 14. Jhs. hinein nicht sonderlich hochentwickelte Waffenproduktion der beiden Prager Städte sich unter den besonderen Bedingungen der Hussitenzeit (1419-1437) nicht nur quantitativ und qualitativ steigert, sondern auch gewerbsmäßig differenziert (Büchsenmeister, Kugelmacher, Salpetersieder, Schießpulverhersteller usw.). - Die in der Tat außergewöhnlich gebündelte Verstrickung der Vorfahren des „Hexenbürgermeisters“ Hermann Cothmann aus Lemgo - die Mutter wird 1654 als Hexe hingerichtet, ihr Bruder ist der Verfasser eines berüchtigten Handbuchs für Hexenprozesse - in die Praxis und Theorie der Hexenverfolgung nimmt Sönke Lorenz (437-449) zum Anlaß, auf Hermanns Großonkel, den Rostocker Juristen Ernst Cothmann (1557-1624), aufmerksam zu machen, der mit seinem, wenn auch nicht sonderlich erfolgreichen Drängen auf strikt formale Anwendung des Verfahrensrechts, wie es der „processus Ordinarius“ der Carolina vorsieht, mit Friedrich Spee, Johann Matthäus Meyfart und Anton Prätorius zu den Gegnern der Hexenverfolgung gerechnet werden kann. - Der besonders ausführliche Bericht der Kölner Weltchronik über die auch aus anderen zeitgenössischen Geschichtswerken bekannte, drei Monate dauernde große Tanzsucht des Jahres 1374, die je nach Gewährsmann die Diözese Trier, das Maasgebiet, den Niederrhein, Flandern, Brabant heimgesucht hat und häufig mit den Geißlerzügen um die Mitte des 14. Jhs. in Verbindung gebracht wur­ de, veranlaßt Rolf Sprandel, Tripudiabant fortiter ad instar chorsancium (777-786) zu einer neuen Interpretation dieses von Laien getragenen Unruhe- Phänomens, die über zu pauschale (Massensuggestion) und verfehlte (Heiltanz) Erklärungsversuche hinausführt. Demnach haben die von einer cmanzipativen Laienfrömmigkeit inspirierten Tänzer aus eingeführten rituellen Formen und Gesten, dem regionalen Prozessionswesen (Heiltanzprozessionen) sowie dem Treiben auf Jahrmärkten und Kirchenfesten (Spielgruppen, Gruppen von al­ mosenheischenden Kranken oder auch Betrügern), Verhaltensmuster entlehnt, die in dieser ungewohnten Kombination leicht mißverstanden werden konnten und letztlich dazu führten, daß die Tanz-Bewegung nach kurzer Zeit verebbt ist. - Ein Verzeichnis der Schriften August Nitschkcs (787-809) schließt den anregenden Band ab. E. Voltmer

Recht, Verfassung und Verwaltung in der frühneuzeitlichen Stadt, hg. von Michael S toi leis (Städteforschung A/31, Köln 1991, Böhlau, 290 S., 1 Faltkarte). - Der aus einem Kolloquium des Kuratoriums für vergleichende Städtegeschichte hervorgegangene Sammelband verdient die besondere Auf­ merksamkeit der Hanseforschung, da gut die Hälfte der Beiträge sich entweder mit den Hansestädten direkt oder zumindest mit dem niederdeutschen und niederländischen Raum befaßt. Schon der posthum erschienene Beitrag von Hermann Kellenbenz, Verfassungsentwicklung und Stadtwirtschaft in der Frühen Neuzeit (1-18), der das Schicksal der wichtigsten europäischen Han­ delsemporien während der ersten Hälfte der frühen Neuzeit überblicksartig be­ handelt, hält aus dem Blickwinkel des Wirtschaftshistorikers den Gegensatz von Territorialwirtschaft und Stadtwirtschaft zumindest für gleichgewichtig mit der Allgemeines 143

Rolle der aufkommenden Nationalstaaten bei der Zurückdrängung der Hanse. - I n Heinz Schillings Aufsatz Stadt und frühmoderner Territorialstaat: Stadtrepublikanismus versus Fürstensouveränität (19-39) bilden die Hansestädte das zentrale Untersuchungsobjekt. In dem Dreiecksverhältnis zwischen Kaiser, Territorium und Stadt blieb den Hansestädten nach der Reformation der Weg zu einer Allianz mit dem Kaiser aus konfessionellen Gründen verschlossen. Das Scheitern der Bemühungen der norddeutschen Hansestädte 1555, mit einem ei­ genen Artikel in den Religionsfrieden aufgenommen zu werden, versperrte ihnen den Rückzug auf die rettende Insel der Reichsfreiheit. In der Zwitterstellung zwischen Landstadt und freier Stadt unterlagen die meisten von ihnen im 17. Jh. der Politik der Territorialherren. Das von Sch. definierte „stadtrepublikanische Modell“, in dem die Freiheit auf dem altständischen, auch von wechselseitigen Interessen getragenen Vertragsverhältnis zwischen Fürsten und Städten beruhte, mußte sein Ende erfahren, als der Fürstenstaat seine Herrschaft mit Hilfe der aggressiven frühmodernen Souveränitätstheorie konsolidierte. - Auch Georg Schmidt, Städtetag, Städtehanse und frühneuzeitliche Verfassung (41-61), kommt zu dem Schluß: „Nicht nur die überlegene Macht der Territorialstaaten, sondern auch die geringe Anbindung an das politische System des Reiches mach­ te diese (sc. die Hansestädte) - im Gegensatz zu den Freien und Reichsstädten - beinahe wehrlos gegenüber den Mediatisierungsbestrebungen der Fürsten“ (49). Neben der unterschiedlichen Politik von Hanse- und Reichsstädten im Reich und für das Reich macht Schmidt auch die Reichsstruktur, wie sie sich in der frühen Neuzeit entwickelte, für die weitgehende Unterordnung der Hansestädte unter die Territorialstaaten verantwortlich, nämlich die Aufteilung in unterschiedliche „Klientelverbände und Konstellationsräume“. Die Hanse lag außerhalb des Raumes, in dem Territorien und Reichsstädte, wie auch das Reich, partielle Zweckbündnisse eingingen, wodurch sich die „Freiheit“ der Reichsstädte hinüberretten konnte. - In seiner prosopographischen Studie: Bemerkungen zur Führungsgruppe des hansischen Verbandes 1560-1576 (63-89) kommt Friedrich Bernward Fahlbusch zu dem Schluß, daß die Hanse in dieser Zeit ihre unveränderte Existenz „weniger einer wirtschaftlichen Notwendigkeit und schon gar nicht dem Eigenleben eines verfaßten Orga­ nisationsgefüges“ verdanke als vielmehr den „Herren der Hanse“ (72), einer mannigfaltig verknüpften inneren „politischen Elite“ (87) der Hansestädte. - Rainer Postei rückt in seinem Beitrag: Kirchlicher und weltlicher Fiskus in norddeutschen Städten am Beginn der Neuzeit (91-107) die Rolle der städtischen Finanzen für die Einführung der Reformation in den Städten wie auch für die Entwicklung der städtischen Verfassungen in den Mittelpunkt. - Daß die Stadt Osnabrück sich ihre Autonomie bis ins 19. Jh. weitgehend bewahrte, schreibt Christine van den Heuvel, Städtisch-bürgerliche Freiheit und fürstlicher Absolutismus. Verfassung und Verwaltung der Stadt Osnabrück in der frühen Neuzeit (159-171), vor allem dem Sonderfall der konfessionellen Alternativsukzession von katholischem Bischof und protestantischem Herrscher aus dem Weifenhause zu, wie sie im Osnabrücker Friedensvertrag festgelegt worden war. - In die Reihe der zu Beginn des 17. Jhs. symptomatischen Bürger­ unruhen ist der Verfassungskonflikt der Stadt Stralsund 1612-1618 einzuordnen. Herbert Langer stellt Die „ Ungefehrliche Reformation oder Regiments- 144 Hansische Umschau

Ordnung“ des Stralsunder Ratsherrn Balthasar Priitze (1570-1632) (199-215) vor, der die Auffassung vertrat, daß die Ratsherren lediglich „Verwalter“ ihrer Ämter und damit „anders nichts als diener“ seien, die Bürgerschaft sei der „Herr“. Der Schwerpunkt des Bandes liegt im Hansebereich, für die anderen Regionen wurden wichtige exemplarische Studien geliefert, so zum alberti- nischen Sachsen (Günther Wartenberg), zu Kleve (Klaus Flink), den Niederlanden (Olav Moorman van Kappen), Frankfurt am Main (Rainer Koch), Südwestdeutschland (Franz Quarthai) und Mannheim (Bernhard Kirchgässner). Dem Band ist die Stoobsche Städtekarte beigegeben mit einem begleitenden Artikel des gleichen Autors. Gerade aber der Akzent des Buches auf den Hansestädten widerlegt die häufiger geäußerte Kritik an den Kongreßbänden. Anregend ist die Lektüre in verschiedener Beziehung. In einigen Beiträgen wird in die Darstellung des Dreiecksverhältnisses von Städten, Territorium und Reich die Rolle der Gemeinden mit einbezogen. Es wäre sinnvoll und vielleicht aufschlußreich, zu diesem Thema die Analysen über die erste Hälfte der frühen Neuzeit hinaus, in der der Schwerpunkt dieses Bandes liegt, zu verlängern. K. Gerteis

Geldumlauf, Währungssysteme und Zahlungsverkehr in Nordwesteuropa 1300-1800. Beiträge zur Geldgeschichte der späten Hansezeit, hg. von Michael North (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte, N.F. Bd. 35, Köln 1989, Böhlau, 193 S., Abb. und Graphiken). - Numismatiker, Wirtschafts­ und Hansehistoriker fanden sich im Herbst 1988 im Herrenhaus Salzau in Schleswig-Holstein zusammen, um methodisch und inhaltlich einen Schritt bei der Erforschung der Rolle des Geldes in der späten Hansezeit voranzukommen. Wieder einmal zeigte es sich, daß bestimmte Fragestellungen nur noch durch interdisziplinäre Forschung und vor allem die Kenntnis über das methodische Vorgehen in Nachbardisziplinen mit Aussicht auf Erfolg weiter bearbeitet werden können. Das gilt insbesondere für die Erforschung der europäischen Währungsgeschichte, die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, sehr lange unter ausschließlich numismatischem Aspekt gesehen wurde. Hg. macht in seiner Einleitung deutlich, daß entscheidende neue Impulse in dieser Hinsicht von der wirtschaftshistorischen Forschung in Belgien ausgegangen sind, „wo mit den Abrechnungen der Münzstätten der Burgundischen und Habsburgischen Niederlande eine einzigartige schriftliche Überlieferung zur Verfügung steht“ (1). Von der numismatischen Forschung her kommen die Beiträge von Peter Berghaus über Hansisches Geld in Westfalen (7-18), Jorgen Steen Jensen über Lübecker und Hamburger Münzen in dänischen Schatzfunden, 1450-1660 (19-24) und Eduard Simek über Münzproduktion und Geld­ umlauf in Bohnen im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert (45-49). Die Vff. werten Münzfunde vor dem Hintergrund der schriftlichen Überlieferung aus, wobei sich die wichtige Erkenntnis ergibt, daß sich die Intensität und Ausrich­ tung der Handelsströme in der späten Hansezeit wegen der großen Bedeutung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs in dieser Zeit keineswegs ausschließlich an Aufkommen und Beschaffenheit der Münzfunde ablesen läßt. Mit mathemati­ schen Modellen versucht Erik Aerts in seinem Beitrag Der Geldumlauf der burgundischen Niederlande in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Ein quantitativer Allgemeines 145

Versuch (25-44) dem wichtigen Problem der Geldmengenschätzung beizukom­ men. Überzeugend plädiert er für die Berücksichtigung der ökonomischen und sozialen Folgen von Deflation und Inflation, wenn es um die Veränderung von Preisen, Löhnen, Renteneinkünften etc. geht. Fortschritte auf der mikroökono­ mischen Ebene, die Hg. für die künftigen Forschungen für ausschlaggebend hält, erbringen die Beiträge Die Kölner Mark zur Hansezeit (Harald Witthöft, 51-74), Währungen im oberlothringischen Raum, 1350-1600. Ein Projektbericht (Franz Irsigler, 75-91) und Die Münzproduktion in den Niederlanden, 14.- 18. Jahrhundert (E d d y V an C a u w e n b e r g h e , 93-108). Die Korrelationen zwischen Münzverschlechterung und Inflation und die Frage nach den unter­ schiedlichen Interessenlagen der verschiedenen sozialen Gruppen am Zustand der Währung und damit letztlich die Entlarvung der Forderung nach der guten, festen Währung für die ganze Gesellschaft als Forderung einer bestimmten sozialen Gruppe - der grundherrlichen Rentenbezieher - stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Peter Spufford über Münzverschlechterung und Inflati­ on im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa (109-226). Uber die zunehmende Bedeutung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs im europäischen Kontext geht es im wesentlichen in den Beiträgen Hartgeld und Wechsel im hansisch-englischen Handel des 15.Jahrhunderts (Stuart Jenks, 127—166), Goldstandard, Währung und Finanz im 16. Jahrhundert (M arie-Therese Boyer-Xambeu, Ghislain Deleplace, Lucien Gillard, 167- 181) und Hat das Indossament zum Niedergang der Wechselmessen im 17. und 18. Jahrhundert beigetragen? (J ü r gen S c h n e i d e r , 183-193). M.Puhle

In der historischen Forschung ist der besondere Quellenwert von Rechnungen seit längerem zwar bekannt, doch haben sie noch längst nicht die Beachtung gefunden, die sie angesichts des Reichtums der in ihnen enthaltenen Nachrich­ ten verdient hätten. Ein von U lf Dirlmeier, Rainer S. Elkar und Gerhard Fouquet herausgegebener Sammelband: Öffentliches Bauen in Mittelalter und Früher Neuzeit (Sachüberlieferung und Geschichte. Siegener Abhandlungen zur Entwicklung der materiellen Kultur, Bd. 9, St. Katharinen 1991, Scripta Mercaturae Verlag, 378 S., zahlreiche Abb., Tabb. und Graphiken) faßt jetzt elf Aufsätze zusammen, die mit unterschiedlichen Fragestellungen städtische resp. territoriale Baurechnungen als Quellen der Finanzverwaltung und Rechnungsführung, der lokalen und regionalen Wirtschafts- und Sozial­ geschichte sowie der Technik- und Verkehrsgeschichte ausgewertet und dabei sehr genaue Einsichten in den Arbeitsalltag beim Bau gewonnen haben. Einem einleitenden Beitrag von Rainer S. Elkar, Bauen als Beruf: Notizen und Anmerkungen zu einer Handwerksgeschichte des Hochbaus (1-26), der „das Bauen als eine Kulturleistung“ (26) beschreibt, die nicht nur auf die Erfüllung eines irdischen, existenziellen Zwecks ausgerichtet ist, sondern diesen - und das nicht nur bei Sakralbauten - transzendiert, indem Maß und Ordnung das Bauen bestimmen und das Bauwerk Träger von Bedeutung wird, und der die verschiedenen Berufsbilder der am Bau beteiligten Handwerker skizziert, folgen zehn Beiträge, die zwei thematischen Schwerpunkten zugeordnet sind, den Zusammenhängen zwischen öffentlichem Bauwesen und öffentlichen Finanzen zum einen und dem Alltag auf der Baustelle zum anderen. Hier geht es um die 146 Hansische Umschau

Arbeitsbedingungen, die Löhne, die Organisation der Arbeit, die Probleme der Materialbeschaffung und dergleichen mehr. An dieser Stelle mag es genügen, diejenigen Beiträge hervorzuheben, die den hansischen Raum betreffen: Antje Sander, Die Lüneburger Bauamtsrechnungen von 1386 bis 1388 (89-115), hat die ältesten Lüneburger Bauamtsrechnungen ausgewertet. Sie stammen aus einer Zeit, in der Lüneburg seine Eigenständigkeit gegenüber dem welfischen Stadtherrn deutlich festigen konnte, und zeigen, welche besonderen finanziellen Anstrengungen die Stadt zur Unterhaltung der Stadtmauern, der dazugehörigen Befestigungswerke, zur Sauberhaltung des Stadtgrabens und zur Beschaffung militärischen Geräts unternehmen mußte. -Göran Dahlbäck, Der Bau eines Hauses - Eine Facette aus dem Alltagsleben des Mittelalters, dem Rech­ nungsbuch der Fronleichnamsgilde zu Stockholm entnommen (172-205). Die Fronleichnamsgilde war eine im 14. Jh. in Erinnerung an das Blutwunder von Bolsena (1263) gestiftete Priestergilde, die sich bald aber auch den Laien öffnete und gegen Ende des Mittclalters die bedeutendste Stockholmer Gilde war. Für die Zeit von der zweiten Hälfte des 14. Jhs. bis in die 1520er Jahre sind die Einnahmen- und Ausgabenbücher der Gilde erhalten. Darin enthalten sind u. a. die Abrechnungen über den Bau zweier Häuser (1517 und 1519), die einen sehr detaillierten Einblick in die mit dem Bau verbundenen Umstände gestatten: Bauzeit, berufliche Qualifikation der Bauarbeiter und deren Beschäftigungsdau­ er, Art und Höhe der Entlohnung, Baumaterial, Materialkosten. Auch bezüglich der Größe und der Ausstattung der Häuser lassen sich Vermutungen anstellen. - Gerhard Fouquet, „Ad Structuram Civitatis“: Der öffentliche Baubetrieb Hamburgs und die Errichtung von Mühlen- und Schleusenanlagen in Fuhlsbüttel während der Jahre 1465/87 (206-292). Die in dem „bock van Vulsbuttelle“ über­ lieferten Abrechnungen über den Neubau einer Getreidemühle in Fuhlsbüttel (1465) im Zusammenhang mit Schleusenbauarbeiten an der Alster und über weitere Schleusenarbeiten (1487) sind die einzigen vom Hamburger Bauhof überlieferten Sonderrechnungen. Sie werden im Anhang (266-292) ediert. An­ sonsten dürften solche Sonderrechnungen nach Prüfung durch die Kämmerer jeweils nur per saldo in die städt. Gesamtrechnung übernommen worden sein. Insgesamt ist der Anteil der Ausgaben für Befestigungsarbeiten ebenso wie für Mühlen- und Wasserbaumaßnahmen in den Hamburger Rechnungen auffallend hoch. Dabei spielten die Sorge um eine ausreichende Versorgung der Stadt mit Brot- und Braugetreide sowie die Bemühungen um die Schiffbarkeit der Alster die wichtigste Rolle. Im einzelnen enthalten die gen. Sonderrechnungen die üblichen Nachrichten über den Ankauf von Baumaterialien (Holz, Steine, Kalk, Eisenwaren) und Lebensmitteln zur Beköstigung der Arbeiter, die Modalitäten ihrer Bezahlung etc. Bemerkenswert sind die Beobachtungen des Vfs. bezüglich der beschäftigungs- und sozialpolitischen Aspekte, die mit den öffentlichen Baumaßnahmen verbunden waren. Die Rechnungen zeigen nämlich, daß die Stadt offenkundig bemüht war, möglichst vielen „aus der Schicht der an der Grenze zur Armut lebenden Tagelöhner“ (246) Arbeit und Lohn zu bieten. - Insgesamt ist ein sehr anregender Sammelband vorgelegt worden, der zum Anlaß genommen werden sollte, in breiterem Rahmen ähnliche Untersuchungen in Angriff zu nehmen, um so weitere Bausteine zu einer umfassenderen, durch Allgemeines 147

ergänzende Details bereicherten Sozialgeschichte des Bauens zusammenzutra­ gen. V.H.

Ernst Pitz, Europäisches Städtewesen und Bürgertum. Von der Spätanti­ ke bis zum hohen Mittelalter (Darmstadt 1991, Wiss. Buchgesellschaft, XIV, 423 S.). - ln unerwarteter und ungewohnt anmutender Weise behandelt Vf. sein Thema: die sich allmählich entwickelnden bürgerlichen Freiheiten als Hauptstatusmerkmal der mittelalterlichen Stadt. Unerwartet ist, daß er eine Frühgeschichte der europäischen Stadt vom 5.-9. Jh. ansetzt, ungewohnt ist die erzählende, gut lesbare, ja sogar mitunter spannende, ungeheuer detailreiche, auf Fußnoten verzichtende Darstellungsart, ungewohnt aber auch der, soweit es die Forschungslage zuläßt, gleichmäßige Einbezug ganz Europas, einschließlich seiner städtearmen Randgebiete: Der Anspruch des Titels wird eingelöst. - Die europäischen Migrationen vor allem im 5.-7. Jh. bewirkten eine erhebliche Umformung der röm.-gr. Städte, die eine Frühform der europäischen Stadt hervorbrachte. Die folgende Epoche des 8./9. Jh. ist gekennzeichnet durch das Entstehen städtischer Frühformen auch außerhalb des ehemaligen röm. Reiches. Vom 10. bis zum frühen 12. Jh. ist dann die eigentliche Entstehungsperiode der europäischen Stadt anzusetzen, die im Mittelpunkt des Buches steht: Um 1120 „war in den führenden Landschaften der Begriff der vom Gewerbe und Handel lebenden und sich unter königlicher oder vom König abgeleiteter Herrschaft selbst regierenden Stadt voll ausgebildet“ (151). Die „Blütezeit des europäischen Städtewesens“ im 12. und 13. und der Entwicklungsumschwung im 14. Jh. werden zwar einleitend angesprochen, nicht aber mehr abgehandelt. Durchgängig läßt sich der Autor von einem mehrschichtigen, funktionalen Stadtbegriff leiten und orientiert seine über ganz Europa gestreuten Beispiels­ ketten an den stadtgeschichtlichen Kategorien von Erscheinungsbild (Grund- und Aufriß), wirtschaftlicher Funktion und rechtlicher Befindlichkeit der Sied­ lungen und ihrer Bewohner im Verhältnis zur Stadtherrschaft. Handelt das erste Kapitel („Zeitalter der Völkerwanderungsreiche“, 15-97) vor allem von den Reduktionen, die das antike Städtenetz in dieser Zeit erlitt, wobei immer wieder die vielschichtige Problematik der „Kontinuität“ zutage tritt, so führt das zweite Kapitel („Zeitalter des Karolingerreiches“, 98-150) im Ergebnis zur Bildung eines Berufsstandes „freier und reicher Markt- und Kaufleute“ (149), als Voraussetzung der im dritten, dem Hauptkapitcl („Die sächsisch-salische Kaiserzeit“, 151-389) beschriebenen Entwicklung: Aus Rittern, Kaufleuten und Handwerkern war die in der politischen Teilhabe gleichberechtigte, durch ge­ meinsames Interesse am Wohl der Stadt verbundene Gruppe der Bürger entstan­ den. Zum ersten Mal in der „Weltgeschichte“ nahmen Händler und Handwerker, „Wirtschaftsbürger“ (393), gleichberechtigt zu grundbesitzenden Familien am Geschick der Stadt teil. Gültig ist diese Aussage nur für den abendländischen Kernraum und in diesem nur für die älteste und bedeutendste Schicht der Städte: Städtische Autokephalie und Autonomie sind um 1120 zwar grundgelegt, vollenden sich durch Ausprägung entsprechender Ämter und Institutionen aber erst in den folgenden zweihundert Jahren. Der europäische Blick fördert die Unterschiede zwischen Kernraum und Randgebieten, bes. zum byzantinischen Reich, hervor und damit zugleich aber auch das Problem, ob überhaupt von d er 148 Hansische Umschau

europäischen Stadt gesprochen werden kann: Das vorliegende Buch gibt nicht nur Anregungen, sondern zeichnet sich aus durch einen schnörkellosen roten Erzählfaden, der wissenschaftliche Lektüre zum Genuß macht. Der Verzicht auf jegliche Anmerkungen erweist sich dafür eher als ein Gewinn, zumal er verhindert, das Buch nur als Zitationssteinbruch zu benutzen; der Verzicht auf Abbildungen, Karten oder Pläne aber erscheint eher mißlich. F.B. Fahlbusch

O dd Langholm, Economics in the Medieval Schools. Wealth, Exchange, Value, Money and Usury according to the Paris Theological Tradition 1200-1350 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters, Bd. 29, Leiden 1992, E.J. Brill, IX, 633 S.), beginnt mit der Behauptung, daß die Theologen, die zwischen ca. 1200 und ca. 1350 in Paris studierten und lehrten (ein dehnbares und in dieser Untersuchung bisweilen recht locker verwendetes Kriterium), nicht nur gelegentlich über wirtschaftliche Dinge nachdachten, sondern daß sich in dieser Beziehung sogar eine regelrechte Schulmeinung herausbildete, die bei der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften nicht übergangen werden darf. So untersucht L. die Bibelkommentare (jedoch nur zu den Evangelien; Paulus entfällt!), questiones de quolibet, Sentenzenkommentare und Summen von 47 Theologen (in fallender Reihenfolge: Franziskanern, Dominikanern, Augusti­ nereremiten, Karmelitern und Säkularmeistern) im Hinblick auf ihre Ansichten über die moralisch-theologische Existenzberechtigung des Privateigentums und des Handels sowie der hiermit beruflich befaßten Kaufleute, über Preis- und Geldtheorie und schließlich über Wucher (und - damit verbunden - über die ver­ schiedenen Gründe, die das Zinsnehmen rechtfertigen). L. geht zwar Autor für Autor (jeder Theologe wird jeweils mit einer Kurzbiographie präsentiert) vor, will aber gleichzeitig die Entwicklungslinien der scholastischen Wirtschaftsethik aufzeigen, was nicht restlos gelingt. Am Schluß steht nicht so sehr eine Zu­ sammenfassung der Ergebnisse oder gar ein Überblick über die Entwicklungen, sondern vielmehr der Versuch, die vielen Ansichten der Theologen zu einer Syn­ these der scholastischen Wirtschaftsethik Pariser Prägung zusammenzuführen, die L. mit der Überschrift „The Vision of a Christian Economy“ versieht. - Auch wenn L.s Einzelergebnisse durchaus zu würdigen sind, macht das Werk dennoch nicht restlos glücklich. Zunächst liefert L. keine Begründung, warum eine bestimmte ,Edition' - dieser Begriff deckt im übrigen auch Drucke aus dem 15. und 16. Jh. ab! - bzw. eine bestimmte Handschrift eines Werkes verwendet wurde. L. setzt sich zudem so gut wie gar nicht mit der Literatur auseinander, sondern stellt in erster Linie die Ansichten des jeweiligen Theologen zusammen und weist den Leser in einer Fußnote auf die Forscher hin, die sich ebenfalls mit diesem Autor befaßt haben. Freilich mag diese Kritik in Anbetracht der Menge des präsentierten Stoffes kleinlich erscheinen. Weil L. aber verhältnismäßig selten die großen thematischen Zusammenhänge anspricht - er begnügt sich mit dem gelegentlichen Hinweis, daß ein bestimmtes Argument an einer Stelle zum ersten Mal auftritt, und gibt hin und wieder einen Ausblick in die künftige Entwicklung -, ist er auf Schritt und Tritt zu Wiederholungen gezwungen, wenn sich die Argumente eines Theologen auf die Positionen eines seiner Vorgänger beziehen. Freilich verläßt sich L. bei den päpstlichen Bullen (z. B. Naviganti) auf das Gedächtnis des Lesers. Rez. sieht durchaus ein, daß dieses Problem Allgemeines 149

angesichts der Masse des Stoffes nicht zu jedermanns Zufriedenheit zu lösen war. Allerdings ist L.s Umgang mit seinen Texten in einer anderen Hinsicht sehr problematisch: Er bringt längere Zitate grundsätzlich in Englisch (teilweise werden fremde Übersetzungen übernommen, obwohl L. selbst zugibt, daß sie problematisch sind; teilweise sind L.s Übersetzungen von Einzelbegriffen recht fragwürdig) und präsentiert nur die wichtigsten Stellen des lateinischen Textes in Klammern. Bei der Scholastik kommt es jedoch in hohem Maße auf die präzise Begrifflichkeit an, ein Prinzip, das L. anerkennt, wenn er lateinische Kernbegriffe unübersetzt stehen läßt. Er verfährt also nicht konsequent, und man muß sich fragen, was der Sinn der englischen Übersetzungen war: Bei einem Ladenpreis von 265 f (fast 250 DM) werden Laien wohl nicht das Gros der Leserschaft bilden! Dennoch ist man dankbar für dieses Werk, das von immensem Sammelfleiß zeugt und eine atemberaubende Materialmenge bequem zugänglich macht. St. Jenks

In einem Sammelband unter dem Titel Regionale Identität und soziale Grup­ pen im deutschen Mittelalter, der von Peter Moraw herausgegeben wurde (ZHF Beiheft 14, 1992, 191 S.), betrachtet V o 1 k e r Henn das grundlegende Thema Städtebünde und regionale Identitäten im hansischen Raum (41-64), wobei er den Schwerpunkt auf Westfalen legt. Vf. geht grundsätzlich davon aus, daß es im Mittelalter eine regional bestimmte Gemeinsamkeit gab, wobei sich für Norddeutschland die Frage stellt, auf welche Regionen sie sich bezog und welche politische Wirkung sie hatte. Daß sie großräumig nicht stark verbin­ dend war, ergibt sich aus den vielen Fehden und wechselnden kleinräumigen Bündnissen. Vf. zeigt auf, wie wenig die Quellen über das regionale Bewußtsein aussagen. Er leitet es im wesentlichen historisch ab und stellt für das alte Sach­ sen ein ausgeprägtes, die Grenzen der entstehenden Territorien übergreifendes politisches Raumbewußtsein fest. Das dürfte zutreffen, aber es fragt sich, wie weit es politisch wirksam wurde. Das Herzogtum Sachsen war zwar trotz mancher Gegensätze einige Zeit ein politisch zusammengefaßter Raum, doch fiel er nach dem Sturz Heinrichs des Löwen auseinander. Es entstanden zwei große Regionen: Westfalen und ein östliches Sachsen, für das es bezeichnen­ derweise keinen festen Regionalbegriff gab. Die Grenze bildete die Weser, die später auch die Reichskreise Westfalen und Niedersachsen trennte. Doch wie steht es mit dem Regionalbewußtsein? Um den Blick auf eine „Grenzstadt“ zu richten: War es den Bremer Bürgern klar (und welchen?), daß ein Teil ihres Landgebietes in Westfalen lag und daß Oldenburg, Hoya und Diepholz westfälische Grafschaften waren, also mit Bremen, das eine sächsische Stadt war, nicht zur gleichen „Region“ gehörten? Man wird wohl davon ausgehen müssen, daß sich das Westfalen-Bewußtsein, wenn es das schon gab, auf den Kernbereich beschränkte und daß es sich im Norden verflüchtigte. Im östlichen Sachsen, also zwischen Weser und Elbe, reduzierte sich das regionale Bewußtsein, wenn es schon einmal in Erscheinung trat, auf die welfischen Kernlande. Vf. betont zudem einschränkend mit Recht, daß das Regionalbewußtsein allenfalls bei den „politisch führenden und ... gebildeten Schichten“ vertreten war. Wie steht es nun mit dem Regionalbewußtsein im Kolonisationsgebiet östlich der Elbe? Vf. meint, daß es hier wohl eine regionale Identität von Teilregionen gab, etwa 150 Hansische Umschau

der der Küstenstädte an der Ostsee unter der Führung Lübecks. Vf. richtet sein Hauptinteresse, dem Thema seiner Untersuchung entsprechend, auf eine regionale Identität der Städte, die nach seiner Meinung einen Impuls für mehrere Städtebünde gab. Rez., dessen Interesse weitgehend auf das „östliche Sachsen“ gerichtet ist, meint, daß die herrschende Schicht hier bei ihren politischen Entscheidungen sehr oft auf die regionale Identität, wenn es sie schon gab, keine Rücksicht nahm. Sie suchte die Bundesgenossen nach der Zweckmäßigkeit bei Angehörigen innerhalb und außerhalb der „Region“, oft genug auch gegen Mächte der Region und nicht nur bei den Städten. Vf. nennt Städtebünde in Westfalen seit 1246, macht aber deutlich, daß sie vor allem aus Gründen der Handelssicherheit bzw. des von den Städten angestrebten Landfriedens geschlossen wurden. Nun sind aber diese Bünde durchweg gegen westfälische Fürsten und Adlige gerichtet, so daß die regionale Identität der Westfalen kaum als entscheidende Triebkraft angesehen werden kann. Doch wird gelegentlich erklärt, man wolle Frieden und Sicherheit der Straßen in Westfalen herstellen; damit kann aber wohl nur der Raum gemeint sein, in dem man die Friedenswah­ rung anstreben konnte, jedenfalls konnte nur ein Teilbereich Westfalens gemeint gewesen sein. Vage Wirkungsbereiche werden auch bei den gemischten (nicht nur städtischen) Bündnissen sichtbar. Vf. meint, daß sich im nördlichen Bereich die regionale Identität Westfalens verflüchtigte. Östlich der Weser registriert Vf. schon im 13. Jh. eine Kleinräumigkeit der Bündnisstrukturen, die nur einen Teil der Region abdeckte, manchmal aber auch über sie hinausging. Selbst wenn vom Land der „Sassen“ oder vom Geltungsbereich des Sachsenspiegels gesprochen wurde, war damit kaum ein „sächsisches“ Bewußtsein bei der Bevölkerung oder bei der politisch herrschenden Schicht verbunden. Städtebünde in diesem Raum waren durchweg kleinräumig zweckgebunden und daher nur sehr kurzlebig. Vf. kommt auch auf die Hanse zu sprechen: Sie war zwar auch zweckgebunden, aber in ganz anderer Weise als die regionalen Städtebünde. Ihr Zweck war nicht auf eine begrenzte Region beschränkt, ob diese nun eine gemeinsame Identität hatte oder nicht. Vf. hat also recht, wenn er feststellt, daß regionale Städtebünde und Hanse unabhängig voneinander entstanden, was aber nicht ausschloß, daß Hansestädte sich regionalen Städtebünden anschlossen. Nun ist die Frage, ob Städtebünde sich weitgehend getrennt von der Hanse entwickelten, weil sie eine regionale Identität besaßen, die Hanse aber nicht. Das wird bejaht. Man wird die Ursache einer getrennten Entwicklung auch in unterschiedlichen Interessen sehen müssen: die Städtebünde verfolgten kurzfristig regionale Interessen (wobei die Region von Fall zu Fall variierte), die Hanse aber vertrat langlebige überre­ gionale Interessen. Daher war sie auch dauerhafter als jeder Städtebund, wenn auch die Zugehörigkeit der einzelnen Stadt zur Hanse zweckgebunden war. Dem Rez. scheint auch, daß selbst die Drittel und Viertel der Hanse durch kein regionales Bewußtsein sondern durch die Interessenlage getragen und daher labil waren. Sieht man einmal vom wendischen und preußisch-livländischen Viertel ab, so war ein gemeinsames regionales Wirken bei Konflikten nicht die Regel. - Es ist das große Verdienst des Vfs., das komplizierte Beziehungsgeflecht von Region, Städtebünden und Hanse sichtbar gemacht zu haben. Es bedarf sicher noch viel Arbeit, um diese Verhältnisse in den größeren und kleineren Regionen zu untersuchen, und es ist fraglich, daß dabei für alle Gebiete und für alle Allgemeines 151

Zeiten vom 13. bis 15. Jh. irgendwelche Regeln festgemacht werden können. - Hingewiesen sei daneben auf die Beiträge von Heinrich Schmidt, Stam­ mesbewußtsein, bäuerliche Landesgemeinde und politische Identität im mittelal­ terlichen Friesland (15-39), und Bernd Schneidmüller, Landesherrschaft, ■weif sehe Identität und sächsische Geschichte (65-101). H. Schw.

Andrea Dirsch-Weigand, Stadt und Fürst in der Chronistik des Spätmittelalters. Studien zur spätmittelalterlichen Historiographie (Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im Mittelalter, N.F. Bd. 1, Köln 1991, Böhlau, 225 S.), hat in ihrer von R. Sprandel betreuten Würzburger Diss. die Darstellung städtischer Konflikte mit dem Landesherrn und innerstädtischer Unruhen in fürstlichen, geistlichen und städtischen Chroniken untersucht, in der Absicht, die dem unterschiedlichen Bild, das die Texte von der Stadt und den Bürgern entwerfen, zugrunde liegende ideologische Gebundenheit der Verfasser (und ihrer Auftraggeber) aufzuzeigen. In die vergleichende Betrachtung werden die „Grandes Chroniques de France“, vier bayerische Landeschroniken des 15. Jhs. (Andreas von Regensburg, Hans Ebran von Wildenberg, Ulrich Füetrer und Veit Arnpeck), die Augsburger Stadtchronistik ebenfalls des 15. Jhs. sowie die „Wan- dalia“ des Albert Krantz und die anonyme Chronik „Van der Rostocker Veide“ einbezogen, wobei die Auswahl der berücksichtigten Texte doch sorgfältiger hätte begründet werden sollen, als dies tatsächlich geschieht. Quellenkundlichen Ausführungen zu den einzelnen Werken, die eine gute Zusammenfassung des Forschungsstandes bieten, folgt die Analyse der konkreten Aussagen der ein­ zelnen Chronisten über die Auseinandersetzungen zwischen den Städten und den Fürsten. Beachtung findet dabei auch die Bewertung der herrschaftlichen Gewalt durch die Verfasser. Durchgängig begegnet das Tyrannen- und Hoch­ verratsmotiv, in den fürstlichen Chroniken auch die Idee von der Rolle der Fürsten als den „Instrument(en) Gottes zur Wiederherstellung des Rechts“ (203). Bezüglich des ideologischen Standorts der Chroniken gelangt Vf.in zu der nicht sonderlich überraschenden Erkenntnis, daß die „fürstliche Chronistik ... primär auf die Verherrlichung ... des monarchischen Herrschers und seines Geschlechts“ zielten und daß „aufrührerische Städte ... dabei als aufsässige Untertanen“ galten (209). Anhand der Augsburger Beispiele, einer anonymen Chronik des frühen 15. Jhs. sowie der Chroniken von Erhard Wahraus, Burkard Zink und Hektor Mülich, stellt sie demgegenüber antifürstliche Tendenzen in der reichsstädtischen Chronistik fest, während die klerikale Historiographie nach Ansicht der Vf.in nicht einseitig die eine oder andere Partei unterstützt, sondern die Ereignisse an einem „übergeordneten Wertesystem“ mißt und die städtischen Unruhen generell verurteilt, „weil sie die bestehende Ordnung stören“ (210). Inwieweit sich diese, auf doch relativ schmaler und keineswegs repräsentativer Quellenbasis gewonnenen Ergebnisse wirklich verallgemeinern lassen, steht dahin. Immer­ hin lassen schon die wenigen von der Vf.in untersuchten Beispiele städtischer Geschichtsschreibung zwischen Augsburg und Rostock (Fehdechronik) bemer­ kenswerte Unterschiede erkennen. Zu schmal erscheint auch die Materialbasis, um mit einiger Sicherheit „nationale“ Besonderheiten in der chronikalischen Darstellung der Konflikte zwischen Fürsten und Städten herausarbeiten zu können. V.H. 152 Hansische Umschau

Frank Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, H. 34, Köln 1992, Böhlau, 347 S.). - Ausgehend vom Stiftungscharaktcr der spätmittelalterlichen Universitäten fragt R. in seiner Freiburger Diss. von 1988 nach den Intentionen der Stifter sowie den Wegen und Chancen der Verwirklichung ihrer Absichten und richtet dabei das Hauptaugenmerk auf die Umstände der Hochschulentstehung. Die Arbeit besteht aus zwei Teilen, die Entstehung deutscher Universitäten als Problem der historischen Forschung während des 19./20.Jhs. sowie aus Fallstudien: den Stiftungen der Universitäten Prag, Wien, Kulm, Heidelberg und Köln. R. erfaßt damit im engeren Sinne lediglich einen Zeitraum von 40 Jahren (1348 bis 1388), stellt jedoch neben den Universitätsstiftern insgesamt fünf Parteien vor, „denen es in gewissen Grenzen gelang, den Stifterwillen zu leiten oder zu modifizieren“: den Hochadel des Territorialstaates, die städtische Bürgerschaft, den landesherrlichen „Stiftungsbeauftragten“, den lokalen Klerus und den jeweiligen Papst (4). Setzen die Fragestellungen auch stets bei der Initiative der Stifter an, versteht R. doch bereits die Entstehung einer Universität als einen komplexen interaktiven Prozeß, an dem verschiedene soziale Gruppen teilhatten, begreift Universitätsgeschichte somit als Sozialgeschichte. - Aus hansischer Sicht hervorzuheben sind seine Ausführungen über die „vollständig gescheiterte“ Kulmer Universitätsgründung 1386, die er in ihrem Aussagewert sehr hoch veranschlagt, „denn die Frage, ob in Kulm eine Landesuniversität oder eine städtische Gründung nach italienischem Vorbild entstehen sollte, leitet jede weitere Erkenntnis über die Kulmer Verhältnisse wie auch über die Geschichte des Ordensstaates überhaupt“ (S. 151). R. unterstützt die These, wonach die Initiative zur Universitätsgründung 1386 von der Marienburg ausging. Da sich in den 1380er Jahren erste grundsätzliche Konflikte zwischen dem Orden und den großen preußischen Städten abzeichneten, galt es, einen Hochschulort zu finden, der zwar in die preußische Stadtkultur integriert war, ohne daß er aber bei einer Verschärfung der Differenzen das Lager der rivalisierenden Städte gestärkt hätte. Kulm habe wirtschaftlich völlig im Schatten der großen Städte (Thorn, Elbing, Danzig) gestanden, seine Mitgliedschaft in der Hanse (1361 bis 1373) sei eher unter politischem als unter wirtschaftlichem Aspekt zu werten. Das Projekt der Kulmer Stiftung sei dann aber von der Deutschordensobrigkeit wahrscheinlich deshalb wieder fallengelassen worden, „weil ... zu befürchten war, daß sich die Universität zum Instrument der Bürger entwickeln könnte“ (276). - Der Kölner Stiftungsakt 1388/1389 wird von R. im Vergleich zu denen von Prag, Wien, Kulm und Heidelberg als der unproblematischste erkannt: Getragen von der städtischen Führungsschicht, im Einvernehmen mit dem lokalen Klerus, sei hier die Funktion der Stiftungsurkunde durch einen genau durchdachten Stiftungsakt substituiert worden. Da die Stadt Köln selbst keine Stiftungsurkunde ausstellte, sei hier dem Papstprivileg eine Stellvertreterfunktion zugekommen, doch sei es das oberste Ziel der Stadt gewesen, ihre Verantwortlichkeit für das Zustandekommen der Universität zu demonstrieren. Dabei habe sich die Stadt bemüht, der Stiftung durch die Beobachtung des Heiligenkalenders eine kölnspezifische Gestalt zu verleihen. 20 Kölner Magister hätten „die Keimzelle der universitas“ gebildet. Mit vier Ausnahmen sei ihnen gemeinsam gewesen, daß sie Kanonikate an Kölner Allgemeines 153

Stiftskirchen innehatten. Diesem „relativ homogenen Personenverband“ von 20 Gründungsmagistern sei dabei vor allem zugute gekommen, daß die Stadt Köln als Stifterin keinerlei Vorgaben bezüglich der Hochschulverfassung gemacht habe. Als aber Papst Bonifaz IX. 1394 die sog. Pfründen der ersten Gnade verlieh und bestimmte, daß fortan 20 Kleriker zu Köln das römische Recht studieren sollten, wurden mit der Auswahl der betreffenden Hochschulangehörigen der Rektor und das städtische Provisorenkollegium betraut. Die Provisoren, deren Bedeutung für die Universität damit erheblich stieg, versetzten sich durch die Zusammenstellung verschiedener Texte zu einem Handbuch in die Lage, die rechtliche Basis der Gelehrtenkorporation überblicken zu können. Mit Hilfe dieses Provisorenhandbuches könne man der Frage nachgehen, inwieweit die Konflikte innerhalb der städtischen Führungsschicht die städtische Mitverwaltung der Universität beeinflußten, wenngleich die Hochschule selbst zu keiner Zeit in diese Konflikte verwickelt worden sei. Die Rivalitäten hätten lediglich die Besetzung des städtischen Provisorenkollegiums beeinflußt, die universitas selbst aber sei von ihnen unberührt geblieben. - R. räumt im Vorwort ein, daß er die nach 1988 erschienene Literatur nicht mehr in wünschenswerter Ausführlichkeit berücksichtigten konnte, für eine Dissertation handelt es sich dennoch um eine beachtenswerte Leistung. H. Böcker

Zu einer Ausstellung der Herzog August Bibliothek entstand ein Katalog unter dem Titel Gott ist selber Recht - Die vier Bilderhandschriften des Sach­ senspiegels (Ausstellungskatalog der Herzog August Bibliothek, Nr. 67, 1992, 91 S., 25 Abb.). Anlaß gab der Erwerb der Oldenburger Handschrift durch die Niedersächsische Sparkassenstiftung. Ruth Schmidt-Wiegand vergleicht die Handschriften (9-30), dann werden die einzelnen Handschriften vorgcstellt; die Oldenburger von Egbert Koolman (32-33), die Heidelberger von Wilfried Werner (46-47), die Wolfenbütteler und die Dresdener von Wolfgang Milde (56-57 und 66-67). Die ausgewählten Bildseiten wer­ den von Ruth Schmidt-Wiegand sachverständig gedeutet. Die Dres­ dener Handschrift diente der Wolfenbütteler als Vorbild, wurde aber 1945 schwer beschädigt; über ihren Zustand und die Konservierungsmöglichkeit berichtet Dag-Ernst Petersen (80-83). Der Inhalt der Sachsenspiegel- Handschriften ist bekannt und wurde bereits mehrfach wissenschaftlich aus­ gewertet; von der Wolfenbütteler Handschrift wird eine Faksimilie-Ausgabe vorbereitet. H. Schw.

Elisabeth Harder-Gersdorff betrachtet Leinen-Regionen im Ver­ gleich: vom Handleinen zu den Anfängen der Fabrikindustrie in Ravensberg und Schlesien (1763-1862) (80. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg 1992/93, Festschrift Gertrud Angermann, 85-106). Sie beschränkt sich dabei auf „Aspekte der vorindustriellen Gewerbepolitik in Ravensberg und Schlesien“ und die Analyse der „Etappen und Übergangser­ scheinungen in den Anfängen der Leinen-Industrialisierung beider Regionen“. Die Verschiedenheit in Größe, Geographie und Geschichte beider Regionen erschwert öfter den Vergleich, erhöht aber auch den Reiz, diesen anzustellen. H.-G. setzt ihre Betrachtung zu einem Zeitpunkt an, als beide Regionen schon 154 Hansische Umschau

lange in der Leinenproduktion führend waren. Zu berücksichtigen wäre aber, daß für Schlesien mit dem Anfall an Preußen 1742 der Handel nach Süden und Südosten (bis nach Ungarn) gestört wurde - die Ausfuhr nach Nordwesten (über Hamburg) war schon vorher gegeben. Insgesamt erscheint die Entwicklung der Leinenproduktion in Ravensberg ausgeglichener, beständiger verlaufen zu sein als in Schlesien, wo es manchmal stürmischer zuging, dafür aber auch eher Krisen eintraten. Schlesien war mehr auf Massenproduktion eingestellt - bot dabei allerdings auch viele Sorten an -, Ravensberg eher auf hohe Qualitäten. Bei der Maschinisierung der Flachsspinnerei ging Schlesien zeitlich voran. Der Anteil der im Leinengewerbe beschäftigten Personen an der Gesamtbevölkerung war in den Leinenzentren beider Regionen 1846 ähnlich: im Kreis Bielefeld 10,2%, im Kreis Landeshut 9,3% und im Kreis Bolkenhain 8,7%, Zahlen, die sonst nirgendwo im Zollvereinsbereich erreicht wurden. Dies zeigt die Richtigkeit, diese beiden Wirtschaftsgebiete einem Vergleich zu unterziehen; die interessanten Ergebnisse von H.-G. sollten anregen, ihn auf breiterer Basis weiterzuführen. H. W.

SCHIFFAHRT UND SCHIFFBAU

(Bearbeitet von Detlev Ellmers)

Przemyslaw Smolarek, The und.erwa.ter investigations of the Polish Maritime Museum in Gdansk from 1982 to 1985 (Archeologia Universytet M. Kopernika, Torn. 15. Jg. 1991, H. 3, 3-23). Vf. gibt einen Überblick über neue Boots- und Schiffsfunde. Er beschreibt zehn Einbäume, von denen vier in die Zeit zwischen 400-920 nach Chr. datiert werden konnten, sowie zwei Kielboote slawischer Bauart aus dem 10. Jh. und weitere aus dem 16. Jh. Neue Tauchuntersuchungen wurden an drei Wracks in der Danziger Bucht vorgenommen: W-25 ist ein hölzernes Segelschiff u. a. mit vielen holländischen Tonpfeifen der 2. Hälfte des 18.Jhs. W-26 ist nur das Fragment einer kraweel gebauten Schiffswand. W-27 ist ein stark zertrümmertes Wrack, von dem 1559 Artefakte geborgen wurden, darunter Tonpfeifen und eine niederländische Tabakdose aus Messing.

Die Elbe. Ein Lehenslauf (Ausstellungskatalog des Deutschen Historischen Museums. Berlin 1992, 499 S., zahlreiche Abb.). Die topographisch von der Quelle bis zur Mündung gegliederte Ausstellung hatte keinen eigenen Abschnitt zur Schiffahrt auf dem Fluß. Trotzdem umfaßt der Katalogteil zahlreiche einzelne Exponate zur Schiffahrtsgeschichte. Diese ist in fünf Beiträgen des Aufsatzteils von vorgeschichtlicher Zeit bis um 1900 dargestellt worden: K a r e 1 Sklenär, Besiedlung des Elbgebietes von der Urzeit bis zum Mittelalter (50-52, betr. Böhmen). - Reinhard Spehr, Ur- und frühgeschichtliche Besiedlung am Mittellauf der Elbe (53-57, betr. Sachsen und Sachsen-Anhalt). - Friedrich Laux, Zur Vor- und Frühgeschichte des unteren Elbtales (58-60). Alle drei Vff. bemühen sich, die Rolle der Flußschiffahrt für die vor- und frühgeschichtlichen Kulturen stärker als allgemein üblich herauszuarbeiten. Schiffahrt und Schiffbau 155

Aber man merkt, daß die archäologische Forschung weder das methodische noch das begriffliche Rüstzeug dafür weit genug aufgearbeitet hat, so daß die Vff. bezüglich der Schiffahrt auf relativ vage Formulierungen ausweichen müssen. Viel präziser sind dem gegenüber die beiden auf schriftlicher Überlieferung fußenden Beiträge: Gerhard Theuerkauf, Die Handelsschiffahrt auf der Elbe - Von den Zolltarifen des 13. Jahrhunderts zur „Elbe-Schiffahrts-Acte“ von 1821 (69-75), umreißt das durch die Elbe und ihre schiffbaren Nebenflüsse für die Handelsschiffahrt erschlossene Gebiet, das seit 1398 auch noch durch Kanäle erweitert wird, die 1669 bis zur Oder führen. Ihm ist zuzustimmen, daß sich (abgesehen von den Kanälen) die technischen Bedingungen der Flußschiffahrt vom 13. Jh. bis um 1820 nicht wesentlich geändert haben. Aber die Schiffahrt wurde in dieser Zeit sehr unterschiedlich erleichtert oder erschwert. Karl IV. förderte seit ca. 1350 die Elbschiffahrt, aber die Zahl der Zollstellen vermehrten sich zwischen Tetschen und Stade seit dem 13. Jh. von 22 auf 34 bis 1680. Auch setzten Magdeburg und Hamburg Stapelrechte durch. - Jörgen Bracker, Im Rhythmus des Gezeitenstroms - Zur Entwicklung des Hamburger Hafens und des Seeschiffsverkehrs auf der Elbe (76-83), stellt eingangs die Bedeutung der Gezeiten heraus, mit denen die untere Elbe die Schiffe bald aufwärts, bald abwärts beförderte und nicht zuletzt dadurch einen wesentlichen Beitrag zur Herausbildung des Hamburger Hafens leistete. Vf. gibt eine gut lesbare Skizze der Entwicklung von den ersten durch Grabungen erkennbaren Anfängen im 9. Jh. bis um 1900.

Flößerei auf der Elbe, Teil 1: Wege und Ziele ihrer Erforschung (Schriften des Vereins zur Förderung des Lauenburger Elbschiffahrtsmuseums, Bd. 3, 1992, 132 S., zahlreiche Abb.). Die in diesem Band zusammengefaßten acht Beiträge sind aus einem 1988 begonnenen Forschungsprojekt des genannten Museums zur Geschichte der Elbflößerei hervorgegangen. Klaus Schumacher geht u. a. den Anfängen der Elbflößerei nach, für die das erste sichere Schriftzeugnis in einer Zollrolle von Pirna 1325 vorliegt. Er stellt die Frage, ob die im 9. Jh. beginnende rege Bautätigkeit in den werdenden Städten am Elbelauf nicht als Zeugnis für rege Flößerei zu werten sei. Ulrich Klages untersucht Alte Marschenhäuser als Zeugen der historischen Elb-Flößerei (23-27) und stellt fest, daß zumindest im Alten Land seit ca. 1700 nur noch sehr qualitätvolles Nadelholz zum Hausbau verwendet wurde, das vom Oberlauf der Elbe heruntergeflößt worden war. Lina D e 1 f s stellt auf der Basis umfangreichen fürstlichen Briefwechsels hochinteressante Details zur Flößerei von Sachsen bis zur Unterelbe dar, und Helmut Hartmann beschreibt Anlage und Betrieb von Floßgewässern im Interesse der Staatswirtschaft insbesondere zur Brennholzversorgung der Bergwerksstädte im Erzgebirge vom 16. bis 19. Jh. Die übrigen Beiträge dokumentieren die Flößerei im 19. und 20. Jh.

Gustav Milne und Sarah Draper, Conference report: Cargoes, Con­ tainers and Stowage (IJNA 21, 1992, 155-159). Kurzbericht über eine Konferenz vom 25. 10. 1991 in Liverpool, deren Referate nicht in einem Sammelband er­ scheinen werden. Der Konferenzbeitrag von A.J. Parker über Frachten, Behälter und Stauen im antiken Mittelmeerraum wurde im selben Band abgedruckt. Da 156 Hansische Umschau das Konferenzthema auch für die Geschichte der Hanse von größter Bedeutung ist, muß hier für die mittelalterliche und frühneuzeitliche Schiffahrt auf die knappen, aber informativen Zusammenfassungen verwiesen werden. Wichtigste Quelle für die Referate waren archäologische Beobachtungen an ganzen Serien von Schiffsfunden. Hier können nur wenige Beispiele gegeben werden: So transportierte der niederländische Ostindienfahrer „Princess Maria“, der 1686 unterging, das giftige Quecksilber in verkorkten Bartmannskrügen. Ein frühes Beispiel für Konserven ist die Verpackung von Anchovis in einem Steingut­ gefäß mit Schieferdeckel. Dieses hatte man in einen zugelöteten Bleibehälter gesetzt, den man wiederum in einem Holzfaß verstaut hatte, so geschehen auf dem niederländischen Ostindienfahrer „t‘ Vliegend Hart“, der 1735 unterging.

Arvid Göttlicher, Kultscbiffe und Schiffskulte im Altertum (Berlin 1992, Gebr. Mann, 185 S., 87 Abb.). In den ersten drei Kapiteln behandelt Vf. die durch Schriftquellen weitgehend erhellbaren bildlichen Darstellungen von Schiffskulten und Kultschiffen in Ägypten, Mesopotamien und im klassischen Altertum. In zwei weiteren Kapiteln widmet er sich der bildlichen Überlie­ ferung zu möglichen Kultschiffen der Urnenfelderkultur und der nordischen Bronzezeit. Nur für letztere kann er anhand von Felsbildern die Verwendung von Schiffen im Kult sicher nachweisen, ohne wegen fehlender Schriftquellen zu inhaltlichen Deutungen vorzustoßen. Er betont zu Recht, daß sich die viel jüngeren Schriftquellen zu germanischen Schiffen in religiösem Kontext nicht auf die Felsbilder der Bronzezeit anwenden lassen.

Hubert Beer und Michael Kinsky, Zur Bergung eines prähistori­ schen Einbaums aus der Flachwasserzone der Roseninsel (in: Die Geschichte der Fischerei am Starnberger See. Vom Einbaum zum Dampfschiff. Bd. 8, Buchen­ dorf 1990, 112-119). Die meisten ausgegrabenen Einbäume sind Einzelfunde, die sich nur über naturwissenschaftliche Datierungen einer Kulturstufe zuordnen lassen. Anders der hier in einem vorläufigen Bericht (mit Zeichnung einschl. Einbindung in die Fundschichtenfolge) publizierte 13,46 m lange Einbaum aus Eiche, der in einer Fundschicht der Urnenfelderzeit lag, zu der die Rosenin­ sel intensiv besiedelt war. D. h. hier wurde eines der zu dieser Inselsiedlung gehörigen Wasserfahrzeuge entdeckt, dem dadurch eine Schlüsselrolle für die Erforschung der frühen Schiffahrtsgeschichte zufällt. D.E.

Eine neue Interpretation einiger bronzezeitlicher skandinavischer Steinbilder legt Detlef Ellmers vor: Wagenrennen und Bootsparaden im bronzezeit­ lichen Skandinavien. Zum Gebrauch von Renn- und Streitwagen bei einer vorgeschichtlichen Küstenbevölkerung (Achse, Rad und Wagen - Beiträge zur Geschichte der Landfahrzeuge 2, 1992, 3-10). Solche Rennen spielten im Toten­ zeremoniell und im Fruchtbarkeitsritus eine große Rolle, Darstellungen sind auf Grabplatten hochgestellter Persönlichkeiten und in Felsbildlagen nachweisbar, wobei sich sogar Startformationen und Zieleinläufe identifizieren lassen. Wagen- und Bootsrennen waren aber nur die sportliche Seite einer an sich die „physi­ sche und wirtschaftliche Existenz jener südschwedischen Küstenbevölkerung“ sichernden Kampftechnik mit schnellen Transportmitteln. U. Schnall Schiffahrt und Schiffbau 157

Christian Adamsen, To i en bad (Skalk, Kopenhagen, 1992, Nr. 5, 13-15). Dem dänischen Nationalmuseum ist aus Familienbesitz ein Rasiermesser der jüngeren Bronzezeit übereignet worden, auf dem ein Boot mit zwei Paddlern eingeritzt ist. Das Rasiermesser ist eine typische Beigabe reicher Urnenbestattungen und stammt wahrscheinlich aus Südjütland. Vf. nimmt die relativ seltene Paddler-Darstellung zum Anlaß, die Paddeltechnik und die Form der Paddel in der bronze- und früheisenzeitlichen Überlieferung zu diskutieren. Er konstatiert drei verschiedene Stellungen der Paddler; stehend, kniend oder mit einem Bein kniend während das andere mit dem Fuß aufgesetzt ist, wie beim heutigen Canadier. Er führt weiter das Hjortspringboot an, auf dem die Paddler gesessen haben. Es scheinen also keine festen Regeln befolgt worden zu sein.

Dietrich Evers, Das Boot mit der Schlittenkufe (Logbuch 28, 1992, 55- 57). Ausgehend von Gerhard Timmermanns klassischem Schreibpapierversuch macht Vf. einen gut durchdachten Vorschlag zur Rekonstruktion der auf skan­ dinavischen Felsbildern und Rasiermessern dargestellten Boote der Bronzezeit als Baumrindenfahrzeuge.

Owain T.P. Roberts, The Brigg „raft“ reassessed as a round bilge Bronze Age boat (IJNA 21, 1992, 248-258). Der um 650 vor Chr. zu datierende Bootsboden von Brigg in Nordengland (vgl. HGbll. 100, 1982, 162) gehört ohne jeden Zweifel derselben Schiffbautradition an wie die etwa 1 000 Jahre älteren, bronzezeitlichen Boote von North-Ferriby. Die älteren Rekonstruktionen hatten das Fragment von Brigg als flachbodiges Boot rekonstruiert. Vf. schlägt ein Boot mit rundem Querschnitt vor.

A.L. Brindley und J.N. L a n t i n g , A boat of the Mediterranaen tra- dition in Ireland: preliminary note (IJNA 20, 1991, 69-70). P. OhEailidhe, The Monk’s Boat - a Roman-period relic from Lough Lene, Co. Westmeath, Eire (IJNA 21, 1992, 185-190). In einem kleinen See auf Irland wurde bereits 1968 ein flachbodiges Boot von gut 1 m Breite und 8 m erhaltener Länge geborgen, das nach der 1990 durchgeführten C 14-Datierung spätestens im l.Jh. nach Chr. gebaut wurde. Ausgangspunkt für den Bootsbau war ein eichener Einbaum, an den ein Bugstück in einheimischer „Nähtechnik“ angefügt wurde, während auf jeder Seite je ein Setzbord in mediterraner Technik mit verdübelten Zapfen angebracht wurde. Dies ist ein erstaunliches Zeugnis früher Schiffbaukunst: Obwohl Irland nicht zum Römischen Reich gehört hatte, ist dort an einem Inlandsee ein Boot in einheimischer und mittelmeerischer Technik gebaut worden. D.E.

Detlev Ellmers, Die Schiffahrtsverbindungen des römischen Hafens von Bregenz (Brigantium) (Schriften des Vorarlberger Landesmuseums. Reihe A: Landschaftsgeschichte und Archäologie, Bd. 5, 1992, 143-146) entwirft ein Bild des Transportwesens in Verbindung von Wasser- und Landtransport zur Römerzeit und zeigt auf, welche herausragende Bedeutung Bregenz in diesem Handel am Bodensee hatte. H.-W. Keweloh 158 Hansische Umschau

Niels Bonde, Aoife Daly, Orla H. Eriksen und K e n t Havemann, Dendrochronologiske datenngsundersQgelser pa Nationalmuseet 1991 (Arkeologiske udgravninger i Danmark 1991, Kopenhagen 1992, 255-271). Zusammenstellung der 1991 in Dänemark durchgeführten dendrochronologi- schen Datierungen, von denen vier für die Schiffahrtsgeschichte von Bedeutung sind: In der Hadersiebener Förde wurde eine Sperre gegen feindliche Schiffe ca. 370 nach Chr. angelegt, 397/98 ausgebaut und 418/19 repariert. Um 1135 wurde dort noch einmal eine Sperre oder Brücke (?) angelegt und 1142/43 und 1160-70 repariert. Das bei Fredrikshavn gefundene Wrack eines in skandinavi­ scher Klinkertechnik gebauten Kielschiffes („Nordstranskibet“) war zwischen 1340 und 1350 gebaut worden. Ein bei Halsskov Rev, Soro Amt, gestrandetes Schiff war um 1835 gebaut worden, und zwar aus Eichen, die im Bereich der westlichen Ostsee (Dänemark oder Schleswig-Holstein) gewachsen waren.

Hans Kuhn, Das altnordische Seekriegswesen, hrsg. von Sigrid Engeier und Dietrich Hofmann (Heidelberg 1991, Carl Winter Universitätsverlag, 135 S.). Kurz vor seinem Tode (1988) hat Vf. seine jahrzehntelangen Forschungen zum altnordischen Seekriegswesen unter Auswertung philologischer und historischer Quellen zusammengefaßt. Mit der 1986 abgeschlossenen Fassung war er aber noch nicht zufrieden. Er hat eine Umarbeitung und einen Anhang (über die alten Führungsformen im Krieg) sowie ein Register begonnen, aber nicht mehr vollenden können. Die Hrsg. haben der Forschung jetzt die Fassung von 1986 zusammen mit den z.T. umfangreichen Fragmenten der Umarbeitung und des Anhangs sowie mit dem von ihnen vervollständigten Register im Druck zugängig gemacht. Schwerpunkt der Darstellung ist das im 10. Jh. eingerichtete Ledingsystem, das es vor allem den drei skandinavischen Königen erlaubte, eine Kriegsflotte aufzubieten. Die dafür aufzuwendenden Lasten (Bau, Unterhaltung, Ausrüstung und Bemannung der Kriegsschiffe) war nach bestimmten Schlüsseln möglichst gleichmäßig auf die Bevölkerung des jeweiligen Reiches verteilt. Nach Ende der Wikingerzeit wurde das Ledingwesen behutsam zu einer Art Steuer umgeformt. Vf. geht auf die älteren Formen des Kriegswesens ebenso ein wie auf die jeweils verwendeten Schiffe. Wegen seiner Erblindung hat er in diesem Kapitel die Ergebnisse der jüngsten schiffsarchäologischen Forschung, vor allem den starken Unterschied zwischen Kriegs- und Handelsschiff nicht mehr übernehmen können. D.E.

Vikingeskibshallen in Roskilde hat im Kolumbusjahr mit Bedacht eine Aus­ stellung zu den Vinland-Fahrten der Nordleute um das Jahr 1000 gezeigt, um auf die ersten europäischen Entdecker Amerikas aufmerksam zu machen. Aus diesem Anlaß erschien ein Katalog mit dreizehn Beiträgen zu den unterschied­ lichsten Aspekten der Vinland-Problematik: Vikingernes sejlads til Nordamerika (Roskilde 1992, Vikingeskibshallen, 128 S., zahlreiche Abb.). Der schmale, doch inhaltsreiche Band entwirft knapp, aber präzise ein umfassendes Bild vom ge­ genwärtigen Stand des Wissens über Bedingungen und Ablauf der Ereignisse und deren Zeugnisse: Den schriftlichen Quellen, archäologischen Zeugnissen, me­ teorologischen und geographischen Bedingungen, den vinländischen Ureinwoh­ nern, den Schiffen und Navigationsmethoden und schließlich auch den unechten Schiffahrt und Schiffbau 159

„Wikinger“-Relikten in Amerika gelten einzelne Abschnitte. Der Artikel über die Hochseenavigation allerdings ist hochspekulativ. Soren Thirslund geht hier natürlich von denselben Theorien aus, die er in einer anderen Veröffentlichung breiter ausgeführt hat (C . L . V e b x k und S. Thirslund, The Viking Compass Guided first to America, o. O. 1992, Eigenverlag, 60 S., zahlreiche Abb.). Die Hauptthese beruht auf der Überzeugung, daß es sich bei einem kleinen Fragment einer Eichenholzscheibe aus Grönland wirklich um eine sog. Peilscheibe gehandelt habe. Diese erstmals von C.V. Solver 1953 vorgebrachte Interpretation ist bereits 1954 mit guten Argumenten widerlegt worden, und wenn auch in der Zwischenzeit einige neue Aspekte in die Dis­ kussion eingebracht worden sind, haben sie doch die hauptsächlichen Zweifel nicht beseitigen können. In der Darlegung der vorgeblichen astronomischen Navigation der Wikinger feiern sogar außerordentlich dubiose „Quellen“ - etwa in Hinsicht auf das „Sonnenschattenbrett“ - wieder fröhliche Urständ. Wie es auch ohne solche zweifelhaften Instrumente hätte gewesen sein können, hat Thorsteinn Vilhjälmsson 1989 gezeigt (vgl. HGbll. 109, 117). U. Schnall

In einer großen Kassette Die Kogge von Bremen, Band I: Werner Lahn, Bauteile und Bauablauf (Schriften des Deutschen Schiffahrtsmuseums 30, Ham­ burg 1992, Kabel-Verlag), hat das Deutsche Schiffahrtsmuseum 30 Jahre nach der Bergung der Hansekogge in Bremen im Jahr 1962 die wissenschaftliche Veröffentlichung dieses bedeutenden Schiffsfundes vorgelegt. In 37 Plänen hat Vf. das Schiff im Detail dokumentiert. In der beiliegenden Begleitpublikation beschreibt Vf. die aufgefundenen Bauteile und versucht nicht mehr vorhandene Bauteile und Verbindungen nach dem Maßstab schiffbaulicher Handwerkserfah­ rung zu rekonstruieren. Er stellt den mittelalterlichen Bauablauf dar, wie er nach der detaillierten Untersuchung der einzelnen Bauteile sowie nach den Erfahrun­ gen beim Wiederaufbau und beim Nachbau der Kogge in Kiel wahrscheinlich ist. Umfangreiche Bauteillisten ergänzen die Publikation, die mit der englischen Übersetzung der internationalen Fachwelt verfügbar ist. Komplettiert wird das Werk durch ein deutsch-englisches Fachwortverzeichnis. H.-W. Keiveloh

Richard W. Unger, The Art of Medieval Technology. Images of Noah the Shipbuilder (New Brunswick/New Jersey 1991, Rutgers University Press, 168 S., 77 Abb. auf Tafeln). Die meisten bildlichen Darstellungen des Schiffbaus im Mittelalter zeigen Noah beim Bau der Arche. Vf. untersucht ihre Aussagen zur Technikgeschichte und arbeitet das Verhältnis von Kunst zur Technologie heraus. Dabei kann er aufzeigen, daß der europäische Schiffbau im Laufe des Mittelalters mehrere größere Veränderungen durchlief, die sich z. T. in dramatischer Weise auf die wirtschaftliche und politische Entwicklung ausgewirkt haben. Am wichtigsten ist sein Nachweis, daß die mittelalterlichen Künstler in der Regel sehr gut über den jeweiligen Stand der Technik ihrer Zeit informiert waren. Dieses Buch ist eine grundlegende Publikation, die weit über schiffbauliche Fragen hinaus aufzeigt, wie mittelalterliche Kunstwerke als Quellen zur Technikgeschichte verv/endet werden können und welche möglichen, z.T. sehr naheliegenden Fehlbedeutungen dabei zu vermeiden sind. 160 Hansische Umschau

Günter Krause, Der Übergang zur Kraweel-Bauweise im hansischen Schiffbau (Logbuch 28, 1992, 107-110). Vf. zeigt zunächst die bekannten Tatsachen auf, daß Bretonen um 1460 den Kraweelbau in Holland einführten und daß die Überholung des westfranzösischen Kraweel-Schiffes „Pierre de la Rochelle“ 1469/70 in Danzig zur Übernahme der neuen Technik führte. Als Begründung weist er auf die wesentlich einfachere Reparatur hin, zeigt aber auch auf, daß es in der Anfangsphase Probleme mit der Dichtigkeit gab.

Frank Wechseler, Ein holzausgesteifter Abfallschacht des 14./15.Jahrhunderts aus Schiffsplanken in Boizenburg (Informationen für Bodendenkmalpfleger in Westmecklenburg 32, 1992, 31-42). Auf einem am Markt von Boizenburg gelegenen Grundstück wurde Anfang 1992 als Notbergung eine mit abgesägten Schiffsplanken ausgesteifte Fäkaliengrube mit Fundgut der Zeit um 14C0 ausgegraben. Ursprünglich gehörten die Eichenplanken zu einem um oder bald nach 1363 gebauten flachbodigen Binnenschiff mit einer spezifischen Variante der Kraweeltechnik in den Seitenwänden: Man schnitt eine Reihe besonderer Kerben ungefähr in der Mitte der oberen Planke an ihrer Innenseite so ein, daß in jeder Kerbe ein langer Eisennagel durch den unteren Teil dieser Planke in das volle Fleisch der darunterliegenden Planke getrieben wurde. Das nicht erhaltene Dichtungsmaterial der Plankennaht wurde durch dicht beieinandersitzende Kalfatklammern aus Eisen in Position gehalten, deren genaue Form unbekannt ist; man erkennt nur die Einschlaglöcher. Diese Schiffszimmertechnik war bisher nicht vor dem späten 19. Jh. belegt. Weiter enthielt die Grube an Handelsgut Steinzeug (Siegburger Krug, Jacobakanne u. a. m.), Rippen- und Nuppenbecher aus Glas sowie sechs Faßdeckel, alle mit unterschiedlichen Eigentumsmarken, d. h. aus der Hand verschiedener Kaufleute. Fässer, Gläser und Keramik wurden, wo irgend möglich, zu Schiff transportiert. Der Gesamtbefund an topographisch herausgehobener Stelle wirft ein besonderes archäolo­ gisches Schlaglicht auf die spätmittelalterliche Handelsschiffahrt Boizen- burgs.

