Plenarprotokoll 13/41

Deutscher

Stenographischer Bericht

41. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Inhalt:

Glückwünsche zu den Geburtstagen des Tagesordnungspunkt 4: Vizepräsidenten Dr. und des Abgeordneten Wolfgang Lohmann a) Zweite und dritte Beratung eines Sieb- (Lüdenscheid) 3181 A zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes Erweiterung und Abwicklung der Tages (Drucksachen 13/1301, 13/1395) ordnung 3181B, 3318A Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Tagesordnungspunkt 3: Änderung des Bundesausbildungsför- derungsgesetzes (Drucksachen 13/65, Erklärung der Bundesregierung: Bei-- 13/101 [Berichtigung]) trag der deutschen Heimatvertriebe- nen zum Wiederaufbau in Deutschland Zweite und dritte Beratung des vom und zum Frieden in Europa Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Siebzehnten Gesetzes zur Ände- Dr. , Bundeskanzler . . . . 3182B rung des Bundesausbildungsförde- rungsgesetzes (Drucksachen 13/80, 13/ Dr. SPD 3185 D 101 [Berichtigung], 13/1553, 13/1554, Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 3188 D 13/1555, 13/1556)

Dr. BÜNDNIS 90/DIE GRÜ b) Beschlußempfehlung und Bericht des NEN 3192C Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technik- F.D.P 3194 D folgenabschätzung zu dem Antrag der PDS 3197 C Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Ludwig Elm und der Gruppe der Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident PDS: Anpassungen der Leistungen (Bayern) 3199 B nach dem Bundesausbildungsförde- runggesetz an die Lebenshaltungs- Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE kosten der Studierenden GRÜNEN ...... 3201C SPD 3202 D zu der Unterrichtung durch die Bundes regierung: Bericht der Bundesregie CDU/CSU 3206 B rung über die Möglichkeit einer Erhö- II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

hung der Bedarfssätze nach dem Bun- cc) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, desausbildungsförderungsgesetz im SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jahre 1995 sowie über Änderungsbe- und F.D.P.: Demographischer Wandel darf im Recht der Ausbildungsförde- - Herausforderungen unserer älter rung unter Einbeziehung der berufli- werdenden Gesellschaft an den ein- chen Aufstiegsfortbildung (Drucksa- zelnen und die Politik (Drucksache chen 13/784, 13/735, 13/1553) 13/1532) 3225 A Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBF 3208 C Tagesordnungspunkt 14 d: Dr. Peter Glotz SPD ...... 3209A, 3214 A Beschlußempfehlung des Petitionsaus- Jörg Tauss SPD 3210 C schusses: Sammelübersicht 26 zu Peti- Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) tionen (Drucksache 13/1005) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3212A Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE Dr. F.D.P 3213 C GRÜNEN (Erklärung nach § 31 GO) . . 3226A

Dr. Ludwig Elm PDS ...... 3215 A

Christian Lenzer CDU/CSU 3215D Tagesordnungspunkt 5:

Doris Odendahl SPD 3216D a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Fremdenverkehr und Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . 3218A Tourismus zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bun- Doris Odendahl SPD ...... 3219 B desregierung über die Entwicklung des Tourismus (Drucksachen 12/7895, 12/8467 Nr. 1.36, 13/1513) Namentliche Abstimmung 3221 D

b) Antrag der Abgeordneten Halo Saibold Ergebnis ...... 3222 C und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Imagekampagne „Urlaub in Deutschland" (Drucksache 13/1016) Tagesordnungspunkt 14 a: c) Abschließende Beratungen ohne Aus- Beschlußempfehlung und Bericht des sprache Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für Anträge auf Einsetzung von Enquete- eine Richtlinie des Rates über die Erhe- Kommissionen - bung statistischer Daten im Bereich des Tourismus (Drucksachen 13/837 Nr. 2.2, aa) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, 13/1402) SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Schutz des Menschen d) Beratung des Antrags der Fraktionen und der Umwelt - Ziele und Rah- der CDU/CSU und FDP: Umweltschutz menbedingungen einer nachhaltig und Tourismus (Drucksache 13/1531) zukunftsverträglichen Entwicklung (Drucksache 13/1533) Dr. Rolf Olderog CDU/CSU 3227 D bb) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, Susanne Kastner SPD 3229 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Überwindung der Folgen der Halo Saibold BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 3232 A SED-Diktatur im Prozeß der deut- schen Einheit (Drucksache 13/1535) Dr. F.D.P 3233 B

Antrag der Fraktion der SPD: Über- Dr. PDS . . . 3234 C, 3240 C windung der Folgen der SED-Dikta- tur und der unterschiedlichen Ent- Simon Wittman (Tännesberg) CDU/CSU . 3235 C wicklungen in Ost- und Westdeutsch- land im Prozeß der deutschen Einheit Halo Saibold BÜNDNIS 90/DIE GRÜ (Drucksache 13/1537) NEN 3235D Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 III

Karl Hermann Haack (Extertal) SPD . . 3237 C Änderung des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohn- Dr. Gerhard Päselt CDU/CSU . . . . . 3239B ortes für Spätaussiedler (Drucksa- chen 13/1174, 13/1497, 13/1475) Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär BMWi 3240D c) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem An- trag des Bundesministeriums der Fi- Tagesordnungspunkt 13: nanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung Überweisungen im vereinfachten Ver- zur Veräußerung bundeseigener fahren Grundstücke in Wiesbaden, ehema- liges Camp Pieri (Drucksachen 13/ 1212, 13/1412) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines e-h) Beschlußempfehlungen des Peti- Gesetzes über die Zulassung von Um- tionsausschusses: Sammelübersich- weltgutachtern und Umweltgutachter- ten 34, 35, 36 und 37 zu Petitionen organisationen sowie über die Registrie- (Drucksachen 13/1406, 13/1407, 13/ rung geprüfter Betriebsstandorte nach 1408, 13/1409) 3243 D der Verordnung (EWG) Nr. 1836/93 des Rates vom 29. Juni 1993 (Umweltgut- achter- und Standortregistrierungsge- setz) (Drucksache 13/1359) . . . . . 3243A Zusatztagesordnungspunkt 8: Weitere abschließende Beratungen Zusatztagesordnungspunkt 7: ohne Aussprache Zweite und dritte Beratung des von der Weitere Überweisungen im vereinfachten Bundesregierung eingebrachten Ent- Verfahren wurfs eines Dritten Gesetzes zur Ände rung des Sozialgesetzbuches (Druck- a) Erste Beratung des von den Fraktionen sachen 13/1205, 13/1559) 3244 B der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ä nde- rung des Bundes-Immissionsschutzge- Tagesordnungspunkt 2 (Fortsetzung): setzes und des Straßenverkehrsgeset- zes (Drucksache 13/1524) Fragestunde

b) Antrag der Abgeordneten , - Drucksache 13/1498 vom 26. Mai Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter 1995 - und der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aufhebung des Anbauver- - botes von Hanf und Förderung des An- Eigenanteil der Wohlfahrtsverbände bei baus von THC-armen Hanfsorten als den Tagessätzen für die Einführungskurse nachwachsende Rohstoffe (Drucksache der Zivildienstleistenden 13/1425) MdlAnfr 24 c) Antrag der Abgeordneten Hein rich Klaus Hagemann SPD Graf von Einsiedel, Dr. Willibald Jacob, Antw PStS'in BMFSFJ 3245A weiteren Abgeordneten und der Grup- pe der PDS: Völkerrechtswidrigkeit ZusFr Klaus Hagemann SPD 3245 B der Androhung des Einsatzes und des Einsatzes von Kernwaffen (Drucksache ZusFr Uwe Hiksch SPD ...... 3245 C 13/1465) ...... 3243 B ZusFr Klaus Dieter Reichardt (Mannheim) CDU/CSU ...... 3245 D Tagesordnungspunkt 14: ZusFr Arne Fuhrmann SPD 3245 D Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache Realisierung der Straßenbauvorhaben A 39 bei Braunschweig und B 6n bei Goslar b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten MdlAnfr 25 Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Reiner Krziskewitz CDU/CSU

IV Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Antw PStS Johannes Nitsch BMV . . . . 3246A c) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Schmitt (Langenfeld), Dr. Uschi Eid und ZusFr Reiner Krziskewitz CDU/CSU . . 3246 B der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Wiederauffüllungsrunde der In- Nutzung bzw. Bedeutung der Bundesauto ternational Development Association -bahn A 73/A 71 (Drucksache 13/740) MdlAnfr 26, 27 Uwe Hiksch SPD d) Antrag der Abgeordneten Ludger Vol- mer, Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeordne- Antw PStS Johannes Nitsch BMV . . . 3247 A ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE ZusFr Uwe Hiksch SPD 3247 A GRÜNEN: Neue Strategie der interna- tionalen Finanzinstitutionen zur Ent- schuldung und zur Finanzierung von Auswirkungen von Interferenzen durch Umwelt- und entwicklungspolitischen Mobilfunksender in der Umgebung von Maßnahmen (Drucksache 13/1018) Hochspannungsleitungen MdlAnfr 28, 29 in Verbindung mit Hans - Otto Wilhelm (Mainz) CDU/CSU Antw PStS Walter Hirche BMU . . . . . 3248A ZusFr Hans-Otto Wilhelm (Mainz) CDU/ Zusatztagesordnungspunkt 2: CSU ...... 3248 B Antrag der Abgeordneten Ludger Vol- mer, Wolfgang Schmitt (Langenfeld) Bericht der Gesellschaft für Reaktorsicher- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE heit über die Langzeitsicherheit des End- GRÜNEN: Rolle der G-7-Gruppe bei lagers Morsleben der Reform des Weltwirtschaftssystems MdlAnfr 30 (Drucksache 13/1545) Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Ingomar Hauchler SPD 3251 C Antw PStS Walter Hirche BMU 3249 A Dr. , Parl. Staatssekretär BMF ...... ZusFr Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/ 3255A DIE GRÜNEN 3249 B Dr. Ingomar Hauchler SPD . . 3256A, 3260 C ZusFr Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 3249 D Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN ...... 3257 C Kontakte eines Mitglieds des PDS-Vor- Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU . . . 3257 D standes mit einem ranghohen Mitglied des libyschen Geheimdienstes - Dr. F.D.P. . . . . . 3260 A MdlAnfr 36 Frederick Schulze CDU/CSU Dr. R. Werner Schuster SPD . . 3261D, 3267 D Antw StM BK . . . 3250 D Konrad Kunick SPD . . . . . . 3262 B

Dr. Winfried Wolf PDS ...... 3262 D Tagesordnungspunkt 6: Dr. Jürgen Warnke CDU/CSU 3264 C a) Antrag der Fraktion der SPD: 21. Weltwirtschaftsgipfel in Halifax am Dr. Winfried Wolf PDS ...... 3266A 16. und 17. Juni 1995 - Deutsche Initia- tive für eine beschäftigungswirksame, Klaus-Jürgen Hedrich, Parl. Staatssekretär nachhaltige und solidarische Entwick- BMZ ...... . . . . 3266C lung der Weltwirtschaft - (Drucksache 13/1540) Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN 3268A, 3268 D b) Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Willibald Jacob und der Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . 3269 B weiteren Abgeordneten der PDS: So- fortiger und vollständiger Schuldener- Dr. Uwe Jens SPD 3269 C laß für die 30 ärmsten Länder (Druck- sache 13/673) CDU/CSU 3271A Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 V

Tagesordnungspunkt 7: Tagesordnungspunkt 9:

Große Anfrage der Abgeordneten Horst Erste Beratung des vom Bundesrat ein- Sielaff, (Köln), weiterer gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Abgeordneter und der Fraktion der zur Einbeziehung der Mauer- und SPD: Einzelbetriebliche Förderung als Grenzgrundstücke in das Vermögens- gezielte Agrarstrukturpolitik im geein- gesetz (Drucksache 13/120) ten Deutschland (Drucksachen 13/94, 13/766) Dr. Lore Ma ria Peschel-Gutzeit, Senatorin () ...... 3307 A , Bundesminister BML 3273 B CDU/CSU 3309C Kurt Palis SPD 3275 D Dr. Michael Luther CDU/CSU . . . . 3310 A Egon Susset CDU/CSU 3277 B Thomas Krüger SPD . . . 3310B, 3316D, 3317A Kurt Palis SPD ...... 3278 D Uwe Hiksch SPD 3311C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 3279D Hans-Joachim Hacker SPD 3312B Ulrich Heinrich F.D.P...... 3282A, 3288A Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Dr. Günther Maleuda PDS 3283 D NEN 3313B, 3315A

Dr. Gerald Thalheim SPD 3285 B Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . 3314 C

Christel Deichmann SPD ...... 3285 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . 3315B

Jochen Borchert CDU/CSU 3287 C Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN ...... 3316B CDU/CSU 3288 B Dr. Uwe-Jens Heuer PDS ...... 3317 B Jella Teuchner SPD 3289 B

Albert Deß CDU/CSU 3291 A Zusatztagesordnungspunkt 3: (Nordstrand) CDU/CSU 3291 B Vereinbarte Debatte Kennzeichnungspflicht gentechnisch hergestellter oder manipulierter Le Tagesordnungspunkt 8: bensmittel und Lebensmittelzusatzstoffe Unterrichtung durch die Bundesregie- - rung: 8. Sportbericht der Bundesregie- in Verbindung mit rung (Drucksache 13/1114)

Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 3292 D Zusatztagesordnungspunkt 4: Klaus Lohmann (Witten) SPD ...... 3294 B Antrag der Abgeordneten Lilo Blunck, Klaus Riegert CDU/CSU 3296 A Dr. Marlies Dobberthien, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD: BÜNDNIS 90/DIE Einsatz der Gentechnik und anderer GRÜNEN 3298 A neuartiger biotechnologischer Verfah- ren in der Lebensmittelproduktion Klaus Riegert CDU/CSU 3299 A (Drucksache 13/1549) Dr. Olaf Feldmann F.D.P...... 3300 A in Verbindung mit Rolf Kutzmutz PDS 3301 B

Dagmar Freitag SPD 3302 D Zusatztagesordnungspunkt 11: Peter Letzgus CDU/CSU 3303 D Beratung des Antrags der Fraktion der Thomas Krüger SPD 3305 B SPD: Kennzeichnung von gentechnisch hergestellten und veränderten Lebens- Dr. Winfried Wolf PDS 3305 C mitteln (Drucksache 13/1596) VI Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Lilo Blunck SPD 3318C Zusatztagesordnungspunkt 6: Editha Limbach CDU/CSU . . . . 3320A, 3334B Antrag der Abgeordneten Ul rike Höf- Lilo Blunck SPD 3320B ken und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜ GRÜNEN: Verletzung internationaler NEN 3322B Walfang-Vereinbarungen durch Nor- wegen (Drucksache 13/1543) Dr. Dieter Thomae F.D.P 3323 D, 3334 C Ulrich Irmer F.D.P 3347 C Wolfgang Bierstedt PDS . . . . 3324A, 3332 A CDU/CSU 3325 B Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . 3326 B Nächste Sitzung 3347 D Dr. Marliese Dobberthien SPD . . . . 3327 A , Bundesminister BMG . 3328 C Anlage 1 Wolfgang Bierstedt PDS 3329 B Liste der entschuldigten Abgeordneten . 3349' A Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . 3332B, 3335 A Dr. SPD . . . . 3332D, 3334 D Anlage 2

Tagesordnungspunkt 10: Erklärung nach § 31 GO des Abgeordne- ten Dr. Jürgen Rochlitz (BÜNDNIS 90/DIE Beschlußempfehlung und Bericht des GRÜNEN) zur Abstimmung über den Ausschusses für Verkehr zu der Unter- Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, richtung durch die Bundesregierung: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. auf Vorschlag für eine Richtlinie des Rates Einsetzung einer Enquete-Kommission über den Zugang zum Markt der Bo- „Schutz des Menschen und der Umwelt - denabfertigungsdienste auf den Flug- Ziele und Rahmenbedingungen einer häfen der Gemeinschaft (Drucksachen nachhaltig zukunftsverträglichen Entwick- 13/765 Nr. 2.1, 13/1337, 13/1468) lung" (Tagesordnungspunkt 14 aa) . . . 3349* B Michael Jung (Limburg) CDU/CSU . . 3335 B Lothar Ibrügger SPD 3337 B Anlage 3 Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 3339A Verbot der Entsorgung von Ölplattformen (Bohrinseln), z. B. der „Brent Spar", durch F.D.P. 3340A Versenken in die Nordsee Dr. Dagmar Enkelmann PDS 3341 A MdlAnfr 31, 32 - Drs 13/1498 (Oldenburg) SPD-Dietmar Schütz Tagesordnungspunkt 11: SchrAntw PStSekr Walter Hirche BMU . 3349* C Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bierstedt, Dr. und der - Gruppe der PDS: Wiedereinführung ei- Anlage 4 ner Investitionszulage für den kleinen und mittelständischen Einzelhandel Abhörung von Auslandsgesprächen durch (Drucksache 13/859) den Bundesnachrichtendienst in Verbindung mit MdlAnfr 34, 35 - Drs 13/1498 - SPD

Zusatztagesordnungspunkt 5: SchrAntw StMin Bernd Schmidbauer BK 3350* A Antrag der Abgeordneten Sabine Kas- pereit, Ch ristian Müller (Zittau), weite- Anlage 5 rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wiedereinbeziehung des ostdeut- Verwirklichung der gegenüber der spani- schen mittelständischen H andels in die schen Stadt Guernica angekündigten Zei- Investitionszulagenregelung (Druck- chen der Versöhnung, des Friedens und sache 13/1541)Wolfgang Bierstedt PDS 3342A der Freundschaft CDU/CSU 3343 B MdlAnfr 37, 38 - Drs 13/1498 - Wolfgang Bierstedt PDS 3344 A Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sabine Kaspereit SPD 3345 C NEN Jürgen Türk F.D.P 3346 C SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . 3350* B Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 VII

Anlage 6 MdlAnfr 40 - Drs 13/1498 - Norbert Gansel SPD Aufnahme des „Rechts auf kommunale Selbstverwaltung" in die für 1996 vorgese- SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . 3351* A hene Revision der Maastrichter Verträge der Europäischen Union Anlage 8 MdlAnfr 39 - Drs 13/1498 - Zu Protokoll gegebene Reden zum Zusatz- Dr. Egon Jüttner CDU/CSU tagesordnungspunkt 6 (Antrag: Verlet- SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . 3350* D zung internationaler Walfang-Vereinba- rungen durch Norwegen) Dr. Norbert Rieder CDU/CSU 3351* B Anlage 7 Dietmar Schütz SPD ...... . 3352* B Bemühungen bei der iranischen Regie- Bredehorn F.D.P. 3353* D rung um Aufhebung der Fatwa gegen den Günther Schriftsteller Salman Rushdie Jochen Borchert, Bundesminister BML 3354* C

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41. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und 7. weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Er- Herren! Die Sitzung ist eröffnet. gänzung zu TOP 13) a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU Zu Beginn der Sitzung möchte ich zunächst nach- und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur träglich unserem Vizepräsidenten nderungÄ des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und Dr. Burkhard des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache 13/1524 - Hirsch ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren. Er b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, wurde am 29. Mai 65 Jahre alt. Ulrike Höfken-Deipenbrock, Gila Altmann (Aurich), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE (Beifall) GRÜNEN: Aufhebung des Anbauverbotes von Hanf und Förderung des Anbaus von THC-armen Hanfsorten als Mein Glückwunsch gilt auch dem Kollegen Wolf- nachwachsende Rohstoffe - Drucksache 13/1425 - gang Lohmann (Lüdenscheid), der seinen 60. Ge- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinrich Graf burtstag ebenfalls am 29. Mai feierte. Herzliche von Einsiedel, Dr. Willibald Jacob, Andrea Lederer, wei- teren Abgeordneten und der Gruppe der PDS: Völker- Glückwünsche des gesamten Hauses! rechtswidrigkeit der Androhung des Einsatzes und des Einsatzes von Kernwaffen - Drucksache 13/1465 - (Beifall) Überweitungsvorschlag: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Auswärtiger Ausschuß (federführend) verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Verteidigungsausschuß 8. weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Er- Zusatzpunkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatz- gänzung zu TOP 14) punktliste aufgeführt. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung 1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Ver- eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Ände wendung von Steuergeldern bei der Deutschen Zentrale rung des Sozialgesetzbuches - 3. SGBÄndG - Drucksachen für Tourismus e. V. im Zusammenhang mit Vorwürfen des 13/1205, 13/1559 - Rassismus und der Verletzung von Aufsichts- und Fürsor- - 9. a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der gepflichten (In der 40. Sitzung am 31. Mai 1995 bereits er- CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Jah- ledigt) ressteuergesetzes 1996 - Drucksachen 13/901, 13/1558, 13/...- 2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ludger Vollmer, Wolfgang Schmitt (Langenfeld), Dr. Uschi Eid und der Frak- b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rolle der G-7-Gruppe bei Finanzausschusses (7. Ausschuß) der Reform des Weltwirtschaftssystems zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksache 13/1545 - Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kin 3. Vereinbarte Debatte: Kennzeichnungspflicht gentechnisch dern und Familien vom Jahr 1996 hergestellter oder manipulierter Lebensmittel und Lebens- zu dem Antrag der Fraktion der SPD mittelzusatzstoffe Für einen gerechten, verfassungsgemäßen und unbüro- kratischen Familienleistungsausgleich 4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Lilo Blunck, Dr. Marliese Dobberthien, Wolf-Michael Catenhusen, weite- zu dem Antrag der Abgeordneten Ch ristine Scheel, An- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Einsatz der drea Fischer (Berlin), Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Gentechnik und anderer neuartiger biotechnologischer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verfahren in der Lebensmittelproduktion NEN - Drucksache 13/1549 - Soziale und gerechte Einkommensteuerreform 1996 - Drucksachen 13/381, 13/16, 13/936, 13/1558 - 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Kaspereit, c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der Christian Müller (Zittau), Dr. Uwe Jens, weiterer Abgeord- CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ge- neter und der Fraktion der SPD: Wiedereinbeziehung des setzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes ostdeutschen mittelständischen Handels in die Investi- - Drucksachen 13/698, 13/1558 - tionszulagenregelung - Drucksache 13/1541 - d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des 6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ul rike Höfken- Finanzausschusses (7. Ausschuß) zu der Unterrichtung Deipenbrock, Joseph Fischer (Frankfurt) und der Fraktion durch die Bundesregierung: Zwischenbericht der Bun- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verletzung internationaler desregierung über die Möglichkeit, die Kraftfahrzeug- Walfang-Vereinbarungen durch Norwegen steuer für Kraftfahrzeuge mit einem verkehrsrechtlich - Drucksache 13/1543 - zulässigen Gesamtgewicht zwischen 12 t und 16 t im 3182 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Zusammenhang mit der Einführung einer Autobahnge- Eindeutig ist auch die Verantwortung für den An- bühr ab 1. Januar 1995 abzusenken griffskrieg im Osten, zuerst gegen Polen, dann ge- - Drucksachen 13/725 Nr. 58, 13/1558 - gen die Sowjetunion. Wer etwas anderes behauptet, e) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat einge- hat nichts, aber auch gar nichts aus der Geschichte brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Senkung der Mi- neralölsteuer für erdgasbetriebene Fahrzeuge gelernt. - Drucksachen 13/1071, 13/1558 - (Erste Beratung 35. Sitzung) (Beifall im ganzen Hause) 10. Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat einge- Wir müssen aber auch jenen nachdrücklich wider- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ä nderung des Ver- sprechen, die in der Erinnerung an das Leid der Hei- mögensgesetzes - Drucksachen 13/202, 13/.. . matvertriebenen und Flüchtlinge einen Akt kleinli- Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, so- cher Aufrechnung oder gar einen Ausdruck von Re- weit erforderlich, abgewichen werden. vanchismus sehen wollen. Außerdem soll über die Einsetzung der Enquete (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so Kommissionen, Tagesordnungspunkt 14 a, und über wie bei Abgeordneten der SPD) die Sammelübersicht 26 zu Petitionen, Tagesord- Weder wird deutsche Schuld durch das Unrecht der nungspunkt 14 d, unmittelbar nach Abschluß der Be- Vertreibung auch nur um ein Jota gemindert, noch ratung zur Änderung des Bundesausbildungsförde- hebt deutsche Schuld das Unrecht der Vertreibung rungsgesetzes abgestimmt werden. auf. Die weiteren Tagesordnungspunkte ohne Ausspra- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so che werden vor der Fragestunde aufgerufen. wie bei Abgeordneten der SPD) Sind Sie mit den Änderungen und Ergänzungen Die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge haben ei- einverstanden? - Das ist offenbar der Fall. Dann ist es nen Anspruch darauf, daß wir vor der Tragik ihres so beschlossen. persönlichen Schicksals nicht die Augen verschlie- ßen, sondern auch das an ihnen verübte Unrecht Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: beim Namen nennen. Dazu gehört vor a llem, daß wir uns den Ablauf und die bis in unsere Zeit reichenden Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Folgen jener Tragödie bewußt machen. Ich halte dies Beitrag der deutschen Heimatvertriebenen für eine selbstverständliche menschliche Pflicht. zum Wiederaufbau in Deutschland und zum Schon im Winter 1944/45 hatte die Flucht eines Frieden in Europa Teils der deutschen Bevölkerung vor der Roten Ar- Dazu liegen Entschließungsanträge der Fraktionen mee begonnen: aus Ostpreußen, Danzig und West- der CDU/CSU und der F.D.P., der Fraktion der SPD, preußen, aus Pommern, Ostbrandenburg und Schle- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der sien - eine Flucht hauptsächlich von Frauen, Kindern Gruppe der PDS vor. und alten Menschen; denn die jüngeren Männer wa- ren zumeist an der Front, gefallen oder in Kriegsge- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für fangenschaft. die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklä- rung zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre Für die jüngere Generation ist das alles schon sehr dazu keinen Widerspruch. Wir können so verfahren. ferngerückt. Für die, die es selbst erlebt haben, wurde es oft zum Trauma, einem Trauma, das bei vie- Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung- len bis heute nachwirkt. Das Elend der endlosen hat der Herr Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl. Trecks, der Hunger und die eisige Kälte auf dem lan- gen Weg nach Westen, die Angriffe aus der Luft auf ungeschützte Kolonnen der Zivilisten, das Feuer Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir würdi- sowjetischer Panzer, die die Trecks überrollten - dies gen heute in dieser Sitzung des Bundestages den alles forderte vieltausendfach tödlichen Tribut. Beitrag der deutschen Heimatvertriebenen zum Wie- Heute ist von den einzelnen Geschehnissen jenes deraufbau in Deutschland und zum Frieden in Eu- Massenexodus die Flucht über das zugefrorene Haff, ropa. fast eine Art Binnenmeer an der ostpreußischen Kü- Unter uns leben noch viele, die durch persönliche ste, noch am ehesten zum Beg riff geworden. Am Versen- Erinnerung an Flucht und Vertreibung unmittelbar nachdrücklichsten hat sich aber wohl die und nachhaltig betroffen und geprägt sind. Ihre Hei- kung der „Wilhelm Gustloff" in das Gedächtnis ein- mat waren der damalige deutsche Osten oder andere gebrannt. 5 000 Flüchtlinge sind damals in der Ost- Gebiete in der Mitte, im Osten und Südosten Euro- see ertrunken, darunter 3 000 Kinder. pas, in denen Deutsche seit Jahrhunderten siedelten Wir werden und wir wollen über all dem aber auch und lebten. nicht vergessen, daß die ersten Kriegsflüchtlinge Nur Unbelehrbare können bestreiten, daß die erste Polen waren, die vor deutschen Angreifern flohen. So begannen die Leiden des polnischen Volkes, das Ursache jener Tragödie im 30. Januar 1933 zu suchen das erste Opfer von Hitlers Vernichtungsfeldzug ist. wurde. Ich erinnere heute auch an das Schicksal je- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, ner Polen, die am Ende dieses Krieges von Stalin ge- der F.D.P. und der SPD) zwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen. Auf der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3183

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Potsdamer Konferenz wurde die Vertreibung der In den westdeutschen Besatzungszonen z. B. lebten Polen und der Deutschen bestätigt. In Potsdam von den 40 Millionen Einheimischen rund die Hälfte, wurde vereinbart, daß die Umsiedlungen, wie es 20 Millionen, in Notunterkünften, in Lagern und Ba- hieß, „in geregelter und humaner Weise" vor sich racken. gehen müßten. Doch die Praxis sprach allen huma- nen Grundsätzen Hohn. Zu den Heimatvertriebenen kamen noch 5 Millio- nen Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft So kam es zur Geschichte der Vertreibung, wie die hinzu. Ihnen mußte aus gutem Grund schnell gehol- Deutschen sie im Osten erlebten: die Schrecken der fen werden, wie auch Millionen von Einheimischen, Lager, in denen Tausende an Hunger, Mißhandlun- die vor den Bombenangriffen evakuiert waren. Die gen und Seuchen starben, die Vergewaltigungen von Versorgungslage war schwierig, viele litten Hunger. Frauen und Mädchen, das Elend der Todesmärsche Bis 1948 war die Lebensmittelzuteilung streng ra tio- wie der Evakuierungstransporte. niert und je nach Arbeitsleistung abgestuft. Es ist ein erschütternder Korrespondentenbericht über die Zwangsevakuierung der Sudetendeutschen Stalin hatte mit dieser Entwicklung nicht nur ge- erhalten, den im Dezember 1945 für die rechnet, er hatte sie seinem politischen Kalkül zu- norwegische Arbeitspresse verfaßte. Er schreibt do rt grunde gelegt. Im vertrauten Kreise hatte er damals u. a.: geäußert, daß die Angst vor deutschem Revanchis- mus Deutschlands Nachbarn im Osten auf lange Frist Ich kann ... nicht verheimlichen oder totschwei- zu einem festen Block mit der Sowjetunion zusam- gen, was jetzt an der Tagesordnung ist . . ., selbst menzwingen würde. Insbesondere aber setzte Stalin wenn es Leute geben sollte, die mir dies als darauf, daß die Deutschen aus dem Osten im Westen „Mitleidspropaganda" auslegen. Deutschlands sozialen Sprengstoff bilden würden, der Westdeutschland politisch destabilisieren und Ausdrücklich nimmt Willy Brandt dabei für sich in auf die Dauer dem Sog der in Europa übermächtigen Anspruch, daß er im Krieg schonungslos „über die Sowjetunion ausliefern würde. deutschen Übergriffe in Norwegen" aufgeklärt habe. Gerade dies gebe ihm das Recht, die Wahrheit auch Die Voraussetzungen dafür, meine Damen und über das Leid der Vertriebenen auszusprechen. Herren, daß diese zynische Rechnung aufgehen In der Tat: Wer von bestimmten Erfahrungen und könne, waren gegeben. Flüchtlinge und Vertriebene Leiden nichts hören will, der wird für den, der sie in mußten ja als erstes ein Dach über dem Kopf haben. ihrer ganzen Schrecklichkeit erleben mußte, weniger Die verheerendsten Zerstörungen an Wohnraum wa- glaubwürdig. Wir müssen deshalb in diesen Wochen ren aber durch die Bombenangriffe in den Städten und Monaten auch der vielen Deutschen gedenken, angerichtet worden. Also wurden viele der Neuan- die bei Flucht und Vertreibung ums Leben kamen. kömmlinge aufs Land umgeleitet. Hier konnte man Natürlich läßt sich die Verantwortung aller Deut- sie zwar, wenn auch nur notdürftig, unterbringen; schen für Hitler nicht teilen in die jener im Westen aber dafür gab es zuwenig Arbeitsplätze. Noch im und die jener im Osten. Die im Osten aber mußten Jahr 1950 waren von den Vertriebenen in West- unter den Folgen doppelt leiden. Zwischen allen de- deutschland doppelt so viele arbeitslos wie bei der mokratischen Parteien der Bundesrepublik war des- gesamten Bevölkerung. halb von Anfang an unstreitig, daß es „eine deutsche Gesamthaftung gegenüber den Vertriebenen" gebe, Wie wurden diejenigen, die ihre Heimat verloren wie Kurt Schumacher es schon 1949 formuliert- hat. hatten, von denen aufgenommen, die jedenfalls ein Zuhause hatten? Es gab Hilfsbereitschaft; das ist Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Ge- wahr. Es gab viele Zeichen von selbstlosem Einsatz genwart nicht verstehen und die Zukunft nicht ge- bei den Einheimischen. Aber es gab auch viel Miß- stalten. Darum müssen auch hier die Tatsachen klar trauen, Gleichgültigkeit und Ablehnung. So sahen benannt werden. sich die, die alles verloren hatten, in der neuen Hei- Bis Ende 1950, dem Ende der allgemeinen Vertrei- mat, die für viele lange Zeit die Fremde blieb, als so- bungsmaßnahmen, waren in das damalige Bundes- zial Deklassierte. gebiet über 8 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene gelangt, in das Gebiet der DDR über 4 Millionen, von Es wäre doch verständlich gewesen, wenn diese denen dann in den kommenden Monaten und Jah- Menschen sich radikalisiert hätten, wenn sie Dema- ren noch viele nach Westen weiterzogen. Was bei gogen gefolgt wären. Beispiele für solche Radikali- dieser Völkerwanderung wider Willen geschah, sierung bis hin zur Gewalttätigkeit gab und gibt es ja kommt in einer einzigen Zahl zum Ausdruck: Bei auch heute noch in unserer Welt. In Deutschland Flucht und Vertreibung sind über 2 Millionen Deut- aber verabschiedeten die Heimatvertriebenen schon sche ums Leben gekommen. im Jahr 1950 ihre ,,Stuttgarter Charta". Sie trugen damit entscheidend dazu bei, die Voraussetzungen Trotz aller eindringlichen Fernsehberichte über das für eine friedliche Entwicklung der Beziehungen Kriegsende können sich die Heutigen kaum eine Deutschlands zu seinen östlichen Nachbarn zu schaf- Vorstellung mehr von dem Chaos jener Zeit machen. fen, und auch dazu, daß die Rechnung Stalins nicht Wie sah das Land aus, in das die über 12 Millionen aufging. Überlebenden aus dem Osten kamen, elend, oft halb verhungert? Die Indus trie war zerbombt, die Verwal- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so tung lahmgelegt, die Verkehrsverbindungen zerstört. wie bei Abgeordneten der SPD) 3184 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Als diese Charta formuliert wurde, war das Elend Zur Integra tion der Vertriebenen haben der La- der Vertreibung noch allgegenwärtig. Doch schon stenausgleich und andere Fördermaßnahmen gewiß damals, 1950, wiesen die Vertriebenenverbände erheblich beigetragen. Dies war ein erster großer Er- feierlich jeden Gedanken an Vergeltung für millio- folg der Sozialen Marktwirtschaft. An einen wirkli- nenfach erlittenes Unrecht von sich. Ich zitiere: chen Ausgleich der im Osten erlittenen Verluste war nicht zu denken. Immerhin umfaßten die Leistungen Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Ge- in den Anfangsjahren bis zu einem Viertel des dama- denken an das unendliche Leid, welches im be- ligen Bundeshaushalts. Auf diese solidarische Bewäl- sonderen das letzte Jahrzehnt über die Mensch- tigung von Kriegsfolgen können die Deutschen, wie heit gebracht hat. Wir werden jedes Beginnen mit ich denke, durchaus stolz sein. allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Heute, meine Damen und Herren, fünf Jahre nach Völker ohne Furcht und Zwang leben können. dem Ende der kommunistischen Diktaturen, lebt Ich gestehe ganz offen: Ich verstehe nicht, warum Deutschland in guter Nachbarschaft mit den Staaten, jene Charta der Heimatvertriebenen nicht häufiger aus denen so viele Deutsche vertrieben wurden. Ich als ein Musterbeispiel politischer Kultur herausge- möchte hier besonders das gute Verhältnis würdigen, stellt wird. Sie war und bleibt ein Werk des Friedens. das uns mit Polen verbindet. An dieser Entwicklung haben viele in beiden Ländern und Völkern Anteil. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und 1970 hat Bundeskanzler Willy Brandt in Warschau der SPD sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer ein wichtiges Zeichen gesetzt. Die Kirchen in beiden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ländern haben schon früh den Weg zur Aussöhnung gewiesen. Eine wichtige Botschaft des Friedens und Die Bundesrepublik Deutschland, ja Europa hat der Achtung von Menschenwürde und Menschen- den Heimatvertriebenen für diese Charta zu danken. rechten wurde eine gemeinsame Erklärung polni- Sie haben millionenfach das damals gegebene Ver- scher und deutscher Katholiken zum 1. September sprechen eingelöst. Ich zitiere wieder: 1989, also zum 50. Jahrestag des deutschen Angriffs Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit auf Polen. Diese Erklärung, die Menschenverach- teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und tung, Gewaltherrschaft und Terror des Nationalsozia- Europas. lismus geißelte, aber auch das Leid von Millionen deutscher Heimatvertriebener beklagte, trägt die Un- „Die Vertriebenen", so hat Kurt Schumacher 1949 terschriften von Tadeusz Mazowiecki und Wladyslaw gefordert, müßten „Bestandteile der deutschen Par- Bartoszewski. teien und des politischen Lebens" werden. Daß dies so gut gelang, verdanken wir vielen, nicht zuletzt Der Grenzvertrag vom 14. November 1990, in dem hervorragenden Führungspersönlichkeiten in den das wiedervereinigte Deutschland die bestehende Vertriebenenverbänden - oft kantige, nicht immer Grenze mit Polen anerkannte, erinnert in seiner Prä- einfache Persönlichkeiten. ambel „ an das schwere Leid, das dieser Krieg mit sich gebracht hat". Er nennt insbesondere auch den (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ von zahlreichen Deutschen und Polen erlittenen Ver- NEN]: Wohl wahr!) lust ihrer Heimat durch Vertreibung oder Aussied- - Ich sage dies mit Respekt, und Sie sollten den Re- lung. Dies sei Mahnung und Herausforderung zur spekt einer späteren Genera tion diesen Männern Gestaltung friedlicher Beziehungen zwischen den beiden Völkern und Staaten. nicht verweigern. - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir alle erinnern uns mit Dankbarkeit an die noblen Worte des polnischen Außenministers Bar- Ich nenne hier stellvertretend für viele unsere frü- toszewski vor wenigen Wochen von dieser Stelle heren Bundestagskollegen Wenzel Jaksch und Her- aus. bert Czaja. Neben der politischen gibt es eine weitere ent- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der scheidende Leistung der Vertriebenen zum Aufbau SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines freiheitlichen Staatswesens auf deutschem Bo- sowie bei Abgeordneten der PDS) den: Das ist ihr gar nicht hoch genug einzuschätzen- der wirtschaftlicher Beitrag. Die Heimatvertriebenen Ziel meiner Reise nach Polen in wenigen Wochen, hatten oft Land, Haus und Hof verloren. Viele kamen Anfang Juli, soll sein, dieses gute Verhältnis weiter ohne jegliche Habe. Aber alle brachten etwas mit, zu festigen. was ihnen niemand nehmen konnte: ihr Wissen, ihr Können, ihre allgemeine wie ihre spezielle berufliche Meine Damen und Herren, auch unser Verhältnis Ausbildung. Das, zusammen mit dem Fleiß und dem zu unseren tschechischen Nachbarn wollen wir im Willen, sich wieder hochzuarbeiten, für ihre Kinder Geist der guten Nachbarschaft und des f riedlichen eine neue Zukunft zu schaffen, wurde zu einem ge- Miteinanders gestalten. Was bei der Vertreibung der waltigen, außerordentlichen Gewinn für den Wieder- Deutschen dort geschah, war Unrecht. Ich bin Präsi- aufbau unserer deutschen Volkswirtschaft. dent Havel und Ministerpräsident Klaus für ihre Worte dazu dankbar. Wir wollen und werden die aus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge gestreckte Hand ergreifen. Auf der Grundlage bei- ordneten der F.D.P. und der SPD) derseitiger Wahrhaftigkeit läßt sich eine gute Zu- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3185

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl kunft für die Menschen in beiden Ländern gewinnen Doch - das frage ich bewußt - was ist mit dem und sichern. Astronomen Kopernikus aus Thorn? Er wird auch von den Polen als einer der ihren reklamie rt. Ich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so denke, wir sollten die Gelehrten streiten lassen. wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Ich komme aus einem Ort nicht weit von der fran- zösischen Grenze. Ich muß dabei an einen anderen Wir wollen und werden in diesem Geiste mit Tsche- Streit denken, an den um Karl den Großen. Jahrhun- chien zu vernünftigen Regelungen kommen. Ich dertelang haben sich Deutsche und Franzosen dar- hoffe, dies wird bald möglich sein. über ereifert, wem er nun eigentlich gehört. Heute Es leben auch heute noch Deutsche in Polen, in nimmt diesen Disput eigentlich keiner mehr richtig Tschechien und anderen Staaten Mittel-, Ost- und ernst. Man hat sich stillschweigend geeinigt: Als Karl Südosteuropas. Auch zum Schutz der Minderheiten der Große für die Deutschen, als Charlemagne für sind mit praktisch allen in Frage kommenden Staa- die Franzosen gehört er eben beiden. Wir sollten es ten Nachbarschafts- und Partnerschaftsver träge ge- mit Kopernikus genauso halten und ihn als gemein- schlossen worden. Zuerst gelang dies in einer mu- sames Erbe be trachten: für die Polen, für uns Deut- stergültigen Weise mit Ungarn, dem wir Deutsche für sche und für ganz Europa. seine Hilfe im Jahre 1989 immer dankbar bleiben (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und werden. der SPD sowie bei Abgeordneten des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir wollen und wir dürfen den Schmerz und die Tränen Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit be- dieses Jahrhunderts nicht vergessen. Das schulden sonderem Nachdruck und, so glaube ich, erfolgreich wir den Opfern. Nur so kann - wenn überhaupt - die dafür eingesetzt, daß jetzt endlich ein Übereinkom- Erfahrung des damals allgegenwärtigen Leidens ei- men des Europarats zum Schutze nationaler Min- nen Sinn ergeben und uns Mahnung sein. Den kom- derheiten vorliegt. Wie wenig selbstverständlich sol- menden Generationen müssen wir die alles entschei- che Regelungen sind, wird uns derzeit täglich ins Be- dende Lehre weitergeben: Friede beginnt mit der wußtsein gerufen. Jeden Tag werden wir durch das Achtung der unbedingten und absoluten Würde des Fernsehen Zeugen der grausigen Realität auf dem einzelnen Menschen in allen Bereichen seines Le- Balkan. „Ethnische Säuberung", ein Begriff aus dem bens. Wörterbuch der Unmenschlichkeit, gehört leider im- mer noch nicht endgültig der Vergangenheit an. Wir haben jetzt, wenige Jahre vor dem Ende dieses Jahrhunderts, die Chance zum Bau einer Friedens- Die Vereinten Nationen haben bekanntlich das ordnung, die sich auf die uneingeschränkte Achtung Recht kodifiziert, das eigene Land zu verlassen. An- der Menschenrechte und des Völkerrechts gründet. gesichts der Erfahrungen der jüngeren und der jüng- Ich bin sicher, kommende Generationen werden uns sten Vergangenheit scheint es mir an der Zeit, daß danach fragen und beurteilen, wie wir in unserer die Völkergemeinschaft noch ein anderes Menschen- Zeit, in unseren Tagen die praktischen und die mora- recht festschreibt, nämlich das Recht, im eigenen lischen Herausforderungen bewäl tigen, um Frieden Land zu bleiben. und Freiheit heute und - was noch wichtiger ist - für (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P.,- der kommende Generationen zu sichern. SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unsere Kinder und Enkel sollen hineinwachsen in sowie bei Abgeordneten der PDS) eine Welt, in der nie wieder Menschen aus ihrer Hei- Meine Damen und Herren, wir blicken auf mat vertrieben werden. Sie sollen hineinwachsen in 700 Jahre deutsche Geschichte im Osten zurück. Die eine Welt, in der die Völker - um dieses wegwei- großartigen steingewordenen Zeugnisse aus jener sende Wort der „Stuttgarter Charta" noch einmal Zeit sind zum großen Teil mit den deutschen Städten aufzunehmen - „ohne Furcht und Zwang leben kön- im Krieg vernichtet worden. Manches davon haben nen". gerade die Polen - um ein Beispiel zu nennen - mit (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und bewundernswertem Können und Einfühlungsvermö- der SPD sowie bei Abgeordneten des gen wieder aufgebaut oder restauriert. Städte und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dörfer aber, in denen die Heimatvertriebenen und ihre Vorfahren zu Hause waren, tragen nun natürlich ein anderes Gesicht. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Als nächster Was die Flüchtlinge und die Vertriebenen retten spricht der Kollege Dr. Peter Glotz. konnten, sind ihre Traditionen, ihre Kultur, ihre oft sehr persönlichen Erinnerungen - Erinnerungen auch an die großen Söhne und Töchter jener Land- Dr. Peter Glotz (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr schaften. Ich möchte nur einige nennen: Immanuel verehrten Damen und Herren! Im Auftrag der sozial- Kant oder Lovis Co rinth aus Ostpreußen, den Grün- demokratischen Bundestagsfraktion bringe ich in der des Weltpostvereins Hein rich von Stephan aus dieser Debatte um Vertreibung die Übereinstimmung Pommern, Joseph von Eichendorff und Gerhart mit der Bundesregierung in einigen Grundsätzen Hauptmann aus Schlesien. zum Ausdruck. 3186 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Dr. Peter Glotz Zur Vertreibung selbst: Die gewaltsame Vertrei- Ich erwähne diese Irrungen und Wirrungen, weil bung von Menschen von dem Stück Erde, auf dem ich davon überzeugt bin: Wir können heute nur des- sie leben, auf dem ihre Vorfahren gelebt haben oder halb unbefangen über die Vertreibung von Deut- wo die Gräber ihrer Vorfahren liegen, ist ein Verbre- schen reden, ohne Mißverständnisse bei Engländern, chen. Wir stimmen auch zu, wenn hervorgehoben Holländern, Tschechen oder Polen auszulösen, weil wird, daß die 12 Millionen vertriebenen Deutschen Konrad Adenauer die Bundesrepublik in den Westen sich auf dem verbliebenen Territorium unseres Lan- integriert hat und weil Willy Brandt durch die Aner- des rasch integriert haben, daß ihre große Mehrheit kennung der Grenzen dafür gesorgt hat, daß kein versöhnungsbereit war, wie die Charta von 1950 Revisionismus aufkommen kann. Beide Seiten sind zeigt, und daß sie einen maßgeblichen Beitrag zum zu betonen. Wiederaufbau des zerstörten Deutschlands geleistet haben. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord (Beifall bei der SPD) neten der CDU/CSU) Als Vertriebener füge ich hinzu: Dank gehört auch Damit wir uns nicht mit feierlichen Reden in die denen, die uns Flüchtlingen, die damals von außen Tasche lügen, füge ich hinzu: Es ist richtig, daß der gekommen sind, ein Dach über dem Kopf gegeben Bundeskanzler heute auch die Leistung der Vertrie- haben. benenverbände bei der Integra tion der Vertriebenen und beim Wiederaufbau hervorgehoben hat. Viele (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Männer und Frauen aller Parteien haben in diesen ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ Verbänden Vorbildliches geleistet. Wie der Bundes- DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) kanzler will ich an unseren früheren Kollegen Wen- Die Fraktion der CDU/CSU und die Fraktion der zel Jaksch erinnern, auch weil ich aus der gleichen SPD zitieren in ihren Entschließungen denselben Gegend komme, aus der er gekommen ist. Wir haben Satz des Bundespräsidenten, in dem er eine Aufrech- aber nicht vergessen, meine Damen und Herren, daß nung von Verbrechen und Leid ablehnt. Diese Fest- es auch Vertriebenenfunktionäre gab, die mit absur- stellung ist in der Tat unverzichtbar. den Parolen gegen die Ostpoli tik Willy Brandts ge- hetzt haben. An irgendwelchen Wänden stand da- Wenn wir 50 Jahre nach Beendigung des Zweiten mals auch: „Brandt an die Wand". Auch das gehört Weltkrieges an die Opfer der Vertreibung erinnern, zu einer vollständigen Erinnerung, zu der wir uns dann nicht um deutsche Schuld, härter gesagt: um heute verpflichtet fühlen. deutsche Verbrechen in irgendeiner Weise vergessen (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE zu machen. GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie Denn jedem von uns sollte es heute genauso um Ge- der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/ genwart und Zukunft gehen wie um die Vergangen- DIE GRÜNEN]) heit. Man darf die Vertreibungen von gestern nicht Die Vertreibung von Millionen Deutschen aus ihrer rechtfertigen, weil m an sonst die Vertreibungen von Heimat geschah, weil die Deutschen vorher viele heute rechtfertigen würde. Wir müssen mit dem Prin- Millionen anderer Menschen aus ihrer Heimat ver- zip brechen, das seit dem Vertrag von Lausanne trieben hatten, und zwar in einem Angriffskrieg. 1923, seit dem sogenannten Bevölkerungsaustausch Deshalb darf diese Debatte kein Anlaß zu irgendei- von Hunderttausenden von Griechen und Türken in ner Relativierung sein. Wir wollen heute nicht- über Europa, immer schamloser angewendet worden ist. die Vertreibungsopfer reden, um die Opfer des An- Deswegen sage ich: Die Menschheit läßt sich nicht griffskriegs vergessen zu machen, sondern wir reden fein säuberlich in Nationen aufgliedern. Die Men- über sie, weil wir über die ganze Wirk lichkeit in all schen leben nebeneinander, miteinander. Sie über ihren Facetten reden wollen und reden müssen. schichten sich, sie vermischen sich. Wie viele Men- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie schen sind im 20. Jahrhundert umgesiedelt, rückge- des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) siedelt, vertrieben, umgevolkt, verschleppt, germani- siert, polonisiert, russifiziert worden - nach dem Der Deutsche Bundestag kann, 50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa allein 20 Millionen: Po- Kriegsende und der deutschen Kapitulation, auch len, Tschechen, Slowaken, Ukrainer, Weißrussen, Li- deshalb - ohne Mißverständnisse bei unseren Nach- tauer, Ungarn und 14 Millionen Deutsche. Es muß barn aufzustören - über die Vertreibung von Deut- endlich und endgültig Schluß damit sein! schen reden, weil Deutschland seither eine Politik (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem der Verständigung nach Osten und nach Westen be- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. trieben hat. Wir wollen in der Rückschau nichts ver- sowie bei Abgeordneten der PDS) kleistern. Diese Politik hat sich nicht selbstverständ- lich ergeben; sie war umkämpft. Wir Sozialdemokra- Ja, in den letzten Jahrzehnten haben die Völker ten haben uns erst 1960 auf die Grundlage der Ade- dieser Welt erste zaghafte Schritte zur Überwindung nauerschen Politik der Öffnung zum Westen gestellt. der Idee des einnationalen Staats zurückgelegt: Es war nötig, daß wir uns auf diese Grundlage ge- durch Minderheitenverträge, die der Völkerbund frü- stellt haben. Später hat die Fraktion der CDU/CSU her kontrollieren und verbürgen sollte, durch einen die ebenso notwendige Ostpolitik des Bundeskanz- Weltmenschenrechtspakt der Vereinten Nationen lers Brandt zuerst bekämpft, dann aber fortgeführt. über bürgerliche und politische Rechte, durch die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3187

Dr. Peter Glotz Europäische Konvention zum Schutz der Menschen- daß wir alle miteinander noch viele Schritte gehen rechte und Grundfreiheiten des Europarats von 1950, müssen, um den Haß zu überwinden, in diesem Fall durch die Kopenhagener Beschlüsse der KSZE von den Haß, der vor einem halben Jahrhundert gesät 1990, durch die wachsende Wirksamkeit internatio- wurde: 1938, beim Münchener Diktat, bei der Zer- naler Gerichtshöfe. schlagung der Tschechoslowakei, der deutschen Be- setzung und bei der Vertreibung. Aber wo es hart auf hart geht, meine Damen und Herren, stehen alle diese Regelungen immer noch Niemals habe ich das deutlicher gespürt als bei ei- nur auf dem Papier. Was wird mit den Kurden in der nem Brief, den ich neulich von Mylos Hajek, einem Türkei, den Türken und Pomaken in Bulgarien, den der führenden Männer der Charta 77, bekommen Magyaren in der Slowakei, den Serben in Kroatien, habe. Hajek ist in den 40er Jahren von einem deut- den Albanern in Serbien, den Türken in Westthra- schen Sondergericht zum Tode verurteilt worden. In zien? Wir haben die unbeschränkte na tionale Souve- den 70er Jahren haben ihn die Kommunisten arbeits- ränität Schritt für Schritt durch Völkerrecht begrenzt. los und rechtlos gemacht. Ich hatte ihn oft besucht, Jetzt müssen wir darangehen, dieses Völkerrecht auch schon zur Zeit der kommunistischen Herrschaft. bindend zu machen und Einrichtungen zu begrün- Jetzt, nachdem ich einen Artikel über die Vertrei- den, die in der Lage sind, diesem Recht auch Gültig- bung publiziert hatte, schrieb er mir: keit zu verschaffen, es durchzusetzen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Es ist mir nicht angenehm, mit Ihnen zu polemi- GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord sieren. Unsere persönlichen und politischen Be- neten der CDU/CSU) ziehungen waren doch die besten. Im übrigen müssen wir logisch bleiben. Unsere Ab- lehnung von Vertreibung hat eine Kehrseite. Wer Er schreibt weiter: Vertreibung ablehnt, muß Vermischungen akzeptie- ren. Das bedeutet den Abschied vom Ideal einer ein- Ich persönlich habe die Entscheidung der tsche- heitlichen, homogenen Gesellschaft. choslowakischen Regierung (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE - er meint die Vertreibung - GRÜNEN und der PDS) Das kann nicht heißen, daß der Staat Werber an und der alliierten Regierungen als nicht weise seine Grenzen schickt, die Fremde hineinwinken, charakterisiert. aber es muß bedeuten, daß man eingesessene Min- derheiten als eigene Nationen akzeptiert, die einen Aber dann fügt er hinzu: wichtigen Teil ihres Lebens selbständig regeln, und daß man sich von der unmenschlichen Idee der Ent- Ich halte die gewaltsame Aussiedlung der Sude- mischung, der „Purifizierung" des „Volkskörpers", tendeutschen für eine barbarische Antwort auf wie das bei den Nazis hieß, endgültig trennt. die Barbarei. Aber ihre Bezeichnung als Verbre- chen kann ich nicht akzeptieren. Verbrechen (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE setzt Verbrecher voraus. Waren Churchi ll, Roose- GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord velt und Bene§ Verbrecher? Einen verbrecheri- neten der F.D.P.) schen Krieg hat das Dritte Reich geführt. Wer für die deutsche Minderheit in Polen- eintritt, was sicher notwendig ist, der muß auch für die türki Ich hatte in meinem Artikel - sehr mit Absicht - ei- sche Minderheit in Berlin eintreten- und umgekehrt. nen bedeutenden demokratischen Politiker zitiert, Winston Churchill. Er hat im Dezember 1944 im Un- (Beifall bei der SPD) terhaus gesagt: Oder: Die Kinder eines mährischen oder nordböhmi- schen Zuwanderers, den es 1945 nach Westböhmen, Die Vertreibung ist, soweit wir in der Lage sind, ins frühere Sudetenland, verschlagen hat, empfinden es zu überschauen, das befriedigendste und dau Westböhmen genauso als ihre Heimat wie die Kinder erhafteste Mittel, es wird keine Mischung der Be- jener Sudetendeutschen, deren Familien do rt Jahr- völkerung geben, wodurch endlose Unannehm- hunderte gelebt haben. Da dürfen wir nicht anfan- lichkeiten entstehen, z. B. im Falle Elsaß-Lothrin- gen, die Einwurzelung mit dem Rechenschieber zu gen. Reiner Tisch wird gemacht werden. bestimmen: Braucht es eine, zwei, drei Generatio- nen? Die Trennung von der Vorstellungswelt des ein- Es hat keinen Zweck, gegen Äußerungen recht be- nationalen Staates wird eine gewaltige Kraftanstren- halten zu wollen, die ein halbes Jahrhundert zurück- gung von uns fordern. Aber wir werden in Europa liegen. Heute aber müssen wir gelernt haben: Chur- Frieden nur bekommen, wenn wir uns diese Anstren- chills reiner Tisch war nicht rein. Deswegen habe ich gung zumuten. meinem tschechischen Freund geantwortet: (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Natürlich bezeichne ich Churchi ll nicht als Ver- GRÜNEN und der PDS) brecher, aber als einen Staatsmann, der neben Machen wir uns bitte nichts vor, dieses Thema ist seinen großen Leistungen beim Kampf gegen nicht abgehakt. Ich habe gerade von Tschechen und den Faschismus auch Verbrechen mitverantwor- Sudetendeutschen gesprochen. Dieses Beispiel zeigt, tet hat. 3188 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Peter Glotz Ich stehe zu dieser Antwort. Wir alle müssen uns der juristischen Wertung der sogenannten Beneš-De- aber klarmachen, daß solche Auffassungen noch krete - auch für die Opfer der sogenannten wilden längst nicht Allgemeingut sind, noch nicht einmal in Vertreibung im Sommer 1945 Entschädigungen vor- unserem Erdteil Europa. Lassen Sie uns gemeinsam sehen. Wenn Sie eine solche Politik be treiben, Herr darum kämpfen, daß sie Schritt für Schritt wirklich Bundeskanzler, werden Sie die volle Zustimmung Allgemeingut werden! der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion haben. (Beifall im ganzen Hause) Ich habe hier über die deutschtschechische Politik Wir können dazu beitragen, z. B. durch eine zielge gesprochen, weil man nicht abstrakt über Vertrei- richtete Versöhnungspolitik mit den Nachbarvölkern. bung reden kann. Massenvertreibungen setzen sich aus den Schicksalen einzelner Menschen zusam- Ich bleibe bei den Beziehungen zwischen Tsche- men. Ich zitiere ein Beispiel, das am letzten Wochen- chen und Deutschen. Herr Bundeskanzler, Ihre Re- ende in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" auf- gierung hat das Verhältnis zu unseren polnischen gegriffen worden ist: Nachbarn gepflegt und verbessert. Ihr Auftritt in den Niederlanden vor wenigen Tagen verdient die Zu- Wladimir N. wurde 1943 als Zwölfjähriger aus stimmung des ganzen Hauses. Südrußland deshalb nach Sachsen verschleppt, weil Himmlers Rasseprüfer seine wolgadeutsche (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem Großmutter entdeckt, ihn als „rückdeut- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) schungsfähig" eingestuft und ihm daher die Aber daß Ihre Regierung auf die beeindruckende deutsche Staatsbürgerschaft auf Widerruf verlie- Rede von Václav Havel von 1990 fünf Jahre lang hen hatten. Sowjetische Geheimpolizisten ver- keine offizielle Antwort gegeben hat, war ein großer hafteten N. 1946 in Leipzig und „repatriierten" politischer Fehler. ihn - nach Sibirien. Seit vier Jahren leben N. und seine gleichfalls russische Frau in Berlin - zwei (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Deutsche im Sinne des Grundgesetzes, gebro- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der chen und entwurzelt. PDS) Meine Damen und Herren, unsere Genera tion wird Herr Bundeskanzler, das Verhältnis zu unseren daran gemessen werden, ob wir aus dieser Vergan- tschechischen Nachbarn hat Ihre Regierung leider genheit gelernt haben. Ich halte mich nicht mit Kla- verschlampen lassen. gen gegen die auf, die vor uns waren. Ich sage nur: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir müssen gutmachen, was noch gutzumachen ist. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Es ist eh nicht mehr viel gutzumachen. PDS) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Es sieht inzwischen so aus, als ob Sie das selbst er- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der kannt hätten. Das entnehme ich auch Ihrer Regie- PDS und der Abgeordneten Ulrich Irmer rungserklärung und den Hinzufügungen zum schrift- [F.D.P.] und Cornelia Schmalz-Jacobsen lichen Text. Das begrüßen wir. [F.D.P.]) Unserer Überzeugung nach sind jetzt zwei Schritte Wir müssen dafür sorgen, daß in der Gegenwart notwendig: Der erste muß von uns Deutschen gegan- nicht das gleiche geschieht, was in der Vergangen- gen werden. Meine Damen und Herren, wir müssen heit geschehen ist. Und da haben wir viel zu tun, das De-facto-Junktim zwischen den Entschädi-- weil es jeden Tag geschieht. gungsforderungen von Sudetendeutschen und einer Entschädigung der NS-Opfer endgültig aufgeben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Wenn diese Debatte dazu einen Beitrag leistet, dann GRÜNEN und der PDS) können wir alle mit dieser Debatte ungeheuer zufrie- den sein. Wir müssen endlich gegenüber den Tschechen, die in deutschen Konzentrationslagern und Zuchthäu- Herzlichen Dank. sern gesessen haben, genauso handeln wie gegen- über Polen oder gegenüber Russen. Nur eine derar- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE tige Geste kann das Eis brechen, und wir müssen das GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord Eis brechen, meine Damen und Herren! neten der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie des Abg. Ul Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster rich Irmer [F.D.P.]) spricht der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble. Im zweiten Schritt ist ein ungeschminkter Dialog ohne Vorbedingungen zwischen Deutschen, und zwar einschließlich der Sudetendeutschen, und Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Frau Präsi- Tschechen notwendig. Das Ergebnis eines solchen dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Dialogs könnte eine Stiftung sein, auf die Zukunft CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt Ihnen, Herr gerichtet, um gemeinsame Projekte beider Völker Bundeskanzler, für Ihre Regierungserklärung, in der voranzutreiben. Sie sollte - ich sage jetzt: ungeachtet Sie an die Leiden der Vertriebenen und an ihren Bei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3189

Dr. Wolfgang Schäuble trag zum Aufbau Deutschlands und eines f riedlichen Bundesrepublik Deutschland nicht geworden, was Europas erinnert haben. sie heute ist.

(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so wie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, wir haben in den letz- ten Wochen in vielfältiger Weise an die Zeit vor Diese Entwicklung war alles andere als selbstver- 50 Jahren gedacht, an die dunkelsten Stunden deut- ständlich, wenn man an die elende Lage erinnert, in scher Geschichte: an Nazi-Terror, an Konzentrations- der sich die Heimatvertriebenen im Westen wieder lager, an unsagbares Leid, Elend, Tod und Zerstö- fanden: meist auf wenigen Quadratmetern Wohn- rung durch einen Krieg, wie ihn die Welt zuvor nicht raum in zugigen Baracken oder Bauernkaten zusam- gekannt hat. mengepfercht, versehen nur mit dem, was sie in ei- nem Rucksack oder Koffer vielleicht noch retten Zu dem Schrecklichen jener Zeit gehören Flucht konnten, mangelhaft ernährt, ohne Arbeit und Per- und Vertreibung. Nicht nur für die, die das erleben spektive. Sie hatten alles verloren, und sie mußten mußten, werden schreckliche Erinnerungen wieder noch einmal ganz von vorne und von unten anfan- lebendig; auch bei den Jüngeren, die damals kaum gen. Die Eingliederung in der neuen Heimat verlief oder noch gar nicht geboren waren, rufen die Bilder auch nicht so reibungslos, konnte sie auch gar nicht, heute noch Entsetzen hervor: die Bilder der brennen- wenn man sich das Ausmaß an Not, Elend und Zer- den Dörfer und Städte in Ostpreußen und Pommern, störung auch im Westen vorstellt und die Zahlen von in Schlesien und den Sudeten, die Bilder der erschla- Flüchtlingen, Vertriebenen, Kriegsheimkehrern, genen, der mißhandelten, der gequälten Menschen, Kriegsversehrten, Witwen und Waisen bedenkt, an die Bilder der endlosen Flüchtlingstrecks, die sich die der Bundeskanzler in seiner Regierungserklä- durch Eis und Schnee zu den letzten freien Ostseehä- rung eben erinnert hat. fen oder nach Westen durchzuschlagen versuchten. Daß Stalins Kalkül dennoch nicht aufging, ist das Das alles hat seinen Ausgangspunkt am 30. Januar Verdienst einer beispiellosen Aufbau- und Eingliede- 1933. Die Verantwortung des nationalsozialisti- rungspolitik mit Millionen neuer Wohnungen und ei- schen Deutschland für den Angriffskrieg und für die ner international einmaligen Lastenausgleichsge- qualvolle Folge von Terror, Morden, Verfolgung, setzgebung auf der einen Seite und der verantwor- Flucht und Vertreibung ist unbestreitbar. Aber tungsvollen Haltung der Vertriebenen und ihrer menschliches Leiden läßt sich nicht gegeneinander Sprecher, die jeder Radikalisierung wehrten, auf der aufwiegen. Unser Bundespräsident Roman Herzog anderen Seite. Die Stuttgarter Charta der Vertriebe- hat bei der Gedenkfeier zum 50. Jahrestag der Zer- nen ist als wahrhaft historisches Dokument zum ver- störung Dresdens gesagt: gangenen Wochenende vom Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Jose Ayala Leben kann man nicht gegen Leben aufrechnen, Lasso, zu Recht als beispielhaft und vorbildlich ge- Schmerz nicht gegen Schmerz, Todesangst nicht würdigt worden. gegen Todesangst, Vertreibung nicht gegen Ver- treibung, Grauen nicht gegen Grauen, Entwürdi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gung nicht gegen Entwürdigung. Menschliches Leid kann man nicht saldieren, es muß gemein- Zur Wahrheit dieser 50 Jahre gehört auch, daß die sam überwunden werden durch Mitleid,- durch Situation für die Heimatvertriebenen in der ehemali- Besinnung und durch Lernen für die Zukunft. gen DDR ganz anders war. Mehr als vier Jahrzehnte waren sie dort eine totgeschwiegene Minderheit. Das Ob wir die richtigen Lehren aus der Vergangenheit Bekenntnis zu ihrer Herkunft und ihrer Geschichte gezogen haben, was unseren Beitrag zur politischen war ihnen verboten. Sie durften sich nicht lands- Stabilität und zu einem friedlichen und toleranten mannschaftlich organisieren, die Pflege ihres heimat- Zusammenleben in Europa anlangt, ist der entschei- lichen Kulturgutes war ihnen verwehrt. dende Maßstab, an dem wir uns immer wieder mes- sen lassen müssen. Erst nach der Wende und nach der Wiedervereini- gung ist der Weg wenigstens für eine politisch-mora- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lische Rehabilitierung der Heimatvertriebenen in den neuen Ländern frei geworden. Weil sich viereinhalb Wir Deutschen dürfen dankbar sein für das, was in Jahrzehnte später die Probleme von Eingliederung den 50 Jahren seit Kriegsende erreicht werden und Entschädigung ganz anders stellen als Ende der konnte. Aus Trümmern und Ruinen ist der Wieder- 40er und Anfang der 50er Jahre im Westen, läßt sich aufbau mit einem vorher nicht gekannten Maß an heute in den neuen Ländern nicht mehr an die La- wirtschaftlichem Wohlstand und sozialer Sicherheit stenausgleichsgesetzgebung von 1952 anknüpfen. möglich geworden. In Deutschland ist eine stabile Aber mit der Einmalzahlung nach dem Entschädi- Demokratie gewachsen. Die Heimatvertriebenen gungs- und Ausgleichsleistungsgesetz haben wir zu- hatten an dieser Entwicklung einen entscheidenden mindest einen symbolischen Beitrag zur politisch Anteil. Sie haben unser Gemeinwesen wirtschaftlich, moralischen Anerkennung von Unrecht geleistet, das kulturell und politisch wesentlich mitgeprägt. Es ist die Heimatvertriebenen in den neuen Bundeslän- nicht zuviel gesagt: Ohne die Leistung der über dern mehr zu tragen hatten als selbst die, die im We- 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen wäre die sten Aufnahme gefunden hatten. 3190 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Wolfgang Schäuble Zur Wahrheit dieser 50 Jahre gehört auch, daß die Gewalttaten und Verbrechen kennengele rnt hat wie Heimatvertriebenen, ihre Landsmannschaften und kein anderes, daran erinnern, daß davon auch un- ihre Sprecher auch bei uns im Westen von vielen zählige Deutsche betroffen waren und daß zu den über lange Jahre und Jahrzehnte ausgegrenzt und Tätern auch Polen gehörten. Wenige Tage später hat als Revanchisten diffamiert worden sind. der tschechische Ministerpräsident Vaclav Klaus in Furth im Wald erklärt, niemand in Tschechien könne (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Untaten an den ehemaligen deutschen Mitbür- Wenn das heute besser zu werden scheint, dann ist gern ohne Bedauern erwähnen. Ich erwähne auch auch das ein Teil des Guten, was die gemeinsame Er- voller Respekt und Sympathie den Aufruf „Versöh- innerung an den 8. Mai 1945, an die Zeit davor und nung 95", in dem vor wenigen Wochen dafür plädiert danach bewirkt hat. Aber ausgesprochen muß es wurde, daß sich Sudetendeutsche und Tschechen die schon noch werden, weil auch insoweit Erinnern und Hand reichen und einen gemeinsamen Schlußpunkt Wahrheit Voraussetzungen für eine bessere Zukunft unter die Geschichte setzen. sind. Die Zeit, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge reif für Heilung, für Versöhnung. Heilung und Ver- ordneten der F.D.P.) söhnung gibt es aber nur, wenn wir nach vorne, wenn wir in die Zukunft blicken. Wir Deutsche wol- Wir Deutsche haben 1990 unsere Einheit in Frie- len gemeinsam mit unseren Nachbarn im Osten den den und Freiheit wiedererlangt. Das ist ein Geschenk Weg beschreiten in eine Zukunft der Aussöhnung, der Geschichte, an das viele nicht mehr glaubten. Ich der guten Nachbarschaft, der Freundschaft, des Frie- will in dieser Stunde auch dankbar daran erinnern, dens. daß gerade viele Heimatvertriebene einen von vielen oft als unbequem empfundenen Beitrag immer wie- Als 1945 der Zweite Weltkrieg mit all seinen Ver- der unbeirrbar dazu geleistet haben, daß die deut- wüstungen, all seinem Leid zu Ende war, war den sche Frage gegen alle Mutlosigkeit und gegen alle politisch Weitsichtigen im Westen klar, daß sich der- Versuche zur Anpassung offengehalten worden ist. gleichen niemals mehr wiederholen durfte. Es sollte niemals mehr Feindschaft, niemals mehr Krieg zwi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge schen den europäischen Staaten geben. Dieser ordneten der F.D.P.) Gedanke beseelte die Väter des europäischen Eini- Zur Wiedererlangung der deutschen Einheit in gungswerkes. Er wurde zur Grundlage eines zusam- Frieden und Freiheit, zu der die Heimatvertriebenen menwachsenden Europas. also einen wesentlichen Beitrag geleistet haben, ge- Die Vertriebenen haben sich den Europagedanken hörte ebenfalls, daß die Grenze zwischen Deutsch- von Anfang an zu eigen gemacht. Bereits in ihrer land und Polen als endgültig anerkannt werden Stuttgarter Charta von 1950, an die der Bundeskanz- mußte. Niemand sollte den Menschen, die ihre Hei- ler erinnert hat, wurde darauf hingewiesen: mat verloren haben, verdenken, daß sie angesichts dieses Opfers auch heute noch Schmerz, Bitterkeit Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften un- und Trauer empfinden. Aber weil sich das Rad der terstützen, das auf die Schaffung eines vereinten Geschichte nicht zurückdrehen läßt, bleibt die Ent- Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne scheidung von 1990 richtig. Erst wenn über Grenzen Furcht und Zwang leben können. nicht mehr gestritten wird und wenn jeder Zweifel daran beseitigt ist, können sie ihren trennenden Cha- Die Vertriebenen haben das europäische Einigungs- werk von Anfang an als ein Werk des Ausgleichs und rakter verlieren. Wir wollen in Europa nicht- mehr den Verlauf von Grenzen ändern, sondern wir wollen des friedlichen Miteinanders erkannt. die trennende Wirkung von Grenzen beseitigen. Das Der Zusammenbruch des Sowjetimperiums, der ist der bessere Weg für eine Zukunft in Frieden und Fall des Eisernen Vorhangs hat auch die Heimatver- Freiheit. triebenen, ihre Kinder und Enkel ihrer alten Heimat (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wieder ein Stück nähergebracht, weil die Grenzen nicht mehr so trennen. Polen, die Tschechei, die Slo- Indem wir Grenzen öffnen, können wir sie abbauen, wakei und andere Länder Mittel-, Ost- und Süd- und nur so erreichen wir Aussöhnung und Verständi- osteuropas sind auf dem Weg „zurück nach Europa". gung über Grenzen hinweg. Auch sie wollen wieder an die für Jahrzehnte abge- rissene Tradition gemeinsamer europäischer Kultur Die Richtigkeit dieser Politik beweist sich seit 1990 und Geschichte anknüpfen. Damit verbindet sich das zunehmend. Deutsche und Polen, Deutsche und Bekenntnis zu den europäisch-abendländischen Tschechen und Slowaken sind sich nach Jahrzehnten Werten und Überlieferungen, das Bekenntnis zu des Mißtrauens und der Feindschaft nähergekom- Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, das men. Der Zusammenbruch der kommunistischen über Jahrzehnte durch ein auch unmensch liches Herrschaftssysteme in den Staaten Mittel- und Ost- Zwangssystem unterdrückt werden sollte. europas hat auch eine unbefangenere Auseinander- setzung aller mit dem deutschen Vertreibungs- Wir setzen uns nachdrücklich dafür ein, daß unsere schicksal möglich gemacht. Fast auf den Tag vor vier Nachbarn so rasch wie möglich Aufnahme in Europäi- Wochen hat der polnische Außenminister Bartoszew- sche Union und NATO finden. Die jungen Demokra- ski von diesem Platz aus daran erinnert, daß sich ge- tien brauchen unsere partnerschaftliche Hilfe bei der rade die Polen als ein Volk, das die Tragödie von Überwindung der Folgen von Teilung und Diktatur. Zwangsumsiedlungen mit den damit verbundenen So wie Deutschland ohne die Einbindung in Europa, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3191 Dr. Wolfgang Schäuble I in die Atlantische Allianz, in die Wertegemeinschaft im Hinblick auf Pflege von Kultur und Sprache. Der des Westens insgesamt nicht geworden wäre, was es Demokratisierungsprozeß, etwa in Polen, hat für un- heute sein darf, so sind heute Polen, Ungarn, Tsche- sere Landsleute zu erheblichen Erleichterungen ge- chen und die anderen auf die stabilisierende Kraft führt. Sie schöpfen neue Zuversicht. angewiesen, die ihnen nur eine Öffnung nach Eu- ropa und zum Westen gewähren kann. Wir wollen, daß unsere Landsleute auch weiter in ihrer angestammten Heimat bleiben können. Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so wollen helfen, ihre Lebensverhältnisse so zu verbes- wie bei Abgeordneten der SPD und des sern, daß sie do rt weiter eine Zukunft für sich und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ihre Kinder sehen können. Aber die Entscheidung, zu bleiben oder auszusiedeln, müssen die Menschen Teilhabe an einem in Freiheit geeinten Europa, selber treffen. Wer als Deutscher nach Deutschland Mitgliedschaft in der Europäischen Union bedeutet kommen will, für den bleibt auch in Zukunft das Tor auch Verpflichtung auf die Grundfreiheiten, die Eu- offen. ropa seinen Bürgern gewährt. Dazu gehören Freizü- gigkeit und Niederlassungsfreiheit für Bürger ande- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge rer Mitgliedstaaten, aber auch für Deutsche. Warum ordneten der F.D.P.) sollen nicht auch Deutsche eines Tages wieder - so Dies war in der Vergangenheit unsere Posi tion, und sie es denn wollen - in Schlesien oder Böhmen leben dies wird sie auch in der Zukunft bleiben. und arbeiten können? Was wir schaffen wollen, ist ein Europa der Vielfalt, in dem Völker und Volks- Wir haben die Zuwanderung aus dem Osten seit gruppen mit ihren unterschiedlichen Kulturen und Anfang der 90er Jahre auf jährlich rund 200 000 Aus- Traditionen einträchtig zusammenleben können: un- siedler verstetigen können. Das ist nicht zuviel im ter Rückbesinnung auf historische Gemeinsamkei- Vergleich zu den 10 Millionen Deutschen, die in den ten, bei wechselseitiger Achtung und Förderung der ersten Nachkriegsjahren in den Westen kamen und jeweiligen Identität. dort aufgenommen worden sind und sich dort unter so viel schwierigeren Umständen als heute integriert Aussöhnung und Verständigung zwischen den haben, wo wir im Wohlstand und in einem eher über- Völkern Europas muß auch die am härtesten Betrof- perfektionierten Sozialstaat leben. Wir würden uns fenen, die Heimatvertriebenen wie die in ihren Sied- ein Armutszeugnis ausstellen, würden wir von unse- lungsgebieten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa ver- rer Obhuts- und Fürsorgepflicht für jene abrücken, bliebenen Deutschen einbeziehen. die zu uns kommen, weil sie als Deutsche unter Deut- schen leben wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Heimatvertriebenen leisten mit ihren vielfältigen Kontakten zu den Menschen in ihrer alten Heimat, Mit Abstammungsprinzip, Ius sanguinis und der- gleichen, hat dies wenig zu tun. Es geht um etwas die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs enorm aus- anderes: geweitet werden konnten, einen wertvollen Beitrag zu dieser Verständigung und Versöhnung. Dafür ge- (Zuruf des Abg. Freimut Duve [SPD]) bührt ihnen Dank und Anerkennung. Gerade die Heimatvertriebenen sind berufen, Brücken zu unse- Es geht darum, Herr Duve, daß wir in einer Verant- wortungsgemeinschaft für die Vergangenheit stehen ren Nachbarn im Osten zu bauen und Botschafter- der Verständigung und der Aussöhnung zu sein. und deshalb zur Solidarität gegenüber denen ver- pflichtet sind, die an den Folgen von Krieg und Nazi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) herrschaft, von Vertreibung und Deporta tion, von Unterdrückung, Intoleranz und Anfeindung am Für eine Zukunft des Friedens in Europa ist die schwersten zu tragen hatten. Wer es ernst meint mit Lage der Volksgruppen und Minderheiten von ent- der Verantwortungs- und Haftungsgemeinschaft für scheidender Bedeutung. Wir be trachten Minderhei- Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, der kann ten in Europa heute fast überall als Brücke zu unse- sich nicht aus der Solidarität für diejenigen davon- ren Nachbarn und begreifen ihre Identität als Berei- stehlen, die schwerer an den Folgen dieser Vergan- cherung unserer Kultur und als Schlüssel zum Ver- genheit ge tragen haben als sich das die meisten im stehen unserer Nachbarn. Die einzelnen Volksgrup- Westen heute auch nur noch vorstellen können. pen können dieser Rolle um so eher gerecht werden, je weniger ihre kulturellen, sprachlichen, religiösen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und ethnischen Ausdrucksformen behindert werden. Toleranz gegenüber Minderheiten - das ist die Das ist aber nur in einer föderalen Ordnung möglich, eine Lehre, die Europa aus den Schrecknissen der in einer Ordnung, in der der Staat nicht in alle Le- Vergangenheit ziehen muß. Das bedingungslose Ein- bensbereiche eingreift, sondern die Autonomie lo- treten für die Menschenrechte ist eine zweite Lehre, kaler und regionaler Gemeinschaften respektiert. die es zu ziehen gilt. Das „Principiis obsta", das „Wehret den Anfängen", ist die dritte Lehre. Was die Lage der deutschen Minderheiten in Po- len, Tschechien, Ungarn, Rumänien und anderswo Mitten in Europa, eine Stunde Flugzeit von uns im Osten Europas anbelangt, hat sich seit 1989 für entfernt, werden heute wieder Städte und Dörfer zer- unsere Landsleute vieles verbessert - im Hinblick auf stört, werden unschuldige Menschen terrorisiert und Rechtsstellung und politische Vertretung ebenso wie getötet, aus ihrer Heimat vertrieben. Im ehemaligen 3192 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Wolfgang Schäuble Jugoslawien ereignen sich vor unser aller Augen hen. Das ist das Beste, was wir tun können, wenn wir Dinge, von denen wir geglaubt haben, daß sie we- unsere Vergangenheit - im Guten wie im Bösen - als nigstens bei uns in Europa längst der Vergangenheit Erbe und Auftrag begreifen. Diesem Auftrag wollen angehören, die wir niemals mehr dulden wollten. wir uns stellen.

Niemanden kann die große Not, das Leiden und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Verzweiflung der Menschen ungerührt lassen. Es ist wirklich beschämend, daß wir mehr oder weniger Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht hilflos zusehen müssen, wie auf dem Balkan die die Kollegin Dr. Antje Vollmer. Menschenrechte mit Füßen ge treten werden und daß die Völkergemeinschaft bei ihrem Versuch, schlich- Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tend einzugreifen und Gewalttaten zu verhindern, in Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es unerträglicher Weise vorgeführt wird. Das muß ein stimmt: Die Vertreibungen gehören zu den großen Ende haben. Traumata dieses Jahrhunderts. Die ethnischen Säu- berungen, das Vertreiben der Menschen, die doch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so einmal Nachbarn waren, standen am Anfang der wie bei Abgeordneten der SPD und des größten Verbrechen, die dieses Jahrhundert prägen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wie kein anderes zuvor. Es kennzeichnet eine Epo- che großer Seelenverfinsterungen, die keine Tole- Die Erfahrung der NS-Vergangenheit lehrt uns, ranz, keine kulturelle Symbiose, keine friedliche daß Unrecht nur verhindert werden kann, wenn man Nachbarschaft der Völker mehr ertrug. Was ist da ihm rechtzeitig entgegentritt. Menschenwürde, Frie- bloß passiert? den und Freiheit sind nichts Naturgegebenes. Sie müssen immer wieder von neuem verteidigt werden. Die Uridee der europäischen Stadtkultur war Viel- Frieden und Freiheit gibt es nicht zum Nulltarif. Des- falt, war das Nebeneinander der Regionen, die halb dürfen auch wir Deutsche unseren Beitrag zur fruchtbare Kreativität einer Mischung verschiedener gemeinsamen Sicherung von Frieden und Freiheit Kulturen. Was hat die Menschen dazu gebracht, das nicht verweigern. für jene Wahnidee aufzugeben, ein Volk und eine Bevölkerung sei nur mit sich selbst und ihresgleichen Wenn uns der Weiterbau Europas zu einem geein- am glücklichsten, allein auf unendlichem Raum? ten Kontinent nicht gelingen sollte, dann wird der Krieg auf dem Balkan vielleicht nicht der letzte in Eu- Die Wurzeln dieser Allmachtsphantasien reichen ropa gewesen sein. Also müssen wir jetzt, gerade ins 19. Jahrhundert zurück, in die Phase der ver- jetzt Europa weiterbauen - mutig, entschlossen, schärften nationalen Konflikte unter den europäi- durch Rückschläge und Widerstände unbeirrbar. Wir schen Mächten, die alle gleichzeitig nach Expansion müssen die Europäische Union zur einer wirk lichen und Weltgeltung strebten. Auch das Massenschick- politischen Union weiterentwickeln. Wie soll denn sal gehört dazu, das ganze soziale Schichten in den sonst der Gedanke der europäischen Einheit die großen Modernisierungswellen des Industrialismus Menschen überzeugen können, wenn dieses Europa in gewaltige Existenzkrisen stürzte. Aber der Gipfel nicht in der Lage ist, Krieg mitten in Europa zu ver- dieser tödlichen Obsessionen, die kalte und künstli- hindern? che Konstruktion der menschlichen Gemeinwesen nach den Gesetzen der Monokultur, war Adolf Hitler und den deutschen Nationalsozialisten vorbehalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.- so- wie bei Abgeordneten der SPD) Alles, was dieser Größenwahn anfaßte, wurde zu nichts: vernichtet die Bürgergesellschaften mit ihren Ich bin sicher, der europäische Weg ist der richtige sensiblen kulturellen und wirtschaftlichen Gleichge- Weg in die Zukunft. Der europäische Weg ist der wichten; zerstört die traditionsreichen europäischen Weg zur Rückkehr der rückkehrwilligen Deutschen Städte mit ihrem Völker- und Sprachengemisch; in ihre alte Heimat. Der europäische Weg ist der Weg überrollt auch der erste hoffnungsvolle und so stolze zur Verwirklichung der Minderheitenrechte, auch für Versuch der jungen Demokratien in der Tschechoslo- die dort noch lebenden Deutschen. Der europäische wakei, in Polen, in den baltischen Staaten. Weg ist der Weg zur Stärkung regionaler Zusammen- schlüsse über Grenzen hinweg, zwischen Deutschen Wer aber von Verlust und Trauer über all das redet, und Polen, zwischen Deutschen und Tschechen und was damals vernichtet wurde, der muß immer und Slowaken. Der europäische Weg ist der Weg zur Aus- zuerst über die Vertreibung der Juden aus ganz Mit- söhnung der Völker, zur Zusammenarbeit, zum Frie- teleuropa reden. den. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Am Ende dieses Jahrhunderts, das von so viel Leid, Tod und Zerstörung begleitet war, eröffnet sich für Weil das so ist, ist auch der erste und wich tigste unseren alten Kontinent die Aussicht auf eine friedli- Satz beim Gedenken an die verlorenen Heimaten che Zukunft in einem geeinten Europa. Wir können der, daß es die jüdischen Stadtviertel nicht mehr ge- alte Gegensätze und Teilungen überwinden. Die ben wird, nie wieder das jüdische Stettl, nie wieder Heimatvertriebenen haben dazu einen großen Bei- die jüdischen Kulturen in Böhmen und Galizien. Al- trag geleistet. Dafür danken wir ihnen. Wir wollen les, was dieser Hitler angepackt hat, Menschen, Völ- den Weg der Aussöhnung und der Einheit weiterge- ker und Kulturen, hat er zu Asche, Staub und Lei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3193 Dr. Antje Vollmer chenbergen gemacht. Ein Zufall ist es keineswegs, Sie beginnen sich Stück für Stück aus den Minder- daß genau diese Radikalität und diese gigantomani- wertigkeitsgefühlen gegenüber den glücklicheren sche Monokultur einen Ideologen wie Stalin so sehr Einheimischen zu befreien, ringen denen einen La- fasziniert hat, daß die beiden Regime fast zu schwar- stenausgleich ab, schlucken den Groll über die A ll zen Zwillingen wurden. -tagsdemütigungen herunter, vertrauen auf ihre ei- gene Kraft und werden damit zum eigentlichen Mo- Mit dem Tod Hitlers und mit dem Zusammenbruch tor einer gewaltigen sozialen, wirtschaft lichen und des Nationalsozialismus hatte das Vertreiben noch kulturellen Modernisierung ihrer ganzen Umge- kein Ende. Das gerade macht es für uns zum Gegen- bung. wartsthema - bis zur bosnischen Tragödie. Zwischen 1945 und 1989 - da könnte vielleicht auch die rechte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Seite des Hauses einmal zuhören - war die Vertrei- und bei der SPD) bung ein Thema, das die politische Welt fein säuber- lich in Lager trennte. Es war vor allem ein innenpoli- Im Rückblick wurde es dann doch noch zu einem tisches Thema, ein Kampfthema. Glücksfall: Wahrscheinlich ist damals mit der er- Für die Konservativen markierte es das Terrain ei- zwungenen Völkerwanderung und der geglückten ner stabilen Stammwählerschaft von großer nationa- kulturellen Integra tion der Grundstein für jene mul ti ler Treue und Verläßlichkeit. Für die politische Linke -kulturelle und liberale Gesellschaft gelegt worden, war es weitgehend ein Tabuthema, besetzt von ver- die die alte Bundesrepublik so liebenswert und so of- meintlich Ewiggestrigen, die partout die gerechte fen gemacht hat. Strafe der Geschichte über die deutsche Gewaltherr- Das war nämlich nicht angelegt in den deutschtü- schaft nicht akzeptieren wollten. Auch dieses Weg- melnden, dumpfen Nazigesellschaften. Das war ein sehen - das möchte ich heute sagen - war kein Prozeß, der ein Moment vom jungen Amerika hatte. Ruhmesblatt in der Aufarbeitung historischer Wahr- Menschen, denen das Schicksal keine großen Erb- heiten, obwohl es auch seine Gründe hatte, Herr schaften und keine traditionsreichen Heimaten in Schäuble. Auch Sie wissen, daß es in diesem Milieu den Schoß warf, können zu Zeiten ein unglaubliches massive rechte und radikale Kräfte gegeben hat. Vertrauen in die eigene Kraft und eine erstaunliche Aber das Wegsehen war auch mitleidslos gegen- Kreativität entwickeln, mit teilweise erstaunlichen über den Menschen, die ohne Schuld wiederum Op- Karrieren. Nicht wahr, ? fer von Gewalterfahrungen wurden. Das war noch nicht einmal politisch besonders klug; denn Heimat- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ vertriebene sind nicht per se als Besitzstand irgendei- DIE GRÜNEN]: Ja! Ja!) nes politischen Lagers geboren. Soviel zur Vergangenheit. Nein, beide Interpretationen wurden letztendlich dem Einzelschicksal und der Vielfalt der Biographien Kommen wir zur Gegenwart. Seit 1989 ist eines nicht gerecht. klar: Das letzte Wort zum Thema Vertriebene ist noch nicht gesprochen. Daß es aber drei konservativen Re- So unvollkommen und interessengeleitet auch im- gierungen - in Bonn, in Prag und in München - nicht mer das Problem der Vertreibung begriffen wurde, gelingen will, ein paar vergleichsweise kleine Ge- im Alltag und in der Praxis der jungen Bundesrepu- genwartsprobleme zu lösen, das kann doch wohl blik fand ein lautloses Integrieren und Assimilieren nicht wahr sein! statt. Das war tatsächlich eine gewaltige soziale Inte- grationsleistung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das begreift man erst angesichts der großen innen- sowie bei Abgeordneten der SPD) politischen Spannungen bei der Integration der Ein- Eine Lösung zeigt auch nicht der ziemlich karge Ab- wanderer in die heute doch so viel reichere Gegen- satz, den Sie, Herr Bundeskanzler, den Problemen wartsrepublik. Das begreift m an auch angesichts der mit den Tschechen gewidmet haben. erheblichen Spannungen und Irritationen im Prozeß der deutschen Einheit. Es geht um den Wiederaufbau jener europäischen Es war wirklich erstaunlich: Ein zerstörtes L and mit Bürgergesellschaften der Toleranz, der kulturellen seiner zerschlagenen, schuldbeladenen Nachkriegs- Symbiose und der friedlichen Nachbarschaft der Völ- bevölkerung schaffte keine Flüchtlingslager und ker, und es geht um die Versöhnung mit unseren un- keine landsmannschaftlichen Gettos, sondern inte- mittelbaren Nachbarn im Osten, vor allem mit den grierte 12 Millionen Flüchtlinge und Heimatvertrie- Tschechen, den Slowaken und den Polen. bene. Hier haben die Vertriebenen durch eine Gunst Auch umgekehrt: 12 Millionen Vertriebene grün- der Stunde eine einmalige Schlüsselrolle. Sie den keine militanten Freikorps, die sich an den Ge- können den Weg frei machen, aus den alten Fesseln fühlen der Gekränkten und Zukurzgekommenen von Vergangenheitsansprüchen, elenden Junktims mästen. Sie gründen auch keine Untergrundarmee. und Wenn-aber-Erklärungen herauszukommen. Sie Sie wurden nicht zum sozialen Sprengstoff - wie Sta- könnten sogar Geschichte machen, Herr Dregger. lin es wollte -, sondern sie verzichteten früh auf Ra- Aber das geht nur jetzt, nicht irgendwann. Sonst che und wurden damit zu etwas wie sozialem Sauer- droht nämlich diese Geschichte über sie hinwegzu- teig. gehen. Das klingt hart, aber, ich glaube, es ist wahr. 3194 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Dr. Antje Vollmer Für die Versöhnung mit unseren unmittelbaren Deswegen ein konkreter Vorschlag - auch weil wir Nachbarn im Osten haben wir schon viel Zeit verlo- uns in dieser Woche zwischen zwei großen Treffen ren, fast ein halbes Jahrhundert. Niemand sollte der Heimatvertriebenen befinden -: Aus diesem diese Zeit um weitere nutzlose Jahre verlängern. Haus sollte und muß ein Appell an das Sudetendeut- Niemand hat ein Recht dazu. sche Treffen am Pfingstwochenende ausgehen. Er muß lauten: Schlagen Sie diese Chance für das rich- An dieser Stelle ein Wo rt zu dem für die Vertriebe- tige Wort zur richtigen Zeit nicht aus! Verzichten Sie nen so wichtigen Recht auf Heimat, so wie ich es am endlich auch öffentlich auf verunsichernde Beiträge, letzten Wochenende interpretiert gehört habe. Ja, es auf unrealistische Eigentumsansprüche, von denen stimmt: Menschen brauchen eine Heimat so wie Brot Sie alle genau wissen - das äußern Sie in p rivaten und Luft zum Atmen und Freiheit. Wenn aber das Gesprächen auch -, wie unerfüllbar sie sind! Erken- Recht auf Heimat als immerwährender materieller Ei- nen Sie an: Nicht jene sind Ihre Freunde, die Ihnen gentums- und Wiedererstattungsanspruch verstan- weiterhin schöne, illusionäre Versprechen machen, den wird, wenn das Recht auf Heimat für Enkel und die sie doch nicht halten werden und auch gar nicht die Kinder der Enkel reklamie rt wird, die längst in halten können! So sind nämlich die Realitäten. anderen Heimaten geboren wurden, wenn das Recht auf Heimat nicht anerkennt, daß in den ehemaligen In der Wahrheit leben heißt auch, in der real exi- deutschen Gebieten heute neue Heimatrechte ent- stierenden Gegenwart mit ihren politischen Möglich- standen sind, die auch berücksichtigt werden müs- keiten und ihren politischen Fesseln anzukommen. sen, dann liegt kein Segen darauf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und bei der SPD) bei der SPD und der PDS) Die Zukunft ist zu kostbar, als daß wir weiterhin in Dann würde es selbst zum zerstörerischen Moment vergangenheitsbezogenen Luftschlössern leben und für die Zukunftsperspektiven der nächsten Genera- darin alte Gespenster füttern dürften. tionen. Es ist gerade das Problem, daß es dieses stati- sche, ewige, immerwährende gleiche Heimatrecht so Meine Damen und Herren, nach allem, was Eu- nicht geben kann. ropa erlebt hat, haben wir heute wieder eine große, ja, eine einmalige Chance, eine neue mitteleuropäi- Ganz konkret zum Thema Recht auf Heimat: Herr sche Kultur aufzubauen, die in der f riedlichen Nach- Bundeskanzler, da sind Sie diesem Parlament noch barschaft vieler großer und kleiner neuer Demokra- eine Erklärung schuldig. Im Mai 1991 hatte Präsident tien begründet ist. Wenn es uns dann gelänge, diese Havel Ihrer Regierung die erleichterte Erlangung neue mitteleuropäische Kultur aufzubauen, die wie- ) der Staatsbürgerschaft für die ehemaligen Bürger der an den Gesetzen der Toleranz, der kulturellen der Tschechoslowakischen Republik angeboten. Da- Symbiosen orientiert ist, dann könnte sie vielleicht mals gab es noch eine Mehrheit für dieses Angebot das eine oder andere Mal doch noch an das alte Eu- im tschechoslowakischen Parlament; damals gab es ropa erinnern, das es vor den großen Vertreibungen dort noch die doppelte Staatsbürgerschaft. einmal gegeben hat.

Die Bedingungen für wirklich Rückkehrwillige wä- Ich danke Ihnen. ren damals, im Mai 1991, glänzend gewesen. Bis heute habe ich weder von Ihnen noch vom Außenmi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nisterium eine stichhaltige Erklärung gehört, warum und der SPD) die Bundesregierung auf diesen Vorschlag nicht ein- mal eingegangen ist. Oder war es die reine Ironie der Geschichte, daß es in diesem Fall Deutsche gewesen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort nimmt wären, die eine doppelte Staatsbürgerschaft drin- jetzt unsere Kollegin Ina Albowitz. gend angestrebt hätten?

Es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Präsident Havel Ina Albowitz (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Da- hat sich 1989 für die Vertreibung der deutschen Mit- men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! bürger aus der Nachkriegstschechoslowakei ent- Die Menschen in der Bundesrepublik, im Osten und schuldigt. Alle führenden Politiker der Tschechi- im Westen Europas haben Sehnsucht nach Frieden, schen Republik reden in dieser Frage mit einer die Bürger in Frankreich oder in Belgien genauso Stimme und sind zu großen politischen Schritten be- wie in Polen oder der Tschechischen Republik. Die reit, allerdings nur, wenn Sie nicht die eigentliche Tatsache der Vertreibung von Millionen Deutschen staatliche Existenz und den sozialen Frieden in die- aus ihrer mittel- und osteuropäischen Heimat am ser Republik gefährden, was doch selbstverständlich Ende des Zweiten Weltkrieges zwingt uns allerdings ist; niemand von Ihnen würde anders handeln. heute dazu, hier nicht auf der Basis geschichtswis- senschaftlicher Forschung zu diskutieren, sondern Die deutsche Politik hat keine Ausrede mehr dafür, ihre ganz persönlichen Schicksale ganz konkret vor jetzt nicht ihrerseits das Richtige zu tun, und zwar Augen zu haben. schnell, um das Verhältnis zwischen den Deutschen und den Tschechen so zu gestalten, daß die nächste Sie wollten und sie wollen nach 1945 ein neues Generation damit endlich wieder Zukunftspolitik ma- Zeitalter beginnen und nicht in regelmäßigen Ab- chen kann. ständen Kriege miteinander führen, weder mit Waf- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3195

Ina Albowitz fen noch mit Worten. Sie wollten und sie wollen fried- der letzten Woche die Vertreibung von Menschen liche Initiativen entfalten, damit sie, ihre Kinder und aus ihrer Heimat als völkerrechtswidrig bezeichnet Enkelkinder miteinander in einem dauerhaft friedli- und das Recht, nicht aus der Heimat vertrieben zu chen Europa leben und arbeiten können. werden, als fundamentales Menschenrecht definiert.

(Beifall bei der F.D.P.) Es besteht kein Zweifel daran, daß den Völkern Zentral- und Mitteleuropas unter nationalsozialisti- Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: Auch der scher Besetzung und im Rahmen der menschenver- längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. In den achtenden Ideologie der Nazis unglaubliches Leid vergangenen 50 Jahren sind viele Schritte gemacht zugefügt worden ist. Die schmerzlichen Folgen aus worden, große und kleine, kurze und l ange. Manch- Vertreibung und Flucht, die 12 Millionen Deutsche mal ging es gut und manchmal weniger gut voran, getroffen haben und in deren Verlauf ca. 2 Millionen manchmal trat man auch auf der Stelle. Menschen zu Tode kamen, haben auf beiden Seiten Das politische Schicksal Deutschlands nach dem tiefe Wunden gerissen, die lange Zeit die Versöh- Zweiten Weltkrieg wollte es, daß wir die Aussöh- nung zwischen den Völkern erschwert haben. nung mit dem Westen angehen und verwirklichen konnten, lange bevor uns dies mit unseren Nachbarn Zu einer Versöhnung gehört aber auch die Fähig- im Osten möglich war. Nach den gewaltigen politi- keit der Menschen, sich zu verzeihen. Es braucht schen Umwälzungen in Osteuropa ist jetzt, in der seine Zeit - wir haben dies nicht zu kritisieren -, bis letzten Dekade des 20. Jahrhunderts, die Zeit ge- sich diese persönliche Fähigkeit, bis sich die Kraft kommen, mit großer Energie, am besten mit großen und die Souveränität dazu herangebildet haben. Ge- festen Schritten die letzten Stolpersteine auf dem rade für den besonders empfindlichen Bereich des Weg der Beziehungen zu den Staaten Osteuropas zu Umgangs mit geschehenem Unrecht durch Kriege beseitigen. und ihre Auswirkungen muß gelten, daß sich keine Seite in den Teufelskreis aus Rache und Vergeltung (Beifall bei der F.D.P.) begibt. Der Beitrag der Heimatvertriebenen zum Wieder- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne aufbau in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ten der CDU/CSU) ist unbestreitbar und auch unbestritten. Ohne sie hätten der Wiederaufbau und auch unser Wirt- Man darf nicht Leid gegen Leid und Unrecht ge- schaftswunder so nicht stattgefunden. Zwölf Millio- gen Unrecht aufrechnen. Man darf nicht aus - viel- nen Heimatvertriebene mußten sich einer enormen leicht menschlich sogar verständlicher - Verbitterung Herausforderung stellen. Die Bewertung der Lei- über das eigene Schicksal die Chancen verpassen, stung, die die Heimatvertriebenen vollbracht haben, die eine sich wandelnde Welt den Völkern bietet. kann aber nicht nur unter politischen Gesichtspunk- Man darf nicht kalkulierend oder buchhalterisch ten erfolgen. eine Atmosphäre der Vorleistungspflichten konstru- ieren. Die psychologischen Aspekte sind beachtlich. Da waren Menschen, die entweder alles verloren hatten Bei einer Bewertung der Politik der Vertriebenen- oder nur einen geringen Teil ihrer Habe retten konn- verbände im Nachkriegsdeutschland erkennen wir ten. Sie mußten noch einmal ganz von vorn anfan- an, daß' sie vor dem Hintergrund des anhaltenden gen, und das oftmals ohne ihre im Krieg zu Tode ge- Schmerzes über den Verlust der Heimat ernsthafte kommenen Angehörigen. Und sie leisteten- einen Anstrengungen unternommen haben, die Aussöh- entscheidenden Beitrag bei der Wiedererrichtung nung mit unseren mittel- und osteuropäischen Nach- von Politik und Gesellschaft, von Wirtschaft und In- barn voranzutreiben. Ein Riesenschritt in Richtung dustrie in einem von einer Diktatur geschundenen einer Normalisierung zwischen den Völkern war die Land. „Charta der Vertriebenen" aus dem Jahre 1950 mit ihrer Erklärung des „Verzichts auf Rache und Ver- Welche Lehren sind 50 Jahre danach aus dem gro- geltung" sowie mit der Festschreibung eines dauer- Ben Leid, aus dem Schicksal von Vertreibung und haften Friedens in Europa. Flucht, aus dem Verlust der Heimat und der jahr- zehntelang gelebten sozialen Bindungen zu ziehen? (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) In vielen Reden und Aufsätzen zum 50. Jahrestag des Kriegsendes stand und steht ein Gedanke immer Aber zur Wahrheit gehört ebenfalls: Es gab auch wieder im Vordergrund: Die Vertreibung kann nicht Felsbrocken auf der Straße zur Aussöhnung. Die isoliert be trachtet werden, sondern sie ist eine Folge starre Haltung der Vertriebenenverbände zu den des von Hitlerdeutschland vom Zaune gebrochenen Ostverträgen Anfang der 70er Jahre hatte zu einer Zweiten Weltkrieges. Letztlich ist sie eine Folge der Verschärfung des politischen Klimas in Deutschland, Machtergreifung der Nazis im Jahre 1933. aber auch zur Verstimmung bei unseren Nachbarn im Osten geführt. Die Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten im Osten als Reaktion auf das Unrecht, das von (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutschland durch die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges verübt wurde, ist Unrecht. Der UN- Ebenso war das Motto des Schlesiertreffens im Jahre Hochkommissar für Menschenrechte, Ayala Lasso, 1985 eine Belastungsprobe, wo mit dem letztendlich hat im Grußwort an den Bund der Vertriebenen in nur widerwillig geänderten Spruch „Schlesien bleibt 3196 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Ina Albowitz unser" längst geschlossen geglaubte Gräben wieder Im neuen europäischen Staatengefüge brauchen aufzubrechen drohten. wir europäische Lösungen, um den Herausforderun- gen der Zukunft gerecht zu werden. Europa wird (Freimut Duve [SPD]: Hört! Hört!) wirtschaftlich keinen Bestand haben, wenn es nicht Aber Veränderungen in Osteuropa nach 1989 ha- auf vielfältige Art zusammenwächst. Nur ein in Frie- ben zu einem neuen Klima von Freiheit, Toleranz den geeintes Europa kann die Wettbewerbsfähigkeit und Verständnis im Umgang der Völker miteinander gegenüber der gesamten Welt erhalten. Die Umwelt- geführt. Die Öffnung der Grenzen hat auch eine Öff- probleme machen an keiner Grenze halt und brau- nung und Hinwendung der Menschen zueinander chen europäische Lösungen. Es gibt keine na tionale mit sich gebracht. Diese Haltung hat auch die Ver- Energiepolitik mehr, weil alle aufeinander angewie- triebenenverbände erfaßt. sen sind. Das betrifft die Sicherheit der Kernkraft- werke ebenso wie die Kohle- und Stromversorgung (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne und die Gas- und Ölkapazitäten. Eine Verkehrspoli- ten der SPD - Cornelia Schmalz-Jacobsen tik oder moderne Informations- und Kommunikati- [F.D.P.]: Das ist wahr!) onssysteme und -netze auf na tionale Grenzen ein- zuengen ist undenkbar. Anläßlich der Gedenkstunde in Frankfu rt am letz- ten Sonntag sagte der Vorsitzende des Bundes der Europa wird es aber nur geben, wenn ethnische Vertriebenen, unser ehemaliger Kollege Wittmann: und nationale Egoismen oder religiöse Intoleranz be- endet werden. Das große Aufbauwerk in Osteuropa bietet ge- nug Arbeit für gemeinsame Leistungen, in der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gegenseitiges Vertrauen wachsen kann für ein friedliches Nebeneinander. Unser positiver Beitrag ist - in a ller Bescheidenheit - die Chance, die Menschen in Europa zusammenzu- Die dort aufgestellte Forderung, daß die junge Gene- führen. Wir sollten sie nutzen. ration die Konsequenzen des friedlichen Zusammen- lebens ziehen solle, unterstütze ich aus vollem Her- Meine Damen und Herren, der Bund der Vertrie- zen. benen hat mehrmals zur Verständigung mit Osteu- ropa aufgerufen. Der deutsch-polnische Nachbar- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne schaftsvertrag aus dem Jahr 1991 hat sich bewäh rt; ten der CDU/CSU und des Abg. Freimut das deutsch-polnische Verhältnis entspannt sich zu- Duve [SPD]) sehends, seit wir wieder die Möglichkeit haben, nach Osteuropa zu reisen. Natürlich sind nicht alle Wir sind froh, daß die Vertriebenenverbände ihren Schwierigkeiten ausgeräumt. Dies konnte man, Blick auf die Zukunft richten. glaube ich, auch so schnell nicht erwarten. Wenn auch mit Polen die meisten der gravierenden Pro- Auch bei unseren östlichen Nachbarn gibt es er- bleme aus der Welt geschafft sind, bleibt noch eini- mutigende Signale für eine Normalisierung des Ver- an pflegen, um sie hältnisses. Die Bewertung der Beziehungen zwi- ges zu tun. Freundschaften muß m zu bekommen, aber vor allem, um sie zu erhalten. schen unserem Land und unseren Nachbarn im Osten kann und muß sich an den bedeutungsvollen Meine Damen und Herren, mit großer Sorge be- Äußerungen des tschechischen Präsidenten Havel trachten ich und meine Fraktion die Frage unseres und des polnischen Außenministers Bartoszewski Verhältnisses zur Tschechischen Republik. Es ist ein ausrichten. Sie haben mit ihren großherzigen- Gesten schwieriges Thema. Nach Ansicht des tschechischen den Weg in Richtung von Versöhnung und Verzeihen Botschafters in Bonn ist es „keine juristische und fi- gewiesen. An ihren Äußerungen kann man ermes- nanzielle, sondern schon fast eine psychotherapeuti- sen, wie sehr sich die Verhältnisse in den letzten Jah- sche Frage" . In der Tat ist es durch die Schatten der ren gewandelt haben. Unsere Partner in Mittel- und Vergangenheit immer noch belastet. Wir wissen, daß Osteuropa sind heute demokratisch gewählte Regie- die Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrages rungen und Parlamente, die eine intensive Zusam- vom Februar 1992 nicht alle offenen Fragen gelöst menarbeit mit uns wünschen. hat. Ein zusammenwachsendes Europa unter Einschluß Ich stelle fest: Es gibt auf beiden Seiten, auf tsche- der Staaten Osteuropas schafft die Voraussetzungen chischer und auf deutscher, immer noch Schwierig- für eine weitgehende Beseitigung der Kriegsfolgen keiten, normal miteinander umzugehen. Auch hier im zwischenstaatlichen Bereich. Ich finde diese Ent- spielen subjektives Empfinden und das eben schon wicklung beeindruckend; sie weckt Hoffnungen und angesprochene Verzeihen eine große Rolle. Wer aber erfüllt Träume. Ein geeintes Europa mit seinen Mög- legt fest, wie schnell oder langsam, wie leicht oder lichkeiten an Freizügigkeit und Niederlassungsfrei- schwer jemand die Greuel von Krieg und Besatzung, heit gibt uns die Chance, weg von territorialem Den- von Willkürherrschaft und Unterdrückung oder auch ken und hin zu einer Neudefinition von Heimat als von Flucht und Vertreibung vergessen und vergeben dem Ort des Wohlbefindens ohne Vertreibungsangst kann? zu kommen. Noch vor einigen Jahren, in den Zeiten der Blockbildung, des Eisernen Vorhangs, des Ost- Der tschechische Premierminister Klaus hat bekräf- West-Vergleichs, in den Zeiten staatlicher Unverein- tigt, daß die Vertreibung der Sudetendeutschen aus- barkeiten und gegenseitiger Berührungsängste, war drücklich zu bedauern sei. Wer die tschechische das undenkbar. Seele ein wenig kennt, weiß, was das für ein großer Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3197 Ina Albowitz Schritt auf dem Wege zur Versöhnung gewesen ist. und Angst voreinander zu haben, ist für mich ein Doch auch hier wirkt die Vertreibungsproblematik wunderbarer Gedanke. noch nach, und unser Verhältnis ist noch nicht span- nungsfrei. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU und des Abg. Joseph Fi Dennoch, meine Damen und Herren: Wir sind auf scher [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ einem guten Wege. Die Antwort der Bundesregie- NEN]) rung vom September 1994 zur Entwicklung des Meine Damen und Herren, es gibt auch heute deutsch-tschechischen Verhältnisses zeigt ja beein- noch überall auf der Welt dramatische Krisenherde druckend auf, in wie vielen Bereichen es inzwischen und Orte offener Aggression, wo sogenannte ethni- eine beiderseits fruchtbringende Zusammenarbeit sche Säuberungen und Vertreibungen von Men- gibt. Dies gilt für die Erleichterungen beim Reise- schen aus ihrer angestammten Heimat an der Tages- und Fremdenverkehr und für den Ausbau von Kom- ordnung sind. Wir Deutschen hatten die Gelegenheit munikationsverbindungen. Maßnahmen im Geflecht und die Chance, aus unseren Fehlern und deren Fol- der europäischen sicherheits- und abrüstungspoliti- gen zu lernen. Wir sollten ein gut Teil unserer Kraft, schen Strukturen gehören ebenso dazu wie der Wa- unseres politischen Einflusses und unseres Wollens renverkehr und gegenseitiger Sprachunterricht. Der darauf verwenden, solchen Entwicklungen in Europa Pflege des Kulturguts gebührt ein besonderer Stel- und weltweit entgegenzuwirken. lenwert. Ich danke Ihnen. Nichtstaatliche Organisationen in beiden Ländern (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne wie Parteien, Gewerkschaften, Kirchen oder Spo rt ten der CDU/CSU, der SPD und des BÜND -verbände pflegen unmittelbare Kontakte und Zusam- NISSES 90/DIE GRÜNEN) menarbeit. Ich würde mir wünschen, daß sich das deutsch-tschechische Verhältnis durch p rivate Kon- takte der Menschen auf Reisen, durch verstärkte Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht Städtepartnerschaften oder gemeinsame Initiativen die Abgeordnete Ulla Jelpke. bald genauso gut entwickelt, wie es uns bei den deutsch-französischen Beziehungen genau durch Ulla Jelpke (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen diese Initiativen vorgemacht worden ist. und Herren! Es ist schwer zu ertragen, mitzuerleben, wie heute von der Bundesregierung und den Funk- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne tionären der Sudetendeutschen Landsmannschaft ten der CDU/CSU und der SPD) mit dem sogenannten Dialog zwischen Tschechen und Sudetendeutschen umgegangen wird. Diese Der tschechische Botschafter, um ihn noch einmal Dialogbereitschaft ist offenbar allerorten anzutreffen, zu zitieren, schätzt die Chance für eine Aussöhnung angeblich sei Bewegung in die deutsch-tschechi- zwischen den Deutschen und den Tschechen als schen Beziehungen geraten, egal ob im Münchner „deutlich verbessert" ein. Ich hoffe und wünsche bei- Domizil der Sudetendeutschen Landsmannschaft, bei den Ländern, daß er recht hat. Eines möchte ich aller- der bayerischen Landesregierung oder bei der Bun- dings ganz klar sagen: Um dieses Ziel zu erreichen, desregierung. Selbst der knallharte Rechtsextremist brauchen wir eine schnelle und angemessene Lö- aus dem Witikobund führt zuerst das Wort „Dialog" sung für die noch nicht entschädigten NS-Opfer. im Mund, bevor er zum eigentlichen Kern seines re- - vanchistischen Anliegens kommt. (Beifall bei der F.D.P., der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab Der Sachverhalt ist klar: Es geht nicht um die zur geordneten der CDU/CSU) Schau gestellte Bereitschaft zum Dialog, sondern es geht um die Grundlage, auf der man den Dialog füh- Hier darf keine Zeit mehr verloren werden. Ich halte ren will. Und da hat sich meines Erachtens auch nach es für ebensowichtig, die Sudetendeutschen in die der bisherigen Debatte heute nicht viel Neues erge- Lösungsüberlegungen einzubeziehen, ohne daß hier ben. Die Bundesregierung hält nach wie vor in un- ein Junktim bestünde. verschämter Weise daran fest, daß sie die Entschädi- gung der tschechischen NS-Opfer mit einer Entschä- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne digung der Vertriebenen verknüpft. ten der SPD) Dies ist der tatsächliche Skandal. Auch 50 Jahre Ein gern gebrauchtes Zitat deutscher Außenpolitik nach der Befreiung vom Faschismus ist die Bundesre- der letzten Jahre heißt: Nichts ist so stark wie eine gierung nicht willens, vorab und ohne jegliche Be- Idee, deren Zeit gekommen ist. Die Zeit für den gro- dingungen die tschechischen Opfer der Nazibarbarei ßen, vielleicht für den letzten Brückenschlag ist ge- zu entschädigen. Es ist geradezu eine Verhöhnung, kommen. Wir sollten die schwierigen Schritte, die auf wenn Außenminister Kinkel in der Debatte am diesem Weg noch vor uns liegen, gemeinsam gehen. 17. März 1995 erklärte, der Bundeskanzler und er be- mühten sich „wahrhaftig und mit großem E rnst um Sich heute schon vorzustellen, wie nach der voll- eine Lösung". Tatsache ist vielmehr, daß die Lösung ständigen Beseitigung aller Probleme, die wir noch nach wie vor ausgesessen wird. Tatsache ist weiter, haben, Deutsche und Tschechen gemeinsam in ei- daß auch heute weiterhin von einer Gleichartigkeit nem Beisel in Pilsen oder in Radeberg sitzen und der Kriegspolitik des NS-Staates und der Befreiung feststellen, wie dumm es war, jahrelang Mißtrauen ausgegangen wird. 3198 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Ulla Jelpke Nicht nur in diesem Punkt ist der Gleichklang zwi- Vor diesem Hintergrund ist die Lobhudelei durch schen Bundesregierung und Vertriebenenfunktionä- die Bundesregierung makaber. Mehr noch: Die Pres- ren unüberhörbar. Der Sprecher der Sudetendeut- semeldungen der letzten Tage sind voll davon, daß schen Landsmannschaft, Neubauer, formuliert diese die Bundesregierung selber Angst davor hat, daß die Maxime bundesdeutscher Politik so: Es müsse eine Vertriebenenfunktionäre mit ihren einschlägig be- „gleichwertige Entschädigung für deutsche Opfer kannten revanchistischen Parolen die gegenwärtigen gleichartiger Gewalt- und Unrechtstaten, die von geheimen Verhandlungen mit den tschechischen Re- tschechischer Seite begangen wurden", geben. gierungsstellen stören könnten. Sie hofft darauf, daß der 46. Sudetendeutsche Tag ausnahmsweise - ich Hier wird die Aufhebung der Einmaligkeit der NS- betone dies - einmal etwas ruhiger verläuft. Verbrechen zur Staatsdoktrin erhoben, und - schlim- mer noch - es wird erpresserisch versucht, den Re- Das heißt: Sie wissen sehr wohl, daß es die Vertrie- gierungen unserer östlichen Nachbarstaaten dies benenverbände sind, die mit ihren markigen Forde- aufzuzwingen. Der tschechische Ministerpräsident rungen und Parolen die Verständigung in Europa tor- Václav Klaus hat allemal recht, wenn er unmißver- pedieren und die Regierungen und die Bevölkerung ständlich erklärt, daß man in diesem Punkt „keine unserer Nachbarstaaten beschimpfen. Gleichstellung dulden" könne und diese Haltung der Bundesregierung eine Schande sei. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja un glaublich!) Für die Bundesregierung ergibt sich aus ihrer Poli- tik automatisch die Übernahme der weiteren Bedin- Die tschechische Presse hatte durchaus recht, als sie gungen der Vertriebenenverbände für den Dialog, nach der letzten Regierungerklärung von Außenmi- so der Forderungen nach Aufhebung der Beneš-De- nister Kinkel feststellte, daß die Bundesregierung krete, also Aufhebung der Enteignungen der Grund- den - Zitat - „Chefs der Landsmannschaften ge- stücke und des Vermögens der Sudetendeutschen horcht". oder doch zumindest deren moralische Verurteilung durch die tschechische Regierung, Verurteilung der Die Bundesregierung ist nicht einmal bereit oder Amnestieregelungen durch die tschechische Regie- traut sich nicht, gegen antisemitische, rassistische onen in den Verbänden rung, Recht auf Ansiedlung der Sudetendeutschen und neofaschistische Posi ti als Volksgruppe - ich betone: ein Heimatrecht als vorzugehen, weil dies ihr Verhältnis zu jenen Ver- Volksgruppe -, Verurteilung der aktuellen Recht- bänden trüben könnte. sprechung des tschechischen Verfassungsgerichtes (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Unverschämt zu den Beneš-Dekreten. Im Prinzip stellt die Bundes- heit!) regierung damit die Nachkriegsordnung, wie sie im Potsdamer Abkommen festgelegt worden ist, in Hier einige Beispiele dafür, was sich Funktionäre Frage. der Vertriebenenverbände unangetastet erlauben können: Das „Ostpreußenblatt" kann die Ermordung Meine Damen und Herren, das sind die Forderun- von 6 Millionen Jüdinnen und Juden genauso wie gen, die die Bundesregierung an die tschechische die Existenz von Gaskammern in NS-Vernichtungs- Seite stellt, um einen „wahren Dialog" führen zu lagern anzweifeln. Das „Ostpreußenblatt" hat nach können, wie dies Herr Kinkel zu formulieren be- dem Anschlag auf die Lübecker Synagoge 1994 den liebte. Die Frage ist nun: Was bringt die Bundesre- damaligen Chef der rechtsextremen Republikaner, eigenen Vor- gierung außer diesen Forderungen an Schönhuber, gegen den Vorsitzenden des Zentralrats stellungen in den Dialog ein? Die Antwort ist- einfach: der Juden, Bubis, in Schutz genommen. Der Rechts- nichts. Es gibt nicht einmal die Bereitschaft, sich als extremist Schodruch, der damalige Stellvertreter Le eine der ersten Maßnahmen von den Rechtsextremi- Pens im Europaparlament, konnte auf dem Deutsch- sten in den Vertriebenenverbänden zu trennen. land-Treffen der Landsmannschaft Ostpreußen 1994 Ebensowenig beabsichtigt die Bundesregierung, den in Düsseldorf offiziell als geladener Redner auftreten. Vertriebenenverbänden die Mittel zu streichen, mit Funktionäre des Witikobundes, der nationalen Ge- denen Rechtsextremisten auf Veranstaltungen oder sinnungsgemeinschaft in der Sudetendeutschen in Zeitungen ihre Inhalte verbreiten. Landsmannschaft, konnten sich unverhohlen antise- Wenn hier heute der Beitrag der Heimatvertriebe- mitisch äußern wie beispielsweise der CDU-Politiker nen für den Frieden in Europa durch die Bundesre- Rüdiger Goldmann, der einen Zusammenhang zwi- gierung abgefeiert wird, dann stelle ich mir gestan- schen der jüdischen Abstammung des deutsch-fran- dene Vertriebenenpolitiker wie Hupka, Czaja und zösischen Publizisten Alfred Grosser und dessen Kri- andere mit ihrer revanchistischen Politik à la tik an der Politik der Vertriebenenverbände herge- „Schlesien bleibt unser" und „Verzicht ist Verrat" stellt hat. Der „Witiko-Brief" hat Initiativen aus Krei- sen der Sudetendeutschen Landsmannschaft für eine VOL deutsch-jüdische Versöhnung ungestraft als „Tritt- brettfahrer im zeitgenössischen Holocaust-Express" Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Jelpke, ge- diffamiert. Der stellvertretende Vorsitzende des Witi- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten kobundes, Übelacker, Träger des Großen Ehrenab- Irmer? zeichens der Sudetenlandsmannschaft, bezeichnete das Massaker der SS in Lidice als „völkerrechtlich übliche Sache" und titulierte die Politik der tschechi- Ulla Jelpke (PDS): Nein. schen Regierung als „Raubsicherungspolitik". Der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3199

