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EINE FORSCHUNG IN GOETHES WAHRHEIT UND DICHTUNG Title ―als der Prolog der GOETHE-STUDIE― (Juli 28. 1955)

Author(s) Saito, Heishiro

Citation 人文科学研究報告, 6, pp.1-45; 1956

Issue Date 1956-03-22

URL http://hdl.handle.net/10069/31887

Right

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http://naosite.lb.nagasaki-u.ac.jp EINE FORSCHUNG

IN

GOETHES WAHRHEIT UND DICHTUNG

—als der Prolog der GOETHE-STUDIE— (Juli 28. 1955)

Heishiro Saito

Professor an der Universität Nagasaki

AM ANFANG

Was wir an Goethes Werke erkennen, ist die enge, wesentliche Beziehung zwischen Goethe und Bibel. Wir glauben, es sei unmöglich, ohne dieses Gotteswort seine Werke und sein Wesen zu verstehen. Über die 'Grundmeinung', damit Goethe das BUCH gelernt haben soll, schrieb er im 12. Buch von 'Wahrheit und Dichtung'.

Wir glauben fest, dasz diese Grundmeinung Goethes, wie es ist, die unsre werden soll, als wir seine Werke studieren. Daher wollen wir Goethes Beschreibung uber diese 'aus Glauben und Schauen entspringene Überzeugung' anführen, und unsre

Forschungshaltung damit klar machen. Er schrieb wie folgt:

"Es war nämlich die: bei allem , was uns uberliefert, besonders aber schriftlich uberliefert werde, komme es auf Grund, auf das Innere, den Sinn, die Richtung des Werkes an; hier liegs das Ursprungliche, Göttliche, Wirksame, Unantastbare, Unver- wustliche, und keine Zeit, keine aussere Einwirkung noch Bindung konne diesem innern Urwesen etwas anhaben, wenigstens nicht mehr als die Krankheit des Korpers einer wohlgeblideten Seele. So sei nun Sprache, Dialekt, Eigentumlichkeit, Stil und zuletzt die Schrift als Körper eines jeden geistigen Werks anzusehen; dieser, zwar nah genug mit dem Innern verwandt, sei jedoch der Verschlimmerung, dem Verderbnis ausgesetzt; wie denn uberhaupt keine Überlieferung ihrer Natur nach ganz rein gegeben und, wenn sie auch rein gegeben wurde, in der Folge jederzeit vollkommen verstandlich sein könnte, jenes wegen Unzulanglichkeit der Organe, durch welche uberliefert wird, dieses wegen des Unterschiedes der Zeiten, oder Orte, besonders aber wegen des Verschiedenheit menschlicher Fähigkeiten und Denkweisen; weshalb denn ja auch die Ausleger sich niemals vergleichen werden. Das Innere, Eigentliche einer Schrift, die uns besonders zusagt, zu erfor- •chen , sei daher eines jeden Sache und dabei vorallem Dingen zu erwagen, wie sie sich zu unsrem eignen Innern verhalte, und inwiefern durch jene Lebenskraft die unsrige erregt und befruchtet werde. Alles Äussere hingegen, was auf uns unwirksam oder einem Zweifel unterworfen sei, habe man der Kritik zu uberlassen, welche, wenn sie auch imstande sein sollte, das Ganze zu zerstuckeln und zersplittern dennoch niemals dahin gelangen wurde, uns den eigentlichen Grund, an dem wir festhalten, zu rauben, ja uns nicht einen Augenblick an der einmal gefassten Zuversicht irre zu machen."

Wir wollen hier noch ein Wort hinzusetzen, um die Bedeutung von dieser Schrift 'Titel zu erklären. Goethes berühmte Arbeit 'Dichtung und Wahrheit' war anfangs, wie wohlbekannt, von Goethe selbst 'Wahrheit und Dichtung' genannt. Am Anfang des ersten Teils dieser Arbeit führte Goethe den Brief seines Freundes an, durch den Goethe diese 'bedenkliche Unternehmung veranlasst worden.' In dem Briefe schrieb der Freund:" ... Im ganzen aber bleiben diese Produktionen immer unzus- ammenhangend; ja, oft sollte man kaum glauben, dasz sie von demselben Schriftstel- ler entsprungen seien." Der Freund hatte um die Hilfe Goethes angerufen, den Goethe zu verstehen. Goethe entschlusz sich, diese Forderung anzunehmen, und endlich war es erschienen diese bedeutungsvolle Arbeit: 'Wahrheit und Dichtung'. In dieser Arbeit mussen wir also den Schlüssel finden, damit wir es wissen können, im ganzen alle Goethes Werke immer zusammenhangend zu bleiben und von demselben Schriftsteller entsprungen zu sein; wir mussen erkennen, dasz es in dieser Arbeit der wichtigste Schlüssel gibt, das Wesen Goethes ans Licht zu bringen. Und doch wir müssen zugleich merken, der Schlüssel sei oft in nur kurzen Worten verborgen. Das ist eben Goethes Art. Wir haben lange diesen Schlüssel gesucht, und vermutet, dasz wir ihn gefunden haben. Dieser klein Schrift ist das Resultat unser Studierung in Goethes Werke, die wir mit dem Schlussel zu erklären gesucht hatten. I. DIE WAHRHEIT

— " Dein Wort ist die Wahrheit " —

Im 2. Buch von 'Wahrheit und Dichtung' schrieb Goethe: "Mein Gemüt war von Natur zur Ehrerbietung geneigt." Dasz er solche Neigung von Geburt seinem Wesen gegeben war, liefert den Beweis für die Sache, dasz Goethe besonders von dem Gott gewählt wurde. Allegorisch gesagt, sein bescheidner Gemüt hatte ein Fenster, das nach oben geöffnet war, und ein Ohr, das die vom Himmel gesandten Wörter hören konnte. Durch das Fenster und durch das Ohr drang die Wahrheit in sein Innere und wurde ihm das Brot des Lebens. Erst dann konnte sich seine 'Ehrfurcht' , so wie seine 'Selige Sehnsucht' in seinem Inneren entfalten. Aber wie Menanders Vers deutete, die Goethe am Anfang dieses Werkes hinge- setzt hatte, 'wer erzieht wird, wird bestratt'; es bedeutete für den jungen Goethe eine Art Bestrafung, dasz sein Gedanke, sich dem Gott unmittelbar zu nähern, mit einem Miszfolge endigen muszte. Während er eifrig zu Gott betend sitzte, wurde sein Altar von den ausgebrannten Kerzchen verdorben. Über diesem Miszfolge schrieb Goethe am Ende des I. Buches wie folgt:

" ...; und fast möchte man diesen Zufall als eine Andeutung und Warnung betrachten, wie gefährlich es überhaupt sei, sich Gott 'auf dergleichen Wegen nähern zu wollen."

Unser Dichter als ein kleines Kind hatte die echte Wege noch nicht gewuszt.

Um diese Unwissenheit willen muszte er von dem Gott vor dem Strafen gewarnet

werden. Aber später lernte er die echte Wege zu dem Gott aus dem Buch, das er

geliebt, geehrt und geglaubt hatte: das war die Bibel, besonders das Neues Tsta- ment, darüber er schrieb, er habe nicht gewuszt, sich ohne Gefühl und Enthusias- mus, mit diesem Buche zu beschäftigen. Der Weg war der schmale, der in den

vieren Evangelien befunden wurde:

"Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; Niemand kommt zum Vater , denn durch mich." -Ev. Johannis 14, 6 -

Diese wunderbar mächtigen Worte muszten unserem Dichter durch das Fenster

— 1 —

• und durch das Ohr seines Herzens ins Innerste geprägt werden. Und zugleich können wir nicht zweifeln daran, dasz der Herr dieses Wortes sicherlich in Goe- thes Herzen auf dem Thron sasz - nicht nur in seiner Jugendheit, sondern auch sein späteres ganzes Leben hindurch. Das haben seine grosze Fuszstampfe, seine viele Kunstwerke uns beweist. Allein er schrieb 'Messia' nicht. Es möchte sehr wenig sein, dasz er etwas beschrieb, was Gottes Sohn behandelt, auszer der 16 jährigen Dichtung: "Die Höllenfahrt Christi", und der kurzen : "Legende" u. a. Zwar das Fragment: "Der ewige Jude" begann mit Christi Klage, aber dieses Werk als das Ganze hatte nicht den Herrn als der Held behandelt wie der Titel es zeigte. Des Herrn Wort und des Herrn Wille in der Dichtung zu symboriern, darin war Goethes Endezweck und dafür Goethes unaufhörliche Strebung. Wenn seine solche Gessinnung auch nicht besonders deutlich in irgendeinem Werke offenbart ist, kann man aus ihm des Herrn Geist empfinden. Nicht zu sprechen von "Brief des Pastors", können wir merken, dasz es nicht wenige Werke geben, die zwar an- scheinend keine Zusammenhang mit Christentum hatten und doch wesentlich auf Grund von des Herrn Wörter standen, z. B., "Die Laune des Geliebtes" und "Die Mitschuldigen" auf das Wort Christi: "Wer unter euch ohne Sunde ist, der werfe ersten Stein auf sie." (Ev. Johannis 8, 7.), "Wahlverwandschaft" auf das Wort: "Wer ein Weib ansiehet , ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebro- chen in seinem Herzen." (Ev. Matthai 5, 28). Es soll eine Auffassung sein, die behauptet, Christus stehe bei Werther zwar als ein Urbild des leidenden Menschen, aber nicht als ein Heiland. Aber wir können auch in diesem beruhmten Werke unsren Herrn als der Heiland oder der Erlöser erkennen. Nach unserer Meinung, als Werther das tiefsten Leiden empfunden hatte, empfand er zugleich die Bit- terkeit des Kelches Christi, und dadurch konnte er sein eignes Leiden hinnehmen. Wer ihm es lehrte, den Gott als sein Vater anzurufen, wie der Sohn im Gleichnis: "Der verlorene Sohn" , war Jesus Christus. Wer ihm es tunlich machte, wegen der Liebe freiwillig ins Land des Todes zu treten, war auch Jesus Christus. Also ist es klar, dasz der Herr dem leidenden Werther nicht geblieben war, als ein lauter Urbild des leidenden Menschen. Im 12. Buch von 'Wahrheit und Dichtung', bei der Erklärung der ethnischen Anlasse dieses Werkes schrieb Goethe wie folgt:

"Jener Vorsatz, meine innere Natur nach ihren Eigenschaften gewahren und die auszere nach ihren Eigenschaften auf mich einflieszen zu lassen, trieb mich an das wunderliche Element, in welchen 'Werther' ersonnen und geschrieben ist."

— 2 — Der Geist Christi, der im Innern Goethes auf dem Thron gesessen war, muszte in .dieses Werk unbefangen durchdringen. In 'Egmond', 'Tasso', und auch in 'Die naturliche Tochter' können wir Goethes tieftes Gemut an den Herrn erknnen. Noch weiter k'nnen wir sagen, dasz 'Italienische Reise' keine Note eines Kunstgenieszers , sondern die wertvollen Aufzeichnungen eines Mannes ist, dessen Kunstsinn und sittlicher Sinn zugleich ,grosze Erneuerung leidet, wie Goethe am 20. Dezember 1786 in Rom geschrieben hatte. Und zwar wer diese grosze Erneuerung entstehen liesz, der war der Herr Jesus Christus. In ‘Divan' kann man einen klarsten Beweis dafur finden, wer sitze auf dem Thron Goethes inneren Welt; am Anfang des Buches Hafis kann man die folgenden, wohlbekannten Verse finden:

"Und so gleich' ich dir vollkommen Der ich unsrer heil'gen Bucher Herrlich Bild an mich genommen, Wie auf jenes Tuch der Tucher Sich des Herren Bildnis druckte, Mich in stiller Brust erquickte, Trotz Verneinung, Hinderung, Raubens, Mit dem heitern Bild des Glaubens."

In Bezug auf obigen Versen sogleich kann man auch an die folgende Beschrei- bung denken, die Goethe im 15. Buch von 'Wahrheit und Dichtung' zur Erklarung des 'wunderlichen Einfalls', der 'Geschichte des ewigen Juden' beschrieben hatte wie folgt : " , aber im Augenblicke bedeckt d ie liebende Veronika des Heilands Gesicht mit dem Tuche, und da sie es wegnimmt und in die Höhe hält, erblickt Ahasuerus darauf des Antlitz des Herrn, aber keineswegs des in Gegenwart leidenden, sondern eines herrlich Verklärten und himmliches Leben Ausstrahlen- den." Wer den jungen Goethe in seinem Innern bewegt hatte, der war der leidende Herr, aber wer den reifen Goethe in seinem Innersten bewegte, der war der auf dieses Tuch gepragte Heiland- - 'Der herrlich verklärte und himmelisches Leben ausstrahlende' Herr. Das war dieses Bild, das in Goethes Inneren mit seiner herzlichsten Frömmigkeit angenommen war. Dasz das Dasein Christi, für Goethe, nicht nur in seiner Jugendheit, sondern auch sein ganzes Leben hindurch, als die Wahrheit, als das Leben, die wundervolle

— 3 — Bedeutung gehabt zu haben, das müszte mit unsrer obigen Beschreibung ersehen worden. Was wir noch weiter schreiben wollten, ist wie fo7gt: Goethes Verstehen an Den Herrn ist allein auf das Wort des Herrn selbst gegründet gewesen. Am Anfang des 16. Buches von 'Wahrheit und Dichtung' schrieb Goethe : "... ich immer vorzog, von den Menschen zu erfahren, wie er dachte, als von einem andern zu horen, wie er hatte denken sollen." Also muszte es des Herrn Wort sein, das Goethe mit herzlicher Eifrgkeit anhören wollte. Wir können sagen, dasz Goethes Christus und Goethes Christentum nur von diesen heiligen Büchern aus hervorkom- men muszte. Was darin sich befinden, waren die wunderbare Wörter Christi, Die selige Evangelien, und des Herrn Taten und Werken. Diese alle wurden in Goethes Innere jedes einzelne vergossen, und dann daraus klarg eine vor Seligkeit überflieszende, würdevolle Symphonie. Das war Goethes Religion und Kunst. Die Gedichte : 'Selige Sehnsucht' wurde Hauptton dieser Symphonie und hielt Goethes gründlichsten Sinn an den Herrn. Daher ist es uns bedeutungsvoll, diese Gedichte zu verstehen und zu genieszen. Aber bevor sie zu verstehen und zu genieszen, muszten wir Goethes Christus bestätigen. Was Goethe allerzuerst in den Vieren Evangelien gemerkt hatte, war das Geheimnis - - - Menschwerden Gottes. In 'Brief des Pastors' hatte er das Prob- lem erklärt wie folg t :

"Ich halte den Glauben an die göttliche Liebe, die vor viel hundert Jahren, unter dem Namen Jesus Christus, auf einem kleinen Stuckchen Welt, eine kleine Zeit als Mensch herumzog, fur den einzigen Grund meiner Seligkeit; und das sage ich meiner Gemeinde, so oft Gelegenheit dazu ist. Ich subtilisiere die Materie nicht; denn da Gott Mensch geworden ist, damit wir arme sinnliche Kreaturen ihn mochten fassen und begreifen können, so musz man sich vor nichts mehr huten, als ihn wieder zu Gott zu machen."

Dieses gründliche Gedanke an Christus änderte sich nicht durch das ganze Leben Goethes. Den Beweis dafür können wir in 'Divan', auch in 'Wilhelm Meister' finden.