Thomas Wolf, Pramhure und Paelgeld. Mittelalterliche Häfen und Hafentechnik an Nord- und Ostsee (Kultur und Technik 1991, Heft 3, S. 46- 51). Handelsschiffe transportieren Güter, die - abgesehen von Fischen - an Land produziert und auch wieder an Land konsumiert werden. Deshalb sind die Häfen die entscheidenden Knotenpunkte des Güterverkehrs. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, daß sich die Forschung erst seit zwei Jahrzehnten intensiver um die genauere Aufklärung des Hafengeschehens zur Hansezeit bemüht. Vf. gibt einen gut lesbaren Überblick über die städtische Rechtshoheit in den Häfen, die Entwicklung der Landetechniken der Schiffe und der städtischerseits bereitgestellten Hafeneinrichtungen sowie einige Techniken des Güterumschlags. Die große Bedeutung der Prähme für das Löschen der Ladung aus den auf Reede liegenden Seeschiffen belegt er aus zahlreichen Schriftquellen vor allem der Ostseestädte Lübeck, Wismar und Rostock. Dort kommt es auch erst sehr spät zum Einsatz von Hafenkränen. Diese mittelalterliche Schiffahrt und Schiffbau 161

Neuerrungenschaft der Nordseehäfen seit der Mitte des 13. Jhs. hat Vf. nicht deutlich genug herausgearbeitet. Neu, aber völlig überzeugend sind seine Hinweise auf öffentliche Abortanlagen am Kopf von Landebrücken in Reval (Schriftquelle 1460) und Rostock (Tafelmalerei 1415). Ein Blick auf die Kölner Hafenfront auf dem Holzschnitt von A. Woensam 1531 zeigt, daß in der Tat in den Häfen die Verrichtung der Notdurft dringend geregelt werden mußte. Die Literaturhinweise betreffen allerdings Bücher, die zu Landetechniken und Güterumschlag wenig aussagen.

Hugo Stehkämper, Niederrheinische Schiffskriege und „Kriegs“schiffe im Mittelalter (Bonn und das Rheinland. Beiträge zur Geschichte und Kultur einer Region. Festschrift zum 65. Geburtstag von Dietrich Höroldt = Bonner Geschichtsblätter 42, 1992, 31-69). Die frühesten Nachweise des Mittelalters für den Kriegseinsatz niederrheinischer Schiffe findet Vf. nicht auf dem Rhein selber, sondern in den Beteiligungen an Kreuzzügen vom ersten (1096-1101) bis zum Kreuzzug gegen Damiette (1217-19). Der zweite Teil des Beitrages behandelt die Nutzung von Schiffen für kriegerische Zwecke auf dem Niederrhein selbst. Die Nachweise reichen von der Belagerung Kölns durch Heinrich V. (1106) bis zum Neusser Krieg (1474/75). Spezielle Kriegsschiffe hat es in dieser Zeit auf dem Niederrhein ebensowenig gegeben wie den Kampf von Schiffen gegen Schiffe. Wohl aber wurden vorhandene Transport- und andere Fahrzeuge für Truppentransporte und Nachschub, zur Wegnahme gegnerischer Schiffe, zu Sicherungszwecken, als schwimmende Plattformen für Kanonen und in vielfältiger anderer Weise zum Erreichen von Kriegszwecken eingesetzt. Es ist das Verdienst des Vfs., dieses Thema für den mittelalterlichen Niederrhein erstmals umfassend dargestellt zu haben. Eine entsprechende Darstellung für andere Flußabschnitte des Rheins und der anderen Flüsse im Hansebereich ist ein Desiderat der Forschung. D.E.

Ein Weltbild vor Columbus. Die Ebstorf er Weltkarte. Interdisziplinäres Collo­ quium 1988, hg. von Hartmut Kugler in Zusammenarbeit mit Eckhard Michael, (Acta humaniora, Weinheim 1991, 408 S., zahlreiche Abb.). - Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte, 3,60 m im Geviert messende Weltkarte aus dem Kloster Ebstorf, nach dem sie ihren Namen erhielt, war zweifellos ein Gipfelpunkt mittelalterlicher Kartographie (sie wird mehrheitlich in die erste Hälfte des 13. Jhs. datiert). Der Erdkreis ist nach dem TO-Schema als Scheibe dargestellt, mit Jerusalem im Mittelpunkt. Die Karte ist geostet, d. h. der Osten - mit dem Paradies - erscheint oben. Die ganze Scheibe wird von Christus gehalten, oben, im Osten, ist sein Haupt abgebildet, unten die Füße, im Nor­ den und Süden je eine Hand. Die Karte ist übersät mit mehr als anderthalb Tausend Signaturen, Bildern und Texten und bietet so ein Kompendium von Sachinformationen und Legenden im heilsgeschichtlichen Sinne. Der bisher auch nicht annähernd erfaßte Informationsreichtum in kulturhistorischer Hin­ sicht war Anlaß für diese erste spezielle Tagung über verschiedene Aspekte dieses einmaligen Kartendokuments. Die Einzelbeiträge sind zu vier Haupt­ gruppen zusammengestellt: I. Die Weltkarte und Ebstorf - II. Mappa mundi im europäischen Horizont - III. Die Weltkarte als Bildkunstwerk - IV. Zum 162 Hansische Umschau

Verhältnis von Karten-, Buch- und Erfahrungswissenschaft. Beigelegt ist ferner eine verkleinerte Wiedergabe der Karte (44,5 x 44,5 cm); glücklicherweise waren vor dem Verlust verkleinerte Kopien angefertigt worden. Ein Register zur Forschungsliteratur, ein Sachregister zur Ebstorfer Weltkarte und ein Namen- und Sachregister beschließen diesen vorzüglich edierten Tagungsband. Bei der gegenwärtigen Forschungssituation ist es kein Wunder, daß viele Beiträge mehr Fragen aufwerfen als beantworten, doch ist das natürlich im Sinne einer ver­ besserten Erkenntnis nur vorteilhaft. Allein die Fragen nach den Quellen dieser so informationsreichen Karte oder nach deren Zweckbestimmung lassen das Ausmaß der noch zu leistenden Arbeit erahnen. Es ist an dieser Stelle leider nicht möglich, auf die einzelnen sehr qualitätvollen Beiträge einzugehen. Unter dem Aspekt der Schiffahrt sei jedoch auf zwei Artikel wenigstens verwiesen: U ta Lindgren beschäftigt sich mit der erstaunlich in den Vordergrund tretenden Hydrographie, besonders in dem niedersächsichen Teil der Karte, und wirft die Frage nach der eventuellen Rolle von Seeleuten als Informanten auf {Zur Position der Ebstorfer Weltkarte in der Geschichte der Geowissenschaften, 123-128), und Dietrich Huschenbett untersucht das Verhältnis von Pilgerreiseberichten und Entwicklung der Kartographie: Spätmittelalterliche Be­ richte von Palästinafahrten und mittelalterliche Kartographie (367-379). - Trotz aller offen gebliebenen Fragen bieten die in diesem Band zusammengetragenen Erkenntnisse zunächst einmal einen guten Boden, auf dem weitere notwendige Forschung aufbauen kann. In diesem Zusammenhang helfen auch die zu jedem Abschnitt in aller Kürze mit herausgegebenen Diskussionsberichte. U. Schnall

Rudolf Simek, Erde und Kosmos im Mittelalter. Das Weltbild vor Ko­ lumbus (München 1992, C.H. Beck, 219 S., zahlreiche Abb.). Das Kolum­ busjahr 1992 hat nicht nur eine schier unübersehbare Fülle neuer Schriften mit nur wenigen neuen Erkenntnissen über den (Wieder-)Entdecker Amerikas beschert, sondern auch verstärktes Interesse an dem vorkolumbischen, dem mittelalterlichen Weltbild aufkeimen lassen. Der Wiener Mediävist versucht in seiner Arbeit „die mittelalterliche Ansicht von der physichen Welt (...) zu beschreiben“ (8). Die überwiegend kirchlich geprägten Vorstellungen vom Kosmos, der Erde (als Kugel) und dem, was hinter den bekannten Grenzen liegen mochte, werden dargestellt, analysiert, nach Herkunft und Bedeutung befragt, wobei nicht nur die mehr oder weniger bekannten lateinischen Quellen herangezogen werden, sondern auch die sonst wegen mangelnder philologischer Kenntnisse häufig übergangenen volkssprachigen Werke. Es gelingt dem Autor so auf relativ knappem Raum eine abgerundete Darstellung des mittelalterlichen Weltbildes, die zudem durch eine Literaturliste und einen fülligen, jedoch nie den Lesefluß störenden Anmerkungsapparat dem näher Interessierten weitere Hilfen anbietet. Das Bild vom „finsteren Mittelalter“ wird korrigiert; gleichzeitig erfährt dadurch die verbreitete Auffassung vom radikalen Neubeginn durch Kolumbus die notwendige Korrektur. U. Schnall

Von den vielen Publikationen zum Columbus-Jahr 1992 geben die im 4. Quartalsband von MM 78, 1992, 385—483 einen guten Überblick über die der­ Schiffahrt und Schiffbau 163

zeitige wissenschaftliche Diskussion: David Waters, Columbus’s Portuguese Inheritage (385-405), gibt einen Überblick über die von Portugal ausgehende Revolution in der Navigation, die bereits in der ersten Hälfte des 14. Jhs., also lange vor Heinrich dem Seefahrer, eingeleitet wurde. Hellen Wallis bringt eine sehr informative Zusammenfassung über Cartographic Knowledge of the World in 1492 (407-418). Clinton R. Edwards gibt einen knappen Überblick über Design and Construction of Fifteenth-Century Iberian Ships (419-432), der als wichtigste Quelle das Schiffsmodell von Mataro auswertet. Ergänzt wird diese Arbeit durch den Beitrag von Richard Barker über Shipshape for Discoveries, and Return (433-447). In seiner Ausarbeitung über Guanahani the Elusive: the Columbus Landfall debate in Historical Perspective (449-467) kommt David Henige zu dem ernüchternden Ergebnis, daß die Angaben der vorhandenen Berichte zu wenig detailliert sind, um die Insel, die Columbus als erste auf der anderen Seite des Atlantik betrat, heute noch mit Sicherheit identifizieren zu können. Wilhelm D. Phillips und Carla Rahn Phillips beschäftigen sich mit The Impact of 1992 on Christopher Columbus (469-483), so daß man bei ihnen eine Liste der wichtigsten jüngsten Literatur über den Entdecker mit sehr sachkundiger Kommentierung findet.

Wolfram zu Mondfeld, Peter Holz und Johannes Soyener. Die Schiffe des Christoforo Colombo 1492 (Herford 1991, Koehler, 216 S., zahlreiche Abb. und eine Mappe mit Modellbauplänen). Vff. referieren das hundertjährige Bemühen um eine möglichst realistische Rekonstruktion der drei Schiffe des Columbus, angefangen vom Spanischen Regierungsentwurf von 1892 bis zu den spanischen Nachbauten für 1992, und legen dann eigene Entwürfe vor, die sie ausführlich und in allen Details begründen. Vff. erheben den Anspruch, erstmals tatsächlich alle verfügbaren Quellen gründlich „gesichtet“ zu haben. Aber die Ausbeute ist doch so gering, daß sogar viele grundlegende Daten unbekannt sind. So schwankt z. B. die Länge der unterschiedlichen Rekonstruktionen des Flaggschiffes „Santa Maria“ zwischen 24 m und 31 m. D.E.

Peter H. Meurer, Fontes Cartographici Orteliani. Das „ Theatrum Orbis Terrarum“ von Abraham Ortelius und seine Kartenquellen (Acta humaniora, Weinheim 1991, VCH, 360 S., zahlreiche Abb.). - Der Antwerpener Gelehrte und Kartograph Abraham Ortelius (1527-1598) gilt heute - historisch ungenau - als derjenige, der mit seinem in mehr als dreißigjähriger Arbeit entwickel­ ten „Theatrum“ den Atlas im heutigen Verständnis geschaffen hat. Zugleich hat er in einem ausführlichen, in alle lateinischen Ausgaben zwischen 1570 und 1612 aufgenommenen „Catalogus auctorum tabularum geographicarum, quotquot ad nostram cognitionem hactenus pervenerc, quibus addidimus, ubi locorum, quando et a quibus excusi sunt“ über seine Quellen Rechenschaft abgelegt. Dieser Katalog ist heute eine unschätzbare Hilfe bei der Erforschung der Kartographiegeschichte der Renaissance, einer Zeit, in der die Kenntnis der Welt geradezu explosionsartig zunahm und in der zugleich die „moderne“ Kartographie entwickelt wurde. Die hier vorliegende Berliner Diss. untersucht akribisch verschiedene Aspekte dieser zentralen Quelle für die Kartographie­ geschichte des 15. und 16. Jhs. - M.s Arbeit ist in ihrem ersten Teil in sechs 164 Hansische Umschau

Hauptkapitel gegliedert: l.D ie Entwicklung des Typus „Atlas“ bis 1600 - 2. Die Kartenproduktion in Antwerpen bis um 1570 - 3. Abraham Ortelius - Leben und Werk - 4. Das Theatrum Orbis Terrarum - 5. Die Kartenquellen des Theatrum - 6. Der Catalogus Auctorum. Der zweite Teil enthält - neben Anmerkungen und Literaturverzeichnis - in drei Tabellen den Catalogus, einen Index der Kartographen und eine Liste der Theatrum-Karten, ferner den mit stupender Gelehrsamkeit zusammengestellten Catalogus Cartographorum, in dem nicht nur die von Ortelius selbst genannten Zulieferer, sondern auch all jene ungenannt gebliebenen Quellen mit ggf. Biographie, Kartenbibliographie und -beschreibung sowie neuester Sekundärliteratur aufgelistet werden, die im Theatrum kopiert worden sind. Dieser 190 Seiten starke Abschnitt ist quasi ein biographisches Handbuch der Renaissance-Kartographie, denn Ortelius hat seine Kenntnisse durch einen weitläufigen Schriftwechsel mit Gewährsleuten und Zuträgern in Europa, Amerika, Afrika und Ostasien zusammengetragen. Die 79 beigegebenen Abbildungen von Karten, die Ortelius benutzt hat, geben - obwohl manche Wiedergaben, vor allem von kolorierten Vorlagen, etwas zu grau geraten sind - einen ausgewogenen Überblick. Seekarten sind im Theatrum nur wenige zu finden, und die Niederdeutschen haben praktisch keinen Anteil an der Hochblüte der Kartographie in Antwerpen, die in diesem Werk hervorragend aufgearbeitet wird. U. Schnall

U w e Schnall, Schiffbau, und Navigation vom Spätmitt eialt er bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts (in: Focus Behaim Globus. Aufsatzband und Ausstellungskatalog, Nürnberg 1992, Germanisches Nationalmuseum, 321-330). Indem Vf. die konstruktive und segeltechnische Entwicklung der Schiffstypen in Nord- und Südeuropa ebenso verfolgt wie die in beiden Bereichen sehr unterschiedliche Geschichte der Navigationsmethoden, entsteht ein knapper aber sehr informativer Abriß der schiffahrtstechnischen Voraussetzungen und Möglichkeiten des Ausgriffs Europas nach Übersee. Es ist Vf. gelungen, auf nur wenigen Seiten die wichtigsten Entwicklungslinien bis an die Schwelle des Einflusses der Industrialisierung auf die Schiffahrt durchzuzichen, so daß sich dieser Beitrag mit seiner gezielten Hinführung an die neueste Literatur gut als Einstieg in die Beschäftigung mit der Thematik eignet.

The Rise of Merchant Empires. Long-distance trade in the early modern xvorld, 1350-1750, hg. von James D. Tracy (Cambridge 1990, University Press, 442 S., 9 Ktn.). Der Band umfaßt neben einer Einleitung den Inhalt von 13 Vorträgen, die auf einer Tagung zum gleichen Thema im Oktober 1987 an der Universität von Minnesota gehalten und diskutiert worden sind: Herman van der Wee, Structural changes in European long-distance trade, and particularly in the re-export trade from south to north, 1350-1750 (14-33), behandelt die Handelsschiffahrt der Italiener nach Flandern und England, wo sie u. a. mit den Hansekaufleuten zusammentrafen, und zeigt den Einfluß des portugiesischen Handels auf diese Route nach den Entdeckungen des 15./16. Jhs. auf. Carla Rahn Phillips, The growth and composition of trade in the Iberian empires, 1450-1750 (34-101), stellt die Entstehung eines weltweiten Systems kontinuierlicher Handelsschiffahrt auf der Basis der portugiesischen Schiffahrt und Schiffbau 165 und spanischen Entdeckungen dar. Niels Steensgaard, The grovath and composition of the long-distance trade of England and the Dutch Republic before 1750 (102-152) faßt zusammen, wie sich Engländer und Holländer einen eigenen Anteil an dieser Handelsschiffahrt sicherten. Paul B u t e 1, France, the Antilles, and Europe in the seventeenth and eighteenth centuries; renewals offoreign trade (153-173), beschreibt kurz den Anteil der französischen Handelsschiffahrt mit einem Vorspann, der bis ins 15. Jh. zurückgeht. Jaap R. Bruin, Productivity, profitability, and costs of private and corporate Dutch ship owning in the seventeenth and eighteenth centuries (174-194), zeigt auf, daß das System, nach dem jeder sein eigenes Schiff bauen ließ, besaß und befrachtete bis um 1780 gut funktionierte und Gewinn brachte. Erst danach wurden die Bedingungen anders. Larry Neal, The Dutch and English East India Companies compared: evidence from the stock and foreign exchange markets (195-223), gibt einen sehr lesenswerten Vergleich der beiden Kompanien, der den größeren Erfolg der englischen Kompanie im 18.Jh. herausarbeitet. Ward Barrett, World bullion floivs 1450-1800 (224-254), beleuchtet das Finanzierungssystem, das auf einem weltweiten Fluß von Edelmetall beruhte mit Produktion in Amerika und Verbrauch in Ostasien. Frederic Mauro, Merchant communities (255- 286) behandelt zunächst die Hanse, beleuchtet die Rolle der Kaufmannsgilden und kommt über Fallstudien (Antwerpen, Lyon) zu einer Ethnologie der Kaufmannsstädte (u. a. Juden, Armenier) mit Fortsetzung im Indischen Ocean und in der Chinesischen See. Die übrigen Kapitel betreffen den Slawenhandel über den Atlantik (Herbert S. Klein), den Karawanenhandel durch Sahara (Ralph A. Austen) und Zentralasien (Morris Rossabi), die Gemeinwesen der Kaufleute im vorkolonialen Indien (Irfan Habib) und Chinesische Kaufleute (Wang Gungwu).

Atlas of British Overseas Expansion, hg. von Andrew N. Porter, (London 1991, Routledge, 279 S., ca. 150 Ktn.). Das Schwergewicht des Buches liegt auf der Entwicklung des englischen Empires und Commonwealth im 19. und 20. Jh. Im übrigen wird der englische Anteil an den Entdeckungsfahrten, beginnend mit John Cabot 1497, ebenso dargestellt wie die Gründung der ersten Handels-Kompanien seit der zweiten Hälfte des 16. Jhs. Für die Hansegeschichte von besonderem Interesse ist die kurze Darstellung der Moskauer Kompanie nach der Öffnung des Hafens von Archangelsk 1555 und die Gründung der Baltischen Kompanie 1579. Man sieht deutlich, daß diese englischen Vorstöße im Hansebereich nur einen kleinen Teil der Aktivitäten darstellen, die sich auf das Mittelmeer und Afrika ebenso richteten wie auf Indien und China, Nordamerika und Westindien.

John Keay, The Honourable Company. A History of the English East India Company (London 1991, Harper Collings Publishers, 475 S., 12 Abb., 6 Ktn.). Überblick über die Geschichte der englischen Ostindischen Kompanie von ihren Anfängen 1603 bis zur Aufhebung ihres Monopols zugunsten des Freihandels im Jahre 1813. Die Gründung geschah nach niederländischem Vorbild und in Konkurrenz zu den niederländischen Unternehmungen in Indonesien. Die Aktivitäten der englischen Kompanie, die sich zunächst auf 166 Hansische Umschau

den Gewürzhandel bezogen, werden in vier große Zeitabschnitte gegliedert (1600-1640; 1640-1710; 1710-1760 und 1760-1820) in denen das Auf und Ab in den Beziehungen zu den Ländern von der Arabischen See bis Ostasien gut lesbar vorgetragen wird.

Torbjern Odegaard, Den spanske armadas forlis i kongeriket Danmark-Norge i 1588 (Norsk Sjofartmuseum Arsberetning 1991, Oslo 1992, 131-141). Der Sturm hatte 1588 einige Schiffe auf die dänische oder norwegische Westküste geworfen. Vf. hat die Briefe, die vom 7.8. bis 12. 11 .1588 in dieser Angelegenheit geschrieben worden und in verschiedenen Archiven erhalten geblieben sind, in dänischer Übersetzung zusammengestellt und kommentiert.

R.A. Stradling, The Armada of Flanders. Spanish Maritime Policy and European War, 1568-1668 (Cambridge 1992, University Press, 276 S., 2 Ktn.). Vf. zeigt auf, daß Spanien auch nach dem Untergang der Armada von 1588 keineswegs aufgehört hatte, seine europäische Hegemonie auch zur See zu verteidigen. Wichtigstes Instrument dafür war seine flandrische Flotte vor allem im Standort Dünkirchen. Erst als die Stadt 1658 an England kam, das es vier Jahre später an Ludwig XIV. verkaufte, verschwand die spanische Flandernflotte schrittweise aus den Quellen.

Gerd Spies, Technik der Steingewinnung und der Flußschiffahrt im Harzvorland in der frühen Neuzeit (Braunschweiger Werkstücke, Reihe B, Bd. 14, 1992, 188 S., 128 Abb., 2 Falttafeln). In der Wolfenbüttler Residenz des Herzogs Julius von Braunschweig (1568-1589) wurden 1573 unter dessen starker Beteiligung zwei technische Handschriften mit zahlreichen Illustrationen fertiggestellt, zu den sich ergänzenden Flauptthemen Flußschiffahrt und Stein­ gewinnung. Die Handschrift, die primär die Flußschiffahrt und ein Kanalprojekt zwischen Oker und Elbe behandelt, liegt heute in Magdeburg, die andere blieb in Wolfenbüttel. Vf. stellt beide Handschriften vor mit Inhaltsangabe jeder Textseite und Wiedergabe jeder Zeichnung sowie mit ausführlichem Kommentar, ausgewählter Literatur und einem Anhang mit vergleichendem Bildmaterial insbesondere zur Steintechnik. Der Kommentar stellt u. a. den projektierten Kanal, der von der Oker durch das Große Bruch zur Bode bei Oschersleben führen sollte, in eine Reihe mit älteren und etwa zeitgleichen Kanalbauten Norddeutschlands und arbeitet den ungewöhnlichen kulturgeschichtlichen Rang der beiden Handschriften heraus, die nur kurze Zeit nach Agricolas Werk „De re metallica“ entstanden sind. Für den Technikhistoriker sind die detailreichen Zeichnungen eine unerwartet reichhaltige Fundgrube nicht nur zum Wasserbau, sondern auch zum Bootsbau, zu Hebezeugen, zu den verschiedensten Typen von Arbeitsbooten und zur Flößerei. Mit der sorgfältigen Publikation dieser beiden Handschriften hat sich Vf. große Verdienste erworben.

Klaus Ziemann, Die Geschichte des Kieler Handelshafens (Ncumünster 1991, Wachholtz, 235 S., zahlreiche, z.T. farbige Abb.). Zur Feier ihres 50jähri- gen Bestehens haben die Hafen- und Verkehrsbetriebe der Landeshauptstadt Kiel eine Selbstdarstellung herausgegeben, denen in mehreren Kapiteln auch die ältere Geschichte des Kieler Handelshafens von den Anfängen im frühen Schiffahrt und Schiffbau 167

13. Jh. bis zur Gründung der Betriebe im Jahre 1941 vorangestellt ist. Das Hafengeschehen während Kiels Zugehörigkeit zur Hanse wird auf nur zwei Seiten so kurz behandelt, daß die spezifischen Bedingungen des Kieler Hafens nicht sehr deutlich werden. Das liegt z. T. auch an den Quellen. So ist die erste ausführliche Schiffsbrückenordnung erst von 1627 erhalten. Die geruhsame Entwicklung des kleinen Hafens erhielt erste neue Impulse durch Eingliederung in den dänischen Gesamtstaat 1773. Aber erst die Einverleibung der Stadt durch Preußen machte Kiel zu dem großen Marinestützpunkt, hinter dessen Entwick­ lung der Handelshafen dann eine wenig beachtete, aber nicht unbedeutende Rolle spielte.

G. Lutke Meijer, De Amsterdamse havn door de eeuiven hen (Am­ sterdam 1990, de Bataafsche Leeuw, 112 S., zahlreiche Abb.). Archäologische Untersuchungen haben die frühesten Ansiedlungen im Stadtgebiet von Amster­ dam auf etwa 1175 datiert. Der namengebende Damm muß um 1240 errichtet worden sein. Zur Fundamentierung der frühen Häuser waren bereits Teile von Schiffswinden und Ruderblättern sekundär verwendet und schon 1175 wurde Keramik aus den Ardennen und Kohle aus England importiert, lauter Hinweise auf die Bedeutung des Hafens von den Anfängen an. Im übrigen können für die spätmittelalterliche Hafengeschichte nur wenige Schriftquellen in Anspruch genommen werden. Erst mit der 1544 beginnenden bildlichen Überlieferung wird die Darstellung substantieller, obwohl die Darstellungen des 16. Jhs. in sehr schlechter Qualität wiedergegeben sind. Die Entwicklung wird bis zur Ge­ genwart durchgezogen, wobei am Schluß nur noch gute Fotos mit ausführlicher Bildunterschrift vertreten sind.

J. van Heinigen, Diepers en Delvers. Geschiedenis van de zand - en grindbaggeraars (Zutphen 1991, Walburg Pers, 408 S., viele, z.T. farbige Abb.). Obwohl der Schwerpunkt des Buches auf der Dampfbaggerei mit Eimerketten seit dem 19. Jh. liegt, werden die vorindustriellen Baggermethoden in ihrer großen technischen Vielfalt und geringen Effektivität dargestellt. Als Energie­ quellen dienten die Muskelkraft von Menschen und Tieren (in Göpelwerken); auch wurden die Windkraft und das strömende Wasser ausgenutzt.

Robert C. Davis, Shipbuilders o f the Venetian Arsenal. Workers and Workplace in tbe Preindustrial City (Baltimore/London 1991, Johns Hopkins University Press, 270 S., 20 Abb.). Zum Schiffbau und zur kriegsmäßigen Ausstattung der Schiffe waren viele und sehr verschiedenartige Handwerker nötig. Alle, die in Venedig für das Arsenal arbeiteten, fühlten sich so sehr mit diesem verbunden, daß sie sich selber zur Gemeinschaft der „arsenalotti“ zu­ sammenschlossen. Die Quellen, die über die Sozialgeschichte und das technische Können dieser Gemeinschaft Auskunft geben, setzen um 1500 ein und werden bis ins 18. Jh. verfolgt.

Günther Meyer, Die Wallensteinsche Flotte in der Ostsee 1627 bis 1632, Teil 1 (Schiff und Zeit 36, 1992, 38-45). Vf. gibt eine knappe Darstellung von Gründung und Niedergang der kaiserlichen Flotte als Ergebnis der Ostseepolitik der spanischen und der deutschen Habsburger und schildert dann 168 Hansische Umschau

die Seekriegshandlungen der kaiserlichen Flotte von März 1628 der Reihe nach bis zum 22. 1. 1632 (Kapitulation der kaiserlichen Truppen in Wismar, das an Schweden fällt).

H . Kreideweiß, Das Votivschiff von Vlotho (Logbuch 28, 1992, 33 f.). Durch einen kleinen Beitrag, der noch viele Fragen offen läßt, macht Vf. der Forschung in Fotos und Beschreibung ein bisher unbekannt gebliebenes Modell eines kanonenbestückten Seeschiffes zugängig, dessen Rumpf wahrscheinlich in der 2. Hälfte des 17. Jhs. angefertigt worden ist. Die Takelage dagegen war zwischenzeitlich bei einer Restaurierung auf den neuesten Stand (19. Jh.) gebracht worden. Vf. beschreibt seine Restaurierung von 1988, bei der er zu Recht nicht versucht hat, die „falsche“ Takelage in einen zum Rumpf passenden Zustand zurückzuführen. Diese sensationelle Neuentdeckung bedarf noch der genauen Untersuchung des historischen Bestandes, bevor sie von der Forschung als Quelle genutzt werden kann. D.E.

Im 17. und 18. Jahrhundert nahm der Floßholzhandel aus dem Rheingebiet in die Niederlande eine schwunghafte Entwicklung. Dietrich Ebeling untersucht in seiner Habilitationsschrift Der Holländerholzhandel in den Rheinlanden. Zu den Handelsbeziehungen zwischen den Niederlanden und dem westlichen Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert (VSWG Beiheft 101, Stuttgart 1992, Franz Steiner Verlag, 241 S., zahlreiche Tabb. und Graphiken) Gründe und Ursachen für diese Entwicklung. Er stellt dar, welche Rolle der rheinische Holländerholzhandel im internationalen Vergleich hatte und wie dieser im Schwarzwald organisiert war und ablief. Der Abdruck von wichtigen bisher unedierten Quellen und von Statistiken machen die Darstellung durchschaubar und nachvollziehbar. H.-W. Keweloh

Klaus Barthelmeß, Auf Walfang - Geschichte einer Ausbeutung (in: Von Walen und Menschen, hg. von Knuth Weidlich, Hamburg 1992, Historika Photoverlag, 4-51). - Der Autor legt in diesem zwar populär gehaltenen, aber wissenschaftlich zuverlässig gearbeiteten Beitrag die erste deutschsprachige Gesamtgeschichte des Walfangs vor. Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, daß die ebenso zählebige wie falsche bisherige Periodeneinteilung (Mittelalter - Grönlandwalfang - Südseefischerei - industrieller Walfang) durch eine neue Struktur ersetzt wurde, die endlich auch dem sog. Eingeborenenwalfang, dem Walfang in europäischen Kolonien und dem Döglingsfang um 1900 den gebotenen Stellenwert einräumt. Gleiches gilt für den sicherlich umfangreichen, aber weniger gut dokumentierten vor- und frühgeschichtlichen Walfang und den des Mittelalters. Hier klaffen noch erhebliche Forschungslücken; dennoch wird der Autor auch hier mit seinem Entwurf eines Gesamtbildes das Richtige getroffen haben. U. Schnall

Der historische Walfang der Nordfriesen (Schriftenreihe des Nordfriesischen Schiffahrtsmuseums Husum, Bd. 2, 1991, 92 S., 36 Abb.). Von ca. 1650 bis ca. 1850 war der Walfang im Nördlichen Eismeer eine der wichtigsten Er­ werbsquellen Nordfrieslands. B e r e n d Harke Feddersen hat zahlreiche ausführliche Schilderungen dieses Walfangs von 1648 bis 1838 ausgewertet und Schiffahrt und Schiffbau 169 festgestellt, daß sich in dieser Zeit „die Bedingungen unter denen die Wale und Robben gejagt wurden, so gut wie gar nicht verändert“ haben. Nur die Ausbeute wurde wegen Überfischung immer geringer. Deshalb hat er unter dem Titel Das Jahr der Wal- und Robberifänger (8-78) den typischen Ablauf eines Jahres von der Ausfahrt im Frühjahr bis zur Heimkehr im Frühherbst und zum Leben zu Hause während der Wintersaison hcrausgearbeitet. Der Modellbauer Wolfgang Asbach schließt an mit Bemerkungen zu den Walfängern (79-92), worunter er hier die Walfangschiffe versteht. Er gibt genaue Rechenschaft, nach welchen Quellen er für das Husumer Museum das Modell eines Walfangschiffes aus dem letzten Drittel des 17. Jhs. gebaut hat. D.E.

Dirk de Jong, Hendrik Kobell und Matthias de Sallieth (Illustratoren), Nieuwe Beschryvingh der Walvisvangst en Haringvisschery (Pho­ tomechanischer Nachdruck der Ausgabe Amsterdam 1792, Franeker 1992, Uit- geverij Van Wijnen, 504 S., 31 facsimilierte Radierungen). - Zwischen 1784 und 1786, in einer Zeit, als die niederländischen Wal- und Heringsfischereien in einer Rezession steckten, brachten Amsterdamer und Harlinger Verleger in vier Teilen das anonym verfaßte Werk „De Walvischvangst met veele byzonderheden daartoe betrekkelyk“ mit 31 Kupfertafeln heraus. Der Schluß des vierten Teils, der sich ausschließlich dem Heringsfang widmet, erschien 1786 auch separat als Monographie. 1792, nachdem die Zahl niederländischer Walfangfahrten weiter zurückgegangen war, erschien in gleicher Ausstattung eine zweite Auflage in einem Amsterdamer Verlag, diesmal unter Nennung der Illustratoren und dem Titel Nieuwe Beschryvingh der Walvisvangst en Haringvisschery. Diese Ausgabe liegt nun, 200 Jahre später, in gediegener Buchqualität als photomechanischer Nachdruck vor. Beigelegt ist eine 7seitige Broschüre mit einem Kommentar, der mit knappen, präzisen Hintergrundinformationen zum niederländischen Wal- und Heringsfang der Zeit überzeugt, hinsichtlich der Rezeptionsgeschichte des Werkes aber etwas zu karg ausfällt. So wird lediglich die französische Überset­ zung unter der Redaktion Bernard du Restes von 1801 erwähnt, nicht aber die deutsche, die 1913 in Leipzig unter dem Titel „Fahrten und Forschungen der Holländer in den Polargebieten“ (übersetzt von P. Cronheim) erschien. Richtig wird erkannt, daß das Werk rein kompilatorisch ist und geringen Quellenwert für die Walfanghistoriographie hat, doch Umfang und Zuverlässigkeit der von den damaligen Redakteuren benutzten Literatur werden nicht erörtert. Diese Li­ teratur nämlich stellt beinah das gesamte damalige Standardwissen über Landes-, Natur-, Volks- und Warenkunde der Nordmeeranrainer dar, von Grönland bis zur Murmanküste, von Svalbard bis zu den Faeröern. Verkannt wird schließlich völlig, daß einige der Kupfertafeln Hendrik Kobells und Dirk de Jongs eine ikonographische Tradition begründeten, die im europäischen Bürgertum die bildliche Vorstellung vom Arktiswalfang bis weit ins 19. Jh. prägte. K. Barthelmeß

Horst Auerbach, Brandenburgische und preußische Seelandungen auf der Insel Rügen im 17. und 18. Jahrhundert, Teil II: Preußens Seelandung bei Groß-Strelow 1715 (Schiff und Zeit 34, 1991, 43-49). Fortsetzung der HGbll. 110, 1992, 97, angezeigten Arbeit, hier mit Darstellung der Hintergründe 170 Hansische Umschau

und des Verlaufs der Landung im Bündnis mit Dänemark gegen Schweden. Als Ergebnis dieser Auseinandersetzungen erweitere Preußen schließlich sein Territorium an der Ostsee, gewann den wichtigen Hafen Stettin und die Odermündungen.

Bernard de Maisonneuve, Excavation of the „ M aidstonea British man-of-war lost off Noirmoutier in 1747 (IJNA 21, 1992, 15-26). Im Fundbericht werden u. a. die bisher erkennbaren Schiffsreste verglichen mit dem erhaltenen Schiffsriß ihres Schwesterschiffes „Falkland“. Weiter werden die Kanonen mit dem Monogramm Georgs II., die nautischen Geräte, ein Gewichtsatz, Scherben chinesischen Prozellans, ein Schwertgriff und kleinere Gebrauchsgegenstände behandelt.

Benny Christensen, Den gode Hensigt (Handels- og Sofartsmuseet pa Kronborg, Arbog 1992, 6-28). Vf. schildert die Schwierigkeiten beim Bau dieses bewaffneten Ostindienfahrers der dänischen Asiatisk Kompagni, das schließlich Anfang 1780 voll ausgerüstet und beladen die erste Ausreise antreten sollte, aber im Eis festsaß und am 28.2. 1780 Feuer fing. Die Reste des Wracks sind 1978 entdeckt worden. Durch Probleme beim Bau und bei der Abwicklung der Versicherung sind für dieses Schiff so viele Pläne, Detailzeichnungen und andere Dokumente vorhanden wie zu sonst keinem Handelsschiff des 18. Jhs., u.a. komplette Listen von Inventar, Ladung und Mannschaft. Vf. hat über 300 Dokumente ausgewertet.

Ewert von Krusenstjern, Weltumsegler und Wissenschaftler Adam Johann von Krusenstern 1770-1846. Ein Lebensbericht (Gernsbach 1991, Casi­ mir Katz Verlag, 307 S., 4 Abb.). Der auf dem Gut Haggud in Estland 1770 geborene, deutschsprachig aufgewachsene Adam Johann Krusenstern führte 1803 bis 1806 die erste russische Weltumsegelung durch. Erstmals wird hier eine umfassende Biographie des Mannes vorgelegt, der vordergründig die Basis für eine wirtschaftlich profitable Handelsverbindung zwischen Westrußland und dem zu Rußland gehörigen Alaska legen wollte und zugleich einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Meeresströmungen und anderer ozeanologischer Phänomene leistete.

Horst Auerbach, Der Schoner „Stralsund“ oder die Anfänge der preußischen Marine (Schiff und Zeit 35, 1992, 17-22). Knappe Darstellung der Hintergründe, die zum 1817 vollendeten Bau des Schoners führten, seiner Einsätze bis zur Versteigerung 1829.

Hans Joachim Greiffenhagen, Schiffstypenkunde (18). Die Barken­ tine und ihre Schoner-Verwandten (Schiff und Zeit 34, 1991, 17-22). Fortsetzung der Serie über Schiffstypen (vgl. HGbll. 110, 1992, 97) mit einer schwer zu definierenden Gruppe von dreimastigen Segelschiffen des 19. Jhs.

Alfred Rubarth, Stralsunds Segelschiffe, ihre Kapitäne und Schicksa­ le 1800-1920 (Selbstverlag A. Rubarth, Hummelsbütteler Landstr. 82, 2000 Hamburg 63, 232 S.). Das sehr nützliche Nachschlagewerk enthält jeweils in Schiffahrt und Schiffbau 171 alphabetischer Reihenfolge vier verschiedene Verzeichnisse: l.der Segelschiffe von Stralsund und Rügen nach Schiffsnamen mit den wichtigsten Lebensdaten und Namen der jeweiligen Schiffer (7-186); 2. der Schiffer mit Verweis auf Liste 1 (187-200); 3. der Küstenfahrzeuge von Rügen nur aus den Jahren 1827-1847 (221-223) und 4. der Stralsunder Korrespondenzreeder (224-227). Es folgt die Aufstellung der Stralsunder Schiffsbestände jährlich (mit Lücken) von 1782 bis 1914 (228 f.) und der Nachweis von Kapitänsbildern und Fotos Stralsunder Segelschiffe (230-232).

Kurt Fleischfresser, Die alte Inselstadt Wollin in Pommern und die Schleppnetzfischerei unter Segel auf dem Stettiner Haff (Selbstverlag K. Fleischfresser, Laboe 1992, 78 S., 46 Abb.). Der früheste schriftliche Nachweis für Schleppnetzfischerei mit „Zeeskähnen“ findet sich 1449 in der Wolliner Chronik als „Zeezekan“. Vf. beschreibt Bauweise und Einsatz dieses Schiffstyps sowie der anderen Fischereifahrzeuge (Zeesboot, Tuckerhahn, Pult, Quatze, Angelheuer und Strandboot) nach Quellen des 19. und 20. Jhs.

G . P o h 1 a n d t , Der Spreewaldkahn (Logbuch 28, 1992, 132-136). Gute Do­ kumentation der spantenlosen Konstruktion heutiger Spreewaldkähne. Da ältere Konstruktionsunterlagen nicht vorliegen, bildet diese Arbeit den Ausgangspunkt für die Erforschung aller älteren Wasserfahrzeuge dieser Region.

Wilhelm Menke, Pünten- und Schiffsbau in Haren an der Ems - Vergangenheit und Gegenwart (Haren 1990, Heimat- und Verkehrsverein, 155 S., zahlreiche Abb.). Die älteste Nachricht über Emspünten stammt von 1585 und überliefert die Namen von 37 Püntkern aus dem Gericht Haren. Uber die genaue Form der verschiedenen Püntentypen geben aber erst Dokumente des 19. und 20. Jhs. Auskunft, die Vf. mit großer Umsicht zusammengetragen hat. Er führt seine Darstellung kontinuierlich weiter bis zum Bau stählener Motorschiffe durch heutige Werft- und Zulieferbetriebe.

Werner Jaeger, Das Modell einer Poon. Untersuchungen zur Rekon­ struktion eines niederländischen Kleinschiffstyps mit Beiträgen von T i 1 m a n Bechert und Christian-Peter Schmitz (Duisburger Beiträge zur Schiffahrts- und Schiffbaugeschichte, 4. 1, Duisburg 1992, 64 S., 70, z.T. farbige Abb.). Da hölzerne Binnenschiffe nicht nach Zeichnung gebaut wurden, stehen dem Historiker kaum verläßliche Unterlagen über die Konstruktion dieser Fahrzeuge zur Verfügung. Umso wichtiger sind exakte Modelle aus älterer Zeit wie das einer Poon des 19. Jhs., das sich im Besitz des Museums der Deutschen Binnenschiffahrt Duisburg-Ruhrort befindet. T. Bechert hat die nachgelassenen Papiere der beiden anderen Autoren, die 1986 (W. Jaeger) bzw. 1990 (C.-P. Schmitz) gestorben sind, zu diesem Modell herausgegeben und dazu die in niederländischen Museen vorhandenen Poon-Modelle wenigstens fotografisch dokumentiert. Zusammen mit den Rissen und Detailzeichnungen des Duisbur­ ger Modells und den künstlerischen Darstellungen des Schiffstyps unter Segeln ist hier eine vorzügliche Dokumentation vorgelegt worden. D.E.

Helga Lauterbach, Von Floßmeistern und Flößerbräuchen. Geschichte 172 Hansische Umschau

und religiöses Brauchtum der Isar- und Loisachflößer (München 1992, Erich Wewel Verlag, 144 S., zahlreiche Abb.), versucht einen historischen Abriß der Isar- und Loisachflößerei zu geben sowie den Arbeits- und Lebensalltag der Flößer zu beschreiben. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt dabei auf den Verhältnissen zum Ende des 19. Jhs. und der ersten Hälfte des 20. Jhs. Das Bemühen, anschaulich zu schreiben, hat leider dazu geführt, daß Anekdotisches zu stark in den Vordergrund gerückt wird. Die Fakten sind nicht immer genau wiedergegeben - z. B. wenn die Behauptung aufgestellt wird, daß die Trift älter sei als die gebundene Flößerei -, oder sie lassen sich angesichts fehlender Quellennachweise nicht überprüfen.

Roland Gröber, Die Geschichte der Fischerei am Starnberger See (Vom Einbaum zum Dampfschiff 8, 1990, 11-29), gibt einen knappen Überblick über die rechtlichen Verhältnisse der Fischerei auf dem See, die Organisation der Fischer, deren wirtschaftliche Lage vornehmlich im 19. Jh. sowie über die Fangtechniken. Es ist bedauerlich, daß die Zitate aus den alten Rechtsverordnun­ gen nicht genau nachgewiesen wurden. - Der Beitrag Fischlieferungen an den Münchner Hof 1767-1776 von Roland Gröber (ebda., 30-37) ergänzt dieses Bild der Fischerei am Starnberger See um den Aspekt der Abnehmerschaft. Schon seit dem Mittelalter wurde die Fischerei in herrschaftlichem Auftrag betrieben. Die Listen der im Zeitraum von 10 Jahren an die herrschaftliche Tafel gelieferten Fischmengen vermitteln eine Vorstellung, welchen Umfang diese Fischerei in älteren Zeiten hatte.

Paul Höfling, Die Chiemsee-Fischerei, Beiträge zu ihrer Geschichte (Beiträge zur Volkstumsforschung, Bd. 24, München, 1987, 291 S.), gibt einen Überblick über die Fischbestände des Sees, die Fischereifahrzeuge sowie die Fanggeräte und -methoden. Vf. geht auf die alten Fischordnungen sowie die jüngeren Entwicklungen der Chiemseefischerei ein. H.-W. Kezveloh

R ob Oosting und Karel Vlierman,,,De Z eeh on d een groninger Tjalk gehouwd in 1878, vergaan in 1886 (Flevobericht Nr. 323, Lelystad 1990, 120 S., 53 Abb. und 5 Beilagen mit Konstruktionszeichnungen). Genaue Dokumentation über das in den IJsselmeer-Poldern (Oostelijk Flevoland F 3) 1967 entdeckte und 1972 ausgegrabene Wrack eines Küstenfrachtschiffes vom Typ Tjalk. Nicht nur der Rumpf mit den Ansatzstellen für die Takelage war sehr gut erhalten, sondern auch die gesamte Ausrüstung und die Ladung von ursprünglich ca. 77 000 Ziegelsteinen. Die genaue Identifizierung des individuellen Schiffs war über das erhaltene Namensbrett (mit Jahreszahl) möglich. Von besonderer Bedeutung für die Forschung ist der vollständige Bestand an Hausrat einschl. Kücheneinrichtung, Eß- und Trinkgeschirr usw., der einen genauen Aufschluß über die Lebensverhältnisse an Bord ermöglicht.

Jobst Broelmann und Timm Weski,,,Maria“ HF 31. Seefischerei unter Segeln (Deutsches Museum 1992, 190 S., 167 Abb., 35 Tabellen). Mit dem Ewer „Maria“ HF 31 (= Hamburg-Finkenwerder) von 1880 besitzt das Deutsche Museum in München ein einzigartiges Denkmal der Technikgeschichte. Der vorliegende Band dokumentiert nicht nur Bauweise und Einsatz dieses Schiffes, Schiffahrt und Schiffbau 173

sondern gibt einen Überblick über die Entwicklung der Seefischerei mit hölzernen Segelfahrzeugen von der Elbe aus. Vor 1815 betrieben die Fischer von Finkenwerder nur Flußfischfang, die Hochseefischerei wurde von Blankenese aus betrieben, die gegenüber den holländischen Fischern konkurrenzfähig blieben, weil ihre im Treibnetz gefangenen Fische von besserer Qualität waren, als die aus den holländischen Schleppnetzen. Die nach 1815 erfolgte Anpassung der Fischewer an neue Fanggeräte, die Fanggebiete und Fangzeiten, die Mannschaften und das Arbeitsleben sowie der Strukturwandel in der Finkenwerder Flotte werden detailliert dargestellt.

Maria Möring, Die Geschichte der Deutschen Seemannsschule Hamburg (Hamburg 1992, Ernst Kabel Verlag, 79 S., 26 Abb.). Nach mancherlei Vorbe­ reitungen wurde die Deutsche Seemannsschule in Hamburg am 1. 12. 1862 von Hamburger Kaufleuten und Reedern als Aktiengesellschaft gegründet. Theore­ tischer Unterricht in Mathematik, Navigation und Geographie wechselten mit praktischer Unterweisung im Spleissen, Zimmern, Malen und den Übungen am und im Boot. Seit 1887 wird die Schule bis heute als Stiftung weitergeführt mit dem Zweck „jungen Leuten, welche den Seemannsberuf ergreifen wollen, eine grundlegende Vorbereitung ... zuteil werden zu lassen.“ D.E.

Die Reihe der deutschen wissenschaftshistorischen Zeitschriften ist um eine interessante Publikation reicher. Die Deutsche Gesellschaft für Meeresforschung hat den ersten Band einer Zs. vorgelegt, „die sich mit der Entwicklung des Wissens vom Meer“ befaßt: Historisch-Meereskundliches Jahrbuch, hg. von Walter Lenz und Burkard Watermann, Bd. 1, 1992, Berlin 1992, Dietrich Reimer, 144 S., zahlreiche Abb. Dieser Auftaktband enthält sieben Aufsätze zu verschiedenen Aspekten der Meeresforschung und steckt dabei den intendierten Rahmen weit ab. Daß überhaupt eine solch spezielle Zeitschrift ins Leben gerufen werden konnte, zeigt das gestiegene Interesse an der Polar- und Meeresforschung allgemein, die im letzten Jahrzehnt sich auch einem breiteren Publikum hat darstellen können. - Zwei der Beiträge haben schiffahrtshistorische Themen im engeren Sinne zum Gegenstand, Die erste deutsche Südpolar-Expedition und die Flottenpolitik unter Kaiser 'Wilhelm II. von Cornelia Lüdecke (55-75), in dem die GAUSS-Expedition 1901 — 1904 und ihr politisch motiviertes vorzeitiges Ende dargestellt wird, und - für Hanse-Historiker von großem Interesse - Zwei Hamburger, ein Barbier (1675) und ein Bürgermeister (1746), erkunden und beschreiben die Wale des Nördlichen Eismeeres von Gabriele Peters (9-34), die letzte Arbeit der bekannten Hamburger Wissenschaftlerin. In diesem Aufsatz werden zwei in Hamburg publizierte, grundlegende Werke von Friderich Martens (1675) und Johann Anderson (1746), die die Kenntnis von der Biologie der Wale entscheidend vertieften, näher betrachtet. Um wenigstens einen Eindruck von diesem neuen Jahrbuch zu vermitteln, seien die übrigen Beiträge ihrem Titel nach genannt: Brigitte Loh ff, Erste Schritte zur Planktonforschung (35—44), Petra Werner, Anton Dohm und die Gründung der Biologischen Anstalt Helgoland (45-54), Jens Smed, Early Discussions and Tests of the Validity o f Knudsen’s Hydrographical tables (77-86), Walter Lenz, Die Überfischung der Nordsee 174 Hansische Umschau

- ein historischer Überblick des Konfliktes zwischen Politik und Wissenschaft (87-108), Burkhard Watermann, Zum Schicksal einiger Meeresbiologen im Nationalsozialismus (109-138). Der Schlußteil „Buchbesprechungen“ (139— 143) wirkt mit seinen nur drei Rezensionen noch etwas unfertig. - Dem auch technisch gut gelungenen Jahrbuch ist Erfolg zu wünschen, und es sei der Aufmerksamkeit aller schiffahrtshistorisch Interessierten empfohlen. U. Schnall

Reinhard A. Krause, Die Griindungsphase deutscher Polarforschung, 1865-1875 (Berichte zur Polarforschung, Bd. 114, Bremerhaven 1992, Alfred- Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, 440 S., 10 Abb.). Die großen überseeischen Entdeckungen vom 15. bis 18.Jh. sind weitestgehend ohne deutsche Beteiligung durchgeführt worden. Vf. arbeitet heraus, aus welchen Gründen es zwischen 1865 und 1875 im Spannungsfeld zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zum ersten Einsatz deutscher Forschungsschiffe für die Polarforschung kommt. Unter deutsch versteht er dabei den deutschen Sprachraum, der sich gerade in dieser Zeit neu organisierte, ab 1871 in den beiden Staaten Deutsches Reich und Österreich-Ungarn.

Hans Ulrich Roll, Die Erdumsegelung der deutschen Schrauben- Corvette „ Gazelle“ aus der Sicht ihres Ersten Offiziers (Schiff und Zeit 35, 1992, 23-31). Mit der 1855-62 in Danzig gebauten Corvette „Gazelle“ hatte sich 1874— 76 die preußische Marine in die Forschungsschiffahrt eingeschaltet. Aus den sehr persönlich gehaltenen Aufzeichnungen des Ersten Offiziers, Kapitänleutnant Dietert stellt Vf. interessante Angaben zur Expedition, dem Schiff und seiner Besatzung, der Brennstoff-Versorgung, zu Verpflegung und Gesundheit, zu den Vermessungsarbeiten und den besuchten Häfen zusammen. D.E.

VORHANSISCHE ZEIT

(Bearbeitet von Rolf Hammel-Kiesow)

Frühgeschichte der europäischen Stadt. Voraussetzungen und Grundlagen, hg. von Hansjürgen Brachmann und Joachim Herrmann (Schriften zur Ur- und Frühgeschichte, Bd. 44, Berlin 1991, Akademie Verlag, 325 S., 133 Abb., 24 Tafeln). - Der Band enthält 35 der 37 Vorträge, die 1987 auf der Tagung „750 Jahre Berlin - Voraussetzungen und Grundlagen der Stadtentwicklung in Mitteleuropa und die Anfänge europäischer Hauptstädte“ gehalten wurden. Die in vier Abteilungen gegliederten Beiträge sind alle in deutscher Sprache gedruckt und jeweils mit einem englischen summary versehen. Der „Frühgeschichte Ber­ lins“ (I) sind drei Beiträge gewidmet: Joachim Herrmann, Siedlungsge­ schichtliche Grundlagen und geschichtliche Voraussetzungen für die Entwicklung Berlins (7-18), widmet dem Zusammenhang von bäuerlicher Rodungsarbeit im Rahmen des Landesausbaus und der Gründung von Städten Aufmerksamkeit und referiert knapp die Ergebnisse der topographischen und siedlungsarchäolo­ gischen Forschungen. Heinz Seyer, Die Entstehung von Berlin und Cölln Vorhansische Zeit 175

im Spiegel archäologischer Ausgrabungen (19-24): Vorstädtische Siedlungen, die an der Wende vom 12. zum 13. Jh. entstanden, konnten mittelbar durch Friedhöfe unter den ebenfalls archäologisch erschlossenen ältesten Pfarrkirchen nachgewiesen werden. Sie waren wahrscheinlich von Anfang an kaufmännisch­ gewerblich ausgerichtet. Rolf Barthel, Die frühen Herrschaftsverhältnisse im Berliner Raum. Zwischenbilanz einer Diskussion (24-33), vertritt die These, daß nicht, wie bislang angenommen, die askanischen Markgrafen von Branden­ burg, sondern die Erzbischöfe von Magdeburg als Territorialmacht das engere Gebiet um den Berliner Spreepaß beherrschten. - Die meisten Beiträge (26) enthält Teil II „Stufen und Typen der Stadtentwicklung“, der wiederum in drei Unterabteilungen gegliedert ist. a) „Städte zwischen Antike und Mittelalter“: Rolf d’Aujourd’hui, Zur Entwicklung der Stadt Basel vom keltischen Oppidum zur hochmittelalterlichen Stadt (35-49), gibt einen Überblick über die nach Örtlichkeit und zeitlicher Stellung unterschiedlichen Entwicklungsphasen. Helen Clarke, Zur Frühgeschichte der englischen Stadt (50-59), beschreibt die Entwicklung vom 5.-10. Jh., wobei der Schwerpunkt auf Siedlungen liegt, die im 7.-9.Jh. in gewissem Grade Stadtcharakter trugen. Herwig Ebner, Die Frühgeschichte Wiens (60-67), stellt klar, daß eine neuerdings „festgestellte“ Siedlungskontinuität mangels geeigneter archäologischer Befunde unbewiesen ist. Am ehesten sei eine topographische Kontinuität erkennbar, die ethnische eher fragwürdig, die funktionelle nicht gegeben. - Stefan Oltenau, Be­ trachtungen über die Anfänge des städtischen Lebens auf rumänischem Territo­ rium (68-72), sieht die Periode des 8.-13. Jhs. als wichtige Entwicklungsetappe, in der bestimmte ländliche Ortschaften eine höhere Stufe auf dem Wege der Stadtwerdung erreichten und regionale Zentren wurden. Herbert Sarfatij, Zur Entstehung der mittelalterlichen Städte in den Niederlanden (8.-13. Jh.). Er­ gebnisse der Stadtkernforschung (73-79), betont den durch die Stadtarchäologie erkannten Dualismus städtischer Entwicklung, durch die einerseits eine Kon­ tinuität älterer Siedlungen deutlich wurde, andererseits die Entwicklung neuer städtischer Merkmale (Wechsel in der Anlage der Städte und ihrer Bebauung) beobachtet werden konnten. John Schofield, London im frühen Mittelalter (80-84), umreißt drei Hauptentwicklungsetappen von der frühmittelalterlichen Handelssiedlung bis zur Stadt um 1300. Philippe Velay, Die Entstehung und die frühe Entwicklung der Stadt Paris (Von den Ursprüngen bis zum 9. Jahrhundert u. Z.) (85-91), beschreibt die unterschiedlichen Phasen der Ent­ wicklung, wobei er hervorhebt, daß - entgegen bisheriger Auffassung - die Römer zuerst auf dem linken Ufer der Seine siedelten. Velizar Velkov, Sofia zwischen Antike und Mittelalter (92-95), hebt die ungebrochene Konti­ nuität des 29. v. u. Z. erstmals erwähnten Ortes hervor. Frans Verhaeghe, Frühmittelalterliche Städte in Belgien. Ein vorläufiger Überblick (97-115), stellt die neuen Ergebnisse archäologischer und historischer Forschungen vor am Beispiel von Huy, Liege, Maastricht, Gent und Antwerpen, die ausführlicher, sowie von Tongeren, Tournai und Brügge, die nur kurz behandelt werden. Trotz weitgehend gesicherter topographischer Siedlungskontinuität gibt es nur wenige Hinweise auf eine urbane Kontinuität. - b) „Burgstädte und Seehandelsplätze im mittleren und östlichen Europa“: Hansjürgen Brachmann, Der Markt als Keimform der mittelalterlichen Stadt. Überlegungen zu ihrer Genese im 176 Hansische Umschau

ostfränkischen Reich (117-130), beginnt mit Überlegungen zur Topographie und sozialen Struktur der 805 im Dicdenhofener Kapitular genannten Grenz- kontrollorte, wobei offen bleiben muß, ob es bei ihnen bereits zur ständigen Niederlassung von Händlern und Handwerkern gekommen war (Ausnahme: Regensburg). Es folgt eine knappe Darstellung der Entwicklung der Produk­ tivkräfte im Binnenland östlich des Rheins als Voraussetzung für Marktbezie­ hungen. Bohuslav Chropovsky, Nitra und Großmähren (131-136), gibt einen Überblick über die Entwicklung der seit dem 9. Jh. erwähnten Stadt, in deren heutigem Gebiet fünf Burganlagen, 13 offene Siedlungen (davon einige mit dem Nachweis spezifischer Produktion) und 16 Gräberfelder aufgedeckt werden konnten. - Detlev Ellmers, Die Rolle der Binnenschiffahrt für die Entstehung der mittelalterlichen Städte (137-147), bemißt deren Bedeutung an der Herausbildung (während der Merowingerzeit) und Verbreitung (seit der Zeit Karls des Großen) des Ufermarkts, dessen charakteristische Elemente erläutert werden. Aus einem Teil der Ufermärkte entwickelten sich seit karolin­ gischer Zeit stadtartige Dauersiedlungen. Wladyslaw Filipowiak, Die Anfänge des Städtewesens in Pommern (148-158): Seit dem 8. Jh. ist mit dem Entstehen von Handwerker- und Handelssiedlungen zu rechnen; am Beispiel von acht städtischen Siedlungen, darunter Kofobrzeg, , Szczecin, Stargard und Menzlin, werden die Entwicklungsbedingungen vorgeführt mit besonderer Berücksichtigung der Schiffahrt. Alojz Habovstiak, Bratislava - Die Anfänge der heutigen Hauptstadt der Slowakei (159-165), schildert die topo­ graphische Entwicklung vor allem vom 9. bis zum Ende des 13.Jhs. Lech Leciejewicz, Die Frühstadt in Schlesien und ihre kulturbildende Funktion (166-173), befaßt sich vor allem mit der Entwicklung Wrocfaws (Breslaus), mit dessen Bedeutung die anderen schlesischen Städte sich nicht messen konnten. Miroslav Richter, Zur ältesten Geschichte der Stadt Prag (174-179); Ausgangspunkt einer präurbanen Siedlungsagglomeration war die Gründung der Prager Burg auf dem linken Moldauufer, das rechte Ufer war im 12. Jh. planmäßig besiedelt, in dessen zweiter Hälfte sich der Urbanisierungsprozeß be­ schleunigte; unzureichend sind bislang die Kenntnisse über die Wohngebiete der Deutschen, „Romanen“ und Juden. Valentin V. Sedov, Anfänge der Städte bei den Ostslawen und die frühe Geschichte Moskaus (180-190), sieht vier Etappen der Entwicklung: die Protostädte des 7.-8. Jhs. entwickelten sich im Zuge des Aufschwungs der Handelsbeziehungen im 9. bis Anfang des 10. Jhs. zu frühfeudalen Städten mit zweigliedriger Struktur: der Burg des Fürsten und der befestigten Vorstadt der Handwerker und Händler. Von der zweiten Hälfte des 10. bis in die erste Hälfte des 12. Jhs. entstanden in landwirtschaftlichen Konzen­ trationsgebieten vor allem handwerklich geprägte kleine befestigte Siedlungen ohne eigentliche Burg. In der Mitte des 12. Jhs. begann die vierte Etappe, die bis in die 30er Jahre des 13. Jhs. andauerte. Die Entwicklung Moskaus zur Stadt fällt in diesen Zeitabschnitt, in dem mehr als 120 Städte mit entscheidendem Einfluß der fürstlichen Verwaltung gegründet wurden. Wolfgang Timpel, Archäologische Forschungen zur Frühgeschichte thüringischer Städte (191-199), behandelt Arnstadt, wo trotz urkundlicher Erwähnung i.J. 704 bisher keine frühmal. Sicdlungsplätze erfaßt werden konnten, Mühlhausen, wo frühmal. Siedlungskerne ergraben werden konnten, Weimar und Erfurt; letzteres weist Vorhansische Zeit 177

Siedlungen seit der römischen Kaiserzeit auf, der Domplatz kann wegen ehe­ maliger Versumpfung nicht der Ort frühen Warenaustausches gewesen sein. Dieter Warnke, Frühe Stadtentwicklung an der südlichen Ostseeküste zwischen Odermündung und Lübecker Bucht (200-206), behandelt die archäolo­ gisch nachgewiesenen Niederlassungen von Menzlin, und einen neu entdeckten Handwerkerplatz bei Rostock- sowie das noch nicht loka­ lisierte . Die seit dem 8. Jh. belegten Emporien gingen im 9./10. Jh. unter oder verloren ihre überregionale Bedeutung. An ihre Stelle traten Burgstädte und andere Ansiedlungen, die im 13. Jh. durch mit deutschem Stadtrecht bewidmete Orte abgelöst wurden. - c) „Burgstädte, Seehandelsplätze und deren Hinterland in Skandinavien und Nordwesteuropa“: Björn Ambrosiani, Der Stadtbil- dungsprozeß im Mälargebiet bis zur Herausbildung von Stockholm (207-210), behandelt kurz den mit Helgö einsetzenden Prozeß bis zum 13. Jh. und hebt die bedeutende Rolle des Königtums für die frühen Städte hervor, die im 13. Jh. - im Unterschied zu Dänemark und Norwegen - nur noch selten festgestellt werden kann. Henning H. Andersen, Arhus im frühen Mittelalter (211-215); die um 900 gegründete Stadt wurde als Burg vom Typ der Halbkreiswällc gegründet; die Bebauung bestand aus Grubenhäusern. Anschließend wird ihre bedeutende Rolle in der Militärgeschichte und in der Administration Jütlands diskutiert. Hans Andersson, Das Werden der mittelalterlichen Stadt in Schweden (216-225), betont auf der Grundlage der Ergebnisse des Projekts „Medeltidsstaden“, daß die Phänomene Kontinuität und Diskontinuität und die regionalen Sonderentwicklungen im Urbanisicrungsprozeß von der Wi­ kingerzeit bis zum Mittelalter stärker als bislang diskutiert werden müssen. Michael Müller-Wille, Frühstädtische Siedlungen und ihr Umland. Bei­ spiele Haithabu und (226-236), behandelt die bäuerlichen Siedlungen im Umkreis der beiden frühstädtischen Zentren. Das archäologische Fundgut bezeugt enge Beziehungen. Petter B. Molaug, Die norwegische Stadt im Mittelalter (237-245), betont die enge Bindung zwischen Handelsplatz und Häuptlings- oder Königsmacht und ihre Bedeutung für die Stadtentwicklung. Für das 12./13. Jh. lassen sich Ausweitungen der Stadtgebiete und zugleich eine dichtere Bebauung erkennen. Für Oslo ließen sich um 1300 ca. 400 städtische Höfe von durchschnittlich 500-550 m2 Größe erschließen. Anngret Simms, Dublin. Vom wikingischen Seehandelsplatz zur anglonormannischen Rechtsstadt (246-257), stellt die Ursprünge Dublins in den Zusammenhang frühstädtischer Entwicklungen in Irland, zu welcher auch die frühmal. irischen Klosterstädte gehören. Die vergleichende Betrachtung mit der Entwicklung auf dem Konti­ nent führte zu dem Versuch einer Typologie frühstädtischer Siedlungsformen. Patrick F. Wallace, Die Entwicklung Dublins im 10. und 11. Jahrhundert zur bedeutendsten Stadt Irlands (258-280), hebt besonders die Entdeckung von 14 Wohnhaus- oder Parzellengrundrissen hervor, die in einer Reihe an­ geordnet lagen und sich über 13 Wohnhorizonte wiederholten. Die Bedeutung dieser Befunde für die frühe Herausbildung von Eigentumsrechten und eines frühstädtischen Bürgertums wird betont. - III. „Wege zur Stadt der entwickelten Feudalgesellschaft“: Günter P. Feh ring, Lübeck und die hochmittelalter­ liche Gründungsstadt im einst slawischen Siedlungsraum: Voraussetzungen, Ent­ wicklungen und Strukturen (281-293), faßt die Ergebnisse archäologischer und 178 Hansische Umschau

eines Teils der historischen Forschungen zusammen. Konrad Fritze, Der Urbanisierungsprozeß in der südwestlichen Ostseeküstenregion vom 12. bis zum 15. Jahrhundert (294-297), gibt einen Überblick über die Anzahl, Größe und Bevölkerungszahlen der Städte von Schleswig-Holstein bis Rügen-Vorpommern. Carl Jacob Gardberg, Frühmittelalterliche Handelsplätze in Finnland (298-302), unterscheidet zwei vorurbane Phasen und eine dritte Periode, in der es seit der zweiten Hälfte des 13.Jhs. zu den sechs finnischen Stadtbildungen kam, von denen Abo die wichtigste war. Ralf Gunnar Werlich, Kopen­ hagens Entwicklung zur Hauptstadt (302-308), schildert die seit der zweiten Hälfte des 12.Jhs. anzunehmende Entwicklung in ihren verschiedenen Phasen, wobei die Schwerpunktverlagerung der internationalen Handelsrouten, die nun Dänemark berührten, und die allmähliche Aufsplitterung des Schonenmarktes seit dem späten 14. Jh. die wirtschaftliche Bedeutung Ks. ebenso aufwerteten, wie die Realisierung der Unionspläne die politisch-administrative. Seit 1417 (Erwerb durch die Krone) wurde K. zum hauptstädtischen Zentrum des Landes. Horst Wernicke, Kaufmannshanse und Stadtentstehung im Ostseeraum während des 12./13. Jahrhunderts (309-313), führt aus, daß das Wirken der Kaufmannshanse und die Herausbildung der kommunalen Stadt im Ostseeraum gleichzeitig verlaufende historische Ereignisse waren und betont die Bedeu­ tung Lübecks in diesem Prozeß. - IV. „Ergebnisse, Fragen und Probleme“: Joachim Herrmann, Stadtentstehung im historischen Vergleich. Zu eini­ gen Ergebnissen und Fragestellungen (315-323), gibt eine diskussionswürdige Zusammenfassung auf der Grundlage von drei europäischen Synthesezonen (Abb. S. 316). Der Schwerpunkt der Beiträge zu den Orten der zwischen Donau und Rheinachse gelegenen mittleren Synthesezone lag auf dem Problem der Kontinuität bzw. Diskontinuität. Bei den weiter östlich gelegenen Städten der äußeren Synthesezone unterscheidet H. drei Typen, auf die die Urbanisation zurückging: 1. Siedlungsagglomerationen, 2. Burgstädte und 3. Seehandelsplätze, und gibt anschließend einen Überblick über die Urbanisationsperioden in diesen beiden Zonen. - Der vorliegende Band bietet einen ausgezeichneten Überblick vor allem über die durch die Stadt- und Siedlungsarchäologie erarbeiteten neuen Erkenntnisse zur Frühgeschichte der europäischen Stadt. Für den an der topographischen Stadtentwicklung Interessierten wird er zudem durch die zahl­ reichen abgebildeten Grundrisse und Entwicklungsfolgen vieler der behandelten Städte wertvoll, auch wenn sie - leider - keinen einheitlichen Maßstab haben. R. H.-K.

Eine willkommene Ergänzung zu den „Untersuchungen zu Handel und Verkehr in vor- und frühgeschichtlicher Zeit in Mittel- und Nordeuropa“ (s. HGbll. 104, 1986, 183 f.; 105, 1987, 86 ff.; 106, 1988, 155 ff.; 108, 1990, 111; 109, 1991, 124 f.) ist die Festschrift: Trade and exchange in prehistory. Studies in honour of Berta Stjernquist, hg. von Brigitta Härdh, Lars Larsson, Deborah Olausson, Rolf Petre (Lund 1988, Almquist & Wiksell International, XV, 332 S., zahlreiche Abb.). Für die vorhansische Geschichte sind anzuzeigen die Beiträge von H . Clarke, Seasonally-Occupied Settlements and Anglo-Saxons Towns (247 ff.), die wic-Orte des 7.Jhs. und königliche Besitzungen des 8. und 9.Jhs. als Keimzellen früher Städte ausmacht; auch die Vorhansische Zeit 179

Wiederbesiedlung aufgelassener römischer Städte ist seit dem 9. Jh. nachzuwei­ sen. - J . C a 11 m e r , Three Fundamental Perspectives for the Study of Trade and Exchange in in the Second Flalf of the First Millenium A.D. (261 ff.), bezeichnet die unterschiedlichen siedlungsräumlichen Voraussetzungen einer Region, deren innere Strukturen, bes. die soziale Gliederung innerhalb der Sicdlungseinheiten, sowie die weiträumigen Verbindungen, vor allem das Zustandekommen von Kontakten zwischen den sozialen Eliten als grundlegend. - Uber ein Forschungsprojekt zu Handel und frühen Häfen auf den größeren skandinavischen Ostseeinseln berichtet M . Rasch, Today''s Beach-Yesterday’s Harbour? (279 ff.), bes. am Beispiel Olands, wo ein räumlicher Zusammen­ hang zwischen den Deponierungen des 9.-12. Jhs. und den Handelsplätzen und frühstädtischen Siedlungen nachzuweisen ist. R. H.-K.

Alfred Falk, Stadtarchäologie und Sachkulturforschung (Wismarer Stu­ dien zur Archäologie und Geschichte 2, 1992, 31-47), gibt zunächt einen Überblick über stadtarchäologische Tätigkeiten im norddt. Raum, wobei er bes. darauf hinweist, wie wichtig die aktive Öffentlichkeitsarbeit als Voraussetzung für die Schaffung von befristeten und unbefristeten Stellen ist. Einige „Interna“ aus dem Bereich der Stadtarchäologie, die er mitteilt, sind für die Rezeption mancher Fachbeiträge von Bedeutung. Es folgt die Besprechung von Arbeiten, die sich theoretisch und methodisch mit der Materie auseinandersetzen, und von Arbeiten zur archäologischen Sachkultur. R. H.-K.

Michael Müller-Wille, Die Ostseegebiete während des frühen Mit­ telalters (Kiel: Universität Kiel 1989, 39 S., 32 Ktn.), behandelt anhand der archäologischen Materialien die Entwicklung kultureller Kontakte, des Handels und des Siedlungswesens vom 8. bis zum 12. Jh. R. H.-K.

