Plenarprotokoll 12/20

Deutscher Bundesta g

Stenographischer Bericht

20. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Abgabe einer Erklärung der Bundesre- BMI 1269D gierung Dr. , Bundesministerin BMFJ Die Lage im Irak und die Situation der 1270 C irakischen Flüchtlinge, insbesondere der Vizepräsident Hans Klein 1271 A Kurden Dr. Willfried Penner SPD 1271B Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister AA 1255 B Gerlinde Hämmerle SPD 1271 C SPD 1258B, 1267 D Dr. Edith Niehuis SPD 1271 C Dr. Norbert Blüm CDU/CSU 1260 A Dr. Angela Merkel, Bundesministe rin BMFJ 1272A Cornelia Schmalz-Jacobsen FDP 1261 A SPD 1272 C Andrea Lederer PDS/Linke Liste 1262 B Dr. Angela Merkel, Bundesministerin Freimut Duve SPD 1263 A BMFJ 1272D CDU/CSU 1263 C Ulrike Mascher SPD 1273 A Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 1264 D Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMFJ 1273 B Katrin Fuchs (Verl) SPD 1265 D Hanna Wolf SPD 1273 C Tagesordnungspunkt 2: Dr. Angela Merkel, Bundesministerin Befragung der Bundesregierung (Gesetz BMFJ 1273 D über die Anpassung von Dienst- und Ver- Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 1274 A sorgungsbezügen in Bund und Ländern 1991; Be richt zur Frage weiterer Maßnah- Dr. Angela Merkel, Bundesministerin men der Frauenförderung in Beruf, Fami- BMFJ 1274 A lie und anderen Bereichen; weitere ak- Tagesordnungspunkt 3: tuelle Fragen) Fragestunde Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister — Drucksache 12/351 vom 12. April BMI 1268B 1991 — Günter Graf SPD 1269 A Gesetzliche Regelung der Strafbarkeit der Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Geldwäsche BMI 1269 B MdlAnfr 4 Dr. FDP 1269 C Johannes Singer SPD Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Antw PStSekr Dr. Reinhard Göhner BMJ 1274 C BMI 1269 C ZusFr Johannes Singer SPD 1274 D (Nürnberg) SPD 1269D ZusFr Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . 1275A II Deutscher — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991

Eingetretene Verbesserung durch die Pfle- ZusFr SPD 1280 D gegeldleistung gemäß Gesundheits-Reform- ZusFr Hans-Werner Müller (Wadern) CDU/ gesetz CSU 1281 C MdlAnfr 31 ZusFr Elke Ferner SPD 1282 A Gabriele Iwersen SPD Antw PStSekr Horst Günther BMA . . . 1275 C Übertragbarkeit von Annahmen über die Konkurrenzfähigkeit einer Strom-Wärme- ZusFr Gabriele Iwersen SPD 1276A Kopplung und die Beschäftigungswirkungen ZusFr Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste . 1276A einer auf Energieeinsparung und dezentrale Energiebereitstellung ausgerichteten Ener- Gleichstellung der Schwerbehinderten im giepolitik auf die geplanten Atomkraft- öffentlichen Dienst in den neuen Bundeslän- werksneubauten in Stendal und Greifswald dern MdlAnfr 28, 29 MdlAnfr 32 PDS/Linke Liste Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste Antw PStSekr Klaus Beckmann BMWi . . 1282B, Antw PStSekr Horst Günther BMA . . . . 1276B 1283 A ZusFr Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste . . 1276D ZusFr Jutta Braband PDS/Linke Liste . . 1282C, 1283 C Umsetzung des nationalen Drogenbekämp- fungsplans Verstoß gegen die Zollvorschriften durch Zweckentfremdung von Düsenjets des Mari- MdlAnfr 22 negeschwaders 1 in Jagel; Gefährdung des Johannes Singer SPD Verteidigungsauftrags bei Einziehung der Antw PStSekr Dr. Horst Waffenschmidt Jets als corpora delicti BMI 1277 B MdlAnfr 34, 35 ZusFr Johannes Singer SPD 1278 A Dr. Eckhart Pick SPD ZusFr Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . 1278B Antw PStSekr Willy Wimmer BMVg . . . 1284A, 1285 C Zahl der den neuen Bundesländern zugewie- ZusFr Dr. Eckhart Pick SPD . . . 1284A, 1285 D senen Aussiedler ZusFr Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . . 1284 C MdlAnfr 23 Claire Marienfeld CDU/CSU Zusatztagesordnungspunkt: Antw PStSekr Dr. Horst Waffenschmidt Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- BMI 1278C desregierung zu den Auswirkungen des ZusFr Clemens Schwalbe CDU/CSU . . 1279A vom Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen für die nächsten Jahre darge- Änderung des BAT-Ost mit dem Ziel der An- stellten Finanzbedarfs für die neuen rechnung der vollen Dienstzeit bei der Ver- Bundesländer im Zusammenhang mit gütung der Ärzte den von der Bundesregierung geplanten Steuerabschaffungen und Steuersenkun- MdlAnfr 24 gen Dr. PDS/Linke Liste Ingrid Matthäus-Maier SPD 1285 B Antw PStSekr Dr. Horst Waffenschmidt BMI 1279C CDU/CSU 1286 C (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 1287B Überprüfung des Bundestagsabgeordneten auf Verbindungen zur Stasi in Gerhard Schüßler FDP 1288 B seiner damaligen Funktion als Erster Sekre- Dr. Ulrich Briefs PDS/Linke Liste . . . 1289 B tär des Bezirks Dresden CDU/CSU 1291 C MdlAnfr 25, 26 Ludwig Eich SPD 1292A CDU/CSU Carl-Ludwig Thiele FDP 1293 A Antw PStSekr Dr. Horst Waffenschmidt BMI 1279D Lydia Westrich SPD 1294 B ZusFr Jutta Braband PDS/Linke Liste . . 1280 A Gerhard Schulz (Leipzig) CDU/CSU . . 1295 B Dr. PDS/Linke Liste . . . 1280 C Dr. Joachim Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 1296A Verringerung der Kohleförderung der Saar- SPD 1297 C bergwerke auf jährlich 7 Mio. Tonnen Arnulf Kriedner CDU/CSU 1298B MdlAnfr 27 1299 C Ottmar Schreiner SPD Dr. Gero Pfennig CDU/CSU Antw PStSekr Klaus Beckmann BMWi . . 1280 D Nächste Sitzung 1300 D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991 III

Anlage 1 Anlage 5 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1301* A Überprüfung der geplanten Erhöhung der Ablieferung der TELEKOM auf EG-Konfor- mität Anlage 2 MdlAnfr 30 — Drs 12/351 — Änderung der steuerlichen Förderung Peter Paterna SPD selbstgenutzten Wohneigentums; vorzeitige Zurückzahlung von Fördermitteln des sozia- SchrAntw PStSekr Klaus Beckmann BMWi 1302* B len Wohnungsbaus 1990; Anzahl der betrof- fenen Wohnungen

MdlAnfr 1, 2 — Drs 12/351 — Anlage 6 Achim Großmann SPD Belieferung von Ungarn und CSFR mit Waf- SchrAntw PStSekr Jürgen Echternach fen und Munition aus Beständen der NVA BMBau 1301* B MdlAnfr 33 — Drs 12/351 — Ortwin Lowack CDU/CSU Anlage 3 SchrAntw PStSekr Willy Wimmer BMVg . 1302* C Herstellung einheitlicher Ortsnetze entspre- chend der Gebietsreform durch die Tele- kom Anlage 7 MdlAnfr 10 — Drs 12/351 — Peter Paterna SPD Stopp der Tiefflüge über Ostholstein zum Schutz des Vogelgebietes auf Fehmarn SchrAntw PStSekr Wilhelm Rawe BMPT . 1301* C MdlAnfr 36, 37 — Drs 12/351 — Antje-Marie Steen SPD Anlage 4 Solidaritätsbeitrag des Bundespräsidenten, SchrAntw PStSekr Willy Wimmer BMVg . 1302* D des Bundeskanzlers, der Ministerpräsiden- ten, der Bundes- und Länderminister sowie der Parl. Staatssekretäre zur Finanzierung Anlage 8 der Deutschen Einheit (z. B. Verzicht auf das 13. Monatsgehalt) Verstärkter Flugbetrieb vom und zum ameri- kanischen Militärflughafen Ramstein MdlAnfr 18, 19 — Drs 12/351 — Dr. Reinhard Meyer zu Bentrup CDU/CSU MdlAnfr 38, 39 — Drs 12/351 — Dr. Rose Götte SPD SchrAntw PStSekr Dr. Horst Waffenschmidt BMI 1301* D SchrAntw PStSekr Willy Wimmer BMVg . 1303* C

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20. Sitzung

Bonn, den 17. April 1991

Beginn: 13.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und führte nicht nur Krieg gegen die Staatengemein- Herren, die Sitzung ist eröffnet. schaft, er führt auch Krieg gegen das eigene Volk.

Was im Irak geschieht, ist nicht mehr eine innere Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Angelegenheit dieses Landes, es ist versuchter Völ- Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- kermord. Die Aufgabe, vor die das unsägliche Flücht- rung lingselend die Völkergemeinschaft stellt, sprengt alle Die Lage im Irak und die Situation der iraki- bisher gekannten Dimensionen. Das Gebot der schen Flüchtlinge, insbesondere der Kurden Stunde ist, Hilfe zum Überleben zu geben. Es geht um die nackte Existenz von Hunderttausenden. Dazu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktio- nen der CDU/CSU, SPD und FDP sowie des Abgeord- Mehr als 600 000 Flüchtlinge aus dem Irak haben in neten Konrad Weiß (Berlin), ein Entschließungsantrag der Türkei Zuflucht gesucht, mehr als 900 000 im Iran. der Gruppe PDS/Linke Liste und zwei Entschlie- Eine gleich große Zahl von Menschen ist noch auf der ßungsanträge der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN Flucht. Die beiden von den Flüchtlingsströmen haupt- vor. betroffenen Nachbarländer Türkei und Iran haben Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Anspruch auf unsere volle Unterstützung bei der Hilfe die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. — Dazu sehe für diese Menschen. ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Das Wort zur Abgabe der Regierungserklärung hat Wir erwarten, daß diese Staaten die Aufnahme und der Bundesminister des Auswärtigen, Hans-Dietrich Betreuung der Flüchtlinge erleichtern, nicht erschwe- Genscher. ren. Die iranische Regierung hat das zugesagt. Ich habe die türkische Regierung gebeten, den Flüchtlin- gen zu gestatten, klimatisch verträglichere Regionen Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister des Aus- in den Tälern aufzusuchen, und der Herstellung wet- wärtigen: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da- terfester Unterkünfte zuzustimmen. Ich habe diese men! Meine Herren! Die Welt ist Zeuge unermeßli- dringliche Bitte der Bundesregierung gegenüber dem chen Leids im Irak. Während wir hier im Deutschen türkischen Außenminister noch einmal in einem Tele- Bundestag über die Lage im Irak beraten, werden dort fongespräch am 13. April wiederholt. Menschen getötet, verfolgt und vertrieben. In den Bergen verhungern und erfrieren Menschen; Kinder Die türkische Regierung hat inzwischen eine solche sterben in den Armen ihrer Eltern. Entscheidung getroffen. Das muß aber auch bedeu- ten, daß a 11 e Flüchtlinge aus den Bergen in die Täler Diese Tragödie wühlt die Herzen in Deutschland und überall in der Welt auf. Das schreckliche Schick- herabkommen können, nicht nur bestimmte Grup- pen. sal der kurdischen Bevölkerung des Iraks, aber nicht nur dieser irakischen Staatsangehörigen, sondern (Beifall im ganzen Hause) auch die Verfolgung der schiitischen Gruppen im Dies erleichtert auch die Betreuung und Versorgung Süden des Landes rufen unsere Empörung und unser durch die vor Ort tätigen Hilfsorganisationen. Am Mitgefühl hervor. Diese Tragödie geht uns alle an. kommenden Freitag werde ich zu einem Arbeitsbe- Kurden und andere Gruppen im Irak sind von Ver- such in die Türkei fliegen und mich vor Ort von der nichtung und Untergang bedroht. Dazu darf die Staa- Zweckmäßigkeit und Effektivität unserer Hilfsmaß- tengemeinschaft nicht schweigen. nahmen überzeugen. Saddam Hussein hat auf die Forderungen nach Ein- haltung der Menschenrechte mit brutaler Gewalt rea- In wenigen Wochen konnte die Staatengemein- giert. Hunderttausende kurdischer und schiitischer schaft 500 000 Soldaten mit Waffen und Gerät in die Männer, Frauen und Kinder wurden vertrieben und Golfregion transportieren. Jetzt muß die Staatenge- zur Flucht gezwungen. Saddam Hussein hat den Iran meinschaft in der Lage sein, eine Luftbrücke der überfallen, er hat Kuwait besetzt und annektiert; er Menschlichkeit zu errichten, um wenigstens das 1256 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991

Bundesminister Hans-Dietrich Genscher Überleben der Flüchtlinge in den Grenzregionen der 20 000 Flüchtlinge. Hier werden vor allem schiitische Türkei und des Iran zu sichern. Flüchtlinge aufgenommen. (Beifall im ganzen Hause) Mit erheblichen deutschen Mitteln erstellt das In- ternationale Komitee vom Roten Kreuz Die Bundesregierung hat sofort umfassende Hilfs- derzeit im Nordwestiran Unterkunftsmöglichkeiten für über maßnahmen eingeleitet. Zunächst konzentrierte sich 100 000 Personen. diese Hilfe auf die Türkei. Bisher erfolgten 22 Transall-Flüge der Bundeswehr mit insgesamt über Wir unterstützen die Bemühungen des Flüchtlings- 200 Tonnen an Hilfsgütern. Zusätzlich wurden in die- kommissars der Vereinten Nationen bei der weiteren sem Zeitraum von der Bundesregierung Großraum- Errichtung von Flüchtlingslagern. flugzeuge gechartert, die noch einmal fast 300 Ton- nen Hilfsgüter transportiert haben. Es wurde außer- Wir erbitten und erwarten die Zustimmung der ira- dem durch Lufttransporte ein komplettes Feldlazarett nischen Regierung zur Einleitung folgender Maßnah- für den Einsatz im türkischen Grenzgebiet in die Tür- men: erstens kurzfristige Einrichtung einer Luft- kei gebracht. Drei medizinische Teams des Deutschen brücke mit täglich drei Transall-Flügen von Deutsch- Roten Kreuzes, Helfer der Bergwacht und Personal für land in den Nordiran, zweitens Einsatz von 20 Hub- Trinkwasseraufbereitung befinden sich bereits im schraubern, darunter zwölf Transporthubschraubern, Grenzgebiet. Bis zum 18. April ist die Verstärkung zur Versorgung der Flüchtlinge, wie dies bereits in der dieses Personals beabsichtigt. Südosttürkei angelaufen ist, und schließlich Aufbau einer Operationsbasis der Bundeswehr im iranischen Der Bundesminister der Verteidigung hat Soldaten, Krisengebiet sowie die Einrichtung vorgeschobener Transportraum sowie Ausrüstung und Verpflegung Hubschrauberlandepunkte, wie es sie auch schon in aus dem Bestand der Bundeswehr schnell und in gro- der Türkei gibt. ßem Umfange zur Verfügung gestellt. Im südostanato- lischen Batman wird ein Luftumschlagplatz eingerich- Die Bundesregierung ist auch bereit, in deutschen tet. Dort sind am 14. April 1991 sechs schwere Trans- Krankenhäusern medizinische Hilfe für Opfer der porthubschrauber zur Endverteilung der Hilfsgüter in menschenverachtenden Vernichtungswaffen zu lei- der Flüchtlingsregion, vor allem den entlegenen Tä- sten, die gegen die Flüchtlinge im Irak eingesetzt wur- lern und Bergen, eingetroffen. Sie haben am 15. April den. Wir wollen, daß diese Menschen mit den zurück- ihre Versorgungsflüge begonnen. fliegenden Maschinen hierhergebracht werden kön- nen. Über 100 deutsche Soldaten organisieren die Umla- (Beifall im ganzen Hause) dung und Verteilung der Hilfsgüter. Insgesamt ist in der Türkei der Einsatz von 20 Hubschraubern bis zum Die Bundesregierung dankt dem Deutschen Roten 20. April beabsichtigt. Seit dem 15. April ist außerdem Kreuz und den anderen deutschen Hilfsorganisatio- eine Luftbrücke nach Batman mit täglich zunächst nen für ihren Einsatz für die Flüchtlinge aus dem Irak. zwei Transall-Flügen eingerichtet. Wir danken den Soldaten der Bundeswehr für ihren Einsatz. Sie stellen sich mit Pflichterfüllung und Enga- Die Bundesregierung hat der iranischen Regierung gement in den Dienst der Menschlichkeit. zugesichert, im Iran einen Schwerpunkt deutscher Hilfe für die irakischen Flüchtlinge zu bilden. Die (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Hilfe für die Flüchtlinge im Iran soll entsprechend der SPD) Zahl der Flüchtlinge dort erweitert werden. Auch die Das entspricht dem Auftrag unserer Bundeswehr, Europäische Gemeinschaft wird auf unseren Antrag Freiheit und Frieden zu sichern. hin die Schwerpunkte ihrer Hilfe entsprechend aus- richten. Angesichts des anhaltenden und sich ausweitenden Eine deutsche Expertendelegation ist auf Grund ei- Flüchtlingsstroms sind die bisher bereitgestellten ner Vereinbarung, die ich am 14. April mit dem irani- Hilfsmittel nicht ausreichend. Die von der Bundesre- schen Außenminister getroffen habe, gestern in den gierung am 8. April bereitgestellten ca. 29 Millionen Iran gereist, um sicherzustellen, daß die vorgesehene DM wurden schon innerhalb einer Woche ausgege- deutsche Hilfe den Flüchtlingen rasch und unmittel- ben. Die Bundesregierung hat deshalb heute ent- bar zugute kommt. Staatspräsident Rafsanjani hat schieden, weitere Finanzmittel in Höhe von 415 Mil- lionen DM als dem Bundeskanzler zugesichert, daß er sich persön- humanitäre Soforthilfe zur Verfügung zu stellen. lich dafür einsetzen wird, daß diese Mission Erfolg hat. Auch in den Iran werde ich in Kürze reisen. (Beifall im ganzen Hause) Bisher gab es schon umfangreiche private Charter- Dieser Betrag dient vor allem der Versorgung mit flüge. In der Woche vom 8. bis 13. April wurden ins- Nahrungsmitteln, der medizinischen Betreuung, der gesamt 135 Tonnen Hilfsgüter in den Iran gebracht. In Unterbringung und dem Transport. In den 415-Millio- dieser Woche werden weitere 90 Tonnen transpor- nen-DM-Betrag sind 60 Millionen DM eingeschlos- tiert. Zusätzlich wird ein Großraumflugzeug 200 Ton- sen, die der Bundeskanzler bei dem europäischen nen in den Iran bringen. Sondergipfel für die Gemeinschaftshilfe zugesagt hat. Schon am 8. April hatte ja der Europäische Rat auf Das Deutsche Rote Kreuz hatte schon im Februar Vorschlag des Bundeskanzlers eine Hilfe in Höhe von dieses Jahres, d. h. noch während der Golfkrise, be- etwas über 300 Millionen DM beschlossen. Bei der gonnen, mit deutschen Mitteln im Iran an der Grenze Sitzung des allgemeinen Rates am 15. April habe ich zum Irak ein Lager für insgesamt 30 000 Flüchtlinge an die EG-Partner appelliert, in Anbetracht der dra- zu errichten. Zur Zeit befinden sich in diesem Lager matischen Entwicklungen so wie die Bundesrepublik Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1257

Bundesminister Hans-Dietrich Genscher Deutschland ihre nationalen Anstrengungen deutlich legenheit sind, die der Mitsprache der Völkergemein- zu erhöhen. schaft und der Vereinten Nationen entzogen sind. Bei allen Anstrengungen, die die Staatengemein- Die Regierungschefs der Europäischen Gemein- schaft unternimmt, um in dieser Situation humanitär schaft haben sich auf dem Sondergipfel in Luxemburg zu helfen, darf doch kein Zweifel daran bestehen, daß am 8. April in diesem Sinne eindeutig erklärt. Sie ha- das Schicksal der Kurden und der anderen Bevölke- ben auf deutschen Vorschlag insbesondere beschlos- rungsgruppen im Irak auf Dauer nur politisch gelöst sen, die Sanktionen gegenüber dem Irak so lange werden kann. nicht aufzuheben, wie nicht die Rechte der Kurden und anderer Gruppen im Irak sichergestellt sind. Nur ( [SPD]: In der Türkei auch!) die Aufrechterhaltung dieser Sanktionen kann Sad- dam Hussein zum Einlenken zwingen. Hauptziel aller politischen Bemühungen muß sein, daß die Flüchtlinge unter internationaler Aufsicht in (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) ihre Heimat zurückkehren können. Der Irak muß die Voraussetzungen für Vertrauen und friedliches Zu- Die drei im Sicherheitsrat vertretenen Mitglieder der- sammenleben schaffen. Europäischen Gemeinschaft werden diese gemein- same europäische Haltung auch im Sicherheitsrat ver- Ich habe in meinen Schreiben vom 2., 3. und 5. April treten, der über die Aufhebung des Wirtschaftsembar- 1991 an die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates gos zu entscheiden hat. auf diese Notwendigkeit und auf die Gefährdung des Friedens und der Stabilität in der ganzen Region hin- Unsere Forderungen und die Forderungen der Ge- gewiesen. Diese Gefährdungen gehen von den er- meinschaft sind: Anerkennung der Minderheiten- schreckenden Menschenrechtsverletzungen im Irak rechte der Kurden und der Menschenrechte auch der aus. Die Vereinten Nationen haben nach Auffassung anderen Bevölkerungsgruppen, Verwirklichung des der Bundesregierung die Pflicht und die Verantwor- Rechts auf Rückkehr in die Wohngebiete ohne die tung, die neugewonnene Autorität, die ihr die Zurück- Gefahr von Repressalien und Bestrafungen sowie die weisung der Aggression gegen Kuwait verliehen hat, Öffnung der Grenzen für humanitäre Hilfe in diesen jetzt einzusetzen, um die schreckliche Verfolgung der Wohngebieten. Dies alles muß unter Beobachtung Kurden und anderer Bevölkerungsgruppen zu been- und Betreuung der Vereinten Nationen geschehen. den und die sichere Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Der Europäische Rat verlangt zusätzlich, Schutzzo- Wohngebiete zu ermöglichen. nen im Irak einzurichten, in denen die Menschen vor Auf Grund deutscher und französischer Initiativen Verfolgung sicher sind. Von hier aus könnte sich dann hat der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 688 eine die Rückkehr der geflüchteten Menschen in ihre Sied- klare Position eingenommen. Er hat die irakische Un- lungsgebiete unter internationaler Aufsicht vollzie- terdrückung verurteilt, ihre umgehende Beendigung hen. verlangt und die Bedrohung des Friedens in der Re- Die Bundesregierung begrüßt die Absicht des ame- gion als Folge dieser Repressionspolitik bezeichnet. Er rikanischen Präsidenten, im Norden des Irak Lager hat die irakische Führung aufgefordert, die Men- einzurichten und den Schutz dieser Lager auch mili- schenrechte und die politischen Rechte der Bevölke- tärisch zu garantieren. Wir appellieren an die Mit- rung zu achten und humanitären Hiflsorganisationen gliedstaaten des Sicherheitsrates der Vereinten Natio- sofortigen Zugang zu allen Hilfsbedürftigen zu ge- nen, diese Maßnahme der Vereinigten Staaten zu un- währen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen terstützen. Niemand will die Integrität des irakischen hat, worum auch der Sicherheitsrat ihn ersucht hatte, Staates antasten; niemand hat Interesse daran, daß seine intensiven humanitären Bemühungen um die der Irak zersplittert und noch mehr in innere Konflikte irakischen Flüchtlinge fortgesetzt. Er hat in diesen gestürzt wird; niemand hegt feindselige Gefühle ge- Tagen seinen Sonderbeauftragten zu Gesprächen genüber dem irakischen Volk. Wir wissen um die Lei- nach Bagdad entsandt. Auch der persönliche Vertre- den des irakischen Volkes, die es als Folge der Politik ter des UN-Generalsekretärs für die irakischen seiner Regierung zu tragen hat. Flüchtlinge ist am 14. April in Bagdad eingetroffen und führt dort intensive Gespräche. Die Europäische Gemeinschaft hält es aber für not- wendig, daß sich der Sicherheitsrat erneut mit der Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Entwicklung im Irak befaßt, wenn Saddam Hussein Resolution 688 hat historische Bedeutung. Sie hat nicht bereit ist, die Sicherheitsratsresolution 688 zu erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen in erfüllen. Diese Sicherheitsratsresolution fordert insbe- dieser Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, daß die sondere auch einen offenen Dialog der irakischen Re- Mißachtung der Menschenrechte den internationalen gierung mit ihrer Bevölkerung, der sicherstellt — ich Frieden und die Sicherheit bedroht. Sie kann nicht zitiere — , „daß die Menschenrechte und politischen mehr nur als innere Angelegenheit eines Staates be- Rechte aller irakischen Bürger respektiert werden. " handelt werden. Das ist eine wichtige Fortentwick- Nur echte Autonomie, die zwischen Bagdad und kur- lung des Völkerrechts. dischen Organisationen 1970 vereinbart, von der ira- (Beifall im ganzen Hause) kischen Regierung aber von Anfang an nicht einge- halten wurde, nur Pluralismus und die Achtung der Künftig kann sich keine Regierung, die Völkerrecht Menschenrechte eröffnen dafür den Weg. Nur so wer- und Menschenrechte mit Füßen tritt, die die Bürger den Frieden und Stabilität im Irak und an den Gren- ihres Landes unterdrückt und zur Flucht zwingt, dar- zen dieses Landes einkehren. Nur so ist eine dauer- auf berufen, daß solche Vorgänge eine innere Ange hafte Friedensordnung in der Region möglich. 1258 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991

Bundesminister Hans-Dietrich Genscher Die Vereinten Nationen sind aufgefordert, alle Zusammenhang zwischen Krieg und Vertreibung. Wir Möglichkeiten wahrzunehmen, die die Kuwaitkrise müssen ihn auch ansprechen. und das erfolgreiche Zusammenwirken der Mitglie- Um Völkerrecht durchzusetzen, sind eine halbe der des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen für Million Soldaten über die halbe Welt geflogen wor- die Wahrung von Frieden und Stabilität eröffnen. Die den. Um Völkerrecht in Kuwait wieder herzustellen, Staatengemeinschaft ist aufgerufen, auf die Tragödie sind viele Milliarden eingesetzt worden. Um Völker- der Kurden und der anderen irakischen Gruppen mit recht durchzusetzen, ist eine ökologische Katastrophe der gleichen Anteilnahme und Entschlossenheit zu riskiert worden. reagieren, die sie bei dem Überfall auf Kuwait zeigte. Die Staatengemeinschaft darf Unterdrückung, darf Um Völkermord zu verhindern, hat es jetzt die be- das militärische Vorgehen gegen wehrlose Menschen merkenswerte UNO-Resolution 688 gegeben. Seit nicht hinnehmen. heute nacht wissen wir, daß es auch zu einer Aktion Auf Grund des Beschlusses der Außenminister der kommen wird — die Vereinigten Staaten haben ihre Europäischen Gemeinschaft vom 15. April 1991 hat Haltung hier geändert — , zu einer Aktion, die den der amtierende EG-Präsident, der Außenminister Lu- Diktator daran hindert, Menschen seines Machtbe- xemburgs, Jacques Poos, in einem Schreiben vom reichs umzubringen oder sie Bedingungen auszuset- 16. April an den Generalsekretär der Vereinten Natio- zen, in denen sie umkommen müssen, wenn ihnen nen festgestellt, daß die Brutalität der Verfolgung und andere Staaten nicht zu Hilfe kommen. Aus der Golf- das noch nie dagewesene Ausmaß der Flüchtlings- krise ist die Kurdenkatastrophe geworden. welle von uns erfordern, es bei der Verurteilung des Was sind die Tatsachen? Etwa 2 Millionen Men- irakischen Regimes nicht bei Erklärungen zu belas- schen sind auf der Flucht. Wir kennen nicht genau die sen. Der Ratspräsident ersuchte den Generalsekretär Art und Weise, in der die irakischen Soldaten mit den der Vereinten Nationen, die Frage der persönlichen Menschen dort umgehen. Wir haben relativ wenige Verantwortung der irakischen Führung, insbesondere konkrete Berichte. Tatsache ist, daß die Menschen im Hinblick auf die Konvention gegen Völkermord, nach wie vor Todesangst haben und daß sie die gro- und die Möglichkeit, die Verantwortlichen vor ein in- ßen Risiken der Flucht ins Gebirge dem Bleiben in der ternationales Gericht zu stellen, zu überprüfen. tödlich gewordenen Heimat vorziehen. Der Iran hat Die Bundesregierung dankt in dieser Stunde den seine Grenzen geöffnet. Die Türkei hat jetzt die Öff- Bürgern unseres Landes für ihre Anteilnahme an den nung ihrer Grenzen angekündigt. Wir werden in den Vorgängen im Irak. Deutschland wird sich auch in nächsten Tagen hoffentlich erleben, daß wirklich alle Zukunft mit allem Nachdruck für umfassende huma- Menschen in die Täler können. nitäre Hilfsmaßnahmen einsetzen. Wir appellieren an Der wichtigste Aspekt dieser Debatte: Es muß den die Staatengemeinschaft und insbesondere an die Flüchtlingen geholfen werden — da hat die Bundes- Mitglieder des Weltsicherheitsrates, alle politischen regierung die volle Unterstützung der Opposition —, und wirtschaftlichen Möglichkeiten zu nutzen, um und es muß politisch und, wenn nötig, auch militärisch über die humanitäre Hilfe hinaus durch die politi- garantiert werden können, daß die irakischen Kurden schen Lösungen die Rechte der kurdischen Minder- ohne Todesfurcht umkehren können. Dieser Forde- heit und der anderen Gruppen dauerhaft zu sichern. rung der EG hat sich jetzt die amerikanische Regie- Die Staatengemeinschaft, meine Damen und Herren, rung mit dem Vorschlag von heute nacht angeschlos- steht auf dem Prüfstand. sen. Wie danken allen, die sich dafür einsetzen. Ich danke Ihnen. Der Völkermordversuch hat 1988 mit dem Giftgas- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD einsatz gegen die Kurden begonnen. Damals haben und dem Bündnis 90/GRÜNE) wir unsere Beziehungen nicht abgebrochen. Es sind damals Zehntausende aus Angst vor Giftgas in die Türkei geflohen, und wir haben relativ schwach rea- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der giert. Abgeordnete Freimut Duve. Meine Damen und Herren, nach Kambodscha, nach Neu-Guinea sind vielen von uns, glaube ich, die Maß- Freimut Duve (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- stäbe abhanden gekommen, die nach Auschwitz Be- men und Herren! Ich glaube, selten ist das, was wir standteil des Völkerrechts geworden waren. Seit 1948 hier miteinander diskutieren, so von den Menschen in gibt es die Konvention, die feststellt: Die Souveränität unserem Lande getragen worden, die Abend für eines Staates umfaßt nicht die Souveränität von Mas- Abend die Bilder sehen und die Abend für Abend senmördern, ihre eigenen Leute umzubringen. diese Bilder fast nicht mehr aushalten können. Sie (Beifall bei SPD sowie bei Abgeordneten der erwarten von uns, sie erwarten von der Bundesregie- CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/ rung, daß wir das, was wir können und was wir dürfen, GRÜNE) auch wirklich tun. Die Souveränität des Staates endet dort, wo sich Re- Alexander Dub ek hat heute morgen bei uns im č gierungen anschicken, zu begehen. Auswärtigen Ausschuß zum Schluß sehr eindrucks- Massenmord Massenvertreibung in dieser Form, in der Form eines voll auf den Zusammenhang von Krieg und Vertrei- elenden Menschentrecks, ist versuchter Massen- bung hingewiesen. Er hat die Sudetendeutschen ge- nannt und gesagt: Es gibt hier einen unauflöslichen mord. Zusammenhang; denn nach dem Krieg hat es Vertrei- Im wichtigsten Punkt sind wir mit der Erklärung der bung gegeben. Wir haben auch in dieser Lage einen Vereinigten Staaten von heute morgen jetzt weiter: Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1259

Freimut Duve Der Massenflucht kann, wenn die Maßnahmen anlau- Parlament aussähe, wenn Millionen von Menschen fen, durch den Einsatz der UNO Einhalt geboten wer- aus einem anderen Land in panischer Flucht in unser den. Wir alle kennen die Risiken, die auch damit ver- Land drängen würden. Der erhobene Zeigefinger ge- bunden sind. Wir alle wissen, daß schon die Resolu- gen die Türkei ist sicher angebracht bei der Behand- tion 688 ein wichtiger neuer Schritt ist, auch für das lung der kurdischen Minderheit im eigenen Land. Völkerrecht. Angesichts des Ausmaßes dieses Elends wäre er jetzt Wenn nicht jetzt gehandelt wird, wann je können fehl am Platze, es sei denn, wir wären bereit, auch bei uns Hunderttausende von Kurden aufzunehmen. Wir wir dem Mittel der Vertreibung Einhalt gebieten? erwarten allerdings, daß die Türkei den irakischen Vertreibung darf kein Mittel der Politik bleiben. Es war es in den letzten 40 Jahren weiß Gott schon zu Flüchtlingen — auch denen von 1988 — endlich die häufig, ohne daß die Völkergemeinschaft reagiert Möglichkeit der Betreuung und Registrierung durch den Hohen Kommissar ermöglicht. hat. Angesichts der Kurdenfrage sitzt, glaube ich, nie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mand von uns mit ganz reinem Gewissen auf einem der CDU/CSU und der FDP) hohen moralischen Thron. Wir alle haben das Thema Die Menschen müssen also aus dem Iran zurückkeh- nicht ernst genug genommen. Ich möchte hier im ren können, sie müssen aus der Türkei zurückkehren Deutschen Bundestag ausdrücklich der Gesellschaft können; sonst hätte Saddam sein Ziel erreicht. Denn für bedrohte Völker und ihrem Vorsitzenden Tilman wenn seine Entvölkerungspolitik Erfolg hätte, dann Zülch dafür danken, daß sie seit 15 Jahren immer wie- gäbe es drei Konsequenzen: Erstens. Die Massen der der auf das Schicksal der Kurden hinweist. kurdischen Flüchtlinge im Iran und in der Türkei wer- (Beifall im ganzen Hause) den immer die Quelle neuer Konflikte in ihren Gast- ländern und zwischen den drei betroffenen Staaten Die Kurden brauchen den Minderheitenstatus, der ih- bleiben. Zweitens. Die Völkergemeinschaft sieht sich nen nach geltenden Konventionen, denen die fünf wieder einmal gezwungen, den Zufluchtsstaat kriti- betroffenen Staaten beigetreten sind, schon heute zu- scher zu beurteilen als den Vertreiberstaat. Drittens. steht. Das ist das mindeste, was sie brauchen. Sie Für viele andere Konfliktparteien und Staaten mit brauchen darüber hinaus Perspektiven, die sie nicht schwierigen Minderheiten wäre dies das Signal: Man immer wieder zum Spielball von zwischenstaatlichen kommt ungestraft davon, wenn man sich auf diese Konflikten werden lassen. Es ist übrigens erstaunlich, Weise nicht nur eines Problems, sondern auch der daß zur Zeit keine Kurden aus dem Irak nach Syrien Menschen selbst entledigt. fliehen. Da will wohl niemand hin. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Wir können hier aus Europa keinen Kurdenplan und des Abg. Gerd Poppe [Bündnis 90/ entwickeln. Aber wir können dabei helfen, daß das GRÜNE]) Schicksal der Kurden in den fünf Staaten wichtiger Tagesordnungspunkt im Friedensprozeß des Nahen Ich fordere uns alle auf, die Konvention gegen den Ostens wird. Dazu können und dazu wollen wir bei- Völkermord zu erweitern und auf eine neue Konven- tragen. tion, eine Konvention zum Schutz der Menschen vor Mit unserem bitten wir die Bundesregie- Vertreibung, hinzuarbeiten. Antrag rung, das Handeln der UNO voranzutreiben. Mit dem Meine Damen und Herren, die Türkei empfängt Antrag rufen drei Fraktionen — es ist schade, daß mehr Entwicklungshilfe und mehr Militärhilfe von uns Bündnis 90/GRÜNE zum Schluß doch nicht mitma- als irgendein anderes Land der Welt. Wir können von chen konnten — in Erinnerung, daß es Instrumente ihr nicht verlangen, stellvertretend für uns alle Millio- gegen den Völkermord gibt, auch gegen den versuch- nen Flüchtlinge aufzunehmen und allein dafür verant- ten Völkermord. wortlich zu sein. Aber wir möchten darum bitten — Heinrich Böll hat das 20. Jahrhundert das Jahrhun- auch Sie, Herr Bundesaußenminister, möchten wir dert der Flüchtlinge genannt. Welche Konsequenzen darum bitten — , daß die Bilder, die wir von der Grenze die UNO, welche Konsequenzen wir aus der Kurden- und von dem Einsatz türkischer Soldaten gesehen katastrophe dieser Wochen ziehen, davon wird das haben, die mit Gewehrkolben gegen Frauen und Kin- Gesicht des nächsten Jahrhunderts mitgeprägt. Wer- der vorgegangen sind, ein Ende haben. den die Kämpfe um knappes Wasser und knappe (Beifall im ganzen Hause) Nahrung, werden die neuen Religionskriege, die eth- Die Türkei ist zwar unser Bündnispartner, aber es ist nischen Konflikte und neue Nationalismen mit den für uns unmöglich, einen solchen Bündnispartner zahllosen ungelösten Minderheitenproblemen immer dann nicht zu kritisieren. wieder zur Vertreibung führen, als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln? Vor dieser Frage steht die Wir können erwarten, daß nicht geschossen wird, Weltgemeinschaft. Eine Teilantwort gibt sie jetzt mit wo geholfen werden müßte. Die Menschen, die dort der Art, wie sie auf Saddam Husseins Vertreibungs- kommen, haben keine Waffen. Sie haben ihre Waffen politik reagiert. abgegeben. Also muß man auch nicht mit Gewehren auf sie losgehen. Ich danke Ihnen. Keiner von uns übt diese Kritik an der türkischen (Beifall im ganzen Hause) Situation in moralischer Überheblichkeit. Wir alle wa- ren nicht in der Lage, polnische Touristen wirkungs- voll gegen Angriffe von Rechtsradikalen zu schützen. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der Ich weiß nicht, wie es an unseren Grenzen und hier im Abgeordnete Norbert Blüm. 1260 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991

