„Hinein in die Vaterländische Front!“ Die Vaterländische Front als Machtbasis des Ständestaats?

Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts im Masterstudium Politische Bildung

Johannes Kepler Universität Linz Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte

Betreuer: Univ.-Prof. Dr. Marcus Gräser

Verfasser: Philipp Lumetsberger, BSc

Linz, Februar 2015

Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Masterarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Masterarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

Linz, Februar 2015 Philipp Lumetsberger

1 Inhalt I. Abkürzungsverzeichnis ...... 3 1. Einleitung ...... 4 2. Ständestaat ...... 6 2.1. Vorgeschichte ...... 6 2.2. Verfassung ...... 16 2.3. Der Einfluss der Berufsstände ...... 26 3. Vaterländische Front...... 29 3.1. Gründung der VF ...... 29 3.2. Zusammensetzung ...... 33 3.3. Aufbau der VF ...... 37 3.4. Verwendete Symbole ...... 39 3.5. Unterorganisationen der VF ...... 41 3.5.1.Österreichisches Jungvolk ...... 41 3.5.2. Frontmiliz ...... 42 3.5.3. Freiwilliges Schutzkorps ...... 44 3.5.4. Volkspolitisches Referat ...... 47 3.5.5. Frauenorganisationen ...... 48 3.6. Maßnahmen der VF zur Mobilisierung der Bevölkerung ...... 51 3.7. Führer der VF ...... 56 3.7.1. Engelbert Dollfuß ...... 56 3.7.2. Ernst Rüdiger Starhemberg ...... 58 3.7.3. Kurt Schuschnigg ...... 60 3.8. Vergleich der VF mit der NSDAP und der PNF ...... 61 3.8.1. Die NSDAP ...... 63 3.8.2. Die PNF ...... 65 3.8.3. Der Vergleich mit der VF und deren Unterschiede ...... 67 4. Ende des Ständestaats ...... 71 4.1. Das Ende der VF...... 81 5. Fazit ...... 85 6. Literatur ...... 89

2 I. Abkürzungsverzeichnis

BO Betriebsstellenorganisation DO Dienststellenorganisation EG Einheitsgewerkschaft FM Frontmiliz FS Freiwilliges Schutzkorps KWEG Kriegswirtschaftliches Ermächtigungsgesetz MSW Mutterschutzwerk NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ÖBB Österreichische Bundesbahnen ÖJV Österreichisches Jungvolk PNF Partito Nazionale Fascista SA Sturmabteilung SAG Soziale Arbeitsgemeinschaft SS VF Vaterländische Front VfGH Verfassungsgerichtshof VPR Volkspolitisches Referat VwGH Verwaltungsgerichtshof

3 1. Einleitung

„Österreicher! Österreicherinnen! Es ist die Pflicht jedes aufrechten Österreichers, sich für die vaterländische Front zu melden. Alle, ob nun in Vereinen, Verbänden o- der Parteien zusammengeschlossen oder ob Einzelpersonen, ob Mann oder Frau, ob Greis oder Jüngling, alle, die Österreich lieben, melden sich für die Vaterländische Front.“1 Mit diesen Worten wurde unter dem Titel „Hinein in die Vaterländische Front!“ am 21. Mai 1933 zum Beitritt aufgerufen.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit jener Bewegung, die in der Zeit des Stän- destaats von 1934 bis 1938 als einzige offiziell existieren durfte: der Vaterländischen Front. Um einen besseren Überblick zu bekommen, wird sowohl am Beginn als auch am Ende der nachfolgenden Ausführungen ein Teil der in dieser Zeit stattfindenden Ereignisse geschildert. Bevor jedoch der Blick auf die Vaterländische Front gerichtet wird, wird das Konstrukt des Ständestaates, in dem die Vaterländische Front ihre Tätigkeit ausübte, näher betrachtet. Dabei erfolgt zunächst eine Analyse der Verfas- sung, die als das Fundament auf dem das ständestaatliche System ruhte, gesehen werden kann. Danach werden kurz das System der Berufsstände und deren Ein- flussmöglichkeiten zur Betrachtung herangezogen. Zu Beginn der Ausführungen zur Vaterländischen Front wird zunächst deren Gründungsgeschichte skizziert. Bei der Frage nach der Zusammensetzung der Vaterländischen Front wird geklärt, wer bzw. welche Personengruppen der Vaterländischen Front beigetreten sind und wie dieser Beitritt erfolgte. Danach folgen ein Blick auf die Struktur der Vaterländischen Front sowie deren organisatorischer Aufbau. Da die Bewegungen jener Zeit sich etlicher Symbole und Zeichen bemächtigten und diese für sich nutzten, sollen auch jene verwendeten Symbole der Vaterländischen Front in den Ausführungen dieser Arbeit ihren Platz finden. Im daran erfolgt eine Skizzierung der Unterorganisatio- nen der Vaterländischen Front, mit denen man versuchte, unterschiedliche Bevölke- rungsgruppen für sich zu gewinnen. Den Unterorganisationen folgend werden die Maßnahmen geschildert, mit denen man ebenfalls versuchte, die Bevölkerung zu mobilisieren. Bevor ein Vergleich der Vaterländischen Front mit jenen Parteien in Deutschland und Italien vollzogen wird, werden noch kurz die Biographien der Führer

1 Wiener Zeitung, 230. Jahrgang, 21. Mai 1933, Nr. 118, S. 3.

4 der Vaterländischen Front nachgezeichnet. Den Abschluss bildet ein Blick auf das Ende der Vaterländischen Front, bei dem deren Auflösung dargestellt wird. Im Zuge der Ausarbeitung dieses Werks standen folgende Fragestellungen im Vor- dergrund: Inwieweit konnten die Berufsstände und die neu geschaffenen Räte die Ge- setzgebung tatsächlich beeinflussen?

Warum hatte die Vaterländische Front mit Akzeptanzproblemen innerhalb der Bevölkerung zu kämpfen und konnten die neu geschaffenen Organisationen zu einer größeren Akzeptanz beitragen?

Verfügte die Vaterländische Front, im Vergleich zu den faschistischen Bewe- gungen in Deutschland und Italien, über besonders unterschiedliche Merkmale oder Eigenheiten? Daran anknüpfend werden folgende Aussagen formuliert, deren Gültigkeit im Rah- men dieser Arbeit überprüft werden soll: Der Einfluss der Vaterländischen Front bei der Zusammensetzung der Räte schränk- te deren Handlungsspielraum ein. Der anfänglich erfolgte Ausschluss politischer Gruppierungen aus dem öffentlichen Leben wirkte sich negativ auf deren Eingliederung in die Vaterländische Front aus.

Für die Ausarbeitung der einzelnen Inhalte wurde, neben der Sekundärliteratur, auch auf Quellen zurückgegriffen. Als Quellen dienten hierbei vor allem aus der damaligen Zeit stammende Gesetzestexte und Zeitungen. Vereinzelt wurden auch Minister- ratsprotokolle für die nachfolgenden Ausführungen herangezogen. Im Bereich der Sekundärliteratur wurden sowohl Monographien als auch Beiträge aus Sammelbän- den verwendet.

Die vorliegende Arbeit soll einen Überblick über die Vaterländische Front liefern und auch deren Komplexität, die mitunter auf den ersten Blick gar nicht so sehr hervor- sticht, aufzeigen. Darüber hinaus sollen die Problematiken, mit denen die Vaterländi- sche Front zu kämpfen hatte, geschildert werden. Schließlich soll auch noch ein Blick auf die Parteien in den beiden Nachbarländern Deutschland und Italien geworfen und mit jener in Österreich verglichen werden.

5 2. Ständestaat

2.1. Vorgeschichte

Nach den Wahlergebnissen vom 24. April 1932 wurde Karl Buresch vom Bundesprä- sidenten mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Dieser hatte die Vorstel- lung, dass es in der Regierung zu einer Zusammenfassung sämtlicher bürgerlichen Parteien kommen sollte. In seiner Vorstellung hätten somit auch die Großdeutschen und der Heimatblock einen Platz in der Regierung finden sollen. Die Großdeutschen waren allerdings gegen Buresch, da dieser sich nach der Ansicht der Großdeutschen in der Außenpolitik zu sehr an Frankreich orientierte. Es wurde nach einer Lösung gesucht und als Resultat dessen wurde der Landwirtschaftsminister Engelbert Doll- fuß mit der Bildung einer Regierung betraut. Die ihrerseits konnte sich mit den Großdeutschen nicht einigen, da sie eine Regierung mit Anton Rintelen, dem steirischen Landeshauptmann, als Bundeskanzler bevorzugte. Die Großdeutschen verlangten von Dollfuß die Vorlage eines Regierungsprogramms. Dieses Programm wurde allerdings abgelehnt, da es nach Ansicht der Großdeutschen zu sehr an die Pläne Bureschs angelehnt war. Nach der Überwindung zahlreicher Unstimmigkeiten mit dem Landbund und dem Heimatblock2 konnte schließlich doch noch eine Regie- rung gebildet werden.3 Im Mai des Jahres 1932 wurde Engelbert Dollfuß der Bun- deskanzler der neu aufgestellten Regierung. Die von ihm gebildete Regierung war nun eine Koalition seiner christlichsozialen Partei, der Heimwehr und des Landbun- des. Trotz dieser Koalition hatte die Regierung des Kanzlers Dollfuß im Parlament gerade noch die Mehrheit. Eine einzige Stimme stellte diese Mehrheit gegenüber der Opposition sicher. 4 Die Dollfuß Regierung musste, genauso wie die einzelnen christlichsozialen Regie- rungen aus den Jahren zuvor, aufgrund der schwindend geringen Mehrheit im Par- lament immer wieder um ihren Fortbestand kämpfen. In der Zeit vom 10. Mai 1932 bis zum 4. März 1933 wurde dennoch versucht, die vorhandenen Probleme demokra- tisch zu lösen. Eines dieser Probleme umfasste die so genannte Lausanner Anleihe,

2 Als Heimatblock wurde die politische Abteilung der Heimwehr bezeichnet. (vgl. dazu Irmgard Bärnthaler, Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation, Wien 1971, S. 35) 3 Vgl. Walter Goldinger u. Dieter A. Binder, Geschichte der Republik Österreich 1918-1938, Wien 1992, S. 193ff. 4 Vgl. Francis L. Carsten, Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler, München 1977, S. 211.

6 die zur Sanierung der maroden Staatsfinanzen beitragen sollte.5 Mit der entspre- chenden Regierungsvorlage beschäftigte sich der Nationalrat am 17. August 1932. Die durchgeführte Abstimmung über diese Vorlage endete denkbar knapp und wurde schließlich mit einem Ergebnis von 81 zu 80 Stimmen angenommen. Der Bundesrat nahm allerdings sein Vetorecht in Anspruch und erhob Einspruch. Der Regierung gelang es allerdings am 23. August 1932, einen Beharrungsbeschluss durchzuset- zen, der ebenfalls nur mit einer knappen Mehrheit von lediglich zwei Stimmen ange- nommen wurde.6 Die Lausanner Anleihe sah vor, dass Österreich vom Völkerbundrat Gelder in Höhe von 300 Millionen Schilling bekommen sollte. Die finanzielle Unterstützung war aller- dings an Bedingungen geknüpft, die in einem von der Regierung unterzeichneten Protokoll festgelegt worden waren und verbindlich eingehalten werden mussten. So musste beispielsweise der Erlös aus den Anleihen zur Kreditrückzahlung und zur Deckung von Verbindlichkeiten des Staates gegenüber der Nationalbank verwendet werden. Auf politischer Ebene wurde die Anerkennung des von Seipel im Jahr 1922 unterzeichneten Genfer Protokolls verlangt. Diese Forderung sorgte vor allem für zahlreiche innenpolitische Spannungen, da durch dessen Erfüllung das Anschluss- verbot an Deutschland für einen Zeitraum von zehn Jahren freiwillig akzeptiert wurde. Ein solches Anschlussverbot wurde allerdings bereits durch den Friedensvertrag ge- regelt.7

Anfang 1933 hatte es den Anschein, dass die Gelder aus der Lausanner Anleihe nicht mehr allzu lange auf sich warten ließen. Eine Ausschüttung von britischen und französischen Geldern, die zu diesem Zeitpunkt notwendig waren, um zur Sanierung des Budgets beizutragen, stand kurz bevor.8 Am 8. Jänner 1933 kam es allerdings zu einer folgenschweren Entdeckung. Eisenbahner kamen in Villach einem Waffen- schmuggel auf die Spur, bei dem fünfzig Waggons mit Waffenladungen aus Italien auf dem Weg in die Patronenfabrik in Hirtenberg waren. Die Fabrik in Hirtenberg stellte allerdings nicht die Endstation dieser Lieferung dar. Der Großteil der Waffen sollte nach Ungarn gebracht werden und nur ein kleiner Teil in Österreich verbleiben

5 Vgl. Ludwig Reichhold, Kampf um Österreich. Die Vaterländische Front und ihr Widerstand gegen den Anschluß 1933 – 1938, Wien 1984, S. 64f. 6 Vgl. Hugo Portisch, Österreich I. Die unterschätzte Republik, Wien 1989, S. 417. 7 Vgl. Goldinger u. Binder, Geschichte der Republik Österreich, S. 195f. 8 Vgl. Dieter A. Binder, Der Skandal zur „rechten“ Zeit. Die Hirtenberger Waffenaffäre an der Nahtstel- le zwischen Innen- und Außenpolitik, in: Michael Gehler u. Hubert Sickinger (Hg.), Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim, 20072, S. 278 – 292, S. 279.

7 und in den Besitz der Heimwehr übergehen. Diese Waffentransporte stellten einen Verstoß gegen die Friedensverträge von Saint-Germain und Trianon dar.9 Von Seiten Großbritanniens, Frankreichs und der Tschechoslowakei kam es zu fol- genden Reaktionen auf die Waffentransporte: Die Vergabe des Anleihevorschusses wurde nun von Großbritannien abgelehnt. Frankreich und Tschechoslowakei äußer- ten Bedenken gegenüber der gesamten Anleihe. In Frankreich mehrten sich zudem jene Stimmen, die ein Zurückhalten der Gelder befürworteten. Die tschechoslowaki- sche Regierung verkündete öffentlich, dass sie sich nicht an der Anleihe beteiligen werde, solange Österreich keine Garantie gegen zukünftige Waffentransporte abge- be. Darüber hinaus forderte sie den vollständigen Rücktransport der italienischen Waffen. Von Seiten Österreichs versuchte man sich damit zu rechtfertigen, dass bei diesen Waffen lediglich Reparaturen durchgeführt werden sollten und diese vom Fi- nanzministerium ohne eine Information des Bundeskanzleramts genehmigt worden waren. Trotz dieses Erklärungsversuchs konnte Bundeskanzler Dollfuß den zumin- dest teilweisen Weitertransport der Waffen nach Ungarn nicht entkräften. Verhand- lungen zwischen Großbritannien und Frankreich führten schließlich zu einer Kom- promisslösung, bei der den involvierten Staaten detaillierte Fragebögen zur Beant- wortung übermittelt wurden. Sowohl Ungarn als auch Italien wiesen diese Fragebö- gen mit dem Verweis, dass die jeweilige Regierung nicht an den Transporten beteiligt war, zurück. Österreich beharrte weiterhin darauf, dass die Regierung mit dieser An- gelegenheit nicht betraut gewesen war und somit auch keine Verletzung des Frie- densvertrags stattgefunden hatte.10 In Verhandlungen zwischen Italien und Großbritannien wurde schließlich eine Lö- sung für das Problem gefunden. Italien verkündete, dass die Waffen nach Italien zu- rückgebracht werden sollten. Großbritannien akzeptierte diesen Vorschlag und setzte Frankreich darüber in Kenntnis, das in diesen Lösungsvorschlag ebenfalls einwillig- te.11 Nicht einmal 24 Stunden nach der Klärung dieses Problems tauchte auch schon der nächste Skandal auf. Am 22. Februar deckten die Sozialdemokraten Seitz und Dan- neberg einen Bestechungsversuch des ÖBB-Direktors Seefehlner auf. Dieser ver- suchte, den Vorsitzenden der Eisenbahnergewerkschaft Berthold König zu beste- chen, um durch eine Täuschung den Transport eines Teils der Waffen doch nach

9 Vgl. Portisch, Österreich I, S. 418. 10 Vgl. Binder, Der Skandal zur „rechten“ Zeit, S. 283ff. 11 Vgl. ebd., S. 287.

8 Ungarn durchführen zu können. Bundeskanzler Dollfuß entließ daraufhin Seefehlner mit sofortiger Wirkung.12

Am 4. März kam es daraufhin zu einer außerplanmäßig einberufenen Sitzung im Na- tionalrat. Diese wurde von den Sozialdemokraten initiiert und sollte die Handlungen der Regierung gegenüber den Eisenbahnern, die ein paar Tage zuvor einen Warn- streik durchgeführt hatten, diskutieren. Geplante Reformen des Pensionssystems der Bahnbediensteten und Probleme bei der Ausbezahlung der ausstehenden Monats- gehälter hatten zu diesem Warnstreik geführt. Bundeskanzler Dollfuß schickte da- raufhin Polizisten und Soldaten zu den Bahnhöfen und gegen die streikenden Perso- nen wurden Untersuchungen veranlasst und es wurden ihnen auch Strafen ange- droht. Von den Sozialdemokraten und den Großdeutschen wurden Anträge zur Ab- stimmung eingebracht. Der Antrag der Sozialdemokraten wurde nicht angenommen. Die Abstimmung über den Antrag der Großdeutschen war wesentlich knapper. Nachdem es so ausgesehen hatte, als würde die Regierung dieses Votum verlieren, entbrannten heftige Diskussionen im Nationalrat. Aufgrund der angespannten Situa- tion besprachen die Sozialdemokraten die Möglichkeit, ob der Nationalratspräsident Karl Renner, der der Sozialdemokratischen Fraktion angehörte, nicht zurücktreten solle, um im Nationalrat mitabzustimmen zu können. Als wären die Probleme nicht schon groß genug, stellte sich zudem heraus, dass bei der Stimmabgabe zwei Stimmzettel mit demselben Namen versehen worden waren. Der Nationalratspräsi- dent hielt eine neuerliche Abstimmung trotz dieser Erkenntnis allerdings nicht für nö- tig. Gegen diese Entscheidung regte sich großer Widerstand im Nationalrat. Seitens der Klubführung der Sozialdemokraten war man der Ansicht, dass man für den Fall einer erneuten Abstimmung gerüstet sein sollte und somit wurde Renner der Rücktritt von seiner Funktion als Nationalratspräsident nahegelegt. Nachdem Renner seinen Rücktritt vollzogen hatte, übernahm Rudolf Ramek von der Christlichsozialen Partei den Vorsitz im Nationalrat. Ramek setzte sich, entgegen der Entscheidung Renners, für eine neuerliche Abstimmung ein. Proteste wurden laut, dass eine bereits gefällte Entscheidung eines Präsidenten nicht mehr geändert werden könne. Da die Christ- lichsozialen ebenfalls eine zusätzliche Stimme zur Verfügung haben wollten, trat auch Ramek als Nationalratspräsident zurück. Somit wurde Sepp Straffner von der Großdeutschen Partei neuer Vorsitzender. Dieser verkündete allerdings umgehend

12 Vgl. Siegfried Beer, Der „unmoralische“ Anschluß. Britische Österreichpolitik zwischen Containment und Appeasement 1931–1934, Wien 1988, S. 171.

9 seinen Rücktritt. Durch die Rücktritte der drei Nationalratspräsidenten entstand eine allgemeine Verwirrung dahingehend, wie die Sitzung nun ablaufen sollte. Der Natio- nalrat war somit ohne Vorsitzenden, der den weiteren Verlauf der Nationalratssitzung leiten oder diese abschließen gekonnt hätte.13

Der Nationalrat wurde aufgrund dieser Ereignisse handlungsunfähig und die Wieder- herstellung des Nationalrates hätte nur durch die mithilfe der Regierung erfolgen können. Diese aber verweigerte sich und versuchte nun, die Situation für sich zu nut- zen. Zwar hätte der Bundespräsident die Möglichkeit der Auflösung des Nationalrats gehabt, allerdings wäre die Ausschreibung von Neuwahlen die Konsequenz aus die- sem Schritt gewesen. Eine dafür notwendige Notverordnung wäre nur bei einem ent- sprechenden Antrag der Regierung möglich gewesen. Ohne die Gegenzeichnung dieser Verordnung waren dem Bundespräsidenten die Hände gebunden. Dem Bun- despräsidenten verblieb nur mehr die Möglichkeit, den Bundeskanzler zu entlassen, denn dies konnte er ohne die Mitarbeit der Regierung durchführen. Bundeskanzler Dollfuß verstand es, diese Möglichkeit geschickt zu umgehen, indem er formell sei- nen Rücktritt bekanntgab. Präsident Miklas sah in einer Entlassung aber keine Not- wendigkeit, da er der festen Überzeugung war, dass die verfahrene Situation rund um den Nationalrat innerhalb kurzer Zeit behoben sein würde. Daher wurde er unmit- telbar erneut vom Bundespräsidenten in seinem Amt bestätigt. Bundeskanzler Doll- fuß wollte seinen Nutzen aus dieser Lage dahingehend ziehen, dass er vorhatte, der Opposition eine Reform des Parlaments und der Verfassung aufzuzwingen. Seitens der Christlichsozialen Partei hatte Dollfuß die Unterstützung bei diesem Vorhaben bereits sicher.14

Durch die Rücktritte der Nationalratspräsidenten hatte nun die Regierung die Mög- lichkeit, ohne Einbeziehung des Parlaments seine Tätigkeiten auszuüben. Sitzungen des Parlaments wurden schlichtweg durch die Regierung verhindert und zudem wur- de die Gesetzgebung nun selbst übernommen. Durch das Kriegswirtschaftliche Er- mächtigungsgesetz aus dem Jahr 1917 hatte die Regierung eine gesetzliche Grund- lage, mit der sie Verordnungen erlassen konnte. Seitens der Regierung war man sich

13 Vgl. Portisch, Österreich I, S. 421f. 14 Vgl. Goldinger u. Binder, Geschichte der Republik Österreich, S. 201.

10 allerdings bewusst, dass das KWEG15 nicht alle erlassenen Verordnungen abdeckte. Vor diesem Hintergrund wurde nach dem Parlament auch der VfGH ausgeschaltet, bevor dieser die bereits erlassenen Verordnungen einer Überprüfung unterziehen konnte. Der Auflösungsprozess wurde dadurch eingeleitet, dass ein regierungsnahes Mitglied des Gerichtshofes seinen Rücktritt verkündete. Die Regierung erließ darauf- hin eine Verordnung, die sowohl fünf weitere als auch die drei Ersatzmitglieder des Verfassungsgerichtshofs ihrer Funktion enthoben hatte. Mit dieser Maßnahme war der VfGH allerdings noch nicht handlungsunfähig. Elf Mitglieder waren nach dieser Verordnung weiterhin im VfGH übriggeblieben und diese waren ausreichend, um Be- schlüsse zu fassen und Verordnungen zu überprüfen. Erst durch weitere Rücktritte trat die Handlungsunfähigkeit des Gerichtshofs ein.16

Der zurückgetretene Nationalratspräsident Straffner berief für den 15. März 1933 ei- ne erneute Sitzung des Nationalrates ein. Diese Einberufung war jedoch haltlos, da die Geschäftsordnung des Nationalrats ein solches Vorgehen rechtlich nicht abdeck- te. Die Christlichsoziale Parteiführung stand darüber hinaus diesem Einberufungs- versuch ablehnend gegenüber, da sie sich ihrerseits bereits auf eine Änderung der Geschäftsordnung und der Verfassung festgelegt hatte und diese nicht gefährden wollte.17 Die sozialdemokratische Partei zog bereits einen Aufruf zum bewaffneten Widerstand in Erwägung, um die bisherige Staatsform und die Demokratie zu vertei- digen. Die Mobilisierung des Schutzbunds wurde zwar gestartet, aber die Bedenken, dass es zu viele Opfer im Zuge der Auseinandersetzung geben könnte, wurden im- mer größer und schließlich wurde doch eine friedliche Lösung angestrebt. Am 15. März versammelten sich in etwa sechzig Nationalratsabgeordnete der sozialdemo- kratischen und großdeutschen Parteien im Parlament. Die Eingänge zum Sitzungs- saal wurden allerdings von Kriminalbeamten blockiert. Straffner eröffnete die Sitzung und erläuterte zunächst die rechtliche Lage und verkündete, dass er bis zu einer Neuwahl der drei Nationalratspräsidenten das Amt ausführen werde. Nach nur zehn Minuten wurde die Parlamentssitzung allerdings abrupt beendet, als der Sitzungssaal

15 Das KWEG wurde in der Zeit der Habsburgermonarchie eingeführt und sollte in Krisenzeiten zur Stabilisierung der innenpolitischen Verhältnisse beitragen. Ab dem Jahr 1933 wurde es jedoch dazu benutzt um die innenpolitischen Verhältnisse massiv zu beeinflussen. (Vgl. Ulrich Kluge, Der österrei- chische Ständestaat 1934–1938. Entstehung und Scheitern, Wien 1984, S. 59.) 16 Vgl. Ewald Wiederin, Die Rechtsstaatskonzeption der Verfassung 1934. Zugleich Mutmaßungen über die Gründe einer Begriffsrenaissance, in: Parlamentsdirektion (Hg.), Staats- und Verfassungskri- se 1933, Wien 2014, S. 75 – 97, S. 75f. 17 Vgl. Robert Kriechbaumer, Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945, Wien 2001, S. 285.

11 von zweihundert Kriminalbeamten betreten und schließlich geräumt wurde. Vor dem Parlament hatte die Polizei in der Zwischenzeit Stellung bezogen. Seitens der sozial- demokratischen Partei wurde der Versuch unternommen, die eigene Parteibasis auf mögliche Auseinandersetzungen vorzubereiten.18

Bereits am 31. März 1933 wurde der Republikanische Schutzbund, die bewaffnete Miliz der sozialdemokratischen Partei, per Verordnung aufgelöst. Ende April wurden die Parteiführung der Kommunistischen Partei sowie etliche Parteianhänger verhaf- tet. Die Sozialdemokratische Partei und deren Gewerkschaften blieben vorerst ver- schont, da Dollfuß die Befürchtung hegte, dass mit einem solchen Verbot die Aus- zahlung eines Teils der Lausanner Anleihe gefährdet werden könnte. Nach geschei- terten Verhandlungen mit den Nationalsozialisten vergrößerte sich die Kluft zwischen ihnen und der Regierung und so sah sich Dollfuß gezwungen, seine politische Basis zu stärken. Durch die Berufung Emil Feys zum Sicherheitsminister und Odo Neustäd- ter-Stürmers19 zum Staatssekretär sicherte er sich die Unterstützung der Heimwehr. Des Weiteren wurde Karl Buresch zum Finanzminister bestellt. Durch diese Maß- nahme sollte eine möglichst neutrale Haltung der linken Opposition gewährleistet werden. Sämtliche Umbildungen innerhalb der Regierung deuteten allerdings darauf hin dass man sich auf eine härtere Gangart gegen die nationalsozialistische Partei vorbereitete.20

Als Resultat der Ausweisung des bayerischen Justizministers Frank aus Österreich durch Bundeskanzler Dollfuß im Mai 1933 führte Hitler die so genannte Tausend Mark-Sperre ein. Gemäß dieser Sperre mussten alle Deutschen, die nach oder durch Österreich reisten, tausend Reichsmark bezahlen. Diese Maßnahme stellte einen schweren Schlag gegen den österreichischen Fremdenverkehr dar. Hitler glaubte, dass er durch diese Maßnahme die Dollfuß Regierung in die Knie zwingen könne

18 Vgl. Portisch, Österreich I, S. 426. 19 Der Klubobmann des Heimatblocks, Odo Neustädter-Stürmer, wurde im Mai 1933 in die Regierung einberufen. Als Staatssekretär war er für sämtliche Belange im Bereich der Arbeitsbeschaffung zu- ständig. (Vgl. Robert Kriechbaumer, Die großen Erzählungen der Politik, S. 575) 20 Vgl. Lajos Kerekes, Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini, Gömbös und die Heimwehr, Wien 1966, S. 139.

12 und es in weiterer Folge zu Neuwahlen in Österreich kommen würde. Entgegen Hit- lers Einschätzungen löste sich die Regierung jedoch nicht auf.21 Im Zuge des ausbleibenden Touristenverkehrs mehrten sich die bewaffneten Ausei- nandersetzungen zwischen der Heimwehr und den Nationalsozialisten. Diese Ausei- nandersetzungen erreichten mit einem Anschlag der Nationalsozialisten am 19. Juni ihren Höhepunkt. An diesem Tag verübten die Nationalsozialisten in Krems einen Anschlag mit Handgranaten auf eine Gruppe Christlich-deutscher Turner, bei dem eine Person ums Leben kam und 29 weitere verletzt wurden. Die Regierung verbot daraufhin die NSDAP per Verordnung.22

Am 18. August 1933 kam es zu einem Treffen zwischen Dollfuß und Mussolini in Ita- lien, bei dem Mussolini Dollfuß die Abhaltung einer Rede in den ersten Septemberta- gen nahelegte. In dieser sollten unter anderem die Unabhängigkeit Österreichs be- kräftigt sowie auch eine Reform der Verfassung angekündigt werden. Bundeskanzler Dollfuß hielt am 11. September 1933 bei einer Feier zum 250. Jahrestag der Befrei- ung Wiens von der türkischen Belagerung eine Rede am Trabrennplatz. In dieser wurden jene Aspekte, die im Ständestaat umgesetzt werden sollten, erläutert. Der Ständestaat wurde als ein zukunftsträchtiges Konstrukt betrachtet und dessen Errich- tung wurde als eine Art göttlicher Auftrag gesehen. Schließlich sollte der Ständestaat auch einen Gegenentwurf zu der modernen Industriegesellschaft darstellen.23

Bereits am 24. Jänner 1934 wurden von Hausdurchsuchungen in Parteige- bäuden der Sozialdemokratischen Partei, in Amtsgebäuden, in denen Sozialdemo- kraten höhere Funktionen hatten, sowie in Privatwohnungen angeordnet. Ein rascher Erfolg bei der Suche nach Waffen, die in Schwechat gefunden wurden, sorgte schließlich für eine Ausdehnung der Hausdurchsuchungen auf ganz Wien. Im Zuge dieser Hausdurchsuchungen kam es zu zahlreichen Verhaftungen führender Perso- nen des Schutzbunds und bis zum 10. Februar waren in etwa zweihundert Personen verhaftet worden.24 Am Abend des 11. Februar meldete der Kommandant des ober-

21 Vgl. Rolf Steininger, 12. November 1918 bis 13. März 1938: Stationen auf dem Weg zum „An- schluß“, in: Rolf Steininger u. Michael Gehler (Hg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Von der Monarchie bis zum Zweiten Weltkrieg, Band 1, Wien 1997, S. 99 – 151, S. 119f. 22 Vgl. Kerekes, Abenddämmerung einer Demokratie, S. 141. 23 Vgl. Wolfgang Maderthaner, 12. Februar 1934: Sozialdemokratie und Bürgerkrieg, in: Rolf Steinin- ger u. Michael Gehler (Hg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Von der Monarchie bis zum Zweiten Welt- krieg, Band 1, Wien 1997, S. 153 – 202, S. 165. 24 Vgl. ebd., S. 175.

