INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort Kulturlandesrat Helmut Bieler ...... 4

Einleitung ...... 5

Pia Bayer Burgenländische Landespolitik 1928–1933...... 6

Pia Bayer, Dieter Szorger Das Burgenland im Ständestaat 1933–1938 ■ Die politische Entwicklung ...... 16 ■ Der 12. Februar 1934 ...... 23 ■ Die Organisationsstruktur der Vaterländischen Front ...... 31 ■ Die Arbeiterbewegung im Untergrund...... 35 Der Beginn der politischen Verfolgung Der Aufbau der Untergrundorganisation der Revolutionären Sozialisten und Kommunisten Die Volksfront gegen Hitler ■ Die Entwicklung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) . . 43

Pia Bayer, Dieter Szorger Die Machtergreifung der Nationalsozialisten ■ Die Anatomie der Machtergreifung ...... 54 ■ Der Beginn der Verfolgungsmaßnahmen...... 66 Die erste Verhaftungswelle Das NS-Terrorsystem Die NSDAP Die Geheime Staatspolizei () Die -Außenstelle (SD) Eisenstadt Die Kriminalpolizei (Kripo) Die Opfer der politischen Verfolgung Die Verfolgung der jüdischen Burgenländer Die Verfolgung der burgenländischen Roma ■ Die Volksabstimmung vom 10. April 1938 ...... 85 ■ Die Auflösung des Burgenlandes ...... 95

Dieter Szorger Biografien führender burgenländischer Nationalsozialisten ...... 97

Zeittafel 1928–1938...... 104

Literaturverzeichnis...... 110

Danksagung ...... 113 VORWORT

Sehr geehrte Damen und Herren!

er kennt sie nicht, jene Propa- genstaatlichkeit hinnehmen. Das Burgen- gandafilme aus den 30er Jah- land verlor seine Selbstständigkeit, wurde Wren des vorigen Jahrhunderts? aufgeteilt und verschwand von der Land- Zu sehen ist meist ein kleiner Diktator auf karte. ein Podest gestellt vor einer großen Men- Intoleranz und Chauvinismus führten schenmenge, die ihm freudig zujubelt. Die Österreich in jene Sackgasse, die in den An- kleinen Männer Hitler, Mussolini, Dollfuß schluss von 1938 und in den Zweiten Welt- gewannen durch die Massen an Größe. Die krieg mündete. Die Hoffnungen vieler zu- jubelnden Menschenmengen sollten jene nächst jubelnder Menschen wurden ebenso Einigkeit des Volkes demonstrieren, von zunichte gemacht wie das Leben Tausender der ein großer Teil der Bevölkerung auf Gegner der beiden Diktaturen. Grund ihrer politischen Überzeugung so- Die Geschichte unseres Landes von 1928 wie ihrer ethnischen und religiösen Her- bis 1938 soll daher als Mahnung für heu- kunft ausgeschlossen wurde. tige Generationen aufgearbeitet und ver- Der Weg zum von 1938 mittelt werden. Ähnliche Verhältnisse wie wurde vorbereitet durch das systematische damals dürfen in einer modernen Demo- Ausschalten Andersdenkender. Der diktato- kratie ebenso wenig Platz haben wie Kriege rische christlichsoziale Ständestaat austrofa- in der Europäischen Union als größtem schistischer Prägung führte ab 1934 Verhaf- Friedensprojekt auf unserem Kontinent. To- tungen durch. Der junge österreichische leranz, Gesprächsbereitschaft und das Ak- Staat war jedoch nicht in der Lage, sich ge- zeptieren anderer Meinungen sind jene genüber den Annexionsbemühungen von Grundlagen, auf denen Österreich nach Nazi-Deutschland zu behaupten und 1945 wiedererrichtet wurde. Wir müssen musste in der Folge den Verlust seiner Ei- auch in Zukunft ihre Gültigkeit bewahren.

Helmut Bieler Kulturlandesrat

4 EINLEITUNG

ie Dekade von 1928 bis 1938 später – als Resultat des 12. Februar 1934 hat die Republik Österreich und – wurde sie verboten und 38% der Burgen- Ddas Land Burgenland nachhaltig länder verloren ihre politische Heimat. geprägt. Eine hartnäckige Wirtschaftskrise An die Stelle der politischen Parteien und die zwei Bürgerkriege des Jahres 1934 trat die „Vaterländische Front“. Sie ver- machten das Land sturmreif für den Natio- mochte die in sie gesteckten Hoffnungen – nalsozialismus. über ideologische Grenzen hinweg Sam- melbewegung für alle patriotischen Öster- Nach dem politischen Verständnis der reicher zu werden – nie zu erfüllen. Die handelnden Personen war das Einschlagen Sozialdemokraten blieben ihr weitestge- eines autoritären Kurses ein zeitgeistiger hend fern und die Nationalsozialisten ver- Lösungsansatz zur Bewältigung der politi- suchten sie zu instrumentalisieren. schen Krisen, und Österreich befand sich damit in guter Gesellschaft. Italien und Nach nur 17 Jahren seines Bestehens Deutschland hatten den Weg vorgezeich- und ohne die Chance einer politischen, net und in der Zwischenkriegszeit faschis- wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen tische Systeme etabliert. Konsolidierung verschwand das Land am Zu einer Zeit, als das Parlament in Wien 15. Oktober 1938 von der politischen sich bereits längst „selbst ausgeschaltet“ Landkarte. hatte (4. März 1933), warnten namhafte Sozialdemokraten in den letzten Landtags- Die Geschichte des Burgenlandes in der sitzungen vor dem Bürgerkrieg, den Weg Ersten Republik war geprägt von Phasen des demokratischen Miteinander nicht zu des Konsenses und Konflikten, von Aufbau verlassen. Ein letztes Mal bot sich die Sozi- und Zerstörung, von Verfolgung und Wi- aldemokratie als Kampfgefährte gegen den derstand. Der Weg führte direkt in den Nationalsozialismus an. Wenige Wochen „Anschluss“ des Jahres 1938.

Auf Grund der besseren Lesbarkeit wurden geschlechtsneutrale Formulierungen unterlassen.

5 BURGENLANDISCHE LANDESPOLITIK 1928-1933

„Den entscheidenden Sieg über die Sozialdemokraten kann nur die ‚Christlich- soziale Partei-’ erringen. Jeder, der die kleinen Splitterparteien wählt, der trägt dazu bei, daß in unseren Gemeinden und im ganzen Lande die Sozial- demokraten ihren schädigenden Einfluß beibehalten. Wenn dieser Einfluß uns nicht paßt, so sollen wir nicht schimpfen, sondern uns gegen die Sozialdemo- kraten stellen und nicht die kleinen Parteien unterstützen, die nur den Sozial- demokraten Schützendienst leisten (…).“

Wahlpropaganda der „Christlichsozialen Partei-Heimwehr“ für die Landtagswahl am 9. November 1930

BURGENLÄNDISCHE LANDESPOLITIK 1928–1933 on den „Schüssen von Schatten- ton Schreiner, der nach der Demission Jo- dorf“ 1927 bis zu den Jahren sef Rauhofers am 10. Jänner 1928 ins Amt V1933/34 vollzogen sich in Öster- gewählt worden war, im Juni 1929 ein all- ein Prozess der systematischen Zer- gemeines Aufmarschverbot mit folgender schlagung der Demokratie und eine zuneh- Begründung: mende Radikalisierung der Innenpolitik, die letztendlich 1934 in einen Bürgerkrieg „Da sich in letzter Zeit in vielen Orten und zur Ermordung des amtierenden Bun- anlässlich von Aufmärschen arge Ruhestö- deskanzlers Dr. Engelbert Dollfuß führte. rungen ereignet haben, die auch von der Obwohl die burgenländische Landespoli- Verletzung von Menschenleben begleitet tik – traumatisiert durch das Ereignis von waren und die Länder Wien und Nieder- Schattendorf – gewillt war, den „politi- österreich Aufmarschverbote erlassen ha- schen Kampf mit geistigen Waffen auszu- ben, somit die Wahrscheinlichkeit besteht, tragen“ (Zitat Ludwig Leser), war sie damit dass das Burgenland infolge seiner Lage konfrontiert, dass immer mehr Wehrver- das Aufmarschgebiet der verschiedenen bände gegründet wurden und sich somit Selbstschutzverbände werden könnte, der Kampf unweigerlich auf die Straße ver- wäre – um die Ordnung und Ruhe im lagerte. Die ersten Zwischenfälle zwischen Lande zu erhalten, gleichfalls ein Auf- dem Republikanischen Schutzbund und marschverbot zu erlassen. den Heimwehren ereigneten sich im Okto- Um angesichts des in der Sommerzeit ber 1928. Da weitere Auseinandersetzun- zu gegenwärtigen Fremdenzustromes et- gen folgten, erließ Landeshauptmann An- waige Ruhestörungen, die sich aus Anlass

6 BURGENLANDISCHE LANDESPOLITIK 1928-1933

von öffentlichen Aufmärschen u. dgl. er- demissionierte Schreiner aus „persönlichen geben könnten, hintanzuhalten, sowie um Gründen“. Ihm folgte am 24. Juli 1929 der Störungen des Wirtschaftslebens in der Neusiedler Pfarrer Prälat Johann Thullner Zeit des gesteigerten Verkehrs und der ins Amt. Ernte zu verhindern, werden die Herren Foto: BLA Leiter der Bezirkshauptmannschaften und der Herr Leiter des Polizeikommissariates in Eisenstadt (…) angewiesen, alle Auf- märsche uniformierter Selbstschutzver- bände (…) in militärischer Ordnung unter freiem Himmel sowie alle Versammlungen unter freiem Himmel (…) vom 16. Juni bis 15. September 1929 zu untersagen.“

Die Regierung Schreiner war trotz der zunehmenden wirtschaftlichen Schwierig- keiten die stabilste und eine der erfolg- reichsten burgenländischen Regierungen während der Ersten Republik. Allerdings scheiterte sie an ihrer größten Aufgabe: der Bodenreform. Mitten in diesen Debatten Landeshauptmann Johann Thullner Foto: BLA 24. Juli 1929 – 10. Dezember 1930

In Thullners Amtszeit fällt die Schluss- steinlegung des Landhauses in Eisenstadt am 14. Dezember 1929. Der feierliche Einzug der Landesregierung in die neuen Räumlichkeiten erfolgte schließlich am 31. März 1930.

Das Jahr 1930 brachte für die burgenlän- dische Heimwehrbewegung eine Wende, die vom Landesführer Franz Binder durch seine Weigerung, den „Korneuburger Eid“* zu leisten, eingeleitet wurde. Binder Landeshauptmann Anton Schreiner legte seine Stellung als Landesführer nie- 10. Jänner 1928 – 24. Juli 1929 der, sein Nachfolger wurde der bisherige 10. Dezember 1930 – 28. Oktober 1931 Stellvertreter Michael Vas, der bereit war,

7 BURGENLANDISCHE LANDESPOLITIK 1928-1933

Foto: BLA

Schlusssteinle- gung des Land- hauses in Eisen- stadt, 14. Dezem- ber 1929, von li. nach re.: LAD Dr. Karl Heger, LH Johann Thullner, LH-St. Ludwig Leser. den Eid auf das faschistische Programm ab- der Christlichsozialen Partei und den Heim- zulegen. Im Zuge der Diskussion über das wehren waren nicht mehr zu übersehen Korneuburger Heimwehrprogramm kam es und hatten auch ihre Auswirkungen auf die zu einer Aufsplittung der Heimwehrbewe- bevorstehenden Landtagswahlen. gung in einen christlichsozialen und einen Die letzte Landtagswahl im Burgenland nationalen Flügel. Diese Aufspaltung führte vor der Zerschlagung der Demokratie fand dazu, dass den Christlichsozialen der Ein- am 9. November 1930 statt, gleichzeitig fluss auf die Heimwehren zunehmend zu wurden auch Nationalratswahlen abgehal- entgleiten drohte. Die Reibungen zwischen ten. Im Vorfeld dieser Wahl hatte sich das Foto: BLA

Bundespräsident Wilhelm Miklas (10. Dezember 1928 – 13. März 1938) wurde zur Begrüßung ein Blumenstrauß überreicht.

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Parteienspektrum des Burgenlandes erwei- len zustand, zeigte sich, dass einerseits tert: Erstmals kandidierten nun auch die die Fronten zwischen den beiden Groß- Nationalsozialisten, der nationale Teil der parteien festgefahrener als je zuvor wa- Heimwehr – vorwiegend die beiden nördli- ren, andererseits trat innerhalb der Christ- chen Bezirke – unter der Bezeichnung lichsozialen Partei ein „Generationskon- „Heimatblock“ und die Kommunistische flikt“ zu Tage, demnach die Jüngeren wie Partei. Die Christlichsoziale Partei bildete Dipl. Ing. Hans Sylvester, Lorenz Karall mit der offiziellen Heimwehr unter Vas oder Johann Wagner – bereits von faschis- eine Einheitsliste mit der Bezeichnung tischen Zeittendenzen erfasst – den älte- „Christlichsoziale Partei und Heimwehr“. ren Taktikern eine zu moderate Haltung Der Landbund und die Großdeutsche Par- gegenüber den Sozialdemokraten vorwar- tei traten gemeinsam als „Nationaler Wirt- fen. Schließlich wurde Anton Schreiner schaftsblock und Landbund“ auf. mit den Stimmen aller Parteien zum Lan- deshauptmann gewählt. Sein Vorgänger Die Wahl brachte im Burgenland nur ge- Thullner erhielt den Posten des 1. Land- ringfügige Veränderungen. Die Christlichso- tagspräsidenten, Ludwig Leser bekleidete zialen verloren an die 2300 Stimmen ge- erneut das Amt des Landeshauptmann- genüber der „Einheitsliste“ 1927, behielten stellvertreters. aber ihre 14 Mandate im Landtag. Die Sozi- aldemokraten verloren an die 4500 Stim- Am 3. Mai 1931 fanden Gemeinderats- men, konnten aber ihren Stand von 1927 wahlen statt, die besonders aus nationalso- mit 13 Mandaten ebenso halten wie der zialistischer Sicht interessant erscheinen: Landbund mit 5 Mandaten. Auf Bundes- Während die Nationalsozialisten ein halbes ebene hingegen verloren die Christlichso- Jahr zuvor nur bescheidene 0,7% der Stim- zialen 7 Mandate, während die Sozialde- men errungen hatten, verstärkte die Partei mokraten mit einem Gewinn von 3 Man- im Zuge der Wahlwerbung ihre Aktivitäten daten zur stärksten Partei im Parlament und konnte bei diesen Wahlen, in all jenen wurden. Leer hingegen gingen der Heimat- Orten, in denen sie kandidierte, mindes- block (2,3%), die Nationalsozialisten (0,7%) tens ein Mandat erreichen. In Mönchhof ebenso wie die Kommunisten (0,4%) aus. wurde die NSDAP auf Anhieb stimmen- Das Ergebnis der Wahl dokumentierte stärkste Partei und stellte bis zum Verbot deutlich, dass die beiden großen traditio- im Juni 1933 sogar den Bürgermeister. nellen Parteien die Mehrheit der Wähler Auf Landesebene stand nach nur zehn hinter sich und die offen faschistischen Monaten erneut die Wahl eines Landes- Verbände zu diesem Zeitpunkt noch kei- hauptmannes an, nachdem Anton Schrei- nen wesentlichen Rückhalt in der Bevölke- ner am 5. Oktober 1931 zurückgetreten rung hatten. war. Und wie wenige Monate zuvor er- Bei der Wahl des Landeshauptmannes, folgte auch diese Wahl unter erstarrten dessen Nominierung den Christlichsozia- Fronten: Die Christlichsozialen waren

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Quelle: BLA

Wahlbroschüre der Christlichsozialen Partei-Heimwehr für die Wahl am 9. November 1930.

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Foto: BLA ten zur Wahl, sondern beharrten auf Jo- hann Thullner, der von den Sozialdemo- kraten hartnäckig abgelehnt wurde. Auf Betreiben Ludwig Lesers – und parteiin- tern nicht unumstritten – setzte sich die Sozialdemokratische Partei daraufhin mit dem Landbund in Verbindung und wählte mit diesem am 25. November 1931 Dr. Al- fred Walheim zum neuen Landeshaupt- . Mit diesem Schachzug hatte Leser die Christlichsozialen zunächst überrollt, bis Walheim aber selbst auf die Linie der Christlichsozialen Partei einschwenkte. Mit seiner Hilfe war es den Christlichsozia- len möglich, die Sozialdemokraten mit ei- ner Zweidrittelmehrheit zu überstimmen.

All diese Ereignisse standen bereits unter dem gewaltigen Druck der hereinbrechen- Landeshauptmann Dr. Alfred Walheim den Weltwirtschaftskrise. Die Zahl der vor- (25. November 1931 – 18. Februar 1934). gemerkten Arbeitslosen im Burgenland, die 1929 noch im Durchschnitt um die 4600 nicht mehr bereit, mit den Sozialdemokra- betragen hatte, erhöhte sich 1932 und ten einen Kompromiss einzugehen und 1933 auf über 8000 und somit an die 75%. stellten nicht wie bisher mehrere Kandida- Besonders schwer betroffen waren die Bau- Foto: Gemeindearchiv Hornstein

Ein „Heer“ von Arbeitslosen vor dem Arbeitsamt in Eisenstadt, um 1935.

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arbeiter, die in den benachbarten Bundes- erreicht mit 31. Juli 1932 eine im Burgen- ländern, vor allem in Wien, ihre Arbeits- land noch nie verzeichnete Höhe von plätze verloren, da die Unternehmer ver- 3333, darunter 285 Frauen. Gegenüber pflichtet waren, den Bedarf an Arbeitern dem 15. März 1931 bedeutet dies eine vorrangig durch örtliche Arbeitslose zu de- Steigerung von 30%.“ cken. Die Zahl der „Ausgesteuerten“, also jener Menschen, die den im Gesetz vorge- Auch das dörfliche Kleingewerbe und sehenen Zeitraum für die Arbeitslosenun- die Landwirtschaft blieben von der Wirt- terstützung überschritten hatten und die schaftskrise nicht verschont. Die politische nur noch Notstandshilfe bekamen, wuchs Konsequenz zeigte sich in einem immer rasant an. Bereits 1931 übertraf in vielen stärkeren Abbröckeln der etablierten politi- Gemeinden die Zahl der Arbeitslosen jene, schen Parteien, während die Nationalsozia- die noch eine Beschäftigung hatten. listen einen regen Zulauf verzeichnen Die Burgenländische Freiheit vom 13. Au- konnten. Darüber hinaus häuften sich die gust 1932 berichtet: Zusammenstöße zwischen den einzelnen „Der Stand der Notstandshilfe-Bezieher Wehrformationen.

Quelle: BLA – Lage- und Vorfallenheiten

Behördliche Genehmigung für die Abhaltung des „Deutschen Tages“ mit Programmbeschreibung.

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Foto: BLA

SA-Aufmarsch am 3. Juli 1932 durch die Hauptstraße in Eisenstadt. Am 2. und 3. Juli 1932 veranstalteten Die Burgenländische Sozialdemokrati- die Nationalsozialisten in Eisenstadt einen sche Landespartei antwortete darauf eine so genannten „Deutschen Tag“, in dessen Woche später mit einem Großaufmarsch Verlauf es zu schweren Zusammenstößen des Republikanischen Schutzbundes und mit dem Republikanischen Schutzbund einer Massenkundgebung auf dem Haupt- kam. Die Nationalsozialisten stürmten die platz in Eisenstadt, an dem an die 2500 Parteizentrale der Sozialdemokratischen Ar- Menschen teilnahmen. Zu den Gastrednern beiterpartei (SDAP) und verletzen Ludwig gehörten Dr. Otto Bauer, Dr. Julius Deutsch, Leser. Stadtrat Paul Speiser und Ignaz Till. Foto: BLA

Ludwig Leser wurde am 3. Juli 1932 im Partei- haus in Eisenstadt von SA-Männern zusammen- geschlagen.

13 BURGENLANDISCHE LANDESPOLITIK 1928-1933

Foto: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung

Großveranstaltung des Republikanischen Schutzbundes in Eisenstadt, 10. Juli 1932. Dr. Otto Bauer (Mitte) hält eine Rede, die Brüstung der Rednertribüne ist von einem Transparent mit der Aufschrift „Freundschaft“ geziert.

Am 2. Juli 1933 fand in Eisenstadt eine ter der christlichsozialen Heimwehrorgani- große vaterländische Kundgebung vor dem sationen mit ihren neuen Fahnen (…) er- Landhaus statt, an der auch Bundeskanzler schienen (…). Ferner waren noch zahlrei- Dr. Engelbert Dollfuß teilnahm. Die Bur- che andere uniformierte Organisationen genländische Heimat berichtete darüber: erschienen, die Frontkämpfer, die Sturm- „Aus allen Teilen des Landes waren un- scharen, die Turnerschaft, die Reichsbünd- gefähr 12.000 Männer und Frauen (…) ler. Sehr zahlreich war auch die Teilnahme erschienen (…). Aus den Bezirken rund aus den von Kroaten bewohnten Gemein- um den Neusiedler See waren 4 Regimen- den des nördlichen Burgenlandes.“

14 BURGENLANDISCHE LANDESPOLITIK 1928-1933

Fotos: BLA

Kundgebung der Vaterländischen Front vor dem Landhaus in Eisenstadt, 2. Juli 1933, anwesend auch Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß.

* Die wichtigsten Stellen des Korneuburger Eides vom 18. Mai 1930 lauten: „Wir wollen nach der Macht im Staate greifen und zum Wohle des gesamten Volkes Staat und Wirtschaft neu ordnen (…). Wir verwerfen den westlichen demokratischen Parlamentarismus und Parteienstaat! Wir wollen an seine Stelle die Selbstverwaltung der Stände setzen (…). Wir kämpfen gegen die Zersetzung unseres Volkes durch den marxistischen Klassenkampf und liberalkapitalistische Wirtschaftsgestaltung (…).“

15 DAS BURGENLAND IM STANDESTAAT 1933-1938

„Zwei Dritteilen des Volkes in dieser Republik wird von der Regierung die Frei- heit geraubt (…). Jeden Tag kann man es erleben, daß durch einen Regierungs- erlaß ein Stück der Verfassung nach dem anderen von dieser Regierung verge- waltigt wird (…). Wenn sie jetzt mit Notverordnungen, mit Terrorakten gegen uns vorgehen, (...) damit werden Sie uns nicht unterkriegen, auch nicht mit der Drohung von Konzentrationslagern! Wir werden für die Idee der Freiheit, die wir meinen, für die Freiheit der Menschheit kämpfen gegen die Mächte, die heute in Österreich und in Europa faschistisch sind!“

Aus einer Rede von SDAP-Abg. Hans Bögl in der Landtagssitzung vom 22. Juni 1933

DIE POLITISCHE ENTWICKLUNG

ie Entscheidungen der Jahre gung aller gewählten Vertretungen, in de- 1933/34, welche auf Bundes- nen noch Sozialdemokraten saßen. Am Debene von dem seit Mai 1932 26. Mai 1933 folgte das Verbot der Kommu- amtierenden Bundeskanzler Dollfuß getrof- nistischen Partei, am 19. Juni 1933 wurde fen wurden, änderten auch im Burgenland auch die NSDAP in Österreich verboten. die Situation von Grund auf. Am 4. März Anfang 1934 stießen in fast allen Bun- 1933 entledigte sich der Bundeskanzler desländern faschistische Verbände und Spit- des Parlaments, ohne dies zunächst selbst zenpolitiker vor, um die gewählten Landes- geplant zu haben. Mit der so genannten regierungen von Demokraten zu „säu- „Selbstauflösung des Parlaments“* begann bern“. Im Burgenland legten die Führer der die Umwandlung Österreichs in einen au- Vaterländischen Front (VF), der Burgenlän- toritären Ständestaat, den man im Mai dischen Landesschützen, des Österreichi- 1934 mit einer neuen Verfassung zu legiti- schen Heimatschutzes im Burgenland und mieren versuchte. der Ostmärkischen Sturmscharen Landes- Die Sozialdemokraten waren die ersten, hauptmann Walheim eine Resolution vor, die den neuen autoritären Kurs zu spüren in der sie eine Säuberung aller „Staats- bekamen. Ihre Presseorgane wurden zensu- feinde“ aus Landtag und Regierung, aus al- riert, Versammlungen verboten und am len Ämtern, Schulen sowie allen anderen 31. März 1933 wurde der Republikanische öffentlichen Institutionen forderten. Diese Schutzbund von der Regierung aufgelöst. Aufforderung erlangte allerdings keine Be- Der neue Kurs war eindeutig auf die Zer- deutung mehr, da die Ereignisse des 12. Feb- schlagung der Arbeiterbewegung ausgerich- ruars 1934 die Grundlage für viel weitrei- tet, als unmittelbares Ziel galt die Beseiti- chendere Maßnahmen schufen.

16 DAS BURGENLAND IM STANDESTAAT 1933-1938

Foto: BLA darauf, dass durch eine Ergänzung der Ver- ordnung auch alle jene Mandatare ihr Amt verloren, die mit den Stimmen der Sozialde- mokraten gewählt worden waren. Dies traf auf Landeshauptmann Walheim zu, der da- durch gezwungen war, zu demissionieren. Am 22. Februar 1934 folgte ihm Dipl. Ing. Hans Sylvester, Führer der Vaterländischen Front, als Landeshauptmann nach. Die Ge- meindevertretungen, die nun den Namen „Gemeindetag“ erhielten, mussten nach dem Ausscheiden der sozialdemokratischen Gemeinderäte umbesetzt werden. „Säube- rungen“ in weiten Bereichen des öffentli- chen Lebens führten für viele Sozialdemo- kraten zum Verlust ihres Arbeitsplatzes und damit zu massiven Existenzproblemen.

Quelle: BLA – Plakatsammlung Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß wurde am 25. Juli 1934 vom SS-Mann Otto Planetta im Bundeskanzleramt er- schossen. Am 12. Februar 1934 kam es zur Erhe- bung der seit Monaten gedemütigten und entrechteten Sozialdemokratie. Während es in den meisten Bundesländern, vor al- lem in Wien, zu schweren, blutigen Aus- einandersetzungen kam, gab es im Burgen- land nur vereinzelt Zwischenfälle. Als un- mittelbare Folge der Unruhen folgten noch am selben Tag das Verbot der Sozialdemo- kratischen Partei, die Auflösung aller ihrer Nebenorganisationen und das Erlöschen sämtlicher sozialdemokratischer Mandate in allen öffentlichen Körperschaften. Das Ausscheiden der Sozialdemokraten aus dem politischen Leben bewirkte große Plakat aus dem Burgenland zum Tod von Veränderungen vor allem auch im Hinblick Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß.