Dr. Norbert Blüm (CDU/CSU): Frau Präsidentin! eine neue, größere Übereinkunft zum Schutz von Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Deut- Flüchtlingen. Staatliche Grenzen dürfen internatio- schen Bundestag berichten, was ich am vergangenen nale humanitäre Hilfe nicht behindern. Wenn die Ver- Wochenende im irakisch-türkischen Grenzgebiet ge- einten Nationen für ein Gebiet den Flüchtlingsnot- sehen und erlebt habe. Hunderttausende von geflüch- stand erklären, muß grenzenlos geholfen werden kön- teten Kurden lagern und kauern an den Berghängen. nen. Staatliche Grenzen dürfen nicht eine Grenze für Sie schützen sich vor Kälte und Regen mit nichts ande- solche lebensrettenden Aktionen sein. Die Souveräni- rem als dem, was sie am Leibe tragen oder mitschlep- tät des Staates muß vor der Lebensrettung zurücktre- pen konnten. Von Napalm- und Phosphorbomben ten. Verletzte liegen auf nacktem Zeltboden. So wie die Welt noch immer eingerichtet ist, werden Ich habe ein Lager mit 80 000 Flüchtlingen in Flüchtlingsströme sie weiter belasten. Helfen und ar- 1 500 Metern Höhe gesehen: ohne Wasserquelle. beiten für eine Welt ohne Flüchtlinge! Hilfe und Ar- 80 000 Flüchtlinge ohne Wasser! Sie stillen ihren beit für eine Welt, in der alle ihre Heimat haben! In Durst, indem sie den Schnee schmelzen. Aber der diesem Ziel sollten wir über alle Parteigrenzen über- Schnee wird bald geschmolzen sein. Sie backen ihr einstimmen. Fladenbrot mit dem Holz, das sie geschlagen haben. Die Welt ist gespalten. Fortschritt und Rückschritt Aber es wird bald kein Holz mehr da sein. begleiten ihre Entwicklung. Wir in Deutschland ha- Viele sterben. Viele, viele Kinder sterben. ben ein Jahr hinter uns, in dem wir das Glück von Unter den Plastikplanen und unter regendurchlässi- Freiheit und Einheit erleben konnten. Vielleicht ist gen Decken, die ein Zeltdach ersetzen sollen, findet eine Form des Dankes für diesen Fortschritt, daß wir das leise Sterben des kurdischen Volkes statt. mithelfen, Rückschritt und Barbarei in der Welt zu- rückzudrängen. Das ist Völkermord. Auch unsere Bundeswehr leistet einen Beitrag im Mehr als Worte bleibt mir das Bild eines jungen Rahmen einer internationalen Hilfstruppe im Kampf Vaters im Gedächtnis, der sein sterbenskrankes Kind, gegen Not. Not bedroht den Frieden. Die Bundeswehr das er auf dem Arm trug, einem Arzt hilfesuchend als Teil einer internationalen Notwehr, das macht eine entgegenhielt. Auf das resignierende Kopfschütteln neue Seite eines friedenssichernden Dienstes deut- des Arztes hatte er, sich abwendend, nur noch den lich. Satz übrig: „Aber ich habe heute schon eines meiner Kinder beerdigt. " Am Wochenende habe ich in der Türkei viele Bun- deswehrsoldaten erlebt, die sich mit großem Engage- Es müßte ein Mensch aus Stein sein, der kein Mit- ment an humanitären Aktionen beteiligen. Dafür leid hätte. Aber Mitleid ohne Folgen verändert die möchte ich der Bundeswehr und allen Mitbürgern, die Welt nicht. Unsere erste Forderung geht an die türki- dort helfen, unseren großen Respekt und unsere Be- e Flüchtlinge ins Tal. sche Regierung: Laßt all wunderung zum Ausdruck bringen. (Beifall im ganzen Hause) (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD Das ist ein unaufschiebbares Gebot der Lebensret- und dem Bündnis 90/GRÜNE) tung. Es reicht nicht, nur die Kranken ins Tal zu las- sen. Die nicht krank sind, sind noch nicht krank. Der Laßt uns über das Helfen nicht die Ursache und die Uhrzeiger des Todes läuft. Hunderte, Tausende wer- Verursacher des Flüchtlingselends vergessen. Die den sterben, wenn sie oben bleiben müssen. Massaker an den Kurden sind nicht die Privatangele- genheit des Saddam Hussein und nicht die innere Die Verletzten müssen in Hospitäler gebracht wer- Angelegenheit des Irak. Die Massaker sind eine den. Auch unsere Krankenhäuser in der Bundesrepu- Schande der Menschheit und eine innere Angelegen- blik werden Schwerverletzte aufnehmen. heit der ganzen Welt. Verbrechen gegen die Mensch- Ich bitte auch die Sozialversicherungsträger, die So- lichkeit müssen von der zivilisierten Welt geahndet lidarität hier in der Bundesrepublik nicht national zu werden. Das Embargo gegen den Irak kann so lange begrenzen. Einige haben sich gestern bereits zur Auf- nicht aufgehoben werden, solange Saddam Hussein nahme in Kliniken bereiterklärt. die Kurden bedroht. Die humanitäre Soforthilfe ist die eine Seite, die Grenzen und Staaten sind wichtige Ordnungsele- politische Lösung die andere. Die Ursachen von mente der Weltzivilisation. Noch wichtiger als Gren- Flucht, Vertreibung und Mord können nur politisch zen und Staaten ist die Würde des Menschen und sein beseitigt werden. Ihr Heimatrecht werden die Kurden Lebensrecht. Menschenrechte kennen keine Gren- nur in Anspruch nehmen — und sie wollen zurück in zen. Dies zu verkünden, bedarf es weder einer Ideo- die Heimat — , wenn ihre Dörfer und Wohngebiete vor logie noch komplizierter gedanklicher Anstrengun- Überfällen und Massakern geschützt werden. Den gen, sondern der einfachen Fähigkeit, sich in die Lage Zusagen des Saddam Hussein glauben die Kurden von Menschen zu versetzen, die um ihr Leben zittern. kein Wort. Sie haben Anspruch auf unseren Beistand und auf unsere Einmischung. Deshalb brauchen sie eine waffengeschützte Si- cherheitszone. Die Sicherheitszone für die Kurden Im Lager der Kurden haben mir viele Briefe zuge- muß international geschützt werden, notfalls durch steckt. Stellvertretend lese ich einen vor: UN-Truppen. Resolutionen genügen nicht. Wir haben alles, was wir hatten, im Irak zurück- Diese Sicherheitszone ist aber nur eine Seite des gelassen und konnten nur unser nacktes Leben völkerrechtlichen Schutzes. Ich glaube, wir brauchen retten. Wir haben alles verloren, unsere Zukunft, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1261

Dr. Norbert Blüm unsere Hoffnung, unsere Träume, unsere Ausbil- angst zu erleiden. Wie entsetzlich ist es für eine Mut- dung, unsere Häuser. Einige von unseren Ange- ter, deren Kind Durst hat, zu entscheiden, ob sie es hörigen sind tot. Deshalb hoffen wir zu Gott, daß verdursten läßt oder ob sie ihm Wasser zu trinken gibt, Sie uns helfen und uns eine Zukunft geben kön- das wahrscheinlich verseucht ist! nen. Es waren unerträgliche Bilder zu sehen, wie mit Dieser Hilferuf darf nicht ungehört verhallen; lassen Gewehrkolben auf Kinder, auf Frauen, auf alte Men- Sie uns gemeinsam dafür arbeiten! schen, auf erschöpfte Menschen losgegangen wurde. (Beifall bei allen Fraktionen) Herr Kollege Duve hat das geschildert. Auch wenn wir wissen, daß Gewaltanwendung manchmal Ausdruck von Hilflosigkeit sein kann, darf das so nicht hinge- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat die nommen werden; das geht nicht. Abgeordnete Cornelia Schmalz-Jacobsen. (Beifall im ganzen Hause) Soforthilfe allein wird jedoch der schwierigen Lage Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP): Frau Präsiden- - tin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir sind alle nicht gerecht. Wir sind hier ja an einer Schnittstelle entsetzt und tief berührt und aufgewühlt von dem von humanitärer Hilfe und politischer Entscheidung. unermeßlichen Leid des kurdischen Volkes. Endlich Nur durch eine politische Lösung der Kurdenfrage kann die Wiederholung der krassen und systemati- haben jetzt wirksame Hilfsmaßnahmen für die vom Völkermord bedrohten Menschen begonnen. Aber schen Menschenrechtsverletzung durch das Regime ich muß sagen: Es lief bedrückend langsam an, wenn Saddam Husseins verhindert werden. Die Kurden man das einmal im Vergleich dazu sieht, wie rasch sind die direkten Opfer des Hasses des geschlagenen und wie reibungslos die Ausrüstung der Armee mit irakischen Aggressors. Die Wut über seine gescheiter- Waffen gelaufen ist. ten Großmachtpläne am Golf läßt er jetzt mit unver- minderter Grausamkeit und Menschenverachtung an (Beifall bei der FDP, der SPD und beim Bünd seinen Landsleuten aus. nis 90/GRÜNE) Das schreckliche Ausmaß des Völkermords an den Meine Damen und Herren, die vorgesehenen Lager Kurden schreit nach Verurteilung und Strafe. Der Ver- werden Hunderttausenden von Kurden das Überle- gleich mit den Nürnberger Prozessen drängt sich hier ben möglich machen und ihnen Schutz vor ihren Ver- auf. Hussein muß vor einen internationalen Gerichts- folgern gewähren. Die FDP dankt den USA und Groß- hof gestellt werden. Die FDP begrüßt es deshalb, daß britannien für ihr entschlossenes Handeln. die zwölf EG-Außenminister Saddam Hussein persön- Der Bitte der Bundesregierung an die Türkei, den lich für den Völkermord verantwortlich machen. Wir kurdischen Flüchtlingen den lebensrettenden Abstieg Freien Demokraten — das darf ich hier sagen — sind in die Täler zu erlauben, ist gottlob stattgegeben wor- dankbar und stolz, daß die Initiative unseres Außen- den. Die Voraussetzungen für die deutsche Hilfe, für ministers Hans-Dietrich Genscher so schnell auf euro- den Aufbau der erforderlichen Infrastruktur durch die päischer Ebene aufgegriffen worden ist. Bundeswehr haben sich spürbar verbessert. Weiterhin muß das Ziel aller internationalen Bemü- Ich möchte hier für meine Fraktion der Bundeswehr hungen ein dauerhafter Autonomiestatus für das kur- und den Hilfsorganisationen danken, die so tatkräftig dische Volk bleiben. Autonomie für die Kurden ist bei der Sache sind. ohne Saddam Hussein sicher leichter zu verwirkli- Wir begrüßen es, daß die Opfer von Napalm in un- chen. Trotzdem ist Husseins Terrorherrschaft nicht seren Krankenhäusern, in denen der Bundeswehr und das einzige Hindernis, wie wir wissen. Die Kurden anderen Krankenhäusern, Aufnahme finden können, müssen dauerhaft zufriedenstellende Autonomiere- damit ihr Leiden wenigstens gelindert wird. gelungen auch mit den Regierungen von Ankara, Te- Von besonderem Gewicht sind die Ergebnisse des heran, Damaskus und Moskau festschreiben. Bisher Außenministertreffens der Europäischen Gemein- sind sie ja nur von der einen oder der anderen Seite als schaft in Luxemburg und des Sonderministertreffens Machtinstrument zur Durchsetzung staatlicher Inter- der WEU. Die FDP begrüßt die Aufstockung der Hilfe essen mißbraucht worden. Die für uns entscheidende durch die Europäische Gemeinschaft auf 300 Millio- Frage ist deshalb, was jetzt getan wird, um eine staa- nen DM und den Beschluß des Sonderministertreffens tenübergreifende Sicherung der kurdischen Minder- der WEU, logistische Unterstützung für den Transport heitenrechte zu gewährleisten. der Hilfsgüter nach der Türkei und dem Iran zu lei- Wieviel Unrecht ist dem kurdischen Volk in diesem sten. Jahrhundert schon angetan worden! Ich erinnere In den nächsten Stunden und Tagen muß alles Men- mich, daß ich vor 25 Jahren eine Sendung über die schenmögliche getan werden, um zu verhindern, daß Kurden gemacht habe. Das Wissen war damals sehr unter den kranken, erschöpften, hungernden und ver- gering. Wichtig, unausbleiblich wichtig ist, daß diese wundeten Menschen Seuchen ausbrechen und daß Menschen bei sich zu Hause leben können und daß weiterhin täglich mehr als 1 000 kurdische Kinder sie nicht irgendwohin geschoben werden. Das nützt sterben. doch nichts! Meine Damen und Herren, viele in unserer Bevöl- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD kerung erinnern sich doch. Ich denke, daß auch in und der PDS/Linke Liste) diesem Haus viele sitzen, die sich erinnern, was das bedeutet, Kind zu sein bei Krieg und Vertreibung, und Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat hier was es heißt, Kälte, Hunger, Erschöpfung und Todes- mit der Resolution 688 einen ersten wichtigen Schritt 1262 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991

Cornelia Schmalz-Jacobsen getan, indem er die Verantwortung für die Wahrung ken und Kleidung endlich in Gang gekommen ist. Sie des Weltfriedens und der Menschenrechte erstmals muß verstärkt und so wirksam wie möglich organisiert auf die inneren Angelegenheiten eines Staates ausge- werden. Sie muß vor allem schneller, unbürokrati- dehnt hat. Dieser völkerrechtlich so wichtige Schritt scher und sicherer bei den Betroffenen ankommen. mit seiner Bedeutung und Tragweite sollte von allen Dazu ist es notwendig, daß internationale Hilfsorgani- Staaten begrüßt und unterstützt werden. sationen im türkischen, iranischen und irakischen Kri- Angesichts der katastrophalen Lage der Kurden sengebiet grundsätzlich und ohne Ausnahme unge- und der Schiiten im Irak und des fortgesetzten Wütens hindert arbeiten können und der Verbleib der Hilfs- der Revolutionären Garden Saddams ist der wichtig- güter kontrolliert wird. ste Passus der letzte Abschnitt der uns vorliegenden Wir regen an — das gilt insbesondere nach der Rede Resolution. Darin wird festgelegt, daß sich der Sicher- und dem Bericht des Herrn Ministers hier —, daß heitsrat weiter mit den Entwicklungen im Irak be- sich eine Gruppe bundesdeutscher Parlamentarier — schäftigt. Sollten die Verfolgungen nicht sofort einge- meine Kollegin Fischer, für die ich hier heute ein- stellt werden, muß diese Ankündigung auch bedeu- springe, denkt da insbesondere an die Mediziner un- ten, daß die Vereinten Nationen den Mörder Saddam ter den Abgeordneten des Deutschen Bundestages — Hussein mit Gewalt daran hindern, seinen Vernich- vor Ort begibt, um sich ein Bild — über die Medien- tungskrieg gegen Teile der eigenen Bevölkerung fort- darstellung hinausgehend — von der Lage zu machen zusetzen. und unter diesen Eindrücken hier politisch tätig zu Die Vereinten Nationen sind zum Handeln aufgeru- werden. Denn wir gehen davon aus, daß die unmittel- fen, meine Damen und Herren. Die Bundesrepublik bare Kenntnis dieser Situation noch zu einer weiteren Deutschland als Mitgliedstaat der UN muß und wird Verstärkung der Hilfe führen könnte. ihre internationale Verantwortung wahrnehmen. Zu den unumgänglichen Hilfsmaßnahmen gehört (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) es aber auch, verletzte Flüchtlinge zur medizinischen Wir können und wir werden uns nicht drücken. Und, Behandlung in die Bundesrepublik zu überführen. meine Damen und Herren — lassen Sie mich das zum Wir begrüßen es, wenn dies nun beginnen soll. Es Schluß sagen — , die letzten Wochen und Monate ha- gehört weiter dazu, Angehörigen von in der Bundes- ben — ungeachtet der geübten Kritik und des großen republik lebenden Kurden, die sich in den Flücht- Zwiespalts bei uns selber — eines deutlich gemacht: lingslagern befinden, die Einreise zu ermöglichen, Die Deutschen sind Lichtjahre davon entfernt, eine den Bedrohten großzügig Asyl zu gewähren sowie eigensüchtige, eine nationalistische oder gar militari- den in einigen Bundesländern bereits verfügten Ab- stische Nation sein zu wollen. In einem ist sich dieses schiebestopp für kurdische Asylsuchende auf das ge- zusammenwachsende Deutschland einig: Wir wollen samte Bundesgebiet auszudehnen. Warum sollten ei- den Frieden, wir wollen für die Menschenrechte ein- gentliche nicht Tausende von kurdischen Flüchtlin- treten, wo immer sie mit Füßen getreten werden. Die gen in der Bundesrepublik aufgenommen werden? rasche Hilfe und das tatkräftige Zupacken in unserer Wir meinen, es ist richtig, die Öffnung der türkischen Bevölkerung sollten uns nicht Anlaß für Entschuldi- Grenzen zu fordern: Warum soll in diesem Land nicht dungen, sondern für Erleichterung und auch für ähnliches geschehen? Selbstbewußtsein sein. (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Ich danke Ihnen. Es kann allerdings — trotz der mittlerweile (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der erreichten Zugeständnisse auch der türkischen Re- SPD) gierung in diesem Punkt — nicht beruhigen, wenn sich diese wegen manifester Menschenrechtsverlet- zungen mehrfach angeprangerte türkische Regierung Das Wort hat die Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: jetzt als Überbringer humanitärer Hilfe des Westens Abgeordnete Andrea Lederer. für Flüchtlinge eines Volkes produzieren darf, für das im eigenen Land die Menschenrechte teilweise außer Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- Kraft gesetzt worden sind. Hier müssen sich sämtliche tin! Meine Damen und Herren! Der Golfkrieg hat kein Regierungen, sämtliche Staaten dafür einsetzen, daß Problem gelöst, sondern vielmehr neue und schwieri- die Grenzen vollständig geöffnet werden und es mit gere Probleme geschaffen. Der Nahe und Mittlere der entsprechenden Unterstützung zu einer Milde- Osten sind heute weiter denn je davon entfernt, zu rung des Leids der kurdischen Flüchtlinge kommt. einer friedlichen und gleichberechtigten Region der Wir müssen es allerdings als einen Ausdruck von Völkergemeinschaft zu werden. Und wenn es noch Zynismus zur Kenntnis nehmen, wenn die verzwei- eines Beweises bedurfte, daß Krieg kein Mittel zur felte Lage der Flüchtlinge und die immensen Pro- Bewältigung politischer und wirtschaftlicher Interes- bleme, die im Nachgang des Golfkrieges entstanden senkonflikte ist, so ist dieser Beweis mit den Ereignis- sind, zum Anlaß genommen werden, wiederum über sen im Irak und in den umliegenden Ländern auch die Erweiterung von Einsatzmöglichkeiten nationa- nach Ende des Krieges hinreichend erbracht. ler Streitkräfte nachzudenken. Um nicht mißverstan- Die Welt und wir alle hier reagieren mit Recht er- den zu werden: Es geht nicht um eine Kritik an huma- schüttert und entsetzt auf die Bilder aus dem Nord- nitärer Hilfe, sondern es geht darum, daß hier wie- irak. Immer größer wird der Kreis derjenigen, die auf derum eine Diskussion in Gang kommt, die letztlich die eine oder andere Weise versuchen, das Leid der dazu führen soll, das, was ohnehin in der Debatte ist Flüchtlinge zu mildern. Es ist gut und auch notwendig, — Erweiterung des Handlungsspielraums der Bun- daß die Hilfe mit Medikamenten, Lebensmitteln, Dek- deswehr auch in militärischer Hinsicht — , zu nutzen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1263

Andrea Lederer Wer sich für einen solchen Einsatz aussprechen sollte, der legitimen Vertreter der Kurdinnen und Kurden redet der Festschreibung militärischer und politischer einberufen wird. Konfliktpotentiale in der Region das Wort. Ich danke Ihnen. Die Schaffung der sogenannten Schutzzonen ist (Beifall bei der PDS/Linke Liste) eine Zwischenlösung. Allerdings — darauf müssen wir noch einmal hinweisen; das kommt im Antrag des Bündnisses 90 zum Ausdruck — liegen diese in einer Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der Region, wo im Grunde genommen eine menschen- Abgeordnete Heinrich Lummer. würdige Unterbringung nicht möglich ist.

Heinrich Lummer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Abgeordnete Meine Damen und Herren! Zur Dramatik der Situa- Lederer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- tion und zur Unermeßlichkeit des Leides ist mit Wor- ordneten Duve? ten das gesagt worden, was mit Worten zu sagen ist. Wer könnte es besser schildern als Norbert Blüm? Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Gerne. Dies ist natürlich auch eine Herausforderung für den Deutschen Bundestag. Insofern ist es geboten, Freimut Duve (SPD): Frau Kollegin, durch welche daß wir uns mit dem Thema beschäftigen und eine Maßnahmen könnte man jemanden wie Saddam Hus- ebenso eindeutige wie präzise Stellungnahme abge- sein daran hindern, die Flüchtigen weiter zu verfol- ben. gen? Wie könnte man ihnen mit nichtmilitärischen Die einheitliche Bewertung und die gemeinsamen Maßnahmen die Todesangst nehmen? Ich sehe in ei- Forderungen des Bundestages, die in der Resolution ner solchen Lage wirklich nur militärische Maßnah- niedergelegt worden sind, sprechen, so denke ich, für men, jedenfalls den Einsatz von Truppen. sich und sollten bei allen Betroffenen als Ausdruck der Entschlossenheit gewertet werden, Vertreibung und Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Herr Kollege Völkermord zu verhindern. Duve, ich muß zurückfragen: Sehen Sie in einer sol- Mitleid ohne Folgen, so haben wir gehört, ist kein chen Situation tatsächlich nur militärische Lösungs- Mitleid. möglichkeiten, wenn doch beispielsweise auch Ihre Fraktion festgestellt hat, daß die politischen Verhand- (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig!) lungsmöglichkeiten, bevor der Golfkrieg am 16. Ja- Wenn selbst der Kollege Duve die Alternativlosig- nuar 1991 begonnen wurde, nicht ausgeschöpft wur- keit an der Stelle sieht und sagen muß: Notfalls muß den, eben militärisch gehandelt werden, dann wird, glaube ( [CDU/CSU]: Das war nicht die ich, deutlich, in welcher Situation wir uns hier befin- Frage!) den. also offensichtlich nicht genug darüber nachgedacht Niemand, so denke ich, darf sich künftig hinter der wurde, welche politischen Lösungsmöglichkeiten be- Formel von der Nichteinmischung in die inneren An- stehen. Aus meiner Sicht ist auf den Diktator Saddam gelegenheiten verstecken, wenn es um die Durchset- Hussein, dessen Absetzung durch das irakische und zung von Menschenrechten geht. Menschenrechte — kurdische Volk wir durchaus begrüßen würden, bei- das ist ein großes Wort. spielsweise auch von den Bündnispartnern der Türkei Wir haben viel von der Hilfe für die Flüchtlinge etc. nach wie vor nicht genug Druck ausgeübt wor- geredet. Dies ist notwendig. Sie erfolgt, so meine ich, den, um zu einer Lösung dieses Problems zu kommen. in einem beachtlich großen und auch großzügigen Das ist meine Auffassung. Ausmaß. Dies gilt nicht zuletzt für die Leistungen der Ich darf meine Ausführungen beenden. Wir wehren Bundesrepublik. Der Dank ist ausgesprochen worden, uns gegen die Ansicht, daß die Erste Welt wiederum wohlerwogen und überzeugend. Die Bundesregie- autorisiert sein soll, die Probleme anderer Völker zu rung, die Bundeswehr und alle, die unter widrigen lösen. Es ist eine Angelegenheit der Kurden selbst. Umständen dort beteiligt sind und sich engagieren, Das, was die Weltöffentlichkeit zu schaffen hat, ist, haben unseren Dank verdient. eine friedliche, demokratische und gerechte Lösung Sicher, meine Damen und Herren, erwarten wir alle durch eine Unterstützung des kurdischen Volkes zu vom Iran und von der Türkei, daß sie Flüchtlinge — ermöglichen. Wie diese Lösung im einzelnen gestaltet zumindest vorübergehend aufnehmen. Wir sehen wird, wird auch von den jeweiligen nationalen Gege- darin sicher eine Verpflichtung. Gleichwohl ist es im benheiten der Länder abhängen, in denen die Kurden Hinblick auf die besondere Lage dieser Länder keine leben. Der einzig gangbare Weg sind Verhandlungen, Selbstverständlichkeit. Ob wir nun bitten oder for- an denen alle betroffenen Seiten, also auch die jewei- dern: Wir sollten die besonderen Bedingungen dieser ligen Vertreter der Kurdinnen und Kurden beteiligt Länder nicht aus dem Auge verlieren und uns selber werden. deutlich machen, daß wir zur Mithilfe und zur Unter- Die Bundesregierung muß sich neben der erforder- stützung bereit sein müssen. Wir können diese beiden lichen humanitären Hilfe dafür einsetzen, daß das Länder nicht allein lassen. Kurdenproblem im Rahmen einer anstehenden Meine Damen und Herren, wir bestehen in der Re- Nahostfriedenskonferenz explizit gelöst wird und/ solution auf dem Rückkehrrecht der Kurden, auf der oder eine internationale Konferenz zur Lage der Kur- Einrichtung von Sicherheitszonen und auf die Fort- den und über die mögliche Lösung der Kurdenfrage führung der Embargomaßnahmen bis zur Gewährlei- zwischen den Ländern der Region unter Beteiligung stung von Minderheitenrechten. 1264 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991

Heinrich Lummer Ich denke, jede Resolution, die hinter diesen Forde- ten. Dies sollten wir beachten und zukünftig nicht rungen zurückbliebe, würde dem Thema nicht ge- mehr aus dem Auge verlieren. recht. Dem nach allgemeiner Meinung gewonnenen Dies sollten aber insbesondere die Machthaber im Krieg darf nun nicht ein verlorener Frieden folgen. Ein Irak bedenken, wenn sie z. B. die Frage zu prüfen Versagen jetzt würde nicht nur den Erfolg des Krieges haben, ob sie die Einrichtung von Sicherheitszonen oder den Prestigegewinn, den manche Politiker erzielt gestatten oder nicht. Noch ist nicht endgültig darüber haben, in Frage stellen, sondern Fragen nach der entschieden, ob sie dieses zulassen. Klar ist aber: Dies Glaubwürdigkeit, der Rechtfertigung und der Legiti- ist eine Einschränkung der staatlichen Souveränität mation des gesamten Golfeinsatzes aufwerfen. des Irak. Sie ist nach unserem Dafürhalten unver- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) meidbar; sie ist auch legitimiert. Zur Rückkehr der Kurden in ihre Heimat bei Beachtung der Minderhei- Das dürfen und wollen wir uns, denke ich, nicht lei- tenrechte sollte es keine Alternative geben. sten. Jedenfalls hat schon jetzt das, was man Sieg Wir sollten aber auch sagen: Wenn der Staat diese nannte, einen verdammt faden Beigeschmack bekom- Minderheitenrechte beachtet, sollten auch die Kurden- men. bereit sein, bei der Durchsetzung weitergehender Wir stellen, meine Damen und Herren, in der Reso- Forderungen auf Gewalt zu verzichten. lution fest: Die Erhebung der Kurden und der Schii- Notwendig ist dort der Dialog zwischen den Grup- ten gegen die Diktatur Saddam Husseins ist geschei- pen. Von unserer Seite aus ist es heute notwendig, die tert. Es ist derzeit schwer auszumachen, auf welcher Voraussetzungen dafür zu schaffen. Seite wie große Fehleinschätzungen oder falsche Ein Staat, so meine ich jedenfalls, der diese Rechte Hoffnungen vorhanden waren. beachtet, wird auch einen höheren Grad innerer Sta- Kurden und Schiiten mögen ebenso wie andere ge- bilität gewinnen. So hat es sich immer wieder erwie- meint haben, für eine Beseitigung des Dikta- sen, daß Gesellschaften, die zum Dialog fähig sind, ein tors sei gekommen. Sie haben es versucht. Mit ihrer höheres Maß an Stabilität aufweisen als solche, wo gewollten Begrenzung der Kriegsziele war die Politik Minderheiten unterdrückt werden. Dies müßten auch der Alliierten jedenfalls in einer schwierigen Situa- Menschen, die einigermaßen Vernunft haben, im Irak tion. Die Bewahrung der staatlichen Identität des Irak begreifen. Dies gilt jedenfalls für den Irak, aber auch bedeutet heute in der Praxis ganz offenbar die Erhal- für andere Staaten, und wir werden uns mit diesem tung des Diktators. Die Kräfte im Inneren reichten bis- Thema in der Zukunft öfter zu beschäftigen haben. her offenbar nicht aus, sich vom Diktator zu befreien. Eine neue Weltordnung, von der hier oft die Rede Andererseits hätte die Befreiung vom Diktator mögli- war, wird jedenfalls letztendlich nur dann kommen cherweise eine Auflösung des Irak zur Folge. Das Di- und nur dann Bestand haben, wenn sie auf der Aner- lemma ist offenkundig. Die Frage bleibt: Kann man kennung des Völkerrechts inklusive der Menschen- denn beides haben: die Erhaltung des Irak als eines rechte basiert. Dies, meine ich, ist eine wichtige Er- regionalen Ordnungsfaktors, aber das ohne Saddam kenntnis. Hussein? Was bleibt uns? Paul Claudel hat einmal in dem Ich denke, das ist möglich. Aber zur Zeit sehen wir „Seidenen Schuh" angesichts eines Kranken die jedenfalls nicht die Möglichkeiten, dieses Ziel unmit- Frage gestellt: Wer tut mehr für den Kranken, der telbar zu erreichen. Arzt, der Nahestehende, der dem Kranken im Fieber die Hand hält und ihm hilft, soweit ihm das persönlich Meine Damen und Herren, mit Befriedigung kön- möglich ist, oder der Weltenbummler, der irgendwo in nen wir feststellen, daß verbrieftes und geltendes China die China-Wurzel entdeckt und generell in der Recht nun in einem größeren Umfang praktisch Lage ist, das Fieber zu senken? durchgesetzt wird. In der Resolution 688 des Sicher- heitsrates wird eindeutig festgestellt, daß die Unter- Wir haben hier keine Alternative. Wir müssen bei- drückung und Vertreibung irakischer Kurden eine des tun: Wir müssen den Flüchtlingen unmittelbar Gefährdung des internationalen Friedens und der Si- helfen, und wir müssen dafür sorgen, daß dieses cherheit in der Region darstellt. Das ist begrifflich Symptom in der Zukunft nicht wieder auftritt, indem jenes, was die Charta der Vereinten Nationen im wir das Völkerrecht, insbesondere die Menschen- VII. Kapitel als Voraussetzung für den Eingriff der rechte durchsetzen. Vereinten Nationen ansieht. Dies ist diesmal nicht auf Ich denke, wir sind hier trotz all der Not, die hinrei- Grenzen bezogen — wie wir gehört haben — , sondern chend beschrieben worden ist, bei der Durchsetzung auf Menschenrechte. einen Schritt weitergekommen. Auch in der Resolution 678 werden die Mitglied- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — staaten ermächtigt, alle erforderlichen Mittel einzu- Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Heute setzen, um den Frieden und die Sicherheit in dem waren Sie mit Ihrer Rede „Runder-Tisch"- Gebiet wiederherzustellen. fähig!) Ich denke jedenfalls, die Vereinten Nationen haben insgesamt eine Möglichkeit geschaffen, unbeschadet Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der der Formel von der Nichteinmischung in die inneren Abgeordnete Gerd Poppe. Angelegenheiten tätig zu werden, wenn ein Land etwa die Menschenrechtspakte oder die Völker mordkonvention verletzt. Dies ist ein nennenswerter Gerd Poppe (Bündnis 90/GRÜNE): Frau Präsiden- Fortschritt bei der Durchsetzung von Menschenrech- tin! Meine Damen und Herren! Der von den Fraktio- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1265

Gerd Poppe nen der CDU/CSU, SPD und FDP vorgelegte Ent- Wenn Europäer und Amerikaner das nicht anerken- schließungsantrag enthält eine ganze Reihe von For- nen, werden sie wie bisher immer nur dann reagieren, mulierungen, denen das Bündnis 90/DIE GRÜNEN wenn die Katastrophe wieder einmal über das kurdi- zustimmen. Jedoch hat der Antrag auch einen erheb- sche Volk hereingebrochen ist, und ansonsten auf die lichen Mangel: Politische Wege, die zu einer gerech- bekannte Weise schweigen: ohne Katastrophe kein ten und friedlichen Lösung für das kurdische Volk Kurdenproblem, also kein Handlungsbedarf. führen können, zeigt er nicht oder nur andeutungs- Wir sind für die Aufrechterhaltung des Embargos. weise auf. In wesentlichen Fragen beschränkt er sich Es sollte so lange bestehenbleiben, bis ein Rückkehr- auf verbale Bekundungen, die eher zu unserer Beru- recht für die Flüchtlinge in die von ihnen beanspruch- higung dienen, als daß sie tatsächlich Hoffnungen bei ten Wohngebiete im Irak unter dem Schutz von UNO dem vom Genozid bedrohten Volk erwecken kön- Friedenstruppen mit friedlichen und diplomatischen nen. Mitteln durchgesetzt worden ist. Deshalb haben wir zwei eigene Entschließungsan- (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE) träge gestellt. Zum einen geht es um die Verbesse- Vor allem aber müssen die Kurden selbst von ihrer- rung der Hilfsaktionen. Wir begrüßen ausdrücklich Rückkehrmöglichkeit überzeugt sein. Dazu genügt es die Aufstockung der Mittel auf über 400 Millionen nicht, Minderheitenrechte und kulturelle Autonomie DM. Was aber nützt die großzügigste Hilfe, wenn sie für sie zu fordern. Es genügt auch nicht, über die Kur- bei den Betroffenen nicht oder zu spät ankommt? den zu sprechen, wie das alle Regierungen zur Zeit tun, sondern es ist vor allem nötig, mit ihnen zu spre- Es dürfte allgemein bekannt sein, daß weder die chen. Nur wenn wir mit ihnen sprechen, können wir türkische noch die iranische Regierung Freunde der auch glaubhaft über und für sie sprechen. Kurden sind. Während der Bundesaußenminister tele- fonisch Appelle an beide Regierungen richtet, sterben Die Bundesregierung könnte solche Gespräche an- weiter Flüchtlinge an Hunger, Kälte oder Erschöp- bieten, z. B. darüber, welche Garantien für die Rück- fung. Schnellere und effektivere Hilfeleistungen sind kehr und welche Selbstverwaltungsstrukturen auf dringend erforderlich. Eine Koordinierung und Kon- welche Weise aufgebaut und unterstützt und auf wel- trolle seitens der UNO wäre erstrebenswert. Solange chem Wege Schritte zur kulturellen, politischen und dies nicht geschieht, ist ein sofortiges unbürokrati- wirtschaftlichen Selbstbestimmung gegangen wer- sches und unkonventionelles Handeln erforderlich. den könnten. Die Bundesregierung sollte sich auch dafür einset- Zur Verteilung der Hilfsmittel sollten alle denkba- zen, daß Vertreterinnen und Vertreter des kurdischen ren Wege beschritten werden, insbesondere auch un- Volkes ihre Forderungen bei der UNO stellen und ter Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen, begründen können und daß schnellstmöglich eine die zum Teil längst mit Hilfskomitees und Menschen- Nahost-Friedenskonferenz auch mit kurdischer Betei- rechtsvereinen vor Ort zusammenarbeiten. Das würde ligung zustande kommt. die Hilfsaktionen beschleunigen und sicherstellen, So entscheidend die humanitäre Hilfe in der akuten daß die Lieferungen auch zu den Flüchtlingen gelan- Situation ist, so wichtig ist es auch, den Völkermord gen. durch geeignete politische Initiativen für alle Zeiten Diesem Ziel könnten auch wir als Abgeordnete die- zu verhindern. Das ist Einmischung in eigene Angele- nen: 662mal könnten Hilfsaktionen der Bundesrepu- genheiten, und wir sollten uns durch niemanden da- blik oder der EG bis zur Auslieferung der bereitge- von abhalten lassen. stellten Mittel begleitet werden, wenn jede und jeder (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei von uns dazu einmal bereit ist. Abgeordneten der PDS/Linke Liste) Es geht aber nicht nur um die direkte humanitäre Hilfe, sondern gleichzeitig und mit gleicher Intensität Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat ab- um die Suche nach einem erfolgversprechenden poli- schließend die Abgeordnete Katrin Fuchs. tischen Weg. Die EG fordert die Aufrechterhaltung der Sanktionen gegen den Irak mit dem Ziel der Durchsetzung von Schutzzonen für die Flüchtlinge Katrin Fuchs (Verl) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe und von Minderheitenrechten. Doch welche Schutz- Kollegen! Liebe Kolleginnen! Eine Ihrer Forderungen, zonen sind das? Es handelt sich überwiegend um jene Frau Kollegin Lederer, ist bereits erfüllt: Die Obleute auf Betreiben vom Saddam Hussein entvölkerten Ge- der SPD, der CDU/CSU und FDP im Auswärtigen biete, in denen es keine Dörfer mehr gibt und in denen Ausschuß haben heute vormittag beschlossen, daß sogar die Brunnen zubetoniert wurden. Es handelt eine Delegation des Unterausschusses für Menschen- sich um felsige Gebirgsgegenden in einer Höhe von rechte in den Irak, in den Iran und in die Türkei fahren 2 000 bis 3 800 m. wird. Ich denke, das begrüßen wir alle inständig. (Zustimmung bei der PDS/Linke Liste) Und um welche Minderheit geht es eigentlich? Es geht um ein Volk von über 20 Millionen Menschen, Die Debatte hat gezeigt, Kollegen und Kolleginnen, das drittgrößte Volk im Nahen Osten, ein Volk, das daß alle in diesem Hause mit Entsetzen das brutale wie jedes andere das Recht auf Selbstbestimmung hat und menschenverachtende Vorgehen des Regimes und letztlich nur selbst entscheiden kann, ob es dieses von Saddam Hussein verurteilen, das er gegenüber Recht im Rahmen von autonomen Regionen oder in- dem kurdischen Volk gezeigt hat. nerhalb einer Föderation oder auf andere Weise wahr- Wir sind uns auch völlig darüber einig, daß mit nimmt. einem solchen Vorgehen der Tatbestand des Völker- 1266 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991