Joachim Henning, Germanen-Slawen-Deutsche. Neue Untersuchungen zum frühgeschichtlichen Siedlungswesen östlich der Elbe (Praehistorische Zs. 66, 1991, 119-133), stellt aufgrund archäologischer Grabungen im östlichen Brandenburg die bislang vorherrschende Meinung in Frage, daß es im slawischen Siedlungsgebiet östlich der Elbe zur selbständigen Herausbildung grundherr­ schaftlicher Lebensformen seit dem 7./8. und dem beginnenden 9. Jh. gekommen sei und datiert diesen Vorgang rund 200 Jahre später in die Zeit deutscher Eroberung ostelbischer Gebiete im 10. Jh. Auch die slawische Einwanderung muß offenbar später angesetzt werden, als bislang angenommen wurde. R. H.-K.

Joachim Henning, Gefangenenfesseln im slawischen Siedlungsraum und der europäische Sklavenhandel im 6. bis 12. Jahrhundert. Archäologisches zum Bedeutungswandel von „skläbos-sakäliba-sclavus“ (Germania 70, 1992, 403- 426), kommt anhand der räumlichen Verteilung archäologisch nachgewiese­ ner Gefangenenfesseln und der Auswertung der schriftlichen Überlieferung zu einem von Charles Verlindens Ansicht abweichendem Ergebnis: nicht die germanisch-slawische Siedlungsgrenze war der Ausgangsraum für den Sklaven­ handel vor allem zu der Iberischen Halbinsel, sondern der Sklavenhandelsstrom kam vor allem aus den Gebieten nördlich des Schwarzen Meeres nach Byzanz 180 Hansische Umschau

bzw. ins Arabische Kalifat. Erst im 11.-13. Jh. gibt es dann dichtere Belege für den deutsch-dänisch-slawischen Grenzraum. R. H.-K.

Acta Praehistorica et Archaeologica 23, 1991, enthält auf S. 7-122 15 Beiträge zur „Gewinnung und Nutzung von Teer von den Anfängen bis in die heutige Zeit“, die auf dem 1. Symposium zum Thema „Holzteer“ 1990 im Museumsdorf Doppel, Berlin, gehalten wurden. Die Gewinnung in slawischer Zeit steht im Mittelpunkt, das Spektrum der Themen reicht von antiken Texten zur Holzteergewinnung bis zur wirtschaftlichen Bedeutung in der Gegenwart. Teer als Handelsgut wird nicht behandelt. R. H.-K.

Lech Leciejewicz, Zum frühmittelalterlichen Heringshandel im südli­ chen Ostseegebiet (ZArchäol. 25, 1991, 209-214), stellt archäologische Fundaus­ wertungen und schriftliche Überlieferungen zusammen, die wahrscheinlich ma­ chen, daß der Hering bereits im 9./10. Jh., wenn nicht schon früher, eine begehrte Handelsware war. Binnenländische Funde lassen annehmen, daß der Fischexport sich im 11./12. Jh. deutlich steigerte. Besonders günstige Bedingungen herrschten dort, wo, wie in Kolobrzeg, Heringsfanggründe und Salzgewinnungsstätten nahe beieinander lagen. R. H.-K.

Detlef Kattinger, Tyska och gotländska köpmänshandel pa Novgorod och i England under 1100- och 1200-talet (Der Handel deutscher und gotländi- scher Kaufleute in Novgorod und in England im 12. und 13. Jh.) (Gotländskt Arkiv 64, 1992, 131-142, dt. Zusammenfassung), gibt im Gegensatz zur bis­ herigen Forschung Hinweise darauf, daß das Verhältnis zwischen Gotländern und Deutschen lange Zeit eher partnerschaftlich war und daß die „Gotländische Genossenschaft“ als Korporation von Kaufleuten, die nur aus dem Reich kamen, in dieser Form vermutlich nicht bestand. R. H.-K.

Ausgrabungen in Schleswig. Berichte und Studien 10: Christiane Schnack, Die mittelalterlichen Schuhe aus Schleswig. Ausgrabung Schild 1971-1975 (Neumünster 1992, Karl Wachholtz, 193 S., 103 Taf., zahlreiche Abb. und Ktn.); die Funde konnten einer Siedlungsphase im 11. und 12. und einer weiteren im 13. und 14. Jh. zugeordnet werden. Neben chronologischen Differenzierungen nach Verarbeitung und Schuhtypen wurde festgestellt, daß in der ersten Siedlungsphase Ziegenleder, in der zweiten Kalbs- oder Rindsleder dominierte. Das Schuhwerk fügt sich in die allgemeine Entwicklung der nord­ europäischen Schuhmode ein, alters- oder geschlechtsspczifische Schuhformen waren aber nur vereinzelt nachweisbar, soziale Differenzierungen der ehemali­ gen Träger dagegen möglich. Die große Zahl einzelner Typen und Details ihrer Fertigung sind Beweise professioneller Fertigung in beiden Siedlungsphasen. R. H.-K.

Günter P. Fehring, Die Entstehung von Lübeck (ZArchäol. 25, 1991, 223-236), gibt wiederum eine seiner zahlreichen archäologischen Ubcrblicks- darstellungen von der räumlichen und baulichen Entwicklung Lübecks bis zum frühen 14. Jh. R. H.-K. Vorhansische Zeit 181

Monika Re mann, Romanische Backsteinbebauung im Zentrum von Lübeck - Ein Beispiel zu Füßen der Marienkirche (Zur Bauforschung über Spätmittelalter und frühe Neuzeit. Berichte zur Haus- und Bauforschung, Bd. 1, hg. vom Arbeitskreis für Hausforschung, Marburg 1991, Jonas Verlag, 9-16), wertet die Grabungsbefunde hinsichtlich der Gebäudetypologie und der Entwicklung des Grundstücksgefüges aus, wobei sie im Zusammenspiel von archäologischer und baugeschichtlicher Datierung und schriftlichen Quellen die zunehmende Verdichtung der Bebauung in fünf Phasen zwischen der Zeit um 1200 und der Mitte des 16. Jhs. rekonstruiert. R. H.-K.

Ralf Mulsow, Stadtkernforschung am Alten Markt in Rostock (Archäolo­ gisches Korrespondenzblatt 22, 1992, 441-448). Eine 1990 im Hofbereich zwei­ er an der Westseite des Alten Markts gelegenen Grundstücke durchgeführte Grabung ergab Siedlungsperioden von der altslawischen (8./9.Jh.) über die jungslawische Zeit zur archäologisch deutlich abgesetzten ersten Phase deutscher Besiedlung, dem ersten Vorkommen von Steinhäusern (vermutlich noch vor Ende des 13. Jhs.) bis ins 17. Jh. hinein. „Importe und andere Sonderfunde lassen bereits in jungslawischer Zeit weitreichende Handelsbeziehungen und eine Marktfunktion des Platzes vermuten“ (442). R. H.-K.

Der Entwicklung von Ribe sind zwei Beiträge der Zeitschrift Offa, 47, 1990, gewidmet: Lene B. Frandsen, Per Kr. Madsen und Hans Mikkelsen, Ausgrabungen in Ribe in den Jahren 1983-1989 (177-207), basiert auf mehr als 40 Ausgrabungen seit 1983. Demnach lag das älteste Ribe auf dem nördlichen Flußufer (ca. 700 bis zum Beginn des 9. Jhs.), danach sind bis zum 12. Jh., in dem die Siedlung auf dem Südufer nachgewiesen werden kann, bislang keine Wohngebäude aufgedeckt worden; die Siedlungsentwicklung in Haithabu/Schleswig wird zum Vergleich herangezogen. Um die Mitte des 12. Jhs. wurde begonnen, das Flußbett zur Baulandgewinnung zuzuschütten; die etwa gleichzeitigen Maßnahmen in Lübeck, auch in Braunschweig, sind zum Vergleich erwähnt. Die Anlage des Dammes kurz vor 1255 und die Errichtung der königlichen Wassermühle veränderten wegen der Aufstauung die Anlage der Stadt. Weitere Erkenntnisse zum Hausbau, zur Anlage von Straßen und zur Baugeschichte des Domes folgen. Die politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen der Maßnahmen werden diskutiert. - Claus Feveile, Stig Jensen und Kirsten L jungberg, Endlich gefunden: Ansgars Ribe. Ein Bericht über die Ausgrabung 1989 in der Rosenalle in Ribe (209-233): Auf dem Grabungsgelände war im 9. Jh. auf einem heidnischen Gräberfeld das Ribe angelegt worden, in dem eine Kirche erbauen durfte. Drei ergrabene Giebelhäuser waren dort bis in die 2. Hälfte des 12. Jhs. bewohnt, so daß R. damals eine Doppelstadt mit Besiedlung beiderseits des Flusses gewesen sein muß. Die zeitliche Überlappung der beiden Siedlungen ist noch nicht geklärt. R. H.-K.

Peter Birkedahl Christensen und Erik Johansen,£« handels- plads fra yngre jernalder og vikingetid ved Sebbersund (Aarboger for Nordisk Oldkyndighed og Historie 1991, Kobenhavn 1992, 199-229, dt. Zusammenfas- 182 Hansische Umschau

sung), stellen die Ergebnisse archäologischer Grabungen vor, die 1990 und 1991 am Sebbersund im östlichen Limfjordgebiet einem früheisen- und wikingerzeit­ lichen Handelsplatz galten (8. Jh. - nach 1100). Die Siedlung (seit ca. 1000 mit christlichem Friedhof) bestand aus verschiedenen Funktionsbereichen (Gruben­ hausbereich, Handwerks- und Handelsplatzbereich, Schmiede- und Gießereibe­ reich) und war ein regionaler Handelsplatz, der vor allem nach England/Irland und nach Norwegen Kontakte hatte. Zusammenhänge der Siedlungsentstehung und -aufgabe mit der Veränderung der politischen und ökonomischen Struktu­ ren werden diskutiert. R. H.-K.

Jarl Gallen, Vem var Ulf ]arl, Sven Estridsens far? (Scandia 58, 1992, 13-30; summary, 127-128). G.s (+ 1990) posthum erscheinender Aufsatz wendet sich gegen die Ergebnisse einer Abhandlung von Erik Arup (Scandia 1931), in welcher dieser meinte nachweisen zu können, daß Jarl Ulf (der Vater König Sven Estridsons) angelsächsischer, also nicht dänischer Herkunft gewesen war. Arup fand in Skandinavien oft Zustimmung, wurde in England jedoch kaum zur Kenntnis genommen. G. fußt mit seiner Ansicht, daß Ulf Däne gewesen sei, auf dem Bericht Adams von Bremen, der im Gegensatz zu der von Arup favorisierten Quelle (einer verhältnismäßig späten Königsgenealogie) eine recht frühe Nachricht überliefere. Nach Adam bemühte sich Knut der Große durch verschiedene Ehen unter den führenden Großen seiner beiden Reiche England und Dänemark eine Interessengemeinschaft unter diesen bedeutenden Familien und damit ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Reichen zu fördern. Ulf war Knuts Schwager, seine Schwester wurde mit Earl Godwin verbunden. Die Namen der Familienangehörigen Ulfs weisen auf Skandinavien. In einer bei Florence von Worchester überlieferten Vorform der von Arup favorisierten Genealogie werde Ulf als „Comes Danicus“ bezeichnet. Im übrigen wäre das bei Adam herausgestellte Ziel einer Verwandtschaftsbindung zwischen englischen und nordischen Großen nicht erreicht worden, wenn Ulfs Familie angelsächsischer Herkunft gewesen sei. Nach dem Quellenbefund sei also Jarl Ulf als Däne anzusehen. E.H.

O ve Jorgensen, Tore Nyberg, Sejlrouter i Adam af Bremens danske averden (Antikvariskt arkiv 74, 1992, 153-189). Vff. wenden sich in ihrer Abhandlung dem „Inselkatalog“ der Inseln des dänischen Reiches über fünfzehn Inseln in Adams Gesta der Hamburgischen Kirche zu, der samt mehreren Segelanweisungen in Buch IV, Kap. 16 überliefert worden ist. Hierbei geht es vor allem um die Festlegung der in den Reiserouten angeführten Orientierungspunkte und um die Identifizierung der im Text nicht mit Namen bezeichneten Inseln. Soweit dies von der Quellenlage her erreichbar erscheint, werden für die Segelrouten und die Identifizierung der „anonymen“ Inseln (als Amager vor dem heutigen Kopenhagen, als Aerro und Alsen) durchaus mögliche Erklärungen gegeben. Ob die Segelrouten-Nachrichten jedoch, wie Vff. meinen, auf eigene Reisebeobachtungen Adams bei Seereisen im Raum der dänischen Inselwelt zurückgehen, dürfte wohl fraglich bleiben. Denn in der bisherigen Forschung ist mit oft recht einleuchtenden Gründen die Meinung ausgesprochen worden, daß Adam im dänischen Reich bei Reisen Vorhansische Zeit 183 nur bis Schleswig gekommen sei und seine geographischen Informationen daher weitgehend auf Berichterstatter unterschiedlicher Herkunft zurückgingen. E.H.

Avstamp - för en ny Sigtunaforskning. 18 forskare om . Heldagssemi- narium kring Sigtunaforskning den 26 november 1987. Gröna Ladan, Sigtuna (Takeoff for new research on Sigtuna ...), hg. von Sten Tesch (Sigtuna 1989, Komitten för Sigtunaforskning & Sigtuna Museer, 153 S., Abb.). In 19 Beiträgen referieren verschiedene Autoren den Stand der Sigtuna-Forschung und planen die weitere Erforschung der Entstehung und Entwicklung der Stadt (nach: Nordic Archaeological Abstracts 1989, 640). R. H.-K.

Tore Nyberg vergleicht in Adam av Bremen och Florenslistan (Scandia 57, 1991, 153-189, mit summary) Adam von Bremens Auskünfte zur schwedischen Diözesanstruktur um 1070 mit den Angaben eines Provinciale von 1103/4, das aus Anlaß der Errichtung des Erzbistums Lund angelegt und ca. 1120 in eine in Florenz entstandene Handschrift aufgenommen worden ist. Diese sog. Florenzliste verzeichnet u. a. die skandinavische Kirchenprovinz mit den dänischen, norwegischen und schwedischen Bistümern. Die Informationen zu Schweden sind allerdings problematisch und von der Forschung bereits des öfteren eingehend untersucht worden. Es werden nicht nur sieben Bischofssitze (Scara, Lionga, Kaupinga, Tuna, Strigin, Sigituna, Arosa) genannt, sondern zudem ohne nähere Erläuterungen die Namen von 15 Provinzen bzw. Inseln hinzugefügt. Ausführlich versucht Vf. zu zeigen, auf welche Weise die Regionen und Inseln den bischöflichen Sitzen Schwedens zugeordnet werden können. Diese Interpretation hat aber N. bereits in seinem Werk „Die Kirche in Skan­ dinavien“ (vgl. HGbll. 105, 1987, 193) vorgestellt. Über die Ergebnisse dieses Buches geht Vf. nur auf den letzten Seiten des vorliegenden Aufsatzes hinaus. Er nennt verschiedene Möglichkeiten, wie Adams Überlieferung, derzufolge im zweiten Drittel des ll.Jh s. die Bistümer Skara, , Halsingland und Sigtuna bestanden, in Einklang mit den Informationen der Florenzliste zu bringen ist. N. muß jedoch zum Schluß eingestehen, daß die Existenz einiger der sieben im Provinciale genannten Bistümer fraglich ist, denn 1164 verfügte Schweden nachweislich bloß über fünf Diözesen, die sich außerdem nicht alle in der Florenzliste wiederfinden. Th. Hill

Archaeology and the urban economy. Festschrift to Asbjorn E. Herteig, hg. von Siri Myrvold u.a. (Bergen 1989, Historisk museum, Universitet i Bergen, Arkeologiske skrifter, 254 S., zahlreiche Abb.), enthält etliche Beiträge zur Mittelalterarchäologie vor allem Norwegens (Oslo, Skien, Trondheim), aber auch Dänemarks (Ribe) und Schleswig-Holsteins (nach: Nordic Archaeological Abstracts 1989, 639). R. H.-K.

Axel Christophersen, Kjope, selge, bytte, gi. Vareutveksling og byopp- komst i Norge ca. 800-1100: En modell (Buy, seil, exchange, give. Exchange and urbanization in Norway, c. 800-1100: A model). (Medeltidens födelse, hg. von Anders Andren, Lund 1989, Gyllenstiernska Krapperupstiftelsen, Symposier pa Krapperups borg 1, 109-145, 5 Abb., engl, summary), behandelt die Rolle, die 184 Hansische Umschau

Handel und Warenaustausch bei der Entstehung der frühstädtischen Siedlungen in Norwegen hatten (nach: Nordic Archaeological Abstracts 1989, 378). R. H.-K.

Im Eröffnungsband der neuen Reihe Archaeologia Elbingensis I (Gdansk 1992, 183 S., 17 Tfn., zahlreiche Abb.) sind die Beiträge der Internationalen Archäologischen Konferenz „Elblag 1986. The New Look at a Medieval Town“ in deutscher oder englischer Sprache und jeweils einer polnischen Zu­ sammenfassung veröffentlicht. Der Schwerpunkt liegt auf der Erforschung der Bebauungsstruktur Elbings und ihren methodischen Problemen, ergänzt durch Beiträge zur mittelalterarchäologischen Forschung weiterer Hansestädte sowie von Städten aus dem hansischen Wirtschaftsraum. Die übergreifende Klammer bilden Aufsätze, die die Einordnung des Ostseeraums und insbesondere Elbings in das politische, wirtschaftliche und kulturelle Gefüge der Hanse zum Thema haben. Die Beiträge im einzelnen, wobei Rez. sich auf die ausführlichere An­ zeige der Elbing betreffenden beschränkt: Henryk Samsonowicz, Die Ostsee-Hanse auf polnischem Gebiet im 13. Jh. (11-18); Marian Biskup, Die Rolle Elbings in der Städtehanse (19-27); Antoni Czacharowski, Elbing im Ordensland Preußen (29-34); Maria Lubocka-Hoffmann, The Old Town in Elblag - Research and Puipose (35-37), umreißt die Probleme der Stadtplanung im zu 98 % zerstörten Elbing nach dem Krieg und die „kon­ zertierte“ Aktion von Stadtverwaltung, Archäologen, Historikern, Architekten und Stadtplanern seit 1975, die zu einer immerhin vorgesehenen Berücksichti­ gung und Förderung archäologischer und historischer Forschungen bei dem Neuaufbau des Altstadtgeländes führte, deren Ergebnisse wiederum bei der Bebauung berücksichtigt werden sollen. Jerzy Stankiewicz, Alt Elbing - einige räumliche Probleme, Konvergenzen (39-43), sucht Übereinstimmun­ gen in der Stadtanlage von Lübeck, Visby, Danzig und Elbing, in den Titeln der Kirchen, den Fachwerkkonstruktionen und den Beischlägen und beurteilt das bislang erreichte Zusammenspiel von Stadtplanung und konservatorischem Interesse sehr kritisch. Tadeusz Nawrolski, Probleme archäologischer Untersuchungen der Altstadt in Elbing (45-54), nennt die zehn Punkte des archäologischen Forschungsprogramms, die notwendige Zusammenarbeit mit den Historikern und schildert die Voraussetzungen, die Probleme und den Ablauf der archäologischen Untersuchungen. Grazyna N a w r o 1 s k a, £/- bing im 13. Jh. - erste Ergebnisse archäologischer Untersuchungen (55-66), stellt Grabungsbefunde vor, die in einem Falle einen von der späteren Straßenführung abweichenden Wegeverlauf belegen, ansonsten die Anlage bzw. Meliorisation von Grundstücken und den Hausbau betreffen; es folgt eine kurze Übersicht über die Zusammensetzung der Funde. Antoni Kasinowski, Ein Blick auf die mittelalterliche Raumdisposition von Elbing und ihre Realisierung: Stadt- Baukomplex-Bauparzelle (67-78): Ausgehend von der Beobachtung, daß die Elbinger Bauten nach zwei Maßen, der Altculmerrute (4,70 m) und der Neucul- merrute (4,32 m), vermessen wurden, und aufgrund unterschiedlicher Bauparzel­ lenbreiten entwickelt K. eine Hypothese, nach welcher die erste Anlage der Stadt von senkrecht zum Fluß angelegten Straßen ohne Querstraßenverbindungen geprägt war, ausgemessen nach Altculmerruten; erst nach dem Stadtbrand von Vorhansische Zeit 185

1288 soll die Stadt eine Querstraßenverbindung, die nun als Marktstraße genutzt wurde, erhalten haben, wobei die neue Anlage nach Neuculmerruten vermessen wurde. Roman Czaja, Entwicklung des bürgerlichen Backsteinbaus in der Altstadt Elbing in der ersten Hälfte des 14. Jh. nach historischen Quellen (79-90), zeigt, daß der Backsteinbau in der Altstadt zu Beginn des 14. Jhs. begann, wobei in den 30er und 40er Jahren bereits die Mittelschicht beteiligt war. Ende der 30er Jahre begann eine zweite Phase, als eine große Zahl bereits stehender Backstein­ bauten aufgestockt wurde. Janusz Tandecki, Verfassung und Organisation von Verwaltungsbehörden der Altstadt Elbing im Mittelalter (91-101), arbeitet heraus, daß die Verfassung und die Organisation des Verwaltungsapparates der Stadt Elbing sich wesentlich von anderen Städten des Ordensstaates unterschied, und sieht die Hauptursachen in den „Lokationsprivilegien“. Günter P. F e h r i n g, Entwicklung und Baugeschichte des slawischen und frühdeutschen Lübeck (103-120); Herbert Sarfatij, Archäologisches zum Thema: die Hanse und die niederländischen Städte (121-127); Ja n M . Baart, Amsterdam und die Hanse (1200-1400) (129-134); Helen Clarke, The Hanse and England: a survey of the evidence for coniacts between England and the Baltic in the (135-140), Petter B. Molaug, The development of material culture in Norwegian towns from the 12th to the 14th Century (141-150); Eric S c h i a, The townyards in medieval Oslo. Size and layout from the 1 Ith to the 16th Century (151-162); Siri Myrvoll, Archaeological investigations in Bergen 1980-1986: some new aspects on the development of the town (163-172); Przemyslaw Urbanczyk, The inßuence of Hansas economic policy on the development and fall of the Arctictrade centre Vagan (173-177); Lars Redin, In the periphery of the Hansa - a Swedish view on urbanization (179-183), gibt einen straffen, problemorientierten und sehr lesenswerten Überblick über die historische und archäologische, beiläufig auch über die kunsthistorische schwedische Stadtgeschichtsforschung und ihrer Verbindung zur hansischen Geschichtsforschung. R. H.-K.

Taivo Aus, Boris Dubovik, Vorläufige Ausgrabungsergebnisse von der Harju-Straße in Tallinn (Eesti NSV teaduste akadeemia toimetised. Ühis- konnateadused 38, 1989, 349-354, Tafel 17, 2 Abb.) zeigen, daß die Besiedlung im späten 12. Jh. begann (nach: Nordic Archaeological Abstracts 1989, 645). R. H.-K.

Sergej V. Tarasow, Neues in der Archäologie von Polock 1986-1988 (Zs. für Archäologie des Mittelalters 18/19, 1990/91, 135-151), beschreibt die Etappen der Entwicklung der topographischen Struktur der Stadt. Die Gehöftkomplexe entsprechen mit ca. 300 m~ den sog. Handwerkergrundstücken von Novgorod. Ihre Größe soll nahelcgen, daß die hier wohnenden Handwerker „über einen unabhängigen sozialen Status verfügten“. R. H.-K.

Arkadi Molvogin, Normannische Fundmünzen in Estland und anderen Ostseeländern (Commentationes de nummis saeculorum IX-XI in Suecia reper- tis. Nova series 6. Sigtuna Papers. Proceedings of the Sigtuna Symposium on Viking-Age Coinage 1-4 June 1989, hg. von Kenneth Jonsson und Brita Malmer, 186 Hansische Umschau

London 1990, 241-249). - Englische Pennies normannischer Herrscher sind im Ostseeraum aus den Jahren 1066-1154 nachweisbar. Von Gotland und Estland abgesehen spielte der Zufluß in die meisten Ostseeländer aber mit insgesamt 72 gefundenen Münzen nur eine geringe Rolle. Gotlands Funktion als damals wichtiges Handelszentrum und auch Estlands Lage dicht an den Handelswegen werden durch die Funde von 257 bzw. 205 Pennies unterstrichen. M. listet die einzelnen Münzen mit Fundort und zeitlicher Zuordnung in drei Tabellen auf und analysiert ihr Vorkommen. Es lassen sich - mit aller Vorsicht - direkte Handelskontakte zwischen England und Gotland und von dort aus nach Estland im 11. Jh. vermuten. Im ersten Viertel des 12. Jhs. verloren die englischen Pennies in Gotland wohl an Bedeutung und flössen verstärkt nach Estland ab. O. Pelc

Martina Stein-Wilkeshuis untersucht A Viking-age Treaty between Constantinople and Northern Merchants, with its Provisions on Theft and Robbery (Scando-Slavica 37, 1991, 35-47). Dieser in der Nestor-Chronik erwähnte Vertrag aus dem Jahr 911 zwischen den byzantinischen Kaisern und Fürst Oleg von Kiew ist bereits mehrfach untersucht worden; in ihm wurden Regeln für den gegenseitigen Handels- und Rechtsverkehr festgelegt. St. weist erstmals nach, daß die in dem Vertrag formulierten Artikel betreffend Diebstahl und Raub eindeutig skandinavische Rechtsgrundsätze sind und keine Beziehung zum damaligen byzantinischen Kriminalrecht haben. Damit wird die Dominanz der Skandinavier in der Rus unterstrichen und auf eine frühe Niederschrift ihres Rechts verwiesen. Eine entsprechende Untersuchung der übrigen Artikel des Vertrags steht noch aus. O. Pelc

ZUR GESCHICHTE DER NIEDERDEUTSCHEN LANDSCHAFTEN UND DER BENACHBARTEN REGIONEN

(Bearbeitet von Antjekathrin Graßmann, Volker Henn, Ortwin Pelc, Herbert Schwarzwälder und Hugo Weczerka)

RHEINLAND/WESTFALEN. Der in HGbll. 110, 1992, 114, angezeigte Aufsatz von Wilhelm Janssen, Gli statuti cittadini ..., ist inzwischen auch in dt. Sprache erschienen: Städtische Statuten und landesherrliche Gesetze im Erzstift Köln und im Herzogtum Kleve (1350-1500), in: Statuten, Städte und Territorien zwischen Mittelalter und Neuzeit, hg. von Giorgio Chittolini und Dietmar Willoweit, Berlin 1992, 271-294.

Wolfgang Schmid, Kölner Renaissancekultur im Spiegel der Aufzeich­ nungen des Hermann Weinsberg (1518-1597) (Veröffentlichungen des Kölni­ schen Stadtmuseums, H. 8, Köln 1991, 243 S., 10 Abb.). - Das zwischen 1561 und 1597 niedergeschriebene „Gcdenkboich der jaren“ Hermann Weinsbergs, das sog. „Buch Weinsberg“, ist eine der herausragendsten Quellen zur rheinischen Kultur- und Alltagsgeschichte des 16. Jhs. Der humanistisch gebildete Verfasser, Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 187

der der oberen Mittelschicht in Köln zuzurechnen ist, war Mitglied der Gaffel Schwarzhaus, die ihn seit 1543 mehrfach in den Rat wählte, und Kirchmeister von St. Jakob am Waidmarkt. In seinem als Autobiographie, Familienchronik und Hausbuch der Familie Weinsberg angelegten „Gedenkboich“ berichtet Weinsberg u. a. ausführlich über seine Kunststiftungen zugunsten hauptsächlich der Pfarrkirche St. Jakob, des Karmeliterklosters und des Franziskanerinnenklo- sters Bethlehem, zu denen engere familiäre Beziehungen bestanden, sowie über die Aufwendungen zur Ausschmückung der Häuser Weinsberg und Kronenberg in Köln und eines weiteren der Familie gehörenden Hauses in Dormagen. Diese Nachrichten hat Sch. sorgfältig ausgewertet und auf ihrer Grundlage ein anhand anderer Quellen kaum zu gewinnendes Bild der wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der Kölner „Kunstproduktion“ vornehmlich im 16. Jh. gezeichnet. Betroffen sind in der Hauptsache die Tafel-, Buch-, Wand- und Glasmalerei sowie das Goldschmiedegewerbe. So fragt Sch. u. a. nach den Beziehungen zwischen dem Auftraggeber und dem Künstler, den Gründen für die Wahl eines Künstlers durch den Auftraggeber, den bei der Auftragsvergabe getroffenen Vereinbarungen, den Preisen der Kunstwerke, der Organisation der Werkstätten, dem Kunstbesitz Kölner Bürger im 15. und frühen 16. Jh. oder den Anfängen eines Kunsthandels in Köln. Breiten Raum nehmen die Ausführungen über die Motive der Stiftungen und die Kriterien der Wertschätzung von Kunst ein. Dabei zeigt sich, daß für Weinsberg die Kunst in erster Linie die Aufgabe hatte, sowohl in einem liturgischen wie auch in einem profanen Sinne das Gedächtnis der Familie lebendig zu erhalten (Stifterfiguren und Familienwappen auf Altartafeln und Glasfenstern; gemalter Stammbaum, Porträts, Siegel). Die Kunst diente dem Repräsentationsbedürfnis der Familie, ästhetische Gesichts­ punkte traten demgegenüber in den Hintergrund. Auch bei der Festlegung des ikonographischen Gehalts der Bilder konnte das besondere Familienbewußtsein ausschlaggebend werden [Christus als Gärtner im Wein(s)berg]. In den meisten Fällen jedoch scheint sich Weinsberg um die Bildinhalte weniger gekümmert zu haben. Bei den Stiftungen für Kirchen und Klöster überwiegen traditio­ nelle Motive spätmittelalterlicher Frömmigkeit. Dagegen finden sich in den Wohnhäusern neben religiösen auch weltliche Darstellungen, darunter, im Geiste des Humanismus, auch Szenen aus der antiken Mythologie. Weinsberg ist jedoch kein Kunstmäzen i. e. S. gewesen, dem es vorrangig um die Förderung der Kunst und des Kunstschaffens in Köln gegangen wäre; Weinsberg gab Kunstwerke in Auftrag, um seiner Familie ein würdiges Gedenken zu sichern. Auch wenn Sch. anhand der Aufzeichnungen Weinsbergs nicht alle von ihm aufgeworfenen Fragen in der gewünschten Ausführlichkeit beantworten kann, so verdient seine Arbeit doch große Beachtung, weil sie der kunstgeschichtlichen Forschung neue Wege weist. V.H.

Kunsthandwerker, Künstler, Auftraggeber und Mäzene im spätmittelalter­ lichen Köln sind das Thema eines Aufsatzes von Franz Irsigler und Wolfgang Schmid (JbKölnGV 63, 1992, 1-54), in dem Vff. in der Haupt­ sache den quantitativen Aspekten der kunstgewerblichen Produktion in Köln im 15. und 16. Jh. nachgehen. Dabei geht es um die Anzahl der in Köln ansässigen Kunst-Handwerker, die Menge der produzierten Kunstwerke, die soziale und 188 Hansische Umschau

wirtschaftliche Stellung der Stifter/Auftraggeber und ihre Motive sowie um die Frage nach den Anfängen des Mäzenatentums i. e. S. Daß quantifizierende Untersuchungen zur kunstgewerblichen Produktion angesichts der Quellenlage allenfalls Näherungswerte erbringen können, ist auch den Vff. bewußt gewesen. Gleichwohl ergeben sich interessante und aufschlußreiche Beobachtungen, die u.a. den Wandel der in Auftrag gegebenen Bildmotive zwischen 1300 und der Mitte des 16. Jhs., die gesellschaftliche Funktion der Kunst oder die Einflußnah­ me der Auftraggeber auf die inhaltliche Gestaltung der Kunstwerke betreffen. Insgesamt zeigt sich, daß zu den wichtigsten Förderern der Kunst in Köln die wohlhabend gewordenen Neubürger gehörten, die mit Hilfe ihrer Stiftungen auch die eigene soziale Geltung zum Ausdruck bringen wollten, und daß, ungeachtet der individuellen Frömmigkeit, „ein enger Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Hochkonjunktur und aufwendigen Stiftungen bestand“ (54). Beispielhaft werden die Beziehungen, die zwischen den Auftraggebern und den Künstlern bestanden, und das zeitgenössische Verständnis von Kunst anhand der Stiftungen der Familie Rinck und der Aufzeichnungen Hermann Weinsbergs erörtert. V.H.

Jürgen Huck hat inzwischen den schon vor etlichen Jahren angekündig­ ten zweiten Teil seiner Arbeit Neuss, der Fernbandel und die Hanse vorgelegt, der den Fernhandel und die Hanse zum Gegenstand hat (Schriftenreihe des Stadtarchivs Neuss, Bd. 9, T. 2, Neuss 1991, XVI, 420 S., 100 Abb., 16 Bildtafeln; zu T. 1 vgl. HGbll. 103, 1985, 174 f.). Es ist ein überaus materialreiches Buch geworden - die fast 2 500 Anmerkungen zeugen von der enormen Belegdichte -, das die quellenmäßig oft spät und nur spärlich bezeugten Fernhandelsbezie­ hungen der im Schatten Kölns gelegenen Stadt Neuss zum niederrhein. Raum, zu den nördlichen und südlichen Niederlanden, zum mittel- und oberrhein. Raum, nach Hessen, Oberdeutschland, Sachsen und Thüringen, Westfalen und Nord­ deutschland sowie zum Ostseeraum dokumentiert. Dabei ist H. so vorgegangen, daß er für die jeweils behandelte Region der Reihe nach die einzelnen Städte vorstellt, mit denen Neuss wirtschaftliche Beziehungen unterhalten hat (oder unterhalten haben könnte). Jede Stadt wird bezüglich der Stadtwerdung und der allgemeinen wirtschaftlichen Bedeutung kurz - oft zu knapp - charakterisiert, bevor dann die einschlägigen Nachrichten über die Handelsbeziehungen, aber auch die kirchlichen Verbindungen, die H. als gegeben ansieht, wenn sich Spuren der Verehrung des hl. Quirinus, des Neusser Stadtpatrons, finden, sowie über die familiären Verbindungen, die sich aus Zu- resp. Abwanderungen ergeben, zusammengestellt werden. So ist gewissermaßen ein nach Regionen und Städten geordneter Katalog entstanden, der die Quellen zu den Fernbeziehungen der Stadt Neuss bequem verfügbar macht. Vieles bleibt angesichts fehlender Belege freilich bloße Vermutung! Ob jeder Quirinus-Altar tatsächlich auf Beziehungen zu Neuss schließen läßt, sei dahingestellt. Hervorzuheben ist der ausdrückliche Hinweis darauf, daß es sich bei der Urkunde HUB I, 674, von 1270, die in der Regel als Beleg für bereits im 13. Jh. bestehende Handelsbeziehungen zwischen Neuss und Dänemark herangezogen wird, um eine Fälschung des 16. Jhs. han­ delt. Daß sich bei der Fülle des behandelten Materials hier und da kleinere Fehler einschleichen, wird man in Kauf nehmen müssen. Gewünscht hätte man sich Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 189 aber ein Kapitel, in dem das mit großem Fleiß gesammelte Material strukturiert und ausgewertet worden wäre, etwa im Hinblick auf die Schwerpunkte und die Entwicklung des Neusser Fernhandels sowohl hinsichtlich der Raumbezie­ hungen als auch bezüglich der gehandelten Waren, der beteiligten Kaufleute und Schiffer, der Organisation des Neusser Handels etc. Etwas oberflächlich sind die abschließenden Ausführungen „Zur Organisation und Mitgliedschaft in der Hanse“. Daß bereits die Städtebünde des 13. Jhs. das Bestreben hatten, „den Schutz ihrer Kauflcute im Ausland zu übernehmen“ (300), wagt Rez. zu bezweifeln, dürfte auch weit außerhalb der Möglichkeiten vieler der Bündnisse jener Zeit gelegen haben. Unbedingt zustimmen wird man H. in bezug auf die Bewertung der Urkunde Friedrichs III. von 1475: Neuss ist mit dieser Urkunde nicht in den Rang einer Hansestadt erhoben worden. V.H.

Michael Schmitt, Das Stadtbild in Druckgraphik und Malerei. Neuss 1477-1900 (Städteforschung C/5, Köln 1991, Böhlau, XVI, 182 S., 184 Abb.). - Die systematische wissenschaftliche Erschließung historischer Stadtansich­ ten als oft zwar schwer zu interpretierenden, u. U. jedoch außerordentlich aufschlußreichen Quellen zur Erforschung der topographischen Entwicklung und des baulichen Gefüges einer Stadt, zugleich auch als künstlerische Zeug­ nisse einer geistigen Auseinandersetzung mit der bebauten Umwelt ist seit längerem als Desiderat der Forschung erkannt, doch gibt es bislang kaum einschlägige Arbeiten. Für Neuss hat Sch. jetzt für die Zeit von 1477 bis um 1900 alle bislang bekannt gewordenen bildlichen Darstellungen der Stadt bzw. einzelner Bauten zusammengetragen, insgesamt 167 Stücke (Frontal-, Plan- und Schrägaufsichten), die in unterschiedlichen Techniken ausgeführt und in unterschiedlichen bibliographischen Zusammenhängen entstanden sind; sie werden ergänzt durch 17 sog. Manuskriptpläne, die neben der Stadtgestalt die Umlandsituation und die Rheinlaufverhältnisse bei Neuss dokumentieren. Dabei bieten die älteren Darstellungen bis zur „Cosmographia“ des Sebastian Münster (Mitte/zweite Hälfte des 16. Jhs.) lediglich symbolische Stadtdarstellun­ gen („Stadtformeln“); die ersten individuellen Ansichten finden sich in den sog. Hogenberg-Geschichtsblättern (1587 ff.), auf die mit großer Wahrscheinlichkeit die in die „Civitates orbis terrarum“ von Georg Braun und Franz Hogenberg aufgenommene Schrägaufsicht von Peter Pannensmit zurückgeht, die ihrerseits zur Vorlage für den Merian-Stich von 1646 wurde. - Im einzelnen werden die abgebildeten Stadtansichten vorbildlich beschrieben: Neben den Angaben über die Bildinhalte, die Datierung, die beteiligten Künstler, die Technik und die Maßstäbe sowie die Entstehungszusammenhänge werden informative Kom­ mentare geboten, in denen Sch. nicht nur auf die bau- und kunstgeschichtlichen Aspekte des Dargestellten eingeht, sondern vor allem die mitunter schwierige Frage nach der topographischen Genauigkeit der Abbildungen diskutiert, und die durch Hinweise auf weiterführende Literatur ergänzt werden. Damit ist ein Buch vorgelegt worden, das nicht einem nostalgischen Interesse an alten Stadt­ ansichten nachhängt, sondern einen wichtigen „Baustein für eine Quellenkunde der bildlichen Überlieferung zum baulichen Körper der europäischen Stadt in ihrer Geschichte“ (P. Johanek, VII) liefert. V.H. 190 Hansische Umschau

Geusen und Spanier am Niederrhein. Die Ereignisse der Jahre 1586-1632 nach den zeitgenössischen Chroniken der Weseler Bürger Arnold von Anrath und Heinrich von Weseken, bearb. von Klaus Baumbauer und Hermann Kleinholz (Quellen und Studien zur Geschichte von Wesel, Bd. 14, Wesel 1992, Selbstverlag des Stadtarchivs, XLI, 442 S., 32 Abb.). - Der (wenn auch fehlgeschlagene) Versuch des Kölner Ebs. Gebhard Truchseß von Waldburg, sein Kurfürstentum zu säkularisieren, führte 1583 zum Einzug spanischer Truppen in die Rheinlande und in der Folge zum Ausgreifen des 1568 ausgebrochenen niederländischen Befreiungskampfes auf das Niederrheingebiet, das damit für mehrere Jahrzehnte zum Kriegsschauplatz wurde. Die beiden Chroniken, von denen die des Heinrich von Weseken nur in einer auszugsweisen Abschrift überliefert ist, berichten anschaulich und mit vielen Details aus dem Alltagsleben über die Ereignisse jener Jahre, in die auch der Übergang der Landesherrschaft an Brandenburg fiel (Vertrag von Xanten 1614). Im Mittelpunkt der Berichter­ stattung steht Wesel, das seit der Mitte des 16. Jhs. zahlreiche niederländische Glaubenflüchtlinge aufgenommen und gestützt auf deren besondere Fertigkeiten in der Herstellung neuer Tuchsorten eine gewisse wirtschaftliche Blüte erlebt hatte, das seit den 90er Jahren aber doch unter den Kriegswirren litt, nach 1614, nach der Besetzung der Stadt durch die Truppen Spinolas, die gewaltsame Rekatholisierung hinnehmen mußte und 1629 schließlich von den Niederländern eingenommen wurde. Die Chroniken die ihre „tiefe Abneigung ... gegen alles Spanische und Katholische“ (VIII) nicht verhehlen, bieten reiches Material zu einer bewegten Zeit der niederrheinisch-niederländischen Geschichte, das der lokalen und regionalen Geschichtsforschung jetzt bequem verfügbar gemacht ist. V.H.

Das Stadtrecht von Cleve, bearb. und hg. von Klaus Flink unter Mitwir­ kung von Bert Thissen (Klever Archiv 11, Kleve 1991, Selbstverlag des Stadtarchivs Kleve, 416 S., 26 z.T. farbige Abb.). - In der Forschung sind das Stadtrecht Kleves und der Klever Stadtrechtskreis bislang wenig beachtet worden. Es ist das Verdienst des Bearb., eines der besten Kenner des rhein. Städtewesens im Mittelalter und der Stadtrechtsentwicklung am unteren Nie­ derrhein, die Aufmerksamkeit der Forschung auch auf diesen Stadtrechtskreis gelenkt zu haben (s. HGbll. 108, 1990, 133 f.). Das im Laufe der 30er Jahre des 15. Jhs. kodifizierte Stadtrecht, das sich auf die älteren Stadtrechtsprivilegien, insbesondere das Privileg Adolfs I. von Kleve von 1368, städtische Willküren und Bestimmungen des Sachsenspiegels stützt und gelegentlich sogar aus dem Mainzer Reichslandfrieden von 1235 schöpft, ist in inzwischen 50 bekannten Handschriften (und vier Redaktionen) überliefert. Mit der jetzt edierten, im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf aufbewahrten Hs. (K III 25) liegen, nachdem W.-R. Schleidgen die Hss. K III 12 und StA Wesel Hs. 1, bereits veröffentlicht hat (vgl. HGbll. 109, 1991, 137), die drei ältesten Fassungen im vollen Wortlaut gedruckt vor. Dabei erweist sich nun die in der herzoglich klevischen Kanzlei (!) zwischen 1426 und 1440 entstandene Hs. K III 25 als die älteste, während Hs. 1 wohl doch erst um 1448 und nicht als Abschrift einer älteren Vorlage von 1430 angefertigt worden ist. Sicherlich wäre eine synoptische Präsentation der drei Texte, welche die Vergleichung deutlich erleichtert hätte, wünschenswert Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 191

gewesen. Einen gewissen Ersatz bietet immerhin der kritische Apparat, der die gesamte Überlieferung berücksichtigt und die Textvarianten notiert. Der stadtgeschichtlichen Forschung im Rheinland gibt die neue Edition jedenfalls ein wichtiges Arbeitsmittel an die Hand. V.H.

Beiträge zur westfälischen Stadtgeschichte, hg. von Friedrich Bernward Fahlbusch (Beiträge und Quellen zur Stadtgeschichte Niederdeutschlands, Bd. 1, Warendorf 1992, Fahlbusch Verlag, XII, 198 S., 19 Abb.). - Der Band enthält fünf Aufsätze, die sich in der Hauptsache mit der Topographie westf. Städte beschäftigen und z. T. aus der Arbeit am Westf. Städteatlas erwach­ sen sind. Unter der Überschrift Clemens oder Silvester? greift Friedrich Bernward Fahlbusch Fragen der frühen Telgter Stadtgeschichte auf (1- 22). Vf. nimmt an, daß der Stadtwerdungsprozeß des 1238 durch den Münstera- ner Bischof Ludolf von Holte förmlich zur Stadt erhobenen Ortes „Telgeth“ und die Planung der Dreistraßenanlage in die Jahre nach 1220 fallen. Zu dieser Zeit dürfte auch am Neubau der Pfarrkirche gearbeitet worden sein, der nach Ansicht des Vfs. das Clemenspatrozinium des Vorgängerbaus übernahm und zusätzlich das Silvesterpatrozinium erhielt. Dieses weist auf die Nähe des Platzes zur Familie der Edelherren von Holte, in deren Territorialpolitik Telgte tatsächlich einen wichtigen Platz einnahm. - Die Stadterhebungsurkunde für Telgte von 1238, die nur abschriftlich und offenbar in einem kläglichen Erhaltungszustand überliefert ist, ist Gegenstand einer erneuten, sorgfältigen Untersuchung von Wolfgang Bock hörst (23-40). Dabei gelangt er nicht nur zu einer neuen Rekonstruktion des Urkundentextes, der im Anhang mitgeteilt wird, sondern auch zu neuen Überlegungen bezüglich der „vor-städtischen“ Topographie Telgtes, die freilich noch der Absicherung bedürfen, und der im 13. Jh. noch stark herrschaftlich bestimmten Verfassungsverhältnisse in der jungen Stadt an der Ems. Der mit den örtlichen Gegebenheiten weniger vertraute Leser vermißt einen Grundrißplan. - Bärbel Brodt, Stediken - Oppidulum - Stadt? Zur Stadtwerdung Dülmens im Mittelalter (40-38), skizziert die Geschichte Dülmens als Beispiel einer Kleinstadt im Hochstift Münster: 1304/1311 wurde das Dorf Dülmen in den Rang eines „stediken“ resp. „oppidulum“ erhoben. Im 14. und 15. Jh. erlebte die Stadt, die ausgangs des Mittelalters etwa 1 500 E. zählte, einen gewissen wirtschaftlichen Aufschwung, den sie wohl hauptsächlich der Tatsache verdankte, daß sie seit 1326 vier Jahrmärkte besaß; Nachrichten über die Ent­ wicklung städtischer Gewerbe sind kaum überliefert, Handwerkergilden erst seit der Mitte des 16. Jhs. bezeugt. Seit 1470 gehörte Dülmen als landtagsfähige Stadt im Bt. Münster zu denjenigen Städten, die sich entsprechend dem Beschluß von 1430 auf den Hansetagen vertreten lassen konnten. Größere politische und wirtschaftliche Bedeutung erlangte Dülmen freilich nicht. - Der Bogengang am Prinzipalmarkt zu Münster, dem Karl-Heinz Kirchhoff einen längeren Beitrag gewidmet hat (135-185), ist schon mehrfach Gegenstand stadttopogra­ phischer und baugeschichtlicher Untersuchungen gewesen. Urkundlich werden in Münster Bogenhäuser erst zum Jahre 1376 erwähnt. Dabei handelt es sich um Häuser ausschließlich wohlhabender Bürger, bei denen ein straßenseitig vor das Haus gesetzter, auf Säulen oder Pfeilern ruhender Gurtbogen das in den Straßenraum vorgeschobene Obergeschoß trägt. Da die Seitenwände der 192 Hansische Umschau

Häuser im Erdgeschoß nicht bis an die F.ckpfeiler/-säulen vorgezogen wurden, entstanden durch das Nebeneinander der Häuser die Bogengänge. K. vermutet, daß mit dem Bau solcher Häuser um 1320/30 begonnen wurde und macht wahrscheinlich, daß sie nicht gleichzeitig und nach einheitlichem Plan angelegt worden sind. Ausführlich geht K. auch auf die Architektur der Bogengänge und deren Funktion als Verkaufsraum hauptsächlich im 17. und 18. Jh. ein. - Mit der Geschichte des nichthansischen Lübbecke beschäftigt sich schließlich der Aufsatz von Friedrich -Wilhelm Hemann, Zur Entwicklung von Lübbecke im Mittelalter (59-134). Es zeigt sich, daß die Förderung des schon in fränkischer Zeit bezeugten Ortes durch den Landesherrn, den Bischof von Minden, weniger von wirtschaftlichen Erwägungen bestimmt war, als vielmehr von den territorialpolitischen Notwendigkeiten der Grenzsicherung. Auch in der Verfassungsentwicklung spiegeln sich die starken Bindungen an den Bischof. Wirtschaftlich war Lübbecke mit seinen vier Jahrmärkten vor allem ein regio­ nales Marktzentrum; im 16. Jh. scheinen lediglich die Woll- und Leineweber für einen begrenzten Export (Lemgo, Herford) gearbeitet zu haben. Ein Exkurs über die sog. Burgmannshöfe, Listen der nachweisbaren Ratsmitglieder und Richter sowie drei bislang ungedruckte Urkunden zur Geschichte des Lübbecker Handwerks (betreffend die Schmiede und Schuster) runden den Beitrag ab. V.H.

Jochen Luckhardt macht in seinem Aufsatz Ein wiederentdeckter „Hieronymus“ Anmerkungen zu den Vorbildern Ludger tom Ring d.J. (Nie- derdt. Beiträge zur Kunstgeschichte 29, 1990. 51-56). Der Maler wurde 1522 in Münster geboren und starb 1584 in Braunschweig. Sein Hieronymus wurde 1945 gestohlen und 1989 vom Vf. auf einer Kunstmesse wiederentdeckt. Eine zweite Version des Themas von 1565 befindet sich ebenfalls in Münster. Vf. beschreibt die Beliebtheit des Themas und vergleicht die Auffassung des Themas bei Ludger tom Rings mit der bei Adriaen Isenbart und Gerard David. H. Schw.

Soest in der Geschichte. Ein Kalender von 5500 v. Chr. bis 1992. Zusammenge­ stellt vom Stadtarchiv Soest. Redaktion: Gerhard Köhn (Soest 1992, Westf. Verlagsbuchhdlg. Mocker & Jahn, 48 S., 28 Abb.). Zusammengestellt sind mehr als 300 Daten zur Soester Geschichte, die alle Aspekte der städtischen Entwick­ lung und des städtischen Lebens berücksichtigen: die politische Geschichte, die topographische Entwicklung, die Verwaltungsgeschichte, die Kirchengeschich­ te, die Wirtschaftsgeschichte ebenso wie die Bildungs- und Kulturgeschichte. Auch einige Daten zu den hansischen Beziehungen Soests finden Erwähnung. Zweifellos hätte das Bändchen noch gewonnen, wenn man dem Dortmunder Beispiel gefolgt wäre (vgl. HGbll. 102, 1984, 202) und den einzelnen Daten kurze Hinweise auf den Quellenbeleg und einschlägige Literatur hinzugefügt hätte. V.H.

Gabriele Isenberg, Soest und die Kölner Erzbischöfe aus archäologi­ scher Sicht (Soester Zs. 104, 1992, 4-15), stellt einige neue Überlegungen zur topographischen Entwicklung der Bördestadt im frühen und hohen Mittelal­ ter zur Diskussion. Ausgangspunkt ist die Frage nach der Lage der zu der Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 193

Salinenanlage am Kohlbrink, die jetzt ins späte 6./frühe 7. Jh. datiert werden kann, gehörenden Sälzersiedlung. Vf.in bringt die Siedlung mit einem Gräberfeld unter der Petri-Kirche in Verbindung und vermutet sie am nördlichen und nordöstlichen Abhang des Petri-Patrokli-Hügels, wo spätestens seit dem 8. Jh. kölnischer Einfluß erkennbar wird. Grabungen unter der 1823 abgebrochenen Marktkirche St. Georg könnten nach Ansicht der Vf.in u. U. Zusammenhänge zwischen der Saline und der sog. Dagobert-Schenkung Soests an den Kölner Erzbischof (erste Hälfte 7. Jh.) belegen. V.H.

Walter Melzer berichtet über erste Ausgrabungen auf dem Soester Markt (Soester Zs. 104, 1992, 16-19). Es handelt sich um den um 1200 entstandenen „neuen“ Markt, der den älteren Markt auf dem nördlichen Pertikirchhof ablöste. Die älteste Pflasterung scheint um 1300 vorgenommen worden zu sein. Zahlreiche Kleinfunde deuten auf eine lebhafte Handelstätigkeit im späten Mittelalter hin. V.H.

HansJ. Böker, Die Nikolaikapelle zu Soest - Irrwege einer Symbolinter­ pretation (Soester Zs. 104, 1992, 25-38), wendet sich gegen die seit dem 19. Jh. verbreitete symbolische Interpretation der ungewöhnlichen romanischen Archi­ tektur der Nikolaikapelle (zweischiffige Halle) als Hansekogge und bezweifelt ihre Funktion als Kapelle der Soester Schleswigfahrer. Vielmehr sieht er in ihr eine mit dem Patrokli-Stift in Verbindung stehende „feudale Hofkapelle“ und zugleich ein „Symbol kölnischer Stadtherrschaft“ (35) in Soest. V.H.

Zünfte in Soest. Das Jahr 1260 und die Folgen sind Gegenstand eines Aufsatzes von Wilfried Reininghaus (Soester Zs. 104, 1992, 48-66). Nachrichten über die Anfänge des Zunftwesens in Soest reichen nicht über das 13. Jh. hinaus. Erstmals erwähnt werden (handwerkliche) „fraternitates“ in der Ratswahlordnung von 1260, der innerstädtische Unruhen vorausgingen und in der den Zünften - freilich noch bescheidene - Mitwirkungsmöglichkeiten am Stadtregiment eingeräumt wurden. (Auf die überlieferungsgeschichtlichen Probleme der Urkunde von 1260 geht Vf. in einem Exkurs gesondert ein.) Die wirtschaftlich bedeutendste und politisch einflußreichste Zunft war die der Wollweber. 1360 werden in Soest 11 Zünfte (Ämter) genannt, von denen vier zu den Textilgewerben gehörten. Vf. skizziert die gewerbliche Entwicklung der Zünfte, die im 15. Jh. erkennbaren beruflichen Differenzierungen, die Unterscheidung zwischen „Ämtern“ und „Gemeinen“ Handwerkern, deren politische Mitspracherechte in der Stadt, die insbesondere beim Wechsel der Stadtherrschaft im 15. Jh. oder bei der Durchsetzung der Reformation in Soest im 16. Jh. bedeutsam wurden, und fragt nach der Rolle der Zünfte im Zusammenhang des wirtschaftlichen Niedergangs der Stadt im 18. Jh., für den er neben dem „Defizit an unternehmerischem Potential“ (62) u. a. auch das starre Festhalten an überkommenen Privilegien seitens der Zünfte verantwortlich macht. V.H.

NIEDERSACHSEN/FRIESLAND. Der 4. Bd. der Übersicht über die Bestände des Niedersächsischen Hauptstaatsarchivs in Hannover enthält in der Bearbeitung von Manfred Hamann, Christine van den Heuvel 194 Hansische Umschau

und Peter Bardehle die Deposita, Kartenabteilung und Sammlungen bis 1945 (Veröffentlichungen der Niedersächs. Archivverwaltung 47, Göttingen 1992, Vandenhoeck & Ruprecht, 492 S.). Wie in den vorangehenden Bänden finden sich bei den einzelnen Deposita Angaben über die Laufzeit, den Umfang und die Findmittel, dann eine Beschreibung und Gliederung des Bestandes mit Angaben über die einschlägige Literatur. Dabei ist vor allem die Benutzung der Akten des umfangreichen kgl. Hausarchivs nur mit Genehmigung des Depositars möglich. Viele Deposita der Städte und Gemeinden, von Familien und Gütern sowie Institutionen wurden im Kriege zerstört. Die reichhaltige Kartensammlung ist nach dem Regionalprinzip (Regierungsbezirke, Kreise) in Verbindung mit Sachgruppen (Feldmarken, Bauten, Ansichten, Geländeprofile, Bergwerke) geordnet. Angeschlossen sind Sammlungen u. a. von Plakaten, des Historischen Vereins, von Handschriften (durchweg ein neu zusammengestellter Mischbestand) und Siegeln. Die Erschließung des Materials wird durch Indizes von Orten, Personen und Sachen erleichtert. H. Schw.

In 6. erweiterter Auflage erschien das von Dieter Brosius verfaßte Büchlein mit dem Titel Niedersachsen, Geschichte im Überblick (Hannover 1990, Nicdersächss. Landeszentrale für politische Bildung, 63 S., 28 Abb., 4 Ktn.). Da der Überblick von den Germanen und Römern bis zu den Anfängen des Landes Niedersachsen führt und die Bilder etwa die Hälfte des Büchleins in Anspruch nehmen, kann die Gesamtentwicklung nur in groben Zügen dargestellt werden, wobei vor allem die Strukturmerkmale der alten welfischen Herzogtümer berücksichtigt werden. H. Schw.

Im Aufsatz Geld und Gewissen. Raimund Peraudi und die Ablaßverkündung in Norddeutschland am Ausgang des Mittelalters beschreibt Andreas Röp- c k e ein Thema, das für die vorreformatorische Zeit einiger Hansestädte von Be­ deutung ist (Bremjb. 71, 1992, 43-80). Es geht um die Ablaßreise des päpstlichen Nuntius, Kardinals und Bischofs von Gurk 1502/03 durch Norddeutschland (u. a. Braunschweig, Lüneburg, Hamburg und Bremen). Zwar gab es hier und da Konflikte mit den Städten über die Amnestie von Verbannten und Verurteilten, auch über die Verwendung der Gelder; aber es fehlt reformatorische Kritik an der Kirche oder am Papst. Anhänge enthalten Quellentexte über den Besuch in Bremen und eine Ablaßurkunde aus Braunschweig. H. Schw.

Ein üppiges Bild- und Textwerk über Antoine-Ignace Meiling (1763-1831) artiste-voyageur, dem im Pariser Musee Carnavalet 1991 eine Ausstellung gewidmet war, wurde von Cornelis Boschma und Jacques Perot herausgeggeben (Paris 1991, Editions Paris-Musees, 240 S., zahlreiche Abb.). Meiling war ein Maler, der aus einer Lothringer Künstlerfamilie stammte und in Karlsruhe geboren wurde. Als Geburtsdatum findet sich im Titel und an anderen Stellen 1763, im Stammbaum (S. 8) aber der 8. November 1764. Der Künstler wirkte dann in Konstantinopel und Frankreich. 1812 unternahm er auf Befehl Napoleons eine Reise durch die niederländischen und nordwestdeutschen Departements des Empire, um neuerdings einverleibte Städte zu zeichnen. Die von ihm geschaffenen Veduten sowie Zeichnungen von Personen und auffälligen Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 195

Gegenständen sind an Genauigkeit nicht zu übertreffen. Zu den norddeutschen Ansichten gehören die von Emden, Jever, Aurich, Stade, Hamburg, Altona, Lübeck und Travemünde. Es überrascht, daß Oldenburg und Bremen fehlen. Die beiden Hgg. haben sich bei der Gestaltung ihres Anteils nicht abgestimmt: In Perots Abschnitten (Frankreich, Konstantinopel) ist das Layout sehr unüber­ sichtlich. Boschma bietet in überschaubarer Weise die Bilder, ihre Beschreibung sowie zeitgenössische Reisetexte (Meiling selbst führte kein Reisetagebuch) und Ubersichtspläne der betr. Orte. In einigen Fällen ist der Verwahrungsort der Zeichnung nicht klar erkennbar; zudem stehen die mehrfarbigen Bilder aus technischen Gründen nicht im zugehörigen Sachzusammenhang. Die vom Vf. zur Beschreibung der norddeutschen Städte benutzten Werke sind nicht die informativsten; so fehlen für Hamburg und Stade die grundlegenden Ansich­ tenwerke von Schellenberg und Bohmbach, ganz zu schweigen von den Inven- taren der Bau- und Kunstdenkmale. Der große Wert des Buches liegt in der Illustration sowie den biographischen und kunstgeschichtlichen Erläuterungen. - Ergänzende Kapitel beschäftigen sich mit den Problemen der Perspektive (Theo Laurentius), mit Meilings Reisen in England 1819 (Cornelis Boschma) und in den Pyrenäen 1821-1825 (Helene Sorbe) sowie mit den Zeichnungen der Tochter Adele Melling-Clcrget (Cornelis Boschma). H. Schw.

In einem Vortrag über Osnabrücks Geschichte in der europäischen Dimen­ sion schlägt Wolf-Dieter Mohrmann einen weiten Bogen (OsnMitt. 96, 1991, 11-25): Von der Rolle des Bistums in der sächsischen Kirchenorganisation der Karolingerzeit über ein Bündnisangebot Philipps II. von Spanien an Bischof Johann von Osnabrück und die Rolle als Verhandlungsort beim Friedenskon­ greß von 1648 bis hin zur Provinzialisierung von Stadt und Bistum sowie zur Beteiligung von Osnabrückern bei der Judenvernichtung in Holland und im Osten. Von Osnabrücks Rolle als Hansestadt ist nicht die Rede. H. Schw.

Eine wichtige Quellengattung zur Kultur- und Sozialgeschichte des Mittel­ alters und der Frühen Neuzeit bilden die Testamente. In Lübeck, Hamburg, Göttingen, Köln, Stralsund usw. haben sie eine umfassende Untersuchung erfah­ ren. In Osnabrück entstand aus der Feder von Hermann Queckenstedt eine Arbeit über einen wichtigen Einzeltext: Geseke Vysevase und ihre Erben - Ein Testament aus dem spätmittelalterlichen Osnabrück (OsnMitt. 96, 1991, 45-82). Die Erblasserin gehörte zur gehobenen Mittelschicht; Vf. trägt alles zusammen, was sich über ihre Vermögens- und Familienverhältnisse ermitteln läßt. Die Witwe betrieb seit dem Tod ihres Mannes 1480 bis zu ihrem Tode 1503 ihre vielfältigen Geldgeschäfte selbst. Das Testament hält sich im üblichen Rahmen, zeichnet sich aber durch den Umfang aus. Das Begräbnis-Ritual, Stiftungen ad pias causas und das Erbgut (Immobilien, Möbel, Hausrat, Nah­ rungsmittelvorräte, Kleidung, Geld und Schmuck) sind ausführlich beschrieben. Nützlich ist ein Vergleich mit dem Erb-Inventar Hermann Warendorps, der der gleichen Sozialschicht angehörte. Das Testament wird auch im vollen Text abgedruckt. Vf. begleitet alle Angaben mit eingehenden Ermittlungen, wobei er sowohl Archivalien als auch die einschlägige Literatur sorgfältig auswertet. Der- 196 Hansische Umschau

artige Detailarbeit dürfte nicht für alle in Osnabrück überlieferten Testamente möglich sein; es wäre aber zu wünschen, daß einige von ihnen aus verschiedenen Sozialschichten in ähnlicher Weise ausgewertet würden. Anzustreben wäre auch eine Art „Urkundenbuch“ der Testamente, wie es sie für einige Städte bereits gibt und die dann auch eine „statistische“ Aufnahme der Vermögenswerte nach Sachgruppen gestatten würde. H. Schw.

Das umfangreiche und gut ausgestattete Werk von Reinhard Karren­ brock unter dem Titel Evert van Roden, der Meister des Osnabrücker Johannisaltars ist ein - Beitrag zur westfälischen Skulptur der Spätgotik (Os­ nabrücker Geschichtsquellen und Forschungen XXXI, Osnabrück 1992, H. Th. Wenner, 352 S., 303 Abb.). Die Untersuchung geht vom Osnabrücker Johannisaltar aus, der von einem Künstler geschaffen wurde, der bisher anonym blieb. Indizien geben dem Vf. Veranlassung, zahlreiche Arbeiten demselben Künstler und seiner Werkstatt zuzuweisen. Ein großer Teil der Arbeit befaßt sich mit den stilistischen und kompositorischen Merkmalen dieser Werke, die für Westfalen und Flandern typisch sind. Vf. fand den Künstlernamen auf folgende Weise: Eines der behandelten Werke soll nach einer Nachricht des 16. Jhs. als Tabernakel im Westchor des Bremer Doms aufgestellt worden sein und von einem Bildhauer aus Münster stammen. Als Quelle wird das zeitgenössische Seefahrtsbuch des Bremers Johann Rulves angegeben. Der Hinweis findet sich in der Tat an angegebener Stelle. Vf. stellt dann fest, daß im 16. Jh. überhaupt viele Bildhauer in Münster lebten. Einer von ihnen wird in den Akten mehrmals genannt: Evert van Roden, wobei allerdings Zeugnisse über dessen künstlerische Tätigkeit eher dürftig sind. Vf. meint dennoch, daß die Angaben über van Roden mit den Vorstellungen übereinstimmen, die er sich von dem Meister des Johannisaltars macht. Also ist Evert van Roden der Künstler des Osnabrücker Johannisaltars und aller Werke, die ähnliche Stilmerkmale zeigen. Dazu gehören Bildwerke in Bremen, Lübeck, Münster und Osnabrück, von denen einige bisher als Werke der „Brabenders“ bzw. des Heinrich Brabender galten. Vf. sieht auch in den Nachrichten über eine Familie Rode oder Rodde Beziehungen zu den bildhauerischen Arbeiten des Evert van Rode. Es ist für einen Historiker schwer, den Schritt von der Vermutung zur Behauptung so leicht zu gehen wie Vf. Der Wert der Arbeit beruht auf den scharfsinnigen und ungemein fleißigen Ermittlungen zahlreicher Tatsachen, nicht in den vielen unsicheren Schlüssen. H. Schw.

Die Untersuchung von Annette Fiebig über Das Hallenlanghaus des Mindener Doms bietet Neue Beobachtungen zu Datierung und architekturge­ schichtlicher Stellung (Niederdt. Beiträge zur Kunstgeschichte 30, 1991, 9-28). Es wird bezweifelt, daß das Langhaus 1267-1290 gebaut wurde; als Entste­ hungszeit wird von Vf.in 1240/50 angenommen. Die bisherige Interpretati­ on der schriftlichen Quellen wird bestritten, ebenso das direkte Vorbild des Paderborner Domes, dagegen wird der architektonische Einfluß des Kölner Domchors begründet. Stilmerkmale bestätigen die frühere Zeit, wobei freilich das Maßwerk der Fenster erst etwa 1270 eingesetzt wurde. Es wird vermutet, Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 197 daß ein westfälischer Baumeister nach Zeichnungen arbeitete, die unter Kölner Einfluß standen. H. Schw.

In ihrem Aufsatz über die Frühgeschichte der Stadt Göttingen bieten Gaby Kupfer und Arend Mindermann Sechs neue Thesen zu einem alten Problem (Göttinger Jb. 1991, 13-45). Schütte hatte die Theorie entwickelt, daß die gesamte Kernstadt (außer St. Nikolai) als Gründungsstadt in der Mitte des 12. Jhs. angelegt worden sei. Dem wurde die Theorie entgcgengestellt, daß Göttingen „mehrkernig“ entstanden sei, wobei es wiederum verschiedene Modelle über die zeitliche Abfolge gab. Die Vorstellung der Vff. geht von der Mehrkernigkeit aus und entwickelt zusammengefaßt folgende Vorstellung: Ein Herrenhof befand sich im Gebiet des späteren Dominikanerklosters und der späteren Neustadt. Von hier aus wurden im 12. Jh. Marktsiedlung und die Siedlung um St. Johannis gegründet, die kurz vor 1180 um das Nikolaiviertel erweitert wurden. Kurz nach 1200 entstanden die Stadtburg und die Siedlung von St. Jakobi. Darauf wurde das Straßennetz planmäßig erweitert und die Stadtmauer vollendet. Der Charakter der Gründungsstadt äußert sich im regelmäßigen Straßennetz, das nach der Vorstellung der Vff. erst nach und nach entstanden ist. Bei den Untersuchungen über die Siedlungskerne spielen die Parzellengröße, die Topographie der Siedlungen und eine Interpretation archäologischer Befunde die Hauptrolle. Vff. beschreiben dann im einzelnen die Entwicklung der Siedlungskerne und der Stadtmauer, wobei Analogieschlüsse zu anderen Städten und Auseinandersetzungen mit bisherigen Auffassungen eine große Rolle spielen. Es geht dabei um die Bodenbeschaffenheit im frühen und hohen Mittelalter, die Datierung archäologischer Befunde, Schlüsse aus späteren Urkunden und Zuständen sowie immer wieder um angebliche Fehlurteile der bisherigen Literatur. Es ist freilich die Frage, wie sicher die einzelnen Feststellungen und die daraus entwickelten Kombinationen sind. Die Lokalforschung wird sich damit auseinandersetzen müssen und das Ergebnis wohl als eine neue Version werten. H. Schw.

Unter dem Titel Die Stadt Göttingen führt eine Fehde 1485/86 verfaßte Dieter Neitzert eine Untersuchung zu einer Sozial- und Wirtschafts­ geschichte von Stadt und Umland (Veröffentlichungen des Inst, für Histor. Landesforschung der Univ. Göttingen, Bd. 30. Hildesheim 1992, August Lax, VII, 175 S., 1 Tf., 8 Abb., 15 Tab., 5 Anhänge mit Urkk. und Listen). Vf. wertet in mühsamer Kleinarbeit die Stadtrechnungen und anderes Quellenmaterial aus. Zu Beginn werden Anlaß und äußerer Verlauf der Fehde dargestellt, der eine Zeit politischer und wirtschaftlicher Stabilität vorausging. In der Fehde war Göttingen mit der Stadt Hildesheim im Rahmen des sächsischen Städtebundes gegen den Bischof von Hildesheim verbündet. Vf. beschreibt die weiträumige Werbung von Söldnern und die Ereignisse der Fehde, soweit Göttingen betroffen war. Diese bestanden vor allem in Raubzügen und Überfällen. Es folgen, abge­ leitet aus den Rechnungen, Untersuchungen über das Boten- und Söldnerwesen, den Organisations- und Rüstungsaufwand sowie über Kontrollmaßnahmen. Die Kosten wurden durch eine Zulage zum Schoß und durch Rentenverkäufe gedeckt. Das Aufgebot der Bürger wurde von der Meenheit und den Gilden 198 Hansische Umschau

bzw. Zünften gestellt; auch die abhängigen Landgemeinden hatten ihre Beiträge zu leisten. Bürger, die die Wachtürme besetzten, zur Aufklärung oder zu Scharmützeln ausritten oder längeren Dienst, Handwerksarbeiten, Lieferungen von Lebensmitteln oder Sachgütern leisteten, erhielten eine Entschädigung. Da­ neben gab es Söldner, die z. T. mit ihren Pferden verköstigt und besoldet werden mußten. Die Unkosten werden im einzelnen nachgewiesen. Ein wichtiges Ziel des Kriegsvolkes war es, Gefangene und Beute zu machen, wozu auch Einkünfte aus Schutzgeldern, Freikäufen, Brandschatzungen usw. gehörten. Die Gesamt­ kosten der Fehde betrugen fast das Vierfache der Einnahmen, wobei allerdings zu bedenken ist, daß etwa ein Drittel der Ausgaben in die städtische Wirtschaft zurückfloß. Der drückendste Posten war die Besoldung der Reiter. Im ganzen liegt der Schwerpunkt der Arbeit auf einer Untersuchung der wirtschaftlichen Seite der Kriegsführung. Dafür fand sich hervorragendes Material und ein kompetenter Bearbeiter. Das Register erfaßt alle Personen- und Ortsnamen und die wichtigsten Begriffe. H. Schw.

Dieter Neitzert berichtet über Die Göttinger Wachstafeln und gibt vor allem einen Bericht über die Restaurierung 1989 (Göttinger Jb. 1991, 43—47). Die Tafeln stammen von 1330/54 und enthalten Teile des Stadtrechts. Sie waren beschädigt und z. T. in Stücke zerfallen. Die Wiederherstellung und Sicherung erfolgte nicht, um den ohnehin bekannten Text, sondern die Tafeln als Kulturdenkmal zu erhalten. H. Schw.

