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Plenarprotokoll 12/161

Deutscher Bundesta g

- Stenographischer Bericht

161. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Inhalt:

Bestimmung des Abgeordneten Heinz des bundesstaatlichen Finanzaus- Adolf Hörsken als ordentliches Mitglied im gleichs (Drucksache 12/4750) Gemeinsamen Ausschuß für den ausschei- Zweite und dritte Beratung des vom denden Abgeordneten Bernhard Jagoda 13711A Bundesrat eingebrachten Entwurfs Erweiterung der Tagesordnung 13711 B eines Gesetzes zur Änderung des Ge- setzes fiber die Errichtung des Fonds Absetzung des Punktes 13 a von der Tages „Deutsche Einheit" (Drucksache ordnung 13711 C 12/4751)

Nachträgliche Überweisung eines Gesetz- Zweite und dritte Beratung des vom entwurfs an den Ausschuß für Umwelt, Bundesrat eingebrachten Entwurfs Naturschutz und Reaktorsicherheit 13711 C eines Gesetzes zum Ausgleich unter- schiedlicher Wirtschaftskraft und zur Ausschluß des Abgeordneten Dr. Rudolf Förderung des wirtschaftlichen Wachs- Karl Krause (Bonese) aus der Fraktion der tums in den neuen Ländern (Investi- CDU/CSU 13711D tionsförderungsgesetz Aufbau Ost) (Drucksachen 12/4752, 12/4801) Begrüßung des Präsidenten der Parlamen b) Beratung der Beschlußempfehlung und 13727 A tarischen Versammlung des Europarates des Berichts des Haushaltsausschusses Bekanntgabe der Zurückziehung des An- zu dem Antrag der Abgeordneten trags der Fraktion der SPD auf Drucksache Dr. Barbara Höll, Dr. und 12/4952 (Tagesordnungspunkt 8a) 13806 C der Gruppe der PDS/Linke Liste: Eine neue Wirtschafts- und Sozialpolitik Tagesordnungspunkt 5: — Alternativen zum „Solidarpakt" der Bundesregierung (Drucksachen a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs 12/4671, 12/4801) eines Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten c) Beratung der Beschlußempfehlung und im Zusammenhang mit der Herstellung des Berichts des Haushaltsausschusses der Einheit Deutschlands, zur lang- zu dem Antrag der Abgeordneten fristigen Sicherung des Aufbaus in Dr. Barbara Höll und der Gruppe der den neuen Ländern, zur Neuordnung PDS/Linke Liste: Heranziehung der des bundesstaatlichen Finanzausgleichs westdeutschen Unternehmen zur Fi- und zur Entlastung der öffentlichen nanzierung des Solidarpakts (Drucksa- Haushalte (Gesetz zur Umsetzung chen 12/4493, 12/4868) des Föderalen Konsolidierungspro- gramms) (Drucksachen 12/4401, 12/ in Verbindung mit 4748) Zweite und dritte Beratung des vom Tagesordnungspunkt 6: Bundesrat eingebrachten Entwurfs Zweite und dritte Beratung des von der eines Gesetzes zur Neuordnung Bundesregierung eingebrachten Ent-

II Deutscher — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. , Donnerstag, den 27. Mai 1993

wurfs eines Gesetzes über die Fest- Hinrich Kuessner SPD 13769 C stellung eines Nachtrags zum Bundes- F D P 13770 A haushaltsplan für das Haushaltsjahr 1993 (Nachtragshaushaltsgesetz 1993) Joachim Günther, Parl. Staatssekretär (Drucksachen 12/4400, 12/4744, 12/ BMBau 13773 A 4800) Achim Großmann SPD 13774 A

in Verbindung mit Petra Bläss PDS/Linke Liste 13774 D Dr. Klaus Rose CDU/CSU 13775D Tagesordnungspunkt 7: - BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Christina Schenk 13777 C eines Gesetzes zur Verbesserung der NEN steuerlichen Bedingungen zur Siche- CDU/CSU 13779A rung des Wirtschaftsstandorts Deutsch- Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . 13781 A land im Europäischen Binnenmarkt (Standortsicherungsgesetz) (Drucksa- CDU/CSU 13783 B chen 12/4158, 12/4487, 12/5016, 12/ Horst Jaunich SPD 13784 B 5037) 13785 A CDU/CSU 13713A Wolfgang Weiermann SPD Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD . . 13716D Ortwin Lowack fraktionslos 13786A Dr. Otto Lambsdorff F.D.P. 13722 A Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 13787 C Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . . . 13723 C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . 13788D Ernst Waltemathe SPD 13725 C Klaus-Dieter Kühbacher, Minister des Lan des 13790 B (Köln) SPD 13726C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 13791A Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . . 13727 B Johannes Nitsch CDU/CSU 13793 B () BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13730B Peter Conradi SPD (zur GO) 13795 B Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 13732D Dr. Peter Struck SPD (zur GO) 13796 A Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD . . 13734 A Dr. F.D.P. (zur GO) . . . . 13796B Udo Haschke (Jena) CDU/CSU . . . 13739D Namentliche Abstimmungen 13796D, 13804 A Rudolf Dreßler SPD 13740 A Michael Glos CDU/CSU . . 13741B, 13742B Ergebnisse ...... 13796D, 13804A Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 13746 C Tagesordnungspunkt 13: , Ministerpräsident des Landes Überweisungen im vereinfachten Verfah- Hessen 13749B ren Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister b) Erste Beratung des von der Bundesre- BMWi ...... 13752C gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zustimmung zur Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 13753 C Änderung des Direktwahlakts (Druck- Dr. Uwe Jens SPD 13755A sache 12/4985) Ernst Hinsken CDU/CSU 13755 D c) Beratung des Antrags der Abgeordne- Hans Peter Schmitz (Baesweiler) CDU/ ten , Hans-Günther Toete- weiterer Abgeord- CSU 13756A meyer, Rudolf Purps, neter und der Fraktion der SPD: Stock- Joachim Poß SPD 13758 A bildung bei Kulturförderfonds (Druck- Hermann Rind F D P. 13760 A sache 12/4556) Gunnar Uldall CDU/CSU 13760 D d) Beratung des Antrags der Abgeordne- ten Dr. Gerald Thalheim, , Hans H. Gattermann F.D.P. 13762 B Ernst Kastning, weiterer Abgeordneter Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ und der Fraktion der SPD: Entschädi- Linke Liste 13763 D gung von Besitzern ehemaliger „Kreis (Drucksache 12/4574) -pachtbetriebe" Dr. CDU/CSU . . . 13764D e) Beratung des Antrags des Präsidenten Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ des Bundesrechnungshofes: Rechnung 13766D DIE GRÜNEN des Bundesrechnungshofes für das Dr. Günther Krause (Börgerende) CDU/ Haushaltsjahr 1992 — Einzelplan 20 — CSU 13768A (Drucksache 12/4844) 13800D

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 III

Zusatztagesordnungspunkt 2: Mitteilung der Kommission der - Weitere Überweisungen im vereinfachten päischen Gemeinschaften über die eu- Verfahren (TOP 13) ropäische Telekommunikationsgeräte- Industrie f) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Situation, Chancen und Risiken, Ak- Gesetzes über dienstrechtliche Rege- tionsvorschläge (Drucksachen 12/4131 lungen für besondere Verwendungen Nr. 3.19, 12/4858) im Ausland (Auslandsverwendungsge- d) Beratung der Beschlußempfehlung und setz) (Drucksache 12/4989) des Berichts des Ausschusses für Post und Telekommunikation zu der Unter- g) Erste Beratung des von der Bundesre- richtung durch die Bundesregierung: gierung eingebrachten Entwurfs eines Vorschlag für eine Richtlinie des Rates Gesetzes zur Neuordnung des Eisen- über die gegenseitige Anerkennung bahnwesens (Eisenbahnneuordnungs- von Lizenzen und anderen einzelstaat- gesetz) (Drucksache 12/5014) lichen Genehmigungen zur Erbringung h) Erste Beratung des von der Bundesre- von Telekommunikationsdienstleistun- gierung eingebrachten Entwurfs eines gen, einschließlich der Einrichtung Gesetzes zur Änderung des Grundge- einer einheitlichen Gemeinschaftstele- setzes (Drucksache 12/5015) kommunikationslizenz und der Einset- zung eines Gemeinschaftstelekommu- i) Erste Beratung des von den Abgeordne- nikationsausschusses (CTC) (Drucksa- ten Egon Susset, Meinolf Michels, chen 12/3449 Nr. 2.15, 12/4862) , weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie e) Beratung der Beschlußempfehlung und der Abgeordneten Günther Bredehorn, des Berichts des Ausschusses für Ernäh- Ulrich Heinrich, Johann Paintner, weite- rung, Landwirtschaft und Forsten zu der ren Abgeordneten und der Fraktion der Unterrichtung durch die Bundesregie- F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines rung: Vorschlag für eine Verordnung Gesetzes zur Durchführung der Rechts- (EWG) des Rates zur Einführung spezi- akte der Europäischen Gemeinschaft fischer Maßnahmen für die auf den über Bescheinigungen besonderer Kanarischen Inseln ansässigen Fischer Merkmale von Agrarerzeugnissen und von Kopffüßern (Drucksachen 12/4555 Lebensmitteln (Lebensmittelspezialitä- Nr. 2.12, 12/4863) tengesetz) (Drucksache 12/5025) 13801 A f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses Tagesordnungspunkt 14: zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Überplanmäßige Ausgabe Abschließende Beratungen ohne Ausspra- bei Kapitel 11 12 Titel 616 31 — che Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit a) Zweite und dritte Beratung des von den (Drucksachen 12/4732, 12/4954) Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abge- g) Beratung der Beschlußempfehlung und ordneten und der Fraktion der CDU/ des Berichts des Rechtsausschusses zu CSU sowie der Abgeordneten Günther der dem Deutschen Bundestag zugelei- Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann teten Streitsache vor dem Bundesver- Paintner, weiteren Abgeordneten und fassungsgericht 2 BvE 2/93 (Drucksache der Fraktion der F.D.P. eingebrachten 12/4865) Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur h) Beratung der Beschlußempfehlung und Änderung des Gesetzes zur Förderung des Berichts des Rechtsausschusses zu der bäuerlichen Landwirtschaft (Druck- der Verordnung der Bundesregierung: sachen 12/4762, 12/5026, 12/5027) Aufhebbare Erste Verordnung zur b) Beratung der Beschlußempfehlung und Änderung der Konzernabschlußbe- des Berichts des Innenausschusses zu freiungsverordnung (Drucksachen 12/ dem Antrag der Abgeordneten Angela 4765, 12/4927) Stachowa, Dr. und der i) Beratung der Beschlußempfehlung des Gruppe der PDS/Linke Liste: Erhalt kul- Petitionsausschusses: Sammelübersicht tureller Substanz im Zusammenhang 101 zu Petitionen (Drucksache 12/ mit der Verlagerung von Bundesbehör- 4916) den in die neuen Bundesländer (Druck- sachen 12/3236, 12/4573) j) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht c) Beratung der Beschlußempfehlung und 103 zu Petitionen (Drucksache 12/ des Berichts des Ausschusses für Post 4918) und Telekommunikation zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: Horst Sielaff SPD 13802 D

IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Zusatztagesordnungspunkt 3: Tagesordnungspunkt 10: Weitere abschließende Beratungen ohne Beratung der Beschlußempfehlung und Aussprache (TOP 14) des Berichts des Auswärtigen Ausschus- k) Beratung des Antrags der Fraktionen ses zu dem Antrag der Abgeordneten der CDU/CSU, SPD und F.D.P.: Ä nde- Helmut Rode (Wietzen), Wolfgang Eh- rung der Geschäftsordnung für den lers, Andreas Schmidt (Mühlheim), wei- Gemeinsamen Ausschuß (Drucksache terer Abgeordneter und der Fraktion der 12/4992) 13804 A CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Wolfgang Lüder und der Zusatztagesordnungspunkt 1: Fraktion der F.D.P. Beratung des Antrags der Fraktionen Einbeziehung der deutschen Heimat- der CDU/CSU, SPD, F.D.P. und der vertriebenen, Aussiedler und der in Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa le- Weltmenschenrechtskonferenz der Ver- benden deutschen Minderheiten in die einten Nationen 1993 in Wien (Drucksa- Politik der Verständigung und guten che 12/5024) Nachbarschaft der Bundesrepublik Deutschland gegenüber ihren östlichen in Verbindung mit und südöstlichen Nachbarn (Drucksa- chen 12/2311, 12/4988) Tagesordnungspunkt 8: b) Beratung des Antrags der Abgeordne- Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU (zur GO) 13821A, C ten Hanna Wolf, Brigitte Adler, Ange- lika Barbe, weiterer Abgeordneter und Freimut Duve SPD (zur GO) 13821B der Fraktion der SPD: Gegen Men- schenrechtsverletzungen an Frauen — Tagesordnungspunkt 11: Weltkonferenz über Menschenrechte Zweite und dritte Beratung des von den im Juni 1993 (Drucksache 12/4953) Abgeordneten Dirk Fischer (), Heribert Scharrenbroich CDU/CSU . . 13806 C Dr. Dionys Jobst, Horst Gibtner, weite- SPD 13808B ren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Ingrid Walz F D P 13810A , , Man- Angela Stachowa PDS/Linke Liste . 13811B fred Richter (Bremerhaven), Dr. Klaus Röhl und der Fraktion der F.D.P. einge- Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13812B brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Freimut Duve SPD 13813 C Änderung des Gemeindeverkehrsfi- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin AA 13814 A nanzierungsgesetzes (Drucksachen 12/ 4518, 12/5011) Freimut Duve SPD 13814 D Susanne Rahardt-Vahldieck CDU/CSU 13815D Tagesordnungspunkt 12: Hanna Wolf SPD 13817 B a) Zweite und dritte Beratung des von den Gerhart Rudolf Baum F.D.P Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Tagesordnungspunkt 9: Gesetzes zur Ergänzung der Renten-

Zweite und dritte Beratung des von den überleitung (Rentenüberleitungs -Er- Abgeordneten Doris Odendahl, Ange- gänzungsgesetz) (Drucksachen 12/ lika Barbe, Hans Gottf ried Bernrath, 4810, 12/5017, 12/5018) weiteren Abgeordneten und der Frak- tion der SPD eingebrachten Entwurfs b) Beratung der Beschlußempfehlung und eines Sechzehnten Gesetzes zur Ände- des Berichts des Ausschusses für Arbeit rung des Bundesausbildungsförde- und Sozialordnung zu dem Antrag der rungsgesetzes (Drucksache 12/4347) Fraktion der SPD: Soziale Grundsiche- rung im Alter und bei Berufs- oder Zweite und dritte Beratung des von den Erwerbsunfähigkeit Abgeordneten Alois Graf von Wald- burg-Zeil, Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr. Else zu dem Antrag der Gruppe der PDS/ Ackermann, weiteren Abgeordneten Linke Liste: Erarbeitung eines neuen und der Fraktion der CDU/CSU sowie Rentengesetzes den Abgeordneten Dr. Margret Funke- Schmitt-Rink, Dr. Karlheinz Guttma- zu dem Antrag der Abgeordneten cher, Dirk Hansen und der Fraktion der Rudolf Dreßler, , Ott- F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines mar Schreiner, weiterer Abgeordneter Sechzehnten Gesetzes zur Änderung und der Fraktion der SPD: Korrektur des des Bundesausbildungsförderungsge- Rentenüberleitungsgesetzes (Drucksa- setzes (Drucksachen 12/4763, 12/5021, chen 12/2519, 12/2567, 12/2663, 12/ 12/5022, 12/5023) 13819C 5017)

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Volker Kauder CDU/CSU 13822 A Änderung des Bundesausbildungsförde- rungsgesetzes) Günther Heyenn SPD . . . . 13823B, 13829 C Dr. Bruno Menzel F D P 13825 A Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 13834* B Petra Bläss PDS/Linke Liste 13825 D Doris Odendahl SPD 13834* D Dr. BÜNDNIS 90/ Dirk Hansen F.D.P. 13835* D DIE GRÜNEN 13826D Dr. , Bundesminister BMWi 13836* A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 13827 B - Dr. Bruno Menzel F D P 13827 C Anlage 4 Dr. Gregor Gysi PDS/Linke Liste . . 13828D Dr. Helga Otto SPD (Erklärung nach § 31 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- GO) 13829D nungspunkt 10 (Einbeziehung der deut- schen Heimatvertriebenen, Aussiedler und Udo Haschke (Jena) CDU/CSU (Erklärung der in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa nach § 31 GO) 13830C lebenden deutschen Minderheiten in die Dr. Christoph Schnittler F.D.P. (Erklärung Politik der Verständigung und guten Nach- nach § 31 GO) 13831B barschaft der Bundesrepublik Deutschland gegenüber ihren östlichen und südöstlichen Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) fraktionslos Nachbarn) (Erklärung nach § 31 GO) 13831 D Hartmut Koschyk CDU/CSU ...... 13836* D Nächste Sitzung .13832 D Angela Stachowa PDS/Linke Liste . . . . 13838* B Berichtigung 13832D Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin AA 13838* D

Anlage 1 Anlage 5 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 13833' A Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- nungspunkt 11 (Gesetz zur Änderung des Anlage 2 Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes) Erklärungen nach .§ 31 GO zur Abstimmung Theo Magin CDU/CSU 13840* A über das Gesetz zur Umsetzung des Föde- ralen Konsolidierungsprogramms (Tages- Elke Ferner SPD ...... 13840* D ordnungspunkt 5) Ekkehard Gries F.D.P. 13842* C Jürgen Koppelin F.D.P. 13833* B Thomas Molnar, Dr. Klaus Mildner und weitere Abgeordnete der Fraktion der Anlage 6 CDU/CSU 13833* C Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung Klaus Kirschner SPD 13833* C über das Gesetz der Rentenüberleitung Hans Martin Bury SPD 13834* A (Tagesordnungspunkt 12) Dr. , Susanne Jaffke und Anlage 3 weitere Abgeordnete der Fraktion der CDU/CSU 13843* B Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord nungspunkt 9 (Sechzehntes Gesetz zur Regina Kolbe SPD 13843* D

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161. Sitzung - Bonn, den 27. Mai 1993

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und k) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD Herren! Die Sitzung ist eröffnet. und F.D.P.: Änderung der Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß — Drucksache 12/4992 — Ich verlese zunächst die amtlichen Mitteilungen. Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, Aus dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des soweit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung Grundgesetzes scheidet der frühere Kollege Bern- erforderlich ist, abgewichen werden. hard Jagoda als ordentliches Mitglied aus. Als Nach- Darüber hinaus ist vereinbart worden, den Tages- folger schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Kolle- ordnungspunkt 13 a abzusetzen. gen Heinz-Adolf Hörsken vor. Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Über- Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? — weisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerk Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Kollege sam: Heinz-Adolf Hörsken als ordentliches Mitglieder im Gemeinsamen Ausschuß bestimmt. Der in der 150. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. März 1993 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige nachträglich auch dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Reaktorsicherheit zur Mitberatung überwiesen werden: Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: Gesetzentwurf der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Dionys Jobst, Horst Gibtner, weiteren Abgeordneten und der 1. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ekkehard F.D.P. und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Welt- Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen 1993 in und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Wien — Drucksache 12/5024 — Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahn- neuordnungsgesetz — ENeuOG) — Drucksache 12/4609 2. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (neu) (TOP 13) Überweisungsvorschlag: f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ausschuß für Verkehr (federführend) Entwurfs eines Gesetzes über dienstrechtliche Regelungen Innenausschuß für besondere Verwendungen im Ausland (Auslandsver- Rechtsausschuß wendungsgesetz — AuslVG) — Drucksache 12/4989 — Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwe- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sens (Eisenbahnneuordnungsgesetz — ENeuOG) — Druck- Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO sache 12/5014 — Sind Sie auch damit einverstanden? — Das ist der h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes Fall. Dann ist es so beschlossen. — Drucksache 12/5015 — Schließlich teile ich Ihnen mit, daß der Abgeordnete i) Erste Beratung des von den Abgeordneten Egon Susset, Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) seit dem 25. Mai 1993 Meinolf Michels, Richard Bayha, weiteren Abgeordneten aus der Fraktion der CDU/CSU ausgeschlossen ist. Er und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann Paintner, wei- gehört damit dem Deutschen Bundestag als fraktions- teren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrach- loses Mitglied an. ten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Rechts- akte der Europäischen Gemeinschaft über Bescheinigungen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 bis 7 auf: besonderer Merkmale von Agrarerzeugnissen und Lebens- mitteln (Lebensmittelspezialitätengesetz — LSpG) — Druck- 5. a) — Zweite und dritte Beratung des Ent- sache 12/5025 — wurfs eines Gesetzes über Maßnahmen 3. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache zur Bewältigung der finanziellen Erbla- (TOP 14) sten im Zusammenhang mit der Herstel- 13712 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Heranziehung der westdeutschen Unter- lung der Einheit Deutschlands, zur nehmen zur Finanzierung des Solidarpakts langfristigen Sicherung des Aufbaus in — Drucksache 12/4493, 12/4868 — den neuen Ländern, zur Neuordnung Berichterstattung: des bundesstaatlichen Finanzaus- Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) gleichs und zur Entlastung der öffentli- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) chen Haushalte (Gesetz zur Umsetzung Helmut Wieczorek (Duisburg) des Föderalen Konsolidierungsprog- ramms — FKPG) 6. Zweite und dritte Beratung des von der Bun- — Drucksachen 12/4401, 12/4748 — desregierung eingebrachten Entwurfs eines (Erste Beratung 145. und 152. Sitzung) Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushalts- — Zweite und dritte Beratung des vom jahr 1993 (Nachtragshaushaltsgesetz 1993) Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- — Drucksachen 12/4400, 12/4744 — nes Gesetzes zur Neuordnung des bun- (Erste Beratung 145. Sitzung) desstaatlichen Finanzausgleichs — Drucksache 12/4750 — Beschlußempfehlung und Bericht des Haus- (Erste Beratung 152. Sitzung) haltsausschusses (8. Ausschuß) — Drucksache 12/4800 — — Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- Berichterstattung: nes Gesetzes zur Änderung des Geset- Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) zes über die Errichtung des Fonds Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) „Deutsche Einheit" Helmuth Wieczorek (Duisburg) — Drucksache 12/4751 — 7. Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines (Erste Beratung 152. Sitzung) Gesetzes zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschafts- — Zweite und dritte Beratung des vom standorts Deutschl and im Europäischen Bin- Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nenmarkt (Standortsicherungsgesetz — nes Gesetzes zum Ausgleich unter- StandOG) schiedlicher Wirtschaftskraft und zur — Drucksachen 12/4158, 12/4487 — Förderung des wirtschaftlichen Wachs- tums in den neuen Ländern (Investi- (Erste Beratung 137. und 146. Sitzung) tionsförderungsgesetz Aufbau Ost) a) Beschlußempfehlung und Bericht des Fi- — Drucksache 12/4752 — nanzausschusses (7. Ausschuß) (Erste Beratung 152. Sitzung) — Drucksache 12/5016 — Berichterstattung: Beschlußempfehlung und Bericht des Haus- Abgeordnete Detlev von Larcher haltsausschusses (8. Ausschuß) Hermann Rind — Drucksache 12/4801 — Gunnar Uldall Berichterstattung: b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) — Drucksache 12/5037 — Helmut Wieczorek (Duisburg) Berichterstattung: b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Abgeordnete Helmut Wieczorek (Duis- Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- burg) schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Dieter Pützhofen Dr. Barbara Höll, Dr. Gregor Gysi und der Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Gruppe der PDS/Linke Liste Zu den Gesetzentwürfen liegen mehrere Ände- Eine neue Wirtschafts- und Sozialpolitik — rungs- und Entschließungsanträge vor. Nach einer Alternativen zum „Solidarpakt" der Bun- interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemein- desregierung same Aussprache sechs Stunden vorgesehen. — Drucksachen 12/4671, 12/4801 — Auch hier sehe ich keinen Widerspruch. Es ist so Berichterstattung: beschlossen. Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Aussprache sowohl über einen Änderungsantrag der Helmut Wieczorek (Duisburg) Fraktion der SPD zum Föderalen Konsolidierungs- c) Beratung der Beschlußempfehlung und des programm als auch über das Nachtragshaushaltsge- Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- setz namentlich abstimmen werden. schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat mich Dr. Barbara Höll und der Gruppe der PDS/ gebeten, Ihnen folgende redaktionelle Berichtigun- Linke Liste gen zur Beschlußempfehlung zum Gesetz zur Umset- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13713

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth zung des Föderalen Konsolidierungsprogramms mit- Es gilt vor allem, den bisher nicht bewältigten mittel- zuteilen. fristigen, d. h. strukturellen Problemen Rechnung zu Erstens. Auf Seite 6 sind der Einleitungssatz und die tragen. Inhaltsübersicht zu ergänzen, und zwar so, wie im Dazu gehört in erster Linie, daß sich die Menschen, Gesetzentwurf auf Drucksache 12/4401 angegeben, aber auch alle Politiker in unserem Lande darüber klar jedoch mit den durch die Ausschußänderungen not- sind, welche Veränderungen sich für die Bundesrepu- wendigen Modifikationen. blik Deutschland aus dem Zusammenbruch des Zweitens. Auf Seite 55 ist in der rechten Spalte unter Sozialismus ergeben haben. Die Probleme der neuen Buchstabe b das Wort „unverändert" durch „entfällt" Bundesländer sind bekanntermaßen viel gravieren- zu ersetzen. der als ursprünglich angenommen und fordern über einen längerfristigen Zeitraum erhebliche Finanz- Soweit die Berichtigungen. transfers in einer Größenordnung von 5 % des Brutto- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kol- sozialproduktes. 3 Billionen DM in etwa beträgt unser lege Michael Glos. Sozialprodukt, d. h. Jahr für Jahr 150 Milliarden DM Finanztransfer. Vor allem viele Fachleute haben sich in der Einschätzung dieser Größenordnung geirrt. Dieser Betrag ist nicht nur gleichbedeutend mit Michael Glos (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine einer entsprechenden Belastung der öffentlichen sehr verehrten Damen und Herren! Eine bekannte Haushalte, sondern wir müssen dies als Güterstrom Hamburger Illustrierte, für die ich aus verständlichen von West nach Ost sehen. Das, was nach Osten geht, Gründen keine Reklame machen will, steht im Westen für den Konsum nicht mehr zur Verfügung. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch gut so!) (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das schrieb: „Wir sind satt geworden. Die Deutschen kommt doch zurück!) leben über ihre Verhältnisse." Mit diesen einfachen Mit den Gesprächen zwischen Bund und Ländern Worten wird meines Erachtens der Kern unserer über ein Föderales Konsolidierungsprogramm wurde wirtschaftlichen Probleme treffend charakterisiert. die Grundlage dafür geschaffen, den Finanzausgleich Rund zehn Jahre wirtschaftlichen Aufschwungs in zwischen den öffentlichen Ebenen in Deutschland Deutschland mit zwei Jahren Wiedervereinigungs- mittelfristig neu zu ordnen, die Finanzausstattung der Sonderboom haben bei manchen Unternehmen, aber neuen Länder auf eine längerfristig gesicherte Grund- auch bei der öffentlichen Hand zu Schlendrian, zu lage zu stellen. großzügigem Kostengebaren und zu laschem Control- ling geführt. Ich erinnere dabei daran, daß sich Herr Ministerprä- sident Biedenkopf ausdrücklich dafür bedankt und Bei vielen Mitbürgern, nicht nur bei Arbeitneh- gesagt hat, damit seien die Forderungen der neuen mern, sind dadurch Anspruchsdenken, Freizeitfeti- Bundesländer auf viele Jahre hinaus abgedeckt. Es schismus und Vollkaskomentalität gefördert wor- geht vor allem darum einen wichtigen Beitrag zur den. Bewältigung der finanziellen Folgen von 40 Jahren (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sozialismus zu leisten. Die Schwierigkeiten, die der Bundesfinanzminister Ein deutliches Mehr an Einsparungen bei Staats- wie auch viele seiner Kolleginnen und Kollegen auf ausgaben und Steuervergünstigungen wäre schon Länder- und Gemeindeebene bei der Durchsetzung bei den Solidarpaktverhandlungen notwendig gewe- selbst kleiner Einsparmöglichkeiten haben, zeigen, sen, um das Ausmaß der vereinbarten Steuererhöhun- wie schwer es bei uns geworden ist, eingefahrene gen und Neuverschuldungen geringer zu halten. Gleise zu verlassen. Insofern habe ich auch von meiner persönlichen Sicht (Zuruf von der SPD: Vor allem die Kranken her etwas am Solidarpakt zu kritisieren. Meine sehr und Arbeitslosen!) verehrten Damen und Herren von der SPD, das war mit Ihnen und Ihren Verhandlungsführern aber nicht Wenn man nach hitzigen Debatten gestern noch nicht machbar. Ich bezweifele auch, ob es besser machbar richtig ausgeschlafen hat und dann morgens im gewesen wäre, wenn man dazu Frau Matthäus-Maier Deutschlandfunk schon wieder Frau Matthäus-Maier mitgenommen hätte. Ich glaube, man hat hier allein hören muß, immer mit den gleichen Ritualen, mit den schon aus klimatischen Gründen gut daran getan, daß gleichen falschen Rezepten und Forderungen, dann Herr Klose sich von Herrn Dreßler und von Herrn zeigt sich, wie sehr dies immer noch in der SPD Thierse hat begleiten lassen. drinsteckt. (Widerspruch bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Da werden Sie Dadurch mußte der Bundesfinanzminister zumindest wach, was?) nicht ertragen, daß Leute, die ihn persönlich zu Unrecht angegriffen haben und immer wieder diffa- Warnen möchte ich auch davor, die derzeitigen mieren, wie sie es beim sogenannten Moksel-Skandal Probleme in Deutschland als vorübergehendes kon- getan haben, direkt mit am Tisch sitzen. junkturelles Phänomen abzutun. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — (Beifall des Abg. Dieter-Julius Cronenberg Widerspruch bei der SPD — Zuruf von der [F.D.P.]) SPD: Er diffamiert sich doch selber!) 13714 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Michael Glos Eine rasche Einigung zwischen Bund und Ländern junkturschwäche im Westen der Bundesrepublik beim Solidarpakt war konjunktur- und wachstumspo- zusammenfallen. 1993 wird das Bruttosozialprodukt litisch vordringlich, um die schwelenden Unsicherhei- nach jüngsten Schätzungen der Wirtschaftssachver- ten bei der Bevölkerung und bei den Unternehmun- ständigen um etwa 2 % zurückgehen. Entsprechend gen zu beseitigen. Wie wichtig es war, die Gespräche ist mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen um etwa zwischen Bund und Ländern zügig abzuschließen, 500 000 gegenüber 1992 zu rechnen. wird deutlich, wenn man sich das derzeitige Füh- Diese schwierigen Rahmenbedingungen zeigen rungschaos in der SPD nach dem Rücktritt von Björn sich sowohl auf der Einnahmen- wie auch auf der Engholm verdeutlicht. Ausgabenseite des Bundeshaushalts 1993. Steueraus- (Lachen und Widerspruch bei der SPD) fälle in Höhe von 6,5 Milliarden DM und Mehrauf-- wendungen für den Arbeitsmarkt von 20 Milliarden Er hat ja noch eine gute und beruhigende Rolle bei DM sind Zahlen, die Sorgen machen. den Solidarpaktverhandlungen gespielt. Im Vergleich zum letzten Jahr wird die Nettokredit- (Zurufe von der SPD: CSU!) aufnahme beträchtlich ansteigen. Bei der Beurteilung — Wir haben bei uns sehr schnell und sehr einver- dieser Zahl sind sich die Experten allerdings weitge- nehmlich die personellen Weichenstellungen vorge- hend einig: Die Erhöhung der Nettokreditaufnahme nommen. Da können Sie nur vor Neid erblassen. gegenüber den Planungen ist gerechtfertigt, und sie ist vorübergehend hinnehmbar. Die Wirtschaftsfor- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — schungsinstitute erkennen dies als Wirksamwerden Lachen und Widerspruch bei der SPD) automatischer Stabilisatoren an. Bei Ihnen heißt es doch: Wer hat noch nicht, wer will Trotzdem will ich die Höhe der Neuverschuldung noch mal — Kanzlerkandidat werden? — Monatelang des Bundes in diesem Jahr nicht verharmlosen. Ein geht man hier hausieren, und dann leistet man es sich solcher Betrag läßt sich, wie gesagt, nur vorüberge- auch noch, in dieser Zeit, in der man eh führungslos ist, hend und vor allem nur vor dem Hintergrund der den Fraktionsvorsitzenden zu einem Mister 60 % besonderen Probleme der deutschen Einheit rechtfer- abzuqualifizieren. Ohne Gegenkandidat hat er näm- tigen. Wer die Finanzpolitik des Bundes deshalb lich nur 60 % der Stimmen erhalten. Sie brauchen uns kritisiert, wie Sie es pausenlos tun, dem sei ge- hier doch überhaupt nichts über politische Führung zu sagt — — erzählen. (Zurufe von der SPD) (Zurufe von der SPD: CSU!) — Hören Sie doch bitte mal zu! — Der Zwischenruf „CSU" ist so unsinnig wie Ihre (Dr. Peter Struck [SPD]: Es hat doch keinen ganze Argumentation. Sinn!) (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Peter Struck Frau Präsidentin, können Sie mich nicht schützen? [SPD]: Was ist denn das für ein blödes (Anhaltende Zurufe von der SPD) Geschwätz heute morgen?) Ich habe genausowenig ausgeschlafen wie Sie alle Ich möchte zur Finanzpolitik zurückkommen. hier. (Beifall bei der SPD) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das merken Sie ist schwierig, zugegebenermaßen schwierig wir auch so! — Weiterer Zuruf von der SPD: genug, Setzen Sie sich mal durch, Herr Kollege!) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Dadurch wird es auch nicht besser!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich stelle fest, daß aber längst nicht so schwierig wie die Lösung trotzdem große Munterkeit herrscht. der Führungsfrage in der SPD. Erschwert wird die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Alfred finanzpolitische Aufgabe zur Zeit dadurch, daß die Dregger [CDU/CSU]) einigungsbedingten Belastungen mit einer unerwar- tet — — (Zurufe von der SPD) Michael Glos (CDU/CSU): Ich fange noch mal an. — Melden Sie sich doch; dann kann ich es besser Wer die Finanzpolitik des Bundes deshalb kritisiert, verstehen. Haben Sie Sorgen? dem sei gesagt, daß zur gleichen Zeit der neue französische Premierminister Balladur den Franzosen (Zuruf von der SPD: Nein!) Opfer und Anstrengungen auferlegt, weil das Land in — Na gut! der schwersten Wirtschaftsk rise seit dem Zweiten Weltkrieg steckt. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Und das ohne Dann darf ich wieder zur Finanzpolitik zurückkom- Wiedervereinigung!) men. Trotz seines massiven Sanierungsprogramms wird die (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wir Neuverschuldung des französischen Staatshaushalts warten noch auf den Anfang!) im laufenden Jahr umgerechnet 125 Milliarden DM Erschwert wird die finanzpolitische Aufgabe zur Zeit betragen, also fast das Doppelte des deutschen Haus- dadurch, daß die einigungsbedingten Belastungen haltsdefizits, und das ohne Wiedervereinigung. mit einer unerwartet tiefen und anhaltenden Kon (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13715

Michael Glos Gipfel der Hinterhältigkeit ist es schließlich, wenn für über 15 % mußten Sperrzeiten verhängt werden. sich die deutschen Sozialdemokraten im Vorfeld und Das ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. während der Verhandlungen zum FKP auf Bundes- Aber diese Maßnahmen allein reichen nicht aus. wie auf Länderebene hartnäckig gegen einen höhe- Zur notwendigen Beseitigung von Mißbräuchen ren Finanzierungsbeitrag der Länder sperren, um es gehört für mich auch, daß Arbeitslosengeld, Arbeits- dann schließlich anzulasten, daß das losenhilfe und Sozialhilfe so ausgestattet werden, daß Ergebnis weitgehend zu Lasten der Bundeskasse der materielle Anreiz der Be troffenen groß genug ist, geht, meine sehr verehrten Damen und Herren. wieder einer regulären Arbeit nachzugehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Zuruf von der SPD: Der arme Theo!) - der F.D.P. — Zuruf von der SPD: Das ist Das ist genauso widersprüchlich und unlogisch wie eine Unverschämtheit! Sie haben keine das, was ich heute in der „FAZ" lesen konnte, nämlich Ahnung!) daß sich ein Vorstandsmitglied der Deutschen Bank Das Stichwort dafür heißt Lohnabstandsgebot, falls darüber beklagt, daß die Deutschen so wenig Aktien Sie es nicht wissen sollten. kaufen, ohne gleichzeitig alle Ursachen dafür zu nennen, z. B. daß Insiderregelungen schon l ange (Weitere Zurufe von der SPD) fehlen Leider haben wir hierzu bei den Gesprächen im (Zuruf von der CDU/CSU: Lex Stein Kanzleramt nicht die Zustimmung der Sozialdemo- kühler!) kraten bekommen. Vielleicht hat dies der frühere und daß man das Gefühl hat: Wenn man in Deutsch- Wirtschaftsminister gemeint, als er land Aktien kauft, ist man möglicherweise der Spiel- unlängst darauf hinwies, die SPD sei „kopflos" und ball eines Insiderspekulanten. habe „die Änderung unserer Gesamtsituation noch nicht aufgenommen und verarbeitet". Er sagt weiter (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der über die SPD, ihre „Rezepte seien von gestern". SPD) Ich bin überzeugt davon: Wer sich wie die SPD nach Die Bundeshaushalte 1994 und 1995 werden trotz den Verhandlungen zum Solidarpakt gerühmt hat, Föderalen Konsolidierungsprogramms ebenfalls vom soziale Einsparungen verhindert zu haben, der wird in Fortwirken der Konjunkturschwäche geprägt sein. den nächsten Wochen und Monaten durch den Zwang Wir müssen deshalb damit rechnen, daß es ohne der Fakten erleben müssen, daß diese Einsparungen einschneidende Maßnahmen zu einem ähnlich hohen letztlich nicht vermeidbar sind. Defizit der Bundesanstalt für Arbeit kommt wie 1993. Ich bin der Meinung, hier muß zusätzlich angesetzt Im Bundesrat wird dann letztendlich die Probe aufs werden. Wir werden deshalb die notwendigen Wei- Exempel stattfinden. Sie werden zeigen müssen, ob chenstellungen angehen, um das Defizit im Bundes- Sie sich den wirtschaftlichen Notwendigkeiten ver- haushalt in den kommenden Jahren möglichst rasch weigern oder ob Sie mit uns stimmen werden. wieder auf eine mittelfristig vertretbare Größenord- (Detlev von Larcher [SPD]: Das sollten Sie nung zurückzuführen. Theo Waigel kann sich dabei erst mal zeigen! — Weitere Zurufe von der auf die uneingeschränkte Unterstützung der gesam- SPD) ten CDU/CSU-Fraktion verlassen. Ich möchte hier zwar nicht in Ihre Kanzlerkandida- (Beifall bei der CDU/CSU — Uta Würfel tendiskussion eingreifen, darf aber trotzdem Minister- [F.D.P.]: Auf unsere auch!) präsident Scharping zitieren. — Und auf die der F.D.P., das freut mich. (Lebhafte Zurufe von der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) — Wenn Sie schon nicht hören wollen, was ich sage, Herr Dr. Schäuble hat mich ausdrücklich beauftragt, dann lassen Sie sich doch wenigstens sagen, was da ich auch in seinem Namen hier spreche, dies für die Scharping sagt. Wenn er nicht selber hier sprechen CDU mit zu sagen. Graf Lambsdorff hat genickt. Dann kann, sage ich, was er gesagt hat. Scharping sagt: bin ich überzeugt, daß das alles gut läuft. Es muß ein eherner sozialpolitischer Grundsatz (Lachen bei der SPD — Ing rid Matthäus gerade der Sozialdemokratie bleiben, daß sich Maier [SPD]: Wenn Lambsdorff nickt, ist die das Arbeiten mehr lohnt als der Bezug eines Welt in Ordnung!) Sozialtransfers. Bereits im Rahmen des Föderalen Konsolidierungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. programms war es unumgänglich, Einsparungen im sowie bei Abgeordneten der SPD) vorzunehmen. Insbesondere sollen Sozialhaushalt Ich kann nur sagen: Folgen Sie ihm! Sie können sich durch eine intensivere Bekämpfung des Leistungs- jetzt ja auch mal wieder anderen Themen zuwenden, mißbrauchs und der Leistungsmitnahme ab 1995 rund nachdem Sie in quälerischer Selbstzerfleischung sich 1,8 Milliarden DM jährlich eingespart werden. Die über ein Jahr hinweg mit dem Asylthema abgemüht aktuellen Maßnahmen, die die Bundesanstalt für haben, das jetzt endlich vom Tisch ist. Ich hoffe, daß Arbeit eingeleitet hat, brachten, wie ich meine, sich die Sozialdemokratie jetzt endlich auch wieder erschreckende Ergebnisse und waren ergiebiger, als den Problemen der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- man gedacht hat: Über 10 % von rund einer Million nehmer bei uns im Land zuwendet. vorgeladener Arbeitsloser verzichteten ganz spontan durch die Vorladung auf die bisherigen Leistungen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 13716 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Michael Glos Wir können und dürfen die Steuerschraube in Dies fordert vor allem die Tarifparteien. Von der Deutschland nicht überdrehen. Schließlich werden Lohnseite her muß nachhaltig ein Kurs der Mäßigung Standortentscheidungen von Unternehmungen und in West- wie in Ostdeutschland gefahren werden. damit Entscheidungen über Arbeitsplätze unter dem Deswegen hat dieses Streikgetöse überhaupt nicht in Gesichtspunkt ge troffen, wie stark die aus einer die konjunkturpolitische Landschaft gepaßt. Investition fließenden Unternehmensgewinne mit Wer sagt, jetzt sei nicht Zeit zum Reden, jetzt sei Zeit Steuern belastet werden. zum Zahlen, wie es Herr Steinkühler getan hat, Hier sind wir allerdings leider dabei, alle bisherigen während er die Zeit zum Kassieren genutzt hat, der Rekorde zu brechen. verkennt die wirklichen Probleme bei -uns im Lande. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das stimmt!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Die durchschnittliche Steuer- und Abgabenbelastung ordneten der F.D.P.) wird 1995 voraussichtlich 47,5 % erreichen. Der Spit- zensteuersatz bei der Einkommensteuer würde sich Man darf in einer Rezessionszeit nicht die Löhne über dann durch den Solidaritätszuschlag auf 58 % erhö- die Kosten hinaus erhöhen. hen. Das mag im privaten Bereich vertretbar sein; für (Zurufe von der SPD) gewerbliche Investitionen ist das zu hoch. Die — Soll ich, weil Sie ständig rufen, auch noch Bebel gesamte Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften zitieren? Ich habe auch Bebel-Zitate dabei. August in Deutschland beläuft sich bereits heute auf etwa Bebel sagt über die Arbeiterführer: „Seht euren Füh- 66 %. Das hat eine nicht zu unterschätzende negative rern auf die Hände und nicht auf den Mund." psychologische Wirkung auf Investoren aus dem In- und Ausland. Deshalb muß jeder Spielraum genutzt (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und werden, um die Steuer- und Abgabenbelastungen der der F.D.P. — Zurufe von der SPD: Amigo!) Bürger und Bürgerinnen und vor allem der Unterneh- Wir können die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten men in Deutschland mittel- und längerfristig wieder bei uns nicht auf den Kopf stellen. Lohngelder kom- auf ein erträglicheres Maß zurückzuführen. men nun einmal nicht aus der berühmten Lohntüte, (Zurufe von der SPD) sondern sie müssen erwirtschaftet werden. Sie haben ja auch die Vorstellung, der Strom komme aus der Dazu gehört es, den für 1995 vorgesehenen 7,5%igen Steckdose. Der Lohn kommt nicht aus der Lohntüte, Solidarzuschlag nicht zu einem Dauerfinanzierungs- sondern er kann nur aus dem kommen, was erarbeitet element des Staates zu machen. wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Mittel- und längerfristig dürfen wir das Ziel einer Zurufe von der SPD) umfassenden Nettosteuersenkung für die Unterneh- Lassen Sie mich, auch wenn es Ihnen von der SPD men in Deutschland nicht aus den Augen verlieren, Freude macht, zum Ende kommen. auch wenn sich auf Grund der derzeitigen Finanzsi- tuation der öffentlichen Hände das heute zur Abstim- (Beifall bei der SPD) mung stehende Standortsicherungsgesetz noch auf Wenn es überhaupt eines Beweises bedurft hätte, so Verbesserungen in der Steuerstruktur beschränken ist er aus der jüngsten Steuerschätzung sichtbar muß, also aufkommensneutral ausgestaltet ist. Ver- geworden: Die Steuer- und Abgabenzahler sind nicht ständlich sind deshalb Klagen deutscher Unterneh- mehr in der Lage und auch nicht mehr willens, alle den men, die derzeit konjunkturbedingt mit Verlusten zu Deutschen liebgewordenen Annehmlichkeiten zu kämpfen haben, die also kurzfristig nicht von der finanzieren. Versuche, den deutschen Steuerzahlern vorgesehenen Senkung der Steuersätze bei der Kör- noch weitere Lasten aufzubürden, können dazu füh- perschaftsteuer und bei der Einkommensteuer für ren, daß die staatlichen Einnahmequellen ganz ver- gewerbliche Einkünfte profitieren können. Entschei- siegen. Das ist wie bei einem Lastesel, dem man zu dend ist, daß es hier zu dauerhaften Steuersenkungen schwere Lasten aufbürdet. Das kann entweder dazu kommt, weil Abschreibungsveränderungen nur vor- führen, daß der Esel störrisch wird, oder dazu, daß er übergehende Wirkung haben. zusammenbricht. Das müssen wir verhindern. Deutschland wird seine Wiedervereinigungsaufga- Vielen Dank. ben nur dann wirklich meistern können, wenn das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Finanzkonzept des Föderalen Konsolidierungspro- gramms und des Standortsicherungsgesetzes in einen echten Solidarpakt aller gesellschaftlichen Gruppen einmündet. Nur so läßt sich eine tragfähige Brücke Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der über die bisherigen Verteilungskämpfe und über die Kollege Helmut Wieczorek. derzeitigen konjunkturellen Risiken in Deutschland schlagen. Vor allem aber muß sich die Einsicht durchsetzen, Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Frau Präsiden- daß Arbeitsplätze Vorrang haben vor Einkommens- tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe steigerungen und vor unfruchtbaren Verteilungs- Kolleginnen und Kollegen! Es ist natürlich schwer, kämpfen. nach einer solchen kabarettreifen Rede (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13717

Helmut Wieczorek (Duisburg) wieder zu einem seriösen Beitrag zurückzufinden. So wichtig die mit der Verstetigung des Fonds Deutsche Einheit und der Neuregelung der bundes- (Widerspruch bei der CDU/CSU — Hans staatlichen Finanzbeziehungen geschaffene Finan- Klein [München] [CDU/CSU]: Das wi ll zierungsbasis für die neuen Länder und Gemeinden gekonnt sein!) auch ist, es geht um mehr. Es geht um marktwirtschaft- — Ich freue mich, daß es Ihnen Spaß macht, bitte Sie liche Industriepolitik, um Arbeitsplätze, um Wohnun- aber trotzdem, dem E rnst dieser Sache entsprechend, gen, um soziale Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und um ein wenig Geduld. Sie werden bei mir merken, um Umweltschutz in ganz Deutschland und vor allem meine Kolleginnen und Kollegen, daß es wenig zu in Ostdeutschland. lachen gibt. Es gibt in diesem Staat im Augenblick nur (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS -90/ ganz wenig zu lachen. DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, das verstehen wir unter einem Solidarpakt. Auf unsere Initiative wurden Wenn wir uns vor Augen halten, daß dieses Land im Maßnahmen zur Gestaltung der wi rtschaftlichen und dritten Jahr nach der Wiederherstellung der staatli- inneren Einheit Deutschlands durchgesetzt, die seit chen Einheit Deutschlands von einem Zusammen- zweieinhalb Jahren überfällig sind und die von der prall krisenhafter Entwicklungen getroffen wird, die Bundesregierung in der Vergangenheit beständig zunehmend alle Lebensbereiche erfassen, und wenn abgelehnt wurden: Erhalt und Erneuerung der indu- wir die andauernde Entindustrialisierung in den striellen Kerne, Besei tigung ökologischer Altlasten, neuen Ländern sehen, wenn wir die stärkste wirt- Einstieg in die Absatzförderung ostdeutscher Pro- schaftliche Rezession der Nachkriegszeit im Westen dukte, ein umfassendes Wohnungsbau- und Sanie- erleben, wenn wir darüber nachdenken, daß wir eine rungsprogramm Ost. Innovationskrise der Wirtschaft, eine strukturelle Wir hatten und haben weitergehende Vorstellun- Krise des Arbeitsmarktes haben, wie Deutschland sie gen. Die Gerechtigkeitslücke bei der Verteilung der überhaupt noch nie erlebt hat — rund sechs Millionen Lasten zwischen den Bürgern ist nicht geschlossen. Menschen in diesem Land sind ohne Arbeit oder Die Bundesregierung weigert sich, der dringend not- werden durch arbeitsmarktpolitische Instrumente wendigen aktiven Arbeitsmarktpolitik die notwendi- mühsam aufgefangen —, dann muß man feststellen: gen Mittel zur Verfügung zu stellen. Sie verschließt Die steckt in einer Akzeptanzkrise und die Politik sich vor der Gefährdung des sozialen Friedens, die in einer Gesellschaft Orientierungskrise. von der wachsenden Wohnungsnot, von steigender Meine Damen und Herren, jede dieser Entwicklun- Obdachlosigkeit, explodierenden Mieten und zuneh- gen verlangt eine eigenständige Analyse und eine mender Wohnungs- und Wohnspekulation ausgeht. eigenständige Antwort. Die Bundesregierung ist bis- Dafür, daß nicht entschlossener und wirksamer her weder zum einen noch zum anderen in der Lage. gehandelt wurde, trägt die Bundesregierung die allei- Statt dessen häufen sich falsche Analysen, falsche nige Verantwortung. Prognosen, Schönredereien und Schönrechnereien (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten oder schlichte Unwahrheiten. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dennoch stimmen wir Sozialdemokraten dem För- deralen Konsolidierungsprogramm zu, weil dadurch Wenn Fehler unter dem Druck der Tatsachen einge- die Zukunft für die Menschen im Osten ein Stück standen werden müssen, bleiben sie ohne Folgerun- sicherer gemacht wird und die Finanzen der ostdeut- gen für das Handeln. Beispiellose Zerrüttung der schen Länder und Gemeinden auf eine tragfähige Staatsfinanzen ist das Ergebnis einer Politik, die die Grundlage gestellt werden. wirtschaftliche Substanz und die soziale Stabilität dieses Staates aufzehrt. Die Krise der Staatsfinanzen (Zuruf von der CDU/CSU: Also ist das Ding ist die Krise der Politikfähigkeit der Regierung gar nicht so schlecht!) Kohl. Wir Sozialdemokraten haben verhindert, daß mit (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der beabsichtigten Kürzung sozialer Regelleistungen DIE GRÜNEN) innerhalb des Föderalen Konsolidierungsprogramms die sozial Schwachen im Osten und im Westen in Herr Bundeskanzler, die Chance zur deutschen einem unerträglichen Maße zusätzlich belastet wur- Einheit haben Sie konsequent genutzt. Diese Chance den. genutzt zu haben verblaßt aber vor Ihrem historischen (Beifall bei der SPD) Versagen bei dem Vollzug der wirtschaftlichen und sozialen Einheit. Die Tinte unter den politischen Vereinbarungen zum Föderalen Konsolidierungsprogramm ist noch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht trocken, da plant die Bundesregierung in einem DIE GRÜNEN) beispiellosen Akt sozialer Pirate rie die Ausplünde- Das von der Bundesregierung vorgelegte Föderale rung der kleinen Leute: Konsolidierungsprogramm ist kein Solidarpakt, auch wenn es bisher von Ihnen immer so verkauft wurde (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ und Ihre semantische Abteilung es immer so bezeich- CSU) net hat. Kürzung des Arbeitslosengeldes, des Unterhaltsgel (Zuruf von der CDU/CSU: Wie soll es denn des für Umschüler, Kürzungen bei AB-Maßnahmen, sein?) Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, 13718 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Helmut Wieczorek (Duisburg) Kürzung des Kindergeldes, der Wohnungsbauprämie, digkeit und Verläßlichkeit der finanzpolitischen Aus- Verzicht auf die BAföG-Anpassung. Selbst die Ren- sagen dieser Regierung. ten, meine Damen und Herren, sind bei Ihnen nicht mehr sicher. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben das Angebot CSU) der Sozialdemokraten ausgeschlagen, die Beratun- gen zum Haushalt 1993 Ende letzten Jahres auszuset- Sie treten die soziale Gerechtigkeit mit Füßen. Sie zen, um im Frühjahr dieses Jahres einen ehrlichen, erschüttern das Grundvertrauen der Menschen in den vollständigen Bundeshaushalt vorzulegen. Sie- haben Sozialstaat, in die Tragfähigkeit sozialer Netze, Herr die Chance verstreichen lassen, Mut zu beweisen und Kollege Glos. die wahre Finanzlage offenzulegen. Heute wissen wir: (Beifall bei der SPD — Michael Glos [CDU/ Sie keimen sie gar nicht. Deshalb wird die Verfallzeit CSU]: Das ist doch nicht wahr! Sie sprechen Ihrer finanzpolitischen Aussagen immer kürzer. doch wider besseren Wissens!) (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ Sie setzen die Glaubwürdigkeit der Politik herab, CSU) wenn Sie am Tag der parlamentarischen Verabschie- dung des Föderalen Konsolidierungsprogramms klare Innerhalb von nur sechs Monaten kletterte die politische Absprachen vom Tisch wischen. Sie zer- geplante Neuverschuldung — Herr Kollege Glos, schneiden damit das Tischtuch zwischen der Koalition hören Sie zu, denn Sie haben es nötig — und der Opposition. (Zustimmung bei der SPD) Soziale Gerechtigkeit, meine Kolleginnen und Kol- von 38 Milliarden DM auf 43 Milliarden DM, auf legen von der Opposition, hat bei Ihnen nur noch eine Chance, wenn sie vom Bundesverfassungsgericht vor- 51 Milliarden DM, auf 54 Milliarden DM und jetzt auf geschrieben wird, und auch dann nur noch, wenn Sie 68 Milliarden DM. In Wahrheit werden es jedoch keine Schlupflöcher mehr finden. Ich erinnere nur an 80 Milliarden DM sein. den Grundfreibetrag für das Existenzminimum, an (Zustimmung bei der SPD) den Kinderfreibetrag oder an die Zinsbesteuerung. Die Ausgabenrate — Sie wollen ja immer gerne Graf Lambsdorff sagt, Heulen und Zähneklappern Zahlen hören — wird es geben. Was ist das eigentlich für ein unmora- lisches Verständnis von Politik, dem Heulen und (Michael Glos [CDU/CSU]: Aber die richti Zähneklappern der sozial Schwachen zuzusehen, gen!) während gleichzei tig für die Leistungsfähigsten in unserem Lande der Spitzensteuersatz bei der Einkom- stieg von geplanten 2,5 % auf immerhin 7,3 %. Im mensteuer von 53 auf 44 % gesenkt wird? vergangenen Jahr waren es 6,2 %. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die von Ihnen selbst, Herr Bundesfinanzminister, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mitbeschlossene Ausgabenlinie des Finanzplanungs- rates lag bei 3 %. Sie wird von Ihrer Finanzpolitik Dazu paßt natürlich auch die jüngste Bankrotterklä- ständig ad absurdum geführt. Ihre finanzpolitischen rung zu den sozialen Gelübden der Koalition. Sie sind Versprechungen sind in Wahrheit nichts anderes als dabei, sich von der solidarischen Pflegeversicherung armselige Versprecher. zu verabschieden. Es ist unerträglich, wie diese Regie- rung das Elend und die tägliche Sorge pflegebedürf- (Beifall bei der SPD) tiger und kranker Menschen zum Gegenstand eines Finanzschachers macht. Die Finanzplanung des Bundes sah bis 1996 einen Rückgang der Kreditaufnahme des Bundes von (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 38 Milliarden DM in diesem Jahr auf 26 Milliarden DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der DM im Jahr 1995 vor. Heute, neun Monate später, PDS/Linke Liste) versinkt der Bund innerhalb von nur drei Jahren in Jetzt sollen die Kranken die Kosten für die Pflege einem 280-Milliarden-DM-Schuldengrab. bezahlen. Es ist doch purer Hohn, wenn der Kanzler (Zuruf des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]) dieser Regierung einmal die geistige und moralische Führung für dieses L and beanspruchte. — 280 Milliarden DM, Herr Kollege Glos! Nicht Meine Damen und Herren von der Koalition, wir blödeln, sondern rechnen ist hier gefragt. werden Sie in unserem Gesetz zur Pflegeversicherung (Beifall bei der SPD) zwingen, klar und deutlich Farbe zu bekennen, und es wird Ihnen nicht wieder gelingen, die Nebelwerfer- Ich will es Ihnen im einzelnen aufschlüsseln. In kompanie der Hardthöhe zu bewegen, um Ihre diesem Jahr werden wir eine Neuverschuldung von Absichten zu verschleiern. 80 Milliarden DM haben. Sie geben zu, daß es (Beifall bei der SPD) 70 Milliarden DM sein werden. Ich sage Ihnen, daß es 80 Milliarden DM sein werden, und Sie können mich Wir erleben in diesem Land eine ganz neue Art von darauf festnageln. Im nächsten Jahr werden Sie Inflation. Das ist nämlich die grassierende inflatori- — trotz aller Peanuts, die Sie jetzt einsparen wollen — sche Entwertung von Prognosefähigkeit, Glaubwür immer noch bei 100 Milliarden DM landen. Im Jahre Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13719

Helmut Wieczorek (Duisburg) 1995 werden es noch einmal 100 Milliarden DM sein. die richtige Relation! — Hans Büttner [Ingol Das ist die Folge Ihrer Regierung, Herr Kollege. stadt] [SPD]: Schuldenweltmeister!) (Beifall bei der SPD — Dr. Diese Entwicklung zeigt doch den völligen Verlust [CDU/CSU]: Sie wollen immer noch nicht der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung. sparen!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich fürchte sehr, daß diese neuen Horrorzahlen der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Verschuldung des Bundes dazu führen werden, daß Geld, das Sie für die Gestaltung der Zukunft benöti- die Kapitalmärkte mit einem Zinssprung darauf rea- gen, müssen Sie in Zinszahlungen stecken. Damit gieren müssen. Meine Damen und Herren, sehen Sie setzen Sie eine gewaltige Vermögensumverteilung- denn nicht, daß selbst die Chancen, die Sie mit dem zwischen unten und oben in Gang. Föderalen Konsolidierungsprogramm für die Ent- Für die neuen Schuldentürme der kommenden wicklung Ostdeutschlands gemeinsam mit uns Jahre kann weder die Sondersituation der deutschen geschaffen haben, durch den Finanznotstand des Einheit noch die wirtschaftliche Rezession haftbar Staates zunichte gemacht werden? Meine Damen und gemacht werden. Herren, dafür tragen Sie alle, dafür trägt im wesentli- chen jedoch der Bundeskanzler die Verantwortung. (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Was denn dann?) (Beifall bei der SPD) Es ist die Quittung für Ihr Politikversagen in den Für diese Entwicklung gibt es keine historische vergangenen Jahren. Parallele. Diese Republik verwandelt sich unter Ihrer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Führung in ein finanzpolitisches Tollhaus. Das ver- der PDS/Linke Liste und des BÜNDNISSES schlägt einem regelrecht die Sprache. Ich habe es 90/DIE GRÜNEN) schon einmal gesagt: größter Schuldenmacher der Sie haben die stabile Konjunkturlage nicht zur Nation, finanzpolitischer Offenbarungseid. A ll das genutzt, sondern die Wei- sind schon abgegriffene, fast verharmlosende Be- Haushaltskonsolidierung chen für den Osten falsch gestellt. Es war doch Ihr zeichnungen. (Beifall bei der SPD) Fehler, Herr Bundeskanzler, auf ein Treuhandverrnö- gen von 850 Milliarden DM zu setzen. Damit wollten Hier wird doch mit der wirtschaftlichen Substanz Sie den Aufbau Ost bezahlen. Wären Sie unseren des Staates, mit der Zukunft unserer Kinder in unver- Vorschlägen gefolgt, antwortlicher Weise Roulette gespielt. Welche baby- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS lonische Sprachverwirrung hat die Regierung über- 90/DIE GRÜNEN — Zurufe von der CDU/ haupt erfaßt, das Wort Konsolidierung in den Mund zu CSU: Welche? Lafontaine!) nehmen? (Heiterkeit bei der SPD) von den Bürgern ein Solidaropfer zu verlangen, als diese gern dazu bereit waren, dann hätten Sie heute Was hat das, was Sie hier tun, überhaupt mit Konso- die Mittel, lidierung zu tun? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Schon wieder, Herr Bundesfinanzminister, verstel- 90/DIE GRÜNEN) len Sie sich den Blick auf die Wirklichkeit. In Ihren die Ihnen zur Ankurbelung der Wirtschaft fehlen. Rechnungen verweisen Sie auf einen Rückgang des Fordern Sie jetzt nicht Solidarität der Opposi tion. Es Anteils der Neuverschuldung am Bruttosozialprodukt sind Ihre Fehler, die Sie zu verantworten haben, und von über 7 % in diesem Jahr auf erhoffte 5 % im Jahre die baden Sie auch aus, Herr Bundeskanzler. 1995. Übrigens erreichen Sie auch dann noch nicht die Werte, die Sie in Maastricht selbst vereinbart (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das wahre Problem, meine Damen und Herren, liegt in der Explosion der Betrugen die Zinsaus- Zinslast. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter gaben des Staates 1990 noch 80 Milliarden DM, Wieczorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage des werden sie 1995 bei 175 Milliarden DM liegen, d. h. Abgeordneten Haschke? doppelt so hoch. Wissen Sie, wie hoch die Erblast war, die Sie von der Regierung Schmidt übernommen haben? Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Ausnahms- (Zuruf von der CDU/CSU: Viel zu hoch!) weise nein. Ich will Ihnen die einfache Rechnung einmal sagen: (Beifall bei der SPD — [CDU/ Die Zinslast für 1981 lag bei 17 Milliarden DM, und für CSU]: So macht ihr das immer! Das ist euer das Jahr, in dem wir gemeinsam mit Graf Lambsdorff Rezept! — Weitere Zurufe von der CDU/ die Regierung verlassen haben, haben wir Ihnen eine CSU) Zinslast von immerhin 23 Milliarden hinterlassen. Ich — Ich kenne doch den Charakter von Zwischenfra- wiederhole die Zahlen: 1982 23 Milliarden, 1990 gen: den Redner aus dem Fluß zu bringen, um von den 80 Milliarden und 1995 175 Milliarden. eigenen Problemen abzulenken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD — (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ Michael Glos [CDU/CSU]: Setzen Sie das in CSU) 13720 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Helmut Wieczorek (Duisburg) Das Verstecken der wirklichen Staatsschulden in Eichel langweilt sich und liest Zeitung! — Sondertöpfe ist untrennbar mit der Zerrüttung der Weitere Zurufe von der CDU/CSU) öffentlichen Finanzwirtschaft verbunden. Deshalb — Es kommt ja darauf an, daß ich Sie fessele, denn Sie war es notwendig, im Rahmen des Föderalen Konso- müssen handeln und sind verantwortlich. Sie müssen lidierungsprogramms endlich diese Schattenhaus- endlich zum Denken gebracht werden, meine Kolle- halte in die öffentliche Finanzwirtschaft einzubezie- gen! hen. Dabei haben Sie versucht, mit einer Orwellschen (Beifall bei der SPD — Dr. Jürgen Rüttgers Sprachschöpfung, dem „Erblastenfonds" nämlich, die [CDU/CSU]: Wir handeln, und Sie reden, politische Verantwortung des Bundes zu verwischen. und zwar dummes Zeug!) Mit dieser neuen Wortschöpfung versuchen Sie zu suggerieren, die Koalition wäre für die Entstehung Der Bundeskanzler hat dieser Tage verkündet, daß dieser Erblasten in einer Größenordnung von 400 Mil- er die Richtlinienkompetenz ausnutzt und Richtlinien liarden DM in keiner Weise verantwortlich. Der Ver- für die Finanzpolitik gegeben hat. Er hat gesagt - ) such der semantischen Verschleierung zeigt, daß Sie habe ich es gelesen —, daß a lles auf den Prüfstand wissen, daß das nicht stimmt. kommt. Nur: Dahinter, Herr Bundeskanzler, verbirgt sich doch noch kein Konzept. Sie haben doch bereits Nehmen wir das Beispiel Wohnungsbau Ost. Sie die Katze aus dem Sack gelassen: Dahinter verbirgt haben das Verschuldungsproblem der ostdeutschen sich nur die Neuauflage von Kürzungen sozialer Wohnungswirtschaft durch das Zinsmoratorium dra- Leistungen. stisch verschärft. Nur durch Ihr Nichthandeln stieg die Schuldenlast von 36 Milliarden DM auf 51 Milliarden Zu einem grundsätzlichen Kurswechsel, meine DM. Sie haben die Kreditfähigkeit der Wohnungsun- Damen und Herren, gehört die politische Entschei- ternehmen blockiert, weil Sie sich zwei Jahre lang dung darüber, was für unser L and wichtig und vor- einer Entschuldung widersetzten. dringlich ist,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie Abg. Konrad Weiß des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) was zeitlich gestreckt werden kann und worauf in Deshalb unterblieben natürlich dringend notwen- absehbarer Zeit ganz verzichtet werden muß. dige Maßnahmen der Sanierung und Modernisierung, die zur Belebung der ostdeutschen Wirtschaft hätten Die Menschen, Herr Bundeskanzler, wollen die beitragen können. Wahrheit wissen und können sie auch vertragen. Das ist die Erblast der Regierung Kohl. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) (Beifall bei der SPD sowie Abg. Konrad Weiß Lassen Sie nicht immer die Kritik auf Ihren Finanzmi- [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] — nister los; der Finanzminister exekutiert Ihre Politik, Michael Glos [CDU/CSU]: Auf der Bundes- Herr Bundeskanzler, die Sie zu verantworten ratsbank liest der Villenbesitzer Zeitung!) haben. Herr Minister, ich habe den Entwurf Ihrer Presse- (Beifall bei der SPD) mitteilung, die Sie für den Finanzplanungsrat vorbe- Meine Damen und Herren, wer Opfer forde rt, darf reitet haben, gelesen. Da geben Sie die haushaltspo- Gutverdienende nicht schonen. Das ist das kleine litische Losung aus, jetzt komme es darauf an — ich Einmaleins sozialen Friedens. zitiere, „die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen „ . Sie sollten die Grundsatzabteilung Ihres Hau- Herr Glos hat eben vom Mißbrauch sozialer Lei- ses wirklich in „Abteilung für Semantik" umbenen- stungen gesprochen. nen. Die Schuldentürme der nächsten Jahre werden (Udo Haschke [Jena] [CDU/CSU]: Nein, er umdefiniert zu antizyklischen Stabilisatoren im hat von Steinkühler gesprochen!) keynesianischen Sinn, als wenn sie nicht längst die strukturellen Verfestigungen der öffentlichen Ver- Wir stehen zur Bekämpfung des Mißbrauchs sozialer schuldung signalisierten. Leistungen. Wir verlangen aber gleichzei tig eine wirksame Bekämpfung der Steuerhinterziehung und Dieser Sprachgebrauch ist das offizielle Einge- der Wirtschaftskriminalität. ständnis, daß die Bundesregierung handlungsunfähig geworden ist, daß sie auf die automatische Stabilisie- (Beifall bei der SPD sowie Abg. Konrad Weiß — rung der Konjunktur im Herbst dieses Jahres hoffen [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] muß. Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Wir auch!) (Beifall bei der SPD sowie Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich mache mir nicht die These zu eigen, daß damit dem Staat 150 Milliarden DM Mehreinnahmen ver- Wir sagen Ihnen: Der einzige Stabilisator, der not- schafft werden können. Aber dieser Bundesregierung wendig ist und in diesem Lande hilft, ist ein Regie- fehlt bisher jeder ernsthafte Wille, sich dieser Aufgabe rungswechsel! überhaupt zu stellen. (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ Wir fordern Sie auf, unverzüglich die von uns im CSU — Eduard Oswald [CDU/CSU]: Wohin Rahmen der Verhandlungen zum Föderalen Konsoli- und zu wem? Wer, wo, was, warum? Der dierungsprogramm vorgelegten Vorschläge zum Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13721

Helmut Wieczorek (Duisburg) wirksamen Subventionsabbau im Volumen von In vielen europäischen Partnerländern gibt es struktu- 10 Milliarden DM aufzugreifen. relle Gefälle, die sich historisch verfestigt haben. Das Aufbrechen ist selbst mit den modernen Instrumenten (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wo?) der Regional- und Strukturpolitik ungewiß; zumindest Auf keinen dieser Vorschläge ist bisher reagiert kann es Generationen dauern. worden. Sie haben alle bei der Klausurtagung im Kanzleramt vorgelegen, Herr Kollege Glos. Fragen Deshalb ist es eine Aufgabe von historischem Rang, Sie nicht, wo; soweit müßte Ihr Gedächtnis doch noch die Gefahr der Verfestigung eines derartigen Struk- reichen. turgefälles zwischen Ost und West zu erkennen, ernst zu nehmen und mit der Bündelung der nationalen (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Kräfte zu verhindern zu suchen. CSU: Das war nicht Herr Glos!) (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, wir stehen unverändert dazu, daß es eine richtige politische Entscheidung Das verstehen wir Sozialdemokraten unter einem gewesen wäre, den Solidaritätszuschlag mit einer Solidarpakt. Ich bin zuversichtlich, daß wir diese Einkommensgrenze bereits ab 1994 zu erheben. Wir Aufgabe lösen können. Voraussetzung ist aber, daß alle wissen, daß man sich in einer wirtschaftlichen die richtige Diagnose dessen, was in Ostdeutschland Rezession etwas Besseres wünschen könnte, aber nötig ist, getroffen wird. angesichts der strukturellen Defizite des Staatshaus- halts ist diese Maßnahme einem volkswirtschaftlich Sie haben sich in der Koalition in der Wirtschaftspo- unverantwortlichen weiteren Anstieg der Staatsver- litik nach der Wiedervereinigung nicht vom Dogma schuldung vorzuziehen. Wir lassen uns darin auch der Angebotspolitik lösen können, das Sie im Westen nicht von den Einflüsterungen der betroffenen Klien- zehn Jahre lang hochgehalten haben. Das „Handels- tel irritieren, die sich sehr medienwirksam zu artiku- blatt" schrieb: lieren weiß. Noch nie ist ein Angebotskonzept so total in die Wir stehen auch weiterhin zu einer Arbeitsmarkt- Wirklichkeit umgesetzt worden. abgabe. Wir wissen, daß die Arbeitsmarktabgabe Und ich füge hinzu: und noch nie so wirkungslos unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten kein verpufft! einfaches Ins trument ist. Aber es gibt zwei Gründe, die schwerer wiegen: Sie hilft, der Belastungsgerech- Was nützt, meine Damen und Herren, eine ange- tigkeit bei der Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik botsorientierte Politik, wenn nicht produziert werden ein Stück näherzukommen, und sie stellt die für eine kann, weil die Nachfrage fehlt? Es wäre doch über- aktive Arbeitsmarktpolitik dringend benötigten Mit- haupt kein Finanzproblem für die deutsche Wirt- tel zur Verfügung. schaft, Hunderte von Milliarden Mark Investitionen in den neuen Ländern aufzubringen, wenn es den Massenarbeitslosigkeit, meine Damen und Herren, gewinnträchtigen Absatz gäbe. Investitionen müßten in einer modernen Industriegesellschaft gefährdet nicht subventioniert werden, wenn sie renditeträchtig den inneren Frieden. Deshalb wollen wir die Arbeits- wären. Die Wahrheit ist doch schlicht, daß es bisher marktpolitik mit neuen Instrumenten auf eine neue, keine überzeugenden Gründe dafür gibt, daß ein tragfähige Grundlage stellen. Die Arbeitsmarktpolitik privater Investor den Standort Ostdeutschland wählt. muß doch mit der Wirtschafts-, der Bildungs- und der Hören Sie sich doch nur die Stimmen der Wirtschaft Strukturpolitik eng verzahnt werden. an! Bei den wesentlichen Faktoren für die Standort- (Beifall bei der SPD) entscheidungen schneiden wir in Ostdeutschland Unser Vorschlag für ein Arbeits- und Strukturförde- schlecht ab, und zwar nicht nur Westdeutschland rungsgesetz, mit dem das Arbeitsförderungsgesetz gegenüber, sondern allen anderen außerdeutschen abgelöst werden soll, liegt Ihnen vor. Standorten gegenüber. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Deshalb erheben wir als Sozialdemokraten die Sozialdemokraten haben im Rahmen des Föderalen zentrale Forderung, bei der Aufbaupolitik für den Konsolidierungsprogramms die Tür geöffnet für eine Osten das Schwergewicht auf die Nachfragestützung planvolle Strategie zum industriellen und infrastruk- zu legen, Märkte zu öffnen. Sie schließen sich diesem turellen Aufbau der neuen Länder. Wer den Men- politischen Kurs nur sehr mühsam an. schen die Wahrheit sagen will, darf sie nicht in einer Sie sagen in einer zitierten Presseerklärung, Herr Sicherheit wiegen, die es nicht gibt. Wer neue Ver- Bundesfinanzminister, daß globale defizitfinanzierte sprechungen macht, daß alles nur ein bißchen länger Ausgabenprogramme zur Nachfragebelebung kon- dauere als die vom Bundeskanzler angekündigten junkturpolitisch schädlich seien. Dabei haben Sie auf vier bis fünf Jahre bis zum Entstehen blühender unsere Initiative die Aufstockung des KFW-Pro- Landschaften, verfällt der Selbsttäuschung. Diese gramms für Wohnungsmodernisierung auf 60 Milliar- neuen Versprechungen, Herr Bundeskanzler, taugen den beschlossen. Das ist doch ein klassisches kreditfi- so wenig wie die alten; denn es geht nicht mehr um das nanziertes Konjunkturprogramm. Sie verkennen of- Wann, sondern vordringlich um das Ob. Es gibt keine fensichtlich die ökonomische Wirkung Ihrer eigenen zwangsläufige Logik, wonach das marktwirtschaftli- Beschlüsse. Der Überblick scheint Ihnen hier wirklich che System quasi automatisch für die Angleichung der verlorengegangen zu sein. wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse in Ost und West Sorge tragen wird. Um das zu erkennen, (Bundesfinanzminister Dr. Theodor Waigel: müßte eigentlich ein Blick über die Grenze genügen. Das nehme ich aber zurück!) 13722 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Helmut Wieczorek (Duisburg) Deshalb, meine Damen und Herren, ist der Ke rn setzt, daß sich die Stimmung noch weiter verschlech- trategie auf eine marktwirtschaftliche Indu- unserer S tert. striepolitik gerichtet, die den Erhalt, die Modernisie- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — rung und die Neuschaffung von Industriestrukturen Zurufe von der SPD) absichert, die Marktzugang schafft und Absatzförde- Die Rezession treibt die Defizite des Staates in die rung erschließt. Höhe. Die jüngste Steuerschätzung ist uns wohl allen Diese Maßnahmen müssen ergänzt werden durch in die Knochen gefahren, vor allem hinsichtlich der eine gezielte Beseitigung der Infrastrukturnachteile mittelfristigen Perspektive. und der Belastung mit ökologischen Altlasten in den Aber täuschen wir uns nicht: Es sind nicht- nur industriellen Kernen. konjunkturelle Faktoren, die die Defizite hochjagen, Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist es sind auch strukturelle Faktoren. Es ist auch man- nun am Zug, diese Grundsatzvereinbarungen umzu- gelnde Haushaltsdisziplin, vor allem auch auf seiten setzen. Wir haben begründete Zweifel, ob Ihnen das der alten Länder und Gemeinden, gelingt, und deshalb fürchten wir um die wirtschaftli- che und soziale Stabilität in ganz Deutschland, eine (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) soziale Stabilität, die auch die Grundlage einer funk- und mit dem Ministerpräsidenten des Landes Hessen tionierenden demokratischen Gesellschaft ist. sitzt ja ein Vertreter der laxen Haushaltspolitik der Ich danke Ihnen. alten Länder heute hier auf der Regierungsbank. (Anhaltender Beifall bei der SPD — Beifall (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Vor allem bei des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke der Bundesregierung! — Weitere Zurufe von Liste]) der SPD) Meine Damen und Herren, die Entwicklung ist besonders fatal vor dem Hintergrund, daß die Staats- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Nun hat Graf finanzen schon jetzt unter einer bisher nicht gekann- Lambsdorff das Wort. ten Anspannung stehen. Wir verzeichnen die höchste Staatsquote seit Bestehen der Bundesrepublik und die höchste Kreditquote. Die Abgabenquote wird 1995 mit 47,5 % des Sozialprodukts schwindelnde Höhen Dr. (F.D.P.): Frau Präsidentin! erreichen. Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Rede, die wir eben hörten, war das Musterbeispiel Der Hinweis darauf, daß die finanziellen Anstren- einer Rede, „warum ich nein sagen möchte und gungen zur Schaffung der wirtschaftlichen Einheit anschließend doch ja sage". unseres Landes wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen haben, ist sicherlich richtig, aber ihre (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — ökonomischen Wirkungen entfalten diese Daten Zuruf von der SPD: Wir sind staatstra unabhängig von ihrem Entstehungsgrund. Schulden gend!) sind eben Schulden, und Zinsen sind Zinsen. Meine Damen und Herren, wie hat Voltaire doch so (Beifall bei der F.D.P.) schön formuliert: Es ist immer gefährlich, in Dingen recht zu behalten, in denen große Leute unrecht Wir könnten all das, meine Damen und Herren, behalten haben. etwas gelassener betrachten, wenn es nur um einen, wenn auch tiefen, konjunkturellen Einbruch ginge. Sie werden verstehen, Herr Bundesfinanzminister, Es geht aber um mehr. Deutschland ist wirtschaftlich daß ich diese Lebensweisheit zitiere, wenn ich an zu teuer, zu unbeweglich, zu statisch, zu wenig unsere zurückliegenden Meinungsverschiedenheiten unternehmerisch, zu wenig dynamisch geworden. in der Beurteilung der konjunkturellen Situation denke. Inzwischen sind wir aber einig, und ich denke, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Sie werden zufrieden sein, daß ich Sie mit diesem Zitat ten der CDU/CSU) zu den großen Leuten zähle. In unserem Denken steht der Pfandbrief hoch über der (Lachen bei der SPD) Aktie, rangiert die Sicherheit vor dem Risiko, domi- nieren Urlaubswünsche, Freizeit und kürzere Arbeits- Es wäre mir, meine Damen und Herren, sehr viel zeiten. lieber gewesen, ich hätte unrecht behalten. Es ist nicht leicht, die konjunkturpolitische Debatte politisch und (Zuruf von der SPD: Auch bei den Unterneh wirtschaftspolitisch verantwortlich zu führen. Realis- mern!) mus ist gefragt, nicht trostloser Pessimismus, aber Das Fazit: Die Deutschen leben über ihre Verhält- auch nicht schönfärberischer Optimismus. nisse. Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. In der Politik, auch im Bundestag und in der Bundesregierung, hat die Schönfärberei bedenklich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) lange vorgeherrscht. Wir dürfen jetzt nicht von einem Extrem ins andere fallen. Die Rezession nährt den Pessimismus, und der Pessimismus nährt die Rezes- sion. Und wer in dieser sensiblen Situation mit Horror- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Graf Lambsdorff, und Untergangsszenarien hausieren geht, der trägt gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten dazu bei, daß sich die Spirale des Niedergangs fort- Seifert? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13723

Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Nein. Damit aber, meine Damen und Herren, sind wich- (Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Sie haben tige Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Um- wohl Angst!) schwung, für neue wirtschaftliche Dynamik geschaf- fen. Jetzt müssen wir diese nutzen. — Ich habe vor Ihnen keine Angst. Aber ich habe nicht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) die Absicht, mit Ihnen zu diskutieren. Aus jeder anderen Gruppe dieses Parlaments beantworte ich Dazu kann die Finanz- und Haushaltspolitik, die wir Zwischenfragen. heute hier beraten, einen erheblichen Teil beitra- gen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Umdenken, meine Damen und Herren, ist gefragt Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter- — nicht nur in der Politik, sondern auch in der Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage Wirtschaft, in den Vorstandsetagen des Abgeordneten Klejdzinski? (Joachim Poß [SPD]: Sehr wahr!) ebenso wie in den Gewerkschaftsbüros. Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Ich nehme an, daß das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. Lassen Sie mich zum Stichwort „Gewerkschaftsbü- Wenn das so ist, dann gerne, Frau Präsidentin. ros" eine Anmerkung machen.

(Detlef von Larcher [SPD]: Wer regiert denn? Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Nein, das wird nicht Regiert etwa Herr Steinkühler?) auf Ihre Redezeit angerechnet. Herr Steinkühle hat einen erheblichen Fehler gemacht. Er hat die Konsequenzen gezogen. Ich bin Dr. Karl-Heinz Klejdzinksi (SPD): Herr Lambsdorff, gegen Nachtreten. darf ich Sie fragen, ob Ihre Rede die Neuauflage eines (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Lambsdorff-Papiers ist. ten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die F.D.P. ist überzeugt Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Das ist keine davon: Die Mehrzahl unserer Mitbürger hat die Not- Neuauflage eines Lambsdorff-Papiers — ich schreibe wendigkeit zum Umdenken und zum Umschalten nicht jedes Jahr ein Papier, auch nicht alle zehn längst erkannt. Unsere Mitbürger ahnen — und viele Jahre —, aber es ist der Versuch, von der Analyse der wissen —, daß es so wie bisher nicht weitergeht. Sie Situation zur Therapie zu kommen und einige Vor- wollen eine realistische Analyse, und — was viel schläge zu machen, wie wir vielleicht mit der gegen- wichtiger ist — sie wollen einsichtige Therapievor- wärtigen schwierigen Situation fertigwerden könn- schläge. ten. Ich lade jeden ein, das zu diskutieren. Wo sind die positiven Ansätze, auf denen aufgebaut (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne werden kann? ten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die F.D.P. hat schon in Positiv ist, daß der große Dienstleistungsbereich der Debatte zum Solidarpakt hier gesagt, daß sie ihm und der Bausektor wesentlich rezessionsrobuster als zustimmt, daß sie ihn allerdings nicht für ausreichend tie Industrie sind. hält. Die Finanzierung der neuen Bundesländer und Positiv ist, daß im Westen unseres L andes in der des Wohnungsbaus ist völlig in Ordnung. Der Bund- Lohnentwicklung eine deutliche Mäßigung eingetre- Länder-Finanzausgleich ist notwendig, für den Bund ten ist — leider nicht im Osten. Das Ergebnis des aber viel zu nachteilig und für die alten Bundesländer Streiks wird den Aufbau in den fünf neuen Bundes- viel zu günstig. ländern weiter verzögern. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist leider Das hat ein Gutes: kann jetzt seine richtig! — Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: industriepolitischen Kunststücke in Sachen Saarstahl Unerhört!) allein finanzieren. Positiv ist, daß vor allem die für die Investitionstä- Wir haben erhebliche Bedenken, den Solidarzu- tigkeit so wichtigen mittel- und langfristigen Zinsen schlag unbefristet zu lassen. Der Moloch Staat wird deutlich gesunken sind. Jeder Kritiker der Politik der ihn dauerhaft vereinnahmen. Deutschen Bundesbank sollte dies zur Kenntnis neh- (Freimut Duve [SPD]: Was heißt „Moloch men. Staat"? Sie sind Teil des Staates! Lassen Sie Positiv ist, daß sich die Weltkonjunktur allmählich doch das mit dem „Moloch Staat"!) zu beleben beginnt. — Nein, in finanziellen Dingen lasse ich das gar nicht, Positiv ist schließlich, daß sich in dem langanhalten- Herr Duve. — Um so wichtiger ist es, daß ein Versäum- den Aufschwung der 80er Jahre, den diese Bundesre- nis der FKP-Runde nachgeholt wird, und das ist die gierung und ihre Politik zu vertreten und zu verant- Verabschiedung des Standortsicherungsgesetzes. worten hat, keine wesentlichen inflationären Fehl- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne steuerungen und somit keine größeren strukturellen ten der CDU/CSU) Verwerfungen ergeben haben, die in früheren Kon- Unsere im internationalen Vergleich abschreckend junkturzyklen oft die Abschwächung oder die Rezes- hohen Spitzensätze bei der Einkommen- und Körper- sion einleiteten. schaftsteuer müssen herunter. Herr Wieczorek, Sie (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) wissen ganz genau, es geht um die Einkünfte aus 13724 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Dr. Otto Graf Lambsdorff gewerblichem Betrieb und nicht um die Spitzenein- nach einem milliardenschweren Investitionspro- künfte von Privatleuten. gramm, nach höheren Steuern und Druck auf die Bundesbank mit der Folge, die D-Mark inte rnati (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne onal in Gefahr zu bringen? Was ist das eigentlich alles? Wie ten der CDU/CSU) reimt sich das? Das Durcheinander bei der SPD ist Diese Spitzensätze sind Investitionshemmnisse erster total, nicht nur bei der Suche nach Vorsitzenden Güte. Und wenn der Solidarzuschlag auf dieser Basis und/oder Kandidaten, nach Einzweck- oder Mehr- hinzukäme, dann geht es wahrlich nicht mehr um zweckwaffe. Besteuerung, sondern nahezu um staatlich verordnete Sie werden kein sozialdemokratisches Wirtschafts- Räuberei. programm zustande bringen, weil es so etwas- nach Leider kann die Senkung der Steuersätze nur auf- dem kläglichen Ende der Planwirtschaft gar nicht gibt kommensneutral erfolgen. Es wäre uns lieber, wir und gar nicht geben kann, könnten die Verschlechterung der degressiven Abschreibung vermeiden; aber wir wissen, es geht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nicht. es sei denn, meine Damen und Herren, Sie machen es Die F.D.P. hat immer beanstandet, daß sich die wie Ihre Genossen in Australien und Neuseeland und Runde im NATO-Saal des Bundeskanzleramtes übernehmen lupenreine liberale Wirtschaftspoli tik. unsere Einsparvorschläge zwar angehört, aber nichts Das schaffen Sie aber auch nicht. dergleichen beschlossen hat. Im Gegenteil: SPD. und Wie Sie unter diesem Umständen, Herr Wieczorek, CDU rühmten sich um die Wette, Einsparungen im hier die Dreistigkeit aufbringen können, den Regie- sozialen Bereich verhindert zu haben. Jetzt packt der rungswechsel zu verlangen, verstehe ich nicht. Zu Finanzminister alles wieder auf den Tisch, wie von uns wem denn? Zu Ihnen? Um Himmels willen! an dieser Stelle am 25. März vorausgesagt. Ganze (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der zwei Monate hat die große Illusion der Zauberkünstler CDU/CSU — Zuruf des Abg. Freimut Duve gehalten, und jetzt ist die Trickkiste leer. [SPD]) (Beifall bei der F.D.P.) — Herr Duve, setzen Sie doch besser Ihre Glasperlen- Es wäre gut, meine Damen und Herren, wenn unser spiele über die Neue Linke in Europa fort. Der Peter geschätzter Koalitionspartner daraus lernen würde: Es Glotz formuliert das so schön und so realitätsfern. Das hat keinen Sinn, auf die sozialdemokratischen Leim- beruhigt doch; das ist doch fein für Sie. ruten zu gehen. (Große Heiterkeit bei der F.D.P. und der (Beifall bei der F.D.P. — Widerspruch bei der CDU/CSU) SPD) Meine Damen und Herren, die Koalition stellt sich Die SPD hat in der Wirtschafts-, Finanz- und Haus- den Problemen. haltspolitik seit 1982 wenig bis nichts hinzugelernt. (Detlev von Larcher [SPD]: Seit wann? — Nach zwölfjähriger Wanderung durch die Wüste so- Weitere Zurufe von der SPD) zialdemokratischer Konzeptionslosigkeit hat sie für 1994 ein wirtschaftspolitisches Programm angekün- Die richtige Therapie muß an den Ursachen der digt, 12 Jahre nach dem Machtverlust. Rezession ansetzen, und hier zeigt sich, daß sie zu einem erheblichen Teil hausgemacht ist. Die Kosten Wie mag das wohl aussehen? der Produktion sind zu hoch geworden: die Kosten der (Zuruf des Abg. Michael Glos [CDU/CSU)) Arbeit, die Kosten des Kapitals, die Kosten, die der — Sie hätten übrigens im Deutschlandfunk vorher mir Staat der Wirtschaft auferlegt. Wir haben eine Kosten- zuhören können, Herr Glos. Dann hätten Sie das rezession, die wir uns in den letzten Jahren selber leichter ertragen; aber da waren Sie wahrscheinlich eingebrockt haben. noch nicht aufgestanden. — Etwa so, wie Frau Mat- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! — thäus-Maier es heute morgen im Deutschlandfunk Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer regiert eigent sagte? Immer das Falsche, nämlich Steuererhöhun- lich?) gen, aber das wenigstens konsequent; das muß ich Aufgabe des Staates in dieser Situa tion ist es, die der zugeben. Wirtschaft auferlegten Kosten zu reduzieren, und das (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der heißt im Klartext: Sparen, sparen und noch mal CDU/CSU) sparen, Auch Herr Wieczorek will mit der Arbeitsmarktab- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gabe immer noch etwas drauf tun. aber im konsumtiven Bereich und nicht im investiven Oder wollen Sie es wie Ihr neuer wirtschaftspoliti- Bereich. scher Sprecher Uwe Jens machen: an einem Tage eine richtige Absage an staatliche Industriepolitik — Sie (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sollten das lesen, Herr Wieczorek, was er in der „FAZ" Ihr neuester Vorschlag, Herr Bundesfinanzminister, geschrieben hat. Dann würden Sie nicht von markt- die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erhö- wirtschaftlicher Industriepolitik sprechen. Was ist hen, verschärft die Kostenrezession. Warum bemü- denn das? Ein „schwarzer Schimmel"? Oder vielleicht hen wir uns eigentlich monatelang, die Kosten der besser ein „roter Schimmel" , den Sie aufgezäumt geplanten Pflegeversicherung zu kompensieren? Herr haben? — und am nächsten Tag die falsche Forderung Wieczorek, Sie machen es sich sehr einfach, wenn Sie Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13725

Dr. Otto Graf Lambsdorff die Bemühungen der Koalition in dieser Frage, näm- Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Wenn es mir nicht lich in der Frage der Arbeitskostenbelastung, einfach angerechnet wird, bitte. diskreditieren. Sie wollen die Einführung der Pflege- versicherung bei voller Belastung der Arbeitskosten. Ernst Waltemathe (SPD): Graf Lambsdorff, obwohl Das heißt, Sie spielen mit den Arbeitsplätzen der ich Ihre Ablenkungsmanöver natürlich verstehe, Menschen in Deutschland — verantwortlungslos! möchte ich Sie doch fragen, ob es zutrifft, daß — an (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — riedrichs über Sie bis zu Herrn-gefangen mit Herrn F Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Rabuli Rexrodt heute — in der vorigen Bundesregierung und stik!) in dieser Regierung für die Wirtschaftspolitik immer ein F.D.P.-Mitglied verantwortlich war, bei guter Eine Durchforstung der Haushalte allein reicht nicht Konjunktur die F.D.P. die gute Konjunktur gemacht- aus. Endlich macht sich der Bundesfinanzminister an hat, Sie aber nichts mit der Wirtschaftspolitik zu tun ein Haushaltssicherungsgesetz. Da werden Sie schon haben, wenn es bergab geht. verstehen, wenn ich frage: Warum so spät? Ich habe das im Sommer 1991 gefordert. (Beifall bei der SPD)

(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sind (F.D.P.): Das letzte ist nicht Sie in der Koalition oder wir?) Dr. Otto Graf Lambsdorff ganz richtig, Herr Waltemathe, das ist Ihre Betrach- Wir brauchen Einsparungen in zweitstelliger Milliar- tungsweise. Aber stellen Sie sich einmal vor, wie die denhöhe. Dies erreichen wir nur, wenn an die großen Wirtschaftspolitik ausgesehen hätte, wenn es keine Posten herangegangen wird. Dabei bleibt der Sub- F.D.P.-Minister gegeben hätte! Das wäre ganz ver- ventionsabbau auf der Tagesordnung. heerend gewesen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — (Heiterkeit im ganzen Hause — Beifall bei Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Dann der F.D.P. — Lebhafter Widerspruch bei der tun Sie es doch endlich!) SPD) — Lieber Herr Wieczorek, ich erinnere mich an die Meine Damen und Herren, Kollege Glotz hat die Auseinandersetzungen mit Ihnen in der alten Koali- Einhaltung des Lohnabstandsgebotes und das Zitat tion, als wir über den Subventionsabbau gesprochen von Herrn Scharping gebracht; ich kann darauf ver- haben und Sie am nächsten Tag die Subventionen für zichten. die Stahlindustrie gefordert haben. Ich will an dieser Stelle noch ein Wo rt an unseren Mittelstands- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) verehrten Koalitionspartner richten: Die vereinigung der CDU/CSU hat einen neuen Vorsit- Meine Damen und Herren, jeder sagt, wir sollen den zenden namens — Augenblick! — Bregger. Der hat Gürtel enger schnallen, und jeder fummelt am Gürtel zur Erhöhung seines nicht vorhandenen Bekannt- des Nachbarn herum, aber nicht am eigenen. heitsgrades als ersten den Bundeswirtschaftsminister (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der Rexrodt öffentlich kritisiert. CDU/CSU) (Zurufe von der SPD) Wir kommen aber auch um den Abbau von Sozial- — Ich weiß, mit so etwas kommt man in die Zeitung. leistungen nicht herum. Umbau allein reicht nicht Aber wie wäre es denn, wenn der fabelhafte Herr mehr; es ist traurig, das sagen zu müssen. Aber Bregger sich erst einmal der führenden Wirtschaftspo- 460 Milliarden DM Haushaltsvolumen und davon litiker seiner eigenen Partei annähme — oder findet er 120 Milliarden DM für den Haushalt des Bundesmini- keine? sters für Arbeit und Sozialordnung sind nicht länger (Lachen und Beifall bei der SPD) finanzierbar. Der Herr Bundeskanzler hat einen gefunden, Herrn (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Woher kommt das Ost — aber nun ja. denn?) Meine Damen und Herren, eigentlich wäre es Das ganze System ist zu teuer geworden, und es wirkt angezeigt, mittels der Steuer- und Abgabenpolitik die lähmend auf die wirtschaftliche Aktivität. Die Zinsbe- Wirtschaft zu entlasten und Leistungsanreize zu set- lastung des Haushalts wird 1995 100 Milliarden DM zen, aber die angespannte Finanzlage gibt das nicht betragen. Dann landen wir in der Schulden- und her. Um so mehr ist Vertrauensbildung geboten. Zinsenfalle. Wenn Sie, verehrter Herr Wieczorek, hier Gerade die jüngsten Ergebnisse der Steuerschätzun- den Ex-Bundeskanzler zitieren, dann gen unterstreichen das Gebot weiterer s trikter Ausga- tun Sie das freundlicherweise auch einmal bei den bendisziplin. Es wäre gut, wenn von dieser Debatte in Ratschlägen, die er Ihnen für Ihre Politik heute gibt, diesem Sinne ein klares Signal an die Wirtschaft und zitieren Sie ihn nicht nur aus der besonnten ausgesendet würde. Vergangenheit, in der Sie ihn im Stich gelassen Nun wird immer wieder eingewandt — auch Herr haben, in der Sie ihn haben sitzenlassen. Glos hat das gesagt —, in der aktuellen Konjunktur- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) lage würde zusätzliches Sparen des Staates die Lage noch verschlimmern. Das ist im Prinzip richtig. Aber angesichts der Haushaltslage empfehle ich doch, Herr Glos, differenzierter zu sehen. Der „Weg der leichten Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Graf Lambsdorff, Hand", alle zusätzlich entstehenden konjunkturbe- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten dingten Defizite bedenkenlos durch höhere Kredite zu Waltemathe? finanzieren, muß überdacht werden. Höhere konjunk- 13726 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Dr. Otto Graf Lambsdorff turbedingte Defizite sind nur dann zu vertreten, wenn Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Jetzt leuchtet sie verbunden sind mit klaren und deutlichen Sparan- schon die Lampe, Frau Präsidentin. Ich habe noch ein strengungen, die unter Beweis stellen, daß das mittel- paar Sätze. Wenn ich diese noch sagen darf? fristige Ziel der Rückführung der Defizite ernsthaft angestrebt wird. Konjunkturbedingte Defizite können Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich habe die Lampe leicht in strukturelle Defizite umschlagen, nämlich schon ausgemacht. dann, wenn sich die Arbeitslosigkeit verhärtet. Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Vielen Dank. — Meine Damen und Herren, da sind wir uns doch Bitte, Frau Kollegin. wohl einig: Am meisten bedrückt uns alle diese viel zu hohe Arbeitslosigkeit. Anke Fuchs (Köln) (SPD): Graf Lambsdorff, mir (Zuruf von der SPD: Sie bestimmt nicht!) kommen ja die Tränen, wenn Sie das Wort „Arbeits- losigkeit" in den Mund nehmen und beklagen, wie Sie kostet viel Geld. Sie läßt menschliche Ressourcen viele Arbeitslose wir haben. brachliegen. Aber sie ist nicht nur ein ökonomisches Problem; Arbeitslosigkeit berührt das Selbstverständ- Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß man dann nis der Menschen. Sie zerstört Familien, sie macht überlegen muß, wie man Arbeitslosigkeit bekämpft, Menschen oft nutzlos in deren eigenem Urteil. und daß eine der Maßnahmen ist, die Instrumente der Bundesanstalt für Arbeit einzusetzen, sie auch finan- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ziell entsprechend auszustatten und diese Finanzaus- 2,2 Millionen Arbeitslose in Westdeutschland, stattung nicht immer in einem Stop-and-Go zu kür- 1,2 Millionen in Ostdeutschland, 15 Millionen in der zen? EG und 35 Millionen in den Ländern der OECD, das sind besorgnis-, ich meine, furchterregende Zahlen. Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Meine Damen Bleibt das unser Schicksal? Geht der Industriegesell- und Herren, dies ist ein grundlegendes Mißverständ- schaft die Arbeit aus? Kein Zweifel, kurzfristig wird nis bezüglich der Frage, mit welcher Politik man überall nur über Personalabbau entschieden, nicht Beschäftigung schafft. Wir brauchen rentable Arbeits- mehr über Frühpensionierung. Diese Möglichkeiten plätze in Unternehmen und nicht solche in einem sind ausgeschöpft. Jetzt geht es um Entlassungen in zweiten oder dritten Arbeitsmarkt, die künstlich den Arbeitsmarkt. Lassen wir uns nicht vernebeln finanziert werden. durch die Worte, die man gestern auch auf der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Hauptversammlung von Daimler-Benz hören konnte: „betriebsbedingte Kündigungen" . Das sind Vernebe- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zusatzfrage? lungsausdrücke für den harten Tatbestand, daß es um Entlassungen in den Arbeitsmarkt geht. Es trifft dies- Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Sie wollen, Frau mal sowohl Arbeiter im Produktionsbereich wie Ange- Fuchs, immer nur die Hilfswege gehen, Sie suchen die stellte im Dienstleistungsbereich. Das ist eine Folge Surrogate, die Ersatzlösungen. Sie drücken sich um arbeitsplatzsparender, neuer Techniken. die Beantwortung der Fragen, die zur wahren Pro- blemlösung notwendig ist. Muß das und wird das so bleiben? Ich persönlich glaube es nicht. Die Arbeitslosenzahl alleine ist irre- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) führend. In der OECD ist die Zahl der Beschäftigten im Frau Fuchs möchte Alter zwischen 16 und 64 Jahren von 1982 bis 1992 um Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: noch eine Zusatzfrage. eindrucksvolle 40 Millionen gestiegen. Die demogra- phische Entwicklung wird in den 90er Jahren dazu (F.D.P.): Die Finanz- und führen, daß das Arbeitskräftpotential zahlenmäßig Dr. Otto Graf Lambsdorff Haushaltspolitik — — abnimmt. Vor allem aber lehrt uns die Entwicklung zur und der Industriegesellschaft, daß neue Techni- Anke Fuchs (Köln) (SPD): Habe ich Sie richtig ken am Ende neue und mehr Arbeitsplätze geschaffen verstanden, daß Sie in Kauf nehmen, daß wir auf haben. Sie waren seit der Erfindung der Dampfma- Dauer mehr als 3 Millionen Arbeitslose haben, und schine eben keine Jobkiller. Der verlorene Arbeits- abwarten, bis sich auf Grund der technischen Ent- platz am Fließband allerdings wird so nicht wieder- wicklung neue Arbeitsplätze ergeben? kommen. Deshalb ist Aus- und Weiterbildung so wichtig. Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Verehrte Frau Wir werden nach meinem Urteil keine Dauer- und Kollegin, wer nach den Ausführungen, die ich hier Massenarbeitslosigkeit hinnehmen müssen, aller- gemacht habe, diese Quintessenz, diese Schlußfolge- dings nur dann, wenn die staatliche Wirtschaftspolitik rung zieht, der will mich nicht verstehen oder der kann den schmerzhaften Prozeß zu neuer Produktivität mich nicht verstehen. Bei Ihnen nehme ich an, Sie durch neue Techniken nicht durch Erhaltungssubven- wollen es nicht. tionen und Protektionismus behindert. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die Finanz- und Haus- haltspolitik kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, aus der Rezession wieder herauszukommen. Es geht darum, die langfristigen Wachstumsbedin- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Graf Lambsdorff, gungen zu verbessern und den Standort Deutschl and gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin attraktiv zu gestalten. Es ist sicherlich nicht erbaulich, Anke Fuchs? erkennen zu müssen, daß wir die Rezession zu einem Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2?. Mai 1993 13727

