Über Privates Und Öffentliches
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Ursula Schröter ÜBER PRIVATES UND ÖFFENTLICHES EINE OSTDEUTSCHE SICHT AUF DAS GETEILTE DEUTSCHLAND 28 MANUSKRIPTE NEUE FOLGE ROSA LUXEMBURG STIFTUNG Über Privates und Öffentliches Eine ostdeutsche Sicht auf das geteilte Deutschland Ursula Schröter ÜBER PRIVATES UND ÖFFENTLICHES EINE OSTDEUTSCHE SICHT AUF DAS GETEILTE DEUTSCHLAND (für Vincent und die anderen) Rosa-Luxemburg-Stiftung IMPRESSUM MANUSKRIPTE – Neue Folge wird herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und erscheint unregelmäßig V. i. S. d. P.: Alrun Kaune-Nüßlein Franz-Mehring-Platz 1 · 10243 Berlin · www.rosalux.de ISSN 2194-864X · Redaktionsschluss: August 2020 Lektorat: TEXT-ARBEIT, Berlin Layout/Herstellung: MediaService GmbH Druck und Kommunikation Gedruckt auf Circleoffset Premium White, 100 % Recycling INHALT Editorial 7 1 Einleitung: Zukunft braucht den Blick zurück 9 2 Das Gesellschaftskonzept 13 2.1 Die Arbeiterbewegung als Korrektiv der Moderne 13 2.2 Die Dialektik zwischen Öffentlichkeit und Privatheit 27 3 Die Umsetzung 42 3.1 Bis zur Staatengründung 42 3.2 Bis Ende der 1950er Jahre 70 3.3 Die 1960er Jahre 106 3.4 Die 1970er und 1980er Jahre 142 4 Abschied und Hoffnung 182 Literatur 193 Verzeichnis der Interviewpartner*innen 225 Zur Autorin 226 EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser! Wie unterschieden sich in Ost und West Auffassungen von Selbstbewusstsein, Selbst- bestimmtheit und Stärke der Frauen? Welche staatlichen Rahmenbedingungen kenn- zeichneten die Trennung von Privatem und Öffentlichem, verstärkten die Trennlinie oder machten sie durchlässig? Zum zweiten Leben der Ostdeutschen gehört auch das Nachdenken über das erste, das Reflektieren des eigenen Anteils an Größe und Grenzen des realen Sozialismus. Mit dieser Publikation laden wir Sie ein, einen Rückblick auf die DDR im Kontext mit der damaligen BRD zu wagen und mit der Soziologin Ursula Schröter der Frage nachzugehen, was das Private und was das Öffentliche war in der deutschen Zwei- staatlichkeit, wie sich politische Akteur*innen und die Ansätze feministischen Rin- gens um Gleichstellung und Gleichberechtigung voneinander unterschieden. Dabei verbindet die Autorin statistisch nachweisbare Fakten und historische Ereignisse aus den Jahrzehnten der deutschen Zweistaatlichkeit mit individuellen Erfahrungen und Erlebnissen von Frauen und Freund*innen aus Ost und West. Wie aktuell das Thema ist, zeigen die alljährlichen Demonstrationen am 8. März, dem Internationalen Frauen*kampftag. Weltweit gehen an diesem Tag Feminist*innen und ihre Unterstützer*innen auf die Straße. Neben allgemeinen Forderungen für Frauenrechte und faire Bezahlung geht es insgesamt um mehr Anerkennung und finanzielle Absicherung von Sorgearbeit. Denn Sorgearbeit geht weit über unseren privaten Haushalt hinaus, ist mehr als Zuwendung und Aufmerksamkeit für unsere Familien und Freund*innen. Sorgearbeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe öf- fentlichen Charakters wie etwa in Krankenhäusern und Seniorenunterkünften oder bei der Betreuung von Kindern sowie der Ausbildung der Heranwachsenden. Sorge- berufe sind oft Frauenberufe. Die Corona-Pandemie hat der Diskussion um System- 7 relevanz und angemessene Entlohnung in Sorgeberufen neuen Schwung verliehen. Konkrete Veränderungen aber lassen auf sich warten. Pflege und Sorgetätigkeiten, Öffentliches und Privates: Die historische Analyse zeigt, dass Maßnahmen wie etwa eine bezahlte Freistellung für die Pflege von An- gehörigen, die Anerkennung von Kinderbetreuung zu Hause als Arbeitszeit oder der kostenlose Zugang zur Gesundheitsversorgung immer direkten Einfluss auf die Le- bensqualität von Frauen haben. Insofern unternimmt Ursula Schröter mit der hier vorliegenden Arbeit einen be- merkenswerten Versuch: Sie stellt ihre Forschungsschwerpunkte zur sozialen Lage und Befindlichkeit der Frauen in Ostdeutschland, die Wende als gesellschaftlichen Umbruch aus ostdeutscher Sicht und die Betrachtung der Ansprüche feministischer Politikansätze in einen Kontext, den sie als «innerdeutschen Vergleich» definiert. Die gesellschaftspolitischen Entwicklungen in der DDR und der BRD werden im Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen Privatem und Öffentlichem konkret abge- klopft: von der Gründung der beiden deutschen Staaten nach 1945, über die 1950er und 1960er Jahre bis hin zum Ende der DDR. Die Autorin skizziert, wann Frauen gesetzlich welche Rechte bekamen und wie sich diese politisch, wirtschaftlich und demografisch auswirkten. 