Ulla Jelpke Bundesvorsitzende dieses Bundes, Walter Staffa, deutsche Volksgruppe als einen Stamm unter den drohte den Polen damit, daß das „grausame Gesche- Volksstämmen Bayerns" betrachtet und sie „bei der hen einer Vertreibung ... die Vertreiber selbst tref- Wahrnehmung der heimatpolitischen, kulturellen fen" kann. und sozialen Aufgaben ideell und finanziell fördern wird". Das gilt unverändert fort. In dieser Tradi tion Es bleibt festzustellen, daß die Bundesregierung stehe ich. die Duldung dieser Vertriebenenpositionen in den Dialog mit der tschechischen Regierung einbringt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie will oder kann gegen diese Kreise nicht vorge- Das wird darin sichtbar, daß Baye rn uneingeschränkt hen, weil einige der Regierungsvertreter und Mit- an der gesetzlichen Verpflichtung festhält, das Kul- glieder der CDU/CSU-Fraktion selbst in den Vertrie- turgut des deutschen Vertreibungs- und Siedlungs- benenverbänden aktiv sind oder weil, laut „Spiegel" gebietes im Bewußtsein unseres Volkes zu erhalten vom letzten Montag, 16 % der Wählerinnen und und dafür auch eine entsprechende Förderung zu ge- Wähler in der Bundesrepublik Deutschland entweder währleisten. Die Bayerische Staatsregierung entzieht Vertriebene sind oder von Vertriebenen abstammen. sich nicht, wie so manch andere Länderregierungen, Meine Damen und Herren, auch wenn Sie unse- dieser Verpflichtung. rem Antrag nicht zustimmen werden, so bitte ich Sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge doch eindringlich darum, die von mir hier und in der ordneten der F.D.P.) Vergangenheit in Kleinen Anfragen vorgetragenen Fakten über die rechtsextreme Durchsetzung der Wir halten an § 96 des Bundesvertriebenengesetzes Vertriebenenverbände zu prüfen und alles zu unter- uneingeschränkt fest. nehmen, damit diesen Verbänden die politische und Als Ministerpräsident des Schirmlandes der Sude- finanzielle Förderung durch die Bundesregierung tendeutschen, des Patenlandes der Ostpreußen und entzogen wird. als Ministerpräsident eines Landes, das an Tsche- Ich danke. chien angrenzt und das unmittelbar die Folgen des Eisernen Vorhanges und die Teilung des europä- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne ischen Kontinents gespürt hat, liegt mir daher das ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Verhältnis zu den östlichen Nachbarn besonders am Herzen. Es spricht jetzt der Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Wir leben leider im Jahrhundert der Vertreibun- bayerische Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber. gen. Der Blick in viele Regionen der Welt zeigt Millio- nen von flüchtenden und vertriebenen Menschen. Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern): Nur eine gute Flugstunde von München entfernt, im Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! ehemaligen Jugoslawien, vor unseren Augen in Eu- Meine sehr verehrten Herren! Zum Gedenkjahr 1995 ropa, erfahren wir tagtäglich von - wenn man das - das kam in fast allen Beiträgen zum Ausdruck - ge- Wort überhaupt in den Mund nehmen wi ll - „ethni- hört die Erinnerung an das Kriegsende, die Erinne- schen Säuberungen". Deswegen kann unsere ein- rung an die Leiden, Schrecken und Greuel, die von deutige Aussage nur lauten: Vertreibung ist und Deutschen über die Völker Europas gebracht wur- bleibt Unrecht. Jede andere Aussage wäre menschen- den. Wir gedenken aller Opfer der Nazidiktatur und verachtend und den Opfern gegenüber beleidigend. trauern um sie. Kein Jota deutscher Schuld haben wir in Abrede gestellt. - Wenn ein Teil unseres Volkes, der nicht mehr Ver- antwortung für die Greuel der Nazis trägt als alle Zum Gedenkjahr 1995 gehört aber auch die E rin- Deutschen, unter den Folgen des Krieges in besonde- nerung an Flucht, Vertreibung, Depo rtation und rer Weise gelitten hat, dann forde rt es unsere natio- Zwangsarbeit von Millionen von Landsleuten. Die nale Solidarität und Pflicht, die geschlagenen Wun- Deutschen aus dem Osten sind jener Teil unseres den zusammen mit den Betroffenen zu heilen. Volkes, der an den Folgen des von Hitler-Deutsch- land vom Zaun gebrochenen Krieges am meisten zu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) leiden hatte. Je östlicher sie wohnten, um so härter Dazu gehörte zunächst die Bewahrung des inneren, war ihr Lebens- und Leidensweg. Weit über des sozialen Friedens in schwieriger Zeit in Deutsch- 15 Millionen Deutsche wurden davon betroffen, über land. Der Lastenausgleich und der Aufbauwille der 2 Millionen von ihnen starben. Auch das ist Teil unse- Heimatvertriebenen wie der Heimatverbliebenen lie- rer gemeinsamen Geschichte. Das werden wir nicht ßen das großartige Werk der Integra tion gelingen. Es verdrängen und vergessen. Wir erinnern an dieses war eine insgesamt außerordentliche Leistung des Geschehen. Der Toten gedenken wir mit Trauer. Ich deutschen Volkes. Mit der Aufnahme von zehn Mil- danke dem Bundeskanzler für die Regierungserklä- lionen Vertriebenen und Aussiedlern wurde die Bun- rung und für das, was er darin zum Ausdruck ge- desrepublik Deutschland das Vaterland der Heimat- bracht hat, und auch für den Zeitpunkt. vertriebenen und der Heimatverbliebenen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Für die Bayerische Staatsregierung waren die Hei- matvertriebenen über die fünf Jahrzehnte hinweg 1954 übernahm deswegen erlaube ich Bayern - nie ein störendes Element bei der Suche nach Aus- mir, hier das Wort zu nehmen - die Schirmherrschaft gleich mit den östlichen Nachbarn - Tiber die Sudetendeutschen. In der Urkunde heißt es, daß die Bayerische Staatsregierung „die sudeten (Beifall bei der CDU/CSU) 3200 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern) auch in den 70er und 80er Jahren nicht, wo sie von ren war jedoch die Annahme der historischen Wahr- manchen politischen Kräften auf der linken Seite des heit und ein Bekenntnis zum begangenen Unrecht Hohen Hauses als ein solches empfunden wurden. nicht zu erwarten. Wir haben das ja gerade wieder gehört. (Dr. Peter Glotz [SPD]: Damals haben Sie die Ostpolitik noch selber bekämpft, Herr (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Stoiber!) Jörg van Essen [F.D.P.]) Von Wunschvorstellungen geleitete und ideologisch Verständigung mit Deutschland war gewiß nicht ihr verbrämte Politik gegenüber den kommunistischen Anliegen. In der DDR war die Vertreibung ein Tabu- Staaten des Ostens vernebelte den Blick auf die Rea- thema, in Prag und in Warschau wurde sie gerecht- litäten. fertigt. Das Feindbild Deutschland wurde - auch zur Stabilisierung der eigenen Machtverhältnisse - nur (Beifall bei der CDU/CSU - Horst Ku zu gerne gepflegt. batschka [SPD]: Der kennt sich in der Ge schichte auch nicht aus!) Heute, sechs Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, vernehmen wir endlich Signale aus Diese Politik vernachlässigte in starkem Maße die In- Tschechien, auf die wir lange gewartet haben. teressenlage der Heimatvertriebenen. Sie wurden als Radikale, als Hitzköpfe, als Revanchisten - ich (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ könnte hier eine Fülle von Zitaten bringen - DIE GRÜNEN]: Die gab es schon vor ein paar Jahren!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Bitte!) Ich erinnere an die jetzt aufbrechende intellektuelle Diskussion in Tschechien und zwischen Sudeten- diffamiert. Aber sie waren das Gegenteil davon. deutschen und Tschechen. Ich erinnere an die jüng- sten Reden und Interviews der führenden tschechi- Ich möchte hier meinen Vorvorgänger im Amt zitie- schen Politiker, wenngleich die zu uns kommenden ren. hat - das stimmt auch heute Franz Josef Strauß Aussagen, Herr Kollege Glotz, noch erhebliche Wi- noch - 1985 auf einem der großen Vertriebenenkon- dersprüche in sich tragen. Lesen Sie nach, was ge- gresse gesagt: stern der Präsident des tschechischen Parlaments ge- Die Heimatvertriebenen huldigen keinem Revan- sagt hat. Er hat bei der Be trachtung der Beneš-De- chismus, sondern sie leisten einen wesentlichen krete eine sehr skep tische Haltung an den Tag ge- Beitrag zur politischen Moral, zur Erhaltung von legt. Das sind doch Dinge, die wir vor zehn, zwanzig Freiheit und Recht. und dreißig Jahren von Verantwortlichen überhaupt nie hören konnten. Deswegen ist heute eine neue Si- Das stimmt, meine sehr verehrten Damen und Her- tuation eingetreten. ren, heute genauso, wie es vor zehn Jahren gestimmt hat. (Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Antje Voll mer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das (Beifall bei der CDU/CSU) sagen Sie! - Zuruf von der SPD: Das wird der Sache nicht gerecht!) Heute ist aber allen klar: Nachbarschaftliche Pro- bleme und offene Fragen löst m an nicht dadurch, Gleichwohl gilt: Wir sind dem Dialog, dem Ausgleich daß man die Betroffenen ausgrenzt, sie beiseite so nahe wie nie in den vergangenen 50 Jahren. Des- schiebt und ihre berechtigten Anliegen -negiert. wegen muß diese Chance genutzt werden. Wahre Verständigung kann doch nur durch Einbe- ziehen und Beteiligen der Be troffenen gelingen. Die Bei der Entwicklung der Beziehungen zwischen Heimatvertriebenen haben dafür selbst einen Grund- Deutschland und den östlichen Nachbarländern ist stein, gerade aus ihrer bitteren Erfahrung heraus, ge- das Verhältnis zu Tschechien jenes, das bisher am legt. Bereits fünf Jahre nach dem Vertreibungsge- wenigsten vorangekommen ist. Sie machen es sich schehen haben sie dem deutschen Volk und der zu einfach, Frau Vollmer und Herr Glotz, wenn Sie Weltöffentlichkeit ihre Charta präsentiert - der Kol- dies so pauschal in den Verantwortungsbereich der lege Schäuble hat hier mit Recht besonders darauf deutschen Bundesregierung schieben. hingewiesen, daß diese Charta viel zuwenig im Be- (Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Antje Voll- wußtsein liegt -, in der sie für den Ausgleich und für mer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, in eine gerechte Friedensordnung in Europa eintraten. Ihren auch!) ( [CDU/CSU]: So ist es!) Hier scheinen Sie wirklich nicht auf den Grund ge- Dies blieb nicht nur Theorie. Wieviel wirksame Hilfe hen zu wollen. Es dient dem weiteren Ausbau der wurde doch von vielen Vertriebenen im sti llen in den Beziehungen nicht - da hat der tschechische Außen- Jahren der kommunistischen Diktatur für die östli- minister Zieleniec völlig recht -, die Probleme ein- chen Nachbarvölker geleistet! fach weiter brodeln zu lassen, sie auf die lange Bank zu schieben und darauf zu hoffen, daß sie sich von Freilich: Leugnen, Vergessen und Verharmlosen selbst lösen. Wir verlangen nicht mehr, als jene Fra- des erlittenen Unrechts nahmen sie zu Recht nicht gen anzugehen, die der deutsch-tschechoslowaki- hin. Die Bayerische Staatsregierung stand ihnen hier sche Vertrag von 1992 offengelassen hat. Damals floß immer zur Seite. Von den kommunistischen Diktatu- in den Vertrag nur ein, was seinerzeit geregelt wer- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3201

Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern) den konnte. Die Lösung der im Briefwechsel ange- Es gehören zur Diskussion weiterhin das Heimat- sprochenen offenen Fragen wurde bewußt auf spä- recht der Sudetendeutschen und die Vorschläge zur tere Zeiten verschoben. Diese Zeit ist meines Erach- Staatsangehörigkeit. In diesem Zusammenhang - ich tens jetzt gekommen. will es noch einmal erwähnen -ist die j ängste Kritik des Parlamentspräsidenten Milan Uhde an den Beneš-De- Ich habe seit 1993 als Schirmherr der Sudetendeut- kreten zu nennen. Was gestern von ihm dazu im tsche- schen mehrmals erklärt: Ich stehe für einen offenen, chischen Parlament gesagt wurde, ist ermutigend. an keine Vorbedingungen geknüpften Dialog. Ich bin für die Überwindung der Sprachlosigkeit. Des- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wegen habe ich mich relativ rasch nach meinem Amtsantritt mit dem Ministerpräsidenten der Tsche- Vizepräsident Hans Klein: Herr Ministerpräsident, chischen Republik, Václav Klaus, ge troffen und stun- die Kollegin Vollmer würde Ihnen gerne eine Zwi- denlang auch über die Probleme, die Sie bestens schenfrage stellen. kennen, gesprochen und sie in einem offenen Dialog erörtert. Ich habe mich damals als bayerischer Mini- Ministerpräsident (Bayern): sterpräsident als Gesprächspartner, als Moderator, Dr. Edmund Stoiber Bitte sehr. als was weiß ich zwischen den Sudetendeutschen und den Tschechen angeboten. Dieses Dialogange- bot wurde von der tschechischen Seite niemals auf- Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Frau Kollegin. gegriffen. Selbst der von der tschechischen Seite 1993 angebotene Gesprächsfaden auf Parteienebene Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wurde sehr schnell wieder gekappt, als man darauf Herr Ministerpräsident, Sie haben gesagt, die Aufhe- zu sprechen gekommen ist. bung des Amnestiegesetzes gehöre dazu. Weil alle diese Fragen in der Tschechischen Republik sehr ge- Die Sprachlosigkeit, Herr Kollege Glotz, die Sie in nau gehört werden und nicht immer richtig verstan- Ihrem offenen B rief beklagen, liegt doch nicht auf den werden, unserer Seite. Die Sprachlosigkeit lag doch bis zum Frühjahr dieses Jahres hinein, wenn man von Václav (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Frau Havel absieht, Präsidentin, würden Sie eine Frage stellen!) möchte ich Sie bitten, genauer zu sagen, was Sie dar- (Freimut Duve [SPD]: Was heißt „absieht" ? Er ist Ministerpräsident!) unter verstehen, denn auch wir wissen ja, daß es Auf- hebungen von Amnestien nicht geben kann. Es ist bei den tschechischen Politikern. Ich muß doch vor gerade das Merkmal von Amnestien, daß man sie diesem Haus nicht zitieren, was Václav Klaus über nicht aufheben kann. sein Verhältnis zur Vergangenheit, speziell zur sude- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Ist das eine Frage?) tendeutschen Vergangenheit, bis zu seiner Rede in Furth im Wald am 6. Mai gesagt hat. Leider war die- Sie meinen doch vermutlich etwas anderes als die ser Tage wieder zu lesen, daß er nicht einmal für eine Aufhebung der Amnestie für die Be troffenen, oder? „moralische Verurteilung" der Beneš-Dekrete seine Hand heben werde. Ich gehe aber davon aus, daß Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern): das, was er in Furth im Wald gesagt hat, gültig bleibt. Frau Kollegin, ich meine genau das, was ich gesagt habe. Es wird häufig nicht unterschieden zwischen Sprachlosigkeit sollte es in der Mitte Europas 1995 den Beneš-Dekreten auf der einen Seite - das sind ja eigentlich nicht mehr geben. viele zu den unterschiedlichsten Fragen, und man muß sie differenziert be trachten, keine Frage - und Deswegen sage ich von dieser Stelle aus erneut: dem von mir genannten Amnestiegesetz vom 8. Mai Treten wir, Deutsche und Tschechen, jetzt endlich 1946 auf der anderen Seite, das spezifisch die Ver- ein in Gespräche, Verhandlungen, in den Dialog. brechen, die bei der wilden Vertreibung im Sommer Jede Seite kann dabei das einbringen, was aus ihrer 1945 passiert sind, für rechtmäßig erklärt hat. Dies Sicht einem Ausgleich im Wege steht. kann so nicht stehenbleiben. Nicht mehr und nicht Ich wiederhole abermals - darin besteht auch Kon- weniger fordere ich. sens mit der Bundesregierung -: Die Be troffenen sind (Beifall bei der CDU/CSU) zu beteiligen. Zu den Themen - ich sage nicht: zu den Ergebnissen - gehören dabei gewiß die Beneš- Damit durch die Unterbrechung kein falscher Dekrete, die erhobenen Forderungen nach Aufhe- Sachzusammenhang entsteht: Natürlich gehört in bung oder Distanzierung. Ferner gehört vor allem die ganz besonderem Maße die Entschädigung von NS- Aufhebung des Amnestiegesetzes vom 8. Mai 1946 Opfern dazu, zu der ich selbstverständlich stehe und dazu, das die während der wilden Vertreibung be- der ich nie widersprochen habe. gangenen Verbrechen für rechtmäßig erklärt hat und Aber wir dürfen die Geschichte nicht verkürzen. das auf keinen Fall Bestand haben kann, weil das, Die Sudetendeutschen wurden kollektiv von der Ver- meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Haus- treibung betroffen, und sie waren dabei schlimmen ordnung der Europäischen Union gehört. Und daran Exzessen ausgesetzt. Daran gibt es nichts zu leug- müssen wir uns alle halten. nen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 3202 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Vizepräsident Hans Klein: Herr Ministerpräsident, Weil die Vertriebenen unter den Folgen des Krie- die Kollegin Vollmer würde gern eine zweite Frage ges in besonderer Weise gelitten haben, sind wir alle stellen. - Bitte. es ihnen aus nationaler Solidarität schuldig, mit ih- nen zusammen das Ausgleichswerk in Europa zu vollenden, um die geschlagenen und noch nicht ver- Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): narbten Wunden zu heilen. Herr Ministerpräsident, es ist mir immer noch nicht Bartoszewski, der heute oft und mit Recht zitiert klar: Möchten Sie eine moralische Erklärung, die die worden ist, mahnte von dieser Stelle aus, die durch Beneš-Dekrete verurteilt und dafür eintritt, daß man den kalten Krieg und die verwehrte Möglichkeit des Verbrechen auch Verbrechen nennen muß, oder Dialogs verlorene Zeit möglichst schnell aufzuholen. möchten Sie eine politisch-juristische Aufhebung von Amnestien? Das ist ein großer Unterschied, und Es ist wichtig, daß sich die aussöhnen, die selbst das hätte natürlich ganz erhebliche soziale Folgen. am meisten gelitten haben. Wer selbst gelitten hat, versteht auch das Leid des anderen und weiß um die Notwendigkeit der Versöhnung. Meiner Meinung Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern): nach reden hier zu viele davon, die selber nicht in Ich habe gesagt, daß das zu den Themen gehört, die dem Maße wie manch andere gelitten haben. besprochen werden. Ich fordere eine Aufhebung die- (Widerspruch des Abg. Joseph Fischer ser Amnestiegesetze, aber ich sage auch ganz deut- [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) lich, daß wir in dieser Frage noch ein Stück Verhand- lungsspielraum brauchen. Auch deshalb müssen die Be troffenen einbezogen werden; denn erst dann ist es eine ehrliche, eine auf- Angesichts des beiderseits erfahrenen Leids richtige Versöhnung. Wir wollen dieses 50. Jahr nach schlage ich, meine sehr verehrten Damen und Her- Kriegsende, nach Flucht und Vertreibung nicht un- ren, wie auch andere das schon getan haben, einen genutzt vorübergehen lassen. gemeinsamen Versöhnungsfonds vor, der ein ge- meinsames Versöhnungswerk in Gang setzt. Aus die- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ sem Fonds könnten individuell Opfer bedacht wer- DIE GRÜNEN]: Hat er einen Flüchtlings den, die heute noch besonders unter den Folgen des ausweis? Ich habe einen!) damals begangenen Unrechts leiden. Daneben Das Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn hat könnten gemeinsame Projekte im Sozial-, Kultur- sich in den vergangenen fünf Jahren grundlegend oder Jugendbereich gefördert werden. verändert und zum Guten gewendet. Ich meine, es fehlen noch zwei Bausteine in der Mitte Europas. Es Der Blick in die Vergangenheit versperrt nicht, fehlt die Aufnahme der Tschechischen Republik und sondern öffnet den Weg in die Zukunft. der anderen demokratischen Reformstaaten im Osten in die Europäische Union und in die NATO. Dafür ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Bayern stets eingetreten. Außerdem fehlt die grund- und der F.D.P.) legende Bereinigung des sudetendeutsch-tschechi- schen Verhältnisses. Baye rn und die Sudetendeut- Ich will noch einmal sagen, was wir in Berlin und in schen wollen einen wahrhaften Ausgleich mit unse- Bonn, in vielen, vielen Städten im Zusammenhang rem Nachbarland. Aus voller Überzeugung strecken mit den Gedenkfeiern um den 8. Mai gehört haben: wir die Hand nicht nur hier, sondern auch am Sonn- Um Zukunft gestalten zu können, muß man sich erin- tag zur Versöhnung aus. nern. Das gilt natürlich nicht nur in einem speziellen- Punkt, sondern das gilt generell. Nur wer weiß, wo- Ich halte gar nichts davon - auch das sage ich ganz her er kommt, der weiß auch, wohin er will. Deswe- offen -, Dinge nur am Sonntag anzusprechen und gen gehört dies hier angesprochen. nicht in diesem Hohen Hause. Damit jeder weiß, wo wir stehen, müssen wir bei jeder Gelegenheit die- (Beifall bei der CDU/CSU) selbe Meinung vertreten. Wenn das jeder tut, sind wir gut beraten. Ein banaler Schlußstrich, den manche fordern, wäre eine Respektlosigkeit, eine Beleidigung der Le- Danke schön. benden gegenüber den Opfern. Verdrängung von hi- (Beifall bei der CDU/CSU) storischer Wahrheit und Schuld trägt die Wurzeln künftiger geistiger Auseinandersetzungen. Auf solch vergiftetem Boden kann gute Nachbarschaft nicht Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem wachsen. Ein Bekenntnis zur Schuld - das ist doch Kollegen Freimut Duve. unsere eigene Nachkriegserfahrung - verschenkt nichts - im Gegenteil: Wir haben erst dadurch Freimut Duve (SPD): Herr Präsident! Herr Minister- Freunde in Europa und in der Welt gewonnen. Ich präsident! Versöhnungswerk - sind wir dabei? Zum will das nur in den Raum stellen, um in gemeinsa- Versöhnen gehört auch die Tonlage. Sie, Herr Mini- mem Interesse auch Entwicklungsprozesse in der sterpräsident, haben hier Bedingungen gestellt. Sie Tschechischen Republik - in der Slowakei sind wir haben zwar immer nachgeschoben, es seien nur The- schon weiter - zu erreichen. menvorschläge, aber Sie haben auch immer gesagt: Ich verlange, ich fordere, ich verlange, ich fordere. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe es nicht gezählt, aber es war sehr oft. Ich Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3203

Freimut Duve denke, in dieser Lage, in einer solchen Debatte, auch In bezug darauf glaube ich, Herr Ministerpräsi- in einem solchen Jahr 1995 - Gedenkjahr, haben Sie dent, wäre es gut, wenn die bayerische Landesregie- gesagt - ist die Form, die Sie hier gewählt haben, der rung noch einmal überprüfen würde, ob die Schirm- sehr diffizilen Lage nicht angemessen. herrschaft, die sie übernommen hat, angesichts von Begriffen wie „Stamm" - Sie haben es zitiert -, (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Ruth „Volksgruppe" und „Recht auf Heimat in der Tsche- Fuchs [PDS]) chei" nach einer solchen Integrationsleistung nicht Sie haben gesagt, es habe keine tschechische eine andere, neue Formulierung braucht, ob mögli- Stimme gegeben. Es gab doch die Stimme des Präsi- cherweise die Grundurkunde der Schirmherrschaft, denten Václav Havel im Jahr 1990. Darauf ist jedoch die zu übernehmen richtig war, heute zwar nicht an- nicht in angemessener Weise reagiert worden. Auch ders geschrieben, aber zumindest anders gelesen der Bundeskanzler hat heute nur ganz wenig zu dem werden müßte. Thema gesagt, verhalten und vorsichtig. Ansonsten war es eine interessante und gute Regierungserklä- (Beifall bei der SPD) rung. Aber in diesem Punkt fehlte vieles. Es fehlte ei- gentlich alles, daß man jetzt sagen könnte: Nun kann Ich will die Namen einiger Kollegen nennen. Unser Kollege Sielaff aus der SPD-Fraktion ist ein Vertrie- man wirklich das machen, was mein Kollege Peter and- Glotz gefordert hat: Laßt uns die beiden Themen benenkind. Jetzt ist er Abgeordneter aus Rheinl Pfalz. Unser Kollege Peter Glotz ist Vertriebener und voneinander trennen. Abgeordneter aus Bayern. Unser früherer Kollege Ich denke, wir sollten zum Schluß von dem Ver- Sauer - ich weiß nicht, ob er heute da ist -, such, dies etwas dramatisch zuzuspitzen, zum Grundcharakter der Debatte zurückkommen. Frau (Zuruf von der CDU/CSU: Er ist da!) Jelpke, ich muß Ihnen sagen: Wenn man bei der Rede einer Bürgerin unseres Landes nicht an einer mit dem ich in dieser Sache sehr gut in der letzten Stelle spürt, daß das Drama des Vertreibens sie Legislaturperiode zusammengearbeitet habe, ist irgendwann einmal angerührt hat, wenn sie nur aus 1945 auf der Flucht geboren worden. Er hat mir ein- dem Drama des Vertreibens immer ihre Neofaschis- mal erzählt, daß von den zehn während dieses Trecks musnachweise sucht, das geht doch nicht. Das ist geborenen Babys nur zwei überlebt haben und acht doch auch nicht Ihr Leben. Das geht doch nicht. gestorben sind. Er hat dann natürlich in Niedersach- sen gelebt und ist dort aufgewachsen. Aber dieses (Beifall bei der SPD) hat ihn doch nie verlassen, die Umstände, ja die Tra- gödie seines Zur-Welt-gekommen-Seins auf einer Das ist doch eine ungeheure Tragödie mitten unter Flucht. Darin liegt das, was wir leisten müssen. Das uns, die wir, ich will nicht sagen, gemeinsam bewäl- ist nicht Rückkehranspruch, sondern er sagt: Hört tigt haben, aber mit der wir gelernt haben umzuge- mir zu, ganz still, das steckt in mir drin, das steckt in hen und aus der etwas sehr Fruchtbares entstanden meiner Familie drin; das haben wir damals durchge- ist, was Antje Vollmer hier sehr treffend dargestellt macht. - Die Liste ließe sich verlängern. hat. Das geht nicht, bei niemandem von uns, daß er einfach sagt: Das ist ein wunderbares Futter für mein Daß diese deutschen Opfer der Vertreibung da- al. - Das geht nicht. Das ist antifaschistisches Mate ri mals in dem kleiner gewordenen L and ihre neue Hei- ein Mißbrauch des Leidens. mat fanden, ist ja vielleicht die größte Leistung unse- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Antje rer Eltern und all dessen, was wir uns angewöhnt ha- Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ben auf den Begriff „Wirtschaftswunder" zu reduzie- ren. Ich will noch einmal etwas zitieren: Viele hatten den Kummer und das Leid fest in sich Die Loslösung von der Heimat war ein sehr eingeschlossen und nicht darüber gesprochen. Bis schmerzlicher Vorgang. Übermächtig ist die Ent- zum Sterbebett haben Zehntausende Frauen über wicklung der Verhältnisse über uns gekommen, das geschwiegen, was ihnen zugefügt worden ist. Ich aber nicht auf einmal, sondern langsam, Schritt habe einen Brief eines Mannes bekommen, der 1946 für Schritt. Und gerade das war das Zermürben- geboren wurde und erst jetzt herausbekommen hat, de. unter welchen Umständen er gezeugt worden ist. Er Diese Predigt eines katholischen Flüchtlings, des Ka- bittet mich, ihm zuzuhören, was das für ihn - ein Bür- pitalvikars Piontek in Peine, richtete sich 1946 an Ge- ger der Bundesrepublik - und seine Mutter bedeutet flohene ebenso wie an die damaligen Bürger in West- hat. deutschland. Er bittet die Einheimischen um Geduld und Nachsicht mit den Dazugekommenen. Er richtet Es ist - auch vom Bundeskanzler - gesagt worden, sich und seine Gemeinde auf ein langes, auf ein end- daß die Vertreibung 1933 anfing. Am Anfang waren gültiges Miteinander ein. Das war 1946 in einer öf- es der öffentliche Druck und die öffentliche Hetze, fentlichen Predigt in einer Kirche. Genau dies, Frau die Juden und Oppositionelle ins Exil zwangen. Spä- Jelpke, ist heute, 50 Jahre danach, gelungen, näm- ter gab es die systematische, von der Verwaltung bis lich dieses endgültige Miteinander in einer fruchtba- ins einzelne organisierte Vertreibung. Mit dem poli- ren Weise. zeilichen Ausdruck „abgeholt" benannten die Men- schen in dem Etagenhaus meiner Kindheit das, was (Beifall bei Abgeordneten der SPD) einer Familie aus diesem Etagenhaus damals gesche- 3204 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Freimut Duve hen war: Die Familie Kohn ist abgeholt worden. Die Die Umsiedlung als Ordnungs- und Gestaltungs- Trecks nach Osten waren auch in den 30er Jahren je- idee ist von beiden totalitären Diktaturen massenhaft dermann bekannt; es waren Güterwagen mit Men- organisiert worden. Ich zitiere aus dem wich tigen Do- schenlast. kument des Vertriebenenministeriums aus dem Jahre 1961. Ich habe mir vor zwei Jahren diese Dann kamen die Millionentrecks aus dem Osten in 14 Bände mit in die Ferien genommen. Man muß dies den Westen. Die Wohnungen wurden aufgeteilt: eine wissen. Ich zitiere aus Band V: Familie pro Zimmer und vier oder fünf Familien pro Küche. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie bei mei- Es fügte sich in die Pläne einer „ethnischen Flur- ner Oma diese Familien immer ihre halbe Stunde für bereinigung" , daß diese Volksdeutschen unter die Küche hatten. dem äußeren Anschein der Freiwilligkeit in das Reichsgebiet umgesiedelt, während die anders Wir Westdeutschen konnten die Kriegswunden in nationalen Einwohner vertrieben oder in den einem sehr langen und schmerzlichen Prozeß durch Osten zwangsverpflanzt wurden. die Wirtschaftswunder-Friedensjahre und -jahr- zehnte heilen. In der DDR ist es zu dieser Diskussion Im Jugoslawienband ist geschildert, wie es angefan- und zu dieser Art des Prozesses nicht gekommen. gen hat. Deshalb bin ich sehr dankbar dafür, daß ein Teil der „Bessere Trennungslinien" hatte Hitler 1939 gefor- in den neuen Ländern neugegründeten Vertriebe- dert. nenverbände sehr fruchtbar und sehr positiv an die- ser Aufgabe mitarbeitet. Das möchte ich hier beson- Mit dem Ideal des ethnisch möglichst homogenen ders zum Ausdruck bringen. Nationalstaats (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der - das ist wieder Zitat 1961/Bundesregierung - F.D.P.) wurde die Entwurzelung Tausender von Volks- Dieser schwierige Prozeß war sehr viel dramati- deutschen, Slowenen, Kroaten usw. gerechtfer- scher als Sie, Herr Stoiber, das hier dargestellt haben. tigt. Damit wurde das Vorbild von Bevölkerungs- Im Kampf gegen die Ostpolitik wurden Menschen verschiebungen großen Ausmaßes nachah- massiv angegriffen. Gerade die Menschen, die dies mungsbereiten Kräften vor Augen geführt. Durch nicht mitgemacht haben, sind heute in diesem Ver- diese Unbedenklichkeit, mit der mit beliebigen band tätig. Es ist ein anderer Verband geworden. Zahlen von Menschen je nach Konzeption der na- Das haben Sie, Frau Albowitz, auch gesagt. tionalsozialistischen Führung manipuliert wurde, wurden ... ideelle und stimmungsmäßige Vor- Heute ist es unsere Aufgabe daran mitzuwirken, aussetzungen für die Vertreibung (der jugosla- daß neuer Vertreibungsterror geächtet, Vertreiber wiendeutschen) Minderheit geschaffen. verfolgt und neue Vertriebene menschlich aufge- nommen werden. So warnten 1961 die Autoren des Berichts der Bun- desregierung vor dem falschen „Ideal des ethnisch (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem möglichst homogenen Nationalstaats". BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Wir alle erleben im ehemaligen Jugoslawien und Das ist unsere Aufgabe. Das Signal muß sein: ahnen in vielen Staaten der ehemaligen Sowjet- Spannungen und Konflikte dürfen niemals als Anlaß union: Das ist die zentrale Herausforderung an die dafür genommen werden, daß sich eine Gruppe das demokratische Gesellschaft in der postkommunisti- Recht anmaßt, die Mitglieder einer anderen Gruppe schen Welt für uns alle. zu vertreiben. Dies ist für uns Deutsche -eine A rt Grundgesetz, weil wir wissen, was dies heißt, und Meine Generation, Kinder des Kalten Friedens, zwar sowohl als Täter wie als Opfer. glaubte Europa künftig verschont von Vertreibung. Aber Vertreibung ist wieder da, und ihre Opfer leben (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) mitten unter uns. Gehen Sie, meine Damen und Her- ren, in irgendeines der vielen Lager für Bürgerkriegs- Aber es wird und wurde nicht nur mit Waffen ver- flüchtlinge in Deutschland. In jeder Stadt, überall, trieben. Vertreibungsterror fängt im Kopf an, und von Flensburg bis Konstanz, werden wir Menschen zwar sogar da, wo nach Bedingungen des Friedens begegnen, die nicht allein vor dem Krieg aus Bosnien gesucht wird. Ich erinnere an das, was Götz Aly kürz- geflohen sind, sondern die gezielt aus ihren Häusern, lich in der „FAZ" in bezug auf die europäische Frie- aus ihren Wohnungen, aus ihren Dörfern vertrieben densordnung 1919/1920 gesagt hat: Hier wurde wurden. schon damals die völkisch differenzierende „Wan- derung in der Hand des Staates" versucht. Ich will Ihnen eine kleine Geschichte sagen. Das begann vor drei Jahren. Am Samstag, 16. Mai 1992, Wie die Vertreibungen Folgen von Diktatur und kamen in das kleine bosnische Dorf Zaklopaca mor- Krieg waren, sind die falschen Hoffnungen - Peter gens um vier Uhr serbische Reservisten. Sie umstell- Glotz hat es gesagt - auf homogene Gesellschaften ten das Dorf und warteten bis fünf Uhr nachmittags. gefährliche Quellen von Vertreibungsphantasie. Dann kamen sie ins Dorf - unter ihnen auch serbi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne sche Nachbarn aus dem Dorf Milici. Die Nichtregulä- ten der F.D.P.) ren unter den Eindringlingen hatten sich Masken übergezogen. Als Haso Hadjic, ein Moslem, ver- Herr Stoiber, deshalb müssen wir den Beg riff suchte zu fliehen, wurde er erschossen. Er war der „Stamm" auch noch einmal überdenken. erste. Dann ging alles sehr schnell. Am späten Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3205

Freimut Duve Abend des 16. Mai 1992 gab es keine Menschen - Nein, ich weiß, daß Sie das meinen. Ich schätze Sie, muslimischer Herkunft mehr im Dorf. Wenige Wo- aber ich habe Sie noch nie für einen Übermenschen chen später erreichten die Überlebenden des Massa- gehalten, kers - 50 Frauen und Kinder - die Stadt Zagreb, wo die meisten von ihnen heute noch als Bürgerkriegs- (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Hoffent flüchtlinge leben. lich! - Heiterkeit) und ich hoffe, daß das auch niemand anderes tut. Der Solcher Vertreibungsterror in Hunderten von Dör- einzige Mensch, dem ich das zubillige, ist Ihre Frau. fern bestimmt wieder das Gesicht Europas; Serben Die kann Sie für einen Übermenschen halten. Sonst aus Dörfern der Krajina - das dürfen wir auch nie aber niemand. vergessen -, Moslems aus Dörfern und Städten Bos- niens. (Erneute Heiterkeit) Als ich von meiner ersten Reise nach Bosnien zu- - Das ist jedenfalls das, was auch ich meiner Frau zu- rückkam, hatten mich die Gespräche mit Vertriebe- billige. nen in den Lagern der eingeschlossenen Stadt Tuzla überzeugt. Wir brauchen eine deutlichere, weltweite Wir haben uns damals im Ausschuß auf eine ge- und strafbewehrte Ächtung der Vertreibung als Ver- meinsame Fassung der Beschlußempfehlung geei- brechen - nigt. Übereinstimmung bestand darüber - ich zitiere aus dem Schlußbericht -, (Beifall im ganzen Hause) daß der Antrag geeignet ist, aus Vergangenheit und Gegenwart richtige Lehren zu ziehen ein Verbrechen, für das es immer Schuldige gibt. - das haben wir gemeinsam gemacht - Oft fängt dieses Verbrechen ganz harmlos an. Ir- gend jemand zieht eine Linie auf der Landkarte, stri- und ein erster Schritt zu einem Instrument zu chelt eine bestimmte Fläche, verwandelt diese Flä- sein, durch den Vertreibung, Verschleppung oder che in einen Prozentsatz und versucht, darüber ein Deporta tion als Verbrechen gegen die Mensch- Abkommen zu erzielen. Soviel Prozent für die einen, lichkeit oder als Kriegsverbrechen bewe rtet, ver- soviel für die anderen. Schon ist Heimat abgeschnit- folgt und geahndet werden können. ten. Schon entsteht der Druck der Vertreibung. Man- che nennen das dann verharmlosend Bevölkerungs- Die Bundesregierung wurde beauftragt, einen Be- austausch - zuweilen auch ohne böse Absicht. Das richt über den Stand der Bemühungen vorzulegen. kann sogar Menschen bei Friedensverhandlungen Das 20. Jahrhundert und gerade die letzten fünf passieren, die dann, ob sie es wollen oder nicht, zu Jahre haben gezeigt: Es geschehen immer noch und Schreibtischtätern werden. immer wieder Diskriminierung und Drangsalierung, viele kleine Nadelstiche, um das Leben von Men- Darum kam damals der Vorschlag meiner Fraktion: schen an einem bestimmten Ort schwierig zu ma- Laßt uns eine Kampagne beginnen, die Vertreibung chen - mit der Absicht, daß sie dann „freiwillig" als Verbrechen international wesentlich deutlicher weggehen, und, wenn dies alles ohne Wirkung brandmarkt als bisher. bleibt, Zwangsumsiedlung, Vertreibung, das Wegja- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem gen von Menschen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei- Ab Noch 1989 - ich will nur in Erinnerung rufen - ging geordneten der F.D.P.) der rumänische Diktator Ceaucescu daran, seine Idee der „agro-industriellen Zentren" zu verwirkli- Schon wer sich gedanklich auf den Irrweg der Homo- chen und dafür Tausende von Dörfern in ihrer ge- genisierung macht, wer an Apartheid glaubt und wachsenen vielfältigen Lebensform zu zerstören. Bantustans in Europa als Friedensinseln erträumt, Viele deutschstämmige Rumänen sahen keine Alter- was vielleicht als ein logischer Traum erscheinen native zur Auswanderung mehr und beantragten da- mag, der muß zunächst zu Vertreibung und zu Um- mals die Übersiedlung, weil es so einen Plan gab. siedlung bereit sein und ist dann zum Schluß auch zu Verbrechen bereit. Der Teufelskreis der 30er Jahre Die Abmarschbefehle können sehr verschieden würde dann von vorne beginnen. sein, aber letztlich geht es immer wieder um die Irr- hoffnung der Politik, homogene Verhältnisse zu Wir haben das Konzept einer „Konvention gegen schaffen. Nicht ohne Grund beginnt die Konvention Vertreibung" gemeinsam mit den anderen Fraktio- der Vereinten Nationen gegen Völkermord mit der nen beraten - da haben Herr Sauer und ich ge- Beschreibung von Vertreibungsterror. meinsam als Berichterstatter gearbeitet - und waren doch erstaunt, auf wieviel spitzfindige Abwehr, Meine Damen und Herren, am vergangenen Mon- Herr Bundeskanzler, wir im Auswärtigen Amt stie- tag kam eine Gruppe von Schülern und Studenten ßen; nicht im Bundeskanzleramt, obwohl Sie das ja aus Bosnien zu mir bei einem Vortrag in Wetzlar. Sie meistens alles in der Hand haben, aber im Auswär- hatten sich sorgfältig vorbereitet, und die Sprecherin tigen Amt. fragte: Was können wir tun, damit nicht auch wir wieder - wir jetzt 20jährigen - in den Teufelskreis (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Sie halten des Terrors geraten, damit wir nicht anfangen, von mich schon für einen Übermenschen!) der Gewalt zu träumen? 3206 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Freimut Duve Ich hatte nur eine sehr zögerliche Antwort: Sehen Einige Sätze zu dem, was die Kollegin Jelpke von Sie Ihr Leben hier bei uns als Bürgerkriegsflücht- der PDS gesagt hat: Wer so mit der Tragödie von linge als Chance. Wir können Ihnen die Rückkehr 15 Millionen Menschen umgeht, begibt sich des nicht garantieren, aber wir können Ihnen helfen, Rechtes und verwirkt das Recht, künftig das Wort diese Zeit hier als Chance, um etwas zu lernen, und Menschenrechte noch glaubwürdig in den Mund zu als Auftrag zu nutzen, künftig für Ihre Heimat etwas nehmen. zu tun - ob von hier aus oder zu Hause, das können wir jedenfalls allein nicht bestimmen. Aber es war (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) bestimmt keine befriedigende Antwort. Denn wer das als hohle Phrase dann benutzt, wenn Dabei mitzuhelfen, das zumindest sind auch wir es politisch ins Kalkül paßt, weiß nicht, was Men- den neuen Opfern der Vertreibung schuldig, dabei schenrechte bedeuten, kennt auch nicht das mensch- mitzuhelfen, daß die Bürgerkriegsflüchtlinge hier liche Leid im einzelnen Schicksal. und in ganz Westeuropa eine Chance bekommen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und nicht gezwungen werden, sozusagen neben der Gesellschaft zu leben. Herr Duve, ich darf Ihnen ganz ausdrücklich dan- ken, daß Sie sich in dieser Frage eben zum Anwalt Hier brauchen wir endlich eine gemeinsame Poli- derer, die Flucht und Vertreibung persönlich erlebt tik aller westeuropäischen Länder, der Europäischen haben, gemacht haben und diesen Mangel an Union vor allem. Es gab immer wieder Versuche - Menschlichkeit bei unserer Kollegin auch angepran- und das muß ich auch positiv bewerten - von Bun- gert haben. desminister Kinkel, schon von Bundesminister Gen- scher -, daß es zu einer gemeinsamen Haltung der Ich selbst bin Flüchtlingskind. Meine Mutter war Europäer in der Behandlung der Bürgerkriegsflücht- hellauf entsetzt, daß wir seinerzeit keinen Platz mehr linge kommt, und wir haben es bisher nicht erreicht. auf der Wilhelm Gustloff bekommen haben. Es war Das ist ein Thema, bei dem m an immer auf Distanz unser Glück. Aber sie hatte die große Sorge und die geht. Furcht, daß sie mit meiner Schwester und mir aus Westpreußen nicht mehr herauskommen könnte. Es Ich hoffe, Herr Präsident - das, was ich jetzt sage, ist uns dennoch gelungen, wie auch vielen anderen wollte ich eigentlich der Präsidentin sagen -, daß die Millionen Menschen die Flucht gelungen ist. Aber Form des Gedenkjahres - vielleicht ist es ja heute ein wieder andere haben dieses Schicksal nicht überlebt. gewisser Abschluß -, die wir Deutschen gefunden Wir trauern insgesamt in unseren Herzen darüber. haben, die der Bundeskanzler bei seinem Besuch in Holland und anderen Auftritten gefunden hat, etwas Sofern das Gewissen der Menschheit jemals wie- sein kann, was vielleicht auch anderen Ländern der empfindlich werden sollte, werden diese Ver- zeigt, was es eigentlich bedeutet, stolz darauf zu treibungen als die unsterbliche Schande aller de- sein, zu einem Land zu gehören. rer im Gedächtnis bleiben, die sie veranlaßt oder sich damit abgefunden haben. Ich habe es immer als Aufgabe empfunden, für meine Genera tion, für unsere Genera tion zu sagen, Das sagte und das verurteilte der Brite Victor Gol- wir hören auf mit dem ausschließlichen Blick darauf, lancz. So beschrieb er die Vertreibung der Deutschen wo wir Opfer waren und die anderen die Barbaren. ohne jegliche Beschönigung im Jahre 1946. Wir trauern über das, was auch uns zugefügt worden Es kann kein Zweifel daran bestehen: Die Vertrei- ist, aber wir verschweigen nicht, wenn barbarische bung, die Deportation und auch die Flucht Millionen - Taten in unserem Namen geschehen sind. Wir stili- Deutscher aus der Heimat war in Art und Umfang ein sieren uns nicht zu Helden und die anderen nicht zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit von ganz ein- Barbaren. zigartigem Ausmaß. So verstehe ich den Text, den wir gemeinsam an (Zuruf von der SPD: Das hat aber auch Ur der Neuen Wache vorn angebracht haben, der dies sachen!) zum Ausdruck bringt. So verstehe ich das, was wir alle gemeinsam in diesem Gedenkjahr bisher an S til - Die Ursachen, Frau Kollegin, bestreitet doch kei- mitgeschaffen haben. Ich hoffe sehr, daß das eine ner; das ist heute doch mehrfach gesagt worden. Das Ausstrahlung zu unseren Freunden und Nachbarn bestreiten auch nicht die Flüchtlinge, auch nicht die hat - überall. Vertriebenen. Danke. Etwas genauso Einzigartiges - diesen Punkt möchte ich bewußt hervorheben - ist nach dieser (Beifall im ganzen Hause) Menschenvertreibung geschehen: Die Millionen ent- wurzelten Flüchtlinge und Vertriebenen wurden in Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin E rika dem zerstörten Deutschland nicht zum Sprengsatz, Steinbach, Sie haben das Wo rt. sondern zu Bausteinen hier in unserem Vaterland. Sie haben sich nicht jammernd und klagend und ver- zagt in die Ecke, abseits gestellt, und sie haben sich - Erika Steinbach (CDU/CSU): Herr Präsident! was geradezu ein Wunder ist - nicht gewaltbereit zu- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stehen sammengerottet. Vielmehr haben sie das eigene Ge- fast am Ende einer sehr ernsthaften Debatte und Dis- schick überwunden, sie haben es gemeistert und das kussion. zerstörte Deutschl and aus Trümmern, aus Schutt und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3207 Erika Steinbach aus Asche wieder mit aufgebaut. Nicht das Motto Möge der Weg unserer östlichen Nachbarn in die „Auge um Auge, Zahn um Zahn" bestimmte das Europäische Union H and in Hand gehen mit der Er- Handeln der Vertriebenen, sondern es war vom Ver- füllung der UNO-Menschenrechtsresolution aus söhnungsgedanken geprägt. dem Jahre 1994, wonach es das Recht von Flüchtlin- gen und Vertriebenen ist, in Sicherheit und Würde in 1950, zu einer Zeit, als noch a lle, wirklich alle ihr Heimatland zurückkehren zu können. Wunden blutend offengelegen haben, wurde mit der mehrfach genannten Charta der Vertriebenen - das Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn es wahr kann man nicht oft genug wiederholen - der Teufels- ist, daß nur das Erinnern verhindert, daß grausame kreis eines immer neu angetriebenen Hasses zwi- Verbrechen ein zweites Mal geschehen, dann haben schen den Völkern durch die Vertriebenen selber wir Deutsche eine besondere Verpflichtung, der aufgebrochen. Wir müssen uns das heute immer wie- Flucht und der Vertreibung vieler Millionen L ands- der vor Augen führen. Man kann sich da schwer hin- leute zu gedenken, diese Erinnerung wachzuhalten; einversetzen. Der ausdrückliche Verzicht auf Rache denn wer weiß, welch unendliches Leid damit ver- und Vergeltung war eine damals fast übermenschli- bunden ist, wenn Menschen aus ihrer Heimat verjagt che Leistung, eine übermenschliche Größe. Dieser werden, wird alles daransetzen, daß so etwas, wer Verzicht war einer der Grundsteine für unsere euro- auch immer die Betroffenen sein mögen, niemals päische Friedensordnung. Dessen sind sich heute die wieder geschieht. allermeisten Deutschen gar nicht mehr bewußt, bzw. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so sie haben noch nie in sich aufgenommen, daß das ei- wie bei Abgeordneten der SPD) ner der wesentlichen Bausteine zu einem inneren eu- ropäischen Frieden gewesen ist. Nicht das Denken in Ich schließe die Aus- den Kategorien eines Michael Kohlhaas, sondern der Vizepräsident Hans Klein: sprache. Wille, die Hand zur Versöhnung auszustrecken, be- stimmte das Handeln der Vertriebenen und ihrer Re- Es ist beantragt worden, die Entschließungsan- präsentanten. Dafür gebührt ihnen allen unser Dank. träge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Gruppe der PDS auf den Drucksachen 13/1566, 13/ ordneten der F.D.P.) 1567 und 13/1536 zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an Man stelle sich vor, die Haltung Millionen entwur- den Innenausschuß zu überweisen. zelter Deutscher wäre anders gewesen. Ich sage Ih- nen: Deutschland stünde heute nicht da, wo es jetzt Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD in der Mitte Europas steht, mit Freunden rundherum. auf Drucksache 13/1539 soll zur federführenden Be- Das wäre ohne die Versöhnungsbereitschaft Millio- ratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitbe- nen entwurzelter Menschen gar nicht machbar ge- ratung an den Rechtsausschuß überwiesen werden. wesen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dies ist offen- sichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so Die Vertriebenen haben darüber hinaus etwas an- beschlossen. deres getan, etwas, was noch nicht im Bewußtsein der Deutschen verankert war, auch nicht im Bewußt- Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: sein vieler anderer Völker Europas. Sie haben schon a) - Zweite und dritte Beratung eines Siebzehn- 1950 ihren Blick hoffnungsvoll auf ein geeintes- Eu- ten Gesetzes zur Änderung des Bundesaus- ropa gerichtet. Die Formulierung „die Schaffung ei- bildungsförderungsgesetzes (17. BAföGÄndG) nes geeinten Europas, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können" war eine der wich tigsten - Drucksachen 13/1301, 13/1395 - Forderungen - nicht nur ein Wunsch, eine Hoffnung - (Erste Beratung 35. und 38. Sitzung) der Vertriebenen neben der Verwirklichung des Rechtes auf die Heimat. - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs Europa ist mit dem Bruch des Eisernen Vorhanges eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung in positive Bewegung geraten. Die Freundschaft zu des Bundesausbildungsförderungsgesetzes unseren westlichen Nachbarn muß durch Partner- (17. BAföGÄndG) schaft und Freundschaft auch zu unseren östlichen - Drucksachen 13/65, 13/101 (Berichti- Nachbarn ergänzt werden. gung) -

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Erste Beratung 27. Sitzung) - Zweite und dritte Beratung des vom Bun- Vieles gestaltet sich in diesen Beziehungen auch aus desrat eingebrachten Entwurfs eines Sieb- der Sicht Vertriebener heute posi tiv, konstruktiv. zehnten Gesetzes zur Änderung des Bun- Nach Jahren des Leugnens, des Verschweigens, des desausbildungsförderungsgesetzes Rechtfertigens durch die östlichen Nachbarn haben (17. BAföGÄndG) uns jetzt vermehrt Signale des Verstehens und des - Erkennens erreicht, die sehr wohl auch von den Ver- Drucksachen 13/80, 13/101 (Berichti- gung) - triebenen und ihren Organisationen positiv aufge- nommen werden. (Erste Beratung 27. Sitzung) 3208 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Vizepräsident Hans Klein aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Forschung, Technologie und Technik- Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so be- folgenabschätzung (19. Ausschuß) schlossen. - Drucksache 13/1553 - Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wo rt dem Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, For- Berichterstattung: schung und Technologie, Dr. Jürgen Rüttgers. Abgeordnete Elisabeth Altmann (Pom- melsbrunn) Bundesminister für Bildung, Dr. Ludwig Elm Dr. Jürgen Rüttgers, Wissenschaft, Forschung und Technologie: Herr Prä- Dr. sident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir debat- Dr.-Ing. Rainer Jork tieren heute in zweiter und dritter Lesung das Doris Odendahl 17. BAföG-Änderungsgesetz. bb) Berichte des Haushaltsausschusses Ich habe gerade einmal überlegt, wie oft ich in (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- dem halben Jahr, seitdem ich das Amt des zuständi- schäftsordnung gen Ministers übernommen habe, zu diesem Thema - Drucksachen 13/1554, 13/1555, 13/ hier bereits am Rednerpult gestanden habe. 1556 - (Doris Odendahl [SPD]: Hätten Sie weniger Berichterstattung: geredet und mehr gehandelt!) Abgeordnete Dieter Schanz Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es vier- oder fünfmal Steffen Kampeter gewesen ist, daß wir hier das Thema BAföG disku- Antje Hermenau tiert haben. Ich würde es eigentlich gar nicht erwäh- Jürgen Koppelin nen, wenn ich wüßte, daß es heute das letzte Mal b) Beratung der Beschlußempfehlung und des wäre. Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissen- Nun hat sich im Rahmen der Beratungen sowohl schaft, Forschung, Technologie und Technik- zum Gesetzentwurf der Bundesregierung wie auch folgenabschätzung (19. Ausschuß) zu dem An- zum parallelen Entwurf des Bundesrates und zum trag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Entwurf der Koalitionsfraktionen herausgestellt, daß Dr. Ludwig Elm und der Gruppe der PDS es, obwohl die Lage eigentlich recht übersichtlich ist und die BAföG-Erhöhung keiner besonderen Kunst Anpassungen der Leistungen nach dem Bun- der Berechnung oder Beurteilung bedarf, dennoch desausbildungsförderungsgesetz an die Le- nicht möglich sein wird, dieses Verfahren heute ab- benshaltungskosten der Studierenden zuschließen. zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- Dies hat etwas damit zu tun, daß zumindest die rung SPD-Bundestagsfraktion darauf drängt, daß der Bun- Bericht der Bundesregierung über die Mög- desrat den Vermittlungsausschuß anruft. Nun, das lichkeit einer Erhöhung der Bedarfssätze werden wir abwarten müssen. nach dem Bundesausbildungsförderungsge- (Doris Odendahl [SPD]: Das Gegenteil ist setz (BAföG) im Jahre 1995 sowie über Ände- der Fall, Herr Rüttgers, das wissen Sie rungsbedarf im Recht der Ausbildungsförde- doch!) rung unter Einbeziehung der beruflichen Aufstiegsfortbildung Eigentlich ist der Sachverhalt relativ klar. - Drucksachen 13/784, 13/735, 13/1553 - (Doris Odendahl [SPD]: Unglaublich!) Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen, Berichterstattung: - Abgeordnete Elisabeth Altmann (Pommels- Frau Kollegin Odendahl, warum Sie dazwischenru- fen. Es ist doch ganz einfach. Die Sache ist ziemlich brunn) übersichtlich. Es geht um die Frage, wie hoch die Dr. Ludwig Elm BAföG-Erhöhung ist, wie wir sie aus dem Haushalt Dr. Karlheinz Guttmacher Dr.-Ing. Rainer Jork finanzieren können. Doris Odendahl (Doris Odendahl [SPD]: Und wie lange Sie sie schon verzögert haben!) Zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesaus- bildungsförderungsgesetzes liegen ein Entschlie- - Die Frage, wie lange es sich verzögert hat, haben ßungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wir auch schon dreimal diskutiert, Frau Kollegin NEN sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion der Odendahl. Es hilft den Studentinnen und Studenten SPD vor. Zum Bericht der Bundesregierung liegt ein überhaupt nichts, wenn wir noch zwei Jahre weiter Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. darüber diskutieren und es immer wieder verzögern. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Entscheidend ist doch, meine Damen und Herren, Aussprache über einen Änderungsantrag nament lich daß wir uns mindestens schon einmal darüber hätten abstimmen werden. einigen können: Zum Herbst gibt es eine BAföG-Er- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3209 Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers höhung, die den Studentinnen und Studenten zu- der Erhöhung der Freibeträge profitieren. Denn man gute kommt. Wenn wir diese Einigung erzielt hätten, könnte - das will ich uns jetzt im Zuge der Vergan- wären wir schon einen entscheidenden Schritt wei- genheitsbewältigung ersparen - hier jetzt messer- ter. scharf darlegen, daß alle diese Zahlen, so wie sie von Ihnen artikuliert worden sind, so wie sie im Gesetz- (Beifall bei der CDU/CSU) entwurf stehen und so wie sie im Gesetzentwurf des Ich habe an diesem Rednerpult schon einmal ge- Bundesrates stehen, letztlich zum selben Ergebnis sagt - und dazu stehe ich nach wie vor -, daß man, führen. wenn es anders gelaufen wäre, auch zu früheren Zei- ten BAföG-Erhöhungen hätte machen können. Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung zu dem gerade von Herrn Kollegen Glotz angesprochenen Thema Studienstandsnachweis machen. Ich glaube, Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, daß es neben der Frage, was man damit erreichen gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pro- will - die man sicherlich diskutieren kann -, ein fessor Glotz? Grundsatzproblem gibt, nämlich das Grundsatzpro- blem - das hat mit Ihrem Antrag zu tun, den ich mit Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung, großem Interesse gelesen habe -, ob sich dieser Bun- Wissenschaft, Forschung und Technologie: Ja, eine destag dahin gehend verständigen kann, daß er die Frage des Kollegen Professor Glotz immer. wenigen Mittel, die er im Bereich der Bildungspolitik nun einmal hat - das ist die verfassungsmäßige Vor- gabe; das haben wir gerade vor wenigen Jahren im (SPD): Herzlichen Dank, Herr Bun- Dr. Peter Glotz Rahmen der Verfassungsreform diskutiert und haben desminister. Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu neh- es so gelassen, wie es seit der Großen Koalition war -, men, daß die SPD-Bundestagsfraktion gestern im einsetzt. Wäre es nicht eine Form des Verzichts auf Ausschuß in Anwesenheit Ihres Staatssekretärs Neu- Politik, verehrter Herr Glotz, wenn wir diese wenigen mann angeboten hat, bei den 4 % zu bleiben, wenn Mittel nicht einsetzten, um Hochschulstrukturref or Sie den Studienstandsnachweis aus dem Gesetz neh- men durchzusetzen? men, daß dies aber unter besonderer Aktivität Ihres Kollegen Lenzer und leider auch von der F.D.P. abge- Es ist wohl wahr, daß wir eigentlich nur drei An- lehnt worden ist? satzpunkte haben: Wir haben die BAföG-Gesetzge- (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So ist das bung, wir haben die Mittel für den Hochschulbau, nicht richtig!) und wir haben die Hochschulsonderprogramme, über deren verfassungsmäßige Zulässigkeit m an in einigen Punkten, wie jeder hier weiß, durchaus noch Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung, diskutieren kann. Wissenschaft, Forschung und Technologie: Ich bin natürlich immer bereit, a lles zur Kenntnis zu neh- Wenn ich Ihren Antrag lese, stelle ich fest, daß die men, aber ich finde es wich tig, daß man dann auch SPD in Ziffer 5 zu allen Überlegungen, die mein Mi- den gesamten Sachverhalt vorträgt, verehrter Herr nisterium im Rahmen des Berichtes zur Ausbildungs- Kollege Glotz. Wären Sie denn auch bereit, zur förderung vorgelegt hat, sagt: Wir lehnen ab. Dabei Kenntnis zu nehmen - um mit dieser rheto rischen geht es um die Regelstudienzeiten, die erneute Ein- Frage Ihre Frage zu beantworten -, daß es dann ganz schränkung der Förderung von Zweitstudien, die leicht gewesen wäre, sich hier zu einigen, wenn Sie Förderung bei Fachrichtungswechseln, die eltern- - der entsprechenden Entschließung, die die Koaliti- unabhängige Förderung usw. usw. Die Frage, die onsfraktionen vorgelegt haben, zugestimmt hätten? mich interessiert, lautet: Wenn wir die wenigen Mit- Darüber rede ich gerade. Das ist genau der Punkt. tel, die wir haben, nicht einsetzen, um inhaltliche Sie sagen in der Zeitung: „Wir wollen eine BAföG- Veränderungen im Rahmen der Hochschulstruktur Erhöhung", und die Koalitionsfraktionen legen einen reform zu befördern, macht sich dann nicht dieses entsprechenden Gesetzentwurf vor. Jetzt frage ich Parlament, macht sich nicht der Bund in der Hoch- mich: Was sollen eigentlich die Studentinnen und schulpolitik handlungsunfähig? Studenten denken, warum es dann, wenn es um die Ich finde, das ist eines der Themen, die wir in den Frage Entschließung oder nicht Entschließung oder nächsten Wochen und Monaten miteinander disku- um andere Streitpunkte geht, nicht möglich ist, zu ei- tieren müssen. Sie wissen, daß ich in den vergange- nem Einvernehmen zu kommen? Und das, verehrter nen sechs Monaten ganz bewußt darauf verzichtet Herr Glotz, bei einem Punkt, nämlich Studienstands- habe, bestimmte sehr strittige Themen in der Hoch- nachweis, bei dem die SPD-Bundestagsfraktion im schulpolitik öffentlich zu thematisieren. Statt dessen vorherigen Vermittlungsverfahren bereits zuge- habe ich versucht, mich auf das Eckwertepapier von stimmt hat, daß dieser im Gesetz bleibt! Insofern ist 1993 zu beziehen, in dem sich Bund und Länder auf das keine Grundsatzfrage, die das Herzstück sozial- gewisse Schwerpunkte verständigt haben, um damit demokratischer Bildungspolitik betrifft. einen Ansatzpunkt zu finden, bei dem Bund und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Länder etwas für die Hochschulen, für die Studieren- den und für die Professoren tun können. Das wäre der letzte Versuch, an Sie zu appellieren, dem Gesetzentwurf hier zuzustimmen und dafür zu Meine Damen und Herren, jeder hier im Raum sorgen, daß die Studentinnen und Studenten die weiß, daß wir zur Zeit 1,9 Millionen Studenten auf vierprozentige BAföG-Erhöhung bekommen und von 990 000 Studienplätzen haben - eine völlig überla- 3210 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers stete Situation. Ein Wunder, daß dieses System Mas- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- senuniversität überhaupt noch funktioniert, und ich lege Jörg Tauss. führe dies auf das große Engagement der Lehrenden und der Lernenden an den Hochschulen zurück. Jörg Tauss (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Wenn dies aber so ist, meine Damen und Herren, und Herren Kolleginnen und Kollegen! Als ich in die- dann kann doch verantwortliche Politik nicht darin sen Bundestag kam, hatte ich mir eigentlich vorge- bestehen - wie die SPD es hier feststellt -, alle ge- nommen, nachdem ich 13 Jahre lang außerhalb die- meinsam festgelegten Änderungen, die auf ein Ziel ses Hauses unter der Politik gelitten habe, über die zusteuern und nichts anderes als die gemeinsame wir hier gelegentlich streiten, mit Ihnen den S treit in Vereinbarung von Bund und Ländern im Eckwerte der Sache zu suchen. Ich war allerdings der Auffas- papier zur Grundlage haben, abzulehnen und ver- sung, daß über einen solchen Streit, in dem um Posi- hindern zu wollen, daß diese Änderungen in einer tionen gerungen wird, letztlich eine Verständigung BAföG-Novelle umgesetzt werden. Dies ist einer der erfolgen könne, die am Wohl des Ganzen orientiert drei Bereiche, in dem wir Kompetenzen haben. ist. Davon bin ich ausgegangen. Was ich hier aber seit Monaten - zwischenzeitlich kann man ja sagen, Diese Haltung führt zu Immobilismus sowie dazu, Herr Minister Rüttgers: seit Jahren - in diesem Zu- daß sich die Situation an den Hochschulen nicht än- sammenhang erlebe, belehrt mich eines Besseren. dert. Sie führt auch dazu - das ist meine größte Hier soll auf Kosten der Studentinnen und Studenten Sorge -, daß die jungen Menschen an unseren Hoch- Prinzipienreiterei betrieben werden. schulen nicht mehr verstehen, was hier an konkreter Hochschulpolitik gemacht werden soll. (Beifall bei der SPD) (Jörg Tauss [SPD]: Das ist Ihr Problem! - Herr Minister Rüttgers, dieses Einvernehmen ha- Weitere Zurufe von der SPD) ben nicht wir versagt, sondern es erfolgte deshalb nicht, weil Sie mit dieser Prinzipienreiterei den Ver- - Das ist überhaupt nicht mein Problem. Das ist ge- such unternehmen, Ihre bildungspolitischen Vorstel- nauso Ihr Problem, weil Sie Verantwortung in den lungen mit der Brechstange über das Vehikel BAföG Ländern tragen. durchzusetzen. (Zustimmung bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Vielleicht müssen Sie einmal aus der parteipoliti- schen Betrachtung herausspringen und versuchen, Das ist die Wahrheit, und eine andere Wahrheit wer- wirklich etwas zu bewegen. den Sie weder uns noch den Studentinnen und Stu- denten in diesem Lande offerieren können. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Gerhardt, ich habe gestern Ihre Pressemel- Ich bin fest davon überzeugt, daß es mit gutem dung mit Interesse zur Kenntnis genommen. Hätte Willen möglich gewesen wäre, zu einem Einverneh- ich sie früher gekannt, wäre ich gestern abend mit men zu kommen. Kollege Gerhardt und auch ich Möllemann Bier zapfen gegangen. Ihre Jungen Libe- selbst, der Kollege Neumann, der Kollege Lenzer ralen haben Ihnen ja angeboten, Ihnen Kissen zu und viele andere haben gesagt, daß wir dies versu- überreichen, damit das Umfallen nicht so weh tut. Ich chen sollten. Dies ist nicht möglich gewesen, und ich fürchte, das Kissen, das man Ihnen nach Ihrem Um- bedauere dies. fall jetzt überreichen müßte, kann gar nicht dick ge- nug sein, damit es Ihnen nicht weh tut. Dies wird im weiteren Verfahren dazu führen,- daß wir, nachdem wir heute hier einen Gesetzesbeschluß (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Sie wissen, in zweiter und dritter Lesung gefaßt haben werden, daß Sie die Unwahrheit sagen! Das wissen abzuwarten haben, ob die Bundesländer nicht sagen, Sie ganz genau!) hier handele es sich um einen vernünftigen Vor- schlag, dem sie schon einmal im Vermittlungsverfah- - Das ist die Wahrheit! ren zugestimmt hätten und dem sie jetzt auch im Wir kommen dann zu dem gestrigen Tag, den Sie Bundesrat zustimmten. pressemäßig so herrlich verarbeitet haben. Ich wi ll (Doris Odendahl [SPD]: Dann haben Sie es Ihnen keine böse Absicht unterstellen, Herr Ger- wieder geändert!) hardt; deswegen gönne ich Ihnen ja auch das Kissen. Aber dieses Angebot zu einem Kompromiß, das ge- Dieses Verfahren würde ich mir wünschen, weil es stern in der Debatte stand, Herr Lenzer, war doch nämlich den Zustand sofort klärte. Die weitere Mög- nichts anderes als eine Mogelpackung. lichkeit - das kann ich natürlich nicht ausschließen -, ist, daß wir in ein Vermittlungsverfahren gehen. (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das ist Ohne Prophet sein zu wollen, bin ich ganz sicher, daß doch überhaupt nicht wahr!) wir es auch aus dem Interesse der Länder heraus, Sie wollten uns zu einer gemeinsamen Entschließung wenn auch mit viel Mühe, noch schaffen werden, bewegen, die dazu geführt hätte, das, was wir aus eine Lösung für die BAföG-Erhöhung im Herbst hin- gutem Grund ablehnen, in diese BAföG-Novelle hin- zubekommen. einzubekommen. Das ist auch ein Punkt, auf den wir Ich bedanke mich. hier hinweisen möchten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3211

Jörg Tauss Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Schwächen, Profil- voll, daß möglichst frühzeitig, wenn ein Wechsel vor- neurosen in der Koalition und eine verfehlte Bil- genommen werden soll, ein solcher Wechsel auch dungspolitik des Zukunftsministers werden Sie nicht möglich ist. Wir wollen nicht jeden beliebigen Wech- über Entschließungen, die Sie uns im Ausschuß un- sel förderungsunschädlich akzeptieren. Dies aber ist terjubeln, regeln. Das muß an dieser Stelle auch ge- in der 12. Novelle befriedigend gelöst worden. Auch sagt werden. wenn die Hochschulrektorenkonferenz einiges zum Thema Fachrichtungswechsel empfohlen hat, müs- (Beifall bei der SPD) sen wir doch feststellen, daß diese Vorschläge noch Dieses Trauerspiel ist nicht akzeptabel, und Sie wer- nicht so ausgegoren sind, daß sie auch in einem ge- den uns nicht vor diesen Karren spannen. richtlich nachprüfbaren Verfahren haltbar wären. Deswegen sollten wir hier noch ein bißchen nach- Meine Damen und Herren, es geht aber, Herr Mi- denken. Was Sie im Moment wollen, ist nichts ande- nister, nicht nur um die Frage der Bedarfssätze und res als mehr Bürokratie. Sie werden die Hochschulen der Freibeträge. Es geht um mehr. Im übrigen geht in Rechtsstreitigkeiten in großer Zahl verwickeln. es auch nicht nur um den Studiennachweis. Auch das ist Unfug und sollte daher von Ihrer Seite Zunächst einmal wollen Sie, ebenfalls über die zurückgenommen werden. Sie haben die Chance, 17. Novelle, die Förderungshöchstdauer im Universi- unserem Antrag zuzustimmen. tätsbereich auf neun und im Fachhochschulbereich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auf acht Semester begrenzen. Beim gegenwärtigen Stand der Umsetzung würde dies bedeuten, daß die Zum vierten. Auch wenn man mit diesem Wo rt vor- bedürftigen Studierenden in den Examensvorberei- sichtig sein sollte, so bezeichne ich das, was Sie, Herr tungen empfindlich getroffen würden. Sie würden zu Minister, im Zusammenhang mit der elternunabhän- erhöhter Verschuldung und, was noch viel schlimmer gigen Förderung vorhaben, doch schlichtweg als wäre, in dem einen oder anderen Falle sogar zum skandalös. Hier werden Auszubildende ge troffen, Studienabbruch gezwungen. Das ist der Punkt. die aus dem zweiten Bildungsweg kommen, junge Menschen, vor denen ich Respekt habe und vor de- Sie können mit uns - nehmen Sie dieses Angebot nen wir Respekt haben sollten. Man will gerade die- an! - über Förderungshöchstdauern reden, aber ich jenigen, die leistungsbereit und leistungsfähig sind, sage Ihnen an dieser Stelle auch: nur unter Beibehal- über diese Maßnahmen bestrafen. Ich weiß nicht, tung der bewährten Studienabschlußförderung. was dies soll. Ich glaube, Herr Minister, Sonntagsre- Daran wollen wir gleichfalls festhalten. den über die Zukunftsfähigkeit dieses Landes verlie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ren dann ihre Wirkung, wenn man gerade die qualifi- zierten jungen Menschen, die sich durchbeißen und Die Förderungshöchstdauern sind sukzessive zu den dazu in der Lage sind, in dieser Art und Weise be- Fortschritten bei der Verkürzung der Studienzeiten, straft. Deswegen bleibe ich in diesem Zusammen- aber nicht im Vorgriff anzupassen. Warten Sie doch hang bei dem Wort „skandalös". den Bericht der Kultusministerkonferenz in diesem Punkt ab! (Beifall bei der SPD) Zum zweiten. Sie wollen erneut die Forderung An dieser Stelle machen Sie übrigens genau das, nach einer Abschaffung bzw. nach einer Beschrän- was Sie uns ständig vorwerfen: Sie schüren Neid, Sie kung der Zweitstudien erheben. Auch dieser Plan, hetzen eine Gruppe junger Leute auf die andere. Es Herr Minister, ist nichts als schiere Ideologie. Sie wol- müßte jedem vernünftig denkenden Menschen klar len der Öffentlichkeit etwas vorgaukeln, so nach sein, daß ein auf kontinuierliche Ausbildung ange- dem Motto: Es gibt da Studenten, die sich nichts legter Weg über Berufsaufbauschulen oder Fach- Schöneres vorstellen können, als von Studiengang zu oberschulen etwas anderes ist als bei jungen Men- Studiengang zu hoppeln, und die wollen wir an die schen, bei denen die Unterhaltspflicht durch die ab- Kandare nehmen! - Das ist das, was Sie öffentlich zu geschlossene Berufsausbildung bereits beendet ist. diesem Thema sagen wollen. Diesen Unterschied müßten Sie als Bildungsminister und, wie ich hoffe, auch die Bildungsexperten Ihrer Zweitstudien werden aber interessanterweise ver- Fraktion zu machen in der Lage sein. stärkt auch von der Wirtschaft gefordert. Zweitstu- dien besonders hochqualifizierter Studentinnen und (Zuruf des Abg. Peter Dreßen [SPD]) Studenten tragen dem raschen Strukturwandel unse- rer Wirtschaft Rechnung. Diese wirtschafts-, zu- - Das ist die Frage, Herr Kollege Dreßen. Ich weiß es kunfts- und letztlich leistungsfeindliche Forderung, nicht, habe aber, wie ich eingangs gesagt habe, die die Sie hier aufgreifen, wird um so unverständlicher, Hoffnung nicht aufgegeben, daß auf der rechten wenn man sieht, worum es sich eigentlich handelt. Seite dieses Hauses auch einmal ein Prozeß des Es handelt sich nämlich um rund 4 000 Förderfälle Nachdenkens erfolgt - statt ein Prozeß der Demago- mit einem Gesamtaufwand von 38,5 Millionen DM gie, der auf Kosten der jungen Menschen geht und im Jahr. Die von Ihnen in Permanenz steuerlich ent- mit dem beabsichtigt wird, die Leute an den Univer- lastete deutsche Großbank spricht übrigens bei noch sitäten aus diesem Hause falsch zu informieren. größeren Be trägen von Peanuts. Dieser Versuch, Herr Minister, schlägt fehl. Sie Problematisch ist zum dritten Ihre Forderung nach werden es nicht schaffen, dies zu erreichen. Ich sage einer Einschränkung der Förderung nach einem Ihnen an dieser Stelle in aller Klarheit: Hochbegabte Fachrichtungswechsel. Selbstverständlich ist es sinn- junge Menschen, die aus sozialen Gründen auf 3212 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Jörg Tauss BAföG angewiesen sind, sind nicht die Sparschweine Mittlerweile erhalten in den alten Ländern nur noch der CDU/CSU, auf deren Kosten Sie Ihre maroden 24 % der Auszubildenden Ausbildungsförderung, Haushalte sanieren können. Ich glaube, auch dies und zwar einen durchschnittlichen Be trag von sollten wir heute deutlich sagen. 570 DM. Anfang der 80er Jahre waren es noch 37 %. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Kehren Sie zu dem, Überhaupt, Herr Minister: Sie sprechen davon, daß was als Kompromiß sichtbar war, zurück! Sie haben wir im Bereich der Bildung nur wenige Mittel zur diesen Weg aus ideologischen Gründen verlassen. Verfügung haben - als wäre dies gottgegeben. Der Herr Zukunftsminister, finden Sie die Kraft, wieder Haushalt für Bildung und Wissenschaft ist in der Tat auf diesen Weg zurückzukehren und zu einem ver- nur marginal; er be trägt 1,3 % des Bundeshaushaltes. nünftigen Maß zu kommen. Wir sind kompromißbe- Für Forschung und Technologie kommen noch 1,9 % reit. Ihre Vorlage ist kein Beweis dafür, daß Sie kom- hinzu. Insgesamt macht dies 3,2 % des Bundeshaus- promißfähig und kompromißbereit sind. haltes. Das ist eine kleine Zukunft, Herr Minister. Ich bedanke mich. Heute wird also darum gerungen, ob einem Ehe- paar mit 1 900 DM netto bzw. einem Alleinerziehen- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE den mit 1 310 DM netto ein um 4 % erhöhter Ausbil- GRÜNEN und der PDS) dungsfreibetrag zugestanden werden kann: statt 1 900 DM bzw. 1 310 DM also nun 1 980 DM bzw. Vizepräsident Hans Klein: Ich glaube, ich sollte 1 365 DM. Für diese Differenz kann man gerade ein dem Haus sagen, was mir die Kollegin Doris Oden- einziges Mal essen oder ins Theater gehen. Sie kön- dahl zugeraunt hat: Der Kollege Tauss sei zwar keine nen sich doch gar nicht mehr vorstellen, mit 1 365 Jungfrau, dies aber sei seine Jungfernrede gewesen. DM als Alleinstehender auszukommen bzw. mit 1 980 DM zu zweit zu leben. (Heiterkeit und Beifall) Was sind die Konsequenzen dieser Politik? Viele Ich erteile der Kollegin Elisabeth Altmann das begabte Menschen verzichten unter diesen Bedin- Wort. gungen auf ein Studium bzw. eine entsprechende Ausbildung, oder sie sind gezwungen, erwerbstätig Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/ zu sein und fahren, wie ein Student aus meiner DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Nachbarschaft, morgens um halb vier Kurierdienst. Damen und Herren! Herr Minister, Sie beklagen, daß Sie heute zum vierten Mal zum Thema BAföG reden. 60 % der Studierenden arbeiten mittlerweile wäh- Wir würden auch lieber über eine grundsätzliche rend der Vorlesungszeit. Was ist die Folge davon? Verbesserung der Studiensituation, z. B. über kür- Zwangsläufig verlängert sich dadurch das Studium. zere Studienzeiten und über eine Entfrachtung der Den Eltern mit mittleren Einkommen werden erhebli- Studienpläne, reden anstatt über eine schlichte Erhö- che Summen abverlangt, was oftmals zu einer für die hung von durchschnittlich 25 DM für junge Men- jungen Menschen nicht erwünschten Abhängigkeit schen, die studieren und deren Eltern nicht das nö- führt. Als Mutter zweier Söhne, die studieren, kann tige Kleingeld aufbringen. ich von deren Unabhängigkeitsstreben ein Lied sin- gen. Tatsache ist, daß die Fördersätze das letzte Mal Eigentlich sollte es bei diesen Debatten um die vor drei Jahren angehoben wurden. Unsere Forde- menschlichen Ressourcen in diesem Land gehen, um rung ist, daß die BAföG-Sätze wieder zur Behebung die Entwicklung von Geist und Verstand. Es sollte sozialer Ungleichheiten greifen müssen. um die jungen Menschen gehen, die ihre Fähigkei-- ten und Fertigkeiten weiterentwickeln wollen und Es geht der Bundesregierung darüber hinaus of- dieses Wissen und Know-how dann der Gesellschaft fensichtlich nicht nur ums Sparen, sondern um Druck und der Wirtschaft zur Verfügung stellen sollen. und Restriktionen. Deutlich wird das auch bei dem selbst in ihren eigenen Reihen umstrittenen Studien- Bedauerlicherweise, Herr Minister, geht es bei die- standsnachweis nach dem zweiten Semester oder ser Debatte aber um Politiker, die auf dem Geldsack auch bei der Einschränkung des Fachrichtungs- sitzen, den sie bei anderen, vermeintlich wich tigen wechsels, was hier schon erwähnt wurde. Angelegenheiten bereitwillig öffnen. Ich nenne ei- nige Stichwörter: der Forschungsreaktor in Gar Auch auf Druck zielen die Pläne zum Wegfall der ching, der Transrapid, die Gentechnologie und der elternunabhängigen Förderung für Studentinnen neue Eurofighter. und Studenten des zweiten Bildungsweges, wie sie sich in der Unterrichtung der Bundesregierung fin- (Zuruf von der CDU/CSU: Mein Gott! Nen den. Man kann doch einem Menschen auf dem zwei- nen Sie doch noch ein paar!) ten Bildungsweg, in der Regel Mitte 20, nicht mehr zumuten, das Geld von seinen Eltern zu erbetteln. In - Ja, ich könnte noch ein paar nennen. meinem Büro stapeln sich dazu die Nachfragen. „Zukunft" heißt Ihr Zauberwort. Das ist allerdings Die Regierung zieht sich nicht nur aus der Ausbil- keine Zukunft für junge Menschen. Nein, da wurde dungsförderung zurück, sondern sie baut auch die in den letzten Jahren hef tig gespart. Durch die nied- Förderungsmöglichkeiten aus dem AFG ab. Als Aus- rigen Elternfreibeträge wurden innerhalb von nur gleich soll dann ein eingeführt wer- zwei Jahren die BAföG-Ausgaben des Bundes um Meister-BAföG den. Nichts gegen die Förderung der betrieblichen 500 Millionen DM gesenkt. Ausbildung und die Förderung von Meisterkursen. (Doris Odendahl [SPD]: Es ist unglaublich!) Im Gegenteil: Mit Kopf und Hand entsteht Verstand. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3213

Elisabeth Altmann Aber da entsteht doch hier nichts Neues. Ich sage: Ideen und neue Vorstellungen in die Bildungspolitik Das ist ein Täuschungsmanöver. Man geht hier auf investieren. Stimmenfang mit der Behauptung, eine weitere För- derungsmaßnahme im Berufsbildungsbereich zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schaffen. sowie bei Abgeordneten der SPD) Die im April veröffentlichten Zahlen des 3. OECD- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Bildungsberichts machen deutlich, welche Wertung Dr. Wolfgang Gerhardt, Sie haben das Wort. die Bundesregierung der Bildungspolitik zuweist. Bereits jetzt liegt die BRD bei den Ausgaben pro Stu- dierenden auf Platz 14 der Rangliste der OECD-Län- Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Herr Präsident! der. Meine Damen und Herren! Wir beraten die BAföG- Novelle, bei der wir aus meiner Sicht zu einem Ein- (Doris Odendahl [SPD]: Das ist eine vernehmen hätten kommen können - wenn man es Schande!) wirklich gewollt hätte. Bei den Bildungsausgaben, bezogen auf die gesam- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ten Staatsausgaben, ist die Bundesrepublik sogar das Schlußlicht. Im Kern geht es um zwei Sachverhalte. Niemand diskutiert kontrovers darüber, daß eine Erhöhung der (Doris Odendahl [SPD]: Toll!) Sätze um 6 % angemessen wäre. In der Fußballbundesliga wird bei diesem Tabellen- (Jörg Tauss [SPD]: Richtig!) stand der Trainer gefeuert, Herr Rüttgers. Nur reden wir offen darüber, daß wir finanzwirt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schaftliche Grenzen haben und deshalb die Sätze und bei der SPD - Zurufe von der SPD: Ab nur um 4 % steigern können. Das ist nicht kontrovers steigen! - Kreisklasse! - Bei der Haushalts und hier so festzuhalten. lage gibt's Lizenzentzug!) Wir reden auch darüber, daß die junge Genera tion in ihrer überwiegenden Zahl das Studium an den Wir sollten hier zu einem einvernehmlichen Be- Hochschulen nicht verbummelt, sondern es lei- schluß kommen. Ich appelliere deshalb auch an die stungsgerecht mit eigenen Anstrengungen schnellst- Koalition: möglich abschließen wi ll. Erstens. Sehen Sie von Ihren Plänen zur Erhöhung (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne der Bedarfssätze um 4 % ab! Stimmen Sie dem Ände- ten der CDU/CSU) rungsantrag zur Anhebung der Bedarfssätze um 6 % zu! Ein großer Teil der jungen Genera tion beklagt sich ja eher darüber, daß die Hochschulen nicht in der Lage (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie ein sind, ihnen ein Studium anzubieten, das eine ver- mal, woher das Geld kommen soll!) nünftige Studiengestaltung möglich macht. Zweitens. Lassen Sie den unsinnigen Studien- (Doris Odendahl [SPD]: Das ist genau das: standsnachweis fallen! Wissen, aber falsch handeln!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN- - Frau Kollegin Odendahl, wir sollten ganz fair mit- und bei der SPD) einander umgehen: Wir haben Ihnen angeboten, den Studienstandsnachweis aus dem Gesetzentwurf her- Es ist doch so: Lediglich weniger als 1 % der BAföG- auszunehmen. Sie wissen wie ich, daß wir Texte vor- Empfänger und -Empfängerinnen würden durch die- bereitet hatten - auch sie sind nämlich unstreitig -, sen Studienstandsnachweis herausfallen. Das lohnt nach denen die Hochschulen selbst, in ihrer eigenen sich doch gar nicht. Zuständigkeit, im Grundstudium Prüfungen durch- führen, jedenfalls Momente finden, um studiensteu- Drittens. Sehen Sie von Ihren Plänen zur Ein- ernd zu wirken und Studierende durch Prüfungen zu schränkung des Fachrichtungswechsels ab. Sie ent- beraten. Wir wollten uns bewußt auf die Hochschu- sprechen heutigen Ausbildungsbiographien und der len und deren eigene Entscheidungen verlassen. anwachsenden Arbeitslosigkeit in keiner Weise mehr. Wir hatten einen Text vorbereitet, mit dem wir die Stellungnahme der Hochschulrektorenkonferenz Viertens. Denken wir gemeinsam über grundsätzli- begrüßen: Wir gehen davon aus, daß solche hoch- che Reformen der Ausbildungsförderung nach. schuleigenen Prüfungen entsprechend BAföG als Nachweise gelten. Wir haben ausdrücklich der Hochschulrektorenkonferenz zugestimmt, die diese Vizepräsident Hans Klein: Ihre Redezeit ist zu Ende. Nachweise auch im Grundstudium sehen wi ll. Ich war hocherfreut, daß das a lles einvernehmlich war, weil ich mir nichts sehnlicher gewünscht hätte, Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/ als das heute so abzustimmen. DIE GRÜNEN): Eine verantwortliche und auf die Zu- kunft orientierte Politik sollte außer Geld auch noch (Jörg Tauss [SPD]: Können wir doch!) 3214 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Wolfgang Gerhardt Wenn einer wie ich aus der Deckung tritt, dann müs- Ich bedauere außerordentlich, daß die Sozialdemo- sen aber auch andere aus der Deckung treten. Das ist kratische Partei diesen Schritt nicht gemacht hat. Er die Unfairneß Ihres Vorwurfs: hätte sie nichts gekostet, er wäre noch nicht einmal gegen Ihre Meinung gewesen, da der Entschlie- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ßungsantrag Gemeinsames zusammenfaßt. ten der CDU/CSU) Ich lasse mich kritisch bewerten, aber ich lasse mir Ich trete aus der Deckung, mache einen Vorschlag, nicht gefallen, daß Sie draußen den Eindruck erwek- und Sie bleiben in der Deckung, lehnen den Ent- ken, als säße Ihnen eine Koalition gegenüber, die schließungsantrag ab und werfen mir heute vor, das nicht kompromißfähig ist, die heute das Gesetz nicht sei zu wenig. Ich meine - im Interesse eines geordne- beschließen wollte. Sie selbst hatten nicht die Kraft, ten Umgangs miteinander -, wenn man zur Einigung diesen Schritt zu tun. Das bedauere ich für meine kommen will, muß jeder etwas springen. Fraktion sehr.

(Günter Rixe [SPD]: Ihr hättet springen kön (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nen!) Wir hätten heute gerne mit Ihnen zusammen das Ich bin den Schritt gegangen, Gesetz verabschiedet; denn im Grunde hätten alle et- was davon, wenigstens die Klarheit über die zukünf- (Günter Rixe [SPD]: Nein!) tige Perspektive des BAföGs, über die Erhöhung von 4 %. Mir tut es außerordentlich leid, daß es dazu aber Sie sind in der Deckung geblieben. Deshalb nicht kam. scheitert heute leider ein Einvernehmen. Wir sollten in einem Klima diskutieren, das spätere Regelungen - es stehen ja noch hochschulpolitische Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Gerhardt, Entscheidungen an - nicht verdirbt. der Kollege Glotz würde gerne eine Zwischenfrage stellen. (Doris Odendahl [SPD]: Ja!) Ich bin allerdings der Auffassung: Sie müssen inte rn überlegen, ob Sie in Zukunft die Kraft haben, einmal (SPD): Herr Kollege Gerhardt, Dr. Peter Glotz über Ihren Schatten zu springen. warum gestehen Sie nicht zu, daß auch wir aus der Deckung gegangen sind - wir waren bereit, von 6 % (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: auf 4 % zu gehen -, und warum in Gottes Namen Gleichfalls! - Do ris Odendahl [SPD]: Also, wollten Sie den Studienstandsnachweis nur dann Herr Gerhardt, wenn Sie von Kraft reden, herausnehmen, wenn wir diesem „Resolutiönchen" wirkt das etwas sonderbar!) zugestimmt hätten, das uns in m anchen Elementen eben nicht gepaßt hat? Was war denn der Grund da- Jedenfalls täte das der hochschulpolitischen Debatte für, daß Sie darauf bestanden haben? ganz gut.

(Günter Rixe [SPD]: Weil das nicht stimmt, Schlußbilanz: Wir werden alle kritisiert werden, was er sagt!) daß wir, obwohl wir im Hause eine weitgehende Mehrheit für ein solches Gesetz haben, nicht fähig und in der Lage waren, es zu verabschieden. Daher Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Weil Sie- wie wir - lehne ich diesen kleinlichen Schlagabtausch mit Vor- das galt auch schon für Ihre Vertreter im Vermitt- würfen, was wer nicht gemacht habe, ab. Wir müssen lungsausschuß - den Studienstand durch hochschul- uns prüfen, ob die Darstellung von Politik draußen eigene Prüfungen feststellen lassen wollten. Wir sind nicht auch deshalb so mißliebig ist, weil wir in dieser doch in dieser Sachfrage noch nicht einmal kontro- Art verfahren. vers. Der Gesetzgeber muß einen Hinweis geben, wie er das Element der „eigenen Prüfung" sieht. Das Ich kann Ihnen persönlich sagen: Ich hätte mich war unstreitig. Ich sage deshalb: Es hätte Sie doch gerne mit Ihnen geeinigt. gar nichts gekostet, dieser Entschließung zuzustim- (Dr. Peter Glotz [SPD]: Aber Herr Lenzer men, weder in der Sache noch in der Form. Ich be- hat Sie kassiert!) dauere es außerordentlich, daß es dazu nicht gekom- men ist. - Nein, ich war mit Herrn Lenzer und mit Bundesmi- nister Rüttgers der gleichen Auffassung. - Als mir Ich sage aber auch ganz persönlich für die zukünf- mein Mitarbeiter am Montag mitteilte, wir wären uns tige Arbeit, Frau Kollegin Odendahl: Ich denke nicht über einen Text einig, hat sich niemand mehr gefreut in Lagertheorien. Wir sitzen uns hier nicht feindlich als ich. Ich bedaure, daß Sie das nicht durchgehalten gegenüber, wir müssen nach Kompromissen suchen. haben. (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) (Dr. Peter Glotz [SPD]: Sie haben nicht durchgehalten!) Aber dazu gehört, daß jeder ein Stück auf den ande- ren zugeht. Das ist der ganze Stand der Debatte. (Zustimmung bei der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3215

Vizepräsident Hans Klein: Meine verehrten Kolle- Schritt zur Überprüfung zum Zwecke der BAföG- ginnen und Kollegen, ich weise darauf hin, daß wir Entscheidung mit Studiennachweisen vermengt, die etwa zwischen 12.45 Uhr und 12.50 Uhr zur nament- selbstverständlich reguläre, normale und verbreitete lichen Abstimmung kommen werden. Bestandteile des Hochschulstudiums, der Ausbil- dung und der Anforderungen an die Studenten sind. Ich erteile jetzt dem Kollegen Dr. Ludwig Elm das Wort. Zweitens. Besonders die Vertreterinnen und Ver- treter der Studierenden haben bei der BAföG-Anhö- rung am 10. Mai nachdrücklich darauf hingewiesen, Dr. Ludwig Elm (PDS): Zu der Eingangsbemerkung daß eine relativ isolierte BAföG-Debatte nicht sehr von Minister Rüttgers über wiederholte BAföG-De- viel bringt. Darauf hat meine Kollegin Maritta Bött- batten möchte ich bemerken, daß allerdings der Auf- cher hier am 11. Mai schon hingewiesen. Ich erin- wand an Vorlagen und Diskussionen zu diesem nere an diese studentischen Forderungen: statt end- Thema zu dem wahrscheinlich absehbaren Ertrag für loser BAföG-Debatten eine grundsätzliche Reform die Studienförderung der Studenten umgekehrt pro- der Ausbildungsförderung. Die Juso-Hochschul- portional sein wird. Dieses Mißverhältnis ist kaum zu gruppen verweisen auf einen ihrer Beschlüsse, in übersehen. dem sie fordern, daß im Rahmen einer sozialen Ich möchte mich auf drei Bemerkungen beschrän- Grundsicherung allen Auszubildenden eine Ausbil- ken. Erstens. Wenn man den Abstand zwischen Re- dungsförderung als elternunabhängiger Vollzuschuß gierungspolitik und Sachverstand in Zahlen ausdrük- zugute kommen muß. Ich verweise auf ähnliche Stel- ken will, so hat er sich in der BAföG-Frage innerhalb lungnahmen des Arbeitskreises „Soziale Einrichtun- eines Jahres fast verdreifacht. Für eine BAföG-An- gen Studierender" und auf Posi tionen der Liberalen passung 1994 hielten die Sachverständigen eine Er- Hochschulgruppen, die in die Richtung zielen, daß höhung der Bedarfssätze und der Freibeträge um ein tatsächlicher Inflationsausgleich erfolgen müsse mindestens 6 % für unumgänglich. Regierung und und so viel BAföG zu zahlen sei, daß die Studenten Koalition bestritten dies nicht, beharrten aber auf ei- damit ohne nennenswerte Nebenarbeit ihre Studien ner Aufschiebung der 1994 fälligen Erhöhung der planmäßig und als Hauptaufgabe bestreiten können. Bedarfssätze und auf einer jeweils 2%igen Erhöhung Ich möchte drittens auf eine nochmalige Begrün- der Freibeträge 1994 und 1995. dung unseres eigenen Antrages verzichten und Ih- Der Abstand zwischen Regierungspolitik und nen statt dessen in Übereinstimmung damit die sehr Sachverstand betrug 1994, wenn man so will, etwa kurz gefaßten Forderungen des Studentenparla- 2 %. Man konnte das zur Not noch verstehen. Im Ver- ments der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/ mittlungsausschuß wurde ja zunächst auch ein Kom- Oder, als Entscheidungshilfe anbieten: promiß gefunden. 1995 ist die Differenz zwischen Re- Das Studierendenparlament fordert: erstens die gierung und Koalition auf der einen Seite und den Erhöhung der Bedarfssätze um 9,8 % zum Herbst solide begründeten Vorschlägen und Forderungen 1995, zweitens die Erhöhung der Freibeträge um der Sachverständigen, z. B. des Deutschen Studen- 9,4 % zum Herbst 1995, drittens die Ost-West-An- tenwerkes, auf der anderen Seite von 2 % auf 5 bis gleichung der Berechnungszeiträume für die Ein- 6 % angewachsen, hat sich also fast verdreifacht. kommensermittlung, viertens die Ost-West-An- gleichung der Zuschüsse für die Unterbringung, Wichtiger als diese Zahlen scheint mir der gene- fünftens die unbefristete Verlängerung der Stu- relle Umstand, daß sich die Hochschulpolitik der dienabschlußförderung, sechstens den Verzicht Bundesregierung und der Koalition vom -Sachver- auf weitere Leistungsstandnachweise. stand verabschiedet hat. Dafür ist BAföG nur ein Bei- spiel. Die Sprach- und Hilflosigkeit in der Frage der Diese studentischen Forderungen sind der Maß- Weiterführung der Hochschulsonderprogramme, der stab dafür, ob durch die Politik der Bundesregierung Irrglaube, die Studienstrukturreform mit verschärften weiterhin die Chancengleichheit in der höheren Bil- Sanktionen vorrangig voranbringen zu können, sind dung effektiv demontiert wird oder ob eine Wende weitere. Der Rückwärtsgang des Ministeriums, sein zugunsten der Bewahrung und des Ausbaus des in Verharren im Hergebrachten, mit dem man die Pro- der Vergangenheit bereits Erreichten eingeleitet bleme nicht mehr lösen kann, zeigt sich nicht nur in werden kann. der Hochschulpolitik, sondern auch in Teilen der For- schungspolitik und in der Berufsbildungspolitik. Danke schön. In bezug auf das BAföG hat die Staatssekretärin (Beifall bei der PDS) Frau Yzer diese Ignoranz durch die Bundesregierung bei der BAföG-Anhörung und bei anderen Presseer- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- klärungen so überzeugend demonstriert, daß man lege . schon meinen könnte, es wäre ein konstitutiver Be- standteil in der Tätigkeit des Ministeriums. Ich (Beifall des Abg. Josef Hollerith [CDU/CSU] - Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! - Ge nehme das Beispiel des Studienstandsnachweises, dem in der Anhörung von praktisch allen Experten genruf von der SPD: Woher wissen Sie das?) und Sachverständigen eine eindeutige Abfuhr erteilt worden ist. Er wird gelegentlich immer wieder in ei- Christian Lenzer (CDU/CSU): Herr Präsident! ner Mogelpackung angeboten, indem man den Stu- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich dienstandsnachweis als einen ganz spezifischen möchte am Anfang meiner Ausführungen die Fest- 3216 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Christian Lenzer stellung treffen: Eigentlich geht es ganz gesittet und Am Montag, als die Fraktionsvorstandsgremien friedlich zu. der verschiedenen Fraktionen tagten, habe ich kei- nen Ton von der SPD gehört. Die Angebote lagen auf (Dr. Peter Glotz [SPD]: Sehr richtig!) dem Tisch; es waren ausformulierte Papiere vorhan- den, Herr Glotz. Ich bin auch froh, daß wir heute mit dieser Debatte eine gewisse Zäsur machen, denn ich gehe davon (Doris Odendahl [SPD]: Sie sind doch gar aus, daß die Mehrheit des Hauses diesen Gesetzent- nicht zum Berichterstattergespräch gekom wurf am Ende der Beratungen verabschieden wird. men!) Damit kann das parlamentarische Verfahren weiter- gehen. Herr Glotz, Sie haben dann am Mittwoch im Aus- schuß wie eben auch wieder etwas abschätzig geäu- Die Kollegin Odendahl, die als letzte Rednerin ßert, Sie sollten einem „Resolutiönchen" zustimmen. hiernach das Wort ergreifen wird, wird sicherlich an In diesem „Resolutiönchen" ging es darum, daß wir einer vermeintlichen Verzögerung Kritik üben. uns die Grundsätze, die die Hochschulrektorenkon- ferenz in ihrer 104. Plenarsitzung formuliert hat, zu (Zurufe von der SPD: Berechtigt! - Das ist ja eigen machen. auch so!) Damit komme ich zu dem zweiten Punkt, in dem - Ob berechtigt oder unberech tigt, wer alles mitge- wir unterschiedlicher Meinung sind: Das ist der soge- wirkt hat, Bundesrat, Vermittlungsausschuß, das nannte Studienstandsnachweis. steht dahin. Heute wollen wir im wahrsten Sinne des Wortes unsere Schulaufgaben erledigen und dieses Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Lenzer, ge- Gesetz auf den Weg bringen. statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Oden- (Beifall des Abg. Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/ dahl? CSU] - Zuruf von der SPD: Wir sind aber keine Schulklasse!) Christian Lenzer (CDU/CSU): Herr Präsident, so- fort. Ich möchte nur diesen Gedanken noch zu Ende Worum geht es? Es geht um zwei markante Pro- führen dürfen. bleme, und die ganze Dampfplauderei und alle ande- ren Punkte wollen wir mal außen vor lassen. Es geht Bitte sprechen Sie nicht von einer Chance der Ge- erstens um die Erhöhung der Bedarfssätze, Sozial- meinsamkeit, die wir verpaßt hätten. Denn auch am pauschalen usw. in den entsprechenden Verfahren Dienstag, während die Arbeitsgruppe unserer Frak- um 4 %. Natürlich hätte man sich mehr vorstellen tion tagte - für die kann ich das bestätigen -, haben können, aber wir leben auch haushaltsmäßig in einer wir aus der SPD-Fraktion, obwohl wir mehrfach tele- realen Welt. fonisch angefragt haben „Was ist los? Wovon können wir ausgehen?", nicht einen einzigen Ton gehört, Wenn man sich überlegt, daß diese Maßnahme den nicht ein einziges Kompromißangebot. Wieso kann Bund bereits im Jahr 1995 96,4 Millionen DM kosten man eigentlich kompromißbereit sein, wenn man am wird, daß die Länder, die eine Quote von 35 % an den Mittwoch im Ausschuß ein halbes Dutzend Anträge BAföG-Aufwendungen finanzieren müssen, weitere vorlegt und am Donnerstag, also heute, wieder drei 51,8 Millionen DM hinzubuttern müssen, dann ver- Anträge vorlegt, in denen die Standpunkte so weit steht man auch, warum bereits in dem Entwurf des auseinanderklaffen, daß Sie doch nicht allen Ernstes Bundesrates, also mit ausdrücklicher Zustimmung - annehmen können, daß wir zueinander finden kön- der SPD-Finanzminister, von einer Erhöhung von 4 % nen? ausgegangen wurde. Ich weiß gar nicht, wie m an da noch streiten konnte. Entschuldigen Sie, Frau Odendahl, daß ich Sie so lange habe stehen lassen. Vor allen Dingen verstehe ich nicht - das müssen Sie erklären, Frau Odendahl -, wieso Sie heute noch Doris Odendahl (SPD): Das macht nichts. - Herr einmal, auch gestern nach vielen anderen Anträgen, Kollege Lenzer, eine Bemerkung vorab: Ein halbes einen Entschließungsantrag einbringen, der von ei- Dutzend wären sechs Anträge; wir haben aber nur ner sechsprozentigen Erhöhung ausgeht. drei Anträge. Aber das macht auch nichts. (Doris Odendahl [SPD]: Ich erkläre es nach Herr Kollege, sind Sie bereit, diesem Hause gegen- her!) über zu erklären, daß Ihnen bereits in der letzten Sit- zungswoche eine Einladung zu einem Berichterstat- - Gut, prima. tergespräch für den 29. Mai, also letzten Montag, zu- Sie haben beklagt - das will ich gleich zu entkräf- gegangen ist, daß die Regierungskoalition - also so- ten versuchen -, daß wir uns nicht einigen konnten. wohl CDU/CSU als auch F.D.P. - dieses Berichterstat- Kollege Gerhardt hat dazu treffend festgestellt: Es tergespräch aber abgesagt bzw. nicht reagiert hat? bestand von uns durchaus das Angebot, zu einer Ei- (Jörg Tauss [SPD]: Aha!) nigung zu kommen, aber wir waren und sind auch in Zukunft nicht bereit, irgendeinen Blankoscheck zu unterschreiben. Christian Lenzer (CDU/CSU): Frau Kollegin Oden- dahl, Sie haben uns erst zu Beginn der vorletzten (Jörg Tauss [SPD]: Aber wir sollen?) Ausschußsitzung, um die es sich wohl handelt, quasi Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3217

Christian Lenzer als Tischvorlage Anträge vorgelegt, und zwar sehr 104. Plenarsitzung diese Empfehlung abgegeben umfangreiche Anträge. Es waren solche Anträge wie hat. Dort haben Praktiker gesprochen. Ich kann mir z. B. der auf dem grünen Umdruck von heute, in dem nicht vorstellen, daß die Hochschulrektoren so etwas der Teufel an die Wand gemalt wird und der für mich empfohlen hätten, wenn sie genau wüßten, daß das weiter nichts enthält als politische Totschlagargu- nicht durchführbar ist. mente in der Tagesauseinandersetzung. Da steht z. B.: „Der Bundestag lehnt es ab ... auf dem Rücken Um was geht es denn? Bereits jetzt ist in Art. 48 der bedürftigen Studenten ... gegen die Länder ... " des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vorgese- usw. usf. hen, daß nach dem vierten Semester ein Leistungs- nachweis erbracht werden muß. Das ist bereits jetzt (Widerspruch bei der SPD) eine Conditio sine qua non - ohne diesen Nachweis Wir konnten die Anträge, die Sie zu Beginn der Sit- geht es nicht. Man könnte jetzt natürlich sagen: Eine zung vorgelegt haben, noch nicht einmal durchlesen. fürchterliche Härte! Wie kann man den armen Leu- Vielleicht können Sie schneller lesen als andere. Sie ten nur zumuten, daß sie sich auch noch einer derar- haben sogar ein Votum verlangt. Sie wollten, daß wir tigen Überprüfung stellen? Das ist wohl unerhört! die Anträge - praktisch ohne sie richtig gelesen zu haben - durch Abstimmung erledigten. Das ist noch (Horst Kubatschka [SPD]: Sagen Sie das?) rt, geschweige nicht einmal die feine englische A - Nein. Ich sage das nicht. Ich habe das aber aus Ih- denn, daß wir solche Sitten hier im Deutschen Bun- rer Ecke mehrfach gehört. destag einführen sollten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Doris Odendahl [SPD]: Nein!) ordneten der F.D.P. - Jörg Tauss [SPD]: Es ist eine Frage gestellt worden!) Lesen Sie sich einmal diesen Antrag durch; da steht das mehrfach drin. Lesen Sie einmal durch, wie viele Anträge Sie ein- gebracht haben, Frau Odendahl. Heute waren es (Doris Odendahl [SPD]: Nein, nein!) drei. Lesen Sie in dem Bericht des Ausschusses nach, wie viele Anträge Sie in der Ausschußsitzung einge- Da wird BAföG als eine Sozialleistung definiert - als bracht haben. ob sie an keine Vorbedingungen geknüpft wäre, wie etwa bei der Sozialhilfe, wo es Einkommensgrenzen (Zuruf von der SPD: Ist doch normal! - Doris gibt, oder beim Wohngeld. Das hängt auch mit der Odendahl [SPD]: Das dürfen wir!) Leistung zusammen. Nicht ohne Grund ist in § 48 als Da haben sieben Katzen keine Maus mehr gefunden Vorbedingung für den Weiterbezug der Leistungs- vor lauter Durcheinander. nachweis vorgeschrieben. Dieser Antrag strotzt vor Polemik. Er ist eine ein- Es gibt die Feststellung, daß wir nach dem zweiten zige Beschimpfung der Bundesregierung. und bis zum fünften Semester an den Universitäten und Hochschulen bis zu 25 % Abbrecher zu bekla- s Odendahl [SPD]: Das ist ja unglaub (Dori gen haben, an den Fachhochschulen sogar bis zu lich! - Dr. Peter Glotz [SPD]: Es ist unsere 30 %. Da muß es doch erlaubt sein, zunächst zumin- Aufgabe als Opposition, euch zu kritisieren!) dest zu fragen: Wie kommt das? Und zweitens: Gibt - Das ist die Aufgabe der Opposition, Herr Glotz? Ihr es eine Möglichkeit, dies vielleicht durch eine inten- sollt die Bundesregierung doch loben; sie hat- es doch sivere Beratung gerade zu Beginn des Studiums - wirklich verdient. eine Verpflichtung dazu würde ich durchaus bei dem Lehrpersonal gegeben sehen - zu vermeiden? Des- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - wegen haben wir uns für diesen Studienstandsnach- Lachen bei der SPD - Dr. Peter Glotz [SPD]: weis ausgesprochen. Jetzt nimmt die Debatte einen heiteren Ver- lauf!) Er hat nichts damit zu tun, daß hier einer herausge- - Es ist doch nicht schlecht, wenn die Debatte zwi- prüft werden soll, daß hier einem noch einmal fach- schendurch einen heiteren Verlauf nimmt. spezifisch auf den Zahn gefühlt werden soll. Darum geht es überhaupt nicht. In bis zu 90 % der Fächer, in (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Der Jura, der Medizin, den naturwissenschaftlichen und Mann hat recht! - Horst Kubatschka [SPD]: den ingenieurwissenschaftlichen Fächern, gibt es Aber sehr überzeugend ist es bisher noch Praktika und Prüfungen. Das ist überhaupt kein nicht!) Thema. Da kann man jederzeit feststellen: Ist da ei- ner auf dem richtigen Weg? Oder aber: Hat er sich im Dazu sollten wir vielleicht öfter gemeinsam beitra- ersten Semester nur immatrikuliert und erteilt an- gen. Dann wären vielleicht mehr Leute hier. schließend - ich habe das einmal an anderer Stelle Meine Damen und Herren, lassen Sie uns zurück polemisch formuliert; ich wiederhole das gern, damit zum Thema kommen. Ein Thema, in dem wir wirk- Sie etwas zum Lachen oder zum Zähneknirschen ha- lich anderer Meinung sind und wo ein wirklich un- ben - Tennisunterricht auf Mallorca? Wohlgemerkt, überwindlicher Dissens besteht - jedenfalls so, wie ich bin der Mannschaftskapitän der Tennismann- es jetzt aussieht -, ist der Studienstandsnachweis. schaft dieses Hauses. Ich habe nichts gegen Tennis. Darüber müssen wir ein Wo rt verlieren. Sie wissen, Aber dazu kann man neben dem Studium noch Zeit daß die Hochschulrektorenkonferenz auf ihrer finden. 3218 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Lenzer, Es gibt bereits, wie gesagt, diesen Leistungsnach- stehen Sie am Beginn der Beschreibung eines Bildes, weis, aber nach dem vierten Semester. Hinzukom- oder kann man Sie für eine Zwischenfrage des Kolle- men soll der Studienstandsnachweis, der mit Bera- gen Büttner unterbrechen? tung verbunden wird. (Heiterkeit) (Abg. Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD] mel det sich zu einer Zwischenfrage)

Christian Lenzer (CDU/CSU): Der Kollege macht - Die Frage ist doch beantwortet. ein so ernstes Gesicht. Selbstverständlich. Vizepräsident Hans Klein: Der Kollege möchte noch eine weitere Frage stellen. Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Herr Kollege Bütt- ner. Christian Lenzer (CDU/CSU): Bitte.

Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Kollege Len- zer, ich habe nur die Bitte, daß ich von Ihnen als Vizepräsident Hans Klein: Bitte sehr, Herr Kollege. Fachmann eine Aufklärung erhalte. Sie haben ge- rade gesagt, weil es 25 % und mehr Studienabbre- Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Ich warte immer cher gebe, hätten Sie diese Vorschrift bezüglich des noch auf die Antwort auf meine Frage. Sie haben von Leistungsnachweises nach dem zweiten Semester 25 % Studienabbrechern gesprochen. vorgesehen. Ich frage Sie: Verhält es sich denn so, daß Studienabbrecher, also jene, die ihr Studium offi- (CDU/CSU): Ja, das ist das mit ziell abbrechen - solche werden ja dann registriert - Christian Lenzer den Studienabbrechern. Danke für den Hinweis. hinterher noch weiter BAföG bekommen?

Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Könnten Sie mir Christian Lenzer (CDU/CSU): Herr Kollege, damit sagen, ob sie dann hinterher BAföG bekommen, wir wissen, worüber wir reden: Nicht, wie Sie es in wenn sie ihr Studium abbrechen, oder was für sie der Frage formuliert haben, der „Leistungsnach- dieser Nachweis bedeutet, wenn sie eh abbrechen? weis" ist hier Gegenstand der Erörterung. Es geht ausdrücklich nicht um einen Leistungsnachweis. Ich habe doch gesagt: Es soll niemandem noch einmal Christian Lenzer (CDU/CSU): BAföG bekommt besonders auf den Zahn gefühlt werden, sondern es man natürlich nur, wenn man an den Lehrveranstal- soll nur einmal gefragt werden: Hat er sein Studium tungen teilnimmt, solange man immatrikuliert ist und ordnungsgemäß aufgenommen, und ist auf diese solange man studiert. BAföG ist keine Sozialleistung, Weise zu erwarten, daß er den Leistungsnachweis er- die über das Studium hinaus gewährt wird. bringen wird? Meine Ausführungen zu den Abbrechern haben Sie möglicherweise mißverstanden: Diese verschwin- Statt einer langen Antwort gebe ich Ihnen jetzt ein- den plötzlich. Es kann sein, daß diese ein anderes mal folgendes Beispiel, das vielleicht die Sache er- läutert. Studium an einer anderen Universität beginnen. In einem Gespräch bei der Hochschulrektorenkonfe- renz habe ich festgestellt, daß die statistischen Unter- (Zuruf der Abg. [SPD])- lagen nicht ausreichen. Es kann zum Teil nicht ge- - Ach, Frau Vorsitzende, ich begrüße Sie herzlich. sagt werden, wohin der Kandidat X plötzlich ver- Auch Sie sind mittlerweile in das Plenum gekom- schwunden ist. Es kann sein, daß er längst an einer men. Das ist ja schön. Ich sage das, weil sie sich ge- anderen Universität studiert, und niemand weiß das. rade zwischenrufend hervorgetan hat. Da muß man ein wenig Zurückhaltung an den Tag legen. Meine Damen und Herren, mir steht noch eine Re- dezeit von fünf Minuten zu. Aber ich kann mit gutem Lieber Kollege, stellen Sie sich folgendes vor. Die- Beispiel vorangehen. Ich glaube, die Argumente sind sen Studienstandsnachweis, wenn er einmal in praxi ausgetauscht worden. Es kann niemand behaupten, eingeführt sein wird, kann jemand nicht erbringen, daß wir uns hierfür nicht genug Zeit genommen hät- weil er nicht an den Veranstaltungen der Uni teilge- ten. Wir haben über diese Fragen in mehreren Aus- nommen hat - brigens wollen wir den Studienstands- schußsitzungen gesprochen. Keiner kann uns nach- nachweis für alle, nicht nur für BAföG-Bezieher; ich sagen, wir seien nur so darübergehüpft. Wir haben sage das, damit da kein Zweifel besteht; keiner soll auch in anderen Gremien darüber gesprochen. Es ist diskriminiert werden -: Dann wird die BAföG-Zah- immer wieder diese berühmte Anhörung zitiert wor- lung für das dritte und vierte Semester eingestellt. den. Derselbe Student würde wieder BAföG-Leistungen (Doris Odendahl [SPD]: Dort haben Sie erhalten, wenn er durch ein Wunder den Leistungs- auch nichts gemacht!) nachweis nach dem vierten Semester erbrächte; es gibt vielleicht solche genialen Typen. Das ist doch Da es hier um klingende Münze geht, können Sie ein Zeichen dafür, daß wirklich niemand herausge- natürlich von den Betroffenen nicht erwarten, daß prüft werden soll und auch niemand, keine beson- diese sich selbst die Nase aus dem Gesicht schneiden dere Studierendengruppe, diskriminiert werden soll. und sagen: Wir brauchen weniger Geld.