"Jesus fuhlte rein und dachte Nur den Einen Gott im stillen; Wer ihn selbst zum Gott machte Krankte seinen heil'gen Willen." (Aus dem Nachlasz)

— 4 Wenn man, die oben erwähnten Worte des 'Brief des Pastors' in Betracht ziehend, obige Verse liest, so kann man verstehen, dasz Goethe die Gottheit Christi nie vernichten will. Mensch zu werden war Gottes Wille, deshalb auch die heilige Wille Christi. Also müssen wir Menschen erkennen, wie es uns bedeutungsvoll ist, unser Herr, solange er auf der Erde bleibe, für uns ein Mensch gewesen zu sein. Also ist es nicht des Gottes Wille, Christus in die Tiefe des Heiligtum erhoben bleiben zu lassen, sagend : "Christus ist der Gott !" Sind die Vieren Evangelien mit der Anmerkung der groszen Bedeutung der Menschennatur des Herrn nicht geschrieben ? Sind des Herrn Lebensgang darin mit Sorgfältigkeit - von der Empf- ängnis bis zu dem Grab - nicht geschrieben? So schrieb Goethe in dem 'Bekenntnis einer schönen Seele' wie folgt :

..; es war mir auch eine Bibelwahrheit, dasz das Blut Jesu Christi uns von allen Sünden reinige. Nun aber bemerkte ich diesen so oft wiederholten Sprache noch nicht verstaden hatte. Die Fragen: Was heiszt das? Wie soll das zugeben? arbeiten Tag und Nacht in mir sich durch. Endlich glaubte ich bei einer Schimmer zu sehen, dasz das, was ich suchte, in der Menschwerdung des ewiges Wortes, durch das alles und auch wir erschaffen sind, zu suchen sei. Dasz der Uranfängliche sich in die Tiefen, in denen wir stecken, die er durchschaut und umfaszt, einstmal als Bewohner begeben habe, durch unser Verhältnis von Stufe zu Stufe, von der Empfängnis und Geburt bis zu dem Grabe, durch gegangen sei, dasz er durch diesen sonderbaren Umweg wieder zu den lichten Hohen aufgestiegen, wo wir auch wohnen sollten, um glucklich zu sein: das ward mir, wie in einer dämmernden Ferne, offenbart."

Kurz gesagt, in die Beziehung auf der Erkenntnis der Gottheit Christi, stand Goethe keinem nach; er beugte sich vor dem Herrn mit tiefster Ehrfurcht. Und zugleich in die Beziehung auf der Menschnatur Christi hatte Goethe klarste Erken- ntnis gehabt, und hatte den Herrn als 'der höchster' Meister' geachtet und geliebt, und ihm am treuesten gedient. Nach solchem Menschen hatte Christus Seine Hand gestreckt. Also, für Goethe, war Christus ohne Zweifel ein Heiland. Wie allbekannt, am Anfang des zweiten Teils von 'Wahrheit und Dichtung' hatte Goethe die Worte : "Was man in der Jugend wünscht, hat man im Alter die Fülle." hingesetzt. Wie diese Worte eine Andeutung macht, war des jungen 'Goethes Gemüt an Christus nicht nur bis zu dem Alter ohne Veränderung geblieben, sondern auch im Alter als die herrlichen Blüte des reifen Dichtung aufgebrochen. In 'Brief des Pastors' finden wir die folgende Worte Goethes :

— 5 — "Wir glauben , dasz die ewige Liebe darum Mensch geworden ist, um uns das zu verschaffen, wonach wir uns sehnen; ..."

Und mehr, wie schon angefuhrt :

"Ich hatte den Glauben an die gottliche Liebe , die vor so viel hundert Jahren, unter dem Namen Jesus Christi, auf einem kleinem Stuckchen Welt, eine kleine Zeit als Mensch herumzog, fur den einzigen Grund meiner Seligkeit."

Diese sind die Worte des jungen Goethes, in denen das Wesen des Glaubens war, und aus denen seine selige Sehnsucht entwickeln konnte. Was wir hier besonders noch mehr merken müssen, ist das Wesen Goethes Glaubens an Christus. Im allgemeinen gesagt, das Glauben an Christus nicht immer gleichartig - - - scgar in unsrer Zeit. Nun wie handelte sich Goethe selbst gegen den Herrn? Davon beschrieb er im 14. Buch von 'Wahrheit und Dichtung.' nur wie folgt: "Mein Christus hatte auch seine eigene Gestalt nach meinem Sinne angenom- men."

Es schien, dasz er davon nicht sprechen wollte. Wenn er auch gefragt worden wäre, so hatte er gesagt wie Montan: " Ich habe mich durchaus uberzeugt, das Liebste—und das sind doch unsre Überzeugungen—muszjeder im tiesten Ernst bei sich selbst bewahren; jeder weisz nur fur sich, was er weisz, und das musz er geheim halten; wie er es ausspricht, sogleich ist der Widerspruch rege, und wie er sich in Streit einlaszt, kommt er in sich selbst aus dem Gleichgewicht, und seine Bestes wird, wo nicht vernichtet, doch gestört." (10. Kapitel, 2. Buch 'Wilhelm Meisters Wanderjahre')

So können wir wissen, Jesus Christus sei für Goethe das Beste, das er im tiefsten Ernst bei sich selbst bewahren und geheim halten muszte. Und noch, was uns klar ist, das kann beschrieben werden wie folgt: Es gebe in Goethes ungem- einer Liebe an Christus noch ein Frommiges, Ernstes und Höheres, das später in `Wilhelm Meisters Wanderjahre' als die beruhmte 'Ehrfurcht' allbekannt werden soll. Schon in 'Brief des Pastors' hatte Goethe beschrieben wie go7gt: "Ich bin alt geworden und habe die Wege des Herrn betrachtet, soviel ein Sterblicher in ehrfurchtvollen Stille darf." Dieses schon in Goethes Jugend erschienene ehrfur- chtvolle Gemüt wurde mit Jahren immer breiter, tiefer und hoher gebildet, und daraus konnte die 'Ehrfurcht' erwachsen.

— 6 — Wie wohlbekannt, über diese Ehrfurcht können wir in sogenannten 'Pädagogis- chen Provinz' durch der Erklärung des 'Ältesten' lernen. Die Ehrfurcht erreicht in der Persönlichkeit zu den höchsten Zustande, die auf der Erde für den Heilige gehalten und auf dem Himmel der Gott wurde. In der Galerie, worin Wilhelm mit Begleitung des Ältesten trat, finden wir auch mehrere Gemälde, mit denen Goethe uns die Ehrfurcht an Christus zeigen wollte. Die erste Gruppe dieser Gemälden ist auf Grund von den heiligen Büchern der Israeliten gestanden. Das zeigt die israelitische Religion, die Mutterleib der Religion Chrsti werden sollte. Hier lernen wir die erste Ehrfurcht Christi, die Ehrfurcht vor dem, was über Ihm ist. Die zweite Gruppe zeigt das irdische Leben des Herrn; auf der Erde war Er 'ein wahrer Philosoph' und 'ein Weise im höchsten Sinne' , und Er zog zu sich alles 1fiheres herab, und zog zu sich alles Niederes herauf. Hier war die zweite' Ehrfurcht Christi. Die dritte Gruppe, die im 'Heiligtum des Schmerzens' gehalten worden war und niemandem gezeigt wurde, ausser denen, die von dieser Provinz; ahgehen sollten, zeigt die 'Verehrung des Widerwärtigen, Verhaszten, Fliehenswerten',. d. i., 'Niedrigkeit und Armut, Spott und Verachtung, Schmach und Elend, Leiden und Tod als göttlich anzuerkennen, ja Sünde selbst und Verbrechen nicht als Hindernisse, sondern als Forderung des Heiligen zu verehren und liebzugewinnen!' Hier war der dritte Ehrfurcht des Herrn. Solcherweise entwickelte die dreifache Ehrfurcht sich in Christo aus sich selbst,. und wurde bei Ihm zusammenflossen, und als ein Ganzes gebildet, dasz sie ihre höchste Kraft und Wirkung erreicht hatte. Die Ehrfurcht vor die in Christo sich entwickelte, höchste Ehrfurcht selbst zu halten—das war die gründlichste Eigentu- mlichkeit Goethes Glaubens. Der Glauben ist 'ein groszes Gefühl von Sicherheit fur die Gegenwart und Zukunft.' Das schrieb Goethe zwar im 14. Buch von "Wahrheit und Dichtung', aber fur Goethe, der das unendliche Werden behauptet hatte, musste es unmöglich sein, in dieser Gefühl immer zu bleiben; er entwickelte sich von dem Zustande, glaubend zu folgen, auf denselben, ehrend zu dienen. Und was ihm diese Entwickelung nü.glichmachte, war das Wort des 'höchsten Meisters'

"Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo Ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren," - Ev . Johannis 12, 26

— 7 — Dem Herrn nachzufolgen wird Ihm zu dienen. Wer Ihm dient, der kann nicht nur in das ewige Leben dringen, sondern auch von Gott Vater geehrt wird ! Das ist wunderbar ! Das müszte dem frömmigen Goethe ein Evangelium gewesen sein, die ihm sogar das heilige Schaudern gebracht hatte. Das heilige Wort : "Wer mich ehret, den will ich auch ehren." (I. Samuelis 2, 30), war die Sprache Gottes an den Propheten Samuelis. Der Herr fuhrte dieses Wort an, und manifestierte, wer diene dem Herrn, der sei der Gottehrende und so werde von Dem Gott geehrt. Hier liegt der Grund Goethes Worte, die von dem Ältesten des pädcgogischen Provinz gespro- chen wurde wie folgt: "Bei der Ehrfurcht, die der Mensch in sich walten kszt, kann er, indem er Ehre giebt, seine Ehre behalten." Diese Überzeugung gab unserm Dichter die grosze Hoffnung, die starke Sehnsucht, dasz er auch einmal auf die Höhe gelangen könne, wo der Herr sitze. Über diese Steigerung der Menschennatur beschrieb Goethe wie folgt :

"...; aus diesen drei Ehrfurchten entspringt die oberste Ehrfurcht, die Ehrfurcht vor sich selbst, und jene entwickeln sich abermals aus dieser, so dasz der Mensch zum Höhsten gelangt, was er erreichen fahig ist, dasz er sich selbst fur das Beste halten darf, was Gott und Natur hervorgebracht haben, ja, dasz er auf dieser Höhe verweilen kann, ohne durch Dankel und Selbstheit wieder ins Gemeine gezogen werden." (1. Kapitel, 2. Buch. 'Wilhelm Meisters Wanderjahre'.)

Also, nach Goethes Meinung, bringen die drei Religionen, die auf die drei Ehrfurcht gegrundet sind, die wahre Religion, und die ist in Credo dargestellt: Der erste Artikel ist ethnisch und zeigt die ethnische Religion, deren Gott der Herr als Sein Vater ehrte; das ist die israelitische Religion. Der zweite zeigt das Evargelium der Liebe, die von dem Herrn selbst verbreitet wurde, um den Menschen durchs Leiden in die himmlische Glorie ankommen zu lassen. Der dritte zeigt die christliche Religion als die gemeinschaftliche Tat derer, die mit dem Heiligen Geist begeistert sind und mit Eifer dem Wille des Herrn folgen wollen. Und nun das Geheimnis, woraus das tiefsinnige Dogma von Trinität erfolgt wurde, begriff Goothe schnell durch die Ehrfurcht. Wirklich geben es in den Vieren Evanglien des Herrn Wörter, die die Trinität zeugen. Einer von ihnen ist wie folgt :

"Wie mich gesandt hat der lebendige Vater , und Ich lebe um des Vaters willen; also, wer mich issest, derselbige wird auch leben um meinet wegen." - Ev. Johannis 6, 57 -

8 Solches Wort muszte unsrem Dichter den heiligen Eindruck geben. Der Heilige Geist kam von Gott Vater herunter, und wohnte bei 'Menschensohn'. Also kann man an den geistigen Zustande gelangen, worin man jene Worte Pauli als Wahrheit fühlen darf : "Ich lebe aber; doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir." (Galatea 2, 20); wenn man der Mensch wird, der Christus iszt, d. i. der durch den Geist des Herrn belebte Mensch. Wenn man in diesem Zustand leben kann, so kann man an der Einheit der 'Vater, Sohn und der Helilge Geist' teilnehmen, nicht als das das begrenzte Wesen, sondern als das freie, das von dem heiligen Geist belebt wird. Am 4. Februar 1824 sagte Goethe zu Eckermann wie folgt :

"Ich glaube an Gott und die Natur und an den Sieg des Edeln uber das Schlechte; aber das war den frommen Seelen nicht genug, ich sollte auch glauben, dasz Drei sei Eins und Eins Drei; das aber widerstrebte dem Wahrheitsgefühl auch unseren Seele; auch sah ich nicht ein, dasz mir damit nur im mindesten geholfen gewesen."

Diese Worte waren die ernste Sprüche Goethes über die Trinitat. Das zeigte, dasz es dem Wahrheitsgefuhl Goethes widerstrebte, dasz die Leute, die das Geheimnis der Trinitat wahrlich nicht er fahrn hatte, solchem Dichter Goethe, der von dem Glauben, Christus in sich selbst zu leben, begeistert worden war, sagen wollten, er habe zu glauben, Drei sei Eins und Eins Drei. An der leern, zu formalen Diskus- sion zu kleben, das war unmöglich und fast abscheulich diesem ehr furchtvollen Dichter Goethe gewesen. Was wir oben beschrieben haben, das möchte Goethes Auffassung uber die Ehrfurcht erklären. Nun wollen wir noch darüber forschen, wie Goethe über die echte Religion dachte. Wir haben seine folgende Worte :

.‘Es gibt nur zwei wahre Religionen, die eine, die das Heilige, das in und uni uns wohnet, ganz formlos, die andere, die es in der schönsten Form anerkannt und anbetet. Alles, was dazwischen liegt, ist Götzendienst.' (Maximen und Reflexion)

Wie schon gesagt in unseren obigen Beschreibung uber die Ehrfurcht, die wahre. Religion ist darin, die oberste Ehrfurcht zu ehren, die im Innern Christi sich entwickelte, und so musz sie 'ein Inneres' sein. In den Vieren Evangelien, woraus wir die schönen und wunderbaren Beschreibung über den Herrn finden können, lehrte Er uns wie folgt :

Man wird auch nicht sagen: "Siehe, hier, oder, da ist es." Denn sehet, das

— 9 — Reich Gottes ist inwendig in euch." (Ev. Lucä. 17, 21)

Was unser Herr hochachtete, war das Herz des Menschen gewesen: das Innere des

Menschen, nicht das Äuszere. Martin Luther sagte: "Gott will das Herz allein haben."

Diese das Innere des Menschen achtende Tendenz, die Formlosigkeit, können wir als ein geschichtlicher Flusz in Deutschen finden—auch nach Luthers Tod. Goethe

war auch einer der Herzachtenden. Den Beweis dafür können wir im 'Glaubens- dialog' zwischen Faust und Gretchen, oder in 'Wilhelm Meisters Wanderjahre' finden.

Die israelitische Religion, die Goethe für das Musterbild der ethnischen gehalten

hatte, hatte, nach der Beschreibung ihrer heiligen Bücher, die strenge Form, und 'doch trotz der Förmlichkeit war die Würde ihres Gottes Jehovas nicht im geringsten

verletzt. Hier ist die Grund, warum Goethe verehrte diese Religion. Wenn das

Christentum, das diese israelitische Religion als die Mutterleib machte, auch die katholische, prächtige Form aufnahm, verehrte Goethe diese schöne Form, soweit es in seinem Wesen die Ehrfurcht vor dein Heilige gehabt hatte. Diese Haltung Goethes

änderte sich nicht, wenn er auch den heidnischen Religionen gegenüberstehen wollte.

Heideisch zu sein bedeutete ihm kein Tadel, weil die heidnische Religion auch als die -wahre existiern konnte , wenn sie das Heilige anerkannte und anbetete. Was wir nun noch hinzusetzen wollen, ist die Auffassung über die 'Erbsünde'.

Hier wollen wir aber nicht über diese wichtige christliche Lehre argumentieren. Wir wollen seine Auffassung klar machen, weil sie einen der grdszten Grunde sein muszte, wodurch Goethe von der Kirche seiner Zeit als Ketzer angesehen wurde.