13 österreichischen Schutzbunds Richard Bernaschek an die Zentrale in Wien, wenn am nächsten Tag in Oberrösterreich mit der Suche nach Waffen begonnen werde oder Verhaftungen stattfänden, dann werde bewaffneter Widerstand geleistet werden und man werde in weiterer Folge auch zum Angriff übergehen. Tags darauf begaben sich am frühen Morgen bewaffnete Polizeitruppen zum „Hotel Schiff“, dem Parteiquartier der Sozialdemokraten in Linz, um dieses zu durchsuchen. Angehörige des Schutz- bunds, die mit der Bewachung des Quartiers betraut wurden, eröffneten das Feuer. Innerhalb kürzester Zeit breiteten sich die Kampfhandlungen auf ganz Linz aus und bereits nach ein paar Stunden begannen auch in anderen Städten in Oberösterreich die Auseinandersetzungen. Noch am selben Tag begannen in der Steiermark die Widerstandskämpfe, die den regierungstreuen Truppen zeitweilig sehr stark zusetz- ten. In den restlichen Bundesländern, abgesehen von Wien, blieb die Situation eher ruhig und es kam lediglich zu kleineren Auseinandersetzungen oder Streiks. In Wien wurden zu Mittag die Elektrizitätswerke lahmgelegt, wodurch die Straßenbahnen ste- henblieben. Dies war das Signal für den Beginn des Generalstreiks. Kurz darauf be- gannen auch in Wien die Kampfhandlungen.25 Noch vor 17 Uhr besetzten Truppen des Bundesheers und des Freiwilligen Schutzkorps das Rathaus und die sozialde- mokratische Führung der Stadt wurde verhaftet. Otto Bauer und Julius Deutsch ver- suchten erfolglos, die Schutzbundtruppen zu koordinieren und so mussten diese oh- ne Verständigung untereinander die Kämpfe fortführen. Der erhoffte Generalstreik blieb letztlich aus und so wurden die Kämpfe rasch aussichtlos. Otto Bauer und Juli- us Deutsch konnten sich der Exekutive entziehen und ihnen gelang die Flucht in die Tschechoslowakei. Im Wiener Bezirk Floridsdorf leistete der Schutzbund den größten Widerstand. Dort dauerten die Kämpfe zwei Tage lang an, ehe die Exekutive die Oberhand gewinnen konnte. Es wurde sogar Artillerie eingesetzt, um die Lage dort unter Kontrolle zu bringen. Schließlich dauerte es bis zum 15. Februar, bis die Kämp- fe in ganz Österreich zu Ende waren.26 Als Konsequenz dieser Aufstände wurde bereits am 12. Februar die Sozialdemokra- tische Partei per Verordnung verboten. Durch diese Verordnung wurde der Partei jegliche Betätigung verboten. Die bestehenden Organisationen sowie eine Neugrün-

25 Vgl. Everhard Holtmann, Zwischen Unterdrückung und Befriedung. Sozialistische Arbeiterbewegung und autoritäres Regime in Österreich 1933 – 1938, S. 93f. 26 Vgl. Portisch, Österreich I, S. 449ff.

14 dung wurden untersagt. Einzelpersonen waren jegliche Betätigung für die sozialde- mokratische Partei sowie die Mandatsausübung verboten.27 Im Bereich der Opferzahlen der Februarkämpfe ging die damalige Presse von rund 293 Todesopfern aus. Es wurde jedoch darauf hingewiesen, dass es bei der genau- en Erfassung der Zahlen mitunter gewisse Probleme gab, da etliche Angehörige von Schutzbund-Opfern eine Meldung bei den Behörden unterlassen hatten. Auf Seiten der Kommunistischen und Sozialdemokratischen Partei wurde hingegen von Opfer- zahlen im Bereich von 1500 bis 2000 Personen gesprochen. Neuere Forschungser- gebnisse verweisen auf etwa 350 bis 370 Todesopfer. Während die Zahl der getöte- ten Personen auf Seiten der Exekutive und der Schutzbündler in etwa gleich hoch war, waren der Großteil der Opfer jedoch Zivilisten. Bei diesen Auseinandersetzun- gen dürften zwischen 120 und 140 Zivilisten ums Leben gekommen sein.28

Die am 4. März 1933 abgebrochene Sitzung des Nationalrats wurde am 30. April 1934 fortgesetzt. Um 10 Uhr 20 wurde die Sitzung von Rudolf Ramek mit einer ent- sprechenden Erklärung wiedereröffnet. Als erster Redner sprach Hampel von der Großdeutschen Partei. Hampel verwies darauf, dass die nun einberufene National- ratssitzung gegen das Gesetz über die Geschäftsordnung verstoße und diese somit gesetzeswidrig sei. Hampel verwies in seinen Ausführungen auf die dementspre- chenden Artikel in der Geschäftsordnung, die durchaus bestätigten, dass die einbe- rufene Sitzung als gesetzeswidrig anzusehen war. Art. 55 Abs. H der Geschäftsord- nung des Nationalrats besagt, dass das Gesetz über die Geschäftsordnung des Na- tionalrats nur bei einer Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Nationalrats und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen abge- ändert werden kann. Der Art. 88 der Geschäftsordnung weist darauf hin, dass das Gesetz über die Geschäftsordnung solange Gültigkeit besitzt, bis Änderungen durch den bestehenden oder eines neu gewählten Nationalrats durchgeführt werden. Ramek entkräftete die Ausführungen Hampels damit, dass die erlassene Verordnung für den Nationalrat ebenso verbindlich und die jetzige Sitzung in weiterer Folge auch nicht gesetzeswidrig sei. Nach dieser kurzen Diskussion wurde der Beginn der

27 Vgl. Verordnung: Verbot jeder Betätigung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Österreich, §1 u. § 2, in: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 1934, 13. Februar 1934, 24. Stück, S. 159 – 160, S. 159. 28 Vgl. derStandard.at, Februarkämpfe 1934: "Die meisten Opfer waren Unbeteiligte" unter: http://derstandard.at/1389859888520/Februarkaempfe-1934-Die-meisten-Opfer-waren-Unbeteiligte [10.02.2014], aufgerufen am 01.02.2015.

15 nächsten Nationalratssitzung mit 10:45 Uhr festgelegt. Die Fortführung der Sitzung, die am 4. März 1933 abgebrochen wurde, hatte somit lediglich zehn Minuten gedau- ert.29

2.2. Verfassung

Erste Tendenzen, die zu einer Reform einer Verfassung und in weiterer Folge zur Etablierung eines neuen Herrschaftssystems führten, waren schon Ende der 1920er Jahre erkennbar. Unter Berücksichtigung der vorhandenen Mehrheit im Parlament, die äußerst gering war, verstärkte sich innerhalb der Regierung die Ansicht, dass das parlamentarische System und der Parteienstaat keine sinnvollen Mittel zur Bekämp- fung der wirtschaftlichen Krise seien. Man sah im vorherrschenden System eher ein Hindernis, dass eine von jeglichen Blockademaßnahmen befreite Politik verhinderte. Aus diesem Grund wurde eine Stärkung der Regierung für den Weg aus der Krise als unerlässlich angesehen.30 Ab März des Jahres 1933 unternahm Dollfuß den Ver- such, seine wesentlichsten Zielvorstellungen verstärkt umzusetzen, wodurch die Stel- lung der Regierung letztendlich gestärkt werden sollte. Eine dieser Zielvorstellungen umfasste dabei auch die staatliche Neuordnung mittels einer neuen Verfassung, die berufsständische Elemente enthalten sollte.31 Zu Beginn jener Überlegungen, die eine Überarbeitung der aktuell gültigen Verfassung einleiten sollten, waren die Ab- schaffung des Bundesrates und eine Reform der Geschäftsordnung des Nationalrats die bestimmenden Themen. Mit dem zunehmenden italienischen Einfluss auf die ös- terreichische Politik änderten sich jedoch diese Pläne. Die Entwicklung einer stände- staatlichen Verfassung war bereits ab dem Herbst des Jahres 1933 absehbar. Ab Jänner 1934 konnte schließlich mit der tatkräftigen Unterstützung Odo Neustädter- Stürmers das tatsächlich eingeführte Verfassungsmodell durchgesetzt werden. Diese neue Verfassung sah neben vier beratenden Organen auch ein Organ zur Abstim- mung vor. Eine Möglichkeit zur Einbringung von Gesetzesinitiativen war für dieses allerdings nicht vorgesehen. Daneben wurde auch noch eine Länderkammer einge-

29 Vgl. Charles A. Gulick, Bd. 5: Österreich von Habsburg zu Hitler, Wien 1948, S. 70. 30 Vgl. Emmerich Tálos u. Walter Manoschek, Zum Konstituierungsprozeß des Austrofaschismus, in: Emmerich Tálos u. Wolfgang Neugebauer (Hg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933 – 1938, Wien 20147, S. 6 – 25, S.12f. 31 Vgl. Anton Hopfgartner, Kurt von Schuschnigg. Ein Staatsmann im Kampf gegen Hitler, Wien 1988, S. 48.

16 richtet, die jedoch nur eine Ergänzung darstellte und keinerlei realpolitischen Nutzen hatte.32 Im Juli 1933 wurde der Vorarlberger Landeshauptmann Otto Ender zum Minister er- nannt und ihm die Aufgabe zuteil, eine neue Verfassung zu erarbeiten. Als Minister wurde Ender kein konkreter Zuständigkeitsbereich zugewiesen und so wurde er in gewisser Weise zum „Verfassungsminister“.33 Die ständestaatliche Verfassung wur- de Großteils von ihm ausgearbeitet und letztlich vom Ministerrat angenommen.34 Le- diglich der Abschnitt über die Notrechte der Verwaltung wurde von Robert Hecht35 entworfen, und gemäß seinen Vorstellungen, in der Verfassung übernommen.36

Der Kundgebung der Verfassung, die am 1. Mai 1934 erfolgte, gingen zwei wesentli- che Schritte voraus. Der erste Schritt bestand in der Erlassung einer Verordnung über die neue Verfassung am 24. April auf der Grundlage des KWEG. Den zweiten Schritt stellte die Nationalratssitzung vom 30. April dar. Durch diese Sitzung sollte zum einen eine Legitimation gegenüber dem Ausland erfolgen und zum anderen die Problematik des rechtlichen Zustandekommens gelöst werden. Allerdings fand an diesem Tag keine vollständige Nationalratssitzung statt, da die Sozialdemokratische Partei aufgrund der Verordnung vom 12. Februar aufgelöst worden war und deren Mandatare ausgeschlossen waren. Die Mandatare der Christlichsozialen Partei und des Heimatblocks stimmten im Sinne der Regierung ab.37 Die neue Verfassung wurde im Parlament mit 74 Stimmen zu 2 Gegenstimmen an- genommen. Im Bundestag stimmten 35 Personen für die Einführung der neuen Ver- fassung. Lediglich eine Person stimmte im Bundestag gegen die neue Verfassung.

32 Vgl. Dieter A. Binder, Der „Christliche Ständestaat“ Österreich 1934–1938, in: Rolf Steininger u. Michael Gehler (Hg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Von der Monarchie bis zum Zweiten Weltkrieg, Band 1, Wien 1997, S. 203 – 256, S. 209. 33 Vgl. Peter Huemer, Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. Eine historisch-politische Studie, Wien 1975, S. 284f. 34 Vgl. Kurt Schuschnigg, Dreimal Österreich, Wien 19383, S. 246f. 35 Robert Hecht beendete Ende November 1933 seine Tätigkeit im Verteidigungsministerium und wur- de zum Vizegouverneur des Österreichischen Postsparkassenamtes bestellt. Ender suchte sich des Öfteren bei Robert Hecht Unterstützung hinsichtlich der Ausgestaltung der Verfassung. (Vgl. Huemer, Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich, S. 291.) 36 Vgl. Huemer, Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich, S. 325. 37 Vgl. Emmerich Tálos u. Walter Manoschek, Aspekte der politischen Struktur des Austrofaschismus: (Verfassungs-)Rechtlicher Rahmen – politische Wirklichkeit – Akteure, in: Emmerich Tálos u. Wolf- gang Neugebauer (Hg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933 – 1938, Wien 20147, S. 123 – 159, S. 124.

17 Die weggefallenen 72 Mandate der ausgeschlossenen Sozialdemokraten hatten erst die für Verfassungsänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit möglich gemacht.38

Die ständestaatliche Verfassung beruht im Wesentlichen auf zwei Quellen. Diese sind zum einen die Gesellschaftslehre Othmar Spanns aus dessen Werk „Der Wahre Staat“ und zum andern die päpstliche Enzyklika „Quadragesimo anno“ von Papst Pius XI. aus dem Jahr 1931. Spann verweist in seinem 1921 erschienen Werk auf das Zugrundegehen der Gesellschaft sowie auf die politischen und wirtschaftlichen Krisen als ein Resultat des Niedergangs der staatlichen Autorität. Die staatliche Auto- rität wird seiner Ansicht nach immer schwächer, weil das Volk seine politische Füh- rung mittels Wahlen selbst bestimmen kann. Somit sind die Demokratie und der Par- lamentarismus die Ursache dafür, dass vermehrt unfähige PolitikerInnen mit der Füh- rung des Staates beauftragt werden und in weiterer Folge dadurch die staatliche Au- torität darunter leidet. Als ein wesentlicher Faktor gelten dabei die politischen Partei- en. Othmar Spann fordert daher die Abschaffung der Parteien, des Wahlrechts sowie des Parlaments. Stattdessen sollten VertreterInnen der jeweiligen Berufsgruppen, der so genannten Stände, die politischen Tätigkeiten übernehmen. Diese Vertrete- rInnen werden in Räte entsendet und in einem Ständehaus zusammengefasst. Die Enzyklika von Papst Pius XI., die als eine Weiterentwicklung der Enzyklika „Rerum novarum“ von Papst Leo XIII. aus dem Jahr 1891 gilt, sieht das Konstrukt der ständi- schen Vertretung als eine Lösung für die in den dreißiger Jahren vorherrschenden Probleme.39

Inhaltlich weist der Text der Verfassung einige Rückschritte auf, die im Folgenden aufgelistet werden. Einer dieser Rückschritte zeigt sich bereits beim Gleichheitssatz. Das Geschlecht und die Religion gelten nicht mehr als unerlaubte Unterscheidungs- merkmale. So wird beispielsweise offen dargelegt, dass die Rechte und Pflichten für Frauen im Vergleich zu jenen der Männer anders ausgestaltet sein dürfen. Im Be- reich der Religion werden der katholischen Kirche Privilegien eingeräumt und diese erhält durch die Verfassung eine bevorzugte Stellung. Darüber hinaus wird auch die

38 Vgl. Walter B. Simon, Die verirrte Erste Republik. Eine Korrektur österreichischer Geschichtsbücher, Innsbruck 1988, S. 116. 39 Vgl. Portisch, Österreich I, S. 460f.

18 berufliche Sphäre durch die vorgenommene Verfassungsänderung beeinflusst. So ist der Zugang zu öffentlichen Ämtern nur mehr für vaterlandstreue Personen möglich.40

Durch die ständestaatliche Verfassung wurde die vor dem Gesetz geltende Gleich- heit von Mann und Frau aufgehoben und auch bei den Berufsständen hatten die Frauen im Vergleich zu den Männern nur ein beschränktes Mitspracherecht. Des Weiteren wurden die Frauen durch die so genannte Doppelverdienerverordnung da- hingehend benachteiligt, dass verheiratete Frauen, die im öffentlichen Dienst tätig waren, entlassen wurden. Im Großen und Ganzen wurden die Frauen aufgrund die- ser Bestimmungen formalrechtlich zu Staatsbürgerinnen zweiter Klasse.41 Durch die Doppelverdienerverordnung erfolgte ein erheblicher Einschnitt in die Gleichberechti- gung der StaatsbürgerInnen, die erst im Jahr 1918 gesetzlich verankert worden war. Dieser eindeutige Rechtsbruch wurde durch Art. 16 Abs. 2 in der Verfassung legali- siert und aufgrund dieser Bestimmung konnte die Gleichheit zwischen Mann und Frau mittels eines einfachen Gesetzes beschränkt werden.42

Bei den Grundrechten ergeben sich durch diese neue Verfassung ebenfalls zahlrei- che Änderungen, die diese wesentlich einschränken. Das Wahlrecht wurde de facto abgeschafft und auch sonst gibt es kaum noch Mittel und Wege, öffentliche Ent- scheidungen, auch indirekt, zu beeinflussen. Bei der Vereins- und Versammlungs- freiheit wird dem Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt, diese zu beschränken. Zudem wird die Pressefreiheit durch die Wiedereinführung der Vorzensur beschnit- ten. Aber auch bei jenen Textpassagen, deren Formulierung sich nicht geändert hat- te, traten wesentliche Änderungen ein, da sich der Geltungsgrund und der Zweck der einzelnen Grundrechte verändert hatten. Weder die Selbstbestimmung und die Ei- genständigkeit des Individuums noch die persönliche Freiheit sind weiterhin ein we- sentlicher Faktor. Die Grundrechte werden im Großen und Ganzen als von Gott ge- geben angesehen und diese Rechte schützen nicht das, was die jeweilige Person nach seinen eigenen Vorstellungen möchte, sondern das, was die Person nach Got- tes Plan ausmacht. Gemäß dieser Vorstellung gibt es Bereiche, wie beispielsweise die Familie oder die Religion, die vom Staat unberührt bleiben und in die der Staat

40 Vgl. Wiederin, Die Rechtsstaatskonzeption der Verfassung 1934, S. 83. 41 Vgl. Irene Bandhauer-Schöffmann, Der „Christliche Ständestaat“ als Männerstaat? Frauen- und Geschlechterpolitik im Austrofaschismus, in: Emmerich Tálos u. Wolfgang Neugebauer (Hg.), Austro- faschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933 – 1938, Wien 20147, S. 254 – 280, S. 254. 42 Vgl. Ebd., S. 258.

19 nicht eingreifen darf. Demgegenüber stehen die Bereiche des Staates, die autoritär geleitet werden, auf einer ständischen Grundlage aufgebaut sind und bei denen die BürgerInnen außen vor bleiben.43

Die ständestaatliche Verfassung ist geprägt von vier wesentlichen Grundsätzen. Die- se Grundsätze sind der bundesstaatliche, der ständische, der autoritäre und der so- genannte demokratische Grundsatz. Der bundesstaatliche Grundsatz erkennt die Selbstverwaltung der Länder weiterhin an und wird beibehalten. Die Befugnisse der Länder sowie deren Organe und Landesregierungen bleiben unangetastet und be- stehen weiterhin. Allerdings sorgt ein gewisses Maß an Zentralisierung dafür, dass ein gleichzeitiges Regieren von Bund und Ländern verhindert wird. Durch den stän- dischen Grundsatz erfolgt eine Gliederung nach den jeweiligen Berufsständen und diese wird in sämtlichen politischen Vertretungsorganen durchgeführt. Berufsstände und kulturelle Gemeinschaften sollen zukünftig die Aufgaben der politischen Parteien übernehmen und anstatt eines Parlaments stellt der Bundestag die gesetzgebende Institution im Staat dar. Daneben werden sowohl die Landes- als auch die Gemein- deebene vom ständischen Grundsatz erfasst. Auf Gemeindeebene wird der Gemein- detag von VertreterInnen aus den Bereichen Religion, Erziehung, Wissenschaft und Kunst sowie den Berufsständen gebildet. Die Landtage setzen sich ebenfalls aus VertreterInnen der genannten Bereiche zusammen. Der autoritäre Grundsatz sorgt vor allem für eine gefestigtere Stellung des Bundeskanzlers und des Bundespräsi- denten gegenüber den gesetzgebenden Institutionen und den jeweiligen Behörden der Bundesländer. Durch den sogenannten demokratischen Grundsatz sind die we- sentlichsten demokratischen Institutionen erhalten geblieben. Diejenigen Institutio- nen, die den Eindruck erweckten, missbräuchlich verwendet zu werden oder als scheindemokratisch angesehen werden, sind entweder aufgelöst oder in ihrer Funk- tion eingeschränkt worden.44 An dieser Stelle sei jedoch erwähnt, dass das Demo- kratieverständnis der damaligen Führungsriege nicht mit dem heutigen vergleichbar ist. Die Führungspersönlichkeiten rund um den damaligen Bundeskanzler Dollfuß gingen von einer sehr ungenauen Definition des Begriffs Demokratie aus. Demnach sollte der Bevölkerung mittels verschiedener Möglichkeiten eine Teilhabe „an der Gestaltung des öffentlichen Lebens“ zugesichert werden. Diese Teilhabemöglichkei-

43 Vgl. Wiederin, Die Rechtsstaatskonzeption der Verfassung 1934, S. 83ff. 44 Vgl. Prof. Ing. G. Moth, Neu-Österreich und seine Baumeister. Ziele und Aufbau der berufsständi- schen Ordnung und der Vaterländischen Front, Wien 1935, S. 110f.

20 ten konnten individuell jedoch sehr unterschiedlich ausgelegt werden. Eine im heuti- gen Sinne mit dem Begriff verbundene, gewählte Volksvertretung war jedoch damit nicht gemeint. Somit würde man heute in diesem Zusammenhang wohl kaum von demokratisch sprechen.45

Die einleitenden Worte der Verfassung sehen folgendermaßen aus: „Im Namen Got- tes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Ver- fassung.“46 Obwohl man sich in diesen einleitenden Worten auf Gott berufen hatte, war die Ver- fassung trotzdem nicht an Gott angelehnt und sehr irdisch gestaltet. Eine der wesent- lichsten Änderungen bestand darin, dass nicht mehr die Parteien die Interessen der Bevölkerung vertraten, sondern dass die Berufsstände diese Funktion übernehmen sollten. Die Berufsstände selbst sollten gemäß den christlichen Grundsätzen ihre Handlungen ausrichten. Des Weiteren wurden vier verschiedene Räte durch die Ver- fassung eingerichtet. Diese waren der Staatsrat, der Bundeskulturrat, der Bundes- wirtschaftsrat und der Länderrat. Der Staatsrat, der vom Bundespräsidenten anhand eines Regierungsvorschlages einberufen wurde, setzte sich aus vierzig bis fünfzig Mitgliedern zusammen. Gemäß der Verfassung sollte dieser Rat dann für eine Perio- de von zehn Jahren seine Aufgaben ausüben, danach würde eine erneute Einberu- fung erfolgen. Dreißig bis vierzig Personen aus den Bereichen Religion, Kirche, Wis- senschaft, Kunst und Erziehung bildeten den sogenannten Bundeskulturrat. Die be- reits erwähnten Berufsstände entsandten siebzig bis achtzig Mitglieder in den Bun- deswirtschaftsrat. Der Länderrat wurde aus den Landeshauptmännern und den für die Finanzen zuständigen Landesreferenten gebildet. Für die Bundeshauptstadt Wien nahm der Bürgermeister den Platz im Länderrat ein. All diesen Räten kam je- doch lediglich eine beratende Funktion zu. Die Aufgabe dieser vier Räte bestand da- rin, dass sie unabhängig voneinander und geheim über Gesetzesentwürfe der Regie- rung beraten und schließlich zu diesen Gesetzesvorschlägen ein Gutachten abgeben sollten. Die Regierung wiederum hatte die völlige Entscheidungsfreiheit darüber, ob sie auf diese Gutachten Rücksicht nahm oder nicht. Durch die Verfassung wurde al- lerdings ein Gremium eingerichtet, dem es möglich war, Gesetzesvorlagen abzu-

45 Vgl. Huemer, Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich, S. 290. 46 Verfassung 1934, Präambel, in: Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich, Jahrgang 1934, 1. Mai 1934, 1. Stück, S. 1-32, S. 1.

21 lehnen. Der so genannte Bundestag bestand aus zwanzig Mitgliedern des Staatsrats, zehn Mitgliedern des Bundeskulturrats, zwanzig Mitgliedern des Bundeswirtschafts- rats sowie den Landeshauptmännern und dem Wiener Bürgermeister. In einer öffent- lich zugänglichen Sitzung entschied der Bundestag lediglich über die Annahme oder Ablehnung der Gesetzesvorschläge, eine Änderung der Vorschläge war dem Bun- destag nicht möglich.47 Neben dem Bundestag wurde durch die Verfassung ein weiteres Organ eingerichtet, die Bundesversammlung. Gemäß Art. 52 der Verfassung von 1934 setzte sich die Bundesversammlung aus den vier Räten zusammen. Die Aufgaben der Bundesver- sammlung bestanden darin, den Vorschlag für die Bundespräsidentenwahl zu erstat- ten, den Bundespräsidenten zu beeidigen sowie die Entscheidung über die Abgabe einer Kriegserklärung zu treffen.48 Die Bundesversammlung trat auf Einberufung durch den Bundespräsidenten zusammen. Geleitet wurde diese durch den Präsiden- ten des Bundestages.49

Für die Besetzung der jeweiligen Räte waren in der Verfassung gewisse Vorausset- zungen angeführt, die die Mitglieder erfüllen müssen. So wurden gemäß Art. 46 Abs.1 der Verfassung von 1934 nur „verdiente, charaktervolle Bundesbürger, von denen nach ihrem bisherigen Verhalten und nach ihren bisherigen Leistungen volles Verständnis für die Bedürfnisse und für die Aufgaben des Staates zu erwarten ist“ 50, in den Staatsrat einberufen. Die Auswahl der Mitglieder der jeweiligen Räte erfolgte anhand von Aspekten, die keine Meinungsverschiedenheiten zuließen. Die Ernennung der Ratsmitglieder er- folgte durch den Bundespräsidenten und aufgrund dessen waren hierbei Debatten und so genannte Kampfabstimmungen ausgeschlossen.51

Im Vergleich zur vorhergehenden Verfassung aus dem Jahr 1929 wurde das Amt des Bundespräsidenten formal aufgewertet. Dem Bundespräsidenten wurde durch die neue Verfassung ein Mitspracherecht bei der Ernennung von Staatsorganen einge- räumt. Des Weiteren wurde auch die Amtszeit auf sieben Jahre verlängert. Die Best- immungen für die Wahl des Bundespräsidenten sahen einen Dreiervorschlag der

47 Vgl. Portisch, Österreich I, S. 459. 48 Vgl. Verfassung 1934, Art. 52, S. 10. 49 Vgl. ebd., Art. 53, Abs. 1, S.10. 50 Ebd., Art. 46, Abs. 1, S. 9. 51 Vgl. Simon, Die verirrte Erste Republik, S. 116.

22 Bundesversammlung vor, anhand dessen sämtliche Bürgermeister Österreichs den Bundespräsidenten wählten.52

Die Führungsaufgaben des Staates oblagen aufgrund der Verfassung der vom Bun- despräsidenten ernannten Regierung. Bei der Bestellung der jeweiligen Regie- rungsmitglieder konnte der Bundeskanzler direkt oder indirekt Einfluss nehmen. Die Regierung verfügte über das alleinige Recht, Gesetzesanträge zu stellen und erhielt darüber hinaus ein Notrecht für turbulente Zeiten, das allerdings auch der Bundes- präsident mitbeanspruchte. Weitere wesentliche Befugnisse des Bundespräsidenten bestanden darin, dass dieser zu jeder Zeit sowohl den Bundeskultur- als auch den Bundeswirtschaftsrat einberufen oder auch auflösen konnte. Zudem konnte der Bun- despräsident jene Person ernennen, die den Vorsitz im Staatsrat übernehmen sollte. Die Vorsitzenden des Bundeskultur- und des Bundeswirtschaftsrates wurden hinge- gen lediglich durch den Bundespräsidenten bestätigt. Durch diese Vorgangsweisen bei der Ernennung bzw. Bestätigung der jeweiligen Organe wurde dem autoritären Grundsatz Rechnung getragen. Allerdings waren auch durch die Verfassung Mög- lichkeiten zur Abberufung eingerichtet.53

Gemäß Art. 147 Abs. 1 wurde der Bundesregierung ein so genanntes Notrecht ge- währt. Wenn nun beispielsweise die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht wa- ren und es einer Aufrechterhaltung bedurfte, wirtschaftliche Interessen der Bevölke- rung gewahrt werden mussten oder finanzielle Interessen des Staates betroffen wa- ren, so konnte die Bundesregierung unter bestimmten Voraussetzungen sofortige Maßnahmen erlassen. Damit die Bundesregierung sofort tätig werden konnte, muss- te es sich um eine Angelegenheit handeln, die eines Beschlusses durch den Bundes- tag bedurfte und ein solcher Beschluss allerdings aufgrund der gegenwärtigen Situa- tion nicht gewährleistet werden konnte.54 Über die Erlassung einer solchen geset- zesändernden Verordnung musste jedoch der Bundestag in Kenntnis gesetzt wer- den. Der Bundestag konnte die sofortige Aufhebung verlangen, wenn mindestens die Hälfte der Bundestagsmitglieder anwesend war und eine Mehrheit von zwei Dritteln dieser zustimmte. Wurde eine Verordnung aufgehoben, so wurden jene Bestimmun-

52 Vgl. Tálos u. Manoschek, Aspekte der politischen Struktur des Austrofaschismus, S. 126. 53 Vgl. Moth, Neu-Österreich und seine Baumeister, S. 116f. 54 Vgl. Verfassung 1934, Art. 147, Abs. 1, S. 25.

23 gen, die vorher gültig gewesen waren, wieder in Kraft gesetzt.55 Nach maximal drei Jahren traten solche im Rahmen des Notrechts erlassene Verordnungen außer Kraft. Diese konnten allerdings, wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben wa- ren, erneut erlassen werden.56

Neben der Bundesregierung wurde auch dem Bundespräsidenten ein Notrecht ein- geräumt, das zur Erlassung von Verordnungen berechtigte. Die Erlassung von Ver- ordnungen durch den Bundespräsidenten war, genauso wie das Notrecht der Bun- desregierung, an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. So durfte der Bundespräsi- dent eine Gesetzesänderung auslösende Verordnung nur dann erlassen, wenn dem Staat eine direkte Gefahr drohte und diese durch sofortige Maßnahmen abgewendet werden musste, aufgrund der gegenwärtigen Situation allerdings ein Beschluss des Bundestags nicht möglich war und die erforderlichen Maßnahmen auch nicht durch das Notrecht der Bundesregierung gesetzt werden konnten. Der wesentliche Unter- schied zum Notrecht der Bundesregierung bestand darin, dass der Bundespräsident solche Maßnahmen trotzdem nur auf Vorschlag der Bundesregierung veranlassen konnte und diese durch die Bundesregierung gegengezeichnet werden mussten. Er handelte somit sowohl unter seiner als auch unter der Verantwortlichkeit der Regie- rung.57 Der Bundespräsident konnte darüber hinaus aufgrund des Art. 148 Abs. 6 der Ver- fassung Gesetzesvorlagen der Bundesregierung mittels Verordnung in Kraft treten lassen. Eine solche Verordnung konnte dann erlassen werden, wenn der Bundestag die von der Regierung gesetzte Frist zur Beschlussfassung nicht einhielt. Der Bun- despräsident konnte in einem solchen Fall allerdings erst auf Antrag der Regierung tätig werden und es bedurfte einer Gegenzeichnung durch die Regierung.58

Die Regierung sowie deren Führungsgewalt waren durch die Verfassung allerdings auch einer gewissen Beschränkung bzw. Überwachung unterworfen. Dies wurde durch folgende Aspekte verdeutlicht: So mussten gemäß der Verfassung die von der Regierung ausgearbeiteten Gesetzesentwürfe den vorberatenden Organen vorgelegt werden. Gesetzesentwürfe konnten nur mit Zustimmung des Bundestages Gültigkeit

55 Vgl. ebd., Art. 147, Abs. 5, S. 25. 56 Vgl. ebd., Art. 147, Abs. 6, S. 25. 57 Vgl. ebd., Art. 148, Abs. 1, S. 25f. 58 Vgl. ebd., Art. 148, Abs. 6, S. 26.

