Schleswig-Holsteinischer Landtag Plenarprotokoll 16/61 16. Wahlperiode 07-06-07

Plenarprotokoll

61. Sitzung

Donnerstag, 7. Juni 2007

Wirtschaftsbericht 2007...... 4368, Manfred Ritzek [CDU]...... 4383, Karl-Martin Hentschel [BÜND- Bericht der Landesregierung NIS 90/DIE GRÜNEN]...... 4388, Drucksache 16/1411 Beschluss: Überweisung an den Wirt- , Minister für schaftsausschuss zur abschließen- Wissenschaft, Wirtschaft und den Beratung...... 4389, Verkehr...... 4368, 4384, Johannes Callsen [CDU]...... 4370, 4383, Erste Lesung des Entwurfs eines Bernd Schröder [SPD]...... 4372, 4388, Gesetzes zur Änderung des Denk- Dr. Heiner Garg [FDP]...... 4375, 4386, malschutzgesetzes...... 4389, Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]...... 4377, Gesetzentwurf der Fraktion BÜND- Lars Harms [SSW]...... 4380, 4386, NIS 90/DIE GRÜNEN Jürgen Feddersen [CDU]...... 4382, Drucksache 16/1380 (neu) 4366 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

Karl-Martin Hentschel [BÜND- Günter Neugebauer [SPD], Be- NIS 90/DIE GRÜNEN]...... 4389, richterstatter...... 4415, Wilfried Wengler [CDU]...... 4391, Tobias Koch [CDU]...... 4416, Ulrike Rodust [SPD]...... 4392, Birgit Herdejürgen [SPD]...... 4417, Dr. Ekkehard Klug [FDP]...... 4393, [FDP]...... 4418, Anke Spoorendonk [SSW]...... 4394, Detlef Matthiessen [BÜNDNIS Dr. Henning Höppner [SPD]...... 4395, 90/DIE GRÜNEN]...... 4419, Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE Anke Spoorendonk [SSW]...... 4421, GRÜNEN]...... 4396, Rainer Wiegard, Hans Müller [SPD]...... 4397, Finanzminister...... 4422, , Minister- präsident...... 4397, Beschluss: Verabschiedung in der Fassung der Drucksache Beschluss: Überweisung an den In- 16/1403...... 4423, nen- und Rechtsausschuss und den Bildungsausschuss...... 4399, Strafvollzug in Schleswig-Holstein...... 4423, Gemeinsame Beratung Große Anfrage der Fraktion der FDP Drucksache 16/995 a) Bericht über die aktuelle Umset- zung des Schulgesetzes...... 4399, Antwort der Landesregierung Drucksache 16/1347 Bericht der Landesregierung Drucksache 16/1407 Uwe Döring, Minister für Justiz, Arbeit und Europa...... 4423, b) Schulanmeldungen...... 4399, Wolfgang Kubicki [FDP]...... 4425, Bericht der Landesregierung Thomas Stritzl [CDU]...... 4427, Drucksache 16/1410 Anna Schlosser-Keichel [SPD]..... 4429, Karl-Martin Hentschel [BÜND- Ute Erdsiek-Rave, Ministerin für NIS 90/DIE GRÜNEN]...... 4431, Bildung und Frauen...... 4399, 4414, Anke Spoorendonk [SSW]...... 4433, Anke Spoorendonk [SSW]...... 4401, 4412, Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE Beschluss: Überweisung der Antwort GRÜNEN]...... 4403, der Landesregierung, Drucksache Susanne Herold [CDU]...... 4406, 16/1347, an den Innen- und Detlef Buder [SPD]...... 4408, 4413, Rechtsausschuss zur abschließen- Dr. Ekkehard Klug [FDP]...... 4410, den Beratung...... 4435, Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]...... 4412, Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge- Beschluss: Überweisung der Berichte setzes über die Führung der Be- Drucksachen 16/1407 und rufsbezeichnungen Architektin 16/1410 an den Bildungsaus- oder Architekt, Stadtplanerin oder schuss zur abschließenden Bera- Stadtplaner und Beratende Inge- tung...... 4415, nieurin oder Beratender Ingenieur sowie über die Errichtung einer Zweite Lesung des Entwurfs eines Architekten- und Ingenieurkam- Gesetzes zur Erleichterung Öffent- mer (Architekten- und Ingenieur- lich Privater Partnerschaften...... 4415, kammergesetz - ArchIngKG)...... 4435, Gesetzentwurf der Landesregierung Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/935 Drucksache 16/1405 Bericht und Beschlussempfehlung Beschluss: Überweisung an den In- des Finanzausschusses nen- und Rechtsausschuss...... 4435, Drucksache 16/1403 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4367

Erste Lesung des Entwurfs eines Logistikkonzept für Schleswig-Hol- Gesetzes zur Änderung des Lan- stein...... 4445, desbeamtengesetzes...... 4435, Bericht der Landesregierung Gesetzentwurf der Fraktion BÜND- Drucksache 16/1406 NIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1420 Dietrich Austermann, Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Beschluss: Überweisung an den In- Verkehr...... 4445, nen- und Rechtsausschuss...... 4436, Dr. Heiner Garg [FDP]...... 4447, Hans-Jörn Arp [CDU]...... 4448, Situation der Nord- und Ostseefi- Thomas Rother [SPD]...... 4449, scherei...... 4436, Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]...... 4451, Antrag der Fraktionen von CDU und Lars Harms [SSW]...... 4452, SPD Drucksache 16/1401 Beschluss: Überweisung an den Wirt- schaftsausschuss zur abschließen- Beschluss: Annahme...... 4436, den Beratung...... 4453,

Am Ausstieg aus der Atomkraft festhalten...... 4436, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1292 **** Bericht und Beschlussempfehlung Regierungsbank: des Sozialausschusses Drucksache 16/1421 Peter Harry Carstensen, Ministerpräsident Siegrid Tenor-Alschausky [SPD], Berichterstatterin...... 4436, Ute Erdsiek-Rave, Stellvertreterin des Minis- terpräsidenten und Ministerin für Bildung und Beschluss: Annahme des Antrages in Frauen der Fassung der Drucksache 16/ 1421...... 4436, Uwe Döring, Minister für Justiz, Arbeit und Europa Umsetzung des Landesausfüh- rungsgesetzes zum Sozialgesetz- Dr. Ralf Stegner, Innenminister buch XII (AG SGB XII)...... 4436, Bericht der Landesregierung Dr. Christian von Boetticher, Minister für Drucksache 16/1409 Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume

Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin Rainer Wiegard, Finanzminister für Soziales, Gesundheit, Fa- milie, Jugend und Senioren...... 4436, Dietrich Austermann, Minister für Wissen- Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE schaft, Wirtschaft und Verkehr GRÜNEN]...... 4438, Heike Franzen [CDU]...... 4440, Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin für Soziales, Wolfgang Baasch [SPD]...... 4441, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren Dr. Heiner Garg [FDP]...... 4442, Lars Harms [SSW]...... 4444, **** Beschluss: Überweisung an den Sozi- alausschuss zur abschließenden Beratung...... 4445, 4368 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

Beginn: 10:04 Uhr Ich möchte zu Beginn den Mitarbeitern meines Mi- nisteriums für die umfangreiche Arbeit, die sehr Vizepräsidentin Ingrid Franzen: hilfreich war, danken und ich danke natürlich auch den Antragstellern für den Antrag. Meine Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle herzlich. Erkrankt (Beifall bei CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE sind die Abgeordneten Monika Schwalm und Olaf GRÜNEN und SSW) Schulze. Wir wünschen ihnen von dieser Stelle aus Denn dies gibt uns die Gelegenheit, deutlich zu ma- gute Besserung. chen, dass wir eine Umorientierung vorgenommen (Beifall) haben. Beurlaubt sind Frau Abgeordnete Frauke Tengler Jeder, der sich mit der weltweiten Wirtschaftsent- sowie - für heute Vormittag - Herr Landtagspräsi- wicklung befasst, wird bestätigen, dass Innovatio- dent Martin Kayenburg. nen und neue Technologien in modernen Volks- wirtschaften der Schlüssel für wirtschaftliches Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 24 auf: Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sind. Das gilt zu allererst für die Unternehmen, die sich in Wirtschaftsbericht 2007 diesem globalen Konkurrenzkampf behaupten müs- sen und das in Schleswig-Holstein - wie wir glau- Bericht der Landesregierung ben - auch sicherlich können. Drucksache 16/1411 Die Entwicklung der schleswig-holsteinischen Ex- Bevor ich dem Herrn Wirtschaftsminister das Wort porte hat einen beeindruckenden Aufholprozess erteile, darf ich auf Wunsch der SPD-Fraktion dar- hinter sich. Unsere Industrie ist gut in die interna- um bitten, den Raum etwas abzudunkeln, da die tionale Arbeitsteilung eingebunden und hat inzwi- Sonne blendet. schen sogar die gesamtdeutsche Exportquote über- (Heiterkeit - Dr. Heiner Garg [FDP]: Ein troffen; das gilt sowohl in absoluten wie auch in re- Beitrag gegen die Erderwärmung durch die lativen Zahlen. Das heißt, jedes Jahr wurde es mehr SPD!) und besonders deutlich wurde es in den letzten zwei Jahren. Vielleicht ist dies auch eine Folge der Au- - Es war mir klar, dass dies Bemerkungen hervor- ßenwirtschaftsinitiative, die wir hier diskutiert ha- ruft. ben. Herr Wirtschaftsminister, Sie haben das Wort. Die Landesregierung unterstützt die schleswig-hol- steinische Wirtschaft in dem Wettbewerbsprozess, Dietrich Austermann, Minister für Wissenschaft, indem sie konsequent für gute Rahmenbedingungen Wirtschaft und Verkehr: sorgt. Manch einer fragt sich ja, wo er den Beleg dafür findet. Ich sage es mit wenigen Worten: Wir Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ge- planen schneller, wir investieren mehr und wir fi- hört beinahe zu den Ritualen, dass einmal im Jahr nanzieren im mittelständischen Bereich besser. der sogenannte Jahreswirtschaftsbericht im Parla- ment erörtert wird. Dies ist aus der Überlegung her- Wir haben im Tourismus ein neues Konzept vorge- aus entstanden, einen Geschäftsbericht vorzulegen. legt. Wir sorgen für mehr Familienfreundlichkeit Dieser konnte und sollte in dieser Form jedoch seitens unserer Betriebe. Wir haben übrigens seit nicht abgegeben werden, weil die Landesregierung zwei Jahren stabile Energiepreise; dieses Thema angesichts des finanziellen Zustandes des Landes stand 2005 noch auf der Tagesordnung. Wir betrei- bei einem Geschäftsbericht juristische Konsequen- ben den Bürokratieabbau und wir haben mehr zen zu befürchten hätte. Nicht nur aus diesem Mittel für mehr Ansiedlungen. Wir haben positive Grunde, sondern auch weil wir der Auffassung Zahlen für den Arbeitsmarkt. Ich nenne Ihnen sind, dass es wichtig und notwendig ist zu erklären, einen einzigen Ausweis für diese Entwicklung: Wir zu erläutern und zu belegen, wie wir die Wirt- haben letztes Jahr jeden Tag 54 zusätzliche Be- schaftspolitik mit dieser Landesregierung ausge- schäftigte in regulären Arbeitsplätzen gewonnen. richtet haben und auch weiterhin ausrichten wollen, Ich finde dies beeindruckend und genauso beein- trägt dieser Bericht dieses Mal die Überschrift druckend ist, dass die Arbeitslosenquote in den „Mehr Wissen - Mehr Wirtschaft“. Es soll deutlich letzten zwei Jahren um ein Viertel gesenkt werden gemacht werden, dass eine Umstrukturierung im konnte. Hinblick auf eine Wissensorientierung erfolgen (Beifall bei der CDU) soll. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4369

(Minister Dietrich Austermann)