Wir fangen mit der folgenden Worte an, die Goethe schrieb im 15. Buch von 'Wahrheit und Diohtung .:

" Was mich nämlich von der Brüdergemeine , sowie von andern werten Chri- stenseelen absonderte, war dasselbige, worüber die Kirche schon mehr als einmal in Spaltung geraten war. Ein Teil behauptete, dasz die menschliche Natur durch den Sündfalle dergestalt verdorben sei, dasz auch bis in ihren innersten Kern nicht das mindeste Gute an ihr zu finden, deshalb der Mensch auf seine eigenen Kräfte durchaus Verzicht zu thun und alles von der Gnade und ihrer Einwirkung zu erwarten habe. Der andere Teil gab zwar die erblichen Mangel der Mensch- ennatur gern zu, wollte aber der Natur inwending noch einen gewissen Keim zugestellen, welcher, durch göttliche Gnade belebt, zu einem frohen Baum geistiger Glücksehligkeit empforwachsen könne. Vor dieser letzter Überzeugung war ich aufs innigste durchdringen, ohne es selbst zu wissen, obwohl ich mit Mund und Feder zu dem Gegenteil bekannt hatte."

— 10 — Diese letzte UlDerzeugung, die Goethe gehabt hatte, wurde von die Leute, die von der andern Überzeugung durchdrungen waren, als der wahre Pelagianisrnus getadelt und gestraft. Aber Goethe wagte nicht seine Überzeugung zu verändern, weil sie das notwewendige Resultat seiner eigentlichen Menschenanschuung gewesen war. Wir fanden schon im 8. Buch von 'Wahrheit und Dichtung' jene Kosmcgonie des jungen Goethes. 'Und die darin beschriebene Menschenanschauung soll für die gründlichste .gehalten werden. Nach der Beschreibung, war der Mensch von Natur ein Wesen, das 'die ursprüngliche Verbindung mit Gottheit wiederstellen' sollte, sollte er im allem der Gottheit ähnlich, ja gleich sein. Aber der Mensch als der von Gott -gebrachte soll zwar unbedingt sein und doch zugleich in Ihm halten und durch Ihn begrenzt sein. Solchen Widerspruch hat der Mensch eigentlich. Zwar Adam, der Ahn des Menschen, nach der Beschreibung der Genesis, wurde von Gott den lebendigen Odem in seine Nase hereingeblasen, und Goethe sagte am 16. Marz 1830 2U Eckermann: "Adam, der schönste Mann, so vollkommen, wie man sich ihn nur zu denken fähig ist." Aber er auch als Der Mensch hatte den obigen Widerspruch und war unvollkommen, wie vollkommen. Dann war und ist dieser Widerspruch nicht überwunden? Darüber schrieb Goethe wie folgt :

" ... genug, wenn nur anerkannt wird, dasz wir uns in einem Zustande befinden, der, wenn er uns auch niederzuziehen und zu drücken scheint, dennoch Gelegenheit giebt, ja zur Pflicht macht, uns zu erheben und die Absichten der Gottheit dadurch zu erfüllen, dasz wir, indem wir von einem Seite uns zu verselbstigen genötigt sind, von der andern in regelmäszigen Pulsen uns zu entselbstigen nicht versäumen•" (Ende des 8. Buch von 'Wahrheit und Dichtung')

Also können wir sagen, dasz der Mensch sich allmählich erhöhen kann, indem er unauffhörlich strebt, um in regelmäszigen Pulsen sich zu entselbstigen, bis er sich selbst Dem Gott ähnlich machen wird. Dies ist die Menschenanschauung, die in der jungen Goethes Kosmogonie erhalten war. Aus dieser Menschenschauung möchte zwar der Gedanke der erblichen Mangel stammen, aber nicht derselbige der erblichen Sünde. Die ganze Schöpfung, nach .Goethes Beschreibung, ist und war nichts als ein Abfallen und Zurückkehren zum Ursprünglichen, deshalb wird die Erlösung der Menschen aus diesen erblichen Mangeln, gesagt von Gottes Seite, nicht allein von Ewigkeit her beschlossen, sondern als ewig notwendig gedacht, weil Gott die Liebe ist. Also ist dem Glauben Goethes der Gedanke der erblichen Sünde entbehrlich.

— 11 — In der 'Bekenntnis einer schönen Seele' durch den Mund des 'Oheims' sagte Goethe wie folgt :

" .•.; und wenn wir auch oft eine gewisse Unähnlichkeit und Entfernung von ihr ' empfinden, so ist es doch um desto mehr unsere Schuldigkeit, nicht immer, wie der Adovokat des Bösen Geistes nur auf die Bloszen und Schwachen unsere Natur zu sehen, sondern eher alle Vollkommenheiten aufzusuchen, wodurch wir die Anspr- üche unsrer Gottähnlichkeit bestätigen können."

Hier können wir Goethes Angriff auf die Leute erkennen, die nicht nur auf den Gedanken der erblichen Sünde beharren, sondern auch mit diesem Gedanken über den andern richten wollen. Es gibt kein Wort des Herrn, das die erbliche Sünde des Menschen. ans Licht zu bringen wagte. Noch dazu, der Herr gab dem kleinen Kind die Fähig- keit, ins Himmelreich zu treten. Daher muszte Goethe glauben, dasz er wegen seiner Auffassung über die erbliche Sünde von Ihm nie bestraft werden solle, und weiter muszte er den Zorn gegen die Leute hegen, die mit der Auffassung über die. Erbsünde drohend das Gericht halten wollte, das der Herr selbst nicht gehalten hatte. Wie oben haben wir Die innere Welt Goethes betrachtet. Nun wollen wir sein Gedicht : 'Selige Sehnsucht' genieszen. Wie allgekannt, dieses Gedicht wird im Buch des Sängers von 'Divan' gesammelt. Über dieses Buch des Sängers schrieb Goeth in der 'Noten und Abhandlungen zum West - ostlichen Divan' : "Hierbei ist jedoch zu bedenken, dasz der orientalische Flug und Schwung, jene reich und übermäszig lobende Dichtart, dem Gefühl des Westländers vielleicht zusagen möchte." Und gleich dazu: "wir ergehen uns hoch und frei, ohne zu Hype- rbeln unsre Zuflucht zu nehmen." Mit solcher Haltuug der Dichtung wurde dieses Gedicht gedichtet; ohne reich und übermäszig lobende Dichtart und ohne Hyperbeln, und doch hoch und frei, mit leicht verständlichem Symbol drückte dieses Gedicht uns ein tief Sinniges. Nach unserer Meinung, in der ersten Strophe dieses Gedichtes wird der Herr Christus von dem. Dichter gepriesen — als der Lebendige, der Flammentod sich sehnet. In der zweiten> dritten und vierten wird sein Leben symbolisch ausgedrückt, und in der letzten wird. der Gedanke des Dichters über die Auferstehung Christi manifestiert.

"Sagt es niemand, nur den Weisen, Weil die Menge gleich verhöhnet,

— 12 — Zuerst, in dieser zwei Verse, damit dieses Gedicht beginnt, finden wir den tiefen, -U nmut Goethes gegen die Welt, die seine wahre Gesinnung nie verstehen wollte. Nach der Beschreibung von ,Wahrheit und Dichtung', könnten wir erkennen, dasz Goethe schon seit seiner Jugendzeit als ein Heide gesehen werde und die Christen seiner Zeit ihm sein Christus und sein Christentum gar nicht erkennen wollen. Sogar seine Bekannten, z. B., Fraulein von Kletenberg und Lavater erkannten nicht. Die Leute, die der Brüdergemeinde gehörten, wie schon oben gesagt, verwarfen Goethes Mens- chenanschauung als die heidnische. Aber Goethe hatte die Worte Christi in Vieren Evangelien für die gröszten Wahrheit gehalten. Deshalb wurde er nie von der unständlichen Welt unterworfen; er hegte zwar den Unmut, der 'zu ein ganzes Bunde erwachsen' konnte, aber bemühte sich unendlich die neuen Werke als ein 'weltliches Evangelium' zu geben.

Das Lebendige will ich preisen, Das nach Flammentod sich sehnet.

Diese zwei Verse, die aedere Hälfte der ersten Strophe, ist das Thema dieses Gedichtes. Und dessen Kern ist im Flammentod. Wenn es so ist, was ist denn dieser Flammentod? Und was ist Feuer? Einmal hatte Goethe zu Eckermann gesagt, ,dasz er die Sonne als die Offenbarung Gottes verehre. Die Sonne ist die gröszte Flamme, das gröszte Feuer in der Welt. Also kann man sagen, das Feuer, für Goethe, sei das Symbol der Gottheit. Und. das Feuer und der Flammentod sind in der Bibel beschrieben. Das muszte Goethe auch wissen. In Ev. Lucä kann man die folgende Worte lesen:

"Ich bin gekommen , dasz ich ein Feuer anzünden auf Erden: was wollte ich lieber, denn es brennete schon! Aber ich musz zuvor taufen lassen mit einer Taufe; und wie ist mir so bange, bis vollendet werde ! (12, 49 - 50)

Diese Taufe ist jene, die schon in Johannes des Taufers Prophezeiung über das Leben Christi vorherverkündigt worden ist, wie folgt :

"Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber ein Stärker nach mir , dem ich nicht genugsam bin, dasz ich die Riemen seines Schuhe auflöse. Der wird euch mit den heiligen Geist und mit Feuer taufen." - Ev . Lucä 3, 15 -

Aus den obigen zwei Anführungen geht hervor, dasz Christus gekommen ist, um

—13— ein Feuer zu anzünden, das heiszt, die Erde die Himmelsreich werden zu lassen , aber die 'Kleinglaubigen' nicht aufflammen wollen, dasz der Herr hierauf es erkennt, sich selbst zuvor mit Feuer taufen zu lassen, um sie mit Feuer zu taufen. Also ist der 'Flammentod' die 'Flammentaufe' , die der Herr selbst empfing, und der Tod auf der Kreuz, worin Er wegen der Menschen ging.

In der Liebesnächte Kühlung, Die dich zeugt, wo du zeugtest, Überfällt dich fremde Fühlung, Wenn die stille Kerze leuchtet.

Christus wählte bei der Anfang seines öffentlichen Lebens seine Apostel aus. Diese von Ihm ausgewählten zwölf Apostel sind, sozusagen, die geistlichen Kinder Christi, die von Ihm selbst sorgsam erzogen wurden. Die Nächte, worin der Herr sich mit diesen Aposteln zu unterhalten pflegte, waren die der Eintracht der Liebe, die auf Erden nie gewesen waren. Und diese Nächte waren so kühl und selig, dasz sie alles Lebendiges erquickte—auch Ihn selbst, der von dem Missionsleben des Tages erschöpft gewesen war. Also können wir sagen, Christus zeuge diese Nächte und diese Nächte Christus. Nun in dieser Nächte sah Christus in seinem Innern das. Feuer der Liebe aufbrennen. Um unaufhörlich das Licht auszustellen, muszte die Kerze sich verbrennen, so, um den Glorie Gottes auszustrahlen, muszte der Herr selbst verschwinden; das war der wahre Wunsch des 'Menschensohns' gewesen, und. zugleich das war des Gottes Wille gewesen. Diesen Wunsch, diesen Wille zu erfüllen,. darin war der Sinn seiner Existenz. Und während Er sich dieses Sinnes immer klarer bewuszt war, wurde Er von einem fremden Gefühl befallen. Das kam von einem der Apostel aus. Das wurde der Faktor in der äuszern Welt, der das Leben des 'Mens- chensohns' zu entscheiden. Das bedeutete die Voranzeige, die die entscheidende Rolle. des 'Verrathers' im voraus ankündigen sollte. Und darüber beschrieb der Schreiber des Ev. Johannis wie folgt : "Da Jusus solches gesagt hatte, ward er betrübt im Geist, und zeugte, und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verrathen." (Ev. Johannis 13. 21).

Nicht mehr bleibt du unfangen In der Finsternis Beschattung, Und dich reiszet neu Verlangen Auf zu höherer Begattung.

Nun hat der Herr gewuszt, die Zeit -sei gekommen. Er hat gedacht, dasz die

— 14 — entscheidende Tat endlich leisten muszte, weil die Lage immer bedenklicher geworden war; einer Seiner liebsten Junger war im Begriff den Verrat gegen Ihm zu tun! Er hat gedacht, dasz Er selbst mit heiligen Geist und mit Feuer taufen lassen muszte.. Nun befreit Er sich selbst von dem Menschengestalt, von einem Begrenzten, und verlangt die höhere Begattung, die Vereinigung zu Gott. Er blickt die selige Höhe auf, wo mit der ewigen Leben voll geworden ist.

Keine Ferne macht dich schwierig, Kommst geflogen und gebrannt, Und zuletzt, des Lichts begierig, Bist du, Schmetterling verbrannt.

Wie der Schmetterling keine Ferne denkend und nach Feuer sich sehnend kom- met und gebrannt wird, so eilt Er nach Jerusalem, nach Gorgoda! Und auf der Opfersäule wird Sein Leib gebrannt und geht Seine Seele in Jene herrliche Höhe zurück.

Und so lang du das nicht hast, Diese: Stirb und werde! Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunkeln Erde."

Das Leben Christi wird mit der Worte : Stirb und werde ! ausgedrückt und führt uns in eine tiefsinnige Meditation. Zugleich denken wir an die fol'gende Worte :

"Ich bin ein guter Hirte , und erkennte die meinen, und bin erkannt den Meinen; Wie mich mein Vater kennet, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus deinen Stall. Und dieselbigen musz ich herfuhren, und sie werden meine Stimme hören, und wird Eine Heerde und Ein Hirte werden. Darum liebet mich mein Vater, dasz Ich mein Leben lasse, auf dasz ich es wiedernehme." - Ev. Johannis 10, 11-17 -

"Jesus aber antwortete ihnen, und sprach: Die Zeit ist gekommen, dasz des Menschensohn verkläret werde. Wahriich, wahrlich, ich sage euch: Es sei denn, dasz das Weizenkorn in die Erde falle, und ersterbe, so bleibt es allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte." - Ev. Johannis 12, 23 - 24 -

Unser Herr Christus liesz sein Leben, auf dasz Er es wieder nehme. Das verkündi- gte Er wieder mit Jenem tiefsinnigen Gleichnis des Weizenkorns. Die Worte: Stirb und werde ! war die Wahrheit und ist und wi-rd sein. Wer diese Wahrheit nicht

— 15 — -verstehen kann , ist nur ein trüber Gast auf der dunkeln Erde. So sagte Goethe. Hier ist unsere Auffassung über 'Selige Sehnsucht' zum Schlusz gekommen. Dieses Gedicht haben wir mit einem tiefen Eindrück genossen. Daraus sollen wir das unerschöpfliche Wasser des Lebens schöpfen, und die unendliche Bedeutung empfinden. Überall in den Vieren Evangelien lehrt und spicht der Herr uns mit den passendesten Gleichnissen, und befehlt und sagt uns: Folget mir nach ! Noch mehr, Er ermutigt mit den folgenden Worten die Leute, die nach Ihm folgen wollen:

"In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost , Ich habe die Welt überwunden." - Ev. Johannis 16, 33 -

So hatten Petrus, Stepanos, Paulus und viele gute Geister die Worte das Herrn glaubend nach Ihm gefolgt,—um des Wort: Stirb und werde ! zu erfüllen. So können die Menschen die 'Selige Sehnsucht' hegend durch die Begleitung Christi zu den Schöpfer des Weltalls. Also schrieb Coethe wie folgt:

"Teilnehmend führen gute Geister , Gelinde leitend, höchster Meister, Zu dem, der alles schafft uud schuf?. (Eins und Alle')