Ergebnisse einer jahrelangen Forschung veröffentlichte Heinrich Spier unter dem Titel Der Georgenberg als Stätte einer älteren Pfalz Goslar; ein Beitrag zur Pfalzforschung (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar, H. 39, 1991, 69 S., 9 Abb.). Was im Titel als Tatsache hingestellt wird, ist allenfalls eine Vermutung; Vf. sagt am Ende selbst, daß er „noch keine endgültigen Beweise“ vorlegen kann. Auf dem Georgenberg befinden sich die Fundamente eines 1527 zerstörten Augustiner-Chorherrenstifts. Die Deutung von Ausgrabungsergeb­ nissen auf eine Pfalz als Vorgängerin ist umstritten. Vf. beschreibt die günstige geographische Lage des Berges und die frühmittelalterlichen Verkehrsverhält­ nisse, über die sich keine zeitgenössischen Belege finden lassen. Auch werden Karten des 17. Jhs. herangezogen, die über die Zustände im 9. Jh. nichts aussagen. Von den 1963/64 gefundenen Resten einer Saalkirche wird angenommen, daß sie zu einer Pfalzkapelle gehörten. Die chronistische Überlieferung spricht seit dem Ende des 13. Jhs. von der Zerstörung einer Burg auf dem Georgenberg. Wie zuverlässig ist die Überlieferung, und ist damit eine Pfalz gemeint? Der Annahme ihrer Existenz durch den Vf. schließt sich die Erörterung des baulichen Programms an, in der byzantinische Herrscherideen sichtbar werden sollen. Es wird in diesem Rahmen auch eine Fülle von Literatur herangezogen, die sich überhaupt nicht mit Goslar beschäftigt. Bis in den Anfang des 12. Jhs. sollen bei Kaiserbesuchen in der Pfalz auf dem Georgenberg die Feste stattgefunden haben. Es wird den Skeptikern mit den bisherigen Quellen nicht gelingen, die Vermutungen des Vf. zu widerlegen. Es fragt sich nur, wer für eine Behauptung die Beweise anzutreten hat. Vermutungen sollten jedenfalls als solche gekenn­ zeichnet werden. H. Schw. Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 199

Zu einem in letzter Zeit an manchen Orten bearbeiteten Themenbereich gehört die Arbeit von Hannelore Dreves über Das Armenwesen der Stadt Goslar; eine Einzeluntersuchung zur städtischen Armut und Armenfürsorge im 15. und 16. Jahrhundert (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar 40, 1992, 198 S.). Vf.in versucht, wie in vergleichbaren Arbeiten üblich, den Begriff der Armut, der ja absolut wie auch relativ gesehen werden kann, zu definieren. Dabei schließt sie die „freiwillige“ Armut - etwa der Mönche - aus; auch die bei Schicksalsschlägen subjektiv empfundene Armut, etwa der armen Sünder oder der trauernden Witwen. Der Zustand absoluter Armut läßt sich mit „Besitzlosigkeit“ und „Mittellosigkeit“ nur unzureichend beschreiben, besser mit einem Zustand, in dem jemand aus eigenen Mitteln das Leben nicht erhalten kann, vor allem bezogen auf Ernährung, Kleidung und Wohnung. In der modernen Vorstellung von der „neuen Armut“ im Sozialstaat gilt diese Definition nicht mehr. Die Schwierigkeit ist in jedem Falle, den „Grenzwert“ - etwa die Existenzgrenze - zu bestimmen. Durch den Begriff „Bedürftigkeit“ kam zudem ein schwer zu erfassendes subjektives Element in die Diskussion. Vf.in beschreibt den Typus des Armen, wobei auch die unterschiedlichen Ursachen der Armut (Teuerung, Krankheit, Arbeitslosigkeit, geringer Verdienst usw.) zur Sprache kommen. Der Hauptteil der Arbeit beschäftigt sich dann mit der institutionellen und der individuellen Armenfürsorge. Der Übergang vom ungeregelten Almosenwesen zur kontrollierten (städtischen) Armenfürsorge vollzog sich langsam und gilt nicht für die seit dem Mittelalter bestehende institutionelle Armenpflege. Vf.in sieht im 16. Jh. eine Entwicklung zur negativ beurteilten „Sozialdisziplinierung“ (Arbeitspflicht, Heimatprinzip); man könnte auch - positiv - von „Sozialerziehung“ sprechen und die Sonderung des Faulen von körperlich und geistig Hilflosen als „Fortschritt“ ansehen. Die Armut wird in den sozial-, wirtschafts- und kirchengeschichtlichen Rahmen eingefügt, wobei die Konjunkturen des Bergbaus und die lutherische Sicht von der Armut eine entscheidende Rolle spielten. Es werden auch die Ernährungsgewohnheiten der Armen festgestellt. Die Lebens- und Wohnbedingungen der Hausarmen sind nur dürftig belegt, für die behördlichen Maßnahmen bei der Versorgung von Institutsinsassen gibt es dagegen reiches Material. Ihre Betreuung wurde bisweilen durch das Pfründnerwesen gefährdet. Vf.in beschreibt Zustand und Tätigkeit der vier in Frage kommenden Institute und auch des Kistenamtes, durch das einzelne Arme (Hausarme) unterstützt wurden. Eine materielle Hilfe kam von privaten Stiftungen bes. Testamenten. Der Anhang bietet Zahlen zur Haushaltsführung der Hospitäler. Die Arbeit ist reich an Details, beschäftigt sich aber auch mit den verschiedenen Armutstheorien. H. Schw.

Neues zur Frühzeit Hildesheims will Hans Dobbertin bieten (Heimat­ land 1993, H. 1). Er glaubt, daß Karl d. Gr. 796 den späteren Hildesheimer Bf. Gunthar in Eltze einsetzte, wo er den Bau der Peterskirche begann; Karl ließ auch ein Bethaus St. Walpurgis im Hildesheimer Alten Dorf bauen. Vf. ver­ bindet seine Sicht von Quellen und Ausgrabungsergebnissen zu einem Bild von Bistums- und Ortsverlegungen; dabei häuft er solch eine Fülle von Gedanken an, daß es dem mit den lokalen Verhältnissen nicht vertrauten Leser schwer wird zu folgen. Es wäre notwendig, würde aber große Mühe fordern, jede 200 Hansische Umschau

Quellenaussage auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfen und so vor allem die Vermu­ tungen von den Fakten zu sondern. Zu den schon vorher vom Vf. geäußerten Vermutungen gehört wohl auch, daß Tiberius bei Schellerten eine „Römerpolis (Burg, Stadt)“ anlegte, deren Tor später in den civitas-Mauerring und in die Kreuzstiftskirche einbezogen wurde, daß es sich beim Hildesheimer Silberschatz um das Tafelsilber von Varus handelt, von dem ein Teil nach der Erbeutung durch die Gegner „kultisch“ begraben wurde, und daß die „Bennopolis“ die „Binnenburg“ = Domburg sei. H. Schw.

Elfi-Marita Eibl untersucht Hildesheim im Beziehungsgeflecht des han­ sischen Handwerks in Spätmittelalter und früher Neuzeit (Alt-Hildesheim 62, 1991, 65-72). Mit Recht stutzt Vf. in selbst beim Begriff „hansisches Handwerk“, doch geht sie von der Feststellung aus, daß es „hansische“ Beziehungen zwischen den Zünften von Hansestädten gab. Vf.in stellt insbesondere eine Fülle von Beziehungen zwischen Zünften Hildesheims und denen anderer Städte fest, die alle zur Hanse gehörten. Sie betreffen Herstellung, Qualität und Absatz von Waren aber auch die Behandlung wandernder Handwerksgesellen. Andererseits stellt Vf.in aber auch eine geringe Anteilnahme Hildesheims an hansischen Angelegenheiten fest; etwas größer sei die Beteiligung am „sächsischen Quartier“ gewesen. Die Frage ist aber, ob dabei Handwerker eine Rolle spielten. Es wird von der Vf.in ein Überblick über die Hildesheimer Handwerkergeschichte skizziert und dabei die Beziehungen zu den Zünften anderer Städte hervor­ behoben. Es ist grundsätzlich festzustellen, daß eine Hansestadt sowie ihre Genossenschaften und Bürger durchaus Kontakte zu anderen Städten haben konnten, ohne daß Angelegenheiten des Städtebundes berührt wurden. Hand­ werkerangelegenheiten wurden sogar auf Reichsebene behandelt, und Hildeshei­ mer Gesellen zogen in fremde Städte ohne Rücksicht darauf, ob sie Mitglieder der Hanse waren oder nicht. Eine andere wichtige Frage wäre die Rolle der Handwerkerwaren im hansischen Handel gewesen; doch davon ist in diesem Aufsatz nicht die Rede. Nur in diesem Rahmen hätte es eine Rechtfertigung dafür gegeben, von „hansischem Handwerk“ Hildesheims zu sprechen. H. Schw.

Als ausgewiesener Deuter von Bildwerken an Gebäuden untersucht Kurt Fl ei ge Die Ornamentik des Torhauses des ehemaligen Ratshauhofes (1540) in Hildesheim (Alt Hildesheim 62, 1991, 81-89). Von der Fassade haben sich nur Fotos erhalten. Vf. ist natürlich aufgefallen, daß das Tor verändert wurde, so daß Schnitzwerk beschädigt und die Inschrift nicht über der Mitte des Tores steht. Vf. versucht eine Rekonstruktion des ursprünglichen Zustandes. Sein Hauptanliegen ist aber die Deutung der Schnitzereien. Der Fries wird als Darstellung des Jüngsten Gerichts gesehen, wobei das Bildprogramm im einzelnen beschrieben wird. Er zieht auch Vergleiche mit Bildwerken an anderen Gebäuden heran, u. a. in Quedlinburg. Auf dem Türbogen symbolisieren Drachen das Böse; Vf. sieht einen Zusammenhang mit der Weltensäule bzw. mit dem Weltenbaum (Schutzfunktion über dem Eingang). Es ist aber wohl nicht ausgeschlossen, daß der Bildschnitzer sein Programm von einem Kupferstich Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 201 oder Holzschnitt entnahm und dabei von keinem komplizierten theologischen Gedanken erfüllt war. Die hatte vielleicht der Stecher. H. Schw.

Uber die Handelstätigkeit der Hildesheimer Familie Töne schrieb Hans Hartmann bereits einen Aufsatz (vgl. HGbll. 110, 1992, 126 f.). Er ergänzt nun seine Untersuchungen mit dem Aufsatz Der Regionalhandel des Hildes­ heimer Bierbrauers David Töne um 1600 (Alt-Hildesheim 62, 1991, 5-23). David war ein Bruder des Wollhändlers und Ratsherrn Tile Töne. Wiederum liegt dem Aufsatz eine sorgfältige Quelienauswcrtung zugrunde. Die Familie war im Wollhandel reich geworden; doch über Davids Lebensdaten ist wenig bekannt. Er heiratete 1600 eine wohlhabende Frau und war selbst nicht sehr vermögend. Er starb wohl 1607. Das Abrechnungsbuch Davids von 1600-1607 gibt dem Vf. den Anlaß für eine Übersicht über die Geschichte des Braugewerbes in Hildesheim. David Töne trennte in seinem Buch den Absatz von Broyhan von dem anderer Biersorten. Auf den letzten Seiten finden sich Getreideverkäufe und Angaben über den Bierausschank. Töne hatte sechs Biersorten im Sortiment. Es gab Bierzyklen von etwa einem Jahr mit vier bis sechs Brautagen. Man findet weiter Angaben über die gebraute Menge, die Arbeitskräfte, die Rohstoffe, Tonnen und Fässer. Vf. errechnet eine Gewinnspanne von etwa 40%. Der Absatz erfolgte in der Region Hildesheim und im Calenbergischen. H. Schw.

Im Sammelband über Bergbau und Hüttenwesen im und am Harz, der von Karl Heinrich Kaufhold, herausgegeben wurde (Veröffentlichungen der Hist. Komm. für Niedersachsen und Bremen XXXV, Quellen und Untersu­ chungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Niedersachsens im Mittelalter, Bd. 14, Hannover 1992, Hahnsche Buchhandlung, 173 S.), enthält einen Aufsatz von Hans-Jürgen Gerhard über Die hannoversche Bergwarenhandlung im 18. und frühen 19. Jahrhundert (38-55). Er skizziert die Vorgeschichte, Ent­ stehung und Entwicklung sowie die vielseitige Produktpalette und den Absatz. Der Handel mit dem Harzer Erz war seit dem 16. Jh. ein Monopol der welfi- schen Herzöge. Den Bergwarenhandel verpachteten diese 1643. 1711 beteiligte sich der hannoversche Staat an der Handlung und übernahm diese seit 1714 ganz. Die Geschäfte des Bergwarenhandels hatten ein beträchtliches Ausmaß. Dazu werden Tabellen geboten. Hier sei darauf hingewiesen, daß sich für lange Zeit Faktoreien in Bremen, Hamburg, Lübeck, Lüneburg und Magdeburg befanden. Die Forschung über dieses Thema ist noch nicht abgeschlossen. H. Schw.

Ein für die Technik- und Wirtschafts- und auch für die Baugeschichte wichtiges Thema behandelt Gerd Spies in seiner Arbeit über Technik der Steingewinnung und der Flußschiffahrt im Harzvorland in früher Neuzeit (Braunschweiger Werkstücke, Bd. 83, 1992, 188 S., 135 Abb.). Grundlage waren zwei Konvolute technischer Handschriften in Wolfenbüttel und Magdeburg, die beide 1573 am Hof von Braunschweig-Wolfenbüttel entstanden. (Nachträge bis 1584). Vf. ordnet sie in einen größeren Zusammenhang ein. Die Veröffentlichung enthält den gesamten Bildteil, wogegen der Text nicht übernommen wurde; jedes Bild erhielt freilich eine Erklärung. Auch die Handschrift wird beschrieben, und ein allgemeiner Kommentar bietet eine Einführung in die Geschichte, Technik 202 Hansische Umschau

und Wirtschaft des Herzogtums Wolfenbüttcl zur Zeit des Herzogs Julius. Dabei spielt der Kanalbau Oker-Elbe eine besondere Rolle. Ergänzendes Bildmaterial enthält vergleichbare technische Zeichnungen anderer Werke, Abbildungen über einen Nachbau eines alten Hebekrans und historische Landkarten. H. Schw.

Zwei Aufsätze beziehen sich auf den Siedlungsbereich des Eiermarktes in Braunschweig: Hartmut Rötting verspricht Ausführungen zum Thema Die Grabungen an der Turnierstraße und am Eiermarkt in Braunschweig- Altstadt und der stadtarchäologische Forschungsstand (Braunschwjb. 72, 1991, 7-14). Vf. bezieht sich auf Ausgrabungen von 1985-1990, die - so Vf. - „Ba­ sisfunde der funktionellen und zeitlichen Siedlungsentwicklung“ im Rahmen einer „Aufklärung der Vor- und Frühformen der hochmittelalterlichen Grup­ penstadt Braunschweig“ erbrachten. Zwar ist dann kurz von Ergebnissen der Kohlmarktgrabungen die Rede, nicht aber von den archäologischen Befunden am Eiermarkt, von denen nur gesagt wird, daß ihre Auswertung „noch Jahre in Anspruch nehmen“ werde. Stattdessen finden sich einige Pläne mit archäologi­ schen Bezügen, von denen einer die Grabungsfläche an der Turnierstraße und am Eiermarkt angibt. - Annette Bold-Stülzebach erschließt in mühevoller Kleinarbeit Braunschweiger Familien als Hauseigentümer am Eiermarkt seit dem späten Mittelalter (Braunschwjb. 72, 1991, 15-44). Dabei handelt es sich um 7 Parzellen im Bereich des Eiermarktes (nicht nur an diesem Platz), deren Ei­ gentümerwechsel vom 14. bis 17., teilweise bis ins 18. Jh. hinein untersucht und dargestellt wird. Dabei erfolgt auch eine soziale Einordnung der Eigentümer, von denen die meisten zur Oberschicht gehörten, was keineswegs überrascht. Wenig aussagekräftig waren die Quellen über die Gestalt der Häuser und über die Ausstattung der Räume. Vf.in stellt einige Angaben zusammen, läßt aber offen, wie weit sie sich verallgemeinern lassen. Sicher wird die Archäologie manche zusätzlichen Kenntnisse beisteuern. H. Schw.

Werner Greve schrieb mit seiner materialreichen Arbeit über Braun­ schweiger Stadtmusikanten die Geschichte eines Berufsstandes 1227-1828 (Braunschw. Werkstücke, Bd. 80, Braunschweig, 1991, 314 S., 28 Abb.). Die Daten beziehen sich auf die erste Erwähnung seßhafter Spielleute (neben reisenden Musikanten) und die Auflösung des Stadtmusikantenamtes. Als Entwicklungsstufen stellt Vf. fest: den stadtansässigen Spielmann (13./14. Jh.), den vom Rat in Anspruch genommenen Spielmann (Ende 14. - Mitte 15. Jh.), den Ratsspielmann (Mitte 15. Jh.). Seit der Mitte des 15. Jhs. blieb die Institution nahezu unverändert und konnte systematisch untersucht werden, wobei die Struktur und Sozialgeschichte im Mittelpunkt stand, die Instrumentengeschichte berührt wurde und die (künstlerische) Musikgeschichte in den Hintergrund trat. Unter Stadtmusikern werden Berufsmusikanten verstanden, die im Auftrag der Stadt musizierten, mit Privilegien ausgestattet und besoldet waren. Sie traten aber nicht nur bei öffentlichen, sondern auch zu privaten Gelegenheiten auf. Die komplizierte Verfassung der Stadt ergab manche Probleme und Konkurrenzen. Es gab Meister des Großen und Kleinen Spiels sowie Musikanten der Weichbilde. Vieles wird durch Vergleiche mit den Musikern in anderen Städten und an den Fürstenhöfen deutlich gemacht, auch die lokale Entwicklung, die Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 203

im Mittelpunkt steht, in den größeren Rahmen eingefügt. Der Dokumentarteil enthält ein Verzeichnis der Spielleute und mehrere Quellen. Am Schluß findet sich ein Personen- und Ortsindex. Die Arbeit hat grundlegende Bedeutung. H. Schw.

Gestützt auf Aussagen einer Urkunde Bertold von Obergs, Bischof von Pana und Weihbischof von Hildesheim, will Dieter Neitzert einiges Zur Geschichte des Elementarunterrichts im Braunschweiger Paulinerkloster (1480) mitteilen. (Braunschwjb. 72, 1991, 45-53). Bischof Bertold stiftete eine Rente von 4 kleinen Pfund lübischer Pfennige aus einem Kapital von ICO Pfund zur Unterhaltung eines Schulmeisters für die Mönche am Paulinerkloster der Dominikaner, wobei der Rat und die Alterleute an St. Katharinen die Übermittlung der Stiftungsgelder übernahmen; sie sollten nur dann ans Kloster gehen, wenn regelmäßig Unterricht erteilt wurde. Der Aufsatz ist mehr auf Bertold von Oberg als auf den Unterricht an der Klosterschule bezogen; über diesen erfahren wir aus der Urkunde nichts. Es ist nicht einmal bekannt, ob er überhaupt erteilt und ob tatsächlich ein Schulmeister eingestellt wurde. H. Schw.

Eine neue Zuordnung ergibt sich aus der Untersuchung von Joachim J ac o b y Zu einem Gemälde von Cyriakus Reder in Braunschweig (Niederdt. Beiträge zur Kunstgeschichte 29, 1990, 58-60). Es handelt sich um eine Dar­ stellung der Salome im Herzog Anton Ulrich-Museum, die bisher als Cranach- Gemälde galt, das aber das Monogramm CR trug. Dasselbe Monogramm findet sich auf dem Gemälde eines „ungleichen Paares“ in Hannover, das Cyriakus Reder zugeschrieben wurde. Vf. beschreibt die stilistischen Besonderheiten Re- ders und grenzt ihn gegen andere Maler der Zeit (Cranach, Heintz) ab. Reder war ein sächsischer Maler, der 1598 starb. H. Schw.

Es sei darauf hingewiesen, daß Raimund Witte in seinem Aufsatz über Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenhüttel (1564-1613), eine bemerkens­ werte Herr sch er gestalt am Vorabend des 30jährigen Krieges (Jb. der Gesellschaft für niedersächs. Kirchengeschichte 88, 1990, 125-145), auch die Auseinander­ setzung mit der Stadt Braunschweig streift; sie wird - wie allgemein in der Forschung - als Folge der von der Stadt angestrebten totalen Herauslösung aus dem absolutistisch regierten Herzogtum angesehen. Es handelte sich also um eine reine Machtfrage, in der nicht nur politische und juristische, sondern auch militärische Mittel eingesetzt wurden. Vf. bietet auf engem Raum nur eine Zusammenfassung des Problems. H. Schw.

Der Katalog einer Ausstellung über Geller Stadtgeschichte in Dokumenten und Bildern 993 - 1292 - 1992 (Schriftenreihe des Stadtarchivs Celle und des Bomann-Museums, H. 72, 1992, 35 unnumerierte S.) enthält in einem Vorwort einen kurzen Überblick über die Geschichte Celles und seines Stadtarchivs sowie über die Exponate (ein „Stadtarchiv Bremen“ gibt es nicht!). Der größte Teil der Ausstellungsstücke kam aus dem Stadtarchiv Celle und dem Bomann-Museum, ergänzt von einigen Akten und Urkunden im Original und Fotos, die auswärtige Archive zur Verfügung gestellt hatten. Es handelte sich im wesentlichen um eine 204 Hansische Umschau

Archivalienausstellung, die jedoch durch einige andere Objekte aufgelockert wurde. Die Texte des Kataloges sind sachverständig; eine Bilddokumentation war wohl aus ökonomischen Gründen nicht möglich. H. Schw.

Fred Mahler berichtet über Archäologische Forschungen zur mittelalter­ lichen und neuzeitlichen Besiedlung an der Achterstraße in Uelzen (Heimatka­ lender für Stadt und Kreis Uelzen 1992, 59-64). Die Straße war früher nicht so unbedeutend, wie der spätere Name vermuten läßt. An ihr lagen Wohnhäuser sowie Wirtschaftsgebäude und -höfe. Gefunden wurden eine Heißluftheizung, Kellerräume, Schutt mit älterer Keramik usw. Die Datierung der Befunde ist oft unsicher. Schlüsse auf die Siedlungsentwicklung, Parzelleneinteilung, Lebens­ und Wirtschaftsformen lassen sich nur in begrenztem Maße ziehen. Vielleicht bringen künftige Grabungen zusätzliche Erkenntnisse. H. Schw.

Uber Die Bausubstanz des 13. bis 17. Jahrhunderts in der Stadt Uelzen entstand Ein Katalog über den Edgar Ring berichtet (Heimatkalender für Stadt und Kreis Uelzen 1992, 99-104). Er ist noch nicht vollständig und bezieht sich nur auf die Altstadt. Vf. kennzeichnet die baugeschichtlichen Einschnitte, wobei der große Stadtbrand von 1646 der bedeutendste war. Es werden 25 Gebäude genannt, die sich nur zum geringen Teil unverfälscht erhalten haben; nur sehr wenige von ihnen - vor allem kirchliche Gebäude - enthalten mittelalterliche Backsteinarchitektur. Im 17. Jh. baute man nur noch Fachwerkhäuser. H. Schw.

In den Bemerkungen zur Entstehung der Pfarrgemeinde St. Marien in Uelzen beschreibt Thomas Vogtherr eine Entwicklung, die lokale Besonderhei­ ten aufweist (Heimatkalender für Stadt und Kreis Uelzen 1992, 33—40). Im Mittelpunkt steht der bei fast allen Neustadt-Gründungen auftretende kir­ chenorganisatorische Konflikt, der sich aus der Gründung von Uelzen durch Oldenstädter Bürger 1260/65 ergab. Pfarrechte in Oldenstadt hatte das dortige Kloster, dessen Ansprüche auf Uelzen übertragen wurden. Der Streit wurde 1292 unter Vermittlung des Bischofs von Verden mit einem Vergleich beendet, den Vf. im einzelnen darstellt. St. Marien erhielt nun eigenes Pfarrecht, mit dem das 1270 erworbene Stadtrecht wesentlich ergänzt wurde. Die Frage, warum eine Stadtgemeinde eine eigene Pfarre anstrebte, läßt sich in Uelzen wie in allen anderen Städten beantworten: sie war Gemeindemittelpunkt. Bei Uelzen kam sicher das Bestreben nach einer Loslösung von Kloster und Bischof hinzu. Der Baubeginn der Kirche bleibt offen; man wird aber doch mit einer Filialkapelle Oldenstadts seit der Stadtgründung rechnen müssen. Im Anfang des 14. Jhs. wird ein Archidiakonat Uelzen sichtbar. Die lokale Quellenüberlieferung ist sehr lückenhaft; vieles muß zur Vervollständigung eines geschlossenen Bildes aus der allgemeinen Entwicklung ergänzt werden. H. Schw.

Die gedruckte Fassung des Vortrages von Bernd Kappelhoff auf der Tagung der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen über die Ostfriesischen Landstände und die Stadt Emden. Probleme der landständischen Einbindung einer quasiautonomen Stadtrepublik (Ndsjb. 63, 1991, 73-86) ist das Exzerpt einer in Druck befindlichen Arbeit über Emden als quasiautonome Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 205

Stadtrepublik) (1611-1749) (Ostfriesland im Schutz des Deiches, Bd. 10). Es handelt sich dabei um eine Periode, in der zunächst Holland, dann auch andere Mächte auf Ostfriesland einwirkten. Vf. beschreibt den komplizierten Rahmen, der eine Entwicklung der landständischen Verfassung ermöglichte sowie den wirtschaftlichen und politischen Aufschwung Emdens, das die Landstände benutzte um sich von der Landesherrschaft zu befreien. Als das gelungen war und keine Rückschläge zu erwarten waren, strebte Emden innerhalb der keineswegs homogenen Landstände eine beherrschende Stellung an, was zu manchen Konflikten führte; doch die Uneinigkeit der Stände erleichterte es Emden, seine Stellung zu festigen. H. Schw.

Im Rahmen eines zunehmenden Interesses an älteren Stadtansichten verdient Der sogenannte „Miccerus“ - eine Emden-Ansicht aus dem 17. Jahrhundert besondere Beachtung, wie Reiner Sonntag deutlich macht (JbEmden 71, 1991, 16-22). Johann Miccerus (Micker) war der westfriesische Stecher der Ansicht. Vf. beschäftigt sich vor allem mit der Datierung, die er aus einem Vergleich mit der Emden-Ansicht in den „Commentariorum Rerum Germanicarum Libri Tres“ des Petrus Bertius von 1616 gewinnt. Daß eine Filiation vorliegt, ist offensichtlich. Vf. nimmt ohne nähere Begründung als sicher an, daß der Bertius ein simplifizierter Nachstich des Miccerus sei; er datiert den Miccerus daher auf 1613/16. Man müßte aber zumindest erwägen, daß der Miccerus ein „verschönerter“ Nachstich des Bertius sein könnte, dann also nach 1616 entstanden wäre. Nur soviel ist sicher: Der auf beiden Plänen dargestellte Zustand der Stadt ist auf 1613/16 zu datieren. H. Schw.

SCHLESWIG-HOLSTEIN. Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Bd. 9, hg. von Dieter Lohmeier, Alken Bruns und Hartwig Molzow (Neumünster 1991, Wachholtz, 395 S., 8 Taf.) - Daß auch eine regional begrenzte Kulturlandschaft, wie in diesem Fall Schleswig-Holstein, in reichem Maß geschichtlich interessante Persönlichkeiten hervorbringen kann, beweist das vorliegende Lexikon, das mittlerweile auf neun Bände angewachsen ist. Aus guten Gründen hat man auf das antiquierte, viel zu starre und redaktionell einengende alphabetische Korsett verzichtet. So wird eine flexible Handhabung ermöglicht, die durch geänderte Fragestellungen, neu erschlossene Spezialgebiete, jedoch auch durch den Fortgang der Geschichte selbst, eine ständige Neuaufnahme und Behandlung historisch aufschlußreicher Persönlichkeiten zuläßt, ohne, daß sich der Zweck des Nachschlagewerkes abnutzt. Biographische Arbeit versteht sich auf diese Weise nicht als lexikalisch überschaubar, sondern als ein permanenter Forschungsauftrag. Aber nicht nur durch diese Konzeption überzeugt das Lexikon, sondern auch durch seine äußerlich ansprechende und redaktionell einheitliche Gestaltung, letztere ohne der Individualität der einzelnen Autoren Abbruch zu tun. - Die Reihe der den Hansehistoriker vielleicht besonders interessierenden Lebensbilder beginnt mit dem hansischen Kaufmann Hildebrand Veckinchusen (ca. 1370-1426; Rolf Hammel), dessen Geschäftskorrespondenz und Rechnungsbücher sich im Stadt­ archiv Reval erhalten haben und eine wichtige wirtschaftshistorische Quelle bilden. Es folgen der Drucker Steffen Arndes (ca. 1450-1519; Dieter Lohmeier), 206 Hansische Umschau

der Missionar Peter Heyling (1607/08-1652; Otto Meinardus), der protestanti­ sche Theologieprofessor Heinrich Müller (1631-1675; Helge Bei der Wieden), der Lehrer und Dichter Nathanael Schlott (1666-1703; Hartmut Freytag), der Oberst und lübeckische Stadtkommandant Michael Detlef Bradke (1686-1759; Thomas Schwark), der Navigationslehrer Johann Hinrich Sahn (1767-1835; Ortwin Pelc) und der Arzt Matthias Ludwig Leithoff (1778-1846; Ortwin Pelc). Aus dem 19. Jh. werden jeweils mehrere Angehörige einer Familie präsentiert. So handelt ein Abschnitt über den Arzt, Schriftsteller und Lokalpolitiker Wil­ helm von Bippen (1808-1865; Alken Bruns) und seinem gleichnamigen Sohn (1844-1923; Herbert Schwarzwälder). Letzterer ging 1870 nach Bremen und entfaltete dort eine erfolgreiche Tätigkeit als Historiker und Archivar, die dort noch heute unvergessen ist. Interessant zu lesen sind auch die Lebensläufe des Kriminologen Benedikt Ave-Lallemant (1809-1892; Alken Bruns) und seines Bruders Robert (1812-1884; Alken Bruns). Das lübeckische Postwesen, bis dahin auf antiquierte Weise durch das kaufmännische Kollegium der Schonenfahrcr betrieben, wurde seit 1851 durch den neu berufenen Postmeister Hermann Lingnau (1815-1885; Erich Kuhlmann) reorganisiert. Es folgen der Philosoph und Schriftsteller Ferdinand Röse (1815-1859; Jendris Alwast) und der Lehrer und Historiker Wilhelm Mantels, der von 1871 bis 1879 der erste Vorsitzende des HGV war (1816-1879; Antjekathrin Graßmann). Der namhafte deutsche Historiker Leopold von Ranke besaß auch lübeckische Nachkommenschaft. Sein Neffe Leopold Friedrich Ranke (1842-1918; Alken Bruns) bekleidete als Pastor die Stellung des Seniors des geistlichen Ministeriums in Lübeck. Auch seine bei­ den Söhne, der Assyrologe und Ägyptologe Hermann Ranke (1878-1953; Bernd Scheel) sowie der Germanist und Volkskundler Friedrich Ranke (1882-1950; Hartmut Freytag) finden sich in dem Nachschlagewerk. Den Abschluß bilden vier Persönlichkeiten, die ebenfalls im geisteswissenschaftlichen bzw. künstleri­ schen Bereich tätig waren: Der Architekt Carl Adolph Hinckeldeyn (1847-1927; Otto Kastorff), der lübeckische Staatsarchivar (seit 1907) Otto Kretzschmar (1864-1947; Hartmut Bickelmann), der lübeckische Stadtbibliothekar (seit 1919) Wilhelm Pieth (1883-1934; Sibylle Paulus) sowie der Komponist und Kirchen­ musiker Hugo Distier (1908-1942; Sabine Kruse). Alles in allem handelt es sich bei diesen biographischen Abrissen um einen zeitlich weitgefaßten und facettenreichen Querschnitt durch das politische, wirtschaftliche, geistliche und geistige Leben in Lübeck in hansischer und nachhansischer Zeit. Chr. Ostersehlte

Michael North, Geld und Bevölkerung als Konjunkturfaktoren in Schleswig-Holstein, Hamburg und Lübeck (15. und 16. Jahrhundert) (in: Wirt­ schaftliche Wechsellagen in Schleswig-Holstein vom Mittelalter bis zur Gegen­ wart, hg. von Jürgen Brockstedt, Studien zur Wirtschafts- und Sozialge­ schichte Schleswig-Holsteins, Bd. 20, Neumünster 1991, Karl Wachholtz Verlag, 57-64). - Vor dem Hintergrund einer Untersuchung der Geldmenge und der Bevölkerung um die Wende des 16. Jhs. versucht N., Erklärungen für die große Depression im Spätmittelalter und den Wirtschaftsaufschwung im 16. Jh. zu finden. In Norddeutschland kam es nicht zu einer nachhaltigen, durch die Pest verursachten Verminderung der Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 14. Jhs. Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 207 wie anderswo, aber dennoch entstand eine gewisse Polarisierung: hier Zustrom von Menschen in die Städte, dort Abzug vom Land. Die Geldumlaufmenge in der Stadt verringerte sich daher, auf dem Land blieb sic gewissermaßen konstant und führte zu einer Zunahme der Münzhortung im 15. Jh. Übrigens machten Lübecker Münzen im 15. Jh. ungefähr ein Viertel des Kleingeldumlaufs in Schleswig-Holstein aus; die Abnahme des Lübecker Münzausstoßes um mehr als die Hälfte hatte also eine Rückwirkung auf die Geldmenge im Land. Zwar kam es mit dem 16. Jh. zu einer Zunahme des Zuflusses von Edelmetall, und damit von Geld, von außen, was aber bei der nachweislichen Bevölkerungsmehrung zu Anfang des Jhs. nicht auf die Dauer eine Erhöhung der Barschaften nach sich zog. Hortung und Verbergung von Münzen - auf diesem Gebiet wird die besondere Fachkenntnis des Numismatikers N. sichtbar - nahmen daher ab. Eingeholt wird diese Situation durch die Beschleunigung des Umlaufs der Gold- und Silbermünzen. Den Konjunkturverlauf betrachtet N. auch auf dem Sektor der Preisentwicklung u. a. des Getreides - einer Ware, deren Nachfrage nicht elastisch auf Schwankungen reagiert und deren Preis von der Produktivität des Anbaus und der Zunahme der Bevölkerung gestaltet wird. Preisverfall und Preisanstieg bedingen Depression und Expansion. Im 16. Jh. verursacht aber doch die allgemeine Bevölkerungszunahme in Europa das Wirtschaftswachstum dieser Zeit und nicht die Zunahme der Geldmenge. A.G.

Begegnungen mit Kiel. Gabe der Christian-Albrechts-Universität zur 750- Jahrfeier der Stadt, hg. von Werner Paravicini,in Zusammenarbeit mit U w e Albrecht und Annette Henning (Neumünster 1992, Karl Wach- holtz Verlag, 423 S., zahlreiche Abb.). Wie faßt man die Atmosphäre einer gemeinhin kühlen, allen spitzweghaften Charme entbehrenden Großstadt? Man kann es lernen durch die hier vorliegende überzeugend gelungene Huldigung an Kiel. Kurze, treffende Texte sind hier mit gut gewählten Illustrationen verklammert, mit Illustrationen, die - eigentlich ganz das Gegenteil der heu­ tigen „schönen“ Fotos - sachlich und treffend gerade die Nüchternheit des Objekts erfassen, nicht ohne häufige Kritik, wenn historische Reste verkannt und rücksichtslos vernichtet wurden oder nur noch als Feigenblatt dienen. Zur Abfassung der insgesamt 100 „Glassplitter“ dieses Kaleidoskops, das uns wirk­ lich Kiel ganz ungewohnt neu und vielfältig darbietet, sind insgesamt 61 Ver­ fasser, Historiker aller Fachrichtungen, Geographen, Zoologen, Volkskundler u. a. gewonnen worden. Man folgt gern dem imaginären Spaziergang durch die verschiedenen Gegenden Kiels und durch die Geschichte dieser dem Leser nun plötzlich liebenswert und individuell geformt erscheinenden Stadt. Nicht nur die Herausgeberleistung, derart viele Autoren unter einen Hut zu bringen, ist bewundernswert, es ist dem Dirigenten zugleich gelungen, diesem vielstimmigen Orchester eine „geistreiche“ Symphonie zu entlocken. Dabei fehlen nicht so unpoetische Dinge wie Literaturverzeichnis und Register. Mit dieser Gabe hat die Universität ihrer Stadt, die sie im Laufe ihrer Geschichte gar nicht immer verwöhnt hat, ein dauerndes Geschenk gemacht. A.G.

Reimer Hansen, Der Kieler Umschlag. Entstehung, Konjunktur und Funktions'wandel eines internationalen Geldmarktes vom Ausgang des Mittelai- 208 Hansische Umschau

ters bis zum Anbruch der Moderne (ZGesSHG 117, 1992, 101-133). - H. ordnet diese Messe in der einstigen Hansestadt Kiel (denn der Begriff Umschlag steht für Messe, Markt, Tausch, Geschäft) in den Zusammenhang der allgemeinen Geschichte, nicht nur Holsteins, sondern Norddeutschlands, ja Nord- und Westeuropas ein. In der zweiten Hälfte des 16. und zu Anfang des 17. Jhs. wird sie zum internationalen Geldmarkt. Der Termin lag in der Frühzeit nicht fest, pendelte sich dann auf die Dreikönigswoche ein und wurde zum allgemeinen Hochzeits-, Geschäfts- und Zahlungstermin des Adels. Der erste Nachweis läßt sich in die Zeit um die Mitte des 15. Jhs. verlegen, in einen Briefwechsel, als Kiel Pfand der Reichs- und Hansestadt Lübeck war, was die überregionale Bedeutung des Kieler Umschlags übrigens förderte. Der größere Zusammen­ hang und Nährboden für die Ausweitung der getätigten Geldgeschäfte beruht aber wohl darin, daß Herzog Friedrich I. 1524 die Freiheiten und Rechte der schleswig-holsteinischen Ritterschaft vergrößert und damit die günstigste Voraussetzung zur „Kommerzialisierung der Gutswirtschaft“ (116) geschaffen hatte. Als Beispiel für die außerordentliche Zunahme der Kapitalkraft des Adels werden die Geldgeschäfte Heinrich Rantzaus herausgestellt. Das Ansteigen der Bodenpreise im Anschluß an die Getreidepreise und folgende Einbußen auf dem Geldmarkt im letzten Fünftel des 16. Jhs. bewirkten eine Konzentration adligen Besitzes in wenigen Händen und Verschuldung sowie Besitzerwechsel auf zahlreichen Höfen und Gütern. Sie trafen auch den „Bankier“ Rantzau. Um die Mitte des 17. Jhs. bildete sich allmählich mit dem Rückgang der Agrarkon­ junktur ein eigener dänischer Geldmarkt heraus, und die Inanspruchnahme des Kieler Umschlags war für König und Herzog nicht mehr nötig. Der Bedeu­ tungsverlust war auch eine Folge der Rückständigkeit: Bindung an den einen Termin, Anlehnung an die einjährige landwirtschaftliche Produktionsperiode, die grundsätzlich in barem Silbergeld vorzunehmenden Zahlungen - alles nicht mehr vereinbar mit „modernen Geschäftsformen fortgeschrittener Geldwirt­ schaft an Börse und Bank“ (125). Die internationale Bedeutung, welche die zeitgenössischen Topographien noch gerühmt hatten, war dahin. H. wagt auch Äußerungen über die jährlichen Kapitalumsätze und kann feststellen, daß die Zinshöhe 6-7 %, aber wohl kaum 12 %, betragen hat. Schließlich stellt er den Kieler Umschlag, der übrigens bis 1911 noch abgehalten wurde (und seit 1975 durch Kieler Geschäftsleute wieder neu eingeführt worden ist), in den größeren Zusammenhang der deutschen Geldmärkte und kann konstatieren, daß der Stolper Umschlag wohl eine ähnliche, wenn nicht sogar größere Rolle für den pommerschen Adel gespielt hat, obwohl dieser sich des Handels- und Bankhauses der Loitz bediente, dann allerdings auch durch deren Bankrott in Verschuldung und Ruin geriet. Ein anregender, spannend zu lesender Beitrag, der weit über die schleswig-holsteinische Regionalgeschichte hinausführt durch die Erkenntnis, daß „zur Blütezeit der Agrarkonjunktur des 16. Jhs. ... der Kieler und der Stolper Umschlag zwei überregionale Zentren von internationaler Bedeutung (waren), in denen sich wie in den beiden Brennpunkten einer Ellipse die großen Gewinne aus der überschüssigen Agrarproduktion des südlichen Ostseeraums sammelten“ (130). A.G.

Der Elbe-Trave-Kanal, die nasse Salzstraße. Mit Beiträgen von Christel Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 2C9

Happach-Kasan und Walter Müller. Fotos von Hans-Jürgen Wohlfahrt (Neumünster 1992, Karl Wachholtz Verlag, 88 S., davon die Hälf­ te mit farbigen Abb.) - Zur mittelalterlichen Bedeutung des Lübecker Handels hat ganz ohne Zweifel der erste Wasserscheidenkanal in Nordeuropa, die von 1390-1398 geschaffene Stecknitzfahrt, beigetragen. Mit den 13 Schleusen, wobei das Problem des Wassermangels (besonders in der elf km langen Scheitelstrecke südlich von Mölln) nur schwer zu lösen war und mit den zahlreichen Schlingen der beiden Flüßchen Stecknitz (über die Trave zur Ostsee) und Delvenau (über Elbe und Ilmenau nach Lüneburg) hat die 97 km lange Verbindung eigentlich nur im Mittelalter und in der frühen Neuzeit zentrale Bedeutung für den Salzverkehr nach Lübeck und den Warentransport nach Süden gehabt. Die Konkurrenz des Baiensalzes hat den Salztransport von Lüneburg abklingen lassen. Dennoch hat diese Wasserstraße sogar bis gegen Ende des 19. Jhs. ihren Dienst tun müssen, und noch heute hat sich daher eine ganze Reihe von kulturhistorischen Einzelheiten aus dem Bereich der Stecknitzfahrer erhalten: Das jährliche Fest, die sog. Kringelhöge, der Stecknitzfahreraltar im Dom, Altäre und Kirchenstühle in den Kirchen entlang des Kanals u. a. - Walter Müller, der sich insbes. auch um die Dokumentation der Reste des Kanals in der Landschaft zwischen Lübeck und Lauenburg gekümmert hat (vorhanden noch die Dückerschleuse und die Palmschleuse), beschreibt dieses alles sehr anschaulich und wirft zugleich auch einen Blick auf die die soziale Situation der gegenüber den sog. Salzherren in Lohnarbeit stehenden Stecknitzfahrer, die Tarifstreitigkeiten, die Auseinandersetzungen zwischen der Reichsstadt Lübeck und den Herzögen von Sachsen-Lauenburg. - 1900 nutzte man das Bett des alten Stecknitzkanals für den Elbe-Trave (heute Elbe-Liibeck)-Kanal, der dem fünf Jahre zuvor geschaffenen Kaiser-Wilhelm-Kanal Paroli bieten sollte. Der bedeutende Lübecker Wasserbaudirektor Peter Rehder, der seiner Zeit voraus, die Erschließung des Deutschen Reiches durch Wasserstraßen geplant hat, und der Ingenieur Hotopp mit einem findigen Schleusenpatent werden vorgestellt. Hervorzuheben ist die gute Illustration des Buchs durch ältere Fotos und viele farbige Aufnahmen, die dieses Industriedenkmal von heute bescheidener Größe, aber mit verwunschenem Charme treffend charakterisieren. AG.

LÜBECK/HAMBURG/BREMEN. Untersuchungen zur Bau- und Kultur­ geschichte Lübecks. Mit einem vergleichenden Beitrag zu Greifswald, hg. von Günter P. Fehring (Lübecker Schriften zur Archäologie und Kulturge­ schichte. Bd. 22, Bonn 1992, Dr. Rudolf Habelt GmbH, 290 S., zahlreiche Abb., 54 Taf., 1 Beil. in Tasche). - 1975 öffnete man erneut das Bischofsgrab in der Mitte des Lübecker Domchores beim Hochaltar, das lange Zeit für das Grab des ersten Lübecker Bischofs Gerold (t 1163) gehalten worden war. Auch nachdem der Grabinhalt kriegsbedingt 1942 hatte entfernt und in Museumsobhut hatte gebracht werden müssen, war keine genaue Untersuchung vor der erneuten Bei­ setzung 1963 vorgenommen worden. Bernd Herrmann (12) berichtet über Geschlecht, Lebensalter und Körpergröße des Bestatteten aufgrund der Skelett­ reste: Es handelt sich um einen etwa 60jährigen Mann mit einer Gehbehinderung links. Margareta Nockert untersucht die Textilbekleidung des Bestatteten (13-22) und kann anhand einer ausführlichen Sichtung der Kasel, der Dalmatik, 210 Hansische Umschau

der Pontifikalstrümpfe, der darunter gezogenen Wollstrümpfe, der Stola und der Manipel feststellen, daß es sich dabei vor allem um importierte Stoffe aus Spani­ en, Italien vielleicht sogar aus China handelt, die alle in die zweite Hälfte des 13. und die erste Hälfte des 14. Jhs. zu verweisen sind. Stickereien auf Bändern sind dagegen deutschen Ursprungs. Die Lederreste der Fußbekleidung des Bestatteten prüft Willy Groenman-van Waateringe (23-25). Ausführlich geht Hiltrud Westermann-Angerhausen auf den goldenen Bischofsring (27-31) ein und ordnet ihn in den größeren Zusammenhang der nord- und westeuropäischen Schmuckstücke dieser Art ein. Ob es sich um den ursprüng­ lichen Bischofsring gehandelt hat, läßt sich nicht mehr eruieren; er ist gegen Ende des 13.Jhs. entstanden. Pilgerstab, Holzsarg und Kleinfunde hat U w e Müller (33-38) einer wissenschaftlichen Bearbeitung unterzogen. Günter P . F e h r i n g faßt die Untersuchungsergebnisse zum Bischofsgrab (39) zusam­ men: Es habe sich bei dem Bestatteten eindeutig um Bischof Heinrich II. v. Bocholt (1317-1341) gehandelt, dessen hervorragendes Bronzegrabmal noch im Dom zu betrachten ist. Im zweiten umfangreicheren Teil des Bandes schreibt Hans Hellmuth Andersen über die Holzkirche zu Alt Lübeck (41-64). A., der mit Grabungen in den Jahren 1977-1988 umfangreiche neue Erkenntnisse gewinnen und richtigstellende Überprüfungen der Ergebnisse älterer Grabungen in und bei der Burg von Alt Lübeck vornehmen konnte, berichtet hier nun ausführlich - auch unter Heranziehung schriftlicher Quellen - über die von ihm neu entdeckte Holzkirche, die er in die 1090er Jahre verweisen kann, während die schon bekannte Steinkirche erst um die Zeit um 1120 geschaffen wurde. Wie auch in anderen Fällen gelingt A. auch hier, durch die Einordnung Alt Lübecks in den großen geschichtlichen Zusammenhang Nordeuropas zwischen Slawen, Dänen und Deutschen, eine ganz neue Sichtweise. So versucht er, auch die noch weiter zu ergrabende Holzkirche in die Reihe der nordischen Holzkirchentradi­ tion einzuordnen, wo sie allerdings gegenwärtig noch als „ältester archäologisch bekannter Vertreter solcher kreuzförmigen Holzkirchen“ (49) anzusehen ist. Die Untersuchungen auf dem Gelände des ehemaligen Burgklosters zu Lübeck. Ein Beitrag zur Burgenarchäologie (65-121) bringt Manfred Gläser zu einem gewissen Abschluß. Die gelegentlich der Sanierungsmaßnahmen des ehemaligen Lübecker Burgklosters ermöglichten Ausgrabungen ergaben Aufschlüsse, die über die dürftige schriftliche Überlieferung der Burg am einzigen Landzugang zur Lübecker Stadtinsel weit hinausführten, indem vorgeschichtliche Funde und die slawische Befestigung, vor allem aber die Zeit der deutschen Burg, auch während der Dänenherrschaft, untersucht werden konnten. Die bauliche Überleitung zwischen der Burg und dem späteren Kloster stellt das einstige Palasgebäude als Vorgänger der heutigen sog. Langen Halle, dem Sommer­ refektorium, dar. Sodann wendet G. sich den verschiedenen Bauphasen der Klosteranlage und ihren Veränderungen bis ins 19. Jh. zu. Eine gewerbliche Bäckerei in Lübeck vom 13. bis zum 20. Jahrhundert. Ergebnisse der Grabungen Mühlenstr. 65 (123-143) stellt U w e Müller vor und kann hier nicht nur eine für Eckhausgrundstücke typische Nutzung als Bäckerei - insges. sind 7 aufein­ anderfolgende Backöfen freigelegt worden - identifizieren, sondern über diesen individuellen Anlaß hinaus auch Äußerungen zu Entwicklung und Typenvielfalt von Backofenanlagen darlegen. Vom selben Vf. ist auch Ein Holzkeller aus dem Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 211

späten 12. Jahrhundert. Erste Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen auf den Grundstücken Königstr. 70-74. Mit einem Betrag zu ausgewählten Glasfunden (145-166) untersucht worden. M. legt ebenfalls Archäologische und baugeschichtliche Untersuchungen der Budenzeile Hüxstr. 78-82 in Lübeck (167-199) vor. Aufgrund von Abmessungen, Einzelfunden und baulicher Ab­ folge kann M. feststellen, daß wir es hier u. a. mit einer noch bestehenden Bude aus dem 14. Jh. zu tun haben, - einer wichtigen Quelle für die Erforschung der mittelalterlichen Lebensumstände der Bevölkerung, die weder Haus- noch Grundbesitz hatte. Frühe Straßenanlagen in Lübeck - Ergebnisse einer Notber­ gung in der Breitenstr. 1984 - stellt Monika Remann vor (201-215). Die hölzerne Straßenbefestigung machte spätestens im 14. Jh. einer Steinpflasterung Platz. Eine hölzerne Wasserleitung sowie ein Brunnen, der sog. Goldene Sod, konnten ebenfalls ergraben werden. Im ganzen steht Lübeck in der Tradition der üblichen Straßenbautechnik seiner Zeit. Sodann werden Keramikfunde des 12. und 13. Jahrhunderts aus dem Umfeld der dendrodatierten Holzkonstruktionen Alfstr. 9-11 zu Lübeck von einer Autorengemeinschaft (217-235) vorgestellt, denen ein lesenswerter Artikel von Klaus Tidow, Die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wollgewebe und anderen Textilfunde aus Lübeck (237- 271), folgt. Die reichen Lübecker Textilfunde - aus keiner anderen europäischen Stadt lagen bisher derart viele spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Funde für textilkundliche Untersuchung vor - stammen aus sieben Jahrhunderten (seit dem 12. Jh.), die meisten aus dem 15. und 16. Jh., wogegen das 12.-14. Jh. weniger vertreten ist. Von den 9 000 Einzelfragmenten, die bis 1986 bearbeitet wurden, bestehen die meisten Gewebe aus Schafwolle, aber auch aus Leinen, Seide und Mischgeweben. Allerdings fehlen bis jetzt Baumwollgewebe. Es gibt auch Filze und Gestricke, bei deren Bestimmung auch Schriftquellen aus dem Handwerkerbereich ausgewertet wurden. Die Stoffe werden vor allem zur Bekleidung gedient haben (z. B. Seidenhauben, eine Wollmütze, Seidengürtel). Den Abschluß des Bandes bildet ein Beitrag von Günter Mangelsdorf Ergebnisse archäologischer Stadtkernforschung in Greifswald (273-287) - eine Bestandsaufnahme, die viele zwangsweise verpaßte Chancen archäologischer Erforschung Greifswalds bis in die 1970er Jahre sichtbar macht. Nicht nur Hausabrisse, sondern auch die tiefe Ausbaggerung der Fundamente verbot der Bodendenkmalpflege den Zugriff. Dennoch kann M. über archäologische Erkenntnisse eines Holzständerbaus in der Hunnenstraße berichten und einen kleinen interessanten Überblick zur Entstehung und Entwicklung der Stadt vom 13. bis 15. Jh. geben. A.G.

Das Burgkloster zu Lübeck, hg. von Russalka Nikolov (Lübeck 1992, Charles Coleman Verlag, 80 S., zahlreiche, auch farbige Abb.) - Bei der siegreichen Schlacht gegen Waldemar II. von Dänemark 1227, an der die Lübecker teilnahmen, gelobten sie, ein Kloster zu bauen, das der heiligen Maria Magdalena geweiht sein sollte und schufen eine in ihrer baulichen und künstlerischen Gestalt einmalige Klosteranlage in Nordelbien, die bis auf die Kirche, die zu Anfang des 19. Jhs. einstürzte, auf uns gekommen ist. Auf die nachreformatorische Nutzung des Baukomplexes als Armenhaus folgte die Verwendung für gerichtliche Zwecke. Das Land Schleswig-Holstein, 212 Hansische Umschau

in dessen Hand die Restaurierung des Baus lag, übernahm nicht nur die bauliche Sicherung und die Erhaltung der Malereien sowie der Skulpturen, sondern auch die Einrichtung für kulturelle Zwecke, d. h. gegenwärtig werden die Räumlichkeiten für Ausstellungen usw. durch die Hansestadt Lübeck genutzt, in deren Eigentum der Gebäudekomplex 1990 wieder übergegangen ist. Man hat auch bei den Bauarbeiten umfangreiche archäologische Grabungen und baugeschichtliche Untersuchungen vornehmen können. Die Ergebnisse werden im vorliegenden Band genauer beschrieben. So berichtet Manfred Gläser (12-24) über die Abfolge der Burganlagen an diesem einzigen Zugang zur Lübeckischen Stadtinsel und greift dabei auch auf vorgeschichtliche und slawische Zeiten zurück. Die Ergrabung eines Brunnens aus der Zeit 1155/56 galt als archäologische Sensation, die aber in ihrer Bedeutung überholt wird durch die Erkenntnis, daß sich im Sommerrefektorium, der sog. Langen Halle des Klosters, das einstige Palasgebäude der dänischen Burg verbirgt. Mit seinen 40 m Länge und 9 m Breite, dazu mit bis zu 1 m dicken Mauern, hatte es nicht seinesgleichen im frühen Lübeck. Auf S. 24-75 wendet sich Lutz Wilde der Baugeschichte zu und kann umfangreiches, neu zutagegetretenes Material ausbreiten. Ist W. doch bisher der einzige, der sich schon vor den Restaurierungsarbeiten wissenschaftlich mit der Baugeschichte des Dominikanerklosters beschäftigt hatte, nachdem es zuletzt 1928 im Rahmen der „Bau- und Kunstdenkmäler der freien und Hansestadt Lübeck“ dargestellt worden war. Insbesondere zur Deutung der Wandmalereien trugen neue Funde bei. Die oberirdischen Klosterräume und die Keller werden einzeln kommentiert, aber auch auf die noch stehende Nordwand der Kirche, die 1893-96 in den Klosterkomplex eingebauten Gerichtsgebäude und die Untersuchungsgefängniszellen über dem Kreuzgang wird eingegangen. Hier wird der Bogen ins 20. Jh. geschlagen, als hier vier Lübecker Geistliche von der NS-Gerichtsbarkeit zum Tode verurteilt wurden (jedoch nicht in dem hier fälschlich als Schwurgerichtssaal bezeichneten Raum, dem eigentlichen Schöffengerichtssaal). Abgeschlossen wird der Band, der eine schöne Bestandsaufnahme der sich über fast 20 Jahre hinziehenden Restaurierungsarbeiten darstellt, von einem kurzen Beitrag über die Dominikaner von R . Nikolov (75-78). A.G.

Artur Völkl, Das Lösungsrecht von Lübeck und München. Ein Beitrag zur Geschichte der Fahrnisverfolgung (Wien 1991, Böhlau, 191 S.). - Nicht nur für den Rechtshistoriker ist die vorliegende Abhandlung interessant, auch für hansische bzw. lübeckische Geschichtsforscher, wird hier doch in akribi­ scher Weise dem Rechtsgrundsatz „Hand wahre Hand“ nachgegangen. Hat jemand eine Sache gegen Wiederkauf verkauft oder verpfändet und verkauft der Käufer oder Pfandnehmer dieselbe weiter, entspinnt sich bei Rückforderung (Lösung) durch den Verkäufer oder Verpfänder ein Rechtshandel, dessen Bei­ legung entweder den ursprünglichen Eigentümer der Sache oder den Erwerber des Pfandes oder Kaufgegenstandes leer ausgehen läßt. Bei der Überprüfung dieser Urteilspraxis entdeckt V., daß das bisher für das Lübische und das Münchner Stadtrecht behauptete sog. Lösungsrecht (des ersten Verkäufers bzw. Verpfänders) nicht vorhanden war. Er kann konstatieren, daß die Lübecker Ratsurteile eindeutig zum Nachteil des ursprünglichen Eigentümers gefällt wor- Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 213

den sind und erst der Rostocker Jurist David Mevius ein den Anspruch auf Wiederherausgabe fundierendes Recht des Eigentümers in seinem 1643 erschie­ nenen „Commcntarius in Jus Lubecense“ herausgestellt hat. Diese Sichtweise des Mevius erklärt sich - so V. - durch dessen Herkunft aus der Welt des Handels der Hanse- und Seestädte, in denen der Warencharakter aller Dinge im Vordergrund stand. Auch wenn der Käufer des gestohlenen oder geraubten Guts seine Redlichkeit, also seine Unkenntnis von der Vorgeschichte der Ware, d. h. ihres Kaufs oder ihrer Verpfändung, beweisen konnte, mußte er sein Geld und das erworbene Gut entbehren oder zumindest die Kosten ersetzen. Ähnlichkeit und Unterschiede in der Behandlung einschlägiger Rechtsfälle in Lübeck und München, wo übrigens ebenfalls fälschlich ein Lösungsrecht von Anfang an rekonstruiert worden ist, werden herausgearbeitet; z. B. galt in Lübeck anders als in München der Grundsatz, daß ein Pferd, das durch drei Hände gegangen sei, dem Besitzer auch dann verblieb, wenn es gestohlen worden war - Erklärung: in Lübeck handelte es sich um ein wichtiges Transportmittel, in München um bäuerliche Habe. Auch für über das Meer importierte Sachen gab es wohl in Lübeck, nicht aber in München Regelungen. Andererseits fehlte in Lübeck die Sonderstellung des Gastwirts und des jüdischen Pfandleihers, die in München die Lösung ihrer Pfänder verlangen konnten, auch wenn sie gestohlen worden waren. Hatte eine Ehefrau ohne Wissen ihres Mannes eine Ware verkauft, so entschied das Lübische Recht für den Verbleib beim Erwerber und nicht für die Rückgabe oder die Auszahlung an den Ehemann - ein Grundsatz, dem sich auch die spätere Münchner Rechtsprechung anschloß. Lübeck übernahm wiederum den Entscheidungsgrundsatz, daß ein an den Handwerker zur Bearbeitung übergebenes Werkstück zum Werklohn verpfändet, aber durch den Eigentümer wiedererlöst werden konnte, da er den Werklohn ohnehin zu zahlen hatte. Bei der Betrachtung der Lösungsrechtsentwicklung sowohl in Lübeck als auch in München, in der sich die Schutzwürdigkeit des Rechts des Erwerbers und auch der Grundsatz der Redlichkeit (Erwerb in gutem Glauben) allmählich herausbil­ dete, kommt V. zu der Erkenntnis, daß es sich hier um eine Entwicklung dieser beiden Stadtrechte aus eigener Kraft und nicht durch Einflüsse des römischen Rechts gehandelt habe. A.G.

Rolf Hammel, Die Lübecker Häusermarktkurve (1284-1700) und die wirtschaftliche Entwicklung in Schleswig-Holstein. Erste Ansätze zu einem Ver­ gleich (in: Wirtschaftliche Wechsellagen in Schleswig-Holstein vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. von Jürgen Brockstedt, Studien zur Wirtschafts­ und Sozialgeschichte, Bd. 20, Neumünster 1991, Karl Wachholtz Verlag, 37-55). - Aufgrund seiner umfangreichen Forschungen über den Lübecker Häusermarkt versucht H., seine dabei gewonnenen Erkenntnisse nicht nur mit dem lang­ fristigen Trend europäischer Wirtschaftsentwicklung seit dem Ende des hohen Mittelalters in Beziehung zu setzen, sondern hier nun auch die Verbindung speziell zu Schleswig-Holstein herzustellen. Seine aus der Beobachtung der jährlich wechselnden Anzahl von gekauften, verkauften und wegen Zahlungs­ unfähigkeit verlorenen Häuser und Grundstücke gewonnene Kurve wird in­ terpretiert und in ihren Zyklen, Schwingungslängen, Gipfeln und Abstürzen genau erklärt. Zugleich setzt sich H. in diesem sehr anregenden Aufsatz mit 214 Hansische Umschau den Bezügen Geldmenge und Bevölkerungsentwicklung auseinander. In dieser Hinsicht findet er in der ersten Hälfte des 15. Jhs. Unterschiede zwischen der ländlichen Situation in Schleswig-Holstein und der großstädtischen Handels­ und Gewerbesituation in Lübeck. Dagegen sind zu Anfang des 16. Jhs., wieder­ um Ähnlichkeiten zwischen den Städten Lübeck, Hamburg, Itzehoe, Krempe und Wilster im damals stattfindenden wirtschaftlichen Wiederaufschwung zu erkennen. Die Geldmenge wird das „entscheidende Kriterium (oder der ent­ scheidende Indikator) für den Konjunkturverlauf“ gewesen sein (54). Denn auch in den nach Einwohnerzahl, Wirtschaftskraft und Wirtschaftsstruktur höchst unterschiedlichen genannten fünf Städten hatte die Bevölkerung am Aufschwung der 1530er Jahre teil. Als Ergebnis ist also festzuhalten, daß die Entwicklung mit dem europäischen Trend übereinstimmte, aber auch in den Städten zwischen Nord- und Ostsee gleichläufig war, sowohl im langfristigen Trend als auch in kurz- und mittelfristigen Wechsellagen. A.G.

Michael Scheftel, Baukonjunktur in Lübeck im 16. und 17. Jahrhundert (in: Wirtschaftliche Wechsellagen in Schleswig-Holstein vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. von Jürgen Brockstedt, Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 20, Neumünster 1991, Karl Wachholtz Verlag, 65-82). - Anhand seiner Forschungsergebnisse über die sog. Wohngänge, Budenreihen für die ärmere Bevölkerung Lübecks im Blockinnern der Straßenzüge, stellt S. hier einleuchtend die methodischen Erkenntnismöglichkeiten der Befragung von gestalterischen und wirtschaftlichen Aspekten des Bauens vor. Während für das 14. und 15. Jh. keine Budenbebauung mehr vorhanden und man auf schriftliche Quellen oder die Interpretation des Lübcckischen Stadtgrundrisses angewiesen ist, befinden sich immerhin in 30 Gängen noch heute bauliche Zeugen aus dem 16. Jh. Bis gegen Ende des 17. Jhs. waren 180 Gänge entstanden. S. versucht nun, die Baukonjunktur an der Errichtung dieser Häuschen abzulesen, die von einem Anstieg um 1500 auf ein mittleres Niveau einen gewissen Höhepunkt 1550 und einen absoluten Höhepunkt 1580 erreicht und sodann stark abfällt. Während vorher eine starke Zunahme der Gangbewohner und eine Verarmung der Stadtbevölkerung im 15. Jh. den Auftakt zur Gangbebauung darstellt, schließt sich dann gegen Ende des 16. Jhs., als die Neubautätigkeit abflaut, auch eine Verbesserung der Wohnverhältnisse in den Buden an (Steinbau, ofenbeheizte Dornse). Übrigens investierten bis ca. 1550 Kaufleute im Ganghausbau, seitdem Handwerker. Wenn auch mit Vorsicht, so kann S. doch feststellen, daß die Bautätigkeit in den Gängen in etwa mit dem übrigen Baugeschehen in Lübeck konform geht, dies wiederum illustriert durch die von S. als Indikator für die wirtschaftliche Situation herangezogenen Sundzollisten. A.G.

Wolf gang Prange, Besitz und Einkünfte des Lübecker Domkapitels am Ende des Mittelalters (ZVLGA 72, 1992, 9-46), ermittelt für die seit 1160 von 13 auf 39 gestiegene Zahl der Präbenden die unterschiedlichen Bedingungen und Zahlungstermine für die Einkünfte aus zwanzig nahezu regelmäßigen Quellen: Aus der Summe von jährlich rund 7 100m erhielt der älteste residierende Integrat 385 m, der jüngste nicht residierende Semiintegrat nur 16 m. Die gemeinschaftlichen Einkünfte des Domkapitels waren regional breit gestreut, Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 215

nur 13 % kamen aus der Stadt Lübeck, die Lüneburger Sulzrenten nahmen mit 42 % die wichtigste Stelle ein. G. Meyer

Otto F.A. Meinardus, Die mittelalterliche Umwelt des Lübecker Schmerzensweges (ZVLGA 72, 1992, 265-276). - Wenn die Angaben von Melles aus dem Jahre 1787 zutreffen, daß Hinrich Constin 1468 den Lübecker Prozessionsweg gestiftet hat, könnte die Lübecker Nachbildung des Jerusalemer Schmerzensweges die älteste in Deutschland belegte Einrichtung dieser Art sein. G. Meyer

Dieter Lohmeier, Nachträge und Berichtigungen zum Verzeichnis der Drucke Bartholomäus Ghotans (ZVLGA 72, 1992, 47-65), ergänzt die Angaben in der bisher vorliegenden Werkliste des für Nordeuropa bedeutenden Druckers im 15. Jh. (s. ZVLGA 71, 1991, 55-79). G. Meyer

Petra Savvidis, Hermann Bonnus, Superintendent von Lübeck (1504- 1548). Sein kirchenpolitisch-organisatorisches Wirken und sein praktisch-theolo­ gisches Schrifttum (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck, hg. vom Archiv der Hansestadt, Reihe B, Bd. 20, Lübeck 1992, Schmidt- Römhild, 450 S.). - Bonnus stammte aus Quakenbrück, studierte von 1523 bis 1525 in Wittenberg, übernahm zwischen 1528 und 1531 die Erziehung des späteren Herzogs Hans d. A. von Schleswig, war von 1532-1548 Superintendent in Lübeck und führte nach Täuferunruhen die Reformation in Osnabrück von 1543-1548 zu einer geregelten Kirchenorganisation. - Die theologische Dissertation behandelt vor allem die Schriften des Nachfolgers Bugenhagens; es gelang ihm, in der schweren Zeit der Wullenweberunruhen die Reformation in Lübeck zu festigen und in praktische Formen umzusetzen. Die Schriften werden in der Arbeit umfassend dargestellt und kommentiert: Bibelauslegung und Predigten, die Farrago - ein Heiligenkompendium als Anleitung für die Prediger, die Heiligen im Rahmen der Kirchengeschichte zu werten -, Anleitungen zum Gebet, die Vorvatinge - ein umfassender niederdeutscher Katechismus - und Mitarbeit und Herausgabe eines niederdeutschen Gesangbuches. Als erster Rektor der neuen Lateinschule in Lübeck gab er noch im Gründungsjahr 1531 eine eigene Lateingrammatik (Elementa partium orationis) als Ersatz für den bisherigen unübersichtlichen Donatus heraus. In der Lübecker Chronik von 1539, die Reimar Kock und Regkman beeinflußte, geht er zwar auf die gesamte Lübecker Geschichte ein, betont aber die unmittelbaren Ereignisse seiner Zeit als Versagen politischer und kirchlicher Amtsträger gegenüber der Ordnung Gottes; die Beschäftigung mit der Geschichte soll das Rechtsbewußtsein stärken und ist daher ein wichtiger Teil der schulischen Unterweisung. G. Meyer

Adolf Clasen, Die Verse an den Sängerkanzeln von St. Petri und St. Agi- dien zu Lübeck (ZVLGA 72, 1992, 67-129), beweist in einer mustergültigen philologischen Stil- und Sprachanalyse, daß die lateinischen Distichen an den nachreformatorischen Sängerkanzeln (in der Petrikirche 1584 gebaut, 1816-18 abgebrochen, Text nur in Abschriften erhalten; in der Agidienkirche 1587 erbaut, im Original erhalten) auf zwei Verfasser zurückzuführen sind, wobei die jüngere Fassung zum Teil Programme und Texte der älteren übernimmt. Die kunstvoll 216 Hansische Umschau

gestalteten Verse zeigen neben ihrer Aussage (Christi Herrschaft, Gewißheit der Erlösung), daß evangelische Geistliche die humanistische Bildung der neuge­ gründeten Lateinschulen (in Lübeck seit 1531 im ehemaligen Katharinenkloster) in selbständige Werke umzusetzen verstanden. G. Meyer

Helge Bei der Wieden, Quäker um 1670 in Lübeck (ZVLGA 72, 1992, 277-282). Nach der Autobiographie des aus Lübeck stammenden Pietisten Johann Wilhelm Petersen (1649-1726) haben sich zwischen 1669 und 1673 Quäker - offenbar ohne Verkündungserfolge - in Lübeck aufgehalten. G. Meyer

Björn R. Kommer, Die Goldschmiedefamilie Schramm und ihre Bezie­ hungen zu den Goldschmieden Jürgen Schenk (1749-1763) und Hans Hinrich Herbst (1764-1798) (ZVLGA 72, 1992, 131-160), weist auf Möglichkeiten hin, die geänderten Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Lübecker Goldschmiede - überwiegend arbeiteten sie als „Silberarbeiter“ - im 18. Jh. zu erfassen. Auf­ traggeber waren weniger Kirchen und Zünfte, sondern mehr private Bürger mit dem steigenden Bedarf nach Tafelsilber. Mit den Biographien der fünf zwischen 1737-1783 nachgewiesenen Goldschmiede aus der Familie Schramm werden einige Beispiele ihrer Arbeiten vorgestellt. G. Meyer

Beieinandersein ist das täglich Brod der Liebe. Briefe C.A. Overbecks an seine Familie aus St. Petersburg 1804 und aus Paris 1807-1811, hg. von Fritz Luchmann (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck, hg. vom Archiv der Hansestadt, Reihe B, Bd. 21, Lübeck 1992, Schmidt-Römhild, 400 S.). - Christian Adolf Overbeck (1755-1821), nach Studium in Göttingen seit 1800 Mitglied des Lübecker Rates, mußte viermal für längere Zeit die familiäre und bürgerliche Gemeinschaft verlassen, um die gefährdeten stadtpolitischen Ziele zu vertreten: Unabhängigkeit, Neutralität und Handelsfreiheit Lübecks. Der Widerspruch zwischen Familie und städtischer Verpflichtung wird teilweise in einem geregelten, dichten Briefwechsel (etwa alle vier/fünf Tage) an seine Frau gelöst, deren Briefe leider nicht erhalten sind. In einer Mischung der Einflüsse aus Aufklärung, Empfindsamkeit, Klassizismus und Biedermeier beschreiben die sehr persönlich gehaltenen Mitteilungen nicht die großen politischen Ereignisse und Personen, sondern die Betrachtungen, Gedanken und Urteile eines gebildeten Privatmannes, der zwar die Bedeutung seines Auftrages und der Umgebung nicht vergißt, aber eigentlich den Kreis seiner Familie und der Freunde nicht aufgeben möchte, so daß in den Briefen zugleich Aufmerksamkeit und Distanz gegenüber seiner Umgebung - vor allem in Paris - deutlich werden. Während die Audienz beim Zaren zur Überreichung einer Dankadresse nach 1803 erfolgreich verläuft, gelingt es Overbeck in Paris nicht, die Selbständigkeit Lübecks zu retten. Die 302 Briefe sind eine Fundgrube für kulturgeschichtliche Zusammenhänge und Details der Reisemodalitäten (Kutschen, Wege, Übernachtungen, Entfernungen), der Aufenthaltsorte mit den jeweiligen Personenkreisen und ihren Aktivitäten und indirekt der familiären und gesellschaftlichen Probleme und Ereignisse in Lübeck. G. Meyer

Jens Uwe Brinkmann,»... der Wahrheit durch das Gewand der Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 217

Schönheit Herzen zu gewinnen Zu einigen Briefen von Johann Friedrich Overbeck an einen jungen Künstler (ZVLGA 72, 1992, 209-229), weist mit fünf Briefen Overbecks aus der Zeit zwischen 1859 und 1866 auf die Freundschaft zu dem jungen aus Göttingen stammenden Maler Heinrich Petri (1834-1872) hin. G. Meyer

Michael Hundt, Die Wiederherstellung der lübeckischen Eigenstaatlich­ keit in den Befreiungskriegen 1813 bis 1815 (ZVLGA 72, 1992, 161-198). Da Lübeck als Opfer der französischen Expansionspolitik erst 1811 seine Selbständigkeit verlor, während die anderen freien Reichsstädte bereits 1803 oder 1806 ihre Freiheit aufgeben mußten, gehörte es bei den Allianzverhandlungen gegen Napoleon 1813 nicht zum garantierten Besitz umliegender Mächte. In den Friedensverhandlungen zwischen 1813 und1815 legten die großen Mächte - Rußland, Schweden, Dänemark, Preußen undGroßbritannien - selbst großen Wert darauf, in den drei Hansestädten ihre Interessen am freien Handel zu wahren. Auf das Ergebnis der Eigenständigkeit haben die hansischen Vertreter nur indirekt durch Memoranden über die Bedeutung des Handels in ihren freien Hafenstädten einwirken können. G. Meyer

Gerhard Gerkens, Dreifarbige Schlange - Dreiköpfiges Ungeheuer. Zu einem Familienbild von Johann Baptist Hauttmann (ZVLGA 72, 1992, 199-208), interpretiert das Programm einer Familiendarstellung als patriotisches Erweckungsbild zur Erinnerung an die Lübecker Freiwilligen der Hanseatischen Legion im Jahre 1815: In allegorischer Form wird ein dreiköpfiges Ungeheuer, Frankreich, besiegt, während ein Putto, die Seestadt Lübeck, einen Dreizack als Siegeszeichen in die Höhe hebt. G. Meyer

Otto Wie h mann, Zur Einführung des Wahlrechts für Frauen in Lübeck (ZVLGA 72, 1992, 231-240). Am 9. Februar 1919 wurden zum ersten Mal mit den 80 Mitgliedern sieben Frauen in die Bürgerschaft gewählt. Eine Liste der Kurzbiographien der weiblichen Mitglieder der Bürgerschaft von 1919-1933 nennt zwanzig Frauen, nachdem am 2. und 9. Dezember 1918 wegen des neuen Reichswahlrechtes der Wahlmodus der Landesverfassung zum allgemeinen und gleichen Wahlrecht geändert werden mußte. G. Meyer

U te Haese, Die Lübecker Freie Presse (ZVLGA 72, 1992, 241-264). Die durch englische Lizenz am 21. März 1946 neugegründete „Lübecker Freie Presse“ sollte die Tradition der von 1894 bis 1933 bestehenden SPD-Zeitung „Lübecker Volksbote“ weiterführen. Die wirtschaftlichen Leiter und Chefre­ dakteure waren als Treuhänder der Partei nicht immer ausreichend qualifiziert und selbständig genug, die nach der Währungsreform 1948 abgesunkene Aufla­ genhöhe zu steigern; die enge Bindung an die Partei wirkte sich auch inhaltlich auf die redaktionelle Arbeit aus und verringerte das Anzeigengeschäft, so daß die Parteizeitung am 31. März 1969 zum letzten Mal erschien. G. Meyer

Albrecht Schreiber, Zwischen Davidstern und Doppeladler. Illustrierte Chronik der Juden in Moisling und Lübeck (Kleine Schriften zur Stadtgeschich­ te, hg. vom Archiv der Hansestadt Lübeck, Heft 8, 192 S., zahlreiche Abb.). - 218 Hansische Umschau

Erst seit der Mitte des 17. Jhs. sind Juden in Lübeck und vor allem in Moisling nachweisbar, bis 1849 bleibt ihnen der Zugang nach Lübeck nur in geringer Zahl und unter erschwerten Bedingungen offen. Danach erreichen sie die politische, ab 1852 auch die wirtschaftliche Gleichstellung. - Die kleine Schrift faßt in einer kurz kommentierten Zahlenreihung alle wichtigen Daten der Lübecker Juden von 1350 bis 1992 zusammen; zahlreiche Abbildungen, meistens Fotos, weisen auf Einrichtungen, Veranstaltungen und Personen hin, unter ihnen die Rabbiner der Familie Carlebach; Listen der Rabbiner, der jüdischen Mitglieder der Bürgerschaft und der politischen Gremien, eine Tabelle über die jüdische Bevölkerung, ein Glossar und Literaturverzeichnis zur jüdischen Geschichte geben einen guten und umfassenden Einstieg in die Geschichte der Juden in Lübeck. G. Meyer

In seiner Hamburger juristischen Dissertation über Hamburgisches Kauf­ mannsrecht im 17. und 18.Jahrhundert untersucht Andreas Ebert- Weidenfeller Die Rechtsprechung des Rates und des Reichskammergerichtes (Rechtshistorische Reihe, Bd. IOC, Frankfurt/M. 1992, Peter Lang Verlag, 330 S.). Das Kaufmannsrecht war im Stadtrecht nur teilweise ausgebildet, erhielt aber seine Ergänzung durch das im Reichskammergericht praktizierte römische Recht, das Lübecker Recht und die wissenschaftliche Interpretation partikularen Rechts. Es wurde auch bedacht, daß die Rechtsprechung dem Handel dienen sollte. Trotz gegenteiliger Privilegien gingen manche Verfahren in die Appellati­ on beim Reichskammergericht und wurden dadurch - nicht immer zum Vorteil der Handelspraxis - verzögert. Manche Verfahren verliefen im Sande, andere en­ deten durch Vergleich. Die Parteien beeinflußten zwar das Verfahren im Reichs­ kammergericht, doch das Hamburgische Recht erhielt durch die Appellation keine wesentliche Korrektur; die meisten Urteile wurden im großen und ganzen bestätigt. Das ergibt sich aus einer sorgfältigen Untersuchung des Prozeßrechts, des Streitgegenstandes und des Prozeßverlaufs zahlreicher Verfahren sowie einer umfangreichen zeitgenössischen und neueren Literatur. Vf. bringt den Wunsch zum Ausdruck, man möge auch die Tendenz in anderen Städten und Territorien untersuchen, um Vergleichsmöglichkeiten zu gewinnen. Die Anhänge enthalten die einschlägigen Verfahren vor dem Rcichskammergericht und dem Rat sowie die Aufgliederung der Fälle nach Rechtsgebieten und Verfahrensarten. H. Schw.

