Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 17/206

Deutscher

Stenografischer Bericht

206. Sitzung

Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Inhalt:

Wahl des Abgeordneten I.4. a) Einzelplan 08 als Schriftführer ...... 25103 B Bundesministerium der Finanzen Begrüßung des Präsidenten der Parlamentari- (Drucksachen 17/10808, 17/10823) 25104 C schen Versammlung des Europarates, Herrn Jean-Claude Mignon ...... 25165 A b) Einzelplan 20 Bundesrechnungshof Tagesordnungspunkt I: (Drucksachen 17/10823, 17/10824) 25104 C a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- c) Zweite und dritte Beratung des von rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- der Bundesregierung eingebrachten zes über die Feststellung des Bundes- Entwurfs eines Gesetzes über die haushaltsplans für das Haushaltsjahr Feststellung eines Zweiten Nach- 2013 (Haushaltsgesetz 2013) trags zum Bundeshaushaltsplan (Drucksachen 17/10200, 17/10202) . . . . . 25103 D für das Haushaltsjahr 2012 (Zwei- b) Beratung der Beschlussempfehlung des tes Nachtragshaushaltsgesetz 2012) Haushaltsausschusses zu der Unterrich- (Drucksachen 17/10900, 17/10901, tung durch die Bundesregierung: Finanz- 17/11290, 17/11291) ...... 25104 C plan des Bundes 2012 bis 2016 (Drucksachen 17/10201, 17/10202, d) Zweite und dritte Beratung des von 17/10826) ...... 25103 D der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Haushaltsbegleit- gesetzes 2013 (HBeglG 2013) I.1. Einzelplan 01 (Drucksachen 17/10588, 17/10864, Bundespräsident und Bundespräsi- 17/11477) ...... 25104 D dialamt (Drucksachen 17/10801, 17/10823) . . . 25104 A e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur inner- I.2. Einzelplan 02 staatlichen Umsetzung des Fiskal-

Deutscher Bundestag vertrags (Drucksachen 17/10802, 17/10823) . . . 25104 A (Drucksachen 17/10976, 17/11011, 17/11504) ...... 25104 D

I.3. Einzelplan 03 (Erfurt) (SPD) ...... 25105 A (CDU/CSU) ...... 25108 C Bundesrat (Drucksachen 17/10823, 17/10824) . . . 25104 B Dr. (DIE LINKE) ...... 25110 D II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Otto Fricke (FDP) ...... 25112 D b) Einzelplan 19 Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ Bundesverfassungsgericht DIE GRÜNEN) ...... 25115 C (Drucksachen 17/10823, 17/10824) . 25157 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister (SPD) ...... 25157 D BMF ...... 25117 D (FDP) ...... 25159 B () (SPD) ...... 25120 C Jens Petermann (DIE LINKE) ...... 25160 C Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) ...... 25121 B Alexander Funk (CDU/CSU) ...... 25163 A Dr. (FDP) ...... 25123 A Jens Petermann (DIE LINKE) ...... 25164 C (DIE LINKE) ...... 25125 B Alexander Funk (CDU/CSU) ...... 25164 D Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 25126 C DIE GRÜNEN) ...... 25165 A Dr. (CDU/CSU) ...... 25127 D (FDP) ...... 25166 C Dr. (BÜNDNIS 90/ Dr. Eva Högl (SPD) ...... 25167 D DIE GRÜNEN) ...... 25129 B Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) ...... 25169 B (SPD) ...... 25131 A (BÜNDNIS 90/ Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) ...... 25132 B DIE GRÜNEN) ...... 25171 B (CDU/CSU) ...... 25134 B (CDU/CSU) ...... 25172 A Christoph Strässer (SPD) ...... I.5. Einzelplan 06 25173 D Stephan Thomae (FDP) ...... Bundesministerium des Innern 25174 B (Drucksachen 17/10806, 17/10823) . . . 25135 D Norbert Geis (CDU/CSU) ...... 25175 B Dr. (SPD) ...... 25136 A (CDU/CSU) ...... 25175 B Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) ...... 25137 D I.7. Einzelplan 16 Steffen Bockhahn (DIE LINKE) ...... 25139 B Bundesministerium für Umwelt, Na- Gisela Piltz (FDP) ...... 25141 A turschutz und Reaktorsicherheit Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 17/10823, 1710824) . . . . 25177 D DIE GRÜNEN) ...... 25142 A (SPD) ...... 25177 D Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) . . . 25179 B BMI ...... 25143 D Dorothée Menzner (DIE LINKE) ...... 25181 B Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 25145 D Stephan Thomae (FDP) ...... 25182 C Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ BMI ...... 25146 A DIE GRÜNEN) ...... 25184 A Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . 25146 C , Bundesminister BMU ...... 25185 B Dr. (FDP) ...... 25148 A Dr. (SPD) ...... 25188 B Jens Petermann (DIE LINKE) ...... 25149 A (FDP) ...... 25189 D Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 25150 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 25191 C Dr. Günter Krings (CDU/CSU) ...... 25151 A Michael Kauch (FDP) ...... 25192 A Gerold Reichenbach (SPD) ...... 25153 A (DIE LINKE) ...... 25192 B (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 25154 C Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/ Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) ...... 25156 B DIE GRÜNEN) ...... 25193 C Marie-Luise Dött (CDU/CSU) ...... 25194 C I.6. a) Einzelplan 07 (SPD) ...... 25196 A Bundesministerium der Justiz (Drucksachen 17/10807, 17/10823) . 25157 C Michael Kauch (FDP) ...... 25197 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 III

Ulrich Kelber (SPD) ...... 25198 A (FDP) ...... 25215 A Josef Göppel (CDU/CSU) ...... 25198 C (CDU/CSU) ...... 25215 C Bärbel Bas (SPD) ...... 25217 B I.8. Einzelplan 15 (CDU/CSU) ...... 25218 C Bundesministerium für Gesundheit (Drucksachen 17/10814, 17/10823) . . . 25199 D Nächste Sitzung ...... 25220 C Dr. (SPD) ...... 25200 A Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) ...... 25201 C Anlage 1 Michael Leutert (DIE LINKE) ...... 25202 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 25221 A (CDU/CSU) ...... 25203 D Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ Anlage 2 DIE GRÜNEN) ...... 25205 C Neuabdruck der Antwort auf die Mündliche , Bundesminister Frage 69 (203. Sitzung) BMG ...... 25207 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Ewald Schurer (SPD) ...... 25208 D DIE GRÜNEN) Dr. (CDU/CSU) ...... 25210 C Themen der Sitzung der Deutsch-Tschechi- schen Kommission am 12. November 2012 Dr. (DIE LINKE) ...... 25212 D Antwort Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin DIE GRÜNEN) ...... 25213 D BMU ...... 25221 D

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25103

(A) (C)

206. Sitzung

Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Beginn: 10.00 Uhr

Präsident Dr. : (Zuruf des Abg. Georg Schirmbeck [CDU/ Die Sitzung ist eröffnet. CSU]) Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich – Nein, Herr Kollege Schirmbeck, eine Vorstellung ist begrüße Sie herzlich zur 206. Sitzung des Deutschen nach unserer Geschäftsordnung nicht vorgesehen, ist Bundestages in der laufenden Legislaturperiode und da- aber eine der denkbaren Innovationen für die nächste Le- mit zum Beginn der Haushaltswoche. Ob diese Woche gislaturperiode. Wir kommen darauf zurück. der Höhepunkt der parlamentarischen Debatten dieses Jahres wird, mögen andere zu einem späteren Zeitpunkt Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege entscheiden. Dass dies ein wesentlicher, zentraler Teil Harald Weinberg damit als neuer Schriftführer ge- der Arbeit dieses Parlamentes ist, daran kann schon wählt. vorab kein Zweifel bestehen. Deswegen will ich die Ge- legenheit gerne nutzen, mich im Namen des ganzen (Beifall bei der LINKEN) (B) Hauses bei den Kolleginnen und Kollegen besonders zu Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass es (D) bedanken, die uns die beschlussreifen Vorlagen pünkt- eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, von der Frist für lich und vollständig geliefert haben, über die wir uns im den Beginn der heutigen Beratungen, soweit erforder- Laufe der Woche mit besonderer Sorgfalt beugen wer- lich, abzuweichen. Dazu würde ich gern Ihr Einverneh- den. Da nicht völlig auszuschließen ist, dass auch der men feststellen. – Dann ist das so beschlossen. eine oder andere kritische Einwand gegenüber den Emp- fehlungen des Haushaltsausschusses hier vorgetragen Ich rufe die Tagesordnungspunkte I a und b auf: wird, sollten wir vorab unseren gemeinsamen Dank an die Kolleginnen und Kollegen für die geleistete Arbeit a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung zu Protokoll nehmen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das (Beifall) Haushaltsjahr 2013 (Haushaltsgesetz 2013) Leider müssen wir vor Eintritt in die Tagesordnung – Drucksachen 17/10200, 17/10202 – wieder einmal eine Schriftführerwahl durchführen. (Dr. [DIE LINKE]: Was b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus- heißt „leider“?) haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung – Was heißt „leider“, Frau Enkelmann? Ich muss die regelmäßige Abmeldung von Schriftführerinnen und Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016 Schriftführern aus Ihrer Fraktion als eine auf Dauer ab- gegebene Misstrauenserklärung gegenüber dem Parla- – Drucksachen 17/10201, 17/10202, 17/10826 – mentspräsidenten verstehen. Eine andere Erklärung fällt Berichterstattung: mir jedenfalls nicht ein. Abgeordnete Norbert Barthle (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Es Carsten Schneider (Erfurt) wollen so viele neben Ihnen sitzen!) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Jedenfalls schlägt die Fraktion Die Linke vor, für den Priska Hinz (Herborn) Kollegen , von dem mir bis heute keine schriftliche Entschuldigung für seinen Rückzug vorliegt, Wir kommen nun zur Beratung der Einzelpläne, und den Kollegen Harald Weinberg als Schriftführer zu wäh- zwar zunächst der drei Einzelpläne, zu denen keine Aus- len. Sind Sie damit einverstanden? – sprache vorgesehen ist. 25104 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich rufe zunächst den Einzelplan 01 auf: Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.4 auf: (C) Einzelplan 01 a) Einzelplan 08 Bundespräsident und Bundespräsidialamt Bundesministerium der Finanzen – Drucksachen 17/10801, 17/10823 – – Drucksachen 17/10808, 17/10823 –

Berichterstattung: Berichterstattung:

Abgeordnete Abgeordnete

Carsten Schneider (Erfurt) Carsten Schneider (Erfurt)

Dr. h. c. Jürgen Koppelin Otto Fricke

Dr. Dietmar Bartsch Dr. Gesine Lötzsch Dr.

Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- b) Einzelplan 20 plan 01 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Bundesrechnungshof Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der – Drucksachen 17/10823, 17/10824 – Einzelplan 01 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Berichterstattung: Abgeordnete Rüdiger Kruse Stimmen der SPD und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. (Hildesheim) Dr. Claudia Winterstein Ich rufe den Einzelplan 02 auf: Michael Leutert Sven-Christian Kindler Einzelplan 02 Deutscher Bundestag c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes – Drucksachen 17/10802, 17/10823 – über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags Berichterstattung: zum Bundeshaushaltsplan für das Haushalts- Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte jahr 2012 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz Johannes Kahrs 2012) Dr. h. c. Jürgen Koppelin – Drucksachen 17/10900, 17/10901 – Priska Hinz (Herborn) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- (B) ausschusses (8. Ausschuss) (D) Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/11517 vor, – Drucksachen 17/11290, 17/11291 – über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für diesen Berichterstattung: Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Abgeordnete Norbert Barthle sich? – Damit ist dieser Änderungsantrag mehrheitlich Carsten Schneider (Erfurt) abgelehnt. Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Priska Hinz (Herborn) plan 02 in der Ausschussfassung. Wer stimmt diesem Einzelplan zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- sich? – Damit ist dieser Einzelplan mit den Stimmen des gierung eingebrachten Entwurfs eines Haus- ganzen Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Die haltsbegleitgesetzes 2013 (HBeglG 2013) Linke angenommen. – Drucksachen 17/10588, 17/10864 – Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt I.3 auf: Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- Einzelplan 03 ausschusses (8. Ausschuss) Bundesrat – Drucksache 17/11477 – – Drucksachen 17/10823, 17/10824 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Berichterstattung: Abgeordnete Cajus Caesar Carsten Schneider (Erfurt) Otto Fricke Klaus Brandner Heinz-Peter Haustein Dr. Gesine Lötzsch Dr. Dietmar Bartsch Priska Hinz (Herborn) Dr. Tobias Lindner e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Wir stimmen über den Einzelplan 03 in der Aus- zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalver- schussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da- trags gegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 03 ist ange- nommen. – Drucksachen 17/10976, 17/11011 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25105

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- schaftsweisen präsentiert haben, kann ich nur sagen: Ich (C) ausschusses (8. Ausschuss) hätte an Ihrer Stelle lieber die Ohren aufgemacht, anstatt auf Durchzug zu stellen. – Drucksache 17/11504 – (Zuruf von der FDP: Aber dann sind die Ohren Berichterstattung: doch auch auf!) Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider (Erfurt) Sie haben eine Legislaturperiode hinter sich, die mit Otto Fricke Klientelpolitik begonnen hat – Stichwort „Mövenpick- Roland Claus Steuer“ – und die mit dem bildungspolitischen Irrsinn Priska Hinz (Herborn) des Betreuungsgeldes endet. Die Fraktionen haben sich auf eine Aussprache von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zwei Stunden verständigt. Gibt es dazu Einwände? – Das des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren. Es war bislang eine Legislaturperiode mit Rekordsteuer- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem einnahmen und den geringsten Ausgaben für den Ar- Kollegen Carsten Schneider für die SPD-Fraktion. beitsmarkt, in der Herr Schäuble seiner Verantwortung (Beifall bei der SPD) als Finanzminister nicht gerecht wurde. Er hat in dieser Legislaturperiode 112 Milliarden Euro neue Schulden gemacht, und das, obwohl es die höchsten Steuereinnah- Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): men gab, die es in der Bundesrepublik jemals gegeben Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der hat. Die Schuldenlast führt dazu, dass am Ende des Fi- Haushalt 2013 für die Bundesrepublik Deutschland wird nanzplans die Zinsausgaben in Höhe von bislang 31 Mil- Ende dieser Woche beschlossen werden. Die Bürger die- liarden Euro auf 41 Milliarden Euro steigen werden. Das ses Landes haben ihr Urteil über diese Regierung schon entzieht uns Gelder, um die Zukunft zu gestalten. gefällt. 70 Prozent der Deutschen sagen, die Regierung Merkel betreibe nur Klientelpolitik. Warum ist das so? Nehmen Sie nur – stilbildend – den letzten Koalitionsausschuss. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜND- (Rainer Brüderle [FDP]: Waren Sie dabei?) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sie recht haben, Er fand am Sonntag der Woche statt, in der wir den haben sie recht! – Zurufe von der CDU/CSU Haushalt im Haushaltsausschuss – vielen Dank, Herr und der FDP: So ein Blödsinn!) Präsident, für die Anerkennung unserer Arbeit – be- (B) 65 Prozent sagen, die Regierung Merkel kümmere schlossen haben. Es ging um viel Geld für Aufgaben, die (D) sich nicht um die Zukunftsprobleme dieses Landes. brachliegen. Sie konnten sich aber nicht einigen, weil Sie keine Kraft mehr haben. Ich zitiere da nur die (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der Süddeutsche Zeitung: Im Endeffekt gebaren Sie eine CDU/CSU und der FDP) Maus. – Sie haben sich auf einen Kuhhandel geeinigt: Vielleicht sollten Sie sich bei der Bundesregierung infor- (Otto Fricke [FDP]: Jetzt wird es aber langsam mieren. Diese Angaben stammen aus einer Umfrage, die schwierig! Was denn nun: „Maus“ oder „Kuh- für die Bundesregierung von der Forschungsgruppe handel“?) Wahlen erstellt wurde. Die Menschen in diesem Lande liegen richtig mit ihrer Einschätzung. Das Betreuungsgeld wurde gegen die Abschaffung der (Beifall bei der SPD – Siegfried Kauder [Vil- Praxisgebühr getauscht. Der Finanzminister zog es vor, lingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Diese nach Mexiko zu reisen und Vorträge über Konsolidie- Umfrage hat der Vorwärts in Auftrag gegeben, rung zu halten, gell? Der SPD-Medienpool hat das gemacht!) ( [CDU/CSU]: Vorträge hält Chaos, Verantwortungslosigkeit, Blindheit für die Herr Steinbrück!) großen Aufgaben, Verschleudern der Zukunftsreserven anstatt sich darum zu kümmern, Deutschland vor irrsin- für irrsinnige Wahlgeschenke, finanzpolitische Trickse- nigen Maßnahmen zu beschützen. rei und offensichtlicher Wählerbetrug – das ist der Haus- halt 2013, den Sie uns hier vorlegen. Meine Damen und Herren, Bundesfinanzminister Schäuble hat in der Finanzpolitik die Hände in den (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ Schoß gelegt. Drei innenpolitische Aufgaben stehen an: CSU: Unterste Stufe ist das!) erstens Steuerpolitik, zweitens Haushaltskonsolidierung, So taumeln Sie in die Haushaltswoche. drittens Schaffung von Ordnung auf den Finanzmärkten. In allen drei Punkten komme ich zu dem Schluss, dass Zu Recht hat sich nicht nur der Sachverständigenrat Sie die Hände in den Schoß gelegt haben oder, wie im der Bundesregierung Ihre Politik vorgeknöpft. Sie woll- Steuerbereich, Schlimmeres angerichtet haben. ten ihn im Haushaltsausschuss nicht hören. Sie wollten an dem Tag, an dem der Bericht der Bundesregierung (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, was jetzt? – übergeben wurde, nicht, dass wir mit Mitgliedern des [CDU/CSU]: Das ist doch Sachverständigenrats im Haushaltsausschuss debattie- Müll! – Zuruf von der CDU/CSU: Welches ren. Angesichts der Ergebnisse, die Ihnen die fünf Wirt- Land beschreiben Sie denn?) 25106 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Carsten Schneider (Erfurt) (A) Nehmen wir als Erstes den Haushaltsbereich als Bei- um die Aufgabe zu meistern, die Sie wirklich hätten er- (C) spiel. Angesichts der höchsten Steuereinnahmen, die wir ledigen sollen, nämlich die Neuverschuldung in jemals hatten, Deutschland endlich auf null zu fahren; stattdessen schulmeistern Sie in Europa. Sie sind an Ihrer Aufgabe (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja eine gescheitert. irre Rede!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und der niedrigsten Zinsausgaben, die daraus resultieren, der LINKEN – Zuruf des Abg. Volker Kauder dass wir die Krisengewinnler Europas sind, und die zu [CDU/CSU]) einer Entlastung des Haushalts gegenüber der Planung um 11 Milliarden Euro führen, wäre es Ihre Aufgabe ge- Herr Kauder, soll ich Ihnen einmal sagen, was Sie im wesen, die Neuverschuldung schon längst auf null zu Haushalt 2013 alles beschlossen haben? Ich weiß gar fahren. Sie haben das nicht geschafft, und das ist Ihr Ver- nicht, ob Sie davon Kenntnis haben. sagen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Noch haben wir (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ulrich gar nichts beschlossen! Der wird am Freitag Schneider [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) beschlossen, junger Mann!) Ich will Ihnen nur zwei Zahlen nennen. Sie beschlie- – Ich nenne Ihnen einmal ein paar Punkte, an denen Sie ßen für 2013 neue Schulden von 17,1 Milliarden Euro. Kürzungen vornehmen können, drei Punkte, die Ihre Das haben Sie – ich komme noch darauf zu sprechen – Kollegen durchgesetzt haben: mit Trickserei geschönt; eigentlich wären es sogar mehr. Erstens, ein kleines Beispiel dafür, womit Sie sich be- Im Jahr 2011, als die Steuereinnahmen geringer und die schäftigen. Im Verteidigungsbereich geben Sie für ein Sozialausgaben höher waren, haben Sie 17,3 Milliarden Bundeswehrmuseum 1 Million Euro mehr aus. Sie kür- Euro Schulden gemacht. Das heißt, es ist Ihnen, obwohl zen aber einen gleich hohen Betrag bei den Betriebskos- die Einnahmen explodieren und sich die Sozialausgaben ten, das heißt beim Sprit. Wenn Sie für die Panzer kein um 10 Milliarden Euro verringert haben, weil Sie im So- Benzin mehr bereitstellen, können Sie sie auch ins Mu- zialbereich kürzen und die Sozialkassen plündern – das seum stellen. Das ist Ihre Art von Zukunftspolitik. ist der einzige Bereich, in dem Sie zugreifen; Subven- tionsabbau kennen Sie nicht –, nicht gelungen, die (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Wie Schuldenlast zu senken. Im Gegenteil: 2012 ist die Neu- viel war das jetzt?) verschuldung noch einmal explodiert. Jetzt geht die Zweitens. Für den Schaufelraddampfer „Kaiser Neuverschuldung wieder auf das Niveau von 2011 zu- Wilhelm“ haben Sie Geld, aber beim Goethe-Institut (B) rück. kürzen Sie 8 Millionen Euro. Dabei ist es doch wichtig, (D) (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Drunter!) dass wir die Kulturpolitik im Ausland und damit die deutsche Sprache fördern. Das heißt, dieses Land ist in den letzten zwei Jahren, in (Beifall bei der SPD) denen Sie die Verantwortung für den Bundeshaushalt ge- tragen haben, in die Stagnation regiert worden. Das liegt Was machen Sie stattdessen? In einer Nacht-und-Nebel- in Ihrer Verantwortung, meine Damen und Herren. Ich Aktion werden 10 Millionen Euro für den Neubau eines würde mich an Ihrer Stelle eher schämen. sudetendeutschen Museums in München bereitgestellt. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie (Zuruf von der FDP: Das ist auch richtig!) der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜND- Das ist Ihre Zukunftspolitik. Da kann ich nur sagen: NIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch bei der Gute Nacht! CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Der tut einem schon leid!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) – Sie können ja einfach nachschauen. Vergleichen Sie die Zahlen von 2011 und 2013! Zukunftsweisend wäre es gewesen, wenn Sie in der Hochphase der Konjunktur die Schulden gesenkt hätten, Nehmen Sie zwei entscheidende Punkte zur Kenntnis: um Reserven für schlechte Zeiten aufzubauen. Dass 12 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen und um schlechte Zeiten eventuell kommen, sieht man an der Si- 9,8 Milliarden Euro geringere Sozialausgaben. Das tuation im Euro-Raum. Schauen Sie sich die Wachs- macht zusammen fast 22 Milliarden Euro. Die Zinsen tumsaussichten für Deutschland an: 0,7 Prozent! sind in etwa gleich geblieben. Die Kreditaufnahme bleibt aber bei 17 Milliarden Euro. Ich frage mich: Wo (Rainer Brüderle [FDP]: Frankreich!) sind die 22 Milliarden Euro hin? Sie haben sie höher eingeschätzt und 1 Prozent zugrunde (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, wo sind sie gelegt. Schon darin besteht ein hohes Haushaltsrisiko. denn?) Sie lagen daneben, und nun plündern Sie die Sozialkas- sen. Sie haben es nicht geschafft, Kraft aufzubringen, Man hätte im Zuge der Beratungen zum Haushaltsbe- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau Kraft macht gleitgesetz über eine einmalige Absenkung des Gesund- Schulden! Ja, richtig!) heitszuschusses um 2 Milliarden Euro reden können, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25107

Carsten Schneider (Erfurt) (A) wenn gemeinsame Gespräche aufgenommen worden weisen als im Jahre 2011. Dabei handelt es sich um die (C) wären. Aber da Sie für die Beglückungsaktion der Klein- Einnahmen aus der Privatisierung der Treuhand Liegen- partei in der Koalition Geld brauchen – ich erinnere an schaftsgesellschaft. Gestern wurden viele Wohnungen in die Sonntagsnummer Betreuungsgeld –, haben Sie wei- Ostdeutschland an einen Finanzinvestor verkauft. Wir ter wild in die Sozialkassen und in den Gesundheitsfonds als SPD wollten angesichts der angespannten Mietsitua- gegriffen. Dabei geht es um einen Betrag von fast tion, des Bedarfs an Wohnraum gerade im städtischen 6,5 Milliarden Euro, der dem Gesundheitsfonds entzo- Bereich, nicht, dass die Wohnungen verkauft werden. gen wird. So verfahren Sie auch in der Rentenversiche- Sie haben es getan. Das ist meines Erachtens ein großer rung. Sie haben die vorhandenen Überschüsse, die wir Fehler, weil Sie dem Bund damit den letzte Möglichkeit aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage und der ge- zur Einflussnahme auf Wohnungspolitik und Städtebau rechtfertigten guten Lohnabschlüsse erzielen konnten, genommen haben. Die erzielten Einnahmen verschieben geplündert. Wenn Sie sich die Regeln für die Schulden- Sie einfach in das nächste Jahr, um den Haushalt noch bremse genauer anschauen, dann stellen Sie fest, dass irgendwie zu retten. Das zeugt nicht gerade von einer Sie diese Defizite in der Sozialversicherung in den Haus- klaren Linie, sondern von einem Schlingerkurs, und das halten ab 2014 auffangen müssen. Aber da werden Sie ist eines Bundesfinanzministers unwürdig. nicht mehr regieren. (Beifall bei der SPD) Mein Fazit Ihrer Haushaltspolitik ist: Nach mir die Im Steuerbereich ist ebenfalls nichts passiert. Das Sintflut! Einzige war die milliardenschwere, zusätzliche Subven- (Bettina Hagedorn [SPD]: Genau!) tion für die Hoteliers. Herr Rösler, Sie sind nicht nur Vorsitzender der FDP, sondern auch Bundeswirtschafts- Sie sehen nur noch zu, dass Sie über den Wahltag kom- minister und verfügen damit über den größten Subven- men; danach können die anderen tionsetat des Bundes. Hieran hat sich kein Cent geändert. (Zuruf von der CDU/CSU: Optimist!) Die Subventionen sind geblieben, wie sie waren. Da, wo es um Finanzpolitik bzw. um einen ermäßigten Mehr- den Scherbenhaufen wieder aufkehren. Das ist keine zu- wertsteuersatz geht, haben Sie sogar noch einen oben kunftsweisende Politik. draufgelegt. Das ist nicht gerecht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) der LINKEN – Zurufe bei der FDP) Herr Schäuble, ich frage mich: Wo stehen Sie eigent- – Da ich gerade die Zurufe der Kollegen von der FDP lich innenpolitisch? Das fragt sich nicht nur die SPD, höre: Ich warte immer noch, dass Sie endlich einmal Ihr (B) sondern die gesamte deutsche Presselandschaft. Ich habe (D) Liberales Sparbuch – diese 8 Milliarden Euro – dem ein paar Zitate mitgebracht. Das Handelsblatt titelte: Bundestag zur Abstimmung vorlegen. Das ist aber ge- „Das erschöpfte Bündnis“, „Sparen? Fehlanzeige“. Die nauso versenkt worden wie Ihre Überzeugung beim Süddeutsche Zeitung schrieb: „Eine sogenannte Koali- Thema „Betreuungsgeld“. Sie stimmen nur noch über tion“. Es gab Streit darüber, wann der Haushalt struktu- das Überleben Ihrer Partei im nächsten Jahr ab. Meine rell ausgeglichen sein wird: 2013 oder 2014? Ist das eine Damen und Herren, seien Sie aber sicher: Dies wird ein rote oder eine schwarze Null? Die FDP mit Herrn Rösler Ende haben. an der Spitze hat sich groß mokiert, im Endeffekt geba- ren Sie aber eine Maus. Daher titelte die Frankfurter Wir Sozialdemokraten setzen dem einen klaren Kurs Rundschau: entgegen: ausgeglichene Haushalte so schnell wie mög- lich. Wir wollen nicht, dass sich die Deutschen, wenn sie (Volker Kauder [CDU/CSU]: Gibt es die der Bundesrepublik Deutschland Kredit geben wollen, noch? – Otto Fricke [FDP]: Die gehört doch nur noch an Banken wenden können. Was bedeutet das? euch!) Sie haben beschlossen, dass der Bundesschatzbrief abge- „Die Null soll stehen – nur welche? Bundesregierung schafft wird, dass es nicht mehr möglich ist, persönlich verspricht ausgeglichenen Haushalt – und macht weiter und direkt bei seinem Staat Geld anzulegen. Man muss Schulden“. – So ist es! nun immer automatisch den Weg über die Banken gehen. (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Es (Otto Fricke [FDP]: Vielleicht über die Spar- ist peinlich, als SPD-Mann die Frankfurter kassen?) Rundschau zu zitieren!) Das, meine Damen und Herren, ist ein großer Fehler. Lassen Sie mich als Letztes eine Überschrift des Han- (Beifall bei der SPD) delsblatts zitieren: „Wo steckt Schäuble?“ In der deut- schen Innenpolitik ist er, zumindest aktiv, nicht mehr zu Es zeigt aber, unter welcher Fuchtel und unter welchem erkennen. Lobbyeinfluss Sie hier stehen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da drüben ist er (Otto Fricke [FDP]: Haben Sie vielleicht ein doch! Gucken Sie doch hin!) Misstrauen gegenüber Sparkassen?) In Europa gebärden Sie sich als Schulmeister. In Das trifft ebenso auf den Finanzsektor zu. Frau Bun- Deutschland hingegen schaffen Sie es nur durch einen deskanzlerin, Sie haben hier – ich glaube, es war im Jahr Buchungstrick, eine niedrigere Neuverschuldung auszu- 2010 – gestanden und gesagt, es werde nie wieder pas- 25108 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Carsten Schneider (Erfurt) (A) sieren, dass der Staat für die Banken in diesem Land haf- Norbert Barthle (CDU/CSU): (C) tet. Dann gebaren Sie wieder eine Maus: Eine Banken- Sehr verehrter Präsident! Liebe Damen und Herren! abgabe soll nun dafür sorgen, dass, wenn eine Bank Ich will mich zunächst für den Dank des Bundestagsprä- pleitegeht, der Staat nicht zahlen muss. Wie hoch sind ei- sidenten bedanken. Ich gebe ihn gerne an die Kollegin- gentlich die Einnahmen aus dieser Abgabe? – 500 Mil- nen und Kollegen weiter, die diese Haushaltsberatungen lionen Euro pro Jahr! Meine Damen und Herren, damit mit großem Durchhaltevermögen und teilweise mit bis können Sie vielleicht eine mittlere Sparkasse retten, aber an die Grenze gehendem persönlichen Einsatz geführt nicht einmal eine mittlere Großbank. haben. Wir sind jetzt so weit, dass wir dies dem Deut- schen Bundestag vorlegen können. (Otto Fricke [FDP]: Zahlt die Sparkasse da ein?) In dieser Woche werden wir nicht nur das Haushalts- gesetz, sondern noch einige andere Gesetze – das Haus- Das heißt, aufgrund Ihrer Politik wird der Steuerzahler haltsbegleitgesetz, den Nachtragshaushalt, das Fiskal- in der Haftung bleiben. Sie schaffen kein Recht und vertragsumsetzungsgesetz – beraten. Lassen Sie mich keine Ordnung im Finanzsektor, im Gegenteil. aber als Allererstes sagen: Die Kassandrarufe und Schimpfkanonaden der Opposition werden sich, wie in Wenn ich mir nur die gestrigen Empfehlungen zu den den vergangenen Jahren auch, in Schall und Rauch auf- Schattenbanken anschaue, sehe ich, dass da mittlerweile lösen. Nichts von dem, was Sie hier dargestellt haben, eine richtige Krake entstanden ist, die gefährlicher als al- wird eintreten. So war das in den vergangenen Jahren, les ist, was wir bisher gesehen haben. Da frage ich mich: und so wird es auch sein, wenn wir 2014 über den Haus- Wo sind Ihre Initiativen hier im Deutschen Bundestag, halt reden. um diesen Schattenbanksektor zu regulieren? Nichts ist passiert. Auch bei der Bankenregulierung haben Sie ver- (Anton Schaaf [SPD]: Das glaubst du doch sagt. selber nicht!) – Wenn der Kollege Carsten Schneider von Buchungs- (Beifall bei der SPD) tricks redet, Zum letzten Punkt. Herr Minister, Sie fahren heute (Beifall des Abg. [Spandau] zur Euro-Gruppe nach Brüssel, um über Griechenland zu [SPD] – Bettina Hagedorn [SPD]: Dann hat er entscheiden. Ich hoffe, dass Sie endlich entscheiden. Vor recht!) allen Dingen hoffe ich, dass Sie endlich Ihre Position korrigieren und nicht mehr nur den Wahltag im Septem- dann muss man eines festhalten: Wenn Buchungstricks ber 2013 im Blick haben, sondern dass Sie eine Lösung zur Anwendung gekommen wären, dann dürften Sie in (B) für Europa vorschlagen, die dauerhaft tragfähig ist. Das dieser Woche an keiner einzigen Stelle Kritik daran (D) bedeutet, dass Sie mit Ihrer Vernebelungs- und Ver- üben, dass wir gespart haben; schleierungstaktik aufhören müssen. Sie haben hier im (Bettina Hagedorn [SPD]: Sie kürzen an den Jahr 2010 gesagt: Für Griechenland gibt es 22,4 Milliar- falschen Stellen!) den Euro, keinen Cent mehr. – Wir haben immer gesagt: Auch Wirtschaftswachstum wird benötigt, und es ist eine denn wenn es sich tatsächlich um Buchungstricks han- Beteiligung der Reichen in Griechenland an der Sanie- deln würde, dann hätte kein Mensch etwas davon ge- rung erforderlich. Das haben Sie negiert. Sie haben, in- merkt. Das ist so falsch und doppelzüngig wie nur ir- nenpolitisch begründet, auf den Applaus zu Hause ge- gendwas. Ich werde das noch belegen. setzt, ohne das Große im Blick zu haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD) Mit den Gesetzentwürfen, die wir in dieser Woche Ich sage Ihnen: Kommen Sie nun mit einer dauerhaft vorlegen, zeigen wir, dass die christlich-liberale Koali- tragfähigen Lösung zurück, aber nicht mit einer, die ver- tion ihren Kurs einer wachstumsgerechten Konsolidie- schleiert. Wir sind mittlerweile in einer Situation, wo es rung konsequent fortsetzt. Dabei bewegen wir uns in sich eher – egal, ob Sie das Kredit nennen – um einen einem europäischen Umfeld, das immer noch von Insta- Transfer als um einen Kredit handelt. Ich finde, das müs- bilitäten auf den Finanzmärkten und einer schwelenden sen Sie der deutschen Öffentlichkeit klar sagen; denn wir Vertrauenskrise in Sachen Euro geprägt ist. Die gerade brauchen diese Sicherheit, damit es in Europa auch zu- erfolgte Herabstufung Frankreichs durch Moody’s zeigt, künftig weitergeht. dass diese Vertrauenskrise noch nicht endgültig be- kämpft ist. Deshalb ist es gut, dass Deutschland nach wie Vielen Dank. vor der Stabilitätsanker in Europa ist. Wir haben an die- (Beifall bei der SPD) ser Stelle eine besondere Verantwortung. Wir setzen auf Solidität, und wir setzen auf Stabilität. Das sind die Grundpfeiler unserer Politik. Solidität erzeugt Vertrauen, Präsident Dr. Norbert Lammert: und letztendlich geht es um Vertrauen. Deshalb, lieber Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für Kollege Carsten Schneider, haben wir seit 2010 kontinu- die CDU/CSU-Fraktion. ierlich, Jahr um Jahr, das strukturelle Defizit gleichmä- ßig abgebaut bzw. zurückgeführt. Wir werden in diesem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jahr bei etwa 15 Milliarden Euro landen. Mit dem Haus- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25109

Norbert Barthle (A) halt 2013 senken wir das strukturelle Defizit auf 8,8 Mil- einer der Sachverständigen mein geliebtes Heimatland (C) liarden Euro ab. Es wird kontinuierlich zurückgeführt. Baden-Württemberg genannt und gesagt: Baden-Würt- Damit erreichen wir das Ziel der Schuldenbremse, die temberg missbraucht den Abbaupfad. – Das ist leider uns für 2016 ein strukturelles Defizit von 0,35 Prozent wahr. des BIP vorschreibt, bereits drei Jahre früher. Diese Deshalb sage ich nochmals: Solidarität und Solidität Leistung sollten Sie einmal würdigen; denn sie ist wirk- sind die Grundpfeiler unserer nationalen Haushalts- und lich aller Anerkennung wert. Mit dem Haushalt 2013 er- Fiskalpolitik und auch unserer europäischen Strategie. reichen wir bereits das Ziel der Schuldenbremse drei Solidarität und Solidität gehören immer zusammen. Ent- Jahre früher als vorgeschrieben. sprechend verhalten wir uns, wenn es um unseren natio- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nalen Haushalt geht. 2014 werden wir, wenn wir bereit sind, uns entspre- Ich komme jetzt zu dem Vorwurf, den Kollege chend anzustrengen – es bedarf noch einiger Anstren- Schneider hier vorgetragen hat. gungen –, einen strukturell ausgeglichenen Haushalt (Volker Kauder [CDU/CSU]: Lohnt eigentlich vorlegen. Strukturelle Defizite sind das entscheidende gar nicht!) Merkmal, wenn es um die Frage geht, ob ein Staat solide wirtschaftet oder über seine Verhältnisse lebt; denn das Beachten Sie bitte, dass wir im vergangenen Jahr und in strukturelle Defizit zeichnet sich dadurch aus, dass kon- diesem Jahr – zweimal! – je 8,7 Milliarden Euro in den junkturelle Effekte, finanzielle Transaktionen und Priva- Kapitalstock des ESM eingezahlt haben und einzahlen. tisierungserlöse herausgerechnet werden. Insofern ver- Da stimmen Sie zu. Beachten Sie bitte, dass wir 1,6 Mil- deutlicht das strukturelle Defizit die Kernprobleme eines liarden Euro in den Kapitalstock der Europäischen In- Staatshaushaltes. Deshalb orientieren wir uns am struk- vestitionsbank einzahlen. Da stimmen Sie zu. Wenn Sie turellen Defizit. Ein ausgeglichener Haushalt 2014 in das addieren, kommen Sie auf 19 Milliarden Euro. Diese Deutschland ist das richtige Signal, nicht nur für unsere treiben die Nettokreditaufnahme selbstverständlich in Bundesländer, sondern vor allem auch für Europa. die Höhe bzw. mindern die Absenkung. Aber das hat nichts mit dem strukturellen Defizit zu tun. Wenn Sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und uns vorwerfen, dass wir mit 17,1 Milliarden Euro Netto- der FDP) kreditaufnahme für 2013 nur knapp unter dem Niveau Ein zweites Instrument, auf das ich hinweisen von 2011 liegen, dann ist das an Doppelzüngigkeit nicht möchte, ist der Fiskalvertrag. Der Fiskalvertrag schreibt zu überbieten. die Schuldenbremse nach deutschem Vorbild vor. Das ist (Zuruf von der SPD: Quatsch!) (B) ein Paradigmenwechsel in der europäischen Politik. Das (D) kann man nicht oft genug betonen. Mit der Umsetzung Einerseits stimmen Sie dem zu, andererseits kritisieren der Richtlinien des Fiskalvertrages – auf nationaler Sie. Was wollen Sie eigentlich? Ebene gibt es eine Begleitung durch einen Stabilitätsrat – (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das wissen die erhalten wir Vorgaben, wie wir sie bisher nicht hatten. doch nicht!) Deshalb ist es wichtig, dass wir in dieser Woche über die innerstaatliche Umsetzung dieses Fiskalvertrages disku- Da blickt kein Mensch mehr durch. tieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: neten der FDP) Nein! Da blickt kein Mensch mehr durch! Das ist wahr!) In diesem Zusammenhang erlaube ich mir den Hin- weis, dass wir das Kontrollkonto – das ist ein Spezialbe- Ich sage nochmals klar: Unsere Strategie zur Stabili- griff, den eigentlich nur Insider kennen – ab dem Jahr sierung des Euro ist in unserem ureigensten Interesse. 2016 auf null setzen werden. Das heißt, um kontrollieren ESM und Fiskalvertrag sind unsere wesentlichen Funda- zu können, inwiefern die Vorgaben der Schuldenbremse mente zur Stabilisierung der Währungsunion. Dass wir eingehalten werden, führen wir ein Kontrollkonto, auf die Nettokreditaufnahme daher nicht so weit absenken dem die Überschüsse addiert werden, die wir im Über- konnten, ist klar und verständlich. Aber das dort einge- gangszeitraum erwirtschaften, weil wir besser wirtschaf- zahlte Geld ist sozusagen ein Guthaben auf einem ande- ten, als die Schuldenbremse es vorschreibt. Im Jahr 2016 ren Konto. Deshalb bewirkt es hinsichtlich der struktu- setzen wir dieses Kontrollkonto auf null, machen es so- rellen Verschuldung nichts. Das ist das wesentliche zusagen sauber. Die 2016 amtierende Regierung – wir Kennzeichen. werden sicherlich weiterregieren – kann dann also mit Dennoch ist es eine hervorragende Leistung, denke einem gesäuberten Kontrollkonto weiterarbeiten. ich, dass wir die Nettokreditaufnahme auf 17,1 Milliar- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) den Euro absenken konnten, also unter das Niveau von 2011, was das Ist-Ergebnis anbelangt. Ich habe dem Kol- Auch dies ist ein wichtiges Signal für unsere europäi- legen Carsten Schneider von der SPD immer gesagt: Es schen Partner und die deutschen Bundesländer. Dort gibt ist Blödsinn, Soll und Ist zu vergleichen. – Aber wenn es noch einiges zu tun, weil noch einiges im Argen liegt, Sie es schon tun, Herr Kollege, dann gestehen Sie uns was die Einhaltung der Vorgaben der Schuldenbremse zu, dass wir mit 17,1 Milliarden Euro unter dem Ist des anbelangt. In unserer Anhörung an diesem Montag hat Jahres 2011 liegen, also eine klar absinkende Linie selbst 25110 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Norbert Barthle (A) bei der Nettokreditaufnahme aufweisen. Das Jahr 2012 (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) muss man herausrechnen. Da haben wir einen Nach- neten der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Die tragshaushalt mit Sondereffekten. für Gerechtigkeit sorgen!) (Otto Fricke [FDP]: Ja! – Carsten Schneider Dass daneben im Bundesrat noch die notwendige Be- [Erfurt] [SPD]: Wie bitte?) kämpfung der kalten Progression verweigert wird und die CO2-Gebäudesanierung behindert wird, will ich an Was ist der wesentliche Grund für die Tatsache, dass dieser Stelle nur erwähnen. wir dies schaffen? Die Antwort ist ganz einfach. Hier hilft ein Blick auf die Ausgaben. Wenn Sie sich an- Und die Grünen? Die Grünen haben bei der Einbrin- schauen, wie sich die Ausgaben in den Haushalten dieser gung des Haushalts noch kritisiert, dass wir den Ent- Koalition seit 2010 entwickelt haben, dann stellen Sie wicklungshilfeetat gegenüber dem Finanzplan um über fest: Wir hatten im Jahr 2010 Ausgaben des Bundes von 670 Millionen Euro aufstocken; das haben die Grünen, 303,7 Milliarden Euro. Im Jahre 2013 werden es liebe Kollegin Priska Hinz, kritisiert. 302 Milliarden Euro sein. Das ist weniger als im Jahr (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE 2010. GRÜNEN]: Ja! Weil es zu wenig ist!) (Bettina Hagedorn [SPD]: Wow! Eine ganze Bei den Beratungen haben die Grünen eine Erhöhung Milliarde!) dieses Etats um über 900 Millionen Euro beantragt – na- Die Ausgaben gehen zurück. türlich völlig ohne Gegenfinanzierung. Auch das ist kein Ausweis seriöser Haushaltspolitik. Nun zeigen Sie mir eine von der SPD geführte Bun- desregierung, zeigen Sie mir eine von den Grünen oder (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der SPD geführte Gebietskörperschaft oder Landesregie- Über die Linken will ich gar nicht lange reden; sie rung, die es schafft, bei steigenden Einnahmen, bei sind jenseits von Gut und Böse. verbesserter Situation aufgrund der Konjunktur das Aus- gabenniveau kontinuierlich zu senken! Zeigen Sie mir (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Das kann eine, dann gestehe ich Ihnen tatsächlich zu, Sparanstren- man wohl sagen!) gungen zu unternehmen. Wenn Sie das nicht können, müssen Sie zugeben: Die Einzigen, die wirklich konse- Jeweils 60 Milliarden Euro mehr Ausgaben und mehr quent und über Jahre hinweg konsolidieren, sind CDU/ Einnahmen, das ist ein Wünsch-dir-was-Konzert. Sie CSU und FDP. Dafür steht diese bürgerliche Koalition. fordern das Blaue vom Himmel. Das hat mit der Realität nichts zu tun. (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (D) Bettina Hagedorn [SPD]: Das sind doch Kon- Meine Damen und Herren, abschließend: Die Bürge- junktureffekte! Lauter Nebelkerzen, die Sie rinnen und Bürger dieses Landes können darauf ver- werfen!) trauen: Das ist aus meiner Sicht eine einmalige Leistung dieser (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Vorsicht jetzt!) Koalition. Das muss erst einmal jemand nachmachen. Diese Koalition kämpft verlässlich und kontinuierlich (Bettina Hagedorn [SPD]: Lieber nicht!) für stabile Verhältnisse in Europa, und diese Koalition kämpft verlässlich und kontinuierlich in Deutschland für Dennoch schaffen wir es, politische Schwerpunkte zu mehr Wachstum, für mehr Beschäftigung und für mehr setzen. Wir geben von 2010 bis 2013 nicht nur, wie ver- Wohlstand. sprochen, 12 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung und Forschung aus; inzwischen sind es bereits 13,3 Milliar- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Nein! Mit den Euro. Das sind die richtigen und wichtigen Zu- sich selbst kämpft diese Koalition!) kunftsinvestitionen. Gleichzeitig schaffen wir es, für den Ich bedanke mich. Verkehr nochmals deutlich mehr auszugeben. 2012 und 2013 investieren wir 1,75 Milliarden Euro mehr in die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Verkehrsinfrastruktur. Das ist nicht nur ein Impuls für die Konjunktur, sondern das ist auch Standortsicherung Präsident Dr. Norbert Lammert: und Zukunftsvorsorge. Deshalb machen wir das. Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Dietmar Bartsch nun das Wort. Was macht die Opposition? Schauen Sie sich die Vor- schläge an, die die SPD im Zuge der Haushaltsberatun- (Beifall bei der LINKEN) gen gemacht hat! Dann sehen Sie: 6 Milliarden Euro Mehrausgaben. Ausgabendisziplin sieht anders aus, Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): meine Damen und Herren. 6 Milliarden Euro Mehraus- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer gaben, finanziert durch Steuererhöhungen, etwa bei der wenn ich zu vergessen drohe, was Erfolgspropaganda Einkommensteuer, durch die Abschaffung des Ehegat- ist, höre ich Herrn Barthle, und dann weiß ich wieder, tensplittings und durch die Wiedereinführung der Ver- wie das geht: mögensteuer, also durch Steuererhöhungen, die die Bür- ger belasten und die Wirtschaft abwürgen. Das ist der (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der falsche Weg. LINKEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25111

Dr. Dietmar Bartsch (A) Es gibt keine Fehler; alles ist gut. – Das kenne ich aus ei- Reichen in diesen Gesellschaften Auflagen gemacht, den (C) ner anderen Zeit. Wenn Sie hier von wachstumsgerechter Millionären in Griechenland, Spanien und Portugal? Konsolidierung sprechen, dann glaube ich, Sie sprechen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- über einen anderen Haushalt. Dieser Haushalt ist unso- neten der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang lide, er setzt die Spaltung der Gesellschaft fort, und er ist Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- letztlich eine Gefährdung Europas. NEN]) Herr Schäuble fährt heute zu einem Finanzministertref- Warum werden diese nicht einmal zur Kasse gebeten? fen. Wir haben in Europa wieder einmal eine dramatische Sie haben im Hinblick auf diese europapolitischen Risi- Situation. Die Aussagen, die Sie hier im Parlament ge- ken nichts – nichts! – in den Haushalt eingestellt. macht haben, und auch die Aussagen der Kanzlerin ha- ben eine erschreckend kurze Halbwertszeit. Es wurde Es sind noch zehn Minuten – – zehn Monate bis zu einmal gesagt, dass es keine Hilfen mehr gibt. Jetzt ha- den Bundestagswahlen. ben wir wieder eine andere Situation. In der CDU (Zurufe) herrscht offensichtlich das völlige Chaos. – Es sind leider nicht zehn Minuten; es sind noch zehn (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Aber so schlimm Monate; das ist eine ganze Menge Zeit. wie bei den Linken ist es noch nicht!) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So Herr Oettinger fordert einen Schuldenschnitt. Jeder er- lange müssen wir die noch ertragen!) zählt etwas anderes. Niemand weiß, wie die Situation Diese Koalition ist eine Koalition des gebrochenen Ko- wirklich ist. Sie beschönigen, Sie beruhigen, Sie beteu- alitionsvertrages. Ich will daran erinnern, was vor Tische ern Absichten. Aber in der Regel sind es Fehleinschät- gesagt wurde: einfach, niedrig und gerecht. – Wo haben zungen; es sind Fehlinformationen. Das alles soll nur der Sie eigentlich eine Vereinfachung durchgesetzt? Wo ha- Beruhigung dienen. Der Preis aber, den die Euro-Länder ben Sie für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft ge- und die Krisenstaaten zahlen, ist riesig. Ihr Europa-Kurs, sorgt? Nirgendwo! Ihr Euro-Kurs ist gescheitert. Er ist genauso falsch wie das gesamte Szenario der bisherigen Krisenbewältigung. Ein ganz konkretes Beispiel. Im Koalitionsvertrag steht: Die Ostrenten werden in dieser Legislatur angeho- (Beifall bei der LINKEN) ben. – Was machen Sie? Sie brechen Ihren Koalitions- Vor allen Dingen: Sie haben in diesen Haushalt vertrag. Sie haben die Leute in den neuen Ländern letzt- nichts, aber auch gar nichts dazu eingestellt. Das ist an- lich wieder einmal – auf gut Deutsch muss man sagen – verarscht. Das ist Ihre Politik: Sie brechen Ihren eigenen (B) gesichts der aktuellen Situation unverantwortlich. (D) Schauen Sie sich die Lage in den betroffenen Ländern Koalitionsvertrag. an! In der letzten Woche gab es in mehreren Ländern Mit Blick auf 2013 gibt es wieder einen Wettlauf der Generalstreiks. In den letzten fünf Jahren ist das Brutto- Parteien darin, zu versprechen, dass die Angleichung in inlandsprodukt in Griechenland um 20 Prozent gesun- der nächsten Legislatur durchgeführt wird. Sie hatten ken; das gibt es sonst eigentlich nur im Krieg. Es kommt den Leuten das versprochen; doch Sie haben es nicht re- in den Ländern zu sozialen Verwerfungen. In Spanien alisiert. und in Griechenland liegt die Arbeitslosenquote der un- ter 25-Jährigen bei über 50 Prozent. Das alles ist auch Diese Koalition ist die Koalition mit der zweithöchs- Ergebnis Ihrer Politik. Die Grundursache ist im Übrigen, ten Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepu- dass Sie eine Währungsunion geschaffen haben, ohne blik. Sie haben in dieser Koalition die Umverteilung von eine Sozialunion zu schaffen. Das ist der Grundmangel. unten nach oben fortgesetzt. Letztlich gefährden Sie die Zukunftschancen Deutschlands. Der Kitt aus Mövenpick- (Beifall bei der LINKEN) Steuer und Herdprämie ist zu schwach, um darauf er- folgreiches Regierungshandeln aufzubauen. Ich will Sie eines fragen: Was haben Sie von der Gro- ßen Koalition damals in Deutschland gemacht, als das (Beifall bei der LINKEN) Wirtschaftswachstum um 5 Prozent eingebrochen ist? In einer zentralen Frage handeln Sie völlig falsch: Das Sie haben gesagt: Wir müssen investieren, wir müssen ist das Thema Investitionen. Nun soll Herr Ramsauer die Abwrackprämie einführen, wir müssen die Bezugs- noch einmal 750 Millionen Euro bekommen. Das ist si- dauer des Kurzarbeitergeldes verlängern. – Das geschah cherlich richtig. Trotzdem bleiben Sie hinter den Anfor- übrigens auch mit Zustimmung der Linken. Das waren derungen zurück. Wir müssen investieren in Deutsch- die richtigen Maßnahmen. land, in Städtebauförderung und in energetische Gebäudesanierung. Wir müssen mehr tun für Kitas. Wir Was machen Sie in Griechenland? Was machen Sie in müssen mehr tun bei der Gemeinschaftsaufgabe „Ver- Spanien? Das pure Gegenteil: Sie fordern Kürzungs- besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Wir müs- arien, eine nach der anderen. Sie wollen, dass bei den sen in Krankenhäuser investieren. Das wäre notwendig. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, bei den Rentne- Hier bleiben Sie hinter allen Anforderungen zurück. rinnen und Rentnern und bei den Studentinnen und Stu- denten gespart wird. Das ist Ihre Politik in diesen Län- Sie reden von Haushaltskonsolidierung und Schul- dern. Diese Politik ist falsch. Sie muss zu einer solchen denabbau. Nach den Zahlen, die dargestellt wurden, Situation führen. Warum werden nicht auch einmal den müssten wir in einer hervorragenden Situation sein. Das 25112 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Dr. Dietmar Bartsch (A) ist aber nicht der Fall. Diese Koalition wird in den vier 16,9 Prozent erzielt. Das ist doch eine Entwicklung, die (C) Jahren über 100 Milliarden Euro neue Schulden machen – wir allesamt nicht akzeptieren können. 106 Milliarden Euro. Und dann reden Sie von Konsoli- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dierung und Schuldenabbau! neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Alle Risiken blenden Sie aus. Schauen Sie sich die GRÜNEN) Konjunkturentwicklung an: Für Europa wird von einem Da müssen wir eingreifen: durch Steuerpolitik. In der Nullwachstum ausgegangen, für Deutschland von weni- Steuerpolitik muss gesteuert werden, meine Damen und ger als 1 Prozent Wachstum. Das ist in Ihrem Haushalt in Herren. keiner Weise abgebildet. Die Situation in Frankreich letzte Nacht, wo spiegelt sich das im Haushalt wider? Warum ist es so abwegig, die Erbschaftsteuer zu erhö- Was ist mit der Zinsentwicklung? Nur 1 Prozentpunkt hen? In den nächsten Jahren werden in Deutschland höhere Zinsen, und wir haben 10 Milliarden Euro mehr 2,6 Billionen Euro vererbt. Ausgaben. Auch das spiegelt sich nicht wider. (Otto Fricke [FDP]: Die Erbschaftsteuer betrifft (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Doch!) doch gar nicht den Bundeshaushalt!) Die Koalition macht diesen Haushalt wirklich nur mit – Herr Fricke, ich weiß, dass die Erbschaftsteuer nicht in Blick auf die Bundestagswahl. den Bundeshaushalt geht, sondern in die Haushalte der Länder. Ist das nicht auch etwas Vernünftiges? Also, das Deutschland ist in puncto Haushaltsdisziplin wahr- ist auch etwas Vernünftiges. haftig kein Vorbild in Europa: Schauen Sie sich die Staatsverschuldung an! Sie ist unter dieser Koalition auf (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- 82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Nach neten der SPD) den Maastricht-Kriterien dürften es maximal 60 Prozent Schauen Sie sich die Situation in den Ländern und Kom- sein. Den Vertrag von Maastricht müssen doch auch Sie munen an! Sagen Sie doch nicht, dass das keine Maß- einhalten. Wir liegen bei 82 Prozent! nahme ist, über die man nachdenken kann. Eines ist ganz klar: Durch Ausgabenreduzierung wer- In einer Sache, Herr Schäuble, will ich Sie ausdrück- den wir dieser Situation nicht Herr werden. Sicherlich lich loben. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass lässt sich auf der Ausgabenseite etwas machen; das ist Sie zusammen mit einigen Ländern in Europa bei der überhaupt keine Frage. Das Kernproblem ist aber, dass Finanztransaktionsteuer wirklich etwas hinbekommen. wir in Deutschland ein Einnahmeproblem haben. Das finde ich gut. Da haben Sie eine Idee der Linken, (B) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- von Attac und anderen aufgenommen. Nehmen Sie mehr (D) neten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der Vorschläge von den Linken an! Ich sage Ihnen: Das ist FDP) für das Land nur gut. Es bringt unser Land voran, wenn Sie das, was wir vorschlagen, umsetzen. Wir müssen endlich dazu kommen, dass die Vermögen- den, die Profiteure der Krise zur Kasse gebeten werden, Ein wesentlicher Punkt – Kollege Carsten Schneider meine Damen und Herren. hat auch darauf hingewiesen – ist der: Wenn wir nicht endlich die Finanzmärkte regulieren, die Banken regu- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- lieren und dafür sorgen, dass nicht wieder neue Spekula- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE tionen stattfinden, wird diese Finanzmarktkrise jeden GRÜNEN) Haushalt ad absurdum führen. Das ist das Gebot der Stunde. Nur dann wird die Gesell- Deswegen: Es ist notwendig, Ihre Politik der Spaltung schaft funktionieren. Es ist doch nicht zu akzeptieren, der Gesellschaft und der Ungleichbehandlung von Ost dass die vermögensbezogenen Steuern in Deutschland und West sowie der Schwächung des Zusammenhalts in bei unter 1 Prozent liegen. In Frankreich, in Großbritan- der Gesellschaft zu beenden. Ein Politikwechsel in unse- nien, da liegen sie bei 4 Prozent. Warum wird bei uns in rem Land ist notwendig. dieser Richtung nichts getan? Danke schön. Warum ist es so absurd, in Deutschland eine Millio- närsteuer einzuführen? Im letzten Jahr ist die Zahl der (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Vermögensmillionäre wieder gestiegen: In Deutschland neten der SPD) gibt es inzwischen 952 000 Vermögensmillionäre. Die Zahl derjenigen, die Grundsicherung im Alter empfan- Präsident Dr. Norbert Lammert: gen, ist ebenfalls gestiegen; das ist die andere Seite der Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke für die Medaille. Die Zahl der Vermögensmillionäre ist in den FDP-Fraktion. letzten beiden Jahren um 10 Prozent gestiegen, die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsiche- (Beifall bei der FDP) rung im Alter ebenfalls um 10 Prozent. Schauen Sie sich die Einkommensentwicklung an: Die untersten 10 Pro- Otto Fricke (FDP): zent hatten in den letzten zehn Jahren einen Einkom- Geschätzter Herr Bundestagspräsident! Meine Damen mensverlust von 9,6 Prozent zu beklagen. Die obersten und Herren! Es ist immer wieder schön, zu sehen, dass 10 Prozent haben eine Einkommenssteigerung um es im Endeffekt einen grundsätzlichen Unterschied im Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25113

Otto Fricke (A) Staatsverständnis zwischen der linken Seite des Hauses Es ist doch immer dasselbe: Sie tun heute hier so, als (C) und der Mitte der deutschen Politik gibt. wären Sie bereit, zu sparen, und werden den Rest der Woche wie immer sagen: mehr, mehr, mehr. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Rechts!) (Bettina Hagedorn [SPD]: So ein Quatsch! Wir haben ein solide gegengerechnetes Modell Sie alle auf der linken Seite des Hauses wollen mehr vorgelegt!) Staat. Anschließend kommen ein paar Leute von Ihnen und (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie sagen: Wir würden gerne noch dafür sorgen, dass das wollen mehr Mövenpick!) Ehegattensplittung abgeschafft wird. – Mit anderen Wor- Sie wollen dem Bürger weismachen, dass Sie mit mehr ten – das kann man dann auch den Bürgern sagen –: Staat am Ende weniger Verschuldung machen. Was Sie Liebe Eheleute, wenn ihr eure Kinder großgezogen habt wollen, ist nichts anderes, als zu sagen: Bürger, ihr und danach arbeitet, wird derjenige von euch, der weni- braucht den Staat. Dann müsst ihr dafür auch mehr ger verdient, weniger Steuern zahlen, und derjenige von bezahlen. Wir verraten euch aber nicht, wie. euch, der mehr verdient, wird weit mehr Steuern bezah- len. – Das wird dann verschwurbelt. Aber am Ende wol- Ich sage Ihnen voraus: Das nächste Mal, wenn einer len Sie mehr Geld vom Bürger holen, um es an anderer von Ihnen an der Regierung sein wird, wird es wieder Stelle zu verteilen und zu sagen, wie toll Sie sind. eine Mehrwertsteuererhöhung geben, weil Sie nicht anders haushalten können, als durch ständige Mehrein- Wir jedoch glauben an den Bürger und gehen des- nahmen Ihren ständigen Mehrausgaben hinterherzuren- wegen an die Ausgabenseite heran. Kollege Barthle hat nen. das bereits gesagt: Das ist die Kernbotschaft dieser Ko- alition. Dies ist die einzige Koalition der Bundesrepublik (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie Deutschland, die am Ende einer Legislatur weniger aus- verschenken das Geld! – Dr. Dietmar Bartsch gibt als am Anfang. Daran kann man uns messen. Das [DIE LINKE]: Wir haben noch nie die Mehr- kann man ablesen – viel besser als allgemeine Steuer- wertsteuer erhöht!) erhöhungsversprechungen und Mehrausgaben, die Sie haben wollen. – Man merkt jetzt an Ihrer Reaktion, dass genau das zu- trifft. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dann kommt immer noch der Vorwurf, dass wir ganz (B) der CDU/CSU) schlecht agieren. Die Opposition sagt: Die Koalition ist (D) schlecht. – Die Koalition sagt: Wir sind gut. Die Koalition hingegen hat es anders gemacht. Der Kollege Barthle hat das bereits gesagt. Der Bürger kann (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wir sind sogar für sich selbst überlegen: Wenn ich als Bürger sparen noch besser!) muss, folge ich dann linker Ideologie und frage: „Wer Ich bin der Meinung: Fragen Sie doch einmal die Leute, gibt mir mehr Geld?“, oder folge ich einem grundsätz- die ihr Geld für das Alter sicher anlegen wollen. Wo lege lich wirtschaftlich vernünftigen Ansatz und frage mich: ich denn dann mein Geld in Europa an? Lege ich das Auf was kann ich, auf was soll ich und auf was muss ich etwa beim Land Berlin – Rot geführt – an? Lege ich das verzichten? Diese unangenehme Frage wollen Sie nicht beim Land Bremen – Rot geführt – an, oder lege ich das stellen und auch nicht beantworten. Man hat es wieder im europäischen Ausland an? – Nein. Was ist der Hort bei allen Wortbeiträgen gemerkt: Wenn es um die Frage der Sicherheit und Stabilität? – Die Bundesrepublik geht, wo Sie konkret einsparen wollen, bleiben Sie ver- Deutschland, geführt von einer schwarz-gelben Koali- schwiegen. tion! (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Subventio- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nen! Mövenpick-Steuer!) der CDU/CSU) Dann ergehen Sie sich in allgemeinen Verschwurbelun- Liebe Leute, stellen Sie nicht einfach nur irgendwel- gen. Nichts, gar nichts Konkretes kommt von Ihnen. che Behauptungen auf, sondern schauen Sie, wie die Wollen Sie im Sozialbereich einsparen? Wollen Sie Bürger entscheiden, wenn sie sich fragen: Wo ist mein das? – Nein, Sie wollen das nicht. Wollen Sie wirklich Geld sicher? bei der Bundeswehr einsparen? – Wenn Ihre Verteidi- Auch der nächste Vorwurf ist ein richtig schönes Vor- gungspolitiker im Laufe der Woche reden, dann werden urteil, nämlich wir seien unsozial. Sie sagen: Wenn die sie sicherlich von Mehrausgaben sprechen. Wollen Sie FDP dabei ist, kann das gar nicht sozial sein. bei Verkehr und Wohnungsbau einsparen? – Nein, das wollen Sie nicht. Wenn Ihre Politiker auf diesen Bereich (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Richtig!) zu sprechen kommen, dann sagen sie, dass sie mehr aus- geben wollen. Da sieht man wieder, wie einfach strukturiert die linke Seite des Hauses ist. Ich empfehle der linken Seite des (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Hauses, doch einmal in die Zahlen zu gucken. Die Frage, Betreuungsgeld!) wie sozial ein Haushalt ist, muss ich doch daran messen, 25114 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Otto Fricke (A) wie viel Prozent des Haushaltes ich für Soziales aus- okay“, sondern: Es ist falsch, dass Sie sparen; wir wollen (C) gebe. höhere Ausgaben. (Bettina Hagedorn [SPD]: Jetzt kommt die (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Platte wieder!) Das stimmt doch gar nicht!) – Jetzt kommt die Platte wieder. Mit anderen Worten: Das ist der Unterschied: Wir haben die Verantwortung getroffene Hunde. So ist es an der Stelle. übernommen und die Bürde des Sparens und der Kritik, die wir für das Sparen bekommen, auf uns genommen. Diese Koalition gibt auch im Haushalt 2013 mehr für Ich darf auch den Koalitionären und den Haushältern der Soziales aus, als es Rot-Grün in seiner Zeit geschafft hat. CDU und der CSU ausdrücklich sagen: Das war nicht (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten immer einfach, aber ich finde, das waren sehr gute Haus- der CDU/CSU) haltsberatungen, bei denen von beiden Seiten Zuge- ständnisse gemacht werden mussten. Daran können Sie sehen: Dies ist ein Haushalt, der ei- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: nerseits die Frage berücksichtigt: „Wie spare ich?“, ohne Volle Zustimmung!) andererseits die Frage der sozialen Verantwortung aus dem Auge zu lassen. So gehört sich das meiner Meinung nach in einer funk- tionierenden Koalition auch. Damit komme ich zu dem nächsten Vorwurf, das sei ein Wahlkampfhaushalt. Ich erinnere mich daran, dass in (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wahlkampfhaushalten unter SPD-Finanzministern die der CDU/CSU) Ausgaben immer stiegen, damit im Wahlkampfjahr mehr Meine Damen und Herren, in einem Bereich sparen Geld ausgegeben werden konnte. Wir haben jetzt gerade wir weiterhin nicht. Der Bürger sei versichert, diese aber gelernt, dass diese Koalition im Wahlkampfjahr we- Koalition guckt in die Zukunft. Sie niger ausgeben wird. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Die NEN]: Was?) Zinsen!) weiß, dass das Thema Bildung und Forschung für die Ist das ein Wahlkampfhaushalt, wenn man weniger aus- Zukunft essenziell ist, gibt? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das ist ein Sparhaushalt, mit dem wir an die Vernunft NEN]: Dann tun Sie doch einmal etwas für die (B) der Leute appellieren. Wir glauben nicht daran, dass man Bildung!) (D) mit Geschenken irgendeinen Wähler dazu bewegt, irgendetwas zu wählen. Ihre alte Theorie mag funktio- weil sich die Rohstoffe eben nicht, wie es CDU, CSU, nieren, unsere ist, dass wir an die Vernunft der Wähler SPD, FDP, Grüne und Linke weiland dachten, nur in der glauben, Erde befinden. Wir als Koalition haben erkannt: Der wesentliche Rohstoff befindet sich zwischen unseren (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist das!) Ohren. die wissen, dass ein Staat, der sich auf das Wesentliche (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nicht bei konzentriert, der Staat ist, den sie als Bürger haben wol- jedem!) len. Deswegen werden wir den Bereich Bildung und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Forschung auch weiterhin ganz besonders vom Sparen ausnehmen. Für diesen Bereich müssen wir sehr viel tun, Meine Damen und Herren, wir setzen auch Schwer- gerade weil wir erkennen müssen, dass in einer globali- punkte. Ich habe den Verkehrsminister eben lächeln sierten Welt nur der vorne sein wird, der mehr weiß, der sehen, als Herr Bartsch hier noch mehr Milliarden für schneller lernt und der besser an der Stelle ist, wo die Infrastruktur und Gebäude gefordert hat. Anforderungen eines Marktes sind. Das tut die Koali- (Bettina Hagedorn [SPD]: 750 Millionen! – tion, und das ist auch vorausschauend. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie Ein anderer netter Vorwurf vonseiten der Opposition kennen die Zahlen!) ist, wir würden die Sozialkassen plündern. Herr Verkehrsminister, ich gebe ehrlich zu, ich würde (Bettina Hagedorn [SPD]: Das stimmt, leider!) dafür auch gerne mehr ausgeben, aber es gibt Grenzen. Ich weiß auch, dass sich der Verteidigungsminister nicht Haben Sie sich eigentlich einmal überlegt, ob Sie nicht freut, dass wir bei den Personalverstärkungsmitteln noch auch hier einmal die Zahlen gelten lassen sollten? Ich einmal etwas gekürzt haben, und ich weiß, dass wir im greife jetzt nur einmal das Beispiel Gesundheit heraus: Bereich der außenwirtschaftlichen Zusammenarbeit Kann es sein, dass die letzte Gesundheitsministerin, als Mittel gekürzt haben, was auch nicht allen gefällt. sie am Ende einer Legislatur aus ihrem Amt geschieden ist, Schulden im Bereich Gesundheit hinterlassen hat? Das Interessante ist: All diese Kürzungen nimmt die Kann es sein, dass der Gesundheitsminister, der hier, Opposition zwar wahr. Aber was ist die Antwort der glaube ich, eine sehr gute Arbeit geleistet hat – das gilt Opposition? Sie lautet nicht etwa: „Ja, Sie sparen; das ist auch für seinen Vorgänger im Amte –, einen zweistelli- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25115

Otto Fricke (A) gen Milliardenbetrag als Puffer in den Sozialkassen senken, und zwar trotz der Belastungen für Europa, trotz (C) lässt? Das ist der Unterschied. der Anforderungen der Länder, trotz der Anforderungen von den Kommunen, ohne den Bürger zusätzlich zu (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Bettina belasten, das kann nur Schwarz-Gelb. Hagedorn [SPD]: Das ist doch die Konjunk- tur! – Weiterer Zuruf von der SPD: Was hat Herzlichen Dank. der eigentlich gemacht?) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) – „Das ist doch die Konjunktur!“ Wissen Sie, was Sie gemacht hätten, wenn Sie auch nur 1 Milliarde gefunden Präsident Dr. Norbert Lammert: hätten? Sie hätten dann wieder überlegt, wo Sie diese Nun hören wir dazu die grüne Version der Kollegin Milliarde noch ausgeben können, um sich lieb Kind zu Priska Hinz. machen. Das ist der Unterschied: Wir erhalten die Puf- fer, Sie geben das Geld aus, wundern sich am Ende, dass (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der kein Geld da ist, und erhöhen die Steuern. LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Meine Damen und Herren, das Liberale Sparbuch ist NEN): hier angesprochen worden. Sie alle wissen, dass man den Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war Haushalt vom Jahre 2009 nicht mit dem Haushalt vom jetzt wieder einmal eine Rede für fast 3 Prozent. Jahre 2013 vergleichen kann. Ich will Ihnen aber einmal ein paar Punkte nennen: Einsparung eines Staatssekre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tärs. – Macht ihr nie! – Haben wir gemacht! Elterngeld sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate für Hartz-IV-Empfänger. – Macht ihr nie! – Haben wir Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So gemacht. viel? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zusätzlich! – Volker Kauder [CDU/CSU]: (Zurufe von der SPD) Hochmut kommt vor dem Fall! Merken Sie – Wir können an dieser Stelle gerne darüber reden, aber sich das mal!) es ist so. Das tut euch sehr weh. – Reduzierung der Deswegen kann man davon ausgehen, dass dies der Mittel für den Arbeitsmarkt. – Haben wir gemacht, weil vierte und letzte Haushalt von Schwarz-Gelb ist. wir durch unsere Politik dazu in der Lage waren. Zu- schuss zur GKV – haben wir gekürzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) sowie bei Abgeordneten der SPD) (D) Guckt euch das Sparbuch an dieser Stelle bitte schön einmal in Ruhe an! Ihr werdet dann feststellen, dass der Die Herausforderungen waren klar und lagen auf der Grundgedanke des Liberalen Sparbuchs, dort Ausgaben Hand: Die Energiewende musste in den letzten Jahren zu reduzieren, wo es möglich ist, mit dieser Koalition am vorangetrieben werden, die soziale Spaltung überwun- Ende dieser Legislaturperiode umgesetzt worden ist, den werden, Steuergerechtigkeit hergestellt werden, und die Neuverschuldung musste abgebaut werden. – Das (Bettina Hagedorn [SPD]: Quatsch!) Fazit ist: Sie haben kläglich versagt! was mich mit einer großen Befriedigung und Sie, wie ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN höre, mit großem Ärger erfüllt. sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, in Bezug auf den Haushalt In keinem Bereich haben Sie irgendetwas hinbekom- gibt es zudem noch Zusatzanforderungen. Ich habe es men. Die Energiewende ist nicht ausfinanziert. Die so- beim letzten Mal schon gesagt: Die größte Gefahr des ziale Schere geht weiter auseinander. In der Steuerpolitik Haushaltes sitzt nicht auf den Bänken der Opposition, gibt es nur etwas für die eigene Klientel, lieber Otto weil sie dafür einfach zu schwach ist, sondern auf der Fricke. Der Schuldenstand wird in den vier Jahren um Bundesratsbank. 100 Milliarden Euro gestiegen sein, obwohl es in diesem Wir werden auch im Jahre 2013 wiederum 10 Milliar- Zeitraum bei den Steuereinnahmen einen Zuwachs von den Euro zusätzlich für Länder und Kommunen ausge- 33 Milliarden Euro gibt. Das ist die Bilanz von Schwarz- ben. Wir helfen den Kommunen bei der Finanzierung Gelb. der Grundsicherung im Alter. Wir sorgen dafür, dass wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unseren Anteil am ESM bezahlen. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei Abgeordneten der FDP) LINKEN) Trotz alledem können wir die Neuverschuldung senken. Der Haushalt fügt sich in eine lange Reihe vergebener Chancen ein. Sie haben selten so gute Rahmenbedingun- Herr Steinbrück, um es klar zu sagen: Von 86 Milliar- gen wie in diesem Jahr gehabt, um das strukturelle Defi- den Euro, die Sie am Ende der Legislaturperiode in zit im Haushalt dauerhaft zu senken. Aber statt vorzusor- Ihrem Entwurf für den Haushalt 2010 vorgesehen hatten, gen, haben Sie das Gegenteil gemacht: Allein durch die auf 17 Milliarden Euro herunterkommen und die Mehreinnahmen aufgrund der konjunkturellen Effekte Neuverschuldung in vier Jahren um 70 Milliarden Euro und durch Ihre schlechten Buchungstricks bei den Priva- 25116 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Priska Hinz (Herborn) (A) tisierungserlösen – dabei sind wir Ihnen sofort auf die Griechenland wird uns demnächst Geld kosten. Sie (C) Schliche gekommen – hätte die Nettokreditaufnahme um sollten sich endlich einmal hier hinstellen, der Bevölke- 2,8 Milliarden Euro gesenkt werden können. Aber Sie rung reinen Wein einschenken, Frau Kanzlerin, und sa- haben die Neuverschuldung nur um 1,7 Milliarden Euro gen: Wenn wir die politische Entscheidung treffen, Grie- abgesenkt, weil Sie nämlich immer wieder die Ausgaben chenland in der Euro-Zone zu halten – was wir Grünen erhöhen. immer wollten und auch gesagt haben –, dann kostet uns das auch Geld. Das geht nicht aus der Portokasse, und Dabei nützt es gar nichts, dass Sie die Einführung des das geht nicht allein aus Bürgschaften. Betreuungsgeldes verschieben, weil Sie es am Ende trotzdem ausfinanzieren müssen. Dass Sie sich dafür (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wie viel wollen rühmen, mehr Mittel für den Straßenbau bereitzustellen, die Grünen denn ausgeben? Nennt doch mal damit Herr Ramsauer Spatenstiche in Bayern machen eine Hausnummer!) kann, ist an Frechheit wirklich kaum noch zu überbieten. Das wäre wirklich wichtig; und es wäre auch ehrlich, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wenn Sie es vor der Wahl sagen würden sowie bei Abgeordneten der SPD) ( [SPD]: Die Wahrheit auf Ansonsten greift die Koalition bei der Bundesagentur den Tisch!) für Arbeit, beim Gesundheitsfonds und bei der Renten- und nicht erst nach der Wahl, wenn eine andere Regie- versicherung zu. Mit 5,5 Milliarden Euro aus den rung dran ist. Taschen der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler soll der Haushalt 2013 saniert werden. Da sage ich ganz klar, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Otto Fricke: Wir halten es nicht für gerecht, gerade die und bei der SPD) Leute zu schröpfen, die in den gesetzlichen Kassen ver- Meine Damen und Herren, die Grünen können das sichert sind. besser. (Beifall der Abg. Elke Ferner [SPD]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und bei Abgeordne- Wir sind für Steuergerechtigkeit und dafür, dass Men- ten der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: schen mit hohen Einnahmen und hohem Einkommen Was? – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Baden- diesen Staat mitfinanzieren. Dabei geht es nicht um ei- Württemberg zeigt gerade eine miserable nen starken Staat oder um mehr Staat, sondern es geht Haushaltspolitik!) um einen funktionierenden Staat. Unsere Haushaltspolitik orientiert sich an den gesell- (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schaftlichen Herausforderungen und Erfordernissen, und und bei der SPD) wir können auch noch besser haushalten als Schwarz- Deutschland ist auch noch Krisengewinner. Deswe- Gelb. Das werde ich Ihnen jetzt zeigen. gen ist es Ihnen möglich, den Haushalt so gut aussehen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zu lassen. Allein 400 Millionen Euro verdienen wir an Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Griechenland, an dem ärmsten Land in der Euro-Zone. Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau Hinz, das sehen wir an Baden-Württemberg!) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Hört! Hört!) Wir wollen insgesamt 1 Milliarde Euro mehr in die Kinderbetreuung investieren. Da ist es besser angelegt Auch bei den Zinsen für unsere eigenen Schulden profi- als beim Betreuungsgeld, das nur Herrn Seehofer retten tiert Deutschland massiv. Teilweise bekommen wir noch soll. Geld dafür, wenn wir Staatsanleihen ausgeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das hat etwas sowie bei Abgeordneten der SPD) mit Vertrauen zu tun!) Kommunen mit besonderem Bedarf sollen hier beson- Gegenüber dem Haushaltsentwurf sind die Zinsausgaben ders profitieren. Bei Erwachsenen wollen wir mehr um fast eine halbe Milliarde gesunken. Langfristig be- Engagement für Teilhabe und Chancengerechtigkeit. trachtet haben wir Einsparungen in Milliardenhöhe. Wir wollen – natürlich – das Existenzminimum verbes- sern und den Regelsatz erhöhen, aber wir setzen auch (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist das konsequent auf Bildung und Qualifizierung, sowohl bei schlimm?) Arbeitslosen als auch bei Studierenden wie auch bei der – Nein, zurzeit ist das nicht schlimm. Nur müsste man beruflichen Weiterbildung von Arbeitnehmern. Allein das nutzen, um im Haushalt Vorsorge zu betreiben, was von Fachkräften zu reden, hilft nämlich nicht weiter. Sie aber versäumen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NEN]: Man muss sie auch reinlassen!) sowie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Man muss auch etwas dafür tun, und man muss dafür Barthle [CDU/CSU]: Das machen wir doch!) auch investieren. Man muss Vorsorge betreiben, weil das nicht so bleibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25117