17 DAS BURGENLAND IM STANDESTAAT 1933-1938

Am 25. Juli 1934 besetzten SS-Männer Am 1. November 1934 trat (gemäß dem das Bundeskanzleramt, ohne auf Wider- Burgenländischen Landesverfassungsgesetz stand zu stoßen. Sie beabsichtigten den Mi- vom 16. Oktober 1934) die neue burgen- nisterrat zu verhaften, aber dessen Sitzung ländische Landesverfassung in Kraft, am war schon beendet, und sie trafen nur Bun- 11. November fand die erste Sitzung des deskanzler Dollfuß und Staatssekretär für burgenländischen ständischen Landtages das Sicherheitswesen Major an. statt. Dollfuß versuchte zu entkommen und wurde dabei erschossen. Die Putschisten Gemäß der neuen Verfassung sollte der wurden verhaftet und vor Gericht gestellt, Landtag für jeweils sechs Jahre gebildet sieben davon hingerichtet. Während der werden und aus dreißig Mitgliedern beste- Putsch in Wien von der SS vorbereitet und hen, die aus Vertretern der römisch-katho- durchgeführt wurde, war der Aufstand in lischen Kirche, der evangelischen Kirche, den Bundesländern eine Aktion der SA. des Schulwesens und der berufsständi- Zum Zentrum des Aufstands entwickelte schen Hauptgruppen ernannt werden soll- sich die Steiermark, darüber hinaus kam es ten. Der Landeshauptmann wird vom Bun- zu Erhebungen in Kärnten, und despräsidenten auf Grund eines Dreiervor- Oberösterreich. Am 26. Juli überfielen Na- schlages des Landtages, der Landesstatthal- tionalsozialisten das Zollhaus in Minihof-Lie- ter (Landeshauptmannstellvertreter) und bau im südlichen Burgenland. die Landesräte werden vom Landeshaupt- konnte aber abgewehrt werden, die nach mann ernannt. Ungarn geflüchteten Putschisten wurden den österreichischen Behörden überstellt. Der Aufbau der berufsständischen Ord- nung gelang im Wesentlichen nur bei den Das Jahr 1934 brachte auch für die noch Bauern. Ende 1935 beschloss der Land- verbliebenen Parteien das Ende: Im Frühjahr tag ein Gesetz über die Errichtung eines lösten sich der Landbund und die Großdeut- Berufsstandes der Land- und Forstwirt- sche Partei auf. Am 16. Oktober, im Zuge schaft, dessen Herzstück die Schaffung der letzten Landtagssitzung nach alter Ver- des Bauernbundes war. Im Bereich des fassung, kam es zur Selbstauflösung der Gewerbes wurden die Zünfte mit einem Christlichsozialen Partei des Burgenlandes. Zunftmeister an der Spitze geschaffen. Damit war die im Mai 1933 gegründete Va- Die Eingliederung der sozialdemokrati- terländische Front endgültig zum alleinigen schen Arbeiterschaft in den Ständestaat Träger der politischen Willensbildung gewor- sollte über die „Soziale Arbeitsgemein- den. Gemäß ihrem Programm verstand schaft“ (SAG) erfolgen, die im März 1935 sie sich als überparteiliche Zusammenfas- gegründet wurde und innerhalb eines Jah- sung aller regierungstreuen Österreicher und res auch im Burgenland in allen Landes- wandte sich gegen Kapitalismus, Marxis- teilen Bezirksstellen besaß. Als wesentli- mus, Nationalismus und Parteienherrschaft. ches Mittel des Legitimationsversuches

18 DAS BURGENLAND IM STANDESTAAT 1933-1938

Foto: BLA

Festsitzung der Vaterländischen Front im Landhaus: Ständischer Landtag und Landesre- gierung, anlässlich der Jubiläumsausstellung der Burgenländischen Landwirtschaftskam- mer, 1936. Landesregierung (sitzend): LH Dipl.Ing. Hans Sylvester (4. v. li.), Landesstatthalter Max Coreth (6. v. li.), LR Michael Berthold (7. v. li.), LR Dr. Karl Posch (8. v. li.), LR Dipl.Ing. Franz Strobl (9. v. li.); 1. Präsident (stehend) Michael Koch. des neuen Regimes diente das Schulsys- Um der Landwirtschaft billige Arbeits- tem. Lehrpläne, Unterrichtsbehelfe und kräfte zu verschaffen, beschloss der Landtag Schulbücher wurden ab 1934 konsequent im März 1936 ein Gesetz über die Kinder- an den neuen Zielen ausgerichtet, die mit arbeit, demzufolge Kinder ab „dem vollen- „religiös-sittlich, vaterländisch und sozial- deten 10. Lebensjahr zu leichten Arbeiten volkstreu“ umschrieben wurden. Im wie Viehhüten, Kartoffelklauben, Aufbinden März 1935 beschloss die Burgenländische von Weinreben, Abschneiden von Trauben Landesregierung die Auflassung der bei der Lese, Rübenvereinzeln (…) heran- Staatsvolksschulen im Burgenland – diese gezogen werden dürfen. Den Kindern soll wurden als konfessionelle oder Ge- im Winter eine Ruhezeit von zehn Stun- meinde-Volksschulen weitergeführt. Ab den, im Sommer von neun Stunden ge- 1936 setzte in den Schulen verstärkt eine währt werden (…). Außer Sonn- und Fei- merklich vormilitärische Jugenderziehung ertagen ist den Kindern im Monat ein voll- ein. kommen freier Tag zu gewähren (…).“

19 DAS BURGENLAND IM STANDESTAAT 1933-1938

1936 erfolgte die Schaffung einer Bur- In Eisenstadt wurde diese Rede in den genlandhymne im Rahmen eines Wettbe- überfüllten Sälen des Hotels „Weiße Rose“, werbes, initiiert von der Vaterländischen des Haydnkinos und der Arbeiterkammer Front. Am 22. Mai 1936 erklärte die Bur- gehört. Anschließend zogen die Teilneh- genländische Landesregierung die Hymne mer – an die 2500 Menschen – zum Doll- mit dem Text von Dr. Ernst Görlich in der fußplatz (heute Europaplatz) und zur Neu- Vertonung von Peter Zauner zur offiziellen siedlerstraße. burgenländischen Landeshymne. Weniger als einen Monat später ent- schied sich Bundeskanzler Schuschnigg zu Am 12. Februar 1938 traf Bundeskanz- einem weiteren Schritt, den Unabhängig- ler Dr. in keitswunsch Österreichs und damit eine Berchtesgaden. Das Berchtesgadener Ab- klare Absage an einen Anschluss an das kommen beförderte nicht nur den Natio- Deutsche Reich zu manifestieren: Am nalsozialisten Arthur Seyß-Inquart zum In- 9. März kündigte er eine Volksbefragung nenminister, sondern bewirkte auch eine für den 13. März 1938 an. Gegenstand der am 19. Februar 1938 verkündete General- Volksbefragung sollte das Bekenntnis sein amnestie für alle eingekerkerten National- für „ein freies und deutsches, unabhängi- sozialisten einschließlich der Juliputschis- ges und soziales, für ein christliches und ten. Darüber hinaus erhielten die National- einiges Österreich! Für Friede und Arbeit sozialisten die Möglichkeit zur legalen Be- und die Gleichberechtigung aller, die sich tätigung im Rahmen der Vaterländischen zu Volk und Vaterland bekennen!“ Front. Am 24. Februar 1938 hielt Bundeskanz- Die Volksbefragung sollte auf Grund der ler Schuschnigg in einer außerordentlichen gespannten Lage so rasch wie möglich Sitzung des Bundestages eine Rede, in der durchgezogen werden. Einer – durchaus er zu dem Treffen von Berchtesgaden Stel- realistischen – Einschätzung Schuschniggs lung bezog: zufolge sollen 25% der Bevölkerung für „Der deutsche Frieden nunmehr, wie ihn und somit gegen den Anschluss an das ich das getroffene Abkommen bezeichnen Deutsche Reich und ebenso 25% für Hitler möchte, legt neuerdings ausdrücklich de- gewesen sein, der Rest würde sich danach nen, die sich zu nationalsozialistischen richten „wie der Hase läuft“. Es kam somit Gedankengängen bekennen, die Wege frei darauf an, die entscheidenden Gegner Hit- zur Mitarbeit mit allen anderen, sofern ihr lers und die große Masse mit einem gewal- Bekenntnis in offenem und klarem un- tigen Propaganda- und Organisationsappa- zweideutig einbekanntem Einklang steht rat zu mobilisieren. mit den Grundsätzen der Verfassung Interessante Details aus der Kundma- (…).“ Die Rede beschloss der Bundes- chung zur Durchführung der Volksbefra- kanzler mit dem historischen Satz „Bis in gung im Landesgesetzblatt vom 11. März den Tod. Rot-Weiß-Rot! Österreich!“ 1938 sind unter anderem:

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„Der Ausschank von geistigen Geträn- auch eine verneinende Antwort, wird die ken ist am Vortage der Abstimmung und Abstimmung als bejahend gezählt.“ am Abstimmungstage bis zur Beendigung der Abstimmung allgemein verboten.“ Die Volksbefragung wurde schließlich „Diejenigen Personen, die mit „Nein“ nicht mehr abgehalten. Am 13. März 1938 zu stimmen wünschen, müssen einen wurde das Gesetz über die Wiedervereini- Zettel im Format von etwa 5 mal 8 cm gung Österreichs mit dem Deutschen mit dem Worte ‚Nein’ handschriftlich be- Reich verkündet – der „Anschluss“ war so- schreiben.“ mit vollzogen. „Dem Stimmberechtigten ist es gestat- In einigen abgelegenen Orten in Nie- tet, seinen Stimmzettel in einem Briefum- derösterreich und Tirol, in Fritzelsdorf, schlag abzugeben. Briefumschläge werden Kleinpertenschlag, Pehendorf, Groß-Ge- nicht beigestellt.“ rungs, Reitzenschlag und Innervillgraten „Wenn ein Briefumschlag mehr als ei- soll die abgesagte Volksbefragung den- nen Stimmzettel enthält, die Stimmzettel noch durchgeführt worden sein. In Inner- jedoch die gleiche Antwort geben, wird villgraten in Osttirol sollen 95 Prozent für nur eine Stimme gezählt. Enthalten die die Unabhängigkeit Österreichs gestimmt Stimmzettel sowohl eine bejahende, als haben.**

Quelle: BLA – Plakatsammlung

Propaganda der Vaterländischen Front für die Volksbefragung am 13. März 1938.

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Quelle: BLA – Plakatsammlung

Dr. Kurt Schuschnigg.

* Als am 4. März 1933 im Verlauf einer hitzigen Debatte im Nationalrat alle drei Nationalratspräsiden- ten – (SDAP), Rudolf Ramek (CSP) und der Großdeutsche Sepp Straffner – ihre Funktion zu- rücklegten, nützte Dollfuß diese Geschäftsordnungspanne, um das Parlament auszuschalten. Eine für 15. März einberufene Nationalratssitzung wurde von Dollfuß mit Polizeigewalt verhindert. Die Regie- rung Dollfuß regierte von nun an mit Notverordnungen auf Grund des kriegswirtschaftlichen Ermächti- gungsgesetzes von 1917!

** Diese Angabe ist nicht gesichert, da alle diesbezüglichen Dokumente unmittelbar nach der Wahl ver- nichtet wurden.

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„Der Sicherheitsdirektor für das Bundesland Burgenland hat im Einverständnis mit dem Präsidenten des Oberlandesgerichtes in Wien und mit dem Oberstaats- anwalt in Wien gemäß § 429 St.P.O das Standrechtliche Verfahren in den Fällen des Aufruhrs für das Gebiet des Bundeslandes Burgenland angeordnet.“

Verhängung des Standrechtes, 12. Februar 1934

DER 12. FEBRUAR 1934

ie Befürchtung des Bundespartei- Am 1. April folgten die ersten Durchsu- vorstandes der SDAP bezüglich chungen der Vereinslokale des Schutzbun- Deiner behördlichen Auflösung des und der Arbeiterheime. Das Bundespo- des Republikanischen Schutzbundes führte lizeikommissariat besetzte die Landeslei- schließlich am 26. März 1933 zur Um- tung in der Hauptstraße Nr. 5 in Eisenstadt wandlung der Wehrformation in eine und alle Bezirksorganisationen. Besonderes „Ordnerschaft“. Die Gruppierungen des Augenmerk wurde auf die ehemaligen Schutzbundes in ganz Österreich wurden „Hochburgen“ der Arbeiterbewegung, wie daraufhin auf die bevorstehende Auflösung Neufeld, Steinbrunn, Zillingtal, Siegendorf, vorbereitet und instruiert, alle nötigen Vor- Weppersdorf oder Neutal, gelegt. Die bur- kehrungen zu treffen. Als das behördliche genländischen Ortsgruppen waren darauf Verbot des Schutzbundes per Telefondepe- vorbereitet, so dass weder nennenswerte sche des Bundeskanzleramtes (Generaldi- Waffenbestände noch die Mitgliedskarteien rektion für die öffentliche Sicherheit) am beschlagnahmt werden konnten. Erst 31. März 1933 um 10.00 Uhr in Eisen- bei nochmaligen Hausdurchsuchungen, ca. stadt ankam, waren die burgenländischen zwei Wochen später, konnte die Gendar- Schutzbundgruppen längst damit befasst, merie erste Erfolge erzielen und eine statt- die Vereinskassen, Mitgliederlisten, Ver- liche Anzahl von Waffen und Ausrüstungs- einskorrespondenzen und vor allem die gegenständen beschlagnahmen. Waffen in Sicherheit zu bringen. In den Depeschen wurden die burgenlän- Für die Auflösung des Schutzbundes dischen Behörden von der Auflösung des wurde ein amtlicher Kurator eingesetzt, Schutzbundes im gesamten Bundesgebiet dessen primäre Aufgabe die Sicherung des offiziell informiert und die Schließung der Vereinsvermögens war. Der Wiener Jurist Vereinslokale befohlen. Die Waffenbestände Dr. Friedrich Bartl hatte dabei aber wenig waren sicherzustellen und das Tragen der Erfolg. Das beschlagnahmte Barvermögen Schutzbunduniform wurde untersagt. der Landes- und aller Bezirksstellen zusam-

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men betrug gerade einmal 15 Schilling. tigkeit des Schutzbundes größtenteils von Letzter Landesobmann der „Landesorgani- der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) sation Burgenland des Republikanischen übernommen wurde. Die Mitglieder der Schutzbundes“ war Landesparteisekretär SAJ, die noch legal agieren durfte, waren Hans Menzel, Schriftführer Franz Prünner größtenteils bereits vorher im Schutzbund und Kassier der spätere Nationalrat Anton organisiert gewesen und konnten sich Proksch. ohne weiter polizeiliche Beobachtung be- wegen. Um die weitere politische Tätigkeit Die Hausdurchsuchungen bei ehemali- zu ermöglichen und sich dem Zugriff der gen Funktionären des Schutzbundes und Exekutive zu entziehen, wurden das Ver- der SDAP häuften sich und die Gendarme- einsvermögen und ein Teil der Waffen des rie begann leitende Funktionäre polizeilich Schutzbundes an die Jugendorganisationen zu überwachen. Die Organisationsstruktur weitergegeben. des Schutzbundes musste deshalb umge- Dennoch gelangen der Gendarmerie im- stellt werden. Am 8. Mai 1933 meldete mer wieder Erfolge. Immer mehr illegale die Bezirkshauptmannschaft Oberpullen- Waffendepots konnten ausgehoben wer- dorf an die Landesregierung, dass die Tä- den. Allein am 25. Juli 1933 gelang im Be-

Foto: Kinderfreunde Burgenland, Sammlung Billes

Die Sozialistische Arbeiterjugend und die Wehrsportler der SDAP waren auch nach dem Verbot 1933 im Schutzbund aktiv.

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zirk Oberwart die Sicherstellung von 32 schwere Geschütze ein. Darüber hinaus Waffen. Auch in den Vereinslokalen der kam es noch in den obersteirischen Indus- Arbeiterjugend, wie beispielsweise im Be- triegebieten zu bewaffneten Auseinander- zirksstützpunkt in Weppersdorf, wurden setzungen. Österreich befand sich im Bür- nun Waffenrazzien durchgeführt. Der poli- gerkrieg. tische Druck auf die Arbeiterbewegung nahm in den folgenden Wochen spürbar Unmittelbar nach Beginn der Kämpfe in zu. Wien verhängte die Regierung Dollfuß das Vom 14. bis 16. Oktober 1933 fand ein Standrecht. Öffentliche Zusammenrottun- außerordentlicher Parteitag der SDAP statt, gen, die als Aufruhr zu definieren waren, bei dem unter dem Eindruck der Machter- wurden unter Todesstrafe gestellt. Ab greifung der Nationalsozialisten in Deutsch- 20.00 Uhr waren private Häuser versperrt land der „Anschluss“ Österreichs an des und öffentliche Lokale geschlossen zu hal- Deutsche Reich aus dem Parteiprogramm ten. Gruppenbildungen auf öffentlichen gestrichen wurde. Gleichzeitig beschloss Plätzen waren strikt untersagt. Eine Nach- der Parteitag „vier Punkte“, die Auslöser richtensperre sollte das Durchsickern von des bewaffneten Widerstandes der Sozial- Informationen verhindern. Dennoch ver- demokratie sein sollten. Dies waren (1) die breitete sich die Kunde vom Aufstand der Auflösung der Partei, (2) die Auflösung der Wiener Sozialdemokraten auch im Burgen- Gewerkschaften bzw. die Unterstellung land. Die burgenländischen Sicherheitsbe- derselben unter einen Regierungskommis- hörden reagierten generalstabsmäßig und sar, (3) die Besetzung des Wiener Rathau- nach vorgefertigten Plänen: Mit der Ver- ses und (4) die Proklamierung einer faschis- haftung von Landtagsabgeordneten Hans tischen Verfassung. Bögl um 10.30 Uhr begann eine Verhaf- tungswelle. Führenden Sozialdemokraten, Am 12. Feber 1934 kam es schließlich wie Landesrat Ignaz Till, die Bürgermeister zur Katastrophe. Im Zuge von Hausdurch- Dr. Ernst Hoffenreich (Bad Sauerbrunn), suchungen im Arbeiterheim „Hotel Franz Schön (Neufeld an der Leitha) und Schiff“ in Linz eskalierte die bereits ange- Stefan Springschitz (Siegendorf) sowie der spannte politische Situation. Die ersten Direktor der Landeskrankenkasse, Adolf Schüsse fielen – abgefeuert von Angehöri- Berczeller, wurden noch am 12. Februar gen des Schutzbundes. Es folgten Arbeits- „vorbeugend“ in Haft genommen. Landes- niederlegungen in den städtischen Betrie- hauptmann-Stellvertreter Ludwig Leser ben in Wien, die zu blutigen Straßen- konnte sich der drohenden Verhaftung nur schlachten führten. Bei der Erstürmung durch seine Flucht in die Tschechoslowa- des Karl-Marx-Hofes in Wien – einer Bas- kei entziehen. tion der Sozialdemokraten – setzte das Die Schlagkraft des verbotenen Schutz- mit der Wiederherstellung der Ordnung bundes wurde durch die Verhaftung der beauftragte Österreichische Bundesheer Kommandanten, darunter auch Koloman

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Foto: Kinderfreunde Burgenland, Sammlung Billes

Siegendorfer Schutzbund.

Tomsich, entscheidend geschwächt. Die gewehr, 15 Gewehre und 10000 Patronen. Sozialdemokratie war ihrer Führungsriege Einzig in Siegendorf kam es zu einem erns- beraubt und die Befehlsstrukturen des ten Zwischenfall. Schutzbundes zerschlagen. Der Aufstand Am Abend des 12. Februar erhielt der schien für das Burgenland verhindert. Gendarmerieposten Siegendorf den Auf- trag, die führenden Mitglieder der Sozial- Nur in vier Orten des Burgenlandes kam demokratischen Partei zu verhaften. Unter es zu Zwischenfällen. In Neufeld an der den Verhafteten befanden sich neben Bür- Leitha wurde die führende Funktionärs- germeister NR Stefan Springschitz, dem riege gerade noch rechtzeitig verhaftet, be- ehemalige Kommandanten des Schutzbun- vor sie organisiert zurückschlagen konnte. des Franz Dragotinits und zahlreichen Auch in Pöttsching gelang es der Gendar- Funktionären der Partei auch der Leiter merie eine beginnende Waffenverteilung der lokalen Arbeiterjugend Johann Szolda- zu verhindern. Mehr als 30 Personen wur- tics. Die Verhafteten wurden in der Be- den verhaftet und von der Gendarmerie zirkshauptmannschaft in Eisenstadt festge- verhört. Der Pöttschinger Arbeiterführer halten. Aus gesundheitlichen Gründen Völkl erholte sich von den dabei zugefüg- wurde Szoldatics noch am selben Tag ent- ten Misshandlungen nie mehr und starb haftet und nach Hause geschickt. In Sie- im . In Neutal beschlag- gendorf angekommen führte ihn sein ers- nahmte die Gendarmerie ein Maschinen- ter Weg ins Parteilokal, wo gerade die Aus-

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Quelle: BLA – Opferfürsorge

Nach seiner Flucht war Jo- hann Szoldatics aus Siegendorf maßgeblich am Aufbau der Revo- lutionären Sozia- listen beteiligt. Foto: Kroatisches Kultur- und Dokumentationszentrum

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gabe der Arbeiterunterstützungsgelder im bach – umstellt wurde. Es kam zu einem Gang war. Aus einem im Jahr 1931 ange- 45-minütigen Schusswechsel, bei dem es legten geheimen Waffendepot im Garten keine Verletzten gab. Nach dem Protokoll des Rudolf Springschitz, des Bruders des der Gendarmerie feuerten die Sozialisten Bürgermeisters, holte Szoldatics mehrer 34 Schuss ab, viermal wurde das Feuer Gewehre und verteilte diese an die Anwe- von Gendarmen erwidert. Um ca. 21.15 senden mit der Aufforderung, auf Gendar- Uhr drang die Übermacht aus Gendarme- merie und Heimwehr zu schießen. Bis rie und Landesschützen in den Gutshof 23.00 Uhr wartete die Gruppe auf weitere ein. Die Aufrührer waren inzwischen ge- Befehle aus der Schutzbundleitung in Ei- flüchtet. Vierzehn Gewehre und über 100 senstadt. Nachdem mehrere Stunden ver- Patronen hatten sie zurückgelassen. Dieje- gangen waren, beschlossen die Umstürzler nigen Schutzbündler, die man zu Hause am Abend des 13. Februar, den Aufstand antraf, wurden von den Landesschützen zu unterbrechen und zu ihren Familien fürchterlich verprügelt. Der Umsturzver- heimzukehren. Indes wurde versucht, ge- such der Siegendorfer Sozialdemokraten nauere Befehle aus der Schutzbundzen- war – abgesehen von einigen Ohrfeigen – trale in Wiener Neustadt zu erhalten, was unblutig beendet worden. ebenfalls nicht gelang. Die Bewaffnung des Schutzbundes blieb der Siegendorfer Gen- Am 15. Februar 1934 erfolgte die Ver- darmerie nicht verborgen. Personell stark haftung der Siegendorfer Februarkämpfer. unterbesetzt beschränkten sich die Gen- Im Zuge eines Gerichtsverfahrens am darmeriebeamten vorerst auf das genaue 23. Mai 1934 vor dem Landesgericht Beobachten. Wien wurden vier Personen zu halbjährli- chen und zwei Personen zu kürzeren Haft- In dem Glauben, dass in ganz Österreich strafen verurteilt. Auch der „Kopf“ der der Aufstand im Gang sei, bezogen die Sie- Gruppe, Stefan Szoldatics, konnte gefasst gendorfer Februarkämpfer Stellung in ei- werden, entzog sich seiner Verhaftung nem Gutshofgebäude mitten im Ort, das – aber durch die Flucht nach Pressburg, wo auf der Durchzugsstraße von Eisenstadt er in weiterer Folge am Aufbau der Exil- nach Klingenbach, Zagersdorf und Wulka- gruppe der Revolutionären Sozialisten mit- prodersdorf gelegen – strategische Bedeu- wirkte. tung zu haben schien. Die meisten Verhaftungen nach dem Fe- Am 13. Februar gegen 20.30 Uhr feuer- bruar 1934 gab es im Neufeld an der ten die Aufständischen aus dem Hof auf Leitha, Siegendorf und Pöttsching. Einige die patrouillierende Gendarmerie einen er- der Verhafteten ließ man nach mehrwöchi- sten Schuss ab, worauf das Gebäude von gem Arrest wieder frei. Gegen die Siegen- Gendarmerie – verstärkt durch herankom- dorfer und Neufelder Aufständischen wur- mandierte Landesschützen aus Klingen- den Gerichtsverfahren durchgeführt, die

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Quelle: BLA – aufgelöste Vereine

Auflösungsbescheid der Landesorganisation des Schutzbundes. durchwegs mit Schuldsprüchen endeten. lons zu Rad Nr. 1 aus Neusiedl am See Einige der Verhafteten – darunter Dr. Ernst wurden zur Niederschlagung des Aufstan- Hoffenreich – wurden in die Anhaltelager des nach Kapfenberg geschickt. Vier junge Wöllersdorf und Kaisersteinbruch depor- Soldaten fanden dabei den Tod, 12 Ver- tiert. wundete waren zu beklagen. Die Februartage kosteten insgesamt 265 Es waren aber auch weitere burgenländi- Österreichern das Leben, 808 Personen sche Todesopfer des 12. Februars zu ver- wurden verwundet. Davon waren auf zeichnen. Die Soldaten des Feldjägerbatail- Seite der Exekutive 128 Tote und 409 Ver-

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wundete zu verzeichnen. 137 Schutz- Sozialdemokraten suchten als Revolutio- bündler wurden getötet, 399 verletzt. Als näre Sozialisten* neue Betätigungsfelder. Folge der Kampfhandlugen verurteilten Ein Teil der burgenländischen Sozialdemo- Standgerichte 21 Februarkämpfer zum kraten – darunter sehr viele Jugendliche – Tode, davon wurden neun Urteile voll- spaltete sich von der Partei ab und wandte streckt. sich der KPÖ zu, die bereits seit 1933 im Untergrund tätig war. Das Trauma des Jah- Eine Folge des 12. Februars 1934 war res 1934 machte viele burgenländische So- auch die totale Zerschlagung der Sozialde- zialdemokraten aber auch zugänglich für mokratie. Die Partei und alle „Vorfeldorga- die Parolen der Nationalsozialisten. Unter nisationen“ wurden verboten. Unter das jenen, die die Fronten wechselten befan- Verbot fielen auch alle sozialdemokrati- den sich auch bekannte Parteifunktionäre schen Kultur-, Bildungs- und Sportvereine. der SDAP. Selbst die Person Ludwig Le- Insgesamt wurden im Burgenland 175 sers, der ab 1934 im tschechischen Exil überregionale und 82 regionale Vereine be- war, ist nicht unumstritten. Nach 1938 soll hördlich aufgelöst. er als Informant des nationalsozialistischen Sämtliche demokratisch gewählte Man- Sicherheitsdienstes (SD) wichtige Informa- date des SDAP verloren per Verordnung tionen über die Exilgruppen verraten ha- der Bundesregierung vom 12. Februar ben. 1934 ihr politisches Mandat. Darunter be- fanden sich die 13 Mandatare des Landta- Ende 1934 gab es in Österreich keine ges genauso wie die sozialdemokratischen politischen Parteien mehr. Nach der Auflö- Gemeinderäte und Bürgermeister. Das Ver- sung der KPÖ und der Nationalsozialisten mögen der Partei und der Vorfeldorganisa- im Jahr 1933 folgte im Februar 1934 das tionen fiel an den Staat. Verbot der Sozialdemokratischen Partei. Im Frühjahr 1934 wurde die Deutschnatio- Die österreichische Sozialdemokratie nale Partei verboten und am 16. Oktober scheiterte genauso an einem bis ins letzte 1934 folgte die Auflösung der Christlichso- entschlossenen politischen Gegner wie an zialen Partei. Teile der CSP wurden in die ihrer inneren Zerstrittenheit. Der inneren 1933 gegründete Einheitspartei „Vaterlän- Erosion der Partei, die mit dem Juli 1927 – dischen Front“ übergeführt, die fortan die dem Brand des Justizpalastes – begann, einzige staatlich geduldete „politische“ konnte nie Einhalt geboten werden. Viele Vereinigung sein sollte.

* Ab dem 9. März 1934 bezeichneten sich die illegalen Sozialdemokraten als „Revolutionäre Soziali- sten“. Diese Umbenennung ging auf zurück. Die neue Strategie des Widerstandes sah vor, künftig nur in kleinen maximal fünfköpfigen Gruppen zu agieren, nur den Kontakt mit absolut verlässlichen Genossen aufrecht zu erhalten und keinesfalls mit den ebenfalls in den Untergrund ge- drängten Nationalsozialisten zu kooperieren.

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„So hat diese Regierung, in der die vaterlandtreue Bevölkerung sich vertreten fühlt und fühlen kann, es übernommen, der wirtschaftlichen Schwierigkeiten Herr zu werden, den sozialen Frieden dem Lande wiederzugeben und auch seelisch dieses Volk neu aufzubauen, die Liebe zur Heimat wieder lebendig zu machen.“

Radioansprache von Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß, September 1933

DIE ORGANISATIONSSTRUKTUR DER VATERLÄNDISCHEN FRONT

ie Vaterländische Front, am 20. Quelle: BLA – Plakatsammlung Mai 1933 von Bundeskanzler DEngelbert Dollfuß ins Leben ge- rufen, verstand sich als „überparteiliche“ politische Organisation zur Zusammenfas- sung aller „regierungstreuen“ Kräfte Österreichs. Nach Auflösung aller politi- schen Parteien – auch der Christlichsozia- len Partei – wurde sie alleiniger Träger der politischen Willensbildung des Stände- staats. Ihr Symbol war das Kruckenkreuz, das die enge Verbindung zum Deutschtum und dem Heiligen Römischen Reich dar- stellen sollte. Entgegen den Vorbildern – den faschistischen Bewegungen in Italien und den Nationalsozialisten in Deutsch- land – schaffte es die Vaterländische Front nie, eine von weiten Teilen des Staatsvol- kes getragene Massenbewegung zu wer- den. Trotz größter Bemühungen blieb sie – „von oben oktroyiert“ – in erster Linie auf die Beamten- und Lehrerschaft, die „Österreich“ war die einzige ideolo- zur Mitgliedschaft verpflichtet waren, so- gische Botschaft der Vaterländischen wie auf die Katholische Kirche gestützt. Front.