Es war dem kleinen Kind Goethe miszlungen, den Gott unmittelbar zu sehen, weil er die Wahrheit: 'Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.' noch nicht gelernt hatte. Aber Goethe als der Nachfolger Christi kann sich durch die Sehnsu- cht zu Ihm in die Welt begeben, wohin Er gestiegen war. Diese Welt, worin auch Goethe durch Ihn, den höchsten Meister treten konnte, ist die weite breite Welt, die von Goethe in der 'Gott und Welt' gedichtet wurde. Diese Welt ist weder die als die Vorstellung der blinden Willen, noch die, die sich ins Kausalgesetz auflösen werden sollte. Das ist die Welt, die dem ewig Sich Selbst Schaffenden gehört, und die dem Einzig en, Ewigen, Unbegrenzten' gehört. Bei dem groszartigen und erhabenen Prospekt dieser Welt hatte Goethe einst gedacht, dasz sein Gestalt immer kleiner geworden und sogar seine Existenz mit Verdorben gedroht wäre. Aber als er durch Christus in diese Welt trat, als er ihm, den Herrn dieser Welt als sein Vater anrief, dann wurde diese einst mit dem überwaltigen harten Prospekt den Menschen drohende Welt ihm als 'Mein Vaters Haus', als 'Mein Haus' die liebste Wohnung seines Geisteslebens. Erst dann konnte Goethe die Wahrheit empfinden, die ihm die Fahigkeit geben sollte, im ewigen Leben zu leben. Den Beweis dafür können wir, zum Beispiel, in der Gesammeltegedi-

- 16 — chten: 'Gott und Welt' finden. Nun in dieser weiten breiten Welt des Lebens gibt es, nach Goethes Meinung, 'ein geheimes Gesetz', 'ein heiliges Rätsel'. Dieses Gesetz, dieses Rätsel hatte Christus schon dem Menschen hingeweist, als Er dem Menschen den Vogel und die Blume ansch- auen lehrte. Folgend dieser Lehre schaute Goethe Pflanze und Tiere an, und unter denen, die er erfasst hatte, war die Idee der Metamorphose. Am 17. Mai 1808 schrieb Goethe in der Note über die Metamorphose und deren Sinn. Derer Grund ist in dem Weltgeist und 'Systole und Diastole', jene erzeugt Einzelmachen, dieser Fortdauern nach Ewigkeit. Im Deutsche 'Geist', nach Goethes Meinung, wird der Begriff `Produktivität' erhalten und die Produktivität kommt im ungeheuern Masze aus Gott.. Also gehört der Weltgeist dem Gott als Produktivität, derer ursprüngliches Gesetz die 'Systole und Diastole, gewesen ist. Am ende des Systole beginnt die Diastole, am deren Ende die Systole und abermals an deren Ende die Diastole u. s. w., so kommt die Fortdauerung nach Ewigkeit. Diese unendliche Änderung der Einzelheit nach Ewigkeit ist die Metamorphose. In 'Metamorphose der Pflanzen' und 'Metamorphose. der Tiere' können wir die Früchte der Anschauung Goethes genieszen. Das ist das. geheime Gesetz und das heilige Rätsel. Alles Lebendiges in der Welt soll wiszen, dasz das Alles durch dieses Gesetz und Rätsel lebendig ist. Deshalb dichtete Goethe in 'Metamorphose der Pflanze' wie folgt:

"Jede Pflanze vekündet dir nun die ew'gen Gesetz, Jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir. Aber entzifferst du hier der Gottin heilige Lettern, Überall sieht du sie dann, auch in verändertem Zug. Kriechend zaudre die Raupe, der Schmetterling eile geschäftig, Bildsam ändre der Mensch selbst die bestimmte Gestalt!"

Dieses Gesetz und dieses Rätsel werden dem Entzifferer der 'Heilige Lettrn' klar; Ein Weizenkorn fällt in die Erde und stirbt, um viele Früchte zu bringen, und eine Raupe verändert sich in die Puppe, um schöner Schmetterling zu werden, auch hier sind die heilige Lettern geschrieben. Aber der Mensch, er ist so willkürlich, dasz er nicht schnell die Notwendigkeit erkennen und diese heilige Lettern entziffern kann. Daher Christus hat mit seinen eigenen Blut die heilige Lettern geschrieben. Das entzifferte Goehte und sagte: Stirb und werde ! Das ist die ewige Wahrheit, die der Herr in sich selbst verkörpert hatte; das ist das unendliche Gesetz, das alles Lebendiges durchdringt; das ist der Weg, der den Menschen in die Seligkeit führt. Die selige

— 17 — Sehnsucht flammt in der Brust derer auf, die diesem Gesetz folgen und diesen Rätsel entziffern können.

Am Ende dieses Kapitels wollen wir die Freiheit der Religion in Goethe studierem

Wie der Pastor in dem 'Brief des Pastors, Goethe war der Besitzer der religiösen

Toleranz. Die Toleranz zwar muszte eigentlich die offenbarste Tugend des Christen-

tums, aber nach dem Tod Luthers, der von der religiösen Sklaverei aus die Freiheit

des Menschen zurückgenommen hatte, unter den Christen, sogar unter den Protestanten,

fing die Religionsstreit, die Intoleranz, an. Solcher Tendenz widerstand Goethe fest

und stark. Schon im 'Brief des Pastors' erklärte er die Toleranz, und behauptete die

Freiheit der Religion. Er, der Besitzer der breiten und tiefen Gemütes, verehrte Gott

als die unermeszliche Liebe und erkannt, dasz der Mensch ohne Gottes Liebe nie leben

konnte, wie alles Lebendiges ohne Sonne nie leben durfte. Von dieser Ehrfurcht und

Erkenntnis entspringen Goethes Toleranz und Auffassung über die Freiheit der Religion.

Das ist klar auch in den folgenden Worten des 'Pastors' :

"Es sind Leute , wo der Kopf das Herz überwiegt. Mit diesen leb' ich in so zärtliche Eintracht und bitte Gott, dasz er jedem Freude und Seligkeit gebe nach seinem Masz: denn der Geist Gottes weisz am besten, was einer fassen kann. Ebenso ist's mit der Gnaden wahl; davon verstehen wir ja alle nichts. Und so ist's mit tausend Dingen. Denn wenn man's bei Licht besieht, so hat jeder seine eigene Religion, und Gott muss mit unserer armseligen Dienste zufrieden sein, aus übergros- ser Gute; denn das musste mir ein rechter Mann sein, der Gott diente, Wie sich's gehört."

Wie wohlbekannt, auszer dem Christentum geben es allerlei Religionen in Goethes

Gedicht: Islam, Hinduismus, Parsismus ... Diese hielt Goethe für die Religion, die bei

Gottes Licht besehen worden waren, das heiszt, die von dem mannigfaltig ausstrahlen- den Licht des Gottes gezeugt worden waren. Noch einmal, mit andern Worten gesagt,

diese Religion waren die Früchte, die aus dem göttlichen Samen herangewachsen waren.

In obigem Brief schrieb Goethe ;

"Wie würde es uns freuen , den Göttlichen Samen auf so vielerlei Weise Frucht bringen zu sehen. Dann wurden wir anrufen: Gottlob ! dasz das Reich Gottes auch da zu finden ist, wo ich's nicht suchte t "

Was Goethe verlangt hatte, das war der Gott, den er durch Christus erkannt

hatte, und was er gesucht hatte, das war das Reich Gottes, das von Christo gebildet

— 18 — -werden muszte. Aber Goethe erkannte das Reich Gottes auch da, wo er's nicht gesucht hatte, das ist, auch in Islam, Hinduismus, Parsismus, und freute sich darüber, den göttlichen Samen so vielerlei Weise Früchte bringen zu sehen. So erkannte er die diesen Religionen gehöhrigen Menschen als rechte Menschen an, die nach ihrer _Masze dem Gott dienten. Kurz zusammengefaszt, jeder darf nach seiner Masze dem Gott dienen: dem Einen .Gott, der sich vielfach offenbart. Hier ist der Grund Goethes Auffassung über die Freiheit der Religion. Zwar ein Monotheist war Goethe; "Wir sind .. sittlich Mon- •otheisten." sagte er in 'Maximen und Reflexion' . Noch mehr schrieb er:" 'Ich glaube einen Gott' 'Das ist ein schönes, liebliches Wort." Aber er war nicht ein erstarrter einfacher Monotheist; der letzten Worte hinzusetzend schrieb Goethe:" aber Gott anerkennen, wo und wie er sich offenbare, das ist eigentlich die Seligkeit auf Erde" Wir möchte seine komplexe Natur denken müszen: wir haben Goethe als Naturforscher und zugleich auch als Dichter. Für solchen Goethe war es die eigentliche Seligkeit, .den Einen Gott zu erkennen, der sich vielfach offenbare. Nach Goethes Meinung, die Natur schaff t ewig neue Gestalten, daher sie offenbart überall mit vielfachen Gestalten .den Einen Gott. Also schrieb Goethe:" Wir sind ... naturforschend Pantheisten." Und .da die allen Menschen befinden sich in der Natur und. die Natur in den allen Menschen, so ist die Schöpfungkraft der Natur in den Menschen. Unter die Leute, die diese Kraft reichlich begabt sind, die Künstler, die Dichter, und in ihren Inneren wirkt Gottes Geist, das;: das Schaffen ausgeführt werde. In 'Hans Sachs poetische Sendung' bezeigte Goethe -wirklich, wie der Dichter von Musen begeistert und ermutigt werdend seine literarische Schöpfurg leiste; als der Dichter dichtet, erscheint Gottes Geist ihm in vielfachen •Gestalten der Musen; je mehr die Musen auf ihn wirken , desto vielfacher wird sein Werk. Also schrieb Goethe: "Wir sind dichtend Polytheisten." Wie oben betrachtet, für Goethe als Naturforscher, Dichter und der Sittliche, gibt es nur Einen Gott, der sich vielfach und überall offenbart, und diese ursprüngliche riesige Produktionskraft wirkt vielfach und ewig und anermäszig. Also sagte Goethe: 'Das schönste Glück des denkenden Menschen ist , des Erforschliche erforscht zu -h aben, und das Unerforschlice ruhig zu verehren." ('Maximen und Reflexion.')

—19— 1[. DIE DICHTUNG

— " Die Kunst ist die Vermittlerin

des Unaussprechlichen." —

Wir fangen dieses Kapitel auch mit der Worte von 'Wahrheit und Dichtung' an.. Im 16. Buch schrieb Goethe wie folgt:

" (In meiner Richtung,) die immer darauf hinging, das Höhere gewahr zu werden, es zu erkennen, es zu fördern und wo möglich solches nachbildend zu gestalten, ..."

In dieser Richtung liegt das gründliche Kennzeichen Goethes Dichtart, und diese Richtung ist aus jenem Gemüt Goethes gekommen, das am Anfang des vorigell. Kapitels beschrieben wurde. Nämlich liesz der edle Trieb im Inneren des jungen. Goethes sein Schaffens kraft wirken. Und dieser Trieb hatte die Sittlichkeit, wie man in der folgenden Worte uon 'Wilhelm Meisters Lehrjahre' finden:

" welche köstliche Empfindung muszte es sein , wenn man gute, edle, der Menschheit würdige Gefühle eben so schnell durch einen elektrischen Schlag ausbreiten, ein solches Entzücken unter dem Volke erregen könnte, als diese Leute durch ihre körperliche Geschicklichkeit gethan haben; wenn man der Menge das Mitgefühl alles Menschlichen geben, wenn man sie mit der Verstellung des Glücks und Unglücks, der Weisheit und Thorheit, ja des Unsinns und Albernheit entzünden, erschüttern, und ihr stockendes Innere in frei, lebhaft und reine Bewegung setzen könntet" (4. Kapitel, 2.Buch)

Da die Sittlicheit, nach Goethes Meinung, 'durch Gott selber in die Welt gekom- man war' (zu Eckermann, den 1. April 1827), wurde der Trieb, der die Sittlichkeit gehalten hatte, in Goethes Innern als der innere, von Gott begabte Beruf gemerkt. Also war die Dichtung, für Goethe nicht der Ausdrück des natürlichen Triebs wie das Singen des Vögleins, sondern ein Werk, das mit sittlichem Berufsbewusztsein. geleistet wurde. Es wäre nicht unpassend, zu sagen, Goethes künstlerischen Werke seien die Blumen des sittlichen Baumes, der aus dem Boden-dem Bibel gewachsen. sei. Deshalb dachte Goethe, dasz die Kunst noch das Göttliche hinzugefügt werden musz, um eine echte zu werden. Im 13. Buch von 'Wahrheit und Dichtung' schrieb er wie folgt:

— 20 — " Die wahre Poesie kündet sich dadurch an, dasz sie als ein weltliches Evangelium, durch innere Heiterkeit, durch äuszeres Behagen, uns von irdischen Lasten zu befreien weisz, die auf uns drücken."

Die Kunst, für Goethe, musz ein weltliches Evangelium sein, davon die Menschen nicht nur von ihren irdischen Lasten befreit werden, sondern auch erregt und erschüttert werden, wie jenes Evangelium Christi. Goethe als der treuer Diener, dem der Herr Seine Gute vertraut hatte, muszte mit dein Talent in vollem Masze handeln, und des Herrn Lob empfangen wollen. Hier ist der Grund seines unendlichen Strebens. Kurz gesagt, Goethe, seiner Richtung nach, erhöhte sich selbst mit seiner eigentümlicher Art, das heisst, mit dem unendlichen Schaffung der Gedichte als das -weltliche Evangelium . In 14. Buch von 'Wahrheit und Dichtung' finden wir das kleine Gedichte wie folgt:

"Und wie nach Emmaus weiter ging's Mit Sturms - und Feuerschritten: Prophete rechts, Prophete links, Das Weltkind in der Mitte."

Das Gründliche dieses Gedichtes besteht offenbar in dem Neuen Testamenten. (I. Vers) Goethe liesz hier Lavater und Basedow die zwei Apostel nachahmen, die auf dem Wege nach Emmaus gewesen war. Im Inneren Goethes, wer zwischen ihnen gesessen war und mit ihnen gesprochen hatte, der war Jesus Christus, der diese beiden noch nicht erkannt hatten. Diese Ähnlichkeit mit der Beschreibung des Neuen Testamentes muszte ihm eine unsgliche Freude machen. (2. Vers) Dieser Sturm und Feuer bedeutete das Wunder am Tage der Pfingsten; der Schreiber der Apostelgeschichte schrieb wie folgt:

" Und als der Tag der Pfingsten erfüllet war, waren sie alle einmüthig bei einander. Und es geschah schnell in Brausen von Himmel, eines gewaltigen Winds, und erfüllte das ganze Zungen zertheilt, als sie wären feurig. Und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen; und wurde alle voll des heiligen Geistes, und fingen an zu predigen mit andern Zungen, nachdem der Geist ihnen gab auszusprechen." - Apostelgeschichte 2, 1- 4 -

Nämlich zeigt dieses Gedicht, dasz Goethe mit der Hilfe des heiligen Geistes den Beiden seinen Christus erklärte und ihner einen tiefsten Eindrück machte, dasz ihre Herzen in ihnen brannten, wie der zwei Apostel.