Priska Hinz (Herborn) (A) Die Energiewende muss sich auch im Haushalt so Im Gegensatz zu Schwarz-Gelb, die in die Taschen der (C) wiederfinden, dass sie gelingt. Andere Staaten schauen Beitragszahler greifen, sagen wir das ehrlich. nämlich auf uns und darauf, ob wir nicht nur den Atom- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das belastet ausstieg, sondern auch die Energiewende schaffen. Das doch die Beitragszahler!) gelingt nicht mit einem Sondervermögen, das von Zerti- fikatspreisen abhängig ist, und das gelingt vor allen Din- Ich glaube, dass Ehrlichkeit am längsten währt und dass gen nicht mit einem Umweltminister, dem 25 Prozent er- die Bevölkerung wissen will, wie Politik agiert, und das neuerbare Energien zu viel sind, und das gelingt schon entsprechend honoriert. gar nicht mit einem Wirtschaftsminister, der das Erneu- Wenn wir „Mehr Steuergerechtigkeit“ sagen, dann erbare-Energien-Gesetz schleifen will. meinen wir auch Entlastung von unteren Einkommen. (Zuruf von der FDP: Höchste Zeit!) Außerdem wollen wir eine Vermögensabgabe; die Ein- nahmen daraus sollen ganz gezielt zum Schuldenabbau Nein, hier braucht es starke Grüne. Nur so können wir eingesetzt werden. Damit haben wir ein Alleinstellungs- künftig den Haushalt mitbestimmen. merkmal; denn ansonsten hat niemand in diesem Saal (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und keine von den Parteien ein Konzept, um einen tat- sächlichen Schuldenabbau zu betreiben. Nun komme ich zur Rückwärtsrolle bei der ODA- Quote. Lieber Norbert Barthle, du hast hinsichtlich des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 0,7-Prozent-Ziels bei der ODA-Quote irgendwas miss- Wir Grüne wollen mutige Strukturentscheidungen verstanden. treffen und damit den Haushalt zusätzlich um 4,6 Mil- (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja! – Weitere Zurufe liarden Euro entlasten. Jeder kann das nachrechnen. Das, vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja!) was wir auf den Tisch gelegt haben, ist ganz seriös. Da- ran muss man den Haushalt der Koalition politisch und Wir haben kritisiert, dass nicht genügend Geld im Haus- faktisch messen. Wenn man ihn daran misst, lautet das haltsentwurf enthalten war, um das Ziel tatsächlich so zu Fazit: Schwarz-Gelb hat erstens nichts gespart und zwei- erreichen, wie es international vereinbart ist. Was aber tens nichts in die Zukunft investiert. Grün kann es bes- die Koalition jetzt gemacht hat, ist, dass sie die Errei- ser. Wir sind gut auf den Herbst 2013 vorbereitet. chung des Ziels aufgegeben hat. Herzlichen Dank. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Von wegen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ihr habt das Ziel aufgegeben. Denn es wurden (B) 124 Millionen Euro gestrichen. Damit ist der Haushalt Präsident Dr. Norbert Lammert: (D) erstmalig abgesenkt worden. Das Wort erhält nun der Bundesminister der Finan- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Marginal!) zen, Dr. Wolfgang Schäuble. Damit lasst ihr auch die Kanzlerin im Regen stehen. Um (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sie tut es mir, ehrlich gesagt, nicht so richtig leid. Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zen: NEN]: Aber um !) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen Aber um die Staaten, die unsere Unterstützung brauchen, und Kollegen! Ich habe während der Debattenbeiträge und um die Menschen, die dort leben, tut es mir leid. der Redner der Opposition ein bisschen darüber nachge- dacht, ob unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Augenblick wirklich nichts anderes interessiert als die sowie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Tatsache, dass in einem Jahr Bundestagswahl ist. Mögli- Barthle [CDU/CSU]: Wir liegen mit 0,4 Pro- cherweise ist unsere Wirtschaft in einer schwierigen zent immer noch besser als alle anderen Ge- Lage. Wir stehen vor großen Herausforderungen. Um berländer!) eine glückliche Entwicklung fortzusetzen, bedarf es gro- Wir Grünen haben deutlich gemacht, dass wir das Aus- ßer Anstrengungen. Die Wahl ist in einem Jahr, aber an- bauziel mit 1,2 Milliarden Euro mehr in diesem und in statt uns gegenseitig Umfrageergebnisse und Zeitungs- den nächsten Haushalten erreichen können. kommentare vorzuhalten, sollten wir uns vielleicht doch ein bisschen mehr mit dem beschäftigen, was auch die (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Ich denke, ihr Menschen in diesem Lande interessiert, nämlich wie wir wollt sparen!) eine erfolgreiche Politik in schwierigen Zeiten für die Zukunft unseres Landes fortsetzen. Natürlich kosten die Zukunftsinitiativen, die ich ge- rade benannt habe, auch Geld. Das ist logisch. Dafür (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- wollen wir ökologisch schädliche Subventionen ab- ruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/ bauen. Dafür brauchen wir aber auch mehr Steuerge- DIE GRÜNEN]) rechtigkeit. – Ich weiß, dass Sie gerade Ihren Parteitag gehabt und (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das EEG ab- die Wahl Ihrer Spitzenkandidaten für die nächste Bun- bauen!) destagswahl durchgeführt haben. Ich will das auch gar 25118 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) nicht, Frau Künast, mit irgendwelchen von Ihnen dann nicht über andere reden. Ich will auch nicht behaupten, (C) eher als hämisch empfundenen Bemerkungen kommen- dass wir Musterschüler sind, sondern ich sage: Wir be- tieren. mühen uns, unserer europäischen und globalen Verant- wortung gerecht zu werden. Das tun wir in diesen Tagen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Wochen, und damit sind wir ganz erfolgreich. NEN]: Was war das denn jetzt?) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich wünsche mir vielmehr, dass wir diese Haushaltsde- batte auch dazu nutzen, uns mit der Substanz der Pro- Nach dem Debattenverlauf möchte ich auch noch fol- bleme unseres Landes in Sachen Wirtschaft und Finan- gende Bemerkung machen: Natürlich kann man zu hohe zen zu beschäftigen. Verschuldung auf unterschiedliche Weise zurückführen. Man kann auch darüber streiten, was das richtige Tempo (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ist. Ich glaube, wir haben in der letzten Legislaturperiode Ich will es an einem einfachen Beispiel deutlich ma- mit der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse die chen. Wenn Sie sagen, wir hätten in dieser Legislatur- richtige Entscheidung getroffen, nämlich uns, wie periode insgesamt 100 Milliarden Euro neue Schulden Norbert Barthle erläutert hat, im Wesentlichen auf das gemacht, dann will ich daran erinnern, dass zunächst strukturelle Defizit zu konzentrieren. Das ist schließlich Herr Steinbrück und ich gemeinsam in der Großen Ko- die entscheidende Größenordnung in Bezug darauf, ob alition und dann ich als sein Nachfolger für das eine Finanzpolitik in die richtige Richtung geht oder Jahr 2010 einen Haushaltsentwurf mit 86 Milliarden nicht. Wenn wir in einem Jahr anteilig Kapital in die Eu- Euro Neuverschuldung vorlegen mussten. Wenn wir also ropäische Investitionsbank oder auch in den Europäi- in vier Jahren insgesamt auf eine Neuverschuldung von schen Stabilitätsmechanismus einzahlen, hat das ja mit 100 Milliarden Euro gekommen sind, kann es, ausge- der langfristigen Linie unserer Finanzpolitik relativ we- hend von dieser Ausgangslage, nicht ganz so schlecht nig zu tun. Entscheidend ist also das strukturelle Defizit. gewesen sein. Auch das muss man einmal sagen. Im Grundgesetz haben wir uns verpflichtet – diese Rege- lung, die wir gemeinsam getroffen haben, ist übrigens (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Vorbild für alle Länder in Europa im Fiskalvertrag ge- Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das heißt worden; sie kann wohl nicht so dumm sein –, dass wir noch nicht, dass es gut gewesen ist!) das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt bis spätestens – Nein, aber es reicht jedenfalls dazu, zu veranschauli- 2016 auf maximal 0,35 Prozent zurückführen. chen, Herr Bartsch, dass man über Probleme nur dann Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt, den ernsthaft reden kann, wenn man mit den Zahlen einiger- der Haushaltsausschuss jetzt zur Verabschiedung vor- maßen korrekt umgeht. (B) legt, sieht vor, dass bereits im kommenden Jahr das (D) Mit unserer Finanzpolitik und Wirtschaftspolitik sind strukturelle Defizit im Bundeshaushalt auf 0,35 Prozent wir in die Bemühungen eingebettet, Europa stabil zu hal- bzw. genau 0,34 Prozent des Bruttoinlandsprodukts be- ten, und nehmen Verantwortung für die Entwicklung der grenzt wird. Wir schaffen das also drei Jahre vor dem Weltwirtschaft wahr. Wir haben Absprachen und Verab- Zeitpunkt, den wir uns im Grundgesetz selber vorgege- redungen seit 2008, seit der mit der Insolvenz von Leh- ben haben. Genau diese Linie werden wir in den kom- man Brothers verbundenen Krise, im Rahmen der G 20, menden Jahren konsequent fortsetzen. Das entspricht im globalen Rahmen und mit dem Internationalen Wäh- unserer Verantwortung für die Zukunft. rungsfonds. Diese Absprachen besagen, dass wir nach- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) haltig, aber maßvoll unsere Defizite reduzieren müssen, dass die zu hohe Staatsverschuldung überall reduziert Nun kann man zwischen den verschiedenen politi- werden muss und wir das in einer Weise machen müs- schen Lagern immer darüber streiten, wie man eine zu sen, die unserer Verantwortung für die Entwicklung hohe Verschuldung zurückführt. Die einen fordern hö- nachhaltigen Wachstums in der ganzen Welt, in den In- here Steuern, während die anderen dafür plädieren, eher dustrieländern, in den Schwellenländern und in den Ent- bei den Ausgaben kürzerzutreten. Das ist im Kern die wicklungsländern, gerecht wird. Das ist die internatio- Alternative. Jetzt will ich Ihnen einmal die Ausgaben im nale Absprache, die wir gemeinsam getroffen haben und Bundeshaushalt nennen. Die Istausgaben betrugen 2010 zu der wir mit unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik 303 Milliarden Euro und 2011 296 Milliarden Euro. Im unseren Beitrag leisten. Jahr 2012 sind die Ausgaben durch die zwei Nachtrags- haushalte mit den Kapitaleinzahlungen in ESM und EIB (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) noch einmal auf 311 Milliarden Euro gestiegen. Nach Deswegen sollte man unseren Mitbürgerinnen und dem zu verabschiedenden Haushalt werden sie 2013 Mitbürgern bei aller Verunsicherung doch einmal sagen: 302 Milliarden Euro betragen und nach der mittelfristi- In allen Berichten von der EU-Kommission – hier geht gen Finanzplanung 2014 bei 302,9 Milliarden Euro und es um die länderspezifischen Empfehlungen und die 2015 bei 303,3 Milliarden Euro liegen. Das heißt: Von Überwachung nach der Verschärfung des Sekundär- 2010 bis 2015 halten wir die Ausgaben im Bundeshaus- rechts –, von der OECD, vom Internationalen Wäh- halt konstant – bei steigendem Bruttoinlandsprodukt und rungsfonds wird wieder und wieder bestätigt, dass bei steigenden Steuereinnahmen. So reduzieren wir un- Deutschland seine europäischen und globalen Verpflich- ser Defizit. Das ist die Finanzpolitik der christlich-libe- tungen erfüllt, nicht mehr und nicht weniger. Wenn alle ralen Koalition. Sie ist erfolgreich, und sie sichert unsere anderen das auch täten, wäre es gut. Ich will jetzt aber Zukunft. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25119

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bringen – wir machen das –, sondern wir haben auch (C) eine gesamtstaatliche Verantwortung, Stichwort „Fiskal- Wir müssen das vor dem Hintergrund machen, dass vertrag“. Auch das hat Norbert Barthle sehr präzise be- sich die wirtschaftliche Lage eher abschwächt. Das ist schrieben. Wir haben uns verpflichtet – das ist auch rich- weltweit so. Es ist alles gar nicht nur auf Europa be- tig und notwendig –, das gesamtstaatliche Defizit, also schränkt. Was Europa angeht, haben wir heute Nacht die das von Bund, Ländern, Kommunen und gesetzlichen Nachricht bekommen, dass unser wichtigster Partner Sozialversicherungen, auf maximal 0,5 Prozent des von einer Ratingagentur eine ein kleines bisschen mah- Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen. Insofern geht es nende Beurteilung bekommen hat. Noch immer ist das auch um die Haushalte von Ländern und Gemeinden. Rating für Frankreich sehr stabil. Das sage ich ganz deutlich, damit man da auch jede Dramatisierung mei- Wir haben übrigens in dieser Legislaturperiode für die det. Wir haben jedes Interesse daran, dass wir alle in Eu- Kommunalhaushalte mehr getan, als die Präsidenten der ropa unsere Aufgaben wahrnehmen und unserer Verant- kommunalen Spitzenverbände selbst auch nur zu hoffen wortung gerecht werden. gewagt hätten. Auch das ist die Wahrheit. Wir müssen allerdings sehen, dass wir im kommen- (Zuruf von der SPD: Die sind bescheiden den Jahr nur mit verringertem Wachstum rechnen kön- geworden!) nen. Damit ist eine gewisse Verlangsamung der wirt- schaftlichen Entwicklung zu verzeichnen – in unserem – Doch, natürlich. Allein die Übernahme der Kosten für Land, in Europa und in der globalen Wirtschaft. Vor die- die Grundsicherung im Alter, die Rot-Grün zu einem sem Hintergrund haben wir dennoch Vorsorge getroffen. großen Teil auf die Kommunen übertragen hat, in voller Es ist ja völlig unbestritten, Deutschland ist in Europa Höhe macht einen rasch ansteigenden Milliardenbetrag Stabilitätsanker und zugleich Wachstumslokomotive. aus. Darüber brauchen wir nicht lange zu reden. Ohne Deutschland wäre Europa insgesamt, die EU und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – die Euro-Zone, in der Rezession. Wir sichern mit unserer Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das war Politik, dass es zwar auf einem niederen Niveau, aber eine tolle Idee von uns!) nachhaltig weiterhin aufwärts geht. Das ist die entschei- dende Frage. Dieser Herausforderung wird unser Haus- – Na ja, Herr Steinmeier, es hilft nichts. Sie haben es ein- halt gerecht. geführt unter Rot-Grün. Sie haben einen großen Teil die- ser Kosten auf die Kommunen übertragen, und wir Jetzt haben Sie gesagt, man müsse auch in der Steuer- haben es zurückgenommen. Selbst der Präsident des politik mehr machen, und eine entsprechende Diskus- Deutschen Städtetages war wirklich hocherfreut und sion angeregt. Diese Argumentation ist allerdings ein überrascht. Da er ein fleißiger Sozialdemokrat ist, hat er (B) bisschen unglaubwürdig; das muss ich in aller Freund- es am nächsten Tag – – (D) lichkeit sagen. Man kann nicht auf der einen Seite über den Bundesrat jede noch so sinnvolle Maßnahme aus (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Weil wir parteipolitischen Gründen blockieren und gleichzeitig Sie doch dazu gebracht haben, es zurückzu- sagen: Es geschieht in der Steuerpolitik nichts. Das ist nehmen!) die Methode „Haltet den Dieb!“, und die wird vom – Sie haben es doch eingeführt, und wir haben es zurück- Strafrecht längst erkannt. genommen. Es macht keinen Sinn, uns jetzt zu sagen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie hätten uns dazu gezwungen, Ihre eigenen Fehler zu korrigieren. Hätten Sie diese Fehler nicht gemacht, hät- Es ist völlig inakzeptabel, wenn der Bundesrat – in ten wir sie auch nicht zu korrigieren brauchen. dem wir keine Mehrheit haben; für Steuergesetze brau- chen wir seine Zustimmung; so ist es nach dem Grund- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – gesetz – noch nicht einmal bereit ist, die kalte Steuerpro- Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Mich gression zu korrigieren, überrascht, dass Sie sagen, dass das ein Fehler ist!) (Rainer Brüderle [FDP]: Richtig!) Jedenfalls haben wir eine kommunalfreundliche Politik also dem Zusammenwirken von – wenn auch maßvoller – betrieben. Preissteigerung bzw. Geldentwertung und Steuerpro- gression entgegenzuwirken. Wir wollen den Steuer- Sie, Herr Steinmeier, werden mich auch nicht davon pflichtigen nichts zurückgeben, sondern nur verhindern, abhalten, folgenden Satz noch zu sagen: Vor dem Hinter- dass durch das Zusammenwirken von Steuerprogression grund, dass Bund, Länder und Kommunen knappe Ein- und Preissteigerungen Steuereinnahmen erzielt werden, nahmen haben, fände ich es völlig inakzeptabel, wenn die der Gesetzgeber so gar nicht beschlossen hat. Wenn der Bundesrat seine Zustimmung zu dem Steuerabkom- Sozialdemokraten und Grüne dies im Bundesrat blockie- men mit der Schweiz verweigern sollte. ren, dann sollten sie aufhören, noch irgendeine Kritik an (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und unserer Steuerpolitik zu erheben. der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es gibt kein rational nachvollziehbares Argument, es Weil wir gerade bei diesem Thema sind, will ich mit gibt ausschließlich ein parteipolitisch zu begründendes allem Nachdruck sagen: Wir haben nicht nur für den Motiv dafür, dass man mit billiger Polemik dieses Ab- Bund Verpflichtungen, unseren Haushalt in Ordnung zu kommen zu verhindern versucht. Es ist klar: Wenn die- 25120 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) ses Abkommen nicht zustande kommen sollte, dann alle in Europa den Anreiz haben, ihren Verpflichtungen (C) wird sich ab dem 1. Januar der Zustand fortsetzen, dass als Mitglied einer Wirtschafts- und Währungsunion ge- Vermögensanlagen in der Schweiz steuerlich nicht so recht zu werden. Das ist die Herausforderung. Wir wer- wie Vermögensanlagen in Deutschland erfasst werden. den uns alle Mühe geben, ihr gerecht zu werden. Über Kommt dieses Abkommen zustande, wird ab 1. Januar die Ergebnisse der Beratungen werden wir in den nächs- 2013 jede Anlage in der Schweiz genauso behandelt wie ten Tagen zu diskutieren haben. eine Anlage in Deutschland. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der FDP) Es wird dann keinen Unterschied mehr geben. Präsident Dr. Norbert Lammert: Im Falle von Erbschaften wird immer der deutsche Das Wort erhält nun der Kollege Lothar Binding für Fiskus profitieren. Und da die Erbschaftsteuer aus- die SPD-Fraktion. schließlich an die Länder geht, können Sie über die Erb- (Beifall bei der SPD) schaftsteuer überhaupt nicht reden, wenn Sie dieses Ab- kommen aus parteipolitischen Gründen blockieren. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): (Widerspruch der Abg. Bettina Hagedorn Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister Schäuble hat gerade gesagt, es gehe darum, dass die Im Falle einer Erbschaft wird entweder die reguläre Be- Finanzpolitik in die richtige Richtung geht. Können Sie steuerung durchgeführt, oder es kommt der höchstmögli- sich vorstellen, wie verzweifelt eine Opposition ist, che Steuersatz zur Anwendung. Darüber hinaus treffen wenn sie nach einer finanzpolitischen Richtung sucht? wir eine Regelung für Fälle der Vergangenheit. Niemand kann rückwirkend belangt werden, weil auch die (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Schweiz ein Rechtsstaat ist. Das Schweizer Bankenge- Abg. [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE heimnis kann man nicht rückwirkend außer Kraft setzen. GRÜNEN]) Das ist auch im Hinblick auf das Bankengeheimnis der Das ist eine richtige Strafe für eine Opposition, weil es USA der Fall. Es ist eine Lüge, wenn behauptet wird, die keine Richtung gibt. USA hätten gegenüber der Schweiz rückwirkend etwas erreicht. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Richtig!) Herr Schäuble hat noch etwas Interessantes gesagt, (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (D) was ich nicht richtig zusammenbringe. Er hat gesagt: Ich sage noch einmal mit großer Klarheit: Das ist eine Deutschland ist eine Wachstumslokomotive auf niedri- Lüge. gem Niveau. Wir haben im Hinblick auf die Vergangenheit eine (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Europäisch!) Regelung formuliert, die diejenigen, die von der Anony- Wie das funktionieren soll, muss man erst einmal erklä- mität Gebrauch machen, steuerlich schlechterstellt, als ren. wenn bei ihnen die Regelbesteuerung durchgeführt würde. Wenn Sie dieses Abkommen aber verhindern, Er hat auch gesagt: Der Bundesrat blockiert das Ab- wird das Ergebnis sein, dass Einnahmen in Milliarden- kommen mit der Schweiz. Gott sei Dank blockiert er höhe für Bund und Länder auf Dauer verloren sind; denn dieses. Steueransprüche verjähren innerhalb von zehn Jahren, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und was verjährt ist, ist nicht mehr zu erheben. Also: der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Wenn Sie sich für die Einnahmen von Bund und Ländern GRÜNEN) verantwortlich fühlen, geben Sie die ausschließlich par- teipolitisch motivierte Blockade auf. Es würde in den nächsten Jahren zu einer Anonymisie- rung illegaler Einnahmen führen. Der Gauner wird ano- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bettina nymisiert. Der Ehrliche zahlt Steuern. Das ist ungerecht, Hagedorn [SPD]: So ein Quatsch!) und das wollen wir nicht. So einfach ist das. Liebe Kolleginnen und Kollegen, um zum Kern der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Haushaltsdebatte zurückzukehren: Natürlich haben wir des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der bei dem heute Abend stattfindenden Treffen der Staats- LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Wir wollen die und Regierungschefs der Euro-Gruppe über die mittel- Gauner auch nicht! – Zurufe der Abg. fristige Finanzplanung in der Europäischen Union Dr. h. c. [CDU/CSU] und schwierige und wichtige Entscheidungen vor uns. Wir Norbert Barthle [CDU/CSU]) alle wissen, dass der Wohlstand der Deutschen auf Ge- deih und Verderb von einer erfolgreichen Fortsetzung Wenn Sie das wollen, wollen Sie eine ungerechte Politik. der Entwicklung in Europa und auch von einer gemein- Die kalte Progression ist eine Chimäre, ein Märchen. samen europäischen Währung entscheidend abhängt. Das beweise ich nicht unter Rückgriff auf die SPD-Frak- Deswegen engagieren wir uns dafür, nachhaltige Lösun- tion, sondern auf das Bundesministerium der Finanzen. gen zu finden. Die Lösungen müssen aber so sein, dass Es hat uns mitgeteilt, dass die Wirkung der kalten Pro- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25121

Lothar Binding (Heidelberg) (A) gression in den vergangenen 15 Jahren nie zur Geltung Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): (C) gekommen ist durch Steuersenkungen und durch Ver- Ich bin bereit, vieles zur Kenntnis zu nehmen. Aller- schiebungen der Grenzsteuersatzkurve. Es ist ein Projekt dings bin ich nicht derjenige, der für oder gegen die Grü- von Ihnen, das zum Scheitern verurteilt ist, weil es ein nen argumentiert, sondern ich argumentiere für unsere Problem löst, das es nicht gibt. Position. Es ist völlig klar, dass wir der Entwicklungs- politik eine große Bedeutung beimessen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Otto Fricke [FDP]: Aha!) Otto Fricke hat vorhin gesagt, wenn ich es richtig ver- und sogar dabei geholfen haben, dass der Haushalt von standen habe: Minister Niebel etwas angehoben wird. Allerdings hat die Regierungskoalition der von uns geforderten Anhe- (Zuruf von der FDP: Sicher nicht!) bung um 1,2 Milliarden Euro, um so die ODA-Quote Wir – er meint die FDP – haben die Bürde des Sparens langsam erreichen zu können, nicht zugestimmt. Inso- auf uns genommen. fern ist unsere Politik sehr konsistent im Zeitverlauf. (Zuruf von der SPD: Aha!) (Otto Fricke [FDP]: Herr Schneider hat doch gesagt, Sie können mehr sparen!) Ich will Ihnen das an einem Beispiel klarmachen. Was passiert, wenn zum Beispiel der FDP-Kollege Koppelin Was Sie gemacht haben, stellt einen krassen Bruch al- und der FDP-Kollege Niebel ein persönliches Problem ler internationalen Versprechen dar, die Sie seit 2000 ge- miteinander haben und sich miteinander fetzen? Wie geben haben. wirkt sich die genannte Bürde des Sparens aus? Sie wirkt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sich so aus, dass die Gelder im Einzelplan 23, also dem für Entwicklungspolitik und für Entwicklungszusam- Herr Niebel hat an dieser Stelle gravierend versagt, weil menarbeit, gekürzt werden. Das Kürzen dieser Gelder er diese Kürzung nicht verhindert hat. findet aber auf dem Rücken der Ärmsten dieser Welt statt, weil sich zwei Leute in der FDP nicht verstehen. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Die einen sa- Was sollen wir in der Opposition machen, wenn ihr euch gen, wir sparen zu viel, die anderen sagen, wir so fetzt? Dann ist doch alles, was wir kritisieren, nur ein sparen zu wenig! Was jetzt?) kleiner Tropfen auf den heißen Stein. Wie kann man denn so etwas machen? Drei Jahre lang (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hebt man an, weil die Politik gut ist, und im vierten Jahr des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – hakt einer dazwischen, der ein persönliches Problem hat. Man kann persönliche Probleme haben, aber die darf (B) Norbert Barthle [CDU/CSU]: Sind das alles (D) Buchungstricks, oder was ist das?) man im Haushaltsbereich nicht auf dem Rücken anderer austragen. Erst recht darf man dann nicht sagen, die FDP Man muss sagen: Ihr nehmt der Opposition die trage die Bürde des Sparens. Das passt überhaupt nicht Chance, eine gute Politik zu machen. zusammen. (Otto Fricke [FDP]: Weil wir sie selber ma- (Beifall bei der SPD) chen!) Wir schauen in den Haushalt und nehmen die notwen- – Das ist klar. Mehr muss ich gar nicht sagen. digen Ausgaben in den Blick. Was finden wir? Wir fin- den das Betreuungsgeld, wir finden die Hotelsteuer. Was braucht ein gesunder Haushalt? Er muss die not- wendigen Ausgaben – – (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nicht schon wieder!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir finden einen Schlingerkurs in der Energiewende. Herr Kollege Binding, darf der Kollege Koppelin eine Was das einmal kosten wird, können wir jetzt noch gar Zwischenbemerkung machen oder Zwischenfrage stel- nicht projektieren. Was für ein finanzpolitisches Desas- len? ter das Hin und Her in der Atomkraft bedeuten wird, wage ich noch gar nicht auszurechnen – von ökologisch Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): schädlichen Subventionen ganz zu schweigen. Der Kollege Koppelin darf eine Zwischenfrage stel- Wir nehmen aber auch die Einnahmeseite in den len. Blick. Was haben Sie gemacht? Schlupflöcher für Kon- zerne aufgerissen, ganz eindeutig. Ich nenne hier nur das Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Stichwort „Funktionsverlagerung“. Aber auch zulasten Herr Kollege Binding, abgesehen davon, dass Ihre der Kommunen haben Sie gehandelt. Hier gibt es Rie- Darstellung völlig falsch ist: senprobleme. Sie haben mit einem wahnsinnigen Pomp die Gewerbesteuerreform angekündigt, sogar eine ei- (Lachen bei Abgeordneten der SPD) gene Arbeitsgruppe gegründet. Was passiert nach zwei Jahren? Sie ist eingeschlafen, Fehlanzeige, keine Leis- Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass laut Proto- tung in dieser Arbeitsgruppe. Das ist ein typisches Kenn- koll des Haushaltsausschusses auch die Fraktion Bünd- zeichen dieser Regierung. nis 90/Die Grünen diesem Antrag zugestimmt hat? Das hätte ich auch der Kollegin Hinz vorhin gerne gesagt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 25122 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Lothar Binding (Heidelberg) (A) Sie haben groß eine Reform zur Umsatzsteuer ange- – Ja, die SPD kennt sich da aus, deshalb trage ich das so (C) kündigt. Was ist übrig geblieben? Abgesehen von der vor. Denn wir machen eine andere Finanz- und Wirt- Hotelsteuer nichts. Sie haben die Reform der Einkom- schaftspolitik als die, die wir hier mit der „leeren mensteuer groß angekündigt. Im Hinblick auf die Einnah- Menge“ vorfinden. meseite ist nichts passiert. Hinzu kommt der leichtfertige (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Das Umgang mit der Besteuerung der Streubesitzdividenden hatten wir in Baden-Württemberg! Super!) kürzlich. Das, was diese Regierung macht, ist einfach ein Desaster. Nun zu einem Beispiel aus der Untersuchung: Die Es gibt allerdings auch Lerneffekte. Das will ich gar Kürzung der Staatsausgaben um 100 Euro führt im Ab- nicht bestreiten. Damals, 2004, wollten Sie die Gesund- schwung zu einer Verringerung des Bruttoinlandspro- heitsreform eigentlich verhindern. Wir wollten, dass der dukts um 249 Euro, allerdings nur um 35 Euro im Auf- Hausarzt als Lotse fungiert. Das war eine kluge Idee. Die schwung. Die Erhöhung der Steuern, die Sie immer so CSU hat im Gegenzug im Bundesrat die Einführung der verteufeln, die wir jedoch aus Gerechtigkeitsgründen Praxisgebühr in Höhe von 10 Euro erpresst. Das war im vornehmen, senkt – das ist ganz interessant – bei einem Jahr 2004; vor zwei Wochen haben wir sie nun abge- Vergleichswert von 100 Euro das Bruttoinlandsprodukt schafft. im Abschwung um 7 Euro. Und da reden Sie immer von einem großen Drama. Wenn dies jedoch zu Zeiten ge- (Bettina Hagedorn [SPD]: Einstimmig!) schieht, in denen das BIP steigt, dann steigt das BIP um 6 Euro. Jetzt erkennt man Ihren Fehler: Sie haben das Ich würde sagen: Wer nach acht Jahren darauf kommt, eine zum falschen Zeitpunkt gemacht und das andere dass die SPD-Position richtig war, der hat etwas gelernt. ganz vergessen. Das Problem ist, dass Sie im Auf- Es hätte schneller gehen können, aber immerhin! schwung keine Steuern angehoben haben. Sie können (Beifall bei der SPD) lernen, dass das notwendig gewesen wäre, um eine echte Konsolidierung, auch im Sinne der Schuldenbremse, Die Studiengebühren in Bayern, 2007 von der CSU hinzubekommen. Wer die Wissenschaft so hintanstellt eingeführt, sollen nun abgeschafft werden. Die FDP al- und sich in Bezug auf unseren Staat so kontraproduktiv lerdings will sie gerne erhalten. Noch 2008 haben beide verhält, der braucht sich gar nicht zu wundern, dass die Fraktionen die Studiengebühren in der Koalitionsverein- Regierung da steht, wo sie jetzt steht. barung bekräftigt. Ich würde sagen: Wenn jemand nach fünf Jahren zu dem Erkenntnisstand kommt, den die (Otto Fricke [FDP]: Dann ist ja die von Ihnen SPD schon immer hatte, ist das ein gewisser Lerneffekt. beschlossene Schuldenbremse falsch! Sie ar- gumentieren gerade gegen die Verfassung!) Jetzt stellt sich die Frage nach dem Betreuungsgeld: (B) (D) eingeführt 2012, beschlossen auf Druck der CSU. Jetzt Ich will Sie daran erinnern, wo Sie angefangen haben, erhebt sich natürlich der Verdacht, dass das nur deshalb auf einem Niveau, das Sie fast nie mehr verlassen haben passiert ist, weil man plant, es zum richtigen Zeitpunkt – in gewisser Weise wirft das ein Schlaglicht auf die ver- wieder abzuschaffen. gangenen fast vier Jahre –: Daniel Bahr hat damals ge- sagt, die CSU sei eine „Wildsau“. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Daniel Bahr, Bundesminister: Das habe ich Ich glaube, das ist eine supergute Politik. Man kann da- nicht gesagt!) ran das erkennen, was der Minister – wie hat er gesagt? – „Richtung“ nannte. Das ist wirklich super: erst hin und hat gesagt, der Seehofer habe ein „per- dann her. Hin ist zwar eine Richtung, und Her ist auch sönliches Trauma“. hat gesagt, die eine Richtung, nur: Es gibt dann letztlich keine Rich- FDP sei eine „gesundheitspolitische Gurkentruppe“. – tung. Ich höre gerade, dass sich Herr Bahr korrigieren will. Da (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten freue ich mich. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bedanke mich vielmals und hoffe auf eine neue Wir können von den Ökonomen Giovanni Callegari Regierung. und Giovanni Melina etwas sehr Interessantes lernen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Hierbei handelt es sich nicht um Ökonomen der SPD- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Fraktion – obwohl sie vielleicht hineinpassen würden –, sondern um Ökonomen vom IWF. Von diesen können Präsident Dr. Norbert Lammert: wir lernen, dass Sparpolitik abhängig vom Zeitpunkt ist Herr Kollege Binding, bevor nun alle von Ihnen zum und es deshalb nicht genügt, bloß über das Sparen zu re- Schluss angesprochenen Kollegen der Reihe nach erklä- den. Sie sagen nämlich: Die Klugheit des Sparens hängt ren, dass sie das niemals gesagt hätten, jedenfalls nicht nicht davon ab, ob man spart, sondern wann man spart. so, nehme ich dies gewissermaßen in cumulo zu Proto- Die Untersuchung vieler internationaler Strategien beim koll. Schuldenabbau zeigt, dass die Kürzung von Staatsausga- ben gut sein kann oder schlecht. Jedenfalls wissen wir: Der nächste Redner auf der Rednerliste ist der Kol- Wenn wir 100 Euro – – lege Volker Wissing für die FDP-Fraktion. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Wenn die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten SPD regiert, ist es schlecht fürs Sparen!) der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25123

(A) Dr. Volker Wissing (FDP): Es ist traurig, dass Sie im Bundesrat mit Ihrer rot-grünen (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So- Mehrheit nur aus parteitaktischen Gründen Nein dazu lide Staatsfinanzen setzen kluge Steuerpolitik voraus. sagen und dass Sie es die Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer ausbaden lassen. Aber dass Sozialdemokra- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE ten und Grüne bewusst die Verfassung verletzen, indem GRÜNEN]: Ja, schade!) sie selbst die Anhebung des steuerlichen Grundfreibetra- ges verweigern, das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Deswegen hat die christlich-liberale Koalition sich zum skandalös. klaren Ziel gemacht, steuerpolitisch maßvoll vorzuge- hen, (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist nur leider nichts rausgekom- Nun haben die Grünen auf ihrem Parteitag beschlos- men! – Sven-Christian Kindler [BÜND- sen, die Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger, die ge- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ziel gesetzt, leider gen Auflagen verstoßen, abzuschaffen. nicht erreicht!) (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE der Versuchung zu widerstehen, Steuern zu erhöhen, und GRÜNEN]: Das ist falsch! Das haben wir stattdessen den Haushalt auf der Ausgabenseite zu kon- eben nicht beschlossen! Stimmt doch gar solidieren. nicht!) Gleichzeitig sollen die Hartz-IV-Sätze angehoben wer- Wir haben zu Beginn unserer Regierungsverantwor- den. Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was tung mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz insbe- ist denn das für eine Politik? Die Verstöße gegen Aufla- sondere Familien in Milliardenhöhe entlastet und da- gen sind gerade auf Rekordniveau angestiegen, und die durch eine spürbare Belebung der Binnennachfrage Grünen wollen die Sanktionen abschaffen. erzielt. Wir haben Substanzbesteuerung für den Mittel- stand abgebaut und auch deshalb einen europäischen (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Wachstumsrekord erzielt. Wir haben Steuervereinfa- GRÜNEN]: Machen wir doch nicht! Genau chungen auf den Weg gebracht, wo sie finanzierbar wa- diesen Antrag haben wir abgelehnt!) ren: Arbeitnehmerpauschbetrag erhöht, Reisekosten- Für die Grünen gilt: Wer arbeitet, soll kein geschütztes recht vereinfacht, einfache Ermittlung der Kosten bei Existenzminimum haben; wer nicht arbeitet, soll ein hö- doppelter Haushaltsführung ermöglicht, das Problem der heres geschütztes Existenzminimum haben. Für die Grü- Gewinnabführungsverträge bei den Regelungen der nen gilt: Wer arbeitet und Steuern zahlt, soll vom Staat (B) steuerlichen Organschaft in Angriff genommen. All das (D) streng kontrolliert werden; dem, der nicht arbeitet, son- sind Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die dern Sozialleistungen erhält, ist Kontrolle nicht zuzumu- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch für den ten. – Das ist die wahre Politik der Grünen, und mit die- Unternehmensstandort Deutschland. ser Politik spalten Sie die Gesellschaft, weil Sie die Wir haben mit dem Gesetz zum Abbau der kalten Pro- arbeitende Mitte verhöhnen. Sie machen sich über die gression etwas ganz Wichtiges auf den Weg gebracht, Menschen lustig, die morgens aufstehen und arbeiten ge- nämlich einen Schutz der Arbeitnehmerinnen und Ar- hen. beitnehmer vor inflationsbedingten Steuererhöhungen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wir verfolgen damit zwei Ziele: Zum einen wollen wir Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE den Druck von den Tarifpartnern nehmen, um die Wett- GRÜNEN]: Das muss gerade die FDP sagen!) bewerbsfähigkeit des Landes zu steigern. Denn dadurch vermeidet man erhöhte Lohnstückkosten, und die Pro- Das zeigt auch Ihre Haltung zum deutsch-schweizeri- dukte, die in Deutschland hergestellt werden, sind auf schen Steuerabkommen. Sie lehnen das Abkommen ab, dem internationalen Markt wettbewerbsfähiger. Zum an- wissen aber genau, dass die Schweiz das Bankgeheimnis deren ist es ein wichtiges Element unserer europäischen niemals rückwirkend aufheben kann. Rückwirkend be- Stabilitätspolitik. Indem wir sagen, dass der Staat nicht lastende Gesetze sind sowohl in Deutschland als auch in an Inflation verdienen soll, setzen wir auf nationaler der Schweiz verfassungswidrig. Ebene das um, was wir auf europäischer Ebene fordern: (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Es geht um Wir zeigen uns entschlossen im Kampf gegen Inflation. die Zukunft, nicht um die Vergangenheit!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Trotzdem erzählen Sie den Menschen – bewusst der Ich halte es für unverfroren, dass Sozialdemokraten in Wahrheit zuwider –, dass man noch nachverhandeln diesem Zusammenhang immer von „unnötigen Geschen- müsse, erst dann könnten Sie dem Abkommen zustim- ken“ sprechen. Für uns, für die christlich-liberale Koali- men. tion, sind Lohnerhöhungen keine Geschenke, denn die (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Es geht Menschen haben sie sich hart erarbeitet. Im Gegensatz um die Anonymität in der Zukunft!) zu Rot-Grün wollen wir deswegen nicht, dass die Lohn- erhöhungen wegbesteuert werden. In Wahrheit ist das schäbig, weil Sie damit nur eines be- wirken: dass die Steuerforderungen Deutschlands ver- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) jähren und die Gelder niemals mehr in die öffentlichen 25124 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Dr. Volker Wissing (A) Haushalte fließen können. Die Wahrheit ist, dass die flei- man wirklich Wachstum schafft, nämlich nicht durch (C) ßigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ehrli- neue Schulden und auch nicht durch massive Steuerer- chen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Lücken fül- höhungen. Sie sind finanzpolitisch komplett gescheitert; len, die Sie provozieren. Was verjährt, wird niemals der Nachweis ist in Frankreich gerade erbracht worden. wieder besteuert werden können; das ist die Wahrheit. Das ist das Schäbige an Ihrer Blockadepolitik im Bun- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten destag. der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Unsere Politik in Frankreich ist ge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) scheitert?) Es ist Zynismus pur, wie Sie Ihre politische Verantwor- Wir haben gezeigt, dass man mit einer Schulden- tung zum Nachteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- bremse und einer soliden Ausgabenpolitik solide Staats- nehmer in Deutschland wahrnehmen. finanzen schaffen kann. Wir haben die Schuldenbremse (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE nicht nur im deutschen Grundgesetz verankert, sondern GRÜNEN]: Oje!) wir haben sie zum Exportschlager in Europa gemacht. Wir haben erkannt, dass man bei Rekordsteuereinnah- Lassen Sie mich auf Ihre Steuerkonzepte zu sprechen men nicht die Steuern erhöhen muss, sondern dass man kommen, Herr Kollege Binding und Frau Kollegin Hinz. solide wirtschaften und wachstumsorientiert konsolidie- ren muss. Diese Bundesregierung ist der Fels in der (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Warum Brandung Europas, der Stabilitätsanker für solide Staats- nicht zu Ihrem Haushalt? Das wäre doch mal finanzen. interessant!) Sie wollen Deutschland mit einer Vermögensabgabe be- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten glücken, Sie wollen die Anhebung des Einkommensteu- der CDU/CSU – Zurufe von der SPD, der ertarifs, höhere Unternehmensteuern, höhere Erbschaft- LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Schenkungsteuern und eine Finanztransaktionsteuer. NEN: Oh! – Lothar Binding [Heidelberg] Sie fordern genau das, was in unserem Nachbarland [SPD]: Warum gibt es dann diesen Haushalt?) Frankreich von der neuen Regierung umgesetzt wurde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier wird in jeder Wir haben noch die Bilder vor Augen, als Herr Gabriel, Finanzdebatte immer wieder das Märchen erzählt, man Peer Steinbrück und Herr Steinmeier nach Paris gefah- müsse endlich die Finanzmärkte regulieren. Als wir Re- ren sind, um François Hollande für seine Politik zu beju- gierungsverantwortung übernommen haben, haben wir beln. Ihre Botschaft damals: Schaut her! Das ist ein erkannt: So dereguliert, wie die Finanzmärkte uns von (B) Land, in dem rot-grüne Finanzpolitik umgesetzt wird. (D) Rot-Grün und von sozialdemokratischen Finanzminis- Meine Damen und Herren, heute sehen wir das Er- tern hinterlassen worden sind, können sie nicht bleiben. gebnis dieser Politik. Sie ist grandios gescheitert. Frank- reich hat beim Wachstum nicht zugelegt, sondern ist zu- (Lachen bei Abgeordneten der SPD) rückgefallen. Die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs ist Deswegen haben CDU/CSU und FDP ein Restrukturie- nicht gestiegen, sondern gesunken. Die Kreditwürdigkeit rungsgesetz auf den Weg gebracht, damit künftig nicht Frankreichs wurde herabgestuft. Wollen Sie das den die Steuerzahler, sondern die Banken selbst für Bank- Deutschen wirklich zumuten? Gestehen Sie sich doch insolvenzen geradestehen müssen. Deswegen haben endlich ein, dass die rot-grüne Politik, für die Sie die CDU/CSU und FDP in Deutschland eine Bankenabgabe Franzosen bejubelt haben, dort grandios gescheitert ist! eingeführt, damit die Branche an den Kosten der Krise (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – beteiligt wird. Deswegen haben CDU/CSU und FDP Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Vielleicht Leerverkäufe verboten; die deutsche Regierung war da- gibt es noch weitere Parameter, warum sich mit Vorreiter. Deswegen haben CDU/CSU und FDP Ra- die Wirtschaft entwickelt!) tingagenturen unter Aufsicht gestellt. Wir haben ein An- legerschutzgesetz geschaffen, damit die Menschen vor Ehrlich wäre es, wenn Herr Gabriel, Herr Steinbrück den Verwerfungen an den Kapitalmärkten geschützt wer- und Herr Steinmeier heute nach Paris fahren, Bilder vor den. Wir haben einen Selbstbehalt bei Verbriefung ein- dem Palais de l’Élysée liefern und sagen würden: Ja, die geführt, der in Deutschland künftig höher sein wird als Politik, die wir für richtig gehalten haben, hat Frankreich in anderen europäischen Ländern. Wir haben ein Hoch- nicht weitergebracht, sondern zurückgeworfen. Ja, diese frequenzhandelsgesetz auf den Weg gebracht, um Kon- Steuererhöhungspolitik ist gescheitert, weil sie zu wirt- trolle, Transparenz und ein Abbremsen des Hochfre- schaftlichem Rückgang und damit Frankreich in die quenzhandels in Krisenzeiten zu gewährleisten. Wir Nähe der Rezession geführt hat. haben unter dem Stichwort „Basel III“ auf europäischer (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Wovon wollen Ebene mehr Eigenkapitalvorsorge auf den Weg gebracht. Sie eigentlich ablenken? Warum reden Sie Wir haben die nationale Bankenaufsicht reformiert und nicht zum Haushalt?) Fehler von Rot-Grün korrigiert; wir haben sie unabhän- giger von der Wirtschaft gemacht. Wir haben ein euro- Richtig wäre es, wenn Sie nicht den gleichen Unsinn päisches Aufsichtssystem auf den Weg gebracht; wir ar- wieder auf Ihrem Grünen-Parteitag beschlossen hätten, beiten daran, dass wir europäische Aufsichtsstrukturen sondern wenn Sie sich Gedanken machen würden, wie bekommen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25125

Dr. Volker Wissing (A) Die Wahrheit ist, dass uns sozialdemokratische Fi- gungsverhältnissen zuzurechnen. Das ist eine fatale Ent- (C) nanzminister deregulierte Finanzmärkte hinterlassen ha- wicklung. Im Übrigen ist das auch haushaltspolitisch ben nicht sinnvoll. Warum, sage ich Ihnen gleich. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei der LINKEN) und dass CDU/CSU und FDP aus Deutschland das am Was aber machen Sie noch mit Ihrem Haushalt? Ich stärksten regulierte Land im Bereich der Finanzmärkte möchte zu ein paar konkreten Beispielen kommen. Wir geschaffen haben. Wir sind Vorreiter bei der Regulie- haben gestern alle lesen können, dass Sie jetzt die TLG rung. Ihre Märchen von der mangelnden Finanzmarktre- Wohnen verkauft haben. Das hat mich ein Stück weit gulierung in Deutschland sind nichts als eine Lüge. Die überrascht, weil wir vor zwei Wochen in den abschlie- Wahrheit ist: So, wie Sie es hinterlassen haben, konnte ßenden Beratungen des Haushaltes im Haushaltsaus- es nicht bleiben, und so, wie wir es gemacht haben, ist es schuss gelernt haben, dass daraus dieses Jahr nichts die Blaupause für ganz Europa. mehr wird. Diese Regierung, diese christlich-liberale Koalition (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE hat solide Finanzpolitik und solide Haushaltspolitik vor- GRÜNEN]: Ein Buchungstrick halt, ein ganz zuweisen. Ihre Vorwürfe sind geradezu absurd. Wir wol- schlechter!) len diese erfolgreiche Politik für unser Land und für Eu- ropa fortsetzen. Nun stelle ich mir die Frage, ob Sie so wenig Vertrauen in die Verwaltung oder so wenig Vertrauen in den Käufer (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Mit der haben, wenn Sie glauben, dass Sie es innerhalb von FDP! Das haben wir heute ja gelernt!) sechs Wochen nicht hinbekommen können, diesen Deal Das braucht Europa, das braucht Deutschland. abzuwickeln. Wenn Sie die TLG Wohnen dieses Jahr verkaufen, dann muss auch die Kohle dieses Jahr flie- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ßen. Sie haben die Gelder aber nicht in den Haushalt für dieses Jahr eingestellt, sondern sie in den nächsten Haus- Präsident Dr. Norbert Lammert: halt hinübergezogen. Das ist ein Bilanztrick. Es ist unan- Für die Fraktion Die Linke erhält nun der Kollege ständig und hat mit Haushaltsklarheit und -wahrheit Steffen Bockhahn das Wort. nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)

Steffen Bockhahn (DIE LINKE): Der Deal zeigt aber auch, dass Sie wenig Ahnung da- (B) (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- von haben, was vorsorgende und nachhaltige Haushalts- nen und Kollegen! Am letzten Freitag war der Vorlese- politik ist. Die TLG hat in den letzten Jahren Millionen- tag. Da sind bestimmt ganz viele von Ihnen auch in Kitas summen in den Staatshaushalt gespült – jedes Jahr. Die gewesen und haben Märchen vorgelesen. Das Märchen Einnahme, die Sie jetzt durch den Verkauf der TLG er- aber, das wir eben gehört haben, hätten Ihnen nicht ein- zielen, ist Ihre letzte Einnahme. Zudem haben Sie diesen mal die Dreijährigen abgenommen. Wohnungskonzern an Spekulanten bzw. Finanzinvesto- ren verkauft, die garantiert vieles vorhaben, aber nicht, (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem wie vom Finanzminister behauptet, solides Wirtschaften. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Denn dieser Konzern ist börsennotiert und gehört großen Im Zusammenhang mit diesem Bundeshaushalt von Finanzinvestoren, und ich habe noch nie erlebt, dass Stolz, Verantwortung, Würde und Ähnlichem zu spre- diese auf Rendite verzichten und solide wirtschaften. chen, ist haarscharf an den Realitäten vorbei. Und wenn Ich darf Ihnen sagen, dass der Vorstandschef des wir von der FDP hören, dass sie sich Sorgen um die klei- TAG-Konzerns schon erklärt hat, dass er Mieterhöhun- nen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer macht, dann gen von über 5 Prozent im Jahr für nicht realistisch hält. mache ich mir Sorgen um die FDP; denn sie scheint Aha! Aber Erhöhungen von bis zu 5 Prozent im Jahr hält nicht zu merken, dass das, was sie tatsächlich macht und er offensichtlich für realistisch. Dieser Mann kommt zu- was sie gleichzeitig erzählt, gar nicht zusammenpasst. fällig aus der Nähe von , aus Mecklenburg-Vor- (Beifall bei der LINKEN) pommern, wo er schon einige Immobilien besitzt. Fra- gen Sie einmal beim Mieterbund nach, was der für einen Sie kümmern sich um Banken und Konzerne, aber be- Ruf hat. stimmt nicht um diejenigen, die wirklich Hilfe brauchen. Wenn das die Geschäftspolitik ist, die jetzt für die Denn was ist die Realität? Auch unter dieser Koali- TLG Wohnen gelten soll, dann gute Nacht, Marie. Dann tion ist die Zahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse zeigt das, dass Sie sich einmal mehr nicht um die Men- und der befristeten Arbeitsverhältnisse gestiegen. Inzwi- schen in diesem Staat gekümmert haben und dass Ihnen schen ist jedes zweite neue Arbeitsverhältnis einer Frau die einmalige Einnahme zur Finanzierung von Wahl- ein befristetes Beschäftigungsverhältnis. Damit stärken kampftricks wichtiger ist als das Wohl der Menschen in Sie die Armutsrisiken und nicht, wie Sie hier immer be- diesem Land. haupten, die Chancen. Inzwischen hat die Zahl der Mini- jobs und Midijobs massiv zugenommen; 20 Prozent aller (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Arbeitsverhältnisse sind diesen prekären Beschäfti- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 25126 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Steffen Bockhahn (A) Was haben Sie nicht alles versprochen? Der Kollege dere Punkte. An all diesen Stellen haben Sie gekürzt, um (C) Fricke – wo auch immer er gerade ist – hat uns erklärt, es einmalig Geschenke verteilen zu können. Das ist keine habe keine Kürzungen gegeben und man habe sich auch solide Haushaltspolitik. Dieser Etat bietet viel Grund, nicht an den Sozialausgaben vergangen. Das ist schlicht sich zu schämen. Es gibt aber keinen Grund, darauf stolz und ergreifend nicht wahr; es sei denn, Sie betrachten zu sein. Man kann ihn nur ablehnen. Arbeitsmarktpolitik nicht als soziale Maßnahme. Dann würde es stimmen. Sie haben auch in diesem Jahr Mittel (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar für die aktive Arbeitsmarktpolitik gestrichen. Sie haben Binding [Heidelberg] [SPD] – Bartholomäus bereits in den Beratungen des Haushalts 2012 Ihre Zu- Kalb [CDU/CSU]: Der Spruch ist deplatziert!) sage, die Arbeitsmarktpolitik mit einem Mehrwertsteu- erpunkt zu fördern, zurückgenommen. Das entspricht ei- Präsident Dr. Norbert Lammert: ner Kürzung um 8 Milliarden Euro in jedem Jahr. Sie Nächster Redner ist der Kollege Sven-Christian haben die Mittel gekürzt; Sie haben Mittel weggestri- Kindler, Bündnis 90/Die Grünen. chen. Behaupten Sie nicht, dass Sie im sozialen Bereich nicht die Axt angelegt hätten. Das Gegenteil ist die Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wahrheit. NEN): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE und Herren! Minister Schäuble hat gerade den Bundesrat GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wir für seine steuerpolitischen Vorstellungen kritisiert. haben nur noch halb so viele Arbeitslose!) (Zuruf von der FDP: Zu Recht!) – Herr Barthle, wenn Sie jetzt dazwischenrufen, dass Sie Dazu will ich nur sagen: Zuständig für die Steuerpolitik nur noch halb so viele Arbeitslose haben, dann darf ich des Bundes ist immer noch Herr Schäuble. Schauen wir Sie daran erinnern, dass die Beschäftigungsverhältnisse, uns einmal an, was im Bereich der Umsatzsteuer passiert die geschaffen wurden, nicht vor Armut schützen. Es ist: Die Umsatzsteuerreform wurde blockiert, aber es wurden keine guten Beschäftigungsverhältnisse geschaf- wurden neue Ausnahmetatbestände geschaffen. Ich erin- fen. Ich darf Ihnen einmal Folgendes sagen: In Mecklen- nere an die Subventionen für die Hoteliers. So sieht burg-Vorpommern sind 40 Prozent aller Hartz-IV-Emp- schwarz-gelbe Steuerpolitik aus. fänger Aufstocker. Das ist inzwischen der Regelfall in der Arbeitswelt, und das ist ein Verdienst Ihrer Koali- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tion. Darauf wäre ich an Ihrer Stelle nicht stolz. sowie bei Abgeordneten der SPD) (B) (Beifall bei der LINKEN) Es ist schon dreist, den Bundesrat hier zu kritisieren. (D) Was hat der Bundesrat gemacht? Er hat etwas Sinnvolles Zur Solidität Ihrer Finanzpolitik nur so viel: An wel- gemacht, indem er die Umsetzung des Koalitionsvor- cher Stelle befindet sich die meiste Luft in Ihrer Finanz- schlags verhindert hat. Die Koalition hat vorgeschlagen, politik? Sie freuen sich darüber, dass Sie jetzt angeblich 50 Prozent der vorgesehenen Entlastungen an 20 Prozent „nur noch“ eine Nettokreditaufnahme von 17 Milliar- der Bürgerinnen und Bürger zu verteilen. Damit sollen den Euro haben. Das ist aber nicht die Kreditsumme, die wieder Besserverdiener entlastet werden. Das machen Sie tatsächlich aufnehmen. Im nächsten Jahr werden wir nicht mit. Kredite mit einem Volumen von insgesamt 254 Milliar- den Euro neu verhandelt. Zurzeit zahlen wir etwa (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2,03 Prozent Zinsen für die Kredite. Die Kredite, die wir sowie bei Abgeordneten der SPD) jetzt verlängern bzw. neu aufnehmen, werden mit 0,83 Pro- Vor allen Dingen kann man kein Loch von 6 Milliar- zent verzinst. Das bringt eine Ersparnis von 3,06 Milliar- den Euro in die Haushalte von Bund, Ländern und Kom- den Euro jedes Jahr – einfach so. Dafür haben Sie nichts munen reißen, ohne eine Gegenfinanzierung zu haben. gemacht. Das ist keine strukturelle Einsparung. Das ist Wir sagen klar: Wir wollen den Grundfreibetrag stärker Geld, das vom Himmel fällt. erhöhen als Sie, und zwar auf 8 500 Euro. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir aber eine solide Gegenfinanzierung: Das dadurch eingesparte Geld verteilen Sie jetzt auf Wir wollen, dass Besserverdienende sich daran beteili- unnütze Art und Weise. Wofür geben Sie dieses Geld gen. Wir wollen alle Menschen mit einem Einkommen aus? Für Wahlkreisgeschenke. In der letzten Woche ha- von weniger als 60 000 Euro entlasten und im Gegenzug ben wir im Haushaltsausschuss plötzlich eine lange Liste den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent erhöhen. So sieht mit speziellen Maßnahmen auf den Tisch bekommen. eine sinnvolle Steuerpolitik aus, mit der die Haushalte Dabei wurden die Wahlkreise schön bedient. Das war geschont werden. Das muss man im Bereich der Steuer- wirklich ein Traum. Das zeigt, dass wir hier nur, wirk- politik machen. lich nur über einen Wahlkampfetat und nicht über einen anständigen Bundeshaushalt reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Bettina Hagedorn [SPD]) Gleichzeitig haben Sie an Stellen Kürzungen vorge- nommen, an denen es nötig gewesen wäre, mehr Geld Minister Schäuble, Sie haben im Zusammenhang mit auszugeben. Die aktive Arbeitsmarktpolitik habe ich dem Steuerabkommen mit der Schweiz von einer partei- vorhin schon genannt. Notwendige Ausbauten in den politischen Blockade im Bundesrat geredet. Das finde Bereichen Schiene und erneuerbare Energien sind an- ich hanebüchen. Das, was Sie diesbezüglich planen, be- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25127

Sven-Christian Kindler (A) deutet – damit gehe ich auch auf das ein, was Volker einsparungen und internationalen Klimaschutz. Wir ha- (C) Wissing gesagt hat –: Die ehrlichen Steuerzahlerinnen ben eine solide Gegenfinanzierung. und Steuerzahler werden benachteiligt, während die Be- sitzer von Schwarzgeld, während Steuerhinterzieher be- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- vorteilt werden. Das ist schwarz-gelbe Steuerpolitik. Das SES 90/DIE GRÜNEN) macht der Bundesrat zu Recht nicht mit. Wir wollen ökologisch schädliche Subventionen ab- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bauen. Das ist notwendig; denn diese Subventionen sind und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der wettbewerbsverzerrend. Wir wollen eine nachhaltige LINKEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/ Haushalts- und Umweltpolitik. Das geht nur mit einem CSU]: Das ist großer Quatsch! Das stimmt grünen Klimaschutzhaushalt und dem Abbau von ökolo- überhaupt gar nicht!) gisch schädlichen Subventionen. Die Steuer-CDs haben mehr eingebracht, als das Steuer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) abkommen, das Sie planen, einbringen würde. Es wäre Sie machen immer noch 17 Milliarden Euro Schul- wirklich bescheuert, das umzusetzen. Das ist nicht im In- den. Sie vergrößern die soziale Spaltung. Sie finanzieren teresse des Bundes und der Länder. Man muss sich auch die Energiewende nicht, und Sie verteilen sinnlose einmal anschauen, wer das nachher umsetzen soll: Die Klientelgeschenke. Das ist schwarz-gelbe Schulden- und Schweizer Banken sollen das umsetzen. Gegen die UBS Haushaltspolitik. Das ist zum Glück der letzte Haushalt ermittelt gerade die Staatsanwaltschaft Mannheim we- von Schwarz-Gelb. gen Beihilfe zur organisierten Steuerhinterziehung. Da macht man den Bock zum Gärtner. Das ist so, als würde (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Abwarten!) man jetzt den ehemaligen Bauunternehmer Jürgen Schneider für die Steuereintreibung des Bundes einset- Vielen Dank. zen. Das ist absurd. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ein paar Worte zu Otto Fricke. Otto Fricke hatte im Sommer angekündigt, die FDP wolle im nächsten Bun- Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Michael deshaushalt 4 Milliarden Euro einsparen und das Betreu- Meister für die CDU/CSU-Fraktion. ungsgeld verhindern. Herzlichen Glückwunsch, Otto (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Fricke; es werden keine 4 Milliarden Euro eingespart (B) neten der FDP) (D) – hier ist gar nichts passiert –, und das Betreuungsgeld kommt. Es gibt neue Klientelgeschenke, neue Subven- tionen. Kürzungen nehmen Sie vor allen Dingen im Be- Dr. Michael Meister (CDU/CSU): reich der Entwicklungszusammenarbeit vor. Sie kürzen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir füh- die Mittel für Sozialprojekte im Ausland. Was finanzie- ren die Beratungen über den Haushalt für 2013 zu einem ren Sie damit? Sie finanzieren neue Straßenprojekte, Zeitpunkt, zu dem Deutschland Vorbild ist: Vorbild auf- neue Spatenstiche in Bayern. Da hat die FDP ja wirklich grund seiner Beschäftigungslage und Arbeitsmarktpoli- geliefert. tik in Europa, Vorbild aufgrund seiner wirtschaftlichen Entwicklung und Vorbild aufgrund der finanzpolitischen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsolidierung seines Haushalts. Ich glaube, wir können sowie bei Abgeordneten der SPD – Norbert in Anbetracht der globalen und der europäischen Lage Barthle [CDU/CSU]: Wieso in Bayern? Was mit dem hier vorgelegten Haushalt sehr zufrieden sein. ist mit Baden-Württemberg?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Zum letzten Punkt. Es geht bei diesem Haushalt vor al- Heinz-Peter Haustein [FDP]) len Dingen auch um die Energiewende. Hier versagen Sie kläglich. Bundeskanzlerin Merkel und Peter Altmaier, Wenn ich die Alternativen der Opposition höre, sage der Umweltminister, wollen die Windenergie und die So- ich: Wir müssen nicht ins Ausland reisen, und wir müs- larenergie ausbremsen. In diesem Haushalt tun Sie nichts sen auch nicht spekulieren, wie das ausginge, sondern dafür, dass wir die Energiewende und den Klimaschutz wir können uns einfach zehn Jahre zurückerinnern. Da richtig finanzieren können. Sie haben einen Schatten- haben wir in Deutschland erlebt, was rot-grüne Wirt- haushalt, den Energie- und Klimafonds. Diesen haben schafts-, Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik bedeutet. Je- Sie, Herr Schäuble, 2012 um die Hälfte gekürzt. des Jahr steigende Arbeitslosenzahlen, jedes Jahr stei- gende Schulden, Nullwachstum unserer Wirtschaft – das (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? Das ist ja sind die Ergebnisse von Rot-Grün. Die Ergebnisse unse- unglaublich!) rer Politik sind: jedes Jahr geringere Schulden, steigende Es ist ein Schattenhaushalt, und er ist unsolide finanziert. Beschäftigungszahlen, niedrige Arbeitslosenzahlen und trotz international abschwächendem Klima eine positive Wir haben ein Gegenkonzept. Wir haben einen grü- Wirtschaftsentwicklung. nen Klimaschutzhaushalt vorgelegt. Wir brauchen einen Haushalt, mit dem man die Energiewende finanzieren (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- kann. Es geht dabei auch um Energieeffizienz, Energie- neten der FDP) 25128 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Dr. Michael Meister (A) Sie halten uns jetzt vor, dass wir nach wie vor Schul- – Ihnen geht es doch gar nicht ums Sparen, Frau Hinz; (C) den machen. Auch mich stört das; auch ich würde gerne das haben Sie vorhin selbst formuliert. Sie haben hier auf Schulden verzichten. Aber wir haben uns zu Beginn gesagt, der deutsche Staat habe ein Einnahmeproblem. der Wahlperiode in einer sehr schwierigen Lage befun- Gleichzeitig haben wir von Ihnen die Kritik gehört, wir den. Seit 1945 gab es kein Jahr, in dem die Wirtschafts- würden, obwohl der deutsche Staat zunehmend mehr kraft so stark zurückgegangen ist wie im Zuge der inter- Steuereinnahmen verzeichne, nicht den Haushalt aus- nationalen Wirtschaftskrise als Folge der Finanzkrise. gleichen. Ihnen geht es doch gar nicht ums Sparen. Sie Wir hatten ein Defizit von 86 Milliarden Euro Nettokre- wollen die Menschen, die Steuerzahler, die Beitragszah- ditaufnahme vorgefunden; solch ein Haushalt wurde in ler, abkassieren. der Großen Koalition von Herrn Steinbrück vorgelegt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- Wenn diese Koalition das strukturelle Defizit in nur chen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ einer Wahlperiode unter 10 Milliarden Euro absenkt, ist DIE GRÜNEN – Priska Hinz (Herborn) das eine riesige Leistung. Wir wären natürlich gern noch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die kassieren ehrgeiziger, aber, ich glaube, es wäre auch angemessen, Sie doch gerade ab! Ich sage nur: 5,5 Milliar- diese Leistung anzuerkennen. Bei Herrn Steinbrück sind den Euro für nächstes Jahr! Das gibt es doch die Ausgaben nie gesunken, sondern von Jahr zu Jahr gar nicht!) gestiegen. Herr Schäuble hat vorgetragen, dass er die Ausgabenlinie konstant halten möchte. Das ist der Un- Deshalb machen Sie einen Vorschlag nach dem anderen, terschied zwischen CDU/CSU und FDP auf der einen der zur Folge hat, dass den Menschen tiefer in die Ta- Seite und Ihnen auf der anderen Seite. sche gegriffen wird. Wir wollen, dass die Menschen in Deutschland investieren, dass sie aktiv werden und die- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ses Land voranbringen. Sie sind auf dem falschen Weg. neten der FDP) Uns geht es wirklich ums Sparen und um Ausgabenbe- grenzungen. Es darf aber nicht darum gehen, den Men- Wenn ich von wachstumsfreundlicher Konsolidie- schen das Geld aus der Tasche zu nehmen, meine Damen rungspolitik spreche, dann bedeutet das nicht – so habe und Herren. ich es vorhin gehört –, dass wir auf Steuersenkungen verzichtet haben. Wir haben im Jahr 2010 die größten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Steuersenkungen durchgeführt, die es in dieser Republik neten der FDP) je gab. Einen Teil dieser Steuersenkungen haben wir ge- Kommen wir zu Ihrem Vorschlag, eine Vermögensab- meinsam mit Ihnen von der SPD auf den Weg gebracht gabe einzuführen. Es gab in Deutschland schon einmal (B) – damals haben Sie das noch für richtig gehalten; aber eine Vermögensabgabe, und zwar beim Lastenausgleich. (D) im Nachgang bekennen Sie sich ja nie zu dem, was Sie Aber damals, 1945 nach dem Ende des Zweiten Welt- selbst einmal beschlossen haben –, krieges, befand sich Deutschland in einer Sondersitua- (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: tion. Schauen Sie sich die heutige Situation in der Bun- Mövenpick!) desrepublik Deutschland einmal an. Ich frage Sie: Sieht Deutschland zerbombt aus? Suchen Menschen, die ver- einen Teil davon in der Koalition von CDU/CSU und trieben worden sind, Zuflucht? Nein, Deutschland ist FDP. eine Insel, auf der großer Wohlstand herrscht. Deshalb gibt es für eine einmalige Vermögensabgabe überhaupt Ich bin der Meinung, angesichts der Abschwungsitua- keine Rechtfertigung. tion, in der wir uns damals befunden haben, war das richtig. In der damaligen konjunkturellen Lage war es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- richtig, die Steuern zu senken, und zwar nicht etwa ver- neten der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] bunden mit der Ankündigung, sie in Zukunft wieder zu [SPD]: Aber dieser Wohlstand verteilt sich erhöhen, sondern um bei den Menschen Vertrauen zu doch sehr eigentümlich!) schaffen und ihnen Planungssicherheit zu geben. Wir wollten dafür sorgen, dass die Menschen wissen: Unter – Lieber Herr Binding, Sie wollen ja nicht nur eine ein- diesen Bedingungen kann man in Deutschland arbeiten malige Vermögensabgabe. und investieren. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nein! Eine Vermögensteuer!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Sie wollen jedes Jahr eine Vermögensabgabe. Sie nen- nen sie „Vermögensteuer“. Da uns hier der Vorwurf gemacht wird, dies sei ein Wahlkampfetat, will ich nur sagen: Die Nettokreditauf- (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ganz nahme fällt um ungefähr 1,7 Milliarden Euro niedriger genau!) aus, als im Regierungsentwurf vorgesehen war. Ich höre ja, welche Programmüberlegungen bei SPD und Grünen Sie hätte viel Bürokratie zur Folge. Sie würde für die angestellt werden. Unternehmen eine Substanzbesteuerung darstellen. Sie würde dazu führen, dass der Staat nicht mehr Geld in der (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Kasse hätte, die wirtschaftliche Attraktivität des Stand- GRÜNEN]: Ja, und?) ortes Deutschland aber massiv beschädigt würde. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25129

Dr. Michael Meister (A) (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nur nen, eine Ausnahmesituation ist und wir von dem hohen (C) 0,1 Prozent der Privatvermögen müssten diese Schuldenstand dringend herunterkommen müssen? Steuer zahlen! 0,1 Prozent!) (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Aber das Das sind Ihre Ideen. So würde es mit Deutschland nach machen wir doch gerade! Wir haben die hinten, aber nicht nach vorne gehen, Herr Binding. höchsten Steuereinnahmen seit langer Zeit!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine zweite Frage ist damit verbunden: Wie lautet der Vorschlag Ihrer Partei und Fraktion, wer die Kosten Wir befinden uns heute in einer tollen Lage. Wir ha- der Finanzkrise tragen soll? Bisher ist es so, dass Sie die ben diese tolle Lage auch deshalb, weil wir uns in den Kosten der Bankenrettung – 22 Milliarden Euro sind letzten zehn Jahren angestrengt haben, Reformen durch- schon aufgelaufen – in einen Schattenhaushalt auslagern zuführen. Wir haben Reformen im Bereich des Arbeits- und in die Zukunft verschieben, sodass die nachfolgen- marktes und bei der Rente durchgeführt. Was schlagen den Generationen dafür aufkommen müssen. Das halte Sie jetzt vor? Wenn ich höre, was auf dem Parteitag der ich nicht für fair. Deswegen die Frage: Wer soll nach der Grünen beschlossen wurde, stelle ich fest: Sie schlagen Vorstellung der Union die Kosten der Finanzkrise, der vor, was die Rente betrifft, solle man überlegen, ob das, Bankenrettung und der Konjunkturprogramme tragen? was wir vorangebracht haben, rückgängig gemacht wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Was den Arbeitsmarkt angeht – Stichwort: Mindestlohn –, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) schlagen Sie vor, das, was von uns vorangebracht wor- den ist, rückgängig zu machen. So führen Sie Deutsch- land doch nicht in die Zukunft! So würden Sie Deutsch- Dr. Michael Meister (CDU/CSU): land in die Vergangenheit führen. Außerdem bekennen Lieber Kollege Dr. Schick, zunächst einmal möchte Sie sich nicht mehr zu dem, was Sie selbst, als Sie die ich sagen: Ja, ich bin der Meinung, dass wir in einer Mehrheit hatten, hier beschlossen haben. Ausnahmesituation sind. Eine solche Finanz-, Wirt- schafts- und Staatsschuldenkrise, wie wir sie gegenwär- (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE tig erleben, hat es bis jetzt noch nicht gegeben. GRÜNEN]: Wer blockiert denn hier den Min- destlohn? Sie oder wir? – Lothar Binding In einer solchen Krise ist es notwendig, sich zuerst [Heidelberg] [SPD]: Oh! Will die Union jetzt der Frage zuzuwenden: Was sind die Ursachen? Die doch den Mindestlohn?) Ursache war eine weit überzogene Deregulierung der Finanzmärkte, Bekennen Sie sich doch einmal zu den Entscheidungen, die Sie selbst getroffen haben, meine Damen und Her- (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Unter (B) Rot (D) ren! -Grün!) die Sie wesentlich mitgestaltet haben. Unsere erste (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Schlussfolgerung ist, diese falsche Deregulierungspoli- neten der FDP) tik zu beenden bzw. sie zu korrigieren. So steht Basel III zur Umsetzung an. Leerverkäufe haben wir verboten; die Präsident Dr. Norbert Lammert: Ratingagenturen haben wir reguliert. Jetzt geht es da- Herr Kollege Meister, darf Herr Schick Ihnen dazu rum, Maßnahmen im Restrukturierungsgesetz auch auf eine Zwischenfrage stellen? Europa auszuweiten. Dabei korrigieren wir die Fehler, die Sie eingeleitet haben. Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Ich bin weiterhin der Meinung, dass man die Kosten Wenn ein solch netter Kollege fragen möchte, sei es eigentlich nicht dem Steuerzahler aufbürden kann. In der ihm gegönnt. Not mussten wir dies allerdings tun; es gab keine andere Möglichkeit. Aber wir haben zwei Korrekturen vorge- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nommen: NEN]: Oh! Das war doch abgesprochen, oder?) Erstens. Wir haben in Deutschland eine Bankenab- gabe eingeführt, damit solche Kosten in Zukunft nicht mehr auf den Steuerzahler, sondern auf den Bankensek- Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tor zukommen. NEN): Danke für die Möglichkeit, eine Frage zu stellen, und (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die Ban- für die freundlichen Worte. – Ich will auf die Vermö- kenabgabe hat die falsche Dimension!) gensabgabe zurückkommen. Zweitens. Der Finanzminister wirbt in der EU insge- samt für die Einführung einer Finanztransaktionsteuer. Erstens. Würden Sie nicht sagen, dass die Finanz- Leider findet diese Idee nicht genügend Anhänger; nur krise, in der wir uns immer noch befinden, eine Ausnah- neun Länder sind bereit, mitzumachen. Wir sind, glaube mesituation ist, da sogar der Finanzminister vor ein paar ich, einer Meinung, dass der Bankensektor entsprechend Jahren sagen musste: „Wir blickten in einen Abgrund“? herangezogen werden sollte, wenn Folgekosten der Würden Sie nicht sagen, dass die Überschuldung vieler Krise zu finanzieren sind. Gebietskörperschaften in Deutschland, die die Schulden- bremse nur mit Unterstützung des Bundes einhalten kön- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 25130 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Dr. Michael Meister (A) Ich war Mitglied der Föderalismuskommission II, in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) der es – damit komme ich zum zweiten Teil Ihrer Frage, neten der FDP) Herr Schick – darum ging, wie man die Verschuldung der öffentlichen Haushalte in den Griff bekommen kann. Gestatten Sie mir zum Abschluss noch ein paar Be- Ein Ergebnis war, dass wir eine Schuldenbremse im merkungen zum Thema Europa. Ich glaube, dass all das, Grundgesetz verankert haben. Das ist ein wirksames was wir hier mit Blick auf Etatansätze kleinteilig disku- Instrument, um eine künftige Neuverschuldung aus- tieren, relativ schnell Makulatur werden kann, wenn uns zuschließen. Dieses Instrument hat, wie gesagt, Verfas- Europa misslingt. Wenn wir wirklich einen Altschulden- sungsrang. Die Aufgabe der Politik ist jetzt, diese Schul- fonds auflegen würden, wie es Herr Trittin vorschlägt, denbremse umzusetzen. Über den Fiskalvertrag haben ( [Essen] [SPD]: Sachverständigen- wir diese Schuldenbremse nach Europa exportiert. Das rat der Bundesregierung! – Lothar Binding ist eine riesige Leistung. Jetzt werden auch Risiken von [Heidelberg] [SPD]: Jetzt kommt Ihr Vor- außen abgeschirmt. schlag für Griechenland! Jetzt wird es span- nend!) Es bleibt der Schuldenstand. In der Verfassung ist for- muliert: keine strukturelle Neuverschuldung mehr. Das oder Euro-Bonds ausgeben würden, wofür sich Herr ist allerdings kein Ziel, das unsere Höchstleistung mar- Steinbrück im Handelsblatt ausgesprochen hat, dann kieren sollte; das ist eine Minimalforderung. Deshalb bin kämen wir in eine Gemeinschaftshaftung. ich der Meinung: Wir können da durchaus etwas ehrgei- ziger sein, lieber Norbert Barthle, wir müssen an dieser (Manfred Zöllmer [SPD]: Sind wir doch Grenze nicht stehen bleiben. Indem wir weiterhin eine schon!) erfolgreiche Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik Man muss sich einmal überlegen, was das für unseren machen, gewinnen wir die Spielräume, die wir brauchen, Zinsansatz im Bundeshaushalt bedeuten würde. um die Schuldenbremse einzuhalten. Wir müssen die Spielräume aber auch nutzen, um unseren Schuldenstand Deshalb bin ich der Meinung: Der Ansatz „Solidarität und damit die Lasten, die aus dem Zinsdienst entstehen, mit anderen“ ist richtig, wenn an die Ursachen der Pro- zu reduzieren. – Vielen Dank für die Frage, Herr Kollege bleme in diesen Ländern herangegangen wird und wenn Schick. Solidität gelebt wird, indem man die Probleme dort löst. Deshalb darf es keine Vergemeinschaftung der Haftung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und keine Aufgabe der Konditionalität geben. Solidarität der FDP) – ja, aber nur wenn die Probleme gelöst werden. Hilfe sollte nur zeitweise und nicht dauerhaft geleistet werden. Wir wollen eine wachstumsfreundliche Konsolidie- (B) rung. Das bedeutet, wir haben nicht nur gespart, sondern Es werden zum Teil vollkommen falsche Ansätze (D) in einigen Bereichen – ich nenne das Thema „Aufbau zugrunde gelegt. Schauen Sie sich doch einmal den von Forschung und Entwicklung“ – in jedem Jahr dieser Länderfinanzausgleich in Deutschland an! Dort wird Wahlperiode etwas on top gelegt. Wir meinen: Wenn wir derjenige begünstigt, der nicht an seiner Finanzstärke, dauerhaft wettbewerbsfähig sein wollen, dann müssen der nicht an seiner Wirtschaftskraft arbeitet. Es kann wir Forschung und Entwicklung stärken. Es geht darum, doch nicht sein, dass wir ein solch falsches Anreizsys- ein Vorbild für Europa zu sein. Wir müssen aber auch tem jetzt auch noch nach Europa exportieren. mit unseren Partnern darüber reden, dass überall in Eu- ropa mehr für Forschung und Entwicklung getan werden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) muss, damit Europa insgesamt leistungsfähiger wird. Nein, wir brauchen die richtigen Anreize, damit derje- Ein weiterer Schwerpunkt, den wir gesetzt haben, ist nige, der sich anstrengt, am Ende auch finanz- und wirt- der Bereich Infrastruktur. Im Gegensatz zu den Grünen, schaftspolitisch von seiner Anstrengung profitiert. Frau Hinz, bin ich der Meinung, dass wir eine funktio- Eine allerletzte Bemerkung. Der Kollege Schick hat nierende, qualitativ hochwertige Infrastruktur in eben nach den Sonderlasten aufgrund der Finanzkrise Deutschland benötigen. und nach Regulierungsnotwendigkeiten gefragt. Dazu (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE möchte Ihnen einen Hinweis geben: Woher haben denn GRÜNEN]: Es geht um den Erhalt!) Banken wie etwa die Westdeutsche Landesbank über- haupt das Geld gehabt? Welcher Finanzminister hat die- Hier setzen wir im Haushalt trotz aller Konsolidierungs- ser Landesbank eigentlich das Geld gegeben, mit dem anstrengungen einen Schwerpunkt. Die Grünen wollen, sie anschließend auf dem amerikanischen Immobilien- dass Straßen, Schienenwege, Wasserstraßen nicht mehr markt verpackte, strukturierte Produkte kaufen konnte? gebaut werden. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Der (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Mappus war es nicht!) GRÜNEN]: Das muss alles erhalten werden! – Wenn ich richtig informiert bin, hieß der Finanzminister Petra Hinz [Essen] [SPD]: Wir wollen nicht von Nordrhein-Westfalen seinerzeit Peer Steinbrück. neue Spatenstiche, sondern den Erhalt!) (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Genau!) Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Poli- tik: Wir wollen Mobilität. Durch diese Mobilität entsteht Damals wurde die Grundlage für die Malaise gelegt, in auch Wachstum in Deutschland. die diese Bank letztendlich geriet. Deshalb brauchen wir Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25131

Dr. Michael Meister (A) von Ihrer Seite keine Hinweise, wie man es besser auch treu und brav getan. Sie hat sogar noch kräftig eine (C) machen kann. Allerdings sollten wir gelegentlich die ei- Schippe obendrauf gelegt, indem sie den Haushalt der genen Fehler benennen und korrigieren. Bundesagentur für Arbeit wie eine Zitrone ausge- quetscht hat. Die Mittel für die Langzeitarbeitslosen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sollen im Haushaltsjahr 2013 um 6,5 Milliarden Euro gekürzt werden. Die Konjunktur hat gar nichts damit zu Vizepräsident : tun. Da schlagen Sie einfach zu. Vielen Dank, Kollege Dr. Michael Meister. – Nächste Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten ist un- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wir haben sere Kollegin Frau Bettina Hagedorn. Bitte schön, Frau keine 5 Millionen Arbeitslosen mehr, sondern Kollegin Hagedorn. nur noch 2,9 Millionen!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Eigentlich hatten Sie doch vor, Subventionen abzu- bauen und für eine gerechtere Belastung von Wirtschaft Bettina Hagedorn (SPD): und Unternehmen zu sorgen. Vor allen Dingen wollten Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sie Bürokratie abbauen und im eigenen Haushalt sparen. Herr Minister Schäuble, als wir hier vor zwei Monaten Was ist eigentlich daraus geworden? Ich kann Ihnen die erste Lesung des Bundeshaushaltes hatten, haben Sie sagen, was daraus geworden ist: Nichts, gar nichts. in Ihrem Redebeitrag gesagt, der Haushalt sei der Beleg (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sven- dafür, dass Deutschland krisenresistent sei. Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wenn wir uns nun einmal anschauen, was in den letz- NEN]) ten zwei Monaten im Haushaltsausschuss passiert ist und was Schwarz-Gelb aus diesem Haushalt gemacht hat, so Ich möchte jetzt nur einmal kurz die für die Bundes- kann man nur sagen: Die Regierungskoalition hat in den agentur für Arbeit relevanten Zahlen vorlesen, damit die letzten zwei Monaten alles nur noch schlimmer gemacht. Öffentlichkeit eine Vorstellung davon bekommt, was Sie In diesem Haushalt wird nach wie vor – das haben wir hier eigentlich machen: Durch das ominöse Sparpaket Ihnen schon vor zwei Monaten vorgeworfen – keine und den Wegfall eines halben Mehrwertsteuerpunkts in Vorsorge für die sich eintrübende Konjunktur getroffen. der Steuerfinanzierung haben Sie bei der Bundesagentur Dieser Haushalt weist eine soziale Schieflage auf und für Arbeit bis 2012 8 Milliarden Euro gekürzt. Was steht zeugt von Klientelpolitik. für die Bundesagentur für Arbeit wegen der Fortsetzung dieser Maßnahmen im Finanzplan? Minus 18 Milliarden (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sven- Euro für den Zeitraum von 2013 bis 2016! (B) Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) NEN]) Damit sind Sie aber noch nicht fertig. Wir haben jetzt auch noch ein Haushaltsbegleitgesetz vor der Brust. Sie Man muss eines feststellen: Sie bleiben sich auf eine sind sich nicht zu schade, der Bundesagentur für Arbeit erschreckende Weise treu. Vor ungefähr drei Jahren mit diesem Haushaltsbegleitgesetz einen weiteren hal- haben wir über Ihr sogenanntes Wachstumsbeschleuni- ben Mehrwertsteuerpunkt in der Steuerfinanzierung gungsgesetz diskutiert. Dieses Gesetz hat weder das wegzunehmen und für eine Verrechnung des Eingliede- Wachstum gefördert noch beschleunigt. Es war eigent- rungsbeitrages zu sorgen, was wiederum zulasten der lich ein Hotelierbegünstigungsgesetz – Stichwort Bundesagentur für Arbeit erfolgt. Von welchem Umfang „Mövenpick-Steuer“. sprechen wir? Minus 5,2 Milliarden Euro bis 2015! (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das war ein Schul- Was bedeutet das im Ergebnis? Das bedeutet natür- denbeschleunigungsgesetz!) lich, dass die angebliche Rücklage von 9,5 Milliarden Damals haben Sie den Grundstein für eine Klientelpoli- Euro, die die BA bis 2016 aufbauen sollte, wie die But- tik und für eine soziale Schieflage in diesem Land ter in der Sonne schmilzt. gelegt, die Sie in den letzten drei Jahren durchgezogen haben und die mit diesem Haushalt einen traurigen (Otto Fricke [FDP]: Wenn, dann Margarine!) Höhepunkt erfahren hat. Das heißt, Sie betreiben keine Vorsorge. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Am Himmel zeigen sich leider trübe Konjunkturwol- Sie haben eigentlich Etikettenschwindel betrieben. Ich ken. Bei der Aufstellung Ihres Haushaltsentwurfs haben habe gerade ein Beispiel dafür genannt. Sie noch mit einem Wirtschaftswachstum von 1,6 Pro- zent kalkuliert. Wo stehen wir jetzt? Höchstens noch bei Ein halbes Jahr später, im Sommer 2010, erblickte Ihr 1 Prozent! Wozu führt das? Das führt nicht nur zu Steu- sogenanntes Sparpaket das Licht der Welt. Frau Merkel ermindereinnahmen und dazu, dass die Sozialsysteme hat damals verkündet, dies sei ein einmaliger Kraftakt. nicht mehr so viel einnehmen werden wie bisher – die Der damalige Vizekanzler Westerwelle hat sekundiert, Einnahmen sprudelten nämlich –, sondern es führt auch dies werde ein ausgewogenes, ein faires und ein gerech- dazu, dass die Zahl der Arbeitslosen steigen wird. In Ih- tes Sparpaket sein. Aha, ausgewogen, fair und gerecht. rer eigenen Prognose sprechen Sie von einem Anstieg Damals haben Sie vorgegeben, dass die Arbeits- und um 150 000 auf 2,92 Millionen Arbeitslose. Aber im Sozialministerin 40 Prozent abliefern sollte. Das hat sie Haushalt treffen Sie dafür keine Vorsorge. 25132 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Bettina Hagedorn (A) Auch viele Arbeitgeber fordern längst, dass wir die ren Umgang mit den Bundesländern an den Tag legen. (C) Bundesagentur für Arbeit angesichts dieser Situation Gleichzeitig haben wir mit dem Nachtragshaushalt, der wieder in die Lage versetzen müssen – Stichwort „Kurz- ebenfalls zur Diskussion und zur Abstimmung steht, arbeitergeld“ –, Krisenintervention betreiben zu können. weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht. Insbeson- Das Gegenteil von dem haben Sie gemacht. Sie haben dere für Familien mit Kindern haben wir mit den sogar noch eine Schippe draufgelegt; denn auf dem Ko- 580 Millionen Euro, die wir für den Ausbau von Kinder- alitionsgipfel vier Tage vor unserer Bereinigungssitzung betreuungseinrichtungen zusätzlich zur Verfügung stel- wollten Sie noch ein paar Steuergeschenke verteilen, len, das deutliche Zeichen gesetzt, dass wir die Aufga- ben zukunftsorientiert wahrnehmen. (Rainer Brüderle [FDP]: Da waren Sie doch gar nicht dabei!) Weil gerne so getan wird, als ob Bayern etwas rück- ständig wäre indem Sie bei dem angeblich einmaligen Griff in den Gesundheitsfonds, der vorgesehen war, nicht nur 2 Mil- (Zurufe von der SPD: Nein! – Dr. Dietmar liarden, sondern 4,5 Milliarden Euro herausgenommen Bartsch [DIE LINKE]: Nicht „etwas“!) haben. Zusätzlich haben Sie auch kräftig in die Renten- kasse gegriffen. Das heißt, Sie plündern die sozialen – so geschehen letzte Woche, als wir über das Betreu- Sicherungssysteme zulasten der Beitragszahler und zu- ungsgeld abgestimmt haben –, darf ich sagen: Bayern lasten künftiger Generationen. liegt auch bei der Errichtung von Kinderbetreuungsein- richtungen bundesweit an der Spitze. Schon jetzt liegt (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Blödsinn!) die Quote in Bayern bei 43 Prozent. Damit ist sie höher als die geforderten 37 Prozent. Damit rechnen Sie Ihren Haushalt schön. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Politik ist unverantwortlich. Sie ist gegen die Menschen gerichtet und nicht zukunftsfähig. Bayern hat allein dafür aus eigenen Landesmitteln 61 Vielen Dank. 1 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und wird auf- grund der günstigen Entwicklung der Steuereinnahmen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nur für diesen Bereich in den nächsten beiden Jahren des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) über 80 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Damit bringen wir zum Ausdruck: Wir treten dafür Vizepräsident Eduard Oswald: ein, dass die Menschen eigenverantwortlich über ihre Vielen Dank, Frau Kollegin Hagedorn. – Nächster Lebensplanung und ihre Zukunftsplanung, was ihre Fa- (B) Redner in unserer Aussprache ist unser Kollege milie angeht, entscheiden sollen. Das hat auch etwas mit (D) Bartholomäus Kalb für die Fraktion der CDU/CSU. unserem Grundverständnis, von dem wir zutiefst über- Bitte schön, Kollege Bartholomäus Kalb. zeugt sind, zu tun, nämlich dass jeder Mensch einmalig und einzigartig ist, dass er im Rahmen der grundgesetzli- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und chen Regeln eigenverantwortlich sein Leben gestalten der FDP) soll und dass wir ihm nicht vorzuschreiben haben, wie er sein Leben zu gestalten hat. Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Kollegen! Der Haushalt, den wir in dieser Woche bera- neten der FDP) ten und am Freitag beschließen werden, ist Ausdruck Wir konsolidieren unseren Haushalt nicht auf der Ein- einer erfolgreichen Haushaltskonsolidierung und einer nahmeseite, wie das Rot-Grün und die Linken wollen, finanzpolitischen Linie von Stabilität und Verlässlich- sondern auf der Ausgabenseite. Es ist vorhin vom Fi- keit, die wir vertreten. nanzminister die Ausgabelinie der Haushalte in den zu- (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Bei „Li- rückliegenden Jahren sehr eindrucksvoll dargestellt wor- nie“ hast du ein bisschen gezögert!) den; ich brauche das nicht zu wiederholen. Wir bleiben bei der Ausgabenentwicklung unterhalb der Entwick- Dieser Haushalt kann sich wahrlich sehen lassen. Ich lung des Bruttoinlandsproduktes. Das ist eine ganz wich- darf noch einmal daran erinnern, dass wir die Nettokre- tige Marke, und so führen wir die Verschuldung zurück. ditaufnahme auf 17,1 Milliarden Euro reduzieren und die verfassungsmäßigen Vorgaben, die ab 2016 einzuhal- Sie von der SPD und neuerdings auch Sie von den ten sind, bereits 2013 mehr als einhalten können. Das Grünen können nicht genug bekommen, wenn es um heißt, die Vorgaben der Schuldenbremse werden bereits Forderungen nach Mehrbelastungen für den Steuerzahler jetzt übererfüllt. Damit geben wir auch ein gutes Bei- geht. spiel in Europa. Wenn wir andere Länder verpflichten, (Joachim Poß [SPD]: Für den Steuerzahler den Fiskalpakt einzuführen und einzuhalten, dann ist es überhaupt nicht!) gut, wenn wir mit gutem Beispiel vorangehen. – Doch. Wir werden auch das Gesetz zur innerstaatlichen Um- setzung des Fiskalpaktes beschließen. Auch hier dürfen (Joachim Poß [SPD]: Nur für Spitzenverdiener und können wir feststellen, dass wir einen mehr als fai- und für Vermögende!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25133