Also, dieser Wirtschaftsbericht unterstreicht diese derungen eingestellt. Das Zukunftsprogramm positiven Zahlen! Wirtschaft, das die wichtigsten wirtschafts- und re- gionalpolitischen Fördermaßnahmen bündelt, weist Wissenschaft und Wirtschaft werden in Schles- als Schwerpunkt Wissen und Information aus. Hier wig-Holstein immer enger vernetzt. Damit be- sind Fördermittel für neue Kompetenzzentren an schleunigen wir den Technologietransfer und ich Hochschulen und Forschungseinrichtungen, den kündige hier und heute an, dass wir im Herbst den Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur, aber Entwurf eines Technologietransfergesetzes vorle- auch Verbundprojekte und Netzwerke zwischen gen werden, das sicherstellen soll, dass der Techno- Wissenschaft und Wirtschaft vorgesehen - um nur logietransfer schneller aus den wissenschaftlichen einige Bereiche zu nennen. Einrichtungen, schneller aus den Kompetenzzentren in die Wirtschaft übertragen werden kann. Wir set- Der zweite Schwerpunkt dient der Stärkung der un- zen Impulse für eine noch schnellere und noch stär- ternehmerischen Wettbewerbsfähigkeit. Hier ha- kere Umsetzung von Forschung in neue Produkte. ben wir den kleinen und mittleren Unternehmen Wir bauen die Stärken unserer Hochschulfor- den Zugang zum Kapitalmarkt verbessert und zu schung aus, aber auch die außeruniversitären For- Risikokapital erleichtert sowie familienfreundliche schungseinrichtungen in Schleswig-Holstein wer- Personalpolitik unterstützt. Dies ist ein notwendiger den deutlich gestärkt. Beispielhaft seien hier die Weg, wenn wir auf die demografische Entwicklung zwei Exzellenzcluster genannt; das eine ist bereits richtig reagieren wollen. beschlossen und das zweite steht vor der Be- Der dritte Schwerpunkt ist der Ausbau der wirt- schlussfassung. schaftsnahen Infrastruktur und der typischen re- Wir haben Finanzierungsmöglichkeiten im Land gionalen Potenziale. Ich sage zur Wirtschaftsinfra- neu geordnet. Wir haben den Schleswig-Holstein- struktur: Wir haben mehr Mittel als früher in An- Fonds neu eingeführt und den Innovationsfonds auf spruch genommen, auch abgeholt beim Bund und das Förderprogramm Hochschule-Wirtschaft- bei Dritten, um diese Mittel umzusetzen. Das gilt Transfer der Innovationsstiftung umgestellt und di- aber auch für die Verkehrsinfrastruktur, das gilt für verse Technologie- und Innovationsprojekte im den Ausbau der Häfen - eine dringende Notwendig- Umfang von 26 Millionen € aufgestockt. Der Be- keit. richt weist dies meines Erachtens beeindruckend Im Rahmen des Zukunftsprogramms Wirtschaft aus. stehen bis 2013 mehr als 700 Millionen € aus dem Aus- und Weiterbildung haben in Schleswig-Hol- Programm der Europäischen Union, aus der Ge- stein einen sehr hohen Stellenwert. Im Jahre 2006 meinschaftsaufgabe mit dem Bund und aus Landes- stieg die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbil- mitteln zur Verfügung. dungsplätze um 6,9 % und diese Quote ist so hoch Wenn man sich das vor Augen führt und die Sum- wie in keinem anderen Bundesland. Im Vergleich me zieht, dann stellen wir fest, dass wir in der näch- mit anderen Bundesländern nehmen wir im Ausbil- sten Förderperiode, also von 2007 bis 2013, über dungsbereich Platz Nummer eins ein. In der wis- 140 Millionen € mehr ausgeben können als in der senschaftlichen Ausbildung wird die Situation wei- letzten Förderperiode. Das bedeutet, wir können zu- ter gestärkt. Wir wollen uns jetzt gemeinsam mit sätzliche Impulse geben. Wir können mehr Dyna- dem Kollegen Döring des Themas Weiterbildung mik in den Betrieben unterstützen. Wir haben jetzt stärker annehmen. Wir sehen, dass ein Potenzial an die Chance, das wirtschaftspolitisch Notwendige zu Arbeitslosen vorhanden ist, das noch mehr für den tun und in die Zukunft des Landes zu investieren, Arbeitsprozess gewonnen werden kann und auch ohne den Landeshaushalt, was den Finanzminister gewonnen werden muss; ich meine damit die Ent- besonders freuen wird, im Übermaß zu strapazie- wicklung auf dem Facharbeitermarkt. ren. Zu jedem Euro Landesmittel kommen drei In den verschiedenen Kompetenzfeldern der schles- Euro aus EU- und Bundesmitteln hinzu. wig-holsteinischen Wirtschaft unterstützen wir en- Über mit diesem Programm ausgelöste Wachs- gagierte Kümmerer, also Clustermanager, die sich tumseffekte kommen natürlich auch höhere vor Ort und auch auf operativer Ebene neben unse- Steuereinnahmen. Wenn man ganz grob eine rer WTSH um die Vernetzung von Wissenschaft Rechnung über den Daumen macht, so bedeutet und Wirtschaft sorgen und konkrete Projekte auf das, was dort investiert wird, unter dem Strich, dass den Weg bringen. wir in Schleswig-Holstein voraussichtlich mehr Last but not least haben wir unsere Investitions- Steuereinnahmen für den Gesamtstaat zurückbe- und Förderprogramme auf die künftigen Herausfor- kommen, als wir an Landesmitteln einsetzen. Ich 4370 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Minister Dietrich Austermann) halte das für eine großartige Entwicklung, die be- Entscheidend ist, dass die Wirtschaft quer durch die weist, dass es richtig ist, Geld Dritter, Geld der EU Bank wieder Vertrauen gefasst hat. Schleswig-Hol- und des Bundes, in Anspruch zu nehmen und um- stein ist auf gutem Kurs. Das ist es, was zählt. Wir zusetzen, aber auch schneller zu planen und man- sind dabei - das macht der Wirtschaftsbericht deut- ches schneller zu realisieren. lich -, Schleswig-Holstein zu einem Land der Ideen zu machen. An die Stelle von Attentismus ist Auf- (Beifall bei der CDU) bruchstimmung getreten. Wir bleiben damit bei dem Kurs, sparen bei kon- Ich will das zum Schluss an einem Beispiel deutlich sumtiven Ausgaben, gleichzeitig Gas geben bei In- machen. Im Jahre 2004 gab es eine interne Bilanz, vestitionen in die Wissens- und Verkehrsinfrastruk- in der deutlich geworden ist, welche Probleme wir tur des Landes, um die besten Bedingungen vor al- in Schleswig-Holstein haben. Die haben wir weit- len Dingen für die mittelständische Wirtschaft ent- gehend abgearbeitet. Ein Problem war die besonde- stehen zu lassen. re Belastung durch den Abzug der Bundeswehr. Das hat im Ergebnis zu folgenden Fakten geführt: Wenn ich Ihnen jetzt aufführe, was in dem Bereich Wir haben 2006 so viele Unternehmen im Land an- in den letzten zwei Jahren geschehen ist - über Ol- gesiedelt wie seit zehn Jahren nicht mehr. Wir ha- penitz, Kappeln-Ellenberg, Eggebek, Schleswig auf ben die Investitions- und Innovationsförderung auf der Freiheit, Hungriger Wolf in Hohenlockstedt -, Rekordniveau gesteigert. Die Umsätze der schles- dann zeigt das, dass wir dabei sind, diese Probleme wig-holsteinischen Wirtschaft steigen im Jahre in den Griff zu bekommen. Das geht manch einem 2007 weiter. Auch Einzelhandel und Großhandel nicht schnell genug. Manch einer sieht vielleicht melden trotz der Mehrwertsteuererhöhung zum Jah- auch den einen oder anderen Akzent falsch gesetzt. resanfang 2007 steigende Umsätze. Festzustellen ist, dass dieses Problem, das es vor Inzwischen erreicht der Aufschwung - ich habe das drei Jahren noch gegeben hat, angegangen worden deutlich gemacht - auch den Arbeitsmarkt. Die ist, dass wir es einer Lösung zuführen. Beschäftigung steigt und die Arbeitslosigkeit sinkt. Wie gesagt, an die Stelle von Attentismus ist Auf- Die ersten Kreise im Land - Kreis Stormarn, Kreis bruchstimmung getreten. Insofern ist der Bericht Rendsburg-Eckernförde - sind dabei, die südlichen ein guter Beleg für die positive Arbeit der Landes- Bundesländer zu unterlaufen, was die Arbeitslosen- regierung. quote betrifft. Stormarn hat eine bessere Rate als (Beifall bei CDU und SPD) Baden-Württemberg. In Rendsburg-Eckernförde sind wir etwa auf bayerischem Niveau. Wir arbei- ten daran, dass wir dieses Niveau, zumindest was Vizepräsidentin Ingrid Franzen: die Arbeitslosenzahlen betrifft, weiter verbessern. Ich danke dem Herrn Minister. Wir sind im Laufe dieses Sommers auf dem besten Weg, Platz 5 bei den Arbeitsmarktzahlen zu errei- Bevor wir in die Aussprache eintreten, möchte ich chen. auf der Tribüne sehr herzlich Schülerinnen und Schüler und die Lehrkräfte der Domschule in (Beifall bei CDU und SPD) Schleswig sowie Mitglieder des CDU-Ortsverban- Meine Damen und Herren, man kann sicherlich sa- des Lehmkuhlen und den ehemaligen Abgeordneten gen: Dieser Wirtschaftsbericht zeigt, dass der Nor- Behm begrüßen. den tatsächlich aufholt. Mancher kritisiert dann, (Beifall im ganzen Hause) dass die Wachstumsrate mit 1,9 % im Länderver- gleich zu niedrig sei. Das hat zum einen Gründe, Ich eröffne die Aussprache und erteile für die die statistisch bedingt sind, statistische Merkwür- CDU-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Johannes digkeiten. Zum anderen ist natürlich so, dass die Callsen das Wort. Automobilindustrie in unserem Land nicht so ver- breitet ist wie anderswo. Wenn sie starke Wachs- Johannes Callsen [CDU]: tumsimpulse setzt, dann ist das bei uns weniger Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für stark zu spüren als in Niedersachen oder in anderen Schleswig-Holstein ist die jüngste Entwicklung Bundesländern. Aber immerhin hatten wir 2006 die hoch erfreulich. 20.000 neue sozialversicherungs- höchste Wachstumsrate seit sechs Jahren, seit dem pflichtige Arbeitsplätze im Jahresvergleich, ein letzten Aufschwung, den es in Deutschland gege- Rückgang der Arbeitslosenquote auf 8,4 % - das ist ben hat. ein beeindruckender Beleg für die gute Wirtschafts- (Beifall bei der CDU) entwicklung hier im Lande. Dass darüber hinaus die Stellenangebote, die offenen Stellen, um mehr Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4371

(Johannes Callsen) als 20 % gegenüber dem Mai des Vorjahres ge- onsförderung. Im Jahr 2006 wurden hierdurch so wachsen sind, gibt Anlass zu Optimismus für die viele Unternehmen gefördert wie seit zehn Jahren weitere Entwicklung. Ein großer Dank für diese nicht mehr. Bund, Land und EU stellen hierfür rund deutliche Verbesserung der Lage am Arbeitsmarkt 22 Millionen € zur Verfügung. Mit den in 2006 ge- geht zunächst an unsere mittelständischen Betriebe förderten Investitionen von mehr als 150 Millio- im Lande, die die konjunkturelle Belebung und nen € werden mehr als 2.500 Arbeitsplätze gesi- die Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbe- chert und rund 600 neue Arbeitsplätze entstehen. dingungen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze nut- Auch hier zeigt die hohe Nachfrage der Unterneh- zen. men nach Investitionshilfen, dass die Investitions- neigung in der mittelständischen Wirtschaft deut- (Beifall bei CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS lich gestiegen ist. 90/DIE GRÜNEN) Die konjunkturelle Belebung wird ebenfalls beim Der Wirtschaftsbericht 2007 macht deutlich, dass Ergebnis der Finanzierungshilfen für das vergan- die Landesregierung mit der Gestaltung der politi- gene Jahr deutlich. Investitionsbank, Mittelständi- schen Rahmenbedingungen in der Wirtschaftspoli- sche Beteiligungsgesellschaft und Bürgschaftsbank tik und in der Arbeitsmarktpolitik einen erheblichen haben rund 800 Unternehmen gefördert und damit Beitrag zu dieser positiven Entwicklung geleistet insgesamt mehr als 23.000 Arbeitsplätze geschaffen hat. Ich danke natürlich ebenfalls den Mitarbeiterin- und gesichert. Dabei wurden besonders die im Rah- nen und Mitarbeitern des Ministeriums für diesen men des Schleswig-Holstein-Fonds neu geschaffe- ausführlichen Bericht. nen Förderprogramme wie das Beteiligungssofort- (Beifall bei CDU und SPD) programm für Arbeitsplätze, der Seed- und Start- Während Schleswig-Holstein in den vergangenen up-Fonds sowie das Kleinkreditprogramm der Inve- Jahren im Vergleich der westdeutschen Bundeslän- stitionsbank gut angenommen. Mit dem Mittel- der überdurchschnittlich Arbeitsplätze verloren standsfonds, wie er im Bericht angekündigt wird, hat, liegen wir seit über einem Jahr bei der Schaf- wird ab diesem Jahr zusammen mit Partnern der fung neuer Arbeitsplätze über dem westdeutschen Kreditwirtschaft und der KfW-Bankengruppe ein Bundesdurchschnitt. Dies zeigt: Die Wirtschafts- weiteres, neues Finanzierungsprodukt angeboten, und Arbeitsmarktpolitik der Großen Koalition in das gerade größeren wachstumsstarken Unterneh- Schleswig-Holstein schafft Arbeitsplätze für die men Beteiligungskapital zur Verfügung stellen Menschen und ist die Grundlage für ein gestiegenes wird. Wirtschaftswachstum in Schleswig-Holstein. Mit einem Fördervolumen von mehr als 700 Millio- (Beifall bei CDU und SPD) nen € bietet das bis 2013 laufende Zukunftspro- gramm Wirtschaft eine umfangreiche Förderpalet- Übrigens profitieren hiervon auch die jungen Men- te, um die Kompetenzfelder der schleswig-holstei- schen; denn die Jugendarbeitslosigkeit ist eben- nischen Wirtschaft und der Wirtschaftsentwicklung falls deutlich zurückgegangen und der Zuwachs bei in der Fläche weiter nachhaltig zu unterstützen. Da- den neu eingetragenen Ausbildungsplätzen von fast bei haben wir darauf Wert gelegt, den Wissen- 7 % ist bundesweit spitze; das wurde bereits er- stransfer aus Hochschulen und Forschungseinrich- wähnt. tungen in die Unternehmen zu verbessern, Wissen Bei den Unternehmensneugründungen liegt und Innovationen zu stärken und den Ausbau der Schleswig-Holstein zusammen mit Bayern vorne wirtschaftsnahen Forschungsstruktur voranzu- und deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Das treiben. Hierzu hat das Institut für Weltwirtschaft in Wirtschaftsministerium hat mit der verstärkten För- den vergangenen Tagen festgestellt, dass hochwer- derung gerade kleiner und mittlerer Unternehmen tige Arbeitsplätze in technologieintensiven Bran- einen erheblichen Beitrag dazu geleistet, dass Exi- chen den Kern international wettbewerbsfähiger stenzgründer und junge Unternehmer bei uns besse- Beschäftigung im Lande darstellen. Wir sind also re Rahmenbedingungen vorfinden. Aber auch In- auf dem richtigen Weg. strumente des Arbeitsministeriums wie die Förde- Mit Fördermöglichkeiten der einzelbetrieblichen rung des Existenzgründerprojektes Leuchtturm Förderung, dem verbesserten Zugang von KMU Nord in Schleswig haben eine hohe Ausstrahlungs- zum Kapitalmarkt und zu Risikokapital und einer wirkung in der Region. familienbewussten Personalpolitik wird in der Wie wichtig in diesem Zusammenhang die Mittel- zweiten Säule des Zukunftsprogramms ein Beitrag standsförderung des Wirtschaftsministeriums ist, zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Unter- zeigt die Bilanz der einzelbetrieblichen Investiti- nehmen geleistet. 4372 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Johannes Callsen)

Von besonderer Bedeutung gerade für die struk- nologietransfergesetzes, weil ich glaube, dass damit turschwachen Regionen ist die dritte Säule des eine gute Grundlage für die Intensivierung des Zukunftsprogramms Wirtschaft, die den Ausbau Technologietransferprozesses gelegt werden kann. der wirtschaftsnahen Infrastruktur und der spezifi- (Beifall bei der CDU) schen regionalen Potenziale zum Ziel hat und deren Förderspektrum vom Tourismus über Netzwerke Dass auch die Verkehrsinfrastruktur eine beson- zwischen Kultur und Wirtschaft bis hin zu Techno- dere Bedeutung für die Wirtschaftsentwicklung hat, logien und Hafeninfrastruktur sowie Küstenschutz versteht sich für die CDU von selbst. Da hat es in reicht. Diese Instrumente der Wirtschaftspolitik den letzten Monaten eine Reihe neuer Impulse für bieten den Rahmen für eine positive Wirtschafts- einen zügigen Ausbau der wichtigen Verkehrsver- entwicklung in allen Teilen unseres Landes. bindungen unseres Landes gegeben, die im Bericht im Einzelnen aufgeführt sind und über die wir ver- Um die Positionierung unserer mittelständischen schiedentlich auch hier im Plenum diskutiert haben. Unternehmen im Export und im Import zu stärken, Deswegen muss ich sie nicht im Einzelnen aufzäh- hat der Wirtschaftsminister eine neue Außenwirt- len. schaftsoffensive gestartet und die Mittel für die Au- ßenwirtschaftsförderung aufgestockt. Auch dadurch Last but not least sind wir natürlich überzeugt, dass konnten die Exporte aus Schleswig-Holstein im das neue Tourismuskonzept des Landes mit allen vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahreszeit- Beteiligten gemeinsam neue Impulse für diesen raum erneut ansteigen. Gerade die europäischen wichtigen Wirtschaftszweig bringen kann. Nachbarländer haben eine hohe Stellung bei den Insgesamt sind wir wirtschaftlich auf einem guten Exporten. Aber auch die Ausfuhr nach China ist an- Weg, der Arbeitsplätze für die Menschen bringt. gestiegen. Diesen Weg werden wir als CDU weiter gehen. Ich Bei den ebenfalls deutlich gesteigerten Importen freue mich auf eine interessante und ausführliche hält die Volksrepublik China den Spitzenplatz. Die- Beratung des Wirtschaftsberichts 2007 im Wirt- se Entwicklung sollte die WTSH, die für die Au- schaftsausschuss. ßenwirtschaftsförderung zuständig ist, ermutigen, (Beifall bei CDU und SPD) einen besonderen Fokus auf den Export Schleswig- Holsteins zu legen. Dies schafft und sichert Produk- tion und Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: (Beifall bei der CDU) Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Bernd Schröder das Wort. Mit einer Vielzahl kleiner und mittlerer Unterneh- men gerade im Handwerk hat Schleswig-Holstein Bernd Schröder [SPD]: eine gute und solide Wirtschaftsbasis, die wir auch durch die Förderung der überbetrieblichen Lehr- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und lingsausbildung unterstützen. Notwendig ist außer- Herren! Auch ich möchte mich zunächst im Namen dem der weitere Ausbau des Technologietransfers der SPD-Fraktion bei den Mitarbeiterinnen und von Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Mitarbeitern im Wirtschaftsministerium für die Er- Die Hochschulen in Kiel und Lübeck gehören mit stellung dieses überaus informativen Wirtschaftsbe- ihren Exzellenzclustern zur Spitze unter den deut- richts bedanken. schen Forschungseinrichtungen, wie erst in der ver- (Beifall bei SPD und CDU) gangenen Woche der Präsident der Leibniz-Ge- meinschaft eindrucksvoll bestätigte. Dies ist eine Die positive Wirtschaftsentwicklung in Schles- gute Basis für die Anerkennung einer Eliteuniversi- wig-Holstein ist sicherlich auf die Gesamtkonjunk- tät mit erheblichen Impulsen letztendlich auch für tur zurückzuführen. Aber sie ist auch ein Stück Er- die wirtschaftliche Entwicklung. folgspolitik dieser Regierung und dieser Großen Koalition. Es ist weiterhin - auch das ist mir wich- Die Technologietransfereinrichtungen in unserem tig - Erfolgspolitik in Fortsetzung dessen, was auch Land sind aufgerufen, durch intensive Beratung Ihr Vorgänger, Minister Rohwer, für den Bereich der Unternehmen und Hinweise auf die vom Land Wirtschaft vorbereitet hat und was heutzutage in zur Verfügung gestellten Fördermittel ein Höchst- Teilbereichen erfolgreich geerntet wird. Auch dies maß an Technologietransfer zu ermöglichen, um muss an dieser Stelle einmal gesagt werden, bei al- neue, zukunftsgerichtete Arbeitsplätze in Schles- lem Respekt, Herr Minister, vor der Leistung Ihres wig-Holstein zu schaffen. Ich bin dem Wirtschafts- Hauses. minister dankbar für die Ankündigung eines Tech- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4373