— 21 — Die hinzugesetzte Worte zeigt, Goethe wolle auf der ganz eigentümlichen Art seine, innere Beruf leisten, das heiszt, er wolle das echte Bild und Geist Christi ausdrücken. als 'Weltkind', als Dichter, der die Gedichte als weltliche kEvargelien schaffen wolle. Daher können wir erkennen, die Berufsanschauung Goethes liege darin, 'die Heilbe- gierigen zurecht zu weisen' ('Brief des Pastors'.). Wie Goethe über Prophet und. Dichter dachte, das können wir in ',Noten und Abhandlungen zum West-Ostlichen Divan' wissen. Nach Goethes Meinung, der Prophet sieht nur auf einen einzigen_ bestimmten Zweck, und um solchen zu erlangen, bedient er sich der einfachsten_ Mittel. Also musz er eintönig werden und bleiben. Der Dichter hingegen vergeudet die ihm verliehene Gabe, und sucht mannigfaltig zu sein und sich in Gesinnung und. Darstellung grenzenlos zu zeigen. Was wir hier aber merken, ist das folgende Worte Goethes: "Beide sind von einem Gott ergriffen und befeuert ." Bei sieser Worte möchten wir sagen, Goethe denke, dasz Prophet und Dichter vor dem Gott gleichgestellt seien. Wenn. man in der Bibel das schöne Worte Christi lesen, so kann man leicht verstehen, dasz. die Eigenschaften des Prophet und des Dichters in Ihm so vollends vereinigt sind, wie es in der Welt nie geschehen hat. Dass Goethe sich nach diesem 'höchsten Meister' gerichtet hatte, ist ganz natürlich. In 'Buch Suleika' von ‘Divan' lässt Goethe Suleika ihn nennen wie folge: "Sag Poete, Sag Prophet!" Hierin konnen wir erkennen, dass Goethe zugleich Poete und Prophet zu sein wünsche. Nun der obenerwähnten Richtung nach fing die Dichtung Goethes an. Aber sein guter Wille wurde nicht erwiedert. Noch dazu, warteten der Miszverstand und das- Hindernis auf ihn in seinem Wege und, in der Tat, fielen über ihn her. Woraus dieser Miszverstand und dieses Hindernis herkamen wird nicht leicht erklärt würden, aber nach unseree Meinung, möchten wir als der Grund nur eine Sache sagen können> dasz die damalige Welt die Wahrheit im Inneren Goethes gar nicht erkennen konnte: seinen Chrirtus nicht! Frau von Kletenberg selbst, wie Goethe in ‘Warhheit und. Dichtubg' sagte, konnte nicht erkennen, dasz Goethe ein echter Christen sei. Wie in dem obigen Kapitel gesagt, der Geist Christi und die Würde des Menschen waren von Luther wiederbekommen worden, aber nach seinem Tcd geriet der Chris- tentum in Schisma und Streit, nahm keine Rücksicht auf die Würde des Menschen,. die fast wiederverloren würde. Und da die katholische Kirche auf die Erhaltung des geistlichen Autorität besessen war, handelte sie nicht ernstlich an die Problem der Seele des Einzelwesens. Gegen solche Welt konnte Goethe seinen Zorn nicht enthalten.

— 22 — Zwar man rezitierte den Namen Christi, aber nirgendwo. im Innern erhielt man Sein Bild.. Trotzdem wer nur Christus sein sollte, der geehrt werden sollte, war Er ins Innere der Kirche unbemerkt einschlossen worden und wurde Seine Stelle von dem Anderen okkupiert. Gegen solche Zustände war Goethe vom ganzen Herzen zornig geworden.. Solchen Zorn können wir im Fragment 'Der ewige Jude' bemerken, und auch in 'Geheimnis' , darin Goethe ausdrücken wollte, die ewige Erneuerung und die Würde der Menschennatur seien in der Vereinigung der Menschheit durch die Liebe Christi.. Aber wie der Herr von Schriftgelehrter und Pharisärer nie verstanden worden war, und wie Er von den gedankenleeren Menschen wie folgt verhöhnet worden war: "Arzt, hilf dir selber!" (Ev. Lucä 4, 23), so wurde Goethe auch nicht verstanden und muszte es erkennen, dasz er ganz allein seinen Christus und seinen Christentum verteidigen muszte. Das beschrieb Goethe im 15. Buch von 'Wahrheit und Dichtung' mit der- stärker Entschlieszung: "Ich trete die Kelter allein!" Wie wohlbekannt, Coethe liebte Weintraube. Aber das war nicht nur seine Geschmackssache, sondern seine besondere Gesinnungsache; Goethe wollte der Weintr- aube eine wichtige Bedeutung geben. Man kann in den Vieren Evangelien leicht be- merken, dasz der Herr gern die Weintraube als sein Gleichnis gebraucht hatte. Der Wein, der mit der Kelter aus Weintraube ausgepresst wurde, war in der Bibel das Symbol der Menschenerlösung, und von Ihm als Sein Blut, sein Evangelium genannt. Dasz Goethe als echter Dichter diese Kelte allein treten wollten, das heiszt, dasz er die wahre Posie als das weltliche Evangelium schaffen wollte, können wir in ' auch finden. Wir meinen, dieses Gedicht sei oft miszverstanden worden. Es war eine gewöhnliche Dichtare Goethes, aus dem schon bestandenen Stoff etwas- seiner Absicht Ähnliches herauszusiehen. Dieses Gedicht auch wurde solcher Dichtart nach gedichtet. Was Goethe aus dem griechischen Mythos Prometheus' eingeführt hatte, war nicht, nach Goethes Beschreibung im 15. Ruch von 'Wahrheit und Dichtung', 'der titanisch-gigantische, himmelsturmende Sinn', sondern 'jenes friedliche,. plastische allenfalls duldende Widerstreben, das die Obergewalt anerkennt, aber sich ihr gleichsetzen möchte.' Goethe noch setzte hinzu, solche Widerstreben darzustellen zieme sich ihm. Er hatte bemerkt die Gemeinschaftlichkeit zwischen seinem da- maligen Gemütszustand und dem alten mythologischen Figur Prometheus, 'der, ab- gesondert von den Göttern, von seiner Werkstatte aus eine Welt bevölkerte', weil Goethe fühlte recht gut, dasz er etwas Bedeutetendes produzieren konnte, wenn er allein war. Und 'jenes friedliche, plastische, allenfalls duldende Streben das die

— 23 — Obergewalt anerkennt, aber sich ihr gleichsetzen möchte.' Das entspringt aus Goethes Richtung, wie wir am Anfang dieses Kapitels angefuhrt, 'die immer darauf hinging, das Höhere gewahr zu werden, es erkennen, es zu fordern und wo mcglich solches nachbildend zu gestalten.' Das war Goethes fromme Gesinnung und darin sollen wir die Gestalt des strebenden Goethes erkennen. In 'Maximen und Reflexion' finden wir folgende Worte: "Mythos Luxe de Croy- ance." Daraus können wir denken, Mythos zu studieren sei, für Goethe, nicht nur eine wissenschaftliche Sache, sondern auch, ja vielmehr, eine religiose; Goethe musste in Mythos den Glanz von des Menschen Glauben erkennen. Also war es ein groszer Miszverstand, den Goethe ein Titanisten zu machen. Er war kein Himmelstürmender. Im Gegenteil, strebte er, um 'die ursprüngliche Verbindung mit der Gottheit wieder- zustellen' (8. Buch von 'Wahrheit und Dichtkng.'). Dafür wurde er vom Gott hervorge- bracht. Darin war sein Glauben. Und das konnen wir in der folgenden Versen finden:

" Hätte Gott mich anderes gewollt, So hätt' er mich anders gebaut; Da er mir aber Talent gezollt, Hat er mir viel vertraut. Ich brauch' es zum Rechten und Linken, Weisz nicht, was daraus kommt, Wenn's nicht mehr frommt, Wird er schon winken." — Zahme

Hier können wir erkennen das Glauben unseres zur Reife gekommeuen Dichters, der sich selbst für das vom Gott hervorgebrachte Wesen hielt; und noch dazu, den Gem- ütszustand des Dichters, der nach Gottwille strebend dichtet. Wie der junge Goethe in 'Brief des Pastors' sagte: "Es ist meine Schuld nicht, dasz ich glaube," so war es dem Goethe notwendig, der meinte, sogar das Glauben an Gott entspringe aus Gotteswille, sein dichterisches Talent für Gott zu brauchen, weil der Gott ihm so viel Talent gezollt hatte. Deshalb, wie schon gesagt, dachte Goethe, die echte Poesie sei das weltliche Evangelium, das den Menschen von irdischem Lasten befreit. Diese Poesie zu schaffen hatte Goethe als seinen Beruf gemacht, dasz er sich Jahr und Tag mit ganzer Seele abgemüht hatte,' der Welt mit einem neuen Werke etwas zulieb zu tun' (zu Eckerman, den 4. Januar 1824). Wie der Prophet, von Gott begeistert, auf dem Wege der Mission voll Not und Hindernis forwärts zu gehen wagt, so strebt der Dichter, von Gott begeistert, zum

— 24 — Schaffen der weltlichen Evangelien. Dasz diese Strebung schon seit der Jugendheit Goethes bewuszterweise geleistet wurde, das können wir beim Wort von 'Wilhelm Meisters Lehrjahre' : ,Innere Beruf' (14. Kapitel, I. Buch). Und während er mit Lavater und Basedow verkehrte, wurde er von ihnen eine Dichtart des weltlichen Evangeliums eingegeben. Es war offentlich erkannt, diese beide seien berühmte Ghristen.. So müszten sie zwar ihre eigene Meinung in jedermanns Gegenwart äuszern können, aber wagten sie nicht ihre wichtige Absichtan offen zu sprechen, und doch hatten denen Beförderung die erhöhte Bedeutung verliehen. Im 14. Buch von 'Wahrheit und Dichtung' schrieb Goethe wie folgt:

"Bei meiner überfreien Gesinnung , bei meinem völlig zweck-und planlosen Leben und Handeln, konnte mir nicht verborgen bleiben, dasz Lavater und Basedow geistige, ja geistliche Mittel zu irdischen Zwecken gebrauchten. Mir, der ich mein Talent und meine Tage absichtlos vergeudete, muszte schnell auffallen, dasz beide Männer, jeder auf sein Art, indem sie zu lehren, zu unterrichten und überzeugen bemüht waren, doch auch gewisse Absichten in Hinterhalte verborgen, an deren Beförderung ihnen sehr gelegen war." So entstand Goethes gewöhnliche Dichtart, seine eigene wahre Absicht in Versen zu verbergen. Deshalb sollen wir bemerken, das Bild Christi oder der Geist Christi sei in Goethes Werken verborgen und sei durch die Symbolik dargestellt. Hier wollen wir etwas über die Bedeutung Goethes Symbolik beobachten. In 'Maximen und Reflexion' finden wir die folgende Worte:

"Das ist die wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeinere reprasentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen . "

Der Gott ist das Allgemeinere, und Christus das Besondere. Der Gott offenbart sich lebendig in der Welt durch Christus; Chistus ist das Symbol des Allgemeineren, des Gottes. — Nun, von Goethes Seite gedacht, ist Christus das Allgemeinere und Goethe das Besondere. Als er zu Eckermann Sagte: "Ich habe all mein Wirken und Leisten immer nur symbolisch angesehen" (den 2. Mei 1824), muszte er gemeint haben, sein Dichturg sei die lebendig augenblickliche Symbolik des Geistes Christi. Hier war die hauptsächliche Bedeutung des Symbols an Goethe. Das zeugen Goethes Werke, z. B., 'Selige Sehnsucht' , die wir schon im vorigen Kapitel betracht haben, und noch mehr andere, nein, es möchte kein Übertreibung sein, wenn wir auch sagten, Goethes Dichtung sei immer symbolisch geleistet. Anderes Beispiel angeführt, haben wir in West-Ostlichen Divan' die folgende Verse:

— 25 "Wenn der 'Mensch die Erde schätzet , Weil die Sonne sie bescheinet, An der Rebe sich ergötzt, Die dem scharfen Messer weinet, Da sie fühlt, dasz ihre Säfte, Wohlgekocht, die Welt erquickend, Werden regsam vielen Kräften, Aber mehreren erstickend: Weisz er das alles läszt gedeihen; Wird Betrunkner stammelnd wanken, Mäsziger wird sich singend freuen." - 'Buch des Parsen' -

Goethe, der Verehrer der Sonne, sprach parisch seinen eignen Gedanken aus.

Christus kam auf die Erde als Offenbarung Gottes. Also musz der Mensch, der den

Herrn verehrt und von Ihm gesegnet wird, den Gott danken—wegen Christi. Zwar des Herrn Lehre der Liebe, die aus Seiner Brust flieszend herauskam, erquickt die

Welt und gibt ihr viele Kräf te, wie der Wein, der von Ihm als das Symbol der Erlösung genannt wurde, und auf die Menschen wirkt, wenn er wohlgekocht wurde.

Aber Seine Lehre auch erstickt die mehreren Menschen, wenn sie zu dem leeren

Formalismus erstarrt wurde. Solche Zustand muszte Er betrauen. Und wie Er befr,:- ehtet hatte, erschienen die Betrunknern, die Schwärmer. Während sie dachten, dasz ihre eigene Glauben allein richtig und ihre Schritte fest und sicher waren, wurden ihre Stimme verwirrt, wie die des Stammlors, und wankten ihre Schritte, wie die das Betrunknen. Nur die Mäszigen gehen sich freuend den Weg Christi.

Im' Buch der Parabeln' finden wir noch ein Gedicht, das den Mut des Glaubens symbolisch ausdrückt wie folgt:

"Vom Himmel sank in wilder Meere Schauer Ein Tropfe bangend, gräszlich schlug die Flut, Doch lohnte Gott bescheidnen Glaubensmut Und gab dem Tropfen Kraft undDauer. Ihn schlosz die stille Muschel ein. Uud nun, zu ew'gem Ruhm und Lohne, Die Perle glänzt an unseres Kaisers Krone Mit holdem Blick und mildem Schein."

Der Mensch, der auf die wilde Welt kam, ist nur ein hilfloses, winziges Dasein, wie ein Tropfchen, das vom Himmel in wilder Meere sank; aber ware der Glaubensmut im

— 26 — Innere des Menschen, so lobte Gott den Mut, gab ihm Kraft und Dauer, und schützte ihn mit dem festen Schilde, wie der Muschel. Nicht mehr kann die stärksten Wellen der wilden Welt diese Muschel zerbrechen. Die gläubigen Menschen können nicht nur unter der Schütz des Gottes die absolute Ruhe und Ewigkeit bekommen, sondern auch ein glänzendes Dasein werden, wie das Tropfchen werde die Derle des Kaisers Krone. Das mag zwar den Augen des Menschen ein Wunder sein, aber das ist das Segen der Erlösung, das der Her Gott dem Meschen zu geben versprach. So wurde Goethes Kunst mit unendlichen Vielfältigkeit durch das Symbolisierung entwickelt, und erzeugte viele bedeutungsvolle Werke, einige von denen wollen wir noch weiter betrachten. Anfangs' beobachten wir 'Die natürliche Tochter.' In dieser Werke symbolisierte 'Goethe den Zusammenhang zwischen Christo und Goethe selbst, sein ',Glauben an Ihm, und seine feste Treue. Der König, der der wahre Herrscher der Reichs ist und durch viele Widersacher hat und sich um das Reich sorgt, symbolisierte Christus; der Herzog, der Oheim des Königs, der lieber des Konigs Strenge als des Königs Milde ehren will, die israeiitische Religion; der Graf, der Sohn des Herzogs, der den Konig nicht ehrt, die Katholismus Goethes Zeit; der Hofmeisterin die Bibel; der Sekretär den Papst; der Weltgeistelicher die Priesterschaft der Kirche; der Gerichtsrat das deutsche Volk. Und Eugenie, die die Hauptrolle dieses Dramas spielt, Goethe selbst. Wie tief Goethe diese Eugenie geliebt hatte, das können wir in 'Annalen' erkennen. Wie Eugenie, die erst ohne den König zu wiszen erwachste, später vom König als als die Verwandte anerkannt wurde, so erwachste unsere Dichter auch erst ohne die echte Erkenntnis an Christo und später wurde er von Ihm ergriffen und.- kam zu dem Glauben, dasz er einer Seiner Verwandten sei. Was er für seine Ehre, Freude und Hoffnung gehalten hatte, wurde durch dieses Glauben erzeugt. Zwar der Tag, an dem Eugenie vom König anerkannt werden und Ehre und Freude als eine der Verwandten genieszen können sollte, wurde ihr unbewuszt von ihrem Vater Herzog vorbereitet, aber der Tag wurde schneller durch ihre eigene keckste Tat vergefordert; Eugenie, die an Konigs Jagdgesellschaft teilnahm, vermasz sich von einer steilen Felsenwand herabzureiten, aber war herabgestürzt und schwebte zwischen Tod und Leben. Dort kam der König mit dem erschrockenen Herzog, und so hier konnte Eugeie zufällig dem Konig begegnen. Die erste, in dieser Weise erreichte Begegnung dieser beiden darstellte sinnbildich die folgende in Goethes Lebens: Wie wohl bekannt, der junge Goethe wurde nach dem kecken Leben in von einer schweren Krankheit

— 27 — ergriffen und schwebte zwischen Tod und Leben. In dieser Zeit war er schon sehr nahe an Christo, wie der Brief an Ranger (den 9. November 1768) zeigte, und im Brief an demselben Freund (den 17. Januar 1769) schrieb Goethe wie folgt:

"Mich hat der Heiland endlich erhascht,..."