Bartholomäus Kalb (A) – Herr Poß, als Finanzfachmann wissen Sie, dass die Wir haben jetzt im Haushalt auch die Investitions- (C) oberen 10 Prozent der Einkommensbezieher bereits rund quote gestärkt. Wir sollten uns darüber freuen, dass es 55 Prozent der Einkommensteuerlast tragen. uns in Deutschland gutgeht, auch wenn Sie das nicht glauben. Warum darf man sich nicht mehr freuen, wenn (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Viele es einem gutgeht? Wir müssen schließlich auch die von denen zahlen gar nichts!) schwierigen Probleme gemeinsam tragen, einmal in der Das sei nur nebenbei bemerkt; aber darum geht es an einen Konstellation und einmal in der anderen. dieser Stelle gar nicht. Wenn Sie jedoch an das Ehegat- Das Handwerk ist so frei, dies so zu sagen, zumindest tensplitting herangehen wollen – Sie und neuerdings bei mir in der Region. Am 23. Oktober war in der Pas- auch die Grünen haben dessen Abschaffung gefordert –, sauer Neuen Presse zu lesen: „Handwerk geht es so gut dann treffen Sie genau die Bezieher kleinerer Einkom- wie seit 20 Jahren nicht“. men. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Richtig! Auch stimmt doch gar nicht!) in Sachsen!) Oft handelt es sich um Familien, bei denen sich ein Das ist ehrlich; das ist anerkennend. Sie sagen uns auch, Ehepartner dafür entschieden hat, in der Zeit der Kinder- wenn sie Probleme und Wünsche haben. Aber wir freuen erziehung zu Hause zu bleiben und keiner Erwerbstätig- uns, wenn sie dann auch einmal sagen: Es läuft gut; die keit oder einer anderen versicherungspflichtigen Be- Situation ist gut. – Das setzt wieder neue Kräfte für die schäftigung nachzugehen. wirtschaftliche Entwicklung frei. (Dr. [DIE LINKE]: Märchen- Ein solcher Kurs des Konsolidierens, Investierens und stunde!) Sparens an der richtigen Stelle, statt das Geld für Kon- sumausgaben zu verwenden, wird in Bayern bestätigt. Das führt zu geringeren Rentenansprüchen und geringe- Nicht der Bayernkurier, sondern die Wirtschaftswoche hat ren Versorgungsansprüchen. vor wenigen Wochen über den Primus Bayern geschrie- Wenn es nach Ihnen ginge, dann würden diese Men- ben: beste Jobchancen, weniger Hartz-IV-Empfänger, schen nach der Phase der Kindererziehung so behandelt, niedrigere Kriminalitätsrate und solide Finanzen. – So als ob sie durchgehend ein Erwerbseinkommen erzielt wird ein Schuh daraus. Das schafft die Bedingungen, dass hätten. Damit bestrafen Sie genau diejenigen Menschen, sich die Menschen, sowohl Unternehmer als auch Arbeit- die sich der Mühe unterzogen haben, Kinder zu erziehen, nehmer, und die Familien wohlfühlen können und dass zum Teil oft noch kranke Eltern oder Angehörige zu junge Menschen Zukunftschancen haben. (D) (B) pflegen, indem Sie ihnen im weiteren Verlauf Ihres Er- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- werbslebens und im Alter eine enorm hohe Steuerbelas- wie des Abg. Heinz-Peter Haustein [FDP] – tung aufbürden. Zuruf der Abg. Priska Hinz [Herborn] (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Schämen Sie [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sich!) – Ich darf doch mein Heimatland loben. Andere tun das Wenn Sie das wirklich wollen, sagen Sie das den Men- schließlich nicht. Sie schauen nur neidvoll auf Bayern. schen. Ich darf aber auch mit ein bisschen Stolz nach Bayern blicken. Das müssen Sie mir schon zugestehen, meine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sehr verehrten Damen und Herren. neten der FDP) (Joachim Poß [SPD]: Sagen Sie doch noch et- Mit der Politik, die wir vertreten, haben wir es ge- was zu Bayern!) schafft, dass wir heute auch im internationalen Vergleich zu den wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt – noch – Leider geht meine Redezeit zu Ende. vor den USA – gehören. Die Situation ist Gott sei Dank Mit dem Haushalt, den wir jetzt vorgelegt haben und so: Mit 41,7 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland über den wir am Freitag abstimmen werden, erfüllen wir haben wir eine Marke erreicht, die wir nie zuvor erreicht die notwendigen Voraussetzungen. Otto Fricke hat vor- haben. Mit rund 29 Millionen versicherungspflichtig Be- hin schon auf den Vorwurf, das sei ein Wahlkampfhaus- schäftigten haben wir entgegen Ihren Behauptungen eine halt, reagiert. Wenn ein Wahlkampfhaushalt so aussieht Marke erreicht, die nie so hoch war wie jetzt. Das ist im wie dieser, dann können wir stolz darauf sein. Es mag Übrigen der Grund dafür, dass wir höhere Steuereinnah- sein, dass es in dem Sinne ein Wahlkampfhaushalt ist, men und eine bessere Situation bei den Sozialversiche- dass wir mit ihm auch in diesem Jahr unter Beweis stel- rungen haben. Wir haben aus Leistungsempfängern wie- len, dass wir sparen, konsolidieren und die richtigen Bot- der Leistungserbringer gemacht. schaften aussenden, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE neten der FDP) GRÜNEN]: Ihr macht nichts! Ihr konsolidiert Das ist der wesentliche Beitrag zur Konsolidierung. nichts!) (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wie ist nämlich dass wir nichts zu verschenken haben, dass wir der Anteil der prekär Beschäftigten?) keine Wohlfühlprogramme auflegen und keine Wahl- 25134 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Bartholomäus Kalb (A) kampfgeschenke verteilen, sondern dass wir den aufge- bereitgestellt, und zwar 2,15 Milliarden Euro für Investi- (C) zeigten und bestätigten Kurs der letzten Jahre fortsetzen. tionen und sogar 1,85 Milliarden Euro – darüber haben wir lange diskutiert – für die Betriebskosten der neuen (Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist ja das Plätze. Das haben wir als Bund getan, obwohl die Kin- Schlimme!) derbetreuung originäre Aufgabe von Ländern und Kom- Wir wirtschaften und arbeiten solide und konsolidieren munen ist. die Haushalte. Die Menschen können sich darauf verlas- Jetzt haben wir noch einmal 580,5 Millionen Euro In- sen, dass wir mit dem Geld sorgsam umgehen. Damit vestitions- und jährlich 75 Millionen Euro Betriebskos- schaffen wir die Voraussetzung dafür, dass auch unsere tenzuschüsse für den weiteren Ausbau bereitgestellt, Währung weiterhin stabil bleibt. (Bettina Hagedorn [SPD]: Dafür habt ihr aber (Bettina Hagedorn [SPD]: Auf Initiative der im Haushalt keine Vorsorge getroffen!) SPD-regierten Länder im Bundesrat!) Wir werden in den nächsten Wochen dazu noch einige und damit können zusätzlich 30 000 Plätze geschaffen Diskussionen führen müssen. Wir können nicht ausblen- werden. den, dass das konjunkturelle Wetterleuchten in Europa (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch bei uns zu sehen und zum Teil zu spüren ist. Auch dafür schaffen wir Vorsorge. Dies kann sich mehr als sehen lassen. Das zeigt, wie wichtig dem Bund der Kitaausbau ist. Herzlichen Dank. Ich selbst war bis 2009 Bürgermeister und konnte be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) obachten, wie viele – oder besser gesagt: wie wenige – Kollegen den Kitaausbau für die unter Dreijährigen be- Vizepräsident Eduard Oswald: schleunigt haben. Sichtlich irritiert war ich vor allem Vielen Dank, Kollege Bartholomäus Kalb. – Nächster von den Ländern, die nur schleppend Geld für den Aus- Redner in unserer Aussprache ist unser Kollege Andreas bau in die Hand genommen haben. Mattfeldt für die Fraktion der CDU/CSU. Bitte schön, Kollege Andreas Mattfeldt. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: War das die schwarz-gelbe Regie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rung in Niedersachsen?) neten der FDP) Deshalb bin ich unserer Familienministerin sehr dank- bar, dass sie in den letzten Monaten hartnäckig geblieben Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): (B) ist und jetzt wieder Schwung in den Kitaausbau gekom- (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- men ist. men und Herren! Mit der Verabredung eines Fiskalpaktes zwischen den Euro-Ländern ist etwas Einmaliges gelun- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gen. Endlich wird das Übel der Verschuldungskrise an der neten der FDP) Wurzel gepackt. Die treibende Kraft dafür, dass alle Persönlich fand ich es erschreckend, zu sehen, auf Euro-Länder eine Schuldenbremse nach deutschem Vor- welche Blockadehaltung man bei den Ländern und vor bild einführen, war unsere Bundeskanzlerin Dr. Angela allen Dingen auf welche Ablenkungsmanöver man bei Merkel. Dafür sind wir ihr sehr dankbar. Nachfragen zum Ausbaustand in den Bundesländern ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- stoßen ist. Ganz vorne an die Spitze der Blockierer des neten der FDP) Kitaausbaus hat sich Frau Schwesig von der SPD ge- stellt. Ich erinnere nur daran, dass sie es war, die gesagt Um aber die Zustimmung der Bundesländer zu die- hat, der Bund würde mit der Forderung nach Berichts- sem wichtigen Paket zu erhalten, wurde innerstaatlich pflichten zum Kitaausbau die Gelderfreigabe blockieren. ein erhebliches Paket zugunsten der Länder vereinbart. Das ist schlichtweg Quatsch. Nach den Erfahrungen, die Als zuständiger Haushälter für das Familienministerium wir mit dem zögerlichen Ausbau gemacht haben, sage möchte ich mich deshalb auf den Kitaausbau konzentrie- ich deutlich, dass es doch wohl erlaubt sein muss, die ren, über den in diesen Tagen vielfach, leider häufig in Verteilung von Mitteln an Bedingungen und auch an eine einem falschen Kontext, diskutiert wird. gewisse Kontrolle zu knüpfen. Alles andere ist vollkom- Meine Damen und Herren, wir alle wissen, wie wich- men unseriös und vor den Steuerzahlern nicht zu verant- tig der Ausbau der Kinderbetreuung für die jungen Fa- worten. milien ist. Deshalb hat der Bund schon 2007 unter (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Initiative ergriffen, gemeinsam mit den Städten und Gemeinden ein ehrgeiziges Ausbau- Interessant waren auch die Verhandlungen mit den programm zu beschließen und umzusetzen. Ländern über die Beteiligung des Bundes an den Be- triebskosten der Krippen ab 2013. Der Bund hat – für (Bettina Hagedorn [SPD]: Auf Initiative der mich fast schon zu großzügig – angeboten, für 2013 SPD!) 18,75 Millionen Euro und ab 2015 jährlich die volle Doch während Kommunen und Länder nur zögerlich Summe von 75 Millionen Euro zu zahlen. Dies war al- mit der Bereitstellung von Geldern begannen, hat der lerdings den Ländern und, wenn ich mir die Anträge an- Bund direkt, und zwar schon 2008, 4 Milliarden Euro sehe, anscheinend auch der SPD hier im Hause anfäng- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25135

Andreas Mattfeldt (A) lich nicht genug. Nun muss man hierzu wissen, dass uns Tagesordnungspunkt I.4 d. Abstimmung über den (C) vorab in den Verhandlungen lang und breit erklärt von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines wurde, dass der Bau der Kindertagesstätten nicht schnell Haushaltsbegleitgesetzes 2013. Der Haushaltsausschuss zu realisieren sei. Gleichzeitig wurde aber vor allem von empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- SPD-regierten Ländern gefordert, für noch nicht vorhan- che 17/11477, den Gesetzentwurf der Bundesregierung dene Kitas sofort zu den ohnehin schon vereinbarten auf Drucksachen 17/10588 und 17/10864 in der Aus- 770 Millionen Euro ab 2013 weitere Betriebskostenzu- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die schüsse in voller Höhe von 75 Millionen Euro on top zu dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen zahlen. Das heißt im Klartext: Wir zahlen Strom- und wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitions- Heizkosten für noch nicht gebaute Kindergärten. Das ist fraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die drei Op- für mich nicht nachvollziehbar. Das sage ich ganz deut- positionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetz- lich. entwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Otto Dritte Beratung Fricke [FDP]: So sind sie!) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Wir dürfen mit dem Finger nicht immer nur auf Grie- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – chenland zeigen, wir müssen es auch in Richtung Oppo- Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – sition tun. Deshalb mein Rat: Lassen Sie Ihre parteitakti- Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshal- schen Spielchen! Konzentrieren Sie Ihre Arbeit auf das, ber: Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist was angesagt ist, nämlich die Schaffung von Krippen- angenommen. plätzen! Tagesordnungspunkt I.4 e. Abstimmung über den von Herzlichen Dank. der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur in- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags. Der Haus- haltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11504, den Gesetzentwurf der Bundes- Vizepräsident Eduard Oswald: regierung auf Drucksachen 17/10976 und 17/11011 in der Vielen Dank, Kollege Andreas Mattfeldt. Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die Ich schließe die Aussprache. dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitions- Wir kommen nun zu den Abstimmungen, zunächst fraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. zur Abstimmung über den Einzelplan 08, Bundesminis- Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktion der Sozial- (B) terium der Finanzen, in der Ausschussfassung. Wer demokraten und die Linksfraktion. Enthaltungen? – (D) stimmt dafür? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung stimmt dagegen? – Das sind die Oppositionsfraktionen. angenommen. Enthaltungen? – Keine. Der Einzelplan 08 ist angenom- men. Dritte Beratung Abstimmung über den Einzelplan 20 – Bundesrech- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem nungshof – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind alle Fraktionen. Vorsichtshalber: Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Keiner. Enthaltungen? – Keine. Der Einzelplan 20 ist an- Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die genommen. Fraktion der Sozialdemokraten und die Linksfraktion. Vorsichtshalber: Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetz- Tagesordnungspunkt I.4 c. Abstimmung über den von entwurf ist angenommen. der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zwei- ten Nachtragshaushaltsgesetzes 2012. Der Haushaltsaus- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesord- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf nungspunkt I.5 auf: Drucksachen 17/11290 und 17/11291, den Gesetzent- wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/10900 Einzelplan 06 und 17/10901 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich Bundesministerium des Innern bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss- fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das – Drucksachen 17/10806, 17/10823 – sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das Berichterstattung: sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Nie- Abgeordnete Stefanie Vogelsang mand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung Norbert Barthle angenommen. Dr. Peter Danckert Dritte Beratung Dr. Florian Toncar Heinz-Peter Haustein und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Steffen Bockhahn Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Katja Dörner Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Es liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der So- Keine. Der Gesetzentwurf ist angenommen. zialdemokraten, ein Änderungsantrag der Fraktion Die 25136 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Vizepräsident Eduard Oswald (A) Linke sowie ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- halt für die NADA zu gering ist. Deshalb ist der Bund (C) nis 90/Die Grünen vor. der Hauptfinanzier der NADA. Der NADA wird 1 Mil- lion Euro mehr zur Verfügung gestellt; das ist auch rich- Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Frak- tig so. Wir müssen uns langfristig darüber unterhalten, tion Die Linke vor, über den wir am Freitag nach der wie es an dieser Stelle weitergeht. Die Strukturen sind Sch lussabstimmung abstimmen werden. nicht in Ordnung. Ich glaube, wir sollten uns von dem Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Stiftungsmodell verabschieden und neue Finanzierungs- die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Sie sind formen suchen, damit die NADA in Zukunft auf siche- damit einverstanden? – Dann haben wir das so beschlos- ren Füßen steht. sen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Frak- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- tion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Peter NEN) Danckert. – Bitte schön, Kollege Dr. Peter Danckert. Wir haben eine Reihe von Nebenpunkten, die für die (Beifall bei der SPD) Betroffenen sehr wichtig sind, einvernehmlich geregelt. Dafür möchte ich mich auch bei der Koalition bedanken. Dr. Peter Danckert (SPD): Die jeweiligen Ansätze sind nicht mehr beim Sport an- gesiedelt, sondern in anderen Haushaltstiteln verborgen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Es ist gut, dass wir da zusammengefunden haben. Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich zunächst ein- mal für die Zusammenarbeit mit den Berichterstattern Ich komme zu weiteren Punkten, die mir besonders und den Mitarbeitern des Ministeriums bedanken. Es am Herzen liegen. Ein Thema, das ich auch in den Haus- war sehr angenehm. haltsberatungen angesprochen habe, Herr Minister, ist die Situation der Bundespolizei. Die Bundespolizei ist Ich fange heute ausnahmsweise mit einem Thema an, unser wichtigstes Instrument zur Bewahrung der öffent- das in Haushaltsberatungen immer zu spät und dann lichen Sicherheit. Die Bundespolizei wird aus meiner auch noch zu kurz behandelt wird: mit dem Sport. Zum Sicht sträflich behandelt. Da helfen auch Veränderungen Einzelplan 06 gehören die Mittel für den Sport. Ich habe an ihrer Spitze nichts. Dass es da nach mehr als drei Jah- immer das Gefühl, dass dieser Bereich ein bisschen zu ren unionsgeführter Bundesregierung zu einem Wechsel kurz kommt. Man sieht nicht, dass die Kürzungen dort gekommen ist, darüber will ich mich nicht lange ausbrei- ein Problem bedeuten. Jetzt haben sich bei den Bundes- ten. Das ist jetzt so entschieden. leistungsstützpunkten usw. und auch bei der NADA leichte Verbesserungen ergeben. Aber letztlich ist das Wir haben bei der Bundespolizei ein Problem mit der (B) (D) eine Angelegenheit, die uns viel länger und intensiver Altersversorgung der Polizeiobermeister, das uns schon beschäftigen muss, als es bisher geschehen ist. Ich seit Jahren beschäftigt. Der verstorbene Kollege Herrmann denke, es sollte in den nächsten Jahren die Hauptaufgabe hat es wie ich zu seinem Thema gemacht. Was ist pas- des Innenausschusses und auch des Sportausschusses siert? Nahezu gar nichts. Im nächsten Jahr gibt es die sein, hier für Klarheit zu sorgen. Denn die Strukturen letzte Tranche der zusätzlichen Beförderungen. Aber das sind nach meinem Eindruck nicht geeignet, um in diesen ist viel zu wenig. Um es einmal konkret zu benennen: Bereichen voranzukommen. 3 500 Polizeiobermeister müssten befördert werden, da- mit sie nicht mit A 8 in Pension gehen müssen. Jeder (Beifall des Abg. [SPD]) sollte sich einmal ansehen, was dabei netto heraus- Lassen Sie mich jetzt ein Wort zu den Zielvereinba- kommt. rungen sagen. Wir haben einen sehr unangenehmen Im Übrigen hat die ganze Entwicklung auch dazu ge- Kampf geführt. Erst durch die Klage eines Journalisten führt, dass die Belastung der Kollegen bei der Bundes- sind Zahlen veröffentlicht worden. Inzwischen hat es mit polizei sehr groß ist. Es gibt dort Burn-out-Syndrome in Ihrem Hause, Herr Bundesminister, eine Einigung gege- besorgniserregender Größenordnung. Der allgemeine ben. Die Obleute – jedenfalls die im Haushaltsausschuss, Krankenstand, insbesondere aber auch der Krankenstand möglicherweise aber auch die in anderen Ausschüssen – verursacht durch das Burn-out-Syndrom ist besorgnis- werden die Gelegenheit haben, Einblick in die Unterla- erregend. Wir haben einen Krankenstand von nahezu gen zu nehmen, die die Zielvereinbarung einschließlich 10 Prozent. Er liegt weit über dem Durchschnitt des des Teils Monitoring – er umfasst die wesentlichen Re- Krankenstandes aller Bundesbeamten. Er ist doppelt so gelungen – enthalten. Ich finde, das ist der richtige Weg. hoch wie der Krankenstand bei den Arbeitnehmern. Es Es wäre unangenehm und peinlich gewesen, wenn wir muss also etwas passieren. da hätten klagen müssen. (Beifall bei der SPD) Ein kurzes Wort zur NADA. Auch da sind die Struk- turen nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Es gab Wenn ich dann in der Haushaltsdebatte höre, dass Sie ursprünglich eine Übereinkunft zwischen Bund, Län- die Bundesobergrenzenverordnung ändern müssen, dann dern, Wirtschaft und Sport, das nötige Stiftungskapital frage ich mich: Warum kommen Sie erst jetzt auf diese zusammenzubringen. Das hat nicht geklappt. Diese Stif- Idee? Es ist doch seit 2009 bekannt, dass sie ein wesent- tung verfügt jetzt über Mittel von rund 13 Millionen liches Hemmnis ist, um den Wünschen der Personalver- Euro. Angesichts der niedrigen Zinssätze kann man sich treter, der Gewerkschaften bei der Bundespolizei ange- leicht ausrechnen, dass dieses Stiftungskapital als Haus- messen nachzukommen. Jetzt kommen Sie auf die Idee, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25137

Dr. Peter Danckert (A) dass sie geändert werden müsse. Daran sind nur das schen zehn Jahren aufzuholen haben. Wir haben eine (C) Bundesfinanzministerium und das Bundesinnenministe- völlig überholte IT. rium beteiligt. Die Bundesregierung kann dies dann so beschließen. Ich frage mich wirklich, wer an dieser Von daher sage ich Ihnen: Dieses Problem werden wir Stelle geschlafen hat. Das ist ein nicht akzeptables Er- in Zukunft zu bewältigen haben. Aber wenn das Geld gebnis. mit offenen Händen für unnötige, von der Gesellschaft gar nicht akzeptierte Projekte ausgegeben wird und an (Beifall bei der SPD) der Sicherheit gespart wird, dann brauchen wir uns über den Rückstand nicht zu wundern. Wir haben das Thema Digitalfunk in jeder Rede ge- hört. Nach eingehenden Gesprächen mit den Bericht- Vielen Dank. erstattern ist die Situation immer noch sehr unbefriedi- gend. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) Ich will Herrn Fritsche keine Vorwürfe machen. Er ver- Vizepräsident Eduard Oswald: sucht möglicherweise sein Bestes. Hier sind die Länder Vielen Dank, Kollege Dr. Peter Danckert. – Nächste beteiligt. Wenn man sieht, was auf diesem Gebiet in den Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU ist unsere Kol- letzten zehn Jahren – das Bundesinnenministerium war legin Frau Stefanie Vogelsang. Bitte schön, Frau Kolle- dabei überwiegend in CDU/CSU-Verantwortung – pas- gin Stefanie Vogelsang. siert ist, dann ist das ein erbärmliches Ergebnis. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Das hat Schily verursacht! Ein Anfangsfehler von Schily!) Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen Ich bin gerade durch das Haus gegangen und habe ei- und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der nen Bediensteten der Polizei getroffen und ihn gefragt: Tribüne sitzen ja wenig Zuschauer. Sagen Sie mal, haben Sie schon Digitalfunk? – Ich war der Meinung, dass es das in diesem Hause schon gibt. Er antwortete: Nein, so weit sind wir noch lange nicht. – Vizepräsident Eduard Oswald: Nicht einmal in diesem Hause schaffen wir das. Dafür sitzen Millionen vor dem Fernseher. Wir erleben immer wieder Pleiten bei Großeinsätzen, (Heiterkeit) (B) sei es bei Stuttgart 21, sei es bei Veranstaltungen rund (D) um den 1. Mai, sei es bei anderen Veranstaltungen. Bei Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): diesen Einsätzen werden uns die Fehler offenbar, mit de- Also gut: Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer an nen wir heute zu tun haben. Der Digitalfunk steckt noch den Fernsehgeräten! Ich möchte meine Ausführungen in den Kinderschuhen. Ich sage voraus, dass uns dieses zum Ressort des Innenministeriums in fünf Schwer- Thema noch viele Jahre beschäftigen wird. Ich befürchte punkte unterteilen. Am Anfang, Kollege Danckert, sogar, dass das ein ähnliches Problem wird wie der Flug- möchte ich etwas zur Personalsituation in Gänze sagen. hafen Berlin Brandenburg; aber das ist ein anderes Dann konzentriere ich mich auf die Förderung des Eh- Thema. renamtes, vor allem beim Technischen Hilfswerk. Die ( [CDU/CSU]: So dramatisch Bundespolizei als ein großer Träger unserer Sicherheit wird es wohl nicht werden!) wird ein Teil meiner Ausführungen sein, ebenso die För- derung deutscher Minderheiten und die Integrationsför- Es muss mehr getan werden für die IT. Auf der einen derung in den Integrationskursen. Seite wurden dort Kürzungen in Höhe von bis zu 10 Mil- lionen Euro vorgenommen, und auf der anderen Seite ( [DIE LINKE]: Wenn Sie wurden zu Beginn Ihrer Regierungszeit 900 Millionen weiter das Inhaltsverzeichnis vorlesen, ist Ihre Euro für Mövenpick und andere Konsorten ausgegeben. Redezeit bald vorbei!) (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das Liebe Frau Kollegin, 1989 gab es bei den oberen Bun- ist falsch! Das stimmt nicht!) desbehörden in der Bundesrepublik Deutschland rund – Das ist unangenehm, Stephan Mayer. Das ist sehr un- 650 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Jahre angenehm, weil man das immer wieder hört. Ich weiß, 2013 sind es noch 450 000 Mitarbeiterinnen und Mitar- dass viele von Ihnen das längst bedauern. beiter. Im Jahre 1989 wurden 25 Prozent des Haushalts der Bundesrepublik Deutschland in Gänze für die Be- Jetzt auch noch das Betreuungsgeld. Wir müssen ir- zahlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgege- gendwo Prioritäten setzen. Auf der einen Seite sollen ben. Für den Haushalt 2013 stellen wir die Prognose an, 1,2 Milliarden Euro für die Betreuung ausgegeben wer- noch 8,7 Prozent des Bundeshaushaltes für die Bezah- den. Auf der anderen Seite wird die Verbesserung der IT lung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auszugeben. auf die lange Bank geschoben. Dieses Problem – das Das ist eine deutliche Konsolidierung, eine deutliche Re- prophezeie ich Ihnen – wird uns in den nächsten Jahren duzierung und eine deutliche Rationalisierung in diesem auf die Füße fallen, weil wir einen Rückstand von inzwi- Bereich. 25138 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Stefanie Vogelsang (A) Als diese Koalition im Jahre 2010 ihre Arbeit begon- die Sachmittelausstattung im Bereich der Bundespolizei (C) nen hat, wurde in Meseberg der Beschluss gefasst: Wir kümmern müssen. Mit der Aufstockung um 15 Millio- konsolidieren unsere Personalausgaben und den Perso- nen Euro haben wir jetzt aber erst einmal das richtige nalbestand nochmals um 10 000 Stellen. Mit dem Jahr Signal gesetzt. 2012 haben wir bereits eine Konsolidierung um 11 000 Stellen vorgenommen. Auch bei dem Thema der Polizeiobermeister befinden wir uns auf dem richtigen Weg. Es geht um die Frage, Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung, den die wie man es hinbekommen kann, dass diejenigen, die ih- Haushälter in den Beratungen im Haushaltsausschuss ren Kopf dafür hinhalten, dass wir alle uns sicher fühlen bestätigt haben, enthält eine wesentliche und sehr rich- können, ein adäquates, also ein in Geld ausgedrücktes tige Botschaft: Wir wollen eine Abkehr von der pauscha- Wertschätzungssignal unserer Gesellschaft erhalten. len Stelleneinsparung vornehmen und das Signal in die Diese Initiative der Bundesregierung ist übrigens einmal Republik senden, dass wir die Überausstattung an Perso- von ausgegangen. nal durch Rationalisierungsmaßnahmen angegangen sind, dass wir nunmehr gut aufgestellt sind und dass es (Dr. Peter Danckert [SPD]: Davon zehren wir jetzt darum geht, kluge Entscheidungen für die Zukunft heute noch!) zu treffen. – Davon zehren wir nicht, sondern wenn es einmal eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kluge Maßnahme gegeben hat, dann haben wir sie auch weitergeführt. In diesem Fall ist es einmal so. Die zehnte Im Ressort des Innenministeriums haben wir durch Jahresrate hat der Bundesminister Friedrich jetzt einge- kluge und zukunftsweisende Entscheidungen 50 Stellen setzt, um im Bereich des mittleren Dienstes etwas für die mehr ausgebracht. Damit soll dem Innenministerium er- Bundespolizei zu tun. Das finde ich sehr positiv. möglicht werden, schon jetzt Fachkräfte einzustellen, und zwar vor dem Hintergrund, dass in den Jahren 2017, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und 2018 und 2019 ein großer Ausstand von Kolleginnen der FDP) und Kollegen zu verzeichnen sein wird, die dann in den Wir haben im Bereich der Minderheiten einen Ruhestand gehen. Schwerpunkt gesetzt, mit kleinen Beträgen, die für diese Deshalb betone ich nochmals: Diese strategische Volksgruppen aber wichtig sind und dort ankommen. Schwerpunktsetzung mit dem Ziel einer klugen fachpoli- Wir haben zum einen der Volksgruppe der Sorben einen tischen Ausrüstung unserer Behörden ist eine richtige Zuschuss von 350 000 Euro gewährt. Das ist für uns Maßnahme. Das ist nicht nur im Innenressort so, aber Haushälter kein großer Betrag; aber er sichert die Wei- eben auch dort. Darüber freue ich mich sehr. tergabe der kulturellen Identität der Volksgruppe der (B) Sorben. Wir haben auch etwas für die deutsche Minder- (D) In den Haushaltsberatungen haben wir 2 Millionen heit in Dänemark getan. Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt – und damit wie- derum den Ansatz von 2012 bestätigt – für die ehrenamt- Wir haben im Bereich der Integrationsmittel liche Arbeit der Menschen in unserer Gesellschaft, die (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: im Technischen Hilfswerk Verantwortung übernehmen Gekürzt!) und dort ihre Arbeit einbringen. Ich freue mich sehr da- rüber, dass es gelingen konnte, hier ein entsprechendes den Ansatz der Bundesregierung in Höhe von 240 Mil- Signal zu setzen. lionen Euro zum einen flexibilisiert, indem wir gesagt haben: Im Bereich der Integrationskurse können 10 Mil- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lionen Euro draufgesattelt werden. Der Kollege Danckert hat das Thema Bundespolizei (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Sie ha- angesprochen. Es ist uns gelungen, über die Ausstattung ben gekürzt bei den Integrationskursen!) im Regierungsentwurf hinaus im Bereich der techni- schen Ausstattung bzw. der Sachmittel noch einmal Zum anderen haben wir, nachdem wir festgestellt haben, 15 Millionen Euro mehr dass die Mittel in den letzten Jahren zunehmend nicht mehr abgeflossen sind, beschlossen, die Haushaltsan- (Dr. Peter Danckert [SPD]: 1,2 Milliarden für sätze anzupassen. das Betreuungsgeld!) (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: für innere Sicherheit, für die IT-Ausstattung und für die Sie hätten mehr investieren müssen!) unterschiedlichsten Maßnahmen bei der Bundespolizei zur Verfügung zu stellen. Herr Kollege Danckert, ich Im Bereich der Bezahlung der Lehrkräfte haben wir die schätze Ihr Engagement für die Bundespolizei sehr. von der Regierung in Angriff genommene Erhöhung der Honorare mitgetragen; (Dr. Peter Danckert [SPD]: Andere auch!) (Dr. Peter Danckert [SPD]: Um 2 Euro!) – Andere natürlich auch. das sehen wir sehr positiv. Hier gibt es einen Mehrauf- (Beifall des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz wand von 20 Millionen Euro. Auch das ist ein richtiges [SPD]) Signal. Jeder, der in Deutschland einen Integrationskurs Ich glaube, dass wir uns im Rahmen der mittelfristi- belegen möchte und dazu berechtigt ist, der bekommt ei- gen Finanzplanung für 2014 und die Folgejahre sehr um nen Integrationskurs auf hohem Niveau. Darauf können Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25139

Stefanie Vogelsang (A) wir alle hier stolz sein; wir können uns darüber freuen, derbetreuung gekümmert. Das wiederum hatte zur (C) dass das in unserem Land gelingt. Folge, dass weniger Frauen und Männer diese Kurse in Anspruch genommen haben. Es ist leicht verständlich, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dass die Mittel nicht abfließen, wenn weniger Leute in neten der FDP) den Kursen sind. Sie betreiben da eine falsche Politik, Meine Damen und Herren, ich möchte meine Rede die der Integration nicht förderlich ist. mit einem Dank abschließen: mit einem Dank an die (Beifall bei der LINKEN – Reinhard Grindel Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstatter für die [CDU/CSU]: Kinderbetreuung ist schon Sache gute Zusammenarbeit, vor allen Dingen mit einem Dank der Kommunen, oder?) an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium. Ich habe jeden einzelnen Mitarbeiter, mit dem ich mich Sie machen da noch viele andere Sachen. Beispiels- in der letzten Zeit in Verbindung gesetzt habe und den weise planen Sie, 2013 Mittel für die Projektförderung ich hier oder da um eine Einschätzung gebeten habe, als in Höhe von 10 Millionen Euro anders zu verwenden. äußerst engagiert, an der Sache orientiert und interessiert Die Schwierigkeit besteht aber darin, dass diese 10 Mil- kennengelernt. Da wir so gute Leute im Ministerium ha- lionen Euro eigentlich für etwas anderes gedacht waren, ben, angefangen beim Minister, können wir unsere er- nämlich für eine erweiterte Sprachförderung über das folgreiche Politik weiterführen. Niveau B 1 hinaus, beispielsweise für Qualifizierte oder Hochqualifizierte, um ihnen eine noch bessere Möglich- Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. keit zur Integration in unsere Gesellschaft zu geben. Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- alles lassen Sie einfach wegfallen. Das ist schlicht und neten der FDP) ergreifend nicht ehrlich. Noch absurder wird es, wenn wir uns anschauen, was Vizepräsident Eduard Oswald: Sie mit den Einsparungen machen, die durch die gerin- Vielen Dank, Frau Kollegin Vogelsang. – Sie haben gere Inanspruchnahme von Integrationskursen entstan- gesehen: Während Ihrer Rede sind doch noch einige Be- den sind. Sie nutzen dieses Geld nämlich nicht etwa, um sucherinnen und Besucher gekommen. an anderer Stelle im Bereich der Integration Sinnvolles (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: zu tun, sondern Sie benutzen es als Puffer, um Mehraus- Aber nicht deshalb, Herr Präsident! – Otto gaben in anderen Bereichen, vorzugsweise bei der Bun- Fricke [FDP]: Wegen der Rede!) despolizei etc., auszugleichen. Bestimmte Bereiche Ihres Haushalts sind unterfinanziert – Sie wissen das –, und – Das Protokoll hat die einzelnen Kommentare, die in ausgerechnet aus den nicht ausgeschöpften Mitteln für (B) den Fraktionen unterschiedlich waren, aufgenommen. Integrationskurse haben Sie einen Puffer geschaffen, mit (D) Nächster Redner ist unser Kollege Steffen Bockhahn dem Sie andere Vorhaben querfinanzieren wollen. Das für die Fraktion Die Linke. Bitte schön, Herr Kollege ist unredlich, aber das ist Ihre Art der Haushaltspolitik. Bockhahn. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem (Beifall bei der LINKEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schauen wir uns an, wie sich der Haushalt in seiner Steffen Bockhahn (DIE LINKE): Struktur verändert hat. Man kann feststellen, dass er sich Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine lieben Kolle- wenig verändert hat, dass im Prinzip alles gleich geblie- ginnen und Kollegen! Frau Vogelsang, Ihre Rede endete ben ist. Sie schaffen Kompetenzzentren, Gemeinsame im Wesentlichen mit dem Thema der Integrationskurse Abwehrzentren. Sie verknüpfen das eine mit dem ande- und der Kürzungen, die da vorgenommen worden sind. ren, ohne zu überlegen, ob das sinnvoll ist oder nicht – Es mag nicht überraschen, aber wir sehen das ein biss- Hauptsache Aktionismus, und davon ganz viel. Sie chen anders als Sie. schaffen viele neue Stellen in den vermeintlichen Sicher- heitsbereichen, lassen aber das, was zwingend notwen- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dig ist, nämlich die Präsenz in der Fläche, komplett au- neten der SPD) ßen vor. Ich kann mich sehr genau an die Haushaltsberatungen (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wir sind für 2010 erinnern. Da wurde die Idee vorgestellt, die schon beim Bundesetat, oder?) Struktur der Kurse ein bisschen zu verändern und mehr Ganztagskurse einzurichten. Wir haben sehr intensiv da- Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Das Bundeskri- rüber gesprochen, wie man dann das Umfeld gestalten minalamt hat in den letzten zehn Jahren allein im Rah- müsse. Denn wenn man möchte, dass auch eine Migran- men der sogenannten Terrorismusbekämpfung und der tin, die Mutter ist, an einem Sprachkurs oder Integra- Stärkung der inneren Sicherheit zusätzlich 166 Millio- tionskurs teilnimmt, muss man sich natürlich Gedanken nen Euro und 732 Stellen bekommen, während in ande- darüber machen, wo das Kind bleibt, während die Mutter ren Bereichen stetig Personal abgebaut werden musste. im Integrationskurs ist, wahlweise der Vater, wenngleich Ich kann allerdings nicht erkennen, dass der Erfolg so das eher selten der Fall ist. Wir haben ausdrücklich da- grandios war, dass ein solcher Zuwachs zu rechtfertigen rauf hingewiesen. Was war das Ergebnis? Es ist gar gewesen wäre. Wir haben schon viel darüber gespro- nichts passiert. Sie haben zwar die Ganztagskurse zur chen, welche Defizite es bei der Bundespolizei in der Regel gemacht, aber sich blöderweise nicht um die Kin- Fläche gibt. Wenn Sie also die Sicherheitsbehörden in 25140 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Steffen Bockhahn (A) ihrer täglichen Aufgabe stärken wollen, dann sorgen Sie (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Richtig!) (C) bitte dafür, dass die Polizei sichtbar ist, und nicht dafür, dass irgendwelche Leute, die in Hinterzimmern irgend- weil das alles geheim ist; so viel zur transparenten Kon- welche Sachen machen – darüber will ich gleich noch trolle von Geheimdiensten durch Parlamente. sprechen –, gestärkt werden. Das ist der falsche Weg. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Einfach (Beifall bei der LINKEN) abschaffen! – Weitere Zurufe von der LIN- KEN: Weg damit! – Abschaffen!) Die Sache, über die ich noch sprechen wollte, ist Ihr Wahn zur Onlineüberwachung und – ich kann das nicht Das ist eine schöne Geschichte, an die aber weder ich anders sagen – zur Bespitzelung der Bevölkerung in ei- noch meine Partei glauben. Deswegen sind wir für die ner Art und Weise, die wirklich jedes Maß verloren hat. Abschaffung des Bundesamts und auch der Landesämter für Verfassungsschutz. Das ist Ihnen nicht neu. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Da haben Sie Expertise! Durch- Das Interessante ist – so viel kann man sagen –, dass aus!) auch beim Bundesamt für Verfassungsschutz eine Stär- kung der Prävention von Rechtsextremismus vorgenom- Wenn Sie sich anschauen, was Ihre Regierung in Fortset- men werden soll. Das ist im Grunde zu begrüßen. Zu den zung der Vorgängerregierung im Bereich der Online- einzelnen Maßnahmen kann man nur sagen: Es ist frag- überwachung gemacht hat, dann kann einem wirklich würdig, ob sie tatsächlich helfen werden. Immerhin ha- gruselig werden, Beispiel: der Staatstrojaner. ben Sie ein neues Gemeinsames Abwehrzentrum, in dem die Verfassungsschutzämter und die Polizei weiter mitei- Wie gehen Sie vor? Sie geben einer privaten Firma nander vernetzt werden. Ob das dem Trennungsgebot den Auftrag, eine solche Schnüffelsoftware zu entwi- noch entspricht, darüber darf man unterschiedlicher ckeln. Diese private Firma wird also mit Steuergeld be- Meinung sein. zahlt. Sie benutzen die Software nicht einmal selber, sondern lassen auch das die private Firma machen. Die (Beifall bei der LINKEN – Michael Hartmann Bespitzelung von Leuten und das Ausspähen von Kom- [Wackernheim] [SPD]: Euer Geheimdienst- munikationsdaten übernimmt eine private Firma. Sie experte sieht das anders!) nehmen sich noch nicht einmal das Recht, in den Quell- code der verwendeten Software hineinzuschauen. Weder Wir fordern die Abschaffung des Bundesamtes für dem Datenschutzbeauftragten noch dem Innenministe- Verfassungsschutz. Vor allen Dingen aber fordern wir rium war der Zugriff möglich. Was ist daran transparent? ein Ende der Bespitzelung unserer Partei und unserer Fraktion. Sparen Sie sich das Geld, und nutzen Sie es für (B) Ist das eine angemessene Sicherheitspolitik? Das ist ein- (D) fach nur Wahnsinn, und es ist nicht besonders schlau, etwas Sinnvolles. was Sie da machen. Ganz zum Schluss möchte ich Ihnen, meine Damen (Beifall bei der LINKEN) und Herren, noch den, wie ich meine, politischsten, den umstrittensten, den unglaublich wichtigen Antrag zu die- Diese Software verstößt gegen das Grundgesetz; das sem Einzelplan vorstellen. Dabei geht es um 2 Millionen haben wir inzwischen schriftlich bekommen. Was ma- Euro mehr für das Technische Hilfswerk, die dringend chen Sie? Sie lassen die Software weiterentwickeln, statt gebraucht werden, um Öffentlichkeitsarbeit zu machen, sich Gedanken darüber zu machen, ob man sie vielleicht damit sich Leute freiwillig für die Mitarbeit beim THW nicht selber entwickeln könnte, wenn man schon meint, melden. Das unterstützen wir, glaube ich, alle deutlich. dass sie sein müsse. Wir sehen das anders. Ich sehe ein, dass das ein so kritischer Punkt ist, dass man da nicht fraktionsübergreifend agieren kann. Fürs Folgende Maßnahme schlägt allerdings dem Fass den Protokoll möchte ich nur festgehalten wissen: Auch die Boden aus: Sie sichern sich nicht einmal exklusiv die Linke war dafür, wenngleich Sie der Auffassung waren, Rechte an dieser Software. Sie lassen zu, dass ein priva- dass die Linke nicht mit auf so einem Antrag stehen darf. tes Unternehmen eine Software, die über das rechtlich Aber das ist Ihre „undogmatische“ Art der Haushalts- Zulässige in Deutschland hinausgeht, weiterverkaufen politik und Ihre „undogmatische“ Art der Innenpolitik. darf. Eine auf Staatskosten entwickelte Software wird Wir waren offen für praktische Vorschläge. Wenn Sie von einem Privatunternehmen weiterverkauft. Der Profit das nicht können, dann ist das Ihr Problem. bleibt bei dem privaten Unternehmen. An wen wird die Software verkauft? An die Diktaturen im arabischen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Raum, um dort die Opposition auszuspionieren und zu des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bespitzeln. Wenn das Ihre Form der Zusammenarbeit zur Stärkung der Sicherheitsapparate ist, dann haben Sie ein Vizepräsident Eduard Oswald: eigenartiges Verständnis von Demokratieförderung; denn beides passt definitiv nicht zusammen. Vielen Dank, Kollege Steffen Bockhahn. – Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der (Beifall bei der LINKEN) FDP unsere Kollegin Frau Gisela Piltz. Bitte schön, Kol- legin Gisela Piltz. Es ist hochgradig interessant, wie Sie weiterhin mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz verfahren. Leider (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten darf man darüber nicht so viel sagen, der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25141

(A) Gisela Piltz (FDP): (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: (C) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Warum habt ihr es überhaupt gestrichen?) In diesem Monat jährt sich die Aufdeckung des rechts- extremen NSU-Trios. Seit einem Jahr wird nun aufgear- sondern es kommen noch 15 Millionen Euro für drin- beitet, was sicherlich nicht nur meiner Fraktion unfass- gend benötigte Anschaffungen hinzu. bar erschien, dass in Deutschland über Jahre hinweg (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Rechtsradikale Morde begehen und Banken ausrauben Nur!) konnten und es niemand bemerkt hat. Die Generalbun- desanwaltschaft hat in der letzten Woche Anklage erho- – Sie sagen „nur“. Ich kann mich erinnern, dass, als ich ben – das ist auch gut so. mit über den Einzelplan 06 verhandelt habe, von Ihnen auch nicht mehr Geld draufgelegt wurde. Angesichts Die politische Aufarbeitung beschäftigt den Bundes- dessen sind die 15 Millionen Euro schon ein dicker Bat- tag und viele Landtage. Sie läuft auf Hochtouren. Dabei zen. Sie haben das nicht hinbekommen, aber wir. wird auch offenbar, wo in den vergangenen Jahren die Fehler gelegen haben: darin nämlich, dass die Sicher- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten heitsbehörden nicht gut genug zusammengearbeitet ha- der CDU/CSU) ben. Sicherlich ist nicht zu leugnen, dass es Behördene- Man muss das hier der Ehrlichkeit halber auch einmal goismen gegeben hat – in den Ländern, aber sicherlich sagen. Es ist immer leicht, sich in der Opposition hinzu- auch im Bund. Seit vielen Jahren fordern wir daher eine stellen und zu sagen: Es muss mehr Geld geben. – Wenn Reform bzw. eine Neuordnung der Sicherheitsarchitek- man regiert, kommt es darauf an. Wir geben 15 Millio- tur, mit der der Föderalismus nicht aufgegeben wird, nen Euro mehr, und das ist auch dringend notwendig. sondern mit welcher die Zusammenarbeit verbessert wird, eine Reform, die Behördenkompetenzen klar ab- Es ist ebenfalls gut, dass die Bundeszentrale für poli- grenzbar macht, die Verwischung von Zuständigkeiten tische Bildung mehr Geld für die Bekämpfung des Ex- beendet, eine Reform, die aber auch das Trennungsgebot tremismus bekommt; denn das, worüber wir hier spre- achtet und es zugleich ermöglicht, dass dort, wo es schon chen und was wir aufarbeiten, welche Konsequenzen wir nach geltendem Recht geboten wäre, Ermittlungen abge- daraus für die Sicherheitsarchitektur ziehen, ist eine Sa- geben werden. Mit dieser Reform soll Kooperation statt che. Es muss aber auch mehr Geld für die Sensibilisie- Egoismus einfordert werden. Ich glaube, das ist der rich- rung von Lehrerinnen und Lehrern und für Projektarbeit tige Weg. geben. Deshalb ist es gut, dass wir hier Geld ausgeben, Es ist gut, dass nun endlich eine Regierungskommis- damit diese rechten Rattenfänger nicht mehr Erfolg ha- ben. (B) sion ihre Arbeit aufnimmt. Aus unserer Sicht aber – in- (D) soweit muss ich Wasser in den Wein gießen – ist das Gestaltungskraft haben wir auch bei der Stiftung Da- nicht der richtige Weg – ohne dass vorher mit den Län- tenschutz bewiesen. Wir haben hier noch einmal einen dern und dem Bundestag gesprochen worden ist –, ein Zuschuss des Bundes verankern können. Es ist interes- neues Zentrum auf den Weg zu bringen. sant, dass die Kollegen von der SPD und insbesondere (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: von den Grünen das mit dem Sparen offensichtlich Hört! Hört!) falsch verstanden haben. Denn es ist eine Sache, dass Sie an Anwesenheit bei der Stiftung Datenschutz sparen; es Am Ende des Tages muss man sich fragen, welche ist eine andere Sache, dass Sie in Nordrhein-Westfalen Aufgaben all diese Zentren noch haben. Für uns ist es dasselbe fordern, was die Stiftung Datenschutz leisten wichtig, dass das Trennungsgebot geachtet wird und soll, nämlich ein Gütesiegel, das unter Einbeziehung von dass Zusammenarbeit stattfindet. Wenn wir aus allem, Wirtschaft, Politik und Datenschützern erarbeitet werden was wir bisher gehört haben, etwas gelernt haben, dann, soll, obwohl Sie es hier, in Berlin, verurteilen. Liebe dass wir bessere Zusammenarbeit und bessere Kommu- Kolleginnen und Kollegen von der SPD und insbeson- nikation brauchen. Alleingänge sind aus unserer Sicht, dere von den Grünen, jeder merkt, wenn die Politik in ehrlich gesagt, nicht der richtige Weg; denn Kommuni- Berlin anders aussieht als in Düsseldorf. Damit sind Sie kation ist – weder unter den Ländern noch zwischen auf dem Holzweg. Das funktioniert nicht. Das merkt Ländern und Bund – keine Einbahnstraße. auch der Letzte. Ich kann Sie nur auffordern, im Sinne des Datenschutzes mit uns zusammenzuarbeiten. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Hört! Hört! Habt ihr das nicht in der Koalition (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: besprochen?) Sie sollten mit der Regierung zusammenarbei- ten!) Es ist schon gesagt worden: Mehr Mittel erhält auch die Bundespolizei. Das ist sicherlich sinnvoll. Mein letzter Punkt ist der Sport – das Schönste zum (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Schluss –: Sport ist am schönsten, wenn er sauber ist. der CDU/CSU) Deshalb ist es gut, dass es auch in diesem Jahr wieder 1 Millionen Euro mehr für die NADA gibt. Auf der Ziel- Nicht nur steigert sich der Etatansatz um die Erhöhung geraden – um im sportlichen Bild zu bleiben – gibt es der Beamtenbesoldung – das ist selbstverständlich; wir auch mehr Geld für den Leistungssport. Ich glaube, das zahlen ja auch das Weihnachtsgeld wieder; auch das ist ein richtiges Zeichen, insbesondere nach so tollen muss man hier vielleicht sagen –, Olympischen Spielen wie in diesem Jahr. 25142 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Gisela Piltz (A) Unsere Leistung, die Leistung dieser Koalition ist es, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (C) einen Haushalt vorzulegen, der bei aller gebotenen Spar- bei der SPD und der LINKEN) samkeit die richtigen Akzente setzt. Das haben wir hin- Der Innenminister konnte das sogar noch toppen. Er bekommen, ganz ohne Finanzspritzen, um beim Bild des kündigte an, dass die Asylsuchenden aus Serbien und Sportes zu bleiben; denn wir können sparen, und das Mazedonien eine reduzierte Barleistung auf der Grund- wollen wir auch. lage einer Ausnahmeregelung im Asylbewerberleis- Vielen Dank. tungsgesetz erhalten sollen. Auch diesen Vorschlag halte ich für völlig inakzeptabel. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Gisela Piltz. – Nächste Richtig und notwendig wäre es, das Asylbewerberleis- Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion tungsgesetz in Gänze abzuschaffen. Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Katja (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Fragen Sie Dörner. Bitte schön, Frau Kollegin Katja Dörner. einmal die Länder, was die dazu sagen!) Es ist verfassungswidrig. Das ist klar festgestellt wor- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich grüße ausdrücklich auch die welt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weite Netzgemeinde vor dem Livestream. sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Selbstverständlich müssen Menschen, die bei uns Schutz der FDP) suchen, ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenz- minimum haben. Ich erwarte, dass die Bundesregierung An die Adresse unserer Kollegin Gisela Piltz gerichtet, endlich bei der Überwindung des Asylbewerberleis- sage ich: Gut gemeint ist oft nicht gut gemacht. tungsgesetzes aktiv wird und nicht nach irgendwelchen Schlupflöchern sucht, asylsuchenden Menschen, die zu (Gisela Piltz [FDP]: Das habe ich von euch ge- uns kommen, um Schutz zu finden, noch weniger Geld lernt!) auszuzahlen. Insofern unterscheidet sich die Stiftung Datenschutz, die Direkt um die Ecke, vor dem Brandenburger Tor, (B) hier in Berlin auf den Weg gebracht wird, von dem, was kämpfen und demonstrieren Flüchtlinge. Mit einem (D) wir in Nordrhein-Westfalen machen. Hungerstreik wollen sie auf ihre perspektivlose Lebens- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – situation aufmerksam machen. Ich halte den Protest ge- Gisela Piltz [FDP]: Ach ja?) gen die aktuellen Asylregelungen für völlig berechtigt. Neben dem Asylbewerberleistungsgesetz gehört auch Als Grüne sind wir überzeugt: Die Stärke unserer Ge- die Residenzpflicht abgeschafft. Auch diese Menschen sellschaft lässt sich ablesen am Umgang mit Schwäche- brauchen endlich Zugang zum Arbeitsmarkt. ren, mit Menschen, die Unterstützung brauchen. Warum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sage ich das hier und nicht in einer Rede zum Sozialetat? und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Weil es hier natürlich auch um die Flüchtlinge, um die der SPD) Asylsuchenden geht, die bei uns Schutz suchen und um die wir uns besonders bemühen sollten. Asylsuchende zu diffamieren, ist völlig daneben. Hier gibt es offensichtlich einen großen Graben zwi- (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wer tut das schen den Regierungsfraktionen, ihrem Innenminister denn?) und uns. Am 24. Oktober 2012 wurde einen Steinwurf In Integration zu investieren, ist richtig. Bei den Integra- von hier das Mahnmal für die ermordeten Sinti und tionskursen hätte der Innenminister in diesem Jahr sogar Roma eingeweiht. Einen Tag später hatte der Innen- große Spielräume gehabt. Im letzten Jahr – das ist schon minister nichts Besseres zu tun, als angesichts der gestie- gesagt worden – sind die Gelder nicht vollständig abge- genen Zahl von Asylanträgen von Flüchtlingen aus Ser- flossen. Aber das darf doch gerade kein Anlass sein, die bien und Mazedonien diesen Menschen Asylmissbrauch Mittel für die Integrationskurse zu kürzen. Genau das hat vorzuwerfen, die schwarz-gelbe Bundesregierung aber faktisch getan. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wie ist denn (Bettina Hagedorn [SPD]: So ist es!) die Anerkennungsquote?) Es ist absolut überfällig – das hätte man aus den vor- Menschen, die in ihren Herkunftsländern durch Verfol- handenen Mitteln finanzieren können –, die Honorare gung und Rassismus bedroht sind. Bei ihnen handelt es der Lehrkräfte von Integrationskursen endlich deutlich sich mehrheitlich um Sinti und Roma. Ich finde ein sol- zu erhöhen. Die jetzige Erhöhung, die hier von Frau ches Verhalten absolut unwürdig. Ich hoffe, dass das Vogelsang als großartig verkündet worden ist, ist mick- kein Vorgeschmack auf den Bundestagswahlkampf im rig. Von den derzeitigen Honorarsätzen – auch nach die- kommenden Jahr ist. ser mickrigen Erhöhung – können die Lehrkräfte nicht Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25143

Katja Dörner (A) anständig leben. Fakt ist, dass viele von ihnen prekär be- Hans-Peter Friedrich. Bitte schön, Herr Bundesminister (C) schäftigt sind. Deshalb plädieren wir Grüne für eine Hans-Peter Friedrich. Mindestvergütung von 30 Euro pro Stunde. Das ist auch haushälterisch absolut gut darstellbar. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In- sowie bei Abgeordneten der SPD – Gisela nern: Piltz [FDP]: Das ist aber neu!) Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Wichtig wäre auch, den Kreis der Teilnahmeberechtig- Damen und Herren! Ich möchte als Allererstes zu dem, ten bei den Integrationskursen auf Asylantragstellerinnen was die Kollegin Dörner zum Asylrecht gesagt hat, eine und Asylantragsteller sowie auf erwachsene Geduldete Bemerkung machen: Es gibt kein Land auf der Welt, das auszuweiten. Das fordert nicht nur die 7. Integrationsmi- in vergleichbarer Weise großzügig ist bei der Aufnahme nisterkonferenz, sondern auch die Integrationsbeauf- von Menschen, die – egal wo auf der Welt – verfolgt tragte der Bundesregierung. Wir sollten gemeinsam mehr werden und Schutz und Hilfe brauchen. Wir sind das für Integration tun. Das ist der richtige Weg in unserer Land, das immer bereit ist, diese Menschen aufzuneh- multikulturellen Gesellschaft. men. Aber wir können sie nur dann aufnehmen, wenn Wir alle sind geschockt über die Mordserie des NSU unsere Kapazitäten nicht überlaufen durch die, die nie und über das Versagen der Sicherheitsarchitektur. Ich einen Anspruch haben oder erhalten werden, hier im bin, ehrlich gesagt, auch darüber geschockt, wie wich- Land zu bleiben. tige Entscheidungsträger weiterhin nicht bereit sind, ihre (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- problematische Rolle in diesem Zusammenhang zu re- neten der FDP – Michael Hartmann [Wackern- flektieren. heim] [SPD]: Wo läuft denn was über? – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜND- sowie bei Abgeordneten der SPD) NIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin hochgradig alarmiert, dass eine aktuelle Studie Deswegen sage ich Ihnen: Natürlich weiß ich, dass es der Friedrich-Ebert-Stiftung zu dem Ergebnis kommt, auch Menschen in Serbien und in Mazedonien schlecht dass rechtsextremes Gedankengut in unserer Gesellschaft geht. Aber die Europäische Union stellt Millionen und wieder auf dem Vormarsch ist. Rechtsextremismus be- Abermillionen zur Verfügung, um diesen Menschen zu ginnt bekanntlich im Kopf. Hier muss der Kampf gegen helfen. Ich erwarte von den Regierungen in Serbien und rechts ansetzen. Hierzu leistet die Bundeszentrale für in Mazedonien, dass sie den Menschen diese Hilfe zu- (B) politische Bildung einen entscheidenden Beitrag. Des- kommen lassen. Das können wir in Europa auch verlan- (D) halb ist es richtig, dass die Mittel für die Bundeszentrale gen. Unsere Kapazitäten müssen für diejenigen offenge- für das kommende Jahr um 2 Millionen Euro aufgestockt halten werden, die verfolgt werden, die unter politischer werden. Aber – auch das will ich sagen – diese Mittel sind Verfolgung leiden. Wir haben hier bei uns Menschen aus für neue und zusätzliche Projekte gebunden. Deshalb hal- dem Iran, aus Afghanistan und aus dem Irak aufgenom- ten wir Grünen an der Forderung fest, dass die Kürzungen men. der Mittel für die Bundeszentrale, die in den vergangenen (Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE Jahren vollzogen worden sind, wieder rückgängig ge- GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen- macht werden. frage) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Ich komme zum Schluss. Zum Thema Sport hat unser Herr Bundesminister. Hauptberichterstatter schon einiges Wichtiges gesagt. Klar ist: Es kann in der Spitzensportförderung des Bun- Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In- des so nicht weitergehen. Ich denke, dass die große Dis- nern: kussion, die wir rund um Olympia im Zusammenhang Jetzt keine Zwischenfrage. – Wir stehen vor neuen mit den Zielvereinbarungen hatten und die wir im Zu- Problemen. Man weiß nicht, was in Syrien passieren sammenhang mit der Finanzierung der NADA haben, wird. Wir müssen auch in der Zukunft, wenn es neue He- zeigt, dass hier für die nächsten Haushaltsjahre ganz rausforderungen gibt, in der Lage sein, Hilfe zu leisten. große Aufgaben sind. Ich würde mir wünschen, dass wir Deswegen ist es nicht in Ordnung, dass wir jetzt akzep- diese gemeinsam in Angriff nehmen. tieren sollen, dass Wirtschaftsflüchtlinge, die natürlich ein schlechteres Leben haben als wir – keine Frage –, zu Vielen Dank. uns kommen. Vielmehr müssen wir denen in ihren Län- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dern helfen; denn wir brauchen die Kapazitäten und sowie bei Abgeordneten der SPD) Hilfsmöglichkeiten für diejenigen, die als politisch Ver- folgte unsere Hilfe dringend brauchen. Vizepräsident Eduard Oswald: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wir danken, Frau Kollegin Katja Dörner. – Nächster Dr. [BÜNDNIS 90/DIE Redner für die Bundesregierung ist Bundesminister GRÜNEN]: Zynisch!) 25144 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Was den Haushalt betrifft, will ich zunächst ganz aufhalten wollen, mit denjenigen, die in den Antiterror- (C) herzlich den Berichterstattern danken, die sehr konstruk- dateien aufgeführt sind, abgeglichen werden. tiv an diesem Haushalt mitgewirkt haben. Wir haben ei- nen Entwurf vorgelegt, der an der einen oder anderen Gestern haben wir ein Nationales Waffenregister auf Stelle nachjustiert wurde bzw. in dem umgeschichtet den Weg gebracht. Damit gewährleisten wir, dass die für wurde. Nicht alles, lieber Herr Kollege Danckert, was Waffen zuständigen Behörden in den Kommunen und in auch ich mir gewünscht hätte, ist finanzierbar. Das ist in den Ländern einen Überblick über die registrierten lega- Zeiten, in denen eine Schuldenbremse eingehalten wer- len Waffen haben; diese gelangen nämlich häufig in den den muss und in denen uns ein Geldbetrag zur Verfü- Untergrund, also in die Illegalität. Deswegen ist dieses gung gestellt wird, den wir optimal und effizient einset- Nationale Waffenregister von entscheidender Bedeu- zen müssen, eben nicht anders möglich. tung. Es geht also nicht nur darum, eine Vernetzung zwi- Alle grundlegenden Weichenstellungen, die wir in schen den Behörden auf Bundesebene herzustellen, son- den letzten Jahren vorgenommen haben, laufen auf die dern auch darum, eine Vernetzung mit den Ländern und Modernisierung und die Steigerung der Effizienz unserer Kommunen zu schaffen; das ist, glaube ich, der richtige Sicherheitsbehörden hinaus; das ist etwas, das sich wie Weg. ein roter Faden durch diesen Haushalt, sofern er die Si- cherheitsbehörden betrifft, zieht. Wir haben islamisti- Ich werde heute und morgen in London mit den Kol- sche Terrorgefahr für unser Land; wir haben rechts- und legen der G 6, der großen Länder in Europa, auch da- linksextremistische Gewaltgefahr in unserem Land. rüber sprechen, wie wir darüber hinaus die europäischen Grenzen besser sichern können. Denn, meine sehr ver- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ehrten Damen und Herren, ein freiheitliches Europa NEN]: Und das mal wieder in einem Satz! Das ohne Grenzen macht es erforderlich, dass wir unsere ist echt ungeheuerlich!) Grenzen unter Anwendung modernster Möglichkeiten so überwachen, dass wir in der Lage sind, herauszufinden, Deswegen ist es notwendig, dass wir die Abwehrkraft wer eigentlich zu uns kommt bzw. welche Elemente sich dieses Staates gegen kriminelle Angriffe stärken. von wo auch immer auf der Welt zu uns bewegen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: In welcher Die Behörden zu modernisieren und die Behörden zu Welt leben Sie eigentlich?) vernetzen, bedeutet aber auch, jede Behörde für sich zu Notwendig ist auch, dass wir diese Abwehrkraft stärken, modernisieren. Lieber Kollege Bockhahn, indem wir die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Ja, bitte?) (B) verbessern, sie mit den neuen Möglichkeiten der Tech- (D) nologie unterstützen und die modernen Informations- ich frage mich: Wen wollen Sie eigentlich schützen? und Kommunikationstechnologien einsetzen, um unsere (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Mich – vor Behörden gegenüber Kriminellen und Angreifern von al- Ihnen! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: len Seiten abwehrfähig zu machen. Was für eine Frage!) Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, Noch gestern wurde mir – auch von Ihnen, aus dem lin- haben wir im letzten Jahr die Antiterrorgesetze verlängert. ken Lager – vorgeworfen, es gebe so viele illegale Waf- Deswegen haben wir als Reaktion auf die Herausforderung fen in diesem Land. des Rechtsextremismus, die durch den Rechtsterrorismus im letzten Jahr deutlich geworden ist, ein Gemeinsames (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Ja! – Halina Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus auf die Beine Wawzyniak [DIE LINKE]: Stimmt doch!) gestellt. Wir haben es um ein GETZ erweitert, das alle Wenn das BKA und andere Sicherheitsbehörden aber ge- Phänomenbereiche abdeckt und in dem sich die Sicher- gen illegale Waffenhändler vorgehen wollen, indem sie heitsbehörden allen Phänomenbereichen widmen kön- auf richterliche Anordnung zum Beispiel im Bereich der nen. Wir ergänzen dies durch ein Gemeinsames Inter- organisierten Kriminalität mit Abhörsoftware Personen netzentrum, in dem insbesondere die Gefahren durch die überwachen, dann kommen Sie daher und reden von Be- Propaganda von Extremisten, die im Netz vor allem jun- spitzelung. Wir führen einen Kampf gegen organisierte gen Leuten drohen, analysiert werden. Kriminalität, weltweit. Deswegen muss auch das BKA Wir haben, um all das zu unterstützen, eine Rechts- in der Lage sein, sich entsprechend auszurüsten und ent- extremismusdatei auf den Weg gebracht, die die Sicher- sprechend tätig zu werden. heitsbehörden, Polizeien und Verfassungsschutzbehör- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den von Bund und Ländern, in die Lage versetzt, einen neten der FDP – Steffen Bockhahn [DIE Überblick über Gewalttäter und Extremisten im rechts- LINKE]: Aber auch gegen viele andere! Sie extremistischen Bereich im ganzen Land zu bekommen. missbrauchen dieses Recht! Das ist das Pro- Das ist dringend notwendig, und das ist die richtige Ant- blem!) wort auf die NSU-Mordserie. Meine Damen und Herren, wir stärken ein weiteres Meine sehr verehrten Damen und Herren, darüber hi- Mal die Bundespolizei. Das Attraktivitätsprogramm ist naus haben wir eine Visawarndatei eingeführt. Sie soll bereits genannt worden: 635 Stellen werden aus dem sicherstellen, dass Personen, die sich in unserem Land mittleren Dienst in den gehobenen Dienst überführt. Da- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25145

Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich (A) durch erhöhen wir die Anziehungskraft unserer Bundes- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein großes (C) polizei weiter. Wir haben den Anteil des gehobenen und wichtiges Kapitel, dem sich das Bundesinnenminis- Dienstes am Personalkörper inzwischen auf 40 Prozent terium zu widmen hat, ist der demografische Wandel. verdoppelt. Ich glaube, das kann sich sehen lassen. Hier sind die neuen Länder mit ihrer Innovationskraft und ihrer Flexibilität vorbildlich. Wir wissen, dass man Kollege Danckert, erst im letzten Jahr sind die Spiel- das finanziell unterlegen muss. räume – die Obergrenzen, die in der Verordnung vorge- sehen sind – im Haushaltsausschuss voll ausgereizt wor- (Lachen des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD]) den. Ich werde mich bemühen – aber ich weiß, dass das Der Solidarpakt II steht bis 2019; das ist überhaupt keine im Rahmen von finanziell begrenzten Möglichkeiten ge- Frage. Darüber hinaus werden wir, auch was die EU- schieht –, dass die Obergrenzen in der Stellenobergren- Förderung angeht, hoffentlich eine gute und vernünftige zenverordnung im nächsten Haushalt angehoben wer- Anschlussfinanzierung in Brüssel durchsetzen können. den. Darüber werden wir beim nächsten Haushalt reden. Insgesamt ist der Haushalt des Bundesinnenministe- Zum Thema „Obermeisterbauch“: In den letzten drei riums, wie ich denke, ein Haushalt, in dem Sparsamkeit, Jahren sind bei den immerhin über 40 000 Bundespoli- Effizienz und Zukunftsorientierung an die Spitze gestellt zisten gerade einmal 9 nur mit A 8 in Pension gegangen. werden. Dafür darf ich mich bei allen, die daran mitge- Der „Obermeisterbauch“ ist also eine etwas überzeich- wirkt haben, noch einmal ganz herzlich bedanken. nete, überspitzte Darstellung des Problems, dass wir na- türlich nur eine begrenzte Zahl an A-9-Stellen zur Verfü- Vielen Dank. gung haben. Aber auch da sind wir auf einem guten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Weg. Ich bin, wie gesagt, gerne bereit – auch im Hin- blick auf die Aufstellung des nächsten Haushalts –, da- rüber zu reden, wie wir auch in diesem Bereich Entspan- Vizepräsident Eduard Oswald: nung und Entlastung schaffen und die Attraktivität der Vielen Dank, Herr Bundesminister Dr. Hans-Peter Bundespolizei weiter steigern können. Friedrich. – Nun hat das Wort zu einer Kurzintervention unsere Kollegin Frau Britta Haßelmann. Es ist wichtig, dass wir die Polizei mit entsprechender (Das Mikrofon wird freigeschaltet – Zuruf von Informations- und Kommunikationstechnologie ausstat- der FDP: Keine Redezeit gekriegt? – Reinhard ten. Ich bin sehr dankbar, dass nicht nur die 33 Millionen Grindel [CDU/CSU]: Das Mikrofon will auch Euro dazukommen, die wir ohnehin als Steigerung vor- nicht!) gesehen hatten, sondern der Haushaltsausschuss darüber (B) hinaus – ich bedanke mich bei denen, die das auf den (D) Weg gebracht haben – zusätzliche 15 Millionen Euro für Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Bundespolizei aus dem Bereich Integrationskurse zur Reicht es jetzt mit den Zwischenbemerkungen? – Verfügung stellt. Denn der Nachholbedarf früherer Jahre Danke. – Herr Präsident, vielen Dank. – Da der Innen- bei den Integrationskursen ist abgearbeitet, und die Zahl minister keine Frage zugelassen hat, möchte ich die Ge- der Teilnehmer sinkt jetzt. Gleichwohl haben wir einen legenheit zu einer Kurzintervention nutzen. Teil des frei werdenden Geldes dazu verwendet, die Herr Friedrich, ich finde es ziemlich unverantwort- Vergütung der Lehrer zu erhöhen. Dafür werden über lich, wie Sie damit umgehen, öffentlich den Eindruck zu 20 Millionen Euro eingesetzt. Ich glaube, das ist der erwecken, wir hätten eine Riesenanzahl von Menschen, richtige Weg. die hier Asyl suchen, und von Asylanträgen, die bewil- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ligt werden. Sie sprechen davon, es gebe keine Kapazitä- neten der FDP) ten zur Aufnahme usw. Ich habe die Erwartung an Sie als Mitglied des Deut- Ich bin sehr dankbar, dass man sich fraktionsübergrei- schen Bundestages, dass Sie vor dem Hintergrund der fend dafür ausgesprochen hat, die Mittel für das THW geringen Anzahl von Asylbewilligungen damit aufhö- – diejenigen, die mit ehrenamtlichen Kräften einen her- ren, öffentlich den Eindruck zu schüren, als würden wir vorragenden Beitrag zum Schutz und zur Sicherheit un- über massenhafte Asylbegehren reden. Ich finde das serer Zivilbevölkerung leisten und bei internationalen ziemlich unverantwortlich. Einsätzen ein wunderbares Aushängeschild unseres Lan- des sind – um 2 Millionen Euro zu erhöhen. Das ist not- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wendig und sinnvoll; denn es muss Werbung gemacht bei der SPD und der LINKEN) werden: Auch das THW ist darauf angewiesen, Nach- wuchs zu gewinnen. Die Frage der Sinti und Roma muss an Sie gestellt werden. Ich frage Sie, inwieweit Sie auf der europäi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schen Innenministerebene bisher auch nur ein einziges neten der FDP) Mal Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierungen und die Lebenssituation von Roma thematisiert haben. Der Sport ist genannt worden. Bei der Finanzierung Damit treten Sie zumindest öffentlich nicht in Erschei- der NADA werden wir in der Zukunft noch besser wer- nung. Öffentlich heißt es nur: Es gibt für sie keine Ver- den müssen; aber wenn ich darauf hinweisen darf: Da anlassung, hier zu sein. – Das Stichwort „Wirtschafts- haben die Länder auch Nachholbedarf. flüchtlinge“ haben Sie gerade in den Mund genommen. 25146 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Britta Haßelmann (A) Von Ihnen würden wir gerne wissen: Was tun Sie auf ben, bis euer Verfahren losgeht. Das dauert lange. Dann (C) europäischer Ebene, um die bestehenden Menschen- könnt ihr zurückfahren. – Das haben wir abgestellt. rechtsverletzungen und Diskriminierungen gegen Sinti Ich habe dafür gesorgt, dass die Bundespolizei dem und Roma endlich einmal zu thematisieren? Da ist doch Bundesamt für Migration und Flüchtlinge behilflich ist bisher Fehlanzeige. und dass wir die Verfahren möglichst schnell und zügig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, durchführen. Am Ende des Verfahrens steht entweder bei der SPD und der LINKEN) eine Anerkennung als Asylbewerber – selbstverständlich darf dann der Mensch mit allen Rechten hierbleiben –, Vizepräsident Eduard Oswald: oder es steht eine Ablehnung. Dann muss er ausreisen. Das Wort zur Antwort hat Herr Bundesminister Das ist unsere Rechtsordnung. Das sind die Gesetze, die Dr. Friedrich. wir gemeinsam hier in diesem Hause verabschiedet ha- ben. Ich sorge dafür, dass sie eingehalten werden. Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – nern: Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Als Nächstes Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte einmal da- sagt er: Das Boot ist voll!) rauf hinweisen, dass die Europäische Union circa 1 Mil- liarde Euro zur Verfügung gestellt hat, Vizepräsident Eduard Oswald: (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die NEN]: Ich habe Sie gefragt, was Sie tun!) Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Michael Hartmann. Bitte schön, Kollege Michael Hartmann. und zwar Heranführungsmittel unter anderem für Ser- bien und Mazedonien. Das sind Länder, die später ein- (Beifall bei der SPD) mal zur Europäischen Union gehören wollen. Damit sol- len sie finanziell so ausgestattet werden, dass sie in der Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Lage sind, ihren Menschen ein ordentliches Leben zu Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An- gewährleisten. gesichts dieses Wortwechsels eben erlauben Sie mir bitte, sehr geehrter Herr Minister, dass ich mit folgender (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bemerkung beginne: Ohne Frage, das, was die Länder NEN]: Was haben Sie denn dafür getan? und auch die Kommunen, die die Flüchtlinge vorüberge- Nichts!) hend aufnehmen müssen, in besonderem Maße bedrückt, ist ernst zu nehmen. Wenn man in Zeiten, in denen wir (B) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir erwarten (D) von diesen Regierungen, die ihr Land eines Tages in die die NSU-Mordserie aufarbeiten und gegen rechts kämp- Europäische Union führen wollen, dass sie ihre Men- fen, seine Worte nicht sorgfältig wägt, sondern eine schen ordentlich behandeln. Wir haben das auch zum „Das-Boot-ist-voll-Politik“-Rhetorik an den Tag legt, Ausdruck gebracht. bekämpft man zwar einerseits rechts, befördert anderer- seits aber die Stammtische, an denen genau jene Parolen (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Aber was gepflegt werden. machen Sie bis dahin? Gucken Sie zu, oder was?) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich kann Ihnen sagen, was wir getan haben: Der Staatssekretär hat die Botschafter einbestellt, hat mit ih- Das ist nicht in Ordnung. Sie haben so manches von sich nen darüber gesprochen und klargemacht, dass wir das gegeben, was nicht stimmig ist, wie vieles nicht stimmig so nicht akzeptieren. Deswegen ist der richtige Weg, ist, Herr Minister, was Sie als Innenpolitik zu konstituie- dass wir sagen: Wir in Europa erwarten von den Regie- ren versuchen. rungen, dass sie ihre Menschen ordentlich behandeln. Vor gut eineinhalb Jahren haben Sie nach dem (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schmählichen Abgang Ihres unterfränkischen Kollegen NEN]: Was haben Sie denn dazu beigetragen?) Guttenberg und dem Wechsel von Herrn de Maizière ins Verteidigungsministerium Verantwortung für dieses Res- Wir sind auch bereit, Finanzmittel zur Verfügung zu stel- sort übernommen. Seit dieser Zeit bemühen Sie sich um len. einen Kompass; aber Sie finden ihn nicht. Die Innenpoli- Jetzt sage ich Ihnen etwas zu denen, die hierherkom- tik in Deutschland – es tut mir leid, dass ich das trotz al- men. Die Anerkennungsquote bei Asylbewerbern liegt ler persönlichen Wertschätzung sagen muss – ist bei Ih- bei unter 1 Prozent. Das bedeutet, über 99 Prozent haben nen in keinen guten Händen. nach unserem Asylrecht kein Recht, hier zu sein. Deswe- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Stefan gen habe ich gesagt: Wir müssen die Asylverfahren – je- Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Tosender Bei- der Einzelne hat ein Recht auf ein ordnungsgemäßes fall!) Asylverfahren – möglichst schnell durchführen, weil es in der Vergangenheit Wartezeiten, Stau gab mit der Kon- Das könnte uns als Opposition im Zweifelsfalle egal sequenz, dass die Schlepperbanden in Mazedonien und sein. Das ist es aber nicht, weil wir hier durchaus in Ver- Serbien das nutzen konnten, indem sie den Leuten ge- antwortung für die Stiftung und Bewahrung des innerge- sagt haben: Ihr könnt drei, vier, fünf Monate dort blei- sellschaftlichen Friedens in unserem Lande agieren. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25147