(Bernd Schröder)

Die wichtigste Nachricht vorweg: Die Arbeitslo- plätzen, die Einstiegsqualifizierung für fast 1.000 sigkeit in Schleswig-Holstein ist im Vergleich zu Jugendliche, die Landespartnerschaft Schule und 2005 um 12,8 % gesunken. Damit liegen wir an der Wirtschaft und die neue dreijährige flexible Über- Spitze aller Bundesländer, noch vor Bayern. Im gangsphase am Ende der Hauptschule. Bundesdurchschnitt betrug der Rückgang 7,7 %. Auch wenn die Zahlen sehr positiv sind, müssen Hier gilt es auch, ein ausdrückliches Lob an den wir unser Engagement im Bereich der Aus- und Arbeitsminister Uwe Döring und den Wirtschafts- Fortbildung noch mehr verstärken. minister Dietrich Austermann auszusprechen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei SPD und CDU) Schwerpunkte müssen dabei die Jugendlichen sein, Einige wichtige Branchen haben sich 2006 besser die sich noch in Warteschleifen befinden, also bis- entwickelt als im Bundesdurchschnitt. Dazu zählen her immer noch nicht vermittelt werden konnten. Ernährungsgewerbe, Mineralölverarbeitung, Che- Auch hier gilt es, diesen jungen Menschen eine Zu- mie, Schiff- und Bootsbau, Einzelhandel, Bauge- kunftsperspektive zu schaffen. werbe und Tourismus. Von der wirtschaftlichen Dynamik profitiert der schleswig-holsteinische Ar- Es geht verstärkt aber auch darum, die Ausbil- beitsmarkt ebenfalls überdurchschnittlich: Wir ha- dungsfähigkeit zu erhöhen. Ich möchte mich an ben mit 1 % die höchste Zunahme an sozialversi- dieser Stelle wie auch mein Vorredner bei den mit- cherungspflichtigen Arbeitsplätzen und zusam- telständischen Betrieben in Schleswig-Holstein be- men mit Bayern die meisten Neueintragungen von danken, die mit großem Engagement Ausbildungs- Unternehmen. 169 Unternehmen mit 2.800 neu ge- plätze in der Vergangenheit bereitgestellt haben schaffenen Arbeitsplätzen haben sich in Schleswig- und im Bündnis für Ausbildung erfolgreich mit- Holstein neu angesiedelt. Bei den Arbeitsplätzen gewirkt haben und dies sicherlich auch in Zukunft bedeutet das im Vergleich zum Vorjahr ein Plus tun werden. von 42 %. Bei der Exportquote des verarbeitenden (Beifall bei SPD und CDU) Gewerbes holte Schleswig-Holstein, das 2000 noch um fünf Prozentpunkte zurücklag, mittlerweile bis Zu den Kompetenzfeldern in unserem Land! Life auf einen Prozentpunkt auf. Science: In Schleswig-Holstein wird 32 % mehr wissenschaftliches Personal im Medizinbereich be- Bemerkenswert ist die Entwicklung in der Bau- schäftigt als im Bundesdurchschnitt. 140.000 Men- wirtschaft. Bei der langen Durststrecke war ein schen sind in Schleswig-Holstein in der Gesund- Plus von 6,6 % bei den Aufträgen und von 9,1 % heitswirtschaft beschäftigt. In der maritimen Wirt- bei den Umsätzen zu verzeichnen. Ich sage von die- schaft sind drei von sechs westdeutschen For- ser Stelle aus: Dies sollte auch Grundlage für eine schungseinrichtungen mit 600 Beschäftigten in Tarifeinigung in der Bauwirtschaft sein. Ich hoffe, Schleswig-Holstein angesiedelt. Bei den erneuer- dass es gelingt, den Arbeitnehmerinnen und Arbeit- baren Energien haben wir mittlerweile circa nehmern in der Bauwirtschaft eine gute Zukunfts- 5.000 Beschäftigte. In der Informations- und Kom- und Lohnperspektive zu schaffen. munikationstechnologie mit den Schwerpunkten An dieser Stelle erinnere ich an das für den Bereich Versorgung mit Breitbandinternet, elektronischer außerordentlich erfolgreiche Tariftreuegesetz. Geschäftsverkehr, wirtschaftsnahe Infrastruktur- maßnahmen und das EU-geförderte Programm eRe- (Beifall bei der SPD) gion Schleswig-Holstein gibt es ein Clustermanage- Erfreulich ist auch, dass beim Tourismus die Über- ment, das erfolgreich in unserem Land angesiedelt nachtungszahlen um 3,1 % gestiegen sind, beim ist. Bei Mikro- und Nanotechnologien ist das wichtigsten Mitbewerber, Mecklenburg-Vorpom- Stichwort Zentrum Itzehoe zu nennen. In der Er- mern, lediglich um 1,1 %. Wir wissen alle, dass wir nährungswirtschaft liegt das wissenschaftliche in den vergangenen Jahren eher umgekehrte An- Hochschulpersonal um 14 % über dem Bundes- stiegszahlen festgestellt haben. durchschnitt. Mit 16 % der Beschäftigten handelt es sich um einen bedeutenden Bereich im verarbeiten- Unser Ziel, allen ausbildungsfähigen und -willigen den Gewerbe. Jugendlichen ein Ausbildungs- oder Qualifizie- rungsangebot zu unterbreiten, konnte aufgrund des Der Tourismus erzielte im vergangenen Jahr Engagements der Unternehmen und aller Partner im 4,5 Milliarden € Umsatz. Er beschäftigt 130.000 Bündnis für Ausbildung erreicht werden. Hinwei- Menschen. Die Chemie und Mineralölverarbei- sen möchte ich auch auf das Aktionsprogramm tung mit Schwerpunkt in Brunsbüttel: Dort sind Ausbildung mit 2.800 zusätzlichen Ausbildungs- 5.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. 4374 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Bernd Schröder)

Zum Stichpunkt Luftfahrt und Verkehrstechnik Mut der Dänen! Es ist bemerkenswert, was dort ist die Zusammenarbeit mit Hamburg im Cluster- ausgesprochen worden ist. management zu nennen. Dazu gehören auch die (Beifall bei SPD und CDU) Mitarbeiter in der Metropolregion. Es handelt sich hierbei um 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbei- Ich appelliere noch einmal an die Skeptiker in unse- ter. Es gibt allein in Schleswig-Holstein 75 Zulie- rem Land, auch in , ferbetriebe für diesen wichtigen Bereich. (Lothar Hay [SPD]: Tiefensee heißt der, Meine Damen und Herren, Forschung, Innovation glaube ich!) und Bildung sind die Pfeiler der Wirtschaftspolitik hier den Knoten durchzuschlagen und dieses Pro- in Schleswig-Holstein. Die Zusammenlegung von jekt, das zukunftweisend ist, zu ermöglichen. Wer Wissenschafts- und Wirtschaftsressort hat sich aus dieses Projekt ablehnt oder verhindert, trägt die po- wirtschaftspolitischer Sicht bewährt. litische Verantwortung dafür, dass 2020/2025 in der Das Zukunftsprogramm Wirtschaft bündelt Mit- Region Fehmarn und Ostholstein die Verkehrsinfra- tel der EU, des Bundes und des Landes. Der Minis- struktur nicht weiter ausgebaut wird. Das hat Aus- ter hat das erklärt. Hier stehen bis 2013 mehr als wirkungen bis hin zum Tourismus. Ich kann mir 700 Millionen € zur Verfügung, die auf die drei Be- jetzt schon vorstellen, wie die Aussagen dann sein teiligten aufgeteilt sind. Das Zukunftsprogramm werden, nämlich das Land hätte dafür nicht genug Wirtschaft besteht aus den Schwerpunkten Wissen getan. Ich denke, das sollte Grundlage für eine ver- und Innovation. Die Wettbewerbsfähigkeit der Un- nünftige Entscheidung in Berlin sein. ternehmen wird erhöht und die unternehmerische (Beifall bei SPD, CDU und FDP) Basis wird gestärkt. Mit Blick auf die grenzüberschreitende Zusammen- Der Schleswig-Holstein-Fonds ist für den Zeit- arbeit und die Zusammenarbeit in der Metropolre- raum 2005 bis 2009 mit 423 Millionen € ausgestat- gion sowie auf die positive Entwicklung beim Ex- tet. Davon werden die Bereiche Verkehrsinfrastruk- port - - tur zusammen mit EU- und Bundesmitteln kofinan- ziert. (Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Mittelstandsförderung - ein wichtiger Bereich für unsere Wirtschaft in Schleswig-Holstein - ent- - Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Hentschel, sehe ich hält bewährte Förderinstrumente, wie wir sie in der ab und zu in den Wirtschaftsbericht hinein. Sie soll- Vergangenheit geschaffen haben. Auch dies ist eine ten das auch tun, auch wenn das für Sie Neuland erfolgreiche Politik, die hier fortgesetzt wird. In sein sollte. diesem Bereich konnten mit 800 Millionen € circa (Vereinzelter Beifall bei der CDU) 800 Unternehmen gefördert werden und es sind 23.000 Arbeitsplätze geschaffen worden. Das ist ei- Die positive Entwicklung in Schleswig-Holstein in ne stolze Zahl und eine erfolgreiche Politik. den genannten Feldern auch beim Export kann mit Fug und Recht die Grundlage für den Satz sein: (Beifall bei der SPD) Schleswig-Holstein wächst über sich hinaus, wird Erwähnen möchte ich an dieser Stelle auch Verän- zunehmend zur Drehscheibe im Norden, in Nordeu- derungen, die einhergegangen sind mit dem Laden- ropa, im Interesse von Ausbildungs- und Ar- öffnungsgesetz und dem PACT-Gesetz. Hier be- beitsplätzen, im Interesse der Menschen in unserem steht die Möglichkeit, dass vor Ort zukunftweisend Land sollten wir alles tun, damit dies so bleibt. Nut- Entscheidungen und Innovationen auf den Weg ge- zen wir in Schleswig-Holstein unsere Zukunfts- bracht werden. Auch dies ist ein Stück Wettbewerb, chancen! das auch im Hamburger Umland verwirklicht wer- (Beifall bei SPD und CDU) den konnte. Im Bereich der Verkehrsinfrastruktur geht es um Vizepräsidentin Ingrid Franzen: den Weiterbau der A 20. Ich erinnere an die zusätz- Ich danke dem Herrn Abgeordneten Schröder. - lichen 80 Millionen €, die wir vom Bund bekom- Das Wort für die FDP-Fraktion hat nun der Herr men haben, um die Verkehrsinfrastruktur in diesem Abgeordnete Dr. Heiner Garg. Land zu gewährleisten. Ich erinnere auch an die fe- ste Fehmarnbelt-Querung, zu der wir als SPD- Fraktion nach wie vor unverrückbar stehen. Ich sa- ge an dieser Stelle noch einmal: Hut ab vor dem Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4375