Dr. Otto Graf Lambsdorff guten Teil selbst verschuldet haben. Aber das gibt den. Ich frage mich, warum Sie eigentlich nicht auch Hoffnung, weil wir selbst es in der Hand haben, energische Maßnahmen treffen, um genau das zu die notwendigen Korrekturen herbeizuführen. verhindern. Ich will Ihnen einmal etwas aus der Gewiß steht unsere Wirtschaft am Scheideweg. Es „Woche" vom 7. April 1993 zitieren. Da heißt es: liegt in unserer Hand, wohin wir gehen. Wenn wir den Das hat Deutschland noch nicht erlebt: Die ersten Weg der Vernunft gehen, müssen wir damit rechnen, Adressen der Industrie zahlen kaum noch Steu- daß er Einschnitte erfordert, Einschnitte, die auch ern. Von Daimler-Benz bis BMW, von Hoechst bis schmerzhaft sein können. Aber wir gewinnen die BASF sind sie fast alle Champions, wenn es Perspektive, an die Wachstumserfolge der 80er Jahre darum geht, dem Finanzamt eine lange Nase zu anknüpfen zu können. drehen. Arbeiter und Angestellte, Freiberufler- Die Freien Demokraten meinen, daß diese Perspek- und Selbständige bittet Finanzminister Theo tive den Einsatz lohnt. Waigel kräftig zur Kasse, um die gewaltigen Ich bedanke mich. Kosten der deutschen EInheit zu finanzieren. (Anhaltender Beifall bei der F.D.P. — Beifall Doch die Konzerne verweigern sich dem Solidar- bei der CDU/CSU) pakt. Den Vogel schießt Daimler-Benz ab. Noch vor wenigen Jahren führte Deutschlands größtes Industrie-Unternehmen zwei Milliarden Mark Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Bevor wir in der Steuern auf seine Gewinne ab. 1992 ging der Rednerliste fortfahren, möchte ich auf der Tribüne den Fiskus leer aus: Daimler-Benz zahlte keinen Pfen- Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des nig. Und das nicht allein, weil die Stuttgarter Europarates, Herrn Miguel Angel Martinez, ganz weniger Geld verdienten mit ihren Edelkarossen, herzlich begrüßen und willkommen heißen. Waschmaschinen und Flugzeugen. Geschickt (Beifall) verlegt der schwäbische Konzern mit allerlei Bei dieser Gelegenheit möchte ich den großen Beitrag Bilanztricks seine Profite ins Ausland, wo die hervorheben, den der Europarat für Menschenrechte Steuersätze niedriger sind als in der Bundesrepu- und Minderheitenrechte in den jungen Demokratien blik. Genauso machen es die Großchemie, die geleistet hat. Hier gehen inzwischen mehrere Länder Großbanken und Daimlers Konkurrent BMW. beispielhaft voran. Vielen Dank für die Integration der (Michael Glos [CDU/CSU]: Und die PDS!) neuen Demokratien in den Europarat! (Beifall) Für den Münchner Autobauer ist die Rechnung klar: Er sparte durch Steuerflucht in den letzten Als nächster spricht der Abgeordnete Gregor vier Jahren schätzungsweise 800 Millionen Mark. Gysi. Die Bundesrepublik aber mußte auf Einnahmen von weit mehr als zwei Milliarden Mark verzich- Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin! ten. Meine Damen und Herren! Herr Glos, eigentlich wird mir ja nachgesagt, daß ich gelegentlich — — Dazu ist eine hochinteressante graphische Darstel- lung abgedruckt, aus der zu ersehen ist: Daimler hat (Unruhe) 1989 noch 2 Milliarden DM Steuern bezahlt, 1992 null Mark; VW hat 1989 noch 1,2 Milliarden DM Steuern Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Darf ich Sie bitten, bezahlt, im Jahre 1992 null Mark; Hoechst hat im einen Augenblick zu warten, bis die Abgeordneten, Jahre 1989 noch 1 Milliarde DM Steuern bezahlt, 1992 die das wünschen, den Saal verlassen haben und wir null Mark; BMW hat 1989 etwa 500 Millionen DM fortfahren können. Steuern gezahlt, 1992 null Mark. Dagegen unternimmt diese Bundesregierung Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Es gibt Zuhöre- nichts. Das ist das Ergebnis Ihrer Steuerpolitik. Statt rinnen und Zuhörer, auf die ich verzichten kann. dessen kürzen Sie tatsächlich bei Sozialhilfeempfän- (Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt auch Red gerinnen und Sozialhilfeempfängern, bei Wehr- ner, auf die wir verzichten können!) dienstpflichtigen der Bundeswehr, d. h. im allerunter- Herr Glos, Sie haben hier zum Teil richtige Klassen- sten sozialen Bereich. Das ist wirklich nicht nur kampfparolen ausgestoßen. Das würde mich alles gar Sozialdemontage, sondern zeigt auch, für wen diese nicht so stören. Was mich wirklich stört, ist, daß ich in Bundesregierung da ist. der gestrigen Diskussion gespürt habe, daß zum Teil Dieser Staat lebt von den Steuern der Arbeitnehme- deutlich zur Entsolidarisierung mit Flüchtlingen, mit rinnen und Arbeitnehmer und des Mittelstandes, aber ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern auf- nicht von den Steuern der Konzerne. Die haben sich gerufen wird, und heute unterscheiden Sie immer aus der Finanzierung der Bundesrepublik Deutsch- wieder zwischen jenen, die noch Arbeit haben, und land verabschiedet. Das ist eine Tatsache. Und dage- jenen, die keine haben. Sie weisen darauf hin, daß gen könnte man eine Menge machen. letztere angeblich sozialen Mißbrauch betreiben, zuviel Geld bekommen etc., was auch zur Entsolida- Es kommt noch eines hinzu: Die amerikanische risierung in der Gesellschaft beiträgt. Das ist eindeutig Börse verweigert all den von mir genannten Bet rieben der falsche Weg. den Handel mit Aktien mit der Begründung, daß diese ihre Gewinne nicht ausreichend angeben. Auch das Es kann schon im Einzelfall Mißbrauch von Sozial- ist das Ergebnis Ihrer Steuergesetzgebung. leistungen geben, aber das ist ja nichts im Vergleich damit, wie Steuern in diesem Land hinterzogen wer (Widerspruch bei der CDU/CSU) 13728 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Dr. Gregor Gysi Und dagegen unternehmen Sie nichts. diesen sogenannten Solidarpakt im März diskutiert Das weitere, womit ich mich gerne auseinanderset- haben, da haben Sie behauptet, daß die Neuverschul- zen will, ist die Art und Weise, wie sie Transferleistun- dung zum Jahresende auf bis zu 55 Milliarden DM gen in den Osten hier immer wieder beschreiben. ansteigen wird. Und wir haben gesagt, daß wir das Zunächst einmal behaupte ich, daß auch hier eine nicht glauben, daß wir davon ausgehen, daß es Entsolidarisierungspolitik stattfindet. Sie erwähnen mindestens 70 Milliarden DM sein werden. Jetzt sage z. B. immer die 108 Milliarden brutto, die in diesem ich Ihnen mal ehrlich was — das ist sogar ein bißchen Jahr in die östlichen Bundesländer fließen werden. selbstkritisch —: Wenn inzwischen schon die PDS Aber Sie erwähnen nie, daß Sie 78 Milliarden aus besser rechnet als die Bundesregierung, dann ist es diesen Bundesländern bekommen. Warum operieren um diese Bundesregierung wirklich schlimm- be- Sie mit einem Brutto- und nicht mit einem Nettobe- stellt. trag, wenn Sie wissen, daß Sie mit dem Bruttobetrag (Widerspruch bei der CDU/CSU) nur Verwirrung in der Bevölkerung stiften und bei den Menschen im Westen erreichen, daß sie denken, Das will ich Ihnen versichern. Denn offensichtlich täglich wird ihnen zur Finanzierung des Ostens in die haben wir recht, und Sie hatten unrecht. Tasche gegriffen? Auch das entsolidiarisiert und spal- tet. (Erneuter Widerspruch bei der CDU/CSU) Sie machen noch etwas anderes. Sie rechnen näm- lich in die Zahlungen für die neuen Bundesländer Dann komme ich noch auf etwas anderes zurück. auch die Zahlungen auf Grund ganz normaler Rechts- Sie haben in dem Konsolidierungsprogramm und dem ansprüche ein, z. B. für Kindergeld, für Erziehungs- entsprechenden Umsetzungsgesetz auf Druck der geld. Darauf hat aber jede Bürgerin bzw. jeder Bürger SPD viele schon geplante Sozialkürzungen nicht mit unter entsprechenden Umständen Anspruch, ob er aufgenommen — von einer Schlechterstellung der nun in Bayern oder in Mecklenburg-Vorpommern Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfän- lebt. Da frage ich Sie: Warum rechnen Sie das nie bei ger, von einer Streichung des Mehrbedarfs für Tbc Bayern und bei Baden-Württemberg, sondern immer Kranke und andere Dinge mal abgesehen, was alles nur bei Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sach- schon schlimm genug ist. sen etc. ein, d. h. zu Lasten der neuen Bundesländer? Auch das nenne ich Spaltungspolitik, obwohl das Gegenteil von Ihnen immer deklariert wird. Aber eines muß ich nun auch mal die SPD fragen: Sagen Sie, wie schließen Sie eigentlich Verträge? Was (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Zuruf von hat das denn für einen Wert, wenn Sie mit der der CDU/CSU) Bundesregierung tagelang verhandeln, als Ergebnis — Wissen Sie, zu der maroden Wirtschaft im Osten, erreichen, daß Sozialkürzungen nicht kommen, und muß ich Ihnen auch mal was sagen. nach vier Wochen veralbert diese Bundesregierung Sie, indem sie dieselben Sozialkürzungen wieder auf (Zuruf von der CDU/CSU: Die war gar nicht die Tagesordnung setzt und nun mit einem anderen marode!) Gesetz durchsetzen will? Verträge, denke ich, sind — Doch, die war marode. Ich will Ihnen nur zwei irgendwie einzuhalten. Bauen Sie denn da gar keine Dinge dazu sagen: Erstens. Stellen Sie sich mal vor, sie Sicherungen ein, so daß das der Bundesregierung wäre nicht marode gewesen: Dann wäre die ganze ohne weiteres möglich ist? Was nutzt es uns denn, Einheit nicht gekommen. wenn es in diesem Gesetz nicht steht, aber vom Bundesfinanzminister gestern schon für ein neues (Widerspruch bei der CDU/CSU) Gesetz angekündigt worden ist, die gesamten Sozial- Zweitens. Stellen Sie sich doch einen Moment lang streichungen vorzunehmen, wahrscheinlich noch vor schlimmer, als sie damals geplant waren, und das vor allem in Bereichen wie Umschulung und Weiterbil- (Zuruf von der CDU/CSU) dung bei der Bundesanstalt für Arbeit? Graf Lambs- — nein, machen wir es doch ernsthaft —, es wäre eine dorff sagt doch: Gerade das ist zur Schaffung von bestens funktionierende, höchst effektive Wirtschaft Arbeitsplätzen wichtig. — Und dann werden die gewesen, die tollste Qualitätsprodukte hergestellt Mittel für diese Bereiche gekürzt! Das ist doch eine hätte, und dann wäre die deutsche Einheit gekom- Katastrophe und bedeutet, daß die Massenarbeitslo- men! Dann wäre alles, was im Westen nicht niet- und sigkeit immer weiter zunehmen wird. nagelfest ist, niederkonkurriert worden. Na, was mei- nen Sie, was das für eine Wirtschaftskatastrophe für Im übrigen finde ich, daß für irgendwelche höhni- die Bundesrepublik Deutschland geworden wäre! schen Bemerkungen zum Stahlstandort Saarland Im übrigen, der Aufbau im Osten nutzt doch der kein Grund besteht; denn es geht dort immerhin um Wirtschaft im Westen. Sie hat damit doch Milliarden- 7 000 Beschäftigte. Die haben aus dem Bundestag gewinne gemacht. Aber Sie haben sie nicht zur Kasse nicht unseren Spott, sondern — das wäre unsere gebeten, sondern die Sozialschwachen bitten sie zur Aufgabe — unsere Solidarität und unsere Hilfe zu Kasse und nicht die, die an der deutschen Einheit erwarten. verdient haben. Das ist der Vorwurf, den wir gemacht haben. (Beifall bei der PDS/Linke Liste und dem Im übrigen sage ich Ihnen noch eines — das ist mir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge ebenfalls wichtig —: Als wir hier das erste Mal über ordneten der SPD) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13729

Dr. Gregor Gysi Nun ist natürlich immer die Frage: Wie soll man 12 Milliarden DM hinterzogene Steuern aufgespürt denn alles das bezahlen, was zu bezahlen ist? Ich will werden. Ist es nicht vielleicht richtig, zu fordern, daß Ihnen ein paar Vorschläge dazu unterbreiten. solche Betriebsprüfungen öfter stattfinden, wenn die (Zuruf von der CDU/CSU: Euer Vermö öffentlichen Kassen damit derart aufgestockt werden gen!) können? (Zurufe von der CDU/CSU) — Das haben wir schon mehrfach vorgeschlagen. Es wird ja nicht verwendet. Es liegt brach, weil diese Die mit dem Standortsicherungsgesetz beabsich- unabhängige Kommission nicht zum Zuge kommt, tigte Senkung der Körperschaftsteuer wird Unterneh- weil sich da einige eine goldene Nase damit verdie- mer und Anteilseigner um rund 4,8 Milliarden DM nen, daß sie 15 Jahre darauf sitzen. Darüber können entlasten. Die Senkung der Einkommensteuer- auf wir gern diskutieren. Damit habe ich wirklich keine gewerbliche Einkünfte wird den Großverdienern wei- Schwierigkeiten. tere 3 Milliarden DM in die Tasche spülen. Wir schlagen vor, die Absetzbarkeit von Bewir- Der Abbau von Abschreibungsmöglichkeiten, mit tungsspesen zu reduzieren oder gar ganz zu streichen. dem diese Steuererleichterungen angeblich aufkom- Es kann nicht hingenommen werden, daß Unterneh- mensneutral gegenfinanziert werden können, sofern mer ihre Geschäftsessen zu 80 % steuerlich absetzen Sie das überhaupt durchsetzen können, was ich noch können. bezweifle, ändert nichts daran, daß diese Steuerer- (Beifall bei Abgeordneten der PDS/Linke leichterungen nur den Großverdienern zugute kom- Liste und der SPD — Hans-Joachim Fuchtel men, während erschwerte Abschreibungsmöglichkei- [CDU/CSU]: Was ist mit den Arbeitsplät ten in erster Linie kleinere Betriebe und den Mittel- zen?) stand treffen werden. Auch die übrigen 20 % der Bewirtungskosten unter- Während die Bundesregierung Spitzenverdienern liegen als Eigenverbrauch nicht der Umsatzsteuer. Steuererleichterungen beschert, müssen Bürgerinnen Zum anderen betrifft der sogenannte Vorsteuerabzug und Bürger mit Einkommen, die unterhalb der vom bei der Umsatzsteuer den vollen Rechnungsbetrag, Bundesverfassungsgericht als Existenzminimum fest- also 100 %. Allein diese Streichung würde für den gelegten jährlich 12 000 DM bis 14 000 DM —je nach Staat bis zu 800 Millionen DM jährlich mehr einbrin- Berechnungsmethode — liegen, weiterhin auf eine gen. verfassungskonforme Regelung der Freibeträge war- ten. Alleinstehende mit Einkommen ab 10 500 DM Die Abschaffung der Steuerbefreiung für Flugben- jährlich, Verheiratete ab 21 000 DM jährlich werden zin würde die Privatflieger zwar mit knapp 40 Millio- 1993 steuerpflichtig. Ich weiß nicht, ob eine oder einer nen DM zusätzlich belasten. Aber nicht nur wir fragen von Ihnen schon mal versucht hat, mit solchen Beträ- uns, womit die Bundesregierung diesen Subventions- gen zu leben. tatbestand überhaupt noch rechtfertigt. (Zurufe von der CDU/CSU) (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Wie können Sie gar vor der Kamera so ein Zeug Wir halten auch die steuerliche Abzugsfähigkeit der erzählen! — Weitere Zurufe von der CDU/ Kosten für eine Haushaltshilfe in Höhe von 12 000 DM CSU) im Jahr für untragbar. Durchschnittsverdiener, die eine solche Hilfe benötigen, können sie sich ohnehin Die für die Jahre 1994 und 1995 festgelegten Beträge nicht leisten, während die Topverdiener diese Steuer- ändern nichts daran, daß diese Regelung verfassungs- entlastung locker mitnehmen. Man muß nicht so weit widrig ist. Die Bundesregierung hält an ihrer Absicht gehen, meine ich, daß man sie sich ganz vom Staat fest, das Existenzminimum, das immerhin selbst das bezahlen läßt; aber daß man die Kosten, die man Justizministerium mit etwas mehr als 15 000 DM möglicherweise dafür hat, auch noch absetzen kann, jährlich angegeben hat, verfassungswidrig zu besteu- finden wir schon ziemlich unverschämt. ern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Beim Solidaritätszuschlag wollen Sie eine soziale Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/ Komponente einbauen. Dann müssen Sie mir folgen- DIE GRÜNEN] — Zuruf von der F.D.P.: Ist das den Rechentrick erklären: Der Drucksache 12/4801 kein Arbeitsplatz?) entnehme ich, daß erwartet wird, daß dem Bund über Mehreinnahmen von mindestens 500 Millionen DM den Solidaritätszuschlag 1996 31,6 Milliarden DM in wären die Folge für den Staat. die Kasse fließen. Ich frage mich, ob in dieser Rech- nung wirklich die sogenannten Kleinbeträge abgezo- Wir schlagen ferner vor, Unternehmern die steuer- gen worden sind. Aus meiner Sicht gibt es einen liche Absetzbarkeit eines auch betrieblich genutzten Widerspruch zwischen den 28 Milliarden DM, die den Pkw zu nehmen. Gegenwärtig werden nämlich nicht bisher bekannten Beschlüssen aus Kanzler- und son- nur der Kauf eines teuren Porsche steuerlich geltend stigen Runden als jährliche Einnahmeschätzungen gemacht, sondern auch die tagtägliche Nutzung. zugrunde lagen, und den jetzt berechneten 31,6 Mil- Mehreinnahmen für den Bund: 1 Milliarde DM. liarden DM. Das, meine ich, spricht dafür, daß eine (Zuruf von der CDU/CSU: Meine Güte!) Sozialkomponente bei dieser Rechnungsgrundlage nicht möglich ist. Noch ein Hinweis. Obwohl bisher bei Großbetrie- ben nur alle 4,4 Jahre und bei Mittelbetrieben nur alle Es gäbe noch viel zu den hier vorliegenden Geset- 9,5 Jahre Betriebsprüfungen der Finanzämter stattfin- zen zu sagen. Lassen Sie mich als letztes noch ein Wort den, konnten dabei jährlich 11 Milliarden DM bis zu der geplanten Entlastung, also zu den Altschulden 13730 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Dr. Gregor Gysi der Wohnungswirtschaft, sagen. Was dort in den Die Schwachen sollen für die Schwächsten zahlen. neuen Bundesländern angerichtet wird, ist wirklich Das ist die Logik dieser Politik. Das Parlament sollte eine ziemliche Katastrophe. sich gegen die Zumutung sträuben, das überhaupt zu Im übrigen unternehmen Sie etwas, was ich unge- beraten. heuer finde, nämlich eine Zwangsenteignung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — (Reinhard von Schorlemer [CDU/ Michael Glos [CDU/CSU]: Sie sind eine CSU]: Sie waren doch der Meister der Zumutung! Wenn man Ihnen zuhört, sträu Zwangsenteignung!) ben sich die Nackenhaare!) — Deshalb müssen Sie das jetzt ja nicht fortsetzen. — Allerdings habe ich in dieser Woche der- großen Sie machen Abschreibungsregelungen und anderes Koalition Zweifel an der Kritik- und Urteilsfähigkeit davon abhängig, daß vorher privatisiert wird. Das dieses Hohen Hauses, denn wir erleben gerade in heißt, es muß verkauft werden. Sie stürzen damit auch einer solchen Krise eine schlechte Regierungspolitik die Wohnungsbaugenossenschaften, die jetzigen und — ich sage das auch auf uns bezogen — eine Eigentümer, in eine schwierige Situation. Wenn sie desolate Opposition. Aber ich hoffe, da wird sich jetzt nicht verkaufen, bekommen sie diese oder jene schnell etwas ändern. Das haben wir ja wohl auch Teilentschuldung nicht. Das ist für mich eine Zwangs- gemeinsam vor. denn Sie zwingen diese Genossenschaf- enteignung, Ich frage mich, welche Begriffe wir eigentlich ten und die Inhaber von Wohnungen zum Verkauf. benutzen können, um die Unsäglichkeiten zu benen- Und das Ganze geschieht zugunsten der Immobilien- nen, die diese Regierung am laufenden B and fabri- makler im Westen. Das ist das Gegenteil von Einheits- ziert — unter tätiger Mitwirkung der Partei allerdings, politik; es ist auch das Gegenteil von Sozialpolitik. die im nächsten Jahr mit dem Slogan „ Zeit für den Wechsel" in den Wahlkampf ziehen möchte. Die Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Gysi, Ihre Worte, mit denen die Bundesregierung ihre Produkte Redezeit ist beendet. an die Bürgerinnen und Bürger bringen möchte, sind (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — faul, sind oberfaul. Michael Glos [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Da haben wir einen Solidarpakt, der alles andere als solidarisch ist und eben nicht die große gesellschaftli- Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Ich bin sofort che Anstrengung bringt, die wir so nötig haben. Da fertig, Frau Präsidentin. haben wir als nächstes ein Föderales Konsolidierungs- Wenn Sie nicht lernen, besser zu rechnen, solider programm, das weder föderal ausgewogen ist noch mit dem Haushalt umzugehen und endlich bei denen die Konsolidierung der Staatsfinanzen sicherstellt. abzukassieren, die in diesem Lande zuviel Geld Folgerichtig läuft parallel zum heutigen letzten Akt haben, dann wird dieser Sozialkahlschlag weiterge- dieses parlamentarischen Trauerspiels schon der Auf- hen. Sie wissen es: Wir haben in der Bundesrepublik takt zum nächsten, das vermutlich unter dem Namen nicht zuwenig Geld; es wird nur ungerecht verteilt. „Solidarpakt II" zur Aufführung kommen wird. (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Schließlich haben wir ein sogenanntes Standortsi- cherungsgesetz, das — wen wundert es — keineswegs Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht geeignet ist, den Standort Deutschland und die Inve- der Abgeordnete Werner Schulz. stitionsfähigkeit an diesem Standort zu sichern. Man muß feststellen — auch Theo Waigel hat es Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wohl gemerkt —, daß der Finanzminister nie auf der NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Höhe der Zeit ist, und dies trotz oder vielleicht wegen Bevor ich auf die hier zur Debatte stehenden Gesetz- der Eile, in der die Bundesregierung das Gesetzespa- entwürfe eingehe, einige Worte zu den neuen Koali- ket durchzupeitschen versuchte. Die Verfallszeit der tionsvereinbarungen zur Pflegeversicherungsfinan- Waigelschen Zahlen ist inzwischen so kurz geworden, zierung. Jetzt sollen also die Kranken für die Pflege- daß der Horizont der mittelfristigen Finanzplanung bedürftigen zahlen. Lichtjahre entfernt zu sein scheint, und auch die (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist zu jährliche Haushaltsrechnung überfordert diese Regie- primitiv!) rung. — Nein, das ist nicht primitiv, sondern das ist unge- Der Finanzminister rechnet offenbar nur noch in heuerlich. Tagen. Die Zahlen sind verwirrend, auch für ihn. Bei der letzten Steuerschätzung ist ihm nur noch eingefal- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sie sind zu len: Nun haben die Experten ihre Prognosen nach intelligent, um so einen Unsinn zu erzäh unten revidiert, und wir haben daraufhin unseren len!) Haushalt entsprechend angepaßt. Es verdeutlicht viel mehr den Solidaritätsbegriff, den diese Regierung vor Augen hat, als die naßforschen Das ist schon ein ganz normaler Vorgang in dieser Sprüche von Herrn Lambsdorff hier kaschieren kön- Regierung. Wie viele solcher normalen Vorgänge nen. Völlig außerhalb des geltenden Tarif- und Ver- wollen Sie uns noch zumuten? Wie oft wollen Sie in fassungsrechts soll mit der Einführung von zwei diesem Jahr die Prognosen denn noch revidieren? Karenztagen die Pflegeversicherung finanziert wer- Im vorliegenden Nachtragshaushalt wird die Neu- den. verschuldung des Bundes jetzt mit knapp über 70 Mil- (Claus Jäger [CDU/CSU]: Zur Sache!) liarden DM ausgewiesen, nachdem im Haushaltsent- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13731

Werner Schulz (Berlin) warf zunächst nur 38 Milliarden DM vorgesehen höhere Schulden umfassen als die jetzt veranschlag- waren. Dort hieß es unter anderem — ich zitiere —: ten 400 Milliarden DM. „Der Entwurf des Bundeshaushalts 1993 und der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996 werden den Der Solidarpakt bringt also — das ist mein Kritik- großen internationalen Anforderungen unserer Zeit punkt Nummer eins — keine Konsolidierung der gerecht." — Nichts davon traf zu. Das war auch Finanzen, sondern sorgt für eine weitere Schuldenex- damals schon absehbar. plosion im öffentlichen Sektor. Schon im Juli 1992 haben alle Wirtschaftsexpe rten Mit dem Pakt zwischen SPD und Bundesregierung darauf hingewiesen, daß diese Finanzplanung unrea- — Kritikpunkt Nummer zwei — werden die alten listisch ist. Dennoch hat die Bundesregierung bis zum sozialen Ungerechtigkeiten fortgeschrieben. Die Bei- Jahresende an ihrem Phantasiegebilde festgehalten tragszahler der Sozialversicherung müssen weiter und auch die Planungen zum Solidarpakt auf dieser einen großen Teil der Transfers in die neuen Bundes- unrealistischen Grundlage aufgebaut. länder allein finanzieren. Selbst der Sachverständi- genrat hat diese Ungerechtigkeit scharf kritisiert. Der ande wirklich zuge- Was den Menschen in diesem L Finanzminister ignoriert diese Kritik. mutet wird, dringt nicht ins Kanzleramt und auch nicht ins Finanzministerium durch. Statt in blühenden Gleichzeitig werden Sozialhilfeempfängern neue Phantasielandschaften zu schwelgen, sollte sich diese Lasten auferlegt. Mit den Änderungen der Sozialhil- Regierung besser den Tatsachen der Deindustrialisie- feregelungen werden gerade jene getroffen, die der rung und Massenarbeitslosigkeit stellen. Die Armut in Hilfe der Gemeinschaft am meisten bedürfen. Mit den Deutschland nimmt dramatische Formen an. Die Zahl vorgesehenen Maßnahmen zur Bekämpfung von Lei- der Sozialhilfeempfänger in den alten Bundesländern stungsmißbrauch in der Sozialhilfe werden die hilfs- hat sich im vergangenen Jahrzehnt von 2,3 Millionen bedürftigen Menschen pauschal diffamiert, während auf 4,2 Millionen fast verdoppelt. In ganz Deutschland die Bundesregierung gleichzei tig den Mißbrauch des leben heute mindestens 6 Millionen Menschen in Steuerrechts durch absolut nicht Hilfsbedürftige Armut. augenzwinkernd toleriert. Steuerhinterziehung wird Der Bundeskanzler hat noch vor zwei Monaten immer noch als ein Kavaliersdelikt angesehen. Das wider besseres Wissen betont: Mit dem Ergebnis des stört den Finanzminister offenbar wenig. Bonner Solidarpakts haben wir die Finanzgrundlagen (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist doch für die vor uns liegenden Jahre bis 1995 und darüber nicht wahr! Sagen Sie doch nicht so hinaus gesichert. — Jetzt hat ihn die Wahrheit wieder etwas!) einmal eingeholt. Wenn der Kanzler so offenkundig die Finanzlage der Nation schönredet, dann darf er Man gewinnt den Eindruck, daß es sich dabei um eine sich über Politikverdrossenheit wahrlich nicht wun- ganz spezielle Form der Subventionspolitik handelt. dern. Dann müssen sich die Leute verschaukelt vor- kommen. Im Gegensatz zur laxen Haltung bei den Steuersün- dern steht das rabiate Vorgehen gegen die Ärmsten in Tatsächlich hat der Solidarpakt keines der wesent- dieser Gesellschaft. Dabei sind die Einschnitte, die das lichen Probleme gelöst. Er hat sich als ein reiner Föderale Konsolidierungsprogramm bringen wird, Verschiebebahnhof für die Einheitslasten entpuppt. erst der Auftakt zu weitaus größeren Einschnitten in Statt Solidarpakt gab es einen Pakt mit den Schulden das soziale Netz. Es ist noch nicht einmal verabschie- und einen Pakt gegen die Schwächsten dieser Gese ll det, und schon plant die Bundesregierung ein Spar- -schaft. und Konsolidierungsgesetz mit einem Streichvolumen Die Bundesregierung hat mit den Ministerpräsiden- von etwa 20 Milliarden DM. Einen besseren Beweis ten einen Handel abgeschlossen, der die künftigen für die Untauglichkeit des jetzt vorliegenden Pakets Generationen belastet. Der Schuldenberg wird wei- kann man sich kaum vorstellen. terhin dramatisch steigen. Dies ist nicht nur das Ergebnis der konjunkturellen Entwicklung. Fakt ist Ungerecht ist auch — Kritikpunkt Nummer drei — vielmehr, daß diese Regierung noch nie in der Lage die Verteilung der Finanzlasten zwischen Bund und war, die Staatsfinanzen ordentlich zu verwalten. Seit Ländern. Die alten Bundesländer leisten keinen aus- zehn Jahren steigen die Schulden kontinuierlich an. reichenden Beitrag zu einer fairen Lastenteilung. Es Die Sparappelle blieben bloße Rhetorik, während ist kein Wunder, daß die Regierungschefs der westli- tatsächlich eine klientelorientierte Politik der Subven- chen Bundesländer, gleich welcher Partei, den Soli- tionen und Finanzhilfen betrieben wurde. Auch der darpakt als eine besondere Leistung gewürdigt Solidarpakt ist durch die schuldenfinanzierten Zuge- haben; denn sie haben ihre Verhandlungsmacht wir- ständnisse an die westlichen Bundesländer erkauft kungsvoll ausgespielt und werden von den künftigen worden. Lasten nur einen kleinen Teil zu tragen haben. Die föderale Schieflage der Finanzierung der deutschen Die Schuldenentwicklung der regulären Haushalte Einheit wird so zementiert. ist dabei jedoch nur die halbe Wahrheit. Die Neben- haushalte, Treuhandanstalt, Ostdeutsche Wohnungs- Finanzpolitisch fatal ist dabei besonders, daß die wirtschaft, Kreditabwicklungsfonds, Fonds „Deutsche Bundesländer des Zwangs zu eigenem Sparen entho- Einheit" bilden inzwischen einen ganz wesentlichen ben werden. Die Ländervertreter können nun genüß- Bestandteil der öffentlichen Verschuldung. Die Bun- lich zusehen, wie sich der Bund mit den Schuldenber- desbank hat das zu Recht kritisiert. Der für die Zeit gen herumschlagen muß. Es ist einigermaßen kokett, nach 1995 einzurichtende Erblastfonds wird deutlich wenn jetzt Vertreter der SPD dem Bundesfinanzmini- 13732 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Werner Schulz (Berlin) ster mit großer Geste die Schulden vorhalten, die sie zept zur einer solidarischen Lastenteilung konnte selber mit verursachen. dabei nicht herauskommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Bundesregierung bleibt sich treu. Sie plant die Senkung der Spitzensteuersätze für Großverdiener, Es darf auch nicht übersehen werden, daß die neuen hält ökologische Blindheit für eine läßliche Sünde und Regelungen des Bund-Länder-Finanzausgleichs, ein zerrüttet unverdrossen die Staatsfinanzen. wesentliches Element des Föderalen Konsolidie- Das Programm der Bundesregierung garantiert rungsprogramms, zu keiner grundlegenden Reform keine dauerhafte Finanzierung des Aufbauprozesses für die Jahre nach 1995 geführt haben. Die alten in Ostdeutschland. Ebenso verfehlt es eine gerechte- Probleme der vertikalen und horizontalen Verteilung, Verteilung der Finanzierungslasten. wie fehlender Anreiz zur Stärkung der eigenen Steuerkraft, Übernivellierung und Undurchschaubar- Die Bundesregierung setzt die Demontage des keit, werden weiterhin existieren. Deshalb wird auch Wohlfahrtsstaates fort, zu einem Zeitpunkt, wo er für die kommenden Jahre Reformbedarf bei der Ver- dringender denn je gebraucht wird, und wälzt die von teilung der föderalen Finanzen bleiben. ihr verursachten Finanzprobleme auf die Schwäch- sten in dieser Gesellschaft ab. Dazu kommt, daß die Gespräche und Verhandlun- Zu lange sind die Menschen in unserer Gesellschaft gen über den Solidarpakt am Parlament vorbei getäuscht worden. Notwendig ist jetzt eine sozial geführt wurden. Die Beratungsmöglichkeiten des Par- gerechte Finanzierung der deutschen Einheit. Mehr laments wurden auf das Minimum beschränkt. In den Gerechtigkeit bedeutet beispielsweise, daß endlich Fachausschüssen gab es kaum die Möglichkeit zu eine Arbeitsmarktabgabe eingeführt wird. Das Defizit einer sinnvollen Beratung des umfangreichen Geset- in Nürnberg macht das anschaulich. Die Beitragszah- zeswerkes. Ebenso sind die Entwürfe zur Neuordnung ler der Sozialversicherungen würden dadurch deut- des Finanzausgleichs ohne jegliche öffentliche Anhö- lich entlastet werden. Ebenso könnte die Kostenbela- rung im Bundestag beraten worden. Dieses Hauruck stung der Unternehmen verringert werden. verfahren ist schon deshalb unakzeptabel, weil gerade zur Neuordnung der föderalen Finanzbezie- Statt den Schwächsten unserer Gesellschaft die hungen seit langem dringender Reformbedarf be- Sozialleistungen zu beschneiden, sind an anderer stand und in den letzten Jahren eine Reihe von Stelle die staatlichen Einnahmen zu verbessern. Da Reformvorschlägen unterbreitet worden ist. gibt es durchaus Möglichkeiten, etwa bei der Eintrei- bung der hohen Steuerrückstände und bei der ener- Die Bundesregierung und ebenso die beteiligten gischen Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Nach Vertreter der Bundesländer haben aus gutem — oder Berechnungen der Deutschen Steuer- Gewerkschaft soll ich eher sagen: schlechtem? — Grund die offene werden jährlich Steuern im Umfang von etwa 150 Mil Debatte gescheut. Die Neustrukturierung der öffentli- arden DM hinterzogen. -li chen Finanzen nach 1995 wurde weitgehend hinter Ebenso wichtig ist eine rasche Revision der Zinsbe- verschlossenen Türen vereinbart. Anders wäre ein steuerung. Hohe Zinseinkünfte dürfen nicht länger derart konzeptionsloses Stückwerk wohl kaum durch- vor den Finanzbehörden verschwiegen werden. Hier zusetzen gewesen. sollten Sie einmal gegen die Schlepperbanden vorge- Für eines aber muß man die Bundesregierung hen. Das wäre lukrativ und lohnenswert. loben: Sie hat ein taktisches Meisterwerk vollbracht. Aber zu grundlegenden Formen in der Finanzpoli- Sie hat sich erneut über die Zeit gerettet und darüber tik ist diese Regierung offensichtlich nicht mehr fähig. hinaus die SPD-Opposition an ihre Seite gezwungen. Ein schwacher Hoffnungsschimmer bleibt: Jetzt, da Die Sozialdemokraten haben sich längst aus der Theo Waigel der Ausweg an die Isar versperrt ist, Oppositionsrolle in diesem Parlament verabschiedet. bleibt ihm nur noch die Chance, sein Amt in Bonn zu Das ist wohl allen aufgefallen. meistern. Bloß, es sieht leider nicht danach aus, daß er diese Chance nutzt — es sei denn, Sie überzeugen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mich jetzt vom Gegenteil. Worin die sozialdemokratische Alternative zum Kurs (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Bundesregierung bestehen soll, weiß die SPD selber längst nicht mehr. Die SPD-Fraktion in diesem Haus hat sich von der schmucken Riege aus den Ländern über den Tisch ziehen lassen und muß jetzt Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der gute Miene zum bösen Spiel machen. Die Bundeslän- Bundesminister der Finanzen, Waigel. der haben ihre finanziellen Interessen gegen die Interessen des Bundes weitgehend durchgesetzt. Dem hätte eine selbstbewußte SPD-Bundestagsfraktion nie Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: zustimmen dürfen. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich benutze die Chance, Herr Kollege Schulz, Die Bundesregierung hat den Solidarpakt vermas- Sie zu überzeugen. selt. Sie war der Aufgabe nicht gewachsen, die unterschiedlichen Interessen von Bund und Gebiets- Ich habe viele Differenzen mit dem Kollegen Wie- körperschaften und Sozialpartnern durch eine verant- czorek, aber in einem bin ich wahrscheinlich mit ihm wortungsvolle Moderation des Verhandlungsprozes- einig, nämlich in der gemeinsamen Meinung über ses auszugleichen. Sie hat vielmehr die parteitakti- seine Kollegin Frau Matthäus-Maier. schen Belange in den Vordergrund gestellt. Ein Kon (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13733

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Es ist schon ein Stück Lustverlust, das man heute Deutschland bleibt, damit ausländisches Kapital nach hinnehmen mußte, daß Frau Matthäus-Maier nur im Deutschland kommt und deutsches Kapital nicht Fernsehen und nicht auch hier auftrat. woanders hinfließt. Aber nach dem leidenschaftlichen Appell von Hel- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mut Wieczorek für eine Machtübernahme habe ich mich gefragt: Mit wem? Immerhin hätte der Helmut Wir wollen nicht, daß sich etwas fortsetzt, was der Wieczorek wenigstens den Vornamen mitgebracht; scheidende Vorstandsvorsitzende von BMW neulich aber sonst kann er von der SPD niemanden anbie- gesagt hat: Wir müssen unsere bet riebsinternen Pro- ten. bleme zu Lasten der deutschen Volkswirtschaft lösen. — Wenn sich fortsetzen sollte, daß die Betriebe ihre - Die Rede von Graf Lambsdorff war j a ganz flott. Nur, Konsolidierung und ihre Wettbewerbsfähigkeit nur wenn Sie immer alles und früher und rechtzeitig dadurch gewährleisten, daß sie einen Teil ihrer Pro- gewußt haben, Graf Lambsdorff, hätte ich als F.D.P.- duktion in anderen Teilen Europas oder der Welt Mann anders entschieden. Aber das nur am Rande. durchführen, dann wäre unser Spitzensteuersatz ein (Beifall bei der CDU/CSU) Investitionshindernis; und das ist er zum Teil auch. Darum muß er auch abgebaut werden. Aber bei Graf Lambsdorff ist heute die Lust nicht sehr groß gewesen, mit einem solchen Koalitionspartner (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das zu vollenden, was er selber angedeutet hat. Sie haben sodann etwas zur Zinsquote gesagt. Herr Kollege Wieczorek, es ist richtig, daß das Natürlich ist sie hoch. Natürlich macht sie auch uns föderale Konsolidierungspaket nicht der Solidarpakt Sorgen. Ich wünschte mir eine niedrigere. Sie sollten ist, sondern nur ein Teil davon. Sie wissen sehr wohl, Ihr Gedächtnis aber nicht unterdrücken. Von 1969 bis wie viele Gespräche mit den Gewerkschaften im 1982 — — kleineren und größeren Kreis, wie viele Gespräche (Unruhe bei der SPD) mit der Wirtschaft geführt wurden, und auch, wie viele Vereinbarungen mit der Wirtschaft standen und ste- — Entschuldigung! Es muß doch möglich sein, diese hen. Zahlen zu nennen. Sie waren damals doch schon auf der Welt. Sie sahen — wie ich — vielleicht noch etwas Sie haben an einer Stelle nur angedeutet: Ein ganz jünger aus. wichtiger Bereich dieses Solidarpakts war — das ist in unserem föderalen Konsolidierungspaket enthal- Von 1969 bis 1982 entwickelte sich die Zinsquote ten —, daß der Bund die Altschulden im Wohnungs- von 2,7 % auf 9 %. Von 1982 bis 1992 entwickelte sich bau übernommen hat — was er nicht hätte tun die Zinsquote von 9 auf 10,2 %. Weil die ganze Erblast müssen — und damit ein wichtiges Investitionshinder- und auch die Reform von Bundesbahn und Reichs- nis im Osten endgültig beiseite geräumt hat. bahn hinzukommen, entwickelt sich die Zinslast von 1992 bis 1995 unter Einbeziehung dieser von mir (Beifall bei der CDU/CSU) genannten Größen auf 19,5 %, im traditionellen Haus- Sie werfen uns vor, daß wir heute schon darüber halt auf 12,3 %. Das heißt: In dem von uns bestimmten reden müssen, daß noch mehr gespart und konsoli- Zeitraum hat sich die Zinsquote — ich bedaure das — diert werden muß. Meine Damen und Herren, wann verdoppelt. In dem von Ihnen bestimmten Zeitraum denn sonst, wenn nicht jetzt, zu diesem Zeitpunkt, wo hat sich die Zinsquote verdreifacht. wir über wichtige Gesetze reden, sollen wir sagen: Es ist Zeit, noch mehr zu tun? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall von der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine Damen und Herren. Das sollten Sie einmal ganz real bedenken, wenn Sie finanzielle Kennziffern Ich halte es für ehrlich und notwendig, zu sagen: Das sauber darstellen und sauber analysieren. Wahljahr kann kein Hindernis sein. (Freimut Duve [SPD]: Sie würden nicht mal (Beifall bei der CDU/CSU) die mittlere Reife in Mathematik beste Das Wahljahr 1994 mit 15 oder 20 Wahlen ist kein hen!) Gabenverteilungsjahr, es ist vielmehr ein Jahr der Konsolidierung, weil die langfristige Stabilität, die — Herr Duve, Sie halten sich für einen großen Mann langfristige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen der Literatur, und ein großer Mann der Literatur wie Volkswirtschaft wichtiger ist, als auf Wählerstimmen Sie bedarf der mittleren Reife nicht. zu schielen. Letztlich bin ich davon überzeugt, daß die (Lachen bei der SPD) große Mehrheit der Deutschen für Stabilität und für eine langfristige Ausrichtung ihres Vaterlandes plä- Auch Böll hat nie darunter gelitten, daß er das Abitur diert. nicht bestanden hat. Insofern brauchen Sie sich diese (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Qualifikationen nicht zu leisten. Die können Sie sich sparen. Ich muß Ihnen auch noch einmal sagen — Graf Lambsdorff hat es Ihnen bereits gesagt —: Es ist doch Noch ein Wort zu den Stabilisatoren. Als ich im schlichtweg Demagogie, permanent zu behaupten, Haushaltsausschuß darlegte, es führe kein Weg daran wir würden den Spitzensteuersatz für die großen vorbei, daß konjunkturbedingte Mehrausgaben und Verdiener senken. Sie wissen genau: Wir senken den konjunkturbedingte Mindereinnahmen — jedenfalls Spitzensteuersatz nur für die Bezieher gewerblicher in einem kurzfristigen Zeitraum — durch eine Erhö- Einkünfte, und zwar nur deswegen, damit Kapital in hung der Nettokreditaufnahme ausgeglichen werden 13734 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Bundesminister Dr. Theodor Waigel müssen, haben Sie mir zugenickt. Jetzt tun Sie es Übrigens, die 100 bis 150 Milliarden DM sind doch wieder. Warum kritisieren Sie es dann? Illusion. Hier geistert perm anent eine Zahl durch die (Zustimmung bei der CDU/CSU) Welt, die nicht realistisch ist. Was wir mit Hilfe eines Spar- und Konsolidierungsge- (Detlev von Larcher [SPD]: Ihre Zahlen sind setzes tun müssen, ist, zu verhindern, daß sich diese auch nicht realistisch!) Defizite verfestigen. Sie dürfen nicht zu strukturellen Immerhin sind 12 000 Betriebsprüfer unterwegs und Defiziten werden. Das ist der Grund für diese notwen- versuchen, regelmäßig unter hohem Einsatz und mit digen und harten Einschnitte in allen Bereichen. ausgezeichneter, hoher Qualifikation das Bestmögli- che zu erreichen. Zu einer Zeit, wo wir eine -Vielzahl von Steuerbeamten auch zum Aufbau einer Steuer- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister, verwaltung in den jungen Bundesländern benötigen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten müssen wir uns in erster Linie anstrengen, die Steuer- Wieczorek? verwaltung überall passabel zu machen. Eines will ich allerdings auch sagen: Ich bin nicht zufrieden und nicht damit einverstanden, was ein Teil Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: der deutschen Banken und Geldinstitute beim Kapi- Natürlich. talexport nach Luxemburg getan hat. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Herr Minister, SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich Ihre Die Herrschaften erweisen sich damit keinen guten Haltung dahin gehend akzeptiere, daß Sie das, was Dienst. die Regierung falsch gemacht hat, notariell beglaubi- (Joachim Poß [SPD]: Das Geschäft ist aber gen müssen, und daß ich Ihnen nur hinsichtlich der möglich! — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: notariellen Beglaubigung zugestimmt habe? Sie haben ein solches Gesetz gemacht!) Ich bin sehr für das wichtige Vertrauensverhältnis, das Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: wir in Deutschland haben. Es darf jedoch nicht dazu Ich würde das nicht notariell beglaubigen, weil damit führen, daß man Kunden nicht nur gewähren läßt, Gebühren anfallen würden. sondern ihnen mitunter zurät. M anche Anzeige war hier nicht in Ordnung. (Heiterkeit) (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das Vielmehr vollziehen wir das, was sich in der interna- war verwerflich!) tionalen Konjunktur schon vor zwei Jahren und bei uns durch die deutsche Binnenwirkung der Wieder- Meine Damen und Herren, Sie werfen uns vor, daß vereinigung zwei Jahre später ergeben hat. Insofern wir Schulden machen. Ich stehe für jede Mark ein, die vollziehen — leider — auch wir, was in allen Ländern wir seit 1989 für die deutsche Einheit ausgegeben um uns herum geschieht. Wir bilden hier jedoch keine haben. Ich schäme mich nicht, für den Abzug sowje- Ausnahme. tischer Truppen aus Deutschland bezahlt zu haben. Ich schäme mich vor allem nicht, alles, was nötig und Der eine Unterschied zwischen unserer Regierungs- möglich war, für die deutsche Einheit auszugeben. zeit und der Ihren besteht darin, daß es zu Ihrer Zeit nicht zehn Jahre ununterbrochenen Aufschwung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge gegeben hat, während wir jetzt nach zehn Jahren ordneten der F.D.P.) ununterbrochenem Aufschwung mit einem Konjunk- 60 000 DM bis 80 000 DM haben wir in DDR-Zeiten turzyklus des Rückschlags rechnen und fertigwerden für die Freiheit jedes einzelnen Häftlings in Bautzen müssen. oder in anderen Gefängnissen ausgegeben. Für die- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. sen Preis konnten die Verfolgten des Kommunismus Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]) unter Zurücklassung ihrer Freunde, Verwandten und ihrer Habe nur ihr nacktes Leben retten. Was übrigens den Mißbrauch anbelangt, so muß seine Bekämpfung in allen Bereichen stattfinden. Was Dem stehen durchschnittlich 35 000 DM Schulden die Steuerhinterziehung anbelangt, bitte ich Sie wirk- für jeden Deutschen in den jungen Bundesländern lich, sich in erster Linie an die Adresse der Länder zu gegenüber. Wer dieses Opfer ablehnt und mit billigen wenden. Der Bund kümmert sich darum. Wir haben Schlagworten belegt, hat keine Ahnung von den die entsprechenden Arbeitsgruppen mit den Ländern. wirklichen deutschen Aufgaben und von einer Politik, Nur ist es Sache der Länder. Ich bitte Sie nun wirklich, die den Menschen dient. mit Ihren zahlreichen Finanzministerkollegen in den (Vorsitz: Vizepräsident Dieter-Julius Cro Ländern darüber zu sprechen. Sie könnten da ja ganz nenberg) beispielhaft vorangehen. Reden Sie doch einmal mit Herrn Schleußer! Der Mann versteht doch etwas 17 Millionen Menschen die Freiheit geben zu können davon. Warum hat er noch nicht mehr get an, obwohl ist den Preis wert, den wir im Augenblick in Deutsch- er es immer wieder von Ihnen hört? land bezahlen. (Joachim Poß [SPD]: In NRW sind die Ergeb (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nisse deutlich besser als in Baden-Württem Nun mußte natürlich der Vorwurf kommen wegen berg!) der Zahlen, wegen der Prognosen, wegen der Revi- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13735

Bundesminister Dr. Theodor Waigel sionen. Meine Damen und Herren. Wir haben uns zu getan. Das Föderale Konsolidierungsprogramm ist jedem Zeitpunkt an das gehalten, was der Inte rnatio- ein Teil der Zukunft. Es ist immerhin gelungen — ich nale Währungsfonds, die OECD, die Europäische erinnere mich noch an die langwierigen Auseinander- Wirtschaftsgemeinschaft, die Wirtschaftsforschungs- setzungen zwischen Bund und Ländern in den 50er institute, der Sachverständigenrat und die Bundes- und 60er Jahren —, in wenigen Monaten ein völlig bank gesagt haben. Wir haben nie etwas geschönt, wir neues Finanzausgleichssystem für eine neue Gemein- haben nie positivere Zahlen angenommen. Ich muß schaft von 16 Ländern mit drastisch abweichender mich doch an diesen Sachverstand halten. Wirtschaftskraft zu vereinbaren, Erblastschulden in Höhe von rund 400 Milliarden DM in einem Paket zu (Dr. [CDU/CSU]: Natür regulieren, das die vollständige Tilgung innerhalb - lich!) einer Genera tion vorsieht, und Länder sowie Gemein- Wenn dieser sich korrigiert, weil die inte rnationale den auf eine gemeinsame Konsolidierungslinie zu Konjunktur in ihrer Binnenwirkung auf uns zukommt, bringen, die trotz unterschiedlichster Interessen und tun auch wir dies. Ich mußte doch zunächst die ideologischer Positionen für 1995 immerhin ein zwei- Steuerschätzung vom November letzten Jahres und stelliges Einsparergebnis erbringt. Das, meine Damen muß jetzt die Steuerschätzung vom Mai zur Kenntnis und Herren, mußte bewäl tigt werden. nehmen und daraus die Konsequenzen ziehen. Wenn Nun erleben wir zur Zeit die schärfste Konjunktur- wir kritisieren, dann müssen wir alle kritisieren, auch krise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. die Institute, die Bundesbank und alle, die uns mit Ob das reale Bruttosozialprodukt um 1,5 % oder um ihren volkswirtschaftlichen Abteilungen die Zahlen 2 % abnimmt, ist dabei nicht entscheidend. Entschei- geliefert haben. dend ist vielmehr: Alle Planungen und Erwartungen Wir haben nie geschönt, wir haben nie jemanden auf der Basis eines ständig steigenden Wohlstands angelogen, müssen revidiert werden. Wir müssen in dem Zwei- (Widerspruch bei der SPD) jahreszeitraum 1993/94 fast 1 Million zusätzliche Arbeitslose sozial und finanziell verkraften. Wir müs- sondern wir haben diese Zahlen dem entnommen, sen den Aufbau Ost auch bei wesentlich schwächerer was jedem in Deutschland an Material zur Verfügung Wirtschaftsbasis im Westen vorantreiben. steht. Diese Konjunkturschwäche hat die Voraussetzun- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — gen für die Haushaltsplanung entgegen der Erwar- Detlev von Larcher [SPD]: Wie war das mit tung aller Experten im letzten Jahr völlig verändert. der Steuerlüge?) Jetzt sind bei scharfer Rezession hohe Steuerausfälle Meine Damen und Herren, das Föderale Konsoli- — 1993 allein für den Bund 6,5 Milliarden DM — und dierungsprogramm, der Nachtragshaushalt 1993 und ein Defizit bei der Bundesanstalt für Arbeit von fast das Standortsicherungsgesetz werden heute im Bun- 20 Millionen DM zu verkraften. destag und morgen im Bundesrat beraten. Wir haben Rund 25 Milliarden DM beträgt der nega tive Kon- bei den Finanzausgleichs- und Konsolidierungsver- junktureffekt im Bundeshaushalt allein in diesem einbarungen mit den Ländern alles unternommen, um ' Jahr. Auch für 1994 ist selbst bei verbesserten Wirt- Zeit zu gewinnen und eine rasche Lösung zu errei- schaftsdaten keine automatische Entlastung zu erwar- chen. ten. Im Gegenteil: Wenn wir jetzt nicht handeln, wird Herr Kollege Schulz, auch ich hätte lieber von den sich die Finanzsituation eher noch verschlechtern. Westländern mehr bekommen; das dürfen Sie mir Die dritte entscheidende Realität lautet: Deutsch- glauben. Nur, vor die Frage gestellt, ob wir einen lands internationales Stabilitätsansehen darf nicht in endlosen Verteilungskampf über Monate hinweg füh- Gefahr geraten. ren und ihn vielleicht nicht einmal vor der Sommer- pause beenden, mit der ganzen Unsicherheit für die (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ist östlichen Länder, mit der Unsicherheit für die Investo- schon!) ren, mit der Unsicherheit in der Welt, ob wir das Wenn wir auf einer von der Weltwirtschaft abge- Problem lösen, haben wir uns dafür entschieden, den schirmten Insel lebten, könnten die überhöhten Lohn- Preis zu zahlen, der für den Bund sehr hoch ist. Ich abschlüsse und die mangelnde Verzichtsbereitschaft ander hätten hätte mir gewünscht, die westlichen L der letzten Jahre zu jedem späteren Zeitpunkt noch sich stärker daran beteiligt. Aber es wäre nicht mehr korrigiert werden. Aber wenn Deutschland seinen vertretbar gewesen, dies Monate oder gar Jahre zu Ausnahmestatus als Stabilitätsland verliert, sind verzögern. negative gesamtwirtschaftliche und monetäre Konse- Wir mußten es jetzt tun, Herr Schulz, denn im quenzen fast zwangsläufig. nächsten Jahr, einem Jahr mit vielen Wahlen, wäre Vielleicht ist es eine unausweichliche Pflichtübung das nicht mehr möglich gewesen. Es auf den 1. Januar der Opposition, in einer solchen ernsten Lage alle 1995 oder auf die Zeit nach den Wahlen zu verschie- Probleme und angeblichen Versäumnisse der Regie- ben, wäre ein Armutszeugnis deutscher Politik gewe- rung zuzuschieben und zu versuchen, daraus politi- sen. sches Kapital zu schlagen. Aber ich halte es für (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) beschämend, wenn Sie bei Kenntnis der Entwicklung Aber wir sollten nicht mehr über die Vergangenheit seit 1989, der internationalen Konjunkturzusammen- sprechen, sondern wir müssen über die Zukunft hänge und des mühsamen Anpassungsprozesses in reden. Das hat ja auch Graf Lambsdorff in seiner Rede allen Teilen unserer Gesellschaft Ihre Kritik auf billige 13736 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Schlagworte vom angeblich größten Schuldenma- Wir haben nur drei Möglichkeiten: jenseits der chen und ähnliche Kategorien reduzieren. Konjunktureffekte noch mehr Schulden aufzuneh- men, die Steuer- und Abgabenlast noch weiter über (Detlev von Larcher [SPD]: Ist das nicht das bereits erreichte Nachkriegsrekordniveau anzu- wahr?) heben oder drastisch in staatliche Leistungen hinein- Meine Damen und Herren, Sie reden von drasti- zuschneiden, noch weit drastischer, als das bisher schen Einsparungen und umfassenden Ausgabenkür- einvernehmlich im Konsolidierungsprogramm verein- zungen in allen Bereichen, und gleichzei tig schwär- bart wurde. men Ihre Parteifreunde durchs Land und stellen eine Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben - Forderung neben die andere. keinen Grund, das zu kritisieren; denn genau das hat (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ihnen ohne Wiedervereinigung Ihr damaliger Kanzler Helmut Schmidt 1982 ins Stammbuch geschrieben. Kein Geringerer als der frühere und vielleicht künf- Damals haben Sie sich daran nicht gehalten. Darum tige SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine füllt fast war es notwendig, eine völlige Wende der Finanzpoli- täglich die Schlagzeilen mit zusätzlichen Ausgaben- tik herbeizuführen. forderungen. „Lafontaine fordert von Bonn weitere Bundeshilfen für Saarstahl" lautet z. B. eine Schlag- (Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Richtig! — zeile im „Handelsblatt" vom 21. Mai 1993. Die Ernst Waltemathe [SPD]: Jetzt auch!) „Frankfurter Rundschau" überschrieb am 15. Mai Heute stehen wir vor der Situa tion, daß wir — was 1993 ein Interview mit Oskar Lafontaine wie folgt: damals nicht notwendig war — 5 % des Bruttosozial- „Mit dem Bundeskanzler muß über Geld geredet produkts für den Aufbau im Osten verwenden müs- werden." Gemeint war hier der Bildungsgipfel, der sen. Das fordert nun die Konsequenzen in der Finanz- sich nach Auffassung Lafontaines hauptsächlich mit wirtschaft und damit noch mehr Einsparungen und der Bereitstellung von Bundesmitteln befassen soll. Konsolidierungen. Herr Ministerpräsident Eichel, ich will Ihnen in a ller (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Klarheit sagen: Wir haben jetzt mit dem Finanzaus- Detlev von Larcher [SPD]: Das wollten Sie gleich die Finanzausstattung in Ost und West so doch aus der Portokasse bezahlen! — Anke dargestellt, daß weitere Schattennebenhaushalte bei Fuchs [Köln] [SPD]: „Keinem wird es schlech Bildung oder bei Verkehr mit uns nicht mehr stattfin- ter gehen, allen wird es bessergehen!") den werden. Mit der ersten Möglichkeit — mehr Schulden — (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) würden wir die Glaubwürdigkeit Deutschlands als Stabilitätsland in Frage stellen. Die Steuerschraube Dabei gibt es durchaus in der SPD einige, die zur wird schon sehr bald nichts mehr bringen; denn wenn Finanzpolitik etwas zu sagen hätten. Ich meine z. B. das Wachstum im Ergebnis ausbleibt, gewinnen wir den Kollegen Walther, der vor wenigen Wochen völlig keine einzige Mark für die öffentlichen Kassen. zutreffend festgestellt hat: Gerade die letzte Steuerschätzung zeigt, wie Die Neuverschuldung ist unvermeidbar. Es gibt schnell bei schwacher Wirtschaftsentwicklung vorhe- keinen Spielraum mehr im Haushalt 1993. Der rige Steuererhöhungen wieder verloren sind. So ent- größte Teil des Etats ist durch Leistungsgesetze spricht 1995 der geschätzte Steuerausfall von 56 Mil- und Personalkosten festgelegt. liarden DM dem Doppelten des Gesamtbetrages, der So in einem Gespräch mit der „Augsburger Allgemei- für 1995 aus dem Solidarbeitrag erwartet wird. Wenn nen", abgedruckt am 6. Mai 1993. wir uns jetzt nicht auf die Ausgabenseite konzentrie- ren, werden wir zu kurz springen. (Claus Jäger [CDU/CSU]: Hört! Hört! — (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Wer liest denn die?) Wir haben im Bundeshaushalt seit 1990 schon ein Entlastungsvolumen von über 60 Milliarden DM ver- — Graf Lambsdorff, Sie sollten wissen, daß die „Augs- anschlagt. Das FKP-Gesetz bringt für den Bund, burger Allgemeine" schon bei Mark Twain ihre bezogen auf 1995, weitere Verbesserungen von fast Erwähnung gefunden hat, und Sie sollten wissen, daß 10 Milliarden DM. auch die Provinz ihre Wichtigkeit hat. Sie haben sich in Ihrem Leben auch nicht nur in Metropolen aufge- Auch im Nachtragshaushalt 1993, über den wir halten. heute ebenfalls beraten, sind Einsparungen von 5,5 Milliarden enthalten. Damit wird im wesentlichen (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und ausgeglichen, was der Nachtragshaushalt an zusätzli- der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD chen Mitteln für die neuen Bundesländer enthält. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber all das reicht an Einsparungen angesichts des Ich lade Sie einmal nach Oberrohr ein. Aber da aktuellen Konjunktureinbruchs bei weitem noch nicht müssen Sie ein paar Aufsichtsratssitze abgeben, sonst aus. Alle Kürzungsvorschläge, die ich bei der Vorbe- schaffen Sie das zeitlich nicht. reitung des Föderalen Konsolidierungsprogramms bereits gemacht hatte, liegen jetzt wieder auf dem (Heiterkeit) Tisch. Ich warne jeden, diese Sparvorschläge von — Meine Damen und Herren, wir müssen zum Ernst vornherein zu verteufeln. Ich sehe jetzt schon die zurückkommen, sonst kommt noch jemand nach Überschriften und lese sie: „Sozialer Kahlschlag", „Es Oberrohr. trifft uns alle", „Axt an den Sozialstaat" und wie die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. BonnDonnerstag, den 27. Mai 1993 13737

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Vokabeln alle heißen. Nur, von sozialem Kahlschlag spruchnahme der Kapitalmärkte wieder abzubauen. kann angesichts des im internationalen Vergleich Darüber hinaus müssen wir alle strukturellen Wachs- unverändert vorbildlichen deutschen Sozialsystems tumshemmnisse beseitigen. Standortsicherungsge- keine Rede sein. setz, Börsenreform, Privatisierung in Ost und West und die ersten Elemente der Tarifflexibilisierung bei (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge den jüngsten ostdeutschen Metallabschlüssen sind ordneten der F.D.P.) erste Schritte, um jenseits der klassischen, in weiten Jeder abgewehrte Sparvorschlag — ob von der Teilen auch überholten Fiskalsteuerung Wachstums- Opposition, von den Ländern oder in den eigenen reserven zu mobilisieren. Reihen —, jeder angebliche Sieg über den Finanzmi- - nister wäre ein Pyrrhussieg, der für den scheinbaren Mit dieser wirtschafts- und finanzpolitischen Strate- Gewinner, aber leider auch für uns alle zur bitteren gie entsprechen wir genau den internationalen Emp- Niederlage würde. fehlungen und Verabredungen. Beim G-7-Treffen in Tokio, bei der IWF-Frühjahrstagung in Washington (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) und bei den Beratungen über die europäischen Meine Damen und Herren, das Spektrum der Maß- Wachstumsinitiativen im Ecofin-Rat waren sich alle nahmen ist schnell umrissen. Wir brauchen nur zu Beteiligten über die zentralen Aufgabenstellungen registrieren, was fast alle Industrieländer um uns einig. Wir müssen trotz oder gerade wegen der Wirt- herum, unabhängig von der politischen Richtung der schaftsschwäche die staatlichen Defizite mittelfristig Regierungsparteien, bereits in den letzten Jahren an senken und über niedrigere Zinsen das knappe Spar- drastischen Einsparungsmaßnahmen in Ang riff ge- kapital in die weltweit zu niedrigen Investitionen nommen haben oder jetzt konkret planen. Die USA, lenken. Nur so und durch die Bewältigung interna tio- Frankreich, Kanada und die Niederlande haben Null- nal fast identischer Strukturprobleme — wie verkru- runden für den öffentlichen Dienst beschlossen, stete Arbeitsmärkte, ausufernde Gesundheitskosten Kanada sogar für zwei Jahre. In Italien, Frankreich und Überalterung — kann eine langanhaltende und den USA soll die Krankenversicherung vor allem Wachstumskrise vermieden werden. durch eine umfassende Selbstbeteiligung der Patien- Für die Entscheidungen zum Bundeshaushalt 1994 ten saniert werden. gelten die folgenden Voraussetzungen und Maßga- (Claus Jäger [CDU/CSU]: Hört! Hört!) ben. Neue Leistungstatbestände kommen grundsätz- lich überhaupt nicht mehr in Betracht. Wo unabding- In Kanada wird die Arbeitslosenunterstützung von 60 barer Handlungsbedarf besteht, muß ein Ausgleich auf 57 % des zuletzt gezahlten Gehalts abgesenkt. In durch gleich hohe Ausgabenkürzungen erfolgen. Holland soll der Sozialhilfesatz für Jugendliche unter Diese Moratoriumsregelung gilt unbefristet. 27 Jahren um 20 % gesenkt werden. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Und Sie wollen Wir werden gesetzliche Leistungen im Rahmen alles auf einmal!?) eines Spar- und Konsolidierungsgesetzes kürzen. Das gilt auch für Bereiche, die bisher als Tabu angesehen — Übrigens ein fabelhafter Finanzminister, Wim Kok. wurden. Das Einsparvolumen muß ausreichen, um Ich nehme an, Sie kennen ihn: Sozialdemokrat und einen Anstieg der Neuverschuldung für 1994 gegen- früherer Gewerkschaftsführer. Ich wollte, Frau Fuchs, über 1993 zu verhindern. Grob gerechnet sind das Sie hätten in den letzten Jahren so viel dazugelernt allein beim Bund etwa 20 Milliarden DM. wie der Kollege Wim Kok. Das Ausgabenwachstum im staatlichen Bereich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) — also nicht nur beim Bund, sondern auch bei Ländern Auch unser Nachbar Frankreich macht uns vor, was und Gemeinden — darf allenfalls halb so hoch sein wie zu tun ist. Dort wurden am 10. Mai ein drastisches die verringerte mittelfristige Wachstumsrate von Sparprogramm und zugleich ein Maßnahmepaket zur nominal rund 5,5 %. Nur so kann in der zweiten Hälfte Wiederbelebung der Wirtschaft vorgelegt. Insgesamt der 90er Jahre die Steuer- und Abgabenquote wieder steht ein Entlastungsvolumen von rund 25 Milliarden auf einen interna tional durchschnittlichen Wert DM zur Diskussion. gesenkt werden. Auch bei uns wird jetzt jeder gezwungen, Farbe zu Verteilungsgerechtigkeit darf bei den Sparent- bekennen. Jeder, der die notwendigen Kürzungen scheidungen nicht länger allein an der Einkommens- verweigert, wird sich klar zu den negativen Folgen für höhe der Beschäftigten anknüpfen. Es geht vor allem Staat und Wirtschaft bekennen müssen, die sich aus auch um die Gerechtigkeit zwischen den Beschäftig- der Ablehnung zwangsläufig ergeben. ten und den Nichtbeschäftigten. Wir werden massiv (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!) an alle Bereiche des Bundeshaushalts herangehen. Konsolidierung ist das zur Zeit einzig mögliche Kon- Grundsätzliches Ziel für den Personalhaushalt ist junkturprogramm. Wir werden das Wachstum nicht Nullwachstum. Unser Ziel ist es, alle sachlichen Ver- durch falsch terminierte Sparaktionen in Frage stel- waltungsausgaben und -zuschüsse gegenüber 1993 len. Damit geht auch die Totsparargumentation ins zurückzufahren. Leere. Vor dem Hintergrund der Sparzwänge ist darüber Aber weitaus wichtiger als irgendwelche mechani- hinaus auch der zeitliche Ablauf des Berlin-Umzugs schen Konjunkturimpulse ist der erwiesene und — der Kollege Schäuble hat darauf vor einiger Zeit zu bewiesene Wille, die Staatsausgaben zurückzufüh- Recht verwiesen — zu diskutieren. Und — meine ren, die Abgabenlast zu begrenzen und die Inan Damen und Herren, ich sage das nur für mich, 13738 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Bundesminister Dr. Theodor Waigel unabgestimmt mit dem Kabinett — auch Ministerge- Ich weiß, unsere Vorschläge werden nirgendwo hälter dürfen kein Tabu sein. Begeisterung auslösen. Unser größter Erfolg wäre es, wenn endlich überall der Ernst der Lage wahrhaftig (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — begriffen wird. Zuruf von der SPD: Die haben aber sehr erschrocken geguckt!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) — Zum Teil ist das Lachen auf der Regierungsbank, das etwas gefroren war, schon wieder aufgelockert. Im Herbst 1982, also vor gut zehn Jahren, hat die Wir müssen jedenfalls mit gutem Beispiel vorange- damals neue Bundesregierung ihr wirtschafts- und hen. Wer sonst? finanzpolitisches Konzept unter die Überschrift- gestellt: „Jäten und säen". Diese Überschrift gilt heute Der Abbau der Finanzhilfen und Steuervergünsti- unverändert. Wir müssen nicht nur Wachstumsbarrie- gungen muß trotz der immer wieder enttäuschend ren von gestern wegräumen, die Staatsfinanzen auf verlaufenden Diskussionen unbedingt weitergehen. Dauer sichern und Stabilität schützen, wir müssen Ich erwarte jetzt endlich auch einen konstruktiven zugleich den Keim für das Wachstum von morgen Beitrag der Opposition zu diesem Thema. Außer legen, ohne das alle unsere Anstrengungen vergeb- pauschalen Vorwürfen zum angeblich mangelnden lich wären. Subventionsabbau habe ich von Ihnen dazu nichts Konkretes gehört. (Detlev von Larcher [SPD]: Schöne Worte!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Föderales Konsolidierungsprogramm, Nachtrags- Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Aber haushalt 1993 und Solidarpakt stehen deshalb heute die Ablehnung jeder Sparvorschläge! — zu Recht gemeinsam zur Diskussion und Entschei- Rudolf Dreßler [SPD]: Reden Sie doch nicht dung. Für mich gehört die Verabschiedung des Stand- so einen Stuß!) ortsicherungsgesetzes zur Geschäftsgrundlage des FKP-Kompromisses. Die von den Ländern geforderte Die großen Subventionsbereiche — Kohle, Land- hohe Steuerkomponente in den Vereinbarungen ist wirtschaft und Werften — müssen erneut einen Bei- überhaupt nur unter der Voraussetzung auch einer trag leisten. Neue Subventionstatbestände darf es parallelen Steuerentlastung für bet riebliche Investo- nicht geben, auch nicht in Ostdeutschland. Mitnah- ren zustande gekommen. meeffekte sind zu vermeiden. Die Prinzipien der Degressivität und Befristung sind strikt anzuwen- Meine Damen und Herren, ich habe vorher schon den. gesagt, was der Vorstandsvorsitzende eines bedeu- tenden deutschen Werkes zum Ausdruck gebracht Wir müssen den Sozialstaat an die neuen Vertei- hat: „Wir sind gezwungen, unsere betriebswirtschaft- lungsstrukturen zwischen Ost und West und das lichen Probleme zu Lasten der deutschen Volkswirt- geringere Durchschnittseinkommen in Deutschland schaft zu lösen." Im Klartext heißt das: Deutsche anpassen. Im Vergleich zur Situation vor der Wieder- Betriebe müssen zumindest Teile ihrer Produktion ins pro Kopf vereinigung liegt das Volkseinkommen Ausland verlagern, um trotz der hohen Kosten und heute um 15 % niedriger als 1990. Daran muß sich Steuerbelastungen bei uns überhaupt noch wettbe- auch die staatliche Vorsorge in Struktur und Umfang werbsfähig zu bleiben. Bei der internationalen Vertei- anpassen. lung von Auslandsinvestitionen geht Deutschland Staatliche Transfers sind deshalb entweder zu strei- ohnehin schon fast leer aus. chen oder strikt an Einkommensgrenzen zu binden. Unser entgegen anderslautenden Behauptungen Das gilt bis hinein in den Familienlastenausgleich. Die aufkommensneutrales steuerliches Standortsiche- wirtschaftlich leistungsfähigeren Bevölkerungsgrup- rungsgesetz ist angesichts der finanziellen Engpässe pen müssen darüber hinaus zur Mitfinanzierung des die einzige Möglichkeit, überhaupt noch im interna- von ihnen genutzten staatlichen Leistungsangebots tionalen Standortwettbewerb mitzuhalten. Wir haben herangezogen werden. deshalb alles unternommen, um auch der Bundesrats- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was heißt das mehrheit die Zustimmung zu erleichtern. denn?) Durch die Absenkung der Spitzensteuersätze und Mittelfristig gelten für die Anpassung unserer sozia- die Mittelstandskomponente werden alle Betriebe len Sicherungssysteme darüber hinaus die folgenden gleichmäßig an der steuerlichen Entlastung beteiligt. Grundsätze. Der Mißbrauch der staatlichen Leistun- Mit der eigenkapitalschonenden Ansparabschrei- gen muß verhindert werden, wo immer das mit ver- bung und den Erleichterungen bei der Erbschaftsteu- tretbarem Aufwand möglich ist. er unterstreichen wir die Bedeutung gerade der klei- nen und mittleren Handwerks-, Handels- und Indu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge strieunternehmen für den Wiederaufschwung unserer ordneten der F.D.P.) Volkswirtschaft. Ich bin sehr froh, daß sich Norbert Blüm dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Aufgabe jetzt so intensiv annimmt. Zuruf von der SPD: Das sehen die aber (Zuruf von der F.D.P.: Endlich!) anders!) Die Kumulation von Leistungen ist zu vermeiden, und Für die ostdeutschen Bundesländer ergeben sich die Zielgenauigkeit von Leistungen muß, z. B. durch durch die Verlängerung der Sonderabschreibungen einen Umbau von der Objekt- zur Subjektförderung, und die Aussetzung der Gewerbekapital- und Vermö- deutlich erhöht werden. gensteuer auch in Zukunft besondere Vorteile. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13739

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Ich bin den Spitzenverbänden der gewerblichen selbst. Der Bedrohung durch übermächtige Nachbarn, Wirtschaft für die Unterstützung unseres steuerpoliti- der Erschöpfung von Rohstoffvorkommen, der Verla- schen Konzepts dankbar. gerung der Weltwirtschaftsströme oder dem Schicksal von Naturkatastrophen kann sich niemand entziehen. Diejenigen, die aus dem Unternehmensbereich Ein- Aber die Aufhebung der über 40 Jahre dauernden zelkritik, z. B. an den Gegenfinanzierungsmaßah- Teilung Deutschlands ist kein Ereignis dieser Katego- men, üben, möchte ich eindringlich warnen. Der Weg, den wir eingeschlagen haben, ist der zur Zeit einzig rie. gangbare, um den Standort Deutschland von der Noch ist es nicht fünf nach zwölf. Es geht um die steuerlichen Seite her zu entlasten. Wenn dieser Finanz- und Steuerpolitik, aber es geht darüber hin- Anlauf gestoppt wird, ist auf absehbare Zeit kein aus um ein völlig neues Denken und Handeln aller Alternativkonzept mehr vorstellbar. Deutschen. Diese Neuorientierung wird sich nicht- am heutigen Tag und auch nicht in den kommenden Liebe Kolleginnen und Kollegen, vom sicheren Monaten abschließend vollziehen, aber sie muß vor- Redaktionsschreibtisch und aus ruhigen Oppositions- ankommen. Sie muß vorankommen in der öffentli- stuben hat man uns immer wieder aufgefordert, end- chen Diskussion und in den konkreten Entscheidun- lich wie Winston Churchill am Anfang des Zweiten gen, die wir jetzt und bald in der Wirtschafts- und Weltkrieges über „Blut, Schweiß und Tränen" zu Finanzpolitik vollziehen. reden. Ich habe bewußt diese Formulierung nicht benutzt und das auch wiederholt begründet; denn die Meine Damen und Herren, ich bin darauf einge- Wiedervereinigung hat mit Krieg nichts gemeinsam. stellt, für diese Neuorientierung zu kämpfen. Ich baue Auch müssen wir unser Blut und unser Leben nicht dabei auf die Unterstützung der Bundesregierung, der opfern, Gott sei D ank. Im Gegenteil, im November Koalition und auch der demokratischen Opposition. 1989 konnten sich Verwandte und Freunde wieder in Wir werden politische Führung durch Taten und den Arm nehmen, und ganz Deutschland ist durch die Entscheidungen unter Beweis stellen. Wiedervereinigung zu neuem Leben erwacht. Aber (Detlev von Larcher [SPD]: Wie bisher!) wir werden unseren Preis für die Einheit zahlen Nur so können die Bürger von der Gestaltbarkeit der müssen. Ohne Schweiß wird es nicht abgehen. Zukunft überzeugt werden. Glaubwürdigkeit beginnt (Zuruf von der SPD: Das hätten Sie schon mit dem Aussprechen dessen, was notwendig und früher sagen sollen!) unvermeidbar ist. Deshalb wird es im Wahljahr 1994 — Das haben wir auch früher gesagt. keinen Haushalt der Versprechen geben, es sei denn des einen Versprechens: Es gibt nichts zu verteilen. (Zurufe von der SPD: Nein!) Nur indem wir jetzt verzichten, handeln wir für die Daran habe ich seit 1990 trotz aller wahrheitswidrigen Zukunft, die uns anvertraut ist. Das ist das ungeschrie- Propaganda und falschen Behauptungen, die auch bene Gesetz der Gegenwart, dem wir uns uneinge- heute wieder aufgestellt wurden und die auch in Ihren schränkt unterwerfen. Zwischenrufen zum Ausdruck kommen, nachweislich Ich danke Ihnen. keinerlei Zweifel gelassen. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU) der F.D.P.) Meine Damen und Herren, nach dem jüngsten OECD-Vergleich der großn Industrieländer liegen wir beim Wachstum am schlechtesten und bei der Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zu einer Stabilität im Schlußbereich. Nur die Arbeitslosigkeit Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten ist bei uns geringer als im Durchschnitt der Haschke das Wort. G-7-Länder. Unsere innere Reformkraft läßt zu wün- schen übrig. Erst allmählich begreifen die gesell- schaftlichen Gruppen und Interessenverbände den Udo Haschke (Jena) (CDU/CSU): Herr Präsident! Ernst der Lage. Aus internationaler Sicht erscheint Ich war wirklich irritiert, daß Kollege Wieczorek Deutschland, um es mit aller Härte zu sagen, als Sorgen hatte, daß er als langgedienter Parlamentarier übersättigt. Das ehemalige Wirtschaftswunderland, mit vier Sternchen im „Kürschner" von mir als Seiten- der Klassenprimus und das auch selbsternannte Vor- einsteiger aus dem Redefluß gebracht werden könnte. bild muß sich anstrengen. Denn von unserem Anse- Als ich dann versuchte, diesem Fluß zu folgen, merkte hen hängt unsere Rolle in Europa und in der Weltwirt- ich natürlich auch, was der Grund war: Da war nicht schaft und damit unser Wohlstand entscheidend ab. viel Fluß, da war mehr stehendes, abgestandenes Die Koordinaten von Staat und Wirtschaft, unser Gewässer. soziales Sicherungssystem, die Strukturen am Ar- (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr wahr! — Ein beitsmarkt und die Priorität der gesellschaftlichen Rinnsal!) Aufgaben entsprechen nicht mehr den Anforderun- gen der Gegenwart. Zuviel ist bei uns noch von Eigentlich wollte ich Sie fragen, was ein so kleines gestern, zuwenig ist auf die Zukunft gerichtet. Land wie mein Bundesland Thüringen machen könnte, um zu vermeiden, daß es in eine ähnliche (Detlev von Larcher [SPD]: Auch die Bundes Situation wie das Saarland kommt. Das steht ja heute regierung ist von gestern! — Anke Fuchs auch irgendwo im FKP mit zur Debatte. Aber es ist gut, [Köln] [SPD]: Weiter so, Deutschland!) daß ich diese Frage nicht an Sie gerichtet habe; denn Über das Schicksal der Völker entscheiden die der Bundesfinanzminister, Sie, lieber Kollege Theo historischen Bedingungen, aber auch die Völker Waigel, haben das für mich exzellent mit dem Hinweis 13740 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Udo Haschke (Jena) auf den dort lebenden gescheiterten Kanzlerkandida- Wirtschaftspoli tik der Bundesregierung katastrophale ten beantwortet. Ich danke Ihnen für diese Antwort. Ergebnisse zeitige. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zuruf von der SPD: Das war ein Blockflöten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ton!) Die dritte Bemerkung, die ich machen wi ll, gilt dem Bundesfinanzminister. Herr Waigel, ich muß Ihnen sagen, es ist von Ihrer Seite schon eine gehörige Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- geordneter Wieczorek, wollen Sie antworten? — Nein. Portion Mut aufzubringen, wenn Sie vor dem Deut- schen Bundestag den in der CSU gerade noch recht- Dann erteile ich dem Abgeordneten Rudolf Dreßler - das Wort . zeitig vor dieser Debatte beendeten Führungsstreit, der, wie Sie wissen, gegen Sie ausgegangen ist, verschweigen und gegen die SPD zu Felde ziehen. Rudolf Dreßler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Ich räume ein, daß die deutsche Sozialdemokratie und Herren! Ich gestatte mir, bevor ich mich mit dem zur Zeit nicht in bester Kondition ist. Gesetzentwurf auseinandersetze, vier Vorbemerkun- (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf von gen. der CDU/CSU: Das ist eine Untertreibung!) (Zuruf von der CDU/CSU: So viele?) Zunächst will ich mich dabei mit dem Abgeordneten Das ist wohl wahr. Ich bin der letzte, der sich hier Graf Lambsdorff beschäftigen. hinstellen und das ignorieren würde. Aber ein CSU- Vorsitzender, der durch die CSU in Bayern so abge- (Zurufe von der SPD: Lohnt das noch? — Eine meiert worden ist, unendliche Geschichte!) (Zuruf von der SPD: Angeschlagen!) Graf Lambsdorff, nicht nur ich, sondern sicherlich viele Mitglieder dieses Hauses verfolgen Ihre Reden der sich hier hinstellt und ausgerechnet auf die partiell mit Genuß, denn das, was man in der Rhetorik deutsche Sozialdemokratie herabblickt, „Eloquenz" nennt, ist Ihnen in jedem Fall zuzugeste- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Gibt's die hen. noch?) Nun hat Graf Lambsdorff — um nicht mehr auf seine Eloquenz, sondern auf die Inhalte seiner Rede einzu- der sollte sich an und für sich schämen. gehen — hier heute morgen zwei bemerkenswerte (Beifall bei der SPD) Feststellungen gemacht. Die erste Feststellung war, Ich hätte das, Herr Waigel, jedenfalls nicht gesagt. daß die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung kata- Aber da Sie damit angefangen haben, habe auch ich strophale Ergebnisse zeitige. natürlich zur Kenntnis genommen, daß die CSU in (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Bayern meint, Sie dürften Bundesfinanzminister blei- Sehr richtig! — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Da ben, weil die CSU in Bayern mit Ihrer finanzpoliti- hat er recht gehabt!) schen Erblast wohl nichts zu tun haben möchte. Ich finde, das sollten wir festhalten; denn schließlich (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Genau! — Zuruf trägt Graf Lambsdorff diese Koalition. Im weiteren von der CDU/CSU: Quatsch! — Dr. Jürgen Verlauf seiner Rede wurde er dann gefragt, ob er sich Rüttgers [CDU/CSU]: Sie waren auch schon erinnere, daß über weit mehr als ein Jahrzehnt seine mal viel witziger!) Partei, die F.D.P., den Wirtschaftsminister stelle. Herr Waigel, Sie sind — wie wir erlebt haben — kein (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Alles diese Män Finanzkünstler, aber Sie haben sich wieder einmal als ner!) Verdrängungskünstler erwiesen. Deshalb will ich Sie Er hat darauf geantwortet, wenn das nicht der Fall noch einmal daran erinnern: Kein Sozialdemokrat, wäre, müßte man sich einmal vorstellen, was dann mit auch keine Sozialdemokratin hat im Bundestagswahl- der Wirtschaftspolitik passierte. kampf 1990 der westdeutschen und der ostdeutschen Graf Lambsdorff, es ist wohl so — das sollten Sie Bevölkerung erzählt, daß das, was vor diesem Staat dann auch einmal zugestehen —, daß das Versagen steht, gewissermaßen aus der Portokasse zu finanzie- der Bundesregierung in der Wi rtschaftspolitik nicht ren sei. zuletzt Ihre Partei, die F.D.P., nach einer über zehn- (Beifall bei der SPD) jährigen Verantwortung voll in Haftung nimmt. Kein Sozialdemokrat, keine Sozialdemokratin hat den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Menschen suggeriert oder wörtlich gesagt: Wenn ihr des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) uns wählt, wird es keinem schlechter gehen, aber vielen wird es besser gehen; Zweitens. Bemerkenswert, meine Damen und Her- ren, fand ich auch die zweite, mehr oder weniger (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Konntet ihr direkte Feststellung, die Graf Lambsdorff zugegebe- ja auch nicht, weil ihr gegen die Einheit nermaßen in eine Fragestellung kleidete, als er näm- wart!) lich die fragte, ob sie denn überhaupt CDU/CSU sondern die deutsche Sozialdemokratie hat den Mut Wirtschaftspolitiker habe. Ich nehme an, Graf Lambs- aufgebracht, der deutschen Bevölkerung zu sagen: Es dorff, daß Sie wie ich der Meinung sind, die CDU/CSU geht nicht ohne Mehreinnahmen. hat sie nicht. Damit bin ich wieder bei Ihrer Feststel- lung — mit der ich übereinstimme —, nämlich daß die (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13741

Rudolf Dreßler Die vierte Vorbemerkung ist: Herr Waigel, es war, Wenn Sie mit der Antwort im Rahmen bleiben, signa- glaube ich, unter Ihrem sonstigen Niveau, der SPD lisiere ich Ihnen, wann die Redezeit wieder zu laufen hier vorzuwerfen, sie habe keine Vorschläge zum beginnt. Subventionsabbau gemacht. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist aber wahr!) (SPD): Es geht um ein Subventions- Herr Waigel, ist es denn mittlerweile so schlimm mit Rudolf Dreßler Ihrer Verdrängungskunst, daß Sie sich noch nicht abbauprogramm von 10,8 Milliarden DM, das wir eingebracht haben. Herr Glos möchte es gerne wis- einmal daran erinnern, daß während einer dreitägi- sen. Ich will nur bemerken, daß auch Herr Glos im gen Beratung im Bundeskanzleramt in Ihrer Gegen- - wart die Ministerpräsidenten der SPD-geführten Län- NATO-Saal des Bundeskanzleramtes gesessen hat. der und die SPD-Bundestagsfraktion Ihnen ein Sub- (Zuruf von der SPD: Was?) ventionsabbaupaket in Höhe von 10,8 Milliarden DM Er hat alles miterlebt; aber auch sein Verdrängungs- vorgeschlagen haben, von dem Sie aber nicht einen mechanismus ist wirklich total. Punkt übernommen haben, weil die Inhalte unseres Abbaukonzepts soziale Symmetrie bedeutet hätten? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Ich zitiere aus dem Programm: Die Sozialdemokra- Das heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz, ten haben im Bereich des steuerlichen Subventions- folgt man seinem Titel, hat vier Aufgaben zu erfüllen: abbaus folgende Maßnahmen vorgeschlagen: erstens die Bewältigung der finanziellen Erblasten im Erstens. Rückgängigmachung der Steuerbilanz- Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit werte bei der Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer, Deutschlands, zweitens die langfristige Sicherung des d. h. Abbau einer Unternehmensvergünstigung in Aufbaus in den neuen Ländern, drittens die Neuord- Höhe von 1,82 Milliarden DM. nung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und viertens die Entlastung der öffentlichen Haushalte — (Zustimmung bei der SPD) ein, wie ich zugebe, ambitioniertes Programm, gleich- Zweitens. Reduzierung des Freibetrages bei der wohl unabweisbar notwendig in allen seinen vier Vermögensteuer von 500 000 DM auf 120 000 DM, Zielen. d. h. Abbau einer Unternehmensbegünstigung, Volu men: 265 Millionen DM. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Sind Sie, (Zuruf von der CDU/CSU: Steuererhöhun bevor Sie darauf eingehen, bereit, eine Zwischenfrage gen!) des Abgeordneten Glos zu beantworten? Drittens. Abschaffung des Bewertungsabschlags beim Betriebsvermögen von 25 %, auch Abbau einer Rudolf Dreßler (SPD): Bitte schön. Unternehmensbegünstigung, Volumen: 1,42 Milliar- den DM. Michael Glos (CDU/CSU): Kollege Dreßler, darf ich (Zuruf von der CDU/CSU: Immer Steuerer Sie fragen, ob Sie bereit sind, dieses 10,8-Milliarden- höhungen!) Programm hier vorzutragen und Ihre Forderungen Viertens. Einschränkung der steuerlichen Berück- hier im Bundestag, wo sie hingehören, öffentlich zu sichtigung von betrieblichen Personenwagen, vor erheben, allem Luxus-Pkw, Volumen: 300 Millionen DM. Wir (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Lesen Sie halten das für eine unangemessene Aufwendung, keine Zeitung?) weil das Steuerrecht sie an und für sich nicht zu damit die Kolleginnen und Kollegen überprüfen kön- berücksichtigen braucht. nen, ob das Ganze realisierbar ist oder ob es sich um (Beifall bei der SPD) eine Ihrer üblichen Luftnummern h andelt? Fünftens. Abschaffung des Sonderausgabenabzugs (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der von Aufwendungen für hauswirtschaftliche Beschäfti- CDU/CSU) gungsverhältnisse, Volumen: 250 Millionen DM. Das ist die Beseitigung eines bloßen Mitnahmeeffekts für Rudolf Dreßler (SPD): Herr Präsident, ich muß jetzt Besserverdienende, man könnte auch sagen: durch Sie und meine Fraktion fragen, ob die Antwort inner- diese Koalition ins Gesetz geschriebenen Mißbrauchs, halb der Redezeit läuft, weil ich gern den Wunsch von meine Damen und Herren. Herrn Glos erfüllen möchte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Sechstens. Die vollständige Befreiung vom Flug- geordneter, selbstverständlich ist die Beantwortung benzinskandal, Volumen: 35 Millionen DM. nicht auf Ihre Redezeit anzurechnen. Da ich aber befürchte, daß sich die Antwort über eine halbe (Beifall bei der SPD) Stunde hinziehen wird, muß ich gewisse Grenzen Siebtens. Beendigung der bisherigen Vermögen- ziehen. steuerbefreiung in den neuen Ländern, Volumen (Dr. Uwe Küster [SPD]: Es ist eine lange 500 Millionen DM. Es handelte sich um eine Gleich- Liste!) behandlung mit dem übrigen Bundesgebiet. Die 13742 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Rudolf Dreßler Anhebung trifft überwiegend Besserverdienende. Ich Geht man also, meine Damen und Herren, von dem sage das nur als Anmerkung. aus, was die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. als (Zuruf von der CDU/CSU: Das haben doch ihren Entwurf zum sogenannten Föderalen Konsoli- die Länder abgelehnt!) dierungsprogramm vor wenigen Wochen einge- bracht haben, so ist die Feststellung nicht übertrieben, Nächster Punkt: Ausschluß des Vorsteuerabzugs für daß mit den dazu vorgelegten Vorstellungen von Betriebs-Pkw, Volumen 2,3 Milliarden DM. Eine ent- CDU/CSU und F.D.P. keines der Ziele erreicht worden sprechende EG-Richtlinie — Herr Glos, falls Sie das wäre. Dieser Entwurf war mangelhaft und blieb weit als Finanzpolitiker auch nicht wissen — liegt vor. hinter den Notwendigkeiten zurück. Er war das Doku- (Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist denn Ihr ment einer in sich zerstrittenen, auf diesen- Feldern Gesetzentwurf dazu?) gestaltungsunfähigen Regierung. Nächster Punkt: Ausdehnung der steuerlichen Das, was wir heute beraten, unterscheidet sich von Erfassung von Spekulationsgeschäften, Volumen den ursprünglichen Plänen der Koalition in zwei 750 Millionen DM, d. h. die Berücksichtigung erhöh- Themenbereichen grundlegend. Zwei Ziele werden ter steuerlicher Leistungsfähigkeit. mit dem jetzigen Entwurf nicht mehr nur deklamato- (Zuruf von der CDU/CSU: Lex Steinküh risch genannt, sondern wirklich angestrebt. Erstens: ler!) Der Aufbau in den neuen Ländern erhält eine tragfä- Herr Glos, nun hören Sie genau zu: Maßnahmen hige Grundlage durch einen Finanztransfer von West gegen Wirtschaftsk riminalität und Steuerhinterzie- nach Ost, durch die Sicherung der industriellen Kerne hung. Ich wiederhole das nur noch einmal. — Möchten und durch ein Wohnungsbauprogramm in Ost- Sie noch mehr aus unserem Subventionsabbaukata- deutschland. Zweitens: Der bundesstaatliche Finanz- log in Erinnerung gerufen haben, oder reicht Ihnen ausgleich wird tatsächlich neu geordnet, und zwar im das jetzt endlich? Sinne eines Interessenausgleiches und nicht, wie ursprünglich geplant, einseitig zu Lasten von Ländern (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und Kommunen. DIE GRÜNEN) Ohne die Sozialdemokratische Partei hätte es bei- des nicht gegeben, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- geordneter Dreßler, bevor ich die Redezeit wieder (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: So ist es!) beginnen lasse, will der Abgeordnete Glos noch eine wäre es bei den unzureichenden Vorschlägen der Frage stellen. Regierung geblieben. (Beifall bei der SPD) Rudolf Dreßler (SPD): Bitte sehr. Meine Damen und Herren, wir reklamieren diesen Erfolg nicht nur für uns; wir sind auch stolz darauf, daß Michael Glos (CDU/CSU): Ich hätte gerne erstens wir für die Menschen, vor allem für die in Ostdeutsch- gewußt, wie hoch die Zwischensumme bis jetzt war, land, einen wichtigen Fortschritt haben erreichen ob sie bei 10,5 Milliarden gelegen hat, können. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Denjenigen in der Koalition, die so gerne über die und zweitens, warum die SPD-Bundesländer bei die- aktuellen Schwierigkeiten herziehen, die Sozialde- sen Gesetzen, die Sie rückgängig machen wollen mokraten sich derzeit selbst bereiten, sage ich mit — das ist ja alles erst vor kurzer Zeit beschlossen großer Gelassenheit folgendes. Unser Verhandlungs- worden und hat seinen Sinn —, bei den Abstimmun- erfolg beweist: Um dieser ausgelaugten Koalition in gen nicht so votiert haben, wie Sie es offensichtlich wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen inhaltlich wollen? Paroli zu bieten, reicht es für uns allemal. (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Rudolf Dreßler (SPD): Herr Glos, zwei Fragen, zwei CSU: Machen Sie sich nur selbst Mut!) präzise Antworten: Das Gesamtvolumen dessen, was Der Verhandlungserfolg der SPD in zwei zentralen wir Ihnen schriftlich gegeben haben, ist 11,8 Milliar- Fragen des Föderalen Konsolidierungsprogramms den. Zweiter Punkt: Wenn A-Länder, also SPD-betei- kann jedoch über eines nicht hinwegtäuschen: Der ligte oder -geführte Bundesländer, und die Bundes- vom Bundeskanzler erhobene Anspruch, mit diesem tagsfraktion diesen Maßnahmenkatalog in das Ver- Gesetz werde ein Solidarpakt verabschiedet, wird handlungspaket einbringen, um dem unteren Drittel nicht erfüllt. Das ist kein Solidarpakt. Zwischen dem der Einkommensmilieus die weitere Streichung von Föderalen Konsolidierungsprogramm und einem lebensnotwendigen Geldern zu ersparen, dann muß wirklichen Solidarpakt liegen Welten. Hier wird keine doch verdammt noch mal von Ihnen zugestanden Solidarität zwischen den Menschen erzeugt. Hier wird werden, daß wir Vorschläge gemacht haben, aber daß nicht die Einsicht in die Notwendigkeit geweckt, Ihre innere Kraft nicht ausreichte, füreinander einzustehen, (Zuruf von der CDU/CSU: Nein, Ihre innere (Zurufe von der SPD: Sehr wahr!) Kraft hat nicht ausgereicht!) diese Vorschläge endlich zu akzeptieren, meine um große Schwierigkeiten gemeinsam zu bestehen. Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) (Lebhafter Beifall bei der SPD und dem Hier wird bestenfalls, meine Damen und Herren, ein BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gefühl der Erleichterung darüber erzeugt, von einer Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13743