24 erlangen. Darüber hinaus waren durch die Verfassung auch Möglichkeiten zur An- klage bzw. behördlichen Verfolgung der Bundesregierung und des Bundespräsiden- ten gewährleistet. Dem Bundestag oder sonstigen politischen Organen war es zwar nicht direkt möglich, den Bundeskanzler und die jeweiligen Bundesminister aufgrund eines gesetzwidrigen Verhaltens zur Rechenschaft zu ziehen, aber mittels eines Be- schlusses durch den Bundestag konnten im Zuge der Amtsausübung erfolgte Geset- zesverletzungen beim Bundesgerichtshof zur Anklage gebracht werden. Des Weite- ren bestand auch die Möglichkeit, die Landeshauptleute bei einem amtswidrigen Verhalten anzuklagen. Der Bundesgerichtshof konnte daraufhin entweder einen Ver- lust des Amtes oder der politischen Rechte aussprechen. Eine behördliche Verfol- gung des Bundespräsidenten konnte hingegen nur unter der Zustimmung der Bun- desversammlung eingeleitet werden.59

Im Bereich der Gerichtsbarkeit brachte die ständestaatliche Verfassung wesentliche Veränderungen mit sich. So wurde ein Bundesgerichtshof neu eingerichtet, der so- wohl den VfGH als auch den VwGH ablöste. Die Funktionen dieser beiden Gerichts- höfe gingen auf den Bundesgerichtshof über und blieben auch weitgehend unverän- dert. Einzelne Einschnitte, wie beispielsweise bei der Wahlgerichtsbarkeit, wurden durch eine Kompetenzerweiterung an anderer Stelle ausgeglichen. So konnte der Bundesgerichtshof beispielsweise von nun an bei Verwaltungsvorschriften von ent- scheidender Bedeutung auf Antrag der Bundes- oder Landesregierungen ein Gut- achten erstellen, das für die Verwaltungsorgane bindend war. Des Weiteren hatte man die Möglichkeit, beim Bundesgerichtshof eine Beschwerde gegen eine Untätig- keit der Verwaltungsorgane einzulegen.60

Die VF sollte dazu beitragen, dass die durch die Verfassung eingerichtete autoritäre Staatsführung politisch gestärkt wird.61 Die VF war, als Schöpfung der Regierung, keine unabhängige politische Gruppierung und unterlag somit dem Willen der staatli- chen Führungsriege. Dieser Umstand wird mitunter dadurch untermauert, dass die Stellung des Bundeskanzlers als Oberhaupt der Regierung ein weitaus größeres poli- tisches Gewicht hatte, als die Funktion des Führers der VF.62 Der strukturelle Aufbau

59 Vgl. Moth, Neu-Österreich und seine Baumeister, S. 120f. 60 Vgl. Wiederin, Die Rechtsstaatskonzeption der Verfassung 1934, S. 80f. 61 Vgl. Carsten, Faschismus in Österreich, S. 220. 62 Vgl. Reichhold, Kampf um Österreich, S. 70.

25 der VF sollte darüber hinaus ebenfalls anhand ständischer Elemente erfolgen, um ihn an den Aufbau der Stände auf gesamtstaatlicher Ebene anzupassen.63

Für das Jahr 1938 war geplant, sämtliche noch ausstehende Voraussetzungen zu schaffen, damit die neue Verfassung in vollem Umfang zur Geltung kommen sollte. Eine erste Ankündigung dahingehend erfolgte bereits im September 1937.64 Im Gro- ßen und Ganzen erfolgte die Einführung der neuen Verfassung auf einer problemati- schen und eher nicht ausreichenden rechtlichen Grundlage und auch die letzte Zu- sammenkunft des Nationalrats am 30. April 1934 fand unter sehr zweifelhaften Be- dingungen statt.65

2.3. Der Einfluss der Berufsstände

Der durch die neue Verfassung intendierte beabsichtigte ständestaatliche Aufbau sollte auf drei Grundpfeilern ruhen: den berufsständisch gegliederten Organisationen, dem staatlichen Verwaltungsapparat und der VF als Zusammenfassung sämtlicher Personen, die sich zum österreichischen Staat und zu der Regierung bekannten.66 Die Berufsstände sollten, nach dessen Einrichtung, das Fundament des staatlichen Systems bilden und zu einem staatlichen Neuaufbau beitragen.67 Eines der Ziele der Berufsstände bestand darin, dass sie den Parteienstaat als solches überflüssig ma- chen sollten.68 Die ständestaatliche Verfassung war grundsätzlich von einer Ableh- nung des parteienstaatlichen Systems gekennzeichnet und die VF als Einheitspartei sollte zusätzlich zum Niedergang dieses Systems beitragen.69

Die im neu formierten Staat eingerichteten berufsständischen Organe waren als ein Weg der Mitwirkung der Gesellschaft an der Gesetzgebung vorgesehen. Anders als in Deutschland oder Italien wurde im Ständestaat der Gesellschaft die Möglichkeit einer politischen Mitwirkung nicht vorenthalten. In der ständestaatlichen Verfassung waren Bestimmungen vorgesehen, die eine Teilnahme an der Gesetzgebung ge-

63 Vgl. Kriechbaumer, Die großen Erzählungen der Politik, S. 619. 64 Vgl. Kurt Schuschnigg, Im Kampf gegen Hitler. Die Überwindung der Anschlussidee, Wien 1969, S. 100. 65 Vgl. ebd., S. 102. 66 Vgl. Kriechbaumer, Die großen Erzählungen der Politik, S. 619. 67 Vgl. Carsten, Faschismus in Österreich, S. 219. 68 Vgl. Kluge, Der österreichische Ständestaat 1934–1938, S. 79. 69 Vgl. ebd., S. 87.

26 währleisteten. Die Regelungen der Gesetzgebung mit der Hinzuziehung der einzel- nen Räte waren allerdings dermaßen kompliziert, dass dadurch eine effiziente Ge- setzgebung eher behindert wurde.70 Im Ständestaat war vorgesehen, dass die ein- zelnen Berufsstände in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich möglichst ohne äußere Einflüsse ihre Wirkung entfalten können. In den jeweiligen Berufsständen sollten alle, die in einer bestimmten Berufsgruppe ihre Tätigkeit ausübten, unabhängig von Ver- mögen, Geburt oder ihrer Stellung im Unternehmen, zusammengefasst werden. Eine Unterteilung nach Klassen oder Besitz hätte durch dieses System aufgehoben wer- den sollen.71 In der berufsständischen Ordnung des Staates herrschte der Grundsatz vor, dass die Bevölkerung im Großen und Ganzen nicht direkt der obersten Staatslei- tung, sondern Zwischengliedern in Form von Berufsständen untergeordnet ist. Die Berufsstände besaßen somit ein Eigenleben und verwalteten sich selbst. Ein Eingrei- fen seitens des Staates erfolgte nur dann, wenn der jeweilige Berufsstand seine Auf- gaben nicht erfüllen konnte oder dessen Eigenleben sich negativ auf die Gesellschaft auswirkte.72

In die Berufsstände wurden die Berufs- und Dienststellenorganisationen eingeglie- dert. Ihre Aufgabe bestand darin, die Einhaltung der Grundsätze der VF in den jewei- ligen Berufsständen zu gewährleisten. Darüber hinaus sollten diese beiden Organi- sationen bei der Einrichtung der Berufsstände entscheidend mitwirken.73 Der VF wurde darüber hinaus auch eine Möglichkeit eingeräumt, bei der Vergabe der jewei- ligen Mandate einen Einfluss auszuüben. In der Wiener Zeitung vom 3. Mai 1934 wurde die entsprechende Bestimmung folgendermaßen geschildert: „In restloser Durchführung des Führerprinzips wird auch verordnet, daß Angehörige der Vaterlän- dischen Front ein Mandat in den vorberatenden Organen der Gesetzgebung des Bundes, in den Landtagen, in den Gemeindetagen sowie in den Vertretungen sonsti- ger Selbstverwaltungskörper, insbesondere auch in den berufsständischen Körper- schaften öffentlichen Rechtes nur mit Zustimmung des Bundesführers oder der von ihm zur Erteilung dieser Zustimmung bevollmächtigten Organe bekleiden dürfen.“74

70 Vgl. Ludwig Reichhold, Opposition gegen den autoritären Staat. Christlicher Antifaschismus 1934– 1938, Wien 1964, S. 168f. 71 Vgl. Moth, Neu-Österreich und seine Baumeister, S. 92. 72 Vgl. ebd., S. 97. 73 Vgl. Irmgard Bärnthaler, Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation, Wien 1971, S. 58. 74 Wiener Zeitung, 231. Jahrgang, 3. Mai 1934, Nr. 122, S. 1f.

27 Neben einem Vorschlags- und Einspruchsrecht bei den berufsständischen Organen konnte die VF dieses auch bei der Bestellung der Land- und Gemeindetage ausü- ben. Darüber hinaus hatte die VF im Berufsstand der Land- und Forstwirtschaft ein durch Gesetz abgedecktes Vorschlagsrecht für die Mandatsbesetzung. Der VF stand allerdings mit dem Interventionsrecht noch ein weiteres Instrument zur Einflussnah- me auf Behörden und Körperschaften zur Verfügung. Das Interventionsrecht umfass- te sowohl den Hinweis auf allgemeine Missstände als auch die Beschwerden einzel- ner Mitglieder der VF. Die offiziellen Stellen waren dazu angehalten, solche Interven- tionen möglichst unverzüglich zu bearbeiten und aufzuklären. Das Interventionsrecht oblag ausschließlich dem Generalsekretär der VF sowie den einzelnen Landesleitern und durfte nur bei jenen Anliegen ausgeübt werden, die im direkten Zusammenhang mit den Aufgaben der VF standen.75

In Abhängigkeit des vorliegenden Sachverhalts erstellten die vorberatenden Organe freiwillige oder verpflichtende Gutachten innerhalb einer bestimmten Frist. Diese zeit- lichen Fristen wurden den jeweiligen Organen dabei von der Regierung vorgegeben. Bei der Erstellung der Gutachten waren die vorberatenden Stellen hinsichtlich des Inhalts individuell eingeschränkt. Der Staatsrat betrachtete die ihm übermittelten Ge- setzesvorlagen vom Standpunkt der staatlichen Hoheit und des Gemeinwohls aus und teilte in seinem Gutachten mit, ob die Regierungsvorlagen den spezifischen An- forderungen dieser beiden Bereiche entgegenkamen. Im Bundeskulturrat hingegen wurden die Vorlagen unter Berücksichtigung der kulturellen Interessen bewertet. Dem Bundeswirtschaftsrat unterlag die Begutachtung hinsichtlich der wirtschaftlichen Belange und im Länderrat wurden die Vorlagen vom Standpunkt der Länderinteres- sen aus betrachtet und bewertet. Den jeweiligen vorberatenden Stellen wurde dar- über hinaus die Möglichkeit eingeräumt, die Regierungsvorlagen einem Ausschuss zu übermitteln oder selbst zu behandeln. Die Regierung konnte frei darüber ent- scheiden, ob diese Gutachten letztlich auch bei der Erstellung der Gesetzesvorlagen beachtet wurden oder nicht.76

Von den insgesamt sieben vorgesehenen Berufsständen wurden bis zum Ende des Ständestaats tatsächlich nur zwei gegründet. Dies waren zum einen der Berufsstand des öffentlichen Dienstes, der im Oktober 1934 gegründet wurde, und der Berufs-

75 Vgl. Tálos u. Manoschek, Aspekte der politischen Struktur des Austrofaschismus, S. 145. 76 Vgl. ebd., S. 128f.

28 stand der Land- und Forstwirtschaft, der im Juli 1935 eingerichtet wurde. Bei den verbliebenen Berufsständen kamen lediglich erste organisatorische Vorbereitungen zustande.77 Unabhängig davon wurden gegen eine mögliche Opposition in den vor- beratenden Organen und in weiterer Folge auch im Bundestag vorbeugende Maß- nahmen getroffen. So verfügten beispielsweise die Mandatare in den einzelnen Or- ganen über keinerlei Immunität. Im Bundeskultur- und im Bundeswirtschaftsrat erfolg- te die Einberufung der jeweiligen Mitglieder lediglich auf Vorschlag der Regierung. Zusätzlich mussten die vorgeschlagenen Personen auch noch vom Bundespräsiden- ten ernannt werden. Für die Besetzung der einzelnen Mandate war zwar ursprünglich die Durchführung von Wahlen vorgesehen, jedoch wurden die dementsprechenden gesetzlichen Bestimmungen noch nicht eingeführt und deren Einführung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Aufgrund des vorliegenden Systems der Mitglieder- ernennung wurde der Zugang zu den Mandatsposten begrenzt. Demnach konnten der Bundeskultur- und der Bundeswirtschaftsrat nur aus vaterlandstreuen Personen gebildet werden. Anders ausgedrückt war der Zugang zu diesen Räten nur Mitglie- dern der VF vorbehalten.78

3. Vaterländische Front

3.1. Gründung der VF

Für Bundeskanzler Dollfuß und seine Regierungsmitglieder stand es außer Zweifel, dass man nur mit der Exekutive und mit den Mitteln der Gesetzgebung und Verwal- tung dem stärker werdenden Einfluss des Nationalsozialismus auf Dauer nicht ent- gegenwirken konnte. Um dem Druck der NSDAP standhalten zu können, sollten jene Kräfte, die sich zu Österreich bekannten, als geschlossener Verband agieren.79 Die erste Idee zu einer überparteilichen Organisation, in der die vaterlandstreue Be- völkerung vereint werden sollte, stammte von Ignaz Seipel. Dollfuß griff diese Idee auf und gründete in weiterer Folge die VF. Die ursprüngliche Aufgabe der VF sollte in der Abwehr terroristischer Aktionen durch jene Gruppierungen, die Österreich feind-

77 Vgl. Robert Kriechbaumer, Österreich! und Front Heil! Aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front. Innenansichten eines Regimes, Wien 2005, S. 48. 78 Vgl. Tálos u. Manoschek, Aspekte der politischen Struktur des Austrofaschismus, S. 129f. 79 Vgl. Schuschnigg, Dreimal Österreich, S. 221.

29 lich gesinnt waren, bestehen. Im Laufe der Zeit entwickelten sich diese jedoch weiter hin zu kultur- und staatspolitischen Aufgaben. Die VF sollte im Zuge dieser Aufgaben zum Aufbau der österreichischen Heimat und zur Stärkung der Volksgemeinschaft und der Wirtschaft beitragen.80

Direkt nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland suchte Starhemberg das Gespräch mit Bundeskanzler Dollfuß, bei dem er dem Bundeskanzler den Vorschlag unterbreitete, in Anbetracht der zunehmenden nationalsozialistischen Propaganda den Kampf um die öffentliche Meinungsgestaltung aufzunehmen. Anfang April 1933 hatte Bundeskanzler Dollfuß eine Rede in Villach gehalten, bei der die überschwäng- liche Zustimmung der Anwesenden ihn noch mehr in seinem Vorhaben bestärkte, eine überparteiliche Sammelbewegung ins Leben zu rufen.81 Bei einer weiteren Re- de, die Dollfuß ein paar Tage später im Zuge der Gemeinderatswahlen in Innsbruck bei einer Versammlung der Tiroler Volkspartei gehalten hatte, wurde bereits auf die VF hingewiesen. So rief der Bundeskanzler das „christliche, deutsche Volk in den Alpenländern“ dazu auf, sich der „österreichischen, vaterländischen Front“ anzu- schließen. Zu diesem Zeitpunkt wurde jedoch noch nicht an die Schaffung einer Or- ganisation gedacht, sondern es stand in dieser Rede vor allem der Aufruf im Vorder- grund, sich für Österreich einzusetzen und notfalls auch dafür zu kämpfen.82 Die er- neuten Zustimmungsbekundungen bestärkten Dollfuß zusätzlich in seinen Absichten, für die bereits direkt nach den Ereignissen des 4. März die ersten notwendigen Schritte eingeleitet wurden. Im Zuge dessen wurde der österreichische Heimatdienst eingerichtet, der für die Regierung die Öffentlichkeitsarbeit und die Propaganda übernahm. Anfang Mai 1933 folgte ein Parteitag der Christlichsozialen, bei dem Doll- fuß eine weitere Rede hielt. In dieser sprach er von drei in Österreich vorherrschen- den Gruppen. Die erste Gruppe stellten die Marxisten dar, die zweite Gruppe be- stand aus den Nationalsozialisten und die dritte Gruppe bezeichnete Dollfuß als die „österreichische“ Front“, womit jene Personen gemeint waren, die sich einem Öster- reichertum verpflichteten. Bei dieser dritten Gruppe ging Dollfuß davon aus, dass die Christlichsoziale Partei innerhalb dieser die stärkste Fraktion darstellte. Bei der an diesem Parteitag durchgeführten Wahl des Parteiobmanns wurde jedoch Karl

80 Vgl. Moth, Neu-Österreich und seine Baumeister, S. 72. 81 Vgl. Kriechbaumer, Die großen Erzählungen der Politik, S. 610. 82 Vgl. Bärnthaler, Die Vaterländische Front, S. 12.

30 Vaugoin83, entgegen den Erwartungen des Bundeskanzlers, zum Obmann gewählt. Dollfuß hatte nämlich damit gerechnet, dass er bei dieser Parteitagung zum Obmann der Christlichsozialen Partei gewählt werden würde. Die Enttäuschung über seine Nichtberücksichtigung bestärkte ihn zusätzlich in seinem Vorhaben, mit der VF eine neue Bewegung zu gründen.84

Am 21. Mai 1933 wurde in der Wiener Zeitung unter dem Titel „Hinein in die Vater- ländische Front“ zum Beitritt aufgerufen. Darin wird die Bevölkerung mit folgenden Worten zum Beitritt aufgerufen: „Alle Gruppen, alle Parteiformationen, alle Verbände und Vereine, die dem Vaterland dienen wollen, sollen sich zusammenschließen (…) gebunden nur durch das eine große, gemeinsame Ziel: Österreich und sein Lebens- recht, Österreich und seine Lebenspflicht“.85 Darüber hinaus sei es die „Pflicht jedes aufrechten Österreichers, sich für die Vaterländische Front zu melden“.86 Die Neue Freie Presse vom 21. Mai verweist in einem wesentlich kürzeren Artikel auf den ös- terreichischen Heimatdienst. In diesem sieht der Beitrittsaufruf folgendermaßen aus: „Der österreichische Heimatdienst fordert in einem Aufruf alle Österreicher und Ös- terreicherinnen, die hinter Bundeskanzler Dr. Dollfuß stehen und mit ihm den Kampf für Österreich mitkämpfen wollen, auf, sich in die Vaterländische Front, an deren Spitze er steht, einzufügen.“87 Der Beitrittsaufruf wurde als der Anfang eines neuen politischen Bewusstseins be- trachtet. Zu Beginn der VF gab es noch keine Bestrebungen hinsichtlich einer ein- heitlichen staatlichen Partei, sondern die VF sollte lediglich eine Plattform für jene Personengruppen sein, die die Regierung und deren verfolgten Kurs unterstützten. Erst durch die Rede am Trabrennplatz, die am 11. September 1933 von Dollfuß ge- halten wurde, änderte sich dies jedoch. Zu dieser Zeit war die Idee der Errichtung einer Einheitspartei bereits vorhanden. Somit sollte die ursprünglich als eine Vereini- gung gedachte VF die Rolle einer staatlichen Partei einnehmen. Dieser Umstand führte wiederum zur Auflösung der Parteienlandschaft, von der auch die Regierungs- parteien betroffen waren. So erfüllten sich beispielsweise die Hoffnungen der Christ-

83 Karl Vaugoin war als Heeresminister bis zum 21. September 1933 ein Mitglied der Dollfuß Regie- rung. Sein Ausscheiden aus der Regierung wurde damit begründet, dass man einen politischen Neu- start innerhalb der Regierung vollziehen wolle und deshalb kein Platz mehr für Parteiobmänner sei. (Vgl. Kriechbaumer, Die großen Erzählungen der Politik, S. 575f.) 84 Vgl. Kriechbaumer, Die großen Erzählungen der Politik, S. 611. 85 Wiener Zeitung, 230. Jahrgang, 21. Mai 1933, Nr. 118, S. 3. 86 Ebd., S. 3. 87 Neue Freie Presse, Morgenblatt, 21. Mai 1933, Nr. 24672, S. 6.

31 lichsozialen, dass sie als Partei innerhalb der VF weiterexistieren und in dieser auch eine tragende Rolle einnehmen würden, nicht.88 Am 12. September 1933 wurde in der Neuen Freien Presse die Rede des Bundes- kanzlers wiedergegeben, in der die VF folgendermaßen beschrieben wurde: „Die Va- terländische Front ist heute eine Bewegung, nicht eine Addition von zwei oder drei Parteien, oder Bewegungen, sondern eine eigene unabhängige große vaterländische Bewegung, die ihre Angehörigen verpflichtet, das Einigende zu betonen, das Tren- nende beiseite zu stellen und keiner Bewegung anzugehören, die den Klassen- oder Kulturkampf zum Ziele hat.“89 Die Wiener Zeitung desselben Tages wiederum ver- kündete: „Die Vaterländische Front hatte gestern ihren Siegestag. Sie hat sich mäch- tiger entwickelt, als die kühnsten Erwartungen es erhoffen ließen. Das österreichi- sche Wunder hat sich vollzogen. (…) Eine ungeheure Kraftprobe ist bestanden, sieg- reich bestanden; denn wer gestern die glänzende Phalanx der Vaterlandsliebe sah, der weiß, daß sie unüberwindlich ist.“90

Das Jahr 1933 war zudem geprägt von zahlreichen Ansprachen, Beitrittsaufrufen und Werbeveranstaltungen für die VF, die von Bundeskanzler Dollfuß in ganz Österreich abgehalten wurden. Im Juni wurde intensiv der Beitritt beworben und es erfolgten auch zahlreiche Anmeldungen. Um die Bevölkerung über die Tätigkeiten und Aktio- nen der VF zu informieren, wurde die Vaterländische Wandzeitung gegründet. Ab dem 9. Juni wurde erstmals eine Vaterländische Wochenschau gezeigt und im Au- gust wurde das Mitteilungsblatt der VF eingeführt.91

Das Verhältnis zwischen der Heimwehr und der VF war noch im Oktober 1933, zu der Zeit, als Ernst Rüdiger Starhemberg der stellvertretende Frontführer wurde, durchaus zwiespältig. Während Starhemberg sich intensiv für einen geschlossenen Beitritt der Heimwehren zur VF einsetzte, stand Emil Fey einem Beitritt sehr skep- tisch gegenüber, da er befürchtete, dass dieser das Ende der Heimwehr als eigen- ständige Organisation bedeuten könnte. Der Landbund wiederum war gegen die Er- richtung der VF und verweigerte auch den Beitritt. Von Seiten des Landbundes wur- de die von Dollfuß geplante staatliche Umstrukturierung auf berufsständischer

88 Vgl. Kriechbaumer, Österreich! und Front Heil!, S. 45f. 89 Neue Freie Presse, Morgenblatt, 12. September 1933, Nr. 24785, S. 3. 90 Wiener Zeitung, 230. Jahrgang, 12. September 1933, Nr. 223, S. 1. 91 Vgl. Bärnthaler, Die Vaterländische Front, S. 20.

32 Grundlage zwar nicht abgelehnt, jedoch leistete man Widerstand gegen die VF. Im Landbund herrschte die Ansicht vor, dass die VF eine Bedrohung für die bestehen- den Parteien darstelle und diese in der VF ihre Eigenständigkeit verlieren würden und es in weiterer Folge zur Etablierung eines faschistischen Systems in Österreich kommen würde. Im Lager des Landbundes war man zum Kampf gegen den Natio- nalsozialismus bereit, setzte sich aber auch vehement für die Beibehaltung des par- teienstaatlichen Systems ein. In diesen beiden Punkten stimmte man auch mit dem linken Flügel der Christlichsozialen Partei überein, der der Heimwehr äußerst miss- trauisch gegenüberstand. Dieser Standpunkt widersprach jedoch den politischen Ab- sichten des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß.92

Im Zuge der Erlassung eines Gesetzes über die VF wurde erstmals ein Bundesorga- nisationsstatut herausgegeben, obwohl die notwendigen organisatorischen Vorberei- tungen noch nicht allzu weit fortgeschritten waren. Aufgrund ungenauer Anweisun- gen hatten die jeweiligen Landesverantwortlichen der VF einen gewissen Spielraum bei der Ausgestaltung der Organisation in den Bundesländern. Mit der Verkündung der neuen Verfassung wurde schließlich auch die VF per Gesetz verankert. 93 Mit dem Bundesgesetz über die VF vom 1. Mai 1934 wurde diese zu einem „auf au- toritärer Grundlage aufgebauten Verband des öffentlichen Rechtes.“94 Gemäß § 2 ist die VF dazu bestimmt „der Träger des österreichischen Staatsgedankens zu sein.“95 In der novellierten Fassung des VF-Gesetzes aus dem Jahr 1936 wurden diese Best- immungen genauer definiert. Darin heißt es: „Die ‚Vaterländische Front’ ist der politi- sche Verband des öffentlichen Rechtes. Sie ist auf autoritärer Grundlage aufge- baut.“96 Gemäß §1 Abs. 2 ist die VF „der einzige Träger der politischen Willensbil- dung im Staate.“97

3.2. Zusammensetzung

92 Vgl. Kriechbaumer, Die großen Erzählungen der Politik, S. 614. 93 Vgl. Bärnthaler, Die Vaterländische Front, S. 55. 94 Bundesgesetz vom 1. Mai 1934, betreffend die „Vaterländische Front“, § 1 Abs. 1, in: Bundesge- setzblatt für den Bundesstaat Österreich, Jahrgang 1934, 3. Mai 1934, 4. Stück, S. 53 - 54, S. 53. 95 Ebd., §2, S. 53. 96 Bundesgesetz über die „Vaterländische Front“, § 1 Abs. 1, in: Bundesgesetzblatt für den Bundes- staat Österreich, Jahrgang 1936, 20. Mai 1936, 36. Stück, S. 237 – 239, S. 237. 97 Ebd., §1 Abs. 2, S. 237.

33 Betrachtet man die Mitgliederzahlen der VF, so ist ein relativ hoher Anstieg innerhalb kürzester Zeit erkennbar. Im Februar 1934 wurde bereits ein Mitgliedsstand von 500.000 erreicht und bis zum Oktober desselben Jahres war die Zahl bereits auf 1 Million gestiegen. Nach etwas mehr als einem Jahr hatte sich diese bereits verdop- pelt und im November 1935 zählte die VF etwas mehr als 2,1 Millionen Mitglieder. Der Höchststand wurde Anfang des Jahres 1938 erreicht. Zu diesem Zeitpunkt waren drei Millionen Menschen bei der VF als Mitglieder eingeschrieben. Die große Zahl an Mitgliedern, die bereits zu Beginn erreicht wurde, lässt sich auf den geschlossenen Beitritt einzelner Organisationen zurückführen. Aufgrund des Beitritts etlicher Organi- sationen erhielt die VF sehr schnell den Charakter einer Massenbewegung. Dieser Massenbeitritt hatte jedoch auch den Nachteil, dass der Zustrom an Mitgliedern un- überschaubar wurde und dadurch die Gefahr bestand, dass dem Nationalsozialismus nahestehende Personen bzw. Gruppierungen Zugang zur VF erhalten konnten und dadurch die Geschlossenheit der Organisation bedroht werden konnte.98 Der Eintritt in die VF war darüber hinaus an keinerlei politische Bedingungen geknüpft und eine Nichtmitgliedschaft zog in der Praxis vermehrt berufliche Nachteile mit sich. Aufgrund dessen kann die Mitgliederzahl auch nicht als eine Grundlage zur tatsächlichen Ein- schätzung der Funktionstüchtigkeit der VF herangezogen werden.99

Die politische Monopolstellung sorgte für einen starken Mitgliederzulauf unter den öffentlich Bediensteten. Jedoch fehlte den beigetretenen Personen des Öfteren die geforderte Einstellung gegenüber der VF. Für einen Beitritt zur VF war eine Vielzahl unterschiedlichster Motive ausschlaggebend. Das Generalsekretariat war sich dieser Problematik durchaus bewusst. Daraus resultierte, dass das Generalsekretariat die sogenannten Vertrauensmänner dazu aufforderte, die politischen Einstellungen der einzelnen Mitglieder der VF herauszufinden und darüber zu berichten. Durch dieses Vorgehen sollten die im öffentlichen Dienst beschäftigten heimlichen Nationalsozialis- ten ausfindig gemacht werden.100 Die Mitgliedschaft in der VF war für etliche Teile der Bevölkerung fast unerlässlich. Vor allem sozialer und finanzieller Druck führten dazu, dass die Bevölkerung der VF beitrat. Jene Personen, die sich weigerten, setzten sich der Gefahr aus, als National- sozialisten betrachtet zu werden. Diese Ansicht teilten allerdings nur Starhemberg

98 Vgl. Kriechbaumer, Die großen Erzählungen der Politik, S. 645. 99 Vgl. Tálos u. Manoschek, Aspekte der politischen Struktur des Austrofaschismus, S. 151. 100 Vgl. Kriechbaumer, Österreich! und Front Heil!, S. 48.

34 und Schuschnigg. Im Großen und Ganzen erfolgte der Eintritt vieler heimlicher Nazis in die VF nur, um den eigenen Arbeitsplatz nicht zu verlieren. Bis zu einem gewissen Grad sorgte dieses Verhalten für eine Schwächung der VF und sorgte obendrein da- für, dass die Nationalsozialisten ihre Tätigkeiten von innen heraus ausüben konn- ten.101

Am 24. Mai 1935 kam es zu einem vollständigen Beitritt des Bundesheeres zur VF. Ebenfalls im Mai des Jahres 1935 wurde mit der Einführung der allgemeinen Wehr- pflicht begonnen. Durch die Wehrpflicht sollte das staatliche Gewaltmonopol wieder- hergestellt und die Wehrverbände somit verdrängt werden.102 Bei den ÖBB gestaltete sich die Situation folgendermaßen: Der Generaldirektor der ÖBB sah den Eintritt der gesamten Belegschaft in die VF als eine Selbstverständlichkeit an. Gegen diese An- sicht regte sich innerhalb der sozialdemokratischen Belegschaft heftiger Widerstand. Darüber hinaus wurden die Angestellten der ÖBB dazu verpflichtet, ein rot-weiß-rotes Bändchen, welches als Zeichen zur Zugehörigkeit der VF galt, zu tragen.103 Im sel- ben Jahr wurde der Generalsekretär Walter Adam mittels eines Berichts darauf hin- gewiesen, dass erhebliche Mängel in der VF hinsichtlich ihrer Organisation bestan- den und dass gewisse Organisationen zum Teil nur formal existierten. Die vorherr- schenden Mängel trugen zudem dazu bei, dass die anfängliche Begeisterung für die neue Bewegung spürbar nachgelassen hatte. Darüber hinaus wurde in dem Bericht darauf hingewiesen, dass die Nationalsozialistische und Sozialdemokratische Partei über eine wesentlich aktivere Anhängerschaft verfügten. Die sehr hohen Mitglieder- zahlen waren somit das Ergebnis der Möglichkeiten eines geschlossenen Eintritts einzelner Verbände sowie der Möglichkeiten der Regierung, Druck auszuüben. Die Ausübung eines gewissen Drucks war vor allem im öffentlichen Sektor gegeben. Zu Beginn des Jahres 1938 ging Schuschnigg davon aus, dass 25 Prozent der Bevölke- rung ihn und 25 Prozent Hitler unterstützten. Der restliche Teil der Bevölkerung wur- de als unentschlossen eingestuft und Schuschnigg ging davon aus, dass sich dieser auf die Gewinnerseite stellen würde.104

101 Vgl. Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. Ursprünge und Entwicklung in Öster- reich, Wien 1988, S. 157f. 102 Vgl. Robert Kriechbaumer, Ein Vaterländisches Bilderbuch. Propaganda, Selbstinszenierung und Ästhetik der Vaterländischen Front 1933-1938, Wien 2002, S. 43. 103 Vgl. Bärnthaler, Die Vaterländische Front, S. 25. 104 Vgl. Kriechbaumer, Ein Vaterländisches Bilderbuch, S. 54.