Michael Hartmann (Wackernheim) (A) Deshalb haben wir auch dieser Regierung nie die Mitar- (Beifall bei der SPD) (C) beit verweigert, zum Beispiel als es darum ging, das Ab- wehrzentrum gegen rechts und eine auch aus unserer Zumal haben Sie bei der Bundespolizei wahrhaftig Sicht sinnvolle Verbunddatei einzurichten. Herr Minis- mehr gutzumachen als nur den Abbau des Obermeister- ter, außer diesen beiden Dingen und der Wiedereinrich- Bauches. „Abbau des Obermeister-Bauches“ bedeutet tung der Abteilung „Rechtsextremismus“ im Bundesamt übrigens nicht, dass es ein Problem mit dem Gewicht für Verfassungsschutz ist seither nichts Nennenswertes einzelner Polizeibeamtinnen und -beamten gibt. Es geht geschehen. Das Agieren danach war alles andere als hier um eine Truppe mit weit über 40 000 Personen im glücklich und richtig. Es liegt zum Beispiel in Ihrer Ver- mittleren Dienst, während in den Ländern bereits der ge- antwortung, Herr Minister, dass nach Bekanntwerden hobene Dienst zur Regel geworden ist. der NSU-Mordserie das Schreddern der Akten im Bun- Herr Minister, Sie haben im Sommer, einfach so, ei- desamt für Verfassungsschutz nicht ausdrücklich unter- nen Enthauptungsschlag gegen die Spitzen der Bundes- sagt wurde. Sie hätten sofort den Erlass herausgeben polizei geführt. Das ist Ihr gutes Recht. Wenn Sie mit de- müssen: Es wird kein Blatt Papier zu diesem Komplex nen nicht zurechtkommen und wenn Ihnen nicht passt, weggeworfen. – Das Gegenteil ist geschehen. was die tun, dann dürfen Sie das machen. Aber Sie ha- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben bis zum heutigen Tage nicht ein Wort darüber verlo- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ren, wohin bei der Bundespolizei die Reise gehen soll. Sie zerstören das Selbstbewusstsein und das Selbstver- Außerdem haben Sie die Länder mehrfach und wie- ständnis der Bundespolizei, indem Sie einen willfähri- derholt ohne Not brüskiert. So fand beispielsweise im gen Handlanger an die Stelle des bisherigen Präsidenten Sommer mit Ihnen ein Pressehintergrundgespräch da- gesetzt haben. Das ist nicht in Ordnung, und das hat rüber statt, wie Sie sich die Zukunft des Verfassungs- diese Truppe nicht verdient. schutzes in Deutschland denken. Am nächsten Tag sind Sie in die Innenministerkonferenz gegangen und haben (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den dort Anwesenden gesagt, Sie wollten alle Dominanz DIE GRÜNEN – Hartfrid Wolff [Rems-Murr] beim BfV – das sich ja nun wirklich nicht mit Ruhm be- [FDP]: Das war ein sehr schnelles Urteil, Herr kleckert hat –, und sie sollten Handlanger werden. Das Kollege!) war doch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ohne – Lieber Kollege Hartfrid Wolff, mir ist zu Ohren ge- die Länder mit im Boot zu haben, sagen Sie jetzt ein- kommen, dass der neue Präsident, außer sehr staatstra- fach: Wir haben ein Abwehrzentrum gegen rechts einge- gende Aussagen zu treffen – ohne Zweifel! –, nichts an- richtet; das holpert und ruckelt noch. Aber wenn wir deres zu tun hat, als der Bundespolizei, die im Moment schon dabei sind, errichten wir gleich auch noch ein Ab- (B) Mädchen für alles ist – sie überwacht den Bahnbetrieb; (D) wehrzentrum gegen Linksextremismus, eines zur Spio- sie leistet Auslandseinsätze; sie ist Bereitschaftspolizei; nageabwehr, eines gegen Ausländerextremismus usw. – sie begleitet an den Wochenenden Fußballspiele usw. –, Sehr geehrter Herr Minister, wir dürfen nicht alles zu- zu sagen: So ganz nebenbei könnt ihr auch noch Terror- sammenrühren. Wir brauchen für jeden Extremismusan- bekämpfung machen. – Das ist keine kluge strategische satz eine eigene Bekämpfungsstrategie und keine über- Ausrichtung. In einem Spiegel-Interview war außerdem bordenden Zentren, die einfach so, ohne Beteiligung der von ihm zu lesen: Die Bundespolizei hat kein Problem Länder, eingerichtet werden. mit dem Rassismus, weil das in den Dienstvorschriften (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht vorgesehen ist. – Dazu sage ich: Ob das der geeig- DIE GRÜNEN) nete Mann auf dieser Stelle ist, darf man zumindest hin- terfragen. Es wäre auch verkürzt und falsch, bei der Behördenorga- nisation stehen zu bleiben, wenn es um die Aufarbeitung (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der NSU-Mordserie geht. Es geht um viel mehr. Wir Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben wohlweislich müssen die Haltungen in den Sicherheitsbehörden verän- kein Wort zum Thema Vorratsdatenspeicherung gesagt; dern. Hierzu fehlt mir bis zum heutigen Tag ein klares vielleicht wird Ihre Kollegin im Justizressort dieses Ver- Wort von Ihnen. Stattdessen rührt man alles Mögliche säumnis beseitigen. Ganz egal, wie man zu diesem zusammen, was in der Tat und zu dieser Zeit nicht zu- Thema steht, ob man nun dafür oder dagegen ist: Dass sammengehört. Sie kein Wort darüber verlieren, während in Brüssel Herr Minister, lassen Sie mich noch eine Anmerkung Klage gegen uns eingereicht wurde und ein Vertragsver- machen. Man hört so manches. Wenn ich Ihnen durchaus letzungsverfahren ansteht, ist ein Versagen des Bundes- in der Bereitschaft zur Mit- und Zusammenarbeit einen innenministers. Rat geben dürfte, dann würde er lauten: Versuchen Sie (Beifall bei der SPD) nicht, die Ergebnisse der Werthebach-Kommission wie- der aus der Kiste zu ziehen. Es geht nicht an, dass Berei- Es wäre gut und richtig, wenn wir eine Innenpolitik che des Bundeskriminalamts und der ohnehin geschun- konstituieren würden, die weiß, dass unsere Sicherheits- denen Bundespolizei, die gar nicht zusammengehören, behörden dann gut sind, wenn sie alle Menschen und da- zusammengeführt werden sollen, nämlich die Bereiche mit auch unsere Verfassung schützen. Es wäre gut, wenn IT-Technik und Ausbildung. Die Bundespolizei und das wir eine Innenpolitik konstituieren würden, die die Men- BKA müssen bei ihren Leisten bleiben. Alles andere schen durch Prävention auf Grundlage verlässlicher Si- wird uns nicht bekommen. cherheitsanalysen stark macht. Es wäre gut, wenn wir 25148 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Michael Hartmann (Wackernheim) (A) eine Innenpolitik konstituieren würden, die es nicht län- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) ger zulässt, dass die NPD, geschützt durch das Parteien- der CDU/CSU) privileg, durch das Brandenburger Tor marschiert, wäh- rend wir all jenen, die von ihr bedroht werden, wie Wir konnten im Zuge der Haushaltsberatungen die jüngst in Hoyerswerda, sagen: Zieht doch von diesem Ausstattung der Sicherheitsbehörden nochmals etwas Ort weg! – Es ist eine Schande, dass solche Sätze ausge- verbessern und weitere 15 Millionen Euro in diesen Be- sprochen wurden und die NPD weiterhin geduldet wird. reich umschichten. Damit werden einige sehr gute und Herr Minister, auch da wäre Eindeutigkeit das Beste, sinnvolle Ausgaben finanziert. Geplant sind insbeson- was Sie leisten könnten. dere auch bei der Bundespolizei die Anschaffung zusätz- licher Fahrzeuge, auch Spezialfahrzeuge, neue Doku- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem mentenprüfgeräte sowie Ausgaben für die IT-Sicherheit, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) damit die Netze sicherer werden gegenüber Angriffen Wir brauchen ein neues NPD-Verbotsverfahren. von außen. Insofern tut sich etwas im guten Sinne für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Vielen Dank. Wir haben natürlich immer noch ein Problem bei der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Stellenstruktur der Bundespolizei. Das ist aber ein lang- DIE GRÜNEN) fristiger Prozess, den man nicht in wenigen Jahren so be- wältigen kann, dass alle zufrieden sind. Aber wir wissen Vizepräsident Eduard Oswald: auch – das ist in den Haushaltsberatungen geklärt wor- Vielen Dank, Kollege Michael Hartmann. – Nächster den –, dass das Ministerium bzw. Herr Minister Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Friedrich Möglichkeiten hat, weitere Beförderungen Dr. Florian Toncar. Bitte schön, Kollege Dr. Toncar. vorzunehmen, wenn der Finanzminister mit zustimmt. Die Stellen sind durchaus vorhanden. Ich denke, dass (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sich auf diesem Wege weitere Verbesserungen auch ohne der CDU/CSU) Änderungen des Stellenplans erreichen lassen, damit die Motivation unserer Beamten stimmt und sie sich für ihre Dr. Florian Toncar (FDP): wichtige Arbeit wertgeschätzt fühlen. Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltsdebatte ist natürlich immer (Dr. Peter Danckert [SPD]: Das muss auch Anlass, über ein Politikfeld einmal ganz grundsätzlich umgesetzt werden!) zu sprechen. Das ist richtig und gehört dazu. Aber ich Wir haben in diesem Haushalt ein wichtiges Projekt (B) habe schon den Eindruck, dass jedenfalls dieser Haus- dieser Koalition zum Laufen gebracht, nämlich die Stif- (D) halt nicht Anlass zu allergrößter Kritik bietet. Er enthält tung Datenschutz. Dafür hatten wir schon vor zwei Jah- Dinge, über die man sprechen kann. Aber ich sehe nicht, ren rund 10 Millionen Euro als Stiftungskapital in den dass wir hier sehr weit auseinander liegen. Ich glaube, Haushalt eingestellt. Die Ertragslage von Stiftungen, dass das auch berechtigt ist, weil wir bei diesem Haus- also das, was sie für ihr angelegtes Geld bekommen, hat halt wirklich gute Arbeit geleistet haben. sich seitdem sehr schlecht entwickelt; die Erträge waren (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zu niedrig. Deshalb haben wir nachgesteuert. Ich freue der CDU/CSU) mich sehr, dass die Stiftung, die für Datenschutz in der privaten Wirtschaft sorgen und Bürger darüber aufklären Wir als Koalition, aber gerade auch als FDP-Fraktion soll, wie man seine eigenen Daten schützt und sorgsam sind der Meinung, dass innere Sicherheit ein wichtiges damit umgeht, ihre Arbeit aufnehmen kann. Thema ist und dass unsere Behörden gut ausgestattet sein müssen, damit sie Verdachtsmomenten nachgehen Ich will mich dem Dank an das Technische Hilfswerk, können – und dies sind die Polizistinnen und Polizisten, THW, anschließen, das überwiegend mit Ehrenamtli- die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Sicher- chen in ganz Deutschland und auch im Ausland eine aus- heitsbehörden. Um sie haben wir uns mit diesem Haus- gesprochen wichtige Arbeit leistet. halt gekümmert. Wir haben nicht nur mehr Geld für die Besoldung der Beamten eingeplant – das macht in die- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sem Haushalt 138 Millionen Euro allein bei der Bundes- der CDU/CSU) polizei aus – und dafür gesorgt, dass wieder Weihnachts- Das THW braucht natürlich entsprechende technische geld gezahlt wird. Nein, wir haben auch Ressourcen in Geräte, aber auch immer wieder gute, ehrenamtlich en- Höhe von 82 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, und gagierte Menschen, die das in ihrer Freizeit, am Wo- zwar schon bei der Aufstellung des Haushalts, die das chenende oder auch abends, machen wollen. Damit sie, Innenministerium in die Stärkung der inneren Sicherheit weil es keinen Wehrersatzdienst mehr gibt, auch weiter- investieren konnte, sodass man wirklich sagen kann: hin zum THW kommen, haben wir 2 Millionen Euro Hier liegt unser Schwerpunkt der Investitionen. Für uns extra in den Haushalt eingestellt. als Liberale ist das deshalb erfreulich, weil wir glauben, dass eine gute Ausstattung der Sicherheitsbehörden viel (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Gut in- wichtiger und effektiver für die Verbrechensbekämpfung vestiert!) ist als immer neue Gesetze und Eingriffe in die Grund- rechte der Bürgerinnen und Bürger. So können die Ortsverbände mehr Werbung machen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25149

Dr. Florian Toncar (A) Auch wenn gespart werden muss und Geld nicht un- Trainerinnen und Trainer laut wurden, zum anderen ver- (C) begrenzt zur Verfügung steht, haben wir, meine ich, ei- stecken Sie sich hinter der angeblichen Unzuständigkeit nige sehr sinnvolle und richtige Schwerpunkte gesetzt. des Bundes. Aus Sicht der Linken gibt es aber eine ge- Wir tragen mit dazu bei, dass Deutschland eines der si- samtgesellschaftliche Verantwortung für den gesamten chersten Länder in Europa ist und hoffentlich auch blei- Sport, also den Spitzensport, den Breiten- und Schul- ben wird. sport, aber auch für die Sportanlagen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN – Gisela Piltz [FDP]: Das werden Sie in den Ländern nicht hinkrie- Vizepräsident Eduard Oswald: gen!) Vielen Dank, Kollege Dr. Toncar. – Nächster Redner Sie verweisen immer darauf, dass die Länder die ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Jens alleinige Verantwortung für den Schulsport haben. Nun Petermann. Bitte schön, Kollege Petermann. zeigt sich aber, dass es so nicht funktioniert. Die födera- (Beifall bei der LINKEN) len Unterschiede im Bildungssystem beeinträchtigen nicht nur den Schulsport, sondern auch den Nachwuchs Jens Petermann (DIE LINKE): im Leistungssport. Hier ist ein dringendes Umdenken Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und erforderlich. Kollegen! Lieber Sportsfreund Peter Danckert, du hast Die Hauptverantwortung für die Sportstätten haben völlig recht: Sport kommt in dieser Bundesregierung zu bekanntermaßen die Kommunen. Allein hier gibt es ei- kurz. Richtig ist auch: Die Strukturen des Sports sind nen Sanierungsstau von 40 Milliarden Euro. Die kom- nicht in Ordnung. munale Agenda ist jedoch übervoll von Aufgaben, und Passend zur aktuellen Haushaltsdebatte um die Förde- das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Angesichts der rung des Spitzensports durch den Bund kommen die For- unterfinanzierten Kommunen ist auch hier ein Umden- derungen der Sportministerkonferenz, die Ende letzter ken dringend erforderlich. Woche im thüringischen Eisenach getagt hat. Die Forde- (Beifall bei der LINKEN) rungen sind nicht ganz neu. Es geht um bessere Abspra- chen der Bundesländer, mehr Geld und bessere Effi- Wir brauchen einen offenen Denkwettbewerb zu den zienz, eine hochwertige akademische Trainerausbildung, Strukturen der Sportförderung. Eigentlich wäre es an die Stärkung des Ehrenamtes und der Zusammenarbeit Ihnen, Herr Minister Friedrich, endlich dafür den Start- mit der Wissenschaft, aber auch um den Kampf gegen schuss zu geben. – Er hört gerade nicht zu. Gewalt und Rechtsextremismus. (B) (Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister: (D) Die Antworten der Koalition auf diese Forderungen Doch! Doch! Ich höre zu!) sind mehr als einsilbig. Als hätte es die Kritik am Ab- schneiden der Olympiamannschaft in London und am – Okay, prima. – Was spricht eigentlich gegen ein effi- völlig verkorksten Engagement im Antidopingkampf zientes Bundessportministerium, um das Geld für den nicht gegeben, geht die Koalition mit dem Haushalt zur Sport, das derzeit in neun Ministerien lagert, zu bün- Sportförderung eingefahrene Wege weiter. Daran ändert deln? Mehr Kreativität ist auch gefragt, wenn es um die übrigens auch die über Nacht noch schnell beschlossene duale Karriere von Spitzensportlerinnen und Spitzen- geringfügige Erhöhung des Sportetats nichts. sportlern geht. Bundeswehr, Polizei und Zoll reichen als Berufsperspektiven längst nicht mehr aus. Die Koopera- (Beifall bei der LINKEN) tion mit Hochschulen und Wirtschaft aber läuft schlep- Gelingt es ihr einerseits gerade noch so, den völligen Zu- pend. Hier müssen dringend Lösungen gefunden sammenbruch des Antidopingkampfes durch einen Zu- werden. schuss an die NADA zu verhindern, streicht sie im glei- (Beifall bei der LINKEN) chen Atemzug Mittel für die Trainerausbildung. Dieser Haushalt ist ein Dokument für drei Jahre Auf all diese Fragen gibt die Koalition keine rich- schwarz-gelbe sportpolitische Ideenlosigkeit. Aller- tungsweisende Antwort. Ihr Haushalt verdient damit dings hat auch der Deutsche Olympische Sportbund ei- leider nur das Prädikat „mangelhaft“. nen beträchtlichen Anteil an dieser Lage und steht nun Ganz zum Schluss noch eine Frage, Herr Minister: vor einem Scherbenhaufen seiner konservativen Sport- Wie kommen Sie eigentlich angesichts von 180 Toten politik. „Wir machen alles richtig und deshalb so weiter durch rechten Terror seit 1990 dazu, immer noch von ei- wie bisher, nur brauchen wir dafür mehr Geld“, lautet ner linksextremistischen Gefahr zu fabulieren? Das ist die kaum nachvollziehbare Schlussfolgerung aus Lon- nicht nur mir völlig schleierhaft. Stellen Sie sich endlich don in Kurzfassung. Dieser verkürzten Sicht schließt den Realitäten! sich auch das BMI an und weicht einer ergebnisoffenen Debatte über die Sportförderung als gesamtgesellschaft- (Beifall bei der LINKEN) liche Aufgabe aus. Zum einen ignorieren Sie die Hinweise auf offen- Vizepräsident Eduard Oswald: sichtlich notwendige Veränderungen, die vor allem aus Vielen Dank, Kollege Petermann. – Nächster Redner den Reihen der Sportlerinnen und Sportler sowie der in unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/ 25150 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Vizepräsident Eduard Oswald (A) Die Grünen unser Kollege Memet Kilic. Bitte schön, allein zeigt, dass der Bundesinnenminister kein in sich (C) Herr Kollege Memet Kilic. geschlossenes Konzept für die Abwehr von Rechtsextre- mismus hat, sondern die alte ideologische Schlacht wei- Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): terführt. Das ist nicht zielführend, meine lieben Damen Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr und Herren. Bundesinnenminister, Sie haben von der vorhandenen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Flüchtlingsaufnahmekapazität gesprochen. Was Sie Ka- und bei der LINKEN) pazität nennen, sind in der Regel heruntergekommene Sammelunterkünfte, abgeschieden von jeglicher Zivili- Als die rechtsextremistische NSU-Mordserie bekannt sation, im Funkloch, auf dem Berg oder im tiefen Tal. wurde und der Innenausschuss erstmals darüber aufge- 60 Personen, darunter Kinder, benutzen zwei Duschen klärt wurde, stand für mich fest: Wir haben keinen Über- und ein veraltetes Heizgerät. Das sind keine Kapazitäten, wachungsstaat, was aber nur den Rechtsextremismus sondern das ist eine Verletzung der Menschenwürde. betrifft. Im NSU-Untersuchungsausschuss haben die Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Da müssen wir bayerischen Sicherheitsbehörden erklärt, wie viele Mil- handeln. lionen Daten von Bürgerinnen und Bürgern sie gesichtet (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bewertet haben. Sie haben viele Kreditkarten und sowie des Abg. Steffen Bockhahn [DIE Telefonverbindungen von unbescholtenen Bürgerinnen LINKE]) und Bürgern überprüft. Gleichzeitig jammern die Sicher- heitsbehörden gemeinsam mit Herrn Friedrich, dass Sie sagen immer wieder in der Öffentlichkeit, dass ihnen die Hände gebunden seien, weil sie keine Vorrats- das Asylverfahren schnell sein muss. Nein – merken Sie datenspeicherung haben. es sich! –, in einem Rechtsstaat muss ein Verfahren nicht schnell sein, sondern effektiv und gründlich. Das müssen Die Sicherheitsbehörden haben schon nach geltendem Sie in der Öffentlichkeit immer wieder sagen. Recht viel zu viele Möglichkeiten, in das Recht auf in- formationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bürger einzugreifen. Sie können Dönerbuden betreiben, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Geisterbeschwörer beschäftigen und Telefondaten der Gucken Sie nicht so grimmig! Das ist doch die Wahrheit. Terrorbande löschen lassen, damit sie angeblich nicht doppelt gespeichert werden. Was sie nicht können, ist (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ein vernünftiger Umgang mit den vorhandenen Akten NEN und bei der SPD – Dr. Günter Krings über Rechtsextremisten. Da müssen sie besser werden. [CDU/CSU]: Er kann doch gucken, wie er (B) will!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) und bei der LINKEN) Die innere Sicherheit und die Freiheit der Bürgerin- nen und Bürger gleichzeitig zu gewährleisten, ist die Der Verfassungsschutz schreddert zuerst Hunderte Ak- wichtigste Aufgabe der Innenministerien. Es ist eine ten und anschließend seine führenden Köpfe weg. Der Selbstverständlichkeit, dass bei dieser Aufgabenerfül- Bundesinnenminister hat seinen Laden nicht mehr unter lung sehr besonnen und reiflich überlegt gehandelt wer- Kontrolle. Er und seine Behörden müssen qualifizierter den muss. Letzte Woche hat der Bundesinnenminister arbeiten und ihrem Haushalt endlich gerecht werden. das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehr- zentrum eröffnet. Viele Bundesländer distanzieren sich Unsere Sicherheitsbehörden werden ideologisch zu Recht davon. Der Bundesinnenminister handelt ohne falsch ausgerichtet. So kontrollieren sie bei einer De- Absprachen. Er versucht, von oben herab den Bundes- monstration gegen Nazis in Dresden 200 000 Telefonate. ländern seine Regeln zu diktieren. So geht das nicht, Es gelingt ihnen aber nicht, andere Bereiche zu überwa- Herr Bundesinnenminister. chen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Liebe Freundinnen und Freunde, ich komme zum Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Aber An- Schluss. Die Bundeskanzlerin muss erklären, was sie in stöße sollte man geben! Das ist schon nötig!) ihrer siebenjährigen Kanzlerschaft für die Sicherheitsar- Unter dem Eindruck der schrecklichen Taten der chitektur unseres Landes und für das Recht auf informa- rechtsextremistischen Terrorbande hat der Innenminister tionelle Selbstbestimmung unserer Bürgerinnen und damit begonnen, ein Zentrum gegen Rechtsextremismus Bürger getan hat. Wohin Sie auch gucken, gibt es Plei- aufzubauen. ten, Pech und Pannen – und auch selbstherrliche Ge- heimdienste. Das ist Ihre innenpolitische Bilanz, meine (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: War gut Damen und Herren. Die Bundeskanzlerin muss sich öf- so!) fentlich dazu stellen und das auch verantworten. Jedoch konnte er anscheinend die mit Scheuklappen ge- Der staatliche Geldbeutel soll nicht für ethnische Ras- führten innerparteilichen Diskussionen nicht bestehen. terfahndung, Nacktscanner, Vorratsdatenspeicherung So hat er aus dem ursprünglichen Terrorabwehrzentrum oder anderen Überwachungsdrang geplündert werden. gegen rechts einen Mischmasch gemacht, indem er Linksextremismus und Ausländerfeindlichkeit unter das (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ziemlich gleiche Dach gestellt hat. So ist es nicht effektiv. Das viel Mischmasch, was Sie da bringen!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25151

Memet Kilic (A) Stattdessen soll nachhaltig in die personelle und struktu- behörden in Bund und Ländern muss weiter deutlich (C) relle Erneuerung der Sicherheitsarchitektur unseres Lan- verbessert werden. Das gilt insbesondere für die Be- des investiert werden. kämpfung von rechtsextremen Straf- und Gewalttaten. Wir haben aber in den letzten Jahren – Jahrzehnten kann Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. man fast sagen – sehr schmerzhaft lernen müssen, zu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) letzt beim Thema NSU: Es kann gefährlich, ja, es kann lebensgefährlich sein, sich immer nur mit den Gefahren Vizepräsident Eduard Oswald: und Anschlagsmustern von gestern zu beschäftigen. Wir Herr Kollege, als Sie „liebe Freundinnen und sollten deshalb, wie ich finde, alles daransetzen, künftig Freunde“ gesagt haben, hat sich das Gesicht des Innen- die ganze Bandbreite extremistischer Gefahren hinrei- ministers dann doch aufgehellt. chend ernst zu nehmen. (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU) Das ist gut!) Der Bundesinnenminister hat daher Unterstützung und Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die eben keine besserwisserische Kritik aus der Opposition Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Günter dafür verdient, dass er vergangene Woche ein Gemeinsa- Krings. Bitte schön, Dr. Günter Krings. mes Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Betrieb genommen hat. Das war eine richtige und wich- der FDP) tige Entscheidung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Reden Sie mal mit Herrn Schünemann und Herren! Wenn, wie das berühmte Zitat heißt, der Bun- Herrn Herrmann!) deshaushalt das Schicksalsbuch unserer Nation ist, dann spiegelt der Einzelplan 06 vor allem die Gefahren wider, Wenn es beim Rechtsextremismus notwendig und vor denen wir die Menschen in unserem Land schützen richtig ist, besser zusammenzuarbeiten, dann gibt es kein wollen. 4 Milliarden Euro geben wir dazu etwa für die sachliches Argument, warum das beim Linksextremis- Sicherheitsbehörden aus. Das ist in diesem Bundeshaus- mus oder beim Ausländerextremismus schädlich sein halt gut angelegtes Geld. soll. Eine hohe Priorität innerhalb der Arbeit unserer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) Sicherheitsbehörden hat natürlich und vollkommen zu (D) Recht auch im Jahre 2013 die Aufarbeitung des furcht- Es gibt sehr unsachliche Argumente – die vorzubringen, baren und unerkannten Treibens der mörderischen NSU- das können Sie schon gut –; aber es gibt eben kein sach- Gruppe; daraus müssen wir auch Lehren ziehen. Ich bin liches Argument dafür. Trotz all der Gräueltaten, die wir froh, dass wir bei dieser Aufarbeitung in den letzten in den letzten Jahren zur Kenntnis haben nehmen müs- Tagen – genauer gesagt: am 8. November 2012 – einen sen, kann man doch nicht andere Bereiche komplett aus- wichtigen Schritt weitergekommen sind. An diesem Tag blenden. Das heißt nicht, unangemessene Vergleiche an- hat der Generalbundesanwalt Anklage gegen Beate zustellen; aber man sollte alle Gefahren ernst nehmen. Zschäpe und vier weitere Personen erhoben. Jetzt hat Schauen wir uns etwa die Ausschreitungen von PKK- hier vor allem – nicht nur, aber vor allem – die Justiz das Anhängern im September in Mannheim an – das ist gar Wort. Ich bin zuversichtlich, dass die Hauptverantwortli- nicht so lange her –; dabei wurden 80 Polizisten verletzt, chen für die NSU-Morde ihrer gerechten Strafe zuge- zum Teil schwer. Auch das dürfen wir nicht ignorieren. führt werden. Auch Gefahren wie diese müssen wir ernst nehmen, zum Wohle und zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger. Die Aufarbeitung dieser Mordserie ist aber nur eine Seite der Medaille. Ebenso wichtig ist es, Konsequenzen Für die entschlossene Maßnahme, dieses Abwehrzen- zu ziehen, um solche Gräueltaten für die Zukunft trum zu gründen, möchte ich unserem Innenminister im unmöglich zu machen. Das ist dann unsere ureigene Namen meiner Fraktion ausdrücklich danken. Ich freue Aufgabe, die Aufgabe des Gesetzgebers. mich, dass immerhin 10 der 16 Bundesländer an diesem Gemeinsamen Abwehrzentrum aktiv beteiligt sind. Es ist an mehreren Stellen darauf hingewiesen wor- Diese Länder haben erkannt, dass beim Verfassungs- den: Der Bundeshaushalt enthält insgesamt etwa 25 Mil- schutz und bei der Bekämpfung politischer Straftaten je- lionen Euro mehr zur Stärkung des Kampfes gegen den des Land alleine nur einen eng begrenzten Ausschnitt Rechtsextremismus. Es gibt also zusätzlich zu den vor- der Wirklichkeit wahrnehmen kann und dass man in handenen Mitteln in verschiedenen Titeln Aufwüchse. Kooperation einfach mehr erkennt. Ich habe kein Ver- Frühzeitig hat insbesondere der Bundesinnenminister ständnis für die übrigen sechs Länder, die sich dieser wichtige Maßnahmen getroffen. Ich nenne die Einrich- effektiven Zusammenarbeit verweigern. Die sechs In- tung einer Rechtsextremismusdatei und den Aufbau des nenminister dieser Länder, SPD-Innenminister, reden Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremis- nur über eine bessere Architektur der Sicherheitsbehör- mus. den, während der Bundesinnenminister gemeinsam mit Darauf dürfen und sollten wir uns aber nicht ausru- zehn Länderkollegen aktiv handelt. Wenn es einen hen. Die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheits- Bereich gibt, in dem föderale Eitelkeiten keinen Platz 25152 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Dr. Günter Krings (A) haben dürfen, dann ist es die Bekämpfung von Extremis- muliert. Mir ist aber schleierhaft, wie Sie vor dem Hin- (C) mus und Terrorismus. tergrund Ihrer Worte von Oktober den Innenminister in der Form wie gerade angreifen können. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gerade die bestialische Mordserie des NSU mahnt uns doch, dass wir niemals mehr in die Lage kommen Die aktuellen Zahlen für den Oktober sind besorgniser- dürfen, den Angehörigen eines Opfers mitteilen zu müs- regend. In diesem Monat haben wir einen deutlichen An- sen, dass die Verhinderung oder zumindest die rasche stieg zu verzeichnen. Es wurden ungefähr 10 000 neue Aufklärung einer Bluttat an unterschiedlichen Länderzu- Anträge auf Asyl gestellt. Es ist in der Tat so, dass die ständigkeiten gescheitert ist. vorhandenen Aufnahmeplätze in vielen Kommunen längst überfüllt sind. Ich habe vor einigen Wochen in (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: meinem Wahlkreis Mönchengladbach das Technische Oder an geschredderten Akten!) Hilfswerk besucht. Mit viel ehrenamtlichem Engage- Es reicht eben nicht, wenn Sie, Herr Kollege ment hat man dort Flüchtlinge aufgenommen, und zwar, Oppermann, fordern – ich zitiere; das war vor einer Herr Kilic, unter menschenwürdigen Bedingungen. Ihre Woche –, „dass Extremismusbekämpfung Geschlossen- Aussage finde ich nicht in Ordnung, auch wenn Sie es so heit braucht“. Die SPD muss sich eben auch dementspre- nicht gemeint haben. Ihre Worte können indirekt so ver- chend verhalten. Selten waren folgenloses Schwadronie- standen werden, dass Sie das ehrenamtliche Engagement ren und verantwortliches Handeln so klar voneinander nicht schätzen. Ich nehme zur Kenntnis, dass es nicht so zu trennen wie in diesen Tagen, als Hans-Peter Friedrich gemeint ist. Aber mir ist es wichtig, dieses ehrenamtli- dieses Abwehrzentrum in Betrieb genommen hat. Vielen che Engagement, auch des THW, noch einmal zu loben. Dank noch einmal dafür! Dort waren übrigens keine Politiker Ihrer Fraktion zu Besuch. Ich habe mir angesehen, unter welchen Bedin- (Beifall bei der CDU/CSU) gungen gearbeitet werden muss. Meine Damen und Herren, ich wollte meine Themen Es war wichtig, dass wir beispielsweise das Personal eigentlich in einer anderen Reihenfolge ansprechen. im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufge- Aber die zum Teil böswilligen Wortverdrehungen aus stockt haben. Es ist auch wichtig, dass wir klar zum den Reihen der Opposition bewegen mich, schon an die- Asylrecht stehen. Aber jedes Grundrecht hat Tatbe- ser Stelle etwas zum Thema Asylrecht zu sagen. standsvoraussetzungen. Diese erfüllen die Flüchtlinge Das Asylrecht ist ein Thema, das viele Städte und Ge- aus Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Serbien meinden – übrigens auch solche, die von SPD- und Grü- nicht. Die Anerkennungsquote liegt zu Recht bei unter (B) nen-Bürgermeistern geführt werden – derzeit sehr be- 1 Prozent. Es sind Armutsflüchtlinge – ich verwende den (D) schäftigt. Wir verzeichnen objektiv seit einigen Monaten Begriff „Wirtschaftsflüchtlinge“ bewusst nicht –, und stark ansteigende Asylbewerberzahlen in Deutschland. diese sind von Asylbewerbern und Asylberechtigten zu Das wird von Teilen der Opposition, nicht von allen, be- unterscheiden. Eine solche Unterscheidung müssen wir stritten. Ich habe gerade bei Welt-Online folgende be- vornehmen. Wer das nicht tut, missachtet das Asylrecht richtigte Meldung von dapd vom 12. Oktober 2012 gele- und schätzt es gering. Genau diese Unterscheidung sen – ich zitiere –: nimmt der Bundesinnenminister vor. Das ist gut und wichtig für die Debatte in unserem Land. Nach Berichten über einen starken Zustrom von Asylbewerbern aus Serbien und Mazedonien for- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dert der SPD-Innenexperte Michael Hartmann ein konsequentes Durchgreifen gegen gezielten Asyl- Ich muss zum Schluss kommen. Aber ich möchte missbrauch. noch einen Aspekt nennen. Unsere Aufgabe ist es, mit der Europäischen Union in den entsprechenden Regio- (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Das ist ja nen zu helfen, damit die Menschen dort besser leben interessant!) können. Es ist mir aber unerklärlich, wie wir Beitritts- oder Vorverhandlungen mit Ländern führen können, die Hier sollte mit der nötigen Strenge ein Signal ge- wir als nichtsichere Herkunftsstaaten ansehen. Wenn Sie setzt werden, sagte Hartmann am Freitag im Süd- offenbar davon ausgehen, dass es zu massenhaften poli- westrundfunk … Der SPD-Politiker sprach von tischen Verfolgungen in den erwähnten Ländern kommt, „gewissenlosen Banden“, die Menschen vom Bal- dann müssen Sie doch sofort fordern, die Beitritts- oder kan nach Deutschland locken, um „eine gewisse Vorverhandlungen zu stoppen. Wenn wir das nicht Zeit in diesem System zu sein“. Das Bundesamt für wollen, müssen wir anerkennen, dass es sich hier nicht Flüchtlinge in Nürnberg müsse diese Asylbewerber um politische Verfolgung, sondern um wirtschaftliche zügig zurückweisen, forderte Hartmann. Gründe, um Armutsgründe handelt. Das müssen wir un- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – terscheiden. Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Da waren Sie ja schon einmal klüger als heute, Herr Vizepräsidentin : Hartmann!) Kollege Krings, Sie können gerne weitersprechen, Man kann sich über manche Wortwahl, Herr aber ich mache Sie darauf aufmerksam: Das geht dann Hartmann, streiten. Ich jedenfalls hätte es nicht so for- zulasten Ihrer Fraktionskollegen aus der Fraktion. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25153

(A) Dr. Günter Krings (CDU/CSU): (Gisela Piltz [FDP]: Und wer darauf hört, ist (C) Das möchte ich nicht. – Ich möchte einen Schlusssatz verloren!) sagen. Sie mögen reden, wir aber handeln verantwortlich Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen las- in der Innenpolitik. Das war in den letzten drei Jahren sen! Die Bundeskanzlerin erklärt im Grunde nichts ande- so, das wird im nächsten Jahr und auch in der kommen- res: Ich habe meine Koalition und meine Regierung so den Wahlperiode so sein. Diese Koalition wird in diesem wenig im Griff, dass die SPD im Bundesrat den Unsinn, Sinne weiterarbeiten. der hier verzapft worden ist, wieder rückgängig machen Vielen Dank. soll. – Das ist doch das klare Signal an die Bevölkerung: Lasst doch die SPD gleich regieren, dann passiert so ein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Unsinn im Datenschutzbereich nicht! (Beifall bei der SPD – Hartfrid Wolff [Rems- Vizepräsidentin Petra Pau: Murr] [FDP]: Owei, owei! – Zuruf von der Das Wort hat der Kollege Gerold Reichenbach für die CDU/CSU: Er hat es schon wieder nicht ver- SPD-Fraktion. standen!) (Beifall bei der SPD) Wenn ich mir den Beschäftigtendatenschutz an- schaue, dann kann ich nur sagen: Man kann an dieser Gerold Reichenbach (SPD): Stelle nur froh sein, dass die Regierung nichts zustande bringt. Denn das Gesetz, das Sie offensichtlich auf den Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Weg bringen wollten und das nun in der Koalitionspipe- Kollegen! Herr Kollege Krings, zu Ihren Ausführungen line klemmt, hat ja mit Beschäftigtendatenschutz nichts nur so viel: Wenn sich ein Abgeordneter der Union hier zu tun. Das ist ein Beschäftigtenschnüffelgesetz. Sie räu- hinstellt und sich darüber beklagt, dass zu viele Nicht- men den Arbeitgebern mehr Rechte zur Überwachung asylberechtigte nach Deutschland kommen und in ein als der Polizei. Deutschland bleiben, dann ist das eine öffentliche Rüge Ihres Innenministers; denn er ist für das Bundesamt für (Gisela Piltz [FDP]: Was? Sie haben wirklich Migration und Flüchtlinge sowie die Asylbewerber zu- keine Ahnung, Herr Kollege!) ständig. Sie machen keine Aussage darüber, welche Be- drohung auf unser Land zukommt. Ihre Ausführungen Und wie sieht es in den anderen Bereichen aus? zeigen nur, dass der zuständige Minister seine Aufgaben Schauen Sie sich doch einmal Ihr Prestigeobjekt an, nicht wahrnimmt. Das ist schon ein bezeichnender Vor- liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie von der FDP haben gang. eben formuliert, Sie hätten die Stiftung Datenschutz jetzt endlich über die Rampe gebracht. Nein, Sie haben sie (B) (Beifall bei der SPD – Dr. Günter Krings über die Klippe gestoßen. Die Glaubwürdigkeit und die (D) [CDU/CSU]: Ich bin Ihnen anscheinend zu Akzeptanz dieser Stiftung sind doch bereits zerschellt, links!) bevor sie überhaupt ihre Arbeit aufgenommen hat. Wir diskutieren nun über den Etat des Bundesinnen- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE ministers. Der Etat ist ein Stück weit Ausdruck der Poli- GRÜNEN]: So ist es!) tik dieser Regierung. Auf dem Feld des Innern bewegen Alle Datenschutzbeauftragten haben erklärt, dass sie in wir uns zwischen Freiheit und Sicherheit. Wenn wir uns dieser von der Wirtschaft sowohl in der Finanzierung als diesen Etat anschauen, dann erkennen wir, dass er genau auch in der personellen Besetzung dominierten Stiftung das widerspiegelt, was die Politik des Innenministers keinen Sinn sehen. und der Koalition in diesem Bereich ausmacht: Konzept- losigkeit und Orientierungslosigkeit. (Gisela Piltz [FDP]: Das Problem, Herr Kol- lege Reichenbach, ist, dass Sie keine Ahnung Die einzige Orientierung, die diese Koalition kennt, haben von dem, was Sie hier erzählen, und ist die Klientel- und Lobbybefriedigung. zwar überhaupt keine Ahnung!) (Zurufe von der FDP: Oh! Das kennt die SPD Deswegen ist es auch nur konsequent, dass sich keine ja gar nicht!) Oppositionsfraktion bereit erklärt, als Aushängeschild Schauen wir uns einmal den Vorgang rund um das für diese Stiftung zu dienen. Werfen wir einen Blick auf Melderecht an. Da haben die Koalitionsfraktionen auf die Fakten: Von 28 Vertretern stammen 14 aus der daten- Zuruf der entsprechenden Adresshandelswirtschaft verarbeitenden Wirtschaft. Die Stiftung ist mit einmalig schnell noch einmal den Gesetzentwurf geändert, um 10 Millionen Euro ausgestattet, den Adresshändlern möglichst ungehindert Zugang zu (Gisela Piltz [FDP]: Und wie viel Geld ist den Daten der Bürger bei den Melderegistern zu ver- bisher geflossen, Herr Kollege?) schaffen. und davon dürfen gerade einmal 200 000 Euro im Jahr (Gisela Piltz [FDP]: Und deshalb lassen Sie es an die Stiftung gegeben werden. Den Rest muss sie sich im Bundesrat nicht zu! Unfassbar, Herr verdienen, indem sie Produkte an die Wirtschaft ver- Reichenbach!) kauft, die sie eigentlich zertifizieren soll. Das Interessante war, dass dann die Bundeskanzlerin er- (Gisela Piltz [FDP]: Wie viel Geld? Wenn Sie klärt hat, sie hoffe nun darauf, dass die SPD diesen Un- hier so was sagen, müssen Sie es auch begrün- sinn im Bundesrat wieder rückgängig macht. den!) 25154 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Gerold Reichenbach (A) Hier ist vom Datenschutz nichts mehr übrig geblieben. chen bei den Feuerwehren, beim Roten Kreuz und bei (C) Das Einzige, was noch vorhanden ist, Frau Kollegin, ist anderen Hilfsorganisationen, die genauso hervorragende eine geringe Finanzausstattung, um eine hauptamtliche Arbeit leisten wie das THW und bei denen wir uns eben- Geschäftsführung mit entsprechendem Apparat unterzu- falls bedanken müssen? Das Einzige, was diese Regie- bringen. rung beim Thema „innere Sicherheit“ zu bieten hat, ist das, was sie auch bei den Feuerwehren und anderen (Gisela Piltz [FDP]: Entweder zahlt die Wirt- Hilfsorganisationen gemacht hat: Mittel streichen und schaft zu viel oder zu wenig! Können Sie sich Klientel befriedigen. Damit bringen Sie die innere Si- mal entscheiden?) cherheit in unserem Lande nicht voran. – Ich verstehe ja, dass Sie sich aufregen. Aber die Mittel, (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Die Feuer- die für die Stiftung übrig geblieben sind, bieten eine wei- wehren sind doch nicht in Bundeszuständig- tere Möglichkeit, künftig ehemalige Mitarbeiter aus der keit! Reden Sie doch nicht so einen Schmar- FDP und den Koalitionsfraktionen im Staatsdienst auf ren!) Kosten der Steuerzahler unterzubringen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bei Datenschutz und Rechtsstaatlichkeit ist es bei die- DIE GRÜNEN) ser Koalition ohnehin zappenduster. Deswegen werden wir diesen Haushalt mit Fug und Recht ablehnen und Nichts anderes ist von Ihrer Stiftung übrig geblieben. den Bürgern draußen im Lande sagen, was Sie hier im Bundestag treiben. (Gisela Piltz [FDP]: Genau! Nur weil wir Sie nicht versorgen, sind Sie sauer!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Herr Minister, jetzt kommen wir zum Thema „innere DIE GRÜNEN) Sicherheit“. Das THW ist bereits angesprochen worden. Wir alle wissen, was wir an dem Technischen Hilfswerk Vizepräsidentin Petra Pau: haben. Deswegen bedanken wir uns auch. Das aber, was Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Stephan Sie hier vorgetragen haben, lässt schon auf eine ganz be- Mayer das Wort. sondere Art der Belohnung schließen. Das Ministerium streicht dem THW 2 Millionen Euro; im Innenausschuss (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bestätigen die Koalitionsfraktionen diese Streichung so- gar, mit der rühmlichen Ausnahme des Kollegen Mayer. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Erst in der Haushaltsausschusssitzung werden die 2 Mil- Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- lionen Euro dem THW zurückgegeben, übrigens mit den (B) ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Mit dem Etat des Bun- (D) Stimmen aller Fraktionen; die SPD hatte dies im Innen- desinnenministeriums kommt wieder einmal deutlich ausschuss beantragt. Das ist eine seltsame Form der Be- zum Ausdruck: Die christlich-liberale Regierung und die lohnung. Das ist ungefähr so, als ob ich Ihnen 2 Millio- CDU/CSU- und FDP-Bundestagsfraktionen sind ver- nen Euro aus der Tasche klaue, anschließend Ihnen die lässliche Garanten für die innere Sicherheit und für eine 2 Millionen Euro wiedergebe und dann sage: Jetzt habe zeitgemäße, solide und qualitativ hochwertige Innen- ich Sie belohnt. – politik in Deutschland. (Gisela Piltz [FDP]: Wie das ist, wissen wir! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Das machen Sie in den Ländern!) der FDP) Es ist seltsam, wie diese Regierung mit dem Ehrenamt Das wird schon allein dadurch deutlich, dass es trotz der umgeht und ehrenamtlich Tätige fördern will. notwendigen Konsolidierungsmaßnahmen im Bundes- Ich nenne ein zweites Beispiel. Sie streichen den Frei- haushalt eine Erhöhung der Haushaltsmittel des BMI willigen bei den Feuerwehren und den Hilfsorganisatio- von 5,49 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 5,844 Mil- nen seit Jahren die Gelder. Jedes Jahr sparen Sie im Be- liarden im nächsten Jahr geben wird. reich der Beschaffung 2 Millionen Euro; in der Summe Es wurde schon mehrfach erwähnt: Der Schwerpunkt haben Sie ihnen bereits über 6 Millionen Euro genom- dieses Haushalts liegt auf der inneren Sicherheit. Ich men. Diese Mittel fehlen bei der Finanzierung von Fahr- glaube, es kann sich wirklich sehen lassen, dass dem zeugen, die gebraucht werden. Da frage ich mich: Was Bundeskriminalamt im kommenden Jahr 29 Millionen ist das für eine Motivation für die Ehrenamtlichen? – Die Euro mehr zur Verfügung stehen als in diesem Jahr, der Begründung der Koalition lautet: Wir müssen sparen. – Bundespolizei sogar 149 Millionen Euro mehr. In der Bereinigungssitzung findet die Koalition aber an einer anderen Stelle plötzlich 2 Millionen Euro, um da- (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: mit wiederum Klientelbefriedigung zu betreiben, um Na ja!) beispielsweise einen Verein mit Mitteln zu versorgen, Diese Mittel stehen ausschließlich für eine bessere Aus- obwohl sie in der Haushaltsausschusssitzung nicht ein- stattung mit Fahrzeugen und Gerätschaften, für eine bes- mal erklären konnte, was der Verein denn genau macht. sere EDV-Ausstattung und für die längst überfällige Ver- Und dann sagen Sie hier, Herr Minister, Ihre Aufgabe sei besserung der Liegenschaften zur Verfügung. es, das Geld effizient und zielgerichtet einzusetzen. Da frage ich mich: Wo wäre das Geld denn besser und effi- (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: zienter eingesetzt als zur Unterstützung der Ehrenamtli- Tariferhöhung und Weihnachtsgeld!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25155

Stephan Mayer (Altötting) (A) Wir tragen hier der Notwendigkeit Rechnung, die Bun- (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Na (C) despolizei und unsere Sicherheitsbehörden besser auszu- ja!) statten. Ich glaube, das kann sich wirklich sehen lassen. Pressemitteilungen von Kolleginnen und Kollegen bei- Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Techni- spielsweise zum Technischen Hilfswerk sind das Papier sche Hilfswerk ist schon einige Male erwähnt worden. nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Sie können als Ich möchte als Präsident der THW-Bundesvereinigung Unkenrufe abgetan werden. Apropos Unkenrufe: Glei- nicht hintanstehen, hier allen Fraktionen, insbesondere ches gilt für die Äußerungen der Opposition zur Arbeit den Haushaltspolitikern, ganz herzlich zu danken. So unseres Bundesinnenministers. Wir haben einen Bundes- kontrovers die Innenpolitik an sich immer ist, so einig ist innenminister, der zuerst überlegt, bevor er sich artiku- man sich Gott sei Dank, wenn es um die bessere Ausstat- liert. tung des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes in (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Deutschland geht. Es stehen in diesem Jahr 2 Millionen Das wäre schön! – Dr. Konstantin von Notz Euro mehr für die Ortsverbände zur Verfügung; diese [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, manch- Mittel werden im kommenden Jahr verstetigt. Ich muss mal!) aber ehrlich gestehen: Ich finde es schon etwas unglück- lich und perfide, dass der Kollege Reichenbach zusam- Wir haben einen Bundesinnenminister, der konsequent men mit der Kollegin Fograscher am 24. Oktober eine handelt. Besonders Sie, Herr Hartmann, haben sich mit Pressemitteilung veröffentlicht hat, in der sie sich laut- Äußerungen hervorgetan. Sie reichen von „Sie nehmen hals darüber beschweren, dass die christlich-liberale Ko- das Themenfeld nicht ernst“ über „Es wäre Zeit für einen alition die Mittel für das Ehrenamt, für das THW kürzt. entschlossenen Innenminister; wir brauchen da einen an- Das stimmt einfach nicht. Zu diesem Zeitpunkt war es deren Schlag“ bis zu „Profilierungsversuch zur Unzeit“, unter den Berichterstattern schon klar, dass es eine Erhö- als es um die Verbesserung der Zusammenarbeit im Ge- hung um 2 Millionen Euro geben würde. Ich finde, es ist meinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzen- einfach eine unredliche und unsägliche Vorgehensweise, trum ging. hier die Ehrenamtlichen in den Ortsverbänden unnöti- (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: gerweise zu verunsichern. Danke für die Zitate!) (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das hätte Herr Kollege Hartmann, mir fehlt bei Ihnen der rote Fa- im Regierungsentwurf stehen müssen!) den. Das ist heute wieder offenkundig geworden. Sie versuchen auf perfide Art und Weise, dem Bundesinnen- Es bestand überhaupt kein Grund zu dieser Verunsiche- minister zu unterstellen, er würde Ressentiments gegen (B) rung; im nächsten Jahr wird es wieder 2 Millionen Euro Ausländer und Asylbewerber schüren. Dabei haben Sie (D) mehr für das Technische Hilfswerk geben. selbst ausweislich einer Mitteilung von Welt-Online vom 12. Oktober von Asylmissbrauch und gewissenlosen (Dr. Peter Danckert [SPD]: Erst streichen und Banden gesprochen, die Asylbewerber aus Mazedonien dann wieder zurückgeben!) und Serbien nach Deutschland transportieren. In dieser Mir ist sehr wichtig: Diese 2 Millionen Euro stehen aus- Debatte ist deutlich geworden, dass es fatal wäre, wenn schließlich den Ortsverbänden zur Verfügung, für eine die Innenpolitik in Deutschland in andere Hände fiele. verbesserte Öffentlichkeitsarbeit vor Ort, für eine Ver- Wir haben einen Innenminister, der zuerst überlegt, be- besserung der Fort- und Ausbildung, vor allem auch für vor er konsequent handelt. Er hat entsprechende Vor- eine Erhöhung der Selbstbewirtschaftungsmittel. Wir schläge unterbreitet, beispielsweise zur Reform des Ver- werden hier der Notwendigkeit gerecht, dem THW stär- fassungsschutzes. ker unter die Arme zu greifen. Das Technische Hilfs- (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Da werk befindet sich angesichts der Aussetzung der Wehr- hat er konsequent gehandelt!) pflicht und der demografischen Entwicklung in einer schwierigen Phase und steht vor einer Zäsur. Hinzu Ich möchte in aller Offenheit sagen: Mir fehlt das kommen mehr Einsätze sowohl im Inland als auch im Verständnis dafür, dass die Länder angesichts der unge- Ausland. Derzeit ist das THW – auch mit ehrenamtli- heuerlichen Erkenntnisse über den NSU-Terror nicht be- chen Helfern – zum Beispiel im größten Flüchtlingslager reit sind, enger zusammenzuarbeiten. Wenn ein Rück- in Jordanien im Einsatz, in dem syrische Flüchtlinge be- schluss aus den Schreckenstaten des NSU gezogen treut werden. Auch im Inland kommt das THW hilfreich werden kann, dann der, dass unsere Sicherheitsbehörden zum Einsatz, zum Beispiel wenn Kommunen in Nord- trotz Föderalismus enger und intensiver zusammenarbei- rhein-Westfalen mit dem zusätzlichen Ansturm von ten müssen. Asylbewerbern überfordert sind. Ich nenne nur die Lager (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Nein!) und Einrichtungen in Mönchengladbach, in Dortmund und auch in Bielefeld als Beispiele. Die Kommunen vor Mir fehlt die notwendige Bereitschaft vonseiten einiger Ort waren überfordert, und das Technische Hilfswerk ist Länder. Ich kann in keiner Weise nachvollziehen, dass eingesprungen. Ich danke allen herzlich, die das ermög- sich die Landesinnenminister von sechs Bundesländern licht haben. der Mitarbeit im Gemeinsamen Extremismus- und Ter- rorismusabwehrzentrum verweigern. Das ist nicht in In dieser Debatte wurde deutlich, dass die Innenpoli- Ordnung. Damit wird die innere Sicherheit in Deutsch- tik bei CDU/CSU und FDP in guten Händen ist. land ausgehöhlt. 25156 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Stephan Mayer (Altötting) (A) Gestatten Sie mir noch ein paar Worte zum Thema tion hier im Haushalt zusätzliche Investitionen in die (C) Datenschutz. Wir haben konsequent gehandelt, indem Stiftung Datenschutz vorgesehen hat. Also, Kollege, ein wir die Stiftung Datenschutz auf den Weg gebracht ha- Blick in den Haushalt hilft. ben. Um auf das zurückzukommen, was die Grünen gerade (Lachen der Abg. Katja Dörner [BÜND- zum Aufenthaltsrecht gesagt haben: Als weltoffenes NIS 90/DIE GRÜNEN]) Land brauchen wir Fachkräfte und eine an klaren Krite- rien ausgerichtete Zuwanderungssteuerung. Hier sind In wenigen Wochen wird diese Stiftung ihre operative wir – ehrlich in der Sache und beharrlich, Herr Kollege – Arbeit aufnehmen. Ich kann mich des Eindrucks nicht in der laufenden Legislaturperiode einen sehr großen erwehren, dass Sie es einfach nicht ertragen können, Schritt vorangekommen. Wir haben die Visawarndatei dass wir im Bereich Datenschutz Erfolg haben. eingeführt, die rechtlichen Hürden für die Zuwanderung (Beifall der Abg. Gisela Piltz [FDP] – Britta deutlich gesenkt und entbürokratisiert. Zugleich haben Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wir zusätzliche Integrationsanreize geschaffen. Der Pa- Frenetischer Beifall!) radigmenwechsel dieser Koalition in der Zuwanderungs- politik ist eine Erfolgsgeschichte. Ich bin den Haushältern sehr dankbar, dass in der Berei- nigungssitzung 205 000 Euro für drei weitere Stellen zu- (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sätzlich zur Verfügung gestellt wurden. Ich sage in aller Das ist kein Paradigmenwechsel!) Deutlichkeit: Ich halte es für hanebüchen, dass sich die Oppositionsfraktionen durch die Bank der Mitarbeit im Wir haben auch im Bereich des humanitären Zuwan- Beirat verweigern. Das ist nicht parlamentarisch. Neun derungsrechts Standards gesetzt, die gerade in der Zeit Bundestagsabgeordnete sind in den Beirat zu berufen. von Rot-Grün offensichtlich vergessen worden sind. Lie- Ich kann in keiner Weise nachvollziehen, dass die Oppo- ber Herr Kollege Kilic, es gibt erstmals ein Bleiberecht sitionsfraktionen ihrer Obliegenheit, Mitglieder zu be- für Kinder und Jugendliche, und zwar unabhängig vom nennen, nicht nachkommen. Aufenthaltsstatus ihrer Eltern. Wir haben gerade für zwangsverheiratete Frauen in Not einiges getan. Durch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ein Rückkehrrecht erhalten sie endlich eine Chance, sich aus dieser Not zu befreien. Wo war da Rot-Grün? Nir- Die Innenpolitik ist bei Hans-Peter Friedrich, der gendwo war Rot-Grün. CDU/CSU und der FDP in guten Händen. Der Etat des Einzelplans 06 kann sich wirklich sehen lassen. In die- (Beifall bei der FDP) sem Sinne hoffe ich auf eine große, überwältigende Zu- stimmung zu diesem Haushalt. Auch bei den Verhandlungen zum Asylbewerberleis- (B) tungsgesetz werden wir unsere Vorschläge einbringen. Je (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) früher gearbeitet und je schneller gelernt werden kann, desto besser – solange keine Anreize für Missbrauch ge- Vizepräsidentin Petra Pau: schaffen werden. Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff für die FDP- Meine Damen und Herren, uns alle hier im Haus hat Fraktion. die Aufdeckung der Mordtaten des NSU ziemlich betrof- (Beifall bei der FDP) fen gemacht. Mit der Aufarbeitung im Untersuchungs- ausschuss setzen wir gemeinsam ein klares Zeichen ge- gen das Verbergen und Vergessen, gegen Antisemitismus Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): und Intoleranz und für mehr Demokratie und Rechts- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich staat. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass glaube, wir können sehr zufrieden mit dem sein, was die es so viele Fehler in den Behörden gegeben hat, dass un- Koalition gerade in der Innenpolitik geleistet hat. Lieber sere Sicherheitsarchitektur dringend und gründlich auf Herr Kollege Reichenbach, die Schreierei gerade zum den Prüfstand muss. Wie kann es möglich sein, dass die Datenschutz ersetzt nicht den Blick in den Haushalt. Sie Naziterroristen 13 Jahre im Untergrund lebten und unge- sollten einmal schauen, was die Stiftung Datenschutz hindert einen Mord nach dem anderen begingen? Wieso tatsächlich bedeutet. tauchen immer wieder neue Fakten über vernichtete Ak- (Beifall bei der FDP – Dr. Peter Danckert ten auf? Wurden Kriminelle gar von Sicherheitsbeamten [SPD]: Wer sitzt denn da?) gedeckt? Dem immensen Vertrauensverlust der Sicher- heitsbehörden in Bund und Ländern muss durch eine Wer hat sie denn geschaffen? Diese Koalition hat die gründliche Revision der Behörden selbst und der Struk- Stiftung Datenschutz geschaffen. Den Sozialdemokraten turen der Zusammenarbeit entgegengetreten werden. fällt dazu an der Stelle nur ein, eine Verweigerungshal- tung einzunehmen. Noch nicht einmal im Beirat wollen Die Reaktion der Länder auf die nötige Reformde- Sie mitmachen. Sie haben überhaupt kein Interesse, dass batte zeugt aber eher von Zuständigkeitsdenken statt von das ein Erfolg wird. der Bereitschaft, endlich nach Lösungen zur Schließung der Sicherheitslücken zu suchen. Die Anzahl und die Art (Dr. Peter Danckert [SPD]: Ohne uns wäre das der Zusammenarbeit der Behörden ist dringend reform- kein Erfolg!) bedürftig. Es muss rechtsstaatliche Standards für den Insofern ist es, glaube ich, schon vernünftig, wenn ich V-Leute-Einsatz geben. Das bedeutet, dass die Aufbe- noch einmal darauf hinweise, dass gerade diese Koali- wahrung und Löschung von Akten bei Bund und Län- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25157

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (A) dern standardisiert werden muss. Weiter brauchen wir 17/11505. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – (C) dringend eine bessere Ausbildung für die Dienste, aber Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den auch für die Sicherheitsbehörden. Gerade bei den Diens- Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen ten sollte es eine zentrale Abschlussprüfung nach drei der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion Jahren geben. und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Deut- Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ände- schen Bundestages muss gestärkt werden. Es kann nicht rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf sein, dass man uns etwas vorenthält, dass einige Infor- Drucksache 17/11518 (neu). Wer stimmt dafür? – Wer mationen bewusst vorenthalten und nicht geliefert wer- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungs- den. antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- gen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. (Beifall bei der FDP) Wir kommen schließlich zur Abstimmung über den Mehr Kontrolle, mehr Zusammenarbeit, bessere Struktu- Einzelplan 06 – Bundesministerium des Innern – in der ren und ein rechtsstaatliches Selbstverständnis können Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da- wieder Vertrauen schaffen. Nur so kann es auch gelin- gegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 06 ist mit gen, hier die Sicherheitsarchitektur neu aufzustellen. den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- Meine Damen und Herren, Innenpolitik ist Gesell- men der Oppositionsfraktionen angenommen. schaftspolitik. Deutschland ist in der Innenpolitik seit Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.6 auf: 2009 dank dieser Koalition deutlich vorangekommen, und die Erfolge sind sichtbar. a) Einzelplan 07 Bundesministerium der Justiz (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) – Drucksachen 17/10807, 17/10823 – Vizepräsidentin Petra Pau: Berichterstattung: Ich schließe die Aussprache. Abgeordnete Alexander Funk Ewald Schurer Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Stephan Thomae plan 06 – Bundesministerium des Innern – in der Aus- Steffen Bockhahn schussfassung. Hierzu liegen sieben Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wir beginnen mit vier Änderungsanträgen der Fraktion der SPD. b) Einzelplan 19 (B) Bundesverfassungsgericht (D) Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs- antrag der SPD auf Drucksache 17/11519. Wer stimmt – Drucksachen 17/10823, 17/10824 – dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Berichterstattung: Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Unionsfrak- tion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD- Abgeordnete Alexander Funk Dr. Peter Danckert Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Dr. Dr. Dietmar Bartsch Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs- Manuel Sarrazin antrag der SPD auf Drucksache 17/11520. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Zum Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions- Fraktion der SPD vor. fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für abgelehnt. die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs- höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. antrag der SPD auf Drucksache 17/11521. Wer stimmt Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ewald Schurer für die SPD-Fraktion. Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen Ewald Schurer (SPD): abgelehnt. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine werten Kolle- Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs- ginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und antrag der SPD auf Drucksache 17/11522. Wer stimmt Herren! Zunächst einmal, wie auch in der ersten Lesung, dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der möchte ich dem Ministerium für die gute Vorbereitung Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions- aller Beratungen bis hin zur Bereinigungssitzung am fraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der 8. November danken. Ebenso möchte ich den Kollegin- Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd- nen und Kollegen Mitberichterstattern für den guten und nis 90/Die Grünen abgelehnt. sachlichen Dialog danken. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ände- Die Bereinigungssitzung hat noch zu kleineren Ände- rungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache rungen geführt. Insgesamt haben wir in diesem Einzel- 25158 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Ewald Schurer (A) plan jetzt 484,3 Millionen Euro Einnahmen gegenüber Ein weiterer Titel, zu dem ich etwas sagen möchte, ist (C) 606,836 Millionen Euro Ausgaben. Das ist erwähnens- die, wie ich finde, begrüßenswerte Ausbringung einer wert; denn es ist ein Novum bei den Einzelplänen, dass Verpflichtungsermächtigung, einer VE, für die Jahre die Deckungsquote bei knapp 80 Prozent – sprich: bei 2014 und 2015, bei der es darum geht, in einem wissen- vier Fünfteln – der gesamten Ausgaben im Bereich Jus- schaftlichen Forschungsvorhaben endlich die Rolle des tiz liegt. Justizministeriums in der NS-Vergangenheit aufzuarbei- ten. Dies ist eine politisch notwendige Maßnahme, die Die notwendigen Änderungen beim Personal wurden eigentlich schon vor Jahrzehnten – da sollten wir alle von allen Fraktionen mitgetragen, weil es schließlich selbstkritisch sein – hätte stattfinden müssen und sollen. und endlich um die Arbeitsfähigkeit gewisser Funktions- teile des Justizministeriums und seiner nachgelagerten Lassen Sie mich ein wichtiges Thema aufgreifen, das Behörden ging. Ich denke, das war politisch einsichtig. nach meiner Meinung gemeinhin zu wenig Aufmerk- samkeit bekommt, in den Medien aber doch beachtet Gut ist, dass in 2013 die Einnahmen vor allen Dingen wird. Es geht um die Nationale Stelle zur Verhütung von durch das Bundesamt für Justiz und das Deutsche Pa- Folter. Sie vereint die Bundesstelle und die entspre- tent- und Markenamt der Prognose nach noch einmal um chende Länderkommission. Man muss sich einmal vor- circa ein Zehntel, also 10 Prozent, steigen werden. Das stellen: Insgesamt 360 sogenannte Gewahrsamseinrich- ist gut für die Erfüllung und die Finanzierung der Aufga- tungen bei Bundespolizei, Bundeswehr und Zoll sind ben. von dieser Stelle zu kontrollieren, zusätzlich 186 Justiz- Gut ist auch – darauf muss man hinweisen –, dass die vollzugsanstalten, 1 430 Polizeidienststellen in Deutsch- bestehenden Ausgabenreste, die wir über viele Jahre in land und 245 psychiatrische Krankenhäuser. Werte diesem Einzelplan 07 mitgeschleppt haben, auf ein rea- Kolleginnen und Kollegen, angesichts von fünf ehren- listisches Maß zurückgeführt worden sind, um damit vor amtlichen Mitgliedern dieser Kommission und drei wis- allen Dingen die notwendigen Tarifanpassungen im Be- senschaftlichen Mitarbeitern nebst einer Bürokraft lässt reich des Bundesministeriums und seiner Behörden ge- sich nun wirklich nicht von einer ausreichenden bzw. genzufinanzieren. Da haben wir handwerklich durchaus hinreichenden Amtsausstattung dieser Behörde spre- Fortschritte gemacht. chen. Sehr geehrte Frau Ministerin, auf meine Anregung Folter gibt es leider auch im demokratischen Rechts- hin ist fraktionsübergreifend – danke auch an den Kolle- staat – dessen müssen wir uns bewusst sein – und kann gen Funk von der Union! – beschlossen worden, dass in Einzelfällen bei Bediensteten nie ganz ausgeschlossen wir den Ansatz bei Titel „Härteleistungen für Opfer werden. Öffentliche Anschuldigungen via Medien – das (B) extremistischer Übergriffe“ nicht absenken, sondern aus wissen wir alle – sind ausreichend Beleg hierfür. Den (D) evidenten politischen Gründen auf dem bestehenden Ni- Änderungsantrag von uns Sozialdemokraten, das hierfür veau belassen, um vor allen Dingen im Zusammenhang vorgesehene allzu knappe Budget von 300 000 Euro zu mit den grausamen Morden des NSU zumindest finan- erhöhen, hat die Koalition leider nicht mitgetragen. Das ziell etwas Linderung zu schaffen. Die Verbrechen selbst bedaure ich nachhaltig und sehr. kann man mit finanziellen Mitteln – das wissen wir alle – nicht ungeschehen machen. Wir können damit nur versu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) chen, die gröbste Not der Menschen zu lindern. Mein letzter großer Punkt ist ganz anders positioniert In diesem Zusammenhang möchte ich in dieser De- und motiviert. Frau Minister, für Millionen von Men- batte zum Justizhaushalt das aufgreifen, was Kollege schen sind derzeit die Themen „Miete“, „Wohnraument- Wolff von der FDP gerade zum Haushalt des Innen- wicklung“ und „Mietrechtsänderungen“ existenziell. ministeriums gesagt hat. Die Pannen und Unterlassun- Das trifft die Leute in Mark und Bein. Die schwarz- gen im politischen Bereich und bei den verantwortlichen gelbe Regierung hat am 23. Mai 2012 im Bundeskabi- Instanzen im Zusammenhang mit den NSU-Morden ha- nett den Entwurf eines Gesetzes zur Mietrechtsänderung ben sicherlich nicht nur der Öffentlichkeit aufgezeigt, beschlossen. Zwischenzeitlich wurde er nach einer dass es einen dramatischen Mangel an Koordination Expertenanhörung gestoppt. Offensichtlich waren neue zwischen Bund und Ländern und auch zwischen den Erkenntnisse vorhanden. Das ist im Grundsatz gut. Wie Ländern selbst gab. Diese haben beim größten Justiz- diese neuen Erkenntnisse seitens der Regierung umge- und Rechtsskandal der letzten Jahrzehnte kein gutes Bild setzt werden sollen/wollen/können, ist aber noch nicht abgegeben. Das, was gelaufen ist, hat viele Menschen so recht ans Licht der Öffentlichkeit gekommen. Deswe- mittelbar und unmittelbar erschüttert. Deswegen muss gen haben Sie erst einmal die zweite und dritte Lesung man auch in der Justizdebatte sagen und sagen dürfen, des Entwurfs Ihres Änderungsgesetzes abgesetzt. dass der Verfassungsschutz bei diesem Thema nicht dazu beigetragen hat, das Vertrauen der Menschen in den (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Besser so!) Staat und seine Instanzen, in die Gewaltenteilung zu för- „Gott sei Dank!“ werden viele Menschen denken. dern. Frau Minister, ich sage das in der Erwartungshal- tung, dass das BMJ künftig alles Notwendige und Er- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) denkliche zur Gefahrenabwehr beiträgt und dafür sorgt, dass Extremismus, vor allen Dingen Rechtsextremismus, Das gilt aber nur temporär. Was danach materiell bekämpft werden kann. kommt, wissen wir nämlich noch nicht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25159

Ewald Schurer (A) Ich will eines sagen – denn das, Frau Minister, ent- Mitberichterstattern. Mein Dank gilt auch der Ministe- (C) täuscht mich schon –: Ich habe von Schwarz-Gelb etwas rin, die ihre Redezeit abgetreten hat, mehr soziale Verantwortung erwartet. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: So, so! (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Warum bloß?) NEN]: Was? Wieso denn?) damit zwei Mitglieder unserer Fraktion, Kollege – Vielleicht war das naiv. – Die von Ihnen beabsichtigte Ahrendt und ich, heute zum Justizetat sprechen können. einseitige Lastenverschiebung hin zu den Mieterinnen Die Demokratie ist der Körper unseres Staates, und und Mietern verschärft vor dem Hintergrund der allseits der Rechtsstaat ist die Krone auf dem Haupt dieses de- bekannten Verteuerung von Wohnraum ohne Zweifel die mokratischen Staatskörpers. soziale Schieflage im Land. Nach der Lehman-Pleite und angesichts der Wirtschaftskrise investieren heute (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- viele Menschen in Wohnungen und nicht mehr so sehr in NEN]: Oh! Wer hat denn das gesagt?) hochkarätige Zockinstrumente an den Börsen. Das hat In dem Gebäude, in dem wir uns heute befinden, ging zu einer nachhaltigen Verteuerung des Wohnraums ge- der Kampf um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor führt. Alleine die Luxussanierungen in Deutschlands knapp 80 Jahren schon einmal verloren. Nun droht heute Metropolen und Großstädten, aber auch in Mittelstädten zwar – Gott sei Dank – keine Gefahr für Demokratie und – das ist ja keine Konstruktion – bedrohen heute in der Rechtsstaat in Deutschland; aber vielerorts ist eine ganze Tat Hunderttausende Familien mit Kindern und Rentner- Reihe von schweren Entscheidungen zu treffen, um haushalte. Dabei geht es um ihre Existenz in den betrof- Grundrechte zu schützen, gerade wenn verschiedene fenen Citys. Denn durch Luxusmodernisierungen – das Grundrechte aufeinanderprallen. ist systemimmanent – werden die Wohnungen teuer und für normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unbe- Wir werden diese Woche in diesem Hause noch eine zahlbar. Debatte über das Thema Beschneidung führen, wo es ei- nerseits um den Schutz der körperlichen Unversehrtheit (Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE von Kindern und andererseits um den Schutz religiöser LINKE]) Minderheiten geht. Die Regierung hat hier einen Gesetz- An dieser Stelle, Frau Minister, hat auch diese Regie- entwurf vorgelegt, der in dieser – wie ich meine – rung – ich sage das nicht mit übermäßiger Polemik – extrem schwierigen Abwägungsfrage einen wirklich gut eine große soziale Verantwortung für den sozialen Frie- gangbaren Weg aufzeigt. Dafür meinen Dank an die Re- den im Lande; das gilt auch für die Rechtspolitik. Mit gierung! (B) der Mietrechtsreform, die Sie planen, tragen Sie eher (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (D) dazu bei, dass sich die Verwerfungen zwischen Arm und CDU/CSU) Reich vergrößern, statt sie zu vermindern. An anderer Stelle geht es um die Freiheit im Netz ei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nerseits sowie um den Schutz geistigen Eigentums und der LINKEN) den Schutz von Verbrauchern vor Abo-Fallen im Internet andererseits. Auch das ist ein Bereich, wo vieles gegen- In diesem Sinne bitte ich Sie, Frau Minister, noch ein- einander abzuwägen ist, wo Grundrechte aufeinander- mal in sich zu gehen, nachzudenken und Ihre ursprüngli- stoßen. Solche netzpolitischen Fragen werden uns noch che Intention, einseitig die Mieter zu belasten, aufzuge- viele Jahre beschäftigen. Auf viele Fragen gibt es noch ben. Das wäre mein großer und dringender Appell an keine eindeutigen Antworten. Das muss erst wachsen, Sie. Das sollten Sie übrigens noch vor der nächsten Bun- das muss erst entstehen, auch deswegen, weil vieles destagwahl tun. Sonst müssen wir auch das später rück- technisch noch im Fluss ist. Diese Regierung befasst gängig machen. sich ernsthaft mit diesen Fragen. Die Informations- und Herzlichen Dank. Kommunikationsfreiheit im Netz müssen geschützt wer- den. Aber etwa auch der Schutz geistigen Eigentums (Beifall bei der SPD) oder die Verbraucherrechte dürfen nicht unter die Räder geraten, wenn große Internetkonzerne oder schlaue Vizepräsidentin Petra Pau: Onlineunternehmer mit dem Netz oder im Netz Ge- Das Wort hat der Kollege Stephan Thomae für die schäfte machen. Darum kümmert sich diese Regierung. FDP-Fraktion. Herr Kollege Schurer, Sie haben gerade bemängelt, dass die Koalition nicht bereit sei, den Änderungsantrag (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der SPD auf Erhöhung der Mittel für die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter mitzutragen. Erlauben Sie mir, Stephan Thomae (FDP): an dieser Stelle korrigierend anzumerken, dass die Jus- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- tizministerkonferenz von Bund und Ländern am 15. No- gen! Ich möchte mich zunächst dem Dank, den der Kol- vember dieses Jahres, also erst vor wenigen Tagen, hier lege Schurer ausgesprochen hat, anschließen. Mein Dank in Berlin beschlossen hat, dass das Vorsitzland unter Be- gilt dem Ministerium, der Ministerin, dem Haushaltsrefe- teiligung des Bundes prüfen soll, ob und gegebenenfalls rat des Ministeriums und natürlich Ihnen, Kollege in welchem Umfang eine Verbesserung der Ausstattung Schurer, als Hauptberichterstatter sowie den Kollegen der Kommission notwendig erscheint. Man hat beschlos- 25160 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Stephan Thomae (A) sen, dass der Konferenz der Amtschefs am 24. und Schlichtungsstelle anrufen und dort ihre Ansprüche gel- (C) 25. April 2013 in Freiburg ein Vorschlag unterbreitet tend machen. Das Gesetz ist im Juli im Kabinett verab- werden soll. Ihr Vorschlag kommt also einerseits reich- schiedet worden und gewährleistet eine günstige unbüro- lich spät – erst heute Vormittag lag er vor –, andererseits kratische Erledigung solcher Ereignisse. Die Kosten aber auch viel zu früh, weil erst im April zu entscheiden hierfür tragen die Airlines. Das ist ein Beweis dafür, dass sein wird, ob diese Maßnahme durchgeführt wird. Des- diese Regierung dieses lästige Ärgernis für die Fluggäste wegen bitte ich um Verständnis, dass wir diesem Ände- angeht und einen effektiven, effizienten und unbürokra- rungsantrag heute nicht zu folgen vermögen. tischen Verbraucherschutz gewährleistet. Ein paar Eckdaten haben Sie schon genannt, Herr So könnte ich noch eine ganze Reihe weiterer Punkte Kollege Schurer: Die Einnahmen des Einzelplans 07 vortragen. Aber leider zeigt mir die Uhr an, dass meine – Bundesministerium der Justiz – steigen in diesem Jahr Redezeit zu Ende ist. um knapp 10 Prozent. Wir haben eine hohe Deckungs- Ich danke nochmals dem Ministerium, der Ministerin quote, erfreulicherweise wieder um die 80 Prozent. Die sowie allen Kolleginnen und Kollegen für die konstruk- Ausgaben sind ebenfalls deutlich gestiegen. An dieser tive Zusammenarbeit bei der Erarbeitung dieses, wie ich Stelle will ich ganz kurz erläutern, warum der Etat des meine, vorbildlichen Etats. Bundesjustizministeriums so stark wächst. Vielen Dank. Der erste Grund ist – Sie haben ihn schon genannt, Kollege Schurer –: Aus früheren Jahre waren noch reich- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) lich Ausgabenreste vorhanden. Das Parlament hat ge- wünscht, dass zunächst die Ausgabenreste verbraucht Vizepräsidentin Petra Pau: werden. Das hat das Justizministerium getreu dieser Das Wort hat der Kollege Jens Petermann für die Auflage getan. Das heißt, der Justizhaushalt war in den Fraktion Die Linke. letzten Jahren etwas unteretatisiert. Die Ausgabenreste sind aufgebraucht; deswegen muss der Einzelplan 07, (Beifall bei der LINKEN) der Etat des Bundesministeriums der Justiz, jetzt dem ei- gentlichen Bedarf entsprechend wachsen. Jens Petermann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- Der zweite Grund ist: Der Justizhaushalt ist fast ein legen! Die Legislaturperiode geht nun in die letzte reiner Verwaltungshaushalt: Etwa drei Viertel davon Runde. sind Personalkosten. Es ist ganz klar, dass Tariferhöhun- gen im öffentlichen Dienst da besonders stark zu Buche (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Zwischen- (B) schlagen. Das ist mit ein Grund, weshalb in diesem Etat runde!) (D) ein auffälliger Aufwuchs zu verzeichnen ist. Dieses Ziel vor Augen sollte uns Motivation sein, viel- Der dritte Grund ist: Liegenschaften des Bundes, die leicht doch noch einen kleinen rechtspolitischen End- das Justizministerium nutzt – vor allem oberste Bundes- spurt hinzulegen. In den verbleibenden Wochen könnten gerichte wie der BGH, der Bundesfinanzhof, das Bun- wichtige Initiativen auf den parlamentarischen Weg ge- despatentgericht, das Bundesverwaltungsgericht –, wer- bracht werden. Auch im Bundesjustizministerium hat den in das Einheitliche Liegenschaftsmanagement des die Schlussrunde begonnen. Die Linke wird Sie, Frau Bundes, das ELM, überführt. Damit entstehen nun Miet- Ministerin, wie gewohnt zuverlässig konstruktiv-kritisch ausgaben, die bisher nicht da waren. Bei einem so klei- begleiten und natürlich auch ein paar Vorschläge unter- nen Etat wie dem des Bundesjustizministeriums schlägt breiten. das besonders stark zu Buche. Das ist ein Grund, wes- Nehmen wir zum Beispiel das Gesetz über den halb dieser Etat etwas stärker anwächst als andere Etats. Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren! Vor gut Lassen Sie mich ein paar Worte zu einigen Program- zehn Jahren hatte der Europäische Gerichtshof für Men- men des Bundesjustizministeriums verlieren. Eines ha- schenrechte die Gewährleistung eines schnellen Rechts- ben Sie, Kollege Schurer, ebenfalls schon erwähnt: das schutzes für Bürgerinnen und Bürger angemahnt. Auch Forschungsprojekt zur NS-Vergangenheit des Justiz- die Bundesregierung wurde mehrfach hierzu aufgefor- ministeriums. Das ist ein, wie ich meine, sehr wichtiges dert. Das Ergebnis der gesetzgeberischen Bemühungen Vorhaben der Justizministerin. Es geht darum, deutlich ist indes nicht mehr als ein schwachbrüstiger Kompro- zu machen, dass wir nichts vertuschen wollen, sondern miss. uns offensiv mit der dunklen Geschichte in Deutschland (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Na, na, na!) befassen wollen. Die Zahlung einer Entschädigung von 1 200 Euro pro Ein weiteres wichtiges Vorhaben ist die Einrichtung Jahr Verzögerung kaschiert nur die Symptome, aber einer Schlichtungsstelle für den Luftverkehr, die im packt das Übel leider nicht an der Wurzel. Bundesamt für Justiz eingerichtet werden wird. Das ist (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. ein wichtiges Verbraucherschutzprojekt. Denn wenn Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Flüge annulliert werden, wenn sie verspätet eintreffen NEN]) oder überbucht sind, wenn Gepäck verloren geht, beschädigt wird oder verspätet eintrifft, dann können Überlange Gerichtsverfahren sind vermeidbar. Darauf Verbraucher, dann können Fluggäste künftig diese habe ich bereits in der damaligen Debatte hingewiesen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25161