Das hamburgische Zeitungs- und Zeitschriftenwesen am Ende des 18. Jahrhun­ derts: Die Anfänge der Wirtschaftspresse untersucht Hans-Gert Engeleit (ZVHG 77, 1992, 103-133). Die Stadt war seit langem ein Zentrum des Pres­ sewesens. In der Aufklärungszeit spielten dann wirtschaftliche Fachzeitschrif­ ten eine große Rolle. Das ist in einer Handelsstadt wie Hamburg fast eine Selbstverständlichkeit. Die meisten von ihnen waren jedoch sehr kurzlebig. Es werden Übersichten über den Werdegang des Eigentümers, Herausgebers und Redakteurs von Zeitungen und Zeitschriften dargestellt. Durchweg handelt es sich um Akademiker verschiedener Fakultäten, einige sind Kaufleute (bes. bei kaufmännischen Zeitschriften). Die Verfasser der einzelnen Artikel werden selten genannt. H. Schw. Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 219

Gegenstand der gründlichen Untersuchung von Robert von Zahn über Musikpflege in Hamburg um 1800 ist Der Wandel des Konzertwesens und der Kirchenmusik zwischen dem Tode Carl Philipp Emanuel Bachs und dem Tode Christian Friedrich Gottlieh Schwenkes (Beiträge zur Geschichte Hamburgs, Bd. 41, 1991, 239 S.). Vieles hielt sich im Rahmen der allgemeinen Entwick­ lung; doch kamen die Konzertveranstalter auch dem Geschmack des lokalen Publikums entgegen, indem sie Komponisten bevorzugten, die in Hamburg beliebt waren. Oft schob man Deklamation und pantomimische Darstellungen ein. Vf. stellt aber auch die Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Entwicklung und von einer Anwesenheit gebildeter Fremder bzw. Einwanderer fest. Die Kirchenmusik wurde finanziell kurz gehalten und verlor ihre einst so große Bedeutung. Dem stand ein wachsender Zulauf bei geistlichen Liebhaberkonzer­ ten gegenüber. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen Programmgestaltung, Konzertorganisation, das Verhalten des Publikums, die wirtschaftliche Basis und gesellschaftliche Bedeutung des Musikwesens. Musiktechnische Probleme, auch die musikalische Qualität der Darbietung treten zurück. H. Schw.

Pferde für Europa. Pferdehändler Johann Ahshahs & Co., Steinburg 1830- 1840 nennt der Arbeitskreis für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig- Holsteins eine Quellenedition (Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins, Bd. 1, Kiel 1991, 326 S., 2 Abb.). Es handelt sich um eine sorgfältig eingeführte Edition der Briefbücher und Auszüge aus den Anschreibebüchern sowie um die Ordnung des Hamburger Pferdemarkts von 1837. Damit wird ein wichtiger Ausschnitt aus der schleswig-holsteinischen Agrar- und Handelsgeschichte geboten. Es wird der Blick auf die Familie Ahsbahs gerichtet, die sich mehr dem Handel mit Pferden als der Pferdezucht widmete und sowohl den zivilen als auch den militärischen Bereich belieferte. Der Aktionsradius erstreckte sich über ganz Europa. Zur Abwicklung der Geschäfte bediente sich die Firma Hamburger Banken. Johann Ahsbahs (1777- 1848) übernahm auch öffentliche Ämter. H. Schw.

Eine amtliche Hochglanzbroschüre bietet ein Bild von Hamburg in den Zeiten der Cholera (Hamburg 1992, Behörde für Arbeit und Soziales. Amt für Gesundheit und Veterinärwesen, 16 S., 16 Abb.). Die Cholera war, mehr noch als die Pest im Mittelalter, sicher eine Krankheit der Armen, die unter unzureichenden hygienischen Verhältnissen lebten. Diese werden in Wort und Bild geschildert, auch der Gegensatz zur Lebensform der Oberschicht deutlich gemacht: Gepflegt und in schmucker Amtstracht erscheinen ein Senator und Bürgermeister, die Armen aber sieht man in Gängen und im Massengrab, ihre Kinder auf dem Plumpsklo. Das Ausmaß der hygienischen Defekte war in Hamburg durch Fleete, schlechte Trinkwasserversorgung und enges Wohnen bestimmt. Doch diese von Behördenschlamperei begleiteten Zustände waren es nicht alleine, die die Entstehung und den Verlauf der Seuche bestimmten; denn sonst hätte es Jahr für Jahr Seuchen geben müssen. Es kamen 1892 verschiedene ungünstige Umstände zusammen. Unter den Literaturhinweisen finden sich nur Veröffentlichungen von 1983-1991; zeitgenössische Schriften, die manche wertvolle Informationen geben könnten, fehlen. H. Schw. 220 Hansische Umschau

Der Aufsatz von Angela Kulenkampff über Caspar Voght und Flottbeck ist Ein Beitrag zum Thema „Aufklärung und Empfindsamkeit“ (ZVHG 78, 1992, 67-101). Vf.in nutzt einen umfangreichen Briefwechsel. Obwohl das Thema schon mehrfach behandelt wurde, gibt es Varianten der Interpretation. Vor allem wird aufgezeigt, wie sich bei der Anlage des Gutes Angenehmes bzw. Schönes und Nützliches verbinden sollte, was durchaus im Einklang mit der „Aufklärung“ stand. Das Leben in Flottbeck wird in zwei „Epochen“ (1776-85 und 1786-96) dargestellt und dabei der „aufklärerische“ Geist in seinen verschiedenen, durch äußere Eindrücke beeinflußten Aspekten berücksichtigt, wobei die Geselligkeit eines gleichgesinnten Kreises eine Rolle spielte. Vieles wird vor allem personen- und familiengeschichtliches Interesse finden. H. Schw.

Hinter dem Titel des Werkes von Gisela Jaacks Gesichter und Persönlich­ keiten verbirgt sich ein Bestandskatalog der Porträtsammlung im Museum für Hamburgische Geschichte. Der Bd. 1 enthält Ölgemälde, Pastelle, Miniaturen, Aquarelle und Zeichnungen (Hamburg 1992, Museum für Hamburgische Ge­ schichte, 286 S., zahlreiche Abb.). Der 2. Band - wenn er denn noch erscheint - wird vermutlich die Druckgrafik enthalten; dabei dürfte es Vorkommen, daß sich dasselbe Porträt in zwei Bänden befindet. Im Bd. 1 ist jedes Porträt abgebildet, wobei man sich fragt, nach welchen Gesichtspunkten der Maßstab gewählt wurde: Bisweilen ist die Abb. einer Miniatur größer wiedergegeben als die eines großformatigen Ölgemäldes. Jedem Bild sind nicht nur eine Beschreibung sowie Angaben über Künstler, Herstellungsverfahren, Größe und Herkunft beigege­ ben, sondern auch - soweit möglich - eine Kurzbiographie des Dargestellten. Dem Katalog ist ein Kapitel über die Entwicklung der Porträts unter dem Titel „Die Hamburger im Bildnis“ mit farbigen Bildern vorangeschickt. (Die Abb. des Kataloges sind schwarz-weiß). Für eine Benutzung durch den Historiker ist zu bedenken, daß die Bilder nach Künstlern geordnet sind; der Dargestellte kann also an verschiedenen Stellen erscheinen. Die Erschließung wird aber durch ein Register der Dargestellten erleichtert. Es wurden nur die im Museum für Hamburgische Geschichte verwahrten Porträts aufgenommen, während die Bilder, die sich in anderen Museen oder in Privatbcsitz befinden und die für den Historiker schwer zu erfassen sind, ausgelassen wurden. Andererseits finden sich auch Porträts von Personen, die allenfalls Besuche in Hamburg machten wie Herzog Adolf Friedrich von Cambridge, Kaiser Wilhelm II. oder General Tettenborn. Das ist kein Mangel, den die Herausgeberin zu verantworten hat, sondern der in der Konzeption des Werkes begründet ist. H. Schw.

Der Arbeitskreis für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins erarbeitete unter dem Titel Berufe in Altona 1803 eine Berufssystematik für eine präindustrielle Stadtgesellschaft anhand der Volkszählung (Kl. Schriften des Arbeitskreises für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins, Bd. 1, Kiel 1991, Verlag des Arbeitskreises, 180 S.). Jede Berufssystematik hat ihre Schwierigkeiten. Es fragt sich, ob es eine Systematik geben kann, die auch für andere Städte gilt, ob also Vergleichbarkeit hergestellt werden kann, und ob eine Systematik, die auf einer bestimmten Volkszählung beruht, sich für die histori- Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 221

sehe Entwicklung eignet; auch die Datenverarbeitung verringert diese Probleme nicht. Die Entstehung des Programms wird ausführlich dargestellt, wobei sich ergibt, daß auch spätere Systematiken herangezogen werden. Spezielle Berufs­ angaben werden Untergruppen, diese einer von 57 Obergruppen zugeordnet, wobei im einzelnen umstritten sein mag, ob die Zuordnung zweckmäßig ist. Der Haupteinwand besteht darin, daß bei einigen Obergruppen die Hierarchie in der Einteilung eine erhebliche Rolle spielt, so bei der „Land- und Viehwirtschaft“, dem „Handel“, den „Banken/Versicherungen“, dem „Transport/Verkehr“, dem „Militär“ usw. Damit kommt ein Element ins Spiel, das sozialsystematischen Ursprung hat. In den meisten Fällen erfolgt aber die Einteilung nach den Be­ rufsmerkmalen wie dem Tätigkeitsfeld, dem verarbeiteten Material, dem Produkt usw., wobei die Hierarchie (bei Handwerkern etwa Meister, Gesellen, Lehrlinge, Ungelernte bzw. Knechte) nicht angegeben wird. Die Systematik hat einen deskriptiven Teil, in dem die Zuordnung zu Unter- und Obergruppen begründet wird, ein Nachschlagewerk mit der Zuordnung der einzelnen Berufe und einen alphabetischen Index der Berufe. Zahlen über die Mitglieder einzelner Berufe fehlen in der Systematik, die wahrscheinlich noch diskutiert werden müßte, um zu einer zweckmäßigen Fassung zu kommen, die die Systematik homogenisiert und sie zugleich als Gerüst einer Statistik für verschiedene Städte und Zeiten verwertbar, auch vergleichbar macht. Die vorliegende Arbeit bietet noch keinen Abschluß, sondern einen Beitrag zu weiterer Diskussion. H. Schw.

Jörn Helmut Arfs untersucht in einer materialreichen Arbeit Die Beziehungen der Hansestadt Hamburg zu den La Plata-Staaten 1815-1866 (Hamburger Beiträge zur Uberseegeschichte, Bd. 1, Münster-Hamburg 1991, Lit Verlag, 418 S., 35 Abb., 5 Tabb.). Er geht von viel diskutierten Sünden­ bocktheorien aus: der Abhängigkeit von den Wirtschaften Spaniens und Eng­ lands (Dependenztheorie) bzw. einer schlecht verwalteten volkswirtschaftlichen Selbständigkeit. Dabei muß man bedenken, daß die soziale Schichtung für selbständige wirtschaftliche Entscheidungen, wie sie in Nordamerika möglich waren, hinderlich war. Die Frage ist nur, wieweit das für die Beziehungen Hamburgs zu Argentinien und Uruguay eine Rolle spielte. Für die Kaufleute dieser Stadt war ja ein gewisses Maß an volkswirtschaftlicher Selbständigkeit Voraussetzung. Sie spielten durch persönliche Kontakte als Vermittler der Han­ delsströme zwischen Alter und Neuer Welt eine Rolle, ohne dabei politischen oder gar militärischen Druck ausüben zu können. Gerade diese Beziehungen zeigen doch, daß die Abhängigkeit, wie sie die Dependenztheorie vertritt, nicht total gewesen sein kann. Beim Verkehr mit den lateinamerikanischen Behörden wirkten die ungeordneten Verhältnisse freilich hemmend; hinzu kam die permanente wirtschaftliche Schwäche Argentiniens und Uruguays. Dabei war die Frage der staatlichen Anerkennung problematisch, wurde aber von den Hamburger Kaufleuten geschickt umgangen. - Im Mittelpunkt stehen zunächst Handelsverträge und die konsularischen Beziehungen, dann der Handel mit seiner wirtschaftlichen Bedeutung und den Kaufleuten sowie die Auswanderung. Die Arbeit beruht auf Akten in Hamburg, Argentinien und Uruguay, wobei die Archivierung in Lateinamerika unzulänglich ist, sowie Reiseberichten, privaten Korrespondenzen und Zeitschriften. H. Schw. 222 Hansische Umschau

Eine nicht mit Sicherheit zu klärende Frage, die die lokalen Historiker seit dem 16.Jh. beschäftigt hat, griff Horst Banse erneut auf, indem er sich unter dem Motto Phabiranon und Fabaeria; auf der Suche nach antiken Stätten im Watt begab (Bremjb. 71, 1992, 15-42). Die Schwierigkeit einer Deutung des antiken Ortsnamen Phabiranon hängt damit zusammen, daß man den Längen- und Breitenangaben des Ptolemäus nicht trauen kann. Dieser lebte in Alexandria und war nie an der Nordsee. So hat es Deutungen von Phabiranon als Bremen, Wremen in Wursten, Freiburg an der Elbe und Pinneberg gegeben. Die vom Vf. gebotene Karte (Abb. 1) bietet für eine Beweisführung nichts, da sie die heutige Küstenlinie und nicht die für die Zeit des Ptolemäus vermutete wiedergibt (vgl. S. 24 f.); es bestehen nur Rekonstruktionsversuche für das frühe Mittelalter. Alle bisherigen Überlegungen arbeiteten mit Vermutungen, deren Endergebnis unsicher blieb. Vf. bringt nun noch die von Plinus d.J. genannte Insel Fabaeria bzw. Burcana sowie die Insel Burcharis bei Strabo ins Spiel. Er glaubt an eine Übereinstimmung mit Phabiranon bei Ptolemäus. Vor allem komplizierte philologische Überlegungen haben dann das Ergebnis, daß Burcana eine Inselfestung auf Fabaeria in der Inselgruppe der Fabaerien war. Aus weiteren Überlegungen, bes. den Ptolemäus-Koordinaten, gewinnt Vf. Anhaltspunkte für eine Lokalisierung im Wattenmeer vor dem Elbe-Weser- Dreieck, wo es einst Inseln gegeben haben mag. Wenn man auch manchen Kombinationen des Vfs. folgen mag, so liegen den Schlüssen doch so viele Vermutungen zugrunde, daß man das Ergebnis nicht als erwiesen ansehen muß. Man darf es für möglich oder gar wahrscheinlich halten, man kann es aber auch bezweifeln. H. Schtv.

Der Bremer Landesarchäologe i.R. Karl Heinz Brandt äußert sich Zur archäologischen Mittelalterforschung in Bremen (Bremjb. 71, 1992, 191-222). B. begann seine Tätigkeit 1954, erzielte aber nicht die Ergebnisse, die er sich erhofft hatte. Das mag z. T. damit Zusammenhängen, daß die Flächenzerstörun­ gen im Kern des frühmittelalterlichen Bremen um den Dom verhältnismäßig gering waren; aber es gab genügend anderes Ausgrabungsgelände, das für die Stadtentwicklung des Hoch- und Spätmittelalters wertvolle archäologische Ergebnisse erwarten ließ. Nach den Erfahrungen des Rez. war das dürftige Ergebnis weitgehend personell bedingt: Das öffentliche Interesse und daher die finanzielle Ausstattung blieben immer gering. B., der ja Prähistoriker war, mußte sich in seine neue Aufgabe zunächst einarbeiten, doch schon 1957 wurde die Stadtkernforschung einem Kunsthistoriker übertragen, der seiner Aufgabe nicht gewachsen, insbes. mit den archäologischen Methoden nicht vertraut war. Das alles geschah in einer Phase des Wiederaufbaus der Stadt, die viele Chancen bot (B. nennt vor allem das Stcphaniviertel und die Beseitigung der Ruine von St. Ansgarii). Seit 1962 wurde der Kunsthistoriker durch die Bergung und Auswertung des Koggefundes abgelenkt, und nun konnte der Landesarchäologe „nebenbei“ einige Beobachtungen machen, die stadtgeschichtlich von Bedeutung waren: Am Marktplatz wurden in der Baugrube des Bürgerschaftsgebäudes die Reste eines frühmittelalterlichen Hauses gefunden und 1970 wurde an der Südseite des Marktes eine Schiffslände ergraben, deren Alter und Umfang jedoch bis heute unklar blieben; vor allem blieb offen, wann und für welche Schiffe die Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 223

ßalge Hafenfunktionen hatte. Seit 1972 war der Landesarchäologe dann mit Ausgrabungen im Dom beschäftigt, über die mehrere wichtige Veröffentlichun­ gen erschienen sind. Inzwischen hatten sich die Grabungsmöglichkeiten in der Stadt auf punktuelle und zufällige Gelegenheiten (Schiffsfunde an der Tiefer, der Wachtstraße, Schlachte und auf dem Gelände von „Beck’s Bier“) reduziert. Sicher ist, daß die Bremer Stadtkernforschung im Unterschied zu Hamburg von Anfang an nicht den notwendigen Impuls hatte. H. Schw.

Einen in letzter Zeit mehrfach bearbeiteten Themenkomplex berührt Günther Peters in seiner sorgfältigen Untersuchung über Die Bremer Beginen im Mittelalter; Entstehung und Struktur einer städtischen Frauenge­ meinschaft (Ndsjb. 64, 1992, 131-180). In der allgemeinen Literatur werden Beginen und Begarden oft in die Nähe der Häresie gerückt; davon spricht auch Vf. Es fragt sich, ob Bremer Beginen auch „häretisch“ waren. Doch die bisherigen Lokalhistoriker und auch Vf. suchten danach vergebens. Für die Anfangszeit zeigen die lückenhaften Quellen das übliche Bild: Es gibt Urkunden über Schenkungen und Grundstücksverwaltung der Beginen. Deutlich wird auch die Anbindung des Beginenhauses bei St. Katharinen an das Dominikanerkloster. Als die Quellen seit dem 15. Jh. reichlicher fließen, bietet sich das Bild einer Versorgungsanstalt, deren Insassen sich in einen religiösen Rahmen einfügten. Sic gehörten zum Teil der bürgerlichen Oberschicht an. Vf. trägt die lückenhaf­ ten Quellen und die Aussagen der allgemeinen umfangreichen Beginenliteratur zusammen. Es ist aber die Frage, ob Analogieschlüsse gestattet sind, wo die Bremer Unterlagen versagen. In ihnen ist über das geistige Leben der Beginen nichts überliefert; wir erfahren nicht einmal, ob und welche religiöse Literatur sie lasen. Es besteht freilich die vom Vf. angedeutete Möglichkeit, daß es vor den Inquisitionserlassen des 14. und 15.Jhs. „Häresie“ gab, daß diese dann aber durch obrigkeitlichen Druck weitgehend erlosch. So aber wird für die Bremer Beginenhäuser das berichtet, was in den Quellen steht: die Gründung, die wirtschaftliche Basis und die Regelung des Lebens, das wohl nicht immer in Eintracht verlief. Zwei Anhänge bieten Angaben über die soziale Herkunft der Bremer Beginen (beider Häuser?) sowie über die Spender und Vermächtnisse aus dem „Calendarium“ der Beginen bei St. Nicolai. Für etwa 500 Jahre sind die Namen von etwa 60 Beginen genannt, das ist ein Bruchteil der tatsächlichen Insassen. Nähere Angaben ließen sich nur bei Beginen machen, die aus der Ober­ und Mittelschicht stammten. Es kann also weder von statistisch auswertbarem Material noch von dem prosopographisch belegten Persönlichkeitsbild einzelner Beginen die Rede sein. H. Schw.

Anzuzeigen ist die Arbeit von Albert Schnelle über Bremen und die Entstehung des Allgemeinen Deutschen Eiandelsgesetzbuches (1856-1864) (Veröffentlichungen a. d. Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 57, 1992, Bremen, Selbstverlag des Staatsarchivs, 239 S., 2 Abb.). Die Untersuchun­ gen werden von den bayerischen Vorschlägen seit 1822, den Bemühungen in Frankfurt 1848/49, der bayerischen Initiative 1856 über die Nürnberger Konferenz 1856-61 bis zum Beschluß der Bundesversammlung 1861 geführt. Der Schwerpunkt der Arbeit bezieht sich auf die Einstellung Bremens zur 224 Hansische Umschau

komplexen Problematik. Vf. weist nach, daß die offizielle Politik Bremens im Gegensatz zu einigen Bremer Wirtschaftsliberalen nicht das ganze Gesetzbuch ablehnte, daß jedoch die bremischen Vertreter auf der Nürnberger Konferenz in einigen Einzelfragen besondere Vorstellungen vertraten, so beim System der Handelsgeschäfte, sowie beim Makler- und Aktienrecht. Bremen konnte sich nicht gegen die neuen Entwicklungen in der Organisation des Handels stellen. Es setzte aber das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch erst 1864 nach manchen Diskussionen in Senat, Deputationen und Bürgerschaft in Kraft. Die materialreiche Arbeit beruht auf einer sorgfältigen Auswertung bremischer Quellen und der einschlägigen Literatur. H. Schw.

Der Aufsatz von Hartmut Berghoff und Roland Möller über Wirtschaftsbürger in Bremen und Bristol 1870-1914 soll Ein Beitrag zur kompa­ rativen Unternehmensforschung sein (in: Bürger in der Gesellschaft der Neuzeit; Wirtschaft-Politik-Kultur, hg. von Hans-Jürgen Puhle, Göttingen 1992, Vandenhoeck & Ruprecht, 156-177). Hier kann im wesentlichen nur beurteilt werden, was die Methode und die Zustände in Bremen betrifft. Zu Beginn wer­ den allzu pauschale Vorstellungen erwähnt, nach denen die „bürgerliche Klasse“ in Deutschland „feudalisicrt und militarisiert“ worden sein soll; andererseits wird behauptet, sie habe die bürgerliche Lebensform stärker bewahrt als in Eng­ land. Vff. arbeiten statistisch, doch reicht ihr (gedrucktes!) Material nicht aus, um zu sicheren Urteilen zu kommen; insbesondere ermitteln sie statische Ergebnisse, wogegen sich zwischen 1870 und 1914 eine Veränderung vollzogen hat: Seit etwa 1885 entwickelte sich in Bremen die Großindustrie, und seit etwa 1900 ist sie mit dem Handel gleichberechtigt. Zudem fragt sich, ob auch solche Unternehmer einbezogen wurden, die zwar in Bremen residierten, aber außerhalb der Stadt ihre Betriebe hatten. Die Sozialschichtung wird im wesentlichen nach Berufs­ merkmalen gegeben und ist für Bremen nicht allgemein brauchbar, da die Zuord­ nung des einzelnen Bürgers nur nach sorgfältiger prosopographischer Analyse möglich ist. Dazu gehören neben dem Beruf das Vermögen und Einkommen, die Übernahme öffentlicher Ämter, Bildung, Wohnung, Familienbindung (Eltern), Lebensform usw. Berufe alleine ergeben eben keine Schichtung; daher sind die Zuordnungen der Vff. unsicher. Sie versuchen dann das Verhalten innerhalb der kaufmännischen und industriellen Kreise darzustellen. Daß von ihnen bei Heiraten auch die Akademiker einbezogen wurden, war bekannt. Die Teilnahme an der Kommunalpolitik wurde durch das Achtklassenwahlrecht beeinflußt. Zwar waren die Kaufleute in der Bürgerschaft in der Minderzahl, aber im ganzen waren Wirtschaftskreise durch persönliche und familiäre Bindungen viel stärker vertreten als es den Anschein hat. Dasselbe gilt für den Senat, in dem zwar die Kaufleute in der Minderheit waren, aber auch aus dem Kreis der Juristen wirtschaftlicher Einfluß kam. Man kann auch beobachten, daß die Kaufleute nicht ihre erste Garnitur in Bürgerschaft und Senat schickten. Vff. weisen mit Recht darauf hin, daß auch über die Handelskammer kaufmännischer Einfluß in die Politik kam. Nobilitierungen waren in Bremen nicht üblich (Ludwig Knoop, der russischer Baron wurde, war eine Ausnahme). Aber die Lebensform einiger großer Kaufleute, Industrieller und Bankiers unterschied sich in Bremen wenig von der reicher Adliger in England. Sie hatten ein Stadthaus und ein Landhaus, Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 225 betrieben aber im allgemeinen keine Landwirtschaft. Im ganzen stellen Vff. keine großen Unterschiede zur Lebensform englischer Unternehmer fest. H. Schw.

MECKLENBURG/POMMERN. Der zweite Band der „Wismarer Studien zur Archäologie und Geschichte“, hg. von Klaus-Dieter Hoppe (Wismar 1992, 95 S.) umfaßt elf reich bebilderte Beiträge, in erster Linie detaillierte Beschreibungen von Funden aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, die vom romanischen Leuchter bis zu Keramik aus Kirchen- und Klostergra­ bungen reichen. Heiko Schäfer und Cathrin Patzelt beschreiben spätmittelalterliche Schuhleisten- und Petschaftenfunde aus Rostock (48-65), Klaus-Dieter Hoppe stellt die in Mecklenburg-Vorpommern gefunde­ nen, von Hans Berman 1562 signierten Kacheln zusammen. Weitere Beiträge behandeln neuzeitliche Funde aus Wismar - Tonpfeifen, Stralsunder, Stettiner und Stolper Fayencen -, die auch immer auf Handelsverbindungen hindeuten. Alfred Falk untersucht generell den Stand und die Aufgaben der Stadt­ archäologie und Sachkulturforschung (31-47). Die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen, was sich in der zunehmenden Anstellung von Archäologen und zahlreichen Veröffentlichungen zeigt. F. analysiert engagiert Möglichkeiten und Grenzen dieses Forschungszweiges, die dort angewandten Methoden und Konzepte sowie seine Bedeutung für die historische Forschung. O. Pelc

Seit 1984 erscheinen die „Wismarer Beiträge“ als Schriftenreihe des Archivs der Hansestadt Wismar. Sie enthalten jeweils 8-10 reich bebilderte Aufsätze, Berichte und Quellendokumentationcn vor allem zur Geschichte, aber auch zur Kunst- und Baugeschichte sowie Volkskunde der Stadt. Heft 7 (1991, 88 S.) umfaßt u. a. Beiträge zum Bemühen Wismars um Unabhängigkeit von den meck­ lenburgischen Landesherren im 13. und 14. Jh. (F. Huschner), zur Geschichte seiner Befestigungsanlagen im 17. und 18. Jh. (M. Schubert), zur Geschichte des ,Schabbellhauses‘ aus dem 16. Jh., dem heutigen Stadtgeschichtlichen Museum (K.-D. Hoppe), zum Schicksal der Wismarer Segelschiffe ,Calsow-Stesow‘ und ,Louise Lübcke“ in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. (R. Däbritz) und zu der zwischen 1847 und 1856 bestehenden Mecklenburgischen Dampfschiffahrtsge­ sellschaft zu Wismar (S. Berndt). - Aus Heft 8 (1992, 88 S.) sollen die Beiträge über die Geschichte der Wismarer Wasserkünste seit dem 16. Jh. (S. Berndt), die Entwicklung der Bürgervertretungen vom 13. Jh. bis zum Abschluß des Bürgervertrages im Jahr 1600 (F. Huschner), das wichtige Amt der Türmer, vor allem im 17. Jh. (B. Busse), das Stadtbuch von 1680 und die im 19. Jh. angelegten Häuserbücher, die wichtiges Material zur Besitz- und Bebauungsgeschichte der Grundstücke liefern (Ch. Kindler), den Schoner ,Auguste - Großherzogin von Mecklenburg“ (R. Däbritz), ein Bericht von 1866 über die Organisation und Wirksamkeit der Wismarer Schiffergesellschaft sowie die Biographie des Kapitäns, Großkaufmanns und Industriellen Heinrich Podeus (1832-1905, W. Karge) hervorgehoben werden. O. Pelc

Manfred Schukowski, Die Astronomische Öhr in St. Marien zu Ro­ stock, unter Mitarbeit von Wolfgang Erdmann und Kristina Hegner 226 Hansische Umschau

(Königstein/Taunus 1992, Langewiesche, 49 S., zahlreiche Abb.). - Im südli­ chen Ostseeraum gibt es noch sechs mittelalterliche astronomische Uhren, die Rostocker ist die älteste und die einzige, deren ursprüngliches Werk noch funktioniert. Sch. liefert nicht nur eine detaillierte Beschreibung der Uhr, er geht auch ausführlich auf ihre Herstellung - sie wurde in Lübeck gebaut -, auf die damit verknüpfte Baugeschichte der Marienkirche sowie vergleichbare Uhren ein. Die Rostocker Uhr kann nunmehr auf das Jahr 1379 datiert werden, 1472 erfolgte ein Umbau. Die kenntnisreiche Untersuchung gibt einen Einblick in die Tätigkeit der Uhrmacher in verschiedenen Ostseestädten im 14. und 15. Jh., aber auch die Technik- und Mentalitätsgeschichte sowie den Wandel im Zeitbewußtsein im späten Mittelalter. O. Pelc

Nathan Chytraeus 1543-1598. Ein Humanist in Rostock und Bremen. Quellen und Studien, hg. von Thomas Eismann, Hanno Lietz und Sabine Pettke (Bremen 1991, Edition Temmen, 136 S., 14 Abb.). - Der Profes­ sor für Poesie, Pädagoge und Schriftsteller Nathan Chytraeus stand lange im Schatten seines berühmteren Bruders David, des Theologen und Historikers. Der Sammelband vereinigt anläßlich einer Ausstellung in Bremen, Rostock und Bretten elf Beiträge zum Leben, Wirken und historischen Umfeld Chytraeus’. Er stammte aus einer Pfarrersfamilie im Kraichgau, ging in Straßburg zur Schule und studierte seit 1555 an der Universität Rostock, wo sein Biuder lehrte. Er wurde dort 1562 promoviert, begab sich nach seiner Ernennung zum Professor der lateinischen Sprache 1564 auf eine zweijährige Bildungsreise durch Europa und wirkte dann noch bis 1593 - seit 1567 als Professor für Poesie - in Rostock. Nach einem kurzen Einblick in die Geschichte Rostocks in der zweiten Hälfte des 16.Jhs. durch Gerhard Heitz widmet sich Karl-Heinz Jügelt in seinem Beitrag Nathan Chytraeus, der Begründer der Universitätsbiblio­ thek Rostock (13-26) den Bemühungen Chytraeus’, für die Bibliothek der Philosophischen Fakultät einen damals wie heute wertvollen Grundstock an Büchern zu beschaffen. Helge Bei der Wieden untersucht eingehend eine ,Nebentätigkeit“ des Gelehrten, Nathan Chytraeus und die Gründung der Großen Stadtschule zu Rostock (27-40), die für das desolate Schulwesen der Stadt im 16. Jh. von einschneidender Bedeutung war und das vielseitige pädagogische Engagement Chytraeus’ zeigt. Dies wird wohl auch der Grund für seine Berufung 1593 zum Rektor der Gelehrtenschule in Bremen gewesen sein, als seine Annäherung an die calvinistische Lehre in Rostock nicht mehr geduldet wurde. Ernst Kock betrachtet Den Weg von Nathan Chytraeus von Rostock nach Bremen auf dem Hintergrund der kirchlichen und theologischen Bewegungen der Zeit (53-59). Thomas Eismann widmet sich intensiv den wenigen Jahren Chytraeus’ an seinem neuen Wirkungsort: Reformierte Stadt und humanistische Schule: Nathan Chytraeus in Bremen (1593-1598) (71-93). Etwas aus dem Rahmen fällt Christian Marzahns Betrachtung Brema et Scientia. Wissenschaftstraditionen und -Versäumnisse in Bremen (94-103) im Laufe der letzten 500 Jahre. Die biographischen Beiträge über Chytraeus werden ergänzt durch den Wiederabdruck eines Berichts von Zacharias Grapius über die Religionsstreitigkeiten in Rostock in der zweiten Hälfte des 16. Jhs., handschriftliche Zeugnisse von der Berufung und Entlassung Chytraeus’ in Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 227

Rostock (zusammengestcllt von Sabine Pettke), eine kurze Darstellung der mecklenburgischen und pommerschen Drucker von frühen Chytraeus- Ausgaben (Christine Petrick) sowie einer Bibliographie der Werke von Chvtraeus bis 1600 von Astrid Händel und Hanno Lietz. O. Pelc

Die von Elisabeth Schnitzler vorgelegten Studien zur Archiv- und Bildungsgeschichte der Hansestadt Rostock (Beiträge und Quellen zur Stadt­ geschichte Niederdeutschlands, Bd. 2, Warendorf 1992, Fahlbusch Verlag, 174 S.) sind in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich: Sie umfassen drei thematisch vollkommen verschiedene Untersuchungen, wurden z.T. schon 1939 bzw. 1932 verfaßt und gelangten unter abenteuerlichen Umständen kurz vor der Wende des Jahres 1989 in die Hände des Verlages. Vf.in wurde 1938 mit einer Untersu­ chung über Rostock im Spätmittelalter promoviert, arbeitete darauf bis 1948 im Rostocker Stadtarchiv und dann bis 1963 im Universitätsarchiv, bevor sie aus politischen Gründen entlassen wurde. Im ersten Teil gibt sie einen Überblick über Die Archive der Stadt Rostock (1-34), und zwar nach dem Stand vor der Auslagerung und den Verlusten im Zweiten Weltkrieg. Sie berichtet kurz über die Geschichte des Stadtarchivs und gibt eine Standortübersicht des Archiv­ magazins von 1939. Ausführlicher beschreibt sie das Archiv der Universität Rostock, sein Schicksal seit dem 15. Jh. und die in ihm enthaltenen Archive des Rektors und Konzils, des Kurators, der Dekane der einzelnen Fakultäten, der Prüfungskommissionen sowie der Kleinodien und Bilder. Schließlich behandelt sie das Archiv der Kirchenökonomie, das durch die Einziehung von Kirchen- und Klostervermögen im 16. Jh. entstand. Im zweiten und umfangreichsten Teil befaßt sie sich eingehend mit Handgeschriebenen Buchfragmenten des 14. und 15. Jahrhunderts im Rostocker Stadtarchiv (35-140), die sich als Akteneinbände des 16. und 17. Jhs. wiederfanden. Sie erstellt einen Katalog der 55 Fragment­ gruppen, unter denen die liturgischen Texte vorherrschen, und geht der Frage nach, warum diese Bücher zerstört wurden, woher sie stammten und ob sie sich von späteren Druckwerken unterscheiden. Bei dem letzten Teil handelt es sich um die erweiterte Fassung eines 1948 gehaltenen und 1952 gedruckten Vortrages über Die Universität Rostock im Jahre 1848 (141-166), in dem die unterschiedlichen politischen Positionen der Studenten, besonders aber der Professoren untersucht werden. Obwohl und auch weil die drei Beiträge einen z.T. bereits historischen Erkenntnisstand vermitteln und auch sehr persönliche Schilderungen enthalten, sind sie für die Geschichte der Rostocker Archive, Literatur und Universität interessant, informativ und wichtig. O. Pelc

Adolf Friedrich Lorenz, Die alte bürgerliche Baukunst in Rostock (Rostock 1991, Konrad Reich Verlag, 120 S., 200 Abb.). - L. veröffentlichte dieses Buch 1914, da nach seiner Meinung „der immer anwachsende Verkehr, die gesteigerte Baulust, die zerstörende Zeit und nicht zuletzt der Unverstand man­ cher Besitzer“ immer mehr historische Bauten vernichteten. Einer baugeschicht­ lichen Einleitung folgen Außen-, Innen- und Detailansichten von Rostocker Gebäuden als historische oder zeitgenössische Fotos, aber auch Radierungen und Stiche, jeweils mit einer kurzen Erläuterung versehen. Die Neuauflage von 1991 macht deutlich, daß L.s Ansicht aktuell blieb, da aus denselben Gründen 228 Hansische Umschau

wie damals - nicht nur in Rostock - historische Bausubstanz zerstört wurde und wird. Die zahlreichen Abbildungen vor allem der bürgerlichen Wohnhäuser vermitteln einen plastischen Eindruck vom früheren Rostocker Stadtbild, sie werden durch Erläuterungen Hans-Otto Möllers zum Schicksal der Gebäude nach 1914 ergänzt. O. Pelc

Erstmals 1919 und dann in erweiterter Auflage 1925 erschien die Geschichte des Hafenortes Warnemünde von Friedrich Barnewitz. Georg Moll hat sie nun mit einer kurzen historischen Fortführung von der Weimarer Repu­ blik bis 1992 neu herausgegeben (Rostock 1992, Konrad Reich Verlag, 312 S., zahlreiche Abb.). Dem umfangreichen historischen Teil von der Slawenzeit bis in die 1920er Jahre, in dem naturgemäß die engen Beziehungen zu Rostock eine wichtige Rolle spielen, folgen Kapitel zum Stadtbild, der Verwaltung, einzelnen Erwerbszweigen wie Lotsendienst, Schiffahrt und Fischerei, den Sitten und Bräuchen sowie dem Badeleben. Der Herausgeber hat das Literaturverzeichnis um einige neuere Untersuchungen ergänzt und im Text Erläuterungen sowie Kürzungen vorgenommen; auf die ursprünglichen Fußnoten mit den Quellenbe­ legen wurde allerdings ganz verzichtet. Wenn auch der Forschungsstand und der Sprachstil den 1920er Jahren entsprechen, so gebührt dem Konrad Reich Verlag dennoch das Verdienst - solange es keine moderne Geschichte Warnemündes gibt - diese Geschichte eines der wichtigen mecklenburgischen Hafen-, Fähr­ und Badeorte in einer ansprechenden äußeren Gestaltung wieder zugänglich gemacht zu haben. O. Pelc

Jürgen Scharnweber, Elbehafen Dömitz. Zur Geschichte der Binnen­ schiffahrt zwischen Elbe und Eide (Schwerin 1990, Thora Verlag, 23 S.). Die reich bebilderte Broschüre verdeutlicht, daß Dömitz nicht nur Festungsstadt und Elbübergang war, sondern auch eine Bedeutung als Hafenort hatte, die allerdings im 19. und 20. Jh. starken Schwankungen unterworfen war. Es werden die Entwicklung des Hafenbetriebs vom 19. Jh. bis in die Gegenwart, der Schleusen-, Kanal- und Brückenbau, die Organisation der Schiffer, der Elbzoll, der Warenverkehr und die Auswirkungen der innerdeutschen Grenze auf die Schiffahrt behandelt. O. Pelc

Pommern. Geschichte - Kultur - Wissenschaft. 2. Kolloquium zur Pom- merschen Geschichte 13. und 14. September 1991, hg. v. Hans-Jürgen Zobel, Horst Wernicke und Haidrun Pergande. Red. Jürgen Schröder (Greifswald 1991, Buchhandlung Weiland, 146 S.). - Von den elf Beiträgen des Sammelbandes, die verschiedene Themen der pommerschen Politik-, Kunst-, Kirchen-, Wirtschafts-, Sozial- und Wissenschaftsgeschichte vom 13. bis 20. Jh. behandeln, sollen hier die zwei Beiträge mit Hansebezügen erwähnt werden. Heidelore Böcker hebt Pommernsvergessene „ Tore zur Welt“ (7-22) hervor. Sie meint damit die kleineren Städte im Oder- und Peeneraum sowie im Fürstentum Rügen, z. B. Gartz, Pasewalk, Anklam, Wolgast und Barth, deren Bedeutung als Handelsplätze im 13. bis 15. Jh. sie gegenüber den Fernhandelsstädten Stralsund, Greifswald und Stettin mehr betont wissen möchte. Zu Recht fordert sie intensivere Forschungen zur Handelsgeschichte Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 229 dieser kleineren Städte und bringt Beispiele für deren Warenverkehr, Fernhan­ delsbeziehungen sowie Verhältnis zur nächstgelegenen großen Stadt. - Ralf- Gunnar Werlich befaßt sich mit der noch wenig erforschten Biographie eines pommerschen Herzogs: Bogislaw IX. von Pommern-Stolp - ein Pommer in den dynastischen Plänen der nordischen Reiche in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts (37-58). Der kinderlose Erich von Pommern, Unionskönig der drei nordischen Reiche, wollte seinen Vetter Bogislaw zu seinem Nachfolger ma­ chen, und schloß deshalb u. a. auch mit den Hansestädten 1423 Bündnisverträge ab. Diese Pläne scheiterten jedoch am Sturz Erichs. O. Pelc

Jürgen Petersohn beschreibt - auf umfangreichen eigenen Forschungen fußend - knapp und präzise Gründung, Vorgeschichte und Frühzeit des pom­ merschen Bistums (BaltStud. N.F. 78, 1992, 7-16), unter Berücksichtigung der Rolle der einheimischen Herzöge und der Einflüsse von Dänemark, Polen und der Reichskirche (Magdeburg). H. W.

Die Judenverfolgung in Pommern im Jahre 1492 hat nach Karl-Otto Konow (BaltStud. N.F. 78, 1992, 17-27) Thomas Kantzow in seiner Chronik von Pommern im Zusammenhang mit der wegen angeblicher Hostienschändung Hingerichteten Juden in der mecklenburgischen Stadt Sternberg erwähnt; diese Nachricht hat in die spätere Literatur Eingang gefunden. K. kann nachweisen, daß in diesen Jahren tatsächlich in Pommern eine Judenverfolgung stattgefunden hat; aber die Gründe waren hier andere, offenbar großer Wucher, und die Beteiligung des Herzogs Bogislaw X. oder seiner Regierung an der Vertreibung ist unsicher. K. stellt die pommerschen Städte zusammen, in denen überhaupt in dieser Zeit nachweisbar Juden gelebt haben: Damm, Pyritz, Gartz, Pasewalk, Stargard, Kolberg, wohl auch Stralsund, aber nicht Stettin. H. W.

Johannes Schildhauer zeigt, wie sich Hansestädtischer Alltag durch Untersuchungen auf der Grundlage der Stralsunder Bürgertestamente vom An­ fang des 14. bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts erfassen läßt (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte Bd. 28, Weimar 1992, Hermann Böhlaus Nachf., 143 S., 7 Abb.). Es gibt bereits eine Fülle von Untersuchungen zu Einzelaspekten des Alltags in Städten des Mittelalters, wobei die Lebensform der bürgerlichen Oberschicht ebenso berücksichtigt wurde wie die der Armen. Auch wurden die Testamente als wichtige Quelle durchaus nicht übersehen. Vieles in ihnen ist formelhaft und läßt sich nur bedingt auf die Realität des Alltags bezie­ hen; bei sorgfältiger Interpretation kann man jedoch manches erschließen, was den persönlichen Lebensbereich des Erblassers beleuchtet, wenn auch nicht voll erfaßt. Die Zahl der in Stralsund überlieferten Testamente ist verhältnismäßig groß: Es sind 1 200 (davon nur 134 Frauentestamente) für die Zeit von 1316 bis 1600; auf das Jahr fallen also im Durchschnitt nur 4,3 Testamente. Die höchste Zahl von 56 Testamenten ist für das Pestjahr 1350 überliefert. Unter den Erblassern gab es auch einzelne Auswärtige und Geistliche. Vf. beschreibt zunächst die Testamentsformalitäten. Anlaß für die Abfassung waren Alter, Krankheit, Gefahren (etwa Seuchen), größere Reisen usw. Fromme Formeln und Vermächtnisse sowie Gedanken über die Vergänglichkeit des Lebens, die sich 230 Hansische Umschau

fast in jedem Testament finden, lassen wohl eher Schlüsse auf den Zeitgeist als auf die tatsächliche Frömmigkeit des Erblassers zu. Vf. beschreibt im einzelnen, was ad pias causas vermacht wurde (die Dotationen an Kirchen nahmen nach der Reformation ab, die an Armeninstitute zu). Auch die Stadt (etwa deren Straßen- und Mauerbau) wurde eher pflichtgemäß bedacht. Bei den Testatoren stellt sich in jedem Einzelfall die Frage nach der gesellschaftlichen Zuordnung. Nur der machte sein Testament, der Vermögen besaß; im übrigen nennen die Texte nur selten die Berufe der Testatoren, oft läßt sich jedoch der Beruf erschließen. Art und Höhe des Vermögens gestatten Aussagen über die gesellschaftliche Stellung. Die unteren Schichten (Arme und Dienstpersonal) treten vor allem als Empfänger von Legaten in Erscheinung, die Testatoren aber sind zum größten Teil den mittleren und höheren Schichten zuzuordnen. Die Testamente gestatten Einblicke in die Familien- und Vermögensverhältnisse, wozu auch die Ausstattung von Häusern und Produktionsstätten sowie der Besitz von Schmuck, Waffen usw. gehörten. Dabei ist die Aussagekraft der Testamente frei­ lich sehr unterschiedlich. Sie lassen keine gesicherten statistischen Schlüsse auf die Gesamtsituation einzelner Schichten der Einwohner zu. Auch orientieren die Texte nicht über die Einkünfte und Ausgaben im Haushalt der Erblasser; anders ausgedrückt: Arbeit und Bedürfnisse, die ja wesentliche Teile des Alltagslebens sind, treten nicht in Erscheinung. Bemerkenswert sind dagegen in manchen Testamenten Aussagen über Handelsbeziehungen und Geldgeschäfte. - Es wäre nützlich gewesen, wenn angesichts der Detailfülle in einem zuammenfassenden Kapitel ein Bild vom „Alltag“ geboten worden wäre; dabei hätten dann andere Stralsunder Quellen (etwa Chroniken, sowie Akten über Gerichtsfälle und Armenversorgung) herangezogen werden können; auch wären - unter Nutzung der einschlägigen Literatur - Vergleiche mit anderen Städten und mit ländlichen Regionen möglich gewesen. Vielleicht hätte das aber den Rahmen gesprengt. Die fleißige Arbeit Schildhauers stellt auf jeden Fall einen wichtigen und zu­ verlässigen Baustein für eine Kultur- und Alltagsgeschichte der Hansestädte dar. - Ein Schlußabschnitt enthält testamentarische Verfügungen einiger führender Stralsunder Persönlichkeiten. Die Abbildungen von Testamenten vermitteln nur einen Eindruck von ihrem Aussehen; wegen ihrer Verkleinerung sind sie nicht zu lesen. H. Schw.

Die Medicinisch-chirurgisch-pharmaceutische Privatgesellschaft in Stralsund 1773 bis 1940 war (nach der Berliner) die zweite medizinische Lesegesellschaft in Deutschland. Wulf Lübken t hat zu ihrer Geschichte sehr viel Material zusammengetragen (BaltStud. N.F. 77, 1991, 84-114, 9 Abb.). H. W.

Der Förderverein des Marinemuseums Dänholm in Stralsund gibt seit 1992 eine kleine Schriftenreihe heraus, in deren Heft 2 von Horst Auerbach Der Schoner „Stralsund“ und die Anfänge der preußischen Marine betrachtet werden (Stralsund 1992, 27 S., 9 Abb.). Neben dem unspektakulären Schicksal des Schoners - 1816 gebaut und bereits 1829 wieder abgewrackt - werden auch die fünf weiteren preußischen See- und Flußmarineschiffe der Jahre 1816-1840, die vorwiegend Wachaufgaben wahrnehmen sollten, behandelt. O. Pelc Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 231

Wichtige, grundlegende Untersuchungen zur Besiedlungsgeschichte der Greifs­ walder Vorstädte und Ortsteile hat Rudolf Biederstcdt vorgelegt (Balt. Stud. N.F. 77, 1991, 54-83, 6 Abb., 8 Tabellen). Er schildert die unterschiedliche, von Bodenbeschaffenheit, Verkehrsverhältnissen und anderen Faktoren abhängi­ ge wirtschaftliche und soziale Entwicklung der vier Vorstädte vor den Toren Greifswalds in der städtischen Feldmark des 13. Jhs., vor allem seit dem 17. Jh., von dem an die Quellen reichlich fließen, bis in das frühe 20. Jh. in komparativer Weise. Die Industrialisierung findet starke Berücksichtigung. Die bedeutendste Vorstadt war die Mühlenvorstadt im Osten an der Straße nach Eldena und Wolgast, wo auch ein Wasserweg zur Verfügung stand. Am wenigsten entwickelt war die Steinbeckervorstadt - trotz der dortigen alten Saline. In besonderen Abschnitten behandelt B. die Entwicklung der Ortsteile, die 1939 bzw. nach 1945 nach Greifswald eingemeindet worden sind. H. W.

Hans Georg Thümmel hat Greifswalder Inschriften veröffentlicht (BaltStud. N.F. 76, 1990, 116-133), vor allem solche des 15. Jhs., die in der Nikolaikirche bei der Renovierung freigelegt worden sind, daneben auch einige aus der Marienkirche und je eine aus der Aula der Universität und dem Rathaus. H. W.

Franz Scherer hat viel Material Zur Geschichte der Greifswalder Dampf­ schiffahrt von den Anfängen bis 1918 zusammengetragen (BaltStud. N.F. 78, 1992, 66-81, 11 Abb.). Die Greifswalder Dampfschiffahrt setzte 1861/62 mit Linienfahrten auf dem Ryck von Greifswald zu den Bädern in Wieck und Eldena ein. Es folgten Seeverbindungen nach Stettin und nach Rügen, für die es aber Konkurrenz gab und die daher keinen kontinuierlichen Aufschwung verzeich- neten. Nach dem Bau des Saßnitzer Hafens 1889/96 brachte der Liniendienst direkt von der Eisenbahn in Greifswald zur Ostküste von Rügen Gewinn. H. W.

Karl-Otto Konow hat mit seinem Beitrag Die spätmittelalterlichen Mehrfachpfennige der Stadt Stettin den Versuch einer Bestimmung der Präge­ zeiten angestellt (BaltStud. N.F. 76, 1990, 7-20). Die Prüfung der schriftlichen Überlieferung und der Funde hat ergeben, daß die Prägung von Mehrfachpfen­ nigen in Stettin am Ende des 14. Jhs. einsetzte: vor 1397 sogenannte Witten des Typs 1, 1397-1408 Witten des Typs 2 B, 1408- nach 1434 Vier-Finkenaugen- Pfennige (sogenannte Witten des Typs 2 C) und Großpfennige (sogenannte Witten des Typs 2 A), nach 1434- vor 1447 „Vierchen“ und vor 1460 sogenannte Witten des Typs 3 und Großpfennige „MONETA-NOVA-Münzen“). K. bietet im Anhang eine Aufstellung der entsprechenden Münzfunde. H. W.

BRANDENBURG/THÜRINGEN/SACHSEN. Das Werk Historisches Ortslexikon für Brandenburg ist mit dem umfangreichen Teil X: Jüterbog- Luckenwalde, bearbeitet von Peter P. Rohrlach, abgeschlossen wor­ den (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam, Bd. 26, Weimar 1992, Böhlaus Nachf., XXIV, 634 S., 1 Faltkarte; vgl. zuletzt HGbll. 108, 1990, 181). Die Bearbeitung dieses Bandes war besonders schwierig, 232 Hansische Umschau

da der 1816 entstandene Kreis Jüterbog-Luckenwalde (hier nach dem Stand von 1900) sich aus ehemals kurbrandenburgischen, kursächsischen und erzstiftisch magdeburgischen Gebieten zusammensetzte, die teilweise erst 1815 zu Preußen gekommen waren, weshalb neben dem Potsdamer auch die großen Archive in Dresden, Weimar, Magdeburg und Merseburg sowie zahlreiche kleinere Archive und Bibliotheken benutzt werden mußten. Die voneinander abweichende Struk­ tur der einzelnen Territorien, zu denen die Gebietsteile früher gehörten, und die unterschiedliche Quellenüberlieferung haben eine einheitliche Bearbeitung aller Orte erschwert. Das Bearbeitungsschema der übrigen Bände ist dennoch einge­ halten und durchgeführt. Unter den zahlreichen Orten des Bearbeitungsgebietes sind vier Städte, die im Mittelalter zunächst alle magdeburgisch waren: Jüterbog, Luckenwalde, Dahme und Baruth - nur die letztgenannte wurde schon 1326 sächsisch. Hinzu kommt das Kloster Zinna, das erst im 18. Jh. eine Stadt erhielt. Für die Städte sind in umfangreichen Artikeln von bis zu 25 Seiten ausführliche Daten zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte ausgebreitet. Ein umfangreiches Verzeichnis der archivalischen Quellen sowie der gedruckten Quellen und der Literatur am Schluß des Bandes ersetzt Einzelnachweise. Die Faltkarte mit den Orten weist auch die vor allem im südwestlichen Teil des Kreisgebietes aufgetretenen Ortswüstungen aus, die auch in einer Liste zusammengestellt sind. Friedrich Beck, der Herausgeber der Veröffentlichungsreihe und langjähri­ ge Direktor des Landeshauptarchivs Potsdam, kann bei seiner Pensionierung zufrieden auf das vollendete Werk blicken. Der Gesamtregisterband soll bald folgen. H. W.

OST- UND WESTPREUSSEN. V.l. K u 1 a k o v bereichert unser Wissen über die skandinavisch-preußische Siedlungs- und Begräbnisstätte beim Dorfe Wiskiauten im Samland (Kaup. In: Stanovlenie evropejskogo sredneve- kovogo goroda, Moskau 1989, Nauka, 80-104). Die Siedlung wurde beim längst bekannten Gräberfeld erst 1979 entdeckt. Vf. trägt hier zu ihrer Chronologie und Charakterisierung bei, indem er die datierbaren Begräbniskomplexe in Katalogform und tabellarisch erfaßt und aus diesem Material entsprechende Schlußfolgerungen zieht. Danach fungierte Kaup seit dem Beginn des 9. Jhs. als Gefolgschafts-, Flandwcrks- und Handelszentrum. Eine Erweiterung der Sied­ lung in der Mitte des 9. Jhs. verbindet Vf. mit der Stabilisierung des Wolgaweges, auf dem der samländische Bernstein in den Osten gelangte. In der ersten Hälfte des 10. Jhs. erlebte Kaup, das sich nun als Wik präsentierte, seine Blütezeit; in den Frauengräbern dieser Epoche finden sich in großer Zahl kunstvolle Silberarbeiten und Dirhems. Ein Feldzug Knuts des Großen von Dänemark führte 1016 zur Zerstörung von Kaup. N. A.

Janusz Tandecki hat den Weinbau im mittelalterlichen Preußen unter­ sucht (Beiträge zur Geschichte Westpreußens 12, 1991, 83-99). Er stellt fest, daß Weinanbau in Preußen (entgegen früherer Meinung) schon vor Ankunft des Deutschen Ordens nach der Christianisierung erschließbar ist, räumt aber ein, daß er durch den Orden einen großen Aufschwung erhielt, in der Regie des Deutschen Ordens vor allem in der zweiten Hälfte des 14. Jhs. seinen Höhe­ punkt erreichte; der Weinbau der Stadtbürger war noch bis in die zweite Hälfte Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 233

des 15. Jhs. von Bedeutung. Dann verfiel er allmählich, Klimaveränderungen, Kriege und die Konkurrenz ausländischer Weine werden als Ursache genannt. Qualitativ war der preußische Wein bestimmt nie hochstehend. H. VF

Die von Henryk Baranowski und Ireneusz Czarcinski bear­ beitete und von Marian Biskup herausgegebene Bibliographie der Schlacht bei Grunwald [Tannenberg] und ihrer Tradition (Bibliografia bitwy pod Grun- waldem i jej tradycji. Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk, Torun 1990, 152 S.) umfaßt 1 167 Titel in verschiedenen Sprachen, wobei die polnischen angesichts der Bedeutung dieses Ereignisses in der polnischen Geschichte und im Geschichtsbewußtsein der Polen natürlich bei weitem überwiegen. Der Wert der Bibliographie liegt nicht nur in der genauen Erfassung der einschlägigen Titel, sondern auch in der benutzerfreundlichen Gliederung des Materials: sie unterscheidet (neben den Bibliographien sowie archäologischen und an­ thropologischen Untersuchungen) Arbeiten zur Geschichte (geteilt in Quel­ len/Quellenkunde, wissenschaftliche Literatur, populärwissenschaftliche Arbei­ ten und Publizistik) und zur Tradition der Schlacht von Tannenberg in der Belletristik, Kunst und Musik, in Filmen und Festen. H. W.

Maksymilian Grzegorz hat Das Zinsbuch der Komturei Mezve von 1444 mit einem Kommentar veröffentlicht (Beiträge zur Geschichte West­ preußens 12, 1991, 101-116, Quellentext 108-115). Das in den Beständen des historischen Staatsarchivs Königsberg im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz befindliche Zinsbuch ist für die Kenntnis des Siedlungs-, Finanz- und Wirtschaftswesens in dieser ältesten Komturei des Deutschen Ordens in Pommerellen wichtig. Im Großen Zinsbuch des Deutschen Ordens von 1414— 1438 ist bereits ein Zinsbuch von Mewe von 1437 enthalten, das inhaltlich in verschiedener Weise vom hier abgedruckten abwcicht. Eingangs geht G. auf das Kanzleiwesen des Deutschen Ordens ein. H. VF.

Joachim Zdrenka, Der Koggesche Aufruhr und der Danziger Rat 1456- 1457 (Beiträge zur Geschichte Westpreußens 12, 1991, 169-182), untersucht die verfassungs- und verwaltungsmäßigen Folgen des Aufruhrs einer Gruppe um den Danziger Kaufmann Martin Kogge: lediglich die Abschaffung des Unterschiedes zwischen dem sitzenden und dem gemeinen Rat soll darauf zurückzuführen sein. Die alte Zusammensetzung des Rates wurde nach Nie­ derschlagung des Aufruhrs wiederhergestellt (gemäß dem hansischen Rezeß von 1418). Die Behauptung, der Koggesche Aufruhr habe zum Ziel gehabt, die Stadt Danzig dem Deutschen Orden auszuliefern (es war ja die Zeit des Dreizehnjähri­ gen Krieges!), lehnt Z. mit Edmund Cieslak ab; die Beendigung des Krieges und die Lösung der Probleme der Stadt seien vielmehr angestrebt worden. Die Sympathisanten des Deutschen Ordens sucht er dagegen unter den namentlich festgestellten Ratsherren, die 1457 der Stadt kein Geld zur Weiterführung des Krieges geliehen haben; das waren knapp 30 % des damaligen Rates. H. VF.

Die Referate einer Veranstaltung zur 750-Jahrfeier der Stadt Elbing sind, teil­ weise erweitert, zusammen mit zwei weiteren Beiträgen zu dieser Thematik von Bernhart Jähnig und Hans-Jürgen Schuch unter dem Titel Elbing 234 Hansische Umschau

1237-1987. Beiträge zum Elbing-Kolloquium im November 1987 in Berlin her­ ausgebracht worden (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens, Nr. 25, Münster/Westf. 1991, Nicolaus-Copernicus-Verlag, 299 S., zahlreiche Abb.). Die 14 Beiträge verteilen sich gleichmäßig über die Jahrhunderte, oh­ ne thematisch eine Gesamtgeschichte Elbings zu ergeben. Hans-Jürgen Schuch bietet eingangs einen groben Überblick der Stadtgeschichte, ohne Belege und ohne den Anspruch, Neues zu bringen; aber manche konstruierte Zusammenhänge fordern zu einem Fragezeichen heraus: 750 Jabre Elbinger Stadtgeschickte. Von der Gründung der Stadt Elbing 1237 bis zur Zerstörung 1945 und danach (9-30). Bernhart Jähnig äußert sich Zur Vor- und Frühgeschichte von Elbing (31-50), d.h. einerseits zur Geographie des Raumes und ihren Veränderungen, in diesem Zusammenhang auch zum ursprünglichen Drausensee und zu dem an ihm gelegenen , andererseits zur Frühzeit der Stadt Elbing, den Anfängen der Siedlung und ihrer topographischen Entwick­ lung im 13. Jh. Hier kann sich J. auch auf polnische Forschungen der letzten Jahrzehnte berufen. Mit den drei Kirchenbauten St. Nikolai, St. Marien und Heilig-Geist sind Eckpunkte der Altstadt schon in der ersten Bauphase 1237— 1250 abgedeckt. Aus der anschließenden Phase bis zum Brand von 1288 sind Teile von Holzbalkenstraßen ergraben, die beweisen, daß das Straßennetz dieser Zeit von dem späteren teilweise abwich. Nach dem Brand von 1288 beginnt die dritte Aufbauphase Elbings. - Der Beitrag von Astrid Kaim-Bartels: Die Stadt Elbing und ihre Dörfer vom 13. Jahrhundert bis zum Zweiten Thorner Frieden 1466 (51-62) beruht auf ihrer Magisterarbeit über die Städte Kulm und Elbing und ihre Dörfer im Mittelalter (vgl. HGbll. 108, 1990, 188 f.), hier auf Elbing konzentriert. Die völlige Herrschaft über ihre Dörfer erlangte die Stadt (ebenso eine Erweiterung ihres Territoriums) durch ein Privileg des Königs von Polen 1457. Diese Periode behandelt (auf älteren eigenen Arbeiten fußend) Hans W. Hoppe: Der Stadtstaat Elbing 1454/57-1772/73 (63-74), er schildert das politische Schicksal Elbings zu dieser Zeit, die Höhen und Tiefen brachte. Eingehend unterrichtet Ernst Manfred Wermter über Die Reichsacht gegen Danzig und Elbing (1497-1515). Städtische Handelspolitik im Spiel der Großmächte (75-107). Er zeigt die Verflechtung der großen Politik - Herrschaftsansprüche in Böhmen und Ungarn, Türkengefahr, Stellung des Deutschen Ordens, Kontakte des Reiches zu Moskau - mit Handelsinteressen, insbesondere Danzigs und Elbings sowie der Fugger (oberungarisches Kupfer!). Kaiser und Reich zählten die großen preußischen Städte zum Reich, womit sie deren Unterstellung unter die Krone Polen 1454/1466 nicht anerkannten; sie verhängten 1497, nachdem die Städte eine Ladung vor das Reichskammer­ gericht abgelehnt hatten, zumal sie nie echte Reichsstädte gewesen waren, die Reichsacht. W. schildert die politischen und wirtschaftlichen Verwicklungen bis zu den Verträgen von Preßburg und Wien zwischen den Habsburgern und den Jagiellonen (1515), durch die sich Lösungen ergaben. - Michael G. Müller analysiert Quellen und Literatur zur Frage Elbing und die Zweite Reformation (109-127). Er kann in Elbing eine Gleichzeitigkeit von (gemäßigter) calvinistischer Bewegung in der städtischen Elite und gesellschaftlich-politischen Bestrebungen feststellen, wie dies aus manchen anderen Städten bekannt ist, aber doch nicht den inneren Zusammenhang nachweisen, zumal die Rückkehr zum Hansestädte und niederdeutsche Landschaften 235

Luthertum seit den 1620er Jahren keine wesentlichen Änderungen in der Stadt­ politik ergab. - Michael North erläutert Elbings Außen- und Binnenhandel im 16. und 17. Jahrhundert (129-144): dieser erlebte auf Grund der Auseinan­ dersetzung Danzigs mit dem polnischen König im ausgehenden 16. Jh. einen starken Aufschwung, auch begründet durch die folgende Niederlassung der englischen Eastland Company, durch die der Tuchimport über Elbing eine Blüte erreichte. Auf Dauer konnte aber die Stadt die Funktion eines Einfuhr- und Ausfuhrzentrums nicht behalten, weil sie gegenüber Danzig von der Ostsee weit entfernt war und durch den Pillauer Zoll hohe Transportkosten verursachte. - Peter Letkemann stellt Das „ Garten-Buch “ der St. Georgen-Brüderschaft zu Elbing von 1637-1703 vor, womit Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Elbings im 17. Jahrhundert geboten wird (145-164). Die Quellen über diese in das 14. Jh. zurückreichende Brüderschaft sind meist verschollen; um so größeres Gewicht besitzt das 1986 vom Geheimen Staatsarchiv Berlin erworbene Protokollbuch. - Stefan Hartmanns Nachrichten zur Geschichte Elbings und seines Land­ gebiets im 18. Jahrhundert (165-199) stellen den Wiederabdruck eines Beitrags aus der ZfO 37 (1988) dar (vgl. HGbll. 107, 1989, 171). - Hans-Jürgen Schuch berichtet über 150 Jahre Schichau-Werke. Aus der Geschichte des größten nordostdeutschen Industrieunternehmens (1837-1987) (201-214), dabei auch von Neugründungen in Norddeutschland nach dem Verlust der Betriebe in Elbing, Danzig und Königsberg 1945. Adelheid Simsch behandelt Elbings wirtschaftliche Entwicklung vom 18. bis 20. Jahrhundert im Blick auf Berlin (215-228), Felix Rendschmidt Paul Fechter - Bruno Doehring - Fritz Horn. Drei Elbinger Schulkameraden in Berlin (229-242), W o 1 f g a n g Neugebauer beleuchtet die verfassungsrechtlich-gesellschaftliche Entwick­ lung: Altstädtische Ordnung - Städteordnung - Landesopposition. Elbings Ent­ wicklung in die Moderne im 18. und 19.Jahrhundert (243-279). Winfried Bl iss beschreibt Zwei Karten von Elbing aus der Zeit um 1800 unter Wie­ dergabe aller in ihnen enthaltenen Namen und sonstigen Angaben (281-294, 2 Faltkarten). - Es sei noch angemerkt, daß jeder Beitrag des inhaltsreichen Bandes eine Zusammenfassung in polnischer und englischer Sprache enthält. H. W.