Rudolf Dreßler erneuten ungerechten Schröpfaktion, wie diese Bun- mit den Bürgerinnen und Bürgern, nicht gegen sie; desregierung sie den Menschen schon mehrfach denn Solidarität lebt vom Mittun der Menschen, nicht zugemutet hat, diesmal verschont geblieben zu von Gesetzen, die beschreiben, wie sie aussehen sein. sollte. Die Menschen in unserem Land spüren die großen (Beifall bei der SPD) Probleme in Deutschland. Sie können mit den Händen Bestandsaufnahme, Beschreibung und dann Ver- greifen, daß die schwere wirtschaft liche Rezession, wirklichung des Notwendigen — das wäre Aufgabe die außer Kontrolle geratenen Staatsfinanzen und die eines wirklichen Solidarpakts gewesen. Nichts davon bisher weitgehend mißlungene Vereinigung Deutsch- wird mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm lands eine grundlegende Neuorientierung der deut- geleistet. Die Wirklichkeit entlarvt es vielmehr- als schen Politik erfordern, einen neuen Anfang, der weiteres Bruchstück in der langen Reihe wenig ihnen noch einiges abverlangen wird. Aus der Ver- zusammenhängender Einzelmaßnahmen dieser Re- gangenheit bringen sie schmerzliche Erfahrungen gierung. Wo der Mut zur Wahrheit fehlt, verkommt mit, daß dem Gerechtigkeitssinn dieser Regierung Politik zur Beliebigkeit; da wird die Feststellung, daß nicht zu trauen ist. Die Menschen ahnen, daß diese Politik ein Ergebnis hat, wichtiger als die Bewertung, Regierung etwa im Schilde führt, und sie ahnen nichts welches Ergebnis sie hat. Gutes. Das ist kein Klima, meine Damen und Herren, in Seit wann eigentlich ist die Sicherung des Wirt- kein Thema für. einen dem Gemeinsinn wächst oder die Bereitschaft zur schaftsstandorts Deutschland Solidarität entsteht; Solidarpakt, erst recht in schwierigen Zeiten? Das Föderale Konsolidierungsprogramm läßt keinen Bei- (Beifall bei der SPD) trag dazu erkennen. Wachstum und Beschäftigung im Gegenteil: Es entstehen Mißtrauen und Egoismus. sind heute in Deutschland auf außerordentliche Weise Diese gesellschaftlich verhängnisvolle Wendung geht bedroht. Es sind nicht nur die aktuellen Zahlen über auf das Konto der Regierung Kohl. unzureichende Auftragseingänge, sinkende Investi- tionen oder dramatisch steigende Arbeitslosigkeit, die (Beifall bei der SPD) bedrücken; auch die längerfristigen Annahmen sind Sagen, was zu tun ist, und tun, was gesagt ist — das ist wenig ermutigend. die Essenz der wichtigsten politischen Tugend, der In den Jahren bis 1997 muß Deutschland mit einem Glaubwürdigkeit. Ohne den Mut zur Wahrheit und Arbeitsplatzabbau von bis zu 3 Millionen rechnen, vor den Sinn für Gerechtigkeit kann kein Gemeinsinn allem deshalb, weil sich der Export abschwächt. Das entstehen, sondern wird die Bereitschaft der Men- einstmals fast magische Wort „Made in " schen zerstört, um des gemeinsamen Ganzen willen verliert an Glanz. auch Opfer auf sich zu nehmen. (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Wesentliche Kennziffern zur Qualität des Wirt- CSU: Gut, daß Sie dabei in die eigene Rich schaftsstandorts Deutschland lassen Beunruhigung tung schauen!) aufkommen. Ich will mir nicht alle pessimistischen Aussagen oder Prognosen zu eigen machen, aber Dieser Bundesregierung ist der Mut zur Wahrheit eines machen sie doch deutlich: Die soziale und schon lange abhanden gekommen. Den Sinn für ökonomische Potenz Deutschlands ist bedroht, meine soziale Gerechtigkeit, hat es den in den vergangenen Damen und Herren, und dafür trägt die Bundesregie- elf Jahren je wirklich gegeben? rung in hohem Maße Verantwortung; denn sie hat (Zurufe von der SPD: Nein! — Nie!) dem Land gleich in mehrfacher Hinsicht Zwangslagen beschert. Ihre politischen Taten jedenfall beweisen das Gegen- (Beifall bei der SPD) teil. Es führt kein Weg daran vorbei: Diese Regierung Die Regierung hat die Zeit von 1982 bis heute muß endlich die Wahrheit sagen, die Wahrheit über verschenkt, weil sie aus ideologischer Verbohrtheit die wirtschaftliche, die finanzielle und die soziale auf eine Wachstumsvorsorge- und Modernisierungs- Lage in Deutschland. politik verzichtet hat. (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Wo waren (Zurufe von der SPD: Sehr richtig! — Lei Sie denn heute vormittag?) der!) Wir brauchen also einen finanzpolitischen Kassen- Noch heute hält sie Industriepolitik für den Vorhof der sturz, eine wirtschaftspolitische und sozialpolitische ökonomischen Hölle. In derselben Zeitspanne haben Bestandsaufnahme. sich Länder wie Japan administrativ wie technolo- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: gisch weiterentwickelt und sich sichere, ausbaufähige Um zu allem nein zu sagen!) Positionen auf neuen Märkten verschafft. Wir brauchen alsdann eine Beschreibung dessen, (Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Ach du was wirtschafts-, finanz- und sozialpolitisch notwen- liebe Zeit!) dig ist, um Deutschland aus seiner Krise herauszufüh- ren und mit der Einheit endlich E rnst zu machen. Die Regierung hat finanzpolitisch ein strategisches Dilemma heraufbeschworen. Wir brauchen schließlich eine Strategie, das als notwendig Erkannte auch um- und durchzusetzen — (Zuruf des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]) 13744 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Rudolf Dreßler Sie kann heute nur zwischen rigoroser Sparpolitik aufzuladen. Es kommt einer sozialen Perversion wählen, die die Rezession weiter verschärft, oder aber gleich, wenn Kranken die Kosten für die Pflegebedürf- einer noch größeren Schuldenexpansion, die die tigen aufgeladen werden sollen. Finanzkrise ausweitet und das Realzinsniveau erhöht. (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS Das eine ist so schädlich wie das andere. Den an der 90/DIE GRÜNEN) Wirtschaft Beteiligten fehlen für ihre Planungen sichere und verläßliche Rahmenbedingungen sozial- Nun komme mir keiner mit dem Argument, die politischer, ökologischer wie wirtschaftspolitischer deutsche Wirtschaft sei nicht in der Lage, die Mehr- Art. Sie erleben statt dessen eine Wirtschaftspolitik, belastung durch eine Pflegeversicherung zu tragen. die, wenn sie überhaupt stattfindet, kurzfristig tak- Es handelt sich um 7 Pfennige pro verdientem- 10- tiert, ohne dahinterliegende ernst zu nehmende Kon- DM-Schein, um nur einmal die Dimension anzuge- zepte zu verfolgen. ben, um die es hier geht. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: In dieser Rech Die Wirtschaft blickt mit offenkundiger Fassungs- nung sind Sie großartig!) losigkeit oder ungläubigem Stauen auf ein sogenann- In Wahrheit ist auch nicht die Vermeidung dieser Standortsicherungsgesetz, das ausgerechnet tes zusätzlichen Belastung das Ziel der Proteste und der jetzt Abschreibungsmöglichkeiten verschlechtert. Die Agitation der Wirtschaftsverbände. Es geht um etwas wirtschaftspolitische Orientierungslosigkeit im Lager ganz anderes. Das eigentliche Anliegen ist die grund- der Koalition treibt immer bizarrere Blüten. Da hat der legende Verschiebung der Finanzierungssystematik Bundesvorsitzende des neu formierten Wirtschaftsflü- der sozialen Sicherung. gels der Union, ein Herr Klaus Bregger, nach einem Bericht der „Frankfurter Rundschau" vom 25. Mai (Beifall bei der SPD) 1993 doch allen Ernstes festgestellt: Die Arbeitgeber sollen entlastet, und die Arbeitneh- Warum sollten nicht wieder mehr Schuhputzer, mer sollen zusätzlich belastet werden. Die Pflegever- Milchmänner und „fahrende Brötchenhändler" sicherung ist dazu nur der Probelauf. ihre Dienste anbieten? (Zuruf von der CDU/CSU und der F.D.P.) Nichts dagegen, meine Damen und Herren, aber mal Hand aufs Herz: Soll das ein konzeptioneller Beitrag Wer das nicht erkennt und wer das nicht verhindert, zur Notwendigkeit einer ökonomischen Neuorientie- der wird binnen kurzem unser L and nicht mehr rung sein? wiedererkennen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Ich sage Ihnen: Der Versuch, Karenztage zur Finan- Dr. Uwe Küster [SPD]: Ja, das ist Wirtschafts zierung des Arbeitgeberanteils in der Pflegeversiche- politik!) rung einzusetzen, wird unserem L and eine gesell- Auch eine hochentwickelte Volkswirtschaft lebt von schaftspolitische Belastungsprobe bescheren, die es in Gütern, die produziert werden, und von ökonomischer sich hat. Ich warne die Bundesregierung, diesen Weg Folklore — bei allem Respekt vor den genannten weiter zu beschreiten. Sie sollte sich zudem keinem Berufsgruppen. Zweifel darüber hingeben, wo bei einem solchen Versuch der Platz der Sozialdemokratie sein wird, Die Bundesregierung legt es mit ihrer Politik darauf nämlich an der Seite der Arbeitnehmerinnen und an, einen entscheidenden Standortfaktor, den der Arbeitnehmer, denen dieser Tarifvertrag gehört. sozialen Stabilität und Sicherheit, systematisch zu zerstören. (Beifall bei der SPD) (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wie wahr!) Der Bundessozialminister renommiert gerne mit In Ballungsräumen wird die Wohnungsnot für seiner politischen Arbeitnehmerherkunft. In seiner Unternehmen zum gravierenden Hindernis, da die Haltung zu diesem Pflegeprojekt verleugnet er sie. Beschäftigten die Miete nicht mehr zahlen können. Wer mit dem Plan, Karenztage einzuführen, die Inter- Ständige Attacken von Regierungsvertretern gegen essen der Arbeitnehmerschaft gegen die Interessen die Tarifautonomie zerstören das Vertrauen in diesen der Schwächsten in Deutschland, der Pflegebedürfti- Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft. Die auffal- gen, ausspielt, begibt sich auf einen schändlichen lende Nachsicht gegenüber Steuer- und Subventions- Weg. betrügern im Vergleich zu denen, die sich bei Lohn- (Beifall bei der SPD) risch bedienen, ist beredtes ersatzleistungen betrüge Meine Damen und Herren, in früherer Sprache, zu Beispiel für die Mißachtung der sozialen Proportio- den aktiven Arbeiterzeiten des Norbert Blüm, hätte nen. Das alles belegt, daß die Bundesregierung das man gesagt: Wer so etwas tut, hat kein Klassenbe- Gebot der sozialen Stabilität nicht ernst nimmt. wußtsein. — Heute heißt das anders: Er spielt die Rolle (Beifall bei der SPD) des Trojanischen Pferdes der Unternehmer in den Den nachhaltigsten Schlag gegen den sozialen Reihen der Arbeitnehmer. Frieden führt die Regierung jetzt mit ihrer Pflegekon- (Beifall bei der SPD) zeption. Es ist ein tiefer Bruch mit der über 100jähri- gen sozialstaatlichen Tradition in Deutschl and, die Damit kein Zweifel bleibt: Mögen Sie von der CDU/ Kosten für die Pflegeversicherung nicht zu gleichen CSU und von der F.D.P. auch Gesetzgebungstricks Teilen auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu vertei- anwenden, wie Sie wollen, Sie werden erleben, daß len, sondern sie zu 100 % der Arbeitnehmerschaft sich die deutsche Sozialdemokratie zu wehren weiß, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13745

Rudolf Dreßler wenn diese Regierung ihre Irrfahrt gegen die Tarif- bittere Notwendigkeit und auch ein Stück Hoffnung. freiheit nicht endlich beendet. Sicherung industrieller Kerne, Sanierung ökologi- scher Altlasten, Wohnungsbauprogramm — das sind (Beifall bei der SPD) Eckpunkte des föderalen Programms, die die SPD erst Unser Sozialsystem wird von manchen Konservati- hineinverhandelt hat, die es ohne die SPD also gar ven auf besonders niederträchtige Weise diffamiert. nicht gegeben hätte. Stellvertretend für andere möchte ich noch einmal den neuen Vorsitzenden des Wirtschaftsflügels der CDU (Beifall bei der SPD) zitieren. Er sagte nach Angaben der „Fr ankfurter Wir wollen unseren Verhandlungserfolg in diesen Rundschau": „Die Sozialmatratze hängt durch. Sie elementaren Fragen auch umsetzen und für alle lädt zum Nichtstun ein und hat die gängigen sozialen erfahrbar machen. Das sind wir den Menschen in Sicherungssysteme zum Bankrott gebracht. " Glauben Ostdeutschland schuldig. Sie wirklich, mit solchen gemeingefährlichen Reden schaffe man Gemeinsinn, ebne den Weg und schaffe Der zweite Grund liegt in der gelungenen Neuord- die Bereitschaft der Menschen, füreinander einzuste- nung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs. Auch hen? er ist bittere Notwendigkeit. Wir brauchen handlungs- Die Wahrheit ist: Solche Reden machen die, die den fähige Länder und leistungsstarke Kommunen in Ost- Schutz der sozialen Sicherungssysteme benötigen, wie in Westdeutschland. Ohne eine vernünftige verächtlich, und zudem entbehren sie jeder sachli- Finanzausstattung geht das eben nicht. chen Grundlage. Sie sind also nicht nur bösartig, sie Die SPD hat mit diesem Förderalen Konsolidie- sind auch falsch. rungsprogramm aber noch ein Ziel erreicht. Die (Beifall bei der SPD) geplante Kürzung sozialer Regelleistungen wurde abgewehrt, zumindest in diesem Gesetz. Was im Die Krankenversicherung ist keine Sozialmatratze. Zusammenhang mit dem Haushalt 1994 an Plänen aus In Wirklichkeit litt sie nämlich in hohem Maße an Kreisen der Regierung bekanntgeworden ist, läßt Systemfehlern, die allesamt politisch zu verantworten allerdings ahnen, daß diese Kürzungsversuche nicht waren. Diese Systemfehler sind in einer Gemein- nur in einem Haushaltssicherungsgesetz 1994 wieder- schaftsaktion von Regierung und Opposition mit dem holt werden, sondern in einer Art Kahlschlagorgie Gesundheitsstrukturgesetz bereinigt worden. auch einen traurigen Höhepunkt finden werden. In Wirklichkeit leidet die Rentenversicherung nicht Niemand sollte meinen, er könne die SPD für eine an denen, die sie als soziale Hängematte durchliegen, solche Kahlschlagorgie gewinnen. Wir haben die wie man im konservativen Lager meint, sondern Kürzung sozialer Regelleistungen nicht aus dem FKP daran, daß sie vom Bundesfinanzminister und vom herausoperiert, um noch Schlimmeres in einem Haus- Sozialminister als Reservekasse zur Finanzierung haltssicherungsgesetz zu akzeptieren. von Problemen der deutschen Einheit mißbraucht wurde. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Da Herr Waigel soeben an die demokratische Oppo- Die Rentenfinanzen waren nämlich zuvor erst, eben- sition appelliert hat, ihm dabei zu helfen, sage ich ihm, falls in einer Gemeinschaftsaktion von Regierung und nachdem wir ihn seit zweieinhalb Jahren vor diesem Opposition, stabilisiert worden. Irrweg gewarnt haben: Herr Waigel, wer freiwillig in In Wirklichkeit leidet die Arbeitslosenversicherung ein Jauchefaß springt, der darf sich nicht wundern, nicht an überhöhten Ansprüchen, sondern sie leidet wenn die SPD verweigert, ihn anschließend abzusprit- daran, daß die Regierung Kohl auch ihr gesamtgesell- zen; schaftliche Kosten der Einheit aufgeladen hat. (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ In Wirklichkeit leiden Arbeitslosenhilfe und Sozial- CSU) hilfe nicht daran, daß sich Millionen von Menschen denn die gewaltigen Finanzierungsprobleme, vor auf Kosten der Steuerzahler einen guten Tag machen, denen wir stehen, sind unbestritten. Die Erkenntnis, sondern daran, daß die Regierung nicht in der Lage ist, daß es mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik so nicht Arbeitsplätze zu schaffen und Not zu lindern. weitergehen kann, sondern daß ein Neuanfang erfor- (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS derlich ist, ist wohlfeil. Aber die Finanzprobleme sind 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten ursächliches Ergebnis der unsoliden Politik der Regie- der PDS/Linke Liste) rung. (Beifall bei der SPD) Von einem Solidarpakt trennen das Föderale Kon- solidierungsprogramm weniger seine Inhalte, son- Auch das „weiter so! " gehört zur Politik der Regierung dern vielmehr das, was es nicht enthält, und das ist, wie Castor zu Pollux. Stehlen Sie sich also nicht aus wie gezeigt, eine ganze Menge. der Verantwortung. Es sind doch nicht die einzelnen Arbeitslosen, die die finanzielle Stabilität der Arbeits- Die SPD-Bundestagsfraktion macht sich ihre Ab- losenversicherung bedrohen. Es war und ist die stimmungsentscheidung nicht leicht. Wenn wir ihm verfehlte Politik der Regierung, die ein ständig wach- trotz aller schwerwiegenden Mängel zustimmen, so sendes Arbeitslosenheer erst produziert hat. Diese hat dies zwei Gründe: Politik bedroht die Stabilität der Arbeitslosenversi- Für die Menschen in Ostdeutschland ist der mit cherung. diesem Programm sichergestellte Milliardentransfer (Beifall bei der SPD) 13746 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Rudolf Dreßler Warum also wollen Sie den Arbeitslosen dann Ihre wollen sie einen solchen nicht; denn sie wollen seine Unterstützung kürzen? Betreiben Sie endlich eine elementaren politischen Voraussetzungen nicht, weil vernünftige Wirtschaftspolitik, Herr Rexrodt, Herr sie dazu ihre Politik ändern müßten. Soziale Gerech- Waigel, in der eine vorausschauende Arbeitsmarkt- tigkeit statt Einseitigkeit, Wahrheit statt Vertuschung politik eine herausragende Rolle spielt. Die SPD ist und Gemeinsinn statt Egoismus. sofort dabei. Meine Erfahrungen haben sich in diesen Wochen (Beifall bei der SPD) wieder bestätigt. Mit dieser Regierung ist kein Staat Ich wiederhole: Die Rentenfinanzen waren bis weit zu machen und ein Sozialstaat schon gar nicht. in das nächste Jahrtausend stabil. Es war die Politik (Anhaltender Beifall bei der SPD — Beifall dieser Regierung, die die Rentenfinanzen destabili- beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) siert hat. (Zuruf der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine Warum also wollen Sie die Folgen den Rentnerinnen Damen und Herren, ich erteile nunmehr dem Abge- und Rentnern aufbürden, indem Sie ihnen durch eine ordneten Adolf Roth das Wort. halbjährige Verschiebung des Anpassungstermins in Wahrheit die Renten kürzen? Was ist das eigentlich für (Gießen) (CDU/CSU): Herr Präsident! eine Regierung, der beim Stichwort Konsolidierung Adolf Roth Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Krise", so immer zuerst die Sozialleistungen einfallen? So rea- hat Max Frisch einmal gesagt, „ist ein ungeheuer giert und regiert eine Regierung der gesellschaftli- produktiver Zustand, wenn man ihr den Beige- chen Einseitigkeit, eine Regierung, deren politisches schmack der Katastrophe nimmt." Streben nicht auf die Wohlfahrt aller Menschen, sondern nur auf die eines Teils der Menschen gerich- Wer der Debatte bis jetzt aufmerksam zugehört hat, tet ist. wird mit mir sicher darin einig sein, daß es dem Bundesfinanzminister Theo Waigel und auch den (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ Rednern der Koalition mehr gelungen ist, auf den DIE GRÜNEN) Ernst der zugespitzten Haushalts-, Wirtschafts- und Oder anders ausgedrückt: So regiert eine Regierung Finanzlage in Deutschland konstruktiv einzugehen, der sozialen Destabilisierung. Die SPD verschließt als den bisher hier am Mikrophon aufgetretenen sich nicht der Erkenntnis, daß die schwerwiegenden Rednern der sozialdemokratischen Opposition. Finanzprobleme an der Sozialpolitik nicht vorbeige- (Beifall bei der CDU/CSU) hen können. Wir brauchen in sich konsistente Lösun- Ich habe jedes Verständnis dafür, Herr Kollege gen und keine widersprüchlichen. Wer das Arbeitslo- Dreßler, daß die Sozialdemokratie bei ihrer bisher sengeld kürzt, verhält sich nicht nur unsozial, sondern vergeblichen Suche nach einer politischen Alterna- er verhält sich auch widersinnig. Die Behauptung, er tive und nach einer glaubwürdigen politischen Füh- spare durch diese Kürzungen, ist doch unwahr. Im rung in ihrer Partei nicht vorangekommen ist. Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit wird zwar eingespart, aber die Haushalte der Sozialhilfeträger, Das muß sich aber nicht darin niederschlagen, daß die Sozialhilfeausgaben werden steigen. Das ist doch man auf der einen Seite einen Pakt zwischen dem absehbar. Bund und den Bundesländern mit unterschreibt und ausverhandelt, auf der anderen Seite aber hier vor (Beifall bei der SPD) dem deutschen Parlament in aggressiver, klassen- Diese Art von Sparen ist doch in Wirklichkeit nur ein kämpferischer Attitüde gleichsam alles niedermacht, Umfinanzieren, Entlastung des Bundeshaushalts, Be- was in diesem Gesetz über das Föderale Konsolidie- lastung der Kommunalhaushalte, und das war's denn. rungsprogramm niedergelegt ist. Das ist nicht der Was wir brauchen, sind nicht solche Umbuchungs- konstruktive Beitrag, um den Sie der Bundesfinanzmi- tricks mit allen für die Betroffenen negativen Folgen. nister Theo Waigel vorhin gebeten hat. Wir brauchen einen sozialpolitischen Umbau. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU) nicht einfach, aber es ist machbar. Das Gesundheits- Die Zahlen des Nachtragshaushalts 1993 und des strukturgesetz, das SPD und Koalitionsfraktionen Gesetzes über das Föderale Konsolidierungspro- gemeinsam durchgesetzt haben, ist dafür ein klassi- gramm vermitteln ein deutliches Bild. Dreieinhalb sches Beispiel, und es ist ein erfolgreiches dazu, wie Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit befin- jedermann feststellen kann. Da wurden nicht nur nicht den wir uns in einer äußerst kritischen Phase der die sozialen Proportionen verletzt, da wurde das öffentlichen Haushaltsentwicklung. System umgebaut, der Versicherte in den Mittelpunkt gestellt, soziale Gerechtigkeit mit Wettbewerb in Dies ist zurückzuführen auf die rezessionsbeding- Einklang gebracht. Sozialer Umbau, meine Damen ten Milliardenlöcher auf der Einnahmenseite, die und Herren, ist keine Worthülse. Er funktioniert. Man historisch höchsten Beistandsleistungen für die Nürn- muß ihn nur wollen und der Versuchung widerstehen, berger Bundesanstalt für Arbeit und die Bedienung Abbau als Umbau zu tarnen. der kommunistischen Erblast, das alles gepaart mit einem realen Transfer West-Ost in Deutschland in (Beifall bei der SPD) einer Größenordnung von 5 % des jährlichen Brutto- Mein Fazit nach den vielen Gesprächsrunden zum sozialprodukts. Föderalen Konsolidierungsprogramm im Kanzleramt Dies alles zusammengerechnet ist natürlich weit und anderswo ist eindeutig: CDU/CSU und F.D.P. mehr,- als daß es sich im Zahlenbild eines 460 reden zwar ständig vom Solidarpakt. In Wahrheit aber Milliarden-DM-Bundeshaushalts unauffällig beiseite Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13747

Adolf Roth (Gießen) drücken ließe. Die Nettokreditaufnahme des Bundes dem Prüfstand." Natürlich ist das so. Dazu paßt dann steigt auf 67,6 Milliarden DM in diesem Jahr an. Das aber nicht, daß die sozialdemokratische Opposition im sind 2,2 % des Bruttosozialprodukts, eine gewaltige ersten Abschnitt ihres Entschließungsantrages die Dimension, fast soviel wie seinerzeit in den SPD- nahezu vollständige Tabuisierung von Eingriffen in Krisenjahren 1981/82, als diese Größenordnung — al- Leistungsgesetze einfordert. Dies paßt nicht zu der lerdings meilenweit entfernt von dem Prozeß der Bereitschaft, alle Leistungen wirklich auf den Prüf- deutschen Einheit — überschritten worden ist. stand zu stellen. Das Föderale Konsolidierungsprogramm ist ein (Beifall bei der CDU/CSU) Durchbruch der Vernunft. Aber es muß hier offen Das Urteil der Haushaltspolitiker auf Regierungs- eingeräumt werden, daß seine Elemente auf der Basis wie auf Oppositionsseite muß von Realitätssinn einer Wirtschaftsentwicklung gerechnet worden sind, geprägt sein — trotz aller Unterschiedlichkeit der deren Realisierung im einzelnen in den kommenden Positionen, die niemand verwischen will. Unser Auf- Jahren erst noch erarbeitet werden muß. Das heißt, trag ist es, den Rang der Wirtschaftsnation Deutsch- wir brauchen entschlossene Kraftanstrengungen auf land in schwieriger Gesamtlage stabilitätspolitisch allen Ebenen, um die Elemente dieses Konsolidie- abzusichern. Ich jedenfalls empfand es ermutigend, rungsprogramms und des angestrebten Solidarpakts daß die Kollegen der SPD dem Artikelgesetz zur in Deutschland auch wirklich zu erreichen. Umsetzung des Föderalen Konsolidierungspro- Das heißt, die neue Architektur der bundesstaatli- gramms geschlossen zugestimmt und auch seine chen Finanzbeziehungen ab 1995 muß ihre statische zügige Verabschiedung gefördert haben. Dies ist nun Festigkeit erst noch unter Beweis stellen. Eine Volks- einmal Teil des sachorientierten Arbeitsstils, dessen wirtschaft, die bei Steuern und Abgaben inte rnational sich der Haushaltsausschuß in einer langen Tradition gesehen unter Höchstlast gefahren werden muß, bei immer wieder befleißigt hat. einer absehbaren Abgabenquote von 44 %, eine sol- Ich darf an dieser Stelle einmal erwähnen: Rudi che Volkswirtschaft kann die Quellen für langjährige Walther, der sozialdemokratische Ausschußvorsit- Supertransfers nach Ostdeutschland nicht verläßlich zende, konnte dieser Tage sein zehnjähriges Jubi- zum Sprudeln bringen. Deshalb müssen wir noch läum als Vorsitzender dieses Ausschusses begehen. andere Konsolidierungsbeiträge leisten, wenn wir das Wir haben ihm für seine Leistung Anerkennung und Fahren mit angezogener Handbremse überwinden Dank gezollt. Ich möchte das auch hier tun, allerdings wollen. verbunden mit dem ausdrücklichen Wunsch, er möge Deshalb bestehen jetzt Einigungszwang und Ent- sich doch bitte beizeiten in den Reihen der SPD- scheidungszwang für Regierung und Parlament. Fraktion um einen ebenso qualifizierten Nachfolger bemühen, denn es bleibt ja das Vorrecht der Opposi- Bundesfinanzminister Theo Waigel hat im Ap ril tion, diese wichtige parlamentarische Position auch in — er hat darauf hingewiesen —, am Tag seines Zukunft zu besetzen. vierjährigen Amtsjubiläums als Bundesfinanzmini- ster, dem Haushaltsausschuß ein offenes und scho- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — nungsloses Bild der gesamtwirtschaftlichen Lage Zuruf von der CDU/CSU: Möglichst wieder gezeichnet. Er hat auch offen die Herausforderungen für die nächsten zehn Jahre!) benannt, vor denen wir in der kritischen Übergangs- Zurück zur Haushaltssituation. Sie spitzt sich weiter phase der Jahre 1993 bis 1995 finanzwirtschaftlich zu, weil sich die strukturellen Auswirkungen der stehen werden. Rezession über die wirtschaftlichen Anpassungspro- Die sozialdemokratischen Kollegen im Ausschuß zesse in den nächsten Jahren in zusätzlichen Haus- haben damals mit durchaus respektablen Kommentie- haltsdefiziten niederschlagen werden, und zwar auch rungen auf diesen Sachvortrag reagie rt. Ich habe dann, wenn deren Nachhaltigkeit in die Phase der vermißt, daß sich der Kollege Wieczorek heute in gesamtwirtschaftlichen Wiederbelebung, auf die wir seiner Eingangsrede wenigstens diesen eigenen im kommenden Jahr gemeinsam hoffen, deutlich Bewertungen und Urteilen im zuständigen Fachaus- hineinreichen wird. schuß angeschlossen hat. Wir haben damals einver- Wir kennen diese Situation ja aus der ersten Hälfte nehmlich geglaubt, daß die realistische Erfassung und der 80er Jahre. Auch damals haben wir diesen Verzö- Etatisierung aller erkennbaren Risiken, wie es seither gerungseffekt bei der Wiederbelebung gespürt. Die geschehen ist, auch in Zukunft erfolgen muß und daß jüngste Steuer- und Arbeitsmarktschätzung weist ja wir die erhöhten Haushaltsdefizite angesichts der auch aus, daß für den Zeitraum von 1994 bis 1996 eine Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichge- ganz erhebliche Milliardenlücke in dreistelliger Höhe wichts jetzt vorübergehend akzeptieren müssen, und in der Finanzplanung besteht, obwohl von einer zwar auch wegen der offenkundigen Arbeitsmarkt- solchen konjunkturellen Normalisierung ausgegan- hypotheken. gen wird. Wir haben gemeinsam festgestellt, daß zur Abwehr Daß 1993/94 ein Defizit des öffentlichen Gesamt- zusätzlicher Gefahren für die Haushaltsstabilität 1994 haushalts von 160 Milliarden DM oder von 5 % des und in den Folgejahren eine konsequente Spar- und Bruttosozialprodukts als nicht vermeidbar hingenom- Eindämmungspolitik auf der Ausgabenseite betrie- men werden muß, ist für die Folgejahre praktisch nicht ben werden muß. Der Ausschußvorsitzende, der akzeptabel und verlangt ein politisches Gegensteu- sozialdemokratische Kollege Rudi Walther, hat selbst ern. Gemäß der Vorschrift des Art. 115 unseres Grund- kürzlich gesagt: „Wenn das Bruttosozialprodukt sinkt, gesetzes, aber auch in Erfüllung der Ziele von Maas- dann stehen natürlich alle staatlichen Leistungen auf tricht sind wir gezwungen, die Höhe des Staatsdefizits 13748 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Adolf Roth (Gießen) sowie der Gesamtschulden zu begrenzen und die des Bundes nicht nur eingeengt, sondern auch restlos Preisstabilität zu wahren. Deshalb begrüßen wir aus- ausgeschöpft. In Zukunft werden wir um eine strikte drücklich, daß der Bundeskanzler und der Bundesfi- Trennung der Aufgaben und auch der Finanzierungs- nanzminister nun ein Konzept der öffentlichen Ein- zuständigkeiten zwischen dem Bund und den Län- sparstrategie verkündet haben. Wir sagen der Bun- dern nicht herumkommen. desregierung eine konstruktive Begleitung und Das FKP-Gesetz schafft Klarheit über die mittelfri- Unterstützung durch die Mehrheit des Parlaments in stige Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbe- der Koalition zu. ziehungen und hat damit eine be trächtliche Signal- (Beifall bei der CDU/CSU) wirkung für die gemeinsame Aufbaustrategie. Was hierdurch erreicht wurde, ist für die CDU/CSU-- Ich möchte allerdings auch darauf hinweisen, daß Bundestagsfraktion ein wichtiger Markstein, aber fairerweise niemand bestreiten kann, daß wir in den beileibe kein Schlußpunkt. Wir werden uns mit den vergangenen Jahren einen rigorosen Sparwillen jetzt erreichten Eckdaten und Belastungsquoten nicht praktiziert haben. Schon die Beschlüsse zum vorlie- abfinden. Wir wollen die Begrenzung des öffentlichen genden Nachtragshaushalt 1993 mit zusätzlichen Ein- Sektors. Wir wollen die Rückführung des überhöhten sparungen von 5,8 Milliarden DM weisen in diese Staatsanteils auf deutlich unter 50 %. Wir werden die Richtung. Wenn man die zusätzlichen Abführungen Steuer- und Abgabelasten mittelfristig wieder an die an die Bundesanstalt für Arbeit, also die Arbeitsmarkt- Quoten heranführen, die wir durch eine harte Konso- hypotheken, und die steuerlichen Mindereinnahmen lidierungsstrategie in den 80er Jahren schon einmal aus der jüngsten Steuerprognose herausrechnet, erreicht haben. kommt man auf einen konjunkturbereinigten Ausga- benzuwachs von gerade 2 %. Das, meine Damen und Meine Damen und Herren, jetzt ist nicht die Zeit für Herren, deutet darauf hin, daß wir das beschlossene sozialdemokratische Staatsprogramme und Steuer- und praktizierte Ausgabenmoratorium strikt beachten erhöhungen. und daß seine Befristung endgültig aufgehoben ist. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlin Wir haben in diesem Jahr eine Ausgabensperre von gen] [F.D.P.]) 1,8 Milliarden DM verhängt. Wir werden die erste Ich muß nun Oskar Lafontaine zitieren, weil mir vom Einspar-Milliarde bereits durch das Föderale Konsoli- hessischen Ministerpräsidenten Eichel, meinem dierungsprogramm erwirtschaften. Das heißt, wir Landsmann, leider nichts vergleichbar Zitierfähiges müssen, wenn die Ankündigungen der Bundesregie- einfällt. rung in den nächsten Wochen im Kabinett und anschließend parlamentarisch umgesetzt werden (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Es kommt müssen, wissen, welche Verpflichtungen wir, das gleich! — Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Der Parlament, uns auferlegen. Beim Spar- und Konsoli- redet nachher! Trotzdem kann man nichts dierungsgesetz geht es um das internationale Ver- zitieren!) trauen in die . Es geht um das Verhin- Es gibt nur Schlagzeilen, mit denen er in den Blick- dern von Kapitalabflüssen und von Abwertungsge- punkt einer breiten Öffentlichkeit getreten ist. Oskar fahren für die Deutsche Mark. Hier geht es um den Lafontaine hat am 26. März vor dem Bundesrat einen Kampf gegen den drohenden Inflationsimport, mit Reformbedarf beim Zuwachs der Leistungen einge- allen Folgen für die inländische Zinsentwicklung und räumt. Er sagt, es könne „nicht gutgehen, wenn in die dadurch ausgelösten Wirkungen für die Investi- einzelnen Bereichen die Tatsache, daß man arbeitet, tionsbereitschaft der Wirtschaft und für die Entwick- weniger attraktiv ist als die Tatsache, daß man keiner lung des Arbeitsmarkts. Arbeit nachgeht". Es erfordert also insgesamt ein abgestimmtes, ein ( [Nordstrand] [CDU/ zielgerichtetes Maßnahmenbündel. Das wird unsere CSU]: Da hat er an seine Freunde Herausforderung sein. Die Zeit der unverbindlichen gedacht!) Spardiskussionen und des unproduk tiven Vertei- Meine Damen und Herren, genau diesen Reformbe- lungsstreits ist vorbei. Jetzt sind konkrete Schritte darf haben wir beim Arbeitsförderungsgesetz und bei nicht mehr aufzuschieben. der Bundesanstalt, die nicht länger Haushaltsvorga- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ben des Bundes ignorieren darf. Die gesetzliche der F.D.P.) Einstandspflicht des Bundes für die Defizite der Bun- desanstalt in Nürnberg darf nicht dazu führen, daß Wir werden damit den internationalen Märkten dort ein nicht mehr kalkulierbares Haushaltsdauerri- unter Beweis zu stellen haben, daß das Exportland siko mit einem selbstverwalteten Ausgabevolumen Deutschland seine Finanzprobleme entschlossen an- von weit mehr als 100 Milliarden DM entsteht. Des- packt und löst. Der unter erheblichen Mühen zustande halb werden wir auch bei den Entscheidungen der gekommene Solidarpaktkompromiß kann und muß nächsten Monate dafür sorgen, daß die Bundesanstalt -Ausgangspunkt eines gesamtstaatlichen Stabilitäts nur Geld verplanen kann, das eine kontrollierte Haus- und Konsolidierungskurses werden, meine Damen haltswirtschaft zur Verfügung stellt. und Herren. Die Vorleistungen, die der Bund erbracht hat, sind ansehnlich und be trächtlich: 90 % des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Finanztransfers in die neuen Bundesländer, 56 Milli- In diesem Sinne möchte ich meinen Beitrag arden DM ab 1995, werden vom Bund geleistet. Wir beschließen mit der Feststellung: Gerade weil nach geben 7 Umsatzsteuerpunkte an die Bundesländer. der deutschen Vereinigung vieles noch schwieriger Damit ist der finanzpolitische H andlungsspielraum geworden ist als im vergangenen Jahrzehnt, wird die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13749

Adolf Roth (Gießen) Koalition alle Anstrengungen unternehmen, um die redete. Das wäre eine gänzlich andere Rede gewor- neuen Herausforderungen zu meistern. Eine politi- den als die, die er hier gehalten hat. sche Alternative dazu gibt es nach heutiger Sicht (Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE nicht. GRÜNEN]: Das ist doch ein Wessi!) Herzlichen Dank. Ich denke, daß Sie auch noch Ihre eigene gesamtdeut- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sche Vereinigung schaffen müssen; dies haben wir mit Herr Präsident, erlauben Sie mir als Berichterstatter, dem FKP tatsächlich erreicht. noch eine kurze Berichtigung zu Protokoll zu geben. (Beifall bei der SPD) Ich will auf die Darstellung von Einzelheiten der Vereinbarung verzichten. Wesentliches ist zu diesem Aber Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Gesetz bereits im ersten Durchgang von Bundestag selbstverständlich. und Bundesrat gesagt worden. Wir haben seitdem noch einiges zu verschiedenen Punkten nachverhan- Adolf Roth (Gießen) (CDU/CSU): In der Beschluß- delt, was übrigens, Herr Bundesfinanzminister — er ist empfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksa- nicht da —, kein gutes Beispiel war. Ich sage das im che 12/4801 muß es bei Art. 34 Solidaritätszuschlags- nachhinein nur noch sehr zurückhaltend. Ich denke, gesetz 1995 in § 3 Abs. 4 Nr. 2b statt „29,90 Deutsche wenn man etwas abgeschlossen hat, muß es auch Mark" richtig „25,90 Deutsche Mark" heißen. Bei abgeschlossen sein. Hinterher zu entdecken, daß m an diesem Betrag beginnt in Zukunft die Nullzone des möglicherweise doch wieder Fehler gemacht hat, Solidaritätszuschlags. Ich wollte diese Korrektur des macht die Sache in der Beziehung zwischen Bund und Druckfehlers in der hier vorliegenden Form der Ländern nicht sehr viel besser. Drucksache dem Parlament zur Kenntnis bringen. Wichtig ist, daß wir im Interesse der deutschen (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Es spart viel Einheit und ihrer Ausgestaltung einen Kompromiß Geld!) gefunden haben. Bund und Länder haben gemeinsam Herzlichen D ank. ein Ergebnis erzielt, das eine gute Grundlage für die zu bewältigenden Aufgaben bildet. Die Verstetigung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) des Fonds „Deutsche Einheit" und die volle Einbezie- hung der ostdeutschen Länder und in den Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nachdem bundesstaatlichen Finanzausgleich schaffen für die Sie Ihren Pflichten als Berichterstatter nachgekom- neuen Länder und ihre Gemeinden eine verläßliche men sind, kann ich dem Ministerpräsidenten des Finanzierungsbasis. Damit haben Bund und Länder Landes Hessen das Wort erteilen. auch die allseits geforderte Planungssicherheit, jedenfalls was ihr Verhältnis zueinander und unter- einander betrifft. Daß das durch die gesamtwirtschaft- Ministerpräsident Hans Eichel (Hessen): Herr Präsi- liche Entwicklung, durch die Entwicklung der Staats- dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein finanzen insgesamt, wieder gefährdet werden kann, hessischer Landsmann hat mich so liebenswürdig ist ein anderes Thema und hier zu Recht und intensiv angekündigt. Ich nehme die Gelegenheit gerne wahr, bereits angesprochen. in diesem Hause einen Tag vor dem zweiten Durch- gang im Bundesrat zum Föderalen Konsolidierungs- Daß wir diesen Ausgleich erreicht haben, war nur programm zu sprechen. Ich werde dabei die Positio- möglich, weil alle Seiten zu Zugeständnissen bereit nen aller Bundesländer — Ost wie West, die der waren. Ich sage hier sowohl gegen Herrn Schulz wie CDU/CSU- wie die der SPD-geführten — so berück- auch gegen den Bundesfinanzminister: Es hat sich sichtigen, daß, so denke ich, meine Kollegen Minister- hier in Wirklichkeit um einen für alle Seiten fairen präsidenten zwar sicherlich nicht mit jedem Satz, aber Kompromiß gehandelt. Denn, meine Damen und Her- mit dem Ergebnis dessen, was ich hier sage, einver- ren, eines muß deutlich gesagt werden: Das ursprüng- standen sein können. Denn wir sind gemeinsam an liche Föderale Konsolidierungsprogramm des Bun- der Aushandlung des Föderalen Konsolidierungs- desfinanzministers ist auf die einhellige Ablehnung programms beteiligt gewesen. Wir haben es gemein- aller Westländer gestoßen; denn das, was dort st and, sam getragen, ohne es in seiner Wirkung zu über- hätte — und daran kann niemand Interesse haben — schätzen, aber auch ohne es kleinzureden. Das die praktische Leistungs- und Zahlungsunfähigkeit bestimmt dann meine Position; davon können Sie sämtlicher Westländer bedeutet. Das hat der bayeri- ausgehen. sche Finanzminister keinen Deut anders gesehen als Es ist oft bemerkt worden, daß dieser Gesetzentwurf der nordrhein-westfälische, der baden-württembergi- eine lange und teilweise mühsame Vorgeschichte hat. sche Finanzminister, die damalige schleswig-holstei- nische Finanzministerin oder der hessische Finanzmi- Auch ist nicht nur das Verfahren ungewöhnlich, ebenso die Eile, mit der das Gesetz im Bundesrat — ich nister. Ich betone dies deshalb, weil ich davon über- habe das Verfahren hier im Bundestag nicht zu zeugt bin, daß wir gerade wegen der vor uns liegen- bewerten — beraten wird. Dazu will ich übrigens zu den Aufgaben in einigen zentralen Fragen auf Kon- Herrn Schulz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sagen: sens an dieser Stelle angewiesen sind. Aus meiner Sicht war das die einzig zutreffende Ob diese Vereinbarung als ein Schlüsselerfolg des Bemerkung, die er zum Föderalen Konsolidierungs- Föderalismus gefeiert werden kann, wie dies Bundes- programm gemacht hat. Es ist ihm erspart geblieben, finanzminister Waigel im Bundesrat geäußert hat, wi ll daß etwa heute an meiner Stelle ich hier nicht weiter bewerten. Ich erlaube mir aber 13750 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Ministerpräsident Hans Eichel (Hessen) die Bemerkung, daß es dafür eines geänderten Bund- — auch das wird in der Debatte auf Bundesseite Länder-Verhältnisses bedarf. Ich meine — das sage gelegentlich übersehen, und deswegen sage ich es ich dezidiert an den Bund —, der Zustand muß hier — ausschließlich dem Bund zu. beendet werden, daß der Bund Aufgaben in Gesetzen Viertens. Es sind festlegt, die sodann ausschließlich von den Ländern Einsparungen in Höhe von rund 18 Milliarden DM, einschließlich der Gemeinden, und den Kommunen auszuführen und zu bezahlen sind. Wer Leistungen festlegt, muß sich auch in davon über die Hälfte bei den Ländern, beschlossen erheblichem Umfang an ihrer Finanzierung beteili- worden. Diese Einsparungen fallen uns allen nicht leicht. Es ist ja kein Geheimnis, daß manche der gen. Aufgaben- und Ausgabenverantwortung gehö- Vorschläge für uns Sozialdemokraten sehr bittere ren zusammen, sonst denaturiert der Föderalismus. - Pillen sind. Aber ich sage ganz ausdrücklich — Herr (Beifall bei der SPD) Kollege Faltlhauser ist im Moment nicht hier; wir waren zusammen in einer Arbeitsgruppe, in der wir Jedenfalls wird damit die Gestaltungsfreiheit der uns mit Einsparungen und steuerlichem Subventions- Länder erheblich eingeschränkt. abbau beschäftigt haben —: Es gibt im Moment wenig Nun zum Föderalen Konsolidierungsprogramm: Grund, sich Vorhaltungen zu machen. Ich erinnere Von den Eckpunkten des Gesetzes zum Föderalen nur daran Konsolidierungsprogramm möchte ich einige beson- (Zurufe von der CDU/CSU) ders hervorheben. — Moment, warten Sie es doch ab! —, daß in der Erstens. Über den Finanzausgleich und über Son- Bundesliste — — derbundesergänzungszuweisungen werden den (Weitere Zurufe von der CDU/CSU) neuen Ländern 55,8 Milliarden DM ohne jede Zweck- bindung zur Verfügung gestellt. Die Sonderbedarfs- —Eine 10-Milliarden-Liste hatte die SPD-Seite vorge- zuweisungen werden zehn Jahre lang in unveränder- legt, die unter den Ministerpräsidenten auch nicht ter Höhe bereitgestellt, es sei denn — was wir natür- konsensfähig war, lich alle sehr hoffen, was aber im Moment wirklich nicht absehbar ist —, die finanzielle Situation in den (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] neuen Ländern würde sich in der Zwischenzeit grund- [CDU/CSU]: Das waren doch alles Steuerer höhungen!) legend verbessern. Basis des Finanzausgleichs ist der Gesetzentwurf des Bundesrates. die — es war ein steuerlicher Subventionsabbau — Zweitens. Der Fonds „Deutsche Einheit" wird um (Zuruf von der CDU/CSU: Sprechblasen!) 3,7 Milliarden DM in diesem Jahr und um 10,7 Milli- arden DM für 1994 aufgestockt und damit verstetigt. nach parteipolitischen Fronten unter den Ministerprä- Der Anteil der westlichen Länder an der Fondsauf- sidenten auch nicht konsensfähig war, aber von den stockung beträgt allein für diese beiden Jahre über SPD-Ministerpräsidenten voll getragen wurde. 7 Milliarden DM. Es waren übrigens die Westländer, (Beifall bei der SPD — Dr. Uwe Küster [SPD]: die auf diese Verstetigung des Fonds „Deutsche Bis zum Ende zuhören! — Zurufe von der Einheit" im Interesse der neuen Bundesländer CDU/CSU) gedrungen haben. Auch daran sehen Sie — das sage ich wieder an Herrn Schulz gewandt —, daß über- Ich will Sie nur daran erinnern, daß wir in den haupt keine Rede davon sein kann, daß sich die Vorschlägen des Bundes auch solche fanden, die im Westländer ihrer Verpflichtung zur Mitfinanzierung Laufe des Verfahrens vom Bund selber wieder zurück- entzogen hätten. gezogen wurden. Ich nenne das Beispiel des Mehr- wertsteuerausgleichs far die Landwirtschaft; diesen (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] Vorschlag hat der Bund in den Verhandlungen selber [CDU/CSU]: Und der Bund bezahlt es!) wieder zurückgenommen. — Der Bund bezahlt das nicht. Das zahlen die West- Ich sage Ihnen nur: Das wird nicht die Art sein, mit länder zusätzlich; das korrigieren wir gerade in unse- der wir über die nächsten Runden kommen. Das ist ren Haushalten. Das ist die Wirklichkeit. meine Einschätzung. An dieser Stelle weiß ich, wovon ich rede, weil ich als einer der wenigen Ministerprä- Zur Beilegung der nach unserer Klausur mit dem Bundeskanzler aufgetretenen Differenzen haben sich sidenten in unserem Bundesland das durchgeführt die Länder nun auch bereit erklärt, ab 1995 zusätzlich habe, was wir gemeinsam verabredet hatten. Das hat mich wenigstens einen Anzug gekostet — das ist ja 2,1 Milliarden DM Annuitäten für den Fonds „Deut- sche Einheit" zu übernehmen. noch leicht erträglich —, weil sich die Eier daraus schlecht entfernen ließen. Es werden noch andere Drittens. Wir haben einen zeitlich begrenzten Soli- Probleme auf uns zukommen, wenn wir wirklich Ernst daritätszuschlag ab 1995 vereinbart, der 28 Milliarden machen mit solchen Fragen. DM an Einnahmen erbringen soll. Über dessen soziale Komponente haben wir uns letztlich zwar verständigt; Im Sinne einer Konsensfindung sind wir jedoch in ich will aber nicht verhehlen, daß die Länder die dieser Runde zu Zugeständnissen bereit gewesen. Unsere Forderung, das für gefundene Lösung nach wie vor für unbef riedigend Unterhaltsgeld Fortbil- halten. dungs- und Umschulungsmaßnahmen bei beruflicher Rehabilitation (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nicht abzusenken — was im März vereinbart worden war —, wurde dann doch erfüllt. Die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag fließen Man hätte das Einsparziel auch anders erreichen neben den meisten anderen Steuererhöhungen können. Bedauerlich ist aus der Sicht der Länder, daß Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13751

Ministerpräsident Hans Eichel (Hessen) die umfangreichen Vorschläge zu einem steuerlichen übernehmen. Wir müssen wissen, auf welcher Basis Subventionsabbau — ich habe das eben schon ange- wir das tun sollen. deutet — nur in bescheidenem Umfang berücksichtigt Ich möchte ein paar Bemerkungen zum Thema wurden. soziale Schieflage und Arbeitsmarkt machen, weil Nicht zuletzt zwingen uns die drohenden Steuer- das auch die Ministerpräsidenten insgesamt intensiv ausfälle durch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung beschäftigt hat. auch in der Zukunft, nach Einsparmöglichkeiten zu Wenn ich es bei der Hervorhebung der genannten suchen. Was liegt da näher, als zur Abwechslung bei Punkte belasse, so liegt das nicht an der Geringschät- den steuerlichen Subventionen Tabus zu brechen? zung der übrigen Eckwerte. Vielmehr möchte ich Ihre Fünftens. Das FKP-Gesetz enthält eine für Außen- Aufmerksamkeit nicht zu lange mit weiteren Zahlen stehende kaum durchschaubare Materie, den bundes- strapazieren. staatlichen Finanzausgleich. Das zähe Ringen auf Erlauben sie mir noch einige Worte zu einem allen Seiten zeigt, wie groß dessen Bedeutung für Antrag, über den morgen der Bundesrat entscheiden Bund und Lander ist. wird. Aus der Sicht der Ländermehrheit wird das Ich denke, meine Damen und Herren, daß wir, so Gesetz den Erfordernissen der sozialen Gerechtigkeit, weit wir anfangs gedanklich auch auseinanderlagen, der Bekämpfung der Rezession und der Arbeitslosig- zu einer für Bund und Länder fairen Lastenverteilung keit sowie der Notwendigkeit der ökologischen gekommen sind. Mit diesem Gesetz hat die föderative Modernisierung nicht gerecht. Wir bedauern sehr, daß Ordnung in Deutschland durchaus ihre Lebensfähig- bei der Finanzierung der deutschen Einheit eine keit unter Beweis gestellt. soziale Schieflage besteht. wird nahezu ausschließlich Nun will ich etwas sagen zu Ihrer Bemerkung, Herr Die Arbeitsmarktpolitik gelei- Bundesfinanzminister, daß nichts draufgesattelt wer- über die Beitragszahler der Sozialversicherung stet. Graf Lambsdorff, ich glaube, das ist übrigens eine den könne. Von Draufsatteln ist von seiten der L ander auch nicht die Rede. Nur: Im FKP haben Sie die Position, die auch von Ihnen geteilt werden müßte; Ob wir Absprachen zurückgezogen, die wir mit dem Bundes- denn das betrifft auch die Lohnnebenkosten. an dieser Stelle die richtige Art der Finanzierung der verkehrsminister und im Gespräch mit dem Kanzler Einheit gefunden haben, wage ich zu beweifeln. Es im Sommer vergangenen Jahres getroffen hatten, nämlich daß diejenigen Finanzmittel auf die Länder gibt auch andere, die das ganz genauso sehen. übertragen werden, die notwendig sind, damit die (Beifall bei der SPD) Länder ihre Aufgaben erfüllen können. Vorschläge zu einer Arbeitsmarktabgabe, die dann (Zuruf von der CDU/CSU: Das war unter alle Erwerbstätigen einbezogen hätte, waren leider vollkommen anderen Voraussetzungen!) — auch unter den Ministerpräsidenten; entlang par- teipolitischer Fronten — nicht konsensfähig. Die Das haben wir dann im März gemeinsam aus den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sind vor dem Verhandlungen zum FKP herausgenommen. Hintergrund von weit mehr als drei Millionen Arbeits- Ich will nur darauf hinweisen, da das Thema Bahn- losen nicht ausreichend. Ich füge hinzu: Eine Million reform weiter auf der Tagesordnung steht; ich ver- Arbeitslose befinden sich dabei in der stillen Rese rve, mute, es muß auch weiter auf der Tagesordnung die wir durch eine Reihe von Änderungen — auch der stehen. Dieses Problem sollte möglichst schnell gelöst Statistik — herausgebracht haben. Sie existieren aber werden, weil es sonst jeden Tag teurer wird. Es wird als Arbeitslose. 1,2 Millionen Menschen befinden sich aber keine Lösung für die Bahnreform und keine in Fort- und Weiterbildung sowie in Umschulung und Übernahme der Aufgaben der Bahn durch die L ander ABM. 1,3 Millionen sind Kurzarbeiter. und Gemeinden geben können, wenn nicht die ent- Kurzum: Zählen Sie das zusammen, wie immer Sie sprechenden Finanzausstattungen sichergestellt wer- wollen, dann landen Sie bei 5,5 und mit den Kurzar- den. Das muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden. beitern bei 6,8 Millionen Menschen, die arbeitslos (Beifall bei der SPD — Dr. Theodor Waigel oder akut von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Davon [CDU/CSU]: Aber keine höheren!) sind übrigens über 20 % Langzeitarbeitslose. Meine Damen und Herren, angesichts dieser Tatsa- — Herr Bundesfinanzminister, uns liegt nicht im che halten wir das, was hier an arbeitsmarktpoliti- mindesten daran, an einer solchen Aufgabenübertra- schen Maßnahmen vorgesehen ist, für absolut unzu- gung auch nur irgendeine Mark zu verdienen; weil Sie reichend. sagen: keine höheren! Da sind wir uns ja einig. Wir (Beifall bei der SPD) werden erstens eine intensive fachliche Debatte dar- über zu führen haben, was wir eigentlich mit der Ich halte diesen Punkt — und ich kann mich wörtlich Bahnreform wollen, und zweitens müssen dann solide dem anschließen, was Graf Lambsdorff hierzu gesagt Rechnungen auf den Tisch. Daran mangelt es zum hat; aber daraus müßte auch die politische Konse- großen Teil bisher immer noch. Das sage ich bei quenz folgen — nicht allein aus haushälterischen diesem Punkt nicht als Vorwurf an die Bundesregie- Überlegungen für bedeutend. Jeder Arbeitslose rung, sondern als Vorwurf an die Deutsche Bundes- kostet den Staat pro Jahr rund 30 000 DM an Unter- bahn. Solange wir keine verläßlichen Grundlagen stützung und Steuereinnahmeausfällen. Vor allem der haben, sondern nur wissen, daß es sich um eine höchst eingangs erwähnte notwendige gesellschaftspoliti- teure Aufgabe handelt, werden Sie bei uns, den sche Konsens ist durch die Abdrängung nicht nur Ländern, keine Bereitschaft finden, diese Aufgabe zu dieser Gruppe am Rande Stehender gefährdet. Ich 13752 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Ministerpräsident Hans Eichel (Hessen) frage mich, wie lange wir uns seine solche Ausgren- nicht schon vor zwei Monaten wissen können, daß das zungspolitik noch leisten können. so wie damals verabredet nicht geht? Wenn wir uns diese Zahlen ansehen, meine ich, (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf kommen nicht nur die Älteren, sondern auch die von der CDU/CSU: Nein!) Jüngeren, die die Geschichte verstanden haben, sehr — Dann fragen Sie doch Ihren Verhandlungsführer, leicht zu und müssen sich fragen, ob das nicht Herr Roth: Es waren klare Verabredungen. Ich will eine wesentliche Grundlage für die Zerstörung der heute inhaltlich nicht in die Tiefe gehen — das werden

Demokratie in Deutschland war. Wenn ich mir über- wir in den Verhandlungen noch tun müssen —, lege, daß unter dem Stichwort „Alle Leistungen müs- sondern ich will fragen, wie es mit der Tariffähigkeit sen auf den Prüfstand" massive Einschnitte in die des Bundes aussieht, sozialen Sicherungssysteme geplant werden, frage ich mich, ob dann nicht das letzte Element, das diese (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!) Menschen noch in Solidarität mit diesem Staat und mit wenn — und das erleben wir nicht zum ersten Mal — dieser Demokratie verbindet, zerschlagen wird und Vereinbarungen nicht einmal zwei Monate lang hal- ob wir damit nicht die Axt an die Wurzeln der ten. Ich halte es um des notwendigen Zusammenwir- Demokratie in Deutschland legen. Das halte ich für kens von Bund und Ländern willen für dringend eine lebensgefährliche S trategie. erforderlich, daß wir uns besser auf die Aussagen des Bundes verlassen können. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste) (Beifall bei der SPD) Das ist — da haben Sie, Graf Lambsdorff, völlig recht — nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch ein Problem der Qualifikationsverluste und der Demo- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile nunmehr dem Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Gün- ralisierung breiter Bevölkerungsgruppen. Deswegen ter Rexrodt, das Wort. ist der zweite Arbeitsmarkt, wenn der erste es nicht bringt, von hohem Interesse, weil er nämlich die Menschen qualifiziert hält und — wenn wir das intelligent machen — auch wieder für die nächste Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Runde richtig ausbildet. Es sind doch auch die Unter- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben nehmer, die sich dagegen wehren, daß in dieser Phase in der Tat immense Anstrengungen zu unternehmen, die Gelder für Fort- und Weiterbildungs- und um das Nahziel der deutschen Wirtschaftspolitik die Umschulungsmaßnahmen gekürzt werden, weil sie Überwindung der Rezession, zu bewerkstelligen, und das für die falsche S trategie halten. wir stehen vor der großen Herausforderung, die kon- zeptionelle Aufgabe der Wirtschaftspolitik, nämlich (Beifall bei der SPD) die Sicherung des Standortes Deutschland, zu erfül- Für diese Entwicklung trägt auch der Staat Verant- len. wortung. An dieser Stelle sei die Bundesregierung Wenn ich über die Rezession spreche, dann möchte daran erinnert, daß für die mit dem Bundeskanzler ich sehr gern auf die Worte des Abgeordneten Dreßler vereinbarten Maßnahmen zur Absatzförderung von Bezug nehmen, der darstellte, daß das Ergebnis deut- Produkten aus den neuen Ländern noch keine Vor- scher Wirtschaftspolitik ein sehr beklagenswertes sei. schläge vorliegen. Für die neuen Länder ist es wichtig, Wir befinden uns in einer schwierigen Situation. Diese daß den Worten jetzt auch Taten folgen. Rezession hat viele Ursachen, externe wie interne Ursachen, und diese Rezession wird — ich komme - Abschließend möchte ich betonen, daß das FKP noch darauf zu sprechen — überwindbar sein. Gesetz einen wichtigen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufbau der neuen Länder darstellt. Die Länder stim- Wenn ich mir die wirtschaftliche Landschaft in men dem Gesetz trotz seiner Mängel deswegen dieser Bundesrepublik ansehe, Herr Dreßler, dann geschlossen zu. muß ich feststellen, daß Deutschland doch wohl ein Land ist, das sich sehen lassen kann. Wenn man (Zurufe von der SPD: Ihr seid die Gewinner! sachlich und fair ist, muß man zunächst einmal die Ihr gewinnt doch!) Frage stellen, wie weit denn überhaupt eine positive Wir gingen im März, als wir diese Vereinbarung Korrelation zwischen Wirtschaftspolitik und wirt- schlossen, davon aus, daß es sich urn eine dauerhafte schaftlichem Ergebnis besteht. Vereinbarung handelt. Bereits die Nachverhandlun- Es gibt eine solche Korrelation. Wenn Sie diese gen waren ein schlechtes Omen, meine sehr verehrten schon anführen, möchte ich sagen: Dieses L and ist Damen und Herren. Das will ich heute nicht vertiefen, immerhin über viele Jahre hinweg Exportweltmeister weil ja auch mir die Größe des Problems in Deutsch- gewesen; dieses Land stellt die Ankerwährung in der land sehr wohl bewußt ist. Europäischen Gemeinschaft; dieses Land verfügt überwiegend über Unternehmen, die weltweit wett- Wie ist es eigentlich zu erklären, daß für uns alle im bewerbsfähig sind, und dieses Land ist in der Lage, März klar war, daß das eine dauerhafte Vereinbarung eines der höchsten Sozialprodukte pro Kopf der Bevöl- ist und das, was im sozialen Bereich an Kürzungen kerung — zumindest im Westteil des L andes — zu damals nicht verabredet worden war, auch nicht gemacht wird, dann aber nur zwei Monate später und erwirtschaften. pünktlich zur Verabschiedung des FKP das alles (Detlev von Larcher [SPD]: Das klang bei wieder auf den Tisch gepackt wird? Hätten wir denn Lambsdorff anders!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13753

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt Das ist ein so schlechtes Land nicht, meine Damen und Finanzen zum Inhalt hat. Es setzt finanzielle Mittel für Herren! den Aufbau Ost frei, es leistet einen Beitrag zur (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Konsolidierung der Haushalte ab 1995. Es werden Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber das ist Incentives für konjunkturell wich tige Maßnahmen kein Verdienst der Regierung!) beispielsweise im Wohnungsbau und bei der Altla- stensanierung gegeben. Sie haben die Wirtschaftspoli tik mit den wirtschaftli- chen Ergebnissen in Verbindung gebracht; dann Das FKP ist vor allen Dingen ein Programm, das signalisiert hat, daß wir in gewissem Umfang in der messen Sie bitte die Wirtschaftspoli tik an diesem Ergebnis. Lage sind, uns in schwierigen Situationen zu eini- gen. - (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die Ergeb (Beifall bei der F.D.P.) nisse werden von der Wirtschaft erbracht!) Einige Worte zur Rezessionsüberwindung. Die klas- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Bun- sischen Instrumente der Rezessionsüberwindung, desminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Frau Matthäus-Maier, können wir zur Zeit auf Grund Abgeordneten Hans Büttner zu beantworten? der Aufgaben bei der Wiedervereinigungspolitik nicht voll einsetzen. Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Durch Ihre Sehr gerne. Schulden!)

— Die Schulden sind ja durch die Wiedervereinigung Hans Büttner (Ingoldstadt) (SPD): Herr Minister, bedingt; das wissen Sie. Wenn Sie auch nur ökonomi- habe ich Sie gerade richtig verstanden, daß Sie gesagt sche Grundkenntnisse hätten, wüßten Sie, worauf haben, Sie wären ohne FKP in der Wirtschaftspoli tik diese Schulden zurückzuführen sind. noch orientierungsloser, als Sie es sonst schon sind? (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Die sind bedingt durch eine falsche Politik! Die Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Schulden sind überflüssig!) Sie haben mich verkürzt verstanden. In Verfolg einer klassischen Rezessionsbekämpfung (Lachen bei der SPD) hätten wir jetzt die Steuern und Abgaben zu senken. Aber wer kann in dieser Situation, vor dem Hinter- Das liegt aber an Ihnen. Wir haben in vieler Hinsicht grund, daß wir riesige Transfers in die ostdeutschen große Probleme mit der Nettoneuverschuldung; das Länder vorzunehmen haben, Steuern und Abgaben ist gar keine Frage. Auf Grund der Probleme, die wir bei der Konsolidierung der Haushalte haben, beste- senken? Jeder weiß das. Es gibt keine ernsthafte Stimme — aus dem politischen Lager oder aus der hen schon Schwierigkeiten, das eine oder andere so zu Wissenschaft —, die nicht sagen würde: Wir sind ordnen, wie wir das gerne möchten. leider nicht in der Lage, die Steuern und Abgaben Aber die Ursache für die Schwierigkeiten bei der jetzt zu senken. Wir könnten anderenfalls ein wichti- Konsolidierung ist die Tatsache — das sage ich noch ges Teilziel der Bekämpfung der Rezession, nämlich einmal —, daß das gesamte konjunkturpolitische die Ingangsetzung des Aufschwungs Ost, nicht errei- Instrumentarium durch die Riesenaufgabe, den Auf- chen. schwung Ost, die Entwicklung der ostdeutschen Län- der zu finanzieren, überlagert wird. Hier liegt die Es gibt ein zweites klassisches Instrument, das man Ursache für die Probleme. Das muß jeder anerkennen, in der Rezessionsphase einsetzt. Dieses Instrument und das müssen auch Sie anerkennen. besteht darin, daß man die Nettoneuverschuldung gegebenenfalls erhöht, um damit konjunkturelle (Beifall bei der Abgeordneten der F.D.P. und Anreize zu setzen und so die fehlende Nachfrage im der CDU/CSU — Zurufe von der SPD) privaten Bereich durch staatliche Nachfrage auszu- Da gibt es gar keinen Zweifel; das wissen Sie doch. gleichen. Das FKP enthält im übrigen Mängel. Es sieht Dieses Instrument setzen wir in vollem Umfang ein, Abgabenerhöhungen zu einem Zeitpunkt vor, da ja, wie wir wissen und heute diskutieren, in einem Abgabensenkungen angesagt wären. Es konsolidiert Umfang, den wir uns eigentlich nicht leisten können, die Haushalte nicht früh genug, es ist nicht ausrei- denn wir stoßen bei der Nettoneuverschuldung an chend. Es ist mittelbar mit einem Standortsicherungs- Grenzen. Wir müssen in einer Sparaktion, die gesetz verknüpft, das richtig ist, aber ebenfalls Schön- schmerzlich sein wird, eben diese Restriktion zum heitsfehler enthält, nämlich die Tatsache, daß wir bei Tragen bringen. den degressiven Abschreibungen nicht so verfahren können, wie das konjunkturpolitisch richtig wäre. Damit bin ich beim Solidarpakt und dem, was sich ihm anschließen muß. Zunächst zum FKP. Das hat aus Ich sage noch einmal: Diese Mängel, diese Unzu- meiner Sicht einen hohen Wert. Es wird viel kritisiert. länglichkeiten müssen wir hinnehmen, weil unsere Aber ich möchte einmal fragen: Was wäre und was Wirtschaftspolitik, weil unsere Finanzpolitik von der gäbe es an wirtschaftspoli tischen Signalen, wenn wir im ökonomischen Sinne untypischen, aber unver- den Solidarpakt, das FKP, nicht hätten? — Wir wären zichtbaren und letztlich politisch auch beglückenden noch orientierungsloser, als wir das in manchen Berei- Aufgabe, die Einheit Deutschlands zu gestalten, über- chen auf Grund der Problematik mit der Wiederverei- lagert ist. nigung sein müssen. Das FKP bringt Planungssicher- Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, heit, weil es eine Neuordnung der Bund-Länder müssen wir nun nachsatteln. Dieses Nachsatteln 13754 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt besteht darin, daß wir an dem ansetzen müssen, was Denn es kann uns nicht darauf ankommen, veraltete wir im Solidarpakt vermißt haben und wozu wir nicht Strukturen zu erhalten und Unternehmen, die nicht in der Lage waren, nämlich ein Sparpaket ausreichen- lebensfähig sind, über Jahre hinweg finanziell durch- den Umfangs zu verabschieden. Wir müssen, wenn zuschleppen; wir mehr sparen wollen, beachten, daß wir interna tio- (Zuruf der Abg. Iris Gleicke [SPD]) nal eingebunden sind. Die Rolle der D-Mark kann nicht außer acht gelassen werden. Wir müssen durch sondern es kann uns nur darum gehen, diesen Unter- das Sparpaket, das zu verabschieden ist, ein richtiges nehmen noch einmal eine Chance zu geben, in die Signal auch in Richtung Bundesbank geben, denn Marktwirtschaft hineinzuwachsen. Wenn sie das nicht weitere Zinssenkungen wären konjunkturpolitisch schaffen, muß Schluß sein. - hilfreich und angesagt. (Zuruf der Abg. Iris Gleicke [SPD]) Ich kritisiere damit nicht — ich habe das in letzter Wir stehen zu dieser Politik. Die Treuhand wird in Zeit nie getan — die Politik der Bundesbank, ange- diesem Jahr ein Defizit von mehr als 38 Milliarden DM sichts der Tatsache, daß wir eine Inflationsrate von aufweisen. Das ist ein Betrag, der in weiten Teilen der mehr als 4 % haben, Erleichterungen nur schrittweise Sanierung der Unternehmen im Osten dient. herbeizuführen. Wenn durch richtige Sparsignale (Zuruf der Abg. Iris Gleicke [SPD]) weitere Zinssenkungsspielräume geschaffen würden, dann wäre das hilfreich zur Überwindung der Rezes- sion. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne geordnete Gleicke, darf ich Sie darauf aufmerksam ten der CDU/CSU) machen, daß nicht Sie das Wort haben, sondern der Wenn es nun um Sparen und um Ansätze dessen Bundeswirtschaftsminister. geht, was wir im Rahmen der FKP-Verhandlungen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — nicht in der Lage waren zu leisten, dann kommen wir Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! — Zuruf nicht umhin — das muß deutlich gesagt werden —, von der SPD: Sie kann doch reden, soviel sie den Rotstift auch im Sozialbereich anzusetzen. Wer will!) diese Notwendigkeit so charakterisiert, als wollten die Bundesregierung und die Koalition den Bedürftigen den Atem nehmen und auf die Schwachen zielen, der Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: verkennt, was hinter unseren Bemühungen steht. Was Ich sagte, wir brauchen ökonomisch vernünftiges wir wollen, wenn wir auch in der Sozialpolitik anset- Verhalten und keine Emo tionen, schon gar keinen zen, ist eine Begradigung bestimmter Strukturen, die Haß, wenn es um die Analyse der Wirtschaftspolitik sich verschoben haben. Es geht im wesentlichen geht. darum, daß ein angemessener Abstand zwischen Das gilt auch für den Bereich der Ich Lohnleistungen, Lohnersatzleistungen und Sozial- Tarifpartner. bin froh, feststellen zu können, daß die Abschlüsse im hilfe wiederhergestellt wird. Westen in den letzten Wochen und Monaten von Es geht auch darum, Subventionen abzubauen. Vernunft gekennzeichnet waren. Dies war im Osten Wenn ich über Subventionsabbau spreche, dann sind nicht überall und unbedingt der Fall. Aber ich bin der sicherlich die Bundesregierung und die Koalition guten Hoffnung, daß sich das in nächster Zeit ändern gefordert. wird, weil die ökonomische Vernunft nämlich bereits bei den Menschen auf der Straße angekommen ist, nur (Detlev von Larcher [SPD]: Denken Sie an noch nicht bei denen, deren Beruf es ist, diese Inter- Herrn Möllemann!) essen zu vertreten. Aber auch die Länder und Gemeinden sind gefordert. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Es gibt Hunderte und Tausende von Subventionen in en der CDU/CSU) -t Ländern und Gemeinden. Es handelt sich meist um Wir brauchen eine Erleichterung bei der Zinspolitik kleinere Beträge, aber sie addieren sich zu Milliar- und außenwirtschaftliche Anstöße zur Überwindung densummen auf. Jeder, der leichtfertig an die Bundes- der Konjunkturschwäche. Hier verweise ich auf die regierung die Aufforderung richtet, die Subventionen Probleme, die wir in der Europäischen Gemeinschaft im Bundesbereich einzusparen, möge sich an die angehen, und darauf, was wir in den GATT-Verhand- eigene Nase greifen und die Subventionen in seinem lungen unbedingt erreichen müssen. eigenen Bereich zurückfahren. Meine Damen und Herren, meine letzte Bemer- Meine Damen und Herren, wir brauchen, um die kung: Wir müssen angesichts der Probleme bei der Rezession zu bekämpfen, über das FKP hinaus zusätz- Überwindung der Rezession darauf achten, daß dieser seine liche Aktivitäten im Osten und ein ökonomisch ver- Standort Deutschland Wettbewerbsfähigkeit nünftiges Verhalten der Tarifparteien. Im Osten steht behält. Wir haben im Prinzip noch gesunde, wettbe- werbsfähige Unternehmen, die in der Lage sind, die Bundesregierung zur Politik der Sanierung und Produkte weltweit zu vermarkten. Aber diese Unter- Sicherung industrieller Kerne. nehmen, die betriebswirtschaftlich noch gesund sind, (Iris Gleicke [SPD]: Das ist ja ganz neu!) leiden unter den Steuern und Abgaben, die der Staat auferlegt. Sie leiden unter der Kostenkrise, zu der Als liberaler Wirtschaftsminister fällt es mir nicht viele beigetragen haben, auch die Tarifpartner, aber uneingeschränkt leicht, zu dieser Politik ja zu sagen. auch die öffentlichen Hände. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13755

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt Wenn wir diesen Standort wettbewerbsfähig erhal- — Wenn Sie eine Frage stellen, müssen Sie sich auch ten wollen, müssen wir diese Probleme angehen und die Antwort anhören. lösen. Das wird mittelfristig Handlungsbedarf ausma- Ich habe gesagt, daß wir dies vernünftig angehen chen, der große Kraft voraussetzt und der auch Sie, müssen. Warum sind wir in diese Krise geraten? Bei meine Damen und Herren, zum Schwur zwingt. An Steuern und Abgaben hatten wir in den 80er Jahren, irgendeiner Stelle, wenn es an das Eingemachte geht, was die Staatsquote angeht, eine gute Entwicklung in müssen Sie mit ins Boot, und Sie werden zeigen Gang gebracht. Das ist wahr. Daß sich dies in sein müssen, ob Sie angesichts der Gesamtsituation, vor Gegenteil verkehrt hat, ist, Herr Jens, wenn man fair der auch Sie stehen, Verantwortung tragen können. ist, darauf zurückzuführen, daß wir die riesigen Trans- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — fers zu leisten haben. Wir müssen diese Abgaben- Zurufe von der SPD) quote zurückführen. (Gudrun Weyel [SPD]: Wer hat denn darüber Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Bun- entschieden?) desminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Das ist eine ökonomische Binsenweisheit. Da können Abgeordneten Jens zu beantworten? Sie fünfmal mit dem Kopf schüttern; das ist wahr, das ist einfach wahr. Das weiß jeder. Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ja. Der zweite Punkt ist die Kostenkrise. Sie ist dadurch entstanden, daß wir unseren Unternehmen Leistun- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bevor der gen aufbürden, die diese Unternehmen nicht mehr zu Abgeordnete Jens seine Frage stellt, habe ich eine tragen in der Lage sind. Das ist das Sozialsystem, das Bitte. Herr Ministerpräsident des Landes Hessen, darf zu einem gut Teil von den Tarifpartnern selbst zu ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es zu der verantworten ist. Das will ich gar nicht in Abrede Courtoisie dieses Hauses gehört, die Bundesratsbank stellen. Da ist manches Versäumnis zu rügen. Es sind nicht zu verlassen. Vielleicht können Sie Ihre Gesprä- aber auch Lasten, die durch unsere Gesetzgebung, die che auf die Bundesratsbank zurückverlegen. — Gesetzgebung der Länder und Gemeinden auferlegt Danke schön. worden sind. Dieses Land ist überreguliert. Ein Unter- Bitte, Herr Abgeordneter Jens. nehmen, das eine Genehmigung für eine neue Halle braucht, muß ein Jahr oder noch länger warten. Jemand, der ein Haus bauen will, muß ein oder Dr. Uwe Jens (SPD): Herr Minister, ich unterstelle einmal, daß Sie, da Sie jung im Amt sind, auch noch anderthalb Jahre warten und kommt nicht voran. Wie Handlungsfähigkeit beweisen. Ich habe Ihrer Rede Mehltau legt sich die Regulierung über unser Land. ein bißchen zugehört. Von den dreieinhalb Millionen Das sind die Ursachen für die Krise in unserem registrierten Arbeitslosen und von den drei Millionen Land. Menschen, die außerdem in diesem Land noch Arbeit (Zuruf der Abg. I ris Gleicke [SPD]) suchen, haben Sie wenig gesagt. Können Sie vielleicht sagen, wie Sie diese sechseinhalb Millionen Arbeits- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- plätze in Kürze schaffen wollen? geordnete Gleicke, ich möchte Sie bitten, sich wenig- stens ein bißchen zurückzuhalten. Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Herr Abgeordneter Hinsken möchte noch eine Zwi- Das kann ich Ihnen gern sagen; es ist auch leicht schenfrage stellen. gesagt, Herr Jens. Aber es ist schwer getan. Es ist exakt das Problem, das ich soeben ansprechen wollte. Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Es ist das Problem der zunehmenden Schwierigkeit, Gern, und dann ist es genug mit Zwischenfragen. mit deutschen Produkten weltweit konkurrenzfähig zu sein. Wir brauchen Märkte. Wir brauchen Pro- Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Minister, pflichten dukte, die abgesetzt, die verkauft werden können. Sie mir bei, wenn ich sage, daß es gut gewesen wäre, Wenn wir die haben, dann haben wir auch Arbeit und wenn die SPD-Kollegen vor einigen Monaten im weniger Arbeitslose. Wirtschaftsausschuß zugegen gewesen wären, als Sie (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) auf diesbezügliche Fragen, wie sie heute Professor Unser Land ist in eine Kostenkrise, in eine Abga- Jens stellt, Antwort gegeben haben, statt sich gequält ben- und Steuerkrise geraten. vor die Tür zu begeben, aus dem Saal auszuziehen und damit zu demonstrieren, daß sie kein Verständnis (Dr. Uwe Jens [SPD]: Wer regiert denn seit für Ihre Argumente haben? zehn Jahren? Das ist doch Ihre Schuld!) — Nein, das ist nicht unsere Schuld, sondern an dem Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: aufkommenden Mangel an Wettbewerbsfähigkeit Ich pflichte Ihnen bei. Da ich mich jedenfalls bemühe, haben viele mitgewirkt. Wir sollten darüber eine faire auch ein freundlicher Mensch zu sein, biete ich der Diskussion führen. Was Sie wollen, worauf Sie hinwir- Abgeordneten sehr gerne an, sie in einer Privatlektion ken, ist doch, daß die Probleme durch Maßnahmen am davon zu unterrichten, was hier wirtschaftspolitisch in zweiten Arbeitsmarkt überwunden werden können. nächster Zeit angesagt ist. Das ist bestimmt hilfreich (Dr. Uwe Jens [SPD]: Kümmern Sie sich doch nicht nur für die Abgeordnete, sondern für diejenigen, einmal um das innenpolitische Problem die wir hier sitzen und gemeinsame Entscheidungen Nummer eins!) in den nächsten Monaten — und ich füge hinzu: in den 13756 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt nächsten Jahren — zu tretfen haben, um die Wettbe- Die Nettokreditaufnahme wird infolgedessen nach werbsfähigkeit dieses Landes zu sichern und dafür allem, was wir heute wissen, im laufenden Jahr auf Sorge zu tragen, daß wir genügend Arbeit haben, daß rund 68 Milliarden DM ansteigen müssen. Aber eine wir die Arbeitslosigkeit zurückdrängen und daß wir Nettokreditaufnahme in dieser Höhe ist auf Dauer von die Fähigkeit behalten, die sozialen Leistungen, die niemandem, auch von uns nicht, zu vertreten. Wir Sie immer einfordern, in ihrem Ke rn auch zu verdie- sagen das immer deutlich, und die Rede des Bundes- nen. finanzministers hat das heute auch noch einmal deut- (Vorsitz: Vizepräsidentin ) lich gemacht. Wenn wir das versäumen, wenn wir die Ursachen, Aber jetzt in der sehr schwierigen gesamtwirtschaft- über die wir ja weitgehend einig sind, nicht mit einer lichen Situation gibt es zu einer kurzfristigen Erhö- Strategie angehen, die auf die wirklichen ökonomi- hung der Nettokreditaufnahme auch in diesem schen Gegebenheiten abzielt, sondern statt dessen Umfang keine Alternative. Das haben die führenden weiter der Wunschvorstellung nachgehen, daß wir Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem jüngsten Gut- hier und heute in diesem Land alles machen könnten, achten noch einmal bestätigt. dann werden wir das ökonomische Schicksal dieses In Zukunft kommen wir jedoch um weitere nachhal- Landes verspielen. tige und dauerhafte Einsparungen nicht herum. Dies Schönen Dank. wird sich bereits bei der Aufstellung des Bundeshaus- halts 1994 deutlich auswirken müssen. Bei der Prü- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) fung der notwendigen Einsparungen darf kein Bereich vorab ausgeklammert werden. Ich betone: Es darf kein Bereich vorab ausgeklammert werden. Es Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster führt kein Weg an der Feststellung vorbei, daß wir uns spricht nun der Kollege Hans Peter Schmitz. vieles, was wir uns in der Vergangenheit geleistet haben, in Zukunft nicht mehr leisten können, meine Damen und Herren. Hans Peter Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU): Frau Ich will an dieser Stelle nicht noch einmal die Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- bekannten massiven Einsparmaßnahmen nennen, die ren! Kein Zweifel, seit 1990 zeichnet sich die Flaute in in einigen unserer Nachbarländer beschlossen und der Weltkonjunktur ab, von der wir auf Grund der umgesetzt werden; der Bundesfinanzminister hat vereinigungsbedingten starken Binnennachfrage schon darauf hingewiesen. Ich will nur einmal auf die vorübergehend verschont geblieben sind. Inzwischen Niederlande eingehen. Die Niederlande sind viel holt uns diese Flaute ein. Dementsprechend haben die kleiner als die Bundesrepublik, und sie haben nicht führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem die Wiedervereinigung mit all ihren Problemen vor kürzlich veröffentlichten Frühjahrsgutachten für das der Brust. Die Niederländer haben in einer Koalitions- laufende Jahr einen Rückgang der gesamtwirtschaft- regierung aus Christdemokraten und Sozialisten lichen Leistungen von bis zu 2 % und einen erhebli- beschlossen, für die nächsten vier Jahre beim natio- chen Anstieg der Arbeitslosigkeit um etwa eine halbe nalen Haushalt eine Minusrunde einzuführen. Das Million prognostiziert. Das sind die Fakten. bedeutet für diesen relativ geringen Etat — gemessen Zugleich haben aber auch die jüngsten Steuerschät- an unserem Bundesetat mit a ll den anderen Schwie- zungen deutlich gemacht, daß auf der Einnahmen- rigkeiten, die da sind —, daß in den nächsten vier seite der öffentlichen Haushalte sowohl in diesem Jahr Jahren mehr als 30 Milliarden Gulden eingespart als auch in den kommenden Jahren be trächtliche werden. Ich könnte Ihnen, meine Kolleginnen und Milliardensummen fehlen werden. Um es klar zu Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, vor- sagen: Wir befinden uns in einer kräftigen Rezession lesen, in welche Bereiche die hineingehen, aber ich mit all ihren negativen Konsequenzen für den Arbeits- will hier nur sagen: Das wird auch uns nicht erspart markt, aber auch für die reale Lohn- und Gehaltsent- bleiben. Deshalb betone ich: in alle Bereiche; alles wicklung und nicht zuletzt für die öffentlichen Finan- muß zur Disposition gestellt werden. zen, meine Damen und Herren. Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen, daß uns der Auf Grund der problematischen Situation auf dem konjunkturelle Abschwung in einer Phase trifft, in der Arbeitsmarkt und des damit verbundenen erhebli- wir ohnehin mit der einmaligen Herausforderung chen Mehrbedarfs bei der Bundesanstalt für Arbeit konfrontiert sind, den Aufbau von Wirtschaft, Verwal- — allein in diesem Jahr 18 Milliarden DM, vielleicht tung und Infrastruktur in den jungen Bundesländern etwas mehr — auf der einen Seite und der ebenfalls neu zu gestalten. Weil die Angleichung der Lebens- dadurch bedingten Steuermindereinnahmen auf der verhältnisse dort möglicherweise noch etwas länger anderen Seite besteht bereits in diesem Jahr eine dauert, als wir uns das ursprünglich gedacht und erhebliche Deckungslücke im Bundeshaushalt. gewünscht haben, müssen wir hier und dort vielleicht mehr als bisher um Verständnis für diese etwas länger In dieser Situation bleibt uns nichts anderes übrig, als den konjunkturell bedingten Mehrbedarf für den dauernde Phase werben. laufenden Haushalt über eine entsprechende Erhö- Ein wesentlicher Schritt zur Herstellung der ver- hung der Nettokreditaufnahme zu decken. Meine gleichbaren Lebensverhältnisse ist das FKP-Gesetz, Damen und Herren, eine Alternative dazu gibt es auf das sich Bund und Länder im Rahmen der Solidar- nicht. Ich will den Kollegen Walther hier nicht noch pakt-Verhandlungen verständigt haben und das wir mehr strapazieren, er ist ja heute schon genug zitiert heute verabschieden werden. Entscheidend dabei ist worden. jedoch, daß die Finanzierung der jungen Bundeslän- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13757

Hans Peter Schmitz (Baesweiler) der im Rahmen der Neuordnung des bundesstaatli- Versuch unternehmen, den Bund über den Tisch zu chen Finanzausgleichs auf eine dauerhafte feste ziehen. Grundlage gestellt wird. Den jungen Bundesländern (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge werden also ab 1995 rund 56 Milliarden DM pro Jahr ordneten der F.D.P.) zur Verfügung gestellt. Dies ermöglicht im Vergleich zu den alten Ländern überdurchschnittlich hohe Inve- Deswegen sage ich auch an die Adresse des Sprechers stitionen, die auch notwendig sind, wodurch die der Länder — er kann leider nicht mehr hier sein —: Angleichung des Niveaus ihrer öffentlichen Infra- Weitere Begehrlichkeiten der Länder, egal aus wel- struktur an das Niveau in den alten Bundesländern in chem Anlaß, müssen daher aus der Sicht der gesamt- absehbarer Zeit erfolgen kann. staatlichen Verantwortung des Bundes konsequent zurückgewiesen werden, meine Damen und Herren.- Von großer Bedeutung ist darüber hinaus die Rege- Im übrigen sind auch die Länder und Gemeinden lung über die Tilgung der Erblastschulden. Der Kol- aufgefordert, durch konsequente Einsparungen weit lege Wieczorek hat heute morgen über die Zinslast mehr als bisher zur Konsolidierung des öffentlichen und all das gesprochen, und er hat gemeint, das sei Gesamthaushalts beizutragen. Ich habe nicht den eine Zinslast, die sich jetzt plötzlich aus irgendwel- Eindruck, daß sich das schon überall herumgespro- chen imaginären Gründen angesammelt habe. Er hat chen hat. Hier muß mehr get an werden. Hier sind auch nur vergessen, daß eben der Erblastfonds — der die Länder und Gemeinden gefordert. Ministerpräsident des Landes Hessen hat auch darauf hingewiesen — da mit einbezogen worden ist. Auch Es kann nicht angehen, daß der Bund die Hauptla- sind die Altschulden der Wohnungswirtschaft in einer sten des Wiederaufbaus der jungen Bundesländer Höhe von immerhin 31 Milliarden DM in den Erblast nahezu allein trägt und sich auf Grund des Ausgaben- fonds eingestellt worden. Gerade dadurch werden die gebarens mancher Länder und Kommunen gleichzei- Privatisierung und die Sanierung des Wohnungsbaus tig der Eindruck aufdrängt, daß dort die gesamtstaat- erheblich gefördert. lichen Anstrengungen zur Bewältigung dieser Her- ausforderung noch gar nicht so gravierend betrachtet Meine Damen und Herren, ich will nicht verhehlen, worden sind, wie das notwendig ist. daß das Volumen von 12 Milliarden DM, um das der Bestandteil des Solidarpakts muß auch die zügige Haushalt durch Einsparungen und durch Abbau von Umsetzung des Standortsicherungsgesetzes sein. Ich Steuersubventionen im Rahmen des FKP entlastet verstehe nicht, wie m an die Senkung des Steuersatzes worden ist, für meinen Geschmack hätte größer aus- auf 44 % als Geschenk an die Unternehmer darstellen fallen können. kann. Das ist schlicht und einfach eine Notwendigkeit, (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) um den Standort Deutschland zu sichern. Andernfalls wandern die Unternehmungen und Unternehmer ab. Auch entspricht der ab 1995 zu entrichtende Solida- Sie brauchen sich dann über die Arbeitsplätze keine ritätszuschlag von 7,5 % auf die Lohn- und Einkom- Sorgen mehr zu machen. So einfach ist das. mensteuerschuld in dieser Höhe ganz gewiß nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge unseren Vorstellungen. Das haben wir nicht aus ordneten der F.D.P.) Freude getan. Daß wir den Bürgern dann mehr in die Tasche greifen, ist aber sicherlich notwendig. Dies Nachdem bei der im Steueränderungsgesetz 1992 alles war jedoch — Bundesfinanzminister Waigel hat geregelten ersten Unternehmensteuerreform die Sen- heute morgen schon darauf hingewiesen — im Rah- kung der ertragsunabhängigen Steuern im Mittel- men des Kompromisses, der im allseitigen Interesse punkt stand, wird durch das Standortsicherungsge- möglichst schnell gefunden werden mußte, nicht zu setz der Körperschaftsteuersatz für Personenunter- verhindern. nehmen bzw. der Einkommensteuerhöchstsatz auf maximal 44 % begrenzt. Auf Grund der angespannten Verhindert werden konnte jedoch — das halte ich Haushaltslage konnte dies eigentlich nur aufkom- auch für bedeutsam — die von der SPD geforderte mensneutral erfolgen. sofortige Einführung des Solidaritätszuschlags. Dies Herr Minister Rexrodt — ich sehe, er ist nicht mehr hätte gerade in der derzeitigen konjunkturellen Lage da — — dies ist einfach oft übersehen worden — für uns alle verheerende Folgen gehabt, meine Damen und Her- (Zuruf von der Regierungsbank: Wird gerade ren. abgelöst!) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!) — ich habe Verständnis dafür —, uns wäre eine Der Bund ist mit seinen Zugeständnissen im Rah- Lösung ohne Gegenfinanzierung auch lieber gewe- men der Verhandlungen über den Solidarpakt bis an sen, aber es ließ sich nicht anders machen. Ich denke, die Grenze des finanziell Vertretbaren gegangen. es ist leichter, möglicherweise die Abschreibungs- Mehr ist da auch nicht zu machen. Ich unterstütze den sätze zu einem anderen Zeitpunkt wieder anzuheben. Bundesfinanzminister und die Bundesregierung Deswegen halte ich diesen Weg für das kleinere darin, in zukünftigen Verhandlungen nicht mehr in Übel. Verlegenheit gebracht zu werden, etwa durch Äuße- Wer in der derzeitigen Situation, insbesondere mit rungen von der Länderseite, die da heißen: Wir hätten Blick auf die problematische konjunkturelle Lage, ja gar nicht gedacht, daß wir so billig davonkom- öffentlich Horrorszenarien entwirft, dient nieman- men. — Meine Damen und Herren, das finde ich nicht dem. Daß Pessimismus und Rezession zusammenhän- richtig. Wenn man verhandelt, sollte m an, meine ich, gen, ist heute morgen schon angesprochen worden. zu dem Kompromiß stehen und nicht mehr den Zu einem Horrorszenario gibt es auch keinen Anlaß, 13758 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Hans Peter Schmitz (Baesweiler) meine ich. Wir müssen erkennen, daß die Lage ernster Sie hatten es doch in der Hand, 1989 zu einer geworden ist, daß wir jetzt die Weichen für eine europäischen Harmonisierung mit beizutragen, und erfolgreiche Zukunft richtig stellen müssen. Deshalb haben das torpediert, meine Damen und Herren von ist ein grundlegendes Umdenken erforderlich. Wir den Koalitionsfraktionen. Insofern ist Herr Waigel können es uns auf Dauer nicht leisten, auf dem Verursacher der Misere, die er jetzt beklagt. Das gilt höchsten sozialen Niveau das Land mit den ältesten aber nicht nur für diesen Fall. Studenten, den jüngsten Rentnern, mit den geringsten Ich muß einen dritten direkt ansprechen, der jetzt Wochenarbeitszeiten und den höchsten Urlaubsan- leider nicht hier ist. Das ist der Kollege Schulz, der sprüchen sowie den zugleich kürzesten Maschinen- Sprachkünstler vom BÜNDNIS 90, der ja laut „Spie- laufzeiten bei sehr hohem Lohnniveau zu sein. Ich gel" ein parlamentarischer „Held der Arbeit" ist, in habe versucht, das in einem Satz zusammenzufassen. vier Ausschüssen tätig. Im Finanzausschuß habe ich Es ist kaum möglich, und das muß einmal öffentlich ihn noch nicht gesehen. gesagt und anerkannt werden. Aber auch in der Finanzpolitik gibt es in Zukunft (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Im nicht das, was wünschenswert ist, sondern nur das, Haushaltsausschuß auch nicht!) was machbar ist, zu entscheiden. Entscheidend ist das, Dem Kollegen Schulz wollte ich mal sagen: Es reicht was machbar ist, auch für die staatliche Ausgabenpo- nicht aus, die Arbeitsergebnisse der SPD-Opposition litik. Deswegen glaube ich, daß wir die Steuer- und hier wortreich aufzudrehen und das zugleich mit Abgabenlast mittelfristig wieder senken müssen. Das Häme gegenüber der SPD zu verbinden. Ein solches ist zwingend erforderlich, und das bedeutet, daß wir Politikverständnis sollte auch für eine Opposition wie die Leistungsbereitschaft unserer Menschen fördern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN etwas zu billig sein. Ich und zusätzliche Wachstumsgrundlagen in unserem sage das mal, weil ich diese manchmal moraltrief en- Lande erhalten bleiben. den Reden von ihm hier nicht mehr ertragen kann. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine Damen und Herren, wir müssen uns in dieser Debatte mit einem zentralen Schwachpunkt, mit einem der vielen Schwachpunkte der Regierung Kohl, Nun hat der Kol- Vizepräsidentin Renate Schmidt: in dem Fall mit der Steuerpolitik, befassen. Der lege Joachim Poß das Wort. Versuch von Herrn Waigel, vor dem von ihm selbst aufgetürmten Schuldenberg und dem steuerpoliti- Joachim Poß (SPD): Frau Präsidentin! Meine schen Wirrwarr nach München zu fliehen, ist geschei- Damen und Herren! Ich glaube, daß die Rede des tert. Jetzt wird er — das hat er in seiner Rede heute Wirtschaftsministers, der leider nicht mehr da sein morgen ja auch bekundet — die von ihm selbst kann, deutlich gemacht hat, daß wir neben der eingebrockte Suppe weiter löffeln müssen. Sein Vor- Kostenkrise und anderen Faktoren, die er genannt sich-her-Wursteln nach dem Motto „nach mir die hat, sehr deutlich eine Managementkrise auch in der Sintflut" hat verheerende Wirkungen auch für die Politik haben, nicht nur in den Unternehmen. Steuerpolitik. (Beifall bei der SPD) In der Situation, in der sich Herr Dr. Waigel befindet, könnte er einem fast leid tun, wenn er nicht in vielen Es ist doch sehr bedenklich, wenn ein Minister Debatten selbstgerecht und rechthaberisch unsere versucht, Profil zu gewinnen, indem er Forderungen Vorschläge und realistischen Einschätzungen der aufstellt und sich vom konkreten Regierungshandeln wirtschafts- und finanzpolitischen Entwicklung im- absetzt. Er hat doch den Aufbau Ost mit zu organisie- mer wieder in den Wind geschlagen hätte. Die heutige ren und nicht zu sagen, was geschehen soll. Er hat Rede war ein weiterer Beleg dafür. doch dem Abschwung West entgegenzuwirken. Das Politikverständnis, daß der Bundeswirtschaftsminister (Beifall bei der SPD) hier gezeigt hat, offenbart etwas über die Qualität Ich gebe zu, meine Damen und Herren, es fällt dieser Regierung. Er sprach vom Nachsatteln. Es gibt immer- schwerer, die von Waigel angerichtete finanz das Draufsatteln, Nachsatteln gibt es nicht. Da setzt und steuerpolitische Misere in angemessene Worte zu man sich nämlich auf den Pferdeapfel, und so ähnlich fassen. Der Deutschen Steuergewerkschaft ist darin war mein Eindruck bei der Rede, die er hier gehalten zuzustimmen, daß dieser Steuerpolitik weder eine hat. steuerpolitische Grundkonzeption zugrunde liegt (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) noch daß sie Orientierungsmaßstäbe für gesetzgebe- Ich kann den Herrn Bundesfinanzminister jetzt risches Handeln gibt. Die Steuergewerkschaft nennt leider nicht persönlich ansprechen, weil er sich ver- das Zinsabschlagsgesetz und das Standortsicherungs- treten läßt. Ich wollte ihm nämlich, bevor ich auf gesetz als Beispiele für eine Steuerpolitik, die an kritische Punkte zu sprechen komme, zunächst sagen, Hektik und Konzeptionslosigkeit nicht mehr zu über- daß ich mit ihm in einem übereinstimme. Ich teile bieten ist. Das Fazit der Steuerexperten lautet: Insge- seine Kritik an den Banken in Zusammenhang mit der samt ist die Steuerrechtsordnung in ein Steuerchaos Steuerflucht. abgedriftet. Aber mit Ihrer Gesetzgebung haben Sie doch erst Eines zieht sich allerdings wie ein roter Faden durch die Voraussetzungen für dieses Verhalten der Banken diese Waigelsche Steuerpolitik: Während die große geschaffen, das Sie jetzt kritisieren. Masse der Bürger mit kleinem und mittlerem Einkom- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) men zum Teil in verfassungswidriger Weise immer Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13759

Joachim Poß höher belastet wird, erhalten die wenigen Spitzenver- sicherungsgesetz wohl demnächst auch als verfas- diener immer größere Steuergeschenke. Der traurige sungsrechtlich unhaltbar erweisen und sich damit Höhepunkt dieser zutiefst ungerechten Politik wird einfügen in die unrühmliche Reihe der vom Bundes- mit den hier heute zur Beschlußfassung vorliegenden verfassungsgericht verworfenen steuerpolitischen Re- Steuergesetzen erreicht. Auf der einen Seite sollen gelungen dieser Bundesregierung. nach Ihrem Willen Spitzenverdiener eine Senkung Das Standortsicherungsgesetz führt zudem zu einer des Steuersatzes für gewerbliche Einkünfte erhal- weiteren Beschädigung unseres Steuersystems und zu ten, erheblichen zusätzlichen Komplizierungen im Ver- (Hermann Rind [F.D.P.]: Wieder diese blöde fahren. Geschichte!) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Leider, lei- indem erstmalig ein Sondertarif für eine Einkunftsart der!) eingeführt wird Hier von einem Flop zu sprechen ist fast noch eine (Hermann Rind [F.D.P.]: Auch das ist Beschönigung. falsch!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) — doch! —, womit das verfassungsrechtliche Gebot einer gleichmäßigen Besteuerung mißachtet und die Es mag ja noch angehen, daß der Herr Bundesfi- bisherige Steuersystematik zerschlagen wird; auf der nanzminister seine Amtszeit als Hundejahre ansieht anderen Seite hat der Bundesfinanzminister nichts oder von seinen CSU-Parteifreunden wie ein Hund unversucht gelassen, um das steuerfrei zu stellende behandelt wird. Es geht aber überhaupt nicht an, daß Existenzminimum der Geringverdiener entgegen den der Bundesfinanzminister in wenigen Jahren unser Vorgaben des Verfassungsgerichts auf ein möglichst Steuersystem völlig auf den Hund bringt. niedriges Maß zu drücken. (Beifall bei der SPD) Die Verabschiedung dieser Regelung stellt einen Es ist ja nicht so, daß nur die SPD das Standortsiche- rabenschwarzen Tag für das deutsche Steuerrecht rungsgesetz kritisiert hat. Selten wurde ein Gesetzent- dar. Ich will das zunächst am Beispiel des sogenannten wurf von der sachverständigen Öffentlichkeit vom Standortsicherungsgesetzes begründen. Ansatz und von der Ausführung her als so verfehlt Es besteht, glaube ich, im Hause eine weitgehende beurteilt wie dieses Gesetz. Ich verweise auf die Übereinstimmung darüber, daß erhebliche Anstren- Anhörung im Finanzausschuß und auf die Stellung- gungen erforderlich sind, um die Vorteile und Stärken nahmen, die dazu gegeben wurden. Der sonst in des Standorts Deutschland für die Zukunft zu sichern seinen Äußerungen eher zurückhaltende Vorsitzende und die tatsächlichen Schwachpunkte zu beseitigen, des Sachverständigenrates, Professor Hax, bezeich- zumindest aber abzumildern. Die Unternehmensbe- nete dieses Gesetz als ein unsystematisches und in steuerung ist hierbei ein Faktor in einer ganzen Reihe seinen Wirkungen undurchschaubares Gesetz. Der von Faktoren, die einen Beitrag dazu leisten können. bekannte Steuerrechtler Professor Tipke stellte im Von entscheidender Bedeutung für den Standort Hinblick auf dieses Gesetz resignierend fest: „Die Deutschland ist aber, daß wir jetzt — vor allem auch ,Chaotiker' machen weiter." angesichts der aktuellen konjunkturpolitischen Der grundlegende, insbesondere von den For- Lage — die richtigen, in die Zukunft weisenden schungsinstituten, aber auch von der Wirtschaft selbst steuerpolitischen und wirtschaftspolitischen Entschei- vorgetragene wirtschaftspolitische Einwand ergibt dungen treffen. Vor diesem Hintergrund ist das von sich aus der veränderten konjunkturpolitischen Lage. der Bundesregierung vorgelegte Standortsicherungs- Inzwischen wird von niemandem mehr geleugnet, daß gesetz ein totaler Flop. Es ist ein wirtschaftspolitischer der Abschwung der westdeutschen Konjunktur in Flop, weil von ihm keine positiven, sondern negative eine sich selbst verstärkende und länger andauernde Wirkungen auf Investition und Beschäftigung ausge- Rezession einzumünden droht. Zudem ist in Ost- hen deutschland ein sich selbst tragender Aufschwung (Hermann Rind [F.D.P.]: Das sieht die betrof nicht in Sicht. fene Wirtschaft aber anders!) Es ist klar, daß vor diesem aktuellen konjunkturpo- und damit eine Wirtschaftspolitik betrieben wird, die litischen Hintergrund die wirtschaftlichen Auswir- tendenziell zu einer Verschärfung des konjunkturel- kungen des Gesetzes anders zu beurteilen sind als len Einbruchs führt. Das vorgelegte Gesetz ist in noch vor einem Jahr. Die vorgesehene Gegenfinan- Wahrheit gar kein Standortsicherungsgesetz, weil zierung über eine Rückführung von Abschreibungs- unter einem völlig irreführenden Titel, die Standort- erleichterungen ist deshalb derzeit wirtschaftspoli- frage auf bloße Steuerrechtsänderungen reduziert tisch völlig verfehlt. Die Bundesregierung ist aber wird. offenbar nicht bereit, diese Veränderungen zur (Detlev von Larcher [SPD]: So ist es!) Kenntnis zu nehmen. Sie hält stur an ihrem Gesetzge- Die wirklich drängenden wirtschaftspolitischen Pro- bungsvorhaben fest und nimmt dabei bewußt in Kauf, bleme werden dagegen mit diesem Gesetz nicht die konjunkturelle Lage mit ihrer Finanzpolitik noch ernsthaft in Angriff genommen. weiter zu verschlechtern. Dabei hat bereits vor knapp drei Monaten das Ifo-Institut in München eindringlich (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke davor gewarnt, daß die Rücknahme von Abschrei- Liste) bungserleichterungen trotz der vorgesehenen Da das Gesetz mit einem erheblichen verfassungs- Steuersatzsenkungen dazu führe, daß von dem St and- rechtlichen Risiko behaftet ist, wird sich das Standort ortsicherungsgesetz insgesamt keine positiven, son- 13760 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Joachim Poß dern negative Wirkungen auf die Sachkapitalbildung einer allgemeinen Senkung des Spitzensteuersatzes der Unternehmen und damit auf die Investitionstätig- ein neues Milliardenloch entstehen. keiten ausgehen. Außerdem würden dadurch Investi- Gegen die steuerliche Sonderbehandlung der Ein- tionen in arbeitsplätzeschaffende Sachanlagen ge- künfte aus Gewerbebetrieben werden auch schwer- genüber risikolosen Finanzanlagen relativ benachtei- ste steuersystematische Bedenken erhoben, auf die ligt. ich hier hinweise. Der Präsident der Bundessteuerbe- Nun — Herr Rexrodt ist nicht mehr da —, Herr raterkammer hat den diesjährigen deutschen Steuer- Gattermann, Herr Rind, lese ich zu meinem Erstaunen beraterkongreß mit einem Hilferuf eröffnet: „Unsere im wirtschaftspolitischen Leitantrag der Regierungs- Geduld ist erschöpft. Das deutsche Steuerrecht ist in partei F.D.P. zum bevorstehenden Bundesparteitag in einem erbarmungswürdigen Zustand. Es herrscht Münster, daß die Verschlechterung der Abschrei- Steuerchaos." bungsbedingungen für Investitionen im Standortsi- Von den wissenschaftlichen Sachverständigen wird cherungsgesetz verhindert werden soll. Meine Herren die spezielle Senkung des Einkommensteuerspitzen- — im Moment sind nur Herren da — von der F.D.P., satzes für gewerbliche Einkünfte auch als steuerpoli- können wir demnach davon ausgehen, daß Sie nun- tisch fragwürdig kritisiert. Die Steuersatzsenkung tritt mehr unter dem Eindruck der fachlichen und öffentli- nämlich unabhängig davon ein, ob der Gewinn im chen Kritik diesem Gesetzentwurf hier und heute Unternehmen verbleibt oder für Konsumzwecke ent- nicht zustimmen werden? nommen wird. Das hat zur Folge, daß Gewerbetreibende für ihre Vizepräsidentin Renate Schmidt: Erlauben Sie eine Einkünfte, die sie z. B. zur Finanzierung einer Zwischenfrage, Herr Kollege Poß? Urlaubsreise verwenden, weniger Einkommensteuer zahlen als Arbeitnehmer, Vermieter oder Freiberufler. Die Bundesregierung konnte in den Beratungen kein Joachim Poß (SPD): Ja, bitte. stichhaltiges Argument nennen, mit dem eine solche steuerliche Vorzugsbehandlung zu rechtfertigen Hermann Rind (F.D.P.): Herr Kollege Poß, Ihnen ist wäre. ja bekannt, daß wir alle es lieber hätten, die degres- Das Standortsicherungsgesetz ist auch für die Wirt- sive Abschreibung nicht reduzieren zu müssen. Das schaft selbst verteilungspolitisch völlig unausgewo- gilt für alle Seiten des Hauses. gen. Aber meine Frage an Sie lautet, ob Ihnen bekannt ist, daß leider die meisten Unternehmen wegen ihrer Herr Kollege Poß, Ertragslage von sich aus auf die wesentlich niedriger Vizepräsidentin Renate Schmidt: würden Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen lineare Abschreibung heruntergehen müssen, um Uldall gestatten? überhaupt noch ihre Aktionäre oder ihre Gesellschaf- ter bedienen zu können. Joachim Poß (SPD): Ja, wenn sie nicht auf meine Zeit angerechnet wird. Joachim Poß (SPD): Wir haben diesen Gesichts- punkt teilweise in Anhörungen oder Diskussionen (CDU/CSU): Herr Kollege Poß, da Sie zum Gesetzentwurf mit behandelt. Nur, ich verstehe Gunnar Uldall eben beklagten, daß der Steuerzahler, der sein Ein- Ihre Frage nicht ganz. Wollen Sie damit sagen, daß die kommen aus einem Gewerbe bezieht, bevorteilt wäre, F.D.P. von ihren Einwänden gegen das Standortsiche- frage ich Sie: Ist Ihnen denn bekannt, daß nur derje- rungsgesetz, die in diesem Leitantrag niedergelegt nige durch die Steuersenkung entlastet wird, der sind, mit dieser Begründung jetzt abrücken wird? zusätzlich Gewerbesteuer zu entrichten hat, daß (Hermann Rind [F.D.P.]: Ich will nicht davon schon deswegen ein Vergleich mit dem Arbeitnehmer abrücken, es ist zu relativieren!) nicht gerechtigtfertigt ist und daß es eine Steuersen- — Das mag ja Ihre Meinung sein, aber ich frage doch kung gerade in dem Umfange gibt, in dem der nach der Haltung der F.D.P. bei ihren Äußerungen Steuerbegünstigte auch Gewerbesteuer zu zahlen gegenüber der Öffentlichkeit und ihrem Verhalten hat? Deshalb müßte Ihnen doch eigentlich aufgegan- hier im Parlament. Da müssen Sie doch Klarheit gen sein, Herr Kollege, daß hier nur eine Ungleichbe- herstellen. handlung aufgehoben wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Joachim Poß (SPD): Herr Kollege Uldall, die ein- Die spezielle Steuersatzsenkung für hohe gewerbli- kommensteuerliche Sonderbehandlung der Gewer- che Einkünfte stellt einen Verstoß gegen den Grund- bebetriebe ist kein Ausgleich für ihre Belastungen satz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung dar. Das durch die Gewerbesteuer. Zum einen tritt sie unab- Standortsicherungsgesetz ist deshalb mit einem hängig davon ein, ob der Bet rieb Gewerbesteuer erheblichen verfassungsrechtlichen Risiko behaftet. zahlen muß oder nicht, zum anderen werden viele kleine und mittlere Gewerbetreibende durch die Sen- Das heißt, wieder einmal spielt der Bundesfinanz- kung des Spitzensteuersatzes überhaupt nicht entla- minister mit der Verfassung va banque, aber nicht nur stet, obwohl sie Gewerbesteuer zahlen müssen. mit der Verfassung, sondern auch mit den Finanzen. Würde nämlich das Bundesverfassungsgericht die (Abg. Gunnar Uldall [CDU/CSU] meldet sich Vorzugsbehandlung der gewerblichen Einkünfte zu einer weiteren Zwischenfrage) nicht hinnehmen und eine Gleichbehandlung für — Ich möchte jetzt wirklich mit meinem Text weiter- verfassungsrechtlich geboten halten, so würde mit machen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13761