Jens Petermann (A) Eine bessere finanzielle Ausstattung der Justiz ist eine denn wenn man seine rechtspolitische Messlatte bewusst (C) grundlegende Voraussetzung, um die Verfahrensdauer zu niedrig ansetzt, ist es natürlich auch nicht sehr schwer, verkürzen. Leider ist die Botschaft damals bei Ihnen diese zu überspringen. nicht angekommen. Manche Initiative, die zulasten der kleinen Leute Die Auswirkungen dieser Gesetzgebung treiben seit- geht, hätten Sie uns besser erspart, zum Beispiel die Re- dem einige Blüten. So hat beispielsweise das Land Nie- form des Prozesskosten- und Beratungshilferechtes. dersachsen in den Haushalt für das Jahr 2013 bereits 3,5 Millionen Euro für Entschädigungsleistungen wegen (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. überlanger Gerichtsverfahren eingestellt. Das ist die fal- Ewald Schurer [SPD] und Ingrid Hönlinger sche Richtung, Frau Ministerin. Motivieren Sie doch lie- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ber die Länder dazu, die Justiz mit genügend Richterin- Sie unterstellen damit den Rechtsuchenden eine miss- nen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten bräuchliche Inanspruchnahme des Rechtsweges. Ein an- auszustatten! Das wäre der richtige Weg, um das Pro- deres Beispiel ist die Reform des Mietrechts, mit der Sie blem überlanger Verfahren in den Griff zu bekommen. gegen sogenannte Mietnomaden vorgehen wollen. Mit (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. dem vorgelegten Entwurf bekommen Sie die tatsächli- Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen Probleme nicht in den Griff. Herr Kollege Schurer, NEN]) Ihren Ausführungen ist insoweit nichts hinzuzufügen. Sie haben das wirklich ausführlich dargelegt. Ihre Gesetzgebung hat leider einen anderen Weg vorge- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- geben. Sie zwingt nämlich dazu, Steuergelder für Ent- neten der SPD) schädigungen zu verschwenden. Mit dem fragwürdigen Argument, es fände sonst eine Auch unser sehr gut ausgestattetes Bundesverfas- Flucht in fremdes Recht statt, rechtfertigen Sie zudem sungsgericht klagt über hohe Verfahrenszahlen und eine die zunehmende Europäisierung des materiellen Rechts. dadurch bedingte zu lange Verfahrensdauer. Der deswe- Dies offenbart letztlich nur die Kraft und den Einfluss gen bestehende Leidensdruck hat dazu geführt, dass der von Wirtschaftslobbyisten, die nicht die kleinen und mit- Präsident und sein Vize die Fraktionen des Bundestages telständischen Unternehmen vertreten, sondern vorran- aufsuchten, um einen Entlastungsvorschlag zu unterbrei- gig die Interessen der Großkonzerne wahrnehmen. ten. Sie haben damit die Suche nach einer Lösung für die Flut von über 6 000 Verfassungsbeschwerden im Jahr In letzter Zeit häufen sich dahin gehende Initiativen (B) eröffnet. und Gesetzentwürfe, zum Beispiel die Einführung von (D) englischsprachigen Kammern für Handelssachen oder Entgegen einer naheliegenden Forderung nach mehr die Einführung der Partnerschaftsgesellschaft mit be- Personal für das Gericht und einem dritten Senat soll schränkter Haftung. eine Mutwillensgebühr erhoben werden. Die Bürgerin- nen und Bürger sollen also zahlen, wenn sie das Gericht (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Berufshaf- mit vermeintlichem Unfug beschäftigen. Ob dieser Vor- tung!) stoß unterstützenswert ist, Frau Ministerin, muss man sich wirklich gut überlegen. In keiner der bisherigen Debatten konnten Sie mit schlüssigen Argumenten davon überzeugen, dass diese Mit dem Konstrukt einer Mutwillensgebühr würde Initiativen gerechtfertigt sind. der Zugang zum Gericht beschnitten. Der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht muss allen Bürgerinnen (Beifall bei der LINKEN – Ewald Schurer und Bürgern, auch mit Blick auf den oft schmalen Geld- [SPD]: Sehr richtig!) beutel, offen stehen. Dafür ist etwas anderes schlüssig belegbar: Müsste (Beifall bei der LINKEN) die Bundesrepublik Deutschland heute einen Antrag auf Aufnahme in die Europäische Union stellen, würde Den von manchen als Querulanten angesehenen Be- Brüssel die Aufnahme verweigern. Eigentlich unvor- schwerdeführern, die als Einzelpersonen mitunter weit stellbar! Grund dafür ist ein Justizsystem, das aus dem über 100 Verfahren ausgelöst haben, muss anders begeg- 19. Jahrhundert stammt. net werden. Lassen Sie uns das in Ruhe besprechen und nach einer Lösung für dieses Phänomen suchen, die den Das wissen Sie, Frau Ministerin, sehr genau und Rechtsstaat nicht schwächt, Kolleginnen und Kollegen! haben darum eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich mit dieser Thematik befasst. In der Regierungskoalition inte- (Beifall bei der LINKEN) ressiert das allerdings niemanden wirklich. Frau Minis- terin, wir haben uns allerdings zwischenzeitlich geküm- Ein Blick in den schwarz-gelben Koalitionsvertrag mert und das naheliegende Ergebnis Ihrer Arbeitsgruppe zeigt: Sie haben Ihre dort festgelegten Ziele tatsächlich bereits gefunden. Meine Fraktion bringt in Kürze zwei fast vollständig umgesetzt. Allerdings gibt es keinen Gesetzentwürfe zur Herstellung der institutionellen Un- Grund, darauf besonders stolz zu sein; abhängigkeit der Justiz ein. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Oh doch!) (Beifall bei der LINKEN) 25162 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Jens Petermann (A) Der preußische Justizminister Leonhardt – dem einen Personalmaßnahmen –, bei den Berichtspflichten der (C) oder anderen wird er vielleicht bekannt sein – sagte Staatsanwaltschaften und entsprechenden Weisungs- einst: möglichkeiten sowie bei der Entscheidung über die säch- liche Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Solange ich über die Beförderungen bestimme, bin Das wollen wir ändern. Die Justiz soll von der Ministe- ich gern bereit, den Richtern ihre sogenannte Unab- rialbürokratie organisatorisch unabhängig werden. hängigkeit zu konzedieren. (Beifall bei der LINKEN) Das Zitat stammt aus dem 19. Jahrhundert, (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Eben!) Die Gerichte und Staatsanwaltschaften sollen sich selbst verwalten, entscheiden eigenständig über benötig- ist aber leider noch immer aktuell. tes Personal, dessen Einstellung und über erforderliche Sachmittel. Richterwahlausschüsse sichern die demokra- (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Unfassbar! tische Legitimation der Auswahl der Richterinnen und Wissen Sie, was Sie da sagen?) Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Die in- An der Stellung der Richterinnen und Richter sowie der terne Verwaltung der Gerichte und Staatsanwaltschaften Staatsanwältinnen und Staatsanwälte hat sich seither soll das Präsidium übernehmen. Die bisherigen Aufga- nämlich kaum etwas geändert. ben der Ministerien übernimmt ein demokratisch legiti- mierter Justizrat des Landes bzw. des Bundes. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Die Rede sollten alle Richter wahrnehmen! Unfassbar!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann können Sie die Ministerien ganz Was in einem Rechtsstaat nach dem Prinzip der Ge- abschaffen! Die haben ja dann nichts mehr zu waltenteilung selbstverständlich sein sollte, nämlich eine tun!) unabhängige, selbstverwaltete dritte Gewalt, ist in Deutschland leider keine Realität. Damit bleibt die Ge- Das hierarchisch geprägte, veraltete Laufbahnprinzip waltenteilung ein Mythos. und Beförderungsämter auf Lebenszeit sollen abge- schafft werden. Eine moderne und unabhängige Justiz (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das, was Sie erfordert die grundgesetzlich verankerte Einheitlichkeit sagen, ist eine Beleidigung für alle Richter in der Richterämter. Alle Richter- und Staatsanwaltsämter Deutschland!) sollen die gleiche Besoldungsgruppe erhalten. Für die Unsere europäischen Nachbarn, außer Tschechien Übernahme von Sonder- und Leitungsfunktionen kann und Österreich, haben sich von diesem Mythos längst eine zeitlich begrenzte höhere Besoldung gezahlt (B) verabschiedet und ihre Justiz durch Stärkung der Unab- werden. (D) hängigkeit der Rechtsprechung von staatlichen Einflüs- sen verselbstständigt sowie diesbezügliche Hinweise des (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Zeitlich be- Europarates umgesetzt. Das sind die Realitäten, Kollege grenzt! Sehr unabhängig!) Krings. Mit diesen Gesetzentwürfen, die übrigens auch libera- Der hierarchische Aufbau der Justiz und das Richter- ler Politik gut zu Gesicht stehen würden, können wir un- amtsrecht beruhen historisch auf dem Beamtenrecht. sere Justiz fit für die Anforderungen einer modernen Ge- Das Beamtenrecht ist aber auf die Bedürfnisse der sellschaft machen Staatsgewalt zugeschnitten und mit einer unabhängigen (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Einer moder- Justiz nicht vereinbar. nen sozialistischen Gesellschaft!) Wir haben die Vorschläge des Deutschen Richterbun- und die auf den Gerichten und Staatsanwaltschaften lie- des und der Neuen Richtervereinigung für die Stärkung gende Staubschicht des 19. Jahrhunderts wegwischen. der Unabhängigkeit der Justiz und die Herstellung der Gewaltenteilung aufgegriffen. Zur Umsetzung sind (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Änderungen des Grundgesetzes und einzelgesetzlicher NEN]: Des 18. Jahrhunderts!) Regelungen auf Bundes- und Landesebene erforderlich. Nebenbei würde die Bundesrepublik die im europäi- Das Grundgesetz hat die rechtsprechende Gewalt, schen Einigungsprozess postulierte Vorbildfunktion also die gesamte Ordnung der Justiz, den Richterinnen auch im Bereich der Justiz umsetzen und die Aufnahme- und Richtern anvertraut. Tatsächlich aber werden die kriterien der Europäischen Union erfüllen. Gerichte als nachgeordnete Behörden der Ministerien betrachtet. Sie sind personell und sachlich von der Re- (Beifall bei der LINKEN) gierung abhängig und werden sozusagen wie eine Bau- Ich weiß, dass es der Koalition schwerfällt, über ihren verwaltung gesteuert. Schatten zu springen Der politische Einfluss der Ministerien ist bekannter- (Dr. [CDU/CSU]: Den maßen vorhanden und unbestritten erheblich. Er findet Schatten werfen Sie!) statt bei der Auswahl der einzustellenden Bewerberinnen und Bewerber, bei der Steuerung der Karrieren von und einer Initiative der Linken zuzustimmen; das ist ja Richterinnen und Richtern – besonders durch Entschei- nicht neu. Hier geht es aber nicht um eine Doktorarbeit, dungen über die Beurteilung, Beförderung und andere liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen ist die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25163

Jens Petermann (A) Tastenkombination „copy and paste“ ausdrücklich er- Lassen Sie mich einige wenige Punkte herausgreifen, (C) wünscht. die gerade von hoher Aktualität sind und den Justizetat direkt berühren. Uns alle beschäftigt die Mordserie der (Beifall bei der LINKEN – Dr. Günter Krings rechtsextremistischen Organisation NSU sowie die Auf- [CDU/CSU]: Schon zu Ende?) klärung dieser Verbrechen. So, wie wir über die Morde Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. erschüttert sind, sind wir entsetzt über die zahlreichen Pannen, die es bei der Aufklärung gegeben hat. So sehr (Beifall bei der LINKEN – Dr. Günter Krings uns die Existenz rechtsextremistischer Gruppierungen in [CDU/CSU]: Jetzt aber!) unserem Land auch erschüttert, dürfen wir darüber die ganz konkreten Opfer und deren Angehörige nicht ver- Vizepräsidentin Petra Pau: gessen. Es gelingt gelegentlich, die Präsidentin zu überra- Seit einiger Zeit gibt es im Justizetat den Titel „Härte- schen: Ihre Redezeit war noch gar nicht abgelaufen. – leistungen für Opfer extremistischer Übergriffe“ zur Gut. Das Wort hat jetzt der Kollege Alexander Funk für Entschädigung von Opfern links- und rechtsextremisti- die Unionsfraktion. scher Gewalt, der in den vergangenen Jahren kaum in Anspruch genommen wurde. Im Zusammenhang mit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den NSU-Verbrechen hat sich nun der Mittelabruf mas- siv erhöht. Bis Anfang November dieses Jahres gingen Alexander Funk (CDU/CSU): rund 150 Anträge auf Härteleistungen ein. Dieser Situa- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und tion haben wir Rechnung getragen und den Ansatz für Herren! Ich habe selten so viel Unsinn über unsere Ge- den Titel, der eigentlich gesenkt werden sollte, auf richte und Staatsanwaltschaften gehört wie von Ihnen, 1 Million Euro verdoppelt und damit auf dem Niveau Herr Petermann. von 2012 festgeschrieben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Werfen wir einen Blick auf das, was wir im vergange- nen Jahr noch euphorisch den arabischen Frühling ge- Ja, ich halte es geradezu für eine Unverschämtheit, dass nannt haben. Inzwischen sind im Hinblick auf die demo- Sie unseren Gerichten im Zusammenhang mit Beförde- kratische Entwicklung in Tunesien, Libyen und auch in rungen pauschal Käuflichkeit unterstellen. Wir haben Ägypten manche Blütenträume zerstoben. Der Nahe Os- eine unabhängige Justiz. Darauf können wir stolz sein. ten ist nur in Grenzen demokratischer geworden. Statt- Deshalb weisen wir diesen Vorwurf mit aller Entschie- dessen droht dieses Pulverfass zu explodieren. Die denheit zurück. Stichworte „Israel“, „Gazastreifen“ sowie „Bürgerkrieg (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) in Syrien“ deuten auf das Ausmaß der Gefährlichkeit hin. Ich danke als Hauptberichterstatter für das Bundes- Gerade deshalb aber ist es wichtig, dass wir den verfassungsgericht dem Direktor des Bundesverfas- Demokratisierungsprozess in der Region nachhaltig un- sungsgerichtes, Herrn Weigl, und seinen Mitarbeiterin- terstützen. Ein bedeutsames Instrument hierfür ist die nen und Mitarbeitern. Auch hier ist es uns in gewohnt Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusam- einhelliger Weise gelungen, den Neubezug des Dienstge- menarbeit, IRZ, die eine vorbildliche Arbeit beim Export bäudes angemessen zu finanzieren und die Organisa- deutschen Rechts in andere Länder und nun speziell in tionsstruktur des Gerichtes zu stärken und auszubauen. den arabischen Raum leistet. Ich bedanke mich hier für die gute Zusammenarbeit ins- besondere bei meinen Kollegen Danckert, Ruppert, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sarrazin, aber auch bei dem Kollegen der Linken, Herrn neten der FDP) Bartsch. Es war wie immer eine sehr konstruktive Dis- kussion. Es ist uns gelungen, den Mittelansatz gegenüber dem Etatentwurf um weitere 364 000 Euro auf nunmehr Auf der Grundlage des Zahlenwerks, das wir von der 4,1 Millionen Euro aufzustocken. Damit bekennen wir Regierung bekommen haben, konnten wir im Haushalts- uns zu unserer Verantwortung und leisten einen interna- ausschuss, vor allem auch in der Bereinigungssitzung, tional anerkannten konkreten Beitrag zur Unterstützung noch einige Weichen stellen, um den Zug nicht aufs Ab- der jungen und durchaus noch gefährdeten Demokratien stellgleis fahren zu lassen. Es ist uns beim Einzelplan 07 im arabischen Raum. gelungen, einen Etat aufzustellen, der wie alle Vorgän- Nicht zu vernachlässigen ist dieser Aspekt: Die Bera- gerhaushalte von unverrückbaren Ausgabeposten, be- tung und Aufbauhilfe sind kein Selbstzweck, sondern für sonders bei den Personalkosten, bestimmt und zudem viele international aufgestellte Unternehmen ein ent- vom generellen Spardiktat gekennzeichnet ist. Dennoch scheidender Erfolgsfaktor für das Engagement im Aus- gab es Freiräume, die wir genutzt haben, um uns wich- land. tige Akzente zu setzen. Der Etat des Bundesministe- riums der Justiz für das kommende Jahr zeigt erneut, Nur kurz erwähne ich einige andere Punkte, die nach dass es möglich ist, mit relativ geringen Mitteln gesell- meiner Überzeugung von erheblichem Nutzen für die schaftspolitische Ziele zu formulieren und umzusetzen. Bürgerinnen und Bürger sind. Wir haben das schon im Dafür braucht man nicht immer Millionen- oder gar Mil- Koalitionsvertrag formulierte Ziel umgesetzt, eine unab- liardenbeträge. hängige und übergreifende Schlichtungsstelle für den 25164 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Alexander Funk (A) Luftverkehr einzurichten. Das Bundesamt für Justiz be- Lassen Sie uns gemeinsam diese Themen unverzüg- (C) kommt im nächsten Jahr Personal- und Sachmittel in lich und zum Wohle der Allgemeinheit angehen. Lassen Höhe von 330 000 Euro. Damit kann nun diese Schlich- Sie uns die berechtigten Mahnungen und Warnungen aus tungsstelle eingerichtet werden. Sie kann in allen Fällen der alltäglichen Praxis nicht einfach überhören. Das angerufen werden, in denen Airlines beteiligt sind, die schulden wir den Bürgerinnen und Bürgern. nicht an privatrechtlichen Schlichtungen teilnehmen. Die angeführten Beispiele machen deutlich, dass es Ein anderes Beispiel. Den wenigsten von uns werden sich beim Justizetat keinesfalls um eine staubtrockene die sogenannten weißen Karteikarten etwas sagen. Stan- Materie handelt. Der Justizhaushalt berührt vielmehr alle desämter haben sie bis 2008 bei der Eintragung von Ebenen unserer Gesellschaft. Er hat Auswirkungen auf nichtehelichen und einzeladoptierten Kindern angelegt. das Leben jedes Einzelnen und auf die Stellung der Bun- Mit Aufhebung einer Dienstanweisung fehlte eine desrepublik im internationalen Rahmen. Rechtsgrundlage zum Umgang mit diesen weißen Kar- teikarten. Es entstand ein langer Streit zwischen Bund Ich bitte Sie herzlich, dem Einzelplan 07 Ihre Zustim- und Ländern darüber, wer zuständig sei und wer für die mung zu geben. Kosten aufkommen müsse. Wir haben nun Mittel für die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Umsetzung eines sachgerechten und für den Steuerzah- ler günstigen Modells bereitgestellt. Mit 245 000 Euro finanziert der Bund die Vorhaltung und Sammlung der Vizepräsidentin Petra Pau: Karteikarten bei der Bundesnotarkammer. Eine Lösung, Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Jens die allein die Länder in die Pflicht genommen hätte, Petermann das Wort. wäre um ein Vielfaches teurer geworden. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jens Petermann (DIE LINKE): NEN]: Nun weiß die Nation, was weiße Kar- Herr Kollege Funk, Sie haben mir unterstellt, ich teikarten sind! Das hat sich gelohnt, Herr Kol- hätte den Begriff „Käuflichkeit“ benutzt. Ich verwahre lege!) mich ausdrücklich dagegen. Den Begriff habe ich nicht – Ja, aber es geht auch darum, dass wir uns sinnvoll für benutzt, den würde ich auch nie benutzen. Sie können den Bürger und Steuerzahler einsetzen und dass nicht das in meiner Rede nachlesen. der Streit zwischen Bund und Ländern im Vordergrund Wenn Sie zugehört hätten, dann wüssten Sie genau, steht, sondern eine kostengünstige Lösung für den Steu- worum es geht. Es geht darum, dass ein Hinweis des Eu- erzahler. Auch dafür setzt sich die Koalition ein. roparates umzusetzen ist, der eine justizielle Unabhän- (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – gigkeit, eine Selbstverwaltung der Justiz in allen Mit- Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gliedsländern fordert. Das bedeutet also im Kern, eine NEN]: Führungsstärke der Koalition! – Jerzy Selbstverwaltung der Justiz einzuführen. Um nichts an- Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir deres geht es. Das können Sie gerne noch einmal nachle- sehen das alles ein!) sen. Besonders am Herzen liegt mir, dass wir beim Thema Ich empfehle Ihnen auch, sich einmal mit Vertretern Vorratsdatenspeicherung möglichst rasch zu einem Er- der Richterverbände zusammenzusetzen. Die werden Ih- gebnis kommen. nen nichts anderes als das erzählen, was ich Ihnen eben erzählt habe. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine klare Absage!) Danke. Bekanntermaßen droht der Bundesrepublik seitens der (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- EU ein Bußgeld in Höhe von 315 036 Euro, und zwar pro neten der SPD) Tag, wenn Deutschland nicht bald EU- und grundgesetz- konforme Regelungen beschließt. Lassen Sie uns hier doch, da bekanntlich jedem Anfang ein Zauber inne- Vizepräsidentin Petra Pau: wohnt, einen echten Neuanfang wagen. Ich verweise Sie haben das Wort zu einer Erwiderung. dazu auf die Arbeit meiner Kollegen im Rechtsausschuss. Lösungsvorschläge, die verfassungskonform umsetzbar Alexander Funk (CDU/CSU): sind, gibt es. Ich bin mir sicher, dass einzelne Kritik- Ich habe Ihnen sehr wohl zugehört. Sie haben das punkte rasch geklärt werden können, guten Willen bei al- Wort „käuflich“ nicht benutzt, aber Sie haben die Ge- len Beteiligten vorausgesetzt. richte und Staatsanwaltschaften generell als nicht unab- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hängig betrachtet und das in einen Zusammenhang mit NEN]: Ich kenne keine Arbeit im Rechtsaus- Beförderungen gestellt. Das weisen wir in aller Ent- schuss dazu!) schiedenheit zurück. Die Richterschaft ist nicht käuflich und auch nicht durch Beförderungen beeinflussbar. Wir Dazu gehören zum Beispiel die bisher fehlende Einbin- haben eine unabhängige Justiz. Insofern weisen wir auch dung des Bundesamts für Sicherheit in der Informations- diesen Vorwurf von Ihnen zurück. technik und das Fehlen einer weitergehenden Erlaubnis für den Zugriff auf Internetprotokolladressen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25165

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (C) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ehrentri- bei der SPD und der LINKEN) büne hat der Präsident der Parlamentarischen Ver- Meine Damen und Herren von der Regierungsbank, sammlung des Europarates, Herr Jean-Claude für diese Verweigerungshaltung haben Sie nur einen ein- Mignon, mit seiner Delegation Platz genommen. zigen Grund. Sie müssten nämlich die Strafbarkeit der (Beifall) Abgeordnetenbestechung ausweiten. Das wollen Sie of- fenbar um jeden Preis vermeiden. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deut- schen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: „Ausweiten“ ist schon einmal ein richtiger Begriff!) Der Deutsche Bundestag ist in der Versammlung des Europarates mit einer Delegation vertreten und unter- Dabei ist ein Gesetz, das Abgeordnetenbestechung im stützt in vielfältiger Weise den Einsatz des Europarates Sinne der UN-Konvention unter Strafe stellt, kein Ding und seiner Versammlung für den Schutz der Menschen- der Unmöglichkeit. Wir Grüne haben hierzu schon rechte sowie für die Förderung von parlamentarischer längst unsere Vorschläge vorgelegt. Auch Bundestags- Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa. Wir wün- präsident Lammert hat jüngst einen eigenen Vorschlag schen Ihnen für Ihren Aufenthalt bei uns und für Ihr wei- zur Umsetzung der Konvention unterbreitet. teres parlamentarisches Wirken alles Gute. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Genau!) (Beifall) Es ist Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir In der Debatte hat nun die Kollegin Ingrid Hönlinger international endlich klare Kante gegen Korruption zei- für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. gen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der SPD) Frau Ministerin, eine Haushaltsrede hat immer mit Geld Korruption ist nicht nur ein monetäres Problem. Korrup- und mit Finanzen zu tun. tion untergräbt unseren Rechtsstaat und damit unsere (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Bisher war es Demokratie. richtig!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- (B) Ich rede heute über 250 Milliarden Euro. 250 Milliarden (D) Euro – so hoch ist der Schaden, den Korruption im KEN) Jahr 2012 für die deutsche Wirtschaft verursacht. Diese Es gibt noch weitere Initiativen, die das Bundesjustiz- Schadenssumme hat der Wirtschaftswissenschaftler ministerium dringend anstoßen müsste. So brauchen wir Friedrich Schneider aus dem österreichischen Linz er- in Deutschland endlich ein bundesweites Korruptionsre- rechnet. Der Schaden besteht vor allem darin, dass bei gister. Dieses Register soll Unternehmen benennen, die der Vergabe von Aufträgen nicht immer derjenige An- wirtschaftskriminell auffällig geworden sind. Das ist bieter zum Zug kommt, der das beste und günstigste An- dann gewissermaßen eine Liste der schwarzen Schafe gebot macht. Hierdurch wird das Wirtschaftswachstum auf der grünen Wiese der deutschen Unternehmenswelt. gehemmt, und die Steuereinnahmen sinken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was können wir dagegen tun? Bereits im Jahr 2003 hat die Bundesrepublik – wir hatten damals eine rot- Bund, Länder und Gemeinden vergeben jährlich Auf- grüne Regierung – die UN-Konvention gegen Korrup- träge im Wert von mehreren Hundert Milliarden Euro an tion unterzeichnet. 161 Staaten dieser Welt haben die private Unternehmen. Hiervon profitieren auch korrupte Konvention inzwischen ratifiziert. Nur wenige Staaten Unternehmen, weil die Vergabebehörden keine Kenntnis haben sie noch nicht gesetzlich umgesetzt. Dazu gehört von deren Aktivitäten haben. auch Deutschland. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Das stimmt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – doch gar nicht!) Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die ehrlichen, integren Konkurrenzunternehmen haben NEN]: Schande!) das Nachsehen. Das kann nicht sein, meine Damen und Das, meine Damen und Herren, ist blamabel. Herren. Das ehrliche Unternehmen, der ehrliche Fami- lienbetrieb, darf nicht der Verlierer bei öffentlichen Auf- (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Richtig!) trägen sein. Öffentliche Auftraggeber müssen besser er- kennen und steuern können, welche Unternehmen sie Bei dieser Frage bleibt die schwarz-gelbe Regierung auf beauftragen. Ein Korruptionsregister würde dazu beitra- dem Niveau von Sudan und Nordkorea; denn diese Re- gen, den fairen Wettbewerb zu erhalten. Hiervon profi- gierung verweigert noch immer die Ratifikation der tieren wir alle. UN-Konvention – und das, obwohl sogar führende Ver- treter der deutschen Wirtschaft die Bundesregierung zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ratifikation auffordern. sowie bei Abgeordneten der SPD) 25166 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Ingrid Hönlinger (A) Doch auch hier verweigert diese Bundesregierung, die Christian Ahrendt (FDP): (C) sich doch sonst so gerne als wirtschaftskompetent prei- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin sen lässt, eine ordentliche gesetzliche Regelung. Hönlinger, vielen Dank für Ihre Erinnerung daran, dass Sie die UN-Konvention gegen Korruption im Jahr 2003 (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Wer hat Ih- als Regierungsverantwortliche unterzeichnet haben. nen das eigentlich aufgeschrieben?) Dann haben Sie es aber nicht geschafft, sie umzusetzen. Noch ein Weiteres ist mir wichtig: Menschen, die Heute halten Sie uns nun vor, dass wir die Arbeit ma- Korruption aufdecken, verdienen den Schutz und den chen müssen, die Sie 2003 nicht vollendet haben. Respekt unseres Staates. Wir brauchen endlich ein Ge- Das Entscheidende ist aber, dass Sie an der Rechts- setz, das Whistleblower besser schützt. politik, die diese Koalition macht, nichts auszusetzen ha- ben. So scheint es mir jedenfalls, nachdem ich die De- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN battenbeiträge der Opposition gehört habe. und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Bundesregierung hat im Herbst 2010 im Rahmen der G-20-Staaten vollmundig angekündigt, sie werde bis Ich kann Ihnen auch sagen, warum das so ist: Von den Ende 2012 Regeln zum Whistleblower-Schutz erlassen Vorhaben, die wir, diese Koalition, 2009 im Koalitions- und auch umsetzen. vertrag festgehalten haben, haben wir 76 Prozent umge- setzt. 24 Prozent dieser Vorhaben sind noch nicht ver- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wirklicht. Deren Umsetzung liefern wir Ihnen nächstes NEN]: Da hat sie ja noch einen Monat Zeit!) Jahr. Hierbei handelt es sich um gute Politik. Deswegen Heute haben wir den 20. November 2012, und von ei- haben Sie hier wirklich nichts Sinnvolles zu kritisieren. nem Gesetz zum Schutz von Whistleblowern ist weit (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der und breit nichts zu sehen. CDU/CSU) (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Warum Sie nicht sinnvoll kritisieren können, will ich NEN]: Die machen das im Omnibusverfah- Ihnen einfach einmal anhand eines kleinen Potpourris ren!) dessen, was wir geleistet haben, darstellen. Das zeigt: In der Rechtspolitik nimmt es diese Bun- 2007 ist erstmals eine Bank in Deutschland aufgefan- desregierung mit der Umsetzung von Zusagen und Ver- gen worden – dieser Vorgang war ein Vorläufer der Finanzkrise –; das war die IKB. Sie haben es damals (B) sprechen, die sie auf internationaler Ebene gegeben hat, (D) nicht so genau. nicht geschafft, verehrte Kollegen von der SPD, mit der Justizministerin und dem Finanzminister ein Restruktu- Meine Damen und Herren von der Regierungsbank, rierungsgesetz für Banken auf den Weg zu bringen. Wir mit Ihrer Blockadehaltung in Sachen Korruptionsbe- haben es 2010 ganz am Anfang dieser Koalition ge- kämpfung gefährden Sie das Ansehen Deutschlands in macht, und Deutschland steht heute in Europa als das der Welt. Sie haben bei der juristischen Bekämpfung der Land da, das in diesem Bereich ein vernünftiges Gesetz Korruption nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Da- hat. Das muss man als Erstes festhalten. mit fügen Sie Wirtschaft und Staat Schaden zu. Außer- dem lassen Sie couragierte Bürgerinnen und Bürger, die Zweitens. Wir haben ein Gesetz zur Erleichterung Korruptionsskandale aufdecken, im Stich. von Unternehmenssanierungen verabschiedet. Wir woll- ten den Mittelstand vor der Krise schützen bzw. einem Es wird höchste Zeit, dass wir nächstes Jahr mit einer mittelständischen Unternehmen, das von der Krise be- rot-grünen Regierung die Bekämpfung der Korruption troffen ist, einen Weg aufzeigen, wieder aus ihr heraus- energisch in die Hand nehmen. zukommen. Auch dies war ein erfolgreiches Gesetz. Auch dort haben wir geliefert. (Zuruf von der CDU/CSU: War das eine Koalitionsaussage? – Gegenruf des Abg. (Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wenn es LINKE]) geht, schon!) Drittens. Wir haben Ihnen jetzt einen Gesetzentwurf Das werden wir tun. Darauf können Sie sich verlassen. vorgelegt, mit dem wir etwas erreichen wollen, was ebenfalls im Koalitionsvertrag steht: die Verbesserung Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. der zweiten Chance. Wir legen eine zweite Stufe der In- solvenzrechtsreform vor. Damit geben wir Menschen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind und bereit und bei der SPD) sind, ihren Gläubigern 25 Prozent ihres Geldes zurück- zuzahlen, die Möglichkeit, früher aus dem Restschuld- Vizepräsidentin Petra Pau: befreiungsverfahren herauszukommen, sodass sie früher Das Wort hat der Kollege Christian Ahrendt für die wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und FDP-Fraktion. wirtschaftlich erfolgreich sein können. Das ist eine ver- nünftige Politik für den Mittelstand, die diese Koalition (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) betreibt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25167

Christian Ahrendt (A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten kompletten, vernünftigen und erfolgreichen Ansatz in (C) der CDU/CSU) der Rechtspolitik. Ein weiterer Punkt. Diese Koalition hat in den letzten Diesen Ansatz werden wir auf einem weiteren Gebiet Jahren den Rechtsschutz verstärkt. Sie haben 2002/2003 verfolgen. Da Rechtspolitik und Rechtsleben ohne eine das Berufungsrecht faktisch abgeschafft. Wir haben starke Anwaltschaft nicht möglich sind, wollen wir ein § 522 ZPO in dieser Legislaturperiode reformiert. Wir Rechtsregime schaffen, das das anwaltliche Berufsrecht haben ein Gesetz zur Reduzierung überlanger Gerichts- verbessert. Dazu wollen wir zum einen in Deutschland verfahren auf den Weg gebracht und 2011 verabschiedet. die Rechtsform Partnergesellschaft mit beschränkter Warum? Die schnelle Verkündung eines Urteils ist Aus- Haftung auf den Weg bringen. Es kann nicht sein, dass druck eines vernünftigen Rechtsschutzes. Insofern hat mittelständische Kanzleien das tun, was wir früher schon die Justizministerin hier ein erfolgreiches Gesetz vorge- einmal bei GmbHs erlebt haben: Sie sind in die Rechts- legt. Der Kollege Petermann hat zu Recht gefordert, die form „ltd.“ geflohen. Heute sind viele Kanzleien darauf Justiz vernünftig auszustatten. Das ist auch Sache der angewiesen, in eine englische Gesellschaft namens LLP Länder. Wir haben mit diesem Gesetz für mehr Rechts- zu fliehen. schutz gesorgt. Außerdem haben wir hier gemeinsam, und zwar einstimmig –, das ist etwas, wofür wir uns alle (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- loben können – das Mediationsgesetz auf den Weg ge- NEN]: Keine zehn!) bracht, um Menschen außergerichtlichen Rechtsschutz Wir werden mit dem Gesetz zur Partnergesellschaft mit vor dem Gericht zu ermöglichen. Auch das ist ein Bei- beschränkter Haftung eine vernünftige deutsche Alterna- spiel für erfolgreiche Rechtspolitik, die in der Zeit der tive anbieten. schwarz-gelben Koalition betrieben worden ist. Mit dem Kostenrechtsmodernisierungsgesetz werden (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wir dafür sorgen, dass die Anwaltschaft weiterhin ver- der CDU/CSU) nünftig, auskömmlich den Menschen den Rechtsschutz Wir liefern beim Rechtsschutz. Zum Rechtsschutz ge- verschaffen kann, der ihnen zuteilwerden muss, wenn sie hört auch eine vernünftige Politik für Verbraucher. Da sich gegen Urteile und andere Dinge wehren müssen. will ich nur ein Beispiel bringen: Wir haben zur Be- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kämpfung von Kostenfallen im Internet durch die But- NEN]: Wann?) tonlösung, die die Justizministerin auf den Weg gebracht hat, ein wirksames Instrument geschaffen. So stellen wir Das ist eine Rechtspolitik, die erfolgreich ist. Das ist sicher, dass man im Internet einkaufen kann, ohne betro- eine Rechtspolitik, die hier kaum kritisiert worden ist. (B) gen zu werden. Auch das ist Teil einer vernünftigen Ich habe Ihnen vorgetragen, warum das so ist. Sie ist er- (D) Rechtsschutz- und Verbraucherpolitik, wie sie diese folgreich. Sie glänzt. Das ist an dieser Stelle mein Lieb- Koalition in den letzten Jahren betrieben hat. lingsbeispiel. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Auch in den schwierigen Fragen sind wir gut voran- gekommen. Wir haben das Zeugnisverweigerungsrecht Vizepräsidentin Petra Pau: für Anwälte gestärkt. Dem voraus ging eine Diskussion, Das Wort hat die Kollegin Dr. Eva Högl für die SPD- die nicht einfach war. Es kann aber doch nicht sein, dass Fraktion. ein Strafverteidiger ein Zeugnisverweigerungsrecht hat, aber ein Anwalt, der in Zivilsachen berät, nicht. Auch da (Beifall bei der SPD) sind wir mit der Änderung des § 160 a StPO weiterge- kommen. Dr. Eva Högl (SPD): Wir haben die Pressefreiheit gestärkt, indem wir den Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Quellen- und Informationsschutz strafrechtlich ausge- Frau Bundesministerin! Herr Ahrendt, meine Bewertung baut haben. Ihrer Bilanz der Rechtspolitik der Koalition fällt anders aus. Das wird Sie nicht überraschen. Sie verraten mir bei Darüber hinaus haben wir – das haben wir in der letz- Gelegenheit noch einmal, wie Sie zu den 76 Prozent ten Sitzungswoche diskutiert – die Sicherungsverwah- kommen. Das ist letztendlich aber auch egal; denn es rung mit den Reformen 2010 und 2012 auf ein vernünfti- geht gar nicht darum, was Sie aus dem Koalitionsvertrag ges Fundament gestellt. umgesetzt haben, sondern viel wichtiger ist, welche rechtspolitischen Themen überzeugend geregelt und (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da haben welche wichtigen Themen einer Lösung zugeführt wor- Sie etwas auf den Deckel gekriegt vom Bun- den sind. Hier muss ich sagen: Zehn Monate vor der desverfassungsgericht!) nächsten Bundestagswahl und drei Jahre nach der letzten Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung Wahl komme ich zu keiner überzeugenden Bewertung. der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs werden Sie haben keine überzeugende Bilanz aufzuweisen. An- wir das abschließen, was uns der Runde Tisch mit auf hand von einigen Themen, an denen die Handlungs- und den Weg gegeben hat. Auch dieses Gesetz steht dem- Entscheidungsunfähigkeit im Bereich der Justiz ganz nächst zur Beratung an. Wir haben also auch hier einen deutlich wird, will ich Ihnen anführen, warum ich ge- 25168 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Dr. Eva Högl (A) meinsam mit der Fraktion der SPD dieser Auffassung Es gibt Gremien, die fähig sind, sich zu einigen; der (C) bin. Bundesrat hat das bewiesen. Nachdem sich die CDU-re- gierten Länder Thüringen und Saarland der Auffassung Ich greife ein Thema auf, das die Kollegin Hönlinger angeschlossen hatten, dass hier Handlungsbedarf be- bereits dargestellt hat und das uns im Parlament ganz steht, haben sie dem Gesetzentwurf von Hamburg zuge- besonders beschäftigen muss, weil es für das Ansehen stimmt und am 21. September im Bundesrat einen Ge- dieses Parlaments sehr wichtig ist. Es ist das Thema Ab- setzentwurf mit der Forderung verabschiedet, 40 Prozent geordnetenbestechung. Frau Ministerin, bei diesem der Aufsichtsratspositionen mit Frauen zu besetzen. Das wichtigen Thema hätte ich mir insbesondere von Ihnen ist eine dringend notwendige Forderung. Wir finden, sie mehr Engagement, mehr juristische Kreativität und mehr ist nicht weitgehend genug, aber wenigstens ist es ein Engagement bei der Entwicklung von guten Regelungen Beginn der Debatte. gewünscht. Ich finde es peinlich, dass wir die UN-Kon- vention zur Bekämpfung von Korruption immer noch Gerade erst am 14. November hat sich die Justizkom- nicht umgesetzt haben und dass wir offensichtlich nicht missarin aus der Familie der CDU, Viviane Reding, eine in der Lage sind, hier vernünftige Regelungen zu be- engagierte Frau – Frau Ministerin, Sie kennen sie gut –, schließen. durchgesetzt und in der EU-Kommission einen Richtli- nienvorschlag auf den Weg gebracht. Es geht also. Man (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kann sich einigen; man kann etwas regeln. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir im Deutschen Bundestag sollten uns nicht treiben lassen, weder vom Wir wissen, wir sind nicht bestechlich, meine Damen Bundesrat noch von der EU-Kommission, sondern wir und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber sollten im Hinblick auf das Thema „Führungspositionen schon den Anschein, der dadurch erweckt wird, dass wir für Frauen in deutschen Unternehmen“ selbst etwas be- diese Konvention nicht umsetzen, müssen wir dringend schließen. bekämpfen und beseitigen, und zwar wir hier im Parla- Die SPD-Fraktion hat auch hier einen hervorragenden ment. Es schadet unserem Ansehen. Deswegen müssen Gesetzentwurf vorgelegt: praktikabel, gut anwendbar, wir das regeln. Es sollte uns zu denken geben – auch das mit umfassenden Regeln, die auch Vorstände einbezie- hat Frau Hönlinger bereits gesagt –, wenn uns führende hen. Sie alle haben bei den weiteren Beratungen dem- Wirtschaftsvertreter im Sommer darauf hinweisen, dass nächst die Chance, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen dringender Handlungsbedarf besteht. und dieses wichtige Thema endlich auf den Weg zu brin- gen. Ich wünsche mir hier eine breite Mehrheit; denn ich (B) Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen hervorragen- (D) den Gesetzentwurf vorgelegt. Er ist praktikabel und eine weiß, dass auch in Ihren Fraktionen viele der Auffassung hervorragende Grundlage für die weitere Diskussion. Es sind, dass wir dieses Thema endlich regeln müssen und zeichnet uns aus, dass sich auch der Bundestagspräsident dass Frauen eine faire und gerechte Chance auf Füh- Lammert, der hier sehr engagiert ist, weil er um die rungspositionen in der deutschen Wirtschaft erhalten Wichtigkeit und die Bedeutung dieses Themas sehr gut sollen. Bescheid weiß, an unseren Vorschlägen orientiert. Ich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bleibe weiter optimistisch – das habe ich schon bei der DIE GRÜNEN) ersten Lesung unseres Gesetzentwurfes gesagt –, dass wir doch noch zu vernünftigen Regelungen und zu einer Das sind zwei Themen, bei denen die Koalition weder Lösung kommen. Wir brauchen dazu juristische Kreati- in der Lage war, sich zu entscheiden, noch zu handeln. vität; diese ist hier im Parlament vorhanden. Wir brau- Wenn sie dann etwas vorlegt – das hat mein Kollege chen dazu auch Mehrheiten. Das sollten wir auf den Weg Schurer schon angesprochen –, kann man meist nur sa- bringen, liebe Kolleginnen und Kollegen. gen: Das Ganze ist so unsozial und so unpraktikabel, dass es den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem nicht gerecht wird. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Mietrechtsänderungsgesetz wird zum Beispiel Ich möchte ein weiteres Thema ansprechen. Frau den Mieterinnen und Mietern überhaupt nicht gerecht. Ministerin, ich frage direkt an Sie gewandt: Was ist das Wir befinden uns in Berlin. Sie alle wissen es, Kollegin- für ein Gezerre beim Thema Frauenquote in der Bundes- nen und Kollegen: Hier gibt es drastische Mietsteigerun- regierung und in der Koalition? Was ist das für ein un- gen. Es gibt viele Menschen, die sich Sorgen machen würdiges Gezerre? Auch das, liebe Kolleginnen und über Verdrängung, die von überhöhten Mietpreisen be- Kollegen, schadet unserem Ansehen. Wir haben es bei droht sind, auch durch die Nebenkosten und die Strom- dem Thema „Gleichstellung von Frauen in Führungs- kosten. Wir müssen im Bereich des Mietrechts ganz positionen in der deutschen Wirtschaft“ mit einem elen- dringend Regelungen finden, die die Mietsteigerungen den Hin und Her zu tun. Dieses Thema hätten wir, wie bei Neuvermietungen in Grenzen halten. Was Sie jedoch ich finde, längst angehen und dringend regeln müssen. hier vorgelegt haben, Frau Ministerin und liebe Kolle- ginnen und Kollegen von der Koalition, ging genau in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die andere Richtung, nämlich in die Richtung, die Miete- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der rinnen und Mieter noch viel stärker zu belasten, und Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) zwar mit den Kosten, die bei einer energetischen Gebäu- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25169

Dr. Eva Högl (A) desanierung, die ja an sich richtig ist, auf sie zukommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) Das können wir überhaupt nicht mitmachen. Deswegen neten der FDP) bin ich froh, dass dieser Gesetzentwurf gestoppt wurde und wir die Chance haben, ihn im Laufe der weiteren Ich denke, die Sachverständigen haben insgesamt in al- Beratung noch zu verbessern. ler Deutlichkeit klargemacht, wie komplex und schwie- rig die Materie ist. Es ist schlicht und einfach nicht in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ordnung, immer so zu tun, als ob auf der rechten Seite der LINKEN) des Parlaments nur Abgeordnete säßen, die Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption bei Abgeordneten mit Ich habe noch eine allerletzte Bitte, Frau Ministerin, aller Gewalt vermeiden wollten. und zwar zu den Stichworten „NSU“ und „rechtsextre- mer Terror“. Wir haben jetzt ein Jahr lang im Untersu- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chungsausschuss gearbeitet und aufgeklärt und überle- NEN]: Nein, Sie sollen einen Vorschlag ma- gen uns nun Vorschläge. Ich wünsche mir von Ihnen, chen!) Frau Ministerin, dass Sie bei der Diskussion über Refor- Da die rot-grüne Regierung im Jahr 2003 – der Kollege men weiterhin engagiert bleiben. Bisher haben wir von Ahrendt hat es gesagt – das Übereinkommen unterzeich- der Bundesregierung wenig an Vorschlägen zu Verände- net hat, müssen Sie sich fragen lassen, warum Rot-Grün rungen gehört. Das alles reicht noch nicht, um dieser be- es nicht auch umgesetzt hat. sonderen Herausforderung gerecht zu werden. Wir müs- sen hier ganz grundsätzlich reformieren, und zwar auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und – Frau Ministerin, deshalb spreche ich Sie an – bei der der FDP – Dr. Eva Högl [SPD]: Ja, jetzt! – Justiz in den Bundesländern. Wir sollten vor diesem Ewald Schurer [SPD]: Fast zehn Jahre später!) Hintergrund keine weitere Zeit verstreichen lassen, son- dern bereits jetzt Vorschläge dazu erarbeiten, was wir Meine Damen und Herren, die Bundesjustiz kostet machen müssen, um rechtsextremen Terror nicht nur den Bürger jedes Jahr ganze 1,36 Euro – ein mehr als aufzuklären, sondern vor allen Dingen für die Zukunft überschaubarer Betrag, wenn man ihn in Relation zum zu verhindern. breiten Aufgabenspektrum der Bundesjustiz betrachtet. Wir sagen im Rahmen der Haushaltsdebatten zu den Herzlichen Dank. Einzelplänen der Justiz und des Bundesverfassungsge- richts immer wieder: Es handelt sich um einen kleinen, (Beifall bei der SPD) feinen Haushaltsetat, der von den Zahlen her immer gut dasteht; bei den Einnahmen liegt er unter allen Ressorts des Bundeshaushalts an vierter Stelle, bei den Ausgaben (B) Vizepräsidentin Petra Pau: (D) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – – Moment, an letzter Stelle. Wir kriegen also von den Haushältern da stimmt etwas nicht. Die Fraktion Bündnis 90/Die immer gute Noten, und das ist sehr schön. Grünen hatte Redner getauscht, deswegen war das Wir Rechtspolitiker, liebe Kolleginnen und Kollegen, Ganze hier etwas durcheinander geraten. wissen aber – und das sollte man auch immer wieder sagen –: Die Rechtspolitik hat ein sehr breites Aufgaben- Das Wort hat die Kollegin Andrea Voßhoff für die spektrum abzudecken. Sie ist im gesellschaftlichen Ge- Unionsfraktion. flecht der Gesetzgebung von fundamentaler Bedeutung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Rechtspolitik ist schon lange mehr als nur klassische Justizpolitik – die Kollegen wissen es aus der aktiven Arbeit –: Wir haben eine Vielzahl von Gesetzesvorlagen, Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU): die an uns zur Federführung überwiesen werden, manch- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! mal auch eine schier endlos erscheinende Liste der Mit- Bei meinem Beitrag hätten Sie relativ schnell mitbekom- beratung im Rahmen anderer Gesetzgebungsvorhaben. men, dass ich kein Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen sein kann. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dafür sind Sie aber immer schnell Frau Kollegin Högl, Sie haben ja gerade ansatzweise fertig im Rechtsausschuss! Das muss ich sa- versucht, Kritik an der Rechtspolitik der christlich-libe- gen! Das schaffen Sie in einer Viertelstunde!) ralen Koalition zu üben. Sie haben, wie es vorhin auch schon angeklungen ist, auch wieder die Peinlichkeit der Es kommt hinzu – ich habe es auch in meiner letzten noch nicht erfolgten Umsetzung der UN-Korruptions- Haushaltsrede gesagt –: In der Rechtspolitik gewinnt das richtlinie aufgegriffen. Thema Europa immer mehr an Bedeutung; das wissen wir schon lange. Ich denke, es ist immer wieder gut, Frau Kollegin Högl, Sie waren doch auch in der um- richtig und beispielhaft für die Arbeit dieses Hohen Hau- fassenden Anhörung, die wir im Rechtsausschuss zu die- ses, dass der Rechtsausschuss mit seinem Unteraus- sem Thema durchgeführt haben. Diejenigen, die sich schuss Europarecht einen sehr wertvollen Beitrag zur loben, hier einen Gesetzentwurf vorgelegt zu haben, Begleitung der europäischen Rechtspolitik leistet. Ich sollten zumindest sehr kritisch zur Kenntnis nehmen, möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir mit dass die überwiegende Zahl auch der von Ihnen benann- der kürzlich stattgefundenen Konferenz mit Vertretern ten Sachverständigen diese Gesetzentwürfe mehr als anderer nationaler Parlamente, die sich auf Initiative des nachhaltig inhaltlich kritisiert hat. Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zum ers- 25170 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Andrea Astrid Voßhoff (A) ten Mal überhaupt in dieser Konstellation getroffen ha- packen. Ich habe mir bei der Beschäftigung mit der (C) ben, ein gewisses Novum im Bereich der europäischen Frage, wie das Gesetz wirkt, die – das ist blanker Zufall – Zusammenarbeit mit anderen Parlamenten geschaffen statistischen Zahlen des Landes Brandenburg, in dem ein haben. Die Kollegen, die da waren, wissen: Es ging um Justizminister Ihrer Partei seit 2009 zusammen mit der das Vorhaben der Europäischen Kommission im Bereich SPD regiert, zu Gemüte geführt. Liebe Kolleginnen und des europäischen Kaufrechts und die Subsidiaritätsver- Kollegen von SPD und Linken, hören Sie gut zu: Seit antwortung der nationalen Parlamente. Ich darf an dieser dem Regierungsantritt hat sich die Verfahrensdauer in al- Stelle nicht nur dem Bundestagspräsidenten Lammert len Bereichen leider zunehmend verlängert, manchmal ausdrücklich für die uneingeschränkte Unterstützung des um einen Monat. Betrug die Verfahrensdauer im Jahr Vorhabens danken, sondern auch dem Vorsitzenden des 2009 bei allgemeinen Zivilsachen der Landesgerichte Rechtsausschusses, dem Kollegen Siegfried Kauder, und noch durchschnittlich 9,4 Monate, so sind es mittler- dem Sekretariat des Rechtsausschusses sehr herzlich für weile 10,4 Monate. Ich könnte Ihnen noch mehr Zahlen die Organisation danken. nennen, die belegen, dass die Verfahrensdauer kontinu- ierlich ansteigt. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Verehrter Herr Petermann, Sie machen uns Vorhaltun- gen. Mein Vorschlag ist: Nehmen Sie mit Ihren Kollegen Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit die- in Brandenburg Kontakt auf. Sie könnten mit gutem Bei- ser Veranstaltung Neuland betreten. Wenn auch die Zahl spiel vorangehen und zeigen, dass es mit einem linken der teilnehmenden Kollegen aus den europäischen Nach- Justizminister auch anders geht. Es wäre schön, wenn barparlamenten und im Übrigen auch aus unserem Sie im eigenen Land mit gutem Beispiel vorangehen Hause durchaus hätte höher sein können, waren sich alle würden. Anwesenden einig: Das Experiment war ein Erfolg. Die Teilnehmer waren übereinstimmend der Auffassung: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eine intensivere Koordinierung der gemeinsamen Arbeit zur Bewältigung der europäischen Aufgabenstellungen Wir werden auf Bundesebene in dieser Woche ein der nationalen Parlamente, wie sie uns durch den Lissa- sehr wichtiges und auch emotional schwieriges Gesetz- bonner Vertrag zugewachsen sind, ist sinnvoll und er- gebungsvorhaben beraten, nämlich das Gesetz zur Rege- strebenswert. lung der Beschneidung. Ich will den Beratungen aber nicht vorgreifen. Getreu der Devise „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam“ pflege ich an dieser Stelle immer wieder Wir haben eine Vielzahl weiterer Themen auf der Ta- zu sagen – ich gebe nie die Hoffnung auf –, dass ich es gesordnung; meine Kollegen haben schon darauf hinge- (B) für notwendig erachte, hier, in der öffentlichen Debatte wiesen. Das zeigt, dass sich schwarz-gelbe Rechtspolitik (D) dieses Hohen Hauses, häufiger und intensiver die The- bewährt. Wir werden das Patientenrechtegesetz verab- men der europäischen Rechtspolitik zu debattieren. schieden. Endlich werden die Informationsrechte von Pa- tienten transparent in einem gesonderten Gesetz geregelt. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir werden die Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Sterbe- NEN]: Richtig! Stimmt!) hilfe auf die Tagesordnung setzen. Es wurden Bereiche aus dem Wirtschaftsrecht angesprochen, zum Beispiel Wir alle sollten uns im Rahmen unserer Möglichkeiten Kleinstkapitalgesellschaften im Zuge der Umsetzung ei- dafür einsetzen, dass das verstärkt geschieht. Ich weiß: ner EU-Richtlinie von bürokratischen Bilanzierungs- Im nationalen parlamentarischen Alltagsgeschäft ist das pflichten zu entlasten. Auch das Leistungsschutzrecht manchmal ein Wunsch, der sich nicht realisieren lässt. und das Mietrechtsreformgesetz sind genannt worden. Trotzdem werde und will ich die Hoffnung an der Stelle Bei Letzterem kritisieren Sie immer wieder, dass es sozial nicht aufgeben. unausgewogen ist, was schlicht nicht stimmt. Wir werden Ich rede hier vom nationalen Alltagsgeschäft der das Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern neu Rechtspolitik, weil Haushaltsdebatten – das ist hier an- regeln. Auch das haben wir hier bereits diskutiert. geklungen – nicht nur eine Bilanz der Zahlen beinhalten, sondern auch eine Bilanz der Rechtspolitik. Ich finde, Das Spektrum der Rechtspolitik ist breit gefächert. dass der Kollege Ahrendt sehr richtig, sinnvoll und um- Lassen Sie mich deshalb auch erwähnen, dass wir das fassend dargelegt hat, welche Erfolge die schwarz-gelbe Seehandelsrecht grundsätzlich reformieren. Wir Juristen Koalition in der Rechtspolitik inzwischen zu verzeich- haben mit dieser Materie zugegebenermaßen nicht allzu nen hat und dass sich das Genörgel der Opposition selek- viel zu tun. Trotzdem enthält es für die maritime Branche tiv auf einige wenige Punkte beschränkt. notwendige Regelungen. Wir werden das Patentrecht ent- bürokratisieren. Das Partnerschaftsgesellschaftsgesetz ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ebenfalls erwähnt worden. Auch das Insolvenzrecht der FDP) Teil II wird in Angriff genommen. Herr Petermann, ich gehe jetzt gar nicht auf Ihre für Meine Damen und Herren von der Opposition, bei all mich bemerkenswerten Gedanken zur Reform der Justiz den guten gesetzgeberischen Vorhaben fällt es Ihnen ein. Sie haben das Gesetz über den Rechtsschutz bei schwer, kritische Ansätze zu finden. Ich habe nichts ge- überlangen Gerichtsverfahren als „schwachbrüstigen gen Kritik; die dürfen Sie ruhig anbringen. Im Ergebnis Kompromiss“ kritisiert, sinngemäß als etwas, was nicht kann man jedoch feststellen: Die bisher verabschiedeten helfe. Sie sagten, man müsse das Übel an der Wurzel Gesetze belegen, dass wir gute und kluge Arbeit geleis- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25171

Andrea Astrid Voßhoff (A) tet haben. Bei einer Vielzahl der Gesetze haben Sie im Deswegen: Mit der Erhöhung sind wir einverstanden, (C) Ergebnis dankenswerterweise zugestimmt. mit dieser Camouflage nicht. Abschließend sei mir noch erlaubt, auf ein Anliegen Zweitens komme ich zur Nationalen Stelle zur Verhü- der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einzugehen. Wir tung von Folter. Dazu möchte ich eines sagen, Herr schauen hin und wieder auch in die Länder hinein. Auf Kollege Thomae: Im Mai nächsten Jahres wird mit den der JuMiKo der Länder ist unter anderem ein Beschluss Ländern verhandelt. Die Bundesregierung muss verhan- gefasst worden, der aus unserer Sicht sinnvoll und rich- deln; das ist richtig. Es ist aber ein Fehler, dass der Bund tig ist. Es geht darum, Schüler in den Schulen stärker vor hier und heute diesen skandalösen Zustand nicht auch sexuellen Übergriffen durch Lehrer zu schützen. Auf- dadurch behebt, dass er seinen eigenen Anteil aufstockt. grund zweier Entscheidungen des OLG Koblenz wissen Dass Sie sich da verweigert haben, ist ein großer Fehler. wir, dass es eine Schutzlücke gibt. Es kann nicht sein, dass das Gesetz nicht zur Anwendung kommt, nur weil (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Lehrer nicht der Klassenlehrer, sondern ein Vertre- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der tungslehrer war. Die Strafbarkeit der Handlung darf LINKEN) nicht davon abhängen. Aus Sicht der Union ist das eine Nun zu meinem dritten Punkt, liebe Kolleginnen und Schutzlücke. Kollegen: der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kom- (Beifall bei der CDU/CSU) mission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufar- beitung der NS-Vergangenheit. Diese Kommission ist Ich bin den Bundesländern Bayern und Rheinland-Pfalz notwendig. Es ist richtig, dass es sie gibt. Es ist gesagt dankbar, dass sie eine Gesetzesinitiative auf den Weg worden, sie hätte viel früher kommen müssen. Jetzt ist bringen wollen. Aus unserer Sicht ist das ein unterstüt- sie da. Das wird von uns befürwortet. Sie ist auch finan- zenswertes Vorhaben. ziell ausgestattet. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Was ist ihre Aufgabe? Ihre Aufgabe – ich zitiere da im- mer Verlautbarungen des Justizministeriums – ist die fol- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gende: Es soll erforscht werden, wie groß der Personen- kreis ist, der in der NS-Zeit bereits im Sinne des Systems Vizepräsidentin Petra Pau: aktiv war und nach 1949 im Bundesjustizministerium tä- Nun hat der Kollege Jerzy Montag für die Fraktion tig war. Es soll herausgefunden werden, inwieweit ideo- Bündnis 90/Die Grünen das Wort. logisches nationalsozialistisches Gedankengut bei der Reform des Strafrechts und der Ausgestaltung des politi- (B) schen Strafrechts in der Bundesrepublik Deutschland (D) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fortgewirkt hat. – So weit, so gut. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will in der kurzen mir zur Verfügung stehenden Zeit Dann lese ich in einer Antwort auf eine Anfrage von drei Bemerkungen machen. Alle haben mit Geld und uns – ich darf zitieren –: Ausgangspunkt der Arbeit die- dem Justizhaushalt zu tun. ser Kommission ist „der im Nürnberger Juristenprozess entwickelte Maßstab für das Verhalten von Ministerial- Erstens. Sie haben dankenswerterweise die Mittel für beamten, Richtern und Staatsanwälten“. Da habe ich ge- den Härtefallfonds für Opfer rechtsextremistischer Über- stutzt und mich gefragt: Was bedeutet das? Das ist im- griffe wieder erhöht. Ich darf daran erinnern, wann die- merhin eine schriftliche Aussage Ihres Hauses. ser Fonds eingerichtet worden ist. Er ist eingerichtet worden, als in Deutschland die Häuser brannten, als Ich fasse zusammen: Grundlage dieses Juristen- Asylbewerber um ihr Leben bangen mussten, als es in prozesses war das Recht der Besatzungsmächte. Der Mölln und Solingen Tote gegeben hat, Opfer rechts- Chefankläger hat zu Beginn dieses Prozesses gesagt: Es extremen Terrors. Deswegen haben die damalige rot- geht nicht um Täter im letzten Glied, es geht nur um die, grüne Bundesregierung und die Koalition aus Rot-Grün die für Morde, Misshandlungen und Gräueltaten verant- einen Härtefallfonds für Opfer rechtsextremistischer Ge- wortlich sind. – Angeklagt wurden Kriegsverbrechen, walt eingerichtet. Seitdem ist das – bis zum heutigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Zugehö- Tage – ein Fonds für Opfer rechtsextremistischer Gewalt rigkeit zu Organisationen wie der NSDAP, der Gestapo geblieben. Wir haben praktisch keine Abflüsse für an- oder des SD. dere Opfer, insbesondere keine für Opfer linksextremis- tischer Gewalt, obwohl es auch die gibt. Jetzt aber Interessant ist, dass das Bundesjustizministerium als – nach den NSU-Morden – ist evident klar, dass wir ein herausragendes Beispiel für die Kontinuität des auch in dieser Frage handeln müssen. Es ist damals Nationalsozialismus in die Bundesrepublik hinein den – Frau Voßhoff, das ist mein Ceterum Censeo – ein Feh- Namen Massfeller genannt hat. Ich habe nachgeschaut, ler gewesen, und es bleibt ein Fehler, dass Sie diesen wer der Herr Massfeller war. Er war Kommentator des Fonds seines Namens entkleidet haben und versteckt ha- Blutschutz- und Eheschutzgesetzes und dann bis 1960 ben, worum es hier gesellschaftlich geht. Ministerialdirektor im Bundesjustizministerium. Er war aber nie Mitglied der NSDAP, und er war nie Mitglied (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SS. Deswegen stellt sich für mich die Frage: Was be- bei der SPD und der LINKEN – Alexander deutet „Ausgangspunkt für diese Arbeit sind die Maß- Funk [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!) stäbe des Nürnberger Juristenprozesses“? 25172 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Jerzy Montag (A) Ich bitte Sie an dieser Stelle ganz deutlich: Klären Sie eine gute Nachricht. Diese gute Nachricht müssen wir (C) das auf! Sagen Sie, ob wir befürchten müssen, dass tat- laut verkünden; denn die Stiftung für internationale sächlich nur ein sehr kleiner Teil von Mördern und rechtliche Zusammenarbeit hat die Aufgabe, unser deut- Haupttätern ins Visier dieser Untersuchung kommt, oder sches Rechtssystem bzw. unser Verständnis vom Recht ob tatsächlich in dem versprochenen Umfang eine unab- in anderen Ländern bekannt zu machen. Die Stiftung soll hängige und vollständige Aufklärung wissenschaftlich sogar dazu beitragen, dass die Rechtssysteme, die jetzt in überprüft wird. Mir ist das ein echtes Anliegen. Deswe- den Ländern des arabischen Frühlings mit neuen Demo- gen habe ich die Bitte, dass Sie das klarstellen, Frau kratien entstehen, den Charakter des deutschen Rechts- Ministerin. systems annehmen. Das wäre von großem Vorteil. Natürlich wäre das von Vorteil für die deutschen Inves- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN toren, für die Produzenten, überhaupt für all diejenigen, sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- die in diesen Ländern geschäftlich tätig sind. KEN) Ich weiß aber nicht, ob das gelingen wird, insbeson- Vizepräsidentin Petra Pau: dere in den Ländern, die vom Islam beherrscht werden. Der Kollege Norbert Geis hat nun für die Unionsfrak- (Lachen der Abg. Halina Wawzyniak [DIE tion das Wort. LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie haben eine andere Vorstellung vom Recht. Sie mes- sen dem Recht und dem Gesetz eine andere Bedeutung Norbert Geis (CDU/CSU): bei als wir. Das Gesetz hat dort dem Islam zu folgen. Wir Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und hingegen leben in einer freien Demokratie, in einem sä- Herren! Die Rechtspolitik ist unwahrscheinlich facetten- kularen Staat. Wir können stolz darauf sein, dass wir reich. Kaum ein Thema wurde in den einzelnen Wortbei- eine Rechtsordnung haben, die frei ist von religiösen trägen wiederholt angesprochen. Ein Thema hat sich Bindungen. aber doch durchgesetzt. Es ist die Frage, wie wir mit der Datenspeicherung umgehen. Wir brauchen so bald wie (Zuruf des Abg. [SPD]) möglich eine Vorratsdatenspeicherung. Das ist Ergebnis der Aufklärung. Das ist eine Errungen- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – schaft, die wir natürlich erhalten müssen. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Prinzip Hoffnung stirbt zu- Damit habe ich nicht gesagt, dass nicht auch unser (B) letzt!) Recht auf Grundlagen aufbauen muss. Unsere Gesetze (D) müssen eine Grundlage haben. Auch das müssen wir Wir brauchen sie, damit Polizei und Staatsanwaltschaft diesen Ländern, diesen Völkern sagen. Grundlage unse- besser Straftaten verfolgen können, und wir brauchen sie res Rechts ist zunächst einmal unsere Verfassung. In der aus präventiven Gründen. Vor allen Dingen deshalb Verfassung sind die grundlegenden Strukturen benannt, brauchen wir sie. Es ist erwiesen, dass aufgrund der Da- nach denen sich unsere Gesetze zu richten haben. Rich- tenspeicherung Interventionen seitens der Polizei und tet sich ein Gesetz nicht danach, dann ist es verfassungs- der Staatsanwaltschaft möglich sind. Deswegen müssen widrig. Selbst unsere Verfassung ist positives Gesetzes- wir uns dazu durchringen. Wir müssen so schnell als recht. Die Verfassung muss auch – lassen Sie mich das möglich zu einem Ergebnis kommen. Das Verfassungs- ruhig sagen – mit dem der Verfassung vorausgehenden gericht hat in seinem Urteil ganz klar dargelegt, wie man Naturrecht übereinstimmen. Das Naturrecht kann jeder das machen muss. Ich meine, wir sollten auf diesem Weg Mensch bei Gebrauch seines Verstandes, mit seiner Ver- voranschreiten und zu einem guten Ergebnis kommen. nunft erkennen. Immer dann, wenn ein Recht nicht mit (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dieser Grundlage übereinstimmt, dann läuft es sehr NEN]: Keinen Zentimeter sind Sie vorange- schnell Gefahr, gegen die Menschen zu agieren. Wir ha- kommen! Gar nichts hat die Regierung ge- ben das in der Zeit zwischen 1933 und 1945 erfahren. Da macht! – Weitere Zurufe von der SPD und dem hatten wir Gesetze, die sich nach dem Wind gerichtet ha- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ben. Diese Gesetze haben Millionen von Menschen das Leben gekostet. Gerade diese Erfahrung sollten wir im – Sie von der Opposition brauchen sich gar nicht so zu Rahmen der internationalen Zusammenarbeit weiterge- echauffieren. ben. Lassen Sie mich noch einen anderen wichtigen Punkt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nennen. der FDP) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Familienpolitik!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich ein für Sie vielleicht nur am Rande liegendes Herr Funk, Sie haben uns in Ihrem Schreiben zu Wo- Thema ansprechen. Für uns ist es sehr erfreulich, dass es chenbeginn mitgeteilt, dass es in der Bereinigungssit- nun die Konzentration der Gerichtsbarkeit, der Staatsan- zung gelungen ist, die Mittel für die Deutsche Stiftung waltschaft für die Verfolgung von Straftaten, die Bun- für internationale rechtliche Zusammenarbeit um deswehrsoldaten beim Einsatz im Ausland begangen ha- 364 000 Euro auf 4,1 Millionen Euro zu erhöhen. Das ist ben, in Kempten gibt. Wir freuen uns darüber. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25173

Norbert Geis (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Der Anteil der Justiz am Bundeshaushalt ist sehr gering. (C) der FDP – Zuruf des Abg. Stefan Rebmann Wir von der Justiz sind wirklich sparsam. [SPD]) Lassen Sie mich noch ein Letztes ansprechen. Wir be- – Ich weiß nicht, was Sie dagegen haben. – Wir meinen, schäftigen uns seit geraumer Zeit mit der Frage, wie wir dass damit keine Militärgerichtsbarkeit geschaffen mit der Sterbehilfe umgehen. Die Justizministerin hat ei- wurde. Wir meinen auch, dass damit keine Sonderge- nen Gesetzentwurf vorgelegt. Dafür sind wir sehr dank- richtsbarkeit geschaffen wurde. Hier ist vielmehr eine bar. Dieser Gesetzentwurf sieht aber nur die Strafbarkeit Konzentration auf ein Gericht und eine Staatsanwalt- der Sterbehilfe bei gewerbsmäßiger Betätigung vor. Wir schaft erfolgt meinen, dass dies unter Umständen zu wenig ist. Ich will jetzt nicht über die Traditionen in anderen Ländern spre- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen, die die Beihilfe zum Suizid insgesamt ablehnen NEN]: Das ist doch ein Sondergericht!) und unter Strafe stellen, zum Beispiel Österreich. und damit eine Konzentration auf Kompetenz. Ich Man muss immer bedenken: Der, der sich umbringt, meine, dass dadurch schneller, präziser und unter Um- bringt sich nur selbst um, aber der, der Beihilfe leistet, ständen mit mehr Sachkenntnis geurteilt werden kann. bringt einen anderen Menschen um. Deswegen sollte man sich fragen, ob man eine solche Beihilfe nicht gene- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rell unter Strafe stellen sollte, wie es in anderen Ländern NEN]: Herr Geis, es ist doch ein Sonderge- der Fall ist. Dies ist nicht unbedingt unser Ziel. Aber wir richt, wenn es nur eines ist! – Gegenruf des sollten das bedenken, was uns viele Organisationen sa- Abg. Stephan Thomae [FDP]: Gerichtsstand!) gen, die sich mit der Suizidvermeidung beschäftigen. Sie sagen: Es geht nicht allein um die gewerbsmäßige Bei- – Nein, es ist kein Sondergericht. Das ist es wirklich hilfe, sondern es müsste auch um diejenigen gehen, die nicht. Der gemeinsame Gerichtsstand ist noch kein Son- organisiert oder geschäftsmäßig eine solche Beihilfe be- dergericht. Das wissen doch auch Sie. treiben. Lassen Sie mich ein weiteres Thema ansprechen: die (Beifall bei der CDU/CSU) Modernisierung des Kostenrechts. Wir haben beim Kos- tenrecht Schwierigkeiten mit den Ländern. Ich bin sehr Das müssen wir, glaube ich, bei diesem Thema beden- damit einverstanden, dass die Anwaltschaft durch die ken. Modernisierung des Kostenrechts besser gestellt wird. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Das ist gut. Wir brauchen die Anwaltschaft. Das sage ich (B) nicht, weil ich selber Anwalt bin, sondern weil wir die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) Anwaltschaft als Rechtspflegeorgan brauchen. Sie muss neten der FDP) vernünftig dotiert sein. Aber wir werden Schwierigkeiten mit den Ländern Vizepräsidentin Petra Pau: bekommen. Die Länder kritisieren an den vorliegenden Das Wort hat der Kollege Christoph Strässer für die Vorschlägen insbesondere, dass so nicht einmal annä- SPD-Fraktion. hernd die Selbstkosten der Justiz gedeckt werden. Das (Beifall bei der SPD) ist auch nicht das Ziel der Länder. Das Ziel der Länder ist – dafür müssen wir, glaube ich, ein offenes Ohr haben –, dass im Rahmen der Modernisierung des Kostenrechts Christoph Strässer (SPD): zumindest ein Inflationsausgleich erfolgt. Seit 1994 wur- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! den die Gerichtskosten nicht verändert. Inzwischen sind Lieber Herr Kollege Geis, nur eine Anmerkung zu Ihren 18 Jahre vergangen. Wir haben eine Inflationssteigerung Einlassungen zum Rechtsstaat und zum Staatsverständ- von 22 Prozent, während wir eine Steigerung der Ge- nis in anderen Kulturen: Natürlich haben wir andere richtskosten um lediglich 4 Prozent planen. Das ist zu Auffassungen davon, was einen Rechtsstaat ausmacht, wenig. Deswegen werden die Länder darauf pochen wie man mit einem Rechtsstaat umzugehen hat und für – dafür müssen wir ein offenes Ohr haben –, dass hier was er die Grundlage ist. Aber ich empfehle bei der Aus- noch eine Verbesserung stattfindet. einandersetzung mit sich entwickelnden Staaten auch ein Stück weit Demut; das sage ich ganz offen. Denn der Allerdings sollte man die Länder auch darauf hinwei- Weg, den wir hinter uns gebracht haben, der Weg von sen, dass sie die Wichtigkeit der Justiz oft verkennen. der Aufklärung bis zur Schaffung einer funktionierenden Die Bedeutung der Justiz für unseren Rechtsstaat wird Justiz, hat 300 Jahre gedauert. Das sollten wir im Hinter- meiner Meinung nach in den Ländern nicht richtig ge- kopf haben, wenn wir von anderen Staaten erwarten, würdigt. Die Justiz kostet Geld, aber andere Dinge kos- dass sie sich innerhalb von zehn Jahren so entwickeln, ten auch Geld. Die Justiz leistet einen wichtigen Beitrag. wie wir es für richtig halten. Ich finde, das ist nicht der Sie sorgt dafür, dass das Rechtsleben in unserer Gesell- richtige Umgang mit diesen Staaten. Das wird auch der schaft funktioniert. Daher sollten die Länder auch ein Situation in diesen Ländern nicht gerecht. wenig mehr Mittel für die eigene Justiz bereitstellen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Zuruf des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der DIE GRÜNEN]) LINKEN) 25174 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Christoph Strässer (A) Ich möchte zwei Themen ansprechen, von denen ei- Christoph Strässer (SPD): (C) nes heute schon genannt worden ist. Für ganz zentral Ich muss reklamieren, dass die Uhr mitgelaufen ist; – nicht nur für die Rechtspolitik und die Menschen- das war nicht der Sinn der Geschichte. rechtspolitik in unserem Land, sondern auch für unser (Stephan Thomae [FDP]: Dafür kann ich aber internationales Ansehen – halte ich die schon mehrfach nichts!) angesprochene Nationale Stelle zur Verhütung von Fol- ter. Herr Kollege Thomae, es tut mir leid; aber ich kann – Dafür können Sie nichts. Ihnen nicht folgen, wenn Sie sagen: Da muss geprüft werden. – Wir wissen alles. Ich zitiere aus einer Unter- Vizepräsidentin Petra Pau: richtung der Bundesregierung vom 2. April dieses Jah- Das ist richtig; das können Sie nicht beeinflussen. – res, unter anderem unterschrieben vom Leiter der Bun- Diese Zeit wird die Präsidentin draufschlagen. Entschul- desstelle, Herrn Lange-Lehngut. In Klammern: Ich digung! möchte dem Mann und auch den vier Personen, die die Länderstelle koordinieren, zumindest im Namen meiner Fraktion ganz herzlich und ausdrücklich für das danken, Christoph Strässer (SPD): was sie unter unwürdigen Bedingungen tun, um das Re- Wir befinden uns im Deutschen Bundestag und bera- nommee unseres Landes zu stärken. ten den Haushalt des Bundesministeriums der Justiz. In diesem Etat ist für die Nationale Stelle zur Verhütung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten von Folter ein Betrag von 100 000 Euro eingeplant. Das des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ist ein Betrag, dessen Höhe der Deutsche Bundestag än- In der Unterrichtung der Bundesregierung steht – ich dern kann. zitiere –: Wir haben etwas getan, was ich auch von Ihnen er- wartet hätte: Wir haben alle Landesregierungen, an de- Mit den vorhandenen personellen und finanziellen nen wir beteiligt sind, angeschrieben und aufgefordert, Mitteln kann die Nationale Stelle ihren gesetzlichen sich einer entsprechenden Regelung nicht zu verschlie- Auftrag, wie er sich aus dem Fakultativprotokoll er- ßen. Aber das hindert den Deutschen Bundestag doch gibt, nicht erfüllen. Mit nur fünf ehrenamtlichen nicht daran, im Hinblick auf den Teil, für den er den Mitgliedern und Mitteln für nur drei wissenschaftli- Haushalt aufstellt, autonom die Entscheidung zu treffen: che Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie einer Wir erhöhen unseren Anteil und setzen damit auch die Fachangestellten für Bürokommunikation sind die Länder unter Druck. – Herr Kollege, ich verstehe Sie an Kapazitäten für die regelmäßige Prüfung mehrerer dieser Stelle nicht. tausend Gewahrsamseinrichtungen absolut unzurei- (B) chend. Gerade weil die Nationale Stelle sich nicht (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Aber das (D) als Feigenblatt betrachten will und nach ihrem ge- liegt doch am Verhalten der SPD!) setzlichen Aufrag einen wirksamen Beitrag zur Prä- vention von Folter und Misshandlung leisten muss, Wir machen uns auf internationaler Ebene absolut lä- ist eine erhebliche personelle und finanzielle Auf- cherlich. Lesen Sie bitte einmal den Bericht des UN- stockung erforderlich. Ausschusses gegen Folter, den fünften Staatenbericht. Darin wird Deutschland ohne Ende kritisiert, weil wir Da ist nicht die Rede von einem Prüfauftrag. Das schrei- das nicht ordentlich umsetzen. Das wäre aber unsere ben Praktiker, die das jeden Tag umsetzen und sich von Aufgabe. Wir können sie nicht auf wen auch immer ab- uns ein bisschen auf den Arm genommen fühlen. schieben. Hier müssen wir unsere Hausaufgaben ma- chen. Deshalb haben wir einen maßvollen Antrag einge- Vizepräsidentin Petra Pau: bracht. Ich wiederhole, was der Kollege Funk gesagt hat: Kollege Strässer, gestatten Sie eine Frage? Es ist Geld da. – Sie setzen allerdings andere Prioritäten; das sollten Sie sagen. An dieser Stelle machen Sie einen politischen Fehler. Wir brauchen für diese Stelle mehr Christoph Strässer (SPD): Geld; sonst sind wir international nicht konkurrenzfähig. Selbstverständlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Stephan Thomae (FDP): des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulas- Man sollte sich auch einmal die Situation in unseren sen. – Da dieses Thema schon mehrfach zur Sprache Nachbarstaaten anschauen; ich glaube, dass das sinnvoll kam, würde ich Sie bitten, mir Folgendes zu erklären: ist. Da wir ja gerne über unsere kleineren Nachbarstaa- Wenn es so ist, wie Sie gerade vorgetragen haben, wa- ten, zum Beispiel über die Schweiz, reden, will ich Ihnen rum konnten sich die SPD-Justizminister der Länder in einmal die Zahlen nennen, die bei der Umsetzung dieses der besagten Sitzung nicht entscheiden, den Beitrag der Abkommens in der Schweiz eine Rolle spielen. Länder, nämlich zwei Drittel, selber aufzustocken, und Wir haben fünf ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und warum haben auch die SPD-Justizminister gesagt – das Mitarbeiter, ein kleines Land wie die Schweiz hat zwölf. war nämlich ein einstimmiger Beschluss aller Landes- Die Schweiz hat in ihrem Etat umgerechnet 290 000 justizminister in der JuMiKo –, dass erst eine Prüfung Euro zur Finanzierung einer solchen Präventionsstelle erfolgen müsse? eingestellt, bei uns sind es insgesamt 300 000 Euro. Da (Gisela Piltz [FDP]: Ja! So ist das!) können Sie mir nicht ernsthaft erzählen, dass wir in einer Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25175