Aus Anlaß der 700-Jahrfeier der Stadt Graudenz sind die ersten vier Beiträge von Nr. 12 der „Beiträge zur Geschichte Westpreußens“ (hg. von Bernhart Jähnig und Peter Letkemann, Münster/Westf. 1991) Themen aus der Geschichte dieser Stadt gewidmet. Bernhart Jähnig stellt Die Graudenzer Handfeste vom 18. Juni 1291 vor (7-20), die nur in einer deutschen Übersetzung des 15. Jhs. überliefert ist, er ordnet die Stadtgründung in die landespolitische Entwicklung ein und geht auf den Urkundeninhalt ein. Graudenz lag am Nord­ rand des Kulmerlandes, es hatte bereits in der Vorordenszeit eine Befestigung, seit den 1260er Jahren sind dort Deutschordenskomture nachweisbar. Mit dem Gründungsjahr 1291 gehört Graudenz nicht zu den ältesten Städten der Gegend, es war auch eine ziemlich kleine Stadt, die nur durch den nahen Weichselüber­ gang eine gewisse Bedeutung besaß. - Elisabeth Schwarze-Neuss behandelt Die Besitzergreifung Preußens in der westpreußischen Stadt Graudenz (21-36), den Zustand bei dem Anfall an Preußen und die Folgen der ersten Maßnahmen der neuen Herrschaft, teils unter Auswertung in Merseburg lagern- 236 Hansische Umschau

der Archivalicn. - Unveröffentlichte Quellen hat auch Stefan Hart mann für seine ausführliche Untersuchung Zur Geschichte des Graudenzer Lehrerse­ minars in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verwendet (37-64). Ernst Bahr bietet Material Zu den Wahlen zur Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 in Graudenz (65-83). H. W.

Die Untersuchung von Jan-Erik Beuttel Zur Stellung der Stadt Konitz gegenüber dem Deutschen Orden in der Zeit des Preußischen Bundes sowie des Dreizehnjährigen Krieges (1454-1466) (Beiträge zur Geschichte Westpreußens 12, 1991, 117-168) bildet den Hauptteil einer an der Universität Marburg unter Roderich Schmidt entstandenen Magisterarbeit. Unter Auswertung vor allem der Archivalien des Ordensbriefarchivs (heute im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin) stellt B. die Beziehungen der Stadt Konitz in Pommerellcn zum Deutschen Orden als Landesherrn von der Gründung des „Preußischen Bundes“ (1440) bis Ende des Dreizehnjährigen Krieges zwischen dieser ständischen Vereinigung und dem König von Polen einerseits und dem Deutschen Orden andererseits (1466) dar. Konitz, das an der Südwestecke des Deutschordensstaates strategische und verkehrspolitische Bedeutung besaß, schloß sich bald dem Preußischen Bund an. Es gab in der Stadt aber auch eine ordensfreundliche Partei, die 1446 das faktische Ausscheiden von Konitz aus dem Preußischen Bund erreichte. Unabhängig von den Parteiungen in der Stadt, hielt der Orden mit seiner Besatzung Konitz bis zum Schluß des Krieges fest in seiner Hand. B. lehnt die in der Literatur meist vertretene Meinung ab, das Verbleiben von Konitz beim Orden sei ein Beweis für Ergebenheit und Treue der Stadt gegenüber der Landesherrschaft; sie konnte sich dieser gar nicht entziehen. B. verfolgt anhand der überlieferten Quellen genau die Veränderungen in den Beziehungen zwischen Konitz und dem Orden. H. W.

WESTEUROPA

(Bearbeitet von Petrus H.J. van der Laan)

NIEDERLANDE. Maandrekening van Zwolle 1442, hg. von F . C . Berkenvelder, unter Mitwirkung von W.A. Huijsmans (Uitgaven van het Gemeentearchief van Zwolle, Bd. 19, 1992, 228 S.). Es handelt sich um die Fortsetzung der jährlichen Edition der Reihe der „Maandrekeningen“ der Stadt Zwolle, die seit 1399, mit einigen Lücken, überliefert sind; ab 1441 ist die Reihe vollständig erhalten (vgl. HGbll. 110, 1992, 154). In der Rechnung von 1442 findet sich die Eintragung, daß bezüglich der Erhebung der Akzise auf Hamburger, Stader und anderes Bier, das aus dem Osten nach Zwolle kommt, gelten soll, daß die Akzise auf fünf Fässer Wismarer Bier so hoch sein soll wie die auf vier Fässer Hamburger Bier. Wer Hamburger oder anderes fremdes Bier ausschenkt, muß durch Eid versichern, daß er das Bier nicht verfälscht oder mit anderen Getränken vermischt hat. v.d.L.

Michael North, Kunst und Kommerz im Goldenen Zeitalter. Zur So- Westeuropa 237 zialgeschichte der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts (Köln 1992, Böhlau, 180 S.). - Auf knappem Raum bietet Vf. einen klaren Überblick über die niederländische Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte und über die kunstgeschichtliche Situation der niederländischen Malerei im 17. Jh., wobei die wechselseitigen Beziehungen zwischen diesen Bereichen deutlich im Mit­ telpunkt der Arbeit stehen. Innerhalb des von ihm geschilderten Rahmens, der in Europa einzigartig war, beschreibt er die Rekrutierung und soziale Stellung der Kunstmaler; dabei kommen Themen wie die Herkunft, die Ausbildung, die soziale Stellung und dergleichen zur Sprache. Des weiteren informiert Vf. über die Auftraggeber und den Kunstmarkt, über Sammlungen und Sammler. Hierbei wird auch die einschlägige neuere Literatur diskutiert. Ein deutliches Charakteristikum der niederländischen Wirtschaft und Gesellschaft im Golde­ nen Zeitalter war die durch den Markt bestimmte Kommerzialisierung, was auch für die Kunstproduktion und den Kunstimport galt. Der Besitz von Kunst, vor allem von gemalten Bildern, war auch in der Mittelschicht der Bevölkerung sehr verbreitet, was mit dem wirtschaftlichen Wachstum und den steigenden Einkommen erklärt werden kann. Investitionen in Kunst kamen im übrigen nur selten vor. Die zunehmende Nachfrage nach Kunst führte zu einer Ver­ schiebung der thematischen Gegenstände der Malerei. Durch die Säkularisierung der Gesellschaft ergab sich eine steigende Nachfrage nach Landschaftsbildern, Genregemälden und Stilleben, während religiöse, moralisierende und belehrende Motive in den Hintergrund traten. v.d.L.

Die in der schwedischen und niederländischen Geschichtsschreibung verbrei­ tete Auffassung, daß der Holländer Louis de Geer im 17. Jh. als der Gründungs­ vater der schwedischen Industrie angesehen werden kann, wird von D . G . N i j m a n , Louis de Geer (1587-1652), vader van de Zweedse industriel (TG 104, 1991, 213-232), zur Diskussion gestellt. N. legt dar, daß De Geer nicht der Begründer war, wohl aber den ersten Großbetrieb in Schweden baute. Höch­ stens 15-20% der schwedischen Eisenproduktion kamen aus dem Betrieb De Geers, der im übrigen der wichtigste Lieferant von Kanonen für die deutschen protestantischen Fürsten und die Republik der Vereinigten Niederlande war. - Dazu nimmt J . T h . Lindblad, Rehabilitatie van Louis de Geer (1587-1652) als vader van de Zweedse Industrie (TG 105, 1992, 51-55), Stellung und verweist auf die große innovative Bedeutung De Geers für die Eisenindustrie und die Geschützgießerei durch neue Technologien und ein verbessertes Management und liefert damit einen Ansatz zur Rehabilitierung. Es folgt eine kurze Erwide­ rung von D.G. Nijman (ebd., 56 f.). v.d.L.

C . L e s g e r , Lange-termijn processen en de betekenis van politieke factoren in de Nederlandse houthandel ten tijde van de Republiek (EcSocHistJb. 55, 1992, 105-142), untersucht die Entwicklung des niederländischen Holzhandels im 17. und 18. Jh., wobei es ihm sowohl um die längerfristigen ökonomischen und demographischen Prozesse wie auch um die politischen Faktoren geht. Bis in das dritte Viertel des 17. Jhs. nahmen die Holzimporte in die Republik mengenmäßig zu. In der Folge hielt sich bis etwa 1730 das erreichte Importniveau; dann gingen die Importe bis ca. 1760 zurück, um danach wieder anzusteigen. Bis ins dritte 238 Hansische Umschau

Viertel des 17. Jhs. kam das meiste Holz aus Norwegen, namentlich Nadelholz. Eichenholz lieferten vornehmlich der „kleine Osten“, d. i. das Elbe-Weser- Gebiet mit Hamburg als dem wichtigsten Exporthafen, der Ostseeraum und das Rheinland. Bessere Qualitäten an Nadelholz wurden aus dem Ostsecraum verschifft. Seit der zweiten Hälfte des 17. Jhs. waren die Holzzufuhren aus Norwegen rückläufig; größere Mengen an Nadelholz kamen jetzt auch aus dem Rheingebiet und aus dem Ostseeraum, insbesondere aus den Regionen um den Finnischen Meerbusen und aus Schweden. Den Rückgang der norwegischen Holzimporte verursachten vor allem die merkantilistische Politik der dänisch­ norwegischen Regierung und die politische Antwort der Republik. Längerfristig wirkten jedoch auch die ökonomischen Faktoren wie die Bedürfnisse des Bauhandwerks und des Schiffbaus ebenso wie die demographische Situation auf die Trendentwicklung ein. Eine Beilage liefert Informationen über das geschätzte Importvolumen aus den verschiedenen Produktionsgebieten um 1650 und 1750. v.d.L.

L.A. van Prooije, Dordrecht als centrum van de Rijnse kouthandel in de 17e en 18e eeuvu (EcSocHistJb. 55, 1992, 143-158). Im Anschluß an seinen Artikel über den Holzimport in die Republik aus dem Rheingebiet (EcSocHistJb. 53, 1990, 30-79) beleuchtet Vf. in diesem Zusammenhang jetzt die Rolle der südholländischen Stadt Dordrecht. Schon seit dem 13. Jh. gab es in Dordrecht, der ältesten holländischen Stadt, die Zufuhr von Holz und den Handel mit Holz aus dem Rhein- und dem Maasgebiet. Nach etwa 1660 gab es einen deutlichen Anstieg der Holzimporte aus dem rheinischen Raum; dabei wurde das rheinische Holz zu einem großen Teil in andere holzverarbeitende Zentren wie Rotterdam, Amsterdam oder die Zaanstreek weiterverhandelt. Vf. beschreibt den Holztransport auf den Flüssen mit Flößen, den sog. Holländerflößen, und bietet statistisches Material über die Herkunft, die Bestimmungsorte und den Verkaufswert des Holzes im 18. Jh. In der zweiten Hälfte dieses Jhs. war eine Gruppe von Händlern aus dem Saar-Mosel-Gebiet tonangebend. v.d.L.

Die Niederlande und der europäische Nordosten. Ein Jahrtausend weiträumi­ ger Beziehungen (700-1700), hg. von Hubertus Menke (Landesforschung, Bd. 1, Neumünster 1992, Wachholtz Verlag, 347 S.). - Die 13 Beiträge dieses Sammelbandes, der die Referate zusammenfaßt, die auf einem Kieler Symposion im Oktober 1989 gehalten worden sind, sind jeweils vier Sektionen zugeordnet: Ur- und Frühgeschichte: Haithabu - Kosel - Ribe; Geschichte I: Lübeck- Brügge; Geschichte II: Nordfriesland, und Sprachgeschichte: Friedrichstadt - Glückstadt - Amager. An dieser Stelle kann nur auf einige Beiträge aus den beiden der Geschichte gewidmeten Sektionen eingegangen werden. -Werner P a r a v i c i n i, Lübeck und Brügge. Bedeutung und erste Ergebnisse eines Kieler Forschungsprojektes (91-166), berichtet über den Stand der Forschungen über die Beziehungen zwischen Lübeck und Brügge, wobei Vf. darlegt, was bereits geleistet worden ist, womit man zur Zeit beschäftigt ist, und welche Themen noch bearbeitet werden müssen. Zunächst widmet er seine Aufmerksamkeit der Anwesenheit von hansischen und Lübecker Kaufleuten in Brügge und Flandern. Westeuropa 239

Bislang waren entsprechende Nachrichten nur aus dem 15. Jh. bekannt. Durch die Auswertung der Brügger Stadtrechnungen von 1363-1381 sind jetzt auch Belege aus dem 14. Jh. zutage gefördert worden. In den Rechnungen erscheinen viele „Osterlinge“, die in Brügge Wein- oder Bierakzisen bezahlen mußten, wenn auch aufgrund besonderer Privilegien stark reduziert. Die Kieler Arbeitsgruppe arbeitet an der Erstellung von sechs Dateien, darunter einer Datei der Namen, der im 14. Jh. in Brügge bezeugten hansischen Kaufleute. Deren Anzahl kann für die genannten Jahre über ihren Weinverbrauch graphisch dargestellt werden. Untersucht werden auch die Herkunft der Brügger Hansen, ihre Wirte und Herbergen, Dauer und Häufigkeit ihres Aufenthalts, die Häusermieten, der Hausbesitz sowie die Amtsträger des Brügger Kontors. Von Bedeutung ist auch die Rolle der Wirte als Makler und Finanziers. Auch über den Umfang des Lübecker Flandernhandels ist wenig bekannt. Aus den Rechnungen ergibt sich, daß die Hansekaufleute ihr eigenes „Oosters“- oder Hamburger Bier nach Brügge importierten, ebenso wie große Mengen an Rheinwein aus Köln, beides im Groß- und Detailhandel. Eingehendere Untersuchung verdient auch die Frage, was, abgesehen von den bekannten Handelswaren, aus Brügge/Flandern oder über diese Stadt resp. die Grafschaft direkt oder indirekt nach Lübeck und in den Ostseeraum ausgeführt worden ist. Einige Stichworte sind: Handels-, Buchhaltungs- und Kredittechniken, Bauformen, Kunst und Kunsthandwerk, Sprache und Literatur. Weitere Themen sind Stiftungen und Schenkungen der Hansen in Brügge an Kirchen, Klöster und Spitäler oder die Mitgliedschaft in Gilden und Bruderschaften. Ergänzende Quellenstudien in Lübeck, vor allem die Auswertung der zurückgekehrten Archivalien, insbesondere der Nieder­ stadtbücher, aber auch in Brügge, Hamburg und Köln sind nötig, um genauere Kenntnisse über die Anwesenheit und die Aktivitäten der Hansekaufleutc in Brügge zu gewinnen, die quantitativ und qualitativ umfangreicher und inten­ siver waren, als man bisher vermutet hat. Dem Aufsatz ist ein ausführliches Literaturverzeichnis beigefügt. - Klaus Krüger, Flämische Grabplatten im Ostseeraum. Kunstdenkmäler als historische Quelle (167-208), beschäftigt sich mit den Metallgrabplatten des 13. bis 16. Jhs., die aus Flandern stammen, über ganz Europa verbreitet waren und besonders in Norddeutschland, in Polen, Dänemark und in Ostengland zu finden sind. Bei den etwa 170 bekannten Grabplatten, von denen ein Drittel erhalten geblieben ist, weisen typologi- sche Merkmale und Sekundärinformationen nach Flandern, wahrscheinlich nach Doornik als dem Herstellungsort. Vf. hat die Epigraphik und die technische Ausführung in Messing untersucht. Uber den Handel und die Verschiffung ist wenig bekannt. Die Platten deckten die Gräber wohlhabender Bürger, städti­ scher Verwaltungsbeamter und Kaufleuten, aber auch die von hohen Geistlichen und adeligen Personen. - W im Pieter Blockmans, Konfliktregelung der Hanse in Flandern (1393-1451) (209-219), führt aus, daß im Gegensatz zu der Meinung, daß die Vereinigung verschiedener niederländischer Territorien unter der Herrschaft Herzog Philipps von Burgund das Verhältnis zwischen Flandern und der Hanse bestimmt und eingeschränkt habe, im 15. Jh. die Stadträte der großen Städte in Flandern das Verhältnis zur Hanse bestimmt haben, wobei der Herzog nur eine untergeordnete und ergänzende Rolle gespielt hat. Zwischen den flandrischen „Leden“ (den Städten in der Ständeversammlung) und der Han- 240 Hansische Umschau

se bestanden enge und intensive Kontakte. Die „Leden“ wahrten die Handelspri­ vilegien, und sorgten ebenso für Schadensersatz bei Beschlagnahmen, Kaperei oder Seeräuberei wie für die Beilegung von Konflikten. Gleichzeitig vermittelten sie bei Schadensfällen zwischen der Hanse und anderen fremden Kaufleuten, z. B. bei im flandrischen Küstengebiet erlittenen Schäden. In besonderem Maße galt dies bei Konflikten zwischen der Hanse und Holland und Zeeland. -Erich Hoffman n, Nordfriesland zwischen Ost und West im Mittelalter (221-234), befaßt sich mit den Handelsbeziehungen der Nordfriesen zum niederrheinischen Raum und zu den Niederlanden sowie mit ihrer Mittlerfunktion zum Ostseege­ biet seit dem 7./8. Jh. Das heutige Nordfriesland, das westliche Küstengebiet und die Inseln vor der schleswigschen Westküste waren das Ziel friesischer Zuwanderer, die auf den alten Handelswegen ins Land kamen; Vf. geht auf die Lebensumstände, die genossenschaftlichen Einrichtungen und das eigene Recht der Nordfriesen ein. Die „Großbauern des Volksadels“ waren vermutlich die Träger des friesischen Transithandels nach Haithabu und Schleswig, soweit dieser Handel in den Händen von Nordfriesen lag. Die Nordfriesen spielten in der Stadt Schleswig innerhalb der Bewohnerschaft eine wichtige Rolle: Schleswiger Fernhändler bildeten eine besondere Gilde, die das Vorbild der dänischen Knuts-Gilden wurde. Nach dem Niedergang Schleswigs vor der Mitte des 13. Jhs. gewann die Transitstraße zwischen der unteren Elbe und Lübeck für den gesamten europäischen Handel an Bedeutung. Doch gab es noch überregionale Handelswege im schleswig-dänischen Gebiet und entstanden mit Flensburg und Husum noch neue Handelszentren, deren Fernhändlerschicht möglicherweise ebenfalls der nordfriesischen Elite entstammte. Vf. geht schließlich auch auf die politischen Beziehungen der Nordfriesen zum dänischen König und dem Herzog von Schleswig wie auch auf die Selbstverwaltung der nordfricsischen Landschaften ein. v.d.L.

Marc Ryckaert, Historische Stedenatlas van Belgie: Brugge (Brüssel 1991, Gemeentekrediet, 239 S., zahlreiche Abb.). - Nach dem ersten Band aus der Reihe des historischen Städteatlasses von Belgien, der 1990 erschien und die Stadt Lier zum Gegenstand hatte, ist jetzt der zweite, Brügge betreffende Band vorgelegt worden. Es ist ein schönes Buch, reich ausgestattet mit vielen Farbabbildungen einzelner Gebäude, vor allem aber Grundrißplänen der Stadt bzw. einzelner Stadtteile. Der erste Teil des Buches behandelt in 30 Kapiteln die städtische Entwicklung Brügges seit der Römerzeit bis heute, gut dokumentiert mit vielen Fußnoten und Hinweisen auf Quellen und Literatur. Vf. betrachtet zunächst die drei ältesten Stadtgrundrisse aus dem 16. Jh., die Brügge als eine voll entwickelte mittelalterliche Stadt am Beginn der Neuzeit zeigen. Der älteste datiert von ca. 1500, der zweite aus dem Jahre 1561; er wurde im Auftrag der Stadt angefertigt, als Werbemittel für die Handelsstadt mit Seehafen. Der dritte, einige Jahre später entstandene Grundrißplan stammt von dem bekannten Jacob van Deventer, der im Auftrag des spanischen Königs, Philipps II., ein großes kar­ tographisches Projekt ausführte, das alle niederländischen Städte erfaßte und bei dem die trigonometrische Vermessung Anwendung fand. Das Bild, das die drei Karten liefern, lehrt, daß die Topographie Brügges innerhalb der Umwallung von 1297 in der nachmittelalterlichen Zeit keine nennenswerten Veränderungen Westeuropa 241 mehr erfahren hat. Erst gegen Ende des 19. Jhs. fand die erste große Stadterwei­ terung seit dem Mittelalter statt, welche von dem deutschen Städteplaner Joseph Stübben entworfen worden war. Diese Erweiterung stand im Zusammenhang mit der Anlage eines neuen Seehafens. Nach Ausführungen u. a. über die Er­ reichbarkeit der Stadt auf dem Wasserweg, die Häfen, den ältesten Stadtkern, die ältesten Kirchen und die gräfliche Burg gibt Vf. auch eine Beschreibung des Handelsplatzes des 14. bis 16. Jhs. mit dem „Oosterlingenhuis“ von 1457 sowie den Häusern der Italiener, der Spanier und Portugiesen. Im zweiten Teil des Buches bietet Vf. eine kurzgefaßte Baugeschichte etlicher noch vorhandener oder aber auch nicht mehr existierender Baudenkmäler der Stadt Brügge: öffent­ liche Gebäude, Befestigungswerke, Mühlen, Klöster und Hospitäler; wegen der Vielzahl sind Privathäuser nicht berücksichtigt worden. Zu jedem behandelten Objekt werden Literaturhinweise gegeben. Eine Auswahlbibliographie sowie ein topographisches und ein Gebäuderegister beschließen ein Buch, das man mit Vergnügen in die Hand nimmt. v.d.L.

Hansekaufleute in Brügge, hg. von Werner Paravicini, T. 1: Die Brügger Steuerlisten 1360-1390, hg. von Klaus Krüger (Kieler Werkstücke, Reihe D: Beiträge zur europäischen Geschichte des späten Mittelalters, Bd. 2, Frankfurt/M. 1992, Peter Lang Verlag, 227 S.). - Im Vorwort verweist Paravicini auf seinen Vortrag, den er anläßlich des Brügge-Kolloquiums 1988 gehalten hat (vgl. HGbll. 110, 1992, 154 ff.), und auf seinen Beitrag in dem neuen Sammelband „Die Niederlande und der europäische Nordosten“ (s. o.), in denen die Bedeutung der vorliegenden Ausgabe hervorgehoben worden ist. K. hat die für die Anwesenheit von „Osterlingen“ in Brügge relevanten Nachrichten aus den Brügger Stadtrechnungen der Jahre 1360-1390 nicht im Wortlaut ediert, sondern mit Hilfe von Listen über die Mengen an Wein und Bier, für die die Hansekaufleute Steuern zu entrichten hatten, unter Beifügung von Namenslisten dieser Kaufleute. In dem bearbeiteten Zeitraum von 30 Jahren kommen ca. 1 020 Hansekaufleute vor. In einem zweiten Band sollen die prosopographischcn Daten (Identifizierung, Herkunft) publiziert werden. In einem dritten Band soll die Auswertung aller Befunde erfolgen. Darauf wird man gespannt sein. Bereits jetzt aber bietet der erste Teil einen „Index Oosterlinghe“ (186-220) und einen „Index Flamen“ (221-226) mit den Namen der in diesem Band genannten Kaufleute. v.d.L.

BRITISCHE INSELN. Stuart Jenks, England, die Hanse und Preußen: Handel und Diplomatie 1377-1474 (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte, N.F. Bd. 38, Köln 1992, 3 Tie., zus. 1265 S., zahlreiche Tabb. und Graphiken). - Vf., jetzt Professor in Erlangen, legt hier seine Berliner Habilitationsschrift von 1984/85 vor, die von Kundigen schon als magnum opus apostrophiert worden ist. Die drei Teile finden ihre Entsprechung in der Gliederung: Teil I: Handel enthält die Kapitel „Der hansische Englandhandel: Problemstellung und Überblick“, „Die seriellen Quellen für den Tuchexport“, „Der hansische Handel mit England“, „Die Periodizität des hansischen Eng­ landhandels“; Teil II: Diplomatie bringt die Kapitel „Die diplomatischen Bezie­ hungen zwischen der Hanse und England“ und „Ergebnisse und abschließende 242 Hansische Umschau

Betrachtungen“; Teil III: Anhänge bietet in Listen- bzw. Tabellenform 1. Die hansischen Englandfahrer 1377-1474 (ca. 5 000 Namen), 2. Die Zollakten, 3. Messe- und Ostseeorientierung, 4. Herkunft der Schiffe und 5. Hansekaufleute in Yarmouth. Hervorzuheben sind noch die drei Indices für Personen, Orte und Sachen (darin unter dem Lemma: Vertrag eine Auflistung aller entsprechenden Abschlüsse im Umfang von 4 Spalten). J. hätte seine Arbeit auch auf drei Pu­ blikationen verteilen können, eine quellenkundlich-hilfswissenschaftliche über die englischen Zollakten, eine wirtschaftswissenschaftliche und eine historische, und jede allein hätte schon hohes Lob verdient wegen der sicheren Beherrschung von Methode und Materie. Mit bewundernswerter Kraft und Konsequenz hat J. aber nun ein Werk aus einem Guß vorgelegt (allein der quellenkundliche Teil ist durch vorab veröffentlichte Aufsätze sozusagen entlastet worden). Daß gerade bei der Hanse Wirtschaft und Politik einander bedingten, ist eine Binsenweisheit. Durch die erschöpfende Darstellung der tatsächlichen Handelsvorgänge hat J. das eigentlich unerläßliche und von vielen bisher vermißte Fundament geliefert, auf dem hansische Wirtschaftspolitik und Diplomatie seinerzeit aufbauten bzw. heute nachvollzogen werden müssen. Nach dem ersten überwiegend quellen- kundlichen Kapitel handelt J. im zweiten Kapitel den Tuchexport aus Eng­ land ab. Hier liegen absolute Zahlen über die Mengen vor und die Quellen lassen es zu, zwischen Engländern selbst, Hansen und anderen Ausländern, vornehmlich Italienern, zu unterscheiden. So kann eingehend Zu- und Abnahme des Exports und der jeweilige Anteil der genannten Gruppen daran diskutiert und dargestellt werden. Dank des glücklichen Umstandes, daß die einzelnen englischen Zollbezirke ganz überwiegend von Kaufleuten ein und derselben Region aufgesucht wurden, kann J. auch unter den Hansen differenzieren: zwischen Kölnern, die in London und seinen Außenhäfen Ipswich und Sand­ wich handelten, Lübeckern im Bezirk Boston, Hamburgern in Yarmouth und Preußen in Lynn und Hull. Als Ergebnis stellt J. fest, daß die Hanse meist 21 % des Tuchexports abwickelte mit steigender Tendenz, wobei die absoluten Zahlen noch stärker stiegen. Innerhalb der Hanse erlangten die Kölner mit ihren Bezirken London/Ipswich/Sandwich die absolut dominierende Position mit dem 10 bis 20fachen dessen, was die übrigen Hansen ausführten. Im dritten Kapitel unternimmt J. es, den gesamten Englandhandel der Hanse ab 1437, ja schließlich gar den Außenhandel Englands überhaupt zu beziffern. In mehreren wohlbegründeten Schritten gelangt J. zu zwei Modellen, mit deren Hilfe er dann jeweils zwei Ergebnisse präsentiert: 17,7 oder 22,7% des Außenhandels Englands nahm die Hanse wahr, und 1468/69 bis 1473/74, als die Kölner allein die Hanse vertraten, waren es noch 7,3 bzw. 9,3 %. J. weiß durchaus, daß seine Zahlen mehreren Vorbehalten und Hypothesen unterliegen, doch wird man ihm dafür dankbar sein müssen, den Versuch gewagt zu haben, der nun zur wissenschaftlichen Diskussion gestellt ist. Geradezu aufregend ist das vierte Kapitel, das viel mehr bringt als der Titel andeutet. Mit Periodizität ist zunächst die Tatsache gemeint, daß während eines Zolljahres die Handelsbewegungen überwiegend an wenigen Tagen stattfanden (z. B. wurden 94 % der Importe nach London im Jahre 1436 an nur 7 Tagen abgewickelt). Durch Kombination des zeitlichen Konnexes von Fahrten- und Messeterminen mit dem Sachkonnex von Schiffer, Kaufmann und Ware kann J. die Orientierung des hansischen Handels Westeuropa 243 von und nach London an den Messen der Nieder- und Rheinlande nachweisen. Ferner wird die Zusammensetzung der hansischen Londonfahrerschaft aufge­ zeigt, über Kölner Kaufleute in Colchester berichtet und deren Verlagssystem nachgewiesen (mit vorbildlichen Ausführungen zum Verlag überhaupt). Nie vergißt J., auf Mängel der Quellen hinzuweisen, und scheut sich auch nicht, in seinen Tabellen der Dunkelziffer eine Spalte zuzuweisen. Der zweite Teil des Werkes erhält seine Bedeutung durch die detailgesättigte Darstellung, die sich auf Zahlenreihen stützen kann, die, bei allen Lücken, für mittelalterliche Verhältnisse und aus kontinentalem Blickwinkel gesehen, von beneidenswerter Fülle und Zuverlässigkeit sind. Doch mußte dieser Schatz erst gehoben werden durch Entzifferung von (mindestens) 92 Zollrollen, Ausziehen von Namen, Erstellen von Reihen und Erarbeitung von Rechenprogrammen - das alles hat J. getan. Flat man das letzte Kapitel mit seinen Thesen und Ausblicken gelesen, so möchte man meinen, der Titel des ganzen Werkes hätte besser „England, die Hanse und Köln“ geheißen. Zwar weist J. in seiner Einleitung beiläufig darauf hin, daß die Quellenlage den Kölner Handel begünstigt, warum aber die Preußen als eine der hansischen Gruppen es verdienen, neben England und der Hanse in den Titel gesetzt zu werden, bleibt unerfindlich und erscheint nicht gerechtfertigt angesichts des Umfangs des Kölner Anteils und seiner Auswirkungen auf die Hanse als Gesamtheit, denen J. seine letzten Seiten widmet. Davon abgesehen, wirft das Schlußkapitel noch eine andere Frage auf: Hatten die Zeitgenossen je solch einen Durch- und Überblick über ihren Englandhandel, wie wir ihn jetzt dank der Arbeit J.s genießen? Vielleicht sollte man diese Frage im Auge behalten, wenn man über das Phänomen Hanse nachdenkt. Ein makelloses Buch also? So gut wie: Einen Autor kann ich in der Bibliographie nicht finden (S. 376 A. 17 u. ö.: Britnell), die Tabelle 4 auf S. 56 ist verunglückt. Die fett gedruckten Prozentangaben der Veränderung gehören immer zu der links vorangegangenen Spalte, die normal gedruckten Angaben des Anteils dagegen zur rechts folgenden Spalte, so daß die erste Spalte nur von einer, die übrigen aber immer von zwei Prozentangaben begleitet werden. Aber das sind Quisquilien angesichts eines wahrhaft großen Werkes, das die gesamte Spannweite der Hansegeschichte ausmißt, von der Alltagsarbeit des Kaufmanns bis zur großen Politik. Dies alles wird geboten in einer klaren Sprache, die auf Fach-Chinesisch und modische Termini zu verzichten weiß (allein die Vorliebe des Vfs. für das Wort signifikant halte ich für verfehlt). Trotz der Bedrängnisse, die Umfang und Vielfalt mit sich bringen, ist es ein Werk, das der Rez. mit Bewunderung und Freude besprochen hat. Joachim Deeters

Irish Historie Towns Atlas, hg. von J.H. Andrews und Anngret Simms, Nr. 3: bearb. von Patrick O’Flanagan (The Royal Irish Academy, Dublin 1988, 16 S. Text, 7 S. Ktn. und Pläne); Nr. 4: Keils, bearb. von Anngret und Katharine Simms (Dublin 1990, 12 S. Text, 8 S. Ktn. und Pläne). - Die beiden neuen Lieferungen (zu den älteren s. HGbll. 106, 1988, 292) sind zwar für den Hanschistoriker nicht unmittelbar von Bedeutung, methodisch aber beispielhafte Darstellungen der Stadtgeschichte. Im üblichen ungebundenen Großformat, illustriert mit ausgezeichneten Stadtplänen, bringen Bearbb. bedeutende Beiträge zur Geschichte der beiden kleinen irischen Städte. 244 Hansische Umschau

Es handelt sich um zwei ganz verschiedene Anlagen: Keils, wo schon eine prähistorische Siedlung vorhanden war, wurde durch den hl. Columban zum Gründungsort des zweitbedeutendsten Klosters Irlands. Im Laufe des hohen Mittelalters entwickelte sich die Siedlung zu einer florierenden Marktstadt. Bandon dagegen wurde im 17. Jh. von englischen Einwanderern im Zuge der verhaßten Kolonisierung Irlands gegründet. Aus der Gründungszeit existieren schöne Karten, Skizzen und Pläne, von denen einige reproduziert worden sind. Eine vergleichbare Reihenveröffentlichung mit vielem neuen Archivmaterial für die kleineren deutschen Städte wäre wünschenswert. N.F.

SKANDINAVIEN

(Bearbeitet von Erich Hoffmann)

DÄNEMARK. John Lind, De russiske xgteskaber. Dynasti- og alliance- politik i 1130’ernes danske horgerkrig (DHT 1992, 225-262, mit summary). Vf. belegt überzeugend seine These, daß trotz des Schismas zwischen der Ost- und Westkirche „die Kultursymbiose, die zur Wikingerzeit entstanden war, noch lange bis ins 12. Jh. hinein das Verhältnis zwischen Rußland und Skandinavien prägte“ (250). Er lenkt zunächst die Aufmerksamkeit auf zwei dänische Thron­ prätendenten der ersten Hälfte des 12. Jhs., Knut Laward und Erich Emune, und ihre russischen Eheverbindungen. Knut war mit Ingeborg, Erich mit Malmfred verheiratet, beide Töchter des Novgoroder Fürsten Mstislav Wladimirovich. L. interpretiert diese Ehen als Versuche, die Machtstellung innerhalb der dänischen Thronkämpfe zu festigen. Er verweist des weiteren auf den dänisch-russischen Handel, der für 1130, 1134 und 1156 in der Novgorodchronik bzw. bei Saxo belegt ist. Schließlich kann er noch nachweisen, daß in den dreißiger Jahren des 12. Jhs. die Anrufung mehrerer nordischer Heiliger, z. B. der Könige Knut und Olav, in ein russisch-orthodoxes Gebet aufgenommen wurde. Diese dynasti­ schen, ökonomischen und kulturellen Beziehungen Nordeuropas zu Rußland setzten offenbar wikingerzeitliche Traditionen fort. Ein deutlicher Bruch in diesen Beziehungen ist erst Ende des 12. Jhs. festzustellen, als die Novgoroder begannen, die Skandinavier als „nemtsi“ („die Stummen“) zu bezeichnen. - Die von L. konstatierte Existenz einer skandinavisch-russischen „Kultursymbiose“ bis zum 12. Jh. ist sicherlich auch eine Widerspiegelung der Tatsache, daß zu dieser Zeit noch die Skandinavier den Rußland-Handel beherrschten. Denn es ist wohl mehr als ein Zufall, daß ausgangs des 12. Jhs., als sich erste Hinweise für den Zerfall dieser Symbiose finden, die Lübecker und rheinisch-westfäli­ schen Kaufleute darangingen, die Skandinavier aus dem Rußland-Handel zu verdrängen. Th. Hill

Jorgen Elsoejensen betrachtet in seinem Aufsatz Dansk middelalder- byer. Middelalderlig byplanHgning i Danmark (Fortid og Nutid 1990, 233-248) die mittelalterliche Stadtlandschaft Fünens mit Odense als Hauptort der Insel und den insgesamt neun Küstenstädten (einschließlich Rudkobing auf Langeland und yEroskobing auf TEro), die regionale Zentren bildeten und auf Odense Skandinavien 245

ausgerichtet waren. Die Küstenstädte weisen starke Ähnlichkeiten in ihrer Topo­ graphie auf. Die Hauptstraßen, die meist in Ost-West-Richtung angelegt waren und an deren von der Sonne beschienenen Südseite die Kaufleute ihre Häuser hatten, führten in der Regel außerhalb der Städte nach Odense und innerhalb zum Markt, von wo aus eine Verbindung zum Hafen bestand. Wenn es das Gelände zuließ, wurden die Städte mit symmetrischer, paralleler Straßenführung angelegt. E.J. zeigt mit diesen Befunden, daß die Städte primär dem Handel dienen sollten. Infolgedessen entsprach ihre Plazierung verkehrsgeographischen Überlegungen und wurden bei der Verteilung der Grundstücke die Kaufleute bevorzugt. Fragwürdig sind aber die weiterführenden Überlegungen des Vfs. Entgegen der älteren Forschung, die die Anfänge der fünischen Küstenstädte ins 13. Jh. datierte und bei diesen Stadtgründungen die Rolle des Königtums hervorhob, betont E.J., daß schon im 12. Jh. die Voraussetzungen für das Ent­ stehen der Städte gegeben waren und Zweck und Topographie der Orte auf eine Gründungsinitiative der späteren Stadtbevölkerung und nicht des Königtums hinweisen. Leider hat Vf. es versäumt, die intensive stadtgeschichtliche For­ schung der letzten Jahre zur Kenntnis zu nehmen. So hat Andren 1985 in seiner fundierten Gesamtanalyse des mittelalterlichen dänischen Städtewesens (vgl. HGbll. 104, 1986, 259 f.), auf die E.J. nicht eingeht, die Ergebnisse der älteren Forschung bestätigt, daß nämlich bis auf dEroskobing alle Küstenstädte Fünens während des 13. Jhs. entstanden sind. Und die zahlreichen Untersuchungen zu den Knutsgilden, die Vf. ebenfalls ignoriert, haben verdeutlicht, daß während der Waldemarszeit (1157-1241) die Interessen der Könige und der Kaufleute weitgehend miteinander übereinstimmten und bei Stadtgründungen zu einer engen Zusammenarbeit führten (vgl. auch HGbll. 105, 1987, 12). Th. Hill

Im Rahmen von Vorarbeiten für eine Biographie von Johannes Bugenha- gen hat Hans-Günther Leder Bugenhagens reformatorisches Wirken in Dänemark untersucht und dargestellt (BaltStud. N.F. 77, 1991, 19-53). Von König Christian III. eingeladen, hat Bugenhagen 1537 bis 1539 in Dänemark geweilt und im reformatorischen Sinne gewirkt, auch zur Einführung einer lutherischen Kirchenordnung beigetragen. - Unter der gleichen Überschrift hat Vf. Anmerkungen zum Briefwechsel zwischen Bugenhagen und Christi­ an III. veröffentlicht (BaltStud. N.F. 78, 1992, 28-42), der wesentliche Erkennt­ nisse zu den Beziehungen zwischen dem Reformator und dem dänischen König erlaubt. H.W.

Henrik Fode, Brug toldarkiverne. Her iscer fra det 19. ärbundrede - en kildegruppe til nisten alt (Fortid og Nutid 1990, 171-204) - Vf. fordert Histo­ riker und historisch interessierte Laien geradezu leidenschaftlich dazu auf, die Quellen der dänischen Zollarchive zu bearbeiten. Zu diesem Zweck gibt er am Beispiel des Materials aus dem 19. Jh. eine Reihe nützlicher wie auch anregender Informationen und Hinweise. So wird mitgeteilt, daß die Bestände der Zollarchi­ ve heute in den regionalen Landsarchiven (Apenrade, Viborg, Odense, Seeland) und im Kopenhagener Reichsarchiv lagern. Ausführlich stellt F. die in den letz­ ten Jahren publizierten Repertorien dieser Bestände vor. Des weiteren werden notwendige Vorkenntnisse für das Arbeiten mit den Zollarchivalien dargelegt: 246 Hansische Umschau

die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die administrative Struktur des däni­ schen Zollwesens im vorigen Jh. Viel Aufmerksamkeit widmet Vf. abschließend den Themen, für welche die Zollarchive aussagekräftige Quellen bereithalten und kann dabei manche Überraschung präsentieren. Denn die Zollakten liefern nicht nur Aufschlüsse zur Handels-, Seefahrts- oder Verwaltungsgeschichte, sondern auch zur Verkehrs-, Stadt-, Sozial- und Personenhistorie. Th. Hill

Eine äußerst anregende „ökohistorische“ Reinterpretation der dänischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte der frühen Neuzeit hat Thorkild Kjaer- gaard in seiner Dissertation Den danske revolution 1500-1800. En ökohisto- risk tolkning (Kopenhagen 1991, Gyldendal, 441 S., frz. resume) vorgelegt. K. beschreibt anfangs (Teil 1) die ökologische und Energiekrise, in die Dänemark (hier: heutiges Dänemark ohne Nordschleswig) seit dem 16. Jh. geriet; Mitte des 18. Jhs. erreichte sie ihren Höhepunkt. Das stetige Bevölkerungswachstum seit der Mitte des 17. Jhs. und die Entstehung des frühmodernen Macht- und Steuerstaates werden für die zunehmende Entwaldung verantwortlich gemacht. Diese stand mit den meisten Krisenerscheinungen in Zusammenhang (Ver­ lust von Kulturland durch Bodencrosion und Sandtreiben; Verkürzung der Wachstumsperiode, Versumpfung und Übersäuerung von Kulturland durch steigenden Grundwasserspiegel; Rinderpest der 1740er Jahre). Eine „grüne“ und eine Energie-/Rohstoffrevolution entschärften jedoch die dramatische Lage und schufen die Grundlage für die Entwicklung Dänemarks zur modernem Indu­ striegesellschaft (Teil 2). Mit „grüner Revolution“ meint K.: Sandtreiben und Dünenwanderung werden durch massenhafte Anpflanzung geeigneter Gewächse gestoppt; Zehntausende von Kilometern Gräben sorgen für Entwässerung der landwirtschaftlichen Flächen; Mergel verbessert übersäuerte Böden; vor allem aber bewirkt die Erhöhung des Stickstoffgehaltes der Böden durch umfangreiche Anpflanzung von Kulturklee eine deutliche Ertragssteigerung der dänischen Landwirtschaft, z.B. fast Verdoppelung der Getreideproduktion von 1770 bis 1805. Im Energiesektor hatte die verstärkte Nutzung von Torf als Brennstoff nur einen Teil des mit der Bevölkerung wachsenden Energiebedarfs decken können - im übrigen froren die Dänen wie nie zuvor, und Tuberkulose breitete sich aus; auch sparsamerer Umgang mit Holz (bei der Ersetzung hölzerner Geräte in der Landwirtschaft durch eiserne dürfte aber eher die bessere Haltbarkeit das Motiv gewesen sein) führte nicht aus der Energiekrise: Diese endete mit dem zunehmenden Import von Steinkohle ab Anfang des 19. Jhs. In Teil 3 verbindet K. die Veränderungen des 18. Jhs. mit der Umgestaltung der dänischen Landschaft, dem Anstieg der Arbeitszeit, der Vertiefung sozialer Unterschiede auf dem Lande und dem Verschwinden „alter“ Volkskrankheiten. Außerdem sieht er die „ökologische Revolution“ als Voraussetzung der dänischen Agrar­ reformen nach 1766. Ehe K. im fünften Teil die Verbindungen vom 18. Jh. zur dänischen Demokratie des 19./20.Jhs. und zur aktuellen ökologischen Krise skizziert, macht er den Fortschritt in Technologie (z. B. im Montanbereich) und Kommunikation als notwendige Voraussetzung für die Meisterung der ökologischen Krise des 18. Jhs. aus (Teil 4). Kernstück des Anhangs sind die minutiösen Belege über die Einführung des Kulturklees seit 1749, für K. das Kernstück der „grünen Revolution“. - Tatsächlich hat K. einen weitgehend Skandinavien 247

vernachlässigten Bereich in die historische Diskussion um die Entstehung des modernen Europa eingebracht. Die Teile 1 und 2 des gut geschriebenen Buches vermögen zu faszinieren und könnten für ähnliche Untersuchungen die Rich­ tung angeben. Engagiert und unpathetisch versucht K., große Entwicklungsli­ nien aufzuzcigen. Geglückt ist dieser Versuch teilweise. In den Teilen 3 bis 5 wird das politisch-soziale Leben Dänemarks allzu schematisch auf die vermeint­ lichen Erfordernisse des „ökohistorischen“ Ansatzes zugeschnitten; die Motive der handelnden Personen auf Lokal- wie auf Regierungsebene werden nicht genannt oder verlieren sich in nebulösen Kollektivabsichten. So hat denn auch K.s drastische Neubewertung der dänischen Agrarreformen bereits kompeten­ ten Widerspruch gefunden (Opposition Olc Feldbaeks, abgedruckt in [Dansk] Historisk Tidsskrift 92, 1992, 97-118; hier weitere Kritik und Würdigung). Unbefriedigend bleiben K.s gelegentliche geistesgeschichtliche Randbemerkun­ gen: Eine vollständige Ausklammerung oder aber gründlichere Einbeziehung z. B. der Aufklärer und Physiokraten wäre sinnvoller gewesen, als etwa über chronologisch nur vage begründbarc literarische Auswirkungen des - übrigens späteren - Verschwindens der Pest aus Europa und des vermehrten Auftretens der Tuberkulose zu spekulieren; unter Niveau ist die beiläufige Abqualifizierung der Weber-These, und wie sich die Einstellung zu Armut und Bettlertum in der frühen Neuzeit veränderte, wird durch die ebenso eklektische wie suggestive Gegenüberstellung der Äußerungen Erasmus’ und eines dänischen Bischofs des 18. Jhs. nicht klarer. Überraschend verzichtet K. darauf, sein „ökohistorisches“ Konzept klimageschichtlich zu ergänzen, obwohl er die „Kleine Eiszeit“ in anderem Zusammenhang erwähnt. Wichtiger aber erscheint, daß K.s „ökohi­ storische Deutung“ künftiger wirtschaftsgeschichtlicher Forschung vielfältige Anregungen bietet. V. Seresse

Harald Gustafsson, Mellan kung och allmoge - ämbetsmän, bestuts- process och inflytande pa 1700-talets Island (Acta Universitatis Stockholmiensis 33, Almqvist och Wiksell, Stockholm 1985, 320 S.). - Vf. wendet sich einem interessanten Thema zu, nämlich wie das ferne, zum Dänischen Gesamtstaat (Dänemark, Schleswig-Holstein, Norwegen und dessen frühere Ncbenlande) gehörige Island zur Zeit des Höhepunktes absolutistischer Regierung von Kopenhagen aus regiert wurde, wie das Verhältnis der Beamtenschaft zur Zentrale sich entwickelte, wie Entscheidungen zustande kamen und wie sich die Schicht der beamteten Funktionsträger des Staates in Island zusammensetzte. Wie so oft bei der Betrachtung der Effektivität absolutistischer Verwaltung, zeigt sich auch hier die große Kluft zwischen dem Anspruch der Staatsregierungen gerade auch großflächiger Monarchien des 18. Jhs., von der Zentrale aus das ganze Staatswesen straff zu überwachen und zu reglementieren und der Verfassungswirklichkeit, die zeigte, wie wenig die Verwaltungspraxis diesem Anspruch wirklich entsprach. Es kam also bei der großen Entfernung Islands von Kopenhagen für die Verwirklichung der Anforderungen der Zentrale alles auf die vor Ort ausführende Beamtenschaft an, zumal der höchste Beamte für Island, der „Stiftsamtmann“ fast während des ganzen 18. Jhs. seine Geschäfte von Kopenhagen aus führte. Wie war es aber um die in Island tätigen und ansässigen höheren Beamten (Amtmann, Landvogt, Sysselmänner) bestellt? In 248 Hansische Umschau

den Spitzenpositionen saßen oft Dänen und Norweger, doch auch Einheimische waren durchaus häufiger vertreten. Sie stammten jedoch aus einem sozialen Umkreis, der Nachkommen höherer Beamter, Geschäftsleute und größerer Grundbesitzer umfaßte. Durch häufige Verwandtschaft und gleiche Bildung und Lebensart bildeten sie mit Grundbesitzern und Kaufleuten eine gewisse Elitegruppe, die faktisch die exekutiven Organe des Staates in Island direkt oder indirekt durch „Vetternwirtschaft“ kontrollierten. Dasselbe gilt auch für die Geistlichkeit und die Richter. Die Masse der bäuerlichen Bevölkerung bestand aus Pächtern, die durch Fischfang die Einkünfte vergrößern konnten, aber wirtschaftlich von den Landbesitzern und Kaufleuten abhängig waren, die ihrerseits der gleichen Standesgruppe wie die Beamten angehörten. Staatlichen Anforderungen, wie etwa bei Arbeitsleistungen zum Bau öffentlicher Gebäude kamen die Bauern nur ungern und lässig nach. Um nun eine gewisse Effektivität der staatlichen Regierungsmaßnahmen durchzusetzen, war daher die Zentrale auf ein gutes Einvernehmen mit der örtlichen Beamtenschaft angewiesen und überließ daher dieser weithin die Maßnahmen zur selbständigen Ausführung des Geforderten. Andererseits war es so der Beamtenschaft möglich, Beschwerden aus der Bauernbevölkerung nach Kopenhagen zu unterlaufen und unwirksam zu machen, genauso wie man erfolgreich von geplanten Reformen abraten konnte, die der „Trinität“ von Beamten, Grundbesitzern und Kaufleuten schaden würde. Vf. weist hier vergleichend etwa auf die Schonung der Adelsrechte in Preußen auch durch den Aufgeklärten Absolutismus hin, der den Adel für den Beamten- und Offiziersdienst im Staate benötigte. So gelang es in Island den Beamten erfolgreich, die Aufhebung der alten Steuerfreiheitsprivilegien der Beamtenschaft zu unterlaufen, selbst wenn sie eine neucingeführte Steuer nun entrichten mußten. E.H.

SCHWEDEN. Jörgen Weibull, Curt Weibull (Scandia 58, 1992, 5- 11). Vf. schildert im Nekrolog auf seinen Vater, den im erstaunlich hohen Alter von 105 Lebensjahren gestorbenen bedeutenden Lundenser Historiker Curt Weibull, dessen hohe wissenschaftliche Bedeutung und Wirkung für die gesamte skandinavische Historiographie. Vor allem war Curt Weibull gemeinsam mit seinem längst verstorbenen Bruder Lauritz Weibull im zweiten und dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts besonders erfolgreich im Bemühen, die in West- und Mitteleuropa durchgesetzte quellenkritische Methode auch in der mediävistischen Geschichtsschreibung Skandinaviens durchzusetzen. Das überaus umfangreiche wissenschaftliche Werk W.s ist für die skandinavische historische Forschung von überaus hoher Bedeutung. Noch in den letzten Jahren meldete sich Curt Weibull in einigen Aufsätzen in der „Scandia“ in erstaunlicher Frische mehrfach zu Wort. E.H.

Henrik Klackenberg, Moneta nostra. Monetarisering i med.eltid.ens Sverige (Lund Studies in Medieval Archeology 10, Stockholm 1992, Almqvist och Wiksell, 371 S. mit vielen Ktn., Diagrammen, Statistiken). - Dem Vf. geht es darum, Aufschlüsse darüber zu vermitteln, seit welcher Zeit das gemünzte Geld, ausgehend von den Handelsplätzen, im ländlichen Schweden unter den Bauern wirklich ein gängiges Zahlungsmittel geworden ist. Er Skandinavien 249 stützt sich dabei vor allem auf die archäologischen Befunde, nicht zuletzt auf die bei Ausgrabungen unter und auf den Kirchenböden jeweils gefundenen Münzen. Erst die „Monetarisierung“ ermöglichte in Schweden den Weg in moderne „europäische“ Wirtschaftsverhältnisse und den Anschluß an den allgemeinen europäischen Markt. Desgleichen wurde erst nun der Ausbau des staatlichen und kirchlichen Fiskalwesens - und damit überhaupt die Entstehung modernerer Staatlichkeit - eingeleitet. Der Monetarisierungsprozeß ging nach den Ergebnissen des Vfs. dabei deutlich parallel zu der inneren staatlichen Konsolidierung seit der Mitte des 13. Jhs. unter Birger Jarl und dessen Sohn König Magnus Ladulas (1275-1290) und dürfte um etwa 1300 zum großen Teil abgeschlossen gewesen sein. E.H.

Im Sammelband Birgitta, bendes vatrk og hendes klostre i Norden, hg. von Tore Nyberg (Odense University Studies in History and Social Sciences, Bd. 150, Odense 1991, 526 S., 58 Abb., Tab.) sind 26, um Anmerkungen, Litera­ turhinweise und meist englischsprachige Zusammenfassungen ergänzte Referate abgedruckt, die auf einem Symposium im März 1990 in Mariager gehalten wurden. Das Werk ist in drei Themenbereiche untergliedert. Mit dem ersten, „Birgitta, Maria, Frauen und Männer“, wird bewußt an einen aktuellen Trend angeknüpft, denn seit knapp zehn Jahren befaßt sich die skandinavische Frau­ enforschung mit der hl. Birgitta. Unter den Aufsätzen dieses Abschnitts kann Kari E. Borresens Birgitta’s Godlanguage: exemplary intention, inappli­ cable content (21-72) sicherlich das größte Interesse beanspruchen. Aufgrund neuer Erkenntnisse zu Birgittas Selbsteinschätzung als Visionärin und zu ihrem Marienverständnis wird die Intention der Heiligen als feministisch interpretiert. John Lind zeigt in seinem Aufsatz Magnus Eriksson som birgittinsk konge i lyset af russiske kilder (103-128) den großen Einfluß Birgittas schon während der 1340er Jahre. 1348 versuchte der schwedische König Magnus Eriksson mit einem Krieg, die Kontrolle über die Neva und Volchow und damit auch über Novgorod zu erlangen, sah sich jedoch durch Birgittas Offenbarungen dazu ver­ anlaßt, diesen Krieg als Kreuzzug zu führen. Der zweite große Themenbereich beschäftigt sich mit der Geschichte, Architektur, Überlieferung etc. der fünf nordischen Birgittenklöster (Vadstena, Maribo, Mariager, Munkaliv, Nädendal). Mehr als die Hälfte dieses Abschnitts ist dabei den Außenbeziehungen der Klöster gewidmet. Jens E. Olesen verweist in Kongemagt, birgittinere og Kalmarunion (169-219) auf die Funktion Vadstenas als eines kulturellen Zentrums der Kalmarer Union. Kaare Rübner Jorgensen, Mariager klosters oprettelse og etablering, Aare Läntinen, Nädendals placering i den sociala miljön i Äbo Stift, und C u r t Wal 1 i n , Vadstenanunnornas sociala proveniens, zeigen ausführlich die soziale Integration dreier Klöster in die sie umgebende aristokratische Gesellschaft. Im dritten Teil werden sprachliche und inhaltliche Aspekte der Offenbarungen Birgittas behandelt. - Dieser Sammel­ band enthält viele bedeutsame Beiträge zur Erforschung Birgittas und ihres Ordens, präsentiert aber auch einige wichtige Gesichtspunkte zur Politik und Sozialgeschichte des spätmittelalterlichen Skandinaviens. Th. Hül

Conny Blom, Liknelsen om konung Albrekt. Skämtet och löjet som 250 Hansische Umschau

politiskt vapen i en medeltida rimkrönika (Scandia 58, 1992, 31-46, summary 131-132). Vf. in wendet sich einem im Stil der Reimchroniken verfaßten Gedicht zu, das offensichtlich aus der Zeit kurz nach der Niederlage und Gefangennahme Albrechts III. (1363-1389) im Jahre 1389 bis spätestens zu seiner Freilassung (1395) stammt. Der Text ist in Form eines Gleichnisses gefaßt, in dem geschildert wird, daß ein reicher Herr einen Wald voll schöner Fruchtbäume, in dem auch Edelsteine und Goldschmuck den Boden bedecken, wilden Tieren ausliefert, die er ins Land zieht. Der Herr ist mit dem Mecklenburger Albrecht, die Tiere mit den von ihm ins Land gezogenen mecklenburgischen und norddeutschen Adligen gleichzusetzen, die nach Ansicht des Verfassers des Quellentextes das Land Schweden ausbeuteten. Als Vf. des Gedichtes ist ein schwedischer Adliger anzunehmen, der die Bauern (die in Schweden ja während des Mittelalters und der frühen Neuzeit weiterhin einen Machtfaktor darstellten) für die Sache des gegen Albrecht und für Margarethe als Reichsverweserin cintretenden Adels zu gewinnen versuchte. Als Mittel der Agitation verwendete er Spott und Ironie, indem er die mecklenburgischen Adligen als Parvcnues ohne edle Abkunft und Vermögen darstellte, die sich nur als echte adlige Herren gebärdeten. Nach Ansicht der Vf.in tat er für seinen Zweck dabei zuviel, da er auf die Anliegen der Bauern nicht recht eingegangen sei. Immerhin sei das Gedicht dadurch interessant, da hier ein erstes Mal ein Anzeichen dafür vorliege, durch propagandistischen Aufruf in Schweden die Hilfe der Bauern für den Adel bei politischem Handeln zu gewinnen. E.H.

Harald Gustafsson, Statsbildning och territoriell integration, Linjer i nyare forskning, en nordisk ansats samt ett bidrag tili 1500-talets svensky politiska geografi (Scandia 57, 1991, 191-227, mit summary). Ausgehend von neueren Studien A. Giddens’ und Ch. Tillys zum modernen Staat, entwickelt G. ein Forschungsprojekt, das sich mit der Bedeutung des frühmodernen Staates für die territoriale Integration Schwedens und Dänemarks befassen soll. Als Pilotstudie stellt er seine Untersuchungen zur politischen Geographie Schwe­ dens im 16. Jh. vor. Am Beispiel der Versammlungsplätze und der Teilnehmer der großen Reichstreffen zeigt Vf., daß sich die Staatsmacht seit der zweiten Hälfte des 16. Jhs. immer mehr auf den Raum Stockholm-Uppsala konzentrierte, aber zugleich von dort aus verstärkt Randgebiete des Reiches erfassen konnte. Anhand der vier innerschwedischen Erhebungen (1529, 1531, 1542/43, 1568) gegen die Könige Gustav Wasa und Erich XIV. legt G. eindrucksvoll dar, daß Schweden zu Beginn der Neuzeit noch weitgehend als „Föderation“ der alten Thinggemeinschaften auf Hardes- und v. a. Landschaftsebene verstanden wurde. Erst mit der Entwicklung der territorialen Integration des Reiches vom Raum Stockholm-Uppsala aus repräsentierten zunehmend Königtum und Staat die Reichseinheit. - G.s Forschungsvorhaben ist ein fruchtbarer Neuansatz für die schwedische Geschichtswissenschaft, die noch stark von der Vorstellung geprägt ist, schon Gustav Wasa habe Schweden nach der Trennung von der Kalmarer Union zu einem geschlossenen Staatsgebilde geformt. So haben jüngst Behre, Larsson und 0sterberg in ihrem Handbuch „Sveriges historia 1521-1809“ (1985), das als Lehrwerk für Geschichtsstudenten gedacht ist, die von G. un­ tersuchten Aufstände gegen Gustav Wasa als Ausdruck eines „Landschaftssepa- Skandinavien 251 ratismus“ interpretiert. Dagegen verdeutlicht G., daß in der ersten Hälfte des 16. Jhs. die zentrale Staatsmacht noch zu schwach entwickelt war, als daß man landschaftlich geprägte Erhebungen als „separatistisch“ verstehen könnte. Aber G.s Projekt vermag auch für die Hanseforschung Relevanz zu erlangen, war doch das Erstarken der Staatsmacht in Skandinavien während des 16. Jhs. eine wichtige Ursache für den Niedergang der Hanse. Th. Hill

Ivan Svalenius, Rikskansliet i Sverige 1560-1592 (Skriftcr utgivna av Svenska Riksarkivet 7, Stockholm 1991, 290 S., dt. Zusammenfassung). Diese Abhandlung widmet sich sowohl einer Darstellung des Aufbaus und Ausbaus der schwedischen Kanzlei zur Zeit der Regierungen der Söhne Gustav Wasas (Erik XIV., Johann III., Karl IX.) wie auch prosopographischen Untersuchungen über Sekretäre, Kanzleischreiber und Übersetzer, die in diesen Jahren in der Kanzlei tätig waren. Hierbei zeichnet es sich ab, daß die organisatorischen Strukturen der Kanzlei bereits zu dieser Zeit fester und logischer ineinander­ greifend ausgebaut wurden, als man bisher vermutet hat. Hier zeichnet sich die noch straffere Form der Kanzlei des 17. Jhs. bereits in ihren Grundzügen deutlich ab. In der Überlieferung der Registratur finden sich zwei „Schichten“, einerseits eine aus gleichzeitig mit den ausgefertigten Dokumenten angelegte Abschriftensammlung, andererseits Ergänzungen zwischen 1609 und 1611, die auf früheren, noch vorliegenden Konzepten beruhten. Diese Ergänzungen er­ folgten in manchen Fällen nur mit geringer Sorgfalt. Typisch für königliche oder fürstliche Politik im 16. Jh. zur Zeit der sich in West-, Mittel- und Nord­ europa herausbildenden Verfestigung des Staatswesens war es, daß die verant­ wortungsvollen Posten der Kanzlei mit gutausgebildeten jungen Bürgerlichen besetzt wurden, die sich in Schweden meist aus Mitgliedern der Stockholmer Oberschicht ergänzten. Innerhalb dieser für den Staatsdienst und die äußere und innere Politik des Königreichs nicht unwichtigen Personengruppe gab es nach Vf. auch deutlich „politische Gruppierungen“, die ihre „Ziele durchzuset­ zen suchten, nicht zuletzt im Anschluß an königliche Perspektiven oder indem sie versuchten, diese zu beeinflussen. So kann man nach Vf. unter Erik XIV. neben dezidierten Anhängern des Königs eine Gruppe von Kanzleibeamten erschließen, die sich gegen die „neuen Wege“ Eriks stellten und sich der unter Gustav Wasa verfolgten politischen Linie verpflichtet fühlten. Diese Kanzlisten hätten sich der Opposition gegen Erik, bestehend aus adligen Familien und den Anhängern Herzog Johanns (III.), des späteren Königs, angeschlossen. Zur Zeit Johanns III. habe es dann den Gegensatz der konsequent lutherischen Gruppe gegen die Anhänger der den Katholizismus beschwichtigenden Politik des Königs gegeben. Dazu habe es ein deutliches Element aus Finnland (dem früheren Einflußgebiet Johanns) stammender Kanzlisten gegeben. Karl IX. habe dann als Statthalter wie als König konsequent mit den Beratern seines Bru­ ders Johann, als Exponent der national-schwedischen und lutherischen Partei gebrochen und Angehörige der eigenen, bisher herzoglichen Kanzlei, bei der Besetzung der Amtsstellen der königlichen Kanzlei bevorzugt. E.H.

Greger Andersson, Stadsmusikanten i svenskt musikliv under 1600- och 1700-Tallet (Karolinska Förbundets Arsbok 1991, 43-93; mit summarv). 252 Hansische Umschau

Ähnlich wie in Norddeutschland und Dänemark ist im behandelten Zeitraum auch in Schweden der Beruf des „Stadtmusikanten“ in enger Bindung an die jeweilige Gemeinde festzustellen. Am deutlichsten ist dies in den von Dänemark (wo der Beruf früh, ähnlich wie in Norddeutschland, als Berufsstand organisiert war) 1658 an Schweden abgetretenen Provinzen Schonen, Halland und Blekinge festzustellen. Durch von der Stadt festumrissene Privilegien unterschieden sie sich von den übrigen Berufsmusikern im Ort, auch von den Organisten der Kirchengemeinden. In den altschwedischen Gebieten waren in den kleineren Orten zunächst die Organisten gegenüber dem Stadtmusikanten in angesehenerer und privilegierterer Stellung. In den mittleren Städten erreichten die Stadtmusikanten oft eine besser privilegierte Stellung, die sich fortlaufend den mitteleuropäischen Verhältnissen anglich, obwohl die Organisten hier eine ähnliche Position erreichten und den Stadtmusikanten, die ihnen assistierten, übergeordnet wurden. Die Stadtmusikanten waren gleich den Handwerkern in gildeartigen Gruppen organisiert. Einkünfte erhielten sie teils durch ein festes Gehalt, teils durch Sporteln und Akzidentien. Der Aufsatz gibt auch Auskunft über Aufgaben und Einsatz der Stadtmusikanten. E.H.

Sverker Oredsson, Gustav Adolf, Sverige och Trettioariga knget. Histo- rieskrivning och kult (Bibliotheca Historica Lundensis, Nr. 70, Lund University Press 1992, 343 S., dt. Zusammenfassung). - Die vorliegende Abhandlung stellt weder eine neue Biographie Gustav Adolfs, noch eine dezidierte Darstellung der schwedischen Deutschlandpolitik zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges dar. Es handelt sich vielmehr um eine vorzügliche und interessante Untersuchung über die schwedische und außerschwedische (nicht zuletzt deutsche) Historiographie zum Thema, also eine „Geschichte der Geschichtsschreibung“, wobei der Titel der Abhandlung zeigt, daß Vf. deutlich exakte Forschung von historischem Kult und Mythos zu scheiden gedenkt. Als Fragestellung begleiten den Vf. dabei die beiden Punkte: 1. Warum griff Schweden in den Krieg ein? 2. Welche Folgen hatte dieses Eingreifen? Der Weg des Vfs. geht dabei von zeitgenössischen Darstellungen bis zur Gegenwart. An Darstellungen sind 65 schwedische, 71 deutsche und 30 sonstige Abhandlungen verschiedensten Umfangs zum The­ ma untersucht worden. Von den frühen Darstellungen an bis weit ins 19. Jh. hinein war zunächst bei den Historikern die Parteinahme vom konfessionellen Standpunkt her vorgezeichnet. Dazu trat dann nach dem Aufstieg Preußens in der norddeutsch/preußisch bestimmten Geschichtsschreibung die Auffassung, daß Gustav Adolfs Eingreifen nicht zuletzt auch den Aufstieg Brandenburg- Preußens, und damit auch die Entstehung des bismarckschen „Kleindeutschen Reiches“ von 1871, vorbereitet und letztlich ermöglicht habe. Auch in Schweden habe im Grunde erst im 19. Jh. die Begeisterung für die Großmachtpolitik Gu­ stav Adolfs um sich gegriffen, während bis dahin die Zeit der schwedischen Ex­ pansion zur Zeit der „Karoliner“ für die nationale Begeisterung im Vordergrund gestanden habe. Nicht zuletzt bei Schweden und Deutschen habe man dabei dem Zeitgeist folgend die „heldischen“ und genialen Züge in dem Handeln des Königs herausgestellt. In Preußen/Deutschland wurden diese Ansichten durch die antikatholische Wendung der Politik Preußens und des Reiches während des „Kulturkampfes“ seit den siebziger Jahren noch angespornt. Dazu betonte der Skandinavien 253

Liberalismus, daß der Sieg des Königs über die Kräfte der Gegenreformation die „Glaubensfreiheit“ für den protestantischen Teil Europas gesichert habe. Einen Höhepunkt dieser Erhebung des Königs in mythische Höhen brachte das Jubiläum der Lützener Schlacht im Jahre 1632 in beiden Ländern. Das Wachsen pazifistischer Stimmungen nach den verheerenden Wirkungen beider Weltkriege und das Wirken jener Historiker, die von den antimonarchischen Gedanken des Marxismus beeinflußt waren, brachte dann eine neue Betrachtungsform des Königs. Er habe, um eigenen und schwedischen Machtinteressen zu dienen, ohne zwingende Not in den Krieg eingegriffen und damit das Kriegselend für die einfachen Menschen in Deutschland verlängert. Nach Infragestellen der Dogmen der kommunistischen Lehre durch die historische Entwicklung in Osteuropa und nach der Hilflosigkeit des Pazifismus gegenüber rücksichtsloser Machtpolitik ideologischer Tyrannen von mancherlei Art, dürfte diese letzte Form der Beurteilung des schwedischen Eingreifens unserer Ansicht nach wohl nur noch wenig Anhänger unter den Historiographen der Zukunft finden. Auf zukünftige Abhandlungen über die Bedeutung Gustav Adolfs darf man also wohl gespannt sein. E.H. A lf Äberg, De fängna Karolinska kvinnorna i Ryssland (Karolinska Förbundcts Ärsbok 1991, 7-17; mit summary). Im großen Nordischen Krieg (1700-1721) wurden russischerseits neben anderen Zivilpersonen auch tausende von Frauen mit ihren Familien aus den baltischen Provinzen Schwedens bei geglückten russischen Vorstößen gefangen und nach Rußland verschleppt. Dabei handelte es sich teils um Schwedinnen, teils um einheimische baltische Frauen. Ein herausragendes und bekanntes Beispiel für letztere ist eine junge Litauerin, die Mätresse des Fürsten Menschikow wurde, später von diesem an Zar Peter I. abgetreten wurde und zu dessen Gemahlin, ja schließlich sogar zur regierenden Zarin Katharina I. aufstieg. Die meisten Leidensgenossinnen erwartete jedoch ein schweres Los; sie wurden bis ins Innere Rußlands, ja ins westliche Sibirien deportiert. Ihre Zahl vergrößerte sich nach Karls XII. Niederlage bei Poltawa (1709). Neben den Kriegsgefangenen wurden bei der Kapitulation der schwedischen Truppen auch um 1600 Frauen der Soldaten, der Verwaltungskräfte und der Feldprediger gefangengenommen. Die Männer wurden in Bergwerken und Werften zur Arbeit eingesetzt. Besser war das Los der Offiziersfamilien, die in den Deportationsorten beisammen blieben und schwedische Gemeinden bildeten. Die Anzahl der in den Deportationsräumen verstorbenen Frauen ist nicht feststellbar. Manche Frau erlebte 13-14 Jahre Gefangenschaft in der Fremde. E.H. Anders Floren und Göran Ryden, Protoindustri och tidigkapitalism. Mot en ny syn pa den svenska järnhanteringen före det industriella genombrottet (SHT 1992, 1-31, mit summary). Vff. wenden sich einer Diskussion der bishe­ rigen Thesen um den Übergang von der vorindustriellen Eisenproduktion zu moderneren Formen zu. Hier geht es also um die Veränderung des frühneuzeit­ lichen noch vom individuellen handwerksartig geprägten „Netzwerks“ zwischen Bergwerk, Hütte, Hammerwerk und Kohlenmeiler zu modernen großen, zen­ tralen Berg- und Hüttenwerken, die durch Kapitalinvestitionen entstanden. E.H. 254 Hansische Umschau

Nils Gustaf Stahre, Per Anders Fogelström, Jonas Ferenius, Gunnar Lundquist, Stockholms gatunamn (Stockholms monografier 50, 1992, 2. Aufl., viele Abb., Ktn., umfangreiches Register). - Der Band stellt eine erweiterte und überarbeitete 2. Aufl. des HGbll. 102 (1984), 271 f. besprochenen Bandes dar. Ebenfalls sind die Informationen von „Stockholms gatunamn-Innerstaden“ (1986) in diesen Band mit aufgenommen. Wieder werden in systematischer Reihenfolge die Bedeutungen der Straßennamen erläutert. Falls Straßen- oder Stadtteilsbezeichnung im Laufe der Stadtgeschichte häufiger wechselte, werden auch entsprechende historische Ausführungen zur Stadtteils- bzw. Straßenge­ schichte vorgelegt. Zur Einführung dient eine kurze Abhandlung über mögliche Klassifikationen zur Einteilung von Gruppierungen von Stadtteils- und Straßen­ namen. E. Fl.