Dr. Heiner Garg [FDP]: natürlich auf der ersten Seite des Berichts ausweist. Hiermit will er augenscheinlich belegen, dass Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- Schleswig-Holsteins Wirtschaft fast so schnell ge- gen! Die Wirtschaft Schleswig-Holsteins entwickelt wachsen sei wie die deutsche - ein willkürlicher sich gut. Es ist irgendwie verständlich, dass die Zeitraum, aber selbstverständlich mit Bedacht ge- Landesregierung wie auch die regierungstragenden wählt, denn begänne man ein Jahr früher oder ein Fraktionen diese Entwicklung für sich in Anspruch Jahr später, dann fällt Schleswig-Holstein deutlich nehmen. Das sei ihnen gegönnt. Die Wirtschaft zurück. wird es herzlich wenig interessieren, wer in diesem Plenarsaal diese positive Entwicklung für sich in Betrachten wir doch einmal, Herr Austermann, Anspruch nimmt. Entscheidend ist, ob Schleswig- einen aussagekräftigen Zeitraum, zum Beispiel die Holstein im nationalen und im internationalen Ver- Zeit seit der Wiedervereinigung. Dann erreicht gleich aufholt. Insofern und trotz dieser Lobens- Schleswig-Holstein nur zwei Drittel des deutschen hymnen der beiden Vorredner freuen auch wir uns Wachstums insgesamt und pro Kopf. Daran sollten über den Aufschwung Schleswig-Holsteins. Das Sie gehen, anstatt hier Eigenlobreden zu halten. Bruttoinlandsprodukt ist im Jahr 2006 um 1,9 % ge- (Beifall bei der FDP) wachsen, die Beschäftigung ist in der Tat gestiegen, die Arbeitslosigkeit sank. Trotz allem, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist der Aufschwung Grund zur Freude und er zeigt vor Wir freuen uns selbstverständlich als FDP-Fraktion allem eines: Wachstum ist unabdingbar, um die auch darüber, dass es mehr Menschen in Schles- strukturellen Probleme unserer Gesellschaft zu wig-Holstein besser geht als noch vor ein oder zwei lösen: Jahren. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns angesichts dieser Entwicklung nicht die (Beifall bei der FDP) Blicke vernebeln lassen, denn das führt zu Ent- die schrumpfende und alternde Bevölkerung und scheidungen, die letztlich schlecht für die Men- die Folgen hieraus für die soziale Sicherung, die schen in Schleswig-Holstein sind. 1,9 % Wachs- Folgen des Klimawandels, die hohe strukturelle Ar- tum sollten nicht überbewertet werden, denn damit beitslosigkeit, die Schwächen unseres Bildungssys- lag Schleswig-Holstein letztes Jahr in der Tabelle tems, die sinkende internationale Wettbewerbsfä- der Bundesländer auf dem vorletzten Platz. Nur das higkeit vieler Arbeitsplätze in Deutschland. Saarland wuchs langsamer. Relativ gesehen fiel Schleswig-Holstein weiter zurück. Auch die Ent- Mit all dem werden wir umso besser fertig, je wicklung des Arbeitsmarktes darf nicht überbe- schneller und kräftiger unsere Wirtschaft wächst. wertet werden. Es ist noch gar nicht lange her, als Der Aufschwung widerlegt auch erneut all diejeni- der Arbeitsminister selbst feststellte, er schätze, gen, die Nullwachstum propagiert haben. dass die tatsächliche Jugendarbeitslosigkeit doppelt (Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!) so hoch sei wie die ausgewiesene, denn die Zahl der jungen Menschen, die zwar arbeitslos seien, Das gilt auch für den Klimawandel. Denn wir wer- aber mittels öffentlich finanzierter Warteschleifen den dessen Folgen nur mit besserer Technologie be- aus der Statistik herausgehalten würden, schätze er wältigen können - bessere Technik, die möglichst genauso hoch wie die Zahl der offiziell arbeitslosen schnell in der Welt verbreitet wird. Das geht nur jüngeren Menschen. mit Wachstum. Der Finanzminister wies mehrfach darauf hin, dass (Beifall bei der FDP) der Aufschwung noch nicht in den Portemonnaies Die Reaktion der Schwellenländer auf die Vor- der Menschen angekommen sei; denn trotz der schläge zur Verminderung des CO2-Ausstoßes Mehrwertsteuererhöhung stiegen die Einnahmen zeigen außerdem, dass Wachstumsverzicht global des Landes aus der Umsatzsteuer nicht. Die Erklä- keine politisch durchsetzbare Strategie sein kann. rung dafür ist einfach. Die Mehrwertsteuererhö- hung hat genauso gewirkt, wie wir es vorher gesagt Zurück zur Landespolitik! Die Entwicklung in haben. Vom letzen Quartal 2006 auf das erste Quar- Schleswig-Holstein könnte noch erfreulicher sein, tal 2007 sind die realen Konsumausgaben in wenn die Landesregierung - insbesondere der Mini- Deutschland um 2,3 % geschrumpft. ster für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr - besser und transparenter entscheiden würde. Auch der Wirtschaftsminister weiß ganz offensicht- lich, wie brüchig die Basis seines Eigenlobes ist. Beispiel Gesundheitswirtschaft: Gesundheit ist Das zeigt der Vergleich des Wachstums der Bun- ein sehr zukunftsträchtiger Wirtschaftszweig, gera- desländer im Zeitraum von 2002 bis 2006, den er de in Schleswig-Holstein. Dafür sorgt bereits die al- 4376 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Dr. Heiner Garg) ternde Bevölkerung. Allerdings bereitet sich die (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Landesregierung Schleswig-Holstein aus unserer NEN und SSW) Sicht gerade nicht optimal auf diese Entwicklung Ob das Land und die Fahrgäste daraus mehr Vortei- vor. Zwar zählt der Minister im Bericht unter der le ziehen werden, als sie durch einen offenen Bie- Überschrift „Life Sciences“ einige Projekte auf, bei terwettbewerb erzielt hätten, das bezweifeln wir denen die Landesregierung versucht, diese Dyna- ausdrücklich. mik zu erhalten und zu verstärken - in einigen Fäl- len auch durchaus erfolgreich, zum Beispiel mit der Beispiel Regionalentwicklung: Der Wirtschaftsmi- geplanten Errichtung eines Fraunhofer-Institutes in nister hat die Entwicklung des Offshore-Hafens Lübeck. Aber, Herr Minister Austermann, was hat Husum aufgehalten die Landesregierung eigentlich aus der Vielzahl (Lachen und Widerspruch bei der CDU) von Ankündigungen und Initiativen gemacht, mit denen Schleswig-Holstein zum Gesundheitsland und Schleswig-Holstein damit einen Bärendienst im Nummer eins in Deutschland, wenn nicht sogar in Wettlauf um die Wertschätzungspotenziale erwie- Nordeuropa, aufsteigen sollte? Ein Modellversuch sen. zur Gesundheitskarte oder die Beschwörung, Ge- (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sundheit würde ein publikumswirksames Marken- NEN und SSW - Zuruf des Abgeordneten zeichen Schleswig-Holsteins werden, reichen dafür Jürgen Feddersen [CDU]) bei Weitem nicht aus. - Herr Kollege Feddersen, hat er den Hafen so aus- Ich meine, die Chancen, die die bessere Verknüp- gebaut wie versprochen oder hat er es nicht getan? - fung der hervorragenden Möglichkeiten der hiesi- Er hat es nicht getan, also hat er hier ganz klar eine gen Gesundheitswirtschaft mit denen eines der be- Chance zur Positionierung im Offshore-Bereich liebtesten Urlaubsziele Deutschlands bietet, haben verschlafen. Sie bislang verschlafen. Sie haben sie gerade nicht optimal genutzt. (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Zurufe von der CDU) (Beifall bei der FDP) - Endlich wachen Sie auf, das ist ja auch einmal Angesichts des von unseren Nachbarn ausgehenden schön. Konkurrenzdrucks - beispielsweise von Mecklen- burg-Vorpommern - halte ich gerade Ihr Versäum- Beispiel Tourismus: In einem nicht mehr nachvoll- nis in der Gesundheitswirtschaft für ein schweres ziehbaren Verfahren hat der Wirtschaftsminister die Versäumnis. Entwicklung eines paralympischen Zentrums in Ellenberg bei Kappeln verzögert. Dass er sich heute Beispiel Verkehr: Schleswig-Holstein hat im hinstellt und sagt, er befördere das Projekt - es Schienenpersonennahverkehr - da knüpfe ich gern spricht nicht unbedingt gegen ihn, dass er sich ein an die Leistungen des Vorgängers an, Herr Kollege Projekt der FDP zu eigen gemacht hat -, Schröder - viel Geld eingespart und Leistungsstei- gerungen für die Fahrgäste erreicht, weil der vorhe- (Beifall bei der FDP - Lachen bei der CDU) rige Wirtschaftsminister konsequent auf transparen- reicht nicht, Sie hätten das schon viel früher tun ten Wettbewerb setzte. können, Herr Minister. (Beifall der Abgeordneten Dr. Ekkehard Beispiel Wirtschaftsförderung: Die Landesregie- Klug [FDP], Karl-Martin Hentschel [BÜND- rung setzt weiterhin sehr auf die einzelbetriebliche NIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms Förderung mit öffentlichen Geldern und presse- [SSW]) wirksamer Schecküberreichung, also auf Subven- Der jetzige Wirtschaftsminister hat bei der Vergabe tionen im engeren Sinne. Hierbei wird Geld ausge- des Netzes Ost bewusst auf diesen offenen Wettbe- geben, nachdem die Landesverwaltung entschieden werb verzichtet. hat, dass ihr die subventionierten Projekte betriebs- wirtschaftlich sinnvoll erscheinen. Selbstverständ- (Widerspruch bei der CDU) lich nimmt jedes Unternehmen dieses Geld gern, - Dass er auf diesen Wettbewerb verzichtet hat, das solange der damit verbundene Aufwand niedriger ist eine Tatsache, liebe Kollegen. Ob er sich falsch ist als die Subvention. Das ist rational. Damit ist verhalten hat, das ist noch zu beweisen. Aber dass aber noch lange nicht belegt, dass die Subventionen er auf den Wettbewerb verzichtet hat, das ist eine gesellschaftspolitisch sinnvoll sind, denn so werden Tatsache. Investitionen durch Steuern finanziert, die die Un- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4377

(Dr. Heiner Garg) ternehmen sonst größtenteils selbst finanziert hät- eine Perspektive zu bieten, das ist unser Job. Ich ten. freue mich, wenn Menschen gern hier ihre Ferien oder ihren wohl verdienten Ruhestand verbringen, Wenn sie denn aus Sicht der Unternehmen betriebs- aber am meisten würde ich mich freuen, wenn viele wirtschaftlich tatsächlich sinnvoll sind, dann inve- junge Menschen, die hier eine Ausbildung genossen stieren die Unternehmen selber, Herr Wirtschafts- haben, in Schleswig-Holstein auch wieder eine Per- minister. Sind sie es nicht, dann sollten auch die spektive am Arbeitsmarkt bekämen. Daran müssen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht zur Finan- wir arbeiten. zierung gezwungen werden. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Den Satz, auf den sich Wolfgang Kubicki freut, sa- Manchmal könnte man bei Herrn Minister Auster- ge ich jetzt nicht. mann den Eindruck haben, er ist der große Bruder von Klaus Schlie: Einem Flop seiner Politik folgt (Beifall bei der FDP) der nächste. (Vereinzelter Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Das alles zeigt erstens, dass die Landesregierung Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das noch keine optimalen Rahmenbedingungen für Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mehr Wachstum und Wohlstand in Schleswig-Hol- NEN hat jetzt Herr Abgeordneter Detlef Matthies- stein setzt. Viel zu oft verzettelt sich der Wirt- sen. schaftsminister unproduktiv und hemmt dadurch die Entwicklung in Schleswig-Holstein. Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Herr Minister Austermann, Ihre Grundmaxime lau- tet nicht: „Wie positioniert Austermann das Land Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und optimal?“, sondern sie lautet viel zu oft: „Wie posi- Herren! Die Konjunktur in Deutschland und auch in tioniert sich Austermann optimal?“ Das ist aber Schleswig-Holstein hat Fahrt aufgenommen. Über nicht Ihr Kernjob. die Ursachen kann man trefflich streiten. Die einen sagen, die Arbeitsmarktreformen von Rot-Grün (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- greifen jetzt, NEN und SSW) (Lachen bei der CDU) Ihr Kernjob ist, dafür zu sorgen, dass die Leute eine Chance haben und dass sie diese Chance nutzen die anderen sagen, die CDU-Bundeskanzlerin und können. der CDU-Ministerpräsident schaffen neues Vertrau- en in die Wirtschaft. Zweitens beweist all dies erneut: Die beste politi- sche Förderung der Wirtschaft sind sinnvolle, flexi- Tatsache ist, dass von der zeitlichen Dynamik und ble Rahmenbedingungen, innerhalb derer Men- vom Charakter der Reformen her die in der Regie- schen und Unternehmen ihre eigenen Ziele verfol- rung Schröder/Fischer durchgesetzten Änderungen gen können. einen großen Beitrag zum Aufschwung geleistet ha- ben. Drittens belegt auch dieser Wirtschaftsbericht, wie weit die Große Koalition - trotz aller Sonntagsreden (Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- der beiden Vorredner hier - von diesem Ideal ent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) fernt ist. Die schwarz-rote Koalition hat keine vergleichba- Fazit: Die Landesregierung sollte die knappen Mit- ren Reformen auf den Weg gebracht. Die Gesund- tel des Landes nicht länger auf einzelbetriebliche heitsreform ist es jedenfalls nicht. Mitnahmeeffekte verteilen, sondern auf gesell- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schaftliche Infrastruktur konzentrieren, auf Ver- kehrswege, Kommunikationswege und Bildungs- Die meisten Fachleute sind überzeugt, die Wirt- einrichtungen. Nur so kann sie die Rahmenbedin- schaft wächst völlig unabhängig von der Politik der gungen schaffen, die dauerhaft größeres Wachstum Großen Koalitionen in Berlin und Kiel. Die Kon- unserer Wirtschaft begünstigen und dadurch höhe- junktur ist glücklicherweise so robust, dass auch ren Wohlstand für die Menschen in Schleswig-Hol- die Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht schaden stein ermöglichen. Jungen, gut ausgebildeten Men- kann oder nur mäßigen Schaden anrichtet. schen, diesen Menschen hier in Schleswig-Holstein 4378 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Detlef Matthiessen)

Wie auch immer, die Arbeitslosenzahlen sind Meine Damen und Herren, nach Berechnungen des rückläufig. Das ist eine sehr gute Nachricht für vie- Bundesumweltamtes muss Deutschland jährlich le Menschen auch hier im Land Schleswig-Hol- 4 Milliarden € aufwenden, um eine Klimakatastro- stein, die schon nicht mehr geglaubt haben, in den phe abzuwenden. „Stern“ prognostiziert im „The Arbeitsmarkt zurückkehren zu können. Economist“ 1 % Aufwand des Weltbruttosozialpro- dukts für den ökologischen Umbau, für eine pro- Deutschland ist seit vielen Jahren Exportweltmei- duktive Klimapolitik, und prognostiziert den Scha- ster und baut diese Position weiter aus. Auch den, wenn dies nicht geschieht, auf 20 % bis mehr Schleswig-Holstein kann seine Exportquote stei- Prozent des Weltbruttosozialprodukts. gern und erreicht fast den Bundesdurchschnitt. Hier haben sicher die erneuerbaren Energien und die ma- Das sind Zahlen, die für sich sprechen. Umweltmi- ritime Verbundwirtschaft einen bedeutenden Anteil. nister Gabriel hat recht, wenn er von einer mögli- chen dritten industriellen Revolution spricht, die Der Ölpreis und die Energiekosten werden tenden- durch die ökologische Energiewende ausgelöst wer- ziell weiter steigen. Bei dieser Landesregierung se- den könnte. Er hat dieses Wort nicht erfunden, aber he ich aber überhaupt nicht, dass sie energisch eine er hat es bekannt gemacht. Dafür bin ich ihm dank- Politik „Weg vom Öl“ macht. Gerade Schleswig- bar. Leider tun er und die Bundesregierung viel zu Holstein ist jedoch prädestiniert für eine zukunfts- wenig, dieser Erkenntnis auch Taten folgen zu las- fähige Energiepolitik durch regenerative Energien sen. Leider beobachten wir auch auf Bundesebene wie Sonne, Wind, Biomasse und Geothermie. Bio- eine Politik großer Kohlekraftwerke, als könne die masse wird auch als Treibstoff im Verkehr einge- politische und wirtschaftliche Elite Deutschlands setzt. Darin liegen große Chancen. nur in der Dimension der Großkraftwerkstruktur Heimische Erzeugung von Antriebsstoffen durch und fossil-atomar denken. Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Unternehmen Die Ökobranche entwickelt sich nach Angaben der forcieren die Wertschaffung vor Ort, statt Devisen Unternehmensberatung Roland Berger zur Leit- für Ölimporte zu opfern. 13 % des Dieselver- branche in Deutschland. Die deutsche Umweltindu- brauchs sind inzwischen durch eine auf kleine und strie wird im Jahre 2020 mehr Mitarbeiter im Land mittlere Unternehmen - die auch in unserem Land ernähren als der Maschinenbau und die Autoindu- angesiedelt sind - betriebene innovative Wirtschaft strie. Das ist eine tolle Botschaft. Den Umbau der substituiert. Diese junge Pflanze regenerativer Industriegesellschaft hin zu erneuerbaren Energien, Energiewirtschaft im Bereich der mobilen Energie - hin zur Ökotechnik unterstützen wir von grüner was ein schwieriger Sektor ist - wird zurzeit durch Seite sehr und wollen ihn politisch einfordern und die Steuerpolitik der schwarz-roten Bundesregie- auch transportieren. rung brutal zerstört. Dieser Wirtschaftszweig wird förmlich erwürgt. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In seiner Landtagsrede zum Thema Kohlekraft- Dafür ist gerade Schleswig-Holstein prädestiniert. werke sagte Minister Austermann, im Jahre 2020 Wir können hier ein großes Stück vom nachhaltigen erzeugten wir in Schleswig-Holstein mehr Strom Ökokuchen abschneiden. Diese Chance muss unse- aus erneuerbaren Energien, als wir tatsächlich ver- re Wirtschaft energisch nutzen. brauchen. Es ist zwar gut, dass ein Kohlefreund wie Grüne Wirtschaftspolitik setzt auf den Dreiklang Austermann dies öffentlich sagt. Er macht aller- von Innovation, Ökologie und Marktwirtschaft. Zu- dings damit gleichzeitig auch eine aus meiner Sicht kunftstechnologien müssen ressourcensparend und falsche Aussage. Er geht weiter von steigenden energiesparend und von geringer Umweltbelastung Stromverbräuchen aus. Wenn heute in Schleswig- sein. Denn nur so werden in einer künftigen Welt- Holstein tatsächlich 14 Terrawattstunden ver- wirtschaft Wohlstand und Wachstum für alle mög- braucht werden, so sollten es im Jahre 2020 nach lich sein. Dazu brauchen wir Innovation, Markt- seiner Aussage 16 sein. Dies bedeutet einen Zu- wirtschaft und unsere starke klein- und mittelstän- wachs. Nein, wir können, wir müssen und wir wer- dische Unternehmensstruktur. den im Jahre 2020 weniger Strom verbrauchen als heute. Anders sind die Klimaschutzziele gar nicht Denn es sind immer wieder die kleinen Betriebe, zu erreichen. die neue Innovationen in den Markt bringen, die aber nur eine Chance in einer offenen Marktwirt- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schaft haben. Von den 72.500 Betrieben in Schles- Selbst Frau Merkel will ja auf dem G-8-Gipfel er- wig-Holstein haben 99,5 % weniger als 250 Be- reichen, dass die großen Industrieländer ihren CO2- schäftigte. Dies ist eine Aufforderung, die kleine Ausstoß bis 2050 um 50 %verringern. und mittelständische Unternehmensstruktur hier im Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4379