Christoph Strässer (A) schwierigen Situation wären, wenn wir diese Haushalts- kenntnis zur eigenen Rechtsordnung. Wir sollten da (C) titel umsetzen würden. Noch eine Zahl zu Frankreich: nicht ausweichen. Aber man kann das – Sie haben das Dort gibt es 16 Teilzeitmitarbeiter, und der Etat beträgt richtig erwähnt, und da stimme ich mit Ihnen überein – mehr als 3 Millionen Euro. Lassen Sie uns zumindest im nicht mit dem Holzhammer machen, sondern man muss nächsten Haushaltsjahr gemeinsam für eine ordentliche versuchen, es im Gespräch und mit Überzeugung durch- Ausstattung sorgen. Alles andere ist aus meiner Sicht zusetzen. nicht in Ordnung. Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Was den Justizhaushalt im eigentlichen Sinne betrifft, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: möchte ich, auch wenn wir heute letztendlich keine Zah- Herr Strässer, möchten Sie reagieren? – Bitte sehr. len infrage stellen wollen, an dieser Stelle die Arbeit und die Zukunft des Deutschen Instituts für Menschenrechte Christoph Strässer (SPD): thematisieren. Dieses Institut ist eine nationale Men- Dieser Interpretation des Kollegen Geis habe ich schenrechtsorganisation, die gemäß den internationalen nichts entgegenzusetzen. Kriterien in der Stufe A – das ist die höchste Stufe – ge- ratet worden ist. Es besteht allerdings die Gefahr, dass das Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Institut diesen Status verliert. Der Hintergrund ist ganz Dann gebe ich das Wort dem Kollegen Thomas einfach: Den Pariser Kriterien zufolge müssen die natio- Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion. nalen Menschenrechtsinstitute eine unabhängige Grund- lage bekommen. Dazu bedarf es einer gesetzlichen Rege- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und lung, die der Deutsche Bundestag verabschieden muss. der FDP) Frau Ministerin, ich weiß, dass daran, wie es mit die- sem Institut weitergeht, ein Stück weit Ihr Herz hängt. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Wenn Deutschland im Menschenrechtsrat demnächst Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! seinen UPR-Bericht präsentiert, wird das Deutsche Insti- Der Koalitionsausschuss hat sich Anfang November da- tut für Menschenrechte möglicherweise nicht mehr mit- rauf verständigt, dass wir bereits im Jahr 2013 und nicht diskutieren dürfen, weil es nicht mehr A-geratet ist. erst 2016 die Schuldenbremse des Grundgesetzes einhal- ten werden Insbesondere in der Fraktion der CDU/CSU gibt es lei- der keine Bereitschaft – wir haben es versucht; Sie haben (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mir auf eine Anfrage geantwortet –, einen Gesetzentwurf (B) und dass wir 2014 einen strukturell ausgeglichenen Bun- (D) einzubringen, der eine solche gesetzliche Grundlage deshaushalt, also eine schwarze Null, erreichen wollen. schafft. Deshalb meine herzliche Bitte: Legen Sie den Dazu müssen alle mit spitzem Bleistift rechnen und ih- Fraktionen des Deutschen Bundestages einen entspre- ren Beitrag zur Konsolidierung leisten. chenden Vorschlag vor! Ich kann Ihnen versichern: Er wird in diesem Hause eine Mehrheit bekommen. Wenn Als Rechtspolitiker sind wir uns darüber im Klaren, das nicht passiert, dann kommt es international zu einem dass der Justizetat mit etwa 0,2 Prozent des Gesamthaus- absoluten Desaster für die Menschenrechtspolitik der halts nur einen geringen Anteil daran haben kann. Aller- Bundesregierung und der Bundesrepublik Deutschland. dings geht der Justizhaushalt, was die Kostendeckung Kommen Sie bitte in die Puschen und legen Sie etwas angeht, mit sehr gutem Beispiel voran: 80 Prozent des vor! Wir sorgen für Mehrheiten. Justizetats sind selbst erwirtschaftet. Das liegt insbeson- dere an der guten Bilanz des Deutschen Patent- und Mar- (Beifall bei der SPD) kenamtes in München. Dies ist im Übrigen ein dezenter Hinweis darauf, welche Werte hinter geistigem Eigen- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tum stecken, ganz anders als das manche Verfechter ei- Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem ner Kostenlos-Mentalität im Internet zu propagieren ver- Kollegen Geis. suchen. Auch fachlich kann sich die Bilanz der Rechtspoliti- Norbert Geis (CDU/CSU): ker sehen lassen. Viele Gesetzesvorhaben sind bereits Herr Kollege Strässer, ich weiß nicht, ob Sie mich rü- abgeschlossen, einige liegen noch vor uns. gen wollten. In meiner Rede, in der ich auf die Aufgabe Wir haben, wenn ich das Mediationsgesetz heraus- der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zu- greifen darf, die Quadratur des Kreises geschafft, indem sammenarbeit eingegangen bin, habe ich ausdrücklich wir mit einem solchen Gesetz sowohl den Bürgern als gesagt, dass ich Bedenken habe, ob es gelingt, unser auch der Verwaltung Erleichterung verschaffen. Wir er- Rechtssystem in die Länder des arabischen Frühlings zu möglichen es den Beteiligten, bei rechtlichen Streitigkei- übertragen, und zwar aus den Gründen, die Sie selber ge- ten nicht sofort den Klageweg beschreiten zu müssen. nannt haben. Ich bin der Meinung, dass das ein schwieri- Vielmehr haben wir einen Rahmen dafür geschaffen, ges Unterfangen ist. dass die Parteien vorab außergerichtlich in einem struk- Die Stiftung nimmt sich dieser Aufgabe an. Dazu ge- turierten Verfahren, eben mit Unterstützung eines Me- hört – da kann ich mit Ihnen übereinstimmen – Demut; diators, eine einvernehmliche Lösung erzielen können. es gehört aber auch Mut dazu und natürlich auch das Be- Diese neue Art der Streitkultur kann die Kosten in erheb- 25176 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Thomas Silberhorn (A) lichem Maße senken. Sie wird die Gerichte entlasten. Sie klar bestimmt sind. Wir haben durchaus darauf geachtet, (C) wird vor allem die Nerven aller Beteiligten schonen. dass die Interessen von Vermietern und Mietern in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dass wir das Mietminderungsrecht für drei Monate ausschließen, was vonseiten der Opposition besonders Natürlich kann eine gütliche Einigung immer auch im kritisiert wird, ermöglicht durchaus einen angemessenen Gerichtsverfahren erreicht werden. Deshalb bin ich sehr Ausgleich. froh darüber, dass wir mit dem Modell des Güterichters die Möglichkeit geschaffen haben, dass die Richter, die (Widerspruch der Abg. Halina Wawzyniak schon bisher gerichtliche Mediation betreiben, ihre [DIE LINKE]) Kenntnisse, ihre Erfahrungen als Güterichter künftig Ich darf daran erinnern, dass wir im Koalitionsvertrag weiterhin einsetzen können. Im Übrigen haben wir es noch den vollständigen Ausschluss des Mietminderungs- den Ländern ermöglicht, durch eine Ermäßigung der Ge- rechts vorgesehen hatten. Wir sind davon abgekommen bühren bei einvernehmlichem Abschluss eines Gerichts- und haben einen Kompromiss erarbeitet, der den Aus- verfahrens Anreize zu setzen. Auch das zeigt, dass wir schluss des Mietminderungsrechts auf drei Monate be- flexibel in unserer Gesetzgebung sind und unterschiedli- fristet. Das soll einerseits ein Anreiz für die Vermieter chen Bedürfnissen der Länder Rechnung tragen. sein, die energetische Sanierung tatsächlich anzugehen. Das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ist schon an- Andererseits bietet es auch die Chance, dass energeti- gesprochen worden. Es geht uns darum, dass wir eine sche Modernisierungsmaßnahmen durch den Vermieter angemessene Ausstattung der Justizhaushalte gewähr- zügig durchgeführt werden. Für den Mieter ist das aus leisten und auch den hohen Standard unserer Rechtspre- meiner Sicht keine unzumutbare Beeinträchtigung; denn chung in Deutschland erhalten können. Aus der Kosten- die Mieter selbst profitieren ja von der energetischen Sa- ordnung wird ein Gerichts- und Notarkostengesetz, und nierung durch niedrigere Nebenkosten. aus der Justizverwaltungskostenordnung wird ein Justiz- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) verwaltungskostengesetz. Im Detail geht es darum, dass wir bestehende Normen vereinfachen, dass wir sie an Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gesetz- übrige Kostengesetze angleichen und dass wir insbeson- entwurf zur Änderung des Mietrechts sieht endlich auch dere für die Bürger ein gehöriges Maß an Transparenz eine Regelung dafür vor, der Unsitte des Mietnomaden- schaffen. Ich sage aber auch: Es geht bei diesem Gesetz tums zu begegnen. auch darum, dass Gebühren, Honorare und Entschädi- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie über- gungen der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung treiben das!) (B) angepasst werden. (D) Dabei empfinde ich den Begriff Mietnomadentum als ei- Der Bundesrat hat nun eine Fülle von Änderungswün- nen Euphemismus. Dies ist eine Diskriminierung von schen eingereicht. Wir sind in enger Abstimmung mit Nomaden. Wir haben es hier schlichtweg mit Mietbetrü- den Ländern. Frau Justizministerin, ich plädiere durch- gern zu tun. Es geht um Betrug. aus dafür, dass wir den spezifischen Gegebenheiten der Länder dort entgegenkommen, wo wir Spielräume haben (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und wo die Länder ihre eigene Praxis fortführen wollen. Es sind vor allem private Vermieter, die solchen Betrü- Das Mietrechtsänderungsgesetz ist ein zentrales Vor- gereien hilflos ausgeliefert sind und nicht selten vor dem haben der Rechtspolitiker. Dies zeigt, dass wir mit finanziellen Ruin stehen. Rechtspolitik grundlegende Weichenstellungen auch an (Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- anderer Stelle, nämlich bei der Energiewende, unterstüt- NEN]: Wie viele sind es?) zen. Wir brauchen erhebliche Anstrengungen bei der Energieeinsparung und bei der Energieeffizienz in unse- Deswegen ist es wichtig, dass wir diesen Vermietern rem Land. wirksame Instrumente an die Hand geben, um Einmiet- betrügern das Handwerk zu legen. (Dr. Eva Högl [SPD]: Müssen alles die Mieter zahlen!) In Bezug auf die gemeinsame elterliche Sorge sind wir mit unserem Gesetzentwurf sehr weit gekommen. In Deswegen ist es wichtig, dass veraltete Heizungsanlagen der nächsten Woche findet die Sachverständigenanhö- modernisiert und der Missstand von fehlenden Wärme- rung statt. Mir ist wichtig, dass wir das Kindeswohl in schutzdämmungen beseitigt wird; denn diese Defizite das Zentrum unseres Interesses stellen. Wir werden da- sind dafür verantwortlich, dass Wohngebäude einen ho- für sorgen, dass die gemeinsame elterliche Sorge künftig hen Anteil am Gesamtenergieverbrauch in unserem als Regelfall angesehen wird, die dem Wohl des Kindes Land ausmachen. 40 Prozent des Energieverbrauchs und am besten dient. ein Drittel aller CO2-Emissionen entfallen auf den Ge- bäudebereich. Lassen Sie mich zur Sicherungsverwahrung nur an- führen, dass wir die Gesetze, die es den Ländern ermög- Das Gesetz zur Änderung des Mietrechts setzt genau lichen, die neue Form der Therapieunterbringung zu re- da an. Die Zielsetzung ist, die energetische Sanierung alisieren, jetzt rechtzeitig auf den Weg gebracht haben. leichter zu ermöglichen als bisher. Wir fassen diesen Tat- Damit stellen wir sicher, dass keine gefährlichen Straftä- bestand genauer, sodass Modernisierungsmaßnahmen ter mehr in die Öffentlichkeit entlassen werden, wenn sie Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25177

Thomas Silberhorn (A) nach Verbüßung der Haftstrafe noch eine erhebliche Ge- Vielen Dank. (C) fahr für Leib und Leben unserer Bürger darstellen. Dass (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – ein kleiner Wermutstropfen aus Sicht der Union bleibt, Christian Lange [Backnang] [SPD]: An Sie? darf ich anführen. Die nachträgliche Therapieunterbrin- CSU?) gung hätten wir gerne realisiert. Aber wir sind immerhin zu einem guten Abschluss gekommen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Damit schließe ich die Aussprache. Ulrich Kelber [SPD]: Was ist denn mit dem Gesetz gegen die Abmahnabzocke?) Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- plan 07, Bundesministerium der Justiz, in der Aus- Lassen Sie mich zuletzt die Vorratsdatenspeicherung schussfassung. ansprechen. Sie ist nicht nur notwendig, weil es eine eu- ropäische Vorgabe dafür gibt, sondern sie ist auch des- Es liegt Ihnen ein Änderungsantrag der SPD auf halb notwendig, damit unsere eigenen Sicherheits- und Drucksache 17/11523 vor, über den wir zuerst abstim- Ermittlungsbehörden tätig werden können. Es geht dabei men. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent- nicht um eine anlasslose Speicherung von Daten, haltungen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zu- stimmung durch die einbringende Fraktion und durch die (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Fraktion Die Linke. Die Koalitionsfraktionen haben da- GRÜNEN]: Doch! Genau darum geht es! An- gegen gestimmt, Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthal- lasslose Speicherung von Daten!) ten. und es geht auch nicht um die Speicherung von Kommu- Wir kommen nun zu dem Einzelplan 07 in der Aus- nikationsinhalten auf Vorrat, sondern es geht ausschließ- schussfassung. Wir stimmt dafür? – Wer stimmt dage- lich um die Sicherung von Verkehrsdaten, gen? – Enthaltungen? – Damit ist der Einzelplan 07 in (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Anlass- der Ausschussfassung angenommen. Zugestimmt haben los!) CDU/CSU und FDP, dagegen gestimmt haben SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen. um schwerste Straftaten zu verhindern und die Verfol- gung von schwersten Straftaten zu ermöglichen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel- plan 19, Bundesverfassungsgericht. Wer stimmt dafür? – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der neten der FDP) Einzelplan 19 einstimmig angenommen. (B) Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt I.7 auf: (D) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Einzelplan 16 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Ich würde mir wünschen, dass wir das Stigma „Ver- – Drucksachen 17/10823, 1710824 – meintliche Datenspeicherung auf Vorrat“ überwinden Berichterstattung: und uns bei der etwas irregeleiteten öffentlichen Debatte Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte auf das Interesse an der Verkehrsdatensicherung konzen- Uwe Beckmeyer trieren würden; denn, Frau Justizministerin, wir wollen Stephan Thomae ja schließlich auch nach der nächsten Bundestagswahl Michael Leutert weiter regieren. Sven-Christian Kindler (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der Christian Lange [Backnang] [SPD]: Außer Ih- SPD sowie fünf Änderungsanträge der Fraktion Die nen will das keiner! – Jerzy Montag [BÜND- Linke vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist doch die Sache Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir am schon gelaufen!) Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen wer- Gestatten Sie mir einen abschließenden Satz, Frau den. Präsidentin. Verabredet ist es, über diesen Einzelplan eineinhalb Stunden zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das waren jetzt schon fast zwei abschließende Sätze. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Das Justizressort geht mit gutem Beispiel voran. Wir (Beifall bei der SPD) haben einige wegweisende Gesetze auf den Weg ge- bracht. Das, was noch aussteht, werden wir bis zur Wahl Uwe Beckmeyer (SPD): liefern, damit wir 2013 ein bestelltes Haus an uns selbst Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und weitergeben können. Herren! Der Haushalt 2013 des Umweltressorts ist heute 25178 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Uwe Beckmeyer (A) unser Thema. Doch ich denke, er ist unauflösbar mit will das zunehmend unangenehme Thema irgendwie ab- (C) dem Thema „Energiewende in Deutschland“ verbunden. moderieren. So fehlen auch klare Prioritäten in dem Hier hat unser Land allerdings kein Alleinstellungsmerk- heute vorliegenden Bundeshaushalt 2013. Um die Ener- mal. Wir lernen aus den Medien, dass in China, in den giewende voranzubringen, brauchen wir Zukunftsinves- USA, in Japan, in Brasilien und anderswo ebenfalls über titionen in erneuerbare Energien und in den nationalen eine Energiewende diskutiert wird. Man sieht: Deutsch- und internationalen Umwelt- und Klimaschutz. land befindet sich auch hier in harter internationaler Konkurrenz. Auch deshalb kann die Antwort dieser Herr Minister, dieser Bundesregierung und damit Bundesregierung nicht lauten: Energiewende vertagt. auch Ihnen läuft die Energiewende aus dem Ruder. Sie ernten überwiegend harsche Kritik für Ihre Energie- Doch diesen Eindruck gewinnt man, wenn man sich pläne. Die Energiewirtschaft ist unzufrieden. Die Länder die aktuellen Beschlüsse von Union und FDP zum Bun- werten Ihr Quotenmodell als falsches Signal. Sie errei- deshaushalt anschaut. Auch das Gegeneinander der ver- chen nur noch – das ist schlimm – eine gewaltige Verun- antwortlichen Minister, ehemals Röttgen, jetzt Altmaier sicherung bei vielen Investoren, insbesondere bei denen, sowie Rösler und Aigner, signalisiert der Wirtschaft die sich im Bereich der erneuerbaren Energien engagie- Chaos und schafft vor allen Dingen Planungsunsicher- ren wollen. heit. Doch statt diese konfuse Politik der schwarz-gelben Regierungskoalition durch klare Entscheidungen zu be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten enden, schaut die Kanzlerin nur zu. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wohl Die Energiepolitik ist eine andere Liga und lässt sich wahr!) nicht durch Küchendiplomatie voranbringen. Warten wir einmal ab, was der Anfang November ange- Warum lassen Sie es zu, dass Herr Rösler und Frau kündigte nationale Dialog wirklich bringt. Seit der An- Aigner sich in diesem Feld tummeln? Ihr politischer kündigung der neuerlichen Energiewende im Juni 2011 Partner greift Sie immer unverhohlener an. Wenn es sind bereits eineinviertel Jahre verloren. richtig ist, dass es zu viele Steuerbefreiungen bei den so- Um was geht es? Wir brauchen eine sozial verant- genannten energieintensiven Unternehmen gibt – und es wortliche Energiepolitik. Was heißt das? Wir Sozialde- ist richtig –, warum handeln Sie dann nicht? Wo sind mokraten wollen, dass die Energiewende bezahlbar Ihre Vorschläge für härtere Stromsparauflagen bei eben- bleibt und dass dabei das Potenzial der erneuerbaren diesen energieintensiven Unternehmen? Energien genutzt wird, aber auch, dass die Lasten ge- recht verteilt werden. Die Energiewende ist ohne Frage ein gesamtgesell- (B) schaftliches Projekt; doch sie obliegt Ihrer Verantwor- (D) Es wird in letzter Zeit in Deutschland viel zu wenig tung als Ressortchef. Leider ist diese Regierung ohne über die Chancen der erneuerbaren Energien gespro- überzeugenden Plan. Aber die Deutschen lassen sich chen. nicht täuschen. Sie verlieren zu Recht das Vertrauen in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die Regierung Merkel. 70 Prozent der Deutschen werfen DIE GRÜNEN) der Regierung vor, sie bediene nur die Interessen einzel- ner Gruppen. Richtig! 75 Prozent meinen, das Gemein- Statt langfristige Umweltschäden und hochgefährliche wohl stehe bei dieser Bundesregierung nicht im Mittel- Abfälle zu produzieren, sparen sie Kosten für den Import punkt. Auch richtig! 65 Prozent der Deutschen sind der von Brennstoffen, und wir werden weniger abhängig Überzeugung, dass sich Merkels Regierung gar nicht von schwankenden Rohstoffpreisen. Die Energiewende oder nicht sehr stark um die Zukunftsprobleme dieses bedeutet zudem hohe Wertschöpfung im eigenen Land. Landes kümmert. Ebenfalls richtig! Die Energiepolitik Die Alternative ist, viele Milliarden auf die Konten von ist dafür das beste Beispiel. Ölscheichs und in die Gasländer zu überweisen. Doch schon allein im Jahr 2011 sind dank der Ökoenergie Im- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten porte von Öl, Kohle und Gas in Höhe von 7,1 Milliarden des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Euro vermieden worden. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn die Ak- Nach dem Scheitern von Herrn Röttgen sind Sie, Herr teure in die Lage versetzt werden, flexibel und mit ziel- Minister Altmaier, als neuer Bundesumweltminister im gerichteten Instrumenten auf die Herausforderungen des Mai mit hehren Zielen im Zusammenhang mit dem Me- Klimawandels zu reagieren. Ausreichend ausgestattete gathema Energiewende angetreten. Doch Sie müssen Programme sind dafür entscheidend. Was aber passiert aufpassen; denn die Debatte dreht sich gerade: Ihre Ko- mit dem Marktanreizprogramm und der nationalen Kli- alition spricht inzwischen eine andere Sprache. Da wol- maschutzinitiative? Alle diesbezüglichen Anträge unse- len die BDI-Spitze und die FDP das EEG sturmreif rerseits sind abgeschmettert worden. Ich denke, der Kli- schießen und die Energiewende ausbremsen. maschutz ist ein Bereich, in dem auch die Wirtschaft im Grunde nur dann verlässlich agieren kann, wenn sie Pla- (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Quatsch!) nungssicherheit hat. Die Energiewende ist somit auch „Altmaier zwischen allen Stühlen“, titelt der Stern. Die eine der größten wirtschaftspolitischen Herausforderun- Energiewende scheint in der Prioritätenliste der Regie- gen, vor denen wir in der Zukunft stehen. Sie vertun ge- rung Merkel nicht mehr sehr weit oben zu stehen. Man genwärtig partout die Chance, die sich daraus ergibt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25179

Uwe Beckmeyer (A) Wenn wir über Umwelt- und Klimaschutz in Deutsch- Deutschland kostet Geld, und in den Haushaltsberatun- (C) land reden, sollten wir, denke ich, auch etwas zu dem gen sprechen wir jetzt über Geld. Es kostet das Geld der Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ sagen. Bei Steuerzahler und natürlich auch der Stromverbraucher. dem, was wir zurzeit erleben, verdient es dieser Fonds eigentlich gar nicht, dass über ihn gesprochen wird. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE Denn Transparenz, Verbindlichkeit und Verlässlichkeit GRÜNEN]: Es kostet mehr Geld, es nicht zu bei der Finanzierung sind aufgrund der Einnahmerisiken tun, Herr Schulte-Drüggelte!) absolut nicht gegeben. Insofern sind Liquiditätsdarlehen, – Lassen Sie mich doch erst einmal weiter ausführen. die Auflösung von Rücklagen oder Umschichtungen al- lein kein Weg, um Mindereinnahmen auszugleichen und Ich will etwas Positives zur Sonnenenergie sagen. In für Planungssicherheit zu sorgen. Dieses Sondervermö- Mitteleuropa, um einmal eine Zahl zu nennen, kommt gen ist nicht geeignet, die Zukunftsaufgaben der Ener- 80-mal mehr Energie von der Sonne, als hier verbraucht giewende zu bewältigen. werden kann. Das ist auch im manchmal verregneten Deutschland so. Selbst im November geht die Sonne auf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Darin liegt ein ganz großes Potenzial; das will ich beto- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nen. Meine Damen und Herren, dieser Haushalt ist ein Aber die Ausnutzung dieser Sonnenenergie funktio- Haushalt ohne Ehrgeiz. Wir Sozialdemokraten werden niert noch nicht richtig. Wir können diese Energie noch ihn ablehnen. Auch die drei neuen Unterabteilungen im nicht voll ausschöpfen. Das ist das Problem. Wenn wir Ministerium werden es nicht richten. Die Flickschusterei die Mittel und die Methoden anwenden, die jetzt zur von Schwarz-Gelb verfängt sich erneut in verkrusteten Verfügung stehen, dann wird es teuer. Damit sind wir Strukturen. wieder bei den Kosten für die Industrie – Sie haben die- Es zeigt sich, dass seit dem Beginn der Energiewende sen Punkt vorhin angesprochen –; aber wir müssen auch durch Rot-Grün die politisch Verantwortlichen bei CDU/ die Kosten für den Verbraucher sehen, die angestiegen CSU und FDP in diesem Hause zunächst alles unternom- sind. Deutschland läuft Gefahr, durch hohe Strompreise men haben, um diese Energiewende über ein Jahrzehnt Arbeitsplätze in Industrie und Handwerk zu gefährden. zu blockieren. Nun erleben wir ein ähnliches Theater, in- Es besteht zudem die Gefahr, dass Haushalte mit gerin- dem erneut Kräfte in dieser Regierung das Thema ver- gen Einkünften die Strompreise nicht mehr bezahlen stolpern und ausbremsen und damit wieder wichtige Zeit können. verspielen. Gleichwohl hat der Bundestag die Energiewende be- schlossen. Es ist nicht so, wie Sie, Herr Beckmeyer, es (B) Wir müssen jetzt für alle diese verlorenen Jahre be- (D) zahlen. Insofern kann man nur sagen: Es ist Zeit, dass gerade gesagt haben. Die Energiewende wird nicht ver- diese Regierung Merkel abgelöst wird. Denn sie ist die tagt. Sie ist beschlossen worden, und sie wird auch um- schlechteste Regierung, die wir in der Bundesrepublik gesetzt. Ich will das deutlich hier sagen. Deutschland jemals hatten. (Beifall bei der CDU/CSU) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Der vorliegende Haushalt und auch die Entwicklung des (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Energie- und Klimafonds zeigen das. Ich will Folgendes des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) herausstellen: Im Haushalt für 2013 sind deutliche Ver- stärkungen in Sach- und Personaltiteln vorgenommen worden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat unser Kollege Bernhard Schulte- (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das ist wider besseres Drüggelte für die CDU/CSU-Fraktion. Wissen, was Sie hier sagen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hinzu kommen die Gelder aus dem Energie- und Klima- fonds. Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Ich möchte auch die Tatsache ansprechen, dass 40 zu- Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- sätzliche Stellen zur Bewältigung der Energiewende ge- legen! Ich will jetzt nichts zu Ihrer Bewertung über Frau schaffen worden sind. Sie wissen, es werden nur Stellen Merkel sagen. in Bereichen mit hoher Bedeutung geschaffen. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Schade (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ eigentlich! Er traut sich nicht, Stellung zu be- CSU]) ziehen!) 40 neue Stellen für die Energiewende – ansonsten haben Dass Ihre Bemerkung nicht gut war, wissen Sie selber. wir uns in den Haushaltsberatungen zurückgehalten, was die Schaffung neuer Stellen angeht – sind ein Hinweis Ich habe einmal einen zutreffenden Spruch gelesen. darauf, welche Bedeutung wir diesem Bereich beimes- Er lautet: „Die Sonne schickt uns keine Rechnung.“ Das sen. fand ich irgendwie toll. Aber ich glaube, das ist nur die halbe Wahrheit. Denn auch erneuerbare Energien haben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ihren Preis. Der Komplettumbau des Systems hier in neten der FDP) 25180 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Bernhard Schulte-Drüggelte (A) Aber es ist völlig klar, dass das auch bezahlbar sein Eine Koordinierung empfiehlt er aber nicht nur bei den (C) muss. Die Energieversorgung muss verlässlich, sicher Starkstromtrassen, sondern auch bei den Fördersyste- und auch bezahlbar sein. Das sind die drei Ziele, die wir men. Auch da müssen sich die europäischen Staaten bes- uns gesetzt haben. ser abstimmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Unser zentrales Förderinstrument – das wurde gerade der FDP) angesprochen – ist das Marktanreizprogramm. Ich möchte unseren Minister zitieren. Er hat es so auf (Zurufe von der SPD: Oh!) den Punkt gebracht: – Da es sich um das entscheidende Förderinstrument Wir müssen dafür sorgen, dass der Ausbau in einem handelt, muss ich es immer wieder erwähnen. – Im lau- stetigen und berechenbaren Rahmen stattfindet. fenden Jahr stehen dafür 250 Millionen Euro zur Verfü- (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Warum gung. Das Geld reicht aus, wie die Mittelabflüsse zei- macht er dann etwas anderes?) gen; denn es stehen noch Ausgabenreste in Höhe von 116 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist eine wichtige Aussage, und das muss man sich wirklich durch den Kopf gehen lassen. Darüber muss (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Seit wann reicht das man einmal nachdenken. aus?) (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie mich diese Zahlen einmal nennen; schließlich führen wir hier eine Haushaltsdebatte. Im nächsten Jahr Die Energiewende – auch das wurde gerade vom Kol- sinkt der Betrag zwar auf 235 Millionen Euro; das legen Beckmeyer gesagt – birgt enorme Chancen, Chan- stimmt. Aus dem Energie- und Klimafonds kommen cen für die Industrie, Chancen im Bereich der neuen aber 172 Millionen Euro dazu. Technologien und vor allen Dingen Chancen im Bereich der Effizienztechnologie. Es ist ein erhebliches Poten- (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das ist doch aus- zial, das unsere Industrie hier in Deutschland hat. schließlich virtuelles Geld!) Ich möchte noch einen Missstand ansprechen: Der So hängt das zusammen. Damit wird unter dem Strich eine sagt dieses, und der andere sagt jenes. Die Energie- mehr Geld zur Verfügung stehen als in diesem Jahr. Das wende gelingt aber nur dann, wenn die Akteure in Bund ist auch eine gute Maßnahme. und Ländern einigermaßen zusammenarbeiten. Vorhin (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wurde zumindest indirekt das Gemeinwohl angespro- chen. Eine solche Umstellung der Energiepolitik eines Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Entsorgung ra- (B) (D) Staates funktioniert nur, wenn die Akteure wirklich zu- dioaktiver Stoffe. Es ist völlig klar: Wenn Kernkraft- sammenarbeiten und sich nicht gegenseitig behindern. werke abgeschaltet werden, muss auch eine Lösung für die Endlagerung gefunden werden. Ein hoffnungsvolles Zeichen war der Dialog im No- vember, der gerade angesprochen worden ist. Es ist not- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wendig, dass die Ausbaupläne den nationalen Erforder- NEN]: Ach, wirklich? Dass Sie das jetzt mer- nissen angepasst werden. Es muss eine Steuerung geben. ken! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Steue- GRÜNEN) rungskreis auf der Ebene der Staatssekretäre. Auch der – Das ist doch ganz einfach, oder nicht? Wenn es bei der Bundestag hat verlangt, dass ein regelmäßiges Monito- Energiewende einen Konsens gegeben hat – schön, dass ring stattfindet. Das soll im November kommen; das ihr so fröhlich seid –, dann muss es auch bei der Endla- müssen wir uns genau anschauen. Dann sehen wir auch gerfrage einen Konsens geben. die Fortschritte und können bewerten, wie erfolgreich die Energiewende ist. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das finden wir schon lange!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Fröhlichkeit finde ich gut, Taktieren aber nicht. Wenn man jetzt herumtaktiert, um keine vernünftigen Lösun- Ich möchte noch einen weiteren Punkt erwähnen. Die gen zu finden, dann können die Menschen das nicht ver- Energiewende ist nicht nur ein deutsches Projekt. Wir stehen. Sie wollen in diesem Bereich eine Lösung. dürfen dabei die europäische Dimension nicht vergessen. Wir können nicht so tun, als ob wir auf einer Strominsel (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lebten. Das geht nicht. Ich möchte den deutschen Ener- Herr Minister Altmaier hat immer wieder betont, dass giekommissar Günther Oettinger zitieren, der gesagt hat, er einen Konsens will. Das ist auch richtig. dass wir uns stärker mit den europäischen Nachbarn ab- stimmen müssen: (Uwe Beckmeyer [SPD]: Er schwingt doch den Kochlöffel!) Spätestens bei der Stromspeicherung sind wir auch auf Kapazitäten in Pumpspeicherwerken in Norwe- Selbst Ministerpräsident Kretschmann, der ja den Ein- gen, Österreich und der Schweiz angewiesen. druck erweckt, (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE CSU]) GRÜNEN]: Vorsicht!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25181

Bernhard Schulte-Drüggelte (A) er wolle wirklich einen solchen Konsens finden, hat die men das Motto der Initiativen in der Region Wolfenbüt- (C) Gespräche abgelehnt. Ich finde das außerordentlich be- tel – „aufpASSEn“ – sehr ernst. dauerlich; denn wir müssen da eine Lösung finden. Wie ernst – oder besser: wie unernst – es der Bundes- Was ich nicht so bedauerlich finde, sind die Be- regierung mit einer ergebnisoffenen Endlagersuche ist, schlüsse der Grünen auf ihrem Parteitag am letzten kann man schon am Haushaltsansatz sehr genau erken- Wochenende. nen: Für 2013 sind für die Endlagersuche 3,5 Millionen Euro eingeplant. 2009 waren es noch über 9 Millionen (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Euro und 2010 über 8 Millionen Euro. Deswegen for- NEN]: Das hat Herr Altmaier ja gelobt!) dern wir ganz klar, die Mittel für eine ergebnisoffene – Ich lobe das nicht, sondern warte erst einmal ab, was Endlagersuche auf 5 Millionen Euro aufzustocken. dabei herauskommt. Eine gewisse Grundvorsicht darf (Beifall bei der LINKEN) man bei den Grünen doch wohl haben. Wir haben es aber in Niedersachsen mit diversen (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE Standorten zu tun. Ich möchte zu allen wenigstens einige GRÜNEN]: Der Minister hört zu!) Worte verlieren. Ich möchte aber noch einen Punkt ansprechen. Neben Zuallererst haben wir es dort mit Gorleben zu tun. Der einer Lösung zur Entsorgung hochradioaktiver Stoffe Untersuchungsausschuss hat in den letzten Jahren ge- – darum geht es ja im Augenblick – muss man auch eine zeigt: Gorleben war wissenschaftlich nie erste Wahl, Regelung für die schwachradioaktiven Stoffe finden. sondern eher ein Standort, der politisch gesundgebetet Seit 2007 wird daran gearbeitet, den Schacht Konrad wurde. nutzbar zu machen. Die Fertigstellungsdaten werden im- mer weiter nach hinten verschoben. Im Augenblick wird (Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Das stimmt doch von 2019 gesprochen. Dass das immer weiter verscho- gar nicht!) ben wird, ist nicht überzeugend, meine ich. Da muss eine Nun finden sich im Haushaltsplan wieder 82 Millionen Lösung gefunden werden. Es kann durchaus auch effek- Euro für Gorleben – deutlich mehr als in den Jahren zu- tiver gearbeitet werden. vor. Von diesen 82 Millionen Euro entfallen 41 Millio- (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen Euro auf die weitere Erkundung Gorlebens. Sollen NEN]: Daran sind aber nicht die Grünen weiter Fakten geschaffen werden? Was heißt „ergebnis- schuld! Da haben Sie Fehler gemacht!) offene Endlagersuche“, wenn weiter in Gorleben Geld verbaut wird, wo doch eigentlich allseits bekannt ist, (B) Wenn ich schon beim Stichwort „arbeiten“ bin, dann dass Gorleben als Atommüllendlagerstandort ungeeignet (D) darf ich mich als Berichterstatter am Schluss dieses ist. Beitrags für die durchaus kollegiale Beratung im Haus- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein haltsausschuss bedanken. Ich bedanke mich außerdem, [CDU/CSU]: Quatsch!) wie es gute Sitte ist, beim Ministerium und bei den Bun- desoberbehörden für die schnellen Informationen. Auch Ohne einen glaubhaften Verzicht auf Gorleben wer- der Bundesrechnungshof hat die Beratungen mit zusätz- den wir keine gesellschaftliche Diskussion zustande lichen Informationen begleitet. Mein besonderer Dank bringen, werden wir diesen jahrzehntelangen gesell- geht an Uwe Beckmeyer – mit ihm fange ich an, weil er schaftlichen Konflikt um die Frage „Wohin mit dem vor mir gesprochen hat –, Stephan Thomae, Sven Atommüll?“ nicht lösen. Kindler und Michael Leutert als Mitberichterstatter für die gute Zusammenarbeit. (Michael Brand [CDU/CSU]: Jetzt geht es aber durcheinander!) Danke schön. Nächstes Lager: Asse. Die Fraktionen arbeiten an der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lex Asse; das habe ich eben schon deutlich gemacht. Der Mittelaufwuchs an dieser Stelle – auf 142 Millionen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Euro – ist positiv zu vermerken; da hat die Bundesregie- rung nachgelegt. Dazu muss ich aber schon sehr deutlich Für die Fraktion Die Linke spricht die Kollegin sagen: Zur Vorbereitung der Rückholung und der Ber- Dorothée Menzner. gung des atomaren Inventars ist das immer noch deutlich zu wenig – und das wissen Sie genauso gut wie wir. Es Dorothée Menzner (DIE LINKE): geht aus dem Haushaltsplan auch nicht hervor, welche Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mittel für Maßnahmen wie Notfall- und Gefahren- Die Haushaltsberatungen finden im Zeichen einer ange- abwehr, sprich – im schlimmsten Fall –: Flutung, vorge- kündigten Endlagersuche und eines Endlagersuchgeset- sehen sind und wann die Notfall- und Gefahrenabwehr zes sowie im Zeichen einer Lex Asse, die alle Fraktionen abgeschlossen sein soll. im Moment gemeinsam beraten, statt. Lex Asse meint, (Stephan Thomae [FDP]: Das ist kein Haus- einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der die Bergung haltsetat!) des atomaren Inventars in der Asse beschleunigen soll. Da schauen wir als Niedersachsen, als von den ganzen Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern: Für 2011 Anlagen Betroffene, natürlich ganz genau hin und neh- war dafür eine Kostenprognose vorgesehen und uns an- 25182 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Dorothée Menzner (A) gekündigt. Sie liegt bis heute nicht vor. Ich hätte doch mit diesem Haushalt vorlegen, zeigt, dass Sie keine Leh- (C) gerne einmal eine Antwort auf die Frage, wann wir da- ren aus Fukushima gezogen haben. mit rechnen können. Ich danke. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang: Das Bundesamt für Strahlenschutz, das mit der Umsetzung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: beauftragt ist, hat für die Bewältigung der Asse 82 neue Der Kollege Stephan Thomae hat jetzt das Wort für Stellen beantragt, wohlbegründet. Das Ministerium hat die FDP-Fraktion. nur 50 Stellen genehmigt. Das halte ich für ein ernsthaf- tes Problem, wenn wir, wie es alle Fraktionen hier im- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) mer wieder fordern, zu einer Beschleunigung kommen wollen. Stephan Thomae (FDP): Last, but not least: Schacht Konrad. Ich sage ganz Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- deutlich: Das Geld, das für den Schacht Konrad vorgese- legen! Zunächst will auch ich meinen Dank dem Minis- hen ist, sollten wir gemeinsam sparen. Schacht Konrad terium, dem Bundesminister, Herrn Altmaier, vor allem – da hält es die Linke mit den Initiativen, mit den Beleg- dem Haushaltsreferat des Hauses, dem Bundesrech- schaften, mit den Betriebsräten, mit den Menschen vor nungshof und den Bundesoberbehörden, die diese Haus- Ort – ist nicht geeignet, Stichworte – um nur ein paar haltsentscheidung begleitet haben, aussprechen. Gleich- Punkte zu nennen –: Langzeitsicherheit, Grundwasser- falls danke ich dem Kollegen Schulte-Drüggelte als schutz, keine ausreichende Produktkontrolle, Risiken im Hauptberichterstatter und meinen Kollegen Beckmeyer, Einlagerungsbetrieb, weil die Einlagerung über das Kindler und Leutert als Mitberichterstatter für die sachli- Werksgelände eines Stahlwerkes laufen soll. Wir haben che und konstruktive Beratung dieses Haushaltes. es mit einer Region zu tun, in der Vertrauen grundlegend Ein paar Eckdaten sind schon genannt worden. Der verloren gegangen ist. Die Asse und Schacht Konrad Haushalt des Bundesumweltministeriums ist ein ver- sind genau 24 Kilometer voneinander entfernt. Ohne gleichsweise kleiner Haushalt mit einem Volumen von über Schacht Konrad neu zu diskutieren und dabei etwa 1,6 Milliarden Euro. Die Ausgaben steigen maß- Transparenz herzustellen, wird es nicht gehen. voll um 3,4 Prozent. Die Schwerpunkte im Umwelthaus- (Beifall bei der LINKEN) halt liegen vor allem bei der Endlagersuche und dem Be- reich der erneuerbaren Energien. Die gewaltigen Fazit: Die Regierung betont fortlaufend einen Neu- Aufgaben, die in diesen Bereichen unserer harren, recht- (B) start in der Frage der Endlagersuche. Aber bei genauer fertigen diesen maßvollen Aufwuchs in diesem Etat. (D) Betrachtung zeigt sich: Es kommt außer vielen schönen Worten nichts. Die Zahlen sprechen eine andere Spra- Umweltpolitik ist eine Querschnittsaufgabe, die auch che. Im Gesamthaushalt findet sich für Atomenergie/ in vielen anderen Einzelplänen des Bundeshaushaltes Atomtechnik 1 Milliarde Euro. Wenn man alle Einzel- enthalten ist, zum Beispiel im Entwicklungshaushalt. pläne nebeneinanderlegt, finden sich für alle erneuerba- Insgesamt sind im Bundeshaushalt 7,4 Milliarden Euro, ren Energien nur 790 Millionen Euro. Um es noch deut- also etwa ein Fünffaches dieses Etats, für die Umweltpo- licher zu machen: In all den Jahren sind inklusive EEG litik eingeplant. 54 Milliarden Euro in erneuerbare Energien geflossen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dagegen sind seit 1970 177 Milliarden Euro in die der CDU/CSU) Steinkohle geflossen, – Lassen Sie mich zunächst ein paar Worte zum Ener- gie- und Klimafonds sagen. Bei meinen Vorrednern ist Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: es schon angeklungen: Der Energie- und Klimafonds ge- Frau Kollegin. hört eigentlich zum Einzelplan 60. Es wurde kritisiert, dass er als Sondervermögen aus dem Bundeshaushalt Dorothée Menzner (DIE LINKE): ausgegliedert und – auch das war ein Vorwurf – untereta- – 65 Milliarden Euro in die Braunkohle und ganze tisiert sei. Die finanzielle Ausstattung hängt natürlich 187 Milliarden Euro in die Atomenergie. mit dem Verkauf von Zertifikaten, dem Zertifikatehan- del, zusammen. Derzeit sind die Einnahmen niedriger als Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ursprünglich angesetzt, weil es ein Überangebot an Zer- tifikaten auf dem Markt gibt. Das ist deshalb so, weil der Frau Kollegin. Preis so niedrig ist.

Dorothée Menzner (DIE LINKE): (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Wann wird das bes- So viel zur Behauptung, ser, Herr Kollege? Wann wird sich das än- dern?) (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ich glaube, Sie sind am Ende!) Ein Überangebot, Frau Kollegin, ist zunächst einmal eine gute Nachricht; denn ein Überangebot zeigt, dass Atomenergie sei so billig, oder dazu, wir steuerten um die Nachfrage geringer ist als das Angebot auf dem und führten eine Energiewende durch. Das, was Sie hier Markt. Das heißt, die Emissionsmengen gehen zurück, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25183

Stephan Thomae (A) man braucht heute weniger Zertifikate als früher. Das ist um die Energieerzeugung; es geht aber auch um Ener- (C) zunächst einmal eine gute Nachricht. Jetzt müsste man, gietransport, Energieeinsparung und Energiespeiche- um den Preis stabil zu halten, die Zertifikatemenge be- rung. grenzen. Das muss geschehen. Dann werden sich die (Uwe Beckmeyer [SPD]: Bei Ihnen klingt das Einnahmen des EKF konsolidieren. Nur, das können wir aber eher nicht in den Mitgliedstaaten, auf nationaler Ebene, re- nach einer Bagatelle!) geln, das muss auf europäischer Ebene getan werden. Eine Zeit lang hat man geglaubt: Wenn man in ganz Darauf muss man hinwirken. kurzer Zeit möglichst viel Zubau an Kapazitäten bei den (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – erneuerbaren Energien schafft, dann ist die Energie- Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Und wie finanzieren wende so gut wie gemeistert. Wir alle haben heute er- Sie den EKF?) kennen müssen, dass die Sache deutlich komplexer ist. Die Ausgaben für die Endlager steigen ebenfalls maß- Erneuerbare Energien sind zu einem großen Teil eben voll um knapp 40 Millionen Euro, also um etwa 8,4 Pro- nicht grundlastfähig, außer vielleicht Biomasse. zent, auf 501 Millionen Euro. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Meine Vorrednerin hat gerade die Asse angesprochen. NEN]: Ach!) Vom Bundesamt für Strahlenschutz bin ich dankenswer- Deshalb müssen wir auch im Bereich der Energiespei- terweise eingeladen worden, mir die Asse persönlich an- cherung Geld in Forschung und Entwicklung stecken. zusehen und mir ein eigenes Bild zu machen. Ich bin Das tun wir auch. dieser Einladung gern gefolgt. In der Asse herrschen be- sonders schwierige Bedingungen, weil das Grundwasser (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- bekanntlich in die Schachtanlage eindringt. Um die ge- rufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE waltigen Herausforderungen, die sich aus der Sicherung GRÜNEN) der Asse und aus der Bergung des atomaren Mülls erge- Die Energieerzeugung wird dezentraler. Deswegen müs- ben, zu bewältigen, haben wir den Einzeltitel „Still- sen auch die Netze anders strukturiert werden. legung Schachtanlage Asse“ um 42 Millionen Euro auf- gestockt. Ich glaube, das ist eine richtige Maßnahme Es geht also nicht einfach nur darum, möglichst gewesen. schnell möglichst viele Energieanlagen, also Solaranla- gen und Windkrafträder, zu bauen, sondern es geht um (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ein integriertes Konzept. Wir müssen auch bei der Ge- der CDU/CSU) bäudesanierung vorankommen. Wir müssen im Bereich (B) Der Schwerpunkt der Aufgaben liegt ganz klar beim der Speichertechnologien in die Forschung investieren, (D) Thema Energiewende. Nach außen wird manchmal ein und wir müssen die Netze umbauen. etwas verzerrtes Bild dergestalt vermittelt: Der eine (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE Minister, der gute, sei zuständig für die Verteilung von GRÜNEN]: Märchenstunde!) Wohltaten. Der andere Minister, der böse, müsse aufpas- sen, dass der Strompreis für Wirtschaft und Verbraucher All das muss eingepasst werden in die Kulisse einer im nicht durch die Decke geht. internationalen Wettbewerb stehenden Industrienation. (Ulrich Kelber [SPD]: Aufpassen ist gut! Er (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten erhöht ihn jede Woche neu!) der CDU/CSU) Aber die Energiewende ist nicht nur ein staatliches Die Energiewende ist nun einmal – das ergibt sich aus Vorhaben der öffentlichen Verwaltung. Es ist ein Vorha- dem Gesagten – nicht nur eine idyllisch-romantische ben von Wirtschaft und Gesellschaft. Dies hat übrigens Angelegenheit, sondern das Ganze ist auch eine techni- überhaupt nichts damit zu tun, ob man die Energiewende sche Herausforderung. Die Erzeugung von Energie aus will oder nicht; das ist völliger Unfug. Natürlich stehen erneuerbaren Energieträgern und die Leitungsnetze müs- wir zu unseren Entscheidungen. sen gemeinsam wachsen, sonst hinkt die Energiewende. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Genau um dieses gemeinsame Wachsen im Rahmen der CDU/CSU) eines integrierten Konzepts kümmert sich diese Bundes- regierung mit diesen Bundesministern, mit den Minis- Wir sehen darin in erster Linie große Chancen für un- tern Altmaier und Rösler. Die Energiewende ist in den ser Land. Aber deswegen müssen natürlich auch die Be- Händen dieser Regierung gut aufgehoben. Deswegen ist lange von Wirtschaft und Gesellschaft Berücksichtigung es auch sehr gut, dass wir diesen Etat mit einer Anhe- finden. bung um rund 3,5 Prozent besser ausstatten. Ich blicke (Ulrich Kelber [SPD]: Dann fangen Sie doch daher zuversichtlich in die Zukunft der Energiewende in mal an damit! – Dr. Hermann E. Ott [BÜND- Deutschland. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind die Regie- (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE rung!) GRÜNEN]: Dann ist ja alles gut!) Bei den erneuerbaren Energien geht es nämlich nicht nur Vielen Dank. um Mengenwachstum. Die Energiewende ist, musika- lisch ausgedrückt, ein Vierklang. Dabei geht es natürlich (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 25184 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die Das würde sich auch für Wirtschaft und Arbeitsplätze Kollegin Dorothea Steiner. auszahlen; denn Investitionen in die Nutzung erneuerba- rer Wärme sind eine wichtige Unterstützung mittelstän- Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): discher Unternehmen und des Handwerks. Das sage ich Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! den Kollegen von der CDU/CSU besonders gern. Meine Damen und Herren! Eine zentrale Aufgabe des Umweltministeriums ist es, die Energiewende erfolg- Meine Damen und Herren, wir erleben seit Monaten reich voranzutreiben. Das hatte sich bekanntlich auch eine Kampagne. Es wird behauptet, die Energiewende, Minister Altmaier bei seinem Amtsantritt auf die Fahne die erneuerbaren Energien würden den Strom für die geschrieben. Aber ich muss feststellen: Diesem An- Verbraucher teuer machen. Es gibt entsprechende Atta- spruch wird der Haushalt 2013 nicht gerecht. cken von bekannter Seite. Aber allmählich ist doch deut- lich geworden: Es sind die Ungerechtigkeiten bei der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anrechnung der EEG-Umlage, die den Strompreis für und bei der SPD) Verbraucherinnen und Verbraucher sowie kleine Unter- nehmen verteuern. Wir brauchen einen konsequenteren Ausbau der Er- neuerbaren, einen an die Potenziale der Erneuerbaren (Horst Meierhofer [FDP]: Quatsch!) angepassten Netzausbau, höhere Investitionen in Ener- gieeffizienz und nachhaltige Initiativen zur Energieein- Zu viel wird auf die privaten Stromkunden und auf die sparung. In den Ankündigungen von Herrn Altmaier und kleinen und mittelständischen Unternehmen abgewälzt, denen der Kollegen von CDU/CSU und FDP hören wir während die Anzahl der angeblich energieintensiven Un- das zwar; im Umwelthaushalt finden wir das aber leider ternehmen steigt, die eine Absenkung der EEG-Umlage nicht. Die Reden sind der schöne Schein; der Haushalt in Anspruch nehmen wollen. Ich höre, Herr Kollege zeigt die bittere Wahrheit: Die Energiewende ist nur lü- Meierhofer, dass schon bis zu 5 000 Anträge auf Befrei- ckenhaft finanziert. ung auf dem Weg sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Michael Kauch [FDP]: Sind Sie bei der Post?) und bei der SPD) Das ist doch ein Skandal. So kann man die Akzeptanz der Energiewende gefährden. Wichtige Maßnahmen der Energiewende werden aus dem Energie- und Klimafonds, dem EKF, finanziert. Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einnahmen für diesen EKF sind aber abhängig vom und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (B) (D) CO2-Preis im Rahmen des Emissionshandels, und dieser LINKEN) liegt aktuell mit unter 7 Euro pro Tonne deutlich unter den Erwartungen. Damit ist die Finanzierung wichtiger Das werden wir Grüne nicht hinnehmen, meine Damen Projekte ungewiss. und Herren von der schwarz-gelben Koalition. Bisher zeigen der Bundesumweltminister und der Angesichts der steigenden Strom- und Energiepreise Bundesminister für Wirtschaft, der Herr Rösler, keine sind Maßnahmen zur Entlastung einkommensschwacher Initiative, um den europäischen Emissionshandel zu Haushalte unverzichtbar. stützen und den CO2-Preis zu stabilisieren. (Otto Fricke [FDP]: Aha!) (Otto Fricke [FDP]: Sie meinen: erhöhen!) Die FDP hat neuerdings ihr Herz für die Einkommens- schwachen entdeckt, Das heißt, bei Ihnen steht die Energiewende unter dem Preisschwankungsvorbehalt. Ich zeige Ihnen an einem (Michael Kauch [FDP]: Nicht neuerdings! Im- Beispiel, wie das aussieht: 2012 wurden aufgrund von mer schon!) Mindereinnahmen aus den Emissionszertifikaten die Mittel für das Marktanreizprogramm für erneuerbare die unter den hohen Strompreisen leiden. Sie reagieren Wärme komplett gestrichen. leider nur mit populistischen Sprüchen, tun aber nichts. Stattdessen fordern Sie eine Senkung der Stromsteuer, (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Hört! von der Haushalte mit höheren Einkommen überpropor- Hört!) tional profitieren; das ist natürlich die Klientel der FDP. Wir Grüne würden es anders machen: Wir würden (Michael Kauch [FDP]: Das ist doch abwegig! – zum Beispiel das Marktanreizprogramm wie auch die Weitere Zurufe von der FDP) Nationale Klimaschutzinitiative aus dem unsicheren EKF herausnehmen, sie in den Gesamthaushalt einset- Wir treten dagegen für die Einführung eines Energie- zen und den Ansatz erhöhen. sparfonds ein, mit dem wir die Energiewende sozial abfedern wollen. Wir wollen den Austausch alter (Otto Fricke [FDP]: Und wer bezahlt es?) Stromfresser gegen energieeffiziente Elektrogeräte sub- ventionieren, und wir wollen einen Klimazuschuss zum 407 Millionen Euro für das Marktanreizprogramm soll- Wohngeld. Dafür würden wir sage und schreibe 3 Mil- ten uns dem Ziel näher bringen, bis 2020 den Anteil der liarden Euro in die Hand nehmen. Erneuerbaren am Energieverbrauch für Wärme von heute knapp 8 Prozent auf 14 Prozent zu erhöhen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25185

Dorothea Steiner (A) Die brauchen wir auch, um die Finanzierung der Maß- politischen Agenda endlich wieder dort angekommen (C) nahmen sicherzustellen. sind, wo sie seit vielen Jahren hingehören. Jetzt komme ich zu den Endlagerfragen. Ich glaube, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zur Asse braucht man nicht viel zu sagen. Die Erhöhung neten der FDP – Oliver Krischer [BÜND- der entsprechenden Mittel auf 142 Millionen Euro war NIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorher nicht? – richtig. Ich möchte dazu nur eines sagen: Wir brauchen Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das war die Mittel nicht nur 2013, sondern auch 2014 und 2015. ein schlechtes Zeugnis für Ihren Vorgänger!) Zu Gorleben kann man nur eines sagen: Uns wird der Wir haben schon lange nicht mehr so intensiv und so gleiche Ansatz wie letztes Jahr präsentiert; konstruktiv darüber diskutiert. Sie sollten sich freuen, ( [FDP]: Richtig so!) dass es so ist; denn hier geht es um unser gemeinsames Anliegen. Machen Sie es nicht mies, machen Sie es nicht 76 Millionen Euro werden für das Projekt Gorleben ein- schlecht, sondern freuen Sie sich darüber, dass überall in gesetzt. Wie erklären Sie mir, Herr Altmaier, dass Sie Deutschland über die Energiewende und ihre Erfolgsvo- diese Zahl nicht geändert haben, wenn Sie doch gleich- raussetzungen diskutiert wird. zeitig einen Neustart bei der Endlagersuche ankündigen? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN neten der FDP – Dr. Hermann E. Ott [BÜND- sowie bei Abgeordneten der SPD) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind schon drei Wir sehen eine Kürzung dieses Ansatzes von 76 Millio- Jahre an der Regierung!) nen auf 20,9 Millionen Euro vor; das reicht für die Of- Ein Zweites ist klar geworden, trotz oder vielleicht fenhaltung. Logischerweise möchten wir die Summe für gerade wegen der aufgeregten Debatte über den Anstieg die Erkundung weiterer Standorte verdoppeln: von der EEG-Umlage: Wir nehmen die Probleme sehr ernst 3,5 Millionen auf 7 Millionen Euro. Ich sage Ihnen: Das – ich komme darauf noch zurück –, und wir wollen sie ist nur der Anfang. Falls wir den Neustart bei der Stand- lösen. Es ist so, dass die Energiewende von allen wichti- ortsuche tatsächlich gemeinsam hinbekommen, brau- gen politischen Kräften dieses Landes gewollt wird. Sie chen wir dafür in einer zweiten Phase 10 Millionen bis wird gewollt von vielen Aktivisten und Idealisten vor 20 Millionen Euro. Ort, die dafür eintreten, dass die Energiewende stattfin- Herr Minister Altmaier, wenn Sie es mit dem Neustart det, sie wird gewollt von den Fraktionen des Deutschen bei der Endlagersuche ernst meinen – das unterstelle ich Bundestages, und sie wird gewollt von der Bundesregie- jetzt erst einmal –, wenn Sie eine ergebnisoffene Endla- rung und den beiden zuständigen Ministern. Das ist die (B) gersuche in Angriff nehmen wollen, dann machen Sie entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Energie- (D) doch Nägel mit Köpfen und nehmen die Mittel für den wende gelingt; denn wir haben dadurch die Klarheit, in Ausbau von Gorleben schon jetzt aus dem Haushalt für welche Richtung die Reise geht. 2013. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Seit meiner Amtsübernahme habe ich immer wieder, Frau Kollegin. orchestriert von vielen Ihrer Kolleginnen und Kollegen, gehört – ich unterstelle Ihnen keine bösen Absichten; Sie Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wollen halt irgendwie erreichen, dass man nicht nur über Mein letzter Satz. – Stellen Sie das Geld tatsächlich Ihren Kanzlerkandidaten diskutiert –: Das ist falsch, da schon jetzt für eine ergebnisoffene Endlagersuche und hat Altmaier einen Fehler gemacht, das hätte er nicht sa- die entsprechende Öffentlichkeitsarbeit bereit. gen sollen, so kann man nicht vorgehen. Vielen Dank. Ich habe Anfang Oktober einen Verfahrensvorschlag (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgelegt, in dem ich darauf hingewiesen habe: Wir und bei der SPD) brauchen einen nationalen Konsens, wir brauchen eine nationale Ausbaukonzeption, wir brauchen eine grundle- gende Reform des EEG, wir brauchen eine Abstimmung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: des Ausbaus der erneuerbaren Energien mit dem Ausbau Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort der Bun- der Netze sowie der konventionellen Energien und der desminister Peter Altmaier. erneuerbaren Energien untereinander, und zwar in geo- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- grafischer und regionaler Hinsicht. All diese Punkte neten der FDP) haben Sie kritisiert. Als vier Wochen später die Minister- präsidenten aller 16 Bundesländer bei der Bundeskanz- lerin waren, bestand in all den genannten Punkten ein- Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt, Natur- stimmiger Konsens darüber, dass wir eine nationale Aus- schutz und Reaktorsicherheit: baukonzeption und eine grundlegende Reform des EEG Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und brauchen. Herren! Wenn man die letzten sechs Monate Revue pas- sieren lässt, dann kann man ohne Übertreibung sagen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dass die Themen der Umwelt- und Energiepolitik auf der neten der FDP) 25186 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Bundesminister Peter Altmaier (A) Ihre Ministerpräsidenten zeigen mehr Einsicht als Sie. (Ulrich Kelber [SPD]: Nicht trotzdem, sondern (C) weil!) (Ulrich Kelber [SPD]: So ein Schmarrn! Sie haben doch überall nachlegen müssen! – Unser Ziel ist es, die erneuerbaren Energien auszubauen. Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gleichzeitig sollten wir dafür sorgen, dass Strom bezahl- NEN]: Die Ministerpräsidenten haben sich bar bleibt und wettbewerbsfähige Preise während der durchgesetzt!) ganzen Dauer der Energiewende gewährleistet werden können. Nehmen Sie sich ein Beispiel. Fragen Sie Herrn Albig, fragen Sie Frau Kraft, fragen Sie Herrn Kretschmann in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Baden-Württemberg. Wir haben in diesem Hause noch etwas erreicht – Sie sollten den gefundenen Konsens nicht kleinreden –: Wir Wenn Sie ehrlich sind – haben im Sommer gemeinsam – die 16 Bundesländer (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Seien und alle Fraktionen im Deutschen Bundestag – eine Re- Sie mal ehrlich!) form der Photovoltaikförderung beschlossen. Diese Re- form beginnt zu greifen. Die Zahlen für Juli, August, das meine ich nicht kontrovers; das ist etwas, auf das wir Oktober und auch November – September war ein Aus- gemeinsam schauen können –, dann müssen Sie zuge- nahmefall wegen großer Freiflächenanlagen in Ost- ben: Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutsch- deutschland – belegen: Wir haben uns auf einen vernünf- land war noch nie so dynamisch und so stark wie in den tigen Ausbaukorridor für erneuerbare Energien im letzten zwölf Monaten. Wir werden in diesem Jahr Bereich der Photovoltaik geeinigt. Auf ein Jahr hochge- 25 Prozent unseres Stroms mit erneuerbaren Energien rechnet soll er künftig nicht bei 7 500 oder 8 000 Mega- produzieren. watt liegen, sondern im nächsten Jahr aller Voraussicht nach bei 3 500 oder 4 000 Megawatt. Das heißt, wir sind (Ulrich Kelber [SPD]: Wann ist das beschlos- immer noch Weltmeister im Bereich der Photovoltaik. sen worden? – Dr. Hermann E. Ott [BÜND- Wir verhindern aber eine Blasenbildung, die am Ende zu NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sagen Sie doch einer harten Landung und zu negativen Folgen für alle einmal, auf wen das zurückzuführen ist!) Beteiligten führen würde. Die Leistung der Photovoltaikanlagen in Deutschland Genauso engagiert werden wir in den nächsten Wo- wird der Leistung von etwa 20 Kernkraftwerken entspre- chen dafür sorgen, dass die Offshoreproblematik einer chen. Wir sind das Land in der Welt, in dem der Ausbau Lösung nähergeführt wird. der erneuerbaren Energien am dynamischsten vorangeht. (B) Wer versucht, das schlechtzureden und infrage zu stel- (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) len, der tut der Energiewende keinen Gefallen, der leistet NEN]: Da wird es aber auch Zeit!) ihr einen Tort. Wir haben hierzu ein Gesetz im Deutschen Bundestag (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE vorgelegt, das auch von den Politikern in Norddeutsch- GRÜNEN]: Das habt ihr doch gemacht!) land aus Ihrer Partei unterstützt wird und zu dem alle Beteiligten sagen: Das ist notwendig. – Deshalb würde Ich bitte Sie: Konzentrieren Sie sich in Ihrer Rhetorik ich mir wünschen, dass Sie das auch einmal öffentlich darauf, dass eine Energiewende mehr ist als nur der vo- sagen; denn es gehört dazu, dass man gemeinsam Ver- lumenmäßige Ausbau. Es ist nun einmal so, dass man antwortung für unpopuläre Entscheidungen übernimmt. eine Photovoltaikanlage schneller auf dem Dach instal- liert hat als die Stromleitung, die nötig ist, um gewonne- Es haben sich viele hinsichtlich der Herausforderun- nen Strom abzutransportieren. gen des Offshoreausbaus getäuscht; aber es ist richtig, dass wir die technischen und finanziellen Probleme lö- (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE sen. GRÜNEN]: Ja, dann tun Sie doch einmal (Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist ja auch sehr was!) vernünftig!) Es ist leichter, ein Windrad zu bauen, als eine 900 Kilo- Auch deshalb haben alle 16 Ministerpräsidenten – ein- meter lange Gleichstromleitung quer durch Deutschland schließlich Herrn Kretschmanns – gesagt, dass sie wol- zu verlegen. len, dass der Offshoreausbau weitergeht und genau diese (Ulrich Kelber [SPD]: Vor allem, wenn sie die Probleme gelöst werden. CDU 2006 verhindert hat!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir müssen die Probleme und die Chancen der Ener- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir machen giewende gemeinsam in den Griff bekommen. Die Ener- – es ist noch gar nicht so lange her, dass Sie den Um- giewende ist nicht dann ein Erfolg, wenn wir bestimmte weltminister gestellt haben –, Ausbauziele erreicht haben, sondern dann, wenn wir am (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE Ende mindestens 80 Prozent unseres Strombedarfs aus GRÜNEN]: Es ist sieben Jahre her!) erneuerbaren Energien gewinnen und die Stromversor- gung in Deutschland trotzdem bezahlbar und das Land mit dem Thema „Strom- und Energieeffizienz“ zum ers- wettbewerbsfähig bleibt. ten Mal ernst. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25187

Bundesminister Peter Altmaier (A) (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ In Doha haben wir eine ganz schwierige Klimakonferenz (C) DIE GRÜNEN) vor uns. Wir haben auf der internationalen Ebene zwar einen Erkenntnisfortschritt dahin, dass Klimaschutz not- Wir haben mit dem DIHK und mit dem ZDH eine Mit- wendig ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir das 2-Grad- telstandsinitiative verabredet. Ziel nicht erreichen, wächst; auch das muss man sagen. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie waren der Blockade- Aber es wäre falsch, aufzugeben. Deshalb wünsche ich minister in Brüssel!) mir, dass wir in Doha – wir sehen uns in dieser Woche zum gemeinsamen Frühstück – die Kraft haben, eine ge- Im Zusammenhang mit dem Spitzenausgleich haben wir meinsame deutsche Position zu formulieren und zu ver- die Einführung von Energiemanagementsystemen in der treten, eine Position, die auch den Druck erzeugt, dass Wirtschaft vorgesehen. Wir werden morgen die zweite sich andere Länder dem anschließen. Ich wünsche mir, Tagung des Runden Tisches für Stromeffizienz durch- dass wir einen Konsens über eine zweite Verpflichtungs- führen. Das heißt, wir haben zum ersten Mal auf allen periode nach dem Kioto-Protokoll erreichen. Weiter Ebenen – vom kleinen Einkommen über die mittelstän- wünsche ich mir, dass die übrigen Länder bei ihren na- dische Wirtschaft bis hin zu den großen Betrieben – das tionalen Kraftanstrengungen endlich vorankommen und Bewusstsein, dass es möglich ist, Kosten auch dadurch wir ein klares Verhandlungsmandat für das allgemeine zu senken, dass man mit Strom und Energie verantwort- Klimaschutzabkommen bekommen werden. lich umgeht. Ich möchte mich bei den Fraktionen des Deutschen (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bundestages bedanken, die durch ihre Berichterstatter NEN]: Sie wissen doch längst, wie es geht, quer über alle Parteien hinweg dazu beigetragen haben, Herr Altmaier! Sie müssen es machen!) dass wir einer Lösung für die „Lex Asse“ in den letzten Wir werden sehen, dass man damit auch für die deutsche Wochen und Monaten einen großen Schritt näher ge- Wettbewerbsfähigkeit sehr viel erreichen kann. kommen sind. Das ist eine Frage der Vertrauensbildung vor Ort. Ich habe von Anfang an Wert darauf gelegt, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wir dies überparteilich tun. Ferner machen wir mit dem Thema „Bürgerbeteili- Ich werde in dieser Woche erneut zu den Menschen gung und Netzausbau“ ernst. In den nächsten Jahren an der Asse fahren und dort mit den Mitgliedern der Be- werden wir sehr viele Leitungen verlegen müssen. Es ist gleitgruppe diskutieren, weil ich zugesagt habe, dass wir doch kein Ruhmesblatt, dass wir von den Leitungen diesen Dialog auf oberster politischer Ebene führen. nach dem EnLAG, die vorgesehen waren, gerade einmal (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (B) 200 Kilometer gebaut haben; aber es ist eben auch so, (D) dass Sie zu Ihrer Regierungszeit dafür weder die pla- neten der FDP – Uwe Beckmeyer [SPD]: Ist nerischen noch die Beteiligungsinstrumente geschaffen das jetzt Mittelerde, oder was?) haben, die notwendig sind. Wir schaffen mit diesem Ich komme zum Schluss. Meine sehr verehrten Da- Haushalt zum ersten Mal Stellen im Bundesumwelt- men und Herren, es gibt ein Problem – Sie können noch ministerium, damit wir Bürgerbeteiligung bei umwelt- so viel filibustern –, das gelöst werden muss: Das ist die relevanten Großprojekten ernst nehmen können. Denn gemeinsame Endlagersuche. Wir haben vor einem Jahr wir wollen mit den Leuten reden, und wir wollen, dass die Kraft gefunden, gemeinsam einen Endpunkt der sich die Leute eingebunden fühlen. friedlichen Nutzung der Kernenergie festzulegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Dreieinhalb GRÜNEN]: Wann? Jetzt bleiben Sie doch mal Jahre in der Regierung! Kurz vor der Wahl! bei der Wahrheit!) Peinlich!) Wir haben uns gemeinsam zur Energiewende verpflich- Wir werden auch die Belange des Naturschutzes ernst tet. Ich meine, dazu gehört auch, dass wir die Kraft zu ei- nehmen. Am Ende werden wir aber dafür sorgen, dass nem überparteilichen Konsens bei der Endlagersuche die notwendigen Netzanschlüsse hergestellt werden. Wir finden. Nur, wir haben auch in dieser Frage schon sehr lassen nicht zu, dass dezentraler gegen zentralen oder viel Zeit verloren. zentraler gegen dezentralen Ausbau ausgespielt wird, weil wir in Deutschland beides brauchen: Wir brauchen (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- große Stromtrassen, um die Windenergie aus dem Nor- NEN]: Sie! Sie! Woran liegt das denn? – den dorthin zu transportieren, wo sie gebraucht wird. Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Umgekehrt brauchen wir gute regionale Verteilnetze, um NEN]: Ihr Vorgänger!) Photovoltaik- und dezentrale Erneuerbare-Energie-Anla- gen abzufedern. Wissen Sie, ich habe ja den Grünen-Parteitag vom letzten Wochenende gelobt. Ich habe das ja öffentlich Wir werden dafür sorgen, meine sehr verehrten Da- anerkannt. Nur, wir diskutieren ein ganzes Jahr darüber. men und Herren, dass wir uns international gut aufstel- Bereits im Frühsommer haben wir einen Gesetzentwurf len. vorgelegt. ( [SPD]: Sie haben ja nicht ein- (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: mal in Europa eine Position!) Aber was für einen? Der war schlecht!) 25188 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Bundesminister Peter Altmaier (A) Wir haben informelle und formelle Verhandlungen ge- wollen. Die „vertrauensbildenden“ Maßnahmen, die Sie (C) führt. Ich habe im Herbst einen neuen Gesetzentwurf hier unternommen haben, sind keine. Legen Sie ein or- vorgelegt. Und erst jetzt diskutieren Sie als Bündnis 90/ dentliches Gesetz vor, über das wir dann diskutieren Die Grünen über Ihre Position. Bis heute habe ich auch können, Herr Minister! noch nichts von einer gemeinsamen Position der A-Län- der im Bundesrat gehört. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Was „or- (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dentlich“ ist, bestimmen Sie, nicht wahr?) NEN]: Das ist nicht wahr, Herr Altmaier! – Uwe Beckmeyer [SPD]: Wie lange regiert Die Haushaltspolitik im Bereich Umwelt- und Ener- Frau Merkel eigentlich schon, Herr Altmaier?) giepolitik ist ein Beispiel dafür, dass bei dieser Regie- rung Klientelpolitik und Unfähigkeit zusammenkom- Ich meine, wir können dieses Thema nicht auf die lange men. Herr Altmaier, da Sie früher Parlamentarischer Bank schieben. Deshalb appelliere ich an Sie: Schielen Geschäftsführer waren, kommen Sie aus der Verantwor- Sie nicht auf Wahlkämpfe, sondern tragen Sie dazu bei, tung nicht heraus. Jeder kann nachlesen, dass Sie die dass wir eine überparteiliche Regelung finden, die in Laufzeitverlängerungen hier gerechtfertigt haben. Sie diesem Bereich Frieden und Rechtsfrieden schafft! haben den Haushalt des Umweltministeriums an den Ab- lasshandel mit den Energiekonzernen, den Atomkonzer- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nen gekoppelt. Diese sollten für die Laufzeitverlänge- Ich bedanke mich bei Ihnen allen für die Unterstüt- rung Ablasszahlungen an den Bund leisten. Das ist das zung, die es bei wichtigen und schwierigen Themen ge- erste Ding, das Ihnen um die Ohren geflogen ist, als Sie geben hat. Der Haushalt des Bundesumweltministeriums nach Fukushima die taktische Wende vollzogen haben. ist nicht der größte von allen Bundeshaushalten. Lieber Ich behaupte nach wie vor: bei vielen von Schwarz-Gelb Norbert Barthle, wir werden das im Laufe der nächsten in diesem Hause aus rein taktischen Überlegungen und Jahre gemeinsam sicherlich schrittweise ändern und den nicht aus Überzeugung. Haushalt in die richtige Richtung fortentwickeln. Die Wichtigkeit dieses Politikbereichs hängt aber nicht an (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der einen oder anderen Haushaltszahl; sie hängt daran, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der was wir aus den Herausforderungen machen. Da sind Abg. Dorothée Menzner [DIE LINKE]) wir in den letzten Monaten einen guten Schritt vorange- Das zweite Ding, das Ihnen um die Ohren fliegen kommen. wird, ist der Energie- und Klimafonds – Herr Thomae, Vielen Dank. das verwundert mich schon etwas –; denn auch er ist auf (B) Sand gebaut. Sie rechneten ursprünglich mit 23 Euro für (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ein Zertifikat. Augenblicklich gehen Sie in Ihren Planun- gen von 10 Euro aus. Aktuell liegt der Zertifikatspreis Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: aber bei 6,04 Euro. Herr Thomae, Ihr Bundeswirt- Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Matthias schaftsminister ist dafür verantwortlich, dass wir in Miersch. Deutschland und der Europäischen Union nicht sprech- fähig sind und die Doha-Konferenz wahrscheinlich ohne (Beifall bei der SPD) die Bundesrepublik Deutschland stattfindet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dr. Matthias Miersch (SPD): des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ulrich Kelber [SPD]: Zumindest inhaltlich! Sehr geehrter Herr Minister, wie sehr muss Ihnen das Hinreisen wird er ja! – Lachen des Abg. Wasser bis zum Halse stehen, wenn Sie hier als erste Michael Kauch [FDP]) Worte sagen: Endlich, nach dreieinhalb Jahren schwarz- gelber Politik, hat die Energiepolitik den Stellenwert, Herr Altmaier, wenn Sie hier eine „Alles ist gut“- den sie verdient. – Was für eine Klatsche für Herrn Rede halten, dann sage ich Ihnen als Niedersachse: Ich Röttgen! Was für eine Klatsche für diese Kanzlerin, die war in der letzten Woche in Cuxhaven. Dort sind über diesen Schlamassel zu vertreten hat! Jahre hinweg Hunderte von Arbeitsplätzen im Offshore- bereich entstanden. Augenblicklich sind Tausende von (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Arbeitsplätzen an der Küste in Gefahr, weil Sie zur Ver- DIE GRÜNEN) unsicherung beitragen, weil Sie die Weichen nicht stel- Herr Minister Altmaier, die Kanzlerin hat es auch zu len und nicht die Investitionssicherheit gewähren, die vertreten, dass Ihren Worten, wenn Sie beispielsweise man bräuchte, um eine neue Technologie zu fördern. Das um Endlagerung ringen, keiner von denen, die auf diesen ist Ihre Verantwortung. Sie können sich hier nicht hin- Bänken sitzen und guten Willens sind, glaubt. Vor weni- stellen und so tun, als ob alles in Butter wäre. Nichts ist gen Wochen habe ich die Kanzlerin im Untersuchungs- in Butter; alles ist im Unklaren. ausschuss selbst gefragt: Wie ist das eigentlich mit der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Endlagersuche und Gorleben? – Die Kanzlerin höchst- DIE GRÜNEN) selbst hat gesagt, sie versteht es bis heute nicht, warum Gorleben nicht zu Ende erkundet wird. Diese Worte zei- Ein Hauptproblem – das haben Sie hier angesprochen, gen, dass Sie ein Gorleben-Findungsgesetz schaffen aber Sie machen nichts dagegen – ist die Frage der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25189

Dr. Matthias Miersch (A) Netze. Wenn Sie weiterhin diese vier Betreiber herum- hingewiesen: Es kostet auch. – Gestern hat die Weltbank (C) wursteln lassen und Haftungsregeln nach dem Motto: vor der Klimaerwärmung gewarnt. Lesen Sie es einmal „Alle Gewinne werden privatisiert, aber die Haftung nach. Es geht um die Fragen: Wie teuer wird es eigent- bzw. die Risiken werden sozialisiert“ aufstellen, dann lich für uns, wenn wir nichts tun? Wann begreifen wir in werden Sie das Problem nicht lösen. Wir müssen endlich diesem Haus endlich, dass jeder Euro, den wir jetzt für verstehen, dass die Energiewende mit der notwendigen die Energiewende ausgeben, viel stärkere volkswirt- Infrastruktur eine Frage der Daseinsvorsorge ist. Inso- schaftliche Folgekosten vermeiden hilft? Das müssen fern sage ich Ihnen: Die Übertragungsnetze gehören Sie verstehen. Sie haben es bis jetzt nicht verstanden. mehrheitlich in staatliche Hand. Wir brauchen eine Netz AG. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Das Grundproblem, mit dem Sie gestartet sind – Herr LINKEN) Altmaier, Sie haben heute das Zeugnis dafür geliefert; das können wir immer wieder nachlesen –, ist, dass Sie Hinter vorgehaltener Hand sagen das auch Ihre eige- nie an die Energiewende geglaubt haben. Dreieinhalb nen Parteikollegen, zum Beispiel die an der Küste. Nur, Jahre – das haben Sie heute gesagt – haben Sie die Ener- sie setzen sich nicht durch, möglicherweise weil die FDP giepolitik vernachlässigt. Jetzt merken Sie, dass Sie es nach wie vor an den Markt glaubt. Wenn Sie in diesem nicht können, dass Sie es nicht schaffen, und Sie wollen Zusammenhang um Bürgerbeteiligung ringen, dann den Schwarzen Peter zu Ministerpräsidenten und ande- frage ich Sie: Warum haben wir jetzt die Situation, dass ren schieben. Das wird Ihnen nicht gelingen. Sie haben die Bundesnetzagentur Netzplanungen macht, aber Ihr die Energiewende vermurkst. Wir können nur hoffen, eigenes Haus davor warnt, dass elementare Bereiche des dass Ihre Regierungszeit schnell vorbei ist. Umweltrechts verletzt sind, weil es keine Alternativpla- nung gibt, Herr Altmaier? Das ist Ihre Verantwortlich- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ keit. Ihr Haus merkt dies an. Im Moment droht, dass Sie DIE GRÜNEN) durch Untätigkeit und durch stümperhaftes Vorgehen eine Netzplanung machen, die auf Sand gebaut ist. Da- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: mit ist ein elementarer Bereich der Energiewende ge- Michael Kauch hat das Wort für die FDP-Fraktion. fährdet. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (B) Michael Kauch (FDP): (D) Ich will einen weiteren Bereich ansprechen: die So- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich larindustrie. Letzte Woche sagte mir ein Projektierer: möchte mit einer guten Nachricht beginnen: Am Montag Herr Miersch, alles schön und gut, wir bekommen noch haben der Umwelt- und der Verkehrsausschuss getagt, Bankdarlehen, aber wenn die Bank hört, dass unser Pro- und die Koalition hat ihren Gesetzentwurf durch die jekt mit einer deutschen Firma, die Solarmodule her- Ausschüsse bekommen. Der sogenannte Schienenbonus stellt, verbunden ist, bekommen wir die Zusage nicht wird abgeschafft. mehr; wenn wir mit einer chinesischen Staatsfirma zu- sammenarbeiten, bekommen wir die Zusage. – Liebe (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, Sie sind Ulrich Kelber [SPD]: Ja, ja! Aber erst ab 2020 angetreten, die Wirtschaft zu stärken. Im Bereich der Er- und nur für Neubaustrecken!) neuerbaren haben Sie bewiesen, dass Sie es nicht kön- Damit wird endlich der Lärmrabatt der Bahn abge- nen. schafft. Die Oppositionsfraktionen haben Verbesse- Die von Ihnen verursachte Investitionsunsicherheit rungsanträge eingebracht führt dazu, dass die Menschen in diesem Bereich verun- (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sichert sind und sich fragen, ob sie diesen Weg weiterge- NEN]: Na klar! Aber sofort!) hen sollen. Sie können dankbar und hoffnungsfroh sein, dass Bürgerinnen und Bürger, kleine und große Genos- und sich dann kraftvoll enthalten. Ich sage nur: Als Sie senschaften und Firmen sich von Ihnen nicht haben un- regiert haben, haben Sie die Anträge der FDP-Fraktion terkriegen lassen, sondern dort weitergemacht haben, wo zum Schutz der Bürger vor Bahnlärm abgeschmettert. Rot-Grün im Jahre 1998 mit dem Ausbau der Erneuerba- (Uwe Beckmeyer [SPD]: Völlig absurd ist ren angesetzt hat. das! Wir haben den Schutz erhöht! Sie wissen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ja überhaupt nicht, worüber Sie sprechen! Sie DIE GRÜNEN – Horst Meierhofer [FDP]: Um leiden wohl unter Amnesie!) Gottes Willen!) Jetzt sollten Sie anerkennen, dass Schwarz-Gelb für – Das müssen Sie sich gefallen lassen. mehr Lärmschutz an der Bahn sorgt. Meine Anmerkungen zu einem anderen Bereich müs- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – sen Sie sich ebenso gefallen lassen. Herr Thomae und Ulrich Kelber [SPD]: Das gilt nur für Neu- Herr Schulte-Drüggelte, Sie haben unter anderem darauf baustrecken nach 2020!) 25190 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Michael Kauch (A) Meine Damen und Herren, interessant war die Aus- ben darf nie Endlager werden. – Wie bekommen die (C) sage von Herrn Miersch, dass die SPD plötzlich für eine Grünen das zusammen? Verstaatlichung der Stromnetze ist. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Seit drei Jahren NEN]: Die schaffen das! Das kann ich Ihnen legen wir dafür die Grundlagen! Wieso also sagen!) „plötzlich“?) Sie sagen: Wir führen ein ergebnisoffenes Verfahren Man hat also einen Kanzlerkandidaten Steinbrück, der durch; aber die Kriterien werden so definiert, dass Gor- ein bisschen die Mitte bespielen soll. Aber wenn es um leben herausfällt. – Das ist nicht ergebnisoffen, und das reale Politik geht, dann spielen Sie Linkspartei. ist auch nicht konsensorientiert. Sie versuchen doch nur, sich für die nächste Bundestagswahl ein Wahlkampf- (Dr. Matthias Miersch [SPD]: So ein Quatsch! thema zu erhalten, um von Ihrer Klientel bloß nicht in Das fordert doch sogar Ihr eigener Umweltmi- die Verantwortung dafür genommen zu werden, dass Sie nister!) in diesem Land vielleicht einmal eine Entscheidung tref- Das ist eine Anerkennung für uns. Damit sagen Sie näm- fen müssen, wenn es darum geht, dass ein Standort ge- lich, dass es die FDP ist, die in dieser Republik für den funden wird. Sie haben ein Interesse daran, dass kein Markt steht, nämlich dafür, dass die Bürgerinnen und Standort gefunden wird, meine Damen und Herren von Bürger ihre Innovationskraft nutzen, die Energiewende den Grünen. gestalten und die Herausforderungen bewältigen und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dass nicht alles von Beamten und Politikern gemacht der CDU/CSU – Dr. Hermann E. Ott [BÜND- wird. Vielen Dank dafür! NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Blöd- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sinn, Herr Kauch! – Dorothea Steiner [BÜND- der CDU/CSU – Dorothea Steiner [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! So ein Quatsch!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch die Wir müssen also genau hinschauen, wer was sagt und Letzten, die keine Netz AG wollen! – Gegen- wer was tut. ruf des Abg. Otto Fricke [FDP]: Ach, Frau Steiner, es ist schon ein Kreuz mit Ihnen!) Diese Koalition hat die Energiewende trotz aller Pro- bleme auf den Weg gebracht und wird sie zum Erfolg führen. Wir haben einen so starken Ausbau der erneuer- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: baren Energien wie noch nie. Wir haben einen schnelle- Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage zulas- ren Netzausbau auf den Weg gebracht, mit einer stärke- (B) sen? ren Kompetenz des Bundes. Jetzt müssen wir dafür (D) sorgen, dass wir die Kosten im Griff behalten und die Michael Kauch (FDP): Versorgungssicherheit in der Übergangsphase gewahrt Nein. bleibt. (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Die FDP lässt nie (Beifall der Abg. Judith Skudelny [FDP]) Zwischenfragen zu!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich möchte als Nächstes zum Endlagersuchgesetz Herr Kauch, die Frau Kollegin Kotting-Uhl würde Ih- kommen. Darüber haben wir am Wochenende auf dem nen gerne eine Zwischenfrage stellen. Parteitag der Grünen eine interessante Diskussion erlebt.