35 Eine wesentliche Stütze der Regierung bei ihren Bestrebungen, den Anschluss zu verhindern, stellten lediglich der sogenannte alte Kern der Christlichsozialen und ein Teil der Heimwehr dar. Insgesamt bedeutete dies nur eine schmale Basis, die der Regierung einen Rückhalt geboten hatte.105 Die Christlichsoziale Partei unterstützte den autoritären Kurs der Regierung und propagierte von Beginn an für die VF. Im Herbst des Jahres 1934 beendete die Christlichsoziale Partei ihre Tätigkeit. Eine offi- zielle Auflösung wurde allerdings schon am 14. Mai 1934 bei der letzten Klubsitzung der Partei beschlossen. Einen allzu großen Einfluss hatten die Christlichsozialen schon seit September 1933 nicht mehr.106 Das Verhältnis der Mitglieder der Christ- lichsozialen Partei zur VF gestaltete sich durchaus unterschiedlich. Der demokratisch eingestellte Teil der Parteimitglieder, der unter anderem von Leopold Kunschak und Josef Reither angeführt wurde, wendete sich gegen den autoritären Regierungskurs. Die restlichen Parteianhänger traten der VF bei. Gelegentlich lief dieser Übertritt da- rauf hinaus, dass lediglich der Parteiname gewechselt wurde. Die Anhängerschaft der Christlichsozialen lässt sich in drei wesentliche Gruppen unterteilen. Da war zum einen die bereits erwähnte Gruppe, die sich für die Beibehaltung der Demokratie ein- setzte, und da waren zum anderen jene, die sich mit den Vorstellungen der Heim- wehr identifizieren konnten sowie jene, die sich für die Beibehaltung des Katholizis- mus, vor allem auf politischer Ebene, stark machten. Unter die letztgenannte Gruppe fallen unter anderem Personen wie Kurt Schuschnigg oder Bundespräsident Wilhelm Miklas.107

Das Verhältnis zwischen der VF und der Heimwehr war die ganze Zeit über von Misstrauen gekennzeichnet. Da die VF ein Sammelbecken für alle, die sich zu Öster- reich bekannten, darstellte, hätte die Heimwehr von Beginn an in die VF eintreten müssen. Die Heimwehr sah sich aber unbeirrt als politische Kraft und wollte dies auch bleiben. Unterstützung erhielt sie dabei von Benito Mussolini, der Bundeskanz- ler Dollfuß zu einer Zusammenarbeit mit der Heimwehr aufforderte. Am 27. Septem- ber wurde schließlich der korporative Beitritt in die VF vereinbart und Starhemberg wurde am 12. Oktober zum stellvertretenden Führer der VF ernannt.108

105 Vgl. Reichhold, Kampf um Österreich, S. 92. 106 Vgl. Bärnthaler, Die Vaterländische Front, S. 29. 107 Vgl. ebd., S. 31f. 108 Vgl. Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung?, München 1985, S. 74f.

36 3.3. Aufbau der VF

Die VF als einzige politische Gruppe im Ständestaat besaß kein offizielles Parteipro- gramm, da man sie als Organisationsform der neu geschaffenen Staatsform sah. Änderungen bzw. Ergänzungen hinsichtlich der ideologischen oder programmlichen Ausgestaltung der VF fanden nur im Rahmen von Veranstaltungen statt. Als wesent- lichste Kundgebungen gelten dabei die Rede von Bundeskanzler Dollfuß am 11. September 1933 auf dem Wiener Trabrennplatz und die Rundfunkansprache vom 1. Mai 1934 zur Verkündung der ständestaatlichen Verfassung.109 Die VF stellte die organisatorische Ergänzung zur neuen Verfassung dar und diente als Sammelstelle für jene, die für die Unabhängigkeit und Freiheit Österreichs eintraten.110 Der Grund für ein fehlendes Parteiprogramm lag vor allem daran, dass die VF in ihrer Anfangs- zeit lediglich eine zentrale Stelle für den Zusammenschluss der vaterlandstreuen Be- völkerungsteile darstellte.111 Ein weiterer Grund für ein fehlendes Parteiprogramm war, dass die VF von den Verantwortlichen nicht als Partei gesehen wurde. Anstatt eines Programms vertrat die VF ein Prinzip. Dieses Prinzip umriss die Grundsätze, anhand derer der staatliche Neuaufbau erfolgen sollte.112 Dieses Prinzip lautete: „Wir wollen das freie, unabhängige, christliche, deutsche, ständisch gegliederte und auto- ritär geführte Oesterreich (sic).“113

Die VF sollte als ein überparteilicher Zusammenschluss sämtlicher heimattreuen Personen zur Entwicklung eines freien und selbständigen Österreich beitragen. Für eine Aufnahme in die VF stellte das Verbot der Zugehörigkeit zu einer klassen- bzw. kulturkämpferischen Organisation eine wesentliche Voraussetzung dar. Darüber hin- aus wurden die Mitglieder dazu verpflichtet, Meinungsverschiedenheiten untereinan- der zu unterbinden und gegebenenfalls bei dessen Beseitigung mitzuhelfen. Diese Verpflichtung in Verbindung mit dem überparteilichen Grundsatz sollte jede Form der Parteipolitik innerhalb der VF ausschließen. Mitglieder der VF konnten aufgrund des- sen nicht als Angehörige einer Partei beitreten und sich in der VF parteipolitisch betä- tigen.114

109 Vgl. Kriechbaumer, Die großen Erzählungen der Politik, S. 633f. 110 Vgl. ebd., S. 638f. 111 Vgl. Tálos u. Manoschek, Aspekte der politischen Struktur des Austrofaschismus, S. 153. 112 Vgl. Guido Zernatto, Die Wahrheit über Österreich, New York 1938, S. 79. 113 Ebd. S. 79. 114 Vgl. Kriechbaumer, Österreich! und Front Heil!, S. 29.

37

Im Zuge der Entwicklung der VF kam man in zunehmendem Maße zu der Erkenntnis, dass eine straffe Organisation unerlässlich war, um den Einflüssen der regierungs- feindlichen Kräfte standhalten zu können. Die Möglichkeit einer dauerhaften Verbin- dung zwischen den Führungspersönlichkeiten der VF und den Mitgliedern wurde als unerlässlich für die Erfüllung der wesentlichsten Aufgaben empfunden. Die Planun- gen sahen vor, dass die VF mit einem sehr dichten Organisationsnetz ausgestattet werden sollte, damit die Absichten und der Wille des Führers bis in die entlegensten Landesteile transportiert werden konnten und umgekehrt.115 Die Organisation der VF sah dabei folgende Ebenen vor: Auf der untersten Ebene standen die Ortsgruppen, die den Bezirksleitungen untergeordnet waren. Die Bezirksleitungen wiederum unter- standen den Landesleitungen. An der Spitze der gesamten Organisation stand der Bundesführer.116 Die organisatorische Gliederung der per Gesetz verankerten VF beruhte auf dem sogenannten Führerprinzip. Dem an der Spitze stehenden Führer stand der Führerrat zur Seite und gemeinsam bildeten sie die oberste Führung. Auf der Ebene darunter waren das Generalsekretariat und die berufsständischen Organi- sationen angesiedelt, die als politische Einrichtungen die berufsständische Gliede- rung der Gesellschaft widerspiegeln sollten.117 Die dritte und letzte Ebene bildeten die Landesorganisationen und deren Untergruppierungen. Der Führerrat setzte sich aus dem Frontführer-Stellvertreter, dem Generalsekretär, den Landesführern und jeweils zwei Personen aus den berufsständischen Gruppen zusammen. Die oberste Führung war vor allem für die politische Willensbildung zuständig. Das Generalsekre- tariat und die berufsständischen Gruppen waren für die zahlenmäßige Erfassung der Mitglieder der einzelnen Berufsstände und die Durchführung der geschäftlichen Tä- tigkeiten der gesamten VF verantwortlich.118

Für die gewerbetreibenden Personen wurde der Gewerbebund eingerichtet, unter dem diese Gruppe zusammengefasst wurde. Die land- und forstwirtschaftlichen Ar- beiter wurden im Bauernbund zusammengefasst. Bei den Arbeitern und Angestellten wurden zwei dementsprechende Organisationen eingerichtet, in denen diese erfasst werden sollten. Für jene Personen, die im privatwirtschaftlichen Bereich tätig waren,

115 Vgl. Bärnthaler, Die Vaterländische Front, S. 22. 116 Vgl. Moth, Neu-Österreich und seine Baumeister, S. 98. 117 Vgl. Kriechbaumer, Ein Vaterländisches Bilderbuch, S. 26. 118 Vgl. Tálos u. Manoschek, Aspekte der politischen Struktur des Austrofaschismus, S. 146.

38 wurden die Betriebsstellenorganisationen eingerichtet. Für die Personen des öffentli- chen Dienstes gab es die Dienststellenorganisationen. Ab dem Jahr 1935 wurden diese beiden Organisationen in der neu eingerichteten Sozialen Arbeitsgemeinschaft zusammengeführt.119

3.4. Verwendete Symbole

In der Wiener Zeitung vom 1. September 1933 wurde im Zuge eines Artikels über die Programmrede des Bundeskanzlers am 11. September das Kruckenkreuz als Sym- bol der Vaterländischen Front angekündigt: „Bundeskanzler Dr. Dollfuß hat als Füh- rer der Vaterländischen Front dieser ein Symbol geschenkt – das Kruckenkreuz. Am 11. d. M. wird es zum erstenmal (sic) auf der Führerstandarte in die Öffentlichkeit getragen und damit der Front zu eigen übergeben.“120

Die Wahl des Kruckenkreuzes als Symbol der VF kann als ein Rückgriff der Ge- schichte angesehen werden, denn dieses Symbol findet sich sowohl in der christli- chen als auch in der deutschen Geschichte.121 Das Kruckenkreuz wurde als Symbol einer christlichen, übernationalen Reichsidee empfunden, welches seinen Ursprung beim Ostgotenkönig Theodorich hat. Darüber hinaus empfahl sich dieses Symbol für die Verwendung im neu geschaffenen Ständestaat dadurch, dass das Kruckenkreuz ebenfalls ein Zeichen der katholischen Kirche ist, das mitunter auch bis in die heutige Zeit Verwendung gefunden hat.122 Das Kruckenkreuz wurde durch die Kreuzzüge zu einer Art missionarischem Zeichen der Kreuzfahrer, dass sowohl als ein Symbol des Königtums Jerusalem galt als auch vom Deutschen Ritterorden verwendet wurde. Im Jahre 1504 wurden erste Goldmünzen, die mit dem Kruckenkreuz versehen wurden, geprägt. Das Hakenkreuz als Sonnensymbol wiederum hat keinen Bezug zum Chris- tentum. Das Kruckenkreuz hingegen wurde als ein Symbol „christlicher, germani- scher Art“ gesehen.123 Bei der Auswahl des Kruckenkreuzes bediente sich Bundes- kanzler Dollfuß bei Ignaz Seipel. Aufgrund der Anweisungen Seipels wurde dieses

119 Vgl. Kriechbaumer, Ein Vaterländisches Bilderbuch, S. 26. 120 Wiener Zeitung, 230. Jahrgang, 1. September 1933, Nr. 212, S. 2. 121 Vgl. Wiltschegg, Österreich – der „zweite deutsche Staat“? Der nationale Gedanke in der Ersten Republik, Graz 1992, S. 153. 122 Vgl. Christian Böhm-Ermolli, Politische Symbole im Austrofaschismus und Nationalsozialismus: 1934 / 1938 / 1945, in: Norbert Leser u. Manfred Wagner (Hg.), Österreichs politische Symbole. Histo- risch, ästhetisch und ideologiekritisch beleuchtet, Wien 1994, S. 65 – 80, S. 77 123 Vgl. Peter Diem, Die Symbole Österreichs. Zeit und Geschichte in Zeichen, Wien 1995, S. 274f.

39 Symbol für die Zwei- und Fünfgroschenmünzen verwendet. Im Jahr 1922 wurde das Kruckenkreuz zudem auch als Verdienstorden der Republik Österreich verwendet. Seipel sah in diesem Symbol eine Art Erlösungszeichen.124 Das Kruckenkreuz stand für das christliche Deutschtum, während das Hakenkreuz als ein Symbol des heidni- schen Deutschtums angesehen wurde. Mit diesem Symbol wollte der Ständestaat gegen das nationalsozialistische Deutschland bestehen. Es wurde somit zum Symbol des Kampfes gegen den Nationalsozialismus.125 Man war sich durchaus darüber im Klaren, dass das Hakenkreuz auf viele Menschen eine Art Faszination ausübte, und mit dem Kruckenkreuz wollte man dieser entgegenwirken.126

Das Kruckenkreuz, das eine Art Gegenentwurf zum Hakenkreuz darstellen sollte, ist somit auf die Zeit der Kreuzzüge zurückzuführen. Es galt als Symbol des christlichen Missionsauftrags in Österreich und zugleich auch als Symbol für das ständestaatliche Bollwerk gegen den Nationalsozialismus. Im Jahr 1936 wurde das Kruckenkreuz auf dieselbe Ebene wie die Staatsflagge gestellt.127 In dem entsprechenden Gesetz dazu heißt es: „Die Kruckenkreuzflagge ist im Inlande der Staatsflagge gleichzuhalten und kann neben dieser geführt werden.“128

Neben dem Kruckenkreuz als das allgemeine Zeichen der VF gab es auch ein Mit- glieder-Abzeichen. Die Mitglieder der VF mussten ihre Zugehörigkeit durch das Tra- gen einer rot-weiß-roten Spange kenntlich machen.129 Auch hierfür gab es eine ent- sprechende gesetzliche Bestimmung: „Das Abzeichen der Angehörigen der Vater- ländischen Front ist ein 25 mm langes und 2 mm breites, über einen Metallkern ge- zogenes rot-weiß-rotes Doppelbändchen (…). Das Tragen dieses Abzeichens durch Personen, die nicht der Vaterländischen Front angehören, ist verboten.“130 Im Lauf der Zeit wurden immer mehr Organisationen, wie beispielsweise die Heim- wehren, in das ständestaatliche System eingegliedert. Daraus resultierte eine Viel- zahl an neuen Symbolen, die mitunter einen „runenhaften Charakter“ hatten. So hat- ten beispielsweise der Arbeitsdienst oder das Kraftfahrkorps eigene runenartige

124 Vgl. Bärnthaler, Die Vaterländische Front, S. 27. 125 Vgl. Diem, Die Symbole Österreichs, S. 276. 126 Vgl. Portisch, Österreich I, S. 433. 127 Vgl. Kriechbaumer, Ein Vaterländisches Bilderbuch, S. 60. 128 Bundesgesetz über die Flagge des Bundesstaates Österreich, § 2 Abs. 1, in: Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich, Jahrgang 1936, 28. Dezember 1936, 106. Stück, S. 1371 – 1372, S. 1371. 129 Vgl. Böhm-Ermolli, Politische Symbole im Austrofaschismus und Nationalsozialismus, S. 78. 130 Bundesgesetz vom 1. Mai 1934, betreffend die „Vaterländische Front“, § 12 Abs. 1, S. 54.

40 Symbole, in deren Mitte sich zumeist das Kruckenkreuz befand. Die Zeichen des Mutterschutzwerkes und auch der Freizeitorganisation „Neues Leben“ entstanden in Anlehnung an die im nationalsozialistischen Deutschland gebräuchlichen Symbole der jeweiligen ähnlich aufgebauten Organisationen. Das von der ÖJV verwendete Kruckenkreuz wurde in der Mitte mit einer Rune versehen, die sich nicht wesentlich von der verwendeten Rune der Hitlerjugend unterschied.131

3.5. Unterorganisationen der VF

3.5.1.Österreichisches Jungvolk

Im Jahr 1936 wurde mit dem Österreichischen Jungvolk eine staatliche Jugendorga- nisation gesetzlich verankert. Als Vorbilder dienten hierbei die bereits bestehenden Jugendorganisationen in Italien und Deutschland. Schon im Jahr 1933 wurde von Bundeskanzler Dollfuß die Gründung einer Jugendorganisation eingeleitet. Diese wurde zwar vom damaligen Unterrichtsminister Schuschnigg geleitet, war aber Doll- fuß persönlich unterstellt. Das Ziel bestand darin, dass die außerschulische Erzie- hung der Jugendlichen nur mehr durch die VF erfolgen sollte. Bei der Eingliederung der katholischen Jugendorganisationen in das ÖJV leistete die Kirche erheblichen Widerstand. Seitens der Kirche war man zwar zu einer Zusammenarbeit bereit, eine Eingliederung wurde jedoch abgelehnt.132 Der Widerstand der Kirche dauerte bis zum Ende des Jahres 1937 an. Auf Seiten der Kirche hatte man die Befürchtung, dass man den Einfluss auf die religiöse Erziehung der Jugendlichen verlieren könnte. Mit den Jugendorganisationen der Heimwehr, die alleine in ganz Österreich in etwa 70.000 Mitglieder umfasste, und der Ostmärki- schen Sturmscharen wurde über einen Eintritt in das ÖJV verhandelt. Mit dem ÖJV sollte eine Jugendorganisation ähnlich den Organisationen in Deutschland und Italien entstehen. Ende August 1936 wurde mit einem entsprechenden Gesetz das ÖJV gesetzlich verankert.133 Gemäß Art. I Paragraph 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die vaterländische Erziehung der Jugend außerhalb der Schule benötigten Vereine und Einrichtungen, die sich mit der außerschulischen Erziehung der Jugendlichen

131 Vgl. Böhm-Ermolli, Politische Symbole im Austrofaschismus und Nationalsozialismus, S. 78f. 132 Vgl. Kriechbaumer, Ein Vaterländisches Bilderbuch, S. 34f. 133 Vgl. Bärnthaler, Die Vaterländische Front, S. 173.

41 befassten, die Zustimmung des Unterrichtsministers. Paragraph 2 Abs. 1 sah vor, dass bestehende Organisationen mit dem 1. Jänner 1937 aufgelöst werden sollten, sofern diese bis zu diesem Tag nicht die Zustimmung des Unterrichtsministers be- kommen hatten.134 Von diesen Bestimmungen waren gemäß Paragraph 6 Abs. 1 und 2 auch Organisationen ausgenommen. Zum einen waren dies jene Vereine, die hauptsächlich religiöse Zwecke verfolgten und auch die katholischen Jugendvereine. Zum anderen waren jene Jugendorganisationen, die von den mit öffentlichem Recht ausgestatteten Körperschaften gegründet wurden, von diesem Gesetz ausgenom- men.135

Im ÖJV sollten jene Jugendlichen, die das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten, erfasst werden. Der Beitritt zu dieser Organisation war zwar freiwillig, jedoch konnten alle im Staatsgebiet wohnenden Jugendlichen zu Feiern und Veranstaltungen des ÖJV hinzugezogen werden.136 Im März des Jahres 1938 zählte das ÖJV etwas mehr als 130.000 Mitglieder, von denen in etwa 70.000 aus dem Jugendverband der Heimwehr stammten. Das ÖJV wurde von Georg Graf Thurn-Valsassina geleitet. Neben der außerschulischen Erziehung war zudem auch eine vormilitärische Ausbil- dung eine zentrale Funktion des ÖJV. Durch diese Ausbildung sollten die Willenskraft der Jugendlichen gestärkt, ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten gesteigert und ihnen Disziplin beigebracht werden.137 Darüber hinaus wurde auch auf die Religion in der außerschulischen Erziehung Rücksicht genommen. Gemäß dem Bundesgesetz mussten die jeweiligen Organisationen ihre Aktivitäten so gestalten, „daß den Ju- gendlichen die Erfüllung ihrer religiösen Pflichten in würdiger Weise und ihre Erzie- hung in religiös-sittlichem Sinne nach den Grundsätzen ihrer Kirche (…) gewährleis- tet wird.“138

3.5.2. Frontmiliz

134 Vgl. Bundesgesetz über die Vaterländische Erziehung der Jugend außerhalb der Schule, Art. I § 1 Abs. 1 u. § 2 Abs. 1, in: Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich, Jahrgang 1936, 29. Au- gust 1936, 72. Stück, S. 755 – 756, S. 755 135 Vgl. ebd, Art. I § 6 Abs. 1 u. 2, S. 755. 136 Vgl. Bärnthaler, Die Vaterländische Front, S. 174. 137 Vgl. Kriechbaumer, Ein Vaterländisches Bilderbuch, S. 35. 138 Bundesgesetz über die Vaterländische Erziehung der Jugend außerhalb der Schule, Art. II Abs. 1 Z. 2, S. 756.

42 Im Zuge einer Novelle des Gesetzes zur VF wurde die Frontmiliz eingerichtet. Sie wurde von Major Baar, dem stellvertretenden Bundesführer der Heimwehr, geleitet. Der Großteil der Mitglieder der Heimwehr stand jedoch nicht wirklich hinter der Idee der FM und verweigerte teilweise seinen Beitritt.139 Mit dem § 10 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die „Vaterländische Front“ wurde die FM als „eine uniformierte, nach militärischem Muster eingerichtete Formation gebil- det“.140 Der Beitritt zur FM erfolgte auf freiwilliger Basis und in dieser sollten sämtli- che Personen im wehrfähigen Alter, die sich zum Dienst meldeten, zusammenge- fasst werden. Eingesetzt werden sollte die FM bei Bedarf zur Unterstützung der be- waffneten Macht oder der Exekutive.141 Personen, die jedoch bereits im Bundesheer oder der Polizei tätig waren, sowie jene, die zur Ableistung des Militärdienstes aufge- rufen wurden, waren von einer Betätigung innerhalb der FM ausgeschlossen. Schuschnigg vertrat die Ansicht, dass es nach der Errichtung der FM keine freiwilli- gen Wehrverbände außer eben dieser mehr geben sollte. Sämtliche Mitglieder muss- ten darüber hinaus einen Eid auf den Frontführer der VF und den jeweiligen Befehls- haber der Miliz leisten, der sie zur Loyalität gegenüber dieser Organisation und zum Gehorsam verpflichtete.142

Ab Oktober 1936 war die bewaffnete Macht in Österreich nicht mehr nur das Bun- desheer allein, sondern mit der FM gab es einen neuen Bestandteil. Zu diesem Zeit- punkt wurden die Heimwehr und die christlichsozialen Wehrorganisationen aufgelöst, und sofern deren Bereitschaft bestand, in die FM eingegliedert. Die FM konnte in gewisser Weise als das Resultat der innenpolitischen Situation der Ersten Republik gesehen werden. Aufgrund eines sehr stark dezimierten Bundesheeres war man von Anfang an bei der Sicherung der Landesgrenzen auf die Unterstützung der bewaffne- ten Parteienverbände angewiesen. Dadurch bestand natürlich ein gewisses Risiko, dass das Bundesheer und die staatliche Exekutive eine gefährliche Konkurrenz bei der Ausübung des staatlichen Machtmonopols bekommen könnten. Die 1930er Jah- re waren daher von einer Rückgewinnung dieses Machtmonopols seitens der Regie- rung geprägt. Im Großen und Ganzen galt die FM jedoch als nicht besonders zuver- lässig. Während im Bundesheer die NSDAP kaum Fuß fassen konnte, was unter an-

139 Vgl. Wiltschegg, Die Heimwehr, S. 299. 140 Bundesgesetz über die „Vaterländische Front“, § 10 Abs. 1, S. 238. 141 Vgl. ebd., § 11 Abs. 1 u. 2, S. 238. 142 Vgl. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler, 449f.

43 derem daran lag, dass die VF einen Einfluss auf die Auswahl der Präsenzdiener nehmen konnte, konnten in die FM ganze Kompanien der SA geschlossen eintreten. Der FM wurden genau dieselben Aufgaben wie dem Bundesheer zugeteilt. Diese bestanden im Grenzschutz, der Aufrechterhaltung der inneren Ruhe und Sicherheit sowie der Hilfestellung bei Katastrophen. Für das Jahr 1938 gab es zudem Planun- gen, die FM verstärkt in die Landesverteidigung einzubeziehen.143 Trotz allem kam die FM ausschließlich für Hilfszwecke zum Einsatz. Der Grund hier- für lag unter anderem an der unvollständigen Ausrüstung und Bewaffnung der Mi- liz.144 Die Ausrüstung und Bewaffnung der FM wurde obendrein nur bedingt den mo- dernen Anforderungen gerecht. Die meisten der vorhandenen Waffen waren veraltet und teilweise sogar unbrauchbar.145

In Anlehnung an die territoriale Organisation der Verwaltung wurde die FM von einem Generalkommando geleitet, dem die jeweiligen Landeskommandanten unterstanden. In der Ebene darunter hatten die Gruppen-, Bezirks- und Ortskommandanten die Lei- tung der einzelnen Milizeinheiten inne. Die FM selbst wurde dabei noch in mehrere Gruppen untergliedert. Die wesentlichsten waren die Jäger- und die Standmiliz. Die Jägermiliz war für den Einsatz an verschiedenen Orten sowie den Grenzschutz vor- gesehen und die Standmiliz sollte den Raumschutz einer festgelegten Region ge- währleisten. Darüber hinaus gab es noch Milizgruppen für den Schutz des Luftrau- mes, des Verkehrsnetzes und der Kommunikationsanlagen sowie für wirtschaftlich wichtige Betriebe. Wenn man die jeweiligen Truppenstärken der einzelnen Unter- gruppierungen der FM zusammenzählt, kommt man auf eine Mitgliederzahl bei einer Gesamtmobilmachung von mehr als 100.000 Personen.146

3.5.3. Freiwilliges Schutzkorps

Am 30. Juni 1933 wurde per Ministerratsbeschluss das Freiwillige Schutzkorps, trotz Widerständen seitens des Landbundes, gegründet. Das FS wurde dem Sicherheits- minister Emil Fey unterstellt.147 In dem zugehörigen Ministerratsprotokoll wird von

143 Vgl. Erwin A. Schmidl, März 38. Der deutsche Einmarsch in Österreich, Wien 1987, S. 57f. 144 Vgl. Schuschnigg, Im Kampf gegen Hitler, S. 317. 145 Vgl. Schmidl, März 38, S. 59. 146 Vgl. ebd., S. 58f. 147 Vgl. Wiltschegg, Die Heimwehr, S. 296.

44 Bundesminister Fey darauf hingewiesen, dass bei einer Aussprache mit dem Vize- kanzler Winkler über die Richtlinien zur Aufstellung, Organisation und Aufbietung des Schutzkorps eine vollständige Einigung erzielt wurde. Lediglich bei der Bezeichnung dieser Organisation gab es eine Änderung und diese wurde von „staatliche Hilfsexe- kutive“ in FS umbenannt. Von Seiten des Bundeskanzlers Dollfuß wurde darauf ver- wiesen, dass die Einrichtung des FS aufgrund der gegenwärtig vorherrschenden poli- tischen Situation erfolge und dessen Bestand zeitlich befristet sei. Demnach sollte das FS nur bis zum 31. Dezember 1933 bestehen.148 Mit der entsprechenden Verordnung wurde das FS als eine bewaffnete Formation eingerichtet, die sich aus Verbänden, die für einen freiwilligen Assistenzeinsatz des Bundesheeres geeignet waren, zusammensetzte. Das FS stellte vor allem eine Re- serve für die staatlichen Exekutivorgane dar und durfte nur dann zum Einsatz kom- men, wenn die Exekutivkräfte nicht ausreichten oder nicht rechtzeitig einschreiten konnten. Eine Aufbietung durfte nur auf Antrag des Sicherheitsministers unter der Zustimmung der Regierung erfolgen. Bei Gefahr im Verzug konnte die Aufbietung jedoch sofort und unter nachträglicher Zustimmung seitens der Regierung erfol- gen.149 Die Verordnung sowie deren Gültigkeitsdauer basierten auf der Annahme, dass sich die innenpolitischen Verhältnisse im Laufe des Jahres 1933 insofern beruhigen wür- den, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit von der staatlichen Exe- kutive alleine gewährleistet werden könne. Aufgrund der anhaltenden innenpoliti- schen Spannungen wurde am 15. Dezember 1933 jedoch ein Antrag gestellt, der den Bestand des FS auf das Jahr 1934 ausdehnen sollte.150 Der vom Staatssekretär für Sicherheitswesen Karwinsky gestellte Antrag wurde vom Ministerrat genehmigt.151

Anfang März 1934 wurde in der Regierung über die berufliche Situation der Schutz- korpsmitglieder diskutiert. Da eine Beurlaubung dieser Personen als unerlässlich an- gesehen wurde und man sie nicht einer anschließenden Arbeitslosigkeit aussetzen

148 Vgl. Ministerratsprotokoll Nr. 888 vom 30. Juni 1933, in: Eszter Dorner-Brader (Bearb.), Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Kabinett Dr. Engelbert Dollfuß: 20. Mai 1932 bis 25. Juli 1934, Band 4, 16. Juni 1933 bis 27. Oktober 1933, Wien 1984, S. 138 – 161, S. 145f. 149 Vgl. Verordnung der Bundesregierung vom 7. Juli 1933, betreffend die Aufstellung eines freiwilligen Schutzkorps (Schutzkorpsverordnung), § 1 Abs. 1 u. § 2 Abs. 1., in: Bundesgesetzblatt für die Repub- lik Österreich, Jahrgang 1933, 12. Juli 1933, 91. Stück, S. 757 – 758, S. 757. 150 Vgl. Beilage Z, in: Ministerratsprotokoll Nr. 911 vom 15. Dezember 1933, in: Gertrude Enderle- Burcel (Bearb.), Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Kabinett Dr. Engelbert Dollfuß: 20. Mai 1932 bis 25. Juli 1934, Band 5, 3. November 1933 bis 16./17. Februar 1934, Wien 1984, S. 215 – 249, S. 248. 151 Vgl. Ministerratsprotokoll Nr. 911 vom 15. Dezember 1933, S. 240.