(Detlef Matthiessen)

Land gezielt zu fördern. Diese kleinen und mittle- men. Wissenschaft und Innovation sind die Voraus- ren Unternehmen sind unsere wirtschaftliche Basis. setzungen für wirtschaftliches Wachstum. Die Chri- Sie stellen 77 % aller Arbeitsplätze und ihr Anteil stian-Albrechts-Universität hat im Rahmen der Ex- bei den Auszubildenden liegt weit höher. Diese Be- zellenzinitiative der Bundesregierung Erfolge vor- triebe sind die Innovationsmotoren unserer Wirt- zuweisen. „Ozeane der Zukunft“ oder „Future schaft. Sie brauchen den Kontakt zur Forschung. Ocean“ ist tatsächlich ein Exzellenzcluster gewor- Dafür müssen die Zugangshindernisse abgebaut den. Das ist ein großer Erfolg für Schleswig-Hol- werden. stein. Die Messe „InWaterTec - Ressource Meer“ ist eine Wachstumsmesse. Ich wünsche mir, dass (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir diese Messe weiter zu einem international be- Von den innovativen Technologien und wissensba- achteten Fokus für den Bereich der maritimen Wirt- sierten Dienstleistungen aber hängen in besonderer schaft ausbauen. Weise der Wohlstand und die Zukunft unseres Lan- An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass wir da- des ab. Ein Land ohne Bodenschätze hat diese exi- neben eine weitere internationale Messe haben. Das stenziell nötig. ist die Husumwind. Angesichts eines rasanten Dabei geht es nicht nur um naturwissenschaftlich Wachstums, angesichts konkurrierender Messe- und technologieorientierte Forschung. Wohlstand standorte wie zum Beispiel in Hamburg ist es nicht und Zukunftsfähigkeit hängen genauso von der zu unterschätzen, dass wir diese einzige Weltmesse Kultur, von den Geisteswissenschaften und den ge- der Windenergie in Schleswig-Holstein haben eta- sellschaftswissenschaftlichen Innovationen ab. blieren können. Die Kooperation der Hannover Wir begrüßen die Ankündigung eines Technologie- Messe ist in Husum gesucht worden und nicht an- transfer- oder auch Innovationsgesetzes und werden derswo. Das ist ein großes Erfolgskonzept, eine Er- daran intensiv mitarbeiten. folgsstory für Schleswig-Holstein, verbunden mit unserer aktiven Windenergiebranche. (Lothar Hay [SPD]: Sehr gut!) (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die EU-Strukturfördermittel für die Periode von und der Abgeordneten Anke Spoorendonk 2007 bis 2013 werden vom Land in ein Zukunfts- [SSW]) programm Schleswig-Holstein eingebracht. Neben dem arbeitsmarktpolitischen Programm gibt es das Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Zukunftsprogramm Wirtschaft. Die EU hat dabei Wenn man die völkerrechtlich verbindliche Defini- Innovation und Wissen in den Mittelpunkt der För- tion von Nachhaltigkeit und davon, Entwicklungen derung gestellt. Der bisherige ausgleichorientierte zukunftsfähig zu machen, ernst nimmt, so bedeutet Förderansatz wird explizit aufgegeben. das, dass die gegenwärtige Generation ihre Bedürf- nisse befriedigt, ohne die Fähigkeit der zukünftigen Das wird von der grünen Fraktion ausdrücklich be- Generation zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse grüßt. In dem zukünftigen Förderschwerpunkt befriedigen zu können. Das heißt auch: Wir dürfen „Wissen und Innovation stärken“ werden die nicht alles machen. Wir dürfen zum Beispiel keine Mittel in die jeweils am besten geeigneten Stand- Kohlekraftwerke bauen, auch wenn damit Innova- orte fließen, dorthin, wo neue effektivitätsorientier- tion und Arbeit verbunden sind. te Ansätze beobachtet werden können. (Zuruf des Abgeordneten Jürgen Feddersen Zukünftig wird also mehr als jetzt in Köpfe inve- [CDU]) stiert. Jetzt wird noch überwiegend klassisch in Be- ton investiert. Sie kennen die klassische Infra- Wachstum ist nicht beliebig. Wir brauchen eine strukturförderung. Wir haben mehrfach darüber Entkopplung von Wachstum und Ressourcenver- gestritten. Wir haben eine andere Infrastrukturstra- brauch. Der andere Weg einer ökologischen Wirt- tegie, nicht ost-west-orientiert, sondern nord-süd- schaft zeitigt auch Investitionen und Arbeit. Diese orientiert, mit der die Verlagerung von der Straße sind dort sehr viel intensiver. auf Schiene und Wasser, den Hinterlandausbau der Häfen und so weiter. Ich will das an dieser Stelle Vizepräsidentin Ingrid Franzen: nicht vertiefen, weil wir dies schon des Öfteren ge- Herr Kollege, die Zeit! tan haben, wenn wir uns über Verkehrspolitik aus- einandergesetzt haben. Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal auf das Thema Exzellenzcluster zu sprechen kom- 4380 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gative Beispiele gegeben. Auch das dürfen wir NEN]: nicht aus den Augen verlieren. Wir brauchen eine nachhaltige Wirtschaftspolitik Dennoch freut sich natürlich auch die Opposition für die Zukunft unseres Landes. über die positive Gesamtentwicklung, die für viele Menschen endlich wieder eine neue berufliche und (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) familiäre Perspektive bietet. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich danke dem Herrn Abgeordneten Matthiessen. - Für den SSW im Landtag hat nun der Herr Abge- Darüber, wie groß der Anteil der Landesregierung ordnete Lars Harms das Wort. in Schleswig-Holstein an diesem Boom ist, kann man natürlich streiten. Der SSW schließt sich je- Lars Harms [SSW]: doch in dieser Frage ganz unabhängig einem Zei- tungskommentar an, in dem es heißt - ich zitiere -: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und „Wirtschaftsminister Austermann hat gut daran ge- Herren! Es ist kein Geheimnis, dass die wirtschaft- tan, an die bereits von der rot-grünen Vorgängerre- liche Lage Schleswig-Holsteins in diesem Früh- gierung eingeleiteten Aktivitäten anzuknüpfen.“ sommer so gut wie seit Jahren nicht mehr ist. Der Das stimmt so. konjunkturelle Aufschwung, der seit zwei Jahren in Gang ist, setzt sich in diesem Jahr trotz der Mehr- Dies gilt insbesondere für die Fortsetzung der Clu- wertsteuererhöhung fort und die Prognosen für die sterpolitik mit den verschiedenen regionalen nächsten Jahre sind ebenfalls hervorragend. Schwerpunkten, die bereits die rot-grüne Landes- regierung ins Leben gerufen hatte. Dabei muss man Obwohl das Wirtschaftswachstum Schleswig- jedoch auch anmerken, dass der Wirtschaftsminis- Holsteins im letzten Jahr im Bundesvergleich eher ter manchmal durch vereinte regionale Kraftan- bescheiden war, sehen die Unternehmen im Norden strengungen zu seinem Glück gezwungen werden optimistisch in die Zukunft und eine Mehrheit will musste. sogar in nächster Zeit zusätzliches Personal einstel- len. Auch bei den Neuansiedlungen von Unter- (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE nehmen liegt Schleswig-Holstein im Vergleich mit GRÜNEN) den anderen Bundesländern an der Spitze. Zuletzt Das gilt zum Beispiel für die schwere Geburt der war die Lage 2001 so gut wie heute. Landeszuschüsse für die Projekte der Schleswiger Vor diesem Hintergrund kann es niemanden ver- Therme und auch des Paralympischen Zentrums wundern, dass auch die Arbeitslosenzahlen in Kappeln Schleswig-Holstein stark rückläufig sind. Ende Mai (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE waren nur noch 120.000 Menschen im Lande und GRÜNEN) damit 14,3 % weniger als im letzten Jahr arbeitslos. Allerdings sagen diese Zahlen nichts darüber aus, - das hat ja der Kollege Garg schon angesprochen. in welchen neuen Beschäftigungsverhältnissen die Dagegen hat es beim Ausbau des Husumer Hafens Menschen stehen. Insoweit steht in diesem Bereich ja leider kein Einsehen des Wirtschaftsministers ge- leider nicht alles zum Besten. geben. Hinzu kommt, dass die Investitionsquote des Landes weiterhin die niedrigste seit Jahrzehnten ist. Also, auch hier hat die Medaille durchaus zwei Sei- Auch das darf man nicht aus dem Blick verlieren. ten. Darüber kann auch das Zukunftsprogramm der Mit einer Quote von 8,5 % liegt Schleswig-Holstein Landesregierung nicht hinwegtäuschen. bundesweit im guten Mittelfeld. Die Zahl der sozi- Fazit: Die wirtschaftliche Entwicklung ist trotz ei- alversicherungspflichtigen Beschäftigten ist leicht niger Versäumnisse der Landesregierung immer angestiegen und es gibt deutlich mehr freie Stellen noch gut. Wir müssen noch besser darin werden, als im letzten Jahr. Dabei ist der starke Rückgang diese Entwicklung für uns zu nutzen. Meine Kolle- der Arbeitslosigkeit im Arbeitsmarktbezirk gin Spoorendonk hat es bereits mehrfach gesagt: Flensburg allerdings nahezu vollständig der noch Dieser Aufschwung ist zu einem sehr großen Teil besseren wirtschaftlichen Entwicklung in Däne- das Verdienst der Arbeitnehmerinnen und Ar- mark geschuldet. Denn mit dem bedauerlichen Ar- beitnehmer in Deutschland, die in den letzten Jah- beitsplatzabbau bei Motorola und Arvato-Teleser- ren für die steigende Produktivität mehr gearbeitet vice hat es in dieser Region in letzter Zeit auch ne- und dazu noch auf Lohnerhöhungen verzichtet ha- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4381

(Lars Harms) ben. Deshalb sind wir international bei den Lohn- in der Konkurrenz mit auswärtigen Billiglohnanbie- stückkosten äußerst wettbewerbsfähig im Verhält- tern nicht bestehen können. Es liegt daher an der nis zu unseren europäischen Nachbarn. Der stark Koalition, diese Abwärtsspirale noch einmal zu ver- ansteigende Export beweist dies ja auch immer wie- hindern. Wenn die Große Koalition den Gesetzent- der. wurf des SSW zur Verlängerung des Tariftreuege- setzes ablehnt, dann führt sie ab März 2008 flä- Allerdings ist es jetzt auch an der Zeit, dass die chendeckend Dumpinglöhne ein. Lohnempfänger an den Milliardenüberschüssen der Wirtschaft teilhaben und auch entsprechende Lohn- (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE erhöhungen bekommen. Auch aus wirtschaftlicher GRÜNEN) Sicht würde dies zu einer Stärkung der Konjunktur Meine Damen und Herren, das werden sich die beitragen und sich daher positiv auswirken. Dies Menschen und das werden sich auch die Unterneh- würde gerade auch dem Standort Schleswig-Hol- men und die Unternehmer in Schleswig-Holstein stein helfen, der besonders von der Binnenkonjunk- kaum bieten lassen. Deshalb fordere ich Sie noch tur abhängig ist. einmal auf: Geben Sie sich einen Ruck und be- „Nicht alles ist Gold, was glänzt“, heißt es so schließen Sie schnell mit uns die Verlängerung des schön. Wir müssen daher auch einige der negativen Tariftreuegesetzes und die Ausweitung dieses Ge- Folgen der jetzigen Entwicklung ansprechen. So setzes auf den ÖPNV! Das ist wichtig für die Wett- kommt dieser Aufschwung noch immer nicht bei bewerbsfähigkeit unserer Unternehmen hier im allen Menschen an. Man kann feststellen, dass wir Land. gerade im Niedriglohnbereich immer noch Millio- (Beifall beim SSW und vereinzelt bei der nen von Beschäftigten haben, die so schlecht be- SPD) zahlt werden, dass sie kaum davon leben können. Dies gilt auch für viele Beschäftigte in Schleswig- Insgesamt haben wir es also, wie ich bereits sagte, Holstein, die mit einem Stundenlohn von 4 bis 5 € in Schleswig-Holstein mit einem stark geteilten auskommen müssen. Daher kommen wir nicht dar- Arbeitsmarkt zu tun. Denn zum einen haben wir in um herum, in gewissen Bereichen, dort, wo die Ta- vielen Branchen einen beginnenden Fachkräf- rifparteien selbst nicht dazu in der Lage sind, end- temangel und zum anderen ist gleichzeitig der An- lich einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. teil der Langzeitarbeitslosen bei uns im Land im- mer noch auf sehr hohem Niveau. Deshalb wird es (Beifall beim SSW) entscheidend darauf ankommen, dass wir endlich In fast allen westeuropäischen Ländern gibt es be- ein leistungsfähiges Weiterbildungssystem ent- reits einen entsprechenden Mindestlohn. Dies muss wickeln, das sowohl die Arbeitnehmer als auch Ar- auch bei uns möglich sein, um allen Beschäftigten beitslose fit macht für die Herausforderungen des ein menschenwürdiges Leben zu sichern. Vollzeit- zukünftigen Arbeitsmarktes. Davon sind wir trotz arbeit muss auch einen ordentlichen Lohn zur Folge entsprechender Ankündigungen von Arbeitsminis- haben. Natürlich ist dies eine Sache des Bundes. ter Döring immer noch weit entfernt. Das mag zwar nicht unbedingt seine Schuld sein; dennoch haben (Beifall) wir hier immer noch eine große Aufgabe, die erst Die Landesregierung muss hier auch ihren Einfluss noch zu wuppen ist. Gerade im nördlichen Landes- geltend machen. Wir müssen aber auch die Wettbe- teil wird die Diskrepanz zwischen den Anforderun- werbsfähigkeit unserer Betriebe sichern und hier gen der Wirtschaft in der deutsch-dänischen Grenz- für gleiche Rahmenbedingungen sorgen, damit ein region und dem damit verbundenen Facharbeiter- fairer Wettbewerb zwischen den Unternehmen mangel sowie den Qualifikationsmöglichkeiten der überhaupt entstehen kann. arbeitslosen Menschen immer größer. Hier müssen Dies gilt natürlich insbesondere für das Landesta- alle handelnden Akteure der Region - das Land, die riftreuegesetz. Mit ihren Sandkastenspielen beim Region Schleswig/Sønderjylland, die Berufs- Thema Tariftreue schadet die Große Koalition der schulen, die Arbeitgeber und die Gewerkschaften in regionalen Wirtschaft und dem regionalen Arbeits- der Grenzregion - sich zusammensetzen, um ent- markt. Sollte das Tariftreuegesetz nicht verlängert sprechende Aus- und Weiterbildungsangebote ge- werden, dann gelten in einer Reihe von Branchen meinsam über die Grenze hinweg zu entwickeln. ab März 2008 in Schleswig-Holstein Dumpinglöh- Die unterschiedlichen Systeme beider Länder dür- ne. Dies würde nicht nur die Arbeitnehmer hart fen hier kein Hindernis sein, sondern müssen über- treffen - was schon schlimm genug wäre -, sondern wunden werden, damit wir genügend Fachkräfte auch die regionalen Unternehmen schwächen, die anziehen und die wirtschaftliche Entwicklung in 4382 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Lars Harms) der deutsch-dänischen Grenzregion weiter voran- (Beifall beim SSW) bringen. Insgesamt kann man aber schon das Fazit ziehen, Das steigende Engagement und die fünf Leucht- dass die schleswig-holsteinische Wirtschaft dabei turmprojekte der Landesregierung sind ein erster ist, ihren Strukturrückstand aufzuholen. Daher kön- positiver Ansatz, um diese für unsere Region so nen wir vorsichtig-optimistisch in die Zukunft wichtige grenzüberschreitende Zusammenarbeit blicken, was die weitere wirtschaftliche Entwick- auszubauen. Der SSW hat auf seinem letzten Klei- lung in den nächsten Jahren angeht. nen Parteitag ein eigenes Eckpunktepapier vorge- Aus Sicht des SSW kommt es für das Land darauf legt, das weitere konstruktive Vorschläge für die an, dass wir uns bei den Haushaltsberatungen im Vertiefung dieser Zusammenarbeit vorsieht. Neben nächsten Jahr unbedingt noch einmal mit den Inve- einem Ausbau des Dänischunterrichts - das ist si- stitionen des Landes beschäftigen. Eine Erhöhung cher unstreitig - an den öffentlichen Schulen im der Investitionsquote, zum Beispiel durch mehr In- Landesteil Schleswig sehen wir insbesondere einen vestitionen im Straßen- und Schienenausbau, bei Bedarf darin, die Infrastruktur in unserer Region im der Schulrenovierung oder auch für die Kommu- Norden zu verbessern und auszubauen. Daran führt nen, würde den jetzigen Aufschwung verstetigen, kein Weg vorbei. die Binnenkonjunktur stärken und alles positiv un- Wir bleiben bei unserer Position: Bevor es zu einer terstützen. Das muss aus unserer Sicht unser Ziel in Fehmarnbelt-Querung kommen kann, muss die der Landespolitik sein. Wir müssen die Investiti- Straßen- und Schienenverbindung in Sønderjylland onsquote auch in unserem eigenen Landeshaushalt und im Landesteil Schleswig verbessert werden. erhöhen, damit wir die Binnenkonjunktur bei uns Darin ist sich der SSW auch mit vielen regionalen stärken. Darin liegt der Haken und dort fällt es uns Folketingpolitikern in Dänemark einig. Wir werden immer noch ein bisschen schwer, uns weiterzuent- uns mit diesen Partnern gemeinsam - sowohl im wickeln. Daran sollten wir weiter arbeiten. Landtag als auch an anderen Orten - hierfür einset- (Beifall beim SSW) zen. Neben der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit Vizepräsidentin Ingrid Franzen: sieht der SSW auch in der Nordseekooperation ei- ne wirtschaftliche Perspektive für unseren Landes- Ich danke dem Abgeordneten Lars Harms. - Zur teil und für das gesamte Land. Sieht man sich die Geschäftslage in dieser Debatte möchte ich sagen: Export- und Importstatistiken des vorliegenden Be- Mir liegen noch drei Meldungen zu Kurzbeiträgen richts an, so wird man schnell feststellen, dass gera- aus der CDU-Fraktion vor und auch der Minister de der Handel schleswig-holsteinischer Unterneh- möchte noch einmal reden. men mit den Nordseeanrainerstaaten Dänemark, Zuerst erteile ich dem Herrn Abgeordneten Fedder- den Niederlanden und Großbritannien einen sehr sen das Wort. wichtigen Stellenwert hat. Aus Sicht des SSW ver- dient daher die Nordseekooperation in Zukunft Jürgen Feddersen [CDU]: mehr Aufmerksamkeit, um die Zusammenarbeit mit diesen wirtschaftsstarken Partnerländern weiter Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und auszubauen. Hier gibt es also noch weitere wirt- Kollegen! Lieber Kollege Garg, jeder blamiert sich, schaftliche Möglichkeiten für unsere leistungsfähi- so gut er kann. Wir haben schon einmal über den gen Unternehmen. Offshore-Hafen Husum diskutiert. Ich habe schon damals versucht, Ihnen zu erklären, dass es nicht so Dies gilt für den Export etwa nach China natürlich ganz einfach ist, den tideabhängigen Hafen Husum genauso, vielleicht sogar noch in verstärkter Weise. zu einem Offshore-Hafen auszubauen. Nicht der Damit sei aber nicht gesagt, dass wir die traditionel- Ausbau ist so schwierig, sondern der lange An- le Ostseekooperation des Landes vernachlässigen fahrtsweg. Ich sage Ihnen, dass man leichter am sollten. Allerdings liegt in diesem Bereich ein Tiefwasseranleger in Pellworm oder am Holmer Schwerpunkt auf den kulturellen Beziehungen und Siel anlegen kann als im Husumer Hafen. Das ist natürlich auch beim Thema Menschenrechte. Das das Erste. heißt natürlich nicht, dass wir nicht auch eine wirt- schaftliche Zusammenarbeit mit diesen Staaten auf- Das Zweite, weswegen ich mich noch einmal ge- nehmen können. Trotzdem hat aber auch die Nord- meldet habe, ist, dass Ihr Kollege Schulze-Kölln in seekooperation enorme wirtschaftliche Potenziale. der Husumer Stadtvertretung bei einer Gelegenheit Wir sollten deshalb das eine tun, ohne das andere den Geschäftsführer von REpowering und auch von zu lassen. West-Ost gefragt hat, warum sie den Ausbau des Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4383