(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Michael Kauch (FDP): NEN]: Oh, Sie auch? Waren Sie da?) Ich möchte keine Zwischenfrage zulassen. Ich finde es gut, dass es Mitglieder der Grünen gibt, die (Beifall der Abg. Judith Skudelny [FDP]) sich zu einem ergebnisoffenen Verfahren bekannt haben, Meine Damen und Herren, jetzt kommt es darauf an, (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz reformieren. NEN]: „Mitglieder“? Das tut die ganze Partei!) Neulich habe ich gehört, was Herr Gabriel auf einer Pressekonferenz gesagt hat. Man hätte meinen können, so wie es auch die Koalitionsfraktionen wollen. Wir wol- len, dass das Problem der Endlagerung endlich im Inte- da spricht ein FDP-Politiker, wenn man das Bild ausge- blendet hätte; resse kommender Generationen gelöst wird. Die Genera- tionen, die von der Atomkraft profitiert haben, müssen (Zurufe von der SPD: Na, na, na!) jetzt auch dafür sorgen, dass das Müllproblem gelöst wird. Da kann sich keiner einen schlanken Fuß machen. die SPD-Bundestagsfraktion äußert sich heute allerdings Es muss danach gehen, welcher Standort tatsächlich am mal wieder anders. Herr Gabriel hat interessanterweise geeignetsten ist. das gesagt, was auch wir sagen: dass das EEG ein effek- tives Instrument war, um in der Markteinführungsphase Jetzt gibt es einen Beschluss der Grünen, der das auf- zu möglichst vielen Anlagen zu kommen, dass es aber greift, was die einen gesagt haben, nämlich dass es ein kein geeignetes Instrument ist, um einen Markt zu schaf- ergebnisoffenes Verfahren geben muss, und der auch das fen, in dem die Erneuerbaren die Stromversorgung aufgreift, was die anderen gesagt haben, nämlich: Gorle- mehrheitlich gewährleisten. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25191

Michael Kauch (A) (Ulrich Kelber [SPD]: Na klar! Das ist doch ( [DIE LINKE]: Die ist so- (C) auch so!) wieso abgelaufen!) Das Problem der festen Einspeisevergütung, die wir heute haben, ist das Prinzip „Sell and forget“. Der Pro- Michael Kauch (FDP): duzent kümmert sich um die Finanzierung seiner An- Frau Präsidentin! – Wir als FDP stehen dafür, – lage, er muss sich aber nicht darum kümmern, wie der Strom, den er produziert, ins Stromnetz integriert wird Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: und beim Kunden ankommt. Herr Kollege. An diesem Punkt müssen wir bei einer Reform des EEG ansetzen. Der Weg ist im EEG 2012 bereits ange- Michael Kauch (FDP): legt: Große Biogasanlagen müssen ab 2014 in die Di- – dass wir die Reform des Erneuerbare-Energien-Ge- rektvermarktung einsteigen. Sie bekommen Unterstüt- setzes zügig angehen, und ich freue mich, wenn wir in zung; aber sie müssen sich einen Kunden suchen. Ich diesem Parlament Mitstreiter haben und das auch partei- glaube, das kann man von Stromproduzenten verlangen: übergreifend tun können. dass sie sich einen Kunden suchen. Das ist das Mini- Vielen Dank. mum, was ein Anbieter, der Geld verdienen will, in einer marktwirtschaftlichen Ordnung machen muss. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wir sind dazu bereit, diese Direktvermarktung mit einer Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Prämie zu unterstützen; aber einen Kunden müssen sich Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der die Anlagenbetreiber in Zukunft dann schon suchen. Kollegin Sylvia Kotting-Uhl. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (Zuruf) CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Da sind alle unsere Nachbarstaaten mit ihren Markt- Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): überlegungen schon weiter als die FDP! Sie Was heißt hier „keine Redezeit gekriegt“? Die Rede- sind die Letzten! Aus der Steinzeit!) zeit wird verteilt unter den Mitgliedern des Umweltaus- schusses. Wir müssen auch die Marktprämie reformieren. So, wie sie heute gestrickt ist, führt das zu Mitnahmeeffek- (Otto Fricke [FDP]: Da sind die Haushälter auch (B) ten: Es wird immer dann eingespeist, wenn der Preis noch zu berücksichtigen, Frau Kollegin!) (D) hoch ist; aber ein Anreiz, nicht einzuspeisen, wenn der Da können nicht jedes Mal dieselben drankommen – bei Preis niedrig ist, ist nicht gegeben. uns ist das jedenfalls nicht so. (Ulrich Kelber [SPD]: Das haben wir Ihnen Ich beziehe mich jetzt ausdrücklich auf eine Aussage bei der Einführung gesagt! Seitdem sind Mil- von Ihnen, Herr Kauch, auf eine Aussage, die einfach liarden verschleudert worden!) falsch ist. Wenn Sie schon von Anträgen und Beschlüs- – Liebe Freunde von der SPD, Sie wollten doch gar sen eines Grünen-Parteitages reden, dann sollten Sie keine marktwirtschaftliche Regelung. diese auch genau lesen. In dem Beschluss zur Frage der Sicherheitskriterien steht – Herr Altmaier weiß das aus (Ulrich Kelber [SPD]: Eben! Weil sie Milliar- den Verhandlungen –, dass die Sicherheitskriterien be- den kostet!) reits im Gesetz festgelegt werden sollen und nicht an- Wir wollen jetzt eine neue Marktprämie, einen Marktzu- schließend von einem womöglich erst noch zu installie- schlag in Cent pro Kilowattstunde. renden Institut. Wir wollen nämlich, dass es mit der Endlagersuche schneller vorangeht. Wir brauchen drin- (Beifall der Abg. Judith Skudelny [FDP] – gend ein Endlager. In diesem Beschluss haben wir fest- Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben Milliarden gelegt, dass die Sicherheitskriterien so gestaltet sein verschleudert!) müssen, dass geologisch ungeeignete Standorte im Ver- lauf des Verfahrens ausscheiden. Das ist eine sinnvolle Lösung. Wenn Menschen davon überzeugt sind – und das sind Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: die meisten Grünen –, dass Gorleben ungeeignet ist, dann wird Gorleben im Verlauf dieses Verfahrens selbst- Herr Kollege. verständlich herausfallen. Das steht aber nicht in diesem Beschluss. In dem Beschluss steht: Wir werden nur ei- Michael Kauch (FDP): nem Gesetz zustimmen, das Sicherheitskriterien enthält, Denn dann speisen die Anlagenbetreiber ein, wenn nach denen geologisch ungeeignete Standorte im Verlauf der Strom auch gebraucht wird. des Verfahrens herausfallen. Jetzt frage ich Sie, Herr Kauch: Wollen Sie denn ein Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Verfahren, in dem geologisch ungeeignete Standorte in Herr Kollege, Ihre Zeit wäre abgelaufen gewesen. der Auswahl bleiben? 25192 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: besseren Licht erscheinen zu lassen, steht in den Vorbe- (C) Herr Kauch zur Antwort. merkungen zu Kapitel 02 eine Zusammenfassung aller Umwelt- und Klimaschutzausgaben aller Ministerien. Michael Kauch (FDP): Diese Ausgaben sind in den letzten Jahren tatsächlich gestiegen, nämlich um circa 2 Milliarden Euro auf Liebe Kollegin, was Sie fordern – dass geologisch un- 7,6 Milliarden Euro. geeignete Standorte in einem Stufenverfahren aussortiert werden –, steht bereits in dem Entwurf des Bundesum- Unter Klima- und Umweltschutz kann man viel ver- weltministeriums. stehen. Aber in erster Linie denkt man an erneuerbare En (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der ergien und an Energieeinsparung. Man denkt an Um- weltforschungsprogramme, Windräder, Solaranlagen, im CDU/CSU – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein, eben nicht! Das ist eine besten Sinne: an grüne Technologie. Falschaussage!) Weil mich die Sache auch als Haushälter interessiert, Wenn das der Punkt ist, auf den Sie hinauswollen, dann habe ich um eine detaillierte Aufstellung der Ausgaben in allen Haushalten gebeten; diese habe ich auch bekom- können wir die Verhandlungen morgen abschließen und men. Man sieht deutlich, dass das eine Querschnittsauf- zu einem Ergebnis kommen. gabe ist. Ich möchte Ihnen das einmal aufzeigen: Aber erkennbar wollen Sie das nicht. Was wir bisher Im Auswärtigen Amt zum Beispiel wird unter dem in den Verhandlungen seitens der Grünen erlebt haben, Th ist, dass Ministerpräsident Kretschmann sehr kompro- ema Klimaschutz die Unterstützung der Minenbeseiti- missbereit ist, dass aber der Fraktionsvorsitzende Trittin gung nach Konflikten subsumiert. immer dann auf die Bremse tritt, wenn die Gefahr be- (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Es ist wichtig, steht, dass man zu einer Einigung kommt. die Böden wieder in Ordnung zu bekommen, Herr Leutert!) (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie Auch wird darunter die Beseitigung ehemaliger sowjeti- wollen einen Keil zwischen uns treiben! Was scher Massenvernichtungswaffen subsumiert. anderes wollen Sie nicht!) Im Finanzministerium zählt man zu Klima- und Um- Die Grünen müssen sich jetzt überlegen, ob sie abschlie- weltschutz – Sie können das gerne nachlesen, wenn Sie ßen wollen oder nicht. Wenn sie nicht abschließen wol- es mir nicht glauben –: Erstattungen an die Länder und len, dann bedeutet das ganz klar: Sie wollen keine Lö- sonstige Stellen für die Beseitigung ehemals reichseige- (B) sung des Problems, sondern ein Wahlkampfthema. Das ner Kampfmittel auf nicht bundeseigenen Liegenschaf- (D) ist doch der Punkt, meine Damen und Herren. ten und auch die Abgeltung von Schäden im Zusammen- hang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜND- Auch das Verteidigungsministerium darf nicht fehlen. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieder nur die Hälfte Es meint, zu Klima- und Umweltschutz gehörten Simu- gehört!) latoren und andere Umweltschutzgeräte. Das alles kann man natürlich im weitesten Sinne unter grüner Technolo- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gie subsumieren; das ist klar. Ich bin mir aber nicht si- Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege cher, ob die Bevölkerung das ebenfalls als Klimaschutz Michael Leutert. anerkennt. (Beifall bei der LINKEN) Eine Nachfrage im Verteidigungsministerium hat er- geben, dass zu „Simulatoren und anderen Umweltschutz- geräten“ Folgendes zählt: der Betrieb eines Gefechts- Michael Leutert (DIE LINKE): übungszentrums, der Simulator Eurofighter, Tornado, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Phantom usw., ein Truppenentseuchungs- und Entgif- Die Debatte und die Emotionalität, mit der sie geführt tungsplatz, die Umrüstung der Fregatten, wehrtechnische wird, zeigen, dass das Thema Klima- und Umweltschutz Studien unter anderem in den Bereichen neue Explosiv- in der Politik angekommen ist. Dies könnte natürlich et- stoffe. was damit zu tun haben, dass dieses Thema in der Bevöl- kerung eine große Beachtung findet, dass es als Zu- (Zuruf von der Linken: Aha!) kunftsaufgabe gesehen wird und dass dementsprechend Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir alle der Blick auf uns gerichtet ist. Vor diesem Hintergrund sollten ehrlich zueinander sein und feststellen, dass diese macht es sich ausgesprochen gut, wenn man für den Maßnahmen eher in andere Kategorien fallen, aber mit Klima- und Umweltschutz viel tut und auch viel Geld Sicherheit nicht in die Kategorie „Klima- und Umwelt- ausgibt. Darum soll es heute gehen. schutz“. Wir haben beim Bundesumweltministerium ein Haus- (Beifall bei der LINKEN – Otto Fricke [FDP]: haltsvolumen, das im Gegensatz zu anderen Einzelplä- Sie haben nichts dazugelernt!) nen nicht so berauschend ist. Seit dem Antritt von Schwarz-Gelb stagniert das Volumen bei circa 1,6 Mil- Auf Nachfrage im BMU wurde mir erklärt – weil mir liarden Euro. Vermutlich um diese Zahl in einem etwas das etwas unverständlich war –, dass es für die Meldung Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25193

Michael Leutert (A) dieser Maßnahmen keine Kriterien gäbe. Ich denke aller- haben wir jedes Jahr einen Antrag gestellt; jetzt gab es (C) dings, genau diese Kriterien wären notwendig. Deshalb einen einstimmigen Beschluss dazu. Wenn Sie sich auch können wir als Linke da nur fordern, dass die Bundesre- hier unseren Überlegungen anschließen, könnten wir uns gierung das korrigieren muss und somit für mehr Klar- überlegen, diesem Haushalt zuzustimmen. Unter den jet- heit und auch Nachvollziehbarkeit im Haushalt sorgt. zigen Voraussetzungen ist das aber nicht möglich. (Beifall bei der LINKEN) Danke. Es versteht sich von selbst, dass wir diesen Ausgaben (Beifall bei der LINKEN) unter der Rubrik „Klimaschutz“ erst recht nicht zustim- men können. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Anstatt solche Beschönigungen bei den Ausgaben Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Hermann Ott das vorzunehmen, sollte sich das Ministerium meines Erach- Wort. tens um zwei sehr wichtige und zentrale Themen küm- mern: Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Erstens. Die tatsächlich bereitgestellten Gelder im NEN): Bereich Klimaschutz sollten auch wirklich so wie vorge- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen sehen ausgegeben werden, also tatsächlich für Klima- und Kollegen! Der Umwelthaushalt ist nur einer der schutz und nicht für Panzerfahrsimulatoren. Es ist nicht kleineren Posten in unseren Beratungen, doch gleichzei- akzeptabel, dass im Jahr 2011 von den im Sondervermö- tig einer der wichtigsten. Denn was nützt uns aller mate- gen „Energie- und Klimafonds“ dem BMU zugeteilten rielle Reichtum, wenn das Klima verrückt spielt, wenn Mitteln lediglich 17 Prozent ausgegeben wurden. Das wir unsere Küstenstädte evakuieren müssen oder wenn heißt, 60 Millionen Euro blieben einfach liegen. unsere Ernährung nicht mehr gesichert ist? Gar nichts, wie auch ein aktueller Bericht der Weltbank zeigt. Die Zweitens. Auch vom Kollegen Schulte-Drüggelte ist diesjährige dramatische Eisschmelze im arktischen schon die soziale Frage bei der Energiewende angespro- Nordmeer sowie die Verwüstungen von Hurrikan Sandy chen worden. Privathaushalte stöhnen mittlerweile unter in der Karibik und den USA machen überdeutlich, dass den Preiserhöhungen. Vattenfall beispielsweise will in wir nicht lockerlassen dürfen. Der Schutz unserer globa- Berlin zum Jahreswechsel seine Strompreise um 13 Pro- len Ökosysteme ist zentrale Bedingung für das Wohl- zent erhöhen. Das bedeutet zum Beispiel für einen vier- ergehen aller Menschen auf diesem Planeten. köpfigen Haushalt über 140 Euro mehr im Jahr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Otto Fricke [FDP]: Von wie viel Kilowatt- (B) sowie bei Abgeordneten der SPD) (D) stunden gehst du da aus?) Man sollte deshalb meinen, dass Bundesregierung Aus diesem Grund haben wir einen Vorschlag gemacht. und Koalition mit diesem Haushalt ein deutliches Zei- Wir machen ihn schon seit Jahren. Wir freuen uns da- chen setzen, ein Zeichen für die Bedeutung des Umwelt- rüber, dass die Grünen jetzt ebenfalls einen Vorschlag und Klimaschutzes, national und international, ein für einen Energiesparfonds gemacht haben. Zeichen dafür, dass Deutschland eine Vorreiterrolle ein- In diesem Energiesparfonds muss auch eine Ab- nimmt, wie dies gerade auch von John Schellnhuber wrackprämie für alte Stromfresser, beispielsweise alte gefordert wird, einem der früheren Berater der Bundes- Kühlschränke, enthalten sein. Schön, dass wir uns hier regierung in Klimafragen. Stattdessen präsentiert einig sind. 200 Euro Abwrackprämie schlagen wir vor. Schwarz-Gelb einen Umwelthaushalt, der den drängen- Es ist logisch, dass dies einkommensschwache Haus- den Herausforderungen null gerecht wird. Da, wo Sie et- halte in Anspruch nehmen werden, weil sich besserge- was tun und doch Geld in die Hand nehmen, meine Da- stellte Haushalte schon längst mit besseren Modellen men und Herren von der Regierungskoalition, tun Sie ausgestattet haben werden. auch noch das Falsche und schädigen Umwelt und Klima. So geht das nicht. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Strom muss für alle bezahlbar sein. Die Energiewende und bei der SPD) kann nur gelingen, wenn sie eine soziale Energiewende ist. Es ist doch überdeutlich: Sie haben die rot-grüne Energiewende nur geerbt; Sie wollen sie eigentlich (Beifall bei der LINKEN) nicht. Es fehlt Ihnen der Kompass. Sie wissen gar nicht, Man kann auch über soziale Tarife nachdenken. wohin Sie steuern. Deshalb nehmen Sie blindlings das Denkbar ist zum Beispiel, dass die ersten Kilowattstun- EEG unter Beschuss. Deshalb verstümmeln Sie wichtige den für einkommensschwache Haushalte frei zur Verfü- Klimaschutzprogramme und packen sie in den Energie- gung stehen. Unser Vorschlag für eine wiederum vier- und Klimafonds, einen Schattenhaushalt, der zu allem köpfige Familie ist, die ersten 1 100 Kilowattstunden Unglück auch noch unter der Fuchtel des Finanzminis- kostenfrei zu stellen. ters steht. So kann das nichts werden. Da machen Sie doch den Bock zum Gärtner. Das kann nicht gutgehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei einigen Punkten haben Sie sich durchringen können, unseren Überlegun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen zu folgen, zum Beispiel bei der Praxisgebühr. Dazu und bei der SPD) 25194 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Dr. Hermann E. Ott (A) Nicht einmal das wirklich Einfache gelingt Ihnen. Haushalts- und Finanzpolitik. Mit diesem dürftigen Ent- (C) Zum Beispiel könnten Sie doch zumindest einen kleinen wurf des Umwelthaushalts 2013 haben Sie Ihre letzte Teil der jährlich 48 Milliarden Euro an Subventionen für Chance verpasst und den Grundstein dafür gelegt, dass klimaschädliche Maßnahmen kappen. Doch es gibt bei wir ab 2014 den Haushalt endlich wieder umwelt- und Ihnen kein Umsteuern in der Verkehrs- und Landwirt- klimagerecht gestalten können. schaftspolitik. Selbst der Schutz der biologischen Viel- Ich freue mich darauf und danke Ihnen. falt führt ein Schattendasein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kurz gesagt: Dieser Haushalt ist die nackte Offenba- und bei der SPD) rung der Bundesregierung für ihre uninspirierte und ver- fehlte Umwelt- und Klimapolitik. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marie-Luise Dött hat jetzt das Wort für die CDU/ und bei der SPD – Michael Kauch [FDP]: CSU-Fraktion. Märchenstunde!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eine Quittung haben Sie ja bereits bekommen; das kann ich Ihnen leider nicht ersparen. – Der Minister ist Marie-Luise Dött (CDU/CSU): leider schon weg; aber die Staatssekretärin wird ihm das sicherlich mit Freuden übermitteln. – Es geht um den Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Green Climate Fund. Wer die Anhebung des europäi- Haushalt 2013 des Bundes steht im Zeichen eines konse- schen Klimaschutzziels auf 30 Prozent nur uninspiriert quenten Konsolidierungskurses. verfolgt, wer die Rettung des Emissionshandels als zen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tralen Baustein der europäischen Klimapolitik nicht zur neten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: So viel Chefsache macht, der braucht sich nicht zu wundern, Schulden wie vor zwei Jahren bei Rekordein- dass diese fatalen Signale international wahrgenommen nahmen!) werden und der Sitz des Green Climate Fund nach Seoul geht und nicht nach Bonn. Das, meine Damen und Her- Er steht aber auch im Zeichen der Energiewende. Genau ren von der Regierungskoalition, ist auch ein Ergebnis deshalb erhöhen wir die Mittel des Umwelthaushaltes Ihrer Politik, und diese verheerende desinteressierte Li- trotz der Sparerfordernisse um 3,4 Prozent bzw. 54,7 Mil- nie kennzeichnet auch Ihren Haushalt. lionen Euro. Das ist ein deutliches politisches Signal für mehr Umweltschutz, für mehr Klimaschutz und für ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gelingen des Umbaus unserer Energieversorgung. sowie bei Abgeordneten der SPD) (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (D) Wir Grünen legen Ihnen stattdessen einen Klima- der FDP) schutzhaushalt vor, mit dem die Haushalts- und Finanz- politik nachhaltig ausgerichtet wird Darüber sollten wir uns als Umweltpolitiker gemeinsam freuen. (Michael Kauch [FDP]: Genau! 8,4 Milliarden Euro Steuererhöhungen!) Ein Blick in den Haushalt des BMU zeigt, dass insbe- sondere der Ausbau der erneuerbaren Energien als eine und der mit rund 4,6 Milliarden Euro den sozial-ökologi- der Hauptsäulen unserer Energiepolitik im Zentrum der schen Umbau unterstützt. Wir zeigen, wie durch nach- Arbeiten steht. Hier geht es um das Erreichen unserer haltiges Investieren eine Effizienzoffensive gelingen ambitionierten quantitativen Mindestausbauziele. Ich kann, wie die Verkehrswende gelingen kann will das deutlich sagen: Hier machen wir keine Abstri- che. Aber eines wissen wir doch auch alle: Der aktuelle, (Michael Kauch [FDP]: Mit Steuer- auf der Zeitschiene und auch regional unkontrollierte erhöhungen!) Ausbau führt zu Kostenproblemen und zu Problemen bei und wie wir jährlich 500 Millionen Euro für den interna- der Netzintegration des Stroms aus erneuerbaren Quel- tionalen Schutz des Klimas und der biologischen Vielfalt len. Wir brauchen eine Verstetigung des Zubaus, und wir investieren können. Wir machen zudem konkrete Vor- brauchen eine Synchronisation mit dem Netzausbau. Es schläge, wie diese Maßnahmen gegenfinanziert werden ist volkswirtschaftlich nicht sinnvoll und den Bürgern können, zum Beispiel durch Kürzungen in Höhe von nicht mehr zu vermitteln, dass Strom bezahlt wird, der 8,4 Milliarden Euro bei umweltschädlichen Subventio- nicht transportiert und damit auch nicht verbraucht wer- nen und Steuervergünstigungen. Damit sind unsere In- den kann. Das muss in einer Haushaltsdebatte auch ein- vestitionen bei voller Jahreswirkung mehr als gesichert. mal gesagt werden. Eines muss doch klar sein: Ein Sponsoring des Klima- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wandels darf es in Deutschland nicht geben. neten der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ja, das EEG hat sich als Instrument bei der Marktein- und bei der SPD) führung der Erneuerbaren bewährt. Aber so, wie das Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Schwarz- EEG konstruiert ist, kann es die neuen Herausforderun- Gelb, die umwelt- und klimapolitischen Herausforderun- gen nicht bewältigen. Genau deshalb brauchen wir eine gen und insbesondere die Umsetzung der Energiewende grundlegende Reform. Wie diese Reform aussieht, das brauchen eine solide und nachhaltige Ausrichtung der müssen wir gemeinsam diskutieren. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25195

Marie-Luise Dött (A) (Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie organisieren ei- dern und Innovationen sind die Voraussetzungen für das (C) nen Attentismus bei den Investitionen! Es wird Erreichen unserer Ziele. Genau da setzen wir die politi- immer schlimmer, was Sie treiben!) schen Prioritäten, und genau das zeigt auch der Haushalt 2013. Ich kenne bislang eine Vielzahl von Vorschlägen: das Quotenmodell, den Energiesoli, den Vorschlag der grund- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sätzlichen Beibehaltung des EEG oder die Entlassung Meine Damen und Herren, wir haben im Bereich der der Erneuerbaren in den Markt. Gleichzeitig gibt es Ge- Endlagerung radioaktiver Abfälle zwei zentrale Geset- genargumentationen zu jeder dieser Ideen. Wem der zesvorhaben, die jetzt zügig umgesetzt werden müssen. Ausbau der erneuerbaren Energien wirklich am Herzen Minister Altmaier hat schon den Sachstand erläutert. Es liegt, der muss sich Zeit nehmen, alle diese Vorschläge gibt aus meiner Sicht keine unüberbrückbaren Probleme sehr gründlich zu analysieren und zu diskutieren. in der Sache. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie stehen auf der Einen wichtigen Punkt möchte ich zum Schluss noch Bremse und kommen nicht mehr davon herun- ansprechen, der mir besonders wichtig ist, nämlich die ter!) steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanie- Nichts wäre für die Energiewende schlimmer, als wenn rung. wir jetzt mit einem Schnellschuss Fehler machten. (Ulrich Kelber [SPD]: Dazu sage ich gleich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- etwas!) neten der FDP) – Ich bitte darum. Das Erreichen unserer Ausbauziele steht auf dem Spiel. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie streichen zusammen Es geht um die Akzeptanz der Förderung der erneuerba- und fordern von anderen Geld! Das ist ein ren Energien bei den Bürgern. Es geht um Sicherheit für Spielchen! 2,25 Milliarden Euro!) Investoren, und es geht um die sichere Versorgung des Wirtschaftsstandorts mit bezahlbarer Energie. Ich hatte dieses Thema bereits vor einem Jahr genau an dieser Stelle angesprochen. Ich hatte Sie, meine Damen Angesichts dieser Herausforderungen ist es richtig, und Herren von SPD, Herr Kelber, und Bündnis 90/Die mit den Arbeiten sofort zu beginnen. Es ist aber auch Grünen, gebeten, mitzuhelfen, die Blockade Ihrer Bun- richtig, die konkreten Schlussfolgerungen erst auf der desländer im Bundesrat aufzulösen. Aber es ist nichts Grundlage sicherer Erkenntnisse und nach einer gesell- passiert. schaftlichen Diskussion umzusetzen. (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- (D) (Zuruf von der FDP: Ja!) ruf von der FDP: So ist es! Da gibt es nichts zu Genau das hat Peter Altmaier mit seinem Verfahren zur beschönigen!) Neuregelung des EEG vorgeschlagen. Ihre Länder haben dafür gesorgt, dass wir ein Jahr verlo- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ren haben. neten der FDP) Meine Damen und Herren, die Bürger warten; das Dafür hat er unsere Unterstützung und unsere Zusage als Handwerk und der Mittelstand warten. Morgen tagt er- Fraktion, dass wir uns konstruktiv in die Diskussion ein- neut der Vermittlungsausschuss zu diesem Thema. Dann bringen werden. haben die von Ihnen geführten Landesregierungen die Chance, Ihren Worten für den Klimaschutz und die Ener- Es gibt aber Handlungserfordernisse beim Ausbau der gieeffizienz Taten folgen zu lassen. erneuerbaren Energien jenseits der Weiterentwicklung des EEG. Dazu gehören zum Beispiel die Entwicklung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und breitere Markteinführung von modernen Speicher- der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Ja, ja! Dazu technologien insbesondere für PV-Anlagen. Es ist rich- sage ich gleich etwas!) tig, dafür umgehend Anreize zu schaffen. Wir unterstüt- Wenn Ihnen Energieeffizienz wirklich am Herzen liegt, zen den derzeit in der Abstimmung befindlichen dann greifen Sie zum Telefon und leisten Sie bei Ihren Vorschlag des Bundesumweltministers für ein Markt- rot-grün regierten Ländern Überzeugungsarbeit. anreizprogramm mit einem Umfang von 50 Millionen Euro für dezentrale Stromspeicher. Wir brauchen diese (Ulrich Kelber [SPD]: 80 Prozent Kürzung bei Speicher, um den Strom besser zu verwerten und gleich- der energetischen Gebäudesanierung! Das ist zeitig die Netze zu entlasten. Zusätzliche Mittel werden die wahre Politik! Und dann andere auffor- auch bei der Forschung im Bereich der erneuerbaren dern, Geld zu geben!) Energien bereitgestellt. Dort stehen im nächsten Jahr Es wäre übrigens auch für die Kollegen, die zur Klima- 158 Millionen Euro zur Verfügung. Dazu kommen noch konferenz nach Doha fahren, gut, Herr Ott, einen weite- 57 Millionen Euro aus dem Energie- und Klimafonds. ren, sehr konkreten Baustein für unsere anspruchsvolle Damit bleiben die erneuerbaren Energien ein zentraler Klimapolitik im Gepäck zu haben. Bereich der Förderung von Zukunftstechnologien. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Eine kosteneffiziente Förderung der Erneuerbaren, die Koordination des Ausbaus zwischen Bund und Län- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 25196 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Deutschland 5 Prozent Gegner der erneuerbaren Ener- (C) Ulrich Kelber hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. gien geben, (Beifall bei der SPD) (Michael Kauch [FDP]: Ist das frech!) hat jetzt schon dazu geführt, dass es schwierig ist, Kre- Ulrich Kelber (SPD): dite für langfristige Programme zu bekommen. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ungewöhnlich freimütig hat Bundesumwelt- Bei der Bundesregierung ist in Sachen Energieeffi- minister Altmaier zu Beginn seiner Rede vor wenigen zienz Hopfen und Malz verloren. Deutschland ist unter Minuten zugegeben, dass Schwarz-Gelb sich dreieinhalb den 27 EU-Mitgliedstaaten dasjenige Land, das in Brüs- Jahre lang nicht für die Energiepolitik interessiert hat. sel am häufigsten versucht, die EU-Energieeffizienz- pläne zu blockieren. Dabei geht Deutschland noch hinter (Beifall bei Abgeordneten der SPD – die eigenen, nationalen Ziele zurück. So sahen die Ver- Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das hat er handlungen aus, die zunächst vom Wirtschaftsministe- nicht gesagt! – Gegenruf von der SPD: Doch!) rium geführt und vom Umweltministerium unterstützt wurden. Jetzt, mit dem Bundeshaushalt 2013, werden auf einmal wenige Monate vor der Wahl für diesen Politikbereich Es gibt keine Energieeffizienzfonds, die Mittel für die Dutzende neue Stellen beim Umweltministerium und Gebäudesanierung sind zusammengestrichen worden beim Wirtschaftsministerium geschaffen. Ich habe aller- – ich werde Ihnen gleich etwas zu den Zahlen sagen –, dings keine Hoffnung, dass dies dazu führen wird, dass und dann kommt der Bankraub bei der Kreditanstalt für der Dauerstreit zwischen den Ministern und den Ministe- Wiederaufbau dazu. Eine Zwangsdividende von 1 Mil- rien aufhört. liarde Euro wird aus dieser Förderbank herausgezogen. Wo soll die eigentlich eingespart werden: bei der Gebäu- Wir haben einen Wirtschaftsminister, der sein Haus desanierung, bei dem Marktanreizprogramm, beim al- Entwürfe zum Erneuerbare-Energien-Gesetz schreiben tersgerechten Umbau, bei den Existenzgründungen oder lässt, für das eigentlich der Umweltminister zuständig bei den Investitionen in erneuerbare Energien? Haus- ist, haltszahlen schönen, indem man Gelder, die für Investi- tionen in die Zukunft gedacht sind, plündert – was für (Stephan Thomae [FDP]: Das nennt sich eine Wahnsinnsidee von Schwarz-Gelb! Zusammenarbeit!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten statt sich um Energieeffizienz, Netzmodernisierung oder der LINKEN) (B) Durchsetzung von Wettbewerb zu kümmern. (D) Wir haben einen Umweltminister, der versucht, das Wo ist denn nach drei Jahren Schwarz-Gelb das als neu zu verkaufen, was sein Vorvorgänger Gabriel Fundament für die Modernisierung von Verteil- und Übertragungsnetzen? Etwa bei der Südwestkuppellei- eingeführt und sein Vorgänger Röttgen ausgebaut hat, tung? 1 Gigawatt zusätzliche Kapazität von Windenergie nämlich die kostenlose Energieberatung. Außerdem aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt soll nach Süd- hofft er noch, dass ihm in den Schoß fällt, dass die Um- deutschland gebracht werden. Ende nächsten Monats ist lage für das Erneuerbare-Energien-Gesetz 2014 sinkt. diese Leitung in Sachsen-Anhalt und Thüringen fertig. Ich habe dem Umweltminister im Netz eine Wette ange- In Bayern, lieber Josef Göppel, haben die Genehmi- boten, die er bisher nicht angenommen hat. Ich habe ge- gungsbehörden noch nicht einmal mit dem Genehmi- sagt: Herr Altmaier, Sie haben so viel Unsinn in das Er- gungsverfahren begonnen, obwohl es zum gleichen Zeit- neuerbare-Energien-Gesetz – ich rede von der Umlage – punkt wie in Thüringen und Sachsen-Anhalt beantragt aufgenommen, dass, wenn Sie keine weiteren Fehler in wurde. Besteht darin die Energiepolitik dieser schwarz- Richtung Verteuerung machen, diese Umlage 2014 auto- gelben Landesregierung? matisch sinkt. – Er will sich nur mit fremden Federn schmücken und vergessen machen, dass er als Minister (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ für die größte Strompreisanhebung in der Geschichte der DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich ist, die zum LINKEN) 1. Januar 2013 stattfindet. Natürlich wären wir mit den Gleichstromleitungen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ weiter, wenn nicht als Staatssekretärin DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ und der heutige Umweltminister Altmaier in der Großen CSU) Koalition genau diesen Vorschlag von in einem 50 Meter von hier entfernten Raum abgelehnt hät- Schwarz-Gelb schafft es nicht, das Chaos in der Ener- ten. Wir brauchen keine Hochspannungs-Gleichstrom- giepolitik abzustellen. Schwarz-Gelb ist nicht dazu be- Übertragungsleitungen – das war die Linie von CDU reit, die Investitionen in die Energieversorgung sparsam und CSU. Heute, sechs Jahre später, hätten wir sie wahr- und sozial ausgeglichen zu gestalten. Wer soll denn ei- scheinlich schon fertiggestellt und müssten nicht mehr gentlich nach drei Jahren hü und hott, hin und her, zick darüber reden. und zack in der Energiepolitik noch investieren? Das Wahlkampfmanöver der FDP, auf die erneuerbaren Ener- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gien einzudreschen in der Hoffnung, es müsse doch in DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25197

Ulrich Kelber (A) Ich wundere mich auch über das Schweigen des Um- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C) weltministers zu so vielen Wortmeldungen. Der Energie- Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen kommissar Oettinger, früherer CDU-Ministerpräsident, Michael Kauch das Wort. und Herr Reul, CDU-Europaabgeordneter, fordern, die deutschen Energiegesetze durch eine Quotenregelung für erneuerbare Energien in Europa abzulösen. Was sagt Michael Kauch (FDP): der Umweltminister dazu? Was sagt er dazu, wenn Frau Lieber Kollege Kelber, Ihre Behauptungen werden Dött, umweltpolitische Sprecherin, Herr Pfeiffer, wirt- nicht besser, wenn Sie sie bei jeder Debatte wiederholen. schaftspolitischer Sprecher, Herr Fuchs, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, und Herr Bareiß, energiepoliti- (Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind ja schon gut scher Sprecher, für einen Stopp der Energiewende in ver- genug!) schiedenen Veranstaltungen werben? Auch dazu Sie haben heute erneut gesagt, wir hätten die heroischen schweigt er. Haushaltszahlen der SPD zur Gebäudesanierung zusam- Die soziale Energiewende ist Schwarz-Gelb egal. mengestrichen. Ich halte fest: Der SPD-Minister, der da- Nach dem Rollgriff in die Sozialkassen – Sie haben auf mals für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zuständig dem Koalitionsgipfel 10 Milliarden Euro aus der Ren- war, hat ein Programm zur Konjunkturstabilisierung von ten-, der Arbeitslosen- und der Krankenversicherung in 3 mal 1,5 Milliarden Euro bewilligt bekommen. Es war den Bundeshaushalt umgelenkt – und nach der Verwei- ein befristetes Programm. Diese Koalition hingegen hat gerung des Mindestlohns tun Sie nichts gegen steigende ein dauerhaftes Programm zur Gebäudesanierung aufge- Energiepreise. Ich nenne das Beispiel der Gebäudesanie- legt. – Das ist der erste Punkt, lieber Herr Kelber. rung. Frau Dött und andere behaupten immer, die Bun- desländer seien nicht bereit, ihren Vorschlag mitzutra- Der zweite Punkt ist folgender: Die 2,2 Milliarden gen. Warum sind die Bundesländer denn nicht bereit Euro, von denen Sie sprechen, haben Sie sich im Wahl- dazu? Weil Sie zwei Sachen gemacht haben: 2009 hat jahr zusammengeklaubt, indem Sie Geld aus den Folge- Schwarz-Gelb 2,25 Milliarden Euro pro Jahr für Gebäu- jahren in das Wahlkampfjahr gezogen haben, damit Ihr desanierung im Bundeshaushalt vorgefunden und dann SPD-Bauminister durchs Land ziehen und zeigen die Mittel auf 500 Millionen Euro im Jahr gekürzt. Bei konnte, was er Tolles für die Gebäudesanierung macht. der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die die Kredit- und Deshalb waren die Töpfe leer, als wir die Regierung Förderprogramme finanzieren soll, wird jetzt eine übernommen haben. Das ist die Wahrheit – und nicht Zwangsdividende von 1 Milliarde Euro eingeführt. Man das, was Sie hier immer behaupten. ändert extra ein Gesetz, um dieses Geld dort abziehen zu (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Uwe können. – Sie nehmen also über 3 Milliarden Euro he- Beckmeyer [SPD]: Was für ein Unsinn!) (B) raus und sagen: Bundesländer, gleicht aus, was wir als (D) schwarz-gelbe Bundesregierung zusammenstreichen. – Wenn Sie wieder mit den energieintensiven Unterneh- Das ist einfach unverschämt. men anfangen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN) NEN]: Ja, immer wieder!) Zum Strompreis. Bei der Umlage gibt es Befreiungen dann bitte ich Sie, sich einmal anzuschauen, wer alles wie aus dem Tollhaus, für die die Privathaushalte und von der Umlage befreit ist. Es ist nämlich kein Golfplatz Gewerbebetriebe zahlen müssen. Werden diese Befrei- in Deutschland befreit. ungen denn jetzt überprüft, Frau Reiche, oder nicht? Im Morgenmagazin sagte Herr Altmaier: Ja. In der offiziel- (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- len Antwort an den Deutschen Bundestag steht, das NEN]: Nein, der ist von Netzentgelten be- Umweltministerium habe eine Studie in Auftrag gege- freit!) ben, die am 31. Juli 2014 fertig sein solle. Wird das nun stattfinden, oder nicht? Auch der Deutsche Wetterdienst, von dem Sie Grüne im- mer reden, ist nicht befreit. Vielmehr sind es zum einen Es bleibt die Frage, ob die Energiewende nach Mei- mittelständische Unternehmen, Unternehmen des indus- nung von Schwarz-Gelb überhaupt effizient, effektiv triellen Mittelstandes, und sozial ausgewogen gestaltet werden soll oder ob es nicht vielmehr so ist, wie der wirtschaftspolitische Spre- (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- cher der CDU/CSU, – jetzt leider nicht NEN]: Ja, aber allergrößte!) anwesend – am 23. August 2012 im Handelsblatt er- klärte: Die Bürger wollten die Energiewende; jetzt sollen und zum anderen zum Beispiel die Deutsche Bahn und sie sie bezahlen. – Das ist nämlich die Haltung, die bei die U-Bahnen in den großen Ballungszentren. Jetzt frage Schwarz-Gelb aus allen Poren spricht. ich die SPD: Halten Sie es für umweltpolitisch vertret- bar, die Fahrpreise in München, in Berlin und im Rhein- (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE Ruhr-Gebiet zu erhöhen, weil Sie die Stromvergünsti- GRÜNEN]: Pfui!) gungen für die U-Bahnen streichen wollen? Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN) NEN]: Das ist doch platt!) 25198 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Michael Kauch (A) Sind Sie bereit, die Fahrpreiserhöhungen für die Deut- Zwangsdividende von über 1 Milliarde Euro auch noch (C) sche Bahn zu übernehmen? Das ist die Frage, der Sie abziehen, frei nach dem Motto: Was ist schon ein Bank- sich stellen müssen, anstatt den Leuten in Bezug darauf, raub gegen eine Zwangsdividende? wer hier alles von Ausnahmen profitiert, immer Sand in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Augen zu streuen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Josef Göppel hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Kelber hat das Wort zur Antwort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ulrich Kelber (SPD): Josef Göppel (CDU/CSU): Herr Kollege Kauch, ich muss mich manchmal fra- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gen, ob Sie die Dinge wirklich nicht nachgelesen haben Angesichts des lebhaften Debattenverlaufs will ich kurz oder ob Sie sie absichtlich verdrehen. Wenn Sie nachle- den Blick auf die Mitte des Aufgabenfeldes dieses sen würden, könnten Sie feststellen, dass die SPD den Ministeriums richten – an der Wand seitlich hinter mir Vorschlag gemacht hat, die Ausnahmen wieder auf den erscheint der entsprechende Begriff elektronisch –: Na- Stand des Jahres 2009 zurückzuführen. Da im Jahr 2009 turschutz. Die Titelgruppe „Naturschutz“ umfasst gerade die Deutsche Bahn und die U-Bahnen aufgrund einer einmal so viel wie die Steigerung der Mittel von 2012 Initiative der SPD befreit waren, ist das, was Sie gerade auf 2013, nämlich 49 Millionen Euro. Man braucht nicht gesagt haben, also völliger Unsinn. viel Geld für den Naturschutz. Die Mitgeschöpfe des Menschen, die wildlebenden Pflanzen und Tiere, brau- (Michael Kauch [FDP]: Dann bleibt aber nicht chen nur etwas Zurückhaltung des Menschen. Die Tiere mehr viel übrig!) brauchen nur etwas Platz, wo sie Nahrung finden und Meine Bitte: Man sollte sich informieren, bevor man re- ihre Jungen aufziehen können. det – und nicht umgekehrt. Es gibt das Programm „Biologische Vielfalt“, dessen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Finanzierung noch Norbert Röttgen beim Bundesfinanz- DIE GRÜNEN) minister durchsetzen konnte. Ich möchte an dieser Stelle der Naturschutzabteilung des Umweltministeriums und Zum Zweiten: Haben Sie eigentlich gemerkt – dieje- auch dem Bundesamt für Naturschutz für die engagierte (B) nigen, die Ihnen applaudiert haben, wahrscheinlich Umsetzung dieses Programms danken. (D) nicht –, dass Sie sich im ersten Teil selbst widersprochen Aber die Musik spielt in der Agrarförderung. Ich haben? Sie haben nämlich zwei Dinge gleichzeitig be- spreche den Europäischen Rat an, der am Donnerstag hauptet. Zuerst haben Sie gesagt, die SPD – wir waren dieser Woche stattfinden wird. Dort fallen die Grund- übrigen s in einer gemeinsamen Regierung mit CDU und satzentscheidungen über die Agrarförderung, auch im CSU und konnten gar nichts alleine beschließen – habe Hinblick auf die Einrichtung ökologischer Vorrangflä- ein befristetes Programm zur Gebäudesanierung nur für chen. ihre Wahlperiode aufgelegt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (Michael Kauch [FDP]: Nicht für die Wahlpe- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- riode! Für drei Jahre!) NEN) um danach zu behaupten, der Minister habe die Gelder Der Nutzungsdruck ist in den vergangenen zehn Jahren aus den Folgejahren dafür verwendet, sodass Sie gar gewachsen. Wir haben bei Allerweltsarten wie dem Kie- nichts vorgefunden hätten. Das ist ja schon ein Wider- bitz oder der Feldlerche Populationseinbrüche bis auf die spruch in sich. Hälfte. Wenn es nicht gelingt, ein bisschen Fläche für die In den Weltwirtschaftskrisenjahren ab 2008 hat die Artenvielfalt zu reservieren, dann werden wir dieses Ziel damalige Koalition aus CDU/CSU und SPD zu Recht nicht erreichen können. beschlossen: Kein Antrag auf Gebäudesanierung bleibt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ohne Zuschlag. – Das war natürlich alles andere, als, wie sowie bei Abgeordneten der SPD) es danach geschehen ist, die Mittel auf 500 Millionen Euro oder auf null zu reduzieren – Sie haben zwischen- – Warten Sie, was ich noch zu sagen habe, bevor Sie zeitlich ja unter 500 Millionen Euro bereitgestellt –; Beifall spenden. – Dabei ist es wichtig, zu sehen: Wir vielmehr war es eine Aussage mit Blick auf die mittel- brauchen für dieses Ziel keine Stilllegung. Es ist durch- fristige Finanzplanung in dieser Regierungszeit. aus möglich, Klee oder Luzerne auf den ökologischen Flächen zuzulassen. Entscheidend ist nur, dass das soge- Es bleibt bei den Zahlen: In allen Jahren der damali- nannte Greening im Rahmen der Agrarförderung ver- gen Regierungskoalition sind über 1,5 Milliarden Euro pflichtend durchgeführt wird, weil wir sonst in den für dieses Programm ausgegeben worden. Sie streichen Gunstlagen keine ökologischen Flächen bekommen, ob- die Mittel auf 500 Millionen Euro. Die ergänzenden Mit- wohl wir sie dort am dringendsten brauchen, während tel, die die Kreditanstalt für Wiederaufbau bisher aus ei- wir in den Mittelgebirgen umso mehr ökologische Flä- gener Kasse aufbringen konnte, werden Sie durch Ihre chen erhalten, obwohl wir dort schon genug haben. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25199

Josef Göppel (A) (Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache (C) CSU]) 17/11524? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Insofern ist es wichtig, eine nutzungsorientierte Bewirt- Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von SPD und Grü- schaftung der ökologischen Flächen zuzulassen. Gleich- nen und Enthaltung der Linken. zeitig bitte ich das Umweltministerium in der Ressortab- stimmung für den Europäischen Rat in dieser Woche auf Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache jeden Fall auf dem verbindlichen Greening zu beharren. 17/11525? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Än- derungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koali- (Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ tionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfrak- CSU]) tionen. Es gibt noch ein weiteres Thema, das mit Europa zu Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache tun hat: das EEG und die Frage, wie es in Europa damit 17/11526? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Än- weitergeht. Ich sage hier für die CSU: Wenn der Bericht- derungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koali- erstatter im Europäischen Parlament Reul oder gar der tionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen EU-Kommissar Oettinger das EEG durch bestimmte bei Enthaltung der Linken. Maßnahmen zugunsten gesamteuropäischer Planungen wirkungslos machen will, dann machen wir da nicht mit. Wir kommen jetzt zu fünf Änderungsanträgen der Fraktion Die Linke. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 17/11506? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Man darf die Instrumente, die funktionieren, nicht aufge- Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der ben in einer Zeit, in der sich Siemens und Bosch von Koalitionsfraktionen und der SPD bei Zustimmung der Desertec zurückziehen und der Emissionshandel seine Linken und Enthaltung der Grünen. Steuerfunktion für den CO2-Ausstoß eingebüßt hat. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache Wir hatten gestern das erste Bundestreffen der Deut- 17/11507? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – schen Energiegenossenschaften in Berlin. Peter Altmaier Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenver- hat als Hauptredner eine beeindruckende Rede gehalten. hältnis wie zuvor abgelehnt. Er hat gespürt, wie viel Aktivität und Herzblut die 500 Teilnehmer, die versammelt waren, in die Energie- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache wende hineinlegen, dass man darauf getrost aufbauen 17/11508? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – (B) kann. Natürlich muss das EEG reformiert werden. Das Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der (D) sogenannte Marktdesign beim Strom muss reformiert Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der Linken und werden, zum Beispiel in Richtung lastnäherer Erzeu- der Grünen und bei Enthaltung der SPD-Fraktion. gung; Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) 17/11509? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenver- denn das Marktdesign ist immer noch auf wenige große hältnis wie zuvor abgelehnt. Erzeuger ausgerichtet und nicht auf die Masse der Klein- erzeuger. Die Kleinerzeuger denken aber heute schon Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache darüber nach, wie sie am Ende der EEG-Zeit ihre Ange- 17/11510? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – bote so mischen, dass sie zu einer verlässlichen Strom- Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der versorgung kommen und auf diese Art und Weise markt- Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken bei fähig werden. Das hat sich gestern ganz deutlich gezeigt. Enthaltung von SPD und Grünen. Man konnte sehen, wie die Teilnehmer aus allen Teilen Wir stimmen nun über den Einzelplan 16 in der Aus- Deutschlands die Energiewende praktisch vollziehen. schussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage- Sie läuft in der Praxis oft besser, als es in den Medien gen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 16 ist angenom- dargestellt wird. men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem Stimmen der Oppositionsfraktionen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.8 auf: geordneten der SPD) Einzelplan 15 Vizepräsident Dr. : Bundesministerium für Gesundheit Ich schließe die Aussprache. – Drucksachen 17/10814, 17/10823 – Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Berichterstattung: plan 16 – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz Abgeordnete Alois Karl und Reaktorsicherheit – in der Ausschussfassung. Ewald Schurer Hierzu liegen acht Änderungsanträge vor, über die wir Otto Fricke zuerst abstimmen. Wir beginnen mit den drei Ände- Michael Leutert rungsanträgen der Fraktion der SPD. Katja Dörner 25200 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Hierzu liegen vier Änderungsanträge der Fraktion Die (Heinz Lanfermann [FDP]: Sie reden sich um (C) Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist Kopf und Pauschale, Herr Lauterbach!) für die Aussprache eine und eine halbe Stunde vorgese- hen. Gibt es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Die Strukturreformen will ich hier im Einzelnen wür- Fall. Dann ist das so beschlossen. digen. Zunächst einmal ist im Bereich der fachärztlichen Versorgung der niedergelassene Spezialfacharzt einge- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem führt worden. Das hat dazu geführt, dass den Versor- Redner das Wort dem Kollegen Professor Dr. Karl gungsfachärzten, das heißt den Fachärzten, die die Ver- Lauterbach von der SPD-Fraktion. sorgung insbesondere in den Großstädten sicherstellen, die lukrativen Fälle entzogen werden. (Beifall bei der SPD) ( [CDU/CSU]: Ach, welcher Unsinn!) Dr. Karl Lauterbach (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Diese Reform hat im Prinzip zu einer Verschlechterung Herren! Ich will einsteigen, indem ich versuche, eine Art der fachärztlichen Versorgung geführt. Bilanz darüber zu ziehen, was die Regierung vorzuzei- Zum Bereich der Hausarztversorgung genügt es, zu gen hat. sagen, dass der Hausärzteverband sehnsüchtig darauf (Iris Gleicke [SPD]: Dann kannst du dich ja wartet, dass die Zeiten dieser schwarz-gelben Regierung gleich wieder setzen! – Heiterkeit bei der zu Ende sind. Die Hausarztverträge wurden abgeschafft. SPD) Die bestehenden Hausarztverträge sind gefährdet. Der Hausarztberuf ist unattraktiver geworden. Mittlerweile – Hier wird eingeworfen, dann könne meine Rede kurz wird nur noch jede 15. Facharztanerkennung für Haus- sein. Ich glaube aber, dass hier auch kritische Punkte ge- ärzte ausgesprochen. Die Hausärzte überaltern; es gibt würdigt werden müssen. Wenn nur das Positive Erwäh- zu wenige Hausärzte. Das Problem ist in dieser Legisla- nung fände, wäre ich wahrscheinlich schon kurz vor dem turperiode noch einmal deutlich verschärft worden. Abspann. Wir haben außer Lamentieren des Ministeriums über Wir haben zunächst einmal festzuhalten: Es hat eine diesen Zustand nichts gehört. Wir alle erinnern uns an deutliche, geradezu historische Beitragssatzerhöhung die peinlichen Vorschläge des damaligen Ministers für gegeben. Diese hat zu Überschüssen bei den Kranken- Gesundheit und heutigen – man glaubt es kaum – Vize- kassen geführt, und diese Überschüsse werden jetzt als kanzlers Rösler, dass man die Abiturnote für zukünftige besonders gutes Wirtschaften verkauft, als ob die Re- Hausärzte großzügiger bemessen sollte, als ob der Haus- (D) (B) formgesetze dies bewirkt hätten. Im Prinzip war es aber arzt in Zukunft ein schlechteres Abitur brauchte. nichts anderes als eine plumpe Beitragssatzerhöhung. Diese ist einhergegangen mit der Einführung von Kopf- ( [CDU/CSU]: Das hat pauschalen für den Bürger. Die Kopfpauschale ist also er nie gesagt!) beschlossen worden. Man hatte aber so große Angst vor Sonst ist da nichts gekommen. Die Hausarztversorgung der Umsetzung der Kopfpauschale, dass man gleichzei- im Land verschlechtert sich stündlich, und es passiert tig den Beitragssatz derart stark erhöht hat, um die Ein- nichts. führung der Kopfpauschale möglichst zu verhindern. Sie haben im Bereich der Vorbeugung nichts vorzu- (Heinz Lanfermann [FDP]: Aha! Wer das ver- weisen; die Kollegin Bas wird das nachher noch ausfüh- steht!) ren. Nur so viel: Der Bereich der Vorbeugung ist einer der wenigen Bereiche, in denen überhaupt gespart Die Mittel der Versicherten werden großzügig ausge- wurde. Ausgerechnet bei der Vorbeugung wird im Haus- geben. In der Summe haben wir jetzt folgendes System: halt Geld gespart. Das ist so ähnlich, als ob der Landwirt Es gibt einen Einheitsbeitragssatz, der zu hoch ist, und die Saat verfüttert. Es gibt kein Präventionsgesetz. keinen Wettbewerb. Das wäre ungefähr das Ergebnis ei- ner Reform, das ich erwartet hätte, wenn das Ressort Wir haben im Bereich der Krankenhausversorgung – bei allem Respekt – von den Kollegen der Linkspartei kein Gesetz, keine Initiative zur Beseitigung des Pflege- geführt worden wäre. Das ist aber nicht das, was ich von notstands. Gegen den Pflegenotstand – immer wieder einer wettbewerbsorientierten FDP oder von der Union eloquent von der Bundesregierung angesprochen – wird erwartet hätte. nichts gemacht, als ob Sie nicht regieren würden. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ein trifft uns aber tief, dass wir Sie enttäuscht ha- Schwachsinn!) ben!) Sie haben die Spezialisierung der Krankenhäuser ein Wenn die Kopfpauschale schließlich kommt, werden Stück weit zum Erliegen gebracht, weil Sie die Mehr- die Rentner natürlich zuerst belastet sein. Unmittelbar erlöse heute schlechter ausgleichen. Im Bereich der nach Einführung der Kopfpauschale wird die von Frau Hilfs- und Heilmittel gibt es keinerlei kostensenkende von der Leyen derzeit angepriesene Anerkennung der Maßnahmen. Lediglich ist eine Regelung eingeführt Lebensleistung geringverdienender Frauen in Höhe von worden, nach der sich Hilfsmittelhersteller genauso wie etwa 10 Euro bei der Rente aufgefressen sein. die Pharmaindustrie an der integrierten Versorgung be- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25201

Dr. Karl Lauterbach (A) teiligen können, und zwar direkt. Das war eine Einla- Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): (C) dung zu einer halblegalen Form der Korruption. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lauterbach, es war schon put- (Otto Fricke [FDP]: Es gibt keine legale Form zig, was Sie hier vorgetragen haben. Man denkt immer, der Korruption, Herr Kollege!) Sie leben in einer anderen Welt, irgendwo in einem Lauterbach-Paralleluniversum. Sonst hätten Sie nicht so Dieses Gesetz beschäftigt die Staatsanwälte heute mehr eine Bilanz vorgetragen. als die Bürger. Wir haben im Bereich der Hilfs- und Heilmittel eine große Kostendynamik. Die integrierte Ich möchte nur kurz auf Punkte eingehen, die Sie Versorgung ist nicht vorangekommen. nicht vorgetragen haben. Wir haben das AMNOG verab- schiedet. Damit haben wir die Pharmakosten reduziert. Es gibt auch keine echte Vernetzung der Sektoren. Wir haben das GKV-Versorgungsstrukturgesetz einge- Das ist eines der wichtigsten Themen unseres Gesund- bracht. Damit ist die Versorgungssicherheit im ländli- heitssystems: Wie sollen Hausarztversorgung, Facharzt- chen Raum sichergestellt. versorgung und Krankenhausversorgung vernetzt wer- den? Auf dieser Baustelle ist nichts passiert. Sie haben (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Zuruf nicht eine einzige Initiative auf den Weg gebracht, ob- der Abg. [SPD]) wohl dort große Effizienz- und Qualitätsreserven in un- – Da können Sie schreien, wie Sie wollen. – Wir haben serem Gesundheitssystem liegen. das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz verabschiedet. Mit diesem Gesetz haben wir erstmals Leistungen für De- Es gab keine brauchbare Pflegereform, nur eine platte menzerkrankte festgeschrieben. Bei Ihnen gab es einen Beitragssatzerhöhung. Der Pflegebegriff ist nicht verän- Betreuungsbetrag von 100 bzw. 200 Euro für niedrig- dert worden. Wir haben ein misslungenes Geschenk an schwellige Leistungen und Angebote. Wir sehen in den die PKV gesehen: Der Pflege-Bahr ist eingeführt wor- Pflegestufen 0 bis II ganz konkrete Leistungen vor. Das den. Er wird aber von so gut wie keiner privaten Kran- können Sie nicht wegdiskutieren. kenversicherung angeboten, weil er so bürokratisch ist, dass selbst die Assekuranz nicht in der Lage ist, dieses (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wahlgeschenk der FDP anzunehmen; man ist ratlos, wie man das Geschenk auspacken soll. Wir fördern alternativen Wohnformen, und wir tun et- was für pflegende Angehörige. Wir haben das Patienten- In der Summe lautet die Bilanz, wenn man ehrlich ist: rechtegesetz verabschiedet. Wir tun konkret etwas für Das meiste hat entweder geschadet oder nichts gebracht. die Patientensicherheit, für die Ärzte und für die Patien- Das ist eine magere Bilanz. Das System – das kann man ten. Sie haben lediglich eine Broschüre aufgelegt. Mehr (B) (D) festhalten – ist teurer geworden. Der Wettbewerb ist zum können Sie in Ihrer Bilanz – Sie haben zehn Jahre lang Erliegen gekommen. Zeit gehabt – nicht aufweisen. Wir haben eine Nationale Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik vorgelegt. Das ist (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Die Frau Bätzing während ihrer Amtszeit nicht gelungen. Rücklagen sind gut geworden!) Wir haben eine gute Bilanz vorzuweisen. Ich habe nur Das hören Sie ungern; aber im Prinzip waren es verlo- einige Punkte angesprochen. Was Sie getan haben, war rene Jahre. Es hat ja auch schlecht angefangen: Sie ha- mehr als mager. Über den Haushalt haben Sie kein einzi- ben sich gegenseitig als „Wildsau“ oder als „Gurken- ges Wort verloren. Das kann nur bedeuten, dass Sie ihn, truppe“ beschimpft. Da konnte man schon erahnen, dass so wie er ist, in Ordnung finden. Der Haushalt ist auch in nicht viel passieren wird. Man ist bei der Fortentwick- Ordnung, so wie er ist. lung des Gesundheitssystems nicht weitergekommen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Bürger sind aber nicht so dumm, wie FDP und Der Haushalt, den wir verabschieden werden, ist der Union vielleicht glauben. Die Bürger sind zu 70 Prozent Nachweis dafür, dass wir als christlich-liberale Koalition mit Ihrer Arbeit unzufrieden. Es ist nur eine Frage der die richtigen Schwerpunkte setzen. Einer der beiden Zeit, bis auch die Bundeskanzlerin in den Sog der Unzu- Aufgabenschwerpunkte ist die Gesundheitsförderung friedenheit gezogen wird. durch gesundheitliche Aufklärung. Hier ist jeder Euro gut und richtig eingesetzt. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Mechthild Rawert [SPD]: Wissen Sie, wie (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Null man Prävention schreibt?) zum Haushalt! – Heinz Lanfermann [FDP]: Weder zum Haushalt noch zur Gesundheits- Die gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung sollte politik gesprochen!) für uns alle ein zentrales Anliegen sein. Wir gehen von einem Menschenbild des mündigen, aufgeklärten und ei- genverantwortlichen Bürgers aus. Statt den Menschen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: mit Verboten zu kommen, wie wir sie häufig von Ihrer Als nächste Rednerin hat die Kollegin Christine Seite hören, oder ihnen Einschränkungen aufzuerlegen, Aschenberg-Dugnus von der FDP-Fraktion das Wort. die zu einem vermeintlich besseren Leben führen sollen, setzen wir auf die Kraft der freien Entscheidung. Wir (Beifall bei der FDP) wollen, dass die Menschen einen möglichst hohen Wis- 25202 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Christine Aschenberg-Dugnus (A) sensstand in Bezug auf Gesundheit, Gesunderhaltung Vielen Dank. (C) und Krankheitsvermeidung haben. Nur so können wir gewährleisten, dass das eigene Gesundheitsverhalten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) positiv beeinflusst wird. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Prävention ist eines der Leitbilder unserer Aktivi- Für die Linke hat jetzt das Wort der Kollege Michael täten. Wir erleichtern und unterstützen gesundheitsför- Leutert. derndes Verhalten. Wir fördern gezielt – um nur einen Punkt zu nennen – die Gesundheit von Kindern und Ju- (Beifall bei der LINKEN) gendlichen, die einen besonderen Ansatz wert ist. Diese Zielgruppe ist besonders relevant bei der Bekämpfung Michael Leutert (DIE LINKE): des Suchtmittelmissbrauchs, aber auch bei der Förde- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! rung gesunder Ernährung. Durch zielgruppenspezifi- Knapp 12 Milliarden Euro Ausgaben stehen im Haushalt sche BZgA-Projekte konnte erreicht werden, dass die des Bundesministeriums für Gesundheit. Allerdings sind Zahl der jugendlichen Raucher so niedrig ist wie noch 11,5 Milliarden Euro davon Zuweisungen an den Ge- nie. Sie sehen: Es wirkt! Gerade im Hinblick auf Sucht- sundheitsfonds. Da wir heute über den letzten Haushalt mittel ist es von zentraler Bedeutung, dass Kinder und sprechen, den die Koalition hier – das trifft insbesondere Jugendliche in ihrer eigenen Welt angesprochen werden; auf die FDP zu – vorlegt, lohnt sich einmal – der Kollege das ist das Entscheidende. Es geht dabei gerade nicht um Lauterbach hat sich auch daran versucht – ein Blick auf Verbote. Wer Kinder hat, der weiß: Der erhobene Zeige- die letzten vier Jahre. Dabei muss man feststellen: Es finger bringt gar nichts. Wir wollen: Vorleben, Aufklären gibt insgesamt vier Ministerien, die in den letzten vier und Stärkung der Verantwortlichkeit. Jahren einsparen mussten. Alle anderen Ministerien ha- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ben ohne Ausnahme steigende Ansätze zu verzeichnen. der CDU/CSU) Von den vier Ministerien mussten zwei wirklich relevant – das heißt, im Milliardenbereich – einsparen. Dabei Besonders erfreulich ist die Aufstockung der BZgA- handelt es sich zum einen um das Ministerium für Arbeit Mittel zur Finanzierung der Organspendekampagne und und Soziales, bei dem über 24 Milliarden Euro abge- des Druckes von Spenderausweisen. Uns allen ist klar, schmolzen wurden, und zum anderen um das Gesund- dass immer noch viel zu viele Menschen auf ein Spen- heitsministerium, bei dem über 4 Milliarden Euro abge- derorgan warten und versterben, weil das Organ nicht schmolzen wurden. Das ist eine vorzeigbare Bilanz von rechtzeitig zur Verfügung steht. Ziel muss es also sein, Schwarz-Gelb – Respekt! –: 28 Milliarden Euro aus- die Organspendebereitschaft zu steigern. Wie wir das schließlich in den Bereichen Arbeit, Soziales und Ge- (B) schaffen können, haben wir bereits gesetzlich verankert. sundheit – und zwar nur dort – gespart. (D) Mit der Finanzierung der Organspendekampagne erfül- len wir nicht nur unsere eigene Forderung, sondern auch Der Gesundheitsbereich ist ein Bereich, auf den alle eine Forderung des gesamten Hauses. Bevölkerungsschichten angewiesen sind. Aus diesem Grund sind viele auch bereit, dafür viel Geld zu zahlen. Der zweite finanzielle Aufgabenschwerpunkt im Deshalb ist es von außerordentlicher Bedeutung, dass Haushalt ist die Forschung. Im Rahmen der Ressortfor- die Bürgerinnen und Bürger großes Vertrauen in das Ge- schung werden Aufträge zur Vorbereitung und Beglei- sundheitssystem haben. Finanziert wird alles aus drei tung von Gesetzgebungsvorhaben des BMG vergeben. Säulen: den Krankenkassenbeiträgen, den steuerlichen Ich möchte nur einige Beispiele nennen. Wir fördern die Zuschüssen und den Zuzahlungen der Patientinnen und Forschung zum Nationalen Krebsplan, die Bekämpfung Patienten. von Antibiotikaresistenzen und – das ist mir persönlich ganz besonders wichtig – die Verbesserung der Versor- (Otto Fricke [FDP]: Aber nur für manche!) gung von Demenzkranken sowie die Optimierung der Bei Säule drei, den Zuzahlungen der Patientinnen und Patientensicherheit. Ebenfalls aus dem Forschungstitel Patienten, hat sich erfreulicherweise etwas getan. Die werden neue Projekte zur Verbesserung der Kinderge- nicht gerade populäre Praxisgebühr ist nun endlich abge- sundheit gefördert. Daneben sind für Aufgaben im Pfle- schafft worden. Das hätte man im Übrigen, liebe Kolle- gebereich aus dem Programm zur Verbesserung der Ver- ginnen und Kollegen, schon viel früher haben können. sorgung Pflegebedürftiger Mittel veranschlagt. Auch Meine Fraktion hat jährlich Anträge dazu gestellt. Aller- Maßnahmen zur Qualitätssicherung im Gesundheitswe- dings freuen wir uns, dass das Plenum unseren Vorschlä- sen werden gefördert. gen nun einstimmig gefolgt ist. (Zuruf von der FDP: Hört! Hört!) (Beifall bei der LINKEN – Heinz Lanfermann Die christlich-liberale Koalition kann und wird mit [FDP]: Trittbrettfahrer!) diesem Haushalt den Nachweis führen, dass sie sparsam Auch bei der zweiten Finanzierungssäule, den Bun- haushaltet und trotzdem gestaltende, gute Politik macht. deszuschüssen aus Steuergeldern, tut sich etwas. Ange- (Elke Ferner [SPD]: Gute Politik wäre ja echt sichts der Rücklagen des Gesundheitsfonds und der was Neues!) Krankenkassen reduziert der Bund seine Zuzahlungen für das nächste Jahr um 2,5 Milliarden Euro. Das bedeu- Man muss es nur wollen und die richtigen Schwerpunkte tet also weitere Kürzungen. Das, liebe Kolleginnen und setzen. Genau das tun wir mit diesem Haushalt. Kollegen von der FDP, hat natürlich nichts mit mehr Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25203

Michael Leutert (A) Netto vom Brutto zu tun. Die Patientinnen und Patienten (Otto Fricke [FDP]: Das sind Beitragszahlun- (C) haben davon erst einmal überhaupt nichts. Besser wäre gen!) es gewesen, unseren Vorschlägen zu folgen und weitere Ich bin auch der Meinung, dass die Verantwortlichen Entlastungen einzuführen bzw. weitere Zuzahlungen zu in den Krankenkassen zur Rechenschaft gezogen werden streichen. müssen, weil sie dem Ansehen der Krankenkassen Scha- (Beifall bei der LINKEN) den zugefügt haben. Bei der dritten Säule, den Beitragssätzen, tut sich der- Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das Ge- zeit nichts. Die Bürgerinnen und Bürger müssen also sundheitssystem und damit die Bereitschaft, für das Ge- weiterhin dreimal für das Gesundheitswesen zahlen und sundheitssystem zu zahlen, sind nur dann stabil, wenn darauf vertrauen, dass mit ihren Geldern sorgsam umge- alle wissen, dass mit den Geldern fair und gerecht umge- gangen wird. Bei der Frage des ordnungsgemäßen Um- gangen wird. Das heißt, dass die Krankenkassen sorg- gangs mit den Geldern hilft uns der Bundesrechnungshof sam mit den Geldern umgehen müssen und der Bund die mit seinen regelmäßigen Prüfungen. Leider sind die Prü- Patientinnen und Patienten entlasten muss, wenn ausrei- fungsergebnisse aber nicht immer erfreulich. So hat der chende Rücklagen vorhanden sind. Beides ist bisher Bundesrechnungshof schon im letzten Jahr unter der nicht gewährleistet. Unter anderem diese Versäumnisse Überschrift „Millionenverluste bei Krankenkassen durch führen dazu, dass wir diesem Haushaltsentwurf nicht zu- hohe Mieten und nicht benötigte Büroflächen“ darüber stimmen können. berichtet, dass Krankenkassen unwirtschaftliche Miet- Vielen Dank. verträge abgeschlossen haben. Da wurden ganze Büro- gebäude – mehr Fläche, als man benötigte –, die zum (Beifall bei der LINKEN – Christine Teil noch nicht einmal errichtet gewesen sind, zu einem Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das enttäuscht überhöhten Mietzins ohne Ausstiegsoption, also ohne uns jetzt aber!) Kündigungsklausel, angemietet. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Otto Fricke [FDP]: So sind die gesetzlichen Das Wort hat jetzt der Kollege Alois Karl von der Krankenversicherungen!) CDU/CSU-Fraktion. – Wir kommen gleich noch dazu, Herr Kollege. – Die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Untervermietung führte zu niedrigeren Einnahmen und neten der FDP) zu Verlusten bei den Krankenkassen. Das trägt nicht un- bedingt dazu bei, das Vertrauen der Bürgerinnen und Alois Karl (CDU/CSU): (B) (D) Bürger in unser Gesundheitssystem zu stärken. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (Otto Fricke [FDP]: Und wer hat es zu verant- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine kurze Replik worten? Die Kassen!) auf die erste Rede in dieser Debatte: Lieber Herr Lauterbach, die Debatte über den Haushalt des Bundes- Nun habe ich dieses Thema letztes Jahr schon einmal gesundheitsministeriums hätte ein besseres Entree ver- angesprochen und während der diesjährigen Haushalts- dient als Ihre Rede. verhandlungen auch den aktuellen Stand abgefragt. Der (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Hat sie Ihnen nicht Bundesrechnungshof hat eindeutig vorgeschlagen, dass gefallen? Waren Sie nicht zufrieden?) die Mietverträge vor Abschluss den Aufsichtsbehörden vorzulegen sind und dass dafür auch die gesetzlichen Ich muss sagen: Das war ein schwacher Beginn. Ich Grundlagen geschaffen werden müssen. Der Rechnungs- kann es mir fast nicht verkneifen, zu sagen: Ihre Rede prüfungsausschuss hat sich dieser Forderung angenom- war dazu angetan, die Leute hier krank zu machen. men und eindeutige Beschlüsse dazu gefasst – allerdings (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU nicht so die Bundesregierung und das FDP-geführte und der FDP – Sönke Rix [SPD]: Ich bin jetzt Ministerium. Im Berichterstattergespräch wurde mir einmal auf Ihre Rede gespannt! – Bartholomäus nämlich auf Nachfrage gesagt, es sei zu viel Aufwand, Kalb [CDU/CSU]: Er hat schwach angefangen von allen 146 Krankenkassen die Mietverträge zu geneh- und stark nachgelassen!) migen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich da- rauf hinweisen darf: Jedes Quartal werden bei allen Vieles von dem, was Sie gesagt haben, ging an der Sache 4,5 Millionen ALG-II-Empfängerinnen und -Empfän- vorbei. Ich möchte nicht weiter darauf eingehen, nur so gern der Bedarf und auch die Mietverträge kontrolliert. viel: Das war fast schon eine Zumutung. Sie haben zum Angesichts dessen kann es doch nicht zu viel verlangt Haushalt nichts gesagt. Das bleibt wohl den Haushältern sein, lediglich bei neu abgeschlossenen Mietverträgen überlassen. bei 146 Krankenkassen eine Kontrolle vorzunehmen. Wir stehen in der Tat am Beginn einer bedeutsamen (Beifall bei der LINKEN – Heinz Lanfermann Woche. [FDP]: Das scheint ja der Dreh- und Angel- (Mechthild Rawert [SPD]: Wir haben aber punkt der Gesundheitspolitik zu sein!) schon den zweiten Tag!) – Es interessiert Haushälter, wenn mit Steuergeldern un- Wir setzen wichtige Meilensteine, um unser Ziel, am verantwortlich umgegangen wird. Ende dieses Jahrzehnts einen schuldenfreien Haushalt zu 25204 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Alois Karl (A) haben, zu erreichen. Der Einzelplan 15 wird einen aus- gaben die Richtung gewiesen. Gott sei Dank! Wir haben (C) gezeichneten Beitrag dazu leisten, dass der Bund nach den Anfang gemacht. Aller Anfang ist leicht, auf das mehr als 40 Jahren erstmals wieder mit dem Geld aus- Durchhalten kommt es an. Wir haben uns dieses Durch- kommt, das er einnimmt. halten auf die Fahnen geschrieben. Wir werden 2016 nicht nur die Grenze „0,35 Prozent strukturelle Neuver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schuldung“ einhalten, sondern wir werden bei 0,0 Pro- Franz Josef Strauß hat Ende der 60er-Jahre das letzte zent liegen. Ich denke, dass wir mit diesem finanzpoliti- Mal einen schuldenfreien Haushalt vorgelegt. Ich bin schen Credo in dieser Woche beginnen und in den sehr zuversichtlich, dass wir, wenn wir weiter so diszi- nächsten Jahren fortsetzen werden. Seien Sie versichert, pliniert arbeiten, wie das in den letzten Wochen der Fall lieber Herr Leutert: Wir werden das auch in den nächs- gewesen ist, mit dem Unfug aufhören, die Zukunft unse- ten Jahren so machen. Niemand in Deutschland wird Ih- rer Kinder und Enkelkinder dadurch zu gefährden, dass nen die Haushalte mehr anvertrauen, nachdem Sie sie wir wie in den letzten Jahrzehnten viel zu viel Geld aus- über Jahre ruiniert haben. geben. Die Verschuldung der Haushalte in den 70er- und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 80er-Jahren war in keiner Weise geboten. Auch vor 2008 neten der FDP) war nichts, aber auch gar nichts zu erkennen, was er- klärt, warum Deutschland sich in den Regierungsjahren Der Haushalt des Gesundheitsministers trägt ent- von Gerhard Schröder und bis über scheidend dazu bei, dass heuer der Gesamthaushalt in beide Ohren verschuldet hat. Bei den Bundesländern bil- dieser Weise verringert werden kann. Der Gesundheits- det Bayern die einzige Ausnahme. Auch die Kommunen fonds ist reichlich ausgestattet. Vor zwei Jahren noch tragen in gewissem Maße Verantwortung dafür, dass die war mit einem Defizit von 11 Milliarden Euro im Ge- Finanzen in Unordnung geraten sind. sundheitsfonds zu rechnen. Heute haben wir 11 Milliar- den Euro Überschuss im Gesundheitsfonds und 12 Mil- Im Haushalt 2013 senken wir die Ausgaben um etwa liarden Überschuss bei den gesetzlichen Krankenkassen. 3 Prozent. Die Einnahmen steigen, und die Nettokredit- Das ist ein außerordentlicher Grund zur Freude. Wir aufnahme wird auf 17,1 Milliarden Euro gesenkt. „Das wollten Sie in dieser gnadenreichen Vorweihnachtszeit ist immer noch zu viel“, sagen die Pessimisten. Wie Sie gerne daran teilhaben lassen, wissen, könnten wir nach der Schuldenregel, die wir uns vor etlicher Zeit gegeben haben, heuer 41 Milliar- (Lachen bei Abgeordneten der SPD) den Euro neue Schulden aufnehmen. Im Vergleich sind aber bis dato habe ich nichts außer Gemäkel gehört. die Zahlen also sehr gut. Unter Minister Rösler haben wir die richtigen Ent- (B) Ich danke gerade den Kollegen im Haushaltsaus- scheidungen getroffen. Die Kosten drohten zu explodie- (D) schuss, die in den letzten drei Tagen der Beratungen ren. Aber durch die Erhöhung der Herstellerrabatte der 1,7 Milliarden Euro eingespart haben. Die Opposition Pharmaindustrie von 6 auf 16 Prozent und die Heranzie- hätte sich dabei gut in Szene setzen können. Bei den hung des pharmazeutischen Großhandels haben wir die Olympischen Spielen gibt es die Vorgabe: Höher, weiter Kosten wieder in Ordnung gebracht. Wir haben die Apo- und schneller! Die Opposition hat das abgewandelt. Ihr theker mit herangezogen; dadurch wurden über 200 Mil- Ziel lautet: Mehr, noch mehr und immer noch mehr! lionen Euro zur Gesundung des Systems beigetragen. Aber so kann man keinen Haushalt sanieren. Auch die Krankenhäuser waren mit etwa 450 Millionen (Mechthild Rawert [SPD]: Sie können das so- Euro beteiligt. Der Steuerzahler hat in der Tat ebenfalls wieso nicht!) geblutet. So kann man nicht zu geordneten finanziellen Verhält- Das, was Sie gesagt haben, Herr Leutert, ist nicht nissen zurückkehren. richtig. Sie haben gesagt, dass der Gesundheitshaushalt gelitten hätte. Wir haben den Gesundheitsfonds im Jahr Wir haben die Neuverschuldung auf 0,34 Prozent des 2011 mit einem Zuschuss von 3,9 Milliarden Euro zu- Bruttoinlandsprodukts zurückgeführt. Dies wollten wir sätzlich und im Jahr 2012 mit einem Zuschuss von eigentlich erst 2016 erreichen. Das ist eine überaus 2 Milliarden Euro zusätzlich stabilisiert. starke Leistung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Jetzt ist das nicht mehr nötig. Das haben wir gesehen. Die Situation des Gesundheitsfonds hat sich dramatisch Wir hätten Sie gerne dabeigehabt. Sie hätten daran mit- verbessert. Aus diesem Grunde können wir die Mittel für wirken sollen, das haushaltspolitische Desaster, das Sie den Gesundheitsfonds heuer um 2,5 Milliarden Euro ab- hinterlassen haben, wieder in Ordnung zu bringen. senken. Dem Bundesgesundheitsminister wird in seinem operativen Geschäft dadurch nichts, aber auch gar nichts Der griechische Held Odysseus hat, als er nach dem weggenommen. Trojanischen Krieg nach Hause zurückgekehrt ist, ge- sagt: „… Töchter des Zeus, niemals glaubte ich, euch Gerade weil wir den Arbeitsmarkt so hervorragend wiederzusehen.“ Er meinte damit seine Heimat. So beflügeln konnten, weil die sozialen Kassen überall gut könnten wir es auch heute sagen. Viele meinten, wir gefüllt sind, hat der Gesundheitsfonds mehr Geld, als wir würden Zeiten mit konsolidierten Haushalten nie mehr eigentlich erwartet hätten. Daher sind 2,5 Milliarden erleben, aber Minister Schäuble hat mit beinharten Vor- Euro durchaus disponibel. Es gleicht einem Darlehen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25205

Alois Karl (A) Wir hatten dem Gesundheitsfonds in der Zeit, als wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (C) vorsichtig operiert haben, dieses Geld gegeben. Heute können wir es wieder dem Haushalt zur Verfügung stel- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: len. Würden wir dies nicht tun, hätten wir 2,5 Milliarden Euro mehr Schulden, wofür wir Zinsen zahlen müssten, Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die und beim Gesundheitsfonds würde das Geld liegen, ohne Kollegin Katja Dörner. dass es gebraucht wird. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Zurufe von der SPD) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Aus diesem Grunde ist es haushalterisch völlig rich- Liebe Kollegen! Lieber Herr Kollege Karl, wenn ich tig, dass wir diese Maßnahmen ergreifen. Das Gegenteil heute Abend krawallig drauf wäre, dann könnte ich sa- von dem, was die Linken hier vor zwei Jahren dargestellt gen: Wir alle können doch gar nichts dafür, dass Sie haben, ist eingetreten. Sie hatten gesagt, das GKV- heute in der Generaldebatte nicht sprechen durften. – Finanzierungsgesetz würde die Prinzipien der solidari- Aber ich muss anerkennen: Auf den letzten Metern ha- schen, der paritätischen Finanzierung des Gesundheits- ben Sie ja doch noch die Kurve zum Gesundheitsetat be- wesens zerschlagen. Ähnlich haben Sie es heute aus- kommen. gedrückt. Welch ein Unsinn, Herr Leutert! Gerade das Gegenteil ist der Fall. Wenn nicht nur Lügen, sondern Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, in der letzten Sit- auch politische Torheiten kurze Beine hätten, müssten zungswoche waren wir alle an einem regelrecht histori- Sie alle als Liliputaner herumlaufen. schen Ereignis beteiligt. Alle Abgeordneten aller Frak- tionen haben in einer namentlichen Abstimmung (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) gemeinsam mit Ja gestimmt. Alle fanden die Abschaf- Das, was Sie hier gesagt haben, ist völlig abwegig. fung der Praxisgebühr richtig und notwendig. Wir Grü- nen haben natürlich auch zugestimmt. Es wäre ja absurd Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gesund- gewesen, wenn wir einer Forderung, die wir selber schon heitsfonds trägt zur Solidarisierung und zur Solidität des lange erhoben haben, nicht zugestimmt hätten. Haushalts bei. Wir haben in der Tat alle Aufgaben, die sich die Gesundheitspolitiker gewünscht haben, in die- (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Na ja! So sem Haushalt berücksichtigen können. Wir sind Ihnen, lange ist das noch nicht her! – Stefanie Herr Bundesminister, dankbar, dass gerade Sie mit gu- Vogelsang [CDU/CSU]: Das haben Sie ja schon tem Beispiel vorangegangen sind. So sind zum Beispiel oft genug gemacht! – Johannes Singhammer die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit auf niedrigem Ni- [CDU/CSU]: Das wäre nicht das erste Mal ge- (B) veau gehalten worden. wesen!) (D) (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es hat sich herausgestellt, dass die Praxisgebühr nicht NEN]: Na, na, na!) den Effekt hat, nicht notwendige Arztbesuche zu ver- meiden, sondern dass sie bewirkt, dass Menschen mit Die Ausgaben für Prävention werden ansteigen. Die kleinem Geldbeutel einen Arztbesuch tendenziell auf- Ausgaben für die Forschung halten wir konstant. Sie un- schieben oder eventuell gar nicht zum Arzt gehen. Das terscheiden sich von einer Ihrer Vorgängerinnen, von ist natürlich individuell katastrophal und auch mit Blick , deutlich. Sie hat 50 Prozent mehr Mittel auf das Gesundheitssystem nicht ökonomisch. für die Öffentlichkeitsarbeit haben wollen. „Nur Bares ist Wahres“, hat sie möglicherweise gedacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Wenn (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) ihr sie nicht eingeführt hättet, hätten wir sie Sie verdienen großen Respekt dafür, dass Sie sich in die- auch nicht abschaffen müssen!) ser vornehmen Weise zurückhalten. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es lohnt sich aller- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dings sehr, dieses gemeinsame Ja zur Abschaffung der Praxisgebühr genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich fasse zu- mache mir nämlich ein bisschen Sorgen, dass es ver- sammen: Der Bundesgesundheitsminister kann auch mit schleiert, dass doch höchst unterschiedliche Konzepte dem reduzierten Haushalt – er wurde einzig und allein der Finanzierung unseres Gesundheitssystems dahinter- im Hinblick auf den Gesundheitsfonds reduziert – alle stehen. Ich denke, wenn sich die FDP, die immer für seine Vorhaben durchführen, die Fachpolitiker haben mehr Selbstbeteiligung ist ihre Wünsche erfüllt bekommen, und der Gesundheits- haushalt trägt zur Konsolidierung des Gesamthaushaltes (Elke Ferner [SPD]: Das heißt bei denen bei. „Eigenverantwortung“!) Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen die An- und in den Geldbeutel der Versicherten greift, die die nahme des Haushaltes nur wärmstens empfehlen. Ich privaten Krankenversicherungen pampert und auch sonst bitte sie, dafür zu stimmen, auch wenn es dem einen mit Solidarität nicht ganz so viel am Hut hat, oder anderen schwerfallen sollte. (Otto Fricke [FDP]: Gibt es eigentlich einen Ich danke. Zuschuss zur privaten Versicherung?) 25206 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Katja Dörner (A) ein soziales Hütchen aufsetzt, dann ist das in der Regel (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (C) kein Grund, zu jubeln, sondern eher ein Grund, die SES 90/DIE GRÜNEN) Alarmsirenen einzuschalten. Die Bürgerversicherung muss kommen. (Beifall des Abg. Markus Kurth [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Auf den Pflege-Bahr sollten wir allerdings schnellst- möglich verzichten. Warum ist das so? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Das frage SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) ich mich auch!) Er ist ein weiterer Baustein der Entsolidarisierung in un- Die FDP will die Kopfpauschale; das ist Fakt. Schon serem Sozialsystem und ein Bonbon für die Versiche- jetzt wurde bekanntlich der einheitliche Beitragssatz zur rungswirtschaft – wie seit neuestem absurderweise auch Krankenversicherung eingefroren. Alle kommenden das Betreuungsgeld. Kostensteigerungen gehen zulasten der Versicherten, und zwar in Form eines Zusatzbeitrages. Dieser ist be- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Der kanntlich einkommensunabhängig, also eine Art kleine Pflege-Bahr ist freiwillig, Frau Kollegin! – Kopfpauschale. Heinz Lanfermann [FDP]: Der eine erzählt, sie wollen das nicht anbieten, der andere, das sei ( [FDP]: Sozial ausgeglichen! – Otto ein Geschenk!) Fricke [FDP]: Zahlt den eigentlich jeder?) Es ist völlig unverständlich, dass der Haushalt des Ge- Noch haben wir diese Kopfpauschale nicht; aber sie sundheitsministeriums für 2013 eine teure Kampagne für kommt mit großen Schritten auf uns zu. den unsinnigen Pflege-Bahr vorsieht, während beispiels- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Oh! weise die Mittel für Maßnahmen zur Prävention sexuell Haben Sie eine Glaskugel, oder woher wissen übertragbarer Krankheiten deutlich gekürzt werden. Sie das?) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Genau das ist der Punkt: Die Abschaffung der Praxisge- SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LIN- bühr, eingebettet in das unsolidarische Finanzierungs- KEN) konzept, wie es Union und FDP vorantreiben, ist fak- Ich will – das wird die Koalition wahrscheinlich eher tisch ein weiterer Schritt in Richtung Kopfpauschale. freuen – abschließend noch etwas zu den Haushalts- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – anträgen der Linken sagen. Die Linke hat uns in den (B) Heinz Lanfermann [FDP]: Sie wollen wohl die Haushaltsberatungen mit Anträgen beglückt, die in der (D) Kassandra der Gesundheitspolitik werden!) Summe ein Volumen von 4 Milliarden Euro haben. Diese Summe zeigt, dass die Vorschläge schier unmög- Aktuell haben die Krankenkassen Geld. Ja, es ist rich- lich umzusetzen sind. tig: Krankenkassen sind keine Sparkassen. Deshalb kann man die Praxisgebühr jetzt auch abschaffen. Aber es ist ( [DIE LINKE]: Alles gegen- auch jetzt schon klar, dass es nicht bei diesem Über- gerechnet!) schuss bleiben wird. Sehen wir uns nur an, was Schwarz- Zum Teil handelt es sich durchaus um richtige Forderun- Gelb alleine bei diesem Haushalt macht: Erst werden gen; aber es wird an der falschen Stelle angedockt. Zum dem Gesundheitsfonds 2 Milliarden Euro entzogen, Beispiel fällt die Förderung der nichtkommerziellen dann werden ihm in der Bereinigungssitzung flott wei- Pharmaforschung tatsächlich in den Aufgabenbereich tere 0,5 Milliarden Euro entzogen, und für 2014 werden des BMAS und eben nicht in den des Gesundheitsminis- ihm weitere 2 Milliarden Euro entzogen. Die Abschaf- teriums. Auch die Beseitigung des Investitionsstaus bei fung der Praxisgebühr wird ebenfalls mit rund 2 Milliar- den Krankenhäusern ist eine wichtige und richtige den Euro zu Buche schlagen. Wenn wir das sehen, ist Forderung. Das ist aber eindeutig nicht im Zuständig- doch klar: Der unsolidarische Zusatzbeitrag kommt mit keitsbereich des Bundes anzusiedeln, sondern im Zu- großen Schritten. ständigkeitsbereich der Länder. Deshalb lehnen wir (Otto Fricke [FDP]: Wie viele Reserven sind diese Änderungsanträge ab – wie wir den Haushalt des denn insgesamt da, Frau Kollegin?) Gesundheitsministeriums insgesamt ablehnen. Eine entsolidarisierte Finanzierung unseres Gesundheits- Vielen Dank. systems klopft schon sehr laut an die Tür. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Heinz Lanfermann [FDP]: Da fließt nichts he- Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – raus, da fließen bloß weniger Steuergelder hi- Gegenruf der Abg. Katja Dörner [BÜND- nein! Das ist ein großer Unterschied!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Zuruf von der CDU/CSU: Es fing so gut an!) Die Abschaffung der Praxisgebühr ist richtig. Aber sie wird nur dann nicht zum Problem, wenn wir eine Bürgerversicherung bekommen, die mehr Solidarität be- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: deutet, die die Einnahmeseite der Krankenversicherung Das Wort hat der Bundesgesundheitsminister Daniel verbreitert und damit gerecht absichert. Bahr. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25207