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3219

Christian Lenzer Ich möchte am Ende feststellen: Wenn Sie, Herr wollten Sie hören, Herr Lenzer - um 6 % damit, daß Kollege Glotz, die Absicht gehabt hätten, hätten Sie die Studierenden durch die Verzögerungsstrategie immer noch auf der Basis des Bundesratsantrages für bei der Beratung schon um ein volles Jahr geprellt die heutige zweite Lesung auch im Sinne dessen, wurden. was Herr Gerhardt und auch der Minister am Anfang gesagt haben, einen solchen Entwurf einbringen Bundesregierung und Koalitionsfraktionen räumen können. Aber nein! Geben Sie zu - ich nehme es Ih- auch ein, daß höhere Bedarfssätze zwar wünschbar nen nicht übel -, daß Sie uns hier vorführen wollten. sind, meinen aber, daß sie vor dem Hintergrund einer Sie haben vorhin gesagt, das sei eine Aufgabe der strikten Ausgabendisziplin nicht realisierbar seien. Opposition. Sie wollten zu Ihrem Lieblingskind, zu Dies ist ein Streit - nehmen Sie mir es nicht übel, dem Antrag auf dem grünen Umdruck, an dem Herr Minister - um Waigels Ba rt - wenn er ihm Punkt des Studienstandsnachweises und an dem wächst -; Punkt der Erhöhung um 4 % - Ihr Antrag basiert auf (Beifall bei der SPD) 6 % - im Rahmen einer Generalabrechnung eine streitige Entscheidung erzwingen. Das ist Ihnen ge- abgesehen davon, was der Finanzminister überhaupt lungen. Wir schämen uns nicht dafür, sondern stellen unter Ausgabendisziplin versteht und bei wem er sie uns dem. Wir sehen der weiteren Entwicklung mit anwendet; denn die konkreten D-Mark-Beträge sind Gelassenheit entgegen. bei vier- oder sechsprozentiger Anhebung kaum zu unterscheiden. Wenn die Erhöhung im Herbst nicht erreicht wer- den sollte, weil der Terminkalender das nicht zuläßt, Bei der Höchstförderung kämen monatlich gerade werden wir dann, wenn es das Vermittlungsverfah- einmal zwischen 10 und 20 DM mehr heraus - für ren gibt und das Gesetz von der zweiten Kammer 1995 also ein Gesamtbetrag von 50 DM. Angesichts verschleppt wird, dafür sorgen, daß die Menschen des drastischen Rückgangs der Gefördertenquote, wissen, wohin der Schwarze Peter gehört. den die Bundesregierung seit 1982 konsequent be- treibt, und der um ein volles Jahr verzögerten Anpas- Vielen Dank. sung finanziert sich diese Anhebung aus sich selbst. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Damit kommen wir zu dem zweiten entscheiden- Jörg Tauss [SPD]: Dabei werden wir gut den Streitpunkt, dem sogenannten Studienstands- aussehen!) nachweis. Bis heute ist es der Bundesregierung nicht gelungen, zu erklären, was sie sich eigentlich unter einem solchen Studienstandsnachweis vorstellt. Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile der Kollegin Doris Odendahl das Wort. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Doris Odendahl (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- Wenn gar ein solcher Nachweis zu BAföG-Entschei- gen! Liebe Kolleginnen! Mein Kollege Jörg Tauss hat dungen herangezogen werden sollte, dann müßte er in seiner ersten Parlamentsrede sehr anschaulich ge- ja in jedem Fall auch gerichtsfest, sprich wasserdicht, schildert, welchen Eindruck die Beratungen der sein. Glauben Sie mir, einen so großen Regenschirm 17. BAföG-Novelle hinterlassen. Zum Glück ist er werden Sie gar nicht finden, der Sie dann noch trok- nicht schreckhaft. Aber er hat recht damit, daß es ken hält. nicht ermutigend ist, seinen Sta rt mit dem Sortieren - (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne eines Scherbenhaufens beginnen zu müssen. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Den Scherbenhaufen haben leider sowohl die Bun- Eine weitere rechtliche Barriere haben wir Ihnen desregierung als auch die Koalitionsfraktionen zu aufgezeigt: Solche Leistungsnachweise in die Stu- verantworten. Andere Sündenböcke werden Sie dien- und Prüfungsordnungen aufzunehmen fällt auch bei größter Mühe nicht vorweisen können. ausschließlich in die Entscheidungskompetenz der Nachdem wir in zwei ersten Lesungen - einmal Länder. Zur Begründung der Bundesregierung, hier zum Gesetzentwurf der SPD-Fraktion und des Bun- gehe es darum, Mißbräuchen vorzubeugen, ist sie al- desrates und einmal zu dem der Koalitionsfraktionen, lerdings den Nachweis nennenswerter Mißbräuche weil es die Bundesregierung immer noch nicht ge- im Grundstudium - und nur um diese ginge es - bis schafft hatte, zu Potte zu kommen - alle Argumente heute schuldig geblieben. ausgetauscht haben, geht es heute - darin stimme (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ich Ihnen zu, Herr Kollege Lenzer - im Ke rn um zwei kontroverse Punkte: erstens um die Anhebung der Dennoch wollen Bundesregierung und Koaliti- Bedarfssätze um 4 % oder um 6 % und zweitens um onsfraktionen nunmehr einen zusätzlichen Lei- den sogenannten Studienstandsnachweis. stungsnachweis für alle Studierenden - das müssen Sie sich auf der Zunge zergehen lassen - und somit Die Expertenanhörungen und die 14. Sozialer- 250 000 zusätzliche Prüfungen und Scheine pro Jahr hebung haben deutlich gemacht, daß der tatsächli- für die ohnehin mehr als überlasteten Hochschulen. che Bedarf eine wesentlich höhere Anhebung erfor- Gigantisch, meine Damen und Herren! dern würde als die, um die heute hier gestritten wird. Das wissen wir alle. Die SPD-Fraktion begründet ih- (Beifall bei der SPD und der PDS - Jörg ren Antrag auf Anhebung der Bedarfssätze - das Tauss [SPD]: Bürokratie!) 3220 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Doris Odendahl Es liegt - da stimme ich dem Herrn Kollegen Novelle eben nicht zum Gegenstand eines Vermitt- Dr. Gerhardt gerne zu - im Interesse der Hochschu- lungsverfahrens machen. Das Bundesausbildungs- len selber, der Gestaltung eines für alle Studierenden förderungsgesetz ist ein Bundesgesetz, und wir soll- innerhalb der Zeitvorgaben der Studien- und Prü- ten als Abgeordnete des Deutschen Bundestages fungsordnungen studierbaren Grundstudiums hohe Manns und Frau genug sein, die notwendigen Ent- Priorität einzuräumen und dazu vor allem die Stu- scheidungen selbst zu treffen und eben nicht den dienberatung und die Studienbetreuung auszu- Weg einer Konfrontation mit den für die Hochschu- bauen und zu verstärken. Auch darüber waren wir len zuständigen Ländern zu gehen, auch wenn Ihnen uns einig. Das ist der richtige Weg. das gegenwärtig reizvoll erscheint, Herr Minister Rüttgers. Dagegen ist es aus unserer Sicht sinnlos, wenn der Bund versucht, seine Vorstellungen von der künfti- (Beifall bei der SPD) gen Struktur von Studium und Lehre gegen die Län- der durchzusetzen. Die Länder haben ihrerseits die Hochschulstruk- turreform zügig in Gang gesetzt, auch wenn der (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Un Bund seine im Eckwertepapier gemachten Zusagen ruhe) bis heute nicht erfüllt hat. Aus diesem Grunde haben wir Ihnen gestern auch im Ausschuß als äußersten Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, darf ich Kompromiß angeboten, auf die nur 4%ige Anhe- Sie einen Moment unterbrechen. - Meine verehrten bung einzugehen, wenn erstens die nächste Anpas- Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie jetzt noch sie- sung 1996 erfolgt und Sie zweitens auf den Studien- ben Minuten Geduld aufbringen, dann hat die Kolle- standsnachweis im BAföG verzichten. gin Odendahl die Chance, ihren Vortrag bei einiger Wir wissen, daß es innerhalb der Koalition und Aufmerksamkeit des Hauses zu Ende zu bringen. auch innerhalb der CDU/CSU-Fraktion darüber un- Dies gilt insonderheit für die Kollegen, die da oben terschiedliche Auffassungen gegeben hat und daß am Rande Gespräche führen. Das ist außerhalb des sich einzelne Kollegen sehr bemüht haben, zu einem Hauses leichter möglich. solchen Kompromiß zu kommen. Deshalb sind wir Bitte, fahren Sie fort. auch nicht sicher, ob die Hardliner der CDU/CSU-Ar- beitsgruppe wirklich in ihren Anträgen dem Rech- nung tragen. Doris Odendahl (SPD): Mit dem fadenscheinigen Argument der Gleichbehandlung der BAföG-geför- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) derten mit den nichtgeförderten Studierenden wird die Studienstrukturreform verzögert, werden den Die F.D.P. hatte bei den Ausschußberatungen, wie Hochschulen zusätzliche Belastungen aufgebürdet, dem Protokoll zu entnehmen ist, durch Herrn werden die Studienbedingungen für alle Studieren- Dr. Gerhardt erklärt - ich zitiere - , den weiter erschwert und vor allem bedürftige Stu- dierende vom Hochschulstudium abgeschreckt. man müsse sich nach der öffentlichen Anhörung noch einmal fragen, ob ein Nachweis nach dem In der Expertenanhörung waren sich alle Sachver- zweiten Fachsemester nützlich, ob mit ihm ein ständigen einig, daß eine Anhebung der Bedarfs- Steuerungsmoment verbunden wäre und ob da- sätze um mehr als 4 % notwendig sei, und alle Sach- mit am Ende zu viel Arbeit auf die Hochschulen verständigen unter Einschluß der Hochschulrekto- zukomme. Es sei richtig, daß man eigentlich ei- renkonferenz waren sich auch darin einig,- daß ein nen Weg gehen sollte, auf dem die Hochschulen Studienstandsnachweis für alle Studierenden aus selbst ihre eigenen Prüfungen ernst nehmen wür- dem einzigen Grund der Mißbrauchsverhinderung den. durch die BAföG-Geförderten unsinnig sei. Offensichtlich, meine Damen und Herren, haben Damit hier keine Mißverständnisse entstehen, sage sich die Fachpolitiker gegen die Hardliner aus den ich: Wir sind für die Überprüfung von Leistungen. eigenen Reihen nicht durchsetzen können. Daran sind auch die Studierenden selber interessiert. Aber wir sind ganz entschieden dagegen, daß dies zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Lasten und auf dem Rücken der auf das BAföG ange- ten der PDS) wiesenen Studierenden geschieht. Offensichtlich waren nicht einmal die Argumente (Beifall bei der SPD) des künftigen Parteivorsitzenden des Koalitionspart- ners so viel wert, wenigstens eine kleine Brücke zu Die Ausschußberatungen selbst waren leider viel bauen. weniger als Meinungsaustausch und Beratung, son- dern eher als Spektakel zu erfahren. Ich wäre dank- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne bar gewesen, Herr Kollege Lenzer, wenn Sie wenig- ten der PDS und des BÜNDNISSES 90/DIE stens bereit gewesen wären, zur Kenntnis zu neh- GRÜNEN) men, daß Sie auch nicht an einem Berichterstatterge- spräch interessiert waren. Armer Herr Kollege Gerhardt! Noch nicht einmal ge- wählt und schon verloren! Die SPD-Fraktion war bis zur Abschlußberatung im Ausschuß, also bis gestern, kompromißbereit. Wir (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten wollten und wollen auch heute noch diese BAföG- der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3221

Doris Odendahl Noch viel ärmere F.D.P.! Nur noch am Tropf und derung, auch als wichtigen Baustein für jede zukünf- schon gar kein Profil mehr! tige Forschung. Bitte begreifen Sie Chancengleich- heit nicht etwa als Bedrohung, sondern als Chance (Beifall bei der SPD - Zuruf des Abg. Ulrich für unsere Gesellschaft. Irmer [F.D.P.]) Stimmen Sie den Anträgen der SPD-Fraktion zu! - Oh, ich kann sehr teuer argumentieren, Herr Kol- Für den Änderungsantrag zur Streichung des Stu- lege, wenn Sie das wollen. dienstandsnachweises auf Drucksache 13/1562 be- Bei der Abstimmung über SPD-Anträge bietet sich antragen wir namentliche Abstimmung. eine letzte Gelegenheit, Ihr bildungspolitisches Ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne sicht zu wahren, wenn Ihnen das überhaupt noch ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN wichtig ist. und der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Vizepräsident Hans Klein: Meine verehrten Kolle- ginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Dies ist keine Frage der Koalitionsdisziplin, sondern hat im Kern mit dem Selbstverständnis der bildungs- Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich rufe den politisch Verantwortlichen, mit dem Stellenwert von von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. ein- Chancengleichheit zu tun. gebrachten Entwurf zur Änderung des Bundesaus- bildungsförderungsgesetzes, Drucksachen 13/1301 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und 13/1553 Nr. I Buchstabe e, auf. Dazu liegen zwei ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Darüber hinaus stellt die SPD-Fraktion in ihrem Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag Entschließungsantrag zum Bericht der Bundesregie- auf Drucksache 13/1561 ab. Wer stimmt dafür? - Wer rung ihre eigenen Reformvorschläge, auch wenn Ih- stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - nen die zuviel erscheinen, Herr Kollege Lenzer, nicht Der Änderungsantrag ist abgelehnt. nur für eine 18. BAföG-Novelle, sondern für eine Meine Kolleginnen und Kollegen, ich weise Sie grundlegende Reform der Ausbildungsförderung zur darauf hin, daß wir nach der namentlichen Abstim- Abstimmung. Dazu gehören auf mittlere Sicht die mung zahlreiche weitere strittige Abstimmungen Neuberechnung des studentischen Bedarfs, der Wie- vornehmen werden. Sie können sehr zur Beschleuni- dereinstieg in die Schülerförderung, die Schaffung gung des Verfahrens beitragen, wenn Sie nach der förderungsrechtlicher Voraussetzungen für ein Teil- Stimmabgabe wieder Ihre Plätze einnehmen. zeitstudium und viele Dinge mehr. Wir kommen zur Abstimmung über den Ände- Meine Damen und Herren, auf längere Sicht wol- rungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache len wir eine Weiterentwicklung der Ausbildungsför- 13/1562. Die SPD verlangt namentliche Abstim- derung des Bundes zu einem Fördersystem, das Kin- mung. Ich eröffne die Abstimmung. - dergeld, Kinderfreibeträge, Kinderzuschläge im öf- fentlichen Dienst und Ausbildungsfreibeträge einbe- Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das zieht und aus dem elternunabhängig ein Sockelbe- seine Stimme nicht abgegeben hat? - Dann schließe trag als Zuschuß für eine bestimmte Zeit gewährt ich die Abstimmung. wird. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu - Um überhaupt zu Reformansätzen an Stelle immer beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen währender Flickschusterei zu kommen, sind in Zu- später bekanntgegeben. ) kunft die erheblichen Darlehensrückflüsse zur Finan- (Unruhe) zierung mit zu verwenden. - Meine Damen und Herren, bitte nehmen Sie doch (Dr. Peter Glotz [SPD]: Sehr richtig!) Platz! Die SPD-Fraktion will dieses Flickwerk in der Über den Gesetzentwurf können wir erst dann 18. BAföG-Novelle, die ja ansteht, die unsägliche weiter abstimmen, wenn das Ergebnis dieser Abstim- Feilscherei um 10 Mark mehr oder weniger bei im- mung vorliegt. Deshalb fahren wir zunächst mit an mer weniger Geförderten, alle Verzögerungstricks rt. -deren Abstimmungen fo und Scheinargumente nicht erneut vorgeführt be- kommen. Unter Nr. I Buchstabe b seiner Beschlußempfeh- lung auf Drucksache 13/1553 empfiehlt der Aus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne schuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Techno- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN logie und Technikfolgenabschätzung, den Gesetz- und der PDS) entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 13/ 1395 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Das ist vor allem den Studierenden nicht mehr zu- Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun- mutbar. gen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Bitte - jetzt wende ich mich an die Hardliner unter Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf Ihnen - begreifen Sie das BAföG als einen Generatio- der Fraktion der SPD zu einem Gesetz zur Änderung nenvertrag der Bildung, als den ersten Baustein ei- nes Systems der wissenschaftlichen Nachwuchsför *) Seite 3222 C 3222 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Vizepräsident Hans Klein des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf den Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Verehrte Kolle- (c) Drucksachen 13/65 und 13/101. Der Ausschuß für Binnen und Kollegen, wir setzen die Beratungen fort Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und und kommen zum Gesetzentwurf der Koalitionsfrak- Technikfolgenabschätzung empfiehlt auf Drucksa- tionen zurück. Ich gebe das von den Schriftführern che 13/1553 Nr. I Buchstabe c, den Gesetzentwurf ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf SPD auf den Drucksachen 13/65 und 13/101 abstim- Drucksache 13/1562 bekannt. Abgegebene Stim- men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- men: 632; mit Ja haben gestimmt: 308, mit Nein: 324, stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt Enthaltungen: keine. Der Änderungsantrag ist abge- dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Ge- lehnt. setzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere (Beifall bei der CDU/CSU) Beratung. Endgültiges Ergebnis Gilges, Konrad Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- Gleicke, Iris wurf des Bundesrates auf den Drucksachen 13/80 Abgegebene Stimmen: 630 Gloser, Günter und 13/101. Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. I davon Glotz, Dr. Peter Graf (Friesoythe), Günter Buchstabe d seiner Beschlußempfehlung, auch die- ja: 307 sen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Graf (Rosenheim), Angelika nein: Gesetzentwurf des Bundesrates abstimmen. Ich bitte 323 Grasedieck, Dieter diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Großmann, Achim Haack (Extertal), len, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthal- Ja Karl Hermann tungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung Hacker, Hans-Joachim abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord- Hagemann, Klaus nung die weitere Beratung. SPD Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- Adler, Brigitte Hartenbach, Alfred Andres, Gerd Hasenfratz, Klaus empfehlung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Bachmaier, Hermann Anpassung der Leistungen nach dem Bundesausbil- Hauchler, Dr. Ingomar Bahr, Ernst Heistermann, Dieter dungsförderungsgesetz, Drucksache 13/1553 Nr. I Barnett, Doris Hemker, Reinhold Buchstabe e. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag Barthel, Klaus Hempelmann, Rolf auf Drucksache 13/784 abzulehnen. Wer stimmt für Becker-Inglau, Ingrid Hendricks, Dr. Barbara Behrendt, Wolfgang diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- Heubaum, Monika Berger, Hans Hiksch, Uwe tungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Bertl, Hans-Werner Hiller (Lübeck), Reinhold Beucher, Friedhelm Julius Hilsberg, Stephan Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Aus- Bindig, Rudolf Höfer, Gerd schusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Blunck, Lilo Hoffmann (Chemnitz), Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Böhme (Unna), Dr. Ulrich Jelena Börnsen (Ritterbude), Ame Bericht der Bundesregierung über die Möglichkeiten Hofmann (Volkach), Frank Brandt-Elsweier, Anni einer Erhöhung der Bedarfssätze, Drucksachen 13/ Holzhüter, Ingrid 735 und 13/1553 Nr. I Buchstabe f. Der Ausschuß Brecht, Dr. Eberhard Bulmahn, Edelgard Horn, Erwin empfiehlt, die Unterrichtung zur Kenntnis zu neh- Burchardt, Ursula Hovermann, Eike men. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Bury, Hans Martin Ibrügger, Lothar Wer stimmt gegen die Beschlußempfehlung? - Wer Büttner (Ingolstadt), Hans Ilte, Wolfgang enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung Caspers-Merk, Marion Imhof, Barbara liber, ist angenommen. Catenhusen, Wolf-Michael Brunhilde Conradi, Peter Iwersen, Gabriele Jäger, Renate Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Däubler-Gmelin, Dr. Herta Deichmann, Christel Janz, Ilse ßungsantrag der Fraktion der SPD zum Bericht der Diller, Karl Jens, Dr. Uwe Bundesregierung, Drucksache 13/1560. Wer stimmt Dobberthien, Dr. Marliese Jung (Düsseldorf), Volker für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Dreßen, Peter Kaspereit, Sabine Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abge- Dreßler, Rudolf Kastner, Susanne lehnt. Duve, Freimut Kastning, Ernst Eich, Ludwig Kemper, Hans-Peter Der Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, For- Enders, Peter Kirschner, Klaus Klappert, Marianne schung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Erler, Gernot Ernstberger, Petra Klemmer, Siegrun empfiehlt unter Nr. II seiner Beschlußempfehlung die Faße, Annette Klose, Hans-Ulrich Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Ferner, Elke Knaape, Dr. Hans-Hinrich Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun- Fischer (Homburg), Lothar Kolbow, Walter gen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Fograscher, Gabriele Körper, Fritz Rudolf Follak, Iris Kressl, Nicolette Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentli- Formanski, Norbert Kröning, Volker chen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. , Krüger, Thomas Fuchs (Köln), Anke Kubatschka, Horst Fuchs (Veil), Katrin Kuhlwein, Eckart (Unterbrechung von 13.02 bis 13.04 Uhr) Fuhrmann, Arne Kunick, Konrad Ganseforth, Monika Kurzhals, Christine (Vorsitz: Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) Gansel, Norbert Küster, Dr. Uwe Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3223

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Labsch, Werner Schultz (Everswinkel), Buntenbach, Annelie Augustinowitz, Jürgen Lange, Brigitte Reinhard Dietert-Scheuer, Amke Austermann, Dietrich Larcher, von Detlev Schultz (Köln), Volkmar Eichstädt-Bohlig, Franziska Bargfrede, Heinz-Günter Lehn, Waltraud Schuster, Dr. R. Werner Fischer (Berlin), Andrea Basten, Franz Peter Leidinger, Robert Schütz (Oldenburg), Dietmar Fischer (Frankfurt), Joseph Bauer, Dr. Wolf Lennartz, Klaus Schwall-Düren, Dr. Angelica Grießhaber, Rita Baumeister, Brigitte Leonhard, Dr. Elke Schwanhold, Ernst Häfner, Gerald Belle, Meinrad Lörcher, Christa Schwanitz, Rolf Hermenau, Antje Bergmann-Pohl, Dr. Sabine Lotz, Erika Seidenthal, Bodo Höfken, Ulrike Bierling, Hans-Dirk Lucyga, Dr. Christine Seuster, Lisa Hustedt, Michaele Blank, Renate Maaß (Herne), Dieter Sielaff, Horst Kiper, Dr. Manuel Blens, Dr. Heribert Mante, Winfried Simm, Erika Knoche, Monika Bleser, Peter Marx, Dorle Singer, Johannes Köster-Loßack, Dr. Angelika Blüm, Dr. Norbert Mascher, Ulrike Skarpelis-Sperk, Dr. Sigrid Lemke, Steffi Bohl, Friedrich Matschie, Christoph Sonntag-Wolgast, Dr. Lengsfeld, Vera Böhmer, Dr. Ma ria Matthäus-Maier, Ingrid Comelie Lippelt, Dr. Helmut Börnsen (Bönstrup), Mattischeck, Heide Sorge, Wieland Nachtwei, Winfried Wolfgang Meckel, Markus Spanier, Wolfgang Nickels, Christa Bosbach, Wolfgang Mehl, Ulrike Sperling, Dr. Dietrich Özdemir, Cem Bötsch, Dr. Wolfgang Meißner, Herbert Spiller, Jörg-Otto Poppe, Gerd Brähmig, Klaus rtens, Angelika Me Steen, Antje-Marie Probst, Simone Braun (Auerbach), Rudolf Meyer (Ulm), Dr. Jürgen Stiegler, Ludwig Rochlitz, Dr. Jürgen Breuer, Paul Mogg, Ursula Struck, Dr. Peter Saibold, Halo Brudlewsky, Monika Müller (Düsseldorf), Michael Tappe, Joachim Scheel, Christine Brunnhuber, Georg Müller (Völklingen), Jutta Tauss, Jörg Schewe-Gerigk, Irmingard Büttner (Schönebeck), Müller (Zittau), Christian Teichmann, Dr. Bodo Schmidt (Hitzhoven), Albert Hartmut Neumann (Berlin), Kurt Terborg, Margitta (Langenfeld), Schmitt Buwitt, Dankward Neumann (Bramsche), Volker Teuchner, Jella Wolfgang Carstens (Emstek), Manfred Neumann (Gotha), Gerhard Thalheim, Dr. Gerald Schönberger, Ursula Carstensen (Nordstrand), Niehuis, Dr. Edith Thierse, Wolfgang Schoppe, Waltraud Peter H. Niese, Dr. Rolf Thieser, Dietmar Schulz (Berlin), Werner Dehnel, Wolfgang Odendahl, Doris Thönnes, Franz Steenblock, Rainder Deittert, Hubert Oesinghaus, Günter Titze-Stecher, Uta Steindor, Marina Dempwolf, Gertrud Onur, Leyla Tröscher, Adelheid Sterzing, Christian Dell, Albert Opel, Manfred Urbaniak, Hans-Eberhard Such, Manfred Diemers, Renate Ostertag, Adolf Vergin, Siegfried Vollmer, Dr. Antje Dietzel, Wilhelm Palis, Kurt Verheugen, Günter Wilhelm (Amberg), Helmut Dörflinger, Werner Papenroth, Albrecht Vogt (Pforzheim), Ute Wolf (Frankfurt), Margareta Doss, Hansjörgen Penner, Dr. Willfried Voigt (Frankfurt), Karsten D. Dregger, Dr. Alfred Pfaff, Dr. Martin Vosen, Josef Engelmann, Wolfgang Pick, Dr. Eckhart Wagner, Hans Georg PDS Eppelmann, Rainer Paß, Joachim Wegner, Dr. Konstanze Eßmann, Heinz Dieter Purps, Rudolf Weiermann, Wolfgang Bierstedt, Wolfgang Eylmann, Horst Rehbock-Zureich, Karin Weis (Stendal), Reinhard Bläss, Petra Eymer, Anke Renesse, von Margot Weisheit, Matthias Bulling-Schröter, Eva Falk, Ilse Rennebach, Renate Weißgerber, Gunter Einsiedel, Heinrich Graf von Faltlhauser, Dr. Kurt Reschke, Otto Weisskirchen (Wiesloch), Elm, Dr. Ludwig Jochen Feilcke, Reuter, Bernd Gert Enkelmann, Dr. Dagmar Fell, Dr. Karl H. Richter, Dr. Edelbert Welt, Jochen Fuchs, Dr. Ruth Fink, Ulf Rixe, Günter Wester, Hildegard Gysi, Dr. Gregor Fischer (), Dirk Robbe, Reinhold Westrich, Lydia Heuer, Dr. Uwe-Jens Francke (Hamburg), Klaus Rübenkönig, Gerhard Wettig-Danielmeier, Inge Höll, Dr. Barbara Frankenhauser, Herbert Schafer, Dr. Hansjörg Wieczorek, Dr. Norbert Jelpke, Ulla Friedrich, Dr. Gerhard Schaich-Walch, Gudrun Wieczorek (Duisburg), Knake-Werner, Dr. Heidi Fritz, Erich G. Schanz, Dieter Helmut Köhne, Rolf Fuchtel, Hans-Joachim Scharping, Rudolf Wieczorek-Zeul, Heidemarie Kutzmutz, Rolf Geiger, Michaela Scheelen, Bernd Wiefelspütz, Dieter Lederer, Andrea Geißler, Dr. Heiner Scheer, Dr. Hermann Wittich, Berthold Luft, Dr. Christa Glos, Michael Scheffler, Siegfried Wodarg, Dr. Wolfgang Lüth, Heidemarie Glücklich, Wilma Schild, Horst Wohlleben, Verena Maleuda, Dr. Günther Göhner, Dr. Reinhard Schloten, Dieter Wolf (München), Hanna Müller (Berlin), Manfred Götz, Peter Schluckebier, Günter Wright, Heide Neuhäuser, Rosel Götzer, Dr. Wolfgang Schmidbauer (Nürnberg), Zapf, Uta Schenk, Christina Gres, Joachim Horst Zöpel, Dr. Christoph Warnick, Klaus-Jürgen Grill, Kurt-Dieter Schmidt (Aachen), Ursula Zumkley, Peter Wolf, Dr. Winfried Gröhe, Hermann Schmidt (Meschede), Dagmar Zwerenz, Gerhard Grotz, Claus-Peter Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Grund, Manfred Schmidt-Zadel, Regina BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Günther (Duisburg), Horst Schmitt (Berg), Heinz Nein Haschke (Großhennersdorf), Schnell, Dr. Emil Altmann (Aurich), Gila Gottfried Schöler, Walter Altmann (Pommelsbrunn), Hasselfeldt, Gerda Schreiner, Ottmar Elisabeth CDU/CSU Haungs, Rainer Schubert, Dr. Mathias Beck (Bremen), Marieluise Hauser (Esslingen), Otto Schuhmann (Delitzsch), Beck (Köln), Volker Adam, Ulrich Hauser (Rednitzhembach), Richard Beer, Angelika Altmaier, Peter Hansgeorg Schulte (Hameln), Brigitte Beminger, Matthias Augustin, Anneliese Hedrich, Klaus-Jürgen 3224 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Heise, Manfred Meckelburg, Wolfgang Schmidt (Halsbrücke), Wissmann, Matthias Hellwig, Dr. Renate Meinl, Rudolf Dr.-Ing. Joachim Wittmann (Tännesberg), Hinsken, Ernst Meister, Dr. Michael Schmidt (Mülheim), Andreas Simon Georg Hintze, Peter Merkel, Dr. Angela Schmiedeberg, Hans-Otto Wöhrl, Dagmar Hollerith, Josef Merz, Friedrich Schmitz (Baesweiler), Hans Wonneberger, Michael Hornhues, Dr. Karl-Heinz Meyer (Winsen), Rudolf Peter Wülfing, Elke Hörster, Joachim Michelbach, Hans Schmude, Michael von Würzbach, Peter Kurt Hüppe, Hubert Michels, Meinolf Schnieber-Jastram, Birgit Yzer, Cornelia Jacoby, Peter Müller, Dr. Gerd Schockenhoff, Dr. Andreas Zeitlmann, Wolfgang Jaffke, Susanne Müller (Kirchheim), Elmar Scholz, Dr. Rupert Zöller, Wolfgang Janovsky, Georg Nelle, Engelbert Schorlemer, Reinhard Jawurek, Helmut Neumann (Bremen), Bernd Freiherr von Jobst, Dr. Dionys Nitsch, Johannes Schuchardt, Dr. Erika F.D.P. Jork, Dr.-Ing. Rainer Nolte, Claudia Schulhoff, Wolfgang Jung (Limburg), Michael Olderog, Dr. Rolf Schulte (Schwäbisch Albowitz, Ina Junghanns, Ulrich Ost, Friedhelm Gmünd), Dr. Dieter Babel, Dr. Gisela Jüttner, Dr. Egon Oswald, Eduard Schulz (Leipzig), Gerhard Braun (Augsburg), Kahl, Dr. Harald Otto (Erfurt), Norbert Schulze, Frederick Hildebrecht Kalb, Bartholomäus Päselt, Dr. Gerhard Schwalbe, Clemens Bredehorn, Günther Kampeter, Steffen Paziorek, Dr. Peter Schwarz-Schilling, Essen, Jörg van Kansy, Dr.-Ing. Dietmar Pesch, Hans-Wilhelm Dr. Christian Feldmann, Dr. Olaf Kanther, Manfred Petzold, Ulrich Sebastian, Wilhelm-Josef Frick, Gisela Karwatzki, Irmgard Pfeifer, Anton Seehofer, Horst Friedhoff, Paul K. Kauder, Volker Pfeiffer, Angelika Seibel, Wilfried Friedrich, Horst Keller, Peter Pfennig, Dr. Gero Seiffert, Heinz-Georg Funke, Rainer Klaeden, Eckart von Pflüger, Dr. Friedbert Seiters, Rudolf Genscher, Hans-Dietrich Klein (München), Hans Philipp, Beatrix Selle, Johannes Gerhardt, Dr. Wolfgang Klinkert, Ulrich Pinger, Dr. Winfried Siebert, Bernd Günther (Plauen), Joachim Kohl, Dr. Helmut Pofalla, Ronald Sikora, Jürgen Haussmann, Dr. Helmut Singhammer, Johannes Köhler (Hainspitz), Hans-Ulrich Pohler, Dr. Hermann Heinrich, Ulrich Ruprecht Sothmann, Bärbel Kolbe, Manfred Polenz, Hirche, Walter Königshofen, Norbert Pretzlaff, Marlies Späte, Margarete Hirsch, Dr. Burkhard Kors, Eva-Maria Probst, Dr. Albert Spranger, Carl-Dieter Homburger, Birgit Koschyk, Hartmut Protzner, Dr. Bernd Steiger, Wolfgang Hoyer, Dr. Werner Koslowski, Manfred Pützhofen, Dieter Steinbach, Erika Irmer, Ulrich Kossendey, , Thomas Stetten, Dr. Wolfgang Kinkel, Dr. Klaus Kraus, Rudolf Raidel, Hans Freiherr von Krause (Dessau), Wolfgang Ramsauer, Dr. Peter Stoltenberg, Dr. Gerhard Kleinert (Hannover), Detlef Krautscheid, Andreas Rau, Rolf Storm, Andreas Kohn, Roland Kriedner, Arnulf Rauber, Helmut Straubinger, Max Kolb, Dr. Heinrich L. Kronberg, Heinz-Jürgen Rauen, Peter Harald Stübgen, Michael Koppeln, Jürgen Krüger, Dr.-Ing. Paul Regenspurger, Otto Susset, Egon Lanfermann, Heinz Krziskewitz, Reiner Reichard (Dresden), Christa Süssmuth, Dr. Rita Leutheusser-Schnarren- Kues, Dr. Hermann Reichardt (Mannheim), Teiser, Michael berger, Sabine Kuhn, Werner Klaus Dieter Tiemann, Dr. Susanne Lühr, Uwe Lamers, Karl Reinartz, Dr. Bertold Töpfer, Dr. Klaus Nolting, Günther Friedrich Lamers (), Reinhardt, Erika Tröger, Gottfried Ortleb, Dr. Rainer Dr. Karl A. Repnik, Hans-Peter Uelhoff, Dr. Klaus-Dieter Peters, Lisa Lammert, Dr. Norbe rt Richter, Roland Uldall, Gunnar Rexrodt, Dr. Günter Lamp, Helmut Richwien, (Düren), Wolfgang Röhl, Dr. Klaus Laschet, Armin Rieder, Dr. Norbert Waffenschmidt, Dr. Horst Schäfer (Mainz), Helmut Lattmann, Herbert Riedl (München), Dr. Erich Waigel, Dr. Theodor Schmalz-Jacobsen, Cornelia Laufs, Dr. Paul Riegert, Klaus Waldburg-Zeil, Schwaetzer, Dr. Irmgard Laumann, Karl Josef Riesenhuber, Dr. Heinz Alois Graf von Solms, Dr. Hermann Otto Lensing, Werner Rönsch (Wiesbaden), Warnke, Dr. Jürgen Stadler, Dr. Max Lenzer, Christian Hannelore Wetzel, Kersten Thiele, Carl-Ludwig Letzgus, Peter Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Wilhelm (Mainz), Hans-Otto Thomae, Dr. Dieter Limbach, Editha Rose, Dr. Klaus Willner, Gert Türk, Jürgen Link (Diepholz), Walter Rossmanith, Kurt J. Wilz, Bernd Weng (Gerlingen), Lintner, Eduard Roth (Gießen), Adolf Wimmer (Neuss), Willy Dr. Wolfgang Lippold (Offenbach), Röttgen, Norbert Dr. Klaus W. Ruck, Dr. Christian Lischewski, Dr. Manfred Rühe, Volker Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Aus- Lohmann (Lüdenscheid), Rüttgers, Dr. Jürgen schußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Wolfgang Sauer (Stuttga rt), Roland Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition in Louven, Julius Schätzle, Ortrun Löwisch, Sigrun Schäuble, Dr. Wolfgang zweiter Beratung angenommen. Lummer, Heinrich Schauerte, Hartmut Luther, Dr. Michael Schemken, Heinz Wir kommen zur Maaß (Wilhelmshaven), Scherhag, Karl-Heinz Erich Scheu, Gerhard dritten Beratung Mahlo, Dr. Dietrich Schindler, Norbert Marschewski, Erwin Schlee, Dietmar und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die Marten, Günter Schmalz, Ulrich Mayer (Siegertsbrunn), Schmidbauer, Bernd dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Dr. Martin Schmidt (Fürth), Christian ben. - Wer stimmt dagegen? - Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3225 Vizepräsident Hans-Ulrich Klose (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und der F.D.P. zur Einsetzung einer Enquete-Kommis- DIE GRÜNEN: Wo ist denn der Gerhardt? - sion „Schutz des Menschen und der Umwelt - Ziele Gegenruf des Abg. Joseph Fischer [Frank und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunfts- furt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der verträglichen Entwicklung", Drucksache 13/1533. Gerhardt ist umgefallen und liegt zwischen den Bänken!) Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/1565 vor. Wer stimmt für die- Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stim- sen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltun- men der Koalition angenommen. gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei einzelnen Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- Stimmenthaltungen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE schließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Gruppe der PDS GRÜNEN auf Drucksache 13/1557. Wer stimmt für abgelehnt. diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dage- gen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist Es liegt ein zusätzlicher Änderungsantrag des mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen Abgeordneten Rolf Köhne (PDS) auf Drucksache des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und 13/1587 vor. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegen- der Gruppe der PDS abgelehnt. probe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 a auf: bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Abschließende Beratungen ohne Aussprache Wer stimmt für den interfraktionellen Antrag? - Ge- Beratung von Anträgen auf Einsetzung von genprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Enquete-Kommissionen Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei aa) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. NEN gegen die Stimmen der Gruppe der PDS ange- nommen. Damit ist die Enquete-Kommission „Schutz Schutz des Menschen und der Umwelt - des Menschen und der Umwelt" eingesetzt. * ) Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Ent- Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, des wicklung BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. auf Drucksache 13/1535 sowie der Antrag der Fraktion - Drucksache 13/1533 - der SPD auf Drucksache 13/1537 zur Einsetzung ei- bb) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, BÜND ner Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen NIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. der SED-Diktatur" sollen an den Ausschuß für Wahl- prüfung, Immunität und Geschäftsordnung überwie- Überwindung der Folgen der SED-Dikta- sen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist tur im Prozeß der deutschen Einheit der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. - Drucksache 13/1535 - Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der CDU/ Überweisungsvorschlag: CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- und der F.D.P. zur Einsetzung einer Enquete-Kom- ordnung mission „Demographischer Wandel - Herausforde- rungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Antrag der Fraktion der SPD - einzelnen und die Politik", Drucksache 13/1532. Überwindung der Folgen der SED-Dikta- tur und der unterschiedlichen Entwick- Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der lungen in Ost- und Westdeutschland im PDS auf Drucksache 13/1564 vor. Wer stimmt für die- Prozeß der deutschen Einheit sen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktio- - Drucksache 13/1537 - nen dieses Hauses gegen die Stimmen der Gruppe Überweisungsvorschlag: der PDS abgelehnt. Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- Wer stimmt für den interfraktionellen Antrag? - ordnung Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist gegen cc) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen. Da- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. mit ist die Enquete-Kommission „Demographischer Wandel" eingesetzt. Demographischer Wandel - Herausforde- rungen unserer Alter werdenden Gesell- schaft an den einzelnen und die Politik Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 d auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- - Drucksache 13/1532 - tionsausschusses (2. Ausschuß) Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Sammelübersicht 26 zu Petitionen Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung, und - Drucksache 13/1005 - zwar zunächst zum Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN *) Erklärung zur Abstimmung siehe Anlage 2 3226 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Zu einem in dieser Sammelübersicht angeführten Wenn unser Antrag heute keine Mehrheit findet, Asylverfahren liegt ein Änderungsantrag der Frak- steht dem Flüchtling die Abschiebung nach Pakistan tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. Eine Ausspra- und damit sehr wahrscheinlich erneut Verfolgung che ist nicht vorgesehen. Jedoch hat die Kollegin und Folter unmittelbar bevor. Dietert-Scheuer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, darum gebeten, eine fünfminütige Erklärung zu ihrem Ab- Einigen von Ihnen wird möglicherweise ein Fern- stimmungsverhalten abgeben zu können. - Sie ha- sehbericht über eine Mission von Amnesty Inte rna- ben das Wort. tional nach Pakistan in Erinnerung sein. Dort wird in einer längeren Sequenz über Übergriffe von Musli- men auf Christen berichtet, und in einem Gespräch werden und sein 14jähriger Sohn Sa- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rehmat Masih Amke Dietert-Scheuer vorgestellt. Sie waren beide von einem NEN): Die hier zur Abstimmung vorliegende Pe tition lamat Masih pakistanischen Gericht zum Tode verurteilt worden. betrifft das Asylgesuch eines Christen aus Pakistan. Hintergrund sind gesetzliche Bestimmungen über Mit der Unterstützung von ca. 12 000 Einzelpersonen Blasphemie, für die die Todesstrafe zwingend vorge- - vom Universitätsprofessor bis zum Kommissariat schrieben ist. der deutschen Bischöfe - bittet er um ein Bleiberecht in der Bundesrepublik. In Pakistan war er inhaftiert Es ist bekannt, daß die Blasphemiegesetzgebung und gefoltert worden und befürchtet, im Falle einer in zahlreichen weiteren Fällen zu Anklagen gegen Rückkehr nach dem pakistanischen Blasphemiege- Christen geführt hat. Es ist auch bekannt, daß es im- setz zum Tode verurteilt zu werden. mer wieder zu Übergriffen religiöser Fanatiker ge- gen Christen sowie gegen Anwälte und Menschen- Ich möchte erklären, warum meine Fraktion den rechtsaktivisten kommt, die sich für Ch risten einset- vorliegenden Änderungsantrag eingebracht hat und zen. Die pakistanische Regierung ist offensichtlich ich für diesen Antrag stimmen werde. nicht in der Lage, diese Übergriffe zu verhindern. Daß es ihr gelingt, die s trenge Gesetzgebung zur Am 13. September 1994 wurde der Asylantrag des Blasphemie zu lockern, ist jüngsten Zeitungsberich- Petenten vom Verwaltungsgericht Freiburg als offen- ten zufolge sehr unwahrschein lich. sichtlich unbegründet abgewiesen. In der Urteilsbe- gründung findet sich folgende Passage: Kollege Roland Kohn von der F.D.P. wird sich an die Antwort des Auswärtigen Amtes auf seine Frage Trotz des sympathischen Äußeren und Auftretens erinnern, mit welchen Schritten auf das Todesurteil des Klägers ... kann er nicht als glaubwürdig an- gegen Salamat und Rehetat Masih reagiert wird. Ihm gesehen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, wurde Anfang März mitgeteilt, der deutsche Vertre- daß Täuschungen und Fälschungen in Pakist an - ter bei der Menschenrechtskommission in Genf, Herr wie auch in anderen orientalischen Ländern - Baum, habe den pakistanischen Delegierten auf die derart häufig verbreitet und üblich sind, daß Un- Urteile angesprochen und die Bestürzung der Bun- ehrlichkeit geradezu als ein sozialtypisches Phä- desregierung übermittelt. nomen zu betrachten ist, welches do rt nicht in gleichem Maße einem gesellschaftlichen Unwert- Vielleicht werden sich einige weitere Kolleginnen urteil unterliegt wie in den von christlichen Tradi- und Kollegen daran erinnern, daß sie sich im Rah- tionen noch stark beeinflußten europäischen Län- men einer Eilaktion von Amnesty Interna tional für dern. die beiden zum Tode Verurteilten eingesetzt haben.

Diese Urteilsbegründung hat auch den Pe titions- Salamat und Rehmat Masih wurde in der Zwi- ausschuß zu einer scharfen Kritik veranlaßt. Dennoch schenzeit die Einreise in die Bundesrepublik ermög- hat die Mehrheit im Petitionsausschuß es abgelehnt, licht. Ich hoffe auf die Unterstützung insbesondere dem persönlich be troffenen Asylbewerber zu helfen meiner bisher in dieser Frage engagierten Kollegin- und seine Abschiebung nach Pakistan zu verhin- nen und Kollegen auch im Falle dieses Petenten. dern. Denn heute geht es nicht darum, welche Schritte die Bundesregierung unternimmt, um gefährdete Chri Weder der Petitionsausschuß noch der Bundestag -sten aus Pakistan zu schützen, heute sind wir als Ab- haben die Kompetenz, die Entscheidung eines Ge- geordnete gefordert. richts zu korrigieren. Aber auch die Entscheidung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN des Bundesamtes, dessen Korrektur wir verlangen sowie bei Abgeordneten der SPD und der können, wird dem Petenten in keiner Weise gerecht. PDS) In der sehr umfangreichen Entscheidungsbegrün- dung wird zwar breit ausgeführt, daß Ch risten in Pa- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich weise noch kistan angeblich keine generelle Verfolgung droht. einmal darauf hin, daß Erklärungen zu Abstimmun- Auf das persönliche Vorbringen des Petenten, seine gen persönliche Erklärungen zum eigenen Abstim- erlittenen Inhaftierungen und Folterungen, wird je- mungsverhalten sind und andere Erklärungen, wenn doch überhaupt nicht eingegangen. In dem folgen- eine Aussprache nicht vereinbart worden ist, eigent- den Gerichtsurteil, das mangels weiterer Berufungs- lich nicht zulässig sind. möglichkeiten rechtskräftig wurde, wurde das Vor- bringen des Asylsuchenden in der eben zitierten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Weise gewürdigt. und der F.D.P.) Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3227 Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Wünscht noch jemand eine Erklärung abzugeben? Berichterstattung: - Das ist nicht der Fa ll. Dann kommen wir zur Ab- Abgeordnete Dr. Gerd Müller stimmung, und zwar zunächst über den Änderungs- Horst Kubatschka antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Halo Saibold Drucksache 13/1547. Wer stimmt für diesen Ände- Dr. Olaf Feldmann rungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koali- d) Beratung des Antrags der Fraktionen der tion gegen die Stimmen der Fraktion der SPD und CDU/CSU und F.D.P. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Gruppe der PDS abgelehnt. Umweltschutz und Tourismus (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ - Drucksache 13/1531 DIE GRÜNEN]: Auch Herr Schwarz-Schil —Überweisungsvorschlag: ling!) Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus (federfüh- rend) - Habe ich das übersehen? - Und des Abgeordneten Auswärtiger Ausschuß Schwarz-Schilling. Ich bitte uni Nachsicht. Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Die Ge- Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit genprobe! - Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Koalitionsfraktionen - dort die Enthaltung des Kolle- lung gen Schwarz-Schilling - gegen die Stimmen der Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Fraktion der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Gruppe der PDS ist die Be- Zum Bericht der Bundesregierung über die Ent- schlußempfehlung angenommen. wicklung des Tourismus liegt ein Entschließungsan- trag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 5a bis Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die 5 d: gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so be- a) Beratung der Beschlußempfehlung und des schlossen. Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus (21. Ausschuß) zu der Unter- Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Kol- richtung durch die Bundesregierung lege Dr. Olderog, CDU/CSU-Fraktion. Bericht der Bundesregierung über die Ent- wicklung des Tourismus Dr. Rolf Olderog (CDU/CSU): Herr Präsident! - Drucksachen 12/7895, 12/8467 Nr. 1.36, 13/ Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als erstes 1513 - möchte ich den Dank meiner Fraktion an die Bundes- regierung, insbesondere an die Fremdenverkehrsre- Berichterstattung: ferenten Dr. Solveen und Dr. Lhotzky und ihre Mit- Abgeordnete Klaus Brähmig streiterinnen und Mitstreiter, für die sehr informa tive Susanne Kastner Arbeit aussprechen. Dazu eine Bitte und Anregung: Halo Saibold Die konzeptionellen Vorschläge sollten das nächste Dr. Olaf Feldmann - Mal konzentriert zusammengefaßt und deutlicher herausgehoben werden. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halo Saibold und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aus GRÜNEN dem weiten Feld der Tourismuspolitik eine Proble- matik herausgreifen, die uns allen große Sorge berei- Imagekampagne Urlaub in Deutschland" tet. Ich meine die unübersehbare Stagna tion der deutschen Tourismuswirtschaft. Während die Zahl - Drucksache 13/1016 — der Auslandsreisen steigt, sinkt die Zahl der Inlands- Überweisungsvorschlag: reisen. So stieg der Anteil der Auslandsreisen laut Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus (federfüh- rend) „Urlaub und Reisen" von 64,6 % auf 65,4 %; hinge- Innenausschuß gen sank der Anteil der Inlandsreisen von 35,4 % auf Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 34,6 %. Zudem ist bei den Inlandsreisen die Zahl der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Übernachtungstage von 14,4 auf 14 zurückgegan- c) Beratung der Beschlußempfehlung und des gen. Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr Von Jahr zu Jahr haben die Ausgaben der deut- und Tourismus (21. Ausschuß) zu der Unter- schen Touristen im Ausland neue Rekordmarken er- richtung durch die Bundesregierung reicht. 1994 waren es 67 Milliarden DM. Deutschland Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über hat dagegen im Incoming, also von ausländischen die Erhebung statistischer Daten im Bereich Gästen, nur 17 Milliarden DM einnehmen können. des Tourismus Unsere Volkswirtschaft muß mit einem Reisebilanz- defizit von 50 Milliarden DM fertigwerden. Die Pro- - Drucksachen 13/837 Nr. 2.2, 13/1402 - gnose für 1995 lautet: 72 Milliarden DM Ausgaben 3228 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Rolf Olderog im Ausland, so daß sich das Defizit sogar dann auf schaft, ihren Organisationen und Verantwortlichen etwa 55 Milliarden DM belaufen wird. Wir fragen ins Gericht gegangen. Unsere kritischen Anmerkun- uns, wie lange eine Volkswirtschaft ein Defizit in die- gen, für die wir manchmal getadelt worden sind, sind ser Größenordnung verkraften kann. lediglich ein Säuseln gegenüber dem Sturm, den der Minister gestern auf die öffentlich-rechtliche Frem- Meine Damen und Herren, das herrliche Reise- denverkehrswirtschaft in Deutschland niedergehen und Urlaubsland Deutschland hat es, so denke ich, ließ. Er sprach davon, daß do rt insgesamt keine über- nicht verdient, bei den Inlandsreisen ständig Markt- zeugende Arbeit geleistet werde und es an Kreativi- anteile gegenüber den Auslandsreisen zu verlieren. tät und Spaß fehle. Wo liegen die Ursachen? Da ist zum einen der ver- ständliche Nachholbedarf der Bürgerinnen und Bür- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: So hart hat er ger aus den neuen Bundesländern zu nennen. Eine es nicht ausgedrückt!) wichtige Rolle spielen auch die relative Preisstabilität - Mein Mitarbeiter Haese und ich haben das a lles in wichtigen Zielländern sowie die Aufwertung der mitgeschrieben. Wir können Ihnen das zur Verfü- D-Mark bzw. die Abwertung der Währungen do rt gung stellen. und die niedrigen Flugpreise, die durch den scharfen Wettbewerb insbesondere bei Fernreisen wie etwa in Schließlich war die Rede von einer vielfach vorhan- die USA oder in die Karibik entstanden sind. denen öffentlich-rechtlich verfaßten Schläfrigkeit. Ich halte mich in den Formulierungen eher etwas zu- Liegt es aber nicht auch daran - das ist die ent- rück, als daß ich sie hier in ihrer ganzen Deutlichkeit scheidende Frage -, daß die deutsche Fremdenver- ausbreite. Meine Damen und Herren, ich denke, dies längst nicht alle Chancen wahrge- kehrswirtschaft ist in der Schärfe etwas überzogen; das mache ich nommen hat, Urlaub in Deutschland attraktiv, erleb- mir nicht zu eigen. Vielleicht aber bedarf es dieser nisreich und spannend zu machen? Schärfe, um die deutsche Tourismuswirtschaft aufzu- (Beifall des Abg. Ulrich Schmalz [CDU/ rütteln und die notwendigen Diskussionen anzusto- CSU]) ßen. Vielleicht ist dies der Weg, zu neuen Ideen, zu neuer Dynamik und Schlagkraft zu kommen. Inso- Haben wir nicht immer wieder auch an dieser Stelle fern will ich den Minister ausdrücklich nicht kritisie- auf die Schwächen und Versäumnisse in der deut- ren. schen Fremdenverkehrswirtschaft hingewiesen? Ich erinnere nur an unsere Vorschläge für eine Dach-, Herr Präsident, ich sehe gerade, daß die Redezeit eine Imagewerbung für Urlaub in Deutschland, für abgelaufen ist. Ich meine aber, ich habe acht Minu- die Errichtung eines flächendeckenden Informa tions- ten Redezeit. und Reservierungssystems (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das kommt ja Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Nein, sieben Mi- jetzt! ) nuten. und für die Schaffung eines Gütesiegels für umwelt- Dr. Rolf Olderog (CDU/CSU): Eigentlich sollte ich freundliche touristische Angebote. acht Minuten bekommen. Leider aber - lieber Herr Feldmann, das wissen Sie (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Kein Wider genauso wie ich - hat sich gar nichts bzw. fast nichts spruch!) bewegt. - Nein, das sollte nur eine Anregung sein. Ich bitte (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Doch!) - um Prüfung, ob dies richtig ist. - Darauf komme ich noch. Wir haben uns bewegt, Meine Damen und Herren, was sind die wichtig- sonst aber hat sich im Bereich der Tourismuswirt- sten Projekte? Als erstes nenne ich ein flächendek- schaft leider nicht viel getan. kendes Informations- und Reservierungssystem. Jürgen Werner vom Deutschen Fremdenverkehrs- (Simon Wittmann [Tännesberg] [CDU/CSU]: verband hat sich bemüht, uns zu unterstützen. Es Sehr wahr!) scheint aber unglaublich schwer zu sein, die Regio- nalverbände und die Länder für bundesweite Pro- Die Bundesregierung und der Fremdenverkehrsaus- jekte zu gewinnen. Bei der gegenwärtigen Mentali- schuß haben eine finanzielle Anschubfinanzierung tät, bei der gegenwärtigen Verteilung von Macht, zugesichert. Jetzt sind vor allem die Bundesländer Geld und Kompetenzen scheint mir ein allzugroßer und die Regionalverbände am Zuge. Es ist völlig Optimismus nicht gerechtfertigt. klar: Es kann nicht Aufgabe des Bundes sein, für die Finanzierung aufzukommen, da er gar keine verfas- Nun haben wir - Herr Kolb, Sie waren dabei - ge- sungsmäßige Kompetenz auf diesem Gebiet hat. Die stern zum ersten Mal - ich unterstreiche das - Kompetenz dafür liegt bei den Ländern. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Zum ersten Mal (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Halbe-halbe!) in dieser Legislaturperiode!) Als zweites nenne ich eine flächendeckende Ima- im Fremdenverkehrsausschuß ein Gespräch mit dem gewerbung. Wie mit tibetanischen Gebetsmühlen Bundeswirtschaftsminister geführt. Mit für mich ge- haben wir das immer wieder als Initiativen vorge- radezu beispielloser Deutlichkeit ist er mit der deut- schlagen, aber es ist nicht viel passiert. In einer Bro- schen öffentlich-rechtlichen Fremdenverkehrswirt schüre hieß es einmal, das sei ein ganz besonders Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3229

Dr. Rolf Olderog wichtiges Vorhaben des DFV. Dann ging es wohl Unterstützung des Ministers vielleicht das schaffen, ums Geld. Und da gab es das übliche Hickhack. was unsere Fremdenverkehrswirtschaft in Deutsch- Dann sind die Vorschläge alle wieder verschwunden, land schon lange braucht, nämlich einen neuen Auf- und so ist nichts passiert. bruch.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch Herzlichen Dank. einen anderen Punkt ansprechen. Das Urlaubsland Deutschland hat eigentlich einen großen Vorteil: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ärzte, in letzter Zeit insbesondere auch Hautärzte, weisen immer wieder darauf hin, daß das milde Klima, das Reizklima, das wechselnde K lima in Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Deutschland für die Gesundheit und für die Erho- Kollegin Susanne Kastner, SPD-Fraktion. lung besonders bekömmlich ist. Für mich ist es un- verständlich, daß dieses gute Argument in der Wer- bung fast nicht zum Zuge kommt. Susanne Kastner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- Die Deutschen haben, was m an verstehen kann, leginnen und Kollegen! Es ist eine Tatsache: Der den Wunsch, möglichst viel Sonne zu bekommen Tourismusbereich wird ein immer wichtigerer Wirt und es warm zu haben. Aber die Mediziner raten da- Dort gibt es über 2 Millionen Arbeits--schaftszweig. plätze; 156 Milliarden DM Umsatz, also 5,6 % des von ab oder empfehlen zumindest, sehr vorsichtig zu Volkseinkommens, erwirtschaftet der Tourismus. In sein. Insbesondere Kinder setzen sich leicht der Ge- der Tat ist es so, daß davon nicht nur Hotels und fahr von Sonnenbränden aus und sind dadurch ge- fährdet, später vielleicht sogar Hautkrebs zu bekom- Gaststätten profitieren, sondern auch Mittelstandsbe- men. triebe in den Fremdenverkehrsgemeinden sowie diese Gemeinden selbst. Ich würde mich riesig Ich begreife nicht, daß das Gesundheitsargument freuen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn dies keine Rolle spielt. Stellen Sie sich einmal vor, TUI endlich auch in der Politik des Wirtschaftsministeri- und NUR hätten ein solch gutes Argument. Sie hät- ums eine Rolle spielen würde. ten es natürlich in ihre Werbung einfließen lassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Meine Damen und Herren, eine große Schwäche DIE GRÜNEN - Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: der deutschen Tourismuswirtschaft ist, daß es bisher In der Politik insgesamt!) fast nie gelungen ist, die unterschiedlichen Einschät- zungen, Tendenzen, Meinungen und Wünsche der Gestern noch hatte ich die große Hoffnung, daß Fremdenverkehrsverbände, der Bundesländer und uns das gelingt; da war das Interesse des Wirtschafts- der Bundesregierung auf einen Nenner zu bringen. ministers groß. Heute ist es nicht mehr ganz so groß, Ich denke, das gehört zur Führungsaufgabe des Bun- denn der Platz des Wirtschaftsministers ist wieder deswirtschaftsministers. Er muß die geistig-politi- einmal nicht besetzt. sche Führung und die Koordination leisten. Das darf nicht ausschließlich auf seinen Staatssekretär oder (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Auf der Regie seine Beamten delegiert werden, sondern das muß rungsbank sitzt der zuständige Staatssekre auch Chefsache sein. Der Chef des Wirtschaftsmini- tär! ) steriums muß sich mehr als bisher für die Tourismus- - Ja, der zuständige Staatssekretär sitzt do rt. Nur, ich politik engagieren! - frage mich, wie die Kommunikation funktioniert. Ich habe hier meine Zweifel. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Ol- derog, jetzt sind Sie zweieinhalb Minuten über der Die heutige Diskussion über den Bericht der Bun- Zeit. desregierung muß dazu beitragen, den Tourismus in (Zuruf von der SPD: Jetzt wird es gerade Deutschland voranzubringen. gut!) Nun zu einigen wichtigen Inhalten: Wichtigster Punkt einer erfolgsorientierten Fremdenverkehrspo- Dr. Rolf Olderog (CDU/CSU): Die Qualität meiner litik ist das Gleichgewicht zwischen Ökonomie und Argumente führt leider nicht zur Verlängerung der Ökologie. Die reine marktwirtschaftliche Lehre kann Redezeit. Meine Damen und Herren, es tut mir leid, nicht der Gradmesser sein. hier gab es offensichtlich ein Mißverständnis. Sie haben in Ihrem Bericht die Erhaltung von Um- Ich wollte nur sagen und kann damit schließen: welt, Natur und Landschaft als Grundlage des Tou- Gestern haben wir ein erstes Mal einen Dialog mit rismus besonders herausgestellt. Konkrete Konse- dem Bundeswirtschaftsminister geführt. quenzen daraus werden aber nur unzureichend ge- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: In dieser Legis zogen. Es fehlt an weitergehenden umweltpoliti- laturperiode!) schen Zielen und Standards für die Fremdenver- kehrszentren. Es fehlt auch an einer flankierenden - Ja, im Ausschuß. Ich fand, das war ein sehr gutes Maßnahme, um die Fremdenverkehrswirtschaft zur Gespräch. Dieses Gespräch stimmt mich optimi- Sicherstellung der ökologischen Zielsetzung besser stisch, daß wir bei der guten überparteilichen Zusam- fördern zu können. Es fehlt an der Defini tion von um- menarbeit im Fremdenverkehrsausschuß und mit der weltpolitischen Ansätzen im Forderungskatalog. 3230 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Susanne Kastner Die Kollegen der Regierungsfraktionen haben dies Nun klagen die Verantwortlichen in der Bundesre- ja nun dankenswerterweise sogar erkannt. gierung ständig darüber, daß das Ministerium perso- nell zu gering ausgestattet ist - und das stimmt. Um (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Sie haben einen eine aktive Fremdenverkehrspolitik zu gestalten, eigenen Antrag eingebracht!) fehlt es der Bundesregierung an einer schlagkräfti- - Herr Feldmann, warten Sie doch ab! - Gestern flat- gen Verwaltung. Andere Länder haben einen Touris- terte uns ein Antrag auf den Tisch, der die umwelt- musminister, wir nicht. politische Zielsetzung beschreibt. Glückwunsch, (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Aber wir haben liebe Kollegen! Endlich springen Sie auf den fahren- einen Fremdenverkehrsausschuß!) den Zug auf, und zwar sehr halbherzig und kraftlos, aber immerhin, Sie versuchen zu springen. Ich will Sie nicht abqualifizieren, Herr Staatssekretär Kolb, aber uns reicht in dieser Frage ein Staatssekre- (Lachen bei der SPD) tär eben nicht aus. Nun müssen Sie aber aufpassen, daß Sie dabei nicht (Marion Caspers-Merk [SPD]: Vor allem von unter die Räder kommen; der Qualität! - Horst F riedrich [F.D.P.]: Nichts gegen die Qualität des Staatssekre (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das tärs!) stimmt! - Horst Friedrich [F.D.P.]: Das ist das Risiko des Lebens!) Die personelle Ausstattung im Wirtschaftsministe- rium wird der Bedeutung des Fremdenverkehrs denn bei all den nett formulierten Zielsetzungen häu- nicht gerecht. fen sich in Ihrem Antrag Floskeln wie: Wir müssen darauf hinwirken; weiter vorantreiben; im Rahmen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Rolf der gegebenen Möglichkeiten unterstützen; Olderog [CDU/CSU]) (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das ist doch Änderungen herbeizuführen liegt aber in der Kom- richtig!) petenz des Ministers. Der sollte meines Erachtens - Herr Staatssekretär, bitte richten Sie ihm das aus - alle Anstrengungen unternehmen; weiter nachhaltig schleunigst sein Desinteresse ablegen und sich aktiv unterstützen usw. der Beseitigung dieses Mangels annehmen. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das ist doch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ richtig! Oder wollen Sie das nicht?) DIE GRÜNEN - Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Jetzt war der Minister gestern im Plenum, Da sind Banalitätenbrabbler an der Arbeit. Aber im- war im Ausschuß, und Sie beschweren sich merhin, wir haben von Ihrer Seite einen Ansatz für immer noch!) die Diskussion. Was mir bisher fehlt, ist die Vernet- zung mit anderen Politikbereichen. Vor allem - dies - Herr Feldmann, bei Ihrem Zwischenruf gilt wohl wird Sie nach dem sagenhaften Ozonkompromiß Ih- das Motto: Der getroffene Hund bellt. rer Regierung eigentlich nicht wundern - fehlt mir (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Er war doch im der Durchsetzungwille. Plenum! Zwei Stunden stand er uns zur (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Verfügung!) DIE GRÜNEN) Ein weiteres Stichwort ist der barrierefreie Urlaub. - Der Fremdenverkehr ist in vielen Regionen, insbe- Bei der Privatisierung der Bundesbahn haben Sie die Interessen von Behinderten nur unzureichend be- sondere im Osten Deutschlands, eine große Chance rücksichtigt. Sicher schaffen Sie es aber demnächst zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur För- einmal, uns einen umfassenden Bericht über die Si- derung der Struktur. Hier zeigt der Bericht ebenfalls ein erschreckendes Defizit. Durch eine verfehlte tuation von reisefreudigen Behinderten zu geben, Treuhandpolitik - ich muß Ihnen dies leider wieder damit wir auch darüber beraten können. einmal sagen - hat die Bundesregierung die Anglei- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anregungen chung der Lebensbedingungen in den neuen Län des Ausschusses sind in eine gemeinsame Entschlie- dern auch im Bereich des Fremdenverkehrs behin- ßung der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD dert. eingeflossen. Es wird niemanden verwundern, wenn ich hier zugebe, daß nicht alle Punkte unseres Vor- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: „Auch"? - schlags in den gemeinsamen Antrag eingeflossen Nein, jetzt bleiben Sie seriös!) sind. Das liegt allerdings in der Natur von Kompro- Auch daran ist der Herr Wirtschaftsminister Rexrodt missen. An diesem Kompromiß ist aber bemerkens- nicht ganz unschuldig. wert, daß der Ausschuß damit dokumentiert, daß er zu gemeinsamen Aktionen willens und fähig ist - in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der politischen Landschaft kein selbstverständlicher DIE GRÜNEN) Vorgang. Auch mit Blick auf andere Themen, bei de- nen wir im Fremdenverkehrsausschuß sehr weit aus- Wenn der Ausspruch stimmt, daß viele Deutsche auf einanderstehen, verdient diese gemeinsame Ent- Reisen eigentlich nicht das fremde Land, sondern schließung Beachtung und Zustimmung. Deutschland mit Sonne suchen, dürfen Sie darauf in der Tat ein besonderes Augenmerk richten. (Dr. Rolf Olderog [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3231

Susanne Kastner Ich will freimütig zugeben: In einem für uns sehr Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ungeachtet wichtigen Punkt konnten wir uns im Ausschuß nicht der zwei Schönheitsfehler der Entschließung, haben durchsetzen. Wir hatten vorgeschlagen, auch für ge- wir im Ausschuß ein ordentliches Stück Papier zu- ringfügig Beschäftigte eine generelle Rentenversi- stande gebracht. cherungspflicht einzuführen. Geringfügige Beschäf- tigungsverhältnisse, also solche, die von Sozialversi- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Gemeinsames cherungslasten befreit sind, begründen oftmals Ar- Lob!) mut und damit auch Sozialfälle im Alter. In der Frem- Wir hoffen, daß die Bundesregierung die 16 Punkte denverkehrsbranche sind solche Verträge ein belieb- der Entschließung aufmerksam beachten wird tes Mittel, preiswerte Angebote zu schaffen. Wir er- kennen durchaus, daß es in dieser Branche einen Be- (Karl Hermann Haack [Extertal] [SPD]: Aus darf gibt, einzelne Tätigkeiten rein netto zu vergüten. wendig lernen!) Auch habe ich kein so großes Problem mit dem Miß- und dem Deutschen Bundestag, wie im letzten Punkt brauch, der mit diesen Möglichkeiten einhergeht. gefordert, bis zum Herbst 1997 einen nächsten „Be- Den wird es immer geben. Unsere Kritik geht dahin, richt über die Entwicklung des Tourismus" vorlegen daß eine gegenwärtige eventuelle Notsituation von wird. Bis zu dem Bericht, den wir heute debattieren, Beschäftigten ausgenutzt wird. Ausbaden müssen hat es nämlich 20 Jahre gedauert. Wir wollen zukünf- diese Entwicklung dann wieder die Sozialämter und tig mindestens einmal in jeder Legislaturperiode - in die Kommunen. Wir fordern daher eine generelle dieser Frage stimmen Sie mit uns überein - einen Be- Rentenversicherungspflicht. richt der Bundesregierung zur besonderen Situa tion (Beifall bei der SPD) dieses für unsere Volkswirtschaft wich tigen Seg- ments. Schließlich ist der Tourismus inzwischen ähn- Dies würde solche Beschäftigungsverhältnisse nur lich stark wie die Automobil- und Chemieindustrie. geringfügig verteuern, würde aber für die Betroffe- Nicht leicht ist die Steuerung der Fremdenver- nen im Alter eine bessere Absicherung bedeuten. kehrswirtschaft durch den Bund. Deshalb verdient (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Es wären dann sie eine besondere Fürsorge des Wirtschaftsministeri- keine geringfügigen Beschäftigungsverhält ums. nisse mehr!) (Beifall bei der SPD) Ebenfalls nicht durchsetzen konnten wir uns mit Deswegen hätte ich es als anerkennenswert empfun- der Forderung, die Einhaltung der Ausbildungsricht- den, wenn der Wirtschaftsminister auch dieser De- linien der Fremdenverkehrswirtschaft besser zu batte beigewohnt hätte. Es ist richtig, die Fremden- kontrollieren. Ausbildung ist Ländersache. Trotzdem verkehrswirtschaft hat die volkswirtschaftlich gleiche können wir aber auf Bundesebene nicht einfach ta- Bedeutung wie die Automobilindustrie. Aber sie hat tenlos zusehen, wenn Ausbildungsverhältnisse ein- eine völlig andere Struktur. Um im Markt der Auto- zig und allein zur Schaffung billiger Arbeitsplätze mobilwirtschaft ordnend tätig zu werden, reicht es genutzt werden. aus, wenn die Bundesregierung leicht an der Steuer- und Verordnungsschraube dreht. Wenn wir hinge- (Beifall bei der SPD) gen eine Fehlentwicklung in der Fremdenverkehrs- Jeder Auszubildende, der ein Angebot einer Firma wirtschaft korrigieren müssen, dann müssen äußerst sensibel wirkende Maßnahmen entwickelt werden. annimmt, muß davon ausgehen können, daß- das Un- ternehmen ein konkretes Interesse an seiner Ausbil- Um die Struktur zu beeinflussen, braucht es mehr dung hat und nicht nur ein billiges Arbeitsverhältnis Kommunikation, mehr Abstimmung mit den Ländern ausbeuten will. Ich will der Branche nicht unterstel- und den Verbänden, also einen größeren, sensible- len, daß dies generell der Fall ist. Aber es ist schon ren Einsatz von seiten des Ministeriums. Eine viel zu ein bemerkenswerter Faktor, daß ein hoher Prozent- kleine Abteilung - ich will mich nicht wiederholen - satz der Auszubildenden den Ausbildungsplatz vor kümmert sich um die Fremdenverkehrswirtschaft. der Beendigung der Ausbildung wechselt. Weil man im Ministerium eben erkannt hat, daß die Situation vor Ort in der Branche sehr unterschiedlich Das Gastgewerbe bildet mit über 60 000 Ausbil- ist, traut man sich offensichtlich keine weitreichen- dungsverhältnissen eine tragende Säule in der Be- den Regelungskompetenzen zu und vertraut - wie rufsausbildung in unserem Land. Das entspricht könnte es bei der F.D.P. auch anders sein - einzig etwa 15 % der Ausbildungsbilanz. Da weit über die und allein auf die Selbstheilungskräfte des Marktes. Hälfte der Ausbildungsverhältnisse von Frauen ein- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Auch die Län gegangen wird, hat das Gastgewerbe in unserer Ge- der haben verfassungsrechtliche Kompeten sellschaft auch bei der Entwicklung von gleichen zen!) Ausbildungs- und Berufschancen von Frauen eine übergeordnete Bedeutung. Wenn aber ein großer Dies kann einfach nicht funktionieren. In vielen Ge- Teil der Auszubildenden seine Ausbildung vor ihrer sprächen mit Fremdenverkehrsverbänden, mit Be- Beendigung abbricht, dann ist dies ein Indikator für troffenen haben wir immer wieder heraushören kön- ein gewisses Problem in der Ausbildung. Dem müs- nen, man fühlt sich mit seinen Problemen oftmals im sen und werden wir uns auch in Zukunft verstärkt Stich gelassen. widmen. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Sie sollten sich (Beifall bei der SPD) an die Länderminister wenden!) 3232 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Susanne Kastner Deshalb zum Schluß noch einmal mein Appell - mehr zu erwarten. Er glänzt auch heute wieder durch Herr Kolb, bitte geben Sie dies weiter; ich habe den Abwesenheit. Eindruck, daß die Kommunikation im Wirtschaftsmi- nisterium in der Vergangenheit sehr schwierig war -: (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Er war gestern Herr Wirtschaftsminister Rexrodt muß die Fremden- insgesamt drei Stunden hier!) verkehrspolitik zur Chefsache machen. Geben Sie Er und viele andere haben nach wie vor nicht er- den über zwei Millionen direkt Beschäftigten das Ge- kannt, daß ein ökologisch und sozial verantwortba- fühl, in ihrer besonderen Situa tion auch durch die Po- rer Tourismus eine Notwendigkeit und keine neue litik der Bundesregierung unterstützt und gefördert Marketingstrategie ist. zu werden! Meine Damen und Herren und der einsame Herr Ich bedanke mich. auf der Regierungsbank, wenn Sie beweisen wollen, daß der soeben geschilderten Problematik zuzustim- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ men ist, die übrigens auch im Antrag der CDU/CSU DIE GRÜNEN) dargestellt ist, dann ziehen Sie doch die Konsequen- zen daraus! Denken Sie gemeinsam mit uns darüber nach, ob wir in Zukunft nicht ein Ministerium für Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Umwelt, Naturschutz und Tourismus brauchen. - Kollegin Saibold. Ganz nebenbei gesagt: Die bisherige regierungsamt- liche, tatsächlich aber unsägliche Verquickung von Umwelt und Reaktorsicherheit gehört schon längst abgeschafft. - Halo Saibold (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Damen und Herren! Trendforscherinnen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zukunftsprognostiker verheißen dem Tourismus im sowie bei Abgeordneten der SPD) nächsten Jahrtausend den quantitativen Sprung an die Spitze der Industrien der Welt. Kein geringerer Mit einer solchen Verschiebung der Zuständigkeiten als Daniel Goeudevert, ehemaliger Topmanager bei würde erkennbar, daß Ökologie und Ökonomie in Ford und VW, vertritt die Meinung, daß der Touris- Zukunft keine Gegensätze mehr sein dürfen. Das mus das Thema des nächsten Jahrhunderts sein muß das Ziel sein. Eine nachhaltige Tourismusent- wird, und er behauptet gleichzeitig: „Es gibt nichts wicklung bedeutet, daß ökologische, ökonomische Schlimmeres und Vernichtenderes als den Touris- und kulturelle Belange gemeinsam berücksichtigt mus. werden müssen. (Zuruf von der F.D.P.: Aber einen gewissen Nicht zuletzt diese beiden Äußerungen und Gegensatz können Sie nicht ausschließen!) ebenso die Tatsache, daß die Bundesrepublik das Land der Reiseweltmeister und -meisterinnen ist, ma- Die vorliegende Beschlußempfehlung reicht uns je- chen deutlich, daß der Tourismuspolitik ein weit hö- doch nicht ganz aus. Um endlich eine Umorientie- herer Stellenwert als bisher zukommen muß. Leider rung in der Tourismuspolitik zu erreichen, legen wir hat die Bundesregierung dazu bislang wenig oder mit unserem Entschließungsantrag einen Maßnah- gar nichts beigetragen. Vielmehr ist die Tourismus- menkatalog vor. Wir forde rn darin u. a. ein ganzheit- politik des Wirtschaftsministeriums gekennzeichnet liches Konzept für die Tourismuspolitik, das die Um- von einem Sammelsurium von Absichtserklärungen, orientierung in Richtung Umwelt- und Sozialverträg- von einem heillosen Kompetenzwirrwarr und von lichkeit bewirkt und Leitlinien für einen nachhalti- trauriger Perspektivlosigkeit. gen, zukunftsträchtigen Tourismus beschreibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Fördermittelvergabe darf in Zukunft nur noch sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Olaf unter dem Primat der Nachhaltigkeit erfolgen. Dies Feldmann [F.D.P.]: Furchtbares Zerrbild!) bedeutet z. B., daß Bet riebe und Regionen nur dann gefördert werden, wenn sie ein kontrollierbares Leit- Der Tourismusbericht der Bundesregierung ist bild erstellt haben und eine integrierte Durchführung nach wie vor vom Denken des quantitativen Wachs- desselben garantieren. Mit solchen Kriterien kann tums geprägt; er ist nur als Nachschlagewerk zu ge- ohne Ausweitung der Bürokratie eine zukunftsfähige brauchen. Er belegt in eindrucksvoller Weise, daß die Entwicklung eingeleitet werden. Diskussionen der letzten zehn Jahre an der Bundes- Außerdem forde rn wir Maßnahmen zur qualitati- regierung spurlos vorübergegangen sind. ven Verbesserung der Ausbildungsgänge sowie die Festlegung neuer touristischer Berufsbilder, Verbes- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Warum waren serungen bei der Bahn, die sofortige Besteuerung Sie gestern im Ausschuß so freundlich zum des Flugbenzins, die Zurückdrängung des Pkw-Ver- Wirtschaftsminister?) kehrs und vieles andere. Beim gestrigen ersten Besuch des derzeitigen Wirt- Der Tourismusbericht muß in Zukunft alle zwei schaftsministers - zu Ihnen kam er überhaupt nicht, Jahre vorgelegt werden und mit überprüfbaren Zie- Herr Feldmann - wurde ebenfalls deutlich, daß außer len ausgestattet sein. Außerdem bedarf es einer per- kurzfristigen Vorschlägen und Allgemeinplätzen sonellen Verstärkung im Ministerium, damit endlich keine konzeptionelle Zukunftsplanung vorhanden eine vernünftige Koordination zwischen den einzel- ist. Eine solche ist sicherlich von Herrn Rexrodt nicht nen Ministerien, zwischen Bund und Ländern sowie Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3233

Halo Saibold eine bessere Verbindung zur EU möglich wird. Es ßungsantrag der Koalition mit der SPD gekommen darf in Zukunft nicht mehr vorkommen, das z. B. das ist. Wir bedauern, Frau Saibold, daß sich die GRÜ- Forschungsministerium einen Modellversuch fördert, NEN diesem Antrag nicht angeschlossen haben. Sie in dem arbeitslose Lehrer zu Tourismusassistenten haben damit die Chance verpaßt, Ihre Vorstellungen umgeschult werden, während gleichzeitig das Sozial- mit einzubringen. ministerium arbeitslosen Reisebürofachkräften eine Von der Bundesregierung zu verlangen - Sie ha- Ausbildung im technischen und sozialen Bereich an- ben diese Charta Staatssekretär Kolb gerade überge- bietet. ben -, wie Sie es in Punkt 21 Ihres Entschließungsan- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS trages tun - aber Sie müssen jetzt telefonieren; das SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) ist natürlich viel wichtiger als zuzuhören -, die auf der sogenannten Weltkonferenz verabschiedete Wir fordern darüber hinaus die verbindliche Aner- „Charta für einen verträglichen Tourismus" als ver- kennung der Charta für einen verträglichen Touris- bindlich zu erklären, ist doch wohl nicht ernst ge- mus, die erst vor kurzem auf der Welttourismuskon- meint. Frau Saibold, Sie wissen doch, wie diese soge- ferenz auf Lanzarote verabschiedet wurde. Herr Par- nannte Weltkonferenz besetzt war und wie ober- lamentarischer Staatssekretär Dr. Kolb, ich übergebe flächlich dieses wichtige Thema dort behandelt Ihnen als Vertreter des noch zuständigen Ministers wurde. Ich empfehle, dieses Thema einmal auf die diese Charta mit der Bitte, sie in allen Wirtschaftsbe- Tagesordnung unseres Ausschusses zu setzen. Dann reichen zu berücksichtigen. können wir uns ernsthaft damit befassen. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das Ministe Wir wissen, daß der Tourismus ein dynamischer rium war dort vertreten!) Wirtschaftszweig ist. - Ich habe diese Charta aus zwei Gründen auch (Zustimmung bei der F.D.P.) Herrn Bundeskanzler Kohl zugeschickt: erstens weil der Tourismus generell einen höheren Stellenwert in - Die Vorredner haben bereits auf die wirtschaft liche der Politik erhalten muß und zweitens weil die In- Bedeutung hingewiesen. - Natürlich bringt diese Dy- halte der Charta in die allgemeine Politik mit einflie- namik auch Belastungen für die Umwelt mit sich. ßen müssen. Gerade der Tourismusbereich ist wie Der Wirtschaftsfaktor Tourismus und der Umwelt- kaum ein anderer darauf angewiesen, daß insgesamt schutz sind eben zwei Seiten ein und derselben Me- eine Politik der Nachhaltigkeit betrieben wird. daille. Gerade im Tourismus sind ökologische Ver- träglichkeit und wirtschaftliche Entwicklungsper- Wir fordern in unserem Antrag auf Drucksache 13/ spektiven eng miteinander verknüpft. Das Span- 1016 die Durchführung einer Imagekampagne „Ur- nungsfeld Ökonomie und Ökologie wird gerade im laub in Deutschland", weil sich in diesem Punkt Tourismus ein Dauerthema bleiben. Das war der Ökonomie und Ökologie treffen. Die Fremdenver- Hauptgrund, warum wir zusammen mit der Union ei- kehrswirtschaft leidet unter den zurückgehenden nen Antrag zu Umweltschutz und Tourismus vorge- Übernachtungszahlen. Wir möchten erreichen, daß legt haben. Frau Kastner, Sie stimmen mir sicher zu: immer mehr Menschen wieder einen „Urlaub der Das wäre eine eigene Debatte hier im Deutschen Nähe und der kurzen Wege" entdecken. Angesichts Bundestag wert gewesen. der Klimakatastrophe muß erreicht werden, die Frei- zeitmobilität zu verringern und die Vorstellung zu (Beifall bei der F.D.P. - Susanne Kastner hinterfragen, daß das Glück nur in fernen Ländern [SPD]: Wird noch werden!) zu finden sei. - Die F.D.P. begrüßt, daß der Zielkatalog der Touris- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - muspolitik der Bundesregierung im Umweltbereich Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Auch GRÜNE wesentlich erweitert wurde. Wir wollen einen hohen benutzen das Flugzeug!) Umweltstandard durch marktwirtschaftliche Anreize und nicht durch Gebote, Verbote und Gängelungen Ich bin sicher, wir kommen bei der Beratung der erreichen. vorliegenden Anträge gemeinsam ein gutes Stück vorwärts, wenn der politische Wille dahintersteht. (Beifall bei der F.D.P.) Vielen Dank. Der Bundeswettbewerb „Umweltfreundliche Frem- denverkehrsorte " des Deutschen Fremdenverkehrs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verbandes ist ein Beitrag hierzu. In einer Anhörung und bei der PDS - Dr. Olaf Feldmann des Fremdenverkehrsausschusses haben wir vor eini- [F.D.P.]: Sie hätten unserem Antrag zustim gen Jahren den Grundstein zu diesem Wettbewerb men sollen!) gelegt. Umweltpolitische Ziele sind nicht im nationalen Al- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der leingang erreichbar. Dies erfordert europäische Ko- Kollege Dr. Feldmann (F.D.P.). operation. Deswegen brauchen wir aber keine ei- genständige europäische Tourismuspolitik. Die F.D.P. Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe wendet sich mit Nachdruck gegen eine besondere Kolleginnen und Kollegen! Die heutige verbundene Kompetenz der Europäischen Union für den Touris- Debatte zeigt wieder einmal die ressortübergreifende mus. Bei allen Gemeinschaftsaktivitäten muß auf Spannweite des Themas Tourismus. Die F.D.P. be- strikte Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips geach- grüßt, daß es zu einem gemeinsamen Entschlie tet werden. 3234 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Olaf Feldmann Die F.D.P. lehnt den Vorschlag für eine „Richtlinie Vielen Dank. des Rates über die Erhebung statistischer Daten im Bereich des Tourismus" ab. Er liest sich, wie wir im (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ausschuß bereits festgestellt haben, wie ein bürokra- tischer Horrorkatalog. Sinnvoll ist allenfalls eine Har- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die monisierung der statistischen Erhebungsmethoden Kollegin Dr. Enkelmann (PDS). auf europäischer Ebene, um vergleichbare Daten zu erlangen. Wir wollen keine zusätzliche Datenerhe- Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Herr Präsident! bung, weil wir damit mittelständische Betriebe bela- Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich sten würden, was wir nicht wollen. aus dem Tourismusbericht einen Problemkreis her- (Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ausgreife. Ich beginne mit einem Zitat aus einem Pro- NEN]: Ach Gott, immer müssen die herhal spekt der Internationalen Tourismusbörse Berlin: ten!) Jeder Bürger der Bundesrepublik unternimmt Wir wollen die Vermarktung Deutschlands als pro Jahr mindestens zwei Flugreisen mit einer Reise- und Urlaubsland verbessern. Ich glaube, dem Entfernung von mehr als 1000 km. Weltweit be- können alle zustimmen. Der Fremdenverkehrsaus- findet sich etwa ein Sechstel der Menschheit schuß hat sich übrigens mit diesem Thema bereits ständig in der Luft. Verkaufsschlager der diesjäh- 1988 beschäftigt. rigen Saison sind die Steppengebiete des Allgäu sowie Surf-Kurse rund um die Nordseeinsel Ham- (Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ burg. Die Insel Antigua, die Malediven und die NEN]: Aber passiert ist n ix!) Bahamas befinden sich leider nicht mehr im An- gebot, da sie wegen Überflutung von der L Die F.D.P. begrüßt deshalb die Bereitschaft der Bun- and- karte gestrichen wurden. desregierung, ein flächendeckendes, leistungsfähi- ges Informations- und Reservierungssystem mit an- Zugegeben, dieser Prospekt ist natürlich noch nicht zufinanzieren. Ein solches System muß aber privat- geschrieben. Er könnte allerdings schon in wenigen wirtschaftlich betrieben werden, und es muß sich auf Jahren traurige Realität werden. Dauer selbst tragen. Der Urlaubs- und Freizeitverkehr trägt bereits (Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ heute in hohem Maße zu einer nega tiven Umweltbi- NEN]: Keine Monopolstellung!) lanz bei. Mehr als 60 % der Urlaubsreisen erfolgen mit dem Pkw, ca. 15 % mit dem Flugzeug. - Das ist richtig. Auch wenn es zentral und einheit- lich organisiert werden soll, darf es keine Monopol- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Wie machen Sie stellung geben. Ich glaube, darin sind wir alle einig. denn Urlaub?) (Zuruf von der CDU/CSU: Es sollte mög - Das sage ich Ihnen hinterher. - lichst keine solche Monopolstellung geben!) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Der Zugang muß offen und auch für kleine Anbieter Sie macht gar keinen Urlaub! Sie verzehrt bezahlbar sein. Das ist ja der wich tige Punkt. sich für die PDS!) Ich hoffe sehr, daß wir mit der gestrigen Aktuellen Der Trend zu kürzeren, aber häufigeren Reisen setzt Stunde einen konstruktiven Anstoß für eine struktu- sich fort - und das zu immer weiter entfernten Ur- relle und auch konzeptionelle Verbesserung- der Ar- laubszielen. Diese Entwicklung wird durch die Bun- belt der DZT gegeben haben. Auch wenn der Bund desregierung gefördert und subventioniert. Ich wohl noch auf längere Zeit die direkte Hauptlast der denke nur an die ungerechte Kostenverteilung bei DZT-Finanzierung trägt, brauchen wir mehr Flexibi- der Bahn und beim Flugverkehr - Stichwort: fehl- lität bei der Personalpolitik und eine kaufmännische ende Besteuerung des Flugbenzins -, so daß Bahnrei- Rechnungslegung. sen oftmals teurer sind als das Fliegen. Die Zusammenlegung von DZT und DFV, wie Sie, (Zuruf von der CDU/CSU: Das können Sie Frau Saibold, es leichtsinnigerweise vorgeschlagen aber nur europa- oder weltweit lösen!) haben, ist irreal; dagegen steht die Verfassung. Aber Dagegen wird in bundesdeutschen Ferienzielen eine stärkere Zusammenarbeit der beiden Organisa- und Naherholungsgebieten der öffentliche Verkehr tionen - da stimme ich Ihnen zu -, vor allem im ope- seit Jahren systematisch vernachlässigt, Regional- rativen Bereich, wäre durchaus möglich und müßte bahnen werden stillgelegt, der Busverkehr wird ein- bald Wirklichkeit werden. geschränkt bzw. ganz eingestellt. Viele Erholungsge- (Beifall bei der F.D.P.) biete sind schon heute nur noch mit dem Pkw zu er- reichen. Dies allerdings fördert nicht gerade die At- Der Bund sollte hier eine koordinierende Mittlerrolle traktivität der be troffenen Gebiete. Offenkundig wahrnehmen. sieht dies auch die Bundesregierung so, denn in ih- rem Bericht heißt es dazu: Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade im Hoch- lohnland Deutschland muß die Politik bereit sein, die Die Fremdenverkehrsorte befinden sich ... in ei- Rahmenbedingungen für die arbeitsplatzintensive nem Dilemma. Zum einen sind sie auf die Mobili- Tourismusbranche ständig weiter zu verbessern. tät ihrer Gäste angewiesen, zum anderen sind es Vielleicht stimmen wir darin überein. aber gerade das Auto und seine Begleiterschei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3235

Dr. Dagmar Enkelmann nungen, die die touristische Anziehungskraft ge- Gönnen wir uns aber vor allem öfter einmal einen fährden können. Blick in unsere unmittelbare Umgebung: Denn warum in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so Es wäre harmlos, wenn man nur von „gefährden kön- nah! nen" sprechen müßte. Laut „Fr ankfurter Rund- schau" vom 10. Dezember 1994 haben 30 % der be- (Beifall bei der PDS - Dr. Olaf Feldmann fragten Feriengäste im Allgäu bereits jetzt angekün- [F.D.P.]: Zum Beispiel im Schwarzwald!) digt, daß sie sich künftig von dort fernhalten würden, weil einfach zu viele Autos unterwegs seien. Immer- hin sind im Allgäu an Wochenenden rund 30 000 an- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der und abreisende Urlaubsautos unterwegs. Hinzu Kollege Wittmann von der CDU/CSU. kommen noch 20 000 bis 50 000 Wochenendreisende.

Der „Luftkurort" Bad Wildbad im Schwarzwald Simon Wittmann (Tännesberg) (CDU/CSU): Herr muß täglich bis zu 15 000 durchfahrende Autos ertra- Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich ver- gen. In den Alpen hinterlassen die ca. 100 000 Pkw kneife es mir, auf meine Vorrednerin einzugehen. an nur einem Wochenende 150 t Kohlenmonoxyd, Wer sich ständig der Arbeit im Ausschuß verweigert, 30 t Stickoxyde, 28,3 t Kohlenwasserstoffe und 183,3 t sollte auch im Plenum keine Beachtung finden. Blei - dies alles mit zunehmender Tendenz. (Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Olaf Feld Die Bundesregierung hat dem entgegenzusetzen: mann [F.D.P.]: So ist es leider! - Wider „Forschungsvorhaben, die sich mit den Einsatzmög- spruch der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann lichkeiten des ÖPNV für den Freizeitverkehr in touri- [PDS]) stischen Regionen ... beschäftigen". Forschen Sie noch eine Weile - bald wird es diese touristischen Re- - Wir reden hier über den Tourismus, und zu diesem gionen, diese Kleinode wie z. B. die Insel Usedom mit Thema gibt es einen Ausschuß. der Population von Störchen und Graureihern, die in der Bundesrepublik wirk lich einmalig ist, nicht mehr Wir sollten die Forderung nach einem Tourismus- geben. Dann können Sie Ihre Forschungsvorhaben minister nicht länger erheben. Bei jeder Diskussion vergessen. über die Kabinettsbesetzung fordern wir einen schlankeren Staat und weniger Minister. Aber jeder, (Beifall bei der PDS - Zuruf von der CDU/ so auch Frau Saibold, fordert ständig neue Minister- CSU) positionen. - Ich lade Sie gern auf die Insel Usedom ein, noch ist sie nämlich sehr schön. (Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Das stimmt gar nicht!) Wohlgemerkt, ich gönne jedem seinen Urlaub und meine damit nicht nur den auf „Balkonen". Aber las- Auch aus Ihren Reihen kommt der Ruf nach einer sen wir nicht zu, daß die natürlichen Grundlagen für schlanken Verwaltung. Das bedeutet aber auch, daß Erholung und Tourismus zerstört werden und daß man nicht ständig an ihren Ausbau denkt. Wir haben intakte Umwelt nur noch für viel Geld und weit ent- uns darauf geeinigt - das ist auch unsere Meinung -, fernt zu genießen ist. daß wir eine personelle Verstärkung im Wirtschafts- ministerium für den Tourismusbereich brauchen. Ich In ihrem letzten Bericht zur Entwicklung des Tou- halte es aber für verfehlt, dies zum Hauptthema zu rismus in der 12. Wahlperiode hatte die Bundesregie-- machen und dies bis hin zu den Ministerposten zu rung bereits festgestellt, daß der Faktor „Ruhe" für verfolgen. eine ganze Reihe von Urlaubern eine zunehmende Bedeutung hat und daß gerade Menschen, die Erho- lung und Entspannung suchen, auf Lärmeinwirkun- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Gestatten Sie gen besonders empfindlich reagieren. Das ist Ihnen eine Zwischenfrage der Kollegin Saibold? - Bitte. aber dann egal, wenn es um Ihre militärischen Spiel- chen - gemeint sind Tiefflüge einschließlich der Nachttiefflüge, und zwar über touristisch relevante Halo Saibold (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Regionen des Harzes, z. B. über den Brocken, oder Kollege Wittmann, Sie werden mir aber doch sicher- Mecklenburg-Vorpommerns usw. - geht. Dann for- lich zustimmen, daß das Totschlagargument dern gerade Sie den sanften Tourismus. Dies ver- „schlanke Verwaltung" nicht dazu führen darf, daß stehe ich als blanken Hohn. man überhaupt keine Schwerpunkte mehr setzt, viel- mehr kann das doch höchstens bedeuten, daß man (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ sich überlegt, wo ein Abbau erfolgen kann und wo DIE GRÜNEN) auch eine Verstärkung erfolgen muß, wenn man zu- Meine Damen und Herren, die Sommerurlaubssai- kunftsorientierte Politik machen wi ll. son 1995 hat begonnen. Ich wünsche allen von gan- zem Herzen einen erholsamen, streßfreien Urlaub, vielleicht auch mal mit der Bahn und mit dem Fahr- Simon Wittmann (Tännesberg) (CDU/CSU): Das ist rad. sicher richtig. Bloß, Frau Kollegin, Sie wissen doch auch, daß wir z. B. nicht mit Frankreich oder mit an (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das ist aber ein -deren Staaten vergleichbar sind, weil bei uns die Zu- netter Abgang!) ständigkeit für den Ausbau der Infrastruktur und für 3236 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Simon Wittmann (Tännesberg) die Förderung des Fremdenverkehrs in erster Linie - Ich habe zugehört, und deshalb darf ich jetzt auch bei den Bundesländern zu dem heute schon angesprochenen Flugbenzin kommen. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Tourismus ist Ländersache!) Natürlich ist einer der Gründe für den Rückgang des Tourismus in Deutschland, daß Auslandsflüge und die Kompetenz für den Bund in der Auslands- billiger werden. Das ist ein Problem. Bloß, das Re- werbung, in der Förderung von Pilotprojekten und in zept, Kerosin in Deutschland im nationalen Allein- der Schaffung von Rahmenbedingungen für die Ga- gang zu besteuern, bringt überhaupt nichts. Wir sind stronomie und für andere Fremdenverkehrseinrich- von vielen Flughäfen umgeben, die alle in eineinhalb tungen liegt. Deshalb kann der Bund schon aus ver- Stunden - ob das Prag, ob das in Österreich, in fassungsrechtlichen Gründen kein eigenes Ministe- Frankreich oder in der Schweiz ist - erreichbar sind. rium hierfür schaffen. Das führt doch bloß zu zusätzlichem Verkehr, nicht aber zu einer Einschränkung des Auslandstourismus, (Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ weil man nämlich dann diese Flughäfen entspre- NEN]: Das habe ich auch nicht gesagt!) chend anfahren wird.

Ich hielte dies übrigens auch nicht für sinnvoll, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) weil der Wettbewerb zwischen den Regionen durch- aus zu begrüßen ist. Dieser Wettbewerb, z. B. zwi- Wir haben deshalb in unserem Antrag ganz be- schen Bayern und Norddeutschland, ist doch gut, wußt eine EU-weite Regelung gefordert, und zwar auch wenn er manchmal zu Irritationen führt, weil als ersten Schritt für den innereuropäischen Flugver- eine Region ein paar Feriengäste mehr hat. Gerade kehr. Wir brauchen dann - das ist noch Zukunftsmu- das wollen wir ja. Wir wollen mehr Wettbewerb, um sik - für den interkontinentalen Flugverkehr eine damit letztlich mehr Gäste für Deutschland zu gewin- weltweite Regelung. Ich glaube, das ist eine sinn- nen. volle Regelung, die wir angehen müssen. Wenn es national sinnvoll wäre, dann hätte ich gar nichts da- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Der Bund muß gegen. Aber wir würden die Situa tion dadurch eher sich auf Koordinationsaufgaben beschrän verschlechtern, weil wir mehr Verkehr erzeugen als ken!) vermeiden. Meine Damen und Herren, heute liegt unser An- trag zum Thema Umwelt und Tourismus vor. Liebe (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Frau Kastner, das, was Sie an Vorstellungen mit mehr Lassen Sie mich noch ein Weiteres sagen: Es gibt Einschränkungen, mit der völligen Umstellung auf viele Gedanken über Beschränkungen des Flugver- den sanften Tourismus, natürlich mit Umweltverträg- kehrs durch Kontingentierungen und durch andere lichkeitsprüfungen, vortragen, - - Möglichkeiten. Ich bin der Meinung, unsere Chance (Susanne Kastner [SPD]: Das ist jetzt eine kann nicht darin bestehen, daß wir das, was der Wittmannsche Interpreta tion! Das stammt Mensch heute an Freiheit auch in der Mobilität ge- nicht aus meiner Rede! - Dr. Wolfgang wonnen hat, mit staatlichen Kontingenten beschrän- Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Forde rt die SPD ken. Wovon kann man es abhängig machen? Vom die Umweltverträglichkeitsprüfung für Tou Preis - risten?) (Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ - - Das ist eine Zusammenfassung. Ich kann ja jetzt NEN]: Genau!) nicht Ihre Rede insgesamt wiederholen. dann reisen die oberen Zehntausend -, oder man Die Vorstellungen, die Sie vorgebracht haben, füh- macht es vom Zufall abhängig. Deshalb müssen wir ren nicht zu einem Ausbau des Tourismus, sondern dafür sorgen, daß durch die Wettbewerbsfähigkeit zu einem Abbau. Für qualifizierte Arbeitsplätze - das unseres Fremdenverkehrs im eigenen Raum, durch haben Sie auch angesprochen - brauchen wir natür- den Ausbau dieser Wettbewerbsfähigkeit, durch zu- lich eine gewisse Verdichtung des Tourismus, um sol- sätzliche Infrastrukturmaßnahmen und natürlich che Arbeitsplätze überhaupt anbieten zu können auch durch mehr Markt in der Fremdenverkehrswer- und um nicht nur mit kurzfristigen Beschäftigungen bung hier etwas in Bewegung gesetzt wird. über die Runden zu kommen. Wenn wir eine Bundeszuständigkeit haben - das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) möchte ich heute einmal ganz deutlich ansprechen -, dann sollten wir die Zusammenarbeit mit den jewei- Es sind heute viele Berichte eingefordert worden. ligen Nachbarstaaten fördern. Es gibt ja ein wunder- Wir haben auch dafür gesorgt, daß die regelmäßig er- bares Projekt - Frau Irber kennt es ja - bei uns in Ost- scheinen. Allerdings, nur darauf herumzureiten ist bayern, das „Grüne Dach Europas", und es gibt si- auch nicht sinnvoll. Berichte sind Nachschlage- cher einige Projekte in Thüringen, an der polnischen werke, aber keine Politik. Grenze, an der Grenze zu Österreich und zur Schweiz, wo man so etwas machen könnte. (Susanne Kastner [SPD]: Bloß zu bekämpfen ist auch nicht sinnvoll! Da muß man erst (Susanne Kastner [SPD]: Das weiß Herr einmal zuhören!) Rexrodt nicht!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3237

Simon Wittmann (Tännesberg) Ich glaube, daß wir darauf dringen müssen, do rt, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege wo wir eine Förderzuständigkeit hätten, das in Zu- Wittmann, Sie müssen auf die Zeit achten. kunft aufzugreifen, weil wir mit grenzüberschreiten- der Zusammenarbeit zusätzliche Angebote aufbauen Simon Wittmann (Tännesberg) (CDU/CSU): Ein können und damit auch zusätzliche Feriengäste in letzter Satz: Ich bin überzeugt, daß wir trotz a ller Deutschland gewinnen können. Gegensätze inzwischen eine Basis gefunden haben (Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ - dabei gibt es über Details natürlich noch S treit -, NEN]: Wenn die Kontingentierung stimmt! auf der wir die Dinge machen können, die notwen - Brunhilde Irber [SPD]: Die wi ll doch die dig sind - Auslandswerbung, Inlandswerbung, Wett- DZT nicht rausrücken!) bewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft -, und daß wir nicht zu düster in die Zukunft zu schauen brauchen. Eine zweite Bemerkung, weil Sie mir gerade das Stichwort DZT geben. Ich hätte natürlich heute Danke schön. schon erwartet, liebe Frau Kastner, von Ihnen zu hö- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ren, welche Vorstellung Sie haben, nachdem Sie ge- stern ein Konzept entwickelt haben, das durch den heutigen Redebeitrag wieder entwertet wurde. Ich Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der bewundere Sie aber, weil Sie dazugelernt haben. Kollege Haack, SPD-Fraktion. Vor einigen Jahren haben Sie eine Privatisierung der DZT noch ganz abgelehnt. Karl Hermann Haack (Extertal) (SPD): Herr Präsi- dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich (Susanne Kastner [SPD]: Was?) möchte mich nicht an der allgemeinen tourismuspoli- tischen Debatte beteiligen, Inzwischen sind Sie dafür. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Eine solche ha (Susanne Kastner [SPD]: Das stimmt doch ben wir doch!) nicht!) sondern möchte mich heute mit einem Ausschnitt be- Wenn ich eine GmbH will, dann ist das eine Privati- schäftigen, der insbesondere der SPD am Herzen sierung, auch dann, wenn der Staat 100 % der An- liegt, nämlich mit der Situa tion der Kurorte, Seebä- teile hat. der und Heilbäder. Wir stellen dazu fest, daß im Tou- (Susanne Kastner [SPD]: Lesen Sie mal Ihre rismusbericht von 58 Seiten lediglich auf der Seite 14 Beschlüsse! Das ist sehr schwach!) ein kurzer Abschnitt über die neuen Bundesländer enthalten ist. - Schön, daß Sie das sagen. Das ist ein Lob für mich, wenn Sie das so ausdrücken. Da ich ein Detailfetischist bin, kann ich Ihnen sa- gen, daß mir folgendes dabei aufgefallen ist. Da lobt Ich möchte noch einmal auf das Thema Föderalis- sich die Bundesregierung, mus zu sprechen kommen. Ich glaube, wer eine Ima- gewerbung für Deutschland forde rt, der hat sicher (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Mit Recht!) recht. Aber die Imagewerbung für Deutschland al- daß sie eine Initiative gestartet hat, die sich „Sofort- lein kann die Inlandswerbung nicht ersetzen, son- hilfekonzept für das Kur- und Bäderwesen auf dem dem gerade da brauchen wir in den Regionen mehr Gebiet der neuen Bundesländer" nennt. Dazu darf Wettbewerb, mehr marktwirtschaftlich orientierte - ich anmerken: Nachdem 1989 die Mauer gefallen Verbände, war, hat die SPD-Bundestagsfraktion, deren kur- und (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Bessere Koordi bäderpolitischer Sprecher ich bin, nation!) (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das ist be weil Deutschland nur in dieser Vielfalt dargestellt kannt!) werden kann und nicht durch eine Einheitswerbung, in Bad Salzuflen auf der Bäderkonferenz 1990 be- die von Deutschland zentral gesteuert wird. schlossen, ein Soforthilfekonzept zu erarbeiten, und Lassen Sie mich auch noch eine Lanze für den zwar in Abstimmung mit den Vertretern der ehemali- Campingtourismus brechen! gen, damals noch bestehenden DDR. Das war vor dem Einigungsvertrag. (Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Sehr gut!) Dann habe ich im Namen der SPD-Fraktion im Ge- sundheitsausschuß einen entsprechenden Antrag ge- Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren bei vie- stellt, und in Abstimmung mit dem Heil- und Bäder- len Maßnahmen, die umweltpolitisch sinnvoll gewe- verband sind dann 4 Millionen DM als Strukturhilfe sen sind, manchmal nicht beachtet, daß wir hier ei- in die neuen Bundesländer geflossen. Herr Olderog, nen Zweig treffen, der letztlich, weil er Naturverbun- da Sie immer die Regierung loben: Ich wäre Ihnen denheit mit sich bringt, auch zur Umwelterziehung dankbar, wenn Sie auch uns einbeziehen würden. einen großen Beitrag leisten kann, der familien- Wenn man lobt, dann muß man das, glaube ich, auch freundlich ist und der neue Urlauberkreise erschlie- sehr detailliert tun. ßen kann. Tatsache ist aber, daß derzeit die Zahl der Campingplätze eher zurückgeht als steigt. Darauf (Beifall bei der SPD - Dr. Rolf Olderog müssen wir in Zukunft stärker Rücksicht nehmen. [CDU/CSU]: Das werde ich gerne machen!) 3238 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Karl Hermann Haack (Extertal) Das Ergebnis in den neuen Bundesländern ist sehr tät, mit den tatsächlichen Fakten strukturell positiv gut; es kann sich sehen lassen. Das Strukturhilfekon- umzugehen. zept, das wir verabredet haben, hat vor Ort Arbeits- plätze geschaffen, hat vor Ort Ausbildungsplätze ge- (Beifall bei der SPD - Susanne Kastner schaffen und hat dazu beigetragen, im Kern mittel- [SPD]: Vielleicht sagt Herr Kolb einmal et ständische Strukturen in den Kur- und Heilbädern was dazu!) der neuen Bundesländer zu entwickeln. Der Wettbewerb wird über die Qualität laufen. Damit bin ich bei einem weiteren Punkt: Die Kur- Hinzu treten bei den Kur- und Heilbädern weitere Gefährdungen: Der EG-Bereich kommt als Konkur- und Heilbäder in der Bundesrepublik sind ein Wi rt -schaftsfaktor mit 310 000 Arbeitsplätzen. Darin be- rent hinzu. Im Umweltbereich tauchen zunehmend gründet sich unsere Zielvorstellung, daraus versiche- die Wasserprobleme auf; Stichwort Heilquellen- rungspflichtige Arbeitsplätze zu machen. schutzverordnung und ähnliches. Die Regierung ignoriert dies. Ich denke, Herr Kolb, Sie sollten dazu (Beifall bei der SPD) im umweltpolitischen Teil des Tourismusberichtes das nächste Mal einige Ausführungen machen. Die Wertschöpfung in den Kur- und Heilbädern be- trägt 20 Milliarden DM. Insgesamt 112 Millionen (Beifall bei der SPD - Dr. Olaf Feldmann Übernachtungen sind in den Kur- und Heilbädern [F.D.P.]: Wir haben auch noch einen Um der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen.-weltminister!) Ich denke, das ist ein großer Beitrag zum Tourismus in - Auch der tut ja nichts. der Bundesrepublik Deutschland selbst. Wir, die SPD, haben eine Konzeption vorgelegt. Das heißt konkret: Für die SPD sind die Kur- und Als einzige Partei dieses Hauses haben wir kurpoliti- Heilbäder ein Faktor regionaler Wirtschaftspolitik. sche Leitlinien verabschiedet, die wir mit den Heilbä- dern und Kurorten auf der Bäderkonferenz in Bad (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Auch für die Salzuflen 1994 beraten haben. Die werden jetzt zu F.D.P.!) einer Stellungnahme versandt. Ich kündige Ihnen an: Wir werden dazu Ende dieses Jahres eine Große An- Sie sind ein Faktor für die regionale Arbeitsmarktpo- frage machen, um die Regierung zu zwingen, ein litik und auch für den regionalen Ausbildungsmarkt. eindeutiges Bekenntnis zum Tourismusaspekt von Denn wir sehen darin ein Stück Politik für den Mittel- Kur- und Heilbädern abzulegen. stand, den wir in regional schwachen Gebieten be- sonders fördern müssen. (Beifall bei der SPD - Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Sehr gutes Thema!) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]) Es geht beim Tourismus an der Küste, bei den See bädern, in den Mittelgebirgen, im süddeutschen Und was macht diese Regierung? Wir erleben ei- Raum und im Alpenraum schlicht und einfach um re- nen Verteilungswettbewerb um die Mittel der ge- gionale Wirtschaftspolitik und regionale Arbeits- setzlichen Krankenversicherung und Rentenversi- marktpolitik. Da wollen wir wissen, welche Posi tion cherung. Es soll gespart werden. Was wird erzählt? die Regierung hat. Wir haben unsere Schularbeiten Die ambulante Badekur muß abgeschafft werden. dazu entsprechend gemacht. Sie bekommen sie noch Dazu sage ich Ihnen: Die ambulante Badekur kostet zugestellt. die gesetzliche Krankenversicherung 424 Millionen- DM. Einige sind dabei, die stationäre Badekur abzu- (Beifall bei der SPD - Dr. Rolf Olderog schaffen, die stationäre Rehabilitationskur in Frage [CDU/CSU]: Da sind Sie nicht die einzi zu stellen. Da kommen noch 2,6 Milliarden DM gen!) hinzu. - Nein, das Fatale ist - - In der öffentlichen Debatte mit Vorverurteilungen (Dr. Rolf Olderog [CDU/CSU]: Sie müssen gegenüber Kuren zu reden, wie das seitens der Re- etwas zur gesundheitspolitischen Seite der gierung und den Ihnen verpflichteten Verbänden ge- Kuren sagen!) schieht, ist leichtfertig. So kann man mit dem Mittel- stand in der Region nicht umgehen. - Da ist es ja noch viel schlimmer mit Ihnen. Wir den- ken nach, Sie denunzieren die Kur. (Beifall bei der SPD) (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Nein!) Sie sollten aus dem Gesundheits-Reformgesetz der - Natürlich! Ära Blüm gelernt haben, der ja das Dienstleistungs- angebot der Kur- und Heilbäder nach dem Motto (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Die Kur ist eine „Morgens Fango, abends Tango" denunziert hat; Säule unserer Gesundheitspolitik!) Frau Faße war damals dabei. Dieses Gesetz hat zu einem Absturz der ambulanten Badekuren in den - Nein, ist sie bei Ihnen nicht. Kur- und Heilbädern mit dem Ergebnis geführt, daß (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Widersprechen Heime, Kurheime, Fremdenverkehrsheime schließen Sie?) mußten. Es fehlt Ihnen trotz tagespolitischer Ankün- digungen schlicht und einfach das Maß an Sensibili - Ich lasse mich hier nicht provozieren. Laß das jetzt! Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3239 Karl Hermann Haack (Extertal) Ich wollte noch einen wesentlichen Punkt bringen, gleich darauf eingehen: Herr Haack, ich freue mich, der uns im Tourismusbereich und damit auch den daß Sie das Kur- und Bäderwesen in den fünf neuen Heil- und Kurorten zu schaffen macht. Die Klientel in Bundesländern - ich komme aus einem dieser Län- den Heil- und Kurorten ist überwiegend die ältere der - so positiv beurteilen. Ich kann das nur bestäti- Generation. Hierauf muß hingewiesen werden. Ich gen. Sonst herrscht sicher bei einigen Dingen Dis- danke dem Bundestagsvizepräsidenten Hans-Ulrich sens. Klose, der in der SPD den Anstoß dazu gegeben hat, daß wir uns insbesondere unter dem Aspekt des de- (Susanne Kastner [SPD]: Er kennt sich gut mographischen Wandels mit einer neuen Kurort- aus!) und Bäderkonzeption befaßt haben. Wir werden - Ich danke Ihnen. Sicher kenne ich mich gut aus. Ich auch dazu Vorschläge machen, wenn wir nach der war in Bad Berka - - Beantwortung unserer Großen Anfrage einen Ent- schließungsantrag zu Kur- und Heilbädern im Deut- (Susanne Kastner [SPD]: Nein, Herr Haack schen Bundestag einbringen werden. kennt sich gut aus!) Auf einen besonderen Skandal möchte ich hinwei- - Darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Bei sen. Das Stichwort heißt Kofferservice. Wir haben den mittelständischen Strukturen sieht es manchmal 200 Rückmeldungen aus Orten quer durch die Bun- ein bißchen anders aus. Ich unterstreiche, was er desrepublik erhalten, bezogen auf die Aktivitäten dazu gesagt hat. von EMS, einer hundertprozentigen Tochter der Eines möchte ich klarstellen, damit die Legenden- Deutschen Bundespost, die einen Haus-zu-Haus- bildung der PDS hier nicht so frei im Raum steht: Es Kofferservice organisieren so ll, war bereits 1968/69 auf der Insel Rügen nicht mehr (Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ möglich, an allen Stellen zu baden, und zwar auf NEN]: Katastrophe!) Grund fehlender Kläranlagen, auf Grund fehlender Strukturen in diesem Bereich. mit katastrophalen Ergebnissen. Zweitens. Wer jemals mit der Bahn auf die Insel (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Leider kann ich Usedom gefahren ist, der weiß, wie das mit diesem da nicht widersprechen!) Vehikel funktionierte. Dorthin wälzte sich auch zu Das werden wir im Ausschuß für Tourismus zu einem DDR-Zeiten die herrliche Blechlawine. Ich wi ll das Tagesordnungspunkt machen, um darüber zu reden. dazusagen, damit wir uns nicht vorstellen, daß jetzt erst die bösen Wessis mit ihren Westautos das alles (Beifall bei der SPD - Dr. Olaf Feldmann kaputtgemacht hätten. Mehr möchte ich dazu nicht [F.D.P.]: Gut! Einverstanden!) sagen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das Gegenteil möchte mich dafür bedanken, daß Sie zugehört ha- ist der Fall!) ben, und bitte, daß Sie sich trotz Ihrer Zwischenrufe Ich möchte als besonders günstig für die neuen (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das waren posi Länder bezeichnen, daß in der 12. Legislaturperiode tive!) im Bundestag erstmals ein Vollausschuß für Frem- mit den Kur- und Heilbädern befassen, damit wir denverkehr und Tourismus eingerichtet wurde, auch für sie im Tourismusbereich zu einem guten Er- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gebnis kommen. - der seine Arbeit in der 13. Wahlperiode weiterführen Vielen Dank. kann. In der vorigen Wahlperiode war ein Großteil (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE der Beratungen dieses Ausschusses den neuen Län- GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS - Dr. Olaf dern gewidmet. Auch der uns vorliegende Bericht Feldmann [F.D.P.]: Ich komme aus Baden der Bundesregierung und die Beschlußempfehlung Baden, einem der bekanntesten Kur- und des Ausschusses spiegeln dies wider. Heilbäder!) Der vorliegende Bericht wurde vom Ausschuß ge- fordert. Er beschreibt den Ist-Zustand bis Anfang Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bevor ich die 1994. Zwar enthält jeder Abschnitt einen Ausblick in nächste Wortmeldung berücksichtige, darf ich die die Zukunft, aber der Ausschuß hätte sich für diese Kolleginnen und Kollegen darauf hinweisen, daß wir Darlegungen einen breiteren Raum gewünscht. nach den Abstimmungen zur Fragestunde kommen. In der einmütig verabschiedeten Beschlußempfeh- Für die Fragestunde verbleiben aber nur noch acht lung wird die Bundesregierung aufgefordert, im Fragen, d. h., es kann sehr schnell gehen, bis der Herbst 1997 den nächsten Bericht vorzulegen und nächste Tagesordnungspunkt aufgerufen wird. Bitte über die Erfüllung der in der Beschlußempfehlung richten Sie sich darauf ein. erhobenen Forderungen zu berichten. Ich rufe jetzt den Kollegen Dr. Päselt, CDU/CSU- Der Bericht der Bundesregierung über die Ent- Fraktion, auf. wicklung des Tourismus stellt in einem gesonderten Kapitel Aufgaben und Entwicklung der Tourismus- Dr. Gerhard Päselt (CDU/CSU): Herr Präsident! wirtschaft in den neuen Bundesländern dar. Der Aus- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf schuß hofft, daß die Entwicklung bis zum Jahre 1997 3240 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Gerhard Päselt so erfolgt sein wird, daß sich die Verhältnisse in bei- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Dr. Päselt, den Teilen Deutschlands weiter einander angenähert Ihre Zeit! haben und eine Darstellung der neuen Länder in ei- nem getrennten Kapitel nicht mehr notwendig ist. Dr. Gerhard Päselt (CDU/CSU): Ich nenne nur Was stellt nun der Bericht für die Entwicklung des noch einmal MBO, Stundung des Kaufpreises usw. Fremdenverkehrs in den neuen Ländern fest? Verge- Gegenwärtig erfolgt weiterhin die Aufholjagd, und genwärtigen wir uns zunächst die Ausgangssituation ich kann feststellen, daß das, was vor fünf Jahren an im Jahre 1990, damit wir dann das bereits Erreichte-gedacht worden ist, jetzt auf einem guten Stand ist. besser würdigen können. Anfang 1991 schreibt ein Wir aus den neuen Ländern möchten dafür den alten Bundesbürger über seine Reiseeindrücke in der ehe- Bundesländern ausdrücklich danken. maligen DDR - hören Sie gut zu -: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich habe noch nie ein Land gesehen, das mitten im Frieden von seiner Regierung so herunterge- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei- wirtschaftet und zugrunde gerichtet wurde wie ner Kurzintervention hat die Kollegin Dr. Enkelmann die ehemalige DDR. Das Land sah noch vor ei- (PDS). nem Jahr - also 1990 - Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Herr Präsident! aus, als ob man soeben den Krieg verloren hätte. Meine Damen und Herren! Ich lasse Ihnen hier nicht alles durchgehen. Anläßlich eines Besuches des Um- Er führt weiter aus: weltausschusses des Bundestages 1993 in der Schorf- heide im Landkreis Barnim, Brandenburg, äußerten Die Straßen sind oft in einem abenteuerlichen sich Kollegen der Regierungskoalition folgenderma- und eines zivilisierten Landes unwürdigen Zu- ßen: „Frau Kollegin Enkelmann, daß Sie so etwas stand. Schönes hier im Osten haben, hätten wir nicht ge- dacht. Von der touristischen Branche war ursprünglich er- wartet worden, daß sie zu einem Motor des wirt- Was Sie sagen, zeigt Ihre grenzenlose Ignoranz ge- schaftlichen Aufschwungs werden würde. Bei einer genüber Natur- und Umweltentwicklung auch in der sachgerechten Analyse des Ist-Standes gegenüber DDR. den alten Bundesländern hätte diese Erwartung ge- dämpfter ausfallen müssen. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Zu den Problemen des Umfangs und der Qualität Es gibt auch dort, es gibt auch im Osten sehr schöne, der Beherbergungsbetriebe kamen weitere Schwie- gut erhaltene Naturgebiete, die Sie sich ruhig einmal rigkeiten bzw. Hindernisse hinzu. Es fällt mir sehr ansehen sollten. schwer, eine Rangfolge aufzustellen bzw. eine Wer- (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das ist die tung vorzunehmen, da sie sich im Einzelfall gleich- Schorfheide! - Weitere Zurufe von der rangig darstellen. CDU/CSU und der F.D.P.) Beginnen möchte ich mit dem mangelhaften Tele- fonnetz. Was das bedeutet, kann nur der ermessen, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der der keines hat. Zu diesen Mängeln kommt die unzu- Parlamentarische Staatssekretär Dr. Kolb. reichende bzw. mangelhafte Infrastruktur, kommen mangelhafte Aufenthaltsmöglichkeiten am Urlaubs- ort, wenig attraktive und damit konkurrenzfähige Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- Kurorte, wenig attraktive Sport- und Freizeitange- desminister für Wirtschaft: Sehr geehrter Herr Präsi- bote, vielfältige Umweltprobleme und eine unzurei- dent! Meine Damen und Herren! Die Bundesregie- chende Urlaubsatmosphäre. rung wertet die Tatsache, daß wir heute bereits die dritte Tourismusdebatte in diesem Jahr haben, als Die Überwindung der angeführten Mängel hätte Anerkennung der besonderen Bedeutung, die dieser sich mancher kurzfristiger vorgestellt. Doch bei einer Branche unter wirtschafts- und gesellschaftspoliti- realistischen Betrachtungsweise dürfte klar sein, daß schen Aspekten zukommt. Die Zahlen sind von Ih- dies einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt. nen, Frau Kollegin Kastner, genannt worden: mehr 40 Jahre DDR lassen sich nicht kurzfristig überwin- als 5 % Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt, den. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: 5,6 %!) (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: So ist es!) mehr als 2 Millionen Beschäftigte. Das unterstreicht Am schnellsten wurde der Rückgang an Übernach- diese Bedeutung. Ich will nur darauf hinweisen, daß tungskapazitäten wettgemacht. Im Bericht ist ausge- es hier noch weitere Wachstumspotentiale gibt, die führt, daß die Privatisierung abgeschlossen worden es auch mit Unterstützung der Politik auszuschöpfen ist. Die Treuhandanstalt hat die Privatisierung der gilt. Einrichtungen auf die Stärkung des einheimischen Mittelstandes ausgerichtet. Existenzgründer aus den (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Aber behutsam, neuen Bundesländern wurden besonders gefördert. bitte!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3241 Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb Den gemeinsamen Entschließungsantrag von rers erklärt worden. Wir müssen darauf achten, daß CDU/CSU, F.D.P. und SPD zu dem Bericht der Bun- die vorgesehene Trägergesellschaft jetzt auf ein brei- desregierung über die Entwicklung des Tourismus tes Fundament gestellt wird, um nega tive Auswir- kann die Bundesregierung in allen Teilen mittragen. kungen auf den Wettbewerb zu vermeiden. Ich möchte hier gerne, soweit es die Zeit zuläßt, ei- nige wichtige Punkte aufgreifen. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Und daß kein Monopol entsteht! - Susanne Kastner [SPD]: Erstens. Wir müssen den Tourismusstandort Das hoffen wir!) Deutschland stärken. Der internationale Wettbe- werb um den Touristen verstärkt sich ständig. Die Ich glaube, ich kann mich zur Unterstützung der Palette neuer Urlaubsdestinationen Werbung für das Reiseland Deutschland relativ kurz fassen. Wir bekennen uns dazu. (Susanne Kastner [SPD]: Urlaubsziele!) (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - erweitert sich von Jahr zu Jahr. Es ist daher unver- Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: meidlich, daß die traditionellen Urlaubsländer - dazu Das ist aber nett!) gehört sicherlich auch Deutschland - intensiver um ihre Position kämpfen müssen. - Ich glaube, ich kann mich kurz fassen, weil Herr Bundesminister Dr. Rexrodt gestern in der Aktuellen Der Tourismusstandort Deutschland hat meines Er- Stunde wesentliche Aussagen ge troffen achtens dann eine Chance, wenn das touristische Angebot international wettbewerbsfähig ist und das (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Sehr gute Aus Angebot optimal vermarktet wird. Wir brauchen des- sagen!) halb auch - ich betone das, weil hier vorhin nach dem Staat gerufen wurde - mehr unternehmerisches und auch Überlegungen für eine Neustrukturierung Handeln und mehr unternehmerische Phantasie in vorgetragen hat. diesem Bereich. Das gilt sowohl für die Produktge- staltung als auch für die Vermarktung des Produktes, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Fünf wo man sich bisher zu sehr auf Ämter und öffentlich Minuten hat er gesprochen, mehr nicht! - finanzierte Verbände verließ. Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Und anderthalb Stunden im Ausschuß! Da waren Sie nicht Die Länder und Gemeinden besitzen hier Spiel- dabei!) räume für die Privatisierung öffentlicher Dienstlei- stungen im Fremdenverkehr. Diese müssen ausge- Zweitens. Die Abfederung des Strukturwandels in schöpft werden, der Tourismuswirtschaft ist für die Bundesregierung ein essentielles Thema. Wir werden im Rahmen un- (Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ serer Möglichkeiten dafür sorgen, daß sich der Struk- NEN]: Ein Allheilmittel ist das nicht!) turwandel, den wir nicht aufhalten können und auch nicht aufhalten wollen, in wettbewerblich geordne- damit leistungsfähige, unternehmerisch ausgerich- ten Bahnen vollzieht. Wir werden die mittelständi- tete Dienstleistungsstrukturen gefördert werden, die schen Unternehmen auch in Zukunft durch ein breit- dann auch privates Kapital anziehen werden. Bei- gefächertes Instrumentarium unterstützen. spiele zeigen, daß dieser Weg durchaus Erfolg ver- spricht. Damit werden nicht nur die öffentlichen Kas- (Beifall bei der F.D.P. - Halo Saibold sen entlastet, sondern es wird auch Platz- für die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Durch wel Gründung neuer Existenzen geschaffen. ches? Ein bißchen konkreter! - Susanne Die Förderung des Fremdenverkehrs in Deutsch- Kastner [SPD]: Das ist aber sehr oberfläch land ist nach unserer Verfassung - darauf wi ll ich nur lich, Herr Staatssekretär!) hinweisen - Aufgabe der Bundesländer. Dazu legen wir neben der Investitionsförderung den (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Genauso ist es! Schwerpunkt auch auf Qualifikation. - Susanne Kastner [SPD]: Das wissen wir Drittens: Aufbau der Fremdenverkehrswirtschaft selbst!) in den neuen Bundesländern. Auch auf diesen Be- Die Bundesregierung ist aber bereit - ich sage das reich wird die Bundesregierung in der Zukunft ihre sehr gern -, Hilfestellung zu leisten. Wir haben dies Aufmerksamkeit lenken. Wir denken, daß sich die z. B. mit dem Angebot get an, uns finanziell am Auf- Tourismuswirtschaft als nachhaltige Wachstums- bau eines flächendeckenden und auch vom Ausland branche bewährt. zugänglichen gemeinsamen Informations- und Re- (Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ servierungssystems zu beteiligen NEN]: Dafür muß man etwas tun!) (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Angemessen!) Gerade in den neuen Bundesländern ist die gestie- - angemessen zu beteiligen -, allerdings unter der gene Zahl der Auslandsübernachtungen erfreulich. Bedingung, daß sich die Länder und die letztlich da- Mit einem Zuwachs von knapp 25 % konnte sogar von profitierende Wirtschaft ebenfalls angemessen der weitere Rückgang in den alten Bundesländern daran beteiligen. Wir sind auch dafür, daß vorhan- kompensiert werden. Vielleicht ist dieser Erfolg nicht dene regionale Systeme in dieses System integriert zuletzt auch den Bemühungen der DZT zu verdan- werden. Dazu ist auch die Bereitschaft des Marktfüh ken, die sich mit großem Nachdruck gerade für die 3242 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb neuen Bundesländer engagiert hat. Auch dies sollte internationalen Zusammenarbeit zur Verbesserung man hier einmal erwähnen. des Umweltschutzes im Tourismus. Wir werden uns für die strikte Einhaltung bestehender Vereinbarun- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - gen - z. B. des Umweltschutzprotokolls zum Antark- Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Die DZT hat tisvertrag - einsetzen; wir werden uns auch mit gute Arbeit geleistet!) Nachdruck um eine alsbaldige Fertigstellung des Der vierte Punkt: In der Frage der europäischen Tourismusprotokolls zur Alpenkonvention bemühen. Zusammenarbeit bleibt die Bundesregierung bei ih- (Susanne Kastner [SPD]: Sagen Sie doch rem Standpunkt der strikten Einhaltung des Subsi- einmal etwas zu den Kriterien der Blauen diaritätsprinzips. Flagge!) (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Sehr gut!) Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist lei- Wir befürworten Gemeinschaftsaktionen in Berei- der, Frau Kollegin Kastner, zu Ende. chen, in denen gemeinschaftliches Handeln sinnvoll (Susanne Kastner [SPD]: Ein Glück aber oder notwendig ist. Für eine Gemeinschaftskompe- auch!) tenz der EU im Bereich Tourismus sehen wir aber weiterhin keinen Bedarf. - Ich hätte mir mehr gewünscht. - In der Vergangen- heit wurde die Tourismuspolitik der Bundesregie- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) rung in den wesentlichen Punkten von einem breiten Dennoch wollen wir uns einer Abstimmung der na- Konsens im Deutschen Bundestag ge tragen. Die tionalen Tourismuspolitiken auf der Ebene der Ge- Bundesregierung würde es begrüßen, wenn dieser meinschaft nicht entziehen. Der Tourismus ist für alle Konsens auf der Basis einer kritischen Diskussion zu Länder der Europäischen Union ein wich tiger, für Einzelfragen im Interesse des deutschen Tourismus verschiedene Länder sogar der wich tigste Wirt beibehalten werden würde. -schaftsfaktor und kann einen wirkungsvollen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Der fünfte und letzte Punkt, meine Damen und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Herren, ist das Thema Tourismus und Umweltschutz. Ich glaube, hier muß man zunächst einmal festhal- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine weiteren ten, daß eine intakte Natur und Kultur die Lebens- Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache. grundlagen des Tourismus sind, und dieses „Ge- schäftskapital" darf nicht aufgezehrt werden. Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst über Tagesordnungspunkt 5 a: Beschlußempfehlung (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Zustimmung des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus des ganzen Hauses! - Gegenruf der Abg. zum Bericht der Bundesregierung über die Entwick- Susanne Kastner [SPD]: Wenn ihr das auch lung des Tourismus, Drucksache 13/1513. Wer noch tut, ja!) stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegen- probe! - Enthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der Die Verflechtung von Ökonomie und Ökologie bil- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der det einen Schwerpunkt der Tourismuspolitik der Gruppe der PDS ist die Beschlußempfehlung ange- Bundesregierung. Im Bericht ist eine Vielzahl von nommen. Maßnahmen aufgeführt, die die Bundesregierung mit dieser Zielrichtung durchführt bzw. durchgeführt- Noch immer Tagesordnungspunkt 5a: Es ist bean- hat. tragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf der Drucksache 13/ Die Bundesregierung sieht in der gemeinsamen 1548 zur federführenden Beratung an den Ausschuß Beschlußempfehlung und in dem Antrag der Fraktio- für Fremdenverkehr und Tourismus zu überweisen, nen von CDU/CSU und F.D.P. eine Unterstützung ih- zur Mitberatung an mehrere Ausschüsse, nämlich an rer Politik. Ich wi ll allerdings darauf hinweisen, daß den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- verschiedene Forderungen in die Zuständigkeit der sicherheit, den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Länder fallen. Hier sind vor allem die Landesplanung Forschung, Technologie und Technikfolgenabschät- und Raumordnung, aber sicherlich auch der Regio- zung, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft nalverkehr zu nennen. Schließlich muß man auch und Forsten, den Ausschuß für Wirtschaft, den Aus- darauf hinweisen, daß sich viele begründete Forde- schuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- rungen auf nationaler Ebene zumindest nicht ohne wicklung, den Ausschuß für die Angelegenheiten unvertretbare Nachteile für die deutsche Wirtschaft der Europäischen Union und den Sportausschuß. realisieren lassen. Das Stichwort Flugbenzinbesteue- Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint so zu rung ist hier vom Kollegen Wittmann angesprochen sein. Dann ist die Überweisung so beschlossen. worden. Tagesordnungspunkt 5 b: Der Ältestenrat schlägt (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Nur im europä ischen Rahmen!) die Überweisung des Antrags der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN zu einer Imagekampagne Der auch in den Anträgen geforderte Bundeswett- „Urlaub in Deutschland" auf Drucksache 13/1016 an bewerb für umweltfreundliche Fremdenverkehrsorte die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse wird noch in diesem Jahr gestartet. Die Bundesregie- vor. Sind Sie auch damit einverstanden? - Dann ist rung bemüht sich mit Nachdruck um den Ausbau der die Überweisung so beschlossen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3243

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Tagesordnungspunkt 5 c: Wir stimmen ab über die Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Tech- Beschlußempfehlung des Ausschusses für Fremden- nologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus verkehr und Tourismus zu einem Richtlinienvor- schlag der Europäischen Union über die Erhebung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten statistischer Daten im Bereich des Tourismus, Druck- Steffi Lemke, Ulrike Höfken, Gila Altmann sache 13/1402. Wer stimmt für diese Beschlußemp- (Aurich), weiterer Abgeordneter und der fehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Be- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion gegen die Aufhebung des Anbauverbots von Hanf Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der und Förderung des Anbaus von THC PDS angenommen. armen Hanfsorten als nachwachsende Roh- stoffe Tagesordnungspunkt 5 d: Interfraktionell wird vor- geschlagen, den Antrag der Fraktionen der CDU/ - Drucksache 13/1425 - CSU und der F.D.P. zu Umweltschutz und Tourismus Überweisungsvorschlag: auf Drucksache 13/1531 zu überweisen: zur feder- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten führenden Beratung an den Ausschuß für Fremden- (federführend) verkehr und Tourismus sowie zur Mitberatung an Innenausschuß mehrere Ausschüsse, nämlich den Auswärtigen Aus- Ausschuß für Gesundheit schuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß c) Beratung des Antrags der Abgeordneten für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Aus- Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Willibald schuß für Verkehr, den Ausschuß für Umwelt, Natur- Jacob, Andrea Lederer, weiteren Abgeord- schutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuß für wirt- neten und der Gruppe der PDS schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und den Ausschuß für die Angelegenheiten der Euro- Völkerrechtswidrigkeit der Androhung päischen Union. des Einsatzes und des Einsatzes von Kern- waffen Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. - Drucksache 13/1465 - Überweisungsvorschlag: Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 sowie die Zusatz- Auswärtiger Ausschuß (federführend) punkte 7 a bis 7 c auf. Verteidigungsausschuß 13. Überweisungen im vereinfachten Verfahren Es handelt sich urn Beratungen ohne Debatte. Erste Beratung des von der Bundesregierung Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse die Zulassung von Umweltgutachtern und zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Umweltgutachterorganisationen sowie über Dann sind die Überweisungen so beschlossen. die Registrierung geprüfter Betriebsstandorte nach der Verordnung (EWG) Nr. 1836/93 des Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14b und c so- Rates vom 29. Juni 1993 (Umweltgutachter- wie 14e bis h und den Zusatzpunkt 8 auf: und Standortregistrierungsgesetz - USG) 14. Abschließende Beratungen ohne Aussprache - Drucksache 13/1359 - - Überweisungsvorschlag: b) Zweite und dritte Beratung des von der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (federführend) eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Innenausschuß Gesetzes über die Festlegung eines vorläu- Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft figen Wohnortes für Spätaussiedler Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union - Drucksachen 13/1174, 13/1497 - ZP7 weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren (Ergänzung zu TOP 13) (Erste Beratung 33. Sitzung) a) Erste Beratung des von den Fraktionen der Beschlußempfehlung und Bericht des In- CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Ent- nenausschusses (4. Ausschuß) wurfs eines Gesetzes zur Änderung des - Drucksache 13/1475 - Bundes-Immissionsschutzgesetzes und des Straßenverkehrsgesetzes Berichterstattung: Abgeordnete Eva-Ma ria Kors - Drucksache 13/1524 - Jochen Welt Überweisungsvorschlag: Rezzo Schlauch Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Dr. Burkhard Hirsch heit (federführend) Innenausschuß c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Rechtsausschuß Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Gesundheit schuß) zu dem Antrag des Bundesministe- Ausschuß für Verkehr riums der Finanzen 3244 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bun- der Koalition und der SPD gegen die Stimmen der deshaushaltsordnung zur Veräußerung Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung von BÜND- bundeseigener Grundstücke in Wiesbaden, NIS 90/DIE GRÜNEN angenommen. ehemaliges Camp Pieri Dritte Beratung - Drucksachen 13/1212, 13/1412 - und Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen, die Berichterstattung: dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Abgeordnete ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Susanne Jaffke Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions- Antje Hermenau fraktionen und der SPD bei Enthaltung von BÜND- Jürgen Koppelin NIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS ange- nommen. e) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) Tagesordnungspunkt 14 c: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur Veräußerung bundes- Sammelübersicht 34 zu Petitionen eigener Grundstücke in Wiesbaden, Drucksachen 13/1212 und 13/1412. Wer stimmt für diese Beschluß- - Drucksache 13/1406 - empfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei f) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der tionsausschusses (2. Ausschuß) Gruppe der PDS ist die Beschlußempfehlung ange- nommen. Sammelübersicht 35 zu Petitionen Tagesordnungspunkte 14 e bis 14h: Beschlußemp- - Drucksache 13/1407 - fehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksa- chen 13/1406 bis 13/1409. Das sind die Sammelüber- g) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- sichten 34 bis 37. Wer stimmt für diese Beschlußemp- tionsausschusses (2. Ausschuß) fehlungen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- Sammelübersicht 36 zu Pe titionen schlußempfehlungen sind bei Enthaltung von BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS ange- - Drucksache 13/1408 - nommen. h) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Wir kommen zu Zusatzpunkt 8 und stimmen über tionsausschusses (2. Ausschuß) den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetz- entwurf zur Änderung des Sozialgesetzbuches auf Sammelübersicht 37 zu Pe titionen den Drucksachen 13/1205 und 13/1559 ab. Ich bitte - Drucksache 13/1409 - diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- len, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - ZP8 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalition und sprache (Ergänzung zu TOP 14) der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS ist Zweite und dritte Beratung des von der Bun- der Gesetzentwurf damit in zweiter Beratung ange- desregierung eingebrachten Entwurfs eines nommen. Dritten Gesetzes zur Änderung des Sozialge- setzbuches - 3. SGBÄndG Wir kommen zur - Drucksache 13/1205 - dritten Beratung (Erste Beratung 35. Sitzung) und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der schusses für Arbeit und Sozialordnung Gesetzentwurf ist mit derselben Mehrheit wie in (11. Ausschuß) zweiter Beratung angenommen. - Drucksache 13/1559 - Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 2 auf: Berichterstattung: Abgeordneter Peter Dreßen Fragestunde Tagesordnungspunkt 14 b: Abstimmung über den - Drucksache 13/1498 - von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Wir behandeln zunächst den Geschäftsbereich des Änderung des Gesetzes über die Festlegung eines Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler. Das sind und Jugend. Zur Beantwortung steht die Parlamenta- die Drucksachen 13/1174 und 13/1497. rische Staatssekretärin Gertrud Dempwolf bereit. Der Innenausschuß empfiehlt Ihnen auf Drucksa- Ich rufe Frage 24 des Abgeordneten Klaus Hage- che 13/1475, den Gesetzentwurf unverände rt anzu- mann auf: nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer Trifft es zu, daß die Wohlfahrtsverbände für die Einführungs- kurse der Zivildienstleistenden einen täglichen Aufwand zwi- stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- schen 80 DM und 100 DM haben, vorausgesetzt, sie unterhalten wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen eigene Häuser und tragen damit nicht noch höhere Kosten, und Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3245

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß bei einem Jugend: Das kann ich Ihnen nicht sagen, Herr Kol- derzeitigen Tagessatz von 50 DM durch die öffentliche Hand der lege. Dies wird zur Zeit geprüft. Eigenanteil der Träger immer größer wird und gleichzeitig die Einführungsphase im aktiven Wehrdienst voll mid ganz durch die öffentliche Hand getragen wird? Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Noch eine Zu- Bitte, Frau Kollegin. satzfrage?