(Jürgen Feddersen)

Husumer Hafens nicht unterstützt hätten. Das haben portieren, meistens in ihren Importen nach Schles- beide mit einem Satz beantwortet: Den brauchen wig-Holstein deutlich höher. Das ist aber nicht be- wir nicht. Ich hätte gern gesehen, was passiert wäre, unruhigend. Entscheidend ist, dass unsere Produkte wenn der Wirtschaftsminister 11 Millionen € für wettbewerbsfähig bezüglich der Qualität und der den Ausbau des Hafens zur Verfügung gestellt hätte Preise sind. und dieses Geld hinterher nicht in Anspruch ge- Auch die Reihenfolge ist interessant. Wir sollten nommen worden wäre. Was wäre dann los gewe- China außen vor lassen, weil das ein Thema ist, das sen? Das Geld steht der Region zur Verfügung. So wir gesondert behandeln müssen, ebenso wie Indi- hat der Wirtschaftsminister das gesagt. Husum hat en, das auch zu den Tigerstaaten gehört. Dorthin gute Chancen, einen Teilausbau für seinen Hafen exportieren wir für knapp 90.000 € und importieren und vielleicht auch für die zweite Messehalle zu für 123.000 €. Das spielt im Vergleich zu China ei- kriegen. Ich glaube, dass das Geld dort besser ange- ne geringe Rolle. Das Vereinigte Königreich liegt legt ist als in einem Offshore-Hafen Husum. bei den Exporten mit 1,8 Milliarden € absolut an (Beifall bei CDU und SPD) der Spitze. Dann kommen vier 1,2-Milliarden-€- Export-Länder, das sind Italien, die Niederlande, Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Dänemark und Frankreich. Eigentlich gehört Spani- en auch dazu, aber sie haben etwas zurückstecken Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Herr müssen. Die Schweiz und Amerika sind auch sehr Abgeordneter Ritzek. stabile Länder, die wir im Fokus behalten müssen. Ich möchte ganz kurz zum Schluss noch einmal auf Manfred Ritzek [CDU]: die kleinen Länder eingehen, die auch behandelt Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die werden sollten. Von den 230 Ländern und Regio- Vorredner sind zum Teil auf einige spezielle Dinge nen, mit denen wir Handelsbeziehungen haben, in dem Wirtschaftsbericht eingegangen, den ich als sind Burundi mit 3.000 € pro Jahr, Saõ Tomé, das unglaublich spannend, umfassend und zukunftwei- Wallis mit jeweils 3.000 €, Nioué und die Nördli- send für weitere Aktivitäten betrachte. chen Marianen mit jeweils 1.000 bis 3.000 € zu nennen. Herr Kollege Matthiessen, Sie haben sich - wie zu erwarten - auf die Entwicklung der regenerativen Auch diese Mengen müssen wir stabilisieren. Energien bezogen. Das ist auch in Ordnung. Das (Unruhe) ist auch unser Ansatz. Was mich wirklich positiv überrascht hat, ist, dass Sie in Ihren Ausführungen Herr Minister, ich empfehle hier eine „MAT-Offen- zu den regenerativen Energien erstmalig auch eini- sive“ und ich würde mich beteiligen. germaßen richtige Zahlen genannt haben. Das war (Heiterkeit) früher nicht so. Sie haben wirklich dazugelernt. Darüber freue ich mich. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: (Beifall der Abgeordneten Claus Ehlers Herr Kollege! [CDU] und Karsten Jasper [CDU]) Ich möchte ganz kurz auf unsere Exporte und Im- Manfred Ritzek [CDU]: porte eingehen. Ich finde es schon sehr wichtig, Das heißt Marketing-Akquisitions-Tournee-Offen- dass der Minister sagte, dass etwa 70 % unserer Ex- sive. Da würde ich gern mitmachen! porte und Importe in EU-Länder gehen. Das ist eine Zahl, die man hinnehmen kann. Das bedeutet enorm viel. Das bedeutet, dass unsere Unternehmen Vizepräsidentin Ingrid Franzen: mit ihrer Technik, mit ihrem Know-how, mit der Wunderbar! - Ich sage noch einmal für alle Redner, Entwicklung von Produkten in dem hochkarätigen dass wir den Bericht auch noch in den Ausschuss Markt der europäischen Länder voll wettbewerbsfä- überweisen. - Das Wort zu einem weiteren Kurz- hig sind, nicht nur von den Produkten, sondern beitrag hat Herr Abgeordneter Callsen. auch vom Preisniveau her. Es muss unser Ziel sein, diese 70-%-Marke zu halten und vielleicht noch ein Johannes Callsen [CDU]: bisschen anzureichern. Das ist wirklich eine Ex- portquote, die zukunftweisend ist. Bei der Import- Frau Präsidentin! Es ist jetzt gar nicht so leicht, quote müssen wir noch ein bisschen gucken. Da wieder zur Ernsthaftigkeit zurückzukommen. Herr sind die starken europäischen Länder, in die wir ex- Kollege Harms, wir haben gestern über das Thema Globalisierung diskutiert und viele von uns haben 4384 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Johannes Callsen) gesagt, dass wir den Menschen in bestimmten dass ich jetzt noch einmal rede, weil das dem Kol- Schwellenländern eine eigene wirtschaftliche Zu- legen Garg die Möglichkeit gibt, sich hier vorn kunft ermöglichen und sie darin unterstützen müs- noch einmal aufzublasen. sen. Heute stehen dieselben Vertreter hier und for- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Unglaublich!) dern Mindestlöhne und Tariftreue-Erklärungen, die letztlich dazu führen, genau diesen Ländern einen Wenn ich mir vor Augen führe, dass er anderen Markteintritt und eine eigene wirtschaftliche Per- vorwirft, übertriebene Selbstdarstellung zu betrei- spektive zu verwehren. ben, ist das schon lustig. Herr Kollege Harms, es geht auch nicht um das Ge- (Heiterkeit bei der CDU - Wolfgang Kubicki spenst von Dumpinglöhnen, das sie hier durch den [FDP]: Es gibt eine gewisse Nähe, Herr Plenarsaal treiben. Ich will nur daran erinnern, dass Austermann!) die Tarifverträge und die Löhne, über die wir jetzt Bevor Sie sich äußern, sollten Sie wirklich den Be- im Bus-Bereich bei der Ausschreibung Stormarn richt lesen, den Sie kritisiert haben. Es geht natür- reden, Tariflöhne waren, die von beiden Tarifver- lich darum, dass ich, wären die Zahlen nicht so, wie tragsparteien ausgehandelt worden sind. sie sind, Schuld daran hätte. Da die Zahlen so sind, Was die Grundsatzfrage angeht: Die Haltung der wie sie sind, müssen andere dafür verantwortlich CDU und grundsätzliche ordnungspolitische Be- gewesen sein. denken sind bekannt. Ich verwehre mich aber dage- Ich will das ganz konkret an einem Beispiel deut- gen, jetzt von Sandkastenspielen zu reden. Wir ha- lich machen: Der Hafen Husum wird unter ande- ben das genau abgewogen. Wir haben ein Ge- rem deshalb nicht ausgebaut, weil die Stadt ge- sprächsangebot gemacht und wir sind weiter dar- meinsam mit den Klägern weiter an einem Verfah- über im Gespräch. Das sind keine Sandkastenspie- ren festhält und sich nicht über die Planfeststellung le, das ist verantwortliche Politik für Schleswig- einigt. Selbst wenn wir gewollt hätten, hätten wir Holstein. bisher gar nichts machen können, weil das Planfest- Herr Kollege Dr. Garg, auch da ist eine gewisse stellungsverfahren vor Gericht nicht abgeschlossen Doppelzüngigkeit in Ihrer Argumentation. Auf der ist. Wir haben zur Stadt immer gesagt, dass wir für einen Seite kritisieren Sie bestimmte Verfahren bei einen kleinen Hafenausbau sind, der für Service Vergabeentscheidungen. Auf der anderen Seite hat reicht. Sie haben eine falsche Information. Ich habe Ihnen die Entscheidung in Kappeln-Ellenberg und da überhaupt nichts aufgehalten. Vielmehr sind die in Schleswig offenbar viel zu lange gedauert und Beteiligten der Meinung, sie sollten sich vor Ge- Sie hinterfragen das alles. richt auseinandersetzen. Dann sollen Sie es auch tun. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Da gab es keinen Wettbewerb!) Zum Thema Elektrifizierung der Bahn: Wir haben neu verhandelt und dadurch für das Land 5 Millio- Auch da will ich nur daran erinnern, dass es darum nen € eingespart. geht, bestimmte Verfahren und Förderrichtlinien einzuhalten und diese Voraussetzungen genau zu Zum Thema Kappeln-Ellenberg: Wir haben eine prüfen. Was uns gemeinsam am Ende interessieren Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Der Bür- sollte, ist das Ergebnis und das ist für die Region germeister ist uns dankbar dafür. Sie hat nämlich ganz toll. dazu geführt, dass das Projekt jetzt etwas anders heißt, als es ursprünglich heißen sollte. Das ist hier (Beifall bei der CDU) wie in vielen anderen Fällen auch: Wir haben einen Projektentwickler, der von weit her kommt, eine Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Idee hat und jemanden kennt, der einen anderen Das Wort hat der Herr Wirtschaftsminister. kennt, der möglicherweise Geld zum Investieren hat. Das allein kann noch kein Anreiz dafür sein, Dietrich Austermann, Minister für Wissenschaft, dass wir uns mit Begeisterung auf das Konzept Wirtschaft und Verkehr: stürzen, das dort vorgelegt worden ist. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist Wir haben jetzt eine Machbarkeitsstudie. Der Bür- natürlich ein großes Risiko, germeister war uns dankbar - was er natürlich nur nach innen sagt, nicht nach außen. Er kandidiert (Wolfgang Kubicki [FDP]: Restrisiko!) und möchte im September wieder gewählt werden. Also muss er sich reiben und zum Wirtschaftsmini- sterium sagen, dass er alles nicht so macht, wie man Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4385