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) heute erneut vorgeworfen, die bürgerlich-liberale Politik (C) sei unsozial. Daniel Bahr, Bundesminister für Gesundheit: (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und NEN]: Das ist auch Fakt!) Kollegen! Ich möchte mich bedanken bei den Mitglie- dern des Haushaltsausschusses, den Mitarbeiterinnen Damals, in der Situation dieser drohenden Defizite, hat und Mitarbeitern des Ausschusssekretariats und den die christlich-liberale Koalition entschieden, dass diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Hauses, des Defizite nicht dadurch vermieden werden, dass Leistun- Bundesministeriums für Gesundheit, für die sehr gen der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen konstruktiven, fachlich fundierten, sachlich geführten werden oder bei der Vergütung der Ärztinnen und Ärzte Haushaltsberatungen, die, glaube ich, zu einem sehr gu- gekürzt wird oder bei den Krankenhäusern oder bei der ten Ergebnis geführt haben. Pflege gestrichen wird oder wenigstens eine Nullrunde stattfindet. Zwar wurden die Zuwächse im ambulanten Der Etat des Bundesministeriums für Gesundheit ist Bereich, im Krankenhausbereich, begrenzt; aber trotz in seinem Kernbereich der kleinste Etat. Durch den Zu- größter Defizite konnten sich die im Gesundheitssystem schuss an die gesetzliche Krankenversicherung wird er Beschäftigten über Zuwächse freuen. dann doch zu einem der größeren Etats im Bundeshaus- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) halt. Dieser Haushalt leistet heute für den nächsten Bun- deshaushalt den größten Sparbeitrag aller Einzeletats. Das war ein Stabilitätssignal für alle Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, und damit auch ein Beitrag, Das ist ein klares Zeichen, dass auch das Bundes- um Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten. ministerium für Gesundheit einen Beitrag dazu leisten will, dass wir endlich aus der Verschuldung herauskom- Dann wird von den Überschüssen gesprochen, die wir men. Auch das Bundesministerium für Gesundheit heute haben. Ich hatte letztens anlässlich eines Jubilä- möchte einen Beitrag dazu leisten, dass wir das Ziel ei- ums die Gelegenheit, mit ehemaligen Gesundheitsminis- nes strukturell ausgeglichenen Haushalts erreichen. Das terinnen – in der Regel bekleiden ja Frauen das Amt – zu Ziel ist, dass die Politik mit dem Geld, das die Bürgerin- diskutieren. Da sagten die Frauen zu mir, sie beneideten nen und Bürger ihr zur Verfügung stellen, auskommt. Ich mich, weil es die Situation, dass ein Gesundheitsminister glaube, dass das kein schlechtes Signal ist. Deswegen Überschüsse verteidigen muss, in der Geschichte der kann ich die Kritik der Opposition nicht verstehen. Ich Bundesrepublik noch nicht gegeben habe. Ich glaube, glaube, dass es Lob verdient, bei dieser kleinteiligen Kritik, die Sie eben geäußert haben, (B) (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl!) (D) (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass das Bundesministerium für Gesundheit durch eine NEN]: Was heißt „kleinteilig“?) Kraftanstrengung in seinem Etat dazu beiträgt, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern endlich einen Haushalt sind Sie in Wahrheit doch neidisch, dass wir diese Situa- vorlegen können, der zeigt, dass Politikerinnen und Poli- tion haben. tiker mit dem Geld, das die Bürgerinnen und Bürger ih- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Genau nen zur Verfügung stellen, auch wirklich auskommen so ist es!) und Nachhaltigkeit eben keine Floskel ist. Es stimmt doch nicht, dass das nur am Beitragssatz (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und an der Konjunktur liegt. Natürlich hat die gute Kon- der CDU/CSU – [BÜND- junktur einen wichtigen Beitrag dazu geleistet; das NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wofür sollen wir Sie verhehlt hier doch niemand. Aber offenbar hat diese denn loben?) Regierung eine Politik betrieben, dass sich diese gute Wissen Sie, Herr Lauterbach, als ich Sie eben gehört Konjunktur entfalten konnte. Das scheint ja auch Politik habe, da wurde mir deutlich, dass in dieser Legislatur- dieser Bundesregierung gewesen zu sein. periode nicht nur die Regierung durch die FDP besser (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten geworden ist, sondern dass in der letzten Legislatur- der CDU/CSU) periode auch die Opposition besser war. Lassen Sie uns doch einmal schauen, wie wir diese (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der Überschüsse erreicht haben. Diese Regierung hat das CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der ehrgeizigste Arzneimittelsparpaket auf den Weg ge- SPD – Mechthild Rawert [SPD]: Jetzt Braut bracht, das überhaupt eine Regierung in Deutschland in oder Bräutigam?) der Gesundheitspolitik gemacht hat. Bei Ihrer Rede hatte ich den Eindruck: Sie finden gar (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten keinen richtigen Ansatzpunkt. der CDU/CSU) Schauen wir uns einmal an, wo wir zur Beginn der Im Bereich der Arzneimittelausgaben sparen wir jedes Legislaturperiode standen: Die Defizite, die damals Jahr bis zu 2 Milliarden Euro ein. Wir haben den Para- drohten, waren die größten in der Geschichte der gesetz- digmenwechsel vollzogen, dass der Hersteller eben nicht lichen Krankenversicherung. Frau Dörner und Herr mehr den Preis eines Arzneimittels festlegt und die Leutert, Sie haben der Regierung von Schwarz-Gelb Kasse ihn bezahlen muss, sondern dass jetzt jedes neue 25208 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Bundesminister Daniel Bahr (A) Arzneimittel beweisen muss, dass es besser ist als die Geschichte des Zuschusses anschauen, werden Sie se- (C) Arzneimittel, die es schon gibt, und dass dann freie hen, dass er immer wieder infrage gestellt wurde, weil er Preisverhandlungen mit den Krankenkassen zu führen unbestimmt ist. So wie er von Rot-Grün seinerzeit einge- sind. Das ist im Interesse der Beitragszahler und im Inte- führt wurde, war nie klar, wofür die Steuermittel eigent- resse der Patienten und sorgt dafür, dass wir mit be- lich sind. Deswegen macht er sich angreifbar. grenzten Beitragsgeldern auch wirklich effizient umge- (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hen. Deswegen ist das ein wichtiger Beitrag der NEN]: Warum ändern Sie das nicht, wenn das Regierung zur finanziellen Stabilität. für Sie ein Problem ist?) Die Opposition spricht immer von der Kopfpau- – Frau Bender, der Zuschuss ist, wenn ich das richtig schale. Dann muss ich Ihnen einmal etwas erklären: In sehe, 2004 mit 1 Milliarde Euro eingeführt worden. dieser Legislaturperiode ist auf Antrag der FDP von der 2006 gab es 4,2 Milliarden Euro. Unter rot-grüner Koalition beschlossen worden, die Kopfpauschale beim Regierung ist er auf 2,5 Milliarden zurückgeführt wor- Arztbesuch abzuschaffen. Sie ist von einer SPD-Gesund- den. Das heißt, Sie haben den Zuschuss genauso gekürzt, heitsministerin eingeführt worden. Die 10 Euro „Maut- obwohl Sie ihn eingeführt haben. Wenn ich eine pau- gebühr“, wenn man in das Wartezimmer einer Arztpraxis schale Abgeltung der gesamtgesellschaftlichen Aufga- kam, waren doch nichts anderes als eine Kopfpauschale. ben vornehme, kann ich denn dann gegenüber der jun- Egal wie viel jemand verdiente, unabhängig vom Ge- gen Generation rechtfertigen, dass über 20 Milliarden sundheitszustand und unabhängig von seinen sozialen Euro Rücklagen im Bereich der gesetzlichen Kranken- Verhältnissen musste er in der Arztpraxis 10 Euro zah- versicherung und des Gesundheitsfonds sind? len. Das ist eine Kopfpauschale, die Sie eingeführt haben und die wir abgeschafft haben. (Elke Ferner [SPD]: Sie können die Beiträge senken! Das trauen Sie sich aber nicht!) (Beifall bei der FDP) Dass diese Kritik ausgerechnet von den Grünen kommt, Wir sollten die gute finanzielle Lage, die wir durch ist schon verwunderlich. Können Sie, liebe Politikerin- unsere Politik geschaffen haben, beibehalten, sollten nen und Politiker der Grünen, der jungen Generation er- aber auch immer die Gesamtverantwortung für den Bun- klären, dass wir heute Schulden zu ihren Lasten machen deshaushalt sehen. sollen, obwohl wir das gar nicht müssten, weil wir das In dieser schwierigen Zeit, wo wir alle einen Beitrag Geld, das im Gesundheitsfonds überschüssig ist, zurück- leisten wollen, um schnell zu einem ausgeglichenen geben können? Haushalt zu kommen, setzen wir Prioritäten. Wir geben (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mehr Geld für die Öffentlichkeitsarbeit für die Organ- (B) der CDU/CSU) (D) spende aus. Herr Kollege Karl hat recht: Schlechte Poli- tik muss man mit mehr Öffentlichkeitsarbeit erklären. Ich glaube, mit einem gewissen Augenmaß kann man Gute Politik erklärt sich von selbst. Aber im Bereich der diese Entscheidung vertreten, weil sie im Interesse der Organspende ist es nötig, dass wir mehr Geld zur Verfü- jungen Generation und eines ausgeglichenen Haushalts gung stellen. Denn wir alle haben gemeinsam entschie- ist. Ich finde, dem kann sich die Gesundheitspolitik mit den – das ist ein starkes Signal an die Bevölkerung –, die diesem begrenzten Beitrag auch nicht entziehen. Wir als Menschen über die gesetzlichen und die privaten Kran- Gesundheitspolitiker dürfen nicht nur auf unseren Be- kenversicherungen anzuschreiben und sie aufzufordern, reich schauen, sondern wir haben auch eine Gesamtver- sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen. antwortung für die Politik in Deutschland. Deswegen ist Deswegen ist es wichtig, erst recht aufgrund einzelner es, glaube ich, vertretbar, den Zuschuss begrenzt zu Fälle, die uns alle beschäftigt haben, jetzt mit einer reduzieren, um einen Gesamtbeitrag dafür zu leisten. breitangelegten Öffentlichkeitskampagne die Bürgerin- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. nen und Bürger aufzuklären. Das wird in diesem Haus- halt nachgearbeitet. Hierfür stellen wir zusätzliches Geld (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) zur Verfügung. Wir stellen auch zusätzliches Geld zur Verfügung, um Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: die gesetzliche Aufgabe zu erfüllen, größere Arznei- Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege mittelsicherheit zu gewährleisten. Beim Paul-Ehrlich- Ewald Schurer. Institut und beim Bundesinstitut für Arzneimittel werden (Beifall bei der SPD) zusätzliche Stellen geschaffen. Vielen Dank für die sehr konstruktiven parteiübergreifenden Beratungen im Ewald Schurer (SPD): Haushaltsausschuss, die das möglich gemacht haben, damit wir im Sinne der Patienten dem gesetzlichen Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zu- Auftrag, eine bessere Arzneimittelsicherheit zu gewähr- nächst einmal habe ich einen Beitrag zu dem Versuch, leisten, nachkommen können. positive Stimmung zu erzeugen, zu leisten: Ich bedanke mich beim Ministerium und bei den Kollegen im Haus- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten haltsausschuss nochmals für das konstruktive Miteinan- der CDU/CSU) der. Das darf man in der Haushaltsdebatte ja sagen. Nun möchte ich einen letzten Punkt nennen. Ja, der Damit komme ich aber schon dazu, zu sagen: Ich Zuschuss wird gekürzt. Aber wenn Sie sich einmal die wundere mich. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25209

Ewald Schurer (A) Erster Punkt. Ich bin Haushälter. Zwar bin ich nicht (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Aber ich (C) der erste Fachpolitiker auf diesem Gebiet, aber ich ver- glaube, das haben wir gemeinschaftlich be- stehe, wenn die Kollegin der FDP hier in Bezug auf die schlossen!) Prävention sagt, dass man rausgehen und aufklären muss. Aufklärung ist zwar notwendig, aber sie ist nur ein Das sollten Sie anerkennen. Dafür müssen Sie uns dan- Stüfchen, also nicht einmal eine Stufe, auf dem Weg zu ken, weil das die Sozialkassen wieder gefüllt hat. Das ist einer umfassenden, ganzheitlichen Präventionsstrategie. ökonomische Logik. Eine solche haben Sie nicht vorgelegt und bringen Sie (Beifall bei der SPD) auch nicht auf die Reihe. Das ist eine ganz klare Sache. Ich muss Ihnen auch sagen, dass Herr Rösler damals (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael wie heute viele Dinge bei seiner politischen Analyse Leutert [DIE LINKE] – Christine Aschenberg- falsch eingeschätzt hat und einschätzt. Dugnus [FDP]: Warten Sie ab!) (Bundesminister Daniel Bahr unterhält sich Hier dieses Stüfchen zu gehen und zu sagen: „Wir ge- mit Parl. Staatssekretärin Annette Widmann- hen raus und klären in Betrieben und Schulen auf“, ist Mauz) schön, aber bei weitem kein Ersatz für eine Präventions- strategie. Hier haben Sie vollkommen versagt. – Sehr geehrter Herr Minister Bahr, ich buhle um Ihre Aufmerksamkeit. Wenn Sie erlauben, will ich versuchen, (Zuruf des Abg. Jens Ackermann [FDP]) Ihnen eine Antwort zu geben. – Auch durch Schreien wird die Prävention nicht verbes- Für mich ist das ein systemwidriger Denkfehler: Sie sert. reden über den Sparbeitrag beim Gesundheitsfonds. Erst einmal geht es um 2 Milliarden Euro, und jetzt kommen Zweiter Punkt. Sie tun hier immer so, als ob Sie im noch einmal 500 Millionen Euro, eine halbe Milliarde, luftleeren Raum gelebt hätten. 2008 kam es zu einer bru- hinzu. Dabei vergessen Sie, dass die Praxisgebühr, die talen Wirtschafts- und Finanzkrise, während der auch in wir ja gemeinsam abschaffen wollen, auch noch einmal Deutschland die Wertschöpfung um 5 Prozent eingebro- 2 Milliarden Euro ausmacht. chen ist. Deswegen gab es damals in allen Sozialkassen, auch in der Gesundheitskasse, brutale Einbrüche. Was Sie jetzt nicht verstehen oder nicht verstehen wollen: Der Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds Wir haben dann für eine sozialdemokratische Variante wird für die versicherungsfremden Leistungen der GKV gesorgt – das war wichtig für Sie, weil bei uns entspre- gegeben, sprich: für die pauschale Abgeltung der Auf- (B) chende Kompetenz vorhanden ist – und antizyklisch wendungen der Krankenkassen für gesamtgesellschaftli- (D) agiert, indem wir in der Krise Konjunkturprogramme che Aufgaben. aufgelegt und Milliarden ausgegeben haben, da wir wussten: Jede Milliarde induziert eine siebenfache pri- (Otto Fricke [FDP]: Der gesetzlichen Kran- vate Wertschöpfung und damit Arbeitsplätze. Allein des- kenkassen! Nur der gesetzlichen.) wegen kamen wir so schnell aus dieser Wirtschaftskrise. Das ist also familienpolitisch motiviert. Das ist die Wahrheit! Wenn Sie jetzt einfach sagen: „Wir kürzen den Zu- (Beifall bei der SPD) schuss an den Gesundheitsfonds noch einmal um eine Dass wir dadurch auch in der GKV wieder Mehreinnah- halbe Milliarde Euro“, und die 2 Milliarden Euro Min- men hatten, hat uns den Hintern gerettet. Bleiben Sie dereinnahmen durch Abschaffung der Praxisgebühr einmal ehrlich! Erst dann kann man seriös reden. nicht einrechnen, dann schaffen Sie schlechte struktu- relle Voraussetzungen für die Zeit, wo die Konjunkturlo- Die Krise war brutal. 2009 haben Sie die Regierung komotive nicht mehr so gut laufen wird. Wir haben im übernommen. Infolge des ökonomischen Kahlschlags Zuge der europäischen krisenhaften Erscheinungen be- durch die Pleite von Lehman Brothers und die weltweite reits jetzt – das wissen Sie – leider erste kleine Einbrü- Wirtschafts- und Finanzkrise waren die Kassen leer. che zu verzeichnen, die wir alle nicht wollen. Insofern sind Sie kein guter Hüter der zukünftigen Möglichkeiten Es gab dann einen Herrn Rösler, Herr Bahr, der noch für die GKV. Sie widersprechen sich in diesem Punkte 2009 hier im Hause gesagt hat: Wir stehen vor einem selbst. Milliardengrab GKV. Seine Prognose war, dass wir 11 bis 20 Milliarden Euro Miese machen werden, (Beifall bei der SPD) (Otto Fricke [FDP]: Wenn wir nichts ändern!) Ich nenne Ihnen einen weiteren Aspekt. Ich habe mich immer gefragt, nach welcher inneren Logik Sie nicht verstehend, dass uns die sozialdemokratische Va- von der FDP – das sage ich bei aller persönlichen Wert- riante der Krisenbewältigung, zum Beispiel das Managen schätzung – versuchen, Politik zu formulieren. Klar, wir der Krise durch verlängerte Zahlung des Kurzarbeiter- haben völlig unterschiedliche Entwürfe. Wir Sozialde- gelds, wodurch wir Hunderttausende von Arbeitsplätzen mokraten und die Freundinnen und Freunde der Grünen in vielen Branchen gerettet haben, und die Bereitstellung – da bin ich zumindest bisher guten Glaubens – wollen von Konjunkturmitteln in Höhe von insgesamt 20 Mil- in Richtung einer solidarischen Bürgerversicherung für liarden Euro nach vorne gebracht hat. Gesundheit und Pflege gehen. Ich bin überzeugt: Wir ha- 25210 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Ewald Schurer (A) ben ab dem nächsten September die Chance, diese Idee Ernstfall Zusatzbeiträge verlangen müssen. Oder habe (C) mit Leben zu erfüllen. ich es falsch verstanden? Vielleicht haben Sie damals ge- meint: mehr Brutto vom Netto. Es könnte ja sein, dass (Beifall bei der SPD) das von Ihnen falsch formuliert wurde. Ihr Entwurf ist stringent anders. Man kann Ihnen Ich stelle fest: Ob Pflege, ob Patientenrechte oder Prä- nicht unterstellen, dass Sie gar keine Solidarität wollen, vention – alle Großaufgaben der künftigen Gesundheits- aber Sie wollen so wenig wie möglich und so viel Priva- politik sind von Ihnen nicht erledigt worden. Da kann tisierung wie möglich in diesem Bereich, wie das der man nur noch auf eine Nachfolgeregierung hoffen. – Ich Kollege Lauterbach herausgearbeitet hat. bedanke mich für die Aufmerksamkeit und schaue freu- (Heinz Lanfermann [FDP]: „Herausgearbei- dig Richtung Grün und Rot, weil ich überzeugt bin: Es tet“ bei der Rede ist aber sehr blumig!) wird ab dem nächsten Herbst ein neuer Wind wehen. Der Bereich, in dem es um das Gut „Gesundheit und Herzlichen Dank. Fürsorge für die Menschen“ geht, dieser solidarische Be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten reich, wird bei Ihnen kleingeschrieben. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Otto Ich sage Ihnen: Ich habe Ihre Logik nicht gefunden. Fricke [FDP]: Wir hoffen auf den Nachfolge- Die einzige Logik, die ich entdecken konnte: Die Auf- redner!) stockung um 6 Millionen Euro im Zusammenhang mit der Umsetzung des Transplantationsgesetzes war das Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: einzig Positive, was Sie gemacht haben. Darum ist die Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der FDP nicht herumgekommen; aufgrund der manifesten Kollege Dr. Rolf Koschorrek. gesellschaftlichen Vorfälle mussten Sie reagieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ansonsten war bei Ihnen nur eines stringent: Sie ha- der FDP) ben alle Programme mit Modellcharakter, die unter Ulla Schmidt entstanden sind, in den letzten Jahren geschleift Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU): oder eingestellt. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Jens Ackermann [FDP]: Richtig so!) Kollegen! Meine Damen und Herren! Es freut mich ganz besonders, heute wieder einmal den Kollegen Hinter den Programmen stehen aber die Versuche, neue Lauterbach in unseren Reihen begrüßen zu dürfen. Das Wege von Prävention und Gesundheitspolitik auf eine war in der letzten Zeit, vor allen Dingen im Ausschuss, (B) intelligente Art und Weise zu formulieren, um sie später eher selten möglich. Damit hängt vielleicht zusammen, (D) in das System zu implementieren. Das haben Sie nicht dass die Wahrnehmung unserer Politik aufseiten der verstanden. Sie haben es folgendermaßen gesehen: Das, SPD und des Redners nicht ganz den Realitäten ent- was die Vorgängerregierung gemacht hat, ist des Teufels; spricht. Das, was Sie geschildert haben, und die Szena- das müssen wir alles beseitigen. rien, die Sie eben entworfen haben, haben mit der politi- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das schen Wirklichkeit, gerade in der Gesundheitspolitik, war Unsinn! Deswegen haben wir es besei- und der Situation der gesetzlichen Krankenversicherung tigt!) schlicht und ergreifend gar nichts zu tun. Ich halte das für schlecht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Sie waren Ein letzter Punkt. Sie kamen immer mit dem Spruch auch nicht da! So ist es!) daher: mehr Netto vom Brutto. Sie haben damals die GKV-Beiträge erhöht. Ich sage: weniger Netto vom – Das kann man in den Protokollen nachlesen. Brutto. Sie haben mit Ihrem Pflegekonzept einseitig die Die Gesundheitsausgaben pro Einwohner lagen 1995 Versicherten belastet. Ich sage: wieder weniger Netto in der Bundesrepublik Deutschland bei 2 290 Euro. vom Brutto. Wo ist die Einlösung Ihrer Wahlverspre- chen? Mittlerweile müssen auch die Versicherten in der (Elke Ferner [SPD]: D-Mark!) privaten Krankenversicherung feststellen, dass die Bei- Im Jahre 2010 waren sie bereits auf 3 500 Euro gestie- träge gewaltig steigen. Ich sage: wiederum weniger gen. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt stiegen sie also Netto vom Brutto. seit 1995 von 10,1 auf 11,6 Prozent. (Otto Fricke [FDP]: Und die Rente?) Europa gibt weniger Geld für Gesundheit aus Staaten fahren in der Krise ihre Budgets zurück. Ich verstehe, was Sie damals gesagt haben, merke aber, Nicht so Deutschland dass Sie in der GKV und im Gesundheitswesen allge- mein anders gehandelt haben als zugesagt. Ihre Lösun- So lautete gestern die Schlagzeile einer sehr großen Ta- gen waren nicht durchdacht und ökonomisch nicht nach- geszeitung, die über die aktuelle OECD-Studie berich- vollziehbar. tete. Ich muss noch dazusagen: Die Zusatzbeiträge, Herr ( [SPD]: Wo ist denn der Minis- Minister, gibt es immer noch. Das heißt für mich wiede- ter? – Elke Ferner [SPD]: Und Sie machen rum: weniger Netto vom Brutto, wenn die Kassen im mehr Schulden bei höheren Steuereinnahmen!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25211

Dr. Rolf Koschorrek (A) Während die Gesundheitsausgaben in der Mehrzahl der alle, unabhängig von Alter, sozialem Status und Wohn- (C) europäischen Länder im Jahr 2010 deutlich sanken, blie- ort, verfügbar sein wird. ben sie bei uns nicht nur konstant, sondern wir haben sie insgesamt um nahezu 2,7 Prozent gesteigert. Im Versorgungsstrukturgesetz haben wir die Voraus- setzungen dafür geschaffen, dass es für Ärzte auch wieder Das deutsche Gesundheitssystem steht im internatio- interessant wird, sich in ländlichen Regionen niederzulas- nalen Vergleich außerordentlich gut da. Wir haben mit sen, und wir haben dafür gesorgt, dass die niedergelasse- unseren gesundheitspolitischen Entscheidungen die Ba- nen Ärzte in ihren Praxen sich untereinander und mit den sis dafür geschaffen, dass die medizinische Versorgung Krankenhäusern vor Ort wesentlich besser vernetzen und in unserem Land auch im Zuge der demografischen Ver- zusammenarbeiten können. Das ist gelebte Überwindung änderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte eine der von Sektorengrenzen, die dringend geboten war besten der Welt bleiben wird. (Jens Ackermann [FDP]: Sehr vernünftig!) (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl!) und auch für die Zukunft eine unserer größeren Aufga- Das Gesundheitssystem steht heute so gut da wie ben bleiben wird. noch nie zuvor, und wir haben dafür gesorgt, dass es gut (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gerüstet ist, um die hohen und besonderen Anforderun- gen der älter werdenden Gesellschaft, die mit einer Zu- Die Kassenärztlichen Vereinigungen wie auch die Kom- nahme an älteren und natürlich auch multimorbiden Pa- munen ziehen hier mit uns an einem Strang und nutzen tienten verbunden ist, zu erfüllen. Die Tatsache, dass die neuen gesetzlichen Vorgaben. sich unser Gesundheitswesen nach drei Jahren christlich- Auch die grundlegende Reform der ärztlichen Be- liberaler Gesundheitspolitik in so guter Verfassung be- darfsplanung, die der Gemeinsame Bundesausschuss als findet wie kaum jemals zuvor, ist ein Ergebnis kluger, Teil der Selbstverwaltung des Gesundheitswesens in un- guter und eben auch weitsichtiger Politik. serem Auftrag erarbeitet, steht vor ihrem Abschluss, so- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dass die neue Richtlinie voraussichtlich fristgerecht zum Jahreswechsel in Kraft treten wird. Die finanziellen Überschüsse sind ohne Zweifel ein glücklicher und erfreulicher Zustand, um den uns extrem Mit den neuen Regelungen für die Arzneimittelpreise viele beneiden. Aber die Überschüsse sind bei weitem haben wir nicht nur eine Dämpfung des kontinuierlichen weder purer Glücksfall noch Zufall. Denn sie sind auf- Anstiegs der Arzneimittelkosten erreicht. Um sicherzu- grund der erfolgreichen Arbeit unserer gesamten Wirt- stellen, dass neue Medikamente auch künftig zeitnah für (B) schaft und der daraus resultierenden guten Beschäfti- die Patienten zur Verfügung stehen, haben wir festgelegt, (D) gungslage am Arbeitsmarkt in unserem Land entstanden. dass neue Medikamente nur um so viel teurer sein dür- Die Rahmenbedingungen dafür allerdings zählen ein- fen, wie es ihrem verbesserten Nutzen gegenüber bereits deutig zu den sichtbaren und unbestreitbaren Erfolgen vorhandenen Medikamenten entspricht. dieser Bundesregierung. Wir haben den Herstellern deutlich gemacht, dass die Wir sind aber auch Realisten und wissen, dass gravie- Zeit von Fantasiepreisen auch in Deutschland vorbei ist, rende demografische Veränderungen auf uns zukommen. und haben in Verhandlungen und unter Einbeziehung der Wir wissen, dass die bislang erzielten Zuwachsraten Selbstverwaltung, des Gemeinsamen Bundesausschus- nicht dauerhaft zu finanzieren sind und dass die derzeiti- ses, und unter fachlicher Beratung des IQWiG in der gen finanziellen Reserven nicht auf Dauer bestehen wer- Arzneimittelbewertung und -preisfindung ein System den. geschaffen, das mit Einbeziehung aller Beteiligten si- cherlich international seinesgleichen sucht und das wir Wir denken weiter und stellen uns realistisch den vor- auch hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen heute aussehbaren Entwicklungen und Problemen der älter durchaus stolz betrachten können. werdenden Gesellschaft. Wir bereiten unser Gesund- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- heitssystem darauf vor, dass immer weniger Erwerbstä- neten der FDP) tige die medizinische Versorgung einer wachsenden Zahl von älteren und multimorbiden Patienten mit vielfachen Zwischenzeitlich ist auch die erste Medikamenten- gesundheitlichen Einschränkungen nicht nur finanziell, gruppe aus dem Bestandsmarkt in die frühe Nutzenbe- sondern auch im Alltag der medizinischen Versorgung wertung gekommen. Das zeigt, dass wir bereit sind, in praktisch zu bewerkstelligen haben werden. Wir stellen diesem Segment in dem einen oder anderen Fall eine die Weichen dafür, dass in unserem Land auch künftig Nutzenbewertung durchzuführen. Wir werden sicherlich noch so, wie wir es gewohnt sind, flächendeckend eine nicht in der Lage sein, den gesamten Bestandsmarkt auf- gute medizinische Versorgung auf hohem Niveau vor- zurufen. Das ist einfach vom Aufwand her nicht mög- handen sein wird. lich. Aber das bei einigen Produkten voranzubringen, ist sicherlich der richtige Weg. Mit den neuen Arzneimittelgesetzen und dem Versor- gungsstrukturgesetz haben wir Neuerungen eingeführt Das neue Pflegegesetz, das Patientenrechtegesetz und und umgesetzt, die dafür sorgen, dass die gewohnte, gute das Transplantationsgesetz sind weitere Bestandteile un- ärztliche Betreuung und Versorgung mit Medikamenten serer Politik und Beispiele dafür, wie schon lange anste- und medizinischen Innovationen auch in Zukunft für hende Probleme im Gesundheitswesen in Angriff zu 25212 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Dr. Rolf Koschorrek (A) nehmen und wie neue zukunftsfähige Regelungen auf halten und bewährt haben: die für unser Gesundheitssys- (C) den Weg zu bringen sind. tem konstitutive Selbstverwaltung. Zur nachhaltigen Sicherung der leistungsfähigen fi- Nur die Selbstverwaltung ist mit ihrer Kompetenz, ih- nanziellen Basis unseres Gesundheitssystems, den Ein- rer direkten Beteiligung und ihrer Verantwortungsüber- nahmen der Krankenkassen, bauen wir nicht allein auf nahme in der Lage, die Dinge wirklich zu regeln. Wir unsere gute Wirtschaftskraft und eine florierende Kon- haben uns gesundheitspolitisch auf eine Rahmengesetz- junktur. Deswegen haben wir schon 2011 die Finanzie- gebung beschränkt. Wir ziehen sehr deutlich Korsett- rung der gesetzlichen Krankenkassen von den für uns als stangen ein, aber innerhalb dieses Rahmens geben wir Exportnation so wichtigen Lohnkosten abgekoppelt und der Selbstverwaltung genügend Freiraum, diesen Rah- dies mit einer Stärkung des Wettbewerbs der gesetzli- men mit fachlichem Know-how und Verhandlungskom- chen Krankenkassen untereinander verbunden. petenz vernünftig auszufüllen. Die zentrale Forderung an ein zukunftssicheres Ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sundheitswesen lautet: Alle Bürgerinnen und Bürger der FDP) müssen Zugang zu einem bezahlbaren Versicherungs- Indem wir seitens der Politik den gesetzlichen Rah- schutz haben, der alle medizinisch notwendigen Leistun- men vorgeben, müssen die Gremien der Selbstverwal- gen auf hohem Niveau erfasst, der aber auch innova- tung ihrer Aufgabe nachkommen, praxisnah über kon- tionsoffen und zukunftsfest bleiben muss. krete Regelungen, Leistungen und andere Dinge zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- entscheiden. Wir wollen auch in Zukunft alle Verände- neten der FDP) rungen mit der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, in der Ärzte, Krankenhäuser und gesetzliche Kranken- Dies ist nach unserer festen Überzeugung am besten kassen organisiert sind, durchführen und die ärztliche zu gewährleisten, wenn wir eine Vielfalt von Kranken- Diagnose- und Therapiefreiheit ebenso wie die freie versicherungen im Markt haben, die miteinander in ei- Arztwahl des Patienten erhalten. nem fairen Wettbewerb um Preis und Qualität stehen. Wir sorgen mit unserer Gesundheitspolitik weiter da- Davon profitieren die Versicherten und Patienten, und in für, dass die Patienten die bestmögliche Versorgung er- einem solchen System ist auch die für unser Gesund- halten, und wir werden die Einheitsversicherung der Op- heitssystem so elementare freie Arztwahl und die freibe- position, ohne belebenden Wettbewerb um medizinische rufliche Unabhängigkeit unserer Ärzte beizubehalten Qualität und ohne effektives Wirtschaften, nicht zulas- und in Zukunft eher auszubauen, als einzuschränken. sen. Die Basis für den Wettbewerb der gesetzlichen Kran- Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (B) kenversicherungen um die beste Versorgung der Patien- (D) ten haben wir mit der Einführung des Gesundheitsfonds (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und der durch Steuermittel sozial abgefederten Zusatz- beiträge geschaffen. Damit ist zugleich sichergestellt, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: dass niemand durch seinen Kassenbeitrag finanziell Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge von der überfordert wird. Fraktion Die Linke. Alle Diskussionen und alle Stimmungsmache gegen (Beifall bei der LINKEN) die private Krankenversicherung, wozu die Opposition geradezu verbissen jeden vermeintlichen Anlass sucht, Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): ändern nichts daran, dass sich das Nebeneinander von Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, GKV und PKV über Jahrzehnte bewährt hat; ein Positivum hat das Vorgelegte: Für absehbare Zeit (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl!) wird das der letzte Haushalt sein, den Schwarz-Gelb vor- legt, und das ist auch gut so. denn dieses System ist die Basis für unser Gesundheits- system, das international eines der besten ist und um das (Beifall bei der LINKEN – Georg Schirmbeck uns viele Länder beneiden. [CDU/CSU]: Na, ja! Wer zuletzt lacht, lacht am besten!) (Elke Ferner [SPD]: Wovon träumen Sie denn nachts?) Kaum etwas Richtungsweisendes oder Zukunftsweisen- des findet sich in diesem Einzelplan 15. Gerade in Sachen Innovationsoffenheit spielt die PKV eine ganz entscheidende Rolle. Für Sie ist das Gesundheitssystem in erster Linie ein Wirtschaftsfaktor, ein Arbeitsmarkt bzw. ein Sektor, der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zur Erhöhung des Bruttosozialprodukts beiträgt. Nur so der FDP) wird verständlich, dass Schwarz-Gelb so wenig Interesse Dieses System gilt es aufrechtzuerhalten, indem wir an der Gesundheit der Menschen hat. Wenn die Gesund- heit der Menschen Ihnen wirklich wichtig wäre, hätten es an die neuen Anforderungen anpassen. Dabei setzen Sie längst viel mehr Geld für nichtmedizinische Primär- wir, anders als die Opposition sich das vorstellt, ganz be- prävention und Gesundheitsförderung eingestellt. wusst auf die Strukturen und Elemente, die sich bereits über viele gesellschaftliche, technologische und wirt- Kollegin Aschenberg-Dugnus, ich kann da ebenfalls schaftliche Veränderungen in unserem Alltag hinaus er- nur ergänzen: Prävention geht nicht nur durch den Kopf Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25213

Dr. Martina Bunge (A) und über Wissen, sondern Prävention muss da ankom- Warum soll das, bitte schön, nicht auch heute beim Ab- (C) men, wo die Lebenswelten sind. bau des Investitionsstaus, der in der gesamten Kranken- hauslandschaft über 50 Milliarden Euro beträgt, funktio- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das nieren? Ich frage Sie: Warum nicht? habe ich gesagt! Sie haben anscheinend nicht zugehört!) (Beifall bei der LINKEN) Sie muss auch diejenigen erreichen, in deren Köpfen es Unser diesbezüglicher Antrag auf Beteiligung des Bun- noch nicht drin ist. des mit 2,5 Milliarden Euro liegt Ihnen heute vor. So wäre das ganze Problem in zehn Jahren erledigt. (Beifall bei der LINKEN) Auch wenn für uns Gesundheitsförderung das Primat Stattdessen lassen Sie das Kinder-Gesundheitsprogramm hat, um allen Menschen gleiche Chancen zu ermögli- einfach sang- und klanglos auslaufen. chen, wollen wir natürlich auch, dass allen Menschen bei Krankheit geholfen wird. Arzneimittel können das be- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Aber wirken oder zumindest ihren Anteil dazu leisten. Wer an anderer Stelle wird etwas getan! Sie haben aber Arzneimittel allein einem profitorientierten Markt den Haushalt nicht gelesen!) überlässt, riskiert, dass Krankheiten, die selten oder nicht Alle in der Gesundheitsförderung Engagierten wissen profitabel sind, nicht beforscht werden. Er riskiert auch, – sie sagen es Ihnen auch –: Das Problem ist, dass es an dass Wechsel- und Nebenwirkungen verschwiegen wer- Verstetigung der Mittel und Verbreitung guter Projekte den, es also zu einer schlechteren Versorgung kommt. fehlt. Hier muss auch der Staat Verantwortung übernehmen; deshalb unser Antrag zur pharmaunabhängigen For- (Beifall bei der LINKEN) schung. Das wäre richtungsweisend für eine sozial ge- Gesundheitsförderung und Prävention sind eine gesamt- rechte Gesundheitspolitik. gesellschaftliche Aufgabe. Deshalb muss der Bund mit (Beifall bei der LINKEN) tätig werden. Daher schlagen wir seit Jahren den Start ei- nes Präventionsfonds mit einem Umfang von 1 Milliarde Dieser Haushalt und das Agieren von Finanz- und Euro vor. Gesundheitsminister im Koalitionsgeschacher zeigen, wie wichtig es ist, eine stabile, zukunftssichere, ausrei- Statt in diese Richtung zu denken, greift der Finanz- chende Finanzierungsgrundlage durch ein beitragsge- minister ungeniert in den Topf der Krankenversicherung, stütztes Umlagesystem in der Krankenversicherung zu in den Gesundheitsfonds. Das Zugeständnis zur Ab- bekommen. (B) schaffung der Praxisgebühr – zum Jagen haben wir Sie (D) da übrigens alle getragen – Sie wissen, dass unser bevorzugtes Modell eine soli- darische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung ist. Das (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE ist sehr konsequent. Wir haben ein durchgerechnetes LINKE]) Konzept. Ich kann Sie nur einladen, uns gemeinsam an den Tisch zu setzen und das in Bälde umzusetzen. lässt er sich in sonntäglicher Koalitionsrunde vom FDP- Gesundheitsminister mit 2 Milliarden Euro zur Sanie- Ich danke Ihnen. rung des Bundeshaushalts bezahlen. Für 2014 gibt es gleich noch einen Nachschlag von 500 Millionen Euro. (Beifall bei der LINKEN) Das ist ungeheuerlich; denn faktisch zahlen jetzt die Krankenversicherten Ihr unsägliches Betreuungsgeld. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Elisabeth Scharfenberg das Wort. Angelika Graf [Rosenheim] [SPD] – Zuruf von der FDP: Unsinn!) Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Einmal mehr zeigt sich: Schwarz-Gelb hat die Ge- NEN): sundheitspolitik in die Hände des Finanzministers gege- Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- ben. Wenn Sie stattdessen, wo die Kassenlage jetzt so gen! Frau Kollegin Aschenberg-Dugnus, Sie haben die gut ist, ein neues Investitionsprogramm für Krankenhäu- Organspendekampagne angesprochen. Daran möchte ich ser aufgelegt hätten, wäre das Geld wenigstens im Res- gerne anknüpfen. Ich möchte gleich den Finger in die sort geblieben. Ich habe schon wieder die alte Leier ge- Wunde legen. Seit Monaten erschüttern uns Meldungen hört, das wäre Ländersache und ginge ordnungspolitisch über ungeheure Missstände in der Transplantationsmedi- nicht. Der Prototyp und Beweis dafür, dass das Wirkung zin. Es gab Vorfälle in der Uniklinik Göttingen, in der zeigt, war der Art. 14 des Gesundheitsstrukturgesetzes, Uniklinik Regensburg und in der Uniklinik München. wodurch die neuen Bundesländer mit Unterstützung des Genau diese Vorfälle gefährden die wichtigste Res- Bundes den Nachholbedarf bei den Krankenhausinvesti- source, die wir beim Thema Organspende haben – und tionen abbauen konnten. Jeder Finanzminister der Län- diese wichtigste Ressource ist das Vertrauen. der hat für die Kofinanzierung gesorgt und das gern ge- tan. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (Zurufe von der FDP) SPD, der FDP und der LINKEN) 25214 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Elisabeth Scharfenberg (A) Wenn sich Menschen für eine Organspende nach ih- Das ist aber notwendig. Jetzt muss alles offen und ehr- (C) rem Tod entscheiden, dann müssen sie auch darauf ver- lich auf den Tisch – jetzt endlich! trauen können, dass es nicht nur gerecht, sondern auch (Otto Fricke [FDP]: Wenn wir es komplett ma- mit rechten Dingen zugeht. Daran können wir zweifeln, chen, heißt es: Das war zu viel!) wenn Wartelisten ohne größere Probleme manipuliert werden können. Daran können wir auch zweifeln, wenn Ja, es ist richtig: Die gesundheitspolitischen Spreche- der Aufklärungswille der DSO oder der Überwachungs- rinnen und Sprecher sowie die zuständigen Fachabge- kommission bei der Bundesärztekammer eher über- ordneten treffen sich regelmäßig mit Vertretern des Ge- schaubar bleibt. Wir können daran zweifeln, wenn es zu sundheitsministeriums. Ja, es ist gut, zu versuchen, einer Organentnahme kommt, obwohl nicht alle Hirn- fraktionsübergreifend zu agieren. todprotokolle vorliegen. Das genau ist 2005 in der Uniklinik Düsseldorf geschehen. Das alles lässt das Ver- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Aha!) trauen vieler Menschen in unser Transplantationssystem Aber es ist jetzt endlich an der Zeit, dass auch Taten fol- schwinden. Es ist doch nachvollziehbar, dass viele Men- gen. Uns alle haben doch die Vorfälle in Göttingen, in schen den Eindruck gewinnen, dass in diesem System Regensburg und in München erschüttert. vor allem getrickst und getäuscht wird. (Gabriele Molitor [FDP]: Es wird doch ermit- Insofern, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist es telt!) eine völlig falsche Botschaft, wenn der Bundesgesund- Was wir daraus lernen, ist, dass die Koordinierungs- und heitsminister sagt, die Menschen mögen sich trotz dieser Kontrollstrukturen im deutschen Organspendesystem of- Skandale bitte nicht von der Bereitschaft zur Organ- fenbar unzureichend sind. Hier müssen wir doch endlich spende abhalten lassen. Es würden sonst weiter Men- die Konsequenzen ziehen. Deswegen müssen wir die schen sterben, die dringend auf ein Spenderorgan war- Koordination der Organtransplantation sowie die Auf- ten. sicht über die beteiligten Einrichtungen in die Hände ei- (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Da hat er auch ner juristischen Person öffentlichen Rechts legen. Au- recht!) ßerdem müssen wir alle Einrichtungen, die an der Organspende beteiligt sind, verpflichten, schon beim Damit gibt er die Verantwortung an die möglichen Spen- bloßen Verdacht eines Rechtsverstoßes die zuständigen derinnen und Spender, die durch ihre Spende Leben ret- Behörden zu informieren. ten – oder eben nicht. Das genau ist der falsche Weg. Die aufgetretenen Skandale zeigen uns auch, dass wir (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Jeder hat seine uns die bestehenden Regeln, nach denen Organe zuge- (B) Verantwortung!) teilt werden, genau anschauen sollten. Dazu sollte eine (D) Nein, meine Damen und Herren, die Botschaft dieser unabhängige Bewertung in die Wege geleitet werden. Bundesregierung müsste vielmehr lauten, dass sie sich Immer mehr Spenderorgane werden in dem soge- nun mit aller Kraft für ein gerechtes, für ein unabhängi- nannten beschleunigten Verfahren an den Wartelisten ges und vor allem für ein transparentes Organspendesys- vorbei vergeben. Wir müssen genau nachvollziehen kön- tem einsetzt. nen, wo und warum das so geschieht. Nur so können wir auch hier Manipulationen verhindern. Deshalb brauchen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir auch ein anonymisiertes Transplantationsregister. sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN – Heinz Lanfermann [FDP]: Das passiert (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sie doch! Sie sind doch die Einzigen, die daran he- wissen gar nicht, was Sie sagen!) rummäkeln!) Meine Damen und Herren, wir haben als grüne Bun- Hier passiert aber im Moment leider nichts. Kosmetische destagsfraktion die genannten Forderungen in Form ei- Alibimaßnahmen dieser Koalition beheben die Miss- nes Antrags eingebracht. Diesen Antrag sehen wir ganz stände eben nicht. Was wir hören, ist: Bloß keine staatli- klar als Einladung an Sie, nun endlich konkret mit uns che Kontrolle! Bloß die ärztliche Klientel nicht verär- gemeinsam an einer Problemlösung zu arbeiten. gern! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Da CSU und der FDP) merkt man jetzt aber gar nichts von! Absolut peinlich, Frau Kollegin!) Ein bisschen am System herumdoktern wollen Sie; aber am liebsten wollen Sie eigentlich alles so lassen, wie es Der Bundestag hat im Sommer dieses Jahres mit gro- ist. ßer Mehrheit die Entscheidungslösung auf den Weg ge- bracht. Verbunden damit ist doch der Wunsch, dass die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Menschen sich mit dem schwierigen Thema der Organ- Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das ist spende beschäftigen. Wenn Sie das wirklich ernst mei- unter Ihrer Würde! Sie sollten sich was schä- nen, dann haben Sie auch die Verpflichtung, sich offen men!) und ehrlich mit dem enormen Reformbedarf zu befassen. Nein, diese Koalition ist nicht bereit, das deutsche Or- Ich denke, es ist wichtig, hier das verlorene Vertrauen ganspendesystem komplett auf den Prüfstand zu stellen. wieder einzufangen. Es reicht nicht, nur Mittel für Or- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25215

Elisabeth Scharfenberg (A) ganspendekampagnen im Haushalt einzustellen und Or- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (C) ganspendeausweise zu verteilen. Heinz Lanfermann [FDP]: Sie missbrauchen ein gutes Thema! – Christine Aschenberg- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sie zerstö- Dugnus [FDP]: Das war peinlich, Frau Kolle- ren gerade das Vertrauen! Das ist peinlich!) gin! – Abg. [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Scharfenberg, erlauben Sie noch eine Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zwischenfrage zum Abschluss? Die Redezeit ist zu Ende, Herr Spahn. Die letzte Frage wurde schon nach Beendigung der Redezeit ge- Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stellt. NEN): Nächste Rednerin ist die Kollegin Maria Michalk von Ja, gerne. der CDU/CSU-Fraktion.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Maria Michalk (CDU/CSU): Bitte schön, Otto Fricke. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema ist geeignet, in einer separaten Debatte unter dem Otto Fricke (FDP): Aspekt des Vertrauens behandelt zu werden. Ich kehre Frau Kollegin, unabhängig von der Tatsache, dass Sie jetzt zum Tagesordnungspunkt zurück. mit Ihrer Rede, die zum Glück außerhalb der Fernsehzeit (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten stattfindet, gerade dieses Vertrauen, das wir alle langsam der CDU/CSU) wieder aufzubauen versuchen, wieder zerstören, Wir reden heute zum Haushalt. Auch aus den Reden der (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nein! Intrans- Opposition habe ich es mehr oder weniger, auch wenn es parenz zerstört Vertrauen!) manchmal versteckt zwischen den Zeilen war, herausge- frage ich, da wir uns ja in einer Haushaltsdebatte befin- hört, dass niemanden in diesem Saal bestreitet, dass wir den: Erstens, welche Anträge haben Sie gestellt, um hier in Deutschland eine leistungsstarke medizinische Ver- etwas zu verändern? Zweitens, was ist an der gegenwär- sorgung entwickelt und etabliert haben, um die uns viele tigen Haushaltsvorlage in dem von Ihnen beschriebenen Länder dieser Erde beneiden. Wir haben in der bürger- Bereich falsch? lichen Koalition zu allen Zeiten eine Politik gemacht, die die Herausforderungen unserer Zeit betrachtet und auf (B) (D) sie reagiert. Das betrifft die Einbeziehung des medizi- Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nisch-technischen Fortschritts, die demografische Ent- NEN): wicklung, wie schon gehört, die neuen medizinisch-wis- Wir haben uns alle gemeinsam in diesem Sommer für senschaftlichen Erkenntnisse und auch die finanziellen die Entscheidungslösung entschieden, weil wir der fes- Rahmenbedingungen. ten Überzeugung waren, dass eine breite Mehrheit ein gutes Zeichen ist, die Menschen zur Organspende zu be- Ob Politik zu allen Zeiten in unterschiedlicher Regie- wegen. rungsverantwortung immer die richtigen Rahmenbedin- gungen dafür gesetzt hat, darüber kann man wirklich un- (Otto Fricke [FDP]: Ja!) terschiedlicher Meinung sein, und wir sind es. Frau Bunge möchte, wie sie schon wieder betont hat, die Bür- Wir haben aber schon weit vorher mitbekommen, dass es gerversicherung einführen. Das gilt ja auch für andere. leider Probleme bzw. Unregelmäßigkeiten bei der DSO gibt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Ewald Schurer [SPD]) (Zuruf des Bundesministers Daniel Bahr) Wir halten diese zentralistischen Ansätze für falsch und Wir haben damals versucht, das im Gesetz zu regeln. setzen auf wettbewerbsrechtliche Elemente im Gesund- Das war nicht möglich. heitswesen, die sich bewährt haben. (Otto Fricke [FDP]: Haushalt!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ich denke, es reicht im Moment nicht mehr aus, gemein- der FDP – Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: same Gespräche zu führen. Wir erkennen die Unregel- Haben Sie eine Ahnung, was zentralistisch mäßigkeiten, wir sehen, wo es Probleme gibt. Wir sehen ist?) doch an den Umfragen, wie die Spendenbereitschaft der Wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind im Menschen zurückgeht. letzten Jahr, wie schon erwähnt, das Problem der dro- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sie tun henden ärztlichen Unterversorgung, die übrigens von doch alles dafür, dass es weiter so bleibt!) Frau Gesundheitsministerin Schmidt viele Jahre igno- riert wurde, angegangen, wir haben die Abschottung der Das Vertrauen ist letztendlich verspielt. Wir müssen die- einzelnen Leistungsbereiche aufgehoben und die Ge- ses Problem endlich mit offenem Visier anpacken, sonst sundheitspolitik in die richtige Richtung gelenkt. Was ist jeder Euro, der hier investiert wird, ein Euro zu viel. will ich damit sagen? Wir betrachten in Zukunft die Re- 25216 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Maria Michalk (A) gionen nach medizinischen Versorgungsmerkmalen in gen aus dieser gesetzlichen Vervollkommnung zu zie- (C) kleineren Einheiten und reagieren somit auf die Versor- hen. gungswirklichkeit vor Ort. Die entsprechende Umset- zung durch die Selbstverwaltung werden wir natürlich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und weiterhin kritisch begleiten. Noch ist nicht alles optimal, der FDP) auch wenn die Krankenkassen zum Beispiel Beratungs- Bei der integrierten Versorgung ist inzwischen auch telefone eingeführt haben, wo sich Versicherte mit Un- der Kreis der potenziellen Vertragspartner der Kranken- terstützung der Krankenkassen um zeitnahe Termine bei kassen erweitert worden. Die Krankenkassen können den Ärzten bemühen können. Aber wenn keine Ärzte nun auch direkter mit Ärzten sowie mit Trägern von me- vor Ort sind, kann die Krankenkasse auch nicht helfen. dizinischen Versorgungszentren und mit Trägern, die Das ist ein Thema, an dem wir weiter arbeiten wer- nicht Selbstversorger sind, zum Beispiel Management- den. Aber die Rahmenbedingungen für eine bessere me- gesellschaften, Verträge schließen. Auch Pflegekassen dizinische Versorgung in der Fläche sind gegeben. Die und Pflegeeinrichtungen nach dem SGB XI können in Länder haben dabei eigene Maßnahmen entwickelt und diese Versorgungsverträge einbezogen werden. Mit der Projekte gestartet, um zum Beispiel Medizinstudenten letzten gesetzlichen Regelung haben wir überdies zuge- an die Region zu binden, indem sie das Studium finan- lassen, dass Pharmaunternehmen und Hersteller von Me- zieren oder Niederlassungen durch zinsgünstige Darle- dizinprodukten Vertragspartner sein können. Auch hier hen unterstützen. Jedenfalls sind die Stimuli größer ge- haben wir also eine breitere wettbewerbliche Regelung worden, um Menschen, die medizinisch tätig sind, auch geschaffen, die vor Ort gelebt werden muss. in die Regionen zu bringen, die nicht so attraktiv sind, Die Festlegung der Vergütung der integrierten Versor- wie manche meinen. gung liegt in den Händen der Vertragspartner selbst, bis (Beifall der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/ hin zur Übernahme der Budgetverantwortung. Auch das CSU]) ist ein Wettbewerbselement, das gelebt werden muss und von dem ich denke, dass es das richtige Instrument ist. Wenn in der Fläche in strukturbenachteiligten Regio- nen keine Fachärzte mehr praktizieren, dann wird es So wie bei der integrierten Versorgungsform haben schwierig. In diesem Zusammenhang will ich noch ein- wir die Möglichkeiten der medizinischen Versorgungs- mal auf das Thema der integrierten Versorgung zu spre- zentren optimiert, in denen auch wir eine Chance gerade chen kommen. Es war richtig, dass die Bundesregierung für die ländlichen Regionen sehen. Gleichwohl hat sich und die Koalition hier im Bundestag der integrierten bisher die Mehrzahl der insgesamt rund 1 730 MVZ in Versorgung einen höheren Stellenwert gegeben haben. Kernstädten oder Ober- und Mittelzentren niedergelas- (B) Damit haben wir ein Instrument entwickelt, das meines sen. Das kann man hinterfragen. Vorwiegend sind die (D) Erachtens in Zukunft auch unter dem Aspekt der Ab- Gründer nach wie vor Vertragsärzte und Krankenhäuser. schaffung der Praxisgebühr eine größere Rolle spielen Die am häufigsten beteiligten Facharztgruppen sind wird und mit dem die Lotsenfunktion des Arztes unter- Hausärzte und Internisten. stützt werden kann. Meine Damen und Herren: Es funktioniert. Etwa Mit der Förderung sektorübergreifender, interdiszipli- 10 000 Ärzte sind in MVZ tätig, mehr als 8 000 davon när-fachübergreifender Versorgung über die verschiede- im Anstellungsverhältnis. Das hilft besonders jungen nen Leistungssektoren hinweg haben wir den Ball in die Männern und Frauen, Familie und ihren Beruf als Arzt richtige Richtung gelenkt. Die Anschubfinanzierung ist oder Ärztin zu vereinbaren. zum Ende des Jahres 2008 ausgelaufen, weil sie zum ei- nen nicht zu der seit 2009 geltenden neuen Vergütungs- In unserer Gesellschaft – es ist mir wichtig, das zu sa- struktur der vertragsärztlichen Versorgung passt und gen –, in der viele Menschen Gott sei Dank viel älter als weil sich zum anderen Integrationsprojekte nach einer ihre Mütter und Väter werden und trotz hohen Alters gewissen Zeit selber tragen sollten. jung im Herzen bleiben, gehen wir leider oberflächlich davon aus, dass diese Entwicklung mit allgegenwärtiger Manche Blütenträume wurden geweckt, und manche und umfassender Fitness von jedem Mann und jeder Projekte wurden gestartet, die es heute nicht mehr gibt. Frau in jedem Alter gleichzusetzen ist. Trotzdem ist das Instrument der integrierten Versorgung richtig; denn damit können die Schnittstellenprobleme (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE bei der Versorgung besser gelöst werden, können Substi- GRÜNEN]: Wo ist der Haushaltsbezug?) tutionsmöglichkeiten über verschiedene Leistungssekto- Beides ist möglich: Junge sehen manchmal ganz schön ren hinweg genutzt werden, kann die Qualitätssicherung alt aus – um es bildlich darzustellen –, Alte manchmal optimiert werden und können natürlich Wirtschaftlich- ganz schön jung. keitsreserven gehoben werden. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Na ja! Es Dass dabei der Aufbau bzw. die Einbeziehung der Te- kommt darauf an, wie man es sieht!) lemedizin eine weitere große Chance bedeutet, will ich nur am Rande erwähnen. Wir haben das Ganze im Ver- Die Wahrheit ist, dass wir uns im Gesundheitswesen sorgungsstrukturgesetz in den richtigen gesetzlichen mehr und mehr auf Barrierefreiheit einstellen müssen; Rahmen gesetzt. Wir appellieren an alle Beteiligten, dies dies muss bei allen Um- und Ausbaumaßnahmen beach- jetzt durchzusetzen und die richtigen Schlussfolgerun- tet werden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25217

Maria Michalk (A) Ich denke, dass bei heute 2,4 Millionen Pflegebedürf- (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Dann (C) tigen, die in zwei Dritteln der Fälle zu Hause betreut haben Sie etwas Falsches gelesen!) werden, eine große Leistung vollbracht wird, die wir Deswegen weiß ich nicht, in welcher Parallelwelt Sie – trotz einzelner Beispiele für negative Umgangsweisen – sich für gesundheitliche Aufklärung einsetzen – in mei- hier einmal öffentlich erwähnen sollten. Unser Dank und ner jedenfalls nicht. unser hoher Respekt gelten den Pflegekräften und den pflegenden Angehörigen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auf der anderen Seite scheinen Sie zu glauben, dass es ausreicht, wenn Sie über gesunden Lebenswandel und Sie bilden eine wichtige Basis unseres Gesundheits- gesunde Arbeitsbedingungen aufklären, wenn Ihr Minis- wesens. ter durch Betriebe läuft und ab und zu den Begriff der Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir be- betrieblichen Gesundheitsförderung im Munde führt. trachten das zu Ende gehende Haushaltsjahr und sagen: Das scheint Ihnen auszureichen. Denn wir warten heute Wir haben gut gewirtschaftet. Heute werden wir den immer noch auf Ihre Präventionsstrategie; Sie haben sie Haushalt für diesen Bereich verabschieden. bisher immer noch nicht abgeliefert. Wenn ich in Ihren Haushaltentwurf schaue, dann erkenne ich, dass dafür (Mechthild Rawert [SPD]: Wir haben keine auch keine Mittel vorgesehen sind. Wahrscheinlich Zahl gehört!) handelt es sich um eine Strategie, die aufgrund Ihrer an- Ich will in diesem Zusammenhang auf unser Motto hin- geblich so tollen Regierungsarbeit, die Sie vor sich her- weisen: Wer sich nur an den Bedürfnissen der Älteren tragen, oder aber durch Handauflegen zu einem Selbst- orientiert, schließt die Jungen aus; wer sich nur an den läufer wird. Das wird aber nicht reichen; das kann ich Bedürfnissen der Jüngeren orientiert, schließt die Älte- Ihnen an dieser Stelle schon einmal prophezeien. ren aus. Deshalb ist es richtig, dass wir an unserem gene- Das Auslaufen der Mittel zur Förderung der Kinder- rationsübergreifenden Ansatz in der Gesundheitspolitik gesundheit, die Sie vorhin hervorgehoben haben, ist ge- weiterhin festhalten. nauso falsch. Da standen mindestens 1 Million Euro bereit. Man kann vielleicht sagen: Das ist nicht ausrei- Herzlichen Dank. chend; das war zu wenig. – Aber mit dieser Million hät- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ten Sie neue Akzente setzen können. Das tun Sie aber nicht, weil Sie keine Konzepte haben. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Was er- (B) Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Bärbel zählen Sie denn da?) (D) Bas das Wort. Es gibt in Ihrer Regierungszeit überhaupt nichts, was (Beifall bei der SPD) Sie in diesem Bereich erreichen wollen, geschweige denn irgendwelche Ziele, die Sie formulieren. Man kann an dieser Stelle festhalten, dass Sie bei der Prävention, Bärbel Bas (SPD): auf einem der bedeutendsten gesundheitspolitischen Ge- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man staltungsfelder, völlig blank sind, nichts vorlegen und in den Haushalt schaut und sich Ihre Bilanz anhört, dann seit drei Jahren komplett versagen. kann man eigentlich nur sagen: eine Bilanz ohne Glanz. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wie lange haben Sie darüber Das erscheint aus Ihrer Sicht konsequent, weil Sie im nachgedacht? – Klaus-Peter Willsch [CDU/ Kerngeschäft der Gesundheitspolitik – das kann man an CSU]: Reim dich, oder ich fress dich!) der Stelle sagen – völlig versagen. Denn anders ist es nicht zu erklären, wie Sie mit dem Gesundheitsfonds – Es tut mir leid. Schauen Sie einmal in Ihren eigenen umgehen. Sie haben nämlich in vielerlei Hinsicht den Haushalt: Sie sparen dort, wo Sie eigentlich gestalten Nachweis erbracht, dass Sie keine Ahnung haben, wie sollten, und Sie bedienen sich dort, wo Sie eigentlich Sie mit diesem wichtigen Element des Gesundheitssys- haushalten sollten. tems umgehen wollen. In völliger Verkennung der Reali- Frau Aschenberg-Dugnus, Sie haben Herrn Lauterbach tät hat nämlich Ihr damaliger Gesundheitsminister vorgeworfen, er würde in einem „Paralleluniversum“ le- Rösler bei Amtsantritt ein Milliardenloch bei den Kran- ben. kenkassen herbeigeredet, wenn nicht sogar erfunden. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: So spricht (Widerspruch bei der FDP) er jedenfalls!) Der Herr Minister – und auch Herr Fricke heute Morgen; ich habe sehr wohl zugehört – wiederholt diese Erfin- In Ihrer Welt möchte ich aber auch nicht leben. Sie reden dung permanent. Ich habe den Eindruck: Je mehr Zeit hier von einem Schwerpunkt im Bereich der gesundheit- vergangen ist, desto größer wird die vermeintliche Lü- lichen Aufklärung der Bevölkerung, aber man kann cke. deutlich sehen, dass Sie diesen Bereich seit drei Jahren austrocknen wollen: 2013 reduzieren Sie die Mittel wie- (Otto Fricke [FDP]: Aha! Und wie viel haben der um 5 Prozent. sie heute?) 25218 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Bärbel Bas (A) – Das sage ich Ihnen jetzt. – Schauen wir uns die Ge- der sozialen Sicherungssysteme machen wir nicht mit. (C) samtbilanz 2009 an – die Zahlen habe ich aus dem Ge- Deshalb werden wir Ihren Haushalt ablehnen. sundheitsministerium –: Die gesetzliche Krankenversi- cherung hatte mit einem Überschuss von 1,42 Milliarden (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Das Euro abgeschlossen. Ich möchte das Loch, das Sie mei- ist doch alles Mumpitz! Reden Sie mit den nen ausgegraben zu haben, wirklich einmal sehen. Haushältern, und lassen Sie sich das Ganze er- klären! – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Otto Fricke Machen Sie einen Grundkurs „Haushalt“! – [FDP]: Und wie viel hat sie heute?) Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das Letzte war jetzt sehr überraschend! Das hat mich fast – Ich sage Ihnen, woher das kommt, was sie heute hat: vom Hocker gehauen!) Minister Rösler hat sich an seinen Schreibtisch gesetzt. Man hat ihm die Krankenversicherung erklärt, dann hat er plötzlich eine Panikattacke bekommen und mal eben Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: den Beitragssatz erhöht. Das war völlig unnötig. Als letztem Redner zu diesem Einzelplan erteile ich das Wort dem Kollegen Lothar Riebsamen von der Sie haben die Finanzen völlig falsch eingeschätzt. CDU/CSU-Fraktion. (Otto Fricke [FDP]: Wie viel?) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Die durchgeführten Konjunkturprogramme haben die Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Endlich ein Fachkundiger! – Georg Schirmbeck [CDU/ Einnahmeseite deutlich erhöht. CSU]: Ein Bürgermeister, der weiß, wovon er (Alois Karl [CDU/CSU]: Das Zehnfache!) spricht!) Die Ausgabenseite haben Sie völlig falsch eingeschätzt. Von 2004 bis 2009 wurden Sparmaßnahmen durchge- Lothar Riebsamen (CDU/CSU): führt, die in allen Bereichen durchaus schmerzhaft wa- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! ren. Sie haben ein Defizit herbeigeredet, um Angst zu Nach den schwierigen Jahren zu Beginn dieser Legisla- schüren, damit Sie die Beitragserhöhung durchziehen turperiode, als wir leider neue Schulden in einer Größen- können. Das hat dazu geführt, dass jetzt die Versicher- ordnung von über 80 Milliarden Euro machen mussten, ten, die eigentlich das Recht auf Beitragsrückerstattung nach schwierigen Jahren auch in der gesetzlichen Kran- hätten, herhalten müssen, damit Herr Schäuble seinen kenversicherung, als wir mit einem Defizit von 11 Mil- Haushalt sanieren kann. liarden Euro gerechnet haben, macht es Freude, sich mit diesem Haushalt auseinanderzusetzen. (B) (Alois Karl [CDU/CSU]: Nicht Herr (D) Schäuble! Wir!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]) 2 Milliarden Euro wurden bereits aus dem Fonds heraus- genommen. Im nächsten Jahr werden es noch einmal Verehrter Herr Lauterbach, es greift deutlich zu kurz, 2,5 Milliarden Euro sein. Das macht 4,5 Milliarden Euro, wenn Sie die Erfolge dieser Regierung auf die Beitrags- die der Haushaltssanierung dienen. Am Ende zahlt das satzerhöhung reduzieren. Ich darf daran erinnern, dass der Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversiche- wir exakt den gleichen Beitragssatz haben wie zu der rung und sonst niemand. Zeit, als das Gesundheitsministerium noch in sozialde- mokratischer Hand war. So können Sie also die Erfolge (Beifall bei der SPD – Alois Karl [CDU/CSU]: und die Zahlen nicht erklären, die wir durch die Rückla- Völliger Unsinn! – Christine Aschenberg- gen im Gesundheitsfonds und bei den gesetzlichen Kran- Dugnus [FDP]: Völliger Unsinn!) kenversicherungen vorzuweisen haben. Wenn Sie mir nicht glauben, dann lesen Sie das Gut- Es macht mich besonders stolz, dass wir in einer achten des Sachverständigenrates. Dort heißt es klar und schwierigen Zeit auf europäischer Ebene zusammen mit deutlich: Den Steuerzuschuss für versicherungsfremde anderen Ländern nicht nur Regeln vorgeben, sondern Leistungen zurückzufahren, ist der falsche Weg. Das diese Regeln selber auch einhalten können. Wir leben entlastet zwar alle Steuerzahler; aber die GKV-Beitrags- das vor und zeigen, dass es geht. zahler werden dadurch nicht stärker entlastet, weil sie das Ganze finanziert haben. Mit den Beiträgen finanzie- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ren Sie Ihren politischen Kuhhandel. Mechthild Rawert [SPD]: Ich freue mich schon auf morgen! Da werden wir mal sehen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wie die Wähler reagieren!) Seien Sie doch so ehrlich und erklären Sie den Bei- Ich sage aber auch, dass dieser Haushalt kein Selbst- tragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung, wa- läufer ist. Wir leben in einer konjunkturellen Phase, die rum Sie im nächsten Jahr 2,5 Milliarden Euro und da- eher an Dynamik nachlässt. Des Weiteren leben wir mit nach noch einmal 2 Milliarden Euro aus dem Fonds den Risiken im europäischen Umfeld. Nach wie vor ha- nehmen. Das machen Sie doch nur, um das Betreuungs- ben wir es – Gott sei Dank – mit einer sehr positiven de- geld und die Autobahn in Bayern, die Sie ausbauen wol- mografischen Entwicklung zu tun. Wir leben in einer len, zu bezahlen und um Ihr Versagen bei der Deckung Zeit, in der wir alle in Gesundheit älter werden, in einer des Bundeshaushalts zu kaschieren. Diese Plünderung Zeit hervorragenden medizinischen Fortschritts. Auch Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25219

Lothar Riebsamen (A) dafür müssen wir in Zukunft Lösungen finden, und wir Tarifverträge für das Jahr 2012 und auch für das Jahr (C) werden sie finden. 2013 liegen über dieser zugestandenen Grundlohnrate. Deswegen haben wir Soforthilfe geleistet. Wir haben mit Ich frage mich nur, wie man in einer Zeit, in der wir über 300 Millionen Euro den Krankenhäusern für das uns mit der Problematik auseinandersetzen, die gute Si- Jahr 2012 einen Tarifausgleich zur Verfügung gestellt. tuation in Deutschland zu sichern, auf die Idee kommen kann – wie Verdi es in den vergangenen Tagen getan Ich verstehe, dass Krankenhäuser, die das bei uns hat –, nun auch noch die Vollkaskoversicherung in der auch so eingefordert haben, Briefe geschrieben haben. Pflege einzufordern, meine Damen und Herren. Ich will noch weiter gehen: Ich verstehe ebenso Kran- kenhäuser, die das Gleiche jetzt auch für das Jahr 2013 (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und fordern, weil trotz dieser Maßnahmen das eine oder an- der FDP) dere Krankenhaus für das Jahr 2012 mit einem Defizit zu Das überfordert unser System, das überfordert unsere rechnen hat. Ich verstehe aber nicht, dass Bundesländer, Wirtschaft, das überfordert unsere Menschen. So fahren die diese schlimme Situation für viele Krankenhäuser wir unser Gesundheitssystem im Zweifel tatsächlich an mit verschuldet haben, nun massiv vom Bund Geld ein- die Wand. Ich fordere auch die Opposition auf, auf Verdi fordern, weil sie selber ihre Hausaufgaben nicht gemacht einzuwirken, dass sie es zukünftig unterlassen, den Men- haben. schen Sand in die Augen zu streuen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben die derzeitige Situation erreicht, weil wir Es ist klipp und klar geregelt, dass die Länder für die In- an manchen Stellen mehr Geld in die Hand genommen, vestitionen der Krankenhäuser aufzukommen haben. an anderen Stellen eingespart, aber auch strukturelle Ver- Noch nicht einmal ansatzweise tun sie das. Deswegen besserungen erreicht haben. kann es nicht sein, dass nun ausgerechnet die Länder (Mechthild Rawert [SPD]: Wo denn?) kommen und einen Ausgleich für die Krankenhäuser einfordern. Im Bereich der Pflege haben wir mehr Geld – 1,1 Mil- liarden Euro – in die Hand genommen. Wir haben das Ich möchte noch weiter gehen. Was den Kranken- durch eine Beitragserhöhung von 0,1 Prozent erreicht. hausbedarfsplan anbelangt, waren wir in diesem Hohen Haus einmal weitgehend der Meinung, dass mit der Ein- (Hilde Mattheis [SPD]: Sie haben mehr Geld führung der DRG das Ziel verfolgt wurde, die Zahl der in die Hand genommen zulasten der Versicher- Betten in den Krankenhäusern, in denen es zu viele ten!) Betten gab – heute gibt es zum Teil immer noch zu viele Betten –, zu reduzieren. Auch die Zahl der Krankenhäu- (B) Das war angesichts der Tatsache, dass von insgesamt (D) 2,4 Millionen pflegebedürftigen Menschen in unserem ser sollte reduziert werden. Nicht ausgemacht war, dass Land 1,5 Millionen Menschen zu Hause gepflegt wer- sich die Länder mehr oder weniger aus der Kranken- den, ein wichtiger Schritt. Es ist eine Wertschätzung ge- hausbedarfsplanung zurückziehen und es der Kommu- genüber den pflegenden Angehörigen, dass wir Geldleis- nalpolitik, also den ehrenamtlichen Kreis- und Stadträ- tungen in diesem Bereich deutlich erhöhen sowie zum ten ganz allein überlassen, Abteilungen oder sogar ganze ersten Mal im ambulanten Bereich auch Demenz berück- Krankenhäuser zu schließen. Wenn die Conclusio ist, sichtigen. Mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz dass die Länder keine Krankenhausbedarfsplanung mehr sorgen wir dafür, dass zukünftig Menschen, die den betreiben und nicht in ausreichendem Maße Investitions- Wunsch haben, ihre letzten Lebensjahre oder Lebensmo- mittel zur Verfügung stellen, dann müssen wir uns nate zu Hause zu verbringen, das auch können. Auch da- fragen, ob es nicht notwendig ist, dass wir uns auf Bun- rauf dürfen wir stolz sein. desebene mit strukturellen Fragen der Krankenhaus- finanzierung und der Krankenhausbedarfsplanung aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) einandersetzen. Vielleicht müssen wir uns die Frage stellen, ob das, was wir getan haben, richtig war. Vor allem im Arzneimittelbereich haben wir durch eine Verminderung der Ausgaben in Form von Rabatten Die blinkende Lampe zeigt mir an, dass meine Rede- Sofortmaßnahmen ergriffen. Auch hier haben wir mit zeit zu Ende ist. Daher nur noch ein letzter Satz zum dem AMNOG deutliche strukturelle Verbesserungen er- Thema Psych-Entgelte. Ich weiß, dass die psychiatri- reicht. Zum ersten Mal kann die pharmazeutische Indus- schen Krankenhäuser mit der derzeitigen Situation Pro- trie ihre Preise für neue Medikamente nicht mehr selber bleme haben. festlegen, sondern sie muss – wie dies in einer sozialen Marktwirtschaft normal und in einem Wettbewerb üblich (Mechthild Rawert [SPD]: Richtig!) ist – die Preise mit den gesetzlichen Krankenkassen ver- Ich weiß, dass sie die zur Verfügung gestellten Mittel handeln. Auch dies war ein wichtiger Schritt, der längst nicht als ausreichend ansehen. Ich möchte in diesem Zu- überfällig war. sammenhang nur darauf hinweisen, dass dies ein lernen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) des System ist, dass die ersten vier Jahre vollkommen budgetneutral sind und dass die Übernahme des neuen Auch im Bereich der Krankenhäuser haben wir So- Entgeltsystems in den ersten beiden Jahren auf freiwilli- fortmaßnahmen ergriffen. In der Tat ist es so, dass die ger Basis erfolgt. Ich möchte an alle Beteiligten appellie- Krankenhäuser für das Jahr 2012 nicht die volle Grund- ren, nicht nur die Probleme zu sehen – auch ich sehe ei- lohnrate erhalten haben, sondern nur eine reduzierte. Die nige Probleme; das ist ja auch kein Wunder, wenn man 25220 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012

Lothar Riebsamen (A) erst am Anfang steht –, sondern auch die Chancen. Das, rungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis (C) was wir hier machen, ist nicht nur die überfällige Anpas- abgelehnt. sung des Entgeltsystems. Es liegt im Interesse unserer Patientinnen und Patienten, dass der ambulante Bereich Änderungsantrag auf Drucksache 17/11515. Wer gestärkt wird. Wir können ihn aber nur stärken, wenn stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände- wir dieses Entgeltsystem einführen. rungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt. Herzlichen Dank. Änderungsantrag auf Drucksache 17/11516. Wer (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: fraktionen bei Zustimmung der Linken und Enthaltung von SPD und Grünen abgelehnt. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zu der Abstimmung über den Ein- Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- zelplan 15 in der Ausschussfassung. Wer stimmt da- plan 15 – Bundesministerium für Gesundheit – in der für? – Dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 15 ist Ausschussfassung. Hierzu liegen vier Änderungs- mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die anträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. abstimmen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord- Änderungsantrag auf Drucksache 17/11511. Wer nung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände- destages auf morgen, Mittwoch, den 21. November 2012, rungsantrag ist bei Zustimmung der Linken mit den 10.30 Uhr, ein. Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt. Die Sitzung ist geschlossen. Änderungsantrag auf Drucksache 17/11512. Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände- (Schluss: 19.48 Uhr)

(B) (D) Anlagen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 206. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 20. November 2012 25221

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Burkert, Martin SPD 20.11.2012 Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 20.11.2012 Claudia DIE GRÜNEN Dyckmans, Mechthild FDP 20.11.2012 Rupprecht (Tuchen- SPD 20.11.2012* Fischer (Göttingen), CDU/CSU 20.11.2012 bach), Marlene Hartwig Dr. Schröder (Wies- CSU/CSU 20.11.2012 Fritz, Erich G. CDU/CSU 20.11.2012* baden), Kristina

Gabriel, Sigmar SPD 20.11.2012 Tempel, Frank DIE LINKE 20.11.2012

Granold, Ute CDU/CSU 20.11.2012 Dr. Wadephul, Johann CDU/CSU 20.11.2012

Heinen-Esser, CDU/CSU 20.11.2012 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 20.11.2012 Ursula Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 20.11.2012 Hinsken, Ernst CDU/CSU 20.11.2012 Dr. Westerwelle, Guido FDP 20.11.2012 Hintze, Peter CDU/CSU 20.11.2012

Hunko, Andrej DIE LINKE 20.11.2012* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates (B) Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/ 20.11.2012 (D) DIE GRÜNEN Anlage 2 Kühn, Stephan BÜNDNIS 90/ 20.11.2012 Neuabdruck der Antwort DIE GRÜNEN der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Frage Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ 20.11.2012 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN) (203. Sitzung, Drucksache 17/11282, Frage 69): Laurischk, Sibylle FDP 20.11.2012 Welche inhaltlichen Punkte sollen nach jetzigem Stand auf der kommenden Sitzung der Deutsch-Tschechischen Kom- Dr. Lötzsch, Gesine DIE LINKE 20.11.2012 mission am 12. November 2012 in Berlin behandelt werden – bitte möglichst konkrete Angabe inklusive Hinweis, ob sie bereits Bestandteil einer (gegebenenfalls vorläufigen) Tages- Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ 20.11.2012 ordnung sind –, und welche Punkte hat das Bundesministe- DIE GRÜNEN rium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, unabhängig davon bzw. darüber hinaus bislang für sich ins Möller, Kornelia DIE LINKE 20.11.2012 Auge gefasst, die es ansprechen/behandeln möchte (bitte ebenfalls möglichst konkrete Angabe)? Nahles, Andrea SPD 20.11.2012 Es werden die üblichen Tagesordnungspunkte behan- delt, die die gegenseitige Information über legislative Nink, Manfred SPD 20.11.2012 und administrative Fragen der Aufsichtsbehörden sowie über den Betrieb der Kernkraftwerke im vergangenen Dr. Ratjen-Damerau, FDP 20.11.2012 Jahr beinhalten. Ansonsten ist die Abstimmung der Ta- Christiane gesordnung noch nicht abgeschlossen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-7980