Goethes erste Begegnung mit Christo wurde hier erreicht, und noch dazu, in obigem. Briefe sagte er dem Freund, dasz er mit seiner Mutter zur Kirche gegangen war und sie den Gott gepriesen hatten. Dabei schenkte Goethes Mutter ihrem Sohn die folgende Worte des Alten Testaments:

"Zur selbigen Zeit will ich die zerfallene Hütte Davids wieder aufrichten, und ihre Kücken verzäunen, und was abgebrochen ist, wieder aufrichten; und will sie bauen, wie sie vor Zeiten gewesen ist." - Amos 9, 11. -

Die Mutter musste dem Gott für ihren Sohn herzlich danken, der nicht nur leiblich,. sondern auch seelisch aufgerichtet und gebaut worden war. Und so auch der Sohn—der junge Goethe! Sein Gratias„ seine Wonne und seine Sehnsucht können wir in das Blatt erkennen, worin Eugenie ihre Verse aufschrieb, wie folgt:

"Welch Wonnelebenwird hier ausgespendet! Willst du, 0 Herr der obern Regionen, Des NeulingsUnvermögen nicht verschonen? Ich sinke hin, von Majestät geblendet.

Doch bald, getrost zu dir hinaufgewendet, Erfreut's mich, an dem Fusz der festen Thronen, Ein Spröszling deines Stammes, beglückt zu wohnen, Und all mein fruhes Hoffen ist vollendet.

So fliesze denn der holde Born der Gnaden! Hier will die treue Brust singern verweilen. Und an der Liebe Majestät sich fassen.

Mein Ganzes hängt an einem zarten Faden; Mir ist, als müsste ich unaufhaltsam eilen, Das Leben, das du gabst, für dich zu lassen." (2. Aufzug, 4. Auftritt)

Hier können wir Goethes Entschluss erkennen, sein Leben, das von Ihm gegeben wurde,. für Ihn zu lassen, indem :er echte Poesie: das weltliche Evangelium produziere. Das-

-28— j unge-Goethes Bewusztsein, von dem Heiland erhascht werden zu sein, erzeugte die obigen Entschlusz. Dieses Bewusztsein und diese Entschlusz waren nicht nur die augenblickliche psychologische Erscheinung eines jungen Rekonvalszenten, sondern wurden von Jahr zu Jahr immer fester und stärker, und wurden durch die Leistung als ein Dichter beweist. Das ist in Eugenie Schicksal sinnbildlich dargestellt. Eugenie wurde von dem Graf, der den König zu vernichten versuchte, und von dem Sekretär, der der Vollstrecker des Willens des Grafes war, mit Betrugen ins Schicksal hineingetrieben, das für Eugenie die Ausweisung nach fremden Lande bedeutete. Die sehnsüchtige Gefühl und die gro- sze Treue an dem König hegend, verfolgt Eugenie nur in Begleitung der Hofmeisterin den Weg der Not. Dieses Eugeniesche Schicksal darstellt sinnbildlich das Goethes. In einem Brief an Schiller (den lo. Oktober 1795) schrieb Goethe, die Kirche habe von alter her den Gott in drei Teile eingeteilt. Nach Goethes Meinung, die katholische Kirche hatte die Gottheit in drei Teile: Gott, Christus und Papst eingeteilt, und den Gott oben in die Wolke, Christus tief hinter dem Altar eingesetzt und nur Papst allein -war vor den Menschen hell glänzend gestanden, und, besonders die katholische Kirche Goethes Zeit, hatte die echte Freiheit der Menschen mit politischen Macht unterdrückt. Gegen solche Zustand hatte Goethe entschlossen, dasz er in seinem Innern seinen eignen Christus glaubend und seinen eignen Christentum schutzend in die Welt allein gehe, nur in Begleitung der Bibel ... Eugenie kam endlich nach dem Hafen, wovon sie nach dem fremden Lande abreisen muszte. Dort begegnet sie durch Empfehlung des Hofmeisterin dem Cerichtsrat, und fand, dasz der einzige Weg, dadurch sie im Vaterland bleiben konnte, die Heirat zwischen ihr und dem Gerichtsrat war. Eugenie verwies es. Aber die Abreise wollte sie nicht, weil sie sich so sehr um den König und das Schicksal des Reichs gesorgt hatte. Nun wirklich hatte Goethe keinen Grund für seine Ausweisung, aber die Einsi- .chtlosigkeit und Miszverstand der Welt gegen Goethe waren so grosz, dasz es schien ihm, als ob die Welt ihn unrecht verletzt hatte und ihn geistlich ausweisen wollte—von seinem Vaterland, das Deutschland und zugleich Gottesreich bedeutet hatte. Aus solcher geistlichen Zustand Goethes sollte die folgend Eugeniesch Monolog kommen:

"So ist's denn wahr, was in der Kindheit schon Mir um das Ohr geklungen, was ich erst Erhorcht, erfragt und nun zuletzt sogar Aus meines Vaters, meines Köigs Mund Vernhmen muszte! Diesem Reiche droht

— 219— -Ein jäher Umsturz. Die zum groszen Leben Gefugten Elemente wollen sich Nicht wechselseitig mehr mit Liebeskraft Zu stets erneuter Einigkeit umfangen. Sie fliehen sich, und einzeln tritt nun jedes Kalt in sich selbst zurück. Wo blieb der Ahnherrn Gewat'ger Geist, der sie zu Einem Zweck Vereinigte, die feindlich kämpfenden, Der diesem groszen Volk als Führer sich, Als König und als Vater dargestellt? Er ist entschwunden! Was uns übrig bleibt, Ist ein Gespenst, das mit vergebnem Streben VerlorenenBesitz zu greifen wähnt. Und solche Sorge nähm' ich mit hinuber? Entzöge mich gemeinsamerGefahr? Entflöhe der Gelegenheit, mich kühn Der hohen Ahnen würdig zu (beweisen, Und Jeden, der mich Angerecht verletzt, In böser Stunde hilfreich zu beschämen? Nun bist du, Boden meines Vaterlands, Mir erst ein Heiligtum, nun fühl' ich erst Den drungenden Beruf, mich anzuklammern. Ich lasse dich nicht los, und welches Band Mich dir erhalten kann, es ist nun heilig." (5. Aufzug. 8. Auftritt)

In diesen Monolog kann man das Gestalt des Frankreichs durch den Mund einer treuen jungen Frau geredet werden sehen, das den Zerfall durch das Revolution ahnend zittert; aber, nach unserer Meinung, was Goethe hier hauptachlich darstellen wollte, das war das Krisis der damaligen Christentums. Bei der Produzierung dieses Dramas, unter- drückte und herrschte Goethe jenen heftigen Zorn, den er einst in dem Fragment 'Der ewige Jude' ausgedrückt hatte, und wollte, als ein Entsagender, in seinem Vaterland. Goethes eigenes Reich Christi aufrichten, wenn er auch allein bei Seiner Seite bleiben muszte. Die Päpste, die in Goethes Zeit ihre EinflUsze geltend gemacht hatten, ergriff- en die stärkeren Offensiven gegen Protestanten, wie die Kirchengeschichte lehrt. Aber die Protestanten selbst wagten nicht das Schisma aufzugeben, und hielten sich immer noch an Kleinigkeiten des Dogmas und wiesen sich einander ab. Und 'jedes tritt einzeln kalt in sich selbst zurück'. Dieser gefährliche Zustand der Protestanten war wesentlich gleich wie das Frankreich vor der Revolution; die echte Christentum und die die Gottheit begabte Menschennatur, die Martin Luther mit groszen Mühe wiederbekommen

—30— hatte, waren nahe daran, wieder vernichten zu werden: Das Reich Christi stand gewisz dem bedenkliche Zustande gegenüber. Goethe, der diese Krisis stark gefühlt hatte, glaubte fest, er soll in seinem Vater- land das himmlische Reich bilden, indem er dort das echte weltliche Evangelium breiter und machte, das sei sein begabter Beruf. Also war Goethes Gesinnung ganz gleich wie Luthers. Kurzgesagt, dieses Drama 'Die natürliche Tochter' ist die sinnbildliche Darstellung des inneren Prozesz des Dichters, der von Ghristo begeistert wurde und_ Ihm sein Leben zu geben entschlosz. Nun wollen wir in 'Tasso' den dichtenden Goethe beobachten. Dasz Goethe gegen Tasso, als einen realen Mann, die tiefe Innigkeit gehabt hatte, ist wohlbekannt. Sc. beginnen wir sofort mit dem Problem: Was ist die Mittelpunkt dieses Dramas? In folgende Worte Tassos können wir die Antwort finden:

" Was das Herz im tiefsten mir bewegte , Was mir noch jetzt die ganze Seele füllt, Es waren die Gestalten jener Welt, Die sich lebendig, rastlos, ungeheuer Um einen groszen, einzig klugen Mann Gemessendreht und ihren Lauf vollendet, Den ihr der Halbgott vorzuschreiben wagt." (2. Aufzug, 1. Auftritt) Dieser 'groszen, einzig klugen Mann', oder 'Halbgott' ist Ghristus. Wie es in dem Makrokosmos das herrliche Sonnensystem gibt, so gibt es der lebenkräftige, unaufhör- liche, ungeheuere Kreislauf der echten Christen und der guten Geister, die sich um Ghristus drehen und Ihn verehren. Da der Herr aufgestanden und der Gott geworden war, muszte die Personen des Alten Testaments, die den Gott als den Herrn verehrten und in dem Gott lebten, an. diesem Kreislauf teilgenommen haben. Am 16. März 1830 sagte Goethe zu Eckermann über den Zyklus von zwölf biblischen Figuren, die um Christus angesellt werden sollte: Adam, Noah, Moses, David, Jesaias, Daniel, (CHRISTUS), Johannes, der Hauptmann von Kapernauni, Magdalena, Paulus, Jakobus, Petrus. Nämlich muszte Goethe alle solche Figuren an jenen Kreislauf teilnehmen lassen; alle diese Personen sind vor Christo, vor Gott lebendig, und jeder beleuchtet einzelnen der Eigenschft nach das Licht Christi, wie jeder Stern des Sonnensystems einzelnen das Sonnenlicht beleuchtet Dieser herrliche, einen tiefen Eindruck machende Prospekt war für den Dichter Goethe das Edleste, das in diesem Drama als -die Prinzessin sinnbildlich dargestellt

— 31 — wurde. Die Gestalt des Dichters, der vor diesem Prospekt im tiefsten [sein Herz bewegt und die ganze Seele gefüllt stand, ist nicht anders als die echte [reine -Gestalt Goethes als Dichter. Aber er muszte ihm des Hindersisses der Welt bewuszt sein. Aus Bewusztsein dieses Hindernisses kameni 'Götz' und '' hervor. Was darin dargestellt wurde, ist die Sache, dasz ein Unwahres einen Wahren hindert. Nämlich finden wir hier die wahren aufrichtigen Menschen, die durch Kniff und Druck der Päpstler in die Klemme gebracht werden und endlich den bitteren Kelch austrinken müszen. Götz und Egmont waren tot, aber Eugenie und Tasso nicht; sie ertrugen das Hindernis und lebten in dem starken Gefühl von Beruf. Unser Herr Ghristus sagte uns:

"Könnet ihr den Kelch trinken, den Ich trinken werde, und euch taufen lassen mit der Taufe, da Ich mit getauft werde?" - Ev . Matthäi 20, 22 -

Und noch:

"Wer mir folgen will , der verleugene sich selbst, und nehme sein ,Kreuz auf sich täglich, und folge mir nach." - Ev . Lucä 9, 23 -

Das sind der Befehl Ghristi. Also soll man nicht den Schmez ausweichen und muss den Kelch trinken. Zwar hatte Tasso den Gedanken gehabt, seinen Schmerz auszuweichen, indem er bei dem Trost Ghristi sein Leiden zu milden versucht; er sagt wie folgt:

"Hilft denn kein Beispiel der Geschichte mehr? Stellt sich kein edler Mann mir vor die Augen, Der mehr gelitten, als ich jemals litt, Damit ich mich mit ihm vergleichend fasse?" (5. Aufzug, 5. Auftritt)

Aber er vernichtete solchen Gedanken, und entschlosz sich den Schmerz durchzumachen und den Beruf zu erfüllen. So hören wir seine entscheidende Worte:

"Nein, alles ist dahin! - Nur eines bleibt: Die Tränen hat uns die Natur verleihen, Den Schrei des Schmerzens, wenn der Mann zuletzt Es nicht mehr trägt - Und mir noch über alles-

- 32 — Sie liesz im Schmerz mir Melodie und Rede, Die tiefste Fülle meiner Not zuklagen; Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, Gab mir ein Gott, zu sagen, wie ich leide." (ditto.)

Tränen und Schreie der Schmerzens. Das sind die letzte, die dem Kelchtrinker übrig gelassen wurden, und zugleich das sind die erste Schrei der Wonne, die dem Kelchtrinker als der Durchfhürende des Gottes Wille gegeben wurden, und so kann der Dichter das weltiche Evangelium produziern. In 'Die natürliche Tochter' dichtete Goethe durch die oblektive Selbstbeobahhtung, aber in 'Tasso' dichtete er durch die subjektive Selbstbeobachtung sein wünschendes, leidendes und sich entscheidendes Selbst. Das Leben in war für Goeshe das Leben von der 'Fülle der äuszern Welt', 'wo er allein Nahrung für sein Wachstum und zugleich einen Masszstab desselben finden' konnte. Aber dieses schwierige und überbeschäftige Leben war nicht dasjenige, welches wahrhaftig den Dichter Goethe lebendig machen konnte. Je stärker Goethe fühlte seinen Beruf, das weltliche Evangelium zu produzieren, desto schwieriger wurde es ihm, den dringenden Wunsch zu unterdrücken, aus der verwickelten Welt zu entflieh- en, und damit die echte Kunst zu berühren, um als echter Dichter wiedergeboren zu werden. Und endlich setzte er diesen Wunsch in die Tat um. So wurde die italienische Reise unseres Dichters wahr, die ihn als echten Dichter wiedergeboren werden liesz und zugleich das Drama elasso' vollendete. Goethe muszte nach Italien reisen, um wieder geboren zu werden, weil er nur dort finden konnte, was er lange Jahre hidurch gewünscht hatte: die Werke der vielen, genialen, italienischen Künstler. Die künstlerische Werke, die auf Goethe so. tiefe Eindrücke gemacht hatten, waren [hauptsachlich die Gemälde, aber die wahre Absicht seiner Reise war nicht das Genieszen der klassischen Kunst, oder das Zuschauen des fremden, sonnenhellen Landes, sondern war darin, dasz er sich selbst zu erkennen und zu wieder festzustellen wolle. Das können wir aus der folgenden Worte Goethes:

"Ich mache diese wunderbareReise nicht, um mich selbst zu betrügen, sondern um mich an den Gegenständenkennen zu lernen." (Verona, den 17. September 3786)

Diese Gegenständen waren haupsachlich die Gemälde gewesen, die er schon gewuszt hatte. Am 12. Oktober 1786 zu Venedig schrieb er wie folgt:

— 33 — "Die historische Kenntnis fördert mich nicht: die Dinge standen nur eine Hand breit von mir ab, aber durch eine undringlich Mauer gescheiden. Es ist mir wirklich auch jetzt etwa zu Mute, als wenn ich die Sachen zum ;erstenmal sehe, sondern als ob ich sie wiedersahe."