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Bundesführer waren Dr. Engelbert Doll- Einen großen Stellenwert innerhalb der fuß (bis 25. Juli 1934), Ernst Rüdiger von Organisationsstruktur der Vaterländischen Starhemberg (29. Juli 1934 – 14. März Front hatte die Frontmiliz. Sie entstand im 1936) und Dr. Kurt Schuschnigg (14. März Mai 1936 und bündelte den größten Teil 1936 – 11. März 1938). Landesführer der der früheren konservativen Wehrorganisa- burgenländischen Teilorganisation war tionen des Landes wie den Österreichi- 1933 Dipl. Ing. Franz Strobl und ab 1933 schen Heimatschutz (Heimwehr), die Ost- Landeshauptmann Dipl. Ing. Hans Sylves- märkischen Sturmscharen, den Freiheits- ter. Die Funktion des Stellvertreters übte bund, die Christlich-Deutsche Turnerschaft bis 1938 Landesstatthalter Walter Riebl und die Burgenländischen Landesschüt- aus. zen. Die Frontmiliz wurde gesetzlich ver- Die Vaterländische Front Burgenland ankert und unterstand ab 1937 der Be- hatte 86 leitende Funktionäre. Neben der fehlsgewalt des Bundesheeres. Die Kom- Landesleitung gab es Bezirksorganisationen mandozentrale der Frontmiliz befand sich mit expliziten Bezirkswerbebeauftragten, in Eisenstadt, Franz Strobl war ihr Kom- das Frauenreferat, das Mutterschutzwerk, mandant. Strobl stand der politischen Ori- die Österreichische Soldatenfront, das entierung Schuschniggs nahe und propa- Österreichische Jungvolk und das VF-Werk gierte einen stark legitimistischen Kurs. „Neues Leben“. Die Organisation verfügte Dem Landesmilizkommando der Front- allein in Eisenstadt über 6 Büros. miliz waren die 7 Bezirksmilizkommandos Eine besondere Rolle spielte die Soziale unterstellt, die die Hauptquartiere jeweils Arbeitsgemeinschaft (SAG), welche die in den Bezirkshauptmannschaften hatten. Zielsetzung hatte, die ehemaligen Sozialde- Jedes Bezirksmilizkommando verfügte mokraten in das politische Gefüge der Va- über 3 bis 5 Jägerkompanien und 2 bis 3 terländischen Front einzubinden. Sie ging Foto: BLA aus der „Betriebsorganisation“ der Vater- ländischen Front hervor. Die SAG sollte die verbotenen Gewerkschaften bzw. die be- trieblichen Interessensvertretungen der Ar- beiter ersetzen, jedoch unter anderen Vor- aussetzungen, denn Streiks waren im stän- destaatlichen Österreich verboten. Nur we- nige ehemalige Sozialdemokraten wurden in der SAG tatsächlich tätig. Trotz größter Bemühungen um die Beteiligung der füh- renden Sozialdemokraten war Nationalrat Stefan Springschitz der einzige hohe Par- teifunktionär, der in der SAG politisch in Erscheinung trat. Landesleitung der Vaterländischen Front.

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Foto: BLA

Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg und Landeshaupt- mann Dipl. Ing. Hans Sylvester, Eisenstadt 8. Juni 1935.

Standmilizkompanien. Das Gros der militä- aber nicht den politischen Stellenwert der rischen Verwaltung der Frontmiliz bildeten Frauen in der Partei, denn deren Tätigkeit ehemalige Veteranen des Ersten Weltkrie- reduzierte sich auf das Frauenreferat und ges. In dem Maler Rolf Klaudusz hatte das Mutterschutzwerk. In der Landeslei- man einen eigenen Presse- und Propagan- tung befand sich keine einzige Frau.* dareferenten. Die Vaterländische Front war nach ei- nem uneingeschränkten autoritären Füh- Ohne die Frontmiliz verfügte die Lan- rerprinzip aufgebaut. Sämtliche Funktio- desorganisation der Vaterländischen Front näre wurden ernannt. Die Ernennung des im Burgenland über 83 Funktionäre. Die Landesführers erfolgte durch den Bundes- Landesführung bestand fast ausschließlich führer. Das Betätigungsfeld der Vaterländi- aus ständischen Politikern (Landeshaupt- schen Front erstreckte sich neben der ideo- mann Sylvester, Bundeskulturrat Adalbert logischen Mobilisierung für ein „vaterlän- Riedl, Landesrat Dr. Karl Posch, Landtags- disches Österreich“ auf die Ebene der Be- präsident Michael Koch, Landesstatthalter triebe, in den privatwirtschaftlichen Be- Walter Riebl) und hohen Beamten (Buch- reich und in den Bereich der öffentlichen haltungsdirektor Hans Schmit, Präsidialvor- Verwaltung, wo der „Staatspartei“ ein be- stand Dr. Ludwig Mohr, u. a.). Fast die sonderer Stellenwert eingeräumt wurde. Hälfte der Funktionäre der Vaterländischen Während der Einfluss der Vaterländi- Front rekrutierten sich aus Lehrern, 13% schen Front im privatwirtschaftlichen Be- waren Beamte. 21% der in der Front akti- reich eher gering war, war die Machtposi- ven Personen waren Frauen. Der ver- tion im öffentlichen Sektor als politisches gleichsweise hohe Anteil widerspiegelt Kontrollorgan nicht zu unterschätzen. Hier

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Foto: BLA

Dr. Kurt Schusch- nigg im Gespräch mit den Führern der Wehrver- bände: u. a. Dipl. Ing. Franz Strobl, Walter Riebl, Franz Repay.

übte die Vaterländische Front offenen „Ge- der Gründung der „Volkspolitischen Refe- sinnungsterror“ gegen Andersdenkende rate“ versuchte man die „nationale Opposi- aus. Die Disziplinierungsmaßnahmen für tion“ – gemeint waren die Nationalsozialis- missliebige Beamte reichten von schriftli- ten – in die Vaterländische Front organisato- chen Verwarnungen wegen abfälliger Kri- risch einzubinden. Ab Juli 1937 war das tik an Regierungsmaßnahmen bis hin zur „Volkspolitische Referat“ auch im Burgen- Entlassung ehemaliger Sozialdemokraten land tätig. Lange konnte kein geeigneter bur- oder Schutzbündler. Im Burgenland war genländischer Kandidat gefunden werden. die Mitgliedschaft für öffentlich Bedien- Volkspolitischer Referent wurde schließlich stete verpflichtend. Etliche Beamte verlo- Dr. Reinhold Pildner aus Wien. Pildner ren nach Interventionen der VF ihre An- machte anschließend in der Gauleitung Nie- stellungen. Selbst in den Führungsetagen derdonau Karriere und wurde nach dem der Landesverwaltung ist in den Jahren März 1938 auf Grund seines Insiderwissens 1933/34 eine signifikant hohe Fluktuation über Aufbau und Personal der Funktionäre zu konstatieren.** der Vaterländischen Front von der SD-Stelle Eisenstadt immer wieder befragt. Etliche Ver- Das Juliabkommen aus dem Jahr 1936 haftungen von Funktionären der VF resultier- brachte die Annäherung an Deutschland. Mit ten aus seinen politischen Einschätzungen.

* Die Statistik beruht auf der Auswertung des Organigramms der Vaterländischen Front. Als Grundlage diente das „Burgenländische Adressbuch samt Amtskalender“, Jahrgang 1937. ** Nach den noch nicht publizierten Ergebnissen von Michael Hess, Burgenländisches Landesarchiv, wurden knapp ein Drittel der Abteilungsleiter bzw. Bezirkshauptleute ausgetauscht.

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„Stünde heute eine Regierung an der Spitze des österreichischen Staates, die angesichts der Bedrohung durch den Faschismus alle demokratischen, alle repu- blikanischen Elemente aufrufen würde, stünde nicht eine faschistische Regie- rung da, ich bin überzeugt, davon, die eifrigsten Anhänger dieser Regierung und ihre stärksten und wirkungsvollsten wären die österreichischen Sozialde- mokraten.“

Aus einer Rede von LH-Stv. Ludwig Leser in der Landtagssitzung vom 22. Juni 1933

DIE ARBEITERBEWEGUNG IM UNTERGRUND

ie Zeit von 1933 bis zum März In der zweiten Phase folgten die Konsoli- 1938 lässt sich in Bezug auf dierung und der Aufbau einer Untergrund- Ddie Untergrundaktivitäten der organisation. Aus dem Exil fanden propa- Sozialdemokraten, Kommunisten und gandistische Schriften trotz intensiver Revolutionären Sozialisten in drei Peri- Überwachung der Exekutivorgane ihre Ab- oden gliedern. In der ersten Phase von nehmer. Das Spektrum der verbotenen 1933 bis 1935 stand die Arbeiterbewe- und geschmuggelten politischen Literatur gung unter Schock. Die Verbote sämtli- war beachtlich und die Mittel und Wege cher Parteiorganisationen traf sie größ- des Schmuggels kreativ. In dieser Phase tenteils unvorbereitet. Die SDAP war war der austrofaschistische Ständestaat weder militärisch vorbereitet, noch exi- sehr um Kontrolle der linken Szene be- stierten Vorstellungen über Parteistruk- müht. Die Rücknahme von Bürgerrechten, turen im Falle eines Verbotes. Die erste die Wiedereinführung der Todesstrafe am Phase nach der behördlichen Auflösung 10. November 1933, willkürliche Haus- war von Chaos geprägt. Viele Funktio- durchsuchungen und die Verfolgung der näre versuchten ins Ausland zu flüchten politischen Gegner kennzeichneten das po- und hinterließen ein organisatorisches litische Agieren des Ständestaates. In Wöl- Vakuum. Das ständische System begann lersdorf und Kaisersteinbruch wurden An- seinerseits, die Anhänger der Sozialde- haltelager errichtet. Das austrofaschistische mokraten aus öffentlichen Ämtern und System forderte zumindest zwei burgen- zum Teil auch aus dem Wirtschaftsleben ländische Todesopfer. zu entfernen. Für Sozialdemokraten und Kommunisten begann eine Zeit der poli- In der dritten Phase, unmittelbar nach tischen Verfolgung. dem Abkommen von Berchtesgaden und

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dem Verlust der außenpolitischen Unter- sche Häftlinge ein. Die ersten Internierten stützung durch Mussolini, suchte Bundes- waren Kommunisten und Nationalsoziali- kanzler Schuschnigg einen Verbündeten sten und ab Februar 1934 Sozialdemokra- gegen die Gefahr des Nationalsozialismus. ten. Mit Stichtag 1. Mai 1934 zählte das Obwohl intern nicht unumstritten, ent- Lager mehr als 800 Gefangene, davon ca. schieden sich die Revolutionären Sozialis- 500 Sozialdemokraten und Kommunisten. ten und Kommunisten zur Unterstützung Nach dem Juliputsch der Nationalsoziali- der für den 13. März 1938 anberaumten sten erhöhte sich die Häftlingszahl schlag- Volksbefragung. Der kleinste gemeinsame artig und erreichte einen Höchststand von Nenner dieser Koalition war die Gegner- 5000 Insassen im Oktober 1934. Die schaft zum Nationalsozialismus. Amnestie für Nationalsozialisten in Folge des Juli-Abkommens führte schließlich zu einer Reduzierung des Lagerstandes im Juli Der Beginn der 1936 auf 500.* politischen Verfolgung Im Jänner 1934 wurde in einigen Barak- ken des Militärlagers von Kaisersteinbruch Der Landesbefehl Nr. 1 der Vaterländi- ein Anhaltelager eingerichtet. Ab Februar schen Front stellte die Grundlage für die befanden sich dort besonders viele burgen- politische Säuberung in der öffentlichen ländische Internierte. Das Lager hatte Verwaltung dar. Die Maßnahmen umfass- aber nur kurzen Bestand. Nachdem am ten alle Personen, die sich in der kommu- 30. April 1934 die mehr als 600 Häftlinge nistischen oder sozialdemokratischen Par- des Lagers nach Wöllersdorf transportiert tei politisch betätigten, die Mitglieder des worden waren, wurde das Anhaltelager Republikanischen Schutzbundes waren, of- Kaisersteinbruch offiziell geschlossen. fen mit den beiden Parteien sympathisier- Die Zustände in den Anhaltelagern des ten, deren Parteisymbole verwendeten Ständestaates waren zwar mit jenen in den oder linkes Propagandamaterial verbreite- Vernichtungslagern des Nationalsozialis- ten. Dabei reichte der Verdacht der Zuge- mus nicht zu vergleichen, dennoch kam es hörigkeit oder des bloßen Engagements für auch hier immer wieder zu Übergriffen des die Sozialdemokratie aus, um eine Entlas- Wachpersonals. sung zu rechtfertigen. Diese Maßnahmen Prominentestes burgenländisches Opfer brachten für viele Burgenländer den Ver- des Ständestaates war der Bürgermeister lust des Arbeitsplatzes und den sozialen von Sigleß, Landtagsabgeordneter Bona- Abstieg. ventura Berloschnik. Nachdem er im Fe- bruar 1934 verhaftet worden war, kam er Im Oktober 1933 richtete die Regierung nach Kaisersteinbruch und Wöllersdorf. in einigen Hallen einer stillgelegten und in Vorzeitig aus gesundheitlichen Gründen Staatsbesitz befindlichen Munitionsfabrik entlassen, starb er am 22. November in Wöllersdorf ein Anhaltelager für politi- 1936.

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Quelle: BLA – Opferfürsorge

Der Sigleßer Bürgermeister und Landtagsabgeordneter Bonaventura Berloschnik starb am 22. November 1936 als Folge der im Lager Wöllers- dorf erlittenen Qualen.

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Der Aufbau der Untergrundorganisa- an die Aktivisten des „Auslandsbüros öster- tion der Revolutionären Sozialisten reichischer Sozialdemokraten“ in Brünn und Kommunisten und richtete gemeinsam mit Hans Menzl eine kleine Burgenland-Zentrale ein. Deren Der Februar 1934 zwang die Sozialde- Hilfsorganisation half den Genossen, die in mokraten, Kommunisten und ehemalige die Tschechoslowakei fliehen mussten, freie Gewerkschafter in den Untergrund, und hielt Kontakt mit dem Burgenland. Le- wo sie ihre politische Tätigkeit fortsetzten. ser war für die Entstehung und den Ver- Im März/April begannen ehemalige Funk- trieb der Exilausgaben der Burgenländi- tionäre der SDAP mit dem Aufbau einer schen Freiheit (BF) verantwortlich, die in Untergrundorganisation der Revolutionä- Pressburg gedruckt wurde. Die BF und die ren Sozialisten, indem frühere Parteiaktivi- Arbeiterzeitung gelangten von Pressburg sten persönlich angesprochen wurden. über Ödenburg ins Burgenland. Hans Bögl Übers ganze Burgenland verteilt fanden war für den geheimen Vertrieb der Zeitun- an entlegenen Orten Sitzungen und Konfe- gen innerhalb des Burgenlandes verant- renzen statt. Sie dienten dem Gegenseiti- wortlich. gen-Mut-machen genauso wie dem Aus- Die Kommunistische Partei wurde am tausch von Informationen. Auch verbotene 26. Mai 1933 verboten und entfaltete im Publikationen wurden dort ausgetauscht Untergrund eine überaus rege illegale Tä- und Unterstützungsmaßnahmen für die in tigkeit. Dabei hatte sie weit weniger An- Not geratenen Genossen organisiert. laufschwierigkeiten als die SDAP. Zentren Im April 1934 waren in allen Landestei- der Bewegung waren die Gutshöfe im See- len bereits geheime Bezirksorganisationen winkel und die „Industriegemeinden“ des eingerichtet. Auch die Sicherung der Waf- Nordburgenlands. Die Anhängerschaft re- fen und die Reorganisation des verbotenen krutierte sich zum Teil aus abgesprunge- Schutzbundes wurden betrieben. Die ver- nen, desillusionierten Sozialdemokraten botenen Werbeaktionen koordinierten und Landarbeitern. Größere Untergrundor- Alexander Stangl und Jean Morawitz. Ob- ganisationen bildeten sich in Neufeld an mann der „Sozialistischen Arbeiterhilfe“ – der Leitha, Pöttsching, Neusiedl und Gols. eines illegalen Hilfsfonds für in Not gera- Die Organisationsstruktur der Kommunis- tene ehemalige Sozialdemokraten und de- ten im Untergrund war auf Kleinzellen auf- ren Familien – wurde der Arzt Dr. Richard gebaut, die meist aus fünf Personen bestan- Berczeller. den. Die Verbindung zu anderen Zellen er- Einem Teil der Arbeiterführer, wie Otto folgte durch besonders verlässliche Kom- Bauer und Julius Deutsch, gelang die munisten. Diese Struktur sollte das Ein- Flucht. Auch der damalige Landeshaupt- dringen von „Spitzeln“ verhindern. Den- mann-Stellvertreter Ludwig Leser wählte noch kam es immer wieder zu Verhaftun- das tschechische Exil, wo er vorerst in gen führender Kommunisten wie beispiels- Pressburg Station bezog. Er fand Anschluss weise Otto Mödlagl, Vinzenz Böröcz, Emil

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Quelle: BLA

Geschmuggelte Ausgabe der Arbeiterzeitung.

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Quelle: BLA

Geschmuggelte Ausgabe der Zeitung Tribunal, dem Organ der Roten Hilfe aus 1935.

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Pete (Bruckneudorf) oder Martin Birn- 1934 zeigte sich, dass die Kommunisten baum (Winden), die im Mai 1935 zu zunehmend aus dem Lager der ehemaligen mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt wur- Sozialdemokraten Zulauf erhielten. den. Die publizistische Tätigkeit der Kom- Die Strategie der Kommunisten war ei- munisten im Untergrund war überaus nerseits auf die Errichtung einer „Einheits- rege. Eine der vielen Untergrundzeitun- front“ mit den Revolutionären Sozialisten gen, Der Rote Ring, wurde in Winden ge- ausgerichtet, andererseits versuchten sie druckt. Chefredakteur war Otto Mödlagl, die Verteilung wurde von Vinzenz Böröcz Foto: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung organisiert. Die Zeitung wurde mit dem Fahrrad über Bruck, Hainburg und Eisen- stadt weiter gereicht. Im Burgenland wurde Der Rote Ring vom Seewinkel bis nach Klingenbach gelesen. In der Zeit von 1933 bis 1938 kam es zu einer Vielzahl von Beschlagnahmungen gestreuter Flug- zettel durch die Gendarmerie, da die Si- cherheitsbehörden die Aktivitäten der Kommunisten mit besonderer Akribie ver- folgten.

Die Volksfront gegen Hitler

Unmittelbar nach dem Berchtesgadener Abkommen vom 12. Februar 1938 begann der unter massiven außenpolitischen Druck geratene Ständestaat eine Politik der Annäherung an die Arbeiterbewegung. In Ludwig Leser war der prominenteste einer gemeinsamen Mobilisierung aller Burgenländer im tschechischen Exil. nicht nationalsozialistisch gesinnten Kräfte des Landes sah man die letzte Möglichkeit aber auch im Lager der Vaterländischen der Umfassung durch Hitler zu entgehen. Front Anhänger zu gewinnen. Dies sollte Die im Untergrund agierenden Funktio- erreicht werden, indem kleine Zellen in- näre der Arbeiterbewegung wurden nerhalb der Organisation „Neues Leben“, nun zu wichtigen Kampfgefährten von einer Teilorganisation der Vaterländischen Schuschnigg gegen den Nationalsozialis- Front, aktiv sein sollte. Bereits kurz nach mus.

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Auf verschiedenen Ebenen fanden Ge- Frontmiliz Dipl. Ing. Franz Strobl und dem spräche mit den Vertretern der Sozialde- Landesrat Dr. Karl Posch. Es ging um die mokraten und Kommunisten statt. Landes- Unterstützung für die von Schuschnigg für hauptmann Sylvester, der mit dem ehema- den 13. März angesetzte Volksbefragung. ligen Landesrat Ignaz Till Verhandlungen Die Arbeitervertreter sagten schließlich führte, war vorerst nicht zur Wiederzulas- ihre uneingeschränkte Unterstützung zu. sung der Sozialdemokratischen Partei be- Die Landesregierung stellte Geld- und reit. Transportmittel zur Verfügung. Kommuni- In einem kleinen Wald zwischen Pött- sten und Sozialdemokraten begannen ihre sching und Bad Sauerbrunn berieten die Anhängerschaften zu mobilisieren und ehemaligen SDAP-Funktionäre, darunter hielten in den Dörfern des Seewinkels und Alexander Stangl, Heinrich Knotzer, Hans des Nordburgenlandes improvisierte Ver- Bögl, Stefan Billes und etliche Genossen sammlungen ab. Doch die Bemühungen aus Hornstein, Neufeld an der Leitha, Sie- kamen zu spät. Während Funktionäre wie gendorf, Parndorf und Wulkaprodersdorf, Bögl und Mödlagl noch versuchten, die Be- die weitere Vorgangsweise. Die Meinun- völkerung für Schuschnigg zu mobilisieren, gen gingen zwar weit auseinander, doch übernahmen die Nationalsozialisten in Ei- war allen klar, dass eine Machtübernahme senstadt bereits die Macht. durch die Nationalsozialisten mit allen

Mitteln verhindert werden musste. Hans Foto: Kinderfreunde Burgenland – Sammlung Billes Bögl vertrat die Position, dass politische Zugeständnisse seitens des ständischen Ignaz Till führte Systems die Voraussetzung für die Zustim- im März 1938 die mung der Arbeiter sein müssten. Verhandlungen mit der ständi- Am 9. März 1938, nur wenige Tage vor schen Landesre- dem Einmarsch der deutschen Wehr- gierung. Doch alle macht, kam es abermals zu einem Treffen Bemühungen zur zwischen Führern der Arbeiterbewegung Einbindung der und Regierungsmitgliedern. Der Sozialde- Arbeiterbewegung mokrat Ignaz Till und der Kommunist Lud- in die Koalition ge- wig Horvath verhandelten mit Landes- gen Hitler kamen hauptmann Sylvester, dem Führer der zu spät.

* Ironie der Geschichte ist, dass das Lager nach dem Anschluss als erste Haftanstalt für ehemalige Funk- tionäre der Vaterländischen Front diente, ehe es offiziell am 2. April 1938 geschlossen wurde.

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„Die nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei in Österreich bewußt ihrer hohen Verantwortung als die einzige nach Recht und Gesetz bestehende Vertre- terin des gesamten deutschen Volkes in Österreich, erklärt hiemit feierlich vor aller Welt, daß sie niemals gewillt sein wird, den ihr mit Gewalt aufgezwunge- nen Kampf um das Recht der eigenen Schicksalsgemeinschaft des deutschen Volkes in Österreich ohne die anmassende Bevormundung einer hiezu unberufe- nen Institution aufzugeben.“

Aus einer Denkschrift der NSDAP Österreichs „an die Weltöffentlichkeit“, anlässlich der 4. Wiederkehr des Verbotstages am 19. Juni 1937

DIE ENTWICKLUNG DER NATIONALSOZIALISTISCHEN DEUTSCHEN ARBEITERPARTEI (NSDAP)

ie die Landtagswahl vom die NSDAP ihre Aktivitäten und erreichte 9. November 1930 zeigte, in auch Wahlerfolge: In jedem Ort, in dem die Wder die NSDAP bei ihrem ers- Partei kandidierte, wurde mindestens ein ten Wahlauftritt nur 0,7% der Stimmen er- Mandat erreicht. langt hatte, stellten die Nationalsozialisten Der Schwerpunkt der Organisation lag im bis Anfang der 1930er Jahre eine kleine Landesnorden, im Neusiedler . Felix Minderheit dar, die nur punktuell in weni- Tobler hielt in seiner Studie zur Erforschung gen Orten des Landes über stärkere Stütz- der „Frühgeschichte der NSDAP im Burgen- punkte verfügte. land“ hinsichtlich der Parteientwicklung bis Im Wesentlichen rekrutierte sich die An- zum Verbot 1933 fest, „dass der Bezirk hängerschaft aus Kreisen der Studenten und Neusiedl von allen Bezirken des Landes am Akademiker, aus Beamte und Lehrer sowie stärksten penetriert worden war und die aus Bauern, vor allem in den protestanti- Organisationsdichte im Juni 1933 zuminde- schen Gemeinden. Die Partei gab sich be- stens als mittelmäßig bezeichnet werden tont antiklerikal und antikatholisch. kann“. Als schwach bezeichnet er die Orga- Im Zuge der Wahlwerbung für die Ge- nisationsdichte im Bezirk Eisenstadt und meinderatswahlen im Mai 1931 verstärkte auch nur als mittelmäßig jene im Bezirk

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Mattersburg. Im Oberpullendorfer Bezirk „Für den gleichen Ort und die gleiche Zeit war die NSDAP zum Zeitpunkt des Parteien- wurde eine Wählerversammlung der sozial- verbotes noch sehr schwach organisiert, vor demokratischen Partei angezeigt. Da keine allem in den kroatischen und ungarischen der beiden Anzeigen im Hinblick auf deren Gemeinden gelang es der Partei nicht, Fuß Einlangen am gleichen Tage ein rechtzeitli- zu fassen. Im Bezirk Oberwart schritt hinge- cher Vorrang zukommt, mussten zu Vermei- gen der organisatorische Aufbau zügig dung von Zusammenstössen der Gesin- voran, vor allem seit der spätere nungsgegner wegen Gefährdung der öffent- Portschy 1932 die Leitung des Bezirkes lichen Sicherheit beide Versammlungen un- übernommen hatte. Während sich im Bezirk tersagt werden.“ Güssing bis 1933 nur wenige Hinweise auf die Tätigkeit der NSDAP finden und dieser Die Machtergreifung Hitlers in Deutsch- Bezirk den schwächsten Organisationsgrad land Anfang 1933 bedeute einen ungeheu- aufwies, war die Partei im südlichsten Be- ren Motivationsschub auch für die National- zirk Jennersdorf schon frühzeitig und gut or- sozialisten im Burgenland und war gleich- ganisiert. Zusammenfassend hält Tobler fest, sam der Startschuss für eine große Versamm- dass sich für die NSDAP im Burgenland im lungs- und Propagandawelle. In vielen Ort- Vergleich zu den anderen Bundesländern erst schaften wurden „Anschlussfeiern“ abgehal- ein verspäteter Aufstieg konstatieren lässt, ten, in Unterschützen wurde Hitler spontan wobei die Organisationsdichte der Partei zur die „Ehrenbürgerschaft“ verliehen. Zeit des Parteienverbotes weit unter dem ge- Auf Bundesebene erreichten die Spannun- samtösterreichischen Durchschnitt lag. gen mit Deutschland auf Grund der Auswei- Trotzdem kam es in einigen Orten zu ei- sung des als nationalsozialistischer Propagan- ner starken Radikalisierung des politischen daredner nach Österreich gekommenen Klimas, besonders dort, wo die Nationalso- Reichsjustizkommissars Hans Frank einen zialisten mit starken sozialdemokratischen erstmaligen Höhepunkt. Deutschland rea- Ortsgruppen in Konflikt gerieten. Dabei stan- gierte darauf am 1. Juni 1933 mit der Ver- den Störungen von gegnerischen Veranstal- hängung der „Tausendmarksperre“*. Fast tungen, Raufereien mit oft schweren Körper- zeitgleich begannen die nationalsozialisti- verletzungen und Sachbeschädigungen auf schen Terrorakte mit Straßenschlachten, der Tagesordnung. Aus Furcht vor Zusam- Bomben- und Böllerexplosionen, Brandstif- menstößen wurden zeitgleich stattfindende tungen etc. Die Regierung Dollfuß reagierte Versammlungen am selben Ort grundsätz- darauf am 19. Juni 1933 mit dem Verbot der lich behördlich untersagt. NSDAP. So wurde beispielsweise das Ansuchen Nachdem kurz zuvor auch die Kommunis- der NSDAP, am 2. November 1930 um tische Partei verboten worden war, führte dies 15.00 Uhr auf dem Hauptplatz in Matters- in mehreren burgenländischen Gemeinden burg eine öffentliche Versammlung abzuhal- vorübergehend zur Beschlussunfähigkeit des ten, mit folgender Begründung abgelehnt: Gemeinderates, da infolge des Ausscheidens

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der kommunistischen und der nationalso- stellen dem Rang nach in Gauleitung – zialistischen Mandatare eine Zweidrittel-An- Kreisleitung – und Ortsgruppenleitung un- wesenheit des Gemeinderates nicht mehr tergliedert wurden. Die Ortsgruppe wie- möglich war. derum untergliederte sich in Zellen, die Trotz des Verbotes nahm die Anhänger- Zelle in Blocks. schaft der Nationalsozialisten stetig zu. Nach Analog zur Neugestaltung der politischen 1934 wandten sich vor allem breite Kreise der Organisation wurde auch die SA (Sturmab- Arbeiterschaft und Bauern der NSDAP zu. Ein teilungen), die vor allem bei Propagandaauf- wesentlicher Grund dafür war die katastro- märschen und für den Saalschutz eingesetzt phale wirtschaftliche Lage in Folge der Welt- wurden, umgruppiert und nunmehr eine ei- wirtschaftskrise. Das Versagen der österreichi- gene Brigade „Burgenland“ geschaffen. Die schen Regierung, eine spürbare Besserung zu Brigade gliederte sich in die SA-Standarte 76 schaffen auf der einen Seite und der rasante im Norden mit je einem Sturmbann in Neu- wirtschaftliche Aufschwung unter Hitler in siedl (I), Eisenstadt-Mattersburg (II) und Deutschland auf der anderen Seite, brachte Oberpullendorf (III) sowie in die Standarte viele ins Lager der Nationalsozialisten. Seitens 83 in Oberwart und schließlich in den der Sozialdemokraten kam die Enttäuschung selbstständigen Sturmbann „Burgenland über die Parteiführung noch hinzu. Süd“ in den Bezirken Güssing und Jenners- dorf. Brigadeführer wurde Josef Palham. Die Der große Zuwachs an Anhängern und „Brigade Burgenland“ erreichte schon 1936 Mitgliedern führte am 5. Mai 1935 zur eine Stärke von ca. 3000 Mann. Die bisher Schaffung des eigenen „Gaues Burgenland“, nur kleine SS-Truppe (Schutzstaffeln), die der sich zunächst in zwei und ab Juli 1935 als persönliche Garde für die Redner diente, in drei Kreise gliederte. Der Kreis Nord be- wurde ebenfalls 1936 auf mehrere Hundert stand aus den Bezirken Neusiedl, Eisenstadt Mann aufgestockt. und Mattersburg, der Kreis Mitte aus den Auch gelang es bereits, Nebenorganisatio- Bezirken Oberpullendorf und Oberwart, der nen wie die „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF), Kreis Süd setzte sich aus den Bezirken Güs- die „Hitler Jugend“ (HJ), den „Bund deut- sing und Jennersdorf zusammen. Damit war scher Mädchen“ (BdM) und die „NS-Frauen- eine bis dahin nicht existierende selbststän- schaft“ in einzelnen Regionen aufzustellen. dige NS-Landeseinheit für das Burgenland Die Propagandatätigkeit der NSDAP er- geschaffen worden, die trotz Illegalität streng fuhr ebenfalls eine enorme Ausweitung: Ne- organisiert war. Die „Gauleitung“ übernahm ben den vielen kleinen Hausdruckereien, der Rechtsanwaltanwärter Portschy, in des- die Flugzettel im Abziehverfahren vervielfäl- sen Heimatbezirk Oberwart zu diesem Zeit- tigten, etablierte sich in einem aufgelasse- punkt bereits 60% aller Orte NS-Ortsgrup- nen Bergwerk in Neustift bei Schlaining pen besaßen. eine Druckerei, in der die beiden Zeitungen Im August 1935 erließ Gauleiter Portschy Die braune Front und Blut und Boden her- eine Dienstvorschrift, wonach die Dienst- gestellt wurden.