Joachim Poß Das Standortsicherungsgesetz ist auch für die Wirt- richt bereits für 1992 das steuerfrei zu stellende schaft selbst verteilungspolitisch völlig unausgewo- Existenzminimum auf 12 000 bis 14 000 DM festgelegt gen. Die Kopplung von Spitzensteuersatzsenkung hat. und Verschlechterung der Abschreibungsbedingun- (Zuruf von der SPD: Das ist unglaublich!) gen führt für viele kleine und mittlere Unternehmen Die Bundesregierung selbst hat noch Ende letzten unter dem Strich zu einer höheren Steuerbelastung. Jahres den durchschnittlichen Sozialhilfebedarf, der Die Senkung des Spitzensteuersatzes führt nämlich ja Maßstab für das steuerfreie Existenzminimum ist, erst ab gewerblichen Einkünften von über 180 000 mit monatlich 1 254 DM — das sind 15 048 DM im DM bei Verheirateten zu einer Steuersatzsenkung. Jahr — angegeben. Das alles soll jetzt nicht mehr Von den Verschlechterungen der Abschreibungsbe- gelten. Mit einem Federstrich setzt sich Herr Waigel dingungen sind hingegen alle Unternehmen betrof- - über die klaren Anweisungen des Bundesverfas- fen. Im Ergebnis müssen deshalb viele kleine und sungsgerichts hinweg. mittlere Unternehmen die erheblichen Steuersenkun- gen für Großunternehmen mitbezahlen. Die für die Absenkung der steuerfreien Be träge Es ist deshalb nur folgerichtig, daß die Mittelstands- gegebene Begründung ist äußerst dürftig. Die vereinigung der CDU/CSU die im Standortsiche- Behandlung des Mehrbedarfs für Erwerbstätige bei rungsgesetz vorgesehene Senkung des Einkommen- der Sozialhilfe als Zuschlag oder als Freibetrag ver- steuerspitzensatzes ablehnt und die Bundesregierung mag doch an der objektiven Höhe des Existenzmini- auffordert, von dieser Senkung abzurücken. Bedauer- mums nichts zu ändern. Selbst nach Ihrer Begründung lich ist nur, daß sich die Mittelstandsvereinigung in müßte zumindest für das erste Halbjahr 1993 ein der Öffentlichkeit erst vorgestern so klar geäußert hat. Erwerbstätigenzuschlag angesetzt werden, so daß der Es wäre der Sache dienlicher gewesen, wenn sie das in steuerfreie Betrag mindestens 11 250 DM be trägt. gleicher Deutlichkeit bereits während der Beratung Offenbar haben Sie das erkannt und Billigkeitsmaß- getan hätte. So bleibt der fade Nachgeschmack, daß nahmen in dem Gesetz vorgesehen. Es sagt etwas die bessere Erkenntnis doch nicht so weit geht, sie in über die Qualität des Gesetzes aus, daß m an sehenden konkretes Handeln umzusetzen. Auges einer verfassungswidrigen Regelung zustim- men will , Die Beratungen im Finanzausschuß haben im übri- gen deutlich gemacht, daß die behauptete Aufkom- (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] mensneutralität verfehlt wird. Es ergeben sich von [CDU/CSU]: Jetzt erzählen Sie etwas wider 1993 bis 1996 Steuerausfälle von über 10 Milliarden besseres Wissen!) DM. Höchstwahrscheinlich aber ist dieser Steueraus- bei der von vornherein klar ist, daß sie im Billigkeits- fall noch wesentlich größer. Der Zeit wegen kann ich wege teilweise wieder korrigiert wird. Es ist eine das jetzt nicht weiter ausführen. Ich verweise in dem Verhöhnung der Bürger, daß Sie die verfassungswid- Zusammenhang auf die auch vom Bundesfinanzmini- rige Verschlechterung des Existenzminimums auch ster eingesetzte Kommission zur Verbesserung der noch als soziale Komponente für die Erhebung des steuerlichen Bedingungen für Investitionen und Solidaritätszuschlags hinstellen. Arbeitsplätze, die für die zukünftige Behandlung der Kapitalgesellschaften mit Auslandsbeziehungen ei- (Beifall bei der SPD — Hansgeorg Hauser nen Steuerausfall von 1 Milliarde DM angenommen [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Das ist eine hat. Im übrigen wurde durch die Beratungen im Verdrehung der Tatsachen!) Finanzausschuß klar, daß zumindest erhebliche neue Auch die vorgesehene Kleinbetragsregelung beim Steuerumgehungsmöglichkeiten entstehen können. Solidaritätszuschlag stellt keine ausreichende soziale Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt ein Gesetz, das Komponente dar. wirtschaftspolitisch verfehlt und verfassungsrechtlich Zudem verstößt der Bundesfinanzminister damit fragwürdig ist, das unser Steuersystem weiter beschä- gegen die Vereinbarung vom März. Im März ist digt und mit einer erheblichen Komplizierung verbun- vereinbart worden, daß der Solidaritätszuschlag den ist, ab. Wir lehnen es aber auch deshalb ab, weil 28 Milliarden DM jährlich erbringen soll. Nach den die ökonomisch nicht gerechtfertigte Senkung des Berechnungen des Finanzministeriums haben wir Einkommensteuerspitzensatzes für gewerbliche Ein- 1996 — d. h. im ersten Jahr der vollen Wirksamkeit künfte das soziale Klima in unserem Lande gefährdet, dieser Maßnahme — mit 31,6 Milliarden DM in den da zur gleichen Zeit von Arbeitslosen, Sozialhilfeemp- Kassen des Bundes zu rechnen. Das heißt, daß das fängern, Kranken und Rentnern immer wieder neue vorhandene finanzielle Volumen für eine soziale Solidarbeiträge eingefordert werden. Statt der verfas- Komponente nicht ausgeschöpft wird. Daher sieht sich sungsrechtlich problematischen und wirtschaftspoli- die SPD-Fraktion nicht in der Lage, den angesproche- tisch verfehlten Senkung der Spitzensteuersätze wäre nen Regelungen zuzustimmen. Wir werden uns auch die Wiederherstellung einer verfassungskonformen weiterhin dafür einsetzen, daß der Solidaritätszu- Besteuerung weit wichtiger und dringlicher. schlag mit einer echten sozialen Komponente verse- (Beifall bei der SPD) hen und damit gerecht ausgestaltet wird Hierzu gehört vor allem die längst fällige deutlich (Beifall bei der SPD) Anhebung des Grundfreibetrages zur Steuerfreistel- und daß das Existenzminimum endlich in verfas- lung des Existenzminimums. Nach der im FKPG- Gesetz vorgesehenen Regelung soll das steuerfreie sungskonformer Weise steuerfrei gestellt wird. Existenzminimum von bisher 12 000 DM auf 10 500 Meine Damen und Herren, auch die Besei tigung DM herabgesetzt werden, obwohl das Verfassungsge nicht gerechtfertigter Steuervergünstigungen für 13762 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Joachim Poß kleine, ohnehin privilegierte Gruppen ist ein Beitrag dem Protokoll gestrichen, weil sie nicht zur Sache zum Sparen. Das muß ich Graf Lambsdorff einmal gehören. In einem Aufsatz an einem guten deutschen sagen, der das wohl anders sieht. Wenn man die Gymnasium würde zumeist das Prädikat „Thema heutige Veröffentlichung des Finanzplanungsrates verfehlt" am Rande der Arbeit stehen. zum Maßstab nimmt, muß man sagen, daß er das genauso sieht. Von daher muß man darauf hinweisen, (Detlev von Larcher [SPD]: Meinen Sie Herrn daß im FKP-Entwurf — von CDU/CSU und F.D.P. Rexrodt?) beschlossen — unter Sparen und Abbau von Subven- tionen sogar klassische Steuererhöhungsmaßnahmen - Ich meinte viele, ich wende mich nie nur an eine wie die Anhebung der Vermögensteuer oder der Seite des Hauses. Ich wende mich gelegentlich- auch Versicherungsteuer verstanden wird. Wir sollten uns an mich selbst. hier auf die Begrifflichkeit einigen. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Zu sel (Hermann Rind [F.D.P.]: Einmal haben Sie ten!) recht in Ihrer Rede!) Wir sollten dem Grafen Lambsdorff solche rhetori- Das FKP-Gesetz hatte u. a. die Aufgabe, ein Zei- schen Spielchen nicht durchgehen lassen. Greifen Sie chen, ein Anhaltspunkt dafür zu sein, wie der Staat, unsere Vorschläge, die Dreßler hier vorgetragen hat, und zwar in allen seinen Ebenen, seinen Part in der auf: 10 Milliarden DM, mit denen man abwenden Finanzpolitik im vereinten Deutschland in Zukunft kann, daß sozial Schwachen weiterhin in die Tasche spielen will. Auf diesen Aspekt beschränke ich mich. gegriffen wird. Unter diesem Aspekt ist das Ergebnis schlicht und (Zuruf von der CDU/CSU: Sie machen genau ergreifend — als Ergebnis des kleinsten gemeinsamen das gleiche!) Nenners — mäßig. Greifen Sie diese Vorschläge endlich auf! Das wäre Das Arsenal der Einnahmeverbesserungen — es ein Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit in diesem gibt keinen Streit darüber, daß dies finanzpolitisch das Lande. Es wird Zeit, daß Sie an dieser Stelle lernen falsche Signal ist — ist bis an die Grenze des Erträg- und wirklich einen Beitrag zum sozialen Frieden lichen ausgeschöpft. Es spricht für sich, wenn auf dem leisten. Sockel bereits erfolgter Anhebungen von Verbrauch- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten steuern, der Mehrwertsteuer und eines unbef risteten der PDS/Linke Liste und des BÜNDNIS Solidaritätszuschlags von 7 % jetzt noch die Anhe- SES 90/DIE GRÜNEN) bung der Versicherungsteuer auf am Ende aberwit- zige 15 % und eine Verdoppelung der Vermögen- steuer, die laut Regierungserklärung von dieser Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- Regierung abgeschafft werden sollte, hinzukommt. lege Hans Gattermann das Wort. Unterdessen wird bei dem anderen, richtigen Signal, nämlich beim Sparen und beim Umschichten von Hans H. Gattermann (F.D.P.): Verehrte Frau Präsi- konsumtiven nach investiven Ausgaben, das Klassen- dentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich freue mich, ziel weitgehend verfehlt. daß der Kollege Dreßler wieder hier ist. Er hat dem Meine Damen und Herren, die Macht des Fakti- Grafen Lambsdorff zu Beginn seiner Rede ein Kompli- schen hat uns bereits eingeholt. Ursprünglich wollte ment gemacht. Auch ich möchte das tun. ich einmal formulieren: „wird uns einholen" . Die Wenn es einen Preis dafür gäbe, wie man agitiert Erklärungen des Bundeskanzlers und des Bundesfi- und polemisch argumentiert, ohne daß es auffällt, weil nanzministers machen das sehr, sehr deutlich. sowohl von der Stimmlage her als auch durch den Eindruck von Seriosität das nicht sofort bemerkt wird, Man muß wissen: Der Staat ist der wesentliche dann würden Sie den ersten Preis bekommen. Partner bei denen, die die Finanzpolitik gestalten und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) damit das deutsche Erscheinungsbild Par die interna- liefern. Es tröstet überhaupt Man nimmt eine Feststellung des Vorredners, die tionalen Kapitalmärkte nicht, daß auch der zweite große Gestalter, nämlich dieser nicht gemacht hat, sondern eher dem Gegenteil entspricht, und leitet daraus seine entsprechende die Tarifvertragsparteien, nur mäßige Ergebnisse vor- weisen kann, wobei diese Bewertung, bezogen auf Argumentation ab. Kompliment, Kompliment, Herr das, was sich in den neuen Ländern vollzogen hat, Kollege Dreßler! wirklich eine sehr höfliche Untertreibung ist. Den Meine Damen und Herren, mit diesen beiden dritten, wesentlichen Part spielt die Deutsche Bundes- Gesetzen werden knapp hundert Gesetze und Verord- bank mit ihrer dem Gesetz verpflichteten trotzigen nungen geändert. Das macht deutlich, daß man in Geldpolitik. Ich kann ihr nur dafür danken, daß sie das einer öffentlichen Plenardebatte offenbar nicht fähig tut. Denn deren Reputa tion ist im Moment das einzige, und in der Lage sein kann, das, was beschlossen wird, was uns vor einem Weichwerden der D-Mark den Bürgern und den Unternehmen im einzelnen zu bewahrt. vermitteln. Das wissen offenbar alle in diesem Hause. Deshalb hält sich niemand an die durch die Materie an Es gibt so simple finanzpolitische Zusammenhänge, sich vorgegebenen Inhalte dessen, worüber man die in den Reden immer verkleistert werden. Es gibt spricht. diese schöne Formulierung: „Ich kann jede Mark nur In einem amerikanischen Prozeß würden ungefähr einmal ausgeben". Das müßte noch etwas weiterge- drei Viertel der Äußerungen, die gemacht werden, aus hen: „Ich kann nur die Mark ausgeben, die ich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13763

Hans H. Gattermann entweder habe oder die mir jemand zu erträglichen Meine Damen und Herren, hätte m an vor dem FKP Bedingungen leiht. " noch darüber streiten können, ob das mit der Entla- stung der gewerblichen Einkünfte in der Grenzsteuer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge belastung der richtige Weg war, so kann m an nach ordneten der F.D.P.) dem FKP mit dem 7,5prozentigen Solidaritätszuschlag Wenn das Vertrauen in die Bundesbank ruiniert nicht mehr darüber streiten. Wir waren uns alle einig, würde — viele Reden deuten darauf hin, daß versucht daß die Sätze in ihrer psychologischen Wirkung viel wird, das zu bewerkstel ligen —, dann wird am Ende zu hoch seien; mit dem Solidarpaktergebnis schnellen alles von den Bürgern bezahlt werden: durch höhere sie auf schlimme fast 58 % bei der Einkommensteuer Steuern, durch Inflation usw. Es kommt nichts aus dem und auf 53,75 % bei der Körperschaftsteuer hoch, und Zauberhut heraus, was nicht verdient worden ist, für das ist tödlich. - welchen Zweck auch immer. Dies wollte ich einmal Lassen Sie mich noch einen Punkt anfügen, weil ich gesagt haben. glaube, daß er, bezogen auf das Standortsicherungs- Meine Damen und Herren, als wirklich gutes, gesetz, wichtig ist und weil ich auch da an den greifbares Ergebnis des FKP-Gesetzes ist der Länder- Bundesrat appellieren möchte: In diesem Gesetz fin- finanzausgleich anzumerken. Der hat zwar — damit det sich ein Punkt, der die Besteuerung von im tritt man niemandem zu nahe — eine eindeutige Ausland erwirtschafteten Gewinnen deutscher Un- föderale Schieflage zu Lasten des Bundes — ich ternehmen betrifft. Dies ist ein ganz zentraler Punkt, beklage das nicht —; nur sage ich an die Adresse der über den man auch in der Sache streiten kann. Aber Länder, daß sie ihre föderale Zuständigkeit bitte genau hier ist daraus die Konsequenz gezogen, daß umfassend begreifen und nicht nur auf den Part des global tätige deutsche Unternehmen zunehmend Heranziehens von Geld beschränken sollen, daß sie Tätigkeitsfelder ins Ausland verlagern müssen, weil mit ihren Forderungen an den Bund Zurückhaltung Massenproduktionen hierzulande nicht mehr renta- üben und vor allen Dingen peu à peu den Bund aus bel machbar sind. Das kann m an beklagen, aber das Mischfinanzierungen entlassen. ist so. Diese Gewinne sind, wenn sie für das verwendet werden, wofür Gewinne eigentlich vorgesehen sind, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — doppelt belastet, und damit können im Ausland Hermann Rind [CDU/CSU]: Das hört ja kei erwirtschaftete Gewinne von deutschen Kapitalge- ner!) sellschaften so gut wie nicht zur Kurspflege und zur Das ist die Konsequenz daraus. erforderlichen Refinanzierung verwendet werden. Deshalb hat der Finanzausschuß des Deutschen Ich möchte an dieser Stelle vor der Wiederholung Bundestages in seiner Mehrheit hier wirklich einen von Solidarpaktveranstaltungen dezidiert warnen. revolutionären Schritt get an, indem er ausländische Diese Form von politischen Entscheidungsprozessen Körperschaftsteuern anrechnet. Ich kann an den Bun- ist von der Anlage her ganz einfach dazu angetan desrat nur appellieren, hier einmal mit uns die Wei- — besonders wenn es zum Gradmesser für politische chen zu stellen, bevor der Zug in die falsche Richtung Handlungsfähigkeit schlechthin hochstilisiert wird —, gefahren ist, den Brunnen abzudecken, bevor das dazu beizutragen, daß nachgebessert werden muß, Kind hineingefallen ist. Denn die logische Konse- daß Interpretationsstreitigkeiten entstehen, daß sich quenz für ein Unternehmen, das überwiegend im fachliche Fehler einschleichen. Und das Schlimmste Ausland erwirtschaftete Gewinne hat, ist, daß es nicht ist: Es führt zu Frustration im Gesetzgebungsorgan nur Tätigkeitsfelder verlagert, sondern daß es insge- Deutscher Bundestag. Das gilt nicht nur für das samt auch mit den noch hier verbleibenden hochtech- Verhältnis von Regierungsparteien zur Regierung, nisierten Teilen der Produktion und auch mit der sondern auch für das Verhältnis von Oppositionspar- Zentrale hinterhergehen muß. Einmal bitte rechtzeitig teien zu SPD-regierten Ländern. Ich meine auch, daß und nicht erst, wenn das Kind im Brunnen ist! die Situation in unserem Lande nicht etwa so schlimm ist — einige Vorredner haben hier sehr richtige (Beifall bei der F.D.P. und bei der CDU/CSU Beschreibungen unserer Situation gegeben —, daß — Joachim Poß [SPD]: Es kann genau das man von Not, Krise, Katastrophen oder so etwas reden Gegenteil eintreten!) kann. Es ist noch nicht der Zeitpunkt da, wo m an mit Ich appelliere also an den Bundesrat, das FKP und Kaiser Wilhelm sagt: Ich kenne keine Parteien mehr, das Standortsicherungsgesetz als eine Einheit zu ich kenne nur noch Deutsche! — Das gilt besonders, betrachten. wenn die politischen Ebenen die Einigung ausschließ- Herzlichen Dank. lich oder ganz überwiegend zu Lasten eben dieser (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deutschen in ihrer Funktion als Steuerzahler fin- den. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster Meine Damen und Herren, wenn schon Solidarpakt, spricht der Kollege Dr. Fritz Schumann. dann beklage ich es zutiefst, daß die Eckwerte des Standortsicherungsgesetzes nicht mit vereinbart wor- Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke den sind. Ich sage hier mit allem Ernst: Das weitere Liste): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Schicksal des Standortsicherungsgesetzes wird zei- Herren! gen, ob Bundesrat und Bundestag irgendwo wenig- stens ansatzweise Zukunft gestalten können. Mehr Arbeit statt Arbeitslosigkeit ist nicht nur ein soziales, sondern vor allem auch ein finanzielles (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Gebot der Stunde. Nach Auffassung der Bundes- ten der CDU/CSU) regierung soll das vorgelegte Standortsiche- 13764 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) rungsgesetz auf die Förderung des gesamtwirt- Investitionshilfeabgabe vorgeschlagen werden, die ja schaftlichen Wachstums durch Stärkung der auch hier in dieser Bundesrepublik schon ihre Pra xis Investitionstätigkeit gerichtet sein. gehabt haben. So kann man es nachlesen in der Zielsetzung des Die finanzielle Entlastung der Unternehmen wird in Gesetzentwurfs, weil es dort so formuliert ist. Fortsetzung der bisherigen Entwicklung — ich sehe nicht, was anders werden sollte — die Spekulations- Wachstum, sei es gesamtwirtschaftlich, wie von der geschäfte weiter anheizen. Bundesregierung formuliert, oder ökologisch und sozial verträglich, was unseren Vorstellungen ent- Die weiter voranschreitende Rationalisierung und spricht, kann nicht nur durch Investitionstätigkeit Trends zur schlanken Produktion führen zu Einkom- allein erzeugt werden, obwohl das natürlich eine mensrückgängen der Bevölkerung, zu fortschreiten- wichtige Voraussetzung ist. Wirtschaftliches Wachs- der sozialer Ausgrenzung aus dem Arbeitsprozeß ins tum erfordert in jedem Falle Menschen, die mit ihrer soziale Abseits für immer mehr Menschen. Die Folge Hände und ihrer Köpfe Arbeit mit den vorhandenen ist ausbleibende Konsumgüternachfrage. Damit neh- Produktionskapazitäten und Investitionen Güter, Lei- men die Investitionsanreize weiter ab; die angebliche stungen und Werte schaffen und diese dann auch Vorgabe der Förderung des Wachstums rückt in weite konsumieren wollen. Ferne. Wenn die Unternehmen trotz voller Kassen nicht Genau das kommt bei dem vorgelegten Standortsi- investieren, muß man cherungsgesetz nicht heraus. Statt dessen werden nach anderen Möglichkeiten immer wieder aufs neue die hohen Löhne in Deutsch- suchen. Vielleicht kann der Ausweg nur darin beste- land kritisiert. Es ist eine politische Parteinahme für hen, durch gesetzliche Maßnahmen ein besseres Investitionsklima die Unternehmerseite, die Lohnpolitik zu kritisieren, zu schaffen. Mittel, die nicht inve- ohne sie in den Zusammenhang mit der in den 80er stiv eingesetzt werden, müssen überdurchschnittlich Jahren erfolgten Gewinnexplosion zu stellen. besteuert werden. Investitionen, die reale Beschäfti- gung schaffen, müssen begünstigt und gefördert wer- Die abhängig Beschäftigten haben einen begründe- den. ten Anspruch auf einen gerechten Anteil am wachsen- Den Wirtschaftsstandort Deutschland und Europa den Sozialprodukt. Wenn wiederholt die steigenden kann man nicht mit wachsender Arbeitslosigkeit, Lohnstückkosten angeführt werden, so müssen auch sondern nur mit mehr Arbeit erhalten. Auch dazu hat die Stückgewinne erwähnt werden. Während die sich heute Graf Lambsdorff hier bekannt. Lohnstückkosten seit Ende der Rezession im Jahre 1982 bis zum Jahre 1992 um jahresdurchschnittlich Danke. 2,1 % gewachsen sind, haben die Stückgewinne mit (Beifall bei der PDS/Linke Liste) jahresdurchschnittlich 4,8 % erheblich stärker zuge- nommen. Soweit zu diesem Argument. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht Jetzt zu den Wirkungen des vorgelegten Gesetzent- Dr. Gerhard Stoltenberg. wurfs. Die Bundesregierung gibt vor, das Stocken der Investitionstätigkeit auch in den alten Ländern durch (CDU/CSU): Frau Präsi- weitere finanzielle Entlastung der Unternehmen Dr. Gerhard Stoltenberg dentin! Meine Damen und Herren! Niemand wird überwinden zu wollen. Fakt ist aber, daß es den überrascht sein, daß die Debatte über weitreichende Unternehmen nicht an finanziellen Mitteln fehlt. Die Finanzvorlagen auch sehr stark auf die wirtschaftli- unternehmerischen Ersparnisse haben in den letzten chen Rahmenbedingungen, die Probleme, die uns alle Jahren deutlich zugenommen. Das spiegelt sich beschweren, konzentriert ist. In der Tat, diese Situa- sowohl in den außerordentlich hohen liquiden Mitteln tion ist durch drei wesentliche Faktoren bestimmt: der Unternehmen — wie man in den Berichten der eine internationale Rezession, den Zusammenbruch Bundesbank nachlesen kann — als auch im Aufbau der traditionellen Märkte auch für Deutschland und von erheblichen stillen Reserven in Unternehmen vor allem für die neuen Länder in der früheren wider, die stark an der Einigung Deutschlands ver- Sowjetunion und die dadurch noch wich tigere Auf- dient haben. gabe, die Mittel zu mobilisieren, die wir bar den Vor allem wird das in den zunehmenden Finanzan- Aufbau Ost benötigen. lageinvestitionen und Wertpapierspekulationen deut- Die Rezession kam aus dem Westen. M anche tun lich. Hier wurden in den letzten Jahren Milliarden- schon so, als ob sie aus Deutschland gekommen wäre. summen zu spekulativen Zwecken statt zu Investitio- Sie begann im dritten Quartal 1990 in den USA und nen, Innovationen und Herstellung und somit zur Großbritannien, und sie hat in der Tat stärker als auch Sicherung von Beschäftigten angelegt. Grund dafür von den internationalen Institutionen und Organisa- war und bleibt das nicht zuletzt aus dem hohen tionen erwartet, die ganze westliche Welt in ihren Sog Finanzbedarf der deutschen Einigung resultierende gezogen. Renditegefälle, das wegen des hohen Realzinsni- veaus für risikoarme Finanzanlagen den Ausschlag Der politische und wirtschaft liche Kollaps der gab. Und an dieser Schraube wird nach meiner Sowjetunion war im Grunde in dieser Form nicht Auffassung mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wei- vorhersehbar. Und wer heute klüger sein will, auch tergedreht. aus den Reihen der Opposi tion, den möchte ich einmal fragen, ob er sich noch an die geradezu euphorische Der Anreiz zu konkreten Investitionen ist mit dem Begeisterung über den großen Reformpolitiker Gor- vorgelegten Gesetzentwurf viel zu gering. Greifen batschow erinnert, etwa bei den beiden Besuchen in könnten Maßnahmen, wie sie mit unserem Antrag zur Bonn; der letzte war vier Wochen vor der Bundestags- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13765

Dr. Gerhard Stoltenberg wahl. Daß der Aufbau in den neuen Ländern unter — Ja, ich fände es aber trotzdem gut, wenn er selber da diesen Vorzeichen ein Stück schwieriger ist und auch wäre. Ich selber habe oft genug von der Bundesrats- ein Stück teurer, kann niemanden verwundern. bank aus gesprochen. Ich habe mir als Ministerpräsi- dent die anschließenden Debattenredner immer Ich sage das noch einmal, weil uns diese großen und angehört. Es wäre ganz gut, wenn da zumindest ein dramatischen Themen über diesen Tag und, so ver- Vertreter säße. mute ich sogar — in der Hoffnung, daß die Rezession dann überwunden ist — über die nächste Wahl hinaus (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Ich sage es beschäftigen werden. Deshalb sollten wir uns nicht so ihm!) sehr auf vordergründige Polemik beschränken, wie Ich will nur sagen: Der Ausdruck „tariffähig" für die das einige von seiten der Opposi tion getan haben. Bund-Länder-Beziehungen, den Herr Eichel- ge- Es ist angesichts dieser Entwicklung nicht überra- braucht hat, ist völlig unangebracht. Was vereinbart schend — nach meiner Meinung sogar unvermeid- wurde, wird durchgeführt — natürlich auch vom bar —, daß wir wieder einen Anstieg der Staatsquote, Bund. Aber der mangelnde Spielraum für weitere der Steuer- und der Abgabenquote sowie der Neuver- Initiativen — wenn nötig, auch im Sinne weiterer schuldung erlebt haben. Allerdings kann dies nur eine Einsparungen — kann nicht durch eine solche Ad- temporäre Entwicklung sein; denn die Erfahrungen in hoc-Vereinbarung in Frage gestellt werden. Das ist der Geschichte der Bundesrepublik machen ganz klar mein Verfassungsverständnis von der Verantwortung — sowohl in den 70er wie in den 80er Jahren —, daß der Bundesorgane, auch im Verhältnis zu den Län- die Bedingung für erneuerte wirtschaftliche Wettbe- dern. werbsfähigkeit, für mehr Stabilität und für mehr (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Beschäftigung auch ein erneuter Rückgang der über- Zugleich ist auch klar, daß die Finanzpolitik die höhten Staatsquote und der überhöhten Steuer- und großen Probleme allein nicht zu lösen vermag. Des- Abgabenquote in Deutschland ist. wegen müssen wir, wie es auch in der Debatte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) geschehen ist, den Blick erweitern. Wir müssen die einmal — wie ich glaube, in den 80er Jahren mit Daran muß einmal — weil wir diese Erfahrung besonderem Erfolg — praktizierte Einheit von Wirt- gemacht haben; zuletzt in den 80er Jahren im Positi- schafts-, Finanz- und Sozialpolitik unter den neuen ven — erinnert werden, weil wir nach meinem Ein- Bedingungen bekräftigen und erneuern. druck von den Sprechern der Opposition — von Herrn PoB und anderen — wieder zu viele vordergründige, (Beifall bei der CDU/CSU) problematische Verteilungsdebatten, zum Teil auch Wenn wir davon reden, dann muß im föderativen mit falschen Argumenten, gehört haben. Wir sollten Staat und im Staat der Entscheidungsfreiheit und der dies auch als eine Grundbedingung für eine erfolgrei- Mitverantwortung der autonomen Partner auch jeder che Entwicklung in ganz Deutschland, vor allem in einbezogen werden, der wesentliche Entscheidungen den neuen Ländern, ansehen. trifft. Das war ja einmal der Grundgedanke der Konzertierten Aktion, die die großen Fraktionen Wer nun in den 80er Jahren — wie die Sozialdemo- einmal gemeinsam, im Stabilitäts- und Wachstumsge- kraten — die Politik der Begrenzung der Ausgaben setz verankert, geschaffen haben. Sie wird in dieser und auch der Einsparungen, die wir damals gemacht Form nicht wieder zu beleben sein. Aber wir brauchen haben, die Politik der Steuersenkung, die Politik der vergleichbare Formen der geregelten Diskussion und verbesserten Rahmenbedingungen für p rivate Inve- der praktizierten Verantwortung. stitionen immer bekämpft hat, der sollte sich heute nicht zum Richter machen, Zu den Gründen für den hausgemachten Teil der Rezession gehört nun einmal vor allem anderen, daß (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge nach einer insgesamt maßvollen Tarifpolitik der 80er ordneten der F.D.P.) Jahre, die den Wirtschaftsaufschwung und die wenn zur Zeit die Schulden und die Steuern höher Zunahme der Zahl der Arbeitsplätze um 3,2 Millionen sind, als auch uns mittelfristig lieb sein kann und als in der alten Bundesrepublik entscheidend befördert unsere Volkswirtschaft angesichts des verschärften hat, ausgerechnet im Jahr der Einheit die Tarifpolitik internationalen Wettbewerbs ertragen kann. aus dem Ruder gelaufen ist und wir auch im interna- tionalen Vergleich zwei Jahre lang Abschlüsse erlebt Unter den genannten Bedingungen ist es so, daß der haben, die die Stabilität gefährden, die den Arbeit- Kurs weiterer Einsparungen unvermeidbar ist, den nehmern nichts nützen, die die Lohnstückkosten in der Bundesfinanzminister vor einigen Tagen ange- die Höhe getrieben haben und die sich in dieser Form kündigt und heute hier im einzelnen vor dem Deut- nicht wiederholen dürfen, wenn wir mittelfristig die schen Bundestag erläutert hat und der sich in Gesetz- große Aufgabe, eine verbesserte Beschäftigung zu entwürfen konkretisieren wird, die wir dann im ein- erreichen, meistern wollen. zelnen zu beraten haben. Insofern ist diese Ini tiative zu begrüßen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich wollte etwas zum hessischen Ministerpräsiden- Es ist richtig: Die westdeutschen Gewerkschaften ten sagen, aber da die Bundesratsbank leer ist, wi ll ich haben in diesem Jahr daraus überwiegend richtige das unterlassen. Konsequenzen gezogen — in den neuen Ländern ist das, wie wir gehört und erlebt haben, zur Zeit schwie- (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Sagen Sie riger —; aber wir brauchen nicht nur für ein Jahr eine es ruhig! Wir geben es weiter!) maßvolle Tarifpolitik im vereinten Deutschl and 13766 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Dr. Gerhard Stoltenberg — jetzt mit Blick auf den Westen und den Osten —, rentable, langfristig sichere Arbeitsplätze schaffen, sondern wir brauchen sie für eine Reihe von Jah- nicht überlagern und nicht verdrängen dürfen. Das ren. sind einige der Herausforderungen, denen wir uns zu Was mir in der bisherigen Debatte im wirtschaftli- stellen haben — wir alle miteinander, Regierung und chen Teil zu kurz gekommen ist, ist die Feststellung, Staat. daß sich der weltwirtschaftliche Wettbewerb in den Wenn wir jetzt noch einmal — was mir sehr schwer kommenden Jahren weiter verschärfen wird, dra- fällt — unvermeidbar erhebliche Steuer- und Abga- stisch zunehmen wird: um Marktanteile, um Stand- benerhöhungen im Föderalen Konsolidierungspro- orte, um Arbeitsplätze. gramm beschließen müssen, dann kann dies nur temporär sein, dann müssen wir zugleich die- Weichen Während wir in der westlichen Welt die Rezession stellen. Deswegen sind die Initiativen des Bundes- ertragen, deren Folgen uns schwer treffen, gibt es finanzministers so wichtig und richtig — vorbehaltlich auch Regionen großer Dynamik. Zur selben Zeit sind der Einzelberatung, die wir führen werden —, damit über die klassischen L ander in Südostasien hinaus wir duch eine zurückhaltende Ausgabengestaltung große Teile Asiens, einschließlich bestimmter Regio- den Menschen und den Betrieben die Überzeugung nen Chinas, im Aufbruch — Länder, die wir vor geben, daß eine Senkung der Steuer- und Abgaben- wenigen Jahren noch gar nicht im Blickfeld hatten —, quote mittelfristig eine der wichtigsten Aufgaben und sie werden uns in den kommenden 10 bis 20 Jah- ist. ren fordern. Ich will es Ihnen einmal so sagen: Anfang der 80er Die Antwort der Europäischen Gemeinschaft kann Jahre wurde in Betrieben von 1 000 und 2 000 Mitar- nicht Abschottung sein, für die es jetzt in Brüssel und beitern darüber diskutiert, ob man einen Teil der anderen Hauptstädten auch einige Stimmen gibt. Die Investitionen und Arbeitsplätze ins benachbarte Aus- Antwort der Europäischen Gemeinschaft muß sein, land verlegen müsse. Heute gibt es Betriebe von 300 daß wir uns dem Wettbewerb stellen und daß wir den und 500 Mitarbeitern, in denen diese Diskussion notleidenden Entwicklungsländern ebenso wie den geführt wird — auch unter den Bedingungen des hart bedrängten Reformstaaten Mittelosteuropas die Binnenmarktes. Wer das nicht als Notwendigkeit Chance geben, zu fairen und vertretbaren Bedingun- einer veränderten Steuer- und Abgabenpolitik — mit gen ihre Produkte auf den westlichen Märkten abzu- allen Konsequenzen, auch der Ausgabenbeschrän- setzen, weil wir sie anderenfalls in die Ausweglosig- kungen, der Kürzungen und der Umschichtungen — keit stürzen würden. begreift, der hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden; (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge der sollte sich auch von der Arbeitsmarktpolitik ordneten der F.D.P.) abwenden. Wenn das aber praktizierte weltwirtschaftliche Ver- Wenn wir hier über den heutigen Tag hinaus — trotz antwortung ist und nicht nur verbale, bedeutet das aller Versuchungen des bald beginnenden Wahljah- zwangsläufig, daß wir uns in der inneren Entwicklung res — in eine ernsthafte Auseinandersetzung treten, Deutschlands auf diesen Wettbewerb einzustellen dann machen wir die richtige Form demokratischer haben und daß wir uns zurüsten müssen — in der Politik, und dann erweisen wir unserem L and einen Finanzpolitik ebenso wie in der Steuer- und Abgaben Dienst. politik wie auch in der Tarifpolitik —, um die Trend- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wende zu mehr Beschäftigung im vereinten Deutsch- land ebenso überzeugend zu erreichen, wie wir sie ab Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht Kol- 1984 in der alten Bundesrepublik Deutschland wieder lege Dr. Klaus-Dieter Feige. erreicht haben. Das ist die wirkliche Aufgabe und nicht der große (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Streit über den zweiten oder dritten Arbeitsmarkt, den Dr. Klaus-Dieter Feige NEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen ich hier nicht im einzelnen aufnehmen will. und Herren! Nach dem gestrigen schwarzen Mittwoch In Wahrheit ist es doch so, meine Damen und Herren in Sachen Demokratie erleben wir heute einen von der sozialdemokratischen Opposi tion: Wenn Sie schwarzen Donnerstag in Sachen Solidarität und Soli- die Zahlen für Westdeutschland von 1981 und 1982 dität. Wie beim sogenannten Asylkompromiß treibt einmal mit denen von 1991 und 1992 vergleichen, die Koalition die Sozialdemokraten auch beim Soli- dann stellen Sie fest: Wir geben 60 bis 70 % mehr für darpakt vor sich her. Ähnlich wie bei der Grundge- produktive Arbeitsmarktpolitik in Westdeutschland setzänderung bleibt von den Forderungen der SPD am aus, als Sie in Ihren letzten Regierungsjahren ausge- Ende — Sie haben es selbst gesagt — praktisch nichts geben haben. Deswegen sollten Sie etwas vorsichti- mehr übrig. ger sein, wenn jetzt über bestimmte Korrekturen in Sicher, der tiefe Einschnitt ins soziale Netz wird den alten Ländern zugunsten der neuen Länder nicht schon heute vollzogen. Aber schon vor der gesprochen wird. Abstimmung liegen die neuen Sparpläne aus dem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Hause Waigel auf dem Tisch. Was ist das Ergebnis? ordneten der F.D.P.) Keine Spur von einem drastischen Subventionsabbau, nein, Kürzungen beim Arbeitslosengeld und bei den Verbalismus und tatsächliches Verhalten stehen bei Sozialleistungen; der Rest, wie gehabt: lauter Luft- Ihnen im Widerspruch. nummern. Die Sozialdemokratie hat am Katzentisch Dies bleiben wichtige flankierende Maßnahmen, der Regierung Platz genommen. Sie darf mitreden, die wir bejahen, die aber das Thema, wie wir wieder aber sie darf nicht mit entscheiden. Waigels Solidar- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13767

Dr. Klaus-Dieter Feige pakt, dem leider auch die Sozialdemokraten zustim- Mittel gestrichen mit der Folge, daß die Sanierungs- men werden, ist unausgegoren, unvollständig, unso- verantwortung teilweise bei den Kommunen blieb, die lide und unsozial. aber die Mittel nicht aufbringen können. Ohne Sanie- rung werden notwendige Investitionen aber ausblei- schaftspolitik Gleichermaßen desolat ist die Wirt ben. dieser Bundesregierung oder was davon übriggeblie- ben ist — und das in einer Situation, in der ein Meine Damen und Herren, angesichts dieser Ver- geordneter und zukunftsweisender Strukturwandel in säumnisse und Fehlentwicklungen ist es schon fast den neuen Bundesländern auf der Tagesordnung bemerkenswert, daß der Bundeswirtschaftsminister steht. begonnen hat, über die Zukunftssicherung des Wirt- schaftsstandorts Deutschland nachzudenken. Erfreut Die Bundesregierung setzt auf Chaos statt auf vernehme ich aus dem Hause Rexrodt, daß Umwelt- Politik. Binnen kürzester Zeit hat der Deindustrialisie- technik und Umweltschutz nicht länger als Behinde- zu einem weitgehenden Zusammen- rungsprozeß rung, sondern vielmehr als notwendige Vorausset- bruch der ostdeutschen Wirtschaft geführt. Nir- zung für eine zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik gendwo ist erkennbar, was an die Stelle der alten angesehen werden. treten soll. Es reicht nicht aus, immer neue Finanz- quellen für den Aufbau Ost zu erschließen. Es geht Wo bleiben jedoch die Konsequenzen? Wann wer- vielmehr auch um die Frge, was denn, bitte schön, mit den endlich Maßnahmen ergriffen, um den notwendi- diesen Milliarden gemacht wird. Bei den derzeit gen ökologischen Strukturwandel in den neuen Bun- praktizierten Sanierungs-, Umstrukturierungs- und desländern einzuleiten, einen ökologischen Struktur- Investitionsmaßnahmen ist jedenfalls keinerlei vor- wandel, der auch für die notwendige Veränderung in wärtsweisende Konzeption zu erkennen. Eine zügige Westdeutschland bzw. in der Europäischen Gemein- Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland schaft Impulse geben würde? Eine langfristige Siche- kann aber nur dann erfolgen, wenn jetzt und heute in rung des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist ohne Ostdeutschland modernste Strukturen aufgebaut einen tiefgreifenden ökologischen Strukturwandel, werden. Nur dann wird es in einem überschaubaren der auch eine ökologische Steuerreform beinhaltet, Zeitraum zu einem selbsttragenden Aufschwung im nicht möglich. Osten kommen. Wir können nicht warten, bis die Europäer auch in Panische Schnellschüsse, Beliebigkeit, Sitzfleisch dieser Frage gegenüber Japan ins Hintertreffen - und die Einführung des Rotationsprinzips bei den ten. Dort hat man bereits reagie rt, und zwar genau in Ministern sind zu Markenzeichen der Regierung Kohl diese Richtung. Im Projekt „New Earth 21" hat das geworden. MITI diese Ziele vorgegeben. Danach sollen bis zum Jahr 2020 umweltfreundliche Technologien in gro- Statt eine dezentrale, effiziente und moderne Ener- ßem Umfang zum Einsatz kommen. Bis zum Jahr 2040 gieversorgung zu fördern, wurde der Stromvertrag soll auf die direkte Nutzung der Sonnenenergie umge- abgeschlossen, der die steinzeitlichen Energiestruk- stellt werden. Die „Wirtschaftswoche" kommt zu dem turen Westdeutschlands auf den Osten übertragen Schluß, daß sich Japan dadurch wahrscheinlich den und die Kommunen enteignen sollte. lukrativsten Markt des kommenden Jahrhunderts Statt vorrangig das Reichsbahnnetz zu sanieren und erschließt. Warum nicht wir? zu erhalten und eine Weichenstellung für einen Einige der neueren Vorschläge aus dem Wirt- zukunftsverträglichen öffentlichen Personennahver- schaftsministerium halte ich darum in dieser Hinsicht kehr vorzunehmen, wird das größenwahnsinnigste für durchaus diskutabel, von Ihrem Beharren auf die Straßenbauprogramm der Nachkriegszeit beschlos- Atomenergie einmal abgesehen. Angesichts des Win- sen — allen umweltpolitischen Erkenntnissen und des, der derzeit weht, glaube ich allerdings nicht, daß allen verkehrspolitischen Erfahrungen zum Trotz. Ich der Bundeswirtschaftsminister auch nur ansatzweise denke, Herr Krause — Sie sprechen ja nach mir —, es die Möglichkeit erhält, diesbezügliche Überlegungen ist jetzt sicherlich der Zeitpunkt gekommen, daß Sie in die Praxis umzusetzen. Es tun sich erstaunliche sich einmal für den von Ihnen eingeschlagenen Weg Parallelen zum Umweltminister auf: viel reden, nichts entschuldigen. begreifen und schon gar nicht handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber ich kann es nicht oft genug wiederholen: Jedes Statt auf eine entflechtete ökologische Landwirt- Jahr, das ohne die Einleitung eines ökologischen schaft zu setzen, werden westdeutsche Agrarindustri- Strukturwandels verstreicht, ist ein verlorenes Jahr für elle gefördert. Darüber hinaus dürfen Sonderabfälle, die Zukunft der deutschen Wirtschaft und für den nämlich Pestizide, die im Westen verboten sind, in der Angleichungsprozeß zwischen Ost- und Westdeutsch- ostdeutschen Landwirtschaft sozusagen unter freiem land, auf den die Menschen so sehnlich warten. Himmel entsorgt werden. An dieser Stelle, meine Damen und Herren, kann Statt innovative Unternehmen zu unterstützen, ich es mir leider nicht verkneifen, auch auf den Umzug mußten wir erleben, daß die Treuhand fast nichts des Bundestages von Bonn nach Berlin einzugehen. unversucht ließ, um z. B. den Kühlschrankhersteller Der Bundesfinanzminister hat am Dienstag vollmun- Forum, früher dkk Scharfenstein, im Interesse der dig Einsparungen versprochen. Die Rede war gar von westdeutschen Chemieindustrie niederzumachen. einer Verschiebung des Umzugs. In den gestern Statt frühzeitig ein Konzept auf gesetzlicher Grund- bekanntgewordenen Vorschlägen Herrn Waigels zum lage für die Wismut-Sanierung zu erstellen, wurde Solidarpakt II taucht aber dieser Punkt nicht mehr improvisiert und wurden darüber hinaus notwendige richtig erkennbar auf. Vielleicht wird Herr Waigel das 13768 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Dr. Klaus-Dieter Feige nachlesen: Hier hätte es auch heute eines klaren sche Rechtsordnung, zumindest den Versuch, gege- Wortes in dieser Richtung bedurft. Ich kann mir ben hat. einfach nicht vorstellen, daß wir in diesem Haus über die Kürzung von Sozialleistungen diskutieren und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge gleichzeitig an einen Umzug denken, der Milliarden ordneten der F.D.P.) kostet. Nun zur Wirtschaftspolitik: Ich denke, wir müssen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wenn wir hier heute über die ersten Bemühungen sprechen, uns aus der veränderten Situation in In diesem Sinne hat der vorgelegte Solidarpaktent- Deutschland und aus einer völlig veränderten Situa- wurf sein Ziel gründlich verfehlt. Er ist zum Zweck der tion in Europa mit der Wirtschafts-, Finanz- und gründlichsten Überarbeitung zurückzuweisen. - Sozialpolitik auf die neuen Herausforderungen einzu- Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. stellen, davon ausgehen, daß das FKP eigentlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN relativ spät kommt. und bei der PDS/Linke Liste) Ich möchte etwas zu den Ursachen sagen: Im Einigungsvertrag haben wir versucht, die Finanzla- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der sten zwischen den Kommunen, den Ländern und dem Abgeordnete Professor Günther Krause das Wort. Bund gleich zu verteilen. Übriggeblieben ist eine Minimalbeteiligung der Länder und damit von vorn- herein eine Überforderung des Bundes. Viele Pro- Dr. Günther Krause (Börgerende) (CDU/CSU): Frau bleme, die wir in den neuen Bundesländern haben Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- und die letztendlich die gegenwärtige finanzielle ren! Es ist immer ein besonderer Lustgewinn, nach Überforderung des Bundes mit verursachen, ergeben meinem verehrten Kollegen Feige aus Mecklenburg sich aus der fehlenden Bereitschaft der westdeutschen Vorpommern sprechen zu können. Bundesländer schon im Einigungsvertrag, in gemein- In zwei Dingen möchte ich Ihnen unbedingt wider- samer Verantwortung einen Länderfinanzausgleich sprechen, Kollege Feige. zu finden. Sie sprechen davon, moderne Strukturen schaffen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zu wollen, und meinen, die Eisenbahn könne alles. Dann hätten wir heute eine Grundgesetzänderung Ich will hier noch einmal deutlich machen: Die beantragen müssen, um unsere Gemeinden und Dör- Strategie der SPD war, die Mittel für den Fonds fer mit mehr als 300 Einwohnern — das ist nämlich die „Deutsche Einheit" zu verdoppeln und nicht etwa Größe von Börgerende — mit Hauptbahnhöfen zu eine vernünftige Lösung im Länderfinanzausgleich zu versehen. Damit würden wir die Strukturpolitik mit finden, damit die Lasten auf alle föderalen Ebenen Hilfe der Schiene wirklich verunglimpfen. Das würde verteilt werden. zu einer Ökologie führen, die wider alle Vernunft ist. Wenn man dies weiß, muß man glücklich sein, daß Sie müssen einfach begreifen, daß das Auto, wenn es es politisch gelungen ist — wenn auch mit Makeln richtig genutzt wird, entscheidende Umweltvorteile behaftet —, das föderale Staatsgefüge — unabhängig hat. Eine Verkehrspolitik und eine Wirtschaftspolitik, von Diskussionen über Wahlkampfthemen — endlich die ausschließlich die Verteufelung des Autos zum wieder so zu gestalten, daß die Verteilung in unserem Inhalt haben, sind keine Zukunftsvision für unser föderalen System steht. Das ist uns gelungen, und das Volk. Sie wissen das: Wenn wir bei der nächsten Wahl ist ein Vorteil. Es reicht aber nicht aus. Wir müssen uns in Mecklenburg-Vorpommern ausschließlich über daher neue, weitere Dinge einfallen lassen. Autobahnen abstimmen würden, würde meine Partei mit ungefähr 80 bis 90 % Zustimmung zu rechnen Nun etwas zur wirtschaftspolitischen Situation, haben. jedenfalls aus meiner Sicht: Die Diskussion aus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge schließlich darüber, daß es in Westdeutschland struk- ordneten der F.D.P.) turelle Schwierigkeiten in der Wirtschaft gebe, die nur durch die Lohnkosten begründet sind, geht an der Das sind die wirklichen Sachverhalte. Wirklichkeit vorbei. In welcher Situation stehen wir Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung von Ihnen denn eigentlich? Der Eiserne Vorhang — ich will das aufnehmen. Ich denke, daß gestern kein schwarzer einmal mit aller Deutlichkeit formulieren — war auch Tag war. Vielleicht wollten Sie damit sagen: Die ein großes Hindernis für die westdeutsche Wirtschaft. Schwarzen haben sich durchgesetzt. Von Westdeutschland aus war es deshalb schwierig, (Zustimmung bei der CDU/CSU — Konrad die Vorteile von Billigländern im Mittelstand zu nut- Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zen. Das wird jetzt anders werden. Die langfristigen Das war ein schwarzer Tag!) Vorteile für Investoren in der Tschechischen Repu- blik, in der Slowakei, in Polen oder in Ungarn werden Das mag zwar richtig sein. Ich denke schon, daß eine natürlich die Investitionspolitik im produktiven längst erwartete Entscheidung durch die Kompromiß- Bereich eines jeden Investors maßgeblich beeinflus- fähigkeit und nicht durch ein Gegeneinander-an- sen. Das muß auch so sein, wenn wir Ost- und die-Schienbeine-Treten von Regierung und Opposi- Mitteleuropa wirklich schrittweise an die westeuro- tion den Weg zu einer vernünftigen Asyllösung in päische Gemeinschaft anbinden wollen. Deutschland gewiesen hat. Wir sollten in dieser Hin- sicht nicht von schwarzen Tagen sprechen. Wenn wir Das ist das eigentliche Hauptproblem der revolutio- einen schwarzen Tag gehabt haben, dann deshalb, nären Veränderungen: daß wir uns auf Grund der weil es gestern einen Angriff auf unsere demokrati fehlenden Grenze, des fehlenden Eisernen Vorhangs Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13769

Dr. Günther Krause (Börgerende) beispielsweise in der Automobilindustrie West- wachstum sprechen, sollten wir darüber reden, wie deutschlands nicht mehr den Luxus leisten können, wir möglichst schnell die 15 % fehlenden Bruttosozial- Taktstraßen mit acht Beschäftigten zu haben, wäh- produkts, die es vor dem 9. November, vor der rend in vergleichbaren Ländern dieser Erde dort nur deutschen Einheit in Westdeutschland pro Kopf der vier oder fünf Beschäftigte stehen. Wir müssen also an Bevölkerung mehr gegeben hat, durch den Ausbau die Strukturpolitik heran. Und damit komme ich zum Ostdeutschlands und durch die Neuorientierung Standortsicherungsgesetz. unseres Produktionsstandorts erreichen können. Wir Meine sehr verehrten Damen und Herren, man darf werden dieses Wirtschaftswachstum nicht ereichen nicht glauben, daß man durch permanente Steuerer- können, wenn wir versuchen, mit einer weiteren höhungen — angesichts der Nachbarländer und ihrer Verteilermentalität — weit an den internationalen Möglichkeiten, die es vor zweieinhalb Jahren in Maßstäben vorbei, sehr geehrter Herr Feige — Öko- dieser Form noch nicht gegeben hat — Probleme lösen logieexperimente in Deutschland zu machen, die die kann. Vielmehr besteht die Gefahr, daß man so Wirtschaft nicht mehr verkraften kann. Arbeitsplätze verliert, und zwar nicht nur solche im (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) produzierenden Bereich. Es gibt nicht die Insel Deshalb sollten wir versuchen, das FKP und das Deutschland unter einer Käseglocke. Wer das anders Standortsicherungsprogramm als Einstieg in die Neu- sieht, hat nicht begriffen, daß der EWR nicht nur das gestaltung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik Produzieren, sondern auch den gesamten Bereich der zu verstehen. Dienstleistungsfreiheit letztendlich nicht mehr nur Vielen Dank. national, sondern international zuläßt. Man kann also nur versuchen, für Investoren, für Unternehmer bei (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der Besteuerung möglichst schnell ähnliche oder gleiche Bedingungen zu schaffen, wie sie in unserer Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der unmittelbaren Nachbarschaft gegeben sind. Sonst Kollege Hinrich Kuessner. wird es nicht funktionieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Hinrich Kuessner (SPD): Frau Präsidentin! Meine Lassen Sie mich einen zweiten wichtigen Punkt Damen und Herren! Es wäre natürlich für mich ansprechen, der aus meiner Sicht zu kurz gekommen verlockend, hier als dritter Redner aus Mecklenburg- ist. Theo Waigel kennt ja mein diesbezügliches Vorpommern den Vorrednern zu antworten. Es wäre Hobby. auch interessant, hier über Autos und die Umweltvor- teile eines Autos zu diskutieren. Ich halte es aber für (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Welches ist das?) notwendig, noch einige grundsätzliche Dinge zum Aufbau Ost zu bedenken. — Ohne Verkehr kein Leben — das wissen Sie Geld ist wichtig und notwendig für den Aufbau Ost; doch! aber Geld allein ist nicht a lles. Das Dilemma der (Zuruf von der SPD) deutschen Regierungspolitik nach der Einheit ist, daß — Ich bin nach meinem Hobby gefragt worden: Ohne sie Problemen hinterherläuft und nicht gestaltend Verkehr kein Leben. Deshalb setze ich mich ja für eingreift. Von Anfang an herrschte die Vorstellung, Autobahnen ein. der Aufbau Ost komme von allein; die Kräfte der Wirtschaft würden es schon machen. Wirtschaftsmini- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: ster Rexrodt führte sich mit dem Zitat ein: „Die Ohne Leben auch kein Verkehr!) Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt." — Ohne Leben auch kein Verkehr, das ist richtig, Herr (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: In der Weng. Gastwirtschaft!) Ein wichtiger Punkt in unserer Haushaltsgestaltung In Wirklichkeit zeigt dieser Ausspruch nur die Hilflo- muß möglichst ab 1994 endlich sein, daß wir privates sigkeit dieser Regierung, die leider außerhalb der Kapital in Größenordnungen einsetzen, um öffentli- Gastwirtschaft hilflos ist. che Aufgaben damit zu realisieren. Ist denn das, was Das jetzt vorliegende Finanzpaket für den Aufbau in Frankreich beispielsweise im Autobahnbau gelau- Ost ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber die fen ist, so unvernünftig? Dort wurden nicht Steuergel- Größe der Aufgabe, also die Umstrukturierung von der benutzt, um Autobahnen zu bauen, die heute im Wirtschaft und Gesellschaft in den neuen Ländern, ist EWR international gegenfinanziert sind, weil es ganz nach meinem Eindruck in der Regierungspolitik noch saubere Betreibermodelle sind. nicht voll erkannt. Wir haben in Deutschland in diesem Bereich die Durch die Wende 1989 und die schnelle Einheit mit Möglichkeit, nicht nur Binnenarbeitsplätze zu schaf- der Ankopplung Ostdeutschlands an Westdeutsch- fen, sondern auch — durch die Veränderung des land gab es nicht viel, was so bleiben konnte, wie es Haushaltsdenkens in unserem eigenen Land — eine war. Die Bürgerinnen und Bürger im Osten befanden Binnenkonjunktur zu realisieren. Wir sollten nicht sich plötzlich in einem anderen Staat — ich sage das abfällig über die positiven Erfahrungen in Frankreich, nicht wertend, sondern feststellend. Italien oder Österreich sprechen, die in diesem Der Regelmechanismus der neuen Gesellschaft war Bereich gemacht worden sind. vielen Bürgern völlig unbekannt. Es war anders als Ich komme auf die Zahlen zurück, die Theo Waigel 1945 in Westdeutschland. Damals konnte man auf das heute morgen nannte: Wenn wir über Wirtschafts- Verwaltungswissen, auf das technische und organisa- 13770 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Hinrich Kuessner torische Wissen in der Gesellschaft zurückgreifen. z. B. die Art, in der wir hier miteinander umgehen, Dies muß jetzt alles mühsam neu erworben werden. diese Hektik. Wir haben einige Dinge gehabt, die Sie sich durchaus noch einmal durch den Kopf gehen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege lassen und vielleicht auch übernehmen können. Kuessner, würden Sie eine Zwischenfrage des Abge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, bei der ordneten Gallus beantworten? PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Gerhard Reddemann [CDU/ Hinrich Kuessner (SPD): Ich möchte noch einen Satz CSU]: Zum Beispiel, Herr Kollege? Was sagen, dann kann Herr Gallus gern fragen. schlagen Sie denn vor? — Georg Gallus [F.D.P.]: Zusatzfrage!) Mit der Einheit wurden der gesamte Staatsapparat und das bisherige Steuerungssystem der Wirtschaft — Er möchte gern noch einmal etwas fragen; meinet- entwertet und funktionslos. Die Tiefe der Verände- wegen darf er. rung für die Organisation der Gesellschaft und für jeden einzelnen Bürger ist nach meinem Eindruck bei Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ihre zweite Zwi- vielen Entscheidungsträgem noch immer nicht richtig schenfrage, Kollege Gallus. verinnerlicht. Dem Wirtschaftswunder West muß nicht automatisch ein Wirtschaftswunder Ost folgen. (F.D.P.): Herr Kollege, es wäre durch- Herr Gallus, bitte. Georg Gallus aus interessant, auf dieser Basis weiter zu diskutieren. Die Ruhe und die Behaglichkeit, die Sie hier so Georg Gallus (F.D.P.): Herr Kollege, Sie reden von rühmen, ist doch wohl auch darauf zurückzuführen, Ankopplung und tun hier so, als ob es ein Schaden für daß die Effizienz der östlichen Wirtschaft nicht dem die Bürger der neuen Bundesländer gewesen sei, daß entsprochen hat, was hier im Westen heute an Lei- die Dinge im Hinblick auf die Wiedervereinigung so stung erbracht werden muß, um drüben in den neuen gelaufen sind, wie sie gelaufen sind. Glauben Sie Bundesländern die Angleichung zu vollziehen. nicht, daß viele in den neuen Bundesländern dafür (Zuruf von der SPD: Wo ist die Frage?) dankbar sind, daß es so gekommen ist? Das ist vor allem im Verhältnis zu dem zu sehen, was wir beim Niedergang des Kommunismus heute im Osten erle- Hinrich Kuessner (SPD): Herr Gallus, Sie haben ben. einen Fehler, den viele Westdeutsche haben: Sie können nicht zuhören. Hinrich Kuessner (SPD): Das ist eine sehr ange- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und nehme Frage, schönen Dank. — Wenn Sie mich so dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Rudi verstanden haben, dann haben Sie mir nicht richtig Walther [Zierenberg] [SPD]: Davon versteht zugehört. Ich habe gesagt, daß ich das nicht wertend, der nichts! — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/ sondern feststellend sage. Es ist in der Tat — ich halte CSU]: Arroganz! — [F.D.P.]: Er das sogar für richtig — eine Ankopplung gewesen; das kann zuhören! Das ist schon wieder arrogant, ist doch nichts Negatives. Wir wollten das alte System was Sie sagen!) nicht mehr. Ich habe an der Wende aktiv mitgewirkt. Sie nehmen das, was ich gesagt habe, nicht richtig auf. Und eine Zielstellung war, daß es eine Ankopplung Ich habe bisher nichts Positives über die DDR- wird. Wirtschaft gesagt. Wir sollten uns darüber einmal Ich habe mir natürlich vorgestellt, daß wir genauer unterhalten, Herr Gallus. bestimmte Dinge, die in der DDR gut waren, auch in (Unruhe bei der F.D.P.) das gemeinsame Deutschland mitnehmen. — Wenn Sie jetzt so ungläubig Ihren Kopf schütteln, dann Wenn man langfristig nicht einen Finanz- und kennen Sie die DDR überhaupt nicht. Menschentransfer von West nach Ost in Deutschland will, muß man sich überlegen, was man tun kann, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ damit es zu einer Eigendynamik im Osten kommt. DIE GRÜNEN) Demokratie und soziale Marktwirtschaft leben von Ich habe mein ganzes Leben in der DDR verbracht. Ich der Initiative vieler einzelner. Das System im Westen habe sogar einmal einen Ausreiseantrag gestellt, weil funktioniert am besten von unten nach oben und nicht ich mich in dem Staat auch nicht wohlgefühlt habe. umgekehrt, wie es damals in der DDR war. Die Aber ich kann trotzdem nicht sagen, daß dies nur eine Erneuerung der Gesellschaft in Ostdeutschland muß schlimme Zeit war. Es gab bestimmte Dinge in dem von unten erfolgen. Es muß alles getan werden, damit Miteinander der Menschen in der DDR, die sehr Einheimischen die Möglichkeit eröffnet wird, mitzu- wertvoll waren machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, bei der (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das können Sie nicht PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE verordnen!) GRÜNEN) Dabei spielt der Eigentumserwerb eine wichtige und über die man durchaus neu nachdenken kann. Rolle. Da den meisten Ostdeutschen das notwendige Manches hier in Bonn — muß ich sagen — gefällt mir Kapital für den Erwerb von Eigentum fehlt, muß m an gar nicht so, über andere Modelle nachdenken, z. B. langfristige (Beifall bei Abgeordneten der SPD, bei der Vermietung, Verpachtung oder Erbbaurechte. Auf PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE dieser Grundlage können Kredite abgesichert wer- GRÜNEN) den, und damit kann wirtschaftliches Handeln ermög- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13771

Hinrich Kuessner licht werden. So werden p rivate Mittel mobilisiert und Die statistischen Zahlen der Treuhand sagen nicht öffentliche Mittel gespart. viel über die Zukunftsaussichten der privatisierten Betriebe aus. Umfragen belegen, daß die Perspekti- Der Erneuerung der Gesellschaft von unten stehen ven der ostdeutschen Betriebe sich deutlich einge- immer noch Hemmnisse entgegen. Einige, die für die trübt haben. In den letzten Monaten sind die Umsatz-, öffentlichen Kassen kostenwirksam sind, möchte ich Produktions- und Beschäftigungserwartungen nach nennen: unten korrigiert worden. Die Rezession im Westen ist Erstens. Die Gebietsreform, die Bildung neuer auf den Osten übergeschwappt. Landkreise und kreisfreier Städte, steht noch bevor. Das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft stellt Menschen, die sich in den Verwaltungen vor kurzem nach einer Umfrage im März fest: neu eingearbeitet haben, müssen um ihren Arbeits- platz bangen. Das lähmt die notwendige Arbeit. Die Die Treuhandunternehmen erwarten zu 92 % Arbeit der kommunalen Verwaltungen ist bei dem weiter sinkende Beschäftigungszahlen, bei den Umbau der Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Privaten sind es immerhin noch 73 %. Nur 9 % der privatisierten Unternehmen halten einen Be- Zweitens. Das Entschädigungsgesetz ist noch schäftigungsaufbau für möglich. immer nicht verabschiedet. Damit werden Klärungen in Eigentumsfragen immer noch auf später verscho- Besonders gravierend ist der Abbau der Industrie- ben; wirtschaftliche Entscheidungsprozesse werden arbeitsplätze: Im Juni 1992 kamen in Ostdeutschland verhindert. Hier liegt ein eindeutiges Versagen der auf 1 000 Einwohner 60 Industriearbeitsplätze. In Bundesregierung vor. Westdeutschland waren es zum gleichen Zeitpunkt 114, also fast doppelt so viele. Die Abbauphase ist (Beifall bei der SPD) dabei im Osten noch nicht beendet. Im vierten Quartal Das Gesetz hätte längst verabschiedet sein müssen. 1990 waren im Bergbau und verarbeitenden Gewerbe Die große Rücksicht auf die zwischen 1945 und 1949 in Ostdeutschland noch durchschnittliche 2,3 Millio- Enteigneten, vor allem auf die Großgrundbesitzer in nen Menschen beschäftigt. Im Juni 1992 lag die Zahl der Landwirtschaft, geht eindeutig zu Lasten der bei 945 000, und nach nur sechs weiteren Monaten einheimischen Bauern. Ihre Chancen in der Markt- waren es im Dezember des vorigen Jahres noch wirtschaft sinken mit jedem verlorenen Monat. Solche einmal 117 000 weniger. Politik macht den Aufbau Ost für den Steuerzahler Trotz alledem macht die Treuhand weiter unter der immer teurer. Parole: Die schnelle Privatisierung ist die beste Sanie- rung. Sanierungsgesellschaften wie die Manage- (Zuruf des Abg. Gerhard Reddemann [CDU/ ment-KGs werden nur sehr zögernd gebildet. In der CSU]) Regel spürt man in diesen Unternehmen keine große — Melden Sie sich! Dann dürfen Sie gern fragen. Veränderung gegenüber Unternehmen, die in direk- ter Treuhandverwaltung stehen. Auch in diesen (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Unternehmen wird die Privatisierung vorrangig CSU]: Herr Schullehrer! — Weitere Zurufe betrieben. von der CDU/CSU) Ich bin ebenfalls für die Privatisierung. Aber die - Es muß nicht sein; es kann ruhig auch frei sein. Privatisierung darf die Sanierung nicht laufend stören Drittens. Im Herbst 1992 hat der Kanzler in Schwe- und damit das Unternehmen gefährden. rin wieder einmal Hoffnung mit einem Bildwort (Rudolf Dreßler [SPD]: Sehr richtig!) geweckt. Er sprach von der Erhaltung der industriel- len Kerne. Bis heute fehlt eine inhaltliche Beschrei- Die Praxis ist in der Regel so, daß zu Beginn der bung des Vorhabens. Von der Bundesregierung Privatisierungsgespräche die Sanierung unterbro- wurde nicht definiert, was sie unter einem industriel- chen wird. Die Treuhand läßt dann nur noch soge- len Kern versteht. nannte investorneutrale Investitionen zu. Diese Inve- stitionen verlängern das Leben, machen die Unter- Es gibt für mich keine erkennbaren Ansätze für das nehmen aber nicht für den Wettbewerb lebenstüch- Anschieben eines Programms. Im Treuhand-Aus- tig. schuß haben wir uns auf unsere Anregung hin auf Haben die Privatisierungsgespräche dann keinen einen gemeinsamen Antrag geeinigt, der die Bundes- regierung auffordert, dem Ausschuß bis zum 21. Juni Erfolg, so hat das Unternehmen durch den Zeitverlust dieses Jahres ein Konzept zur Umsetzung der im an Wert verloren. Es wird ein neues Sanierungskon- Solidarpakt niedergelegten Vorstellungen vorzule- zept mit noch weniger Arbeitskräften aufgestellt. Oft gen. Ich freue mich darüber, daß wir diesen Antrag bleibt die Produktionspalette erhalten, auch wenn der heute gemeinsam beschließen wollen. Die Bundesre- Markt eine Umorientierung erfordert. Für neue Tech- gierung verliert leider ständig wertvolle Zeit. In die- nologien und Produkte müßte aber besser gezielt und sem Bereich ist Zeit Geld. in vielen Fällen auch mehr investiert werden. Es fehlt dringend ein Plan für die Erneuerung von (Zurufe von der SPD: Sehr richtig!) Industriestandorten. Das ist nicht damit getan, daß Trotz aller Erfolgsmeldungen der Treuhandanstalt der Kreditrahmen für die Sanierung von Treuhand- ist der Wirtschaftsstandort Deutschland-Ost nicht betrieben erhöht wird. Dazu gehört mehr. Schon l ange gesichert. Die Treuhand meldet, daß sie kurz vor dem fordern wir eine abgestimmte regionale Strukturpoli- Abschluß der Privatisierung steht. Keine 1 000 akti- tik. Dabei müssen beteiligt werden: der Bund — be- ven Unternehmen sind noch im Nettobestand. sonders, weil er Herr der Treuhand ist —, die Länder 13772 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Hinrich Kuessner und die regionalen Kräfte. Die Unternehmenssanie- der kurzfristigen Vergabe von Mitteln ist end lich rung muß sich in ein Konzept für eine Region einpas- vorbei. sen. (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE Die Treuhandunternehmen sind ein Teil, wo der GRÜNEN]: Na, na, na!) Bund die Gestaltungsmöglichkeit hat. Sie ist bitter Nur durch langfristige Planungssicherheit läßt sich notwendig, um gewerbliche Arbeitsplätze im Osten Vertrauen in eine Aufwärtsentwicklung vermitteln. zu erhalten. Den so oft herbeigeredeten Aufschwung Gerade da wir von einem langfristigen Prozeß — ich Ost wird es ohne gewerbliche Unternehmen nicht meine, das ist ein Prozeß, der sich über 20 Jahre geben. Allein mit Handel, Versicherungen und hinziehen wird — ausgehen müssen, ist das- Zeigen Dienstleistungen und etwas Tourismus ist es nicht zu von Perspektiven für die einzelnen Regionen von schaffen. Bedeutung. Nur so kann man Vertrauen in die (Rudolf Dreßler [SPD]: Sehr wahr!) Zukunft vermitteln. Für die politische Stabilität in den Wir brauchen Betriebe, die Produkte mit hoher Wert- neuen Ländern ist das von entscheidender Bedeu- schöpfung für den Weltmarkt herstellen. tung. Massengüterproduktion hat bei uns künftig keine Das FKP schafft für den Wohnungsbau in den neuen Chance. Sie wird weiter östlich zu finden sein. Unsere Ländern die notwendigen Startbedingungen. Aus Lohnstückkosten halten da nicht mit. Wenn wir in meiner Sicht ist die Altschuldenfrage bef riedigend Ostdeutschland unser Ziel erreichen wollen, müssen gelöst. Eine Einschränkung muß ich dazu machen: Die wir in Forschung und Entwicklung investieren und Forderung nach einer 15prozentigen Privatisierung Marktlücken im Weltmarkt finden. des Wohnungsbestands bei Genossenschaftswohnun- gen gibt keinen Sinn und muß geändert werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christina Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Schenk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) NEN]) Aber diese Entscheidung hätte früher kommen müs- Weil dies alles nicht an einem Tag zu machen ist, hat sen. Das hätte uns eine ganze Menge Geld gespart. die SPD darauf gedrungen, daß eine Absatzförderung für Produkte aus den neuen Ländern durchgeführt Die Altschuldenregelung zusammen mit der Auf- wird. Aber auch hierzu schweigt sich die Regierung stockung des KfW-Programms des Bundes nimmt aus. Wenn dies alles erst im nächsten Jahr begonnen Rücksicht darauf, daß der Wohnungsbau vor einer werden soll, ist die Entindustrialisierung in vielen gewaltigen Aufgabe steht. Da die Qualität und die Regionen Ostdeutschlands Realität. Größe der meisten Wohnungen in den neuen Ländern völlig unzureichend sind, ist dies ein wichtiger Schritt Dann werden wir mit den 2 Milliarden DM für zur Verbesserung der Lebensverhältnisse. Dazu Arbeitsmarktpolitik nicht weit kommen. In der „Wirt- bringt er dem Baugewerbe und dem Handwerk wich- schaftswoche" vom 30. April 1993 konnte man lesen, tige Aufträge. daß Prognos trotz eines selber angenommenen Wirt- schaftswunders Ost bis zum Jahr 2000 noch mit einer Insgesamt ist das FKP für die neuen Länder ein Abwanderung von rund 1,2 Millionen Ostdeutschen wichtiger Schritt. Vor allem entschärft es an einer in den Westen rechnet. Allein für Mecklenburg wesentlichen Stelle die West- Ost-Auseinanderset- Vorpommern haben die Gutachter in einer anderen zung, indem es die notwendige Änderung des Länder- Studie einen Bevölkerungsrückgang um 400 000 finanzausgleichs nach der Einheit verabredet. Dies Menschen — das sind rund 21 % — vorausgesagt. kann nicht hoch genug bewertet werden. Aber das FKP löst längst noch nicht alle Probleme, Dies kann nicht unser politischer Wille sein; denn die einer Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- Westdeutschland wird diese Wanderbewegung nicht und in Westdeutschland im Weg stehen. Noch immer verkraften. Wer jetzt tatenlos zusieht, provoziert sol- läuft die Regierung mehr den Problemen hinterher, als che Entwicklungen. daß sie Zukunft gestaltet. Das wird uns teuer zu stehen Das FKP ermöglicht eine langfristige Finanzpla- kommen. nung für die neuen Länder und ihre Gemeinden ab Man muß immer wieder sagen: Es ist ein Fehler, daß 1995. Dies ist ein sehr wich tiger Punkt. Die Höhe der die Gestaltung der inneren Einheit vor allem vom Transfermittel bestimmt das Tempo der Entwicklung. Finanzministerium betrieben wird. Ihr wurde die Ob wir Spannungen in Deutschland aushalten, wenn Treuhand unterstellt. Alle Vorhaben wurden vor die Entwicklung in den neuen Ländern nur langsam allem unter finanziellen Gesichtspunkten beurteilt. Es vorankommt, ist die kritische Frage. Allerdings ist dies fehlt bis heute der nötige Sachverstand für die schwie- nicht nur eine Frage des Geldes. Manchmal führt rige Aufgabe der Umstrukturierung von Wirtschaft weniger Geld zu dauerhafteren und effizienteren und Gesellschaft. Ihre Komplexität ist nicht erfaßt. Strukturen. Bei allen Entscheidungen müssen die Finanzen (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Richtig!) natürlich eine wichtige Rolle spielen. Aber es müssen erst Ideen geboren werden, ehe m an deren finanzielle Der verabredete Geldtransfer ist eine Hausnummer, Machbarkeit hinterfragt. von der man jetzt ausgehen muß. Die neuen Länder können sich darauf einstellen. Sie können ihre Pla- (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Alles Platitü nungen darauf einrichten. Die Zeit der Bettelei und den!) Deutscher Bundestag — 12. Wahiperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13773

Hinrich Kuessner Durch den Blick auf die Finanzen dürfen diese Ideen Mir ist dabei besonders wichtig, daß über die nicht verhindert werden. kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungs- Das FKP hat keinen neuen Entwurf für den Aufbau unternehmen hinaus die Einbeziehung der privaten Ost gebracht. Die politischen Entscheidungen dieser Vermieter gelungen ist. Sie mußten in Zeiten der DDR Regierung quälen sich weiter dahin. Es fehlen die die notwendigen Sanierungsmaßnahmen über Kre- Freude an der Einheit mit einer Vision von Deutsch- dite finanzieren, hatten kaum Mieteinnahmen und land in einem größer gewordenen Europa und die können aus Gleichbehandlungsgründen von der Alt- Lust, diese Vision einer friedlichen europäischen schuldenentlastung deshalb nicht ausgeschlossen Völkergemeinschaft zu verwirklichen. werden. Ich danke Ihnen. Gerade privates Kapital ist völlig unverzichtbar,- wenn angesichts des immensen Sanierungsbedarfs (Beifall bei der SPD) der qualitative Standard der Wohnungen in einem überschaubaren Zeitraum angehoben werden soll. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster Deshalb gilt im Altschuldenhilfegesetz für die genos- spricht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jo- senschaftlichen und die kommunalen Wohnungsun- achim Günther. ternehmen die Auflage, bis Ende 2003 15 % ihres Wohnungsbestandes zu privatisieren bzw. zu verkau- fen. Joachim Günther, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Dies erleichtert den Übergang zu einem funktions- desministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städ- fähigen Wohnungsmarkt in den neuen Bundeslän- tebau: Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen dern, schafft finanzielle Spielräume für die Unterneh- und Kollegen! Die Bundesregierung ist sich der her- men und Kommunen und treibt auch die Wohneigen- ausragenden Bedeutung der Wohnungspolitik für das tumsbildung in Mieterhand voran. Zusammenwachsen Deutschlands und den Auf- schwung Ost bewußt. Sie trägt dem mit den woh- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne nungspolitischen Akzenten des Föderalen Konsolidie- ten der CDU/CSU) rungsprogramms Rechnung. Mit seinen wohnungspo- Der Vorrang der Privatisierung für Mieter ist ja litischen Elementen ist die Integration der ostdeut- auch im Gesetz verankert. Wir entsprechen somit dem schen Wohnungswirtschaft in die Soziale Marktwirt- vielfach geäußerten Wunsch von Mietern kommuna- schaft in entscheidenden Punkten vorangekommen ler und Mietern genossenschaftlicher Wohnungen. und auf eine tragfähige ökonomische Grundlage gestellt worden. Vielfach ist Unverständnis darüber geäußert wor- den, daß die Privatisierungsauflagen auch für die an Ich möchte gerade als Bürger der neuen Länder Genossenschaften gelten. dieser Stelle allen Verantwortlichen dafür danken, daß diese Leistungen für das Wohnungswesen und die (Achim Großmann [SPD]: Sehr wahr!) Lebensbedingungen in den neuen Ländern möglich Aber die Genossenschaften werden durch das Woh- waren. nungsgenossenschaftsvermögensgesetz gegenüber (Beifall des Abg. Dr. Wolfg ang Weng [Gerlin den Oberfinanzdirektionen und vor allem gegenüber gen] [F.D.P.]) den Kommunen rechtlich erheblich besser gestellt, als Mit der Lösung der Altschuldenfrage wurde ein es bisher der Fall war. Sie bekommen den ihnen ganz zentrales Investitionshemmnis beseitigt. zustehenden Grund und Boden jetzt in der Regel direkt von den Oberfinanzdirektionen zugesprochen (Achim Großmann [SPD]: Zwei Jahre zu und nicht sozusagen als Gnadenakt von den Kommu- spät!) nen zugeteilt. Die nach langem Ringen gefundene Regelung verbes- Gleichzeitig ist es uns mit dem Wohnungsgenossen- sert nachhaltig die Investitionsmöglichkeiten der schaftsvermögensgesetz gelungen, eine bürokrati- Genossenschaften, der kommunalen Unternehmen sche Hürde niederzureißen, fällt doch für alle etwa und der privaten Vermieter. Dies war notwendig. 700 Wohnungsgenossenschaften ein Schritt weg, (Achim Großmann [SPD]: Überfällig!) nämlich die Fassung, Abstimmung und notarielle Die Wohnungswirtschaft ist im Einigungsvertrag im Beurkundung des Übertragungsvertrags mit der Kom- Vergleich zu anderen Bereichen in mancher Hinsicht mune. wie ein ungeliebtes Kind behandelt worden. Hier Es darf auch nicht übersehen werden, daß auch für konnten wir bei den harten Verhandlungen im Rah- die Genossenschaften die Privatisierung eines Teils men des Solidarpakts den notwendigen Ausgleich ihrer Bestände eine reelle Chance darstellt, die Liqui- erreichen. ditätssituation und damit die Investitionsmöglichkei- Im Mittelpunkt steht die unternehmensbezogene ten für den verbleibenden Wohnungsbestand ent- Kappung der Altschulden bei 150 DM pro Quadrat- scheidend zu verbessern. Privatisierung ist keine f ixe meter Wohnfläche zum 1. Juli 1995. Durch diese Idee, sondern eine notwendige Voraussetzung für Kappungsregelung wird gewährleistet, daß diejeni- eine wirtschaftliche Gesundung der Unternehmen. gen Wohnungsunternehmen besonders stark entla- (Zuruf von der F.D.P.: Richtig!) stet werden, die bisher unter einer überdurchschnitt- lich hohen Verschuldung litten. Dies sind insbeson- Nur dann werden sie leistungsfähig, und das im dere die Unternehmen, die einen neuen Bestand an Interesse der Mieter, der Unternehmen und der Kom- Plattenbauten hatten. munen. 13774 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Parl. Staatssekretär Joachim Günther die Bundesregierung ist mit dem Föderalen Konso- kräftig voranbringen. Dem dienen auch die von 1 Mil- lidierungsprogramm keineswegs nur auf Geldvertei- liarde DM auf jetzt 6 Milliarden DM aufgestockten lung und Privatisierung fixiert. Ein Teil der zu ent- Bundesbürgschaften, die Investoren zur Verfügung schuldenden Bestände wird mit Belegungsbindungen gestellt werden sollen, die noch nicht als Eigentümer versehen und somit zu Sozialwohnungen im eigentli- im Grundbuch eingetragen sind. Das verbessert ihre chen Sinn. Dies ist übereinstimmende Auffassung von Kreditfähigkeit und hilft, Verzögerungen auf Grund Bund und Ländern. Damit können auch jene Haus- von Kapazitätsengpässen bei den Grundbuchämtern halte mit Wohnraum versorgt werden, die auf dem abzubauen. freien Markt nicht zum Zuge kommen. Mir ist nicht bekannt, daß zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte der Bundesrepublik ein derart Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege umfassendes wohnungspolitisches Paket auf den Weg Günther, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- gebracht wurde. gen Großmann? (Beifall bei der F.D.P.) Joachim Günther, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Zur Abrundung des Ganzen ist es aber erforderlich, desministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städ- daß die Gemeinden ihre Anstrengungen zur Auswei- tebau: Gern. sung von Bauland erheblich verstärken, damit auch Raum für notwendige Neubauten geschaffen werden Vizepräsidentin Renate Schmidt: Bitte. kann. Das Baulandgesetz, das Anfang des Monats in Kraft getreten ist, bietet hierfür eine Vielzahl neuer Achim Großmann (SPD): Herr Staatssekretär, wir Möglichkeiten. Diese sollten nicht durch übertriebe- haben im Ausschuß kontrovers darüber gesprochen, nes kommunales Anspruchsdenken blockiert wer- in welchem Umfang privatisiert werden so ll. Warum den. sind Sie nicht unseren Vorschlägen gefolgt, daß bei (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Wohnungsgenossenschaften nur die selbstnutzenden Unsere Maßnahmen für den Wohnungsbau in den Mitglieder der Wohnungsgenossenschaften kaufen neuen Ländern haben, so darf ich sagen, einen dürfen? Dann wäre das ganze Problem gelöst. Man Umfang erreicht, den wenige vorher erwartet hatten. würde die Wohnungsgenossenschaften nicht zwin- Wir dürfen nicht vergessen, daß dadurch in erhebli- gen, unter Umständen an völlig andere zu verkaufen, chem Umfang finanzielle Mittel über viele Jahre und man würde damit auch nicht dem Sinn und dem gebunden werden. Ich bin aber sicher, daß diese Gedanken des Genossenschaftsgesetzes widerspre- Anstrengungen ihre positiven Wirkungen bei der chen. Entwicklung im Osten Deutschlands nicht verfehlen werden. Joachim Günther, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Danke schön. desministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städ- tebau: Herr Kollege Großmann, Sie wissen, daß bei (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) vielen Genossenschaften und bei vielen Genossen- schaftsmitgliedern der Wunsch besteht, Volleigentum Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste an den Wohnungen zu erreichen. Nach den Erfahrun- spricht die Kollegin Petra Bläss. gen, die wir vor Ort gesammelt haben, ist das bei mehr als 50 % der Genossenschaftsmitglieder der Fall, so daß wir klar davon ausgehen können, daß dies kein Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin! Hindernis für die Entwicklung der Genossenschaft Meine Damen und Herren! Noch ist der letzte Akt der ist. Seifenoper „Solidarpakt", die sich inzwischen zum (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) „Föderalen Konsolidierungsprogramm" gemausert hat, nicht über die Bühne, da werden bereits Die Förderung von Instandsetzungs- und Moderni- die drastischen vorbereitet. sierungsmaßnahmen wird durch den Solidarpakt nächsten Sparbeschlüsse noch einmal erheblich ausgeweitet. Das FKP verdop- Steuerausfälle in zweistelliger Milliardenhöhe in pelt die verfügbare Kreditsumme des Modernisie- diesem und in den nächsten Jahren reißen neue rungs- und Sanierungsprogramms der Kreditanstalt Löcher in den Haushaltssäckel und sollen nach dem für Wiederaufbau auf 60 Milliarden DM. 10 Milliarden bekannten Muster gestopft werden: Weitere Kürzun- DM davon sind zu besonders günstigen Konditionen gen bei den Sozialleistungen, Entlastungen des für eine Verbindung von Maßnahmen in den Platten- Staatshaushalts durch Privatisierung und Deregulie- bauten reserviert. Das ist ein echtes Konjunkturpro- rung. gramm; denn es leistet einen Beitrag zum Wachstum Die Zehn-Punkte-Offensive von Wirtschaftsmini- der Wirtschaft, zur Verbesserung der Wohnbedingun- ster Rexrodt für die Zukunftssicherung des Standorts gen und damit auch zur Schaffung von Arbeitsplät- Deutschland läßt keinen Zweifel darüber aufkommen, zen. daß dies erneut zu Lasten einer sicheren Zukunft Darüber hinaus streben wir eine Anhebung der weiterer Bevölkerungsgruppen gehen soll. Fördergrenzen von zur Zeit 500 DM/qm auf 1 000 Betriebliche Öffnungsklauseln, Senkung der ABM DM/qm an. Das entspricht einfach der Notwendigkeit um 20 % unter Tarif, Begrenzung der Lohnzusatzko- einer komplexen und gleichzeitigen Sanierung von sten und ein Einfrieren der Sozialabgaben kennzeich- Dach, Fassade und technischen Ausrüstungen. nen die Richtung bei der geplanten Reduzierung der Wir wollen und werden den Wohnungsbau durch Arbeitskosten. Verschärfung der Zumutbarkeitsklau- Verbesserung der investiven Maßnahmen weiter sel, Eingriffe in den Leistungskatalog der Kranken- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13775

Petra Bläss kassen und Propagierung der p rivaten Vorsorge im halst wird, während den Arbeitgebern zur Entlastung Alter signalisieren, wo der Rotstift angesetzt werden die Streichung der Karenztage angeboten wird. Das soll. vorgestellte Modell ist nichts anderes als eine staatlich sanktionierte und zudem staatlich organisierte p rivate Aber das ist ja noch nicht alles. Die unwürdige Vorsorge für den Pflegefall. Im Klartext bedeutet das zeigt, daß Debatte um die Pflegekostenabsicherung den Einstieg in die Beseitigung des hundert Jahre die Regierungsmehrheit zu deren Finanzierung nicht alten, heiß erstrittenen Sozialversicherungssystems in vor schweren Eingriffen in Rechte von Arbeitnehme- Deutschland. rinnen und Arbeitnehmern zurückschreckt. Zwei Karenztage im Lohnfortzahlungsgesetz zur Disposi- (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: 110 Jahre, Frau Kollegin!) tion zu stellen bedeutet einen weiteren Rückzug aus - sozialstaatlicher Verantwortung. Der Bundeskongreß der Mittelstandsvereinigung im April dieses Jahres hat bereits ganz ungeschminkt Aber auch das heute zur Verabschiedung stehende zur „Neuordnung unseres sozialen Sicherungssy- Föderale Konsolidierungsprogramm enthält bereits stems" aufgerufen und dabei einer steuerfinanzierten schwere Einschnitte ins soziale Netz und ist ein Grundversorgung den Vorrang gegeben. Auch der weiterer Bruch des grundgesetzlich garantierten So- Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Friedhelm zialstaatsgebots. Betroffen sind zunächst zwei Grup- Ost, hat diesbezüglich geplaudert und wurde von pen, die bei den Mehrheitsfraktionen in diesem Hause Bundeskanzler Kohl höchstselbst ungewöhnlich eindeutig die schlechteste Lobby haben: Menschen scharf zurückgepfiffen. Das sind, denke ich, Indizien mit Behinderungen und Sozialhilfeempfängerinnen genug, um diesem Generalangriff auf das Sozialver- und -empfänger. sicherungssystem entgegenzutreten. Die geplante Kürzung des Unterhaltsgeldes für Armut ist nicht Ausdruck unzureichender Wirt- jene, die mit Pflegebedürftigen in häuslicher Gemein- schaftskraft, sondern Folge der unsozialen und unge- schaft leben, konnte ebenso wie die Reduzierung des rechten Aneignung und Verteilung der Ressourcen Übergangsgeldes gerade noch verhindert werden, und Ergebnisse der gesellschaftlichen Produktion. Die nicht hingegen die Senkung der Pflegesätze um 1 %. PDS/Linke Liste hat deshalb als Alternative heute eine Dies mag sich sehr bescheiden ausnehmen, doch Charta fiber die soziale Grundsicherung in den Deut- wenn man bedenkt, daß Preissteigerungen und Lohn- schen Bundestag eingebracht, eine Charta, die erhöhungen jährlich eine Pflegesatzerhöhung von eigentlich ein Rahmengesetz dafür ist, wie das Sozial- etwa 7 % nötig machten, hat jede minimale Senkung versicherungssystem auszugestalten und durch steu- oder auch nur Deckelung der Pflegesätze katastro- erfinanzierte Elemente zu ergänzen ist, damit jeder in phale Folgen für die Betroffenen. der Bundesrepublik lebende Mensch unabhängig von Und die Sozialhilfe? Sie soll entgegen der Absicht Alter, Geschlecht, Familienstand und Nationalität des Bundesfinanzministers zunächst nicht gekürzt einen Anspruch auf die Sicherung seiner Existenz werden. Aber vereinbart wurde die Regelsatzanpas- hat. sung an die Inflationsrate. Faktisch aufgegeben wur- den damit das Bedarfsdeckungsprinzip und der Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin, gesetzliche Grundsatz, die Führung eines Lebens zu würden Sie bitte zum Schluß kommen. ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht — schon bei den gegenwärtigen Sozialhilfesätzen ein Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Noch einen Satz. — wahres Kunststück. Bei einem sozialpolitischen Ratschlag zum Thema ril in Braun- Für Asylbewerberinnen und Asylbewerber werden „Armut im reichen Deutschland" im Ap solche Ansprüche gar nicht mehr formuliert; sie wer- schweig drängten Verbände, Initiativen, Wissen- den künftig mit einem Care-Paket abgespeist. schaftler und Politiker angesichts der prekären Lage auf eine öffentliche Auseinandersetzung über die Der eigentliche „Hammer" des FKP ist die wirklich moralischen Grundlagen dieses Wirtschafts- und miese Debatte über die Mißbrauchsbekämpfung, mit Gesellschaftssystems; diese öffentliche Diskussion der zur Hatz auf Arbeitslose und Arme geblasen wird. möchten wir mit unserer Initiative in den Bundestag Zahlungen in Höhe von 550 Millionen DM sollen tragen. dadurch 1993 bei der Bundesanstalt für Arbeit einge- Ich danke. spart werden. Wenn diese unsägliche Mißbrauchsde- (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie der batte endlich auch auf die ausgeweitet würde, die durch Steuerhinterziehung und andere T ricks den Abg. Christina Schenk [BÜNDNIS 90/DIE Staatshaushalt in Millionen-, ja Milliardenhöhe betrü- GRÜNEN]) gen, wären wir alle Finanzsorgen los. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das war ein lan- (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Und ger Satz. die SED-Millionen?) ( [CDU/CSU]: Mit Semi Aber statt dessen kündigt Finanzminister Waigel für kolon dazwischen!) 1994 weitere Einschnitte im Sozialbereich an. Nun hat der Kollege Dr. Klaus Rose das Wort. Noch ungeheuerlicher ist jedoch, was sich gegen- wärtig im Zusammenhang mit der Debatte über die Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Pflegeversicherung anbahnt. Es geht schon nicht Meine Damen und Herren! Wenn m an jetzt am mehr allein darum, daß deren Finanzierung einseitig Nachmittag eine erste Bilanz der heutigen Debatte den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufge zieht, muß man feststellen: Leider ist von der Freude 13776 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Dr. Klaus Rose über den gelungenen Solidarpakt nicht mehr die Alle führenden Wirtschaftsforschungsins titute be- Rede, sondern man hat statt dessen die Spardiskussion stätigen, daß mit dem Föderalen Konsolidierungs- für das Jahr 1994 begonnen. Wir haben keine programm die Weichen für eine mittelfristige Rück- Abschlußdiskussion über das Föderale Konsolidie- führung des Staatsdefizits und eine Entlastung des rungsprogramm, den Nachtragshaushalt und das Kapitalmarkts gestellt sind. Sie und die Bundesbank Standortsicherungsgesetz führen können, sondern sind sich einig: Es muß noch mehr als bisher gespart wir sind mitten in die Probleme des Haushalts 1994 werden. Nur müssen wir von der Psychologie ausge- geraten, bevor dieser von der Bundesregierung über- hen. Es darf jetzt nicht — ich bin vom heutigen haupt beraten und vorgelegt worden ist. Frühstücksfernsehen betroffen — so aufgezogen wer- den, als wäre es nur eine Strafaktion gegen -gewisse (V o r s i t z: Vizepräsident ) Gruppen der Bevölkerung. Vielmehr muß man der Das führte notgedrungen zu Spekulationen, zu nicht Bevölkerung klarmachen, daß es ohne Sparen nicht fundierten Meinungsäußerungen und zu Vorschlä- geht, daß Sparen die Voraussetzung dafür ist, daß die gen, die noch gar nicht abgestimmt sind. Wer das Volkswirtschaft wieder flott wird. heutige Frühstücksfernsehen verfolgt hat, merkte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schon, daß zwar viele geredet haben, daß aber wenig gesagt werden konnte, weil nichts Subst antielles Dieser Erkenntnis entzieht sich inzwischen auch die vorhanden ist, weil keine echten Streichlisten zu SPD nicht. Sie zieht allerdings keine logischen Folge- sehen waren, keine überprüfbaren Papiere vorliegen, rungen. Denn sonst hätte Frau Matthäus-Maier nicht mit denen zumindest wir Haushaltspolitiker umzuge- in ihrer bekannten Art alles mögliche vorgeschlagen, hen gewohnt sind. So hat auch der vom Bundesfinanz- aber keine substantiellen Aussagen gemacht. Der minister angekündigte Aufschub des Berlin-Umzugs Bürger läßt sich auf jeden Fall nicht mehr verunsi- noch keine bindende Wirkung, aber er bestimmt die chern. Er hat gelernt, daß die Forderung nach noch Diskussion, mit den bekannten Fronten. Im übrigen: mehr Steuern die Wirtschaft schädigt und dadurch Was die Regierung will, ist das eine; was das Parla- letztlich zum Verlust von vielen Arbeitsplätzen führen ment will, ist das andere. kann. (Zustimmung des Abg. Hinrich Kuessner „Statt Frühlingsgefühle Steuersorgen", so faßt das [SPD]) Allensbacher Institut das Meinungsklima in diesem Monat zusammen. Die Frage, ob höhere Steuern die Wenn man davon redet, daß das Parlament noch Wirtschaft schädigen würden, bejahen 72 % der West- zehn oder 20 Jahre in Bonn bleibt, muß man sich deutschen und 49 % der Ostdeutschen. Nur 14 % darüber klar werden, daß der Lange Eugen als altehr- teilen diese Sorgen nicht. würdiges Gebäude nicht mehr den Anforderungen der heutigen Zeit entspricht. Ich möchte gerade Die Ablehnung höherer Steuern ist neu. Noch vor zwei Jahren hatten 56 % der Westdeutschen der wegen der heißen Tage in dieser Woche einmal den Behauptung zugestimmt, ohne Steuererhöhungen Sprecher der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im lasse sich die deutsche Einheit nicht finanzieren. Der Langen Eugen, vor allen Dingen der Etagensekretäre, machen, die in brütender Hitze ohne echte Belüftung, Bürger war den Reden der SPD auf den Leim gegan- gen. Nunmehr hat er erkannt, daß sich das Verständ- ohne eine etwas kühlere Luft im Inneren des Hauses nis der SPD von konjunkturellen Zusammenhängen arbeiten müssen. Für sie geschieht nichts, weil man immer noch nicht an den gegenwärtigen Herausfor- sich um diese Themen nicht kümmert. Darüber muß man dann auch diskutieren. derungen orientiert. Der Bürger hat auch das Versagen der SPD in der (Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU]: Unfähig Haushalts- und Finanzpolitik der 70er Jahre nicht keit der Bundesbaudirektion!) vergessen. Was da alles passiert ist und was uns in die Meine Damen und Herren, das sollte nur eine Schwierigkeiten geführt hat, muß erst aufgearbeitet Aussage gewesen sein, daß man zwar schnell etwas werden. besprechen kann, aber anschließend doch die Konse- Um das Vertrauen in die Solidarität der Staatsfinan- quenz behandeln müßte. zen wiederherzustellen, hatten wir nach 1982 den Klar ist jedenfalls eines geworden — das hat ein Ausgabenanstieg zunächst durch eine strikte Spar- Dichter des 18. Jahrhunderts, nämlich Gottlieb Kon- samkeit begrenzt. Der eingeschlagene Konsolidie- rad Pfeffel, als Charakteristik des guten Fürsten rungskurs hatte rasche Erfolge gebracht. Der Anteil gezeichnet —: des Finanzierungsdefizits des öffentlichen Gesamt- haushalts am Bruttosozialprodukt ging von seinem Zum Beweis, sprach Claudius der Gute, daß ich damaligen Höchststand — 4,9 % im Jahre 1981 — auf meines Volkes Vater bin, leg' ich mein Fürsten- 2,1 % im Jahre 1985 zurück. Dieser Erfolg eröffnete zepter hin und gebrauch künftig bloß die Rute. dann ab 1986 Spielraum für eine offensive, wachs- So muß ein Finanzminister in den nächsten Jahren, tumsstärkende Steuerpolitik mit umfangreichen Steu- will er ein „guter Fürst" sein, handeln; denn die erentlastungen. Man muß darauf trotzdem immer wieder hinweisen, weil Steuerentlastungen zu einer konjunkturelle Lage diktiert den st rikten Sparkurs. Die Weltkonjunktur hat uns eingeholt. Die einigungs- Ankurbelung der Wirtschaft geführt haben und weil bedingten Belastungen kommen hinzu. Wir sind fast eine Steuererhöhungspolitik niemals gut sein kann. ein bißchen zu spät dran, um die Herausforderungen, Meine Damen und Herren, die Finanz-, Haushalts- die dadurch auf uns zugekommen sind, jetzt auch und Steuerpolitik seit Übernahme der Regierungsver- anzugehen. antwortung durch die CDU/CSU-F.D.P.-Koalition Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13777