45 wollte, sollte eine Begünstigung bei der Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes per Verordnung zugesichert werden. Gegen die Idee, die Verordnung in Anlehnung an das Invalidenbeschäftigungsgesetz zu erstellen, gab es größere Bedenken.152 Schließlich einigte man sich auf eine Bevorzugung bei der Vermittlung durch die Ar- beitsämter und die gesetzliche Verpflichtung für die Betriebe, eine gewisse Anzahl an ehemaligen FS-Mitgliedern einzustellen.153 Die erlassene Verordnung sah folgende Bestimmung für die Betriebe vor: „Gewerbliche Betriebe aller Art (…) sind, wenn sie wenigstens 25 Arbeitnehmer beschäftigen, verpflichtet, arbeitslose abgerüstete Schutzkorpsangehörige (…) einzustellen und zu beschäftigen. Auf je 25 Arbeitneh- mer ist ein Schutzkorpsangehöriger zu beschäftigen.“154

Ende Juni 1935 wurde schließlich das FS per Gesetz verankert. Darin wird das FS als ein „uniformierter, bewaffneter, nach militärischem Muster organisierter, von der Bundesregierung aufgestellter Wachkörper, der aus den sich freiwillig meldenden Mitgliedern der Schutzkorpsverbände gebildet wird“155 definiert. Das Schutzkorps war zur „Unterstützung der staatlichen Exekutive bei der Aufrechterhaltung der öffentli- chen Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Innern und beim Schutze der Staatsgrenzen bestimmt.“156 Etliche Posten der Gendarmerie wurden sodann durch Mitglieder des FS verstärkt und das Korps wurde auch in zunehmendem Maße beim Grenzschutz eingesetzt. Im März 1934 wurde der Höchststand bei den Mitgliederzahlen erreicht. Zu diesem Zeit- punkt waren 45.000 Personen im FS gemeldet. Obwohl die finanzielle Zuwendung für diese Organisation doch eher beträchtlich war, herrschte ein Mangel an Waffen, Munition und Ausrüstung.157 Das FS wurde am 17. Oktober 1935 aufgelöst. Sein Weiterbestehen war jedoch da- hingehend gesichert, da es unmittelbar nach dessen Auflösung in die „Freiwillige Mi-

152 Vgl. Ministerratsprotokoll Nr. 928 vom 9. März 1934, in: Gertrude Enderle-Burcel (Bearb.), Protokol- le des Ministerrates der Ersten Republik. Kabinett Dr. Engelbert Dollfuß: 20. Mai 1932 bis 25. Juli 1934, Band 6, 23. Februar 1934 bis 18. April 1934, Wien 1985, S. 95 – 123., S. 101. 153 Vgl. ebd., S. 105. 154 Verordnung der Bundesregierung vom 9. März 1934 über die begünstigte Einstellung der arbeitslo- sen abgerüsteten Schutzkorpsangehörigen in die Betriebe, §1 Abs. 1, in: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 1934, 19. März 1934, 49. Stück, S. 351 – 352, S. 351. 155 Bundesgesetz, betreffend die Abänderung der Schutzkorpsverordnung (Schutzkorpsgesetz), §1 Abs. 1, in: Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich, Jahrgang 1935, 27. Juni 1935, 69. Stück, S. 937 –939, S. 937. 156 Ebd., § 1 Abs. 3, S. 937. 157 Vgl. Wiltschegg, Die Heimwehr, S. 297.

46 liz – Österreichischer Heimatschutz“ eingegliedert wurde.158 Im Oktober 1936 erfolgte schließlich die Auflösung aller auf Freiwilligkeit basierenden Wehrverbände, der auch der „Österreichische Heimatschutz“ und in weiterer Folge das darin integrierte FS, endgültig zum Opfer fiel. Diese wurden dann per Gesetz mit sofortiger Wirkung auf- gelöst.159

3.5.4. Volkspolitisches Referat

Mit der Hervorhebung des deutschen Wesens wollte die Regierung versuchen, ge- mäßigte Teile der NS-Mitglieder für sich zu gewinnen. Im Zuge dessen hätte dann ein Bruch innerhalb der österreichischen NSDAP stattfinden sollen. Durch eine Ein- gliederung der gemäßigteren Mitglieder in das Volkspolitische Referat der VF sollte dieser Bruch dann tatsächlich erfolgen.160 Das VPR war eine legale Organisation in der VF und hatte seinen Ursprung im Juli- abkommen von 1936. Im Gentlemen-Agreement, dem geheimen Zusatzdokument des Juliabkommens, wurde die Einrichtung des Referates festgelegt. Sein Zweck sollte darin bestehen, dem so genannten nationalen Lager die Mitwirkung am Aufbau des Staates zu ermöglichen. Für Hitler war es ein Mittel zur Unterwanderung und Eroberung der VF, für Schuschnigg hingegen stellte es ein Instrument zur inneren Befriedung dar.161

Nachdem die Schaffung eines VPRs bereits am 14. Februar 1937 angekündigt wor- den war, wurde dieses schließlich am 17. Juni 1937 eingerichtet. Am selben Tag wurde Arthur Seyß-Inquart von Bundeskanzler Schuschnigg in den Staatsrat einberu- fen. Obwohl Seyß-Inquart den Nationalsozialisten angehörte, wurde er von Kurt Schuschnigg aufgrund seiner Einstellung zum Katholizismus ausgewählt und er er- hielt sofort die Aufgabe, die Befriedung mit den Mitgliedern der nationalsozialisti- schen Partei voranzutreiben. Die Führung des Referates übernahm der frühere Inns- brucker Vizebürgermeister Walter Pembauer, der sehr nationale Ansichten vertreten

158 Vgl. Kriechbaumer, Die großen Erzählungen der Politik, S. 584. 159 Vgl. Bundesgesetz über die Auflösung der freiwilligen Wehrverbände, §1, in: Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich, Jahrgang 1936, 15. Oktober 1936, 83. Stück, S. 841. 160 Vgl. Robert Kriechbaumer, Regierung und Vaterländische Front, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation, Wien 1988, S. 21 – 26, S. 25. 161 Vgl. Ludwig Reichhold, Die Liquidierung der Vaterländischen Front, in: Czeike Felix (Hg.), Wien 1938. Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, Wien 1978, S. 25 – 38, S. 26.

47 hatte. Trotz der Besetzung der führenden Posten mit Personen aus den eigenen Reihen war der Großteil der NS-Mitglieder dem VPR gegenüber eher misstrauisch.162 Die Bestellung der einzelnen Landesleiter des VPRs war alles andere als einfach, da ein Teil der infrage kommenden Mitglieder der so genannten nationalen Opposition nicht dazu bereit war, auf einen legalen und zeitaufwendigen Anschluss hinzuarbei- ten. Diese bevorzugten einen schnellen und gewaltsamen Anschluss an Deutsch- land. Aufgrund dieser Schwierigkeiten konnten die einzelnen Landesleitungen des Referates erst ab Ende Oktober eingesetzt werden und ihre Tätigkeit aufnehmen. Die tatsächliche organisatorische Tätigkeit des VPR war kaum der Rede wert. Vorrangig beschäftigte man sich mit den Ansprüchen auf Wiedergutmachung von aus der Haft entlassenen Nationalsozialisten. Das VPR wurde dagegen im Laufe der Zeit zu ei- nem wesentlichen Faktor der Desintegration innerhalb der VF. Die von Bundeskanz- ler Schuschnigg verfolgte Idee einer Spaltung des nationalen Lagers und der Ein- gliederung in die VF war im Großen und Ganzen etwas zu optimistisch. Ein wesentli- cher Punkt wurde dabei von ihm übersehen. Das nationale Lager verband das Ziel des Anschlusses an Deutschland und es bestanden lediglich Unterschiede in den zu diesem Zweck verfolgten Strategien.163

Im November 1937 wurde erstmals eine Tagung des VPRs abgehalten. Zu dieser Zeit waren allerdings noch nicht alle Landesleiter eingesetzt, da der Großteil der VF- Landesführer einer politischen Einbindung der Nationalsozialisten misstrauisch ge- genüberstand und die Tätigkeit des Referates in ihrem Einflussbereich möglichst un- terbinden wollte.164 Das VPR trug dazu bei, in der Funktionärsebene der VF Verwirrung zu stiften. Auf- grund dessen wurde es zu einem wesentlichen Faktor der Desintegration innerhalb der VF. Bei etlichen Mitgliedern machte sich eine Unklarheit über den einzuschla- genden Weg der VF breit, wodurch in weiterer Folge deren Wille zum Widerstand letztlich beeinträchtigt wurde.165

3.5.5. Frauenorganisationen

162 Vgl. Walter Kleindel, „Gott schütze Österreich!“ Der Anschluß 1938, Wien 1988, S. 35. 163 Vgl. Tálos u. Manoschek, Aspekte der politischen Struktur des Austrofaschismus, S. 149. 164 Vgl. Reichhold, Die Liquidierung der Vaterländischen Front, S. 26. 165 Vgl. ebd. S. 27.

48 Die Leitung des Frauenreferates oblag Fanny Starhemberg, der Mutter des Heim- wehrführers Ernst Rüdiger Starhemberg. Als eine der wichtigsten Aufgaben galt die Werbung und Eingliederung der Frauen in die VF. Der Zweck des Referates bestand unter anderem darin, die politischen Interessen der Frauen in der Öffentlichkeit und in der VF zu vertreten.166 Unmittelbar nach der Gründung der VF wurden die Frauen zum Beitritt und zur aktiven Mitgestaltung der VF aufgefordert. Das Frauenreferat wurde Anfang 1935 gegründet und untergliederte sich in sieben Arbeitsbereiche. Diese umfassten kulturelle Frauenangelegenheiten, Mutter und Kind, Schule und Er- ziehung, Jugend, Fürsorge, Frauenberufe sowie staatsbürgerliche Aufgaben. Der organisatorische Aufbau war ebenso wie jener der VF gegliedert. An der Spitze stand die Bundesleiterin, darunter befanden sich die Landesreferentinnen und auf der un- tersten Ebene gab es Bezirks- und Ortsreferentinnen.167 Bereits im Jahr 1933 verhandelte die spätere Bundesleiterin Fanny Starhemberg mit Bundeskanzler Dollfuß über eine Vertretungsorganisation der Frauen innerhalb der VF. Der Umstand, dass sich der Aufbau des Referates überaus langwierig gestaltete, war vor allem auf die katholischen Frauenvereine zurückzuführen. Die Frauenvereine traten zwar geschlossen in die VF ein, jedoch führten sie ihre bisherige Vereinsarbeit unverändert weiter. Daraus resultierte, dass das Frauenreferat bis zum Jahr 1935 de facto nur auf dem Papier existierte.168 Mit den ab dem Sommer 1935 durchgeführten „Frauenappellen“ sollte den Frauen aufgezeigt werden, dass man sich in der VF als Frau wohlfühlen konnte. Diese Ap- pelle dienten jedoch ausschließlich zur Werbung von neuen Mitgliedern. Durch die Gründung des „Neuen Lebens“, einer Freizeitorganisation, wurde das ohnehin nicht allzu große Aufgabengebiet des Frauenreferats, vor allem im kulturellen Bereich, noch weiter eingeschränkt.169

Die Vorbereitungsmaßnahmen für das Mutterschutzwerk wurden schon ab 1927 von den katholischen Frauenvereinen durchgeführt. Im November 1933 unternahm die Leiterin des MSW Minna Wolfring eine Studienreise nach Italien, um dort eine Orga- nisation mit einer ähnlichen Funktion zu untersuchen. Am 1. Mai 1934 wurde schließ- lich das MSW in die VF integriert. Dieses sollte dabei keine Konkurrenz zu bereits

166 Vgl. Kriechbaumer, Ein Vaterländisches Bilderbuch, S. 29f. 167 Vgl. Bärnthaler, Die Vaterländische Front, S. 194f. 168 Vgl. Bandhauer-Schöffmann, Der „Christliche Ständestaat“ als Männerstaat?, S. 265. 169 Vgl. ebd., S. 266.

49 bestehenden Einrichtungen darstellen, sondern Aufgaben in noch nicht berücksich- tigten Bereichen, vor allem im Bereich der Fürsorge und Betreuung, erfüllen.170 Un- mittelbar nach der Italienreise Wolfrings wurde Anfang März 1934 das MSW unter dem Namen „Mütter- und Kinderhilfe“ errichtet und Minna Wolfring mit der Leitung betraut. Das MSW war in der Öffentlichkeit wesentlich bekannter als das Frauenrefe- rat und unterstand direkt dem Bundesführer der VF. Aufgrund dessen hatte das MSW eine wesentlich bessere Stellung als das Frauenreferat inne, welches beim Großteil seiner Aufgabenbereiche von der Zusammenarbeit mit anderen Referaten abhängig war. Das MSW sollte vor allem zu einer Erneuerung der Familie beitragen und durch entsprechende Maßnahmen dem Geburtenrückgang entgegensteuern.171 Konkrete Maßnahmen im Rahmen dieser Zielsetzungen waren die Unterstützung von Müttern aus niedrigeren Bevölkerungsschichten, Hilfestellungen bei der Schwanger- schaft und der Entbindung sowie Kurse für den richtigen Umgang mit Kleinkindern.172 Obwohl das MSW eine Organisation im Rahmen der VF war, war eine Mitgliedschaft in der VF nicht notwendig, um dessen Leistungen in Anspruch nehmen zu können. Das MSW stand somit allen Müttern offen und die einzige Voraussetzung zur Bean- spruchung von Leistungen bestand darin, dass ein gewisses Maß an Bedürftigkeit gegeben sein musste.173

Die finanzielle Situation des MSWs war äußerst problematisch. Die Finanzierung wurde durch die Durchführung von Veranstaltungen, Spendensammlungen sowie durch die Unterstützung wohlhabender Organisationen gesichert. Selbst nach dem Erhalt eines staatlichen Zuschusses im Dezember 1935 war das MSW auf den Erlös aus verschiedenen Aktionen, wie beispielsweise Lotterien oder Flohmärkten, ange- wiesen.174 Der Aufbau dieses Werks gestaltete sich äußerst langwierig, obwohl be- reits Mitte Mai 1934 die einzelnen Landesstellen eingerichtet wurden. Die Einrichtung der Bezirksstellen in den Bundesländern dauerte bis Dezember 1934. Im Jahr 1935 wurde die Ausgestaltung der Ortsstellen vorangetrieben und mit Jahresende unter- standen dem MSW 78 Bezirks- und 270 Ortsstellen. Eine flächendeckende Mütterbe- treuung konnte jedoch erst ab 1936 angeboten werden.175

170 Vgl. Bärnthaler, Die Vaterländische Front, S. 195. 171 Vgl. Bandhauer-Schöffmann, Der „Christliche Ständestaat“ als Männerstaat?, S. 261f 172 Vgl. Bärnthaler, Die Vaterländische Front, S. 196. 173 Vgl. Zernatto, Die Wahrheit über Österreich, S. 90. 174 Vgl. Bandhauer-Schöffmann, Der „Christliche Ständestaat“ als Männerstaat?, S. 263. 175 Vgl. Bärnthaler, Die Vaterländische Front, S. 196.

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3.6. Maßnahmen der VF zur Mobilisierung der Bevölkerung

Im Bereich des öffentlichen Dienstes gelang es der Regierung noch am leichtesten, gegen die Nationalsozialistische Partei und deren Werbungsversuche vorzugehen. Im Mai 1933 wurde den Staatsbediensteten vorgeschrieben, einen Eid auf den Bun- desstaat Österreich und die Regierung zu leisten. Bei einem Verhalten, das einen regierungsfeindlichen und staatsschädigenden Charakter aufwies, bestand die Mög- lichkeit der Entlassung der betreffenden Person. Darüber hinaus wurde im Lauf der Zeit den Staatsbediensteten die Zugehörigkeit zur NSDAP überhaupt verboten.176

Eine zunehmende politische Unterdrückung, die vermehrt seit den Ereignissen im Februar 1934 betrieben wurde, hatte eine abschreckende Wirkung und förderte dar- über hinaus eine von Angst und Apathie geprägte Stimmung innerhalb der Bevölke- rung. Aufgrund dessen wurde jedoch eine Integration der oppositionellen Bevölke- rungsgruppen in zunehmendem Maße erschwert. Trotz allem war die Regierung von Beginn an bemüht, die ArbeiterInnenschaft für die eigene Sache und die eigenen Organisationen zu gewinnen. Der Begriff der Befriedung stellte in diesem Zusam- menhang ein zentrales Schlagwort dar.177

Die Auflösung der sozialdemokratischen Gewerkschaften begann direkt nach den Februaraufständen und davon waren zudem auch die freien Gewerkschaften betrof- fen. Für die aus diesen Organisationen stammenden Betriebsräte wurde ein Betäti- gungsverbot verhängt. Aufgrund einer Verordnung vom 17. Februar 1934 wurden Mitglieder der Sozialdemokraten aus den Einigungsämtern und Gewerbegerichten ausgeschlossen.178 Die Eingliederung der Gewerkschaften in die berufsständische Ordnung und insbesondere deren dortige Stellung stellte einen der wesentlichsten Streitpunkte innerhalb der Staatsführung dar. Dabei waren vor allem die Zukunft des Gewerkschaftsbundes als auch die Frage nach der Organisation der Gewerkschaft die wesentlichsten Aspekte dieser Debatten.179 Man war der Ansicht, dass in einem

176 Vgl. Gerhard Jagschitz, Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich, Graz 1976, S. 52. 177 Vgl. Holtmann, Zwischen Unterdrückung und Befriedung, S. 157. 178 Vgl. Emmerich Tálos, Austrofaschismus und Arbeiterschaft, in: Ilse Reiter-Zatloukal u.a. (Hg.), Ös- terreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß-/Schuschnigg-Regime, Wien 2012, S. 167 – 180, S. 170f. 179 Vgl. Reichhold, Opposition gegen den autoritären Staat, S. 86.

51 friedlichen und geordneten Staat nur Berufsstände notwendig seien und alles andere zu einer Untergliederung der Bevölkerung in Klassen führe.180

Innerhalb der VF wurde es als notwendig erachtet, dass die Opposition integriert wurde. Man begründete dies unter anderem mit der Ansicht, dass der neu formierte Staat als gegeben und nicht veränderbar gesehen wurde. Um seine Aufgaben best- möglich erfüllen zu können, war die Mitarbeit des Großteils der Bevölkerung uner- lässlich und durch die VF sollten die breiten Massen angesprochen und von den Ideen des neuen Staates überzeugt werden. Man war sich zwar innerhalb der VF bewusst, dass nicht alle Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei überzeugt wer- den konnten, jedoch schätzte man diese Gruppe als nicht allzu groß ein. Beim Groß- teil der sozialdemokratischen ArbeiterInnenschaft ging man jedoch davon aus, dass diese für die Ideen des Ständestaates gewonnen werden könnten.181

Mittels der Schaffung einer Einheitsgewerkschaft wollte die Regierung einen Über- gang vom vorherrschenden gewerkschaftlichen System hin zum angestrebten Stän- destaat erreichen, bei dem es keine Gewerkschaften mehr geben sollte. Die EG wur- de am 2. März 1934 per Verordnung ins Leben gerufen. Die Führungspositionen in- nerhalb der EG wurden von Mitgliedern der christlichen Gewerkschaften besetzt. So entstammten beispielsweise der Präsident und der Großteil der Vorstandsmitglieder aus den Reihen der christlichen Gewerkschaften.182 Am 1. Mai 1934 nahm die EG ihre Arbeit auf. Die ArbeitnehmerInnen sollten in dieser neu geschaffenen Organisa- tion mit den ArbeitgeberInnen zusammenarbeiten. Um die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zu schaffen und eine Annäherung zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen zu erreichen, musste die EG die dafür notwendigen Vorarbeiten leisten. Die Vereinigung zwischen ArbeitgeberIn und Belegschaft in einem gemein- samen Forum wurde schließlich in dem am 1. August 1934 erlassenen Gesetz zur Einrichtung von Werksgemeinschaften verankert.183

Die sozialdemokratisch gesinnte ArbeiterInnenschaft reagierte auf die gesetzlich festgelegten Maßnahmen mit Verweigerung. Dieser Umstand wird anhand der Mit-

180 Vgl. Ebd., S. 90. 181 Vgl. Kriechbaumer, Ein Vaterländisches Bilderbuch, S. 27f. 182 Vgl. Anton Pelinka, Die Einheitsgewerkschaft, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Wi- derstandes (Hg.), „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation, Wien 1988, S. 37 – 40, S. 37. 183 Vgl. Holtmann, Zwischen Unterdrückung und Befriedung, S. 164.

52 gliederzahlen der EG deutlich. In einer offiziellen Statistik für das Jahr 1934 waren Ende Juni etwas mehr als 147.600 Personen Mitglieder der EG.184 Die, zu diesem Zeitpunkt bereits illegale, Arbeiter-Zeitung wies darauf hin, dass bis zum 15. Mai die Mitgliederaufnahme in die EG vollständig abgeschlossen sein sollte. Zu diesem Zeit- punkt waren der Arbeiter-Zeitung zufolge lediglich 70.000 Personen der neu gegrün- deten Gewerkschaft beigetreten. Daraus folgte, dass die Regierung die Beitrittsfrist bis zum 30. Juni verlängerte.185 Die Mitgliederzahlen sind bis zum Herbst allerdings nur in einem sehr geringen Maße gestiegen und so umfasste die EG Anfang Oktober 1934 weniger als 180.000 Mitglieder. Innerhalb eines Jahres stiegen die Mitglieder- zahlen jedoch sehr stark an und im Juni 1935 zählte die Gewerkschaft in etwa 316.000 Mitglieder. Dieser Anstieg ist unter anderem auf taktische Gründe und eine geänderte Einstellung der illegalen ArbeiterInnenbewegung zurückzuführen. Trotz allem war eine wirkliche Unterstützung der EG durch ihre Mitglieder kaum gegeben. Für viele bestand der Grund für den Beitritt nur darin, dass der Arbeitsplatz nicht ver- loren gehen oder der Anspruch auf etwaige Beihilfen weiterhin gegeben sein soll- te.186

Die Einführung der Dienststellen- und der Betriebsstellenorganisationen sind ein wei- terer Beweis dafür, dass die Regierung versuchte, einen Einfluss auf sämtliche Be- reiche der Gesellschaft auszuüben. Die DO wurde im August 1933 gegründet und sollte sämtliche Beschäftigte aus den öffentlichen Betrieben und jenen Betrieben, an denen die öffentliche Hand beteiligt war, erfassen. Die DO stellt eine Art Werkzeug dar und wurde von der VF dahingehend genutzt, um die vaterländische Einstellung der Bediensteten zu überprüfen. Obwohl die Mitgliedschaft offiziell freiwillig war, be- stand in der Praxis jedoch ein Beitrittszwang.187 Die Februaraufstände waren letztlich ausschlaggebend für die Einführung der BO und stellten das Gegenstück zur DO dar. Während die DO, wie bereits erwähnt, für den öffentlichen Bereich zuständig war, sollte die BO die ArbeiterInnenschaft im pri- vaten Sektor erfassen. Die Leiter der BO waren mit mehreren Befugnissen ausge- stattet, wie beispielsweise der politischen Schulung und Information der BO- Mitglieder sowie deren Kontrolle. Darüber hinaus konnten die Leiter Neueinstellun-

184 Vgl. Ebd., S. 165. 185 Vgl. Arbeiter-Zeitung, 1. Jahrgang, 3. Juni 1934, Nr. 15, S. 7. 186 Vgl. Holtmann, Zwischen Unterdrückung und Befriedung, S. 165f. 187 Vgl. Tálos, Austrofaschismus und Arbeiterschaft, S. 175.

53 gen und Entlassungen beeinflussen. Die BO sollte allerdings in den Betrieben nicht politisch tätig werden, sondern Tätigkeiten politischer Natur von den Betrieben fern- halten und außerbetriebliche Einflussnahmen verhindern. Anhand zahlreicher Be- schwerden hinsichtlich Willkür und Nichtbeachtung gesetzlich festgelegter Bestim- mungen wird deutlich, dass die BO nicht dazu imstande waren, gegensätzliche Inte- ressen in den Betrieben auszugleichen.188 Im Vergleich zu den eher bescheidenen Erfolgen der BO konnten die DO größere Erfolge und höhere Mitgliederzahlen aufweisen. Diese sind unter anderem auf die größeren Einflussmöglichkeiten und eine verstärkte Kontrolle im öffentlichen Sektor zurückzuführen. Hinzu kamen noch die Existenzängste zahlreicher Bediensteter, wodurch die wirklichen Beitrittsmotive verschleiert und das tatsächliche Mobilisie- rungspotenzial der DO verzerrt wurde.189

Eine weitere Vertretung der ArbeitnehmerInnenschaft innerhalb des Staates, die ne- ben der EG bestand, stellte die so genannte Soziale Arbeitsgemeinschaft dar. Diese wurde auf Initiative Starhembergs am 31. März 1935 gegründet und wurde von Jo- hann Großauer, der ein Mitglied der Christlichen Arbeiterbewegung war, geleitet. Die Christliche Arbeiterbewegung stellte auch die SAG-Leiter in den einzelnen Bundes- ländern. Im Unterschied zur EG war die SAG noch stärker für die linke Opposition zugänglich und wurde zum Teil von den freien Gewerkschaftern und den Kommunis- ten als Plattform für eine mögliche Beeinflussung des Systems gesehen. Die Aufga- be der SAG bestand in der politischen Vertretung der Interessen der ArbeiterInnen- schaft bei den staatlichen Einrichtungen und vor allem aber auch in der VF.190

Direkt nach der Ernennung zum Generalsekretär der VF richtete Guido Zernatto die Organisation „Neues Leben“ ein. Das bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Kulturrefe- rat wurde in diese neue Einrichtung eingegliedert. Die Organisation „Neues Leben“ wurde als eine freie Einrichtung konzipiert, der alle beitreten konnten. Angehörige sämtlicher Gesellschaftsschichten sollten darin vereint werden. Die Dienstleistungen des Neuen Lebens sollten als Dienst für die Allgemeinheit der gesamten Bevölke-

188 Vgl. Ebd., S. 175f. 189 Vgl. Kriechbaumer, Ein Vaterländisches Bilderbuch, S. 28. 190 Vgl. Anton Pelinka, Christliche Arbeiterbewegung und Austrofaschismus, in: Emmerich Tálos u. Wolfgang Neugebauer (Hg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933 – 1938, Wien 20147 S. 88 – 97, S. 92f.

54 rung zugutekommen und zugänglich sein.191 Dem Neuen Leben wurden im Großen und Ganzen zwei Aufgaben zuteil: Zum einen sollte die Organisation dazu beitragen, dass die Bevölkerung sich der eigenen Kultur wieder annäherte und zum anderen der arbeitenden Bevölkerung vergünstige Freizeitmöglichkeiten gegen eine geringe Gebühr zur Verfügung gestellt werden. Die angebotenen Möglichkeiten umfassten dabei verschiedene Bereiche, wie beispielsweise das Film- und Theaterwesen, die bildenden Künste, das Radio, Ausstellungen usw. Das Neue Leben war zwar sehr stark an die VF angelehnt, jedoch handelte es sich dabei um eine eigenständige Ein- richtung. Dieser Umstand führte dazu, dass die Mitglieder der VF das komplette An- gebot nutzen konnten, dieses aber gleichzeitig auch für Nicht-Mitglieder zugänglich war. Personen, die eine Mitgliedschaft im Neuen Leben besaßen, mussten nicht zwangsläufig auch über eine Mitgliedschaft in der VF verfügen. Dadurch sollte mög- lichst vielen Personen die Teilnahme am bzw. die Nutzung des Angebots des Neuen Lebens ermöglicht werden. Über die durchzuführenden Maßnahmen und das Ange- bot entschied die so genannte Oberleitung. Diese setzte sich aus dem Führer der VF, dem Unterrichtsminister, dem obersten Sportführer und dem Kommissär für Heimat- dienst zusammen. Die direkte Leitung dieser Organisation erfolgte durch den Gene- ralsekretär der VF.192 Im Jahr 1938 erreichte die Organisation „Neues Leben“ einen Mitgliederstand von rund 500.000 Mitgliedern.193

Das „Neue Leben“ wurde bereits von Beginn an als eine Nachahmung der Freizeitor- ganisationen in Deutschland und Italien gesehen. Obwohl Generalsekretär Zernatto diese Behauptung vehement bestritt, ist es nicht von der Hand zu weisen, dass das „Neue Leben“ den ausländischen Organisationen nachempfunden war.194 Zernatto versuchte dieses folgendermaßen zu entkräften: „Beide Organisationen, in Deutsch- land wie in Italien, sind Bestandteile der offiziellen Arbeitnehmerorganisationen und lediglich für Arbeitnehmer bestimmt. Das „Neue Leben“ war eine freie Organisation, in die jeder eintreten konnte. (…) Wir wollten in unserer Organisation Angehörige aller Berufsschichten vereinigen und den Dienst des „Neuen Lebens“ als Dienst für das ganze Volk leisten.“195

191 Vgl. Kriechbaumer, Ein Vaterländisches Bilderbuch, S. 32. 192 Vgl. Bärnthaler, Die Vaterländische Front, S. 190f. 193 Vgl. Zernatto, Die Wahrheit über Österreich, S. 91. 194 Vgl. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler, S. 247. 195 Zernatto, Die Wahrheit über Österreich, S. 93.

55 Die politische Führungsebene der VF erkannte, dass der geschlossene Beitritt etli- cher Organisationen zwar die Mitgliederzahlen in die Höhe schraubte, aber dass dadurch im gleichen Atemzug ein Mehraufwand in bürokratischer Hinsicht entstand. Die der VF zugestandenen Prüfungs- und Interventionsrechte bei Stellenbewerbun- gen und Stellenausschreibungen trugen zudem dazu bei, dass ein nicht unerhebli- cher Teil der Bevölkerung der VF beitrat. Der Nachteil bestand jedoch darin, dass man sich im Ernstfall auf diese Personen kaum verlassen konnte.196 Am 1. Novem- ber 1937 wurde ein Aufnahmestopp in der VF erlassen, um so eine Straffung der Or- ganisation zu erreichen. Darüber hinaus sollte dieser den Eindruck widerlegen, dass die Mitgliedschaft in der VF keine allzu große Bedeutung hatte.197 Das Mobilisierungspotenzial der VF beschränkte sich im Wesentlichen auf eine eige- ne, zu einem großen Teil katholische Gruppe, die sich jedoch für die Ideen des Stän- destaats und die VF begeistern konnte und die eine gewisse Aufopferungsfähigkeit an den Tag legte.198

3.7. Führer der VF

3.7.1. Engelbert Dollfuß

Engelbert Dollfuß wurde am 4. Oktober 1892 in Texing geboren. Obwohl sein Vater bekannt war, wurde lediglich der Name der Mutter im Taufregister vermerkt, da er ein uneheliches Kind war.199 Im Jahr 1913, nach der bestandenen Matura, zog Dollfuß nach Wien, um dort Theologie zu studieren. Seine zu Beginn des Studiums vorhan- dene Begeisterung für den Beruf des Priesters nahm jedoch im Laufe der Zeit immer mehr ab. Schon ein paar Monate nachdem er das Theologiestudium aufgenommen hatte, entschloss er sich, das Studium nicht weiter fortzuführen. Dollfuß beschloss, ein Jus Studium zu beginnen und trat zudem einer deutsch-katholischen Studenten- verbindung namens Franco- bei.200 Nach dem Ausbruch des Krieges 1914 meldete sich Dollfuß als Freiwilliger. Bei sei- nem ersten Versuch in Wien wurde er, da er um zwei Zentimeter zu klein für die vor-

196 Vgl. Kriechbaumer, Ein Vaterländisches Bilderbuch, S. 55f. 197 Vgl. Tálos u. Manoschek, Aspekte der politischen Struktur des Austrofaschismus, S. 151. 198 Vgl. Kriechbaumer, Ein Vaterländisches Bilderbuch, S. 58. 199 Vgl. Gordon Shepherd, Engelbert Dollfuss, Graz 1961, S. 19. 200 Vgl. ebd., S. 30ff.