(Minister Dietrich Austermann) das will. Heimlich sagt er uns aber, dass es ganz desregierung eine neue Verordnung zu verabschie- prima ist, dass wir das gemacht haben, und dass wir den, bei der die Direktvergabe die Regel ist. Inso- ihm geholfen haben. fern geht es nicht, dass Sie den Eindruck erwecken, wir würden den Wettbewerb aus einem ganz be- In Schleswig ist es ganz genauso. Auch dort ist im stimmten Grund verhindern. Weshalb wollen die Herbst Bürgermeisterwahlkampf und auch dort Länder in Europa von diesem System abweichen? - kommen die Leute und sagen intern, sie seien dank- Vielleicht um Dumpinglöhne zu verhindern. Über- bar dafür, dass wir ihnen den einen oder anderen all dort, wo Wettbewerb zu Dumpinglöhnen führt, Hinweis gegeben haben, wie man das Ganze so wende ich mich dagegen - ob es nun bei der Bahn macht, dass es überhaupt förderfähig ist. Das ist die oder bei der Post ist. Forderung, die an uns gestellt wird. (Beifall bei der CDU) Zum Thema Gesundheitswirtschaft: Sie haben den Bericht nicht gelesen. Ich könnte jetzt zwei Sei- Deswegen habe ich auch auf der Wirtschaftsminis- ten vorlesen, auf denen konkret steht, was wir im terkonferenz ganz deutliche Worte zu den privaten Bereich der Gesundheitswirtschaft machen. Postdiensten gewählt. Denn jeder weiß, was daraus entstehen wird. (Dr. Heiner Garg [FDP]: Ich habe den Be- richt genau gelesen!) Meine Damen und Herren, wie werten die Bevölke- rung und die Wirtschaft die Leistungen der Landes- Erzählen Sie doch keinen Unfug, dass wir das The- regierung? - Da werden Sie jetzt sagen: Natürlich, ma verschlafen würden! Wir führen eine Fülle von man kennt sich und man trifft sich. - Die Umfragen Maßnahmen durch. Also gut, wenn Sie es unbe- belegen allerdings, dass das Wirtschaftsministerium dingt wollen, lese ich vor, was hier zur Gesund- hervorragende Arbeit leistet. Damit muss ja nicht heitsinitiative Schleswig-Holstein steht: unbedingt ich gemeint sein, aber das Ministerium, „Derzeit werden … sechs Leitprojekte umge- das ich führe, leistet hervorragende Arbeit. Fragen setzt: Schleswig-Holstein ist Vorreiter bei Sie auch die Bevölkerung! Es gibt eine Umfrage der elektronischen Gesundheitskarte. … Mit von DIMAG, die hinsichtlich meiner Person genau dem Projekt ‚Faszination Operieren’ wird ein das Gleiche sagt. Fragen Sie die ehemaligen Ar- OP-Forum für Medizintechnik, medizinische beitslosen, die in Arbeit gekommen sind! 45.000 Versorgung, Forschung, Lehre und Ausbil- Menschen mehr als noch in 2005 sind aus der Ar- dung realisiert. … Am Universitätsklinikum beitslosigkeit raus. Schleswig-Holstein wird ein norddeutsches (Beifall bei der CDU) Zentrum für Partikeltherapie zur schonenden Tumorbehandlung entstehen.“ 20.000 Menschen sind im Arbeitsmarkt drin. Jetzt multiplizieren Sie einmal deren Gehalt - ich meine All das haben Sie überlesen. jetzt keine 400-Euro-Jobs - mit dem üblichen Ar- 140 Millionen € werden für die Partikeltherapie in- beitslohn, den ein normaler Beschäftigter bekommt. vestiert. Das nehmen Sie gar nicht zur Kenntnis. Das macht 400 Millionen € mehr fürs Bruttoinland- Das war ein Erfolg dieser Landesregierung und die- sprodukt aus. ses Ministerpräsidenten in Verhandlungen mit Nun, Sie können all das ignorieren und müssen es Hamburg. Also, man kann doch nicht so tun, als gä- nicht zur Kenntnis nehmen. Sie können sich auch be es das gar nicht. darauf berufen, dass Sie für die Opposition eine be- (Beifall bei der CDU) stimmte Arbeit machen, aber die Bevölkerung ist Jetzt kommen wir zum Lieblingsthema Netz Ost. nicht so blöd, dass sie es Ihnen abnimmt. Deswegen Wir gehen fair vor. Wir gehen transparent vor. sage ich: Ihr Beitrag war einfach nur doof. Schriftsätze, die wir noch gar nicht gelesen haben, (Beifall und Heiterkeit bei CDU, SPD und stehen mithilfe des einen oder anderen hier im SSW) Hause in der Zeitung. Wir sparen dem Land 20 Millionen € jährlich. Wir sorgen für moderne Vizepräsidentin Ingrid Franzen: und neue Züge und die Züge sind so lang, dass sie im Bahnhof halten können und nicht aus dem Mir liegen zwei weitere Wortmeldungen vor. Ge- Bahnhof hinausragen. All das sollte Ihre Beachtung mäß § 56 Absatz 4 der Geschäftsordnung steht den finden. Fraktionen die Redezeit zur Verfügung, die der Herr Minister für seine Rede gebraucht hat. - Nun Ich sage Ihnen eines: Nehmen Sie zur Kenntnis, erteile ich Herrn Abgeordneten Lars Harms für fünf dass die EU zurzeit dabei ist, auf Wunsch der Bun- Minuten das Wort. 4386 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

Lars Harms [SSW]: malen Ausschreibung als auch er selber bei seinen Vergabeverfahren berücksichtigen. Das war näm- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der lich eine Bedingung in diesen Ausschreibungen, Kollege Callsen hat sich gerade noch einmal zu den weil das Tariftreuegesetz bereits für den SPNV gilt. Themen Mindestlöhne, Tariftreue und Globalisie- rung ausgelassen. Ich möchte nicht zu scharf wer- Das heißt: Unabhängig vom gewählten Verfahren - den, aber Globalisierung ist das Thema. Denn auch wir werden morgen noch darüber diskutieren, wel- jemand, der aus dem Ausland - aus Afrika, aus ches das beste Verfahren ist - muss die Tariftreue Europa, aus Osteuropa, aus Asien - hierher kommt, eingehalten werden und deswegen haben wir die soll hier zu den Bedingungen eines Mindestlohns Gewähr - egal, wer zukünftig das Netz Ost fährt -, arbeiten können. Das ist eine völlige Gleichstellung dass dies zu vernünftigen Bedingungen geschieht. der Menschen, unabhängig davon, woher sie kom- Deswegen sah das Verfahren auch vor, dass sich je- men und welche Hautfarbe sie haben. Sie sollen des Unternehmen zu unseren Bedingungen daran einen vernünftigen Mindestlohn bekommen. Das ist beteiligen konnte. Unternehmen, die aus anderen eigentlich die beste Reaktion auf Globalisierung. Regionen Deutschlands oder aus Europa kommen, müssen die Tarife zahlen, die bei uns gültig sind. Ich hätte Sie verstanden, wenn Sie gesagt hätten, Ich glaube, dass das gerecht ist, weil dann alle die das sei etwas Schlimmes, weil dann die Leute in gleichen Startbedingungen haben. Dann wird über Asien viel billiger produzieren könnten. Das ist ei- Qualität und nicht über das Runterschrauben von gentlich auch die Argumentation, die ich bisher im- Löhnen geredet. mer gehört habe. Dann hätten Sie wahrscheinlich Ärger mit den Kollegen von der FDP bekommen (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE und deswegen haben Sie es irgendwie umgedreht. GRÜNEN) Letztendlich ist es aber so: Mindestlöhne stellen al- Deshalb bitte ich Sie nochmals inständigst um Fol- le Menschen in unserem Lande gleich. Sie bekom- gendes: Lassen Sie uns zum Sommer zu einer Lö- men das gleiche Geld und können zu den gleichen sung kommen, die die zeitliche Begrenzung aufhebt Bedingungen hier leben und arbeiten. und den ÖPNV mit einbindet. Wir können es gern (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE bis Ende 2010 beschränken und dann schauen wir GRÜNEN) es uns noch einmal an. Das ist in Zeiten der Globalisierung äußerst ge- Die bisherigen Erfahrungen im Baubereich, im recht. SPNV- und auch im Abfallbereich sind so derma- ßen gut und auch die Unternehmen sind so derma- Nun noch etwas zu den Sandkastenspielen. Ich ßen zufrieden mit diesem Gesetz - das haben auch empfinde es als Sandkastenspiele, weil man sich die Stellungnahmen deutlich gemacht -, dass wir doch eigentlich einig ist. Auf öffentlichen Veran- einen Riesenfehler machen würden, wenn wir die- staltungen bei der Autokraft ist es so, dass sich ei- ses Tariftreuegesetz nicht weiterhin erhalten wür- gentlich alle einig sind - auch mit dem Vorsitzen- den. den des Wirtschaftsausschusses. Wir sind uns darin einig, dass wir etwas tun müssen und dass die Ta- (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE riftreue auch für den ÖPNV gelten muss. Und dies GRÜNEN) gilt nicht nur, um den Leuten einen guten Lohn zu sichern, sondern insbesondere auch darum, um un- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: seren Unternehmen weiterhin Konkurrenzfähigkeit zu gewährleisten. Nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Garg für fünf Minuten Insofern verstehe ich nicht, dass dann noch Forde- das Wort. rungen nachgeschoben werden. Wenn wir uns doch alle einig sind, dass es für unsere Unternehmen und Dr. Heiner Garg [FDP]: unsere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wich- tig ist, dann sollten wir es doch auch tun. Das ist Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! unsere Verpflichtung als Landtagsabgeordnete. Sehr geehrter Herr Minister Austermann, es freut mich, dass ich Ihnen mit meinem Redebeitrag so Ich finde es sehr gut, was der Wirtschaftsminister viel Freude bereiten konnte. gerade gesagt hat. Er hat gesagt, dass es nicht zu Dumpinglöhnen kommen darf. Deswegen gibt es (Wolfgang Kubicki [FDP]: Er hat sich geär- unser Gesetz und weil es ein Gesetz ist, musste es gert!) sowohl sein Vorgänger Dr. Rohwer bei einer nor- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4387

(Dr. Heiner Garg)

Es freut mich, dass Sie mit Ihrem kräftigen Satz, sundheitsstandort bezeichnet hat - diese Verknüp- wie meine Rede angeblich gewesen sein soll, doch fung kriegen Sie nicht hin. wenigstens einmal am Ende Ihrer Rede einen so (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE kräftigen Applaus auch von den Koalitionsfraktio- GRÜNEN) nen bekommen haben. Da können Sie noch so laut meckern. Sie haben es Ich will Ihnen eines sagen: Wir streiten uns nicht bisher einfach nicht geschafft. Sie sind jeden Nach- über das Verfahren - das habe ich schon mehrfach weis schuldig geblieben. betont -, das Sie bei der Vergabe des Netzes Ost gewählt haben. Dass wir uns für ein anderes Ver- Mecklenburg-Vorpommern habe ich nicht ohne fahren entschieden hätten, haben wir oft sehr deut- einen gewissen Grund genannt. Gehen Sie doch lich gemacht. Aber wenn Sie das Verfahren, für das einmal auf die Internetseite des Landes Mecklen- Sie sich entschieden haben, wie bislang fortführen, burg-Vorpommern und gucken sich dort das Ge- dann geben Sie der Opposition Anlass zu Kritik. sundheitsportal an! Die machen genau das vor, Denn auch bei dem von Ihnen gewählten Interes- worum ich Sie bitte, sie stellen nämlich diese Ver- senbekundungsverfahren haben Sie sich schlicht knüpfung her. und einfach an Recht und Gesetz zu halten und die- Zu Ihrem Protonentherapiezentrum: Verehrter ses Verfahren muss transparent und nachvollzieh- Herr Minister, ich hoffe - das sage ich ganz ernst -, bar sein. bin mir aber nicht sicher, dass Ihnen das, was Sie (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE heute dazu erzählt haben, nicht noch einmal kräftig GRÜNEN) auf die Füße fällt. Sich auch kundig machen, würde einem Minister manchmal nicht schaden. Sie wis- Nun stellen Sie sich doch nicht hier hin und erzäh- sen möglicherweise gar nicht, wie viele Patienten len Sie doch nicht unter dem Beifall der Regie- notwendig sind, damit sich dieses Partikelzentrum rungsfraktionen, dass das von Ihnen gewählte Ver- rechnet. Sie haben möglicherweise gar keine Ah- fahren ein Verfahren sei, das ein Mittel gegen nung davon, wie wenig Indikationen - derzeit je- Lohndumping darstelle! Damit veräppeln Sie die denfalls - von den gesetzlichen Krankenkassen Gewerkschaften und diejenigen, die für Mindest- überhaupt anerkannt sind, um eine Protonenthera- löhne und Tariftreue eintreten. pie in die Wege zu leiten. Ich würde da an Ihrer (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE Stelle viel bescheidenere Brötchen backen, GRÜNEN) (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE Dass Sie ein Verfahren, das bei allem Respekt nach GRÜNEN) wie vor etliche Fragen aufwirft, als Instrument des als sich hier so aufzublasen, wie ich das gar nicht Ministers für Wirtschaft und Verkehr gegen Bil- kann. liglöhne preisen, finde ich peinlich, Herr Minister, aber nicht dumm. (Heiterkeit) (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE - Na gut, ich kann das auch nicht schlecht; zugege- GRÜNEN) ben. Zum Thema Gesundheit. Wissen Sie, Lesen lernt Ein Letztes: Sie kriegen es nicht hin, in das UK-SH man sogar in Baden-Württemberg. Ich konnte Ihren wirklich Ruhe zu bringen. Sie kriegen es doch bis Bericht und Ihre zusammengetragenen Seiten über heute nicht hin, die exzellenten personellen Res- die Gesundheitswirtschaft in Schleswig-Holstein sourcen, die Sie in den beiden Universitätsklinika sehr wohl lesen. Ich habe Ihnen vorgeworfen - viel- haben, so zu motivieren, dass der weitere Prozess - leicht habe ich das nicht hinreichend deutlich ge- unabhängig davon, für welches Modell man sich macht -, dass Sie die Chance vertun, eine intelligen- entscheidet, ob für Privatisierung, Teilprivatisie- te Verknüpfung aus den originären medizinischen rung oder eine andere Möglichkeit, die auch wir Einrichtungen, die es in diesem Land gibt, und den vorgeschlagen haben -, in Ruhe verlaufen kann, da- touristischen Einrichtungen zustande zu bringen. mit die Mitarbeiter motiviert sind und an einem Genau diese Verknüpfung aus den Gesundheits- Strang ziehen, damit sie sich damit beschäftigen standorten und den medizinischen Einrichtungen können, wozu sie eigentlich da sind. Sie verunsi- verpassen Sie. chern die Mitarbeiter und setzen damit den guten Ruf des Gesundheitslandes Schleswig-Holstein aufs Das, was die frühere Landesregierung einmal als Spiel, wobei die Universitätsklinika an erster Stelle „Wellnessland Schleswig-Holstein“ oder als Ge- 4388 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Dr. Heiner Garg) stehen, weil Sie Ihre Hausaufgaben nicht machen, möglich sein muss, mit einer solchen Arbeit seine Herr Minister! Familie ernähren zu können. Das kann doch wohl nicht anders sein. (Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW) Es gibt Spielregeln; die hat es bei Rot-Grün gege- ben, die gibt es bei der Großen Koalition. Wir ver- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: handeln darüber. Wir sind noch nicht zu einer Eini- gung gekommen. Auch früher haben wir mitunter Das Wort zu einem weiteren Beitrag nach § 56 kürzer oder auch mal länger dafür gebraucht. Aber Abs. 4 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeord- die Verantwortung ist in diesem Raum deutlich ge- nete Schröder. worden, meine ich. Ich hoffe, dass das gelingt. Bernd Schröder [SPD]: Ich hoffe - ich sage das auch so deutlich; ich hätte das sonst nicht angesprochen -, dass das ohne Be- Frau Präsidentin! Mein sehr verehrten Damen und dingungen, ohne andere Dinge gelingt. Dieser Be- Herren! Da einige meiner Vorredner auf das Thema reich ist so wichtig für uns und für die Betroffenen, Tariftreuegesetz eingegangen sind und damit es dass wir in großer Verantwortung gemeinsame Lö- nicht hinterher heißt, die SPD habe dazu öffentlich sungen finden müssen. keine Auffassung vertreten, hier ganz klar der Standpunkt der SPD-Fraktion: Wir haben als Re- (Beifall bei SPD und SSW) gierungsfraktion 2003 das Tariftreuegesetz be- schlossen, zum Teil gegen erhebliche Widerstände, Vizepräsidentin Ingrid Franzen: damals zusammen mit Rot-Grün und SSW. Die An- Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich hörung im Wirtschaftsausschuss vor einiger Zeit schließe die Beratung. Es ist Ausschussüberwei- hat, glaube ich, übereinstimmend gezeigt - das ist sung beantragt. alles nachzulesen -, dass zum Beispiel im Bereich der Bauwirtschaft viele der Unternehmer ganz (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE deutlich gesagt haben, sie erwarteten eine Fortset- GRÜNEN]: Hallo!) zung, weil das für sie die Grundlage gewesen sei, - Ich habe die Wortmeldung nicht gesehen. die schwierigste Situation der letzten Jahre in der Bauwirtschaft zu überstehen. Es ist eine gute (Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Grundlage auch für die Beschäftigten in diesem Be- NEN]: Aber alle anderen haben sie offenbar reich gewesen. gesehen!) (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- - Ja, es ist gut, ich habe die Wortmeldung nicht ge- NEN und SSW) sehen, Frau Birk. Das kann vorkommen. Das Gleiche ist im Bereich der Entsorgung der Der Herr Abgeordnete Karl-Martin Hentschel be- Fall. Der letzte Vertrag, der in Schleswig-Holstein kommt selbstverständlich auch das Wort nach § 56 im Bereich Schleswig geschlossen wurde, ist nur Abs. 4 der Geschäftsordnung für fünf Minuten, so zustande gekommen, weil die Basis das Tariftreue- sind die Spielregeln. gesetz war. Nur so ist es gelungen, den Beschäftig- ten in diesem Bereich ein Stück Sicherheit zu ge- Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben. NEN]: Ich sage für die SPD-Fraktion ganz deutlich: Die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen gleiche Sicherheit wollen wir auch den Busfahre- und Herren! Wir reden hier über den Wirtschaftsbe- rinnen und den Busfahrern in diesem Lande ge- richt der Landesregierung. Aus meiner Sicht gibt es ben, damit sie mit ihren Familien eine Grundlage, drei zentrale Faktoren, die für die Wirtschaftspolitik ein Mindesteinkommen haben. entscheidend sind. Das eine ist: Gelingt es, die not- wendigen Arbeitsmarktreformen zu machen? Da (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist in den letzten Jahren auf Bundesebene von Rot- NEN und SSW) Grün einiges geleistet worden. Von Schwarz ist bis- Jeder von uns erwartet, dass Busfahrer freundlich her absolut nichts in der Richtung geleistet worden. sind, dass sie kompetent sind, dass sie sympathisch Das ist erst einmal festzuhalten. sind, dass sie umgänglich sind. Es ist doch leider Zweitens. Gelingt es, die notwendigen Technologi- so, dass unter 60 Stunden ein Verdienst von 1.500, einnovationen und das Wissen hervorzubringen, 1.600 € brutto gar nicht möglich ist. Ich glaube, wir was für die Zukunft entscheidend ist? In dem Be- sind uns zumindest in diesem Bereich einig, dass es Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4389