Dr. Klaus Rose hatte seit 1983 die Voraussetzung dafür geschaffen, Dazu muß man über den Tellerrand hinausschauen. daß der Bund seinen Teil an der Jahrhundertaufgabe Dazu muß man vor allen Dingen sagen: Ein weiteres des Wiederaufbaus in den neuen Bundesländern in Drehen an der Steuerschraube ist falsch. M an muß erst Angriff nehmen konnte. Dort ist inzwischen auch viel Leistung erbringen, um Geld ausgeben zu können. geleistet worden. Ich bin dankbar, daß der Kollege Man muß soldidarisch zusammenstehen. Man muß Kuessner als ein Beispiel der Oppositionsredner heute damit die zeitlos gültigen Elemente eines Finanzmini- auch den Inhalt des Föderalen Konsoldierungskon- sters von früher, nämlich von Fritz Schäffer, der in der zepts positiv bewertet hat, wenn auch noch viel zu tun Tradition der CSU steht — zunächst er, dann Franz bleibt. Wer die Augen aufmacht, sieht, daß in den Josef Strauß und jetzt Theo Waigel —, im Auge neuen Ländern schon sehr viel geschafft worden ist behalten, der gehandelt hat, nicht nur beraten: und das man auf dem richtigen Weg ist. „Gern will ich sein ein Rater, verlangt nur keine (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Tat. " Treffender, als das mit diesem Vers von Hoff- mann von Fallersleben gesagt wurde, könnte man die Um alles zu bewerkstelligen, hat der Bundesfinanz- Konzeption der SPD nicht umschreiben. Für Taten minister dabei natürlich die Begrenzung des staatli- sind zum Glück andere zuständig. Ich kann mir chen Ausgabenanstiegs und der Nettokreditauf- deshalb auch nicht vorstellen, wie schnell und in nahme als Säulen solider Haushaltspolitik in der welchem Umfang die SPD die Staatsfinanzen zu damaligen historisch einmaligen Zeit unter Beweis Lasten der Wirtschaft ruinieren würde. Die Verant- gestellt, indem er nämlich zwischen den Jahren 1990 wortung für Deutschland ist auf jeden Fall bei der und 1992 ein Entlastungspaket für den Bundeshaus- CDU/CSU- und F.D.P.-Bundesregierung besser als halt von sage und schreibe 60 Milliarden DM bei anderen aufgehoben. schnürte. Wir reden viel zuwenig davon. Die ständi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gen Forderungen „Wir müssen sparen" sind in den letzten zwei Jahren schon in großer Form erfüllt worden. 60 Milliarden DM aus allen Einzelplänen Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kollegin eines Haushaltes herauszuquetschen, verlangt eine Christina Schenk. riesige Arbeit. Es war ein großer Erfolg, das erreicht zu haben. Christina Schenk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn man nebenbei darauf hinweist, daß auch Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute soll noch Transferleistungen in Höhe von 80 Milliarden abschließend über ein Gesetzespaket befunden wer- DM für die Nachfolgestaaten der früheren Sowjet- den, hinter dem nicht einmal seine Protagonisten noch union erbracht wurde, merkt man erst, welch große stehen können. Allzu offensichtlich ist der umfassende finanzpolitische Aufgaben hinter uns liegen — erfolg- Realitätsverlust des Entwurfs. Die kürzlich bekannt- reich bewältigt — und welche Hoffnung wir haben gewordenen Steuerschätzungen, die das vorliegende können, daß wir auch die Zukunft erfolgreich gestal- Konsolidierungsprogramm erneut diskreditiert ha- ten. ben, wurden schon nicht mehr gebraucht, um die (Beifall bei der CDU/CSU) Luftbuchungen des Finanzministers zu entlarven. Inzwischen, im Jahre 3 nach der Einheit, ist der So ist es völlig unverständllich — nur als Beispiel strukturelle Anpassungsbedarf in Staat und Wirtschaft genannt —, daß sich in dem großspurigen „Solidar- in Umrissen einschätzbarer geworden. Das, was pakt" kein Hinweis auf die geplante Pflegeabsiche- immer mit den Begriffen „Schattenhaushalt" und rung findet. Dabei handelt es sich auch hier um eine „Nebenhaushalt" in der Diskussion war, ist faßbar, so Frage von enormer finanzpolitischer Relevanz. Es daß die dauerhafte Bewältigung der finanzpolitischen steht fest, daß ein erheblicher Bundeszuschuß not- Aufgaben der nächsten Jahre in Ang riff genommen wendig ist, um eine Anschubfinanzierung für die werden kann. Dazu sind auf Grund der inzwischen derzeit ca. 2 Millionen pflegebedürftigen Menschen verschlechterten konjunkturellen Lage weit mehr sowie die unmittelbar pflegenahen Jahrgänge vorzu- Einsparungen erforderlich, als si e durch den Nach- halten. Auch muß der Ausbau der Infrastruktur insbe- tragshaushalt 1993 und das Föderale Konsolidie- sondere im ambulanten Pflegebereich finanziert wer- rungsprogramm schon erbracht worden sind. Das den. Das ist mit Diskussionen über die verschieden- Standortsicherungsgesetz flankiert diese Einsparun- sten Finanzierungsmodelle nicht vom Tisch zu gen durch Sicherung der Wirtschaft im Westen, die wischen. letztlich die Transferleistungen in die neuen Bundes- Dieses beliebig herausgegriffene Beispiel zeigt: Auf länder aufbringen muß. der Basis von geschönten, wirklichkeitsfremden Eck- Diese Maßnahmen waren nur der erste Schritt; werten können Ansätze zu einer Konsolidierung nicht weitere müssen folgen. Wir sind bereit, weitere Kon- entwickelt werden. Und drastische Streichorgien im solidierungsmaßnahmen durchzusetzen. Wir haben sozialen Bereich sind ebenfalls keine Lösung. Gott sei Dank auch die Unterstützung der Öffentlich- Die Sozialdemokratie pochte mit semantischer keit, der Medien, z. B. der „Süddeutschen Zeitung", Spitzfindigkeit monatelang auf ihre Losung „Keine die dieser Tage schrieb, daß sich die gegenwärtige Kürzungen!". Daß damit allerdings nichts gesagt war Wirtschaftskrise auch als reinigendes Gewitter in der über die in Monatsfrist einsetzende Deckelung der schwülen Luft verkorkster Anspruchsmentalität er- Regelsätze in der Sozialhilfe, über Familienregelsätze weisen und damit die stabilitätspolitische Grundlage oder verstärkte Zwangsarbeit war von vornherein für einen neuen Wirtschaftsaufschwung werden klar. Immer wieder wurde kämpferisch betont, das kann. Bedarfsdeckungsprinzip der Sozialhilfe müsse unter 13778 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Christina Schenk allen Umständen verteidigt werden. Die SPD ließ men von ca. 2,2 Milliarden DM. Jede Absenkung der sogar Modellrechnungen veröffentlichen, die den Sozialhilfesätze würde dieses Defizit natürlich ent- Vorwurf eines massenhaft verletzten Lohnabstands- sprechend einschränken. gebotes widerlegten. Soweit die Theo rie. Hier beweist die Regierungskoalition eine unge- In der Praxis haben die führenden Vertreter der wohnte Kreativität und Findigkeit. Leider ist diese auf SPD, darunter ausnahmslos alle potentiellen Kanzler- Destruktivität ausgerichtet. So wurde in einem ersten kandikaten, keine Probleme mit einer Abkoppelung Schritt das Existenzminimum durch Taschenspieler- der Sozialhilfe vom Bedarf. Demnächst soll auch bei tricks systematisch heruntergerechnet. Dies wird sich größeren Haushaltsgemeinschaften ein st riktes Lohn- besonders ab 1994 auswirken. Als nächstes wurde in abstandsgebot durchgesetzt werden. Plötzlich wird einem Akt der Willkür der nach dem Bundesverfas-- hier aus reinen Opportunitätsgründen eine Überver- sungsgericht zu schützende Betrag von mindestens sorgung durch Kumulation von Leistungen unterstellt. 12 000 DM auf 10 500 DM zusammengestrichen. Diese Behauptung ist jedoch bis zur Stunde durch nichts bewiesen. Dessenungeachtet soll nun ein fakti- Meine Damen und Herren, ich darf sie daran scher Familienregelsatz eingeführt werden. Ange- erinnen, daß nach Auffassung der Bundesregierung sichts der realen Situation in den Haushalten von ausgerechnet diese verfassungswidrige Verschlech- terung als Basis für die Erhebung des Solidaritäts- Sozialhilfeempfängern und -empfängerinnen ist dies eine Infamie. Wie vielfach belegt ist, haben viele zuschlages die eigentliche soziale Komponente des Solidarpaktes ausmachen soll. Dieser Zynismus ist Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger große Schwierigkeiten, sich und ihre Familien überhaupt wirklich kaum noch zu überbieten, obwohl wir ja auch nur adäquat zu ernähren. mittlerweile in dieser Richtung einiges gewöhnt sind. Die Diskussion über diese Frage erreicht immer neue Tiefpunkte. Neuerdings wird sogar zwischen So deklamierte noch am 1. April ein leidenschaftli- den Lohnersatzleistungen und der Sozialhilfe ein cher wörtlich: rechtlich in keiner Weise fundiertes Lohnabstandsge- Die SPD-Bundestagsfraktion hatte von Anfang an bot herbeigeredet. Die Intention liegt auf der H and. klargestellt, daß die Verschlechterung von sozial- Zielrichtung ist letztendlich die Deregulierung des rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen ausge- Mindestlohnniveaus. In Ermangelung von verbindli- schlossen ist. chen Mindestlöhnen in der Bundesrepublik über- nimmt faktisch seit Jahren die Sozialhilfe diese Funk- Ich meine, das war nun offensichtlich nichts weiter tion. So klagen jedenfalls die Arbeitgeber. als ein Aprilscherz. Eine deutliche Verringerung des Abstands zwi- Mittlerweile sind die Sozialhilfeinitiativen der SPD schen Sozialhilfe und unteren Lohngruppen ist durch erneut aufs Dach gestiegen im wahrsten Wortsinne. das Statistikmodell der Regelsatzbestimmung weitge- Seit Montag dieser Woche kampiert eine Gruppe von hend ausgeschlossen. Anders als bei der 1990 abge- Betroffenen zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit schafften Warenkorbmethode gehen beim Statistik- auf der SPD-Baracke. Das scheint offensichtlich zur modell noch nicht einmal mehr die tatsächlichen ständigen Einrichtung zu werden. Aber die Hoffnun- Lebenshaltungskosten voll in die Bedarfsberechnung gen der Betroffenen, die SPD noch zur Umkehr ein. bewegen zu können, halte ich für vergeblich. Zu sehr haben sich Fraktion und Partei in die S trategie der Immer mehr Personen sind durch ihre Erwerbsein- Bundesregierung verstricken lassen. kommen nicht mehr vor relativer Armut geschützt. Das gilt vor allem für die wachsende Zahl der gering- Nun stellt man bei der Sozialdemokratie peinlich fügig und Teilzeitbeschäftigten, insbesondere der berührt fest, daß man der Koalition erneut auf den Alleinerziehenden unter ihnen. Vielen Betroffenen ist Leim gegangen ist. Noch ist der Solidarpakt 1 nicht nicht klar, daß diese Erwerbstätigen häufig Anspruch beschlossen, da eröffnet uns der Finanzminister, wel- auf ergänzende Sozialhilfe haben. Da allerdings auf che sozialen Kürzungen z. B. bei den Lohnersatzlei- diese Weise das strukturelle Problem nur verlagert, stungen und dem Kindergeld als nächstes auf uns nicht aber gelöst wird, wäre letztendlich eine Anhe- zukommen werden. bung der unteren Lohngruppen erforderlich. Wie kann die SPD allen Ernstes heute einem Soli- Die Logik von SPD und Regierungskoalition hinge- darpakt zustimmen, der den Auftakt zur größten und gen sieht anders aus. Hier betreibt man zunächst die nachhaltigsten sozialpolitischen Restauration reprä- systematische Absenkung der Sozialhilfe. Mit dem sentiert, die diese Republik kennenlernen wird? Hier Verweis auf deren existenzsichernde Funktion als werden Schritt um Schritt alle Errungenschaften zer- Garantin für ein Leben in Würde können dann ge trost stört, die über Jahrzehnte ein hohes Maß an sozialem die untersten Lohngruppen in einer Spirale nach Frieden garantierten. Der Ausstieg aus der sozialen unten folgen. Marktwirtschaft ist eingeleitet. Dabei schreckt die Regierungkoalition nicht einmal vor offenem, m an Doch mit den Sozialhilfekürzungen werden neben muß schon sagen: laufendem Verfassungsbruch diesen wirtschaftspolitischen natürlich auch haus- zurück. Das jüngste Beispiel der verfassungswidrigen haltspolitische Interessen verfolgt. Nach dem Urteil Einführung von Karenztagen ist hier bekanntlich hier des Bundesverfassungsgerichts zur Steuerfreiheit des nur eines von vielen. Existenzminimums entgehen dem Fiskus jährlich erhebliche Beträge. Allein durch die Übergangsrege- (Gerlinde Hämmerle [SPD]: Das macht die lung für 1993 entstehen steuerliche Mindereinnah SPD aber nicht!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13779

Christina Schenk Ich komme zum Schluß. Hier wird ein Weg beschrit- möchte ich die positiven Standortfaktoren von ten, der eine reale Bedrohung für die Demokratie in Deutschland auch einmal in dieser Debatte nennen. diesem Land repräsentiert. Die Opfer der wirtschafts- und finanzpolitischen Krise werden zu den vermeint- Deutschland ist noch ein Standort mit topqualifizier- lichen Verursachern erklärt. Der Aufbau von täglich ten Facharbeitern. Deutschland ist ein Standort mit neuen Feindbildern soll die Wählerinnen und Wähler einer Industrieausstattung auf höchstem technologi- vom katastrophalen Versagen der Bundesregierung schen Niveau. ablenken. Gewalttätige Übergriffe auf Bürgerinnen (Dieter Heistermann [SPD]: Aber ohne Top und Bürger mit Behinderungen sind keine zufälligen Politiker!) Erscheinungen. Wer sich zum Protagonisten einer unerbitterlichen Leistungsideologie macht, nach der Deutschland verfügt über leistungsbereite Unterneh-- Erwerbslose für ihre Arbeitslosigkeit auch noch mit mer. Deutschland verfügt über eine zuverlässige Ver- Leistungskürzungen bestraft werden sollten, der waltung. In Deutschl and herrschen stabile politische befördert aktiv die soziale Ausgrenzung und Stigma- Verhältnisse. All dies ist bei der Frage zu berücksich- tisierung. tigen, wo man sich als Unternehmen ansiedelt. Wenn die SPD diese Entwicklung nicht konsequent (Zustimmung bei der CDU/CSU) verhindert, braucht sie bei der nächsten Wahl tatsäch- lich nicht mehr anzutreten. Deswegen: Deutschland ist heute noch ein guter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Industriestandort. Aber je höher das wirtschaft liche und bei der PDS/Linke Liste — Gerlinde Niveau einer Volkswirtschaft ist, desto schwerer ist Hämmerle [SPD]: Das werden wir dann dieses Niveau zu sichern. sehen!) (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) Deswegen müssen wir mit dem Standortsicherungs- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege gesetz hierfür einen wichtigen Schritt nach vorne Gunnar Uldall. gehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Gunnar Uldall (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Zuruf von der SPD: Was ist denn mit dem Damen und meine Herren! Nach über sechs Stunden Standortsicherungsgesetz für die Bundes Debatte ist es, glaube ich, an der Zeit, daß man ein regierung?) erstes Resümee zieht. Das Standortsicherungsgesetz könnte auch einen Minister Waigel hat heute morgen sehr eindrucks- anderen Namen tragen, nämlich Arbeitsplatzförde- voll dargestellt, welche Notwendigkeit zum Sparen rungsgesetz. Ziel dieses Gesetzes ist es, die inte rna- besteht. Die SPD antwortet darauf, indem sie einen tionalen Wettbewerbsbedingungen der deutschen Katalog vorlegt mit zehn Punkten, in dem vieles Unternehmen zu verbessern. Damit reiht sich dieses Wünschenswerte, aber eben nicht Finanzierbare Gesetz ein in eine lange Reihe anderer Maßnahmen, gefordert wird. Wer wollte nicht mehr Geld für Bil- wie z. B. dem Steueränderungsgesetz 1992, mit denen dung, mehr Geld für Wohnungsbau, mehr für die wir in den vergangenen Jahren die kostenmäßige Sozialhilfe ausgeben? Benachteiligung deutscher Unternehmen zwar nicht Aber die SPD erkennt nicht die Zeichen der Zeit. Die beseitigen, aber doch verringern konnten; denn der Devise heißt nicht mehr, mehr, mehr, sondern die Zusammenhang ist einfach: Wenn deutsche Industrie- Devise muß heißen sparen, sparen, sparen. Dabei betriebe wegen zu hoher Preise nicht mehr ins Aus- sollte Theo Waigel unsere volle Unterstützung erfah- land verkaufen können, können sie ihre Arbeitskräfte ren. in Deutschland nicht halten. Deswegen kann man mit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Recht das Standortsicherungsgesetz auch Arbeits- Ein zweites Resümee möchte ich ziehen. Die SPD ist platzförderungsgesetz nennen. nicht bereit, den deutschen Unternehmen Unterstüt- Es ist mir absolut unverständlich, wie eine Partei, zung zu geben hinsichtlich niedrigerer Steuern, um die sich besonders den Arbeitnehmern verbunden international wettbewerbsfähig zu bleiben, selbst auf fühlt, diesem Gesetz seine Zustimmung versagen die Gefahr hin, daß diese Unternehmen ihre Arbeits- kann. Ich baue auf die bessere Einsicht der SPD- platzzahlen in Deutschland nicht halten können. Länder im Bundesrat. Die SPD ist in diesem Punkt Gefangene der von ihr selbst entfachten Neiddiskussion. Ich hoffe sehr, daß Das Standortsicherungsgesetz könnte man auch sich die SPD-Länder im Bundesrat in dieser Frage Aufbauförderungsgesetz für Ostdeutschland nennen; verantwortungsvoller verhalten und dem Standort- denn mit dieser Vorlage werden wesentliche Investi- sicherungsgesetz zustimmen werden. tionsvergünstigungen für die neuen Bundesländer verlängert. Als wichtigste Punkte sind zu nennen: Die Einen dritten Punkt möchte ich vorwegstellen. Wir Sonderabschreibungen für gewerbliche Investitionen alle machen uns Sorgen um den Standort Deutsch- werden um zwei Jahre verlängert, und die ertrags- land. Dieses darf aber nicht dazu führen — so wie es in unabhängigen Steuern werden für ein weiteres Jahr der polemischen Rede von unserem Kollegen Dreßler bis 1995 nicht erhoben. geschehen ist —, daß der Standort Deutschl and noch weiter heruntergeredet wird, als es durch die tatsäch- Als zu Beginn der Legislaturperiode die Fördermaß- lich schwierige Lage gerechtfertigt wäre. Deswegen nahmen für Ostdeutschland festgelegt wurden, gin- 13780 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Gunnar Uldall gen wir von einer sehr viel zügigeren Entwicklung im Ich möchte zur Einkommensteuer auch ganz klar Osten Deutschlands aus. festhalten: Langfristig muß unser Ziel sein, die Ein- kommensteuer generell zu senken. Dies mag zu einer (Joachim Poß [SPD]: So kann man das auch Zeit, in der laufend über Steuererhöhungen geredet ausdrücken!) wird, zunächst wenig verständlich klingen. Aber wir Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Wir müssen kommen um eine Absenkung der Einkommensteuer deswegen konsequenterweise eine Verlängerung der langfristig nicht herum. Bei hoher Steuerlast verlagern Maßnahmen herbeiführen, die sich in der Zwischen- zunächst die Unternehmen ihre Produktion ins Aus- zeit erprobt und als geeignet herausgestellt haben. land. Das können wir schon jeden Tag in der Zeitung lesen. Als nächstes werden wohlhabende Bundesbür-- Es ist unbegreiflich, daß die Sozialdemokraten die- ger folgen und in solche Länder ziehen, in denen die sem Aufbauförderungsgesetz für Ostdeutschland Steuerbelastung niedriger ist. Das prominenteste Bei- nicht zustimmen wollen. Ich baue darauf, daß die SPD- spiel ist Boris Becker. Sodann werden Standortunab- Vertreter aus den neuen Bundesländern, Herr Kollege hängige, z. B. Erfinder, aus Deutschland wegziehen. Kühbacher, im Bundesrat für dieses Gesetz stimmen Sie werden ihre Patente z. B. vom Ausland her anmel- werden. den, ihre Gebühren im Ausland in Empfang nehmen Angesichts der gewaltigen Haushaltsprobleme und dort im Ausland auch die Steuern zahlen. kann eine steuerliche Nettoentlastung der Unterneh- (Joachim Poß [SPD]: Wollen Sie denn alle men bedauerlicherweise nicht erfolgen. Dieses steuerfrei stellen?) Gesetz — darauf weise ich mit Nachdruck hin — Schließlich wird bei einer zu hohen Besteuerung der ist aufkommensneutral. Strukturelle Änderungen Leistungswille nachlassen. Bereits heute wird immer — niedrigere Steuersätze bei der Körperschaftsteuer häufiger die Frage gestellt, warum man eigentlich und bei der Einkommensteuer auf der einen Seite mehr arbeiten soll, wenn das zusätzliche Einkommen sowie verringerte Abschreibungsmöglichkeiten auf zum größten Teil an den Fiskus abzuführen ist. der anderen Seite — werden die Betriebe aber auf lange Sicht besserstellen. An diesen Beispielen sieht man: Wenn die Steuer- schraube überdreht wird, erhält man nicht höhere Die Behauptung — die auch in der Rede des Staatseinnahmen, sondern niedrigere Staatseinnah- Kollegen Poß wiederholt wurde —, daß durch die men. geringeren Abschreibungsmöglichkeiten Investitio- Wie positiv angemessene Steuersätze wirken kön- nen unterblieben, mag in vereinzelten Fällen zutref- nen, zeigten die 80er Jahre. Damals erhielt die Wirt- fen, aber nicht bei der Mehrzahl der Unternehmen. schaft durch sinkende Steuersätze so viele neue Abschreibungen verschieben nur Steuerzahlungen; Impulse, daß trotz der Steuerreformen 1986, 1988 und sie stellen nur eine Steuerstundung dar. 1990 das Steueraufkommen gestiegen ist. Auch das (Joachim Poß [SPD]: Und was sagen die Standortsicherungsgesetz wird posi tive Anstöße für Sachverständigen dazu? Das Gegenteil!) die Unternehmen und so einen wichtigen Beitrag zur Erholung aus dem konjunkturellen und strukturellen Das Standortsicherungsgesetz ersetzt die Steuerstun- Tief bringen. dung durch eine endgültige Steuersenkung. Es ist doch völlig klar, was für die Unternehmen die bessere (Horst Peter [Kassel] [SPD]: Kommt dann Lösung ist. Alle Kenner der Investitionsentschei- Boris Becker zurück?) dungswege in den Unternehmen bestätigen, daß die Nicht alle Maßnahmen — so möchte ich abschlie- Investitionsentscheidungen nicht auf Grund von ßend sagen —, die notwendig sind, um den Standort Abschreibungsmöglichkeiten, sondern auf Grund der Deutschland zu sichern, konnten in dieses Gesetz endgültigen Besteuerung ge troffen werden. aufgenommen werden. Aber mit dem Standortsiche- rungsgesetz verbessert die Bundesregierung trotz (Joachim Poß [SPD]: Ifo! Professor Hax!) begrenzter Finanzen wichtige Rahmenbedingungen Dieses Gesetz führt zu einem gespaltenen Satz bei für Unternehmen und Arbeitsplätze. der Einkommensteuer. Gewerbliche Einkommen (Joachim Poß [SPD]: Boris-Becker-Hilfspro werden mit 44 % besteuert, andere Einkommen mit gramm!) 53 %. Diese Aufspaltung hat nicht nur positive Jetzt sind auch die anderen Teilnehmer am Wirt- Aspekte; aber bei der heutigen Anspannung der schaftsgeschehen, Unternehmer, Arbeitnehmer und öffentlichen Finanzen war eben für eine generelle der Staat, gefordert, die internationale Wettbewerbs- Absenkung der Einkommensteuersätze kein Spiel- fähigkeit unserer Volkswirtschaft zu sichern. raum. Deswegen erfolgt eine Entlastung nur bei einem Teil der Einkommensteuerzahler, und zwar bei denen, die zusätzlich zur Einkommensteuer auch Gewerbesteuer zu zahlen haben. Diese Entlastung Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Uldall, Sie erfolgt ziemlich genau in der Höhe, in der diese sind weit über Ihre Zeit hinaus. Gewerbesteuer zu entrichten ist. Damit sage ich aber auch: Die fällige Reform der Gewerbesteuer wird durch dieses Gesetz nicht über- Gunnar Uldall (CDU/CSU): Einen Satz noch. flüssig; diese Reform bleibt weiter auf der Tagesord- Wenn wir das bei unseren Entscheidungen im Auge nung. behalten, dann bin ich sicher, daß Deutschland auch (Beifall bei der CDU/CSU) in Zukunft ein sicherer Standort für Industriebetriebe Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13781

Gunnar Uldall sein und sichere Arbeitsplätze auf Dauer bieten störung der natürlichen Lebensgrundlagen, und zwar wird. sogar mit einer trotz der intensiven Beschäftigung mit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — den Problemen zunehmenden Geschwindigkeit. Joachim Poß [SPD]: Arbeitsplätze für Bo ris Das Entscheidende bei den aufgezeigten vier Pro- Becker!) blemen ist, daß es sich dabei nicht um isolierte Einzelfragen handelt. Vielmehr sind diese vier Fragen durch unsere Art zu wirtschaften und zu konsumieren, Verehrte Kolleginnen Vizepräsident Hans Klein: durch unsere Form der Entwicklung der Gesellschaft und Kollegen, wenn wir so ein ausgetüfteltes Zeitsy- eng miteinander verzahnt. Aus meiner Sicht haben stem nach Minuten haben, dann bitte ich doch die wir die Ursachen der Probleme bisher zuwenig analy- Kollegen, sich, wenn das rote Licht aufleuchtet, auf - siert, um wirklich zu richtigen Antworten zu kommen. einen Satz zu beschränken und nicht noch einen Dies ist der entscheidende Vorwurf. Hier haben wir als apotheotischen Schlußabsatz nach der Aufforderung Bundestag insgesamt ein Defizit. des Präsidenten zu bringen. Ich erteile als nächstem unserem Kollegen Michael (Beifall bei der SPD) Müller das Wort. Diese wird — Kollege Rudolf Dreßler hat das aus- führlich ausgeführt — durch eine falsche Politik natür- lich verschärft, und zwar eine falsche Politik, die Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es völlig berech- weniger in der Wahl ihrer Instrumente falsch sein mag tigt, auch über die Zukunft des Standortes Bundesre- als in ihrem Grundansatz. Ich greife das Stichwort von publik zu reden, denn die Debatte, die wir führen, Herrn Dreßler auf: die Zerstörung von Gemeinsinn betrifft nicht nur einige finanzpolitische Fragen, son- und Gemeinschaftlichkeit. Hier liegt eine entschei- dern auch Weichenstellungen für die Zukunft. Wenn dende Ursache für die heutigen Probleme, weil der wir die Debatte so anlegen, ist es entscheidend, daß Großteil der Probleme in der Tat nur mit mehr wir uns zu Beginn über die Einschätzung der Lage und Gemeinsinn und mit mehr gemeinschaftlicher Verant- über die Ursachen der Schwierigkeiten, in denen wir wortung zu lösen ist. Das gilt nicht nur für die deutsche uns befinden, klar werden. Einheit, das gilt beispielsweise auch für die Ökolo- gie. Ich will dazu drei Thesen aufstellen. Die erste These (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und ist, .daß die gegenwärtigen gesellschaftlichen wie dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht vorüberge- hend sind, sondern sehr tiefe Ursachen haben, die sich Um es auf den Punkt zu bringen: Wer glaubt, die über lange Zeit aufgestaut haben. ökologischen Probleme mit einer Politik der Deregu- lierung und Privatisierung lösen zu können, der Zweiter entscheidender Punkt: Aus meiner Sicht begreift eines nicht: daß die Lösung gerade der sind wir in einer politischen Situa tion, die man viel- ökologischen Probleme mehr Solidarität verlangt. leicht mit dem Beg riff der Zeitenwende charakterisie- Mehr Solidarität ist auch hier — nicht nur in der ren kann. Dabei meine ich nicht nur den Zusammen- sozialen Frage — ein Schlüssel. bruch Osteuropas. Es wäre gefährlich, die neuen Problemstellungen auf den Zusammenbruch Osteuro- (Beifall bei der SPD) pas zu verkürzen. Aus meiner Sicht werden heute Meine Damen und Herren, die Folgen der struktu- genau die Probleme deutlich, über die wir seit 20 Jah- rellen Probleme, die sich aufgestaut haben, zeigen ren eher theore tisch diskutieren, nämlich die ökolo- sich vor allem in zwei Punkten, über die wir heute gischen, die sozialen und die ökonomischen Grenzen diskutieren, nämlich die höchste Arbeitslosigkeit und des bisherigen Wachstumsmodells. Dies ist ein Punkt, die höchste Staatsverschuldung seit dem Zweiten der bisher viel zu wenig beachtet wird. Weltkrieg. Aus meiner Sicht muß man in dieser (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Schlüsselsituation sowohl die erste Aufgabe, über die 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten wir heute schwerpunktmäßig diskutieren, lösen, näm- der PDS/Linke Liste) lich zum einen die Verhinderung eines Staatsbank- Drittens stelle ich die These auf, daß die Bundesre- rotts und zum anderen die Verbesserung der finanzi- publik vor der größten Bewährungsprobe der Nach- ellen Ausstattung der Länder. Zweitens müssen wir kriegszeit steht, weil wir nämlich ein zeitliches auch etwas tun, über das wir hier viel zuwenig Zusammentreffen von mehreren gewaltigen Heraus- diskutieren, nämlich entwickeln, welche Perspekti- forderungen haben, wobei uns jede schon fast zu ven wir zur Lösung der strukturellen Probleme über- überfordern droht. haupt haben. Was wir machen, ist Krisenmanage- Ich meine erstens die tiefe konjunkturelle Rezes- ment, aber nicht die Lösung der Ursachen dieser sion. Hierbei sind insbesondere die strukturellen Problemstellungen, die sich über Jahrzehnte aufge- Probleme der Massenproduktion entscheidend. Ich staut haben. meine zum zweiten die großen weltwirtschaftlichen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Strukturanpassungen, die erhebliche regionale und DIE GRÜNEN) beschäftigungspolitische Folgen haben. Ich meine drittens die Gefahr einer neuen Fremdheit zwischen Hier hat der Bundestag ein zentrales Defizit. Ich Ost und West, weil wir mit den bisherigen Konzepten komme deshalb zu folgenden Thesen: die entscheidende nationale Aufgabe, nämlich die Erstens. Mit den klassischen Wachstumskonzepten deutsche Einheit, nicht verwirklichen können. Vier- sind die vor uns liegenden Probleme nicht zu lösen. Im tens . Wir erleben unverändert eine anhaltende Zer Gegenteil, die zwei zentralen Grundprobleme, die wir 13782 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Michael Müller (Düsseldorf) heute überall in der Welt sehen, nämlich Zunahme die nach wie vor durch ihren Ansatz, am Ende von von Ungleichheit und Naturzerstörung, sind ursäch- Prozessen politische Regelungen vorzunehmen, na- lich mit diesem Wachstumsmodell verbunden. türlich in einem immer krasseren Mißverhältnis zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dem organisatorischen Aufwand und auch den finan- DIE GRÜNEN) ziellen Belastungen steht. Eine ökologische Innova- tionspolitik zu betreiben heißt, von vornherein die Sie mögen dauernd behaupten, dies sei nur eine Weichen so zu stellen, daß die Schäden an der Umwelt Analyse. Ich glaube aber, wir wären froh, wenn wir so gering wie möglich sind, nämlich durch Moderni- uns alle schon auf diese Analyse geeinigt hätten. Von sierung, durch Energieeinsparung, durch Abfallmini- da aus könnte man vielleicht zu anderen Schlußfolge- mierung, durch Chemiepolitik etc. - rungen kommen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das versteht kei Zweitens. Ich habe eben schon einmal angespro- ner Ihrer Wähler!) chen, daß die Ideologie der Privatisierung und Dere- — Ich weiß, daß Sie das nicht verstehen. Sie sind gulierung die Probleme nicht lösen kann. Ich will mindestens 20 Jahre zurück; dafür kann ich nichts. Ihnen hier sehr deutlich sagen, welche Konsequenzen Das ist leider so. beispielsweise die USA aus der Politik der achtziger Jahre gezogen haben. Einer der zentralen Punkte in (Zurufe von der CDU/CSU: Das versteht kein der amerikanischen Debatte heißt: Die Amerikaner Wähler! — Nur 20 Jahre?) haben sich getäuscht, wenn sie glaubten, sie könnten — Da haben Sie recht; es kann sein, daß es mehr die Gesellschaft und die Demokratie dadurch stärken, sind. daß sie den Staat schwächen. Ich finde, das ist eine Das ist zur Zeit die aktuelle Diskussion, die überall richtige und bedenkenswerte These. Damit sage ich nicht, daß die bisherigen Regelungsmechanismen geführt wird, nämlich darüber nachzudenken: Wie schaffen wir die Weichenstellung in Richtung auf ein richtig sind. Aber ihre Abschaffung ist genauso falsch. solches ökologisches Innovationsprogramm? Sie sa- Das heißt, es muß darüber nachgedacht werden, wie gen, Sie würden das nicht verstehen. moderne Regulierungsmechanismen aussehen müs- sen. Auch da hat der Bundestag bislang ein erhebli- (Zurufe von der CDU/CSU: Die Wähler ver ches Defizit, wie sich insbesondere bei den Problemen stehen es nicht! — Kein Mensch versteht der deutschen Einheit, aber auch bei der ökologischen es!) Problematik zeigt. — Ja, das ist schon in Ordnung. Ich würde Ihnen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einmal empfehlen, sich beispielsweise einen Teil der DIE GRÜNEN) ökonomischen Erfolge Japans in den letzten Jahren anzusehen. Sie sind in hohem Maße über eine stetige Aus diesen beiden Thesen ergibt sich für mich die Steigerung der Mate rial- und Energieproduktivität entscheidende Schlußfolgerung, daß wir — neben der erreicht worden. Dies ist in der Tat ein wichtiger Frage des FKP — darüber nachdenken müssen: Wo Faktor für Innovationen, der zugleich zweierlei sind die Weichenstellungen für Innovationen und erreicht, nämlich erstens wirtschaftliche Leistungs- Modernisierungen in unserer Gesellschaft? kraft zu verbessern— und damit auch Arbeitsplätze zu (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE schaffen — und zweitens die Umwelt zu entlasten. GRÜNEN]: Das hätten wir zuerst machen (Zustimmung bei der SPD) müssen!) Ein ökologisches Innovationsprogramm, das das — Völlig klar. Herr Kollege Feige, wir können uns Bündnis zwischen Arbeit und Umwelt sucht, ist von trotzdem nicht vor der Wirklichkeit drücken. Wir entscheidender Bedeutung. Wenn Sie von Autobah- haben harte Finanzierungsprobleme und können nen reden, sollten Sie sich auch einmal Jap an nicht so tun, als seien sie nicht da. Insofern muß anschauen. Dort ist nämlich die Transportleistung für verantwortliche Politik natürlich — nur dann ist sie die Erzeugung eines Gutes ungleich geringer als bei glaubwürdig — die Balance schaffen, auf der einen uns. Man sollte vielleicht einmal über intelligentere Seite mit den aktuellen Problemen einigermaßen Lösungen nachdenken, statt immer in Wachstumska- sozialverträglich umzugehen und auf der anderen tegorien zu verharren. Seite auch den zweiten Schritt zu einem Reformansatz in der Gesellschaft im Sinne von Innovation und (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Modernisierung zu tun. dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn die Ausgangssituation ist, daß wir einen Ich glaube, daß der entscheidende Punkt zur Über- Strukturwandel in Richtung auf die windung der ökonomischen Stagnation und der Zukunftsmärkte brauchen, dann ist es eine unverzichtbare Aufgabe finanzpolitischen Flickschusterei darin liegt, eine des Bundestages, auch über den zweiten Schritt zu ökologische Innovationspolitik zu betreiben. reden: Wie sehen konkret jener ökologische Umbau, (Zuruf von der CDU/CSU: Das sind Erkennt jene ökologische Modernisierung aus, die uns das nisse!) Tor in jene Zukunftsmärkte öffnen? Unter diesem Der Kollege Krause, der das vorhin angesprochen hat, Gesichtspunkt sehe ich in diesem FKP keine allzu ist ja leider nicht mehr im Saale. Eine ökologische großen Impulse. Ganz im Gegenteil, hier wird zum Innovationspolitik hat nichts mit klassischer Umwelt- Teil Umwelt gegen Ökonomie ausgespielt, und das ist schutzpolitik zu tun, ein fataler Ansatz. Oder es wird überhaupt nicht erwähnt, was noch schlimmer ist; aber insgesamt ist (Zuruf von der CDU/CSU: Sondern?) das im Kern die Grundposition in diesem FKP. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13783

Michael Müller (Düsseldorf) Wenn Sie wirklich wollen, daß wir in der Bundesre- Die konjunkturellen und die strukturellen Verwer- publik eine zukunftsorientierte Debatte führen, dann fungen in unserem Land haben viele Ursachen. Sie müssen wir aus meiner Sicht versuchen, gerade in haben sich sehr lange schon verfestigt; da hat Herr Krisen auch Chancen zu suchen. Ein Teil der Krise, in Müller recht. Nur, Herr Müller, es hilft uns einfach der die Bundesrepublik sich befindet, liegt im Aus- nicht, wenn wir nur soziologische Beg riffe aneinan- bleiben von Innovation und Modernisierung. Das ist derreihen. Wenn von „ökologischer Innovation" oder ein entscheidender Faktor. Deshalb plädiere ich in der vom „Hoffen auf ein besseres Morgen" die Rede ist, Tat auch für die Integration unserer Gesellschaft. sagt doch jeder ja. Aber Sie bleiben dort hängen, wo es Wir haben ja eine dramatische Tendenz der Entso- konkret wird lidarisierung und der wechselseitigen, letztlich zur ( [SPD]: Nein, das stimmt doch Politikunfähigkeit führenden Polarisierung in der nicht! Es war sehr konkret!) Gesellschaft. und wo Sie sagen müssen, was im einzelnen getan (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wird. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen über eine Zukunftsorientierung versu- chen, den Menschen wieder eine Perspektive zu Das ist doch das Modell der Sozialisten, die immer im geben. Wir müssen einen reformpolitischen Ansatz Utopischen hängenbleiben; und wenn es konkret schaffen, damit nicht immer mehr auseinanderbricht, wird, lehnt man sich einfach zurück und sagt banal, damit die Gesellschaft nicht in eine Spirale des Nie- wir seien 20 Jahre hinter der Zeit zurück. dergangs kommt, sondern sich sehr ehrgeizige, nach (Widerspruch bei der SPD) vorn orientierte Ziele stellt. Dabei hat allerdings jeder von uns mit Einschnitten zu rechnen. Ich wi ll da So kommen wir nicht weiter. überhaupt keine Abstriche machen. Was wir zu leisten (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) haben, wird für jeden eine ganze Menge an Heraus- forderungen und auch an Verzicht bedeuten. Aber Meine sehr verehrten Damen und Herren, fatal damit wird wenigstens eine Perspektive ermöglicht, wäre es darin gebe ich vielen Vorrednern recht —, die den Menschen Hoffnung macht. Das ist das nur die Wiedervereinigung mit ihrem unbestreitbar Wichtigste, was wir im Augenblick brauchen: die hohen Finanzbedarf, den Zusammenbruch der we- Hoffnung auf ein besseres Morgen. sentlichen Ostmärkte oder andere weltwirtschaftliche Kriterien allein verantwortlich zu machen. Sicher, es (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) gibt exogene Faktoren. Aber wesentlich für mich sind die endogenen, also die hausgemachten, unter denen Meine Damen und Herren, wenn wir in der Lage der Wirtschaftsstandort Deutschland schon lange lei- sind, den zweiten Schritt zu tun, der wirklich Solida- det. Es gibt ganz konkrete Punkte, an denen wir auch rität zwischen Arbeit und Umwelt eröffnet, Solidarität in diesem Parlament ansetzen können. Die Abwärts- mit den zukünftigen Generationen, erst dann dürfen entwicklung wäre nämlich schon zwei Jahre früher wir den Begriff des Solidarpaktes in den Mund neh- eingetreten, wenn sie nicht, bedingt durch den Kon- men. sumschub der Wiedervereinigung, gebremst worden (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wäre. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke Liste) Ich will nicht abwiegeln und die Schuld bei anderen suchen. Verantwortlich für die jetzige Situation ist zum Teil die Politik, Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Schulhoff das Wo rt . (Zuruf von der SPD: Die Bundesregierung!) sind gleichzeitig aber auch die Tarifparteien und das Management der Betriebe. Dazu kommen viele unnö- Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU): Herr Präsident! tige bürokratische Belastungen, die den Produktions- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutsch- standort Bundesrepublik für präsumtive Anleger ein- land befindet sich in einer sehr liefen Rezession. Das fach unattraktiv machen. haben wir in vielen Beiträgen, auch in dem von Herrn Müller, gehört. Die vorliegenden Zahlen, Daten und Während bei uns über einen Produktionsstandort Wirtschaftsfakten sprechen eine eindeutige Sprache. noch diskutiert wird, produziert das Werk schon in Die Situation ist ernst. Täglich erschüttern uns neue anderen Ländern und erwirtschaftet Gewinn. Wir Hiobsbotschaften aus Betrieben, die ihre Produktion wissen, wohin die internationalen Investitionsströme entweder ganz oder teilweise zurückfahren müssen in den letzten beiden Jahren geflossen sind, leider nur oder auf Grund des Kostendrucks gezwungen sind, zu einem geringen Teil in die Bundesrepublik Tätigkeiten ins Ausland zu verlagern. So fertigt Audi Deutschland. Der Finanzminister hat heute vormittag z. B. seine Motoren heute schon in Ungarn. darauf hingewiesen. Die Zahlen, die hier vorliegen, sind erdrückend. Es ist an der Zeit — da gebe ich Graf Lambsdorff, aber auch Herrn Müller recht —, eine nüchterne Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Analyse unserer Wirtschaft vorzunehmen. weiterer Punkt: Die Arbeit in unserem Land ist zu (Otto Schily [SPD]: Genau!) teuer geworden. Hier sind nicht die Politiker, sondern in erster Linie die Tarifparteien verantwortlich. — Warten Sie, Herr Schily, ich komme gleich dazu; warten Sie mit Ihrem Lob noch. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) 13784 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Wolfgang Schulhoff Wenn ich die Höhe der Löhne kritisiere, so meine ich fünf oder fünf bis sechs Stunden — je nach Einkom- nicht die Nettolöhne, die teilweise sehr gering sind. men — arbeiten, um die Stunde eines Handwerkers Wenn ich sehe, mit welchem Einkommen mancher bezahlen zu können. Es gibt in unserem L and genug Familienvater nach Hause kommt, so ist festzustellen, Arbeit, das muß man sagen. Allerdings ist sie teilweise daß wir uns im Mittelfeld unserer anderen Wettbewer- nicht mehr zu bezahlen. Der Ausweg aus diesem ber auf den Industriemärkten befinden. Mir geht es Dilemma ist dann leider oft nur der Weg in die vielmehr um die Bruttolohnkosten, bei denen wir eine Schwarzarbeit — und das ist ein ganz großer Markt. Spitzenstellung in der Welt einnehmen. Diese Auch Herr Engholm hat da seine Gedanken ange- Spanne, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist knüpft, aber leider ist er nicht weitergekommen. Die unerträglich. Befürchtung, daß der Industriegesellschaft -die Arbeit Kurzum, die Lohnnebenkosten sind uns zu hoch. In ausginge, ist nur dann begründet, wenn man hier den letzten Jahren sind die direkten Löhne um 195 %, nicht intensiv gegensteuert. die gesetzlichen Lohnnebenkosten um 305 % und die Lassen Sie uns zu einem weiteren Aspekt kommen, tariflichen um 400 % gestiegen. Im industriellen der dazu beiträgt, die Investitionsströme wieder ver- Bereich sind die tariflichen Lohnnebenkosten heute stärkt in die Bundesrepublik zu lenken. Gerade das höher als die gesetzlichen. Beim Handwerk ist es zum jetzt zur Beratung anstehende Standortsicherungsge- Glück noch anders. Vielleicht geht es diesen Betrie- setz geht auf diese Problematik ein. Wir haben das ben deshalb teilweise besser; ich bin sogar davon eben gehört. überzeugt, daß es dem Handwerk gerade deshalb (Zuruf von der SPD: Überhaupt nicht!) besser geht. Mancher Arbeitnehmer in unserem Land würde Wir senken die Körperschaftsteuersätze von 50 auf sich heute besserstehen, wenn er nicht den Lohn, 44 % und die Einkommensteuersätze auch auf 44 %. sondern die Lohnnebenkosten ausgezahlt bekäme. Machen wir uns nichts vor: Mit diesen Sätzen lie- gen wir noch immer höher als viele unserer Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schulhoff, Wettbewerber auf den Weltmärkten. Wir dürfen nicht gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten verkennen — — Horst Jaunich? (Zurufe von der SPD)

Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU): Ja, wenn sie nicht — Hören Sie doch bitte einmal zu, oder melden Sie angerechnet wird. sich zu Wort. Ich bin gern bereit, Ihre Fragen zu beantworten, aber das undefinierbare Gemurmel Vizepräsident Hans Klein: Natürlich nicht. kann ich nicht beantworten, so höflich ich hier auch sein mag. Horst Jaunich (SPD): Herr Kollege, habe ich die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Entwicklung der letzten 10 Jahre verschlafen, Ich darf wiederholen: Wir verkennen nämlich, daß (Zurufe von der CDU/CSU: Ja! — Schein zur Körperschaft- und zur Einkommensteuer die bar!) Gewerbesteuer hinzukommt, eine Steuerart, die oder tragen Sie hier seit über 10 Jahren die politische unseren Konkurrenten ganz unbekannt ist. Verantwortung? Ich gebe zu, daß die Aufkommensneutralität — denn wir kompensieren die Steuersenkung durch (CDU/CSU): Ich weiß nicht, wo Wolfgang Schulhoff Abschreibungsverkürzungen — an sich nicht in das Sie gewesen sind. Wahrscheinlich haben Sie die Konzept einer nachhaltigen Entlastung der Betriebe 10 Jahre verschlafen, denn sonst müßten Sie mir hier paßt. Wir kennen ja die finanziellen Zwänge, lieber in jedem Punkt recht geben. Herr Poß. Auch in der Anhörung haben ja alle Kritiker (Beifall bei der CDU/CSU) nicht die Senkung moniert, sondern die Kompensa- Sie haben noch eine Frage? - Bitte. tion. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! — (SPD): Meine Frage war, Herr Kol- Horst Jaunich Joachim Poß [SPD]: Das stimmt nicht!) lege, ob Sie seit über 10 Jahren die politische Verant- wortung tragen. Jedoch ist die Signalwirkung einer Steuersenkung von entscheidender Bedeutung für Unternehmer und Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU): Ich habe Ihnen Kapitalanleger. eben gesagt, daß viele Faktoren zusammenkommen. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß diese Entla- Natürlich haben wir die Verantwortung ge tragen. Ich stung den Betrieben und nicht den einzelnen Gesell- habe in meiner Rede — wenn Sie zugehört haben — schaftern zugute kommt. Deshalb erscheint mir die die Schuld auf viele Bereiche aufgeschlüsselt. Ich bin Polemik in diesem Zusammenhang als besonders nicht blauäugig und sehe nicht den Schuldigen nur billig und kontraproduktiv. irgendwo anders. Viele haben geschlafen, da gebe ich Ihnen recht — nicht nur Sie, vielleicht auch wir ein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — bißchen. Zuruf von der CDU/CSU: Schäbig!) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Wer Investoren so vergrault, darf nicht mehr mit deren CDU/CSU) Investitionen rechnen. Meine Damen und Herren, ich darf fortfahren. (Wolfgang Weiermann [SPD] meldet sich zu Mancher Arbeitnehmer in unserem Land muß vier bis einer Zwischenfrage) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13785

Wolfgang Schulhoff — Sie wollten mich gerade fragen, ob ich die Zwi- Wenn Mercedes jetzt einen Umsatzrückgang von schenfrage zulasse? Gern! 20 % beklagt, dann ist das auch ein Resultat einer verfehlten Modellpolitik, Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Herr Kollege (Zuruf von der SPD: Ja!) Weiermann. einer Politik am Markt vorbei. Dies haben die Herren Vorstände zu verantworten. Im übrigen, meine sehr Wolfgang Weiermann (SPD): Herr Kollege, darf ich verehrten Damen und Herren: Die Anzahl unserer Sie daran erinnern, daß in den letzten zehn Jahren die Staatssekretäre und Minister ist auch nicht so groß, um Unternehmensgewinne real um 111 % gestiegen die Produktion der 5-Klasse völlig aufzunehmen. sind, (Heiterkeit — Zuruf von der SPD: Das hätten (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht in die auch nicht verdient!) Deutschland!) Es geht mir — auch bei Respektierung des Grund- während im gleichen Zeitraum die Zuwächse bei den konsenses in der Energiepolitik — auch nicht in den Arbeitnehmern real lediglich bei 11 % lagen, und Kopf, daß es unbedingt notwendig ist, jeden Arbeits- können Sie dann sagen, daß es dieser Wirtschaft platz im Steinkohlenbergbau mit 100 000 DM zu schlechtgeht? subventionieren, wobei fast noch einmal der gleiche Betrag für die Altersversorgung hinzukommt. Diese Betriebe können dem lieben Gott danken, daß sie Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU): Das ist ja völlig unterschiedlich. nicht im Einflußbereich der Treuhand arbeiten. (Lachen bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! — Zuruf von der SPD: Wann wollen Sie die — Ich weiß nicht, warum sonst Betriebe pleite gehen. abbauen?) Die gehen doch nicht pleite, weil sie Vergnügen daran haben. Die Situation in unserer Wirtschaft ist völlig Aber mit diesem tröstenden Gedanken können wir unterschiedlich. Wir müssen an das Gros der Bet riebe uns auf Dauer nicht abfinden. Wo bleibt hier das Korrektiv des Marktes? denken, und wir müssen auch sehen, wie die Eigen- kapitalquote unserer Betriebe ist. Die Eigenkapital- Ich sage das ausdrücklich auch als Unternehmer, quote unserer Betriebe ist geringer als die unserer der die Härte des Marktes kennt. Der Bundeskanzler Konkurrenten auf dem Weltmarkt. hat mit seiner Aussage völlig recht: Wenn es der Wirtschaft gutgeht, sind es tolle M (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) anager; geht es der Wirtschaft schlecht, ist die Politik schuld. — Diese Lassen Sie mich noch zu einem weiteren Gedanken Aufgabenstellung kann ich nicht nachvollziehen. Der kommen, meine Damen und Herren, der mich seit Staat und seine Sozialkassen dürfen nicht länger geraumer Zeit bewegt und auch mit der Standort- Korrekturinstanz für unternehmerisches Fehlverhal- sicherung wesentlich zu tun hat. Als das deutsche ten sein. Vorzeigeunternehmen Nixdorf ins Wanken geriet, dachte man, es handele sich dabei um ein singuläres (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ereignis; aber im Gegenteil: Es war nur der Anfang Das Anforderungsprofil an die deutsche Wirtschaft einer verhängnisvollen Entwicklung. Das paßt in den wird sich verschärfen müssen. Auf Dauer können Kontext dessen, was ich eben sagte. nicht die mittelständischen Betriebe die Gesamtlast (Unruhe — Glocke des Präsidenten) tragen. Es sind nicht nur die hohen Steuersätze und die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) horrenden Lohnnebenkosten, die der deutschen Wirt- Ich komme zum Schluß: Es gibt viele Ansatzpunkte, schaft zu schaffen machen; hinzu kommen Defizite an meine sehr verehrten Damen und Herren, die Krise zu innovativem Denken in den Chefetagen. Viele Unter- meistern. nehmen haben die Zeichen der Zeit verschlafen und ihren ausländischen Konkurrenten in zunehmendem Herr Kollege Schul- Maße die Märkte überlassen. Vizepräsident Hans Klein: hoff — — (Zuruf von der SPD: Da haben Sie recht!) — Ich bin ja froh darüber, daß Sie mir einmal recht (CDU/CSU): Man muß nur geben, Herr Kollege. Ich habe das bewußt am Ende Wolfgang Schulhoff realistisch und frei von Ideologie die Ursachen erken- gebracht, denn man muß ja immer einen Höhepunkt nen und auch die Interdependenzen zwischen Wirt- in der Rede haben. schafts-, Finanz- und Sozialpolitik sowie — da gebe Dies hat also, um es noch einmal deutlich zu sagen, ich Herrn Müller recht — Ökologie berücksichtigen. nicht nur etwas mit Billiglöhnen zu tun, sondern auch Herr Stoltenberg hat darauf hingewiesen. Wenn wir damit, daß die anderen fleißiger, flexibler, innovativer das erkennen, dann ist das Standortsicherungsgesetz und marktgerechter produzieren. Solche Unterlassun- der richtige Weg in die richtige Richtung. Aber es gen in deutschen Betrieben muß dann oft der Steuer- müssen — — zahler ausgleichen, insbesondere in den Be trieben, die so groß sind, daß man glaubt, die Verluste sozia- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lisieren zu müssen. Die kleinen sterben ja meistens sehr geräuschlos. Auf jeden Fa ll zahlt der Arbeitneh- Vizepräsident Hans Klein: Nein, das ist jetzt die mer die Zeche, wenn nicht mit dem Verlust des falsche Richtung, Herr Kollege Schulhoff. Ihre Rede- Arbeitsplatzes, dann mit höheren Steuern. zeit ist um. 13786 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Vizepräsident Hans Klein Die Fraktionen machen Zeiten miteinander aus; sie Warnungen zur damaligen Zeit voller Empörung melden Zeiten für die Kollegen an. Ich bitte Sie zurückgewiesen. Jetzt hat er sich einen neuen T rick herzlich, zu beachten, daß bei Aufleuchten des roten einfallen lassen. Er hat gesagt: „Da schaut mal her, die Lichts die Redezeit vorbei ist. Dann kann man nicht Opposition glaubt, es gebe eine Neuverschuldung von mehr mit einer neuen Seite des Manuskripts anfan- 80 Milliarden DM. Das ist ja unerhört! Ich, der gen. Finanzminister, werde es fertigbringen, sie auf 68 oder (Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU]: Das habe 69 Milliarden DM zu drücken." Das ist ein Erfolg der ich nicht gemacht, Herr Präsident! Es war nur Finanzpolitik, wenn man vergessen macht, daß es ein Satz!) vorher 38 Milliarden DM gewesen sein sollten — ein — Sie haben über eine Minute überzogen, Herr leuchtendes Beispiel für die Seriosität der deutschen Schulhoff. — Ich mache das ja nicht zum Spaß. Die Politik. nächsten Kollegen müssen es büßen; sie bekommen (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt übertreiben kürzere Redezeiten. Sie, Herr Kollege!) Das Wort hat der Abgeordnete Ortwin Lowack. Die Politik ist zur Hauptgefahr für Wirtschaft und Staat geworden. Es gibt keinerlei Überblick in der Regierung, nur schädlichen Aktionismus, keine gro- Ortwin Lowack (fraktionslos): Meine sehr verehrten ßen, wirklich notwendigen Reformen. Eine Steuerre- Kolleginnen und Kollegen! Sie werden den Hauch von form, die den Leistungswillen tatsächlich verbessert, Individualismus in einer kollektivistischen Zeit, in der ist ständig aufgeschoben worden und im Augenblick man nur etwas wert ist, wenn man in einer Fraktion ist, überhaupt nicht mehr aktuell. vielleicht noch ertragen können. Es gibt allerdings sehr zynische Reaktionen der Politik — da muß ich Michael Glos einmal erwäh- Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, Herr Lo- nen —, die darin gipfeln, daß man die Menschen wack. Ich muß Sie einen Moment unterbrechen. beschimpft, auf deren Kosten m an diese Politik macht Meine verehrten Damen und Herren, ich sage das — das ist natürlich der einfachste Weg —, und die jetzt in den Saal, aber auch für die Kolleginnen und Politik damit aus der Verantwortung nimmt. Meinet- Kollegen, die an den Lautsprechern und an den wegen sollte der gute Michael Glos Logenmeister Fernsehgeräten die Debatte mitverfolgen. Wir wer- werden, aber er hat es eigentlich nicht nötig, ein den schätzungsweise gegen 16.30 Uhr oder ein paar Elogenmeister zugunsten dieser Finanzpolitik zu Minuten später zu den namentlichen Abstimmungen sein. kommen. Ich sage das, damit wir uns die Vorabstim- (Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU]: Das ist mungsunruhe in der nächsten halben Stunde hier im aber unfair!) Saal ersparen. — Das ist nicht unfair, Wolfgang; ich kann die Tatsa- Bitte, fahren Sie fort. chen ja nur so wiedergeben, wie sie sind. Dort aber, wo die Rezession, das heißt die Talfahrt Ortwin Lowack (fraktionslos): Herzlichen Dank, Herr Präsident, aber rechnen Sie dies bitte nicht auf der deutschen Wirtschaft, eine hohe In flation, eine meine Redezeit an . hohe Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, eine hohe Verbrechensquote, die Verluste an Identität, Fehler Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht im Zuge der Vereinigung eine Bilanz der Politik sind, heute um eine Tour d'ho rizon dessen, was sich Wirt- kann man das nicht einfach auf die Menschen schafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung abschieben und sagen, sie seien daran schuld, und die nennt. Politik habe damit nichts zu tun. Ich möchte mich kurz fassen: Da ist ein Standortsi- cherungsgesetz — schon den Namen sollte man sich Schlechte Noten für Deutschland, Schlußlicht inner- auf der Zunge zergehen lassen —, das leider keinerlei halb der führenden Industrieländer, so neue OECD- Verbesserungen bringt und vor allen Dingen dem Untersuchungen — ich beziehe mich auf den „ Welt"- Artikel vom 25. Mai —, all das spricht für sich. Mittelstand, lieber Wolfgang, ganz entscheidend schadet, einem Mittelstand, der zunehmend heimat- Wie ist die Antwort der Politik? — Ein FKP mit neuen los geworden ist und sich zu Recht von der Politik Steuern, neuer Verschuldung, mit einer Aktion, die schwer betrogen fühlt. Dieses Gesetz können wir den Bund handlungsunfähig machen wird. Vielleicht vergessen; ich lehne es ab. resultiert daraus die Absicht des Finanzministers, des (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kleinen Moritz der deutschen Finanzpolitik, nach Bayern zu gehen, um sich dieser Verantwortung Wir haben einen Nachtragshaushalt 1993, der eine wieder zu entziehen. — Sie ist für die wirtschaft liche glatte Unverschämtheit ist. Der Finanzminister ent- Entwicklung verheerend, sie ist leistungsfeindlich, puppt sich zunehmend als purer Zyniker, dem es eine Strafe für Investoren. immer wieder gelingt oder gelungen ist, andere zu täuschen. Was er hier vorlegt, grenzt allerdings an Dort, wo gestrichen wird, nämlich beim Mittelstand Sadismus. mit der Verschlechterung der Abschreibungsbedin- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gungen oder bei den Familien, trifft es im Grunde genommen den Kern unserer zukünftigen Entwick- Wir haben alle noch die Debatte im Dezember in den lung. Ohren, als der Finanzminister, sich selber auf die Schultern klopfend, vorgetragen hat, daß die Ver- Wo müßte wirklich eingespart werden? — Sie könn- schuldung bei 38 Milliarden DM liege, und er hat alle ten auch einmal durchleuchten, was in der Europäi- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13787

Ortwin Lowack schen Gemeinschaft passiert. Wir kontrollieren ja vorerst ein Verzicht auf eine Änderung hier geboten. überhaupt nicht mehr die Ausgaben. Wir zahlen nur Wir müssen das ja nicht mit dem FKP verabschieden; ein. Wir betrachten das als eine heilige Kuh. wir können hier noch einmal einsteigen und es für später überlegen. Aber es kann doch nicht wahr sein, Oder ich nenne die Möglichkeit, den Umzug nach daß Sie eine Politik be treiben, mit der die Familien Berlin aufzuschieben, oder ich nenne die Bekämpfung geschädigt werden, die unsere Zukunft darstellen der Verbrechen mit ihren unendlichen Schäden, oder sollen. Ich darf auf die Begründung in meinem Antrag ich nenne die Steuergerechtigkeit. Nicht Steuern verweisen. anheben, wenn man doch vorher erst einmal das vollziehen kann, was bereits Gesetz ist. Ich möchte jetzt gleich hieran anschließend noch eines klarstellen. In dem bisherigen Antrag ist eine Oder: Abbau der Regierungsapparate. Gerade die kleine Korrektur erforderlich. Bundesländer, die mit dem FKP so hervorragend Wenn es in meinem Antrag unter Abschnitt B bisher abschneiden, blähen ihre Regierungsapparate auf. heißt „Für den Fall der Ablehnung des Änderungsan- Niemand ist da, kein Kassenwart der Nation, der trages unter A" muß es in Abänderung dessen jetzt endlich mal sagt, daß sich so etwas nicht gehört, daß heißen: „In Abschnitt 1 wird Artikel 5 gestrichen bis das abgebaut werden muß. auf die Regelung 1 b, die das Erziehungsgeld an die Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gäbe Aufenthaltsberechtigung oder -erlaubnis bei Auslän- hier noch vieles zu sagen. Ich will aber nur noch einen dern knüpft." Aspekt besonders betonen, weil ich hierzu in der Auf der Rückseite muß es in der zweitletzten Zeile zweiten Lesung einen Änderungsantrag gestellt habe. bei der Begründung heißen, daß die Zahl der Kinder Das ist das im FKPG vorgesehene Spektrum der auch deshalb rückläufig ist, weil beim Erziehungsgeld Kürzungen bei der Familie. Leistungskürzungen vorgenommen werden. Im Laufe der Diskussion über dieses Gesetz sind Ich bitte Sie: Ringen Sie sich zu dieser wichtigen einige geplante Maßnahmen dort zurückgenommen familienpolitischen Komponente und damit zu einer worden, wo der Widerstand starker gesellschaftlicher sinnvollen Zukunftsgestaltung durch! Gruppen erfolgreich war. Betroffen sind allerdings die Familien, hinter denen leider keine starke Gruppen- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- macht steht. Die Regierungsmehrheit hat auf eine ordnete Dr. Ulrich Briefs. Reihe vorgesehener Maßnahmen verzichtet, die von der Opposition oder von der Ländermehrheit abge- lehnt wurden. Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was diese Bundesregie- Eine merkwürdige Einigkeit gab es aber letztlich rung in den ersten drei Jahren der wiede rvereinigten bei den Eingriffen beim Erziehungsgeld zu Lasten Bundesrepublik angerichtet hat, ist ein wirtschafts- junger Familien und Alleinerziehender. Kürzungen und sozialpolitischer Scherbenhaufen sonderglei- beim Erziehungsgeld sind künftig zum Teil sogar bei chen. 7 Millionen fehlende Arbeitsplätze, 3,5 Millio- Familien und Alleinerziehenden zu befürchten, die nen offen ausgewiesene und 3,5 Millionen verdeckte bei mittlerem Einkommen eine hohe Belastung für Arbeitslose, völlig zerrüttete Staatsfinanzen, die hoch- den Faktor Wohnen zu tragen haben und am Rande potente Wirtschaft im Westen in einer tiefen Anpas- der Sozialhilfe leben. sungskrise, eine perspektivlose Industriebrache im Ich habe einen Änderungsantrag zum Erziehungs- Osten — das ist fürwahr eine Versagensbilanz, wie es geld eingebracht, der wenigstens grobe Ungerechtig- sie in der modernen Industriegeschichte noch nie keiten vermeidet. Ich möchte damit vermeiden, daß gegeben hat. wesentlich mehr Familien als heute infolge der Aktua- Diese allseitige Katastrophe ist selbstverschuldet. lisierung der Einkommensheranziehung ein gemin- Es ist zwar richtig: Wir befinden uns in einer weltwei- dertes oder gar kein Erziehungsgeld erhalten. Mein ten zyklischen Wirtschaftsk rise. Aber die wesentliche Vorschlag vermeidet auch eine erneute Einkommens- Ursache für die Misere am Arbeitsmarkt, für die überprüfung, wenn ein Kind das erste Lebensjahr leeren Staatskassen, auch für Produktionsrückgang vollendet hat. Der begrenzte Mehraufwand ist ver- im Westen und industriellen Kahlschlag im Osten, ist mutlich in den Ansätzen für Kindergeld und Erzie- die Plan- und Konzeptionslosigkeit dieser Bundesre- hungsgeld in der mehrjährigen Finanzplanung abge- gierung. Ich habe mich gefreut, daß sich das inzwi- deckt. schen ein bißchen herumgesprochen hat. Es wird ja inzwischen an vielen Stellen hier im Haus gesehen. Darüber hinaus weise ich darauf hin, daß erhebliche Sie, die Bundesregierung, und wir werden jetzt mit Leistungseinschränkungen beim Erziehungsgeld die aller Wucht von den Versäumnissen dieser Bundesre- Bereitschaft zu Kindern beeinträchtigen würden, daß gierung in den letzten Jahren eingeholt. Diese Bun- außerdem bei Wegfall oder bei starker Reduzierung desregierung hat es veräumt, das Zusammenwachsen des Erziehungsgeldes viele Berechtigte gezwungen der maroden Ex-DDR-Wirtschaft im Osten mit der wären, Arbeitseinkommen zu erzielen. In beiden hochleistungsfähigen, modernen Wirtschaft im We- Fällen würden entweder Arbeitsmarktentlastungen sten geordnet und planmäßig auszugestalten. Ein entfallen oder andere Personen aus der Beschäftigung gedrängt, u. a. auch mit der Folge höheren öffentli- solcher geordneter Prozeß mit entsprechenden indu- striepolitischen Rahmenvorgaben, mit Absprachen, chen Aufwands für den Unterhalt Arbeitsloser. mit Investitionsselbstverpflichtungen der Wirtschaft, Sollte sich eine Mehrheit für meinen Sachantrag mit Investitionsquoten, mit Investitionsumlagen, mit nicht entscheiden oder sich nicht finden, scheint mir Infrastrukturkonzepten und anderem, hätte auch ver- 13788 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Dr. Ulrich Briefs hindert, daß die ehedem so starken Staatsfinanzen hundert Arbeitssuchende kommen. Das ist ein Zynis- dieses Landes so gründlich zerrüttet wurden, wie es mus. nunmehr der Fall ist. Die Börsenaufsichtsbehörde der USA zwingt den Marktradikale Beschwörungen der Selbstheilungs- Daimler-Benz-Konzern, 4,5 Milliarden stille Reserven kräfte des Marktes oder das Versprechen blühender — das ist versteckter Reichtum, der in den Bilanzen Landschaften, die nur Nichtstun und Vorstellungslo- nicht in Erscheinung tritt — offenzulegen, damit die sigkeit verdecken, gehen sträflich an den Notwendig- Daimler-Benz-Aktie in den USA überhaupt börsenfä- keiten vorbei. Die finanzpolitische Flickschusterei hig wird. nimmt kein Ende. Nach dem größten und planlosesten Die -AG hat nicht nur über 15 Milliarden Ausverkauf von Land, Leuten und Wirtschaft, der je in DM liquide Mittel, vagabundierendes Kapital, als der Geschichte stattgefunden hat, dem Ausverkauf spekulative Geldanlage an den internationalen Geld- des Ostens durch die Treuhand kommt noch mal ein und Kapitalmärkten. Sie macht damit derzeit im Jahr Schuldenberg von derzeit 270 Milliarden DM hinzu. fast 2 Milliarden DM allein Zinsgewinn. Das ist die Wahrscheinlich wird es aber auch hier noch etwas berühmte Bank Siemens. mehr. Der gleiche Konzern hat derzeit auch stille Reser- Wie planlos da verscherbelt wurde und noch wird, ven, berechnet aus der Differenz zwischen Börsenwert dazu nur ein Beispiel: Da wird ein ehemaliger CDU- einerseits und ausgewiesenem Eigenkapital anderer- Ministerpräsident aus dem Westen in die Lage ver- seits, von über 15 Milliarden DM. setzt, mit einer müden Mark einen halben Landkreis Die Wirtschaft hat ca. 700 Milliarden DM vagabun- in Thüringen zu erwerben. dierendes Kapital in den Kassen — 700 Milliarden (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine DM! Schweinerei!) Diese Bundesregierung — das ist der Skandal — Den Menschen im Osten dagegen werden, obwohl greift in die Taschen der kleinen Leute und nicht in die durch die Schuld dieser Bundesregierung die Mieten prallvollen Kassen der Reichen und der Wirtschaft. und Lebenshaltungskosten ebenfalls rapide steigen, Die Krone aber wird der durch und durch unsozialen Lohnverzichte zugemutet, und zwar mit dem Versuch Politik dieser Bundesregierung durch die geplante des Bruchs von abgeschlossenen Tarifverträgen. Kon- Regelung der Pflegeversicherung aufgesetzt. Um die stant und prägnant ist im finanzpolitischen Tohuwa- prallvollen Kassen der Unternehmen, die ich eben bohu, das diese Bundesregierung zu verantworten geschildert habe, zu schonen, sollen kranke Men- hat, eigentlich nur eines, nämlich die Leitlinie, den schen für die Pflegeversicherung zahlen. Reichen zu geben und den Armen zu nehmen. Das Realisiert wird zudem ein sozialpolitischer Rück- besonders Schlimme ist: Die Einschnitte erfolgen schritt in die Vorkriegszeit. Auch hier trifft es vor allem nicht bei den Unternehmersubventionen. Die voll- die mittel und gering Verdienenden, die Tarifeinkom- mundigen Ankündigungen des F.D.P.-Ex-Wirt- mensbezieher. Gut verdiendene leitende Angestellte schaftsministers Möllemann — das liegt ja erst ganz werden nämlich die Karenztage in ihren Einzelverträ- kurze Zeit zurück — scheinen inzwischen Steinzeit zu gen abbedingen. sein. Die Einschnitte erfolgen nicht beim Rüstungs- etat, aus dem eine nach dem ersatzlosen Wegfall des Die Katastrophe der Wirtschafts- und Sozialpolitik traditionellen Feindes im Osten größenteils leerlau- dieser Bundesregierung ist komplett. Das besonders fende Rüstungsindustrie nach wie vor Milliardengel- Üble ist: Was immer an neuen Finanzlöchern kommt der bezieht. Die Einschnitte erfolgen nicht bei Luxus- und dann kurzatmig und ohne Konzept irgendwie technologien und bei überflüssigen Forschungspro- gestopft wird, das gibt der Bundesregierung Anlaß, grammen, die im wesentlichen ebenfalls Milliarden- ihre rabiate Sozialabbaupolitik fortzuführen und in gelder in Konzernkassen schwemmen. Die Ein- neue Richtungen zu lenken. schnitte erfolgen vielmehr vor allem bei den Armen Die Menschen in diesem Land, insbesondere die und Ärmsten dieser Gesellschaft und bei den abhän- Menschen, die nicht auf der Sonnenseite leben, soll- gig Beschäftigten. Nur da ist diese Bundesregierung ten deshalb in ihrem höchst eigenen Interesse erken- konsequent. Sie verteilt systematisch um, von unten nen, daß eine Ablösung dieser unsozialen Bundesre- nach oben. Sie nimmt denen, die bei steigenden gierung überfällig ist. Sie sollten sich auch darüber Lebenshaltungskosten und stagnierenden Löhnen klar sein, daß sie mit dem Stimmzettel dazu im und Gehältern mit ihren Familien kaum mehr über die nächsten Jahr durchaus die Möglichkeit haben. Runden kommen. Sie gibt dagegen denen, die mit Herr Präsident, ich danke Ihnen. ihrem Geld buchstäblich nicht mehr wissen, wohin sie es überhaupt bringen sollen, wie man z. B. — um das nur am Rande anzumerken — an den eskalierenden Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kollegin Preisen für Luxusautos feststellen kann. Dr. Barbara Höll. Eine Arbeitsmarktabgabe für Beamte, Freiberufler und uns Abgeordnete ist immer noch nicht in Sicht. Aber das sowieso unzureichende Arbeitslosengeld Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! soll nun um 3 % gekürzt werden, und das auch noch Meine Damen und Herren! Für die Bundesregierung, mit der Begründung, es müsse mehr Anreiz für die die Koalitionsfraktionen und auch für die SPD Aufnahme von Erwerbstätigkeit geschaffen werden. befindet sich der sorgenannte Wirtschaftsstandort Das ist ein Zynismus sondergleichen, solange auf jede Deutschland offenbar in größter Gefahr. Ich zitiere aus offene Stelle 30, 40, 50, im Osten teilweise mehrere dem Bericht des Haushaltsausschusses zum Gesetz Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13789

Dr. Barbara Höll zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungspro- gesenkten Spitzensteuersätzen für die Körperschaft- gramms: steuer und für gewerbliche Einkünfte im Einkommen- Einvernehmlich waren die Koalitionsfraktionen steuertarif profitieren die Bezieher von Einkommen und die Fraktion der SPD der Auffassung, es über 200 000 DM. müsse Ziel einer wachstumsfördernden Steuer- Besonders belohnt werden ausgerechnet diejeni- politik sein, die gegenwärtige und bis 1995 noch gen, die Gewinne aus einer Beteiligung an einer wachsende hohe Steuerbelastung der Bürger und Aktiengesellschaft oder GmbH beziehen. Nicht nur Unternehmen mittelfristig wieder abzubauen. der Steuersatz auf im Unternehmen verbleibende Lassen wir hier einmal unkommentiert, daß die SPD Gewinne wird gesenkt — freilich in der stets blamier- offenbar auch zum Verzicht auf das von ihr seit dem ten Hoffnung, dadurch betriebliche Investitionen Auftauchen der GRÜNEN propagierte qualitative anregen zu können —, sondern auch ausgerechnet Wachstum bereit ist, so bleibt jedoch festzuhalten, daß der Steuersatz für an Kapitalanleger ausgezahlte die Klage über zu hohe Steuern und Abgaben zu den Gewinne wird von gegenwärtig 36 % auf 30 % Evergreens und Hits der Unternehmer und ihrer gesenkt. Es lohnt sich künftig mehr denn je, sein Geld Lobbyisten gehört. in relativ risikolose Finanzlagen zu stecken. (Unruhe) Ein weiterer Schlag gegen die Einkommensent- wicklung der Arbeitnehmer wird dagegen offenbar gerade bei der Treuhand geplant. Ich möchte aus Frau Kollegin, darf ich Sie Vizepräsident Hans Klein: einem Schreiben des Vorstandes der Treuhandanstalt einen Moment unterbrechen. — Meine Damen und vom 19. Mai an die Vorsitzenden der Aufsichtsräte, Herren, ich bin zwar für Gleichberechtigung, Vorstände und Geschäftsführungen der Unternehmen (Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Ina der Treuhandanstalt in der Metall- und Elektroindu- Albowitz [F.D.P.]: Das ist etwas ganz Neues! strie in den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thü- — Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: ringen, Mecklenburg-Vorpommern zitieren: Von wem denn?) Anwendung der Härteklausel aber ich finde es doch gut, wenn wir die Damen ein bißchen besser behandeln und ihnen aufmerksamer Sehr geehrte Damen und Herren, zuhören. Darf ich darum bitten? die Treuhandanstalt befindet sich zur Zeit in (Beifall — Ina Albowitz [F.D.P.]: Das hat aber internen Überlegungen zur Anwendung der Här- nichts mit Gleichberechtigung zu tun!) teklausel. Wir bitten Sie, sollten Sie im laufenden Jahr 1993 nach der vorliegenden genehmigten Planung Verluste einplanen, alles zu unterlassen, Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Ich bedanke was die Anwendung der Härteklausel behindern mich. könnte. Das Standortsicherungsgesetz soll die Vorausset- Wir werden Ihnen gemeinsam mit Gesamtmetall zungen dafür schaffen, daß bundesdeutschen Unter- in den nächsten Tagen bezüglich der Antragstel- nehmen im weltweiten Konkurrenzkampf um Absatz- lung nähere Hinweise geben. märkte immer öfter das Siegertreppchen winkt. Die Logik, nach der das Standortsicherungsgesetz ge- Das ist ein erneuter Beweis für die Umverteilung von strickt ist, ist denkbar einfach: Zu hohe Lohnnebenko- unten nach oben und für die absolute Benachteiligung sten verteuern die Produkte bundesdeutscher Unter- der Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern. nehmen, also muß die Steuerschraube gelockert wer- Die Bundesregierung erklärt, daß die Unterneh- den. mensentlastungen, die von 1994 bis 1996 die stolze Die Rezession, in der sich die bundesdeutsche Summe von 34,5 Milliarden DM ergeben werden, in Wirtschaft gegenwärtig befindet und die ernst zu vollem Umfang durch den Abbau von Abschreibungs- nehmende Wirtschaftswissenschaftler bereits zu Zei- möglichkeiten gegenfinanziert werden. Ich behaupte, ten vorausgesagt hatten, als die Bundesregierung daß die Bundesregierung unter dem Druck der Wirt- allerorten von Aufschwung redete, diese Rezession schaft gezwungen sein wird, die Verschlechterung scheint nun durch eine angebotsorientierte Wirt- der Abschreibungserleichterungen Stück für Stück schafts- und Finanzpolitik gestoppt und zurückge- zurückzunehmen. Ihre Rechnung wird nicht aufge- drängt werden zu können. hen. Schon heute ist belegbar, daß von einer Aufkom- mensneutralität nur sprechen kann, wer die Fakten Die Fakten widerlegen jedoch eindeutig die Klagen schönt. der Unternehmer über zu hohe Löhne, zu geringe Arbeitszeiten und zu hohe Steuern. Eine Untersu- Herr Kollege Poß hat dem Finanzminister bereits im chung des DGB hat ergeben, daß die Nettolöhne je Januar vorgeworfen, dieser habe mit einem „plumpen Arbeitnehmer in Westdeutschland 1992 real nur um Trick" die Öffentlichkeit zu täuschen versucht. Nur 10,5 % über denen des Jahres 1982 lagen. Die Unter- weil Herr Waigel die bereits seit 1992 geltende nehmer konnten ihre Nettogewinne im gleichen Zeit- Verlängerung der Nutzungsdauer für betrieblich raum um 123 % steigern. Der Nettogewinn im Verhält- genutzte Pkw und die daraus resultierenden Mehrein- nis zum eingesetzten Kapital, also die Nettokapital- nahmen in seine Rechnung mit einbezogen hatte, rendite, war im vergangenen Jahr so hoch wie in den konnten seine Berechnungen überhaupt aufgehen. Jahren der Vollbeschäftigung. Die PDS/Linke Liste fordert, die Senkung der Das Standortsicherungsgesetz bedient ganz ein- Steuersätze für Spitzenverdiener zurückzunehmen deutig nur die Bezieher hoher Einkommen. Von und endlich mit dem Abbau ungerechtfertigter Steu- 13790 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Dr. Barbara Höll ervergünstigungen für Großverdiener zu beginnen. wurden: Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, Aufwendungen für hauswirtschaftliche Beschäfti- daß die Gemeindesteuerkraft voll in den Länder- gungsverhältnisse sollten ebensowenig als Sonder- finanzausgleich einzubeziehen ist. Wie auch immer, ausgaben abzugsfähig sein wie Bewirtungsspesen. verehrte Frau Albowitz, ist es gelungen, daß Sie nur die Hälfte der Steuerkraft einbezogen haben? Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, jetzt kom- Nun vergleiche ich noch einmal die beiden Gemein- men Sie aber wirklich zum Schluß. den Ottobrunn in Bayern und Luckenwalde in Bran- denburg. Ottobrunn hat eine Steuerkraft von 2 DM. (PDS/Linke Liste): Aber bei der Dr. Barbara Höll Luckenwalde hat eine Steuerkraft von 20 Pfennig. Lautstärke war es auch sehr kompliziert. — Die Wenn man das zusammenrechnet und anschließend- Abschreibungsmöglichkeiten der Anschaffungsko- teilt, bekommen beide 1,10 DM. So wie Sie geteilt sten für betrieblich genutzte Pkw — — haben und wie Sie das heute beschließen, werden nur 50 % einbezogen, d. h. Ottobrunn behält seine 1 DM Vizepräsident Hans Klein: Nein. Bitte noch einen letzten Satz. Sie haben Ihre Redezeit schon um mehr und Luckenwalde seine 10 Pfennig. Geteilt werden als eine Minute überschritten. 1,10 DM. Das bedeutet, 1,55 DM bleiben in Ottobrunn, 65 Pfennig sind in Luckenwalde. Das nenne ich ein (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Abschalten! intelligentes Teilen, verehrte Damen und Herren. Strom abschalten!) Hier haben sich die Cleverles oder die besonders intelligenten Finanzpokerer wirklich durchgesetzt. Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Es ist notwen- Ich bitte Sie herzlich, bei der nächsten Gelegenheit dig, durch Betriebsüberprüfungen Steuerhinterzie- diese Ungerechtigkeit, bezogen auf die Gemeinde- hungen in Größenordnungen zu ahnden, — steuerkraft, zu beenden. Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Frau Kollegin, das (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt zum Lob!) geht nicht. Wenn ich Sie um einen letzten Satz bitte, Und nun das Lob. Seit gut zwei Jahren beobachte dann meine ich auch einen letzten Satz. ich als Insider die Bemühungen um die Einbeziehung Ostdeutschlands in den gesamten Finanzausgleich. Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): — die jährlich Ich möchte mich hier, ohne Rang und Namen zu 12 Milliarden DM ausmachen würden. nennen, bei vier Männern ausdrücklich bedanken; Ich danke Ihnen. denn ich habe sie aus unmittelbarer Nähe wirken sehen. Vizepräsident Hans Klein: Ein Abgeordneter muß auch fähig sein, einmal ohne Manuskript einen letzten (Ernst Waltemathe [SPD]: Wieder keine Satz zu formulieren. Frauen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD — — Ja, das ist leider so, Herr Kollege Waltemathe. Es Peter Conradi [SPD]: Alle! — Dr. Wolfgang waren eben in dieser Finanzerrunde, in dieser Ent- Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Aber bei Damen scheiderrunde nur Männer. sollten wir doch besonders rücksichtsvoll (Peter Conradi [SPD]: Quote!) sein!) — Es wird nicht nach Quoten, sondern nach Leistung — Das gilt freilich für alle. bemessen, lieber Herr Conradi. Ich erteile dem brandenburgischen Minister der Finanzen, Klaus-Dieter Kühbacher, das Wort. (Protestrufe bei der SPD — Lachen und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord Minister Klaus-Dieter Kühbacher (Brandenburg): neten der F.D.P.) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ich möchte mich nach dem ABC bei vier Politikern die Gelegenheit benutzen, zum Föderalen Konsolidie- bedanken, rungskonzept, und zwar zum Länderfinanzausgleich, (Zuruf von der SPD: Chauvi!) einige Worte an Sie zu richten: ein Wort der Kritik — das werden Sie mir erlauben — und ein Wort des weil sie sich wirklich engagiert eingesetzt haben, um Dankes. Ich fange mit der Kritik an. dieses Werk zu Ende zu bringen, das nicht einfach Ich hätte mir als Vertreter eines armen L andes mit war. Ich bedanke mich bei , ich bedanke noch ärmeren Gemeinden gewünscht, daß Sie, meine mich bei , ich bedanke mich bei Damen und Herren, bei der Einbeziehung des bun- Heinz Schleußer, desstaatlichen Finanzausgleichs die Frage der Län- (Peter Conradi [SPD]: Sag doch: Heide Simo derebenen etwas intensiver beleuchtet, daß Sie nach- nis!) gedacht und gerechnet hätten. Dann hätten Sie fest- und ich bedanke mich bei Theo Waigel. Sie haben sich gestellt, daß das mit dem Teilen zwischen West und um den Finanzausgleich verdient gemacht. Ost so eine Sache ist. (Zuruf von der SPD: Noch mehr? — Ina (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei Albowitz [F.D.P.]: Ländersteuerkraft!) der CDU/CSU und der F.D.P.) — Ja, das gehört zur Ländersteuerkraft, verehrte Frau Kollegin. Da haben Sie aber eben nicht aufgepaßt. Bei den Ländersteuern wird ja alles geteilt. Bei der Kom- Vizepräsident Hans Klein: Wir werden die Abstim- munalsteuer ist Ihnen folgender Fehler passiert, mung in knapp 25 Minuten beginnen. — Ich erteile obwohl Sie in den Ausschüssen darauf hingewiesen das Wort unserem Kollegen Dr. Wolfgang Weng. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13791

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Prä- Arbeitslosigkeit haben direkt und indirekt riesige sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Löcher gerissen, und so müssen wir heute den Haus- Dank, den der Kollege Kühbacher ausgesprochen hat, halt 1993 in zweierlei Hinsicht korrigieren: Die Stei- kann man sicher nachvollziehen. Nur hat er eines gerung der Ausgaben von ehemals geplanten 2 % meines Erachtens nicht ganz optimal deutlich gegenüber 1992 wächst auf mehr als 7 % an, und die gemacht, daß die Betroffenen auch für das zuständig Nettokreditaufnahme erreicht den fast unsäglichen gewesen sind, was er vorher beklagt hat. Diejenigen, Betrag von mehr als 67 Milliarden DM, wenn es denn die so besonders geschickt gerechnet haben — was er dabei bleibt. hier beklagt —, hätte er am wenigsten nennen sollen. Denn sie sitzen nicht hier im Deutschen Bundestag. „Spare in der Zeit, so hast du in der Not", sagt der Volksmund mit Recht. Die finanzwirtschaftliche Theo- Sie sitzen im wesentlichen in den Ländern im rie von Herrn Keynes beinhaltet die gleiche Forde- Westen. rung. Nur, wir haben in den vergangenen zehn fetten Jahren zwar sparsam gewirtschaftet gegenüber dem, Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, Herr Kol- was vorher gewesen war, aber nicht sparsam im Sinne lege Weng. Der Kollege Kühbacher kann das leider der Schaffung echter Rese rven. Zum Aufbau eines nicht mit anhören, weil er in einer Konferenz ist. Juliusturms seligen Angedenkens — die Kontinuität Vielleicht können wir die unterbrechen. bayerischer Finanzminister ist ja erwähnt worden — sind Politiker aller Couleur und auf allen Ebenen — Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): In Kennt- ich sage ausdrücklich: auf allen Ebenen; denn es sieht nis knapper Redezeit, Herr Präsident, werden Sie in den Ländern und Kommunen ja leider ganz nicht erwarten, daß ich mich jetzt wiederhole. Der genauso aus — offensichtlich nicht fähig. Alle öffent- Kollege Kühbacher hat in Brandenburg sicherlich in lichen Haushalte und die Schattenhaushalte ebenso den dunklen Kiefernwäldern immer Zeit, unsere Pro- haben trotz hoher Steuereinnahmen Schuldenauf- tokolle nachzulesen. nahme als ganz normale Einnahmequelle betrachtet und dabei die Langfristsituation der wachsenden Ich sage aber noch einmal: Das, was der Kollege Zinsbelastung außer acht gelassen. Deshalb werden Kühbacher beklagt hat, ist nicht das Verschulden des wir jetzt in der Not um zusätzliches Sparen auch nicht Deutschen Bundestages. In das Gesamtpaket ist diese herumkommen; denn der komplette Ausgleich feh- Art der Teilung im wesentlichen durch ein Verhalten lender Steuereinnahmen durch zusätzliche Schulden, der westlichen Länder gekommen, das wir hier auch wie das in der Keynesschen Theo rie so schön aussieht, beklagt haben und das nicht wünschenswert ist. hätte zur Voraussetzung gehabt, daß m an in den (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) guten Zeiten Schulden abgetragen hat. Ich meine, meine Damen und Herren, daß die Ankündigung massiver Einsparungen für die Öffentlichkeit bei einer solchen Debatte Anspruch auf Die Zukunft ist zu begrüßen. Die Tatsache, daß der Herr eine klare Analyse hat. Das, was ist, muß hier gesagt Bundeskanzler einschneidende Maßnahmen ange- werden. Es muß gesagt werden, was in der Konse- kündigt hat, hat ja ein eigenes Gewicht. Der Finanz- quenz gemacht werden muß und was gemacht wer- minister hat dies heute wiederholt. Dieses Mal wird es den kann. Es muß dann auch deutlich gemacht allerdings nicht bei der Ankündigung bleiben dürfen, werden, was die jeweilige politische Gruppierung zu tun bereit ist. Insoweit ist das, was wir heute morgen weil auch die Öffentlichkeit immer stärker von uns verlangt — ich meine: zu recht —, daß wir nicht nur das an Jammerorgie von dem Kollegen Schulz gehört Richtige fordern und dann erwarten, daß es eintritt, haben — es ist zwar schon eine ganze Zeit her —, sondern daß wir unser Handeln an dem Gesagten sicherlich nicht hilfreich. Kein Konzept ist keine Poli- tik. ausrichten. (Beifall bei der F.D.P.) (Zustimmung bei der CDU/CSU) Ich will aber auch erwähnen, daß mir eine Äuße- Die Bürger werden allerdings begreifen müssen, rung des Bundesfinanzministers in seiner sonst sehr daß öffentliches Sparen weder im eigentlichen Sinne guten und berechtigterweise mit sehr langanhalten- gerecht sein kann — denn wenn gespart wird, bet rifft dem Applaus begleiteten Rede weniger gefallen hat, es nicht jeden in gleicher Weise — noch daß es weil er nur die eine Seite der Medaille aufgezeigt hat. unbemerkt bleiben kann. Das Gefühl, daß öffentliche Er hat hier eine ganze Reihe von Ausgaben für die Ausgaben ganz leicht zu sparen sind und es keiner deutsche Einheit genannt. Jeder von uns wird bei merkt, ist unbegründet. jeder einzelnen dieser Ausgaben auch sagen: Es ist in Es gibt vier Bereiche möglicher Einsparungen: Ordnung, daß sie geleistet worden sind und zukünftig geleistet werden. Aber er hat nicht dargestellt, wer Zum ersten können bei sämtlichen Ausgaben für diese Ausgaben dann bezahlt. So, wie wir im Augen- übliches staatliches Handeln gewisse Abstriche blick verfahren, zahlen wir mit Geld, das wir selber gemacht werden. Dieses haben wir als Parlament nicht zur Verfügung haben, sondern das wir weiter- unter der Federführung des Haushaltsausschusses in reichen. An dieser Stelle, so meine ich, muß auch die der Vergangenheit immer schon recht konsequent andere Seite der Medaille aufgezeigt sein. durchgeführt. Bisher hat ja jede Regierungsvorlage Mit der heutigen abschließenden Beratung des den Haushaltsausschuß und dieses Parlament verbes- Nachtragshaushalts ziehen wir eine Bilanz, die unse- sert, d. h. sparsamer verlassen. Allerdings bewegen ren eigenen Vorgaben von vor wenigen Monaten diese Einsparungen erfahrungsgemäß keine ganz nicht entspricht und die insofern auch nicht zufrieden- riesigen Summen. Das weiß jeder, der den Haushalt stellen kann. Wirtschaftliche Rezession und steigende einigermaßen kennt. 13792 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Der zweite Bereich ist der Investitionsbereich. Auch sehr ernsthaft nach ihrer Verantwortungsbereitschaft wenn über die Definition öffentlicher Investitionen fragen lassen müssen. immer wieder kontrovers diskutiert wird und es In den letzten Tagen ist eine Reihe von Vorschlägen sicherlich auch sinnvoll wäre, wenn hierüber einmal durch die Medien gegangen. Ich weiß nicht, ob diese gesondert diskutiert würde, ist klar, daß die öffentli- Vorschläge tatsächlich vom Finanzminister oder von chen Investitionen nicht die große Sparkasse sein der Bundesregierung kommen und autorisiert sind. dürfen; Sie sind jedenfalls heute nicht präzisiert worden. Aber (Beifall bei der F.D.P.) sicher ist, daß der genannte Umfang der Leistungskür- nicht nur auf Grund des Verfassungsgebots mit der zungen von rund 20 Milliarden DM für 1994 nicht Höchstgrenze der staatlichen Schuldenaufnahme im ausreichen wird, um das notwendige Ziel bei der Verhältnis zu den staatlichen Investitionen, sondern Neuverschuldung zu erreichen; jedenfalls nach der auch weil diese Investitionen notwendig sind, die jetzigen Einschätzung. meisten jedenfalls. Sie müssen allerdings zukünftig Nach meiner Einschätzung muß auch für 1993 noch sehr viel stärker auch unter dem Aspekt des Nutzens nachgebessert werden, d. h., ein Haushaltssiche- und der Folgekosten gesehen werden, als das in der rungsgesetz 1993 muß offen diskutiert werden. Ich Vergangenheit der Fall gewesen ist. möchte Sie, Herr Finanzminister Waigel, fragen, Der dritte Bereich ist der Personalbereich. Wir nachdem Sie in Ihrer Rede gesagt haben, daß es zum wissen, daß wir durch die Wiedervereinigung eine viel Etat 1994 erheblich einschränkende Begleitgesetze zu hohe Beschäftigung im öffentlichen Bereich geben wird, warum dieses nicht noch für 1993 in bekommen haben, vor allem bei den Ländern und einem im Juni einzubringenden Haushaltssiche- Gemeinden in Ostdeutschland, aber auch beim Bund rungsgesetz getan wird. Das wird auch nicht schwe- in diesem Zusamenhang. rer. Anderenfalls haben wir doch wieder bei dem von (Unruhe) Ihnen als notwendig Definierten ein halbes Jahr verloren. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Weng, las- sen Sie mich einen Moment unterbrechen! Wir fordern das Finanzministerium auf, die Vor- schläge auf den Tisch zu legen. Wir werden sie Meine Damen und Herren, auch mehrere Dutzend sorgfältig prüfen, und wir werden wie in der Vergan- halblaut geführte Gespräche ergeben einen hohen genheit die Einsparungen in dem erforderlichen Volu- Lärmpegel. Bitte widmen Sie Ihre Aufmerksamkeit men solidarisch mittragen. dem Redner. Wer sich unterhalten möchte oder etwas zu besprechen hat, kann das vor der Tür tun. Wir Sicher ist, daß zu Zeiten höchster Steuerbelastun- haben noch knapp 20 Minuten bis zur Abstimmung. gen und mit Blick auf die noch zusätzlich geplante Solidaritätsabgabe die Belastung der Leistungsträ- ger, der Lohn- und Einkommensteuerzahler die Ober- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Vielen grenze eher überschritten als erreicht hat. Dank, Herr Präsident. Ich bin immer der Überzeu- (Beifall bei der F.D.P.) gung, daß diejenigen, die für das, was man zu sagen Sparen oder Mehrbelastung? — Jetzt ist wirklich hat, wichti g sind, auch zuhören; diejenigen, die sich Sparen angesagt. miteinander unterhalten, sind nicht so wichtig. Des- wegen glaube ich, daß man es nicht übertrieben ernst Meine Damen und Herren, der seitherige Wohl- nehmen sollte, wenn solche Gespräche stattfinden. stand der Bundesrepublik beruht in doppelter Weise Aber ich bin natürlich auch für Hilfe von hinten auf Vertrauen. Das Vertrauen der Bürger in den Staat außerordentlich verbunden. und seine Solidarität gilt es wiederherzustellen und zu bewahren. Wenn der Staat die Bereitschaft der Bürger Eine kontinuierliche Rückführung der Zahl der zu Sparsamkeit und Konsumverzicht nicht honoriert, ist insofern notwendig, aber öffentlich Bediensteten sondern selbst den Konsum anheizt, wird dieses ganz schnell — das wissen Sie — geht es auch hier Vertrauen verlorengehen. nicht. Die Forderungen an die Politik lauten: Reduzie- rung von Regelungsdichte und staatlichem Handeln, (Zuruf von der F.D.P.: Sehr richtig!) Deregulierung, Privatisierung — Sie kennen die Das zweite ist das Vertrauen des Auslands in den Stichworte —, um hierdurch Entlastung zu schaffen. Investitionsstandort Bundesrepublik und die Leit- Wir haben durch eine Reihe von Beschlüssen in die währung Deutsche Mark. Dieses Vertrauen in die richtige Richtung zu wirken begonnen. Das wird Leitwährung Deutsche Mark ist für uns außerordent- fortgesetzt. Aber auch hier geht es nicht um große lich wichtig. Auch dieses Vertrauen hat einen Knick Finanzvolumina. erhalten. Um so mehr müssen wir alle und wird die Viertens geht es — da handelt es sich um große F.D.P. die Politik der Bundesbank zur Sicherung der Beträge — um Subventionen und Transferleistungen. Währungsstabilität wieder konsequenter unterstüt- Die großen Volumina liegen hier im Bereich der zen. gesetzlichen Leistungen und damit gesetzgeberischer Notwendigkeiten. Wir werden um solche Eingriffe Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Weng, Sie nicht herumkommen. Da in diesem Bereich, bei sozia- sind weit über Ihre Zeit! len Leistungen, bei Transferleistungen, üblicherweise das Handeln besonders schwierig ist, wird sich auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat in der Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Ehrlichkeit Folge unseres Handelns dann auch die Opposition durch Beseitigung der Schattenhaushalte — dies ist Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13793

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) geplant —, aber auch Verzicht auf weiter steigende cher, Sie sind mit mir einer Meinung, daß Sie die nur Zinssubventionen, die die Geldmengenpolitik der zufällig vergessen haben. aushebeln, sind hierfür erforderlich. Bundesbank (Minister Klaus-Dieter Kühbacher [Branden Meine Damen und Herren, die Haushaltslage des burg]: Wenn Ihnen das hilft!) Bundes ist so ernst und schwierig wie noch nie. Angesichts des Zusammentreffens einer schwachen Weltkonjunktur mit den Anforderungen des Aufbaus in den neuen Bundesländern haben die Vereinbarun- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Weng, bitte gen zum Solidarpakt besonderes wirtschafts- und noch einen Schlußsatz. finanzpolitisches Gewicht. - Ich möchte hier nur einige Dinge nennen, besonders Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Vielen die Mittel im Bundeshaushalt, im Nachtragshaushalt Dank, Herr Präsident. 1993, für die kommunale Investitionspauschale, für Die F.D.P.-Bundestagsfraktion stimmt dem Nach- den Wohnungsbau und für die industrielle For- tragshaushalt 1993 zu und wird an der künftigen schung. Hier möchte ich gleich als meine ganz beson- Verbesserung der Situation verantwortungsbewußt dere Bitte an den Finanzminister und an den neuen mitwirken. Minister für Forschung und Technologie anmahnen, daß bei der Bereitstellung der Mittel für industrielle Vielen Dank. Forschung eine Verstetigung der Fördermittel für (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — mittelfristige Zeiträume erreicht werden muß. Unruhe) Für die Bürger in Ostdeutschland nimmt die Lösung des Wohnungsproblems angesichts der verheerenden Hinterlassenschaften einen unvergleichbar hohen Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- Rang ein. Deshalb hat das Wohnen — und ich füge ren! Es ist für den Redner sehr schwer, bei dieser hinzu: für viele noch lange jenseits der Wohnqualität, Lautstärke der Unterhaltungen überhaupt zu spre- die wir hier im Westen haben — neben der Sicherung chen. Wer sich unterhalten möchte — bis zur Abstim- des Arbeitsplatzes allerhöchste Priorität. mung sind es noch 15 Minuten —, soll das bitte außerhalb des Saales tun. Wer im Saal ist, möge bitte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge dem Redner seine Aufmerksamkeit schenken. ordneten der F.D.P.) Als nächster hat das Wort unser Kollege Johannes Die komplizierte Altschuldenfrage war bis zu ihrer Nitsch. Lösung in den Solidarpaktverhandlungen ein gravie- rendes Hindernis für den dringend nötigen Auf- schwung der Wohnungswirtschaft in den neuen Bun- Johannes Nitsch (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr desländern. Die Abgeordneten der CDU/CSU-Frak- Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich tion haben von vornherein darauf gedrängt, daß die zunächst drei Vorbemerkungen machen. Altschuldenfrage so rasch wie möglich zu lösen und Erstens. Mit Genugtuung können die Abgeordne- ein Kompromiß zu finden ist, der auf vielen Schultern ten aus den neuen Bundesländern feststellen, daß mit ruht. Niemandem dürfte daran gelegen sein abzuwar- diesen Entscheidungen zum Föderalen Konsolidie- ten, bis über die unterschiedlichen Rechtsauffassun- rungsprogramm und zum Nachtragshaushalt 1993 gen verbindlich entschieden wird. unser Erfurter Programm „ Zwölf Punkte für Deutsch- Mit der Lösung der Altschuldenfrage ist für die land — Wohlstand im Osten entwickeln, im Westen kommunalen Wohnungsunternehmen und die Woh- sichern" vom August 1992 in seinen tragenden Teilen nungsbaugenossenschaften der Weg frei für die drin- erfüllt ist. gend benötigten Investitionen. Hervorzuheben ist Zweitens. Ebenso wichtig ist für mich die politische hier besonders auch, daß in die Altschuldenregelung Dimension dieser Vereinbarungen und Entscheidun- private Vermieter einbezogen sind, die zu DDR- gen. Ich halte es für sehr wichtig, daß die parlamen- Zeiten insbesondere Sanierungsmaßnahmen über tarische Demokratie und das föderative System mit Kredite finanzieren mußten. Auch die Wendewoh- dem Solidarpakt Entscheidungen getroffen und damit nungen konnten in die Lösung einbezogen werden. Entscheidungsfähigkeit bewiesen haben, ganz im Unsere besondere Zustimmung findet die Rege- Gegensatz zu dem, was heute früh von Herrn Wiec- lung, daß die Genossenschaften nun kraft Gesetzes zorek angemahnt wurde. unmittelbar Eigentümer des von ihnen genutzten Die Einigung zwischen dem Bund und den Ländern Grund und Bodens werden, und zwar zu Beträgen, die sowie den Verantwortung tragenden politischen Kräf- von 1 bis 3 DM pro Quadratmeter — je nach Größe der ten ist ein politischer Wert, der weit über seinen Kommune — gestaffelt sind. Damit wird ihre Kredit- materiellen Wert hinaus Beachtung verdient. fähigkeit wieder hergestellt. Drittens. Wenn hier einzelnen Persönlichkeiten Bei den Wohnungsbaugenossenschaften gibt es Dank ausgesprochen wurde für die besonderen hinsichtlich der Privatisierungspflicht von 15 % des Bemühungen in diesem Verfahren, so möchte ich Wohnungsbestandes noch einige rechtliche Beden- noch zwei Persönlichkeiten einbeziehen, die aus mei- ken — Herr Kuessner hatte das hier schon angespro- nem Bundesland kommen. Ich möchte Herrn Mini- chen —, die wir auch in einer Beratung der Kommis- sterpräsident Biedenkopf und Herrn Staatsminister sion „Wiederaufbau neue Bundesländer" mit der Professor Milbradt nennen. Ich glaube, Herr Kühba Bauministerin besprochen haben. Der Ausweg könnte 13794 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Johannes Nitsch unserer Auffassung nach in einer Erhöhung der partnerschaftlicher Weise mit den hohen Qualitätsan- Genossenschaftsanteile bestehen, die dann einer Ver- forderungen der Konzerne vertraut werden. äußerung gleichzusetzen wäre. Auch im öffentlichen Auftragswesen haben ost- Unsere politische Aufmerksamkeit gilt auch beson- deutsche Firmen trotz bestehender Präferenzregelun- ders den ehemals militärisch genutzten GUS-Liegen- gen häufig das Nachsehen. Es ist zu begrüßen, daß der schaften. Nachdem es in den Verhandlungen am Solidarpakt auch in diesem Bereich der öffentlichen 13. April 1993 zwischen dem Bund und den Ländern Aufträge eine Verbesserung vorsieht. Bei Direktauf- nicht zu der erhofften Einigung gekommen ist, sind trägen von Bundesressorts und bundeseigenen Unter- die Finanzminister der noch zögernden L ander aufge- nehmen soll der Anteil ostdeutscher Produkte über fordert, mit dem Bundesfinanzminister zügig weiter- das bisher erreichte Niveau hinaus innerhalb von zwei zuverhandeln und so rasch wie möglich tragbare Jahren verdoppelt werden. Das Bundesministerium Lösungen zu erarbeiten, um auch hier ein Reservoir für Wirtschaft ist beauftragt, in halbjährigen Abstän- für die Bereitstellung von Wohnbauland zu erschlie- den über die Entwicklung des Auftragsvolumens zu ßen. unterrichten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich meine, daß es gerade bei diesem Einsatz öffent- Meine Damen und Herren, die Absatzprobleme in licher Mittel ganz entscheidend darauf ankommen den neuen Bundesländern sind nach wie vor das wird, der Verantwortung gegenüber dem Steuer- Produktionshindernis Nummer eins. Ostdeutsche An- zahler auch in dieser Frage gerecht zu werden. Ich bieter bekommen nicht die gleichen Chancen einge- kann Ihnen versichern, daß wir Abgeordnete aus den räumt wie etablierte Wettbewerber, wenn es um den neuen Bundesländern in Zusammenarbeit insbeson- Einkauf geht. Wollen sie in den Einkaufslisten der dere mit dem Bundesministerium für Wirtschaft wei- großen Konzerne Aufnahme finden, müssen sie zu terhin daran arbeiten werden, die Absatzlage der deutlich niedrigeren Preisen anbieten. Unternehmen in den neuen Ländern auch in diesem Wir erwarten eine größere Offenheit und mehr Bereich zu verbessern. Verantwortungsbewußtsein im Umgang mit den noch in der Startphase befindlichen ostdeutschen Unter- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sehr gut!) nehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die zuständigen kommunalen und staatlichen Stel- len sollten darauf achten, daß eine Auftragsvergabe Neben der Bestellung von Vorstandsbeauftragten an einen westlichen Anbieter nur dann erfolgt, wenn für die neuen Bundesländer ist es erforderlich, daß der nachgewiesen wird, daß es in den neuen Bundeslän- Einkauf der großen H andelsketten firmenintern stär- dern keine vergleichbaren Anbieter gibt. ker kontrolliert wird. Man sollte vielleicht in den Geschäftsberichten ausweisen, welchen Anteil ost- Mit großer Sorge beobachten wir den Prozeß der deutsche Anbieter am Gesamteinkaufsvolumen ha- Entindustrialisierung in den neuen Ländern. Das ben. Frühjahrsgutachten der wirtschaftswissenschaftli- chen Forschungsinstitute bemerkt hierzu: In diesem Zusammenhang begrüßen wir ausdrück- lich die Einkaufsoffensive Ost des BDI, an der sich Die unvermeidliche Schrumpfung ist inzwischen führende westdeutsche Großunternehmen beteili- in eine Deindustrialisierung übergegangen, die gen. dramatische Ausmaße erreicht hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber dazu hat Kollege Kuessner schon gesprochen; Die Verbände stellen ihr branchenspezifisches Know- deshalb lasse ich diesen Teil weg. how für die Kooperationsvermittlung umfassend zur Verfügung, damit diese Initiative von Erfolg gekrönt Für die Abgeordneten aus den neuen Bundeslän- ist und die ostdeutschen Firmen als gleichberechtigte dern ist es daher von besonderer Bedeutung, daß der Zulieferer anerkannt werden. Das ist praktizierte Solidarpakt dem Thema Sicherung und Erneuerung Solidarität, wie ich sie mir wünsche. industrieller Kerne ein eigenes Kapitel gewidmet hat. Es gehört zur politischen Auseinandersetzung, dieses (Unruhe) Problem durchaus auch polemisch zu thematisieren. Dabei haben, wie ich meine, allzu eifrige Verfechter der reinen Lehre der Marktwirtschaft Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Nitsch, lassen Sie mich einen Moment unterbrechen. Meine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Damen und Herren, die Kolleginnen und Kollegen, sowie bei Abgeordneten der SPD) die im Saal sitzen, hören dem Redner zu. Sie könnten das leichter tun, wenn sich die Kolleginnen und dieser Diskussion das Etikett „pauschale Bestands- Kollegen, die am Rande stehen, nicht so ungeniert oder Absatzgarantie" verpaßt. Uns geht es vielmehr unterhalten würden. um die Erhaltung von Standortvorteilen in den Indu- strieregionen mit Blick auf den gesamtwirtschaftli- Ich bitte Sie also herzlich darum — auch jetzt —: chen Aufschwung in Deutschland. Vielleicht sind Sie so liebenswürdig und stellen für eine Weile Ihre Unterhaltungen ein. Es ist für den Wir registrieren anderswo so nicht oder nicht mehr Redner unerträglich. so auffindbare Akzeptanz für bestimmte indust rielle Fertigungen und Industrieansiedlungen. Aus gesamt- wirtschaftlicher Sicht ist es erforderlich, daß die Indu- Johannes Nitsch (CDU/CSU): Zudem hat die Ein- striestandorte in den neuen Bundesländern erhalten kaufsoffensive auch den Vorteil, daß unsere Firmen in und konkurrenzfähig gemacht werden. Dies kann bei Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13795

Johannes Nitsch weltweit schwacher Konjunktur nur gelingen, wenn kann das alleine ändern, sie braucht uns nicht Anreize für eine Produktionsverlagerung von West dazu. geschaffen werden. nach Ost (Beifall bei Abgeordneten der SPD und beim (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge Mittlerweile wird deutlich, daß die Sicherung der ordneten der F.D.P.) ostdeutschen Industrie nicht allein über ein Investie- Vier Mitglieder dieser Bundesregierung habe ich ren im Westen erzielter Überschüsse gelingen kann. gestern und heute gefragt, warum denn wir diese Schon heute findet eine ungleiche Standortkonkur- Arbeit machen sollen. Was haben Sie mir gesagt? — renz zwischen Ost und West statt. Das habe man schon immer so gemacht. Nun räume Meine Damen und Herren, zum Ausgleich zahlrei- ich ein, dies ist ein Grundsatz, der geradezu -Verfas- cher Standortnachteile erscheint daher — das ist ein sungscharakter hat; ohne diesen Grundsatz würde die altes Thema — die Einführung einer zeitlich befriste- Bundesrepublik zuschanden werden. ten Wertschöpfungsbeihilfe für die in den neuen Bundesländern hergestellten industriellen Erzeug- Aber es stimmt gar nicht, was die Minister sagen. nisse sinnvoll. Das haben wir nicht immer so gemacht. Als Nichtjurist habe ich versucht, mich kundig zu machen, und habe Eine Bitte noch an die Länderseite. im Kommentar von Scholz, Maunz, Dürig und Herzog nachgelesen. Da schreibt unser Kollege Scholz: Vizepräsident Hans Klein: Meine Bitte ist: noch Erstens. Der Gesetzgeber kann keine Verordnungen einen Schlußsatz. erlassen. Zweitens. Er kann einen Sachverhalt, statt ihn gesetzlich zu regeln, der Regierung geben und Johannes Nitsch (CDU/CSU): Meine Damen und kann sagen: Mach eine Verordnung! Drittens. Er kann Herren, wir sind nach dem Erfolg von gestern in der die Verordnung selber zum Gesetz machen. Er kann Lage, auch heute wieder einem großen Gesetzeswerk die Verordnungsgewalt auch an sich zurückziehen unsere Zustimmung zu geben, das dringend notwen- und das mit einem Gesetz regeln. dig und von erheblichem politischem und materiellem Aber was er nicht kann, ist, in eine Verordnung, die Wert ist. die Regierung beschlossen hat, eine Änderung einzu- Ich danke Ihnen. arbeiten. Da ist die herrschende Lehre völlig eindeu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tig: Die Regierung macht Verordnungen, wir machen der F.D.P.) Gesetze. Wer sind wir denn? Sind wir Verordnungs- geber, oder sind wir Gesetzgeber?