Katrin Fuchs (Verl) mordes erfüllt ist und daß das nie und nimmer die chen. Der geringste Vorwurf, den wir dafür einstek- Angelegenheit eines Volkes allein sein kann. Völker- ken mußten, war der weltfremder Blauäugigkeit. mord muß jede verantwortungsbewußte Regierung Auf einmal ist man bereit, der Wirksamkeit von und die Weltgemeinschaft auf den Plan rufen. Gerade Sanktionen zu vertrauen. „Eine Aufhebung der Em- wir Deutschen wissen dies aus eigener Geschichte. bargomaßnahmen gegenüber dem Irak muß so lange Das Dringendste ist jetzt rasche Hilfe — das ist rich- ausgesetzt werden," — so heißt es in unserem fast tig — für die halbe Million Menschen, die im Gebirge gemeinsamen Antrag — „bis die Sicherheit der ver- frieren und hungern. Immer noch läßt die türkische folgten Minderheiten im Irak gewährleistet ist. " Regierung kaum Flüchtlinge in die Täler hinunter. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich halte diese Hilfsmaßnahmen werden eher behindert als geför- Position für richtig; ich plädiere nicht für einen neuen dert. Dabei sterben täglich nahezu 1 000 Menschen in Militäreinsatz. den Bergen. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Klären Sie Ich unterstreiche das, was der Kollege Duve gesagt das aber mal mit Herrn Duve!) hat: Wir müssen unseren Bündnispartner Türkei drin- gend auffordern, endlich zu tun, was ständig verspro- Aber diese Position war auch schon vorher richtig, und chen wird, nämlich die Menschen in die Täler zu las- ihre Anwendung hätte nicht zuletzt vielen Tausenden sen, wo internationale Hilfe sie erreichen kann und Kurden das Leben gerettet. wo sie eine Überlebenschance haben. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sie müs- Natürlich müssen wir die Türkei dabei rasch und sen mal mit Herrn Duve reden!) wirkungsvoll unterstützen. Es ist gut und in Ordnung, Nach wie vor finde ich es mehr als befremdlich, daß daß die Bundesrepublik Deutschland ihre Hilfsmittel die Waffenstillstandsresolution der Vereinten Natio- um mehr als 250 Millionen DM aufstockt, allerdings nen die Kurden mit keinem Wort erwähnt. Die Reso- erst jetzt, wo täglich Hunderte umkommen. lution 688 stellt umfangreiche Forderungen an den (Bundesminister Hans-Dietrich Genscher: Irak, darunter die, keine Akte des internationalen Ter- 415 Millionen DM!) rors zu begehen oder zu unterstützen. Daß aber in diesem Zusammenhang der völkerrechtswidrige in- — Auch wenn es 415 Millionen DM sind, Herr Außen- nere Terror völlig ausgespart wird, ist schon fast minister, zynisch. Dabei wäre das die Gelegenheit gewesen, (Bundesminister Hans-Dietrich Genscher: Garantien für ein Überleben der Kurden im Irak und Aber immerhin!) unter der Aufsicht der UNO zu erwirken. Diese Chance ist nun verspielt. Diejenigen, die dafür verant- werden dennoch die Menschen in den Bergen an den wortlich sind, müssen sich die Frage nach der doppel- türkischen und iranischen Grenzen fragen, warum die ten Moral gefallen lassen. Deutschen und andere für den Krieg, der Leben und Natur zerstört, so schnell so viel mobilisieren konnten, (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ warum sie aber für die Rettung von Menschenleben GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ und für das Verhindern dieses entsetzlichen Elends Linke Liste) nur einen Bruchteil dieser Milliarden aufbringen. Fragen können der Weltgemeinschaft als Ganzer (Beifall bei der SPD) nicht erspart bleiben. Der Sicherheitsrat konnte sich erst spät zu einer Resolution durchringen, die den Irak Heute hören wir, daß die Mitglieder der Allianz gerade einmal auffordert, die Unterdrückung zu be- gegen den Irak Auffanglager für Flüchtlinge im Nord- enden, und die die Hoffnung auf einen — man glaubt irak errichten wollen. Das ist gut. Noch besser fände es kaum — offenen Dialog ausdrückt. ich es, wenn entsprechend dem Vorschlag der EG Schutzzonen im Irak eingerichtet würden, in denen (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein) den Kurden ein Leben in Sicherheit garantiert wird. Ich weiß nicht, was Kurden bei einem solchen Satz Diese Garantie müssen die Vereinten Nationen über- empfinden müssen, in dem sie aufgefordert werden, nehmen. einen offenen Dialog mit ihrem Henker zu führen. Alle Bereitschaft zur Hilfe kann nicht vergessen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) machen, daß Auslöser für die jetzige Katastrophe des kurdischen Volkes der Krieg am Golf war. Inhalt und Sprache der UN-Resolutionen im Falle Kuwaits waren völlig anders. „Alle notwendigen Mit- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tel" wurden damals freigegeben. Nach dem Willen der Alliierten sollte der Krieg Ku- Kollegen und Kolleginnen, die westlichen Gesell- wait befreien. Kuwait ist befreit. Aber das Land ist schaften halten sich auf ihr Prinzip der universellen eine ökologische Wüste; von 500 brennenden Ölquel- Gültigkeit der Menschenrechte viel zugute. Darauf len ist nur eine einzige gelöscht. Der Irak ist geschla- will der amerikanische Präsident nun eine neue Welt- gen, und Präsident Bush rief das irakische Volk auf, ordnung errichten. Die Befreiung Kuwaits sollte der den Diktator zu stürzen. Doch diejenigen, die seinem erste Schritt sein. Statt dessen herrscht Chaos in der Aufruf folgten, sind jetzt auf der Flucht und begraben Region, und Menschenrechte werden mit Füßen ge- ihre verhungerten Kinder in den Bergen. treten. Meine Fraktion war gegen den Krieg am Golf. Wir Kriege sind — im weitesten Sinne — zu teuer ge- wollten die Befreiung Kuwaits mit Sanktionen errei- worden, als daß die Menschheit sie sich weiter leisten Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991 1267

Katrin Fuchs (Verl) könnte. Wir brauchen unsere knappen Mittel für den Osten schicken. Das ist die Ausrüstung für den näch- Frieden, sten Krieg, und ich fürchte, wir Deutschen haben auch da wieder keine weiße Weste. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und beim Bündnis 90/GRÜNE) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste) der auch den Kurden die Rückkehr in ihre Wohnge- biete und die Perspektive eines dauerhaften friedli- Waffenexporte in diese Region müssen endgültig aufhören. Keine Nahostpolitik kommt an dieser bana- chen Lebens, einer dauerhaften friedlichen Existenz len Erkenntnis vorbei. Genauso, wie die Vereinten garantiert. Wir brauchen einen Frieden, der die Min- Nationen über das Völkerrecht zu wachen haben, derheitenrechte aller ethnischen und religiösen Grup- muß es in Zukunft ihre Aufgabe sein — das wäre mein pen in der Region in vollem Umfang wahrt. Diese Fra- Wunsch — , Rüstungsexporte zu unterbinden. Bis da- gen gehören auch auf die anzustrebende Nahost hin hindert uns heute nichts, hier als Bundesrepublik Friedenskonferenz. Wer dauerhaften Frieden für die Deutschland voranzugehen und von uns aus alle Rü- Region will, muß in diesem Zusammenhang auch über stungsexporte in Gebiete außerhalb des Bündnisses das israelisch-palästinensische Problem, über den Li- - zu verbieten. banon, die Abrüstung, die Wasser- und ökologischen Fragen und das Wohlstandsgefälle reden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste) Damit würden wir unserem Anspruch gerecht, daß von deutschem Boden nur Frieden ausgeht. Ich bin sehr dafür, daß an dieser Konferenz alle betrof- Der erste Schritt zu diesem Frieden für die Völker in fenen Gruppen, auch die Kurden, beteiligt werden. der Region des Nahen Ostens ist uneingeschränkt Eines möchte ich bei dieser Gelegenheit uns und das, was uns heute zusammenbringt: unverzügliche, anderen Industrienationen ins Stammbuch schreib en, umfassende, konkrete Hilfe für die geschundenen und das ist etwas, was wir tun können: Einen solchen Kurden diesseits und jenseits der irakischen Gren- Frieden werden wir nur erreichen, wenn wir mit der zen. jahrzehntelangen Praxis brechen, die Staaten in der (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Region bis an die Zähne aufzurüsten, um damit unsere beim Bündnis 90/GRÜNE) Interessen durchzusetzen. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste, Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Ausspra- beim Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Abge che. ordneten der FDP) Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- Ich bin dafür, daß Saddam Hussein für seine Kriegs- ßungsanträge. Wer dem Entschließungsantrag der verbrechen und den Völkermord vor ein internationa- Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP sowie des les Gericht gestellt wird, wie das der Außenminister Abgeordneten Konrad Weiß (Berlin) auf Drucksache vorgeschlagen hat. Ich bin allerdings auch dafür, daß 12/375 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein die deutsche Giftgasindustrie, die Waffenlieferanten, Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — die Profiteure des Todes, ohne die diese Verbrechen Der Entschließungsantrag ist bei Enthaltung der PDS/ überhaupt nicht möglich gewesen wären, auf die An- Linke Liste und des Bündnisses 90/GRÜNE angenom- klagebank kommen. men. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Wer stimmt dem Entschließungsantrag der Gruppe beim Bündnis 90/GRÜNE) PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/372 zu? — G egen- probe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag Nur der geringste Teil der Waffenexporte in die Re- ist unter Zustimmung der Abgeordneten der PDS/ gion war illegal, der größte Teil war hochoffiziell ge- Linke Liste und bei Enthaltungen einiger Abgeordne- nehmigt, ja sogar gefördert. Über 80 % davon gehen ter der SPD und des Bündnisses 90/DIE GRÜNEN ab- auf das Konto der ständigen Mitglieder des UN-Si- gelehnt. cherheitsrates. Auch daran müßte man sich einmal Wer stimmt für den Entschließungsantrag der erinnern. Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache (Freimut Duve [SPD]: 87 %!) 12/374? — Die Bundesrepublik Deutschland nimmt auf dieser (Abg. Freimut Duve [SPD] meldet sich zu Rangliste den „stolzen" sechsten Platz ein. Wenn wir Wort) Frieden wollen, muß mit diesem ewigen Kreislauf — Bitte, Herr Kollege Duve. Schluß sein, in dem wir die von uns aufgerüsteten Partner von gestern, die heute unsere Feinde sind, durch Krieg abrüsten, während sich ein neuer Waffen- Freimut Duve (SPD): Ist es möglich, zu unserem strom zu unseren heutigen Verbündeten ergießt, Ver- Abstimmungsverhalten eine Bemerkung zu ma- bündeten, die vielleicht schon morgen wieder unsere chen? Feinde sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Hans Klein: Bitte sehr. der PDS/Linke Liste) Es ist Wahnsinn, daß die Vereinigten Staaten jetzt Freimut Duve (SPD): Ich glaube, die Kollegen haben erneut Waffen für 18 Milliarden Dollar in den Nahen einen Anspruch darauf, daß wir unser Abstimmungs- 1268 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991

Freimut Duve verhalten bei einem Antrag zur humanitären Hilfe lungsverbesserungen für Beamte des mittleren tech- begründen. nischen und des gehobenen technischen Dienstes (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Nach der durch Festsetzung günstigerer Stellenobergrenzen, Abstimmung!) die Schaffung günstigerer Stellen und damit Bef örde- rungsverhältnisse für beamtete Sozialarbeiter und So- In dem zweiten Punkt des Entschließungsantrages zialpädagogen sowie die Einführung allgemeiner geht es darum, daß Bundestagsabgeordnete die Hilfs- Wechselschichtzulagen und Schichtzulagen. flugzeuge begleiten. Wir halten das für keinen guten Gedanken. Wir haben hier vor Ort andere Aufgaben. Der Gesetzentwurf sieht vor, die Erhöhungen für Deshalb wollen wir dem nicht zustimmen. Beamte, Richter, Soldaten und Versorgungsempfän- Der erste Punkt ist von Minister Blüm zugesagt wor- ger zwei Monate später, als es der Tarifabschluß für den. Arbeiter und Angestellte vorsieht, in Kraft treten zu lassen, also nicht zum 1. Januar 1991, sondern zum 1. März 1991. Damit soll der Tatsache Rechnung ge- Noch einmal: Wer stimmt Vizepräsident Hans Klein: tragen werden, daß Arbeiter und Angestellte durch für den Entschließungsantrag der Gruppe Bünd- die Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversiche- nis 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/374? — Ge- rung bei gleichzeitiger Senkung des Rentenversiche- genprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist bei Ent- rungsbeitrags in ihrem Nettoeinkommen im Gegen- haltungen der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der satz zu Beamten, Richtern, Soldaten und Versor- Antragsteller und einiger Stimmen von PDS/Linke Li- gungsempfängern betroffen sind. Die zwei Monate ste abgelehnt. spätere Inkraftsetzung der Erhöhung soll ausglei- Der Entschließungsantrag der Gruppe Bündnis 90/ chen, daß die Erhöhung des Arbeitslosenversiche- DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/373 soll an den Aus- rungsbeitrags ja nicht nur für das Jahr 1991, sondern wärtigen Ausschuß überwiesen werden. Sind Sie da- darüber hinaus die Nettoeinkommen von Angestell- mit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. ten und Arbeitern belastet. Sie ist insoweit ein adä- Dann ist so beschlossen. quates Äquivalent für die Verringerung der Nettoein- kommen der Arbeiter und Angestellten. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Wir haben intensiv über die Frage diskutiert, ob wir Befragung der Bundesregierung diese Verschiebung auch für die Versorgungsemp- Die Bundesregierung hat mitgeteilt, daß sich das fänger im Gesetzentwurf vorschlagen sollen. Dafür Kabinett u. a. mit dem Gesetzentwurf über die Anpas- spricht zunächst einmal § 70 des Beamtenversor- sung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund gungsgesetzes, der davon ausgeht, daß bei allgemei- und Ländern sowie mit dem Bericht der Bundesregie- ner Erhöhung der Dienstbezüge die Versorgungsbe- rung zur Frage weiterer Maßnahmen der Frauenför- züge von demselben Zeitpunkt an entsprechend zu derung in Beruf, Familie und anderen Bereichen be- regeln sind, von dem wir also abweichen müßten, faßt hat. wenn wir für Versorungsempfänger einen anderen Ich darf Sie daran erinnern, daß nach unseren Re- Zeitpunkt wählen wollten. Dagegen spricht insbeson- geln im Anschluß an diese Thematik auch Fragen zu dere das Argument, daß die Bezieher von Renten anderen Bereichen gestellt werden können. durch die Erhöhung der Arbeitslosenversicherungs- Die Bundesregierung hat außerdem mitgeteilt, daß beiträge im Jahre 1991 nicht, wohl aber durch die Net- der Bundesminister des Innern berichten wird. Das toformel der Rentenanpassung ab 1992 betroffen Wort hat Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble. sind. Bei den Versorgungsempfängern hat die Bundesre- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: gierung ferner vor allen Dingen erwogen, diskutiert Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun- und dazu auch einen Vorschlag gemacht, den ich vor- desregierung hat heute den Entwurf des Besoldungs- tragen möchte, daß wir strukturelle Verbesserungen und Versorgungsanpassungsgesetzes 1991 beschlos- in der Beamtenbesoldung auf die Versorgungsemp- sen. fänger so nicht übertragen können. Diesem Problem Mit diesem Gesetzentwurf soll das Ergebnis der hatte der Anpassungszuschlag für Versorgungsemp- Tarifverhandlungen vom 16. März 1991 mit demsel- fänger bis 1984 Rechnung getragen, der 1984 abge- ben Erhöhungssatz von 6,0 % für Beamte, Richter, Sol- schafft worden ist. daten und Versorgungsempfänger übernommen wer- Die Bundesregierung hat heute beschlossen, dem den. Gleichzeitig sollen eine Reihe von im Tarifbe- Parlament, dem Gesetzgeber, vorzuschlagen, den An- reich vereinbarten zusätzlichen strukturellen Verbes- passungszuschlag mit Wirkung ab 1993 wieder einzu- serungen möglichst gleichwertig im Besoldungsbe- führen. Sie hat zugleich beschlossen, dem Gesetzge- reich übernommen werden; möglichst gleichwertig ber vorzuschlagen, als Vorgriff auf die Wiedereinfüh- deswegen, weil sich die Bezahlungsstrukturen im Ta- rung des Anpassungszuschlages für Versorgungs- rifbereich nicht völlig mit den Besoldungsstrukturen empfänger generell im Laufe der Gesetzgebung zum vergleichen lassen, also nicht völlig deckungsgleich Besoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetz 1991 sind. die strukturellen Verbesserungen in der Besoldungs- Der Gesetzentwurf enthält dazu vor allem Regelun- anpassung 1990 mit 0,4 % als einem ersten Schritt zum gen über die Verbesserung der Beförderungsmöglich- Anpassungszuschlag, in diese Gesetzgebung einzu- keiten für Beamte des einfachen Dienstes durch Er- beziehen. Wir werden dem Bundestag während der weiterung des höchstzulässigen Anteiles der Planstel- Gesetzesberatungen entsprechende Formulierungs- len im Spitzenamt A 5 plus Amtszulage, ferner Bezah- vorschläge vorlegen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1269

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble Also noch einmal: Wir schlagen vor, den Anpas- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Hirsch. sungszuschlag ab 1993 generell wieder einzuführen und im Vorgriff auf die generelle Wiedereinführung Dr. Burkhard Hirsch (FDP) : Herr Minister, es ist viel- bereits jetzt im Rahmen der Besoldungs- und Versor- leicht nur ein kleiner Unterschied, aber ist es nicht so, gungsanpassung 1991 einen begrenzten Schritt mit daß die Frage des Kollegen Graf deswegen an dem einem Anpassungszuschlag zu tun, der den struktu- eigentlichen Problem vorbeigeht, weil es hier nicht rellen Teil der Besoldungsrunde 1990 mit 0,4 To zu- um Opfer, sondern darum geht, die Entwicklung der gunsten der Versorgungsempfänger ausgleichen Beamtengehälter der allgemeinen Nettoeinkom- soll. mensentwicklung anzupassen und daß insofern Ich denke, daß mit diesem Wiedereinstieg in das — bezogen auf die Tarifabschläge — bestimmte Ver- strukturelle Problem der Versorgungsbezüge von der änderungen notwendig sind? Dabei bedaure ich per- Bundesregierung die richtige Maßnahme beschlossen sönlich, daß Sie eine zeitliche Verzögerung auch bei worden ist, um den generellen Gleichklang zwischen Versorgungsempfängern vorschlagen. Aber der aktiven Beamten, Richtern, Soldaten und Versor- Punkt ist doch, daß es sich nicht um ein Opfer, sondern gungsempfängern in der Entwicklung der Bezüge si- darum handelt, die Entwicklung der Beamtengehälter cherzustellen. Ich wäre dem Hohen Hause dankbar, der allgemeinen Entwicklung der Nettoeinkommen wenn der Gesetzentwurf mit dieser Ergänzung von anzupassen. ihm zügig beschlossen werden könnte, so daß er zeit- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Aber aus der nah in Kraft gesetzt werden kann. Sicht der Betroffenen vielleicht doch!)

Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister. Vizepräsident Hans Klein: Vielen Dank, Herr Bun- desminister. Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: Ich bitte, zunächst Fragen zu diesem Themenbe- Herr Kollege Hirsch, wir haben uns ja im deutschen reich zu stellen. Sprachgebrauch in den letzten Jahren zu mancherlei Höhepunkten durchgerungen. In der Tat, ich finde, daß eine Besoldungserhöhung von 6 % den Begriff Günter Graf (SPD): Im Vorfeld der Diskussion um „Opfer" etwas strapaziert. Aber wenn es ein Beitrag Abgaben wurde ja von einem „Sonderopfer der ist, um die Opferbereitschaft aller Kreise der Bevölke- Beamten" gesprochen. Durch die heute erfolgte Ver- abschiedung des Besoldungsanpassungsgesetzes ha- rung auf diese Weise weiter zu ermuntern, habe ich ben Sie nunmehr klargestellt, wie der Beitrag der Be- gar nichts dagegen, wenn man auch dies noch als amten aussehen soll. Ich frage mich allerdings unter „Opfer" erfaßt. dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit — dazu habe Ich will aber doch noch einmal — zu Ihrem Be- ich nichts gehört — , wie die anderen Gruppen — ich dauern, Herr Kollege Hirsch — sagen: Ich glaube, daß nenne nur einmal die Freiberufler — in dieser Situa- bei der Wahl zwischen den beiden Alternativen, die tion eigentlich erfaßt werden sollen. Wie sieht eigent- uns zur Verfügung standen, nämlich für Versorgungs- lich deren Opfer, das aufzubringen wäre, aus? Darauf empfänger — im Gegensatz zu den aktiven Beam- hätte ich gerne eine Antwort. ten — die Erhöhung zum 1. Januar in Kraft zu setzen oder über die Wiedereinführung des Anpassungs- zuschlags die strukturelle Auseinanderentwicklung Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister. der Versorgungsbezüge und der Bezüge der aktiven Beamten in Angriff zu nehmen, die Alternative, für die Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: sich die Bundesregierung auf meinen Vorschlag ent- Herr Präsident! Herr Kollege Graf, es liegt in der Natur schieden hat, die richtige ist. Ich halte sie, auch wenn eines Gesetzentwurfes zur Besoldungs- und Versor- sie auf meinen Vorschlag hin gewählt worden ist, für gungsanpassung, daß sich dieser Gesetzentwurf eben die richtige. Ich hoffe insoweit auch auf Ihre Zustim- nur mit Beamten, Richtern, Soldaten und Versor- mung und Unterstützung. gungsempfängern, also nicht mit gewerblichen Ar- beitnehmern, nicht mit Landwirten, nicht mit Haus- Vizepräsident Hans Klein: Eine weitere Frage, Frau frauen, auch nicht mit Angehörigen freier Berufe be- Kollegin Schmidt. schäftigen kann. Insofern kann der Gesetzentwurf auf Ihre Frage keine Antwort geben. Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD): Herr Bundesin- nenminister, bei dieser Besoldungserhöhung werden Aber ich denke, daß die Bundesregierung mit den eine Reihe von begrüßenswerten Verbesserungen im Maßnahmen die sie — insbesondere im Bereich technischen Dienst bei Post und Bundesbahn vorge- steuerpolitischer Maßnahmen — insgesamt beschlos- nommen. Diese Verbesserungen wären beim nicht- sen hat, die Finanzierungslasten, die sich uns durch technischen Dienst mindestens genauso notwendig. den Golfkrieg, durch unsere Hilfe im humanitären Sie sollen aber dort nicht wirksam werden. Damit wer- Bereich, durch unsere Hilfe für Ost- und Südosteu- den in meinen Augen die unteren und mittleren Ein- ropa, aber auch im Zusammenhang mit der Vollen- kommensgruppen dort zweimal getroffen, einmal dung der Deutschen Einheit, der Schaffung einheitli- durch die Verschiebung, wie sie gerade geäußert wor- cher Lebensverhältnisse stellen, insgesamt ausgewo- den ist, und dann durch das Ausbleiben der notwen- gen auf alle Bevölkerungsgruppen verteilt hat. digen strukturellen Verbesserungen. Was ist der Bei diesem Gesetzentwurf ging es um eine ver- Grund dafür? gleichbare Berücksichtigung aller Statusgruppen im öffentlichen Dienst, also Arbeiter, Angestellte, Be- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: amte, Richter, Soldaten und Versorgungsempfänger. Zunächst einmal, Frau Kollegin Schmidt, gibt es auch 1270 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble für die Angehörigen des nichttechnischen Dienstes Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Frauen Verbesserungen. Ich habe die verbesserten Beförde- und Jugend: Ich bin von der SPD-Fraktion gebeten rungsmöglichkeiten im einfachen Dienst durch Erwei- worden, von mir aus zu berichten, um einige Fragen terung des Anteils der Planstellen im Spitzenamt A 5 vorwegzunehmen. m. Z. erwähnt. Ich habe die Wechselschicht- und Das Kabinett hat heute einen Bericht zur Frage der Schichtzulagen angesprochen, die keineswegs auf Frauenförderung in Beruf, Familie und anderen Berei- den technischen Dienst beschränkt sind, und auch chen beschlossen. Dieser Bericht wurde auf Beschluß von den günstigeren Stellen- und Beförderungsver- des Deutschen Bundestages vom Sommer vorigen hältnissen für beamtete Sozialarbeiter und Sozialpäd- Jahres angefertigt. In diesem Beschluß des Bundesta- agogen gesprochen. Auch die gehören nicht zum ges war nach zehn verschiedenen Punkten zur technischen Dienst. Frauenförderung gefragt. Ich werde zu den wichtig- Generell halten wir uns mit dem Besoldungs- und sten Themen Stellung nehmen. Versorgungsanpassungsgesetz 1991 im wesentlichen Am 25. September des letzten Jahres wurde die an die Vorgabe des Tarifabschlusses. Bei den Tarif- Frauenförderung mit einer Richtlinie zur Frauenför- verhandlungen, die am 16. März abgeschlossen wor- derung in der Bundesverwaltung wesentlich verbes- den sind, überwogen die linearen Verbesserungen sert. Darin werden z. B. die Personalverwaltungen — 6,0 To ist wirklich eine erhebliche lineare Steige- verpflichtet, Personalstatistiken über den jeweiligen rung — gegenüber dem Anteil an strukturellen Ver- Anteil von Männern und Frauen zu führen, auch bei besserungen. Denn in diesen Tarifverhandlungen ist Neueinstellungen. Sie werden aufgefordert, erhebli- von seiten der Vertreter der Arbeitnehmer die Priorität che Unterschiede zwischen den Anteilen jährlich mit- stark auf die lineare Erhöhung gelegt worden. Ich zuteilen und zu begründen. Außerdem werden durch hätte mir in den Verhandlungen einen größeren An- diese Richtlinie die obersten Dienstbehörden ver- teil an strukturellen Verbesserungen und dafür eine pflichtet, Frauenbeauftragte zu bestellen. Diese Richt- etwas geringere lineare Erhöhung sehr wohl vorstel- linie enthält auch wesentliche Verbesserungen bei len können. Aber ein Abschluß in dieser Richtung war der Teilzeitarbeit. nicht zu erzielen. Das ist der Grund, warum die Rege- lungen in diesem Gesetzentwurf so sind, wie ich sie Alle diese Richtlinien werden im Rahmen des vorhin vorgetragen habe. Gleichberechtigungsgesetzes, das auf Grund eines Auftrages aus den Koalitionsvereinbarungen an das Ministerium für Frauen und Jugend zu erstellen ist, Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Frau Kolle- eine gesetzliche Grundlage finden. Darüber werden gin Schmidt. wir in den nächsten Monaten zu debattieren haben. Die Bundesregierung unterstreicht das auch in ihrem Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD): Ich verstehe es Bericht, und sie weist darauf hin, daß sie damit auch jetzt vielleicht nicht ganz. Ich habe mich weniger nach dem Auftrag aus Art. 31 des Einigungsvertrages, die Sozialpädagogen erkundigt, sondern mehr nach dem gesetzlichen Grundlagen für die Gleichberechtigung nichttechnischen Dienst bei Bundesbahn und Bundes- von Mann und Frau im Berufsleben zu verbessern, post. Das, was ich hier einbringe, ist eine Forderung nachkommen wird. der Gewerkschaften, die an den Verhandlungen be- Verbesserungen der Möglichkeiten der Teilzeitar- teiligt gewesen sind. Insoweit kann ich mir Hinde- beit werden, wie gesagt, ebenfalls Inhalt dieses Ge- rungsgründe, die strukturellen Verbesserungen auf setzes sein. Nichtsdestotrotz wird schon in dem Be- den nichttechnischen Bereich auszudehnen, im Mo- richt darauf hingewiesen, daß der öffentliche Dienst ment nicht ganz vorstellen. Ich hätte gerne gewußt, mit 18 % aller Beschäftigten eine Vorreiterrolle bei der wo in Ihren Augen diese Hinderungsgründe liegen. Teilzeitarbeit einnimmt und damit auch die Erfahrung gemacht hat, daß Teilzeitarbeit ein sinnvoller Beitrag Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern: zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf darstellt. Ich bitte um Nachsicht. Ich hatte in Ihrer ersten Inter- Ein weiterer Auftrag in dem Beschluß des Bundes- vention die Beschränkung auf Bahn und Post nicht tages war es, zu den Möglichkeiten der Kinderbetreu- gehört. Deswegen war meine Antwort etwas anders. ung Stellung zu nehmen. Hier wird noch einmal dar- Ich habe vom nichttechnischen Dienst allgemein ge- auf verwiesen, daß die Bundesregierung in dieser Le- sprochen. gislaturperiode den Rechtsanspruch auf einen Kinder- Generell ist es so — ich wiederhole das — daß wir gartenplatz durch Veränderung des Kinder- und Ju- außerhalb des Bereichs der Wechseldienst- und gendhilfegesetzes schaffen will. Sie weist auch darauf Schichtzulagen, die gerade auch für Bahn und Post hin, daß bereits jetzt im Steuerrecht notwendige Rege- relevant sind, für strukturelle Verbesserungen, die lungen enthalten sind, die es ermöglichen, daß Auf- über das im Tarifvertrag Vereinbarte hinausgehen, in wendungen für betriebseigene Sozialeinrichtungen dieser Besoldungsrunde keinen Raum sehen. Deswe- geltend gemacht werden können. gen haben wir uns auf die Maßnahmen wie vorgetra- Die Absicherung des Pflegerisikos wird in einem gen beschränkt. Gesetz verbessert werden, das bis zum 1. Juni 1992 vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Vizepräsident Hans Klein: Gibt es zu diesem The- vorzulegen sein wird. Darüber können zur Zeit keine menbereich weitere Fragen? — Das ist nicht der weitergehenden Aussagen gemacht werden. Fall. Es geht dann noch um die Frage steuerrechtlicher Dann kommen wir zum nächsten Thema der Kabi- Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeiten. Hier wird nettsitzung. darauf hingewiesen, daß auf Grund des Vereinsförde- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991 1271

Bundesministerin Dr. Angela Merkel rungsgesetzes von 1989 das Einkommensteuergesetz Gerlinde Hämmerle (SPD): Ich wollte nur die Schuld so erweitert worden ist, daß Aufwandsentschädigun- auf mich nehmen, Herr Präsident und die Frau Mini- gen für die nebenberufliche Pflege alter, kranker oder sterin daraus entlassen. Sie haben zu Recht festge- behinderter Menschen bis zur Höhe von insgesamt stellt, daß ich es war, die mit ihr verhandelt hat, was 2 400 DM im Jahr steuerfrei bleiben. ich vielleicht nicht gedurft hätte. Die Bundesregierung weist in ihrem Bericht darauf hin, daß es vielfältige Anstrengungen gibt, die Gleich- Vizepräsident Hans Klein: Ohne daß wir jetzt viel- berechtigung zwischen Frauen und Männern zu för- leicht ein Selbstgespräch führen wollen: Ich finde es dern, und daß diese durch gesetzliche Vorhaben sehr angenehm, daß wir eine solche Geschäftsord- — neben diesem Bericht, der mehr eine Analyse dar- nungsfrage in aller Ruhe, Freundschaft und mit allem stellt — in dieser Legislaturperiode vervollkommnet gegenseitigen Verständnis miteinander besprechen, werden sollen. — Soweit mein Bericht. aber wir wollen das auch nicht ausdehnen. Zur Sache, bitte sehr. Vizepräsident Hans Klein: Frau Bundesministerin, erlauben Sie mir einen kleinen Hinweis: Der Sinn die- Dr. Edith Niehuis (SPD): Ich bedanke mich aus- ser Regierungsbefragung ist, dem Parlament Gele- drücklich für den Bericht der Frau Ministerin. Ich genheit zu geben, sich über die Kabinettsitzung des denke, so etwas ist nötig, damit wir auch Bescheid Mittwoch zu informieren. Zu diesem Zweck trägt ein wissen, wie es in der Bundestagsverwaltung und in Kabinettsmitglied zu Beginn vor, und im übrigen wer- den Bundesbehörden aussieht. Ich denke aber, wir den Fragen beantwortet. Vielleicht könnten Sie einen müssen als Gesetzgeber auch darauf achten, daß wir, Hinweis an Ihr Parlamentsreferat geben, daß es unüb- soweit es möglich ist, auch in die freie Wirtschaft hin- lich ist, daß die Minister von sich aus dies hier zu einer ein wirken. Darum habe ich eine ganz konkrete Frage, Darstellung benutzen. Auf der anderen Seite, Frau wo Sie das Gleichberechtigungsgesetz erwähnt ha- Kollegin, haben Sie natürlich heute den Kolleginnen ben, das Sie immer ankündigen: Beabsichtigen Sie in und Kollegen auch einen Gefallen erwiesen, weil sie Ihrem Gleichberechtigungsgesetz auch eine Passage auf das Thema gar nicht so recht vorbereitet waren einzuführen, daß Bundesbehörden insbesondere je- und durch Ihren Bericht jetzt die Möglichkeit haben, nen Unternehmen öffentliche Aufträge geben wer- Fragen zu stellen. den, die in ihren Unternehmen speziell Frauenförde- Wenn ich es richtig sehe, ist der Kollege Penner der rung machen, vorausgesetzt Qualität des Angebo- erste, der das tun will. tes? Vorausgesetzt, das Angebot von Unternehmen ist Dr. Willfried Penner (SPD): Also, ich tue das ja un- gleich, und ein Unternehmen macht gute Frauenför- gern. derung, das andere macht keine Frauenförderung: Wird in Ihrem Gleichberechtigungsgesetz eine Pas- Vizepräsident Hans Klein: Dann laß es. sage sein, daß dieses frauenfördernde Unternehmen dann mit Aufträgen bevorzugt bedacht wird? (Heiterkeit) Die zweite Frage, Frau Ministerin, bezieht sich auf Ihren Besuch bei der Bundesanstalt für Arbeit, den Dr. Willfried Penner (SPD): Nein, ich tue es ungern, Sie gestern gemacht haben. Da bin ich ein wenig irri- zumal bei dir, Jonny. Aber: Herr Vizepräsident irren in tiert, da ich sehr intensiv Ihr Gemeinschaftswerk Auf- diesem Punkt. schwung Ost gelesen habe und nun erfahre, was Sie In diesem Teil der Regierungsbefragung ist es verlautbaren lassen. Ich habe das Gemeinschaftswerk Usance, daß die Bundesregierung zu dem Thema, daß Aufschwung Ost so verstanden, daß es die wesentli- sie anmeldet, jeweils kurz vorträgt. Als ein langjähri- che Zukunftsaufgabe der Bundesregierung ist, den ger, nicht langjähriger, aber als ein langzeitiger Besu- Aufbau im Osten zu vollziehen. Da haben wir moniert, cher dieser Regierungsbefragung, weiß ich, daß sich daß Sie dort die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im so etwas wie eine eingeschliffene Praxis ergeben hat. Gemeinschaftswerk Ost insbesondere auf den sozia- Das heißt also, Frau Ministerin hat es völlig richtig len Bereich bezogen haben. Ansonsten steht über gemacht — ebenso wie Herr Minister Schäuble —, Frauen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nichts und Herr Vizepräsident haben geirrt. drin. Nun sagen Sie nach Ihrem Besuch bei der Bun- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) desanstalt für Arbeit, es soll nicht nur auf den sozialen Bereich beschränkt bleiben. Vizepräsident Hans Klein: Als langjähriger Besu- Meine konkrete Frage: Wird das Gemeinschafts- cher dieser Veranstaltungen, Herr Kollege Penner, werk Aufschwung Ost dann auch so erweitert? sollten Sie wissen, daß die Amtsführung des Präsiden- Schließlich wird es in alle Lande versetzt, und das, was ten keiner Interpretation bedarf. Ich habe mich im Sie beabsichtigen mußten, soll auch fixiert werden, übrigen an den Wortlaut unserer uns selbst gegebe- damit es umgesetzt werden kann. nen Regeln gehalten und habe mir erlaubt, die Frau Das zweite ist: Im Moment sind 39, 1 % der Frauen Kollegin, die in dem Geschäft neu ist, darauf hinzu- in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die Arbeitslosig- weisen. Ich möchte auch nicht, daß sich diese Usance keit liegt bei 55 % im Osten. Sie haben in den Koali- einbürgert, denn das ist nicht der Sinn der Regie- tionsvereinbarungen die Quotierung — so nenne ich rungsbefragung. Aber wir wollen bitte, Frau Kollegin, es mal — gemäß dem Anteil der Frauen an der Zahl das nicht weiter vertiefen. der Erwerbslosen für Arbeitsbeschaffungs- und Fort- Ich stelle die Frage, ob zu diesem Bereich noch wei- bildungsmaßnahmen vorgesehen. Sie sind dort noch tere Wortmeldungen sind. sehr weit davon entfernt. Wird nun, nachdem Sie wohl 1272 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991