NORWEGEN. Volker Seresse, Bergverkstradisjon ved Roros Kohher- verk 1671-1885. En undersogelse om innvandring av bergfolk fra Sachsen og Harzregionen til Norge og deres Virksomhet pa 1600-tallet (Det Kongelige Norske Videnskabers Selskab Skrifter 2, Trondheim 1992, Tapir Forlag, 101 S., mehrere Statistiken). - Die vorliegende Abhandlung wurde 1988 von der Phil. Fak. der Kieler Universität als Magisterarbeit angenommen und dann in Übersetzung in Norwegen gedruckt, wobei der ursprüngliche Text für die Veröffentlichung etwa um ein Drittel gekürzt wurde. Im 16. Jh. begann ein forcierter nennenswerter Bergbau im südlichen Norwegen zur Zeit des dänisch-norwegischen Königs Christian III. in der Kongsberggegend in der Landschaft Telemark. Hierzu wurden 100-200 Bergleute aus dem Erzgebirge ins Land gezogen. Die enttäuschenden Erträge und die nicht ausreichende Schaffung einer Infrastruktur ließen jedoch das Projekt faktisch scheitern. Einen neuen Aufschwung erhielt das norwegische Bergwerkswesen dann unter König Christian IV., der dem Trend seines Zeitalters folgend eine merkantilistische Wirtschaftspolitik in seinen Reichen betrieb. Am Bergwesen war er deswegen interessiert, um auf diese Weise seinem Herrschaftsbereich die Selbstversor­ gung mit Kupfer (wichtig für die Herstellung von Kanonen im von Kriegen durchzogenen 17. Jh.), Silber und Eisen zu ermöglichen. Da jedoch die aktive Außenpolitik Christians viel Staatskapital verschlang, konnte der Ausbau des Bergbauwesens nicht durch den Staat direkt erfolgen. Der König förderte diesen aber durch wichtige Privilegien für investierende Partizipanten in einer Verord­ nung von 1632. Neben der Zulassung ausländischer Investoren unterstützte er auch die Anlage von Kapital seitens des Kopenhagencr Großbürgertums. So kam es zu einem ersten „protoindustriellen“ Schritt in der bisher von Landwirtschaft und Fischfang bestimmten norwegischen Wirtschaft. Um Kongsberg und Roros entstanden neue Bergwerke, die Arbeitsplätze für die Bevölkerung, aber auch für den Staat neue Einnahmen aus Münzregal, Zöllen, und Zehnten schufen. Um aber Fachkräfte ins Land zu ziehen, förderte Christian wieder die Einwanderung deutscher Bergleute, (aus den Bergbaugebieten Harz und Erzgebirge), welche über die modernen Bergbautechniken informiert waren. Diese Einwanderung hielt von 1620/30 bis Ende des 17. Jhs. an. Zunächst wurde eine größere Gruppe von etwa 500-550 Einwanderern geworben, später folgte dann ab 1640 eine Zeit der Zuwanderung kleiner Gruppen und einzelner Personen. Vf. widmet Osteuropa 255 sich hierbei vor allem der exemplarischen Untersuchung der Entwicklung im Kupferbergwerk von Roros (entstanden 1644/45). Innerhalb der Gruppe der gesamten Bergarbeiterschaft kommen Vfs. Berechnungen auf einen Anteil der deutschen Zuwanderer von ca. 50 %, in leitenden Funktionen unterschiedlicher Art war deren Anteil mit ca. 40 % wesentlich höher. Die deutschen Zuwan­ derer in Roros kamen meist nicht direkt aus Deutschland, sondern wanderten aus den nach 1620/30 entstandenen Bergbausiedlungen als Nachkommen der ursprünglichen Immigranten zu. Als Antrieb für die Einwanderung werden die gebotenen Aufstiegsmöglichkeiten gewirkt haben, zeitweise auch die ungünstige Wirtschaftslage in den Heimatregionen während und nach dem Dreißigjährigen Krieg. E.H.

OSTEUROPA (Bearbeitet von Norbert Angermann, Elisabeth Harder-Gersdorff und Hugo Weczerka)

Ein wichtiges Hilfsmittel zum Auffinden von Quellen, die heute im Zentralen Staatsarchiv Alter Akten (CGADA) in Moskau aufbewahrt werden, ist der neue vierbändige Archivführer (CentraPnyj gosudarstvennyj archiv drevnich aktov SSSR. PutevoditeP v cetvrech tomach, 1.1, Moskva 1991, 528 S.). Gegenüber dem alten Archivführer von 1946/47 weist er eine überarbeitete Struktur auf und präsentiert ausführliche Beschreibungen der großen Bestände des CGADA. Dem Benutzer gewährt der vorliegende 1. Band wertvolle Hilfe bei der Suche hanserelevanter Quellen wie z. B. jener über die Beziehungen Rußlands zu Danzig, Hamburg, weiteren Reichsstädten u. ä. 5. Dmnschat

Aus dem Gedächtnisband für Vladimir Terent’evic Pasuto Osteuropa im Altertum und Mittelalter. Probleme der Quellenkunde (Vostocnaja Evropa v drevnosti i srednevekove. Problemy istoenikovedenija. Ctenija pamjati clena- korrespondenta AN SSSR Vladimira Terent’evica Pasuto, Moskva, 18-20 aprelja 1990 g., Moskau 1990, Akademija Nauk SSSR, 158 S.) berühren mehrere Beiträge unser Interessengebiet. - S.V. Beleckij überprüft, ob in der fürstlichen Beglaubigung privatrechtlicher Urkunden zu Recht Die Funktion der vor- mongolischen Siegel mit Heiligenabbildungen auf beiden Seiten (O funkcijach domongoPskich pecatej s izobrazenijami svjatych na obeich storonach [k peres- motru istoriograficeskoj tradicii], 10-14) zu sehen ist. Vf. kommt zum Schluß, daß es sich bei den untersuchten Siegeln der Fürsten um deren persönliche handelte. Die juristische Seite, die eine Beglaubigungsfunktion des Fürsten und weiterführend die Annahme seiner Exekutivgewalt rechtfertigen würde, fehle in den auf dem „Rjurikovo gorodisce“ aufgefundenen Siegeln. Vf. schränkt ein, daß das Problem noch weiterer Untersuchungen bedarf. - G.V. Glazyrina erörtert die Nachricht über Das schwedische Besitzrecht auf Ladoga im 11. Jh. (Svedskoe derzanie v Ladoge v XI v. [k probleme interpretacii izolirovannych soobscenij drevneskandinavskich istoenikov po istorii Drevnej Rusi], 36-39) in 256 Hansische Umschau

Snorri Sturlusons „ vom hl. Olaf“, der zufolge Ladoga als Morgengabe des Kiever Fürsten Jaroslav seiner schwedischen Braut Ingigerd übergeben wurde. Der von Snorri Sturluson verwendete norwegische Terminus „tilgjof“ stamme aus der 2. Hälfte des 12. Jhs., jedoch habe zu Beginn des 11. Jhs. in Schweden aufgrund des erst spät einsetzenden Feudalisicrungsprozesses das Recht der Frau auf Eigentum noch nicht bestanden, was Vf.in veranlaßt, die Glaubwürdigkeit der Quelle zu bezweifeln. - T.N. Dzakson unternimmt eine quellenkritische Analyse der Isländischen Königssagas als Quelle für die Geschichte der Alten Rus (Islandskie korolevskie sagi kak istoenik po istorii Drevnej Rusi [istoriograficeskij aspekt], 45-49). Zu beachten wären danach die zahlreichen Modernismen der Quelle; die schriftlichen Überlieferungen müßten mit den Ergebnissen archäologischer Ausgrabungen verglichen werden. - E . S . Mugurevic konfrontiert in seinem aufschlußreichen Beitrag Die Chronik Heinrichs des Lettenpriesters und Resultate archäologischer Forschungen (Chro- nika Genricha i archeologiceskie dannye, 83-87). In einigen Fällen kann er die falsche Identifizierung von in der Chronik genannten Burgen und Siedlungen mit damals noch nicht besiedelten Plätzen korrigieren oder deren ursprüngliche Lage angeben. -V.l. Matuzova und E.L. Nazarova vergleichen Die Lehnsurkunden für die einheimische Aristokratie in Preußen und Livland im 13. Jh. (Zalovannye gramoty mestnym nobilijam v Prussii i Livonii. XIII v. [sravnitel’noe issledovanie], 72-75) und stellen einige Unterschiede fest, wie z. B. die Verpflichtung zur Zahlung des jährlichen Zehnts in den preußischen, nicht aber in den livländischen Urkunden. In letzteren ist demgegenüber das Zurückdrängen einheimischen Grundbesitzes zugunsten des deutschen besser dokumentiert. - V.D. Nazarovs quellenkritischer Beitrag Zur Methode der Untersuchung von Novgoroder Quellen des 12. und 13. Jhs. (K metodike analiza Novgorodskich istoenikov XII-XIII vv. [O stratifikacii obscestva Novgorodskoj respubliki], 92-96) zeigt, daß die „ogniscane“ nicht mit den Bojaren identisch waren. „Ogniscane“ und „gridi“ gehörten zum Novgoroder Kriegsgefolge, waren in administrativer Hinsicht der Stadt und nicht dem Fürsten unterstellt. Sie stellten also neben den Bojaren den Kern der Novgoroder Streitmacht und waren ihrem Status nach diesen gleichgestellt. B. Schubert

Die Frühzeit des Ostslaventums (Erträge der Forschung, Bd. 277, Darmstadt 1992, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 273 S., 5 Ktn.) ist Gegenstand einer Studie, die Carsten Goehrke unter Mitwirkung von Ursel Kälin vorlegt. Vf. gibt einen systematisch gegliederten Überblick über den Forschungs­ stand und ergänzt bzw. korrigiert vorliegende Aussagen und Thesen durch eige­ ne höchst fundierte und wohldurchdachte Überlegungen. Zunächst befaßt sich G. mit den Ursachen der ostslavischcn Wanderung und Ausbreitung, die sich seit Mitte des 5. Jhs. vollzog, und stellt fest, daß im dritten Viertel des 1. Jahrtausends das Siedlungsgebiet östlich des mittleren Dnepr ethnisch inhomogen war; auch in den von der Nordwanderung der Ostslaven erfaßten Gebieten nördlich des obe­ ren Dnepr ist noch bis zum 10. Jh. eine „enge Verflechtung mit nichtslavischen (vorwiegend ostseefinnischen) lokalen Traditionen“ (31) zu beobachten. Die Formierung organisierter Stammesverbände läßt sich spätestens für das 10. Jh. nachweisen. In einem zweiten Schritt fragt Vf. nach den Möglichkeiten einer Osteuropa 257

Rekonstruktion der ostslavischen Ethnogenese. Daß das nördliche Karpatcn- vorland und Wolhynien zum slavischen Kernraum gehörten, ist unumstritten; bezüglich einer weiteren Ausdehnung liegen aber divergierende Modelle vor. Die ethnische Mobilisierung der Slaven geschah während der Völkerwanderungszeit. Schließlich versucht Vf. in zehn Perspektiven eine Annäherung an die frühe, weitgehend im dunklen liegende ostslavische Lebenswelt. Dabei stellt er u. a. fest, daß das ostslavische Siedlungsgebiet seit dem 8./9.Jh. in ein Fernhandcls- netz einbezogen war, das von der Ostsee bis in den Nahen Osten reichte und die Entstehung eines Städtenetzes begünstigte. Als „historische Pioniere“ (123) wirkten hier die Wikinger, die auch entscheidenden Anteil an der frühen Herrschaftsbildung im ostslavischen Raum hatten; das Kiever Reich, das seit dem 10. Jh. auch als internationaler Machtfaktor angesehen wurde, basierte laut G. auf einem „polyethnischen Konglomerat“ (163). In der Bilanz seiner nicht zuletzt durch die sorgfältige Einbeziehung der Ergebnisse verschiedener Wissenschaftsdisziplinen (Vor- und Frühgeschichte, Archäologie, Historische Anthropologie, Paläodemographie, Linguistik u. a.) beeindruckenden Darstel­ lung faßt G. zusammen, daß die seit dem 9. Jh. wirksamen Außenimpulse die Entwicklung des Ostslaventums beschleunigten, so daß es im 10. Jh. zu der fruchtbaren Wechselwirkung endogener und exogener Kräfte im Kiever Reich kommen konnte. G. Pickhan

Die Rus und Deutschland vor 988 lautet der Titel einer beziehungsgeschicht­ lichen Studie von Aleksandr V. Nazarenko (Nuovi Studi Storici 17, Roma 1992, 19-42). Vf. setzt sich kritisch mit der bisherigen Herangehensweise der Historiker an dieses Thema auseinander und entwickelt neue Fragestellun­ gen. S. Dumschat

Alexander Rogatschewski bietet eine Übersicht über das sowjetische Schrifttum der 1970er und 1980er Jahre zur Geschichte des Magdeburger Stadtrechts (ZRGG 109, 1992, 390-399). Danach war die ukrainische Forschung besonders erfolgreich bei der Erschließung neuen Materials über die Verleihung des Magdeburger Rechts, die in Osteuropa in der zweiten Hälfte des 14. Jhs. begann und in manchen Städten Litauens und der Ukraine noch im 18. Jh. erfolgte. Die ältere Auffassung, daß das Magdeburger Recht von der litauischen und ostslavischen Stadtbevölkerung als etwas Fremdes und Bedrückendes empfunden wurde, tauchte im berücksichtigten Schrifttum nur noch vereinzelt auf; vielmehr meinten fast alle Autoren jetzt, daß die Privilegierung mit diesem Recht für die städtische Entwicklung günstig war, und es wurde auch gezeigt, daß die Gemeinden es schätzten. N.A.

ESTLAND/LETTLAND. Manfred Hellmann, Grundlagen und Vor­ aussetzungen der Livlandmission (in: Die Deutschen im Baltikum. Geschichte und Kultur. Fünf Vorträge, hg. von Horst Kühnei, München 1991, Haus des Deutschen Ostens, 9-18). - Die mittelalterliche Geschichte Livlands, insbeson­ dere die Missionsgeschichte, muß grundsätzlich korrigiert, wenn nicht über­ haupt neu geschrieben werden. Dies ist der Grundgedanke des Vfs. Nach seiner Meinung hat man bei der Rekonstruktion der Vergangenheit das Denken der 258 Hansische Umschau

mittelalterlichen Menschen ignoriert, nicht nur das der Geistlichen, Ritter, Pilger und Kaufleute, die in dieses Land kamen, sondern auch das der einheimischen Völker. H. verdeutlicht darüber hinaus auch konkreter, daß es noch heute in der Geschichte Livlands viele unbeantwortete Fragen gibt, z. B. inwieweit der Begriff „deutsche Ostsiedlung“ verwendet werden kann, wenn man vom ostbaltischen Raum spricht, wie das Verhältnis des Bistums, später Erzbistums Riga zum Deutschen Reich und zum Papsttum zu charakterisieren ist, und ob die einheimischen Völker nur einer grausamen Bekehrung („Schwertmission“) ausgeliefert oder am Missionsvorgang mitbeteiligt waren. A. Leväns

Reinhard Vogelsang, der mit der Herausgabe der Revaler Kämme­ reibücher von 1432 bis 1507 (in vier Teilbänden) schon viel für die Edition von Revaler Quellen des 15. Jhs. geleistet hat, hat nunmehr Revaler Schiffslisten 1425-1471 und 1479-1496 herausgebracht (Quellen und Studien zur baltischen Geschichte, Bd. 13, Köln 1992, Böhlau, XXXVI, 748 S.). Die Originale - drei gebundene Bände und ein Papierheft - befinden sich heute wieder im Revaler Stadtarchiv. Sie verzeichnen den Import über die Ostsee nach Reval, und zwar die Namen der Schiffer und der Befrachter sowie die Waren (z. T. Art, z. T. Verpackung, Menge), nur ausnahmsweise Zollbeträge. Nur selten ist etwas über die Herkunft der Personen gesagt; aber aus den Namen und gelegentlichen Angaben geht hervor, daß es sich um Deutsche und Holländer handelte. 1435 erscheint auf dem Schiff des „Peter Valke ut Prußen“ ausnahmsweise als Be­ frachter „Dimiter van Moscowe“ (293). Die überwiegende Handelsware war das Baiensalz. Allerdings scheint Zoll nur zeitweise von allen Waren erhoben worden zu sein, so daß über Jahre hinweg nur Salzschiffe registriert wurden. V. untersucht zur Klärung dieser Frage in der Einleitung die Beschlüsse über die Pfundzollerhebungen und stellt fest, daß Reval auch ohne gesamthansische Beschlüsse Zoll erhoben hat. Zur Beurteilung dessen, wie die Quelle zustande gekommen sein wird und was sie bietet bzw. warum sie anderes nicht bietet, ist V.s Abschnitt „Zollerhebung und Buchführung“ in der Einleitung nützlich. - Die Edition ist in der für den Bearbeiter bekannten Weise sehr sorgfältig, der Editionsapparat ist knapp und präzise. Zwei Register sind bei der Erschließung des Materials hilfreich: eines der Ortsnamen, der geographischen Bezeichnungen und der von ihnen abgeleiteten Begriffe (der oben erwähnte Beleg „ut Prußen“ ist aber im Stichwort ,Preußen' nicht berücksichtigt!) und eines der Schifferna­ men. Leider bleiben die Namen der Befrachter unberücksichtigt, wohl wegen ihrer großen Zahl; schade ist dies allemal. Insgesamt ist die Publikation dieser Revaler Quellen sehr zu begrüßen. H. W.

Der neue Band der Folge Alt-Reval (Vana Tallinn II [VI], Tallinn 1992, Olion, 176 S., dt. Zusammenfassungen, zahlreiche Abb.) wurde von der Redaktion den Veranstaltern und Teilnehmern der Hansetage in Tallinn 1992 gewidmet. Das Büchlein beinhaltet Beiträge aus verschiedenen Gebieten der Geschichts­ forschung, wobei der Hauptredakteur Raimo Pullat offensichtlich bemüht war, das Ganze in die Bahnen der Sozial- und Alltagsgeschichte zu lenken. Teilweise ist es gelungen: Der Aufsatz von Krista Kodres Uber das Wohninterieur und die Einrichtung in Reval im 17.-18. Jahrhundert (51-79) Osteuropa 259 hebt nicht nur die Eigenarten der Rcvalcr Einrichtungen, sondern auch deren Entwicklungsgang gut hervor und zieht Parallelen zu anderen Ländern. Sehr interessant hätte auch Das Kalendarium der Revaler Dominikaner als Spiegel der Weltanschauung am Vorabend der Reformation von T i i n a Kala (16-28) werden können, jedoch ist es der jungen Vf.in mangels Zeit und Raum nicht ganz gelungen, eben diese Weltanschauung dem Leser zu zeigen. Die Arbeit mit den Quellen ist dafür sehr präzise ausgeführt. Ähnliche Mängel weist auch der Beitrag des Kunsthistorikers Rasmus Kangropool Die St. Barbarakapelle und Friedhof (6-15) auf - jeder Forscher muß sich eine Frage stellen, die er beantworten möchte, die bloßen Fakten, egal wie sorgfältig zusammengetragen, eignen sich nicht sehr gut als Resultat der historischen Forschung. Die Beiträge von Heino Gustavson über die Insel Nargen (29-50), von Valentine K o n s a p über eine Fabrik für Edelmetallgegenstände (118-132) und von Ene Heim veil über eine estnische Kunsthornfabrik (134-142) bleiben auf der Ebene heimatkundlicher Forschungen. Im Bereich zwischen der Kultur- und der Sozialgeschichte liegt Raimo Pullats Aufsatz Das Buch und der Leser in Reval im 18. Jahrhundert (80-101). Der Band wird abgeschlossen durch Rezen­ sionen. Im ganzen erfüllt er seine Aufgabe, den Bewohnern und Gästen Tallinns die Geschichte dieser Stadt näher zu bringen und zugleich der Forschung zu dienen, gut. E. Somelar

Teodors Zeids bietet mit seinem Buch über Die ältesten schriftlichen Quellen zur Geschichte Lettlands bis 1800 (Senäkie rakstltie Latvijas vestures avoti lldz 1800. gadam, Riga 1992, Zvaigzne, 216 S.) eine Einführung, die den Studierenden des Faches Geschichte dienen soll. Damit ist auch die Absicht des Vfs. zu erklären, nur die Quellen zu berücksichtigen, die für die Geschichte Lettlands von besonderer Bedeutung gewesen sind. In Uberblicksform werden die Schriftquellen der Antike, des Früh- und des Hochmittelalters vorgestellt, also die Aufzeichnungen der Griechen, Römer, Skandinavier, Angelsachsen, Russen und Araber über die östliche Ostsecküste und die dort ansässigen Völker. Im Folgenden geht der Vf. auf die schriftliche Überlieferung aus dem 13. Jh. ein. Er scheint hier die Frage nach der Nationalität des Chronisten Heinrich von Lettland aktualisieren zu wollen; für ihn ist Heinrich ein Lette gewesen. Die Quellen aus der Zeit vom Ende des 13. Jhs. bis 1561 werden in einem weiteren Teil des Buches behandelt. Als eine wichtige Zäsur hebt Vf. nämlich den Livländischen Krieg (1558-1583) hervor, der eine neue Epoche in der Geschichte Livlands bzw. Lettlands einleitete, und er systematisiert das historische Schrifttum zur Geschichte Lettlands dementsprechend. Grundlegend für die Einordnung der schriftlichen Quellen der Folgezeit sind für ihn die jeweils neuen Herrschaftsgebiete, deren Grenzen von verschiedenen Mächten bis 1800 mehrfach geändert wurden. A. Leväns

A . C a u n e beleuchtet Erklärungen der Entstehung des Wortes Riga und ihre Übereinstimmung mit den archäologischen Zeugnissen (Rigas värda izcelsmes skaidrojumi un to atbilstlba arheologiskajäm lieclbäm. ZA Vest 1992, 6, 35—41, dt. Zusammenfassung). Nach der Herkunft von „Riga“ wurde in vielen Sprachen gesucht, u. a. im Livischen, im Deutschen und in altskandivanischen Sprachen, 260 Hansische Umschau

wobei die Autoren bemüht waren nachzuweisen, daß die entsprechende ethni­ sche Gruppe einst am Unterlauf der Düna ansässig war. Zusätzlich zu Schrift­ quellen bezog man dabei in neuerer Zeit auch sprachwissenschaftliches und archäologisches Material in die Betrachtung ein. C. schließt sich der Meinung an, daß dem Wort die baltische Wurzelsilbe „ring“ (mit der Bedeutung „sich winden, sich schlängeln") zugrundeliegt: Die Scmgaller gaben dem in die Düna mündenden Flüßchen die entsprechende Bezeichnung „Ringa“, die an seiner Mündung liegende Siedlung der örtlichen Bevölkerung wurde dann im 11. Jh. abgewandelt „Riga“ genannt, und Anfang des 13. Jhs. ging der Name auf die Stadt über. N.A.

Das heutige Wissen über Die Rolle Rigas im Dünamündungsgebiet im 10.- 12. Jahrhundert faßt A . C a u n e prononciert zusammen (Rigas loma Daugavas lejteces apgabalä 10.-12. gs. ZA Vest 1992, 3, 7-13, dt. Zusammenfassung). Daß vor der Gründung der Stadt Riga (1201) auf ihrem Gebiet dicht ne­ beneinander zwei Siedlungen existierten, erklärt Vf. mit einer gemischten Ein­ wohnerschaft: Neben Dünaliven und Scmgallern lebten dort aus Nordkurland eingewanderte Wenden und kuronisierte Liven. In der zweiten Hälfte des 12. Jhs. wurde das bis dahin dörfliche „Riga“ zu einem Hafen für Seeschiffe und zu einem Marktplatz, an dem sich Kaufleute aus der Rus’, aus Gotland und Deutschland trafen. N.A.

Johann Christoph Brotze (1742-1823), geboren in Görlitz, kam 1768 nach Ri­ ga und wurde dort Subrektor des Lyzeums. Der zeitgenössischen Öffentlichkeit war er als Publizist und Sammler mit großem Interesse an der Vergangenheit Liv­ lands und vor allem der Stadt Riga bekannt. Eines seiner umfangreichsten Werke nannte er ursprünglich „Sammlung verschiedener Liefländischer Monumente, Prospecte, Müntzen, Wapen etc.“. Dieses handschriftlich in 10 Folio-Bänden erhaltene Werk enthält 4 600 mit Bleistift, Feder oder als Aquarell angefertigte Zeichnungen, begleitet von kürzeren oder längeren Beschreibungen. Heute liegt uns der prachtvolle erste Band einer fünfbändigen Ausgabe von Brotzes „Monumenten“ vor, die von Mitarbeitern des Instituts für Geschichte der Let­ tischen Akademie der Wissenschaften zum Druck vorbereitet wurde: Johann Christoph Brotze, Zeichnungen und Beschreibungen in fünf Bänden, Bd. 1: Rigaer Ansichten, Menschen und Gebäude, unter der Redaktion von Teodors Zeids (Johans Kristofs Broce, Zlmejumi un apraksti, 1. sejums: Rigas skati, jaudis un ekas, Riga 1992, Zinätne, 455 S., zahlr. Abb., lettisch und dt.) Für diese Ausgabe wurde das in den 10 Bänden der „Monumente“ verstreute Material thematisch und geographisch geordnet. Im ersten Bd. ist all das zusammengefaßt, was die Stadt Riga schildert. Dazu gehören Stadtpläne aus mehreren Jahrhunderten. Die Bauten der Stadt werden präsentiert, soweit Brotze sie in die Vergangenheit zurückverfolgen konnte. Besonders reizvoll sind Zeichnungen, auf denen die Einwohner und Gäste Rigas liebevoll und sorgfältig dargestellt sind. Brotze ist es gelungen, die Menschen in ihrer Zugehörigkeit zur Stadt und dem Stadtbild zu zeigen. Es ist der Augenblick, es sind die bunten Farben, die Brotze für sich und die Nachwelt festhalten wollte. Die zahlreichen Zeichnungen sind mit ausführlichen wissenschaftlichen Kommenta- Osteuropa 261 ren in lettischer Sprache versehen. Der Text Brotzes ist in der Originalsprache (Lateinisch oder Deutsch) abgedruckt und von einer lettischen Übersetzung begleitet. Insgesamt handelt es sich bei dem Werk um eine Enzyklopädie, in der das zeitgenössische Wissen über die Vergangenheit und Gegenwart mit dem Eifer eines Chronisten zusammengetragen ist. In den „Monumenten“ finden wir sehr viele wertvolle Schriftstücke des Mittelalters und der frühen Neuzeit wie Urkunden, Testamente u. a. in Abschriften, ebenso wie auf den Zeichnungen Siegel, Münzen, Inschriften und Häuser, die der Zeit nicht widerstehen konnten und für immer verloren gegangen sind. Hilfreich sind die Personen-, Orts-, Sach- und Wortregister in lettischer und deutscher Sprache. A. Leväns

Erich Donnert, Kurland im Ideenbereich der Französischen Revolu­ tion. Politische Bewegungen und gesellschaftliche Erneuerungsversuche 1789- 1795 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle „Demokratische Be­ wegungen in Mitteleuropa 1770-1850“, Bd. 5, hg. von Helmut Rein alter, Frankfurt/M. 1992, Peter Lang, 370 S., 1 Kt.). - Das Herzogtum Kurland und Semgallen bestand seit 1562 unter der Lehnsoberhoheit Polens. Mit dem Anschluß Livlands und Estlands an das Russische Reich (1710) sah sich Kurland zunehmend dem Druck jener Expansionsinteressen ausgeliefert, die sich mit den Polnischen Teilungen schließlich durchgesetzt haben. 1795 ging Kurland an Rußland. Herzog Peter Biron verdankte seinen relativ reibungslosen Rücktritt der Kooperation der kurländischen Ritterschaft mit Petersburg. - Welche Rolle spielten in diesem „Finis Kurlandiae“ andere Gruppen und Stände? 1790 for­ mierte sich die obere Schicht der Magistrate, Kaufleute und arrivierten Literaten zu einer „Bürgerlichen Union“. Sie wappneten sich ebenso großzügig wie der Adel mit Parolen der Französischen Revolution gegen den Herzog. Sie forderten zunächst von ihm und später im Warschauer Sejm für das Bürgertum rechtliche Gleichstellung, gleichen Anspruch auf öffentliche Ämter und auf den Erwerb von Grundbesitz und nicht zuletzt einen Schutz des Klein- und Zwischenhan­ dels vor Ausländern und Aufkäufern. Eine Spaltung der Kräfte jedoch lähmte diese Bewegung schnell. Die „Bürgerschaft der Künstler und Professionisten“ verwandte sich, mit scharfen Anwürfen gegen die Union, beim Fürsten für Rechte und Mitwirkung der Kleinbürger, hauptsächlich der Handwerker. Mit dem reformierten Theologen Johann Nikolaus Tiling (1739-1798) verfügten diese Interessenten über einen sprachgewaltigen Wortführer. Während des blu­ tigen Aufruhrs der Müllergesellen im Dezember 1792 geriet Tiling sogar in den Verdacht, den Aufstand begünstigt zu haben, obwohl er zur Partei des Herzogs gehörte und seine Gruppe der Handwerker sich von der sozial motivierten Konfrontation betont distanziert hatte. Eher das weitreichende, durch hochge­ stimmte Literaten und Mitglieder der Mitauer Akademie vermittelte „Fluidum“ der Pariser Ereignisse und Ideen und nicht etwa ein handfestes Wirken von Agitatoren hatte Vf. zufolge die für Kurland „völlig neue Erscheinung“ (176) der Müllerrevolte entzündet. In direkter Verbindung zu den Gesellen stand offenbar nicht einmal Wilhelm Ludwig Koenemann (1751-94), ein stellenloser Advokat, der in Mitau als Kopf des Jakobiner-Kreises galt. Koenemanns Engagement gegen den „Hunger und die Verzweiflung der Unterdrückten“ (101) machte ihn zu einem radikalen Außenseiter, der umgehend scharfe Kritik an der sozialen 262 Hansische Umschau

Indifferenz übte, durch die er die in Paris 1789 proklamierten Menschen- und Bürgerrechte kompromittiert sah. Seine „Merkwürdigen Betrachtungen“ (1789/90) zur neueren Verfassungsbewegung in Polen adressierte er direkt an den König. Die leidenschaftliche Relation des „Anwalts der Armen und Entrechte­ ten“ (97), nur in zwei Manuskripten (Warschau; Tartu) überliefert, gelangt im Anhang der Monographie (237-90) neben anderen Dokumenten erstmals zum Druck. - Kurland hatte damals knapp 420 000 Einwohner. Unter einer deutschen Ober- und Mittelschicht stellten die Letten fast 90 % der hauptsächlich unfreien bäuerlichen Bevölkerung. Sachlich gesehen erscheint es fast nicht möglich, die Komplexität der politisch-sozialen und der geistig-kulturellen Existenzweisen des baltischen Kleinstaates nachvollziehbar zu erfassen. Das aber gelingt D. in eindrucksvoller Form. Sein Buch bietet ein dramatisches, hochkompetent präsentiertes Stück europäischer „Sozialgeschichte der Aufklärung“, das sich dem gängigen Kanon unserer Kenntnisse bislang weitgehend entzog. E.H.-G.

In das gleiche Feld gehört der im Jahr zuvor publizierte Aufsatz von Erich Donnert, Joachim Christoph Schulz und seine „Reise eines Livländers“. (in: Sehen und Beschreiben. Europäische Reisen im 18. und frühen 19. Jahrhundert, hg. von Wolfgang Griep, Eutiner Forschungen 1, Heide 1991, West­ holsteiner Verlagsanstalt Boysen & Co., 279-289). Aus dem bei Vieweg d. A. 1795/96 in Berlin veröffentlichten, dreiteiligen Werk thematisiert Vf. die polni­ sche Verfassungslage und -diskussion im Vorfeld der Dritten Teilung, die sich bei Schulz unter der Überschrift „Warschau“ über mehrere Kapitel erstreckt. Schulz (1762-98), geboren in Magdeburg, erfolgreicher Belletrist, Augenzeuge und Chronist der Französischen Revolution, sowie Hofrat in Weimar, erhielt 1790 einen Ruf des Herzogs von Kurland an die Academia Petrina zu Mitau. Be­ reits 1791/92 wirkte der Geschichtsprofessor als Deputierter der „Bürgerlichen Union“ Kurlands im Großen Reichstag zu Warschau. E.H.-G.

Indrek Jürjo befaßt sich eindringlich mit August Wilhelm Hupel als Repräsentant der baltischen Aufklärung (JbbGOE 39, 1991, 495-513) und stellt heraus, daß Hupel (1737-1819), der in Thüringen aufwuchs, in Jena studierte und schließlich im estnischen Pöltsamaa (Oberpahlen) ein Pastorat innehatte, publizistisch auf verschiedenen Gebieten hervorgetreten ist. Er profilierte sich als Topograph und Sammler und als Herausgeber von Zeitschriften, die wie die „Nordischen Miscellaneen“ auch seinem Bemühen dienten, im Westen positive Kenntnisse über Rußland zu verbreiten. Auch der prononcierte Einsatz für die Pflege der estnischen Sprache gehört zu seinen Leistungen. - Da der erste Band von Hupels Hauptwerk „Topographische Nachrichten von Lief- und Ehstland“, zuerst 1774 bei Hartknoch in Riga gedruckt, neuerdings in der Reihe Monumenta Historica, Bd. I (Tallinn/Reval 1992), als Reprint greifbar ist, lohnt sich der Hinweis auf Jürjos Aufsatz auch deshalb, weil er sich bestens eignet, Hupels Geisteswelt umfassend vorzustellen. E.H.-G.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Studie von Jürgen Heeg, der Die politische Publizistik Garlieb Merkels und seine Kritik an der livländischen Osteuropa 263

Leibeigenschaft (JbbGOE 40, 1992, 27-40) mit der „Forderung allgemeiner Menschenrechte für die erstmals als Nation anerkannten Völker der Letten und Esten“ (27) als einen Paukenschlag im Blätterwald vorstellt. Der in Livland gebürtige Merkel (1769-1850) habe mit dem Werk „Die Letten“ (Leipzig 1796/97) ein heftiges internationales Echo ausgelöst und in den baltischen Provinzen eine anhaltende politische Diskussion in Gang gesetzt. Im Gegensatz zu den übrigen Aufklärungsschriftstellern im Baltikum, die wie A.W. Hupel kritische, aber abwägende Urteile zur Leibeigenschaft abgaben, habe Merkel erstmals „eine grundsätzliche, politische Forderung von radikal-revolutionärem Ausmaß für die bestehende Ständegesellschaft“ (29) formuliert. E.H.-G.

LITAUEN. Durch ein Versehen ist von dem in HGbll. 110, 1992, 178 f. angezeigten Sammelband zur „Christianisierung Litauens“ der vollständige Titel unterschlagen worden; er lautet: La cristianizzazione della Lituania. Atti del colloquio internazionale di storia ecclesiastica in occasione del VI centenario della Lituania cristiana (1387-1987), Roma, 24-26 Giugno 1987 (Pontificio Comitato di Scienze Storiche, Atti e Documenti 2, Cittä del Vaticano 1989, Libreria Editrice Vaticana, 309 S.). H. W.

Die historische Forschung über Litauen in der Bundesrepublik charakte­ risiert Arthur Hermann (Litauisches Kulturinstitut, Jahrestagung 1991, Suvaziavimo darbai, Lampertheim 1992, 7-28). Vf. stellt die wichtigsten Insti­ tutionen und bedeutendsten Historiker vor, die sich mit der litauischen Ge­ schichte befaßt haben bzw. befassen. Zu Recht hebt er die Leistungen Manfred Hellmanns auf diesem Gebiet hervor. Doch weist Vf. darauf hin, daß dieser Forschungsbereich dringend neuer Impulse bedarf. Des weiteren geht er ge­ nauer auf drei wichtige Neuerscheinungen ein und schließt seiner Übersicht eine umfangreiche Liste von deutschsprachigen Untersuchungen zur Geschichte Litauens an, die seit 1945 schienen sind. S. Dumschat

POLEN. Elementa ad fontium editiones LXXV1. Index personarum quae m voluminibus LXI-LXIX et LXXII-LXXV continentur, ediderunt Wanda de Andreis Wyhowska et Lucianus Olech adiuvante Maria Lamberti, Rom 1992, Institutum Historicum Polonicum Romae, VIII, 144 S.). - Band 76 der „Elementa“ enthält das Personennamenregister für die Bände 61-69 und 72-75 der Reihe, welche - mit Ausnahme von Bd. 64 - Korrespondenzen Herzog Albrechts von Preußen mit Polen-Litauen aus den Jahren 1545-1568 beinhalten. Er setzt damit die Indices der Bände 70 und 71 fort, in denen die Personennamen der Bände 1 bis 60 erfaßt sind. - Der uns nicht zugegangene Band 75 der „Elementa“ stellt den (vorläufig?) letzten Band der Unterreihe Res Poloniae ex Archivo Regiomontano ad Poloniam spectantia mit Quellen aus dem ehemaligen Staatsarchiv Königsberg (jetzt im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin) dar: XL Pars, hg. von Carolina Lanckoronska und Lucianus Olech (Rom 1991 ?), der den Vollabdruck von Korrespondenzen Herzog Albrechts von Preußen nach Polen-Litauen bzw. deren Regcstierung mit 164 Nummern aus den letzten 264 Hansische Umschau

beiden Lebensjahren Albrechts (1567-1568) abgeschlossen hat (zum vorletzten Band vgl. HGbll. 109, 1991, 205). H. W.

Plastisch und systematisch informiert uns Maria Bogucka über Women and economic life in Polish cities during 16th - 17th centuries (in: La donna nell’economia secc. XI1-XVIII. Atti della „XXI Scttimana di Studi“, 10-15 Aprile 1989, Istituto Internazionale di Storia Economica „F. Datini“, Prato 1990, S. 185-194). Die Chancen und Schranken eigenständiger Frauenarbeit sieht Vf.in durch Rechtslage, Produktionsniveau, Bevölkerungsstruktur und schichtspezifische Usancen der Mädchenbildung bestimmt. Sie orientiert sich an diesen Kriterien, wenn sie durchaus differierende Gegebenheiten in den Großstädten Danzig, Warschau und Krakau darstellt. Dabei stößt sie auf schichtspezifisch signifikante, im einzelnen ausgesprochen originelle Einsichten. Hierzu gehören Hinweise auf größere Freiheiten im Heiratsverhalten, die Frauen der Unterschicht wahrnehmen konnten. Während den Töchtern der Großkaufleute der Weg zu Welthandel und internationalem Kredit selbstredend versperrt blieb, wirkten Frauen der Unter- und Mittelschicht mehrheitlich und kompetent im Detailhandel. Erhebliche Aktivitäten im Bereich der kurzfristigen Kleinkredite und des Pfandwesens entpuppen sich in den Städten häufig ebenfalls als typisch weibliche Domäne. E.H.-G.

WEISSRUSSLAND. Unter dem Titel „Palteskia ok pat riki allt, er par liggr til“ [Polozk und das ganze Gebiet, das dazugehört] interpretiert T . N . Dz a k s o n kenntnisreich die Aussagen über Polozk und das Polozker Land im altskandinavischen Schrifttum (Scando-Slavica 37, 1991, 58-68). Was die Häufig­ keit dortiger Erwähnungen osteuropäischer Städte betrifft, wird Polozk nur von Novgorod, Kiev und Ladoga übertroffen. Das untersuchte Quellenmaterial betrachtet Vf.in zu Recht als Beleg für enge und langdauernde Verbindungen zwischen Skandinavien und Polozk. Doch äußert sie sich mit gleichem Recht in Abgrenzung von Gottfried Schramm gegen die Annahme von Kontakten schon in der ersten Hälfte des 9. Jhs., wobei sie auch darauf hinweisen kann, daß das früheste skandinavische Fundmaterial in Polozk erst aus dem 10. Jh. stammt. N.A.

Sergej V. Tarasov berichtet über Neues in der Archäologie von Polock 1986-1988 (ZAM 18/19, 1990/91, 135-151). Dargelegt wird, daß 1986 am linken Ufer des in die Düna mündenden Flusses Polota eine Siedlung aus dem 9.-10. Jh. in der Größenordnung von 5-6 ha freigelegt worden ist. Ihre Entdeckung erweitert unser Wissen über die Frühgeschichte von Polock, der ältesten Stadt Weißrußlands, sehr erheblich. Auch bei Ausgrabungen auf dem Territorium des sich seit dem 10. Jh. im Anschluß an jene Siedlung entwickelnden „Großen Posads“ wurden interessante Komplexe aufgedeckt, die von der Verarbeitung von Ostsee-Bernstein und Buntmetall durch freie Handwerker zeugen (12.- 13. Jh.). Bereits im 11. - frühen 12. Jh. war der Große Posad, wie sich jetzt ebenfalls zeigte, befestigt, wobei eine Mauer aus Feldsteinen als Fundament diente. N.A.

Zum Gedenken an die am 2. September 1988 verstorbene Archäologin Frida Osteuropa 265

Davydovna Gurevic haben ihre Kollegen A.N. Kirpicnikov und M . V. Malevskaja einen Nachruf verfaßt (Pamjati Fridy Davydovny Gurevic. SovArch. 1990, 2, 281-283). Im Anhang dazu findet man eine ausführliche Liste ihrer Werke, zusammengestellt von L.M. Vseviov. Diese Arbeiten behandeln u. a. die Ergebnisse ihrer zahlreichen Ausgrabungen im Königsberger Gebiet, im südwestlichen Baltikum und vor allem in der weißrussischen Stadt Novogrudok. S. Dumschat

RUSSLAND. „Drang nach Osten“ oder „Licht aus dem Osten“? Die Ge­ schichte der russisch-deutschen Beziehungen im Bannkreis von Stereotypen un­ tersucht A.V. Nazarenko („Natisk na Vostok“ ili „Svet s Vostoka“ ? Istorija russko-nemeckich otnosenij v krugu stereotipov. In: Slavjanovedenie 1992, 2, 32-43). Vf. stellt exemplarisch einige Stereotype und Vorurteile bezüglich der russischen Geschichte vor, welche seiner Meinung nach Eingang in die deutsche Osteuropaforschung gefunden haben und sich noch heute schädlich auswirken auf die Erforschung und Bewertung der Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen. S. Dumschat

In die Sammlung Lateinsprachige Quellen zur Geschichte der Alten Rus. Teil I: Deutschland. Vom 9. bis zur ersten Hälfte des 12.Jhs.\ Teil II: Von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jhs., zusammengestellt, übersetzt und kommentiert von M.B. Sverdlov (Latinojazycnye istocniki po istorii Drevnej Rusi. Germanija. IX - pervaja polovina XII v.; Seredina XII - seredina XIII v. Sostavlenie, perevod, kommentarij M.B. Sverdlova, Moskau, Leningrad 1989-1990, zusammen 470 S.) sind Auszüge aus den Werken deutscher Geschichtsschreiber und weitere Quellen aus der Zeit vom 9. bis zum 13. Jh. aufgenommen. Die Texte werden in lateinischer und russischer Sprache geboten, wofür sie in der Mehrzahl erstmalig oder neu übersetzt wurden. Die Arbeit an der Sammlung wurde vor mehr als 15 Jahren abgeschlossen, doch war damals eine Veröffentlichung nicht erfolgt „aus Gründen, die keine solchen wissenschaftlicher Art waren“ (207). Die Annalen des fränkischen Klosters von Saint-Bertin (ca. 830-882) werden hier als älteste deutsche historiographische Quelle aufgeführt, in der die Erwähnung der „Rhos“ als „gens“ zu finden ist. Ob aber damit die Ostslaven bezeichnet wurden, läßt auch der Hg. der Sammlung in seinem sehr ausführlichen Kommentar ungeklärt. Erst Thietmar von Merseburg (975-1018) hat in seiner Chronik der Beschreibung der ,Ruscia‘ weitgehenden Platz eingeräumt (Zeitraum von ca. 1012-1018). Die Sammlung wird mit den ,Annales Neresheimenses’, die zu 1242 kurz über den zerstörerischen Einfall der Tataren in „Polonia, Ruscia et Ungaria“ berichten, abgeschlossen. A. Leväns

Aus dem Sammelband Kirche, Gesellschaft und Staat im feudalen Rußland (Cerkov, obscestvo i gosudarstvo v feodal’noj Rossii. Sbornik statej. Otvetst- vennyj redaktor A.I. Klibanov, Moskau 1990, Nauka, 352 S.) können hier nur einige Beiträge vorgestellt werden. V.P. Perchavko untersucht die Rolle der Kirche in den Außenwirtschaftsbeziehungen der Rus im 11.-14. Jh. (Cerkov i vnesneekonomiceskie svjazi Rusi v XI-XIV w ., 46-66). Vf. zeigt, 266 Hansische Umschau

daß die Geistlichkeit im behandelten Zeitraum einer der Endabnehmer für die aus dem Ausland eingeführten Edel- und Buntmetalle, Kultgegenstände und Tuche war. Zahlreiche Einnahmen konnten einige Kirchen während des 13. Jhs. aus Handelszöllen im Inland gewinnen. P. faßt den Wissensstand über die seit dem 12. Jh. in und außerhalb der Rus' existierenden russischen Patronatskirchen kaufmännischer Vereinigungen zusammen. Einzuwenden ist, daß die (wohl von M.N. Tichomirov übernommene) Ansicht, die Gründung der Johannis­ kaufmannschaft in Novgorod ginge auf das 12. Jh. zurück, in den Quellen bislang nicht zu belegen ist. Zu Recht hebt Vf. jedoch die besondere Rolle geistlicher Würdenträger bei der Regulierung von Handelskonflikten und dem Abschluß von Verträgen in den von der Hanse frequentierten Zentren Novgo­ rod, Smolensk und Polock hervor, die er auf eine eigenständige Entwicklung kirchlicher Institutionen in diesen Gebieten zurückführt. - Ja.N. Scapov und E.I. Sokolova vergleichen Entstehung, Rolle und Entwicklung der Institution des Archimandriten in den Städten der Rus (Archimandritija v drevnerusskom gorode, 40-46). In Novgorod wurde dieses Amt nach Ablauf einer bestimmten Zeit durch Wahl eines der Klosteräbte auf dem „vece“ neu besetzt, in anderen Städten (Kiev, Vladimir, Rostov, Jaroslavl“ und Moskau) behielt der Archimandrit sein Amt oft auf Lebenszeit und war in administrativer Hinsicht dem Fürsten unterstellt. Vf. begründen die Novgoroder Spezifik des Archimandritenamtes mit der eigenständigen Entwicklung der Bojarenrepublik. -A.L. Choros kevic untersucht das Verhältnis von Kirche und Staat in der Moscovia Sigmunds von Herberstein (Cerkov i gosudarstvo v „Zapiskach o Moskovii“ Sigizmunda Gerberstejna, 168-187). Vf.in würdigt die Fülle und Verläßlichkeit der mitgeteilten Informationen über die sich damals vollziehenden Veränderungen, die zur Unterstellung der kirchlichen Institutionen unter die Macht des Großfürsten führten. Herbersteins richtige Beobachtung der der römischen Kurie gegenüber feindlichen Haltung des Großfürsten zeigte sich seit Ivan III. als Tendenz auch in der Außenpolitik. B. Schubert

V.L. J a n i n legt in einem neuen wichtigen Buch Chronologische Vorbe­ merkungen für die geplante neue Edition der Novgoroder Urkunden des 12. bis 15. Jahrhunderts vor (Novgorodskie akty XII-XV vv. Chronologiceskij kom- mentarij, Moskva 1991, Nauka, 382 S.). Da der Mehrzahl der Urkundentexte die Datumsangabe fehlt, stellt Vf. seinen Untersuchungen ein Kapitel über die Entwicklung der Novgoroder Administration voran, über deren in den Quellen namentlich aufgeführte Vertreter (Fürst, Statthalter, Erzbischof, Posadnik und Tysjackij) eine Datierung möglich ist. Vf. gliedert das gesamte Urkundenmaterial in zwei Abteilungen. In der ersten faßt er Quellen von gesamtstaatlicher Bedeu­ tung zusammen, Urkunden, die die Beziehungen der Bojarenrepublik mit dem Westen und mit ihrem Fürsten charakterisieren (Kapitel 2 und 3). Danach folgt die Besprechung der Urkunden von lokaler Bedeutung: Dokumente der in fünf Teile geteilten Stadt Novgorod, des den Onegasee und die Gebiete nördlich da­ von, einschließlich der Halbinsel Kola umfassenden Territoriums („Zaonez’e“), des Vagaraumes („Vazskaja zemlja“) und des Gebietes der nördlichen Dvina (Kapitel 4, 5 und 6). Das letzte Kapitel ist den Fälschungen unter den Urkunden gewidmet. Für den Hansehistoriker sind vor allem die im zweiten Kapitel disku- Osteuropa 267 tierten 60 Urkunden der Beziehungen Novgorods mit dem Westen von Interesse, von denen 14 in der Edition von 1949 „Gramoty Velikogo Novgoroda i Pskova“ (Urkunden Groß-Novgorods und Pleskaus) nicht enthalten und an anderer Stelle abgedruckt waren bzw. erst im folgenden zugänglich gemacht wurden. Die in den Nummern 1-3, 7, 9, 11, 16, 20, 21, 26, 28, 30, 31, 34-36, 38, 40, 42, 46, 52 und 56 besprochenen Urkunden erhalten gänzlich neue oder präzisierte Datierungen. Wenn man diesen auch nicht in jedem Fall wird zustimmen können (z.B. Nr. 11: richtig ist 23. Dezember 1323 und nicht der 25. Februar, da „des lesten vridages vor des heiligen kerstes tages“ der Freitag vor Weihnachten ist), so sind sie doch eine äußerst notwendige und wichtige Orientierungshilfe. Die Tabelle mit Querverweisen zwischen den vom Vf. benutzten Quelleneditionen und der Numerierung bei J. sowie der Namenindex ermöglichen eine bequeme und schnelle Handhabung des Buches. B. Schubert

Sehr erfreulich ist das Erscheinen eines weiteren von der Staatlichen Ver­ einigung der Muscumsmitarbeiter und Denkmalschützer hg. Sammelbandes Novgorod und das Novgoroder Land. Geschichte und Archäologie (Novgorod i Novgorodskaja zemlja. Istorija i archeologija. [Tezisy nauenoj konferencii], Nogorod 1992, 204 S.). In der 1. Abteilung des Bandes berichten V.L. J a n i n, E.A. Rybina, A.S. Chorosev, P.G. Gajdukov und eine Rei­ he weiterer namhafter Archäologen der Novgoroder Grabungsexpedition von 1990 über ihre Arbeit und Funde in Novgorod und dem Novgoroder Land. Die 2. Abteilung umfaßt zahlreiche aufschlußreiche Beiträge zur Novgoroder Geschichte und Kultur; von diesen seien hier nur einige hervorgehoben. E. A. Rybina spricht über Altrussische Städte in den Novgoroder Birkenrindenur­ kunden (Drevnerusskie goroda v Novgorodskich berestjanych gramotach, 52- 54). Nur 12 der zahlreichen bisher aufgefundenen Urkunden aus dem 11.-15. Jh. erlauben einen Bezug zu anderen städtischen Zentren der Rus. Sie stammen aus dem 11. und 12. Jh. und enthalten fast alle Hinweise auf eine Handelsverbindung mit diesen Städten. Die Urkunden des 13.-15. Jhs. nennen Toponyme aus den Novgorod zugehörigen Gebieten. Handelsverbindungen mit anderen Städten der Rus waren für Novgorod also bis zum Beginn des 13. Jhs. charakteristisch, danach erfolgte eine Umorientierung auf die Handelskontakte mit der Hanse, basierend auf dem bojarischen Großgrundbesitz. - V.A. Burov zeigt Die Einheitlichkeit der Ohscina-Strukturen in Novgorod und im Novgoroder Land des 14.-15. Jhs. (Edinstvo Struktur obscin Novgoroda i Novgorodskoj zemli v XIV-XV w ., 64-69). Die Elemente Selbstbezeichnung, heterogene soziale Zu­ sammensetzung der Bewohner, begrenztes Territorium, Verbindung von Privat- und Gemeineigentum, gemeinschaftliche Bauten (Kirche), gemeinsames Begehen von Festlichkeiten, „vece“, Wählbarkeit der administrativen Verwaltungsorgane und eine eigene Gerichtsbarkeit waren allen drei Einheiten der Novgoroder Ge­ meinde („obscina“) - Straße (ulica), Stadtviertel (konec) und „Ganz Novgorod“ - zu eigen. Die gleiche Struktur wiesen auch die Dorfgemeinden auf. - Eine völlig neue Lesung der nur schwer zu interpretierenden Nachricht der Ersten Novgoroder Chronik über den dem Vertragsschluß von 1191-1192 vorausge­ gangenen Konflikt zwischen Novgorod und Gotland von 1188 (Novgorodsko- gotlandskij konflikt 1188 goda, 72-77) schlägt V.N. Gusakov vor. Die kom- 268 Hansische Umschau

plizierte Argumentation kann hier nicht wiedergegeben werden; zu verstehen wäre der fragliche Satz nun wie folgt: „In dem selben Jahr (1188) konfiszierten die Novgoroder die Waren der ,Waräger’, bei den Goten auf der Anhöhe und bei den Deutschen auf dem neuen Hof“. - S.L. K u z min spricht Uber die sozial­ politische Struktur Novgorods und des Novgoroder Landes von der 2. Hälfte des 9. bis zum Beginn des 11. Jhs. (O social’no-politiceskoj strukture Novgoroda i Novgorodskoj zemli vo vtoroj polovine IX-nacale XI w ., 113-119). Seiner These zufolge, die sich vor allem auf die Nachrichten der Chronik stützt, ist die Genese Novgorods auf die Mitte des 10. Jhs. anzusetzen, die Einwanderung nach Novgorod erfolgte aus den Gebieten des unteren Wolchow, des mittleren und unteren Lovatlaufes, der mittleren Msta und der oberen Luga. Die Stam­ mesaristokratie ging, ihre ökonomischen und politischen Positionen festigend, als soziale Schicht im neuentstehenden Bojarentum auf und führte einen kom­ plizierten politischen Dialog mit der fürstlichen Macht. - Anders als K u z m in sieht E. Muchle in dem „Rjurikogo gorodisce“, in skandinavischen Quellen als Holmgard bezeichnet, die alte Siedlung, der gegenüber Novgorod bei seiner Gründung die „neue Stadt“ (= novyj gorod) darstellte. In seinem Vortrag Holm­ gard und Novgorod. Zur Entstehung der slavischen Bezeichnung der Metropole am Ilmensee (Cholmgard i Novgorod. K vozniknoveniju slavjanskogo nazvanija il’menskoj metropolii, 185-189) begründet er diese Auffassung mit dem Fehlen von archäologisch nachweisbaren Kulturschichten Novgorods aus der Zeit vor dem zweiten Viertel des 10. Jhs., während im „gorodisce“ Schichten aus der Mitte des 9. Jhs. nachgewiesen werden konnten. Novgorod entstand als Resultat von Migrationsbewegungen der Bevölkerung aus der näheren Umgebung, die sich möglichst nahe bei dem blühenden Handelszentrum niederzulassen strebte und ihm schon bald den Rang ablief. - A. R. Artemev nimmt eine für die sowjetische/russische Historiographie neue Bewertung der Schlacht auf dem Eis des Peipussees (Ledovoe poboisce, 155-159) vor. Nach einer vergleichenden kri­ tischen Quellenanalyse stellt er fest, daß der Sieg Alexander Nevskijs nicht von gesamtrussischer Bedeutung war, aber eine wichtige Etappe in der Geschichte Novgorods und Pleskaus darstellte. B. Schubert

O.V. Martys in, Das Freie Novgorod. Gesellschaftlich-politische Struktur und Recht der Eeudalrepublik (Vol’nyj Novgorod. Obscestvenno-politiceskij stroj i pravo feodal’noj respubliki, Moskau 1992, Rossijskoe pravo, 384 S.). -Vf. gibt einen umfassenden Überblick über die mittelalterliche Geschichte Novgorods, geordnet nach den Themenschwerpunkten Entwicklungsgeschich­ te, Sozialstruktur, Staatsstruktur und Rechtsgeschichte. Breiten Raum nimmt dabei die ausführliche und kritische Behandlung der bisherigen Novgorod- Historiographie ein, wobei auch die Arbeiten westlicher, insbes. deutscher Forscher in gebührender Form gewürdigt werden. Als wesentlichen Unterschied im Vergleich zu den mittelalterlichen Städten Westeuropas betrachtet M. die größere Kontinuität in der inneren Verfassung Novgorods: Während die west­ lichen Städte im Verlauf mehrerer Jahrhunderte nacheinander die Phasen ari­ stokratischer, demokratischer und monarchischer resp. tyrannischer Herrschaft durchliefen, wies das mittelalterliche Novgorod Elemente dieser Herrschafts­ formen gleichzeitig und durchgängig auf. Die Sonderentwicklung Novgorods Osteuropa 269 im Vergleich zu anderen altrussischen Städten begann für M. im 11. Jh., als Blütezeit bezeichnet er das 13./14.Jh. Bezüglich der Sozialstruktur weist Vf. auf die differenzierte Sozialterminologie der Novgoroder Schriftdenkmäler hin, konstatiert die umfassende Machtstellung der Bojarenclans, gibt aber auch an, daß die politische Bedeutung der Novgoroder Kaufleute in der sowjetischen Geschichtsschreibung unterschätzt worden sei. Das demokratisch verfaßte vece stellt für M. nur eine Seite der politischen Struktur Novgorods dar, als deren „Kehrseite“ bezeichnet er den aristokratisch verfaßten Bojarenrat, der - wie auch die sog. „Altesten“ der Stadtviertel - interessanterweisc nur in den deut­ schen, nicht aber in den Novgoroder Quellen überliefert ist. Im Rahmen der Rechtsgeschichte behandelt Vf. u.a. die Stellung der Frau im mittelalterlichen Novgorod und befaßt sich mit den rechtlichen Aspekten der Außenbeziehungen Novgorods, insbes. den Handelsverträgen mit deutschen Kaufleuten und den politischen Verträgen zur Friedens- und Grenzsicherung vor allem mit Livland und dem Orden. Die laut Kurzzusammenfassung an erster Stelle für Rechtsge­ lehrte geschriebene Darstellung ist ein ernstzunehmender und seriöser Beitrag zur Novgorod-Historiographie. G. Pickban

Aus dem Obertitel der Darstellung von Vasilij Fcdorovic Andreev, Wächter im Norden der Rus. Grundzüge der Geschichte des mittelalterlichen Novgorod (Severnyj straz Rusi. Ocerki istorii srednevekogo Novgoroda. Len- izdat, 2. Aufl. Leningrad 1989, 175 S., 1 Kt., 15 Abb.) könnte man voreilig schließen, es handele sich um eine militär- und kriegshistorische Abhandlung. Es geht jedoch um einen in Aufbau und Quellenbindung klassischen Überblick zur Geschichte Groß-Novgorods. Er besteht aus zehn knappen Kapiteln, in denen Vf. die Quellen vorstellt, Gründungs- und Verfassungsfragen erörtert, Wirtschaft, Sozialstruktur und Herrschaftsverhältnisse erläutert. Auf Kirche, Kultur und die Verteidigung gegen Schweden und den Orden, sowie schließlich auf den Verfall der Republik bis zur „Angliederung Novgorods an Moskau“ (169) beziehen sich die weiteren Kapitel. Wenn auch der Abschnitt „Wirtschaft“ das ausschlaggebende Gewicht der Landwirtschaft und des Handwerks hervor­ hebt, widmet er Fragen der frühen Funktion Novgorods als Handelsmetropole für russische Territorien und den Westen hinreichend Raum. Warensortimente beider Richtungen kommen anschaulich zum Zuge. Auf die Verträge mit den Hansen, deren Höfe, ihre Selbstverwaltung und Handelskontrolle geht der Text ebenfalls ein, ohne ein idyllisches Bild zu malen. Vf. verweist auf gängige Konflikte anläßlich gefälschter Westwaren und fügt hinzu, daß die Deutschen sich ihrerseits über verdorbenes Pelzwerk oder schlechtes Wachs aus russischer Hand beklagt hätten. E.H.-G.

Boris Alexandrovich Kolchin, Wooden Artefacts from Medieval Novgorod (BAR International Series 495, 2 Teile, Oxford 1989, 486 S. mit 240 Tafeln). - Bei diesen Bänden handelt es sich um die Übersetzung zweier bereits 1968 und 1971 auf russisch veröffentlichten Untersuchungen über die Holzfunde Novgorods, denen nun noch ein Artikel über das Lyudogoshcha Kreuz von 1359 hinzugefügt wurde (vgl. HGbll. 88, 1970, 350; 92, 1974, 196). Der gute Erhaltungszustand der Holzfunde in Novgorod begünstigte deren intensive 270 Hansische Umschau

Untersuchung und Beschreibung. Es handelt sich um die gesamte Vielfalt der von den Menschen im Mittelalter angefertigten und genutzten Gegenstände aus Holz, also z. B. Werkzeuge, Fischfanggeräte und Gefäße, Teile von Schlitten, Sätteln und Schiffen, Haushaltsgeräte, Spielzeug und Musikinstrumente sowie zahlreiche geschnitzte Holzteile. Sie geben einen detaillierten Einblick in die Fer­ tigungstechnik und Alltagskultur der mittelalterlichen Bewohner Novgorods. O. Pelc

V . A . B u r o v äußert sich Zur sozialen Topographie des Nerevskij-Endes im mittelalterlichen Novgorod (K social’noj topografii Nerevskogo konca drevnego Novgoroda. SovArch 1989, 4, 77-85). Vfs. Untersuchungen wenden sich gegen die Auffassung V.L. Janins, daß die entlang der Kozmodemjanskaja- und Cholopja-Straße ausgregrabenen Stadthöfe bojarischen Ursprungs gewesen und dem Geschlecht der Misinici-Onciforovici zuzuordnen seien. Die dafür charakteristische Größe von 1 5C0 qm erreichte z. B. das Anwesen B auf der Kreuzung von Cholopja- und Velikaja-Straße erst in der 18. Grabungsschicht (1161-1177) und nicht, wie früher angenommen, schon im 10. oder 11. Jh. Da sich zu Ende des 12. Jhs. die „zitie ljudi“ zu einer neuen sozialen Schicht herausgebildet hätten, hält Vf. die Zuordnung zu einem ihrer Vertreter für möglich und findet dafür Belege in den Birkenrindenurkunden der genannten Ausgrabung und den Chroniken. Im 14. und 15. Jh. hätten dort die Ältesten einer kaufmännischen Vereinigung Esif Davydovic und Foma gewohnt, also gehörte das Territorium entlang der Cholopja-Straße bis zur Kirche der 40 Märtyrer nicht den Misinici. Vf. stellt im Anschluß die interessante, jedoch durch weitere Ausgrabungen noch zu verifizierende These auf, daß das Nerevskj-Ende ursprünglich zwei Siedlungskerne nichtpatrimonialen Ursprungs aufgewiesen habe. B. Schubert

Die westeuropäischen Verbindungen Novgorods im 10.-15. Jh. (Zapadnoevro- pejskie svjazi Novgoroda v X-XV w ., Moskau 1992, 42 S.) behandelt E. A. Rybina in ihrem in schriftlicher Fassung vorliegenden Habilitationsvortrag. Sie führt die frühe Westorientierung Novgorods im 9.-11. Jh. auf die (nicht unumstrittene) westslavische Herkunft der ersten Siedler zurück; für dieselbe Zeit sind auch bereits Kontakte nach Skandinavien auf verschiedene Weise belegt. Deutsche Kaufleute kamen erstmals im 12. Jh. über Gotland nach Nov­ gorod; Vf.in stellt fest, daß der gesamte Westhandel der Stadt fortan unter deren Ägide stand. Zwar wurde mit der dritten Redaktion der Schra, der Statuten der deutschen Kaufleute in Novgorod, um 1325 noch versucht, die Schlüsselstellung Gotlands zu dokumentieren, federführend war aber bereits die Städtehanse, deren Monopolstellung sich im 14. Jh. festigte. Im 15. Jh. schließlich dominierten die livländischen Städte. Gleichzeitig beobachtet Vf.in für das 15. Jh. auch eine Aktivierung der Handelspolitik Novgorods und eine Verschlechterung der Beziehungen, bis schließlich 1494 das Ende der eigenständigen Westkontakte Novgorods kam. R. beschreibt auch die Lebenswelt deutscher Kaufleute in Novgorod; dabei betont sie u. a. den Festungscharakter des Peterhofes, stellt fest, daß deutsche Kaufleute entgegen den Statuten z. T. auch außerhalb des Peterhofs bei Novgorodern untergebracht und bezüglich des Warentransports Osteuropa 271

auf Novgoroder Hilfe angewiesen waren. Anhand der Funde westlicher Ge­ brauchsgegenstände auf den Novgoroder Höfen läßt sich jeweils auch der soziale Status ihrer Besitzer ablciten. Abschließend verneint R. die oft postulierte „Kulturträger“-Rolle der Deutschen in Novgorod, für sie stellt die Stadt eher einen „Schmelztiegel“ verschiedenster Einflüsse dar. G. Pickhan

Ju.G. Alekseev,„Z« Moskau wollen wir gehören“. Der Untergang der Bojarenrepublik in Novgorod („K Moskve chotim“. Zakat bojarskoj respubliki v Novgorode, Leningrad 1991, Lenizdat, 158 S., zahlreiche Abb.). Dem program­ matischen Titel entsprechend, unternimmt Vf. in dieser Darstellung den Versuch, gegenüber einem breiten Leserkreis die gewaltsame Eingliederung Novgorods in das Moskauer Reich als notwendigen Akt im „nationalen Interesse“ Rußlands zu rechtfertigen. In fünf Kapiteln zeichnet er den Verlauf der Auseinander­ setzungen zwischen der traditionsreichen Bojarenrepublik Novgorod und dem sich zur neuen Zentralmacht konsolidierenden Großfürstentum Moskau bis zum Ende der Novgoroder Selbständigkeit 1477/78 nach. Dabei entsteht je­ doch ein wenig differenziertes Schwarz-Weiß-Bild. Höchst fragwürdig ist die Interpretation der mittelalterlichen Vorgänge als reine „Nationalgeschichte“: So hatte laut Vf. die Novgoroder Bojarenelitc nichts anderes im Sinn als „Verrat am nationalen Interesse des Russischen Landes“ (58), während Ivan III. als „weiser Pragmatiker“ (150) gegenüber den Verrätern nach ihrer Bezwingung angeblich sogar „Milde“ walten ließ - ein Vergleich mit dem Stockholmer Blutbad, das Christian II. 1520 anrichtete, dient zur Stützung dieser Auffassung, unerwähnt bleiben aber die Deportationen der Novgoroder Oberschicht, die Ivan III. entgegen einem ursprünglich gegebenen Versprechen in den achtziger Jahren des 15. Jhs. durchführen ließ. Die hier vorgestellte Konzeption ist in toto nicht weniger zweifelhaft als die wieder vermehrt wahrnehmbare Uberbetonung des „demokratischen“ Charakters der Novgoroder Bojarenrepublik. G. Pickhan

Henric Birnbaum, Did the 1478 Annexation of Novgorod by Muscovy Fundamentally Change the Course of Russian History? (in: New Perspectives on Muscovite History. Selected Papers from the Fourth World Congress for Soviet and East European Studies, Harrogate, 1990, edited by Lindsey Hughes, New York 1993, St. Martin’s Press, 37-51). Vf. bejaht die gestellte Frage. Die Bojarenrepublik sei zwar keine Demokratie im heutigen Sinne dieses Wortes gewesen, sondern eine Oligarchie der privilegierten Bojarenschicht über die Masse der Novgoroder. Diese Regierungsform habe sich dessenungeachtet von der tatarisch geprägten Autokratie des Moskauer Staates unterschieden und wesentliche Kräfte, die zu einer weiteren Entfaltung des Demokratieprinzips hätten führen können, in sich geborgen. Novgorods Einverleibung in den Moskauer Staat bedeutete somit den Sieg über diese prinzipiell vorhandene Entw'icklungsmöglichkeit und war daher ein entscheidender Wendepunkt in der russischen Geschichte. Ein Sieg Novgorods über Moskau, schlußfolgert Vf. rasch, hätte die nachfolgende russische Geschichte in andere Bahnen gelenkt. -Gertrud Pickhan untersucht in einem fundierten Beitrag The Incorpo- ration of ,Gospodin Pskov‘ into the Muscovite State, (ebd., 51-58). Vf.in zeigt, 272 Hansische Umschau

daß die Einverleibung Pleskaus in den Moskauer Staat ein langwieriger Pro­ zeß war, der, durch Korrelation zweier wesentlicher Faktoren bestimmt, bereits zu Ende des 14. Jhs. eingesetzt und mit den Ereignissen von 1510 nur noch sei­ nen administrativen Abschluß gefunden hatte. Der wachsende Einfluß Moskaus einerseits und der Ausbau der Pleskauer Selbstverwaltung andererseits waren im 15. Jh. nur oberflächlich betrachtet einander zuwiderlaufende Prozesse. Pleskau hatte im Unterschied zu Novgorod die vorhandenen Potenzen im Ringen mit Moskau realistisch eingeschätzt und ein offenes Kräftemessen vermieden. Erst die Folgen der erneuten Annäherung an Novgorod, die freilich, wie sich im Winter 1455/56 zeigen sollte, mit beabsichtigter Inkonsequenz betrieben wurde, machten die Hoffnungen Pleskaus zunichte, durch immer größere Kon­ zessionen an Moskau wenigstens teilweise die traditionellen Strukturen der Selbstverwaltung erhalten zu können. Pleskau ging seiner Autonomie bereits 1460 ohne jegliche bewaffnete Auseinandersetzungen verlustig. Der Einführung eines neuen Siegels, das den „votcina“-Anspruch Ivans III. bestätigte, folgte 1499 die Berufung seines Sohnes Vasilij zum Großfürst von Novgorod und Pleskau. Schließlich ordnete dieser 1510 trotz gegenteiliger Versprechungen die Aussiedlung der Pleskauer Oberschicht an. B. Schubert

J u . G. Alekseev beschreibt in einer populärwissenschaftlichen Arbeit den Werdegang Ivans III. zum Herrscher über die ganze Rus (Gosudar vse- ja Rusi, Novosibirsk 1991, Nauka, Sibirskoe otdelenie, 239 S.). Vf. hebt das staatsbildende Moment der Annexion Novgorods hervor, das sich nur dank der egoistischen Machtbestrebungen einer Bojarenmajorität den Zentralisierungsbe­ strebungen Ivans III. wiedersetzt hätte. Die von den Novgorodern angestrebte Union mit Litauen/Polen betrachtet Vf. gleich seinem Helden Ivan III. als Verrat am russischen Volkstum. Das „Sammeln der russischen Länder“ und der erfolg­ reiche Kampf mit der Goldenen Horde seien, wie schon Karamsin eingeschätzt hatte, das hauptsächliche Verdienst Ivans III. gewesen, jedoch hätte er sich durch die Schaffung von Grundlagen einer ständischen Vertretung von der autokratischen Politik Ivans IV. wesentlich unterschieden. Diese sei also nicht als unausweichliche Entwicklungslinie der russischen Geschichte aufzufassen. Vf. vernachlässigt, daß mit der Führung des Titels „gosudar* vseja Rusi“ seine Träger das Recht beanspruchten, alle Untertanen ohne Unterschied als ihre „cholopy“ (Sklaven) zu betrachten, wie letztlich schon Ivan III. mit der gewaltsamen Aussiedlung von Bojaren und Kaufleuten aus Novgorod demonstrierte. B. Schubert

Vladimir Alekseevic Varencov rückt Die privilegierten Kaufleute Novgorods im 16.-17. Jahrhundert (Privilegirovannoe kupecestvo Novgoroda XVI-XVII w ., Vologodskij gosudarstvennyj pedagogiccskij institut, Vologda 1989, 95 S., 17 Tab.) ins Licht, um „alle Seiten einer aktiven Wirksamkeit der Großkaufleute“, also der „gosti“, einschließlich ihrer Führungsrolle „im Leben der Stadtbevölkerung“ (6), zu erfassen. Zu recht spricht Vf. von einer Forschungslücke, die er schließen will. Dabei kommt den Sachfragen der Leser ein Aufbau der Arbeit entgegen, der sich zielstrebig an thematisch ausschlag­ gebende Aspekte hält, nämlich an die politische Rolle der Großkaufleute im Osteuropa 273

Innern und Äußern, die Ebenen ihrer Einbindung in den Handelsverkehr, Formen der Vermögensbildung durch Bautätigkeit, Erwerb von Landbesitz und gewerbliche Investitionen. Hierauf verweist bereits das Inhaltsverzeichnis in erfreulicher Konkretheit. Vf. registriert für Genesis und Wirkungsgeschichte dieser kommerziellen Oberschicht drei Epochen: 1. Die Zeitspanne vor dem Novgoroder Pogrom der Opricnina Ivans IV. 1569/70, deren Beginn mit der massenhaften Vertreibung der alten Elite aus Bojaren und Großkaufleuten durch Ivan III. in den Jahren 1487-1490 definiert ist. Die konfiszierten Höfe und Güter vergab der Großfürst bekanntlich an „Bojarenkinder“ und „hervorragende go- sti“ aus Moskau oder anderen Städten. Der politische Einsatz dieser gosti in Novgorod ist für das 16. Jh. gut dokumentiert, ihr ökonomisches Verhalten hingegen nicht. Ob sich aus reichen Geschenken an Klöster und Kirchen, sowie aus sakralen und weltlichen Bauten vor Ort auf ihr kommerzielles Gewicht schließen läßt, sei dahingestellt. Konnte eine hinreichende Bereicherung nicht auch durch die Ausübung öffentlicher Ämter garantiert sein? Insgesamt gese­ hen betont V., daß eine langfristige Stabilität für dieses „städtische Patriziat eigener Art“ (83) trotz der sich drängenden Katastrophen in der 2. Epoche (1569-1617) bezeichnend gewesen ist. Tatsächlich lassen sich anschließend, also im 3. Abschnitt, die kommerziellen Aktivitäten der Privilegierten, vor allem im Handelsverkehr mit Schweden, umfassend belegen. Eine Parade hochberühmter Namen kaufmännischer Magnaten betritt die Arena. Der Anhang mit 15 „Dy­ nastien“ dieser Spezies („Genealogie der größten Handelsfamilien Novgorods im 16./17. Jh.“, 84-91), aber auch so wertvolle Statistiken wie Tab. 15 zu den Novgoroder Zolleinkünften zwischen 1628 und 1692 (57 f.) charakterisieren das dokumentarische Potential. Mit vollem Recht unterstreicht Vf. die inter­ nationale Relevanz des Gegenstandes. Umso lauter wird sich das Interesse an einer Vertiefung dieser Forschungen, auch in überregionaler Perspektive, melden. Es wird sich zunächst auf Fragen der Stagnation und Prosperität des „Handelskapitals“ im östlichen Baltikum, vor allem auf Narva, den wichtigsten „Vorhafen“ Novgorods, richten. E.H.-G.