(SPD): Ja, ich habe eine zweite Gertrud Dempwolf, Parl. Staatssekretärin bei der Klaus Hagemann Bundesministerin für Fami lie, Senioren, Frauen und Zusatzfrage. Jugend: Die Frage des Kollegen Hagemann beant- Trifft es zu, daß die Bundesregierung die Zu- worte ich wie folgt: schüsse für die Dienststellen der Zivildienstleisten- Die den Verbänden entstehenden Kosten für Ein- den drastisch gekürzt hat, und wie bewe rtet die Bun- führungslehrgänge sind der Bundesregierung im desregierung die dadurch geminderte Qualität in der einzelnen nicht bekannt. Es kann aber als sicher an- Betreuung von Zivildienstleistenden? gesehen werden, daß die Tagessätze je nach dem Träger der Maßnahme stark diffe rieren, wobei das Gertrud Dempwolf, Parl. Staatssekretärin bei der Vorhandensein eigener Tagungshäuser und festan- Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und gestellter Dozenten einen wichtigen Faktor für eine Jugend: Herr Kollege, das sind zwei Fragen. Ich kostengünstige Durchführung der Lehrgänge dar- kann sie Ihnen jetzt nicht beantworten. Ich würde stellen kann. Es kann zutreffen, daß der Tagessatz, das überprüfen lassen und Ihnen die Antwort schrift- wie von Ihnen genannt, zwischen 80 DM und 100 DM lich geben. liegt. (Klaus Hagemann [SPD]: Vielen Dank!) Das Bundesamt für den Zivildienst beteiligt sich an den Kosten der Durchführung mit einem Tagessatz Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Nächste Wort von zur Zeit 50 DM pro Teilnehmer. Eine Vollfinan- -meldung. zierung der verbandlich geleiteten Lehrgänge durch den Bund stand zu keiner Zeit zur Diskussion. Uwe Hiksch (SPD): Sehr geehrte Frau Staatssekre- Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege haben tärin, können Sie bestätigen, daß es in sich problema- ein erhebliches Eigeninteresse nicht nur am Einsatz tisch ist, daß Wohlfahrtsverbände für junge Men- von Zivildienstleistenden, sondern auch an deren schen, die einen Wehrersatzdienst leisten, der ei- fachlicher Qualifizierung. Daher bestimmt § 25 a gentlich einzig und allein ein Dienst ist, der von sei- Abs. 2 des Zivildienstgesetzes, daß die Kosten der ten der Bundesrepublik erbracht werden muß, über- Lehrgänge in angemessenem Umfang erstattet wer- haupt etwas bezahlen müssen? den können. Eine Parallele zu der Grundausbildung von drei Gertrud Dempwolf, Parl. Staatssekretärin bei der Monaten für Wehrpflichtige bei der Bundeswehr läßt Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und sich nicht ziehen, weil der Wehrdienst ausschließlich Jugend: Ich weiß, daß die Wohlfahrtsverbände die im Bereich der Bundeswehr stattfindet und andere Zivildienstleistenden sehr gerne einstellen und auch Kostenträger naturgemäß nicht zur Verfügung ste- für deren Ausbildung zuständig sein wollen. hen. Im Zivildienst dagegen findet die Dienstleistung nur bei gemeinnützigen Einrichtungen, insbeson- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Weitere Zusatz- dere bei den Wohlfahrtsverbänden für deren Zwecke fragen? - Bitte. statt. Der Tagessatz des Bundes ist mehrfach den Ko- Klaus Dieter Reichardt (Mannheim) (CDU/CSU): stensteigerungen angepaßt worden. Derzeit wird die Frau Staatssekretärin, ist Ihnen - dies frage ich im Möglichkeit der Erhöhung des Tagessatzes geprüft. Anschluß an die letzte Frage des Kollegen - bekannt, daß die SPD einen Antrag eingebracht hat, die Bür- gersteuer für die Erhaltung der Bundeswehr einzu- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage? führen?

Klaus Hagemann (SPD): Ja. Gertrud Dempwolf, Parl. Staatssekretärin bei der Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich habe eine Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und weitere Frage, die ebenfalls die Tagessätze betrifft. Jugend: Herr Kollege, ich habe davon gehört. Mir ist bekannt, daß diese in den letzten sieben Jah- ren nicht angehoben worden sind und, wie von Ih- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Kollege Fuhr- nen berichtet, derzeit bei 50 DM liegen. Bis wann mann. will die Bundesregierung die Anhebung vornehmen - Sie haben angedeutet, daß sie dies vorhat -, wann Arne Fuhrmann (SPD): Frau Staatssekretärin, kön- ist damit zu rechnen? nen Sie bestätigen, daß immer mehr Wohlfahrtsver- bände Zivildienstplätze abbauen, weil sie finanziell Gertrud Dempwolf, Parl. Staatssekretärin bei der nicht dazu in der Lage sind, diese Plätze nach wie Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und vor anzubieten? 3246 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Gertrud Dempwolf, Parl. Staatssekretärin bei der Reiner Krziskewitz (CDU/CSU): Meine zweite Zu- Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und satzfrage: Wie beurteilt die Regierung den weiteren Jugend: Das kann sicherlich in dem einen oder ande- Zeithorizont hinsichtlich dieses Projektes? ren Fall zutreffen, aber generell ist es nicht so. Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich sehe keine desminister für Verkehr: Dazu möchte ich eine Vor- weiteren Wortmeldungen. Vielen Dank, Frau Staats- bemerkung machen. Diese äußerst wichtige Straßen- sekretärin. verbindung wurde in den vordringlichen Bedarf ein- geordnet auf Grund der Bedeutung, die ich gerade Darm rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesmi- erläutert habe, obwohl keinerlei Vorplanungen für nisteriums für Verkehr auf. Zur Beantwortung der diese Trasse existierten, so daß im Moment noch rela- Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Jo- tiv aufwendige Arbeiten notwendig sind. Ich möchte hannes Nitsch zur Verfügung. einmal die gesamte Trasse von über 130 km in drei die Vorbereitungsar- Wir kommen zur Frage 25 des Kollegen Reiner Abschnitte gliedern, weil dort Krziskewitz: beiten unterschiedlich weit gediehen sind. Trifft es entsprechend der Pressemeldung in der Mitteldeut- Im Westabschnitt ist das Raumordnungsverfahren schen Zeitung vom 6. Mai 1995 zu, daß sich gewünschte Netzer- abgeschlossen und die Linienbestimmung im De- gänzungen im Bereich Braunschweig (A 39) und Goslar (B 6n) zember 1994 erfolgt. Zur Zeit wird am RE-Entwurf nicht realisieren lassen und daß das Bundesministerium für Ver- gearbeitet, bzw. die Einleitung des Planfeststellungs- kehr auch das gesamte Bauvorhaben der B 6n in naher Zukunft in Frage gestellt sieht, selbst in der Gefahr, daß das Ausbleiben verfahrens wird für die zweite Hälfte des Jahres 1995 dieser Strecke als wirtschaftlich lebensnotwendiger Verkehrs- vorbereitet. Bei vorschriftsmäßigem Ablauf könnte anbindung des Nordharzes und als Verbindung des niedersäch- der Baubeginn für diesen kleineren Westabschnitt im sischen mit dem sächsischen Wirtschaftsraum für die Region in Jahre 1996 sein. Sachsen-Anhalt sowie für die benachbarten Räume erhebliche Rückwirkungen auf dem Arbeitsmarkt haben wird? Im Mittelabschnitt, der von Wernigerode bis an die A 14 im Bereich Bernburg reicht, sind die Arbeiten Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- zur Zeit so weit, daß die Umweltverträglichkeitsstu- desminister für Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsi- dien Stufe I und Stufe II abgeschlossen sind und das dent! Die Frage des Abgeordneten Krziskewitz Raumordnungsverfahren für einen Mittelabschnitt möchte ich wie folgt beantworten: Die gewünschten innerhalb dieses Abschnitts eingeleitet ist. Es gibt in Netzergänzungen im Bereich Braunschweig und diesem Bereich unterschiedliche Interessen öffentli- Goslar lassen sich realisieren, sobald die planungs- cher Belange, die zur Zeit noch nicht zu einem Kon- rechtlichen Verfahren rechtsbeständig abgeschlos- sens geführt haben. Sobald diese Konsensherstel- sen sind. Es trifft nicht zu, daß das gesamte Bauvor- lung erfolgt ist, wird auch das Linienbestimmungs- haben der B 6 n, das von Goslar/Bad Harzburg bis verfahren eingeleitet werden können. Dessau reicht und so eine Länge von über 130 km In dem Ostabschnitt, der von der A 14 im Bereich umfaßt, in naher Zukunft in Frage gestellt wird. Bernburg bis nach Dessau, an die A 9, reicht, sind die Auch die Bundesregierung sieht die B 6n als eine Verkehrsuntersuchungen abgeschlossen. Die Um- wirtschaftlich lebensnotwendige Verkehrsanbindung weltverträglichkeitsstudie Stufe I ist abgeschlossen. für den Nordharz an. Sie stellt insbesondere für diese Mit dem Abschluß der Umweltverträglichkeitsstudie Region in Sachsen-Anhalt die wichtigen Verbindun- Stufe II wird demnächst gerechnet, so daß wir ab gen zum Land Niedersachsen und zum Freistaat Mitte dieses Jahres mit dem Raumordnungsverfah- Sachsen her. Daher hat sie die Planungen für dieses ren beginnen können. Vorhaben auch nachhaltig unterstützt. Dem derzeiti- gen Stand der Planungen entsprechend wird ange- Soweit die gewünschten Auskünfte zu diesem rela- strebt, auf Teilabschnitten mit dem Planfeststellungs- tiv komplizierten Verfahren. verfahren noch 1995 zu beginnen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine Zusatzfra- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage? gen. - Darm rufe ich die Frage 26 des Kollegen Uwe Hiksch auf: Reiner Krziskewitz (CDU/CSU): Die erste Zusatz- Sieht die Bundesregierung hinsichtlich der Nutzung bzw. Be- deutung der Bundesautobahn A 73/A 71 einen Unterschied in frage: Sehen Sie ein Junktim zwischen den ge- der Antwort zu Frage 8 der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜND- wünschten Netzergänzungen und der grundsätzli- NIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 13/1228) und der Antwort zu chen Funktion der B 6n als Bindeglied zwischen dem Frage 3 der Kleinen Anfrage der Fraktion der SPD (Drucksache mitteldeutschen Industrieraum und Niedersachsen? 13/928)? Das heißt, kann es die B 6n nur mit diesen Ergänzun- gen geben, oder kann man auch nur an eine einfache Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- Erweiterung denken? desminister für Verkehr: Herr Präsident, die Fragen 26 und 27 stehen in einem sehr engen Zusammenhang. Darf ich eine gemeinsame Beantwortung vorneh- Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Verkehr: Nein, es besteht kein Zu- men? sammenhang zwischen den Netzergänzungen im Raum Braunschweig und dem Beginn der Arbeiten Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ja. Dann rufe ich auf der B 6n. auch die Frage 27 des Kollegen Uwe Hiksch auf: Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3247 Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Wie erklärt die Bundesregierung die unterschiedliche Beto- Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- nung der Nutzung der A 73; einerseits als Regionalautobahn, an- desminister für Verkehr: Die Aussage im ersten Teil dererseits als Verkehrsweg für den "nationalen landesgrenz- überschreitenden Fernverkehr"? Ihrer Frage würde ich nicht bestätigen. Die Bundes- regierung und das Verkehrsministerium kennen die Bedeutung jeder Autobahn genau und stellen um- Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- fangreiche Untersuchungen an, bevor sie in den Be- desminister für Verkehr: Verkehrspolitische Zielset- darf eingeordnet wird. zung und regionalpolitische Bedeutung eines Ver- kehrsprojektes schließen sich nicht aus. Die ange- Die von Ihnen zitierten Formulierungen halte ich sprochenen Antworten nehmen auf die unterschied- nicht für glücklich, weil sie mit den Definitionen des lichen Frageschwerpunkte Bezug. Auch die unter- Bundesfernstraßengesetzes nicht in Übereinstim- schiedliche Betonung der Nutzung der A 73 ergibt mung stehen. sich aus der jewei ligen Fragestellung. Das Bundesautobahnnetz ist nach der Defini tion Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Eine weitere Zu- des Bundesfernstraßengesetzes dem weiträumigen satzfrage. Schnellverkehr zu dienen bestimmt. Dennoch muß immer wieder die besondere regionalpolitische Be- deutung einer Bundesautobahn auch zur Erschlie- Uwe Hiksch (SPD): Herr Staatssekretär, können Sie ßung der durchfahrenen Region für den Fernverkehr mir dann erklären, warum mir am 8. Februar 1995 auf - ich konnte das gerade an Hand der in der vorigen die schriftliche Frage 324 vom Januar 1995 geantwor- Frage angesprochenen Straße darstellen -, insbeson- tet wurde - ich zitiere aus Ihrem Hause -: ,,Eine vor- dere der früher grenznahen und wirtschaftlich be- rangige Bedeutung für die regionale Verkehrser- nachteiligten Gebiete und Standorte, betont werden. schließung ist damit nicht das Bauziel" der A 73/A 71?

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage. Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Verkehr: Damit hat sich unser Haus Uwe Hiksch (SPD): Herr Staatssekretär, wenn das, genau an die Definition des Bundesfernstraßengeset- was Sie gerade ausgeführt haben, richtig ist, können zes angeschlossen. Sie mir dann erklären, warum jetzt im Planfeststel- lungsverfahren bei der A 73 allein im Raum Coburg zwei Anschlußstellen gestrichen wurden? Uwe Hiksch (SPD): Meine letzte Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- A 73/A 71 in der Realität einzig und allein für den desminister für Verkehr: Es gibt immer mehrere Fernstraßenverkehr, und zwar für den transnationa- Randbedingungen, unter denen man solche Planun- len Fernstraßenverkehr, gebaut werden soll, oder gen vorzunehmen hat. Die Gebietskörperschaften wie begründen Sie sonst die Tatsache, daß Ihr Haus hatten acht Anschlußstellen auf einer Streckenlänge massiv versucht hat, die A 73/A 71 in die transeuro- von 23 km gefordert. Sie werden mir vielleicht zu- päischen Netze aufzunehmen? stimmen können, daß sechs Anschlußstellen auf ei- ner Strecke von 23 km immer noch eine verhältnis- Parl. Staatssekretär beim Bun- mäßig dichte Bestückung sind. Johannes Nitsch, desminister für Verkehr: Die Aussage im ersten Teil würde ich wieder nicht bestätigen. Zum zweiten Teil Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Eine weitere Zu- Ihrer Frage: Die Aufnahme in die transeuropäischen satzfrage. Netze ergab sich notwendigerweise aus den inzwi- schen durchgeführten Beratungen zu diesen Geset- Uwe Hiksch (SPD): Sehr geehrter Herr Staatssekre- zen. Daher haben wir eine bereits in der Planung vor- tär, können Sie mir bestätigen, daß die Bundesregie- gesehene wichtige Autobahn für diese Zwecke zur rung selbst nicht weiß, wofür man die A 73/A 71 Verfügung gestellt. überhaupt braucht? Oder wie erklären Sie sich die Tatsache, daß beispielsweise die DEGES, die Deut- sche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine weiteren in einem in unserer Region verteilten Prospekt Zusatzfragen. schreibt - ich zitiere -: Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- In ihrer Konzeption ist die A 81/A 73 riums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentari- - früher war die A 71 die A 81 - sche Staatssekretär Walter Hirche bereit. primär eine Regionalautobahn, die entscheidend Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Hans-Otto Wil- zur Verbesserung der Infrastruktur in Mittel- und helm auf: Südthüringen beitragen wird. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über biologi- - und die Autobahndirektion Nordbayern, die eben- sche Wirkungen und mögliche Gesundheitsgefahren, wenn in falls massiv ihre Prospekte in unserer Region verteilt der Umgebung von Hochspannungsleitungen niederfrequente hat, schreibt: elektrische und magnetische Felder überlagert werden mit hochfrequenten elektromagnetischen Strahlen aus Mobilfunk- Die A73 hat die Funktion einer Regionalautobahn. sendern? 3248 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Hans-Otto Wilhelm (Mainz) (CDU/CSU): Habe ich ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- Sie richtig verstanden, daß ein neuer Verordnungs- cherheit: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! entwurf sowohl im Bereich der hochfrequenten als Die Frage des Kollegen Wilhelm beantworte ich wie auch niederfrequenten Felder bzw. Strahlen in Vor- folgt: Der Bundesregierung liegen keine wissen- bereitung ist, und würden Sie mir mitteilen, inwie- schaftlichen Erkenntnisse vor, die addi tive oder syn- weit sich diese neuen Verordnungen von den alten ergistische Wirkungen bei Überlagerungen nieder- Verordnungen, vor allen Dingen was Abstandspro- frequenter oder hochfrequenter elektromagneti- bleme anbelangt, substantiell unterscheiden? scher Felder belegen können. Wenn Sie einverstanden sind, beantworte ich Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Frage 29 gleich mit. ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit: Herr Abgeordneter, ich wi ll Ihnen gern zu- sätzlich zu dem, was ich jetzt sage, noch eine schrift- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Dann rufe ich liche Information geben. Aber ich sage vorweg noch Frage 29 des Kollegen Hans Otto Wilhelm auf: einmal, daß in dem Entwurf, der in dieser Woche zu- Könnten die jeweils für Hochfrequenz und Niederfrequenz sammen mit der Einladung zu einer Anhörung nach getrennt festgelegten Grenzwerte (z. B. Entwurf DIN VDE 0848 § 51 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes an die bzw. Empfehlung der Strahlenschutzkommission vom Februar Bundesländer und an die Verbände verschickt wor- 1995) sich für den Fall solcher Interferenzen als zu hoch erwei- sen? den ist, für ortsfeste Anlagen Grenzwerte festgelegt werden, die auf den Empfehlungen der Internationa- len Kommission zum Schutz vor nichtionisierenden Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Strahlen und der Strahlenschutzkommission basie- ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- ren. cherheit: Die Frage 29 beantworte ich wie folgt: Die spezifischen biologischen Wirkungen infolge des Einsatzes niederfrequenter oder hochfrequenter Fel- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. der sind grundsätzlich unterschiedlich. Dies wird bei der Festlegung von Grenzwerten berücksichtigt. Hans-Otto Wilhelm (Mainz) (CDU/CSU): Nimmt Eine Überlagerung der biologischen Wirkungen nie- die Bundesregierung zur Kenntnis, daß trotz der wis- derfrequenter und hochfrequenter Felder ist wissen- senschaftlichen Empfehlungen na tional und interna- schaftlich nicht belegt. Eine Berücksichtigung in tional mehrere Verwaltungsgerichte unter dem Ge- Grenzwertempfehlungen ist deshalb nicht erforder- sichtspunkt der Vorsorge von diesen physikalischen lich. Empfehlungen dahin gehend abweichen, daß sie In diesen Tagen hat das BMU den Entwurf einer weitaus größere Sicherheitsabstände empfehlen und Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissi- für richtig halten? onsschutzgesetzes über elektromagnetische Felder versandt. Auch in diesem Entwurf werden auf Grund Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- der unterschiedlichen biologischen Wirkungen die ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- Bereiche der niederfrequenten und hochfrequenten cherheit: Herr Abgeordneter, selbstverständlich neh- Felder unterschieden. men wir nicht nur zur Kenntnis, was Abgeordnete in diesem Hause und draußen sagen, sondern auch, was Verwaltungsgerichte feststellen, wobei auch Sie Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zusatzfrage. sicher in Ihrer politischen Laufbahn die Erfahrung gemacht haben, daß solche Feststellungen in erster Hans-Otto Wilhelm (Mainz) (CDU/CSU): Hält es Instanz sich manchmal erheblich von dem unter- die Bundesregierung für wünschenswert, bei Interfe- scheiden können, was nachher im Laufe von Ge- renzen hochfrequenter und niederfrequenter Felder richtsverfahren endgültig festgestellt wird. bzw. Strahlen Wirkungen zu erforschen, die in der Praxis durchaus auftreten könnten? Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Weitere Zusatz- frage. Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit: Herr Abgeordneter, da es keine plausiblen Hans-Otto Wilhelm (Mainz) (CDU/CSU): Würden Hinweise auf derar tige Wirkungen gibt, wird auch Sie aber einräumen, daß die Wegentwicklung der kein Bedarf gesehen, in diesem Bereich Forschungs- Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit von projekte zu vergeben. Ihren Festlegungen zu einer bemerkenswerten Be- sorgnis bei betroffenen Menschen führt, und beab- Die Aussage, die ich eben gemacht habe, wird ge- sichtigen Sie, in Ihren Entwürfen den grundsätzli- stützt durch Be trachtungen und Beratungen sowohl chen Vorsorgeaspekt des Bundes-Immissionsschutz- in der Strahlenschutzkommission als auch in interna- gesetzes zugunsten der davon be troffenen Men- tionalen Kommissionen, die über den Schutz vor schen zu beachten? nichtionisierenden Strahlen beraten haben. Walter Hirche, Pari. Staatssekretär bei der Bundes- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Weitere Zusatz- ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- frage. cherheit: Herr Kollege Wilhelm, selbstverständlich Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3249

Parl. Staatssekretär Walter Hirche halten wir erstens am Vorsorgegrundsatz als Leit- einen abgeschlossenen Endbericht der Gesellschaft prinzip der Umweltpolitik fest, und zweitens gibt es für Reaktorsicherheit zu Fragen der Langzeitsicher- immer einen Anlaß, Besorgnissen von Bürgern, selbst heit im Endlager Morsleben gibt, frage ich Sie: Ist es wenn sie objektiv nicht begründet sein sollten, nach- zutreffend, daß das Bundesamt für Strahlenschutz zugehen. Denn ein Staat, der Besorgnisse von Bür- dem sachsenanhaltischen Umweltministerium gern nicht ernst nimmt, würde sich letzten Endes schriftlich bestätigt hat, alle Unterlagen zu Morsle- auch nicht damit begnügen können, daß Gesetze ben seien dem Umweltministerium vollständig zuge- oder physikalische Diskussionen etwas aussagen. leitet worden? Ist es richtig, daß es einen verfahrens- Hier müssen wir mit demokratischem Verständnis mäßig abgeschlossenen Endbericht der Gesellschaft auf diese Dinge eingehen, allerdings im Rahmen be- für Reaktorsicherheit in diesen Unterlagen nicht lastbarer Daten. gibt?

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Keine weiteren Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Zusatzfragen. ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit: Frau Abgeordnete, es gibt, wie ich gesagt Wir kommen zur Frage 30 der Abgeordneten Ur- habe, einen vorgelegten Bericht der Gesellschaft für sula Schönberger. Reaktorsicherheit, der öffentlich zugänglich ist. Se- Gibt es einen abgenommenen Endbericht der Gesellschaft für hen Sie mir bitte nach, daß ich den Schriftwechsel ei- Reaktorsicherheit, auf den das Bundesministerium für Umwelt, ner nachgeordneten Behörde mit dem Land Sachsen- Naturschutz und Reaktorsicherheit seine Aussage stützt, die Langzeitsicherheit für Morsleben für die nächsten 10 000 Jahre Anhalt nicht im einzelnen kenne. Ich kann deswegen sei von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit nachgewiesen auf diesen Punkt nicht eingehen. Ich will das aber worden? gem nachprüfen und Ihnen dann Auskunft geben.

Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ihre zweite Zu- ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- satzfrage. cherheit: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage der Kollegin Schönberger beantworte ich wie folgt: Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sind Sie mit mir darüber einig, da diese nach- Die Antwort ist ein eindeutiges Ja. Ja, das Bundes- geordnete Behörde bzw. das sachsenanhaltische umweltministerium stützt seine Aussagen zur Lang- Umweltministerium den Langzeitsicherheitsnach- zeitsicherheit des Endlagers für die bis gegebenen- weis als Grundlage für das Planfeststellungsverfah- falls zum 30. Juni 2000 eingelagerten radioaktiven ren beim Endlager Morsleben braucht, daß es um ei- Abfälle nen verfahrensmäßigen Akt geht und nicht um ir- (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard gendeine Schrift, die die GRS irgendwo veröffent- Hirsch) licht hat? Sind Sie mit mir der Meinung, daß es von daher nicht unerheblich ist, ob das offiziell, verfah- auf die von der Gesellschaft für Anlagen- und Reak- rensmäßig korrekt mit dem sachsenanhaltischen torsicherheit und von der Bundesanstalt für Geowis- Umweltministerium abgewickelt wird? senschaften und Rohstoffe durchgeführten und in Endberichten dargestellten Untersuchungen. Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Bereits am 8. März 1991 ist die Sicherheitsanalyse ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- des Endlagers für radioaktive Abfälle Morsleben, cherheit: Selbstverständlich, Frau Abgeordnete, bin FRAM, vom damaligen Bundesumweltminister Pro- ich Ihrer Auffassung, daß es sich hier um ein formali- fessor Töpfer der Öffentlichkeit vorgestellt worden. siertes, im übrigen von den Gesetzen vorgeschriebe- Dieser Bericht kann von jeder interessierten Person nes Verfahren handelt, das anschließend auch der erworben werden. Kontrolle von Verwaltungsgerichten zugänglich sein muß. Das bedeutet, daß in diesem Verfahren Berichte Ferner ist ein weiterführender Bericht zur Lang- eingeführt werden müssen, die allen Anforderungen, zeitsicherheit mit der Berechnung von Radionuklid- die dieses Hohe Haus in Gesetzen festgelegt hat, ge- transportvorgängen im Endlager Morsleben vom De- nügen müssen. Deswegen geht es nicht darum - wie zember 1994 in der Schriftenreihe „Reaktorsicherheit Sie es formuliert haben; ich will das an dieser Stelle und Strahlenschutz" des Bundesumweltministeriums gern aufnehmen -, irgendeinen Bericht vorzulegen, veröffentlicht worden und somit für jeden erhältlich. sondern den von den Gesetzen vorgeschriebenen Be- Darüber hinaus werden die Untersuchungen durch richt der Fachbehörde einzuführen. die genannte Gesellschaft im Rahmen der Weiterent- wicklung des Standes von Wissenschaft und Technik Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine weitere fortgeführt. Zusatzfrage.

Frau Schönber- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mir ist ger, Sie dürfen zwei Zusatzfragen stellen. die Aussage des Umweltministeriums von Sachsen- Anhalt bekannt, daß ihm vom BMU kein abgeschlos- Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sener Bericht der Gesellschaft für Reaktorsicherheit NEN): Wenn ich Sie richtig verstanden habe, daß es zur Langzeitsicherheit zugeleitet wurde. Anderer- 3250 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Steffi Lemke seits besteht die Aussage, daß die Unterlagen dem Das BMU hat seine Aussagen zur Langzeitsicher- Umweltministerium in Sachsen-Anhalt jetzt vollstän- heit mit neueren Erkenntnissen der Gesellschaft für dig vorliegen. Ich finde es schon erstaunlich, daß Sie Reaktorsicherheit begründet. Ich wollte wissen, ob in dazu keine genauere Aussage machen können. diesem Zusammenhang die gemeinsame Einlage- rung von Sondermüll und Atommüll im Schacht Ma- Ich habe eine Frage zur Sicherheit von Morsleben. rie in Morsleben ebenfalls geprüft wurde und ob es In der letzten Sitzungswoche haben Sie die intensi- Aussagen dazu gibt, wann dieser Sondermüll do rt veren Einlagerungen in Morsleben damit begründet, herausgeholt wird? daß neuere Erkenntnisse zur Langzeitsicherheit vor- lägen. In der letzten Zeit bestand immer Überein- stimmung darüber, daß die gemeinsame Einlagerung von Sondermüll und Atommüll in einem Atomendla- Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ger nicht den Sicherheitsanforderungen genügt. Ich ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- möchte gern wissen: Wann ist beabsichtigt, den Son- cherheit: Frau Kollegin, ich kann keinen Zusammen- dermüll aus dem Schacht Marie herauszuholen? hang erkennen, nachdem ich die Frage wiederholt bekommen habe. Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit: Frau Abgeordnete, zum ersten Teil möchte Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Vielen Dank. ich sagen, daß es meiner Meinung nach möglicher- Es gibt keine weiteren Fragen. weise Verwechslungen zwischen zwei Berichten gibt: ob es sich um einen Bericht im Rahmen des Die Fragen 31 und 32 werden schriftlich beantwor- Planfeststellungsverfahrens h andelt oder ob es sich tet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. um einen Bericht im Zusammenhang mit Untersu- Vielen Dank, Herr Staatssekretär. chungen außerhalb des Planfeststellungsverfahrens zum Thema Langzeitsicherheit handelt. Zu diesen Aussagen sind die Beurteilungen des sachsenan- Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundes- haltischen Umweltministeriums nicht von Belang, kanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beant- wohl aber im Zusammenhang mit den Planfeststel- wortung steht der Staatsminister Bernd Schmidbauer lungsverfahren. Hier gibt es ja einen S treit darüber, zur Verfügung. daß von Ihrer Seite nicht akzeptiert wird, daß der Deutsche Bundestag für den Zeitraum bis zum Jahr Die Fragen 33, 34, 35 werden schriftlich beantwor- 2000 ein besonderes, von den üblichen Regelungen tet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. des Planfeststellungsverfahrens abweichendes Ver- fahren gesetzlich fixiert hat. Dieser Streit wird mögli- Ich rufe die Frage 36 des Kollegen Frede rick cherweise fortbestehen. Schulze auf:

Im übrigen darf ich Sie bitten, den Inhalt der zwei- Hat die Bundesregierung, nachdem in der Presse Ende 1992 ten Frage kurz mit einem Stichwort zu wiederholen. (Focus, ddp) verschiedentlich von einem Zusammentreffen ei- nes Mitgliedes des PDS-Vorstandes mit einem ranghohen Mit- glied des libyschen Geheimdienstes die Rede war, dies zum An- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin laß genommen, um diese Kontakte durch den BND zu überprü- Lemke, bei der zweiten Frage, die Sie gestellt haben, fen, und welche Erkenntnisse - auch über finanzielle Transak- kann ich keinen Zusammenhang zu der ursprünglich tionen - wurden dabei gewonnen? gestellten Frage erkennen. Von daher weiß ich nicht, ob Sie sie wirklich stellen dürfen. Ihre Frage muß schon einen Zusammenhang mit der Frage 30 der Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- Kollegin Schönberger haben. Anderenfalls braucht kanzler: Herr Kollege Schulze, in bezug auf den Fra- sie nicht beantwortet zu werden. Ich bitte Sie, das zu genkreis, den Sie ansprechen, kann ich hier im Ple- prüfen. num wegen meiner Pflicht zur Geheimhaltung nach- richtendienstlicher Erkenntnisse keine Angaben ma- Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der chen. Ich darf Ihnen aber sagen, daß die zuständigen Zusammenhang ist ganz einfach über die von uns be- Behörden und das zuständige Gremium des Deut- strittene Langzeitsicherheit des Endlagers Morsleben schen Bundestags über diesen Fragenkomplex, der gegeben. Es ist ein Teilaspekt der Langzeitsicherheit, von Ihnen schon zweimal angesprochen wurde, in- daß nach wie vor Sondermüll zusammen mit Atom- formiert sind. müll dort eingelagert ist.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wiederholen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Keine weiteren Sie Ihre Frage. Ich stelle anheim, ob sie dann beant- Fragen. Die Fragen 37, 38, 39, 40 aus dem Geschäfts- wortet werden soll. Aber ein Zusammenhang ist nach bereich des Auswärtigen Amtes werden schriftlich meiner Auffassung nicht gegeben. beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen ab- gedruckt. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es war mir jetzt nicht klar, daß ich die Frage in dem Zusam- Wir sind damit am Ende der Fragestunde ange- menhang wiederholen soll. langt. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3251

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich rufe auf: Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Ab- geordnete Professor Dr. Hauchler. 6. a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

21. Weltwirtschaftsgipfel in Halifax am 16. Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Herr Präsident! Meine und 17. Juni 1995 - Deutsche Initiative für sehr verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr eine beschäftigungswirksame, nachhaltige in Neapel haben die Staats- und Regierungschefs der und solidarische Entwicklung der Welt- sieben größten Industrieländer beschlossen, sich bei wirtschaft ihrem nächsten Treffen in Halifax auf ein Thema zu - Drucksache 13/1540 - konzentrieren - das haben sie wörtlich so formuliert -: Was ist zu tun, damit die Weltwirtschaft im b) Beratung des Antrags der Abgeordneten 21. Jahrhundert für nachhaltige Entwicklung, Be- Dr. Winfried Wolf, Dr. Willibald Jacob, An- schäftigung und Wachstum sorgt? Und insbesondere: drea Lederer und der weiteren Abgeordne- Welche weltwirtschaftlichen Mechanismen und Insti- ten der PDS tutionen müssen verändert werden, um diese Ziele zu erreichen? Das sind in der Tat die Kernfragen, mit de- Sofortiger und vollständiger Schuldener- nen fast alle anderen Zukunftsfragen verknüpft sind. laß für die 30 ärmsten Länder Soziale Sicherheit, Bewahrung der Lebensgrundla- - Drucksache 13/673 — gen, Vermeidung von Gewalt und Krieg, Arbeit und Überweisungsvorschlag: Selbstverwirklichung der Menschen sind zentral be- Finanzausschuß (federführend) stimmt von der Ordnung, Leistung und Orientierung Auswärtiger Ausschuß der Wirtschaft. Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung Angesichts globalisierter Märkte heißt das aber: Haushaltsausschuß Die internationalen Bedingungen bei Produktion und Handel, Finanzen und Währung bestimmen zuneh- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Schmitt (Langenfeld), Dr. Uschi mend unser Schicksal. Die sieben Nationen, die in Eid, Dr. Angelika Köster-Loßack und der Halifax an einem Tisch sitzen werden, sind die größ- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten Produzenten, die größten Händler und die größ- ten Finanziers der Welt. Sie sind gleichzeitig die Wiederauffüllungsrunde der International größten Waffenproduzenten und Umweltverbrau- Development Association cher. Bei ihnen konzentrieren sich die transnationa- len Unternehmen und die Hochtechnologie. - Drucksache 13/740 — Überweisungsvorschlag: Zum Teil werden weit mehr als 50 % der Weltpro- Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- duktion, des Handels, der Finanzen und der Ressour- wicklung cen von ihnen bewegt. Die Sieben vereinen also ein ungeheures Potential - absolut gesehen und relativ d) Beratung des Antrags der Abgeordneten zum sogenannten Rest der Welt. Zu Recht wird des- Ludger Volmer, Dr. Uschi Eid, Antje Herme- halb die Frage gestellt, ob sie die Macht, die aus die- nau, weiterer Abgeordneter und der Frak- sem ökonomischen Potential erwächst, in legitimer tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weise und im globalen Interesse nutzen. Diese Frage Neue Strategie der internationalen Finanz- ist wichtig. Sie unterstellt allerdings, daß ökonomi- institutionen zur Entschuldung und zur Fi- sches Potential auch in politische Handlungsfähig- nanzierung von Umwelt- und entwick- keit umgesetzt wird und umgesetzt werden kann. lungspolitischen Maßnahmen Studiert man aber die Geschichte der letzten - Drucksache 13/1018 20 Weltwirtschaftsgipfel, so wachsen die Zweifel. Die —Überweisungsvorschlag: Sieben konnten nicht verhindern, daß das Wachstum in ihren eigenen Ländern erheblich zurückfiel und Finanzausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß die Arbeitslosigkeit drastisch zunahm. Sie konnten Amt für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit nicht verhindern, daß Währungen und Zinsen gerade Amt für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- seit dieser Zeit immer drastischer und erratischer in lung Bewegung kamen und Investitionen und Beschäfti- Haushaltsausschuß gung dämpften. Sie konnten nicht verhindern, daß ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Lud- immer höhere Haushaltsdefizite den politischen ger Volmer, Wolfgang Schmitt (Langenfeld), Handlungsspielraum einengen. Dr. Uschi Eid und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Die Sieben haben auch nichts bewirkt, um Res- sourcen- und Umweltverbrauch entscheidend zu re- Rolle der G-7-Gruppe bei der Reform des duzieren. Sie stehen hilflos vor dem Wachstum der Weltwirtschaftssystems Weltbevölkerung, zunehmender Migra tion und im- mer mehr Kriegen. Wachsende Kosten bei tenden- - Drucksache 13/1545 - ziell rückläufigem Wachstum haben zu einer struktu- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind rellen Finanzkrise der Staaten geführt. Die Sieben für die gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden reagieren darauf, indem sie die soziale Sicherung vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Wider- einschränken und sich aus der Finanzierung globaler spruch. Dann ist es so beschlossen. Aufgaben zurückziehen. Was hier derzeit bei uns auf 3252 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Ingomar Hauchler diesem Gebiet, nämlich Einschränkung der sozialen menarbeit auch sind - das Herzstück sozialer und Sicherung und Rückzug aus multilateralen Engage- ökologischer Politik und eines internationalen Aus- ments, geplant und realisiert wird, ist verantwor- gleichs ist und bleibt die weltwirtschaftliche Ord- tungslos. nung, und sie muß reformiert werden.

(Beifall des Abg. Dieter Grasedieck [SPD]) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) - Es kann geklatscht werden. Allerdings stelle ich fest, daß die Mannschaft ein wenig schwach ist. Dies gilt zunächst für den internationalen Handel. Auch nach Uruguay wird der internationale Handel Ich unterstelle nicht, daß die großen Industrielän- gestört und verzerrt - durch Protektionismus und die der ihre hegemoniale Stellung nicht nutzen wollten. Monopolmacht transnationaler Unternehmensallian- Ich halte auch wenig von der Auffassung, sie hätten zen. Mit Marktmacht, Subventionswettlauf und Kor- sich gar im eigenen Interesse gegen den Rest der ruption, die bei uns auch noch steuerlich unterstützt Welt verschworen. Ich behaupte vielmehr: Wenn die wird, werden Markt und Wettbewerb ausgehöhlt, großen Industrieländer bisher ihrer globalen Verant- werden negative soziale und ökologische Effekte wortung nicht gerecht wurden, so lag das weniger ausgegrenzt. am guten Wi llen, teils auch am nicht so guten Willen, aber hauptsächlich daran, daß sie an einer überhol- Aber nicht nur die Praxis, auch die neoliberale ten politischen Strategie festhielten, daß sie unfähig Theorie - von der Sie, gnädige Frau Schwaetzer, so waren, die weltwirtschaftlichen Instrumente zu ver- sehr schwärmen - ist ins Gerede gekommen. Die Ge- bessern, daß sie es versäumt haben, die internationa- winne des freien Handels aus komparativen Vortei- len Institutionen zu stärken. len werden durch immer höhere Kosten der Struktur- anpassung aufgefressen. Die sozialen und ökologi- Was müssen die Sieben tun, damit S trategie, In- schen Folgen werden von der Betriebswirtschaft auf strumente und Institutionen der Weltwirtschaft den die Volkswirtschaften verlagert. Auch die Rechnung, Herausforderungen des 21. Jahrhunderts begegnen daß technologische Vorsprünge der hochindustriali- können? Was bringt die Bundesregierung in dieser sierten Länder eines Tages - eines fernen Tages viel- Richtung mit nach Halifax? Welches sind ihre Vor- leicht - durch die Entwicklungsländer auf Grund na- schläge? Ich habe bisher nichts gehört. Herr Faltl- türlicher Standortvorteile ausgeglichen werden hauser, Sie können sich nachher dazu äußern. Ich bin könnten, geht nicht auf - zumindestens für die mei- gespannt auf das, was Sie für den Weltwirtschafts- sten Länder dieser Welt nicht. gipfel vorschlagen werden, was Sie im Paket, im Kof- fer haben, um Vorschläge von Ihrer Seite zu unter- Für große Teile Asiens und Afrikas - also Milliar- breiten, damit sich in diesen Fragen wirk lich etwas den von Menschen, und diese Bevölkerung wächst - bewegt. droht eine dauerhafte weltwirtschaftliche Abkopp- lung. Die Folgen sind weiteres Bevölkerungswachs (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: tum, Migration, armutsbedingte Umweltzerstörung Heiße Luft!) und Kriege. Die Industrieländer werden die Folgen spüren. Ganz wichtig ist erstens: Die großen Industrielän- der müssen ernsthaft damit beginnen, internationale In Halifax könnten nun Zeichen gesetzt werden, Handels- und Finanzbeziehungen aus ungeordne- um die Welthandels- und Investitionspolitik in eine tem Selbstlauf wieder unter politische - und- das neue Richtung zu lenken. In der Uruguay-Runde hat- heißt auch demokratische - Kontrolle zu bringen. ten vor allem die quantitativen Effekte eines deregu- lierten Weltmarkts im Vordergrund gestanden. Jetzt Zweitens: Sie müssen end lich mithelfen, effiziente ist die Sicherung des Wettbewerbs auf diesem Welt- und starke internationale Institutionen zu schaffen, markt vordringlich, sollten qualita tive Wachstumsim- um das immer größere Vakuum an politischer Hand- pulse gesetzt, müssen die sozialen und ökologischen lungsfähigkeit - diese kann heute nur noch inte rna- Wirkungen von Handel und Investitionen betont tional definiert werden - zu füllen, bevor Konzerne werden. und Finanzkapital endgültig der Politik das Handeln vorgeben. Die neue Welthandelsorganisation WTO stellt da- für einen neuen institutionellen Rahmen bereit. Er Zum ersten Komplex: Die weltwirtschaftlichen sollte unverzüglich genutzt werden. Auf dem Welt- Mechanismen müssen verbessert werden. Ange- wirtschaftsgipfel wird sich indessen erweisen, ob die sichts globalisierter Märkte und wachsender Interde- Sieben angesichts ihrer schweren eigenen inneren pendenzen, die die nationale Handlungsfähigkeit Handelskonflikte das Mandat der WTO stärken wer- aushebeln, müssen die realwirtschaftlichen und die den oder - kaum, daß sie gegründet ist - ihre Autori- finanziellen Beziehungen inte rnational effizienter ge- tät schwächen. Da, glaube ich, ist auch die Bundesre- ordnet, stabilisiert und politisch gestaltbar werden. gierung gefordert, ihren Einfluß geltend zu machen, Dies ist im Interesse von Wohlfahrt und Beschäfti- daß dies nicht geschieht. gung in Industrie- und Entwicklungsländern, aber auch im Sinne anderer politischer Ziele. Denn so Genauso reformbedürftig wie der inte rnationale dringlich direkte Maßnahmen der Umweltpolitik, der Handel ist die internationale Finanzordnung. Die Armutsbekämpfung und der Entwicklungszusam großen Industrieländer waren in den letzten 20 Jah- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3253

Dr. Ingomar Hauchler ren, in denen sie sich nun auf höchster Ebene treffen, wie wir sie in Mexiko erleben und wie sie noch kom- nicht fähig, das internationale Währungssystem zu men werden, sollten wirk lich eine Warnung sein. Ich ordnen. Die Instabilität ist in dieser Zeit sogar ge- denke nicht, daß mehrere Krisen dieser A rt gleichzei- wachsen. tig vom Finanzsystem aufgefangen werden könnten. Die Sieben haben nach dem Zusammenbruch des Die nationalen Kreditaufsichtssysteme müssen Bretton-Woods-Systems - also nach dem Zusammen- deshalb durch ein internationales Aufsichtsregime bruch des Gold-Dollar-Standards und des Regimes und ein Instrument zur Dämpfung spekulativer Kapi- fester Wechselkurse Anfang der 70er Jahre - nicht talbewegungen ergänzt werden. Die Veränderungen nur versäumt, den internationalen Handel und die In- von Währungsparitäten müssen, sofern sie nicht vestitionen durch kalkulierbare Währungsrelationen langfristig fundamentale Veränderungen relativer und durch stetigere Geldpolitik auf niedrigerem Preisniveaus widerspiegeln, begrenzt werden. Die Zinsniveau zu stützen und na tionales Wechselkurs- Zentralbanken müssen in die Lage versetzt werden, dumping zu vermeiden - dies hat übrigens der schei- durch schnell funktionierende Absprachen - aber dende Vorstandsvorsitzende von Daimler-Benz, Ed- auch wirklich funktionierende Absprachen - und zard Reuter, gerade in diesen Tagen hef tig kritisiert -, ausreichende Reserven gezielte oder sich selbst näh- sondern die Industrieländer haben sogar durch ihre rende Spekulationswellen abzuwehren. eigene Politik die Grundlagen für weiter wachsende Freiwillige und bilaterale Vereinbarungen reichen Instabilität der Finanzflüsse, der Währungen und der dazu nicht mehr aus. Nur bindende gegenseitige Zinsen gelegt. Verpflichtungen und ein gezielter Einsatz von ausrei- Nicht nur durch technologische Innovationen im chender internationaler Liquidität können der Politik Finanzsektor und zunehmende Liquidisierung von den nötigen Handlungsspielraum zurückgewinnen, Kapitalvermögen, sondern auch durch gewollte poli- um das Finanzkapital aus seiner beherrschenden tische Deregulierung der grenzüberschreitenden Ka- Rolle zu drängen und dem Geld wieder eine die- nende Funktion für die Wirtschaft zu geben, wie es pitalbewegungen hat sich ein riesiges, weltweit schnell fluktuierendes Finanzkapital etabliert. Ich sich gehört frage: Was ist bisher von der Bundesregierung getan (Beifall bei der SPD) worden, um hier Initiativen zu ergreifen, damit wir dies in Zukunft besser in den Griff bekommen? und wie es eigentlich in der gesamten Weltge- schichte verstanden wurde. (Zuruf von der SPD: Nichts!) Nur haben wir heute, in unseren Tagen, eine ganz Ich denke, die Bundesregierung hat sich im Ge- andere Entwicklung. Nicht mehr Realwirtschaft ist genteil am Standortwettlauf, bei der Steigerung un- das Primäre, sondern die Finanzwirtschaft, und sie kontrollierter Finanzflüsse, von Derivaten usw., be- begrenzt oder fördert den Spielraum der realen wirt- teiligt, und um Standortfragen wi llen hat sie ihre Ver- schaftlichen Verhältnisse. pflichtung zurückgestellt, an der Stabilisierung des Nur wenn wir also wieder Kontrolle über die inter- internationalen Finanzsystems mitzuwirken. nationalen Finanzflüsse gewinnen, so daß sie nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ unkontrolliert, spekulativ laufen, wird das Geld- und DIE GRÜNEN) Währungssystem seiner Aufgabe gerecht, Handel und realwirtschaftliche Investitionen zu fördern, statt Mit Tagestransfers von bis zu 1 500 Milliarden DM sich zu verselbständigen und die reale Wirtschafts- - das entspricht fast der Hälfte des deutschen- jährli- entwicklung zu hemmen und zu verzerren. chen Bruttosozialprodukts - kann mittlerweile jede Nur so werden übrigens auch die einzelnen Län- onale oder konzertierte Notenbankinterven- internati der - auch dieses Land - wieder in die Lage versetzt, tion konterkariert werden. Spekulative Attacken ge- ihre Geldpolitik zu wachstums- und beschäftigungs- gen eine Währung können sich heute praktisch ohne politischen Zielen einzusetzen. effektiven politischen Widerstand selbst erfüllen und zu schwersten Belastungen für Wachstum, Beschäfti- Der zweite Komplex: Wir brauchen effizientere gung und soziale Sicherheit führen. und stärkere Institutionen, die gemeinsam und im globalen Interesse handeln. Der inte rnationale Kon- Sehen Sie - die Bundesregierung - diese Gefahren ferenzzirkus mit zahllosen sich überschneidenden nicht? Sehen Sie das nicht, oder wollen Sie das nicht Agenden, schönen, aber folgenlosen und teilweise sehen? widersprüchlichen Resolutionen hat wenig vorange- bracht. Nicht nur zentrale Wirtschafts-, Sozial- und (Zuruf von der SPD: So ist es!) Umweltfragen, auch andere drängende Probleme Das erste wäre schlimm, das zweite sträflich. blieben ungelöst, seien es die Friedenssicherung - Bosnien ist nur das traurigste Kapitel -, die (Zuruf von der CDU/CSU, an die SPD ge Entschuldung, kriegstreibender Waffenhandel, die wandt: Jetzt müßt ihr klatschen!) Eindämmung von krasser Armut und Migra tion. Nichts davon ist gelöst, nichts vorangebracht, Die überfälligen Reformen des internationalen Fi- auch nicht durch die Weltwirtschaftsgipfel. nanzsystems müssen in verschiedene Richtungen ge- hen. Die internationalen Kapitalbewegungen müs- Die Vereinten Nationen und die internationalen Fi- sen einer Kontrolle unterworfen werden, wenn das nanzinstitutionen arbeiten nicht zusammen. Die Ver- Gesamtsystem nicht zusammenbrechen soll. Krisen, einten Nationen haben weder die Kompetenz noch 3254 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Ingomar Hauchler die Mittel und die Effizienz, um im globalen Interesse Wenn dies nicht geschieht, wird diese Weltgemein- wirklich mitsprechen zu können. Obwohl ge- schaft nie zu einer Ins titution zusammenwachsen schwächt und verunsichert, verfolgen IWF und Welt- können, die im gemeinsamen globalen Interesse eine bank eine Politik, die den globalen Herausforderun- Politik zum Teil auch gegen kurzfristige Interessen gen weder konzeptionell noch institutionell gerecht der Industrieländer durchführen kann. wird, und hinter der neuen WTO steht noch ein gro- ßes Fragezeichen. Der Internationale Währungsfonds muß auf seine ursprünglichen Aufgaben zurückgeführt werden. Er Und die Weltwirtschaftsgipfel der Sieben? - Sie soll sich aus der Entwicklungsfin anzierung zurück- verkleistern bisher eher innere Kämpfe um Standorte ziehen und sich auf die Stabilisierung des Währungs- und Märkte, als daß sie eigene kurzsichtige Positi- und Finanzsystems konzentrieren. Er muß zum Zen- onsvorteile zurückstellen und gemeinsam h andeln, trum einer internationalen Kreditaufsicht werden. Er um ihrer globalen Verantwortung gerecht zu werden. muß die Fähigkeit zur Abwehr realwirtschaftlich Das geht dann nach dem Motto: Inte rn auf den Gip- nicht fundierter Wechselkursschwankungen gewin- feln oder vor den Gipfeln oder hinter den Gipfeln ein nen. Weiterhin muß er zur Stabilisierung von Zah- Gegeneinander der Sieben, gemeinsam und nach lungsbilanzen, Wechselkursen und Zinsen gleicher- außen aber ein Miteinander. Das muß schiefgehen. maßen Überschuß- und Defizitländer, kleine wie große Länder, Entwicklungs- wie Industrieländer Die Staats- und Regierungschefs müssen in Halifax verpflichten können. Anstöße zu einer wirklichen Reform der internationa- Die Weltbank muß sich aus den punktuellen Groß- len Institutionen geben. Sie sollten erkennen, daß sie projekten zurückziehen und sich darauf konzentrie- sich auch im wohlverstandenen eigenen Interesse in ren, die Fähigkeit ihrer Mitgliedsländer zu stärken, ein internationales System einordnen müssen, das sich wirtschaftlich, sozial und ökologisch eigenstän- wirklich ein globales Gewissen und auch ein globa- dig zu entwickeln. Ihre Programme müssen mit den les Wissen repräsentiert. Aufgaben der Vereinten Nationen verzahnt werden. Die Vereinten Nationen müssen ihre Kompetenz Nicht so sehr Produktion und materielle Infrastruk- auf Wirtschafts-, Sozial- und Umweltfragen erweitern tur, sondern deren eigentliche Basis, also Bildung und gleichzeitig ihre Effizienz wesentlich verbessern. und Technologie, Systeme der sozialen und ökologi- Mehr Kompetenz und Effizienz sind aber nicht zu er- schen Sicherheit und eine ra tionale Wirtschaftspolitik reichen, wenn die Finanzmittel weit hinter den Auf- müssen Schwerpunkte in der Arbeit der Weltbank gaben zurückbleiben und ein großes Industrieland, werden. wie jetzt die USA, sich Schritt für Schritt aus den in- ternationalen Institutionen finanziell zurückzieht. Darüber hinaus muß die Weltbank auch hinsicht- lich ihrer eigenen Kredite daran mitwirken, ein Re- Man kann nur hoffen - das ist ein Appell an die gime zur strukturellen Entschuldung der hochver- Bundesregierung -, daß andere Industriestaaten wie schuldeten Entwicklungsländer voranzubringen. die Bundesrepublik diesem schlechten Beispiel nicht folgen. Allerdings stehen die Zeichen auch dafür Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsgipfel in schlecht, wenn ich betrachte, welche Politik gegen- Halifax ist eine neue Chance, Fortschritte auch in über dem Lomé-Abkommen geplant ist - Kürzungen diesen Fragen einzuleiten. Dies wird aber nur gelin- zumindest im realen Bereich -, und wenn ich be- gen, wenn die großen Industrieländer auch ihre ei- denke, daß darüber gerätselt wird, ob man den USA gene Koordination auf eine solidere Grundlage stel- len. folgen sollte, auch bei IDA, also dem Fonds der Ä rm- sten, und der Weltbank zu kürzen. Das wäre, denke Dazu gehört, daß die Weltwirtschaftsgipfel besser ich, ein unverantwortlicher Rückzug der Bundesre- vorbereitet werden, daß ihre Beschlüsse und Verein- gierung aus der Verantwortung. barungen - es sind im Grunde nur Vereinbarungen - konkretisiert und besser ausgearbeitet werden. Dazu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gehört auch, daß in regelmäßigen Abständen ein DIE GRÜNEN) Gipfeltreffen vereinbart wird, auf dem alle Weltregio- nen adäquat vertreten sind. Drei konkrete Forderungen müssen erfüllt werden, um die Vereinten Nationen zu stärken - ich kann hier (Beifall bei der SPD) natürlich nur das Wichtigste nennen -: Neben dem Sicherheitsrat muß in der UNO ein Wirtschafts- und Nicht nur Rußland, sondern eine repräsentative Ver- Umweltrat gebildet werden, der mit den Bretton- tretung aller Weltregionen gehört mit den großen In- Woods-Institutionen verzahnt wird. dustriestaaten regelmäßig an einen Tisch. Meine Damen und Herren, die bisherigen Welt- Die UNO-Organisation muß gleichzeitig transpa- wirtschaftsgipfel waren keine Glanzpunkte interna- renter, kohärenter, aber auch schlanker werden. tionaler Koordination. Die großen Industrieländer ha- Und: Die Vereinten Nationen müssen Zugang zu ei- ben nicht genügend Verantwortung gezeigt, gemein- ner eigenständigen Finanzierungsquelle gewinnen. sam zu handeln, gemeinsam im globalen Interesse. Denn dies ist ein Test, ob die inte rnationale Staaten- Es kann nur besser werden. gemeinschaft ein Forum, eine Organisa tion gewinnt, die nicht von dem Willen und den Finanzen der gro- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ßen Industrieländer abhängig ist und erpreßbar ist. GRÜNEN und der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3255

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat Es geht nicht immer, daß man millimetergenau über- der Parlamentarische Staatssekretär Professor Dr. prüft, ob das Ziel tatsächlich erreicht wurde. Sie müs- Faltlhauser. sen sich in der Politik stets die Frage stellen: Was wäre die Alternative gewesen, wenn diese Zusam- menkunft der G 7 nicht stattgefunden hätte? Das ist Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- doch die eigentliche Frage. desminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Hauchler, (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Kriegen wir jetzt wir sind uns in manchen Fragen näher, als Sie hier Politikunterricht, oder was ist hier los? - Dr. durch einige sehr überzogene Spitzen deutlich ma- Ingomar Hauchler [SPD]: Die Ansprüche chen wollten. Selbstverständlich sind wir für effekti- sind bescheiden geworden!) vere internationale Institutionen. Die Effektivität in- Ich verweise insbesondere auf die Initiativen, die ternationaler Institutionen erhöht man jedoch mit Si- in den letzten Jahren von den Gipfeln zu den The- cherheit nicht dadurch, daß m an den Geldbeutel auf- men Handelspolitik - da ist durchaus etwas gesche- macht und noch mehr Geld zur Verfügung stellt, son- hen -, Eingliederung der Reformstaaten aus Mittel- dern indem man kritischer prüft, ob das vorhandene und Osteuropa sowie der früheren Sowjetunion in Geld wirklich nutzbringend und zielgerichtet aufge- das internationale Handels- und Währungssystem - wendet wird. da ist ebenfalls etwas Konkretes geschehen - und Umweltpolitik - auch da ist Wesentliches angestoßen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - worden - ausgingen. Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Gilt das auch für das eigene Land?) (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Es ist nichts herausgekommen!) Wir sind uns auch sicherlich einig, daß manches, was an hehren Zielvorstellungen vor mancher inter- Herr Kollege Hauchler, Sie sagten z. B., wir müß- nationalen Konferenz formuliert wurde, besser, zeit- ten die Internationale Finanzordnung neu hinbe- näher und wirksamer in den Ländern umgesetzt wer- kommen und das sei eine Aufgabe von G 7. den muß. Dies ist doch im wesentlichen keine Auf- (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Wer denn gabe dieser internationalen Zusammenkünfte wie sonst?) jetzt in Ha lifax; das ist die Aufgabe der nationalen Regierungen und Parlamente. Die Grundlage des Währungssystems, das uns ge- meinsam Sorge macht, ist die wirtschaftliche Lage in Ich glaube, wir müßten uns einmal darüber unter- den einzelnen Ländern. halten, was eigentlich eine derar tige internationale Konferenz, eine G-7-Konferenz, kann. Sie ist keines- (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Wo sitzen wegs ein weltweites Koordinierungsgremium. Dies denn die Spekulanten? Bei uns oder woan wäre ein völlig unrealistischer Ansatz, der zum ders?) Scheitern verurteilt wäre und letztlich auch nicht mit Die Vorstellung, die Sie hier zu verbreiten versuchen, dem Demokratieverständnis der Teilnehmer zusam- daß man gewissermaßen durch politische Willensbil- menpaßt. dung von oben herab das Währungssystem drauf pappen kann, genau das ist in der Vergangenheit Es wird in Halifax wie schon bei den vergangenen das Katastrophale gewesen. Warum ist es z. B. beim Gipfeltreffen darum gehen, auf höchster politischer EWS mit dem englischen Pfund schiefgegangen? Ebene einen offenen und vertrauensvollen- Mei- Weil man aus politischen Gründen eine viel zu hohe nungsaustausch zu zentralen wi rtschaftlichen Fra- Bewertung des Pfunds angesetzt hat. gen zu führen. Ziel ist es, durch die Entwicklung ge- meinsamer Analysen und S trategien Anstöße für Pro- Die Erfahrung, die gerade wir Europäer mit dem blemlösungen zu geben, die anschließend in den EWS gemacht haben, zeigt in dramatischer Weise, kompetenten Entscheidungsgremien weiter disku- daß alle politischen Festsetzungen, die an den wirt- tiert und dort gegebenenfalls umgesetzt werden. An- schaftlichen Grunddaten in den einzelnen Ländern stöße, keine fertigen Lösungen gewissermaßen aus vorbeigehen, scheitern müssen und für internatio- dem Zauberhut der Mächtigen! Clinton und Kohl ka- nale Währungsturbulenzen gewissermaßen verstär- men, sahen und machten - das ist eine naive Vorstel- kend wirken. lung von den Machbarkeiten und der Komplexität Das Beispiel der Probleme. Mexiko, das Sie gebracht haben, Herr Kollege Hauchler, ist doch nicht das Problem der in- Die Gipfeltreffen der letzten Jahre ternationalen Organisationen. Die internationalen Organisationen haben gut darauf reagiert - vielleicht (Dr. Uwe Jens [SPD]: Show-Veranstaltun hätten sie früher reagieren können, das ist eine unse- gen!) rer Zielvorstellungen. Nur ist do rt national wirt- schaftspolitisch ein massiver Fehler bzw. ein Fehler - da unterscheide ich mich in der Einschätzung deut- nach dem anderen gemacht worden. Es gibt natio- lich von Ihnen, Herr Kollege Hauchler - haben wich- nale Defizite, die durch politische Institutionen, tige Impulse für die Lösung zentraler Fragen der in- durch Zusammenkünfte der G 7 nicht reparierbar ternationalen Politik gegeben. sind. Das wäre eine Illusion. (Dr. Uwe Jens [SPD]: Die Probleme sind (Beifall des Abg. [CDU/ nicht gelöst!) CSU]) 3256 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie nen, international immer wieder nachhaltig einge- eine Zwischenfrage des Kollegen Hauchler? setzt hat. Die mittelfristige S trategie ist jetzt unum- stritten Richtschnur der Wirtschaftspolitik der G-7- Länder. Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Aber selbstverständlich. Die Bundesrepublik braucht sich in Halifax nun wirklich nicht zu verstecken. Ganz im Gegenteil, Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Herr Staatssekretär, Deutschland steht heute bei den zentralen volkswirt- wollen Sie damit sagen, daß die großen Spekula- schaftlichen Meßziffern an der Spitze aller G-7-Län- tionswellen, die wir erleben und die ganze Währun- der, und dies - ich betone das ausdrücklich - trotz gen, Wachstum und Investitionen gefährden können, der außergewöhnlichen Anspannungen und Sonder- ausschließlich mit einer Veränderung wirtschaftli- belastungen, die wir mit der wirtschaftlichen Integra- cher Grunddaten zu tun haben? tion der neuen Bundesländer zu bewältigen hatten. Das hätte kein Experte gedacht. Die Daten sind im Vergleich mit anderen Ländern auch bei dieser Aus- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- gangslage hervorragend. desminister der Finanzen: Ich bin überzeugt davon, daß die entscheidenden Ursachen dieser komplexen Die deutsche Wirtschaft hat die Folgen der Rezes- Frage tatsächlich mit Divergenzen der wirtschaftli- sion eindeutig überwunden. Mit einem Wachstum chen Grunddaten der verschiedenen L ander zusam- von gut 3 % in diesem und wohl auch im nächsten menhängen. Dies ist der Ausgangspunkt. Jahr liegen wir mit an der Spitze der G-7-Länder.

Erst von diesem Ausgangspunkt aus bewegen sich Besonders deutlich werden die Erfolge der Stabili- die Finanzmärkte, und dann gibt es eine Multiplika- täts- und Konsolidierungspolitik der Bundesregie- torwirkung durch spekulative Vorgänge, die, zuge- rung im Bereich der Haushaltspolitik, obwohl wir - geben, durch Instrumente wie Derivate in größerem das darf ich auch hier sagen - die besonderen Aufga- Umfang verstärkt werden. ben der neuen Bundesländer bewältigen mußten. Wenn ich schon beim Stichwort Derivate bin, das Dies wird international von unseren Partnern und Sie ja auch aufgegriffen haben, sage ich: Auch in der von den internationalen Finanz- und Wirtschaftsor- Bundesrepublik Deutschland werden diese Instru- ganisationen anerkannt. mente genutzt, wo sie notwendig sind. Diese Deri- vate sind ja nicht des Teufels. Sie sind nicht generell (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) abzulehnen; das tun Sie Gott sei Dank auch nicht. In der Bundesrepublik Deutschland werden diese In- Allerdings würde ich bei einzelnen Daten nicht sa- strumente besonders sorgfältig und gut überwacht. gen, sie seien Anlaß zum Jubeln, wenn wir z. B. in Wir haben wiederholt gesagt, daß wir diese Überwa- der Gesamtverschuldung knapp unter 60 % sind. Wir chung nicht aufgeben, daß wir permanent dranblei- erfüllen dieses Maastricht-Kriterium; aber zum Ju- ben wollen. beln ist da kein Anlaß. Wir müssen uns weiterhin an -strengen, daß der Gesamtprozentsatz weiterhin nach Von diesem Land geht also Beispielhaftes aus, wie unten geht. wir im übrigen auch in einer sehr ausführlichen Ant- wort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion deut- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lich gemacht haben. - Sorge bereiten uns die hohe Arbeitslosigkeit und Meine Damen und Herren, das zentrale Thema auf in diesem Zusammenhang insbesondere die struktu- dem Gipfel in Halifax ist traditionell die Lage der rellen Probleme auf den Arbeitsmärkten. Dieses Weltwirtschaft. Hier werden wir im Gegensatz zu Thema stand in den letzten Jahren im Mittelpunkt früheren Jahren eine insgesamt sehr positive Bilanz der G-7-Treffen. Auf der Beschäftigungskonferenz in ziehen können. Die Weltwirtschaft befindet sich auf Detroit im vergangenen Jahr haben wir verschiedene einem soliden Wachstumspfad. Erfreulicherweise be- Ansatzpunkte für strukturelle Arbeitsmarktreformen schleunigt sich das Wachstum mehr und mehr auch und für eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte um- in den Entwicklungsländern, während sich die An- rissen. Es kommt darauf an, diese Maßnahmen jetzt zeichen für eine Stabilisierung in den Transforma- national umzusetzen. tionsländern verstärken. Die Preisentwicklung bleibt weltweit unter Kon- Die Bundesregierung steht auch hier im internatio- trolle. Die Inflationsrate in den Industrieländern ist nalen Vergleich gut da. Ich sage nur: 3-Milliarden- gegenwärtig so niedrig wie zuletzt Anfang der sech- DM-Programm, durch das rund 180 000 Langzeitar- ziger Jahre. Diese schlichten Daten, Kollege Hauch- beitslose in die Beschäftigung zurückgeführt wer- ler, widersprechen ganz deutlich Ihrem dunklen bis den, und Maßnahmen zur Flexibilisierung auch der schwarzen Horrorszenario. Arbeitszeit. Gerade hier müßte uns die Opposition stärker helfen, damit wir Vorhaben umsetzen kön- Insgesamt bestehen damit gute Voraussetzungen nen, so wie Sie es theore tisch und allgemein verlan- für eine Fortsetzung des weltweiten Aufschwungs. gen. Dieses Bild bestätigt die mittelfristige S trategie, für die sich die Bundesregierung, oft gegen den Wider- (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Aber Sie stand von außen, aber auch von innen und von Ih nehmen doch unsere Ratschläge nicht an !) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3257 Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser Auch das gehört zum Thema. Sie können nicht sa- Wolfgang Schmi tt (Langenfeld) (BÜNDNIS 90/DIE gen: „Sie haben hehre Grundsätze, aber wo bleibt GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Her- die Umsetzung", während Sie uns dann, wenn wir ren! Die Äußerungen des Staatssekretärs Faltlhauser unsere Vorhaben umsetzen wollen, in den Arm fal- entlarven ihn als eine Art provinziellen Bedenkenträ- len. Das ist die falsche Konsequenz. ger. Als provinziell entlarven sie ihn deswegen, weil er sich darauf beschränkt hat, die ökonomische Situa- Ein stabiles wirtschaftliches Umfeld ist gleichzeitig tion Deutschlands gutzureden, während wir inten- der einzige tragfähige Weg, um zur Stabilität in den diert haben, in dieser Debatte über globale Wi rt internationalen Finanz- und Devisenmärkten zu -schaftszusammenhänge zu reden. Als Bedenkenträ- kommen. Ich habe meine Anmerkungen hierzu ger hat er sich insofern hervorgetan, weil er die Tobin- schon gemacht. Steuer, sicherlich mit vielen Fragezeichen zu verse- hen, mit einem Federstrich für erledigt erklärt hat. Ich Ich will nur noch eine Anmerkung zu der Tobin- sage Ihnen ganz deutlich: Wenn solche A rt des Be- machen, die auch Herr Kollege Jens aufge- Steuer denkentragens in der deutschen Wirtschaft um sich griffen hat. Da bekommt der Finanzpolitiker wirk lich greifen würde, dann wäre es um die Innovationsfähig- leuchtende Augen, wenn er von dera rt großen Sum- keit der deutschen Wirtschaft schlecht bestellt. men - wie Sie, Herr Hauchler, sie genannt haben -, die man da abkassieren könnte, hört. Wenn man da (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nur kleine Prozentsätze draufsetzt, dann werden alle und der SPD) Nationen reich. Wunderschön! Das ist eine schöne Steuer. Die Gruppe der Sieben wird sich auf dem Weltwirt- schaftsgipfel in Halifax mit der Reform der interna- Es ist aber natürlich schlichter Unsinn. Denn wenn tionalen Finanzinstitutionen und Entwicklungsinsti- Sie die Steuer in einem Land erheben, werden die tutionen, den sogenannten Bretton-Woods-Organisa- Kapitalspekulationen im Nachbarland gemacht. Und tionen, beschäftigen. Das ist das Thema, um das es wenn das Nachbarland die Steuer ebenfalls erhebt, heute geht. dann geht man in ein drittes Land. Nur wenn die Ge- samtheit aller Staaten ohne Ausnahme eine derar tige Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Steuer erheben würde, hätten Sie mit Ihrer Steuer Er Schmitt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- folg. gen Faltlhauser? (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Und warum nicht, Herr Kollege?) Wolfgang Schmitt (Langenfeld) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gerne. Ansonsten ist es eine völlig abstruse Vorstellung, diese Steuer zu erheben. Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Darf ich Sie als Wir müssen die internationalen Finanzinstitutio- weltweit gebildeten und nicht provinziell denkenden nen, IWF und Weltbank stärken. Hier ist insbeson- Kollegen, der Sie sind, fragen, wie Sie es verantwor- dere wichtig, daß das marktwirtschaftliche Denken ten wollen, die internationale Wirtschafts- und Wäh- in diesen Institutionen völlig unbestritten ist, ebenso rungsordnung in all ihren Schwierigkeiten zu koordi- wie in Europa. Das war vor zehn, fünfzehn Jahren nieren und zu verbessern, wenn man die nationalen noch nicht der Fall. Ich glaube, daß wir die Stärkung Grundlagen, für die wir Verantwortung tragen, nicht nicht nur mit höheren Margen und mehr Geld- errei- präzise und so erfolgreich wie die Bundesrepublik chen können, sondern auch durch eine Effektivie- Deutschland sicherstellt? rung dieser Institutionen. Insgesamt glaube ich, daß diese Institutionen wirklich erfolgreich sind. Wolfgang Schmi tt (Langenfeld) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich kann Ihnen nur recht geben, wenn (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Es gibt nichts Sie mit mir der Auffassung sind, daß für ein stabiles zu verbessern auf dieser Welt!) Weltwirtschaftssystem zunächst einmal die einzelnen Akteure in der Weltwirtschaft ihre ökonomischen Wir haben nicht nur multilateral sehr viel im Rah- Hausaufgaben zu machen haben. Ich gebe Ihnen in- men dieser Institutionen getan, sondern auch bilate- sofern auch recht, daß auf seiten der G 7, allerdings ral durch eine Reihe von Schuldenerlassen gegen- Deutschland eingeschlossen, noch einiges zu tun ist. über den am wenigsten entwickelten Ländern und Wir sollten nicht ruhen, die Dinge, die wir jeweils zu zwar in einem Umfang, der im internationalen Ge- Hause zu erledigen haben, auch zu erledigen. schäft beispielgebend ist. Aber das darf nicht dazu führen, daß wir die welt- Ich glaube, für Halifax gilt: Nur im Geiste der Ko- weite Perspektive aus den Augen verlieren. Es gibt operation wird es auch künftig gelingen, die interna- immerhin noch Millionen, ja Milliarden von Men- tionalen Probleme zu lösen. Die Bundesregierung schen, die an dem Wohlstand, den wir hier genießen wird dazu auch in Halifax ihren Beitrag leisten. dürfen, nicht partizipieren. Deswegen sei es uns doch erlaubt, auch die entwicklungspolitische Rele- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) vanz weltwirtschaftlicher Prozesse hier mit in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem (Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Abgeordneten Wolfgang Schmitt das Wort. NEN und der SPD) 3258 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Wolfgang Schmitt Die Frage, um die es in Halifax u. a. gehen w ird, ist Meine Damen und Herren, wir erleben momentan im Abschlußkommuniqué des letzten Weltwirt- eine explosionsartige Ausweitung der Weltwirt- schaftsgipfels so formuliert worden: schaft. Die Zahl der unabhängigen Staaten seit Grün- dung von IWF und Weltbank hat sich vervierfacht. Wie können wir sicherstellen, daß die Weltwirt- Wir erleben atemberaubende Fortschritte auf dem schaft des 21. Jahrhunderts für nachhaltige Ent- Gebiet der Kommunikationstechnologien. Das wicklung mit guten Arbeitsplätzen, wirtschaftli- Auftreten multinationaler Konzerne, der „global chem Wachstum sorgt, um die Prosperität und players", gewinnt an Bedeutung. Die Verschuldung das Wohlergehen unserer Völker und der Welt zu ist für viele Entwicklungsländer noch immer eines fördern? der zentralen Entwicklungshemmnisse. So das Leitmotiv für den bevorstehenden Weltwirt- Weltbank und IWF zeigen erst jüngst wieder in schaftsgipfel in Ha lifax. Wenig später wird dann die dem höchst sensiblen Bereich des Verkehrssektors, Frage nach den damit verbundenen institutionellen daß sie verstärkt an Stelle umweltfreundlicher Ver- Veränderungen gestellt. Dazu haben wir bislang von kehrssysteme Maßnahmen unterstützen, die die öf- der Bundesregierung nichts gehört. fentlichen Verkehrssysteme untergraben, z. B. in Un- garn, wo der Interna tionale Währungsfonds die Wir GRÜNEN sagen: Die Vertreter der G 7 allein Hälfte aller Eisenbahnstrecken sti llegen will und den werden dieser Vorstellung überhaupt nicht gerecht. Straßenbau forciert, und das Ganze unter dem Si- Es ist ein politischer Anachronismus, daß zwei Drittel gnum der Strukturanpassung. Die Bundesregierung der Welt von Verhandlungen ausgeschlossen sind, sieht jedoch keinen dramatischen Handlungsbedarf die ihrem Anspruch nach die Rahmenbedingungen bei der Reform der internationalen Finanzinstitutio- für die internationale Wirtschafts-, Handels- und nen. Das kann doch nicht wahr sein. Geldpolitik zu beeinflussen vorgeben. Im amerikanischen Kongreß tobt die Debatte über Wann, wenn nicht jetzt nach dem Ende des kalten Sinn und Nutzen der internationalen Organisationen Krieges, wird die Realität einer multipolaren Welt an- und insbesondere deren Finanzierung. Nichtregie- tizipiert, und was heißt das hinsichtlich neuer For- rungsorganisationen haben unter dem Motto „50 men internationaler Kooperation? Wie wollen die Jahre sind genug" vehement gegen den Ist-Zustand „Gipfelchefs" eigentlich ra tional begründen, daß we- von IWF und Weltbank protestiert. Im Bundestag ist der die sogenannten „emerging economies" wie Bra- der Erfolg multilateraler Entwicklungszusammenar- silien, Indonesien und Malaysia noch so bevölke- beit auch in Ihren Reihen höchst umstritten, damit rungsreiche Staaten wie beispielsweise Indien ver- auch der finanzielle Beitrag, den die Bundesrepublik treten sind? Was wird aus der restlichen Welt? Ist es zum Erhalt dieser Institutionen zu leisten hat. Die erfolgversprechend, wenn weder die Vereinten Na- Weltbank sieht sich genötigt, mit einer großangeleg- tionen noch andere Mitgliedsländer von IWF und ten Werbekampagne auf diese Kritik zu reagieren. Weltbank an dem Beratungsprozeß teilhaben kön- Der Bundestag hat mit den Stimmen der Koali- nen, dessen Ergebnisse möglicherweise von großer tionsfraktionen - jetzt hören Sie einmal zu! - einen Tragweite sind? Antrag zur Reform der Weltbank verabschiedet, für Nein, dieser Gipfel wird nur sehr eingeschränkt dessen Umsetzung aber noch nichts get an worden eine reformorientierte, demokratische Debatte über ist. Und dann bekommt man allen Ernstes die Ant- die Zukunft der internationalen Finanzinstitutionen wort, es bestehe kein Handlungsbedarf bei der Re- stimulieren. form von IWF und Weltbank. Ich gehe weiter: Die Strukturanpassungsprogram- Nun kann man ja der Meinung sein, daß außer der me insbesondere bei IWF und Weltbank sind in den freudigen Aufnahme von Jacques Chirac in den ex- letzten Jahren schärfster Kritik ausgesetzt. Man sagt, klusiven Klub bei diesem Treffen eh nicht viel her- sie hätten eher zur Verschärfung der Armut weiter auskommen wird. Den gleichen Eindruck mag man Bevölkerungskreise in den Entwicklungsländern bei- gewinnen, wenn man die Antwort der Bundesregie- getragen als zu deren Überwindung. rung auf unsere Anfrage zum Weltwirtschaftsgipfel in Halifax studiert. Da heißt es tatsächlich: Die Frühjahrstagung des Internationalen Wäh- rungsfonds hat eine Neudefinition ihrer Aufgaben Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, beraten. Ihr Direktor warnte vor weiteren „Mexikos", IWF und Weltbank haben in der Vergangenheit forderte neue Instrumente der Einflußnahme, deren flexibel auf neue Herausforderungen reagiert. es nach Ansicht der Bundesregierung nicht bedarf. (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch!) Die Bundesregierung antwortet auf unsere Fragen nach ihrer Strategie für Halifax zusammengefaßt mit - Jetzt kommt es! einem schlichten „ Weiter so!". Die Bundesregierung sieht deshalb keinen Anlaß Auf die Frage nach der Verschuldungssituation für ein grundlegendes Reform- bzw. Erneue- der Entwicklungsländer antwortet die Bundesregie- rungskonzept. rung, diese sei kein globales Problem und lasse sich im Rahmen der bestehenden Mechanismen lösen - Ich frage Sie: Warum haben Sie dann dieser Tages- unseres Erachtens eine völlige Fehleinschätzung der ordnung für Ha lifax zugestimmt, wenn Sie keinerlei Schuldensituation vieler Entwicklungsländer, die Anlaß für eine Reformdiskussion sehen? wahrscheinlich auch von den Entwicklungspolitikern Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3259

Wolfgang Schmitt der Koalitionsfraktionen so nicht geteilt wird. Der bales Problem darstellt, sondern auf Einzelfälle Parlamentarische Staatssekretär Hedrich beim Bun- beschränkt ist. desminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung z. B. verweist im Zusammenhang mit Meinen Sie nicht, daß Ihr Zitat in diesem Hause den Diskussionen über die weitere Entschuldung auf eine drastische Verfälschung darstellt? Würden Sie dem Weltsozialgipfel auf den, wie er sagt, „psycho- angesichts des Originalzitats Ihre Anschuldigung ge- logischen Erfolg", das Problem der multilateralen genüber der Bundesregierung zurücknehmen? Schulden deutlich gemacht zu haben. Also selbst in Ihren Reihen gibt es Kolleginnen und Kollegen, die unsere Problemsicht zumindest teilweise teilen. Wolfgang Schmitt (Langenfeld) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, ich bin nicht bereit, meine Die Gruppe der Sieben sollte sich auf ihrem Gipfel Anschuldigung zurückzunehmen, weil ich trotz al- der Tatsache bewußt werden, daß ohne die Bereit- lem glaube, daß Sie gemeinsam mit IWF und Welt- schaft zur gemeinsamen Umsetzung eines globalen bank der Auffassung sind, daß es sich um lokale und Entschuldungsprogrammes, das alle Gläubigergrup- lokal regelbare Probleme handelt. Ich bin mit meiner pen umfaßt, also auch die multilateralen Finanzinsti- Fraktion der Meinung, daß sich selbst dann, wenn es tutionen, für viele Entwicklungsländer kein Licht am sich um ausgewählte Ländergruppen handelt - da Ende des Tunnels zu sehen ist. haben Sie mit Ihrer Beantwortung sicherlich recht -, die möglichen Folgen einer dramatisierten Schulden- Wie soll z. B. ein Land wie Nicaragua mit einer krise insbesondere in Afrika nicht auf den afrikani- Verschuldung, die dem Erlös von 50 Exportjahren schen Kontinent werden beschränken lassen. Die entspricht, je wieder Boden unter den Füßen gewin- Spätfolgen einer solchen Politik werden z. B. in Ge- nen ohne die Bereitschaft, über eine weitreichende stalt eines erhöhten Migrationsdrucks auch in Eu- Schuldenstrategie zu verhandeln? ropa zu spüren sein. In diesem Sinne behaupte ich Der Erlaß der Forderungen von IWF und Weltbank weiterhin, daß es sich um globale Auswirkungen zumindest gegenüber den sogenannten hochver- handelt, die Sie bei der A rt und Weise Ihrer Beant- schuldeten ärmsten Ländern bedürfte eines Ansto- wortung nicht ins Blickfeld genommen haben. ßes, eines Zeichens der G-7-Teilnehmer, eine solche Strategie zu unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will den Bogen zur Internationalen Entwick- lungsagentur, der IDA, schlagen. Mit der Einbrin- Gerade vor dem Hintergrund der internationalen gung unseres Antrages wollen wir zwei Dinge errei- Kritik an der multilateralen Zusammenarbeit bietet chen: erstens, daß wir als Parlamentarier über die sich im Rahmen der elften Wiederauffüllung der IDA Verwendung der Mittel der Entwicklungszusammen- die Möglichkeit zu überprüfen, welche Forderungen arbeit, die immerhin den größten Einzelposten im der vorangegangenen Runden erfüllt worden sind multilateralen Bereich des Einzelplanes 23 ausma- und welche nicht. Die Bundesregierung ist in der chen, informiert werden, und zweitens, daß wir die Pflicht, zu bewerten, ob die IDA ihren eigenen Krite- Internationale Entwicklungsagentur dazu bringen, rien der Entwicklungszusammenarbeit, die ich we- ihre Politik in bestimmten Fragen zu ändern, da er- gen der Kürze der Zeit hier nicht wiederholen will, heblicher Zweifel an deren entwicklungspolitischem folgt oder nicht. Nutzen besteht. Ein letzter Punkt, den ich bereits im Zusammen- - hang mit der Schuldenfrage angesprochen habe, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege muß auch bei der Reform der IDA angeführt werden: Schmitt, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Es ist aus unserer Sicht absolut inakzeptabel, daß Kollegen Faltlhauser? 60 % der konzessionären Mittel, also der besonders günstigen Kreditleistungen der IDA, nur dem Zweck Wolfgang Schmitt (Langenfeld) (BÜNDNIS 90/DIE dienen, andere Kredite zurückzuzahlen. Wir halten GRÜNEN): Bitte. dies für einen Mißbrauch. Wenn entwicklungspoli- tisch einzusetzende Mittel lediglich die Finanzaus- stattung dieser beiden multinationalen Finanzinstitu- Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Herr Kollege, Sie tionen verbessern, werden die besonders hoch ver- haben in Ihrer Rede gerade aus einer Antwort auf schuldeten armen Länder nicht in den Stand versetzt, eine Anfrage der Abgeordneten Schmitt, Eid und an- ihre eigenen infrastrukturellen Probleme zu lösen. derer vom 29. Mai zitiert. Sie haben dabei, wie ich Die Gewährung dieser Mittel dient dann nur dazu, sehr gut mitgehört habe, gesagt, daß wir, also die die verfehlte Kreditvergabepolitik der internationa- Bundesregierung, geantwortet hätten, die umfang- len Finanzinstitutionen in den vergangenen Jahren reichen Studien von IWF und Weltbank belegten, zu kompensieren. Wir halten das für eine mißbräuch- daß die Verschuldung kein globales Problem dar- liche Verwendung der Mittel. stelle. Ich darf Ihnen, wenn Sie gestatten, das Originalzi- Ich komme zum Schluß: Auch diejenigen, die die tat vorlesen: Internationale Entwicklungsagentur, die IDA, aus entwicklungspolitischer Sicht weiterhin für wichtig Die umfangreichen Studien von IWF und Welt halten, verlieren langsam die Geduld und werden bank belegen, daß die Verschuldung gegenüber auf eine schnelle Umsetzung der von mir skizzierten den internationalen Finanzinstitutionen kein glo Reformen drängen. 3260 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Wolfgang Schmitt Ich danke Ihnen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hauchler? sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS) Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Bitte. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Schmitt, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Frau Kollegin Deswegen möchte ich Ihnen dazu traditionsgemäß Schwaetzer, ist Ihnen als einer Liberalen bekannt, gratulieren. daß der Markt erstens institutionelle Rahmenrege- lungen braucht und daß zweitens der internationale (Beifall - Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Und Markt diese Regelungen nicht hat, wie wir sie etwa „just married"!) mit dem Wettbewerbsrecht na tional haben? Wie kommen Sie also dazu, mir zu unterstellen, ich würde - Das ist natürlich ein besonderer Anlaß, Ihnen die eine institutionelle Regelung der Weltwirtschaft wol- Glückwünsche dieses Hauses auszusprechen. len? Das ist überhaupt nicht der Fall. Ich möchte, daß (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Er steht unter marktwirtschaftliche Verhältnisse endlich auch welt- einem doppelten Erfolgsdruck!) wirtschaftlich gelten, so wie es bei uns ist. Ich erteile nun der Abgeordneten Dr. Irmgard (Beifall bei der SPD) Schwaetzer das Wort. Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Lieber Herr Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Herr Präsident! Hauchler, ich habe Ihren Antrag gelesen. Die Forde- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Welt- rung Nummer eins in Ihrem Antrag ist die Einrich- wirtschaftsgipfel in Halifax wird in der Tat in einem tung eines neuen Gremiums, eines Beschlußgremi- günstigen Klima stattfinden - in jedem Sinne dieses ums, das exakt die Probleme wiederholen würde, die Wortes. Die Expansion der Weltwirtschaft ist robust, wir heute mit den bereits existierenden internationa- Produktion und Nachfrage nehmen kräftig zu. Dabei len, multilateralen Gremien haben, und das mit Si- sind wir weit davon entfernt, Risiken zu unterschät- cherheit - angewendet auf wirtschaftliche Probleme - zen, die sich z. B. aus den Instabilitäten der Devisen- die Weltwirtschaft nicht fördern, sondern im Gegen- märkte ergeben. So weit, so gut. teil weiter behindern würde. Womit ich heute allerdings nicht gerechnet hatte, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - ist, daß wir hier eine Grundsatzdebatte zwischen den Zuruf von der F.D.P.: Das ist ganz altes Den Befürwortern des Marktes und den Skeptikern wür- ken!) den führen müssen. Ich dachte eigentlich, das hätten Zum Thema Wachstum und Beschäftigung: Für die wir schon überwunden. Lösung des Hauptproblems der Bekämpfung der Ar- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Eigentlich seit beitslosigkeit wird Halifax auch - damit rechnen wir 40 Jahren! - Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: fest - noch einmal die Fortführung der multilateralen Wir wollen mehr Markt, Frau Schwaetzer!) Handelsliberalisierung auf die Tagesordnung neh- men. Natürlich ist es richtig, daß die Arbeitsgruppen, - Wenn Sie das nachlesen, werden Sie feststellen,- die zur Umsetzung der Uruguay-Runde in der Welt- daß der Herr Kollege Hauchler ein Musterbeispiel handelsorganisation ihre Arbeit aufgenommen ha- dafür war. ben, möglichst rasch auch die für die Entwicklungs- länder vorteilhaften Regelungen umsetzen müssen. Das Hauptthema in Halifax wird Wachstum und Aber genauso richtig ist auch, daß nicht die Handels- Beschäftigung sein; denn immerhin ist die Bekämp- liberalisierung das Problem ist, sondern daß in den fung der Arbeitslosigkeit weltweit das Thema Num- Ländern, die zum Ziel von Finanzspekulationen wer- mer eins. Das muß es auch bleiben. Dabei stehen den, in vielen Fällen mangelnde interne Stabilisie- ganz oben auf der Liste dessen, worüber Einverneh- rung und mangelnde interne Abstimmung ein Pro- men erzielt werden soll, interne Reformen, die vor al- blem ist. len Dingen die inneren, die strukturellen Probleme der Industriestaaten angehen sollen. Das, meine Da- Deswegen kann es hier nicht darum gehen, neue men und Herren, ist besonders wichtig. Institutionen zu schaffen. Es kann auch nicht darum gehen, neue Steuern zu erfinden. Das ist natürlich Ich habe - hier greife ich noch einmal das auf, was sehr populistisch und klingt wunderbar: 1,5 Billionen Sie eben bezweifelt haben - mit wachsender Ver- US-Dollar durch eine simple - - wunderung, Herr Hauchler, Ihren Traum von der in- stitutionellen Machbarkeit der Weltwirtschaft gehört. (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: D-Mark!) Der Kollege Schmitt hat sich hier angeschlossen. - Nein, Dollar; in der Realität wird es weniger sein, (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Der war wesent aber die ersten Berechnungen beliefen sich auf Dol- lich träumerischer! Das war Honeymoon in lar. Das klingt ja ungeheuer gut. Es ist viel besser als der Weltwirtschaft!) eine Gelddruckmaschine. Ich bin sehr sicher, daß dies die Probleme nicht löst. (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: So ist es!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3261 Dr. Irmgard Schwaetzer Was Sie allerdings nicht berücksichtigt haben, ist Also, die Reform kann nicht eine völlige Umkeh- zum einen, daß damit eine Bürokratie geschaffen rung einer auf Verbesserung der internen Effizienz werden müßte, die völlig unübersehbar ist, und daß zielenden Entwicklungspolitik, einer auf Wachs- zum anderen natürlich, wie immer, die Mechanismen tumsstrategie zielenden Entwicklungspolitik bedeu- greifen würden, um diese Steuern zu vermeiden. ten. Vielmehr geht es darum, Kriterien zu entwik- Also: Neue Steuern, so populär sie manchmal sein keln, um die Einhaltung der Vorgaben besser zu kon- können, gerade wenn sie an die angeblich großen trollieren und um die Effizienz der einzelnen Maß- Kapitalsummen herangehen, sind nicht die Lösung. nahmen zu steigern. (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Jeder Staat Natürlich ist die Basis einer nachhaltigen Entwick- braucht eine Bürokratie!) lung auch finanzieller Handlungsspielraum. Deswe- gen müssen wir in dem Zusammenhang auch von ei- Deswegen sind sie auch nicht das, was auf dem Welt- ner pauschalen Be trachtung, wie das früher so üblich wirtschaftsgipfel beschlossen werden muß. war und wie es in den Statistiken häufig noch ge- Weil Sie, Herr Schmitt, nachgefragt haben, was die braucht wird, Abstand nehmen. Wir müssen schon Bundesregierung mit dem Weltwirtschaftsgipfel ei- zwischen den ärmsten Entwicklungsländern und den gentlich will, sage ich Ihnen: In der Tat ist es notwen- Schwellenländern differenzieren. Richtig ist, daß sich dig, sich kontinuierlich zu überlegen, wie die Effizi- der Ressourcenfluß in die Entwicklungsländer von enz von Gremien ist. Aber ich unterstreiche aus- 1990 bis 1994 mit 137 Milliarden DM vervierfacht drücklich: Wir wollen ein solches Gremium, das klein hat. Der Ressourcenfluß der öffentlichen Mittel ist ist. Wir wollen ein Gremium, das sich im Konsens auf gleichgeblieben, so daß die Steigerung der Mittel, Strategien festlegt, die dann in erster Linie na tional die in die Länder mit niedrigem und mittlerem Ein- umzusetzen sind, d. h. die auch von der Selbstver- kommen geflossen sind, im wesentlichen auf den pri- pflichtung und von der Eigenverantwortung ausge- vaten Mitteln beruhte. hen. Ein solches Gremium ist die richtige Antwort (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Das alles ist auf die Interdependenz dieser Welt. Wir wollen ein in nur 5 % der Entwicklungsländer geflos kleines Gremium, weil in einem größeren Gremium sen! Der Rest bekommt nichts!) Ineffizienz wieder in den Vordergrund rücken würde und auch noch mehr innenpolitische Probleme die Richtig ist, Herr Hauchler, daß p rivate Mittel vorwie- Oberhand gewinnen würden. Weshalb wird denn in gend in Länder mit mittlerem Einkommen fließen. den USA über die Entwicklungspoli tik so diskutiert? China und Indien sind die einzigen Ausnahmen. Weil sich die Mehrheit im Kongreß geändert hat und Richtig ist auch - da sind wir ja durchaus der glei- dort Tendenzen zu spüren sind, die nicht die welt- chen Meinung -, daß die öffentliche Entwicklungs- weite Verantwortung der Vereinigten Staaten wahr- hilfe, die heute schon zu drei Fünfteln in Länder mit haben wollen, nicht etwa in erster Linie wegen der niedrigem Einkommen fließt, weiter auf diese Länder Ineffizienz der Bretton-Woods-Institutionen, über die konzentriert werden muß. sicherlich auch zu reden sein wird. Die Entwicklungspolitik wird ein wichtiges Thema Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, in Halifax sein. Zentrale Punkte im Kommuniqué gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen sind: Armutsbekämpfung, nachhaltige Entwicklung. Dr. Schuster? Halifax wird unterstreichen, daß die Basis einer nachhaltigen Entwicklung Demokratie, Menschen-- Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Wenn das nicht rechte, transparente und zuverlässige Regierungs- auf meine Redezeit angerechnet wird, ja. führung und die Förderung des Umweltschutzes sind. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Es wird Ihnen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne nicht auf die Zeit angerechnet. ten der CDU/CSU) Das trifft sich dann wieder mit unseren Vorstellun- Dr. R. Werner Schuster (SPD): Frau Kollegin, Sie gen in der Diskussion über die Entscheidung zur haben gerade Zahlen genannt, die ich dem Grund- Auffüllung der Mittel für die Internationale Entwick- satz nach bestätigen kann. Ist Ihnen bewußt, daß der lungsagentur, IDA. Hier sind wir alle der gleichen Mittelfluß von Süden nach Norden nach konservati- Meinung: daß die Effizienz dieser Institutionen ver- ven Schätzungen der OECD mit 250 Milliarden DM bessert werden muß. Der Auftrag an Halifax lautete deutlich höher ist und die UNDP den Mittelfluß auf aber nicht so, wie vor allem Sie, Herr Schmitt, das 500 Milliarden, fast das Dreifache, schätzt? Oder an- hier eben zitiert haben. Sie haben so getan, als müß- ders herum: Mit unserer Entwicklungshilfe schmei- ten im Grundsatz andere Entscheidungen ge troffen ßen wir nur mit der Wurst nach dem Schinken, um werden. Der Auftrag an Halifax lautete: Überprüfung Transferleistungen von Süden nach Norden zu orga- der gegenwärtigen Regelungen und Vorschläge zur nisieren. Steigerung der Effizienz der multilateralen Organisa- tionen - womit durchaus nicht nur die Entwicklungs- Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Herr Kollege, wir organisation, also die Weltbank, gemeint ist. Es geht haben uns darüber ja schon im Ausschuß eine Weile um die Vermeidung von Doppelarbeit zwischen un- unterhalten; wir werden die Diskussion des Themas terschiedlichen multilateralen Organisationen insge- sicherlich fortführen. Wenn Sie alle Faktoren, die in samt. dem Zusammenhang eine Rolle spielen, berücksich- 3262 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Irmgard Schwaetzer tigen, können Sie - gerade nach den letzten Runden tet durchführen, oder man kann - das ist leider et- des Schuldenerlasses - nicht davon ausgehen, daß was, was ich von seiten der Opposition häufiger der Transfer im Saldo negativ für die Entwicklungs- höre - Ressourcen in zusätzliche Sozialprogramme länder ist. Ganz im Gegenteil: Er ist für die Entwick- stecken. Der erste Weg scheint uns in jedem Fall der lungsländer positiv. bessere. Der entwicklungspolitische Ausschuß hat der Bun- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) desregierung dazu ja ganz deutliche Vorgaben ge- Ich will noch einmal auf die zu- macht. Die Bundesregierung hat sich bei der Aus- Rolle der Frauen rückkommen. Ich denke, daß bei den internationalen handlung der Neapel-Konditionen entsprechend ver- Institutionen ein deutlicher Nachholbedarf besteht, halten. Es werden weitere zusätzliche Schritte zur die spezielle Rolle der Frauen zu berücksichtigen, sie Schuldenerleichterung und zum Schuldenerlaß ein- bei der stärkeren Orientierung der Projekte im Rah- geleitet, nach den neuesten Formulierungen der men einer stärkeren Partizipation der Bevölkerung Neapel-Konditionen bis zu 67 % Schuldenerlaß. Das noch mehr mit einzubeziehen, um sicherzustellen, ist auch notwendig; da sind wir uns völlig einig, Herr daß die Entwicklungschancen an den Frauen nicht Kollege. Ich denke, daß wir auf diesem Weg weiter- vorbeigehen. gehen müssen. Eine letzte Bemerkung zur Forderung der GRÜ- Was allerdings nicht geht, das ist das, was PDS, NEN, darauf zu verzichten, aber auch, wissenschaftlich ein wenig besser formu- Infrastrukturprojekte liert, die GRÜNEN beantragen, nämlich eine Schul- aus öffentlichen, speziell aus IDA-Mitteln zu fördern: Dies scheint mir ein Stückchen schlichte Ideologie zu denstreichung ohne Konditionen für die innere An- sein. Es ist falsch. Häfen, Eisenbahnen, Straßen und passung der Länder. Denn das würde nichts anderes Energieprojekte sind ein schlichtes Grunderfordernis bedeuten, als daß der Niedergang immer wieder von für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. neuem losgeht. Bei der PDS kann ich das begreifen. Vor allen Dingen in den Schwellenländern kann m an Sie kennen das von ihren Zehnjahresplänen. sicherlich postulieren, daß eine ganze Reihe dieser (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Experten für Projekte auch privat finanziert werden können. Aber Niedergang! - Zuruf von der PDS: Und vom das betrifft eben nur einen relativ kleinen Anteil von Bundesverkehrswegeplan!) Ländern. Dort sollten wir allerdings darauf drängen, daß dies so gemacht wird. In den anderen Ländern Im übrigen sind wir uns weitgehend darüber einig, wäre es pure Ideologie, aber auch nachteilig für die innerhalb der Länder daß es zur Strukturanpassung Menschen in den Ländern, denen wir Entwicklungs- ve gibt, daß wir die einzelnen Struk- keine Alterna ti chancen vorenthalten, wenn wir diese Idee der GRÜ- turanpassungsprogramme allerdings sehr sorgfältig NEN aufgriffen. und besser als in der Vergangenheit auf die beson- dere Situation der Lander einstellen müssen. Wir Ich hoffe, daß wir uns im Ausschuß - heute werden müssen auch dort von der Pauschalierung wegkom- wir die Überweisung in die Ausschüsse beschließen -, men. Wir müssen die Situa tion in den einzelnen Län- wie das in den früheren Jahren auch der Fa ll gewe- dern zum Maßstab nehmen. sen ist, sowohl was die Prinzipien als auch was die Methoden der Entwicklungspolitik angeht, stärker Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, annähern. Ich denke, das wäre im Interesse der be- gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? troffenen Menschen. Danke. - Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Aber gerne. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Winfried Wolf das Wort. Konrad Kunick (SPD): Frau Kollegin Schwaetzer, wir sind uns doch wohl darüber einig, daß es nicht (PDS): Sehr geehrter Herr Präsi- angehen kann, daß die schwächsten Schichten der Dr. Winfried Wolf dent! Sie haben mich gebeten, mein Jackett anzuzie- schwächsten Länder bei diesen Konsolidierungen hen. Da ich a) zufällig eines dabei habe und b) dies noch einmal in ihren ohnehin geringen Lebenschan- sicher der Wahrheitsfindung dient, habe ich es ge- cen getroffen werden? macht.

Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Herr Kollege, auf (Roland Kohn [F.D.P.]: Der Würde dieses dieses Thema wollte ich gleich noch einmal im Zu- Hauses!) sammenhang mit der besonderen Notwendigkeit, die - Damit habe ich die Würde doch gewahrt. Rolle der Frauen in diesen Ländern zu berücksichti- gen, eingehen. Denn in der Tat ist es so, daß durch (Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Außerdem die Strukturanpassung die Frauen auf Grund ihrer sind Sie damit schöner!) speziellen Rolle in diesen Ländern besonders betrof- - Danke schön, Frau Schwaetzer. fen sind. Aber es gibt auch hier zwei Antworten auf solche sozialen Probleme der Strukturanpassung. Werte Damen und Herren, hier soll im Vorfeld des Man kann zum einen - das ist die Linie, die wir un- G-7-Treffs in Halifax von drei Skandalen die Rede terstützen - die Strukturanpassung sozial ausgerich sein. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3263

Dr. Winfried Wolf Erster Skandal: Die Schulden der Länder der soge- Es gibt sie nicht, die „Natur jedes Kreditge- nannten Dritten Welt steigen weiter an - völlig im schäfts". Beispiel Bundesrepublik Deutschland: Im Gegensatz zu dem, was meine Vorrednerin, Frau Dr. Jahr 1952 kam es mit dem Londoner Schuldenab- Schwaetzer, gesagt hat. In diesem Jahr 1995 wird der kommen zur Streichung des Großteils der deutschen hier aufgetürmte Schuldenberg erstmals die Zahl von Schulden, die u. a. durch die NS-Politik aufgehäuft 2 000 Milliarden Dollar überschreiten. In einem Jahr- worden waren. Festgelegt wurde, daß die Zahlungen zehnt kam es zu rund einer Verdoppelung dieses auf die verbleibende Auslandsschuld maximal 5 % Schuldenbergs. der Exporteinnahmen ausmachen dürften. Ein hö- herer Schuldendienst könne - Stichworte „Weimar" Sie alle kennen den Spruch eines Häuslebauers, und „Versailles" - erneut zu einer Radikalisierung wonach er sein Haus bei den Banken schon längst führen. mehr als einmal bezahlt habe. Just so verhält es sich mit der Drittweltschuld. Die Länder des Südens ha- Doch was zahlt die Dritte Welt auf ihre Auslands- ben bei Banken, Regierungen und Institutionen des schuld? Im Durchschnitt gehen do rt bereits 20 % der Nordens zwischen den Jahren 1975 und 1994 2 400 Exporterlöse für den Schuldendienst drauf - viermal Milliarden US-Dollar für Zins und Tilgung bezahlt, mehr, als der wirtschaftlich starken Bundesrepublik also ein Fünftel mehr, als sie aktuell Schulden haben. Deutschland zugemutet wurde. Die Armen alimentieren die Reichen. Susan Nach diesen Erfahrungen läge es völlig in der Na- George errechnete in ihrer neuen Studie „Der Schul- tur dieses Kreditgeschäfts mit der Dritten Welt, daß denbumerang" : die Schulden weitgehend gestrichen würden, zumal es an die Substanz geht. So berichtet der britische In den acht Jahren von 1982 bis 1990 haben die „Economist": armen Länder Afrika als Ganzes gibt mehr als viermal soviel für - des Südens - diesen Schuldendienst aus, als es für Gesundheit bezahlen kann. allein mit ihrem Schuldendienst den reichen Län- dern sechs Marshallpläne finanziert. Nun verweist die Bundesregierung auf eine Dis- krepanz zwischen dem planmäßigen Schuldendienst Skandal Nr. 2: An diesen Drittweltschulden wird und dem realen. Ich zitiere: hierzulande doppelt verdient. Die deutschen Ge- schäftsbanken hatten 1993 Einnahmen aus ihren Eine Berechnung ... für 27 ärmere Umschul- Drittweltkrediten zwischen 5 und 7 Milliarden DM. dungsländer ergab für 1993 einen durchschnittli- Gleichzeitig machten sie ihr großes Geschäft mit den chen planmäßigen Schuldendienst von 62 % der Wertberichtigungen auf Schuldentitel aus Drittwelt- Exporteinnahmen. Der tatsächliche Schulden- ländern. Diese wirken sich bekanntlich steuermin- dienst lag jedoch bei durchschnittlich 20 %. dernd aus. Tatsächlich steigt die Schuld des Südens, auch Walter Eberlei und Thomas Fues von der Nichtre- durch Umschuldungen, und dies zum Teil „nur" auf gierungsorganisation „Weltwirtschaft, Ökologie und dem Papier. Statt Schulden zu streichen, wird umge- Entwicklung - WEED" bilanzierten diesen Skandal schuldet und ab und an im Stile des aufgeklärten Ab- wie folgt: solutismus als Gnadenakt ein Teilschuldenerlaß getä- tigt. Das macht auf zynische A rt und Weise auch Eine Schätzung, wonach die deutschen Banken Sinn. Denn mit den nominellen, nur teilweise ein durch solche Wertberichtigungen ... seit- Beginn treibbaren Schulden steigt das politische Erpres- der achtziger Jahre einen zusätzlichen Ertrag sungspotential. - durch Steuerminderzahlungen - Beispiel Mexiko: Nach der sogenannten Tequila- Krise Anfang 1995 erhielt dieses L and allein von der erwirtschaften konnten, der sämtliche Forderun- US-Regierung einen neuen 20-Milliarden-Dollar- gen an die Länder des Südens bereits übersteigt, Kredit. Die Menschen dort zahlen dafür teuer. Dar- wurde - in der Größenordnung - von einem ho- über hinaus hat sich die US-Regierung wie eine Kolo- hen Beamten des nialmacht abgesichert. Ich zitiere aus der Rede des - Bonner - US-Finanzministers Robert Rubin, in welcher er die- sen Sonderkredit vor dem US-Parlament rechtfertigt: Finanzministeriums bestätigt. Wir haben ein garantiertes Pfand dank dem Erd- Skandal Nr. 3: Die Bundesregierung rechtfertigt öl. Pemex - die staatliche Erdölfirma Mexikos - dieses zins-, schweiß- und bluttreibende Geschäft als mußte seinen ausländischen Kunden die Instruk- „business as usual". Ich zitiere aus einer Antwort der tion erteilen, daß sie sämtliche Zahlungen über Bundesregierung auf eine Anfrage von BÜNDNIS 90/ die Bundesbank in New York abwickeln. Und DIE GRÜNEN zu diesem Komplex, Drucksache 12/ dieses Geld bleibt in den USA im Falle der Zah- 8580: lungsunfähigkeit Mexikos. Es liegt in der Natur jedes Kreditgeschäfts, daß Ich fürchte, das kann Schule machen. Nach der heu- geliehene Mittel zurückbezahlt werden müssen, tigen Brandrede des bayerischen Ministerpräsiden- wodurch zu einem bestimmten Zeitpunkt die ten an diesem Pult ist vorstellbar, daß die Schuld der Rückzahlungen die neuerhaltenen Kredite über- Tschechischen Republik demnächst als Hebel wie steigen können. folgt genutzt wird: Es kommt zu Umschuldungsver- 3264 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Winfried Wolf handlungen. In deren Rahmen fordern Deutsche Danke schön. Bank, Dresdner Bank und Bayerische Hypobank zu- sammen mit dem Freistaat Bayern, angefeuert von (Beifall bei der PDS - Eduard Oswald der Landsmannschaft und geduldet von einem im [CDU/CSU]: Ein seltener Unsinn! - Weiterer Sturzflug befindlichen Außenminister Kinkel, als Zuruf von der CDU/CSU: Intellektuelle Um Pfand für die tschechischen Gesamtschulden-weltverschmutzung!) Boden in den ehemals deutsch besiedelten Gebieten. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Jürgen Warnke. Werte Kolleginnen und we rte Kollegen, wir haben einen ganz einfachen Antrag vorgelegt: Sofortige Streichung der Schulden der 30 ärmsten Länder der Dr. Jürgen Warnke (CDU/CSU): Herr Präsident! Welt. Oft ist Schlichtheit Tugend. Wir können viel Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Oppo- von der G-7-Tagung in Halifax fordern. Wir erwarten sition hat mit Ratschlägen für die Bundesregierung ehrlicherweise wenig. auf dem Weg nach Halifax nicht gegeizt. M anches davon mag bedenkenswert sein, anderes ist es weni- Daß eine Steuer auf spekulative Geschäfte zu er- ger. heben sei: Sie wissen, daß Ihr Kollege zu den ersten zählte, der diese Forderung des Nobel- Der Wust der internationalen Einrichtungen und preisträgers Tobin in diesem Haus aufgriff. Wir stim- Organisationen ist in der Tat überprüfungsbedürftig: men ihr zu. Daß die G-7-Staaten in Ha lifax diese For- Welthandelsorganisation, Weltbank, Internationaler derung aufgreifen, daß der Weltwährungsfonds sich Währungsfonds, Konferenz der Vereinten Nationen vom Saulus zum Paulus wandeln und mit solchen To- für Handel und Entwicklung, Organisation der Ver- bin-Steuer-Gewinnen Armutsbekämpfung - an einten Nationen für industrielle Entwicklung, Welter- Stelle der aktuellen Armutsproduktion - in der Drit- nährungsorganisation, Internationales Arbeitsamt, ten Welt betreiben würde, das mag man sich auf regionale Wirtschaftsorganisationen der Vereinten Wolke 7 wünschen, daran läßt sich im Diesseits je- Nationen - sie alle gehören auf den Prüfstand. doch trefflich zweifeln. Der Schritt einer Schulden- streichung für die 30 ärmsten Länder ist in diesem (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Richtig!) Parlament naheliegender. Der Opposition ist das aber offenbar nicht genug Um Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen, die an internationaler Bürokratie. Sie schlägt einen üblichen Magenschmerzen bei PDS-Anträgen zu Weltwirtschaftsrat gleichgewichtig neben dem Welt- nehmen, haben wir uns in der Formulierung an eine sicherheitsrat der Vereinten Nationen vor. Veröffentlichung der bereits zitierten und vielerseits geschätzten Nichtregierungsorganisation WEED ge- (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Das schlägt auch halten. Wir verweisen darauf, daß einer solchen der ehemalige Präsident von Weizsäcker Schuldenstreichung in bezug auf andere Gläubiger vor, nicht nur wir! - Dr. Irmgard Schwaetzer Signalwirkung zukäme. Diese wäre in des Wortes [F.D.P.]: Jeder kann sich irren!) übertragenem und direktem Sinne nur recht und bil- lig: Die Bundesregierung würde die Streichung aller Auf dem Weg dahin wünschen Sie sich globale Schulden der 30 ärmsten Lander jährlich nur knapp Gipfel aus westlichen Industrieländern zusammen 200 Millionen DM kosten. Im Antrag wird dieser Be- mit den Staats- und Regierungschefs aus den ande- trag mit einzelnen militärischen Etatposten,- die zu ren Weltregionen und natürlich einen ständigen Aus- streichen wären, verglichen - u. a. mit den Kosten für schuß als eigenen Unterbau für diese Veranstaltun- die Fregattenlieferungen an die Türkei. gen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Diese rot-grüne Organisationsgläubigkeit teilen wir von der CDU/ Übrigens: Heute morgen hat das griechische Parla- CSU und - wie ich sagen möchte - von der Koalition ment die Forderung nach einer 12-Meilen-Zone um insgesamt nicht. die Inseln der Agäis beschlossen. Die türkische Re- gierung hat vorab erklärt, dies wäre ein Kriegsgrund. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Am 18. Mai habe ich an diesem Pult unsere Forde- rung nach einem sofortigen Stopp von Rüstungsex- Wir brauchen insbesondere im Bereich der Verein- porten in die Türkei und nach Griechenland mit dem ten Nationen nicht mehr Organisationen, sondern Hinweis begründet, daß hier ein neuer Krieg drohen mehr Effizienz. könne. (Zurufe von der SPD: Richtig! - Dr. Elke Werte Kolleginnen und Kollegen, ich fordere Sie Leonhard [SPD]: Das wollen wir ja auch!) auf, die Kluft zwischen schönen Worten in Richtung Ich bedaure es sehr, daß der Kollege Hauchler im Au- Süden und harten Taten gegen den Süden zu schlie- genblick nicht zu sehen ist; ßen und unserem Antrag zuzustimmen. Sollten Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der SPD und (Jochen Feilke [CDU/CSU]: Er schaut sich dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, noch ausreichend seine Rede auf Video an!) Kraft haben, auf die mächtigsten sieben Staaten der Welt, die Weltbank und den IWF positiv Einfluß zu denn er ist ein Mann, der viele Jahre lang Erfahrun nehmen, d. h. einige Schweinereien zu verhindern, gen mit der Ineffizienz internationaler Organisatio sind wir natürlich mit voller Kraft dabei. nen gesammelt hat, so daß ich ihm eigentlich zuge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3265

Dr. Jürgen Warnke traut hätte, den Erfahrungsschatz, den er im Dienste ärmster Länder zum Kapitalmarkt völlig beenden. Es des Parlaments sammeln konnte, wirksamer umzu- muß deshalb auch in Zukunft bei dem bewäh rten setzen, als es in seiner Wegzehrung für Halifax ge- Verfahren im Rahmen des Pariser Clubs und des Lon- schehen ist. doner Clubs bleiben, Fall für Fall Schuldenerleichte- rungen auszuhandeln, die den Schuldner entlasten, Währungsfonds, Weltbank und internationale Ent- ohne den Zugang zu neuen Mitteln zu verbauen. Un- wicklungsbank IDA haben sich in den vergangenen ter den armen und ärmsten Entwicklungsländern, Jahrzehnten als unverzichtbare Instrumente zur Si- die eine solche Schuldenerleichterung anstreben, be- cherung des Liquiditäts- und Kreditbedarfs insbeson- findet sich auch eine Reihe von Ländern, die zu Zei- dere der Entwicklungsländer erwiesen. Natürlich ten des Kalten Krieges auf die Sowjetunion und ihre muß auch ihr Wirkungsgrad immer wieder auf den Satelliten gesetzt haben und gegenüber der DDR Prüfstand gestellt werden. Weil es Jahr für Jahr ge- verschuldet waren. Soweit es sich dabei urn Schul- schieht, ist das eine solche Selbstverständlichkeit, den wegen Waffenlieferungen handelt, sind das daß man es nicht durch besondere Beteuerungsfor- Schulden für Gift statt für Medizin für die Entwick- meln zu bekräftigen braucht, Herr Kollege Schmitt. lungsländer.