Dr. Edith Niehuis eine Vereinbarung zwischen Bundesanstalt für Arbeit werk Aufschwung Ost durchsetzen. Die dritte Mög- und Bundesregierung getroffen haben, das Gemein- lichkeit ist die Mitwirkung der Bundesregierung. schaftswerk Ost so verändert, daß diese Quotierung (Vorsitz: Vizepräsidentin Renate auch dort aufgenommen wird? Ich sehe nur dann die Schmidt) Chance, daß das auch wirklich umgesetzt wird, denn Um diese Möglichkeiten beizeiten zu nutzen, habe ich Ihr Arm reicht von Bonn nicht so weit, daß Sie nur zusätzlich diesen Besuch unternommen. durch eine Presseerklärung in die neuen Bundeslän- der hineinwirken können. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind für Frauen selbstverständlich nicht auf den sozialen Bereich be- Dritte Frage — — schränkt. Ich habe z. B. mit dem Verkehrsminister, dem Kollegen Krause, besprochen, daß man bei Stra- ßenbauprojekten für Verwaltungsaufgaben vorzugs- Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, Frau Kolle- weise Frauen einsetzen sollte. Ich denke, die Öffnung gin. Ich will hier nicht kleinlich erscheinen. In der auch für den sozialen Bereich gibt uns eine neue Regierungsbefragung gibt es eine Frage und eine Zu- Chance, Frauen bevorzugt in ABM-Arbeitsplätzen zu satzfrage. Sie haben bereits zwei Fragen gestellt und beschäftigen. diese zu einem, was die Länge anbetrifft, bedeuten- Zu der dritten Frage kam es nicht mehr. den Debattenbeitrag ausgeweitet. (Dr. Edith Niehuis (SPD): Aber ich habe eine Ich bitte um Verständnis, daß jetzt erst mal die Bun- Zusatzfrage!) desministerin Gelegenheit zu antworten haben muß. Bitte, Frau Bundesministerin. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Liebwerte Frau Kollegin, Sie haben keine Zusatzfrage mehr, weil Sie schon zwei Fragen gestellt haben. Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Frauen Ich darf fragen, ob es zu diesem Komplex weitere und Jugend: Ich denke, über das Gleichberechti- Wortmeldungen gibt. — Frau Barbe, Sie haben das gungsgesetz werden wir hier dann ausführlich disku- Wort. tieren, wenn der Gesetzentwurf vorliegt. Die Materi- alsammlung in unserem Hause ist schon im Gange. Angelika Barbe (SPD): Ich habe die Frage an die Der von Ihnen angeschnittene Punkt ist bisher nicht Ministerin: Welche Schlußfolgerung zieht die Bun- berücksichtigt. desregierung aus ihrer Beurteilung der Wirkung von Ich weiß nicht, ob das ein zentraler Punkt des Erziehungsgeld auf Frauen, die dieses Erziehungs- Gleichberechtigungsgesetzes sein sollte; ich glaube, geld sowie Erziehungsurlaub genommen haben und daß es in der Wirtschaft darauf ankommt, daß die dadurch Nachteile auf dem Arbeitsmarkt erleiden? Betriebe selber und freiwillig Frauenförderpläne an- Das war der Teil A der Frage. bieten. Das geschieht zum Teil auch. Ich glaube, die Der Teil B der Frage: Welche Schlußfolgerung zieht Bundesbehörden sollten durch Regelungen in ihrem die Bundesregierung bzw. Ihr Ministerium daraus, eigenen Umfeld dafür sorgen, daß sie Vorbild für die Männer mehr in diese Möglichkeit des Nehmens von Wirtschaft sind und dadurch die Wirtschaft heranzie- Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld einzubezie- hen. Ich sehe in solchen Auftragsbevorzugungen kein hen, und zwar unter Berücksichtigung des Umstands, geeignetes Mittel, die Frauenförderung besonders daß bei diesem geringen Betrag von 600 DM sehr voranzubringen. Ich denke, im Detail werden wir dar- wenige Männer bereit sind, diesen Erziehungsurlaub über noch sprechen. zu nehmen? Zweitens zum Besuch der Bundesanstalt für Arbeit: Die Bundesregierung hat durch das Bundesministe- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Ministerin. rium für Arbeit und Sozialordnung mit der Bundesan- stalt für Arbeit zur Umsetzung des Gemeinschafts- Bundesministerin für Frauen werks Aufschwung Ost eine Verwaltungsvereinba- Dr. Angela Merkel, und Jugend: Die Bundesregierung geht in diesem rung getroffen. Darin ist der Beschluß, der auch in der Bericht nur darauf ein, welche Schlußfolgerungen sich Koalitionsvereinbarung steht, enthalten, daß Frauen für Frauen in obersten Bundesbehörden ergeben, an den AB -Maßnahmen entsprechend ihrem Anteil an wenn sie wegen Kinderbetreuung mehrere Jahre der Arbeitslosigkeit beteiligt werden sollen. Insofern nicht im Berufsleben stehen. Dazu wird gesagt, daß wäre mein Besuch bei der Bundesanstalt für Arbeit sowohl im Besoldungsrecht als auch für die Einstel- nicht nötig gewesen, weil das vom Rahmen her fixiert lung im späteren Berufsleben und den Beförderungs- ist. gang Regelungen gefunden sind, die einen solchen Nur, weil die von Ihnen genannten Zahlen — 39,1 % Nachteil zumindest in einer beschränkten Zeit nicht Beteiligung der Frauen an den AB-Maßnahmen — haben. Für andere Zweige sind hier keine Aussagen auch nach meiner Ansicht nicht befriedigend sind, getroffen. müssen wir alle Möglichkeiten suchen, um unsere Zu Ihrem zweiten Punkt, dem Erziehungsgeld. Ich Absicht in die Tat umzusezen. glaube, das Problem ist weniger, daß die 600 DM für Hierzu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die er- den Mann nicht ausreichend sind, sondern daß im all- ste Möglichkeit ist die Beeinflussung durch die Ar- gemeinen der Verdienst der Väter höher als der Ver- beitsämter. Die zweite Möglichkeit ist die Beeinflus- dienst der Mütter ist. Insofern ist das keine Frage der sung dieser Zahlen durch die Aufbaustäbe, die sich in Höhe des Erziehungsgeldes, sondern eine Frage der den Kommunen bilden und dieses Gemeinschafts- Angleichung des Lohnniveaus. Genau hierin sehe Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1273

Bundesministerin Dr. Angela Merkel auch ich ein großes Problem. Da sind wir, glaube ich, das für Betriebe mit vorwiegend männlichen Arbeit- einig. Aber das hängt mit einer gewissen Sicht der nehmern oft der Fall ist, die dann sozusagen Abbau- Gesellschaft auf bestimmte Berufsgruppen zusam- oder Aufräumungsarbeiten vornehmen. Deshalb kön- men. Es wird eines längeren Weges bedürfen, dies zu nen wir dieses Ziel nur mit Hilfe der Kommunen errei- verbessern. Meinen Beistand haben Sie. Wir werden chen. Über die Gleichstellungsbeauftragten, die wir in dafür gemeinsam kämpfen. Aber das wird seine Zeit den neuen Bundesländern in allen Kommunen haben, brauchen. Das ist keine Frage dieses aktuellen Be- werde ich versuchen, diese Maßnahmen umzuset- richts. zen. Erfreulich ist — das möchte ich an dieser Stelle noch Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin Ma- einmal sagen — , daß die Beteiligung von Frauen an scher. Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern genau ihrem Anteil an der Ulrike Mascher (SPD): Frau Ministerin, Sie haben Arbeitslosigkeit entspricht. Das ist eine erfreuliche davon gesprochen, daß Sie auch Regelungen zur Teil- Tatsache und deutet darauf hin, daß die Frauen willig zeitarbeit in dieses Gleichstellungsgesetz aufnehmen sind, sich in dem wirtschaftlichen Umstrukturierungs- wollen, und haben den öffentlichen Arbeitgeber als prozeß zu bewähren und an diesem Prozeß teilzuneh- Vorreiter bezeichnet, der einen sinnvollen Beitrag zur men. Vereinbarung von Beruf und Familie leistet. Gibt es in Ihrem Ministerium Überlegungen, was geschehen Vizepräsidentin Renate Schmidt Als nächste Wort- kann, damit Teilzeitarbeit nicht zum beruflichen meldung liegt mir die von Frau Wolf vor. Nachteil von Frauen bei der beruflichen Entwicklung ausschlägt? Derzeit werden Berufsjahre, die in Teil- zeitarbeit geleistet werden, ja nur halb angerechnet. Hanna Wolf (SPD): Frau Ministerin, Ihre letzte Aus- Das führt dazu, daß Frauen beim Aufstieg sehr be- kunft — Sie sagten, die Frauen seien zu 35 % an den nachteiligt sind. Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen betei- ligt Die zweite Frage. Heute morgen hat der Präsident (Zuruf von der CDU/CSU: 55 %!) der Bundesanstalt auf Fragen angesichts von 55 % Arbeitslosigkeit und nur 39 % Frauen in Arbeitsförde- — zu 55 % — führt zu folgender Frage von mir: Wer- rungsmaßnahmen erstaunlicherweise erklärt, das sei den sie auch wirklich in den erlernten Berufen weiter- sehr zufriedenstellend und gleichwertig. Ich kann mir und fortgebildet? Bleiben sie in den Berufen, und wird diese Diskrepanz nicht erklären. Vielleicht haben Sie ihre Qualifikation dort erhöht? Oder sieht das manch- nach dem gestrigen Besuch eine Erklärung dafür. Ich mal auch so aus, daß sie auf ganz andere Berufe, auch bitte Sie, etwas auch dazu zu sagen, ob es gezielte minderqualifizierte, umgeschult werden? Wie wäre dann das Verhältnis: Wieviel Frauen bleiben in ihrer Maßnahmen für Frauen bei Fort- und Weiterbildung gibt, z. B. auch Angebote, das in Teilzeit zu realisie- qualifizierten Ausbildung und werden weitergebildet, ren; viele Frauen können wegen des Abbaus von Kin- und wieviel werden auf Berufe umgeschult, die nur derbetreuungseinrichtungen in den neuen Bundes- eine mindere Qualifikation erfordern und auch eine ländern Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen ja nicht Einkommensverringerung zur Folge haben? wahrnehmen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Ministerin. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Ministerin. Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Frauen Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Frauen und Jugend: Ich glaube, wir können nicht erwarten, und Jugend: Die Verbesserung von Teilzeitarbeit daß die Frauen in ihren Berufen bleiben. Denn wir wird Gegenstand des Gesetzes sein. Der öffentliche -haben es mit einem deutlichen wirtschaftlichen Um- Dienst ist mit 18 % bereits der Zweig, der am meisten strukturierungsprozeß zu tun, der ganze Beschäfti- Teilzeitbeschäftigte hat. gungsbereiche schrumpfen und andere sich erweitern Über die Anrechnungszeiten, die Sie jetzt genannt läßt. Wir haben heute 12 % der Beschäftigten in der haben, werden wir im Zusammenhang mit der Dis- Landwirtschaft, darunter sehr viele Frauen. Wir wis- kussion über das Gleichberechtigungsgesetz noch sen, daß in der Bundesrepublik ungefähr 2,5 % der sprechen müssen. Dazu kann und will ich mich heute Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig sein werden. nicht äußern. Das heißt also: Ein nicht unwesentlicher Prozentsatz Zu der Stellungnahme des Präsidenten der Bundes- wird auf Dauer in ganz neue Berufszweige gehen anstalt für Arbeit: Hier kann ich nur darauf verweisen, müssen. daß wir gestern darüber gesprochen haben, daß es Also ist die Schlußfolgerung — dasselbe gilt für die unzureichend ist, daß nur 39 % der Frauen in AB Leichtindustrie, weil in den neuen Bundesländern Maßnahmen tätig sind. Wir haben auch über die Mög- ganze Technisierungswellen nicht mitgemacht wur- lichkeit der Teilzeitarbeit in ABM und bei Qualifizie- den — , daß wir die Frauen so qualifizieren müssen, rungs- und Umschulungsmaßnahmen gesprochen. daß sie in zukunftsträchtigen Berufszweigen tätig Hier waren wir uns einig, daß so etwas angeboten sind. Das geschieht in demselben Maße, in dem das werden soll. Und es wird ja auch schon angeboten, bei Männern geschieht. gerade bei ABM. Heute ist das Problem, daß nicht in jedem Falle vor- Das Problem ist, daß sich im Falle von „Frauenbe- ausgesagt werden kann, in welcher Region welche trieben", z. B. in der Leichtindustrie, AB-Maßnahmen Berufe gebraucht werden. Dazu sind vergleichende für die ganze Belegschaft nicht so leicht anbieten, wie Analysen mit Partner- oder Vergleichsstädten in der 1274 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991

Bundesministerin Dr. Angela Merkel Alt-Bundesrepublik notwendig. Genau über diesen Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers Punkt haben wir gestern auch mit Herrn Franke ge- für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Die sprochen. Das wird von den Arbeitsämtern in den Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Achim Großmann neuen Bundesländern zum Teil auch schon vorge- sind zur schriftlichen Beantwortung vorgesehen. Die nommen. Ich sehe in dieser Frage keinen Unterschied Antworten werden als Anlagen abgedruckt. zwischen der Qualifizierung von Männern und Damit kommen wir bereits zum zweiten Geschäfts- Frauen. bereich, nämlich dem des Bundesministers für wirt- schaftliche Zusammenarbeit. Ich rufe die Frage 3 des Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt hat zur letz- Kollegen Gerhard Reddemann auf. Er befindet sich ten Frage — damit ist die Regierungsbefragung dann meines Wissens nicht im Saal. Damit wird so verfah- zu Ende — Frau Kollegin Höll das Wort. ren, wie es in der Geschäftsordnung vorgesehen ist. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Frau Ministerin, der Justiz auf. Zur Beantwortung steht der Parlamen- ich habe eine Frage zu zwei spezifischen Altersgrup- tarische Staatssekretär Dr. Reinhard Göhner zur Ver- pen von Frauen, die meines Erachtens von den Ver- fügung. änderungen in der ehemaligen DDR momentan be- Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Johannes sonders betroffen sind. Singer auf: Erstens. Was gedenkt die Regierung an konkreten Was hat die Bundesregierung bisher veranlaßt, um eine Straf- Maßnahmen zu tun, um zu gewährleisten, daß insbe- barkeit der Geldwäsche gesetzlich zu begründen? sondere Mädchen gleichberechtigt an der Berufsaus- Herr Staatssekretär. bildung beteiligt werden, die wahrscheinlich sowieso nicht ausreichend sein wird? Zweitens. Was gedenkt die Regierung konkret zu Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär beim tun, damit Frauen jenseits der 40 eine Möglichkeit Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Singer, die erhalten, weiter berufstätig zu sein? Bundesregierung hat bereits in der Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates zur Bekämpfung der illegalen Rauschgiftkriminalität und anderer Er- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Ministerin. scheinungsformen der organisierten Kriminalität ei- nen Vorschlag für eine neue Strafvorschrift gegen Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Frauen Geldwäscherei im vergangenen Jahr dem Bundestag und Jugend: Auch über den Punkt Ausbildungsplätze unterbreitet. Eine ergänzte, mit den beteiligten Bun- für Mädchen haben wir gestern gesprochen. Ich sehe desressorts zwischenzeitlich abgestimmte Fassung auch da bestimmte Entwicklungen mit Sorge. Wir ha- soll in das Ausführungsgesetz zu dem Vertragsgesetz ben die Bestimmungen des arbeitsrechtlichen EG- zur Wiener Drogenkonvention von 1988 eingestellt Anpassungsgesetzes, und diese müssen befolgt wer- werden. Dieses Ausführungsgesetz einschließlich des den. Wir waren uns mit dem Präsidenten der Bundes- neuen Straftatbestandes der Geldwäscherei soll je- anstalt für Arbeit darüber einig, daß das Arbeitsamt denfalls noch in diesem Jahr verabschiedet werden. bei seinen Kontakten mit den ausbildenden Betrieben auf die Vermeidung von Benachteiligungen auf Unabhängig hiervon hat der Unterausschuß des Grund des Geschlechts hinweist. Dieser Hinweis Rechtsausschusses des Bundesrates, der ja zur Zeit scheint mir in den neuen Bundesländern allerdings erneut mit dem erwähnten Gesetzentwurf, der im auch nötig zu sein. Bundesrat wieder eingebracht worden ist, befaßt ist, vor exakt drei Wochen empfohlen, einen modifizier- Bei — Frauen in höherem Alter ich sage einmal: 40 ten Tatbestand der Geldwäscherei in diesen Entwurf ist vielleicht noch unproblematischer als 50 — kommt aufzunehmen, der in seiner Ausgestaltung weitge- es vor allen Dingen darauf an, die Bereitschaft für hend den Vorschlägen der Bundesregierung ent- Qualifizierung zu wecken. Ich habe jetzt bei meinen spricht. Damit ist sichergestellt, daß die Pönalisierung Besuchen in den neuen Bundesländern Gespräche mit der Geldwäscherei auch im Rahmen der Gesetzge- Frauen geführt, die z. B. 20 Jahre lang körperliche bung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität Arbeit gemacht haben und denen es schwerfällt, sich weiter verfolgt wird. nun plötzlich in EDV- oder anderen technischen Be- reichen zurechtzufinden. Wir haben außerdem besprochen, daß es in den Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage? sogenannten operativen Abteilungen der Arbeitsäm- ter Frauenbeauftragte gibt, die ihre spezifische Auf- Johannes Singer (SPD): Herr Staatssekretär, kön- gabe auch darin sehen, Frauen zu beraten und zu nen Sie mir mitteilen, wieviel europäische Staaten ermuntern, bestimmte Berufe anzunehmen. Mehr inzwischen die Geldwäsche unter Strafe gestellt ha- kann die Bundesregierung aus meiner Sicht zur Zeit ben und wieviel Staaten außer der Bundesrepublik schwerlich tun. Deutschland eine Strafbarkeit bisher noch nicht vor- sehen? Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wir sind damit am Ende der Regierungsbefragung. Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Herr Kol- lege, das kann ich Ihnen im Augenblick nicht mittei- Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: len. Wir sind im Rahmen unserer Umsetzung der Wie- Fragestunde ner Drogenkonvention entschlossen, deshalb auch — Drucksache 12/351 — hier im Bundestag den Vorschlag mit einzubringen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991 1275

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- hinderten keine zusätzliche Hilfe von 400 DM, wie versprochen, satzfrage, Herr Kollege? darstellt, sondern daß lediglich eine Verlagerung der Belastung von den Sozialämtern auf die Krankenkassen stattgefunden hat? Johannes Singer (SPD): Herr Staatssekretär, trifft Zur Beantwortung steht der Parlamentarische mein Eindruck zu, daß sich die Bundesregierung seit Staatsskretär Horst Günther zur Verfügung. Herr der Verkündung des nationalen Drogenbekämp- Staatssekretär, Sie haben das Wort. fungsplans im Frühsommer des vergangenen Jahres darauf verlassen hat, daß der Bundesrat in dieser Sa- che aktiv wird und deshalb selber nichts unternom- Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- men hat? nister für Arbeit und Sozialordnung: Sehr geehrte Frau Kollegin Iwersen! Der Bundesregierung ist be- Dr. Reinhard Göhner, Parl. Staatssekretär: Nein, kannt, daß über den Umfang der Anrechnung der Herr Kollege, dieser Eindruck trifft überhaupt nicht Geldleistungen der Krankenversicherung nach § 57 zu. Wir haben in dreifacher Weise sichergestellt, daß des Sozialgesetzbuchs V auf das Pflegegeld nach § 69 eine Behandlung hier im Bundestag und eine Verab- des Bundessozialhilfegesetzes in der Praxis zur Zeit schiedung des Gesetzes möglich ist. Daß der Gesetz- unterschiedliche Vorstellungen bestehen und daß entwurf im vergangenen Herbst hier im Bundestag dies auch unterschiedlich gehandhabt wird. nicht mehr verabschiedet werden konnte, hat nicht Die maßgebliche Anrechnungsbestimmung des die Bundesregierung zu vertreten. Bundessozialhilfegesetzes sieht vor, daß Pflegegeld nicht gewährt wird, soweit der Pflegebedürftige Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvor- satzfrage, Herr Kollege Meyer. schriften erhält. Der Sozialhilfeträger hat bei der Wer- tung zweier Leistungen, die als gleichwertig zu be- Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Herr Staatssekretär, trachten sind, einen Beurteilungsspielraum. Hierbei beabsichtigt die Bundesregierung, bei der Einführung kommt es in der Praxis zu einer unterschiedlichen der Strafbarkeit der Geldwäscherei auch ausländi- Handhabung. Ein Teil der Sozialhilfeträger folgt z. B. sche Erfahrungen, z. B. in den Vereinigten Staaten der Empfehlung des Deutschen Vereins und rechnet von Amerika, zu berücksichtigen und deshalb die lediglich 50 % der Geldleistungen der Kassen an. An- Strafbarkeit auch in den Fahrlässigkeitsbereich zu er- dere rechnen davon abweichende Beträge oder den strecken? Gesamtbetrag an. Wieder andere rechnen überhaupt nicht an. Parl. Staatssekretär: Herr Kol- Dr. Reinhard Göhner, Ich denke aber, daß in vielen Fällen, nämlich bei all lege, der Formulierungsvorschlag der Bundesregie- denen, die bisher ohne die Hilfe der Sozialämter aus- rung berücksichtigt die ausländischen Erfahrungen in gekommen sind oder deren Sozialhilfeträger die bezug auf die Strafbarkeit der Geldwäscherei. Die Geldleistungen nicht in vollem Umfang anrechnen, Vorstellungen zur Ausgestaltung und zur Erfassung eine spürbare Verbesserung eingetreten ist oder ein- der verschiedenen Straftaten gehen zwischen dem treten wird. Vorschlag der Bundesregierung, wie wir ihn im Rah- men des Umsetzungsgesetzes der Wiener Drogenkon- Mir ist bekannt, daß z. B. die Sozialhilfeträger in vention einbringen werden, und dem Vorschlag des Baden-Württemberg einheitlich der Empfehlung des Bundesrates allerdings noch im Detail auseinander. Deutschen Vereins folgen. Allerdings ist die Zahl der Empfänger von Krankenkassenpflegegeld, die kein Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- Pflegegeld nach § 69 des Bundessozialhilfegesetzes fragen zu dieser Frage liegen mir nicht vor. beziehen oder bei denen eine teilweise oder volle Anrechnung auf das Pflegegeld erfolgt, nicht bekannt Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun- und läßt sich auch nicht abschätzen. desministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Die Fragen 5 und 6 des Kollegen Peter Con- Gleichwohl sieht auch die Bundesregierung das radi sind zurückgezogen worden. Problem, das in dieser ungleichen Anrechnung liegt. Ich möchte allerdings mit aller Deutlichkeit darauf Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun- hinweisen, daß die Entscheidung im Einzelfall der desministers für Post und Telekommunikation. Die Sozialhilfeträger trifft, da für den Vollzug des Bundes- Frage 10 des Kollegen Peter Paterna ist zur schriftli- sozialhilfegesetzes verfassungsrechtlich die Behörden chen Beantwortung vorgesehen. Die Antwort wird als in den Ländern zuständig sind. Anlage abgedruckt. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun- Die Bundesregierung hält die unterschiedliche desministers der Finanzen. Bezüglich dieses Ge- Handhabung der Anrechnungsbestimmung durch die schäftsbereichs liegen die Fragen 11 und 12 des Kol- Sozialhilfeträger für unbefriedigend. Sowohl aus der legen Siegmar Mosdorf vor. Der Kollege ist nicht im Interessenlage der Pflegebedürftigen heraus, die von Saal. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung der Anrechnungsregelung des Bundessozialhilfege- vorgesehen. setzes betroffen sind, wie auch beim Gesetzesvollzug führt eine unterschiedliche Handhabung dieser Be- Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun- stimmung natürlich zu Problemen. desministers für Arbeit und Sozialordnung. Hier liegt die Frage 31 der Kollegin Gabriele Iwersen vor: Wenn eine einheitliche Praxis der Sozialhilfeträger nicht durchgesetzt werden kann, muß geprüft wer- Ist der Bundesregierung bekannt, daß die nach dem Gesund- heits-Reformgesetz ab 1. Januar 1991 vorgesehene Pflegegeld- den, ob eine gesetzliche Klarstellung erreichbar ist. leistung für die Mehrzahl der pflegenden Angehörigen von Be- Für die Beurteilung einer derartigen Initiative spielen 1276 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991

Parl. Staatssekretär Horst Günther insbesondere Präzedenzwirkungen, Gleichbehand- gestelle. Das sind Behörden der Länder, die auch im lungsgesichtspunkte und Kostenfolgen eine Rolle. Beitrittsgebiet seit Oktober 1990 errichtet worden Die jetzt bestehende Anrechnungsproblematik un- sind. Arbeitsverhältnisse, die nicht durch Kündigung terstreicht auch die Notwendigkeit, möglichst bald beendet werden, also z. B. die automatische Beendi- auf gesetzgeberischem Wege außerhalb der Sozial- gung eines Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten hilfe zu einer durchgreifenden Verbesserung der Si- Endtermin, unterliegen dem besonderen Schutz tuation der Pflegebedürftigen zu kommen. Im Zusam- nicht. menhang damit muß auch die Konkurrenz der Lei- Durch den Einigungsvertrag ist ein besonderer Be- stungen der neuen Pflegeversicherung zu denen an- endigungstatbestand für Arbeitnehmer geschaffen derer Leistungssysteme, auch der Sozialhilfe, geregelt worden, deren Arbeitsverhältnis zunächst ruht und werden. dann nach Ablauf der Wartefrist endet. Soweit dieser Beendigungstatbestand gegeben ist, greift der beson- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Frau dere Kündigungsschutz nach dem Schwerbehinder- Kollegin. tengesetz zunächst also nicht ein. Handelt es sich hingegen um unbefristete Arbeitsverhältnisse, die Gabriele Iwersen (SPD): Ich möchte mich für diese zur Beendigung einer Kündigung bedürfen, gelten umfassende Antwort bedanken und fragen, ob ich es grundsätzlich die allgemeinen Regelungen, mithin richtig verstanden habe, daß Sie im Augenblick eine auch der besondere Kündigungsschutz nach dem bundeseinheitliche Regelung nicht anstreben. Schwerbehindertengesetz. Zwar stellt sich die Rechtslage auch für Schwerbe- Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Das haben Sie hinderte anders dar, wenn Kündigungen auf dem be- richtig verstanden. Wir streben sie allerdings mit der sonderen Tatbestand zu Art. 20 Abs. 1 des Einigungs- neuen Pflegeversicherung an. Der Auftrag in der Ko- vertrags gestützt werden. Der Bundesminister des In- alitionsvereinbarung lautet ja, bis zum 30. Juni 1992 nern hat aber in seinem Rundschreiben vom 6. März ein Gesetz vorzulegen. 1991 gebeten, auch in diesen Fällen die kündigungs- (Gabriele Iwersen [SPD]: Schönen Dank!) schutzrechtlichen Vorschriften des Schwerbehinder- tengesetzes anzuwenden. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Gibt es weitere Diese Regelung ist den neuen Bundesländern mit- Zusatzfragen? — Herr Dr. Seifert. geteilt worden. Ich will zusammenfassend feststellen: Wenn danach gehandelt wird, gibt es keine unter- Dr. Ilja Seifert (PDS/Linke Liste): Habe ich Sie rich- schiedliche Behandlung der Schwerbehinderten. tig verstanden, daß Sie im Zusammenhang mit dem Gesetz, daß Sie ausarbeiten wollen, von Pflegeversi- cherung sprachen, oder ist es noch offen: Versiche- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Haben Sie nun rung oder Pflegesicherung? Zusatzfragen, Herr Kollege Seifert?

Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Das ist meines Dr. Ilja Seifert (PDS/Linke Liste): Ja. — Wenn ich Sie Erachtens eine Frage des Sprachgebrauchs: Auch richtig verstanden habe, bleibt es dabei, daß Warte- eine Pflegesicherung kann eine Versicherung ein- schleife und „schwerbehindert" heißt, daß man außen schließen. vor ist. Gibt es Pläne der Bundesrepublik — wenn ja, wie sehen sie aus? — , diesen Menschen, die es natür- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt werden zu lich besonders schwer haben, neue Arbeitsplätze zu dieser Frage keine weiteren Zusatzfragen ge- finden, Erleichterungen anzubieten, damit sie neue wünscht. Arbeit finden? Ich frage nicht danach, ob sie irgend- Dann kommt die Frage 32 vom Kollegen Dr. Ilja Sei- wie abgefunden werden können, sondern danach, ob fert: sie neue Arbeitsplätze finden können; denn Arbeit ist Was tut die Bundesregierung dafür, daß Bürgerinnen und Bür- mehr als nur Broterwerb. ger im öffentlichen Dienst der ehemaligen DDR, die mit dem Handicap einer (oder mehrerer) Behinderung(en) leben, ent- sprechend dem Schwerbehindertengesetz der Bundesrepublik Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Deutschland allen anderen Menschen mit Behinderungen Dr. Seifert, ich hatte eben schon ausgeführt, daß, gleichgestellt werden, zumal der Parlamentarische Staatssekre- wenn die Länder so handeln, wie in dem Rundbrief tär Seehofer in seiner Antwort vom 11. Dezember 1990 betonte, daß der besondere Kündigungsschutz Schwerbehinderter dabei des Bundesinnenministers vorgeschlagen wird, die ohne Änderungen übernommen worden ist (Drucksache Schwerbehinderten in den neuen Bundesländern 11/8546, S. 26)? nicht außen vorbleiben, sondern ebenso behandelt Herr Staatssekretär. werden wie die in den alten Bundesländern. Gleichwohl ergibt sich bei Schwerbehinderten im- Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege mer das Erfordernis — so habe ich Sie im wesentli- Dr. Seifert, auch Schwerbehinderte, die im öffentli- chen verstanden — , nach Maßnahmen, Wegen und chen Dienst der ehemaligen DDR beschäftigt wurden, Möglichkeiten zu suchen, sie schneller in den Arbeits- werden nach dem Schwerbehindertengesetz, das mit prozeß einzugliedern. Dies ist eine ständige Aufgabe, Wirkung vom 3. Oktober 1990 übergeleitet worden deren Erfüllung die Bundesregierung stets fordert, ist, geschützt und gefördert. und zwar durch Appelle an die Unternehmen und mit Danach bedürfen Kündigungen unbefristigter Ar- den Maßnahmen nach dem Schwerbehindertenge- beitsverhältnisse Schwerbehinderter durch Arbeit- setz, wenn die entsprechenden Quoten nicht erfüllt geber der vorherigen Zustimmung der Hauptfürsor- werden. Auch das gilt für die neuen Bundesländer. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1277

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- An den gesetzgeberischen Maßnahmen — das hat frage? der Kollege Göhner eben auch schon angespro- chen — wird im Zusammenhang mit der Drogenge- fahr intensiv gearbeitet. Sie betreffen u. a. Regelun- Dr. Ilja Seifert (PDS/Linke Liste): Diese Bitte des Innenministers ist etwas Schönes, aber ich frage etwas gen über die Kontrolle von Chemikalien, die für die anderes, weil das eben Gesagte etwas Unverbindli- unerlaubte Drogenherstellung abgezweigt werden, ches ist. Wie lange — das ist eine Ergänzung zu der Regelungen über die Geldwäscherei und die Rah- eigentlichen Frage — braucht das zuständige Mini- menbedingungen für die Vergabe von Methadon an sterium, um den Betroffenen, die sich beispielsweise Drogenabhängige in ärztlich begründeten Einzelfäl- an das Ministerium oder den Petitionsausschuß oder len. wen auch immer wenden, zu antworten? Bis jetzt ist Ich möchte darauf verweisen, daß wir im Bereich mir bekannt, daß es nur unverbindliche Zwischenbe- der Exekutive eine ganze Reihe von Maßnahmen er- scheide und keine so klare und deutliche Antwort griffen haben. Beispielhaft will ich hier nennen: Im gibt, wie sie hier gegeben wurde, nämlich daß die Bereich des Zolls ist zur Intensivierung der Kontrollen Menschen im Grunde nicht damit rechnen können, an den Außengrenzen, die verstärkt notwendig wer- Hilfe von der Bundesregierung zu erhalten. den, eine Personalverstärkung um insgesamt 261 Be- amte vorgesehen. Davon entfallen 221 Stellen auf den mittleren Dienst und 40 Stellen auf den gehobenen Horst Günther, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Seifert, wenn Ihnen Einzelfälle bekannt sind, in Dienst. Die Dienstposten des mittleren Dienstes sind denen die Bundesregierung nicht schnell genug oder inzwischen weitgehend besetzt worden. Um die rest- überhaupt nicht geantwortet hat, bitte ich Sie, diese liche Besetzung sind wir intensiv bemüht. zu übermitteln. Ich werde mich sofort darum küm- Ich erwähne weiter: Zum Zwecke der Rauschgiftde- mern. Wir sind ständig bemüht, alle Anfragen ord- tektion werden neben Rauschgiftspürhunden jetzt nungsgemäß zu beantworten. Das kann ich für die verstärkt technische Hilfsmittel eingesetzt. Für die Bundesregierung erklären. Ich gehe davon aus, daß Flughäfen und für die großen Grenzübergänge wur- dies auch in den fünf neuen Bundesländern der Fall den inzwischen 13 stationäre und fünf mobile Groß- sein wird. röntgenanlagen in Betrieb genommen. Für den Seeverkehr ist die Errichtung einer Con- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- tainerröntgenanlage in vorgesehen. Für das fragen liegen nicht vor. Herzlichen Dank, Herr Staats- Haushaltsjahr 1991 ist die Beschaffung weiterer Rönt- sekretär. genanlagen vorgesehen, um Rauschgifthandel auf die Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun- Spur zu kommen. desministers des Innern. Zur Beantwortung steht Herr Die Oberfinanzdirektionen werden mit Erlaß aufge- Staatssekretär Horst Waffenschmidt zur Verfügung. fordert, auf allen internationalen Flughäfen, soweit Die Fragen 18 und 19 des Abgeordneten Dr. Rein- noch nicht vorhanden, Überwachungsgruppen einzu- hard Meyer zu Bentrup werden schriftlich beantwor- richten bzw. zu verstärken. Hierfür wurden insgesamt tet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. 106 Planstellen zur Verfügung gestellt. Wir kommen zu den Fragen 20 und 21 des Abgeord- Für die Verstärkung der Suchtrupps und die Erwei- neten Dr. Burkhard Hirsch, der im Moment nicht im terung der Containergruppen wurden insgesamt Saal ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsord- 95 Planstellen bereitgestellt. Sie mögen aus diesen nung vorgesehen. Beispielen ersehen, daß wir in umfangreicher Weise Wir kommen damit zur Frage 22 des Kollegen Jo- die Kontrollmaßnahmen ausgedehnt und weiter auf- hannes Singer: gebaut haben. Was hat die Bundesregierung bisher zur Umsetzung des natio- Darüber hinaus wurde der Zollfahndungsdienst im nalen Drogenbekämpfungsplans unternommen? Rauschgiftbereich um insgesamt 60 Beamte verstärkt. Herr Staatssekretär. Die Einrichtung von weiteren fünf Observationsgrup- pen ist inzwischen mit Erlaß angeordnet worden. Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Auf dem Flughafen Frankfurt am Main ist eine Ko- Bundesminister des Innern: Herr Kollege Singer, ich ordinierungsstelle des Brüsseler Zollrats für den habe auf Ihre Frage nach dem nationalen Drogenbe- Nachrichtenaustausch im gesamten Luftfrachtbereich kämpfungsplan hin einen Zwischenbericht ausarbei- eingerichtet worden, an dem sich bisher 18 europäi- ten lassen, der in der Zusammenfassung vier Schreib- sche Staaten beteiligen. maschinenseiten umfaßt. Ich werde ihn gleich über- Dies sind einige Schwerpunkte der schon bisher geben. eingeleiteten Maßnahmen. Den zusammengefaßten Ich will daraus, damit die Öffentlichkeit es erfährt, Zwischenbericht will ich Ihnen gerne gleich überrei- das Wesentliche vortragen. chen. Sie mögen daraus ersehen, daß die Bundesre- Im Bereich der Prävention sind auf Bundesebene gierung inzwischen versucht hat, an der Umsetzung zahlreiche Aktivitäten durchgeführt worden. Insbe- intensiv zu arbeiten. sondere ist hier auf die Arbeit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu verweisen, die sich derzeit schwerpunktmäßig auf Multiplikatorenarbeit, so z. B. auf Messen und auf Film und Fernsehpro- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatz- gramme, bezieht. frage. 1278 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991