30 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit dokumentieren soziologische Studien, Statistiken, aber auch offizielle Sozialberichte und der jährliche Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit nach wie vor stabile Ost-West- Unterschiede. Dabei geht es nicht nur um Ungleichheiten in Infrastruktur und ak- tuellen Lebenschancen, sondern auch um unterschiedliche Wertorientierungen, Le- benshaltungen und Lebensentwürfe. Ein Grund mehr, näher hinzuschauen und sich gemeinsam mit der Autorin der Verknüpfung und der Trennung von Privatem und Öffentlichem zu nähern. Und wie Ursula Schröter schreibt: «Der Anspruch auf volle Menschlichkeit scheint mir die Brücke zu sein, auf der sich Frauen (und Männer) von hüben und drüben immer wieder begegnen können. Dabei haben die Pole, die ver- bunden sein müssen, die nicht geteilt werden dürfen, die sich gegenseitig bedingen, unterschiedliche Namen: Privatheit und Öffentlichkeit, Beruf und Familie, Arbeit und Liebe, Natur und Gesellschaft, Kinderwelt und Welt der Erwachsenen oder Indi- vidualität und Kollektivität. Frauen hören nicht auf, sich zu empören […], wenn der Zusammenhang zwischen beiden Polen infrage gestellt ist, wenn der ‹ganze Mensch› in Teile gehackt wird.» Ihre Dagmar Enkelmann, Vorstandsvorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin, August 2020 8 1 EINLEITUNG: ZUKUNFT BRAUCHT DEN BLICK ZURÜCK Das Jahr 2020 sollte ein Jubeljahr in Deutschland werden: 30 Jahre Freiheit nach 40 Jahren kommunistischer Diktatur im eigenen Land! Das liefert Stoff und verdient Fördermittel für zahlreiche Veranstaltungen, Publikationen, Befragungen, Ausstellun- gen. Die «Deutsche Vertriebsstelle für Gedenkmünzen» Konstanz hat für den 3. Ok- tober 2020 einen Jubiläums-Goldbarren, «erschwinglich für jeden», angekündigt. Schließlich handle es sich beim 3. Oktober 1990 um den «bewegendsten Tag der deutschen Geschichte». Nun ist es anders gekommen. Schon ist die Rede davon, dass nicht nur Pandemien wie Corona, dass auch der Klimawandel, dass auch die Überbevölkerung, dass auch das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten die Fortexistenz der Menschheit bedro- hen und dass alle diese Erscheinungen auf spezifische Weise zusammenhängen. Uns sollte außerdem «nicht allein die wahrscheinlich gewordene physische Vernichtung von Menschen in großer Zahl kümmern, sondern ihre vorhergehende Vernichtung als politische Wesen. Die erlebte oder nur erahnte Zukunftslosigkeit wird zu einem Nährboden für Barbarei. Wer seine Sache als verloren ansieht, kann eine gewisse Be- friedigung daraus ziehen, möglichst viele andere mitzureißen in den Untergang», gibt die Politologin Birgit Mahnkopf (2020: 18) zu bedenken. Könnte es sein, dass das große politische Interesse an «nuklearer Teilhabe», das gegenwärtig zu beobachten ist, mit dieser gewissen Befriedigung zusammenhängt? Die Moderne, so kann geschlussfolgert werden, präsentiert sich zurzeit nicht nur als Aufklärung, nicht nur als Bildungs- und Demokratieversprechen, sondern zeigt ganz offen ihre bedrohliche Seite. Der britischer Soziologe Anthony Giddens verwen- dete dafür das Bild eines «Juggernauts»: «Das ist eine nicht zu zügelnde und enorm leistungsstarke Maschine, die wir als Menschen kollektiv bis zu einem gewissen Grad steuern können, die sich aber zugleich drängend unserer Kontrolle zu entziehen droht und sich selbst zertrümmern könnte.» (Giddens 1995: 173) Auch Zygmunt Bauman 9 stellt warnend fest: «Mehr als zu jeder anderen Zeit stehen wir, die menschlichen Be- wohner des Planeten Erde, vor einem Entweder-Oder: Entweder wir reichen einander die Hände – oder wir schaufeln einander Gräber.» (Bauman 2017: 204) Die Frage, ob unter diesen Umständen ein Rückblick auf die Deutsche Demokra- tische Republik (DDR) im Kontext mit der damaligen Bundesrepublik Deutschland (BRD) wichtig und zweckmäßig ist, stellt sich mir nicht. Auch wenn es um einen Rückblick geht, der das Privatleben – meist als zweitrangig eingeordnet – ernst neh- men will; auch wenn es um einen Rückblick geht, der noch vor dem «bewegendsten Tag der deutschen Geschichte» einen Schlusspunkt setzen will. Im Gegenteil: Es liegt nahe, sich in dieser Zeit mit einer Gesellschaft zu beschäftigen, in der das Händerei- chen zumindest versucht wurde. Trotz aller Fehler, Irrtümer und auch Verbrechen, die auf das Konto des untergegangenen Sozialismus gehen, bleibt die Erkenntnis, dass eine menschenwürdige Gesellschaft bewusst gestaltet werden kann, dass das «Monstrum Moderne» zu zähmen ist – weil Menschenwerk. Nach Auffassung des Philosophen und Politikwissenschaftlers Lothar Fritze «verstand sich (der Sozialis- mus/Kommunismus) als ein Projekt der Steuerung. Indem er die gesellschaftliche Gesamtentwicklung […] zu steuern suchte, schaltete er Evolutionsstrategien aus […] und unterlag in der Systemauseinandersetzung. Der Erfolg des Westens besagt aber nichts über die langfristige Stabilität eines Evolutionspfades.» (Fritze 2016: 110) Schon richtig, es liegt bereits eine unüberschaubar große Menge an Publikationen über die DDR vor, geschrieben sowohl von Menschen, die in der DDR, als auch von Menschen, die in der alten BRD sozialisiert worden