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Foto: Gemeindearchiv Hornstein

Arbeitstrupp des Paul Gerdinich aus Hornstein in Berchtesgaden, 1. November 1937.

Hunderte von burgenländischen Bau- und Unterkünfte sind meist besser als jene der Landarbeitern, die nach dem Juli-Abkom- Wanderarbeiter im Inlande und sind ge- men 1936 teils offiziell, teils über NS-Ka- trennte Unterkünfte für Männliche, für näle als „Gastarbeiter“ nach Deutschland Weibliche und für Verheiratete überall vor- vermittelt wurden, waren nach ihrer Rück- handen. Es ist dort das Geld etwas leichter kehr die besten Propagandisten für „Hitlers zu verdienen, als im Inlande, weil zumeist Aufbauleistung“. gute Maschinen- und Betriebseinrichtungen vorhanden sind, die die Arbeit erleichtern Aus einem Bericht des Gendarmeriekom- (...). Der Häusler (…) war mit seiner Gattin mandos Rudersdorf vom 16. Jänner 1938 an und 3 Kindern im Jahre 1937 auf Wanderar- die BH Jennersdorf war unter dem Betreff beit in Deutschland. Dieser konnte einen „Wanderarbeiter nach Deutschland für das wesentlichen Teil seiner Schulden abtragen Jahr 1938; Wahrnehmungen“ Folgendes zu und wenn er noch 2 mal mit den Angehöri- lesen: „Der Andrang zur Vermittlung nach gen zu dieser Arbeit ausreisen darf, ist er Deutschland als Wanderarbeiter ist aus fol- vollkommen saniert (…).“ genden Gründen seit dem Vorjahre in die- Trotz Illegalität versuchte die NSDAP in sem Umfang angewachsen: Die Ersparnisse den Jahren bis zum Anschluss durch ent- während der Arbeitsperiode ergeben durch sprechende Propagandamaßnahmen neue den Währungsunterschied beim Überwei- Mitglieder zu werben. Besonderes Augen- sungsverkehr einen grösseren Betrag in der merk wurde dabei auf die Rekrutierung von Schillingwährung, als die bei der Beschäfti- Beamten im öffentlichen Dienst gelegt. Nach gung im Inlande erzielten Ersparnisse. Die Weisung der Gauleitung sollte in jedem Gen- Arbeitszeit ist in Deutschland von 6 bis 18 darmerieposten ein geeigneter „Parteige- Uhr und wo sich die Notwendigkeit einer nosse“ seinen Dienst zumindest nicht zu Mehrarbeit ergibt, werden die Überstunden Ungunsten der Partei versehen. mit den festgesetzten Löhnen bezahlt. Die Tatsächlich gelang es der NSDAP, mittels

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eines gut funktionierenden Nachrichtendien- Fällen um die Flugschrift Bluthunde oder stes auf Sympathisanten in den höchsten um gegen die Habsburger gerichtete Flugzet- Kreisen der Landesverwaltung, der Polizei tel handelte. 70 „Anschläge“ wurden auf und Gendarmerie zählen zu können. Aller- Wandkästen der Vaterländischen Front ver- dings erhielt aber auch umgekehrt die Exe- übt. Umgelegt auf die Bezirke ergab die Aus- kutive immer wieder wichtige Hinweise von wertung dieser 189 Vorfälle: Informanten aus den eigenen Reihen der Bezirk Neusiedl ...... 42 NSDAP, um gezielte Aktionen zu setzen. So Bezirk Eisenstadt ...... 14 konnte beispielsweise die Druckerei in Neu- Bezirk Mattersburg ...... 11 stift bei Schlaining beschlagnahmt werden. Bezirk Oberpullendorf ...... 35 Mit diesem Ereignis dürfte auch der so ge- Bezirk Oberwart ...... 22 nannte „Fememord“ von Neustift zusam- Bezirk Güssing ...... 34 menhängen.** Bezirk Jennersdorf ...... 31

Im Juli-Abkommen von 1936 zwischen Der Sicherheitsdirektor für das Burgen- dem Deutschen Reich und Österreich er- land Dr. Helmut Hirschal berichtete beinahe kannte die deutsche Reichsregierung die täglich Landeshauptmann Sylvester über die volle Souveränität Österreichs an und akzep- politischen Vorfälle. tierte, dass die Behandlung der österreichi- Gemäß dem Berchtesgadener Abkommen schen Nationalsozialisten eine innere Ange- zwischen Hitler und Bundeskanzler Schusch- legenheit Österreichs war. Es folgte eine nigg vom 12. Februar 1938 erfolgte schließ- weitreichende politische Amnestie für Natio- lich endgültig eine Generalamnestie für alle nalsozialisten. eingekerkerten Nationalsozialisten, ein- In der außenpolitisch gespannten Lage um schließlich der Juliputschisten. die Jahreswende 1937/38 erreichte die ille- Die Rückkehr der amnestierten NS-Führer gale Propagandatätigkeit der Nationalsozialis- aus Wöllersdorf, insbesondere jene von - ten einen Höhepunkt. In gezielten, koordi- leiter Portschy, wurde mit Freudendemons- nierten Aktionen kam es zu Streuaktionen trationen begangen. von Flugschriften oder selbst gebastelten Pa- Das Gendarmeriepostenkommando von pierhakenkreuzen, reihenweise wurden die Gols berichtete beispielsweise an die BH Wandkästen der Vaterländischen Front be- Neusiedl am 21. Februar 1938: „Am 20. Fe- schädigt, verschmutzt oder zerstört, Häuser bruar 1938 um 19 Uhr veranstaltete die und öffentliche Gebäude mit Hakenkreuzen Ortsgruppe der NSDAP in Gols, welche bis- beschmiert, Telefonleitungen beschädigt. her illegal bestand, aus Freude über die Gleichberechtigung und Anerkennung der Eine Auswertung der Gendarmeriebe- nat. soz. Partei in Österreich eine Freudens- richte*** ergab, dass zwischen Oktober kundgebung. Die Feier wurde mit dem Ab- 1937 und Feber 1938 119 Streuaktionen brennen eines Höhenfeuers eingeleitet, stattfanden, wobei es sich in den meisten an der sich ein Fackelzug anschloß. Der

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Quelle: BLA – Lage- und Vorfallenheiten

Anonymer Brief an das Kriminalpolizeikommando in Eisenstadt mit Hinweisen auf Aktionen und Namen von Sympathisanten der NSDAP.

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Quelle: BLA – Lage- und Vorfallenheiten

Flugzettel „Bluthunde“.

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Quelle: BLA – Lage- und Vorfallenheiten

Flug- zettel „Habs- burg“.

Quelle: Quelle: BLA – Lage- und Vorfallenheiten

Ausschnitt aus dem Gendarmeriebericht von Stinatz an die BH Güssing über eine NS-Propagandaaktion in Ollersdorf am 3. Jänner 1938.

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Quelle: BLA – Lage- und Vorfallenheiten

Gendarmeriebericht von Pamhagen an die BH Neusiedl über eine NS-Propagandaaktion in Pamhagen am 8. Jänner 1938.

Fackelzug wurde von der Musikkapelle Am 21. Februar versammelten sich 800 Wurm eröffnet nach der 700 bis 800 Perso- bis 1000 Menschen vor dem Landhaus und nen und ca. 100 Schulkinder marschierten. am Schlossplatz in Eisenstadt und sangen Im Zuge wurde eine Hakenkreuzfahne ge- „Lieder der Nation“. Am 27. Februar kam es tragen und wurde ‚Sieg Heil und Heil Hit- zu einer Großkundgebung vor dem Rathaus ler’ gerufen.“ in Oberwart, an der – nach nationalsozialisti-

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Quelle: BLA

Diese Beilage umfasste beispielsweise folgende Belange: M.J. Müllermeister in Pirings- dorf, Übertretung des Ordnungsschutzgesetzes; Nationalsozialistische Propaganda in Lackendorf; Bernstein – Magazin der Frontmiliz, Einwerfen einer schadhaften Fenster- scheibe; Z. A. – Besitz des Buches „Mein Kampf“ von Adolf Hitler; J.N. – Besitz eines nat.soz. Befehles; Brief an Postenkommandant Scheibl unterzeichnet mit Heil Hitler, NSDAP Stegersbach; Neugründung einer Ortsgruppe vom evangelischen Mädchenbund in Rudersdorf; Wanderarbeiter nach Deutschland für das Jahr 1938; Wahrnehmungen. schen Angaben – an die 8000 Menschen zuhalten“, (…) dass „der Aufmarsch den teilnahmen. Der Bezirkshauptmann von Absichten des Herrn Innenministers zuwi- Oberwart, Dr. Kleinert, nannte in seinem Be- derlaufe. Die Versammlung wurde um 16 richt an den Sicherheitsdirektor Hirschal Uhr 15 durch den ersten der zwei nachan- diesbezüglich eine Zahl von 3300 Personen geführten Redner eröffnet (…). Hans Goger und führte genauer dazu aus: „Kurz vor Be- (…) führte im Wesentlichen aus: (dass) ginn des Aufmarsches wurde noch Gele- diese Versammlung gegen den Willen der genheit genommen, einer führenden Per- Behörden zustandegekommen (sei). In Hin- son der Nationalsozialisten eindringlich vor- kunft werde nur marschiert werden, wenn

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Foto: Sammlung Heimo Portschy

Auch in Oberwart übernahmen die Nationalsoziali- sten die Macht. Das Foto zeigt eine Anschluss- kundgebung vom 27. Februar 1938. die Führung will. Man wolle den Frieden, Portschys Angaben zufolge soll zwi- wolle nicht terrorisieren, werde sich aber schen dem 20. und 24. Februar 1938 ein auch nicht terrorisieren lassen. Man wolle Treffen mit LH Sylvester beim Bezirks- am Aufbau Österreichs mitarbeiten (…). Dr. hauptmann von Oberwart, Dr. Kleinert, Tobias Portschy (…) führte aus: Er wisse stattgefunden haben, in dem es um die sich eins mit dem Bundeskanzler Dr. Einbeziehung der burgenländischen Na- Schuschnigg in dem Willen zum Frieden. tionalsozialisten in die Vaterländische Man trachte nach einem guten Einverneh- Front sowie um einen Sitz für Portschy in men mit allen Bevölkerungsgruppen. In der Landesregierung ging. Letztendlich diese könnten jedoch die Juden nicht einbe- blieb dieses Gespräch allerdings ergebnis- zogen werden (…).“ los.

* Danach hatten deutsche Staatsbürger vor ihrer Reise nach Österreich eine Gebühr von 1000 Reichs- mark zu entrichten – eine Maßnahme, die dem österreichischen Tourismus einen empfindlichen Scha- den zufügte.

** Johann Weichselberger stammte aus der NS-Hochburg Neustift bei Schlaining. Da sein Vater er- krankte und er den Hof alleine führen musste, konnte er sich der Parteiarbeit kaum mehr widmen und trat daher aus. Als kurz darauf einige illegale Nationalsozialisten auf Grund eines anonymen Schreibens verhaftet wurden, verdächtigte man Weichselberger, der Verfasser zu sein. Am 28. November 1937 wurde er tot aufgefunden. Da er privat keine Feinde hatte, ging die Polizei von einem Fememord in den eigenen Reihen aus und überprüfte seine ehemaligen Parteifreunde. Auch Portschy sollte in dieser Mordsache verhört werden und wurde daher am 4. Dezember 1937 verhaftet. Es war dies seine sie- bente und letzte Haft vor dem Anschluss. Am 17. Feber 1938 wurde er aus der Untersuchungshaft ent- lassen.

*** Die Gendarmerieberichte stammen aus dem Sonderbestand der Lage- und Vorfallenheitsberichte, Inv. A/VIII – 14, 3 Mappen des Burgenländischen Landesarchivs (BLA).

53 DIE MACHTERGREIFUNG DER NATIONALSOZIALISTEN

„Das Burgenland, östlichstes Bollwerk des geschlossenen deutschen Lebensrau- mes,… grüßt in diesen weltgeschichtlichen Stunden, die den heißesten Wunsch der Burgenländer in Erfüllung gehen ließen, den Retter aus tiefster Not, unseren Führer. Das ganze Burgenland hofft, dem Begründer des großdeutschen , das vom Rhein bis zum Neusiedler See reicht, in den kommenden Tagen auf die- sem Boden, wo Theoderichs Wiege stand und Joseph Haydn die Weise des Lie- des der Deutschen schuf, seine Dankbarkeit und Treue erweisen zu können.“

Telegramm von Tobias Portschy an den in Österreich einreisenden Adolf Hitler, 12. März 1938 DIE ANATOMIE DER MACHTERGREIFUNG DER NATIONALSOZIALISTEN*

Mittwoch, 9. März 1938 Schritt Schuschniggs sind die österreichi- Abend schen Nationalsozialisten bereits vorher in- : Auf den steigenden politi- formiert. Die Nachricht wird sofort an Ber- schen Druck Deutschlands und gegen die lin weitergeleitet. Empfehlung Mussolinis reagiert Bundes- Die Problematik bezüglich der Volksbe- kanzler Dr. Kurt Schuschnigg mit der fragung besteht für Hitler darin, dass eine Ankündigung einer Volksbefragung. Am eindeutige Zustimmung Österreichs für ei- 13. März sollen die Österreicher „für ein nen baldigen Anschluss an in freies und deutsches, unabhängiges und weite Ferne rücken und jegliche völker- soziales, für ein christliches und einiges rechtliche Legitimierung mit Bezug auf das Österreich“ abstimmen. Über diesen „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ un-

Foto: BLA

Besuch Bundes- kanzler Dr. Kurt Schuschniggs im Burgenland, Neudörfl 1938.

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glaubwürdig erscheinen lassen würde. Die Donnerstag, 10. März 1938 Durchführung der Volkbefragung ist des- 10.00 Uhr halb auf alle Fälle zu verhindern. Berlin: Der Chef des Oberkommandos der , General Keitl, und der Eisenstadt: Die Vaterländische Front hält Chef des Wehrmachtführungsamtes im eine große Kundgebung ab. Bei dem Fak- OKW, Oberst Alfred Jodl, erhalten den Be- kelumzug kommt es beim Marsch durch fehl zur Vorbereitung von „Unternehmen die Hauptstraße zu Reibereien mit Natio- Otto“, des Einmarsches in Österreich. Als nalsozialisten. Das sollte die letzte Massen- Beginn der Aktion legt Hitler die frühen veranstaltung des ständischen Systems im Morgenstunden des 12. März fest. Burgenland sein. Vormittag Dr. Tobias Portschy wird von der Wiener Wien: In der NSDAP-Landesleitung findet Parteiführung über die für den 11. März ge- eine Besprechung der Gauleiter und SA-Bri- plante Aktion zur Machtergreifung infor- gadeführer statt, an der auch Portschy teil- miert und stellt die organisatorischen Wei- nimmt. Er erklärt, dass im Burgenland alles chen für das Burgenland. Er schickt Gauge- für die Machtergreifung vorbereitet sei. Bis schäftsführer Dr. Kurt Groß in die NS-„Lan- Hitlers endgültige Entscheidung vorliegt, deszentrale“ in Wien. Dieser wird in den wird Stillhalten vereinbart. Es werden Co- kommenden Stunden eine Schlüsselfigur dewörter für drei mögliche Szenarien ausge- sein, denn seine Aufgabe ist es, die Informa- geben: Fall 1 tritt ein, wenn Schuschnigg tionen aus Wien, aber auch aus Berlin tele- die Volksbefragung zurückzieht. In diesem fonisch an Portschy weiterzuleiten. In den Fall sollen in ganz Österreich Demonstratio- kritischen Stunden des 11. März verschaf- nen stattfinden. Fall 2 ist der Code für den fen sich die Nationalsozialisten so einen ent- Rücktritt Schuschniggs. Den Demonstratio- scheidenden Informationsvorteil. Portschy nen soll die Machtergreifung folgen. Die macht die Privatwohnung von Arnold Ilkow Durchgabe von Fall 3 würde bedeuten, dass in Eisenstadt, in der sich ein Telefonan- Schuschnigg dem Österreichischen Bundes- schluss befindet, zu seiner Kommandozen- heer den Kampfbefehl erteilt hat. Für diesen trale. Man hält nicht nur laufend Verbin- Fall sind die regionalen Naziführer angewie- dung nach Wien, sondern auch in die Be- sen, auf eigene Faust mit Einsatz aller Mittel zirksvororte, wo verlässliche Mitglieder der die Gewalt an sich zu reißen. Landesleitung Regie führen werden. Port- Paris: Der französische Ministerpräsident schy schickt Gauleiterstellvertreter Hans Camille Chautemps wird von den Linkspar- Arnhold nach Oberwart, Gaupropagandalei- teien gestürzt. Ein Grund seiner Demissio- ter Hans Goger nach Jennersdorf und Franz nierung ist die Weigerung, die englische Ap- Rehling nach Güssing. SA-Brigadeführer Jo- peasement-Politik gegenüber Hitler weiter sef Palham und SS-Stabsführer Helmut Brey- zu unterstützen. Bis dahin ist Frankreich mann unterstützen Portschy in Eisenstadt. letzter Befürworter für eine österreichische

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Foto: Silvia Boross Unabhängigkeit. Damit verliert Schuschnigg seinen außenpolitischen Halt, da zuvor auch London sich außerstande erklärte, für die Selbstständigkeit Österreichs eintreten zu können. Die dritte Garantiemacht von Versailles, Italien, lehnt bereits im Vorfeld jede Unterstützung ab. Österreich ist damit politisch isoliert und auf sich allein gestellt.

Nachmittag Demonstration bei der Wiener Oper am In den kommenden Stunden sollte die Nachmittag des 11. März 1938. SA eine wesentliche Rolle spielen. Der Füh- rer der „SA-Brigade Burgenland“, Josef Pal- Wien: Obwohl die Verhandlungen mit ham, reist im Auftrag Portschys ins südliche der Regierung noch keinen Schritt weiter Burgenland, um sich von der Einsatzbereit- gekommen sind, beschließen die Revolutio- schaft der SA-Gruppen zu vergewissern nären Sozialisten nach heftigen Auseinan- und letzte Anweisungen zu erteilen. Er be- dersetzungen in der Nacht vom 10. auf sucht Stoob, Oberpullendorf und Oberwart. 11. März, Schuschnigg bei der für den 13. März geplanten Volksbefragung zu un- Abend terstützen. Ihr öffentlicher Aufruf schließt Anhänger der Vaterländischen Front kle- mit den Worten: „Nieder mit dem Faschis- ben Wahlplakate und malen politische Paro- mus. Freiheit“. Zuvor hatten bereits die len („Für Österreich“) und Kruckenkreuze Kommunisten ihre Unterstützung zugesagt. auf Straßen und Häuserwände in Eisenstadt. Freitag, 11. März 1938 Nacht 4.30 Uhr Odilo Globocnik, der spätere Gauleiter Die NSDAP-Landesleitung in Wien gibt Wiens, trifft in Wien ein und erteilt – im Auf- telefonisch den Befehl, im ganzen Land trag Hitlers – den Gauleitern „grünes Licht“ für Demonstrationen mit dem Ziel der Macht- Bundesländeraktionen zur Machtergreifung. ergreifung durchzuführen. Bundeskanzler Schuschnigg wird davon in Kenntnis gesetzt, dass Deutschland die 5.00 Uhr Grenzübergänge zu Österreich geschlossen Eisenstadt: Lagebesprechung in Eisen- hat. Die militärische Aufklärung meldet stadt. Portschy versammelt die Eisenstäd- verstärkte Truppenbewegungen im grenz- ter Gruppe um sich und gibt obigen Befehl nahen Raum. im Burgenland weiter. Für Eisenstadt und Putschgerüchte in Eisenstadt führen Oberwart sind längst Großveranstaltungen dazu, dass erste jüdische Familien das geplant, kleinere Veranstaltungen sollen in Land verlassen. den übrigen Bezirksvororten stattfinden.

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Fotos: BLA

10.00 Uhr Es beginnt der Anmarsch der Nationalso- zialisten nach Eisenstadt und Oberwart. Sammelstelle für Eisenstadt ist der Raum Oberberg-Kleinhöflein. Den ganzen Vormit- tag lang treffen neue Gruppen in Eisenstadt ein. Die Anreise der Nationalsozialisten wird von der Exekutive zwar beobachtet, aber – von verbalen Ausnahmen abgese- hen – nicht behindert. Gleichzeitig gehen Polizei und Bundes- heer in Eisenstadt in Stellung. Strategisch wichtige Punkte, alle Einfahrtsstraßen und Nationalsozialisten am Oberberg in der Bahnhof werden überwacht. Das Re- Eisenstadt.

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gierungsviertel um das Eisenstädter Land- reits in der Nacht an die Oberbefehlshaber haus wird weiträumig abgeriegelt. Bun- der Wehrmachtsteile sowie an SS-Chef desheer und Polizei werden von einer Ab- erging: „Ich beabsich- teilung der Frontmiliz, die gerade einen tige, wenn andere Mittel nicht zum Ziel Maschinengewehrlehrgang absolviert, un- führen, mit bewaffneten Kräften in Öster- terstützt. Die Frontmiliz erhält den Auf- reich einzurücken.“ trag, das Landhaus zu schützen. Vor dem Landhaus werden Maschinengewehre in 14.30 Uhr Stellung gebracht. Die Staatsmacht scheint Wien: In dem Glauben, die Situation da- zum Äußersten entschlossen. mit für Österreich retten zu können, gibt Schuschnigg dem Ultimatum Hitlers nach. Die Kreuzung Permayerstraße–Berggasse, Er teilt mit, dass er bereit sei, die Volksbe- die sich unweit des Landhauses befindet, fragung abzusagen. Eine Viertelstunde spä- wird von schwer bewaffneten Angehörigen ter setzt er auch Seyß-Inquart davon in des Bundesheeres und von Polizeibeamten Kenntnis. in Kampfausrüstung abgeriegelt. Neben „Spanischen Reitern“ wird auch ein Panzer- 15.05 Uhr fahrzeug des Heeres in Einsatz gebracht. Hermann Göring erhält von Hitler die Vollmacht, die weiteren Verhandlungen mit Wien: Innenminister Arthur Seyß-Inquart Schuschnigg zu führen. Telefonisch stellt er und der aus Berlin zurückgekehrte Staatsrat ein zweites Ultimatum: Schuschnigg muss Edmund Glaise-Horstenau überbringen zurücktreten und der Bundespräsident un- Schuschnigg in den Vormittagsstunden ein verzüglich NS-Innenminister Seyß-Inquart mit 12.00 Uhr befristetes Ultimatum Hit- mit der Regierungsbildung beauftragen. lers, die Volksbefragung abzusagen. Weiters fordert Göring, dass Seyß-Inquart ein vorbereitetes Telegramm mit dem Ersu- 13.00 Uhr chen um raschen Einmarsch deutscher Eisenstadt: Wie vereinbart legen die De- Truppen absendet, das die nachträgliche monstranten um 13.00 Uhr ihre Haken- völkerrechtliche Legitimierung des Einmar- kreuzarmbinden an. Die Gruppe wartet sches der Deutschen Wehrmacht darstellen auf weitere Instruktionen. Ziel ist die Ab- solle. Als Grund für den Einmarsch seien haltung einer Kundgebung vor dem Land- Arbeiterunruhen zu nennen. haus. Die SA versucht die Menschen- menge, die inzwischen auf 5000 bis 8000 15.30 Uhr angewachsen ist, zu beruhigen. Die SS Schuschnigg ist zum Rücktritt bereit und bleibt vorerst im Hintergrund. teilt dies Bundespräsident Miklas mit. Die- ser weigert sich allerdings hartnäckig, Berlin: Um 13.00 Uhr setzt Hitler seine Seyß-Inquart zum Bundeskanzler zu er- Unterschrift unter ein Dokument, das be- nennen. Er macht sich auf die Suche nach

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einem Regierungschef. Rechnungshofpräsi- Zwei Dutzend Soldaten des Bundesheeres dent , Staatssekretär Michael und Polizei verstellen den Weg. Ein Panzer- Skubl und der Generalinspekteur des Bun- fahrzeug ist in Stellung. Zwei Polizisten, Jo- desheeres, Sigismund Schilhawsky, lehnen sef Stoiber und Johann Mock, beginnen zu die Kanzlerschaft ab. verhandeln. Eine Verhandlungsdelegation Zur gleichen Zeit stellt Innenminister bestehend aus Schirk, Palham und Birthel- Seyß-Inquart im Säulensaal des Bundes- mer wird schließlich zu Sicherheitsdirektor kanzleramtes eine Ministerliste zusammen, Dr. Helmut Hirschal vorgelassen. Sie beruft in der sich neben Nationalsozialisten auch sich auf das Abkommen von Berchtesgaden, Deutsch-Nationale und Katholiken befin- das den Nationalsozialisten volle politische den. Seyß-Inquart rechnet immer noch mit Gleichberechtigung garantiert. Da zwei Tage dem Weiterbestand eines Staates Österreich zuvor die Vaterländische Front eine Demon- unter nationalsozialistischer Führung. stration für Österreich vor dem Landhaus ab- gehalten hat, fordern sie für die NSDAP nun 16.00 Uhr dasselbe Recht. Schließlich wird die Kundge- Eisenstadt: Informationen über die Absage bung vor dem Landhaus genehmigt und die der Volksbefragung werden bekannt. Darauf- drei Kommissäre schreiten zurück zur Stra- hin setzt sich der Zug der Nationalsozialisten ßensperre, wo sie unter großem Beifall das in Richtung Landhaus in Bewegung. An der Verhandlungsergebnis verkünden. Nachdem Spitze marschieren Heinz Adolf Birthelmer, Bundesheer und Polizei abgezogen sind, pas- Josef Palham und Dr. Friedrich Schirk. Erst siert der Zug die Straßensperre. Nachträglich bei einer Straßensperre auf der Höhe Per- betrachtet war diese Entscheidung ein mayerstraße–Berggasse, ca. 200 m vor dem schwerwiegender taktischer Fehler, da die Landhaus, kommt der Zug zum Stehen. Landesregierung damit das Gewaltmonopol

Foto: Sammlung Stoiber

Eine Polizeisperre mit Panzerfahr- zeug stoppt vor- erst den Marsch der Nationalsozia- listen.