Aber der Vorschlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich möchte solche Forderungen des deutschen NEN, die Goldbestände des Währungsfonds und die kommunistischen Teilstaates nicht von der demokra- Reserven der Weltbank als Kapital an arme Entwick- tischen Bundesrepublik Deutschland eingetrieben lungsländer auszureichen, würde allerdings zusam- sehen. men mit der Abschaffung der bevorzugten Gläubi- gerstellung der Weltbank genau das Gegenteil des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Beabsichtigten bewirken. Es wäre das Ende der Beifall des Abg. Dr. Winfried Wolf [PDS]) Funktionsfähigkeit dieser Einrichtungen. Die Welt- bank kann ihrer Finanzierungsaufgabe deshalb ge- Mein Rat an die Regierung ist, diese Forderungen recht werden, weil sie bevorzugten Zugang zu den wie beispielsweise bei Nicaragua, Angola oder Mo- Kapitalmärkten hat, weil sie mit dem dreifachen A in sambik zu erlassen, der höchsten Bonitätsstufe der Kreditnehmer ist, wenn sie sich refinanzieren muß. Mit dem Verbrauch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - ihrer Währungsreserven wären die Bonität und damit Zuruf des Abg. Jochen Feilcke [CDU/CSU]) ihre Stellung als Entwicklungsfinanzier beendet. auch dann, wenn es wegen mehrfacher Verwendbar- Auch der Vorschlag der Opposition, mit der famo- keit der Lieferung nicht zweifelsfrei nachweisbar, sen Tobin-Steuer alle grenzüberschreitenden Kapi- sondern nur möglich ist, daß sie dem militärischen talbewegungen zu belegen, wäre ein Danaerge- Bereich zuzurechnen war. schenk auch für die Entwicklungsländer. Kapitalbe- wegungen ist es nicht anzusehen, ob sie spekulativ Die PDS hat es nun allen Ernstes fertiggebracht, in sind oder nicht. Eine Kapitalbewegungs-Verhinde- ihrem Antrag vorzuschlagen, die Erfüllung von rungsbehörde wäre das letzte, was wir für eine ge- NATO-Verpflichtungen zu verweigern, um damit deihliche Entwicklung der Weltwirtschaft brauchen Entwicklungshilfe zu finanzieren. Der Vorschlag der können. Verquickung von NATO-Austritt und Entwicklungs- hilfe zeigt, daß die PDS (Dr. Winfried Pinger [CDU/CSU]: Sehr wahr!) (Dr. Wolfgang Weng [Geringen] [F.D.P.]: Dämlich ist!) In dieser Legislaturperiode werden es 20 Jahre sein, daß die Bundesrepublik Deutschland den ärm- aus der Geschichte nichts gelernt hat, sondern immer sten Entwicklungsländern Finanzhilfe nur als Zu- noch Gefangene der Vergangenheit ist. schuß gewährt und ihnen die Schulden der Vergan- genheit erlassen hat. (Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der PDS) (Dr. Winfried Pinger [CDU/CSU]: Das weiß die PDS noch nicht!) Eines sollten Sie wirklich nicht tun, nämlich hier auch noch die Tschechen herabzusetzen. Sie sind die Andere Länder haben sich unserem Beispiel ange- einzigen, die ihre Schulden beim Internationalen schlossen. Die Opposition fordert einen darüber hin- Währungsfonds voll und ganz getilgt haben. Diese ausgehenden allgemeinen Schuldenerlaß, also auch hier für ihre abwegigen Gedankengänge als Geiseln gegenüber Weltbank und IDA und indirekt auch ge- vorzuführen, an denen man irgendwie sein Mütchen genüber privaten Kreditgebern für arme und ärmste kühlen sollte, zeugt von schlechtem Stil, ganz abge- Entwicklungsländer. sehen von mangelndem Verständnis. Ein solcher allgemeiner Schuldenerlaß ist nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) praktikabel. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Er würde zahlungswillige Schuldner demoralisieren. Warnke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- Er würde den ohnehin schwierigen Zutritt armer und gen Dr. Wolf? 3266 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Jürgen Warnke (CDU/CSU): Ja, bitte. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Klaus-Jürgen Hed- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Eine intellek rich das Wort. tuelle Invasion!) (Wolfgang Schmitt [Langenfeld] [BÜND Dr. Winfried Wolf (PDS): Herr Kollege Warnke, Sie NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nun sind wir aber haben gesagt, daß Sie nicht wollen, daß der demo- gespannt wie ein Flitzebogen!) kratische deutsche Staat Schulden aus Waffenliefe- rungen des früheren kommunistischen deutschen Staates eintreibt. Ist es richtig oder nicht richtig, daß Klaus-Jürgen Hedrich, Parl. Staatssekretär beim die Bundesregierung in den letzten zwei Jahren Waf- Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit fenlieferungen in erheblichem Ausmaß aus alten und Entwicklung: Herr Präsident! Meine sehr verehr- NVA-Beständen an Indonesien getätigt hat, die sogar ten Damen und Herren! Ich möchte zuerst kurz noch kreditunterstützt waren? Ist Indonesien ein L and der einmal die Position der Bundesregierung zur interna- Dritten Welt? tionalen Schuldenstrategie und zu den ergänzenden bilateralen Initiativen der Bundesregierung darstel- Dr. Jürgen Warnke (CDU/CSU): Sie vergleichen len. hier Äpfel mit Birnen. Deshalb werde ich auf die Frage, ob das richtig ist oder nicht, nicht eingehen. Die internationale Schuldenstrategie beruht auf der engen Zusammenarbeit von Gläubiger- und Die CDU/CSU-Fraktion bekräftigt das Ziel, 0,7% Schuldnerländern, Gläubigerbanken und internatio- des Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe nalen Finanzierungsinstitutionen. Grundprinzip ist aufzubringen. dabei, daß Schuldenerleichterungen fallweise - dies ist entscheidend - entsprechend der Reformbereit- (Dr. Uwe Jens [SPD]: Ihr seid immer weiter schaft und den individuellen Bedürfnissen der betrof- davon weggekommen!) fenen Schuldnerländer gewährt werden. Die Forde- - Herr Kollege Jens, wir werden dieses Ziel um so rung nach einem globalen Schuldenerlaß ist deshalb eher erreichen, je schneller wir bei uns im eigenen als nicht sachgerecht abzulehnen. Wenn die Ursa- Lande den Strukturwandel bewältigen, neue Ar- chen für eine Überschuldung nicht beseitigt sind, hat beitsplätze schaffen eine Entschuldung wenig Sinn. Dies würde nämlich bedeuten, gutes Geld schlechten Projekten hinter- (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Richtig! Die herzuwerfen. fehlen aber!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und das Bruttosozialprodukt steigern. Genau das er- warten die Entwicklungsländer von uns, und nicht nur die Entwicklungsländer, sondern auch die Staa- Auch die internationalen Finanzierungsinstitutio- ten Mittelosteuropas und Osteuropas. nen, insbesondere der Internationale Währungsfonds und die Weltbank, spielen bereits seit langem mit Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Hilfe breitgefächerter Instrumente insbesondere Teilen ist heute ein dynamischer Begriff geworden. durch die Vergabe hochkonzessionärer Mittel, durch Sie können es keinem Menschen in den Entwick- Politikberatung und durch die Bereitstellung finan- lungsländern erklären, daß wir hierzulande- - in ei- zieller Hilfen zur Ablösung von kommerziellen nem Land, das weltweit zu den reichsten gehört - Schulden und marktnahen Darlehen eine entschei- nicht bereit und in der Lage sind, zwei Urlaubstage dende Rolle bei der Lösung der Verschuldungspro- zu opfern oder die Lohnfortzahlung zu modifizieren, bleme der Entwicklungsländer. um ohne Erhöhung der Lohnzusatzkosten eine neue Säule der Sozialversicherung zu finanzieren. Wegweisende Beschlüsse für die Fortentwicklung der internationalen Schuldenstrategie haben die (Dr. Wolfgang Weng [Geringen] [F.D.P.]: G-7-Staaten in der Vergangenheit bei ihren Gipfel- Eine falsche Säule!) treffen gefaßt. Ausgehend von den Gipfelbeschlüs- Sozialer Umbau trägt nicht nur - ebenso wie Sub- sen in Neapel hat der Pariser Club, in dem die west- ventionsabschaffung - zur Schaffung neuer Arbeits- lichen Gläubigerstaaten Schuldenerleichterungen plätze bei uns bei; er ist auch ein Stück dynamisches für Entwicklungshilfedarlehen und öffentlich garan- Teilen. Indem wir uns leistungsfähiger machen, in- tierte Handelskredite gewähren, für die ärmsten dem wir für Transfers wieder einen größeren Spiel- hochverschuldeten Länder erheblich verbesserte raum bekommen und unsere Märkte aufnahmefähi- Umschuldungsbedingungen beschlossen. ger werden für die Erzeugnisse der Dritten Welt, lei- sten wir gleichzeitig einen wirksamen Beitrag zur Be- Nunmehr können abschließende Regelungen des kämpfung der weltweiten Armut. Die Opposi tion ist gesamten umschuldungsfähigen Schuldenstands mit in der Lage, nicht nur Ratschläge für Halifax zu ge- einer Erlaßquote bis zu 67 % vereinbart werden. Der ben, sondern auch dazu, durch ihr Stimmverhalten Vorschlag der Bundesregierung, in wenigen Sonder- im Bundesrat hierzu unmittelbar beizutragen. fällen die Erlaßquote auf bis zu 80 % anzuheben, war im Gläubigerkreis nicht konsensfähig. Die Bundesre- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gierung wird sich aber weiterhin nachdrücklich für Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3267

Parl. Staatssekretär Klaus-Jürgen Hedrich eine Verbesserung der Umschuldungskonditionen in IDA grundsätzlich als weiterhin gültig an. Diese diesem Sinne einsetzen. Ziele sind: Armutsreduzierung, Förderung von wirt- schaftlichen Reformen und Wachstum sowie Schutz (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so und Erhalt der natürlichen Umwelt. wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Die Arbeit in diesen drei Zielbereichen muß ver- tieft und die Effektivität und Ergebnisorientierung Es ist zu hoffen, daß mit diesen verbesserten Bedin- der IDA-Arbeit insgesamt muß gestärkt werden. Die gungen eine Reihe von Schuldnerländern endlich Kreditvergabe von IDA muß sich grundsätzlich an aus dem Umschuldungsprozeß herauswachsen kön- der Leistungs- und Reformbereitschaft und Kreditfä- nen. higkeit der Kreditnehmer orientieren. Daher spielen Bilateral hat die Bundesregierung den am wenig- eine Reihe von Kriterien eine besondere Rolle - ich sten entwickelten Ländern die Entwicklungshilfe- wiederhole, was schon gesagt worden ist -, beispiels- schulden erlassen. Dazu zählen auch alle im PDS- weise gute Regierungsführung im Sinne von Bere- Antrag in Bezug genommenen ärmsten Länder mit chenbarkeit, Ausnahme der Bürgerkriegsländer Afghanistan und (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Wie die unse Liberia, denen aus gegebenem Anlaß die Schulden rer Regierung!) aus offensichtlichen Gründen gegenwärtig nicht er- lassen werden können. Transparenz öffentlichen Handelns, Rechtssicherheit und Beteiligung der Bevölkerung an den sie betref- Darüber hinaus praktiziert die Bundesregierung fenden Problemen und Programmen ebenso wie die seit 1993 für weitere Länder sogenannte Schulden- Entwicklungsorientiertheit staatlichen Handelns und umwandlungen gegen Umweltschutz, bei denen sie die ökologische Nachhaltigkeit der Entwicklung. auf Entwicklungshilfeforderungen unter der Maß- gabe verzichtet, daß das Entwicklungsland eigene Die Unterstützung von wirtschaft lichen Reformen Mittel für den Umweltschutz in der eigenen Landes- in Entwicklungsländern wird auch weiterhin ein währung bereitstellt. wichtiger Bereich von IDA-Arbeit bleiben; denn die Reformanstrengungen gerade in den ärmsten Ent- Die Geschichte des Gipfeltreffens der G-7-Staaten wicklungsländern, die IDA unterstützt, bleiben wei- hat gezeigt, daß aus diesem Anlaß von den großen terhin eine Voraussetzung dafür, zu der es, wie ich Industrienationen wich tige Impulse für die interna- glaube, keine sinnvolle Alternative gibt. tionale Diskussion auch anderer weltwirtschaftlicher Probleme ausgegangen sind. So wurde die Thematik des Protektionismus und seiner Auswirkungen auf Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, die Entwicklungsländer ebenso immer wieder aufge- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten griffen wie die Notwendigkeit der Strukturanpas- Dr. Schuster? sung für Industrie- und Entwicklungsländer in einem sich schnell wandelnden Umfeld. Die Welt ist zuneh- Parl. Staatssekretär beim mend mit globalen Problemen wie Umweltkatastro- Klaus-Jürgen Hedrich, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit phen, Bürgerkriegen, Flüchtlings- und Migrationsbe- und Entwicklung: Da ich den Werner leiden mag: Ja. wegungen konfrontiert, die auf nationaler Ebene al- lein und mit nationalen Instrumenten nicht mehr be- wältigt werden können. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Sie sind frei. - Das dahinterstehende Thema der Armut und der nachhaltigen Entwicklung - lange Zeit ein Thema Dr. R. Werner Schuster (SPD): Herr Staatssekretär, nur der Entwicklungspolitik - gewinnt damit inte rna- ich bedanke mich ausdrücklich für diese öffentlich tional zunehmend an Bedeutung und wird künftig dokumentierte Form der Zuwendung. auch Gegenstand großer internationaler Foren wer- den müssen. Herr Staatssekretär, das, was Sie ausgeführt ha- ben, findet in großen Teilen meine persönliche Zu- Den wachsenden globalen Problemen stehen lei- stimmung. Meine zentrale Frage an Sie ist: Wie stel- der weltweit stagnierende Mittel der Entwicklungs- len Sie sicher, daß das, was Sie hier für die Bundesre- zusammenarbeit gegenüber. In dieser Situation ist zu publik vortragen, auch in das Bewußtsein der Lei- hoffen, daß vom G-7-Gipfel im Halifax Impulse für tungsebene des Finanzministeriums rechtzeitig über- eine intensivere Geberkoordinierung und eine Stei- tragen wird? gerung der Effizienz der multilateralen Institutionen ausgehen werden. (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Und mit Ergeb nissen!) (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Das glauben Sie doch wohl selber nicht!) Klaus-Jürgen Hedrich, Parl. Staatssekretär beim Zum Schluß möchte ich auf die internationale Or- Bundesminister für wirtschaft liche Zusammenarbeit ganisation IDA zu sprechen kommen, zu der Ihnen und Entwicklung: Ich bin ziemlich sicher, daß das, ebenfalls ein Antrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- was Kollege Faltlhauser vorhin vorgetragen hat, ge- NEN vorliegt. Im Rahmen der 11. Wiederauffüllung nau dem entspricht, was die Notwendigkeit von Ha li von IDA sieht die Bundesregierung die für die -fax begründet. Hier gibt es überhaupt keinen Dis- 10. Wiederauffüllung definierten Ziele der Arbeit von sens mit dem Finanzminister. 3268 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Parl. Staatssekretär Klaus-Jürgen Hedrich Der einzige Dissens, den wir mit dem Finanzmi- Auch hier können Sie aus den Dokumenten ent- nister haben, ist, daß er zu wenig Geld rausrückt. nehmen, daß sich Halifax mit der Frage, welchen Aber das ist ja bekannt. Beitrag die internationalen Finanzorganisationen zur Entlastung der hochverschuldeten Länder leisten (Heiterkeit bei der SPD) können, beschäftigen wird. Ich begrüße dies aus- drücklich, und ich glaube, daß nicht zuletzt die Dis- kussionen, die wir zwischen dem Fachausschuß und Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmitt? - Bitte unserem Ministerium geführt haben, dazu ein Bei- schön. trag sind. Herr Präsident, ich möchte unsere Posi tion zusam- menfassen: Bei der Diskussion der weiteren Politik Klaus-Jürgen Hedrich, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit von IDA möchte ich das, was die Kollegin Schwaet- und Entwicklung: Ja, bitte. zer angesprochen hat, noch einmal deutlich machen. Ich glaube nicht, daß die GRÜNEN klug beraten sind, wenn sie sagen: Infrastrukturmaßnahmen dür- Wolfgang Schmitt (Langenfeld) (BÜNDNIS 90/DIE fen nicht aus IDA finanziert werden. Ich glaube, daß GRÜNEN): Herr Staatssekretär, ich teile mit Ihnen das absolut kontraproduktiv ist. den aufgezählten Kriterienkatalog hinsichtlich der Schwerpunkte und der Ausrichtung der IDA-Arbeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Praxis der Denn der Punkt ist doch genau der - ich darf hier Internationalen Entwicklungsagentur in den letzten den Gedanken wiederholen -, daß wir diejenigen Jahren nach wie vor erhebliche Defizite bei der Um- Länder, in denen p rivates Kapital zur Finanzierung setzung der von Ihnen aufgezählten Zielsetzungen von Infrastrukturmaßnahmen nicht in einem ausrei- aufweist, und sind Sie ebenfalls mit mir der Auffas- chenden Maße zu mobilisieren ist und die im Regel- sung, daß die jetzt in Rede stehende Diskussion um fall die Ärmsten der Armen sind, bestrafen würden, die 11. Wiederauffüllung der IDA eine hervorra- wenn wir sagten, daß in diesen Ländern auch aus öf- gende Gelegenheit ist, ein Junktim herzustellen zwi- fentlichen Mitteln grundsätzlich keine Infrastruktur schen der Bereitschaft der Bundesregierung, weiter- finanziert werden darf. Das ist nicht sinnvoll. hin diese multilateriale Entwicklungsagentur zu un- Deshalb glauben wir, daß auch in Zukunft die Fi- terstützen, aber nachdrücklich die Einhaltung der nanzierung von Infrastruktur ein ganz entscheiden- selbstgesetzten Regelungen einzufordern? des Element von IDA sein muß, weil dieses einen Bei- trag dazu leisten wird, daß Länder, die sowieso auf Grund unterschiedlicher Bedingungen benachteiligt Klaus-Jürgen Hedrich, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit sind, wenigstens durch öffentliche Hilfe die Chance und Entwicklung: Herr Kollege Schmitt, Sie werden haben, im Wettbewerb der Nationen untereinander es nicht glauben: Ich teile Ihre Auffassung. nicht weiter abzusacken. Es ist in der Tat notwendig, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, (Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Dann wird gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn er auch von uns unterstützt!) Schmitt? - Bitte schön. daß wir die jetzt vor uns liegende 11. Wiederauf- füllung nutzen, um die Mechanismen, die von IDA Wolfgang Schmi tt (Langenfeld) (BÜNDNIS 90/DIE gerade bei der Reduzierung von Armut und zur Be- GRÜNEN): Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der seitigung von Konflikten angewandt werden, nach- Auffassung, daß eine ganze Reihe der bislang von haltiger noch als bisher einzusetzen. den einzelnen Weltbankentwicklungsetats geförder- ten Infrastrukturprojekte mehr Fluch als Segen für Wir haben aber gesagt, daß die bisherigen Erfah- die jeweiligen Länder gewesen ist und daß unsere rungen des ja immer noch laufenden 10. IDA-Kon- kritischen Äußerungen gegenüber Infrastrukturpro- zeptes noch nicht abschließend bewertet werden jekten in dem Sinne zu verstehen sind, daß in Zu- können und daß die Erfahrungen, die wir bisher mit kunft gerade bei großangelegten Infrastrukturpro- der 10. IDA-Auffüllung gemacht haben, genau auf jekten auch seitens der Bundesregierung stärker dar- der Linie der von der Bundesregierung am Anfang auf zu achten ist, daß sie in die entwicklungspoliti- der letzten Legislaturperiode entwickelten Kriterien sche Landschaft passen, daß sie den entwicklungs- liegen. politischen Erfordernissen der jeweiligen Länder ge- recht werden und nicht, wie es häufig heißt, den Ex- Insofern glaube ich, daß unsere Auffassungen hier portinteressen einschlägiger Industrien? nicht auseinandergehen, und in diese Richtung wol- len wir unsere Politik fortsetzen. Das gilt übrigens auch, wenn Sie mir diese Formulierung noch gestat- Klaus-Jürgen Hedrich, Parl. Staatssekretär beim ten - Sie haben vorhin meine Kommentierung des Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Weltsozialgipfels angesprochen -, was die Verschul- und Entwicklung: Herr Kollege Schmitt, ich glaube, dung vieler Länder bei internationalen und multilate- daß wir auch in diesem Punkt nicht so wahnsinnig ralen Organisationen betrifft. weit auseinandergehen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3269

Parl. Staatssekretär Klaus-Jürgen Hedrich Ich lehne es ab, grundsätzlich von der These aus- Dr. Uwe Jens (SPD): Herr Präsident! Meine sehr zugehen: Klein ist prima, groß ist schlecht. Vielmehr verehrten Damen und Herren! Bei einigen Beiträgen muß man sich das jeweilige Infrastrukturprojekt an- seitens der CDU und F.D.P. hatte ich den Eindruck, schauen: Paßt es in die Landschaft eines Landes, Sie haben die neue wirtschaft liche Entwicklung noch überfordert es gegebenenfalls ein Land - ich darf an nicht ganz begriffen und/oder Sie leben noch immer die Diskussion im Zusammenhang mit Arun erin- ein bißchen in den Vorstellungen des Frühkapitalis- nern -, oder ist das eine Infrastrukturmaßnahme, die mus. zur weiteren wirtschaftlichen Stabilität eines Landes Meine Damen und Herren, wir verzeichnen zur beiträgt? Ich würde es ablehnen, zu sagen: Eine In- Zeit eine Entwicklung auf den Märkten, die aus mei- frastrukturmaßnahme ist nur deshalb schlecht, weil ner Sicht als deutscher Parlamentarier einerseits sie groß ist. Vielmehr wiederhole ich meine These: Es kommt darauf an, in welchen Kontext eine Infra- Chancen eröffnet, andererseits furchterregend ist. schreitet unaufhaltsam voran. strukturmaßnahme eingebettet ist. Die Globalisierung Die Finanzmärkte sind interna tional. Das Know-how Es ist auch völlig unbestreitbar, daß wir uns im wird meist weltweit transferiert. Wir sind auf dem Laufe der letzten Jahrzehnte eine Reihe von Flops Wege hin zu einer Weltmarktwirtschaft - wenn man geleistet haben. Wir können uns alle gemeinsam nur so sagen will. Aber ich füge hinzu: Wir Sozialdemo- in die Pflicht nehmen, darauf hinzuwirken, daß die kraten möchten keine neoliberale Weltmarktwirt- Fehlerquote - wenn Sie mir diese schnoddrige Aus- schaft nach der Methode „laissez faire", sondern wir drucksweise gestatten - bei Entwicklungshilfepro- wollen sehr wohl die sozialen und ökologischen Rah- jekten und Entwicklungshilfeprogrammen möglichst menbedingungen ganz entscheidend mitbestimmen. niedrig gehalten wird. Das scheint mir wich tig zu sein. Da hapert es leider bei Ihnen. Dafür brauchen wir vielleicht nicht mehr Institutionen, aber auf alle Fälle brauchen wir drin- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie gend bessere weltweit agierende Institutionen, als noch eine Zwischenfrage der Kollegin die, Dr. Schwaetzer? (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Wir bräuchten auch bessere Sozialdemokra Klaus-Jürgen Hedrich, Parl. Staatssekretär beim ten!) Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Auch dies ist selbstverständlich. die wir zur Zeit haben, die ja völlig machtlos und be- deutungslos sind. Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Herr Staatssekre- Das Problem liegt doch darin, daß wir zwar natio- tär, stimmen Sie mir zu, daß sich vor dem Hinter- nale Politik gestalten können, die Wirtschaft aber in- grund dessen, was der Kollege Schmitt eben in sei- ternational geworden ist und wir keine Möglichkeit ner Frage formuliert hat, der Antrag der GRÜNEN, haben, international die entsprechenden Rahmenbe- wo es ausdrücklich heißt: „Die Förderung für große dingungen zu setzen. Damit müssen wir uns ausein- Infrastruktur-Projekte ist einzustellen", deutlich rela- andersetzen, vor allem Sie von der Regierung. tiviert, und begrüßen Sie diese Relativierung ge- meinsam mit mir? (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Demnächst wir!) (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Diese Zwischen Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die frage ist albern!) ökonomische Bedeutung der Weltwirtschaftsgipfel, - die einst ins Leben gerufen hatte, auf Grund der Überlegungen, die ich eben vorgetra- Klaus-Jürgen Hedrich, Parl. Staatssekretär beim gen habe, gewaltig gestiegen ist. Wir bräuchten Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit mehr Einfluß seitens der Weltwirtschaftsgipfel, und und Entwicklung: Ich gebe zu, Frau Kollegin, daß ich wir bräuchten vielleicht breitere Gipfel mit mehr mir diese Kommentierung im ersten Aufgalopp ver- Teilnehmern. Aber die politische Bedeutung dieser kniffen habe. Aber wenn Sie mich schon so fragen, Gipfel ist auf Grund der Politik dieser konservativen würde ich sagen: In der Tat hat der Kollege Schmitt Regierung leider immer geringer geworden. Auch hier eine gewisse Relativierung vorgenommen. das ist ein Problem, mit dem wir zu kämpfen haben. Das könnte aber auch darauf zurückzuführen sein, Kooperation ist angesagt, international, zwischen daß er sich im Augenblick in einer gewissen persönli- den G-7-Ländern, aber auch zwischen den OECD- chen Hochstimmung befindet. So etwas führt häufig Ländern. Ich möchte gerne, daß auch große Schwel- dazu, Dinge gelassener und mit einem größeren Maß lenländer wie China oder Indien in die Kooperation von Entgegenkommen gegenüber anderen Meinun- einbezogen werden; das ist ganz dringend. gen einzuschätzen. In diesem Sinne, glaube ich, ist die Formulierung „Relativierung" angebracht. Aber Kooperation klappt offenbar nicht einmal auf nationaler Ebene. Gestern habe ich in der Zeitung Herzlichen Dank. gelesen, Bundeskanzler Kohl meine, die Auswirkun- gen der D-Mark-Aufwertung solle die Wirtschaft (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht so furchtbar ernst nehmen; das sei doch zu ver- nachlässigen. Heute lese ich in der Zeitung, daß die Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat Bundesbank interveniert hat, um den Dollarkurs der Abgeordnete Professor Uwe Jens. nach oben zu bringen. Er steht bei 1,41. Es gibt also 3270 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Uwe Jens auch hier eine Lücke in der Abstimmung. Es wäre 1991 negativ in Höhe von 40 Milliarden DM. Wir le- sinnvoll, wenn die Regierung mehr auf die Bundes- ben, wenn man so will, über unsere Verhältnisse. bank hörte und die Bundesbank sich einmal über- Auch das gilt es aufzugreifen, und die Bundesregie- legte, ob das, was sie macht, auf den Divisenmärkten rung muß es möglichst schnell korrigieren. aktuell überhaupt zum Erfolg führen kann. Ich wage das zu bezweifeln. Ich kann mir vorstellen, daß es durchaus sinnvoll Die Geschwindigkeit der internationalen Arbeits- ist zu unterscheiden, was man auf nationaler Ebene teilung hat sich erheblich erhöht. Die Entwicklung noch machen kann und was man auf internationaler wird auf Grund sinkender Transaktions- und Infor- Ebene machen muß. Dazu habe ich soeben schon ein mationskosten weitergehen. Das führt aber auch zu paar Sätze gesagt. einem erheblich verschärften Wettbewerbsdruck auf allen Märkten der Bundesrepublik und weltweit. Zu Wir als Sozialdemokraten erwarten vom Weltwirt- Beginn der 70er Jahre waren es aus meiner Sicht die schaftsgipfel nicht etwa, daß do rt große Schaum- Entwicklungsländer, die vor dieser Globalisierung schlägerei betrieben wird, sondern wir wollen mehr der Märkte Angst hatten. Heute sind es immer mehr Kooperation und Koordination auf internationaler die Industrieländer, die sich über diese Globalisie- Ebene vorantreiben. Das ist ganz wich tig. rung der Märkte Sorgen machen. Wenn die neoliberalen Töne, die ich eben aus dem (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll Lager der CDU und der F.D.P. vernommen habe, den mer) Glauben vermitteln sollen, es liefe schon alles ganz Gerade Großunternehmen haben sich auf den in- von allein, die Weltmarktwirtschaft entwickele sich ternationalen Märkten etabliert. Sie sind interna tio- schon, muß ich Ihnen sagen: Sie irren sich aus mei- nal Agierende, „global players", wie es so schön ner Sicht gewaltig, weil die bilateralen Streitigkeiten heißt. Aus meiner Sicht stellt sich deshalb sehr wohl immer mehr zunehmen werden - siehe Amerika und die Frage: Welche nationale Politik können wir hier Japan. eigentlich noch be treiben, und welche können wir nicht mehr betreiben? Ich sage: Eine Industriepolitik Wenn wir nicht mehr Kooperation und Koordina- für Große ergibt angesichts der neuen Entwicklung tion versuchen, wird der Protektionismus wieder wenig Sinn. Vielmehr müssen wir uns überlegen, ob neue Blüten treiben; und das wäre eine schlimme wir nicht Forschungs- und Technologiepolitik, aber Entwicklung. auch das Umsetzen von Forschungs- und Technolo- gieergebnissen in marktgängige Produkte, also Inno- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des vationspolitik, verstärkt auf kleine und mittlere Un- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ternehmen konzentrieren sollten. Ich glaube, auch national ist es durchaus richtig, daß wir mehr tun, um Wir brauchen mehr Kooperation. Wir brauchen nicht - ich gebrauche dieses schreckliche Wo rt - den Fak- mehr Liberalität auf den Finanzmärkten, sondern wir tor Humankapital zu verbessern. brauchen - darum kümmert man sich seitens der Re- gierung zuwenig - vor allem mehr Flexibilität auf Wir brauchen ganz dringend - das können wir na- den Gütermärkten, auch auf den nationalen Güter- tional machen - mehr Qualifizierung. Wir brauchen märkten. mehr berufliche Weiterbildung. Wir müssen alles tun, um den Faktor Mensch zu stärken, weil das weltweit Der Weltwirtschaftsgipfel ist deshalb dringend not- und auch national sinnvoll ist. - wendig; aber wir brauchen konkrete Ergebnisse und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) keine Schaumschlägerei. Die neugegründete World Trade Organization in Genf muß alles tun, um inter- Meine Damen und Herren, die Regierung rühmt nationale Absprachen über ökologische und soziale sich so gern der Politik, die bisher betrieben worden Mindestbedingungen zu erreichen. ist. Ich will gern noch einmal festhalten - Sie können das in den Tagesnachrichten des Bundesministe- Wir brauchen dringend - darauf müssen wir hinar- riums für Wirtschaft nachlesen -: Die Politik war beiten - eine Weltkartellbehörde, um zu verhindern, nicht so erfolgreich. Wenn Sie sich einmal das daß die Interessen der Verbraucher völlig unter den Ranking der 20 Industrienationen in bezug auf die Tisch fallen. Arbeitslosigkeit ansehen, dann stellen Sie fest, daß wir Platz 10 unter den 20 wich tigsten Industrienatio- Dringend notwendig ist eine inte rnational koordi- nen einnehmen. Das ist nicht sonderlich toll. Wenn es nierte Wirtschaftspoli tik, um weltweit, aber vor allem um die Preisentwicklung geht, haben wir den Platz 15; auch bei uns mehr Beschäftigung zu schaffen und das ist noch schlechter. die Massenarbeitslosigkeit zu vermindern. Ich füge gern hinzu: Wenn wir nichts tun, um z. B. auch das Problem der ständig steigenden D-Mark, Dringend notwendig ist eine Reform der interna- der Wechselkursverzerrung in den Griff zu bekom- tionalen Wirtschaftsinstitutionen - ich fordere keine men, wird die OECD recht behalten mit der Voraus- neuen, wohl aber eine Reform -, um den weltweiten sage, das Bruttosozialprodukt werde im kommenden Herausforderungen, von denen ich soeben gespro- Jahr nicht mehr um 3,5 % steigen, wie sie das einmal chen habe, besser als bisher begegnen zu können. projiziert hatte, sondern nur noch um 2,7 %. Das ist keine gute Entwicklung. Die Leistungsbilanz ist seit (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3271 Dr. Uwe Jens Meine Damen und Herren, wir brauchen interna- Die Strategie der OECD-Länder, den Anstieg des tionale Ordnungsmuster und unternehmerische Vi- Sozialprodukts dieser Volkswirtschaften nachhaltig sionen, die uns allen wieder Zuversicht geben. Ohne zu unterstützen, damit diese Länder sozusagen aus solche Visionen wirken die Umwälzungen, die wir er- ihren Schulden herauswachsen können, hat sich als leben, auf die Menschen beängstigend und ab- erfolglos erwiesen. Die Gebergemeinschaft ist erneut schreckend. gefordert. Es muß end lich sichergestellt werden, daß externe Finanzmittel zu mehr Entwicklung und Dabei wissen wir doch alle: Es gibt zu dieser Ent- Wachstum und nicht zur Bedienung der Schulden wicklung keine Alternative. Es gibt bei dieser Ent- aufgewandt werden. Einige Länder, wie Norwegen, wicklung nicht nur Probleme, sondern auch große Holland, die Schweiz und natürlich auch die Bundes- Chancen. Wir müssen nur ohne ideologische Ver- republik Deutschland, haben bereits große Fo rt klemmung, aber mit Mut und Zuversicht die darge- -schritte bei der Entschuldung der hochverschuldeten legten Aufgaben anpacken. Dabei ist mehr interna- Länder mit mittlerem Einkommen und der hochver- tionale Koordination, aber auch mehr Kooperation schuldeten ärmsten Länder gemacht. zwischen Wirtschaft und Politik erforderlich. Andererseits spielen die multilateralen Finanzie- Schönen Dank. rungsinstitutionen eine zunehmend umstrittene Rolle. Ihre Ausleihungen tragen zu erheblicher Neu- (Beifall bei der SPD und der PDS) verschuldung bei. Forderungsverzichte jedoch wer- den von Weltbank, IWF und den großen regionalen Entwicklungsbanken nicht in Be tracht gezogen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jochen Feilcke. Auch die International Development Agency (IDA) ist ins Gerede gekommen. Einige politisch unsensi- bel gehandhabte Großprojekte haben den Sinn von Jochen Feilcke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Infrastrukturprojekten grundsätzlich in Frage ge- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sehr stellt. Auch die IDA-Mittel haben zur Neuverschul- gut, daß wir kurz vor dem Weltwirtschaftsgipfel hier dung erheblich beigetragen und werden häufig zur im Deutschen Bundestag über die inte rnationale Reduzierung der Schulden verwandt. Schuldenproblematik, oder lassen Sie es mich anders sagen: über Entwicklungspolitik in den großen Zu- (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Endlich sammenhängen reden. Es ist auch gut, daß ich als spricht mal einer die Wahrheit aus!) letzter Redner hier bin; denn dann kann mir keiner - Ja, aber die Wahrheit ist nicht immer nur schwarz- mehr widersprechen. weiß. Ich werde auf das Thema zurückkommen. (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Abwarten!) Da diese Mittel zum größten Teil aus Steuereinnah- men der Geberländer gespeist werden, ist es nur zu Die vorliegenden Anträge der Opposi tion enthal- verständlich, daß ein wirksameres Mitspracherecht ten teils bestätigende Bemerkungen zur Politik der bei der Mittelvergabe gefordert wird. Der Grundsatz Bundesregierung, teils in Ansätzen richtige Vor- der Mittelvergabe sollte weiterhin sein, daß die Aus- schläge und teils natürlich auch abwegige Forderun- landsverschuldung der Entwicklungsländer ihre gen, so daß wir den Anträgen leider bei allem guten wirtschaftliche Leistungsfähigkeit niemals überstei- Willen nicht zustimmen können, sondern sie heute, gen darf. wo sie zur Abstimmung stehen, ablehnen müssen. Die Bundesrepublik Deutschland hat in diesem Die internationale Fachwelt und damit auch die Sinne gemeinsam mit anderen bilateralen Gebern Politik hatten geglaubt, die Schuldenkrise der 80er eine Pionierfunktion übernommen. Allerdings sind Jahre sei überwunden. Viele von uns waren der Mei- die Spielräume für den weiteren Forderungserlaß nung, daß die globale Schuldenkrise mit dem Brady- aus der finanziellen Zusammenarbeit weitgehend Plan, mit den bilateralen Schuldenstreichungen und ausgeschöpft. Absolut kontraproduktiv wäre es, Mit- den neuen Instrumenten des Pa riser Clubs endgültig tel der finanziellen Zusammenarbeit nur noch als gelöst werden könnte. Dies erweis sich als voreiliges nicht rückzahlbare Zuschüsse zu gewähren, auch Wunschdenken. Am Beispiel Mexiko, dem Land, von deshalb, weil hierdurch das Gesamtvolumen der ver- dem 1982 die Schuldenkrise ausging, die sich dann fügbaren Gelder erheblich reduziert würde. wie ein Flächenbrand in der ganzen Welt ausbrei- tete, wird jedem klar, auf wie tönernen Füßen der Natürlich dürfen Entschuldungsmaßnahmen nicht Konsolidierungsprozeß noch immer steht. kleinen Gruppen privilegierter Eliten zugute kom- men, sondern müssen zur Armutsbekämpfung einge- Die Gruppe der hochverschuldeten Länder mit setzt und in den Dienst umweit- und sozialverträgli- mittlerem Einkommen, die sogenannten SIMICs, cher Entwicklungsstrategien gestellt werden. und die der hochverschuldeten armen Länder, der (Beifall bei der CDU/CSU) sogenannten SILICs, waren bei all diesen Strategien immer die Sorgenkinder der Geberländer, ohne je- Hier kann jedoch keine pauschale Verhaltensricht- doch jemals mit spektakulären Problemen in das öf- linie formuliert werden, hängt doch der Erfolg vor al- fentliche Bewußtsein zu dringen, weil es sich nur um lem davon ab, ob in dem betreffenden Land die poli- vergleichsweise geringe Beträge h andelte, die aller- tischen Voraussetzungen dafür bestehen - wie dings in den Ländern zu erheblichen Friktionen ge- Staatssekretär Hedrich das ausführte -, ob eine ent- führt haben. sprechend gute Regierungsführung, eine ausrei- 3272 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Jochen Feilcke chende Entwicklungsorientierung des Staates und Strukturanpassungsprogramme sind auch dann er- übrigens auch der wich tigen gesellschaftlichen forderlich, wenn verzerrte politische, wirtschaft liche Kräfte sowie eine marktfreundliche Wirtschaftsord- und soziale Strukturen eine erfolgreiche Nutzung der nung vorhanden sind. durch Entschuldungsmaßnahmen geschaffenen zu- sätzlichen Spielräume für umwelt- und sozialverträg- Nur bei Vorliegen dieser Kriterien sollte die Bun- liche Entwicklungsstrategien zu konterkarieren dro- desregierung auch weitere bilaterale Schuldener- hen. Bei der Kritik an den Strukturanpassungspro- lasse in Betracht ziehen. Nur dann sind Schuldener- grammen gerät nämlich allzu leicht aus dem Blick- lasse sowohl gegenüber der Bevölkerung des begün- feld, daß es immer die armen und ärmsten Bevölke- stigten Landes als übrigens auch gegenüber dem rungsschichten waren, die unter Mißwirtschaft, deutschen Steuerzahler zu rechtfertigen. schlechter Haushaltspolitik und hoher Infla tion zu leiden hatten. Kurz zur Idee des Gegenwertfonds: Wir sollten das sehr sorgfältig prüfen, haben wir als zerstörtes Land Zuzugeben ist natürlich, daß anfänglich die Struk- nach dem Zweiten Weltkrieg damit doch sehr gute turanpassungsprogramme häufig sozial und ökolo- Erfahrungen gemacht. Allerdings ist das Funktionie- gisch unausgewogen waren. Inzwischen haben je- ren des Gegenwertfonds davon abhängig, in wel- doch Weltbank und Währungsfonds aus den Fehlern chem Umfange es in dem Lande leistungsfähige Ak- gelernt. Heute sind ihre Programme der Strukturan- teure gibt. Nach dem Kriege hat es bei uns funktio- passung in der Regel sozial, wirtschaftlich, ökolo- niert. Hermann Josef Abs hat im Zusammenhang mit gisch und gesellschaftspolitisch sorgfältig austarierte Indonesien immer wieder darauf hingewiesen, der Reformstrategien. Hauptschwachpunkt bei diesem Lande sei die Noch einige Bemerkungen zur 11. Auffüllungs- en Aufbringung des Schul- Schwierigkeit der inte rn runde der IDA: Die Bundesrepublik Deutschland hat dendienstes. sich in der Vergangenheit immer besonders aktiv um ge- Gegenwertfonds müssen also von Fall zu Fall ge- eine ausreichende Mittelausstattung der IDA prüft werden. Ihr Funktionieren hängt von vielen kümmert und selbst wesentliche Beiträge dazu gelei- Faktoren ab. Wenn die interne Aufbringungsfähig- stet. Das sogenannte weiche Fenster der Weltbank keit nicht gegeben wäre, wäre das Entwicklungsland war und ist der größte einzelne Empfänger deutscher nämlich gezwungen, öffentliche Gelder aus anderen, multilateraler Entwicklungsbeiträge. Auf Grund der amerikanischen Haushaltsengpässe ist allerdings zu sozial, ökologisch und wirtschaftlich unverzichtbaren befürchten, daß die 11. Wiederauffüllungsrunde Bereichen abzuziehen. nicht zu einer ausreichenden Aufstockung der Mittel Die sogenannte Tobin-Steuer - das heißt, Ent- führt. schuldungsmaßnahmen durch eine Besteuerung spe- Die Schwerpunkte der IDA-Politik sollten sein: Ar- kulativer Kapitaltransfers zu refinanzieren - ent- mutsbekämpfung und Grundsicherung, Förderung springt einer weit verbreiteten Aversion gegen das von- Frauen, Förderung energiesparender, umwelt Phänomen der Spekulation. Hier werden völlig un- und sozialverträglicher sowie dezentraler Technolo- realistische Erwartungen auf das große Geld ge- gien der Energiegewinnung und der Kontinent weckt. Ein solcher Vorschlag benötigte im übrigen Afrika. Es wäre aber keineswegs sinnvoll, diese die einstimmige Unterstützung; darauf ist bereits hin- Schwerpunkte durch die Vorgabe fester Prozentsätze gewiesen worden. Ohne diese Einstimmigkeit genau zu quantifizieren. Das sage ich in Richtung könnte mit der Umsetzung gar nicht erst begonnen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. werden. Auch sollten wir festhalten, daß der IWF eine währungspolitische Institution ist und nicht zum Für den Umfang der Förderung und insbesondere Hilfsfiskus werden sollte. die Konkretisierung dieser Schwerpunktbildung müssen die IDA, die Empfängerländer selbst und die Eine Unterscheidung zwischen spekulativen und an den Entscheidungsprozessen beteiligten gesell- nicht spekulativen Kapitaltransfers ist überhaupt schaftlichen Akteure verantwortlich bleiben. nicht vorzunehmen. So sehr wir auf der Einhaltung der bestehenden (Zustimmung bei der F.D.P.) Kriterien bestehen müssen, sollte die Bundesrepublik Deutschland sich auf keinen Fall zum Anwalt starrer Kapitaltranfers lassen sich heute an jedem Ort der Quoten machen. Welt organisieren, so daß Ausweichmöglichkeiten, um die sogenannte Tobin-Steuer zu vermeiden, je- Unsinnig erscheint auch eine pauschale Ableh- derzeit gegeben sind. nung von Infrastrukturprojekten. Damit komme ich auf das Thema zurück, das von Frau Dr. Schwaetzer Schuldenerleichterungen bzw. Schuldenerlasse und Herrn Staatssekretär Hedrich schon erwähnt sollten über die schon erwähnten Kriterien hinaus worden ist: Es darf keine pauschale Ablehnung von immer dann mit Strukturanpassungsprogrammen Infrastrukturprojekten einfach deshalb geben, weil gekoppelt werden, wenn im Empfängerland funda- auch Fehlentwicklungen vorgekommen sind. Es hat mentale wirtschaftliche Ungleichgewichte bestehen natürlich Beispiele unsensibler Planung gegeben. und diese eine wesentliche Ursache für die Über- Dennoch sind Infrastrukturprojekte sehr häufig die schuldung bilden. Grundvoraussetzung für die Entwicklung eines Lan- des von unten. So ist es z. B. notwendig, auf gebau- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) ten Straßen - und das sind große Infrastrukturpro- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3273 Jochen Feilcke jekte - die Produkte der Armen zu den Märkten vielseitig strukturierte und leistungsfähige Landwirt- zu transportieren. Selbstverständlich muß sicherge- schaft - stellt sein, daß künftig bei der Planung das not- wendige ökologische und soziale Augenmaß ge- (Beifall des Abg. Joseph Fischer [Frankfu rt] wahrt wird. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir - vielen Dank, Herr Kollege Fischer -, die die Bevöl- kerung mit hochwertigen Nahrungsmitteln zu ange- werden den Anträgen 1 und 5 unsere Zustimmung heute nicht geben können. Bei den übrigen Anträ- messenen Preisen versorgt, unsere natürlichen Le- gen freuen wir uns auf die Beratungen in den Aus- bensgrundlagen erhält, unsere Kulturlandschaft schüssen. pflegt und die Attraktivität unserer ländlichen Ge- biete sicherstellt. Bei der Erfüllung dieser Aufgaben Vielen Dank. braucht die Landwirtschaft die Unterstützung durch Staat und Bevölkerung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Mit dem Ziel einer leistungsfähigen Landwirt- schaft vor Augen haben Bund und Länder eine Neu- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- ausrichtung der einzelbetrieblichen Investitionsför- mit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung derung vorgenommen. Dabei ging es vor allem über den Antrag der Fraktion der SPD zum darum, die Förderbedingungen für die Bet riebe zu 21. Weltwirtschaftsgipfel in Halifax auf Drucksache verbessern, dabei den rechtlich zulässigen Rahmen 13/1540. Wer stimmt für den Antrag? - Gegenprobe! der Europäischen Union für eine intensive investive - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen Förderung so weit wie möglich auszuschöpfen, der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Op- gleichzeitig den unterschiedlichen strukturellen Ver- position abgelehnt. hältnissen in den Bundesländern Rechnung zu tra- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla- gen, die bisherigen Förderungsbedingungen zu gen auf den Drucksachen 13/673, 13/740 und 13/ straffen und zu vereinfachen und sie gleichzeitig für 1018 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- die Verwaltung und für die Landwirte transparenter schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan- und praxisgerechter zu gestalten. den? - Dann sind die Überweisungen so beschlos- (Beifall des Abg. Joseph Fischer [Fr ankfurt] sen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Wir haben mit den Ländern und dem Berufsstand Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Rolle der lange um ausgewogene Lösungen gerungen. Ich G-7-Gruppe bei der Reform des Weltwirtschaftssy- meine, mit dem Agrarinvestitionsförderungspro- stems, Drucksache 13/1545. Wer stimmt für diesen gramm, das Anfang März dieses Jahres von Bund Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Ent- und Ländern beschlossen wurde, haben wir im Be- mhaltung der Fraktion der SPD und gegen die Sti reich der Strukturförderung die notwendigen zu- men der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und kunftsorientierten Rahmenbedingungen geschaffen. der Gruppe der PDS ist der Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Endlich!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: - Die neue einzelbetriebliche Investitionsförderung Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- unterscheidet nicht mehr zwischen Haupterwerbs- ten Horst Sielaff, Anke Fuchs (Köln), und Nebenerwerbsbetrieben. Entscheidend für den Dr. Gerald Thalheim, weiterer Abgeordneter Umfang einer Förderung ist jetzt, ob es sich um klei- und der Fraktion der SPD nere oder größere Investitionen handelt. Damit wird Einzelbetriebliche Förderung als gezielte dem Ziel eines gleichberechtigten Nebeneinanders Agrarstrukturpolitik im geeinten Deutsch- der vielfältigen Betriebsformen entsprochen. land Der europäische Förderrahmen wird dadurch aus- - Drucksachen 13/94, 13/766 - geschöpft, daß na tional u. a. das förderfähige Investi- tionsvolumen erhöht wurde, die Förderobergrenzen Dazu liegen Entschließungsanträge der Fraktionen in der Milchviehhaltung angehoben und die Förde- der CDU/CSU und der F.D.P., der Fraktion der SPD rungsmöglichkeiten vor allem für Betriebszusam- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. menschlüsse und Einkommenskombinationen deut- lich erweitert wurden. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 1 1/2 Stunden vorgesehen. - Ich sehe Schwerpunkt der Förderung sind - dies vor allen keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich er- Dingen wegen ihres Kostenumfangs - bauliche Inve- öffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der stitionen einschließlich der dabei erreichbaren Ver- Herr Bundesminister Jochen Borche rt. besserungen beim Tierschutz, bei der Tierhygiene, beim Umweltschutz und bei der Energieeinsparung. Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, Eine wichtige Fördervoraussetzung bleibt nach Landwirtschaft und Forsten: Frau Präsidentin! Liebe wie vor die flächengebundene Tierhaltung. Wir wol- Kolleginnen und Kollegen! Deutschland braucht eine len keine industriemäßig betriebene Tierproduktion. 3274 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Bundesminister Jochen Borchert Wir wollen eine Landwirtschaft, die im Einklang mit higer land- und ernährungswirtschaftlicher Betriebe der Natur und mit tierschutzgerechten Haltungsfor- verdeutlichen: Unsere Politik der besonderen Förde- men ihre vielfältigen Leistungen für die Bevölkerung rung für die neuen Lander ist richtig. Diese Politik ist erbringen kann. erfolgreich. Wir müssen sie zumindest so l ange fort -setzen, wie massive Ungleichgewichte und Defizite (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bestehen. Noch nicht so recht in Schwung gekom- Damit die verbesserte Förderung auch wirk lich men ist in den neuen Bundesländern die tierische greifen kann, habe ich mich mit den Ländern darauf Veredlung. Ich bedauere dies, weil uns gemeinsam verständigt, noch 1995 die einzelbetriebliche Inve- klar ist - ich hoffe, daß es hierüber keinen politischen stitionsförderung finanziell zu verstärken. Für Neu- Dissens gibt -: Auch die Landwirtschaft in den neuen bewilligungen stehen 1995 rund 167 Millionen DM Bundesländern braucht die tierische Produktion als Bundes- und Landesmittel zusätzlich zur Verfügung. Einkommensstandbein. Diese Mittel sind zum größten Teil bereits in diesem Jahr wirksam; sie können auf der Grundlage von In- Um den Aufbau der Veredlungsproduktion in den vestitionsanträgen vergeben werden. Ein bestimmter neuen Ländern besser voranzubringen, haben wir im Teil kann natürlich erst im nächsten Jahr finanziell in Frühjahr dieses Jahres die Förderung in der Gemein- Anspruch genommen werden. schaftsaufgabe auch hier nochmals verbessert. Das förderungsfähige Investitionsvolumen bei baulichen Entsprechend hat sich der Anteil der einzelbetrieb- Investitionen im Bereich der tierischen Veredlung lichen Investitionsförderung am Gesamtplafond der wurde für Unternehmen in Form juristischer Perso- Gemeinschaftsaufgabe von rund 19 % im Jahre 1994 nen, aber auch für Personengesellschaften von auf rund 23 % im Jahre 1995 erhöht. 143 000 DM je Arbeitskraft auf 329 000 DM je Ar- beitskraft angehoben. Für die Wiedereinrichter be- Wenn die SPD kritisiert, daß ein zu geringer Anteil st d diese günstige Förderung bereits seit 1991. des Plafonds der Gemeinschaftsaufgabe für die ein- an zelbetriebliche Investitionsförderung eingesetzt wird, (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ bin ich gern bereit, mit Unterstützung der SPD-Frak- DIE GRÜNEN]: Das ist ein Wahnsinn!) tion einen größeren Teil zweckgebunden für diesen Bereich zur Verfügung zu stellen. Die günstigen Fördermöglichkeiten gilt es jetzt (Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ verstärkt zu nutzen. Die Länder können und müssen CSU]: Sehr gut!) jetzt die Fördermöglichkeiten mit eigenen Anstren- gungen verstärken. Zum Beispiel haben die neuen Dann können wir dies nämlich auch gegenüber den Länder die Möglichkeit, im Rahmen der Ziel-1-Ge- Bundesländern durchsetzen. biet-Förderung, also dort, wo Brüssel 75 % der Aus- (Beifall bei der CDU/CSU - Peter gaben gegenfinanziert, eigene Programme aufzule- H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: gen, um die Veredlung voranzutreiben. Hier ist also Dann hat sie wenigstens das Gefühl, daß sie die Verantwortung vor Ort, die Verantwortung der gebraucht wird!) Länder gefordert. Die Aufstockung der einzelbetrieblichen Investi- Aber die Verantwortung der Länder ist nicht nur tionsförderung um 100 Millionen DM gilt für alle im Bereich der Agrarstrukturpolitik gefordert. Für Bundesländer. Das Agrarinvestitionsförderungspro- unsere Landwirtschaft ebenso bedeutsam sind die im gramm gilt zunächst nur in den alten Bundesländern. Jahressteuergesetz 1996 vorgesehenen Steuerentla- - Für die neuen Bundesländer gelten die Sonderrege- stungen. Mit großer Sorge sehe ich, daß der Finanz- lungen der einzelbetrieblichen Förderung bis Ende ausschuß des Bundesrates sich mit der Mehrheit der 1996 uneingeschränkt weiter. SPD-Länder für die Abschaffung wesentlicher Steu- ererleichterungen ausgesprochen hat. Dies sind Über die Anwendung der neuen Förderbedingun- Steuererleichterungen, die sich in der Vergangenheit gen in Ost und West werden wir gemeinsam mit den bewährt haben, die weniger Bürokratie für Behörden Ländern spätestens mit dem Rahmenplan 1997 ent- und Steuerzahler bedeuten und die vor allen Dingen scheiden. Dabei soll niemand bevorzugt und nie- der besonderen Situa tion von Einkommens- und Er- mand benachteiligt werden. Wir werden das unter- tragsschwankungen in der Landwirtschaft gerecht nehmen, was sachlich und politisch in Ost- und werden. Westdeutschland geboten ist. (Beifall des Abg. Ulrich Junghanns [CDU/ Ausgerechnet hier wollen die SPD-Länder den Rot- CSU]) stift ansetzen - und das vor dem Hintergrund einer außerordentlich angespannten Einkommenssituation Ich sage dies, um der immer wieder neu aufflackern- in der Landwirtschaft. Dies ist ein harter Schlag ge- den, aber völlig unnötigen Ost-West-Förderdiskus- gen die Landwirtschaft, ein steuerpolitischer Kahl- sion entgegenzutreten. schlag, der, glaube ich, seinesgleichen sucht. Hier ist (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ für mich das Verhalten der SPD-regierten Länder, um DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) es vorsichtig auszudrücken, unverständ lich. Die in kürzester Zeit erreichten Erfolge in den Herr Kollege Sielaff, wenn Sie beklagen, daß zu- neuen Bundesländern mit hohen Wachstumsraten wenig Finanzmittel für die einzelbetriebliche Investi- der Wirtschaft und dem zügigen Aufbau leistungsfä tionsförderung bereitstehen, und sich im gleichen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3275 Bundesminister Jochen Borche rt Atemzug Ihre Partei für die Abschaffung wesentli- eine Unterstützung wie etwa die Ausgleichszulage in cher steuerlicher Erleichterungen für die Land- und benachteiligten Gebieten. Diese Ausgleichszulage Forstwirtschaft ausspricht, so ist dies ein Vorgehen, leistet einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der das völlig unverständlich ist. landwirtschaftlichen Einkommen in strukturschwa- chen ländlichen Räumen und damit zum Erhalt einer (Zuruf von der CDU/CSU: Der ist gar nicht flächendeckenden Landwirtschaft und zum Erhalt ei- da!) ner vielseitig strukturierten Landwirtschaft. Ich kann daher nur an Sie und die SPD appellie- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ren: Wir können unsere Bet riebe doch nicht einer- DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) seits auf der Strukturseite fördern und sie im glei- chen Atemzug auf der Steuerseite und damit bei der In den neuen Bundesländern hat die Ausgleichszu- Bildung von Eigenkapital benachteiligen, lage viele Betriebe bei der Bewäl tigung des schwieri- gen Umstrukturierungsprozesses unterstützt. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die Luft wegneh men! Das ist SPD-Politik!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) und zwar in einem Umfang, daß wir uns nicht zu wundern brauchen, wenn die deutsche Landwirt- Wer die Attraktivität unseres ländlichen Raumes schaft dann in Gefahr gerät, im zunehmenden euro- als Arbeits-, Wohn- und Lebensraum auch für künf- päischen Wettbewerb das Nachsehen zu haben. Wer tige Generationen erhalten wi ll, der darf die Maß- Leistung und Leistungsfähigkeit in der Landwirt- nahmen zu ihrer Stärkung nicht in Frage stellen. Die schaft stärken wi ll, muß wissen: Die Verbesserung Ausgleichszulage und die Dorferneuerung sind un- der Agrarstrukturförderung kann ihre Wirksamkeit verzichtbar für den Erhalt und die Weiterentwick- nur dann optimal entfalten, wenn die Bet riebe die lung unseres ländlichen Raumes. Möglichkeit haben, Eigenkapital zu bilden, das Meine Damen und Herren, mit der Vereinfachung, heißt, wenn die Betriebe in ein ausgewogenes steuer- der Neuausrichtung und der finanziellen Stärkung politisches Konzept eingebunden sind, zu dem die der einzelbetrieblichen Investitionsförderung sind Steuervergünstigungen gehören, die die SPD jetzt wir auf dem Weg zu einer leistungsfähigen Landwirt- streichen will. schaft gut vorangekommen. Die Bundesregierung hat mit den Ländern neue Schwerpunkte in der För- Meine Damen und Herren von der Opposi tion, mit derung gesetzt. Diese Möglichkeiten gilt es mm kon- den Steuerentlastungen für die Landwirtschaft im sequent zu nutzen, damit wir die Landwirtschaft in Jahressteuergesetz 1996 geht es nicht darum, Fi- Deutschland für den Wettbewerb in Europa stärken nanzjongleuren, Abschreibungskünstlern oder Groß- können. konzernen Vorteile zu verschaffen. Hier geht es darum, der hart arbeitenden Landwirtschaft, die oh- Vielen Dank. nehin nicht genug verdient, bei ihren besonderen Belastungen eine gewisse Erleichterung zu ermögli- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - chen. Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da kommt Leben auf!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bei allen parteipolitischen Differenzen: Machen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Der Kollege Kurt Pa Sie Ihren Einfluß geltend, daß die SPD-Regierungs-- lis hat jetzt das Wort. chefs nicht gegen die Landwirtschaft stimmen! Kurt Palis (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr ge- (Zuruf von der SPD: Das machen die nie!) ehrten Damen und Herren! Diese Debatte hat in der - Das werden wir ja bei der Abstimmung im Bundes- Tat, wie der Minister soeben betont hat, eine große rat erleben. „Verbundenheit mit der Landwirtschaft", Bedeutung für die Zukunft unserer Landwirtschaft. das darf keine Leerformel sein. Es geht um eine Vielzahl landwirtschaftlicher Be- triebe in sehr unterschiedlichen Rechtsformen. Es (Zuruf von der SPD: Die Frage ist, was Sie geht um Vollerwerbsbetriebe, es geht um Haupt- machen!) und Nebenerwerbsbetriebe. Es geht um Bet riebe, die in sehr unterschiedlichen Landschaften wirtschaften. - Wir werden dies durchsetzen. Wir werden die Landwirtschaft steuerlich entlasten. Es wäre sehr reizvoll, einmal einen Überblick dar- über zu bekommen, wie viele Mittel wir in Deutsch- Ihrem Entschließungsantrag, meine Damen und land seit Bestehen der Bundesrepublik eingesetzt ha- Herren von der Opposi tion, entnehme ich, daß Sie ben, um die Betriebe bei Investitionsvorhaben zu för- sich auch Gedanken zur Ausgleichszulage gemacht dern, wie viele öffentliche Mittel bisher aufgewen- haben. Dazu nur einige kurze Bemerkungen: Agrar- det wurden, um landwirtschaftliche Bet riebe in den politik muß gerade auch dort, wo die Landwirtschaft benachteiligten Gebieten zu erhalten - Gebiete, die unter erschwerten Bedingungen wi rtschaften muß bei uns mehr als 50 % der landwirtschaftlich genutz- und keine befriedigenden Ergebnisse erzielen kann, ten Fläche umfassen. Unterstützung erhalten - Dabei wäre es sicher auch reizvoll, Auskunft über (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so die räumliche Verteilung der Mittel zu erhalten. wie des Abg. Günther Bredehorn [F.D.P.]) Aber das alleine genügte nicht. Es muß vor allem ge- 3276 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Kurt Palis fragt werden, warum unsere landwirtschaftlichen Be- Weiter forde rn wir die Bundesregierung auf, vor ei- triebe heute dort stehen, wo sie stehen. Sind die Mit- nem Beschluß des Planungsausschusses für Agrar- tel sinnvoll und effizient eingesetzt, oder ist ihre Wir- struktur und Küstenschutz über eine Vereinheitli- kung weitgehend verpufft? chung der Förderung in den alten und neuen Län- dern für den Rahmenplan 1997 den Bundestag recht- Tatsache ist: Trotz langjährigem einzelbetriebli- zeitig und umfassend zu unterrichten. Wie sehen die chem Förderprogramm, trotz regionaler Wirtschafts- Regelungen etwa für eine zukünftige Junglandwirte- politik zur Unterstützung des landwirtschaftlichen förderung aus, welche Erfahrungen gibt es mit der Strukturwandels durch Schaffung außerlandwirt- Kombination von Förderungsmaßnahmen, schaftlicher Arbeitsplätze ist die Landwirtschaft in den alten Ländern nach Vollendung des Binnen- (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die marktes mit erheblichen strukturellen Wettbewerbs- Junglandwirteförderung ist in Niedersach nachteilen konfrontiert. - Dies wird im übrigen auch sen abgeschafft worden!) im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen im ersten Punkt anerkannt; auch ich erkenne das hier- welche Kombinationen erweisen sich als sinnvoll und mit an. - Dies erfahren wir schmerzlich im Zusam- effizient? Die Beantwortung dieser und weiterer Fra- menhang mit wichtigen Agrarpreisen, vor allem für gen ist rechtzeitig und umfassend mit dem Bericht Milch. Sie weisen eine fallende Tendenz auf. Hinzu der Bundesregierung über die zukünftige Gestaltung kommt ein wachsender Wettbewerbsdruck aus flä- der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der chenstarken Betrieben, nicht zuletzt in den neuen Agrarstruktur und des Küstenschutzes" hier zur Be- Bundesländern. ratung vorzulegen. Dabei sollen vor allem auch die regionalen Auswirkungen der geplanten Regelun- Daß wir mit unserer Landwirtschaft da stehen, wo gen auf die sehr unterschiedlichen Agrarstrukturen wir stehen, hat viele Gründe, die nicht alle in der Sa- aufgezeigt werden. che begründet sind. Da gab es in den 50er Jahren die Allianz zwischen dem Bauernpräsidenten Rehwinkel Ich betone nochmals: Wir erwarten die rechtzeitige und dem damaligen Bundeslandwirtschaftsminister Vorlage des entsprechenden Berichts. Es geht nicht Lübke, der von der „inneren Kolonisation" kam und an, daß wir den Bericht im federführenden Ausschuß dem konservativen Familienbetrieb verpflichtet war. des Bundestages erst dann beraten, wenn der Pla- Hierzu gehört auch der sogenannte bayerische Weg nungsausschuß bereits feststehende Beschlüsse ge- und die Forderung, daß jeder Bauer bleiben könne, faßt hat - so geschehen in der letzten Sitzungswoche. der Bauer bleiben wolle. Hinzu kamen aber auch die nachvollziehbaren Forderungen der Bauern nach ko- (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: stendeckenden Preisen, also die Forderung nach An- Mißtrauen gegenüber SPD-regierten Län passung der Preise an die Kosten und nicht umge- dern!) kehrt. Diese Forderung fand sich über Jahre hinweg teilweise auch in Brüsseler Preisbeschlüssen und - Da Sie, Herr Kollege, zum wiederholten Male da- führte eben zu Überproduktionen, zu den von allen zwischenrufen und auf unser gemeinsames Heimat- nicht gewollten Butterbergen, Weinseen, Milchseen land Niedersachsen verweisen, bitte ich Sie, zu be- usw. rücksichtigen, daß ich in erster Linie hier Bundespoli- tik zu verhandeln habe. Dies gilt auch für die Bemer- Vor dem Ergebnis dieser Politik stehen wir heute. kung des Ministers, daß im Bundesrat ganz be- Die Politik war und ist noch über große Strecken stimmte finanzpolitische Entscheidungen anstehen. nicht zukunftsweisend. Der vom Planungsausschuß- für Agrarstruktur und Küstenschutz ab 1995 einge- Die Angelegenheit ist sehr ernst. Die Situa tion in schlagene Weg, mit dem Agrarinvestitionsförde- unseren landwirtschaftlichen Betrieben belegt es. rungsprogramm Wettbewerbsfähigkeit und Umwelt- Eine parlamentarische Kenntnisnahme alleine reicht verträglichkeit unserer landwirtschaftlichen Be- nicht aus. Dies ist ein ganz wich tiger Punkt. Meine triebe zu verbessern, weist allerdings in die richtige Damen und Herren von der CDU/CSU und der Richtung, Herr Minister Borchert. Auch wir Sozialde- F.D.P., dies vermisse ich als Forderung in Ihrem Ent- mokraten sind für möglichst wenig Bürokratie und schließungsantrag, der mir gerade noch rechtzeitig möglichst einfache Förderabwicklung. Wir haben zugegangen ist. aber Zweifel, ob das mit einem vereinfachten Verfah- ren arbeitende Agrarkreditprogramm zielgerichtet Wir fordern die Bundesregierung auf, umgehend angewendet werden kann. Unsere Forderung an die einen Bericht über die Wechselbeziehungen zwi- Bundesregierung lautet deshalb, daß nach der Ein- schen der Entwicklung landwirtschaftlicher Bet riebe führungsphase und vor Beginn der Bund-Länder-Ge- und dem Stand und der Entwicklung der Verarbei- spräche über die Vereinheitlichung der Förderung ab tungs- und Vermarktungsstrukturen in den alten und 1997 das neue Agrarkreditprogramm auf seine Ziel- neuen Ländern vorzulegen. Wie sieht die Situa tion erfüllung hinsichtlich der Schaffung einer wettbe- auf den Schlachthöfen aus, wie bei den Molkereien? werbsfähigen und umweltverträglichen Landwirt- Offensichtlich vorhandene Fehlplanungen beim Aus- schaft überprüft wird. Das Ergebnis ist dann dem bau und der Modernisierung dieser Einrichtungen in Bundestag vorzulegen. Die Erfahrungen mit den bis- den neuen Ländern lassen die Einsparungsmöglich- herigen Förderungen und deren Ergebnisse lassen keiten und Vorteile durch eine Nichtausnutzung auf- das dringend geraten erscheinen. gebauter Kapazitäten wie Seifenblasen zerplatzen. Die Konsequenzen daraus haben die Bauern zu tra- (Beifall bei der SPD) gen; sie erhalten keine vernünftigen Preise. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3277 Kurt Palis Hier schließt sich der Kreis der Bemühungen, die Herr Kollege Palis, die Zahlen, die Sie anmahnten, wirtschaftliche, die kulturelle und soziale Situation sind an und für sich vorhanden. Wenn wir jetzt die unserer ländlichen Räume zu verbessern. Noch so Frage stellen, ob die öffentlichen Mittel richtig einge- gute einzelbetriebliche Förderungen werden wenig setzt wurden, müssen wir uns vielleicht auch einmal bewirken, wenn letztlich - hier übertreibe ich be- fragen - Sie haben die 50er Jahre angesprochen -, wußt - ein moderner Bauer auf sich allein gestellt ist. aus welcher Situa tion heraus damals gefördert Wir haben - hier spreche ich uns alle in diesem Ho- wurde. Die Verträge von Rom und S tresa 1957 sind hen Hause an - die verdammte Pflicht und Schuldig- schließlich davon ausgegangen, daß die damals in keit, dafür zu sorgen, daß unsere ländlichen Räume der Europäischen Gemeinschaft zusammenarbeiten- mit ihren Dörfern auch über den engen landwirt- den Länder die Bevölkerung ausreichend mit Nah- schaftlichen Bereich hinaus lebenswert bleiben. rungsmitteln versehen wollten. Das galt bis zum Jahre 1976. Ich glaube, diese Mittel, die einen Struk- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne turwandel bewirkten, der einzigartig dasteht, waren ten der CDU/CSU und der F.D.P.) Grundvoraussetzung dafür, daß sich der Struktur- Wir Sozialdemokraten fordern deshalb in unserem wandel überhaupt sozialverträglich und abgefedert Entschließungsantrag, die Möglichkeiten zur Förde- hat vollziehen können. Deshalb meine ich: Wir soll- rung des ländlichen Raumes mit seinen Dörfern im ten all denen, die damals für uns Verantwortung ge- Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe nachhaltig zu tragen haben, auch heute noch dafür danken, daß sie verbessern. Dies ist uns ein wich tiges Anliegen. bereit waren, diesen Strukturwandel mitzubewirken. Sollte der Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe dies nicht im ausreichenden Umfang gewährleisten, muß Meine Damen und Herren, die Landwirtschaft ist er erweitert werden. Herr Minister Borchert, ich habe durch die europäische Agrarpolitik einem tiefgreifen- eine Bemerkung von Ihnen so verstanden, daß Sie den Wandel ausgesetzt. Wir müssen sagen: Sie mit uns gemeinsam in diese Richtung gehen würden, macht einen schmerzhaften Anpassungsprozeß wenn wir das als richtig erkennen. durch. Der Anpassungsdruck zwingt die Betriebe, alle Möglichkeiten zur Rationalisierung und Lei- Landwirtschaft und ländlicher Raum gehören für stungssteigerung zu nutzen. Wir müssen den Agrar- Sozialdemokraten zusammen. Wir bedauern es des- standort Deutschland stärken. Das heißt, die Lei- halb sehr, daß es der Bundesregierung nicht gelun- stungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer landwirt- gen ist, in der 12. Legislaturperiode das in den Koali- schaftlichen Betriebe müssen ebenso verbessert wer- tionsvereinbarungen angekündigte Konzept für den den wie die in vielen Regionen Deutschlands unzu- ländlichen Raum auf den Weg zu bringen, aus wel- längliche Verarbeitungs- und Vermarktungsstruktur. chen Gründen auch immer. Für die 13. Legisla- Wettbewerbsnachteile für die deutsche Land- und turperiode hat sie diese Selbstverpflichtung bedauer- Ernährungswirtschaft in der EU können wir auf licherweise gar nicht mehr aufgenommen. Die ge- Dauer nicht tragen. rade erst im Auftrag der Bundesregierung von der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Die Prinzipien der gemeinsamen Agrarpolitik wer- Raumordnung vorgelegte Raumordnungsprognose den aufs Spiel gesetzt, wenn die Währungsentwick- 2010 bietet auch für den Auftraggeber genügend An- lung ständig die Landwirte in den Aufwertungslän- laß, über künftige Entwicklungen und Konzepte dern belastet und gleichzeitig die Land- und Er- ländlicher Räume nachzudenken. Wir würden es nährungswirtschaft in den Abwertungsländern be- sehr begrüßen, wenn die Bundesregierung den Mut günstigt. aufbrächte, im Interesse der Menschen -auf dem Lande ein solches Konzept für den ländlichen Raum (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) doch noch vorzulegen. Es ist dringender denn je von- nöten. Deshalb muß der Aufwertungsschutz für unsere Landwirtschaft bleiben. Ich bedanke mich. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rolf Auf die Weiterentwicklung der landwirtschaftli- Kutzmutz [PDS]) chen Betriebe hat die Agrarstrukturpolitik maßgebli- chen Einfluß. Agrarstrukturelle Maßnahmen müssen den Wandel zu leistungsfähigeren Betrieben ermögli- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat der chen. In diesem Rahmen hat die Bundesregierung er- Kollege Egon Susset das Wort. folgreiche Anstrengungen unternommen, die ge- zielte einzelbetriebliche Strukturförderung neu aus- (Dr. Peter Struck [SPD] und Joseph Fischer zurichten. Unter deutscher Präsidentschaft konnten [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: die maßgebenden Fördermöglichkeiten der Europä- Jetzt aber!) ischen Union wesentlich verbessert werden. Den er- weiterten Förderrahmen der EU für gezielte betrieb- Egon Susset (CDU/CSU): Frau Präsident! Meine liche Investitionen hat die Bundesregierung auch na- sehr verehrten Damen und Herren! tional konsequent ausgefüllt. (Zurufe von der SPD: „ - tin" ! - Joseph Fi Die Zusammenfassung der bisherigen Förderungs- scher [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ grundsätze zum Agrarinvestitionsförderungspro- NEN]: Das Deutsche kennt durchaus das gramm macht die Förderung wesentlich transparen- weibliche Genus!) ter. Es ist auch zweckmäßig, an die Förderung klei- 3278 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Egon Susset nerer Investitionen geringere bürokratische Anforde- währte Steuerentlastungen für die Landwirtschaft er- rungen zu stellen. Dies alles vereinfacht die Förder- halten und sie im Jahressteuergesetz 1996 maßvoll praxis und erleichtert dadurch den Zugang zu den erweitern. Leider hat die SPD - der Bundesminister Fördermitteln. ist schon darauf eingegangen - im Bundesrat für die Zukunft praktisch alle steuerlichen Vergünstigungen Die Förderbedingungen sind der betriebswirt- für die Landwirtschaft gestrichen. Die SPD wird das schaftlichen Entwicklung zu leistungsfähigen Betrie- nicht durchsetzen, weil wir hier die Mehrheit haben. ben neu angepaßt worden. Den verbesserten und da- mit attraktiveren Förderbedingungen entspricht bei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) spielsweise die Aufstockung der Bundesmittel für einzelbetriebliche Förderung schon für das Haus- Mit der deutschen Einheit ist das Spektrum der Be- haltsjahr 1995 um 100 Millionen DM auf rund triebsformen und -strukturen vielfältiger geworden. 600 Millionen DM. Ich hoffe, daß wir diesen Haushalt Wir bejahen die Vielfalt der Betriebsformen. Aber morgen verabschieden können. Vielleicht ist der eine deshalb steht Agrarpolitik natürlich auch in der Ver- oder andere, dem auch daran gelegen ist, dann be- antwortung, in ausgewogener Weise die Leistungsfä- reit, dem zuzustimmen. higkeit der Betriebe zu steigern und gleichzeitig die Landbewirtschaftung in der Fläche zu sichern. Dazu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) brauchen wir im Grundsatz die einzelbetriebliche Insgesamt bietet die neue Investitionsförderung ei- Investitionsförderung und die Ausgleichszulage. nen soliden Ansatz, um die Leistungsfähigkeit der Beide Instrumente sind deshalb weiterzuentwickeln. landwirtschaftlichen Betriebe und ihre Wettbe- Ich frage mich, Herr Kollege Pa lis, wie die von der werbsposition in der Europäischen Union zu verbes- SPD in ihrem Antrag an der Ausgleichszulage ge- sern. Damit hat unser Bundeslandwirtschaftsminister übte Kritik mit der im gleichen Antrag erhobenen verwirklicht, was er in seinem Konzept „Der künftige Forderung zusammenpaßt, eine standortgerechte Weg" angekündigt hat. Für diese konsequente Hal- Landwirtschaft auf Grenzertragsböden zu sichern. tung, lieber Jochen Borche rt, herzlichen Dank sei- Auch dies ist ein Beispiel dafür, daß Ihre Lösungen tens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. nur Einfachstlösungen sind, meine Damen und Her- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so ren von der SPD, die natürlich dem Problem nicht ge- wie des Abg. Joseph Fischer [Frankfu rt] recht werden. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch in Zukunft wird der weiterentwickelte bäuer- Die Landwirte, die Gärtner und die Winzer erhal- liche Betrieb, an dem sich die EU orientiert, eine prä- ten die Chance, in eine breitgefächerte Zukunft ihrer gende Rolle in der Landwirtschaft spielen. Dies ist Betriebe zu investieren; denn die investive Förde- meine feste Überzeugung. Denn die Verbundenheit rung erstreckt sich - über die baulichen Maßnahmen der Familie mit dem Betrieb, die darauf fußende be- in Wirtschaftsgebäuden hinaus - in zunehmendem sondere Motivation und Einsatzbereitschaft sind Maße auch auf Einkommenskombinationen im land- durch nichts zu ersetzen. Die Stärkung der landwirt- wirtschaftsnahen Bereich. schaftlichen Betriebe ist gleichzeitig die beste Förde- rung des ländlichen Raumes. Handlungsbedarf gibt es nach wie vor in der Ver- edelungsproduktion. Der Verlust von Marktanteilen erfordert hier ein Gegensteuern. Künftig muß auch Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege die Ausweitung der Schweineerzeugung gefördert Susset, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- werden können, zumindest dann, wenn die regionale- gen Palis? Erzeugung unter dem Verbrauch von Schweine- fleisch liegt. Deshalb erwarten wir mit Interesse den von der Kommission für dieses Jahr angekündigten Egon Susset (CDU/CSU): Ja. Bericht zu dieser Frage. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte. Weil es sich um Steuergelder handelt, ist es konse- quent, die Förderung an der Wirtschaftlichkeit der Kurt Palis (SPD): Herr Kollege Susset, wenn Sie Investitionen auszurichten und Prosperitätsgrenzen unserem Entschließungsantrag bezüglich der Aus- vorzuschreiben. Unverzichtbares Kriterium ist für gleichszulage in den benachteiligten Gebieten ent- uns auch weiterhin die Flächenbindung in der Tier- nehmen, daß wir do rt kürzen wollen, bitte ich Sie um haltung. Die nachhaltige Förderung zukunftsorien- folgendes: Wollen Sie mir bitte beantworten, wie die tierter Betriebe muß mit der Abmilderung der Härten siebente der Erkenntnisse, die Sie in Ihrem Entschlie- für ausscheidende Betriebe einhergehen. Deshalb ist ßungsantrag formuliert haben, zu verstehen ist. Ich es unser Anliegen, daß die strukturelle Anpassung in zitiere aus der zweiten Seite, letzter Spiegelstrich. geordneten Bahnen verläuft und sozial verträglich Dort ist davon die Rede, daß gestaltet wird. Hierfür sorgen vor allem die Hilfen bei die Förderung landwirtschaftlicher Betriebe in der Betriebsaufgabe, die Anpassungshilfen für ältere benachteiligten Gebieten, insbesondere durch Arbeitnehmer usw. die Ausgleichszulage, wesentlich zur Stabilisie- Der Strukturwandel muß im übrigen auch in Zu- rung ... beiträgt ... und auch weiterhin einen kunft durch steuerliche Maßnahmen erleichtert wer- wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung einer den. Im Gegensatz zur SPD wollen wir daher be- flächendeckenden, umwelt- und standortgerech- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3279

Kurt Palis ten Landwirtschaft leisten wird und mit diesem Dazu gehört eine Grundsatzausrichtung in der Ziel weiterzuentwickeln ist. Struktur- und Förderpolitik, die auch den regional unterschiedlichen Strukturen und Produktionsbedin- Ist in diesem Zusammenhang nicht die Weiterent- gungen in Deutschland Rechnung trägt. Im Milchbe- wicklung identisch mit dem, was wir in unserem An- reich ist ein Konzept für die Zusammenführung der trag fordern? unterschiedlichen Milchquotensysteme in Deutsch- land zu erarbeiten, das die Posi tion der Milcherzeu- Egon Susset (CDU/CSU): Wir möchten das, was ger stärkt und notwendige einzelbetriebliche Ent- wir jetzt haben, weiterentwickeln. wicklungsmöglichkeiten bietet. Vom Ansatz her ist die Milchquote ein geeignetes Instrument, das Markt (Zuruf von der SPD: Wohin denn?) und Preis stabilisiert. Sie muß aber in der gesamten EG strikter angewandt werden, damit auch hier mit- - Gnädige Frau, was im Jahre 2010 sein wird, weiß telfristig - möglichst rasch - bessere Marktbedingun- von uns niemand. - gen wieder bessere Milchauszahlungspreise zulas- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ sen. DIE GRÜNEN]: Doch, der Bundeskanzler (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ weiß es!) DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Wir wollen die unterschiedlichen Strukturen, die wir Hier wird der enge Zusammenhang zwischen in den alten Bundesländern haben, und die unter- Agrarmarktpolitik und Argarstrukturpolitik deutlich. schiedlichen Strukturen, die wir in den neuen Bun- Insgesamt hat die Mengensteuerung Wirkung ge- desländern gegenwärtig vorfinden, in der Zukunft zeigt. weiterentwickeln. Sie haben in Ihrem Entschlie- ßungsantrag - ich habe ihn gerade geschwind für Sie Entscheidend ist natürlich, ob die Mitgliedstaaten herausgeholt - u. a. als Ziel aufgeführt: „standortge- bereit sind, den Weg der unmittelbaren Produktions- rechte Landbewirtschaftung auf Grenzertragsbö- drosselung gegen Einkommensausgleich konse- den" . Hinter einem weiteren Spiegelstrich steht, quent mitzugehen. Wir jedenfalls treten nachdrück- „eine Überprüfung des dera rt ausgeprägten Schwer- lich für die Umsetzung der dritten Reformstufe in der punkts Ausgleichszulage in der Gemeinschaftsauf- EU ein. Auch dies gehört zur Glaubwürdigkeit und gabe" sei geraten. Verläßlichkeit politischer Entscheidungen. Unver- tretbar ist es jedoch, wenn Produktionsdrosselung Ihr Schwerpunkt liegt zur Zeit zu sehr auf der Aus- und Preissenkung gleichzeitig betrieben werden und gleichszulage. Sie möchten aber in der Zukunft na- damit doppelt belasten. Selbst der Agrarkommissar türlich auch die Bewirtschaftung der Grenzertragsbö- Fischler hat diese Doppelgleisigkeit kritisiert. Wir den gesichert haben. Herr Kollege Palis, wir können wünschen natürlich, daß er in seiner Funktion in der uns darüber lange unterhalten. Beides zusammen Richtung künftig auch Taten folgen läßt. wird nicht gehen. Entweder geht das eine nicht, oder es geht das andere nicht. An dieser Tatsache kom- Meine Damen und Herren, mit einer Vielzahl von men wir nicht vorbei. -Maßnahmen haben wir den Weg zu einer umwelt und klimaverträglichen Landbewirtschaftung einge- Meine Damen und Herren, die Stärkung der land- schlagen. Auch die Agrarstrukturpolitik flankie rt die- wirtschaftlichen Betriebe ist die beste Förderung des sen Weg durch die Förderung einer umweltschonen- ländlichen Raumes und gleichzeitig die beste Förde- - den Wirtschaftsweise, die weiter ausgebaut werden rung zum Erhalt von Arbeitsplätzen, nicht nur in der muß. Aber gleichzeitig müssen natürlich auch die Landwirtschaft, sondern auch im gesamten vor- und Umweltleistungen der Landwirtschaft, die leider zu nachgelagerten Bereich. häufig in der Kritik sind, künftig besser von der Ge- Fünf Jahre nach der Wiedervereinigung hat die samtbevölkerung und von der Politik insgesamt ak- Landwirtschaft in den neuen Bundesländern gute zeptiert werden. Fortschritte in der Umstrukturierung hin zu einer Ich bin fest davon überzeugt, daß wir mit dem, was wettbewerbsfähigen Landwirtschaft gemacht. Trotz wir jetzt als neues Instrumentarium zur Agrarstruk- aller Probleme und trotz aller Unterschiedlichkeiten turverbesserung haben, und mit der Unterstützung bewegen sich die Landwirtschaften in den alten Län der Koalitionsfraktionen künftig viele Probleme, die dern im Westen und in den neuen Ländern aufeinan- vorhanden sind, lösen können. Wirken Sie alle mit! der zu. Dennoch werden auch in Zukunft Unter- schiede zwischen der Landwirtschaft in den neuen Ich danke Ihnen. und in den alten Ländern auf Grund der Agrarstruk- tur, die sich natürlich fast ein halbes Jahrhundert an- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ders entwickelt hat, bestehen bleiben. Aber dieser Prozeß des Zusammenwachsens muß von der Agrar- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat politik mit Verständnis für die beiderseitigen Pro- jetzt die Kollegin Uli Höfken. bleme sinnvoll flankiert werden. Daher müssen wir eine einheitliche Agrarpolitik für die deutsche Landwirtschaft entwickeln und ab dem Jahr 1997 ge- Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr stalten. Ich hoffe, daß hier Bund, Länder und alle geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsi- Fraktionen dieses Hauses an diesem nicht ganz ein- dentin! Nach der vorangegangenen Rede hat man fachen Vorhaben mitwirken. das Gefühl, man lebe im Wolkenkuckucksheim, Herr 3280 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Ulrike Höfken Susset. Es ist immer so schön, wenn Sie auf der einen - auch und gerade ein Strukturproblem in Deutsch- Seite in Brüssel jammern, wie schlecht es der deut- land -, und eine Antwort auf die Frage, ob das neue schen Landwirtschaft geht und wie schwer sie unter AFP denn hier der richtige Lösungsansatz ist und den Währungsdisparitäten leidet, wir auf der ande- überhaupt etwas dazu beitragen kann. ren Seite hier dann aber hören, welche Leistungen doch die Bundesregierung zum Erhalt und Erfolg der Das gilt genauso für die Frage der Sicherheit der Landwirtschaft vollbracht hat. Ausgleichszahlungen, die Frage der Einkommens- verluste durch die Währungsdisparitäten und die (Zurufe von der F.D.P.: Natürlich! - Das ist Frage des Schutzes vor dem bevorstehenden welt- ja die Leistung der Bundesregierung! - Jo marktorientierten Handel mit Agrarprodukten unter seph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE Dumpingpreisen und der erneuten Exportorientie- GRÜNEN]: Schizophrenie!) rung der deutschen Landwirtschaft, auch gerade hin- Ich kann auch nicht umhin, mich auf die vergan- sichtlich der Erhöhung der Exporterstattungen. gene Debatte zu beziehen, in der sich die Kollegen (Peter Harry Carstensen [Nordstrand] von der CDU/CSU dafür ausgesprochen haben, die [CDU/CSU]: Sie sind ein nettes Mädchen, Märkte - auch in Deutschland und in der EU - für aber Sie reden einen ganz schönen Unsinn!) immer neue Produkte zu öffnen. Mit dem neuen AFP wird der Landwirtschaft insge- (Zuruf von der F.D.P.: Richtig!) samt kein Gefallen getan. Mit einem derzeitigen Fi- Ich denke, es wäre einmal nötig, wenn Sie Ihren Kol- nanzvolumen von rund 4 Milliarden DM wird eine legen und Kolleginnen vermittelten, daß es nicht Agrarförderung konzipiert, in deren Mittelpunkt die ganz unproblematisch ist, nicht nur neuseeländische Ausrichtung auf die einzelbetriebliche Förderung Lämmer, sondern vielleicht auch neuseeländischen steht. Das ist eine Förderung, die auch in der Vergan- Wein oder Kiwis oder Weizen aus Hungergebieten in genheit der deutschen Landwirtschaft nur punktuell die Bundesrepublik und nach Europa einzuführen. geholfen hat und kaum Breitenwirkung zeigen wird; Auch in Ihren Reihen sollte es eine Diskussion um so- denn das Gros der Landwirte - das wissen Sie ja ziales und ökologisches Dumping und die Lösung auch - wird kaum in den Genuß dieser Förderung dieser Probleme geben. kommen. Die hohe Verschuldung und die fehlende Eigenkapitalbildung, deutlich belegt in allen Agrar- Zur Debatte: Es ist schon ein gehobener Schwierig- berichten, stehen dem Einsatz des Programms entge- keitsgrad, eine Debatte zu einer Großen Anfrage füh- gen. Ein Teil der Betriebe wurde und wird mit diesem ren zu sollen, deren Beantwortung durch die Bundes- Programm sogar in die Verschuldung und in die Aus- regierung mehr Masse als Klasse zeigt. Mit vielen weglosigkeit getrieben. Wiederholungen werden die Richtlinien eines uns bereits bekannten Programmes beschrieben. Aber Deutlich wird allerdings in der Antwort, daß eine was fehlt, ist eine politische Bewertung und eine Überprüfung dieses Programms und seiner Auswir- Auswertung des bisherigen einzelbetrieblichen För- kungen - möglicherweise nega tiver Art - gar nicht derprogrammes hinsichtlich der Effektivität und sei- stattgefunden hat und sich die Bundesregierung da- ner Beitragsmöglichkeiten zur Lösung der aktuellen mit aus der Verantwortung zieht, inwieweit denn die- Probleme der Landwirtschaft und der künftigen An- ses Programm für die Betriebe überhaupt einen posi- forderungen an die Landwirtschaft in Deutschland tiven Effekt gehabt hat. Statt eines durchgreifenden und Europa. Diese Antworten fallen tatsächlich völlig Konzeptes für die Landwirtschaft, was ja von der unter den Tisch. Das ist wahrscheinlich auch der - SPD auch ähnlich gefordert wird, präsentiert die Grund, warum hier über Steuerpolitik oder über son- Bundesregierung ein Förderprogramm für eine wei- stige Dinge debattiert wird, nicht aber über die tere industrielle Entwicklung. Große Anfrage. Auch wenn Direktvermarktung, Fe rien auf dem (Egon Susset [CDU/CSU]: Aber dies gehört Bauernhof und neuerdings Kombinationslösungen dazu!) aufgenommen sind, fehlen hier die politischen Vor- Die Landwirtschaftspolitik der Bundesregierung gaben. Zu erwarten ist - ich finde keinen Ansatz- dokumentiert mit dieser Antwort auf die Große An- punkt, der in irgendeiner regelnden Form in diese frage wieder das Abrutschen auf die Ebene der Ver- Ausrichtung eingreift -, daß unter diesen Vorausset- waltungsbürokraten und Agrarbeamten und läßt die zungen wieder die eindeutige Priorität auf Investitio- notwendige Handlungsorientierung vermissen. Wo nen in Wirtschaftsgebäude gelegt wird, die ja bisher kein Wille ist, da ist auch kein Weg. auch über 85 % ausgemacht haben. Die Konsequen- zen weiterer Rationalisierungen, die ja hier so schön Es hätte die Frage beantwortet werden müssen Arbeitserleichterung genannt werden, sind weiterer - so habe ich auch die Inten tion der SPD verstanden -, Preisdruck und Umweltschädigung. inwieweit die Landwirtschaft wettbewerbsfähig ge- macht werden sollte; obwohl ich meine, Kollegen von (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch der SPD, man hätte den Beg riff „wettbewerbsfähig" Quatsch!) auch ruhig einmal kritisch betrachten können. Das AFP kehrt die sich verschlechternde Situa tion Aber wenn man diesen Beg riff schon benutzt, der Landwirtschaft und des ländlichen Raums nicht dann gehört dazu eine Auseinandersetzung mit dem um, sondern das Programm ist deshalb eine Fehlin- Thema, das wir gerade im Ausschuß behandelt ha- vestition, weil ihm diese politische Zielsetzung fehlt ben, nämlich mit den Handelskonzentrationen und die Bundesregierung sich wieder einmal hinter Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3281

Ulrike Höfken den Ländern versteckt. Geschönt wird mit diesem eine nachhaltige Wirtschaftsweise und auf stabile re- Programm und dessen ständiger Hervorhebung die gionale Wirtschaftsentwicklung. Davon ist jedoch in Verringerung der Mittel des Plafonds um 76 Mil- den Programmen keine Rede. Ressourcenschonung, lionen DM, ohne einen Ausgleich zu schaffen. umweltgerechter Anbau und artgerechte Tierhaltung - das alles sind bisher Floskeln und nicht mit Inhalt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gefüllt. und bei der SPD) Der Wissenschaftliche Rat beim Bundesminister für Die Niedrigpreispolitik der EU und die Unsicher- Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat gefor- heit der staatlichen Währungspolitik in Hinsicht auf dert, die Mittel zum Vorteil eines umweltfreundli- die Währungsdisparitäten stellen die Reform des chen Landbaus und artgerechter Tierhaltung einzu- Agrarmarktes nicht nur in Frage, sondern die Agrar- setzen. Aber da gibt es offensichtlich keine Umset- reform verliert vor der Umsetzung der dritten Stufe zung - jedenfalls keine konkrete - außer ein paar schon ihre Basis. Worten. Bereits 30 bis 50 % der Einkommen der Landwirte In den Förderprogrammen wird die Mittelvergabe stammen aus öffentlichen Geldern und Subventio- immer noch nicht an ökologische Kriterien gebun- nen. 1994 wurden 16 Milliarden DM an öffentlichen den und das Ganze auch nicht auf der EU-Ebene ge- Hilfen von Bund und Ländern und 11,8 Milliarden fördert. Vielmehr mißt die Bundesregierung statt des- DM im Rahmen der EU-Marktordnungs- und Struk- sen auch im Rahmen der GA dem integrierten Pflan- turausgaben für die Landwirtschaft ausgezahlt. zenbau zu große Bedeutung bei und mißt die Fo rt Trotzdem - das gilt auch für das neue Programm - -schritte einer umweltverträglichen Landwirtschaft al- sind die Landwirte stärker als je zuvor in ihrer Exi- leine am gesunkenen Absatz von Düngemitteln und stenz bedroht. Dieses Problem kommt in der Beant- Pestiziden, was angesichts der umfangreichen Flä- wortung der Großen Anfrage durch die Bundesregie- chenstillegungen Augenwischerei ist. rung gar nicht vor. Entsprechend laufen auch die Umsetzungen bei Die vorgesehenen Maßnahmen werden nicht zu ei- den Ländern. Auch dort gibt es teilweise Fehlinvesti- ner Stabilisierung, geschweige denn zu einer Ver- tionen und eine Fehlentwicklung, beispielsweise in besserung der bäuerlichen Einkommen führen, die Rheinland-Pfalz, wo Mittel zur Förderung des inte- Rationalisierung in den geförderten Betrieben weiter grierten Anbaus in Anspruch genommen werden anheizen und den Preiskampf an den Märkten ver- können, statt daß sie für den ökologischen Anbau zur stärken, sofern es denn noch Märkte gibt. Alles zu- Verfügung stehen, der die Vorgaben der Mengenre- gunsten von Großerzeugern, während nicht geför- duzierung und der Umweltgerechtigkeit sehr viel derte Betriebe auf der Strecke bleiben. besser erfüllen kann. Im alten Gesamtprogramm konnten gerade einmal Das Konzept der einzelbetrieblichen Förderung 1,3 % aller Vollerwerbsbetriebe und insgesamt nur steht im Gegensatz zur Stärkung der ländlichen Re- etwa 3 000 Betriebe jährlich die Subventionen im gionen insgesamt. Das Konzept verstärkt eine struk- EFP und AKP sowie der Kredithilfen in Anspruch turelle Fehlentwicklung, wie sie auch bei der Förde- nehmen; ein marginaler Anteil. rung von Schlachthof- und Molkereikapazitäten in (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wollen Sie es, oder den neuen Bundesländern abzusehen ist und auch wollen Sie es nicht?) vorher abzusehen war. Auch jetzt und gerade unter den Bedingungen der Perspektiven für die Landwirtschaft können durch knappen Mittel ist das AFP ein Selektionsprogramm, die Entwicklung, den Aufbau und die Förderung von und die Selektionskriterien werden hier nicht einmal regionalen Vermarktungs- und Dienstleistungsstruk- politisch diskutiert. turen geschaffen werden. Da können sich Märkte und Eigeninitiative entwickeln. Hierfür sollte die Das neue Programm soll nun nach Ansicht der Hälfte der Mittel zur Verfügung gestellt werden. Bundesregierung zu einer erhöhten Anzahl von För- Statt die Förderung für einen marginalen Anteil von deranträgen führen. Aber gleichzeitig wird die neu Einzelbetrieben zu nutzen, sollte sie stärker in die kreierte einzelbetriebliche Investitionsförderung Regionen fließen und einer Großzahl von Bet rieben noch stärker an der Wirtschaftlichkeit der Einzelbe- zugute kommen. triebe ausgerichtet. Eine einzelbetriebliche Förde- rung, die nur von Betrieben in Anspruch genommen Ein Existenzsicherungsprogramm für landwirt- werden kann, die den Nachweis der Wirtschaftlich- schaftliche Betriebe, das die verschiedenen Betriebs- keit, der Existenzfähigkeit und einer angemessenen strukturen in den alten und neuen Bundesländern Eigenkapitalbildung erbringen können, wird jedoch berücksichtigt, den Strukturwandel sozial absichert das Ziel eines größeren Zugangs von Bet rieben zur und die vor- und nachgelagerten Bereiche einbe- Förderung verfehlen. Schließlich fallen auch bei den zieht, könnte neue Zeichen setzen. jetzigen Fördervoraussetzungen die meisten Betriebe Danke. durch den Rost. Sinkende Erzeugerpreise und hohe Altschulden werden die Masse der Landwirte von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dieser Förderung ausgrenzen. und bei der SPD) In Zukunft wird aber nicht die Größe eines land- wirtschaftlichen Betriebes über die Wettbewerbsfä- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat higkeit entscheiden, sondern die Ausrichtung auf jetzt der Kollege Ulrich Heinrich. 3282 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Ulrich Heinrich (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Durch die Zusammenfassung der eigenständigen lieben Kolleginnen und Kollegen! Die einzelbetrieb- Programme - einzelbetriebliche Investitionsförde- liche Förderung ist eines der wich tigen Instrumente, rung, Agrarkreditprogramm, Förderung von Jung- um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe zu landwirten und Energieeinsparmaßnahmen - im AFP stärken. Leider stand dieses Werkzeug in der Ver- kann ein Teil der Überreglementierung im Agrarbe- gangenheit viel zu lange im Hintergrund. reich zurückgeführt werden. Die Antragstellung wird für die Landwirte zudem übersichtlicher, und es kön- In den Mittelpunkt agrarpolitischer Debatten - nen Verwaltungskosten, also Steuergelder, gespart auch in diesem Hause - rückten oft allzu bürokrati- werden. Außerdem wird in dem AFP eine geeignete sche Reglementierungen. Erinnert sei nur an die Ga- Grundlage für die Vereinheitlichung von Förderbe- rantiemengenregelung für Milch mit ihren 34 natio- dingungen im gesamten Bundesgebiet ab 1997 her- nalen Verordnungen oder an die EU-Agrarreform; gestellt werden. Das ist richtig, und das ist gut so. die Reihe ist beliebig fortzusetzen. Solche Gesetze und Verordnungen haben unsere Betriebe zusätzlich Der vorhandene Antragsstau bei der einzelbetrieb- behindert und haben nur wenig zu deren Entwick- lichen Förderung lung beigetragen. (Lisa Peters [F.D.P.]: In zwölf Stunden waren die Mittel weg!) (Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Was haben Sie denn in den letzten Jahren get an, Herr Kol spricht seine eigene Sprache. Über die Notwendig- lege Heinrich? - Gegenruf von der CDU/ keit einer Aufstockung der Mittel sind wir uns völlig CSU: Eine ganze Menge!) einig. Ich möchte für die F.D.P. noch einmal unter- streichen, daß wir in diesem Punkt 200 Millionen DM - Ich bin immer schon ein Mahner in dieser Richtung für nötig gehalten haben. gewesen. - Wie ein lähmender Filz legten sich diese bürokratischen und teuren Vorschriften über unsere (Zustimmung bei der F.D.P.) Betriebe. Leider konnten wegen der angespannten Finanzlage keine zusätzlichen Mittel für 1995/96 eingeplant wer- Um uns herum sprießen wettbewerbsfähige Struk- den. Die vorgenommene Aufstockung der einzelbe- turen förmlich wie Pilze aus dem Boden und beherr- trieblichen Förderung um 100 Millionen DM mußte schen immer stärker die Agrarmärkte. Ganz beson- deshalb durch Umschichtungen innerhalb der Ge- ders gilt dies für die Milch- und Schweinefleischpro- meinschaftsaufgabe ermöglicht werden. duktion. In der Bilanz und damit im Portemonnaie muß sich dies zwangsläufig katastrophal für die deut- Die Milch- und Schweineproduktion benötigt zu- schen Landwirte auswirken. Die Produktionskosten künftig unsere ganz besondere Aufmerksamkeit und werden immer weiter in die Höhe get rieben, wäh- Unterstützung bei neuen Investitionen. Frau Kollegin rend die Produktpreise in den Keller gehen. Einer Höfken, ich verstehe nicht, daß Sie von „Agrarindu- derartigen Entwicklung ist kein Wi rtschaftszweig strie" reden. Ich sehe in der Bundesrepublik keine längerfristig gewachsen. Agrarindustrie auf diesen Gebieten. Deshalb müssen wir uns auf den Kernpunkt Siche- (Zustimmung bei der F.D.P. und der CDU/ rung eines wettbewerbsfähigen Agrarstandorts CSU) Deutschland konzentrieren. Auch in der heutigen Es wird allerhöchste Zeit, daß eine Trendumkehr Debatte kommen wir an dieser existentiellen Frage bei der Verlagerung von Produktion und Verarbei- nicht vorbei. Jeder hat je nach politischer Überzeu-- tung in die europäischen Nachbarstaaten herbeige- gung seine eigenen Lösungsvorschläge. Gleichzeitig führt wird. Dazu müssen insbesondere hausge- verstärkt sich aber der Eindruck, daß die Abstände machte Benachteiligungen unserer Bauern endlich zu unseren europäischen Nachbarn von Tag zu Tag abgebaut werden. Ich habe dies bereits im letzten größer werden. Jahr anläßlich der Haushaltsdebatte angesprochen. Die Bundesregierung hat in der Europäischen (Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ Union unter deutscher Präsidentschaft, Herrn Mi- CSU]: Da sind die Länder angesprochen!) nister Borchert, wich tige Maßnahmen durchgesetzt, um diese Lücken in Deutschland schließen zu kön- Ich muß sagen: Daß wir in der Vergangenheit teil- nen. Ich spreche von der EG-Effizienzverordnung. weise falsche Schwerpunkte gesetzt und unsere na- Sie ist die EG-rechtliche Grundlage für die einzelbe- tionalen Spielräume nicht ausreichend genutzt ha- triebliche Förderung in den Mitgliedstaaten. Damit ben, läßt sich besonders an einigen Beispielen darle- wurden die Voraussetzungen geschaffen, um für die gen. So hat die Einführung der Milchquote 1984 we- Wettbewerbsfähigkeit des Agrarstandorts Deutsch- der zu einer langfristigen Preisstabilität noch zu ei- land wichtige einzelbetriebliche Förderungen aus- nem Abbau der Überschüsse im europäischen Be- bauen zu können. reich geführt. Genau das Gegenteil ist eingetreten: Für die deutschen Milcherzeuger war die Lage noch National wurde mit dem Agrarinvestitionsförde- nie so dramatisch wie heute. rungsprogramm ein wichtiges Zeichen für eine stär- (Beifall bei der F.D.P.) kere, wettbewerbsorientierte Landwirtschaft gesetzt. Während wir uns mit preußischer Akribie in der Um (Beifall bei der F.D.P. - Zustimmung bei der setzung von 34 nationalen Milchverordnungen geübt CDU/CSU) haben, bauten andere Staaten ihre Kuhställe aus und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3283

Ulrich Heinrich beherrschen heute die Märkte. Teilweise wurden so- Bauernhof an, geht über soziale Familiendienste bis gar ganze Mitgliedstaaten für die Nichtvermarktung hin zur Übernahme kommunaler und landespflegeri- mit zusätzlichen Quoten belohnt. In diesem Punkt scher Aufgaben. Natürlich muß auch die Direktver- und in der aktuellen Diskussion der Währungsstabili- marktung weiter ausgebaut werden. tät von Ausgleichsprämien steht die Glaubwürdig- Das heißt, wir müssen weg vom Status des reinen keit Europas auf dem Spiel. Weitere Benachteiligun- Rohstoffproduzenten und zu einer höheren We rt gen sind nicht mehr hinnehmbar. -schöpfung durch neue Wege in der Verarbeitung und (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne im Vermarktungsbereich kommen. ten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Viele Fachleute bewerten die Situation der Schwei- ten der CDU/CSU) noch kritischer, wenn auch die Probleme nehaltung Wer nur Rohstoffe produziert, wird immer der Sklave zum Teil andere Ursachen haben. Wie Brüssel über bleiben. Wir müssen uns als Landwirte, als Betrof- Umwege Handelsströme zum Nachteil deutscher fene stärker mit an der Wertschöpfung beteiligen. Schweinehalter zu beeinflussen sucht, hat die Schweinepest deutlich gezeigt. Na tional machen uns (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ vor allem zu einseitige Rechtsvorschriften zu schaf- DIE GRÜNEN]: Sakra! Jeder Bauer produ fen - nehmen Sie sich das bitte einmal zu Herzen -, ziert seine eigene Kasschachtel!) die alle den Wettbewerb massiv verzerren. Dies gilt ganz besonders für Bauvorschriften und Regelungen Erlauben Sie mir noch einige Bemerkungen,. die des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, die andere über das eigentliche Thema der einzelbetrieblichen Staaten so nicht haben. Gehen sie einmal hin und re- Förderung hinausgehen. Sämtliche Forderungen und den Sie mit jemandem, der heute im Bereich der Wünsche zur Sicherung des Agrarstandorts Deutsch- Schweineproduktion investieren will! Es ist ihm bei land über alle Parteigrenzen hinweg werden zu Ma- den derzeitigen Preisen überhaupt nicht mehr mög- kulatur, wenn Brüssel, d. h. die Kommission, die von lich, mit einer Investition kostendeckend voranzu- den Mitgliedstaaten der Europäischen Union verein- kommen. barten Grundsätze in Frage stellt. Ein Beispiel ist die aktuelle Diskussion um die Währungsstabilität der (Günther Bredehorn [F.D.P.]: Deshalb muß Ausgleichsprämien. Hier geht es nicht um weitere man da etwas korrigieren! - Lachen bei der Subventionen für deutsche Bauern, sondern um die SPD - Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Da wird Glaubwürdigkeit Europas. es aber Zeit!) Völlig inakzeptabel ist es weiterhin, wenn die EG- Das spreche ich hier deutlich an. Nicht nur hier, lie- Kommission Marktordnungen zur Gestaltung einer ber Kollege Bredehorn, sind Korrekturen dringend Politik des Preisdrucks mißbraucht. Auch hier wer- geboten. , den gemeinsame Grundsätze verlassen. Das werden die Themen der Zukunft sein, die wir hier zu beraten (Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Viel Zeit bleibt haben. Die diskutierte Absenkung der Stillegungs- nicht mehr! - Günther Bredehorn [F.D.P.]: fläche von 12 % auf 6 % würde den Zielen der EG- Täuscht euch nicht!) Agrarpolitik widersprechen und ohne Not einen rui- Um die angesprochene Trendwende bei der Be- nösen Preisdruck entfachen. hauptung unserer nationalen Märkte durchzusetzen, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) müssen wir auch für die Schweineproduktion eine einzelbetriebliche Investitionsförderung ermögli-- Das gleiche gilt für die Milch, wo man auf EG- chen. Ich stelle hier die Forderung, daß die Effizienz- Ebene nicht bereit ist, die Mengen zurückzuführen, verordnung auch für den Schweinebereich so geän- weil man sich das Instrument des Preisdrucks nicht dert werden muß, daß Investitionen für den Schwei- über die Interventionsregelung wegnehmen lassen nebereich mit einer entsprechenden Förderung wie- will. Das ist der eigentliche Punkt. Hier entfernt man der möglich sind, um unsere Positionen am Markt be- sich von den Inhalten und von dem Geist der EU- haupten zu können. Agrarreform in massiver A rt und Weise. (Beifall bei der F.D.P.) Dies muß sich ändern. Sonst brauchen wir uns in Deutschland und im Deutschen Bundestag nicht Meine sehr verehrten Damen und Herren, was mehr über Strukturförderung zu unterhalten. Wenn muß man darüber hinaus noch tun, um den Agrar- die EU-Agrarpolitik so fortgesetzt wird, wird es uns standort Bundesrepublik Deutschland zu sichern? praktisch unmöglich gemacht, eine entsprechende Das Schlüsselwort heißt für mich Wertschöpfung. Basis für unsere Landwirtschaft aufrechtzuerhalten. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Ich danke Ihnen. DIE GRÜNEN]: Ach!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Wir müssen eine Landwirtschaft aufbauen, die ver- schiedenen Gesichtspunkten gerecht wird und sämt- liche Einkommensmöglichkeiten für Landwirte um- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat faßt. Dabei handelt es sich erstens um die Nahrungs- jetzt der Abgeordnete Günther Maleuda. mittelproduktion, zweitens um den Anbau von nach- wachsenden Rohstoffen, drittens um den Ausbau von Dr. Günther Maleuda (PDS): Frau Präsidentin! Dienstleistungen. Das fängt bei den Fe rien auf dem Meine Damen und Herren! Vor zwei Wochen stan- 3284 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Günther Maleuda den die agrarmonetären Turbulenzen der EG hier im Im Agrarbericht 1995 kann man dazu unter Eigen- Hohen Hause zur Diskussion. Wir haben die Strate- kapitalrentabilität nachlesen: 75 % aller Voller- gie für das Auftreten des Bundeslandwirtschaftsmi- werbsbetriebe haben eine negative Eigenkapitalren- nisters Borchert in Brüssel unterstützt und nehmen tabilität. Selbst das oberste Viertel erreicht nur plus gerne zur Kenntnis, daß er zu Beginn dieser Woche 4,4 %. einen ersten Erfolg erreicht hat. Es bleibt allerdings die Hoffnung auf gute Verhandlungsergebnisse in Obwohl mehr als 30 % des landwirtschaftlichen Brüssel für die deutsche Landwirtschaft. Einkommens aus Subventionen stammen, rechnet sich die landwirtschaftliche Produktion betriebswirt- Heute geht es darum, Strukturfragen zu beraten. schaftlich für 75 % der Unternehmen nicht. Diese Tatsache wird auch dadurch unterstrichen, daß die Mit der vorliegenden Antwort der Bundesregierung Wachstumsschwelle, unterhalb derer die Anzahl der auf die Große Anfrage der SPD zur einzelbetriebli- Betriebe zurückgeht, inzwischen auf 50 Hektar ange- chen Förderung verfügen Regierung und Opposi tion stiegen ist. Unterhalb dieser Schwelle liegen in den über ein umfangreiches Mate rial für eine konstruk- alten Bundesländern ca. 89 % aller Unternehmen. tive Diskussion über die weitere Ausgestaltung der Damit ist zwar nicht die Frage nach den wettbe- nationalen Agrarpolitik. werbsfähigen Betrieben beantwortet, doch die Größe des Problems ist in etwa absehbar. Ich stimme der Feststellung des Ministers zu Be- ginn der heutigen Debatte zu, daß Deutschl and eine Nicht zu übersehen ist, daß die Lage der neuen vielseitig strukturierte, leistungsfähige Landwirt- Bauernwirtschaften und der LPG-Nachfolgeeinrich- schaft benötigt. Man muß der Regierung bescheini- tungen in den neuen Bundesländern durch geringe gen, daß sie auf die bohrenden Fragen zur einzelbe- Eigenkapitalbasis und die Aufnahme hoher Kredite trieblichen Förderung so geantwortet hat, wie ihr gekennzeichnet ist. das unter Berücksichtigung ihres Agrarkonzepts möglich ist. Vor allem bei drei Aspekten konnte sie Positiv werten wir die offene Darstellung von Wett- unseres Erachtens jedoch nicht über ihren Schatten bewerbsnachteilen der deutschen Landwirtschaft in springen. der Antwort der Bundesregierung. Sie nennt zum ei- nen den Nachteil der Betriebsgrößenstruktur und der Erstens vermied sie eine offene Gegenüberstellung Produktionskapazitäten in weiten Teilen des frühe- der Maßnahmen der einzelbetrieblichen Förderung ren Bundesgebiets und zum anderen den Nachteil mit der kritischen Situation in vielen landwirtschaftli- des niedrigen Organisationsgrades in Form von Be- chen Unternehmen. Sie hätte sonst trotz eingesetzter teiligungen an Erzeugergemeinschaften, Maschinen- Millionenbeträge von einem Tropfen auf den heißen ringen und Vermarktungsgenossenschaften. Wir hal- Stein sprechen müssen. ten es allerdings nicht für ausreichend und für zu eng, daraus nur die Notwendigkeit einer Neuaus- richtung und Verstärkung der einzelbetrieblichen Zweitens kommt sie zwar bei einer ganzen Reihe Förderung abzuleiten. von Fragen zu richtigen analytischen Einschätzun- gen, sie verdrängt aber die daraus abzuleitenden Konsequenzen sind unserer Meinung nach außer- Konsequenzen. So fehlt z. B. die Antwort darauf, wie dem hinsichtlich folgender Zielsetzungen notwendig: es gelingen soll, die Wettbewerbsfähigkeit der deut- Erstens. Einzelbetriebliche Förderung beinhaltet schen Landwirtschaft auf ein vergleichbares Niveau das Wachsen und Weichen. Notwendig sind die diffe- zu ihren Hauptkonkurrenten in der EG zu heben. renzierte Förderung der sehr unterschiedlichen Be- triebsformen, ein Konzept der Schaffung von Arbeits- Drittens hat sich die Bundesregierung nicht selbst- plätzen für ausscheidende Landwirte, die Erhaltung kritisch gefragt, ob die S trategie der Rahmenbedin- der Wirtschaftskraft des ländlichen Raumes, die flä- gungen für die Landwirtschaft nicht generell über- chendeckende Landwirtschaft und eine zweckmä- dacht werden muß. ßige Standortverteilung der landwirtschaftlichen Pro- duktion. Nach den Aussagen der Bundesregierung ist das Zweitens. Da sich die Agrarstrukturen und die Pro- Ziel ihrer Politik eine leistungs- und wettbewerbsfä- duktionsbedingungen zwischen Ost- und West- hige, marktorientierte und umweltverträgliche L and- deutschland sowie zwischen Nord- und Süddeutsch- wirtschaft. Dem stimmen wir zu. Unterschiedliche land wesentlich unterscheiden, sollten die agrarpoli- Meinungen gibt es jedoch über den Weg zu diesem tischen Rahmenbedingungen stärker diesen Unter- Ziel. schieden Rechnung tragen. Die Milder- und regio- nenbezogenen agrarpolitischen Regelungen müß- Die Regierung hat zwar das Kriterium für Wettbe- ten unseres Erachtens weiter ausgebaut werden. werbsfähigkeit und damit für die Förderfähigkeit von Betrieben formuliert, sie sieht sich aber nicht in Zur Umsetzung dieser Ziele sind neben den Be- der Lage, eine „seriöse quan titative Aussage über triebsentwicklungsplänen als Maßstab für einen die Zahl der derzeitig wettbewerbsfähigen Betriebe" zweckmäßigen Mitteleinsatz zusätzlich Regionalent- zu machen, wie das in der Antwort zum Ausdruck wicklungsprogramme notwendig. Mit diesen Pro- gebracht wurde. Das Kriterium der Bundesregierung grammen könnten noch besser beschäftigungspoliti- lautet: „Entlohnung der Produktionsfaktoren" mit ei- sche und soziale sowie ökologische, landschaftsge- nem Ergebnis, „das außerhalb des Betriebes zu erzie- staltende und Stoffkreislaufaspekte berücksichtigt len wäre." werden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3285

Dr. Günther Maleuda Drittens. Der entscheidende Punkt bleibt aber die Repnik, die die Gasölbetriebsbeihilfe streichen wol- Teilnahme der Landwirte an der allgemeinen Ein- len. kommens- und Wohlstandsentwicklung. Sie kann nur durch entsprechende Einnahmen und Preise für (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch gar Erzeugnisse und Leistungen der Landwirte erreicht nicht!) werden. Subventionen und flächenbezogene Aus- Der Subventionswert dieser Regelung beläuft sich gleichszulagen sind auf Dauer ungeeignet. Sie ver- auf etwa 950 Millionen DM und nicht nur auf schleiern die eigentlichen Leistungen der Landwirt- 400 Millionen DM. Werden Sie dies in Ihrer eigenen schaft und vermitteln der Öffentlichkeit ein falsches Partei verhindern? Bild. Ein Drittes: Sie haben hier kritisiert, daß wir die Für angemessene Preise sind vor allem notwendig: Ausgleichszulage zumindest überprüfen wollen. Mir Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage, Stär- liegt ein Protokoll des PLANAK vor, in dem Staatsse- kung der Rolle der Landwirtschaft gegenüber der kretär Feiter aus Ihrem Ministerium die Verhandlun- Verarbeitung und dem Handel sowie Bereitstellung gen wie folgt wiedergibt: ausreichender Mittel für die zu vergütenden land- schaftspflegerischen Leistungen der Landwirtschaft. Der Unterausschuß hat weiterhin die Haushalts- und Koordinierungsreferenten beauftragt, die zu- Meine Damen und Herren, die Weiterentwicklung künftige Ausrichtung der Ausgleichszulage einer der Agrarstrukturpolitik im Interesse der Bauern und Prüfung zu unterziehen und ggf. Vorschläge für der Verbraucher erfordert nach Meinung der Abge- Änderungen zu erarbeiten. ordnetengruppe der PDS vor allem die Verbindung der einzelbetrieblichen Förderung mit einer differen- Sie sehen, wir haben nichts anderes als das gefor- zierten Regionalpolitik bei Anerkennung von Unter- dert, was Sie schon beschlossen haben. schieden und Gemeinsamkeiten der Landwirtschaft in den alten und neuen Bundesländern, die Förde- Ein Letztes. Sicherlich ist für die Landwirtschaft rung von Bemühungen der Bauern, ihre Probleme Geld notwendig; aber es wäre ein Irrglaube anzu- kooperativ und in Gemeinschaftsunternehmen zu lö- nehmen, daß man alle Probleme mit Geld lösen sen, sowie den •Übergang zu einer Vertragslandwirt- könnte. schaft, die den Absatz, die Preise und die Einkom- men ebenso wie eine hohe Qualität der Produkte und (Beifall bei der SPD) den Schutz der Verbraucher sichert. (Beifall bei der PDS) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ch ristel Deichmann.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich erteile jetzt (SPD): Sehr verehrte Frau Prä- das Wort zu einer Kurzintervention dem Abgeordne- Christel Deichmann ten Gerald Thalheim. sidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich in meinem Beitrag auf die einzelbetriebliche Förde- rung der Landwirtschaft in den neuen Ländern kon- Dr. Gerald Thalheim (SPD): Frau Präsidentin! Kol- zentrieren. lege Heinrich, Ihrer Kritik an der Bundesregierung Wir sind grundsätzlich der Auffassung, daß wir in ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Auch wir sind der absehbarer Zeit auch in der Förderung zu einheitli- Meinung, daß im Hinblick auf das Konzept, das ein- chen Bedingungen und Fördertatbeständen in ganz mal „Agrarstandort Deutschland sichern" hieß, das Deutschland kommen müssen. Aber dafür müssen Ziel nicht erreicht wurde. Weder die Antwort der auch die Voraussetzungen einigermaßen vergleich- Bundesregierung auf die Große Anfrage noch die bar sein. Andernfalls kann diese Absicht nicht gelin- Einlassung des Bundesministers konnten uns hier gen. heute vom Gegenteil überzeugen. Ik kam uit Meckelbörg: Wo stat wi huit? Es hat Herr Bundesminister, ich habe Sie einmal so ver- nach der politischen Wende gerade auch in der standen, daß das Ziel Ihres Konzeptes ist, Schwer- Landwirtschaft der neuen Länder einen dramati- punkte bei der Förderung und den Rahmenbedin- schen Strukturwandel gegeben. Un dat deit weih. gungen zu setzen. Wir sind der Meinung, daß genau Der Rückgang von rund 900 000 Beschäftigten 1989 das nicht erfolgt ist. Da Sie heute den Bundesratsbe- auf nunmehr rund 130 000 Beschäftigte deutet das schluß kritisiert haben, möchte ich Ihnen die Frage an. stellen, ob Sie tatsächlich der Meinung sind, daß die steuerlichen Regelungen nach j 13 a EStG eine ziel- In vielen Dörfern sind vor allem ältere Männer und gerichtete Förderung ermöglichen. Frauen ohne Arbeit. Dabei geht der Arbeitsplatzab- bau weiter. Die Viehbestände haben sich dramatisch (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!) verringert. Der Milchkuhbestand ist allein zwischen Wir möchten da Fragezeichen anbringen. 1989 und 1994 um die Hälfte auf jetzt noch 1 Mil lion Tiere zurückgegangen. Die vorhandenen Milchquo- Wenn Sie hier heute schon all diejenigen aufzäh- ten können nicht voll genutzt werden. Arbeit und len, die der Landwirtschaft ans Geld wollen, dann Einkommen gehen verloren. Das hat Auswirkungen haben Sie zwei vergessen: Ihre Kollegen Geißler und auf alle Lebensbereiche im ländlichen Raum. 3286 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Christel Deichmann Bei den Schweinen sind gerade noch 30 % der Be- Aber auch jetzt ist die Geschichte der Privatisie- stände von 1989 vorhanden. Dies hat u. a. auch Fol- rung noch nicht zu Ende. Noch gibt es Unsicherhei- gen für die nachgelagerten Bereiche. Großzügig mit ten im Zusammenhang mit der Flachenerwerbsver- Geldern aus Brüssel, Bonn und den Ländern aufge- ordnung. Dem Vernehmen nach möchten die Bun- baute, modernisierte Verarbeitungs- und Vermark- desregierung und die Koalition die auf der Grund- tungseinrichtungen sind zum Teil nicht ausgelastet. lage des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes gebil- Die Schließung des neuen Schlachthofes in Neustre- deten juristischen Personen in Form einer GmbH und litz ist ein drastisches Beispiel dafür. Meine Frage: Co. KG vom begünstigten Flächenerwerb ausschlie- Führten falsche gutachterliche Voraussagen zu Fehl- ßen. Damit würde diesen Betrieben längerfristig jede entscheidungen in der Förderpraxis? Entwicklungschance entzogen. Nach den Zahlen des letzten Agrarberichtes geht Immerhin handelt es sich dabei um rund 280 land- es einigen landwirtschaftlichen Betrieben vergleichs- wirtschaftliche Bet riebe, die von ortsansässigen weise gut. Dies betrifft aber in erster Linie Markt- Landwirten getragen werden, Betriebe, die wie die fruchtanbaubetriebe. Aber - und da setze ich be- juristischen Personen vielfach Veredlungswirtschaft wußt ein Fragezeichen - ist diese Entwicklung wirk- einschließlich Milchviehhaltung betreiben. lich positiv? Können wir zufrieden sein, wenn es eini- gen Betrieben, die sehr arbeitsextensiv wi rtschaften, Es ist kein Wunder, sondern eine ganz logische gut geht? Aus meiner Sicht reicht das nicht. und ökonomische Konsequenz, wenn diese Bet riebe bei diesen von der Bundesregierung erzeugten Unsi- Wenn nun schon ganze Landstriche in den neuen cherheiten an sich dringend notwendige Investitio- Ländern nahezu veredlungsfrei sind und nur noch nen unterlassen. Sie stellen allmählich oder direkt rund eine Arbeitskraft je 200 Hektar benötigt wird, die tierische Erzeugung ein und bauen den kapital- zeigt sich die ganze Dramatik der Entwicklung. Eine extensiven Marktfruchtanbau aus. Die Folgen sind Arbeitskraft auf 200 Hektar - damit trägt die land- ein weiterer Verlust von Arbeitsplätzen und Einkom- wirtschaftliche Urproduktion gerade noch mit men im ländlichen Raum. 0,5 Einwohnern zur Bevölkerungsdichte je Quadrat- kilometer unserer ländlichen Gebiete bei. Selbst un- Gemäß § 2 und § 3 des Landwirtschaftsanpas- ter Berücksichtigung der Familienangehörigen und sungsgesetzes wurde den Landwirten die freie Ent- der Beschäftigten in den vor- und nachgelagerten scheidung eingeräumt, in welcher Rechtsform sie Bereichen des Marktfruchtanbaus wird das Bild nicht künftig ihre Landwirtschaft be treiben wollen. Damit wesentlich besser. Unsere dünnbesiedelten ländli- hat die Politik und zuallererst diese Bundesregierung chen Räume, vor allem auch meine Heimat Mecklen- die Verpflichtung, den gewollten Rechtsformen im burg-Vorpommern, nehmen Schaden, wenn diese Wettbewerb Chancengleichheit einzuräumen. Entwicklung weiter anhält. (Beifall bei der SPD) Wat schul wi nu maken? Wir brauchen ein Klima, Sie müssen gleichberechtigt am begünstigten Flä- in dem sich keine einseitige, sondern eine vielseitige chenerwerb teilnehmen können. Landwirtschaft entwickeln kann. Wir können noch so viel über einzelbetriebliche Förderung als gezielte Auch bei den Altschulden hat diese Bundesregie- Agrarstrukturpolitik im geeinten Deutschland reden, rung bisher keine zukunftsweisenden Lösungen ge- z. B. über die Höhen der förderfähigen Investitions- funden. volumen oder über die Höhen der Subventionswerte - die Förderung wird nicht viel bewirken, wenn das (Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Das wäre not Umfeld nicht stimmt. - wendig!) Machen wir uns nichts vor. Die betriebliche und Die Rangrücktrittsvereinbarungen bringen zeitweise die dörfliche Situa tion ist das Ergebnis zentralverwal- Erleichterung, lösen das Problem jedoch nicht. Im teter Planwirtschaft in den letzten vier Jahrzehnten. Gegenteil: Die Altschulden wachsen durch die Ver- Seit 1990 ist sie aber auch - je länger, desto mehr - zinsung mit dem Fibor-Satz weiter an. Wenn hier das Ergebnis der Politik dieser Bundesregierung. Die nicht bald eine auf den Einzelfall abgestellte Lösung Bundesregierung hat in vielen Fällen Unsicherheiten gefunden wird - wir haben Ihnen mit unserem Mitte in der Umstrukturierung verstärkt oder gar selbst er- März 1995 eingebrachten Antrag hierzu klare Vor- zeugt. schläge gemacht -, kommt es mit Sicherheit zu weite- ren Zusammenbrüchen juristischer Unternehmen in (Beifall bei der SPD) der Landwirtschaft. Dies möchte ich an zwei Beispielen verdeutlichen. Natürlich wird der Boden dieser Betriebe nicht Erstens. Ich erinnere Sie an die ersten Vorschläge brachliegen. Der Mangel an Eigenkapital der einhei- zur Verwertung der ehemals volkseigenen Flächen mischen Landwirte und die relativ günstigen Aus- und Betriebe. Ursprünglich wollten Sie nur Alteigen- gleichszahlungen und Flächenprämien im Rahmen tümer und Wiedereinrichter begünstigen. Neuein- der EU-Agrarreform werden aber dazu führen, daß in richter und juristische Personen sollten außen vor noch mehr landwirtschaftlichen Betrieben die Milch- bleiben. Das haben wir durch unser ständiges Boh- viehhaltung und auch die Schweineproduktion zu- ren verhindern können. gunsten des Marktfruchtanbaus aufgegeben werden. Vorhandene Produktions- und damit Einkommens- (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch möglichkeiten werden dann noch weniger genutzt - nicht!) zum Schaden des ländlichen Raums. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3287 Christel Deichmann Mein Fazit: Solange die aufgezeigten Unsicherhei- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt erteile ich -ten nicht beseitigt sind, werden die beschäftigungs dem Abgeordneten Jochen Borchert das Wo rt zu ei- und einkommenspolitischen Probleme bestehenblei- ner Kurzintervention. ben. Die besten Förderregelungen werden dann nicht viel helfen. Insgesamt muß das Investitions- Jochen Borchert (CDU/CSU): Ich will gerne auf klima verbessert werden. die Anfrage des Kollegen Thalheim antworten. Herr Lassen Sie mich noch auf ein Problem hinweisen, Kollege Thalheim, Sie haben drei Punkte angeschnit- das für die Entwicklung der Landwirtschaft in den ten. neuen Ländern, vor allem in Mecklenburg-Vorpom- mern und Brandenburg, von Bedeutung ist: Rund Erstens zur Frage der steuerlichen Regelungen im Jahressteuergesetz, die im Finanzausschuß des Bun- 60 % bis 70 % der Milchviehbetriebe haben noch die arbeitswirtschaftlich ungünstige Anbindehaltung mit desrates mit der Mehrheit der SPD-Länder gestri- nicht optimaler Melktechnik. Soll auch nur annä- chen worden sind. In Ihrer Großen Anfrage kritisie- hernd die jetzt erzeugte Milchmenge erhalten wer- ren Sie die zu geringe Eigenkapitalausstattung land- den - auf die bisherigen Rückgänge habe ich schon wirtschaftlicher Betriebe in Deutschland. Gerade um die Eigenkapitalbildung zu stärken und damit die hingewiesen -, muß es hier zu erheblichen Investitio- nen kommen. Wie sollen diese Betriebe den im Rah- Fördervoraussetzungen und die Fördererfolge zu men des Agrarinvestitionsförderprogrammes gefor- verbessern, haben wir im Jahressteuergesetz die derten „angemessenen Eigenkapitalanteil" aufbrin- Steuererleichterungen für die Landwirtschaft ver- gen? Bei aller Vereinheitlichung der Förderung muß bessert. Sie können nicht auf der einen Seite kritisie- diesem Tatbestand über 1996 hinaus Rechnung ge- ren, daß die Betriebe zu wenig Eigenkapital haben, tragen werden. dann aber andererseits steuerliche Erleichterungen streichen und damit den Betrieben die Möglichkeit Bei den Bestandsgrößen je Unternehmen und den nehmen, Eigenkapital zu bilden. vorläufig zugeteilten Milchquoten kann ich mir nicht vorstellen, daß das jetzt anvisierte gesamtdeutsche (Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Gerald Thal förderungsfähige Investitionsvolumen von 1,5 Mil- heim [SPD]: Ich habe Sie gefragt, ob das lionen DM je Betrieb ausreicht. Um dem Ausstieg zielgerichtet ist!) aus der Veredlung Einhalt zu gebieten, muß dieses Dies betrifft zielgerichtet auch die steuerlichen Er- förderungsfähige Investitionsvolumen auf Zeit ange- leichterungen nach § 13 a EStG, weil damit gerade hoben werden. den Betrieben, die jetzt schon in einer schwierigen (Beifall bei der SPD) Situation sind, die Möglichkeit erleichtert wird, über Außerdem wird es weiterhin Neugründungen aus verbesserte Einkommensmöglichkeiten mehr Eigen- jetzt bestehenden Betrieben geben. Sollen sie eini- kapital zu bilden und damit in der Kombination von germaßen wirtschaftlich auf die Beine kommen und Eigenkapitalbildung und Förderung die Wettbe- nicht nur Marktfruchtanbau be treiben, müssen die werbsfähigkeit der Betriebe zu verbessern. Dies ist künftigen Fördermöglichkeiten diesem Umstand eine zielgerichtete Förderung zur Verbesserung der ebenfalls Rechnung tragen. Dieses Problem wird um Wettbewerbsfähigkeit und der Leistungsfähigkeit so drückender sein, je länger die Bundesregierung der landwirtschaftlichen Betriebe. an ihrem Kurs festhält und - hier wiederhole ich mich Zweitens. In ihrem Antrag kritisieren Sie, daß die bewußt - die Altschuldenfrage der offensichtlich von Ausgleichszulage nach wie vor einen größeren Um- ihr nicht sehr geschätzten juristischen Unternehmen- fang hat als die einzelbetriebliche Förderung. In der der Landwirtschaft nicht zufriedenstellend, d. h. zu- Gemeinschaftsaufgabe 1995 umfassen sowohl das kunftsweisend gelöst wird. Agrarförderungsprogramm als auch die Ausgleichs- Abschließend möchte ich noch auf die Antwort der zulage jeweils rund 23 %. Dies sind also gleichge- Bundesregierung zur Frage 60 unserer Großen An- wichtige Schwerpunkte der Gemeinschaftsaufgabe. frage verweisen. Zitat: Ich halte die Ausgleichszulage zu Recht für einen Die Leistungen der Betriebe mit Erwerbs- oder wichtigen Schwerpunkt der Gemeinschaftsaufgabe. Einkommenskombinationen stellen einen wert- Sie hat das Ziel, eine flächendeckende Landbewirt- vollen Beitrag zur Erhaltung der Lebensfähigkeit schaftung in Deutschland sicherzustellen. Wir haben der ländlichen Räume, insbesondere struktur- natürlich im PLANAK gemeinsam mit den Ländern schwächerer Regionen, dar. beschlossen, zu überprüfen, ob wir eine bessere Ko- Damit wird bekräftigt: Die deutsche Landwirtschaft ordinierung, einen gezielteren Einsatz der Aus- hat über die Funktion der Nahrungsmittelproduktion gleichszulage sicherstellen können, jedoch mit dem hinaus grundlegende Aufgaben bei der nachhaltigen ausdrücklichen Hinweis, daß die Ausgleichszulage Landbewirtschaftung mit hinlänglich bekannten auch in Zukunft Schwerpunkt der Gemeinschaftsauf- ökologischen Aspekten und - das betone ich - eine gabe sein muß. Ohne diese Ausgleichszulage kön- weitreichende soziale Funktion besonders in dünn nen wir Standortnachteile nicht ausgleichen und besiedelten ländlichen Räumen. Auch diesen Aspek- werden wir eine flächendeckende Landbewirtschaf- ten ist in der zukünftigen Förderpolitik verstärkt tung in Deutschland nicht sicherstellen können. Rechnung zu tragen. Ein dritter Punkt. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rolf Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Leider beträgt Kutzmutz [PDS]) die Zeit für Kurzinterventionen nur zwei Minuten. 3288 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Jochen Borchert (CDU/CSU): Das ist auch nicht so politische Grundlagen. Wenn die Opposi tion etwas schlimm. Die Gasölbetriebsbeihilfe erkläre ich Ihnen zu bemängeln und die Koalition etwas zu loben hat, dann das nächste Mal. ist das schon Ausdruck der A rt und Weise, wie man politische Antworten findet. Vielen Dank. Ich möchte in dem knappen Zeitrahmen auf ausge- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Auch der Kol- wählte Fragen eingehen und insbesondere hervorhe- lege Heinrich hat den Wunsch nach einer Kurzinter- ben, daß im Vordergrund der einzelbetrieblichen vention. Bitte. Förderung weiterhin stehen muß, Kosten- und Quali- tätsfragen anzupacken, Einkommenskombinationen zu verfolgen, „für mehr Wertschöpfung tätig zu Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Kollege Thalheim, Sie haben mich angesprochen und gesagt, ich hätte die sein", wie es mein Kollege Uli Heinrich ausgedrückt Bundesregierung kritisiert. Richtig ist, daß ich die hat. Die Bündelung, die Vereinfachung und die Kom- Bundesregierung gelobt habe. bination investiver Hilfen wie Zinsverbilligung, öf- fentliche Darlehen und Zuschüsse müssen weiter (Widerspruch bei der SPD) vorangetrieben werden. Da stehen wir am Anfang einer Entwicklung, die wir gemeinsam konstruktiv - Jetzt hören Sie bitte einmal zu, sonst gibt es wieder gestalten können. ein Mißverständnis. - Ich habe sie gelobt, weil sie in Brüssel im Rahmen der EU-Effizienzverordnung für bessere Rahmenbedingungen gesorgt hat. Richtig In Anlehnung an die Inte rvention von Jochen Bor- ist, daß ich kritisiert habe, daß sich dieses Haus mit chert möchte auch ich noch einmal hervorheben, daß Ihrer Beteiligung an einem Gesetzgebungsverfahren es insbesondere in der gegenwärtigen Zeit der Wäh- in der Vergangenheit beteiligt hat, das in unerträgli- rungsturbulenzen ein gefährliches Unterfangen ist, cher Art und Weise eine Verbürokratisierung und solche Protokollfestlegungen, wie sie jetzt zu Buche eine Wettbewerbsbenachteiligung für unsere deut- stehen, den Bauern an den Kopf zu werfen und den sche Landwirtschaft zur Folge hatte. Das habe ich Eindruck zu erwecken, als stehe etwas zur Disposi- kritisiert. Dagegen kann man nicht argumentieren. tion. Mit den Ausgleichsbeihilfen werden die Unter- Das ist der Fall. Ich habe dafür Beispiele angeführt: schiede in den natürlichen Produktionsbedingungen das Baurecht, das Bundes-Immissionsschutzgesetz, ausgeglichen. Wir sind der Auffassung: Sie müssen die EU-Agrarreform, die 34 Verordnungen der Milch- erhalten bleiben. garantiemengenregelung. All dies habe ich selbst- verständlich kritisiert, und zwar zu Recht. Es ist das Schließlich muß man fragen: Soll die Regionalisie- große Problem, daß wir nicht zeitig genug erkannt rung der Landwirtschaft in Deutschland, wie das im haben, daß wir damit der Wettbewerbsfähigkeit un- Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE serer deutschen Landwirtschaft Steine in den Weg GRÜNEN gefordert wird, wirklich den Weg in die geworfen haben und ihr somit auf den heißumkämpf- Zukunft weisen? Ich halte es für falsch, auf diese A rt ten Märkten, und zwar auf den Märkten vor unserer und Weise den Kampf um die Erhaltung der Säulen Haustür, das Leben so schwer gemacht haben. Ich der Agrarreform - mit ihren Kernfragen der Markt- meine, ein Agrarpolitiker muß offen genug sein, dar- entlastung und der Ausgleichszahlungen - vorzeitig auf hinzuweisen. Er muß das Haus insgesamt darauf aufzugeben. Es ist angesichts des Standes der Pro- hinweisen, daß die Gesetzgebung auf eine solche Art duktionsentwicklung und des - auch nutzbringen- und Weise nicht weiterbetrieben werden kann. den - hohen Grades der europäischen Marktver- flechtung wohl naiv, die Regionalisierung als den Kö- (Beifall bei der F.D.P.) nigsweg verkaufen zu wollen. Natürlich haben die deutschen Bauern auch in regionalen Märkten noch Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Danke schön. Potenzen der Einkommensentwicklung - aber ich be- Jetzt hat der Kollege Ulrich Junghanns das Wort. tone: auch.