Johannes Singer (SPD): Herr Staatssekretär, trifft bereit, auch Ihnen zum Stand der Vorbereitung eine dann auch mein Eindruck zu, daß sich die Bundesre- Information zu geben. gierung bisher schwerpunktmäßig auf den repressi- ven Bereich, also auf die Stellenvermehrungen beim Zoll und bei der Polizei, und weniger auf den Bereich Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- der Aufklärung und Prävention konzentriert hat? Tei- fragen liegen nicht vor. len Sie meinen Eindruck, daß Kampagnen gegen den Wir kommen zu Frage 23 von Frau Kollegin Claire Drogenmißbrauch, die vergleichbar der Anti-Aids- Marienfeld: Kampagne, öffentlich hätten wirksam werden kön- Wie viele Aussiedler sind bisher den neuen Bundesländern nen, bisher nicht zu bemerken sind? zugewiesen worden (absolut/prozentual)? Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Ich Herr Staatssekretär. kann diesen Eindruck nicht unterstreichen und kann Ihrer Feststellung nicht zustimmen. Sie werden aus dem, was ich Ihnen noch mitteilen darf, ersehen, daß Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Die wir über die Medien und über weitere Aktionen an Antwort lautet wie folgt: Im Einigungsvertrag ist vor- der Aufklärung und an der Information intensiv arbei- gesehen, bis zur Festlegung eines neuen Verteilungs- ten. Ich kann Ihnen zusätzlich sagen, daß wir gerade schlüssels durch den Bundesrat den neuen Ländern Erfahrungen aus dem internationalen Bereich, den Sie zusammen schrittweise einen Anteil von bis zu 20 ansprechen, auswerten. Der Kollege Lintner war vor der deutschen Aussiedler zuzuweisen, der dann im kurzem in den Vereinigten Staaten und hat dazu wei- Verhältnis der Bevölkerungszahl dieser Länder aufzu- tere Beispiele mitgebracht. Wir werden also auch im teilen ist. Dementsprechend wurde im November ver- gesamten Bereich der Prävention intensiv tätig und gangenen Jahres begonnen, Frau Kollegin, in Abspra- werden diese Tätigkeit noch weiter verstärken. che mit den neuen Ländern Aussiedler nach do rt zu verteilen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- Im Jahre 1990 waren es 259 Personen. Damals lief satzfrage. die Aktion an. In den ersten drei Monaten dieses Jah- res konnten auf die neuen Bundesländer bisher insge- (SPD): Herr Staatssekretär, nach- Johannes Singer samt 2 350 Aussiedler verteilt werden, und zwar im dem die Bundesregierung in ihren Berichten über die Januar 1991 416 Personen, im Februar 342 Personen Verurteilungsstatistik in Rauschmittelstrafsachen und und im März 1 592 Personen. Ich kann Ihnen gerne die Entwicklung des Drogenmißbrauchs eingeräumt noch die Aufstellung geben, wie sich das auf die hat, daß der Grundsatz „Hilfe statt Strafe" durch die neuen Bundesländer verteilt. Novellierung des Betäubungsmittelgesetzes bisher nur unzureichend abgedeckt worden ist, frage ich: Mir liegt daran, diese Feststellungen durch fol- Was hat die Bundesregierung hinsichtlich zukünftiger gende weitere zu ergänzen. Wir haben es inzwischen Novellierungen des BtMG vor, um diesem Grundsatz geschafft, daß jedes neue Bundesland eine zentrale „Hilfe statt Strafe" endlich Rechnung zu tragen? Aufnahmestelle hat. Der Bund konnte dabei helfen, daß die Länder sie einrichten. Es hat hier auch im Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Ich Hinblick auf die Vorbereitung des Personals eine sehr habe Ihnen gesagt, daß die notwendigen gesetzgebe- gute Kooperation gegeben. Ich muß hier auch aus- rischen Maßnahmen, von denen auch schon der zu- drücklich feststellen, daß sich die neuen Bundeslän- ständige Kollege aus dem Justizministerium gespro- der dieser Aufgabe intensiv zugewandt haben. Das chen hat, angelaufen sind. Ich kann Ihnen hier gerne führt dazu, Frau Kollegin, daß der Anteil der Aussied- zusagen, Ihnen einen Zwischenbericht über die jetzt ler, die jetzt in die neuen Bundesländer verteilt wer- vorgesehenen gesetzgeberischen Maßnahmen zu ge- den können, von Monat zu Monat zunimmt. ben. Um dies in Relation zu der Gesamtzahl der deut- schen Aussiedler, die zu uns kommen, zu stellen, Eine weitere Zu- Vizepräsidentin Renate Schmidt: möchte ich gern noch erwähnen, daß diese Zahl im satzfrage, Herr Kollege Meyer. Jahre 1991 bisher erheblich geringer ist als die Zah- Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Herr Staatssekretär, len, die wir etwa Mitte des Jahres 1990 kannten. Ich nachdem der Bundestag kürzlich bei der Novellierung nenne Ihnen die Zahlen, auf die dann die Verteilungs- des Außenwirtschaftsgesetzes für die Abschöpfung zahlen in den neuen Bundesländern zu projizieren von Verbrechensgewinnen das Bruttoprinzip vorge- sind: Im Februar hatten wir 15 253 Aussiedler, im sehen hat, frage ich Sie: Ist die Bundesregierung be- März 16 138 und im April bisher 7 185. Wenn man reit, nun auch im Rahmen des Drogenbekämpfungs- diese Zahlen mit der Zahl von rund 50 000 Aussied- plans die Konsequenzen daraus zu ziehen, daß die lern pro Monat etwa Mitte vorigen Jahres vergleicht, anderen Europaratsstaaten die in diesem Plan vorge- dann sieht man, daß das neue Aussiedleraufnahmege- sehene Vermögensstrafe als rechtsstaatswidrig ableh- setz, aber auch Maßnahmen, die wir ergriffen haben, nen, und nun künftig rechtsstaatlich einwandfreie In- um die Attraktivität der heutigen Heimatbereiche für strumente einzusetzen, bei denen auch Rechtshilfe die Menschen zu vergrößern, dazu führten, daß die erwartet werden kann? Zahl der Aussiedler inzwischen zurückgegangen ist und insgesamt ein Beruhigungs- und Verstetigungs- Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: So- effekt eingetreten ist. Im Rahmen dieser Gesamt- wohl der Kollege Göhner als auch ich haben eben zahlen wird der Prozentsatz von 20 %, der im Eini- schon darauf hingewiesen, daß die Maßnahmen, die gungsvertrag vorgesehen ist, sicherlich bald erreicht Sie ansprechen, in Vorbereitung sind. Ich bin gerne werden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1279

Parl. Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidt Wir haben gerade am Freitag der letzten Woche, Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Die Frau Kollegin, mit allen Aussiedlerbeauftragten der Antwort auf Ihre Frage möchte ich wie folgt geben: alten und neuen Bundesländer zusammengesessen. Die Tarifvertragsparteien haben mit dem BAT-Ost die Es hat in einer guten Gemeinsamkeit die Überlegung Grundvergütung in den einzelnen Vergütungsgrup- gegeben, daß die neuen Bundesländer ihren Prozent- pen ebenso wie im BAT, wie wir ihn bisher schon ken- satz an Aussiedlern alsbald werden aufnehmen kön- nen, nach Lebensaltersstufen und nicht nach Dienst- nen. zeit bemessen. Sie haben allerdings vereinbart, daß bei den vorhandenen Angestellten die erstmalige Zu- ordnung zu diesen Lebensaltersstufen wie bei einer Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Staatssekre- tär, es freut mich, daß Sie diese einfache Frage zu Neueinstellung vollzogen wird. einer so umfangreichen Antwort genutzt haben. An Das bedeutet am Beispiel der Ärzte, daß die unter und für sich hatten wir hier vereinbart, auf kurze Fra- 35jährigen die ihrem Alter entsprechende Lebensal- gen auch kurze Antworten zu geben. tersstufe erhalten. Bei den älteren Angestellten wird Eine Zusatzfrage des Kollegen Schwalbe. die Differenz zum 35. Lebensjahr zur Hälfte berück- sichtigt. Nach dieser ersten Zuordnung im BAT erfol- gen dann die weiteren Steigerungen in den Lebensal- Clemens Schwalbe (CDU/CSU): Herr Staatssekre- tersstufen alle zwei Jahre bis zum Erreichen der End- tär, mich interessiert die Unterbringung der Aussied- vergütung. ler in den neuen Bundesländern. Sie haben in Ihrer Die so vorgenommene Gleichstellung mit Neuein- Antwort gesagt, daß vorwiegend zunächst entspre- stellungen ist nach Meinung von Bund, Ländern, Ge- chende Auffanglager eingerichtet wurden. Wie soll meinden und Gewerkschaften, die dort verhandelt die Unterbringung der Aussiedler erfolgen, und dies haben, folgerichtig, weil der betroffene Personenkreis auch in Anbetracht dessen, daß es in den neuen Bun- erstmalig in das neue System der Vergütung nach desländern noch eine beträchtliche Anzahl von Woh- dem BAT einbezogen wird. Auf Grund der bisher gel- nungssuchenden gibt? Ich sehe hier auch im Hinblick tenden völlig unterschiedlichen Vergütungssysteme, auf eine gewisse Ausländerproblematik noch gewisse in denen sich die Bediensteten aufhielten, konnten Konfrontationspunkte, wenn man entsprechenden keine Bewährungs- oder Tätigkeitszeiten vor Inkraft- Wohnraum dafür vorrangig zur Verfügung stellt und treten des Tarifvertrags berücksichtigt werden. sich die eigene Bevölkerung damit angeblich wieder zurückgestellt sieht. Hinsichtlich der Höhe der Vergütung ist sicherge- stellt, daß sie nach dem BAT-Ost mindestens die bis- herige Vergütung erreicht. Es kann also in keinem Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Frau Fall zu einer Schlechterstellung kommen. Präsidentin, gemäß Ihrer guten Anregung will ich das kurz beantworten: Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage? — Erstens. Wir haben bei der Aufnahme der deutschen Nicht. Auch sonst gibt es keine weiteren Zusatzfra- Aussiedler in den neuen Bundesländern bisher nicht gen. irgendeine Form der Konfrontation mit der dort ansäs- Dann rufe ich die Frage 25 von Frau Kollegin Mo- sigen Bevölkerung bemerken können. Das Klima ist nika Brudlewsky auf: hier gut. Welche Schritte hat die Bundesregierung zur Überprüfung Zweitens. Im Hinblick auf die Unterbringung nut- und Offenlegung einer eventuellen Verflechtung der Funktion zen die neuen Bundesländer und ihre Städte, Gemein- des Ersten Sekretärs des Bezirks Dresden in der Person des jet- zigen PDS-Bundestagsabgeordneten Dr. Hans Modrow mit der den und Kreise vielfältige Möglichkeiten von Liegen- Staatssicherheit der ehemaligen DDR unternommen, bzw. ist die schaften, auch solche Liegenschaften, die sie etwa Bundesregierung bereit, in Zukunft eine derartige Untersu- vom Bund übernehmen, und die gerade zur Verfü- chung einzuleiten? gung gestellten Investitionsmittel. Ich nenne als Bei- Herr Staatssekretär. spiel die 5 Milliarden DM Investitionspauschalen für die Kommunen, die auch dazu genutzt werden, solche Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Frau Liegenschaften schnell herzurichten, damit Aussied- Kollegin, ich bitte um Zustimmung, daß ich beide Fra- ler aufgenommen werden können. gen zusammengefaßt beantworten kann. Im übrigen wird das Wohnungsmodernisierungs- Dann rufe ich programm in Höhe von 10 Milliarden DM nach den Vizepräsidentin Renate Schmidt: auch noch die Frage 26 der Frau Abgeordneten Mo- bisherigen Verhandlungen auch noch dafür geöffnet, nika Brudlewsky auf: so daß zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten ent- stehen und der Engpaß, den Sie befürchten, wahr- Zu welchem Ergebnis hat eine etwaige bereits erfolgte Ober- prüfung geführt? scheinlich vermieden werden kann. Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Die Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- Position des ehemaligen SED-Bezirkssekretärs von fragen liegen nicht vor. Dresden, Dr. Hans Modrow, im Verhältnis zur Staats- Dann rufe ich die Frage 24 von Frau Kollegin sicherheit der ehemaligen DDR ist im Rahmen des Dr. Dagmar Enkelmann auf: damals gegebenen Verhältnisses zwischen SED und Ministerium für Staatssicherheit der DDR zu beurtei- Was gedenkt die Bundesministerin für Gesundheit gegen die jetzige Regelung des BAT-Ost zu tun, wonach den Ärzten der len. neuen Bundesländer bei der Vergütung nicht die volle Dienst- Die Bundesregierung hat mehrfach in der Öffent- zeit angerechnet wird? lichkeit, z. B. bei der Beantwortung von Anfragen aus Herr Staatssekretär, bitte. dem deutschen Bundestag, auf das Verhältnis von 1280 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991

Parl. Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidt Bezirkssekretären der SED zu Dienststellen des MfS weiteren Fragestellungen, die uns ständig aus dem hingewiesen. Die Bundesregierung hat dies z. B. am Deutschen Bundestag vorgetragen werden, geht es 2. April 1991 in der Antwort auf die schriftliche Frage mit Recht, so meine ich, um die starke politische Zu- des Abgeordneten Otto Hauser vom 20. März 1991 sammenarbeit zwischen der Staatspartei SED und dargelegt. Das Ministerium für Staatssicherheit der dem Ministerium für Staatssicherheit. Hier war eine DDR war „Schwert und Schild" der Staatspartei SED intensive Verflechtung politischer Art, wie auch im- und arbeitete nach deren Weisungen. Die Bezirkslei- mer das im einzelnen organisatorisch gestaltet gewe- tung der SED hatte starken Einfluß auf die entspre- sen sein mag. chenden Stellen des Ministeriums für Staatssicher- heit. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Gibt es weitere Im Rahmen dieser Verantwortlichkeiten und Zu- Zusatzfragen? — Herr Kollege. ständigkeiten sind die einzelnen Verhaltensweisen des ehemaligen SED-Bezirkssekretärs und heutigen Dr. Gerhard Riege (PDS/Linke Liste): Herr Staatsse- PDS-Abgeordneten Dr. Hans Modrow zu bewerten. kretär, darf ich in diesem Zusammenhang fragen, wie Dies ist je nach Sachlage Aufgabe der politisch-parla- Sie, weil es sich um einen Abgeordneten handelt, die mentarischen Auseinandersetzung oder der unabhän- damalige Entscheidung der Volkskammer beurteilen, gigen Justiz. den Abgeordneten Modrow im Rahmen der 144 Ab- Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß sich geordneten in den Bundestag zu entsenden? das Präsidium des Deutschen Bundestages nach den hier vereinbarten Regelungen mit dem gesamten Fra- Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Was genkomplex beschäftigt. den politisch-parlamentarischen Bereich angeht, ist zu sagen: Nach den hier vereinbarten Verfahrenswei- sen ist das Präsidium des Deutschen Bundestages jetzt Sie wünschen Vizepräsidentin Renate Schmidt: damit befaßt, sich mit diesem gesamten Fragenkom- keine Zusatzfrage. — Eine Zusatzfrage von Frau Bra- plex zu beschäftigen. Ich will dem nicht vorgreifen. band. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- Jutta Braband (PDS/Linke Liste): Ist der Bundesre- fragen liegen nicht vor. Damit sind wir am Ende des gierung bekannt, daß die Ersten Sekretäre der ehema- Geschäftsbereichs des Bundesministers des Innern. ligen SED gleichzeitig auch immer den Bezirksein- Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. satzleitungen, glaube ich, vorgestanden haben und daß diese Bezirkseinsatzleitungen, auf der bezirk- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- lichen Ebene arbeitend, nicht Abteilungen des Mini- nisters für Wirtschaft. Zur Verfügung steht der Parla- steriums für Staatssicherheit waren? mentarische Staatssekretär Klaus Beckmann. Wir kommen zur Frage 27 des Kollegen Ottmar Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Der Schreiner: Bundesregierung ist bekannt, Frau Kollegin, daß es Trifft eine Meldung der Saarbrücker Zeitung zu, wonach die einen sehr großen Einfluß der Ersten Sekretäre der Bundesregierung beabsichtigt, die Kohleförderung der Saar- SED in den jeweiligen Bezirken auf die Bezirksdienst- bergwerke auf jährlich sieben Millionen Tonnen abzusenken? stellen des Ministeriums für Staatssicherheit gab. Es Herr Staatssekretär. läßt sich an Hand von vielen offenbaren Tatsachen beweisen, daß dieser Einfluß intensiv und in vielen Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- Bereichen sogar sehr intensiv war. desminister für Wirtschaft: Frau Präsidentin! Herr Kol- lege Schreiner, die Meldung der „Saarbrücker Zei- tung" trifft nicht zu. Jedes Unternehmen, auch die Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- frage. Saarbergwerke AG, hat in eigener Verantwortung über den Umfang seiner Förderung zu entscheiden. (PDS/Linke Liste): Entschuldigung, Der Vorstand der Saarbergwerke hat entsprechend Jutta Braband seiner unternehmerischen Verantwortung für die aber ich betrachte meine Frage nicht als beantwortet. Ich stelle diesen Zusammenhang in keiner Weise in Weiterentwicklung des Förderstandortes Saar ein Mo- dell erarbeitet, das sich auf die Vorteile der kosten- Zweifel — im Gegenteil. Aber das ist eine andere günstigen Anlagen bei Reduzierung der Nachteile aus Sache. den kostenintensiven Zechen stützt. Dieses Modell Der Vorwurf gegen Herrn Modrow lautet ja, Vorsit- sieht eine Absenkung der Förderung auf 8,7 Millio- zender der Bezirkseinsatzleitung gewesen zu sein. nen t vor. Meine Frage ist, ob der Regierung bekannt ist, daß dies keine Abteilung der Staatssicherheit gewesen ist Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Herr und damit die Mitglieder dieser Einsatzleitung auch Kollege Schreiner. nicht Mitarbeiter der Staatssicherheit waren. (Zuruf von der FDP: Was nicht bewiesen Ottmar Schreiner (SPD): Herr Staatssekretär, nach- ist!) dem die „Saarbrücker Zeitung", die Sie soeben er- wähnt haben, heute in einer Fülle von Artikeln dar- Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär: Ich über berichtete, daß der Bundeswirtschaftsminister kann Ihrer Feststellung, die Sie im Augenblick hier angeregt habe, Kostenüberlegungen bezogen auf treffen, aus meiner Kenntnis nicht zustimmen. Sie ver- eine Halbierung der Jahresförderung im Bereich der lagern das Thema meines Erachtens auf organisatori- deutschen Steinkohle anzustellen, was, auf den Be- sche Einzelheiten. Bei dieser Fragestellung und bei reich der Förderung der Saarbergwerke übertragen, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1281

Ottmar Schreiner eine Förderquote von etwa 4 bis 5 Millionen Jahres- erzeugung verbrauchten Kokskohle garantieren, weil tonnen bedeuten würde, frage ich, ob diese vom Bun- sie keinen Einfluß darauf hat, in welchem Umfange deswirtschaftsminister angeregte Kostenüberlegung sich die Stahlproduktion in den deutschen Unterneh- mit weitergehenden Überlegungen verbunden ist, die men vollziehen wird und in welchem Umfang insofern Jahresfördermengen auf dieser Förderhöhe anzuvi- auch Kokskohle abgenommen wird. sieren. Was die Verstromungsmenge anbetrifft, so will ich Ich frage zudem, ob das Bundeswirtschaftsministe- nur noch einmal unterstreichen, daß für die Bundesre- rium auch daran gedacht hat, neben den geforderten gierung Grundlage ihrer Verhandlungen mit der eu- Kostenüberlegungen Überlegungen über die regio- ropäischen Kommission nach wie vor die Vereinba- nalwirtschaftlichen Auswirkungen einer solchen rung ist, die der Bundeskanzler mit den Revierländern denkbaren — für mich jedenfalls undenkbaren — Re- im Jahre 1988 getroffen hat, nämlich 40,9 Millionen t duzierung anzustellen, und ob von seiten des Bundes- Steinkohle in die Verstromung einzubringen. Ich ver- wirtschaftsministeriums ebenfalls Überlegungen be- hehle aber gleichwohl nicht, daß, was allgemein be- zogen auf die Humanauswirkungen angestellt wer- kannt ist, die Kommission dieser Intention ausgespro- den. Denn jedermann ist bekannt, daß die Bergbau- chen kritisch gegenübersteht und von uns, von der unternehmen bei einer solchen Reduzierung nicht Bundesregierung, und der deutschen Steinkohlewirt- mehr in der Lage wären, sozial verträglich abzuwik- schaft ein Konzept erwartet, das einen deutlich nied- keln, und daß zum erstenmal in der Geschichte der rigeren Mengeneinsatz vorsieht. Saarbergwerke zum Instrument von Massenentlas- sungen gegriffen werden müßte. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zu einer weiteren Zusatzfrage der Kollege Hans-Werner Müller (Wa- Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege dern). Schreiner, der Bundeswirtschaftsminister hat in dem Pressegespräch, auf das sich auch die Meldungen in der heutigen Ausgabe der „Saarbrücker Zeitung" be- Hans-Werner Müller (Wadern) (CDU/CSU): Herr ziehen, ausdrücklich festgestellt, daß seine Forde- Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß die heu- rung, die Sie soeben auch beziffert haben, keine Vor- tige Presseberichterstattung über die Ausführungen entscheidung für die zu treffenden kohlepolitischen Bundesminister Möllemanns, ob sie jetzt richtig zitiert Entscheidungen darstellen. Ganz im Gegenteil, er be- oder kommentiert worden sind oder nicht, die ja, wie absichtigt, in Gesprächen mit den Revierländern, also die Zusatzfragen zeigen, zu Irritationen geführt ha- Nordrhein-Westfalen und Saarland, mit den politi- ben, welche leider von dem Kollegen noch etwas ver- schen Parteien, mit dem Gesamtverband des Deut- stärkt worden sind, darf ich Sie noch einmal ganz kon- schen Steinkohlenbergbaus und den anderen Unter- kret fragen, ob die Bundesregierung beabsichtigt, nehmensverbänden des Bergbaus und auch der IG Vorgaben hinsichtlich der Mengenreduzierung im Bergbau und Energie einen Rahmen aufzustellen, Steinkohlebergbau zu machen, die über die Konzep- nach dem man zukünftig verfahren kann. tion des sogenannten Mikat-Konzepts hinausgehen. Sie wissen, daß die Bundesregierung — hier: der Bundeswirtschaftsminister — beabsichtigt, im Herbst Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Die Vor- ein Gesamtkonzept zur Energiepolitik vorzulegen, schläge der Mikat-Kommission geben ja, wie Sie wis- das auch den Forderungen der Europäischen Gemein- sen, Herr Kollege Müller, einen sehr weiten Rahmen schaft — hier: der Kommission — gerecht wird, das vor. Die Vorschläge bewegen sich zwischen 35 und gleichzeitig aber für eine versorgungssichere Ener- 55 Millionen t; nach dem Mehrheitsvotum sollen es giedarbietung sorgt, die zugleich auch den Anforde- 55 Millionen t sein, nach dem Minderheitsvotum rungen an Subventionsabbau und Finanzierbarkeit 35 Millionen t. Nun diente ja der Wunsch nach dem gerecht wird, wobei die regionalen und sozialen Be- Optimierungskonzept des deutschen Steinkohleberg- lange durchaus berücksichtigt werden müssen. baus eben der Klärung der Frage, bei welcher Förder- menge sich die Sache einpendeln könne. Dieser soge- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- nannte Optimierungsvorschlag ist ja kürzlich — vor satzfrage, aber bitte eine und nicht anderthalb. wenigen Wochen — vorgelegt worden. Er liegt in sei- ner Spitze bei rund 58 Millionen t und damit immer Ottmar Schreiner (SPD): 0,9. — Herr Staatssekretär, noch 3 Millionen t oberhalb des Maximums des Vor- darf ich Sie zudem fragen, ob Sie hier für die Bundes- schlags der Mikat-Kommission und wird deswegen regierung verbindlich erklären können, daß vor 1995 aus der Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums den von seiten der Bundesregierung nicht an eine Absen- gestellten Anforderungen nicht gerecht. In den Ge- kung der Kohleförderung gedacht ist, zumal der Bun- sprächen mit den Unternehmen des deutschen Stein- deskanzler in zahlreichen Gesprächen mit den Mini- kohlenbergbaus und den in diesen Fragen beteiligten sterpräsidenten im Rahmen der Kohlerunde fest zuge- und involvierten Ländern, Politikern und Gewerk- sagt hat, daß zumindest bis 1995 nicht an eine Redu- schaften klären wir zur Zeit ab, inwieweit wir hier eine zierung der Verstromungsmenge von rund 40 Millio- Annäherung finden können. nen Jahrestonnen gedacht sei? Ich will gleichzeitig unterstreichen, daß es Ziel der Energiepolitik der Bundesregierung ist, hier wieder Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege zu einem energiepolitischen Konsens zu kommen, Schreiner, ich denke, wir müssen hier zum einen die den wir dringend benötigen, wenn wir den Herausfor- Fördermenge und zum anderen die Verstromungs- derungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte hin- menge auseinanderhalten. Die Bundesregierung sichtlich der Versorgungssicherheit einerseits und der kann z. B. natürlich nicht den Absatz den in der Stahl- Regionalverträglichkeit andererseits, aber auch hin- 1282 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991

Parl. Staatssekretär Klaus Beckmann sichtlich der Umweltschutzaspekte gerecht werden rechnungskosten sowie die im Kraftwerk durch die wollen. Wärmeauskoppelung verursachten Zusatzkosten übersteigen. Angesichts der gegenwärtigen Wettbe- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- werbssituation im Wärmemarkt dürfte eine Verbilli- satzfrage der Kollegin Elke Ferner. gung der Stromversorgung nur bei wenigen Wärmeversorgungen gegeben sein, insbesondere bei Elke Ferner (SPD): Inwieweit sind die Zahlen, die denen, die günstige Verhältnisse vorfinden. der Kollege Schreiner eben schon genannt hat und die Das gilt auch und ganz besonders für die neuen heute in der „Saarbrücker Zeitung" standen, mit der Bundesländer, wo es darum gehen muß, die Vorteile Absicht des Bundesministers in Zusammenhang zu aus der Kraft-Wärme-Koppelung zur Erneuerung der bringen, die Subventionen drastisch zurückzufahren, sehr stark sanierungsbedürftigen und vielerorts ge- und wie würde sich z. B. eine Senkung der Steinkoh- genwärtig nicht wettbewerbsfähigen Fernwärmever- leförderung auf 40 Millionen Jahrestonnen im Ver- sorgungen einzusetzen. gleich zu dem auswirken, was von den Bergwerken In den alten Bundesländern ist es anders als in der — nicht nur von den Saarbergwerken, sondern auch ehemaligen DDR seit langem Praxis der Elektrover- von der Ruhrkohle AG und anderen — an Verstro- sorgungsindustrie, den Vorteil aus der Kraft-Wärme- mungsmengen vorgelegt worden ist? Koppelung der Fernwärme zuzurechnen, um deren Position am Wärmemarkt zu stärken. Ich sehe jedoch Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: In der Tat ist nicht, wie durch Kraft-Wärme-Koppelungs-Anlagen es so, daß für den Haushalt 1992 ein Abbau der Koh- der Bau großer Kondensationskraftwerke überflüssig lesubventionen vorgesehen ist. Wir haben darüber gemacht werden könnte. Das läßt sich auch aus dem heute morgen im Ausschuß für Wirtschaft beraten. Für Kontext der Stellungnahme des von Ihnen zitierten 1991 sind die Ziffern bereits festgeschrieben. Hier ist Vertreters der Elektrizitätswirtschaft entnehmen und nichts mehr zu ändern. gilt in ganz besonderen Maße angesichts der Verhält- In welchem Umfang die Subventionen herabgefah- nisse in den neuen Bundesländern. ren werden können, ist im Augenblick noch nicht fest- zulegen, weil wir noch nicht genau wissen, zu wel- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage. chen Kosten die deutschen Anlagen dann fördern werden, welche Anlagen fördern werden und in wel- Jutta Braband (PDS/Linke Liste) : Hält es die Bun- chem Ausmaß die deutschen Steinkohleunternehmen desregierung in diesem Zusammenhang für geboten, in der Lage sein werden, ihre Förderkosten weiterhin den § 4 Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes, das zu optimieren. Um das herauszufinden und in einen den wirtschaftlichsten Einsatz der Energiearten und gesamtenergiepolitischen Rahmen einzupassen, fin- die kostengünstigste Energieversorgung vorschreibt, den die Gespräche statt, von denen ich eben sprach, dahin gehend auszulegen, daß gerade in den fünf bei denen wir mit Hilfe aller Beteiligten — übrigens neuen Bundesländern mit ihrem mehr als doppelt so auch der Energieversorgungsunternehmen, die ich hohen Fernwärmeanteil wie in Westdeutschland vor- bisher noch nicht genannt habe — feststellen müssen, rangig Heiz- und Blockheizkraftwerke zu genehmi- wie wir vor dem Hintergrund eines angestrebten gen sind? Energiemix alle Primärenergien in die Energieversor- gung der erweiterten Bundesrepublik Deutschland Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Ich denke, einbinden können. daß die Frage, durch welche Energieerzeugungsanla- Eines ist jedenfalls sicher: daß wir auch unter Be- gen die Energieversorgung in den neuen Bundeslän- rücksichtigung des europapolitischen Aspekts zu ei- dern sichergestellt werden kann, von den zuständigen ner Fördermenge kommen müssen, die unter dem jet- Energieversorgungsunternehmen bzw. den Kommu- zigen Optimierungsvorschlag der Steinkohleunter- nen, die sich hierum kümmern, gelöst werden muß. nehmen liegt. Das ist nicht eine Frage, in der die Bundesregierung Vorschriften zu machen hat. Gleichwohl empfiehlt sie Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- natürlich sowohl den Gebietskörperschaften wie auch fragen liegen nicht vor. den Unternehmen, stets die wirtschaftlichste Lösung Wir kommen dann zur Frage 28 der Kollegin Jutta zu suchen. Braband: Weitere Zusatz- Hält die Bundesregierung die Aussage des Leiters der Abtei- Vizepräsidentin Renate Schmidt: lung Energiewirtschaft der PREUSSENELEKTRA auf der Exper- frage dazu. tenanhörung des hessischen Landtages vom 20./21. Mai 1986 zu Fragen der künftigen Stromversorgung im hessischen Versor- Jutta Braband (PDS/Linke Liste): Ich bin schon ein gungsgebiet der PREUSSENELEKTRA, „daß der Strom, der mit bißchen erstaunt über diese Antwort, weil gerade in Wärme gekoppelt erzeugt wird, unschlagbar billig ist", für zu- treffend, und hält die Bundesregierung diese Aussage auf die dem Zusammenhang mit den Stromverträgen, die geplanten Atomkraftwerksneubauten durch die Elektrizitäts- über die gesamte Energiewirtschaft der ehemaligen wirtschaft in Stendal und Greifswald für übertragbar? DDR geschlossen wurden, den Kommunen durchaus Herr Staatssekretär. nicht diese Rechte, die Sie ihnen jetzt eben zugespro- chen haben, zugestanden worden sind. Wird es da Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Frau Kolle- eine Änderung geben? gin Braband, generell gilt, daß eine Verbilligung der Stromerzeugung durch die Kraft-Wärme-Koppelung Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Ich habe den nur dann möglich ist, wenn die Erlöse aus dem Kommunen, Frau Kollegin, ja keine Rechte in diesem Wärmeverkauf die Transport-, Verteilungs- und Ab- Zusammenhang zugeschrieben oder zugestanden, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991 1283

Parl. Staatssekretär Klaus Beckmann sondern es ging mir darum, daß die Kommunen oder nicht jedoch durch planwirtschaftliche Vorgaben sei- andere Gebietskörperschaften dort wo sie selbst als tens des Staates verwirklicht werden sollten. Energieerzeuger auftreten, natürlich die freie Wahl haben, die entsprechende Energieerzeugungsanlage Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage. auszuwählen. Dabei sollten sie sich natürlich nach § 4 des Energiewirtschaftsgesetzes richten, nämlich die Jutta Braband (PDS/Linke Liste): Auch wenn eine wirtschaftlichste Art auszuwählen, wobei natürlich Hilfe durch Studien in dieser Hinsicht nach Ihrer Dar- die Frage, was die wirtschaftlichste Energieerzeu- stellung kaum möglich ist: Ist die Bundesregierung gungsanlage ist, eine ausgesprochen umstrittene ist. dennoch der Ansicht, daß der in der Präambel des Auch wir streiten uns hier schon seit über 20 Jahren Energiewirtschaftsgesetzes enthaltene Gemeinwohl- darüber. bezug dazu verpflichtet, der Beschäftigungssituation und dem überwiegenden Willen der Kommunen nach Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- dezentralen Versorgungsstrukturen — ich meine die fragen liegen dazu nicht vor. Kommunen in den fünf neuen Bundesländern — Ich rufe dann die Frage 29 der Kollegin Jutta Bra- Rechnung zu tragen? band auf: Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung verschiedener Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Die Bundes- Studien zu (Investitionen im Energie- und Umweltbereich, Ber- regierung hat ein hohes Interesse daran, daß der öf- lin 1984; Auswirkungen verstärkter Maßnahmen zum rationel- fentliche Versorgungsauftrag erfüllt wird. Sie hat ja len Energieeinsatz auf Umwelt, Beschäftigung und Einkommen, auch die entsprechenden Verträge flankiert, die hin- [ISI] Karlsruhe 1983; Beschäftigungseffekte örtlicher Energie- konzepte, Hannover 1984; Neue Arbeitsplätze durch eine alter- sichtlich der Versorgung in den neuen Bundesländern native Energieversorgung, Bremen 1984), daß die Beschäfti- abgeschlossen worden sind. Was sich jetzt im einzel- gungswirkungen einer auf Energieeinsparung und dezentraler nen entwickelt, werden wir sehen müssen. Die Bun- Energiebereitstellung ausgerichteten Energiepolitik deutlich desregierung vermeidet es auch hier, Vorgaben zu höher anzusetzen sind als die zentralistischer Systeme, und hält die Bundesregierung diese Aussagen auf die geplanten Atom- machen, an die sich irgendwelche Gebietskörper- kraftwerksneubauten in Stendal und Greifswald für übertrag- schaften oder Unternehmen halten müßten. Wir wis- bar? sen, daß ein Teil der Kommunen zur Zeit versucht, neue Wege zu gehen, die allerdings nicht mit den Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Frau Kolle- rechtlichen Rahmenbedingungen übereinstimmen. gin, generell ist festzustellen, daß die Aussagefähig- Es ist ein Prozeß, der sich zur Zeit entwickelt, über den keit von Studien über die Beschäftigungswirkungen die Bundesregierung aber im Augenblick keine Aus- einzelner Technologien, Investitionsmaßnahmen oder kunft geben kann, weil sie selbst nicht involviert ist Instrumente nur begrenzt ist, da die komplexen volks- und nicht Partner ist. wirtschaftlichen Wirkungszusammenhänge nur teil- weise erfaßt werden können. Diese Problematik ist bei Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zu- der Analyse langfristig wirkender Maßnahmen, wie satzfrage. sie ja gerade für den Energiebereich typisch sind, be- sonders ausgeprägt. Gerade die langfristig zum Tra- Jutta Braband (PDS/Linke Liste): Ich möchte in die- gen kommenden Anpassungsprozesse und Wechsel- sem Zusammenhang noch fragen, wie hoch der pro- wirkungen in der Volkswirtschaft lassen sich nicht mit zentuale Anteil der Arbeitsleistungen an der Er- hinreichender Genauigkeit prognostizieren. richtung eines 1 300 Megawatt-Reaktors westdeut- Besonders problematisch ist es, wenn Beschäfti- scher Bauart einzuschätzen ist, die durch die Kräfte gungswirkungen die Subventionierung unwirtschaft- aus der näheren Umgebung von Stendal und Greifs- licher Investitionen rechtfertigen sollen. In eine solche wald — es ist in Rede, dort Atomkraftwerke zu Betrachtung sind nämlich auch die Beschäftigungs- bauen- —, also direkt von Menschen, die in dieser wirkungen der Subventionsfinanzierung einzubezie- Umgebung leben, erbracht werden können. hen, d. h. die Beschäftigungseinbußen, die sich durch den Entzug der Subventionsmittel an anderer Stelle Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär: Frau Kolle- der Volkswirtschaft ergeben. Bei der Einbeziehung gin, hierüber liegen mir an dieser Stelle keine Zahlen dieser Beschäftigungseffekte greifen fast alle Studien vor. Falls sie vorhanden sind, bin ich gerne bereit, zu kurz. Derartige Studien können daher für unsere Ihnen diese schriftlich nachzuliefern. Energiepolitik nur begrenzt Orientierungen geben. (Jutta Braband [PDS/Linke Listel: Ich be Die Energiepolitik der Bundesregierung ist an den danke mich!) Zielen einer sicheren, Wirtschaftlichen, umwelt- freundlichen und ressourcenschonenden Energiever- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- sorgung orientiert. Dabei haben die Energieeinspa- fragen liegen nicht vor. rungen einen besonders hohen Stellenwert. Wir sind aber nicht der Auffassung, daß zentrale bzw. dezen- Wir kommen zur Frage 30. Sie ist zur schriftlichen trale Energiebereitstellung unter energiepolitischen Beantwortung vorgesehen. Die Antwort wird als An- oder beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten lage abgedruckt. sinnvolle Zielgrößen der Energiepolitik sind. Wir sind Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. daher mehr der Auffassung, daß die energie- und Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun- wirtschaftspolitischen Zielsetzungen durch eine desministers der Verteidigung. Zur Beantwortung marktwirtschaftliche Politik, d. h. unternehmerische steht der Parlamentarische Staatssekretär Willy Wim- Eigenverantwortung und staatliche Rahmensetzung, mer zur Verfügung. 1284 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991