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an die Nationalsozialisten abgab. Mittler- dem Gebäude der Bezirkshauptmann- weile befindet sich auch Portschy unter den schaft. Portschys Mann in Oberwart ist der Demonstranten. stellvertretende Gauleiter Hans Arnhold.

ca. 17.00 Uhr ca. 19.00 Uhr Portschy besteigt den Haydn-Gedenk- In Eisenstadt verbreitet sich die Nach- stein vor dem Landhaus und hält eine richt von Schuschniggs Rücktritt. Gleich- Rede. Darin fordert er ultimativ, dass die zeitig wird auch die Falschmeldung über Macht an ihn übertragen wird. Die im die Einsetzung des bisherigen nationalso- Landhaus versammelte ständische Landes- zialistischen Innenministers Seyß-Inquart regierung verweigert vorerst Gespräche. lanciert, was allgemein als Machtergrei- fung der Nazis interpretiert wird. Berlin: In einem Telefonat um 17.00 Uhr verlangt Göring, dass die neue Bun- Landeshauptmann Dipl. Ing. Hans Sylves- desregierung bis 19.30 Uhr eingesetzt wer- ter schickt zwei Kriminalbeamte zu Port- den muss. schy und bietet ihm Verhandlungen an,

Foto: BLA 17.15 Uhr Die RAVAG (Radio Verkehrs AG) teilt nunmehr offiziell mit, dass die für den 13. März geplante Volksbefragung abgesagt wurde.

ca. 18.00 Uhr Portschy besteigt erneut den Haydn-Ge- denkstein. Mittlerweile sind fast 8000 fana- tisierte Nationalsozialisten vor dem Land- haus versammelt. Während seiner Rede er- hält er die Nachricht von Schuschniggs Ab- sage der Volksbefragung. Er fordert die Massen auf, weiterhin das Landhaus zu be- lagern und begibt sich in seine Kommando- zentrale im Hause Arnold Ilkows, um wei- tere Befehle einzuholen. Für den Abend ordnet Portschy einen Fackelumzug an, um die Absage der Volksbefragung zu feiern.

Oberwart: Auch in Oberwart demons- Dr. Tobias Portschy am Haydn-Gedenk- trieren Tausende Nationalsozialisten vor stein vor dem Landhaus in Eisenstadt.

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Foto: Sammlung Stoiber Bild der Machter- greifung: Füh- rende Nationalso- zialisten wohnen dem feierlichen Fackelumzug vor dem Landhaus bei. Zeitgleich lässt Dr. Tobias Portschy die stän- dische Landesre- gierung verhaften.

was dieser ablehnt. Seyß-Inquart hat mitt- Sicherheitsdirektor Hirschal seines Amtes lerweile Code Fall 2 durchgegeben und enthoben und durch Breymann ersetzt. Jo- Portschy aufgefordert, die Macht in Eisen- sef Palham wird stellvertretender Sicher- stadt zu übernehmen. heitsdirektor. Die anwesenden Gendarme- rie- und Polizeioffiziere werden auf das Die Meldungen über den Rücktritt neue Regime vereidigt. Schuschniggs, Berichte über unzählige Nazi-Demonstrationen im gesamten Bur- Landeshauptmann Sylvester, Landesstatt- genland und der Druck der Massen vor halter Graf Max Coreth, der Abgeordnete dem Landhaus veranlassen die Landesre- im ständischen Bundeskulturrat Adalbert gierung zu resignieren. Miliz und Bundes- Riedl und Landesrat Dipl. Ing. Franz Strobl heer sind inzwischen abgezogen, das Land- sowie einige vaterländische Spitzenbeamte haus schutzlos den Nationalsozialisten aus- werden in den Räumlichkeiten des Landes- geliefert. hauptmannes verhaftet und unter Hausar- rest gestellt. Nur wenige Stunden später Während vor dem Landhaus der Facke- werden sie in Burgenlands erstem „Anhal- lumzug noch in Gang ist, dringen Portschy, telager“ – der ehemaligen Kaserne der SS-Führer Helmut Breymann, ein Führer Frontmiliz im früheren Eisenstädter Bür- der SA namens Zorn, Josef Palham und Dr. gerspital – eingeliefert und am 15. März Friedrich Schirk, begleitet von bewaffneter der Gestapo übergeben. SS und SA, ins Landhaus ein. Sie werden Die Nationalsozialisten haben im Bur- vom Bezirkshauptmann von Eisenstadt, genland die Macht übernommen. Dr. Ernst Mayrhofer, einem Nationalsoziali- sten, geführt. Ihr erster Weg führt zur Si- 19.30 Uhr cherheitsdirektion. Unter dem Vorwand, Als das deutsche Ultimatum um 19.30 im Auftrag der neuen nationalsozialisti- Uhr abläuft, kommt Staatssekretär Skubl schen Bundesregierung tätig zu sein, wird mit der falschen Meldung zum Bundesprä-

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sidenten, dass deutsche Truppen die den Mittelschulprofessoren Wimmer und Grenze bereits überschritten haben. Auch Ruzsa stellen die erste „Putzschar“ von Ei- Schuschnigg bedrängt nun den Präsiden- senstadt. Sie werden gezwungen, die Paro- ten, Seyß-Inquart mit der Regierungsbil- len der Vaterländischen Front an Straßen dung zu beauftragen. Miklas verweigert und Häuserwänden zu entfernen. dies weiterhin. ca. 21.00 Uhr 19.47 Uhr Allmählich verbreiten sich die Gerüchte Bundeskanzler Kurt Schuschnigg erklärt über den Putsch der Nationalsozialisten in in einer Rundfunkrede seinen Rücktritt. Er die burgenländischen Orte. In der Siegen- widerspricht vehement den Gerüchten, dorfer Volksschule hält Johann Bögl gerade wonach in Österreich Arbeiterunruhen eine flammende Rede vor Arbeitern und ausgebrochen seien und informiert die wirbt um Unterstützung für Schuschniggs Österreicher über das deutsche Ultimatum. Volksbefragung, als er von Gendarmen Um „nicht deutsches Blut zu vergießen“ über die Machtergreifung der Nazis erfährt. trete er zurück und schließt mit den Wor- In Illmitz kann der Kommunist Vinzenz ten: „Gott schütze Österreich.“ Böröcz den mittlerweile aus Eisenstadt zu- rückkehrenden SA-Männern nur mit 20.18 Uhr Mühe entkommen. Auch er ist in den See- Seyß-Inquart hält eine kurze Rundfunk- winkel geschickt worden, um Stimmung ansprache, in der er festhält, dass er als In- für Schuschnigg zu machen. nenminister nach wie vor im Amt sei. Er ersucht die Bevölkerung, Ruhe zu bewah- 22.00 Uhr ren, und fordert die Sicherheitsorgane der Inzwischen kursieren bereits „schwarze NSDAP dazu auf, für Ordnung zu sorgen. Listen“, die lange vor der Machtergreifung Widerstand gegen die eventuell einmar- vom Sicherheitsdienst der SS (SD) zusam- schierende Deutsche Wehrmacht hätte un- mengestellt wurden. Die Polizeiorgane, die ter allen Umständen zu unterbleiben. SS und die SA beginnen in ganz Österreich mit den Verhaftungen. ca. 20.45 Uhr Der stellvertretende Sicherheitsdirektor Indessen erhält Hitler die telefonische Mit- Palham lässt alle öffentlichen Gebäude, teilung, dass Italien nichts gegen den deut- Dienststellen der Vaterländischen Front schen Einmarsch in Österreich unterneh- und der Frontmiliz sowie alle wichtigen men werde. Hitler lässt dem ausrich- Betriebe besetzen. Unter den ersten Ver- ten, dass er ihm das nie vergessen werde. hafteten befinden sich jene drei Angehöri- gen der Frontmiliz, die noch wenige Stun- 23.30 Uhr den zuvor das Landhaus bewacht haben. Der staatliche Rundfunk RAVAG berich- Landesschulinspektor Nowak und die bei- tet, dass Bundespräsident Miklas Seyß-In-

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quart mit der Bildung einer Regierung be- 5.30 Uhr auftragt hat. Obwohl alle Ultimaten erfüllt werden – die Absage der Volksbefragung, die Demis- Samstag, 12. März 1938 sionierung Schuschniggs und die Einset- 0.30 Uhr zung einer nationalsozialistischen Regie- Staatsrat Dr. , späterer Gaulei- rung – marschieren im Morgengrauen des ter von Niederdonau, hält eine kurze 12. März 1938 deutsche Truppen in Öster- Rundfunkansprache, in der er nochmals reich ein. von der Beauftragung Seyß-Inquarts berich- tet und die Nationalsozialisten auffordert, ca. 9.00 Uhr „beispielgebende Disziplin“ zu bewahren. Portschy sendet ein Telegramm an Hit- ler, in welchem er auf die Machtergreifung 2.00 Uhr Bezug nimmt und Hitler ins Burgenland Auf dem Asperner Flughafen landen SS- einlädt. Chef Heinrich Himmler und seine Truppe, die sofort mit der Verhaftung pro- Dienstag, 15. März 1938 minenter politischer Gegner beginnt. Ri- „Unter ungeheurem Jubel der Bevölke- chard Schmitz (Bürgermeister von Wien), rung und festlichem Glockengeläute“ er- , Friedrich Hillegeist (Ge- folgt der Einmarsch der 300 Mann starken werkschaftsfunktionär) und Franz Olah reichsdeutschen Schutzpolizei in Eisen- zählen zu den ersten, die der SS in die stadt. Weniger spektakulär aber mit umso Hände fallen. Am 1. April werden sie mit größerer Wirkung folgt die Gestapo, die ih- dem so genannten „Prominententrans- ren Sitz im Landhaus in Eisenstadt einrich- port“, dem ersten Transport aus Öster- tet. Die Leitung der Gestapo untersteht reich in das Konzentrationslager Dachau dem SS-Obersturmführer Regierungsrat deportiert. Otto Bovensiepen.

ca. 5.00 Uhr Zeitgleich findet in Wien am Helden- Portschy wird auf Basis der geltenden platz eine Parade vor dem Führer statt, ständischen Verfassung vom Bundeskanz- nachdem bereits um 11.00 Uhr eine Kund- ler Seyß-Inquart zum Landeshauptmann gebung zu Ehren Hitlers vor ca. 250000 des Burgenlandes ernannt. Menschen am Heldenplatz stattfand.

Die neue Regierung besteht aus: Landes- Ebenfalls mit 15. März löst Portschy den statthalter (entspricht dem Landeshaupt- alten Landtag auf und bestellt einen neuen mannstellvertreter) Josef Palham, Landes- Landtag mit 30 Mitgliedern. rat Dr. Friedrich Schirk, Landesrat Ing. Heinz Adolf Birthelmer, Landesrat Anton Unmittelbar nach dem Anschluss setzt Schlamadinger, Landesrat Alfred Simon. Portschy ein umfangreiches Arbeitspro-

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Foto: Sammlung Stoiber

Einmarsch der deutschen Schutz- polizei in Eisen- stadt. gramm um: Die Stellen in den Ämtern bei der Richtlinie, an bewährten Mitglie- müssen mit verlässlichen Nationalsozialis- dern aus der Kampfzeit festzuhalten. ten besetzt werden und Portschy folgt da- Österreichisch gesinnte Beamte, Lehrer,

Foto: Gemeindearchiv Hornstein

Auch die Hornsteiner Hitlerjugend marschiert in Wien am Heldenplatz auf.

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Fotos: Silvia Boross

Polizei- und Gendarmeriebeamte werden – falls nicht verhaftet – aus dem Dienst ent- lassen bzw. zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Die Beamtenschaft, Polizei und Gendarmerie werden alsbald auf den Füh- rer vereidigt. Portschys Ehrgeiz – in seiner kurzen „Amtszeit“ – gilt der Änderung des Schul- gesetzes, der Bodenreform sowie der Lö- sung der „Juden- und Zigeunerfrage“. Die politischen Veränderungen haben auch Auswirkungen auf das Pressewesen, so wird beispielsweise die Neue Eisenstäd- ter Zeitung eingestellt. Portschy gründet die Wochenzeitung Grenzmark Burgen- land und fungiert selbst als Herausgeber. Hitler in Österreich.

* Im vorliegenden Kapitel wird versucht, die dramatischen Stunden vor der Machtergreifung der Natio- nalsozialisten nachzuzeichnen. Die angegebenen Uhrzeiten basieren zum Teil auf Zeugenaussagen von Zeitgenossen und zum Teil auf Schätzungen der Autoren.

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„Dr. Portschy betonte, dass Kroaten und Magyaren schon Jahrhunderte in friedli- cher Zusammenarbeit lebten und es weiterhin so bleiben wird; nur Juden und Zigeuner seien Parasiten am Volkskörper und müssen aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen werden.“

Grenzmark Burgenland vom 2. April 1938

DER BEGINN DER VERFOLGUNGSMASSNAHMEN

Die erste Verhaftungswelle Reichs verhaftet. Da das Burgenland das erste Bundesland war, in dem die National- Die erste Verhaftungswelle begann un- sozialisten die Macht übernommen hatten, mittelbar mit der „Machtergreifung“ und gab es hier auch die ersten politischen Ver- dauerte vom 11. bis zum 15. März 1938. haftungen. Die im Landhaus befindlichen Österreichweit wurden mehr als 10000 Mitglieder der Landesregierung und hohen Personen in den ersten Tagen des Dritten Beamten des Ständestaates waren unter

Foto: BLA

Die Mitglieder der ständischen Landesregierung wurden noch in der Nacht des 11. März 1938 verhaftet. Landeshauptmann Dipl. Ing. Hans Sylvester (4. v. li.), Landes- statthalter Graf Max Coreth (6. v. li.), Landesräte Michael Berthold (7. v. li.), Dr. Karl Posch (8. v. li.), Dipl. Ing. Franz Strobl (9. v. li.), Erster Präsident Michael Koch (stehend).

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den ersten politischen Häftlingen Öster- In der Nacht vom 11. auf den 12. März reichs. Landeshauptmann Hans Sylvester, 1938 erfolgte die erste große Verhaftungs- Landesstatthalter Graf Max Coreth, der welle in allen Bezirken des Landes. In Jen- Abgeordnete des Bundeskulturrates Adal- nersdorf schwärmten beispielsweise be- bert Riedl und Landesrat Franz Strobl wur- reits um 4.00 Uhr morgens die Gendar- den in den Räumlichkeiten des Landes- men aus, um die Anhänger des alten Re- hauptmannes verhaftet und unter Hausar- gimes zu arrestieren. Dazu griff man auf rest gestellt. Landesrat Dr. Karl Posch und bereits vorgefertigte Namenslisten zurück, der Landesführer-Stellvertreter der Vater- welche um die Strafkarteien der Bezirks- ländischen Front Walter Riebl wurden gerichte ergänzt wurden. Die Listen wur- ebenfalls noch am 11. März inhaftiert. den per Fernschreiber aus Eisenstadt an Nur wenige Stunden später wurden sie in die einzelnen Bezirksgerichte gesendet. Burgenlands erstes „Anhaltelager“ – der Die Verhaftungen führten die örtlichen ehemaligen Kaserne der Frontmiliz im frü- Gendarmerieposten durch, die von der lo- heren Eisenstädter Bürgerspital – eingeliefert kalen SA und der SS unterstützt wurden. und Mitte März der Gestapo übergeben. Mangels Dienstfahrzeuge mussten die Häftlinge oftmals mit öffentlichen Ver- Der aus Triest stammende Führer des kehrsmitteln in ihre Gefängnisse transpor- SS-Gaues Burgenland, Helmut Breymann, tiert werden. wurde neuer Sicherheitsdirektor. Er war der Regisseur der nun folgenden Terror- Eine Auswertung der im Burgenländi- und Verhaftungswelle und als solcher auch schen Landesarchiv befindlichen Opferfür- maßgeblich an den ersten Vertreibungen sorgeakten* ergibt folgendes Bild: Annä- der jüdischen Burgenländer beteiligt. hernd 60% der ersten politischen Häftlinge Als Breymanns Stellvertreter fungierte wurde in die Bezirksgerichte gebracht. Von SA-Brigadeführer Josef Palham aus Eisen- den 100 politisch Verfolgten kamen drei- stadt und danach SS-Hauptsturmführer zehn in Gewahrsam der Gestapo und Martin Gabriel. Alle sicherheitspolizeili- mussten oft stundenlange Folterungen und chen Angelegenheiten waren in den Hän- Verhöre über sich ergehen lassen. Drei- den der SS und SA konzentriert. Noch in zehn Personen wurden in Konzentrations- der Nacht des 11. März erfolgte die Verei- lager deportiert. Ein Burgenländer, Andreas digung der in der Sicherheitsdirektion und Thüringer aus Nickelsdorf, wurde auf dem im Landhaus anwesenden Gendarmerie- Weg zum Lager erschlagen. und Polizeibeamten auf das neue Regime. Mehr als ein Drittel (36%) der nachge- Auf Befehl Josef Palhams wurden alle öf- wiesenen Verhaftungen im März erfolgte fentlichen Gebäude und die Dienststellen in Eisenstadt. In den Bezirken Jennersdorf der Vaterländischen Front sofort besetzt waren 19%, Mattersburg 12%, Oberpullen- und die Funktionäre der VF und der Front- dorf und Güssing je 10% und in Neusiedl miliz verhaftet. 7% der Verhaftungen zu registrieren.

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Foto: Sammlung Stoiber

Unter dem Jubel der Eisenstädter nimmt am 15. März 1938 die deutsche Schutz- polizei das Bur- genland „unter Besitz“. Mit ihr kommt auch die Gestapo.

Unter den Verhafteten befanden sich Diese erste große Verhaftungswelle en- zwölf hohe Funktionsträger der Vaterländi- dete am 15. März 1938 mit dem Einzug schen Front, darunter wie oben angeführt der Gestapo und der Sicherheitspolizei im mehrere Regierungsmitglieder, Abgeord- Burgenland. Die burgenländischen Natio- nete des Ständischen Landtages und Bür- nalsozialisten wurden als Strategen des germeister. Mehr als ein Viertel der Verhaf- Terrors vorerst von Reichsdeutschen „Ex- teten stammte aus der traditionell öster- perten“ abgelöst. Unmittelbar danach er- reich-freundlichen Verwaltung. Rund 8% folgte die Einrichtung einer Gestapo-Stelle der Verhafteten waren Gendarmen oder im Eisenstädter Landhaus. Ein Teil der ver- Polizisten, zwei der verhafteten Gendar- hafteten Burgenländer wurde nun der meriebeamten jüdischer Herkunft. Gegen Gestapo übergeben. Ein Großteil kam nach sie richtete sich der Zorn der Nationalso- mehreren Wochen Haft wieder frei. Für ei- zialisten besonders. Der Postenkomman- nige begann eine Odyssee durch die Lager dant von Großpetersdorf, Karl Halaunbren- des Dritten Reiches. ner, und der Postenkommandant von Güs- sing, Edmund Springer, fielen dem natio- Am 1. April 1938 rollte bereits der erste nalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer. Häftlingstransport von Österreich ins Kon- Annähernd jeder dritte Verhaftete zentrationslager Dachau. Unter den 151 stammte aus der Lehrerschaft, die Zahl der Häftlingen des so genannten Prominenten- Arbeiter und ausgewiesenen Kommunisten transportes befand sich mit dem späteren bzw. Revolutionären Sozialisten in der ers- sozialdemokratischen Landesrat Stefan Bil- ten Verhaftungswelle ist marginal. Der Be- les auch ein Burgenländer. rufsanteil der Landwirte – neben den Leh- rern eine weitere Bastion der Vaterländi- Die März-Verhaftungen waren in erster schen Front – war überproportional hoch. Linie auf einschüchternde Effekte ausgerich-

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Foto: BLA

Das Eisenstädter Landhaus war das Zentrum des NS- Terrorapparates im Burgenland. Hier waren die Landeshaupt- mannschaft (bis Oktober 1938), der Sicherheits- dienst der SS, die Kreisleitung der NSDAP und die Gestapo unterge- bracht.

tet. Der „Säuberungscharakter“ stand, abge- Das NS-Terrorsystem sehen von der rigorosen Zerstörung der Or- ganisationsstruktur der Vaterländischen Als „Burg der Gerechtigkeit und bur- Front, zu diesem Zeitpunkt noch nicht im genländischen Heimatliebe“ 1929 fertig- Vordergrund. Opfer der Verhaftungen wa- gestellt, beherbergte das Eisenstädter ren alle, die sich in den vergangenen Mona- Landhaus ab März 1938 nicht nur die ten und Wochen besonders gegen die Natio- Landeshauptmannschaft, sondern auch nalsozialisten exponiert hatten.** die Kreisleitung der NSDAP des Kreises Abgesehen von den „befohlenen“ Ver- Eisenstadt, eine Kriminalpolizei-Leitstelle, haftungen, kam es auch zu spontanen und eine Außenstelle der Gestapo und ein unkontrollierten Gewaltexzessen gegen Büro des Sicherheitsdienstes der SS. Nir- politische Gegner der Nationalsozialisten. gendwo sonst im Burgenland waren so Am späteren Abend des 11. März 1938 viele NS-Institutionen auf so engem Raum hatten die Nazis selbst in den entlegensten konzentriert wie in Einsenstadt. Nir- Orten des Landes die Macht übernommen. gendwo sonst war das Zusammenspiel in- Vaterländisch gesinnte Mitbürger, vor al- nerhalb des NS-Machtapparates so effi- lem Bürgermeister und Gendarmen, wur- zient wie in Eisenstadt. NSDAP, Gestapo, den sofort ihrer Funktion enthoben und Sicherheitsdienst der SS (SD) und Krimi- oftmals verprügelt. Vor allem die jüdischen nalpolizei bildeten die Säulen des natio- Mitbürger erkannten rasch, was sie vom nalsozialistischen Terrorapparates im Bur- neuen Regime zu erwarten hatten. genland.

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Die NSDAP „Säuberungsaktionen“ gab es auch im Das NS-Terrorsystem fußte auf dem Zu- Bereich der öffentlichen Verwaltung sowie sammenspiel der diversen SS- und Polizei- im Polizei- und Gendarmerieapparat. Ehe- körper, dem nationalsozialistischen Justiz- malige Mitglieder der SDAP, Kommunisten apparat und der NSDAP. Besonders in den und ehemalige Angehörige der „Vaterländi- ersten Monaten nach der Machtergreifung schen Front“ standen quasi unter ständiger gingen Maßnahmen des Terrors aus dem Beobachtung der NSDAP. Kreis der ehemals illegalen Nationalsozialis- Bei der „Entfernung“ der burgenländi- ten aus, die nunmehr leitende Funktionen schen Roma und Juden aus dem gesell- in Staat und Wirtschaft bekleideten. Die schaftlichen Leben spielten lokale NSDAP- ersten Opfer von Denunziationen waren Größen eine wesentliche Rolle. Die loka- ehemalige „vaterländische“ Funktionäre, len Parteistellen versorgten Kriminalpolizei etwas später Kommunisten, Sozialisten und Gestapo mit den notwendigen Daten und Juden. und legten vielfach selbst Hand an. In einem Rundschreiben des Komman- In den letzten Kriegstagen lag es in der deurs der Gendarmerie im Nie- Kompetenz der Partei, die Evakuierungs- derdonau vom 15. Dezember 1939 wird transporte der jüdischen Ostwallarbeiter die dominierende Stellung der NSDAP her- zu organisieren. gaben Liquidie- vorgehoben. Darin werden alle unterstehen- rungsbefehle, NSDAP- – den Dienststellen angewiesen, „bei all ihren „Herren über Leben und Tod“ – machten Amtshandlungen enger noch, als es bisher sich noch am Vorabend der Befreiung grau- der Fall war, mit den Kreisleitern und Orts- samer Kriegsverbrechen schuldig. gruppenleitern der NSDAP zusammenzuar- beiten. Ganz besonders gilt dies für die Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) Gendarmerieposten in den Fällen, wo Die Geheime Staatspolizei kann als das staatspolitische Interessen gefährdet er- wichtigste Terrorinstrument des NS-Staates scheinen, wozu auch strafbare Handlungen bezeichnet werden. Sie sorgte für die ent- nach dem Heimtückegesetz gehören.“ sprechende Behandlung der Opfer von An- Das Wohlwollen des NS-Ortsgruppenlei- zeigen und Denunziationen. ters konnte eine Karriere in Staat und Ein Erlass Himmlers vom 18. März Wirtschaft beschleunigen – aber genauso 1938 regelte die Einrichtung von Gestapo- beenden. Die Rücksprache bei lokalen Par- Stellen in Österreich, die in Wien, Graz, teifunktionären bei Postenbesetzungen Linz, Salzburg, , Innsbruck und wurde obligatorisch. Manche Positionen Eisenstadt untergebracht waren und die Si- waren regelrecht an eine NSDAP-Mitglied- cherheitsdirektionen bzw. Bundespolizeidi- schaft gebunden. So war beispielsweise die rektionen ersetzten. Mitgliedschaft beim Nationalsozialistischen Die Gestapo-Stellen unterstanden unmit- Lehrerbund eine Voraussetzung, um als Er- telbar dem Chef der Sicherheitspolizei und zieher tätig werden zu dürfen. des SD, später dem Reichssicherheits-

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Quelle: BLA – Opferfürsorge hauptamt (RSHA). Der Gestapo wurde das Recht eingeräumt, sich bei Bedarf der Ord- nungspolizeibehörden als Hilfsorgane zu bedienen. Sie fungierte als „politische Poli- zei“. Mit Fortgang des Krieges wurden auch die in der Kriegswirtschaft eingesetz- ten Kriegsgefangenen, Fremdarbeiter und Zwangsarbeiter der Gestapo unterstellt. An der Vertreibung und Ermordung der bur- genländischen Juden hatte die Gestapo we- sentlichen Anteil.

Im Jahr 1939 erfolgte die Auflösung der Gestapo-Stelle Eisenstadt als autonome Be- hörde. Das Aufgabenfeld wurde auf die Ge- stapo-Stellen Wien und Graz aufgeteilt. In Eisenstadt verblieb ein Grenzpolizeikom- missariat (Greko), das der Gestapo unter- stellt war und mit Gestapo-Beamten be- setzt war. Das Greko Eisenstadt hatte Ne- benstellen in Bruck an der Leitha, Kittsee und Sauerbrunn. Als logistisches Zentrum diente das Ei- senstädter Landhaus. Das Betätigungsfeld des Grenzpolizeikommissariates Eisenstadt erstreckte sich räumlich weit über den Kreis Eisenstadt, und zwar über die heuti- gen Bezirke Eisenstadt, Mattersburg und Oberpullendorf. Erster Leiter war ein Reichsdeutscher namens Bovensiepen. Ihm folgte SS-Hauptsturmführer Johann Pöllhu- ber. Gegen Kriegsende bestand das Grenz- polizeikommissariat Eisenstadt aus sieben Personen. Besonders berüchtigt waren die Dunkelzellen des Gestapo-Gefängnisses, das sich ebenfalls im Landhaus befand. Eine im Landesgericht Bruck an der Leitha und eine weitere in Kittsee unterge- Planskizze der Gestapo-Räume im brachte Gestapo-Einheit „behandelte“ die Westflügel des Eisenstädter Landhaus.