Die notwendige Diskussion um die Qualifizierung Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau der einzelbetrieblichen Förderung in Deutschland Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- droht durch das nimmermüde Schüren der Debatte ren! Leistungs- und wettbewerbsfähig, marktorien- um den Ost-West-Konflikt mißbraucht zu werden. tiert, umweltverträglich: So soll und will die deutsche Selbst Leute, die, weil sie beteiligt sind, es besser Landwirtschaft sein. Diese Maßstäbe, so meine ich - wissen müßten - wie der Staatssekretär im Landwirt- jetzt vielleicht mit Ausnahme von Frau Höfken -, schaftsministerium Brandenburg -, lassen sich dazu sind unstrittig. Ebenso ist selbst für Außenstehende verleiten, entgegen allen Tatsachen die Situa tion für augenfällig, daß die deutschen Bauern landauf, die Betriebe der ostdeutschen Landwirtschaft nach landab Nahrungsmittel auf den Markt bringen und 1997 unisono schwarzzumalen. landeskulturelle Leistungen vollbringen, für die man nur dankbar sein kann. Tatsache ist aber, daß die von der Bundesregierung Gleichwohl liefert der Agrarbericht insbesondere ausgehandelten, vergleichweise günstigen Sonderre- hinsichtlich der Einkommensentwicklung genügend gelungen für unsere neuen Bundesländer Bestand Gründe, sich mit dem Instrumentarium der einzelbe- haben, und zwar bis zum 31. Dezember 1996. Tatsa- trieblichen Förderung von Bund und Ländern zu be- che ist, daß Bund und Länder zielstrebig und mit gu- fassen. Die Antworten des BML geben dafür auch ten Ergebnissen - siehe die Änderungen in der Effi- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3289 Ulrich Junghanns zienzverordnung der EU - daran arbeiten, den Ent- die Große Anfrage „Einzelbetriebliche Förderung als wicklungserfordernissen einer nach Größe und Ge- gezielte Agrarstrukturpolitik im geeinten Deutsch- sellschaftskonstruktion vielgestaltigen deutschen land" eingebracht. Sie werden feststellen, daß wir Landwirtschaft nachzukommen. nicht verlangen, bestimmte Förderungen auszu- bauen oder einzustellen. Zunächst geht es darum, Tatsache ist schließlich - so ein mehrheitlicher dem Parlament Unterlagen als Entscheidungshilfen PLANAK-Beschluß -, daß im Rahmen der kombinier- für eine möglicherweise notwendige Weiterentwick- ten Investitionsförderung als maximales förderungs- lung von Förderkonzepten von der Bundesregierung fähiges Investitionsvolumen 1,5 Millionen DM pro zur Verfügung zu stellen. Betrieb, bei Kooperation 3 Millionen DM, zunächst für die alten Bundesländer festgelegt wurden. Weil Ganz wichtig ist mir, daß wir trotz ungenügender man heuer noch nicht die realen Erfordernisse im Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe im EU-Bin- Blick auf die neuen Bundesländer festlegen wollte, nenmarkt unsere ländlichen Räume nicht aus dem hat man einstimmig vereinbart, die Regelung recht- Auge verlieren. zeitig - im Vorfeld der Rahmenpläne 1997/98 - vor dem Hintergrund der konkreten agrarstrukturellen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Erfordernisse noch einmal zu überprüfen. ten der PDS) Wir brauchen gemeinsame Grundsätze für die be- triebliche Förderung in den jungen und alten Bun- Die Dorferneuerung, die strukturellen Verbesserun- desländern. Die Technik der Umsetzung dieser gen in unseren Dörfern bezüglich Trinkwasserversor- Grundsätze durch Bund und Länder muß die Chan- gung sowie die Abwasserbeseitigung dürfen nicht cengerechtigkeit der verschiedenartigen Landwirt- Schaden nehmen. Wir haben deshalb auch die For- schaftsbetriebe gewährleisten. derung nach einer nachhaltigen Verbesserung der Förderung des ländlichen Raumes mit seinen Dörfern Die besonderen Anliegen der jungen Unterneh- im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse- men in unseren neuen Bundesländern aus heutiger rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" in Sicht kann ich hier nur skizzieren -: Hilfen zur Eigen- unseren Entschließungsantrag aufgenommen. kapitalstärkung der Vollerwerbsbetriebe, Personen- gesellschaften und juristischen Personen. Die im Die Kürzung der Mittel der Gemeinschaftsaufgabe Agrarbericht ausgewiesene schlechte Eigenkapital- um 76 Millionen DM Bundesmittel im Jahr 1995 so- quote und die höhere Belastung durch einen großen wie die erforderlichen Umschichtungen, um die ein- Anteil kurzfristiger und damit höher verzinslicher zelbetriebliche Investitionsförderung überhaupt ver- Kredite im Fremdkapital sind nachdrückliche Hin- stärken zu können, gehen in eine Richtung, in der weise dafür. Vor dem Hintergrund der Ziel-1-Ge- wir uns zu Lasten der ländlichen Räume nicht unbe- biete-Förderung der EU bis 1999 sind die ostdeut- grenzt weiter bewegen können. schen Länder da selbst gefordert und wohl auch am besten befähigt. Des weiteren müssen Regelungen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne erhalten werden, die den vergleichsweise noch grö- ten der PDS) ßeren Wandel in den Betriebsstrukturen und auch Betriebsneueinrichtungen nicht behindern. Wir müssen ganzheitliche Be trachtungen anstellen. Das Instrument der Bürgschaften ist hilfreich und Nur so sichern wir die Entwicklung der ländlichen Räume in der Zukunft. Wir stärken damit auch die wird auch später nutzbringend sein. Hinsichtlich- Be- messungsgrundlagen und Bemessungsrahmen be- Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer land- darf es für die juristischen Personen handhabbarer wirtschaftlichen Unternehmen. Ich will das einmal Kriterien. Es muß angesichts des heute mehrmals be- verdeutlichen: Mit dem EU-Binnenmarkt und noch klagten dramatischen Tierbestandsrückgangs einen mehr seit der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik Förderschlüssel, gebunden an die Fläche, geben, der im Jahr 1992 sind bei uns Schwächen unserer land- die Stärkung der Veredlung weiterhin mit unter- wirtschaftlichen Strukturen sichtbar geworden. stützt. Strukturpolitische Konzepte und Programme sind deshalb mehr denn je gefragt. Die Absenkung des Ich meine, für sachbezogene Lösungen gibt es Interventionspreisniveaus bei wich tigen Agrarpro- auch für die Opposi tion ein weites Betätigungsfeld dukten und die Einführung direkter Ausgleichszah- im PLANAK, im Bundesrat. Dafür gibt es keinen lungen und Stillegungsprämien führen zwangsläufig Zeitaufschub. zur entscheidenden Frage: Wohin sollen sich die landwirtschaftlichen Strukturen und die ländlichen Danke schön. Räume denn entwickeln? Was müssen wir im struk- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) turpolitischen Bereich tun, damit wir eine Entwick- lung der ländlichen Räume in der gewünschten Rich- tung erhalten? Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt, und zwar zu ihrer ersten Parlamentsrede, die Es ist deutlicher denn je Kollegin Jella Teuchner. geworden, daß marktpoli- tische Instrumente wie die Milchquoten, die Aus- gleichszahlungen, die Stillegungs- und Tierprämien Jella Teuchner (SPD): Frau Präsidentin! Meine im Rahmen der EU-Agrarreform und andere erhebli- Herren und Damen! Wir haben einen Entschlie- che strukturpolitische Auswirkungen haben und ßungsantrag zur Antwort der Bundesregierung auf strukturpolitische Bemühungen in jede Richtung be- 3290 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Jella Teuchner einflussen können. Wenn marktpolitische Maßnah- wir die Überprüfung der vielfältigen Flächenprämien men kontraproduktiv wirken und den strukturpoliti- verstanden wissen, um eine ausgewogenere Ent- schen Zielen entgegenstehen, können die besten wicklung von Landschaft und ländlichen Räumen si- einzelbetrieblichen Förderungen doch nur verpuffen. chern zu können. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Dis- (Zuruf von der CDU/CSU: Das wäre das kussion im Anschluß an das Altpachten-Urteil bezüg- Ende dann!) lich der Milchquoten. Wir wollen nicht den Westen gegen den Osten oder den Osten gegen den Westen ausspielen. Wir So bitte ich Sie, auch einen der Hauptpunkte unse- res Entschließungsantrages zu verstehen. Es geht bei wollen eine Förderpolitik, die die Zukunft des ländli- chen Raumes als Ganzes sichert. der Überprüfung der Ausgleichszulagen, für die im- merhin 940 Millionen DM in diesem Jahr ausgege- (Beifall bei der SPD) ben werden sollen, nicht um deren heimliche oder of- fene Abschaffung. Es geht darum zu prüfen, ob im Dazu gehört eine wettbewerbsfähige und eine um- Interesse einer sparsamen und zielgerichteten Politik weltverträgliche Landwirtschaft. Sie können es sich die öffentlichen Gelder noch effizienter zugunsten auf jeden Fall nicht so einfach machen und das von unserer Landwirtschaft und unserer ländlichen uns mehrfach eingeforderte schlüssige Konzept der Räume eingesetzt werden können, flächenbezogenen Beihilfen einfach abtun. Sie kön- nen nicht immer weiter Ängste schüren, daß eine (Beifall bei der SPD) entsprechende Überprüfung in Europa zu einem Hauptverlierer führen würde, nämlich den deutschen natürlich unter Berücksichtigung inzwischen zusätz- Bauern. Dies haben Sie, Herr Bundesminister, erst in lich eingeführter, vor allem auch marktpolitischer der letzten Sitzungswoche bei den währungspoliti- Maßnahmen wie z. B. aus der Agrarreform. schen Diskussionen in diesem Hause versucht. Ich bin sicher: Bei dieser Haltung werden Sie sicher der An nichts anderes haben wir gedacht, als wir nach Verlierer sein. Hier geht es gar nicht vorrangig um dem schlüssigen Konzept der verschiedenen flächen- Brüssel, sondern um unser eigenes Haus. Es ist zu in der Großen Anfrage gefragt bezogenen Beihilfen prüfen, ob wir im Rahmen des uns von Brüssel einge- haben. Diesen Gedankengang haben wir jetzt auch räumten Spielraumes die Mittel und Maßnahmen wieder im Entschließungsantrag aufgegriffen. Es ist sachlich und räumlich wirklich zielgerichtet zur Be- dann enttäuschend, zeigt vielleicht aber auch die hebung von erkannten Mißständen unserer Land- Hilflosigkeit und Ratlosigkeit, wenn die Bundesre- wirtschaft im EU-Binnenmarkt oder hinsichtlich der gierung auf eine solche Frage in der Großen Anfrage Umweltverträglichkeit einsetzen. antwortet, daß die einzelnen flächenbezogenen Bei- hilfen unterschiedlichen Teilzielen dienen. Das wis- Sie, Herr Bundesminister, sollten überhaupt mit sen wir, und wir wissen auch, daß das nicht weiter- der Wortwahl bezüglich Vorschlägen der Sozialde- hilft. Entscheidend muß doch sein, ob die unter- mokraten vorsichtig sein. Das Beispiel Gasölbeihilfe schiedlichen Maßnahmen oder Beihilfen gemeinsam zeigt, daß Sie Ihre Argumenta tion gegenüber dem dazu beitragen, die von der Politik gesetzten Ziele zu politischen Gegner sehr schnell einholen kann. erreichen, z. B. eine bessere Umweltverträglichkeit in der Landbewirtschaftung oder eine bessere Lei- (Beifall bei der SPD) stungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer landwirt- Jetzt fordert kein geringerer als der stellvertretende schaftlichen Betriebe im EU-Binnenmarkt. Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Ihr Parteifreund Heiner Geißler, eine Abschaffung der Gasölbeihilfe. Aber auch die stark ausgeprägte Entwicklung von vergleichsweise großen Marktfruchtbetrieben in den (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat Geißler neuen Ländern sollte uns nicht gleichgültig sein. Mit bereits dementiert!) einer halben Vollarbeitskraft je 100 ha sind Entwick- lungen im Gange, die in dieser Einseitigkeit zum Vielleicht geht es Ihnen auch bei der Gewinnermitt- Nachteil der Funktionsfähigkeit unserer ländlichen lung nach Durchschnittssätzen zugunsten einiger Räume gereichen werden. Dies tut der Landschaft landwirtschaftlicher Betriebe bald so. Ihr Kollege nicht gut, dies tut der Umwelt nicht gut, und dies tut Bocklet von der CSU rechnet immerhin einen Sub- den Menschen nicht gut, ventionswert von rund 470 Millionen DM zugunsten nichtbuchführender Landwirte aus. Ich bin sicher: Es (Beifall bei der SPD) wird der Tag kommen, an dem auch Sie Ihren Freun- den erklären müssen, auf welche Weise mit Hilfe die- die in den ländlichen Räumen nicht nur wohnen, son- ser Millionen die in Ihrem Agrarkonzept formulierten dern auch ihren Lebensunterhalt verdienen wollen. Ziele einer leistungs- und wettbewerbsfähigen Land- wirtschaft realisiert werden sollen. Diese Entwicklung zu noch mehr Marktfruchtbe- trieben, vor allem in den neuen Ländern, wird durch Auch in diesem Fall geht es nicht darum, ob die be- Ausgleichszahlungen und Flächenprämien der EU- troffenen landwirtschaftlichen Betriebe die Agrarreform begünstigt. Folge ist, daß die mit erheb- 470 Millionen DM gebrauchen können oder nicht, lichen öffentlichen Mitteln modernisierten oder sogar sondern es geht um eine konsequente Politik zur Er- neu errichteten Verarbeitungs- und Vermarktungs- reichung bestimmter und - bezogen auf den land- betriebe nicht ausgelastet sind und schlimmstenfalls wirtschaftlichen Betrieb - von Ihnen selbst formulier- wieder schließen müssen. In diesem Sinne möchten ter Ziele. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3291 Jella Teuchner Damit wir im Interesse der Menschen auf dem gehe ich besonders auf Bayern ein. Ich kann das für Lande zu befriedigenden und zukunftsweisenden Sachsen aber ebenfalls unterstreichen. Lösungen kommen, bitte ich um Unterstützung unse- res Entschließungsantrags. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne mir zu billig, wenn die SPD hier im Bundestag einen ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Schaufensterantrag stellt, während die gleiche SPD und der PDS) dort, wo sie Verantwortung trägt, die Bauern benach- teiligt. Finanzminister ist bereit, land- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der wirtschaftliche Interessen im Jahressteuergesetz zu Kollege Albert Deß, CDU/CSU-Fraktion. berücksichtigen. Die SPD-Mehrheit im Bundesrat fordert dagegen eine Schlechterstellung der Land- wirtschaft im steuerlichen Bereich. Die SPD sollte Albert Deß (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kol- ihre agrarpolitische Konzeptlosigkeit und Wider- leginnen und Kollegen! In der letzten Sitzungswoche sprüchlichkeit beenden und mit uns gemeinsam für haben wir gemeinsam gefordert, daß die deutsche eine Förderung der bäuerlich strukturierten Land- Landwirtschaft in einer schwierigen Lage durch wirtschaft im Bund und in den Ländern eintreten. Brüssel nicht weiter benachteiligt werden darf. Bun- deslandwirtschaftsminister Jochen Borche rt ist es im (Dr. Gerald Thalheim [SPD]: Haben Sie die EU-Agrarministerrat gelungen, die Vorschläge der Rede von Herrn Heinrich nicht gehört?) Kommission in der ersten Verhandlungsrunde abzu- Versteckt kritisiert wird im SPD-Antrag die Aus- wehren. Dazu darf ich ihm recht herzlich gratulieren gleichszulage. Dabei ist es gerade die Ausgleichszu- und ihm wünschen, daß er auch die nächste Ver- lage, die mit zur Erhaltung der Kulturlandschaft in handlungsrunde, die die entscheidende Runde ist, benachteiligten Regionen beiträgt. Eine Kürzung der erfolgreich bestehen wird. Mittel bei der Ausgleichszulage oder gar deren Ab- schaffung lehnt die CSU entschieden ab. Die CSU-Landesgruppe und auch die Koalition werden sich weiter dafür einsetzen, eine Zweiklas- Überflüssig im SPD-Antrag ist die Forderung nach senlandwirtschaft in Europa zu verhindern. Die SPD besserer Umweltverträglichkeit der deutschen Land- ist aufgefordert, eine Zweiklassenlandwirtschaft in wirtschaft. Die deutsche Landwirtschaft hat den Dün- Deutschland zu vermeiden. Es ist das gute Recht der gemittel- und Pflanzenschutzmitteleinsatz in den SPD, hier heute einen Antrag einzubringen. Aber an- letzten Jahren drastisch reduziert. Aussagen wie die statt im Deutschen Bundestag einen Entschließungs- der SPD-Kollegin Mehl am 4. Februar 1993 im Deut- antrag einzubringen sollte die SPD-Bundestagsfrak- schen Bundestag zeigen das wahre agrarpolitische tion auf ihre Politiker in den SPD-regierten Ländern Gesicht der SPD. Sie sagte: einwirken, um dort die Benachteiligungen der Bau- ern zu beenden. Es wäre ein Stück Glaubwürdigkeit Aber Naturschutz scheint ja ein Luxusthema zu für die SPD-Agrarpolitik, wenn die Bauern und sein; deshalb braucht sich ja auch kein Politikbe- Bäuerinnen in den SPD-regierten Ländern ähnlich reich in Bonn ernsthaft damit zu befassen, außer stark unterstützt würden, wie dies im CSU-regierten man kann Geld herauspressen, wie es die Land- Bayern der Fall ist. wirtschaft versucht. (Beifall bei der CDU/CSU) In der Haushaltsdebatte äußerte die gleiche SPD- - Kollegin vor kurzem, das Bundesumweltministerium Bayern bringt die entsprechenden Landesmittel solle mit seinen 1,3 Milliarden DM das ausbügeln, auf, um die Landwirtschaft und den ländlichen Raum was die Landwirtschaft mit 30 Milliarden DM im Rük- mit seinen Dörfern entsprechend zu fördern. ken ruiniert. Das sind schon bösartige Vorwürfe. Ich weise solche Vorwürfe entschieden zurück.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deß, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Unsere Bauern pflegen die in Jahrhunderten ge- wachsene Kulturlandschaft. Diese Leistungen lassen wir uns von selbsternannten Umweltpredigern nicht Albert Deß (CDU/CSU): Ja, gern. zerstören. Die Frage ist: Kann unsere bäuerlich strukturierte Bitte schön. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Landwirtschaft auch in Zukunft diese Leistungen er- bringen? Die Antwort ist sehr einfach: In Weltmarkt- Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): preisen ist diese Leistung nicht enthalten. Wir leben Herr Kollege Deß, würde es auch schon reichen, in einer Leistungsgesellschaft, und deshalb muß die wenn die Förderung in den SPD-regierten Ländern Leistung, die unsere Landwirtschaft für die Gesell- so gut wäre wie im nicht von der CSU, aber von der schaft erbringt, entsprechend honoriert werden. Die CDU regierten Sachsen? bayerische Staatsregierung und die sächsische Re- gierung haben - beispielhaft für andere Bundeslän- der - im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Förder- Albert Deß (CDU/CSU): Ich schließe Sachsen gern weg eingeschlagen, mit dem sie diese Leistungen fi- mit ein. Aber ich bin als CSU-Politiker hier. Deshalb nanziell anerkennen. 3292 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Albert Deß Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Agrarpolitik befindet sich am Scheideweg. Jetzt er- ßungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache folgt die Weichenstellung für die Zukunft. Die Politik 13/1538. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- kann nicht alle Agrarprobleme lösen; von der Politik trag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - wird jedoch der Rahmen vorgegeben, in dem sich die Landwirtschaft bewegen kann. Ein Teil dieses Rah- (Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: In mens sind die Förderbedingungen. Im Planungsaus- schlechter Gesellschaft! - Weiterer Zuruf schuß für Agrarstruktur und Küstenschutz wurden von der CDU/CSU: Mit PDS-Unterstützung, vor kurzem neue Förderbedingungen festgelegt. das ist klar!) Diese neuen Förderbedingungen sind eine gute Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- Grundlage für die einzelbetriebliche Förderung. Es nen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der war die bayerische Staatsregierung, die mit Rücken- Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion deckung durch die CSU-Landesgruppe den gefun- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt. denen Kompromiß entscheidend mit beeinflußt hat. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Ohne jemandem Vorwürfe zu machen, muß die ßungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kurzgefaßte Feststellung erlaubt sein, daß bisher NEN auf Drucksache 13/1546. Wer stimmt für diesen LPG- und VEB-Nachfolgebetriebe zu stark und die Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthal- mehr bäuerlich strukturierten sogenannten Wieder- tungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koali- einrichter zuwenig unterstützt wurden. Es ist mit tionsfraktionen gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/ meiner Überzeugung nicht vereinbar, daß gerade im DIE GRÜNEN und der PDS bei Stimmenthaltung der Agrarbereich das durch den Kommunismus geschaf- SPD-Fraktion abgelehnt. fene Unrecht im Osten weitgehend abgesegnet und zementiert wurde. Das Land kann doch nicht richtig verteilt sein, wenn ca. 3 000 Agrarunternehmen 60 % Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: der Fläche und ca. 25 000 Wiedereinrichter nur 40 % Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- der Fläche bewirtschaften. Mit bäuerlichen Struktu- regierung ren hat dies wenig zu tun. Es ist Aufgabe der Politik, deutliche Zeichen im Hinblick auf bäuerliche Struk- 8. Sportbericht der Bundesregierung turen auch in den neuen Bundesländern zu setzen. - Drucksache 13/1114 - (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Überweisungsvorschlag: Wir müssen die Förderbedingungen so festsetzen, Sportausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß daß eine bäuerlich strukturierte Landwirtschaft eine Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Perspektive hat. Wichtiger als die Förderbedingun- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gen sind zur Zeit die übrigen Rahmenbedingungen für meinen Berufsstand, damit es nicht heißt: Förde- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die rung gelungen, Bauer tot. Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe kei- nen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Der SPD-Antrag enthält zwar einige gute Ansätze; Ich eröffne die Aussprache und wäre dankbar für der Koalitionsantrag ist aber der bessere. Deshalb etwas mehr Ruhe im Haus. Das Wort für die Bundes- unterstützen wir den Koalitionsantrag und lehnen regierung hat der Parlamentarische Staatssekretär den SPD-Antrag ab. - Lintner. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Sehr geehrter Herr Präsident! Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. 8. Sportbericht der Bundesregierung zieht eine Bi- Zunächst stimmen wir über den Entschließungsan- lanz der Sportförderung und der Sportpolitik der trag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Jahre 1990 bis 1993. Ich finde, die Bilanz kann sich Drucksache 13/1589 ab. Wer stimmt für diesen Ent- sehen lassen. schließungsantrag? - Die Gegenprobe! - (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: So schwach wie die SPD-Agrarpolitik!) Kernstück dieser Sportförderung ist die Förderung des Spitzensports, denn auf diesen Bereich bezieht - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit sich bekanntermaßen die Kompetenz des Bundes. den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Der Spitzensport erhält natürlich von vielen Seiten fi- Stimmen der Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- nanzielle Förderungen. Aber der Bund darf sich zu SES 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS an- Recht als der größte Sponsor des Spitzensports be- genommen. zeichnen. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: IM (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Notar als Rinderzüchter nicht mal anwe Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist wahr! send!) Tue Gutes und sprich darüber!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3293 Parl. Staatssekretär Eduard Lintner Er ist ein Sponsor, auf den Verlaß war und ist. Es ist dem Erhalt und Aufbau neuer Trainingszentren so- vor allem diese kontinuierliche Förderung des Bun- wie der Beschäftigung von Trainern. In den Jahren des, die es den deutschen Spitzensportlern ermög- 1991 und 1992 wurde zudem die Stiftung Deutsche licht, im internationalen Wettbewerb mitzuhalten. Sporthilfe einmalig vom Bund unterstützt, um die so- ziale Absicherung der Spitzensportler in den neuen Im Rahmen seiner Förderung unterscheidet der Ländern zu ermöglichen. Bund zudem nicht zwischen medienwirksamen und weniger beliebten Sportarten, wie dies Wirtschaft (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und Fernsehen bekanntermaßen machen, sondern die Bundesregierung unterstützt alle. Für die Förde- Meine Damen und Herren, die Erfolge deutscher rung des Bundes sind in erster Linie die Leistungen Athletinnen und Athleten bei Olympischen Spielen, ausschlaggebend. Damit schafft der Bund den not- bei Welt- und Europameisterschaften, aber auch bei wendigen Ausgleich und begegnet zugleich der Ge- den Paralympics, den Weltspielen der Behinderten, fahr, daß im Spitzensport eine noch krassere Zwei- stellen unter Beweis, daß Sport und Bundesregierung klassengesellschaft zwischen reichen und armen, in den vergangenen Jahren insbesondere bei der Zu- aber oft trotzdem sehr erfolgreichen Verbänden ent- sammenführung des Sports aus dem Osten und We- steht. sten den richtigen und erfolgreichen Weg einge- schlagen haben. Der Bundeshaushalt 1995 sieht eine Unterstüt- zungsleistung für den Sport von insgesamt fast 300 Millionen DM vor. Nahezu alle Bundesressorts Für die Zukunft gilt es nun, das Erreichte zu si- fördern den Sport unter ihrem spezifischen Aspekt. chern und sich gemeinsam um Verbesserungen zu Der Sport wird z. B. im Rahmen der auswärtigen Kul- bemühen. Deshalb heißt es natürlich auch für den tur- und Entwicklungshilfepolitik gefördert. Die Sport, daß über „Verschlankungen" intensiv nachge- Deutsche Sportjugend erhält Förderungsmittel. Das dacht und das Notwendige - ohne daß die Effektivi- Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung un- tät aufgegeben werden müßte - in Angriff genom- terstützt beispielsweise die Durchführung der Ver- men werden muß. sehrtenleibesübungen nach dem Bundesversor- gungsgesetz. Den Spitzensport fördert auch das Bun- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Schlanke ha desverteidigungsministerium, aber in erster Linie ben mehr Chancen im Sport ! Das ist wahr!) eben das Bundesinnenministerium. Der Weiterentwicklung und damit der Optimie- (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger rung des Stützpunktsystems kommt dabei eine zen- lingen] [F.D.P.]) trale Bedeutung zu. Die vom Haushaltsausschuß ver- fügte qualifizierte Sperre in Höhe von 5 Millionen - Vielen Dank für den Hinweis. Es ist noch hinzuzu- DM für den Bereich der Bundesleistungszentren fügen, daß der Deutsche Bundestag auch mit seiner sollte die notwendige Strukturanpassung beschleuni- Fußballmannschaft aktiv ist. Dies sei hier zu Proto- gen. koll vermerkt. Ziel der vom Deutschen Sportbund geplanten (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Wir haben vom strukturellen Veränderungen soll eine noch engere Spitzensport gesprochen!) Zusammenführung der bisher eigenständigen Struk- - turelemente Bundesstützpunkte, Bundesleistungs- Ohne die haushaltsmäßigen Veranschlagungen für zentren und Olympiastützpunkte bei gleichzeitiger den Sport im BGS und für das Bundesinstitut für Reduzierung der Vielzahl dieser Einrichtungen sein. Sportwissenschaft betrug der Sportetat des Bundes- Dadurch wird ermöglicht, die vorhandenen Mittel innenministeriums im Jahre 1990 insgesamt konzentriert an tatsächlichen Schwerpunkten des 110,5 Millionen DM. Nach Erlangung der deutschen Hochleistungs- und Nachwuchsleistungssports ein- Einheit wurde der Sporthaushalt im Jahre 1991 mit zusetzen; denn, meine Damen und Herren - da sind 248 Millionen DM mehr als verdoppelt. Wir konnten wir uns ja einig -, die Mittel müssen dorthin fließen, in den Folgejahren - dies rechnen wir uns als gute wo Spitzensport tatsächlich stattfindet. Leistung zu - dieses hohe Niveau beibehalten. So werden wir beispielsweise 1995 dem Spitzensport Meine Damen und Herren, wieder rund 209 Millionen DM zur Verfügung stellen Spitzensport und Brei- können. tensport sind nach unserer Tradition eine Einheit. Sie befruchten und bedingen sich gegenseitig, und das (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das ist eine Su muß auch in Zukunft gelten. Es wäre nach unserer perleistung!) Auffassung verhängnisvoll, wenn sich der Spitzen- sport vom Breitensport sozusagen abheben wollte Die im Berichtszeitraum des B. Sportberichts ge- und sich in Richtung bloßer Showereignisse entwik- währten zusätzlichen Bundesmittel dienten dabei keln würde. insbesondere dem Aufbau demokratischer und föde- raler Organisationsstrukturen des Sports in den Die Spitzensportler sind mit ihrem Leistungswillen neuen Ländern, nicht immer, aber oft mit ihrem Verhalten und ganz besonders mit ihren nationalen und internationalen (Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: Erfolgen Vorbilder für viele, vor allem für junge Men- Sehr gut!) schen. Diese Vorbildfunktion des Spitzensports für 3294 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Parl. Staatssekretär Eduard Lintner den Breitensport und ganz allgemein für die Gesell- aber ich möchte, daß dann, wenn dieser Bericht im schaft ist heute wich tiger denn je. Ausschuß beraten wird, Borussia Dortmund Deut- scher Meister ist. - Ich hoffe, es ist niemand von Bre- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: men hier. Jetzt weiß ich auch, warum der Becken bauer Golf spielt!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Ohne einen gesunden und weitgefächerten Breiten- Wie ist es denn mit Bochum?) sport ist andererseits der Spitzensport nicht denkbar. Der Breitensport schafft also sozusagen erst die Basis Die erste Frage, die wir haben: Wer hat in der Bun- für die Spitzenleistungen. desregierung diesen Bericht zu verantworten? Wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) haben den Eindruck, daß die Sportpolitik, Herr Staatssekretär, nicht im Innenministerium, sondern Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß der im Kanzleramt gemacht wird. Zumindest bei den Breitensport in Deutschland in erster Linie von der Haushaltsplanberatungen haben wir uns im Sport- ehrenamtlichen Mitarbeit Tausender Vereinsmitglie- ausschuß eher mit der Frage beschäftigt, wieviel und der lebt. Um dieses ehrenamtliche Engagement, das was der Kanzler dem Sport schon versprochen hat, sich jeder geldwerten Quantifizierung entzieht, wer- und nicht so sehr mit der Frage, wieviel das Innenmi- den wir in der Welt beneidet. Aber leider wissen wir nisterium dem Sport zuzugestehen bereit ist. Fak- eben auch, daß es immer schwieriger wird, Bürger tisch war es dann ja wohl so, daß sich das Innenmini- für eine solche Arbeit in den Sportvereinen zu gewin- sterium genötigt sah, wenigstens die öffentlichen nen. Versprechungen des Kanzlers zu erfüllen. Die Bundesregierung begrüßt es deshalb, daß der Offen gestanden, wir von der SPD waren bereit, Deutsche Sportbund in klarer Erkenntnis dieses be- den Sport in bestimmten Feldern intensiver zu för- klagenswerten Trends in der Zukunft der Stärkung dern. Ich erinnere an das Sportmuseum, ich erinnere des Ehrenamtes allererste Priorität einräumen wi ll. an die Aufwertung des Ehrenamtes. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Aber eines spürt man immer wieder: Der geringe Der Bund - das erkläre ich hier - wird den Spo rt ge- Stellenwert, den der Innenminister dem Sport ein- rade bei diesen seinen Bemühungen unterstützen. So räumt, belastet das Selbstverständnis der Sportpoli- hat der Bundeskanzler die Mithilfe der Bundesregie- tik, und im Sportbericht wird ja der Wichtigkeit und rung bei der Stärkung des Ehrenamtes seinerseits der Bedeutung des Sportausschusses fast eine Seite bereits deutlich gemacht. gewidmet. Ich gehe davon aus, meine Damen und Herren, Nach acht Monaten ist der Innenminister noch daß auch der wieder intensivierte Dialog zwischen nicht im Ausschuß gewesen. Wir tagen jede Woche. Sport, Wirtschaft und Politik - Stichwort „Runder (Dr. Peter Struck [SPD]: Unerhört! - Weite Tisch" - positive Wirkungen zeigen wird. Der wich- rer Zuruf von der SPD: Das ist ja unglaub tige Bereich Sport, der für unsere staatliche Gemein- schaft als eines der stabilisierenden und von daher lich!) unverzichtbaren Elemente anzusehen ist, hat es mei- Von daher: Innenminister Kanther vernachlässigt nes Erachtens verdient, daß alle gesellschaftlichen seine Pflichten im Sportbereich. Gruppen ihn unterstützen und für ihn auch- bereit sind, Verantwortung zu empfinden und zu tragen. (Beifall bei der SPD) Ich danke Ihnen. Beim Deutschen Sportbund sieht das neuerdings (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) anders aus. Der Präsident Manfred von Richthofen ist ein engagierter Vertreter, der sich intensiv um den Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen küm- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der mert. Die Konsensgespräche, die von Richthofen seit Kollege Klaus Lohmann, SPD-Fraktion. seinem Amtsbeginn führt, haben die Sportpolitik be- flügelt und ins Rampenlicht geholt. Klaus Lohmann (Witten) (SPD): Herr Präsident! (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehr- ten Damen und Herren! Wenn jemand gemeint hat, Wir begrüßen dies ausdrücklich, wenn auch in man- daß der 8. Sportbericht eine sportlich spannende Sa- chen Zeitungen das Gegenteil zu lesen war. Das In- che sei, vielleicht so wie die Situa tion in der Bundes- nenministerium sitzt auf der Zuschauertribüne und ligatabellenspitze, der fühlt sich getäuscht. Als er beobachtet die Entwicklung. eingebracht wurde, war Borussia Dortmund noch vorne, und als Ruhrgebietsabgeordneter muß ich na- (Dr. Peter Struck [SPD]: Peinlich, peinlich, türlich sagen: Mein Herz schlägt für Schalke 04, Herr Lintner!) (Dr. Peter Struck [SPD]: Nein, Borussia Dort Der 8. Sportbericht ist ein interessantes Nachschla- mund! - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] gewerk für alle Sachfragen, die im Sport eine Rolle [F.D.P.]: Möllemann! - Heiterkeit im ganzen spielen. Viele Dinge standen natürlich auch schon im Hause) 7. Sportbericht, die man fast wortgleich übernehmen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3295

Klaus Lohmann (Witten) konnte. Leider enthält er aber in dem Bereich der Wir lesen jetzt, daß der Kanzler erst einladen wird, sportpolitischen Ziele und Entwicklungen kaum wenn alles geregelt ist. Wozu denn dann noch einen neue Ansatzpunkte. Als Leitlinie kann man dem Be- runden Tisch? Den macht man doch, wenn man die richt nur entnehmen: unterschiedlichen Posi tionen zusammenbringen will.

Ein weiterer Rückzug ist auch für die Zukunft ge- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das muß im plant. Vorfeld geschehen!) Der Kanzler will sich feiern lassen. Dazu braucht er (Zuruf von der F.D.P.: Das ist aber eine fal vorab die sicheren Ergebnisse. Dann wird der Termin sche Schlußfolgerung! — Weiterer Zuruf eben so lange geschoben, bis alles geregelt ist. Wir des Abg. Thomas Krüger [SPD]) sagen, solche Showveranstaltungen braucht der Sport nicht. - Das ist Originalton aus dem Bericht. (Beifall bei der SPD) Das ist schwer verständlich und aus unserer Sicht auch unverantwortlich. Der Bund will sich mit verfas- Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich ist auch sungsrechtlichen Begründungen aus der Sportförde- die Sportpolitik Bestandteil des parteipolitischen rung zurückziehen. Das ist eine heillose Entwick- Wettkampfes. Sie geben vor diesem Hintergrund lung, da die zu Recht auch in dem Bericht angespro- dem Sport eine wichtige gesellschaftspolitische Be- chenen Funktionen des Sports als Beitrag zur Ge- deutung. Wenn man bereit ist, zuzugestehen, daß im sundheit, zur Demokratie, zur Identifikation, zur Inte- Sportverein demokratisches und soziales Verhalten gration und auch zum sozialen Verhalten eine Vor- eingeübt wird, dann muß man auch bereit sein, die bildfunktion haben, die sich maßgeblich am Spitzen- Sportpolitik im Wettstreit auszutragen. Dann muß sport orientiert, und davon auch das Verhalten in den man aber auch bereit sein, dem Sport die notwen- Sportvereinen geprägt wird. dige Förderung angedeihen zu lassen. Bei Ihrer Rückzugsstrategie, die Sie in dem Bericht bestätigt Sehr interessant ist hierbei die Tatsache, daß unter haben und die auch in vielen anderen Bereichen zu der Überschrift „Gesellschaftspolitische Bedeutung sehen ist, ist das nicht der Fall. Wenn Sie die Spitzen- des Sports" erstmalig im Sportbericht der Beitrag des sportförderung weiter zurückfahren, wenn Sie die Sports zur Einübung des sozialen und demokrati- Belastung der Kommunen, z. B. durch Kürzungen im schen Verhaltens gewürdigt wird. Diese Beg riffe, aus Arbeitslosenbereich, weiter erhöhen, dann entziehen der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbil- Sie der Sportförderung an zwei wich tigen Punkten dung aus den 70er Jahren übernommen, weisen in den Lebensnerv. der Tat und zu Recht dem Sport eine Bedeutung zu, Für den Sport ist nun einmal die Förderung auf die sehr weit in gesellschaftliche Bereiche hineinragt, kommunaler Ebene die wichtigste. Von 7 Milliarden nur muß man das dann auch ernst nehmen. Der DM staatlicher Sportförderung - Sie haben gerade Rückzug ist das falsche Signal. über die 300 Millionen DM geredet - kommen 5,5 Milliarden DM von den Kommunen. Sie müssen (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) dafür sorgen, daß unsere Kommunen in der Lage sind, die Sporteinrichtungen und -vereine auch wei- Wenn der Sport in seiner gesellschaftlichen Ent- ter zu unterstützen. wicklung an Wegkreuzungen gelangt ist, wenn Pro- bleme in der weiteren Entwicklung gesehen- werden, (Beifall bei der SPD) dann sollte die politische Begleitung nicht fehlen. Wir verletzen hier nicht die Autonomie des Spo rts. Wenn Sie Ihnen immer neue Lasten aufbürden, Hier zeigt der Sportbericht, daß sich diese Bundesre- dann sind Sie für die Schließung von Schwimmbä- gierung entweder keine Meinung zutraut oder ihr dern, für die Erhebung von Benutzungsgebühren für hierzu wenig einfällt. Sporthallen und Plätze und letztendlich für den Rückgang des Breitensports mitverantwortlich. Ich nenne die gegenwärtigen Probleme bei der (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Neukonzeptionierung der Vermarktung, dem Ver- Jetzt gehen Sie zu weit!) hältnis zwischen Sport, Wirtschaft und Medien, der Überhitzung einiger Sportbereiche durch giganti- Sie nehmen damit breiten Bevölkerungsschichten sche Finanzmittel und die immer noch ungelösten die Möglichkeiten, sich gesundheitsfördernd spo rt Probleme in der Angleichung der Sportbedingungen -lich zu betätigen. im Osten unseres Landes, auf die nachher mein Kol- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: lege Thomas Krüger im einzelnen eingehen wird. Das ist eine unerhörte Unterstellung!) Wo ist denn die Bundesregierung, wenn man die Herr Weng, obwohl Bundespräsident Roman Herzog eben genannten Probleme zu lösen versucht? - Der gestern auf dem Deutschen Städtetag in Magdeburg runde Tisch wurde zunächst für den Mai angekün- mehr zu Wirtshäusern - als Bayer steht ihm das zu - digt. Inzwischen sind wir bei einem Termin bis Ende als zu Sportanlagen sagte, sollten Sie seiner Auffas- September. Ich sage: Wir hätten den runden Tisch sung folgen, den Gemeinden ein finanzielles Funda- schon längst und damit auch bereits seit längerem ei- ment für die Finanzierung der Sozialhilfe zu schaf- nen Ansatz zur Problemlösung, wenn die Bundesre- fen. Dazu gehören u. a. ausreichende Mittelzuwei- gierung, wenn die Politik zur Gestaltung der Tages- sungen von Bund und Ländern. Zwar werden zusätz- ordnung in der Lage wäre. lich ausreichende Mittelzuweisungen von den Kom- 3296 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Klaus Lohmann (Witten) munen gegeben, aber andererseits ist auch an die er- wird, wird sich der Sport in seiner ganzen Breite höhte Sparbereitschaft der Kommunen zu denken. nicht entwickeln können. Wenn Sie diesem Appell des Bundespräsidenten fol- gen, leisten Sie einen wichtigen Beitrag zur Stabili- (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr wahr!) sierung der Sportförderung in den Kommunen. Wir wollen den humanen Spitzensport. Wir wollen, daß unsere Athleten an einem manipulationsfreien Wir freuen uns auf die Beratung im Ausschuß. Wettbewerb chancengleich teilnehmen können. Christoph Fischer hat am 21. April 1995 in unserer Zeitschrift „Das Parlament" geschrieben: (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das ist Voraus setzung!) An Deklamationen zum Sport herrscht in Bonn und Berlin kein Mangel, auf die Umsetzung in Wir unterstützen deshalb den Spo rt auch finanziell Realpolitik hoffte der Spo rt bisher aber meist ver- ganz massiv. Der Bund ist der größte Sponsor des geblich. Spitzensports. Lassen Sie uns gemeinsam an die Arbeit gehen und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ihm beweisen, daß wir auch umsetzen können! Natürlich wissen wir - dies weiß auch der Sport -, Herzlichen Dank. daß mit einer Erhöhung der Mittel in absehbarer Zeit kaum zu rechnen ist. Der Spo rt - vor allem die Fach- (Beifall bei der SPD) verbände - ist deshalb aufgefordert, schlüssige Kon- zepte zur Konzentration und Bündelung vorzulegen und umzusetzen. An gewachsenen Strukturen, die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Klaus Riegert, CDU/CSU-Fraktion. früher durchaus gut und richtig waren, kann nicht ewig festgehalten werden. (Dr. Wolfgang Weng [Geringen] [F.D.P.]: Ist Wer den humanen Leistungssport will, wird ohne das ein Bruder von Joseph Fischer?) die Sportwissenschaft nicht auskommen. Damit meine ich die Hilfen, die aus dem Bereich unserer Klaus Riegert (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Hochschulen und Fachhochschulen dem Sport zu- Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lohmann, gute kommen: von dem richtigen Kufenschliff bis der Innenminister hat die Bedeutung des Sportbe- zum Computer und der notwendigen Software, von richts dadurch hervorgehoben, daß er persönlich den den neuen medizinischen bis zu den trainingswissen- Bericht vorgestellt und der Präsidentin übergeben schaftlichen Erkenntnissen. Diese Unterstützung hat. Heute verhinderte ihn ein schon lange festste- brauchen unsere Sportlerinnen und Sportler, um im hender Termin, hier sein zu können. Er war, wie ich internationalen Vergleich chancengleich bestehen zu meine, durch den Staatssekretär gut vertreten. können. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Dabei kommt der Förderung der Koordination der Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: sportwissenschaftlichen Hilfen durch die Bundesre- Sportwettbewerb!) gierung besondere Bedeutung zu. Hier sollte das Bundesinstitut für Sportwissenschaft das Scharnier Der 8. Sportbericht ist der erste Bericht über die zwischen Sportpraxis und -wissenschaft sein. Insbe- Förderung des Sports im vereinten Deutschland. Mit sondere die durch den Bund geförderten Ins titute für ihm zieht die Bundesregierung nicht nur eine- posi- Angewandte Trainingswissenschaft - IAT - und für tive Bilanz der Förderung des Spitzensports. Dieser Forschung und Entwicklung von Sportgeräten - FES - Bericht hebt ebenso die Bedeutung des Spo rts in sei- sollten ihre Arbeit eng mit dem Bundesinstitut koordi- ner gesamten Breite he rvor. Spitzen- und Breiten- nieren. sport sind und bleiben aufeinander angewiesen: Ohne Spitze keine Breite, ohne Breite keine Spitze. (Rolf Rau [CDU/CSU]: Das muß man dop pelt unterstreichen!) (Wolfgang Schmitt [Langenfeld] [BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wahr!) Es war unsere richtige Entscheidung, den Erhalt des FES zu sichern und den Mittelansatz zu erhöhen. Spitzen- und Breitensport sind nicht auseinanderzu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dividieren. Wir sollten prüfen, ob nicht die Verwaltungsvor- Einige Großverdiener unter den Sportlern und de- gänge von den sportpolitischen Vorgängen getrennt ren Darstellung in den Medien erwecken gelegent- und, wo nötig, gebündelt werden könnten. Eine sol- lich den Eindruck, es sei genügend Geld für den che Verfahrensweise vermeidet Reibungsverluste, Sport vorhanden, die staatliche Förderung sei nicht bringt mehr Klarheit und verhindert Doppelförde- mehr nötig. Dies ist ein Irrtum. Die überwiegende rung. Mehrzahl unserer Sportlerinnen und Sportler er- bringt die Spitzenleistungen unter persönlichen Ent- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie- behrungen und Zurückstellung beruflichen Fortkom- rung hat in diesen Tagen ein Gutachten „Blut und/ mens. Dies ist bei der Diskussion um die Notwendig- oder Urin zum Nachweis von Dopingsubstanzen" keit von Sportfördermitteln vom Bund zu berücksich- vorgelegt. Ich gehe davon aus, daß der Sport a lles tigen. Ohne die Vorbildfunktion des Spitzensports, tun wird, die neuen Erkenntnisse umzusetzen. Der wie auch immer diese medienwirksam dargestellt Sport ist sich bei den Antidopingmaßnahmen seiner Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3297

Klaus Riegert Verantwortung bewußt und dieser auch nachgekom- Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten men. Wir brauchen deshalb keine gesetzgeberischen Jahren hat sich in den Bereichen Umwelt und Sport Maßnahmen, wie dies die Opposition immer wieder Konfliktpotential, zum Teil sogar erhebliches, aufge- fordert; denn der Sport braucht keine Bevormun- baut. Auf der einen Seite steht die erhöhte Sensibili- dung. tät der Bevölkerung für die Bereiche Umwelt und Na- tur, auf der anderen Seite aber auch das berechtigte (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bedürfnis weiter Kreise der Bevölkerung, ihren Spo rt Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]) in der Natur auszuüben. Ich denke u. a. an die Moun- Ich freue mich, daß unsere Behindertensportler tainbiker, die Kanuten, die Skiläufer, die Gleitschirm- heute ein breitgefächertes Angebot sportlicher Betä- flieger, die Triathleten. tigungsmöglichkeiten vorfinden. Wir wissen, daß ge- Ein positives Beispiel des Interessenausgleichs war rade dem Sport bei den Behinderten eine wich tige die von uns durchgesetzte. Änderung des § 906 BGB. Aufgabe zufällt und er zu einer entscheidenden Ver- Sie hat den Sportplatz um die Ecke und damit ein besserung ihrer Lebensqualität beiträgt. Spätestens wohnortnahes Sporttreiben ermöglicht und gesi- seit den Paralympics 1992 und 1994 ist der Behinder- chert. tensport durch die großartigen Leistungen seiner Sportlerinnen und Sportler aus dem Schattendasein (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so herausgetreten und hat vielen Behinderten Zuver- wie bei Abgeordneten der SPD) sicht und Mut gegeben, sich sportlich zu betätigen. Das Konfliktpotential wird besonders in dem Ver- Wenn die Vorbildfunktion des Spitzensports für hältnis von Motorsport und Umwelt deutlich. Ich den Breitensport herangezogen wird, dann hat diese halte es im Interesse von Natur und Umwelt für bes- Vorbildfunktion bei den Behinderten ihre herausra- ser, z. B. Liegenschaften der Bundeswehr nach Ein- gende Bedeutung. Ich wünsche mir eine größere Re- zelfallprüfung und Einzelfallentscheidung den Mo- sonanz bei der Bevölkerung für diese großartigen torsportlern zu überlassen. Was nützt es der Umwelt Leistungen. Ich schätze diese Leistungen höher ein und der Natur, wenn Motorsportbegeisterte - dies als die von manchem hochbezahlten Profi. sind in der Regel vor allem Jugendliche - mit ihren (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so Maschinen auf stillgelegtem Zechengelände, in pri- wie des Abg. Dr. Peter Struck [SPD]) vaten Kiesgruben oder gar unkontrollie rt im freien Gelände herumfahren? Die Bundesregierung hat dem Behindertensport im Sportbericht zu Recht einen breiten Raum einge- (Thomas Krüger [SPD]: Was sagen denn räumt. Ich bin sicher, daß sie sich für eine stetige Ver- Ihre Umweltpolitiker dazu?) besserung der Bedingungen für den Leistungssport Ich halte es für aberwitzig, das Verbot einer Motor- für Behinderte einsetzt. Die Unterstützung meiner sportveranstaltung, die einmal im Jahr stattfindet, in Fraktion hat sie. den globalen Zusammenhang der Zerstörung unse- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer den Spitzen- rer Umwelt zu stellen. sport fördern will, muß die Nachwuchsarbeit fördern. Einzelne Sportarten beklagen fehlenden Nachwuchs (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf vom und fürchten einen Leistungseinbruch in absehbarer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was denn Zeit. sonst!) - Wie vielfältig auch die Ursachen sein mögen, die Wir sollten uns davor hüten, schnell und vorder- ständige Diskriminierung des Leistungsgedankens gründig, ideologisch bedingt Sportarten auszugren- durch gewisse Kreise, immer stärkere Anforderun- zen und Hunderttausenden von Mitgliedern die Aus- gen an die Athleten halten viele Jugendliche vom übung der von ihnen frei gewählten Sportart zu ver- Leistungssport ab. Und die öffentliche Diskussion bieten, indem wir ihnen einfach das Gelände ver- über gesundheitliche und seelische Risiken trägt wehren, das Sie zur Ausübung ihrer Sportarten nun dazu bei, daß Eltern ihre Kinder dem Leistungssport einmal benötigen. fernhalten. Sie von den GRÜNEN und große Teile der SPD Ich rate hier zu einer sachlichen Diskussion. Der würden den Motorsport am liebsten ganz verbieten. Sport ist aufgefordert, alles zu tun, um die Nach- wuchsprobleme für den Spitzensport zu lösen. Der (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja Sport muß hier Möglichkeiten finden, Kinder und Ju- wohl!) gendliche vom Elternhaus und an der Schule abzu- Wir setzen uns dafür ein, daß Motorsport auch in holen. Deutschland wie in unseren europäischen Nachbar- Dabei gilt es, ideell und materiell Barrieren zu ländern zukünftig möglich sein wird. überwinden, um Kindern und Jugendlichen den Weg (Zuruf von der SPD: Dann sollten Sie aber zum Leistungssport zu ebnen. Wir sagen ein klares die Abgase selbst einatmen!) Ja zum Leistungsgedanken. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Der Sport hat die Zeichen der Zeit erkannt. Er Zuruf von der F.D.P.: Wir auch!) weist seine Mitglieder in verstärktem Maße auf die Schutzbedürftigkeit von Natur und Umwelt hin. Er - Das freut mich, Herr Kollege. hat Regelungen erarbeitet, die eine naturverträgli- 3298 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Klaus Riegert che Sportausübung ermöglichen. Sportverbände und In dem Zusammenhang möchte ich die Aufmerk- Umweltorganisationen bleiben weiterhin aufgefor- samkeit auf die Ozonproblematik lenken. Das hat dert, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, die zu sehr viel mit Spo rt und Umwelt zu tun, weil natürlich einem dauerhaften Interessenausgleich führen. die erhöhten Ozonwerte im Sommer gerade den Aus- dauersportlern sehr zu schaffen machen. Insofern (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hoffe ich, daß der Sportausschuß diesen Punkt in Zu- kunft sehr viel stärker behandelt. Nichts anderes ist Liebe Kolleginnen und Kollegen, der 8. Sportbe- die Debatte, daß man Schulsport im Freien bei hohen richt weist eine positive Bilanz der Förderung des Ozonwerten verbieten wi ll. Sports auf. Ich glaube, daß Sie es sich zu einfach machen, (Thomas Krüger [SPD]: Das sehen wir aber wenn Sie nur von dem Konflikt zwischen Spo rt und ganz anders!) Umwelt reden. Selbst Herr Richthofen, der DSB-Prä- sident, ist schon weiter; denn er hat eine Partner- Wir werden uns auch weiterhin dafür einsetzen, daß schaft zwischen dem Spo rt als der zugegeben größ- dem Sport geholfen wird. Wir erwarten auch vom ten und der Ökologiebewegung als der jüngsten Sport, daß er seine Konzepte den zwischenzeitlich und, wie ich glaube, auch der dynamischsten Bürger- eingetretenen Veränderungen anpaßt. Wir werden bewegung angeboten. Was die Sportjugend und ei- im Ausschuß sicherlich die Möglichkeit haben - ganz nige Fachverbände, z. B. die Kanuten, machen, zeigt, in Ihrem Sinne, lieber Kollege Lohmann -, zum daß Sport und Umwelt nicht immer nur im Konflikt 8. Sportbericht die einzelnen Konzepte mit dem Spo rt gesehen werden - die Skifahrer mit den Naturschüt- zu diskutieren. zern -, sondern daß Sport ein Partner für den ökolo- Abschließend möchte ich Herrn Innenminister gischen Umbau sein kann. Das heißt, m an sollte Kanther, Herrn Parlamentarischen Staatssekretär nicht immer nur schauen, wie man vermeidet, die Lintner und den Beamten des Hauses für ihre Arbeit Umwelt zu zerstören, sondern einen Beitrag dazu lei- herzlich danken. sten, den Sport zum Motor für den ökologischen Um- bau werden zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Am Beispiel Motor kann man schon erkennen, daß sich der Sportausschuß an diesem Prozeß noch nicht Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der richtig beteiligt. Sie, Herr Riegert, haben die peinli- Kollege Matthias Berninger, BÜNDNIS 90/DIE che Veranstaltung angedeutet, bei der wir uns in GRÜNEN. einer Mehrheit mal eben vor den Karren der ADAC- Motorsport-Lobby haben spannen lassen und einen Flugplatz für ein Rennen der Deutschen Tourenwa- Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): genmeisterschaft wieder freigegeben haben. Übri- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber gens: Keiner der Manta-Fahrer, den Sie von der Herr Kollege Riegert, ich bin ein bißchen beruhigt, Straße holen wollen, würde in Wunstorf fahren, lie- daß Herr Kanther schon längerfristig verhindert war. ber Herr Kollege Riegert. Ich hatte ernsthafte Sorge, daß Herr Kanther nicht Ich nenne Ihnen ein Argument: Die ADAC-Lobby gekommen ist, weil er sich nicht ge traut hat. Denn hat gemeint, daß zu dieser Großveranstaltung 40 000 sein Innenministerium hat 2:1 gegen die Grüne Menschen in 5 000 Autos gekommen seien. Ich halte Tulpe, die Fußballmannschaft meiner Fraktion, verlo- es für wahrscheinlicher, daß es umgekehrt war. In ren. An sich sind wir keine gute Mannschaft, und ich dem Punkt würde ich einmal nachdenken, ob es dachte, daß er sich deswegen vielleicht nicht traut. wirklich richtig war, sich vor diesen Karren spannen Ich bin froh, daß er grundsätzlich am Sport interes- zu lassen. siert zu sein scheint. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der 8. Sportbericht ist ein ganz guter Anlaß, um in diesem Parlament einmal grundsätzlich über Spo rt Übrigens glaube ich, daß die Vereine in diesem zu diskutieren. Es ist schon dargestellt worden, daß Punkt zum Teil schon viel weiter sind. Ich kenne der Sportbericht ein schönes Nachschlagewerk ist; Mountainbike-Vereine, die mit Förstern zusammen aber in vielen Punkten macht er es sich sehr einfach. versuchen, ihre Konflikte zu lösen, indem sie sich z. B. auf bestimmte Strecken in Wäldern einigen. Das Ich fange einmal da an, wo Sie aufgehört haben, macht für mich deutlich, daß wir relativ gute Chan- nämlich beim Komplex Sport und Umwelt. Ich cen haben, mit dem Sport in einen Dialog einzutre- glaube nicht, daß es reicht, wenn dieser Komplex in ten. Aber das kann nicht heißen, daß wir blind sagen: einem Sportbericht damit abgehandelt wird, daß Sportausschuß gleich Sport, und wir vertreten im man immerhin drei Broschüren zum Konflikt zwi- Zweifel immer die Interessen des Spo rts, während für schen Sport und Umwelt herausgegeben habe. Ich die Umweltinteressen - wie Kollege Lohmann das im glaube auch nicht, daß es reicht, wenn der Sportaus- Sportausschuß sagte - der Umweltausschuß zustän- schuß immer, wenn dieses Thema zur Sprache dig ist. Das ist die falsche Vorgehensweise. kommt, darüber redet, daß er es geschafft habe, die Sportanlagen und deren Schutzverordnung auf den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Weg zu bringen. Ich meine, daß wir den Komplex Sport und Umwelt viel umfassender be trachten müs- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Gestatten Sie sen. eine Zwischenfrage? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3299

Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gen in Nordrhein-Westfalen wäre es sehr beruhi- Ja. gend, wenn Dortmund Meister würde. Aber man muß den Leistungssport immer auch kritisch betrach- ten. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte, Herr Kol- lege Riegert. Den Motorsport habe ich angesprochen. Es gibt im Springsport Konflikte mit dem Tier- Klaus Riegert (CDU/CSU): Herr Kollege Berninger, schutz, über die man auch in einem Gremium wie wären Sie bereit, meine Rede in aller Ruhe im Proto- dem Sportausschuß ausführlich reden muß. koll nachzulesen? Dann werden Sie in anderen Wor- ten genau das finden, was Sie gerade vorgetragen (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Gerade do rt!) haben. Es gibt einen ganz wichtigen Bereich, den Kinder- (Zurufe von der SPD: Ach, schwarz-grün? hochleistungssport. Auch hierzu werde ich Ihre Anbiederung!) Rede ganz genau nachlesen, lieber Herr Kollege Rie- gert. Natürlich kann man Leute zum Leistungssport bringen und junge Leute für den Spo rt begeistern; Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): das ist keine Frage. Ich bin selber Radrennen gefah- Lieber Herr Kollege Riegert, ich hoffe ja nicht, daß ren, und mir hat es Spaß gemacht. Nur hört es für Sie Ihre Rede komplett umschreiben, damit sie im mich da auf, wo wir, um interna tional an der Spitze Protokoll anders erscheint. Das, was ich gehört habe, zu sein, Kinder in eine richtige Mühle stecken müs- deckt sich nicht voll mit dem, was ich sage. sen, (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Versprechen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie nachzulesen?) wo Kinder ganztags trainieren müssen und ihnen - Ich verspreche natürlich, brav nachzulesen; selbst- zum Teil schon Medikamente verabreicht werden. verständlich, Herr Kollege Feldmann. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Dazu haben wir (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Er ja demnächst eine Anhörung!) macht eigentlich nichts anderes, als Reden nachzulesen! - Heiterkeit - Klaus Riegert Ich hoffe, daß wir, wenn wir die Anhörung zum Kin- [CDU/CSU]: Lassen Sie sich nicht ärgern!) derhochleistungssport gehabt haben werden, zumin- dest keinen Persilschein ausstellen werden, sondern Ich komme zu dem nächsten Punkt, zu den Sport- daß wir hier die Interessen der Kinder und nicht etwa vereinen. Wie Sie ja wissen, waren die GRÜNEN da unsere Medaillen in den Vordergrund stellen wer- immer sehr distanziert. Wir kommen ja auch eher aus den. der alternativen Ecke, die mit Vereinsmeierei nichts zu tun haben will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Thomas Krüger [SPD]: Das war einmal, Mir schwante da zum Teil Böses, als ich Ihre Rede Herr Berninger!) hörte. - Kollege Krüger, das war einmal. Aber das Entschei- Ein letzter Punkt, meine Damen und Herren, setzt dende an dem Punkt ist, daß es natürlich schon noch sich mit der Vorbildfunktion des Spo rtes auseinan- an den Vereinen Kritik gibt. Zwar finde ich- es auch der. Es ist etwas daran: Leistungssport hat oft eine richtig, die Debatte um das Ehrenamt nicht parteipo- Vorbildfunktion. Nur gibt es eben auch die anderen litisch auszuschlachten - frei nach dem Motto: Wir Nachrichten, und diese dürfen in diesem Haus nicht wollen noch eine etwas größere Steuererleichterung außen vor bleiben. Vielleicht haben Sie gehört, daß als die Regierung, oder umgekehrt. Nur müssen die einigen Nationalspielerinnen von der DFB-Spitze Vereine selbst noch einen großen Beitrag leisten. Die mehr oder weniger durch die Blume untersagt Ursache dafür, daß den Vereinen viele, auch junge wurde, bei den Eurogames mitzuspielen, jenen Spie- Leute weglaufen, liegt natürlich auch darin, daß es len in Frankfurt, an denen sich Schwule und Lesben den Vereinen zur Zeit schlicht nicht gelingt, sich ei- beteiligt haben. Es wurde ihnen gesagt, das könnten nem bestimmten Wandel in der Gesellschaft anzu- sie gerne machen, aber dann sei ihre Karriere in der passen. Nationalmannschaft beendet. Trotzdem müssen wir den Vereinen ein großes Lob (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: aussprechen. Sie sind der größte Träger außerschuli- Das ist ja unglaublich!) scher Jugendarbeit, und in ihnen machen viele Ein so intoleranter und überhaupt nicht mehr in die Leute, wie ich finde, sehr viele vernünftige Sachen. Zeit passender und diskriminierender Geist sollte aus Nächster Punkt ist natürlich der Leistungssport. den Teilen der Sportverbände, in den er offensicht- Richtig ist, daß uns auf Bundesebene der Leistungs- lich noch vorherrscht, schleunigst verschwinden, sport am meisten beschäftigt. Aber im Gegensatz zu weil ansonsten dieser Vorbildcharakter auf Dauer Ihnen, lieber Kollege Krüger, würde ich nicht pau- ziemlich diskreditiert wird. schal sagen, Leistungssport sei völlig durch den Vielen Dank. Wind oder völlig schlecht. Ich bin auch sehr ge- spannt, wer Fußballmeister werden wird; da bin ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ganz Ihrer Meinung. Für die Koalitionsverhandlun sowie bei Abgeordneten der SPD) 3300 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Ich meine, das sollte von der Bundesregierung wohl- Kollege Dr. Olaf Feldmann, F.D.P. wollend geprüft werden. Das ist natürlich eine ein- schneidende finanzielle Maßnahme. Das Ehrenamt sollte auch beim runden Tisch zur Sprache kommen. Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe Lieber Kollege Lohmann, der runde Tisch wird statt- Kolleginnen und Kollegen! Der 8. Sportbericht ist der finden. erste Bericht über die Sportförderung im vereinten Dabei geht es natürlich in erster Linie um die Deutschland. Mit der Vereinigung stand die Sportför- Un- derung des Bundes vor völlig neuen Aufgaben. Die terstützung des Sports durch die Wirtschaft. Sponso- F.D.P. begrüßt, daß bereits 1991 der Sporthaushalt ring ist dabei nur eine Seite der Medaille. Sponsoring beim BMI mehr als verdoppelt wurde. zielt aus naheliegenden Gründen vor allem auf den Spitzensport. Wir sind uns aber dabei hoffentlich alle Wir erwarten, daß Aufbau des Breitensports und darin einig, daß eine Veränderung der steuerlichen Pflege der Sportanlagen in den neuen Bundeslän- Rahmenbedingungen nicht in Be tracht kommt. - Ich dern kontinuierlich erfolgen. Die Erhaltung und Mo- vermisse den Beifall der Haushälter. dernisierung der Sportstätten in den neuen Ländern (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: gehörte jedoch zunächst nicht zu den vordringlichen Mir war nicht klar, wie das mit den steuerli Aufgaben. Der Goldene Plan Ost war zugegebener- chen Rahmenbedingungen gedacht ist!) maßen eine Idealvorstellung. Aus vielen Gründen konnte der Bund die an ihn gerichteten finanziellen - Du wirst es schon bald wissen! Forderungen nicht erfüllen. Dabei wird jedoch viel- fach nicht gewürdigt, daß die Bundesregierung (Klaus Riegert [CDU/CSU]: Das kommt erst durch die Gewährung höherer Preisnachlässe bei der in der zweiten Lesung!) Übernahme von Sportanlagen eine erhebliche finan- zielle Hilfestellung für die Kommunen, Sportvereine Entscheidend ist, daß auch der Breitensport in und Sportverbände geleistet hat. eine Unterstützung durch die Wi rtschaft einbezogen wird. Die Sportverantwortlichen sind hier gefordert, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Lösungsvorschläge vorzulegen. Immerhin ist der Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Wir Sport mit 1990 bereits rund 30 Milliarden DM oder haben viel getan!) 1,4 % des gesamten Bruttosozialprodukts in den alten Bundesländern ein beachtlicher Wirtschaftsfaktor. - Gut, daß das der Haushälter bemerkt hat! Voraussetzung jeder Förderung durch Bund und Wirtschaft ist, daß der Spo rt verstärkt Anstrengungen Die F.D.P. begrüßt es, daß der Spitzensport in bei- unternimmt, das Dopingproblem zu lösen. Wer Lei- den Teilen Deutschlands so schnell zusammenge- stungsmanipulation akzeptiert, gefährdet nicht nur wachsen ist. Damit und mit den interna tional erziel- jegliche staatliche Förderung, sondern wird auch ver- ten Erfolgen erfüllt er eine wich tige Vorbildfunktion, geblich nach privatwirtschaftlicher Unterstützung ru- auf die einige Kollegen schon hingewiesen haben. f en. An dieser Stelle möchte ich den Verbänden aus- drücklich für ihre integrationsfördernde Arbeit dan- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der ken. CDU/CSU)

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Eine generelle Schelte ist allerdings unbegründet. - Deutschland ist im Bereich der Dopingkontrolle und Liebe Kollegen und Kolleginnen, wie in vielen Be- -analyse führend. Es gilt, den erreichten Standard zu reichen unserer Gesellschaft geht auch in den Sport- erhalten und in einem weiteren Schritt zumindest vereinen die ehrenamtliche Tätigkeit zurück. Dieser europaweit festzuschreiben. Der deutsche Sport muß Entwicklung müssen wir entgegenwirken. Doping nachhaltig bekämpfen und nachgewiesene Verstöße wirksam ahnden. (Zuruf von der SPD) (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger - Das würden Sie doch auch unterstreichen wollen, lingen] [F.D.P.]) oder nicht? - Das Ehrenamt muß gestärkt werden. Zum Behindertensport darf ich folgendes feststel- Darin sind wir uns sicherlich auch einig. len: Der Leistungssport der Behinderten wird seit 1989 durch das BMI nach den gleichen Kriterien ge- (Thomas Krüger [SPD]: Machen Sie doch fördert wie der der Nichtbehinderten. Die F.D.P. be- Vorschläge!) grüßt, daß sich die finanzielle Förderung der Behin- dertensportverbände durch die Bundesregierung in Die F.D.P. unterstützt - ich nehme an, daß auch Sie den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt das tun - die vom DSB-Präsidenten von Richthofen hat. angeregten Maßnahmen zur Förderung der ehren- amtlichen Tätigkeit, z. B. die steuerliche Gleichstel- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) lung von Übungsleitern und Organisationsleitern. Denn Sport kann entscheidend zur Steigerung der (Thomas Krüger [SPD]: Sie sind doch an der Lebensqualität dieser Menschen beitragen. Der Herr Regierung!) Staatssekretär hat bereits auf die hervorragenden Er- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3301

Dr. Olaf Feldmann gebnisse von Barcelona, Lillehammer, Sofia und Ber- Juniorenkader anheuern - übrigens nicht nur mit lin hingewiesen. Sie zeigen, daß Deutschland im Be- Geld, sondern mit dem Versprechen, ihren Eltern reich des Leistungssports der Behinderten zu den Jobs zu besorgen. Wer könnte solchen Offerten führenden Nationen in der Welt gehört. schon widerstehen?

Noch ein Wort zum Spannungsfeld von Sport und Käme ich aus Dresden und würde die Probleme Umwelt: Die F.D.P. ist immer für einen vernünftigen des Sports auf meinen eigenen Verein reduzieren, Bestandsschutz vorhandener Sportanlagen auch in Wohngebieten eingetreten. Wir brauchen den (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: „Sportplatz um die Ecke". Die Sportanlagen-Lärm- Vergessen Sie Rostock nicht!) schutzverordnung von 1991 hat - Sie, Herr Kollege Riegert, haben darauf hingewiesen - schwierige dann würde ich das Wo rt „zusammenführen", das im Konfliktlösungen im Einzelfall erleichtert. Auch Sportbericht sehr oft auftaucht, so buchstabieren: durch die Reduzierung des zivilrechtlichen Nachbar- Aus einem gesunden, aber finanziell nicht gesegne- schutzes wird den Belangen des Spo rts Rechnung ten Verein sind Fußballspieler in mehr als Mann- getragen. schaftsstärke in Clubs der alten Bundesländer ge- gangen. Von dort kam das Management und hat den Umweltschutz und Sportausübung stehen jedoch Weg von der Bundes- in die Regionalliga geebnet. nicht nur in Wohngebieten, sondern auch in der freien Natur in einem Spannungsverhältnis; das war (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: ja gerade Gegenstand der Auseinandersetzung. Ich Sie dürfen nicht nur die Absteiger nennen!) meine, nur dort, wo es aus Naturschutzgründen un- umgänglich ist, sollte Sportausübung in der freien Kritiker werden mir sofort entgegenhalten, daß Natur eingeschränkt werden. Dies würde der beson- dies auch in den alten Bundesländern geschehen deren Rolle des Sports in der Gesellschaft Rechnung kann. Die einen bilden Nachwuchs aus, die anderen tragen. Andererseits müssen auch Sporttreibende kaufen auf. Natürlich sind Verbannungen in die Re- zum schonenden Umgang mit der Natur motiviert gionalliga kein West-Ost-Problem. werden. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne aber nicht unser Thema im Bundestag!) ten der CDU/CSU) Dem FC Saarbrücken hilft die Unterstützung von Wir begrüßen, daß einige Sportverbände dies bereits Herrn Lafontaine ebensowenig wie der „alten vorbildlich praktizieren. Dame" Hertha die von Herrn Diepgen; vielleicht hilft auch die Unterstützung von Herrn Stoiber dem Club Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sport mit Einsicht in Nürnberg nicht. ist umweltverträglich. Der vorgelegte 8. Bericht ent- hält in seiner sportpolitischen Bestandsaufnahme Das alles wäre vielleicht nicht erwähnenswert, darüber hinaus viele bedenkenswerte Anregungen. wenn nicht im Bericht selbst unter dem Stichwort Wir werden dies im Sportausschuß, so nehme ich an, „Identifikation" darauf verwiesen würde, daß der Herr Kollege Nelle, mehrfach und vertieft zu debat- Sport, oder besser: Erfolge im Spitzensport auch eine tieren haben. lokale Identität und Stabilität schaffen helfen. Wenn beispielsweise, aus welchen Gründen auch immer, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. - mit der ersatzlosen Sprengung der Großen Aschberg- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schanze in Klingenthal, einem traditionsreichen Win- tersportzentrum - Namen wie Harry oder Henry Glaß sind vielleicht auch am Rhein nicht gänzlich unbe- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der kannt -, die Existenzgrundlage entzogen wurde, so Kollege Rolf Kutzmutz, PDS. wurde damit nicht nur die Landschaft möglicher Bundesleistungszentren neu geordnet. Die Men- schen im Vogtland verloren zugleich einen ihrer Rolf Kutzmutz (PDS): Herr Präsident! Meine Da- wichtigsten Identifikationspunkte, eine wirtschaftli- men und Herren! Beim Lesen des Berichts der Bun- che Notstandsregion verlor eine Attraktion des Frem- desregierung fielen mir als erstes Worte des Kollegen denverkehrs. Nelle ein: „Wir haben ein neues Wir-Gefühl ent- deckt. Wir können mit Stolz sagen, bei uns im Sport Auch in solchen Dimensionen sollte man denken, geht es gemeinsam bergauf." - Zugegeben, diese ehe man die Forderung der Partei des Demokrati- Worte stammen noch aus der Ara der „blühenden schen Sozialismus, die Förderung des Sports im Landschaften", als Herr Nelle mit ihnen eine Sportbi- Grundgesetz festzuschreiben, aus Kosten- oder Kom- lanztagung der Konrad-Adenauer-Stiftung schloß. petenzgründen kurzerhand abschmettert. Nehme ich den vorliegenden 8. Bericht und vor al- Im gesamten Bericht wird vom Aufbau gespro- lem das, was ich nicht darin gefunden habe, ist von chen. Dabei ging es inhaltlich um die Neustrukturie- dem „wir" nicht viel übriggeblieben;. es sei denn, rung, Reorganisa tion und Anpassung der Sportorga- man meint den Selbstbedienungsladen „Sport in den nisation an das gegebene System der alten Bundes- neuen Bundesländern", wo die Aufkäufer der Ver- republik. Insofern beschreibt der Satz „Der Spo rt der eine aus den alten Bundesländern inzwischen selbst ehemaligen DDR war der Struktur des freien Spo rts 3302 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Rolf Kutzmutz in der Bundesrepublik anzupassen" zutreffend das und Tausende Jugendliche freuten sich über diesen Konzept und die Realität, zugleich aber auch die Ide- Triumph. enlosigkeit und Defizite, die es in der Sportpolitik der Bundesregierung gab und gibt. (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Und ne ben Mielke gesessen!) Die schwierige soziale Situa tion der vielen ehren- amtlichen Übungsleiter und Helfer im Sportsystem Sie müssen mich nicht aufklären, daß es so etwas in der neuen Bundesländer ist scheinbar nicht erwäh- der Sport-Marktwirtschaft nicht geben kann. Aber nenswert. Mehr verschleiert als erhellt wird die Ab- lassen Sie mich im Interesse der Jugendlichen heute wicklung der Sportwissenschaft, die der ehemaligen sagen: Schön wäre es doch! DHfK oder des sportmedizinischen Dienstes. Da es Vielleicht könnten sich DSB und Innenministerium scheinbar nichts gab, kann man im Bericht die Fik- mit den Managern oder Vereinschefs der von der tion des Neubaus um so besser pflegen und die ei- Bundesregierung geförderten Spitzenstars zusam- gene Leistung gewaltig darstellen. mensetzen und mit ihnen fürs erste wenigstens einen Ich will keineswegs die Geldsummen kleinreden, einzigen unbezahlten Pflichtstart bei „Jugend trai- die zur Unterstützung des Spo rts geflossen sind. Läßt niert für Olympia" oder ähnlichen Gelegenheiten es aber nicht aufhorchen, wenn der DSB seinen Ver- vereinbaren. Das ist nur ein bescheidener Vorschlag, einen folgenden Rat geben muß - ich zitiere aus sei- aber immerhin einer, der wirkungsvoll wäre. nem Pressedienst vom 7. März -: (Beifall bei der PDS) Sportvereine und -verbände, die den Spo rt als Berliner Jugendliche, die bis zu den hochfliegen- schönste Nebensache der Welt abtun und sich den Olympiaplänen im Stadion der Weltjugend entsprechend verhalten, können sich nicht be- - man kann auch sagen: Stadion Mitte - und schweren, wenn sie leer ausgehen beim großen auf dessen vielen Nebenplätzen Sport trieben, haben Verteilungskampf um Moneten und Marktan- mich übrigens gebeten - Herr Krüger, jetzt können teile. Sie noch einmal zuhören -, im Sportbericht nachzu- blättern, wo sie künftig trainieren sollen. Die Anla- In dieser Logik ist es nur konsequent, daß eine Ma- gen wurden für die Olympiamehrzweckhalle abge- nager-Arbeitsgruppe um Herrn Kleine rt von Daimler räumt. Die wird nun aber nicht gebaut, und das City- Benz und Herrn Schiphorst von der Ufa an Vorschlä- Filetstück wurde kurzerhand verkauft. gen für neue Strukturen im Sport bastelt, damit die Industrie ihr Geld effektiver anlegen kann. Und ebenso logisch ist, daß in diesem Licht die Erfahrun- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege gen des DDR-Sports verblassen müssen. Kutzmutz, Sie müssen Schluß machen. (Thomas Krüger [SPD]: Von Ihnen haben wir aber auch nichts gehört!) Rolf Kutzmutz (PDS): Viele Kommunen können das ebenfalls bestätigen. - Lieber Herr Krüger, Sie haben so viel in Berlin zu tun gehabt, daß Ihr Dazwischenreden unsinnig ist. Letzter Satz: Den eingangs zitierten Kollegen Nelle Wir können uns gerne im sportlichen Wettkampf kann ich übrigens in einem trösten. Er beklagte sich messen. Das ist vielleicht fairer als das Dazwischen- darüber, daß sich im Verein niemand mehr findet, gequatsche. Da biete ich Ihnen einiges an. der die E-Mannschaft trainieren will. In Potsdamer - Vereinen, die ich kenne, beginnen diese Mühen (Heiterkeit und Beifall bei der PDS) schon beim Finden von Übungsleitern für A-Mann- schaften. Die Feststellung allein und die Aufforde- Ich will Willi Daume zitieren, dessen Urteil sicher rung zur wohlwollenden Prüfung durch die Bundes- viele von Ihnen akzeptieren. Er sagte am 12. De- regierung tröstet weder die Kinder und Jugendli- zember 1993: chen, noch hilft sie den Vereinen. Daß es nicht möglich sein würde, das System des (Beifall bei der PDS) DDR-Sports gänzlich zu übernehmen, und schwierig, die Teile herauszufinden, wo Erfah- rungen genutzt werden konnten, war klar. Das ist Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ih- auch noch nicht gelungen. rer ersten Rede im Plenum des Deutschen Bundesta- ges hat die Kollegin Dagmar Freitag, SPD-Fraktion. Diese Feststellung für 1993 gilt bis heute, und Besse- rung darf man angesichts der Vorschläge der Indu- strie auch nicht erwarten. Dagmar Freitag (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- ginnen und Kollegen! Der 8. Sportbericht der Bun- Im Bericht ist von der Vorbildfunktion des Lei- desregierung konfrontiert uns unter anderem mit ei- stungssports für den Breitensport die Rede. Es gibt ner Aufzählung von Leistungszentren, Olympiastütz- hier sehr gute Beispiele. Ich war dabei, als die DDR- punkten, Finanzierungen, Förderkriterien und vie- Hürdensprinterin Karin Balzer am 26. Juli 1970 in lem mehr. Ich will gar nicht bestreiten, daß das a lles Berlin in 12,7 Sekunden einen Weltrekord lief, und wichtig und informativ ist, aber ich frage mich schon: zwar nicht auf irgendeinem hochdotierten Sportfest, Wo bleibt eine Analyse der offensichtlichen Pro- sondern beim Finale der Spartakiade jenes Jahres, bleme im Hochleistungssport? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3303 Dagmar Freitag Schon seit Jahren beschäftigen sich Öffentlichkeit, Meine Damen und Herren, ich sehe auch uns hier Spitzenverbände, Ärzte und auch der Deutsche Bun- in der Verantwortung. Schließlich fördert der Bund destag mit der Doping-Problematik. Trotz unbe- mit seinen Mitteln Leistungszentren und Olympia- streitbarer Fortschritte im Kampf gegen das Doping stützpunkte, in denen - ich zitiere aus dem Sportbe- ist dieses Thema weiterhin untrennbar mit dem richt - Hochleistungssport verbunden. Der jüngste spekta- kuläre Fall im DLV im März dieses Jahres belegt ein- besonders talentierte Nachwuchssportler (. . . der dringlich: Es wird weiterhin gedopt. sogenannte D/C-Kaderbereich) ... an das inter- nationale Leistungsniveau herangeführt werden. Doch die von der SPD beantragte Verschärfung des Arzneimittelgesetzes ist damals an Ihnen, meine Das klingt gut, mag mit Blick auf den Medaillenspie- Damen und Herren von der Koalition, gescheitert. gel auch seine Rechtfertigung finden. Die SPD fordert auch weiterhin, daß die Gesetzes- Unsere Sorge und unsere Aufmerksamkeit muß lücke beim Erwerb und der mißbräuchlichen Ver- nach den jüngsten Vorfällen offensichtlich verstärkt schreibung von Doping-Arzneimitteln schnellstens dem Leistungstraining von Kindern gelten. Nicht geschlossen wird. Dabei sind wir sicherlich unter- umsonst hat die SPD im Sportausschuß eine öffentli- schiedlicher Meinung, Herr Riegert. che Anhörung zum Kinderleistungssport beantragt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Der Anfang des Jahres vorgelegte Zwischenbe- DIE GRÜNEN) richt des Bundesinstitutes für Sportwissenschaft zum Vielleicht auf den ersten Blick nicht ganz so aufse- Thema „Belastungen und Risiken im Kunstturnen" henerregend, aber - wie ich meine - von der Trag- warf für uns jedenfalls mehr Fragen auf, als er Ant- weite her gleichzusetzen sind Meldungen über worten geben konnte. Aus der Sportwissenschaft ist höchst fragwürdige, teilweise brutale Trainingsme- bekannt, daß es nur mit viel Mühe gelingt, einen thoden und daraus resultierende Risiken im Nach- kindlichen Organismus zu überfordern. Wenn es ge- wuchsbereich. Heranwachsende werden systema- schieht, dann bewußt durch Druck im psychomenta- tisch überfordert, und das ist mit unserem Verständ- len Bereich. Kinder sind in den seltensten Fällen in nis von humanem Leistungssport nicht zu vereinba- der Lage, sich zu wehren. Und wenn sie es in Einzel- ren. fällen tun, ist es meistens um Jahre zu spät. (Elke Ferner [SPD]: Leider wahr!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir sprechen über Doping, wir sprechen über Spätfolgen im orthopädischen Bereich, aber wir spre- Meine Damen und Herren, nicht umsonst bilden chen noch viel zuwenig über die Spätfolgen im psy- Projekte zum Nachwuchsleistungssport beim Bun- chischen Bereich. Das Zählen von Medaillen kann desinstitut für Sportwissenschaft einen der For- und darf keine Rechtfertigung sein, schungsschwerpunkte. Die Übertragung der Er- kenntnisse in die Sportpraxis erfolgt ganz offensicht- (Friedhelm Julius Beucher [SPD]: Sehr lich jedoch noch nicht in der notwendigen Breite und wahr!) vor allem nicht mit der gewünschten Schnelligkeit. weder für Doping noch für völlig unangemessene Die Gründe hierfür mögen vielfältig sein. In einzel- Trainingsmethoden. nen Fällen - das will ich besonders betonen - ist die Einsicht in die Notwendigkeit bei den vor Ort- arbei- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE tenden Trainern und Übungsleitern noch nicht in GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) dem gewünschten Maß vorhanden. Ich fordere daher Herrn Minister Kanther, der ja (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr nun leider abwesend ist, auf: Stellen Sie sich deutlich richtig!) Ihrer Verantwortung für die Sportlerinnen und Spo rt -ler in unserem Land! Sagen Sie klar, daß Sie Miß- Alarmierende Berichte aus den Bereichen Eis- stände in keinem Bereich tolerieren werden! kunstlauf und Kunstturnen haben uns kürzlich ein- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. mal mehr aufgeschreckt. Brutale Trainingsmethoden durch Trainerinnen und Trainer des hessischen und (Beifall im ganzen Hause) badischen Landesverbandes sind bekanntgeworden. (Thomas Krüger [SPD]: Und im Osten!) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Peter Letzgus, CDU/CSU-Fraktion, wenn ich Konsequenzen allerdings bleiben allem Anschein recht informiert bin, ebenfalls zu seiner ersten Rede nach aus. Der Deutsche Turnerbund selbst sieht z. B. im Plenum des Bundestages. im Skandalfall eines hessischen Landestrainers kei- nen Handlungsbedarf und gibt sich mit der Ermah- nung des Trainers durch den eigenen Landesver- Peter Letzgus (CDU/CSU) (von der CDU/CSU band zufrieden. und der F.D.P. mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im (Wolfgang Schmitt [Langenfeld] [BÜND 8. Sportbericht der Bundesregierung, dem ersten NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Fall für gesamtdeutschen - das möchte ich hier ausdrück- die Staatsanwaltschaft! - Thomas Krüger lich betonen -, werden auch die Schwierigkeiten [SPD]: Unglaublich!) bei der Zusammenführung des Sports von Ost und 3304 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Peter Letzgus West anschaulich dargelegt. In der Tat war es eine Die Leistungssporteinrichtungen in den neuen besonders komplizierte Aufgabe, den zentralistisch Ländern bedürfen in vielen Fä llen einer Renovierung angelegten Sport der DDR, deren Führung alle Mit- und Modernisierung. Vieles hat der Bund hierbei tel recht waren, sich über den Leistungssport Aner- schon getan, vieles zu tun bleibt noch übrig. Ich kennung in der Welt zu verschaffen, so umzugestal- wünschte mir, daß manche - durchaus erforderliche - ten, daß er den Grundsätzen der Freiheit und Auto- Baumaßnahme im Westen zugunsten der Sportein- nomie entsprach. richtungen im Osten zeitlich aufgeschoben würde. Der Sport hat gleich nach der Wiedervereinigung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mit erheblicher finanzieller Unterstützung der Bun- Wenn in Ostdeutschland in den Sportzentren nicht rt desregierung die Zusammenführung mit dem Spo möglichst schnell Weststandard geschaffen wird, be- riff genommen und in verhält- Ost tatkräftig in Ang steht die Gefahr, daß leistungsstarke Athleten in den nismäßig kurzer Zeit erfolgreich abgeschlossen. Westen abwandern, und das wollen wir schließlich (Beifall bei der CDU/CSU) doch alle nicht. Die Bundesregierung ist ihrer Verantwortung bei die- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter ] [SPD]: Das sem Prozeß voll gerecht geworden. Sie hat den Sport wäre für den Goldenen Plan im Osten na bei seinen Bemühungen nicht nur partnerschaftlich türlich sehr hilfreich!) beraten, sondern sich auch, wie Kollege Dr. Feld- Der Leistungssport muß im Osten voll erhalten blei- mann bereits angedeutet hat, in besonderem Maße ben. Insofern, Herr Kollege Lohmann, begrüße ich - finanziell eingebracht. Sie haben die Bundesliga angeführt -, daß höchst- Der Sportetat des Bundesinnenministeriums, der wahrscheinlich in der nächsten Saison mit dem FC sich 1990 noch auf rund 110 Millionen DM belief, Hansa Rostock wieder ein Fußballclub aus dem wurde 1991 mit 248 Millionen DM weit mehr als ver- Osten in der 1. Bundesliga spielen wird. doppelt. Auch in den Folgejahren wurde das hohe Ni- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der veau der Sportförderung durch den Bund beibehalten. SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Sportbericht weist aus, daß zwischen 1991 und Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch eine be- 1993 jährlich bis zu 100 Millionen DM für den Spit- trächtliche Erhöhung der Trainermittel ist es gelun- zensport im Osten Deutschlands verausgabt wurden. gen, im Osten eine große Zahl von Trainern im Spit- Das war richtig und wichtig, um die Athleten dort zensport zu halten. Das war der richtige Weg, nicht halten zu können. Auch nach der Phase einer gewis- zuletzt im Interesse der Athleten. Nun müssen die sen Konsolidierung und Normalisierung flossen 1994 Verbände die weitere Anpassung der Gehälter be- immer noch 80 Millionen DM in die neuen Länder. In schleunigen, um die Leistungsbereitschaft der Trai- diesem Jahr bewegt sich diese Summe in einem ähn- ner im Osten zu erhalten. lich hohen Rahmen. Das kann sich aus meiner Sicht durchaus sehen lassen. In den deutschen Spitzenverbänden tragen mir noch zuwenig Vertreter aus den neuen Ländern Ver- Natürlich gab und gibt es je nach Blickwinkel auch antwortung. Nicht nur die Leistungen der ostdeut- kritische Stimmen. Einigen reicht das immer noch schen Spitzensportler, sondern auch Sachverstand nicht aus, anderen war das schon zuviel. Es ist mü- und Kompetenz von Funktionären müssen sich in ßig, heute noch auf einzelne Kritikpunkte einzuge- den Verbänden wiederfinden - nicht nur in Form neu hen. Alle getroffenen Maßnahmen müssen aber un- geschaffener Vizepräsidentenposten. ter den Gesichtspunkten von Schwierigkeit -und Um- fang der zu bewäl tigenden Aufgabe und der Kürze Um den hohen Leistungsstand des deutschen Spit- der zur Verfügung stehenden Zeit beurteilt werden. zensports zu halten, werden weiter das IAT in Leip- Jetzt gilt es, die Zukunft in den Griff zu bekommen. zig und das FES in Berlin benötigt. Ihr Erhalt nach Art. 39 des Einigungsvertrages war eine richtige Ent- In den neuen Ländern mußte in den vergangenen scheidung. Jahren an die vorgefundenen Leistungssporteinrich- tungen angeknüpft werden. Sieben Olympiastütz- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) punkte wurden neu geschaffen und mit Bundesmit- Ebenso brauchen wir eine konsequente und effek- teln erheblich gefördert. Die jetzt insgesamt tive Nachwuchsförderung. Ein einheitliches, zwi- 17 Leistungszentren werden bei uns in den neuen schen Bund und Ländern abgestimmtes durchgängi- Ländern als sogenannte kombinierte Bundeslei- ges Förderkonzept erscheint mir vordringlich. Einzu- stungszentren, die auf mehrere Sportarten ausgerich- beziehen sind dabei die sportbetonten Schulen, die tet sind, geführt. Ansatz dazu waren die ehemaligen im Rahmen der Talentsichtung und -förderung gute Sportclubs der DDR. Im Westen Deutschlands sind die und unverzichtbare Arbeit leisten. Sie sollten auch in Bundesleistungszentren durchweg monostrukturiert, den westlichen Bundesländern eingeführt werden. d. h., sie beziehen sich jeweils nur auf eine Sportart. (Thomas Krüger [SPD]: Aber dann macht Der deutsche Spo rt muß darangehen, ein einheit- mal!) liches, für das gesamte Bundesgebiet geltendes System zu konzipieren und umzusetzen. Das kann Der Sportbericht der Bundesregierung bezieht sich nur heißen, daß ein Maßstab anzulegen ist, der die der Bundeskompetenz folgend weitestgehend auf Erfahrungen und Besonderheiten des Spitzensports den Spitzensport. Aber Spitzensport ist ohne eine aus dem Osten mit einbezieht. breite und solide Basis nicht vorstellbar. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3305

Peter Letzgus Ich verhehle nicht, daß der Breitensport in den Ich will diesen Eindruck kurz an der Situa tion des neuen Ländern noch Sorgen bereitet. Der Aufbau Sports in den neuen Bundesländern verdeutlichen. des Vereinslebens macht langsam, aber stetig Fo rt Ich bestreite nicht, daß die Bundesregierung z. B. im -schritte. Ende 1994 waren in meinem Land, in Sach- Unterschied zum Deutschen Sportmuseum tätig ge- sen-Anhalt, mehr als 10 % der Bevölkerung in Spo rt wesen ist, was den Aufbau und die Umstrukturierung -vereinen organisiert - eine bereits beachtliche Zahl. der Sportstrukturen in den neuen Ländern bet rifft. Aber in den alten Bundesländern sind es 30 %. Meine Kritik aber: Sie hat versäumt, und zwar Daher muß in Zukunft in diesem Zusammenhang notorisch versäumt, auch den dringenden Reform- das ehrenamtliche Engagement gestärkt werden. Zu bedarf der westdeutschen Sportstrukturen in den DDR-Zeiten gab es - im Westen vielfach unter- Prozeß einzubeziehen. So sind eben auch viele Defi- schätzt - mannigfache ehrenamtliche Arbeit im zite des westdeutschen Spo rts auf den Sport in den Sport, die aber kaum Anerkennung fand. Die Bestre- neuen Ländern übertragen worden. bungen im Bund zur Stärkung des Ehrenamtes soll- ten auch in den neuen Ländern die Menschen er- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege muntern, auch wenn sie zur Zeit noch andere Pro- Krüger, gestatten Sie eine Zwischenfrage? bleme zu lösen haben, im Bereich des Spo rts ver- mehrt tätig zu werden. Thomas Krüger (SPD): Aber selbstverständlich. (Beifall bei der CDU/CSU)

Der Zustand der Breitensportanlagen ist im Osten Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. nach wie vor beklagenswert. Der Bund hat deutlich gemacht, daß die Mittel des Investitionsförderungs- Dr. Winfried Wolf (PDS): Werter Herr Kollege Krü- gesetzes Aufbau Ost, über 6 Milliarden DM jährlich, ger! Sie haben gerade Winston Churchill mit der in auch für den Sportstättenbau eingesetzt werden kön- dem Zusammenhang nicht ganz entscheidenden nen. Die Landesregierungen müssen diese Möglich- Aussage zu den gefälschten Statistiken zitiert. Ist Ih- keit umsetzen. nen bekannt, daß Winston Churchi ll auf die Frage, Insgesamt mein Fazit: Spitzen- und Breitensport warum er so alt geworden und gesund geblieben sei, befinden sich in den neuen Bundesländern auf dem geantwortet hat: No sports."? richtigen und guten Weg. Mit Zuversicht und Ver- trauen sollte die Zukunft angegangen werden. Thomas Krüger (SPD): Herr Abgeordneter, das ist mir durchaus bekannt. Bei den Ausführungen Ihres Ich bedanke mich. Kollegen Kutzmutz mußte ich mich sofort an diesen Ausspruch erinnern. Denn Ihr Kollege Kutzmutz hat (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) beispielsweise zum Behindertensport überhaupt nichts gesagt. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der (Rolf Kutzmutz [PDS]: Herr Krüger, Sie ha Kollege Thomas Krüger, SPD-Fraktion. ben im Gegensatz zu uns zehn Minuten Re dezeit, wir nur fünf Minuten!) Thomas Krüger (SPD): Herr Präsident! Meine- sehr Das ist die leidige Tradi tion der DDR, die natürlich verehrten Damen und Herren! Winston Churchi ll hat den Behindertensport vernachlässigt hat, wo es nur es auf den Punkt gebracht: ging. (Zurufe von der SPD und der CDU/CSU: No (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und sports!) dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

„Ich glaube nur der Statistik, die ich selber gefälscht Wir werden nicht vergessen, auf die wachsende Be- habe." Auf diesen 8. Sportbericht müßte man das fol- deutung des Behindertensports hinzuweisen und gendermaßen übertragen: Die Bundesregierung darauf ein wichtiges Augenmerk in den Ländern, Kommunen und im Bundesbereich zu legen. glaubt nur dem Sportbericht, den sie selber geglättet, redigiert und tendenziell gestaltet hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU - Dr. [PDS]: Warum hat die Bundesregierung nicht den Mut ge- Das ist billige Polemik!) habt, die Defizite der letzten Jahre anzusprechen? - Das ist eben keine billige Polemik, Frau Kollegin. (Beifall bei der SPD) Sie müssen die Wahrheit ertragen können. Der Be- hindertensport ist so stark vernachlässigt worden, Warum hat sie nicht die Chance genutzt, hier die daß es schon nicht mehr feierlich war. große Koalition des Sports zu bemühen? Das hat sie überhaupt nicht get an. Sie tut doch sonst immer so In der öffentlichen Diskussion tauchte der ostdeut- selbstsicher. Warum hat sie es nötig, eine Situa tion, sche Sport vor allem bei der Diskussion um Doping die zwar - verglichen mit Neufundland, Slowenien und das Stasi-Thema auf - Sachverhalte, die nicht oder Kasachstan - nicht katastrophal, aber immerhin verschwiegen werden dürfen. Das haben Sie zwar renovierungsbedürftig ist, gesundzubeten? gemacht, Herr Kutzmutz, aber ich mache es nicht. 3306 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Thomas Krüger Diese Themen haben aber auch - das muß m an Ich meine, daß es ein schwaches Argument ist, ebenfalls betonen - die Legitimationsgrundlage da- jetzt in einer völlig anderen historischen Situa tion, in für abgegeben, die westdeutschen Sportstrukturen in der eine schwierige Umstrukturierung zu bewältigen personeller und inhaltlicher Weise zu zementieren. ist, auch etwas für den Spitzensport in den neuen Das richtet sich im übrigen nicht nur an die Bundes- Ländern zu tun. regierung, sondern auch an den Spo rt selber. Ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) glaube, daß der neue DSB-Präsident von Richthofen hier auf dem richtigen Weg ist, richtige Akzente Ich fordere für die Bundestagsfraktion der SPD ein setzt. Ich erinnere an das, was er im letzten Jahr ge- Investitionssonderprogramm für den Spitzensport in sagt hat: „Da sind noch immer zwei Fronten in den den neuen Ländern. Köpfen. " (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Das kommt im übrigen nicht von ungefähr, meine PDS) Damen und Herren. Diese aktuell vorfindbare Fron- tenstellung hat etwas mit dem Verzicht zu tun, auch Hat die Bundesrepublik vergessen, daß der Gol- sinnvolle Teile des DDR-Sports in die bundesdeut- dene Plan im Grunde auch eine Förderchance ist? Ich schen Strukturen einfließen zu lassen. glaube, ja. Ich hoffe, daß die zentralen Veranstal- tungseinrichtungen, wie das Leipziger Zentralstadion Ich nenne hier nur zwei Punkte: zum einen die und die Regattastrecke Beetzsee, einen entsprechen- Nachwuchsförderung. Das begann zu DDR-Zeiten den Zuschuß bekommen. Das haben sie verdient. bereits mit der Sichtung in den Schulen, ging über die Trainingszentren bis hin zu den Kinder- und Ju- Daß der Bund etwas tun könnte, kann m an im übri- gendsportschulen. Eine langfristige Nachwuchsför- gen auch in den Sportberichten der Jahre 1990 bis derung - das muß die Bundesregierung endlich be- 1994 nachlesen. Sie finden do rt die Förderung für die greifen - ist eine richtige Investition und kann den Zonenrandgebiete. 121,5 Millionen DM hat der Spitzensport stützen. Bund dafür ausgegeben. Er hat für die Investitionszu- schüsse für die Länder und Kommunen 1991 und Der zweite Punkt ist der Trainingsbereich. Von 1993 tatsächlich nur 100 Millionen DM - wie er sel- den ostdeutschen Strukturen können gerade auch ber schreibt - ausgegeben. Das ist zuwenig; hier muß wissenschaftlich untermauerte Teile des Trainingsbe- mehr passieren. Zum Glück - das muß ich an dieser reichs implantiert werden. Das Institut für Ange- Stelle sagen - regieren Sie ja nicht mehr so lange. wandte Trainingswissenschaften hat in einer Ana- lyse 1992 gesagt: (Beifall bei der SPD - Norbe rt Geis [CDU/ CSU]: Sie werden es nie schaffen!) Neben einer Bündelung der Ressourcen ist eine Ausrichtung auf Prognoseleistungen, weitere Be- Eine Milliarde Jahre müßten Sie sich dafür schämen, lastungssteigerungen und komplexe Anforde- daß Sie diese Strukturen so vernachlässigt haben. rungsbewältigungen sowie effektive Trainings- Sie weisen doch sonst immer auf die 24 Millionen steuerung, Qualitätssteuerung und Wissenschaft- Vereinssportler hin. 24 Millionen Vereinssportler - lichkeit des Trainings erforderlich. das hat eine politische Leistung verdient. Sie Das hat mit Doping nichts zu tun. Das zeigt aber schmücken sich sonst immer. Schmücken sie doch Spielräume auf, die genutzt werden müssen, die in auch einmal den Spo rt in den neuen Ländern! den neuen Bundesländern übrigens durch das For- Machen Sie den Sport nicht zum Verlierer! Lösen Sie schungsinstitut für Sportgeräte, das eine sehr pra xis- die partnerschaftliche Zusammenarbeit, von der Sie - nahe Forschung betrieben hat, genutzt worden sind. so vollmundig sprechen, endlich ein! Das muß Platz behalten im deutschen Spo rt. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Was haben (Beifall bei der SPD) denn die anderen gemacht?) Die Situation des Spitzensports zeigt sich beson- Jede Mark, die in den deutschen Spo rt investiert ders deutlich am Sportstättenbau. Reden wir nicht wird, ist eine Investition in das Humankapital unse- um den heißen Brei herum. Länder und Kommunen rer Gesellschaft. Vernachlässigen Sie das nicht; dann haben kein Geld. Aber der Bund macht in diesem Be- werden Sie auch die Unterstützung der Sozialdemo- reich nichts. Das muß man an der Stelle deutlich sa- kraten für eine große Koalition des Spo rts zurückge- gen. Im „Sportbericht" heißt es auf Seite 104, daß winnen können. „den Sportanlagen für den Hochleistungssport" in Vielen Dank. den neuen Ländern nach wie vor „besondere Bedeu- tung" zugemessen wird. Aber es kommt nichts. (Beifall bei der SPD - Norbert Geis [CDU/ CSU]: Das wollen wir gar nicht!) Statt dessen wird immer gesagt: An dem Goldenen Plan Ost, den der DSB vorgeschlagen hat, können wir uns finanziell nicht beteiligen. Was hat die Bun- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die desregierung aber von 1960 bis 1974 gemacht? Sie Aussprache. hat den Goldenen Plan im Westen gefördert, und Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor- zwar mit 20 %. lage auf Drucksache 13/1114 an die in der Tagesord- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Die Länder nung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit wollten doch die Gemeinschaftsfinanzie einverstanden? - Dann ist die Überweisung so be- rung nicht!) schlossen. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3307

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: deutsche Bürgerinnen und Bürger, Frauen, Männer und Jugendliche, geschossen, nur weil sie versuch- Erste Beratung des vom Bundesrat einge- ten, dem SED-Regime zu entfliehen und in den brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einbe- freien Teil Deutschlands zu gelangen. ziehung der Mauer- und Grenzgrundstücke in das Vermögensgesetz Beispielhaft erinnere ich an die dramatischen Er- - Drucksache 13/120 eignisse an der Bernauer Straße, an denen die ge- samte Weltöffentlichkeit teilhatte. Es gingen Bilder —Überweisungsvorschlag: um die Welt, die Menschen zeigten, die aus einem Rechtsausschuß (federführend) Fenster auf die Straße in den freien Teil der Stadt Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO springen wollten. An den Armen wurden sie von den Volkspolizisten in die Wohnung zurückgezogen, Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die während Berlinerinnen und Berliner verzweifelt ver- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei suchten, die Fluchtwilligen in den freien Teil der die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fünf Minu- Stadt zu ziehen. Später sah man angeschossene, im ten erhalten soll. Kein Widerspruch? - Dann ist das so Grenzstreifen verblutende Menschen. beschlossen. Oder ein anderes Beispiel, das zur Problematik der Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat die Sena- Mauergrundstücke überleitet. Im Berliner Süden, im torin Dr. Peschel-Gutzeit, Berlin. Stadtteil Rixdorf, bildet die Heidelberger Straße die Grenze zwischen den Bezirken Neukölln und Trep- Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin): tow. Hier wurde die Mauer 1961 mitten auf der Fahr- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und bahn errichtet. Auf Ostberliner Seite gelang es einer Herren! Heute wird in diesem Hohen Hause ein Ge- Eigentümerin noch bis zum Jahre 1984, 23 Jahre setzentwurf beraten, der zum Ziel hat, die Grund- lang, durch Kreditaufnahmen ihr Haus, das sie von stücke, die zum Zwecke des Baus der Berliner den Eltern geerbt hatte, in einem ordentlichen Zu- Mauer und des Todesstreifens quer durch Deutsch- stand zu erhalten. Erst 1984, fünf Jahre vor dem Fall land von den Machthabern der DDR enteignet wur- der Mauer, nachdem in der Nähe ihres Grundstücks den, an die früheren Eigentümer zurückzugeben. ein Fluchtversuch gescheitert war, wurde das Haus, Dieser Gesetzentwurf kommt aus Berlin. Der Bundes- um freies Schußfeld zu schaffen, auf Grund des Ver- rat hat ihn mehrheitlich beschlossen. teidigungsgesetzes enteignet und dem Erdboden gleichgemacht. Das Lebenswerk der Eigentümerin Als Vertreterin des Berliner Senats hoffe ich und war damit zerstört, und das nur, weil ihr Haus die bitte Sie zugleich eindringlich, daß Sie dem Gesetz- Grenzposten bei Todesschüssen auf Bürger, die dem entwurf zustimmen und dem Gesetzgebungsverfah- SED-Unrechtsstaat entfliehen wollten, behinderte. ren zügig Fortgang geben mögen, damit diese für die Menschen im Ostteil und in den neuen Bun- Soll, darf der Staat ein solches Grundstück behal- desländern politisch und psychologisch, aber auch ten, oder muß man nicht wenigstens der früheren Ei- wirtschaftlich so wichtige Frage nun im sechsten gentümerin die Möglichkeit geben, sich wieder am Jahr nach dem Fall der Mauer alsbald anständig und angestammten Platz ein Zuhause zu schaffen? gerecht gelöst werden kann. Die Mauer hat viele Todesopfer gekostet. Von al- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) len - ich unterstreiche das - verantwortlichen Politi- In Berlin wird über alle Parteigrenzen hinweg die kern in der Bundesrepublik Deutschl and wurden gegenwärtige Rechtslage, nach welcher die Mauer- Mauer und Todesstreifen als ein menschenrechtswid- und Grenzgrundstücke als ehemalige Verteidigungs- riges Machwerk gegeißelt, das dem Wiedervereini- anlage der DDR dem Vermögen der Bundesrepublik gungsgebot des Grundgesetzes Hohn sprach. Kann zugefallen sind, als unerträglich empfunden. Ich bin es nun, nach der glücklichen Wiedervereinigung davon überzeugt, daß auch kein Mitglied dieses Ho- Deutschlands in Frieden, richtig sein, daß sich der hen Hauses es als eine zufriedenstellende Lösung heutige Gesamtstaat Deutschland an diesem Mach- ansieht, wenn dem heutigen Gesamtstaat Bundesre- werk bereichert? Ich selbst empfinde eine derar tige publik Deutschland dieser Streifen von Mauer- und Bereicherung als höchst unanständig und unerträg- Grenzgrundstücken quer durch Deutschland letzt- lich und meine, hierin müßten sich alle einig sein, lich zu Eigentum verbleiben würde. gleich, welcher Partei sie angehören. Pecunia non olet - das darf nicht die Devise eines freiheitlichen Zur Erinnerung: Am 13. August 1961, vor mehr als Rechtsstaats sein. 33 Jahren, wurde quer durch Berlin und quer durch Deutschland eine für die in der DDR lebenden Bür- Übrigens wäre die von der Berliner Initiative gefor- ger undurchdringliche Grenze gezogen. Die gesamte derte Rückgabe der Mauergrundstücke nach meiner westliche Welt und ganz besonders die Berlinerinnen Überzeugung überhaupt kein Thema, wenn die und Berliner in beiden Teilen der Stadt mußten hilf- Mauer, wie von allen Politikern in der Bundesrepu- los mitansehen, wie das SED-Unrechtsregime mit blik gefordert und von dem größten Teil der Bevölke- größter Rücksichtslosigkeit eine Grenze aufbaute, rung in der ehemaligen DDR erhofft, bereits in den die allein dem Zweck diente, die eigene Bevölkerung 60er Jahren wieder gefallen wäre. Konrad Adenauer einzusperren. Über Nacht wurden in Berlin Familien und Willy Brandt hätten jeden, der damals gefordert getrennt, Hauseingänge zugemauert und später hätte, die Mauer- und Grenzgrundstücke dürften Häuser dem Erdboden gleichgemacht. Es wurde auf nach Niederreißung der Mauer nicht den früheren 3308 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin) Eigentümern zurückgegeben werden, sondern müß- ohne weiteres möglich ist, den sachlich fest umrisse- ten als ehemalige Verteidigungsanlage der DDR in nen Bestand der Mauer- und Grenzgrundstücke - in den Besitz des vereinten Deutschland fallen, fas- Berlin sind es etwa 1 500 - an die früheren Eigen- sungslos angesehen. tümer zurückzugeben, und daß damit keineswegs zugleich der rechtliche Zwang geschaffen würde, (Beifall bei der SPD) auch andere DDR-Enteignungen rückgängig zu ma- Beide großen Politiker hätten gesagt: Die Mauer- chen. grundstücke, die aus dem Besitz der DDR übernom- men werden, sind Unrechtsgut. Wer sich an ihnen Die Dogmatik des Vermögensgesetzes, das vor al- bereichert, macht sich die Hände schmutzig. lem solche Bürger begünstigt, die entweder nicht in der DDR gelebt oder sie frühzeitig verlassen haben, (Beifall bei der SPD) stört nicht. Dem Vermögensgesetz stünde es im Ge- Ich frage also, warum die aus meiner Sicht selbst- genteil sehr gut an, zusätzliche Rückgabetatbe- verständliche Rückgabe dieser Grundstücke heute, stände zugunsten von ehemaligen DDR-Bürgern zu fünfeinhalb Jahre nach dem Fall der Mauer, nicht schaffen. längst geregelt ist, sondern statt dessen kontrovers (Beifall bei der SPD) diskutiert wird. Was wird denn nun gegen die Rück- gabe der Mauer- und Grenzgrundstücke ins Feld ge- Weiter wird behauptet - wie ich höre, vor allem führt? von Abgeordneten aus den neuen Ländern, die nicht (Freimut Duve [SPD]: Die große Verwaige meiner Partei angehören -, die Rückgabe der Mauer- lung! - Otto Schily [SPD]: Waigel will noch und Grenzgrundstücke wäre in den neuen Bundes- ein Geschäft damit machen!) ländern politisch nicht vermittelbar. Mit Verlaub: Diese Behauptung halte ich für falsch. Der Freistaat Sachsen - übrigens als einziges neues Bundesland - hat im Bundesrat geltend ge- (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Unerhört! - macht, die Rückgabe der Mauer- und Grenzgrund- Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Dann müs stücke könne dazu führen, daß eine Vielzahl von Ent- sen Sie sich umhören!) eignungen in der ehemaligen DDR auf der Basis der dortigen Aufbau- und Baulandgesetze, der Berg- Ich brauche mich nur in Berlin umzusehen, das zu und Verteidigungsgesetze in ähnlicher Weise recht- einem nicht unerheblichen Teil ein neues Bundes- lich und politisch in Frage gestellt würden. Es fehle land ist. Zumindest ist in diesem neuen Bundesland an zuverlässigen Abgrenzungskriterien, so daß die eine Rückgabe der Mauer- und Grenzgrundstücke Rückgabe nur der Mauer- und Grenzgrundstücke nicht nur gut vermittelbar, sie ist do rt die einzig ver den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzen könne. mittelbare Lösung.