Vizepräsidentin Renate Schmidt Die Frage 33 des Kollegen Ortwin Lowack ist zur Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Herr Staatssekretär, schriftlichen Beantwortung vorgesehen. Die Antwort treffen Informationen aus gelegentlich gut informier- wird als Anlage abgedruckt. ten Kreisen zu, daß die Bundesregierung erwägt, gut- Wir kommen damit zur Frage 34 des Kollegen achtlich prüfen zu lassen, ob die Soldaten, die sich so Dr. Eckhart Pick: tatkräftig selbst versorgt haben, nun ihren Kantinen- Kann die Bundesregierung bestätigen, daß 24 Piloten u. a. des zuschuß gestrichen bekommen sollten? Marinegeschwaders 1 (Jagel bei Schleswig) im Verdacht ste- hen, Düsenjets der Bundeswehr zum Transport von Lachs und Willy Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Schnaps in die Bundesrepublik Deutschland bzw. nach Norwe- wir haben leider keinen Zugang zu den von Ihnen gen vielfach zweckentfremdet genutzt und damit gegen Zoll- und Strafvorschriften verstoßen zu haben? angesprochenen normalerweise gut unterrichteten Kreisen. Herr Staatssekretär, bitte. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- Willy Wimmer, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- fragen zur Frage 34 liegen nicht vor. nister der Verteidigung: Herr Kollege, es ist richtig, Wir kommen dann zur Frage 35 des Kollegen daß deutsche Zollbehörden gegen Piloten der Bun- Pick: desluftwaffe und der Marine wegen des Verdachts der Abgabenhinterziehung ermitteln. Es sind uns Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtslage, falls die 21 Fälle bekannt. zuständigen Strafgerichte die Einziehung der Düsenjets als Cor- pora delicti (Mittel zur Begehung einer Straftat) verfügen wür- Es ist auch zutreffend, daß diesen Ermittlungen der den, und wäre damit der Verteidigungsauftrag der Bundeswehr Verdacht zugrunde liegt, daß Luftfahrzeuge der Bun- gefährdet? deswehr in diesen Fällen verbotenerweise für den Bitte, Herr Staatssekretär. Transport von Alkoholika nach Norwegen und von Lachs aus Norwegen benutzt worden sind. Willy Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das gibt mir eine gute Gelegenheit, auf eine Bedeu- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage, tung einer Bestimmung unseres Strafgesetzbuchs auf- Herr Kollege Pick. merksam zu machen. Eine Einziehung der von Ihnen genannten Düsenjets als Tatmittel ist nicht zu be- Dr. Eckhart Pick (SPD): In Anbetracht dieser sehr fürchten. Für Gegenstände, die zur Begehung oder intensiven Benutzung von Bundeswehrgerät — man Vorbereitung der Tat gebraucht worden sind und die, könnte fast von einer Luftbrücke von und nach Nor- wie die hier zitierten Düsenjets, dem Täter oder Teil- wegen sprechen — : Ist es der Bundesregierung oder nehmer nicht gehören, käme, da hier die Vorausset- den Vorgesetzten im Laufe der Jahre nicht aufgefal- zungen des § 74 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 StGB nicht len, daß diese Art von Transport zum Nachteil der vorliegen, nur eine Einziehung nach § 74 a des Straf- Bundesrepublik stattfindet? gesetzbuchs in Betracht. Die Einziehung wäre also nur dann möglich, wenn derjenige, dem sie gehören, bzw. Willy Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, hier derjenige, der als vertretungsberechtigtes Organ nach dem, was uns bisher bekannt geworden ist — Sie der Bundesrepublik Deutschland gehandelt hat — ich wissen, daß die Ermittlungen auch disziplinarrechtli- verweise auf § 75 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs — we- cher Art laufen — , sind die Mengen, die hier transpor- nigstens leichtfertig dazu beigetragen hätte, daß die tiert worden sind, so dimensioniert, daß bestimmte Flugzeuge Mittel der Tat oder ihrer Vorbereitung ge- Tatbestände in Anbetracht der Mengen bereits ausfal- wesen sind. len. Daher kann ich mir auch nur spekulativ eine Aus- Diese Voraussetzung ist bei dem vertretungsbe- sage zu Ihrer Überlegung nicht erlauben. rechtigten Organ der Bundesrepublik Deutschland, also der Eigentümerin der Flugzeuge, hier: dem Bun- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- desminister der Verteidigung, erkennbar nicht gege- fragen, Herr Kollege Pick? ben. Im übrigen wird die Einziehung ohnehin nicht an- Dr. Eckha rt Pick (SPD) : In Anbetracht der in der geordnet, wenn sie zur Bedeutung der begangenen Öffentlichkeit, in der Presse genannten Mengen Tat und zum Vorwurf, der den von der Einziehung — u. a. ist von 3 500 kg Lachs in geräuchertem und betroffenen Dritten treffen könnte, außer Verhältnis anderem Zustand die Rede — frage ich mich: Was ist stände. Ich verweise insoweit auf den § 74 b Abs. 1 des mit diesem Lachs passiert? Er hätte ja zur Verbesse- Strafgesetzbuchs. rung der Verpflegung dienen können. Das ist zumin- dest denkbar. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Herr Kollege Pick. Willy Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Prinzip ja. So lautet die allgemein übliche Antwort auf Dr. Eckart Pick (SPD): Hat die Bundesregierung eine solche Frage. Aber da es sich hier um einen Tat- auch geprüft, ob hier der Tatbestand des § 74 Abs. 2 bestand handelt, der Gegenstand von staatsanwalt- Nr. 2 StGB, den Sie, Herr Staatssekretär, ja erwähnt schaftlichen und sonstigen Ermittlungen ist oder sein haben, eventuell anzuwenden wäre, wonach die Ein- könnte, werden Sie mir nachsehen, daß ich dazu keine ziehung nur zulässig ist, wenn „die Gegenstände nach weiteren Aussagen mache. ihrer Art und den Umständen die Allgemeinheit ge- fährden oder die Gefahr besteht, daß sie der Bege- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Gibt es Zusatzfra- hung rechtswidriger Taten dienen werden" — was gen? — Herr Kollege Meyer. also eine Prognose ist —? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1285

Willy Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, geleistet werden müsse. Vor diesem Hintergrund die Kampfflugzeuge und die Flugzeuge und die Hub- schloß er weitere drastische Steuererhöhungen nicht schrauber der Bundeswehr dienen dem verfassungs- aus. mäßigen Auftrag. Schon daraus ergibt sich, wie ich Über diese beunruhigenden Aussagen des sächsi- schon in der Antwort auf Ihre Frage ausgeführt habe, schen Ministerpräsidenten muß die Bundesregierung daß der hier herangezogene § 74 in der von Ihnen dringend Klarheit schaffen. Die Menschen in den genannten Konfiguration außer Betracht bleibt. neuen wie in den alten Bundesländern haben An- spruch darauf, daß die Bundesregierung drei Fragen Weitere Zusatz- Vizepräsidentin Renate Schmidt: beantwortet: frage, Herr Kollege Pick. Erstens. Wie beurteilt die Bundesregierung den von Dr. Eckart Pick (SPD): Ist für die Zukunft gewähr- Ministerpräsident Biedenkopf angemeldeten Finanz- leistet, daß die entsprechenden Fluggeräte nur noch bedarf? dem Zweck, für den sie eigentlich vorgesehen sind, Zweitens. Wird die von der Bundesregierung für dienen, und sind entsprechende Kontrollen oder an- 1993 beschlossene Mehrwertsteueranhebung 1, 2 dere Möglichkeiten hier schon angeordnet? oder 3 Prozentpunkte betragen? Willy Wimmer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Drittens. Plant die Bundesregierung weitere Steuer- ich habe schon in der Antwort auf Ihre erste Frage erhöhungen — zusätzlich zu dem bereits beschlosse- darauf aufmerksam gemacht, daß wir hier auch diszi- nen größten Steuer- und Abgabenpaket in der Ge- plinar prüfen, was zu tun ist. Ich glaube, von allen. die schichte der Bundesrepublik Deutschland? diese Flugzeuge und Hubschrauber und ähnliche Ge- Zu den Aussagen des CDU-Ministerpräsidenten räte bedienen, müssen wir erwarten, daß sie diese Biedenkopf stelle ich fest: Die neuen Länder und Ge- Gerätschaften nur im Rahmen des gesetzlich vorgege- meinden brauchen eine klare und verläßliche finanz- benen Auftrags nutzen. Alles andere müßte diszipli- politische Perspektive. Wir warnen aber davor, jetzt nar und sonstwie geahndet werden. Wir haben es hier schon wieder von neuen Steuererhöhungen zu re- mit einem Sachverhalt zu tun, der ich sage einmal: den. unangenehm ist. (Dr. Gero Pfennig [CDU/CSU]: Das machen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wortmeldungen Sie doch gerade! — Weitere Zurufe von der zu weiteren Zusatzfragen liegen nicht vor. CDU/CSU) Die Fragen 36 und 37 der Kollegin Antje-Marie Wir haben doch gerade an einem Hearing teilgenom- Steen und 38 und 39 der Kollegin Dr. Rose Götte wer- men, in dem die Fachleute Ihnen gesagt haben, daß den schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Sie längst hätten einsparen und umschichten sollen, Anlagen abgedruckt. meine Damen und Herren von der CDU, so z. B. beim Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Verteidigungshaushalt, Bundesministers der Verteidigung — Herzlichen (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Dank, Herr Staatssekretär! — und am Ende der Fra- Jäger 90!) gestunde für heute angekommen. Die noch ausste- henden für heute vorgesehenen Geschäftsbereiche beim Jäger 90; Herr Uldall, Sie geben mir das Stich- des Bundesministers für Verkehr und des Bundesmi- wort. nisters für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ heit werden mit den für morgen vorgesehenen übri- GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ gen Bereichen aufgerufen. Linke Liste) Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt auf: Sie lachen heute. Aber Sie haben auch bei Wackers- Aktuelle Stunde dorf gelacht, Sie haben beim Schnellen Brüter ge- lacht. Beide Projekte haben Sie eingestampft, und Haltung der Bundesregierung zu den Auswir- beim Jäger 90 werden Sie es genauso tun. kungen des vom Ministerpräsidenten des Frei- staates Sachsen für die nächsten Jahre darge- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ stellten Finanzbedarfs für die neuen Bundes- GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ länder im Zusammenhang mit den von der Linke Liste) Bundesregierung geplanten Steuerabschaf- Wir fordern Sie auf: Lassen Sie die Finger von Ihrem fungen und Steuersenkungen Plan, die Vermögensteuer und die Gewerbekapital- Die Fraktion der SPD hat eine Aktuelle Stunde zu steuer abzuschaffen! Es kann doch nicht sein, daß Sie diesem Thema verlangt. in den Reihen der CDU — siehe Biedenkopf — schon Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- wieder über neue Steuererhöhungen diskutieren und gin Ingrid Matthäus-Maier. daß die Bundesregierung trotzdem stur an ihrer Koali- tionvereinbarung festhält, zum frühestmöglichen Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Frau Präsidentin! Zeitpunkt die Steuern für Vermögensmillionäre und Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor weni- Großunternehmen zu beseitigen. Es kann doch nicht gen Tagen hat CDU-Ministerpräsident Biedenkopf er- sein, daß durch die Abschaffung der Vermögensteuer klärt, der Finanzbedarf der neuen Bundesländer sei 41 Vermögensmillionäre um durchschnittlich 3 Mil- so groß, daß die Finanzhilfe von rund 100 Milliarden lionen DM im Jahr entlastet werden, jeder für sich DM nicht nur in diesem Jahr, sondern auch bis zum allein. Um dieses Steuergeschenk für einen einzigen Jahr 2000 — Jahr für Jahr, immer wieder erneut — dieser Reichen zu bezahlen, müssen 10 000 Autofah- 1286 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991

Ingrid Matthäus-Maier rer beim Tanken Jahr für Jahr 25 Pfennig mehr Mine- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat der ralölsteuer pro Liter zahlen. Nein, hier sieht jeder: Ihre Kollege Wolfgang Schulhoff. Steuerpolitik ist ein klarer Verstoß gegen die soziale Gerechtigkeit. Die Masse der Menschen muß zahlen, und die Großen werden entlastet. Das werden wir auf Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU): Frau Präsidentin! keinen Fall mitmachen, meine Damen und Herren! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Matthäus-Maier, Sie bleiben sich immer treu. GRÜNE) (Beifall bei der SPD) Sie haben nun kalte Füße gekriegt. Mir wurde ge- Sie bleiben immer bei Ihrem alten Strickmuster, ein rade auf den Tisch gelegt — Überschrift — , die FDP Horrorgemälde zu malen und darüber hinwegzutäu- könne möglicherweise auf die Abschaffung der priva- schen, was Sie in der Vergangenheit gemacht ha- ten Vermögensteuer verzichten. Die Arbeitnehmer- ben. vertreter in der CDU sagen, auch sie wollten die Ab- Aber ich muß Ihnen, ich muß der Sozialdemokratie schaffung dieser Steuer nicht. Und Herr Faltlhauser in einem Punkt recht geben: Wären wir Ihnen im vori- sagt, auch die CDU habe das eh nicht gewollt. Keiner gen Jahr gefolgt, hätten wir die Probleme heute in der will es gewesen sein, der die Vermögensteuerab- Tat nicht; denn wir hätten gar keine Wiedervereini- schaffung gefordert hat, obwohl sie doch in Ihrer Ko- gung. alitionsvereinbarung steht. Das Ganze kommt mir so (Widerspruch bei der SPD) vor, als ob Sie bei der Abschaffung der Vermögen- steuer nach der Manier eines typischen miesen Vater- Lafontaine wollte sie gar nicht. Sie haben alles ge- schaftsprozesses verfahren: Keiner will es gewesen tan — — sein. — Wenn es aber keiner gewesen sein will, dann (Zurufe von der SPD) fordern wir Sie auf: Lassen Sie endlich von Ihrem — Ja, darüber wollen Sie jetzt hinweggehen. — Sie unsozialen Plan ab, die Gewerbekapitalsteuer und die haben das Klima so vorbereitet, daß heute in der Tat Vermögensteuer abzuschaffen, meine Damen und große Schwierigkeiten vorliegen. Herren! (Zuruf von der SPD: Die waren doch vorher (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und da!) dem Bündnis 90/GRÜNE) Sie gehen diesen Weg auch konsequent weiter. Wenn Wir sind zu einer vernünftigen, aufkommensneutra- nicht Altbundeskanzler Brandt gewesen wäre, wäre len Unternehmensteuerreform bereit, aber nicht zu die SPD noch viel stärker ins Schlittern geraten. solchen unsinnigen Steuersenkungen. Aber heute machen Sie das etwas netter, viel diffi- Die Abschaffung der Vermögen- und Gewerbeka- ziler. Heute gehen Sie mit einer Doppelstrategie vor: pitalsteuer würde dem Staat notwendige Finanzmittel Sie schicken Ihre Hilfstruppen nach drüben, die De- in Höhe von 9 Milliarden DM entziehen. Sie wäre ein monstrationen initiieren, wie es heute noch Ihr schwerwiegender Eingriff in die Finanzen von Län- Chefideologe und der größte Miesmacher der Nation dern und Gemeinden. Allein das Land Nordrhein- tut. Herr Steinkühler wird ja drüben wieder auftreten Westfalen würde über die Vermögensteuerabschaf- und die Massen mobilisieren. Ich weiß nur nicht, mit fung 1,8 Milliarden DM verlieren. Damit könnten welcher wirtschaftlichen Kompetenz der Mann den 22 500 Lehrer nicht mehr bezahlt werden. Entspre- Menschen drüben etwas nahebringen will; denn er chende Zahlen gelten auch für das Land Rheinland- hat hier ja eine „sehr gute" Vergangenheit vorzuwei- Pfalz. sen: Er war einer derjenigen, die das größte deutsche (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) Wohnungsunternehmen mit in den Bankrott getrie- - ben hat. 10 Milliarden DM Steuergelder und Gelder Dadurch würden die kleinen Leute gleich zweimal deutscher Arbeitnehmer wurden in den Sand ge- zur Kasse gebeten: auf der einen Seite durch gerin- setzt. gere öffentliche Leistungen der Länder und Gemein- den, weil die natürlich weniger Geld für Kindergärten (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sagen Sie et und Sportvereine zur Verfügung haben, und auf der was zum Thema!) anderen Seite durch die Erhöhung der Mineralöl- Ich weiß nicht, was der Mann den Arbeitnehmern drü- steuer, der Lohnsteuer, der Einkommensteuer, der ben überhaupt noch sagen soll. Versicherungsteuer, der Telefonsteuer, der Tabak- Aber zum Glück gibt es ja auch noch andere Stim- steuer — übrigens alles Steueranhebungen, die Sie men — das versöhnt uns dann auch etwas mit den den Menschen vor der Wahl wohlweislich verschwie- Sozialdemokraten — , z. B. die von Herr Rappe. Damit gen haben. sind wir bei unserem Thema, Deswegen fordern wir Sie auf: Lassen Sie davon ab! (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das wird aber Sie können sicher sein, mit uns wird es das nicht Zeit!) geben. Ich appelliere mit Blick auf die Arbeitsgruppen an Bundeskanzler Kohl: Verzichten Sie auf die von liebe Frau Matthäus-Maier: Miesmacherei. Herr Ihnen geplante Abschaffung von Vermögensteuer Rappe, unser Kollege, sagt, noch so schöne Demon- und Gewerbekapitalsteuer! Dann sind wir ein Stück strationen würden uns nicht weiterhelfen. Es gehe weiter, meine Damen und Herren. derzeit um anderes. Nachdem die Bundesregierung genügend Geld für eine Wende in der Wirtschaft und (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und auf dem Arbeitsmarkt in Ostdeutschland zur Verfü- dem Bündnis 90/GRÜNE) gung gestellt habe, solle man damit aufhören. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1287

Wolfgang Schulhoff Es gibt noch weitere Stimmen dieser Art. Eine ist die Damit ist der Aufschwung nicht in Gang zu brin- des Ministerpräsidenten von Brandenburg, Herrn gen. Stolpe, der ja nicht nachläßt, den Bundeskanzler zu Optimismus wird allenthalben in den neuen Bun- loben. Er ist einer der wenigen Sozialdemokraten, der wirklich einsieht, was richtig ist. desländern gebraucht und erwartet. Doch ebenso wichtig und unverzichtbar für die Stärkung der Kräfte (Zurufe von der SPD) ist die schonungslose Offenlegung der Tatsachen, der Er riet, mit dem Spiel mit dem Feuer aufzuhören. Er Wahrheit an sich. riet den Gewerkschaften: Ich warne vor Verhetzung Doch unbeirrt hält die Regierung daran fest, daß und Demagogie; die Menschen hier sind noch nicht Ostdeutschland in absehbarer Zeit eine blühende Re- geübt im Umgang mit dem Streik- und Demonstra- gion sein wird. Auf Grund der erst jetzt in vollem tionsrecht. Umfang erkannten Erblast und speziell des Umfangs Ich erwarte an sich von den Sozialdemokraten hier, dieser Erblast der so völlig unerwartet zusammenge- daß sie sich einmal distanzieren. Wenn Sie schon Ge- brochenen Ostmärkte sei man allerdings ein bißchen meinsamkeiten vorschlagen, dann handeln Sie so, wie auf Zeitverzug angelegt, bis die Initialzündung für Sie sprechen, damit wir auch einen Schritt weiterkom- den Aufschwung zustande kommt und zu wirken be- men. Hier geht es ja um Menschen. ginnt. In zwei, drei, vier, vielleicht auch fünf oder (Zustimmung bei der CDU/CSU — Albrecht sechs Jahren — der Kanzler erweitert diese Zahl ja Müller [Pleisweiler] [SPD]: Sie haben ja die ständig nach oben; in Erfurt erst unlängst gehört — sei Hose voll!) dann auch die soziale Einheit, die Einheit der Lebens- verhältnisse, vollzogen. Aber so einfach scheint diese — Entschuldigen Sie bitte, das müssen gerade Sie Rechnung nicht aufzugehen. Das zeigt zumindest Ihr sagen, wo Sie noch in dieser Woche über den Standort Kollege Biedenkopf auf. Die Wahrheit kommt also Ihrer Partei nachzudenken haben. scheibchenweise ans Licht. Was wir brauchen, sind keine Miesmacher. Viel- mehr brauchen wir in dieser unglaublich schwierigen (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Aber ich garan Phase, die kein Mensch verkennen will, Mutma- tiere, Sie haben das Gutachten gar nicht ge cher. lesen!) Die steuerpolitischen Vorschläge der SPD in der Getäuscht sind oder waren offenbar alle die Bürger im Vergangenheit zeichnen sich doch durch Irrtümer und Osten, die sich eine kurze Zeit in der Illusion wiegen Fehleinschätzungen aus. Frau Matthäus-Maier, die durften, mit der D-Mark käme auch bald der in der ganze Steuerreform haben Sie doch damit begleitet, alten Bundesrepublik herrschende Wohlstand in die daß Sie Horrorgemälde an die Wand gemalt haben: Ex-DDR. Die Gemeinden und die anderen Körperschaften wür- (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Herr Schulz, ha den ausbluten. Tatsächlich hat sich unsere Philoso- ben Sie eigentlich das Gutachten gelesen?) phie bewahrheitet: niedrigere Steuern, höhere Steu- ereinnahmen. Ganz einfach. Die Menschen wissen — Natürlich! mit ihrem selbst verdienten Geld immer besser umzu- (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Es ist doch noch gehen als der Staat. gar nicht erschienen!) Diese Philosophie haben wir in der Vergangenheit — Vielleicht haben Sie es noch nicht. Ich habe es. Ihre vertreten, und wir werden sie auch weiterhin vertre- Äußerung zeigt, daß Sie es offenbar nicht gelesen ten und entsprechend handeln. Diese Philosophie haben. werden wir auch im Interesse der Bürger in den neuen Ländern weiter konsequent vertreten. Wir lassen uns Die Bürger im Westen, die nur zu gern geglaubt durch noch so viele Horrorgemälde, durch noch soviel haben, die deutsche Einheit ließe sich schmerzlos und Demagogie nicht von dem richtigen finanzpolitischen ohne- Einschnitte in ihren Besitzstand aus der Porto- Weg abbringen. kasse finanzieren — — Ich danke Ihnen. (Zurufe von der SPD: Das wurde Ihnen ja gesagt!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wo war denn — Ja, auch das. das Horrorgemälde? — Weiterer Zuruf von Unklar ist, wen die Regierung getäuscht hat; die der SPD: Kein Wort zum Thema!) Bürger im Osten, die Bürger im Westen oder sich selbst. Es mag dahin gestellt bleiben. Tatsache ist, daß die Täuschung mit jedem Tag offenkundiger in sich Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat der zusammenfällt und daß die auf dieser Täuschung ba- Kollege Werner Schulz. sierenden Absichten der Regierung, in den nächsten Jahren die Steuern für wohlhabende Unternehmer zu (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): senken, hinfällig, ja absurd und dringend revisions- Werner Schulz bedürftig sind. Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schulhoff, mich hätte viel mehr Ihre Stellungnahme zu dem (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE sowie bei wirklich überraschenden Gutachten Ihres Kollegen Abgeordneten der SPD) Biedenkopf interessiert als Ihre schwungvolle Rede. Die vom Institut für Wirtschaft und Gesellschaft vor (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei gelegte Studie über die wirtschaftliche Lage und die der SPD) Aussichten Ostdeutschlands belegt das anschaulich. 1288 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991

Werner Schulz (Berlin) Danach werden auch bei größten Anstrengungen der Umfang der wirtschaftliche Aufschwung kommt, wie ostdeutschen Bevölkerung und höchstmöglichen Zu- die in der Summe gewaltigen Fördermaßnahmen wachsraten die neuen Länder noch viele Jahre am greifen, wie also Wachstum und Beschäftigung und finanziellen Tropf der alten Bundesrepublik hängen. demgemäß auch die Steuereinnahmen in den neuen Wir haben wenig Hoffnung, daß die Grundaussagen Ländern sich entwickeln werden. dieser Studie zu pessimistisch ausgefallen sein könn- Ohne privates Kapital und ohne Unternehmens- ten. Nein, wir müssen davon ausgehen, daß der Pro- investitionen können und werden wir es nicht schaf- duktivitätsabstand zwischen Ost- und Westdeutsch- fen, die Lebensverhältnisse in West und Ost einander land enorm ist und daß der Aufschwung Ost in Kürze anzugleichen. Nur darum kann und muß es doch ge- nicht zu haben ist. Der Weg aus der Krise ist offenbar hen: Wie schaffen wir die Herstellung ebenso lang wie der Weg in die Krise. einheitlicher Lebens - und Wirtschaftsverhältnisse? Die Konsequenz: Bis zum Jahr 2000 und darüber hinaus werden Einkommentransfers in der Größen- Damit ist klar, daß die Frage nach den Kosten, nach ordnung von jährlich 100 Milliarden DM und mehr dem Finanzbedarf der öffentlichen Hände, jetzt die falsche Frage ist. Gestellt werden muß die Frage nach von West- nach Ostdeutschland erforderlich sein, um ein Ausbluten Ostdeutschlands zu verhindern und dem besten Weg und nach dem besten Konzept für den Wohlstandsabstand in einigermaßen erträglichen den Aufschwung Ost. Grenzen zu halten. Das bedeutet, daß die westdeut- (Horst Sielaff [SPD]: Dann zeigen sie den ein schen Bürger noch viel tiefer und länger in die Tasche mal auf!) greifen müssen, als dies die verantwortlichen Politiker ihnen gegenüber momentan zugeben. Die angebliche Angst- und Panikmache — wie Sie das zu tun pflegen, Einmaligkeit der finanziellen Kraftanstrengung, von meine Damen und Herren von der SPD — sind ge- der der Bundeskanzler spricht, wird auf lange Sicht nauso verfehlt wie das Feilschen darüber, welche öf- zur Dauerleistung. Die eigentlich befristete Anhe- fentlichen Mittel von West nach Ost fließen müssen, bung der Lohn- und Einkommensteuer muß im Prin-- ob es jetzt erst einmal reicht oder ob und wann noch zip bestehen bleiben. Wer anders rechnet, macht sich einmal zugelegt werden muß. und anderen etwas vor. (Albrecht Müller [Pleisweiler] [SPD]: Macht Auf diese Anforderungen muß sich die Witschafts- denn jemand Angst, der sagt, da muß endlich und Finanz-, die Sozial- und Haushaltspolitik für die einmal investiert werden?) kommenden Jahre einstellen. Die von der Bundesre- gierung vorgelegte Finanzplanung — dies sei hier Die Aktualität bekommt diese Debatte offensicht- schon vermerkt — wird diesen Herausforderungen lich durch die bevorstehende Landtagswahl in Rhein- nicht gerecht. land-Pfalz. Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD — das zeigt der Beitrag von Matthäus-Maier —, Ich danke Ihnen. geht es doch offensichtlich nicht darum, mit der von (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei Ihnen beantragten Aktuellen Stunde die Sorgen und der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS/ Nöte der Menschen in den neuen Bundesländern auf- Linke Liste) zugreifen. Diese Debatte hätten Sie auch dann auf die Tagesordnung setzen lassen, wenn es den Aufhänger der Äußerungen von Herrn Biedenkopf nicht gegeben Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat der hätte. Kollege Gerhard Schüßler. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Horst Sielaff [SPD]: Eine bösartige Unterstel Gerhard Schüßler (FDP): Frau Präsidentin! Meine lung ist das! — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: sehr verehrten Damen und Herren! Die Äußerungen Sagen Sie doch etwas zur Sache!) des sächsischen Ministerpräsidenten Biedenkopf sind für sich genommen eine Aktuelle Stunde nicht wert. — Ich bin ja dabei. — Ihnen geht es doch nur darum, die von Ihnen künstlich aufgezäumte Diskussion über (Zurufe von der CDU/CSU: Richtig! — Zu- die künftige Unternehmensteuerreform weiterzuko- rufe von der SPD: Was? — Dr. Ulrich Briefs chen. [PDS/Linke Liste]: Das ist aber arrogant!) Sowohl die Äußerungen des Ministerpräsidenten als (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) auch die Studie des GWI reihen sich in die Vielzahl Gemessen an den vorliegenden Steuergesetzentwür- von Gutachten und Prognosen über den Finanzbedarf fen fehlt es insoweit an jeder Aktualität. der neuen Länder in den nächsten Jahren ein. Über Spekulationen können wir heute nicht hinaus. Im üb- (Albrecht Müller [Pleisweiler] [SPD]: Sagen rigen wird sich die FDP daran nicht beteiligen. Sie das einmal Herrn Solms!) Niemand ist in der Lage, den Finanzbedarf bis zum Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und der Jahr 2000 auch nur annähernd konkret abzuschät- Vermögensteuer in den alten Bundesländern steht zen. derzeit nicht konkret zur Entscheidung an. Warten Sie (Manfred Reimann [SPD]: Vor der Wahl habt doch erst einmal ab, was die Koalition und die Bun- ihr das gekonnt!) desregierung hierzu zu gegebener Zeit vorlegen wer- den. Eine seriöse Schätzung ist deswegen so schwierig, weil der Finanzbedarf der neuen Länder und Ge (Horst Sielaff [SPD]: Da können wir lange meinden davon abhängt, wie schnell und in welchem warten!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991 1289

Gerhard Schüßler Für die Umsetzung der Koalitionsvereinbarungen gibt Die Bundesregierung läßt diese Entwicklung wei- es noch viel Spielraum, was die Termine und auch die terlaufen, mit minimalen Gegenmaßnahmen. Das Inhalte betrifft. Warten Sie also erst einmal ab, bevor Ziel, die DDR als Wirtschafts- und Produktionsstand- Sie sich hier in Spekulationen über ungelegte Eier ort und im Bewußtsein der Menschen auszulöschen, ergehen. wird realisiert, und zwar um den Preis der Verarmung (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — und Verelendung eines Großteils, wenn nicht der Horst Sielaff [SPD]: Sie gackern nur!) Mehrheit der Bevölkerung in der früheren DDR. Was jetzt ansteht, ist der Verzicht auf die Gewerbe- (Zuruf von der CDU/CSU: Spinner!) kapitalsteuer und die Vermögensteuer in den neuen Eine Ohrfeige für die Menschen im Osten ist aber Bundesländern. Nennenswerte Steuerausfälle sind insbesondere die Vereinbarung zur Einsetzung von dabei nicht festzustellen. Wir wissen alle, wie schlecht Arbeitsgruppen aus Koalitionsparteien und SPD mit die Substanz in den neuen Bundesländern ist. Wollen Bündnis-90-Vertretern als Alibifiguren. Sie denn wirklich, daß ein Unternehmen, das jetzt mit Verlust in den neuen Bundesländern startet, mit Sub- ( [CDU/CSU]: Sie lesen ja nur stanzsteuern — unabhängig von jeglichem Gewinn — vor! Wer hat Ihnen das aufgeschrieben? Ein belastet wird? Wollen Sie die noch nicht funktionie- hauptamtlicher Berater der PDS hat Ihnen rende Steuerverwaltung mit der völlig unergiebigen das aufgeschrieben!) Feststellung von Einheitswerten belasten, anstatt de- Diese Vereinbarung ist pure Kosmetik, ist übelste ren Arbeit auf die Steuern zu konzentrieren, die wirk- Hinhaltepolitik, ist Augenwischerei. Wir, die PDS, wir, lich etwas bringen? Den neuen Ländern und Gemein- die Linke Liste, sind sehr zufrieden damit, daß Sie uns den gingen Steuereinnahmen verloren, wenn wir nicht mit dabei haben wollen. Sie bestätigen uns un- nicht auf die Einführung der Substanzsteuern verzich- sere Rolle als konsequente linke Opposition und zu- ten würden. Wir dürfen keine Wachstumshemmnisse dem als einzige Oppositionspartei. aufbauen, weder in den neuen noch in den alten Bun- (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD) desländern. - Die FDP hält die Unternehmensteuerreform unver- Statt Arbeitsgruppen, ändert für ein vordringliches politisches Ziel. (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Gesprächs (Beifall bei der FDP) kreise!) Die Argumente — Wettbewerb der Steuersysteme in- die kompetenzlos monatelang vor sich hinwerkeln ternational und vor allem im EG-Binnenmarkt, Attrak- sollen, hätten Sie ein Notprogramm ankündigen und tivität des Produktions- und Investitionsstandorts binnen Tagen politisch organisieren sollen. Herr Mi- Bundesrepublik Deutschland, Förderung von privat- nisterpräsident Biedenkopf hat nach der Memo- wirtschaftlichem Risiko, von Leistungsfähigkeit und Gruppe und nach uns erneut einen Teil des Weges Leistungsbereitschaft — sind allseits bekannt. gewiesen. Die Größenordnung, die er und das Institut für Wirtschaft und Gesellschaft an Mittelübertragun- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege, gen aus dem Westen in den Osten fordern, ist rich- kommen Sie bitte zum Ende. tig. (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Sprechen Sie ein bißchen langsamer! Denken Sie wenig Gerhard Schüßler (FDP): Ich komme zum Schluß: stens an die Stenographen! — Weiterer Zuruf Mit Neid- und Verteilungspolitik lassen sich keine von der CDU/CSU: An die arbeitende Bevöl neuen Arbeitsplätze schaffen. Die Abschaffung der kerung denken solche Leute nie!) Gewerbekapitalsteuer mit einem angemessenen Aus- Zur Erinnerung: Die Memo-Gruppe, die Arbeits- gleich für die Gemeinden und die Beseitigung insbe- gruppe alternative Wirtschaftspolitik, hat für fünf sondere der betrieblichen Vermögensteuer werden Jahre ein 550-Milliarden-Programm, also für jedes die wirtschaftliche Dynamik beleben und letztlich zu Jahr 110 Milliarden, gefordert und hat auch präzise höheren Steuereinnahmen führen. vorgerechnet, wie dieses Programm finanziert werden Danke schön. kann, nämlich durch Steuererhöhungen und Abga- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ben auf hohe Einkommen, durch Zwangsanleihen bei der überliquiden Wirtschaft, durch Investitionshilfe Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat der abgaben, wie nach dem Zweiten Weltkrieg in der BRD Kollege Dr. Ulrich Briefs. praktiziert, durch besseren Steuereinzug und Be- kämpfung der Wirtschaftskriminalität u. ä. Dr. Ulrich Briefs (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- Wir haben in Anlehnung an die Memo-Gruppe kon- tin! Meine Damen und Herren! Die Plan- und Konzep- krete Vorschläge vorgelegt, wie mit einem fünfjähri- tionslosigkeit der Bundesregierung im Jahrhundert- gen 500-Milliarden-Programm, prozeß der Überleitung der früheren DDR auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen des vereinigten (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, nach dem ha Deutschlands und ihre furchtbaren Folgen werden all- ben Sie in der Vergangenheit schon gearbei mählich voll sichtbar: heute bereits drei Millionen Ar- tet!) beitslose, eine Million statistisch erfaßte und über also jedes Jahr 100 Milliarden, gerade in ökologisch zwei Millionen Kurzarbeiter, also verdeckte Arbeits- sinnvollen Bereichen in der DDR, z. B. bei der Moder- lose. Und der große Kündigungstermin 30. Juni steht nisierung des Eisenbahnnetzes, z. B. beim Ausbau des noch bevor! öffentlichen Personennahverkehrs, z. B. bei der Sa- 1290 Deutscher Bundestag — 12. 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Dr. Ulrich Briefs nierung von Industriestandorten, Wasserreservoirs gen in Dresden durch Rechtsradikale nur ein Vorbote und Mülldeponien, z. B. beim Wiederaufbau und ist? beim Ausbau des Sero-Systems, z. B. in der Alt- und (Zuruf von der SPD: Wieso hat er denn soviel Neubaumodernisierung, verbunden mit Wärmedäm- Zeit?) mung und Wohnumfeldverbesserung, z. B. im Aufbau einer dezentralisierten kommunalisierten Energieer- Nicht öffentliche, beschämend inhaltlose Seelen- zeugung, ökologisch und sozial sinnvolle Arbeits- massage wie in Erfurt, nicht flaue Arbeitsgruppen mit null Kompetenz, nicht eine weiterhin vor sich hin ru- plätze geschaffen werden können. inierende Treuhandanstalt, sondern wirksame Sanie- Wir begrüßen es, daß Ministerpräsident Biedenkopf rungsmaßnahmen tun not. Das ist das, was Herr Bie- sich in die Reihe der Kritiker des Gekleckeres der denkopf meint. Wenn Sie uns nicht folgen wollen, fol- Bundesregierung eingereiht hat. Wir begrüßen es, gen Sie vielleicht ihm. daß kleine Teile der Koalitionsparteien offensichtlich Ich danke Ihnen, Frau Präsident. bereit sind, zu einem Wechsel der wirtschaftspoliti- schen Grundkonzeption beizutragen. Der Staat muß (Beifall bei der PDS/Linke Liste) vorangehen und darf sich nicht zurückziehen. Der Staat muß klotzen, statt zu kleckern. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat der (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Auf einen gro- Kollege Gunnar Uldall. ben Klotz gehört ein grober Keil!) Die Wirtschaft muß einen Rahmen erhalten, in den sie Gunnar Uldall (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine hineinwachsen und hineininvestieren kann; wir, die Damen und meine Herren! Ich freue mich, daß sich PDS/Linke Liste, fügen hinzu: ökologisch und sozial alle Oppositionsparteien, die PDS, die SPD und das verträglich hineininvestieren und hineinwachsen Bündnis 90/GRÜNE, auf das Gutachten berufen. kann. Frau Präsidentin, darf ich einmal stören? Vielleicht kann die Uhr gestoppt werden, damit sie nicht weiter- Statt die Vermögenswerte in der DDR wie bei dem läuft. Ich habe gerade mit dem Kollegen Schulhoff jüngsten Verkauf von DDR-Zeitungen weit unter Wert gesprochen. Er sagte, meine Redezeit könne ich be- an Konzerne und eh schon reiche Bundesbürger zu stimmt ausschöpfen. Jetzt fange ich an, und hier zeigt verscherbeln, sollten Sie endlich und mit höchstem die Uhr nur vier Minuten an. Es sind aber fünf Minu- Druck einen sozialen und ökologischen Strukturent- ten vereinbart. wicklungsplan als Vorgabe für die Bundesregierung und die Treuhandanstalt entwickeln. (Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste]: Das war bei mir auch so!) (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Sie bedauern doch nur, daß es keine PDS-Zeitungen ge- worden sind!) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege, das ist bei allen so, weil in dem Moment, wo die Uhr von Ihre Pflicht ist es, sich konventionelle oder unkon- fünf Minuten auf 4.59 Minuten umspringt — ich habe ventionelle Maßnahmen zur Belebung der Betriebe in jetzt noch 4.32 Minuten, jetzt noch 4.31 —, der DDR einfallen zu lassen. Warum erfolgt beispiels- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) weise keine konsequente öffentliche Auftragsvergabe an DDR-Betriebe? nur noch vier Minuten angezeigt werden. Ich würde Sie aber, nachdem Sie mich jetzt darauf angesprochen (Zuruf von der CDU/CSU: Die DDR gibt es haben, erst bei 5.30 Minuten dringend ermahnen, gar nicht mehr! Welche Betriebe meinen zum Schluß zu kommen. Sie?) Nun sind Sie an der Reihe. Jetzt haben Sie nur noch Warum greifen Sie nicht den Vorschlag des Vorsitzen- 4.17 Minuten, und die Uhr läuft weiter. den der Gewerkschaft Handel, Banken und Versiche- (Heiterkeit im ganzen Hause) rungen, Lorenz Schwegler, auf, dem Einzelhandel in der BRD Abnahmequoten für in der DDR hergestellte Produkte aufzuerlegen? Gunnar Uldall (CDU/CSU): Was ich zu sagen habe, ist ohnehin so gut, daß man es in wenigen Minuten (Zuruf von der CDU/CSU: Was soll das sagen kann. sein?) (Zuruf von der CDU/CSU: Wie immer!) Warum erfolgt keine gezielte Regionalentwick- Ich freue mich, daß sich alle drei Oppositionspar- lungspolitik in der DDR mit dem Ziel der Arbeitsplatz- teien auf Biedenkopf berufen. erhaltung? Warum geben Sie der Treuhand keine Or- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Was heißt ganisationsform, die als oberstes Ziel die Diversifika- „berufen"? Wir fragen Sie doch!) tion ermöglicht, d. h. die Erschließung von Märkten mit neuen Produkten? Denn dieses Gutachten von Biedenkopf ist — das hät- ten Sie festgestellt, wenn es einer von Ihnen gelesen (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Soviel Unsinn in hätte — in zwei Punkten bemerkenswert. Es ist er- fünf Minuten! Die Zeit ist um!) stens eine außerordentlich interessante Analyse der Sehen Sie nicht, daß Sie mit Ihrem Nichtstun, mit wirtschaftlichen Situation. Zweitens ist es eine volle Ihrem Hinhalten mit dem Feuer spielen, mit dem Bestätigung der Wirtschaftspolitik der Bundesregie- Feuer einer Entwicklung nach rechts, von dem wo- rung. möglich die empörende Tötung eines jungen Farbi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1291