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politischen Vergehen des heutigen Neu- Landhaus von Eisenstadt wurde eine SD- siedler Bezirkes. Der dort tätige Gestapo- Hauptaußenstelle eingerichtet. Dieser un- Beamte Alois Hermann war wegen seiner terstanden die SD-Außenstellen Oberpul- besonderen Grausamkeit berüchtigt und lendorf, Bruck an der Leitha und Engerau hatte zahlreiche Tötungsdelikte zu verant- (Petrzalka, heute ein Vorort von Press- worten. burg). Die SD-Hauptaußenstelle Eisenstadt Für den Wirkungsbereich des heutigen war Bestandteil des SD-Unterabschnittes südlichen Burgenlandes, das ab dem Wien, der wiederum zum SD-Oberab- 1. Oktober 1938 zum Gau Steiermark ge- schnitt Donau zählte. hörte, war eine Gestapo-Stelle in Fürsten- Der SD-Apparat bestand aus einem Mix feld (als Außenstelle der Gestapo-Stelle von haupt- und nebenberuflichen Mitarbei- Graz) eingerichtet. tern. Wesentliche Aufgabenfelder der SD- Die Tätigkeit der Gestapo war durch äu- Stellen war der Aufbau eines flächende- ßerste Brutalität gekennzeichnet, Miss- ckenden Netzes an Spitzeln – so genann- handlungen und Folterungen der Verdächti- ten V-Männern (Vertrauensmännern). Be- gen standen an der Tagesordnung. Nur die vorzugt wurden Berufsgruppen angewor- Gestapo hatte die Befugnis, „Schutzhaft“ ben, denen man ein natürliches Vertrau- zu verhängen. Hunderte Burgenländer ensverhältnis entgegenbringt oder solche, wurden von der Gestapo in Konzentrati- die beruflich viel Kontakt mit Menschen ons- und Vernichtungslagern eingewiesen. haben. In Frage kamen Lehrer, Ärzte, aber auch Berufsgruppen wie Postboten oder Die Sicherheitsdienst-Außenstelle Rauchfangkehrer. Keine noch so privaten (SD) Eisenstadt Lebensbereiche blieben dem NS-Überwa- Die Aufgaben des Sicherheitsdienstes la- chungsstaat verborgen. gen ursprünglich in nachrichtendienstlichen Im Bereich der SD-Hauptaußenstelle Ei- Tätigkeiten. Der SD überwachte die politi- senstadt waren mehr als 300 Informanten schen Gegner – war also so etwas wie die tätig. Aufgabe der V-Männer war es, in re- weltanschauliche Polizei der Nationalsozia- gelmäßigen Abständen „Stimmungsbe- listen –, kontrollierte aber auch hohe Partei- richte“ aus ihrem engsten Umfeld zu lie- funktionäre und Mitglieder der NS-Organi- fern. Diese waren meist trivialer Natur, sationen. Oberster Chef des Sicherheitsdiens- führten aber oft zu Verhaftungen. Die Spit- tes war und ab 1942 der zelberichte wurden in der SD-Außenstelle „Österreicher“ Ernst Kaltenbrunner. Eine gesammelt, ausgewertet und an den SD- wesentliche Rolle fiel dem SD bei der „Lö- Unterabschnitt weitergeleitet bzw. direkt sung der Judenfrage“ zu, die vom Judenre- an die Gestapo zum Vollzug weitergege- ferenten des SD-Wien, Adolf Eichmann, ben. Ehemalige Funktionäre und Politiker maßgeblich „mitgestaltet“ wurde. der Sozialdemokraten und Kommunisten Der Aufbau der SD-Dienststellen im Bur- standen unter der ständigen Kontrolle des genland begann bereits im Jahr 1938. Im SD. So meldete z. B. die SD-Außenstelle Ei-

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Foto: BLA

Das Landhaus beherbergte ein gefürchtetes Polizeigefängnis. Die Zellen waren im Keller untergebracht. Im Bild der Gefängnishof kurz vor dem Anschluss.

senstadt am 28. Juni 1938 die Namen von Die Kriminalpolizei 27 politischen Funktionären an die vorge- Vollzugsorgan für den Sicherheitsdienst setzte Dienststelle, darunter den späteren der SS und die Gestapo war in vielen Fäl- Landesrat Stefan Billes, den Bürgermeister len die Staatliche Kriminalpolizei (Kripo). von Rust Alois Holler, Landesrat Ignaz Till Zum Hauptaufgabenfeld gehörte aber die oder den langjährigen Vorstandsdirektor Bekämpfung aller „nicht politischen“ Ver- der BEWAG Eugen Horvath, was zu deren brechen. Verhaftung und Internierung führte. Die Kriminalpolizei spielte eine besondere Die Eisenstädter SD-Stelle war bis Ende Rolle bei der „Bekämpfung der Zigeuner- März 1945 intakt. Dann gab der letzte Lei- frage“. Schaltzentrale dafür wurde die Krimi- ter der SD-Hauptaußenstelle, Dr. Heinrich nalpolizeileitstelle Wien mit den zahllosen Kunnert, den Befehl, das gesamte belas- Außenstellen in allen Gauen der . tende Aktenmaterial der SD-Stellen Eisen- In der Kripo-Leitstelle Wien wurde dafür ei- stadt, Oberpullendorf und Bruck an der gens die Inspektion I B – „Dienststelle für Zi- Leitha zu vernichten. Im Zuge der Beseiti- geunerfragen“ eingerichtet, der ein SS-Stan- gung der Akten geriet auch das Landhaus dartenführer namens Kapphengst vorstand. in Brand. Das Feuer vernichtete die Büro- Diese Dienststelle ordnete im Mai 1938 räume der Gestapo und des Sicherheits- als Maßnahme der „vorbeugenden Verbre- dienstes der SS vollständig. chensbekämpfung“ die Verhaftung burgen-

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ländischer Roma und deren Verschickung in militärischen Strafkompanien im sinnlo- in die Konzentrationslager Dachau oder sen Kampfeinsatz fielen. Vier Burgenländer Mauthausen an. verübten in Haft Selbstmord.*** Zu den häufigsten politischen Delikten, Der Kriminalpolizeileitstelle Wien unter- nach denen Burgenländer von der natio- stand auch das im November 1940 als „Fa- nalsozialistischen Justiz abgeurteilt wur- milienlager“ eingerichtete Zigeunerlager den, zählten „Vorbereitung zum Hochver- Lackenbach. Lackenbach war sowohl Ar- rat“ „Wehrkraftzersetzung“ und Verurtei- beitslager als auch Durchgangsstation vor lungen wegen Verstöße gegen das „Heim- der Vernichtung. Die dortigen Lagerkom- tückegesetz“. Die meisten Todesurteile mandanten und deren Stellvertreter waren wurden wegen „Vorbereitung zum Hoch- Beamte der Dienstelle I B. verrat“ verhängt. Fast ausschließlich mit Todesurteilen en- Bei der Abwicklung der Verfolgungsmaß- deten Verfahren wegen „Fahnenflucht“. nahmen gegen Zigeuner und Juden im Gegen Kriegsende verbreiteten Standge- Burgenland spielten neben der Kriminalpo- richte Angst und Schrecken. Nicht nur Sol- lizei die lokalen Gendarmerieposten eine daten der Wehrverbände, auch Zivilisten nicht unwesentliche Rolle. und ausländische Zwangarbeiter wurden Opfer dieser Art von Schnelljustiz.

Die Opfer der politischen Verfolgung Foto: BLA

Nach den Aufzeichnungen des Doku- mentationsarchivs des Österreichischen Wi- derstandes wurden 512 Burgenländer Op- fer von nationalsozialistischen Verfolgungs- maßnahmen. Davon sind die Namen von 116 Personen bekannt, die aus politischen Gründen verhaftet wurden und den natio- nalsozialistischen Terror nicht überlebten. Von diesen 116 erfassten Opfern verstar- ben 55 Personen in Konzentrationslagern oder Polizeigefängnissen. Wegen Vorberei- tung zum Hochverrat wurden 25 Burgen- länder hingerichtet, 13 Personen von Kri- minalpolizei, SS oder Gestapo ermordet. Der Wehrmachtsgerichtsbarkeit fielen 7 Landeshauptmann Dipl. Ing. Hans burgenländische Soldaten zum Opfer, die Sylvester war das prominenteste Opfer als Deserteure hingerichtet wurden bzw. des Nationalsozialismus im Burgenland.

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Die ersten politisch Verfolgten waren die fanden sich bereits die Namen Stefan Bil- Anhänger des bürgerlichen Lagers, meist les, Ignaz Till, Eugen Horvath und weitere hohe Repräsentanten bzw. Anhänger der Va- 24 Aktivisten der SDAP und KP. terländischen Front. Ihre Haftzeiten betru- Neben Erwachsenen finden sich in den gen im Durchschnitt nur wenige Wochen. Untergrundzellen junge Arbeiter, frühere Die Verschickung in ein Konzentrationslager Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterju- stellte eher die Ausnahme dar. Prominentes- gend, der Kinderfreunde, der Roten Falken tes Todesopfer war der Landeshauptmann und Wehrsportler. Der Schwerpunkt der il- des Burgenlandes Hans Sylvester, der am legalen Tätigkeit bestand, von einigen 19. Jänner 1939 im Lager Dachau starb. spektakulären Aktionen wie dem Durch- schneiden von Fernsprechverbindungen Ausführliche Aufzeichnungen über den Wi- oder dem Fällen von „Hitlereichen“ abge- derstand der katholischen Kirche gibt es von sehen, aus der Produktion und dem Vertei- der Apostolischen Administratur Burgenland. len von Flugschriften, Schmieraktionen Demnach erhielten 88 Priester ein Schul- und und dem Sammeln von Beiträgen für in Predigtverbot, 20 wurden des Ortes oder des Not geratene Genossen. Kreises verwiesen, 23 zu Freiheitsstrafen ver- Die Gruppen waren in den meisten Fäl- urteilt, 4 zu Geldstrafen. Drei Priester lieferte len sehr klein und hatten untereinander man ins Konzentrationslager Dachau ein. Der kaum Kontakt. Mit Beginn des Krieges setz- Pfarrer von Deutsch Tschantschendorf, Alois ten die Aktivitäten der linken Widerstands- Dolezal, starb nach seiner Verhaftung im Ge- gruppen ein. Obwohl ihre Aktionen ver- fängnis in Graz auf Grund eines Bombentref- gleichsweise harmlos anmuten, ging die Ge- fers. Pater DDDr. Johannes Capistran Pieller, stapo dennoch mit äußerster Brutalität ge- Praeses des Eisenstädter Franziskanerklosters, gen sie vor. Todesurteile und Einweisungen wurde am 23. August 1943 wegen Unterstüt- in Konzentrationslager waren die Konse- zung der Antifaschistischen Freiheitsbewe- quenz, wenn eine Zelle aufgedeckt wurde. gung Österreichs verhaftet und 1944 zum Widerstandsgruppen gab es in Parndorf, Tode verurteilt. Am 15. April 1945 wurde er Nickelsdorf, Zurndorf, Gols, Frauenkirchen, im Zuge eines Massakers im Gefangenenhaus Halbturn, Mönchof, Siegendorf, Hornstein Stein, wohin die Gefangenen des Landesge- und Steinbrunn. Die größte Gruppe entstand richts Wien vor den Russen evakuiert worden in Pinkafeld und umfasste Aktivisten aus den waren, von der SS ermordet. Orten Pinkafeld, Tauchen, Oberwart, Bern- stein und Stegersbach. Gegen Aktivisten der Für Kommunisten und Sozialdemokra- südburgenländischen Gruppe wurden die ten gestaltete sich eine illegale politische meisten Todesurteile im Burgenland gefällt. Tätigkeit ungleich schwieriger. Bekannte Aktivisten standen unter der ständigen Knapp 2000 Burgenländer machten Kontrolle des SD. Auf einer im Juni 1938 nach 1945 Ansprüche nach Opferfürsorge- erstellten Liste der SD-Stelle Eisenstadt be- gesetz geltend und wurden für ihre in der

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Fotos: DÖW, BLA – Opferfürsorge

Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung im Burgenland.

Nazizeit erlittenen Qualen von der Repu- mat zurück. Die meisten Opfer hatten die blik „entschädigt“. Nur sehr wenige jüdi- burgenländischen Roma zu beklagen. Ihre sche Burgenländer sind in diesen Akten Ansprüche auf Entschädigung der erlitte- der Opferfürsorge erfasst. Die meisten von nen Qualen wurden als letzte gesetzlich ihnen kehrten nicht mehr in ihre alte Hei- geregelt.

* Nach dem Opferfürsorgegesetz (OFG) wurden die Opfer des Nationalsozialismus entschädigt. Die Ab- wicklung ab 1945 erfolgte im Auftrag des Bundes in den Ländern. Im Burgenland wurden bis zum Jahr 2003 fast 2000 Opferfürsorgeanträge gestellt. Diese müssen auch eine detaillierte Beschreibung der Ver- folgungsmaßnahmen und die Haft- bzw. Lagerzeiten beinhalten. Aus diesen Daten wurden jene gefiltert, die bereits in der Zeit von 11. bis 15. März aus politischen oder rassischen Gründen verhaftet wurden. Die Aufstellung beinhaltet deshalb nur jene Personen, die einen Antrag auf Genuss nach dem OFG ge- stellt haben. Personen, die dies nicht getan haben, sind in der Auswertung auch nicht erfasst. ** In der Illegalität wurde eine Dokumentation über die Untergrundarbeit der NSDAP und über die poli- tischen Gegner gefertigt. Die Dokumentation trägt den Titel „Gauarchiv Burgenland“ und entstand un- mittelbar nach dem 12. März. Mit Herannahen der Front im April 1945 wurden die Akten gemeinsam mit dem Grundbuch des Bezirksgerichts Eisenstadt nach Melk verlagert. Mit der Rückführung des Grundbuches kam durch einen Zufall auch das Gauarchiv wieder ins Burgenland zurück und ist im Lan- desarchiv einsehbar. Leider wurden im Bestand die Akten über das Jahr 1938 entfernt. *** Grundlage dafür sind die Opferfürsorgeakten der Sozialabteilung des Landes Burgenland. Hier sind aber nur jene erfasst, die einen offiziellen Antrag im Sinne des Opferfürsorgegesetzes gestellt haben. Jene, die dies nicht getan haben, sind in der Aufstellung nicht enthalten.

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Foto: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung Die Verfolgung der jüdischen Burgenländer

Die Lebenssituation der jüdischen Bur- genländer änderte sich buchstäblich über Nacht – der Nacht des 11. März 1938. Noch vor der Machtergreifung in Wien hatten erste jüdische Familien das Burgen- land verlassen. Unter den ersten burgen- ländischen Verhafteten befanden sich be- reits etliche jüdische Mitbürger, unter den 151 Personen des ersten Dachau-Transpor- tes waren 63 Juden.

Bereits Ende März 1938 bekundete der Kurzzeit-Gauleiter des Burgenlandes Port- schy die Absicht, die „Agrarreform, die Zi- geunerfrage und die Judenfrage mit natio- nalsozialistischer Konsequenz zu lösen“. Sein „Lösungsansatz“ lag vorerst in einer Wohnhaus der jüdischen Familie Wolf rigorosen Anwendung der „Nürnberger (heute Landesmuseum Burgenland) im Rassengesetze“. Anders als im Rest der Jahr 1938.

Foto: BLA

Am 11. März 1938 begann die Verfolgung der burgenländischen Juden. In Mattersburg wurden Juden gezwungen, die Parolen der für den 13. März geplanten Volksbefragung von Straßen und Wänden zu entfernen.

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„Ostmark“ wurde das Gesetz auch auf jü- Während anfangs nur wohlhabende Ju- dische Ehepartner in Mischehen und Ab- den zur Ausreise gezwungen wurden, kömmlingen von Mischehen angewendet. folgte bald die Ausweisung aller übrigen Portschy machte sich damit zu einem Vor- burgenländischen Juden. Manchen Ge- kämpfer dessen, was als „Endlösung der meinden ging dies nicht schnell genug. Sie Judenfrage“ in die Geschichte eingehen wurden von sich aus aktiv, indem sie sollte. „ihre“ Juden über die grünen Grenzen trei- ben ließen. Am Beginn der gezielten Terror- und Die Juden von Pama und Kittsee wur- Verfolgungsmaßnahmen stand die Erfas- den am 16. April 1938 nachts aus ihren sung der jüdischen Bevölkerung des Bur- Betten geholt und an die tschechische genlandes samt ihres Vermögens. Ziel der Staatsgrenze gebracht, wo man sie mitten Judenpolitik, wie sie von Portschy propa- auf der Donau auf einem Wellenbrecher giert wurde, war die „freiwillige“ Auswan- aussetzte. Mehrere Tage schob man die derung der burgenländischen Juden – Gruppe zwischen dem Reich, der Tsche- möglichst schnell und möglichst unter Zu- choslowakei und Ungarn hin und her, bis rücklassung sämtlicher Vermögenswerte. die internationale Presse auf den Fall auf- Die burgenländischen Juden waren die ers- merksam wurde. Nachdem eine jüdische ten, für die ein Auswanderungsbefehl er- Hilfsorganisation eine provisorische Unter- lassen wurde. Dieser wurde allen ca. 3800 bringung auf einem französischen Schlepp- burgenländischen Juden zugestellt.* Ka- boot organisiert hatte, dauerte es dennoch men sie ihm nicht nach, folgte die behörd- mehrere Monate, bis alle 51 Personen ein liche Abschiebung. Dabei bediente man „sicheres Drittland“ erreichten. sich des Sicherheitsdienstes der SS – dem SD – und lokaler Gestapo-Stellen. Juden aus Rechnitz überließ man im Niemandsland zwischen dem Reich und Eine wesentliche Rolle bei der Verfol- Jugoslawien ihrem Schicksal, ehe eine Aus- gung der burgenländischen Juden und de- reisegenehmigung für Kroatien erwirkt ren Vermögensentzug spielten die Gestapo- werden konnte. Parndorfer Juden wurden Stellen Eisenstadt und Bruck an der Leitha. bei Mörbisch über die ungarische Grenze Gegen den Leiter des Judenreferates der getrieben, ähnlich erging es den Juden von Gestapo-Leitstelle Wien, Kriminalkommis- Pamhagen. sar Koch, die Gestapobeamten Heinrich Knoth, Heinrich Scharff, deren Vorgesetz- Die aus dem Burgenland ausgewiesenen ten und Leiter der Außenstelle Eisenstadt, Juden, die nicht in der Lage waren, die Johann Pöllhuber, sowie gegen Alois Her- vorgegebenen Ausweisungsfristen einzu- mann von der Gestapo-Stelle in Bruck halten, mussten das Burgenland in Rich- wurden nach dem Krieg Gerichtsverfahren tung Wien verlassen. Dort wurden sie von eingeleitet. der Israelitischen Kultusgemeinde und an-

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deren jüdischen Hilfsorganisationen aufge- „Reichskristallnacht“, zu Verwüstungen. nommen und betreut. Marodierende Nazi-Banden zertrümmer- Ende April/Anfang Mai verließen die ten die Einrichtungs- und Kulturgegen- Juden von Neusiedl das Land. Bis zum stände des Eisenstädter Tempels. Dieser 17. Mai 1938 wanderten die ersten 30 Ju- Ausbruch blanken Judenhasses war für das den von Eisenstadt ab. Mitte Juni befanden Burgenland umso bemerkenswerter, da sich die Juden von Deutschkreutz, Lacken- wie bereits erwähnt, das Burgenland seit bach und Rechnitz in der Betreuung der dem 1. November als „judenrein“ galt. Mit Wiener Kultusgemeinde. Im Juli und Au- dem Pogrom vom 9./10. November 1938 gust folgte die Abwanderung aus den Ge- manifestierte sich ein grundsätzlicher Wan- meinden Frauenkirchen und Kobersdorf. del in der NS-Judenpolitik. Die Mattersburger Juden verließen im Sep- tember und die letzten Eisenstädter Juden In einer zweiten Phase der Auswande- im Oktober 1938 das Burgenland. Die rung wurden die Ausreisen von der im Au- Zahl der burgenländischen Juden in Wien gust 1938 von Adolf Eichmann gegründe- sprang sprunghaft an: von 799 am 17. Juni ten „Zentralstelle für jüdische Auswande- auf 1700 Ende November 1938. rung“ in Wien gesteuert. Eichmann gestat- Am 1. November 1938 meldete der Lei- tete begüterten Juden die Ausreise in be- ter der Israelitischen Kultusgemeinde von stimmte Länder, falls sie auf ihr Vermögen Wien, Dr. Josef Löwenherz, „sämtliche zu Gunsten des Reiches verzichteten – ein Kultusgemeinden des Burgenlandes (7 Modell, das auch schon von Gauleiter größere und 4 kleinere) mit einer jüdi- Portschy äußerst gewinnbringend ange- schen Bevölkerung am 12.3.1934 von wendet wurde. 3.632 Seelen“ als aufgelöst. Die Grenzland-Zeitung, das Organ des Über diese Zwischenstation in Wien ge- nationalsozialistischen Burgenlandes, be- lang bis 31. Dezember 1938 1286 jüdischen richtet Anfang Dezember voller Euphorie Burgenländern die Ausreise. Bevorzugte unter der Schlagzeile „Die Entjudung des Ziele waren die Tschechoslowakei (24,8%), ehemaligen Burgenlandes“, dass alle 4000 Palästina (20,1%), Ungarn (9,3%), England Juden des Burgenlandes abgewandert (7,1%), Italien (6,7%), die USA (6,0%) und seien. Frankreich (5,5%). Tragischer Weise gerieten Tatsächlich befanden sich noch etliche einige der Exilländer dennoch unter deut- Juden, als „jüdisch Versippte“, „jüdische sche Herrschaft. Wie viele burgenländische Mischlinge“ oder „Halbjuden“ bezeichnete Opfer die Judenverfolgung in Ungarn, der Personen bzw. solche, die mit „Ariern“ Tschechoslowakei, Italien oder in Frankreich verheiratet waren, im Land. kostete, ist nicht bekannt.

Auch im Burgenland kam es in der Mit der Verschärfung der weltpolitischen Nacht vom 9. auf 10. November 1938, der Lage kurz vor Beginn des Krieges begann

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Foto: BLA

Die jüdische Synagoge von Deutschkreutz (Zelem) wurde 1941 von den Nazis gesprengt. auch die Auswanderung zu stagnieren. In den“ innerhalb der Kultusgemeinde, Eu- dieser Situation schaltete sich noch einmal gen Lindenfeld, den Befehl erhielt, die aus- die Geheime Staatspolizei, Leitstelle Eisen- wanderungswilligen Burgenländer in Wien stadt ein, indem der „Beauftragte für die listenmäßig zu erfassen. Der Zweck der Er- Auswanderung der burgenländischen Ju- fassung lag, laut Bericht der Israelitischen Foto: BLA

Im März 1938 wurden die Lackenbacher Juden nach Wien zwangsumgesiedelt. Im Jahr 1942 wurde ihre Synagoge gesprengt. Das Foto stammt aus der Zeit vor 1938.

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Kultusgemeinde Wien, darin, die auswan- ren Opfer der berüchtigten Einsatzgruppen derungswilligen Burgenländer, die keine der SS und landeten in den Konzentrati- Möglichkeiten zur Emigration besaßen, in ons- und Vernichtungslagern der National- Auswanderungstransporte einzureihen. sozialisten. Die dafür erforderlichen Mittel stellte die Gestapo-Leitstelle Eisenstadt zur Verfü- Nach Jonny Moser forderte der Holo- gung. Dies fiel insbesondere deshalb nicht caust in Österreich 65469 Opfer.** Rund schwer, da die Gestapo Eisenstadt noch 125000 jüdische Österreicher retteten ihr über jene nicht unbeträchtlichen Vermö- Leben durch Flucht ins Ausland, ca. 5800 genswerte verfügte, die den burgenländi- österreichische Juden, darunter auch etli- schen Juden erst kurz davor abgenommen che Burgenländer, erlebten in Wien die Be- worden waren. Infolge gelang es, einen freiung. großen Teil der Burgenländer im Rahmen Johannes Reiss, Direktor des Österreichi- von „illegalen“ Transporten über die Do- schen Jüdischen Museums in Eisenstadt, nau nach Palästina zu bringen. Die Organi- schätzt, dass ca. 30% der jüdischen Bur- sation von Auswanderungstransporten genländer in der Zeit von 1938 bis 1945 wurde zusehends schwieriger und kam den Tod fanden. Diese Schätzung wird schließlich vollständig zum Erliegen. durch neueste Untersuchungen von Gert Tschögl, Historiker an der Burgenländi- Was ab 1941 folgte, ging als „Endlösung schen Forschungsgesellschaft, bestätigt. Im der Judenfrage“ in die Geschichte ein. Bur- Zuge eines Forschungsprojektes, das die genländische Juden waren von den ersten namentliche Erfassung der Opfer des Na- „Umsiedlungsaktionen“ in den Osten be- tionalsozialismus zum Ziel hat, wurden die troffen, wurden in die Gettos Litzmann- Namen von 1185 Personen aus dem Bur- stadt und Theresienstadt deportiert, in den genland ermittelt, die in der Zeit von 1938 Gaskammern von Chelmno ermordet, wa- bis 1945 umkamen.***

* Eine Bevölkerungsstatistik gibt für das Jahr 1934 die Zahl von 3632 jüdischen Burgenländern an. Der Grenzland-Bote vom 4. Dezember 1938 schätzt die Anzahl der burgenländischen Juden von März 1938 auf 4000. Man kann also für den März 1938 von einer jüdischen Bevölkerung von 3800 bis 4000 ausge- hen. ** Nachfolgende Zahlen stammen aus einem Bericht der IKG vom 31. Dezember 1945: Darin wird an- gegeben, dass 1576 Personen in deutschen Konzentrationslagern umgekommen sind, 46791 in Vernich- tungslagern getötet, 18 Juden Opfer von Gewaltausbrüchen wurden, 17 Personen in Polizeigewahrsam verstarben bzw. zum Tode verurteilt wurden. 16692 österreichische Juden emigrierten in ein später von Hitler annektiertes Land und fanden dort in Vernichtungslagern den Tod. 363 Juden fielen dem Eutha- nasieprogramm zum Opfer. *** Das Projekt „Namentliche Erfassung der NS-Opfer des Burgenlandes“ wurde im Gedenkjahr 2008 vom Land Burgenland initiiert und soll in einer ersten Phase alle über öffentliche Träger verfügbaren To- desdaten der einzelnen Opfergruppen (jüdische Opfer, politische Opfer, Roma und Euthanasieopfer) ver- fügbar machen.