Vladimir Alekseevic Varencov, Gennadij Michajlovic Kovalenko, Chronik des Jahrhunderts der Unruhen. Grundzüge der Ge­ schichte Novgorods im 17. Jahrhundert (Chronika „Buntasnogo“ veka. Ocerki istorii Novgoroda XVII veka, Lenizdat, Leningrad 1991, 157 S., 27 Abb.). - Während zur Geschichte Groß-Novgorods im Mittelalter mehrere gute Überblicke, auch in deutscher Sprache, vorliegen, fehlen für die frühe Neuzeit, vor allem für die Zeit des langwierigen „Aufbaus“ nach dem Frieden von Stolbovo (1617) bis zur Gründung Petersburgs, brauchbare Darstellungen dieser Art. Nicht zuletzt deshalb wird man die vorliegende, an breitere Kreise gerich­ tete Veröffentlichung begrüßen. Sie erfaßt „Etappen der Stadtentwicklung“ (5) in acht bis neun Kapiteln mit jeweils speziellen Schwerpunkten. Ökonomische Fragen kommen dabei so gut wie durchgehend ins Spiel. Gesondert aber thema­ tisiert sie der äußerst anregende Abschnitt „Handwerk, Handel und Gewerbe“ (61-79). In Novgorod, das im 16. Jh. die Position des „größten Marktes Alt- Rußlands“ (15) den Vffn. zufolge behauptet haben soll, ereignete sich nun im Zeichen der Wirren, Kriege und sonstigen Katastrophen ein außerordentlicher 274 Hansische Umschau

Zusammenbruch. Von einer Regeneration konnte erst um die Mitte des 17. Jhs. die Rede sein, als das Handwerk dem alten Niveau in seiner Besetzung und Qualität (Silberarbeiten!) offenbar weitgehend entsprach und die Dominanz Novgorods als Großhandelszentrum im Verkehr mit Schweden und dem Westen außer Frage stand. Das bekräftigten die gedrängten Informationen zum Wirken der hier in einer Vielzahl namentlich vorgestellten russischen Großkaufleute mit ihren Sortimenten, Umsätzen, Staatsdiensten und -privilegien, sowie den Komponenten ihrer Vermögensbildung. Eine auffällige Expansion der Gesamt­ umsätze belegen die seit der Jahrhundertmitte ansteigenden Zolleinnahmen. Danach wuchs Novgorods Handelsvolumen von etwa 100 000 auf rund 354 000 Rubel im Jahr 1691. E.H.-G.

Auf das knappe Quellenmaterial zur Ausgangslage im 17. Jh. wiederum verweist ein Kongreßbeitrag der Autoren V.A. Varencov und G . M. Kovalenko Zum Studium der Zollbücher Groß-Novgorods 1610-1611 und 1613-1614 (K izuceniju tamozennych knig Velikogo Novgoroda 1610-1611 i 1613-1614, in: Tezisy dokladov i soobscenij V. Vserossijskogo naueno- prakticeskogo sovescanija po voprosam izucenija i izdanija piscovych knig i drugich istorikogeograficeskich istoenikov, Novgorod, 1.-3. Sept. 1992, Rossij- skaja Akademija Nauk, Novgorod 1992, S. 73-76). Es geht um Bände, von denen der eine den Handel vor, der andere den nach der Einnahme Novgorods durch Schweden (1611) erfaßt. Das erste Buch enthält die Umsätze von 291 Handelsleuten aus Novgorod selbst und von 630 Auswärtigen. Letztere repräsentieren das Spektrum eines Einzugsbereichs von fast vierzig russischen Städten und Plätzen. An der Spitze stehen Ostaskov (47 Personen), Tichvin (37) und Moskau (34). Den Zusammenbruch nach der Eroberung dokumentiert das zweite Zollbuch (1613/14). Neben 93 Novgorodern treten nun nur noch 36 auswärtige Russen, davon 18 aus Ivangorod, in Erscheinung. - Ausländer (Nicht-Russen) erwähnt die vorläufige Analyse nicht. Das erste Buch (1610/11) allerdings registriert in einem dritten Teil mit 21 Eintragungen „Jefimki“, Silbergeld aus Lübeck und Dorpat. E.H.-G.

Über die fälschlicherweise den Pskover Fürsten Vsevolod-Gavriil und Dov- mont-Timofej zugeschriebenen und als Reliquien verehrten Schwerter (O mecach-relikvijach, osiboeno pripisyvaemych pskovskim knjazjam Vsevolodu- Gavriilu i Dovmontu-Timofeju, in: Rossijskaja archeologija 1992, 2, 66-74), die im Pskover Stadtmuseum zu betrachten sind, äußert sich A.R. Arterhev und kommt zu dem Schluß, daß beide westeuropäischer Herkunft sind. Ähnliche Schwerter waren im 14. und 15.Jh. im mitteleuropäischen Raum, u.a. auch in Deutschland, in Gebrauch. Vf. geht davon aus, daß das Original des in den Chroniken erwähnten Schwerts des Pskover Stadtpatrons Dovmont (1266-1299) verloren ging und im 15. Jh. durch das ihm noch heute zugeschriebene ersetzt wurde, während die Attribuierung des zweiten Schwerts, das die lateinische Auf­ schrift „Honorem meum nemini dabo“ trägt, als Schwert des Fürsten Vsevolod (1136-1137) erst in Zusammenhang mit dessen Kanonisierung 1549 erfolgte. Eine Äußerung Karamzins von 1819 deutet Vf. dahingehend, daß die Schwerter im Laufe der Jahrhunderte zweimal vertauscht wurden. Anzumerken ist, daß die Osteuropa 275 englische Übersetzung am Ende des Beitrags fehlerhaft ist: 1549, als nach Ansicht Arterhevs die Attribuierung des Vsevolod-Schwerts erfolgte, war „the period of flourishing republic in Pskov“ bereits seit mehreren Jahrzehnten zu Ende. G. Pickban

S . C . R o w e 11, Between Lithuania and Rus: Dovmont-Timofey of Pskov, bis Life and Galt (Oxford Slavonic Papers XXV, 1992, 1-33). Vf. liefert eine bio­ graphische Skizze über den Pskover Fürsten Dovmont, der 1265 als Flüchtling aus Litauen kam und in den folgenden drei Jahrzehnten durch seine militäri­ schen Fähigkeiten, politische Weitsicht und Förderung der Stadtentwicklung die Blütezeit Pskovs im 14. Jh. maßgeblich vorbereitete. Vf. bezeichnet Dov­ mont auch als „important mediator in Rusian trade with the Flansa“ (17) und betont die auch von Pskov aus weiterbestehenden Verbindungen nach Litauen. Dem entspricht, daß die kultische Verehrung des Fürsten insbes. während der Herrschaftszeit des litauischen Großfürsten Gedimin (1316-1341), der Pskov zu seinem Herrschaftsbereich zählte, gefördert wurde. Mit dem litauischen Faktor begründet Vf. auch, daß Dovmont auf den Synoden 1547 und 1549 durch den Moskauer Metropoliten Makarij nicht in den Rang eines allrussischen Heiligen erhoben wurde und seine Verehrung auf den Pskover Raum beschränkt blieb. G. Pickban

A.A. Zaliznjak, I.O. Kolosova, I.K. Labutina, Die Pskover Schriftstücke auf Birkenrinde 6 und 7 (Pskovskie berestjanye gramoty 6 i 7, in: Rossijskaja archeologija 1993, 1, 196-210). Bei den hier erstmals vorgestellten Funden handelt es sich um Schriftstücke aus der zweiten Hälfte des 13. Jhs. Beide Texte haben die Organisation von Handelsgeschäften zum Inhalt. Mit dem Schriftstück 6 wurden von zwei vermutlich auf dem Wege nach Gotland befindlichen Kaufleuten zusätzliche Eichhörnchenfelle als Handelsware aus Pskov angefordert; im zweiten Text geht es um den Verkauf von Wollstoffen, die - wie Vff. annehmen - deutschen Kaufleuten geraubt wurden. Beide Schriftstücke auf Birkenrinde wurden auf einem Pskover Stadthof innerhalb der Mauer von 1309 gefunden und zeugen einmal mehr von den vielfältigen Pskover (West-)Handelskontakten. Auch in sprachgeschichtlicher Hinsicht sind die Texte von großem Interesse. G. Pickhan

Jüri Kivimäe spricht über Narva und Ivangorod. Handel und Politik an der Schwelle der Frühneuzeit (in: Die Deutschen in der UdSSR in Ge­ schichte und Gegenwart. Ein internationaler Beitrag zur deutsch-sowjetischen Verständigung, hg. von Ingeborg Fleischhauer und Hugo H. Jedig, Baden- Baden 1990, Nomos, 17-27). Indem er die Beziehungen betrachtet, die sich in der ersten Hälfte des 16. Jhs. zwischen Narva und dem 1492 gegründeten Ivangorod ergaben, widmet sich Vf. einem wenig bekannten Abschnitt aus der Geschichte des livländisch-russischen Handelsverkehrs. Narva kennzeichnet er als Durchgangsstation, und er meint, daß die Wirtschaft der Stadt dadurch beein­ trächtigt wurde, daß letztere außerhalb der Hanse blieb. Aus der unmittelbaren Nachbarschaft Narvas und Ivangorods resultierte ein hier untersuchter Kampf 276 Hansische Umschau

um Vorteile. Beleuchtet werden auch die Handelsreisen der Ivangoroder nach Livland einschließlich ihrer Küstenschiffahrt nach Reval. N.A.

V.A. Kuc kin betrachtet Die Städte der Nordöstlichen Rus im 13.- 13. Jahrhundert (Anzahl und politisch-geographische Verteilung) (Goroda Se- vero-Vostocnoj Rusi v XIII-XV vckach [Cislo i politiko-geograficeskoe raz- mescenie]. IstSSSR 1990, 6, 72-85). Er stellt fest, daß von den 28 Städten, die es in der Nordöstlichen Rus (Gebiet zwischen der mittleren Oka und der Wasserscheide zwischen Wolga und Nördlicher Düna) in den 1230er Jahren gab, die 17 ältesten und größten nach dem Mongolensturm unter Batu (1238/39) verwüstet bzw. verödet waren. Auch die zunehmende territoriale Zersplitte­ rung trug dazu bei, daß es in den Fürstentümern dieses Gebiets nur jeweils eine bis drei Städte gab. In ihnen war der Adel konzentriert und strömten die Abgaben zusammen, zu deren Bearbeitung Landhandwerker gezielt in die Städte umgesiedelt wurden. Neue Städte entstanden in der Zeit nach dem Mongolensturm zuerst wieder im Fürstentum Tver gegen Ende des 13. Jhs. Eine erhebliche Zunahme der Zahl der Städte erfolgte in der zweiten Hälfte des 14. Jhs., während dieser Prozeß im 15. Jh. stagnierte, da die Moskauer Herrscher, die in den Besitz der gesamten Nordöstlichen Rus gelangten, zunächst von einem langwierigen innerdynastischen Konflikt absorbiert waren und dann ihre Mittel für die territoriale Expansion einsetzten. N.A.

Leonid S. Chekin befaßt sich mit den Cities of the Rus on the Ebstorf Map (Scando-Slavica 38, 1992, 98-107), der ältesten Darstellung der Rus auf einer westeuropäischen Karte. Auf dieser Weltkarte aus dem 13. Jh. werden die Städte Novgorod, Polotzk, Smolensk und Kiew genannt. Die ältere Forschung hat diese relativ genaue Kenntnis der Rus auf den Hansehandel mit Norddcutschland zurückgeführt. Ch. wendet sich gegen neuere Untersuchungen von Armin Wolf, der diese Kenntnis der Rus auf Vorfahren des Herzogs von Braunschweig, Otto dem Kind, zurückführt. Er findet demgegenüber auffällige Parallelen zwischen der Nennung und Anordnung der Städte und Flüsse der Rus auf der Ebstorfer Weltkarte einerseits sowie skandinavischen Texten des 12. Jhs. andererseits. O. Pelc

Ein deutscher Inkunabeldruck in Moskau, untersucht von Peter Seiden­ sticker (alma mater philippina, hg. vom Marburger Universitätsbund e.V., Sommersemester 1991, 15-18), könnte sich als eine wichtige Quelle zur Erfor­ schung der deutsch-russischen Kulturbeziehungen erweisen. Es handelt sich um einen Magdeburger Druck von 1483 mit dem Titel „Promptuarium medicinae“. Eines der wenigen erhalten gebliebenen Exemplare dieses ersten gedruckten Kräuterhandbuches in deutscher Sprache konnte Vf. in der Moskauer Lenin­ bibliothek einsehen. Da es eine Fülle von handschriftlichen Textkorrekturen enthält, vermutet Vf., daß es sich um das Handexemplar des Druckers Bartho­ lomäus Ghotan handeln muß, der sich auf Einladung des Großfürsten Ivan III. seit 1493 im Moskauer Staat aufhielt und seinem Beruf nachging. Es steht zu hoffen, daß dieser Inkunabeldruck einen Beitrag zur weiteren Aufklärung dunkler Kapitel in Ghotans Biographie leisten kann. S. Dumschat Osteuropa 277

Dokumente der Handelsmission T. Keldermanns und V. Voronins in die Niederlande und nach Hamburg in den Jahren 1670/71 stellt A . V . D e m k i n vor (Dokumentv torgovoj missii T. Keldermana i V. Voronina v Niderlandy i Gamburg v 1670/71 gg. In: Issledovanija po istocnikovedeniju istorii SSSR dooktjabrskogo perioda. Sbornik statej, hg. vom Institut istorii SSSR, Moskva 1991, 122-130). Vf. veröffentlicht und kommentiert Dokumente des Zentralen Staatsarchivs Alter Akten, aus denen Einzelheiten über die Handelsreise der bei­ den Moskauer Kaufleute Thomas Keldermann und Vladimir Voronin, die diese im Auftrag des Zaren Aleksej Michajlovic unternommen haben, hervorgehen. S. Dumschat

Die Handwerker der Moskauer Deutschen Sloboda am Ende des 17. und im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts untersucht V.A. Kovrigina (Remes- lenniki moskovskoj Nemeckoj slobodv v konce XVII - pervoj cetverti XVIII veka. In: Russkij gorod, vyp. 9, 1990, 182-201). Anhand bisher unausgewerteter Quellen geht Vf.in der Frage nach, wie sich die zahlenmäßige, nationale und berufliche Zusammensetzung der ausländischen Handwerker in Moskau und deren materielle Lebenssituation im genannten Zeitraum dargestellt haben. Sie stellt einschneidende Veränderungen fest und führt diese auf die Reformpolitik Peters des Großen zurück. S. Dumschat

In dem Aufsatz Die Moskauer deutsche Sloboda im Wandel der jüngsten Forschung (in: Die Deutschen in der UdSSR in Geschichte und Gegenwart, hg. von Ingeborg Fleischhauer und Hugo H. Jedig, Baden-Baden 1990, Nomos, 29- 43) befaßt sich Erich Franz Sommer erneut mit dem Thema, dem schon seine Aufsätze Die Anfänge der Moskauer Deutschen Sloboda (Deutsches Archiv für Landes- und Volksforschung 5, 1941, 421-444) und Der junge Zar Peter m der neuen deutschen Sloboda (JbbGOE 5, 1957, 67-105) gewidmet waren. Vf. gibt einen zwar weniger ausführlichen, aber umso pointierteren chronologischen Überblick über die Entwicklung der Moskauer Ausländervorstadt anhand neuer Fragestellungen und Forschungsergebnisse. Der Titel der Abhandlung ist leicht irreführend, da Vf. zwar in seinen Anmerkungen auf sowjetrussische Publikationen der Nachkriegszeit eingeht, die Bezug nehmen auf dieses Thema, bedauerlicherweise aber nicht auf den Beitrag von Erik Amburger, Die weiteren Schicksale der alten Einwohnerschaft der Moskauer Ausländer-Sloboda seit der Zeit Peters 1. (JbbGOE 20, 1972, 412-426), oder auf die Dissertation von Martha L. Lahana, Novaia Nemetskaia Sloboda, Seventeenth Century Moscow’s foreign suburb (Phil. Diss. 1983, Chapel Hill, University of North Carolina, als Kopie über den Buchhandel erhältlich), hinweist. S. Dumschat

Der Grabstein Caspar von Elverfeldts und der älteste Ausländerfriedhof in Moskau sind das Thema eines Aufsatzes von Leonid Adreevic Beljaev (JbbGOE 39, 1991, 481-494). Vf. schildert die Umstände, unter denen 1989 in Moskau bei Erdarbeiten Bruchstücke von Grabplatten mit Überresten von Inschriften in deutscher Sprache entdeckt wurden. Insbesondere geht er ein auf die Biographie Caspar von Elverfeldts, dessen Grabstein das am besten erhaltene 278 Hansische Umschau

unter anderen Fundstücken ist, und versucht, die Geschichte des wahrscheinlich ältesten Ausländerfriedhofes in Moskau zu rekonstruieren. S. Dumschat

Ein Verzeichnis des Archivs des Außenamtes aus dem Jahre 1673, zum Druck vorbereitet von V.l. G a 1 ’ c o v (Opis archiva Posol’skogo prikaza 1673 goda, Moskva 1990, 2 Bde., 525 und 119 S.), informiert über den Aktenbestand des russischen Außenamtes im angegebenen Jahr. Von hansehistorischem Interesse sind vor allem jene Dokumente, die zwischen 1634 und 1673 ins Archiv gelangt sind und Aufschluß geben über die außenpolitischen Beziehungen des russischen Staates zu Hamburg, Lübeck, Holstein, Brandenburg, England, Dänemark, Schweden und Holland. Das Verzeichnis enthält hierzu wertvolle, bisher noch nicht publizierte Informationen, die eine Rekonstruktion der zu jener Zeit im Archiv vorhandenen Dokumente ermöglichen. S. Dumschat

Können die ökonomischen Beziehungen zwischen Rußland und Westeuropa in der Frühen Neuzeit eine Orientierungshilfe für die Entwicklung heute im­ mer dringlicher werdender Konzepte für neue Ost-West-Beziehungen abgeben? Dieser Frage geht Elisabeth Harder-Gersdorff in ihrem Aufsatz Rußlands Wirtschaft und der Westen in der Frühen Neuzeit: ein Lehrstück? (in: Was ist Gesellschaftsgeschichte? Positionen, Themen, Analysen, hg. von Manfred Hettling, Claudia Huerkamp, Paul Nolte, Hans-Werner Schmuhl, München 1991, C.H. Beck, 91-101) nach. In sehr anregender Weise beleuch­ tet Vf.in Aspekte der wirtschaftlichen Ost-West-Beziehungen und versucht jeweils eine Bewertung ihrer Wirkungskraft hinsichtlich einer „ökonomischen Europäisierung Rußlands“ vorzunehmen. Sie warnt davor, historischen Ana­ lysen gegenwartsbezogene „Patentrezepte“ entnehmen zu wollen, weist aber zugleich auf die Verwertbarkeit von einzelnen Anhaltspunkten hin, die einem neuen Wirtschaftskonzept zumindest als „Lernmaterial“ zugrundegelegt werden könnten. S. Dumschat

Höchst anregend, partiell auch rätselhaft wirkt eine neue Publikation von Andrej Vladimirovic Demkin, der unter dem Titel Westeuropäische Kaufleute und ihre Waren im Rußland des 17. Jahrhunderts (Zapadnoevropejskie kupey i ich tovary v Rossii XVII veka, Institut rossijskoj istorii RAN, Moskau 1992, 188 S.) Archivalien zum westlichen Handel auf der Nordroute über Cholmogory und Archangelsk vorstellt. Für den Zeitraum zwischen 1604 und 1689 bringt er chronologisch in sechs Abschnitte geordnet insgesamt 27 Aktenstücke, die er in der Einführung drei Kategorien zuordnet: Verzeichnisse eintreffender Schiffsladungen (1604, 1654, 1687, 1689); einen Auszug aus einem Zollbuch des Verkehrs auf der Nördlichen Dvina (1630/31); sowie die „Aussagen der Ausländer 1684", das Ergebnis einer Befragung von 42 fremden Geschäftsleuten auf russischem Boden über Dauer, Niederlassungen, Rechtsgrundlagen und familiäre Zusammenhänge ihrer Existenz im Moskauer Reich. Dieses großartige Dokument erfaßt auch prominente Namensträger aus den Niederlanden, Dänemark und Hamburg. Es weckt indes die weiterweisende Neugier insbesondere durch viele, bislang nicht bekannte Namen aus Hamburg. Selbst Lübecker in Archangelsk sind mehrmals erwähnt. Beim Namensregister Osteuropa 279

des Bandes handelt es sich entsprechend um eine Fundgrube, die ihresgleichen sucht. E.H.-G.

Erich Donnerts Studie Stepan Razin und seine Aufstandsbewegung im Urteil einer Wittenberger Dissertation 1674 (Forschungen zur Osteuropäischen Geschichte 46, 1992, 187-202) behandelt ein bei uns vorläufig wenig beach­ tetes Stück deutsch-russischer Kontaktgeschichte. Dabei geht es um die Ma­ gisterrelation „Stephanus Razin Donicus Cosacus“ des Johann Justus Mertz (1648-1702). Der spätere Pastor in Mühlhausen ließ sich als Jüngling (1668) von dem Mühlhäuser Physikus und Ratsherrn Blumentrost, dem späteren Leibarzt Aleksej Michajlovics, und dem in der Deutschen Vorstadt Moskaus engagierten Pfarrer J.G. Gregorii bewegen, unter dem Zaren seinerseits „ein gutes Auskom­ men“ zu suchen. Mertz blieb in Rußland rund vier Jahre. Blumentrost konnte er in eine Audienz beim Zaren, Gregorii einige Male nach Smolensk begleiten. Er lebte im übrigen in der von den politischen Intrigen der Stenka-Razin-Zeit (1667-71) keineswegs unberührten Nemeckaja Sloboda. Seine Dissertation unter der Ägide des Wittenberger Polyhistors Konrad Samuel Schurtzfleisch (1641- 1708) vermittelt zunächst eine Art russisches „Geschichtsbild“, bemüht sich auch retrospektiv um faktographische Korrektheit, will aber insbesondere „den internationalen Aspekt des Aufstandes als eines großen europäischen Ereignis­ ses“ (201) vorstellen. E.H.-G.

Eine populär gehaltene Schrift von Jurij Nikolaevic Bespjatych und Gennadij Michailovic Kovalenko behandelt Karelien unter Peter 1. (Karelija pri Petrei., Karelija, Petrozavodsk 1988, 143 S., 18 Abb.) im Hinblick auf seine strategische und materielle Bedeutung im Nordischen Krieg (1700-1721). Sie weckt eventuelles Interesse mit dem Abschnitt zu den Anfängen der am Westufer des Onegasees gelegenen gegenwärtigen Hauptstadt Kareliens Petrozavodsk, das sich im Kern um die petrinischen Eisenwerke und Manufak­ turen formierte. Vf. (G.M.K.), der diesen Komplex archivalisch erforschte (vgl. HGbll. 96, 1978, 280 und 99, 1981, 185), präsentiert hier auch Bilddokumente der zeitgenössischen Fabrikanlagen, Hochöfen und Walzwerke. E.H.-G.

Einen ziemlich scharfen Anklagecharakter, so scheint es zunächst, hat der Aufsatz von V.N. Zacharov zu Geldkredit westeuropäischer Kaufleute in Rußland während des ersten Viertels des 18. Jahrhunderts und seine Rolle für die Entwicklung des russischen Handels (Deneznyj kredit zapadnoevropejskich kupeov v Rossii v pervoj cetverti XVIII veka i ego roß v razvitii russkoj torgovli, in: Russkij gorod 9, 1990, 165-181, 2 Tab.). Er konstatiert, daß Niederländer, Briten und Hamburger den Kapitalmangel ihrer russischen Lieferanten radikal in hohe Zinssätze (10-15 %) umsetzten, während im Westen Kredite mit 4-6 % zur Disposition standen. Dieser westliche Wucher habe häufig die Gewinne der russischen Großhändler verschluckt oder zumindest auf ein niedriges Niveau gedrückt. Dennoch: nur auf diesem Weg habe ein Aufschwung des russischen Außenhandels und seine Integration in die Mechanismen des Weltmarktes initiiert werden können. - In dieses Resümee mündet eine minutiöse, dicht gewirkte Analyse von Moskauer Schuldbüchern der Jahre 1701-03 und 1714-25, 280 Hansische Umschau

in denen Vf. 873 Kreditvereinbarungen zwischen Russen und Fremden ermittelt und durchleuchtet. E.H.-G.

N.V. Kozlova richtet den Blick auf Das Kommerz-Kollegium in den 20er bis 50er Jahren des 18. Jahrhunderts (Kommerc-kollegija v 20-50-ch godach XVIII v., in: Gosudarstvennye ucrezdenija Rossii XVI-XVIII w ., Izdatel’stvo Moskovskogo Universiteta, Moskau 1991, 137-167, 3 Tab.), also auf die Zeit vor Katharina II. Dabei beachtet sie zunächst die Organisation, die Funktionen und Zielvorgaben, die dieses maßgebende, von Peter I. als erstes Regierungskollegium bereits 1715 ins Leben gerufene Gremium geprägt haben. Eine Wirkungsgeschichte klammert sie vorerst aus, da sie vermutet, durch eine Analyse des Personenbestandes der Institution etwas über den Stellenwert des Handels in der Petersburger Politik und damit über den „Klassencharakter des russischen Absolutismus“ (137) zu erfahren. Automatisch gehört zu ihren Fragen der Aspekt einer Überfremdung der Gremien durch Deutsche, deren Expertisen und Interessen sich auf Bereiche des Außen- und Seehandels und kaum auf Fragen der Entwicklung einer Infrastruktur im Dienste der Binnenmärkte gerichtet haben. Die zeittypische Doktrin des Merkantilismus begünstigte zudem eine Manufakturpolitik, die sich an der Handelsbilanz, also am Außenverkehr, orientierte. E.H.-G.

Für Walther Kirchner ging es 1748 mindestens um Eine Fußnote zur deutsch-russischen Geschichte (ScrMerc. 24, 1990, 180-182), als Fürst und Bevölkerung von Nassau dem Durchmarsch von 30 000 Mann russischer Aux*- liartruppen der Kaiserin Elisabeth für die Niederlande und Großbritannien zunächst mit Sorge, sodann mit einer gewissen Sehnsucht entgegensahen. Letz­ teres, weil Verpflegung und Unterkunft samt Lazarett für die zahlenden, wenn auch fremdartigen Gäste umfassende Vorbereitungen veranlaßt hatten. Diese Konstellation rekonstruiert Vf. unmittelbar aus den Akten (HSA Wiesbaden). Seiner Vermutung, daß er hier, im Zuge eines offenbaren „non-events“, auf eine von vielen dünnen Spuren der deutsch-russischen Annäherung im 18. Jh. gestoßen ist, möchte man sich dabei nicht verschließen. E.H.-G. Autorenverzeichnis 281

MITARBEITERVERZEICHNIS

für die Umschau

Angermann, Prof. Dr. Norbert, Hamburg (232, 257, 259 f., 264, 275 f.; N.A.); Barthelmeß, Klaus, Bremerhaven (169); Böcker, PD Dr. Heidelore, Berlin (152 f.); Deeters, Dr. Joachim, Köln (134 f., 241-243); Dumschat, Sabine, Hamburg (255, 257, 263-265, 276-278); Ellmers, Prof. Dr. Detlev, Bremerhaven (137, 154-174; D.E.); Fahlbusch, Dr. Friedrich Bernward, Warendorf (147 f.); Fryde, Prof. Dr. Natalie, Darmstadt (243 f.; N.F.); Gerteis, Prof. Dr. Klaus, Trier (142-144); Graßmann, Dr. Antjekathrin, Lübeck (206-214; A.G.); Hammel-Kiesow, Dr. Rolf, Lübeck (174-185; R.H.-K.); Harder-Gersdorff, Prof. Dr. Elisabeth, Bielefeld (261-264, 269, 272-274, 278-280; E.H.-G.); Henn, Dr. Volker, Trier (133-138, 140 f., 145-147, 151, 186-193; V.H.); Hill, Dr. Thomas, Kiel (183, 244-246, 249-251); Hoffmann, Prof. Dr. Erich, Kiel (182 f., 247-255; E.H.); Jenks, Prof. Dr. Stuart, Erlangen (148 f.); Keweloh, Hans-Walter, Bremerhaven (157, 159, 168, 171 f.); van der Laan, Drs. Petrus H.J., Amsterdam (236-241; v.d.L.); Leväns, Dipl.-Hist. Andris, Hamburg (257-261, 265); Meyer, Günter, Hamburg (214-218); Ostersehlte, Dr. Christian, Lübeck (205 f.); Pelc, Dr. Ortwin, Rostock (185 f., 225-230, 269 f., 276); Pickhan, Dr. Gertrud, Hamburg (256 f., 268-271, 274 f.); Puhle, Dr. Matthias, Magdeburg (144 f.); Schnall, Dr. Uwe, Bremerhaven (156, 158 f., 161-164, 168, 173 f.); Schubert, Birte, Kiel (255 f., 264-268, 270-272); Schwarzwälder, Prof. Dr. Herbert, Bremen (135-137, 149-151, 153, 192-205, 218-225, 229 f.; H. Schw.); Scresse, Volker, Kiel (246 f.); Somelar, Dipl.-Hist. Erik, Tartu (258 f.); Voltmer, PD Dr. Ernst, Trier (141 1.); Wernicke, Prof. Dr. Horst, Greifswald (138-140); Weczerka, Dr. Hugo, Marburg (153 f., 229-236, 245, 258, 263 f.; H.W.).

AUTORENVERZEICHNIS

für die Umschau

Aberg 253, Adamsen 157, Aerts 144, Albrecht 207, Albrectsen 139, Alekseev 271 f., Alwast 206, Ambrosiani 177, Amburger 277, Andersen, Hans-Hellmuth 210, Andersen, Henning H. 177, Andersson, G. 251, Andersson, H. 177, Andreev 269, de Andreis Wvhowska 263, Andresvs 243, Arfs 221, Arterhev 268, 274, Asbach 169, Auerbach 169 f., 230, d’Aujourd’hui 175, Austen 165, Baart 185, Bahr 236, Banse 222, Baranowski 233, Bardehle 194, Barker 163, Barnewitz 228, Barrett 165, Barthel 175, Barthelmeß 168, ßaumbauer 190, Bechert 171, Beer 156, Bei der Wieden 206, 216, 226, Bcleckij 255, Beljaev 277, Benz 140, Berghaus 144, Berghoff 224, Berkenvelder 236, Berndt 225, Bespjatych 279, Beuttel 236, Bickelmann 206, Biederstedt 231, Birnbaum 271, Biskup 184, 233, Bliss, 235, Blockmans 239, Blom 249, Bockhorst 191, Böcker 228, Böker 193, Bogucka 264, Bold-Stülzebach 202, Bonde 158, Borresen 249, Borst 141, Boschma 194 f., Boycr-Xambeu 145, Brachmann 174 f., Bracker 282 Autorenverzeichnis

155, Brandt 222, Brindley 157, Brinkmann 216, Brodt 191, Broelmann 172, Brosius 194, Bruin 165, Bruns 205 f., Burov 267, 270, Busse 225, Butel 165, Callmer 179, Caune 259 f., van Cauwenberghe 145, Chekin 276, Chittolini 186, Chorosev 267, Choroskevic 266, Christensen, B. 170, Christensen, P.B. 181, Christophersen 183, Chropovsky 176, Clarke 175, 178, 185, Clasen 215, Czacharowski 184, Czaja 185, Czarcihski 233, Däbritz 225, Dahlbäck 146, Daly 158, Davis 167, Deieplace 145, Delfs 155, Demkin 277 f., Dirimeier 145, Dirsch-Weigand 151, Dobbertin 199, Donnert 261 f., 279, Draper 155, Dreves 199, Dubovik 185, Dzakson 256, 264, Ebeling 168, Ebert-Weidenfeller 218, Ebner 175, Edwards 163, Eibl 200, Elkar 145, Ellmers 156 f., 176, Eismann 226, Engeleit 218, Engeier 158, Engels 140, Erdmann 225, Eriksen 158, Evers 157, Fahlbusch 133, 143, 191, Falk 179, 225, Feddersen 168, Fehring 177, 180, 185, 209 f., Feveile 181, Fiebig 196, Filipowiak 176, Fleckenstein 141, Fleige 200, Fleischfresser 171, Flink 144, 190, Floren 253, Fode 245, Fouquet 145 f., Frandsen 181, Freytag 206, Friedland 134, 139, Fritze, K. 139, 178, Gajdukov 267, GaPcov 278, Gallen 182, Gardberg 178, Gerhard 201, Gerkens 217, Gillard 145, Gläser 210, 212, Glazyrina 255, Goehrke 256, Göttlicher 156, Graßmann 139, 206, Greiffenhagen 170, Greve 202, Griep 262, Gröber 172, Groenman-van Wateringe 210, Grzegorz 233, Gungwu 165, Gusakov 267, Gustafsson 247, 250, Gustavson 259, Habib 165, Habovstiak 176, Händel 227, Haense 217, Hamann 193, Hammel-Kiesow 205, 213, Hardcr-Gersdorff 153, 278, Hardh 178, Hansen 207, Happach-Kasan 209, Hartmann, Hans 201, Hartmann, Helmut 155, Hartmann, St. 235 f., Havemann 158, Heeg 262, Hegner 225, Heimveil 259, van Heinigen 167, Heitz 226, Hellmann 257, Hemann 133, 192, Henige 163, Henn 135, 149, Henning, A. 207, Henning, J. 179, Hermann 263, Hermann, B. 209, Herrmann, J. 174, 178, van den Heuvel 143, 193, Höfling 172, Hoffmann 240, Hofmann 158, Hoppe, H.W. 234, Hoppe, K.-D. 225, Huck 188, Huijsmans 236, Hundt 217, Huschenbett 162, Huschner 225, Irsigler 145, 187, Isenberg 192, Jaacks 220, Jacoby 203, Jaeger 171, Jähnig 233-235, Janin 266 f., Janssen 186, Jenks 135 f., 145, 241, Jensen, J.E. 244, Jensen, J.S. 144, Jensen, St. 181, Johansen 181, de Jong 169, Jorgensen, K.R. 249, Jorgensen, O. 182, Jügelt 226, Jürjo 262, Kälin 256, Kala 259, Kaim-Bartels 234, Kangropool 259, Kappelhoff 204, van Kappen 144, Karge 225, Karrenbrock 196, Kasinowski 184, Kastorff 206, Kattinger 180, Kaufhold 201, Keay 165, Kellenbenz 142, Kießling 141, Kindler 225, Kinsky 156, Kintzinger 141, Kirchgässner 144, Kirchhoff 191, Kirchner 280, Kirpicnikov 265, Kivimäe 275, Kjaergaard 246, Klackcnberg 248, Klages 155, Klein 165, Kleinholz 190, Klibanov 265, Kobell 169, Koch 144, Kock 226, Kodres 258, Köhn 192, Kölzer 140, Körner 138, Kolchin 269, Kolosova 275, Kommer 215, Konow 229, 231, Konsap 259, Koolman 153, Kovalenko 273 f., 279, Kovrigina 277, Kozlova 280, Krause, G. 160, Krause, R.A. 274, Kreideweiß 168, Krüger, I. 140, Krüger, K. 239, 241, Kruse 206, van Krusenstjern 170, Kuckin 276, Kugler 161, Kuhlenkampff 220, Kuhlmann 206, Kuhn 158, Kulakov 232, Kupfer 197, Kuzmin 268, Labutina 275, Läntinen 249, Lahana 277, Lahn 159, Lamberti 263, Lanckoronska 263, Langer 143, Langholn 148, Lanting 157, Larsson 178, Laurentius 195, Lauterbach 171, Laux 154, Leciejewicz 176, 180, Leder 245, Lenz 173, Lesger 237, Letkemann 235, Lietz 226 f., Lind 244, 249, Lindblad 237, Lindgren 162, Ljungberg 181, Lohff 173, Lohmeier 205, 215, Lorenz, A.F. 227, Lorenz, S. 142, Lubocka-Hoffmann 184, Lubowitz Autorenverzeichnis 283

138, Luchmann 216, Luckhardt 192, Lübken 230, Liidccke 173, Lund 138, Madsen 181, Mahler 204, de Maisonneuve 170, Malevskaja 265, Mangelsdorf 211, Martysin 268, Marzahn 226, Matuzova 256, Mauro 165, Meijer 167, Meinardus 206, 215, Melzer 193, Menke, H. 238, Menke, W. 171, Meurer 163, Meyer 167, Michael 161, Mikkelsen 181, Milde 153, Milne 155, Mindermann 197, Möller, H.-O. 228, Möller, R. 224, Möring 173, Mohrmann 195, Molaug 177, 185, Moll 228, Molvogin 185, Molzow 205, zu Mondfeld 163, Moraw 149, Mordek 140, Muehle 268, Müller, M.G. 234, Müller, U. 210, Müller, W. 209, Müller-Boysen 138, Müller-Wille 177, 179, Mugurevic 256, Mulsow 181, Myrvold 183, 185, Nawrolska 184, Nawrolski 184, Nazarenko 257, 265, Nazarov 256, Nazurova 256, Neal 165, Neitzert 197 f., 203, Neugebauer 235, Nijman 237, Nikolov 211 f., Nockert 209, North 144, 206, 235 f., Nyberg 182 f., 249, O’Flanagan 243, OhEailidhe 157, Olausson 178, Olech 263, Olesen 139, 249, Oltcnau 175, Oosting 172, Oredsson 252, Odegaard 166, Paravicini 138 f., 207, 238, 241, Patzelt 225, Paulus 206, Pelc 206, Perchavko 265, Pergande 228, Perot 194, Peters, Gabriele 173, Peters, Günther 223, Petersen 153, Petersohn 229, Petre 178, Petrick 227, Pettke 226 f., Phillips, C.R. 163 f., Phillips, W.D. 163, Pickhan 271, Pitz 147, Pohlandt 171, Polivka 141, Porter 165, Postei 143, Prange 213, van Prooije 238, Puhle, H.-J. 224, Puhle, M. 137, Pullat 258 f., Quarthai 144, Queckenstedt 137, 195, Radtke 138, Rasch 179, Redin 185, Reinalter 261, Reininghaus 193, Remann 181, 211, Rendschmidt 235, Rexroth 152, Richter 176, Ring 204, Roberts 157, Röpke 194, Rötting 201, Rogatschewski 257, Rohrlach 231, Roll 174, Rossabi 165, Rowell 275, Rubarth 170, Rybina 267, 270, Ryckaert 240, Ryden 253, de Sallieth 169, Samsonowicz 184, Sander 146, Sandnes 138, Sarfatij 175, 185, Savvidis 215, Scapov 266, Schäfer 225, Scharnweber 228, Scheel 206, Scheftel 214, Scherer 231, Schildhauer 229, Schilling 143, Schmid 186 f., Schmidt 143, Schmidt-Wiegand 153, Schmitt 189, Schmitz 171, Schnack 180, Schnall 164, Schneider 145, Schnelle 223, Schnitzler 227, Schofield 175, Schreiber 217, Schröder 228, Schubert 225, Schuch 233-235, Schukowski 225, Schumacher 155, Schwark 206, Schwarze-Neuss 235, Schwarzwälder 206, Sedov 176, Seidensticker 276, Seresse 254, Seyer 174, Simek 162, Simek 144, Simms, A. 177, 243, Simms, K. 243, Simsch 235, Sklcnär 154, Smed 173, Sokolova 266, Sommer 277, Sonntag 204, Sorbe 195, Spehr 154, Spier 198, Spies 166, 201, Sprandcl 142, Stahre 254, Stankiewicz 184, Steensgaard 165, Stehkämper 161, Stein-Wilkeshuis 186, Stolleis 142, Stoob 133, Stradling 166, Stürner 141, Svahnström 139, Svalenius 251, Sverdlov 265, Tandecki 185, 232, Tarasow 185, 264, Tesch 183, Theuerkauf 155, Thirslund 159, Thissen 190, Thomas 140, Thümmel 231, Tidow 211, Timpel 176, Tönsing 133, Tracy 164, Unger 159, Unverhau 138 f., Urbanczyk 185, Varencov 272-274, Vebaek 159, Velay 175, Velkov 175, Verhaeghe 175, Vlierman 172, Völkl 212, Vogelsang 258, Vogtherr 204, Vseviov 265, Wallace 177, Wallin 249, Wallis 163, Walther 138, Warnke 177, Wartenberg 144, Waters 163, Watermann 173 f., Wechsler 160, van der Wee 164, Weibull 248, Werlich 178, 229, Wermter 234, Werner, P. 173, Werner, W. 153, Wernicke 178, 228, Weski 172, Westermann-Angerhausen 210, Wiehmann 217, Wilde 212, Willoweit 186, Witte 203, Witthöft 145, Wolf 160, Wohlfahrt 209, Zacharow 279, Zahlten 141, v. Zahn 219, Zaliznjak 275, Zdrenka 233, Zeids 259 f., Ziemann 166, Zobel 228. FÜR DIE HANSEFORSCHUNG WICHTIGE ZEITSCHRIFTEN

ABaltSlav. Acta Baltico-Slavica. Bialystok. AESC Annales. Economies, societes civilisations. Paris. ADH Annales de demographie historique. Paris. AHVN. Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, insbesondere das alte Erzbistum Köln. Bonn. APolHist. Acta Poloniae Historica. Polska Akademia Nauk. Instytut Historii. Warschau. Ausgr.Fu. Ausgrabungen und Funde. Berlin. AZGW Archief. Vroegere en latere medcdelingen voornamelijk in betrekking tot Zeeland. Middelburg. BaltStud. Baltische Studien. Marburg. BDLG Blätter für deutsche Landesgeschichte. Wiesbaden. Beitr.Dortm. Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark. Dortmund. BMGN Bijdragen en Mededelingen betreffende de Geschiedenis der Nederlanden. ’s-Gravenhage-Antwerpen. Bonnjbb. Bonner Jahrbücher. Bonn. Braunschwjb. Braunschweigisches Jahrbuch. Braunschweig. Bremjb. Bremisches Jahrbuch. Bremen. BROB Berichten van de Rijksdienst voor het Oudheidkundig Bodemonderzoek. Amersfoort. BullCommHist. Bulletin de la Commission Royale d’Histoire. - Handelingen van de Koninklijke Commissie voor Geschiedenis. Brüssel. DA Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters. Köln-Wien. DHT (Dansk) Historisk Tidsskrift. Kopenhagen. DSA Deutsches Schiffahrtsarchiv. Bremerhaven. Düsseldjb. Düsseldorfer Jahrbuch. Düsseldorf. DuisbF Duisburger Forschungen. Duisburg. EcSocHistJb. Economisch- en Sociaalhistorisch Jaarboek. ’s-Gravenhage. EcHistRev. The Economic History Review. London. EHR The English Historical Review. London. Fornvännen Fornvännen. Tidsskrift för Svensk Antikvarisk Froskning. Stockholm. Friesjb. Friesisches Jahrbuch. GotlArk. Gotländskt Arkiv. Visby. HambGHbll. Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter. HBNu. Hamburger Beiträge zur Numismatik. HGbll. Hansische Geschichtsblätter. Köln-Wien. HispAHR The Hispanic American Historical Review. Durham/North Carolina. Hispania Hispania. Revista espänola de historia. Madrid. Hist. History. The Journal of the Historical Association. London. HistArkiv Historik Arkiv. Stockholm. Histjourn. The Historical Journal. Cambridge. HTF Historisk Tidskrift för Finland. Helsinki. HZ Historische Zeitschrift. München. IJNA International Journal of Nautical Archaeology. London. IstSSSR Istorija SSSR. Moskau. IstZap Istoriceskie zapiski. Moskau. Für die Hanseforschung wichtige Zeitschriften 285

JbAmst. Jaarboek van het Genootschap Amstelodamum. Amsterdam. JbbGOE Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. München. JbBreslau Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau. Würzburg. JbEmden Jahrb. der Gesellschaft für Bildende Kunst und Vaterländische Altertümer zu Emden. JbGFeud. Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus. Berlin. JbGMOst. Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands. Berlin. JbKölnGV Jahrb. des Kölnischen Geschichtsvereins. Köln. JbMorgenst. Jahrbuch der Männer vom Morgenstern. Bremerhaven. JbNum. Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte. München. JbVNddtSpr. Jahrbuch des Vereins für Niederdeutsche Sprachforschung. Neumünster. JbWG Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte. Berlin. JbWitth Bremen Jahrbuch der Wittheit zu Bremen. Bremen. JEcoH The Journal of Economic History. New York. JEEH The Journal of European Economic History. Rom. JMH Journal of Medieval History. Amsterdam. JMittVorg. Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte. Halle/S. KSIA Kratkie soobscenija Instituta archeologii Akademii nauk SSSR. Moskau. KölnJbVFg. Kölner Jahrbuch für Vor- und Frühgeschichte. Kuml Kuml. Arbog for Jysk Archaeologisk Selskab. Kopenhagen. KwartHist. Kwartalnik Historyczny. Warschau. KwartHKM Kwartalnik historii kultury materialnej. Warschau. LippMitt. Lippische Mitteilungen. Detmold. Logbuch Das Logbuch. Wiesbaden. LJ The London Journal. London. LünebBll. Lüneburger Blätter. MA Le Moyen Age. Revue d’histoire et de philologic. Brüssel. Maasgouw De Maasgouw. Tijdschrift voor Limburgse Geschiedenis en Oudheidkunde. Maastricht. MAcWet. Medelingen der Koninklijke Nederlandsche Academie van Wetenschappen. Afdel. Letterkunde. Amsterdam. MatZachPom. Materialy Zachodnio-Pomorskie. Muzeum Pomorza Zachnodniego. Stettin. Meddelanden Meddelanden frä Lunds Universitets Historiska Museum. Lund. MittKiel Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte. MM The Mariner’s Mirror. London. NAA Nordic Archaeological Abstracts. Viborg. NAFN Neue Ausgrabungen und Forschungen in Niedersachsen. Hildesheim. Naut. Nautologia, Kwartalnik-Quaterly. Gdingen-Warschau-Stettin. NdSächsJb. Niedersächsisches Jahrb. für Landesgeschichte. Hildesheim. NHT Historisk Tidsskrift utgitt av den Norske Historiske Forening. Hovik. NNU Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte. Hildesheim. NOA Nordost-Archiv. Zs. für Kulturgeschichte und Landeskunde. Lüneburg. Nordelbingen Nordelbingen. Beiträge zur Heimatforschung in Schleswig-Holstein, Hamburg und Lübeck. Heide (Holst.). 286 Für die Hanseforschung wichtige Zeitschriften

NordNumA Nordisk Numismatisk Ärsskrift. Stockholm. NT Nordisk Tidskrift. Stockholm. Oldbjb. Oldenburger Jahrb. OsnMitt. Osnabrücker Mitteilungen. Osnabrück. P & P Past and Present. Oxford. PrzeglHist. Przeglad Historyczny. Warschau. RB Revue Beige de philologie et d’historie. - Belgisch Tijdschrift voor Filologie en Geschiedenis. Brüssel. RDSC Roczniki dziejöw spolecznych i gospodarczych. Posen. RH Revue Historique. Paris. RheinVjbll. Rheinische Vierteljahrsblätter. Bonn. RHES Revue d’histoire economique et sociale. Paris. RHMC Revue d’histoire moderne et contemporaine. Paris. RM Revue Maritime. RN Revue du Nord. Lille. RoczGd Rocznik Gdanski. Gdanskie Towarzystwo Naukowe. Danzig. SEHR The Scandinavian Economic History Review. Uppsala. Scandia Scandia. Tidskrift för historisk forskning. Lund. ScHR Scottish Historical Review. Edinburgh. ScrMerc. Scripta Mercaturae. München. SHAGand Societe d’histoire et d’archeologie de Gand. Annales. Gent. SHT Historisk Tidskrift. Svenska Historiska Föreningen. Stockholm. SJH Scandinavian Journal of History. Stockholm. SkandSborn Skandinavskij sbornik (Skrifter om Skandinavien). Dorpat. SEER The Slavonic and East European Review. London. SoesterZs. Soester Zeitschrift. SovArch. Sovetskaja archeologija. Moskau. Stadjb. Stader Jahrbuch. Städter Archiv. Neue Folge. StudPom. Studia i materialy do dziejnw Wielkopolski i Pomorza. Posen. TATU Eesti Teaduste Akadeemia Toimetised Uhiskonnanteadused. Tallinn (Reval). TG Tijdschrift voor Geschedenis. Groningen. Tradition Tradition. Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmerbiographie. Baden-Baden. TZG Tijdschrift voor Zeegeschiedenis. ’s-Gravenhage. VerslOverijssel Verslagen en Mededelingen. Vereeniging tot Beoefning van Overijsselsch Regt en Geschiedenis. Zwolle. Viking Viking. Oslo. VIst. Voprosy istorii. Moskau. VSWG Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Wiesbaden. Wagen Der Wagen. Ein Lübeckisches Jahrbuch. Lübeck. Westfalen Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde. Münster/Westf. WestfF Westfälische Forschungen. Münster/Westf. WestfZs. Westfälische Zeitschrift. Paderborn. WissZsBerlin Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin. Gesellschafts- und sprachwiss. Reihe. WissZsGreifswald Desgl.: Ernst Moritz Arndt-Universität Greifswald. WissZsRostock Desgl.: Universität Rostock. ZAA Zeitschrift für Agrargeschichte u. Agrarsoziologie. Frankfurt/M. ZArchäol. Zeitschrift für Archäologie. Berlin. Für die Hanseforschung wichtige Zeitschriften 287

ZAM Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters. Köln. ZAVeest Latvijas Zinetnu Akademijas Vestis. Riga. ZapHist. Zapiski Historyczne. Thorn. ZfO Zeitschrift für Ostforschung. Marburg/Lahn. ZGesSHG Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte. Neumünster. ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Berlin. ZHF Zeitschrift für historische Forschung. Berlin. ZRGG Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung. Weimar. ZVHG Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte. Hamburg. ZVLGA Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde. Lübeck. HANSISCHER GESCHICHTSVEREIN Jahresbericht 1992

A. Geschäftsbericht

Im Jahr 1992 trafen sich die Mitglieder des Hansischen Geschichtsvereins und des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung zu ihrer Jahrestagung in Kiel, das sein 750. Stadtjubiläum feierte. Es nahmen ca. 160 Interessierte an der Tagung teil; leider nur sehr wenige Ausländer. Der Ablauf der Pfingsttagung war gegenüber früheren Veranstaltungen ein wenig mo­ difiziert, indem die Beiträge das Zentralthema „Schiffahrt der Hanse“ illustrierten. Herr Professor Dr. Detlev Ellmers, dem die wissenschaftliche Leitung der Tagung übertragen war, führte in das Generalthema ein. Es folgten Dr. Ulrich Weidinger, Bremen, Die Hafenstruktur Bremens zur Hansezeit, Dr. Hans-Jürgen Vogtherr, Uelzen, Beobachtungen zum Schiffsverkehr auf den Linien zwischen Lübeck und Schweden am En­ de des 15. Jahrhunderts, Dr. Uwe Schnall, Bremerhaven, Zur Navigati­ on auf Hanseschiffen, Dr. Thomas Brück, Greifswald, Zum Eigenhandel der hansischen Seeleute im 15. bis 17. Jahrhundert, Dr. Günther Krau­ se, Greifswald, Hansischer Schiffbau, Hans-Walter Keweloh, Bremerha­ ven, Die Versorgung der hansischen Seehäfen mit Schiffbau-Holz, Dr. Clemens von Looz-Corswarem, Düsseldorf, Schiffahrt auf dem Rhein zur Hansezeit, Aspekte eines Verkehrsweges. Der mit dem Verein für niederdeutsche Sprachforschung gemeinsam ausgerichtete und von Herrn Professor Dr. Hubertus Menke, Kiel, vorbereitete Vortrag trug den Titel „Von der heterogenen zur homogenen Mehrsprachigkeit. Die Entwicklung der nordelbischen Sprachenlandschaft“. Am Nachmittag des ersten Tagungstages erkundeten die Tagungsteil­ nehmer Kiel und seine Umgebung (Bootsfahrt auf der Kieler Förde nach Laboe, Besichtigung der Howaldtswerke/Deutsche Werft AG, Führung „Revolutionen in Kiel“). Am Abend des Tages fand auf Einladung des Oberbürgermeisters der Stadt Kiel ein Empfang statt. Am Spätnachmittag des zweiten Tagungstages ergab sich die Möglichkeit, den Nachbau der Hansekogge in Friedrichsort zu besichtigen, was insbesondere von den Mitgliedern des Hansischen Geschichtsvereins mit großem Beifall auf­ genommen wurde. Sodann stand noch ein Besuch des Freilichtmuseums Molfsee mit anschließendem geselligen Beisammensein im Drahtenhof auf dem Programm, wobei das niederdeutsche Kabarett „De schewe Dree“ beitrug. Die Studienfahrt führte die Gäste nach Nordstrand (Kiek ut, Emigrantenkirche St. Theresia/Herrendeich) und Friedrichstadt. Anschließend an die Kieler Tagung machten sich dann insgesamt ca. 289

25 Mitglieder und Freunde des Vereins auf zum Novgorod-Kolloquium, dessen wissenschaftliche Leitung in den Händen Herrn Professor Dr. Friedlands lag, worüber in diesen Blättern eigens berichtet wird. Vorstandssitzungen fanden am 8. Juni in Kiel und am 27. November in Lübeck statt. Die Jahresmitgliederversammlung am 9. Juni wählte wie­ derum Herrn Professor Dr. Ellmers, Bremerhaven, in den Vorstand; neu in den Vorstand gewählt wurde Herr Dr. Wernicke, Greifswald, woge­ gen Herr Professor Dr. Schmidt, Oldenburg, dessen Amtszeit ebenfalls abgelaufen war, nicht erneut kandidierte, aber weiterhin zu den Sitzun­ gen des Vorstands als Gast hinzugezogen werden wird. Als Nachfolger für Herrn Professor Dr. Hatz, der dem Verein 20 Jahre lang als Rech­ nungsprüfer diente, wurde Herr Dr. Ellermeyer, Hamburg, gewählt, der zweite Rechnungsprüfer, Herr Professor Dr. Ahrens, ebenfalls Hamburg, wurde weiterhin im Rechnungsprüferamt bestätigt. Am 31. 12. 1992 wies der Verein 582 Mitglieder auf (20 Neueintritte, 4 Austritte). Den Tod von 7 Mitgliedern hat er zu beklagen. Im Jahre 1992 wurde nicht nur, wie gewohnt, ein Band der „Hansi­ schen Geschichtsblätter“ (110/1992) ausgeliefert, sondern auch als Band 38 der „Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte“ N. F.: Stuart Jenks, England, die Hanse und Preußen: Handel und Diplomatie 1377— 1474 (3 Teile). Die Veröffentlichung Jan von Bonsdorff, Kunstproduktion und Kunstverbreitung im Ostseeraum, erschien ebenfalls. Da sich keine deutsch-finnische Coproduktion hatte herbeiführen lassen, unterstützte der Hansische Geschichtsverein immerhin den Druck der Werbeprospekte des Buches. In Arbeit befinden sich zwei Sammelbände (Sea-Transport of Food, hrsg. von Klaus Friedland, und Der hansische Sonderweg? Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Hanse, hrsg. von Stuart Jenks und Michael North).

Lübeck, den 31.5.1993 Graßmann Sch riftführerin

B. Rechnungsbericht

Das Rechnungsjahr 1992 brachte dem Hansischen Geschichtsverein Ein­ nahmen in Höhe von 118.323,43 DM und erforderte Ausgaben in Höhe von 121.103,77 DM. Der gegenüber den Vorjahren erhebliche Anstieg beider Positionen ist einmalig und war bedingt durch das Novgorod- Kolloquium. Die Mehrausgaben waren durch eine entsprechende Rück­ stellung im Jahre 1991 gedeckt. Mit den Einnahmen und Ausgaben sind wir im großen und ganzen im Rahmen des Voranschlages geblieben. 290 Jahresbericht 1992

Die Einnahmen setzten sich im einzelnen folgendermaßen zusammen: Beiträge 25.659,52 DM, Zuschüsse 26.885,-DM und sonstige Einnahmen 65.778,91 DM. In der zuletzt genannten Position sind gut 4.000,-DM Erlös aus der Sonderaktion Hansische Geschichtsblätter und etwa 55.000,- DM Einzahlungen der Teilnehmer am Novgorod-Kolloquium enthalten. Die großen Posten der Ausgaben waren die Hansischen Geschichts­ blätter mit 21.469,98 DM, Aufwendungen für die „Quellen und Darstel­ lungen“ mit 33.216,76 DM, wovon allein Jenks, „England, die Hanse und Preußen,“ über 28.000,-DM erforderte, Pfingsttagung und Novgorod- Kolloquium mit zusammen 63.043,61 DM sowie Geschäfts- und Kas­ senführung mit 3.128,92 DM. Die kleineren Ausgaben wie Beitrag für den Gesamtverein oder Gebühren für Fehlbuchungen können vernachlässigt werden. Insgesamt hat der Hansische Geschichtsverein 1992 mehr als 95 % seiner Ausgaben für satzungsmäßige Aufgaben geleistet. Gern unterzieht sich der Schatzmeister auch diesmal der Pflicht, für besondere Förderung der Vereinsarbeit zu danken. Der Dank gilt der Possehl-Stiftung in Lübeck für ihre namhafte Hilfe bei der Drucklegung der Hansischen Geschichtsblätter und für die Durchführung der Pfingstta­ gung. Die Freie und Hansestadt Hamburg, die Freie Hansestadt Bremen, die Hansestadt Lübeck, die Stadt Köln, die Stadt Braunschweig, der Land­ schaftsverband Westfalen-Lippe und der Landschaftsverband Rheinland haben ebenfalls zu unserer Dankesverpflichtung ihre regelmäßige Förde­ rung unserer Arbeit durch Zuwendungen bzw. erhöhte Jahresbeiträge fortgesetzt. Die Förderung wird uns Ansporn sein, auch in Zukunft der Wissenschaft und interessierten Laien in Publikationen und auf Tagungen Foren zu bieten, auf denen neue Forschungsergebnisse präsentiert und dis­ kutiert werden können. Wir verbinden mit diesem Bemühen die Hoffnung, auch fernerhin die Hilfe der Förderer zu erhalten. Die Kassenprüfung durch die Herren Prof. Dr. Gerhard Ahrens und Dr. Jürgen Ellermeyer hat am 23. April 1993 stattgefunden und keine Beanstandungen ergeben. Die Rechnungsprüfer haben die Richtigkeit der Rechnungslegung festgestellt und diesen Befund schriftlich niedergelegt. Sie stellen schriftlich den Antrag an die ordentliche Mitgliederversammlung, den Schatzmeister und den übrigen Vorstand des Hansischen Geschichts­ vereins für das Geschäftsjahr 1992 zu entlasten.

Vorgetragen in Münster am l.Juni 1993 Loose Schatzmeister LISTE DER VORSTANDSMITGLIEDER DES HANSISCHEN GESCHICHTSVEREINS

I. Ordentliche Mitglieder Weczerka, Dr. Hugo Lahnbergstr. 14 Vorsitzender 35043 Marburg Lund, Heinz, Senator a. D. W e r n i c k e , Dr. Horst Birkenweg 2, 23611 Sereetz Wolgaster Str. 125, 17489 Greifswald

Vorstandsmitglieder: Altmitglieder des Vorstands: E11 m e r s , Prof. Dr. Detlev F r i e d 1 a n d , Prof. Dr. Klaus Ltd. Museumsdirektor, Kreienholt 1, 24226 Heikendorf Dt. Schiffahrtsmuseum van-Ronzelen-Str. 27568 Bremerhaven Korrespondierende Vorstandsmitglieder: Graßmann, Dr. Antjekathrin Archivdirektorin Dollinger, Prof. Dr. Philippe Archiv der Hansestadt Lübeck 1, Boulevard, Deroulede Mühlendamm 1-3, 23552 Lübeck F-67000 Straßbourg H e n n , Dr. Volker J e a n n i n, Prof. Pierre Univ. Trier, Geschichtl. Landeskunde 10 Boulevard de Port Royal Postfach 3825, 54228 Trier F-75005 Paris I r s i g 1 e r , Prof. Dr. Franz K u m 1 i e n, Prof. Dr. Kjell Univ. Trier, Geschichtl. Landeskunde Kungsholms Kyrkoplan 1 IV Postfach 3825, 54228 Trier S - l1224 Stockholm Knüppel, Dr. Robert Bürgermeister a. D. Claudiusring 38e, 23566 Lübeck Gäste des Vorstands: Loose, Prof. Dr. Hans-Dieter Böcker, Dr. Heidelore Direktor des Staatsarchivs Hamburg Trachtenbrodtstr. 31, 10409 Berlin ABC-Str. 19, 20354 Hamburg Hammel-Kiesow, Dr. Rolf Müller-Mertens, Prof. Dr. Forschungsstelle für Eckhard Geschichte der Hanse und des Platanenstraße 101, 13156 Berlin Ostseeraums, Pitz, Prof. Dr. Ernst Burgkloster, 23552 Lübeck Königin-Luise-Straße 73 14195 Berlin Schildhauer, Prof. Dr. Johannes Gerdingstr. 8, 17489 Greifswald Stehkämper, Prof. Dr. Hugo Ltd. Stadtarchivdirektor Schmidt, Prof. Dr. Heinrich Hist. Archiv d. Stadt Köln Hugo-Gaudig-Str. 10 Severinstr. 222-228, 50676 Köln 26131 Oldenburg

QUELLEN UND DARSTELLUNGEN ZUR HANSISCHEN GESCHICHTE. Neue Folge. Hrsg.: Hansischer Geschichtsverein Die Bände 1-11,14 sind vergriffen. Bd. 12: Paul Heinsius: Das Schiff der hansischen Frühzeit. 2. verb. Auflage 1986. XLV, 289 S., 93 Abb., Gb. 3-412-02085-0 Bd. 13: Hansische Handelsstraßen. Atlas. Bearb. von Hugo Weczerka. 1962. 60 Ktn. Ln. 3-412-00462-6 Bd. 15: Karl F. Krieger: Ursprung und Wurzeln der Roles d'Oleron. 1970. X, 167 S., Br. 3-412-25870-9 Bd. 16: Hans Sauer: Hansestädte und Landesfürsten. Die wendischen Hanse­ städte in der Auseinandersetzung mit den Fürstenhäusern Oldenburg und Mecklenburg während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. 1971. X, 218 5., 3-412-14371-5 Bd. 17: Bergen-, Handelszentrum des beginnenden Spätmittelalters. Refera­ te und Diskussionen das Hansischen Symposiums in Bergen vom 9. bis 11. September 1970. Hrsg.: Hansischer Geschichtsverein. Bearb. von Klaus Fried­ land. 1971. VIII, 55 S., 7 Abb., Br. 3-412-24671-9 Bd. 18: Rolf Sprandel: Das Hamburger Pfundzollbuch von 1418. 1972. VI, 92 5., 2 Abb., Br. 3-412-96472-7 Bd. 19: Ursula Hauschild: Studien zu Löhnen und Preisen in Rostock im Spätmittelalter. 1973. VIII, 229 S., Br. 3-412-83173-5 Bd. 20: Burchard Scheper: Frühe bürgerliche Institutionen norddeutscher Hansestädte. Beiträge zu einer vergleichenden Verfassungsgeschichte Lü­ becks, Bremens, Lüneburgs und Hamburgs im Mittelalter. 1976. XII, 223 S., Br. 3-412-02975-0 Bd. 21: Johann D. von Pezold: Reval 1670 -1687. Rat, Gilden und schwedische Stadtherrschaft. 1975. VIII, 391 S., Br. 3-412-05375-9 Bd. 22/1,2: Kämmereibuch der Stadt Reval 1432-1463. Erster Hlbbd. Nr. 1-769. Zweiter Hlbbd. Nr. 770-1190. Bearb. von Reinhard Vogelsang. 1976. Zus. VII, 746 S., Br. 3-412-00976-8 Bd. 23: Frühformen englisch-deutscher Handelspartnerschaft. Referate und Diskussionen des Hansischen Symposions im Jahre der 500. Wiederkehr des Friedens von Utrecht in London vom 9. bis 11. September 1974. Hrsg. vom Hansischen Geschichtsverein. Bearb. von Klaus Friedland. 1976. XII, 119 S., 2 Abb., 2 Ktn., 2 Diagr., Br. 3-412-04776-7 Bd. 24: Inge M. Peters: Hansekaufleute als Gläubiger der englischen Krone (1294-1350). 1978. XIII, 323 S., zahlr. Tab., Br. 3-412-02577-1 Bd. 25: Marie L. Peius: Wolter von Holsten marchand lubeckois dans la seconde moitie du sezieme siede. Contribution ä Tetude des relations com- merciales entre Lübeck et les villes livoniennes. VII, 610 S., zahlr. Abb., Br. 3-412-03180-1 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN Theodor-Heuss-Str. 76, 51149 Köln

BÖHLAU QUELLEN UND DARSTELLUNGEN ZUR HANSISCHEN GESCHICHTE.

Bd. 26: Margret Wensky: Die Stellung der Frau in der stadtkölnischen Wirt­ schaft im Spätmittelalter. 1981. XI, 374 S., 3 Ktn., 73 Tab., Br., 3-412-032280-8 Bd. 27/1, 2: Reinhard Vogelsang: Kämmereibuch der Stadt Reval 1463-1507. Erster Hlbbd. Nr. 1191-1990. Zweiter Hlbbd. Nr. 1991-2754.1983. Bd 1: VII, S. 1-480, Bd. 2: IV, S. 481-948, Br. 3-412-03783-4 Bd. 28: Jürgen Wiegandt: Die Plescows. Ein Beitrag zur Auswanderung Vis- byer Kaufmannsfamilien nach Lübeck im 13. und 14. Jahrhundert. 1989. VII, 298 S., Br. 3-412-05683-9 Bd. 29: Gilde und Korporation in den nordeuropäischen Städten des späten Mittelalters. Hrsg. v. Klaus Friedland. 1984. V, 114 S., Br. 3-412-06883-7 Bd. 30: Alexander F. Cowan: The Urban Patriciate Lübeck and Venice 1580- 1700.1986. XVI, 267 S., Br. 3-412-06084-4 Bd. 31: Thomas Wolf: Tragfähigkeiten, Ladungen und Masse im Schiffsver­ kehr der Hanse. Vornehmlich im Spiegel der Revaler Quellen. 1986. XIII, 246 5., zahlr. Tab., Br. 3-412-03985-3 Bd. 32: Visby-Colloquium des Hansischen Geschichtsvereins 15.-18. Juni 1984. Referate und Diskussionen. Hrsg. von Klaus Friedland. 1987. XXXII, 160 5., Abb., Tab., Br. 3-412-07285-0 Bd. 33: Robert Bohn: Das Handelshaus Donner in Visby und dergotländische Außenhandel im 18. Jahrhundert. Eine Studie zur Handels- und Seefahrtsge­ schichte des Ostseeraums im Spätmerkantilismus. 1989. XII, 362 S., 8 Abb., zahlr. Diagr., Tab. und Taf., Br. 3-412-12488-5 Bd. 34: Maritime Aspects of Migration. Hrsg. von Klaus Friedland. 1990. X, 465 S., 12 Abb., 44 Tab., 16 Graf., Br. 3-412-13888-6 Bd. 35: Geldumlauf, Währungssysteme und Zahlungsverkehr in Nordwest­ europa 1300-1800. Beiträge zur Geldgeschichte der späten Hansezeit. Hrsg. von Michael North. 1989. VI, 195 S., Br. 3-412-00489-8 Bd. 36: Brügge-Colloquium des Hansischen Geschichtsvereins 26.-29. Mai 1988. Referate und Diskussionen. Hrsg. von Klaus Friedland. 1991. VIII, 152 5., 2 Abb., Br. 3-412-18289-3 Bd. 37: Kredit im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa. Hrsg. von Michael North. 1991. VIII, 222 S., Br. 3-412-06990-6 Bd. 38: Stuart Jenks: England, die Hanse und Preußen. Handel und Diploma­ tie. 1377-1474. 3 Tlbde. 1992. Zus. XXXII, 1265 S., Br. 3-412-00990-3 Bd. 39: Der hansische Sonderweg? Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsge­ schichte der Hanse. Hrsg. von Stuart Jenks und Michael North. 1993. XVI, 280 5., Br. 3-412-11492-8

BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN Theodor-Heuss-Str. 76, 51149 Köln

BÖHLAU