Was bedeutete diese 'undringliche Mauer, ? Den Leitfaden dafür können wir in Carl Philipp Moritzens Schrift: 'über die bildende Nachahmung des Schönen' finden, den Goethe in 'Zweiter Aufenthalt in Rom' aufgenommen hatte. Zugestanden, dasz diese Schrift von Moritz geschrieben worden war, war der Inhalt aus der Unterhal- tung mit Goethe gekommen und dazu hatte Goethe selbst diesen Schrift in seiner Werke aufgenommen, so dürfen wir denken, der Gedanke in dieser Schrift sei fast gleich wie der Goethes. Nun wollen wir die felgende Worte dieser Schrift lesen :

"Bildungskraft und Empfindungsfähigkeit verhalten sich zu einander, wie Mann und Weib. Denn auch die Bildungskraft ist der ersten Entstehung ihres Werks, im Moment des höchsten Genuszes, zugleich Empfindungsfähigkeit und erzeug, wie die Natur, den Abdruck ihres Wesensaus sich selber."

Wenn Goethe mit seinen eigenen Augen dieses Land nicht gesehen hatte und seinen eigenen Leib in dieses Land nicht gebracht hatte, so würde seine Empfindungsfähigkeit, die, wie oben gesagt, die Bildungskraft werden konnte, nicht in Bewegung gesetzt; in Weimar konnte weder seine Empfindungsfähigkeit noch seine Bildungskraft wirken. Hier war das Leid unseres Dichters, und dieses Leid war nichts anders als 'eine undr- ingende Mauer'. Solches war erst nur davon durchdrungen, Goethe selbst nach Italien zu reisen. Dort richtete er seine Aufmerksamkeit nicht auf die Kunst und Handwerk des Malers, sondern auf den Gegenstand und Behandlung des echten Kunstwerks, wie er am 17. September 1786 zu Verona geschrieben hatte. Hier wollen wir etwas über die Kunst Goethes denken. Wie meinte Goethe die Kunst? Das ist der Punkt, den wir in dieser Reisebeschreibung finden konnten. Am 28. Januar 1786 zu Röm schrieb Goethe über die zwei Betrachtungen, 'die durch alles durchgehe, welchen sich hinzugeben man jeden Augenblick aufgefordert wird. Die erste ist die Betrachtung über die geschichtliche Auffasung der Kunstgegenstand. Die zweite ist die über die Kunst der Griechen; Goethe suchte, 'zu erforschen, wie jene unverglei- chlichen Künstler verfuhren, um aus der menschlichen Gestalt den Kreis göttlicher Bildung zu entwickeln'. Und er endete dise Beschreibung des Tages mit der folgenden Worte :

— 34 — "Ich habe eine Vermutung , dasz sie. nach ebenden Gesetz verfuhren, nach welchen die Natur verfährt und denen ich , auf der Spur bin. Nur ist noch etwas anderes dabei,- das ich nicht auszusprechen wüszte."

Was ist dies 'noch etwas anderes' ? Jetzt wollen wir suchen zu erforschen, was das wirklich ist. Wie schon gesagt, Goethe meinte, die echte Poesie sei das weltliche

Evangelium; das bedeutet, die echte Kunst habe wesentlich etwas Höheres, so schrieb

er: "Die Kunst ruht auf einer Art religiösen Sinn, auf einen tiefen, unerschütterlichen

Ernst." Daher, nach Goethes Meinung, musz die echte Kunst, auszer dem geschichtlichen

Wesen und dem die Kunst selbst herrschenden Gesetz, noch etwas anderes sein—noch

etwas Heiliges. Wollen wir noch weiter gehen. Im 6. Brief von 'Der Sammler und die Seinigen' können wir in dem letzten Punkt ankommen. Dieser Brief enthielt das

Gespräch über die Kunst, das hauptsächlich zwischen 'Ich' und 'Gast' unterhialten worden war. Der 'Gast' sagt, das Kunstwerk werde gewisz charakteristisch ausfallen, und behauptet, der Künstler solle sich dabei beruhigen und nichts weiter fordern. Dagegen

behauptet der 'Ich', der Künstler solle weiter steigen, und sagt: "Das Höhere, was in

uns liegt, will erweckt sein, Wir wollen verehren und uns als verehrungswürdig fühlen."

Aber der 'Gast' kann nicht mehr ihn verstehen. Dann sagt der 'Oheim', der bisher ohne

ein Wort dem Gespräch zugehört hatte:

Oheim. Ich aber glaube einigermaszen folgen zu können. Wie weit ich mitgehe, will ich durch ein Beispiel zeigen. Nehmen wir an, dasz jener Künstler einen Adler in Erz bildet, der den Gattungsbegriff vollkommen ausdrückte; nun wollte er ihn aber auf den Scepter Jupiters setzen. Glauben Sie, dasz er dahin vollkommen passen würde? Gast. Es käme darauf an. Oheim. Ich sage; Nein! Der Künstler müszte ihm viel mehr noch etwas geben.

Auch hier finden wir das Wort: 'noch etwas'. Der 'Gast' kann das immer noch -nicht verstehen und fragt: "Was denn?" Aber der 'Oheim' antwortet: "Das ist freilich

schwer ausdrücken.", wie Goethe schrieb: "das ich nicht auszusprechen wüszte." Dann lesen wir das folgende Gespräch zwischen der 'Ich' und 'Gast' :

Ich. Er müszte dem Adler geben, was er dem Jupiter gab, um diesen zu einem Gott zu machen. Gast. Und das wäre? Ich. Das Göttliche, das wir freilich nicht kennen würden, wenn es der Mensch nicht fühlte und selbst hervorbrächte.

'Das Göttliche' war es , das das Wort 'Noch etaws' bedeutet hatte. Die Kunst, die

— 35 — in sich selbst dieses Göttlichs erhalten hat, sei die echte, so behauptete Goethe. Wir meinen, dasz der wichtigste Punkt Goethes Kuustanschaung hier ist.

Nun wollen wir die Bedeutung von 'Italienische Reise' weiter forschen. Die Werke der italischen Maler, die auf Goethe so grosze Eindrücke gemacht hatte, waren, z. B.„ geschweige denn die Werke Raffaels und Da Vincis, die Himmelfahrt Mariä von Tizian, der auferstandene Ghristus von Guercino, das sogenannt Paradies von Tintoretto, Entwöhn- ung Christi von Corregio ... Diese sind nur ein Teil derer, die Goethe in dieser

Reisebeschreibung anmerkte. Und auch in anderen Werken wurden die religiösen Gegen- stände behandelt, die Goethe schon durch die Bibel zu Hause gewesen war, und viel von ihnen waren ihm als das Kupper oder als die Reproduktionen wohlbekannt und innig.

Am 17. September 1786 in Verona schrieb Goethe: "Es liegt in meiner Natur, das

Grosze und Schöne willig und mit Freuden zu verehren, und diese Anlage an so herrlichen Gegenständen Tag für Tag, Stunde für Stunde auszubilden, ist das seligste aller Gefühle." Durch diese Beschreibung Goethes könneu wir deutlich erkennen, dasz. er sich Tag für Tag, Stunde für Stunde an den trefflichen und edlen Gegenständen, immer tiefer und stärker bewegen liesz und an dem Atem Gottes die Seligkeit bekam..

Und weiter, am 3. Desember 1786 in Rom schrieb er wie folgt :

" ... Ich zähle einen zweiten Geburtstag, eine wahre Wiedergeburt, von dem Tage, da ich Rom betrat."

Nicht nur die Seligkeit, sondern auch die wahre Wiedergeburt konnte Goethe endlich in

Rom bekommen. Über diese Bedeutung der Wiedergeburt können wir Goethes Erklärung, hör en :

"Und doch ist das alles mehr Mühe und Sorge als Genusz . Die Wiedergeburt, die mich von innen heraus umarbeitet, wirkt immer fort. Ich dachte wohl hier was Rechts zu lernen; dasz ich aber so weit in die Schule zurück gehen, dasz ich so viel verlernen, ja durchaus umlernen müszte, dachte ich nicht. Nun bin ich aber einmal überzeugt und habe mich ganz hingegeben, und je mehr ich mich selbst verleugnen musz, desto mehr freit es mich. Ich bin wie ein Baumeister, der einen Turm aufführen wollte und ein schlechtes Fundament gelegt hatten, er wird es noch beizeiten gewahr und bricht gern wieder ab, was er schon aus der Erde gebracht hat, seinen Grundrisz sucht er erweitern, zu veredeln, sich seines Grundes mehr zu versichern, und freut sich schon im voraus der gewissern Festigkeit des künftigen Baues. Gebe der Himmel, dasz bei meiner Rückkehr auch die moralischen Folgen an mir zu fühlen sein möchten, die mir das Leben in einer weitern Welt gebracht hat! Ja, es ist zugleich mit dem Kunstsinn der sittliche, welcher grosze Erneuerung leidet."

(Rom, den 20. Dezember 1786.)

— 36 — So können wir erkennen, dasz die wahre Wiedergeburt für Goethe die gleichzeitige Erneuerung seines Kunstsinns und seines sittlichen Sinns bedeutete. Und wer diese Erneuerung ihm mölich gemacht hatte, der befand ',sich im Innersten der religiösen Gemälden in Italien: Der Verkörperung des Kunstsinns und des sittichen Sinns—Der Herr Christus Diese Meisterwerke, die Laffaels, den unser Dichter hochgeachtet hatte, und andere Genies mit dem Genius geschaffen hatte, könnten nicht aufgeblüht sein ohne den Herrn. Wir möchten sagen, diese Meisterwerke, diese bunte Blume der Kunst könnten in der höchsten Blute stehen—nur wegen des Herrn, wie die Blume wegen der Sonne ausblühen konnte. Goethe erkannte, dasz er selbst auch von dieser Sonne wieder ins Leben geruft wurde. Die grosze Erneuerung seines Kunstsinns und seines sittlichen Sinns war nichts anders als das echte Wiedergeburt, das bedeutete, er selbst breche als eine Blume in dieser mit erhöhter Stimmung gefullten Blümengarten aufs neue auf. Sein festes Bewusztsein des Wiedergeburt kann man am klarsten in der folgenden

Worte finden :

"Nun hat mich zuletzt das A und 0 aller uns bekannten Dinge, die menschliche Figur, angefaszt, und ich sie, und ich sage: Herr, ich lasse dich nicht, du segnest mich denn, und sollt' ich mich lahm ringen!" (`Zweite Aufenthalt in Rom': den 23. August 1787)

Es möchte ohne Zweifel erkannt werden, dasz die obige Beschreibung gründe sich auf die Worte des I. Buches Mosis, die beschrieb, wie Jakob ringe mit dem Gott. Der Gott in der menschlichen Gestalt zeigte sich bevor Jakob und faszte ihn an, und dann fing Jakob mit dem Gott an zu ringen, ohne es zu wissen, wer sei sein Gegner. Da Gott den Jakob nicht unterwerfen konnte, ruhrte der Gott das Gelenk Jakobs Hufte an, so dass Jakob lahm wurde. Er aber wagte nicht das Ringen aufzuhören. Endlich der Cott sagte: "Lass mich gehen." Und Jakobs Antwort war wie folgt :

"Ich lasse dich nicht , du segnest denn." (1. Mose 32, 26)

Da segnete der Gott ihn, und seine Seele war genesen. So faszte Goethe bei dem zweiten Aufenthalt in Rom den Herrn Christus an, der für Goethe das A und 0 aller ihm bekannten Dinge, und, er glaubte, er werde von Christo angefaszt. Goethe rief laut Ihn an und begehrte dringend den Segen, und sagte wie vorhergehend. Hier finden wir die feste und starke Gestalt unseres wiedergeb'arten Dichters, der durch die schaffende

— 37 — Kraft und den festen Willen geregt alle Noten und Hindernisse hindurch gehen wollte. Gegen Ende dieser Reisebeschreibung finden wir Goethes Alsicht für die Nachfolger wie folgt :

"Es darf und nicht niederschlagen, wenn sich und die Bemerkungaufdringt, das Grosze sei vergänglich; vielmehr wenn wir finden, das Vergangenesei grosz gewesen, musz es uns aufmuntern, selbst etwas von Bedeutung zu leisten, dasz fortan unsere Nachfolger,und wäre es auch schon in Trummer zerfallen, zu edler Thätigkeit aufrege, woran es unsere Vorvordernniemals haben ermangeln lassen."

Mit dem Reichtum, der nicht weniger wert wie derselbe Jakobs gewesen war, kehrte Goethe nach Deutschland zurück, um 'Etwas von Bedeutung' zu produzieren und die Nachfolger zur edler Tatigkeit anzuregen. Dasz Goethe diese Reisebeschreibung publi- ziert hatte, das möchte eine edle Tätigkeit geheiszt zu sein, weil er am 18. Juli 1817 an. Boisseree geschrieben hatte, er zünde die beiden Enden der nicht einzelnen Kerzchen und wenn die Kerzchen auch nicht das Licht ausstrahlen könnten, würde sie die kleinsten Wachstränen vergieszen. Hierbei können wir wissen, Goethes Absicht liege darin, diese Reisebeschreibung das Licht der Welt zu machen. Nachdem Goethe von Italien nach Weimar zurückgekehrt hatte, vollendete er viele Werke. Darin waren die zwei gröszten und berühmten: 'Faust' und die beiden 'Wilhelm Meister'. Diese Werke wurden als 'Etwas von Bedeutung' produziert. Wir wollen nach unser Art etwas über diese Werken denken. Über dieser Geschichte:'Wilhelm Meister'sagte Goethe am 22. Januar 1821zuKanzler F. von Müller, dieses Werk sei im ganzen symbolisch produziert und ein Allgemeines und Edles liegen verborgenhinter den Personen und am 25. Dezember 1825 zu Eckermann, es liege immer den anscheinenden Geringfügigkeiten dieser Geschichte etwas Höheres zum Grunde. Wir versuchen eben das auszufinden. Nach unsrer Meinung, was in 'Lehrjahre' beschrieben war, war der Werdegang Wilhelms inneren Berufs, und dessen Höhepunkt können wir in der sogenannten pädagogischen Provinz von 'Wanderjahre' erkennen. Nach Ehrfurcht in dieser Provinz for- schte wir schon in dem obigen Kapitel: 'Die Wahrheit'. Wie darin gesagt, wer im Innerste Goethes auf dem Thron gesessen war, Jesus Ghristus, der in Italien den Dichter Goethe ergriffen hatte. Und, wiederholentlich gesagt, Goethe hatte bemerkt, der Mensch gelange zum Höchsten, was er zu erreichen fähig sei, dasz er sich selbst für das Beste haltn darf, was Gott und Natur hervorgebracht haben, ja, dasz er auf dieser Höhe verweilen kann, ohne durch Dunkel und Selbstheit wieder in Gemeine gezogen zu werden, wenn der Mensch. in Christo lebt und Christus in dem Menschen. Also kann man sagen, dasz die Erziehung

— 38 — dieser pädagogischen Provinz auf Christo gegründet sei und das Ziel der Erziehung die Menschennatur, die von Christo gesichert und die Gottheit begabt wäre; mit einem Worte, es war der Hauptzweck, Jenem Worte des Herrn: 'Folge mir nach!' zu gehorchen und Ihn das Musterbild zu machen. Hier ist Goethes Gesinnung zum Vorschein gekoMmen, die auf die Tat den gröszeren Wert liegt, als auf das Wort. Wie wohlbekannt, Faust über- setzte aus der Worte der Bibel: "Im Anfang war das Wort." in die Worte: "Im Anfang war die Tat." Und der reife Goethe manifestierte zu Eckermann, dasz der Christentum auch aus einer Religion des Wortes und des Glaubens zu einer Religion der Gesinnung und der Tat kommen werde. Unser Herr predigte das Evangelium nicht nur mit dem Worte, sondern auch mit der Tat, und sagte :

"Was heiszt ihr mich aber Herr, Herr, und thut nicht, was ich euch sage?" - Lucä 6, 46 -

Also möchte es klar sein, Goethe lege darauf den groszen Wert, dasz er tut, was der Herr ihm zu tun befehlt. Hier ist die wichtige Bedeutung Goethes Worts: 'Tat'. Die Erziehung in dieser Provinz ist im Grunde eine allgemeine Tat, die ein Ziel hat; In dieser Provinz sind Musik, Poesie, Malerei, Bildhauer, Baukunst, und alle Handwerke bis das Zimmerhandwerk zusammenwirkend zur Ausführung gebracht, als die Kunst, die auf das. Göttliche zielt. Und die das Göttliche gegebene Kunst ist das echte weltliche Evangelium, das den Herrn erfreuen kann. Der 'Herz und Geist erhebende, würdige Gesang', den Wilhelm am groszen Feset dieser Provinz hörte, ist der Chor, der von Künstlern der obigen allen Künste gesungen wurden, und ist der Gesang, der die Tat lobt. Und das ist der selige Chor, damit die die Ehrfurcht ehrfurchtenden Leute den Herrn Ghristus gelobt haben. Nun wollen wir diesen wohlbekannten Chor genieszen.