Im Klartext bedeutet dies: Es wird befürchtet, das (Beifall bei der SPD - Uwe Hiksch [SPD]: gesamte Regelungswerk des Vermögensgesetzes Die sind hier alle Waigel-hörig! Die große und des Einigungsvertrages über die Behandlung Verwaigelung!) von DDR-Enteignungen könne bei Rückgabe der Mauer- und Grenzgrundstücke zusammenbrechen. So ist es auch zu verstehen, daß das Berliner Abge- Die Folge wäre eine Totalrevision der Enteignungen ordnetenhaus über alle Parteigrenzen hinweg den während der 40jährigen DDR-Geschichte. Senat einstimmig aufgefordert hat, alles in seiner (Beifall bei der CDU/CSU - Hans-Joachim- Macht Stehende zu tun, um der Berliner Bundesrats- Hacker [SPD]: Unjuristische Begründung!) initiative, Das aber ist falsch. Die Befürchtung ist unbegrün- (Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: Es det. Keine anderweitige Enteignung - sei sie für den überrascht nun wirk lich nicht, daß die Be Bergbau, für Wirtschaftsgebäude oder auch für Ka- günstigten einstimmig dafür sind!) sernenbau vorgenommen - reicht im entferntesten an den Unrechtsgehalt heran, für den Mauer und über die wir hier sprechen, zum Erfolg zu verhelfen. Grenzstreifen als Symbol stehen. Gewiß brauche ich niemanden in diesem Hause dar- über aufzuklären, daß im Berliner Abgeordneten- (Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: haus eine nicht unerhebliche Zahl von Mandatsträ- Was wissen Sie, was Gerichte entscheiden?) gern aus dem östlichen Teil Berlins kommt. Bei ihnen Das war in der Bundesrepublik fast 30 Jahre lang un- allen hat es nicht den leisesten Widerstand gegen die umstritten. Enteignungen für Bergbau und Verteidi- Ihnen vorliegende Initiative gegeben. Im Gegenteil, gung hat es übrigens im Westen unserer Republik sie haben ohne Einschränkung dafür gestimmt. genauso gegeben. Niemand denkt daran, sie heute rückgängig zu machen. Wenn nun also CDU-Abgeordnete aus den neuen Bundesländern die Rückgabe der Mauergrundstücke (Beifall bei der SPD) ablehnen, so mag das vielfältige, nach meiner Ober- zeugung bisher nicht genannte Gründe haben. Hier- Schon dieser Vergleich zeigt, daß es faktisch, aber aus einen Ost-West-Konflikt zu konstruieren heißt auch rechtlich aber die Dinge auf den Kopf stellen. Abgesehen von (Norbert Geis [CDU/CSU]: Was sagen Sie der privilegierten SED-Clique haben die Bürgerin- zur Normannenstraße?) nen und Bürger aus Ost-Berlin und der DDR unter Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3309 Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin) der Mauer und dem Todesstreifen quer durch Norbert Geis (CDU/CSU): Frau Senatorin, können Deutschland sicherlich nicht weniger gelitten als die Sie uns auch nur in etwa klarmachen, warum Sie - Bürgerinnen und Bürger aus der alten Bundesrepu- berechtigt oder unberech tigt - so vehement für die blik. Rückgabe der Mauergrundstücke eintreten,

(Beifall bei der SPD) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Be rechtigt natürlich!) Im Gegenteil: Sie waren Eingeschlossene. Wie kann man ihnen unterstellen, daß sie den Verbleib der aber gleichzeitig die Rückgabe anderer Grundstücke Mauergrundstücke beim Staat wollen könnten? in der vormaligen DDR mit der Erklärung verweigern Ich halte es für die Pflicht aller Mandatsträger aus wollen, man müsse hier „Rückgabe" wegnehmen den neuen Bundesländern, die Gefühle ihrer Mit- und „Entschädigung" voranstellen? Ist das über- bürgerinnen und Mitbürger nicht länger zu verlet- haupt klarzumachen? zen, sondern der Rückgabe der Mauer- und Grenz- grundstücke rasch und ohne Wenn und Aber zuzu- (Thomas Krüger [SPD]: Die Mauer war völ stimmen. kerrechtswidrig! - Dr. Wolfgang Weng [Geringen] [F.D.P.]: Ihr zerrt euch das im (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Weng mer so zurecht, wie es euch paßt! - Uwe [Gerlingen] [F.D.P.]: Wir sind froh, daß Sie Hiksch [SPD]: Am Todesstreifen hat nie gekommen sind, urn uns das zu erzählen! - mand gewohnt!) Norbert Geis [CDU/CSU]: Ihr wart sonst im mer gegen Rückgabe!) Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin): Schließlich kann man hören, die SPD, deren Bun- Herr Abgeordneter, ich bin gerade dabei, dies zu er- destagsfraktion sich zu unserer Freude - anders als klären. Vielleicht darf ich fortfahren. die CDU/CSU - voll hinter die Bundesratsinitiative Berlins stellt, handele inkonsequent und wider- (Freimut Duve [SPD]: Hier geht es um sprüchlich. Rückgabe vor Beschädigung und nicht Ent -schädigung!) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Merkt Ihr ei gentlich den Widerspruch?) Ich habe gesagt: Rückgabe vor Entschädigung hal- Allein taktische Gründe seien es, die sie veranlaßten, ten wir im Grundsatz für falsch - wir haben das auch Rückgabe der Mauergrundstücke zu verlangen. immer gesagt -, weil dadurch ein Konflikt auf Jahr- Auch diese Behauptung ist falsch. zehnte vorprogrammiert ist. Aber wir sind doch keine Traumtänzer. Zwar trifft es zu, daß die SPD wiederholt den im Vermögensgesetz enthaltenen Grundsatz Rückgabe (Dr. Wolfgang Weng [Geringen] [F.D.P.]: vor Entschädigung kritisiert hat. Sie sind eine ärmliche Populistin!) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Abgelehnt! Frau Wir sehen doch, daß dieser Grundsatz da ist und Kollegin, abgelehnt hat sie!) nicht mehr umkehrbar ist. Deshalb muß er ausgehal- ten werden, auch von uns. Diese Kritik war und ist historisch und politisch be- rechtigt. - Wenn aber private Nutzer, die die Grundstücke, auf denen sie sitzen, jahrzehntelang berechtigt ge- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: nutzt haben, nun die Grundstücke an Alteigentümer Sie wollte Unrecht zementieren lassen!) mit den sozialen Folgeproblemen, die wir alle ken- Denn die Rückgabe vor Entschädigung ist aus unse- nen, zurückgeben müssen, so muß dies doch erst rer Sicht ein Fehler, der unendliche Unruhe und recht für den Staat gelten. Auch er muß die ihm zu- Feindseligkeit in das Land ge tragen hat, an deren gewachsenen Grundstücke an die Alteigentümer zu- Folgen wir alle noch lange tragen werden. rückerstatten. Ein sozialverträglicher Interessenaus- gleich ist bei diesen Grundstücken eben gerade (Beifall bei der SPD und der PDS - Clemens nicht nötig; denn die Mauer- und Grenzstreifen- Schwalbe [CDU/CSU]: Warum fordern Sie grundstücke liegen zum Teil noch heute brach und denn jetzt die Rückgabe? - Abg. Norbe rt wurden eben nicht von anderen Personen über eine Geis [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwi lange Zeit privat genutzt. Durch die Rückgabe dieser schenfrage) Grundstücke wird mithin kein neuer sozialer Zünd- stoff angehäuft, sondern vorhandener Zündstoff end- lich beseitigt. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Senatorin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Herr Präsident, meine Damen und Herren Abge- ordneten, ich appelliere an Sie, eine politisch sensi- Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin): ble und menschlich richtige Lösung für das Problem Bitte. der Mauer- und Grenzgrundstücke zu finden - eine Lösung, die dem Ansehen unseres Rechtsstaats kei- nen weiteren Schaden zufügt. Unser Rechtsstaat, auf Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte sehr. den wir stolz sind und dies auch sein dürfen, darf 3310 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit (Berlin) sich nicht dem Vorwurf aussetzen, er habe letztend- Wie bewerten Sie die Äußerung Ihres Fraktionskolle- lich finanziell vom Mauer- und Todesstreifen profi- gen in der Berliner Presse, der sich tiert. Insoweit geht es um unser aller Glaubwürdig- ebenfalls in dieser Frage eindeutig auf die Berliner keit. Position gestellt hat? (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] ) Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Wahrscheinlich haben Sie mir vorhin nicht ganz zugehört. Ich bin auf Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der die Rede meiner Vorrednerin eingegangen. Sie hat in Kollege Dr. Michael Luther, CDU/CSU-Fraktion. die Debatte eine Stimmungslage hineingebracht, die einfach unpassend ist. Zu mehr habe ich nicht Stel- lung genommen. Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Se- (Norbert Geis [CDU/CSU] [zum Abg. Tho natorin Peschel-Gutzeit, den Ost-West-Konflikt, den mas Krüger [SPD] gewandt]: Warten Sie Sie in Ihrer Rede konstruiert haben, und die ver- doch ab! Lassen Sie ihn erst einmal reden!) meintliche Ablehnung einer Rückgabe der Mauer- grundstücke durch die Abgeordneten aus den neuen Herr Diepgen hätte sicherlich das Ganze anders dar- Bundesländern zeigt, daß Sie das Problem nicht ver- gestellt, für uns auch glaubwürdiger. standen haben. (Freimut Duve [SPD]: Eine große Koalition (Norbert Geis [CDU/CSU]: Richtig!) ist gar nicht so leicht! - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Erst denken, dann fra Sie haben sich damit auch nicht beschäftigt. gen!) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das wollte sie gar nicht!) Meine Damen und Herren, ich habe die Posi tion der CDU/CSU klarzulegen versucht. Wir haben seit Ich will Ihnen vorlesen, was ich selber im Bundes- 1993 über dieses Thema intensiv diskutiert. Trotzdem tag bereits gesagt habe, um an die zeitliche Dimen- ist die Frage berechtigt: Warum ist diese Frage bis sion zu erinnern. Am 23. Juni 1993 - anläßlich der er- heute nicht gelöst? sten Lesung zum Zweiten SED-Unrechtsbereini- gungsgesetz - habe ich hier gesagt: (Otto Schily [SPD]: Warum redet eigentlich der Kollege Scholz nicht? Das wäre viel in Wollen wir allen Ernstes behaupten, daß die Ent- teressanter!) eignungen im Zusammenhang mit dem Mauer- bau heute Rechtens sind? Die Mauer war ein Damit komme ich zum Problem: Grundlage für die Symbol für die Teilung Deutschlands und für die Restitution nach der deutschen Einigung waren der Machterhaltung einer Diktatur. Die Mauer war Einigungsvertrag und das Vermögensgesetz. Es hat kein antifaschistischer Schutzwall gegen die im- eben eine Restitution für die Fälle nicht zugelassen, perialistischen Aggressoren, sondern eine Ge- in denen gegen die Zahlung einer Entschädigung fängnismauer zur Einsperrung des eigenen Vol- oder auf besatzungsrechtlicher oder hoheitlicher kes. Grundlage enteignet worden war. Das heißt, seit 1993 ist die Posi tion der CDU/CSU Es gibt heute eine ziemlich abgeschlossene Recht- klar: Wir wollen eine Lösung im Zusammenhang mit - sprechung zu diesem ganzen Thema, die dieses Pro- den Enteignungen von Grenzstreifengrundstücken blem beschreibt; denn es ist leider so, daß Mauer- zum Bau oder zur Errichtung der Mauer. Es soll nicht und Grenzstreifengrundstücke nach dem Verteidi- im Bundesvermögen bleiben. gungsgesetz eben gegen Entschädigung enteignet (Beifall bei der CDU/CSU) wurden und sich deshalb aus der geltenden Geset- zeslage kein Rechtsanspruch für eine Res titution ab- leiten läßt, wie das auch für vieles andere zutrifft. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege, ge- statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krüger? Deshalb müssen wir deutlich feststellen: Wir haben als Parlament die Chance und die Aufgabe, letztend- lich dieses Problem in einer freien Entscheidung zu Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Selbstverständlich. lösen. Der Bundesrat geht den einfachen Weg. Er sagt, wir eröffnen einen neuen Restitutionstatbe- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte, Herr Kol- stand, ohne in der Begründung deutlich darauf ein- lege Krüger. zugehen, welche Risiken uns dabei erwarten. Be- schreiten wir nämlich einen ungeeigneten Weg der Thomas Krüger (SPD): Herr Kollege, halten Sie es Rückgabe der Mauer- und Grenzstreifengrund- auch für richtig, daß sich der Regierende Bürgermei- stücke, brechen wir in das Vermögensgesetz in unge- ster von Berlin, Ihr Parteifreund Eberhard Diepgen, eigneter Art und Weise ein, dann kann es leicht pas- in dieser Frage überhaupt nicht informiert und kun- sieren, daß das Gebäude der Rechtsprechung und dig gemacht hätte? des Vermögensgesetzes zusammenbricht. (Dr.-Ing. Paul Krüger [CDU/CSU]: Was be (Beifall bei der CDU/CSU - Hans-Joachim haupten Sie eigentlich?) Hacker [SPD]: Unjuristische Begründung!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3311 Dr. Michael Luther Deshalb, meine Damen und Herren, ist es notwen- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Lu- dig, daß wir klare und juristisch haltbare Abgren- ther, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? zungskriterien finden. Die einzige Klarheit, die bei uns besteht und die auch im Bundesrat deutlich ge- sagt worden ist, ist die örtliche Beschreibung des Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Aber selbstver- Grundstücks. Aber das allein reicht nicht aus. ständlich. (Beifall des Abg. Norbe rt Geis [CDU/CSU]) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte, Herr Kol- Eine derartige Beschränkung des neuen Restitu- lege. tionstatbestandes ist im Hinblick auf Artikel 3 GG bereits wegen des besonderen Symbolgehalts der Mauer und der innerdeutschen Grenze mög- Uwe Hiksch (SPD): Lieber Kollege, können Sie mir lich. bestätigen, daß es nicht hinnehmbar ist, daß Men- schen, die Eigentümer von Grenzgrundstücken oder So die Begründung des Bundesrates. Es ist eine Be- Mauergrundstücken waren, mit dem Verteidigungs- hauptung ohne Begründung. gesetz enteignet wurden und daß damit nachträglich die Mauer und Grenzgrundstücke zu einer Verteidi- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Genau!) gungsanlage gemacht werden? Was ist denn eigentlich der Symbolgehalt der Mauer? Wofür war die Mauer denn ein Symbol? Sie Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Es ist leider so, war Symbol dafür, daß in der DDR Menschen einge- Herr Kollege, daß nicht nur dieses Gesetz zur An- sperrt wurden. wendung gekommen ist. Vielmehr hat es die Dikta- eben. Sie hat auch andere (Thomas Krüger [SPD]: Erschossen!) tur relativ willkürlich betri Kriterien verwendet, z. B. das Aufbaugesetz; dann al- - Sie war Symbol dafür, daß Menschen an der Mauer lerdings oft im vorhinein, um auf dem Grundstück erschossen wurden, zu Tode gekommen sind - rich- eine Mauer zu bauen. tig. Sie war auch Symbol dafür, daß im Zusammen- hang mit der Errichtung der Mauer Leute vertrieben Das Problem ist etwas anderes. Ich hatte versucht, wurden, Menschen zum Fenster hinausgestürzt wur- das deutlich zu machen. Ich verstehe schon sehr den, letztendlich Mieter dort vertrieben wurden, wohl, daß dort, wo die Mauer steht, ein Grundstück auch Eigentümer. liegt und daß es dazu einen Eigentümer gibt. Aber das Symbol der Mauer - das müssen wir deutlich sa- (Thomas Krüger [SPD]: Sichtbares Zeichen gen - ist Symbol für vieles, aber nicht in allererster eines völkerrechtswidrigen Akts!) Linie für die Enteignung, die do rt stattgefunden hat. Aber - und das muß man deutlich zum Symbolgehalt Meine Damen und Herren, ich will mit meiner der Mauer sagen - es gibt keinen weiteren Bezug zu Rede fortfahren. Ich stelle auf jeden Fa ll eines mit den betroffenen ehemaligen Eigentümern; denn aus Verwunderung fest. Es gibt viele Zitate; ich möchte Sicht aller DDR-Enteigneten war es eben reiner Zu- zwei aus dem Parlament zitieren; Herr Schwanitz fall, ob ein Grundstück für Sperranlagen oder für sagte: sonstige militärische Zwecke, für Einrichtungen des Die SPD hat diesen auch aus heutiger Sicht im- Staatssicherheitsdienstes, für den komplexen- Woh- nungsbau oder für andere allgemeine Infrastruktur- mer noch unseligen Grundsatz der Rückgabe vor maßnahmen enteignet wurde. Entschädigung nicht gewollt. (Stephan Hilsberg [SPD]: Das ist aber völlig Vor dem Hintergrund der Gefahren bei dieser Er- unterschiedlich!) öffnung eines neuen Restitutionstatbestandes frage ich Sie, Herr Hacker, ob „durch den falschen Grund- Der Symbolgehalt scheint also ein ungeeignetes juri- satz Rückgabe vor Entschädigung ... längst abge- stisches Abgrenzungskriterium zu sein. schriebene Ansprüche auf Besitz und Eigentum neu" geweckt werden, und zwar nicht nur im Mauer- und Das Symbol Mauer: Erhalt einer Diktatur. Sind die Grenzstreifenbereich. Ich darf zitieren, was Sie hier Enteignungen z. B. im Zusammenhang mit dem Bau vorgetragen haben. Für mich ist die Frage, ob Sie eines Stasigefängnisses keine Symbole für den Er- vielleicht aus purem Populismus so handeln, weil Sie halt einer Diktatur? Es gibt dafür auch andere Bei- sich dieser Gefahren eigentlich grundsätzlich bewußt spiele, ich möchte mich jedoch auf dieses beschrän- sein müßten. ken. Das Symbol Mauer ist - das stelle ich fest - ein wichtiges politisches Abgrenzungskriterium, ein (Uwe Hiksch [SPD]: Auf der Mauer stehen wichtiges politisches Argument, aber es ist juristisch keine Häuser wie anderswo! Was Sie predi nicht haltbar. gen, ist bösartige Bereicherung!) Ohne die Frage der juristischen Abgrenzung ein- Meine Damen und Herren, wir haben seit 1993 in deutig zu beantworten, wi ll der Bundesrat im Vermö- der CDU/CSU-Fraktion dieses Thema diskutiert, und gensgesetz einen neuen Restitutionstatbestand eröff- wir haben uns der Diskussion verantwortlich gestellt. nen. Ich denke, wir müssen prüfen, ob tatsächlich die Ich habe Ihnen auch gesagt, worin das Ziel der Dis- Gefahr einer Nachentschädigung oder einer Totalre- kussion besteht. Wir mußten leider am Ende der Ver- vision besteht. abschiedung des Zweiten SED-Unrechtsbereini- 3312 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Dr. Michael Luther gungsgesetzes feststellen, daß wir mit dieser Diskus- in Fällen, die die Mauergrundstücke be treffen, um so sion noch nicht am Ende sind. Aber nach der Bundes- mehr einen Rückgabeanspruch begründen müssen, tagswahl haben wir dieses Thema in unserer Frak- weil die Vertreibung der Menschen von den Mauer- tion massiv aufgegriffen. grundstücken in einer unmöglichen Weise erfolgte, An dieser Stelle danke ich z. B. Herrn Professor (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Frage!) Scholz für seine konstruktiven Diskussionsbeiträge. Ich danke aber auch den Anregungen und den Hin- die nicht mit Fällen vergleichbar ist, in denen aus weisen des Staatsministers Herrn Heitmann aus ökonomischen Gründen heraus die Aufgabe des Sachsen, und ich danke den vielen Kollegen aus den Grundstückes mehr oder weniger aus einer eigenen neuen Bundesländern meiner Fraktion. Entscheidung heraus bewirkt wurde? Die Diskussion in unserer Fraktion war geprägt (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ durch die Suche, offensichtliches Unrecht und letzt- CSU: Was wollen Sie fragen?) endlich ein weiteres Stück Enteignungsunrecht zu beseitigen und Mauer- und Grenzstreifengrund- stücke aus staatlicher Hand zurückzugeben. Wir wol- Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Die Frage war: len ein weiteres Stück Gerechtigkeit herstellen. Meinen Sie? - Meine ich nicht, (Zuruf von der SPD: Wo bleiben denn die (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Menschen?) weil wir nämlich im Vermögensgesetz und in dessen Meine Damen und Herren, wir sind in der Koali- Novellierungen nach der deutschen Einigung - also tion in der Diskussion ein wesentliches Stück weiter- infolge des Einigungsvertrages - grundsätzlich kei- gekommen. Wir werden eine Lösung finden, aber - nen neuen Restitutionstatbestand eröffnet haben, das habe ich in meiner Rede deutlich zu machen ver- sondern viele Punkte, die beim Schreiben des Ver- sucht - sie wird und kann nicht im Rahmen des Ver- mögensgesetzes offengeblieben sind, neu formuliert mögensgesetzes sein. Wir werden unsere Vorschläge haben. rechtzeitig in die Beratung mit einbringen. Nun kommen wir in die Situa tion, fünf Jahre nach (Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD] meldet der deutschen Einheit ganz konkret einen neuen Re- sich zu einer Zwischenfrage) stitutionstatbestand schaffen zu wollen, so wie es im Bundesratsentwurf steht. Dann muß man natürlich deutlich machen, was das für Konsequenzen hat. Die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Lu- Konsequenzen will ich auch gleich nennen, und zwar ther, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? auch aus Sicht der neuen Bundesländer. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist aber Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Es ist mir eine be- sondere Freude. keine Antwort, Herr Luther!) Innerhalb des Gebietes der neuen Bundesländer Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. gab es auch willkürliche Enteignungen gegen Ent- schädigungen, und auch sie werden als Unrecht empfunden. Hans-Joachim Hacker (SPD): Herr Kollege Dr. Luther, Sie haben grundsätzlich das Problem- des (Uwe Hiksch [SPD]: Das eine hat mit dem Prinzips Rückgabe vor Entschädigung angespro- anderen nichts zu tun!) chen. Sie wissen, daß natürlich auch die SPD in vie- len Fällen auf Rückgabe entschieden hätte, wenn sie - Jetzt hören Sie vielleicht einmal einen Moment zu. die Entscheidung gehabt hätte, den Grundsatz zu re- Der Bundesrat schreibt in seiner Gesetzesbegrün- geln. Wir waren nur gegen das Grundprinzip. dung: (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das höre ich Der Staat darf sich gerade an diesen Grundstük- zum erstenmal! - Clemens Schwalbe [CDU/ ken nicht bereichern. CSU]: Wenn es zum eigenen Vorteil ist, Wenn nun unter dem Druck der SED mit all den durchbrechen die das Grundprinzip!) Mitteln einer Diktatur für angeblich öffentliche Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der Tat- Zwecke Menschen ihre Grundstücke, ihre Immobi- sache, daß wir das Vermögensgesetz mehrfach no- lien weggenommen wurden, dieses Regime heute velliert haben; möchte ich Sie fragen: Meinen Sie Gott sei Dank beseitigt ist und der Enteignungs- nicht - Herr Geis, ich bitte Sie, einmal ruhig zuzuhö- zweck - das scheinbare Argument, das zur Enteig- ren -, daß wir, nachdem wir hier viele Rückgabetat- nung geführt hat - nie eingetreten ist, nie eintreten bestände im Vermögensgesetz geschaffen haben, sollte und nie eintreten wird, dann kann ich den Leu- auch solche, die lediglich an Kriterien wie nicht- ten nicht erklären, wieso sich die Kommunen, das marktwirtschaftliche Verwertung von Grundstücken Land oder der Bund an den eben genannten Grund- anknüpfen, und in diesen Fällen eine Rückgabe er- stücken im Gegensatz zu den Mauer- und Grenz- möglicht haben, streifengrundstücken, die enteignet wurden, berei- chern dürfen. (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Das ent kräftet doch Ihre Argumenta tion!) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3313

Dr. Michael Luther Die Menschen spüren dieses Unrecht. Zu diesem Der Schurke ist schnell bestimmt: das DDR-Re- Unrecht gehört eine ganze Menge: Dazu gehören si- gime, gewalttätig und totalitär. Dieser Schurke cherlich Braunkohlegrundstücke, auf denen niemals nimmt Millionen von Menschen zu Geiseln einer to- Braunkohle abgebaut wird; dazu gehören Wismut talitären Ideologie. Er sperrt die eigenen Bürger ein, Grundstücke, die nie in Anspruch genommen wur- versucht sie an der Flucht zu hindern. den; und dazu gehören auch andere Grundstücke, wo der Enteignungszweck nie eingetreten ist, nie Aus diesem Grund nimmt er, ohne zu fragen, Bür- eintreten sollte und nie eintreten wird. Auch für die- gern ihre Häuser und Grundstücke weg. Wer sich sen Bereich muß eine Lösung gefunden werden. Das wehrt, wird nicht nur enteignet; er wird gewaltsam ist der Unterschied zu der Diskussion, Frau Peschel- mit Gewehrkolben hinausgetrieben. Einige Men- Gutzeit, die Sie in Ihrem Vortrag dargestellt haben. schen springen aus den Fenstern, versuchen zu flie- hen. Viele lassen ihr Leben. Frau Peschel-Gutzeit hat Meine Damen und Herren, ich möchte zum Ende alles dies ja schon dargestellt. meiner Rede kommen und stelle noch einmal ganz klar fest: Mauer- und Grenzstreifengrundstücke sol- Der Zeuge aber wohnt gleich nebenan und hat al- len nicht in Bundeshand verbleiben; der Standort les mit angesehen. Er ist empört. „Schandmauer", Vermögensgesetz, den der Bundesrat vorschlägt, er- schreit er wütend, „Unrecht", „Willkür" und „Mo- scheint mir ungeeignet. Das haben wir in der Diskus- nument der Unmenschlichkeit!" sion des letzten halben Jahres festgestellt, die wir in (Zuruf von der CDU/CSU: Kommen Sie zur unserer Fraktion mit hoher Verantwortung geführt Sache!) haben. Und er klagt an, zu Hause und vor der Weltöffent- (Uwe Hiksch [SPD]: Davon merkt man aber lichkeit. Getan gegen das Unrecht hat er allerdings nichts!) nicht sehr viel. Wir werden in die Diskussion um das Gesetz und (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Zur Sa um die Bundesratsvorlage mit entsprechenden plau- che!) siblen, funktionierenden Vorschlägen eintreten. Das Abgrenzungskriterium, das mir wich tig erscheint - - Nun hören Sie doch einen Moment zu! deswegen bin ich so intensiv darauf eingegangen -, muß auf seine rechtlichen Konsequenzen vor dem Plötzlich erhebt sich ein Aufruhr. „Wir sind das Hintergrund der Gefahr einer Totalrevision, einer Volk! ", rufen die Bürger und ringen den Gewalttäter Nachentschädigung, geprüft werden. Eine Anhö- nieder. Der macht sich aus dem Staub, aber die Beute rung zu dieser Frage erscheint mir als ein geeignetes kann er dabei nicht mehr mitnehmen. Instrument. Und jetzt kommt die merkwürdige Wendung, die Ich glaube, daß wir nach der Sommerpause alle ge- die Zuschauer empören wird: Der Dieb tritt ab und meinsam zu einer guten Lösung finden werden. läßt die Beute liegen. Der Zeuge nimmt sie erst ein- Meine Damen und Herren, ich sehe, auch Sie von mal an sich. Niemand denkt Böses. „Der gute Zeuge der SPD sind bereit dazu. Ich bitte um Ihre Beteili- wird die Beute natürlich sofort den Opfern zurückge- gung, um eine konstruktive Beteiligung an dieser ben", denkt jeder, der gewohnt ist, daß Filme um Diskussion. diese Uhrzeit zumeist noch gut enden. - Aber er hat sich getäuscht. Denn der Zeuge wi ll Ich bedanke mich. die Beute nun plötzlich nicht mehr herausrücken: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) „Das war kein Unrecht; das war eine rechtmäßige Enteignung! " „Schandmauer" und „Unrecht" hat es vorher geheißen. Jetzt werden die Beg riffe umdefi- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der niert: Recht wird zu Unrecht, Unrecht zu Recht. Was Kollege Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vorher ein Verbrechen war, ist jetzt ein Rechtsakt. NEN). (Zuruf des Abg. Norbe rt Geis [CDU/CSU]) - Herr Geis, hören Sie doch einen Moment zu! Wenn Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ver- Sie einen Beweis brauchen: Ich trage Ihnen die offi- ehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle- zielle Stellungnahme der Bundesregierung aus der gen! Es ist schon relativ spät; das ist eigentlich Drucksache, die wir beraten, vor. Dort heißt es: schade, denn unser Thema hätte eine bessere Uhr- zeit verdient. In gewisser Weise aber, finde ich, ist Bei den Mauergrundstücken handelt es sich um die Uhrzeit auch passend; denn nach 20 Uhr ist Kri- Grundstücke mit einem hohen Symbolcharakter. mizeit. Und hier geht es ja in der Tat um einen echten Die Grenzanlagen standen für die zentrale unge- Krimi. löste Frage der Nachkriegspolitik, nämlich die Teilung Deutschlands und Europas, unter den Be- Auf treten dabei ein ziemlich gewissenloser, ge- dingungen des Kalten Krieges. Mauer und Sta- walttätiger Schurke, viele unschuldige Opfer sowie cheldraht waren Sinnbild für diese Teilung. ein empörter und wütender Zeuge. Und dann gibt es noch eine merkwürdige Wendung. Das alles ist - lei- Man achte auf diese erstaunliche semantische der - keine Fiktion, sondern schreckliche Wahrheit. Wende! Nicht mehr „Unrecht", „Schandmal", „Ter- 3314 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Gerald Hafner ror", sondern plötzlich „Symbol", „Frage", „Sinn- draht und Schießbefehl gab es aber nur einmal. bild", „ungelöst". Diese Mauer ist verschwunden, und es ist gut, daß sie weg ist, aber Sie wollen sich am Erbe dieser (Norbert Geis [CDU/CSU]: Unrecht war al Mauer bereichern. les!) - Da haben Sie recht, Herr Geis, aber Sie machen es (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard sich zu leicht. Was Sie mit dem Einbehalten der Mau- Hirsch) ergrundstücke getan haben, ist in Wahrheit eine Vor vielen Jahren hat der ehemalige amerikani- schamlose Bereicherung unter Verwendung rechts- sche Präsident Reagan gesagt: „Mr. Gorbatschow, widriger Ausreden. tear down that wall!" Das ist inzwischen geschehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Doch das Unrecht dauert noch an. Deswegen sage und bei der SPD) ich: Herr Kohl, geben Sie die Grundstücke zurück! Plötzlich wird als rechtmäßig hinzunehmende Ent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eignung dargestellt, was 34 Jahre lang Unrecht war. und bei der SPD) Sie berufen sich dabei - man höre und staune! - auch noch auf das skandalöse Verteidigungsgesetz der Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das ehemaligen DDR, das erstens ein Unrechtsgesetz Wort dem Abgeordneten Professor Dr. Schmidt-Jort- war, zweitens erst nachträglich, rückwirkend - was zig. nach unseren Grundsätzen gar nicht geht - einge- führt wurde und drittens nach ständiger Auffassung - Entschuldigen Sie, Herr Kollege Schmidt-Jortzig, der Bundesregierung sogar gegen den entmilitari- der Kollege Geis wollte eine Kurzintervention ma- sierten Viermächtestatus von Berlin verstoßen hat, in- chen. Wenn Sie einverstanden sind, dann stellen wir sofern also niemals rechtmäßig zustande gekommen Ihre Wortmeldung einen Augenblick zurück. ist. Herr Kollege Geis, eine Kurzintervention, bitte (Zuruf des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU]) schön. - Herr Geis, ich weiß, warum Sie so laut schreien: Sie fühlen sich ertappt. Norbert Geis (CDU/CSU): Ich danke Ihnen, Herr Präsident. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Norbe rt Geis [CDU/ Ich wollte kurz auf das erwidern, was Herr Häfner CSU]: Ich schreie überhaupt nicht!) hier an Anschuldigungen vorgebracht hat. Keiner hat je behauptet, aus der unrechtmäßigen Enteig- Es gibt jetzt nur noch eine einzige Möglichkeit: Sie nung der Mauergrundstücke sei inzwischen eine müssen das, was Sie sich zu Unrecht angeeignet ha- rechtmäßige Enteignung geworden. Das hat niemals ben, zurückgeben. Der jetzige Vorschlag, der in der irgend jemand hier in diesem Saal oder anderswo so Koalition herumgeistert - nur einen Teil zurückgeben dargestellt. Insofern ist das frei aus der Luft gegrif- und sich am Rest noch bereichern -, ist nur noch lä- fen. cherlich und unverschämt. Wie haben Sie seinerzeit gegen die Hafenstraße Wir kennen natürlich den Symbolgehalt dieser Mauer. Uns ging es in der ganzen Diskussion - ich getobt! Sie sollten wissen: Selbst do rt zahlen die Mie- ter, die ehemaligen Besetzer, jetzt ordnungsgemäß- weise noch einmal darauf hin - einzig und allein darum, ob wir, wenn wir die Mauergrundstücke zu- Miete. Wie kommen Sie auf die rechtlich und mora- rückgeben, nicht Unrecht beispielsweise denen lisch unfaßbare Idee, Sie könnten dagegen einen Teil an der Beute behalten? -tun, deren in unmittelbarer Nähe gelegenen Grund- stücke enteignet worden sind, nämlich in der Nor- Das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung - Frau mannenstraße und dort, wo die Stasi ihre Herrschaft Peschel-Gutzeit hat das deutlich gesagt - war ein ausgebaut und Grundstücke enteignet hat, um ihr großer und folgenreicher Fehler. Aber wenn Sie Machtzentrum aufzubauen. Do rt war der Symbolge- schon die Regeln bestimmen, sollten Sie sich dann halt unter Umständen genauso groß. Deswegen ha- wenigstens selbst daran halten. ben wir Schwierigkeiten mit der Rückgabe der Mau- ergrundstücke. Wir wollen dadurch nicht neues Un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN recht schaffen. und bei der SPD) Herr Kollege Dr. Luther hat gesagt, wie wir den Eine halbe Rückgabe gibt es nicht, genausowenig Weg suchen, Frau Kollegin Peschel-Gutzeit. Wir wol- wie eine halbe Schwangerschaft. len keinen Weg im Vermögensgesetz suchen, son- Besonders infam - lassen Sie mich das auch noch dem wir wollen ihn in einer anderen Regelung su- sagen - ist meines Erachtens Ihr Versuch einer chen. Wir hoffen aber, mit Ihnen zusammen zum glei- Gleichsetzung der Enteignungen an der Mauer mit chen Ergebnis zu kommen. anderen Enteignungen, z. B. im Bereich des Berg- (Beifall bei der CDU/CSU) baus. Den Bergbau kennen viele Rechtsstaaten auf dieser Erde. Die SPD will so etwas ja beispielsweise auch in Nordrhein-Westfalen, in Garzweiler, betrei- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege ben. Eine derartige Mauer mit Todesstreifen, Stachel Häfner, Sie haben die Möglichkeit zu erwidern. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3315

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr denreformopfer, die Alteigentümer aus den Konfiska- Kollege Geis, wenn Sie am Ende Ihres Meinungsbil- tionen von 1945 bis 1949, für ihre Ansprüche auf Wie- dungsprozesses, welche Begründungen und seman- dergutmachung vorbrachten; wortwörtlich. Lesen Sie tischen Wendungen sie auch benutzen, tatsächlich das einmal nach. zum gleichen Ergebnis kommen wie wir, dann soll mir das recht sein. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Alliierte Maß nahmen! - Dr.-Ing. Paul Krüger [CDU/ Gestatten Sie mir, kurz auf die sehr ungewöhnliche CSU]: Hört! Hört!) Logik, die Sie eben vor diesem Hause ausgebreitet Aber damals haben Sie von der SPD alles noch haben, einzugehen. Obwohl sich die Bundesregie- schroff abgeblockt und vor allem sofort das Vokabu- rung in ihren Stellungnahmen selbstverständlich lar von den „Junkern" und „Großgrundbesitzern" schamlos auf das Verteidigungsgesetz der ehemali- bemüht, um auf den Punkt zu bringen, was Sie von gen DDR beruft, machen Sie sich dieses Argument der gerechtigkeitsbezogenen Wiederherstellung der nicht zu eigen und sagen, niemals hätten Sie be- unter sozialistischer Hoheit entzogenen Eigentums- hauptet, diese Enteignungen seien rechtmäßig zu- rechte halten. stande gekommen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das habe ich Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist doch auch nie gesagt!) alliiertes Recht! Unsinn!) - Sehr gut. Wenn es also Unrecht war, so gibt es dar- - Nein, nein. Überlegen Sie noch einmal, bevor Sie aus nur eine logische Konsequenz, nämlich die voll- das so stehenlassen. ständige Rückgabe. Nun frage ich Sie, warum Sie diese einfache Konsequenz nicht ziehen. Mehr ist, Selbst für die danach nur noch zustande gekom- glaube ich, dazu gar nicht zu sagen. mene reichlich vage und unzulängliche Rücker- werbsmöglichkeit haben Sie im September 1994 so- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort angekündigt, daß Sie diese nach einem Wahl- und bei der SPD) sieg, der Gott sei Dank ausgeblieben ist, sofort wie- der abräumen wollten. Nun soll das alles nicht mehr Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun gelten? Könnte das vielleicht gar daran liegen, daß dem Abgeordneten Professor Schmidt-Jortzig das nur Ihrer Meinung nach jetzt die richtigen Leute be- Wort. günstigt würden? Das wäre purer Zynismus. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Herr Präsi- Oder wollen Sie ohnehin nur Ihr parteitaktisches dent! Meine Damen und Herren! Der vorgelegte Süppchen kochen? Bundesratsantrag ist natürlich ohne weiteres und nachhaltig zu begrüßen. (Zurufe von der SPD: Das ist eine Unterstel lung! Das müssen wir zurückweisen!) (Zuruf von der SPD: Aha! Aber zustimmen wollen Sie nicht!) - Es geht nicht mit Zurückweisung, sondern es geht um die Antwort, weshalb Sie die eine Gerechtigkeit Den rechtsstaatswidrig vertriebenen Menschen muß gelten lassen und die andere Gerechtigkeit nicht. Wiedergutmachung geboten werden. Nach Wegfall (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) des damaligen Enteignungszweckes verlangen- die alten Eigentumsrechte neue Geltung. Vor allem g ilt Dann haben vor einigen Tagen auch noch die es, die vorliegenden Symbolmarken von staatlicher GRÜNEN damit begonnen, hier mit der Wurst nach Teilung und gesellschaftlicher Spaltung Deutsch- der Speckseite zu werfen. Das scheint Ausdruck ei- lands zu beseitigen. ner immer stärkeren und rascheren Anpassungsnei- gung zu sein. Da kann es für die F.D.P. überhaupt kein Vertun geben; das ist eine eindeutige Aussage. In der ge- (Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ genwärtigen Situa tion genießen wir es durchaus, wie NEN]: Anpassung an das geltende Recht!) sich in dieser Frage andere Fraktionen sehr schwer tun. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Insbesondere ist - das will ich mir nun doch nicht Schmidt-Jortzig, hier sind mehrere Wünsche nach verkneifen - die Haltung der Antragsprotagonisten Zwischenfragen. reichlich delikat. Das g ilt vor allem für die Posi tion der SPD, die den vorliegenden Antrag mit ihrer Bun- Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Es tut mir leid. desratsmehrheit überhaupt erst vorangebracht hat Ich beschäftige mich gerade mit den GRÜNEN. und nun auch im Bundestag zur lauthalsen Unter- Wenn ich danach noch einmal zur SPD komme, kön- stützung antritt. nen Sie sich bitte noch einmal melden. Die Begründungssätze des Antrags - hören Sie (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und bitte einmal zu, und versuchen Sie, eine Antwort dar- der CDU/CSU - Hans-Joachim Hacker auf zu formulieren -, die ich von mir aus nur voll un- [SPD]: Ein deutscher Rechtsprofessor! - terstreichen kann, stammen doch wortwörtlich aus Thomas Krüger [SPD]: Das ist die Souverä jenem Argumentationstableau, das seinerzeit die Bo nität der F.D.P.!) 3316 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte fahren Sie wollen, also nicht mehr den Rechtsstaat, sondern den fort. Unrechtsstaat vertreten? (Zurufe von der F.D.P. und der CDU/CSU: Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Das, was die Oh! Oh! - Heinz Lanfermann [F.D.P.]: Das GRÜNEN da nun machen, ist in meinen Augen An- war aber mies!) passung pur. Daß man das nur mit sti ller Belustigung sehen kann, weil Sie, meine Damen und Herren von Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Herr Kollege den GRÜNEN, sich doch sonst gern als so ungemein Häfner, es kommt doch bei dieser wich tigen Frage grundsatztreu gerieren, liegt auf der Hand. darauf an, daß wir zuhören und auf Argumente ein- gehen und eben nicht versuchen, durch Polemik (Thomas Krüger [SPD]: Auslaufendes Mo diese Anpasserei zu vertuschen. Ich habe ganz am dell!) Anfang gesagt, damit es überhaupt kein Vertun gibt, Denn wann hat man bisher je eine GRÜNEN-Initi- daß ich die Substanz dieses Antrages vehement un- ative zur Stärkung der Wirtschafts- und Eigentums- terstütze, aber überhaupt nicht akzeptieren kann, freiheit gesehen? daß Sie bei dieser Gerechtigkeit nun mit Gewalt da- für sind - das ist ja wunderbar -, aber bei vergleich- (Zurufe von der CDU/CSU: Noch nie! Noch baren Dingen nichts von sich hören lassen. Das ist nie!) mein einziger Vorwurf an Sie, der allerdings durch- schlägt. Wann hat man von Ihnen überhaupt je etwas zur ver- antwortlichen Individualität von Freiheitsgebrauch (Heinz Lanfermann [F.D.P.]: Gestörtes Ver gehört? hältnis zum Eigentum!) (Zurufe von der CDU/CSU: Noch nie! Noch nie!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Schmidt-Jortzig, nun kommt der Wunsch nach einer Und wann wären Sie je damit aufgefallen, daß sich Zwischenfrage von dem Kollegen Krüger von der Rechtsstaatlichkeit auch gegen noch so be- SPD. zwingende gesellschaftlich-politische Aufwallungen durchsetzen soll? - Ich habe davon noch nie etwas Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Ja, gern. gehört. Deswegen ist bei dieser Antragsbegründung Ihre Befürwortung, Herr Häfner, schlicht ein grüner Witz. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Thomas Krüger (SPD): Herr Kollege Schmidt-Jort- zig, ist denn das, was Sie uns hier vortragen, die end- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Professor gültige Position der F.D.P. in dieser Frage, und wie Schmidt-Jortzig, nun kommt der Wunsch nach einer vertreten Sie diese Posi tion im Zusammenhang mit Zwischenfrage aus den Reihen der GRÜNEN, von Ihren rechststaatlichen Posi tionen, wenn Sie die Herrn Häfner. Grundstücke, von denen hier die Rede ist, im Durch- schnitt zu 50 % des Verkehrswertes verkaufen wol- len? (F.D.P.): Bitte. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig - (Heinz Lanfermann [F.D.P.]: Er hat noch gar (Thomas Krüger [SPD]: Sie wollen nur ver nicht zu Ende gehört und stellt schon Fra- hindern, daß die Sie ablösen!) gen!)

Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Ich weiß über- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Häfner. haupt nicht, wie Sie auf die Idee kommen, daß ich irgend etwas zu 50 % verkaufen will. Sie sind offen- Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich sichtlich nicht auf dem neuesten Stand der Informa- fühle mich angesichts der Methode, mit der Sie Fra- tionen und müssen zur Kenntnis nehmen, daß ich am gen aus der SPD vermieden haben, fast schon ver- Anfang deutlich gesagt habe, daß ich für die Ini tia- pflichtet, nun stellvertretend zu fragen. tive bin. Damit es nicht nach einer persönlichen Auf- fassung klingt, füge ich hinzu, daß die F.D.P.-Frak- (Beifall bei der SPD) tion geschlossen genauso denkt. Natürlich beziehe ich mich aber auf das, was Sie uns (Abg. Thomas Krüger [SPD] meldet sich er vorgeworfen haben. neut zu einer Zwischenfrage) Ist es Ihr Ernst, Herr Schmidt-Jortzig, daß Sie der - Nein, vielen Dank, ich möchte jetzt gerne meine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorwerfen wol- Rede abschließen; meine Redezeit ist ohnehin abge- laufen. len, sie würde sich an geltendes Recht, an Verfas- sungsrecht anpassen und Unrecht totalitärer Staaten wiedergutmachen wollen? Ist es Ihr Ernst, daß Sie Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie sich neuerdings von uns in diesem Punkt absetzen noch eine Zwischenfrage des Kollegen Krüger? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3317

Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Ja, kurz. den Kern des Rechtsstaates ausmachen. Eher im Ge- genteil. Zur Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates ge- hört doch wohl eher die Gleichbehandlung der (SPD): Herr Kollege, trifft es zu, Thomas Krüger Rechtsunterworfenen als die Ungleichbehandlung. daß die F.D.P. in internen Gesprächen, die stattgefun- den haben, in dieser Frage die Posi tion des Kanzler- Zweitens wird gesagt - das hat ja auch hier in der amtes bisher nicht teilt? Diskussion eine große Rolle gespielt -, es gehe um eine symbolische Handlung, um ein „würdiges Zei- chen". Der besondere Symbolgehalt der Mauer Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Wollten Sie fragen: Trifft es zu, daß sie sie nicht teilt? führe dazu, daß eine solche Ungleichbehandlung nicht als willkürlich angesehen werden könne. Hier wird also immerhin zugegeben, daß es nicht um die Thomas Krüger (SPD): Trifft es zu, daß die Posi tion, „Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates im Ke rn " geht, die das Kanzleramt der CDU/CSU-Fraktion vorge- sondern um eine eigentlich willkürliche Sonderbe- schlagen hat, von der F.D.P. bislang noch nicht geteilt handlung einer Gruppe. wird, und können deshalb die be troffenen Bürger noch Hoffnung auf die F.D.P. haben? Was den Symbolgehalt von Immobilien angeht, so gibt es zahlreiche Beispiele, bei denen die öffentliche Hand - sowohl im Osten als auch im Westen - trotz Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Es trifft weder großer symbolischer Belastung nicht daran gedacht zu, noch trifft es nicht zu, denn es gibt dazu keine hat, sich dieses Eigentums zu begeben. Ich nenne Position des Kanzleramtes. Wir sind an diesem Punkt nur beispielhaft die Justizvollzugsanstalt München- natürlich mit unserem Koalitionspartner im Ge- Stadelheim, in der die Geschwister Scholl und ihre spräch. Wir gehen dazu mit unserem Koalitionspart- Freunde geköpft wurden, oder die Justizvollzugsan- ner in sehr ernste Verhandlungen. Dessen können stalt Brandenburg, wo Tausende Antifaschisten er- Sie sicher sein. mordet wurden. In beiden Schlachthäusern ist in un- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. - Zu vergleichbarem Maße Schreckliches geschehen, rufe von der CDU/CSU und der SPD) aber daß die öffentliche Hand auch nur entfernt dar- über nachgedacht hätte, sich von diesen blutgetränk- Also, entweder Sie, meine Damen und Herren von ten Immobilien zu trennen, ist nicht bekanntgewor- der Opposition, überzeugen uns und die deutsche den. Das liegt aber sicherlich daran, daß es hier Öffentlichkeit davon, daß Sie es mit der Wirtschafts- keine energische Lobby gibt und es auch nicht um so und Eigentumsfreiheit dauerhaft und grundsätzlich viel Geld geht. ernst meinen, so daß man Sie auch weiterhin und bei Damit komme ich zu der eigentlichen Begründung ganz anderer Gelegenheit noch daran erinnern für dieses Gesetz: Es geht - allein in und um Berlin - kann, oder unserer kleinen F.D.P. gelingt es, die noch um rund 1 300 Hektar Boden mit Preisen von bis zu widerstrebenden Kollegen in der CDU - ich spreche 16 000 DM pro Quadratmeter in Berlin-Mitte. Und hier ausdrücklich nicht von der CSU - auf den Pfad nur weil die Lobby derjenigen, die durch eine Rück- der Tugend zu bringen. Nur dann wird die nach- gabe enorm bereichert würden, vor allem den Berli- drücklich zu begrüßende Vorlage des Bundesrates ner Senat mit diesen Argumenten vom „Unrechts- letztlich Erfolg haben können. gut" erfolgreich unter Druck gesetzt hat, ist dieses Besten Dank. Gesetz überhaupt zustande gekommen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Dabei geht es nicht um Tante Hertha, deren klei- ten der CDU/CSU) nes Häuschen an der Bernauer Straße enteignet wurde, sondern in hohem Umfang um große Immobi- lienfirmen, die die Rückübertragungsansprüche auf- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Nun er- gekauft haben und jetzt einen Gewinn realisieren teile ich dem Abgeordneten Professor Heuer das wollen. Wort. (Thomas Krüger [SPD]: Das stimmt doch überhaupt nicht! Sie haben doch gar keine (PDS): Herr Präsident! Meine Dr. Uwe-Jens Heuer Ahnung!) Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates gibt zwei Begründungen für die Daß die Bundesregierung dieser Sache sehr lustlos Notwendigkeit einer solchen Regelung, die beide gegenübersteht, kann man ihrer Stellungnahme ent- nicht recht überzeugen, und verschweigt den eigent- nehmen. Das Problem ist offenbar auch für die Bun- lichen Grund dieser Ini tiative. desregierung - das ist hier schon gesagt worden -, daß dann weitere Enteignungen zur Disposi tion ste- Erstens wird gesagt: Wenn die früheren Mauer- hen. Dort werden sich die Kläger nicht auf den Sym- grundstücke nicht zurückgegeben werden, ist die bolgehalt der Mauer berufen, sondern auf das hier Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates in seinem Kern vorliegende Gesetz in Verbindung mit A rt. 3 des berührt. Das überzeugt keineswegs. Was immer der Grundgesetzes. Insofern irren die Autoren des „Ke rn des Rechtsstaates" sein mag, der von der Gesetzentwurfs. Rückgabe oder Nichtrückgabe der Mauergrund- stücke berührt wird - die Privilegierung einer beson- Ich bin gegen den Gesetzentwurf, weil er willkür- deren Gruppe von in der DDR gegen die damals üb- lich die Privilegierung einer Gruppe ansteuert, für liche Entschädigung Enteigneten kann keineswegs die es keine rechtlichen Argumente gibt, weil damit 3318 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Uwe-Jens Heuer unübersehbare Folgeansprüche heraufbeschworen Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo- werden und weil er die Systematik des Vermögens- gie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union gesetzes verletzt. Wenn sich der Staat an diesen Grundstücken weiterhin nicht bereichern wollte, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für gäbe es andere Wege, sich davon zu entlasten, über die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgese- die wir diskutieren können. hen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann haben wir das so beschlossen. Danke schön. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Abge- (Beifall bei der PDS) ordneten Lilo Blunck das Wort.

Damit schließe Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: (SPD): Herr Präsident! Meine lieben ich die Aussprache. Lilo Blunck Kolleginnen und Kollegen! Wer eine Kennzeichnung Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor- gentechnisch veränderter Lebensmittel ablehnt, der lage auf Drucksache 13/120 an die in der Tagesord- hat etwas zu verbergen - so der Bundesgesundheits- nung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit minister Seehofer. Minister Rüttgers glaubt sogar, einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Wider- daß derjenige, der sich um die Kennzeichnungs- spruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. pflicht drücken wolle, damit den Wi rtschaftsstandort Deutschland gefährde. Er hat noch hinzugefügt: Die Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tages- Debatte wirft uns in der Frage der Akzeptanz der ordnung um die Beratung des Antrags der Fraktion Gentechnik um Monate, um nicht zu sagen: um der SPD „Kennzeichnung von gentechnisch herge- Jahre zurück. stellten und veränderten Lebensmitteln" zu erwei- tern. Dieser Antrag soll gleich in verbundener Bera- Richtig, dann aber stellt sich doch die Frage, tung mit den Zusatzpunkten 3 und 4 behandelt wer- warum die Koalitionsparteien unseren im EU-Aus- den. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung schuß gestellten Antrag nach einer umfassenden und einverstanden? - Da ich keinen Widerspruch sehe ausnahmslosen Kennzeichnung abgewimmelt haben und höre, ist das offenbar der Fall. Dann ist das so und sich lediglich für eine verwässernde Regelung beschlossen. einsetzen konnten. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das stimmt Ich rufe damit die Zusatzpunkte 3 und 4 sowie den doch gar nicht!) soeben auf die Tagesordnung gesetzten Zusatz- punkt 11 auf: Die Antwort ist: Die Regierung weiß selbst nicht ganz genau, was sie will; denn bis heute gibt es of- ZP3 Vereinbarte Debatte fensichtlich kein abgestimmtes Verhalten zwischen Kennzeichnungspflicht gentechnisch herge- den einzelnen Ressorts. Durch dieses Versäumnis stellter oder manipulierter Lebensmittel und wurde die Verhandlungsposition der Bundesregie- Lebensmittelzusatzstoffe rung in Brüssel bislang schon geschwächt; das ge- schieht weiterhin. Das hat leider zur Folge, daß die ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Lilo Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher wie- Blunck, Dr. Marliese Dobberthien, Wolf-Mi- der einmal auf der Strecke bleiben, chael Catenhusen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD (Klaus Kirschner [SPD]: Sehr wahr!) Einsatz der Gentechnik und anderer- neuarti- und das auch in dem Bereich ausnahmsloser Kenn- ger biotechnologischer Verfahren in der Le- zeichnung. bensmittelproduktion (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne - Drucksache 13/1549 — ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Überweisungsvorschlag: Bei diesem Hin und Her habe ich den Verdacht, Ausschuß für Gesundheit (federführend) daß das nicht abgestimmte Verhalten der Bundesre- Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gierung reine Taktik ist. Nach außen setzen sich ei- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung nige Mitglieder der Bundesregierung zur Beruhi- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gung der Bevölkerung für eine Kennzeichnungs- Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo- pflicht ein und verschaffen der Regierung damit ein gie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union billiges Alibi, um sich dann um so bereitwilliger in Brüssel über den Tisch ziehen lassen zu können. ZP11 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Darin hat diese Bundesregierung Erfahrung; Kennzeichnung von gentechnisch hergestell- ten und veränderten Lebensmitteln (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) - Drucksache 13/1596 - Überweisungsvorschlag: denn in Brüssel - das wissen wir inzwischen alle - hat Kommissar Bangemann bereits kundgetan, was Ausschuß für Gesundheit (federführend) Ausschuß für Wirtschaft er von einer umfassenden Kennzeichnung hält. Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Hat der hier et Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit was zu sagen?) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3319 Lilo Blunck Sie ist für ihn überflüssig, weil zu viele Informationen Für mich hat der Verbraucher einen ganz hohen die Verbraucher nur verwirren könnten. Stellenwert. Ob er aus ethischen Gründen nein sagt zu einem gentechnologisch oder biotechnologisch (Dr. [F.D.P.]: Er soll die Toma veränderten Nahrungsmittel oder ob er es aus Ge- ten essen und ruhig sein!) sundheitsgründen oder aus Umweltgründen macht: Das ist nicht zuletzt auch angesichts der ständig Wir haben Achtung vor dem Willen der Verbraucher zu haben. Auch deshalb brauchen sie die Kennzeich- steigenden Zahl von ernährungsbedingten Krank- nung. heiten und von Allergien gerade bei Kindern ein reichlich zynisches und unverschämtes Argument. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Das, so finde ich, ist nicht in Ordnung. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albe rt Bei der Novel-Food-Verordnung geht es nicht al- Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE lein um die Kennzeichnung. Ebenso wichtig ist ein GRÜNEN]) zwingend vorgeschriebenes Genehmigungsverfah- Dazu kommt noch - es freut mich, daß ich das als ren. Sozialdemokratin sagen kann -: Bangemann braucht (Bundesminister Horst Seehofer: Das gibt dringend Nachhilfestunden in freier Marktwirtschaft; es!) (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sozialer Markt Dieses muß dem Vorsorgegedanken Rechnung tra- wirtschaft!) gen. Die Verantwortung des Produzenten für sein denn die Marktwirtschaft lebt vom Marktgeschehen. Produkt muß schon bei der Einführung und der Ent- Information ist eine Voraussetzung, um am Marktge- wicklung des Produkts vorhanden sein. Es muß ei- schehen teilnehmen zu können. Informa tion aber be- nen Vergleich mit alternativen Methoden geben. deutet Kennzeichnung. Nach der Einführung des Produktes muß es eine be- gleitende Risiko- und Sicherheitsforschung geben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der F.D.P.) Lieber Herr Seehofer, Ihr Zwischenruf von der Re- gierungsbank ist sehr bemerkenswert, aber leider Nun ist Herr Bangemann in der Vergangenheit falsch, denn von diesem Genehmigungsverfahren nicht gerade als Anwalt der Verbraucherinnen und steht dort nichts. Das wissen Sie so gut wie ich. Verbraucher in Erscheinung ge treten, so daß mir seine vermeintliche Fürsorge immer sehr verdächtig Es muß eine Ausweitung der Produkthaftung auf erscheint. die Urproduktion, auf die Entwicklungsrisiken, auf mögliche ökologische Folgen geben. Bei Verdachts- (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Zu Recht!) momenten muß es endlich eine bundeseinheitliche öffentliche Warnung geben. Um aber mit Minister Seehofer zu sprechen: Was hat er eigentlich zu verbergen, der Herr Bangemann? Wir Sozialdemokraten lehnen neuartige Technolo- Bangemann weiß, um was es geht: Er weiß genau, gien auch in der Lebensmittelproduktion nicht ab, daß bei der Gentechnik das wirk liche Gold in der denn angesichts der zum Teil wirk lich ganz hohen Nahrungsmittelindustrie zu verdienen ist. Da würden Umweltbelastungen, der ganz hohen gesundheitli- sich umfassende Informationen als verkaufs-- und chen Risiken - siehe Allergien - bei konventionellen umsatzfördernd auswirken, es sei denn, es gibt Pfer- Methoden sind durchaus Vorteile bei neuartigen, defüße. auch gentechnischen Verfahren denkbar. Aber dann muß sichergestellt werden, daß der Einsatz neuer Le- (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Pferdefüße für bensmitteltechnologien, insbesondere gentechni- Bangemann?) scher Verfahren, Verbesserungen mit sich bringt. Es muß sichergestellt werden, daß es keine zusätzlichen Meine Damen und Herren, wir fordern die Bundes- Gefährdungen für die Umwelt und für den Men- regierung auf, sich am 6. Juni bei den Beratungen schen gibt. über den EU-Binnenmarkt mit Nachdruck für eine umfassende und ausnahmslose Kennzeichnung ein- (Beifall bei der SPD) zusetzen und end lich von dieser Verdummungsstra- tegie zu lassen. In diesem SPD-Antrag sind die Forderungen, die Wünsche, die Erwartungen der Verbraucher und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Verbraucherinnen enthalten. Nehmen Sie sie ernst! ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir stärken Ihnen, Herr Bundesminister, wenn Sie es Dabei geht es mir darum, nicht nur die Kennzeich- denn ernst und so umfassend meinen, wie ich es ge- nungspflicht für die Tomate einzuführen, sondern rade geschildert habe, auch für das Kabinett den selbstverständlich auch für das Ketchup. Rücken - im Interesse der Verbraucher und Verbrau- cherinnen, aber auch im Interesse der produzieren- (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Auch für die den Wirtschaft im Lebensmittelbereich. Denken Sie Gurke!) alle daran: Das Ergebnis der Beratungen über den Binnenmarkt am 6. Juni entscheidet auch darüber, Auch der Zucker, der aus der Zuckerrübe hergestellt ob es unser Europa, das Europa von Bürgern und worden ist, ist kennzeichnungspflichtig. Bürgerinnen wird oder ob es das Europa der seelen- 3320 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Lilo Blunck losen Bürokraten und der rücksichtslosen Interessen- nie nicht einmal mehr sämtliche Tomaten kennzeich- vertreter wird. Letzteres sollten wir nicht zulassen. nen will? Vielen Dank. Editha Limbach (CDU/CSU): Mir ist selbstver- (Beifall bei der SPD) ständlich bekannt, seit wann ein Entwurf für eine Verordnung für Novel-food-Erzeugnisse vorliegt. Das Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort er- ist uns allen bekannt; denn wir haben schon im Ja- halt nun die Abgeordnete Editha Limbach. nuar 1993 über diese Frage hier im Plenum disku- tiert.

Editha Limbach (CDU/CSU): Herr Präsident! (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Da hat die liebe Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich war bei der Frau Kollegin wahrscheinlich gefehlt!) Rede der Kollegin Blunck ein wenig verwirrt, weil Wir haben im vergangenen Jahr im Europaausschuß mir nicht ganz klar war, zu welcher Drucksache sie darüber diskutiert und auch einen Beschluß dazu ge- gesprochen hat, ob noch zu der sechsseitigen, die wir faßt. - Herr Präsident, da meine Antwort etwas län- ursprünglich bekommen haben, oder möglicher- ger ausfällt, habe ich Verständnis dafür, wenn sich weise zu der einseitigen, die heute erschien. die Kollegin Blunck setzen möchte. Ich weiß nicht, ob (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Beiden das möglich ist. können Sie ohne Schwierigkeiten zustim (Lilo Blunck [SPD]: Ich habe doch noch gar men!) keine gentechnisch veränderten Lebensmit - Nein, Frau Wieczorek-Zeul, ich stimme nur Sachen tel gegessen, Frau Limbach! - Gegenruf des zu, die ich überlegt habe, über die ich mit Kollegen Abg. Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: habe sprechen können und von denen ich sicher bin, Da bin ich mir nicht so sicher! Ich habe den daß das nicht ein Hauruckverfahren ist, sondern ein Verdacht, da ist schon was passiert!) seriöses Unternehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich habe ei- gentlich kein Verständnis dafür. Wenn ich das alles so höre, kann ich nur sagen: Ich war etwas überrascht, daß die Kollegin Blunck eben (Heiterkeit) davon gesprochen hat, es gebe kein abgestimmtes Verhalten der Bundesregierung. Dabei hat sie noch Editha Limbach (CDU/CSU): Gut, wir richten uns vor wenigen Minuten gemeinsam mit Minister See- nach dem Präsidenten. hofer und mir zusammengesessen und von ihm er- fahren, daß die Bundesregierung - nicht das Gesund- Ich weiß natürlich auch, daß die Bundesregierung heitsministerium oder das Landwirtschaftsministe- während ihrer Ratspräsidentschaft einen Kompro- rium oder das Forschungsministerium, nein, die Bun- mißvorschlag vorgelegt hat, der im übrigen zu die- desregierung! - den Vorschlag so, wie er jetzt in sem Zeitpunkt der Richtung entsprach, die im Euro- Brüssel auf dem Tisch liegt, ablehnen wird. paausschuß und hier im Parlament durch die Mehr- heit vorgegeben worden war. - Das war das Ende der (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Na, jetzt verstehe Antwort, Frau Kollegin. ich gar nichts mehr!) - (Lilo Blunck [SPD]: Danke! Ich wußte bloß nicht, ob es die Antwort auf meine Frage Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, war! - Zuruf von der CDU/CSU: Läuft die gestatten Sie eine Zwischenfrage? Redezeit?) - Nein, die Redezeit läuft nicht weiter. Der Präsident Editha Limbach (CDU/CSU): Ja, ich gestatte der achtet sorgfältig darauf, daß mir keine Redezeit ver- Kollegin die Zwischenfrage. lorengeht. Ich frage mich manchmal, gegen wen hier ge- Bitte, Frau Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: kämpft wird. Blunck, Sie können Ihre Zwischenfrage stellen. (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Im mer gegen die Regierung!) Lilo Blunck (SPD): Frau Kollegin Limbach, wissen Sie, daß diese Novel-food-Verordnung bereits seit Denn ich glaube, spätestens seit der Diskussion 1993 1989 vorliegt, daß von der Bundesrepublik Deutsch- ist klar: Eine Kennzeichnung gentechnisch veränder- land in der Zeit, in der sie den Vorsitz in der EU ter Lebensmittel und Lebensmittelzutaten wünschen hatte, ein Vorschlag eingebracht worden ist, der all wir alle. die Forderungen, die in dem von mir unterzeichne- ten umfangreichen Antrag stehen, nicht enthält, und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) daß der Herr Minister Seehofer von einem französi- Im Detail gibt es kleine Unterschiede unserer Auffas- schen Vorschlag gesagt hat, daß es dazu einen ge- sungen, z. B. wenn es darum geht, welche Regel meinsamen Standpunkt gegeben habe - zu einem praktikabel ist und welche nicht. Vorschlag, der der Kommission die Beurteilung eines Lebensmittels überläßt und über die Saatgutrichtli- (Lilo Blunck [SPD]: Das ist das Einfallstor!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3321

Editha Limbach Aber die grundsätzliche und umfassende Kennzeich- Wieder ernst: Ich akzeptiere durchaus, daß es in nung ist hier im Haus überhaupt nicht strittig. der Bevölkerung Unsicherheit, ja Ängste gibt. Ich denke, wir sind auch gehalten, diese Ängste ernst zu (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sehr gut!) nehmen. Wir sind aber nicht gehalten, diese Ängste zu schüren oder sie gar zu mißbrauchen, um ganz an- Frau Blunck, ich muß mich noch eine Weile bei Ih- dere Dinge zu erreichen. rer Rede aufhalten. Aber daß man darauf eingehen kann, macht ja auch den Reiz einer Rede aus. - Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haben den Aspekt der ernährungsbedingten Krank- heiten angeführt. Ich glaube nicht, daß die Besorg- Ich akzeptiere auch - obwohl ich es nicht verstehen nis, ernährungsbedingte Krankheiten seien auf Gen- kann -, daß es Menschen gibt, die sich aus anderen technik zurückzuführen, gerechtfertigt ist. Sie selbst Überzeugungen, aus ethischen Überzeugungen zu- haben eben so ne tt gesagt, Sie hätten noch gar keine rückhalten. Ich kann es deshalb nicht verstehen, weil gentechnisch veränderten Lebensmittel gegessen. der Mensch, solange er wirtschaftet und Landwirt- Die meisten Bürgerinnen und Bürger haben das wohl schaft betreibt, immer versucht hat, das, was da war, auch nicht. durch Einwirkung, durch Zucht und dergleichen, zu verändern und zu verbessern. Ich sehe in den Bio Ich habe gerade gestern an einer Tagung teilge- technikverfahren einen graduellen, aber keinen nommen, auf der ein Forschungsprojekt ausgezeich- grundsätzlichen Unterschied. Aber eben weil es net wurde, das deutlich gemacht hat, daß bei be- Menschen gibt, die ethische Bedenken haben, for- stimmten Erkrankungen von Kindern beispielsweise dern wir die Kennzeichnung nicht nur in dem Sinn, Milch außerordentlich schädlich ist - wie Herr Bangemann und andere es vorgeschlagen haben, nämlich nur dann, wenn es substan tielle Ver- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sehr gut!) änderungen gibt, sondern eben auch dann, wenn die Veränderung nicht substantiell ist, weil wir glauben, obwohl wir doch alle der Meinung sind, Milch käme daß die Verbraucherinnen und Verbraucher in ganz nun wirklich von der Kuh und sei in der Regel auch Europa das Recht haben müssen, ein Produkt zu ken- ein äußerst gesundes Nahrungsmittel. nen und sich dann zu entscheiden, ob sie es kaufen wollen oder nicht.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Limbach, die Frau Kollegin Blunck möchte Ihre Re- Lilo Blunck [SPD]: Sagen Sie doch einmal dezeit durch eine weitere Zwischenfrage weiter ver- etwas zum Zucker, Frau Limbach!) längern. Wir brauchen „europaweit ... s trenge Maßstäbe an die Zulassung und Kennzeichnung". - Das ist ein wörtliches Zitat aus meiner Rede vom Januar 1993. - Editha Limbach (CDU/CSU): Bitte schön. Wir brauchen die Kennzeichnung auch aus diesem Grund. Wir brauchen sie übrigens nicht nur zur Infor- mation der Verbraucherinnen und Verbraucher, son- Lilo Blunck (SPD): Vielen Dank, Frau Limbach. - dern auch, damit die Akzeptanz neuer Technologien Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß ernährungsbe- überhaupt wachsen kann. In einem hat Frau Blunck dingte Krankheiten auch auf das Essen von Light- recht, nämlich wenn sie sagt: Wer nicht kennzeich- Produkten zurückzuführen sind. In diesen Light-Pro-- nen will, der gerät in den Verdacht, daß er etwas ver- dukten sind bereits gentechnisch veränderte Zucker- bergen will. - Allerdings sage ich: Es gibt gar nichts austauschstoffe und andere biotechnologisch verän- zu verbergen. Aus diesen Gründen meine ich, es ist derte Präparate enthalten. Sie wissen, daß es in Ame- richtig, eine Kennzeichnung zu forde rn. Ich glaube, rika eine Untersuchung gibt, nach der es infolge die- daß die Industrie, die diese neuen Techniken anwen- ser Ernährungsweise zu extremer Fehlernährung det, sich selbst einen großen Gefallen tut, wenn sie und zu Krankheitsbildern ganz anderer Art gekom- offen und ehrlich sagt: „Jawohl, so ist das", weil men ist. Würden Sie mir das bestätigen? dann die Menschen auch erkennen können, daß es eine neue Technologie ist und sich für sie entschei- den können, es aber auch lassen können. Editha Limbach (CDU/CSU): Frau Blunck hat es geschafft, aus einer Feststellung noch eine Frage zu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) machen. Ich kann Ihnen gerne bestätigen, daß un- gesunde Ernährungsweise zu den verschiedensten Wir haben am 17. Mai im Ausschuß für die Angele- Krankheiten führt. genheiten der Europäischen Union einen Beschluß gefaßt. Wir haben gesagt: konsequent für Kennzeich- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU nung einsetzen, praktikable Regelungen finden, den und der F.D.P. - Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Zu Umkehrhinweis ermöglichen. Das letzte bedeutet, Kurzatmigkeit!) daß es auch möglich sein muß, daß ein Hersteller auf seine Produkte schreibt: Ich verwende bei meinen - Wenn Sie jetzt „Kurzatmigkeit" und anderes anfüh- Tomaten nur das, was in der Natur wächst, und keine ren, dann habe ich den Verdacht, daß Sie mir etwas gentechnischen Verfahren. - Wir sind in der glückli- wollen. chen Lage, daß - da bin ich ziemlich sicher - das Eu- ropäische Parlament uns helfen wird. Gerade dieser (Heiterkeit) Tage hat der dafür zuständige Kollege meiner Frak- 3322 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Editha Limbach tion, der EVP-Fraktion im Europaparlament, noch Redezeit auf meine wäre ein wirk lich kollegialer Akt einmal ausdrücklich eine vollständige Informa tion gewesen. gefordert, weil die Verbraucherinnen und Verbrau- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Man soll es cher ein Recht auf sie hätten. nicht übertreiben!) Deshalb ist es richtig, nicht nur substan tielle Ver- Meine Damen und Herren, im Lebensmittelbereich änderungen, sondern auch nichtsubstantielle Verän- geht es um die Umkonstruktion von Nutzpflanzen, derungen zu kennzeichnen. Unter rein naturwissen- um künstliches Roquefort-Aroma, um Joghurtbakte- schaftlichem Gesichtspunkt könnte die erste Lösung rien, die den Vanillegeschmack gleich mitliefern, um reichen. alten Gouda in einer Woche, es geht um Brokkoli mit (Lilo Blunck [SPD]: Frau Limbach, sagen Sie Skorpiongiftgenen. etwas zum Zucker!) (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Aber den Verbrauchern reicht dies nicht. Denn es Es handelt sich hier um ein ökologisches und ge- ist wahr: Nur wer umfassend und deutlich informiert, sundheitliches Großexperiment. Es h andelt sich um kann Akzeptanz schaffen. ein gigantisches Umbauprogramm für die gesamte Natur nach den Nutzungsinteressen der Industrie. (Lilo Blunck [SPD]: Wie ist das beim Zuk Dazu kommt, daß die Politik es wegen der Wi rt ker?) -schaftsinteressen und der Versprechungen der Gen- technologen versäumt hat, ein Rechtssystem zu Oft wird gefordert, wir sollten einen nationalen Al- lich entsprechend leingang machen. Den halte ich überhaupt nicht für schaffen, das diese Technik wirk ihrem Risikopotential regelt. Sie hat vielmehr ein nützlich; er würde nichts bedeuten. Wir haben den Rechtssystem geschaffen, das diese Technik fast un- Binnenmarkt. Das heißt: Wenn wir die Produkte ent- gehindert in den Markt drängen läßt. Die EU-Verord- sprechend kennzeichnen würden, aber alle Produkte nung ist da keine Ausnahme. aus anderen Ländern, die auf dem Markt sind, nicht gekennzeichnet wären, würde die Kennzeichnung Die Politik und sogenannte Zukunftsminister reden den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht viel immer häufiger von den Versprechungen. Sie reden nutzen. Was aber noch schwerwiegender ist: Wir nie davon, daß im „Wall Street Journals' auch steht, würden in große Schwierigkeiten mit dem Europa- wieviel Geld mit dieser Technologie in den S and ge- recht kommen. Ich muß sagen, man kann nicht sozu- setzt worden ist. Wir hören hier nie von Überschrif- sagen ein Schönwettereuropa haben: Wenn die Re- ten, daß 70 % dieser Gentechnologienfirmen werden gelungen in Europa zu 100 % so ge troffen werden, aufgeben müssen. Die Technologie hat einfach nicht wie wir sie wollen, dann wollen wir Europa, und funktioniert und ist deshalb ein Flop. Geld wird nur wenn auch wir zu unseren Lasten einmal Kompro- mit ganz wenigen Produkten gemacht. misse schließen müßten, dann nicht. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wie wird In Aber so weit ist es überhaupt nicht; denn die Bun- sulin hergestellt?) desregierung hat erklärt, daß sie den Vorschlag, wie Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um er jetzt in Brüssel vorliegt, ablehnt. Das bedeutet, es eine Debatte über Fortschrittsfeindlichkeit oder über muß weiter verhandelt werden. Wenn das Europä- Urängste. ische Parlament seine Rolle wahrnimmt, wird es auch gar nicht anders gehen. Ich hoffe, daß wir dann zu (Editha Limbach [CDU/CSU]: Anscheinend einem guten Ergebnis kommen. - doch!) Ich habe jetzt eine Minute Redezeit eingespart, da- Es geht bei der Gentechnologie um die Frage, ob mit ein Kollege, der nach mir reden will, noch ein biß- und wie eine derartige Risikotechnologie überhaupt chen mehr Zeit hat. verantwortbar ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Beifall des Abg. Albe rt Schmidt [Hitzhofen] Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Er kann es aber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) auch bleiben lassen!) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, ich freue mich, daß Sie heute ne- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Sie haben ge- ben Ihrem ersten auch einen zweiten Antrag gestellt nau eine Minute und 50 Sekunden eingespart. haben. Dieser Antrag hätte es dem Parlament in sei- ner Gesamtheit ermöglicht, die Regierung zu beauf- Ich erteile nun der Kollegin Marina Steindor das tragen, sich für eine ausnahmslose Kennzeichnung Wort. einzusetzen. Das Parlament hätte die Möglichkeit ge- habt, dieser Regierung den Rücken zu stärken. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber keine Aufforderung, daß sie jetzt länger re Bei unserem Besuch in Brüssel haben wir uns aller- det! ) lei anhören müssen. Zum Beispiel haben Delegati- onsvertreter versucht, uns weiszumachen, daß Deutschland mit dem Rücken an der Wand stehe, Marina Steindor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): daß auf dem europäischen Parkett die Frage der aus- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und nahmslosen Kennzeichnung eine A rt deutsche Herren! Frau Kollegin, die Übertragung Ihrer CDU- Krankheit sei, daß nur noch Deutschland und Oster- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3323

Marina Steindor reich für diese Position stünden. Meine Damen und All diese Jahre haben Sie uns mit Europa vertröstet Herren, ein paar Telefonate haben die Wirk lichkeit und keinen nationalen Alleingang gemacht. Es gibt wieder zurechtgerückt. Ich gehe fest davon aus, daß im deutschen Lebensmittelrecht keine spezifischen es eine Sperrminorität geben wird. Regelungen für gentechnisch hergestellte oder ver- änderte Lebensmittel. Sie wollen uns hier weis- (Lilo Blunck [SPD]: Mindestens! Wenn nicht machen, daß ein nationaler Alleingang ein Zeichen eine Mehrheit!) gegen Europa wäre; das stimmt einfach nicht. Es gibt europäische Mitgliedstaaten, die eine eigene Gen- Mittlerweile redet in diesem Parlament jeder von food-Verordnung haben. In Deutschland aber be- Kennzeichnung. steht ein rechtliches Niemandsland. Sie haben es (Lilo Blunck [SPD]: Ja, aber wofür?) nicht für nötig befunden, die Bürgerinnen und Bür- ger vor den gesundheitlichen Risiken von gentech- Aber Ihr Verhalten heute, Ihre Weigerung, über die- nisch hergestellten oder veränderten Lebensmitteln sen Antrag mit uns allen gemeinsam abzustimmen, zu schützen. spricht Bände. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das stimmt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN doch gar nicht, was Sie hier sagen!) und bei der SPD) Es wird hier immer viel von Kennzeichnung gere- Selbstverständlich wäre uns klar gewesen, daß es det. Es gibt aber kaum Debatten über gesundheitli- sich hier um eine sehr merkwürdige Zusammenset- che Risiken dieser Technologie. Auch die Ökologie zung, Koalition gehandelt hätte: auf der einen Seite kommt hier viel zu kurz. Menschen, die die Kennzeichnung wollen, damit die Bürgerinnen und Bürger eine bewußte Kaufentschei- Für meine Partei und den Großteil der Bevölke- dung treffen können, auch um die Nachfrage nach rung - wenn man den Umfragen Glauben schenken diesem Produkt zu minimieren, auf der anderen Seite darf - gilt das Motto: Wir brauchen dieses Genfood Leute, die die Akzeptanz für diese Technik schaffen nicht, wir wollen es nicht, und wir werden es auch wollen. nicht essen. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie wollen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Gentechnik verhindern und nichts an sowie bei Abgeordneten der SPD und der deres!) PDS) Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß es in diesem Parlament auf der Regierungsseite viele Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat gibt, die sich in dieser Frage sehr oppo rtunistisch ver- der Abgeordnete Dr. Dieter Thomae. halten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Herr Präsident! Meine und bei der SPD) sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte gern vier Feststellungen treffen. Erstens. Die Liberalen Der EU-Verordnungsentwurf ist für uns völlig un- sind für eine generelle Kennzeichnungspflicht. annehmbar: Die Kennzeichnung ist hier im Parla- Zweitens. Der Verbraucherschutz hat höchste Priori ment keine Frage mehr, und auch bei der- gesund- -tät. heitlichen Unbedenklichkeitsprüfung ist er mangel- haft. Er enthält kein Versagensermessen, er enthält (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so keine Prüfkriterien für diese Lebensmittel. wie bei Abgeordneten der SPD und der PDS) Sprichwörtlich geht die Liebe ja durch den Magen. Ob das bei einer Liebe zum Staat genauso wäre und Drittens. Informationspolitik gehört zu einem ver- ob eine Staatsliebe überhaupt noch zeitgemäß ist, nünftigen Wettbewerb. darüber will ich mich hier nicht auslassen. Auf jeden Fall handelt es sich beim Essen aber um ein vitales, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne existentielles und kulturelles Bedürfnis. Das Lebens- ten der SPD) mittelrecht basiert auf A rt. 2 des Grundgesetzes - Recht auf körperliche Unversehrtheit. Der Staat hat Viertens. Wir möchten, daß die Gentechnik und die die Pflicht, seine Bürgerinnen und Bürger zu schüt- Biotechnik eine Chance haben. Wir sollten ihnen zen. Da sehe ich bei Ihnen, Herr Minister Seehofer, eine Chance einräumen und nicht nur mit Pessimis- grundlegende Versäumnisse. mus darangehen. (Widerspruch bei der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der SPD) Schon seit Jahren - das ist schon angesprochen worden - geht das Geziehe und Gezerre um die EU- Die Grünen schießen gegen Gentechnik und ge- Novel-Food-Verordnung. gen Biotechnik. Ich würde mir als Grüner wirklich einmal überlegen, ob Sie es verantworten können, (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So l ange ist daß Menschen viele Jahre lang leiden, obwohl wir im er noch gar nicht im Amt!) medizinischen Bereich mit der Gentechnik weit- 3324 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Dieter Thomae gehend Erfolge hätten, wenn Sie diese Technik nicht die Besorgnis der Menschen über eine mögliche Ge- torpediert hätten. sundheitsgefährdung binnen relativ kurzer Zeit schwindet und damit auch die Sorgfalt, mit der sie (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - auf eine Kennzeichnung von Nahrungsmitteln ach- Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ten. Dabei sieht die EG-Verordnung über neuartige NEN) Lebensmittel noch nicht einmal die Kennzeichnung Wir hätten im Bereich der multiplen Sklerose und in aller Kreationen vor, die mit Hilfe der Gentechnolo- anderen Bereichen schon weitgehende Fortschritte gie entstanden sind. erreicht. Wir könnten diese Krankheit auf jeden Fall stoppen, wenn Sie dies in den Ländern nicht torpe- Es ist mir unbegreiflich, mit welcher Sicherheit von diert hätten. Denken Sie darüber einmal nach! Vertretern der Industrie - aber auch von anderen, auch von einigen hier im Saal - die Ansicht vertreten (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) wird, genmanipulierte Nahrungsmittel seien beim Wir wollen der Biotechnik und der Gentechnik eine Verzehr völlig ungefährlich. In der Tat liegen noch Chance einräumen. Wir halten das für dringend not- gar keine Untersuchungsergebnisse vor, insbeson- wendig. dere solche von Langzeitstudien, die diese Einschät- zung rechtfertigen würden. Man könnte wohl viel Letzter Punkt: Wir sehen eine Differenz zwischen eher davon sprechen, daß die Freigabe von genmani- Brüssel und Bonn. pulierten Lebensmitteln, ob gekennzeichnet oder (Zustimmung bei der F.D.P.) nicht, einem großangelegten Feldversuch über die Folgewirkungen derartiger Lebensmittel entspricht. Wir werden dafür eintreten, daß bei uns die umfas- sende Kennzeichnung erfolgt. Die mögliche Gesundheitsgefährdung durch gen- manipulierte Nahrungsmittel oder solche, deren Her- Meine Damen und Herren, ich meine, damit sind stellung gentechnologische Verfahren beinhaltet, be- die entscheidenden Punkte genannt worden. trifft keinesfalls nur Menschen mit Allergien. Welche (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Auswirkungen genmanipulierte Mikroorganismen aus Wurst und Joghurt oder eine Herbizidresistenz Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun im Mais auf die Verdauungsorgane des Menschen dem Abgeordneten Wolfgang Bierstedt das Wo rt. haben, liegt einfach noch im Dunkeln, und das ist noch ziemlich wohlwollend formuliert.

Wolfgang Bierstedt (PDS): Sehr geehrter Herr Prä- Keineswegs garantiert die vorgebliche Identität ei- sident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kollegen nes gentechnisch produzierten Stoffes mit einem her- Stenographen, diesmal werde ich ein bißchen lang- kömmlichen bereits dessen Verträglichkeit. Dies ist samer sprechen. doch nur dann so, wenn die Gefahren eines gentech- Viele Verbraucherinnen und Verbraucher können nischen Herstellungsprozesses vollkommen ausge- schon heute mit den Aufschriften auf Verpackungen blendet werden. Geringste Verunreinigungen, die und den Inhaltsangaben von Lebensmitteln wenig niemals auszuschließen sind, können hier eine ver- anfangen, zumal Wortwahl und Größe der Informa- heerende Wirkung erzielen. Der Fall der Aminosäure tionen das Verständnis nicht gerade erleichtern. Es L-Tryptophan und die anschließenden Todesfälle ha- ist eigentlich auch nicht einzusehen, daß Verbrau- ben dies exemplarisch gezeigt. Es ist insofern über- haupt nicht zu rechtfertigen, daß die be treffenden cherinnen und Verbraucher sich vor dem Kauf- von Lebensmitteln an Hand langer Packungsdeklaratio- Produkte von der Kennzeichnungspflicht ausgenom- nen über die Verträglichkeit von Produkten infor- men werden sollen. mieren müssen, immer frei nach dem Motto: Bei Risi- ken und Nebenwirkungen fressen Sie Ihre Pak- Lassen Sie mich zu einem anderen Punkt kommen: kungsbeilage und erschlagen Sie Ihren Arzt, Ihren Viel zu geringes Augenmerk wird bei der Diskussion Apotheker und gegebenenfalls auch den Händler. über genmanipulierte Lebensmittel auf die sozioöko- nomischen Auswirkungen der Markteinführung ge- (Beifall bei der PDS) richtet. Seit Jahren be treibt das Kartell der Chemie- unternehmen einen systema tischen Aufkauf von Die Entscheidung, ob bestimmte Nahrungsmittel Saatgutfirmen. Zunehmend geraten speziell Klein- möglicherweise eine Gefährdung der Gesundheit bäuerinnen und Kleinbauern unter den Druck der darstellen, muß vor ihrer Herstellung getroffen wer- großen Konzerne, die der Landwirtschaft die Rolle den. Diese Entscheidung darf nicht jedem einzelnen, des Produzenten von nachwachsenden Rohstoffen der vor dem Regal im Supermarkt steht, überantwor- zuweisen wollen. Kombiniert werden diese Grund- tet werden. Eine sachgerechte Entscheidung ist do rt stoffe dann von der chemischen Indust rie, und die nämlich nur demjenigen möglich, der sich perma- Bauern ihrerseits werden zu abhängig Beschäftigten. nent, auch in wissenschaftlichen Publikationen, über Dieser Prozeß behindert den von uns gewollten Auf- den neuesten Forschungsstand unterrichtet. Die bau einer ökologischen Landwirtschaft; denn bei ge- überwiegende Mehrheit der Konsumenten wird dies nauerem Hinsehen bietet auch eine Herbizid- oder nicht tun bzw. kaum tun können. Insektenresistenz keinen nachhaltigen Vorteil. Viel- Genau darauf spekulieren jedoch die Firmen, die mehr drohen eine weitere Einschränkung der Arten- genmanipulierte Nahrungsmittel herstellen und ver- vielfalt und die ausufernde Verbreitung von Resisten- kaufen wollen. Sie setzen ganz einfach darauf, daß zen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3325 Wolfgang Bierstedt Doch nicht nur für die Landwirtschaft in Deutsch- wicklung anderer neuer Technologien auch gege- land stellt der Einsatz der Gentechnologie langfristig ben. Deshalb habe ich großes Verständnis dafür, daß eine Bedrohung dar; wesentlich größere Probleme 95 % der Bevölkerung - so hat es eine „Spiegel"-Um- drohen den Menschen des Südens. Kakao, Vanille, frage, die Emnid durchgeführt hat, ergeben - Zucker, selbst Orangen sollen nach den Plänen der Industrie mit gen- oder biotechnologischen Verfah- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wie war die ren im Norden produziert werden. Den Bauern des Frage gestellt?) Südens wird auf diese Weise auch die letzte Möglich- für die Kennzeichnungspflicht gentechnisch verän- keit genommen, Waren an den Norden zu verkaufen. derter Nahrungsmittel sind. In der gleichen Umfrage haben sich sogar 69 % der Befragten grundsätzlich Noch gar nicht berücksichtigt ist dabei die Tatsa- gegen den Verzehr von gentechnisch veränderten che, daß mit Hilfe von Gen-Patenten den Menschen Nahrungsmitteln ausgesprochen. Dieses Ergebnis dort die Verfügungsmacht über ihre seit langen Jah- hält uns dazu an, dieses Thema vorsichtig und be- ren kultivierten Pflanzen genommen wird. Es gibt ei- wußt anzugehen. nen Baum in Indien, auf dem die gesamte US-Phar- maindustrie mit mittlerweile über 30 Patenten hockt. (Lilo Blunck [SPD]: Wie umfassend soll die Kennzeichnung sein?) Die Aussicht auf eine Gewinnsteigerung der Che- mie- und Saatgutindustrie alleine rechtfertigt unserer Es ist unumstritten, daß die Biotechnologie in der Meinung nach die Inkaufnahme möglicher nega tiver Zukunft in unserer Volkswirtschaft eine ganz ent- Folgen nicht. Vor Jahren starteten Umweltverbände scheidende Rolle spielen wird. Meiner Ansicht nach die Kampagne Essen aus dem Genlabor - natürlich bieten sich durch diese neue Technologie phantasti- nicht!" Die Argumente, die damals richtig waren, sche Möglichkeiten auch in bezug auf Umwelt- sind es unserer Auffassung nach auch heute noch. schutz, Heilung von bisher unheilbaren Krankhei- Wir würden deshalb in Erweiterung der heute ge- ten - Herr Thomae hat es schon gesagt - sowie neue machten Aussagen ein Verbot gentechnisch herge- Perspektiven für die Erzeugung von nachwachsen- stellter und manipulierter Lebensmittel begrüßen. den Rohstoffen. Man muß deshalb die Sorgen der Unseres Erachtens ist eine umfassende Kennzeich- Bürger, die häufig dann auftreten, wenn man Neu- nung aller Produkte, bei deren Herstellung die Gen- land betritt, dadurch mildem, daß man vorsichtig ab technologie in irgendeiner Form eine Rolle gespielt wägend, offen und vor allem ohne Geheimniskräme- hat, das allermindeste, was erforderlich ist. Aus unse- rei an dieses Thema herangeht. rer Sicht muß die Novel-food-Verordnung in der vor- Aus diesem Grunde ist es außerordentlich wich tig, liegenden Form abgelehnt werden. Frau Blunck, daß man jedem die freie Entscheidung Besten Dank. darüber ermöglicht, ob er gentechnisch hergestellte Lebensmittel und Lebensmittelzusatzstoffe, die aus (Beifall bei der PDS) gentechnisch veränderten Organismen hergestellt worden sind, verzehrt oder nicht. Er muß diese Ent- scheidungsmöglichkeit haben. Dafür trete ich nach- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das haltig ein. Wort dem Abgeordneten Peter Bleser. (Zuruf der Abg. Lilo Blunck [SPD]) Peter Bleser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine - Darauf komme ich noch zu sprechen, Frau Blunck. Damen und Herren! Ich wi ll hier aus der Sicht- eines Im übrigen habe ich - das wissen Sie vielleicht - in Mitglieds des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- der letzten Legislaturperiode im Europaausschuß zu schaft und Forsten zu dem SPD-Antrag über die diesem Thema schon einen Antrag eingebracht, der „Kennzeichnungspflicht gentechnisch hergestellter auch angenommen worden ist. Die wesentlichen For- oder manipulierter Lebensmittel oder Lebensmittel- derungen dieses Antrages nenne ich jetzt noch ein- zusatzstoffe" - so hieß er ja ursprünglich - sprechen. mal: Ich sage es gleich vorweg: Auch ich fordere eine Erstens. Es ist sicherzustellen, daß alle neuartigen umfassende Kennzeichnungspflicht von gentech- Lebensmittel und Lebensmittelzusatzstoffe, auch die, nisch hergestellten Lebensmitteln und Lebensmittel- die nicht in nennenswertem Umfang in den Verkehr zusatzstoffen. Das Wo rt „manipuliert", das ursprüng- gebracht werden, einer Unbedenklichkeitsprüfung lich in dem Antrag der SPD enthalten war, zeigt, daß unterzogen werden. Ihre Grundeinstellung zur Gentechnologie eher ab- Zweitens. Diese Regelung muß auch für alle in die lehnend ist. Sie versuchen, das mit Ihren Worthülsen Europäische Union importierten Nahrungsmittel gel- zu verdecken. ten. Dies ist für mich ganz wichtig. Bei uns werden (Zuruf von der F.D.P.: Das ist tragisch!) heute für 60 Milliarden DM importierte Nahrungs- mittel verzehrt. Niemand fragt heute danach, unter Meine Damen und Herren, die Biotechnologie, bei welchen Umständen diese produziert wurden. der die Gentechnik eine entscheidende Rolle spielt, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) verursacht Ä ngste und Ungewißheit in der Bevölke- rung. Das ist nicht wegzuleugnen. Niemand kann Drittens. Als Informationshilfe - damit Sie auch se- letztlich abschätzen, zu welchen gewaltigen Verän- hen, daß die CDU/CSU-Fraktion zu diesem Punkt derungen die Gentechnologie in unserer Gesell- schon immer eine eindeutige Position bezogen hat - schaft führen wird. Dies hat es übrigens bei der Ent für die Verbraucher sollte eine deutliche Kennzeich- 3326 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Peter Bleser nung aller gentechnisch veränderten Lebensmittel Meine Damen und Herren, es gibt jedoch noch ei- und Lebensmittelzusatzstoffe gewährleistet werden. nen weiteren Aspekt, der mir außerordentlich wich- Ich hatte damals allerdings die Einschränkung ge- tig ist. Es wird von Teilen der öffentlichen Meinung macht - dazu stehe ich auch heute noch -, daß dann, versucht - offensichtlich zählen Sie sich auch dazu -, wenn Verarbeitungsprodukte von gentechnisch ver- mit dieser Kennzeichnungspflicht im Grunde genom- änderten Pflanzen oder Tieren herkömmlichen Roh- men die gesamte Gentechnologie zu verhindern oder stoffen gleichzusetzen sind, von der Kennzeich- deren Entwicklung in Deutschland langfristig zu stö- nungspflicht abgewichen werden kann. Dies ist aber ren. nur restriktiv und in speziell begründeten Einzelfäl- (Editha Limbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!) len möglich. Jeder weiß, daß wir bereits heute einen Großteil der Dazu gibt es natürlich auch Beispiele: Wenn man Forschung auf diesem Sektor nicht mehr in unserem geringe Mengen einer Pflanze, die in irgendeiner Land haben, sondern im europäischen Ausland oder Form resistent gezüchtet worden ist - was es auch in Übersee. bisher schon gibt - oder die durch eine gentechni- sche Veränderung resistent geworden ist, einem Bei dieser ganzen Problematik ist für mich weniger Nahrungsmittel beimischt und diese sich später in ei- die Lebensmittelherstellung mit gentechnisch verän- nem Folgeprodukt zeigen, muß man die Möglichkeit derten Pflanzen von Bedeutung, sondern viel wichti- haben, hiervon abweichen zu können, um keine Ver- ger ist mir der Einsatz von gentechnisch veränderten wirrung zu schaffen. Pflanzen im Bereich nachwachsender Rohstoffe. Es ist durch die beschleunigte Züchtung - nichts ande- Meine Damen und Herren, ich glaube, daß der res ist Gentechnik in vielen Bereichen - heute schon Verbraucher dann, wenn diese Punkte berücksichtigt möglich, z. B. bei Kartoffeln den Stärkegehalt deut- werden, von der Unsicherheit befreit wird, unwis- lich zu erhöhen, was erhebliche Produktionsmittel- send gentechnisch veränderte Lebensmittel zu ver- einsparungen bei gewissen Verfahren ermöglicht. zehren, die er aus subjektiven oder objektiven Grün- den nicht mag. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, ganze che- mische Verfahrensschritte durch die Veränderung von Molekularketten bei Pflanzen überflüssig zu ma- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, chen. Das ist ein Beitrag zum Umweltschutz. Damit gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten steigt die Verwendungsmöglichkeit von Pflanzen als Wieczorek-Zeul? Rohstofflieferant in der chemischen Industrie, aber auch in vielen anderen Sektoren, wo man umwelt- freundliche und später leichter zu entsorgende Roh- (CDU/CSU): Bitte schön. Peter Bleser stoffe dringend sucht. Durch die Gentechnik können aber auch gravie- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön. rende Einsparungen beim Einsatz von Pflanzen- schutzmitteln - sei es bei der Schädlingsbekämp- fung, sei es bei der Behandlung von Krankheiten - Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Das, was Sie hier vorgetragen haben, entspricht ja dem, was die erwartet werden. französische Ratspräsidentschaft als angeblichen (Lilo Blunck [SPD]: Der Punkt ist sehr um Vermittlungsvorschlag unterbreiten wird, d. h. be- stritten! Es ist schwierig, das zu diskutie stimmte Lebensmittel von der Kennzeichnungs-- ren!) pflicht auszusparen. Ist das die Posi tion, die die Frak- tion der CDU/CSU vertritt? Dies ist im Grundsatz nichts Neues. Es ist im Grunde genommen eine andere Form der Züchtung, die wir (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das stimmt nicht, nicht vernachlässigen sollten. was Sie da sagen!) Damit sind wir bei dem entscheidenden Punkt: Wir haben in Deutschland nur 19 Freisetzungsversuche, Peter Bleser (CDU/CSU): Das ist nicht so. Ich habe während es in den USA zur Zeit bereits 2 000 gibt. gesagt, daß für begründete und spezielle Ausnahme- fälle - sehr restriktiv; ich sage dies auch nur vorbe- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 19 haltlich, weil man nicht genau weiß, in welcher Form zuviel!) sich die Technik überhaupt noch entwickelt - diese Wir sehen die Gefahr auf uns zukommen, daß wir Möglichkeit geschaffen werden muß. hier den Anschluß in der Wissenschaft und Technik verlieren. Es gibt die Prognose, daß wir im Jahr 2000 (Lilo Blunck [SPD]: Nennen Sie doch einmal bereits 150 Milliarden Dollar auf diesem Sektor um- Beispiele! - Gegenruf von der F.D.P.: Er for setzen. Deshalb ist es unverantwort lich - das gehört muliert jetzt noch nicht die Verordnung!) heute mit zur Diskussion -, daß wir dieses Thema so Ich sage aber sehr offen: restriktiv und vorsichtig. einseitig beleuchten. (Zuruf der Abg. Heidemarie Wieczorek Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist ab- Zeul [SPD]) gelaufen. Ich fasse zusammen: Aus der Sicht des Ver- brauchers und der Landwirtschaft halte ich eine obli- - Frau Wieczorek, ich möchte fortfahren. gatorische Kennzeichnung von gentechnisch verän- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3327

Peter Bleser derten Lebensmitteln und Lebensmittelzusatzstoffen Wer garantiert eigentlich, daß bei dem Verzehr sol- für notwendig. Gehen wir also offen, die Risiken dar- cher Tomaten diese Resistenz nicht auch eines Tages stellend und die Chancen aufzeigend, mit dem Pro- auf den Menschen überspringt, mit verheerenden blem der Gentechnologie um. Folgen für die Krankheitsbekämpfung? Ich glaube, das wäre kein Fortschritt. Bieten wir dem Verbraucher ein Optimum an Infor- mation und Entscheidungsmöglichkeiten. Ich bin si- Oder nehmen wir „Basta" aus dem Hause Hoechst. cher, dann wird es uns gelingen, Ä ngste - berech- Hier gibt es Gift und die passende Pflanze im Dop- tigte und unberech tigte - dieser neuen Technologie pelpack. Das Totalherbizid tötet jedes unerwünschte gegenüber zu bewältigen, damit eventuelle segens- Pflänzlein. Damit die Nutzpflanze den Pflanzenkiller reiche Entwicklungen auch im Bereich der Medizin überlebt, wurde sie eigens gentechnisch resistent ge- und der Ernährung aller Menschen nicht behindert macht. Wer mehr Gift versprüht als benötigt, kann werden. unbesorgt sein. Dank Gen-Tech-Resistenz bleibt die Zuchtpflanze am Leben. Aber was geschieht mit dem Ich bedanke mich. Bodenleben und dem Grundwasser? Wer wollte wi- dersprechen: Der bisherige Schadstoffeintrag ist alar- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mierend genug. (Lilo Blunck [SPD]: Das ist wohl wahr!) Ich erteile das Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Risiko- und Sicherheitsforschung sind daher ge- Wort der Abgeordneten Dr. Marliese Dobberthien. fragt. (Zustimmung bei der SPD) Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nematoden in Fischen, Für Freilandversuche sind Steuergelder übrig; wo Becquerel in Pilzen, Salmonellen in Hühnereiern, aber bleibt die vergleichbare Förderung der Sicher- Pest bei Schweinen, Kuh und Schaf im Wahnsinn - heitsforschung? Kein Wunder, daß mittlerweile 70 % was sollen wir noch essen? Kein Wunder, daß die der Bevölkerung Essen aus dem Genlabor ablehnt. Nachfrage nach naturbelassenen und ökologisch ver- erhält träglichen Lebensmitteln wächst. Nicht einmal eine ausreichende Aufklärung der Verbraucher. Ohne umfassende Kennzeichnung Und was tut die Agrarindustrie? Sie kreiert fleißig ist aber niemand in der Lage, Gen-Tech-Food zu er- in ihren Food- und Genlabors neuartige Lebensmittel kennen. Frau Limbach, es ist Vernebelung, die Angst und beansprucht dafür sogar ein Öko-Label. Da wer- erzeugt, nicht die von uns verlangte Aufklärung. den Nutzpflanzen gentechnisch manipuliert, damit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne sie Schädlingsfraß und Giftduschen überleben, halt- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) barer und besser zu verarbeiten sind. Raps, Mais, Kartoffeln, Reis, Brot, Zucker, Tomaten, Käse, Milch, So frage ich mich: Warum versuchen Novel-Food- Enzyme, Hefen, Aromen - kein wich tiges Lebensmit- Produzenten eigentlich mit allen Mitteln, eine Kenn- tel, keine Zutat entgeht der gentechnischen Manipu- zeichnungspflicht zu verhindern? Wenn gentech- lation. nisch erzeugte Lebensmittel tatsächlich qualitativ hochwertiger, besser, gesundheits- und umweltver- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Fußpilz!)- träglicher sind, warum dann die Furcht vor der Kenn- zeichnung? Die ersten Gen-Tech-Produkte sind schon auf dem Markt; ob Fortschritt oder Risiko, muß im Detail be- Ich sage, ohne Transparenz gibt es keine Akzep- wertet werden. Mir geht es hier keinesfalls um die tanz. Verteufelung einer neuen Technik, sondern einzig und allein um die Risikoabwägung. (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ CSU: Das streitet niemand ab!) (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ein kranker Mensch muß wissen, ob er ein Nah- - Ich darf um ein bißchen mehr Ernsthaftigkeit bit- rungsmittel aus einer antibiotikaresistenten Pflanze ten, meine lieben Kollegen. ißt; für einen Allergiker kann das falsche Mahl le- bensbedrohlich sein. Es ist die Pflicht eines jeden Parlamentariers - auch aus den Regierungsfraktionen -, Gefahrenpotentiale (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nicht nur ein für Gesundheit und Umwelt zu erkennen und abzu- Kranker!) wehren. Oder möchten Sie etwa eine Pflanze essen, die Skor- pion- oder Kartoffelkäfergift selber produziert? (Beifall bei der SPD) Minimalforderung ist daher eine umfassende Risiken sind zweifelsohne gegeben, z. B. die lang- Kennzeichnungspflicht für alle Gen-Tech-Produkte. sam faulende Tomate „Flavr Savr". Ihr wurde nicht Sie ist nicht „schwachsinnig", wie Herr Bangemann nur ein Matschenzym gentechnisch entzogen, son- meint, sondern unverzichtbar. dern auch eine Antibiotikaresistenz als Selektions- marker hinzugefügt. (Beifall bei der SPD) 3328 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Dr. Marliese Dobberthien Wer so kaltschnäuzig mit den Befürchtungen und Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Ich komme zum Ängsten von Menschen umgeht wie der EU-Kommis- Ende. sar, darf sich nicht wundern, wenn das Vertrauen in die Drei-Pünktchen-Partei so rapide sinkt. Ein gemeinsamer Kabinettsbeschluß fehlt jeden- falls bis heute. So ist es nicht verwunderlich, daß bei (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD - einer solchen Politik der gespaltenen Zunge am Zuruf des Abg. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]) Ende nur noch faule Kompromisse übrigbleiben.

- Natürlich. Wie schön, daß Sie mir zustimmen! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das hat doch ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ) damit nichts zu tun!) Sie denken offensichtlich gleichermaßen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat nun Bundesminister Horst Seehofer. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nehmen Sie zur Kenntnis, daß er Kommissar ist!) Bundesminister für Gesundheit: Unverzichtbar sind auch eine Gesundheits- und Horst Seehofer, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Umweltverträglichkeitsprüfung sowie eine Erweite- Herren! Verehrte Frau Kollegin Dobberthien, ich rung des Es wäre eine blanke Mo- Geltungsbereichs. halte es nicht für gut, wenn Sie die Haltung des Kom- gelpackung, wenn alle Produkte, die aus gentech- missars Dr. Bangemann zu einer Angelegenheit einer nisch verändertem Saatgut hervorgehen, aus der No- Partei erklären; denn dann müßte m an umgekehrt vel-Food-Verordnung herausfallen würden. Auch die die Haltung mancher sozialdemokratischer oder so- riesige Palette der Zusatzstoffe und Aromen, wo die zialistischer Kommissare und vor allen Dingen auch gentechnische Musik so besonders eifrig spielt, sind die Haltungen der Regierungen aus sozialistisch re- noch immer aus dem Geltungsbereich ausgeklam- gierten Ländern in die Diskussion einführen. mert. Das ist eine grobe Täuschung des Verbrau- chers. (Geit Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Die Der von der EU-Kommission vorgelegte Novel- sind aber besser!) Food-Entwurf ist daher so löchrig wie ein Käse. Sollte Wenn diese alle ihre Meinungen vertreten würden, er nach sechs Jahren der Strittigkeit nächste Woche hätten wir am 6. Juni 1995 nicht das geringste Pro- auf Regierungsebene abgestimmt werden, so bleibt blem in Europa. er Stückwerk. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich frage mich, wie die deutsche Haltung aussieht. Drei Minister sprechen sich für eine Kennzeich- Über die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft nungspflicht aus. Gut so! Gleichzeitig schweigt der und damit über die Rangordnung im Wettbewerb fachlich zuständige Gesundheitsminister über Um- entscheiden bekanntlich nicht allein großartige Inno- fang und Art und betont die Notwendigkeit der Prak- vationen in Forschung und Technik. Darüber ent- tikabilität. Das läßt Aufweichungen befürchten. scheidet nicht zuletzt auch das Vertrauen der Men- (Beifall bei der SPD) schen in solche Techniken. Wenn dieses Vertrauen nicht vorhanden ist, haben Innovationen auch keine Mit wohlgesetzten Schlagworten wird mehr Transpa- Chance. renz suggeriert, als vermutlich beabsichtigt- ist. Sie wollen offensichtlich die Rübe kennzeichnen, nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so aber den Zucker. Heute und hier haben wir wieder wie bei Abgeordneten der SPD) einmal ein fröhliches Schauspiel beredter Semantik erlebt, wie Kennzeichnung interpretierbar ist. Das haben wir mehr als einmal in der Vergangenheit erlebt. Dann darf man sich auch nicht wundern, (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben ihn wenn zuerst Produktion und dann ihre Urheber aus- ja noch gar nicht gehört!) wandern.

Industriehörig ist wieder einmal der Bundeswirt- Deshalb muß auch beim Einsatz moderner Techno- schaftsminister, der Deutschland auf EU-Ratsebene logien in der Lebensmittelherstellung und -verarbei- vertritt. Herr Kollege Thomae, ich höre heute Ihre tung um das Vertrauen der Verbraucher so umfas- schönen Worte, allein, mir fehlt der Glaube. Herr send wie möglich geworben werden. Dieses Ziel wer- Rexrodt jedenfalls läßt verbreiten: Kennzeichnung den wir sicher nicht erreichen, wenn sich die EU- sei nur dann gerechtfertigt, wenn Kommission in Brüssel auf den Standpunkt stellt, daß neuartige Lebensmittel gentechnisch veränderte zu viele Informationen über solche Lebensmittel nur Organismen enthalten oder sich signifikant von verwirren können und dem Fortschritt schaden. herkömmlichen Lebensmitteln unterscheiden. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der Das ist zuwenig. SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit erreicht man ganz sicher das Gegenteil von Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, dem, was man eigentlich erreichen will, nämlich Sie müssen zum Schluß kommen. Mißtrauen statt Vertrauen. Nicht nur das: Wer Men- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3329

Bundesminister Horst Seehofer sehen so bevormunden will, leistet neuen Techniken Bevölkerung so schüren, daß wir uns von der Zu- buchstäblich einen Bärendienst. kunft abkoppeln.

(Zustimmung von der SPD - Dr. Dieter Tho (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - mae [F.D.P.]: Leider wahr!) Monika Heubaum [SPD]: Das war keine Antwort auf die Frage! - Weiterer Zuruf von Nicht umsonst heißt es in einem Sprichwort: Wer et- der SPD: Es geht um die Kennzeichnung!) was verschweigt, hat etwas zu verbergen. Wir haben nichts zu verbergen. Denn eines steht fest: Alle zuge- - Ich komme noch zur Kennzeichnung. lassenen und damit selbstverständlich auch gentech- Ich sage noch einmal: Alle zugelassenen und damit nisch hergestellte oder bearbeitete Lebensmittel sind selbstverständlich auch gentechnisch hergestellte keine Gefahr für die Gesundheit der Menschen. oder bearbeitete Lebensmittel sind prinzipiell keine (Marina Steindor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Gefahr für die Gesundheit der Menschen. NEN]: Das stimmt nicht!) (Lilo Blunck [SPD]: Das können Sie nicht wissen! Sie wissen, daß es da eine Grau Es wird sehr häufig übersehen, daß mindestens zone gibt, Herr Seehofer!) vier Genehmigungsverfahren erforderlich sind, be- vor ein gentechnisch verändertes Lebensmittel über- Deshalb handelt es sich bei dieser Diskussion über haupt auf den Markt gebracht werden kann: bei der die Kennzeichnung nicht um Warnungen vor angeb- Forschung, bei der Freisetzung, bei der Produktion lichen Gesundheitsgefahren, sondern um Informatio- und beim Inverkehrbringen. Es gibt keinen anderen nen über die Qualität und Zusammensetzung eines Bereich, der von den rechtlichen Grundlagen her so Lebensmittels für den Verbraucher. sensibel und sorgfältig behandelt wird wie das Inver- kehrbringen gentechnisch veränderter Lebensmittel. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie waren an der Erstellung dieser Rechtsgrundlagen mit beteiligt. Sie sind weitgehend einvernehmlich Uns geht es darum, den Verbrauchern offen, ehr- lich und umfassend alle Informationen zur Verfü- beschlossen worden. gung zu stellen, damit sie eine freie Wahl zwischen Lebensmitteln treffen können. Wir leben in einem Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister freien Land. Die Menschen sollen kaufen, was sie Seehofer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- wollen. Sie sollen sich aber darüber informieren kön- legen Bierstedt? nen, was Bestandteil eines Lebensmittels ist. (Zuruf von der F.D.P.: Sehr gut!) Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: Darauf hat jeder Verbraucher einen Anspruch. Er Ja. und nicht die EU-Kommission muß darüber entschei- den, ob er solche Lebensmittel kauft oder nicht. Das kann er aber nur, wenn er ausreichend informiert ist. Wolfgang Bierstedt (PDS): Herr Minister Seehofer, Sie haben mich, da Sie zweimal von Vertrauen ge- (Geit Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Ja, sprochen haben, ein bißchen provoziert, Ihnen fol- eben!) gende Frage zu stellen: Auf welcher Grundlage be- ruht eigentlich Ihr Vertrauen? Ausschließlich- auf Ge- Sie wissen, daß auf der Tagung des Binnenmarkt nehmigungsverfahren? Das kann es doch wohl nicht rates am 6. Juni 1995 in der Frage der Kennzeich- sein. Können Sie irgendein Ergebnis einer Langzeit- nung neuartiger Lebensmittel und neuartiger Le- studie vorweisen, in der eventuelle nicht erwünschte bensmittelzutaten die nunmehr bekanntlich fast drei Nebenwirkungen von Lebensmitteln untersucht wer- Jahre dauernden Beratungen zum Abschluß ge- den, die mittels Gentechnologie oder durch andere bracht werden sollen und dann ein gemeinsamer biotechnologische Verfahren beeinflußt wurden? Ich Standpunkt festgelegt werden soll. Die französische habe ganz einfach das Gefühl, daß man versucht - Präsidentschaft hat hierfür einen Kompromißvor- vielleicht können Sie auch meiner zweiten Frage fol- schlag vorbereitet. gen -, Vertrauen zu erschleichen. Jetzt sage ich zum wiederholten Mal: Nicht nur der Gesundheitsminister, sondern die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit wird diesem Vorschlag nicht zu- Bundesminister für Gesundheit: Horst Seehofer, stimmen. Ich weiß nicht, wieviel Freisetzungsversuche in der Praxis Sie schon besucht haben, ob Sie sich infor- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so miert und sachkundig gemacht haben. Ich möchte wie bei Abgeordneten der SPD) Sie nur bitten: Erklären Sie mir einmal umgekehrt, wieso eine Gesundheitsgefährdung für einen Men- Wir stimmen diesem Vorschlag deshalb nicht zu, weil schen entstehen so ll, wenn ein schädliches Gen er dem eigentlichen Anliegen, nämlich einer ausrei- durch ein gesundes Gen ersetzt wird und dieses ge- chenden und offenen Informa tion des Verbrauchers, sunde Gen dazu beiträgt, daß eine schädliche Ent- nicht gerecht wird. Denn wenn es nach diesem Vor- wicklung bei der Pflanze nicht eintritt. Wir müssen schlag ginge, würde der Verbraucher in vielen Fällen uns ein bißchen hüten, daß wir nicht bei völlig unpro- darüber im unklaren gelassen, wann die Gentechnik blematischen Dingen die Ängste und Sorgen in der bei Lebensmitteln zum Einsatz gekommen ist. 3330 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Bundesminister Horst Seehofer Die Lebensmittel sollen nach diesem Kommissions- Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Forderung nach vorschlag nämlich nur dann gekennzeichnet werden, einer grundsätzlichen, systema tischen und umfas- wenn der Einsatz gentechnisch veränderter Organis- senden Kennzeichnung gentechnisch hergestellter men nicht dem Ziel gedient hat - wie es wörtlich Lebensmittel und Lebensmittelzutaten. Das ist die heißt -, ,,landwirtschaftlichezu Eigenschaften" ver- Position der Bundesregierung. ändern. Im Klartext heißt das: Der Verbraucher erhält keine Information über die gentechnische Verände- (Beifall bei der CDU/CSU) rung, wenn damit z. B. ein pflanzliches Lebensmittel gegen bestimmte Unkrautvernichtungsmittel wider- Nur wenn dem Verbraucher alle diese Informatio- standsfähig gemacht worden ist. nen zur Verfügung gestellt werden, kann er eine freie Wahl zwischen Lebensmitteln treffen. Ich sage (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD], zur noch einmal: Wer auf diese Kennzeichnung verzich- CDU/CSU gewandt: Das war es, was Sie tet, schafft kein Vertrauen in neue Technologien. gerade eben vertreten haben! - Gegenruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ich kann deshalb nicht verstehen, wie manche von Nein!) denen, die die Schlüsseltechnologie Gentechnik för- dern wollen, in der Kennzeichnung eine Gefahr für Welche Lebensmittel nach diesem Vorschlag über- diese Technologie sehen. Das genaue Gegenteil ist haupt noch gekennzeichnet werden sollen, ist dann der Fall. letztlich eine Frage der Interpreta tion des Begriffes „landwirtschaftliche Eigenschaften". Genau das wol- (Zustimmung bei der CDU/CSU) len wir nicht. Denn je weniger der Verbraucher über die Verwen- Wir wollen nicht, daß dann nach dem Beliebig- dung genetisch veränderter Organismen bei Lebens- keitsprinzip gekennzeichnet wird. Wir wollen viel- mitteln informiert wird, desto größer wird sein Arg- mehr klare Kriterien und klare Definitionen. Genau wohn sein. Ich sehe nicht, wie Argwohn ein Vorteil an diesem Punkt geht der Vorschlag der französi- für die Wirtschaft sein soll. schen Präsidentschaft einen anderen Weg, einen Weg, auf dem wir nicht folgen werden. (Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden diesem Vorschlag auch deshalb nicht Deshalb bin ich von jeher - nicht nur persönlich, es zustimmen, weil er für die großen Gruppen der Le- ist die Haltung der Bundesregierung, die heute noch bensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus gene- einmal ganz sauber abgestimmt worden ist - tisch veränderten Organismen hergestellt werden, diese Organismen aber selbst nicht enthalten, also (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: In den Fraktio z. B. ein aus gene tisch veränderten Tomaten herge- nen auch!) stellter Tomatensaft, überhaupt keine Informationen über ihre gentechnische Herstellung vorsieht. Auch der Auffassung: Kennzeichnung von gene tisch her- deshalb werden wir nicht zustimmen. gestellten Lebensmitteln oder Lebensmittelzutaten schafft Vertrauen und damit für diese neuen Techno- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch logien auch Märkte. einmal, weil immer wieder Zweifel angemeldet wer- den, (Beifall bei der CDU/CSU) - (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Zu Jetzt möchte ich Ihnen noch einmal ganz klipp und Recht!) klar sagen, was ich immer in diesem Parlament ge- sagt habe. Mein Verständnis von offener und voller deutlich sagen: Für uns ist dieser Vorschlag nicht ver- Information gebietet, auf ein Problem hinzuweisen, handlungsfähig. Kompromiß kann doch nicht heißen: damit im nachhinein niemand sagen kann, er sei un- Kompromiß auf dem kleinsten Nenner. vollständig informiert worden. Die Bundesregierung ist für eine umfassende und volle Kennzeichnung der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) neuartigen Lebensmittel. Man muß aber auch darauf hinweisen, daß die Kennzeichnung bei mehrmaliger Der Vorschlag geht in diese Richtung. Er geht auch Weiterverarbeitung von Produkten irgendwann an weit hinter das zurück, was von der deutschen Präsi- eine Grenze stößt. Diese Grenze ist dann erreicht, dentschaft im zweiten Halbjahr 1994 vorgeschlagen wenn das Ganze einfach nicht mehr handhabbar ist. worden ist. Das relativiert in keiner Weise die grundsätzliche Kennzeichnungspflicht. Auch die zweite Festlegung, die wir bei der Dis- kussion in Brüssel am 6. Juni, wenn erforderlich, Meine Damen und Herren, wir müssen uns mit die- deutlich zum Ausdruck bringen werden, nämlich un- sem Problem der Praktikabilität bei mehreren Ver- sere Haltung nicht nur zu dem französischen Vor- sorgungs- und Verarbeitungsstufen auseinanderset- schlag, sondern zu dem Problem generell, ist wie- zen, weil uns sonst die Bevölkerung anschließend für derum eine in der Bundesregierung abgestimmte verrückt erklärt, wenn nicht handhabbar ist, was wir Haltung ohne Wenn und Aber. hier festlegen.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aha!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3331

Bundesminister Horst Seehofer Ich bin ganz der Meinung von Herrn Bleser, daß es Falls die Deutschen am 6. Juni nicht eine qualifi- nur ganz enge Ausnahmetatbestände geben kann. zierte Minderheit bekommen, dann kommt die Ste rn Ich nenne ein Beispiel, damit Sie nicht glauben, wir -stunde des Europäischen Parlaments. Dann müssen wollten dies bereits bei dem Zucker praktizieren, der wir die Funktionsfähigkeit und Handlungsfähigkeit in Haribo-Gummibärchen verwendet wird. des Europäischen Parlaments und nicht einen natio- nalen Alleingang einfordern. (Klaus Kirschner [SPD]: Keine Reklame!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Zustimmung bei der SPD) Ein Getreide wird durch neue gentechnologische Verfahren herbizidresistent. Aus diesem Getreide Deshalb appelliere ich an unsere Kolleginnen und wird anschließend Mehl gemahlen. Aus dem Mehl Kollegen im Europäischen Parlament, daß sie, falls werden Brötchen gebacken. Bekanntlich kann man dieser Umstand am 6. Juni eintritt, mit dazu beitra- alte Brötchen zu Paniermehl verarbeiten. Teile dieses gen, in diesem Falle nachhaltig für eine Nachbesse- Paniermehls werden dann für Schnitzel verwendet. rung der Verordnung zu sorgen, die den Verbrau- Am Ende dieser Kette wird das Schnitzel zum Teil ei- cherinteressen gerecht wird. nes Fertigmenüs. Herr Präsident, ich habe in leichter Überziehung meiner Redezeit noch einmal klipp und klar gesagt, Ich glaube, in einem solchen Fall müssen wir uns was die Haltung der Bundesregierung ist. Hören Sie einig sein, daß Gesprächs-, Diskussions- und Lö- bitte auf mit dem ständigen Versuch, Wirtschaftsmi- sungsbedarf in bezug auf die Praktikabilität besteht. nister, Landwirtschaftsminister, Forschungsminister Es kann doch nicht sein, daß bei dem Fertigmenü im und Gesundheitsminister auseinanderzudividieren! Metzgerladen, in der Gastwirtschaft, im Restaurant Wir haben eine gemeinsame eindeutige Haltung in oder im Flugzeug noch eine Kennzeichnung bezüg- dieser Frage. lich des Getreides stattfindet, das der Ausgangs- (Zurufe von der SPD: Seit wann? - Wolf-Mi punkt dieser Verarbeitungsstufen war. Um diese Fra- chael Catenhusen [SPD]: Seit vorgestern?!) gen der Praktikabilität müssen wir uns auch küm- mern, ohne die grundsätzliche Kennzeichnungs- - Wissen Sie, wichtig ist immer - das müßten Sie aus pflicht in Frage zu stellen. Wahltagen wissen -, daß man nicht zur Unzeit die richtige Meinung hat, sondern zur richtigen Zeit, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nämlich am 6. Juni. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Die Bundesregierung wird einer Verabschiedung und der F.D.P. - Lilo Blunck [SPD]: Prinzi der Verordnung über neuartige Lebensmittel und piell stimmt das!) neuartige Lebensmittelzutaten nicht zustimmen, so- lange die entscheidende Kernfrage der Kennzeich- Das haben Sie an Wahltagen schon oft erlebt. nung nicht zufriedenstellend gelöst wird. Und sie ist Ich behaupte nicht, daß alle Rednerinnen und Red- nicht zufriedenstellend gelöst, wenn der Anspruch ner, die hier am Pult standen, nicht mit Respekt über des Verbrauchers auf eine umfassende Kennzeich- diese Sache reden und grundsätzlich nicht für die nung nicht erfüllt ist. Nutzung der Gentechnologie sind. Aber ich muß auch meinen Eindruck von einem anderen Teil der Wenn wir für unsere Haltung nicht die notwendige- Redner wiedergeben, die hier mit abenteuerlichen Unterstützung in Europa erhalten sollten, nehmen Beispielen, Frau Steindor, jenseits jeder moralischen wir nicht einfach billigend in Kauf, daß wir über- Verantwortung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern stimmt werden. Wir kämpfen für diese Haltung. Das Angst schüren, die mit der Realität nichts zu tun hat, ist auch der Grund, warum es seit drei Jahren in Eu- ropa nicht zur Harmonisierung auf diesem Gebiet (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kommt. Aber ich kann auch nicht ausschließen, daß und denen es in Wahrheit nicht darum geht, bei der wir überstimmt werden und die qualifizierte Minder- Kennzeichnung von Lebensmitteln eine für den Ver- heit nicht zustande bringen. braucher und für uns erträgliche Entscheidung zu bekommen. In Wahrheit wollen Sie das, was Sie bei Dann ist der Vorschlag der französischen Präsi- der Medizin verloren haben, nämlich die Unterstüt- dentschaft noch lange nicht Realität. Denn nach den zung der Bevölkerung, wiedererlangen. neuen Vertragsgrundlagen muß eine Verordnung Wir haben es in den letzten drei Jahren geschafft, dem und dem Rat der Euro- Europäischen Parlament daß die Akzeptanz bei der Bevölkerung hinsichtlich päischen Union zugeleitet werden. Wenn das Euro- der Gentechnologie in der Medizin sehr groß ist. Die- päische Parlament bei der Haltung bleibt, die es in sen Kampf haben Sie verloren. Jetzt versuchen Sie, der ersten Lesung zu dieser Verordnung geäußert auf dem Sektor der Pflanzen mit ungeheuren Bei- hat, dann wird es dem Rat nichts nutzen, wenn er die spielen, die Sie hier eingeführt haben und die mit der Bundesrepublik Deutschland mit einer qualifizierten Realität nicht das Geringste zu tun haben, die letzte Mehrheit überstimmt. Denn wenn das Europäische Schiene zu nutzen, um uns auch von einer neuen Parlament die Haltung beibehält, nämlich daß es für Schlüsseltechnologie abzukoppeln, nämlich der Gen- die Kennzeichnung eintritt, dann kommt es hier nicht technologie. zur Einigung und dann gibt es ein Schlichtungsver- fahren. So ist das. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 3332 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Bundesminister Horst Seehofer Ich möchte Sie auch an Ihre moralische Verantwor- gesagt, in dieser Frage gebe es keine einheitliche tung erinnern. Es geht um einen ethisch verantwort- Auffassung. lichen Umgang mit einer neuen Technologie. Wir müssen Risiken ernst nehmen, aber auch die Chan- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Wie will cen ergreifen. Ich möchte nicht, daß es Ihnen eines sich die Regierung denn in Europa durch Tages, wenn es mit Mitteln der Gentechnologie ge- setzen?) lungen ist, den Hunger auf dieser Welt zu besiegen, An der Stelle sage ich: Sie haben zu Recht gesagt, es leid tut, daß die Deutschen daran nicht beteiligt wa- komme darauf an, zu welchem Zeitpunkt man eine ren. Position bezieht. Jetzt sich auf das Europäische Parla- ment zu beziehen, finde ich in Ordnung. Aber das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Europäische Parlament hat bereits am 22. Oktober Zuruf von der SPD: Das liegt doch nicht an 1993 im Gegensatz zur Kommission eine umfassende der Gentechnik!) Kennzeichnungspflicht gefordert. Ich hätte erwartet, daß Sie zu diesem Zeitpunkt oder spätestens unter der deutschen Ratspräsidentschaft diesen Vorschlag Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister aufgegriffen hätten. Dann hätten Sie im Interesse der Seehofer, Sie haben das verfassungsmäßige Recht, so Bevölkerung etwas getan. lange zu sprechen, wie Sie es für richtig halten. Aber nachdem Sie die Redezeit um über fünf Minuten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne überzogen haben, erteile ich das Wort zu zwei Kurz- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN interventionen zunächst Herrn Bierstedt und dann und der PDS) Frau Wieczorek-Zeul. Wie gesagt, ich respektiere, wenn Sie Posi tionen Herr Bierstedt, bitte. ändern und auf die Position der Sozialdemokrati- schen Partei kommen. Das ist in Ordnung, das finde ich ganz ausgezeichnet. Aber dann tun Sie das bitte Wolfgang Bierstedt (PDS): Herr Minister Seehofer, offen und ehrlich, und sagen Sie auch, daß in dieser in meiner Zwischenfrage ging es um Vertrauen. Da Regierung offensichtlich sehr viele „Bangemänner" Sie meine Zwischenfrage zugelassen haben, habe gesessen haben und heute noch sitzen. ich darauf vertraut, daß Sie diese auch beantworten. (Beifall bei der SPD und der PDS) Das haben Sie eigentlich nicht gemacht. Ich nehme an, die Frage speziell nach Ergebnissen aus der Langzeitforschung war Ihnen unangenehm. Ich hätte Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister aber wissen müssen, daß Ihre Antwort enttäuschend Seehofer, Sie haben die Möglichkeit zu antworten. ist; denn Sie gehören zu einer Bundesregierung, die (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Darauf in ihrer Mehrzahl auch enttäuschend ist. brauchst du nicht zu antworten! - Bundes Danke. minister Horst Seehofer: Im Moment nicht!) - Dann erteile ich dem Abgeordneten Wolfg ang Wo- darg das Wort. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort zur zweiten Kurzintervention hat Frau Wieczorek-Zeul. Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Herr Seehofer macht das Marketing, und Herr Rexrodt und Herr Bange- - Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Liebe Kollegin- mann kommen dann mit der Gentech-Industrie zur nen und Kollegen! Es ist durchaus ehrenvoll, wenn Sache. ein Minister zugibt, daß die Posi tion der Regierung (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Erst einmal geändert worden ist. Dann gehört sich aber auch, heißt es: „Herr Präsident"!) daß er dazusagt, dies sei eine Positionsänderung, die unter dem Druck auch der Opposition in diesem So stellt sich das heute dar, und ich fürchte, daß es Hause und unter dem Druck der Bevölkerung erfolgt sich hier auch um eine Etikettierung von Politik han- ist, die sich nichts mehr vormachen läßt. delt, der wir ein wenig mißtrauen dürfen.