Gunnar Uldall Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie, liebe Frau Mat- wurde. Damals gab es 120 DM pro Kopf der Bevölke- thäus-Maier, dieses Gutachten aufgegriffen hätten, rung Westdeutschlands aus der Marshallplanhilfe. wenn Sie vorher die Zeit investiert und einmal einen (Zuruf von der SPD: Wieviel?) Blick hineingeworfen hätten. — Umgerechnet ungefähr 120 DM pro Kopf. — Wenn (Beifall bei der CDU/CSU) ich umrechne, was wir allein in diesem Jahr für den Meine Damen und Herren, es ist im übrigen kein Fonds Deutsche Einheit oder für das Gemeinschafts- einziges Wort von einer Steuererhöhung in diesem werk Aufschwung Ost leisten, dann ist dies ein Wert Gutachten enthalten, obwohl Frau Matthäus-Maier von 2 850 DM pro Kopf. Das ist das 24fache dessen, das herausgelesen hat. was der Marshallplan damals beinhaltete. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn wir die Wirtschaft drüben in Gang setzen wollen, dann müssen wir auch steuerliche Anreize Es muß eine Freudsche Fehlleistung sein, wenn Sie schaffen, damit die Betriebe eine entsprechende überall Steuererhöhungen herauslesen. Vielleicht tun Chance haben, wettbewerbsfähig zu produzieren. Sie es deswegen, liebe Frau Matthäus-Maier, weil Sie Wenn wir auf die steuerlichen Anreize sehen, so muß das wollen. als erstes die Substanzbesteuerung weg. (Widerspruch der Abg. Ingrid Matthäus- (Albrecht Müller [Pleisweiler] [SPD]: Glau- Maier [SPD] — Zuruf von der CDU/CSU: Le ben Sie das immer noch? Glauben Sie das sen Sie doch einmal das Original!) wirklich?) Jetzt aber zunächst einmal zum Inhalt. Im Gutach- Substanzbesteuerung heißt, daß ein Betrieb Steuern ten wird ausgeführt, daß ein Jahr vor der Wiederver- zu zahlen hat, die er, wenn er nichts verdient, dann einigung in der damaligen DDR ein Bruttoinlandspro- aus seiner Substanz nehmen muß. Die Betriebe in der dukt erreicht wurde, das ein Drittel desjenigen betrug, DDR haben heute weitgehend keine Substanz mehr. das wir in der Bundesrepublik erzielt hatten. Diese Wenn Sie eine Substanzbesteuerung betreiben, be- Wirtschaftskraft, meine Damen und Herren, ist die deutet- das, daß Sie den Betrieben das Geld wegneh- Wirtschaftskraft einer Volkswirtschaft gewesen, die men, das sie heute noch über Wasser hält. Insofern seinerzeit als die einer führenden müßten gerade die Gewerkschaften massiv dafür ein- Industrienation der Welt bezeichnet hatte. So schief treten, daß die steuerlichen Änderungen erfolgen, die haben damals die Sozialdemokraten in ihrer Analyse in unserem Steueränderungsgesetz enthalten sind. gelegen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste]: Die Zahl Wenn Sie von der Zukunft der Steuern sprechen, kann nicht stimmen!) dann kann ich nur sagen: Frau Matthäus-Maier, neh- Es wird in diesem Gutachten weiter festgehalten, men Sie jetzt endlich einmal zur Kenntnis daß inzwischen das Bruttoinlandsprodukt in den (Zurufe von der SPD: Na, na!) neuen Bundesländern auf 25 % gesunken ist. daß in der Koalitionsvereinbarung steht — ich habe es (Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste]: Da ha ihr schon mehrfach gesagt, aber sie will es nicht hö- ben Sie sich aber vergaloppiert! Das kann ren; das ist ja das Besondere — : Es gibt eine Ände- nicht ein Drittel gewesen sein!) rung bei der Vermögensteuer nur unter der Bedin- gung, daß es eben auch eine Gegenfinanzierung gibt. Aber mittlerweile wird auch durch Transferzahlungen Dies, liebe Frau Matthäus-Maier, sollten Sie zur aus dem Westen dort wieder eine Kaufkraft von 45 Kenntnis nehmen. Sie könnten dann Ihre Aufregung der westlichen erreicht. Also kann ich nur sagen: Die- in großem Maße reduzieren. ses Gutachten zeigt in einer hervorragenden Weise, daß eine massive Hilfe für die neuen Bundesländer aus dem Westen zustande gekommen ist. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kommen Sie bitte Es wird festgestellt, daß die Wirtschaft nur dann zum Schluß, Herr Kollege Uldall. wieder zu sanieren ist, wenn die Unternehmen freien Lauf bekommen. Auch das verwirklicht die Politik der Gunnar Uldall (CDU/CSU): Jawohl. Ich möchte ei- Bundesregierung. Insofern kann ich nur sagen: Dieses nes zum Schluß sagen, Frau Präsidentin: Die Men- Gutachten bestätigt voll die Maßnahmen, die wir ein- schen in der DDR können sich auf unsere Finanzpoli- geleitet haben. tik verlassen. (Friedrich Bohl [CDU/CSU]: Schweigen bei (Widerspruch bei der SPD) der SPD! Betretenes Schweigen!) Wir werden die Finanzpolitik so betreiben, daß die Nun müßte ich noch einmal auf folgendes hinwei- Kraft besteht, die Menschen drüben zu halten. Die sen: Meine Damen und Herren, es hat in der Finanz- Sozialdemokraten wagen Experimente, gefährden geschichte noch nie in einer so kurzen Zeit eine so unsere Wirtschaft hier und gefährden damit letztlich große Finanzverschiebung aus einer Region in eine auch die finanzielle Zukunft der neuen Bundeslän- andere Region gegeben, wie wir es jetzt zwischen der. Ostdeutschland und Westdeutschland erleben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Zuruf von der SPD: „Verschiebung" war schon gut!) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ich möchte noch Dies ist sogar eine Bewegung, die weit über dem liegt, etwas zu dem Zeitmesser auf dem Rednerpult sagen. was seinerzeit durch den Marshallplan erreicht Herr Kollege Uldall, Sie haben die Zeit sehr überzo- 1292 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991

Vizepräsidentin Renate Schmidt gen, aber ich habe das auf Grund der Unklarheit noch Sie reicht natürlich nicht an die des Bundeskanzlers einmal hingenommen. Die Uhr schaltet jeweils um, heran; wenn die nächste Minute beginnt, d. h. bei 5 Minuten auf 4.59. Vielleicht könnten Sie sich bei den Aktuellen (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ Stunden insgesamt ein bißchen besser als bisher an CSU — Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU]: Da die Zeit halten. Es ist manchmal nicht erträglich, wie haben Sie völlig recht! Das spricht für Ihr sie überzogen wird. Urteilsvermögen!) Das Wort hat jetzt Herr Kollege Ludwig Eich. aber als Ministerpräsident des Landes Sachsen ist er sehr nahe an den Problemen und kann sie beurtei- len. Meine Damen und Herren, was sagt die Bundesre- (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen Ludwig Eich gierung zu den Perspektiven, die hier aufgezeigt sind? und Herren! Herr Kollege Uldall hat jetzt wieder eini- Teilt sie die Analyse von Professor Biedenkopf? ges offenbart: Erstens. Er hat die Änderungen der Vermögensteuerregelungen bestätigt. Zweitens ha- (Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU]: Das haben ben Sie bestätigt, daß Sie mit der Zeit nicht umgehen wir eben gesagt! — Gegenruf von der SPD: können. Drittens bestätigt die Art Ihrer Politik jeden Das haben Sie nicht gesagt! Sie haben gar Tag, daß Sie auch mit Geld nicht umgehen können. nichts gesagt!) (Beifall bei der SPD — Wolfgang Schulhoff Wie soll das Geld aufgebracht werden? Wird es erneut [CDU/CSU]: Das muß gerade ein Sozialde- Steuererhöhungen geben? Die Bundesregierung muß mokrat sagen! — [Quickborn] hier und heute entweder sagen, daß das, was Bieden- [CDU/CSU]: Das war aber ein wertvoller Bei- kopf sagt, Unsinn ist, oder sie muß diese Fragen heute trag!) und hier beantworten. Wenn wir die heutige politische Landschaft be-- (Beifall bei der SPD) trachten, dann fallen zwei Dinge sehr auf: Erstens. Die öffentliche Finanzwirtschaft unterliegt einer Bela- Sie muß vor allen Dingen sagen, ob sie dabei bleibt, stung, wie wir sie in der Geschichte unseres Landes die Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer bisher nicht gekannt haben. Zweitens. Die politische abzuschaffen. Glaubwürdigkeit ist auf einen Tiefpunkt gesunken, (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Das haben wir wie es bisher nie der Fall war. Dies beides hat nicht eben alles schon gesagt!) nur mit der Steuerlüge oder mit dem Wahlbetrug zu tun, sondern ist insgesamt das Ergebnis Ihrer beson- Sie müssen in der Tat sagen — da ist Kollege Solms deren politischen Inkompetenz, meine Damen und anderer Auffassung, wie man Presseberichten ent- Herren von Union und FDP. nehmen kann — , ob Sie dabei bleiben wollen, den (Ingrid Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Reichsten dieses Landes 9 Milliarden DM in jedem Leisten Sie doch einmal einen Sachbei- Jahr zu schenken trag!) (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Ich habe doch Die deutsche Einheit ist ein großes Werk; nur wurden eben gesagt: nur mit Gegenfinanzierung!) die ökonomische, aber auch die soziale Seite leider und gleichzeitig den breiten Schichten dieses Volkes nicht gemeistert. Das ist das Fazit in der heutigen poli- 43 Milliarden DM aufzuerlegen. Diese Antwort müs- tischen Situation. sen Sie geben. Vor diesem Hintergrund bekommen die Äußerun- Ich denke, daß Sie in der Sache bisher keine Be- gen von Herrn Professor Biedenkopf ein ganz beson- gründung gegeben haben; es waren vielmehr faden- deres Gewicht. Er sagt, es wird alles viel schlimmer. scheinige Argumente. Statt dessen verkünden die (Zuruf von der CDU/CSU: Das sagt er Bundesregierung und Sie, daß es darüber hinaus auch nicht!) eine Mehrwertsteuererhöhung, also eine erneute Be- Er sagt, nicht nur in diesem Jahr, sondern in jedem lastung der breiten Schichten, geben wird. Jahr bis zum Jahrtausendwechsel werden 100 Milliar- Der Hinweis, daß nun Jahr für Jahr 100 Milliarden den DM fällig. DM erforderlich sind, provoziert natürlich auch die (Zuruf von der CDU/CSU: Wahrscheinlich Frage, wie das mit der Ergänzungsabgabe ist. Wird es hat er befürchtet, daß die SPD wieder dran dabei bleiben, meine Damen und Herren von der Bun- kommt!) desregierung, daß sie für ein Jahr erhoben wird, oder ist es wahr, was die Zeitungen landauf, landab schrei- Wenn es einen Grund für eine Aktuelle Stunde gibt, ben, daß eigentlich niemand mehr daran glaubt, daß dann ist genau dieser Punkt ein wirklicher Grund, hier dieses eine Jahr eingehalten wird? Ich könnte viele über die Politik und die aktuellen Sorgen zu diskutie- Zeitungen zitieren. ren. (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Ich kenne keine Ich denke, daß angesichts dieser Tatsachen die einzige! — Gegenruf von der SPD: Sie lesen Bundesregierung nun sagen muß, wie sie in Zukunft nicht!) ihre Finanzpolitik gestalten will. Es muß festgestellt werden, daß diese Aussage nicht irgend jemand trifft, Ich möchte die Bundesregierung auffordern, hier klar sondern der Ministerpräsident des Landes Sachsen. zu sagen, wie es mit diesem Jahr ist und ob sie zu Seine ökonomische Kompetenz ist sicher unbestritten. dieser Aussage steht. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1293

Ludwig Eich Die Bundesregierung kann sich auf jeden Fall heute dienen sollen, von der eigenen Unfähigkeit, die anste- hier die Peinlichkeit ersparen, nach dieser Zeit wieder henden Probleme in den neuen Bundesländern zu sagen zu müssen: Wir haben das alles nicht gewußt; lösen, abzulenken. wir konnten das nicht einschätzen. Ich finde, es wäre (Widerspruch bei der CDU/CSU — Ingrid ganz wichtig, daß sie heute klar Schiff macht. Was Matthäus-Maier [SPD]: Das geht an Sie!) bleibt, ist auf jeden Fall die Angst der Menschen in unserem Land, auch der Menschen von Rheinland- Die fast täglich neuen Äußerungen erinnern fatal an Pfalz — sie werden das am nächsten Sonntag spü- das Schwarze-Peter-Spiel. Ob dies dem Ansehen ren — , die Angst vor der unsozialen Politik der Bun- der Bundesregierung bei den zugegebenermaßen desregierung. schwierigen Problemlösungen dient, ist für mich mehr (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ als fraglich. GRÜNE) (Beifall bei der FDP — Zuruf von der SPD: Ein echter Liberaler!) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege, ich Aber vielleicht ist es auch die Absicht von Herrn Bie- darf Sie bitten, zum Ende zu kommen. denkopf, die eigene, von Bundeskanzler geführte Regierung zu beschädigen. (SPD): Ich komme zum Schluß, Frau Ludwig Eich Meine Damen und Herren, die Bundesregierung Präsidentin. Ich wiederhole: Es sind 43 Milliarden und die sie tragenden Fraktionen haben alles nur Er- DM, die Sie den breiten Schichten auferlegen, und Sie denkliche dazu getan, mit der Sanierung der kaputten wollen den Reichsten unseres Landes 9 Milliarden Wirtschaft in den neuen Bundesländern zu begin- DM schenken: eine schlechte, eine schlimme Poli- nen. Wir haben uns — ich sage das als Mitglied des tik. Haushaltsausschusses; da wäre es auch gut, Frau Vielen Dank. Matthäus-Maier, wenn Sie zuhören könnten — bis an (Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/ die Schmerzgrenze verschuldet, um die Dinge der GRÜNE und der PDS/Linke Liste) heruntergewirtschafteten ehemaligen DDR in den Griff zu bekommen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächstes hat Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, nenne ich der Kollege Carl-Ludwig Thiele das Wort. nur Stichworte wie die Leistungen des Fonds Deut- sche Einheit, die Aufstockung der Anteile der neuen Carl-Ludwig Thiele (FDP): Sehr geehrte Frau Präsi- Bundesländer am Länderfinanzausgleich, das kürz- dentin! Meine Damen und Herren! Der sächsische lich von Bundeswirtschaftsminister Möllemann gefor- Ministerpräsident Biedenkopf hat mit seinen jüng- derte und inzwischen von der Regierung beschlos- sten Äußerungen wieder einmal für Verwirrung und sene Sonderprogramm Aufschwung Ost sowie die er- Verärgerung in Sachen Finanzierung der deutschen hebliche Mittelaufstockung beim Wohnungsbau in Einheit gesorgt. den neuen Bundesländern. Zusätzlich sind wir bei den jetzt laufenden Haushaltsberatungen dabei, Infra- (Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU]: Das sehen strukturvorhaben in Milliardenhöhe für die neuen wir anders!) Bundesländer zu bewilligen. — Richtig. Ich sehe das allerdings so, wie ich es gesagt habe. Wer bei Kenntnis der genannten Hilfen, die allein in diesem Jahr weit über 100 Milliarden DM betragen Bereits im Bundestagswahlkampf war es Herr Bie- und die Bundesrepublik Deutschland bis an die denkopf, der, Grenze der vertretbaren Verschuldung geführt ha- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die Wahrheit ben, so tut, als reiche dies alles nicht aus, und ständig gesagt hat!) neue Forderungen stellt, handelt fahrlässig und un- wenig hilfreich für die Lösung der anstehenden Pro- verantwortlich. bleme, so wie es ihm gerade paßte, von Sonderopfern (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wer tut das und Steuererhöhungen sprach, um sich dann am denn? Herr Biedenkopf!) nächsten Tag von seinen vorangegangenen Forde- rungen zu distanzieren. — Auch Sie, Frau Matthäus-Maier. Deshalb ist es für uns auch nicht verwunderlich, daß (Beifall bei der FDP — Ingrid Matthäus- es jetzt wiederum der CDU-Ministerpräsident Sach- Maier [SPD]: Das habe ich nicht gemacht!) sens ist, der nahezu täglich bei den verschiedensten Anlässen mit ständig neuen Forderungen und Vor- Meine Fraktion ist der Auffassung, daß die Hilfen stellungen an die Öffentlichkeit tritt. Schlagzeilen er- für die ehemalige DDR, was Höhe und Zielrichtung zielen zu wollen ersetzt nicht die Politik, die die Bür- der verschiedenen Maßnahmen angeht, aus heutiger ger Sachsens von ihrem Ministerpräsidenten erwar- Sicht ausreichen. Ich betone: aus heutiger Sicht. Das ten. Problem liegt nicht in der Mittelbereitstellung bzw. in der Höhe der Hilfen. Das Problem tut sich vielmehr bei Ich kann es der SPD auch nicht verübeln, daß sie den Schwierigkeiten in der Umsetzung der Hilfen in dieses finanzpolitische Hickhack für die heutige Ak- der ehemaligen DDR auf. tuelle Stunde aufgegriffen hat. (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) (Beifall bei der FDP) Manchmal habe ich das Gefühl, daß die lautstarken Bereits bei Abschluß des Bundeshaushalts 1990 ha- Forderungen des Herrn Biedenkopf lediglich dazu ben wir feststellen müssen, daß Förderprogramme in 1294 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991

Carl-Ludwig Thiele Milliardenhöhe nicht abgeflossen sind. Der Grund für 1992 auf noch einmal 170 Milliarden DM. Weitere liegt darin, daß die Verwaltung bzw. die verschiede- Jahre des Finanztransfers werden noch folgen. nen Institutionen in der ehemaligen DDR noch längst nicht arbeitsfähig sind. Damit wird durch den sächsischen Ministerpräsi- denten die Kritik der Sozialdemokraten an der Bun- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Und leider desregierung wegen der unter Wahlkampftaktik for- am Eigentum! An Graf Lambsdorff!) mulierten Schönfärberei zum x-ten Mal bestätigt. Ich Herr Biedenkopf hätte als sächsischer CDU-Minister- bin froh, daß wenigstens e i n Politiker der Koalitions- präsident besser daran getan, sich um dieses Problem parteien, nämlich dieser sächsische Ministerpräsi- zu kümmern, als mit ständig neuen Forderungen Be- dent, es schon vor der Wahl gewagt hat, die Wahrheit völkerung und Wirtschaft zu verunsichern. zu sagen. Aber, meine Damen und Herren, unsere (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja, diese Bürger in den alten und in den neuen Bundesländern schreckliche CDU!) haben es satt, immer wieder mit Hinhaltetaktiken und den darauf folgenden Hiobsbotschaften sowie mit er- Es liegt jetzt an den Landesregierungen in den neuten Hinhalteparolen konfrontiert zu werden. Die neuen Bundesländern, daß sie so schnell wie möglich Bürger erwarten endlich, die ungeschminkte Wahr- für eine funktionierende Verwaltung und Struktur heit zu hören, und sie erwarten darüber hinaus natür- sorgen. Die Äußerungen des sächsischen Ministerprä- lich die Vorlage eines steuer- und finanzpolitischen sidenten sind geeignet, Verunsicherung und Attentis- Konzeptes, mus zu erzeugen. Die Folgen sehen wir bei den wö- (Beifall bei der SPD) chentlich stattfindenden Demonstrationen, die pikan- terweise von den Gewerkschaften und von der SPD das die Probleme überzeugend lösen kann. gefördert und gesteuert werden. Die Menschen z. B. in meinem Wahlkreis sind mit (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Junge, du Truppenreduzierungen und der Auflösung des Mili- hast doch keine Ahnung!) tärflughafens Zweibrücken, mit einer kranken Schuh- — Ich war in Wernigerode und habe dort die Demon- industrie, einer schleichenden Abwanderung und ei- strationen gesehen. Dort hingen Plakate von der SPD, ner ungenügenden Verkehrsinfrastruktur konfron- vom DGB und von der ÖTV, schön vereint. Ein west- tiert. Tausende von Arbeitsplätzen sind bedroht und deutscher Wagen wurde von einer Gewerkschaft ge- Existenzen auch bei uns gefährdet. Strukturschwäche stellt. So wird heute die Montagsdemonstration be- gibt es nicht nur im Beitrittsgebiet. stritten. Diese Feststellung hat aber nichts mit sozialem oder (Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU]: Da hat er politischem Egoismus zu tun, denn gerade unsere wieder recht!) Bürger, die wissen, was Arbeitslosigkeit und Existenz- Das ist unlauter, Frau Matthäus-Maier! angst bedeuten, haben in ihren Städten und Gemein- den viele Partnerschaften mit Gemeinden im Beitritts- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gebiet geschlossen. Sie leisten nicht nur praktische Kümmern Sie sich darum, den Leuten zu helfen! Hilfe aller Art, sondern dokumentieren damit vor al- Sorgen Sie nicht nur dafür, daß hier eine Haß- und lem auch ihre Solidarität. Gerade sie in ihrer eigenen Neiddiskussion geführt wird! • Existenzangst und bei gleichzeitig vorhandener Hilfs- (Beifall bei der FDP — Ingrid Matthäus- bereitschaft wollen aber endlich ehrlich wissen, was Maier [SPD]: Das tun wir ja gerade! Wir hel- an finanziellen Belastungen noch auf sie zukommt. fen! Deswegen ärgern Sie sich ja so!) Sie haben keinerlei Verständnis dafür, daß sie, ange- Deshalb geht es unserer Ansicht nach darum, die Jam- fangen von der Telefonsteuer bis hin zur Erhöhung merei hier zu beenden und statt dessen endlich mit der Mineralölsteuer und zu anderen Arten von Hilfe, ihren Beitrag zum der Bewältigung der vor uns liegenden Probleme zü- Aufbau der östlichen Nachbarlän- der leisten oder leisten sollen, während gleichzeitig gig und motiviert zu beginnen. Wie gesagt: Geld ist vorhanden. Wir sollten nunmehr an die Arbeit gehen Großverdiener und Großunternehmer durch die Ab- schaffung der Vermögensteuer und der Gewerbeka- und die überflüssige Rederei sein lassen. pitalsteuer entlastet werden sollen. Ich bedanke mich. (Beifall bei der FDP — Zuruf von der SPD: (Beifall bei der SPD — Gunnar Uldall [CDU/ Stürmischer Beifall bei der CDU/CSU!) CSU] : Sie wollen es nicht hören!) Besonders pikant schlägt dabei zu Buche, daß die abzuschaffenden Steuern Länder- und Kommunal- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste hat steuern sind, während die geplanten Steuererhöhun- die Kollegin Lydia Westrich das Wort. gen voll dem Bund zugute kommen. Die riesige Aufgabe des Zusammenwachsens in Lydia Westrich (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- Deutschland muß von allen Bürgern getragen werden, men und Herren! Die Bundesregierung wurde in der wenn sie schnell und erfolgreich bewältigt werden vergangenen Woche vom sächsischen Ministerpräsi- soll. Dazu waren aber weder die Steuerlügen im denten aufgefordert, tiefgreifende Wahlkampf noch ist das jetzige Steuer- und Abgaben- Veränderungen der Staatsfinanzen herbeizuführen, erhöhungspaket geeignet. Auch die ungerechte Be- um die notwendigen Mittel zur wirtschaftlichen Sa- handlung im Zuge der z. B. vom Bundesverfassungs- nierung der FNL bereitstellen zu können. Den erfor- gericht geforderten Aufbesserung des Familienlasten- derlichen Finanztransfer beziffert er beispielsweise ausgleichs ist von den Bürgern sehr negativ aufge- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1295

Lydia Westrich nommen worden und mit Waschkörben voller Ein- batte zu verquicken. Die Frage ist doch: Wohin soll sprüche gegen die Steuerbescheide dokumentiert das Geld gehen? Erst auf Grund der Antwort wird man worden. erkennen können, woher es kommen soll. Das Vertrauen in unseren Staat, in die Demokratie Zunächst einiges zu der Frage, wohin das Geld ge- ist nicht nur in den fünf neuen Ländern, sondern auch hen soll. Es gibt da zwei Meinungen, über die wir uns in den alten Ländern nachdrücklich erschüttert. ständig streiten. Die einen sagen: Das, was jetzt an- (Arnulf Kriedner [CDU/CSU]: Dazu tragen läuft, reicht nicht, greift nicht; die Wirtschaft springt Sie das Ihre bei! Das kann man wohl sa-nicht an usw. Also muß viel Geld zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit aufgewendet werden. — Ich ver- gen!) kürze das zugegebenermaßen bewußt. Die anderen Das ist keine gute Ausgangsbasis für das gewaltige — wir — sagen: Das greift. Wir benötigen in absehba- Werk, das uns bevorsteht. rer Zeit nicht mehr so viel für die Arbeitslosigkeit, wir (Beifall bei der SPD) benötigen mehr für infrastrukturelle Verbesserun- Wir fordern von der Bundesregierung daher ein gen, und dabei kann die Wirtschaft viel für sich selbst Steuer- und finanzpolitisches Konzept, das diesen Na- tun, denn das, was die Wirtschaft investiert, braucht men auch verdient und das die Lasten auf alle Bürger der Staat nicht zuzuschießen. und Steuerzahler gerecht verteilt. Dazu gehören Ein- Nehmen wir doch einmal an, in Leipzig funktioniert sparungen im Verteidigungshaushalt und bei den alles; nehmen wir es doch einmal an! Dann ist die Subventionen genauso wie das Verbleiben der Ver- Einnahmeseite der Stadt gut, und der vom Land zu- mögen- und der Gewerbekapitalsteuer. sätzlich zu deckende Finanzbedarf ist gering. Funk- (Beifall bei der SPD) tioniert es nicht, dann ist die Zulage für die Verwal- tung wesentlich höher, und es kommen die Ausgaben Die Menschen müssen das Vertrauen haben können, für die dann auch höhere Arbeitslosigkeit hinzu. daß nicht nur ihre schmalen, sondern entsprechend mehr noch die starken Schultern belastet werden und Liebe Kollegen von der SPD, hören Sie ganz einfach - nicht umgekehrt. Nur so können die Einheit unseres auf mit der Mieserpeterei. Lassen Sie uns die Dinge Landes gefördert, das Solidaritätsgefühl der Bürger angehen und dann schauen, wo was fehlt und wo was verstärkt und der innere Friede unseres Landes her- nachgelegt werden muß. Das tun wir dann gezielt, gestellt werden. und das verlangen wir dann auch gezielt ab, und zwar von denen, die es können. Ich bedanke mich. Zur Frage, woher das Geld kommen soll, nur drei (Beifall bei der SPD) ganz kurze und sehr grobe Beispiele. Wir haben den Länderfinanzausgleich, bei dessen Gestaltung ich Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster Red- durchaus Möglichkeiten sehe. Liebe Frau Matthäus- ner hat der Kollege Gerhard Schulz das Wort. Maier, Sie selbst zeigen doch immer wieder einen Weg auf: sparen. Genau: Sparen, sparen, sparen, im Bundeshaushalt, in den Länderhaushalten, in den Gerhard Schulz (Leipzig) (CDU/CSU): Frau Präsi- Kommunalhaushalten, überall sparen. Ich habe nichts dentin! Meine Damen und Herren! Wer immer vom dagegen. Licht am Ende des Tunnels spricht, hat noch lange (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Gut! — Lud nicht gesagt, was in diesem Licht zu sehen sein wird. wig Eich [SPD]: Und die Vermögensteuer? — Ich glaube nicht, daß wir eine achtspurige Autobahn Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sparen soll oder ein Wassergrundstück im Tessin vorfinden wer- heißen: nicht falsch ausgeben!) den. Eher glaube ich an einen steinigen, aber durch- aus überschaubaren Weg. — Selbstverständlich. Genau das ist der springende Wann immer wir vom blühenden Garten sprechen Punkt. — wir in Sachsen haben das seit längerer Zeit ge- (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Deshalb müssen tan — , haben wir dabei bestimmt nicht an Rosen und ja wir an der Regierung bleiben, Frau Mat Obstbäume gedacht. Ich glaube eher, daß man nach -thäus-Maier!) der Durchquerung einer Wüste eine Wiese voller Gän- Als letztes will ich den konsequenten Subventions- seblümchen, Hundeblumen und Margeriten als blü- abbau anführen. Damit will ich es bewenden lassen. henden Garten empfindet. Ich rufe die Kollegen von der SPD auf, bei der Er- (Zuruf von der SPD: Was sind Hundeblu-schließung von Finanzquellen mitzutun men?) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Haben wir Obstbäume und Spargel dauern bekanntlich etwas angeboten!) länger; das weiß jeder. und nicht ständig die alte Gebetsmühle Steuererhö- Diese Bilder mögen dazu dienen, die Erwartungs- hungen zu leiern. haltung nicht schon wieder zu hoch anzusetzen. Das gilt auch in bezug auf die vom Institut für Wirtschaft Danke. und Gesellschaft vorgelegten Zahlen, um die es ja bei (Beifall bei der CDU/CSU) den Äußerungen von Ministerpräsident Biedenkopf ging. Ich stehe nicht an, die Notwendigkeit von wei- teren Transferleistungen zu bestätigen; ich bestreite Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächstes hat aber ausdrücklich die Notwendigkeit, dies, wie die der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Joachim Grü- SPD mit ihrer Anfrage es hier tut, mit einer Steuerde- newald das Wort. 1296 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991

Dr. Joachim Grünewald, Parl Staatssekretär beim res Vaterlandes an den westlichen Standard zu errei- Bundesminister der Finanzen: Verehrte Frau Präsi- chen. dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese von der SPD beantragte Aktuelle Stunde ist (Beifall des Abg. Gunnar Uldall [CDU/ schlicht überflüssig. CSU]) (Beifall des Abg. Wolfgang Schulhoff [CDU/ Der von uns in Verfolg dieses hohen Zieles vorge- CSU]) zeichnete Weg ist richtig und ohne Alternative. Das hat uns der Sachverständigenrat Schade um die Zeit! Denn die Bundesregierung hat gerade am vergan- genen Wochenende in seinem lesenswerten ihre Position sowohl zur Finanzierung der Investitio- Sonder- gutachten ganz uneingeschränkt bestätigt. Die Sach- nen in die deutsche Einheit als auch zur weiterern verständigen teilen in diesem Gutachten nicht nur Verbesserung der Steuerstruktur zum wiederholten unsere Bewertung der wirtschaftlichen Lage und die Male ausführlich dargelegt. Sie, liebe Frau Matthäus- von der Bundesregierung bereits eingeleitete Thera- Maier, haben zum wiederholten Male widersprochen. pie. Sie warnen auch vor Attentismus und fordern uns Die 41 Millionäre aus Ihrem Munde verfolgen mich ausdrücklich auf, marktwirtschaftlich Kurs zu hal- schon fast Tag und Nacht. ten. (Beifall bei der SPD) Wenn nun der Ministerpräsident von Sachsen bzw. Die Annäherung der Lebensverhältnisse im wie- das Institut für Wirtschaft und Gesellschaft einen hö- dervereinigten Deutschland hat hohe Priorität. Wir heren Betrag nennt, so ist diese Forderung nicht mehr investieren in diesem Jahr und in den kommenden und nicht weniger als ein weiterer Beitrag zu der be- Jahren dreistellige Milliardenbeträge. Das, Herr reits seit langem andauernden Diskussion über den Briefs, nennen wir allerdings Klotzen und nicht Klek- Finanzbedarf des Beitrittsgebiets. kern. Wir leisten alles, was an Verwaltungshilfe, an Infrasturkturinvestitionen und an Förderung privater Die genannten Zahlen beziehen sich übrigens Investitionen notwendig und sinnvoll ist. — darauf hat schon Kollege Uldall hingewiesen — auf die privaten und die öffentlichen Mittel. Schon des- Der Vorrang der deutschlandpolitischen Aufgaben halb lassen sich aus dieser Untersuchung keine Defi- kann und darf nun aber nicht dazu führen, daß in zite für die öffentlichen Leistungen ableiten. anderen Bereichen — auch in der Steuerpolitik — ab- soluter Stillstand eintritt. Im Gegenteil: Wir brauchen Angesichts der Vielzahl der Schätzungen und der die steuerlichen Verbesserungen der Investitions- Bandbreite der möglichen Annahmen kann keine der und Wachstumsbedingungen in ganz Deutschland vorliegenden Prognosen alleinige Gültigkeit bean- — damit sind wir bei der Unternehmensteuerre- spruchen. Der frühere Bundeskanzler Helmut form —, eben weil unser Land vor so großen ökonomi- Schmidt hat völlig zu Recht in einem Artikel im No- schen und gesellschaftlichen Herausforderungen vember vergangenen Jahres geschrieben: steht. Auch mit dem Familienlastenausgleich können wir — schon mit Sicht auf das Urteil des Bundesver- Keiner kann heute genau die Finanzierungsbei- fassungsgerichts — nicht weiter zuwarten. träge benennen, welche schon im Jahre 1991 nö- tig sein werden, um den wirtschaftlichen Aufbau Unbestreitbar wird die Vollendung der deutschen in der ehemaligen DDR voll in Gang zu set- Einheit auch in den kommenden Jahren Milliarden- zen... beträge an öffentlichen Mitteln erfordern. Die Bun- desregierung hat in ihrer Finanzplanung bis 1994 Wenn eine solche Prognose schon für ein Jahr im Vorsorge getroffen und im Bundeshaushalt jährliche voraus nicht möglich war, um wieviel mehr müssen Beträge von fast 100 Milliarden DM vorgesehen. Die dann Zweifel angemeldet werden, wenn entspre- Bundesländer haben — zuletzt durch ihre Bereitschaft chende Voraussagen für einen Mehrjahreszeitraum zur vollen Beteiligung des Beitrittsgebietes an den abgegeben werden? Bereits die Veränderung eines Umsatzsteuereinnahmen — ebenfalls ihren Beitrag oder nur weniger Faktoren können den öffentlichen geleistet. finanziellen Beitrag um hohe Milliardenbeträge ver- ändern; denn niemand kann mit Sicherheit vorhersa- Gerade bekomme ich von Reuter eine Agenturmel- gen, wann der ökonomische Wendepunkt erreicht ist, dung auf den Tisch. Darin fordert mein sehr geehrter wann die beschlossenen und vereinbarten wirt- Kollege Milbradt von Sachsen, wir sollten unverzüg- lich die Länder im Beitrittsgebiet an der Umsatzsteuer schaftspolitischen Instrumente greifen und wann die vielfältigen p rivaten Initiativen Wirkung zeigen. Nie- beteiligen. Hat er verschlafen, daß wir das rückwir- mand kann die Tariflohnentwicklung in den kommen- kend zum 1. Januar dieses Jahres schon vereinbart haben? den Jahren oder die Wanderbewegung der Arbeits- kräfte exakt prognostizieren. Niemand kennt die wirt- Spätestens ab 1995 muß darüber hinaus — auch da schaftliche Entwicklung in unseren östlichen Nach- stimmen wir überein — das System des Länderfinanz- barstaaten und damit die Perspektive für die export- ausgleichs auf eine neue Grundlage gestellt werden. orientierte Wirtschaft im Beitrittsgebiet. Noch in diesem Jahr müssen wir über eine Neuvertei- lung der jährlichen Strukturhilfen in einer Größenord- Es gibt aber schon jetzt sehr gute Gründe, diesen nung von 2,45 Milliarden DM mit Wirkung vom 1. Ja- extrem pessimistischen Prophezeiungen, wie sie auch nuar 1992 verhandeln. hier heute wieder gemalt worden sind, zu miß- trauen. Damit leisten die öffentlichen Haushalte ihren Bei- trag, um in wenigen Jahren eine wesentliche Annähe- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wer hat das rung der Lebensbedingungen im östlichen Teil unse- denn gesagt?) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17, April 1991 1297