"Zu erfinden , zu beschlieszen, Bleibe, Künstler, oft allein; Deines Wirkens zu genieszen, Eile freudig zum Verein! Hier im Ganzen schaut, erfahre Deinen eignen Lebenslauf, Und die Thaten mancher Jahre Gehen die in dem Nachbar auf.

Diese erste und zweite Strophen Zeigen, wie die Künstler leisten. Goethe bemerkte die Wichtigkeit der Isolierung bei dem künstlerischen Produzieren. Im 15. Buch von

— 39 — `Wahrheit und Dichtung' schrieb Goethe:" Ich. fühlte recht gut, dasz sich etwas Bedeutendes nur produzieren lasse, wenn mau sich isoliere. Meine Sachen, die so viel Beifall gefunden hatte, waren Kinder der Einsamkeit.", aber zugleich hatte Goethe auch recht gut bemerkt, dase Isolierung gefährlich sein konnte; nach Goethes Beschreibung, die Isolierung Klopst- ocks soll endlich seinen vorzuglichen Geist erschöpft haben. So meinte Goethe, der gedacht hatte, die echte Kunst werde von der heiligen Begeisterung erzeugt', dasz der Künstler, der in Einsamkeit sein Kunstwerk produziert hatte, sich dem Verein gesellen und das von ihm produzierte Werk objektiv betrachten soll, dann das Werk besser erforscht werde und dem Künstler die göttliche Eingebung komme, dasz das Werk besser gemacht werde. Und er kann seinen eignen Lebenslauf erkennen und sein Produkt genieszen. Dann wird sein Nachbar auch den wahren Sinn seines Werkes verstehen.

Der Gedanke, das Entwerfen, Die Gestalten, ihr Bezug, Eines wird das Andere scharfen, lind am Ende sei genug! Wohl erfunden, klug ersonnen, Schon gebildet, zart vollbracht So von jeher hat gewonnen Künstler kunstreich seine Macht.

Dann die dritte Strophe :

Wie Natur im Vielgebilde Einen Gott nur offenbart, So im weiten Kunstgefilde Webt Ein Sinn der ewgen Art; Dieses ist der Sinn der Wahrheit, Der sich nur mit Schönem schmückt, Und getrost der höchsten Klarheit Hellsten Tags entgegenblickt.

Wie im vorigen Kapitel gesagt, die Vielfältigkeit der Natur ist nichts anders als die Offenbarung Eines Gottes, ebenso auch in der Mannigfaltigkeit der Kunst, der zweiten Natur, ist Ein ewiger Sinn. Das ist der Sinn der Wahrheit, und diese Wahrheit mit Schönem zu schmücken, ist die Kunst; wenn Gottes Sinn auf die Kunst wirkt, dann wird sie ein schönes weltliches Evangelium, ein mit den Schönem geschmückte Wahrheit. Hier ist die wichtigste Aufassung Goethes über Kunst. Dasz die echte Kunst noch etwas Göttliches haben musz, wurde schon in 'Italienische Reise' betrachtet. Auch hier

— 40 — wird das 'paradox', wie Wilhelm sagte, ausgedrückt. Die echte Kunst ist das weltliche

Evangelium, und sie ist wie die höchste Klarheit des hellsten Tags, der durch das Licht

Christi beleuchtet wird. Christus, der der Gott gewoden ist, blickt ihr getrost von Him- mel.

Wie beherzt in Reim und Prose Redner, Dichter sich ergehen, Soll des Lebens heitre Rose Frisch auf Malertafel stehen; Mit Geschwistern reich umgeben, Mit des Herbstes Frucht umlegt, Dasz sie von geheimem Leben Offenbaren _Sinn erregt.

Der Herr war, solange Er auf Erden wohnte, als Redner und als Dichter in der Welt ohnegleichen, und Er offenbarte am höchsten die Liebe Gottes. Sein herrliches Evangelium der Liebe gab der Menschheit in der Welt das ewige Leben. Nämlich kann man denken,.

Religion und Kunst erreichten in Christo die höchste und vollkommenste Einigkeit. Von diesem Christo beherzt, der im höchsten Sinne der echte Künstler gewesen war, soll der

Künstler nach der echten Kunst bestreben. In dieser Strophe wird der Gegenstand gezeigt, der von Künstler gedichtet oder gemalt werden soll; der ist des Lebens heitre Rose, das gemalt werden soll, dasz der offenbare Sinn erregt werde. Wir können nicht vergessen, das Rose sei das Symbol der vom Himmel kommenden Liebe gewesen und zugleich kommem wir darauf, dasz das Kreuz, die mit Chrrsti Blut bedeckte Opfersäule,. in 'Geheimnis' mit diesem Rose bedeckt worden war. So bedeutet des Lebens heitre

Rose den Herrn Christus als das Symbol des Lebensquelle, der Liebe. Die echte Künstl- er soll sich dazu berufen, was diese Liebe das Herrn den Menschen gelehrt, gezeigt und gebracht hatte deutlich zu kundigen.

Tausendffach und schön entfliesze Form aus Formen deiner Hand, Und im Menschenbild geniesze, Dasz ein Gott sich hergewandt, Welch ein Werkzeug ihr gebraucht, Stellet euch als Brüder dar, Und gesangweis flammt und rauchet Opfersäule vom Altar."

Wer diesen Beruf als Künstler gewahr geworden ist, der soll unermüdlich die schönen

— 41 — Gestalten produzieren. Die Produzierung des Künstlers führt zu der des Gottes. Durch die Produzierung des Gottes kam der Mensch ,hervor, der das Meisterwerk Des Gottes war, und, um diesem Menschen das ',Ewige Leben 'zu geben, hatte der Gott sich ins Men- schenbild hergewandt und war Christus geworden. Diese Menschwerden Gottes ist das bedeutendste und geheimnisvolle Tat Gottes. Der Gott zeigte dem Menschen im menschl- ichen Bild Christi das hochste Musterbild. Also die echten Künstler sollen dem Musterbild Christi nach mit brüderlich gemeinschaftlicher Tat die echte Kunst produzieren. Das erfreut den Herrn wahrlich und vermehrt des Herrn Glorie noch mehr. Am Ende dieses Paragraphen mochten wir hinzusetzen, 'Wilhelm Meister' sei die innere Welt Goethes ausserlich, besonders die künsterlische Seite betonend, symbolisch ausgedruckt, während 'Faust' sei die dramatische Dichtung, die die innere Welt Goethes innerlich, poetisch, besonders die religiose Seite betonend, symbolisch ausgedruckt.

AM ENDE

Wenn die Wahrheit und die Dichtung für Goethe wie oben gesagt waren, so möchte -wir sagen können, dasz Goethe kein lauter Meisterdiehter war, sondern das Lichtskind, das von dem Herrn Christo geliebt wurde und in dem Licht ging. Das merkte Goethe selbst und das stellte er in den Gedichten dar, darin er den parsischen Dichter Hafis lobte, den Goethe verehrt und geliebt und sogar fur seinen Zwilling gehalten hatte; er sang mit bescheidenem Selbstverauen diesen Dichter. Nach der Beschreibung Goethes von 'Noten und Abhandlungeu' für ‘Divan', dieser Dichter Hafis lehrte als der ;treue Schutzer der Lehre Mohammeds, als Scheich, und liebte und ehrte den Gott, den Mohammed gelehrt hatte, und wurde von seinem Gott geliebt. Aus dieser Beschreibung Goethes wollen wir noch die folgende Worte anführen; "Die reine Überzeugung, dass man den Menschen nur alsdann behagt, wenn man ihnen vorsingt, was sie gern, leicht und bequem hören, wobei man ihnen denn auch etwas Schweres, Schwieriges, Unwillkommenes gelegentlich mit unterschieben darf." Auch unsrem Dichter Goethe, der mit solchem Dichter Hafis Kon- kurrenz machen wollte, war es so wichtig wie sein Leben, als der treue Schutzer und Verbreiter seines Herrn Christi Evangeliums, den Herrn zu ehren ;und zu lieben, und von Ihm geliebt zu werden. Goethe, wie Hafis getan hatte, hatte in seinen Werken gelegentlich mit das Feuer untergeschoben; das Feuer, das der Herr auf diese Erden angezündet hatte und das Goethe von Ihm verliehen worden war. Das hatten wir in seinen Werken schon

— 42 — gesehen. Hier anführen wir noch ein Gedicht :

Und mag die ganze Welt versinken Hafis mit dir, mit dir allein Will ich wetteifern! Lust und Pein Sei uns, den Zwingilingen, gemein! Wie du zu lieben und zu trinken, Das soll mein Stolz, mein Leben.

Nun töne Lied mit eignem Feuer! Denn du bist älter, du bist neuer." ('Unbegrenzt')

Wenn man obige Verse läse, so hätte man keinen Zweifel daran, wie tief Goethe den Herrn liebte und wie er leben wollte als der Verbreiter des Evangeliums Christi. Von Kindheit bis zu Jugendzeit, von Jugendzeit bis zu hohen Alter hatte Goethe immer im seligen Licht Gottes gelebt er war der Gnade Gottes wert gewesen. Können wir Goethes Seligkeit in dem Gedicht : 'Um Mitternacht' erkennen :

" Um Mitternacht ging ich , nicht eben gerne, Klein, kleiner Knabe, jenen Kirchhof hin Zu Vaters Haus, des Pfarrers; Stern am Sterne, Sie leuchten doch alle gar zu schön; Um Mitternacht.

Wenn ich dann ferner, in des Lebens Weite, Zur Liebste muszte, muszte, weil sie zog, Gestirn und Nordschein über mir im Streite, Ich gehend, kommend Seligkeit sog; Um Mitternacht.

Bis dann zuletzt des vollen Mondes Helle So klar und deutlich mir ins Finstre drang, Auch der Gedanke willig, sinnig, schnelle Sichs ums Vergangene wie ums Künftige schlang: Um Mitternacht."

Dasz Goethe zu diesem Gedichte tiefe Neigung hatte, kann man bei Goethes Gespräch mit Eckermann wissen; am 14. Jannar 1827 sagte Goethe:" ... das Lied: Um Mitternacht hat sein Verhältnis zu mir nicht verloren, es ist von mir noch ein lebendiger Teil und lebt mit mir fort." Die erste Strophe dieses Gedichtes zeigt die Gemütszustand Goethes als ein kleines Kind. Damals strahlte sein Wesen vor dem Licht Gottes, ob gleich er

—43 -- das noch "nicht gewuszt hatte. Der Kehrreim: 'Um Mitternacht' bedeutet die Phase der Zeit Goethes, die ihm dunkel wie Mitternacht schien, weil die Welt das echte Bild und_

Geist Christi nicht gehabt hatte. Die zweite Strophe zeigt sein Gemütszustand als Jugend.

Der Junge Goeths erfahrte die Liebe, die ihn zur Seligkeit zog; sein Gemüt wurde mit dem helleren und stärkeren seligen Licht gefüllt, ob gleich die Welt noch im Dunkel blieb..

Was in dieser Strophe als die 'Liebste' gezeigt wurde, das war, wie Goethe in ‘Tasso'' getan hatte, das Symbol, das sinnbildlich das Edelste dargestellt hatte; das alles, was, Goethe von Christo gegeben worden war. Die dritte zeigt den Gemütszustand des reifen

Goethes. Der Gemütszustand damaligen Goethes als ein Entsagender war ihm klar wie

Vollmond gewesen. Das sonnenhelle Licht Christi hatte ihn beleuchtet und gesegnet, so- dass sein Gemütszustand war mit Jahren immer klarer geworden —wie Stern, wie Nord- schein und wie voll Mond. Er hatte der Seligkeit voll Gottes Licht dieser Gemütszustand zu verdanken, und noch mehr, diese Seligkeit hatte ihm die Kraft gegeben, die ihm es moglich gemacht hatte, von dem Leiden für die Dunkelheit der Welt nicht unterworfen zu_ werden. So denkt Goethe an Kindheit, Jugend und Alter an, und erkennt, der Keim in. kleinem Kind Goethe sei unter der Führung der unsichtbaren Hand zu groszen Baum gewachsen. Dann rnüszt er von ganzem Herzen die tiefe Bedeutung und die groszen Freude, die von seinem Leben erzeugt wurden, gefühlt haben. Und doch der Welt war immer noch im Dunkel geblieben! Wir können vermuten, wie tief Goethe gerührt gewesen sei. Wahrlich, er war der eine, der von dem Herrn Christo ausgewählt und von Ihm erhascht worden war.

Wer konnte damals dieses von dem Licht Gottes gestrahlten Gemutszustand Goethes verstehen? Wieviel gaben es, die die wahre Absicht seiner Werke erfassen gekonnt haben?

Die damalige Welt hatte ihn als Heide getadelt, seine Glauben nicht verstanden und sein wahre Wesen miszgebildet. Gegen die dunkle Phase damaliger Welt möchte Goethe von Trauer und Zorn ergriffen worden sein. Aber mit dem Alter hatte er seine Sinne und

Gesinnung den vielen Werken übergelassen—in der Erwartung, dasz die Nachwelt ihn

verstehen können. Diesen Prozesz zeigt das folgende Gedicht :

"Mich nach -und umzubilden, miszzubilden Versuchten sie seit vollen fünfzig Jahren; Ich dachte doch, da konntest du erfahren, Was an dir sei in Vaterlandsgefilden. Du hast getollt zu deiner Zeit mit wilden, Dämonisch genialen jungen Scharen, Dann sachte schlossest du von Jahre zu Jahren

— 44 — Dich näher an die Weisen, Göttlich-Mildlichen." (Von `Divan' : aus dem Nachlasz.)

Diese Weisen, diese Göttlich - Milden bedeuten die Leute, die nach Christo gefolgt hatten. Goethe erkannte, dasz er sich nach der Produzierung des weltlichen Evangeliums immer strebend an diese Weisen, diese Göttlich - Milden näher geschlossen hatte. Also konnte er in seinen letzten Jahren (am 5. April 1830) vor dem Kanzler Fr. von Müller standhaft manifestiern, er allein sei der wahre Christen, ob gleich die Welt ihn einen Heiden nenne. — Ende —

— 45 —