56 geschriebene Mindestkörpergröße war, abgewiesen. Danach unternahm er einen zweiten Versuch in St. Pölten und wurde schließlich für den Kriegsdienst zugelas- sen.201 Diesen leistete er bei den Kaiserschützen. Nach siebenunddreißig Monaten im Kriegsdienst an der italienischen Front kehrte Dollfuß nach Österreich zurück. Seine politischen Ansichten prägten sein Bewusstsein über die unbedingte Notwen- digkeit eines eigenständigen Österreich.202 Anfang August 1919 erhielt Dollfuß eine Stelle als Sekretär des Bauernbundes.203 Im Jahr 1922 beendete er sein Doktorratsstudium und wurde dann im Juli Sekretär der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer. 1927 erfolgte die Ernennung zum Präsidenten der Landwirtschaftskammer.204 Am 1. Oktober 1930 wurde Dollfuß zum Präsidenten der ÖBB bestellt und nur kurze Zeit später, im März 1931, erfolgte die Berufung zum Land- und Forstwirtschaftsminister. Am 20. Mai 1932 erfolgte die Er- nennung Dollfuß’ zum Bundeskanzler.205

Am 25. Juli 1934206 besetzten zu Mittag 154 uniformierte Männer das Bundeskanz- leramt. Ihr Plan bestand darin, dass die gesamte Regierung gefangengenommen werden sollte, um anschließend deren Abdankung zu erzwingen. Da sich jedoch nur mehr Bundeskanzler Dollfuß, Minister Emil Fey und der Staatssekretär Karwinsky im Bundeskanzleramt aufhielten, war dieser Plan gescheitert. Zur selben Zeit erfolgte darüber hinaus die Besetzung des Rundfunkgebäudes. Von dort wurde eine Meldung verbreitet, dass die Dollfuß Regierung zurückgetreten sei und der frühere steirische Landeshauptmann Anton Rintelen der nächste Bundeskanzler werden sollte. Der Großteil der Besatzer des Bundeskanzleramtes waren ehemalige Bundesheersolda- ten, die aufgrund ihrer nationalsozialistischen Gesinnung entlassen wurden und Mit- glieder der SS waren.207 Der Putsch sollte ursprünglich am 24. Juli durchgeführt wer- den, da an dem Tag eine Sitzung des Ministerrates stattfinden sollte. Diese wurde jedoch auf den 25. Juli verlegt.208 Den Putschisten gelang es, aufgrund ihrer weitrei- chenden Beziehungen, von der Verschiebung rechtzeitig zu erfahren. Jedoch brach-

201 Vgl. Moth, Neu-Österreich und seine Baumeister, S. 137. 202 Vgl. Ludwig Jedlicka, Ein Heer im Schatten der Parteien. Die militärpolitische Lage Österreichs 1918–1938, Graz 1955, S. 94f. 203 Vgl. Shepherd, Engelbert Dollfuss, S. 55. 204 Vgl. ebd., S. 58f. 205 Vgl. Moth, Neu-Österreich und seine Baumeister, S. 139. 206 Die Zeit zwischen dem 20. Mai 1932 und dem 25. Juli 1934 wird an dieser Stelle nicht erneut be- schrieben, da die Ausführungen in den vorangegangenen Kapiteln bereits einen sehr genauen Ein- blick in die Amtszeit des Bundeskanzlers Dollfuß geben. 207 Vgl. Goldinger u. Binder, Geschichte der Republik Österreich, S. 234. 208 Vgl. Lucile Dreidemy, Der Dollfuß-Mythos. Eine Biographie des Posthumen, Wien 2014, S. 35.

57 ten die Verschiebung und die damit einhergehenden Umdisponierungen erste Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Plans mit sich. Ein Putschteilnehmer hatte schließlich den Plan verraten und Minister Fey sowie dessen Umfeld wurden die In- formationen zugespielt. 209 Etwa vierzig Minuten nach dem Beginn der Ministerrats- sitzung wurde Dollfuß von Fey über den bevorstehenden Putschversuch informiert. Die Sitzung wurde daraufhin abgebrochen und die Minister aufgefordert, in ihre Äm- ter zurückzukehren. Bei dem Versuch, über einen Hinterausgang das Bundeskanz- leramt zu verlassen, lief Dollfuß den Putschisten über den Weg und wurde dabei von dem Putschteilnehmer Otto Planetta angeschossen und schwer verletzt. Dollfuß bat vergeblich darum, ihm einen Arzt und einen Priester zu schicken. Um etwa 15:45 Uhr erlag Dollfuß schließlich seinen Verletzungen.210 Die restlichen Regierungsmitglieder hatten sich zum Heeresministerium begeben und dort mit Bundespräsident Miklas Kontakt aufgenommen. Dieser beauftragte Kurt Schuschnigg mit der Regierungsfüh- rung.211

3.7.2. Ernst Rüdiger Starhemberg

Ernst Rüdiger Starhemberg wurde am 10. Mai 1899 in Eferding geboren. Sowohl sein Vater als auch seine Mutter waren in der Politik tätig. Starhembergs Vater war Abgeordneter im oberösterreichischen Landtag und seine Mutter war von 1920 bis 1930 im Bundesrat und von 1931 bis 1934 als stellvertretende Vorsitzende in der Christlichsozialen Partei engagiert. Darüber hinaus oblag ihr auch die Leitung der Katholischen Frauenbewegung in Oberösterreich und die Bundesleitung des in der VF integrierten Frauenreferats. Ab dem Herbst des Jahres 1917 leistete Starhemberg seinen Kriegsdienst an der italienischen Front. Im Jahr 1921 übersiedelte er nach Oberschlesien und schloss sich dem „Freikorps Oberland“ an. 1923 ging Starhem- berg nach München und nahm dort am November-Putsch Hitlers teil. Im Jahr 1926 erfolgte dann seine Rückkehr nach Oberösterreich.212 1927 schloss sich Starhem- berg dann der oberösterreichischen Heimwehr an, zu deren Führer er am 13. Juli 1929 gewählt wurde.213 Das erste Treffen zwischen Starhemberg und Mussolini fand

209 Vgl. Goldinger u. Binder, Geschichte der Republik Österreich, S. 235. 210 Vgl. Dreidemy, Der Dollfuß-Mythos, S. 35f. 211 Vgl. Goldinger u. Binder, Geschichte der Republik Österreich, S. 236. 212 Vgl. Wiltschegg, Die Heimwehr, S. 198ff. 213 Vgl. Gudula Walterskirchen, Starhemberg. oder Die Spuren der „30er Jahre“, Wien 2002, S. 38.

58 im Juli 1930 statt und dieses war zugleich auch der Beginn einer engen politischen Freundschaft. Anfang September desselben Jahres wurde er zum Bundesführer der Heimwehr gewählt. Als Vorsitzender des Heimatblocks wurde Starhemberg zudem in den Nationalrat gewählt. Schon nach 66 Tagen beendete er allerdings seine Tätigkeit im Nationalrat. 1932 erfolgte in der Heimwehr ein politischer Umschwung, nachdem der Beitritt zur Dollfuß Regierung vollzogen worden war. Starhemberg und Dollfuß verstanden sich sehr gut und pflegten ein freundschaftliches Verhältnis zueinan- der.214

Am Anfang des Jahres 1933 wurde die Hirtenberger Waffenaffäre aufgedeckt. Star- hemberg organisierte die geheimen Waffentransporte. Im Oktober erfolgte die Er- nennung Starhembergs zum stellvertretenden Frontführer der VF. Seine politische Karriere ging jedoch weiter bergauf und am 1. April 1934 erfolgte durch Dollfuß die Berufung Starhembergs zum Vizekanzler.215 Auf den Vorschlag des Bundeskanzlers, dass er Vizekanzler werden solle, reagierte Starhemberg zunächst eher ablehnend. Vor allem die Schreibtischarbeit und das Abarbeiten von Akten waren ihm zuwider. Letztendlich nahm er den Posten des Vizekanzlers dennoch an.216 Zum Zeitpunkt des Juliputsches am 25. Juli 1934, bei dem Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ermor- det wurde, war Starhemberg in Venedig auf Urlaub. Zwei Tage danach erfolgte die Rückreise nach Wien. Am 29. Juli wurde Kurt Schuschnigg zum Bundeskanzler er- nannt. Starhemberg war unter Kurt Schuschnigg weiterhin Vizekanzler und zugleich wurde er der Frontführer der VF. Im Mai 1936 wurde Starhemberg, für ihn völlig über- raschend, aus der Regierung ausgeschlossen. Der Grund hierfür war ein Telegramm an Mussolini, in dem er Mussolini zu seinem erfolgreichen Feldzug in Abessinien be- glückwünscht hatte.217 Am 10. Oktober 1936 erfolgte schließlich die Auflösung der Heimwehr. Starhemberg forderte daraufhin die Heimwehrmitglieder auf, keinen Widerstand zu leisten. Im De- zember 1937 reiste er mit seiner Familie in die Schweiz zum Schiurlaub. Zum Zeit- punkt des Anschlusses im März 1938 war Starhemberg noch immer in der Schweiz und blieb dort im Exil. Im Jahr 1939 erfolgte der Umzug nach Frankreich und Star- hemberg begann, seine Memoiren zu verfassen. 1940 schloss er sich der französi-

214 Vgl. Wiltschegg, Die Heimwehr, S. 201f. 215 Vgl. Walterskirchen, Starhemberg, S. 39ff. 216 Vgl. Wiltschegg, Die Heimwehr, S. 203. 217 Vgl. Walterskirchen, Starhemberg, S. 41.

59 schen Armee an und kämpfte dort in der Luftwaffe. Nach dem Untergang Frankreichs ging Starhemberg 1940 nach England. Ab dem Jahr 1942 lebte er dann in Argentini- en und war dort auf einer Rinderfarm tätig. 1945 übersiedelte er mit seiner Frau und seinem Sohn, die bereits seit 1940 in Argentinien lebten, nach Chile. Im Dezember des Jahres 1955 zog Starhemberg nach Österreich zurück und starb kurze Zeit spä- ter, am 15. März 1956, an den Folgen eines Herzanfalls.218

3.7.3. Kurt Schuschnigg

Kurt Schuschnigg wurde am 14. Dezember 1897 in Riva am Gardasee geboren. 1915 schloss er das Gymnasium in Feldkirch ab und im selben Jahr meldete er sich als Freiwilliger für den Kriegsdienst. Ab Oktober 1915 leistete er seinen Dienst im 4. Festungsartillerieregiment an der italienischen Front und am 3. November 1918 ge- riet Schuschnigg in Italien in Kriegsgefangenschaft.219 Im Jahr 1919 erfolgte die Rückkehr Schuschniggs nach Innsbruck und dort begann er im selben Jahr sein Jura Studium. Nach der Promotion im Jahr 1922 war Schuschnigg dann als Rechtsanwalt tätig. Im Jahr 1927 wurde er in den Nationalrat einberufen und war zu diesem Zeit- punkt dort der jüngste Abgeordnete. 1932 erfolgte die Ernennung zum Justizminister und ab 1933 übernahm Schuschnigg zusätzlich das Amt des Unterrichtsministers.220 Schuschnigg kam aus einem anderen soziologischen Umfeld als sein Vorgänger En- gelbert Dollfuß. Aufgrund seiner Kriegsgefangenschaft in Italien hatte Schuschnigg als Politiker gewisse Vorbehalte gegenüber den politischen Vorstellungen Mussolinis. Schuschnigg, der als ein Vertrauensmann des Bundeskanzlers Dollfuß galt, wurde am 30. Juli 1934 zum Bundeskanzler ernannt. Für jene Mitglieder der ehemaligen Christlichsozialen Partei, die von der Ernennung Schuschniggs wussten, erfolgte die- se alles andere als zufällig. Für Starhemberg hingegen war die Berufung Schusch- niggs zum Bundeskanzler eine herbe Enttäuschung.221 Nachdem Starhemberg im Jahr 1936 aus der Regierung ausgeschieden war, wurde Schuschnigg zum Führer der VF. Den bis zu diesem Zeitpunkt immer größer wer- denden Einfluss der Heimwehr konnte Schuschnigg abschwächen bzw. komplett be- seitigen, jedoch konnte er dem zunehmenden Druck der nationalsozialistischen Par-

218 Vgl. ebd., S. 42ff. 219 Vgl. Moth, Neu-Österreich und seine Baumeister, S. 149f. 220 Vgl. Kleindel, „Gott schütze Österreich!“, S. 258. 221 Vgl. Jedlicka, Ein Heer im Schatten der Parteien, S. 122f.

60 tei nicht erfolgreich entgegentreten. Das Juliabkommen im Jahr 1936 brachte nur eine kurzzeitige Entspannung der Lage. Ein Monat nach der Unterredung zwischen Schuschnigg und Hitler in Berchtesgaden wurde er am 12. März 1938 von der Ge- stapo verhaftet und in seiner Dienstwohnung im Belvedere unter Hausarrest gestellt. Vom 28. Mai 1938 bis zum 29. Oktober 1939 war Schuschnigg im Wiener Hauptquar- tier der Gestapo inhaftiert. Danach erfolgte die Verlegung in das Gestapogefängnis in München, in dem er bis zum 8. Dezember 1941 seine Haftzeit verbrachte. Am 9. De- zember 1941 wurde er in das KZ Sachsenhausen verlegt. Seine Frau begab sich ab dem 9. Dezember 1941, auf ihren eigenen Wunsch hin, ebenfalls in Haft um bei ih- rem Gatten zu sein. Am 7. Februar 1945 wurde Schuschnigg in das KZ Flossenbürg gebracht, wo er bis zum 8. April 1945 inhaftiert war. Danach wurde er bis zum 27. April in das KZ in Dachau gebracht.222 Da die amerikanischen Truppen bereits auf dem Vormarsch waren, wurden die Häftlinge aus dem KZ Dachau weggebracht. Am 28. April 1945 machte der Gefangenentransport, in dem sich Schuschnigg befand, einen Zwischenstopp im KZ Reichenau bei Innsbruck. Am Abend des 29. April ging es für Schuschnigg weiter in Richtung Pragser Wildsee in Südtirol. Dort war er ab dem 1. Mai 1945 in einem Hotel inhaftiert. Am 4. Mai 1945 trafen dort schließlich amerikanischen Truppen ein und befreiten die Häftlinge aus dem Hotel. Für Schuschnigg war seine langjährige Gefangenschaft somit beendet.223 Nach seiner Befreiung lebte er mit seiner Familie bis September 1947 in Italien. Danach übersie- delte Schuschnigg in die USA, wo er bis 1967 an der Universität St. Louis als Profes- sor für Staatsrecht lehrte. 1967 kehrte er nach Österreich zurück und verbrachte sei- ne letzten Jahre in Mutters bei Innsbruck.224 Kurt Schuschnigg starb am 18. Novem- ber 1977 in seinem Zuhause in Mutters an den Folgen einer Lungenentzündung.225

3.8. Vergleich der VF mit der NSDAP und der PNF

In diesem Kapitel wird der Versuch unternommen, einen Vergleich zwischen den je- weiligen Einheitsparteien in Österreich, Deutschland und Italien zu ziehen und die wesentlichsten Unterschiede der VF zu den Nachbarorganisationen herauszuarbei- ten. Bevor jedoch mit der Betrachtung der einzelnen Parteien begonnen wird, sollen

222 Vgl. Kleindel, „Gott schütze Österreich!“, S. 259f. 223 Vgl. Hopfgartner, Kurt von Schuschnigg, S. 181f. 224 Vgl. Kleindel, „Gott schütze Österreich!“, S. 260. 225 Vgl. Hopfgartner, Kurt von Schuschnigg, S. 204.

61 die Merkmale bzw. Eigenschaften faschistischer Parteien kurz aufgelistet werden. Die Problematik besteht allerdings darin, dass die jeweiligen Definitionen faschisti- scher Bewegungen anhand von Merkmalen charakterisiert werden, die nicht einheit- lich auf alle Parteiformen anzuwenden sind. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Entwicklung einer solchen Definition nicht das Ziel dieser Arbeit ist, sondern lediglich ein Bündel an Merkmalen herausgearbeitet werden soll, das dann als eine Art Orientierungshilfe für den Vergleich dienen soll.

Gemäß der Definition von Wolfgang Wippermann sind faschistische Parteien hierar- chisch gegliedert und beruhen auf dem Führerprinzip. Diese befehligen uniformierte und bewaffnete Verbände und bedienen sich eines besonderen politischen Stils, bei dem die Abhaltung von Aufmärschen und Massenkundgebungen im Vordergrund steht. Einen weiteren wesentlichen Aspekt solcher Parteien stellt die Gewalt gegen feindliche Gruppierungen, wie beispielsweise Kommunisten, Sozialdemokraten oder Juden und Jüdinnen, dar. Die Gewalt wird unter dem Deckmantel der Ideologie aus- geübt und diese basiert unter anderem auf rassistischen, antisemitischen, antidemo- kratischen sowie nationalistischen Faktoren. Die Machtergreifung erfolgt entweder durch Putsch oder einem Zweckbündnis mit anderen Kräften, bei dem sich die Fa- schisten auf lange Frist jedoch durchsetzen und aufgrund der Unterstützung ihrer Parteiarmeen den Staat total übernehmen können.226 Die individuellen faschistischen Bewegungen können jedoch zusätzlich Merkmale aufweisen, die für diese unerlässlich sind und über die allgemeinen Merkmale hin- ausgehen oder diese ergänzen. Genauso ist für jene Bewegungen eine Unterschei- dung in einzelnen Punkten möglich und trotzdem können diese mit den allgemein beschriebenen Idealformen des Faschismus übereinstimmen und als faschistisch gekennzeichnet werden. Aufgrund des ausgeprägten Nationalismus, der in den je- weiligen faschistischen Gruppierungen vorherrschte, ergaben sich zwangsläufig ge- wisse Besonderheiten, durch die sich jede Gruppierung von den in anderen Staaten vorherrschenden Bewegungen unterscheidet.227

226 Vgl. Wolfgang Wippermann, Faschismus. Eine Weltgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute, Darmstadt 2009, S. 12. 227 Vgl. Stanley Payne, Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung, München 2001, S. 16.

62 3.8.1. Die NSDAP

Adolf Hitler kam im September 1919 erstmals mit einer Gruppierung namens Deut- sche Arbeiterpartei in Berührung. Nach seiner Aufnahme in die Partei wurde diese schließlich in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei umbenannt. Im Juli 1921 wurde Hitler zum Parteivorsitzenden gewählt.228 Das Programm der NSDAP wurde erstmals am 24. Februar 1920 präsentiert. Dieser Tag gilt zugleich auch als das offizielle Gründungsdatum der NSDAP, weil mit die- sem Datum auch der Namenswechsel vollzogen wurde. Dieses Programm umfasste unter anderem die Forderung nach einem Zusammenschluss sämtlicher deutscher Bevölkerungsgruppen unter einen gemeinsamen Staat, die Aufhebung der in den Friedensverträgen festgelegten Bestimmungen sowie die Forderung nach mehr Län- dereien in Form von Kolonien. Darüber hinaus prägten antisemitische und antikapita- listische Forderungen und Bestimmungen das NSDAP-Programm. Konkrete Vorstel- lungen über die zukünftig angestrebte Staatsform fanden sich darin jedoch nicht. Im Jahr 1926 wurde dieses Programm erneut bekräftigt und für unveränderlich erklärt.229 Zur Machtergreifung bediente sich die NSDAP einer Doppelstrategie, die eine Mi- schung aus formal legalen und illegalen Methoden war. Das Ziel bestand in der Er- oberung einer Mehrheit im Parlament und der anschließenden Abschaffung des ge- samten parlamentarischen Systems. Nach dieser Abschaffung sollte dann eine fa- schistische Diktatur ins Leben gerufen werden. Daneben wurde eine illegale Gewalt- ausübung der SA geduldet und zum Teil sogar zu Aktionen gegen KommunistInnen, SozialdemokratInnen sowie Jüdinnen und Juden angestachelt. Dass solche Aktionen zu Gegenaktionen der kommunistischen und sozialdemokratischen Kampfverbände führten, war durchaus gewollt und wurde zu Propagandazwecken von der NSDAP aufgegriffen. Auf parlamentarischer Ebene sorgte die verfolgte Doppelstrategie zu- nächst jedoch nicht für den gewünschten Erfolg.230

Ein ausgeprägter Nationalismus, inklusive Expansionsbestrebungen, Antisemitismus und Rassismus, war eine wesentliche Grundlage für die nationalsozialistische Ideo- logie. Politische, soziale und wirtschaftliche Belange wurden vom vorherrschenden Rassismus geprägt. Die Zielsetzung der Errichtung einer rassisch-reinen Volksge-

228 Vgl. Wippermann, Faschismus, S. 54f. 229 Vgl. Kurt Bauer, Nationalsozialismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall, Wien 2008, S. 105f. 230 Vgl. Wippermann, Faschismus, S. 55f.

63 meinschaft war von der Vorstellung geprägt, dass die Deutschen Angehörige einer Herrenrasse seien. Die Juden und Jüdinnen wurden als minderwertig angesehen und für sämtliche Missstände und Übel, die überall auf der Welt geschehen sind, verantwortlich gemacht. Im Rahmen des in der NS-Ideologie vorherrschenden Ras- sismus war man der Ansicht, dass soziale Probleme durch die Reinhaltung der Ras- se gelöst werden könnten. Um diese Reinhaltung zu gewährleisten, wurde auch nicht von den radikalsten medizinischen Maßnahmen Abstand genommen. Darüber hinaus wurden die Sozialdemokratie und der Kommunismus aufs Schärfste abgelehnt. Auf wirtschaftlicher Ebene wurde der Kapitalismus teilweise und dabei vor allem das Zinskapital kategorisch abgelehnt, jedoch bekannte man sich zum Privateigentum. Des Weiteren hatten die Nationalsozialisten Bestrebungen zur Errichtung einer au- tarken, von ausländischen Importen unabhängigen Wirtschaft. Durch die Erschlie- ßung von neuem Lebensraum sollte dieses Vorhaben sichergestellt und die Ernäh- rung und Rohstoffversorgung der Volksgemeinschaft gewährleistet werden. Auf poli- tischer Ebene wurden der Pluralismus, der Parlamentarismus und die Demokratie abgelehnt. Stattdessen baute man auf das sogenannte Führerprinzip. Gemäß dem Führerprinzip sollte die gesamte Autorität innerhalb einer Partei und innerhalb eines Staates von einer Führungspersönlichkeit ausgehen. Im Bereich der Religion hatte der Nationalsozialismus gegenüber der Kirche bzw. der Religion im Allgemeinen kei- ne einheitliche Haltung, sondern verfolgte eine gleichzeitig auf Akzeptanz und Ableh- nung basierende Strategie. Im Wesentlichen war die nationalsozialistische Ideologie jedoch antichristlich.231

Am 30. Jänner 1933 wurde Hitler zur Bildung einer Regierung beauftragt. Es kam zur Bildung einer Minderheitsregierung zwischen der NSDAP und der Deutschnationalen Volkspartei. Nach den am 5. März 1933 abgehaltenen Wahlen konnte dann schließ- lich eine Mehrheitsregierung gebildet werden. Am 23. März wurde daraufhin ein Er- mächtigungsgesetz erlassen, dass der Regierung erlaubte, Gesetze ohne Einbezie- hung des Parlaments erlassen zu können. Aufgrund dieses Gesetzes wurde der Reichstag wirkungslos und de facto ausgeschaltet.232 Innerhalb kürzester Zeit nach der Machtergreifung erfolgte der Niedergang des Parteiensystems. Am 14. Juli 1933 wurde schließlich der Einparteienstaat offiziell ausgerufen. Die Auflösung des Reichstags, die Aufhebung der Grundrechte, erste Verfolgungen von politischen

231 Vgl. Bauer, Nationalsozialismus, S. 109ff. 232 Vgl. Wippermann, Faschismus, S. 57f.

64 Feinden sowie das Ermächtigungsgesetz ebneten den Weg zum Einparteienstaat.233 Die Aufgaben der NSDAP nach der Machtergreifung sahen folgendermaßen aus: die Herausbildung einer neuen Elite, die Kontrolle und Erziehung der Bevölkerung, als ein Bindeglied zwischen Staat und Bevölkerung zu agieren sowie die Festigung und Ausweitung der Machtposition.234 Die zahlreichen Unterorganisationen der NSDAP sorgten für eine Aufrechterhaltung des Einflusses auf die Bevölkerung. Die wesentlichsten Organisationen, in denen Beitrittspflicht herrschte, waren die Hitlerjugend, in die ab 1939 sämtliche Jugendli- chen eintreten mussten, und der Arbeitsdienst, der sowohl für Männer als auch Frau- en verpflichtend war. Darüber hinaus existierten noch zahlreiche Organisationen, denen die Bevölkerung freiwillig beitrat oder bei denen ein gewisser Beitrittszwang vorherrschte. Beispiele für solche Organisationen sind die Frauenschaft, der Studen- tenbund, die Volkswohlfahrt oder auch die SA und die SS.235 Am 1. Dezember 1933 trat das Gesetz zur „Sicherung der Einheit von Partei und Staat“ in Kraft, wodurch die NSDAP zur alleinigen Vertreterin des vorherrschenden Staatsgedankens wurde. Durch dieses Gesetz galt die NSDAP als mit dem Staat untrennbar verbunden.236

3.8.2. Die PNF

Die Partito Nazionale Fascista, kurz PNF, wurde am 7. November 1921 gegründet. Mit der „Fasci di Combattimento“ unterstand Benito Mussolini ein in etwa 200.000 Mann starker bewaffneter Verband, der im Zuge der Parteigründung vorerst nicht aufgelöst wurde. Mit diesen beiden Organisationen verfolgte Mussolini eine eigene Strategie um zur Macht zu gelangen. Die Fasci wurden dazu angehalten, mit gewalt- tätigen Aktionen Angst und Schrecken zu verbreiten, die PNF sollte diese Situation dahingehend ausnutzen, um dann die Macht im Staat zu erringen. Im Großen und Ganzen war dieses Vorhaben schließlich erfolgreich. Bei den im April 1922 abgehal- tenen Wahlen erzielte die PNF jedoch nicht den gewünschten Wahlerfolg und so drohte Mussolini im Oktober desselben Jahres mit einem Marsch auf Rom die Macht

233 Vgl. Karl Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozia- lismus, Berlin 19977, S. 322. 234 Vgl. ebd., S. 342. 235 Vgl. Wippermann, Faschismus, S. 60. 236 Vgl. Bracher, Die deutsche Diktatur, S. 339.

65 an sich zu reißen. Dieses Vorhaben verfehlte seine Wirkung nicht und so wurde Mussolini Ende Oktober mit der Regierungsbildung beauftragt. Eine von Mussolini durchgebrachte Änderung des Wahlgesetzes sorgte dafür, dass die bei den Wahlen stimmenstärkste Partei, die mindestens 25 Prozent der abgegebenen Wählerstim- men bekam, zwei Drittel der Mandate erhielt. Der PNF gelang es bei den im April 1924 durchgeführten Wahlen, die stimmenstärkste Partei zu werden und erhielt in weiterer Folge zwei Drittel der Parlamentsmandate.237 In der Anfangsphase nach der Machtergreifung Mussolinis wurden die Oppositionsparteien noch nicht verboten. Gegen Ende des Jahres 1926 erfolgte, nach dem vierten Attentatsversuch auf Mus- solini, ein offizielles Parteienverbot für alle übrigen Parteien. Im September 1928 er- hielt Mussolini durch die Einrichtung eines neuen politischen Organs, des Faschisti- schen Großrats, eine verstärkte Autorität über seine eigene Partei. Die PNF wurde im Zuge dessen zu einer staatlichen Einrichtung und Mussolini konnte von nun an die Führungspersonen innerhalb der Partei ernennen.238

Die Mehrheit der Fasci unterstützte die PNF, an deren Spitze Mussolini stand. Diese Partei wurde als eine auf freiwilliger Basis beruhende Miliz gesehen, die sich in den Dienst des Staates stellte. Die Parteitätigkeit war von drei wesentlichen Eckpfeilern geprägt: Ordnung, Disziplin und Hierarchie.239 Bei einigen Führungspersönlichkeiten der PNF war ein Elitedenken vorherrschend und diese vertraten ein Konzept, in dem die PNF eine Eliteorganisation mit einer sehr begrenzten Mitgliederzahl sein sollte. Dieses Konzept vertrat auch der Parteisekretär der PNF, Roberto Farinacci, der die Partei gemäß seinen eigenen Vorstellungen und Ansichten aufbaute. Seiner Ansicht nach sollte sich die Anhängerschaft der PNF aus einer ausgewählten Minderheit zu- sammensetzen.240 Auf wirtschaftlicher Ebene trat die PNF für eine Senkung der Staatsausgaben, eine Reform des Steuersystems sowie eine Streichung etlicher staatlicher Subventionen ein. Des Weiteren forderte man die Einführung eines Acht- Stunden-Arbeitstages und eine verbesserte Sozialgesetzgebung. Hinsichtlich der Frage der zukünftigen Staatsform äußerte sich die Partei nicht.241

237 Vgl. Wippermann, Faschismus, S. 39f. 238 Vgl. Payne, Geschichte des Faschismus, S. 154f. 239 Vgl. ebd., S. 137. 240 Vgl. Wolfgang Schieder, Der Strukturwandel der faschistischen Partei Italiens in der Phase der Herrschaftsstabilisierung, in: ders. (Hg.), Faschismus als soziale Bewegung. Deutschland und Italien im Vergleich, Göttingen 19832, S. 69 – 96, S. 73. 241 Vgl. Payne, Geschichte des Faschismus, S. 138.

66 Anfang Oktober 1930 erhielt Giovanni Giuriati den Posten des Parteisekretärs. Durch ihn sollte die PNF einen erneuten Aufschwung nehmen und der 1926 eingeführte Aufnahmestopp neuer Mitglieder bis etwa 1932 aufrechterhalten werden. Aufgrund dieses Aufnahmestopps war der Eintritt in die Partei nur mehr jenen Personen mög- lich, die aus den eigenen Jugendorganisationen kamen. Seitens der Kirche regte sich starker Widerstand gegen die parteilichen Jugendorganisationen und deren Ar- beit, da man eine Beschränkung bei der Ausübung der Tätigkeiten in den eigenen Vereinen befürchtete. Anfang September 1931 konnte schließlich eine Einigung zwi- schen der Partei und der Kirche erzielt werden.242 Die wesentlichsten Aufgaben der PNF bestanden darin, die Unterstützung des politischen Kurses innerhalb der Bevöl- kerung zu mobilisieren und zu gewährleisten sowie die Jugendlichen ideologisch an die Partei heranzuführen. Die staatliche Verwaltung hingegen fiel nicht in den Aufga- benbereich der PNF.243

Im Jahr 1929 erfolgte eine verstärkte Faschisierung des politischen Systems. Den Staatsbediensteten wurde unter anderem eine Beitrittspflicht in die PNF auferlegt. Ab diesem Zeitpunkt war ein Ausschluss aus der Partei gleichbedeutend mit einem Aus- schluss aus dem öffentlichen Leben. Die Funktion des Parteisekretärs wurde erheb- lich aufgewertet und es erfolgte ein verstärkter Ausbau der Parteimiliz.244 In den 1930er-Jahren unternahm die PNF jedoch auf politischer Ebene eine Entwicklung hin zu einer fast vollständig funktionslosen Massenorganisation.245

3.8.3. Der Vergleich mit der VF und deren Unterschiede

Die im Mai 1933 ins Leben gerufene VF wurde ursprünglich zwar ohne Parteiabsicht etabliert, sie wurde dann aber doch zu einer Staatspartei ähnlich wie die NSDAP in Deutschland und die PNF in Italien. Die VF stellte relativ bald den Anspruch, die al- leinige Trägerin der politischen Willensbildung zu sein, und somit wurde der Weg für ein totalitäres Regime, in dem die Demokratie keine Rolle mehr spielen sollte, geeb-

242 Vgl. Brunello Mantelli, Kurze Geschichte des italienischen Faschismus, Berlin 1998, S. 97f. 243 Vgl. Payne, Geschichte des Faschismus, S. 158. 244 Vgl. Ernst Nolte, Die faschistischen Bewegungen. Die Krise des liberalen Systems und die Entwick- lung der Faschismen, München 19828, S. 125. 245 Vgl. Schieder, Der Strukturwandel der faschistischen Partei Italiens in der Phase der Herrschafts- stabilisierung, S. 90.