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Foto: BLA

Dorfleben der Bur- genlandroma vor dem Anschluss. Die Verfolgung der „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nach- burgenländischen Roma* wuchses“ bereits legitimiert sah. In der „freiwilligen“ Abwanderung ins Ausland Im August 1938 verfasste Landeshaupt- bzw. der Aussiedlung in die „Deutschen mann Portschy eine Denkschrift mit dem Kolonien“ erkannte Portschy die „vollkom- Titel Die Zigeunerfrage. Sie wurde zur menste Lösung“ der Zigeunerfrage. ideologischen Grundlage für alle folgenden gegen burgenländische Roma gerichteten Erste Verfolgungsmaßnahmen begannen Verfolgungsmaßnahmen. Portschy be- unmittelbar nach dem „Anschluss“. Per De- schrieb darin die Zigeuner als „nomadische kret wurde den burgenländischen Zigeu- Schmarotzerrasse“, welche die ansässige nern die Beteiligung an der Volksabstim- Bevölkerung durch zahlreiche ansteckende mung vom 10. April 1938 verboten. Die na- Krankheiten in Gefahr bringe und aus- tionalsozialistische Landesregierung war der schließlich vom Betteln und Stehlen lebe. Meinung, „daß die Zigeuner keineswegs als Durch die Vermischung mit deutschem vollberechtigte Reichsbürger zu gelten hät- Blut sah er die gesamte arische Rasse ge- ten, sondern bestenfalls als Staatsangehö- fährdet. Zigeuner wären „Fremdkörper rige, die mit den Rechten und Pflichten, und gefährden das deutsche Blut“. Die die ihrem Charakter und Wesen angemes- „nationalsozialistische Lösung der Zigeu- sen sind, zu betrachten seien.“ nerfrage“ sah laut Portschy in der Einfüh- rung einer generellen Arbeitspflicht In der folgenden ersten Verhaftungswelle (Zwangsarbeit) und deren Internierung in wurden Hunderte burgenländische „Zigeu- Arbeitslager. Als langfristige Strategie ner“ als „Asoziale“ verhaftet und in Kon- schlug er die Sterilisation vor, die er im zentrationslager verschleppt. Als „asozial“

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galt, wer „durch wirtschaftswidriges, wenn Regime antwortete auf seine Art. Aus einem auch nicht verbrecherisches Verhalten Bericht der Kriminalpolizeistelle Eisenstadt zeigt, daß er sich nicht in die Gemeinschaft geht hervor, dass der Verfasser des Schrei- einfügen will“. In polizeiliche Vorbeugehaft bens am 20. Juni 1938 verhaftet und ins KZ konnte aber auch jeder genommen werden Dachau verschickt wurde. Gleichzeitig der „ohne Berufs- und Gewohnheitsverbre- schrieb man die übrigen fünf Unterzeichner cher zu sein, durch sein soziales Verhalten des Schreibens zur Fahndung aus. die Allgemeinheit gefährdet“. Ab August 1938 durften arbeitsfähige Diese Bestimmungen stellten in den ers- Roma zur Zwangsarbeit bei öffentlichen ten Jahren die rechtstaatliche Basis für die Bauten, für den Straßenbau und für die Ar- Internierung dar und waren nach Kriegs- beit in Steinbrüchen herangezogen werden. ende dafür verantwortlich, dass die öster- Im September wurden burgenländischen reichischen Zigeuner lange nicht als Oper Roma-Kindern per Weisung des Landes- der NS-Verfolgung anerkannt wurden. hauptmannes der Besuch von Schulen ver- Die ersten beiden großen Verhaftungs- boten. Es folgte die Aberkennung des Wahl- wellen von burgenländischen Roma fanden rechts und das Verbot von „Mischehen“. im Mai und Juni 1938 statt. Die Aktion Begleitend dazu wurden zahlreiche diskri- wurde von der Kriminalpolizeistelle Eisen- minierende Anordnungen erlassen, die sich stadt koordiniert und fand zeitgleich im ge- auf die unmittelbare Lebenssituation der samten Land statt. 232 Burgenlandroma burgenländischen Zigeuner auswirkten, wie wurden in „polizeiliche Vorbeugehaft“ ge- das Verbot des öffentlichen Musizierens, nommen, um präventiv sicherheitspolizeili- Verbote betreffend des Erwerbs bestimmter che Delikte wie „Betteln und Landstreiche- Lebens- und Genussmittel oder das Verbot rei“ zu verhindern. Bei der Auswahl der zu der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Verhaftenden wurde auf die „Zigeunerkar- thotek“ aus dem Jahr 1928 zurückgegriffen. Die im Burgenland verordneten Maß- nahmen griffen dem Verfolgungsprogramm Gegen diese Verfolgungsmaßnahmen ver- der Nationalsozialisten vor, sodass man fasste eine Gruppe von sechs Roma aus festhalten kann, dass im Burgenland be- Redlschlag einen mutigen Beschwerdebrief züglich der „Endlösung der Zigeunerfrage“ an die Reichsregierung. Darin wurde von erhebliche Vorarbeiten „geleistet“ wurden, der wirtschaftlichen Not der dortigen Zigeu- was maßgeblich auf die Person Portschys ner berichtet, die nunmehr ohne Arbeit und zurückzuführen war. ohne staatliche Unterstützung aufs Betteln angewiesen wären. Außerdem käme es Im November 1940 wurde auf einem nach der Aberkennung jeglicher Bürger- stillgelegten Gutshof der Familie Esterházy rechte wiederholt zu Übergriffen der hiesi- ein Zigeunerlager eingerichtet. Das „Anhal- gen Gendarmerie. Das nationalsozialistische telager“ Lackenbach war das erste KZ-ähnli-

83 DIE MACHTERGREIFUNG DER NATIONALSOZIALISTEN

Foto: BLA

Das Zigeunerlager Lackenbach war für Tausende bur- genländische Roma Durch- gangslager in den Tod. Das Bild zeigt das Verwaltungs- gebäude des „Anhaltelagers“ Lackenbach. che Lager auf dem Boden des Burgenlandes. In den Jahren der Verfolgung wurden Den höchsten Lagerstand mit 2335 Häftlin- Roma aus dem Burgenland in die Konzen- gen gab es am 1. November 1941 kurz vor trationslager Dachau, Buchenwald, Ra- den Deportationen ins Ghetto Litzmann- vensbrück oder Mauthausen deportiert. stadt. Insgesamt wurden 3000 bis 4000 Zi- Unter den 5007 Toten des Gettos von geuner im Lager Lackenbach inhaftiert. Das Lodz waren besonders viele Burgenländer. Lager Lackenbach diente als Sammel- bzw. Ab April 1943 folgte die Deportation ins „Konzentrationslager“ insbesondere für die Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Roma des südlichen Burgenlandes, war Ar- beitslager und auch Sammelpunkt für Trans- Von den ca. 12000 österreichischen porte in die Vernichtung. KZ-ähnliche Le- Roma und Sinti überlebten nur ca. 1500 bensumstände mit schlechtesten sanitären den Nazi-Terror. Im Burgenland verhält es Verhältnissen führten zu hohen Todeszah- sich ähnlich. Ausgehend von einem Bevöl- len. Nach den Aufzeichnungen des Standes- kerungsanteil von ca. 8000 „Burgenland- amtes von Lackenbach verstarben zwischen roma“ überlebten nach einer Erhebung aus Dezember 1940 und der Auflösung des La- dem Jahr 1948 ca. 900 Personen, knapp gers im März 1945 237 Personen. 11%, das NS-Terrorregime.**

* In der folgenden Beschreibung wird ungeachtet der Tatsache, dass im Burgenland neben den Burgen- landroma auch kleinere Gruppen von Sinti lebten, generell der Terminus „Rom(a)“ als Sammelbegriff für alle „Zigeunergruppen“ verwendet. ** Eine Auswertung der Opferfürsorgeakten des Burgenlandes und teilweise auch für Wien ergab eine Zahl von 914 Antragstellern und deckt sich somit in etwa mit dem 1948 erhobenen Wert des Landes- gendarmeriekommandos für das Burgenland.

84 DIE MACHTERGREIFUNG DER NATIONALSOZIALISTEN

„Viereinhalb Jahre hat uns ein volksfeindliches Regime niedergezwungen. Wir wurden verfolgt, in Kerkern geworfen, viele gaben ihr Leben (…). Diese schwarze Ära ist nun endgültig vorbei. Österreich ist wieder frei, Österreich ist nun für immer eingegliedert in die deutsche Volksgemeinschaft. Wir sind ein Volk geworden. Dies gilt es zu bekennen!“

Gauwahlleiter LH Dr. Tobias Portschy

DIE VOLKSABSTIMMUNG VOM 10. APRIL 1938

ach dem 12. März 1938 wurde Der Versammlungskalender (vom seitens des nationalsozialisti- 29. März bis 8. April, aufgelistet in Nschen Regimes eine gewaltige der Grenzmark Burgenland): Propagandamaschinerie in Gang gesetzt. Einerseits, um die nunmehrigen Ostmärker 29.–31.3.: 1.–3.4.: 4.–6.4.: 5.–8.4.: von den Vorzügen des Dritten Reichs zu Kreis Neusiedl: 10 19 5 2 überzeugen, anderseits aber auch, um die Kreis Eisenstadt: 6 21 12 3 für den 10. April 1938 anberaumte „Volks- Kreis Mattersburg: 5 13 3 4 abstimmung über die Wiedervereinigung Kreis Oberpullendorf: 15 24 12 6 Österreichs mit dem Deutschen Reich“ Kreis Oberwart: 20 26 16 2 vorzubereiten. Kreis Güssing: 15 16 17 - Kreis Jennersdorf: 8 10 1 2 Am 25. März 1938 wurde vom Gauleiter insgesamt: 273 79 129 46 19 und Landeshauptmann Dr. Tobias Portschy der entsprechende Aufruf mit Betreff „Volks- Am 6. April 1938 stattete Reichsinnen- befragung am 10. April 1938“* erlassen. minister Dr. Wilhelm Frick dem Burgen- land einen Propagandabesuch ab. Es war Im Vorfeld der Volksabstimmung fanden dies das erste Mal, dass ein Reichsminister zahlreiche Propagandaveranstaltungen statt. burgenländischen Boden betrat. Nach einer Alleine der Veranstaltungskalender, der in Großveranstaltung in Eisenstadt, wo er – der Grenzmark Burgenland die einzelnen nach Angaben der Grenzmark Burgenland Veranstaltungen mit den entsprechenden – vor 62000 Menschen auf dem Exerzier- Rednern ankündigte, umfasst 273 Ver- platz der Garnison sprach, begab er sich sammlungen. mit Portschy auf eine Fahrt nach Oberwart.

85 DIE MACHTERGREIFUNG DER NATIONALSOZIALISTEN

Quelle: BLA

Der Aufruf stammt aus dem Akt „Präs.-Zl. A-145/1-1938, Betreff: Volksbefra- gung am 10. April 1938; Aufruf des Gauwahlleiters“ und war den Bezirks- hauptmannschaften und den Stadtmagistraten Eisenstadt und Rust zu soforti- ger Bekanntmachung zu übermitteln.

86 DIE MACHTERGREIFUNG DER NATIONALSOZIALISTEN

Quelle: BLA – Zeitschriftensammlung

Übersicht von Versammlungen vom 5. bis 8. April 1938, Grenzmark Burgenland, 5. April 1938.

Unter einem durchaus werbewirksamen stimmung mit der Fragestellung: „Bist Du Gesichtspunkt muss auch die symbolische mit der am 13. März vollzogenen Wieder- Zerstörung des Anhaltelagers Wöllersdorf vereinigung Österreichs mit dem Deut- am 2. April 1938 gesehen werden, in dem schen Reich einverstanden und stimmst Du laut Major Klausner „im Laufe von vier für die Liste unseres Führers Adolf Hitler?“ Jahren 45.000 Kämpfer des Führers an dieser Stätte eingekerkert waren, dass sie Stimmberechtigt waren „alle deutschen behandelt wurden, als wären sie schwere, Männer und Frauen Österreichs, welche gemeine Verbrecher.“ Das Symbol der am Abstimmungstag das 20. Lebensjahr Willkür des ständischen Regimes, das erste überschritten hatten“. Bemerkenswerter- Konzentrationslager auf österreichischem weise wurde bei dieser Abstimmung das Boden wurde – medienwirksam – in Brand Wahlalter auf das vollendete 20. Lebens- gesteckt. Tatsächlich waren nur einzelne jahr festgelegt. Bei der Volksbefragung, die Baracken angezündet worden. Die Einrich- am 13. März 1938 hätte stattfinden sollen, tung des Lagers wurde vorsorglich beiseite wäre das Wahlalter bei 24 Jahren gelegen, geschafft und landete im Konzentrationsla- während das aktive Wahlalter gemäß dem ger Mauthausen. BVG von 1929 bei 21 Jahren lag. Die Ab- sicht der Nationalsozialisten, vor allem In einer euphorisch hochgeputschten auch viele junge Menschen mit einzube- Stimmung erfolgte schließlich die Volksab- ziehen, liegt somit auf der Hand.

87 DIE MACHTERGREIFUNG DER NATIONALSOZIALISTEN

Quelle: BLA – Plakatsammlung

Abstimmungspropaganda.

88 DIE MACHTERGREIFUNG DER NATIONALSOZIALISTEN

Quelle: BLA

Abbildung eines Stimmzettels für die „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“, kurios der viel größere Kreis, der für das Ja vorgesehen ist.

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Quelle: Silvia Boross

Der Wahlausweis war im Abstimmungslokal vorzuweisen.

Explizit ausgeschlossen vom Stimmrecht mung 171491 Ja- und nur 63 Nein-Stim- war, „wer Jude ist oder als Jude gilt“. men. In 297 von 324 Gemeinden gab es nur Ja-Stimmen. Damit war das Burgen- Ausgeschlossen von der Abstimmung land Spitzenreiter und voller Stolz berich- waren, laut einem Erlass von Landeshaupt- tete Portschy: „Ich habe dann im Burgen- mann Portschy vom 17. März 1938 auch land am 10. April 1938 das beste Ergeb- die „Zigeuner“. nis erzielt.“ Zur Feier des Tages fand am Abend in Eisenstadt ein Fackelzug mit an- Die Zählung brachte bei einer Beteili- schließendem Feuerwerk statt, dem auch gung von 99,71% der Stimmberechtigten Portschy und die Mitglieder der Gau- und 99,73% an Ja-Stimmen. Dennoch kamen Landesleitung beiwohnten. die Nationalsozialisten nicht umhin, zu- mindest 11929 Nein-Stimmen zu verzeich- Reichsinnenminister Frick sandte Port- nen, an die 5000 davon waren es allein in schy anlässlich des Wahlerfolges ein Bild Wien. Im Burgenland brachte die Abstim- von sich mit der Widmung „Herrn Gau-

90 DIE MACHTERGREIFUNG DER NATIONALSOZIALISTEN

Foto: Gemeindearchiv Hornstein

NSDAP-Parteispitze von Hornstein vor dem Rathaus am 10. April 1938.

wahlleiter Portschy, zur Erinnerung an bezeichnen. Die weitaus überwiegende den hundertprozentigen Abstimmungs- Mehrheit der Grenzdeutschen Ungarns sieg der Burgenländer am 10. April 1938. ersehnt den Anschluß an das Deutsche Frick.“ Reich. Sogar unter der ungarischen Im Vorfeld der Volksabstimmung wur- Grenzbevölkerung machen sich starke den in Ungarn die Grenzgendarmeriepo- Strömungen bemerkbar, die ähnliche Ziele sten verstärkt und in einem Bericht des verfolgen. Die Ungarischen Behörden ver- Landesgendarmeriekommandos für das suchen diese Bestrebungen zu unterdrük- Burgenland hieß es: ken, woraus die Verstärkung der ungari- „In den jenseitigen Grenzgebieten ist schen Grenzorte gegen das Reich durch ebenfalls die Stimmung für Deutschland Gendarmerie und Grenzjäger zu erklären und seinen Führer als äußerst günstig zu ist.“

* Üblicherweise wird der Begriff Volksabstimmung verwendet.

91 DIE MACHTERGREIFUNG DER NATIONALSOZIALISTEN

Quelle: Statistische Nachrichten, Burgenländische Landesbibliothek

Die Ergebnisse der Volksabstimmung aus dem Burgenland.

92 DIE MACHTERGREIFUNG DER NATIONALSOZIALISTEN

Quelle: Statistische Nachrichten, Burgenländische Landesbibliothek

93 DIE MACHTERGREIFUNG DER NATIONALSOZIALISTEN

Quelle: Statistische Nachrichten, Burgenländische Landesbibliothek

94 DIE MACHTERGREIFUNG DER NATIONALSOZIALISTEN

„Im Laufe dieser Woche hört das Burgenland auf ein eigenes Verwaltungsgebiet zu sein (…) meine Burgenländer und meine Gefolgsmänner (…) hebt den Kopf hoch und seid stolz in einem größeren Bereiche als es das Burgenland war, nun in den Kolonnen unserer braunen und schwarzen Armeen marschieren zu dür- fen (…). Es lebe Großdeutschland, die lebendige Gemeinschaft unseres deutschen Volkes und unser heißgeliebter Führer Adolf Hitler.“

Aufruf von Dr. Tobias Portschy in der Grenzmark Burgenland vom 16. Oktober 1938

DIE AUFLÖSUNG DES BURGENLANDES

chon bald nach dem „Anschluss“ zu erfüllen. Aus diesem Grunde halte ich Österreichs an das Deutsche Reich die Aufteilung des Burgenlandes für nicht Sbegannen Diskussionen über eine gerechtfertigt, es sei denn, daß man aus Neuordnung der bisherigen Verwaltungs- mir unbekannten Gründen die gegenwär- einheiten des Landes. Abgesehen von den tige Grenze des Burgenlandes gegenüber Gebietsveränderungen Westösterreichs gin- Ungarn für alle Zeit als gegeben hin- gen die Überlegungen im Osten dahinge- nehme (…).“ hend, das erst vor 17 Jahren als autonomes Bundesland an Österreich angeschlossene Trotz vielfacher Diskussionen auf der Ba- Burgenland aufzulösen. Die neue Landesre- sis verschiedenster Entwürfe lag die end- gierung unter Portschy war zwar bemüht, gültige Entscheidung letztendlich bei Hit- die Integrität des Landes zu erhalten, besaß ler. Dieser respektierte mehr oder weniger letztendlich aber doch nicht die Autorität, die historische Entwicklung der Bundes- mit ihren Argumenten durchzudringen. länder, nur die beiden kleinsten Bundeslän- Landeshauptmann Portschy verfasste der Vorarlberg und Burgenland sollten der eine Denkschrift mit dem Titel Mission des Reform zum Opfer fallen. Am 23. Mai Burgenlandes, worin er dafür plädierte, das 1938 verfügte Hitler die Aufteilung des Burgenland als Ganzes zu belassen. Landes Österreich auf sieben Gaue. Wäh- „Es ist demnach das Burgenland ein rend zunächst noch die Rede davon war, Teil Pannoniens und ist als Grenzland und dass das Burgenland ungeteilt dem Gau Grenzgau dazu berufen, seine Mission Steiermark einverleibt werden sollte, fiel einheitlich im Raum zwischen der Donau am 31. Mai endgültig die Entscheidung, und Drau, ja sogar noch darüber hinaus das Land entgegen früherer Vereinbarun-

95 DIE MACHTERGREIFUNG DER NATIONALSOZIALISTEN

Quelle: BLA

Mit dem Gesetz vom 1. Oktober 1938 und mit Wirksamkeit vom 15. Oktober 1938 wurde die Auftei- lung des Landes Burgenland auf die Gaue Nieder- donau und Steier- mark angeordnet. gen auf die Gaue Niederdonau und Steier- Portschy wurde zum Gauleiter-Stellvertre- mark aufzuteilen. Die Verwaltungsbezirke ter der Steiermark „degradiert“. Die Be- Neusiedl am See, Eisenstadt, Mattersburg, zirkshauptmannschaften wurden in Kreise Oberpullendorf sowie die landesunmittel- unbenannt. Der Bezirkshauptmann führte baren Städte Eisenstadt und Rust wurden nunmehr die Amtsbezeichnung „Landrat“. dem Gau Niederdonau, die drei südlichen Bezirke Oberwart, Güssing und Jenners- Die gesetzliche Grundlage für die Auftei- dorf dem Gau Steiermark eingegliedert. lung des Burgenlandes bildete das „Ge- Damit unterstand das Burgenland künftig bietsveränderungsgesetz“ vom 1. Oktober den beiden Gauleitern Dr. Hugo Jury (Nie- 1938, das am 15. Oktober in Kraft trat. In derdonau) und (Stei- diesem Gesetz wurde das Burgenland offi- ermark), Gauleiter und Landeshauptmann ziell das letzte Mal genannt.

96 BIOGRAFIEN

BIOGRAFIEN FÜHRENDER BURGENLÄNDISCHER NATIONALSOZIALISTEN

JOHANN ARNHOLD GEB. 27. MÄRZ 1911 IN BERGWERK GEST. 17. NOVEMBER 1989 IN WIEN

ohann Arnhold entstammte einer 1938 leitete Arnhold die Machtübernahme evangelischen Handwerkerfamilie. in Oberwart. Dennoch wurde er nicht mit JSein Vater war im Antimonbergwerk einem hohen burgenländischen politischen in Schlaining beschäftigt. Nach abgelegter Amt entschädigt, sondern erhielt „nur“ ei- Reifeprüfung im Jahr 1930 absolvierte Arn- nen Sitz im Reichstag. Arnhold wurde in hold die Lehrerbildungsanstalt in Ober- den Stab des für die schützen. Er trat 1928 der Hitlerjugend bei Wiedervereinigung Josef Bürckel versetzt und war in der Mittelschulzeit in nationa- und hatte ab Februar 1939 die Funktion len Verbindungen organisiert. Da er keine eines in Wien inne. Er meldete Anstellung als Lehrer fand, war er in der sich freiwillig zur Front und wurde vor Fa. Hutter & Schranz in Pinkafeld tätig. Ab Moskau verwundet. Danach war er wieder 1933 war er Mitglied der NSDAP. Er Kreisleiter in Wien und ab Herbst 1944 führte im Haus Othmar Spanns, dem Anti- Abschnittskommandant des Ostwalls im monschlößl, eine illegale Druckwerkstätte, Bereich Pressburg bis zum Neusiedler See, bis er im Jahr 1934 zweimal verhaftet ehe er ins Führerhauptquartier versetzt wurde. Danach war er als Hauslehrer bei wurde. Im März 1945 war er erneut in der Familie des Grafen Almasy tätig. Wien und geriet schließlich in US-Kriegsge- Bei der Gründung des „Gaues Burgen- fangenschaft. Nach zwei Volksgerichtspro- land“ wurde er zuerst Organisationsleiter zessen kam Arnhold 1950 wieder frei. Im und ab 1936 Stellvertretender Gauleiter, er Nachkriegsösterreich wurde er Direktor war auch Mitglied der SS. 1937 flüchtete der „Verkaufsgesellschaft österreichischer er nach Deutschland, von wo er erst im Röhrenwerke“ und ging 1977 in den Ru- Februar 1938 zurückkehrte. Am 11. März hestand.

97 BIOGRAFIEN

HEINZ ADOLF BIRTHELMER GEB. 11. FEBRUAR 1884 IN HERMANSTADT, RUMÄNIEN GEST. 31. OKTOBER 1940 WIEN

einz Adolf Birthelmer war Sohn zu den Organisatoren der Machtüber- eines Kunstschlossers. Er absol- nahme. Gemeinsam mit Dr. Friedrich Hvierte die Volksschule in Her- Schirk und Josef Palham koordinierte er manstadt und die Ausbildung zum Elek- von Beginn an die Aktion in Eisenstadt troingenieur in Deutschland. Anschließend und führte den Marsch zum Landhaus an, arbeitete er für die Firma AEG, die in Rei- zu dem Portschy erst viel später dazu chenberg (Böhmen) einen Standort hatte. stieß. Der nationalsozialistischen Landes- Ab 1923 lebte er in der Steiermark (Grat- regierung, die nominell bis zum 1. Okto- korn) und war von 1923 bis 1928 in der ber 1938 bestand, gehörte Birthelmer als STEWAG in Graz tätig, wo er mit den Landesrat, zuständig für die Ressorts Fi- Ideen des Nationalsozialismus vermehrt in nanz- und Bauwesen, an. Nach der Auflö- Berührung kam. 1928 wurde er Generaldi- sung des Burgenlandes wurde er Landes- rektor der Eisenstädter Elektrizitäts AG statthalter und Gauwirtschaftsberater in und verlegte seinen Wohnsitz nach Eisen- Niederdonau. Seine Funktion musste er stadt. am 1. Oktober 1940 aus gesundheitlichen Am 11. März 1938 zählte Birthelmer Gründen zurücklegen.

HELMUT BREYMANN GEB. 9. FEBRUAR 1911 IN TRIEST GEST. 1944 AN DER OSTFRONT

ber die Kindheit von Helmut In der Verbotszeit verbrachte er als Mit- Breymann ist wenig bekannt. Be- glied der NSDAP Pinkafeld insgesamt 295 Ülegt ist seine Tätigkeit als Hilfs- Tage in politischer Haft. Breymann beklei- amtmann in der Gemeinde Pinkafeld. Dort dete den Rang eines SS- Standartenführers musste er aber aus wirtschaftlichen Grün- und war Leiter der SS des Gaues Burgen- den im Jänner 1932 entlassen werden. Ab land (ab 1935). Im Jahr 1937 wurde gegen März 1932 schlug er sich als Arbeiter ihn als einen der Hauptverdächtigen im so durch. Zu dieser Zeit fand er Aufnahme in genannten „Fememord von Neustift“ er- den Kreis der burgenländischen National- mittelt. Genauso wie Portschy konnte sozialisten und wurde ein treuer Wegge- auch Breymann keine Mitschuld nachge- fährte von „Gauleiter“ Dr. Tobias Portschy. wiesen werden.

98 BIOGRAFIEN

Am Tag der Machtergreifung hielten sich voraus, die Breymann als „Mitarbeiter in Breymann und die SS anfangs im Hinter- der Verbotszeit“ beschrieb. Im Jahr 1939 grund. In den späten Abendstunden des verließ er das Burgenland und zog nach 11. März zählte er zu den maßgeblichen Wien, wo er – jung verheiratet – im Palais Akteuren. Breymann wurde zum Sicher- Rotschild residierte. Bald nach Kriegsbe- heitsdirektor für das Burgenland ernannt ginn rückte er ein. Er starb im Jahr 1944 und hatte somit im Machtgefüge der bei den Kämpfen um den Brückenkopf von NSDAP eine Schlüsselposition inne. Er war Narva. Bis Kriegsende galt Breymann aller- der Regisseur der nun folgenden Terror- dings als verschollen. und Verhaftungswelle und entscheidend Helmut Breymann wurde posthum im an den ersten Vertreibungen der jüdischen Staatspolizeilichen Fahndungsblatt vom Burgenländer beteiligt. Breymann galt als 16. Dezember 1946 (Nr. 28) zur Verhaf- besonders fanatischer Nationalsozialist. tung ausgeschrieben und wegen Hochver- Vom 15. März bis 15. Oktober 1938 war rats, „Illegalität“, Registrierungsbetrugs, er Mitglied des burgenländischen Landta- Kriegsverbrechen, „Vertreibung aus der ges. Heimat“ und Verletzung der Menschen- Für seine Haftzeit erhielt der „alte würde angeklagt. Über seinen Kriegstod Kämpfer“ Breymann im Jahr 1939 eine gab es erst später Klarheit; das Landgericht Entschädigung von der NSDAP. Der Aus- Wien erklärte ihn am 13. Oktober 1949 zahlung ging eine Intervention Portschys für tot.

DR. KURT GROSS GEB. 5. JUNI 1912 HARRACHSDORF (BÖHMEN) GEST. 28. DEZEMBER 1977 MÜNCHEN

ie Familie von Kurt Groß kam führer der SS-Oberpullendorf und ab 1936 1922 ins Burgenland. Sein Vater Gaugeschäftsführer und kurzzeitig sogar Derhielt eine Anstellung als Leh- Stellvertretender Gauleiter. Er arbeitete rer in Stegersbach. Kurt Groß absolvierte führend am Aufbau der NSDAP im Bur- die Matura in Graz und studierte anschlie- genland mit. Zur Tarnung trat er 1934 der ßend Jus an der Universität Wien (Dr. iur. Vaterländischen Front bei. 1935). Er war Mitglied der „Vereinigung In den dramatischen Stunden der deutscher Hochschüler aus dem Burgen- Machtergreifung nahm Groß eine Schlüs- land“ und des „Deutschen Turnvereins“. selstellung ein. Portschy kommandierte ihn Ab 1932 war er Mitglied der NSDAP, spä- in die NSDAP-Landesleitung nach Wien, ter auch der SS und SA. Innerhalb der bur- wo er mit der Gruppe um Arthur Seyß-In- genländischen NSDAP wurde er Bezirks- quart Kontakt hielt und die burgenländi-

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schen Kameraden sofort mit den neuesten amerikanische Kriegsgefangenschaft. Informationen versorgte. Groß war von Wegen der Ermordung von Fallschirm- 15. März bis 15. Oktober 1938 Mitglied agenten wurde er in einem Kriegsverbre- des nationalsozialistischen Landtages und cherprozess schuldig gesprochen und ab dem Sommer 1938 Gauinspektor in schließlich 1953 begnadigt. Gemeinsam Niederdonau. Als Freiwilliger der Waffen- mit Mithäftlingen gründete er eine Ma- SS wurde er mehrfach verwundet. Ab nagementberatung und war bis zu seiner 1943 war er als Lehrer an der SS-Unterfüh- Pensionierung im Jahr 1977 in Deutsch- rerschule Radolfzell tätig. 1945 geriet er in land beruflich sehr erfolgreich. ARNOLD ILKOW GEB. 1894 GEST. 11. OKTOBER 1948

rnold Ilkow war bereits ab 1931 Im Jahr 1939 wurde Arnold Ilkow vom ein überaus aktiver Nationalsozia- Kreisleiter persönlich abgesetzt, da er sich Alist der Eisenstädter Ortsgruppe. „parteischädigend“ verhalten haben soll. Er übte den Beruf eines Zivilingenieurs aus. Beim Heranrücken der Roten Armee zog In den Märztagen des Jahres 1938 es die Familie Ilkow vor, Eisenstadt zu ver- wurde seine Wohnung zur geheimen Kom- lassen. Bis nach Tirol führte sie ihre Flucht. mandozentrale umfunktioniert. Über den Dort wurde sie schließlich im Mai 1946 dort befindlichen Telefonanschluss hielt Il- festgenommen und im Jänner 1947 in das kow Kontakt zur NSDAP-Landesleitung in Gefangenenhaus des Bezirksgerichts Eisen- Wien und leitete die neuesten Informatio- stadt überstellt. nen über den Stand der „Machtüber- Sein Verhalten in seiner Zeit als Bürger- nahme“ von Wien an Portschy weiter. meister brachte Arnold Ilkow ein Volksge- Seine Treue wurde IIkow bereits am 13. richtsverfahren wegen Hochverrats, „Illega- März mit dem politischen Amt des Bürger- lität“, Registrierungsbetrugs, „missbräuchli- meisters von Eisenstadt belohnt. Gauleiter cher Bereicherung“ „Vertreibung aus der Portschy persönlich hatte ihn dafür be- Heimat“ und Denunziation ein. Er verstarb stimmt. am 11. Oktober 1948, so dass die Vorwürfe Sein Sohn Herwig Ilkow, vor 1938 be- gegen ihn nie restlos aufgeklärt werden reits Stabsleiter der SA-Brigade, wurde Ab- konnten. Auch gegen Gertrud Ilkow wurde geordneter des Burgenländischen NS-Land- ein Volksgerichtsverfahren eingeleitet. tages. Auch Ilkows Gattin Gertrud war in Trotz intensiver Ermittlungen konnten ihr der NSDAP – bereits in der Zeit der Illegali- keine Beteiligungen an Aktionen gegen po- tät – tätig. Ab März 1938 übte sie die litische Andersdenkende oder gegen Juden Funktion einer Schulungsleiterin der Frau- nachgewiesen werden, sodass das Verfah- enschaft des Kreises Eisenstadt aus. ren Anfang 1948 eingestellt wurde.