(Beifall bei der SPD und der PDS) Es tut mir ja schon fast leid, der in letzter Zeit ohne- hin stark gebeutelten F.D.P. noch eins draufgeben zu Die Position, die Sie hier vorgetragen haben, ist müssen. Aber das, was sich zwei ihrer derzeit promi- noch nicht einmal 14 Tage alt. Im Europaausschuß ist nentesten Vertreter geleistet haben, die Position vom Wirtschaftsministerium vorgetragen (Zurufe von der SPD: Haben die noch pro worden, die derjenigen entspricht, über die im Rat minente Vertreter? - Nicht mehr l ange!) verhandelt wurde. Dort verhandeln ja nicht Sie. Der Titel Europa" führt ja immer dazu, daß man vieles ist eine Nummer, von der wir uns hier im Bundestag kaschieren kann. Das Wirtschaftsministerium hat in gemeinsam distanzieren sollten. Bangemann in Brüs- den Beratungen am 17. Mai - das ist noch nicht ein- sel und Rexrodt in Bonn haben in dankenswerter Of- mal 14 Tage her - nicht die Posi tion vertreten, die Sie fenheit gezeigt, wie Sie mit den Verbraucherinnen hier vertreten haben. Als ich gefragt habe, welches und Verbrauchern umgehen wollen. Gestern hat uns die im Kabinett abgestimmte Position der Bundesre- Kommissar Bangemann in Brüssel persönlich und gierung sei, hat auch das Gesundheitsministerium eindrucksvoll vor Augen geführt, daß Bier seit Jahr- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3333

Dr. Wolfgang Wodarg hunderten biotechnologisch hergestellt wird und daß cher machen sollte? Und was für einen Aufstand er nicht auf die Weinflasche schreiben würde, aus gäbe es mit Recht, wenn auf Grund dieser zu spät er- welchen chemischen Substanzen dieser edle Saft im kannten Zusammenhänge dann in der Folge bei vie- einzelnen besteht. len lebensbedrohliche Komplikationen auftreten würden! Mir fällt dabei der alte Spruch „in vino veritas" ein, und ich möchte aus aktuellem Anlaß ergänzen: Der Die krankmachende Potenz gentechnisch verän- Schwindel liegt im Etikett. derter Lebensmittel ist nicht wie bei Giften in Mikro-, (Beifall bei der SPD) Piko- oder Nanogramm zu messen. Dieser Vergleich hinkt. Das geht nicht. Für biologisch wirksame Infor- Die Schwierigkeiten bei der Kennzeichnung stek- mationen gibt es eben keine Schwellenwerte; sie ken in der Tat im Detail. Deutlich wird das, wenn sind nur im biologischen Gesamtsystem verständlich Herr Bangemann von Biotechnik spricht und das mit und bewertbar und lassen sich mit den üblichen La- Gentechnik gleichsetzt. Das ist unverantwo rtliche bormethoden nicht voraussagen. Bei der Anwen- Nebelwerferei, und das ist Irreführung mit System. dung gentechnischer Verfahren sind wir eben leider meistens erst dann schlauer, wenn es schon zu spät (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ist. ten der PDS und der Abg. Marina Steindor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD - Dr. Dieter Thomae Daß dies auch von der Öffentlichkeit so empfunden [F.D.P.]: Oder umgekehrt!) wird, darf weder uns noch die beiden Herren Bange- mann und Rexrodt wundern. Kleinste Verunreinigungen in gentechnisch herge- stellten Lebensmitteln können verheerende Wirkun- Die Bangemannsche Zauberformel heißt: Substan- gen haben. Der Vorschlag von Herrn Bangemann, tielle Änderungen müssen zu erkennen sein. Diese nur substantielle Veränderungen zu kennzeichnen, substantiellen Änderungen kann er dann auch nicht würde der Gefährdung der Bevölkerung Tür und Tor weiter definieren, und er verweist auf eine Kommis- weit öffnen. Unerwartete Wirkungen könnten auftre- sion, an der alle Staaten beteiligt sind und die das ten, und zwar erst nach einer längeren Latenzzeit. schon machen wird. Was man durch solche halbher- Sie können - wie das auch schon gesagt wurde - zigen Mauscheleien an Schaden anrichten kann, hat durch Vektoren, durch Marker, die in der Verfah- uns Herr Seehofer mit seiner BSE-Schaukelpolitik renstechnik benutzt werden, entstehen, und sie kön- schon einmal zum Leidwesen der Landwirte und vie- nen dazu führen, daß Allergien entstehen, daß ler Fleischereibetriebe vorgeführt. Krebswachstum entsteht, daß die Resistenz gegen- über Infektionskrankheiten verändert wird. Es kommt doch jetzt darauf an, den Verbraucherin- nen und Verbrauchern klarzumachen, daß sie sich Herr Bangemann versicherte gestern, daß das zu- mit Recht sicher fühlen dürfen, daß sie unseren ständige Gremium natürlich sofort h andeln werde, Händlern und unseren Produkten vertrauen können. wenn Gefahren bekanntwürden. Wer den Verbrauchern zeigt, daß er ihnen kein kriti- sches Urteil zutraut, wer sie bevormundet, wer ihnen (Zuruf von der SPD: Das ist wunderbar!) lieber nicht abschätzbare gesundheitliche Risiken als vollständige Angaben zur Herkunft der Lebensmittel Wir von der Opposition sagen: Dieses Risiko ist uns zumutet, der kommt zu Recht in den Verdacht,- mit immer noch zu hoch. Es wird eben gerade noch da- der Gentech-Lobby unter einer Decke zu stecken. durch vergrößert, daß ein Kausalzusammenhang zwi- schen verzehrten Lebensmitteln und auftretenden (Beifall bei der SPD) Erkrankungen durch Herrn Bangemanns Vorschläge Die Menschen in unserem Land spüren das sehr verschleiert wird. Wenn nicht alle gentechnischen genau, und sie werden mit Recht mißtrauisch. 69 % Lebensmittel gekennzeichnet sind, können die Ver- würden keine gentechnisch erzeugten Lebensmittel braucherinnen und Verbraucher gar nicht wissen, kaufen, wenn sie es denn erführen. was sie gegessen haben. Wie sollen sie oder jemand anderes dann darauf kommen, welche Ursachen ihre (Zuruf von der CDU/CSU: Es zwingt sie Krankheit, welche Ursachen ihre Gesundheitsbe- doch auch niemand!) schwerden gehabt haben? Eine epidemiologische 96 %, d. h. fast alle Verbraucher in unserem Land Nachverfolgung dieser Beschwerden ist dann gar wollen die Kennzeichnung gentechnisch hergestell- nicht möglich; man weiß ja nicht, was man gegessen ter Lebensmittel. Das weiß Herr Seehofer natürlich hat. auch. Deshalb macht er ja jetzt dieses Marketing. Aber wenn man dann hinterfragt - das haben wir ge- Der Verzicht auf eine konsequente, durchgehende sehen -, kommt doch etwas ganz anderes dabei her- Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Le- aus. Der Teufel steckt, wie gesagt, im Detail. bensmittel ist deshalb gleichzeitig der Verzicht auf eine frühestmögliche Aufklärung gesundheitsschäd- Wie werden wohl die Verbraucher, die Presse und licher Wirkungen. der Markt reagieren, wenn sich z. B. herausstellt, daß die angebliche Erdbeerallergie gar keine ist, wenn es sich herausstellt, daß die A llergie durch ein Fischan- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, tigen ausgelöst wurde, das der Erdbeerverzehrer ak- Ihre Redezeit ist erheblich überschritten. Sie müssen quiriert hat und das eigentlich die Erdbeere frostsi zum Schluß kommen. 3334 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Noch nicht so lange Ehrliche und offene Informationen wären ange- wie die von Herrn Minister Seehofer, und er wi ll ja bracht. Dann nämlich würden die Menschen erken- auch noch einmal sprechen. nen, daß Gentechnik viele Vorteile bietet. Ich bin si- cher: Die Kennzeichnung von gentechnisch verän- (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) derten Lebensmitteln würde sich zu einer A rt Güte- merkmal entwickeln. Viele, die heute noch Sorge ha- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, ben, sie könnten diese Lebensmittel nicht kaufen, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Ihre Re- werden dies dann tun. Wer die Lebensmittel nicht dezeit ist abgelaufen! kaufen will, kann es auch lassen.

Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Ich wäre schon fertig, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das war eine wenn Sie mich nicht - - Kurzintervention zu der Rede der Kollegin Dobber- thien. Daraufhin hat die Kollegin Dobberthien das Die SPD-Fraktion hält das, was hier gemacht wird, Recht zu antworten, wenn sie es wünscht. - Das ist nicht für verantwortbar. Wir sind der Auffassung, daß nicht der Fall. wir angesichts der am 6. Juni anstehenden Entschei- dung heute die Möglichkeit haben, hier im Bundes- Dann erteile ich dem Kollegen Thomae das Wort tag ein eindeutiges Votum abzugeben. Ich bitte Sie zu einer Kurzintervention. und fordere Sie auf, sich den kurzen Antrag der SPD anzusehen. Das sind Dinge, die Sie hier selbst gesagt (F.D.P.): Herr Dr. Wodarg, ak- haben, bei denen wir übereinstimmen können. Ich Dr. Dieter Thomae zeptieren Sie doch bitte, daß Herr Bangemann die meine, wir würden als Bundestag ein gutes Zeichen Auffassung der Kommission vertreten hat. setzen, wenn wir dem Antrag gemeinsam zustimmen würden. Wenn wir heute nicht darüber abstimmen, - (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Wie Herr Rexrodt!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, - Nein, er hat die Meinung der Kommission vertre- Sie müssen zum Schluß kommen. Jetzt ist wirk lich ten. Das hat er sehr deutlich gesagt. Ich weiß, daß es Schluß! in der Kommission auch ein Mitglied der SPD gibt, das dieselbe Meinung geäußert hat. Das heißt, dies Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): - dann ist das auch ist in der Kommission abgestimmt. eine Aussage, die gültig ist. Der Wirtschaftsminister Herr Rexrodt ist der Auf- (Beifall bei der SPD) fassung, die auch ich hier vertreten habe. Bitte neh- men Sie dies zur Kenntnis!

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Verehrte Kolle- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gen, wir sind nun durch die Überziehung der Rede- zeit durch alle Seiten - trotz aller großzügigen Zu- Nun erteile ich messung - etwas ins Schleudern geraten. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: dem Kollegen Wodarg das Wort zur Entgegnung. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nein, nein, die F.D.P. nicht! - Zurufe von der CDU/CSU (SPD): Ich habe mich nicht und von der SPD) - Dr. Wolfgang Wodarg dagegen gewandt, daß Herr Bangemann uns die - Eine Sekunde! - Nur der Kollege Thomae hat seine Meinung der Kommission mitgeteilt hat. Ich habe Redezeit erheblich unterschritten. vielmehr die demaskierenden Beispiele, die sich Herr Bangemann selbst ausgedacht und uns angebo- (Zurufe von der SPD) ten hat, als Indikator dafür genommen, wie wenig ihm in dieser Sache zu glauben ist. - Gemach, gemach, gemach! Es liegt der Wunsch zu zwei weiteren Kurzinterventionen vor, und zwar von Wenn Sie mit uns gemeinsam im Bundestag die Frau Limbach und vom Kollegen Thomae. Ich erteile Meinung vertreten, daß eine durchgehende Kenn- der Kollegin Limbach zu einer Kurzintervention das zeichnungspflicht erforderlich ist, wenn Sie in einzel- Wort. nen Bereichen der Kennzeichnungspflicht eine Dek- kungsgleichheit mit unserer Auffassung demonstrie- Editha Limbach (CDU/CSU): Ich werde die maxi ren, dann lassen Sie uns doch gemeinsam abstim- -male Redezeit von zwei Minuten nicht in Anspruch men. nehmen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Frau Dobberthien, Sie haben mir vorhin vorgewor- DIE GRÜNEN) fen, Unsicherheit würde nicht der schaffen, der Ängste schürt, sondern der, der vernebelt. Ängste Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Damit schließe schüren bedeutet aber Vernebeln. Deshalb sind die, ich die Aussprache. die hier große Schauergemälde malen, was alles mit Gentechnik verbunden ist, diejenigen, die vernebeln (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Stim und Ängste schüren. men wir doch jetzt über den Antrag ab!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3335 Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Interfraktionell ist die Überweisung der Vorlage nung des Bodenverkehrsdienstmarktes an Flughäfen auf Drucksache 13/1549 an die in der Tagesordnung in der Europäischen Union. Darunter versteht m an aufgeführten Ausschüsse vereinbart. Es ist ebenso im wesentlichen die Passagierabfertigung, Dienstlei- vereinbart, daß der Antrag der SPD auf Drucksache stungen vom Check-in des Gepäcks bis zur Erarbei- 13/1596 ebenfalls an den Ausschuß überwiesen wer- tung eines Ladeplans für das Flugzeug, die Frachtab- den soll. Das scheint mir eine weise Entscheidung zu fertigung, Frachtumschlag, Frachtlagerung, Doku- sein; mentation im In- und Export, die Flugabfertigung, Ladedienste, Gepäckumschlag und Transpo (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der rt von Passagieren und Fracht und die Versorgung von F.D.P.) Flugzeugen. Diese Bodenverkehrsdienste sollen denn dann werden wir das Ganze noch einmal im nach dem Richtlinienentwurf des Rates auf allen Plenum erörtern können. Flughäfen mit mehr als 2 Millionen Passagieren und 50 000 Tonnen Fracht pro Jahr für die Selbstabferti- Darf ich fragen, ob darüber Einverständnis be- gung durch die Airlines oder für Drittabfertigung steht? - Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, bitte. durch Abfertigungsagenten geöffnet werden. Die Zielsetzung der Kommission ist, wie es formu- Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Wir haben die- sen Antrag vorgelegt. Wir wären bereit - das hat der liert wird, mehr Wettbewerb zu erzeugen und damit Kollege angesprochen -, heute darüber abzustim- auch mehr Kostendruck zu schaffen. Die Fluggesell- men. Ich möchte nur wissen, ob CDU/CSU und F.D.P. schaften versprechen sich davon in diesem Bereich bereit sind, unserem Antrag zuzustimmen. Einsparungen in Höhe von 10% und mehr. Es muß Sorge getragen werden, meine Damen und Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine Sekunde, Herren, daß es bei dieser Öffnung faire Wettbe- verehrte Kollegin, so geht das nicht. werbsbedingungen gibt, für Flughafenunternehmen und Luftverkehrsunternehmen gleichermaßen. Ich Ich frage jetzt die Fraktionen formell, ob sie den sage dazu, daß auch die Interessen der deutschen Überweisungsvorschlägen zustimmen. - Fluggesellschaften im Ausland ausreichend berück- (Peter Harry Carstensen [Nordstrand] sichtigt werden müssen. Das ist ein besonderes Pro- [CDU/CSU]: Sie müssen erst einmal mit Ih blem der Ferienflieger und der besonderen Situatio- rem Scharping zurechtkommen!) nen in den Zielländern, den Ferienländern, wo die Abfertigung meistens noch als Monopol für die je- Ich sehe, das ist der Fall. Falls dies nicht einstimmig weilige staatliche Fluggesellschaft besteht. sein sollte, müssen wir abstimmen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung Es soll gar nicht verschwiegen werden - wir haben so beschlossen. das in den Diskussionen mehrfach erlebt -, daß es bei der Diskussion dieses Themas Interessengegen- (Peter Harry Carstensen [Nordstrand] sätze gibt. Da gibt es die Airlines, die Lufthansa, die [CDU/CSU]: Das war clever!) Arbeitsgemeinschaft Deutscher Luftfahrt-Unterneh- men, die die Ferienflieger vertritt, und die BARIG, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: den Zusammenschluß der in Deutschland tätigen ausländischen Airlines. Diese wollen eine rasche Beratung der Beschlußempfehlung und des Umsetzung der Richtlinie, weil sie sich davon zweier- Berichts des Ausschusses für Verkehr- lei versprechen, einmal Kostensenkungen auf den (15. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die deutschen Flughäfen und zum anderen die Aufhe- Bundesregierung bung des Monopols ausländischer Fluggesellschaf- Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über ten, die in ihren Heimatländern auch die Alleinzulas- den Zugang zum Markt der Bodenabferti- sung für die Abfertigung besitzen. gungsdienste auf den Flughäfen der Gemein- Der Verkehrsausschuß hat sich mehrfach mit die- schaft sem Thema beschäftigt. Wir haben auch die unter- - Drucksachen 13/765 Nr. 2.1, 13/1337, schiedlichen Interessengruppen mit ihren zum Teil 13/1468 - sehr konträren Positionen und Forderungen einbezo- gen. Resultat war eine Beschlußempfehlung, die die Berichterstattung: Beachtung von Leitsätzen und die Berücksichtigung Abgeordneter Lothar Ibrügger von Forderungen vorsieht. Ich hoffe, daß wir diese Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses heute Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich mit großer, breiter Mehrheit in diesem Hause verab- sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- schieden, um die Position der Bundesregierung bei sen. den notwendigen Verhandlungen in Brüssel und auch bei der Kommission zu stärken. Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Ab- geordnete Michael Jung. Ich möchte nun zu den einzelnen wichtigen Leit- sätzen Stellung nehmen. Michael Jung (Limburg) (CDU/CSU): Herr Präsi- Der erste Leitsatz lautet: Wettbewerb wo möglich, dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kol- Einschränkungen wo nötig. Bei der Diskussion sollte legen! Der Richtlinienentwurf beabsichtigt eine Öff nicht vergessen werden, daß ein großer Teil dieser 3336 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Michael Jung (Limburg) Bodenverkehrsdienste heute schon liberalisiert ist noch viel schärferen Worten einvernehmlich gegei- und damit dem Wettbewerb zugänglich gemacht ßelt haben, daß sie sie in der jetzigen Form als unan- worden ist. Am Flughafen Frankfurt als dem mit Ab- nehmbar betrachten und Änderungen verlangen. stand größten deutschen Flughafen sind es ca. drei Dieses hochleistungsfähige Luftverkehrssystem ist Viertel der verschiedenen Bodenverkehrsdienste. für uns in Deutschland natürlich auf Grund des gro- ßen Anteils, den der Export einnimmt, von besonde- Wir müssen aber auch sehen, daß es eine sehr un- rer Bedeutung. Deswegen müssen wir dafür sorgen, terschiedliche Struktur der Flughäfen in Europa gibt. daß es unter Wahrung des bisherigen St andards Es gibt zum Teil direkte staatliche Subventionen für auch weiterhin existiert. Flughäfen; andere Flughäfen, müssen ihre Infra- struktur aus den eigenen Einnahmen finanzieren, „Standard" ist das nächste Stichwort. Die Ver- wobei das auch für die Investitionen gilt, die sie täti- kehrsinfrastruktur unserer Flughäfen hat einen ho- gen müssen. hen Standard. Ihn wollen wir erhalten. Wir dürfen ihn auf keinen Fall gefährden. Wir haben vor allen Dingen auch die besondere Si- tuation des wichtigen Flughafens Frankfurt, einer (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!) großen europäischen und internationalen Dreh- Ich sage in diesem Zusammenhang auch: Wir müs- scheibe. Dieser Flughafen ist mit etwa 50 000 Ar- sen darauf achten, ob wir durch einen der Ansätze, beitsplätzen die größte Arbeitsstätte, die wir in die von der Kommission gewählt worden sind, z. B. Deutschland haben. Wir haben ein Interesse daran, bei der Schaffung zusätzlicher Transparenz bei der daß der besonderen Situation des Flughafens Frank- Preisgestaltung der Flughäfen, noch Zusätzliches er- furt Rechnung getragen wird. Es gibt keinen Flugha- reichen können. Immerhin hat die Diskussion und fen in Europa, der auf einer solch begrenzten Fläche die Tatsache, daß die FAG ihre eigene Posi tion über- wie in Frankfurt mehr Verkehr abwickelt, als es do rt dacht hat, dazu geführt, daß wir jetzt zwei Jahre lang geschieht. Das sind Gesichtspunkte, die bei einem Nullrunden gefahren haben. Wenn man die Inflati- solchen Richtlinienentwurf einer besonderen Be- onsrate beachtet, ist für die Airlines sogar eine Sen- handlung bedürfen. Hinzu kommen Probleme der kung der Kosten entstanden. Diese Anstrengungen Sicherheit. Hinzu kommt das Problem der garantier- müssen wir weiter forcieren. Wir müssen dafür sor- ten Umsteigezeit in Frankfu rt von 45 Minuten, was gen, daß die Situation transparent bleibt oder zuneh- von besonderer Bedeutung ist. Wir sollten gemein- mend transparenter wird. sam alles tun, damit Frankfu rt als europäische und internationale Drehscheibe erhalten bleibt. Das ist (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Recht hat er!) eine wichtige Forderung von uns gemeinsam. Ein nächster Kernsatz für uns, meine Kolleginnen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so und Kollegen: Es dürfen keine unzumutbaren sozia- wie bei Abgeordneten der SPD) len Beeinträchtigungen entstehen. Die FAG hat uns z. B. vorgerechnet, daß bei einer Änderung der heuti- Ein zweiter Leitsatz: Die Luftfahrt muß ihre Kosten gen Situation 6 000 Arbeitsplätze in Gefahr sind. Das selbst tragen. Meine Damen und Herren, es kann beträfe gut ausgebildete Menschen, die ein entspre- überhaupt nicht sein, daß wir die Luftfahrt, die eine chendes Einkommen erzielen. Wir haben ein Inter- Wachstumsbranche par excellence ist, staatlich sub- esse daran, daß gerade in Bereichen, die sicherheits- ventionieren. Deswegen können Forderungen, wie empfindlich sind, nicht mit Aushilfen und anderen sie von der Kommission erhoben werden, diese Infra- Anbietern, die preisgünstiger sind und deswegen strukturaufgaben sollten vom Staat finanziert wer- - ihre Aufgabe nicht so erfüllen können, wie wir uns den, egal ob auf der Ebene der Länder oder des Bun- das versprechen, gearbeitet wird. Deswegen ver- des, nicht akzeptiert werden. Wir müssen darauf be- dient auch diese Posi tion Berücksichtigung. stehen, daß dies die jeweiligen Einrichtungen selbst gewährleisten. Modelle, wie sie z. B. in Großbritan- (Beifall der Abg. Heidemarie Wieczorek nien entwickelt worden sind, wo die Flughäfen prak- Zeul [SPD]) tisch als reine Verwalter von Sta rt- und Landebahnen angesehen werden, wollen wir nicht. Wir wollen eine Ein nächster Leitsatz: Der administrative Aufwand Finanzierung der Nutzer über Gebühren, und wir muß minimiert werden. Wir werden, wenn sich diese wollen auch im Flughafenbereich eigenständige, au- Richtlinie so umsetzen läßt, eine Fülle von Reglemen- tonome Unternehmen. Das ist für uns der zweite tierungen bekommen. Die SPD hat im Ausschuß voll- Kernpunkt. kommen zu Recht von einem bürokratischen Mon- strum gesprochen. Wenn man die Folgen einer Um- Daraus resultiert, daß der Staat eben nicht von setzung dieser Richtlinie überprüft, stellt man fest, Dritten - sei es von dem zu bildenden Nutzeraus- daß mehr als 20 Verwaltungsverfahren auf uns zu- schuß an den Flughäfen, sei es von der Kommission - kommen. Daran können wir keinerlei Interesse ha- verpflichtet werden kann, bestimmte Infrastruktur ben. vorzuhalten, zu erweitern oder gar zu finanzieren. Das ist für uns nicht hinnehmbar. Deswegen haben wir im Verkehrsausschuß Forde- rungen aufgestellt, die ich hier ganz kurz abschlie- Der Bund und die Länder haben Interesse an ei- ßend erwähnen darf: Erstens. Die Zulassung zur nem effektiven, hochleistungsfähigen Luftverkehrs- Selbstabfertigung der Luftfahrtunternehmen muß system. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf denselben Bedingungen unterworfen sein wie die hin, daß die Bundesländer vor wenigen Tagen auf Zulassung von Drittabfertigung oder unabhängigen der Verkehrsministerkonferenz diese Richtlinie mit Dienstleistern. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3337

Michael Jung (Limburg) Zweitens. Die Flughafenunternehmen müssen als die Mobilitätserfordernisse unserer Bevölkerung mit selbständige, finanziell, operativ und planerisch au- Klimaschutz und Umweltschutz zu verbinden. Dazu tonome Unternehmen erhalten bleiben. gehören im übrigen auch effizient arbeitende, lei- stungsfähige Flughafenunternehmen und Flughäfen Drittens. Ausnahmekriterien zur Beschränkung in der Bundesrepublik Deutschland, die dazu beitra- des Zugangs für Selbst- und Drittabfertigung und die gen, den Kurzstreckenverkehr von der Luft auf die Entscheidungsabläufe müssen die deutsche Situa tion Schiene zu verlagern und den kontinentalen und in- ausreichend berücksichtigen. terkontinentalen Luftverkehr auch über deutsche Viertens. Die Finanzierung von Anpassungs-, Aus- Flughafenunternehmen abzuwickeln. Deutsche Un- bau- und Erweiterungsmaßnahmen muß durch das ternehmen befinden sich hier in einem europäischen System Luftfahrt sichergestellt werden und darf nicht Wettbewerb. den öffentlichen Haushalten zugewiesen werden. Es darf keine Infrastrukturförderung durch den Staat Prüfsteine bleiben für die SPD ein hohes Beschäfti- geben. gungsniveau, ein hohes Maß an sozialem Schutz und die Hebung der Lebensqualität - alles Zielrichtungen Fünftens. Eine Gleichbehandlung a ller Dienstlei- des Vertrages über die Europäische Union. Wir ster - Luftfahrtunternehmen, Flughäfen, Unabhängi- wehren uns gegen alle Bestrebungen, unter dem Ge- ger - auf dem Flughafen muß sichergestellt werden. sichtspunkt des Wettbewerbs und der Öffnung bei Dienstleistungen dort, wo sie weder wettbewerbsge- Letztlich: Eine Minimierung des Verwaltungsauf- recht noch von den Bedingungen der Kapazität her wands bei den von der Kommission vorgesehenen erbracht werden können, eine Minderung der Quali- Verfahren auf allen Ebenen muß erreicht werden. tät der Arbeitsplätze hinzunehmen. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns durch eine breite Mehrheit zu dieser Beschlußempfehlung (Beifall bei der SPD) heute feststellen, daß die Bundesregierung in Brüssel unsere Unterstützung hat, wenn sie dafür eintritt, die Der Straßengüterverkehr in Europa ist ein deutliches Leistungsfähigkeit des deutschen Luftverkehrs- und Beispiel dafür, wie europäische Zielrichtungen ins Flughafensystems weiter zu erhalten. Gegenteil verkehrt werden können, wenn die Bedin- gungen der Harmonisierung nicht erfüllt werden und Vielen Dank. sich die Bedingungen der Arbeitsplätze und die so- zialen Bedingungen insgesamt auch für das deutsche (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Verkehrsgewerbe verschlechtern.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun Deswegen wird die SPD bei der Formulierung der dem Kollegen Lothar Ibrügger das Wo rt. Standpunkte bei europäischen Rechtssetzungsakten immer nach dem Prüfstein vorgehen: Beschäftigung sichern, sozialen Schutz gewährleisten, Effizienz im Lothar Ibrügger (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Wettbewerb und Qualität des Wettbewerbs in fairer verehrten Damen und Herren! Warum führen wir Weise sicherstellen. heute diese Debatte, obwohl wir seltsame Einmütig- keit spüren? Das hat einen ganz einfachen und deut- (Beifall bei der SPD) lichen Grund: Wir sind jetzt bemüht, bei europä- ischen Rechtssetzungsakten einen gemeinsamen Die Verträge über die Europäische Wirtschaftsge- Standpunkt des Parlaments zu formulieren, diesen meinschaft 1957 sprachen in diesem Zusammenhang gemeinsamen Standpunkt der Bundesregierung für von redlichem Wettbewerb in einer kontrollierten die Verhandlungen in Brüssel mit auf den Weg zu ge- Marktordnung. Dies gilt insbesondere auch für die ben und am Ende gemeinschaftlich mit den Kollegen Politik unserer Luftfahrtunternehmen und der Flug- im Europäischen Parlament eine auch für die Öffent- hafenunternehmen. lichkeit überzeugende Lösung zu finden. Wir sehen vor allem die Aufgabe, daß im Europa Herr Kollege Jung, soweit Sie Frankfurt angespro- zusammenwachsender Regionen auch die Flugha- chen haben, ergänze ich Ihre Ausführungen um un- fenunternehmen und deren Standorte ihren Beitrag seren Standpunkt. Frankfurt gehört zu unserem Luft- leisten zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, zu einer verkehrssystem als ein Standort, der von seiner Be- aktiven Umwelt- und Raumordnungspolitik. Hier ha- deutung, seiner Fläche, seiner Kapazität und seiner ben Sie, Kollege Jung, die Raumordnungsregion Leistungskraft her zu den bedeutendsten in der Bun- Hessen und den Standort Frankfu rt sehr deutlich desrepublik Deutschland gehört. Deswegen kann die herausgestellt. Wir teilen diese Auffassung und wer- Vorstellung der Kommission, gespiegelt an den Be- den sie auch gemeinsam vertreten. dingungen in Frankfurt, nicht unsere Zustimmung finden. Die Vorstellungen der Kommission stoßen aller- (Beifall bei der SPD) dings auf erhebliche Bedenken. Nicht zu verkennen ist auf der einen Seite die Schwierigkeit für deutsche Es besteht Einmütigkeit darüber, einen gemeinsa- Luftfahrtunternehmen, sich in anderen Mitgliedslän- men Markt, eine Wirtschafts- und Währungsunion zu dern der Europäischen Gemeinschaft einem fairen erreichen, den freien Verkehr von Waren, Personen, Wettbewerb stellen zu können, auch im Bereich der Kapital und Dienstleistungen zu ermöglichen. Auf Bodenabfertigungsdienste. Wir müssen uns dem stel- dem Gebiet der Verkehrspolitik ist unser Prüfstein, len und diesen Besorgnissen nachgehen. 3338 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Lothar Ibrügger Die Kommission verletzt nach unserer Auffassung Arbeitsplätze, die Wahrung von Ansprüchen der Ar- aber das Gebot der Subsidiarität, indem sie dem beitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Be- deutschen Gesetzgeber über die grundlegende Ziel- trieben oder Betriebsteilen, die Qualifikationsanfor- richtung hinaus noch vorschreiben will, wie er bis ins derungen an das Personal bei der Durchführung luft- kleinste Detail eine solche Richtlinie umzusetzen hat. seitiger Bodenverkehrsdienste sichergestellt werden.

(Beifall bei der SPD) Das, was sich Bürokraten in Brüssel ausgedacht Außerdem - das ist in dem Kommissionsvorschlag haben, schreit wirklich zum Himmel. noch viel zu wenig zum Ausdruck gekommen - geht (Beifall bei der SPD) es um grundlegende europarechtliche und verfas- sungsrechtlich gesetzte Grundrechte auf Eigentum. 20 neue Verwaltungsverfahren - da kommt beim Bü- Gerade hier würde uns als deutschem Gesetzgeber rokraten Freude auf, aber nicht beim Gesetzgeber. sehr viel abverlangt. Ich habe sogar große Zweifel, Denn uns würde abverlangt, dies alles in na tionales ob nicht Artikel 14 des Grundgesetzes - Sie haben Recht, in Gesetze und Verordnungen umzusetzen. die Eigentumsfragen der deutschen Flughafenunter- Deswegen lehnen wir ein solches bürokratisches nehmen angesprochen - es erfordert, bei der Umset- Monster ab. Es ist ein Übermaß an Regelungs- und zung dieser Richtlinie der Bodenabfertigungsdienste Kontrolldichte vorhanden. Wir sollten deswegen auf das Gebot der Einstimmigkeit zu verlangen. Wiedervorlage bestehen. Wir sind am Anfang des Er- (Beifall der Abg. Heidemarie Wieczorek örterungsverfahrens. Wir erwarten von der Bundes- Zeul [SPD] - Zuruf des Abg. Albe rt Schmidt regierung, Herr Kollege Nitsch, daß in der anstehen- [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) den Sitzung des Verkehrsministerrates diese Erörte- rung - es wird nach dem gegenwärtigen Stand eine Der Richtlinienentwurf sichert nicht die Wettbe- Orientierungsaussprache sein - absolute Chefsache werbsfähigkeit der deutschen Flughäfen im europä- ist und bleibt. ischen Leistungsvergleich, und er fördert jedenfalls auch nicht den sinnvollen Interessenausgleich zwi- Zweitens erwarten wir von der Kommission, daß schen deutschen Luftfahrtunternehmen und den sie das Beschwerdeverfahren, das vor der Kommis- deutschen Flughafenunternehmen. Darauf kommt es sion zur Zeit gegen Frankfurt betrieben wird, für die uns an. Wir wollen fairen Wettbewerb sicherstellen, gesamte Zeit der Erörterung dieser Richtlinie aus- Besorgnissen der Luftfahrtunternehmen nachgehen, setzt und nicht einseitig Entscheidungen trifft, aber vor allem auch die Arbeitsfähigkeit der deut- schen Flughafenunternehmen sicherstellen. Sie sind (Beifall bei der SPD) keine Zentralverwaltung, wie die Kommission es dem deutschen Gesetzgeber aufzuerlegen versucht. die letzten Endes nur vom Europäischen Gerichtshof Sie sind privatwirtschaftlich geführte Beteiligungsge- überprüft werden könnten, aber dem Europäischen sellschaften, zwar in der öffentlichen Hand, aber - Parlament jede Möglichkeit nähme, sich in irgendei- das ist der Unterschied gegenüber früheren Jahren ner Weise an diesem europäischen Rechtsetzungsakt der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland zu beteiligen. nach Wiedererlangen der Souveränität - auf eigene Wir erwarten von unseren Kolleginnen und Kolle- Leistungen angewiesen, um damit auch die Investi- gen im Europäischen Parlament, daß wir, wie wir es tionen sicherzustellen. Wir erwarten, daß der Luftver- durch gemeinsame Sitzungen in Brüssel bewiesen kehr zu 100 % seine Kosten deckt, und dazu gehören haben, diesen engen Kontakt des Austausches der auch die deutschen Luftfahrt- und Flughafenunter- - parlamentarischen Standpunkte weiterführen. Des- nehmen, die heutzutage als privatwirtschaftlich ge- wegen begrüße ich es sehr, daß wir heute gemein- führte Beteiligungsgesellschaften ihre Leistungen sam darüber sprechen. selbst verdienen müssen, und sie tun dies in beson- derer Weise. Ich erneuere das ständige Gesprächsangebot an (Beifall bei der SPD) die deutschen Flughafenunternehmen, an die deut- schen Luftverkehrsunternehmen und an ihre Be- Deswegen sind wir sehr dafür, auch im Einverneh- triebsräte. Wir werden diesen Prozeß der Erörterung men mit den Gewerkschaften und Betriebsräten bei in Brüssel gemeinschaftlich begleiten. den deutschen Flughafenunternehmen, daß wir ge- meinsam eine Regelung für die Kostentransparenz Wir erwarten in Zukunft einen qualifizierten, fairen finden sollten. Klarheit und Wahrheit für die Nutzer, Wettbewerb, die Wahrung des sozialen Friedens bei wenn es um die Kosten der Leistungen an den deut- der Erörterung dieser Richtlinien. schen Flughäfen geht. Bei gutem Willen aller Betei- ligten halte ich dies für erreichbar. Wir wehren uns gegen gering qualifizierte, niedrig bezahlte, sozial unzureichend abgesicherte Arbeit- Deswegen möchte ich Sie dazu aufrufen, daß wir nehmerinnen und Arbeitnehmer in der deutschen gemeinsam mit den Kollegen im Europäischen Parla- Luftverkehrswirtschaft. ment nun eine Reihe weiterer Schritte unternehmen - wir sind erst am Anfang der Erörterung -: Ich er- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne warte nach der einstimmigen Entscheidung des Bun- ten der PDS) desrates, der sich nachhaltig gegen diese Richtlinie ausgesprochen hat, daß wir nun gemeinsam prüfen, In dem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu dieser wie soziale Belange, die Zahlen und die Qualität der Beschlußempfehlung. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3339 Lothar Ibrügger Wir erwarten im Lichte der Orientierungsausspra- zeugwartung usw. Dieses Ziel der EU-Richtlinie wird che, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, und vor von allen 95 in Deutschland tätigen Fluggesellschaf- der Beratung des Standpunktes im September er- ten, einschließlich der Lufthansa, ausdrücklich unter- neute Unterrichtung des Verkehrsausschusses, so stützt. daß das Parlament in den nächsten Wochen und Mo- naten Gelegenheit hat, der Bundesregierung unse- (Horst Friedrich [F.D.P.]: Auch von uns!) ren Standpunkt mit auf den Weg zu den Verhandlun- gen in Brüssel zu geben. Getreu der Devise von der Öffnung der Märkte soll es auch in diesem Bereich keine Monopole mehr ge- Herzlichen Dank. ben, Herr Kollege Friedrich, wie z. B. auf dem Flug- hafen Frankfurt, wo in Teilbereichen ein solches Mo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne nopol zugunsten der FAG durchaus noch existiert ten der F.D.P.) und somit Konkurrenz im Moment zumindest teil- weise noch ausgeschlossen ist.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort be- (Horst Friedrich [F.D.P.]: Das ist unstrittig!) kommt nun der Abgeordnete Albe rt Schmidt. Das ist der eine Vorgang.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE Jetzt komme ich zu dem anderen Vorgang. Wegen GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kol- dieser rechtlich unhaltbaren Situa tion in Frankfurt leginnen und Kollegen! Wenn zu so später Stunde im Kom- läuft derzeit ein Verfahren der Europäischen Bereich des Luftverkehrs ausgerechnet über die Bo- mission gegen die FAG, und zwar wegen Verstoßes dendienste gesprochen wird, dann sollte man viel- gegen das Wettbewerbsrecht, nicht wegen dieser leicht keine parlamentarischen Höhenflüge erwar- Richtlinie. Daß Sie an dieser Stelle die Bundesregie- ten. rung unverhüllt auffordern, sie möge in dieses Be- schwerdeverfahren eingreifen, das, finde ich, ist Kollege Ibrügger, was Sie konstruiert haben, war schon ein unerhörter Vorgang. zum Teil schon ein Höchstflug, eine Höchstanstren- gung. Was Sie alles in diese Richtlinie der EU hinein- (Zuruf von der SPD: Das hat er doch gar geheimnist und hineininterpretiert haben, was über- nicht gesagt!) haupt nicht drinsteht, ist zum Teil schon großartig ge- wesen. - Dann will ich Sie, Herr Kollege Ibrügger, gern an dieser Stelle mißverstanden haben; denn der andere Da hat mir - das muß ich ehrlich sagen - die Rede Fall wäre beispiellos. des Kollegen Jung, der die verschiedenen Posi tionen und Interessenkonflikte in dieser Hinsicht sachlicher Dieses Verfahren - das sage ich Ihnen ganz klar; und ausgewogener dargestellt hat, an dieser Stelle das prophezeie ich von dieser Stelle aus - wird die besser gefallen. FAG verlieren; vor dem Europäischen Gerichtshof wird sie ebenfalls keinen Erfolg haben, wenn sie das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) anschließend versuchen sollte; denn die Rechts- grundlagen sind eindeutig. Nun aber zur Sache. Was ich besonders erstaunlich finde, ist: Die Beschlußempfehlung, die im Verkehrs- Mit dem Wettbewerb leben, das ist immer ein ausschuß mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit Stück unbequemer. Das ist klar; das erfordert mehr zustande gekommen und heute Diskussionsgegen- Phantasie. stand ist, richtet sich im Klartext gegen eine Richtli- nie der EU zur Liberalisierung der Bodenverkehrs- (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Vor al dienste. Daß eine solche Richtlinie zur Liberalisie- len Dingen, wenn man dort beschäftigt ist! rung ausgerechnet von den Liberalen mit verhindert Sie sind dort nicht beschäftigt! Schwätzer!) werden soll, ist schon ein politischer Treppenwitz. Das kann an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Es müssen Kunden überzeugt werden; man muß Das ist ein Gangway-Witz. wach sein. Das sollte sich die FAG bei ihren giganti- schen Umsatzsteigerungen der letzten Jahre ruhig (Horst Friedrich [F.D.P.]: Das ist doch Ver zutrauen. Konkurrenz belebt das Geschäft. Das kalkung!) Merkwürdige ist nur, daß gerade ich das an dieser Stelle erklären muß. Was ist denn der Ke rn der Debatte? Nach der Libe- ralisierung der Luftfahrt in ihrem Kernbereich auf (Zuruf der Abg. Heidemarie Wieczorek europäischer Ebene durch die Schaffung des ge- Zeul [SPD]) meinsamen Marktes 1993 will die EU mit dieser Richtlinie nunmehr sicherstellen, daß auf allen euro- Ernster, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, sind die Be- päischen Flughäfen, also auch auf den deutschen, denken der Gewerkschaften zu nehmen. Das ist eine die Bodendienste liberalisiert werden. Das bedeutet, andere Geschichte; da geht es um die Arbeitsplätze daß private Firmen, insbesondere auch Fluggesell- der bisher Beschäftigten. Aber die Zementierung von schaften, als Anbieter dieser Dienste auf dem Flug- Wettbewerbsverzerrung als Grundlage zu nehmen, hafenvorfeld auftreten können: beim Be- und Entla- um auf Dauer für die soziale Absicherung von Be- den der Flugzeuge, bei der Reinigung, bei der Flug schäftigten zu sorgen, das kann nicht der Weg sein. 3340 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Albert Schmidt (Hitzhofen) Überdies sieht die EU-Richtlinie mehrjährige Über- Nun komme ich zu der anderen Seite. Es gibt in gangsfristen vor - es wird niemand in das kalte Was- Europa sehr viele Flughäfen, auf denen die Monopol- ser geworfen -; sie gestattet ausdrücklich Ausnah- situation deutlich stärker als in Frankfu rt ausgeprägt men bei beeinträchtigter Kapazität. ist. Bei der von der IATA aufgestellten „Standard Ground-Handling Agreement' -Liste, Annex A, gibt Diese Beeinträchtigung der Kapazität nachzuwei- es 59 Positionen; davon sind in Frankfurt 48 dem sen ist allerdings nicht Sache des Deutschen Bundes- Wettbewerb geöffnet. Elf davon - das sind aus- tages, sondern Sache der FAG im Verfahren bei der schließlich die Dienste im Vorfeld; gerade da, wo Kommission in Brüssel. Wer ja sagt zur Liberalisie- Frankfurt effektive Probleme hat - sind nicht dem rung und Harmonisierung der Märkte, der muß auch Wettbewerb geöffnet, sondern sie sind jetzt noch Mo- an dieser Stelle ja sagen zur uneingeschränkten Öff- nopolbetrieb. Um diese Themen geht es; deswegen nung der Bodendienste für weitere Anbieter; denn wird geklagt. Ich frage mich allerdings schon, warum wer A sagt, muß auch B sagen; sonst fallen Sie hinter Frankfurt beklagt wird, während in Spanien bei Ihre eigenen Ansprüche zurück. Wir sehen es nicht 100 % Closed Shop durch den Na tional Carrier dort, als Aufgabe des Deutschen Bundestages an, in die- nämlich die Iberia, nicht geklagt wird. ses Beschwerdeverfahren einzugreifen, und deshalb werden wir an dieser Stelle die Beschlußvorlage des Man sollte versuchen, sich auch noch über etwas Verkehrsausschusses nicht unterstützen. anderes Gedanken zu machen, dies ist die andere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Seite der Situation. Selbstverständlich taucht auch das Problem der Arbeitsplätze auf. Hier kann ich Ih- nen nicht ganz folgen. Hier sieht m an den Unter- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat schied zwischen Wettbewerb in der Theo rie und in nun der Abgeordnete Horst Friedrich. der Praxis. Wenn ich als Ansatz eine Leistung von 100 % nehme, einen Monopolisten habe und dieser Horst Friedrich (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr durch den Wettbewerb gezwungen wird, 25 oder verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Herr 30 % seiner Leistung abzugeben, baut dieser selbst- Kollege Schmidt, ich habe es Ihnen im Ausschuß verständlich auch Personal ab. Die anderen, die schon erklärt: Es ist bezeichnend, wenn ein Päd- diese 30 % übernehmen, werden Personal nur in agoge einem Betriebswirt zu erklären versucht, wie dem Umfang einstellen, wie sie Leistungen erbrin- Wirtschaft funktioniert. Ich will versuchen, Ihnen gen müssen. Im besten Fall wird die Zahl unter dem jetzt zu erklären, was die Unterschiede sind. Strich die gleiche bleiben, wahrscheinlich wird sie niedriger werden. Das Argument, daß mehr Arbeits- Die Liberalen haben überhaupt nichts gegen eine plätze geschaffen werden, muß noch einmal sehr Liberalisierung der Bodenabfertigungsdienste auf gründlich untersucht werden. deutschen Flughäfen, weil sie die konsequente Fo rt Deregulierungspolitik in der Luftfahrt-setzung der Daß die Länder diese Richtlinie einstimmig abge- ist, die 1978 in Amerika begonnen wurde, die 1980 lehnt haben, ist bereits gesagt worden. Ich zitiere über dem Nordatlantik fortgesetzt wurde und die seit nun aus dem Vorschlag der Kommission, in dem 1. Januar 1993 im europäischen Luftverkehr gültig steht: ist. Dazu gehören selbstverständlich auch die Flug- häfen. Aber die deutsche Verkehrspolitik, insbeson- Der Zugang muß von Fall zu Fall so gestaltet wer- dere auch die liberale, ist natürlich auch dem Na tio- den, daß die Funktionsfähigkeit der Flughafen- nal Carrier und auch den anderen Fluglinien, die einrichtungen gewährleistet wird. Erforderlich ist Deutschland anfliegen, verpflichtet. Ich muß also das ein differenziertes Vorgehen, bei dem die Art der Thema aus zweierlei Blickwinkeln be trachten, und verschiedenen Dienste, die Intensität der Sach- das auch noch vor dem Hintergrund der sogenann- zwänge und die spezifischen Probleme der ein- ten Harmonisierung in Europa, was die anderen Ver- zelnen Flughäfen berücksichtigt werden. kehrsträger angeht. Besser kann man es nicht formulieren. Aber die von Eines sollten wir, glaube ich, hier im Konsens be- mir zitierten und von der Kommission aufgestellten schließen: Solche Probleme, wie wir sie in anderen Kriterien für die Richtlinie müssen nachher auch tat- Bereichen hatten, sollten mit dieser Richtlinie nicht sächlich umgesetzt werden. Dann kommen wir wie- noch einmal neu geschaffen werden. der zusammen, Herr Kollege Schmidt. Dann werden wir tatsächlich einen Wettbewerb haben, der auch In welchem Kostenrahmen findet das statt, was die ein solcher ist, weil er unter gleichen Bedingungen Lufthansa angeht? Im Jahre 1993 hat die Lufthansa stattfindet, und keinen Wettbewerb, der neue Un- 1 072 Millionen DM ausschließlich für ihre eigenen gleichgewichte schafft. Dies ist nämlich kein Wettbe- Abfertigungsleistungen bezahlt; davon sind werb; einen solchen wollen wir auch nicht. Das ist 682 Millionen in Europa bezahlt worden, und davon der Unterschied zwischen Theo rie und Praxis. Dies wiederum 619 Millionen in Deutschland. Das heißt, ist die Situation. dabei handelt es sich schon um einen gewichtigen Kostenfaktor, wenn man einmal davon ausgeht, daß Sehen Sie sich zum Schluß Schiphol als den ver- die behauptete Kostenersparnis von 30 % - das sind gleichbaren Flughafen an. Do rt fertigt die Firma Og- rund 200 Millionen DM - zutrifft. Wenn man sich das den zu deutlich günstigeren Preisen als andere ab. Jahresergebnis der Lufthansa jetzt anschaut, wird Die Qualität ist jedoch deutlich schlechter. Dies will man feststellen, daß das eine tolle Gewinnsteigerung auch niemand. Die KLM, die ebenfalls in Schiphol wäre. Das ist die eine Seite. abfertigt, fertigt zu deutlich höheren Preisen ab, ob- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3341 Horst Friedrich wohl sie zwei Drittel der Kapazität abfertigt. Wenn Herr Kollege Jung, ich staune über das plötzliche man Vergleiche anstellt, muß man dies sachlich, in soziale Engagement der Koalition, aber der Braten ist aller Ruhe und ohne die Aufgeregtheiten der letzten meilenweit zu riechen. drei Monate machen. (Michael Jung (Limburg) (CDU/CSU): Sie Die Kommission muß mit Sicherheit über be- haben es nur nicht vorher bemerkt!) stimmte Themen noch einmal nachdenken. Dies trifft insbesondere zu auf die Verlagerung der Kosten der Drittens. Einschnitte in Sicherheitsstandards - ins- Flughafengesellschaften auf die öffentliche Hand besondere der luftseitigen - darf es nicht geben. und auf den Aufbau einer immerhin sehr aufwendi- Ohne klares Festschreiben dieser Rahmenbedingun- gen Verwaltungs- und Clearingkommission. Dies ko- gen ist die Richtlinie jedenfalls nicht annehmbar. stet auch alles Geld. Noch einmal in Ruhe über das Thema nachdenken und dann eine für beide Seiten Ansonsten werden sich, Kollege Friedrich, die befriedigende Lösung anbieten sollte das Ziel unse- Flughafenuntemehmen wohl an Wettbewerb gewöh- rer Politik im Verkehrsausschuß sein. nen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so (Horst Friedrich [F.D.P.]: Dagegen habe ich wie bei einer Abgeordneten der SPD) ja nichts!) Es ist jedenfalls nicht einsichtig, daß ausgerechnet im Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun Sektor Bodenabfertigung aus einer Monopolstellung der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann das Wort. heraus Preise nach freiem Ermessen und auf wenig transparente Weise festgesetzt werden können. Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Herr Präsident! (Horst Friedrich [F.D.P.]: Das habe ich auch Meine Damen und Herren! Wer jahrelang - auch bei nicht gesagt!) den Verhandlungen über den Vertrag von Maas- tricht - das Geschäft der Liberalisierung und des Das jedenfalls habe ich inzwischen von Marktwirt- Wettbewerbs betreibt, ohne sich vorher um eine schaft begriffen. wirkliche Harmonisierung zu bemühen, darf hinter- her nicht meckern, wenn er es dann mit Problemen Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. zu tun bekommt wie jetzt u. a. beim Luftverkehr. Im Fall der geplanten Marktöffnung bei der Bodenabfer- (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ tigung auf Flughäfen zeigt sich ganz deutlich, daß DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der die Bodenabfertigungsdienste europaweit völlig un- F.D.P.) einheitlich gehandhabt werden, von Harmonie also meilenweit entfernt sind. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich schließe die Da aber eine weitgehende Liberalisierung nun ein- Aussprache. mal beschlossen wurde, das Kind also sozusagen im Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- Brunnen liegt, hilft es auch nicht weiter, jetzt mah- empfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem nend mit dem Finger auf die Verantwortlichen zu zei- Richtlinienvorschlag der Europäischen Union, Druck- gen. Dafür ist es um so wichtiger, daß die Bundesre- sachen 13/1337 und 13/1468. Wer der Beschlußemp- gierung in den Verhandlungen über die Kommis- fehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um sionsrichtlinie an verschiedenen Punkten Korrektu-- das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltun- ren einfordert: gen? - Damit ist der Beschlußvorschlag angenom- Erstens. Die PDS plädiert für eine Integra tion des men. Flugverkehrs in die Bundesverkehrswegeplanung und hat dazu einen Antrag eingebracht. Wir fordern Ich rufe Punkt 11 und den Zusatzpunkt 5 der Ta- für den Verkehrsbereich eine Gesamtplanung und gesordnung auf: damit auch eine staatliche Verantwortung. Es kann aber nicht sein, daß in der Richtlinie von einer öffent- 11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolf- lichen Haushaltsfinanzierung der Luftverkehrsinfras- gang Bierstedt, Dr. Christa Luft und der Grup- truktur ausgegangen wird, der Staat aber zur Vorhal- pe der PDS tung, Erweiterung und Finanzierung von Infrastruk- tur durch Dritte verpflichtet werden kann. Wiedereinführung einer Investitionszulage für den kleinen und mittelständischen Einzel- Zweitens. Eine Marktöffnung für Bodenabferti- handel gungsdienste hat natürlich auch Auswirkungen auf die Arbeitsplätze im Flughafenabfertigungsbereich. - Drucksache 13/859 — Herr Fri edrich hat darauf schon hingewiesen. Hier ist Überweisungsvorschlag: darauf hinzuwirken, daß diese Arbeitsplätze erhalten Finanzausschuß (federführend) bleiben, daß sie vor allem unter Wahrung der erreich- Ausschuß für Wirtschaft ten sozialen Standards erhalten bleiben. Auf keinen Fall dürfen die sozialen Fragen bei der Behandlung ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sa- der Richtlinie ausgeklammert werden. bine Kaspereit, Chris tian Müller (Zittau), Dr. Uwe Jens, weiterer Abgeordneter und der (Beifall bei der PDS) Fraktion der SPD 3342 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Wiedereinbeziehung des ostdeutschen mittel- reicht. In Cottbus stehen gegenwärtig 2,5 Qua- ständischen Handels in die Investitionszula- dratmeter Verkaufsfläche je Einwohner zur Verfü- genregelung gung. Ich glaube, das ist eine ziemlich zweifelhafte Spitzenposition für den Osten. - Drucksache 13/1541 — (Zurufe von der PDS) Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß (federführend) - Ja, es ist Gott sei Dank nicht mehr so eng. Das ist Ausschuß für Wirtschaft richtig.

Interfraktionell ist für die gemeinsame Aussprache . Diese Unproportionalität in den angebotenen Ver- eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der kaufsflächen und den sich daraus ergebenden Kon- PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich sehe und höre sequenzen veranlaßt sogar Warenhausketten, ihre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Warenhäuser in Innenstädten zu schließen - so ge- schehen in Gotha, Berlin und Dessau. Die beiden Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wo rt Städte Chemnitz und Schwerin erhalten erst gar dem Abgeordneten Wolfgang Bierstedt. keine Warenhäuser. Im ersten Quartal 1995 erfolgten in der Stadt Halle Wolfgang Bierstedt (PDS): Sehr geehrter Herr Prä- im Handel 264 Gewerbeabmeldungen gegenüber sident! Meine Damen und Herren! Wie Ihnen be- 309 Gewerbeanmeldungen. In Magdeburg war das kannt ist, hat die Bundesregierung den mittelständi- Verhältnis 231 zu 284. An den Insolvenzen im Land schen Handel in den neuen Bundesländern im Jahr Sachsen-Anhalt ist der Handel neben dem Bauge- 1993 aus der Investitionszulagenregelung herausge- werbe überproportional mit einem Anteil von 20 % nommen. Gegenwärtig wird in den neuen Bundes- beteiligt. ländern erneut und nachdrücklich die Forderung er- hoben, den mittelständischen, inhabergeführten Bei unserem Antrag denken wir natürlich insbe- Groß- und Einzelhandel wieder in die zehnprozen- sondere an die Erhaltung des familiengeführten Ein- tige Investitionszulage aufzunehmen. Dies hat dazu zelhandels auf dem Land; denn gerade in den Dör- geführt, daß die Bundestagsgruppe der PDS - u. a. fern wirkt sich das Sterben der Einzelhändler verhee- auch auf Anregung des SPD-Wirtschaftsministers rend auf die Einkaufsmöglichkeiten der Bewohner von Sachsen-Anhalt - am 20. März den vorliegenden aus. Besonders für ältere Bürger ohne Auto und bei Antrag im Deutschen Bundestag gestellt hat. zunehmend schlechteren Verkehrsverbindungen wird der Einkauf zu einem echten Alltagsproblem. Der mittelständische Groß- und Einzelhandel in Nun liegt im Finanzausschuß dieses Hauses ein den neuen Bundesländern hat in den letzten Jahren Jahressteuergesetzes vor, in welchem eine schwierige Wegstrecke zurückgelegt. Diese Un- Entwurf des der Vorschlag der PDS zumindest aufgegriffen ternehmen haben sich im Markt gegen kapitalstarke wurde. Darin wird jedoch nach Auffassung unserer und expansive westdeutsche Handelsketten und Fi- Gruppe der Rahmen der Nutzer dieser Investitions- lialisten zu behaupten - hauptsächlich in den Innen- hilfe gesprengt. Es geht um Betriebe mit bis zu städten, aber vor allen Dingen auch im ländlichen 50 Beschäftigten. Wir, die Gruppe der PDS, dachten Bereich. In den Innenstädten haben sich Shopping- eigentlich mehr an Familienbetriebe, an die soge- Center und Einkaufspassagen nicht so schnell ent- nannten Tante-Emma-Läden mit einer maximalen wickeln können - u. a. auch in Folge der unsäglichen - Mitarbeiterzahl von etwa zehn Personen oder einem Politik „Rückgabe vor Entschädigung" und horren- Jahresumsatz von unter 5 Millionen DM. der Gewerberaummieten - wie die einfachen Struk- turen auf der grünen Wiese. Bei der von der Regierung vorgegebenen Betriebs- größe würden hauptsächlich Filialisten und Handels- Es vollzog sich ein existenzbedrohender Wettbe- ketten die Nutznießer dieser beabsichtigten Vorteile werb zwischen Fach- und Einzelhandel in den In- sein. nenstädten und auf den Dörfern gegen Einkaufs- parks, Fachmärkte und Discounter auf der grünen Wenn man die Zahlen in dem seit gestern vorlie- Wiese. Die Innenstädte drohen jetzt zunehmend zu genden ähnlich lautenden Antrag von der SPD zu veröden. Der mittelständische Handel wird chancen- diesem Thema glauben darf - und ich denke, man los, weil außerhalb der Städte das Angebot übergroß kann ihnen glauben -, dann beschäftigen 140 000 geworden ist. Derzeit sind 340 großflächige Einkaufs- ostdeutsche Einzelhändler im Durchschnitt ca. zentren im Bau. Bis 1997 sollen weitere 250 auf der 3,5 Mitarbeiter. Hier müßte die SPD erklären, ob sie grünen Wiese folgen. Damit werden mit 20 Millionen bei einer Grenze von ebenfalls 50 Mitarbeitern - Quadratmetern Verkaufsfläche im Osten die glei- Punkt 1 und 2 des vorliegenden SPD-Antrags - die chen Werte wie in den alten Bundesländern erreicht. selbständigen mittelständischen Unternehmen in Zumindest hier haben wir schon einmal einen den neuen Bundesländern tatsächlich unterstützen Gleichstand erreicht. Allerdings haben wir bloß 20 % will. der Bevölkerung. Ich weiß natürlich, daß die Durchschnittszahl so In den neuen Bundesländern beträgt der Anteil an eine Sache ist. Sie wissen ja, obwohl der Graben im peripheren Verkaufsflächen mittlerweile 53 %, Durchschnitt nur einen halben Meter tief war, ist die während er in den alten Bundesländern nur 22 % er Kuh trotzdem ersoffen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3343

Wolfgang Bierstedt Auch wenn die Betreiber und Inhaber der kleinen len für Handwerk und Gewerbe und natürlich von Handelseinrichtungen nicht unbedingt zur Klientel der Verbesserung der ostdeutschen Investitionsförde- der PDS gehören - ich meine, was nicht ist, kann ja rung, um die es hier und heute zu später Stunde kon- noch werden -, wollen wir uns für ihre Interessen kret mit der Handelförderung geht. einsetzen. Wir verbinden hiermit die Hoffnung, daß sich damit auch die teilweise recht bescheidene Ein- Obwohl bereits alles schon beschlossen ist, debat- kommenssituation der lohnabhängig Beschäftigten tieren wir hier und heute über den Antrag der in diesen Handelseinrichtungen verbessern könnte, Gruppe der PDS und natürlich auch den nachgescho- wenn der immense wirtschaft liche Druck, der auf benen SPD-Antrag von gestern, der - und das be- diesen Einrichtungen lastet, zumindest teilweise re- fremdet mich - sinngemäß alle Ausführungen der duziert wird. PDS wiederholt. Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das macht ja nichts, so schließt sich dann Eigentlich habe ich damit gerechnet, daß eine Zwi- wenigstens der Kreis wieder. Wir haben die Pro- schenfrage kommt, was denn die DDR und die alte bleme schon gelöst, und Sie stellen die gleichen An- SED vor 1989 mit dem Einzelhandel gemacht haben. träge. Schade, daß Sie das nicht gemacht haben. So kann ich das leider nicht erklären. Ich sage es jetzt einfach Die PDS hat ja auch abgeschrieben, nämlich aus noch einmal: unserer Koalitionsvereinbarung und aus dem Jahres- wirtschaftsbericht 1995 der Bundesregierung. So ver- Sehen Sie unseren Antrag einfach ein bißchen als sucht man bei der Opposition, Wiedergutmachung, denn die SED hat sich tatsäch- lich in der DDR um den Einzelhandel wenig geküm- (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Seien Sie mert. Stimmen Sie unserem Antrag zu und geben Sie doch froh!) uns die Chance, daß wir ein bißchen was gutgemacht haben! eigene Ideenlosigkeit zu vertuschen. Ich bedanke mich. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der PDS) Ich mußte bei Ihnen wirklich mehrfach hinsehen, konnte ich es doch eigentlich nicht glauben, daß es ausgerechnet die PDS ist, die einen Antrag zum Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Thema Wirtschafts- und Einzelhandelsförderung ein- Wort dem Abgeordneten Hans Michelbach. bringt, daß es ausgerechnet die Nachfolgepartei der SED ist, die sich - wie neuerdings auch die SPD - Hans Michelbach (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr dem Mittelstand geradezu anbiedert und jetzt Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Mit- scheinbar auch den mittelständischen Handel als glieder der Koalitionsfraktionen haben in der gestri- neues politisches Aktionsfeld entdeckt hat. gen Finanzausschußsitzung gegen die Stimmen der (Beifall bei der PDS) Opposition das von uns eingebrachte Jahressteuer- gesetz 1996 durchgesetzt. Neben Steuerentlastungen Dabei waren es doch gerade Sie, die für die deso- und -vereinfachungen für die Bürger ist dabei auch late wirtschaftliche Situation der ostdeutschen Wirt die Verlängerung und Verbesserung der Investitions- -schaft und des Mittelstandes verantwortlich zeichnen förderung für die neuen Bundesländer bis 1998 und Tausende selbständiger Existenzen in Ost- schon beschlossen. - deutschland auf schäbige Art und Weise vernichtet Allein durch die Fördermaßnahmen in den ostdeut- haben. schen Ländern entsteht ein Investitionsimpuls in (Beifall bei der CDU/CSU) Höhe von nahezu 26 Milliarden DM. Denken Sie einmal an die Familien, die Sie damit in (Beifall bei der CDU/CSU) der Vergangenheit vernichtet haben! Das Jahressteuergesetz ist damit insgesamt ein Der plötzliche Einsatz der PDS für den Mittelstand einmaliger Kraftakt für die wirtschaftliche Entwick- ist für mich deshalb genauso glaub- bzw. unglaub- lung in Ost und West. Es stärkt den Aufschwung, es würdig, als würde sich Ihr Herr Gysi selbst zum Hü- bringt durch den Familienleistungsausgleich und ter der Stasi-Akten machen. Sie verfahren nach dem den neuen Tarif mit der Freistellung des Existenzmi- nehme Porzellan, werfe es mit Schwung nimums eine Steuerentlastung für die Bürger in Rezept: Man zu Boden, vollziehe eine Kehrtwendung und versu- Höhe von über 22 Milliarden DM. che dann, den selbstverursachten Scherbenhaufen (Zuruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann schnell wieder zusammenzuflicken. [PDS]) Die PDS hatte genug Zeit, zu beweisen, was sie Über diese Stärkung des p rivaten Verbrauchs wird von ökonomischen Zusammenhängen und Wirt die mittelständische Wirtschaft, insbesondere auch -schaftsförderung versteht - nämlich rein gar nichts. der Handel, wichtige neue, zusätzliche Impulse er- Sie haben die Wirtschaft der DDR so zugrunde ge- halten. Die mittelständische Wirtschaft profitiert au- richtet, daß es vieler Milliarden DM und immenser ßerdem von den beschlossenen Verbesserungen bei Kraftanstrengungen der Bürger in den neuen Bun- der Erbschaft- und Schenkungsteuer, bei Betriebs- desländern bedurfte, um den mittlerweile in Gang übergaben, bei den höheren Verpflegungspauscha gekommenen Aufschwung einzuleiten. 3344 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Hans Michelbach Sie, meine Damen und Herren von der PDS, sollten nanzvolumen unter 250 000 DM rechnen. Das bedeu- die Konzipierung von Wirtschaftsförderungsmaßnah- tet eine arbeitsplatzschaffende Handelförderung von men somit besser denjenigen überlassen, die etwas immerhin 480 Millionen DM bis einschließlich 1998 davon verstehen und die das Vertrauen der Bürger in bzw. 1999. wirtschaftlichen Fragen genießen: den Politikern der (Beifall bei der CDU/CSU) Union, die mit wi rtschaftlicher Kompetenz - - Wir haben durch diese Entscheidung der schwieri- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege gen Lage des Groß- und Einzelhandels in den neuen Michelbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Bundesländern voll Rechnung ge tragen. Die Be- Kollegen Bierstedt? triebe ringen dort vielfach sicher um das Überleben; insbesondere bei den Existenzgründern. Einer Um- frage zur Folge sahen sich im Sommer letzten Jahres Hans Michelbach (CDU/CSU): Sehr gerne, Herr noch zwei Drittel der mittelständischen Einzelhan- Präsident. delsbetriebe in ihrer Existenz gefährdet. Diese Unternehmen kämpfen gegen die Konzentra- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte. tion von Großbetrieben vor den Toren der Städte.

Wolfgang Bierstedt (PDS): Herr Michelbach, ei- Sie müssen einmal begreifen, daß wir eine freie gentlich verbietet die A rt Ihrer Ausführung von Marktwirtschaft haben und Sie nicht einfach einen selbst, daß man eine Zwischenfrage stellt. Ich stelle Wettbewerbszaun aufbauen können. Das konnten trotzdem eine. Was halten Sie davon, daß vor knapp Sie in Ihrer Staatswirtschaft machen. Wir können drei Wochen im Wirtschaftsausschuß Ihr Parteikol- dies in einer freien Marktwirtschaft natürlich nicht lege Herr Hinsken, nachdem er nicht richtig hinge- tun. Deswegen fördern wir jetzt den mittelständi- schaut hatte, unserem Antrag spontan zugestimmt schen Handel zielgenau und können damit Wettbe- hat und die Förderung, die dort gefordert war, auch werbschancengleichheit eröffnen. für seinen Betrieb in Bayern einklagte? Wie stehen Diese mittelständischen Unternehmen werden Sie denn eigentlich dazu? durch die Investitionszulage gestärkt. Die geringe Eigenkapitaldecke wird deutlich aufgestockt. Wir Hans Michelbach (CDU/CSU): Ich kann Ihnen nur können somit die notwendige Durchführung von In- eines sagen: Ich kenne den Kollegen Hinsken. Er vestitionen den Betrieben aus eigener Kraft ermögli- weiß ganz genau, daß das Ganze im Jahressteuerge- chen. setz beinhaltet ist. Er ist Landesvorsitzender der Mit- telstandsarbeitsgemeinschaft in der CSU und hat es Die in Art. 9 des Jahressteuergesetzes 1996 gere- mit uns auch genauestens abgesprochen. Herr gelte Einbeziehung in die zehnprozentige Investi- Staatssekretär Dr. Faltlhauser ist hier Zeuge, daß das tionszulage ist auf diese mittelständischen Bet riebe eine einmütige Entscheidung war, und zwar schon zugeschnitten; sie ist sozusagen maßgeschneidert. lange vor Ihren Anträgen. Um Mitnahmeeffekte durch kapitalstarke Kon- Deswegen können wir allein auf Grund der Ter- zernbetriebe zu verhindern, wurde die Unterstüt- mine deutlich machen, daß Sie es einfach abgekup- zung nämlich auf Handelsbetriebe mit Innenstadt- fert haben lage beschränkt. Das heißt, Unternehmen in Ge- werbe-, Industrie- und Sondergebieten sind von der (Beifall bei der CDU/CSU) - Unterstützung ausgenommen. Das ist sicher gut so, weil wir den Mittelstand im freien Wettbewerb stär- und sich jetzt mit Schaufensteranträgen dem Mittel- ken wollen. Genau das haben wir zielgenau unter- and in den neuen Bundesländern anbiedern und st nommen. nichts anderes. Es muß hier deutlich gemacht wer- den, was Sie für eine Politik be treiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU) Die spezifische Förderung von Investitionen im in- nerstädtischen Bereich wird vielfältige Multiplikator- Angesichts eines derartigen Pseudo-Wirtschafts- programmes können wir diese Anträge mit Sicher- effekte bewirken. Sie wird auch städtebauliche Re- aktionen auslösen: Die wertvolle Bausubstanz kann heit nicht verwirklichen. erhalten werden, die Stadtzentren werden verschö- Als selbständiger Unternehmer be trachte ich es als nert, sie werden belebt, sie gewinnen an Attraktivität großen Erfolg für die Entwicklung des Mittelstandes, und Lebensqualität. Handelförderung, wie wir sie daß die CDU/CSU am Mittwoch dieser Woche im Fi- betreiben, ist somit Innenstadtförderung. nanzausschuß die Einbeziehung des ostdeutschen mittelständischen Groß- und Einzelhandels in die Angesichts des hohen Investitionsbedarfs der Be- zehnprozentige Investitionszulage im Rahmen des triebe in den neuen Bundesländern sowie vor dem Jahressteuergesetzes 1996 schon durchgesetzt hat. Hintergrund der Eigenkapitalschwäche der jungen Unternehmen und der damit verknüpften Insolvenz- Konkret: Betriebe des Groß- oder Einzelhandels gefahr haben wir mit dieser Förderung eine wich tige mit weniger als 50 Arbeitnehmern können in den Grundlage für die Stärkung des Wirtschaftsmotors neuen Ländern mit der Gewährung einer zehnpro- Handel geschaffen, die bereits bei Verbänden und zentigen Investitionszulage für nach dem 31. De- Betroffenen auf äußerst posi tive Resonanz in diesen zember 1995 begonnene Investitionen mit einem Fi Tagen gestoßen ist. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3345 Hans Michelbach Das Innovationspotential des Mittelstandes kann rung der Ertragsteuer zu einer Entlastung der Be- sich entfalten, die Ideen können umgesetzt werden. triebe führt. Dann haben wir durch die Investitions- Die Verwirklichung der Ideen führt zur Schaffung förderung und durch die Unternehmensteuerreform neuer Arbeitsplätze. Unsere Handelförderung ist so- wirklich etwas für den Mittelstand bewirkt. mit auch eine Beschäftigungsförderung in den neuen Bundesländern. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zuruf von der PDS: Hört! Hört!) Wir haben damit einen wichtigen Schritt zur Stär- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat kung des Mittelstandes und zur Revitalisierung der nun die Abgeordnete Sabine Kaspereit. Innenstädte getan.

(Zuruf von der SPD: Das ist das wahre Para- Sabine Kaspereit (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- dies, was Sie hier schildern!) leginnen und Kollegen! So viel Vehemenz wie Herr Er wird neue Arbeitsplätze schaffen und der Wi rt Kollege Michelbach bringe ich zu so später Stunde -schaft - angesichts von 480 Millionen DM - neue Im- nicht mehr auf. Ich stehe mit meiner Erstlingsrede pulse geben. Er wird dem Aufschwung noch mehr vor recht Unentwegten und deshalb sicher auch be- Elan verleihen. sonders Interessierten. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der (Zuruf von der PDS: Hört! Hört!) F.D.P.) Die Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Wi rt Es ist für mich um diese Zeit eine besondere Trai- -schaft bitte ich: Schenken Sie diesen Schalmeien- ningseinheit, und ich nehme an, für Sie ebenso. klängen der Opposition kein Vertrauen! Nur der Schön, daß Sie noch da sind. klare Weg der Sozialen Marktwirtschaft wird die eigene Leistung belohnen. Meine Damen und Herren, der mittelständische Groß- und Einzelhandel spielt in den neuen Bundes- Die Union ist die Gründerin und Wahrerin der So- ländern eine herausragende Rolle bei der Vermark- zialen Marktwirtschaft. tung von Produkten aus ostdeutscher Produktion, vor (Beifall bei der CDU/CSU) allem der mittelständischen Produktion Ostdeutsch- lands. Da brauchen wir von Ihnen keinen Nachhilfeunter- richt. Wir brauchen die Soziale Marktwirtschaft nicht Zirca 140 000 Einzelhändler und 500 000 Beschäf- neu zu erfinden, wie es Herr Scharping diese Woche tigte bemühen sich um die Versorgung in den neuen auf dem Verbandstag der Volks- und Raiffeisenban- Bundesländern und sorgen mithin auch für den Ab- ken gefordert hat. satz ostdeutscher Produkte. Trotz dieser Leistungen ist der ostdeutsche mittelständische H andel zum (Zuruf von der F.D.P.: Der erfindet jede Wo Stiefkind der Wirtschaftsförderung geworden. che etwas anderes!) Die Regierungskoalition wird nie müde, die Bedeu- Wir waren schon immer Verfechter dieser Sozialen tung und Rolle des Mittelstandes in der Marktwirt- Marktwirtschaft. Scharping sagte, das Vertrauen in schaft zu betonen und dieser trivialen Tatsache den den Staat sei auch in der SPD im Sinken. Das heißt Anschein zu geben, als wäre eben diese herausra- doch nichts anderes, als daß die Soziale Marktwirt-- gende Bedeutung des Mittelstandes auf die Wi rt schaft in der SPD nur halbherzig unterstützt wird. -schaftspolitik der Bundesregierung zurückzuführen. Doch der Mittelstand beklagt, daß er weder die nöti- (Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr! - gen Mittel noch den nötigen Stand eingeräumt be- Zuruf von der SPD: Das ist nun wirklich voll kommt. daneben!) Getreu dem Motto einer ausgewogenen Wi rt Nur so kann ich es verstehen. -schaftspolitik, die in schlechten Zeiten nichts nützt Wenn Herr Scharping sagt, daß das Vertrauen in und in guten kaum schadet, ist der mittelständische den Staat auch in der SPD im Sinken ist, dann wollen Handel in Ostdeutschland bisher faktisch ausge- Sie halb-halb. Das geht in der Sozialen Marktwirt- schlossen worden - ausgeschlossen aus der Gemein- schaft nicht; da können Sie nur eines machen: entwe- schaftsaufgabe, ausgeschlossen von diversen Förder- der für eine freie und soziale Marktwirtschaft sein programmen, ausgeschlossen aus der fünfzigprozen- oder gar nichts sein. tigen Sonderabschreibung und ausgeschlossen aus der Investitionszulagenregelung, schließlich auch (Beifall bei der CDU/CSU) ausgesetzt der übermächtigen Konkurrenz des groß- flächigen Einzelhandels auf der grünen Wiese. Wenn Sie die Dinge immer nur halbherzig machen, dann kommen Sie nicht voran. (Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: Das hat Herr Michelbach vergessen!) Wenn Sie wirklich etwas für unsere mittelständi- schen Betriebe in Ost und West tun wollen, dann Es reicht ja nicht aus, lediglich das produzierende stimmen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, Gewerbe zu fördern. Das, was produziert wurde, dafür, daß die Unternehmensteuerreform mit der muß auch seinen Weg zu den Abnehmern finden. Gewerbekapitalsteuerabschaffung und der Reduzie Die schon seit langem bestehende Forderung der 3346 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 Sabine Kaspereit SPD-Fraktion nach Wiedereinbeziehung des ostdeut- sonders freundliches und aufmerksames Publikum. schen mittelständischen Handels in die Investitions- Ich möchte Ihnen herzlich gratulieren. zulagenregelung käme den ostdeutschen Unterneh- mern in besonderer Weise zugute. (Beifall) Ergänzend zu der landläufigen Definition einer Ich erteile nun dem Abgeordneten Jürgen Türk das mittelständischen Unternehmung, die allein auf Um- Wort. satz- und Beschäftigtenzahlen beruht, besteht das Besondere des Mittelstandes ja darin, daß die Unter- Jürgen Türk (F.D.P.): Sehr verehrter Herr Präsident! nehmung u. a. für den Unternehmer eine dauerhafte Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum hat der Ein- Lebensaufgabe darstellt, für den Unternehmer und zelhandel keine Investitionszulage mehr bekommen? seine Familie die entscheidende Einkommensquelle Es wurde davon ausgegangen, daß sich der Handel ist, daß die mittelständische Unternehmung oft auf auch ohne Startgeld gut entwickelt. Aber in der er- kleindimensionierte Warenleistungen und auf klein- sten Euphorie, endlich Westware kaufen zu können, räumigen Absatz abzielt und die Kundenpolitik zu- haben die großen Ketten dieses Bedürfnis genutzt - meist vom direkten persönlichen Kontakt bestimmt ich will nicht sagen: mißbraucht - und Großmärkte wird, um nur einiges zu nennen. auf grüner Wiese errichtet. Die Kommunen wollten Diese Besonderheiten, diese Qualitäten mittelstän- und konnten diesem Druck nicht standhalten. discher Handelsunternehmen prägen die städtische Jetzt wird festgestellt, daß der mittelständische Kultur und tragen zur Attraktivität der Innenstädte Einzelhandel dadurch Wettbewerbsnachteile hat. Es entscheidend bei. ist die gleiche Entwicklung wie in Westdeutschland Mit der Herausnahme der kleinen Handelsbetriebe eingetreten - leider. Das ist jetzt erkannt. Wenn man 1991 durch die Koalition aus dem Berechtigtenkreis das erkennt, muß man die Kraft für Korrekturen ha- derer, die eine erhöhte Investitionszulage beanspru- ben. Die Koalition hat auf Drängen der Abgeordne- chen können, hat die Zahl der Existenzgründer dra- ten der CDU und der F.D.P. aus Ostdeutschland die stisch abgenommen. Aktuelle Zahlen belegen inzwi- zehnprozentige Investitionszulage für den kleinen schen, daß die Zahl der Gewerbeabmeldungen in und mittelständischen Einzelhandel in ihr Jahres- diesem Bereich die der Anmeldungen fast schon steuergesetz 1996 installiert. überschreitet. (Zuruf von der SPD: Und auf Drängen der (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber nicht SPD!) wahr!) - Gut, das gebe ich zu. - Fast schon überschreitet! Ich kann Ihnen die aktu- Damit erübrigt sich der PDS-Antrag: Für Abschrei- ellen Zahlen sagen. ben gibt es natürlich eine Fünf. So ist das. Zwei Drittel der noch bestehenden mittelständi- Aber die Erkenntnisse sind natürlich anerkennens- schen ostdeutschen Handelsbetriebe sehen sich nach wert. Die Investitionszulage ist erforderlich, um den einer Umfrage des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhändlern eine Chance zum Handicapausgleich Einzelhandels in ihrer Existenz gefährdet. Das sind zu geben, d. h., die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber mehr als 90 000 Händler. Von 500 000 Beschäftigten den Ketten ist zu stärken. Das heißt auch, zum einen sind es über 300 000, deren Arbeitsplatz gefährdet die Attraktivität der Geschäfte zu erhöhen, ohne die ist. Kosten auf die Preise umlegen zu müssen, und so mit - Diese zusammengerechnet fast 400 000 direkt be- den Großmärkten mithalten zu können. Das bedeutet troffenen Menschen in Ostdeutschland leben in Fa- zum anderen aber auch, daß die Kommunen einen milien. Wenn wir nur Dreipersonenhaushalte anneh- Nachteilsausgleich gewähren müssen, wenn nach- men würden, sind das fast 1,2 Millionen Menschen. weislich durch die Gott sei Dank große Bautätigkeit Das sind Schicksale, das ist die Realität! in den Städten die Erreichbarkeit der Läden so ein- geschränkt war, daß große Umsatzeinbußen entstan- (Beifall bei der SPD und der PDS) den sind. Das gilt z. B. auch für Cottbus, wo ich her- komme und wo nicht nur der Handel boomt. Die SPD-Fraktion schließt sich deshalb in diesem Punkt der Investitionszulagenförderung dem Ände- Ein Besuch der Händler aus der Cottbuser Region rungsvorschlag zum Jahressteuergesetz 1996 an, der in der AG Mittelstand der F.D.P.-Fraktion hat ge- im Finanzausschuß einhellig beschlossen worden ist, zeigt, daß man auch etwas gegen Ladendiebstahl und zieht ihren eigenen Antrag auf Wiederaufnahme machen muß, z. B. durch bessere Polizeipräsenz, daß des ostdeutschen Handels in die Investitionszulagen- man, Herr Borchert, natürlich an Steuersenkungen regelung zurück. denken muß und daß m an sich zu Werbegemein- schaften zusammenschließen kann, wie das auch in Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit zu so Cottbus geschehen ist. später Stunde und wünsche Ihnen eine gute Nacht. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Zur Diskussion steht natürlich auch, Wettbewerbs- vorteile durch flexiblere PDS) Ladenöffnungszeiten zu er- reichen, wo sich auch, wie ich nachgelesen habe, die SPD endlich öffnet. Das können Kleine besser als Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin Große, soviel steht fest. Aber warten wir das Gutach- Kaspereit, Sie hatten bei Ihrer Erstlingsrede ein be ten des Ifo-Instituts München ab. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3347

Jürgen Turk Dazu gehört auch, daß Innenstädte noch mit Fahr- mit Zustimmung des Plenums ihre Reden zu Proto- zeugen erreichbar sein müssen und daß Einzelhänd- koll zu geben.*) - Ich sehe und höre dazu keinen Wi- ler nicht an der Ablösesumme für Parkplätze kaputt- derspruch. gehen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Mit der Investitionszulage von 10 % dürfte der Ein- Drucksache 13/1543 an die in der Tagesordnung auf- zelhandel im ländlichen Raum, also Tante Emma, geführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch dazu wieder eine Chance haben. Die Kombination Emma sehe ich - - Laden plus Postagentur beginnt sich zu bewähren. (Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.] meldet sich zu Damit haben ehemalige Arbeitskräfte der Konsum- Wort) und HO-Läden sowie die Oma, die natürlich Schwie- rigkeiten hat, zum Großmarkt zu kommen, wieder - Ich kann Ihnen leider das Wo rt nicht geben. eine Chance. (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Zur Geschäftsord (Zuruf von der SPD: Was ist denn mit dem nung!) Opa? - Ulrich Irmer [F.D.P.]: Immer dieser - Herr Kollege, ich habe die Aussprache geschlossen. Sexismus!) Es tut mir sehr leid. Sie hätten sich eher melden müs- - Der Opa natürlich auch. sen. Es ist Überweisung vorgeschlagen - - Die Investitionszulage wird entscheidend zur Wie- derbelebung des innerstädtischen Handels und da- (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Ich wollte mich nur mit zur Revitalisierung der Städte beitragen, aber zur Geschäftsordnung melden!) auch zur Versorgung im ländlichen Raum. Das war - Wollen Sie zur Überweisung sprechen? - Herr Kol- und ist unsere Absicht in dem Jahressteuergesetz lege Irmer, entschuldigen Sie bitte! Ehe Sie das Wo rt 1996. ergreifen: Wollen Sie zur Überweisung sprechen? - Vielen Dank. Darf ich Sie fragen, ob Sie zur Überweisung spre- chen wollen? (Beifall bei der F.D.P.) Ulrich Irmer (F.D.P.): Herr Präsident, ich mußte war- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Damit sind wir ten, bis das Mikrofon angegangen ist, damit ich Ihre am Ende dieser Aussprache. Frage beantworten kann. Es war keine Ungebühr- lichkeit Ihnen gegenüber. Interfraktionell wird Überweisung dieser Vorlagen auf Drucksache 13/859 und 13/1541 an die in der Ta- Ich wollte eigentlich zur Geschäftsordnung spre- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- chen, und zwar zu dem Vorschlag, daß die Reden zu gen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und Protokoll gegeben werden. Wenn das aber zu spät höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überwei- ist, ziehe ich meine Wortmeldung selbstverständlich sungen so beschlossen. zurück. Ich füge mich klaglos Ihrem Votum, Herr Prä- sident. Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das ist zu spät, Beratung des Antrags der Abgeordneten Ul ri Herr Kollege. - -ke Höfken-Deipenbrock, Joseph Fischer (Frankfurt) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Dann stelle ich fest, daß Sie mit der Überweisung GRÜNEN der Vorlage an die aufgeführten Ausschüsse einver- standen sind. Verletzung internationaler Walfang-Verein- barungen durch Norwegen Damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- - Drucksache 13/1543 - destages für morgen, Freitag, 2. Juni 1995, 9 Uhr ein. Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Die Sitzung ist geschlossen. (federführend) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Schluß der Sitzung: 23.52 Uhr) Die Kollegen Dr. Rieder, Schütz, Bredehorn, Frau Kollegin Schröter, Bundesminister Borche rt und auch die Kollegin Lemke sind dankenswerterweise bereit, *) Anlage 8

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3349*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 3

Liste der entschuldigten Abgeordneten Antwort

entschuldigt bis des Parl. Staatssekretärs Walter Hirche auf die Abgeordnete(r) einschließlich Fragen des Abgeordneten Dietmar Schütz (Olden- burg) (SPD) (Drucksache 13/1498 Fragen 31 Antretter, Robe rt SPD 01. 06. 95* und 32): Böttcher, Maritta PDS 01. 06. 95 Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bislang ergrif- Braune, Tilo SPD 01. 06. 95 fen, und welche weiteren Maßnahmen wird sie ergreifen, um zu Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 01. 06. 95* verhindern, daß die Ölplattform „Brent Spar" unter Verstoß ge- gen geltende Nordseeschutzabkommen und Internationales Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 01. 06. 95 Seerecht durch Versenken im Meer „entsorgt" wird. 90/DIE GRÜNEN Welche Initiativen wird die Bundesregierung im Rahmen der 4. Internationalen Nordseeschutzkonferenz (INK) ergreifen, um Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 01. 06. 95 ein verbindliches Verbot der „Entsorgung" von Ölplattformen CDU/CSU 01.06. 95 und anderen Offshore-Einrichtungen durch Versenken im Meer Gröbl, Wolfgang zu erzielen? Frhr. von Hammerstein, CDU/CSU 01. 06. 95 Carl-Detlev Zu Frage 31: Heym, Stefan PDS 01. 06.95 Heyne, Kristin BÜNDNIS 01. 06.95 Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat die 90/DIE übrigen Mitgliedstaaten des Oslo-Übereinkommens GRÜNEN von Oslo und informiert, daß das britische Indu- Hornung, Siegfried CDU/CSU 01. 06. 95* strie- und Energieministerium das Entsorgungspro- gramm der Firma Shell UK für die „Brent Spar"-An- Janssen, Jann-Peter SPD 01. 06. 95 lage gebilligt hat. Gleichzeitig wurden Informationen Mosdorf, Siegmar SPD 01. 06. 95 gemäß den Richtlinien der Oslo-Kommission über die Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 01. 06. 95 Beseitigung von Offshore-Anlagen auf See bereitge- 90/DIE stellt. GRÜNEN Nach den vorliegenden Unterlagen entspricht die Pfannenstein, Georg SPD 01.06. 95 Versenkung der Anlage „Brent Spar" im Atlantik Dr. Scheer, Hermann SPD 01. 06. 95* nach Einschätzung der Bundesregierung nicht dem Schröter, Gisela SPD 01. 06. 95 in den Meeresschutz-Übereinkommen verankerten Schumann, Ilse SPD 01. 06. 95 Vorsorgeprinzip. Das Bundesumweltministerium hat sich deshalb in einem Schreiben vom 9. Mai 1995 an Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 01. 06. 95 das britische Ministerium für Landwirtschaft, Fische- Volmer, Ludger BÜNDNIS 01. 06. 95 rei und Ernährung, das die gemäß den Richtlinien 90/DIE der Oslo-Kommission geforderten Informationen ge- GRÜNEN - liefert hat, nachdrücklich gegen das Vorhaben aus- Wallow, Hans SPD 01. 06. 95 gesprochen. Die Bundesregierung wird sich auch bei der 4. Internationalen Nordseeschutzkonferenz am 8./9. Juni 1995 in Esbjerg/Dänemark mit Nachdruck für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- für die landseitige Entsorgung von Offshore-Anlagen sammlung des Europarates einsetzen.

Zu Frage 32:

Anlage 2 Die Bundesregierung wird sich bei der 4. Inter- nationalen Nordseeschutzkonferenz mit Nachdruck Erklärung nach § 31 GO dafür einsetzen, daß das Vorsorgeprinzip auch bei der Entsorgung von stillgelegten Offshore-Anlagen des Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz (BÜNDNIS 90/ Anwendung findet. Mit dieser Zielrichtung wird sie DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Antrag trotz der Widerstände anderer Staaten darauf drän- der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE gen, daß GRÜNEN und F.D.P. auf Einsetzung einer Enquete Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt - stillgelegte Offshore-Anlagen grundsätzlich an - Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig Land entsorgt werden, zukunftsverträglichen Entwicklung" (Tagesordnungspunkt 14 aa) - die Oslo-Kommission dies baldmöglichst für das Gebiet des Nordostatlantiks in Form eines Be- Ich erkläre, daß ich für den Antrag gestimmt habe. schlusses umsetzt, 3350* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

- die Nordseeanliegerstaaten im Rahmen der Über- Guernica" vor. Dieser Entwurf mit einem Gesamtvo- arbeitung des Londoner Übereinkommens von lumen von ca. 50 Millionen DM sah eine deutsche fi- 1972 eine gemeinsame Initiative ergreifen, um die nanzielle Beteiligung in Höhe von ca. 30 Millionen Entsorgung an Land weltweit vorzuschreiben. DM vor. Ein von der Bundesregierung hierzu in Auf- trag gegebenes und vom Bundesministerium für Bil- dung und Wissenschaft ausgewertetes Gutachten schlug aufgrund von Erfahrungen mit einem ähnli- chen Projekt in Israel die Übernahme der Ausstat- Anlage 4 tungskosten einer ersten Baustufe in Höhe von 10 bis 12 Millionen DM als deutschen Beitrag vor. Antwort Die Bemühungen des Auswärtigen Amtes, für die- des Staatsministers Be rnd Schmidbauer auf die Fra- sen Beitrag im Haushaltsverfahren 1994 Verpflich- gen des Abgeordneten Otto Schily (SPD) (Druck- tungsermächtigungen in den Haushalt einzustellen, sache 13/1498 Fragen 34 und 35): sind jedoch ohne Erfolg geblieben. An anderer Stelle Ist der Bericht der Frankfurter Rundschau vom 10. Mai 1995 konnte im Haushalt des Auswärtigen Amtes ein der- zutreffend, nach dem der Bundesnachrichtendienst (BND) täg- artiger Betrag nicht eingespart werden. lich "Hunderttausende von Auslandsgesprächen" abhört, und falls ja, auf welcher Rechtsgrundlage hö rt der BND ab? Zu Frage 38: Wird der Bundesnachrichtendienst diese Abhörpraxis mit Bil- ligung der Bundesregierung in Zukunft fortsetzen? Es ist in der Tat davon auszugehen, daß sich Ent- täuschung einstellt, wenn die vom Deutschen Bun- Der Bericht trifft nicht zu; auch eine Fortsetzung destag seinerzeit angeregte Versöhnungsgeste nicht der angeblichen Abhörpraxis kommt damit nicht in zustandekäme. Die Realisierung des Projekts bleibt Frage. Zur näheren Information darf ich auf die als den weiteren Beratungen über den Haushalt vorbe- Anlage beigefügte Antwort der Bundesregierung auf halten. Wenn die Finanzierung sichergestellt ist, wä- die Kleine Anfrage der Abgeordneten Gerhard Jütte- ren noch inhaltliche Gespräche über die genaue Aus- mann, Wolfgang Bierstedt und der Gruppe der PDS gestaltung des Projekts mit der spanischen Seite er- - Abhören von Auslandstelefonaten -, Drucksache forderlich. 13/1380, hinweisen.

Anlage 6 Anlage 5 Antwort Antwort des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) (Druck- Abgeordneten Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE sache 13/1498 Frage 39): GRÜNEN) (Drucksache 13/1498 Fragen 37 und 38): Unterstützt die Bundesregierung die Forderung der kommu- nalen Spitzenverbände, bei der Revision der Maastrichter Ver- Wie ist der Beschluß des Deutschen Bundestages vom träge der Europäischen Union 1996 das "Recht auf kommunale 10. November 1988, der lautete: "Flugzeuge der Legion Condor Selbstverwaltung " in den Vertrag aufzunehmen? haben während des spanischen Bürgerkrieges im April 1937 die Stadt Guernica (baskisch: Gernika) im Baskenland bombardiert. Aus Anlaß des Gedenkens haben die Fraktion DIE GRÜNEN Unter Federführung des Auswärtigen Amtes sind und die Fraktion der SPD ein Zeichen der Versöhnung und des die vorbereitenden Arbeiten der Bundesregierung Friedens und der Freundschaft beantragt. Es besteht Überein- stimmung, dem menschlichen und moralischen Aspekt der An- für die Regierungskonferenz 1996 angelaufen. In den träge gerecht zu werden. Zur Realisierung wurden mehrere un- kommenden Monaten wird die Bundesregierung un- terschiedliche Projekte in die Aussprache eingeführt. Kosten, ter Berücksichtigung der Ergebnisse der Reflexions- deren Höhe gegenwärtig noch nicht abzuschätzen ist, werden gruppe, die damit beauftragt worden ist, die Regie- entstehen", umgesetzt worden, und welche Kosten sind inzwi- schen entstanden bzw. in den Haushalt eingestellt? rungskonferenz 1996 vorzubereiten, ihre Posi tionen weiter präzisieren. Einen Schwerpunkt für die Regie- Wie kommt die Enttäuschung im baskischen Gernika, die die rungskonferenz 1996 sieht die Bundesregierung in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. Mai 1995 mit den Wor- ten vermeldet „Die spanische Stadt Guernica ist von der deut- der Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und in der schen Regierung offenbar so enttäuscht, daß sie erwägt, die Pa rt Schaffung von mehr Bürgernähe. In diesem Zusam- -nerschaft mit der badischen Stadt Pforzheim zu beenden", nach menhang kommt auch der kommunalen Selbstver- Ansicht der Bundesregierung zustande, und welche Möglich- waltung Bedeutung zu. keiten sieht sie, weiterer Enttäuschung dadurch vorzubeugen, daß das vom Deutschen Bundestag im November 1988 beschlos- sene Zeichen der Versöhnung und des Friedens und der Freund- Bislang wurde die Frage, ob es zum Schutz der schaft tatsächlich gesetzt wird? kommunalen Selbstverwaltung einer besonderen Be- stimmung im Vertrag über die Europäische Union be- Zu Frage 37: darf, im Ressortkreis noch nicht behandelt. Diese wie auch andere Fragen wird die Bundesregierung unter Im Anschluß an den Bundestagsbeschluß vom Beteiligung der Länder bei der Präzisierung ihrer Po- 10. November 1988 legte Spanien 1991 eine erste sition für die Regierungskonferenz 1996 zum gege- Projektkonzeption für ein „Berufsbildungsprojekt benen Zeitpunkt eingehend prüfen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3351*

Anlage 7 Punkt 1. Die Population der Zwergwale im Nordat- lantik beträgt nach seriösen Schätzungen zwischen Antwort 40 000 und 100 000 Tiere. Genauere Schätzungen lassen sich nicht mit vernünftigem Aufwand machen, des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des übrigens auch nicht mit einem wie auch immer gear- Abgeordneten Norbert Gansel (SPD) (Drucksache teten Computerprogramm. Eine Volkszählung in der 13/1498 Frage 40): Bundesrepublik ist da viel leichter zu organisieren. Und wie kompliziert das sein kann, sollten zumindest Wann hat die Bundesregierung - der Bitte des Deutschen Bun- destages folgend - den Beschluß des Deutschen Bundestages die älteren GRÜNEN noch wissen. vom 16. Februar 1995 an die iranische Regierung übermittelt, in dem die iranische Regierung für die Sicherheit des Salman Punkt 2. Die Wachstumsrate dieser Population be- Rushdie verantwortlich und haftbar gemacht und aufgefordert trägt derzeit mindestens 5 % pro Jahr, die Entnahme wird, sich um die Aufhebung der Fatwa zu bemühen, und steht von wenigen hundert Tieren ist also kein Problem der Besuch des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der iranischen Regierung am 21. Mai 1995 damit in Zusam- des Artenschutzes, sondern ein Nutzungsproblem, menhang? da die Entnahme von Tieren aus einer Popula tion nur dann sinnvoll ist und den maximalen Ertrag ver- Die Bundesregierung hat den Beschluß des Deut- spricht, wenn die Population nahe ihrer optimalen schen Bundestages vom 16. Februar 1995 am Bestandszahl ist. 21. Februar 1995 entsprechend der Bitte des Deut- schen Bundestages per Verbalnote an die iranische Sie ist allerdings auch ein grundsätzliches Pro- Regierung übermittelt. Der Deutsche Bundestag blem, denn die Frage muß selbstverständlich immer wurde hierüber mit Schreiben des Auswärtigen Am- gestattet sein, ob es überhaupt richtig ist, auf Wale tes vom 7. März 1995 in Kenntnis gesetzt. Jagd zu machen. Das ist aber ein Feld, das in diesem Zusammenhang nicht diskutiert werden kann, da es Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesmi- nicht Gegenstand der internationalen Verträge ist, nisterium der Justiz, Rainer Funke, hat als Delega- über die hier diskutiert wird. tionsleiter und Vorstandsmitglied der deutsch-irani- schen Gesellschaft bei seinem Besuch in Teheran die Punkt 3. Die Waljagd durch Norwegen ist in die- Rushdie-Frage mit der iranischen Regierung erörtert sem Jahr durch noch so tolle Resolutionen dieses Par- und hierbei eine Beendigung der Bedrohung Rush- lamentes nicht mehr zu beeinflussen. Eine Debatte dies gefordert. nur deshalb zu führen, weil durch irgendeine Veröf- fentlichung am Montag die GRÜNEN mitbekommen In diesem Zusammenhang wird Sie des weiteren haben, daß da wieder einmal etwas los ist, ist nicht interessieren, daß mich am 28. April 1995 der irani- zielgerichtet. sche Botschafter zu einem Gespräch über Menschen- rechtsfragen aufsuchte. Er bekundete hierbei die ira- Punkt 4. Auch die diesjährige Tagung der IWC in nische Bereitschaft zu einem Dialog über alle Men- Dublin ist nicht mehr zu beeinflussen, denn rückwir- schenrechtsfragen. Ich wies bei diesem Gespräch er- kende Beeinflussungen sind bekanntlich nur sehr neut eindringlich darauf hin, daß wir eine Beendi- schwer möglich. gung der Bedrohung Rushdies als fundamentale Vor- aussetzung für eine weitere Normalisierung der Be- Punkt 5. Dieses Parlament hat in aller Deutlichkeit ziehungen zum Iran forde rn. in der letzten Legislaturperiode alles Mögliche, aber auch alles Notwendige zum Walfang beschlossen, und zwar in interfraktionellen Anträgen, die einmü- tig von allen im Parlament vertretenen Parteien und Gruppen getragen wurden. Diese Beschlüsse haben nach wie vor Gültigkeit und brauchen nicht ge- Anlage 8 betsmühlenartig immer wieder wiedergekäut zu wer- den. zu Protokoll gegebene Reden zu Zusatztagesordnungspunkt 6 Punkt 6. Es ist nicht sinnvoll, jetzt gerade die Nor- (Antrag: Verletzung internationaler weger zu Prügelknaben zu machen, denn genauso Walfang-Vereinbarungen durch Norwegen) müßten die Japaner genannt werden, aber auch die- jenigen Staaten, die unter dem Vorwand des Erhaltes Dr. Norbert Rieder (CDU/CSU): Es ist schon selt- alter Traditionen der Eingeborenen für Fangquoten sam auf dieser Welt, daß es viele Leute gibt, denen zugunsten ihrer Bürger eintreten, weltweit aber den immer dann, wenn etwas gelaufen ist, einfällt, daß Walfang ablehnen. Warum sollte den Eingeborenen sie auf diesen Zug auch noch aufspringen möchten. in Norwegen etwas verwehrt werden, was den Ein- Und manche Leute glauben dann auch noch, daß das geborenen in Alaska oder Grönland recht und billig Politik sei. So ist das auch mit diesem Antrag zum ist, obwohl dort Arten gejagt werden, die wesentlich norwegischen Walfang, der heute ganz kurzfristig niedrigere Populationszahlen aufweisen als der auf die Tagesordnung kommt, obwohl überhaupt Zwergwal? Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich nichts mehr, zumindest im positiven Sinn, zu beein- befürworte keineswegs den Walfang irgendwelcher flussen ist. Art zu dieser Zeit, im Gegenteil, ich halte die Popula- tionen für viel zu niedrig, um überhaupt über Wal- Versuchen wir deshalb einmal in aller Ruhe die fang diskutieren zu können. Ich fordere nur gleiches Fakten zu sortieren, die insgesamt für sich sprechen. Recht für alle. 3352* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995

Punkt 7. Es ist schon pikant zu lesen und zu hören, nicht allzu häufig Anlaß habe, die Bundesregierung daß die GRÜNEN in Ihrem Antrag die öffentliche zu loben - ein großer Erfolg für den Walschutz, zu Verurteilung der norwegischen Walfangpolitik for- dem auch die Haltung der Bundesrepublik einen dern. Das ist genau das, was ich an den GRÜNEN so wichtigen Beitrag leistete. liebe: Sie selbst treten für den bürgerlichen Ungehor- sam überall dort ein, wo es ihnen in den Kram paßt, Es besteht für mich kein Zweifel daran, daß Wale, aber überall dort wollen sie mit den härtesten Maß- diese größten unter den lebenden Säugetieren unse- nahmen gegen alle anderen eingreifen, wo sie ihre res Planeten, auch ohne eine neuerliche Legalisie- eigenen Interessen, welcher Art auch immer, bedroht rung des kommerziellen Walschlachtens heute be- sehen. Mit einer harten Primitivhaltung Norwegen reits durch Überfischung, durch Verschmutzung der gegenüber, wie sie von den GRÜNEN verlangt wird, Weltmeere und durch die Zerstörung der Ozon- wird man aller Voraussicht nach nur bereits vorhan- schicht so bedroht wie nie zuvor sind. Deshalb sage dene norwegische Trotzreaktionen weiter verstärken auch ich: Norwegen muß das Walfangverbot der IWC und so den Walen mehr schaden als nützen. respektieren. Norwegen hat mit seiner jahrelangen Praxis der quotierten Jagd auf Minke-Wale anhal- Aber vielleicht ist das genau das, was die GRÜ- tend gegen das Walfangmoratorium des IWC von NEN wollen, denn nur dadurch können sie sich ja ihr 1986 verstoßen. Zusammen mit Japan ist Norwegen geliebtes, weil für die eigene Existenz notwendiges das einzige Land, das sich offiziell nicht an dieses Feindbild erhalten. Lebt doch keine Partei so sehr Moratorium hält und eine Wiederaufnahme des kom- wie die GRÜNEN davon, daß sie durch Polarisierung merziellen Walfangs propagiert. und Aufbauen von Feindbildern die eigene Klientel bei der Stange hält. Wir als CDU/CSU möchten errei- Norwegen, das auf anderen Gebieten des Umwelt- chen, daß der Walfang auf dieser Welt zumindest so- schutzes vorbildlich ist, zeigt sich beim Walfang un- lange beendet wird, bis die Bestände aller Arten sich einsichtig und isoliert sich von der internationalen auf ein vernünftiges Maß erholt haben. Aber dazu Staatengemeinschaft. Der norwegische Walfang ist brauchen wir auch das notwendige diplomatische zweifelsohne eine Belastung für das Ansehen dieses Einfühlungsvermögen. Der Antrag der GRÜNEN läßt Landes und die Glaubwürdigkeit seiner gerade auch aber leider alle Voraussetzungen dafür vermissen. als internationale Umweltpolitikerin angesehenen Schade, daß es hier im Parlament nicht das gibt, was Regierungschefin Gro Harlem Brundtland. in jedem ordentlichen Büro so wich tig ist: einen Pa- Wir alle hier teilen wohl die Auffassung, daß Nor- pierkorb. wegen wieder in die Gemeinschaft des IWC zurück- kehren und das bestehende Morato rium respektie- Dietmar Schütz (Oldenburg) (SPD): Dem Antrag ren soll. Die norwegische Regierung wäre gut bera- von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist anzusehen, daß ten, sich nicht aus falsch verstandenen - und übri- er mit heißer Nadel gestrickt wurde: Streckenweise gens auch ökonomisch unprofitablen - Mo tiven läßt der Text mehr Engagement als Sachverstand er- „traditioneller „ Fischerei weiterhin der Einsicht zu kennen. Selbstverständlichkeiten wie die Ablehnung verstellen, daß nur zusammen mit der IWC eine inter- des kommerziellen Walfangs werden eingefordert, national akzeptierte Politik zum Walschutz - zu dem obwohl dies nach meinem Kenntnisstand zwischen sich ja auch Norwegen bekennt - möglich ist. Bundestag und Bundesregierung seit Jahren unstrit- tig ist. Vermeidbar gewesen wäre auch, die IWC, die In diesem Zusammenhang ist es elementar - und ein Zusammenschluß einzelner Staaten auf der ich bedaure, daß der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hierzu kein Wo Grundlage des Freiwilligkeitsprinzips ist, mit einem rt sagt -, daß auf der jetzi- Gericht zu verwechseln, vor dem die Bundesregie- gen IWC-Tagung in Dublin der Dialog über das Wal- fang-Moratorium weitergeführt wird. rung etwas „einklagen „ könne. Und wie soll man sich eigentlich vorstellen, daß die IWC „Walfänger Die Agenda des Dublin-Treffens weist unter zahl- an der Ausfahrt hindert"? Ich hoffe, nicht per Kano- reichen Einzelpunkten meines Erachtens zwei zen- nenbootdiplomatie - oder sollte die „Realis tische trale Themen auf: erstens Bestandsschätzungen, Schule" bei den GRÜNEN so schnell den Durch- zweitens den japanischen Vorstoß für eine Freigabe bruch geschafft haben? des Walfangs für „coastal communi ties". Die Vorlage eines derart hastig verfaßten Antrags Im Vorfeld der IWC-Tagung war bekannt gewor- ist Ausdruck eines politischen Aktionismus, der mehr den, daß Norwegen jahrelang auf der Basis falscher den Effekt sucht als das Ergebnis. Dafür hätte eine Zahlen seinen Anspruch auf Bejahung der Minke- Presseerklärung auch gereicht. So nützen Sie aber Wale vorgebracht hat. Da es jetzt als gesichert gelten nicht der Sache, und das bedaure ich, denn in der Sa- kann, daß es weit weniger als die von Norwegen an che ist sich dieses Haus schon 1993 einig gewesen: -gegebenen 80 000 Minke-Wale im Nordostatlantik Verbot des kommerziellen Walfangs. gibt - nämlich höchstens 50 000 - ist es wich tig, end- lich belastbarere Angaben über die tatsächlich anzu- Ich erinnere an den einstimmig gefaßten Beschluß nehmenden Größen aller Walbestände - und damit des Deutschen Bundestages vom 29. April 1993, mit auch den Grad ihrer Gefährdung - zu erhalten. dem wir die Bundesregierung aufgefordert haben, am Moratorium für den kommerziellen Walfang fest- Meine Befürchtung ist - und ich wäre froh, mich zuhalten und die Schaffung eines Walschutzgebietes hier zu irren -, daß wir die Zahlen über die Walpopu- im südlichen Atlantik zu unterstützen. Dieses Schutz- lationen deutlich nach unten korrigieren müssen. gebiet wurde im letzten Jahr auf der IWC-Tagung in Falls dies der Fall sein sollte, wird dies auch Konse- Mexico geschaffen. Dies war - ich betone das, da ich quenzen für die Diskussion über eine von Norwegen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3353* und Japan geforderte „nachhaltige Bewi rtschaftung" und ökonomisch widersinnigen Praxis der Treibnetz- der Walbestände haben. Ich persönlich gebe dem fischerei, der jährlich ungezählte Delphine und Ansinnen Norwegens und Japans keine Zukunft, Kleinwale zum Opfer fallen. wenn wir diese niedrigeren Zahlen erhalten. Hier liegt ein wich tiges Aufgabenfeld für die IWC Beim zweiten Thema, der japanischen Forderung, und ihre Mitgliedstaaten. Die Untersuchung der den Walfang für Küstengemeinden aus „traditionel- kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen dieser len" und „kulturellen" Gründen freizugeben, ist ein vielfältigen Gefährdungsfaktoren auf das marine breiter Konsens erforderlich, um nicht durch einen Ökosystem wird nicht nur Aufschluß über die Über- sogenannten „Küstenwalfang" ein Einfallstor für lebenschancen der Wale geben, sondern auch Hin- Walpiraterie und illegale Walfleischimporte zu öff- weise auf die potentiellen Auswirkungen globaler nen. Jedem Aufweichen des Morato riums muß ent- Umweltveränderungen auf uns Menschen. schlossen begegnet werden. Hier - und jetzt richte Wir begreifen den Schutz der Wale als ein - zwei- ich das Wort an die Bundesregierung - ist in der Tat felsohne auch symbolisch - wichtiges Element in ei- eine fest Haltung erforderlich, um Japan deutlich zu ner Politik des interna tional verbindlichen Schutzes machen, daß es keine Verbündeten für seine Wal- und der nachhaltigen Bewirtschaftung der „Res- fangpolitik findet und in seiner Rolle als Hauptab- source Ozean", die als eine allen Menschen gemein- nehmer und Konsument für Walfleisch weltweit iso- same Rohstoffquelle zu bewahren und zu nutzen, liert ist. nicht aber weiter zu plündern ist. Bei diesen Themen streben wir Lösungen gemein- Wale besitzen heute für den Menschen keinerlei sam mit den be troffenen Staaten in und mit der IWC wirkliche Bedeutung als „Rohstoff". Ihr heutiger an. Nur in und mit der IWC werden wir zu interna tio- „Wert " für uns ist der, den wir Ihnen als einzigartige nal akzeptierten und durchsetzbaren Ergebnissen Lebewesen auf unserem Planeten beimessen. beim Walschutz kommen. Deshalb geht unser Ansatz beim Thema Walfang - oder besser: Walschutz - über Ich verhehle nicht, daß ich die Inten tion des Antra- das bloße „An-den-Pranger-Stellen", wie es im vor- ges von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weitgehend liegenden Antrag praktiziert wird, hinaus. teile. Die SPD-Fraktion verurteilt - ebenso wie die übergroße Mehrheit dieses Hauses - die anhaltenden Wir sehen den Walschutz als einen integralen Teil Verstöße Norwegens gegen das IWC-Moratorium. der großen Aufgabe des Biosphärenschutzes und des Auch wenn der vorliegende Antrag zahlreiche Män- Schutzes der Meere an. Wir wissen noch immer viel gel hat, erscheint es mir daher gleichwohl nicht un- zu wenig über die komplexen Zusammenhänge und möglich, daß wir in den weiteren parlamentarischen Abläufe in den Meeren, die auch heute noch eine Beratungen eine gemeinsame Posi tion finden wer- „terra incognita", ein unbekannter Kontinent, sind. den. Wir sind dazu bereit. Was wir jedoch bereits heute wissen, ist, daß Wale, gewissermaßen die ursprünglichen „Herren" dieses Günther Bredehorn (F.D.P.): Für uns ist der Schutz Kontinents, nicht nur der direkten Gefahr durch Be- der Walbestände ein wich tiges umweltpolitisches jagung ausgesetzt sind. Ziel. Von daher unterstützen wir die Bundesregie- rung bei ihren Bemühungen innerhalb der Interna- Neben den mittel- und langfristigen Folgen des tionalen Walfang-Kommission, sich für Verbesserun- Klimawandels und der Ausdünnung der Ozonschicht gen beim weltweiten Schutz der Wale einzusetzen. stellen Schadstoffeinträge und Überfischung eine Im Rahmen der IWC wurde aufgrund des gefährde- akute und unmittelbare Gefährdung der Wale dar. ten Bestandes der Wale in den Weltmeeren 1982 ein Wale sind Bioindikatoren. Am Ende der Nahrungs- Moratorium beschlossen, das 1986 in Kraft trat und kette stehend, geben sie uns auch Aufschluß über ein weltweites Verbot des kommerziellen Walfangs den ökologischen Zustand ihrer Habitate, der Welt- beinhaltet. Der Antrag der GRÜNEN kommt pünkt- meere. Und diese sind gefährdet. lich zur Tagung der Walfang-Kommission, die zur Zeit in Irland stattfindet, und hängt sich an die Aktio- Anzeichen für eine schleichende Vergiftung der nen verschiedener Umweltorganisationen an. Die- Wale sind klar und deutlich zu sehen: Die im letzten sem Antrag der GRÜNEN, der eine Verurteilung Sommer von den Faröern grausam abgeschlachteten Norwegens wegen Verletzung internationaler Wal- Pilotwale waren dera rt mit Schadstoffen belastet, daß fang-Vereinbarungen forde rt, kann so nicht zuge- sie nicht zum Verzehr freigegeben werden konnten, stimmt werden. Norwegen ist Mitglied der Interna- sondern als Sondermüll hätten beseitigt werden müs- tionalen Walfang-Kommission. Die Norweger fühlen sen. Und in den in diesem Winter an den Nordsee- sich aber an die Beschlüsse der IWC nicht gebunden, stränden angeschwemmten verendeten Pottwalen weil sie gegen das Morato rium, das den Walfang ver- wurden Gifte wie PCB, DDT und Hexachlorbenzol bietet, Einspruch eingelegt haben. Deshalb ist Nor- nachgewiesen, die vorher niemand in diesen Tieren wegen an das Moratorium wegen seines Einspruchs vermutet hätte. rechtlich nicht gebunden. Für das Jahr 1995 hat Nor- wegen den kommerziellen F ang von 301 Minke-Wa- Auch die durch jahrzehntelange intensive Befi- len aus dem nordostatlantischen Bestand freigege- schung und den Einsatz modernster Fangtechnologie ben. Die Norweger berufen sich dabei auf die Be- verursachte Abnahme von Fischbeständen wirkt sich schlüsse der Konferenz von Rio 1992. Dort wurde vor- alles andere als positiv auf die Meeressäugerpopula- gesehen, daß es eine tragfähige Nutzung von Res- tionen aus, ganz zu schweigen von der ökologisch sourcen geben soll. Die Norweger sind der Meinung, 3354* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 daß sich bei den Minke-Walen die Bestände so gut schen Nordnorwegen lebt von der Nutzung lebender entwickelt haben, daß do rt begrenzt gejagt werden mariner Ressourcen, insbesondere dem Fischfang. kann. Dort sieht man den Walfang als Bestandteil des Um- feldes und der Kultur an der norwegischen Küste. Die F.D.P. sieht diese Entwicklung mit großer Auch wenn ich Verständnis für die Haltung der nor- Sorge. Wir können die Entscheidung der Norweger wegischen Fischer und Walfänger habe, ist die Erhal- nicht nachvollziehen und akzeptieren. Inzwischen tung des Artenschutzes eindeutig höher einzustufen. gibt es nämlich berechtigte Zweifel, ob die vom Von daher appelliere ich an die Bundesregierung, Wissenschaftsausschuß der IWC geschätzte Größe sich auf der zur Zeit laufenden internationalen Wal- des Zwergwalbestandes im Nordost-Atlantik von fangkonferenz in Dublin mit Nachdruck dafür einzu- 87 000 Walen überhaupt zutreffend ist. Die Zähl setzen und Norwegen aufzufordern, das weltweite Methode, daß ein gesichteter Minke-Wal mit drei Verbot des kommerziellen Walfangs zu respektieren multipliziert wird, wird inzwischen von Populati- und die Glaubwürdigkeit IWC nicht zu untergra- onsforschern sehr in Frage gestellt. Von daher ist ben. der Wissenschaftsausschuß der IWC aufgefordert, hier eine Klärung herbeizuführen. Namhafte Biolo- gen und Walexperten sind der Überzeugung, daß Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung, die nordatlantische Zwergwalpopulation es kei- Landwirtschaft und Forsten: „Bewahrung der Schöp- neswegs verkraften könne, wenn jährlich über fung": Diese 3 Worte sind für die Bundesregierung 300 Tiere getötet werden. keine Leerformel, sie beschreiben die hohe Zielset- zung, der unsere Politik zu dienen hat. Und deshalb Nicht zu akzeptieren ist auch der Walfang für Soge- ist es selbstverständlich, daß sich die Bundesregie- nannte wissenschaftliche Zwecke. So unterlaufen die rung in der Internationalen Walfang-Kommission mit Japaner das Moratorium, indem sie ihr Recht auf ei- allem Nachdruck und aller Schärfe für den Schutz nen sogenannten wissenschaftlichen Walfang aus- der Walbestände, die in unseren Meeren noch vor- giebig in Anspruch nehmen. So werden von den Ja- handen sind, einsetzt. panern jährlich rund 300 Zwergwale angeblich zu rein wissenschaftlichen Zwecken getötet. Man argu- Wie Sie wissen, existiert seit 1982 ein weltweites mentiert, die Fänge ermöglichten eine genauere Verbot des kommerziellen Walfanges. Das ist gut Schätzung der Bestandsgrößen und der Altersstruk- so; das wird von der Bundesregierung unterstützt. tur. Merkwürdig ist allerdings schon, daß das Fleisch Denn: Nur so ist zu erreichen, daß die Walbe- kommerziell zu hohen Preisen restlos verwertet wird. stände sich wieder erholen und die entsprechen- Die meisten Biologen bezweifeln Wert und Notwen- den Ökosysteme nicht weiter beeinträchtigt wer- digkeit dieses wissenschaftlichen Walfangs. Sie ver- den. Die Bundesregierung be trachtet deshalb die weisen zum Beispiel auf die Möglichkeit der Moleku- Wiederaufnahme des kommerziellen Walfanges largenetik. Dabei ist es möglich, mit einer speziellen durch Norwegen mit Sorge. Schon auf der Jahres- Vorrichtung von vorbeischwimmenden Walen kleine tagung 1994 der Internationalen Walfang-Kommis- Gewebeproben zu entnehmen und von diesen einen sion in Mexiko und in bilateralen Gesprächen mit sogenannten genetischen Fingerabdruck anzuferti- Regierungsvertretern haben wir Norwegen aufge- gen. Anhand des charakteristischen Musters von ge- fordert, das weltweite Fangverbot, das Morato rium, netischen Bausteinen lassen sich einzelne Individuen zu respektieren. unterscheiden. Dadurch kann m an Verwandtschafts- verhältnisse bestimmen und Wanderrouten aufdek- Dennoch hat Norwegen für das Jahr 1995 den ken. - kommerziellen Walfang von 232 Zwergwalen aus dem nordost-atlantischen Bestand freigegeben. Wir haben eine große Verantwortung zum Diese Entscheidung, die die Bundesregierung be- Schutz und Erhalt der Walarten. Diese Verantwor- dauert, ist vor folgendem Hintergrund von beson- tung müssen wir wahrnehmen. Wir Menschen ha- derer Bedeutung: Niemand konnte bisher mit aus- ben nicht das Recht, die letzten Arten wie Blau- reichender Sicherheit Angaben über den tatsächli- wale, Grönlandwale oder Buckelwale auszurotten. chen Zwergwalbestand im Nordostatlantik machen. So ist die Zahl der Blauwale in den antarktischen Die angenommene Zahl von rund 87 000 Exempla- Gewässern von einer Viertelmillion im Jahre 1920 ren ist also keine gesicherte Größe. Es ist durchaus auf schätzungsweise 400 dezimiert worden. Es sind möglich, daß weniger Zwergwale im Nordatlantik Menschen, die durch den industriellen Walfang in leben. Auf diese Bedenken hin hat Norwegen die wenigen Jahrzehnten ca. 90 % der Bestände aus- Zahl der zum Fang freigegebenen Wale von ur- rotten und einen unermeßlichen ökologischen sprünglich 301 auf die genannten 232 nach unten Schaden anrichten. Die Jagd auf Wale, die man korrigiert. Damit können wir uns aber nicht zufrie- nur als Massaker bezeichnen konnte, wurde durch dengeben. das Inkrafttreten des unbef risteten Walfangverbotes 1986 beendet. Aus diesem Grund haben wir auf der derzeit in Dublin stattfindenden Tagung der Internationalen Lassen Sie mich abschließend zum vorliegenden Walfang-Kommission eine Resolu tion erwirkt, mit der Antrag feststellen: Norwegen ist sicher ein Land, das Norwegen mehrheitlich aufgefordert wird, den kom- großen Wert auf den Schutz der Natur legt. Nach nor- merziellen Fang von Zwergwalen ganz einzustellen. wegischer Auffassung wird auch der Walfang im Ein- Gleichzeitig haben wir erreicht, daß nun erst einmal klang mit den Anforderungen des Naturschutzes be- die tatsächliche Größe des Zwergwalbestandes wis- trieben. Ein großer Teil der Bevölkerung im subarkti senschaftlich ermittelt wird. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 41. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juni 1995 3355'

Norwegen ist zwar wegen seines Einspruchs ge- Die Haltung der Bundesregierung ist klar: Wir tre- gen das Moratorium rechtlich nicht an das Fangver- ten für eine verschärfte Kontrolle ein. Hierzu müssen bot gebunden. Dennoch geht die Bundesregierung auf den Fangschiffen interna tionale Beobachter ein- davon aus, daß Norwegen Einsicht zeigt und den gesetzt werden, die auch dann tätig werden können, kommerziellen Walfang einstellt. wenn sich die Walfangschiffe in den nationalen Ho- heitsgewässeren der einzelnen Fangnationen befin- Aber ich möchte die Gelegenheit nicht verstrei- den. Wir treten weiterhin dafür ein, daß die Kosten chen lassen, vor diesem hohen Hause nochmals ei- für die Kontrolltätigkeiten von den einzelnen Fang- nen Appell an Norwegen zu richten, einen Appell im nationen getragen werden sollen. Denn: Wer Profit Sinne der Bewahrung der Schöpfung - einem Ziel, aus dem Walfang erwirtschaftet, soll auch die Kosten das unser aller Ziel sein muß -: Stellen Sie den Wal- für die notwendigen Kontrollen tragen. Hier muß fang zumindest so lange ein, bis die Datengrundlage aber noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. wissenschaftlich abgesichert ist! Die Bundesregierung wird auch in Zukunft auf ei- nem sicheren Schutz der Walbestände bestehen. Da- Lassen Sie mich noch über einige andere Ergeb- bei muß es unser Ziel sein, mit den Fangnationen nisse und Diskussionspunkte der Tagung in Dublin weiterhin im Rahmen der Internationalen Walfang berichten: Kommission zusammenzuarbeiten. Denn: Wir kön- nen nur mit und in einer funktionierenden Internatio- Zum einen haben wir erreichen können, daß der nalen Walfang-Kommission effektiven Walschutz be- japanische Antrag, eine Interimsquote von 50 treiben. Nur sie bietet die Möglichkeit der Fest- Zwergwalen für seinen Küstenwalfang zuzulassen, legung sicherer Standards für die Erhaltung von Wal- abgelehnt wurde. Abgelehnt wurde auch der Ver- beständen, der Koordinierung und Auswertung der such Japans, das erst 1994 ausgewiesene Schutz- Walforschung und der internationalen Kontrolle der gebiet im südlichen Ozean in Frage zu stellen. Bei- Fänge. des muß als Erfolg gewertet werden, als Erfolg im Sinne des Verbots des kommerziellen Walfangs. Ich hoffe und ich kämpfe dafür, daß im Interesse der Wale, im Interesse eines funktionierenden Öko- Zum anderen wird in Dublin die zentrale Frage dis- systems in den Weltmeeren, die Instrumente der In- kutiert, wie eine effiziente Kontrolle ausgestaltet sein ternationalen Walfang-Kommission erfolgreich ge- muß und wie sie praktisch umgesetzt wird. nutzt werden.

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