Parl. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald So werden in jedem Monat drüben 25 000 Betriebe Ich danke Ihnen. neu gegründet. Seit der Öffnung der Grenzen sind (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) drüben 1 Million neue Arbeitsplätze geschaffen wor- den. In der Bauwirtschaft zeichnet sich, Gott sei Dank, eine Trendwende ja schon heute ab. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat der Auch bei allen hoffnungsvollen Anzeichen ist sich Kollege Karl Diller. die Bundesregierung natürlich der großen finanziel- len Risiken dieses Einigungsprozesses bewußt. Doch (SPD): Frau Präsidentin! Die Verteidi- mit Risiken korrespondieren immer auch Chancen — Karl Diller gungsrede des Herrn Staatssekretärs stand unter der Chancen, die in der Diskussion unserer Tage, auch in der Diskussion heute, leider viel zu gering und viel zu Devise: verniedlichen, verharmlosen, vertuschen. ängstlich beurteilt werden. (Beifall bei der SPD) Wir haben durch Einsparungen und Umschichtun- Deshalb möchte ich noch einmal an das erinnern, Herr gen von rund 50 Milliarden DM, durch eine vorüber- Staatssekretär, was der Kollege Biedenkopf vor weni- gehend vertretbare Ausweitung der Kreditaufnahme gen Tagen hier in Bonn gesagt hat. sowie durch die beschlossenen Einnahmeverbesse- Erstens. Noch in diesem Jahr ergibt sich ein erheb- rungen die Grundlagen für die Lösung unserer natio- licher Verhandlungsbedarf zwischen Bund und Län- nalen und internationalen Aufgaben geschaffen. In dern. Das haben Sie bitte zur Kenntnis zu nehmen. den kommenden Jahren wird es bei strikter Ausga- Zweitens hat er gesagt: Weitere massive Steuer- bendisziplin bleiben. Auch eine erneute Absenkung erhöhungen im Westen schließe ich nicht aus. der Steuerquote — ganz anders, als Sie es hier gesagt haben — wird in absehbarer Zukunft wohl kaum Drittens hat er in seinem Gutachten gesagt: Wenn möglich sein. Und wir werden weiter sparen müssen diese Hilfen aus dem Westen nicht kommen, werden — weiter sparen! wir das Ziel, im Jahre 2000 wenigstens halb so weit zu sein- wie im Westen, nicht erreichen. Die Unternehmensteuerreform, die hier wieder- Deswegen ist das schon eine dramatische Aussage, holte Male hinterfragt wurde, werden wir — und et- die der sächsische Ministerpräsident hier getroffen was anderes haben wir nie gesagt — im wesentlichen hat. Daß ihm das Geld fehlt, hängt mit einem Kon- aufkommensneutral vollziehen müssen. struktionsfehler des Topfes Deutsche Einheit zusam- (Zuruf von der SPD: Wie denn?) men, der degressiv gestaltet ist. Deswegen diese For- Vor dem Hintergrund dieser Konzeption erweist derung nach massiven Steuererhöhungen seitens des sich der unentwegt wiederholte, aber deshalb noch Ministerpräsidenten. nicht richtig werdende Vorwurf der SPD, die Bundes- Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie ha- regierung plane trotz der hohen Finanzierungslasten ben damit viele Probleme am Hals; das sehe ich schon im Zusammenhang mit der deutschen Einheit Steuer- ein. Ich erinnere mich mit Bitterkeit an etwas, das entlastungen für die sogenannten Besserverdienen- haben Sie 14 Tage vor der Bundestagswahl verbreitet: den als blanke Demagogie und Teil einer langfristig Steuererhöhungen seien Gift für unsere Arbeitsplätze. geführten Kampagne. Das stand damals in Ihrer Wahlkampfzeitung. Jetzt schreibt die Handwerker-Zeitung: Das, was Sie vor- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) haben, ist die rabiateste Steuer- und Abgabenerhö- Wir machen, Frau Matthäus-Maier, keine Steuerge- hung seit 1949. schenke, sondern vollziehen nur das, was in den mei- Meine Damen und Herren, was die Leute in den sten westlichen Industrieländern an steuerlichen Ver- westlichen Bundesländern so aufregt, ist dabei die besserungen für Investoren bereits verwirklicht ist. Eiseskälte, mit der Sie vorgehen. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nicht wahr!) (Beifall bei der SPD) Wer heute in Europa investiert, wer neue Produktions- 48 Milliarden DM den Arbeitnehmern und den Rent- einrichtungen schafft, hat schon längst die Möglich- nern wegzunehmen und davon 9 Milliarden den Ver- keit, dort tätig zu werden, wo niedrige Steuersätze mögenden, den Milliardären und Millionären zu gelten. Wenn aus den von uns vorgesehenen Steuer- schenken, ist wirklich ein Skandal ersten Ranges. entlastungen jemand einen Vorteil zieht, dann sind es (Beifall bei der SPD — Wolfgang Schulhoff doch die Beschäftigten und vor allen Dingen diejeni- [CDU/CSU]: Wie kommen Sie denn an die gen, die heute einen Arbeitsplatz suchen. Zahlen? — Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Wo (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ist doch nicht sind die 9 Milliarden DM? Sagen Sie das jetzt wahr!) endlich mal!) Für die wollen wir in unserem Land, also daheim, die — Das sind 6,2 Milliarden DM Vermögensteuer und Arbeitsplätze schaffen. entsprechend knapp 3 Milliarden DM Gewerbekapi- talsteuer. Alle großen europäischen Parteien, ob christlich- soziale, liberale und — das ist besonders interes- (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Wir haben doch sant — auch sozialdemokratische haben diesen sehr von Gegenfinanzierung gesprochen! Neh einfachen Zusammenhang lange erkannt. Ich meine, men Sie das mal zur Kenntnis!) es wird höchste Zeit, daß auch die SPD Deutschlands — Mit dieser Gegenfinanzierung müßten Sie erstmal endlich zu einer rationalen steuerpolitischen Diskus- rumkommen, damit wir das überhaupt nachvollzie- sion findet. hen und anschließend glauben können. Ihnen glau- 1298 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991

Karl Diller ben wir nämlich nichts mehr, genauso wie die Bevöl- Die Rednerliste spricht für sich. Zunächst hat die kerung Ihnen nichts mehr glaubt. Steuererhöhungskassandra Frau Matthäus-Maier ge- (Beifall bei der SPD) sprochen, Diese unterschiedliche Belastung zwischen den (Beifall des Abg. Wolfgang Schulhoff [CDU/ Normalverdienenden und den Reichen, den Normal- CSU]) verdienenden wird weggenommen, den Reichen wird dann der schönen Reihenfolge nach Herr Eich von der geschenkt, das setzen Sie auch regional fort: Die im Landesliste Rheinland-Pfalz, Frau Westrich von der Osten werden mit denen im Westen mitbelastet, und Landesliste Rheinland-Pfalz und Herr Diller von der die Beschenkten sitzen ausschließlich im Westen. Das Landesliste Rheinland-Pfalz. ist Ihre Politik. Was Sie mit dem Streichen der Gewer- Bei diesem Thema ist es bemerkenswert und inter- bekapitalsteuer und der Vermögensteuer anrichten, essant und zeigt die Taktik, die hier sehr deutlich ist eine Katastrophe in der Finanzierung unserer west- wird, Frau Matthäus-Maier, lichen Bundesländer, im übrigen auch eine Katastro- phe in der Finanzierung der östlichen Bundeslän- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die Men der. schen sollen wissen, was kommt!) Denn mein Bundesland — verehrte Kollegen, wenn daß Sie nicht in der Lage waren, wenigstens als Fei- Sie das ansprechen, darf ich Ihnen das mal sagen — genblatt für Ihre Argumentation hier einen Redner aus den neuen Bundesländern antreten zu lassen. (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Das ist hier eine schiere Wahlkampfrede!) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Bei uns reden hat einvernehmlich gesagt: Wir geben die Hälfte un- die dauernd!) serer freien Finanzmasse, das sind 300 Millionen DM — Nein, das brauchen Sie nicht, weil Sie in Ihrer über eine höhere Umsatzsteuerbeteiligung der neuen Deutschlandpolitik im vergangenen Jahr unglaub- würdig waren und auch mit dieser Katastrophenstim- Bundesländer weiter in Richtung Osten. Wir helfen- denen solidarisch mit. Mein Bundesland ist auch be- mungsmache unglaubwürdig sind, brauchen Sie so reit, was es an Hilfen aus den Strukturmitteln des Bun- etwas nicht. des in Höhe von 272 Millionen DM jährlich zu erwar- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — ten hat, mit den neuen Bundesländern im Osten zu Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wer hat denn teilen. die Währungsunion erfunden? Sie haben Aber es ist eine Katastrophe, daß Ihre Politik jetzt keine Ahnung!) zusätzlich von diesem Land Rheinland-Pfalz noch ver- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage langt, auf 300 Millionen DM Vermögensteuer ersatz- an dieser Stelle, daß die Bundesregierung für die los zu verzichten und bis zu 145 Millionen DM Gewer- nächsten zwei Jahre ihre Hausaufgaben gemacht hat, besteuerumlage als Einnahmeausfall verkraften zu unabhängig davon, was Ministerpräsidenten in ihren müssen. Wer so mit den Ländern umgeht, raubt ihnen Pressekonferenzen sagen. Es ist ihr gutes Recht, dar- jede Kraft, ihre eigene Zukunft eigenverantwortlich auf hinzuweisen, daß sie mehr Geld haben wollen. zu gestalten. (Beifall bei der SPD) Das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost ist eine bemerkenswerte Leistung dieser Regierung. Frau Deswegen denke ich: Wir müssen zu einer anderen Matthäus-Maier, Sie widersprechen sich ja selber, Politik kommen. Ich bin froh, daß die Bürgerinnen und wenn Sie heute so, wie Sie es getan haben, argumen- Bürger wenigstens in einem Teil der Bundesrepublik tieren; denn Sie haben dafür schon freundliche Worte Deutschland am Sonntag dazu eine deutliche Gele- gefunden. Wir hatten solche Debatten bereits in der genheit haben. Vergangenheit. (Beifall bei der SPD — Ingrid Roitzsch (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Was soll denn [Quickborn] [CDU/CSU]: Also doch eine das?) Wahlkampfrede!) Die Bundesregierung hat in einem Umfang Geld zur Verfügung gestellt, daß ich die Angst teile, ob es in diesem Jahr ausgegeben werden kann. Wenn Mini- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat sterpräsidenten, welcher Partei auch immer sie ange- der Kollege Arnulf Kriedner das Wort. hören, sagen, sie brauchen in diesem Jahr noch mehr, dann verlange ich, daß sie sagen, wie sie diese Gelder ausgeben wollen. Arnulf Kriedner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ich habe Sie regelrecht dankbar, daß Herr Diller wenigstens am gefragt! Sie sollen sagen, wie es wird!) Schluß seiner Rede zur Sache gekommen ist. Er hat Schon die 5 Milliarden DM, die direkt an die Kommu- nämlich geoffenbart, warum diese Veranstaltung nen geflossen sind, sind ein Programm, das sich sehen heute stattfindet. Offensichtlich brauchten einige lassen kann. 12 zusätzliche Milliarden DM sind Wahlkämpfer für Rheinland-Pfalz noch ihre Wahl- an Investitionshilfen im Gemeinschaftswerk Auf- kampfreden oder wollten hier erproben — vor einem schwung Ost verbucht. mäßig interessierten Publikum — , wie es denn aus- sieht. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sagen Sie das (Beifall bei der CDU/CSU) Herrn Biedenkopf!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1991 1299

Arnulf Kriedner 12 Milliarden DM gehen als zusätzliche Invesititon Artikel in der heutigen Ausgabe der „FAZ" heißt es an die Länder. Wir haben Arbeitsbeschaffungsmaß- weiter: nahmen einschließlich Investitionen in Höhe von Schommer wünscht sich, daß endlich Schluß ge- 7 Milliarden DM. Wir finanzieren in diesem Jahr macht werde mit den Horrormeldungen aller Art, 250 000 AB-Maßnahmen und 350 000 Qualifizie- sei es, daß man die Politiker der falschen Politik rungsmaßnahmen. Ich kann das fortführen. In die bezichtige, sei es, daß die ehemalige DDR immer Verkehrsinfrastruktur werden in diesem Jahr 1,4 Mil- nur als hoffnungsloses Chaos dargestellt werde. liarden DM gesteckt, im nächsten Jahr 4,2 Milliarden DM, in die Modernisierung des Wohnungsbestands insgesamt weit über 3 Milliarden DM; in die Förde- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege, mit rung privater Unternehmen bei Investitionen 12 Ihrer Rede müssen Sie jetzt auch Schluß machen. Ausrüstungszulage und 8 % weitere Zulagen; Kumu- lation ist gestattet. Arnulf Kriedner (CDU/CSU): Ich bedanke mich für Ich weiß nicht, was das hier ständig wieder vorge- den Hinweis. Aber ich weiß es; denn ich sehe das tragene Geschwätz soll, Licht hier vorne blinken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wer so wie Sie heute hier redet, meine Damen und Herren, befördert im Grunde genommen das, was er die Bundesregierung tue hier nicht das ihr Mögli- che. angibt, nicht befördern zu wollen. Das ist die falsche Politik! (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber das sagt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) doch der Herr Biedenkopf! — Gegenruf des Abg. Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU]: Sie haben gar nicht gelesen, was er gesagt Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat der hat!) Kollege Dr. Gero Pfennig. - — Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe vorhin gesagt: Jeder Ministerpräsident hat das Recht, Dr. Gero Pfennig (CDU/CSU): Meine Kolleginnen auf seine Notwendigkeiten hinzuweisen. Aber ich und Kollegen! Die Achtung vor der Opposition gebie- finde, es ist mit der Würde des Deutschen Bundestags tet es, zu dem von der Opposition beantragten Thema nicht vereinbar, über eine solche an den Haaren her- hier zu sprechen, obwohl die Opposition meines Er- beigezogene Debatte ausschließlich Wahlkampf zu achtens mehr zu dem Thema „Steuerprobleme in den betreiben. Das ist die Angelegenheit, über die wir hier alten Bundesländern" als zu dem gesprochen hat, was reden, zudem nicht wert. sie beantragt hat. Diese Kampagne zur Verunsicherung der Men- Daß der von Ministerpräsident Biedenkopf darge- schen in den neuen Bundesländern ist wirklich be- stellte mittelfristige Bedarf an Transfermitteln in den merkenswert. Daran tragen Sie ein großes Teil östlichen Bundesländern — 170 Milliarden DM im Schuld. Sie umarmen in diesem Zusammenhang die öffentlichen und privaten Bereich — die SPD sofort falschen Leute. Das muß ich hier in aller Deutlichkeit wieder darüber nachdenken läßt, wie die Steuerbela- sagen. stungen möglichst hoch gehalten werden können, ehrt ja die SPD. Und es paßt auch in die allgemeine (Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU]: Mit der Linie der SPD, den Bürgern in den östlichen Bundes- PDS machen die es!) ländern zu sagen, für sie sei zu wenig Geld vorgese- Wir haben vorhin eine entsprechende Rede gehört, hen, und denen in den westlichen Bundesländern, sie die wahrscheinlich wegen der Inhaltslosigkeit beson- müßten zuviel Geld abgeben. ders gehetzt vorgetragen werden mußte. Aber mir war (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das hat kei wenigstens eines sympathisch: Herr Briefs hat seinen ner getan! Sie haben doch vor der Wahl ge Wohnsitz nicht in Rheinland-Pfalz, sondern, wenn ich logen!) es richtig sehe, immer noch in Holland. — Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen hat (Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke das vor wenigen Wochen gesagt. Liste]) Die SPD hält diese Doppelzüngigkeit offenbar für Auch er hat dem Wahlkampf zuliebe gesprochen, besonders werbewirksam. Da wir Landtagswahlen aber sicher relativ chancenlos. derzeit nur in den westlichen Bundesländern haben, Frau Matthäus-Maier, stört es Sie natürlich nicht im (Dr. Ulrich Briefs [PDS/Linke Liste]: Auslän geringsten, wenn Sie das Programm Aufschwung Ost derhetze!) dadurch zerreden. — Ja; das haben Sie mir immer vorgeworfen, Herr (Arnulf Kriedner [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Briefs; ich weiß es. Dabei können nicht nur die Bürger in den östlichen Vieles wird in einem Beitrag deutlich, der heute in Bundesländern davon ausgehen, daß die Lage besser der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" im Wirt- ist als die Stimmung; das hat auch Ministerpräsident schaftsteil zu lesen ist. Da sagt der sächsische Wirt- Stolpe gesagt. Vielmehr können auch die Bürger in schaftsminister Kajo Schommer: „Das ist doch Besser- den westlichen Bundesländern darauf stolz sein, daß Wessirei. " Das Sondergutachten des Sachverständi- ihre finanziellen Leistungen von den Verantwortli- genrats zur Lage in den neuen Bundesländern hat er chen in den östlichen Bundesländern ausdrücklich verärgert kommentiert; zu Recht, wie ich finde. In dem positiv gewürdigt werden. 1300 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991

Dr. Gero Pfennig Ministerpräsident Stolpe und Ministerpräsident Aber selbst wenn es richtig wäre — ich habe das Biedenkopf haben den beginnenden Aufschwung Gutachten gelesen und kann hier daraus zitieren, weil dargestellt. Ministerpräsident Stolpe hat vorgestern ich es mitgebracht habe — : Biedenkopf und sein ehe- betont, das Geld fließe inzwischen in ausreichendem maliges Institut haben zu Recht darauf hingewiesen, Umfang; Investitionshemmnisse seien beseitigt und daß, wenn das alles nicht eintrifft, ein weiterer öffent- die Vergabe von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen licher Transfer von Geld, Personal und Sachleistun- vereinfacht; es gebe viel mehr Eigeninitiative der Bür- gen in die östlichen Bundesländer erforderlich ist, daß ger, als zunächst angenommen. Vielleicht hätte er nur sich unsere Haushalts-, Steuer- und Wirtschaftspolitik noch dazusagen sollen, daß die von Ihnen so gern für diesen Fall beizeiten darauf einstellen muß und zitierte Arbeitsministerin Hildebrandt jetzt aufhören daß die Finanzminister von Bund und Ländern für die- wird, sich als Kassandra der Nation hervorzutun, daß sen Fall rechtzeitig in die Diskussion eintreten müß- sein Finanzminister Kühbacher in Zukunft nicht mehr ten. Das halte ich für ganz selbstverständlich. versuchen wird, durch Geldanlagen Zinserträge zu Aber für genauso selbstverständlich halte ich, daß erzielen, statt Investitionen zu finanzieren, wir alle erst einmal abwarten, welche zusätzlichen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wirkungen mit dem Programm Aufschwung Ost denn eintreten werden. Investitionen für 24 Milliarden DM und daß sein SPD-regiertes Partnerland Nordrhein- wollen ja erst einmal in Auftrag gegeben sein und das Westfalen die in Brandenburg noch notwendigen Geld auch ausgegeben werden. Wenn sie in Auftrag 400 Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger endlich gegeben sind, sollten wir uns, finde ich, wieder dar- leihweise zur Verfügung stellen wird. über unterhalten, ob aus öffentlichen Kassen Zusätz- liches erforderlich ist oder nicht. (Arnulf Kriedner [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Schönen Dank. Das wäre ein guter Beitrag! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wissen natürlich, daß das alles nur ein Anfang sein kann. Es wird sich zeigen, ob das verfügbare Ein- kommen pro Kopf der Bevölkerung in den neuen Bundesländern in den nächsten zwei Jahren erheblich steigen wird. Anzeichen dafür gibt es genug. Gelin- gen wird die Sache nur, wenn die totale Umstruktu- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Meine sehr ge- ehrten Herren und Damen, die Aktuelle Stunde ist rierung der Wirtschaft gelingt und die Menschen da- damit beendet. durch Arbeitsplätze finden. Von den insgesamt 13 Kollegen und Kolleginnen, Aber ich möchte Ihnen nur einmal zwei Zahlen sa- die heute in der Aktuellen Stunde gesprochen haben, gen: Im Bereich des Baugewerbes in Potsdam ist ver- haben sich immerhin acht an die Zeit gehalten. Das ist einbart, daß die Löhne bereits im nächsten Jahr 90 eine deutliche Verbesserung gegenüber dem letzten des Westniveaus erreichen. Bei Handel, Banken und Mal. Vielleicht verbessern wir uns das nächste Mal Versicherungen sind 75 % vereinbart. Der Gewerk- noch ein bißchen. schaftsvorsitzende hat gesagt, das sei das Äußerste, was noch erträglich sei. Denn bei 80 % würden die Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages- Menschen im östlichen Teil Berlins bereits ein besse- ordnung. res Einkommem haben als die im westlichen Teil, weil Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- nämlich die Mieten und anderes so niedrig sind. Das destages auf morgen, Donnerstag, den 18. April 1991, alles spricht doch dafür, daß das Gutachten mögli- cherweise schon überholt ist, weil es das überhaupt 9 Uhr ein. nicht berücksichtigt hat. Die Sitzung ist geschlossen. (Arnulf Kriedner [CDU/CSU]: Eben!) (Schluß der Sitzung: 17.26 Uhr) Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991 1301*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 einer eventuellen Umstellung des Fördersystems ver- bundenen Fragen zu erörtern und das Thema „auf der Liste der entschuldigten Abgeordneten politischen Tagesordnung zu halten".

entschuldigt bis Abgeordnete(r) Zu Frage 2: einschließlich Nach Angaben der Länder sind im Jahre 1990 öf- SPD 17. 04. 91 Becker-Inglau, Ingrid fentliche Baudarlehen in Höhe von rd. 269 Mio. DM Conradi, Peter SPD 17. 04. 91 vorzeitig zurückgezahlt worden. Davon waren rd. 17. 04. 91 Doss, Hansjürgen CDU/CSU 50 000 Mietwohnungen betroffen. Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 17. 04. 91 Glos, Michael CDU/CSU 17. 04. 91 Dr. Glotz, Peter SPD 17. 04. 91 Henn, Bernd PDS 17. 04. 91 Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 17. 04. 91 Anlage 3 Kiechle, Ignaz CDU/CSU 17. 04. 91 Antwort Dr.-Ing. Krüger, Paul CDU/CSU 17. 04. 91 Dr. Graf Lambsdorff, Otto FDP 17. 04. 91 des Parl. Staatssekretärs Wilhelm Rawe auf die Frage Dr. Laufs, Paul CDU/CSU 17. 04. 91 des Abgeordneten Peter Paterna (SPD) (Drucksache Lintner, Eduard CDU/CSU 17. 04. 91 12/351 Frage 10): Michalk, Maria CDU/CSU 17. 04. 91 Wird die Bundesregierung die DBP-Telekom veranlassen, die Dr. Müller, Günther CDU/CSU 17. 04. 91 Kritik des Deutschen Städtetages zu beachten und bei der fort- 17. 04. 91 schreitenden Digitalisierung der Knoten- und Ortsvermittlungs- Nitsch, Johannes CDU/CSU stellen der kommunalen Gebietsreform entsprechende einheit- Rauen, Peter Harald CDU/CSU 17. 04. 91 liche Ortsnetze herzustellen? Dr. Riedl (München), CDU/CSU 17. 04. 91 Erich Eine Anpassung der Ortsnetzbereichsgrenzen an Schmidt (Spiesen), Trudi CDU/CSU 17. 04. 91 kommunale Gebiete ist mit Einführung der digitalen Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 17. 04. 91 Vermittlungstechnik in den Knoten- und Ortsvermitt- Hans Peter lungsstellen technisch grundsätzlich möglich. Dr. Schmude, Jürgen SPD 17. 04. 91 Schröter, Karl-Heinz SPD 17. 04. 91 Die technische Realisierung bedarf jedoch eines Skowron, Werner H. CDU/CSU 17. 04. 91 enormen Investitionsaufwandes. Da es sich hierbei Dr. Sperling, Dietrich SPD 17. 04. 91 um ertraglose Investitionen handelt, müßten die auf- Spilker, Karl-Heinz CDU/CSU 17. 04. 91 tretenden Kosten für diese Ortsnetzbereichsanpas- Dr. Wieczorek, Norbert SPD 17. 04. 91 sung in Form von Gebührenerhöhungen auf die Kun-

Wimmer (Neuötting), SPD 17. 04. 91 den der Deutschen Bundespost TELEKOM umge- Hermann wälzt werden. Vor diesem Hintergrund beabsichtigt die Bundesre- für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates gierung nicht, die Deutsche Bundespost zu beauftra- gen, Ortsnetzbereiche an kommunale Grenzen anzu- passen. Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jürgen Echternach auf die Anlage 4 Fragen des Abgeordneten Achim Großmann (SPD) Antwort (Drucksache 12/351 Fragen 1 und 2): Welche Schritte plant das Bundesministerium für Raumord- des Parl. Staatssekretärs Dr. Horst Waffenschmidt auf nung, Bauwesen und Städtebau, um die Frage der Umstellung die Fragen des Abgeordneten Dr. Reinhard Meyer zu der steuerlichen Förderung selbstgenutzten Wohneigentums Bentrup (CDU/CSU) (Drucksache 12/351 Fragen 18 auf Abzug von der Steuerschuld wie angekündigt weiter auf der und 19) : politischen Tagesordnung zu halten? Wie viele Mittel aus der Förderung des sozialen Wohnungs- Auf welchen Gesamtbetrag beläuft sich die Summe der baues sind im Jahre 1990 vorzeitig zurückgezahlt worden, und 13. Monatsgehälter (Weihnachtsgeld) des Bundespräsidenten, wie viele Wohnungen waren davon betroffen? des Bundeskanzlers, der Ministerpräsidenten, der Bundes- und Länderminister sowie der Parlamentarischen Staatssekretäre im Jahre 1991? Zu Frage 1: Ist die Bundesregierung bereit, in Abstimmung mit den Län- Der Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1991 dern dem Parlament einen Gesetzentwurf zuzuleiten, durch den wird zur Zeit in den Ausschüssen sowohl des Bundes- dieser Gesamtbetrag für die Dauer der 12. Legislaturperiode jährlich „als Zeichen der Solidarität zur Finanzierung der Ein- tages als auch des Bundesrates beraten. Er sieht u. a. heit" zur Verfügung gestellt wird? eine Verbesserung der steuerlichen Wohneigentums- förderung vor; dabei wird allerdings keine Umstel- lung der Förderung auf einen Abzug von der Steuer- Zu Frage 18: schuld vorgeschlagen. Die parlamentarische Bera- Das sog. 13. Monatsgehalt oder Weihnachtsgeld tung des Entwurfs wird Gelegenheit bieten, die mit steht auch den in der Frage genannten Personen zu. 1302* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991

Der Bundespräsident, die Mitglieder der Bundesre- Zu Teilaspekten des Vorhabens haben allerdings gierung und die Parlamentarischen Staatssekretäre informelle Kontakte mit Dienststellen der EG-Kom- erhalten die Sonderzuwendung nach dem Gesetz mission stattgefunden. Diese haben jedoch zu keinen über die Gewährung einer jährlichen Sonderzuwen- Bedenken Anlaß gegeben. dung in der Fassung vom 23. Mai 1975 (BGBl. S. 1173), die Gewährung der Sonderzuwendungen an die Mitglieder der Landesregierungen ist in den Lan- desgesetzen geregelt. Anlage 6 Die Summe der jährlichen Sonderzuwendungen Antwort beträgt bei diesem Personenkreis rund 2 800 000, — DM. des Parl. Staatssekretärs Willy Wimmer auf die Frage des Abgeordneten Ortwin Lowack (CDU/CSU) Bei der Berechnung der Sonderzuwendungen für (Drucksache 12/351 Frage 33): die Ministerpräsidenten und die Minister in den alten Was spricht nach Auffassung der Bundesregierung dagegen, Bundesländern ist ein durchschnittliches Amtsgehalt Ungarn und die CSFR mit Waffen und Munition aus den Bestän- zugrunde gelegt worden. In dem Gesamtbetrag sind den der NVA zu beliefern, und warum bleiben entsprechende die jährlichen Sonderzuwendungen für die Minister- Anforderungen bis heute unbeantwortet? präsidenten und Landesminister der fünf neuen Bun- desländer aufgrund der dort zum Teil noch fehlenden Das Material der ehemaligen NVA wurde im Rah- gesetzlichen Grundlagen nicht enthalten. men des deutschen Einigungsprozesses von der Bun- deswehr übernommen und zunächst auf seine Weiter- Zu Frage 19: verwendungsfähigkeit in der Bundeswehr überprüft. Die Bundesregierung hat erst kürzlich für 1991 ein Der Bundesregierung liegt eine Vielzahl von Anfra- Aufbauprogramm in den neuen Bundesländern mit gen nach NVA-Material vor. Die abschließende Prü- einer Gesamtsumme von über 100 Mrd. DM beschlos- fung von Einzelfragen erfolgt auf der Grundlage einer sen. Ein vergleichbares Engagement des Bundes hat politischen Grundsatzentscheidung. es bisher in der Geschichte der Bundesrepublik Ein großer Teil der Hauptwaffensysteme der NVA, Deutschland nicht gegeben, dies hat auch der Bun- die nicht weiter verwendet werden, fällt unter den deskanzler mehrfach hervorgehoben. Zu dieser finan- Begriff „Treaty Limited Equipment (TLE) " gemäß ziellen Kraftanstrengung tragen alle Bürger entspre- KSE-Vertrag. Nach Typen notifiziertes, vertragsbe- chend ihrer Leistungsfähigkeit durch die Erhebung grenztes Gerät unterliegt der Reduzierungsverpflich- des Solidarzuschlags zur Lohn-, Einkommen- und tung gemäß Art. 8 des KSE-Vertrages, sofern die An- Körperschaftssteuer bei. teilshöchstgrenzen in den entsprechenden Kategorien Die Bundesregierung ist im übrigen der Auffassung, überschritten werden. daß nach Verbesserung der finanziellen Rahmen- Die Bundesregierung hat festgelegt, daß grundsätz- bedingungen nunmehr andere Aspekte beim Aufbau lich auch für die Abgabe von NVA-Kriegswaffen und in den neuen Bundesländern in den Vordergrund sonstige NVA-Rüstungsgüter von Regierung zu Re- treten. gierung die rüstungsexportpolitischen Grundsätze In nächster Zeit wird vielmehr entscheidend für den vom 28. April 1982 Anwendung finden. Aufschwung sein, daß die Verwaltungen in Bund, Im vorliegenden Fall sind außer einem laufenden Ländern und Gemeinden, die private Wirtschaft, die interministeriellen Abstimmungsprozeß auch Gesprä- Tarifpartner und die Verbände die vorhandenen Frei- che und Beratungen im multilateralen Rahmen (Bünd- räume nutzen und durch persönlichen Einsatz sowie nispartner und KSE-Rahmen) erforderlich. durch Übermittlung von Erfahrung und Wissen zur Ungarn hat bereits einen Zwischenbescheid über Überwindung der Schwierigkeiten beitragen. die gewünschten Materiallieferungen erhalten. Seitens der Tschechischen und Slovakischen Föde- rativen Republik liegen derzeit keine spezifischen Materialwünsche vor. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Klaus Beckmann auf die Frage des Abgeordneten Peter Paterna (SPD) (Druck- Anlage 7 sache 12/351 Frage 30): Antwort Hat die Bundesregierung die geplante Erhöhung der Abliefe- rung der DBP-Telekom in Brüssel, insbesondere bei der Gene- Parl. Staatssekretärs Willy Wimmer auf die Fragen der raldirektion 4, auf EG-Konformität prüfen lassen, und wenn ja, Abgeordneten Antje -Marie Steen (SPD) (Drucksache mit einem wie begründeten Ergebnis? 12/351 Fragen 36 und 37): Weshalb und in welcher Höhe werden Tiefflüge in Ostholstein Die Bundesregierung hat das Vorhaben, die Ablie- durchgeführt? ferung der Deutschen Bundespost in den Jahren Werden Überlegungen angestellt, diese Region wegen der 1991-94 um jeweils 2 Mrd. DM zu erhöhen, bei der besonderen Lage des Vogelschutzgebietes auf Fehmarn von Kommission der Europäischen Gemeinschaften nicht den Tiefflügen auszunehmen, und trifft es zu, daß nach Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Hennig vorgesehen notifiziert. Für eine solche Maßnahme besteht auch war, in den nächsten vier Jahren keine Tiefflüge über Osthol- keine rechtliche Verpflichtung. stein stattfinden zu lassen? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1991 1303*

Zu Frage 36: Anlage 8 Militärische Flüge in niedrigen Höhen werden zur Antwort Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit der deutschen und alliierten Luftstreitkräfte durchgeführt. des Parl. Staatssekretärs Willy Wimmer auf die Fragen Der Bundesminister der Verteidigung hat angeord- der Abgeordneten Dr. Rose Götte (SPD) (Drucksache net, daß mit Wirkung vom 17. September 1990 strahl-12/351 Fragen 38 und 39): getriebene Kampfflugzeuge hierbei grundsätzlich In welcher Weise wurde die Bundesregierung über den ver- eine Mindestflughöhe von 300 m (1 000 Fuß) nicht un- stärkten Flugbetrieb von und zum amerikanischen Militärflug- terschreiten dürfen. Darüber hinaus sind für derartige hafen Ramstein informiert, und wie lange werden insbesondere Flüge auch folgende zeitliche Beschränkungen ver- die seit Monaten in großer Zahl stattfindenden nächtlichen Flug- fügt: bewegungen andauern?

Nur an Werktagen von 07.00-17.00 Uhr Ortszeit Auf welcher Rechtsgrundlage findet der das Normalmaß weit mit einer zwischen jeweils dem 1. Mai und 31. Okto- übersteigende aktuelle Flugbetrieb beim amerikanischen Mili- ber einzuhaltenden Mittagspause von 12.30- tärflughafen Ramstein statt, und bedarf es hierzu einer Geneh- migung deutscher Behörden? 13.30 Uhr Ortszeit. Außerhalb dieser genannten Ta- geszeiten beträgt die Mindestflughöhe 1 500 Fuß (ca. 500 m). Zu Frage 38: Ausnahmen hiervon hat sich der Bundesminister der Verteidigung seiner Entscheidung vorbehalten. Der Flugbetrieb auf dem Flugplatz Ramstein wird Diese für die Bundesrepublik generell geltenden grundsätzlich nach den Erfordernissen der amerikani- Bestimmungen treffen auch für Ostholstein zu. schen Streitkräfte abgewickelt. Bei den seit einigen Wochen verstärkt stattfindenden Flugbewegungen Zu Frage 37: handelt es sich vor allem um Unterstützungsflüge für die multinationalen Streitkräfte in der Golfregion, die Es werden keine Überlegungen angestellt, für diese in vollem Einverständnis der Bundesregierung durch- Region besondere und von den allgemein gültigen geführt wurden. Bestimmungen abweichende Regelungen zu treffen. Es ist vorgesehen, auch in diesem Bereich militäri- sche Flüge in niedrigen Höhen durchzuführen, aber Zu Frage 39: nur unter den zuvor genannten Einschränkungen. Ein vergleichsweise zu anderen Gebieten der Bun- Der Flugbetrieb wird gemäß den Bestimmungen desrepublik Deutschland vermindertes Flugaufkom- des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG) durchgeführt. men in dieser Region ist aufgrund der Einrichtung der Nach § 1 LuftVG ist die Benutzung des Luftraumes sogenannten „Entflechtungszone" beiderseits der durch Luftfahrzeuge frei. Einer besonderen Genehmi- ehemaligen innerdeutschen Grenze zu erwarten. gung entsprechender Flüge bedarf es danach nicht.