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Conradi, ich (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste, weiß jetzt nicht, gemäß welchem Paragraphen unserer dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Geschäftsordnung Sie Ihre Wortmeldung abgegeben Abgeordneten der CDU/CSU und der haben, aber das Wo rt wird Ihnen hiermit erteilt. F.D.P.) Heute wird hier nicht das Ermächtigungsgesetz von Peter Conradi (SPD): Herr Präsident! Meine Damen 1971 geändert, sondern die Verordnung. Nun wird es und Herren! Nach § 82 Abs. 1 der Geschäftsordnung abenteuerlich. In Art. 42 des, ich würde fast sagen: des Bundestages beantrage ich, in der zweiten Lesung FCKW-Gesetzes Art. 20 FKPG zu streichen und darüber in einer (Heiterkeit) Einzelabstimmung zu entscheiden. Art. 20 betrifft die Honorarordnung für die Architekten und Inge- steht, daß die Regierung das, was wir heute durch nieure. Gesetz in dieser Verordnung ändern, hinterher wieder (Zurufe) herausstreichen und verändern kann. Das heißt, die Ich werde inhaltlich nichts dazu sagen. Ich werde nur Verordnung wird dann zu einer neuen Verordnung. daran erinnern, daß der Ausschuß für Raumordnung, Ich finde das abenteuerlich. Wir beschließen heute Bauwesen und Städtebau einstimmig vorgeschlagen etwas in einem Gesetz, und wenn die Regierung hat, diese Vorschrift zu streichen, weil sie sinnlos ist, morgen sagt, wir haben es uns anders überlegt, kann und daß der Haushaltsausschuß — aus welchen Grün- sie es wieder herausstreichen. den, weiß allein der liebe Gott — diesen Artikel wieder Nein. Wir sind Gesetzgeber, kein Verordnungsge- hineingenommen hat. ber. (Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] Ich bin der Auffassung: Jeder soll seine Arbeit selbst [F.D.P.] meldet sich zu einer Zwischen machen. Wir sind in den Bundestag gewählt worden, frage) um Gesetze zu machen. Wir sind nicht gewählt worden — dafür werden wir auch nicht bezahlt —, um Vizepräsident Hans Klein: Entschuldigung, Herr Verordnungen zu machen. Das ist die Arbeit der Kollege Conradi, der — — Regierung. Gestern hat Herr Schäuble gesagt: Tun wir unsere Peter Conradi (SPD): Nein. — Meine Frage ist ganz Pflicht. Unsere Pflicht ist es, Herr Schäuble, Gesetze zu anderer Art. Warum soll der Bundestag eine Verord- machen; Pflicht der Regierung ist es, Verordnungen nung, die die Bundesregierung auf Grund eines zu machen. Deswegen bitte ich Sie, meinem Antrag Ermächtigungsgesetzes mit Zustimmung des Bundes- auf Streichung zuzustimmen. Sie, verehrte Kollegin- rates beschlossen hat, ändern? Die Bundesregierung nen und Kollegen aus der Koalition, können das ohne 13796 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Peter Conradi jede Besorgnis tun; denn Ihre Regierung kann das, ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und des was sie hier von uns verlangt, ganz allein beschließen. Abgeordneten Lowack sowie der soeben mündlich Sie braucht zwar die Zustimmung des Bundesrates. vorgetragene Änderungsantrag des Abgeordneten Pe- Lassen Sie uns gemeinsam für parlamentarische ter Conradi 'vor, über den wir zunächst abstimmen. Reinlichkeit sorgen, indem die Regierung das macht, Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abgeord- was ihre Sache ist, nämlich Verordnungen zu neten Conradi? — Wer stimmt dagegen? — Wer beschließen, und wir das, was unsere Sache ist, enthält sich der Stimme? — Der Änderungsantrag ist nämlich Gesetze zu beschließen. angenommen. (Beifall im ganzen Hause — Zuruf von der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS- CDU/CSU: Da hat er recht!) 90/DIE GRÜNEN — Abg. Ortwin Lowack (fraktionslos) meldet sich zu Wo rt) Meine Damen und Her- Vizepräsident Hans Klein: Wir sind in der Abstimmung, Herr Kollege Lowack; ren, ich schließe die Aussprache. Zur Geschäftsord- jetzt gibt es keine Begründungen mehr. nung, bitte, Herr Kollege Struck. Wir kommen zum Änderungsantrag des Abgeord- Dr. Peter Struck (SPD): Herr Präsident! Meine neten Ortwin Lowack auf Drucksache 12/5013. Damen und Herren! Ich denke, die Äußerungen des Wir stimmen zuerst über Buchstabe A dieses Ände- Kollegen Conradi waren so überzeugend, daß ich, rungsantrages ab. Wer stimmt dafür? — Gegenprobe? bevor wir jetzt über seinen Antrag abstimmen, bean- — Enthaltungen? — Der Buchstabe A ist abgelehnt. tragen möchte, eine rechtliche Stellungnahme des Wer stimmt für Buchstabe B? — Wer stimmt dage- Bundesjustizministeriums — es ist ja vertreten — zu gen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Ände- hören. rungsantrag ist damit insgesamt abgelehnt. Ich fordere das Ministe rium auf, dazu Stellung zu nehmen. Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/5028 ab. Die (Heiterkeit im ganzen Hause — Zuruf von der Fraktion der SPD verlangt nament liche Abstimmung. SPD: Das kann sie nicht!) Ich eröffne die Abstimmung. — Sind alle Stimmen abgegeben? Ist noch ein Mitglied Vizepräsident Hans Klein: Einen Moment, meine Damen und Herren. — Herr Kollege Struck, Sie haben anwesend, daß seine Stimme nicht abgegeben hat? — um eine Stellungnahme des Bundesjustizministe- Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstim- mung. riums gebeten. Ist das Bundesjustizministerium hier vertreten? Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu (Peter Conradi [SPD]: Scholz soll spre beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der chen!) namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sit- zung für schätzungsweise 10 Minuten. Ist es bereit und in der Lage, diese Stellungnahme jetzt ad hoc abzugeben? — Das ist nicht der Fall. (Unterbrechung von 17.06 bis 17.17 Uhr) (Heiterkeit — Zuruf von der SPD: Da macht (Vors it z : Vizepräsidentin Renate Schmidt) sie die Fliege!) Zur Geschäftsordnung, Herr Kollege Hoyer, bitte. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Die unterbro- chene Sitzung ist wieder eröffnet. Dr. Werner Hoyer (F.D.P.): Herr Präsident, der Gag des Kollegen Conradi ist voll gelungen. Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte (Peter Conradi [SPD]: Das ist kein Gag!) Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa- Man hätte allerdings gleich hinzufügen sollen, daß che 12/5028 bekannt. Abgebene Stimmen: 616, davon dem Begehren des Kollegen Conradi durch Vereinba- ungültige Stimmen: Keine. Mit Ja haben 228, mit Nein rung mit der Bundesregierung längst Rechnung getra- haben 381 gestimmt. Enthalten haben sich 7. gen wird und wir selbstverständlich diesem Ände- rungsantrag zustimmen. Endgültiges Ergebnis Antretter, Robert Bachmaier, Hermann Vizepräsident Hans Klein: Der Kollege Conradi hat Abgegebene Stimmen: 613; Barbe, Angelika etwas beantragt. Daraufhin hat sich der Kollege davon: Bartsch, Holger Struck zur Geschäftsordnung gemeldet, Becker (Nienberge), Helmuth (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Den ja: 225 Becker-Inglau, Ingrid Bernrath, Hans Gottfried nein: 381 Trick kennen wir!) Beucher, Friedhelm Julius hat aber statt dessen einen weiteren Antrag gestellt. enthalten: 7 Bindig, Rudolf Diesem Antrag ist nicht Rechnung ge tragen worden. Blunck, (Uetersen), Lieselott Daraufhin können Sie nicht die Geschäftsordnung Bock, Thea oder die Tagesordnung ändern wollen. Ja Dr. Böhme (Unna), Ulrich Börnsen (Ritterhude), Arne Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstim- SPD Brandt-Elsweier, Anni mung über den Gesetzentwurf zur Umsetzung des Dr. Brecht, Eberhard Föderalen Konsolidierungsprogramms auf den Druck- Adler, Brigitte Büchler (Hof), Hans sachen 12/4401, 12/4748 und 12/4801. Dazu liegen je Andres, Gerd Dr. von Bülow, Andreas Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13797

Vizepräsidentin Renate Schmidt Büttner (Ingolstadt), Hans Lambinus, Uwe Dr. Struck, Peter Austermann, Dietrich Bulmahn, Edelgard Lange, Brigitte Tappe, Joachim Bargfrede, Heinz-Günter Burchardt, Ursula von Larcher, Detlev Terborg, Margitta Dr. Bauer, Wolf Caspers-Merk, Marion Dr. Leonhard-Schmid, Elke Dr. Thalheim, Gerald Baumeister, Brigitte Catenhusen, Wolf-Michael Lohmann (Witten), Klaus Thierse, Wolfgang Bayha, Richard Conradi, Peter Dr. Lucyga, Christine Titze-Stecher, Uta Belle, Meinrad Dr. Däubler-Gmelin, Herta Maaß (Herne), Dieter Toetemeyer, Hans-Günther Bierling, Hans-Dirk Dr. Diederich (Berlin), Nils Marx, Dorle Urbaniak, Hans-Eberhard Dr. Blank, Joseph-Theodor Diller, Karl Mascher, Ulrike Vergin, Siegfried Blank, Renate Dr. Dobberthien, Marliese Matthäus-Maier, Ingrid Verheugen, Günter Dr. Blens, Heribert Dreßler, Rudolf Mattischeck, Heide Dr. Vogel, Hans-Jochen Bleser, Peter Duve, Freimut Meckel, Markus Voigt (), Karsten D. Dr. Blüm, Norbert Ebert, Eike Mehl, Ulrike Vosen, Josef Böhm (Melsungen), Wilfried Dr. Eckardt, Peter Meißner, Herbert Wagner, Hans Georg Dr. Böhmer, Maria Dr. Ehmke (Bonn), Horst Dr. Mertens (Bottrop), Wallow, Hans Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Eich, -Josef Waltemathe, Ernst Dr. Bötsch, Wolfgang Dr. Elmer, Konrad Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Walter (Cochem), Ralf Bohl, Friedrich Esters, Helmut Mosdorf, Siegmar Wartenberg (Berlin), Gerd Bohlsen, Wilfried Ewen, Carl Müller (Düsseldorf), Michael Dr. Wegner, Konstanze Borchert, Jochen Ferner, Elke Müller (Pleisweiler), Albrecht Weiermann, Wolfgang Brähmig, Klaus Fischer (Gräfenhainichen), Müller (Schweinfurt), Rudolf Weiler, Barbara Breuer, Paul Evelin Müller (Völklingen), Jutta Weis (Stendal), Reinhard Brudlewsky, Monika Fischer (Homburg), Lothar Müller (Zittau), Christian Weisheit, Matthias Brunnhuber, Georg Formanski, Norbert Neumann (Bramsche), Volker Weißgerber, Gunter Bühler (Bruchsal), Klaus Weisskirchen (Wiesloch), Gert Fuchs (Köln), Anke Neumann (Gotha), Gerhard Büttner (Schönebeck), Dr. Wernitz, Axel Fuchs (Verl), Katrin Dr. Niehuis, Edith Hartmut Wester, Hildegard Fuhrmann, Arne Dr. Niese, Rolf Buwitt, Dankward Westrich, Lydia Ganseforth, Monika Niggemeier, Horst Carstens (Emstek), Manfred Wettig-Danielmeier, Inge Gansel, Norbert Odendahl, Doris Carstensen (Nordstrand), Dr. Wetzel, Margrit Gilges, Konrad Opel, Manfred Peter Harry Ostertag, Adolf Weyel, Gudrun Gleicke, Iris Clemens, Joachim Dr. Otto, Helga Dr. Wieczorek, Norbert Dr. Glotz, Peter Dehnel, Wolfgang Paterna, Peter Wieczorek (Duisburg), Helmut Graf, Günter Dempwolf, Gertrud Dr. Penner, Willfried Wiefelspütz, Dieter Großmann, Achim Deres, Karl Peter (Kassel), Horst Wimmer (Neuötting), Habermann, Frank-Michael Deß, Albert Dr. Pfaff, Martin Hermann Hacker, Hans-Joachim Diemers, Renate Dr. Pick, Eckha rt Dr. de With, Hans Hämmerle, Gerlinde Dörflinger, Werner Poß, Joachim Wittich, Berthold Hampel, Manfred Eugen Doss, Hansjörgen Reimann, Manfred Wohlleben, Verena Ingeburg Dr. Dregger, Alfred Hanewinckel, Christel von Renesse, Margot Wolf, Hanna Echternach, Jürgen Dr. Hartenstein, Liesel Rennebach, Renate Zapf, Uta Ehlers, Wolfgang Hasenfratz, Klaus Reuschenbach, Peter W. Dr. Zöpel, Christoph Dr. Hauchler, Ingomar Reuter, Bernd Ehrbar, Udo Heistermann, Dieter Rixe, Günter PDS/Linke Liste Eichhorn, Maria Heyenn, Günther Roth, , Wolfgang Hiller (Lübeck), Reinhold Schaich-Walch, Gudrun Bläss, Petra Eppelmann, Rainer Hilsberg, Stephan Scheffler, Siegfried Willy Dr. Enkelmann, Dagmar Eylmann, Horst Dr. Holtz, Uwe Schily, Otto Dr. Fischer, Ursula Eymer, Anke Horn, Erwin Schloten, Dieter Dr. Fuchs, Ruth Falk, Ilse Huonker, Gunter Schmidt (), Ursula Dr. Gysi, Gregor Dr. Faltlhauser, Kurt Iwersen, Gabriele Schmidt (Nürnberg), Renate Henn, Bernd Dr. Fell, Karl Jäger, Renate Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Dr. Heuer, Uwe-Jens Fischer (Hamburg), Dirk Erik Janz, Ilse Schmidt-Zadel, Regina Dr. Höll, Barbara Fischer (Unna), Leni Dr. Janzen, Ulrich Dr. Schmude, Jürgen Jelpke, Ulla Fockenberg, Winfried Jaunich, Horst Dr. Schnell, Emil Dr. Keller, Dietmar Francke (Hamburg), Klaus Frankenhauser, Dr. Jens, Uwe Dr. Schöfberger, Rudolf Lederer, Andrea Herbert Jung (Düsseldorf), Volker Schöler, Walter Philipp, Ingeborg Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G. Kastner, Susanne Schreiner, Ottmar Dr. Schumann (Kroppenstedt), Fuchtel, Kastning, Ernst Schröter, Gisela Fritz Hans-Joachim Kemper, Hans-Peter Schröter, Karl-Heinz Dr. Seifert , Ilja Ganz (St. Wendel), Johannes Geiger, Michaela Kirschner, Klaus Schütz, Dietmar Stachowa, Angela Klappert, Marianne Schulte (Hameln), Brigitte Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Dr. Schuster, Werner Geis, Norbert Klemmer, Siegrun Schwanhold, Ernst Fraktionslos Dr. Geißler, Heiner Klose, Hans-Ulrich Schwanitz, Rolf Dr. von Geldern, Wolfgang Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Seidenthal, Bodo Dr. Briefs, Ulrich Gibtner, Horst Körper, Fritz Rudolf Seuster, Lisa Glos, Michael Kolbe, Regina Sielaff, Horst Nein Dr. Göhner, Reinhard Kolbow, Walter Simm, Erika Göttsching, Martin Koltzsch, Rolf Singer, Johannes CDU/CSU Götz, Peter Koschnick, Hans Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Dr. Götzer, Wolfgang Kubatschka, Horst Dr. Soell, Hartmut Dr. Ackermann, Else Gres, Joachim Dr. Kübler, Klaus Sorge, Wieland Adam, Ulrich Grochtmann, Elisabeth Kuessner, Hinrich Dr. Sperling, Dietrich Dr. Altherr, Walter Gröbl, Wolfgang D. Küster, Uwe Steen, Antje-Marie Augustin, Anneliese Grotz, Claus-Peter Kuhlwein, Eckart Stiegler, Ludwig Augustinowitz, Jürgen Günther (Duisburg), Horst 13798 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt Frhr. von Hammerstein, Dr. sc. Lischewski, Manfred Dr. Rose, Klaus Dr. Warrikoff, Alexander Carl-Detlev Löwisch, Sigrun Rossmanith, Kurt J. Werner (Ulm), Herbert Harries, Klaus Lohmann (Lüdenscheid), Roth (Gießen), Adolf Wetzel, Kersten Haschke (Großhennersdorf), Wolfgang Rother, Heinz Wiechatzek, Gabriele Gottfried Louven, Julius Dr. Ruck, Christian Dr. Wieczorek (Auerbach), Haschke (Jena-Ost), Udo Lummer, Heinrich Rühe, Volker Bertram Hasselfeldt, Gerda Dr. Luther, Michael Dr. Rüttgers, Jürgen Dr. Wilms, Dorothee Haungs, Rainer Maaß (Wilhelmshaven), Erich Sauer (Salzgitter), Helmut Wilz, Bernd Hauser (Esslingen), Otto Männle, Ursula Sauer (Stuttga rt), Roland Wimmer (Neuss), Willy Hauser (Rednitzhembach), Magin, Theo Schätzle, Ortrun Dr. Wisniewski, Roswitha Dr. Mahlo, Dietrich Hansgeorg Dr. Schäuble, Wolfgang Wissmann, Matthias- Hedrich, Klaus-Jürgen Marienfeld, Claire Scharrenbroich, Heribert Dr. Wittmann, Fritz Heise, Manfred Marschewski, Erwin Schemken, Heinz Wittmann (Tännesberg), Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Marten, Günter Scheu, Gerhard Simon Hinsken, Ernst Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Schmalz, Ulrich Wonneberger, Michael Hintze, Peter Martin Schmidbauer, Bernd Wülfing, Elke Hörsken, Heinz-Adolf Meckelburg, Wolfgang Schmidt (Fürth), Christian Würzbach, Peter Kurt Hörster, Joachim Meinl, Rudolf Horst Dr. Schmidt (Halsbrücke), Yzer, Cornelia Dr. Hoffacker, Paul Dr. Merkel, Angela Dorothea Joachim Zeitlmann, Wolfgang Dr. Hornhues, Karl-Heinz Dr. Meseke, Hedda Schmidt (Mülheim), Andreas Zierer, Benno Hornung, Siegfried Dr. Meyer zu Bentrup, Schmidt (Spiesen), Trudi Zöller, Wolfgang Hüppe, Hubert Reinhard Schmitz (Baesweiler), Jäger, Claus Michalk, Maria Hans Peter Jaffke, Susanne Michels, Meinolf von Schmude, Michael F.D.P. Dr. Jahn (Münster), Dr. Mildner, Klaus Gerhard Dr. Schneider (Nürnberg), Friedrich-Adolf Dr. Möller, Franz Oscar Albowitz, Ina Janovsky, Georg Molnar, Thomas Dr. Schockenhoff, Andreas Dr. Babel, Gisela Baum, Gerhart Rudolf Jeltsch, Karin Müller (Kirchheim), Elmar Graf von Schönburg Dr. Jobst, Dionys Müller (Werdern), Glauchau, Joachim Beckmann, Klaus Dr. Blunk Dr.-Ing. Jork, Rainer Hans-Werner Dr. Scholz, Rupert (Lübeck), Michaela Dr. Jüttner, Egon Nelle, Engelbert Frhr. von Schorlemer, Bredehorn, Günther Jung (Limburg), Michael Dr. Neuling, Christian Reinhard Cronenberg (Arnsberg), Junghanns, Ulrich Neumann (Bremen), Bernd Dr. Schreiber, Harald Dieter-Julius Eimer (Fürth), Norbert Dr. Kahl, Harald Niedenthal, Erhard Schulhoff, Wolfgang Kalb, Bartholomäus Nitsch, Johannes Dr. Schulte (Schwäbisch Engelhard, flans A. van Essen, Kampeter, Steffen Nolte, Claudia Gmünd), Dieter Jörg Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Dr. Olderog, Rolf Schulz (Leipzig), Gerhard Dr. Feldmann, Olaf Karwatzki, Irmgard Ost, Friedhelm Schwalbe, Clemens Friedhoff, Paul Friedrich, Horst Kauder, Volker Oswald, Eduard Schwarz, Stefan Keller, Peter Otto (Erfurt), Norbert Dr. Schwarz-Schilling, Funke, Rainer Kiechle, Ignaz Dr. Päselt, Gerhard Christian Dr. Funke-Schmitt-Rink, Kittelmann, Peter Dr. Paziorek. Peter Paul Dr. Schwörer, Hermann Margret Ganschow, Jörg Klein (Bremen), Günter Pesch, Hans-Wilhelm Seehofer, Horst Gattermann, Hans H. Klein (München), Hans Petzold, Ulrich Seesing, Heinrich Klinkert, Ulrich Pfeffermann, Gerhard O. Seibel, Wilfried Gries, Ekkehard Grünbeck, Josef Köhler (Hainspitz), Pfeifer, Anton Seiters, Rudolf Grüner, Martin Hans-Ulrich Pfeiffer, Angelika Sikora, Jürgen Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Pfennig, Gero Skowron, Werner Günther (Plauen), Joachim Volkmar Dr. Pflüger, Friedbert Sothmann, Bärbel Dr. Guttmacher, Karlheinz Kolbe, Manfred Dr. Pinger, Winfried Spilker, Karl-Heinz Hackel, Heinz-Dieter Kors, Eva-Maria Pofalla, Ronald Spranger, Carl-Dieter Hansen, Dirk Koschyk, Hartmut Dr. Pohler, Hermann Dr. Sprung, Rudolf Dr. Haussmann, Helmut Kossendey, Thomas Priebus, Rosemarie Steinbach-Hermann, Erika Heinrich, Ulrich Kraus, Rudolf Dr. Probst, Albert Dr. Stercken, Hans Dr. Hirsch, Burkhard Dr. Krause (Börgerende), Dr. Protzner, Bernd Dr. Frhr. von Stetten, Dr. Hitschler, Walter Günther Pützhofen, Dieter Wolfgang Homburger, Birgit Krause (Dessau), Wolfgang Rahardt-Vahldieck, Susanne Stockhausen, Karl Dr. Hoth, Sigrid Krey, Franz Heinrich Raidel, Hans Dr. Stoltenberg, Gerhard Dr. Hoyer, Werner Kriedner, Arnulf Dr. Ramsauer, Peter Strube, Hans-Gerd Irmer, Ulrich Kronberg, Heinz-Jürgen Rau, Rolf Stübgen, Michael Kleinert (Hannover), Detlef Dr.-Ing. Krüger, Paul Rauen, Peter Harald Dr. Süssmuth, Rita Kohn, Roland Krziskewitz, Reiner Eberhard Rawe, Wilhelm Susset, Egon Dr. Kolb, Heinrich Leonhard Lamers, Karl Reddemann, Gerhard Tillmann, Ferdinand Koppelin, Jürgen Dr. Lammert. Norbert Regenspurger, Otto Dr. Töpfer, Klaus Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Lamp, Helmut Johannes Reichenbach, Klaus Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Leutheusser-Schnarrenberger, Lattmann, Herbert Dr. Reinartz, Bertold Uldall, Gunnar Sabine Dr. Laufs, Paul Reinhardt, Erika Verhülsdonk, Roswitha Lüder, Wolfgang Laumann, Karl-Josef Dr. Rieder, Norbert Vogel (Ennepetal), Friedrich Lühr, Uwe Lehne, Klaus-Heiner Riegert, Klaus Vogt (Duren), Wolfgang Dr. Menzel, Bruno Dr. Lehr, Ursula-Maria Dr. Riesenhuber, Heinz Dr. Voigt (Northeim), Mischnick, Wolfgang Lenzer, Christian Ringkamp, Werner Hans-Peter Möllemann, Jürgen W. Limbach, Editha Rode (Wietzen), Helmut Dr. Vondran, Ruprecht Nolting, Günther Friedrich Link (Diepholz), Walter Rönsch (Wiesbaden), Dr. Waffenschmidt, Horst Dr , Ortleb, Rainer Lintner, Eduard Hannelore Dr. Waigel, Theodor Otto (Frankfurt), Dr. Lippold (Offenbach), Roitzsch (Quickborn), Ingrid Graf von Waldburg-Zeil, Alois Hans-Joachim Klaus W. Romer, Franz-Xaver Dr. Warnke, Jürgen Paintner, Johann Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13799

Vizepräsidentin Renate Schmidt Peters, Lisa Dr. Weng (Gerlingen), Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimment- Dr. Pohl, Eva Wolfgang haltungen? — Damit ist die Nr. 8 mit den Stimmen der Richter (Bremerhaven), Wolfgramm (Göttingen), Koalitionsfraktionen angenommen. Manfred Torsten Rind, Hermann Würfel, Uta Nun rufe ich Art. 24 Nr. 9 und 10 sowie Art. 25 bis 33 Dr. Röhl, Klaus Zurheide, Burkhard in der Ausschußfassung auf und bitte diejenigen, die Schäfer (Mainz), Helmut Zywietz, Werner zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegen- Schmalz-Jacobsen, Cornelia stimmen? - Stimmenthaltungen? — Die aufgerufe- Schmidt (), Arno Fraktionslos Dr. Schmieder, Jürgen nen Vorschriften sind mit großer Mehrheit angenom- Lowack, Ortwin Dr. Schnittler, Christoph men. Dr. Krause (Bonese), Rudolf Schüßler, Gerhard Ich rufe nun Art. 34 in der Ausschußfassung auf und Schuster, Hans bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Hand- Dr. Schwaetzer, Irmgard Enthalten Sehn, Marta SPD zeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? Seiler-Albring, Ursula — Damit ist Art. 34 mit den Stimmen der Koalitions- Dr. Semper, Sigrid Bury, Hans Martin fraktionen angenommen. Dr. Solms, Hermann Otto Dr. Starnick, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich rufe nun die Art. 35 bis 44, Einleitung und Dr. von Teichman, Cornelia Dr. Feige, Klaus-Dieter Überschrift in der Ausschußfassung mit den vorgetra- Thiele, Carl-Ludwig Poppe, Gerd genen Berichtigungen auf und bitte diejenigen, die Dr. Thomae, Dieter Schenk, Christina dein zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Timm, Jürgen Schulz (Ber lin), Werner Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit Türk, Jürgen Dr. Ullmann, Wolfgang sind die aufgerufenen Vorschriften mit großer Mehr- Walz, Ingrid Weiß (Berlin), Konrad heit angenommen. Damit ist der Antrag abgelehnt. Damit ist der Gesetzentwurf insgesamt in zweiter Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf in der Beratung angenommen. Ausschußfassung ab. Die Fraktion der SPD hat Einzel- abstimmung bei einer Reihe von Vorschriften ver- Ich gehe davon aus, daß wir nach § 84 unserer langt. Geschäftsordnung sofort in die dritte Beratung eintre- ten können. Gibt es dazu irgendwelche gegenteilige Ich rufe die Art. 1 bis 24 Nr. 5 in der Ausschußfas- Auffassungen? sung auf mit der soeben beschlossenen Änderung und bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Hand- (Zurufe: Nein!) zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltun- — Das ist nicht der Fall. Damit kommen wir zur gen? — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften mit großer Mehrheit angenommen. dritten Beratung Ich rufe nun den Art. 24 Nr. 5 a in der Ausschußfas- und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem sung auf. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen Gesetzentwurf in der in der zweiten Beratung wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? beschlossenen Fassung zustimmen wollen, sich zu — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Art. 24 Nr. 5 a erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltun- mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenom- gen? — Der Gesetzentwurf ist mit großer Mehrheit bei men. einigen Gegenstimmen und einer Enthaltung ange- Ich rufe nun den Art. 24 Nr. 5 b in der Auschußfas- nommen. sung auf und bitte diejenigen, die zustimmen wollen, Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Druck- um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — sache 12/4801 empfiehlt der Haushaltsausschuß, die Stimmenthaltungen? — Damit ist der Art. 24 Nr. 5 b mit Gesetzentwürfe des Bundesrates auf den Drucksa- den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenom- chen 12/4750, 12/4751 und 12/4752 für erledigt zu men. erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Ich rufe nun den Art. 24 Nr. 6 bis 7 b in der — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist Ausschußfassung mit der vorgetragenen Berichtigung diese Beschlußempfehlung einstimmig bei einigen auf. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen wollen, Enthaltungen angenommen. um 'das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit sind die aufgerufenen Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- Vorschriften mit großer Mehrheit angenommen. schließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa- che 12/5029. Wer stimmt für diesen Entschließungs- Ich rufe nun den Art. 24 Nr. 7 c in der Ausschußfas- antrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — sung auf und bitte diejenigen, die zustimmen wollen, Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt. urn das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimm- enthaltungen? — Damit ist die Nr. 7 c des Art. 24 mit Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenom- schließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE men. GRÜNEN auf Drucksache 12/5033. Wer stimmt für Ich rufe nun Art. 24 Nr. 7 d und e in der Ausschuß- diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — fassung auf und bitte diejenigen, die zustimmen Stimmenthaltungen? -- Damit ist dieser Entschlie- wollen, um das Handzeichen. —Wer stimmt dagegen? ßungsantrag mit großer Mehrheit bei einigen wenigen — Stimmenthaltungen? — Damit sind die Nr. 7 d und e Enthaltungen abgelehnt. mit großer Mehrheit angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den . Ent- Ich rufe nun Art. 24 Nr. 8 in der Ausschußfassung auf schließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das und F.D.P. auf Drucksache 12/5038. Wer stimmt für 13800 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt diesen Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Wir setzen nun die Beratungen fort. Deshalb bitte Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Entschlie- ich all diejenigen, die den Beratungen folgen wollen, ßungsantrag mit großer Mehrheit bei einer Stimment- Platz zu nehmen, und all diejenigen, die anderen haltung angenommen. Arbeiten nachgehen wollen, diesen Raum zu verlas- Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 5 b. sen, und zwar in der gebotenen Eile, damit wir bald Hierbei handelt es sich darum, daß der Haushaltaus- weitermachen können. schuß unter Nr. 3 seiner Beschlußempfehlung auf Wir kommen zu den Abstimmungen zu Tagesord- Drucksache 12/4801 empfiehlt, den Antrag der nungspunkt 7: Standortsicherungsgesetz. Ich bitte Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/4671 zu diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuß- einer neuen Wirtschafts- und Sozialpolitik abzuleh- fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. — nen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit bei den Stimmen der Koaitionsfraktionen angenommen. wenigen Stimmenthaltungen angenommen. Wir kommen zur Wir kommmen nun zum Tagesordnungspunkt 5 c und stimmen ab über die Beschlußempfehlung des dritten Beratung Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Gruppe und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem PDS/Linke Liste zur Heranziehung der westdeutschen Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Unternehmen zur Finanzierung des Solidarpakts auf Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Drucksache 12/4868. Der Haushaltsausschuß emp- Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der fiehlt, den Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Koalitionsfraktionen angenommen. Drucksache 12/4493 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- — Stimmenthaltungen? — Diese Beschlußempfeh- schließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa- lung ist damit mit großer Mehrheit bei einigen Enthal- che 12/5036. Wer stimmt für diesen Entschließungs- tungen angenommen. antrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen Wir kommen dann zum Tagesordnungspunkt 6 und der Koalitionsfraktionen abgelehnt. damit zur Abstimmung über den Entwurf eines Nach- tragshaushaltsgesetzes 1993 auf den Drucksachen Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- 12/4400 und 12/4800, und zwar zunächst über die schließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Nachträge zu den Einzelplänen. Zu den Einzelplä- Drucksache 12/5034. Wer stimmt für diesen Entschlie- nen 06 — Geschäftsbereich des Bundesministers des ßungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltun- Innern — und 60 — Allgemeine Finanzverwaltung — gen? — Der Entschließungsantrag ist damit mit großer liegt je ein Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Mehrheit abgelehnt. Liste vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- che 12/5031? — Wer stimmt dagegen? — Stimment- Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 b bis e und haltungen? — Damit ist dieser Änderungsantrag bei den Zusatzpunkt 2 auf: einigen Stimmenthaltungen mit großer Mehrheit abgelehnt. 13. Überweisungen im vereinfachten Verfahren Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- b) Erste Beratung des von der Bundesregie- che 12/5032? Wer stimmt dagegen? — Stimmenthal- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- tungen? — Der Änderungsantrag ist damit bei einigen zes über die Zustimmung zur Änderung des Stimmenthaltungen mit großer Mehrheit abgelehnt. Direktwahlakts Wir stimmen jetzt über die verschiedenen Nachträge — Drucksache 12/4985 in der Ausschußfassung ab. Wer stimmt dafür? — Wer —Überweisungsvorschlag: stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Innenausschuß (federführend) Damit sind die Nachträge zu den Einzelplänen bei sehr Auswärtiger Ausschuß vielen Gegenstimmen angenommen. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich rufe jetzt den Entwurf des Nachtragshaushalts- Freimut Duve, Hans-Günther Toetemeyer, gesetzes 1993 mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Rudolf Purps, weiterer Abgeordneter und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Die Abstim- der Fraktion der SPD mung hierüber wird mit der Schlußabstimmung ver- bunden. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich Stockbildung bei Kulturförderfonds eröffne dieselbige. — Darf ich fragen, ob noch ein — Drucksache 12/4556 — Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme Überweisungsvorschlag: abzugeben wünscht? — Dieses ist nicht der Fall. Damit Haushaltsausschuß (federführend) schließe ich die Abstimmung. Innenausschuß Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu Ausschuß für Bildung und Wissenschaft beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später d) Beratung des Antrags der Abgeordneten bekanntgegeben.*) Dr. Gerald Thalheim, B rigitte Adler, Ernst Kastning, weiterer Abgeordneter und der *) Seite 13804A Fraktion der SPD Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13801

Vizepräsidentin Renate Schmidt Entschädigung von Besitzern ehemaliger (Lebensmittelspezialitätengesetz — LSpG) „Kreispachtbetriebe" — Drucksache 12/5025 — — Drucksache 12/4574 — Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (feder- Überweisungsvorschlag: führend) Haushaltsausschuß (federführend) Rechtsausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Gesundheit e) Beratung des Antrags des Präsidenten des Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen Bundesrechnungshofes an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? —- Dies Rechnung des Bundesrechnungshofes für das scheint der Fall zu sein. Dann sind die Überweisungen Haushaltsjahr 1992 — Einzelplan 20 — so beschlossen. — Drucksache 12/4844 — Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 14 und Überweisungsvorschlag: zu Zusatzpunkt 3: Haushaltsausschuß 14. Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten a) Zweite und dritte Beratung des von den Verfahren (TOP 13) Abgeordneten Egon Susset, Meinolf Mi- f) Erste Beratung des von der Bundesregierung chels, Richard Bayha, weiteren Abgeordne- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über ten und der Fraktion der CDU/CSU sowie dienstrechtliche Regelungen für besondere der Abgeordneten Günther Bredehorn, Verwendungen im Ausland Ulrich Heinrich, Johann Paintner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. (Auslandsverwendungsgesetz — Aus1VG) eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- — Drucksache 12/4989 — zes zur Änderung des Gesetzes zur Förde- Überweisungsvorschlag: rung der bäuerlichen Landwirtschaft Innenausschuß (federführend) — Drucksache 12/4762 — Auswärtiger Ausschuß (Erste Beratung 153. Sitzung) Verteidigungsausschuß Haushaltsausschuß und gemäß § 96 GO aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- g) Erste Beratung des von der Bundesregierung schaft und Forsten (10. Ausschuß) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens — Drucksache 12/5026 — Berichterstattung: (Eisenbahnneuordnungsgesetz — ENeuOG) Abgeordneter Horst Sielaff — Drucksache 12/5014 — bb) Bericht des Haushaltsausschusses Überweisungsvorschlag: (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- Ausschuß für Verkehr (federführend) schäftsordnung Innenausschuß — Drucksache 12/5027 — Rechtsausschuß Finanzausschuß Berichterstattung: Ausschuß für Wirtschaft Abgeordnete Ernst Kastning Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Bartholomäus Kalb Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Dr. Sigrid Hoth h) Erste Beratung des von der Bundesregierung b) Beratung der Beschlußempfehlung und des eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Berichts des Innenausschusses (4. Aus- schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Änderung des Grundgesetzes Angela Stachowa, Dr. Dietmar Keller und — Drucksache 12/5015 — der Gruppe der PDS/Linke Liste Überweisungsvorschlag: Erhalt kultureller Substanz im Zusammen- Rechtsausschuß (federführend) hang mit der Verlagerung von Bundesbe- Innenausschuß hörden in die neuen Bundesländer Ausschuß für Verkehr Haushaltsausschuß — Drucksachen 12/3236, 12/4573 — Berichterstattung: i) Erste Beratung des von den Abgeordneten Abgeordnete Dr. Roswitha Wisniewski Egon Susset, Meinolf Michels, Richard Bayha, Freimut Duve weiteren Abgeordneten und der Fraktion der Hans-Joachim Otto (Frankfurt) CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann Paintner, c) Beratung der Beschlußempfehlung und des weiteren Abgeordneten und der Fraktion der Berichts des Ausschusses für Post und Tele- F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes kommunikation (18. Ausschuß) zu der zur Durchführung der Rechtsakte der Europäi- Unterrichtung durch die Bundesregierung schen Gemeinschaft über Bescheinigungen Mitteilung der Kommission der Europäi besonderer Merkmale von Agrarerzeugnissen schen Gemeinschaften über die europäi und Lebensmitteln sche Telekommunikationsgeräte-Industrie 13802 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt Situation, Chancen und Risiken, Aktions- schuß) zu der Verordnung der Bundesregie- vorschläge rung — Drucksachen 12/4131 Nr. 3.19, Aufhebbare Erste Verordnung zur Ände- 12/4858 — rung der Konzernabschlußbefreiungsver- Berichterstattung: ordnung Abgeordnete Dr. Be rnd Protzner — Druckachen 12/4765, 12/4927 — Arne Börnsen (Ritterhude) Berichterstattung: Jürgen Timm Abgeordneter Dr. Wolfgang Freiherr von d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Stetten - Berichts des Ausschusses für Post und Tele- i) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- kommunikation (18. Ausschuß) zu der tionsausschusses (2. Ausschuß) Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Sammelübersicht 101 zu Petitionen die gegenseitige Anerkennung von Lizen- — Drucksache 12/4916 — zen und anderen einzelstaatlichen Geneh- j) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- migungen zur Erbringung von Telekom- tionsausschusses (2. Ausschuß) munikationsdienstleistungen, einschließ- ltch der Einrichtung einer einheitlichen Sammelübersicht 103 zu Petitionen Gemeinschaftstelekommunikationslizenz — Drucksache 12/4918 — und der Einsetzung eines Gemeinschaftste- ZP3 weitere abschließende Beratungen ohne Aus- lekommunikationsausschusses (CTC) sprache (TOP 14) — Drucksachen 12/3449 Nr. 2.15, 12/4862 — k) Beratung des Antrags der Fraktionen der Berichterstattung: CDU/CSU, SPD und F.D.P. Abgeordnete Dr. Be rnd Protzner Änderung der Geschäftsordnung für den Arne Börnsen (Ritterhude) Gemeinsamen Ausschuß Jürgen Timm e) Beratung der Beschlußempfehlung und des — Drucksache 12/4992 — Berichts des Ausschusses für Ernährung, Zum Tagesordnungspunkt 14a hat der Berichter- Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu statter Horst Sielaff kurz um das Wort gebeten. Ich der Unterrichtung durch die Bundesregie- gehe davon aus, daß es sich nur um Berichtigungen rung handelt. Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Einführung spezifischer Maßnah- men für die auf den Kanarischen Inseln Horst Sielaff (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen ansässigen Fischer von Kopffüßern und Herren! Die Förderung der bäuerlichen Land- — Drucksachen 12/4555 Nr. 2.12, 12/4863 — wirtschaft ist für alle Fraktionen dieses Hauses ein Berichterstatter: wichtiges Thema. Es gibt unterschiedliche Meinun- Abgeordnete Peter Harry Carstensen gen darüber, wie diese Förderung für den ländlichen (Nordstrand) Raum geschehen sollte. Einzelheiten sind im Bericht richtig wiedergegeben. f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil auf Grund des schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun- Berichts der falsche Eindruck entstehen könnte, das desregierung Interesse der Ausschußmitglieder an diesem Thema sei nicht so groß, weil nur 14 von 34 Mitgliedern an der Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 12 Abstimmung teilgenommen haben. Ich möchte des- Titel 616 31 — Zuschuß an die Bundesan- halb ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Sitzung stalt für Arbeit gestern morgen für 8 Uhr angesetzt war. Diese Sitzung — Drucksachen 12/4732, 12/4954 — stand unter dem besonderen Zeichen des gestrigen Berichterstattung: Tages: Wegen der Blockade durch die Demonstranten Abgeordnete war es einem großen Teil der Ausschußmitglieder Dr. Gero Pfennig nicht möglich, die Sitzung rechtzeitig zu erreichen. — Ina Albowitz Herr Hornung, auch der Berichterstatter, der den g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Fahrdienst für eine Zeit vor 7 Uhr bestellt hatte, konnte Berichts des Rechtsausschusses (6. Aus- erst fünf Minuten vor 9 Uhr hier sein. schuß) Die SPD-Fraktion hat geschlossen abgestimmt; zu der vom Deutschen Bundestag zugelei- nicht nur zwei Teilnehmer, die anwesend sein konn- teten Streitsache vor dem Bundesverfas- ten. Die PDS konnte aus den genannten Gründen sungsgericht 2 BvE 2/93 ebenfalls nicht anwesend sein. Bei der CDU/CSU war — Drucksache 12/4865 — es anders. Weil Sie bereits für 7 Uhr eine andere Sitzung anberaumt hatten, waren Sie rechtzeitig zu Berichterstattung: der in Rede stehenden Sitzung anwesend. Abgeordneter h) Beratung der Beschlußempfehlung und des (Beifall bei der CDU/CSU) Berichts des Rechtsausschusses (6. Aus — Sie haben geahnt, was kommt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13803

Horst Sielaff Ich will jedoch der Öffentlichkeit kundtun, daß es Telekommunikationsdienstleistungen auf Drucksa- sich um ein für alle Ausschußmitglieder wichtiges che 12/4862. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- Thema handelte und wir aus den genannten Gründen lung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — nicht anwesend sein konnten. Damit ist auch diese Beschlußempfehlung bei einigen Ich bedanke mich. Stimmenthaltungen einstimmig angenommen. (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 14 e der CSU: Wenn es der Landwirtschaft hilft!) Tagesordnung. Dabei handelt es sich um die Be- schlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Vorschlag der EG Vizepräsidentin Renate Schmidt: Die Präsidentin zu Maßnahmen für Fischer von Kopffüßern auf den war schon fünf Minuten vor 6 Uhr in ihrem Büro. Da Kanarischen Inseln auf Drucksache 12/4863. Wer war es auch keine Schwierigkeit, Herr Kollege. stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegen- probe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sehr gut!) Beschlußempfehlung bei einigen Stimmenthaltungen Wir kommen zunächst zur Abstimmung über so angenommen. Punkt 14 a der Tagesordnung, und zwar zur Einzelbe- ratung und Abstimmung über den von den Fraktionen Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 14f der der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Änderungs- Tagesordnung. Dabei handelt es sich um die Be- entwurf zum Gesetz zur Förderung der bäuerlichen schlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu einer Landwirtschaft auf den Drucksachen 12/4762 und überplanmäßigen Ausgabe auf den Drucksachen 12/5026. 12/4732 und 12/4954. Es handelt sich um einen Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit. Wer stimmt Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — SPD auf Drucksache 12/5030 vor, über den wir zuerst Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußemp- abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? fehlung bei einer Stimmenthaltung so angenom- — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? - Damit ist men. dieser Änderungsantrag abgelehnt. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Wir kommen damit zu Punkt 14 g der Tagesord- Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- nung. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfeh- zeichen. — Gegenstimmen? — Wer enthält sich? — lung des Rechtsausschusses zu einer Streitsache vor Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung dem Bundesverfassungsgericht auf der Drucksache angenommen. 12/4865. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist Wir kommen damit zur diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit so dritten Beratung angenommen. und zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die Wir kommen zum Punkt 14h der Tagesordnung. dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des ben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Rechtsausschusses zur Änderung der Konzernab- Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions- schlußbefreiungsverordnung, Drucksachen 12/4765 fraktionen angenommen. und 12/4927. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- Wir kommen dann zur Abstimmung über Punkt 14 b lung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — der Tagesordnung. Dabei handelt es sich um die Damit ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehr- Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem heit so angenommen. Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zum Erhalt kul- Wir kommen dann zu den Punkten 14i und j der tureller Substanz im Zusammenhang mit der Verlage- Tagesordnung. Dabei handelt es sich um Beschluß- rung von Bundesbehörden in die neuen Bundesländer empfehlungen des Petitionsausschusses auf den auf den Drucksachen 12/3236 und 12/4573. Wer Drucksachen 12/4916 und 12/4918. Das sind die stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt Sammelübersichten 101 und 103. dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenom- (Günter Verheugen [SPD]: Bitte getrennte men. Abstimmung, Frau Präsidentin!) Wir kommen sodann zur Abstimmung über — Es wird getrennte Abstimmung über die Sammel- Punkt 14c der Tagesordnung. Dabei handelt es sich übersichten 101 und 103 verlangt. um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Post und Telekommunikation zu der Mitteilung der EG- Wir stimmen zuerst über die Beschlußempfehlung Kommission über die europäische Telekommunika- auf Drucksache 12/4916 ab; das ist also die Sammel- tionsgeräte-Industrie auf Drucksache 12/4858. Wer übersicht 101. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenstim- dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit sind diese men? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlungen mit großer Mehrheit so ange- Beschlußempfehlung einstimmig bei einigen Enthal- nommen. tungen angenommen. Jetzt lasse ich über die Sammelübersicht 103 Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 14 d der abstimmen. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dage- Tagesordnung. Dabei handelt es sich um die Be- gen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese schlußempfehlung des Ausschusses für Post und Tele- Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitions- kommunikation zum Richtlinienvorschlag der EG zu fraktionen so angenommen. 13804 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt Wir kommen nun zum Zusatzpunkt 3. Wir stimmen Hinsken, Ernst Dr. Mayer (Siegertsbrunn), über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD Hintze, Peter Martin und F.D.P. zur Änderung der Geschäftsordnung für Hörsken, Heinz-Adolf Meckelburg, Wolfgang Hörster, Joachim Meinl, Rudolf Horst den Gemeinsamen Ausschuß auf Drucksache 12/4992 Dr. Hoffacker, Paul Dr. Merkel, Angela ab. Wer stimmt für diesen Antrag? — Wer stimmt Dr. Hornhues, Karl-Heinz Dr. Meseke, Hedda dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Hornung, Siegfried Dr. Meyer zu Bentrup, Antrag bei einigen Stimmenthaltungen einstimmig Hüppe, Hubert Reinhard angenommen. Jäger, Claus Michalk, Maria Jaffke, Susanne Michels, Meinolf Ich darf Ihnen nun das von den Schriftführern Dr. Jahn (Münster), Dr. Mildner, Klaus Gerhard ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung Friedrich-Adolf Dr. Möller, Franz über das Nachtragshaushaltsgesetz 1993, Drucksa- Janovsky, Georg Molnar, Thomas chen 12/4400, 12/4744, 12/4800, bekanntgeben. Jeltsch, Karin Müller (Kirchheim), Elmar Müller Abgegebene Stimmen: 617, ungültige Stimmen: Dr. Jobst, Dionys (Wadern), Dr.-Ing. Jork, Rainer Hans-Werner keine. Mit Ja haben gestimmt: 382. Mit Nein haben Dr. Jüttner, Egon Nelle, Engelbert gestimmt: 233. Enthalten haben sich 2 Kolleginnen Jung (Limburg), Michael Dr. Neuling, Christian oder Kollegen. Junghanns, Ulrich Neumann (Bremen), Bernd Dr. Kahl, Harald Niedenthal, Erhard Kalb, Bartholomäus Nitsch, Johannes Endgültiges Ergebnis Diemers, Renate Kampeter, Steffen Nolte, Claudia Dörflinger, Werner Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Dr. Olderog, Rolf Abgegebene Stimmen: 613; Doss, Hansjörgen Karwatzki, Irmgard Ost, Friedhelm davon: Dr. Dregger, Alfred Kauder, Volker Oswald, Eduard Echternach, Jürgen Keller, Peter Otto (Erfurt), Norbe rt ja: 380 Ehlers, Wolfgang Kiechle, Ignaz Dr. Päselt, Gerhard nein: 232 Ehrbar, Udo Kittelmann, Peter Dr. Paziorek, Peter Paul Eichhorn, Maria Klein (Bremen), Günter Pesch, Hans-Wilhelm 1 enthalten: Engelmann, Wolfgang Klein (München), Hans Petzold, Ulrich Eppelmann, Rainer Klinkert, Ulrich Pfeffermann, Gerhard O. Eylmann, Horst Ja Köhler (Hainspitz), Pfeifer, Anton Eymer, Anke Hans-Ulrich Pfeiffer, Angelika Falk, Ilse Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Faltlhauser, Kurt Volkmar Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Fell, Karl Kolbe, Manfred Dr. Pinger, Winfried Dr. Ackermann, Else Fischer (Hamburg), Dirk Pofalla, Ronald Adam, Ulrich Kors, Eva-Maria Fischer (Unna), Leni Koschyk, Hartmut Dr. Pohler, Hermann Dr. Altherr, Walter Fockenberg, Winfried Kossendey, Thomas Priebus, Rosemarie Augustin, Anneliese Francke (Hamburg), Klaus Kraus, Rudolf Dr. Probst, Albert Augustinowitz, Jürgen Frankenhauser, Herbert Dr. Krause (Börgerende), Dr. Protzner, Bernd Austermann, Dietrich Dr. Friedrich, Gerhard Günther Pützhofen, Dieter Bargfrede, Heinz-Günter Fritz, Erich G. Krause (Dessau), Wolfgang Rahardt-Vahldieck, Susanne Dr. Bauer, Wolf Fuchtel, Hans-Joachim Krey, Franz Heinrich Raidel, Hans Baumeister, Brigitte Ganz (St. Wendel), Johannes Kriedner, Arnulf Dr. Ramsauer, Peter Bayha, Richard Geiger, Michaela Kronberg, Heinz-Jürgen Rau, Rolf Belle, Meinrad Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Dr.-Ing. Krüger, Paul Rauen, Peter Harald Bierling, Hans-Dirk Geis, Norbert Krziskewitz, Reiner Eberhard Rawe, Wilhelm Dr. Blank, Joseph-Theodor Dr. Geißler, Heiner Lamers, Karl Reddemann, Gerhard Blank, Renate Dr. von Geldern, Wolfgang Dr. Lammert, Norbert Regenspurger, Otto Dr. Blens, Heribert Gibtner, Horst Lamp, Helmut Johannes Reichenbach, Klaus Bleser, Peter Glos, Michael Lattmann, Herbert Dr. Reinartz, Bertold Dr. Blüm, Norbert Dr. Göhner, Reinhard Dr. Laufs, Paul Reinhardt, Erika Böhm (Melsungen), Wilfried Göttsching, Martin Laumann, Karl-Josef Dr. Rieder, Norbert Dr. Böhmer, Maria Götz, Peter Lehne, Klaus-Heiner Riegert, Klaus Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Dr. Götzer, Wolfgang Dr. Lehr, Ursula-Maria Dr. Riesenhuber, Heinz Dr. Bötsch, Wolfgang Gres, Joachim Lenzer, Christian Ringkamp, Werner Bohl, Friedrich Grochtmann, Elisabeth Limbach, Editha Rode (Wietzen), Helmut Bohlsen, Wilfried Gröbl, Wolfgang Link (Diepholz), Walter Rönsch (Wiesbaden), Borchert, Jochen Grotz, Claus-Peter Lintner, Eduard Hannelore Brähmig, Klaus Günther (Duisburg), Horst Dr. Lippold (Offenbach), Roitzsch (Quickborn), Ingrid Breuer, Paul Frhr. von Hammerstein, Klaus W. Romer, Franz Brudlewsky, Monika Carl-Detlev Dr. sc. Lischewski, Manfred Dr. Rose, Klaus Brunnhuber, Georg Harries, Klaus Löwisch, Sigrun Rossmanith, Ku rt J. Bühler (Bruchsal), Klaus Haschke (Großhennersdorf), Lohmann (Lüdenscheid), Roth (Gießen), Adolf Büttner (Schönebeck), Gottfried Wolfgang Rother, Heinz Hartmut Haschke (Jena-Ost), Udo Louven, Julius Dr. Ruck, Christian Buwitt, Dankward Hasselfeldt, Gerda Lummer, Heinrich Rühe, Volker Carstens (Emstek), Manfred Haungs, Rainer Dr. Luther, Michael Dr. Rüttgers, Jürgen Carstensen (Nordstrand), Hauser (Esslingen), Otto Maaß (Wilhelmshaven), Erich Sauer (Salzgitter), Helmut Peter Harry Hauser (Rednitzhembach), Männle, Ursula Sauer (Stuttgart), Roland Clemens, Joachim Hansgeorg Magin, Theo Schätzle, Ortrun Dehnel, Wolfgang Hedrich, Klaus-Jürgen Dr. Mahlo, Dietrich Dr. Schäuble, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Heise, Manfred Marienfeld, Claire Scharrenbroich, Heribert Deres, Karl Dr. Hellwig, Renate Marschewski, Erwin Schemken, Heinz Deß, Albert Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Marten, Günter Scheu, Gerhard Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13805

Vizepräsidentin Renate Schmidt Schmalz, Ulrich Wonneberger, Michael Seiler-Albring, Ursula Ganseforth, Monika Schmidbauer, Bernd Wülfing, Elke Dr. Semper, Sigrid Gansel, Norbert Schmidt (Fürth), Christian Würzbach, Peter Kurt Dr. Solms, Hermann Otto Gilges, Konrad Dr. Schmidt (Halsbrücke), Yzer, Cornelia Dr. Starnick, Jürgen Gleicke, Iris Joachim Zeitlmann, Wolfgang Dr. von Teichman, Cornelia Dr. Glotz, Peter Schmidt (Mülheim), Andreas Zierer, Benno Thiele, Carl-Ludwig Graf, Günter Schmidt (Spiesen), Trudi Zöller, Wolfgang Dr. Thomae, Dieter Großmann, Achim Schmitz (Baesweiler), Timm, Jürgen Habermann, Frank-Michael Hans Peter Türk, Jürgen Hacker, Hans-Joachim von Schmude, Michael F.D.P. Walz, Ingrid Hämmerle, Gerlinde Dr. Schneider (Nürnberg), Dr. Weng (Gerlingen), Hampel, Manfred Eugen Oscar Albowitz, Ina Wolfgang Hanewinckel, Christel- Dr. Schockenhoff, Andreas Dr. Babel, Gisela Wolfgramm (Göttingen), Dr. Hartenstein, Liesel Graf von Schönburg Baum, Gerhart Rudolf Torsten Hasenfratz, Klaus Beckmann, Klaus Glauchau, Joachim Würfel, Uta Dr. Hauchler, Ingomar Dr. Blunk (Lübeck), Michaela Dr. Scholz, Rupert Zurheide, Burkhard Heistermann, Dieter Bredehorn, Günther Frhr. von Schorlemer, Zywietz, Werner Heyenn, Günther Reinhard Cronenberg (Arnsberg), Hiller (Lübeck), Reinhold Dr. Schreiber, Harald Dieter-Julius Hilsberg, Stephan Eimer (Fürth), Norbert Schulhoff, Wolfgang Fraktionslos Dr. Holtz, Uwe Dr. Schulte (Schwäbisch Engelhard, Hans A. Horn, Erwin van Essen, Jörg Gmünd), Dieter Dr. Krause (Bonese), Rudolf Huonker, Gunter Schulz (Leipzig), Gerhard Dr. Feldmann, Olaf Iwersen, Gabriele Schwalbe, Clemens Friedhoff, Paul Jäger, Renate Schwarz, Stefan Friedrich, Horst Janz, Ilse Dr. Schwarz-Schilling, Funke, Rainer Nein Dr. Janzen, Ulrich Christian Dr. Funke-Schmitt-Rink, Jaunich, Horst Dr. Schwörer, Hermann Margret SPD Dr. Jens, Uwe Seehofer, Horst Ganschow, Jörg Jung (Düsseldorf), Volker Seesing, Heinrich Gattermann, Hans H. Adler, Brigitte Kastner, Susanne Seibel, Wilfried Gries, Ekkehard Andres, Gerd Kastning, Ernst Seiters, Rudolf Grünbeck, Josef Antretter, Robert Kemper, Hans-Peter Sikora, Jürgen Grüner, Martin Bachmaier, Hermann Kirschner, Klaus Skowron, Werner Günther (Plauen), Joachim Barbe, Angelika Klappert, Marianne Sothmann, Bärbel Dr. Guttmacher, Karlheinz Bartsch, Holger Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Spilker, Karl-Heinz Hackel, Heinz-Dieter Becker (Nienberge), Helmuth Klemmer, Siegrun Spranger, Carl-Dieter Hansen, Dirk Becker-Inglau, Ingrid Klose, Hans-Ulrich Dr. Sprung, Rudolf Dr. Haussmann, Helmut Bernrath, Hans Gottfried Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Steinbach-Hermann, Erika Heinrich, Ulrich Beucher, Friedhelm Julius Körper, Fritz Rudolf Dr. Stercken, Hans Dr. Hirsch, Burkhard Bindig, Rudolf Kolbe, Regina Dr. Frhr. von Stetten, Dr. Hitschler, Walter Blunck, (Uetersen), Lieselott Kolbow, Walter Wolfgang Homburger, Birgit Bock, Thea Koltzsch, Rolf Stockhausen, Karl Dr. Hoth, Sigrid Dr. Böhme (Unna), Ulrich Koschnick, Hans Dr. Stoltenberg, Gerhard Dr. Hoyer, Werner Börnsen (Ritterhude), Arne Kubatschka, Horst Strube, Hans-Gerd Irmer, Ulrich Brandt-Elsweier, Anni Dr. Kübler, Klaus Stübgen, Michael Kleinert (Hannover), Detlef Dr. Brecht, Eberhard Kuessner, Hinrich Dr. Süssmuth, Rita Kohn, Roland Büchler (Hof), Hans Dr. Küster, Uwe Susset, Egon Dr. Kolb, Heinrich L. Dr. von Bülow, Andreas Kuhlwein, Eckart Tillmann, Ferdinand Koppelin, Jürgen Büttner (Ingolstadt), Hans Lambinus, Uwe Dr. Töpfer, Klaus Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Bulmahn, Edelgard Lange, Brigitte Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Leutheusser-Schnarrenberger, Burchardt, Ursula von Larcher, Detlev Uldall, Gunnar Sabine Bury, Hans Martin Dr. Leonhard-Schmid, Elke Verhülsdonk, Roswitha Lüder, Wolfgang Caspers-Merk, Marion Lohmann (Witten), Klaus Vogel (Ennepetal), Friedrich Lühr, Uwe Catenhusen, Wolf-Michael Dr. Lucyga, Christine Vogt (Duren), Wolfgang Dr. Menzel, Bruno Conradi, Peter Maaß (Herne), Dieter Dr. Voigt (Northeim), Mischnick, Wolfgang Dr. Däubler-Gmelin, Herta Marx, Dorle Hans-Peter Möllemann, Jürgen W. Dr. Diederich (Berlin), Nils Mascher, Ulrike Dr. Vondran, Ruprecht Nolting, Günther Friedrich Diller, Karl Matthäus-Maier, Ingrid Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Ortleb, Rainer Dr. Dobberthien, Marliese Mattischeck, Heide Dr. Waigel, Theodor Otto (Frankfurt), Dreßler, Rudolf Meckel, Markus Graf von Waldburg-Zeil, Alois Hans-Joachim Duve, Freimut Mehl, Ulrike Dr. Warnke, Jürgen Paintner, Johann Ebert, Eike Meißner, Herbert Dr. Warrikoff, Alexander Peters, Lisa Dr. Eckardt, Peter Dr. Mertens (Bottrop), Werner (Ulm), Herbe rt Dr. Pohl, Eva Dr. Ehmke (Bonn), Horst Franz-Josef Wetzel, Kersten Richter (Bremerhaven), Eich, Ludwig Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Wiechatzek, Gabriele Manfred Dr. Elmer, Konrad Mosdorf, Siegmar Dr. Wieczorek (Auerbach), Rind, Hermann Esters, Helmut Müller (Düsseldorf), Michael Bertram Dr. Röhl, Klaus Ewen, Carl Müller (Pleisweiler), Albrecht Dr. Wilms, Dorothee Schäfer (Mainz), Helmut Ferner, Elke Müller (Schweinfurt), Rudolf Wilz, Bernd Schmalz-Jacobsen, Cornelia Fischer (Gräfenhainichen), Müller (Völklingen), Jutta Wimmer (Neuss), Willy Schmidt (Dresden), Arno Evelin Müller (Zittau), Christian Dr. Wisniewski, Roswitha Dr. Schmieder, Jürgen Fischer (Homburg), Lothar Neumann (Bramsche), Volker Wissmann, Matthias Dr. Schnittler, Christoph Formanski, Norbe rt Neumann (Gotha), Gerhard Dr. Wittmann, Fritz Schuster, Hans Fuchs (Köln), Anke Dr. Niehuis, Edith Wittmann (Tännesberg), Dr. Schwaetzer, Irmgard Fuchs (Verl), Katrin Dr. Niese, Rolf Simon Sehn, Marita Fuhrmann, Arne Niggemeier, Horst 13806 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt Odendahl, Doris Waltemathe, Ernst Der Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache Opel, Manfred Walter (Cochem), Ralf 12/4952 — Punkt 8a der Tagesordnung — wurde Wartenberg (Berlin), Gerd Ostertag, Adolf zurückgezogen. Dr, Otto, Helga Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Paterna, Peter Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 und den Tagesord- Dr. Penner, Willfried Weiler, Barbara Peter (Kassel), Horst Weis (Stendal), Reinhard nungspunkt 8 b auf: Dr. Pfaff, Martin Weisheit, Matthias ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Dr. Pick, Eckhart Weißgerber, Gunter CSU, SPD, F.D.P. und der Gruppe BÜNDNIS Poß, Joachim Weisskirchen (Wiesloch), Gert 90/DIE GRÜNEN Reimann, Manfred Dr. Wernitz, Axel von Renesse, Margot Wester, Hildegard Weltmenschenrechtskonferenz der Vereinten Rennebach, Renate Westrich, Lydia Nationen 1993 in Wien Reuschenbach, Peter W. Wettig-Danielmeier, Inge — Drucksache 12/5024 — Reuter, Bernd Dr. Wetzel, Margrit Rixe, Günter Weyel, Gudrun 8. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roth, Wolfgang Dr. Wieczorek, Norbert Hanna Wolf, Brigitte Adler, , Schaich-Walch, Gudrun Wieczorek (Duisburg), Helmut weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Scheffler, Siegfried Willy Wiefelspütz, Dieter SPD Schily, Otto Wimmer (Neuötting), Schloten, Dieter Hermann Gegen Menschenrechtsverletzungen an Schmidt (Aachen), Ursula Dr. de With, Hans Frauen — Weltkonferenz fiber Menschen- Schmidt (Nürnberg), Renate Wittich, Berthold rechte im Juni 1993 Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Wohlleben, Verena Ingeburg — Drucksache 12/4953 — Schmidt-Zadel, Regina Wolf, Hanna Dr. Schmude, Jürgen Zapf, Uta Nach einer interfraktionellen Vereinbarung im Dr. Schnell, Emil Dr. Zöpel, Christoph Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Dr. Schöfberger, Rudolf Stunde vorgesehen. Gibt es dazu irgendeinen Wider- Schöler, Walter PDS/Linke Liste spruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so Schreiner, Ottmar Bläss, Petra beschlossen. Schröter, Gisela Dr. Enkelmann, Dagmar Schröter, Karl-Heinz Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Dr. Fischer, Ursula Kollege Heribert Scharrenbroich das Wo rt . Schütz, Dietmar Dr. Fuchs, Ruth Schulte (Hameln), Brigitte Dr. Gysi, Gregor Dr. Schuster, Werner Henn, Bernd Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Frau Präsiden- Schwanhold, Ernst Dr. Höll, Barbara tin! Meine Damen und Herren! Im Juni findet nach Schwanitz, Rolf Jelpke, Ulla 25 Jahren endlich wieder eine Weltmenschenrechtskon- Seidenthal, Bodo Dr. Keller, Dietmar ferenz der Vereinten Nationen statt. Daß es so lange Seuster, Lisa Lederer, Andrea dauerte, belegt den geringen Sielaff, Horst Stellenwert der Men- Philipp, Ingeborg schenrechte in vielen Ländern dieser Welt. Es belegt, Simm, Erika Dr. Schumann (Kroppenstedt), Singer, Johannes Fritz daß der Kampf um die Einhaltung der Menschenrechte Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Dr. Seifert, Ilja in vielen Staaten als störend empfunden wird. Dr. Soell, Hartmut Stachowa, Angela Als die Welt noch in die alten Blöcke eingeteilt war, Sorge, Wieland ging jeder schonend mit seinen Freunden um. Einäugig- Dr. Sperling, Dietrich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Steen, Antje-Marie keit war damals beherrschend. Auch im freien Westen Dr. Feige, Klaus-Dieter wurden zweifelsohne viele Augen zugedrückt. Stiegler, Ludwig Poppe, Gerd Dr. Struck, Peter Schenk, Christina Nach Beendigung des Ost-West-Konflikts kam bei Tappe, Joachim Schulz (Berlin), Werner uns eine neue Hoffnung auf. Aber gerade die letzten. Terborg, Margitta Dr. Ullmann, Wolfgang Sitzungen der Genfer Menschenrechtskommission in Dr. Thalheim, Gerald Weiß (Berlin), Konrad Thierse, Wolfgang den Jahren 1992 und 1993 haben deutlich gemacht, daß es ein neues Blockdenken gibt: Entwicklungslän- Titze-Stecher, Uta Fraktionslos Toetemeyer, Hans-Günther der gegen Industrieländer. Diese neue Blockkonfron- Urbaniak, Hans-Eberhard Dr. Briefs, Ulrich tation hat die Vorbereitung der Wiener Menschen- Vergin, Siegfried Lowack, Ortwin rechtskonferenz in einem solchen Ausmaß belastet, Verheugen, Günter daß man heute sagen muß: Diese Konferenz steht Dr. Vogel, Hans-Jochen Enthalten nicht unter einem guten Stern. Die Vorbereitung muß Voigt (Frankfurt), Karsten D. Vosen, Josef FDP als unbefriedigend bezeichnet werden. Wagner, Hans Georg Mit der zur Debatte stehenden Entschließung Wallow, Hans Schüßler, Gerhard appelliert der Deutsche Bundestag heute an die Welt- gemeinschaft, die Kontroversen in der Menschen- Damit ist dieser Gesetzentwurf so angenommen. rechtsdiskussion zu überwinden. Wir nennen in unse- rem Entschließungsantrag die Themen und die Kon- Ich möchte Ihnen außerdem bekanntgeben, daß flikte beim Namen. Das muß uns aber auch eine zum Föderalen Konsolidierungsprogramm schriftli- Verpflichtung sein, daß die Industrienationen nach che Erklärungen gemäß § 31 unserer Geschäftsord- dieser Weltmenschenrechtskonferenz ihre Positionen nung von unseren Kollegen Jürgen Koppelin, Thomas selber überprüfen und in einen neuen Dialog mit den Molnar, Dr. Klaus Mildner, Rolf Rau, Dr. Dietmar Ländern der Dritten Welt eintreten. Kansy, Werner Dörflinger, Klaus Kirschner und Hans Martin Bury zu Protokoll gegeben worden sind.*) Es erscheint mir jedoch — das ist unbest ritten und geht auch aus diesem Text hervor — äußerst wichtig, *) Anlage 2 daß sich die Mitglieder der Vereinten Nationen von Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13807

Heribert Scharrenbroich der universellen Geltung der Menschenrechte nicht Jeder, der demokratische Verfassungsorgane durch abbringen lassen. einen Staatsstreich außer Kraft setzt, muß von vorn- Auch erscheint es mir wichtig, daß sich die Indu- herein wissen, daß er irgendwann vor einen interna- strienationen nicht nur bei der Durchsetzung der tionalen Strafgerichtshof gebracht wird. politischen und bürgerlichen Menschenrechte enga- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der gieren. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen, was uns SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) von den Entwicklungsländern gesagt wird. Die wirt- Wer verfassungsmäßig verbriefte Rechte außer Kraft schaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sowie setzt, wer einen obersten Gerichtshof gegen die beste- die Ausgestaltung des Rechtes auf Entwicklung müs- henden Gesetze auflöst, wer das Verfassungsgericht sen intensiviert werden. des Landes gegen bestehendes Recht auflöst, wer- vor Daß wir uns z. B. in Lateinamerika für die Beseiti- allem das Parlament auflöst, der begeht ein Verbre- gung linker oder rechter Diktatoren eingesetzt haben, chen gegen den Frieden und die Sicherheit der die jungen Demokratien dann aber alleinließen, als Menschen. sie gerade anfingen, zu laufen, ist äußerst bedauer- (Beifall im ganzen Hause) lich. Genau dies hat der amtierende Präsident von (Beifall im ganzen Hause) Guatemala, Herr Serrano, in diesen Tagen getan. Es ist kein Wunder, daß die Staaten, die sich der Dieses Verbrechen wird um so schlimmer sein, wenn Menschenrechtsverletzungen schuldig machen, jede er weitere Willkürmaßnahmen gegen Mitglieder der Kritik an ihrem Regime als eine Einmischung in die genannten Institutionen zuläßt oder sogar selber ver- inneren Angelegenheiten zurückweisen. Damit wird anlaßt. man leben müssen; das werden wir aber deswegen Am Beispiel Guatemala wird allerdings auch deut- nicht akzeptieren. lich, daß Sanktionen gegen Unrechtsregime, z. B. (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Richtig!) gegen das Unrechtsregime von Herrn Fujimori in Peru, fortgeführt werden müssen, solange solche Ich begrüße das zunehmende Bewußtsein bei zahl- Regime bestehen. Deswegen bedauere ich, daß die reichen Regierungen, daß hier Einmischung geboten Organisation amerikanischer Staaten und auch die ist. Deswegen erwarten wir, daß die Bundesregierung Vereinigten Staaten nach einer gewissen Zeit ihre ihre Politik zur Fortentwicklung des menschenrechtli- Position zugunsten von Herrn Fujimori verändert chen Instrumentariums der Vereinten Nationen fort- haben. Ich begrüße es, daß die Bundesregierung hier setzt und verstärkt. weiterhin konsequent war. (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Sehr Auch bei der Vervollständigung des internationa- gut!) len Menschenrechtsinstrumentariums wird es maß- Die Entwicklungs- und die Menschenrechtspolitik geblich von der praktischen Politik der demokrati- der Bundesrepublik Deutschland haben in der Welt schen Rechtsstaaten abhängen, wieweit Verbrechen einen guten Ruf; den gilt es zu verteidigen. Deswegen gegen Menschenrechte verhindert werden. wollen wir die Bundesregierung mit unserer Ent- Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und schließung ermuntern, weiterhin die Initiativen aus Herren, mit der Entschließung, über die das Parlament dem Parlament zu unterstützen, von denen ich schlag- heute befindet und die wir zur Annahme empfehlen, wortartig nur nennen will: die Schaffung des Amtes will der Deutsche Bundestag deutlich machen, daß die eines Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechtskonferenz in Wien für uns einen Menschenrechte, der — das ist besonders wichtig — hohen Stellenwert hat. Der Deutsche Bundestag und Eigeninitiativrecht haben muß. Ich nenne die Effekti- insbesondere der Unterausschuß Menschenrechte des vierung und Aufwertung des Menschenrechtszen- Auswärtigen Ausschusses wird diese Konferenz sorg- trums, die Errichtung eines Menschenrechtsgerichts- fältig beobachten, begleiten und auswerten. Wir wer- hofs nach dem Vorbild des Europäischen Gerichtshofs den darauf drängen, daß es auch nach dieser Konfe- für Menschenrechte und schließlich die Kodifizierung rnez zu einem konstruktiven Dialog über den Zusam- eines internationalen Strafrechts und Errichtung eines menhang von Menschenrechten, Demokratie und Internationalen Gerichtshofs zur Verurteilung von Entwicklung einerseits sowie einer wünschenswerten Verbrechen gegen Frieden und Sicherheit der Men- Förderung der Eigeninitiative in den Entwicklungs- schen. ländern andererseits kommt. Ich glaube, daß sich die Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Tradition dieses Hauses, daß wir uns bemühen, bei Herren, ein internationales Strafrecht, wonach Ver- Menschenrechtsfragen möglichst einstimmig zu be- brechen gegen den Frieden und die Sicherheit der schließen, hier auszahlt. Ich stehe nicht an, den Menschen verurteilt werden können, ist dringender Kolleginnen und Kollegen der sozialdemokratischen denn je. Fraktion dafür zu danken, daß sie die Grundlage für diese Entschließung erarbeitet haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE Es ist notwendig, daß die Industriestaaten an der GRÜNEN) Entwicklung der wirtschaftlichen, sozialen und kultu- rellen Rechte mitwirken und einen Beitrag zur konti Das machen z. B. gerade die Ereignisse dieser Tage in nuierlichen Entwicklung von Überprüfungs- und Guatemala deutlich. Durchsetzungsmechanismen leisten. Das erwarten (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Sehr rich wir vor allem auch von der Regierung der Bundesre- tig!) publik Deutschland. 13808 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Heribert Scharrenbroich Wir wünschen außerdem, daß sie mit uns gemein- Die Hoffnung richtet sich darauf, daß diese Konfe- sam dafür Sorge trägt, daß die Vertreibung von renz wieder einige kleine zähe Fortschritte erkämpfen Minderheiten oder Bevölkerungsgruppen sowohl völ- wird, die Diskrepanz zwischen abstraktem Normen kerrechtlich wie strafrechtlich geahndet und bestraft gefüge und Konferenzdiplomatie einerseits und Mord wird. Denn wir erleben gerade in diesen Tagen im und Totschlag sowie Not und Elend andererseits ehemaligen Jugoslawien, welch unsägliches Leid die abzubauen. Mißachtung der Rechte von Minderheiten über die Der Sinn und die Hauptaufgabe dieser Konferenz Menschen, meistens über alte Menschen, Frauen und liegen darin, konkrete Fortschritte im Hinblick auf die Kinder, bringt. Wir erwarten von der Bundesregie- Umsetzung der bestehenden Standards sowie die rung, daß sie ihren Einfluß verstärkt dahin geltend Wirksamkeit des menschenrechtlichen Instrumentari-- macht, daß sich die Ergebnisse der Konferenz nicht ums zu erreichen. auf unverbindliche Resolutionen beschränken, son- dern daß möglichst konkrete Vereinbarungen, insbe- Die Idee der Schaffung eines UN-Hochkommissari- sondere im Hinblick auf ein geregeltes „follow-up", ats für Menschenrechte ist für diese Zielsetzung von getroffen werden. zentraler Bedeutung. Sie ist es schon deshalb, weil Begriff und Amt eines UN-Hochkommissars für Men- mit der heute zur Der Deutsche Bundestag wi ll schenrechte neuen Schwung in die reichlich zersplit- Verabschiedung anstehenden Entschließung deutlich terten und auseinanderlaufenden Menschenrechts- machen, daß er bereit ist, an der Weiterentwicklung aktivitäten der Vereinten Nationen bringen könn- des Menschenrechtsinstrumentariums mitzuarbeiten, ten. und daß er davon ausgeht, daß auch die Bundesregie- rung in diesem Sinne initiativ bleibt. Dem Ziel einer Verbesserung der Durchsetzungs- kraft dient auch die Forderung nach Errichtung eines Wir glauben, daß wir zu Recht darauf hinweisen bei den Vereinten Na- müssen, daß Art. 1 der Charta der Vereinten Nationen Menschenrechtsgerichtshofs von 1945 weiterhin in internationalem Geist umge- tionen nach dem Vorbild des Europäischen Gerichts- setzt werden muß. Ich schließe mit dem Zitat, daß die hofs für Menschenrechte, bei dem die Möglichkeit der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten Individualbeschwerde bestehen sollte. für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, Wer schwerste Menschenrechtsverletzungen durch der Sprache oder der Religion zu fördern und zu Krieg, Terror und Gewalt ahnden will, braucht dafür festigen ist. Deswegen gilt es, daß die universellen einen international akzeptierten Strafkodex. Die UN Menschenrechte in allen Ländern durchzusetzen sollten deshalb den von der Völkerrechtskommission sind. der Vereinten Nationen erarbeiteten Kodex der Ver- Herzlichen Dank. brechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit als internationales Strafrecht akzeptie- (Beifall im ganzen Hause) ren. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster Dieser kennt die Straftatbestände Aggression, spricht unser Kollege Rudolf Bindig. Aggressionsdrohung, gewaltsame Einmischung, Fremdherrschaft, Völkermord, Apartheid, systemati- Rudolf Bindig (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte sche oder massenhafte Menschenrechtsverletzungen, Damen und Herren! Mit der bevorstehenden Welt- außergewöhnlich schwere Kriegsverbrechen, Söld- menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen in nereinsatz, internationaler Terrorismus, unerlaubter Wien verbinden sich Skepsis und Hoffnung zugleich. Verkehr mit Suchtstoffen und vorsätzliche und Die Skepsis weist auf die große Diskrepanz hin, schwere Schädigung der Umwelt. welche zwischen dem bereits recht ausgedehnten Der Kodex mit diesen Straftatbeständen und ein Netzwerk an Menschenrechtserklärungen, Men- internationaler Strafmechanismus könnten auf der schenrechtspakten, Konventionen und den dazuge- Rechtsgrundlage eines völkerrechtlichen Vertrages hörigen Ausschüssen, Kommissionen, vertraulichen geschaffen werden, dem die Staaten, die seine und öffentlichen Verfahren und Berichterstattern Zuständigkeit anerkennen wollen, beitreten müß- einerseits und dem dramatischen Anstieg von Men- ten. schenrechtsverletzungen in vielen Ländern der Welt andererseits besteht. Wichtig ist es, diese Einrichtungen aus der Forde- rungs- und Diskussionsphase nunmehr in die kon- Mehr als die Hälfte der Menschheit ist Opfer von krete Umsetzungsphase überzuleiten. Gewalt oder extremer Armut. 3 von 5 Milliarden Menschen kennen die in den Menschenrechtskatalo- Auf den regionalen Vorbereitungstreffen für die gen und Gremien diskutierten Menschenrechte nicht. Weltmenschenrechtskonferenz hat sich herausge- Für sie bleibt die Freiheit von Unterdrückung, von stellt, daß es den dringenden Wunsch der Länder materieller Not, von Bedrohung, Verfolgung, Folter Afrikas, Lateinamerikas und Asiens gibt, auf dieser und Tod, von Bedrohung der Menschenwürde und Konferenz intensiv auf die Verwirklichung der wirt- von ungerechtfertigter Haft nur ein Traum. schaftlichen, sozialen und kulturellen Menschen- zu reden. Auch die Verantwortlichen für Brutalität und Terror rechte werden an den Beratungen der Konferenz teilnehmen Der Westen oder besser die Industrieländer sollten und dort über Prinzipien und andere Länder reden nicht den Fehler machen, sich gegen diese berechtigte und dabei ihre eigene Verantwortlichkeit und Schuld Forderung der Länder des Südens oder der Entwick- zu verschleiern suchen. lungsländer zu wenden. Weder ein Leben in relativer Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13809

Rudolf Bindig politischer Freiheit in bitterer Armut noch ein Leben Die Gemeinsamkeit in bestimmten Zielsetzungen bei relativer materieller Sicherung in politischer der Menschenrechtspolitik und bei den Erwartungen Unterdrückung ist menschenwürdig. an die UN-Weltmenschenrechtskonferenz darf nicht den Blick davor verstellen, daß es — ähnlich wie Die afrikanische Gruppe hat in ihrem Vorberei- zwischen den Normen der Menschenrechtskataloge tungspapier deshalb zu Recht angemerkt, daß politi- und der menschenrechtlichen Realität — auch ein sche Freiheit ohne Beachtung sozialer Rechte unsi- Theorie-Praxis-Problem der deutschen Menschen- cher ist. Die zaghaften demokratischen Erfolge in rechtspolitik gibt. Afrika werden scheitern, wenn der Kontinent weiter- hin in Armut und Not bleibt. Es ist leider nicht so, wie immer in Selbstdarstellun- gen behauptet wird, daß sich die Bundesregierung Ein Versuch allerdings, wie er ersatzweise von der - stets und ständig und überall für die Verwirklichung Gruppe der asiatischen Staaten versucht worden ist, der Menschenrechte einsetzt. Die Menschenrechtspo- vom Prinzip der Universalität der Menschenrechte litik der Bundesregierung ist nicht abgestimmt mit der abzugehen und die Menschenrechte regional oder in Rüstungsexportpolitik, der Wirtschaftspoli tik und kultureller Rela tion zu definieren, muß zurückgewie- auch nicht mit Teilen der Außenpolitik. Der Einsatz für sen werden. die Menschenrechte im Iran, wo das Regime weiter- (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: hin in brutalster Weise mit Hinrichtungsterror gegen Das stimmt nicht. Das ist eine Fehlinterpreta politische Gegner und freiheitlich denkende Men- tion!) schen vorgeht, fällt angesichts möglicher Wirtschafts- aufträge deutlich diplomatischer als notwendig aus. Erfreulich ist, daß die Regionalgruppen erkannt haben, daß die Institutionalisierung und Verwaltung (Beifall bei der SPD) der Justiz gestärkt und ausgebaut werden muß. Bei seiner Reise in die Türkei hat der Bundeskanzler Das UN-Menschenrechtszentrum in Genf könnte gesagt, er habe keinen Grund, zu denken, daß die und müßte hier seine Aktivitäten ausweiten. Für die Regierung in Ankara die Menschenrechte nicht Wahrnehmung der dringenden Aufgabe der Auswei- genauso achte wie er selbst. tung der beratenden Dienste, des präventiven Men- schenrechtsschutzes und der Erforschung der Ursa- (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Das hat er so chen von Menschenrechtsverletzungen ist das Men- nicht gesagt!) schenrechtszentrum völlig unzureichend ausgestat- Dabei hat das Europäische Antifolterkomitee darge- tet. Die Bundesrepublik Deutschland trägt zu der legt, daß es in einigen Polizeigefängnissen spezielle wichtigen Arbeit dieser Einrichtung lediglich mit dem Folterräume aufgespürt hat und daß es zu der Ansicht geradezu blamabel geringen freiwilligen Beitrag von gekommen sei, daß türkische Regierungsstellen keine jährlich 120 000 DM bei. Ich wiederhole: 120 000 DM, hinreichende Bereitschaft zeigten, den Empfehlun- nicht Millionen. gen des Komitees zur Verbesserung der Lage zu folgen. (Freimut Duve [SPD]: 10 000 DM pro Monat!) Während andere darüber nachdenken, ob wegen dieser erschütternden Feststellungen nicht die Mit- Geld wäre schon da, die Bundesregierung setzt nur gliedschaft der Türkei im Europarat suspendiert wer- eindeutig falsche Prioritäten. den muß, hat unser Bundeskanzler um der Harmonie (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ eines Staatsbesuchs willen diese Punkte nicht in CSU]: Das ist doch Unsinn!) hinreichender Deutlichkeit angesprochen. Für den zweifelhaften Einsatz der Bundeswehr in (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ Somalia, welcher nach Ansicht aller humanitären CSU]: Woher wissen Sie das? Waren Sie Fachorganisationen keinen wesentlichen humanitä- dabei?) ren Beitrag erbringen kann, werden ruckzuck Gerade weil wir in wichtigen Zielen der Menschen- 186 Millionen DM für ein Jahr aufgebracht. Das ist das rechtspolitik zusammenarbeiten und einen gemeinsa- 1 550fache dessen, was Deutschland für das Men- men Antrag verabschieden wollen, muß das deutsche schenrechtszentrum und damit für den präventiven Theorie-Praxis-Problem auch hier angesprochen wer- Menschenrechtsschutz einzusetzen bereit ist. den. Dabei ist doch einsichtig: Je mehr es inte rnational (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ gelingt, Rechtstaatlichkeit, Demokratie und Men- CSU]: Herr Bindig, was soll das denn? Sie schenrechte zu schützen, desto weniger Mittel werden wissen es doch besser! Sie waren doch gar gebraucht, um hinterher von Menschen gemachte nicht dabei!) Katastrophen zu beenden. Wir hoffen, daß es auf der Weltmenschenrechtskon- (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) ferenz in Wien gelingen wird, wieder einen Schritt zur Verbesserung der Menschenrechtssituation auf der Wir haben für die Weltmenschenrechtskonferenz Welt voranzukommen. Leider haben wir immer wie- einen eingebracht. Dieser gemeinsamen Antrag der erfahren müssen, daß gerade auf diesem Gebiet Antrag enthält allerdings jetzt nicht mehr unsere der Satz gilt: Der Fortschritt ist eine Schnecke. Forderung, daß Deutschl and das Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation über Einge- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und borene und in Stämmen lebende Völker zeichnen und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei dem Bundestag zur Ratifizierung vorlegen soll. Abgeordneten der CDU/CSU) 13810 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht die maß tagtäglich Folter, Massenhinrichtungen, willkür- Kollegin Ingrid Walz. liche Gefangennahmen, Behinderung der freien Mei- nungsäußerung und Vergewaltigungen geschehen. Ingrid Walz (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Meine Damen und Herren, die Folgen von Hunger, Damen! Meine Herren! „Viele sind heute bereit, Armut und Bürgerkrieg sowie anderer Gewalt sind Gewalt zu bekämpfen, die gegen die Wehrlosen 17 Millionen Flüchtlinge im Jahr 1992, 25 Millionen angewendet wird, aber können Sie auch die Gewalt Flüchtlinge, die von einem Landesteil in den anderen erkennen?" Dieses Zitat von Bertolt Brecht beschreibt wandern, und — meine Damen und Herren, ich bitte treffend die Spannungen und Fragezeichen im Vor- um Aufmerksamkeit — die meisten davon sind - feld der Konferenz in Wien. Frauen. Wien fällt in eine Zeit des Umbruchs, der Konflikte Wer denkt schon an die Rechte von Kindern, an und der Zweifel. Von der Hoffnung ist nach dem Ende deren Schutz? In fast allen Ländern dieser Welt, des Ost-West-Konflikts und dem sehr kurzen Wettlauf nämlich in 150, arbeiten zwischen 150 und 200 Millio- um Frieden wenig geblieben. Die Botschaft vom nen Kinder als Arbeitskräfte. Sie werden miß- weltweiten Sieg von Marktwirtschaft, Demokratie braucht. und der Verwirklichung von Menschenrechten mag 700 Millionen Menschen sind arbeitslos oder unter- so recht niemand mehr glauben. Volkswirtschaften beschäftigt. Auf Grund der weltwirtschaftlichen Kri- kämpfen um ihre Umformung zur Marktwirtschaft, sen werden vermutlich jährlich 38 Millionen hinzu- und Volkswirtschaften kämpfen um Märkte. Dieser kommen, und, meine Damen und Herren, die meisten Wettkampf ist gesäumt von Unsicherheit, Halbherzig- davon sind Frauen. keit, Fehlinterpretationen und, meine Damen und Herren, mehr Armut. Die Satten beharren auf ihren 780 Millionen Menschen sind unterernährt, und die Vorteilen und Privilegien. meisten davon sind Frauen und Kinder. Der Wind des Wandels, der vermeintliche Aufbruch Fast 1 Milliarde Menschen können nicht lesen und Afrikas zu Demokratie und Menschenrechten hat nicht schreiben und sind in ihren bürgerlichen und mehr scheindemokratische Lösungen in Afrika kulturellen Rechten benachteiligt, und die meisten gebracht und neue Konflikte entfacht. Es blieben davon sind Frauen. enttäuschte Menschen zurück, und ein ganzer Konti- nent gerät an den Rand des Abgrunds. Zwischen 1 Milliarde und 1,4 Milliarden Menschen leben heute weltweit in absoluter Armut, eine weitere Was steht nun in Wien zur Diskussion? Es ist die Milliarde am Rande der Armut, und die meisten davon Suche nach internationalem Frieden, nach sozialer — Sie können es sich denken — sind Frauen. und wirtschaftlicher Entwicklung. Die Grundlage für diesen globalen Dialog soll u. a. auch eine Studie über Vor diesem Hintergrund können wir erklären, die weltweite Lage der Menschenrechte sein. daß Menschenrechte in einer Umgebung von Dabei steht .im Hintergrund einerseits die Frage Armut und Elend keine Bedeutung haben. nach den Menschenrechten der dritten Generation, Dies ist nicht die Ausrede eines Diktators in demokra- also dem Recht jedes Menschen auf Entwicklung, und tischem Gewande, sondern die realistische Feststel- auf der anderen Seite die Gewährung von Grundfrei- lung des Generalsekretärs der Weltkonferenz für heiten und deren Verletzung. Menschenrechte. Unausgesprochen, meine Damen und Herren, oder Grell wird damit der Konflikt zwischen Menschen- ausgesprochen existieren natürlich Fragen eines rechten und Entwicklung bloßgelegt. Wien als Forum möglichen neuen Entwicklungsdiktats des Nordens. der Völker darf nicht zum neoideologischen Kriegs- Zwei Vorredner haben das bereits angesprochen. Der schauplatz neuer Konflikte zwischen Nord und Süd Süden hinterfragt sehr kritisch, ob die Einforderung werden. Die „westlichen Industrieländer" müssen und die Durchsetzung von Menschenrechten nach deshalb ihren klassischen Menschenrechtsbegriff, der europäischem Standard nur eine andere Form der in der Regel die bürgerlichen/politischen Rechte des Rekolonialisierung ist. Der Schatten dieses Mißtrau- einzelnen gegenüber dem Staat meint, urn die wirt- ens könnte die nötigen Auseinandersetzungen und schaftlichen und sozialen Rechte erweitern. Die Län- Annäherungen behindern. Die Gefahr einer gegen- der des Südens müssen erkennen, daß Demokratie seitigen Schuldzuweisung ist groß. Der Vorwurf, daß und Menschenrechte die Voraussetzung für wirt- die westlichen Industrieländer den Balken in ihren schaftliche Entwicklung sind — und dies auf Dauer. eigenen Augen nicht sehen, macht uns hoffentlich Das Gemeinwohl muß Staatsziel werden. betroffen und in unserer Be trachtung differenzier- ter. Um noch einmal auf Brecht zurückzukommen: Er meint, daß Armut Ausbeutung und Gewalt zur Folge Trotz dieser Gegensätze muß die Konferenz, müs- hat und Wehrlosigkeit und Armut identisch sind. sen wir von der Unteilbarkeit wi rtschaftlicher, sozia- Armut, Wehrlosigkeit aber führt zu Verletzungen von ler, kultureller, bürgerlicher und politischer Rechte Menschenrechten. Wenn dies so ist, müssen der ausgehen und darauf beharren. Die weltweit bedroh- Norden und der Süden erkennen, daß die Überwin- liche Lage der Menschenrechte zwingt uns dazu; denn dung der Armut die Grundvoraussetzung für die die 1992 aktenkundig gewordenen 125 000 Be- Einhaltung der Menschenrechte ist und daß die Armut schwerden über Menschenrechtsverletzungen, die weiblich ist. vom Zentrum für Menschenrechte nur als Bruchteil der tatsächlichen Menschenrechtsverletzungen be- Von Menschenrechtsverletzungen darf nicht theo- schrieben werden, lassen vermuten, in welchem Aus retisch und global gesprochen werden, sondern es Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode - 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13811