67 net.246 Die VF stellte eine an der italienischen PNF orientierte Partei dar und die Christlichsoziale Partei des Bundeskanzlers Dollfuß ging in ihr auf. Die ebenfalls in die VF eingetretene Heimwehr kann als eine Art Parteimiliz der VF gesehen wer- den.247 Der Gedanke, das österreichische Wesen mit dem Deutschtum zu verbinden, war eine der zentralen ideologischen Grundlagen der VF. Als überparteiliche Organi- sation gegründet, sollte die VF die bestehenden politischen Parteien überflüssig ma- chen. Die VF als eine so genannte halbfaschistische staatliche Partei war, wie jene Parteien in Ungarn, Rumänien, Spanien oder Portugal, von oben gegründet worden. Im Gegensatz dazu mussten sich die die NSDAP und die PNF die Macht erobern. Von dem damaligen Bundeskanzler Dollfuß eingerichtet, erreichte die VF unter des- sen Nachfolger Kurt Schuschnigg ihren Höhepunkt. Trotz allem konnte sie als eine von der Regierung geschaffene Organisation niemals jene spontane Begeisterung wie die NSDAP oder die PNF innerhalb der Bevölkerung hervorrufen. Ein weiterer Unterschied zwischen der VF und den Parteien in Italien und Deutschland bestand darin, dass die VF den Staat nie richtig beherrschte, sondern eher von diesem be- herrscht wurde.248

Benito Mussolini sicherte von Anfang der österreichischen Regierung an seine Un- terstützung zu, da er vorerst sehr an einer Unabhängigkeit Österreichs interessiert war. Österreich sollte als eine Art Bollwerk gegen die Expansionsbestrebungen Deutschlands dienen. Des Weiteren hatte er die Hoffnung, dass Österreich die Ent- wicklung hin zu einem faschistischen Satellitenstaat vollziehen würde. Die Sozialde- mokratische und die Nationalsozialistische Partei als jene beiden wichtigsten Feinde der Regierung wurden in weiterer Folge verboten. Sowohl Dollfuß als auch Starhem- berg gaben das Versprechen ab, dass man sich dem Faschismus annähern würde, auf innerstaatlicher Ebene nahm die Entwicklung jedoch einen anderen Lauf. Die VF als einzige übriggebliebene politische Gruppierung sollte lediglich den Staat unter- stützen und keine staatliche Partei im Sinne der PNF oder der NSDAP sein. Nach der Ermordung des Bundeskanzlers Dollfuß wurde dessen Stellvertreter Kurt Schuschnigg neuer Bundeskanzler. Im Jahr 1936 erfolgte die Entlassung Starhem- bergs aus der Regierung des Bundeskanzlers Schuschnigg und die Heimwehr wurde in weiterer Folge aufgelöst. Der Großteil der führenden Personen innerhalb der Re-

246 Vgl. Wiltschegg, Österreich – der „zweite deutsche Staat“?, S. 152f. 247 Vgl. Wippermann, Faschismus, S. 75. 248 Vgl. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus, S. 157.

68 gierung war katholisch und stand einer religiösen Verfolgung, Rassismus sowie Anti- semitismus ablehnend gegenüber. Das politische System Österreichs durchlief ins- gesamt einen gewissen Prozess der Faschisierung und übernahm dabei etliche Fa- schismusformen. So wurde beispielsweise mit der Frontmiliz eine der VF unterste- hende paramilitärische Organisation gegründet. Darüber hinaus wurden eine eigene Jugendorganisation ins Leben gerufen und etliche gesellschaftliche Organisationen gegründet. Die charakteristischen Ziele des Faschismus, wie zum Beispiel Militaris- mus oder eine besonders aggressive Außenpolitik, wurden jedoch entschieden abge- lehnt.249 Die von der VF gegründeten Unterorganisationen, die ähnlich wie jene der NSDAP und PNF aufgebaut wurden, konnten zum Teil ihren Zweck erfüllen und er- freuten sich mitunter sogar auch einer gewissen Beliebtheit. Durch die Schaffung dieser ganzen Unterorganisationen sollte den Verlockungen des Nationalsozialismus entgegengewirkt werden. Die von den Mitgliederzahlen her größte und auch belieb- teste Einrichtung dieser Art stellte die Organisation „Neues Leben“ dar.250

Weder der Heimwehr noch Bundeskanzler Dollfuß gelang es, eine Massenorganisa- tion, wie beispielsweise die NSDAP, zu etablieren. Das Defizit bei der Mobilisierung war unter anderem auf die vorherrschende Inhomogenität innerhalb des Regierungs- lagers und die gewaltsame Unterdrückung der SozialdemokratInnen und der Natio- nalsozialistInnen durch die Regierung zurückzuführen. Ein Bemühen um die Anhä- ngerschaft dieser beiden Gruppierungen wurde jedoch erst nach der unmittelbaren gewaltsamen Auseinandersetzung mit den beiden Lagern vorangetrieben. Somit blieb die VF weiterhin eine von der Regierung eingerichtete Bewegung ohne eine entsprechende Eigendynamik.251 Im Vergleich zur PNF und zur NSDAP hatte die VF eine wesentlich geringere politische Bedeutung und konnte auch nicht die Bevölke- rung in demselben Ausmaß, wie die Parteien in Deutschland und Italien, mobilisie- ren. Diese beiden Faktoren können mitunter in einem direkten Zusammenhang mit ihrer Entstehung gesehen werden. Die VF stellte nämlich das Ergebnis einer Ent- scheidung des damaligen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß dar, während die PNF und die NSDAP das Resultat einer innerhalb der Bevölkerung formierten Bewegung darstellten. Eine wesentliche Besonderheit des österreichischen Systems im Ver- gleich zu jenen der beiden Nachbarstaaten bestand darin, dass mit der Heimwehr

249 Vgl. Payne, Geschichte des Faschismus, S. 307ff. 250 Vgl. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus, S. 157. 251 Vgl. Binder, Der „Christliche Ständestaat“ Österreich 1934–1938, S. 210.

69 eine weitere politische Gruppierung neben der VF eine gewisse Zeit lang bestehen konnte. Die Heimwehr konnte, im Gegensatz zur Christlichsozialen Partei, über einen gewissen Zeitraum ihre Eigenständigkeit als politische Akteurin aufrechterhalten. Die Christlichsoziale Partei hingegen verlor ihre Eigenständigkeit bereits 1934 und ging in der VF auf. Den ehemaligen Führungspersonen der Partei gelang es jedoch, in der neuen Organisation etliche Funktionsposten zu übernehmen.252

Darüber hinaus wies die VF eine weitere Besonderheit dahingehend auf, dass ver- sucht wurde, die Opposition zur Mitarbeit zu gewinnen. Mehrere Gründe waren dafür ausschlaggebend. So wurde beispielsweise zum einen der neue Staat und dessen Herrschaftsform als gegeben und nicht veränderbar angesehen und zum anderen sollten keinerlei schadhafte Einflüsse seitens der linken oder der rechten Opposition den Staat in irgendeiner Form beeinflussen.253 So sollte die SAG gewissermaßen für eine Integrierung und Interessenvertretung der ArbeiterInnenschaft gegenüber den staatlichen Institutionen sorgen.254 Das VPR wiederum sollte für das nationale Lager eine Möglichkeit zur Integrierung darstellen.255 In der NSDAP hingegen wurden die Sozialdemokratie und die Ideen des Kommunismus komplett abgelehnt.256 Von der PNF wurden die antifaschistischen Kräfte innerhalb des Staates bekämpft und schließlich auch die Oppositionsparteien verboten. Dieses Verbot ging sogar so weit, dass jeder Versuch einer Neugründung per Gesetz bestraft wurde.257

Die VF als einzige noch verbliebene politische Organisation übernahm die äußeren Merkmale einer faschistischen Bewegung und vermittelte die Ideen bzw. Vorstellun- gen, die man seitens der Regierung mit dieser Organisation verband. Während die PNF und die NSDAP nach der Machtergreifung ihrer jeweiligen Führer eine etwas planlose Phase hinsichtlich ihrer tatsächlichen Rolle durchliefen, war dies bei der VF nicht der Fall. Ihre anfänglich hohen Mitgliederzahlen resultierten aus dem Beitritt kompletter Organisationen und aus der die Aufnahme einzelner Personen. Im Gro-

252 Vgl. Tálos u. Manoschek, Aspekte der politischen Struktur des Austrofaschismus, S. 144. 253 Vgl. Kriechbaumer, Ein Vaterländisches Bilderbuch, S. 27. 254 Vgl. Pelinka, Christliche Arbeiterbewegung und Austrofaschismus, S. 93. 255 Vgl. Reichhold, Die Liquidierung der Vaterländischen Front, S. 26. 256 Vgl. Bauer, Nationalsozialismus, S. 111. 257 Vgl. Mantelli, Kurze Geschichte des italienischen Faschismus, S. 73.

70 ßen und Ganzen konnte die VF die vollständige Unterstützung der Bevölkerung nie richtig mobilisieren.258

4. Ende des Ständestaats

Im April des Jahres 1935 trafen sich die Staatschefs aus Frankreich, England und Italien im italienischen Ort Stresa, um über den politischen Weg in Europa zu disku- tieren. Vor diesem Hintergrund gab Hitler am 21. Mai 1935 in einer Rede vor dem Reichstag die Erklärung ab, dass Deutschland keine Bestrebungen dahingehend hät- te, Österreich zu annektieren. Auf der Grundlage dieser Rede erarbeitete der deut- sche Botschafter Franz von Papen einen Entwurf für ein Abkommen zwischen Öster- reich und Deutschland, der am 11. Juli der österreichischen Regierung überreicht wurde. Von österreichischer Seite wurde am 1. Oktober, nachdem dieser Entwurf bereits verhandelt worden war, von Papen ein Gegenentwurf übermittelt. Zum Ende des Jahres hin übte Italien vermehrt Druck auf Österreich aus, da man das ange- spannte Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland als den einzigen Stolper- stein für eine Annäherung Italiens an Deutschland betrachtete. Verstärkt wurde die- ser Druck obendrein auch noch von der ungarischen Regierung.259

Am 14. Mai 1936 schied der bisherige Vizekanzler Starhemberg aus der Regierung aus. Ausschlaggebend hierfür war ein Telegramm Starhembergs an Mussolini am 13. Mai 1936, in dem er Mussolini Glückwünsche zu einem Sieg in dessen Abessinien- Feldzug übermittelte. Von Seiten der Regierung war man der Überzeugung, dass eine Behebung dieses Fehltrittes unumgänglich sei. Den einzigen Ausweg stellte ei- ne Umbildung der Regierung dar. Es stand außer Zweifel, dass man nach diesem Vorfall nicht mehr an dem bisherigen Vizekanzler festhalten konnte. Trotz allem be- stand ein gewisser Zweifel darüber, wie Italien darauf reagieren würde. Mussolini hatte durchaus Verständnis für die problematische Situation und die im Zuge dessen durchgeführte Regierungsumbildung. Mussolini versicherte, die Politik Schuschniggs weiterhin zu unterstützen. Eduard Baar-Baarenfels wurde neuer Vizekanzler und Guido Zernatto neuer Staatssekretär und zugleich auch Generalsekretär der VF.260

258 Vgl. Tim Kirk, Fascism and Austrofascism, in: Günter Bischof et al. (Eds.), The Doll- fuss/Schuschnigg Era in . A Reassessment, New Brunswick 2003, S. 10 – 31, S. 23. 259 Vgl. Kleindel, „Gott schütze Österreich!“, S. 21. 260 Vgl. Schuschnigg, Im Kampf gegen Hitler, S. 176f.

71 Starhemberg leistete keinen Widerstand bei seinem Ausschluss aus der Regierung. Schuschnigg und Starhemberg waren sich bereits vor dem Vorfall vom 13. Mai 1936 in vielen Dingen uneinig gewesen. Beide vertraten gegensätzliche Standpunkte und hatten zudem auch kein allzu gutes Verhältnis zueinander.261 Im Zuge dieser personellen Veränderungen übernahm Schuschnigg die Führung der VF. Somit war, wie damals unter Dollfuß, der Bundeskanzler auch gleichzeitig der Führer der VF. Die Übernahme dieser zweiten Funktion begründete Schuschnigg damit, dass die Konzentration sämtlicher vaterländischer Kräfte unerlässlich sei.262

Die italienischen Großmachtbestrebungen, die kaum vorhandene Unterstützung Un- garns, ein nicht allzu großes Interesse Englands und die damit verbundene Zurück- haltung Frankreichs sowie der Umstand, dass der Völkerbund kaum noch relevant war, sorgten für eine außenpolitisch isolierte Lage Österreichs.263 Aufgrund dieser zunehmenden außenpolitischen Isolierung und der Verhinderung eines Bürgerkriegs gegen die österreichischen Nationalsozialisten wurde der Versuch einer Befriedung mit Deutschland unternommen. Des Weiteren waren auch noch wirtschaftliche Grün- de ausschlaggebend. Man ging davon aus, dass verbesserte Beziehungen zu Deutschland die österreichische Wirtschaft stärken würden.264 Bei einem Treffen zwischen Mussolini und Schuschnigg in Italien im Juni 1936 wurde die Beziehung Österreichs zu Deutschland besprochen. Mussolini bekräftigte dabei, dass Italien weiterhin an der Unabhängigkeit Österreichs interessiert sei. Des Weite- ren wurde darauf verwiesen, dass es für Italien wesentlich einfacher sein würde Ös- terreich zu unterstützen, wenn sowohl Italien als auch Österreich gute Beziehungen zu Deutschland hätten.265

Die Verhandlungen zwischen Schuschnigg und von Papen zum Juliabkommen wur- den unter größtmöglicher Geheimhaltung geführt. Selbst die Regierungsmitglieder hatten von den Verhandlungen keine Kenntnis und wurden erst ein paar Tage vor der Unterzeichnung darüber informiert. Der Zweck dieser geheim geführten Verhand- lungen bestand darin, eine mögliche Beeinflussung durch die Parteimitglieder der illegalen NSDAP und die ausländischen Behörden zu unterbinden. Ohne diese Ge-

261 Vgl. Walterskirchen, Starhemberg, S. 107f. 262 Vgl. Reichhold, Kampf um Österreich, S. 210. 263 Vgl. Schuschnigg, Im Kampf gegen Hitler, S. 184. 264 Vgl. Schmidl, März 38, S. 19. 265 Vgl. Schuschnigg, Im Kampf gegen Hitler, S. 185.

72 heimhaltung hätte es womöglich kein Zustandekommen des Abkommens gegeben. Als ein Indiz dafür kann, die weiter unten angeführte, Reaktion der illegalen NSDAP gewertet werden.266 Am 3. Juli 1936 wurden der Ministerrat und am 9. Juli die einzel- nen Landeshauptleute von dem bevorstehenden Abschluss des Abkommens infor- miert. Einen Tag vor den Landeshauptleuten wurden die österreichischen Botschaf- ter über die Verhandlungen und das wahrscheinlich daraus resultierende Abkommen informiert. Die Botschafter Frankreichs, Englands, der USA sowie der Schweiz wur- den vom bevorstehenden Abkommen am 10. Juli von Schuschnigg persönlich in Kenntnis gesetzt. Zu Anfang waren diese Benachrichtigungen nur zur persönlichen Information der einzelnen Diplomaten gedacht, um bereits kursierenden und unwah- ren Gerüchten entgegenzuwirken. Von der österreichischen Regierung wurde das bevorstehende Abkommen als Beitrag zur Normalisierung der Beziehungen beider Staaten zueinander, das von beiden Seiten Maßnahmen erfordere, bezeichnet. Wäh- rend die Konzessionen Deutschlands besonders hervorgehoben wurden, wurden die österreichischen Gegenleistungen heruntergespielt. Das Abkommen wurde schließ- lich am 11. Juli 1936 in Wien von Schuschnigg und von Papen unterzeichnet.267 Am gleichen Tag wurde um 21 Uhr die Bevölkerung in Österreich und Deutschland via Rundfunk über den Abschluss des Abkommens informiert. Während in Deutsch- land nur die offizielle Mitteilung bekanntgegeben wurde, hatte Schuschnigg neben dieser Mitteilung auch noch einen Kommentar angefügt. Schuschnigg drückte darin seine Freude über das Zustandekommen aus und stellte das Abkommen als einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung der österreichischen Eigenständigkeit dar. Darüber hinaus betonte er, dass die VF weiterhin die Basis für die politische Be- tätigung in Österreich sei und das Bekenntnis zu Österreich als Voraussetzung für eine aktive politische Teilhabe aufrechterhalten bleibe.268

Das Juliabkommen, das offiziell „Übereinkommen zur Normalisierung der österrei- chisch-deutschen Beziehungen“ genannt wurde, setzte sich aus zwei Teilen zusam- men. Den ersten Teil bildete ein offizielles Kommuniqué, das zur gleichen Zeit in Deutschland und Österreich verlautbart wurde. Der zweite Teil bestand aus einem geheimen und unveröffentlichten Gentlemen-Agreement. Die offizielle Mitteilung be-

266 Vgl. Reichhold, Kampf um Österreich, S. 201. 267 Vgl. Gabriele Volsansky, Pakt auf Zeit. Das deutsch-österreichische Juli-Abkommen 1936, Wien 2001, S. 26f. 268 Vgl. ebd., S. 28.

73 stand im Wesentlichen aus drei Punkten. Der erste Punkt stellte die Anerkennung der Unabhängigkeit Österreichs durch die deutsche Reichsregierung dar. Im zweiten Punkt erklärten sowohl Österreich als auch Deutschland, dass sie keinen Einfluss auf die innenpolitischen Angelegenheiten des jeweils anderen Staates nehmen würden. Im dritten und letzten Punkt bekannte sich Österreich dazu, ein „deutscher Staat“ zu sein, und verpflichtete sich, die eigene Politik im Allgemeinen und speziell gegenüber Deutschland im Sinne dieses Bekenntnisses auszuüben. Abschließend wurde darauf verwiesen, dass sich die von beiden Staaten erwünschte Normalisierung nur dann umsetzen ließe, wenn beide Regierungen Maßnahmen umsetzten, die die dafür not- wendigen Voraussetzungen schaffen würden. Während im offiziellen Teil lediglich auf Maßnahmen hingewiesen wurde, wurden diese im Gentlemen-Agreement konkreter erläutert.269 Das Gentlemen-Agreement, das zehn Punkte umfasste, enthielt Bestim- mungen zu außen-, innen-, wirtschafts- und kulturpolitischen sowie juristischen As- pekten und deckte somit ein sehr breites Feld an politischen Themen ab. Im Bereich der Innenpolitik hatte Schuschnigg sein Einverständnis zur Aufnahme von Vertretern aus der nationalen Opposition in die Regierung und zur Amnestie von straffällig ge- wordenen Anhängern der österreichischen NSDAP abgegeben. Des Weiteren wurde die Wiedereinbürgerung von nach Deutschland ausgewanderten Parteianmitgliedern vereinbart. Bei außenpolitischen Angelegenheiten sah das Agreement eine Art „Mei- nungsaustausch“ vor und die Regierung verpflichtete sich, die Außenpolitik unter Rücksichtnahme der Bestrebungen der deutschen Regierung zu gestalten. Auf wirt- schaftspolitischer Ebene erklärte man sich von deutscher Seite zur Aufnahme norma- ler wirtschaftlicher Beziehungen bereit und betonte, dass eine Beeinflussung des Handelsverkehrs mit Österreich durch zukünftig bestehende parteipolitische Aspekte nicht stattfinden werde. Beim Tourismus wurde ein schrittweiser Abbau der beste- henden Beschränkungen vereinbart. Im kulturpolitischen Bereich sollten die vorhan- denen Beschränkungen stufenweise abgebaut werden. Um die Beziehungen zwi- schen Deutschland und Österreich wieder normal zu gestalten und auf einer freund- schaftlichen Basis aufzubauen, sollten alle für die Bildung der öffentlichen Meinung ausschlaggebenden Kräfte herangezogen werden. Beide Staaten verpflichteten sich mit diesem Agreement zunächst fünf, bis zu diesem Zeitpunkt verbotene, Zeitungen wieder zuzulassen. In weiterer Folge sollte dann eine vollständige Freiheit im Presse- und Buchbereich angestrebt und sämtliche Verbote aufgehoben werden. Darüber

269 Vgl. Kleindel, „Gott schütze Österreich!“, S. 25f.

74 hinaus verpflichtete man sich, in der landeseigenen Presse die Kritik am jeweils an- deren Land einzuschränken. Der letzte Punkt des Gentlemen-Agreements sah die Bildung eines Ausschusses vor, in dem die Auswirkungen der getroffenen Vereinba- rungen, Beschwerden und etwaige ergänzende Bestimmungen diskutiert werden sollten.270

Das Abkommen hatte vor allem im wirtschaftlichen Bereich positive Auswirkungen. Die im Jahr 1933 eingeführte Tausend-Mark-Sperre wurde beispielsweise durch des- sen Abschluss aufgehoben. Die illegale NSDAP in Österreich war mit dem Juliab- kommen unzufrieden, da dieses gleichbedeutend mit der Anerkennung der österrei- chischen Unabhängigkeit seitens Hitler war und darüber hinaus damit auch noch die Beeinflussung der innenpolitischen Situation gestoppt wurde. Im Text des Abkom- mens wurde lediglich auf die nationale Opposition verwiesen, ohne diese näher zu definieren. Bundeskanzler Schuschnigg zählte die illegale NSDAP nicht zu dieser Gruppe und setzte seine Hoffnungen in die Eingliederung der gemäßigteren nationa- len Gruppierungen in die VF. Dieser Schritt sollte letztlich auch eine Spaltung des nationalsozialistischen Lagers herbeiführen.271

Schuschnigg und Staatssekretär Schmidt erhofften sich durch das Juliabkommen einen Zeitgewinn von zwei bis drei Jahren. Beide hatten die Hoffnung, dass sich die außenpolitische Lage in dieser Zeit entscheidend, zu Gunsten Österreichs, verän- dern könnte.272 Das Abkommen wurde auf österreichischer Seite von nahezu allen Personen, die darin in irgendeiner Form involviert waren, als ein, aufgrund der vor- herrschenden Situation, unvermeidbares Übel empfunden. Man zweifelte nicht daran, dass Hitler weiterhin den Anschluss Österreichs zum Ziel hatte.273 Ein Besuch des Staatssekretärs Schmidt im November 1936 in Berlin ließ die Hoffnung aufkommen, dass das Juliabkommen die nächste Zeit über tatsächlich halten würde. Hitler bekräf- tigte die Möglichkeit eines Nebeneinander-Existierens der beiden Staaten Österreich

270 Vgl. Volsansky, Pakt auf Zeit, S. 30f. 271 Vgl. Schmidl, März 38, S. 21. 272 Vgl. Max Löwenthal, Seiltanzen über dem Abgrund. Österreichs Außenpolitik und die Haltung der Großmächte, in: Thomas Chorherr (Hg.), 1938 – Anatomie eines Jahres, Wien 1987, S. 18 – 41, S. 22. 273 Vgl. Schuschnigg, Im Kampf gegen Hitler, S. 187.

75 und Deutschland und verneinte zudem, dass er vom Juliputsch 1934 im Vorhinein etwas gewusst hatte.274 Das Abkommen vom Juli 1936 stellte einen Wendepunkt in der Außenpolitik Öster- reichs dar, der in der weiteren Folge zum Untergang Österreichs beitragen sollte. Auf den ersten Blick schien durch das Abkommen ein voller Erfolg erzielt worden zu sein. Deutschland verpflichtete sich zur Anerkennung der Unabhängigkeit Österreichs und die Einmischung in die innenpolitischen Angelegenheiten zu unterlassen. Das ge- heime Gentlemen-Agreement hatte jedoch einen wesentlichen Einfluss und schmä- lerte den Erfolg des offiziellen Abkommens.275

Josef Leopold, eine der Führungspersönlichkeiten der österreichischen NSDAP, sah im Gentlemen-Agreement eine Chance, selbst in die Regierung einzutreten und die NationalsozialistInnen in die VF einzugliedern. Seine Hoffnung gründete sich darauf, dass sich Schuschnigg durch das Agreement dazu verpflichtete, Vertreter aus der nationalen Opposition in die Regierung aufzunehmen. Aufgrund dieser Bestimmung befand sich Schuschnigg in einer Zwickmühle. Eine Aufnahme eines Mitglieds der NSDAP in die Regierung hätte mitunter zu einer Gleichschaltung mit Deutschland beigetragen. Eine Ablehnung hingegen hätte als eine Verletzung des Juliabkommens angesehen werden und einen Grund für eine Gewaltanwendung Deutschlands liefern können. Da in diesem Abkommen jedoch nicht näher festgelegt wurde, dass ganze Organisationen sich an der politischen Willensbildung beteiligen könnten, war eine Legalisierung der österreichischen NSDAP nicht zu erwarten. Ebenso war der Begriff der nationalen Opposition nicht genauer definiert. Daher wurde Leopold auch nicht in die Regierung einberufen. Trotz dieser Ablehnung versuchte Leopold, Gespräche mit Schuschnigg zu führen. Darüber hinaus wollte er eine Organisation mit dem Namen Deutschnationaler Volksbund gründen und die VF integrieren. Im Jänner 1937 formu- lierte Leopold daraufhin etliche Forderungen, die der Regierung weitergeleitet wur- den. Er forderte unter anderem eine Amnestie für Häftlinge, die Aufhebung des Ein- fuhrverbots deutscher Zeitschriften und Bücher sowie eine volle Betätigungsfreiheit für den Deutschnationalen Volksbund. Um die Beziehung zwischen der Regierung und dem nationalen Lager zu verbessern, wurde das sogenannte Siebenerkomitee

274 Vgl. Löwenthal, Seiltanzen über dem Abgrund, S. 24. 275 Vgl. Karl Stuhlpfarrer, Austrofaschistische Außenpolitik – ihre Rahmenbedingungen und ihre Aus- wirkungen, in: Emmerich Tálos u. Wolfgang Neugebauer (Hg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933 – 1938, Wien 20147, S. 322 – 336, S. 332.

76 gegründet. Dessen Büro befand sich in der Teinfaltstraße und wurde inoffiziell zum Hauptquartier der illegalen NSDAP. Die Regierung tolerierte dies, da es somit einfa- cher wurde die nationalsozialistischen Aktivitäten zu überwachen.276

Ab April 1937 kam es erstmals zu einem Abrücken Italiens von dessen Schirmherr- schaft über Österreich. Dies wurde unter anderem damit begründet, dass man die in Österreich aufkommenden Demokratisierungsabsichten ablehnte. Hinzu kam noch, dass man sich über die aufkommenden Beziehungen zwischen Wien und Prag ver- ärgert zeigte. Bei einem Treffen zwischen Schuschnigg und Mussolini am 22. und 23. April in Venedig zeigte sich schließlich diese für den Bundeskanzler beunruhigende Haltung Mussolinis. Mussolini forderte vehement die Einhaltung des Juliabkommens, da eine Unterstützung Italiens in der gegenwärtigen Situation nicht gewährleistet werden könne. Von italienischer Seite ließ man zudem erkennen, dass man an Ös- terreich als einem unabhängigen Pufferstaat keinerlei Interesse mehr hatte.277

Ende des Jahres 1937 hatte sich die österreichisch-deutsche Beziehung merkbar verschlechtert. Der Grund dafür waren die zunehmende regierungsfeindliche Propa- ganda sowie die vermehrt auftretenden Terrorakte der österreichischen NSDAP, die zweifelsohne aus dem Ausland unterstützt wurden.278 Zum Jahreswechsel 1937/38 wurden vom englischen Außenminister aus London Agentenmeldungen an Öster- reich übermittelt, wonach ein Angriff Deutschlands bevorstehen sollte. Die Regierung war zu diesem Zeitpunkt bereits zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen und ließ schon kurz vor Weihnachten den Bau von Befestigungsanlagen an der deutschen Grenze beginnen.279 Ein Interview des Wiener Gauleiters Leopold Tavs, das am 25. Jänner 1938 abge- druckt wurde, veranlasste die Polizei zu einer Hausdurchsuchung des Büros des Siebenerkommitees. Bei dieser Durchsuchung wurde der sogenannte Tavs-Plan si- chergestellt. Dieser sah vor, dass Nationalsozialisten als getarnte Mitglieder der VF die deutsche Botschaft überfallen und von Papen ermorden sollten. In weiterer Folge sollte dadurch, unter der Androhung eines deutschen Einmarsches, eine nationalso- zialistische Regierung unter dem Vorsitz Josef Leopolds eingerichtet werden.280

276 Vgl. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus, S. 175f. 277 Vgl. Löwenthal, Seiltanzen über dem Abgrund, S. 26. 278 Vgl. Hopfgartner, Kurt von Schuschnigg, S. 140. 279 Vgl. Gordon Brook-Shepherd, Der Anschluss, Graz 1963, S. 29. 280 Vgl. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus, S. 189.

77

Die Idee einer Begegnung zwischen Schuschnigg und Hitler wurde zum Jahres- wechsel erneut in Erwägung gezogen. Zum ersten Mal wurde diese Möglichkeit bei einem Gespräch zwischen Schuschnigg und von Papen kurz vor Weihnachten im Jahr 1937 diskutiert.281 Am 6. Februar 1938 erhielt Schuschnigg die offizielle Einla- dung für das am 12. Februar stattfindende Zusammentreffen. Dieses sollte unter strengster Geheimhaltung erfolgen. Das Ziel bestand nicht darin, neue Bestimmun- gen zu formulieren, sondern es sollte eine erneute Bestätigung des Juliabkommens erfolgen. Die österreichischen Zugeständnisse wurden von Zernatto, Seyß-Inquart, von Papen und dem Staatssekretär Guido Schmidt ausgearbeitet und sollten zu ei- ner engeren Zusammenarbeit zwischen Österreich und Deutschland beitragen. Schuschnigg hatte zudem die Hoffnung, mit dem Tavs-Plan Druck ausüben zu kön- nen.282 Der in diese Verhandlungen involvierte Seyß-Inquart gab die Inhalte dieses Gesprächs, entgegen der Vereinbarung, diese geheim zu halten, jedoch weiter und so konnte man auf deutscher Seite bereits im Vorhinein herausfinden, zu welchen Zugeständnissen Schuschnigg im äußersten Fall bereit wäre.283 Hitler konnte sich aufgrund dessen sehr gut auf die bevorstehenden Verhandlungen vorbereiten. Nach einer ausführlichen Unterredung zwischen Hitler und Schuschnigg wurde ihm ein Forderungskatalog überreicht. Hitler hatte darauf hingewiesen, dass er nicht mehr Zugeständnisse machen werde und weitere Verhandlungen deshalb sinnlos seien.284 Dieser Forderungskatalog enthielt folgende Bestimmungen: die Beratung gemeinsa- mer außenpolitischer Anliegen, die Anerkennung der österreichischen Nationalsozia- listInnen, Arthur Seyß-Inquart sollte der Posten des Innenministers übertragen wer- den, eine Amnestie der inhaftierten NSDAP-Mitglieder, ein Ende der Diskriminierung der NationalsozialistInnen in wirtschaftlicher und sozialpolitischer Hinsicht, eine in- tensivere militärische Zusammenarbeit mit einem Offiziersaustausch der beiden Län- der und die Ernennung Glaise-Horstenaus zum Heeresminister sowie die Anglei- chung des österreichischen Wirtschaftssystems an das deutsche System.285 Es er- folgte eine weitere Unterredung zwischen Hitler und Schuschnigg und in der Zwi- schenzeit verhandelte Schmidt mit dem deutschen Außenminister Ribbentrop über die einzelnen Punkte des Forderungskatalogs. In mehreren Punkten konnten die

281 Vgl. Brook-Shepherd, Der Anschluss, S. 55. 282 Vgl. Schmidl, März 38, S. 26f. 283 Vgl. Hopfgartner, Kurt von Schuschnigg, S. 142. 284 Vgl. Schmidl, März 38, S. 27. 285 Vgl. Hopfgartner, Kurt von Schuschnigg, S. 144f.