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BIOGRAFIEN

glieds-Nr. 511.418), der er letztendlich bis ermark aus. Beim Herannahen der Front zu seinem Tod die Treue hielt. 1933 flüchtete er auf eine Berghütte bei Neu- wurde er Kreisleiter, 1935 erster Gauleiter markt, stellte sich aber am 13. Juni 1945 des Burgenlandes. der englischen Besatzungsmacht. In der Zeit von 1934 bis 1938 ver- Portschy wurde am 28. März 1949 we- brachte er insgesamt 18 Monate in politi- gen „Illegalität“ und Ausübung diverser scher Haft – unter anderem auch im An- Parteifunktionen – u. a. als Gauleiter des haltelager Wöllersdorf. Trotz Haft verfügte Burgenlandes und als stellvertretender Gau- er über die Möglichkeit, seine politische leiter der Steiermark – zu „15 Jahren Agitation fortzusetzen. Im Zuge des Berch- schweren Kerker ergänzt durch ein hartes tesgadener Abkommens im Februar 1938 Lager jährlich“ verurteilt. 1951 wurde er wurde er amnestiert und widmete sich begnadigt. Im Nachkriegsösterreich machte nun voll der Parteiarbeit. Er war der Archi- Portschy ein weiteres Mal – als Unterneh- tekt des Umsturzes im Burgenland, wenn mer einer Elektrohandelskette – Karriere. auch sein Führungsanspruch innerhalb der Bis zuletzt genoss der letzte lebende Gau- Nationalsozialisten nicht immer unumstrit- leiter des Dritten Reichs politisch höchstes ten war. Bis zum Oktober 1938 blieb Port- Ansehen. Schockierend ist einer seiner letz- schy Landeshauptmann des Burgenlandes. ten öffentlichen Auftritte in der Dokumenta- Er war maßgeblich für die Verfolgung der tion Schuld und Sühne (ORF 1992) von burgenländischen Juden und vor allem der Egon Humer. Die Verherrlichung des Natio- Burgenlandroma verantwortlich. Von Mai nalsozialismus und die Hasstiraden gegen 1938 bis April 1945 übte er die Funktion Roma brachten dem damals 87-jährigen des stellvertretenden in der Stei- eine Anzeige wegen Wiederbetätigung ein.

DR. FRIEDRICH SCHIRK GEB. 27. OKTOBER 1906 IN ÖDENBURG GEST. 21. MAI 1984 IN EISENSTADT

riedrich Schirk war Sohn eines Lo- richtsjahre in Eisenstadt und Wien. komotivführers aus Sopron, wo er Von 1935 bis 1938 war Schirk Führer Fauch die Volks- und Realschule be- der Deutschen Arbeitsfront (DAF) der suchte. Von 1920 bis 1923 absolvierte er NSDAP des Gaues Burgenland. Seine ille- eine Lehre als Handelskaufmann, besuchte gale Tätigkeit brachte ihn mehrfach in schließlich das Realgymnasium Eisenstadt, Konflikt mit dem Ständestaat. Er wurde ehe er in Wien Rechtswissenschaften zu 1936, 1937 und 1938 inhaftiert. Im Zuge studieren begann. Nach dem Abschluss einer „Säuberungswelle“ in der hiesigen des Studiums im Jahr 1933 folgten Ge- Wirtschaft wurde er zum stellvertretenden

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1 9 2 8 0,7%, KPÖ 0,4%. Die beiden großen Par- 10.01.: teien vereinen die überwältigende Mehr- Demission von LH Josef Rauhofer – Neu- heit in der Bevölkerung, die offen faschisti- wahl von LH Anton Schreiner. schen Verbände haben zu diesem Zeit- punkt keinen starken Rückhalt in der Par- 1 9 2 9 tei. 16.06.: 10.12.: LH Schreiner erlässt Aufmarschverbot, das Neuwahl der Bgld. Landesregierung – LH bis 15. September 1929 befristet ist. Anton Schreiner. 24.07.: Demission von LH Anton Schreiner – Neu- 1 9 3 1 wahl der Bgld. Landesregierung – LH Prä- 03.05.: lat Pfarrer Johann Thullner. Gemeinderatswahlen. 14.12.: 31.05.: Schlusssteinlegung des Landhauses in Ei- Bundesregierung erlässt ein Aufmarschver- senstadt. bot für ganz Österreich. 21.06.: 1 9 3 0 Enthüllung des „kleinen“ Anschlussdenk- 31.03.: mals in Oberschützen. 16.00 Uhr: Feierlicher Einzug der Landes- 09.10.: regierung in das neue Landhaus. Wiederwahl von Wilhelm Miklas (Christ- 18.05.: lichsozialer) zum Bundespräsidenten. „Korneuburger Eid“ – das Korneuburger 28.10.: Heimwehrprogramm ist eine Absage an Demission von LH Anton Schreiner, die den Parlamentarismus. dieser bereits am 5. Oktober gegenüber 15.06.: seiner Partei angekündigt hat. Franz Binder, der sich geweigert hat, das 25.11.: Korneuburger Gelöbnis zu leisten, legt bei Neuwahl der Bgld. Landesregierung – LH einer in Oberwart stattfindenden Ver- Dr. Alfred Walheim. sammlung sämtlicher burgenländischer Heimwehrführer, in Anwesenheit der Bun- 1 9 3 2 desführer Dr. Steidle und Dr. Pfriemer, 20.05.: seine Stelle als Landesführer nieder. Kabinett Dollfuß I. – die letzte, nach parla- 09.11.: mentarischen Grundsätzen gebildete Re- Nationalrats- und Landtagswahlen im Bur- gierung. genland: 23.05.: LTW: CSP 42,7%, SDAP 37,8%, Nationaler LH a. D. Anton Schreiner (58 Jahre) wird Wirtschaftsblock und Landbund 16,1%, in seiner Ziegelei in Walbersdorf von Ste- Heimatblock (Heimwehr) 2,3%, NSDAP phan Zeltner erschossen.

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2./3.07.: Renner (Sozialdemokratische Partei), Ru- Die Nationalsozialisten halten in Eisenstadt dolf Ramek (Christlichsoziale Partei), Sepp einen so genannten „Deutschen Tag“ ab, Straffner (Großdeutsche Partei). in dessen Verlauf es am 3. Juli zu schwe- 07.03.: ren Zusammenstößen zwischen National- Beginn der autoritären Regierung auf sozialisten und Sozialdemokraten kommt. Grund des „Kriegswirtschaftlichen Er- Die Parteizentrale der SDAP wird gestürmt mächtigungsgesetzes“ von 1917. und LH-Stv. Ludwig Leser verletzt. 31.03.: 10.07.: Auflösung des Republikanischen Schutz- Als Antwort darauf organisiert die Burgen- bundes in Österreich durch Verfügung des ländische Sozialdemokratische Landespar- Bundeskanzlers. tei eine Woche später einen Aufmarsch des 20.05.: Schutzbundes am Hauptplatz in Eisen- Gründung der Vaterländischen Front. stadt; an dieser Massenkundgebung neh- 26.05.: men an die 2500 Menschen teil. Verbot der Kommunistischen Partei in 30.07.: Österreich. Enthüllung des Haydn-Gedenksteines vor 19.06.: dem Landhaus (dieser wird 1960 geschliffen). Verbot der NSDAP in Österreich. 31.07.: 02.07.: Hinterlegung von Erde in den Haydn-Ge- Besuch von BK Dollfuß in Eisenstadt. denkstein – „Erde aus allen deutschen 11.09.: Landen“, anlässlich der Sternfahrt der Ju- Trabrennplatz-Rede von BK Dollfuß – die gend zum Grabe Haydns („Haydn-Jahr Führerstandarte trägt erstmals das Kruk- 1932“). kenkreuz, ein Zeichen der Kreuzfahrer des Mittelalters. 1 9 3 3 23.09.: 30.01.: In Wöllersdorf (bei Wr. Neustadt) wird ein Deutschland: Adolf Hitler, Führer der Natio- Anhaltelager errichtet. nalsozialisten wird zum deutschen Reichs- 27.09.: kanzler ernannt. Der Österreichische Heimatschutz (Bun- 04.03.: desführer Fürst Ernst Rüdiger Starhem- So genannte „Selbstausschaltung des Parla- berg) tritt korporativ in die Vaterländische ments“ – der Streitfall über die Abstim- Front ein; gleichzeitig wird der Heimat- mung bzgl. eines Beschlusses über die block, die Parteiorganisation des Heimat- Maßregelung der Verkehrsbediensteten schutzes aufgelöst. (am 1. März hat ein zweistündiger Protest- 14.10.: streik der Eisenbahner stattgefunden) führt Die Landesleitung der Vaterländischen Front dazu, dass die Präsidenten des Nationalra- im Burgenland ist errichtet: LR Dipl. Ing. tes nacheinander zurücktreten: Dr. Karl Hans Sylvester wird zum Landesleiter bestellt.

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26.10.: 25.04.: BK Dollfuß übernimmt auf Ersuchen des Das „Ermächtigungsgesetz“ des Landes- Christlichen Heimatschutzes des Burgen- hauptmannes wird beschlossen. landes selbst die Funktion des obersten 19.05.: Heimwehr-Führers im Burgenland. In über 170 Gemeinden des Burgenlandes 10.11.: wurde bereits an Erzherzog Otto Habs- Wiedereinführung der Todesstrafe auf burg-Lothringen die Ehrenbürgerschaft ver- standrechtlicher Grundlage. liehen (so genannte „Kaisergemeinden“), davon in sämtlichen Gemeinden des Bezir- 1 9 3 4 kes Mattersburg. 12.02.: 25.05.: Nach schweren Kämpfen zwischen der Exe- Verhängung des Standrechtes für Spreng- kutive und dem ehemaligen Schutzbund in stoffverbrechen im gesamten Bundesge- Linz kommt es in Wien zur Arbeitsniederle- biet. gung in den städtischen Betrieben und bald 19.06.: darauf zu blutigen Straßenkämpfen. Wiedereinführung der Todesstrafe im or- Verbot der Sozialdemokratischen Partei, dentlichen Verfahren und Umgestaltung der Auflösung ihrer Organisationen, Erlöschen Geschworenengerichte. der Mandate in allen öffentlichen Körper- 12.07.: schaften. Das Standrecht wird auch auf alle Spreng- 18.02.: stoffbesitzer verhängt. Demission von LH Dr. Alfred Walheim. 25.07.: 22.02.: BK Dollfuß wird vom SS-Mann Otto Pla- Nachwahlen im Burgenländischen Landtag netta im Kanzleramt ermordet –Putschver- nach dem Ausscheiden der Sozialdemokra- such der Nationalsozialisten in Wien, ver- ten; Neuwahlen der Bgld. Landesregierung einzelte Erhebungen auch in Oberöster- – LH Dipl. Ing. Hans Sylvester. reich, Salzburg, Kärnten und in der Steier- 02.03.: mark. Der „Gewerkschaftsbund der österreichi- 29.07.: schen Arbeiter und Angestellten“ (= Ein- Der bisherige Unterrichtsminister Dr. Kurt heitsgewerkschaft) wird durch Verordnung Schuschnigg wird vom Bundespräsidenten der Bundesregierung geschaffen. zum Bundeskanzler ernannt. 22.03.: 16.10.: Volkszählung in Österreich: Das Burgen- Letzte Sitzung des Landtages nach alter land zählt 299447 Personen. Verfassung – der Landtag beschließt das 09.04.: neue Landesverfassungsgesetz über die Die Freistadt Eisenstadt ernennt Erzherzog „Landesverfassung 1934“. Otto Habsburg-Lothringen zum Ehrenbür- Dr. Karl Fuith, Obmann der Christlichsozia- ger der Stadt. len Landespartei spricht die Liquidierung

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seiner Partei aus – dies bedeutet die Selbst- rektion f. d. öffentliche Sicherheit (Bundes- auflösung der „Christlichsozialen Partei des kanzleramt). Burgenlandes“. 01.11.: 1 9 3 6 Die neue burgenländische Landesverfas- 16.–23.03.: sung tritt in Kraft, Ernennung der Mitglie- „Sozialistenprozess“ gegen 28 Revolutio- der der Bgld. Landesregierung durch LH näre Sozialisten und zwei Kommunisten – Sylvester. Höhepunkt der Verfolgung der illegalen Ar- 11.11.: beiterbewegung. 1. Sitzung des ernannten burgenländi- 01.04.: schen ständischen Landtages. Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Österreich. 1 9 3 5 20.05.: 31.3.: Bundesgesetz über die Vaterländische Gründung der „Sozialen Arbeitsgemein- Front, die zum einzigen Träger der politi- schaft“ im Rahmen der Vaterländischen schen Willensbildung im Staate erklärt Front als zweite Arbeitnehmervertretung. wird. Auflassung der Staatsvolksschulen im Bur- 22.05.: genland – diese werden als konfessionelle Die Bgld. Landesregierung erklärt die oder Gemeinde-Volksschulen weiterge- Hymne mit dem Text von Dr. Ernst Görlich führt. und in der Vertonung von Peter Zauner als 05.05.: offizielle burgenländische Landeshymne. Auf Grund des großen Zuwachses der Na- 10.10.: tionalsozialisten erfolgt die Schaffung eines Auflösung der freiwilligen Wehrverbände eigenen „Gaues Burgenland“, „Gauleiter“ in Österreich – diese sollen in die Frontmi- wird der Rechtsanwaltanwärter Dr. Tobias liz der Vaterländischen Front übergeführt Portschy, sein Stellvertreter Hans Arnhold. werden. Analog dazu wird auch die SA umgrup- 14.11.: piert und nunmehr eine eigene „Brigade Festsitzung des Ständischen Landtages an- Burgenland“ geschaffen (Brigadeführer Jo- lässlich „15 Jahre Burgenland“, ebenfalls sef Palham). anwesend BP Wilhelm Miklas, BK Dr. Kurt 08.06.: Schuschnigg, Kardinal Dr. BK Schuschnigg nimmt an einer Kundge- sowie die burgenländische Landesregie- bung der Vaterländischen Front in Eisen- rung. stadt teil; er schreitet die angetretenen Wehrverbände im Kasernengelände ab. 1 9 3 7 21.06.: 13.04.: Auflösung der „Frontkämpfervereinigung BK Schuschnigg in Eisenstadt anlässlich des Deutschösterreichs“ durch die Generaldi- Landesappells der Amtswalterschaft der VF.

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1 9 3 8 06.03.: 12.02.: BK Schuschnigg entwickelt im engsten Kreis Berchtesgadener Abkommen – Treffen seiner Vertrauten den Plan, eine Volksbefra- Schuschniggs mit Hitler in Berchtesgaden: gung gegen den Anschluss abhalten zu lassen. Hitler fordert u. a. eine Amnestie für die 08.03.: Nationalsozialisten in Österreich und die Über zwei geheime Kanäle erfährt Hitler aller- Berufung eines Nationalsozialisten in die dings vorzeitig von diesem Plan – auch die bur- Regierung. genländische NS-Führung wird telefonisch aus 16.02.: Wien informiert, ohne konkrete Weisungen. Dr. Arthur Seyß-Inquart wird als Innen- 09.03.: und Sicherheitsminister in die Regierung BK Schuschnigg kündigt für den 13. März berufen. 1938 eine Volksbefragung über die Aufrecht- 19.02.: erhaltung der Unabhängigkeit Österreichs Generalamnestie für alle eingekerkerten an. Zu diesem Zeitpunkt laufen bereits die Nationalsozialisten. Vorbereitungen der Nationalsozialisten. Die Rückkehr von Gauleiter Portschy wird 11.03.: mit Freudendemonstrationen begangen. 5.00 Uhr: 21.02.: Es wird „Grünes Licht“ für die Bundeslän- 800–1000 Menschen versammeln sich vor der gegeben: Portschy lässt alle Ortsgrup- dem Landhaus und am Schlossplatz in Ei- pen alarmieren – in Eisenstadt und Ober- senstadt und singen „Lieder der Nation“. wart sollten große Sternmärsche, in den 24.02.: Bezirksvororten und größeren Gemeinden Rede von BK Schuschnigg, worin er Bezug Kundgebungen abgehalten werden. auf das Treffen mit Hitler in Berchtesgaden 19.00 Uhr: nimmt – er schließt mit den Worten: „Bis BK Schuschnigg gibt im Radio die Absage in den Tod. Rot-Weiß-Rot! Österreich!“ der Volksabstimmung bekannt. In Eisenstadt wird diese Rede in überfüllten 19.50 Uhr: Sälen des Hotels „Weiße Rose“, des Abschiedsrede von BK Schuschnigg im öster- Haydnkinos und der Arbeiterkammer ge- reichischen Rundfunk mit den Schlusswor- hört; anschließend ziehen die Teilnehmer – ten: „Gott schütze Österreich.“ an die 2500 Menschen – über die Haupt- NS-Übernahme im Burgenland: Gauleiter straße zum Dollfußplatz (heute Europa- Dr. Tobias Portschy gibt bekannt, dass er platz) und zur Neusiedlerstraße. zum Landeshauptmann bestellt ist. 27.02.: 20.00 Uhr: Großkundgebung in Oberwart, an der Portschy setzt die gesamte Landesregie- nach Angaben der BH-Oberwart ca. 3300 rung davon in Kenntnis und enthebt sie ih- Menschen teilnehmen, die mit Haken- rer Funktion. Die Mitglieder der Landesre- kreuzfahnen und Heil-Rufen durch die gierung werden verhaftet, SA und SS be- Stadt ziehen. setzen alle wichtigen Ämter.

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12.03.: 10.04.: In den Morgenstunden wird Gauleiter Volksabstimmung in Österreich über die Portschy durch den nunmehrigen BK Seyß- Wiedervereinigung mit dem Deutschen Inquart offiziell zum Landeshauptmann Reich. des Burgenlandes ernannt. Ergebnis Burgenland: 169775 Ja-Stimmen, 5.30 Uhr: 63 Nein-Stimmen; in 297 von 324 Ge- Beginn des Einmarsches deutscher Trup- meinden wurden nur Ja-Stimmen abgege- pen in Österreich. ben (so genannte „Führergemeinden“). 16.00 Uhr: 31.08.: Hitler überschreitet die österreichische Arbeitsverpflichtung für Zigeuner: Erlass des Grenze bei Braunau. LH Portschy zur Sicherung der Ernte 1938 20.00 Uhr: – Pflichtarbeit für alle arbeitsfähigen Zigeu- Großer Empfang Hitlers in Linz. ner und Zigeunerinnen wird angeordnet. 13.03.: 12.09.: Bundesverfassungsgesetz über die Wieder- Verordnung von LH Portschy betreffend vereinigung Österreichs mit dem Deut- die Regelung des burgenländischen Schul- schen Reich – Art. 1: „Österreich ist ein wesens: Auflösung der konfessionellen Land des Deutschen Reiches.“ Österreichs Schulen; alle Volks- und Hauptschulen Souveränität ist damit erloschen. werden als allgemeine öffentliche Schulen 15.03.: weitergeführt – Schulerhalter ist die politi- Hitlers Rede auf dem Heldenplatz in Wien sche Gemeinde. vor fast 250000 Menschen. 01.10.: Ernennung Seyß-Inquarts zum Reichsstatt- Gesetz über Gebietsveränderungen im halter in Österreich. Lande Österreich: „§ 1 (2): „Das ehemals Gauleiter und Landeshauptmann Portschy österreichische Land Burgenland wird auf- löst den burgenländischen Landtag auf und gelöst. Von ihm fallen die Verwaltungsbe- ernennt einen neuen Landtag mit 30 Mit- zirke Eisenstadt, Mattersburg, Neusiedl am gliedern. See und Oberpullendorf sowie die landes- Nachmittag: unmittelbaren Städte Eisenstadt und Rust Einzug von 300 Mann der reichsdeut- an das ehemals österreichische Land Nie- schen Schutzpolizei (aus , derösterreich, die Verwaltungsbezirke Güs- Hamburg und Wilhelmshafen) unter Jubel sing, Jennersdorf und Oberwart an das der Bevölkerung; Begrüßung vor dem ehemals österreichische Land Steiermark.“ Schloss durch LH Portschy und sämtlichen 15.10.: Mitgliedern der Landesregierung. Das Gebietsveränderungsgesetz vom 06.04. 1. Oktober 1938 tritt in Kraft. Das Burgen- Reichsinnenminister Dr. Wilhelm Frick zu land wird auf die Gaue Niederdonau und Besuch in Eisenstadt. Steiermark aufgeteilt und verschwindet von der Landkarte.

109 LITERATURVERZEICHNIS

AG zur Erforschung und Dokumentation der Geschichte der burgenländischen Arbeiterbewegung: Um Freiheit und Brot. Geschichte der burgenländischen Arbeiterbewegung von den Anfängen bis 1945, Eisenstadt 1984

Joska B e n k ö: Zigeuner, Ihre Welt – ihr Schicksal. Unter besonderer Berücksichtigung des burgenländischen und ungarischen Raumes, Pinkafeld 1979

Richard B e r c z e l l e r: Norbert Leser … mit Österreich verbunden. Burgenlandschicksal 1918–1945, Wien-München 1975

Franz D a n i m a n: Finis . Österreich, März 1938, Wien 1978

Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.): Widerstand und Verfolgung im Burgenland 1934–1945, Wien 1979

Aurelius F r e y t a g, Boris M a r t e, Thomas S t e r n (Hrsg.): Geschichte und Verantwortung, Wien 1988

Ulrike H a r m a t: Abschied von Ungarn. Das Burgenland nach dem Anschluß, in: Elisabeth Deinhofer, Traude Horvath (Hrsg.): Grenzfall. Burgenland 1921–1991, Eisenstadt 1991

Horst Ha s e l s t e i n e r, Alfred M a l e t a: Der Weg zum „Anschluss“ 1938, Karl v. Vogelsang-Institut, Wien 1988

Josef K l a m p f e r: Das Eisenstädter Ghetto, Burgenländische Forschungen Bd. 51, Eisenstadt 1966

Johann K r i e g l e r: Politisches Handbuch des Burgenlandes, 1. Teil (1921–1938), Eisenstadt 1972

Ursula M i n d l e r: Tobias Portschy. Biographie eines Nationalsozialisten – Die Jahre bis 1945, Burgenländische Forschung Nr. 92, Eisenstadt 2006

Otto M ö d l a g l: Burgenland im Ständestaat, in: Bgld. Landesarchiv (Hrsg.): 50 Jahre Burgenland. Vorträge im Rahmen der landeskundlichen Forschungsstelle am Landesarchiv, Burgenländische Forschungen Sonderheft III, Eisenstadt 1971

Jonny M o s e r: Österreichs Juden unter der NS-Herrschaft in: Emmerich Talos, Ernst Ha- nisch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): NS-Herrschaft in Österreich 1938–1945, Wien 1988

110 LITERATURVERZEICHNIS

Tobias P o r t s c h y: Die Zigeunerfrage. Denkschrift des Landeshauptmannes für das Burgenland, Pg. Dr. Portschy, Eisenstadt August 1938

Gerald S c h l a g: Um Freiheit und Brot. Die Arbeiterbewegung von ihren Anfängen im westungarischen Raum bis zur Verbannung in die Illegalität, in: SPÖ-Landesorganisation Burgenland (Hrsg.): Aufbruch an der Grenze, Eisenstadt 1989

Gerald S c h l a g: Die politischen Parteien des Burgenlandes 1921–1934, in: Bgld. Landesarchiv (Hrsg.): 50 Jahre Burgenland. Vorträge im Rahmen der landeskundlichen Forschungsstelle am Landesarchiv, Burgenländische Forschungen Sonderheft III, Eisenstadt 1971

Gerald S c h l a g: Der 12. März 1938 im Burgenland und seine Vorgeschichte, in: Bgld. Landesarchiv (Hrsg.): Burgenland 1938. Vorträge des Symposions „Die Auflösung des Burgenlandes vor 50 Jahren“, Burgenländische Forschungen Bd. 73, Eisenstadt 1989

Gerald S c h l a g: Burgenland. Geschichte, Kultur und Wirtschaft in Biographien, Eisenstadt 1991

Emmerich T a l o s, Ernst H a n i s c h, Wolfgang N e u g e b a u e r (Hrsg.): NS-Herrschaft in Österreich 1938–1945, Wien 1988

Emmerich T a l o s, Wolfgang N e u g e b a u e r (Hrsg.): „Austrofaschismus“ – Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938, Wien 1984

Felix T o b l e r: Zur Frühgeschichte der NSDAP im Burgenland (1923–1933), in: Bgld. Landesarchiv (Hrsg.): Burgenland 1938. Vorträge des Symposions „Die Auflösung des Burgenlandes vor 50 Jahren“, Burgenländische Forschungen Bd. 73, Eisenstadt 1989

Erika T h u r n e r: Kurzgeschichte des Nationalsozialistischen Zigeunerlagers in Lackenbach (1940–1945), Eisenstadt 1984

Susanne U s l u-P a u e r: Volksgerichte: Den Tätern auf der Spur…, Burgenländische Forschungen Bd. 96, Eisenstadt 2008

Roland W i d d e r: Die „Unschuld vom Lande“ – Argumente gegen die Plötzlichkeit (Eine sozialpsychologische Annäherung an das Burgenland von 1938), in: Bgld. Landesarchiv (Hrsg.): Burgenland 1938. Vorträge des Symposions „Die Auflösung des Burgenlandes vor 50 Jahren“, Burgenländische Forschungen Bd. 73, Eisenstadt 1989

111 LITERATURVERZEICHNIS

Quellenverzeichnis:

Burgenländisches Landesarchiv: BLA, Zeitgeschichtliche Sammlung BLA, Opferfürsorgeakte der Sozialabteilung BLA, Gauarchiv Burgenland BLA, „Zigeunerakt“ Karton Polizei I-A, 25/180 BLA, aufgelöste Vereine BLA, Vaterländische Front BLA, Sonderbestand Lage und Vorfallenheiten BLA, Polizei (Vereine) BLA, Plakatsammlung BLA, Fotosammlung

Film: „Historisches Burgenland“ aus der Serie „Österreich in historischen Filmdokumenten“ hrsg. vom Filmarchiv Austria und dem Burgenländischen Landesarchiv, Eisenstadt 2001

Zeitungen, Zeitschriften: Burgenländische Freiheit Der Freie Burgenländer Grenzland Bote Grenzmark Burgenland Neues Burgenländisches Volksblatt. Wochenblatt für das Vaterländische Volk des Burgenlandes Oberwarther Sonntags-Zeitung

Statistische Nachrichten, hrsg. vom Österreichischen Statistischen Landesamt: Die Volks- abstimmung vom 10. April 1938 in Österreich über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Wien, 10. Mai 1938, 16. Jg., Nr. 5

Nachlässe: Nachlass Kritsch Nachlass Stoiber

Private Leihgeber: Silvia B o r o s s, Stoob Gemeindearchiv Hornstein (Robert S z i n o v a t z, Günther S t e f a n i t s) Heinz R i t t e r, Lutzmannsburg Josef S t o i b e r, Eisenstadt

112 DANKSAGUNG

WIR BEDANKEN UNS FÜR DIE FREUNDLICHE UNTERSTÜTZUNG BEI:

Silvia BOROSS

Evelyn FERTL

Ursula MINDLER

Heimo PORTSCHY

Heinz RITTER

Günther STEFANITS

Anna STOIBER

Josef STOIBER jun.

Robert SZINOVATZ

113 Impressum: Medieninhaber, Herausgeber und Verleger: Amt der Burgenländischen Landesregierung, Abteilung 7 – Landesmuseum A-7000 Eisenstadt, Museumgasse 1-5 Direktor w. Hofrat Dr. Josef Tiefenbach Redaktion: Dr. Pia Bayer und Dr. Evelyn Fertl Umschlagbild & Layout: Kreativgrafik Simone Klemenschits, Dammstraße 10, 7011 Siegendorf Druck: Druckzentrum Eisenstadt, Mattersburger Straße 23, 7000 Eisenstadt

ISBN 978-3-85405-168-8 WAB 125, Eisenstadt 2008