Ingrid Walz muß ganz konkret davon gesprochen werden. Wir tagtäglich die oft erschreckenden Nachrichten in den müssen wissen, von wem und von was wir sprechen. Medien über Bürgerkriege, Greueltaten, Morde, Zer- Die strukturellen Ursachen für das Entstehen von störungen der menschlichen Umwelt. Auch die Gewalt und die Vorenthaltung von Rechten müssen gestrige faktische Abschaffung des Asylrechts in der Gegenstand der Politik, des Politikdialogs und des Bundesrepublik Deutschland muß man zu den Ereig- gesellschaftlichen Bewußtseins weltweit werden. Die nissen zählen, die der Durchsetzung der universellen Menschenrechtsverletzungen an Frauen müssen pu- Menschenrechte nicht dienen, sondern sie teilweise blik gemacht und angemessen geahndet werden. Den außer Kraft setzen. Frauen dieser Welt nützt es wenig, wenn nur bei (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Massenvergewaltigungen die eine, die männliche, Welt von der anderen, der weiblichen, Kenntnis Der nunmehr seit heute morgen vorliegende- inter- nimmt. Die grausamen Ereignisse im früheren Jugo- fraktionelle Antrag zur Weltmenschenrechtskonfe- slawien sind nämlich nur die medienwirksame Spitze renz findet in seiner prinzipiellen Stoßrichtung meine der omnipräsenten Gewalt und Benachteiligung von Zustimmung, weil die dort aufgeführten Forderungen Frauen in dieser Welt. einen kleinen Schritt zu möglichen Maßnahmen in Meine Damen und Herren, der interfraktionelle Richtung Verwirklichung der Menschenrechte dar- Antrag verlangt den Ausbau des Instrumentariums stellen. zum internationalen Menschenrechtsschutz. Gegen- Dieser interfraktionelle Antrag ist in seiner Gesamt- stand des globalen Menschenrechtsdialogs in Wien heit aber leider unverändert halbherzig. Zwar wird muß aber auch der Aufbau eines gesellschaftlichen jetzt der Zusammenhang zwischen Menschenrechten Gegengewichts gegenüber dem Staat sein. In vielen und Entwicklung durch die Erwähnung der Verschul- Ländern, in denen es zu eklatanten Menschenrechts- dungskrise und der ungünstigen wirtschaft lichen verletzungen kommt und kam, ist die zivile Gesell- Rahmenbedingungen näher definiert, aber vermie- schaft zusammengebrochen oder in einer der Bevöl- den wird unverändert, einen der Hauptgründe für kerung angemessenen Form noch nicht geboren. Eine Menschenrechtsverletzungen bzw. die ungenügende zivile Gesellschaft erst, entstanden aus eigener Tradi- Verwirklichung der Menschenrechte explizit zu nen- tion und Geschichte sowie dem starken Willen der nen, nämlich die existierende Wirtschaftsordnung in Bevölkerung nach Partizipation, schafft Selbstkon- der Welt, die Konflikte zwischen Arm und Reich, die trolle und Transparenz. Der Fremdkontrolle von jahrhundertelange Ausbeutung der sogenannten außen, gleichgültig in welcher Form, muß die Selbst- Dritten Welt, den Raubbau an Ressourcen usw. kontrolle von innen folgen. (Freimut Duve [SPD]: Die falsch verlaufene Das Endziel in Wien muß deshalb Selbstkontrolle Geschichte!) und Selbstbestimmung sein. Das Zusammenleben von Menschen, von Völkern, der Völkergemeinschaft Der Zusammenhang zwischen Menschenrechten kann sich nur im Wege der sozialen Vernunft und der und Entwicklung kann nicht nachhaltig genug thema- sozialen Kontrolle vollziehen. tisiert werden, wie es auch im Antrag gefordert wird. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlin Dies allein nützt auf die Dauer aber wenig. Er muß in gen] [F.D.P.]) der Praxis einer Lösung zugeführt werden. Die Zahlen des UNO-Menschenrechtszentrums sprechen doch Deshalb ist Wien wichtig. Deshalb ist eine deutsche eine sehr eindeutige Sprache. Ich möchte sie nicht Außen- und Entwicklungspolitik wichtig, die Partei wiederholen; sie sind im Antrag dargestellt. für Menschenrechte ergreift, aber auch dabei hilft, eine menschliche, zivile Gesellschaft aufzubauen — Der Gedanke einer erweiterten Prävention ist und dies nach eigenem Willen und nach eigenen sicher gut und nützlich, um schwelendem Unheil Gestaltungsvorstellungen unserer Partner. vorzubeugen. Darüber hinaus geht es meines Erach- Ich danke Ihnen. tens darum, Ursachen zu beseitigen oder wenigstens zu beeinflussen — genug Arbeit für die Regierun- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der gen. SPD und der PDS/Linke Liste) Apropos Regierungen: Sie sollten sich — gegensei- tig, ehrlich — mehr auf die Finger schauen. Massen- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste hafte Verletzungen von Menschenrechten dürfen spricht die Kollegin Angela Stachowa. weder stillschweigend geduldet noch indirekt befördert werden durch Schritte in der Außen-, Wirt- Angela Stachowa (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- schafts-, Entwicklungs-, Bündnis- oder Rüstungspoli- tin! Meine Damen und Herren! Universalität, Ver- tik; dies gegenüber dem Bündnispartner Türkei bindlichkeit und Unteilbarkeit der politischen, wirt- genauso wie gegenüber China. Das hat ohne Unter- schaftlichen, sozialen, kulturellen und aller anderen schiede zu gelten. Menschenrechte — das ist ein Anspruch, der nicht nur Das heutige Thema und der Jahresbericht des Politikzielvorstellung sein darf, sondern in der Realität Ausschusses für Grundfreiheiten und innere Angele- mit Hilfe der Politik und als Verpflichtung der Regie- genheiten über die Achtung der Menschenrechte in rungen auch durchgesetzt werden muß. der Europäischen Gemeinschaft, der sogenannte de- International in vielen Konventionen anerkannt, Gucht-Bericht vom 27. Januar dieses Jahres, machen obliegen die Pflichten zur tatsächlichen Durchsetzung aber auch deutlich, daß jedes Land, jedes Parlament der Menschenrechte den einzelnen Staaten. Daß und jede Regierung dem eigenen Gewissen verpflich- damit vieles im argen in der Welt liegt, beweisen uns tet sein müßten, nicht nur mit dem Finger auf das 13812 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Angela Stachowa Ausland zu zeigen, sondern die Verwirklichung der sparen können! Peinlich! — Erneuter Gegen Menschenrechte auch im Inneren selbstkritisch unter ruf der Abg. Dr. [PDS/ die Lupe zu nehmen. Linke Liste]) Die Aussagen im de-Gucht-Bericht zur Bundes- — Können Sie Ihren Disput nicht unterbrechen? republik Deutschland im Abschnitt „Politische und gewerkschaftliche Diskriminierung" kann ich hier aus Zeitgründen ausführlich nicht wiederholen, eben- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Im Moment hat sowenig die Antworten der Bundesregierung auf der Kollege Gerd Poppe das Wo rt. Wenn Sie sich unsere Kleine Anfrage zum Bericht. weiter unterhalten wollen, tun Sie das doch bitte an anderer Stelle. Dieser konstatiert jedoch nüchtern politische Dis- - kriminierungen für bestimmte Berufsgruppen in der ehemaligen DDR, Nichteignung — um es konkret zu Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau sagen: „Berufsverbote" — wegen nicht näher defi- Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst nierter „Staatsnähe" und äußert seine Besorgnis möchte ich Sie davon in Kenntnis setzen, daß die angesichts der Entlassungen von Lehrern, Hochschul- Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehrheitlich den lehrern, im öffentlichen Dienst usw. Bei einer solchen Beschluß gefaßt hat, ihre Unterschrift unter den inter- Bewertung hätte ich doch etwas mehr Ernsthaftigkeit fraktionellen Antrag zur Weltmenschenrechtskonfe- bei der Beantwortung unserer Anfrage und mehr renz zurückzuziehen. Davon nicht berührt ist die Nachdenklichkeit der Bundesregierung bei der Ein- Feststellung, daß wir den Formulierungen des Antrags schätzung des Umgangs mit den Ostdeutschen erwar- generell zustimmen. tet. Das Ausklammern von vielen Menschen aus dem (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Wie soll man aktiven tagtäglichen Leben, ja aus der Gesellschaft, das verstehen?) hat sehr wohl etwas mit der Verwirklichung von — Ich versuche es zu erklären. Menschenrechten in Deutschl and zu tun. Eine Mehrheit der Gruppe, der ich in diesem Falle Noch ein Wort zum Antrag der SPD zu Menschen- nicht angehörte, sieht nach den gestrigen Entschei- rechtsverletzungen an Frauen. Ich begrüße insbeson- dungen einen Widerspruch da rin, daß der Deutsche dere die Forderung, die Bundesregierung möge sich Bundestag anläßlich der Wiener Menschenrechtskon- dafür einsetzen, daß Menschenrechtsverletzungen an ferenz Forderungen erhebt, denen auf nationaler Frauen auf der Wiener Konferenz herausragende Ebene durch die neue Asylgesetzgebung nicht Rech- Aufmerksamkeit gewidmet wird. Noch zu oft werden nung getragen wird. in der Welt Menschenrechte als Männerrechte betrachtet, auch in unserem eigenen Lande. Von einer (Beifall bei der PDS/Linke Liste) gleichen Teilhabe der Frauen in allen gesellschaftli- Das betrifft insbesondere die Verbesserung der Mög- chen Bereichen sind auch wir noch meilenweit ent- lichkeit von Indidvidualbeschwerden. Wir unterstüt- fernt. zen seit langem die Forderung, daß solche gegenüber Zum Abschluß gestatten Sie noch eine persönliche einem internationalen Gerichtshof erhoben werden Bemerkung zum Ausgang des Prozesses gegen das können. Mitglied des Deutschen Bundestages, meinen Kolle- Andererseits hat der Deutsche Bundestag gestern gen Dr. ; ausgerechnet Flüchtlingen, die zu uns kommen wol- (Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Das len, ein vergleichbares Individualrecht gegenüber hat doch nichts mit Menschenrechten zu den deutschen Behörden genommen. Ohne die gestrige Debatte wieder aufnehmen zu wollen, tun!) beschränke ich mich auf die Feststellung, daß Asylbe- denn diesen Prozeß be trachte ich auch unter dem werber, die aus sogenannten sicheren Drittstaaten Blickwinkel der Menschenrechte. kommen, keinen Anspruch mehr auf eine unseren (Zuruf von der CDU/CSU: Die ihr früher Menschenrechtskriterien genügende Überprüfung verletzt habt!) ihres Anliegens haben. Ich freue mich — gestatten Sie etwas herbere Worte —, Dennoch bleibt es dabei, daß wir dem vorliegenden daß mit diesem Urteil politische Siegermentalität nicht Antrag zustimmen. Eine ganze Reihe unserer Forde- über die Justiz gesiegt hat. Ich freue mich auch rungen ist darin enthalten. Auch einzelne unserer darüber, ihn bald wieder hier begrüßen zu können. Formulierungsvorschläge wurden berücksichtigt, und (Beifall bei der PDS/Linke Liste) das begrüßen wir. Wir bedauern allerdings nachdrücklich, daß die in der Ursprungsfassung der SPD-Fraktion enthaltene Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der Aufforderung an die Bundesregierung, das Überein- Kollege Gerd Poppe. kommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisa- tion zum Schutz der indigenen Völker zu zeichnen Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau und dem Bundestag zur Ratifizierung vorzulegen, in Präsidentin! Meine Damen und Herren! dem Antrag nicht mehr enthalten ist. (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ (Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Wir CSU]: Das war zum Schluß sehr peinlich! — haben sowenig Indianer!) Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann — Es geht ja um eine Weltmenschenrechtskonferenz, [PDS/Linke Liste] — Dr. Karl-Heinz Horn- lieber Herr Kollege Scharrenbroich, und nicht um eine hues [CDU/CSU]: Den Schluß hätten Sie sich deutsche Menschenrechtskonferenz. — Und das aus- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13813

Gerd Poppe gerechnet im Jahre 1993, das von den Vereinten in Berlin gewesen, damit dann im Jahre 2000 die Nationen zum Jahr der indigenen Völker erklärt Olympiade in Peking stattfinden könnte, natürlich wurde l unter der Voraussetzung, daß Menschenrechte dort dann inzwischen einen anderen Stellenwert haben als Wie vielen von Ihnen bekannt sein dürfte, hat vor bisher. etwas über zwei Wochen hier in Bonn eine Anhörung zur Vorbereitung der Weltmenschenrechtskonferenz (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke stattgefunden, an der über 20 deutsche Menschen- Liste) rechtsorganisationen und darüber hinaus auch Ver- Hoffen wir also auf Wien. Die Chancen, dort in treter der Bundesregierung und Mitglieder dieses Menschenrechtsfragen erheblich voranzukommen, Hauses beteiligt waren. Während dieser Anhörung sind nicht sehr groß. Wir meinen dennoch, daß die wurden eine Reihe bedenkenswerter Handlungsvor- Konferenz zu einigen Fortschritten führen kann, und schläge an die Bundesregierung gemacht. Einige von werden uns in der Zeit danach gemeinsam mit allen ihnen sind auch in dem Antrag enthalten, z. B. zum Fraktionen dieses Hauses weiter darum bemühen, in schon erwähnten Menschenrechtsgerichtshof. der von uns geforderten Richtung — d. h. der Aner- Erinnert sei aber auch noch einmal an die generelle kennung der Universalität und der Unteilbarkeit der Forderung der Menschenrechtsorganisationen, das Menschenrechte durch die internationale Staatenge- individuelle Recht auf Asyl uneingeschränkt zu erhal- meinschaft — endlich einen Durchbruch zu erzielen. ten und den bisherigen Art. 16 des Grundgesetzes (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zum Maßstab für ein noch zu schaffendes gemeinsa- bei der SPD und der PDS/Linke Liste) mes europäisches Asylrecht zu machen. Hervorheben möchte ich schließlich noch die For- derung der deutschen NGOs nach klar definierten Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun bittet der Grundsätzen für Rüstungsexporte. Danach sollen alle Kollege Duve um das Wort zu einer Kurzintervention Rüstungsexporte in Länder verboten werden, bei von maximal zwei Minuten. denen nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie zu (Abg. Freimut Duve [SPD] begibt sich zum Menschenrechtsverletzungen beitragen. Es hätte Rednerpult) dem Deutschen Bundestag gut angestanden, diese — Bitte sprechen Sie vom Saalmikrofon aus. Forderung auch in den vorliegenden Antrag aufzu- nehmen und sie damit zum Betandteil der Politik der Bundesregierung werden zu lassen. Freimut Duve (SPD): Wir hatten den Standort für Mit interfraktionellen Anträgen verhält es sich wie Zwischenbemerkungen in den Regeln, glaube ich, mit allen Kompromissen: Kleinste gemeinsame Nen- nicht festgesetzt — aber wenn die Präsidentin das ner machen zwar begrenzt h andlungsfähig, oftmals sagt. aber um den Preis des Verlustes wesentlicher Inhalte. Herr Scharrenbroich, Sie haben die Universalitäts- Vergleichbares läßt sich natürlich zu den Kompromis- diskussion der letzten Monate angesprochen. Wir sen auf der Ebene der Vereinten Nationen und insbe- hatten vor 14 Tagen in Budapest eine IPU-Konferenz sondere zur Weltmenschenrechtskonferenz selbst über die Wiener Konferenz. Dabei ist mir klargewor- feststellen. Deren Vorbereitungen standen nicht den — das möchte ich hier unter uns gern loswerden, gerade unter einem glücklichen Ste rn. Die Streitigkei- weil wir sehr oft darüber diskutiert haben —: Es geht ten um Tagesordnung und Abschlußdokument verrin- zum einen um diese Frage. Aber es wird in Wien gern die Erfolgschancen dieser Konferenz. vertieft auch um die Frage gehen, inwieweit die Wir meinen, daß der Durchbruch im Sinne der Menschenrechte — unabhängig von ihrem universel- Universalität der Menschenrechte ohne einschnei- len oder regionalen Charakter — als Waffe gegen den dende Reformen des gesamten Regelwerks der Ver- anderen benutzt werden. Diese formale Frage wird einten Nationen nicht erwartet werden kann. In die- immer dramatischer. Wir haben das ja erlebt. sem Zusammenhang finde ich, daß die Aussage des Da wir uns alle im Kalten Krieg in dieser Beziehung Antrags über die Unteilbarkeit wirtschaftlicher, sozia- sehr schuldig gemacht haben — die einen da, die ler, kultureller, bürgerlicher und politischer Rechte anderen dort —, wäre es vielleicht gut, wenn wir alle von besonderer Bedeutung ist. über diese Formfrage — das nicht immer die auf der Abschließend möchte ich noch ein letztes Mal anderen Seite die Bösen sind — mit den Delega tionen meinem Ärger über das Nichtzustandekommen der aus der Dritten Welt intensiv reden. Ich sage das vor Konferenz in Berlin Ausdruck geben, allem vor dem Hintergrund unserer Situa tion, verehr- ter Herr Kollege Scharrenbroich. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste Nach dem Versuch des Völkermords in Bosnien an — Zuruf von der F.D.P.: Warum denn das?) den eineigen traditionellen Muslimen in Europa wird zumal die fragwürdige Hektik, mit der die Olympia- die Diskussion von Europäern über Minderheiten- bewerbung betrieben wird, einmal mehr Zweifel an schutz, Individualschutz und Menschenrechte in der der Stichhaltigkeit der seinerzeit für die Absage Dritten Welt eine ganz andere Qualität bekommen. gegebenen Begründung aufkommen läßt. Darauf müssen wir Europäer uns sehr bewußt vorbe- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Helmut reiten, auch schon in Wien. Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]) Danke schön. Meine Wunschvorstellung wäre — das ist vielleicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten etwas utopisch — die Weltmenschenrechtskonferenz der CDU/CSU) 13814 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun erhält der hartnäckigsten vorenthalten werden, in denen die Kollege Scharrenbroich das Wort zu einer Erwide- Würde des Menschen mit Füßen getreten wird. rung, und zwar ebenfalls vom Saalmikrofon aus. Gerade das bestärkt die Bundesregierung in ihrer Entschlossenheit, mit Nachdruck für einen Erfolg Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Frau Präsi- dieser Konferenz zu arbeiten. Unser Konferenzziel ist dentin, recht herzlichen Dank. — Ich stimme dem es, den Menschenrechtsschutz weltweit auszubauen Kollegen Duve zu und habe in meiner Rede auch und zu verbessern. Die Bundesregierung begrüßt es gesagt, daß wir nach der Konferenz den Dialog gerade deshalb ausdrücklich, daß sich der Deutsche Bundes- auch darüber fortführen müssen. tag heute mit zwei Anträgen befaßt, die in die gleiche Außerdem ist dies auch der Grund, warum wir das Richtung zielen und die ein weiteres Mal- einen noch in die Änderung des gemeinsamen Antrages eindrucksvollen Grundkonsens der Parteien in der eingebracht haben, nämlich zu sagen, daß dieser Frage der Menschenrechtspolitik in den Außenbezie- Punkt im Geiste internationaler Zusammenarbeit wei- hungen widerspiegeln. terhin umzusetzen ist. Vieles, was in diesen Anträgen dazu gefordert wird (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: und wofür sich die Bundesregierung zum Teil seit Das ist der Grund! Das ist Ihnen, Herr Duve, Jahren einsetzt, befindet sich inzwischen auch in den wahrscheinlich entgangen!) mit Menschenrechten befaßten internationalen Gre- mien auf gutem Weg. Die Aussicht auf die Menschen- rechtsweltkonferenz allein hat das nicht bewirkt. Es Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun erhält Frau bedurfte auch des Schocks der massenhaften Men- Staatsministerin Ursula Seiler-Albring das Wo rt . schenrechtsverletzungen im ehemaligen Jugosla- wien, um die Völkergemeinschaft einschließlich man- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin im Auswärti- cher Partner im Westen für unsere Menschenrechts- gen Amt: Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- ziele zu gewinnen. ren! Für die Bundesregierung ist die Weltmenschen- (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Sehr rich rechtskonferenz, zu der sich die Staatengemeinschaft tig!) vom 14. bis zum 25. Juni dieses Jahres in Wien Am deutlichsten wird dies am Beispiel des Schutzes versammeln wird, von großer Bedeutung. Sie hat der Frauen vor Menschenrechtsverletzungen. diese Konferenz von Anfang an als Chance begriffen, das auf dem Gebiet der Menschenrechte bisher Erreichte feierlich zu bekräftigen und gleichzeitig die Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Staatsmini- Anerkennung, Respektierung und den Schutz der sterin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Menschenrechte weltweit weiter voranzutreiben. Duve? In diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu Ihren Äußerungen, Herr Poppe. Ich hatte am 21. Fe- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin im Auswärti- bruar des letzten Jahres in diesem Hohen Hause gen Amt: Bitte, Herr Duve. ausführlich Gelegenheit, darzustellen, weshalb die Bundesregierung nach langem Abwägen dazu kom- Freimut Duve (SPD): Frau Staatsministerin, Sie men mußte, die — — haben soeben die Menschenrechtsverletzungen im (Helmut Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Das ehemaligen Jugoslawien erwähnt. Vor wenigen war nicht überzeugend!) Tagen ist beschlossen worden, einen Gerichtshof Die Debatte, die wir heute im Laufe des Vormittags einzurichten. Die Kosten sind schon ungefähr bemes- geführt haben, mag ein Indikator dafür sein, daß es sen worden. Was wird die Bundesregierung tun, um sehr wohl richtig war, dies so zu tun. Ich möchte Ihnen bei den Vorbereitungen zur Aufnahme dieser Verfah- empfehlen, dies noch einmal nachzulesen, wenn Sie ren möglicherweise auch finanziell zu helfen, die Zeit haben. (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Ihre Pflicht (Helmut Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Das tun!) Zahlenmaterial stimmt nicht!) damit auch die Kosten der Vorbereitungsuntersu- Dann werden Sie nämlich sehen, daß sich die Bundes- chungen wirklich getragen werden können? regierung diese Entscheidung nicht leichtgemacht hat, sondern nach dem Abwägen des Für und Wider Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin im Auswärti- nicht zu einer anderen Entscheidung kommen gen Amt: Herr Kollege Duve, ich will im Lauf meiner konnte. Rede auf diese Frage noch eingehen Die Vorbereitung der Konferenz in diesem Jahr ist (Freimut Duve [SPD]: Entschuldigung; das eher schwierig. Ich verhehle hier nicht, daß wir heute, wußte ich nicht!) wenige Wochen vor Konferenzbeginn, auch die und dann auch gern auf die Frage der Finanzierung Gefahr eines Mißerfolgs nicht gänzlich ausschließen Antwort geben. können. Es gibt eine Anzahl Länder, die eine Weiter- entwicklung und Verbesserung des Menschenrechts- (Freimut Duve [SPD]: Danke schön!) schutzes zu verhindern trachten, ja am liebsten hinter Zurück zum Schutz der Frauen vor Menschen- das bereits Erreichte zurückgehen möchten. Die Ob- rechtsverletzungen. Nach erfolgreichen Anläufen in struktion kommt von Ländern, in denen es um die der Vergangenheit hat die Menschenrechtskommis- Menschenrechte nicht zum besten bestellt ist, in sion nicht zuletzt auf Grund deutscher Bemühungen denen fundamentale Grundrechte und Freiheiten am jetzt beschlossen, sich auf ihrer nächsten Sitzung mit Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13815

Staatsministerin Ursula Seiler-Albring der Bestellung eines Sonderberichterstatters für die seren finanziellen Ausstattung, des Menschenrechts- Rechte der Frauen zu befassen. Dies ist ein wichtiger zentrums in Genf eine zentrale Bedeutung zu. Schritt. Herr Bindig, ich bin sicher, daß Ihnen das nicht Es besteht ein breiter Konsens unter den VN- entgangen ist: Diese 120 000 DM, die Sie hier korrekt Mitgliedsstaaten, daß dem Schutz der Frauen auch auf angegeben haben, sind ein freiwilliger Beitrag der der Menschenrechtsweltkonferenz besondere Auf- Bundesregierung für beratende Dienste. Sie wissen, merksamkeit geschenkt werden muß. Die Bundesre- wie alle anderen hier, natürlich, daß die Finanzierung gierung hat zusammen mit ihren EG-Partnern zen- dieses Zentrums aus den Pflichtbeiträgen resultiert trale Aussagen hierzu in den Entwurf des Schlußdo- und daß die Bundesregierung einer der größten und kuments einfügen können. vor allem ein pünktlich zahlender Beitragszahler- ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein anderes Beispiel ist der internationale Strafge- richtshof. Durch deutsches Drängen sind wir hier ein Aber, um darauf zurückzukommen, wir sind uns, gutes Stück weitergekommen. Die inte rnationale Völ- nehme ich an, einig, daß diese finanzielle Ausstat- kerrechtskommission hat jetzt den Auftrag, ein Statut tung, woher sie auch kommt, ob nun aus Pflichtbeiträ- auszuarbeiten. Da dieser Strafgerichtshof für die gen oder aus freiwilligen Beiträgen, dringend und schrecklichen Verbrechen in Ex-Jugoslawien zu spät substantiell erhöht werden muß. kommen wird, haben sich die Bemühungen der Bun- (Rudolf Bindig [SPD]: Macht es doch!) desregierung und ihrer Partner — wie Sie, Herr Duve, Dem seit langen Jahren von deutscher Seite verfolg- soeben noch einmal vermerkt haben — zusätzlich ten Ziel eines Hochkommissars für Menschenrechte darauf gerichtet, einen Ad-hoc-Strafgerichtshof ein- konnten wir einen wichtigen Schritt näherkommen. zurichten. Trotz schwieriger Probleme konnte der Der Hochkommissar oder ein in Rang und Kompetenz Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am vergange- angehobener Leiter des Menschenrechtszentrums ist nen Dienstag, also vorgestern nacht, die Einrichtung nunmehr eine gemeinsame Forderung der Zwölf für des Ad-hoc-Strafgerichtshofs zur Aburteilung von die Weltkonferenz. Dies zu erreichen war nicht leicht. Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien be- Manche Partner haben ihre Vorbehalte zu einzelnen schließen. Aspekten buchstäblich erst in letzter Minute zurück- (Helmut Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Das gezogen. war gut!) Gemeinsam mit der dänischen Präsidentschaft haben wir die Forderung nach dem Hochkommissar in Diese Entscheidung ist ganz neu. die Verhandlung zum Schlußdokument eingeführt. Sie wissen, Herr Duve, daß sich sowohl das Parla- Gleichgerichtete Anträge Costa Ricas und der Verei- ment als auch die Bundesregierung, speziell die nigten Staaten folgten, so daß der Entwurf des Schluß- beiden letzten Außenminister, intensiv hierfür einge- dokuments jetzt eine Fülle von Vorstellungen für setzt haben. Ich kann Ihnen an dieser Stelle versi- dieses Projekt enthält. Damit ist die Schaffung des chern, daß wir an der Implementierung dieses Amtes noch keineswegs sicher. Die betreffenden Beschlusses nach Kräften mithelfen wollen. Dies ist Textpassagen sind umstritten und stehen ebenso ein ganz zentrales Anliegen. Da wir in Jugoslawien in unter Vorbehalt wie der gesamte, über 50 Seiten bestimmter Hinsicht nicht einschreiten bzw. uns nicht umfassende Entwurf des Schlußdokuments. engagieren können, werden und müssen wir gerade Ich sage damit zugleich, daß der Erfolg der Men- in diesem Bereich das Menschenmögliche tun, was schenrechtsweltkonferenz insgesamt noch keines- uns zu Gebote steht. wegs gesichert ist. Aber wir haben einige wichtige Etappenziele erreicht, die uns ermutigen, beharrlich (Beifall im ganzen Hause) unseren Weg fortzusetzen. Die Bundesregierung ist Unsere Bemühungen dürfen sich allerdings nicht dazu fest entschlossen. auf die nachträgliche Ahndung von Menschenrechts- Vielen Dank. verletzungen beschränken, so wichtig dies schon (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — wegen der Abschreckung ist. Der präventive Men- Helmut Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Wir schenrechtsschutz ist und bleibt für die Bundesregie- unterstützen Sie!) rung ein zentrales Ziel ihrer internationalen Men- schenrechtspolitik. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Es spricht die Die Menschenrechtsweltkonferenz muß genützt Kollegin Susanne Rahardt-Vahldieck. werden, um die vorhandenen Instrumente und Mechanismen des VN-Systems besser zu koordinie- ren, auszustatten und gegebenenfalls zu ergänzen. Susanne Rahardt-Vahldieck (CDU/CSU): Frau Prä- Diese grundsätzliche Zielsetzung der Bundesregie- sidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte rung für die Menschenrechtsweltkonferenz ist in das ich mich bereits vorweg entschuldigen, daß ich nach von den Zwölf erarbeitete Positionspapier eingegan- meinem Redebeitrag wahrscheinlich diese Debatte gen. Es enthält die Forderung nach einem das ganze verlasse. Ich weiß, das gehört sich nicht. Aber es hat VN-System umgreifenden Ansatz, der auf den Prinzi- eine extreme zeitliche Verzögerung gegeben, und pien der Universalität und Unteilbarkeit der Men- eigentlich sollte ich in der Gemeinsamen Verfas schenrechte sowie der Kooperation der Staaten sungs beruht. In diesem Konzept der Zwölf kommt konse- kommission schon lange etwas zu Art. 3 erzählen, was quenterweise der Förderung, einschließlich der bes- auch im Interesse der Frauen, mindestens dieses 13816 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Susanne Rahardt-Vahldieck Landes, sein könnte. Deshalb bitte ich um Ausnahme- An dieser Frage Menschenrechte müssen wir alle dispens. — Das ist das erste. gemeinsam arbeiten. Das gilt auch für Menschen- rechtsverletzungen an Frauen, vielleicht gerade für Das zweite. Der Kollege Scharrenbroich hat völlig diese; denn wir wissen, daß es viele andere Kulturen zu Recht auf die gute Tradition in diesem Hause gibt, in denen das, was wir unter Menschenrechten als hingewiesen, daß Menschenrechtsfragen, wenn es Frauenrechten verstehen, anders gewertet wird. Wer irgendwie geht, von uns gemeinsam erarbeitet und sind wir denn, daß wir von uns aus von vornherein vorgeschlagen werden. Um so bedauerlicher finde sagen können: „Mit denen reden wir nicht, denen ich, daß dieser Antrag, zu dem ich mich speziell schreiben wir was vor"? Da ist behutsames gemeinsa- äußern möchte, nämlich be treffend Menschenrechts- mes Arbeiten erforderlich. - verletzungen an Frauen, von den Sozialdemokratin- nen und Sozialdemokraten etwas kurzfristig und ohne (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: jeden Versuch einer gemeinsamen Abstimmung hier Wo der Duve recht hat, hat er recht!) vorgetragen worden ist. Es sind in diesem Antrag sehr viele Punkte enthalten, denen wir uns sofort anschlie- Genau das versucht die Bundesregierung zu leisten ßen können. Das ist gar keine Frage. Leider gilt das oder versucht dieses Parlament immer gemeinsam zu nicht für alle. leisten. Ich erinnere nur an die vergangenen Ent- schließungen. Wir sind uns darüber einig, daß Frauen häufig, wenn nicht sogar fast immer, doppelt und dreifach Deswegen bin ich auch etwas unglücklich — sage verfolgt werden. Sie werden vielleicht politisch ver- ich einmal -- über einige Formulierungen in diesem folgt, verfolgt wegen ihrer politischen Einstellung, sie Antrag. Die ganzen Forderungen zur Menschen- werden verfolgt als Mitglied einer bestimmten Bevöl- rechtskonferenz werden zusammengemengt mit For- kerungsgruppe, und sie werden zusätzlich ihres derungen, die ansonsten sehr wichtige, aber nicht Geschlechts wegen einer besonderen Verfolgung unbedingt hier relev ante Frauenanliegen be treffen. ausgesetzt, sei es, daß man versucht, über sie ihre Es werden auch Forderungen gestellt, die die Bundes- Familienangehörigen unter Druck zu setzen, sei es, regierung gar nicht erfüllen kann. Wenn z. B. gefor- daß man, wie jetzt im ehemaligen Jugoslawien, ver- dert wird, daß die Bundesregierung eine Maßnahme sucht, über die Zerstörung der Frau, der Ehre der Frau ergreifen solle mit dem Ziel, daß im Verwaltungsge- — sage ich einmal in Anführungsstrichen —, ganze richtsverfahren sexuelle Gewalt als Fluchtgrund Völker zu vernichten. Sie sind ein besonders beliebtes berücksichtigt wird, dann kann die Bundesregierung Opfer. Das wissen wir. Wir alle beklagen dies, wir alle wegen der Unabhängigkeit der Gerichte diese Forde- finden dies furchtbar, und wir bemühen uns auch, rung nicht erfüllen. Das geht überhaupt nicht. Da ist nach den Kräften, die wir haben, dagegen anzuge- die Formulierung also völlig schief. hen. Wir sind uns darüber einig, daß viele Verwaltungs- Die Bundesregierung — Frau Seiler-Albring hat gerichte oder viele Verwaltungsrichter diesen Ge- darauf hingewiesen — hat sich ja schon seit einiger sichtspunkt noch nicht ausreichend beurteilen. Zeit eingesetzt, z. B. für diesen Sonderberichterstat- ter. Jetzt erst sind die Vereinten Nationen willens und (Hanna Wolf [SPD]: Weil sie keine Ahnung bereit, diese Frage überhaupt zu diskutieren. Wir haben!) haben uns ferner für diesen internationalen Gerichts- — Vielleicht ist das deshalb so, weil sie darüber noch hof eingesetzt, der immer wieder gefordert worden ist und der jetzt ja wohl eingerichtet werden soll. Auch nicht ausreichend informiert sind. Trotzdem kann die die Behandlung von Vergewaltigungen als Kriegs- Bundesregierung sie nicht durch Maßnahmen dazu verbrechen ist eine Forderung dieser Bundesregie- zwingen. Das wäre wider die Unabhängigkeit unserer rung. Damit laufen Sie bei uns also völlig offene Türen Gerichte. ein. (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: (Hanna Wolf [SPD]: Das hätten Sie schon Ein bißchen Nachhilfeunterricht ist gut!) längst machen können! Wir können ankla gen!) Oder die Forderung unter Punkt 3: Da geht es um die Behandlung von Vergewaltigungsopfern. Nach — Wir wissen doch, daß wir so etwas nur gemeinsam machen können. Menschenrechte sind unteilbar. meiner Kenntnis ist vieles von dem, was Sie hier fordern, Länderaufgabe. Ich würde anregen, daß Sie Auch die Bekämpfung von Menschenrechtsverlet- die Regierungen der von Ihrer Partei regierten Bun- zungen kann nur international erfolgen. Wir können desländer bitten, sich entsprechend energisch darum uns nicht allein hier hinstellen und sagen: Wir wissen alles besser, und ihr anderen Völker habt gefälligst zu kümmern. mitzuziehen. Wenn hier die Forderung erhoben wird, die Behandlung müsse auch von Frauen gewünschte (Beifall bei der CDU/CSU — F riedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Sehr wahr! Sehr Schwangerschaftsabbrüche umfassen, so ist das gut!) selbstverständlich, gut und richtig, solange sich das im Rahmen der jetzt geltenden Gesetze hält. Aber die Das ist doch eine Arroganz, meine ich, die man vielen Bundesregierung kann wohl kaum verpflichtet wer- anderen Nationen, die einen etwas anderen kulturel- den, eine Behandlung zuzulassen oder gar einzurich- len Hintergrund als wir haben, nicht einfach zumuten ten, die gegen jetzt hier geltendes Strafrecht ver kann. stößt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13817

Susanne Rahardt-Vahldieck Ganz offenbar ist dieser Antrag, so gut er gedacht von Vergewaltigung durch Staatsorgane, so würde ist, also in einigen Punkten nicht ausreichend über- das Bundesamt in Zirndorf niemals wie folgt entschei- dacht. den: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein solches Vergehen Diese ganzen Punkte müssen wir diskutieren, speziell um dem Grundanliegen dieses Antrags, das ja unser — gemeint ist Vergewaltigung — aller Anliegen ist, Rechnung tragen zu können. ist grundsätzlich nicht politisch motiviert, sondern Ich habe mich belehren lassen, daß zuständig für die stellt eine „normale" kriminelle Straftat dar. Beratung dieses Antrags der Auswärtige Ausschuß ist, da es sich um eine Menschenrechtsfrage handelt. Da Diese zwei Beispiele zeigen, daß Menschenrechtsver-- es aber um Menschenrechtsverletzungen speziell an letzungen an Frauen und an Männern mit unter- Frauen geht, beantragen wir Überweisung an den schiedlichem Maß gemessen werden. Auswärtigen Ausschuß und an den Ausschuß für Die Bundesregierung wird nicht müde, von der Frauen und Jugend, damit dem Aspekt „Frauen und größer gewordenen Verantwortung Deutschlands Kinder", der ja ganz wesentlich ist, gesondert Rech- und ihren internationalen Verpflichtungen zu reden. nung getragen werden kann; Dabei greift sie jedoch immer zu kurz, weil sie nur (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ militärische Optionen darunter versteht. Diese Op tion CSU]: Zur Mitberatung!) ist aber die hilfloseste Form der Politik — eine Reak- denn so sehr ich das Engagement aller Außenpolitiker tion, wenn alles andere bereits fehlgelaufen ist. Die schätze, könnte es doch sein, daß einige der Fragen, kreativere, intelligentere, effizientere Politik kann nur die gerade das Inland be treffen, noch intensiver und die Aktion sein auf dem Gebiet der Außenpolitik, der mit mehr Wohlwollen im Ausschuß für Frauen und Wirtschaftspoli tik, natürlich der Entwicklungspolitik Jugend diskutiert werden. Das ist also mein Antrag, und hierzulande im Bereich der Rechtspolitik und und ich bitte Sie herzlich, dem zuzustimmen. auch der Innenpolitik. (Helmut Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU]: Mit Was die Belange von Frauen angeht, so werden sie beratend!) von der Regierungskoalition immer nur dann aus dem — Mitberatend; natürlich. — Hut gezogen, wenn sie damit andere Ziele besser erreichen kann. Aber warum sind in der Bundesrepu- Es ist nichts damit gewonnen, über diesen Antrag blik nicht schon längst Strafverfolgungsmaßnahmen jetzt abzustimmen. Auf Grund einiger Punkte, die ich gegen die Massenvergewaltigungen in Ex-Jugosla- angesprochen habe, können wir ihm so nicht zustim- wien eingeleitet worden? Wir brauchen nicht auf men; er müßte abgelehnt werden. Ich habe die Hoff- UN-Entscheidungen zu warten — es ist schade, daß nung, daß wir in der Lage sind, zur Menschenrechts- meine Kollegin, Frau Rahardt-Vahldieck, nicht mehr konferenz einen Antrag vorzulegen, der speziell die da ist —, denn auf Grund der Genfer Rotkreuz- Themen zusammenfaßt, die für diese Konferenz wich- Abkommen von 1949 ist auch die Bundesrepublik tig sind, die wir alle gemeinsam sehen und deren verpflichtet, diese Verbrechen durch ihre eigenen Behandlung wir alle durchsetzen wollen. Die anderen Ermittlungsbehörden zu verfolgen. Umfangreiche Themen, die hier angesprochen werden und die Täterlisten, die durch Zeugenaussagen bestätigt sind, ebenfalls wichtig sind, aber nichts direkt mit dieser existieren bereits. Eine Verurteilung in der Bundesre- Konferenz zu tun haben, sollten wir unter den Frauen publik wäre nach dem geltenden Weltrechtsprinzip und in den dann beteiligten Ausschüssen und Arbeits- möglich. gruppen später diskutieren. Das ist meine Bitte. Dem Anliegen der Frauen wird nicht durch einen Gestern endlich hat der UN-Sicherheitsrat ein mit einer etwas zu heißen Nadel genähten Antrag Kriegsverbrechertribunal beschlossen. Rechnung getragen; denn diesen müßten wir ableh- Wir haben unseren Antrag „Gegen Menschen- nen, und dann hätten wir überhaupt nichts in den rechtsverletzungen an Frauen" aus mehreren Grün- Händen. Lassen Sie uns diesem Anliegen gemeinsam den eingebracht. Vielleicht entnehmen Sie jetzt die- Rechnung tragen! Stimmen Sie der Überweisung zu! sen Gründen, warum wir das heute entschieden sehen Wir werden uns bemühen, speziell für die Frauen möchten. etwas zusammenzubasteln, was für die Menschen- rechtskonferenz im Juni mitgenommen werden kann Erstens steht die Weltkonferenz über Menschen- und was dem Rechnung trägt, was wir alle wollen. rechte in Wien unmittelbar bevor. Die Menschen- Danke. rechtsverletzungen an Frauen sollten aber nicht eigens behandelt werden; sie wurden dadurch wieder (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) einmal ganz unsichtbar gemacht. Zweitens sind die Vergewaltigungen im ehemali- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat die Kolle- gen Jugoslawien zwar hinlänglich bekannt; die Ver- gin Hanna Wolf das Wort. folgung der Täter wird aber von der Bundesregierung weder betrieben, noch wird den Opfern gesetzlich von der Bundesregierung Asyl zugesichert. Hanna Wolf (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine drohende Zwangs- Drittens hat der Bundestag im Oktober 1990 ein- beschneidung von Männern kann bei uns ein Asyl- stimmige Beschlüsse zur Bekämpfung von Menschen- grund sein, nicht aber die 80millionenfache Genital- rechtsverletzungen an Frauen gefaßt. Die Bundesre- verstümmelung von Frauen. Wären Männer Opfer gierung hat sie aber immer noch nicht umgesetzt. 13818 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Hanna Wolf Die Bundesregierung erklärte 1988 in ihrer Antwort erstatter oder eine Sonderberichterstatterin für auf eine Große Anfrage von weiblichen Abgeordne- Frauen einzusetzen, daß wir in diesem Jahr zum ten aller Fraktionen, sie halte — ich zitiere — „an der erstenmal eine Resolution über Menschenrechtsver- von ihr proklamierten und praktizierten Unteilbarkeit letzungen an Frauen verabschiedet haben und daß der Menschenrechte fest, weil sie auch gegen Men- sich auch in Wien in der Schlußresolution ein beson- schenrechtsverletzungen an Frauen den sichersten derer Schwerpunkt mit Menschenrechtsverletzungen Schutz bietet" . an Frauen befaßt, daß also wir, die Bundesregierung, Das klingt sehr edel und fair. Es wird hier jede gestützt auf die Beschlüsse des Parlaments, in den Sonderbehandlung zurückgewiesen, sogar eine Son- zuständigen internationalen Gremien durchaus nach- derbehandlung von Frauen. drücklich die besondere Gefährdung von Frauen- und Es liegt jedoch nur ein rhetorischer T rick zugrunde. Kindern anerkennen und dementsprechend handeln? Zwar treffen die Menschenrechte auf Männer und Ist Ihnen das bekannt? Frauen gleich zu, aber es wird übersehen, daß die Muster der Verletzungen dieser Menschenrechte (SPD): Es ist bekannt, daß durch Inter- nach Geschlecht sehr verschieden sein können und Hanna Wolf ventionen von uns geradezu erzwungen werden muß, sind. daß auf dieser Weltmenschenrechtskonferenz detail- In unserem Entschließungsantrag, der sich auf liert über Menschenrechtsverletzungen an Frauen einen einstimmigen Beschluß des Bundestags von berichtet wird. Denn bisher war es üblich - das hat 1990 stützt, verlangen wir deshalb nochmals von der sich auch heute gezeigt —, daß im Zusammenhang mit Bundesregierung, endlich den Bericht über Men- Menschenrechten die Frauenmenschenrechtsverlet- schenrechtsverletzungen an Frauen zu erstellen und zungen immer mit gemeint sind. Aber sie werden in zu veröffentlichen. Noch im Juli 1992 hat die Bundes- ihrer Differenziertheit und ihrer noch größeren Unge- regierung diesen Bericht für Ende 1992 angekün- heuerlichkeit nicht herausstellt. digt, Deswegen betone ich hier noch einmal, daß wir Wo ist er? Gibt es ihn schon? Ist es lediglich nicht erwarten, daß auf dieser Menschenrechtskonferenz opportun, ihn zu veröffentlichen? Müßte der Bericht darüber detailliert berichtet und auch diskutiert vielleicht Maßnahmen nach sich ziehen, die einen wird. Paradigmenwechsel in der Außen-, der Wirtschafts- (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Das ge und der Entwicklungspolitik erfordern? schieht!) Darf ich Ihre Aufmerksamkeit noch mit folgendem Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin Wolf, es gibt vom Kollegen Baum den Wunsch nach konfrontieren: Wäre Ihnen organisierter Männerhan- einer Zwischenfrage. Das würde Ihnen auf die Zeit del bekannt, die Bundesregierung hätte die entspre- nicht angerechnet. Wollen Sie sie zulassen? chenden Maßnahmen dagegen längst ergriffen. Frauen- und Mädchenhandel sind bekannt. Und wo sind die Maßnahmen der Bundesregierung? Hanna Wolf (SPD): Ich würde gern erst diesen Gedanken im Zusammenhang noch vortragen. — Es (Beifall bei der SPD) ging um den Bericht über Menschenrechtsverletzun- Hätten Männer erniedrigende und menschenver- gen. Es wäre von wesentlicher Bedeutung, wenn wir achtende Strafen zu befürchten, wenn sie sich z. B. ihn heute hätten. Warum es ihn nicht gibt, ist unsere gegen einschränkende Kleidervorschriften zur Wehr Frage. setzten, dann wäre ihre asylrechtliche Anerkennung Ich behaupte: Nach dem Bericht kämen Sie nicht unbestritten. Frauen unterliegen vielerorts solcher mehr umhin, durch Gesetz, also verbindlich, klarzu- Vorschriften; aber die Gegenwehr ist angeblich ihre stellen, daß die Verfolgung wegen des Geschlechts Privatsache. und der sexuellen Orientierung als Asylgrund aner- Wäre es eine Tatsache, daß Männer in den Entwick- kannt werden muß. lungsländern nur einen Bruchteil des Frauenlohns Sie müßten einen Wirtschaftsboykott und Handels- verdienten bzw. einen winzigen Bruchteil der Frauen- boykott gegen bestimmte Regierungen vertreten. güter besäßen, jedoch die überwiegende Arbeit leiste- Selbst ein Vertreter des Bundesministeriums für wirt- ten, dann hätten unsere Regierungsstellen schon schaftliche Zusammenarbeit räumte auf einem Hea- längst die Entwicklungshilfe zum Ausgleich aus- ring ein: schließlich auf diese Männer gerichtet. Was kann Entwicklungspolitik ausrichten, wenn Unsere eigene patriarchale Politik hat dazu Finanz-, Wirtschafts- und Handelspolitik andere geführt, daß über lange Jahre hinweg die Entwick- Schwerpunkte setzen? lungshilfe tatsächlich fast ausschließlich Männer- Jetzt, Herr Baum; bitte. strukturen gefördert hat. Der eingeforderte Bericht würde jedoch die völlige Umkehr dieses Prinzips Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt, Herr Kol- erfordern. lege Baum. Die Schlußfolgerungen aus dem zurückgehaltenen Bericht würden der Bundesregierung internationale Gerhart Rudolf Baum (F.D.P.): Frau Kollegin, ist Aktionen abverlangen: die Einrichtung einer UN- Ihnen entgangen, daß sich die Bundesregierung in Sonderberichterstatterin für Menschenrechtsverlet- Genf bei der Menschrechtskommission nachdrücklich zungen — ich freue mich, daß Sie das weiterhin stark dafür ausgesprochen hat, zum erstenmal in der mitfordern —, die Einrichtung eines ständigen inter- Geschichte dieser Kommission einen Sonderbericht nationalen Strafgerichtshofs, der Vergewaltigungen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13819

Hanna Wolf als Kriegsverbrechen verfolgt, und nicht nur eines Jetzt folgt eine strittige Abstimmung. Ad-hoc-Tribunals, die angemessene Behandlung von Es ist beantragt worden, über den Antrag der Menschenrechtsverletzungen an Frauen auf der Welt- Fraktion der SPD „Gegen Menschenrechtsverletzun- konferenz in Wien. gen an Frauen — Weltkonferenz über Menschen- Solange Regierungen — unsere wie die anderer rechte im Juni 1993" auf der Drucksache 12/4953 an Länder — nicht zur Kenntnis genommen haben, daß den Auswärtigen Ausschuß zur federführenden Bera- die Menschenrechte tatsächlich unteilbar sind, daß tung und an den Ausschuß für Frauen und Jugend zur weder Kultur noch Religion, noch das zufällige gesell- Mitberatung zu überweisen. Die SPD-Fraktion hat schaftliche Rollenbild der Geschlechter die individu- beantragt, über diesen Antrag sofort abstimmen zu lassen. ellen Menschenrechte relativieren können, müssen - wir darauf dringen, daß Frauen mindestens 50 % der Der Überweisungsantrag geht vor. Ich lasse zuerst Aufmerksamkeit und 50 % der Mittel bei entsprechen- über den Überweisungsantrag abstimmen. Wer für den Untersuchungen und Maßnahmen erhalten. den Überweisungsantrag an die genannten Aus- Wenn es Ihnen, meine Damen und Herren von der schüsse ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Regierungskoalition, schwerfallen sollte, unserem Gegenstimmen! — Stimmenthaltungen? — Damit ist Entschließungsantrag zuzustimmen, dann möchte ich die Überweisung so beschlossen. Sie daran erinnern, daß er im Grunde keine neuen Positionen enthält, keine Positionen, denen Sie im Prinzip nicht schon am 31. Oktober 1990 zugestimmt Ich rufe nun Punkt 9 der Tagesordnung auf: hätten. Allerdings sind die Forderungen nach der — Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ergebnislos verstrichenen Zeit nun dringender denn ordneten Doris Odendahl, Angelika Barbe, je. Hinhaltende Antworten der Regierung können uns Hans Gottfried Bernrath, weiteren Abgeordne- nicht täuschen. ten und der Fraktion der SPD eingebrachten Wir erwarten einen rückhaltlosen Einsatz der Bun- Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur desregierung für die Menschenrechte von Frauen. Wir Änderung des Bundesausbildungsförderungs- erwarten Taten und Erfolge. Hier haben wir unsere gesetzes größer gewordene Verantwortung und unsere inter- — Drucksache 12/4347 — nationale Verpflichtung zu erfüllen. Ich möchte den Satz des Kollegen Scharrenbroich aufgreifen, daß die (Erste Beratung 156. Sitzung) Bundesregierung bei der Verfolgung von Menschen- — Zweite und dritte Beratung des von den Abge- rechtsverletzungen einen guten Ruf habe. Stimmen ordneten Alois Graf von Waldburg-Zeil, Dr.- Sie diesem Antrag heute bitte zu, selbst wenn Sie in Ing. Rainer Jork, Dr. Else Ackermann, weiteren einigen Punkten diffe rierende Auffassungen haben! Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU Stimmen Sie zu! sowie den Abgeordneten Dr. Margret Funke In 14 Tagen findet die Konferenz in Wien statt. Schmitt-Rink, Dr. , Dirk Hansen und der Fraktion der F.D.P. einge- (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: brachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes Unabhängig davon, ob wir heute zustimmen zur Änderung des Bundesausbildungsförde- oder nicht!) rungsgesetzes (16. BAföGÄndG) Die Bundesrepublik muß in dieser Frage jetzt auch — Drucksache 12/4763 — einmal Flagge zeigen. Es darf nicht dazu kommen, daß versucht wird, die Abstimmung über unseren (Erste Beratung 156. Sitzung) Antrag heute zu vertagen und damit eine Stellung- a) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- nahme unsererseits zu der Menschenrechtskonferenz schusses für Bildung und Wissenschaft in Wien unmöglich zu machen. (21. Ausschuß) (Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Da — Drucksache 12/5021 — hätten Sie sich vorher um Konsens bemühen Berichterstattung: müssen!) Abgeordnete Alois Graf von Waldburg-Zeil Ich bitte sehr herzlich um die Zustimmung des Doris Odendahl Hauses. Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und b) Berichte des Haushaltsausschusses (8. Aus- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksachen 12/5022, 12/5023 — Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- Berichterstattung: dungen liegen nicht vor. Abgeordnete Manfred Hampel Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst Dr. Klaus-Dieter Uelhoff über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD Carl-Ludwig Thiele und F.D.P. „Weltmenschenrechtskonferenz der Ver- Im Ältestenrat war ursprünglich eine Aussprache einten Nationen 1993 in Wien" auf der Drucksache von einer halben Stunde vorgesehen. In der Zwi- 12/5024 (neu). Wer stimmt für diesen Antrag? — Die schenzeit ist mir mitgeteilt worden, daß die Redebei- Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist träge abweichend von unserer Geschäftsordnung zu dieser Antrag einstimmig bei einigen Stimmenthal- Protokoll gegeben werden sollen. Sind Sie damit tungen angenommen. einverstanden? — Damit werden sämtliche Redebei- 13820 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt träge zu Punkt 9 der Tagesordnung zu Protokoll land gegenüber ihren östlichen und südöstli- gegeben. *) chen Nachbarn Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar — Drucksachen 12/2311, 12/4988 — zunächst über den Gesetzentwurf der Fraktion der Berichterstattung: SPD zur Änderung des Bundesausbildungsförde- Abgeordnete Herbert Werner (Ulm) rungsgesetzes auf Drucksache 12/4347. Der Ausschuß Dr. , Ulrich Irmer für Bildung und Wissenschaft empfiehlt auf Drucksa- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist eine che 12/5021 unter der Nr. 1, den Gesetzentwurf Aussprache nicht vorgesehen.*) abzulehnen. Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige- Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/4988, den SPD auf Drucksache 12/4347 abstimmen und bitte Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Drucksache 12/2311 unverändert anzunehmen. Wer len, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegen- Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf probe! — Enthaltungen? — Damit ist diese Beschluß- in zweiter Beratung abgelehnt. Gemäß unserer empfehlung bei vielen Stimmenthaltungen einstim- Geschäftsordnung unterbleiben weitere Beratun- mig angenommen. gen. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und Nun rufe ich Punkt 11 der Tagesordnung auf: F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf der Zweite und dritte Beratung des von den Abge- Drucksache 12/4763. Der Ausschuß für Bildung und ordneten Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Dionys Wissenschaft empfiehlt auf Drucksache 12/5021 unter Jobst, Horst Gibtner, weiteren Abgeordneten Nr. 2, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Fried- men wollen, um das Handzeichen. — Wer stimmt rich, Manfred Richter (Bremerhaven), Dr. Klaus dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Röhl und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig bei Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des einigen Stimmenthaltungen angenommen. Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes Wir kommen zur — Drucksache 12/4518 — (Erste Beratung 146. Sitzung) dritten Beratung Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem schusses für Verkehr (16. Ausschuß) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — — Drucksache 12/5011 — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf bei einigen wenigen Berichterstattung: Gegenstimmen und Enthaltungen mit großer Mehr- Abgeordnete Elke Ferner heit angenommen. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der Unter Nr. 3 seiner Beschlußempfehlung empfiehlt SPD vor. der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft die Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist eine Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Aussprache nicht vorgesehen. Ich bin in der Zwi- Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimment- schenzeit jedoch etwas irritiert, weil mir eine ganze haltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung Reihe zu Protokoll gegeben worden ist. mit großer Mehrheit angenommen. (Manfred Richter [Bremerhaven] [F.D.P.]: Vereinbart war: zu Protokoll!) — Dann bitte ich um Ihre Zustimmung, daß abwei- Nun rufe ich Punkt 10 der Tagesordnung auf: chend von unserer Geschäftsordnung die Reden zu Protokoll gegeben werden können. — Damit besteht Beratung der Beschlußempfehlung und des Einverständnis.**) Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Hel- über den von den Fraktionen der CDU/CSU und mut Rode (Wietzen), Wolfgang Ehlers, Andreas F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Schmidt (Mülheim), weiterer Abgeordneter Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsge- und der Fraktion der CDU/CSU sowie der setzes auf Drucksache 12/4518 und 12/5011. Abgeordneten Ulrich Irmer, Wolfgang Lüder und der Fraktion der F.D.P. (Freimut Duve [SPD]: Frau Präsidentin, ich Einbeziehung der deutschen Heimatvertriebe- wollte zur Abstimmung zu Tagesordnungs nen, Aussiedler und der in Ostmittel-, Ost- und punkt 10 eine Bemerkung machen!) Südosteuropa lebenden deutschen Minderhei- — Herr Abgeordneter Duve, wir stimmen jetzt zum ten in die Politik der Verständigung und guten Tagesordnungspunkt 11 ab. Es ist nicht mehr möglich, Nachbarschaft der Bundesrepublik Deutsch- *) Siehe Seite 13821B *) Anlage 3 **) Anlage 5 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13821

Vizepräsidentin Renate Schmidt zum vorherigen Punkt eine Erklärung zur Abstim- beiden Ausschüssen veranstaltet wurde, noch so weit mung abzugeben. auswerten können, daß wir zu einer gemeinsam (Freimut Duve [SPD]: Sie sind zu schnell!) erarbeiteten Entschließung kommen. Das ist der ein- zige Grund, warum wir uns jetzt enthalten. Ich weiß, Zu dem obengenannten Gesetzentwurf liegt ein daß auch auf Ihrer Seite Interesse daran besteht, daß Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa- wir zu einer solchen Bewertung der Anhörung kom- che 12/5035 vor. Darüber stimmen wir zuerst ab. Wer men. stimmt für diesen Änderungsantrag? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Danke schön. Änderungsantrag abgelehnt. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Herren, dies war eine Erklärung zur Abstimmung zu Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- dem Punkt, zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltun- gen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- (Zuruf von der CDU/CSU) tung angenommen. — der schon behandelt worden ist; jawohl, aber es gab wohl einige Unstimmigkeiten — zu dem die Reden zu Wir kommen zur Protokoll gegeben worden sind. Ich möchte das noch dritten Beratung einmal festhalten. und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Jetzt hat der Kollege Rüttgers das Wort. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Dr. Jürgen Rüttgers (CDU/CSU): Verehrter Herr Gesetzentwurf ist damit bei einer großen Zahl von Vizepräsident, lassen Sie mich bitte nur feststellen, Gegenstimmen angenommen. daß weder die Fraktionen noch die Geschäftsführer Der Kollege Rüttgers hat um das Wort gebeten. dafür zuständig sind, was auf den Sprechzetteln steht und vorgelesen wird. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Dr. Jürgen Rüttgers (CDU/CSU): Frau Präsidentin, wohl auf Grund der Eile, die entstanden ist, ist bei Vizepräsident Helmuth Becker: Wir haben das zur Punkt 10 der Tagesordnung fälschlicherweise festge- Kenntnis genommen. stellt worden, daß ohne Debatte abgestimmt werden soll. Auch hier war vorgesehen, die Reden zu Protokoll Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 12 a zu geben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir das und b auf: korrigieren könnten. a) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. einge- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ich bitte dann die brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergän- Herren Geschäftsführer, die amtierende Präsidentin zung der Rentenüberleitung (Rentenüberlei- über eine Vereinbarung zu informieren. In meinem tungs-Ergänzungsgesetz — Rü-ErgG) Sprechzettel steht, daß keine Aussprache stattfinden — Drucksache 12/4810 — soll. Ich nehme nun zur Kenntnis, daß interfraktionell (Erste Beratung 156. Sitzung) darum gebeten wird, die Reden zu Protokoll zu aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- geben. *) Besteht damit Einverständnis? — Das ist der schusses für Arbeit und Sozialordnung Fall. (11. Ausschuß) Herr Kollege Duve, nachdem wir nun wieder bei — Drucksache 12/5017 — Punkt 10 der Tagesordnung sind, bekommen Sie doch noch die Gelegenheit, eine Erklärung zur Abstim- Berichterstattung: mung zu geben. Der Kollege Rüttgers hat Ihnen dazu Abgeordnete verholfen. Ulrike Mascher Dr. Eva Pohl (Vorsitz : Vizepräsident Helmuth Becker) bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Freimut Duve (SPD): Frau Präsidentin, ich danke — Drucksache 12/5018 — Ihnen sehr, daß wir trotz der Höchstgeschwindigkeit, Berichterstattung: mit der wir vorgehen, jetzt zu einer Erklärung zur Abgeordnete Karl Diller Abstimmung kommen. Hans-Gerd Strube Wir haben vor anderthalb Stunden von seiten der Ina Albowitz CDU/CSU-Fraktion die Bitte erhalten, daß wir zu b) Beratung der Beschlußempfehlung und des diesem Punkt keine Aussprache stattfinden lassen. Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozial- Wir haben dem zugestimmt. ordnung (11. Ausschuß) Ursprünglich hatten wir vor, zu erklären, warum wir zu dem Antrag der Fraktion der SPD uns enthalten. Da wir im Auswärtigen Ausschuß zugestimmt haben, ist es sinnvoll, dazu zu sagen: Wir Soziale Grundsicherung im Alter und bei sind der Meinung, daß wir gemeinsam die großartige Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und wichtige Anhörung zu diesem Thema, die von zu dem Antrag der Gruppe der PDS/Linke Liste *) Anlage 4 Erarbeitung eines neuen Rentengesetzes 13822 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Vizepräsident Helmuth Becker zu dem Antrag der Abgeordneten Rudolf Dreß- noch stärker am Einzelfall orientierte Beurteilung ler, Wolfgang Thierse, Ottmar Schreiner, weite- stattfinden. rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD (Julius Louven [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Korrektur des Rentenüberleitungsgesetzes Unter dieser Betrachtung wird deshalb beispiels- — Drucksachen 12/2519, 12/2567, 12/2663, weise die Einkommensbegrenzung für Leiter pädago- 12/5017 — gischer Einrichtungen aufgegeben, ebenso die für Berichterstattung: ehrenamtlich Tätige auf der Kreisebene. Abgeordnete Volker Kauder Ulrike Mascher Aus Zeitschriften, aber auch aus meiner- Fraktion Dr. Eva Pohl weiß ich, daß sich mancher eine noch stärkere Einzel- fallbeurteilung gewünscht hätte. Diese ist aber leider Zum Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz liegt nicht möglich. Wir können auf die Typisierung nicht ein Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste verzichten. Sie wird auch von den Gerichten akzep- vor. tiert. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Daß der Gesetzgeber die Umsetzung seiner Vor- gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgese- schriften jedoch genauestens verfolgt und auch flexi- hen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann bel genug ist, um bei neuen Erkenntnissen flexibel zu ist das so beschlossen. reagieren, zeigt der heute zu verabschiedende Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Gesetzentwurf. Dies wird auch in Zukunft so sein. So unserem Kollegen Volker Kauder das Wort. wissen wir ganz genau, daß wir aus der Zeit der Wende im November 1989 noch einiges genauer zu untersuchen und zu beleuchten haben. Beispielsweise Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine dürfen diejenigen, die einen ganz massiven Einsatz sehr verehrten Damen und Herren! Die Einführung für die Demokratie und für die Freiheit in den neuen der westdeutschen Rentenversicherung in den neuen Bundesländern— sei es in der , sei es an Bundesländern ist eine sozialpolitische Großtat gewe- runden Tischen oder in anderen Bereichen —, gelei- sen. Zwei unterschiedliche soziale Systeme nach stet haben, durch diese Tätigkeit keine Einbußen und 40jähriger, jeweils eigenständiger Entwicklung zu- Einschränkungen bei ihrer Rentenversicherung ha- sammenzuführen haben selbst Fachleute in so kurzer ben. Zeit für nicht möglich gehalten. Die Rentenüberlei- (Beifall bei der CDU/CSU) tung ist aber geglückt. Deshalb werden wir diese Fälle besonders untersu- Bei der Umsetzung gibt es Probleme. Diesen Proble- chen und zu gerechten Regelungen kommen müssen. men stellen wir uns in einem gemeinsamen Gesetz- Wir können es wegen der Kürze der Zeit bei dem entwurf der Koalition und der SPD, um hier Abhilfe zu vorliegenden Gesetzentwurf leider nicht mehr schaf- schaffen. fen. Wir müssen vor allem die Erleichterungs- und Mit der enormen Zahl von Rentenneuzugängen Beschleunigungsvorschriften nun beschließen, damit wurde nicht gerechnet. Auch die Unterlagen zur die Rentenversicherer tätig werden können. Aber wir Feststellung der Renten machen mehr Arbeit als werden hier zu entscheidenden Verbesserungen zunächst erwartet. Hier Abhilfe zu schaffen ist eines kommen müssen. der Ziele des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgeset- zes. Durch eine Reihe von Vorschriften soll eine Wir gehen auch davon aus, daß diejenigen, die sich schnellere und einfachere Rentenfeststellung in den in besonderer Weise für die Demokratie eingesetzt neuen Bundesländern ermöglicht werden. Die Ren- haben, durch diese Beschränkungen nicht getroffen tenversicherer werden von Arbeiten entlastet, die werden. Wir erreichen bereits jetzt eine erhebliche ohne Nachteil für den einzelnen Versicherten in Ost Verbesserung und bleiben dennoch unserem Grund- und West auch zu einem späteren Zeitpunkt erledigt satz treu: keine höheren Renten für ehemalige DDR- werden können. Umfangreiche Verfahrens- und Größen. Nachweiserleichterungen kommen hinzu. Der Gesetzentwurf reagiert auch auf Entscheidun- Auch der rentenpolitische Dauerbrenner in den gen des Bundessozialgerichts zum vorläufigen neuen Ländern ist wieder Gegenstand dieses Geset- Höchstbetrag für die Summen aus Renten und Zusatz zes: die Regelungen über die Begrenzung von Ein- versorgungen. Hier hat der Gesetzgeber eine vorläu- kommen bei der Berechnung von Renten bestimmter fige Begrenzung aus rein rentensystematischen Grün- Personengruppen. Darüber wird immer wieder disku- den und nicht wegen Staatsnähe oder Vorteilsabbau tiert; sie sollen mit diesem Gesetz modifiziert wer- vorgenommen. Durch diese vorläufige Begrenzung den. sollte bis zur individuellen Rentenfeststellung verhin- dert werden, daß im Osten höhere Renten ausgezahlt Bestimmte Personengruppen, die im staatsnahen werden, als sie nach dem System der Rentenversiche- tätig waren, sollen — dies war der gemein- Bereich rung möglich sind. Um hier dem vom Bundessozialge- same Wille des Gesetzgebers — aus dieser Tätigkeit richt geforderten besseren Vertrauensschutz gerecht keine Besserstellung erfahren. Diese Zielsetzung wird zu werden, wird deshalb der vorläufige Höchstbetrag auch mit diesem Gesetz nicht aufgegeben. Wir haben von 2 010 DM auf 2 700 DM erhöht. Dies ist eine uns allerdings dazu entschlossen, die notwendigen, beachtliche Leistung. unumgänglichen Typisierungen und Pauschalierun- gen zu verfeinern. Durch diese Abmilderung kann Nicht im System der Rentenversicherung kann auch im Rahmen der erforderlichen Typisierung eine allerdings der Wunsch erfüllt werden — der in Petitio- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13823

Volker Kauder nen immer wieder an uns herangetragen wird —, daß Die Regierungsseite ließ sich von Anfang an bei der beispielsweise Professoren so gestellt werden möch- Vereinheitlichung der Alterssicherungssysteme von ten wie ihre pensionierten Kollegen im Westen. Dies Ost und West von einer anderen Philosophie leiten, sieht die im Einigungsvertrag vorgesehene Überfüh- nämlich der Vorstellung der rückwirkenden Übertra- rung in die Rentenversicherung eben nicht vor. gung des bundesdeutschen Rechts auf den Osten und Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden auch der teilweisen Instrumentalisierung der Altersversor- die nach dem Pensionsstatut von Carl Zeiss Jena gung zu Zwecken des politischen Strafrechts. erworbenen Ansprüche und Anwartschaften mit sol- Die SPD konnte bei der Verabschiedung des Ren- chen aus Zusatzversorgungssystemen der ehemali- tenüberleitungsgesetzes 1991 die schlimmsten Ein- gen DDR gleichgestellt. Dieses System war dem griffe verhindern. Wir konnten die Entgeltpunktbe- Gesetzgeber bei der Rentenüberleitung einfach nicht grenzung für die Angehörigen der technisch-wissen- bekannt. Hier wird eine erhebliche Verbesserung schaftlichen Intelligenz abwenden und für die übrigen erreicht. Wir haben uns nach langen Verhandlungen Sonder- und Zusatzversorgungssysteme abmildern. dazu durchringen können, dem Gedanken des Ver- Wir konnten auch die ursprünglich vorgesehene Kür- trauensschutzes in bezug auf ausgezahlte Abfindun- zung der Zahlbeträge auf 1 500 DM abschwächen und gen in vertretbarem Umfang Rechnung zu tragen. die Obergrenze auf 2 010 heraufsetzen. Vorsichtig formuliert kann man sagen, daß damit die Meine Damen und Herren, bei dieser kritischen Mitarbeiter von Zeiss Jena auf gar keinen Fall Würdigung — wir sollten auch bei Konsens im Gesetz- schlechtergestellt werden als all die anderen, die mit gebungsverfahren die unterschiedlichen Grundposi- ihren Ansprüche in die Rentenversicherung überführt tionen durchaus darstellen — will ich etwas anderes werden. nicht verschweigen: Für die Mehrzahl der Rentner hat (Beifall bei der CDU/CSU) das Rentenüberleitungsgesetz seine Bewährungs- Schließlich vollziehen wir mit dem Rentenüberlei- probe bestanden. Es hat ihnen erhebliche Verbesse- tungs-Ergänzungsgesetz auch einen Auftrag des Eini- rungen gebracht. Aber das Rentenüberleitungsgesetz gungsvertrages, indem wir die Mitarbeiter der Par- hat Mängel — wie konnte es anders sein bei diesem teien der ehemaligen DDR in die Rentenversicherung großen Unterfangen? —, und es hat verständlicher- überführen. Zugleich wird aber auch der noch vorhan- weise viel Kritik in den neuen Ländern ausgelöst. dene Rentenfonds der früheren SED in Höhe von Meine Fraktion hat deswegen schon im Mai 1992 nahezu 300 Millionen DM in vollem Umfang zur Finanzierung herangezogen. einen Antrag zur Korrektur eingebracht. Nach mona- telangem Tauziehen um diese Korrektur haben dann (Beifall bei der CDU/CSU) die Koalitionsfraktionen unserem Drängen nachgege- Die Überführung der Rentenversicherung war eine ben und sich bereit erklärt, wesentliche Forderungen große Aufgabe. Sie ist geglückt. Ich weiß aber, daß wir aus unserem Antrag vom Mai 1992 zu erfüllen. noch einiges zu tun haben und daß wir uns in den Es ist mir ein Bedürfnis und ich habe den Auftrag, nächsten Monaten sicher immer wieder mit diesem hier festzustellen, daß die Abgeordneten meiner Frak- Thema befassen müssen. Wir wollen uns darum tion aus den neuen Ländern diesen Kompromiß mit- bemühen — das ist ein gemeinsames Anliegen dieses tragen. Das schließt aber die eine oder andere abwei- Parlamentes —, so gerecht wie möglich zu sein. Wir chende Meinung natürlich nicht aus. müssen aber auch sehen, daß wir Einzelfallgerechtig- keit nicht immer herstellen können. Deswegen brau- Mit dem Gesetz, das wir jetzt im Konsens verab- chen wir Typisierungen, die wir bei der Durchführung schieden, sollen Härten und Ungereimtheiten im des Gesetzes jedoch immer wieder verfeinern kön- materiellen Recht des Rentenüberleitungsgesetzes nen. ausgeglichen werden, insbesondere im Bereich der Sonder- und Zusatzversorgungssysteme. Vor allem ist Bei dem einen Fall, der uns besonders am Herzen es in den Verhandlungen gelungen, den sogenannten liegt und der aus dem resultiert, was um den 9. No- Fallbeileffekt bei der Entgeltpunktbegrenzung ganz vember 1989 herum passiert ist, müssen wir noch zu wesentlich zu entschärfen. Davon werden vor allem besseren Regelungen kommen. Dies sagen wir aus- Angehörige des Staatsdienstes der ehemaligen DDR drücklich zu. begünstigt, die in den mittleren Ebenen beschäftigt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) waren und die bislang pauschal als Systemtrâger behandelt und mit einer Rentenreduktion auf Durch- schnittsniveau bestraft worden waren. Die von uns Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und durchgesetzte gesetzliche Neuregelung bewirkt, daß Herren, nächster Redner ist unser Kollege Günther es für alle Betroffenen mit einem Verdienst von über Heyenn. 140 % bis unter 180 % Verbesserungen gibt. Mit dem Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz Günther Heyenn (SPD): Herr Präsident! Meine werden außerdem zusätzliche Personen gänzlich von Damen und Herren! Wie Sie wissen, hat sich die der Entgeltpunktbegrenzung ausgenommen: Schul- SPD-Bundestagsfraktion bei allen politischen Ausein- direktoren, Leiter anderer Einrichtungen im Bereich andersetzungen und Verhandlungen um das Renten- der Volks- und Berufsbildung, mit Ausnahme der überleitungsgesetz stets für zwei Grundsätze einge- Bildungseinrichtungen der SED, der Blockparteien setzt: erstens Respekt vor den gewachsenen Besitz- und des FDGB, sowie Beschäftigte im Staatsapparat ständen in der ehemaligen DDR und vor der Lebens- auf der Ebene der Kreise, Gemeinden und der Städte, leistung, die sich darin ausdrückt, zweitens für eine vorausgesetzt, daß es sich nicht um hauptberufliche strikte Trennung von Strafrecht und Sozialrecht. Wahl- oder Berufungsfunktionen handelt. 13824 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Günther Heyenn Alle Erleichterungen dieser Art treten rückwirkend Kollegen aus den neuen Ländern gegeben. Es sind mit dem Juli 1990 in Kraft. dort Bedenken hinsichtlich der Vorschriften zur Über- geäußert worden. Nach Ansicht Schließlich wird auch die Obergrenze — Herr prüfung der Rente des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger Kauder hat darauf hingewiesen für Zahlbeträge aus sind diese Bedenken zwar verständlich, aber nicht der Altersversorgung der Intelligenz von 2 010 DM angezeigt. Nach wie vor werden ältere Rentner bei der auf nunmehr 2 700 DM heraufgesetzt. Dies geschieht Überprüfung bevorzugt behandelt. auch auf Grund und im Rahmen von Urteilen des Bundessozialgerichtes. Die Korrektur erfolgt rückwir- Im übrigen verhindern wir durch die Neuregelung — die Überprüfung wird weiterhin stattfinden — eine kend zum 1. August 1991. Damit wird für die Mehrzahl - der etwa 3 000 betroffenen Personen, die unter diese Unzahl von Untätigkeitsklagen, weil nicht so zügig 2 010-DM-Begrenzung fielen, der ursprüngliche wie gewünscht gearbeitet werden kann; denn von den Zahlbetrag wiederhergestellt. Nur für etwa 750 Perso- 600 000 seit dem 1. Januar 1992 aufgelaufenen Ren- nen, deren Bezüge über 2 700 DM lagen, kommt es tenanträgen sind noch immer 450 000 Anträge uner- nicht zur vollen Wiederherstellung, aber immerhin zu ledigt. einer erheblichen Verbesserung. (Julius Louven [CDU/CSU]: Das heißt aber Diese Erhöhung gilt nur für die Altersversorgung nicht, daß schlecht gearbeitet wurde!) der Intelligenz, bei der die Begrenzung auf 2 010 DM — Das heißt auf keinen Fall, daß schlecht gearbeitet erst durch das Rentenüberleitungsgesetz zum August wurde. 1991 erfolgt ist. Für die anderen Systeme, für die Lieber Kollege Louven, Sie weisen mich darauf hin, bereits die demokratisch gewählte Volkskammer der daß ich an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und DDR im Zusammenhang mit der Währungsunion die Mitarbeitern der Rentenversicherungsträger in den Kürzung auf 2 010 DM vorgenommen hat, bleibt es neuen, aber auch in den alten Ländern, die teilweise allerdings bei diesem Betrag. Für diese Gruppen gibt Rentenanträge aus ostdeutschen Ländern bearbeiten, es auch keinen Bestandsschutzanspruch aus dem für die geleisteten Überstunden im Interesse der Einigungsvertrag. Soweit es um Zahlungen in West- Menschen, die alle, sofern es erforderlich ist, umge- währung geht, sind dort auch nie mehr als 2 010 DM hend einen Vorschuß erhalten, zu danken habe. Ich bezogen worden. will offen bekennen, daß dann, wenn die Vorstellun- Meine Damen und Herren, das vorliegende Gesetz gen meiner Partei für ein neues Arbeitszeitgesetzbuch sorgt auch dafür, daß das besondere Versorgungs- in Kraft wären, erheblich weniger hätte geleistet werk des früheren VEB Carl Zeiss in Jena in die werden können. Es geht teilweise über die Kraft, was Rentenversicherung überführt wird. Auch in diesem dort im Interesse der betroffenen Rentner geleistet Punkt sind Regierung und Koalition auf Forderungen und gearbeitet wird. Dafür herzlichen Dank. eingegangen, die von unserer Seite seit einem Jahr (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der auf dem Tisch gelegen haben. Wir sind uns bewußt, F.D.P.) daß das Gesetz nicht alle - zum Teil sehr weitge- hende — Wünsche der Zeiss-Beschäftigten erfüllen Wir erwarten im übrigen — Herr Kauder hat darauf konnte. hingewiesen — von den Vorschriften zur Erleichte- rung der Verwaltungsverfahren auch Ergebnisse. Es kann im Prinzip für ein und dieselbe Beschäfti- Diese Vorschriften sind in enger Abstimmung — über- gungszeit keine Doppelleistung aus der Sozialversi- wiegend auf Vorschlag der Rentenversicherungsträ- cherung und zusätzlich auch noch aus der Zeiss ger — in dieses Gesetz aufgenommen worden. Wir Stiftung geben. Deshalb ist es zwingend, daß die hoffen, daß wir uns nicht in wenigen Monaten erneut Zeiss-Anwartschaften nur dann in die Rentenversi- mit dieser Problematik beschäftigen müssen und daß cherung überführt werden können, wenn im Gegen- die noch vorhandenen alten Anträge so zügig wie zug die Betriebspensionen entfallen oder bereits emp- bisher bearbeitet werden. Meine Damen und Herren, fangene Abfindungen zurückgezahlt werden. wir haben uns im Ausschuß mit den Anträgen der PDS (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) befaßt. Wir lehnen sie ab. Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf gab es Lassen Sie mich bitte abschließend noch sagen: Für allerdings Fälle, in denen die Betroffenen zur Rück- unsere Zustimmung zu dem jetzt im Kompromiß zahlung der Abfindungen gezwungen wurden, ohne vereinbarten Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz davon einen Rentenvorteil zu haben. Dieser Effekt ist maßgeblich, daß wir für die Betroffenen Dinge kann dann eintreten, wenn Zeiss-Anwartschaften erreichen, die ohne unsere Zustimmung — und jetzt nach dem geltenden Recht voll bis zur Beitragsbemes- will ich das auf Konsensart formulieren — teilweise sungsgrenze der Rente berücksichtigt wurden, z. B. nicht zustande gekommen wären. Ich glaube, insge- weil gleichzeitig FZR-Beiträge gezahlt worden sind samt war diese Korrektur notwendig, und sie ist in oder wenn es sich um Zeiten vor Einführung des Teilen sogar eine gute Korrektur. FZR-Systems handelt. Vielen Dank fürs Zuhören. Der SPD-Fraktion ist es gelungen, für diese Fälle (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der verbesserte Vertrauensschutzregelungen durchzu- F.D.P.) setzen, die wir — das gebe ich gern zu — gern noch etwas großzügiger gestaltet hätten. Meine Damen und Herren, es hat nun in den letzten Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Tagen eine Mitteilung von Regine Hildebrandt, der Herren, jetzt hat das Wort unser Kollege Dr. Bruno brandenburgischen Sozialministerin, und drei ihrer Menzel. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode - 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13825

Dr. Bruno Menzel (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Tätigkeit Ehrenämter im Staats - oder Parteiapparat sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind uns alle auf höheren als der Kreis- oder Gemeindeebene darüber einig, daß heute Tausende von Rentnern aus innehatten. Wenn es der Sinn und Zweck des Geset- den neuen Bundesländern ihre Blicke erwartungsvoll zes sein soll, Vorteile abzubauen, die auf eine nach Bonn richten. Wir müssen uns daher die Frage bestimmte Funktion bzw. Berufstätigkeit zurückzu- stellen, ob wir mit der abschließenden Beratung eines führen sind, kann die Rente nicht mit Blick auf Ergänzungsgesetzes zum Rentenüberleitungsgesetz ehrenamtliche Tätigkeiten begrenzt werden, die für auch wirklich die Erwartungen all derjenigen erfüllen die Altersversorgung keinerlei Bedeutung hatten, da können, die sich von der Änderung des Rentenrechtes sie nicht vergütet wurden. eine gerechtere Behandlung erhofft haben. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)- Auch wenn diese Frage bedauerlicherweise nicht Es kann nicht Aufgabe des Rentenrechts sein, uneingeschränkt mit einem klaren Ja beantwortet etwaige immaterielle Vorteile zu beseitigen, die nicht werden kann, ist doch vor dem Hintergrund der mit der beruflichen Tätigkeit in Verbindung standen. Notwendigkeit eines aus mehreren Gründen rasch zu Wir haben in den Verhandlungen —leider erfolglos — erzielenden Ergebnisses ein insgesamt vertretbares darauf gedrungen, diesen Personenkreis auch auf Gesamtpaket geschnürt worden. Bezirksebene von Rentenbegrenzungen auszuneh- Positiv zu werten sind die Lösungen, die für die men. Beschäftigten bei Zeiss Jena und den Parteien gefun- Ein anderer Punkt ist die Behandlung der Zusatz- den wurden. Ansprüche, die sich aus dem Pensions- versorgungssysteme als Bestandteil der Rente. Die statut von Zeiss ergeben, werden künftig den Zusatz- Rechtssystematik ließ es nicht zu, die Zusatzversor- versorgungssystemen gleichgestellt, wobei bereits gungssysteme in das bundesdeutsche Rentensystem ausgezahlte Abfindungen unter Berücksichtigung zu übernehmen. Es wäre aber wünschenswert, wenn großzügiger Übergangsregelungen zurückzuzahlen auf Länderebene Überlegungen angestrengt würden, sind. Darüber hinaus werden gemäß dem Einigungs- inwieweit entsprechende Leistungen im Rahmen des vertrag und dem Appell der Unabhängigen Kommis- Fürsorgerechts gewährt werden können. sion die Angehörigen der Zusatzversorgungssysteme (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne der DDR-Parteien den Beschäftigten im Staatsapparat ten der CDU/CSU) in jeder Hinsicht gleichgestellt. Zusammenfassend möchte ich noch einmal beto- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir nen, daß wir ein Gesetzespaket vorgelegt haben, das auch endlich die Voraussetzungen für eine beschleu- in vielen Punkten Verbesserungen und mehr Gerech- nigte Bearbeitung der Rentenvorgänge. Dies ist ins- tigkeit für einen Großteil der Betroffenen mit sich besondere, glaube ich, für die Angehörigen der bringen wird. Allerdings — auch das möchte ich Zusatz- und Sonderversorgungssysteme bedeutsam, ausdrücklich hervorheben — werden die bis zuletzt deren Renten bisher pauschal umgewertet wurden. umstrittenen Fragen, hinter denen sich schließlich Dadurch entstanden gleich in zweifacher Hinsicht Menschen mit konkreten Problemen verbergen, auch Benachteiligungen. Zum einen sind die pauschal künftig Gegenstand rentenpolitischer Diskussionen umgewerteten Renten zum Teil deutlich niedriger als sein müssen. die Zahlbeträge auf Grund individueller Berechnung, zum anderen wurde die Zusatzversorgung jeweils um (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne den Betrag abgeschmolzen, um den die dynamisie- ten der CDU/CSU) rungsfähige Rente angehoben wurde, mit der Konse- quenz, daß die Betroffenen von Rentensteigerungen ausgenommen waren. Dieser in hohem Maße unge- Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Petra rechten Praxis soll damit schnell ein Ende bereitet Bläss, Sie haben jetzt das Wort. werden. Angehörige der ungerechtfertigt als staatsnah typi- sierten Berufsgruppen setzten große Hoffnungen in Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! eine Änderung der entsprechenden Vorschriften. Meine Damen und Herren! In vielen Städten der Unter der Prämisse, ungerechtfertigte Vorteile in der neuen Bundesländer fanden in den letzten Tagen Altersversorgung abbauen zu wollen, wurden 1991 Proteste tausender Rentnerinnen und Rentner statt. Pauschalregelungen in das Gesetz übernommen, die (Julius Louven [CDU/CSU]: So viele waren ihrerseits jedoch wiederum zu Ungerechtigkeiten es nicht!) führten und bei den erwähnten Berufsgruppen und — Doch. Es waren so viele. Da bin ich mir ganz den von der pauschalen Umwertung ihrer Renten sicher. Betroffenen Unverständnis und Enttäuschung hervor- riefen. Die F.D.P. hat sich schon damals gegen solche (Julius Louven [CDU/CSU]: Die Berichte Betrachtungsweisen bei der Rentenberechnung ge- haben wir auch gelesen!) wandt, konnte sich allerdings mit dieser Auffassung Ich bin in der letzten Zeit viel herumgekommen und nicht durchsetzen. habe vor vollen Sälen mit Rentnerinnen und Rentnern In dieser Frage sind jetzt wichtige Fortschritte geredet. Ich muß sagen, es ist ein gewaltiges Protest- erzielt worden. Noch immer existieren aber einige potential. Punkte, die auch in Zukunft mit Sicherheit Hand- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das waren alles lungsbedarf erzeugen werden. Als Beispiel nenne ich Bundesversammlungen der PDS! — Weitere die Behandlung derer, die neben ihrer beruflichen Zurufe von der CDU/CSU) 13826 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und chend angesehen werden", frage ich mich: Wie mag Herren, ich bitte jetzt um Ruhe. es wohl um die Umsetzung des Entschließungsantrags zur Reform der Alterssicherung von Frauen bestellt sein, dem vor knapp zwei Jahren alle hier in diesem Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Es waren Mahnwa- Hause zustimmten? chen vor Rentenversicherungsträgern und Sozialge- Zurück zur heute hier verhandelten Rentenüberlei- richten sowie am 18. Mai eine Kundgebung auf dem tung: Trotz der gravierenden Unzulänglichkeiten der Berliner Alex, die von vielen Vereinigungen und vorgenommenen Änderungen wird die PDS/Linke Verbänden — Liste den Gesetzentwurf insgesamt nicht ablehnen, (Zurufe von der CDU/CSU) (Julius Louven [CDU/CSU]: Oh!)- — Sie müssen ja große Angst vor den demonstrieren- weil er etlichen älteren Bürgerinnen und Bürgern den Rentnerinnen und Rentnern haben, daß Sie gleich Verbesserungen bringt — Sie wundern sich so; ich so losbrüllen — habe aber auch im Ausschuß schon dazu Stellung (Beifall bei der PDS/Linke Liste) genommen —, sehr verschiedener Ausrichtung getragen wurde. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Langsam ler Briefe von Einzelpersonen und Betroffenengruppen nen Sie einiges! Sehr gut!) häufen sich in unser aller Büros. Dieses Echo der letztlich aber auch, um zu dokumentieren, daß wir Öffentlichkeit auf den vorliegenden Gesetzentwurf unserem Appell treu bleiben, daß eine Korrektur hier macht deutlich, daß das Mißtrauen und die Sorgen im Parlament stattfinden muß. über die Rentenüberleitung nicht behoben sind. In der Hoffnung, daß in diesem Hause doch noch mit Um so unverständlicher ist uns, mit welchem Tempo Ruhe und Sorgfalt an eine allseits befriedigende, — das schließt die heutige Debatte ein — diese sozial gerechte und rechtsstaatlich haltbare Lösung Veränderungen hier durchgezogen werden, nachdem herangegangen wird, werden wir uns der Stimme zwei Jahre von Regierungsseite stur behauptet wurde, enthalten, urn unsere Bereitschaft zur Mitarbeit zu es sei kein parlamentarischer Handlungsbedarf vor- signalisieren. handen. So konnten nicht nur unsere Vorschläge zur Korrektur des Rentenüberleitungsgesetzes nur unzu- Lassen Sie mich abschließend noch etwas sagen. Ich reichend behandelt werden, sondern es blieben auch nehme mit sehr großem Interesse zur Kenntnis, daß andere Überführungsvorstellungen, wie die des Aka- sich sehr viele Seiten hier im Parlament gegen das demischen Ruhestandsvereins oder die des Bundes Strafrecht im Rentenrecht wenden. Aber ich muß auch der Ruhestandsbeamten, Rentner und Hinterbliebe- eines sagen: Mit der Zustimmung zum Rentenüberlei- nen, unbeachtet. Hätte sich nach den monatelang tungsgesetz im Juni 1991 haben Sie genau dies anhaltenden massiven Protesten nicht eine Anhörung abgesegnet. von Verbänden angeboten, z. B. mit den rund 20 Ver- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Soll Frau bänden, die nach der Zurückweisung der Verfas- Honecker 12 000 Mark bekommen?) sungsklage im Januar mit ihren Tausenden Mitglie- Der vorliegende Änderungsantrag geht dem RüG dern nun einzig auf die Schiene der Sozialgerichtsbar- — in diesem Fall Art. 3 und 4 des Rentenüberleitungs- keit geschoben wurden und vom Parlament bei dieser gesetzes — nicht an die Substanz. Hektik nur nicht beeinflußbare Segnungen erwarten dürfen? Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Unverständlich finden wir auch, daß die vielen (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Petitionen nun für erledigt erklärt werden sollen. Wären sie wirklich als Prüfsteine der Vorschläge Meine Damen und genutzt worden, läge das Dilemma des heute zur Vizepräsident Helmuth Becker: Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Dr. Wolf- Verabschiedung stehenden Entwurfs offen. gang Ullmann. Angesichts der unzureichenden Korrekturen stellen wir auch unseren im Ausschuß abgelehnten Ände- rungsantrag wieder zur Abstimmung, um möglichst Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vielen Abgeordneten bewußt zu machen: Es gibt eine NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Lösung, die den Mißbrauch von Rentenrecht als Dokument eines großen Erfolges, wie Herr Kauder politisches Strafrecht abschafft sowie rechtsstaatlich behauptet hat, kann man diesen Gesetzentwurf nun und sozial verantwortbar ist und sich zudem noch auf wahrlich nicht nennen. Das zeigt schon die Stellung- den Einigungsvertrag stützt. Viele Regelungslücken, nahme Ihrer eigenen Kollegin Dr. Ackermann, die die sich aus DDR-Typischem, mit bundesdeutschen Probleme ausspricht, die viele mit diesem Gesetz Verhältnissen nicht Vergleichbarem ergeben, sind haben. Natürlich ist der Gesetzentwurf aber ein Fort- noch zu schließen. Letztlich wollen wir mit der Aus- schritt. Darum habe ich schon bei der ersten Beratung gestaltung der Regelung zum Sozialzuschlag einen meine Zustimmung signalisiert. Ich möchte dem Aus- konkreten Anstoß für die Weiterentwicklung des schuß für Arbeit und Sozialordnung danken, der an bundesdeutschen Rechts geben. dem Regierungsentwurf weitergearbeitet und ihn Dies ist unseres Erachtens dringend nötig. Denn verbessert hat. wenn ich als Begründung zur heutigen Ablehnung Ich will nicht alles aufzählen, was dabei zustande unseres Antrags zur „Erarbeitung eines neuen Ren- gekommen ist, sondern mich auf einen einzigen Punkt tengesetzes" zur Kenntnis nehmen soll, daß „die konzentrieren, auf die Präzisierung der Kostenaufstel- bestehenden gesetzlichen Regelungen als ausrei lung. Sie haben dabei den Kostenrahmen von 125 Mil- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13827