78 Forderungen auf die von Österreich ausgearbeiteten Zugeständnisse herunterge- handelt werden. Zwar blieb die Forderung, Seyß-Inquart zum Innenminister zu er- nennen, unverändert, jedoch konnten die militärischen Forderungen von Schmidt weitgehend entkräftet und teilweise abgelehnt werden.286 Schuschnigg unterzeichne- te schließlich das Abkommen und verwies darauf, dass der Bundespräsident die Letztentscheidung bei der Besetzung der Ministerposten habe. Hitler musste dies so hinnehmen und setzte eine Frist von drei Tagen für die Regierungsumbildung an. Nachdem Schuschnigg nach Wien zurückgekehrt war, unterrichtete er Bundespräsi- dent Miklas von den Ergebnissen. Dieser erklärte sich dazu bereit, trotz seiner Be- denken, den Forderungen nachzukommen.287 Am 15. Februar 1938 erfolgte die Regierungsumbildung. Seyß-Inquart wurde zum Innen- und Sicherheitsminister ernannt. Der Wiener Polizeipräsident Skubl wurde zum Staatssekretär des Innenministeriums ernannt. Schuschnigg erhoffte sich, durch Skubls Ernennung eine gewisse Kontrolle und Einschränkung des Handlungsspiel- raums des neuen Innenministers zu erreichen. Edmund Glaise-Horstenau verblieb als Minister ohne Zuständigkeitsbereich in der Regierung. Mit Adolf Watzek wurde erstmals ein Mitglied aus dem sozialdemokratischen Lager in die Regierung aufge- nommen. Watzek wurde zum Staatssekretär für Arbeiterfragen ernannt. Die VF ging mit dieser Regierungsumbildung erstmals in die Richtung eines tatsächlichen, ge- samtstaatlichen Zusammenschlusses aller Kräfte.288

Das Berchtesgadener Abkommen führte im Wesentlichen zu einer freien Entfaltung der NSDAP in Österreich. Aufgrund des Abkommens wurden inhaftierte Nationalso- zialisten freigelassen. Zugleich wurden auch verhaftete Sozialdemokraten freigelas- sen, um eine Befriedung mit diesem Lager voranzutreiben. Schuschnigg bekam all- mählich den Eindruck, dass es zu weiteren, über das Berchtesgadener Abkommen hinausgehenden, Forderungen seitens Hitlers kommen könnte. Zugleich sorgten von Deutschland aus koordinierte nationalsozialistische Aktivitäten dafür, dass Schusch- nigg sich dazu entschloss, eine Volksbefragung durchzuführen. Eine angestrebte Einigung mit den SozialdemokratInnen sollte den Ausgang dieser Befragung schließ- lich positiv beeinflussen.289 Am 9. März 1938 wurde die Abhaltung einer Volksbefra-

286 Vgl. Schmidl, März 38, S. 28. 287 Vgl. Hopfgartner, Kurt von Schuschnigg, S. 145f. 288 Vgl. Brook-Shepherd, Der Anschluss, S. 109f. 289 Vgl. Löwenthal, Seiltanzen über dem Abgrund, S. 32f.

79 gung offiziell verkündet. Diese erfolgte im Rahmen einer Veranstaltung der VF in In- nsbruck.290 Für die Durchführung der Volksbefragung wurde der 13. März festgelegt und sie sollte unter strengster Geheimhaltung bis zur offiziellen Verkündung vorberei- tet werden.291 Aufgrund der überraschenden Verkündung der Befragung und der ext- rem kurzen Vorbereitungszeit sollte jeder eventuelle Einfluss Deutschlands verhin- dert werden. Dem deutschen Propagandaapparat sollte keine Möglichkeit gegeben werden, in irgendeiner Form aktiv zu werden. Sogar Generalsekretär Zernatto, der der Volksbefragung kritisch gegenüberstand, hatte die kurze Vorbereitungszeit gut- geheißen.292 Hitler forderte eine Verschiebung der für den 13. März angesetzten Be- fragung. Ab dem 10. März wurden bereits die Vorbereitungen für ein militärisches Einschreiten vorangetrieben. Einen Tag später wurde die österreichische Regierung über Truppenbewegungen an der Grenze informiert. Nach langem Zögern und ver- geblichen Versuchen, mit Mussolini Kontakt aufzunehmen, ließ Schuschnigg die Be- fragung absagen. Die bereits voll angelaufenen Propagandabemühungen wurden unverzüglich gestoppt.293 Auf Drängen Görings und nach den enttäuschenden Anfragen in London, Paris und Rom gab Schuschnigg nach und trat als Bundespräsident zurück.294 Kurz nach Mit- ternacht wurde Seyß-Inquart zum Bundeskanzler ernannt. Eine entsprechende Mel- dung wurde jedoch bereits eine Stunde früher via Rundfunk durchgegeben. Die Re- gierung Seyß-Inquarts hatte eine Gleichschaltung Österreichs, bei der man eine Art Sonderstellung behalten sollte, im Sinn. Bereits um Mitternacht überquerten erste Truppenverbände der Wehrmacht die österreichische Grenze. Diesem Vormarsch war eine Meldung in Berlin über einen Hilferuf Österreichs vorausgegangen. Dieser Meldung zufolge ersuchte man die deutsche Regierung um Unterstützung bei der Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit. Ein solcher Hilferuf wurde von der österreichischen Regierung jedoch nicht abgesendet, obwohl Hermann Gö- ring dies unbedingt forderte.295 Zu Anfang war auch noch keine vollständige Eingliederung Österreich von Seiten Hitlers geplant. Die Haltung Mussolinis, die zurückhaltende Stimmung in England,

290 Vgl. Hopfgartner, Kurt von Schuschnigg, S. 153. 291 Vgl. ebd., S. 152. 292 Vgl. Isabella Ackerl, Die Propaganda der Vaterländischen Front für die geplante Volksbefragung vom 13. März 1938, in: Czeike Felix (Hg.), Wien 1938. Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadt- geschichte, Wien 1978, S. 18 – 24, S. 21. 293 Vgl. Bauer, Nationalsozialismus, S. 317f. 294 Vgl. ebd., S. 318. 295 Vgl. Goldinger u. Binder, Geschichte der Republik Österreich, S. 289.

80 Görings Bestrebungen, eine totale Lösung durchzusetzen und nicht zu vergessen der überschwängliche Jubel in Österreich bei der Ankunft Hitlers, bestärkten ihn da- rin, den Anschluss zu verkünden und auch durchzuführen. Ein entsprechendes Ge- setz wurde umgehend vorbereitet. Der Bundespräsident weigerte sich jedoch, dieses Gesetz zu unterschreiben. Auf Drängen Seyß-Inquarts übertrug Bundespräsident Miklas gemäß Art. 77 Abs. 1296 der Verfassung seine Funktion auf den Bundeskanz- ler.297 Am 13. März 1938 wurde der Anschluss Österreichs an Deutschland schließ- lich offiziell durchgeführt. An diesem Tag wurde eine Ministerratssitzung für 17 Uhr einberufen, bei der das Gesetz zur „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deut- schen Reich“ beschlossen wurde.298 Zur gleichen Zeit wurde ein entsprechendes Gesetz in Deutschland erlassen, dass den Anschluss auch dort rechtskräftig werden ließ. Mit der Inkraftsetzung des österreichischen Gesetzes wurde sogleich auch eine Volksabstimmung über die Wiedervereinigung für den 10. April 1938 angesetzt.299

4.1. Das Ende der VF

Noch vor der Verlautbarung des Gesetzes über die Wiedervereinigung wurden be- reits in Wien die Zeichen des eigenständigen Staates sowie der Führerschaft ent- fernt. So wurden beispielsweise die Plakatsäulen der VF überklebt, die Dollfuß- Denkmäler zerstört und die noch restlichen verbliebenen rot-weiß-roten Staatsflag- gen mit einem Hakenkreuz versehen.300 Zwischen dem 11. und dem 14. März 1938 wurde die komplette politische Führungs- riege Österreichs, und hierbei sowohl die legale als auch die illegale sozialdemokrati- sche, durch einen gezielten Einsatz der Polizei, SA, SS und der Gestapo entfernt. Die wichtigsten politischen Gegner wurden bereits zu Beginn und innerhalb kürzester Zeit verhaftet und dadurch konnte der Weg zur Machtergreifung Hitlers geebnet wer- den. Diese Verhaftungen geschahen schon in der Nacht vom 11. auf den 12. März. Die VF selbst war bis zum 11. März 1938 der wesentlichste Faktor, der einer Macht-

296 Die Bestimmung lautete folgendermaßen: „Ist der Bundespräsident verhindert oder die Präsident- schaft dauernd erledigt, gehen seine Obliegenheiten auf den Bundeskanzler über.“ (Verfassung 1934, Art. 77 Abs. 1, S. 14) 297 Vgl. Goldinger u. Binder, Geschichte der Republik Österreich, S. 289f. 298 Vgl. Hopfgartner, Kurt von Schuschnigg, S. 162. 299 Vgl. Goldinger u. Binder, Geschichte der Republik Österreich, S. 290f. 300 Vgl. Brook-Shepherd, Der Anschluss, S. 259.

81 ergreifung durch die NSDAP im Weg stand.301 Der Wiener Bürgermeister und Lan- desleiter der VF in Wien, , leitete am 11. März Maßnahmen zu einem bewaffneten Widerstand ein. Die Miliz der städtischen Betriebe wurde zu den Waffen gerufen und die Frontmiliz in Alarmbereitschaft versetzt.302 Der ersten Welle von Verhaftungen fielen alleine in Wien rund 76 000 Personen zum Opfer. Zwar wurden etliche der Betroffenen wieder freigelassen, doch standen sie von da an unter permanenter Kontrolle durch die Gestapo. Der Großteil dieser ver- hafteten Personen waren Mitglieder der VF und diese stammten aus sämtlichen Hie- rarchieebenen, angefangen beim ehemaligen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg und den Mitgliedern der Regierung über Personen aus den VF-Landesleitungen bis hin zu Mitgliedern aus den Ortsgruppen.303 Im Zuge der Verhaftungen wurden die Be- troffenen sehr oft gedemütigt und erfuhren eine unwürdige Behandlung. So mussten die Mitglieder der VF und auch die festgenommenen Jüdinnen und Juden die Wahl- parolen der Volksbefragung von den Gehwegen entfernen. Darüber hinaus wurden die Besitztümer der VF-Angehörigen beschlagnahmt. Dabei wurden unter anderem Schmuckstücke, Fahrzeuge oder auch ganze Grundstücke erbeutet.304 Am Abend des 12. März 1938 war in Wien das Vorkommando der 8. Armee ange- kommen. Bereits seit 5 Uhr früh war Himmler mit 27 SS-Männern in der Bundes- hauptstadt. Himmler und seine SS-Männer hatten die Aufgabe, die bereits stattfin- dende Verhaftungswelle zu koordinieren. Für eine erfolgreiche Durchführung der Verhaftungen standen ihnen etliche Polizeiakten über jene Personen, die in den letz- ten Jahren eine politische Funktion innehatten, zur Verfügung.305 Unmittelbar nach dem Anschluss wurde der Befehl ausgegeben, sämtliche private Waffen, die sich auf dem österreichischen Staatsgebiet befanden, zu beschlagnah- men. Mit dieser Aktion sollten vor allem die Waffen der Frontmiliz gefunden und in Besitz genommen werden.306

Am 12. März wurde der Leiter des politischen Büros Pammer im VF-Hauptquartier verhaftet. Der Generalsekretär der Organisation „Neues Leben“ Ing. Kloss tauchte unter und erst nach der Androhung, dass seinem Vater etwas angetan werden wür-

301 Vgl. Reichhold, Die Liquidierung der Vaterländischen Front, S. 25. 302 Vgl. ebd., S. 32. 303 Vgl. Brook-Shepherd, Der Anschluss, S. 260. 304 Vgl. Schmidl, März 38, S. 233f. 305 Vgl. Reichhold, Die Liquidierung der Vaterländischen Front, S. 34. 306 Vgl. Schmidl, März 38, S. 235.

82 de, stellte er sich und wurde verhaftet.307 Der Führer der Wiener Heimwehr und frühere Vizekanzler Emil Fey starb aufgrund von unbekannten Ursachen am 16. März 1938. Der Staatssekretär für Heereswesen General Wilhelm Zehner wurde am 11. April 1938 erschossen. Ursprünglich hatte man vor, Schuschnigg und die ande- ren inhaftierten Personen aus der VF-Führungsriege einem Schauprozess zu unter- ziehen. Diese Idee wurde jedoch wieder verworfen. Der ehemalige Bundeskanzler Schuschnigg lehnte es von vornherein ab zu fliehen, während andere Personen, wie beispielsweise der Generalsekretär der VF Zernatto oder die Minister Rott, Stockin- ger und Dobretsberger, rechtzeitig die Flucht ins Ausland angetreten hatten. Die Fa- milie des ermordeten Bundeskanzlers Dollfuß konnte ebenfalls rechtzeitig Österreich verlassen.308 Schuschnigg wurde von der Außenwelt komplett abgeschottet und un- ter strengster Überwachung in dessen Dienstwohnung im Belvedere festgehalten. Am 3. Mai erfolgte eine Anweisung des Wiener Gauleiters Bürckel, dass Schusch- nigg in das Hauptquartier der Gestapo im Hotel Metropol gebracht werden sollte. Dort war Schuschnigg vom 28. Mai 1938 bis zum 29. Oktober 1939 inhaftiert.309 Am 1. April 1938 erfolgte der erste Abtransport inhaftierter Personen aus Wien in das Konzentrationslager in Dachau. Von den insgesamt 150 Personen, die an diesem Tag abtransportiert wurden, waren die meisten Mitglieder der VF.310 Darunter befan- den sich beispielsweise der Wiener Bürgermeister Richard Schmitz, der Präsident der EG Johann Staud, der frühere VF-Generalsekretär Walter Adam, der Leiter der VF-Propagandaabteilung sowie der VF-Landesführer der Steiermark Al- fons Gorbach.311

Die VF und ihre Nebenorganisationen galten ab dem 14. März 1938 als aufgelöst.312 Die Auflösung der VF wurde einem eigens eingesetzten Liquidator übertragen. Die Bevölkerung sowie sämtliche Banken, Betriebe, Einrichtungen usw., die über einen Teil des Gesamtbesitzes der VF verfügten, wurden aufgerufen, dies zu melden und anschließend die Besitztümer den offiziellen Stellen zu übergeben. Darüber hinaus wurden in jedem Bundesland Liquidationsstellen eingerichtet, um die Auflösung der

307 Vgl. Reichhold, Die Liquidierung der Vaterländischen Front, S. 34. 308 Vgl. Wolfgang Neugebauer u. Herbert Steiner, Widerstand und Verfolgung in Österreich (im Zeit- raum vom 12. Februar 1938 bis 10. April 1938), in: Rudolf Neck u. Adam Wandruszka (Hg.), Anschluß 1938. Protokoll des Symposiums in Wien am 14. und 15. März 1978, Wien 1981, S. 86 – 108, S. 97. 309 Vgl. Kleindel, „Gott schütze Österreich!“, S. 218. 310 Vgl. ebd., S. 209. 311 Vgl. Neugebauer u. Steiner, Widerstand und Verfolgung in Österreich, S. 96. 312 Vgl. Beschluss der Gestapo Wien vom 02.05.1938, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation, Wien 1988, S. 542 – 543, S. 542.

83 VF zu erleichtern.313 Sämtliche Vermögenswerte wurden somit von der NSDAP in Besitz genommen und dem Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbände übergeben, um eine ordnungsgemäße Verwaltung und Verwertung des Vermögens zu gewährleisten. Die Verfügungsgewalt über die Vermögenswerte hatte Gauleiter Bürckel inne.314

313 Vgl. Bericht der „Wiener Neuesten Nachrichten“ vom 19.03.1938, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation, Wien 1988, S. 541 – 542, S. 542. 314 Vgl. Verfügung des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Gauleiter Josef Bürckel vom 27.05.1938, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Wi- derstandes (Hg.), „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation, Wien 1988, S. 543.

84 5. Fazit

Durch die Berufsstände wollte die Regierung der Bevölkerung die Möglichkeit einer Mitwirkung am Gesetzgebungsprozess einräumen. Da die Führungsriege der dama- ligen Zeit von einer sehr speziellen und nicht exakt beschriebenen Definition des Be- griffs Demokratie ausging, ist zu hinterfragen, ob eine solche Mitwirkung auch wirk- lich im demokratischen Sinne erfolgen sollte und mit dem heutigen Demokratiever- ständnis vereinbar wäre. Durch die BO und die DO hatte die VF die Möglichkeit einer gewissen Beeinflussung der Berufsstände. Die VF verfügte zudem über Möglichkeiten, wie beispielsweise durch Vorschlagsrecht, die Mandatsbesetzung zu beeinflussen. Darüber hinaus war der Zugang zum Bundeskultur- und Bundeswirtschaftsrat nur für vaterlandstreue Personen möglich. Somit mussten die aus den Berufsständen entsendeten Räte Mit- glieder der VF sein. Die tatsächliche Beeinflussung der vorberatenden Räte war insofern kaum gegeben, da die Regierung frei darüber entscheiden konnte, ob sie deren Gutachten überhaupt für ihre Gesetzesvorlagen heranzog oder nicht. Darüber hinaus gab es auch keine Möglichkeit, die Regierung in irgendeiner Form zur Berücksichtigung der Gutachten zu zwingen. Zwar konnte man im Bundestag entscheiden, ob eine Gesetzesvorlage angenommen oder abgelehnt wird, doch wurden der Regierung mittels gesetzlicher Bestimmungen, wie beispielsweise dem Notrecht oder bei einer Nichteinhaltung der Frist seitens des Bundestages, Möglichkeiten eingeräumt, Gesetze eigenmächtig zu erlassen. Trotzdem konnte der Bundestag in diesem Bereich die Gesetzgebung et- was beeinflussen. Im Großen und Ganzen muss jedoch festgehalten werden, dass eine Einflussnahme der Berufsstände und der Räte kaum möglich war. Im Zuge dessen darf die Tatsa- che, dass von den sieben geplanten Berufsständen lediglich zwei vollständig einge- richtet wurden, nicht außer Acht gelassen werden. Somit konnte das geplante stän- destaatliche System nie seinen tatsächlich vorgesehenen Funktionsumfang komplett entfalten. Auch bleibt zu erwähnen, dass die Ratsposten von Mitgliedern der VF be- setzt wurden und somit deren Handlungsraum erheblich eingeschränkt wurde.

Nach dem Beitrittsaufruf gab es noch keine wirklichen Bestrebungen, aus der VF ei- ne Partei zu machen. Diese sollte vor allem ein Sammelplatz sein, für jene Personen,

85 die die Regierung unterstützten. Erst nach der Rede des Bundeskanzlers Dollfuß änderte sich diese Ansicht. Die bis zu diesem Zeitpunkt in der Regierung vertretenen Parteien standen der VF zunächst noch eher skeptisch gegenüber. Dennoch erfolgte ein Beitritt der Christlichsozialen und der Heimwehr zur VF. Per Gesetz wurde die VF schließlich rechtlich verankert und zur einzigen Trägerin der politischen Willensbil- dung im Staate. Betrachtet man nun ausschließlich die Mitgliederzahlen, so war die VF tatsächlich eine Massenbewegung. Der Höchststand lag in etwa bei 3 Millionen Mitgliedern. Gemessen an der damaligen Bevölkerungszahl war dies ein sehr hoher Mitgliederan- teil. Die hohen Mitgliederzahlen sind vor allem auf den vollständigen Beitritt einzelner Organisationen zurückzuführen. Grundsätzlich war der Beitritt zur VF an keinerlei Bedingungen geknüpft, eine Nichtmitgliedschaft brachte jedoch im Wesentlichen be- rufliche Nachteile mit sich. Den beigetretenen Personen fehlte sehr oft die geforderte Einstellung gegenüber der VF und der Beitritt erfolgte im Großen und Ganzen auf- grund verschiedenster Motive. Durch das VPR sollte dem nationalen Lager die Möglichkeit zur Eingliederung in die VF gegeben werden. Der Großteil der österreichischen NationalsozialistInnen stand dem VPR jedoch äußerst skeptisch gegenüber. Das VPR hatte eher einen gegentei- ligen Effekt und statt eines Zusammenrückens aller in der VF vorhandenen Kräfte erfolgte ein Auseinanderrücken. Das VPR trug zu einem sehr großen Teil zu einer Desintegrierung innerhalb der VF bei. Schuschnigg wollte mit dem VPR einen Keil zwischen die Angehörigen des nationalen Lagers treiben. Er unterschätzte jedoch deren äußerst starke Einigkeit bei dem Ziel, einen Anschluss herbeizuführen.

Wenn man sich die Zahl der Mandate, mit denen die sozialdemokratische Partei im Nationalrat vertreten waren, vor Augen führt, so ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Ausschluss einer so großen Bevölkerungsgruppe aus dem politischen Ge- schehen nicht ohne Folgen blieb und deren vollständige Eingliederung in ein neues System bzw. in eine neue Organisation nahezu unmöglich war. Insofern ist in diesem Zusammenhang von einem Widerspruch zu sprechen, da man einerseits sämtliche Kräfte, die sich für die Eigenständigkeit Österreichs einsetzen wollten, bündeln wollte und andererseits von vornherein mit den SozialdemokratInnen eine sehr starke Be- völkerungsgruppe von der politischen Bühne ausgeschlossen hatte.

86 Aufgrund politischer Unterdrückung wurde die Integration des oppositionellen Lagers deutlich erschwert. Diese Unterdrückung hatte den Effekt, dass innerhalb der Bevöl- kerung Angst und Ablehnung immer mehr zunahmen. Trotzdem gab es von Seiten der Regierung ständig Bemühungen, die ArbeiterInnenschaft für die eigene Idee zu gewinnen. Die Auflösung der sozialdemokratischen Gewerkschaften war in diesem Zusammenhang nicht wirklich förderlich. Innerhalb der VF herrschte die Meinung vor, dass eine Eingliederung der Opposition unerlässlich sei. Man ging davon aus, dass man zwar nicht sämtliche SozialdemokratInnen für sich gewinnen konnte, rechnete aber mit dem Großteil. Durch die Gründung der EG sollte dies erreicht werden. Die sozialdemokratischen ArbeiterInnen reagierten jedoch zum größten Teil ablehnend, was wiederum an den Mitgliederzahlen deutlich wurde. Obwohl im Laufe der Zeit ein gewisser Mitgliederzuwachs stattfand, war eine Unterstützung kaum vorhanden. Vie- le traten nur aus dem Grund in die EG ein, damit sie ihren Arbeitsplatz nicht gefähr- deten. Neben der EG wurde die SAG ins Leben gerufen und diese wurde zum Teil als eine Möglichkeit gesehen, das System zu beeinflussen. Die SAG sollte die Inte- ressen der ArbeiterInnenschaft gegenüber der VF vertreten. Auf kultureller Ebene wurde die Organisation „Neues Leben“ gegründet, die grund- sätzlich allen offenstand und vergünstige Freizeitmöglichkeiten anbot. Das „Neue Leben“ orientierte sich zwar sehr stark an der VF, jedoch war diese eine relativ ei- genständige Organisation, die ein gewisses Maß an Erfolg aufweisen konnte.

Die Gründe für einen Beitritt in die VF waren zwar besonders vielfältig, zumeist ging es jedoch nur darum, seinen Arbeitsplatz nicht zu verlieren oder irgendwelche beruf- lichen Nachteile zu haben. Der hohe Mitgliederstand war insofern ein Trugschluss, da man sich im Ernstfall auf den Großteil nicht wirklich verlassen konnte. Lediglich eine eher kleine Kerngruppe konnte sich für die Ideen des Ständestaats und der VF begeistern und setzte sich für diese ein. Es ist allerdings nicht von der Hand zu wei- sen, dass man unter der Zuhilfenahme etlicher Organisationen versuchte, die opposi- tionellen Gruppen für sich zu gewinnen. Der Erfolg blieb im Großen und Ganzen je- doch äußerst überschaubar. Der Ausschluss der oppositionellen Gruppen aus dem öffentlichen Leben machte eine vollständige Eingliederung dieser alles andere als einfach.

87 Einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen der VF und der PNF sowie der NSDAP bestand darin, dass die VF von oben, das heißt, als die späteren Führungs- persönlichkeiten bereits an der Macht waren, gegründet worden war, während die PNF und die NSDAP als ein Zusammenschluss innerhalb der Bevölkerung entstan- den waren und sich den Weg an die Macht erkämpft hatten. Die VF war in Summe nur als eine Unterstützung des Staates angedacht und sollte keine Partei im Sinne der PNF und der NSDAP sein. Trotzdem wurde sie zur alleinigen Trägerin der politi- schen Willensbildung erklärt. Die für die faschistischen Bewegungen besonders cha- rakteristischen Punkte wie Militarismus und eine expansionsorientierte Außenpolitik wurden von österreichischer Seite nicht berücksichtigt und entschieden abgelehnt. Das äußerst schwach ausgeprägte Mobilisierungspotenzial war unter anderem auf die Uneinigkeit innerhalb der Regierung und auf die Unterdrückung der Sozialdemo- kratInnen und der NationalsozialistInnen zurückzuführen. Die VF konnte darüber hin- aus auch nicht, wie jene Parteien in Deutschland und Italien, in demselben Ausmaß wie eben jene mobilisieren. Eine wesentliche Eigenheit der VF im Vergleich zur PNF und NSDAP bestand darin, dass sich mit der Heimwehr eine weitere politische Grup- pierung eine gewisse Zeit lang ein gewisses Maß an Eigenständigkeit bewahren konnte. Darüber hinaus gab es im Laufe der Zeit innerhalb der VF auch Bestrebun- gen, die oppositionellen Bevölkerungsgruppen zu integrieren. Dies sollte vor allem mit unterschiedlichen Einrichtungen, wie beispielsweise dem VPR oder der SAG er- reicht werden. Insgesamt kann man zwischen der VF, der PNF und der NSDAP gewisse Ähnlichkei- ten erkennen. Die VF weist jedoch, im Vergleich zu diesen beiden Parteien, ein paar mitunter wesentliche Unterschiede auf.

Abschließend sei an dieser Stelle noch kurz auf den Untertitel dieser Arbeit verwie- sen. Demzufolge wird gefragt, ob die Vaterländische Front eine Machtbasis darstell- te. Unter Berücksichtigung der gesammelten Ergebnisse muss diese Frage mit Nein beantwortet werden. Zwar wurden große Teile der Bevölkerung zahlenmäßig erfasst und waren in die VF eingetreten, jedoch konnten die meisten ideologisch nicht über- zeugt werden und man konnte sich im Ernstfall nicht auf deren Unterstützung verlas- sen.

88 6. Literatur

Quellen:

Bericht der „Wiener Neuesten Nachrichten“ vom 19.03.1938, in: Dokumentationsar- chiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentati- on, Wien 1988, S. 541 – 542.

Beschluss der Gestapo Wien vom 02.05.1938, in: Dokumentationsarchiv des öster- reichischen Widerstandes (Hg.), „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation, Wien 1988, S. 542 – 543.

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Bundesgesetz über die Auflösung der freiwilligen Wehrverbände, in: Bundesgesetz- blatt für den Bundesstaat Österreich, Jahrgang 1936, 15. Oktober 1936, 83. Stück, S. 841.

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Bundesgesetz über die Vaterländische Erziehung der Jugend außerhalb der Schule, in: Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich, Jahrgang 1936, 29. August 1936, 72. Stück, S. 755 – 756.

Bundesgesetz über die „Vaterländische Front“, in: Bundesgesetzblatt für den Bun- desstaat Österreich, Jahrgang 1936, 20. Mai 1936, 36. Stück, S. 237 – 239.

Bundesgesetz vom 1. Mai 1934, betreffend die „Vaterländische Front“, § 1 Abs. 1, in: Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich, Jahrgang 1934, 3. Mai 1934, 4. Stück, S. 53 - 54

Ministerratsprotokoll Nr. 888 vom 30. Juni 1933, in: Eszter Dorner-Brader (Bearb.), Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Kabinett Dr. Engelbert Dollfuß: 20. Mai 1932 bis 25. Juli 1934, Band 4, 16. Juni 1933 bis 27. Oktober 1933, Wien 1984, S. 138 – 161.

Ministerratsprotokoll Nr. 911 vom 15. Dezember 1933, in: Gertrude Enderle-Burcel (Bearb.), Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Kabinett Dr. Engelbert Dollfuß: 20. Mai 1932 bis 25. Juli 1934, Band 5, 3. November 1933 bis 16./17. Feb- ruar 1934, Wien 1984, S. 215 – 249.

Ministerratsprotokoll Nr. 928 vom 9. März 1934, in: Gertrude Enderle-Burcel (Bearb.), Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Kabinett Dr. Engelbert Dollfuß: 20. Mai 1932 bis 25. Juli 1934, Band 6, 23. Februar 1934 bis 18. April 1934, Wien 1985, S. 95 – 123.

89 Verfassung 1934, in: Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich, Jahrgang 1934, 1. Mai 1934, 1. Stück, S. 1 – 32.

Verfügung des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Gauleiter Josef Bürckel vom 27.05.1938, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation, Wien 1988, S. 543.

Verordnung der Bundesregierung vom 7. Juli 1933, betreffend die Aufstellung eines freiwilligen Schutzkorps (Schutzkorpsverordnung), in: Bundesgesetzblatt für die Re- publik Österreich, Jahrgang 1933, 12. Juli 1933, 91. Stück, S. 757 – 758.

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Zeitungen:

Arbeiter-Zeitung, 1. Jahrgang, 3. Juni 1934, Nr. 15.

Neue Freie Presse, Morgenblatt, 21. Mai 1933, Nr. 24672.

Neue Freie Presse, Morgenblatt, 12. September 1933, Nr. 24785.

Wiener Zeitung, 230. Jahrgang, 21. Mai 1933, Nr. 118.

Wiener Zeitung, 230. Jahrgang, 1. September 1933, Nr. 212.

Wiener Zeitung, 230. Jahrgang, 12. September 1933, Nr. 223.

Wiener Zeitung, 231. Jahrgang, 3. Mai 1934, Nr. 122.

Sekundärliteratur:

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Bandhauer-Schöffmann, Irene, Der „Christliche Ständestaat“ als Männerstaat? Frau- en- und Geschlechterpolitik im Austrofaschismus, in: Emmerich Tálos u. Wolfgang Neugebauer (Hg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933 – 1938, Wien 20147, S. 254 – 280.

Bärnthaler, Irmgard, Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation, Wien 1971.

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