Dr. Wolfgang Ullmann lionen Mark im wesentlichen beibehalten. Sie haben Nacht 40 % mehr Rente erhalten. Ist das das Gerech- aber — was ich für ein Verdienst halte — auf sehr viele tigkeitsgefühl der SPD? Unsicherheitsfaktoren im Umkreis dieses Kostenrah- Woran mahnen die Mahnwachen, von denen Sie mens ganz deutlich hingewiesen. sprechen? An den Rentenzustand der alten DDR? Es ist natürlich nicht gerade beruhigend für die (Zuruf von der PDS/Linke Liste: Nein!) Betroffenen, wenn so etwas in einem Moment zutage — Doch, ich muß es hier noch einmal sagen. tritt, in dem wir über die Pflegeversicherung, das teuerste sozialpolitische Projekt unserer Legislaturpe- (Petra Bläss [PDS/Linke Liste]: Lesen Sie riode, beraten und gleichzeitig miterleben müssen, einmal die B riefe, die hier ankommen!) wie die Sozialleistungen mehr und mehr zur Ersatz- Herr Menzel, auch bei Ihnen hätte es mir gutgetan, - kasse des Finanzministers werden. wenn Sie etwas stärker die großen Erfolge unserer Wir haben ein Sozialstaatsgebot als Verfassungsge- gemeinsamen, von Ihnen mitverantworteten Renten- bot. Darauf ist in letzter Zeit immer wieder hingewie- politik herausgestellt hätten. Es hätte uns gutgetan, sen worden. Darum kann es nicht dabei bleiben, daß Ihnen und mir, in alter kollegialer Weise. die Finanzierung unserer Sozialpolitik so unsicher ist. (Beifall bei der CDU/CSU) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben darum in Form ihres Gesetzentwurfs zur Grundsicherung den Ver- such gemacht, wenigstens an einer einzigen Stelle zu Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Men- zeigen, wie eine Sicherung aussehen könnte. Der zel möchte eine Frage stellen. Gesetzentwurf der SPD zeigt, daß auch anderswo darüber nachgedacht wird. Selbst eine CDU- Dr. Bruno Menzel (F.D.P.): Herr Minister, würden Schwalbe zwitschert von einer Grundrente. Sie mir zustimmen, daß die Punkte, die ich kritisch (Zuruf von der F.D.P.: Eine Schwalbe macht herausgestellt habe, von Anfang an immer die Punkte noch keinen Sommer!) gewesen sind, an denen wir uns gerieben haben, und Ich kann nur sagen: Nur Mut! Schauen Sie sich einmal daß ich nie verschwiegen habe, daß wir deutliche unseren Gesetzentwurf an. Sie könnten ihn sogar Fortschritte im Rentenrecht erreicht haben? verbessern. Vielleicht ist die CDU dem Heil gar nicht so fern, wie es manchmal scheint. Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Leider muß ich — das rote Licht leuchtet — mit einer Sozialordnung: Herr Menzel, es steht mir gar nicht zu Rüge schließen. Ich finde es nicht gut, daß uns der und widerspricht meiner Natur, Ausschuß eine Synopse statt eines richtigen Gesetz- (Dr. [F.D.P.]: Ihrer liberalen entwurfs vorgelegt hat. Man kann es mit Eilbedürftig- Natur!) keit entschuldigen, aber nur teilweise. Das sollte hier — meiner liberalen Natur, als Zensor aufzutreten. nicht zur Gewohnheit werden; denn es wäre dann eine Aber ich will die Gelegenheit doch noch einmal Unsitte. nutzen, auf die Rentenausgaben in der DDR hinzu- Danke schön. weisen. Ich habe es hier schon oft gesagt: 16,7 Milli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN arden Ostmark, das war es; 16,7 Milliarden Mark für sowie bei Abgeordneten der PDS/Linke alle DDR-Rentner. Heute, ein paar Jahre später, sind Liste) es 54,2 Milliarden DM. Es wird doch wohl niemand sagen können, das wäre kein großer Erfolg. Freuen wir uns doch gemeinsam darüber! Wenn hier über Meine sehr verehr- Vizepräsident Helmuth Becker: Renten gesprochen wird, sollte auch über diesen ten Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Fortschritt geredet werden. Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, unserem Kollegen Dr. Norbert Blüm. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P. — Zurufe von der SPD) Durchschnittsrente für Männer in der DDR war Bundesminister für Arbeit und Die Dr. Norbert Blüm, 572 Mark, heute sind es 1 468 DM. Die Durchschnitts- Sozialordnung: Herr Präsident! Meine Damen und rente für Frauen betrug in der DDR 432 Ostmark, Herren! Auch nach dieser Debatte überlege ich: Was heute sind es 950 DM. Schicken Sie doch Ihrer ist der Wert eines Konsenses? Wenn wir ihn anschlie- Mahnwache einmal diese Zahlen! Zahlen sind wahr- ßend so darstellen, wie er hier dargestellt wurde, scheinlich verläßlicher. brauchen wir eigentlich keinen Konsens. (Widerspruch bei der PDS/Linke Liste) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich gebe doch zu, und es gibt gar keinen Streit Wenn sich jeder nach der Rosinentheorie das her- darüber: Absolute Gerechtigkeit gibt es deshalb nicht, aussucht, was ihm paßt, das als eigenes Verdienst weil man bei einer Überleitung typisieren und pau- hinstellt und die Schuld an dem, was er rügt, den schalisieren muß. Wer es anders machen würde, hätte anderen zuschiebt, welcher Konsens ist das? die Gerechtigkeit vielleicht in 20 Jahren hergestellt. (Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Liste]: Das Da würden aber viele nicht mehr leben, für die diese stimmt!) Gerechtigkeit gedacht ist. Deshalb mußte man pau- Lieber Kollege Heyenn, wenn ich in Ihrer Münze schalisieren, und dabei, meine Damen und Herren, zurückzahlen würde — ich mache es jetzt —, dann gibt es abrupte Übergänge. Die haben wir gemildert; würde ich sagen: Wenn Ihr Vorschlag und Ihr Entwurf gerade ist davon gesprochen worden. Wir haben den durchgegangen wären, hätte Frau Honecker über mittleren Bereich im Zusatzversorgungssystem aus 13828 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Bundesminister Dr. Norbert Blüm dem groben „alles oder nichts" herausgebracht. Das Vier Millionen Renten über Nacht umzustellen — was ist ein Fortschritt. Ich gebe zu, daß man auf diesem klappt, hat hier keinen Nachrichtenwert. Weg weitergehen muß, gerade auch gegenüber den- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) jenigen, die nach der Wende Verantwortung über- nommen haben. Hätte es nicht geklappt, hätte die Republik in Flam- men gestanden. Vier Millionen! Bei den 300 000 Meine Damen und Herren, bei dieser Güterabwä- Kriegsopfern hat es zwei Jahre gedauert, bis wir erst gung zwischen Beschleunigung — es soll immer einmal in Sichtweite des Zieles waren. schneller gehen — und Verfeinerung haben wir uns in Ich will jetzt nicht den einen gegen den anderen vielen Fällen für Beschleunigung entschieden. Aller- ausspielen. Aber ich will sagen: Was die Rentenversi- dings muß weiter verfeinert werden, und es muß cherung geleistet hat, kam in der hundertjährigen gerechter werden. Ich halte es für ein wichtiges Ziel Geschichte des Sozialstaates noch nie vor: zwei der Rentenüberleitung, daß die Menschen schnell an Systeme, beide im Betrieb, nicht auf dem Reißbrett bei ihre endgültige Rente kommen. Expertengesprächen, in der Fahrt zu vereinheitli- chen. (Dr. Wolfgang Ullmann [BÜNDNIS 90/DIE Wir haben die Höchstgrenzen, und manche Kap- GRÜNEN]: Richtig!) pung wird heraufgesetzt; aber bei Licht betrachtet Und ich möchte hinzufügen — Sie sollten dabei waren es keine Kappungen, sondern ein vorläufiger mithelfen, es zu erkären —: Es geht niemandem etwas Besitzstandsschutz, der durch die Dynamisierung verloren. Man sollte auch den Antrag auf vorläufige überholt werden kann. So ist das nun einmal: Wenn Rente stellen. Viele, die das Recht dazu haben, wissen man den Besitzstand hoch ansetzt, dann braucht m an davon noch nicht. Eine vorläufige Rente, die in der mehr Zeit, bis die Dynamisierung diesen Besitzstand Nähe der tatsächlichen liegt, kann schnell ausgezahlt übertrifft. — Ich bin jetzt aber in der Gefahr, in das werden. Es geht keine Mark verloren. Es wird nach- Rentenchinesisch abzugleiten. Ich bewahre mich vor gezahlt, wenn der Betrag darunterliegt, und es muß dieser Versuchung. niemand etwas zurückzahlen. Wenn wir wieder einen Konsens machen: Laßt uns das gemeinsame Ergebnis auch gemeinsam hier ver- Was den Vorwurf des Strafrechts anbelangt: Es treten. Vollkommene Werke zu schaffen, den Ehrgeiz handelt sich nicht um Strafrecht. Aber wenn zwei habe ich schon lange aufgegeben. Aber dem Ziel Systeme zusammenkommen, muß aus dem zweiten „Gerechtigkeit" immer näherzukommen, das bleibt System, das in das erste übernommen wird, nicht alles unsere Aufgabe. Ich glaube, daß wir diesem Ziel ein übernommen werden; denn sonst hätten wir ja Ren- Stück nähergekommen sind. tenansprüche bis 12 000 DM übernehmen müssen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und die entstehen in unserem gemeinsamen Renten- recht nie. Darm hätten wir manche Privilegien aus dem alten System in unseres transportiert. Wäre das Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie noch gerecht? Das wäre eine Verletzung des hiesigen eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Gysi? Rechtsgefühls. Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Herr Ullmann, so ändert sich das manchmal: Ich Sozialordnung: Ja. habe bei unserer gemeinsamen Arbeit am Renten- recht immer erfahren, daß die Spitzenträger des Staates möglichst weit herunter sollten mit ihrem Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte. Rentenanspruch. Sie konnten gar nicht weit genug herunterkommen. Ich war immer dagegen, dies völlig Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Herr Minister, abzusenken. Jetzt geht die Gegenbewegung los, und ich muß versuchen, drei Fragen in eine zu kleiden. Ich man muß halt aus diesen unterschiedlichen Ansprü- bin dazu heute intellektuell nicht mehr so ohne chen eine Linie finden. weiteres in der Lage. (Zuruf von der F.D.P.: Nein, nur eine (Dr. Wolfgang Ullmann [BÜNDNIS 90/DIE Frage!) GRÜNEN]: Es sind aber nicht dieselben Leute gewesen!) — Ja, nun regen Sie sich doch nicht gleich auf. Wenn eine Mehrheit hier heute schon erkennt, daß Ich gebe zu, daß solche Verfahren nie ganz gerecht auch dieses Ergänzungsgesetz zumindest bestimmte sein können. Mängel hat, über die man sich eigentlich einig ist, sie zu beheben — z. B. damit keine Benachteiligung für Und nun noch etwas, was Kollege Heyenn auch Menschen eintritt, die zur Zeit der Wende eine beson- gemacht hat und wofür ich ihm dankbar bin: Er hat die dere Rolle gespielt haben —: Was hindert uns dann Mitarbeiter der Rentenversicherungsträger gegen eigentlich, wenigstens diesen Mangel, bei dem sich Vorwürfe in Schutz genommen. Das wollen wir zumindest fast alle einig sind, doch noch zu beheben, gemeinsam machen. Was sie geleistet haben, grenzt bevor wir dieses Gesetz verabschieden, möglicher- an ein Wunder. Wenn manche staatliche Verwaltung weise morgen oder meinetwegen auch in der näch- so tüchtig und so schnell gewesen wäre wie die sten Sitzungswoche? Rentenversicherung, sähe es in den neuen Bundeslän- dern besser aus. Ich möchte gern noch eine zweite Zwischenfrage anschließen. (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13829

Dr. Gregor Gysi Wenn Sie über die Erhöhung der Auszahlungsbeträge von 60 %. Die ist geringer als 'die nominalen Zahlen, für Rentnerinnen und Rentner sprechen, akzeptiere da haben Sie recht, aber sie ist noch immer — Gott sei ich das völlig. Aber finden Sie nicht, daß es zur Fairneß Dank — eine Verbesserung für eine Generation, die in gehören würde, auch die erhöhten Kosten für Rent- diesem Jahrhundert viel mitgemacht hat, wobei wir nerinnen und Rentner mit zu erwähnen? Dann sieht beide hoffen, daß keine nachwachsende Generation die Differenz natürlich etwas anders aus. noch einmal zwei Weltkriege und zwei Diktaturen (Julius Louven [CDU/CSU]: Aber nur erleben muß. Schon eine ist zuviel! etwas!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich habe noch eine Bitte; es ist keine Frage. Ich muß das einmal sagen: Ich finde es wirklich sehr proble- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und matisch — — Herren, zu einer Zwischenbemerkung gemäß § 27 Abs. 2 der Geschäftsordnung erteile ich unserem Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Kollegen Heyenn das Wort. Gysi! Günther Heyenn (SPD): Herr Bundesarbeitsmini- Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Ich bin sofort ster, ich halte es erstens für nicht sauber, wenn Sie hier fertig, Herr Präsident. den Eindruck erwecken wollen, daß es der SPD bei den Bemühungen um eine Verbesserung der Anrech- Wenn Sie eine einzelne, zugegeben sehr unsympa- nung der Entgeltpunkte darum gegangen sei, die thische Person — darüber will ich hier überhaupt nicht Rente von Frau Honecker zu erhöhen. streiten — herausziehen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hat er nicht (Julius Louven [CDU/CSU]: Ich könnte noch gesagt!) andere nennen!) Es ging uns darum, einen Teil des von Ihnen zu und sagen, sie würde 40 % mehr Rente bekommen, verantwortenden Strafrechts in der Rentenüberlei- wenn irgendein Vorschlag angenommen werden tung in seiner Wirkung zu verringern. würde, und man vergißt dabei dann, daß es dann viele Tausende trifft, bei denen ich immer mit einem Das zweite, Herr Bundesarbeitsminister: Ich weiß Negativbeispiel — — nicht, warum Sie so beleidigt begonnen haben. (Bundesminister Dr. Norbert Blüm: Habe ich Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Gysi, doch gar nicht!) Sie halten einen Vortrag, Sie stellen keine Frage. Mir scheint es so zu sein, daß bei einem Konsens alle, (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! — die an diesem Konsens beteiligt waren, das Recht und Schlimm! ) auch die Pflicht haben, ihre Positionen zu verdeutli- chen und dann auch zu sagen, warum man sich Bitte, Herr Minister. geeinigt hat. Genau das ist geschehen. Wenn man sich einigt, werden die Grundpositionen der einzelnen Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Beteiligten aber doch nicht von heute auf morgen Sozialordnung: Zur ersten Frage: Da ich weiß, daß auf wegen des Konsenses über Bord geworfen. Also, einen Schritt näher zur Gerechtigkeit immer ein lieber Herr Bundesarbeitsminister: Der Anfang war weiterer folgt, würde ich nicht warten, bis wir den etwas daneben! letzten Schritt zur Gerechtigkeit machen können. Ich (Bundesminister Dr. Norbert Blüm: Wenn das würde immer einen Schritt weitergehen, denn eine Ende wenigstens gut war! — Zuruf von der lange Beratung hält das auf, was der Hauptsinn dieses F.D.P.: Keine Schulzensuren!) Gesetzes ist: Beschleunigung der Rentenanträge, Beweislasterleichterung, Verfahrensbeschleunigung. Da kann ich nur sagen: Jeden Tag, der da verloren- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und geht, warten Rentner länger. Herren, zur Geschäftslage: Mir liegen schriftliche Erklärungen zur Abstimmung gemäß § 31 der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Geschäftsordnung vor von den Kolleginnen und Kol- Was die sympathische oder unsympathische Frau legen Dr. Else Ackermann, Susanne Jaffke, Rosema rie anbelangt: Ich habe nur acht Minuten Zeit, und Priebus und Michael Wonneberger sowie von unserer deshalb kann ich nicht alle Namen der Personen Kollegin Regina Kolbe. *) vorlesen, die dadurch begünstigt würden. Dann gibt es noch vier persönliche Erklärungen, Hinsichtlich des dritten Punktes gebe ich Ihnen zunächst die von unserer Frau Kollegin Dr. Helga uneingeschränkt recht: M an darf die nominalen Otto. Beträge nicht als einzigen Maßstab verwenden. Natürlich sind auch die Preise gestiegen, natürlich Dr. Helga Otto (SPD): Ich kann diesem Rentenüber- sind Mieten gestiegen. Aber ich mache darauf auf- leitungs-Ergänzungsgesetz meine Zustimmung heute merksam, daß unser Sozialsystem natürlich nicht nur nicht geben. Obwohl meine Partei von Anfang an die Rente kennt, sondern z. B. auch Wohngeld, Vermischung von Straf- und Rentenrecht gegen die Kriegsopferversorgung und andere Leistungen, die votiert hat, sind paradoxerweise nicht wenige Re- früher alle unter dem großen Dach der Mutter Renten- gimegegner durch das Rentenüberleitungsgesetz versicherung waren. bestraft worden. Das sind Wissenschaftler, Techniker, Selbst wenn ich diese Preissteigerung abziehe, bleibt dennoch eine reale Lebensstandardsteigerung *) Anlage 6 13830 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Dr. Helga Otto Ingenieure. Was als „staatsnah" bezeichnet wird, ist Der Zufall des Wohnsitzes nach dem Krieg kann in Wirklichkeit eine Frage von bleiben oder gehen kein Maßstab sein. Vielmehr sollte eine wirkliche — das hieß bei uns: abhauen — gewesen. Wer hat uns Solidarität auch gegenüber unseren Rentnern gelten, denn ständig ermahnt, wir sollten unsere Patienten denn ich glaube, unsere Rentner haben nicht mehr oder Studenten im Osten nicht im Stich lassen und genug Zeit, auf die „blühenden Landschaften" zu unserer Verantwortung für die Leute in der DDR warten. nachkommen? (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der PDS/ (Zustimmung des Abg. Dr. Gregor Gysi Linke Liste und des BÜNDNISSES 90/DIE [PDS/Linke Liste]) GRÜNEN) Konnten diese Leute ahnen, daß diese mit niedrigem Gehalt, politischen Repressalien und schlechten Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Arbeits- und Lebensbedingungen erkauften Zusatz- Herren, die nächste Erklärung nach § 31 der Ge- versicherungen eines Tages vom Nachfolgestaat in schäftsordnung wünscht unser Kollege Udo Haschke solche für „politisch Privilegierte" mit ungerechtfer- abzugeben. tigten, überhöhten Altersbezügen umbenannt wür- den? Udo Haschke (Jena) (CDU/CSU): Herr Präsident! Mit etwas gutem Willen hätte man der bereits in der Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke Ihnen, DDR erfolgten Umstellung dieser Renten in die FZR- daß ich diese Gelegenheit habe. Renten einfach folgen können und diese mit dem Frau Otto, diese Debatte hat bei a ller Kürze doch Rentenüberleitungsgesetz in ihrem Bestand sichern deutlich gezeigt, daß noch sehr, sehr viel getan können — so meine Version. So wird mit der werden muß, um 40 Jahre total unterschiedliche Abschmelzung der Zusatzrenten eine große Gruppe Bedingungen in den alten und den neuen Bundeslän- von Leuten, die in ihrem Leben viel geleistet haben, dern in ihren Auswirkungen auf Millionen Einzelbio- zur Altersarmut im wahrsten Sinne des Wortes verur- graphien zu begreifen und zu verstehen. Ich glaube, teilt. das sollten wir festhalten. (Julius Louven [CDU/CSU]: „Altersarmut" Herr Kollege Menzel, es ist wirklich so: Nicht jeder ist doch wohl übertrieben!) Betriebsdirektor war nichts weiter als ein Opportunist oder ein Anpasser oder was auch immer, sondern ist Ich stehe hier auch für eine Gruppe von Bestands- tatsächlich in Verantwortung für die Menschen vor rentnern, denen man die Berechnung ihrer Gesamtle- Ort dortgeblieben, wo er geblieben ist. bensleistung versagt hat und nur die letzten zwanzig (Beifall des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause Jahre berechnet. Das widersp richt dem Gleichheits- [Bonese] [fraktionslos]) prinzip. Wenn wir Unmengen von Satellitendaten und anderen Daten aufarbeiten können, dann, meine ich, Wir haben — zugegebenerweise sehr spät — ver- schaffen wir es auch mit den Daten der Rentner. — Das sucht, in den vorliegenden Gesetzentwurf eine Öff- erinnert mich übrigens sehr an die Akten der Asylan- nungsklausel zu bringen, die eine Ermächtigung für ten in Zirndorf, deren Bearbeitung Sie ja auch nicht die Behörden der Bundesrepublik vorsieht, auf Antrag geschafft haben. Möglichkeiten einer Einzelfallüberprüfung zu schaf- fen. Das ist uns heute nicht gelungen. Trotzdem, der Ich spreche auch für die vielen Betriebsrentner, vorliegende Gesetzentwurf bringt einer sehr großen denen jetzt einfach mitgeteilt wird, die Bet riebe seien Gruppe von Rentnern in den neuen Bundesländern kaputt und Renten gebe es nicht mehr. eine größere Akzeptanz dieser total unterschiedlichen Mein Nein soll heute nicht die große Leistung Lebensbedingungen, eine Anerkennung des persön- meiner Fraktion in irgendeiner Weise schmälern. lichen Arbeitslebens — das halte ich übrigens für das Ohne sie wäre es unseren Rentnern noch viel schlech- Wichtigste —, aber auch eine wesentlich bessere ter ergangen. Rente. Aber der alte Rechtsgrundsatz „im Zweifel für den Angeklagten" wird im Rentenrecht weiterhin (Widerspruch bei der CDU/CSU) durch eine Typisierung in schwarze und weiße Schafe Meine Fraktion konnte nur eine Schadensbegrenzung ersetzt. erwirken. Noch im März habe ich bei meiner Fraktion (Beifall des Abg. Dr. Rudolf Karl Krause anfragen lassen, wie es denn mit unserem Antrag auf [Bonese] [fraktionslos]) Korrektur des Rentenüberleitungsgesetzes stehe. Das kann — und dies hat uns Herr Staatssekretär Darauf wurde mir gesagt: Die CDU spielt nicht mit. — Dr. Worms zugesagt und soeben der Bundesminister Sie müssen in der Nacht irgendwie eine Eingebung noch einmal bestätigt — nicht das letzte Wort in gehabt haben, Sachen Rentenrecht sein. (Udo Haschke [Jena] [CDU/CSU]: Vielleicht Ich werde diesem Gesetz zustimmen, weil ich weiß, hatten Sie eine falsche Information!) daß wir die unsäglichen Folgen der totalitären SED- Herrschaft nicht in Gänze und schon gar nicht auf so daß es plötzlich innerhalb von wenigen Wochen einen Schlag bewältigen können. Wir brauchen, auch doch zu einer Korrektur des Rentenüberleitungsge- wenn alles in uns zum Sprung drängt, die Geduld, setzes gekommen ist. Schritt für Schritt zu gehen. Mit dem heutigen Gesetz Ich will damit nur ein Zeichen setzen, daß man über tun wir einen weiteren Schritt. Lassen Sie uns ab sofort viele Dinge noch einmal nachdenken sollte. Wie man den nächsten prüfen und vorbereiten. Am Ende muß merkt, ist das heute auch bereits geschehen. es eine Einzelfallentscheidung geben, denn das Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13831

Udo Haschke (Jena) gehört zu den Grundüberzeugungen der Christlich — In der Regel hatten sie keine Vorteile, und, Herr Demokratischen Union. Es steht im Grundgesetz: Die Kollege Heyenn, was das Entscheidende ist: Diese Würde des Menschen ist unantastbar. Sie läßt sich Funktionen standen in keinem Zusammenhang mit nicht in Schablonen pressen; so denke ich jeden- ihren Rentenansprüchen. Diese Rentenansprüche falls. waren beruflich bedingt. Weil es sich in Sachen Renten — Frau Otto, da gebe (Zuruf von der F.D.P.: Richtig!) ich Ihnen auch recht — um ältere Menschen h andelt, Ich erinnere Sie an dieser Stelle einmal daran, wer die möglicherweise nicht mehr so viel Zeit haben, denn in den Bezirksvorständen der sogenannten empfehle ich uns allen, diesen nächsten Schritt vorzu- Blockparteien angesiedelt war. Das waren H andwer- bereiten, schnell anzugehen, den heutigen aber nicht ker, Gewerbetreibende, kleine Angestellte, Akade- zu verzögern. Ich bitte sehr darum, diesem Gesetz miker. Und ich zähle die Privilegien dieser Leute auf; zuzustimmen. das ist schnell getan. Die konnten, wenn es gut lief, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der einmal ihr Kind auf die EOS — „Erweiterte Ober- PDS/Linke Liste und des BÜNDNISSES 90/ schule" heißt das — bringen; sie konnten mal eine DIE GRÜNEN) Gewerbegenehmigung mehr herausschlagen, oder sie konnten einen Handwerksbetrieb unterstützen, wenn es darum ging, Material und Ausrüstungen zu Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Herren, Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der beschaffen. Diesen Personenkreis pauschal zu bestra- Geschäftsordnung sollen im allgemeinen das Abstim- fen ist Unrecht, es ist zum Teil sogar geradezu mungsverhalten, vor allen Dingen auch abweichen- grotesk. des, begründen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Udo Haschke [Jena] [CDU/CSU]: Das habe der PDS/Linke Liste) ich doch gesagt: Ich werde trotz Bedenken Meine Damen und Herren, die politische Seite zustimmen!) dieser Angelegenheit ist eigentlich noch viel schwie- Ich darf noch einmal daran erinnern, daß wir dies riger, viel schwerwiegender. Diese unglückliche For- beachten. mulierung „im Staatsapparat und in einer Partei" legalisiert geradezu durch ein Bundesgesetz die Poli- Die nächste Wortmeldung gemäß § 31 der Ge- tik, die die SED ganz konsequent nach der Wende schäftsordnung kommt von unserem Kollegen betrieben hat und die auch ihre Nachfolger be treiben, Dr. Christoph Schnittler. nämlich die Gleichsetzung der SED mit den Blockpar- teien, was ihre politische Verantwortung betrifft. Das, Dr. Christoph Schnittler (F.D.P.): Herr Präsident! meine Damen und Herren, ist Geschichtsfälschung. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Gesetzentwurf zur Änderung des Rentenüberlei- der F.D.P. — Udo Haschke [Jena] [CDU/ tungsgesetzes bringt für unzählige Menschen in den CSU]: Aber beabsichtigt!) neuen Bundesländern ganz wesentliche Verbesse- rungen, und er beseitigt Fehler. Ich bin sehr froh Ich appelliere an alle Demokraten, daß sie diese darüber und werde deshalb diesem Gesetzentwurf Geschichtsfälschung nicht mitmachen. zustimmen. Wesentlich schuld am Unrecht in dieser DDR hat die Aber, meine Damen und Herren, ich kann das nicht SED gehabt. Daß sie auch Helfershelfer hatte in Form tun, ohne hier festzustellen, daß er mindestens einen des Schwertes und Schildes der Partei und in Form grundsätzlichen Mangel nach wie vor enthält. Das ist einzelner Personen in den Blockparteien, in Organi- die pauschal vermutete Staatsnähe ganzer Men- sationen und in allen anderen Bevölkerungsgruppen, schengruppen, die zu einer wesentlichen Absenkung das ändert an dieser Sachlage gar nichts. der Rentenansprüche führt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der der F.D.P.) CDU/CSU und der PDS/Linke Liste) Meine Damen und Herren, diese Vorgehensweise ist ein denkbar schlechter Ersatz für eine Vergangen- Vizepräsident Helmuth Becker: Letzte Wortmel- heitsbewältigung, die in der ehemaligen DDR leider dung gem. § 31 unserer Geschäftsordnung, Kollege nicht genügend stattgefunden hat, und auch für die Dr. Rudolf Karl Krause. Unfähigkeit des Rechtsstaates, die wirklich Schuldi- gen zu bestrafen. Man kann trotzdem einen solchen Mangel grundsätzlich tole rieren; aber er muß sich in bestimmten Grenzen halten. Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) (fraktionslos): Herr Völlig inakzeptabel ist für mich die Festlegung, daß Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! auch Inhaber ehrenamtlicher Wahl- und Berufungs- Meine drei Vorredner haben vieles gesagt, was ich funktionen oberhalb der Kreisebene in dieser Weise sonst auch gesagt hätte. bestraft werden; denn sie hatten keinerlei Vorteile von Bei der letzten CDU-Kreisvorstandssitzung hat mich diesen Funktionen. mein Freund und Landrat, der 30 Jahre in der CDU (Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD war, der Betriebsleiter war und der vielen, vielen — Günther Heyenn [SPD]: Machen Sie ein Menschen nicht nur eine Nische, sondern gerade dickes Fragezeichen, Herr Kollege!) vielen jungen Menschen, die bedrängt waren, auch 13832 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) eine Perspektive gegeben hat, dringend darum gebe- Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Dieser ten, diesem Art. 3 nicht zuzustimmen. Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung der (Zuruf von der CDU/CSU: Von den Opfern Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt. redet niemand!) Hier wird pauschal eine ganze Gruppe, werden ganze (Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Liste]: Und aus Gruppen wirklich bestraft und die Witwen, falls es die der SPD!) gibt, mit. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Als freier Abgeordneter darf ich mich an die Wahr- Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- haftigkeit halten, ohne Parteiräson. zeichen. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltun- (Zuruf von der CDU/CSU: Sie dürfen! — Sie gen? — Bei einer Reihe von Gegenstimmen und müssen! — Weitere Zurufe) Stimmenthaltungen ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Es geht um Menschen, es geht um einzelne Men- schen. Es ist auch nicht richtig, pauschal zu sagen: Wir kommen zur Aber die, die in der SED waren! — Als meine Familie, meine Frau und ich, zwei Jahre lang Einstellungsver- bot hatten, dritten Beratung (Udo Haschke [Jena] [CDU/CSU]: Das hat und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem nichts mit der Abstimmung zu tun!) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Bei gab es auch einen Parteisekretär, gab es Schuldirek- einer Reihe von Gegenstimmen und Stimmenthaltun- toren, die ihre schützende Hand über meine Kinder gen ist dieser Gesetzentwurf angenommen. gehalten haben. Diese jetzt pauschal zu verunglimp- fen und zu bestrafen ist nicht richtig. Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungs- Noch ein Letztes an meine — wie ich hoffe — punkt 12b. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialord- bleibenden Freunde in der CDU: Viele Geschäftsfüh- nung empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluß- rer, viele Betriebsleiter, die Vorsitzende waren, ha- empfehlung auf Drucksache 12/5017, den Antrag der ben 1990 vier Wahlen gewonnen. Viele, die in der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2519 abzuleh- Volkskammer für die Einheit gestimmt haben, sind nen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? — Die mitbetroffen und werden hier bestraft. Ich bitte Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Be- Sie als Mensch und als Christ, das noch einmal schlußempfehlung ist bei einer Reihe von Gegenstim- in den Ausschuß zu geben, dem Art. 3 nicht zuzu- men angenommen. stimmen. Der Ausschuß empfiehlt weiter unter Buchstabe c, Unbenommen ist, daß der große Teil der Rentner den Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksa- — über 90 % — in einer Weise die Einheit genießen che 12/2567 abzulehnen. Wer stimmt für diese kann, die sich vor drei Jahren niemand erträumt hat. Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Meine Schwiegereltern sind Rentner auf dem Lande. Stimmenthaltungen? — Damit ist auch diese Be- Die Rentner auf dem L ande bekommen das Zweiein- schlußempfehlung bei einer Reihe von Gegenstim- halbfache dessen an Rente ausbezahlt, was die Rent- men und Stimmenthaltungen angenommen. ner in der Landwirtschaft in der alten Bundesrepublik bekommen. Das ist sehr hoch anzurechnen. Aber es Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuß für geht hier um einzelne Menschen. Arbeit und Sozialordnung schließlich, den Antrag der Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wenn wir jedem Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2663 für erledigt Gewaltkriminellen Einzelfallgerechtigkeit zubilligen, zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- dann bitte auch Tausenden grundanständigen Men- lung? — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — schen. Bei einer Reihe von Gegenstimmen und einer Stimm- enthaltung ist diese Beschlußempfehlung angenom- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und men. Herren, wir sind damit am Ende der Beratungen und kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind zu Tagesordnungspunkt 12a: Einzelberatung und damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ wünsche Ihnen ein paar erholsame Pfingsttage und CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundesta- zur Ergänzung der Rentenüberleitung. Es handelt sich ges auf Mittwoch, den 16. Juni 1993, 13 Uhr ein. um die Drucksachen 12/4810 und 12/5017. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Die Sitzung ist geschlossen. Drucksache 12/5039 vor, über den wir zuerst abstim- men. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Die (Schluß der Sitzung: 20.10 Uhr)

Berichtigung 159. Sitzung, Seite 13468 D, achte Zeile von unten: statt „ 18 Millionen" ist „ 14,5 Millionen" zu lesen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode - 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13833*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Thomas Molnar, Dr. Klaus Mildner, Rolf Rau, Dr. Ing. Dietmar Kansy, Werner Dörflinger (alle CDU/ Liste der entschuldigten Abgeordneten CSU): Hiermit erklären wir, daß der Artikel 20 des Gesetzentwurfs zur Umsetzung des Föderalen Konso- entschuldigt bis Abgeordnete(r) lidierungsprogramms (FKPG) nicht unsere Zustim- einschließlich mung finden kann. Dr. Bergmann-Pohl, CDU/CSU 27. 5. 93 Eine Änderung der HOAI kann nicht Gegenstand Sabine des o. g. Gesetzes sein, da es zu keiner Kosteneinspa- Daubertshäuser, Klaus SPD 27. 5. 93 rung im Sinne des vorliegenden Gesetzentwurfs Gerster (Mainz), CDU/CSU 27. 5. 93 führt. Johannes Ganz im Gegenteil, die Festlegungen des Artikel 20 Kretkowski, Volkmar SPD 27. 5. 93 des FKPG werden zu einer erheblichen Erhöhung der Dr. Matterne, Dietmar SPD 27. 5. 93 Baukosten führen. Dr. Modrow, Hans PDS/Linke 27. 5. 93 Als Ingenieure bzw. Architekten sind wir der Mei- Liste nung, daß geistige, gestalterische und wissenschaftli- Neumann (Bramsche), SPD 27. 5. 93 che Leistungen nicht in der im Artikel 20 aufgezeigten Volker Weise beurteilt werden können. Oesinghaus, Günther SPD 27. 5. 93 Wir möchten darauf hinweisen, daß eine entspre- Reschke, Otto SPD 27. 5. 93 chende Empfehlung des Ausschusses für Raumord- Welt, Jochen SPD 27. 5. 93 nung, Bauwesen und Städtebau hinsichtlich des Arti Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 27. 5. 93 -kels 20 im o. g. Gesetzentwurf nicht berücksichtigt worden ist.

Anlage 2 Klaus Kirschner (SPD): Dem heute in 3. Lesung zur Abstimmung stehenden FKP-Gesetz, Drucksache Erklärungen nach § 31 GO 12/4748, stimme ich nicht zu. zur Abstimmung über das Gesetz zur Umsetzung Die Bedingung der SPD zur Zustimmung zu diesem des Föderalen Konsolidierungsprogramms Gesetz, die nach schwierigen Verhandlungen zustan- (Tagesordnungspunkt 5) dekam, war, daß es die ursprünglich von der Bundes- regierung geplanten unsozialen Kürzungen u. a. bei Jürgen Koppelin (F.D.P.): Die Kosten der deutschen den Leistungen nach dem AFG nicht geben wird. Einheit gerecht auf alle Schultern zu verteilen ist ein dringend zu lösendes Problem. Die Aufteilung der Diese Vereinbarung wird nun offensichtlich von der Kosten auf den Bund und die Länder, wie er im Bundesregierung aufgekündigt. Nach einer Meldung Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms von AP vom 25. Mai 1993 hat Bundesfinanzminister erfolgen soll, ist ein erster Schritt in dieser Richtung Waigel erklärt, „er werde erneut alle Sparvorschläge und findet meine Zustimmung. auf die Tagesordnung setzen, die bei der Diskussion über das Föderale Konsolidierungsprogramm abge- Einwände von mir richten sich jedoch gegen die lehnt worden waren. Dabei handelt es sich u. a. um vorgesehenen Einsparungen für Grund- und Zivil- eine Kürzung der Bezüge der Arbeitslosen, Kurzarbei- dienstleistende. So sollen Kürzungen beim Verpfle- ter und Umschüler". gungsgeld für die Tage vorgenommen werden, an denen Wehrpflichtige von der Gemeinschaftsverpfle- Auch wenn diese unsozialen Kürzungen nun außer- gung befreit sind, und das Entlassungsgeld soll von halb des FKP-Gesetzes in einem eigenständigen 2 500 DM auf 1 800 DM reduziert werden. Gesetzesverfahren erfolgen sollen und formal damit Diese Einsparungen stehen im krassen Wider- argumentiert wird, daß dies mit dem FKP-Gesetz spruch zu dem, was in den Verhandlungen des nichts zu tun habe und damit die Vereinbarung Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten der Län- eingehalten werde, ist dies für mich ein politischer der sowie der Partei- und Fraktionsvorsitzenden ver- Wortbruch des gemeinsam ausgehandelten Kompro- einbart worden ist, und zwar, zur Finanzierung des misses. Ziel des FKP-Gesetzes soll es sein, die wirt- Föderalen Konsolidierungsprogramms auf Ein- schaftliche und soziale Einheit zu gestalten und finan- schnitte in das soziale Netz zu verzichten. Da diese ziell abzusichern. Diese Zielsetzung unterstütze ich Vereinbarung anscheinend für Grundwehr- und Zivil- voll. Wenn jedoch nun für die von der Bundesregie- dienstleistende nicht gilt, stellen die in diesem Bereich rung zu verantwortende maßlose Verschuldenspolitik vorgenommenen Kürzungen im sozialen Bereich für die Arbeitslosen mit Kürzungen herhalten sollen diese Gruppe eine ungerechtfertigte Benachteiligung — d. h. ausgerechnet die gesellschaftlichen Gruppen, und übergroße Härte dar. die der Solidarität der Gesellschaft besonders bedür- fen —, wird durch ein solches Verhalten die soziale Die Finanzierung des Föderalen Konsolidierungs- Gerechtigkeit mit Füßen getreten. programms einseitig zu Lasten einer einzelnen Gruppe, die zudem durch die Art ihrer Tätigkeit schon Dem FKP-Gesetz kann ich deshalb nicht zustim- überproportional belastet ist, ist so nicht vertretbar. men. 13834* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Hans Martin Bury (SPD): Bei dem vorliegenden Dauer der Abschlußförderung erfolgreich beendet FKPG handelt es sich ebensowenig um ein Konsoli- haben. Von denjenigen, deren Förderung zum Zeit- dierungsprogramm wie um einen Solidarpakt. Das punkt der Befragung noch lief, schätzte nur ein Viertel Gesetz ist bestenfalls ein Zeichen der Soldiarität von die Chance, das Studium in der Förderungszeit erfolg- Länderministerpräsidenten untereinander. Der Bun- reich abzuschließen, als sehr schlecht oder schlecht desminister der Finanzen hat sich bei der an seiner ein. Karriereplanung orientierten Verhandlungsführung Zweitens. Am Beschleunigungseffekt. Der größte ebenso verrechnet wie bei Bundeshaushalt und mit- Teil der nach § 15 Abs. 3 a BAföG Geförderten konnte telfristiger Finanzplanung. Die Folge ist eine dramati- schneller zum Abschluß kommen als der Durchschnitt sche Verschuldung des Bundes. Die Chance, spürbare der Studierenden. Dies ergibt sich daraus, daß- Absol- Einsparungen durchzusetzen und die sozial unausge- venten mit Abschlußförderung in verschiedenen Stu- wogene Finanzierung zu korrigieren, wurde verspielt. dienbereichen jünger als die übrigen Absolventen Abgesehen von dem psychologisch positiven Signal waren (in den Rechtswissenschaften über 7 Mo- der Einigung sind die Effekte des sogenannten FKP nate). haushalts-, finanz-, wirtschafts- und sozialpolitisch negativ. Zudem werden die Handlungsspielräume in 61,2 % der Geförderten, die zum Abschluß gekom- Zukunft in unverantwortlicher Weise weiter einge- men sind, erklärten, daß sie das Studium ohne die schränkt. Abschlußförderung später beendet oder abgebrochen Erforderlich wäre m. E. ein konsequenter Abbau hätten. Von den Studierenden, deren Förderung im von Strukturerhaltungssubventionen, die aktive För- Befragungszeitraum noch lief, erklärten 75,6 %, daß derung des Strukturwandels, Abbau und Umstruktu- sie ohne die Abschlußförderung das Studium abbre- rierung von Steuervergünstigungen, beispielsweise chen müßten oder später beenden würden. bei der Wohnungsbauförderung, eine systemgerechte Drittens. An der Dauer der Inanspruchnahme. Die Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik, eine Finanzpo- im Rahmen der Studienabschlußförderung bewi lligte litik, die durch eine Internalisierung externer Kosten Förderungsdauer und die tatsächlich in Anspruch die Steuerungsfunktion des Preises stärkt und damit genommene Förderungsdauer sind bei weitem nied- z. B. ökologisch sinnvolle Entwicklungen auch ohne riger als die zulässige Förderungsdauer von maximal oder mit geringem Förderungsbedarf induziert. 12 Monaten. Bei der in Anspruch genommenen Dauer Keiner dieser Anforderungen wird der vorliegende beträgt sie im Durchschnitt an der Universität 7,1 Mo- Gesetzentwurf gerecht. Ich werde dem sogenannten nate, an der Fachhochschule 5,9. Diese Angaben Föderalen Konsolidierungsprogramm deshalb nicht belegen eindrucksvoll, daß die Prüfungsstellen die bis zustimmen. zum Studienabschluß benötigte Zeit sehr genau ermit- teln und dieses Förderungsinstrument von den Ämtern für Ausbildungsförderung verantwortungs- voll gehandhabt wird. Die Bewilligung wird nur für die tatsächlich benötigte Zeit vorgenommen, um Pro- Anlage 3 bleme bei der Rückforderung zu vermeiden. Zu Protokoll gegebene Reden Der Einsparungseffekt liegt also darin, daß die Stu- zu Tagesordnungspunkt 9 (Sechzehntes Gesetz zur dienabschlußförderung Erwerbstätigkeit in der Ex- Änderung des Bundesausbildungsförderungsgeset amensphase vermeidet und den Studierenden einen zes) Anreiz bietet, sich vor Ablauf der Förderungshöchst- dauer zur Prüfung zu melden. Auf diese Weise wird Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): An einem ein frühzeitiger Studienabschluß gefördert und Tag, an dem mit dem föderalen Konsolidierungspro- ermöglicht. Der Vorteil gegenüber verlängerten Stu- gramm erhebliche Einsparungen ge troffen werden dienphasen mit zusätzlichen Kosten, zusätzlicher mußten und an dem die Prognosen im Hinblick auf Überfüllung der Hochschulen, höheren Abbrecher- Steuereinnahmen und Staatsausgaben nicht gerade quoten und fehlenden Einnahmen an Steuern und rosig ausgefallen sind, beschleicht einen — bei aller Abgaben ist unverkennbar. Freude, eine gute und sinnvolle Maßnahme im Bil- Viele Wege führen nach Rom. Der beste Weg in dungsbereich verlängern zu können — die berech- diesem Bereich wäre der der Studienzeitverkürzung. tigte Sorge, ob die Verlängerung eines Leistungsge- Um die Absicht zu unterstreichen, diesen Weg konse- setzes in die harte finanzpolitische Realität unserer quent zu gehen, wollen wir die Verlängerung der Zeit paßt. Studienabschlußförderung befristen. Ich kann die Frage deshalb stellen, weil sie positiv zu beantworten ist: Die Studienabschlußforderung Doris Odendahl (SPD): Bei der heutigen Debatte zur spart erheblich mehr Mittel ein, als sie kostet. Ich Verabschiedung des 16. BAFöG-Änderungsgesetzes möchte dies an drei Punkten aufzeigen: kann ich nur noch einmal bekräftigen, was ich schon Erstens. An der hohen Erfolgsquote. Eine Erhebung bei der Einbringung der Gesetzentwürfe der SPD und des Hochschulinformationssystems zur Studienab- der Regierungskoalition sagte. Nun haben Sie ja in schlußförderung vom Sommer 1992 hat erbracht, daß letzter Minute die Verlängerung der Studienab- 83,8% der Studierenden, die im Bewilligungszeit- schlußförderung auf den Weg gebracht. Mehr von uns raum 1991/92 Studienabschlußförderung erhalten geschoben als selbst gewollt und mehr schlecht als haben und deren Förderung im Befragungszeitpunkt recht. Mehr schlecht deshalb, weil Sie sich nicht zu bereits angelaufen war, das Studium während der einer klaren Haltung und damit zu einer unbef risteten Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13835*

Verlängerung der Studenabschlußförderung durch- eine weitere Verlängerung entschieden werden ringen konnten, obwohl Ihnen a lle, die etwas davon kann. verstehen, dazu geraten haben. Die SPD-Fraktion hält die Studienabschlußförde- Die SPD hält an ihrem Anliegen fest, die Studien- rung nicht nur für ein wirksames, kostengünstiges bedingungen für die Studierenden zu verbessern, weil Förderungsinstrument, sie rechnet auch damit, daß hier der Schlüssel für die Verkürzung der Studienzei- sich die voraussichtlichen Ausgaben im Rahmen des ten liegt. Für Studierende, die innerhalb der in der BAFöG-Plafonds im Einzelplan 31 des Bundeshaus- Förderungshöchstdauerverordnung vorgesehenen halts 1993 bewegen, auch nachdem dieser durch den Frist zur Abschlußprüfung zugelassen worden sind Nachtragshaushalt abgesenkt wurde. Dabei geht es und die voraussichtlich die Ausbildung innerhalb des um eine Summe zwischen 10 und 15 Millionen- DM. nächsten Jahres abschließen können, ist 1990 die Wir- lehnen deshalb eine außerhalb des BAFöG Studienabschlußförderung befristet eingeführt wor- Ansatzes zu erwirtschaftende globale Minderausgabe den. Sie hat sich bewährt. Wir wollten eine unbefri- im Einzelplan 31 ab, wie sie im Haushaltsausschuß auf stete Verlängerung. Dies war jedoch mit den Koali- Antrag von F.D.P. und CDU/CSU beschlossen wurde. tionsfraktionen nicht zu machen. Die SPD-Fraktion Eine derartige „Strafaktion" zu Lasten der übrigen wird den Spatz in der Hand der Taube auf dem Dach Haushaltsansätze des Bundesministeriums für Bil- vorziehen und auch dem Koalitionsentwurf zustim- dung und Wissenschaft, die ohnehin vom Bundesfi- men, der lediglich eine dreijährige Verlängerung nanzministerium im Haushaltsvollzug gekürzt wur- vorsieht. den, lehnen wir ab. Weiter lehnen wir ein „Junktim" mit der Überprüfung und gegegebenenfalls Anpas- Allerdings stimmen wir auch der Begründung im sung der Bedarfssätze und Freibeträge zum Herbst Koalitionsentwurf nicht zu. In den Ausschußberatun- 1994 ab. Die vom Bundesfinanzminister unerbittlich gen haben wir bekräftigt, daß eine Befristung der verfolgte Hinausschiebung der Anpassung ohne Gesetzesbestimmung nicht als Druckmittel zu Lasten Überprüfung der Preis- und Einkommensentwicklung der Studierenden verwendet werden darf und daß es würde die soziale Sicherung insbesondere der Studie- sich nicht um ein Instrument zur Verkürzung der renden in den neuen Ländern dramatisch gefährden. langen Fachstudienzeiten handelt. Hierzu bedarf es Die Studierenden würden gezwungen, während des der Verbesserung der Studienbedingungen und von Studiums verstärkt zu arbeiten. Dies würde mit für Studenten wie Hochschulen verbindlichen Stu- Sicherheit zu längeren Studienzeiten führen. Da das dienplänen. BAFÖG als Sozialleistungsgesetz Studierenden aus Die Hochschul-Informations-System GmbH hat im einkommensschwächeren Familien dient, hätte ein Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Verzicht auf die Anpassung im Herbst 1994 einen Wissenschaft die Wirksamkeit dieses 1990 bef ristet empfindlichen Rückschritt bei der Verwirklichung eingeführten Förderungsinstruments durch Befra- unseres Ziels der Chancengleichheit zur Folge. Ich gung von Studierenden im Sommersemester 1992 möchte Sie deshalb, nachdem wir heute nach langen untersucht. Dieser Auftrag ging auf einen Antrag der Verhandlungen dem Föderalen Konsolidierungspro- SPD zurück. Aus dem Vorwurf des Bundesministers gramm zugestimmt haben nachdrücklich davor war- für Bildung und Wissenschaft zur Veröffentlichung nen, bei der BAFöG-Anpassung dadurch wortbrüchig dieser Untersuchung ist zustimmend zu zitieren: „Die -zu werden, daß Sie nun nach Abstimmung des FKP vorliegende Studie belegt eindrucksvoll, daß sich die Papiers an der 1994 gesetzlich vorgeschriebenen Studienabschlußförderung als Instrument mit einer Anpassung herumfummeln. hohen Erfolgsquote, einem Beschleunigungseffekt im Die Zeiten werden gewiß schwieriger, sie sind Hinblick auf die Studiendauer und mit weit niedrige- jedoch mit Einschränkungen bei der Bildung und ren Kosten als ursprünglich angenommen in hohem Ausbildung der jungen Genera tion nicht zu bewälti- Maße bewährt hat. " Ich freue mich sehr, hier einmal gen. Zwischen Sparen — bei überflüssigen Ausgaben sagen zu können: Wo Professor Dr. Ortleb recht hat, und Vergünstigungen — und Kaputtsparen bei Sozial- hat er recht! leistungsgesetzen und bei der Zukunftsinvestition Diese überaus positive Einschätzung wird offenbar Bildung liegt ein himmelweiter Unterschied! auch von den Ländern geteilt, die im „Eckwertepa- pier" der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorberei- Dirk Hansen (F.D.P.): Da die Studienabschlußförde tung des „Bildungsgipfels" im übrigen die Forderung rung nachweislich eines der wenigen wirksamen der SPD-Fraktion stützen: „Nach Auffassung der Instrumente zur Verkürzung der Studienzeiten dar- Länder können die Studienzeiten bis 1996 nicht so stellt, spricht sich die F.D.P.-Bundestagsfraktion aus- weit reduziert werden, daß bereits dann auf die drücklich für eine Weiterführung dieser Förderung bis Studienabschlußförderung verzichtet werden kann", 1996 aus. Eine unbefristete Verlängerung der Stu- heißt es in diesem Papier. Die SPD-Fraktion hat hieran dienabschlußförderung, wie es die SPD forde rt, ist anknüpfend im Ausschuß für Bildung und Wissen- abzulehnen, da bei den aktuellen Diskussionen, das schaft einen Antrag zu einer Entschließung zur dritten Studium an den Hochschulen neu zu strukturieren Lesung des Gesetzentwurfs eingebracht, dem alle und insbesondere die Studienzeiten zu verkürzen, es Fraktionen zugestimmt haben: Die Bundesregierung geradezu kontraproduktiv wäre, diese Maßnahme zu wird danach aufgefordert, dem Bundestag rechtzeitig stoppen oder unbefristet zu verlängern. vor Auslaufen der nun bis Herbst 1996 befristeten Studienabschlußförderung einen Bericht vorzulegen, Hinter der Befristung bis zum 30. September 1993 auf dessen Grundlage vor dem Hintergrund derzeit stand die Absicht, nach angemessener Zeit zu prüfen, geplanter Strukturreformen an Hochschulen über ob die Studienabschlußförderung ein geeignetes Mit- 13836* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 tel sei, die Studienzeiten zu verkürzen. Daß dies Die Studienabschlußförderung war von vornherein sinnvoll war, zeigt die im Sommer 1992 vom Hoch- nur als Übergangsregelung für einen befristeten Zeit- schul-Informations-Systems (HIS Hannover) durchge- raum angelegt. Es wäre geradezu ein Eingeständnis führte Studie, wonach 83,8 % derjenigen, die nach der Hilflosigkeit, wollte man sie jetzt unbef ristet § 15 BAföG-Förderung erhalten haben, ihren verlängern, wie der Gesetzentwurf der SPD dies Abschluß schneller als der Durchschnitt aller Studen- — wenn auch unter dem Deckmantel der regelmäßi- ten erreicht haben. 61 % der Geförderten erklärten, gen Überprüfung im Rahmen der Berichtspflicht nach daß sie ohne diese Abschlußförderung ihr Studium § 35 BAföG — vorsieht. später beendet oder gar abgebrochen hätten. Angesichts der gegenwärtigen Studiensituation an - Für die Studienabschlußförderung nach BAföG den Hochschulen ist die Studienabschlußförderung werden für 1993 Gesamtkosten von 25 Millionen DM noch unverzichtbar. Ich bin jedoch zuversichtlich, daß veranschlagt, für 1994 und 1995 jeweils 80 Millionen es gelingt, die Dauer der Studienzeiten wieder auf ein für 1996 60 Millionen DM. Auf den Bund entfallen vernünftiges Maß zu begrenzen. Ich sehe mich in davon im laufenden Jahr 15 Millionen, 1994-1995 je meinem Optimismus durch vielfältige Anstrengungen 55 Millionen und im Folgejahr 40 Millionen DM, der in den Ländern und an den Hochschulen — gerade verbleibende Betrag wird von den Ländern getra- auch aus jüngster Zeit — bestätigt. Der Umstrukturie- gen. rungsprozeß an den Hochschulen wird, dessen sind wir uns alle bewußt, mit z. T. schmerzhaften Ein- Zum Ärger der SPD — und wohl nicht nur zu schnitten verbunden sein. Die Studienabschlußförde- ihrem — hat sich der liberale Bundesbildungsminister rung kann dieser Phase dazu beitragen, Härten zu mit der befristeten Verlängerung der Studienab- mildern. schlußförderung bis 1996 durchgesetzt. Im Sinne der Gestaltung von liberaler Bildungspolitik werden wir Bildungsminister Rainer Ortleb auch weiterhin konse- quent unterstützen. Anlage 4

Dr. Rainer Ortleb, Bundesminister für Bildung und Zu Protokoll gegebene Reden Wissenschaft: Die Bundesregierung begrüßt die im zu Tagesordnungspunkt 10 (Einbeziehung der deut Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen vorgesehene schen Heimatvertriebenen Aussiedler und der in befristete Fortführung der Studienabschlußförderung. Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa lebenden deut Ich freue mich besonders darüber, daß alle Fraktionen schen Minderheiten in die Politik der Verständigung wie die 1. Lesung und die Ausschußberatungen und guten Nachbarschaft der Bundesrepublik gezeigt haben, in großer Einmütigkeit die Verlänge- Deutschland gegenüber ihren östlichen und südöstli rung der Studienabschlußförderung befürworten und chen Nachbarn) daß trotz der angespannten finanzwirtschaftlichen Situation die Finanzierung gesichert werden Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Es war der Wunsch konnte. der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, den von ihr Im Hinblick auf den Gesetzentwurf der SPD sowie gemeinsam mit der F.D.P.-Fraktion im Bundestag im Hinblick auf die Beratungen in den Ausschüssen eingebrachten Antrag über die Einbeziehung der sehe ich mich veranlaßt, nochmals die Ausgangssitua- deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedler und der in tion bei Einführung der Studienabschlußförderung Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa lebenden deut- zum Herbst 1990 in Erinnerung zu rufen. Auf Grund schen Minderheiten in die Politik der Verständigung der hohen tatsächlichen Fachstudienzeiten in den und guten Nachbarschaft der Bundesrepublik alten Bundesländern endete die Förderung nach dem Deutschland gegenüber ihren östlichen und südöstli- BAföG für viele Studierende gerade zu Beginn der chen Nachbarn im Bundestag vor den diesjährigen Examensphase, so daß sie ausgerechnet während des traditionellen Pfingsttreffen der Heimatvertriebenen Examens auf eine erhöhte Erwerbstätigkeit neben zu debattieren und zu verabschieden. dem Studium angewiesen waren, wodurch sich der Viele Menschen in unserem Land sind zutiefest Studienabschluß weiter verzögerte. In dieser Situa tion erschüttert angesichts der Massenvertreibung Hun- wurde die Studienabschlußförderung für einen befri- derttausender von Menschen aus ihrer Heimat in steten Zeitraum von drei Jahren eingeführt, weil man Kroatien, Bosnien-Herzegowina, dem Sandschalk, zum damaligen Zeitpunkt noch davon ausging, daß der Wojwodina und Kosova. Besonders bei unseren die Maßnahmen zur Verkürzung der tatsächlichen heimatvertriebenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern Studienzeiten bis Herbst 1993 greifen würden. Wir werden angesichts der grauenhaften Bilder des alle wissen, daß sich diese Erwartung so nicht bestä- Schreckens, die wir täglich in den Medien sehen tigt hat. Eine Verkürzung der durchschnittlichen müssen, eigene traumatische Erinnerungen an das Fachstudienzeiten konnte bisher nicht erreicht wer- erlittene Vertreibungsschicksal wieder wach. Gerade den, wenn auch ein Stillstand des Anstiegs bzw. zum die nachwachsende Generation in Deutschland kann Teil sogar ein leichter Rückgang der durchschnittli- sicher angesichts der Vertreibungsgreuel im ehemali- chen Fachstudiendauer festzustellen ist. Es wäre aber gen Jugoslawien heute besser nachvollziehen, welch verfrüht, bereits von einer Trendwende zu sprechen. hartes Schicksal Millionen von Deutschen zum Ende Für diesen Zustand sind hauptsächlich vielfache und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erleiden objektive Studienbedingungen ursächlich, weniger mußten. Es ist unsere eigene Be troffenheit angesichts mangelnde Leistungsbereitschaft der Studierenden. des Vertreibungsgrauens im ehemaligen Jugosla- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13837* wien, die uns mehr Verständnis und Respekt vor den Es ist gut, wenn die Bundesregierung diesen Prozeß Gefühlen und Empfindungen deutscher Heimatver- aktiv fördert. Ich möchte in diesem Zusammenhang triebener finden läßt, Respekt vor allem vor ihrer in die vermittelnde Rolle von Bundesaußenminister Kin- der Charta der deutschen Heimatvertriebenen durch kel und der Bayerischen Staatsregierung im Hinblick den Verzicht auf Rache und Vergeltung zum Aus- auf den notwendigen und unverzichtbaren Dialog druck kommenden Geisteshaltung, die den Teufels- zwischen den gewählten Repräsentanten der in der kreis von Gewalt und Gegengewalt durchbrochen Bundesrepublik Deutschland lebenden Sudetendeut- hat. Eine Geisteshaltung, die Golo Mann einmal als schen und der politischen Führung der Tschechischen „reinsten Humanismus bitter gepeinigter Menschen" Republik würdigen. Wie offen dieser Dialog inzwi- bezeichnet hat. Ein Humanismus, den wir heute im schen ist, hat eine in Prag stattgefundene mehrstün- ehemaligen Jugoslawien dringend bräuchten. dige Diskussion der renommierten Prager Wochenzei-- tung „Respekt" deutlich gemacht, die vom Tschechi- Wenn einmal im ehemaligen Jugoslawien die Waf- fen schweigen und die Folgen von Krieg, Völkermord schen Fernsehen ausgestrahlt wurde und in der das Bundesvorstandsmitglied der Sudetendeutschen und Vertreibung aufgearbeitet werden müssen, wird Landsmannschaft, Bern man von dort auch auf Deutschland und seine östli- d Posselt, mit bedeutenden chen Nachbarn schauen, wie diese das während und politischen Persönlichkeiten der Tschechischen Repu- blik, wie dem ehemaligen Außenminister Dienstbier, nach dem Zweiten Weltkrieg gegenseitig zugefügte Unrecht aufzuarbeiten und ein neues Miteinander dem ehemaligen tschechischen Premierminister Pit hart, dem stellvertretenden tschechischen Außenmi- versucht haben. Diese Aufarbeitung ist auch heute nister Vondra und dem Chefberater von Premiermini- noch schwer, wenngleich entscheidende Weichen für ster Klaus, Dolezal, als auch mit unserem früheren eine Neugestaltung unserer Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarn gestellt wurden. Aber auch jetzt Bundestagskollegen der GRÜNEN, Milan Horacek, offen diskutieren konnte. Ich empfehle jedem, der noch müssen Trümmer aus der Vergangenheit auf dem Weg in die Zukunft weggeräumt werden. meint, die Erörterung von Anliegen der Sudetendeut- schen seien für das deutsch-tschechische Verhältnis Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will mit diesem hinderlich, sich diese Fernsehdiskussion einmal anzu- Antrag die Politik von Bundeskanzler Helmut Kohl sehen, und er wird überrascht sein über die Offenheit unterstützen, der in seiner Regierungserklärung vom unserer tschechischen Nachbarn gegenüber der sude- 30. Januar 1993 erklärt hat, die Heimatvertriebenen tendeutschen Problematik. sollten in das „Werk der Versöhnung" einbezogen werden. Sie verdienen, so der Bundeskanzler, „unse- Auch im deutsch-polnischen Verhältnis können wir ren besonderen Dank und auch unsere Solidarität. Die viele Entkrampfungen feststellen. Gerade im Hinblick Bundesregierung", so der Bundeskanzler weiter, auf das sehr sensible Thema der in Polen lebenden „wird ihnen und ihren Organisationen ein fairer und Deutschen. Wir sollten der polnischen Ministerpräsi- verständnisvoller Gesprächspartner bleiben." dentin Hanna Suchocka für ihre Rede vom 15. März 1993 in Oppeln herzlich dankbar sein. Diese Rede Die deutschen Heimatvertriebenen haben ihr stellt eine Wegweisung vor allem an die polnische Schicksal nie nur auf sich allein bezogen gesehen, Gesellschaft dar. Ministerpräsidentin Suchocka versi- sondern es immer auch als Mahnung verstanden, chert dort, daß der polnische Staat „entschlossen die endlich eine europäische Friedensordnung zu schaf- innerhalb seiner Grenzen lebenden nationalen Min- fen, in der Menschen wegen ihrer nationalen, ethni- derheiten vor Diskriminierung und Schikanen schüt- schen oder religiösen Zugehörigkeit nicht mehr unter- zen" wird, „sei es von seiten der Mitbürger oder der drückt oder vertrieben werden. Kann denn eine öffentlichen Institutionen". Bemerkenswert ist auch Losung aktueller sein als das diesjährige Leitwort des die Forderung von Frau Suchocka an die polnische Sudetendeutschen Tages jetzt zu Pfingsten in Nürn- Bevölkerung, daß Toleranz der Bevölkerungsmehr- berg, das lautet: „Vertreibungen ächten — Heimat- heit gegenüber nationalen Minderheiten allein nicht recht achten!"? Es waren gerade auch die Heimatver- ausreicht und die Fähigkeit, sich für Minderheiten zu triebenen, die am nachdrücklichsten die Forderung öffnen, eine Bereicherung für den modernen Staat nach einem europäischen Volksgruppen- und Min- darstellt. Nicht unerwähnt in einer solchen Debatte derheitenrecht vertreten und dazu wertvolle konzep- dürfen auch die Impulse bleiben, die das vor der tionelle Vorstellungen entwickelt haben. Verabschiedung stehende ungarische Minderheiten- gesetz für den innerstaatlichen Minderheitenschutz in Niemand kann und will mehr bestreiten, daß für Europa setzt. eine dauerhafte Verständigung und gute Nachbar- schaft zwischen den Deutschen und ihren östlichen Mit der Verabschiedung des Koalitionsantrages zur Nachbarn den deutschen Heimatvertriebenen, aber Einbeziehung der deutschen Heimatvertriebenen, auch den in ihrer angestammten Heimat verbliebenen Aussiedler und der in Ostmittel-, Ost- und Südosteu- Deutschen, eine entscheidende Bedeutung zukommt. ropa lebenden Deutschen in die Politik der Verstän- Gerade sie sind dazu berufen, als Mittler und Fürspre- digung und guten Nachbarschaft mit unseren östli- chef eine Brücke zwischen uns und unseren Nachbarn chen und südöstlichen Nachbarn rufen wir die Deut- zu bauen und Botschafter der Verständigung und schen aus dem Osten und die noch im Osten lebenden Aussöhnung zu sein. Dies wird auch bei unseren Deutschen auf, sich weiter aktiv in diese Politik östlichen Nachbarn selbst zunehmend so gesehen. Ein einzubringen, wobei die mit unseren östlichen und lebendiger Dialog zwischen den deutschen Heimat- südöstlichen Nachbarn geschlossenen Verträge nicht vertriebenen und den heute in ihrer Heimat lebenden Schlußpunkt, sondern Grundlage für die Weiterent- Menschen, aber auch mit den politischen und gesell- wicklung unserer Beziehungen sind. Viele Vertrie- schaftlichen Verantwortlichen dort hat begonnen. bene haben dies längst erkannt und arbeiten auf 13838* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 kulturellem, sozialem und politischem Gebiet aktiv in sagen zu den Vertriebenen betrifft. Sie sind mir zu ihrer Heimat zum Wohle aller dort lebenden Men- einseitig. Sicher nicht alle Vertriebene und Aussied- schen. Schon jetzt sind beispielhafte Aktivitäten von ler, aber gerade bestimmte führende Vertreter des so gemeinsamen Ausstellungen, Seminaren, Restaura- großzügig geförderten Bundes der Vertriebenen tionsbemühungen von Kulturdenkmälern, Konzerten, haben uns in der Vergangenheit nicht selten mit Dichterlesungen, Historikertagungen nicht mehr Aussagen be troffen gemacht, die eindeutig in Rich- zählbar. tung Revidieren von Grenzen, wie der Oder-Neiße- Grenze, und Rückgewinnung deutscher Ostgebiete Trotz dieser positiven Bilanz sollten wir uns aber gingen. Mit guter Nachbarschaft hat dies wohl wenig bewußt sein, daß es nach wie vor Heimatvertriebene zu tun. Wohin willkürliche Veränderungen- des status gibt, die mit Skepsis und Reserviertheit der Politik des quo führen, das zeigen uns die blutigen Ereignisse im vereinten Deutschlands gegenüber seinen östlichen ehemaligen Jugoslawien. Nachbarn begegnen. Wir sollten auch sie nicht aus- grenzen, sondern nicht aufhören, auch bei ihnen für Der Zusammenbruch der ehemaligen sozialisti- die Politik der Verständigung und guten Nachbar- schen Länder und die Versuche, eine bürgerliche schaft zu werben. Auch die Skeptiker unter den Demokratie zu installieren, haben — wie die Entwick- Vertriebenen verdienen unsere Überzeugungsbemü- lungen in Osteuropa uns lehren — nicht automatisch hungen. Wir sollten ihnen nicht weniger Dialogbereit- zu Verständigung innerhalb und zwischen diesen schaft entgegenbringen als anderen Gruppen in unse- Ländern geführt. rem Staat, die anderen Politikbereichen skeptisch und Auch gute Nachbarschaft will gelernt sein. Nationa- ablehnend gegenüberstehen. Ich selbst weiß, wie litätenstreit und Minderheitenprobleme haben eher schwer der Dialog mit einem Teil unserer heimatver- zugenommen. Von einem „geeinten Europa . . ., in triebenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ist, aber dem Völker ohne Furcht und Zwang leben können" , ich habe bei ihnen immer mehr Bereitschaft zum wie im Antrag formuliert, sind wir in Anbetracht der Dialog, zur Toleranz und zum Zuhören gefunden als Probleme in Osteuropa, aber nicht nur dort, noch weit bei manch anderem Teil unserer Bürgerschaft, den entfernt. Ich glaube Wunschdenken und reale Lage wir, wie etwa jetzt, von der Notwendigkeit der Asyl- stimmen hier nicht überein. Ich stimme allerdings mit rechtsänderung überzeugen müssen. Als wir die für der Feststellung überein, daß Minderheiten einen viele Vertriebenen schmerzlichen Verträge mit Polen gewichtigen Beitrag zur Verständigung zwischen den und der Tschechischen Republik hier debattiert und Völkern leisten können und müssen. Nur darf dies darüber abgestimmt haben, haben wir jedenfalls kein keine Einbahnstraße sein: Eine Brücke zwischen uns solches Szenario wie bei der gestrigen Debatte und und unseren Nachbarn muß immer von beiden Seiten Abstimmung über die Asylrechtsänderung erleben begehbar sein. Es geht nicht an, daß einerseits ständig müssen. Forderungen erhoben werden, wie der andere mit den Es ist unsere Politik, die Vertriebenen nicht auszu- Deutschen in seinem Land umzugehen hat, wenn hier grenzen, sondern sie miteinzubeziehen, sie nicht zu nicht Äquivalentes geboten wird. Dazu zähle ich disziplinieren, sondern sie zu überzeugen. Wir wollen beispielsweise die Verankerung von Minderheiten- mit ihnen gemeinsam im Bewußtsein einer jahrhun- rechten in den Verfassungen der jewei ligen Staa- dertelangen wechselvollen und über l ange Perioden ten. fruchtbaren gemeinsamen Geschichte die Beziehun- Die Erkenntnis, daß Europa aus dem kulturellen gen zu unseren Nachbarn im Osten und Südosten Reichtum und der Fülle der Traditionen und Eigenar- Europas vergangenheitsbewußt und zukunftsorien- ten seiner Länder und Regionen lebt, erfordert auch in tiert gestalten und alle Chancen für eine dauerhafte der Praxis Achtung und Toleranz zwischen den Völ- Verständigung und gute Nachbarschaft nutzen. kern und den Minderheiten, gegenseitige Unterstüt- Gerade in den Heimatgebieten der Vertriebenen in zung und aktive Mitwirkung der Regierungen. Das Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa, die wichtige euro- sollte der Geist sein, der in der Zukunft die internatio- päische Brücken- und Begegnungslandschaften sind, nalen Beziehungen bestimmt. Der Deutsche Bundes- kann ein Modell für ein europäisches Zusammenle- tag muß dazu seinen Beitrag mehr denn je leisten. ben verschiedener Volksgruppen und ihrer Kulturen entwickelt werden durch die Besinnung auf histori- (Staatsministerin beim Bun- sche Gemeinsamkeiten, die Achtung und die Tole- Ursula Seiler-Albring, desminister des Auswärtigen): Für die Bundesregie- ranz gegenüber der Identität und Sprache des ande- rung möchte ich die volle Zustimmung zu dem vorlie- ren und durch den umfassenden Schutz der Volks- genden Entschließungsantrag zum Ausdruck brin- gruppen- und Minderheitenrechte. gen. Ich begrüße insbesondere auch, daß die SPD im Auswärtigen Ausschuß (und hier im Plenum) dem Angela Stachowa (PDS/Linke Liste): Der vorlie Antrag ihre Unterstützung nicht versagt hat. Die gende Antrag und die dazugehörige Beschlußemp- Fragen, um die es geht, brauchen einen breiten fehlung beinhalten schon in ihrem Titel einen Gedan- Konsens — in unserem Lande wie in der Öffentlichkeit ken, dem ich bedenkenlos und sofort zustimmen kann: der jungen östlichen Demokratien. alle Chancen für eine Politik der dauerhaften Verstän- Wichtig ist insbesondere die Perspektive der euro- digung und guten Nachbarschaft zu nutzen. Dies päischen Einigung, auf die der Antrag der Koalitions- sollte generell ein Grundprinzip dieses größer gewor- denen, geeinten Deutschlands sein, das in Europa und fraktionen zielt. der Welt heute auch eine größere und verantwor- Nationalitätenkonflikte haben unseren Kontinent in tungsvollere Rolle spielen muß. Weniger Verständnis der ersten Hälfte des Jahrhunderts verwüstet. Wir habe ich allerdings, was die sehr ausführlichen Aus müssen verhindern, daß diese Konflikte nach dem Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13839*

Ende des Kalten Krieges wieder aufleben und das rung der jeweiligen Staaten tun. In diesem Sinne hat zerstören, was wir seit dem Zweiten Weltkrieg in das Auswärtige Amt das Gespräch mit der polnischen Europa aufgebaut haben. Regierung vertieft. Auch mit Ungarn und Rumänien Dazu müssen und wollen auch wir Deutschen läuft die Zusammenarbeit vertrauensvoll. erneut unseren Beitrag leisten. Kriegs- und Nach- Bestimmendes Element bei der Politik der Bundes- kriegsereignisse haben uns auf vielfältige und zumeist regierung gegenüber der Tschechischen Republik tragische Weise mit unseren östlichen Nachbarn ver- und der Slowakei ist die enge Zusammenarbeit mit knüpft. den Vertretern der dort lebenden deutschen Minder- Die Art, wie wir mit den historischen Folgen der heiten und tschechischen sowie slowakischen Regie- Vertreibung und mit den deutschen Minderheiten in rungsstellen. - Mittel- und Osteuropa umgehen, könnte modellhaft Zum Abbau des tief verwurzelten Mißtrauens für viele unserer Nachbarvölker sein. bedarf es aber auch eines intensiven Dialogs zwischen Nur zu oft wird übersehen, daß auch sie nach den den Vertriebenen und der tschechischen Seite. Die Weltkriegen ähnliche Schicksale mit Gebietsabtre- Bundesregierung fördert diesen Dialog. So ist es nach tungen und Vertreibungen erleiden mußten. dem Besuch von Außenminister Kinkel in Prag und auf seine Initiative hin zu einem ersten Meinungsaus- In der Politik der Bundesregierung gegenüber den tausch zwischen einem Vertreter der tschechischen Staaten Mittel- und Osteuropas nimmt die Sorge um Regierung und der Sudetendeutschen Landsmann- die dort lebenden deutschen Minderheiten einen schaft gekommen. zentralen Platz ein. Wir haben nach der Vereinigung Deutschlands mit einigen dieser Staaten Nachbar- Mit den Regierungen Rußlands, der Ukraine, schaftsverträge geschlossen. Damit haben wir eine Kasachstans und Kirgisistans finden im Rahmen der solide rechtliche Grundlage für die Existenz und jeweiligen gemeinsamen Regierungskommission re- Förderung der deutschen Minderheiten geschaffen. gelmäßige Abstimmungsgespräche statt. An diesen Die Bundesregierung steht mit Vertretern der deut- Gesprächen sind auch die Vertreter der deutschen schen Minderheiten in engem Kontakt und sucht die Minderheiten beteiligt. Insbesondere im Verhältnis zu Abstimmung mit den Regierungen der be treffenden Rußland kommt es entscheidend darauf an, durch Länder. Dies geschieht durch die Vertretungen des Offenheit und Transparenz in der Verhandlungsfüh- Bundes im Ausland, aber auch durch direkte Regie- rung und bei der Durchführung von Maßnahmen rungskontakte. Ziel unserer Politik ist die Erhaltung Vertrauen aufzubauen. der Identität der in Mittel- und Osteuropa lebenden Zentrales Gesprächsthema mit diesen Ländern ist Deutschen und ihr loyales, konfliktfreies Zusammen- deren wirtschaftliche Stabilisierung. Die Rußland- leben mit ihren jeweiligen Mitbürgern. deutschen werden sich auf Dauer nur dann zum Ich würdige ausdrücklich die Rolle, die die L ands- Bleiben in ihren Heimatländern entscheiden, wenn mannschaften hierbei in der Vergangenheit gespielt sie dort eine stabile und sichere Zukunft für sich und haben. ihre Familien sehen. Voraussetzung dafür ist die erfolgreiche Entwicklung dieser Länder hin zu Demo- Sie haben sich dafür eingesetzt, daß die Kultur in kratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft. früher deutschen und jetzt polnischen oder russischen Gebieten oder in traditionellen Siedlungsgebieten Die Bundesregierung legt Wert darauf, daß die deutscher Minderheiten weiter gepflegt wurde. Sie Unterstützung für die deutschen Minderheiten im haben in großem Maße und mit beträchtlicher finan- Einklang steht mit den Reformbemühungen in den zieller Unterstützung der Bundesregierung dazu bei- neuen Demokratien. Die deutsche Reformunterstüt- getragen, daß sich zum Beispiel in Polen seit der zung für diese Staaten und die Hilfen für die deut- politischen Wende schnell ein organisiertes Ver- schen Minderheiten ergänzen sich insoweit. bandsleben unter den Deutschen entwickeln Die deutschen Heimatvertriebenen und Aussiedler konnte. können entscheidend an der Schaffung einer Atmo- Heute, nachdem sich die Rahmenbedingungen ent- sphäre des Vertrauens mitwirken. Sie sollten sich scheidend verbessert haben, treffen sie auf zuneh- nachdrücklich zu den vom Deutschen Bundestag und mendes Verständnis für ihr Interesse an der Bewah- der Bundesregierung festgelegten Prinzipien beken- rung ihrer Geschichte und ihres kulturellen Erbes. nen, die ihren Niederschlag im Zwei-plus-Vier-Ver- tragswerk und den bilateralen Vereinbarungen mit Zur Wiederherstellung der kulturellen Identität der unseren östlichen und südöstlichen Nachbarn gefun- deutschen Minderheiten stellt die Bundesregierung den haben. auch finanzielle Mittel für die Erhaltung deutscher Kulturdenkmäler zur Verfügung. Darüber hinaus ist Unsere Partner in Mittel- und Osteuropa sind heute auch die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenar- demokratisch gewählte Regierungen, die überwie- beit ein sehr wirksames Instrument zur Bewahrung gend einer Zusammenarbeit mit uns offen gegenüber- deutschen Kulturgutes in Polen geworden. Schon in stehen. Wir erkennen an, daß sie dies vielfach gegen den ersten anderthalb Jahren seit Bestehen dieser den Widerstand oder die Kritik neonationaler Kreise Stiftung konnten erhebliche Mittel für die Erhaltung jeder Couleur tun, die in vielen Staaten Mittelost- und von Zeugnissen deutscher Kultur, etwa in Schlesien Osteuropas heute das politische Meinungsbild stark oder in Danzig, bereitgestellt werden. Für alle Aktivi- mitprägen. täten, die wir von Deutschland aus entfalten, gilt: Die Bundesregierung baut darauf, daß die deut- Wir können dies nur in ständigem Zusammenwir- schen Minderheiten in die so oft zitierte Brückenfunk- ken und in voller Transparenz gegenüber der Regie tion zwischen Deutschland und den jeweiligen Staa- 13840* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 ten, in denen sie leben, hineinwachsen. Alle, die lionen DM in den Jahren 1993 und 1994 weniger als hierzu beitragen können, sollten sich ihrer histori- von ihnen eingeplant zur Verfügung stehen. schen Aufgabe bewußt sein. Die Bundesregierung Gesteckte Ziele lassen sich dann in dem vorgesehe- wird das in ihren Kräften Stehende dazu beitragen. nen Zeitraum nicht mehr erreichen. Das gilt für den kommunalen Straßenbau aber auch für Fahrzeugbe- stellungen und auch für U- und S-Bahn-Vorhaben in den Ballungsräumen, die mit Sicherheit in der Finan- zierung über einen längeren Zeitraum gestreckt wer- Anlage 5 den müssen. Das bedeutet ein Opfer. Aber trotz der vorgesehenen Umschichtung werden die zur Verfü- Zu Protokoll gegebene Reden gung stehenden Investitionsmittel in den alten Bun- zu Tagesordnungspunkt 11 (Gesetz zur Änderung des desländern nicht geringer sein als im Jahre 1992. Die Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes) vorgesehenen Ausbaumaßnahmen in den alten Bun- desländern dürfen in ihrer Bedeutung nicht verkannt werden. Bei allem Verständnis für die Sorgen in den Theo Magin (CDU/CSU): Jeder der einmal in den alten Bundesländern dürfte aber unstreitig sein, daß neuen Bundesländern war, kennt den gewaltigen ihre kommunalen Straßen und ihr ÖPNV in einem Nachholbedarf bei der kommunalen Infrastruktur, deutlich besseren Zustand ist als in den neuen Län- beim kommunalen Straßenbau und beim ÖPNV. Der dern. daraus entstandene Finanzierungsbedarf wurde bis- her mit Mitteln des GVFG aber auch durch die In den neuen Ländern geht es darum, zunächst Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel aus dem einmal eine zeitgemäße Grundausstattung bei der Gemeinschaftswerk „Aufschwung Ost" gedeckt. Da- Verkehrsinfrastruktur aufzubauen. In Abwägung all durch ist in den vergangenen Jahren einiges erreicht dieser Gegebenheiten haben wir uns dafür entschie- worden. den, diesen Gesetzentwurf zur Änderung des GVFG einzubringen. Das Auslaufen dieses zeitlich und volumenmäßig begrenzten Programms führt trotz der allgemeinen Die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes heute Aufstockung der GVFG-Mittel für die neuen Bundes- im Bundestag und auch danach im Bundesrat ist ein länder in der Summe zu einer erheblichen Reduzie- Prüfstein dafür, ob wir über das Beschwören und rung. Demnach würden an GVFG-Hilfen als Investi- Einfordern von Solidarität hinaus in der Lage sind, tionsmittel in den neuen Bundesländern in den Jahren solidarisch zu handeln. 1993 bis 1995 gegenüber dem Jahre 1992 jährlich Der Herausforderung, vor die uns die Aufgabe 1,4 Milliarden DM weniger zur Verfügung stehen. Mit einheitliche Lebensverhältnisse in der ganzen Bun- den etwas mehr als 1,5 Milliarden DM in den Jahren desrepublik zu schaffen stellt, werden wir nur ange- 1993 bis 1995 kann aber der dringend notwendige messen begegnen können, wenn wir fähig sind, in Aufbau der kommunalen Verkehrsinfrastruktur in außergewöhnlichen Zeiten auch ungewöhnliche den neuen Bundesländern sicher nicht geschafft wer- Maßnahmen zu ergreifen. Wichtig ist, daß das Gesetz den. bald vorliegt, damit der Aufbau der kommunalen Das Ziel, das Gemeinschaftswerk „Aufschwung Infrastruktur in den neuen Bundesländern nicht ins Ost" für einige weitere Jahre fortzusetzen, war nicht Stocken gerät, sondern kontinuierlich fortgeführt wer- erreichbar. Nur deshalb haben die Koalitionsfraktio- den kann. Weil hier auch der alte Grundsatz gilt: „Wer nen den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des schnell hilft, hilft doppelt", können wir auch dem . GVFG eingebracht. Er sieht eine auf die Jahre 1993 Gesetzentwurf der SPD-Kollegen, erst im Jahre 1994 und 1994 befristete Umschichtung von jeweils mit der Umschichtung der Mittel zu beginnen, nicht 990 Millionen DM von den alten auf die neuen zustimmen. Bundesländer vor, um die benötigten Finanzmittel zur Ich plädiere für eine zügige Verabschiedung des Verfügung zu stellen. Dies geschieht über eine Ände- Gesetzes, weil der Aufbau der neuen Bundesländer rung des Aufteilungsschlüssels West/Ost im GVFG weiter vorankommen muß. Ich appelliere insbeson- von derzeit 75,8 % zu 24,2 % auf 60 % zu 40 %. Auf dere an die Lander, die dem Vorhaben bisher entge- diese Weise werden zusätzliche Mittel für die Finan- gengebrachte Zurückhaltung aufzugeben und die zierung der kommunalen Verkehrsinfrastruktur zur Zustimmung nicht von der Erfüllung finanzieller Verfügung gestellt bis der Solidarpakt seine volle Gegenforderungen abhängig zu machen. Wirkung entfaltet. Zu den Finanzhilfen des GVFG treten ja ab 1995 die Hilfen des Investitionsförde- Selbstverständlich muß die Haushaltssperre über rungsgesetzes „Aufbau Ost" mit jährlich 6,6 Milliar- 1 Milliarde DM sofort nach Verabschiedung des den DM hinzu. Der Entwurf enthält ergänzend die Gesetzes aufgehoben werden. Solidarität erweist sich Reduzierung der Komplementärfinanzierung auf nicht im Reden, sondern im Handeln. In diesem Sinne 10 %. Angesichts der schwierigen Haushaltssituation bitte ich Sie um die Zustimmung zu dem Gesetzesvor- der Kommunen in den neuen Bundesländern ist eine haben. Zuwendung in Höhe bis zu 90 % angebracht. Das dient der Sicherung der Finanzierung, die eine Vor- (SPD): Der vorliegende Gesetzentwurf aussetzung ist, damit die Investitionen angegangen Elke Ferner sieht die Umschichtung von jährlich 1 Milliarde DM werden können. für die Jahre 1993 und 1994 aus den Mitteln des GVFG Der Gesetzentwurf berührt natürlich empfindlich der alten Bundesländer in die neuen Bundesländer auch die alten Bundesländer, wenn jährlich 990 Mil- vor. Genauer be trachtet ist er eine Mogelpackung und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13841*

ein Show-Antrag. Der Hintergrund, vor dem wir heute Das schlimmste Ergebnis dieser Transaktion könnte den Gesetzentwurf zur Änderung des Gemeindever- somit sein, daß weder die alten noch die neuen Länder kehrsfinanzierungsgesetzes beraten, ist ein wenig über diese dringend benötigten Investitionsmittel ver- gespenstisch. Der Ex-Verkehrsminister, der förmlich fügen könnten. aus dem Kabinett heraus ge tragen werden mußte, hat sich dafür stark gemacht, der Noch-Finanzminister, Wenn dieser gut gemeinte, aber leider wenig durch- der sich lieber nach Baye rn abgesetzt hätte, es aber dachte Gesetzentwurf dazu führt, daß Ausgabereste nicht durfte, schreibt in einem B rief: „Durch die im Haushaltschaos des Finanzministers versinken, Solidarpaktklausur ist die finanzielle Ausstattung der möchte ich in Ihrer Haut nicht stecken. Sie schreiben neuen Bundesländer und ihrer Kommunen mit Wir- ja die Zweifel selbst in Ihren Gesetzentwurf hinein. kung ab 1993 wesentlich verstärkt worden. Dadurch Nein, wenn es Sinn machen soll, dann muß diese sind die Gemeinden in die Lage versetzt, den nach Umschichtung in den Jahren 1994 und 1995 gesche- geltender Gesetzeslage erwarteten Eigenanteil für hen. Wir sind dazu bereit, wohlwissend, daß die alten Verkehrsinvestitionen aufzubringen. Ich halte es Länder darüber auch nicht begeistert sind. Wir schla- daher nicht mehr für erforderlich, die Überlegungen gen hier einen Kompromiß vor, der für alle tragbar und zu einer Änderung des GVFG weiter zu verfolgen". sinnvoll ist. Eine Fraktion, deren verkehrspolitischer Sprecher Ähnliches gilt für die von Ihnen vorgeschlagene Spitzenkandidat in Hamburg werden mußte, bringt Änderung der Komplementärfinanzierung. Die Redu- einen Gesetzentwurf ein, den Kollegen in ihren Wahl- zierung der Komplementärfinanzierung in den neuen kreisen in den alten Ländern am liebsten verschwei- Bundesländern wird zwar das sonst mögliche Investi- gen würden. Der F.D.P.-Landesvorsitzende von tionsvolumen reduzieren, sie ist aber dazu geeignet, Baden-Württemberg steht zuerst auf der Namenslei- die Haushalte der Länder und Kommunen zu entla- ste des Gesetzentwurfs drauf, verkündet dann in sten. Ich weiß allerdings nicht, ob die undifferenzierte Mannheim, er werde auf eine Rücknahme dieser Herabsetzung der Komplementärfinanzierung für die Maßnahme drängen, läßt sich von der Namensleiste neuen Lander eher nach dem Rasenmäherprinzip streichen und stimmt dann im Verkehrsausschuß der oder eher nach dem Gießkannenprinzip funktio- Vorlage zu. niert. Diese GVFG-Änderung ist kurzsichtig. Kurzsichtig, Gleich hohe Fördersätze für Vorhaben des ÖPNV weil die nach der Erhöhung der GVFG-Mittel von und des Kommunalen Straßenbaus halten wir für 1992 bis 1995 von den Gemeinden und Ländern kontraproduktiv. Es könnte dazu führen, daß die gerade entwickelten Programme schon wieder Maku- Mittel, die von den alten Ländern in die neuen Länder latur sind. Kurzsichtig, weil durch die Reduzierung der transferiert werden, auch vom ÖPNV in den Straßen- Komplementärrnittel das Gesamtinvestitionsvolumen bau wandern. Das kann niemand ernsthaft wollen! reduziert wird. Und es ist kurzsichtig, weil Sie von der Wir brauchen eine Förderung des Öffentlichen Koalition den Finanzabfluß für 1993 auch nicht garan- Nahverkehrs. Nach der GVFG-Änderung durch den tieren können. Steuerkompromiß 1992 haben viele Länder die Es bestreitet niemand, daß die neuen Länder einen zusätzlichen Mittel ausschließlich für den ÖPNV ver- gewaltigen Nachholbedarf an Infrastrukturinvestitio- wenden wollen. Wenn wir dem ÖPNV in den alten nen haben. Es ist richtig, nicht nur über Hilfe für die Ländern diese Mittel entziehen, so sollten wir wenig- neuen Länder zu reden, sondern sie auch zu prakti- stens dafür sorgen, daß die Umschichtungsmittel wie- zieren. So wird es beim FKPG gemacht. So kann es der in den ÖPNV fließen. Nicht einmal diese Einsicht auch beim GVFG gemacht werden. Wir sind nicht haben Sie bewiesen. dagegen, befristet Mittel aus dem GVFG umzuschich- In der Begründung des Gesetzentwurfes heißt es in ten. Aber mit der Brechstange geht es nicht. Das schönstem Politiker-Deutsch: GVFG braucht vor allem Kontinuität, die Finanzie- rung von kommunalen Verkehrsprojekten braucht „Die — vorübergehende — Reduzierung der Mit- Zeit und damit langfristige Planungs- und Finanzie- telansätze für die Altländer, die nicht ohne Auswir- rungssicherheit. Sperrvermerke und kurzfristige Ge- kung auf Programmplanung und Programmablauf setzesänderungen sind da das reinste Gift. bleiben kann, ist angesichts der Haushaltslage des Bundes unvermeidbar." Wenn wir jetzt, Mitte des Jahres 1993, ein Gesetz verabschieden, das für das ganze Jahr 1993 gelten soll Über die Haushaltslage des Bundes, die die Regie- und dem der Bundesrat auch noch zustimmen soll, ein rungskoalition zu verantworten hat, will ich gar nicht Gesetz, für das es wahrscheinlich noch ein Vermitt- reden, aber was sind denn nun die Auswirkungen für lungsverfahren geben wird, wer sagt denn, daß die die Altländer? zusätzlichen Mittel überhaupt abgerufen werden kön- Erstens. Mit dem Gesetzentwurf konterkarieren Sie nen? Und wie sollen dann in der Eile die Projekte für den Steuerkompromiß von 1992, indem Sie das, was 1994 geplant werden? Im Programm für die Projekt- Sie mit allen Bundesländern bis 1995 an zusätzlichen förderung des BMV für die neuen Länder sind jeden- Mitteln vereinbart haben, bei den alten Bundeslän- falls die zusätzlichen Mittel noch nicht berücksichtigt. dern mal eben um 20 % reduzieren. Das zeigt einmal Die Koalition hat zwar im Ausschuß betont, daß die mehr, daß die Bundesregierung und die sie tragenden nicht verausgabten Mittel auf das folgende Haushalts- Fraktionen ihr Wort nicht halten. In mühsamen Ver- jahr übertragen werden sollen, aber Sollen ist nicht handlungen, an die wir uns alle gut erinnern, wurde Müssen, und der Finanzminister wird Ihnen da mit ein Paket geschnürt, das Sie jetzt ohne Not wieder Sicherheit einen Strich durch die Rechnung machen. aufmachen wollen. 13842* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Ich bin sicher, die Bundesländer werden darauf zu in Höhe von je 1 Milliarde DM jährlich für die Jahre reagieren wissen. Der Finanzausschuß des Bundesra- 1994 und 1995 zugunsten der neuen Länder mit einem tes hat in der vergangenen Woche bereits einen stärkeren Schwerpunkt für den ÖPNV zum Ziel hat. entsprechenden Beschluß gefaßt. Mit Ihrer Methode Nur so hat in unseren Augen eine Umschichtung „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln" kann überhaupt Sinn. man keine langfristige und konzeptionelle Verkehrs- Und nutzen Sie bitte die Chance, Ihren überflüssi- politik machen. Diese wäre aber dringend erforder- gen und im Sinne einer ökologisch orientierten Ver- lich. kehrspolitik falschen Gesetzentwurf zu einem kleinen Zweitens. Länder, Kommunen und Verkehrsunter- Zeichen zugunsten des ÖPNV zu korrigieren, indem nehmen, die im Vertrauen auf die Mittel bis 1995 Sie unserem Änderungsantrag zustimmen. Projekte zur Finanzierung aus dem GVFG vorbereitet haben, haben jetzt das Nachsehen. Hamburg zum Ekkehard Gries (F.D.P.): Das Gemeindeverkehrsfi- Beispiel wird mit 24 Millionen DM jährlich weniger nanzierungsgesetz ist seit jeher umstritten. Es ist ein auskommen müssen. Aber da Sie, Herr Fischer, nicht Beispiel für die Mischfinanzierung. Das heißt im in die Verlegenheit kommen werden, nach der Wahl Klartext, der Bund fördert Dinge, für die er überhaupt in Hamburg auf der anderen Seite des Tisches zu nicht zuständig ist. Die Erhöhung der Ansätze in 1992 sitzen, ist Ihnen das egal. um 3 Milliarden DM jährlich kam nur auf starken Wenn die GVFG-Mittel nach 1995 wieder auf den Druck der Länder, man kann schon sagen Erpressung alten Stand zurückgeführt werden sollen, heißt dies, im Zusammenhang mit dem Steueränderungsgesetz sinnvolle und dringliche Projekte des ÖPNV werden zustande. Aber als Verkehrspolitiker muß ich feststel- nicht mehr realisiert werden können. len, daß hier der Verkehrsbereich ausnahmsweise wirklich profitiert hat. Die Erhöhung der Ansätze ist Drittens. Natürlich hat der Bund auch eine Verant- bis 1995 befristet. Wir brauchen uns über die Fortfüh- wortung für die Verkehrsinfrastruktur in den Gemein- rung zur Zeit nicht zu streiten. Diese Frage wird im den. Und wenn wir hier über gleiche Lebensverhält- Zusammenhang mit der Bahnreform entschieden nisse reden, dann muß doch auch gesagt werden, daß werden. es auch in den alten Ländern einen Nachholbedarf an Öffentlichem Nahverkehr gibt. In den alten Ländern Eine verkehrspolitische Bemerkung vorab: Das müssen eben die Fehler einer jahrzehntelangen Auto- GVFG fördert den kommunalen Straßenbau, der trotz politik mühsam ausgebügelt werden. aller Euphorie über die umweltfreundliche Schiene unverzichtbar ist. Denn auch Straßen sind nötig, um So undifferenziert, wie es der Gesetzentwurf vor- einen vernünftigen Öffentlichen Personennahverkehr sieht, und so, wie Sie von der Koalition das Verfahren — ÖPNV — anzubieten. Der Schienenpersonennah- betreiben, geht es nicht. Das wird weder den neuen verkehr — SPNV — ist gerade in den Ballungsgebie- noch den alten Ländern in irgendeiner Weise ten wichtig; doch ohne Busse wäre ein flächendecken- gerecht. des Angebot nicht darzustellen. Wir haben die Ver- Wir sollten uns schon genau überlegen, was wir antwortung für die Aufteilung der Finanzmittel auf die brauchen und was wir wollen. Ob eine Umschichtung Länder übertragen. Ich hoffe, daß diese sich der zugunsten der neuen Länder innerhalb des GVFG Bedeutung aller Verkehrsträger bewußt sind. angesichts der durch den Solidarpakt vereinbarten Auch der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, ist Mitteltransfers in die neuen Länder überhaupt nötig wieder umstritten. Er zieht die Konsequenz aus einer ist, hat zumindest der Bundesfinanzminister schon im Automatik, die nach der deutschen Einheit zumindest April bezweifelt. Aber wenn wir diese begrenzte von den neuen Bundesländern nicht richtig gesehen Umschichtung im GVFG machen wollen, dann müs- wurde. Im Osten würde sich nach dem Auslaufen der sen doch wohl einige Bedingungen erfüllt sein. Mittel aus dem Programm „Aufschwung Ost" ein Erstens. Die Umschichtung kann in diesem Jahr großes Finanzloch auftun. Die Mittel für die neuen nicht mehr erfolgen. Ein Minimum an Sicherheit über Länder werden dieses Jahr schlicht halbiert, falls wir die zur Verfügung stehenden Mittel muß schon nicht die Notbremse ziehen. Die F.D.P. und unser sein. Koalitionspartner wollen hier korrigierend eingreifen. Natürlich wäre eine Aufstockung um die bisherigen Zweitens. Die Mittel aus der Umschichtung sollten 1,8 Milliarden DM wie beim Programm „Aufschwung dann wirklich überwiegend für Maßnahmen des Ost" optimal. Dies ist aber nicht zu finanzieren. ÖPNV eingesetzt werden. Ebendies ist der Inhalt Deshalb müssen wir durch Umschichtung Prioritäten unseres Änderungsantrages. setzen. Wir wollen mit 1 Milliarde DM die neuen Drittens — und als zusätzliche längerfristige Per- Länder in die Lage versetzen, den Nachholbedarf spektive —: Die Verbesserung der Verkehrsverhält- abzudecken, einen Bedarf, der nach 40 Jahren Sozia- nisse in den Gemeinden, was heutzutage nur heißen lismus riesig ist. Es wird in diesen Tagen soviel von kann, Förderung des ÖPNV, muß über das Jahr 1995 Solidarität geredet. Gestern beim Thema Asyl, heute hinaus auf dem jetzigen Niveau gehalten werden, und morgen beim Föderalen Konsolidierungsprogramm. zwar auch unabhängig von der Frage der Bahnreform Unser Antrag bietet die Chance, konkret Solidarität und der Regionalisierung. mit den Menschen in den neuen Ländern zu bewei- sen. Die Koalition hat einen entsprechenden Antrag der SPD-Fraktion im Ausschuß abgelehnt. Deshalb hat die Ich sehe auch die Probleme, die bei den alten SPD-Fraktion zur heutigen Debatte einen Änderungs- Bundesländern entstehen. Die entsprechenden B riefe antrag eingebracht, der eine Umschichtung der Mittel haben wir ja alle bekommen. Ich meine aber, daß Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993 13843*

diese Probleme überschaubar sind. Natürlich sind damit de facto gestrichen. Die jetzt zwangsläufig Investitionen im Vertrauen auf die Höhe der Mittel bestehende Ungleichheit in der Rentenversorgung getätigt worden. Und es ist kein Ruhmesblatt für die zwischen alten und neuen Bundesländern wird also in Politik insgesamt, wenn wir diese Grundlagen kippen. absehbarer Zeit nicht besei tigt, sondern vielmehr auf Die Koalition hat sich aber bereits im Herbst letzten Dauer festgeschrieben. Es entsteht eine soziale Nivel- Jahres auf die Umschichtung verständigt. Durch die lierung, die nicht gewollt sein kann. Sperre des Haushaltausschusses mußte jedem seit Zweitens ist das Gesetz noch immer nicht von Anfang dieses Jahres endgültig klar sein, daß wir Elementen des Strafrechts befreit. Dem deutschen gewillt sind, die Prioritäten anders zu setzen. Rentenrecht war bisher jede Vermengung von Ren- Die F.D.P. gibt dem Aufbau im Osten Vorrang. tenanspruch mit sozialem oder politischem Wohlver-- Deswegen erhöhen wir die Grenze für die Bundesför- halten fremd. Es war neutral. Selbst Verurteilungen zu derung bis an die Grenze, die unsere Verfassung noch hohen Freiheitsstrafen hatten und haben keine Rück- erlaubt. Natürlich bedeutet das, daß weniger Projekte wirkung auf bereits erworbene Rentenansprüche. gefördert werden. Aber diese Projekte werden dann Wir teilen durchaus den Standpunkt, daß Privile- wenigstens auch gebaut. Was nützt uns ein Festhalten gien der DDR-Nomenklatura nicht fortwirken dürfen. an der alten Regelung, wie es die SPD forde rt, wenn Aber nach wie vor ist es nicht erkennbar, von welchen dadurch wegen fehlender Landesmittel noch weniger Kriterien bzw. Überlegungen die Festlegung der „Sy- Projekte umgesetzt werden. stemnähe" ganzer Personen- und Berufsgruppen Der Antrag der Koalition ist unbequem, aber not- abhängig gemacht worden ist. Der Grundsatz "je wendig. Ich bitte die Kollegen des Bundestages, ihm höher das Gehalt, um so größer die Systemnähe" im Interesse der neuen Bundesländer zuzustimmen. verkennt die tatsächliche Führungsstruktur der Ich appelliere an die Mehrheit der alten Länder im DDR. Bundesrat über alle Parteigrenzen hinweg, bei der Die im Gesetz enthaltene differenzierte Abstufung Beratung dieses Gesetz in der Länderkammer die von Entgeltpunkten geschieht in ausschließlicher Eigeninteressen zurückzustellen und unseren ge- Abhängigkeit vom früher bezogenen Gehalt und samtstaatlich sinnvollen Vorschlag zu übernehmen. bleibt daher in seiner Konsequenz eine Festschrei- bung des von uns abgelehnten politischen Strafrechts. Neue mathematische Formeln andern daran nichts. An die Stelle der Pauschalierung und Typisierung müssen Einzelfallprüfungen treten, die sich an den Anlage 6 Grundsätzen der Allgemeinen Erklärung der Men- schenrechte, den Grundsätzen des Internationalen Erklärung nach § 31 GO Paktes über bürgerliche und politische Rechte sowie zur Abstimmung über das Gesetz zur Ergänzung der an den Festlegungen des III. Korbes der Helsinki- Rentenüberleitung (Tagesordnungspunkt 12) Konferenz zu orientieren haben. Von diesen Grund- sätzen läßt sich auch das Bundessozialgericht leiten. Dr. Else Ackermann, Susanne Jaffke, Wo das Strafrecht versagen muß, wie der Ausgang Rosemarie Priebus und Michael Wonneberger des Honecker-Prozesses zeigt, dessen Kosten wir alle (alle CDU/CSU): zu tragen haben, wo das Zivilrecht selbst unter scham- Das zur Abstimmung anstehende Gesetz hat Aus- loser Ausnutzung früherer Machtpositionen erworbe- wirkungen auf das Leben hunderttausender Rentner nes Eigentum schützt, erweist sich das Rentenrecht und Bürger im rentennahen Alter in den neuen ganz offensichtlich als das ungeeignetste Mittel der Bundesländern. Es enthält eine Reihe von Verbesse- Unrechtsbereinigung. Daher stimmen wir gegen das rungen gegenüber den bisherigen Regelungen. Den- Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz. noch werden wir aus grundsätzlichen Erwägungen diesem Gesetz nicht zustimmen. Im Rahmen der Möglichkeit, die uns § 31 unserer Geschäftsordnung Regina Kolbe (SPD): Ich stimme dem Kompromißer gibt, möchten wir dies begründen. gebnis zum Rü-ErgG zu, weil es zum Teil notwendi- gen Verfahrensbeschleunigungen dient. Auch bringt Zahlreiche Be troffene und ihre Vertretungen haben es in einigen Punkten Verbesserungen, die ich hier sich in den letzten Wochen und Tagen an uns gewandt aber nicht ansprechen möchte. und ihre Einwände vorgebracht. Dabei wurden wir auch darauf aufmerksam gemacht, daß das erste Vorwegschicken möchte ich — und dieses betone Rentenüberleitungsgesetz im Juni 1991 ohne ausrei- ich ausdrücklich —, daß es nicht mein Interesse ist, chende Diskussion und Anhörung der Be troffenen bestimmten systemnahen Personen zu ihren Renten- gegen die Bedenken namhafter Sachverständiger anwartschaften zu verhelfen, die sie zum Teil auf unter Zeitdruck verabschiedet worden ist. Heute geht Grund eines sehr hohen, ungerechtfertigten Verdien- es uns ähnlich. stes erworben haben. Ich habe grundsätzliche Bedenken, gerade nach Unsere Bedenken gründen sich auf zwei Erkennt- dem Urteil des Bundessozialgerichts, ob das Renten- nisse: überleitungsgesetz bzw. die jetzige Ergänzung nicht Erstens werden die in bestimmten Zusatzversor- in eklatanter Weise gegen das verfassungsrechtlich gungssystemen erworbenen Ansprüche und Anwart- ebenfalls verankerte Verbot der Kollektivbestrafung schaften nicht — wie es im Gesetzestext heißt — verstößt und das Sozialrecht als Strafrecht mißbraucht überführt, sondern gekürzt bzw. abgeschmolzen und wird. 13844* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Mai 1993

Auch die Bundesregierung spricht in einer Antwort funktion im Staatsapparat oder in einer Partei Renten- auf die Frage meines Kollegen Rudolf Bindig über die kürzungen erfolgen, obwohl durch diese ehrenamtli- Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz an chen Wahlfunktionen in der Regel keine erhöhten Mitglieder der lettischen Waffen-SS davon, daß, falls Einkünfte und damit auch keine erhöhten Rentenan- Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wartschaften erworben wurden. wurden, diese „im konkreten Einzelfall auch nachge- wiesen werden" müßten. Die Instrumentalisierung des Rentenrechts zum Strafrecht führt zu Ungerechtigkeiten, die ich so nicht Hier wird meines Erachtens mit zweierlei Maß akzeptieren kann. gemessen, denn in dem uns zur Verabschiedung - vorliegenden Entwurf gelten weiterhin pauschale Ich weiß, daß wir im Gesetzgebungsverfahren bei Kürzungen. Die konkrete Einzelfallprüfung findet der Vielschichtigkeit und Komplexität der Probleme nicht statt. Damit wird das Gleichheitsgebot des nicht jeden Einzelfall berücksichtigen können. Aber Grundgesetzes verletzt. es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, daß wir uns mit dem Thema beschäftigt haben. Ich möchte nicht Ich finde es auch problematisch, daß allein auf warten, bis das Verfassungsgericht uns den Auftrag Grund einer ehrenamtlichen Berufungs- oder Wahl dazu erteilt.