(Karl-Martin Hentschel) reich kann ich nur feststellen, dass sich dieser Wirt- wirken sich erst über einen längeren Zeitraum aus. schaftsminister, was Hochschulpolitik und For- Noch leben Sie von Ihren Vorgängern. schungspolitik betrifft, besonders dadurch auszeich- (Lachen bei CDU und FDP) net, dass er ein mittlerweile national bekanntes Chaos anrichtet. Ich hoffe, dass Sie so schnell wie möglich weg vom Fenster sind, damit das, was Sie tun, nicht länger Das Dritte ist: Gelingt es, die Zukunftstechnologi- Schaden anrichtet. en, die Umwelttechnologien, die in Zukunft den Großteil der Arbeitsplätze vorhalten werden, ent- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sprechend zu fördern? Da hat sich dieser Wirt- schaftminister dadurch ausgezeichnet, dass er diese Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Technologien im Wesentlichen behindert und ein- schränkt. Seine Auftritte zugunsten der großen Jetzt mache ich das andersherum: Gibt es weitere Energiekonzerne in Fehmarn waren ja in dieser Wortmeldungen? - Weitere Wortmeldungen liegen Hinsicht geradezu skurril. nicht vor. Ich schließe die Beratung. Wissen Sie, Herr Minister, wir werfen Ihnen nicht Es ist Ausschussüberweisung beantragt worden. vor, dass Sie einzelne Fehlentscheidungen treffen. Wer den Bericht in Drucksache 16/1411 dem Wirt- Aber wenn Sie die Hochschulen chaotisieren, Inve- schaftsausschuss zur abschließenden Beratung stitionsentscheidungen in diesem Land wieder nach überweisen will, den bitte ich jetzt um sein Hand- Gusto treffen, wenn Sie Vergabeverfahren bei der zeichen. - Das ist so geschehen. Bahn zu einer Farce degenerieren lassen und auch Meine Damen und Herren, bevor ich in der Tages- noch Initiativen, die ein Markenzeichen für Schles- ordnung fortfahre, will ich gern unsere Besucher- wig-Holstein sind, wie die Wellness-Initiative, gruppe begrüßen, die uns schon seit einiger Zeit letztendlich gegen die Wand fahren, wenn man das lauscht. Und zwar sind es Schülerinnen und Schüler nett formulieren will, dann hat das mit einer vor- und Lehrkräfte des Sophie-Scholl-Gymnasiums aus wärts gerichteten Wirtschaftspolitik für dieses Land Itzehoe. - Seien Sie uns herzlich willkommen! absolut nichts zu tun! (Beifall) (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP) Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Wenn Sie sich dann noch hier hinstellen und als Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: Beleg für eine gute Politik die interne Dankbarkeit eines Bürgermeisters Feodoria anführen müssen, der das leider öffentlich nicht äußern darf, dann ist Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur das doch skurril. Änderung des Denkmalschutzgesetzes Dann kommen Sie auch noch her - das ist noch tol- Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE ler - und erklären Ihre Entscheidung für die DB AG GRÜNEN gegen Veolia neuerdings damit, dass Sie damit Drucksache 16/1380 (neu) einen Kampf gegen Dumpinglöhne führen. Das Ta- Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das riftreuegesetz gilt schon für die Bahn. Das haben ist nicht der Fall. wir unter Rot-Grün längst abgefrühstückt. Aber das wissen Sie als Wirtschaftsminister offensichtlich Dann eröffne ich die Grundsatzberatung und erteile nicht. Schade für Sie! Und dann hier noch zu sagen, das Wort dem Herrn Abgeordneten und Fraktions- Sie hätten deswegen die Vergabeentscheidung ge- vorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, troffen, das ist so etwas von skurril, da weiß man Karl-Martin Hentschel. gar nicht mehr, was man dazu sagen soll. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Wirtschaft in Schleswig-Holstein braucht klare Rahmenbedingungen. Sie fördern nicht die Wirt- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und schaft, Herr Minister, Sie sind ein Spontanaktivist, Herren! Denkmalschutz schützt unser kulturelles der ununterbrochen die Wirtschaft und die Hoch- und archäologisches Erbe. Er spielt eine wichtige schulen chaotisiert. Wir haben ein Glück in Schles- Rolle für die Erhaltung von Gebäuden, die das Bild wig-Holstein: Falsche Entscheidungen von Wirt- unserer Städte und Gemeinden prägen. Gerade in schaftsministern wirken sich nicht sofort aus. Sie Schleswig-Holstein mit unseren vielen historischen Gütern spielt der Denkmalschutz eine große Rolle. 4390 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Karl-Martin Hentschel)

Wir haben in Schleswig-Holstein ein Denkmal- werden. Wir hätten damit sofort einen wirksamen schutzgesetz. Dabei hat Lübeck eine Ausnahme- Schutz für alle Denkmäler in Schleswig-Holstein. stellung; denn dort gibt es den Denkmalschutz Eine eigentliche Prüfung würde dann nur noch schon länger. stattfinden, wenn eine Änderung am Objekt geplant Das Denkmalschutzgesetz ist 49 Jahre alt. In dieser wird. Dann muss darüber geredet werden. Wie die Zeit ist es in intensiver und fleißiger Arbeit unserer Denkmalschützer sagen, ist das kein Problem. Denn Denkmalschutzbehörden gelungen, schätzungswei- in der Regel einigt man sich gütlich. Man kommt se ein Drittel der Denkmäler unter Schutz zu stel- leicht zu vernünftigen Regelungen, sodass man len. Wenn es mit diesem Tempo so weitergeht, nicht erst prozessieren muss. wird diese Behörde noch 50 bis 100 Jahre beschäf- Die Prozesse, die geführt werden, werden nicht des- tigt sein, um endlich den Rückstau im Denkmal- wegen geführt, weil man unterschiedlicher Mei- schutz abzuarbeiten. Das ist ein sicherlich nicht er- nung ist, sondern werden als vorbeugende freulicher Zustand. „Schutzprozesse“ geführt, um einen unsicheren In anderen Bundesländern wird es anders gemacht. Rechtsstatus zu verhindern. Das ist das Problem, Wenn andere es besser machen, sollte man davon das unser jetziges Denkmalschutzgesetz aufwirft. lernen. Was wir vorschlagen, ist ein Beispiel so- Wir schlagen auch vor, die Struktur der Behörden wohl zur Verbesserung der Qualität im Denkmal- wesentlich zu vereinfachen. In Zukunft würden wir schutz als auch zu einer Verwaltungsmodernisie- also nur noch ein Landesamt für Denkmalschutz rung. Nach Auffassung von Experten kann der Stau und ein Landesamt für Archäologie haben. Die ver- so zügig abgearbeitet werden und kann die Effizi- schiedenen Behörden auf kommunaler Ebene wür- enz der Verfahren verbessert werden. Außerdem den als Außenstellen integriert werden. Wir können würden wir in erheblichem Umfang Gerichtsverfah- auch die Behörde in Lübeck integrieren. Wir stellen ren einsparen. uns das so vor, dass die zentrale Behörde vier Zurzeit gilt in Schleswig-Holstein das Eintra- Standorte haben könnte, die unserem Regionalisie- gungsverfahren. Die Eintragung eines Objekts als rungsmodell entsprechen. Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung ist ein Das heißt, Lübeck würde durchaus eine regionale förmlicher Verwaltungsakt. Dieses Verfahren führt Denkmalschutzbehörde haben. Sie wäre für Süd- regelmäßig zu Widersprüchen und umfangreichen Ostholstein zuständig, also auch für Lauenburg, Prozessen, ohne dass überhaupt eine Änderung am Stormarn und Ostholstein. Im Ganzen hätten wir Objekt geplant ist. Das ist natürlich Quatsch. danach vier solcher Behörden in Schleswig-Hol- Besonders absurd ist es, wenn solche Prozesse auch stein, die an die Stelle der heutigen 18 Denkmal- noch von Behörden untereinander geführt werden. schutzbehörden träten. Die vier Behörden könnten Denn viele Denkmäler sind im Besitz von Bundes-, in wunderbarer Weise das effizienter abarbeiten, Landes- oder Kommunalbehörden, die fleißig ge- was heute an Problemen noch ansteht. gen das Landesamt für Denkmalschutz Prozesse Über die Differenzen mit Lübeck sollten wir im führen, um zu verhindern, dass es Einschränkungen Ausschuss reden. Ich habe das auch schon intensiv für ihre Gebäude gibt. Im Ergebnis beschäftigen mit meinen Parteifreunden in Lübeck gemacht. Die sich die Denkmalbehörden und die anderen Behör- ständigen Tabus aus Lübeck gegen jede Verände- den gegenseitig. Auch Gerichte sind beschäftigt. rung, die das hochverschuldete Lübeck betrifft, sind Das ist ein wunderbares Beschäftigungsprogramm jedenfalls für eine sachliche Diskussion nicht hilf- für den Staat, ohne dass es dadurch irgendeinen reich. Sinn für die Gesellschaft oder den Denkmalschutz gibt. Wir schlagen auch vor, dass die Rücksichtnahme auf die Belange des Klimaschutzes und auf die Si- Deswegen haben andere Bundesländer das Listen- tuation von Menschen mit Behinderung aufge- verfahren eingeführt. Es sind bisher zwölf Länder. nommen wird. In der Vergangenheit haben wir Wir schlagen vor, es auch bei uns einzuführen. mehrere Fälle gehabt, wo Denkmalschutz und Wär- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mesanierung miteinander in Konflikt geraten sind. Dafür haben wir eine klare gesetzliche Regelung Nach dem Listenverfahren werden alle Kulturdenk- getroffen. mäler sofort automatisch geschützt. Sie können in eine Liste aufgenommen werden. Die bestehende Liste mit 20.000 Objekten kann dabei übernommen Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Herr Abgeordneter, die fünf Minuten sind um. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4391

Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen Monaten sicherlich schwerwiegendere Vorha- NEN]: ben zu bewältigen. Ich werde jetzt Weiteres nicht ausführen. (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welches Verwaltungsmoderni- Ich schlage die Lektüre unseres Gesetzentwurfs sierungsmodell haben Sie denn?) vor. Ich glaube, mit dem vorliegenden Denkmal- schutzgesetz werden wir ein modernes, effizientes - Sie können sich nachher gern zu Wort melden, und wirksames Gesetz haben, das den Denkmal- Herr Hentschel. schutz optimal vertritt. Ich freue mich auf die Aus- Erfreulich ist für mich die Tatsache, dass auch die schussberatung. Grünen den Denkmalschutz als einen Bereich er- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kannt haben, in dem ein Abbau der Bürokratie er- forderlich ist und Kosteneinsparungen durch Verän- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: derungen der Verfahren und Strukturen möglich sind. Die Stichworte hierfür sind Zentralisierung Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Herr Abge- und deklaratorisches Eintragungsverfahren. ordnete Wilfried Wengler. Es ist sicherlich richtig, dass viele Bundesländer Wilfried Wengler [CDU]: bezüglich ihrer Kulturdenkmäler diesen Weg ge- hen. Ich frage mich jedoch, ob die offensichtliche Wenn Ihnen das Problem schon so lange bekannt Anleihe am brandenburgischen Denkmalschutz- ist, warum haben Sie dann nicht bereits vor, sagen gesetz der richtige Weg ist. In Brandenburg hat sich wir, sechs oder acht Jahren gehandelt? Warum erst mittlerweile gezeigt, dass die getroffenen Rege- jetzt? lungen keinesfalls die aufwändigen konstitutiven (Beifall bei der CDU) Verwaltungsakte der Denkmalschutzbehörde deut- lich vermindern können. In Ihrer Presseerklärung vom 2. Mai 2007 hat BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seine Motivation für Mit ihrer Abhandlung der Sonderstellung von Lü- diesen Änderungsentwurf klar und deutlich ausge- beck - Sie sprechen von der „Lex Lübeck“ - kann drückt. Mit Erlaubnis der Präsidentin darf ich zitie- ich mich nicht einverstanden erklären. In Ihrer ren: Pressemitteilung halten Sie es nicht einmal für er- wähnenswert, dass heute diese Sonderstellung für „Wir wollen der Regierung jetzt Beine ma- ein UNESCO-Weltkulturerbe eingeräumt wird. Ich chen und haben einen Entwurf für eine glaube, so viele Sonderstellungen haben wir in Denkmalschutznovelle eingereicht, die den Schleswig-Holstein nicht. Anschluss an den Standard der meisten Bun- desländer herstellt.“ (Beifall bei CDU und SPD) Dass eine Oppositionspartei die Regierung treiben In dem neuen Gesetz müssen eine adäquate Rege- möchte, ist nicht nur legitim, sondern auch Tages- lung und eine strukturelle Einbindung erfolgen. geschäft in allen Parlamenten. So weit, so gut; so- Darüber hinaus bedarf die rechtliche Ausgestaltung zusagen „business as usual“. des Terminus „Denkmalbereich“ einer gründli- Allerdings erlaube ich mir die Anmerkung, dass die chen Überarbeitung. Dies hat uns allen die Diskus- Regierung dieses Thema bereits längst auf ihrer sion über die Unterschutzstellung der Neutra-Sied- Agenda hat und zurzeit einen Gesetzentwurf erar- lung in Quickborn in unserer Februarsitzung deut- beitet. Sie haben für Ihren Entwurf ja schon mehr lich vor Augen geführt. Weiter zwingt uns das EU- als acht Jahre gebraucht. Recht zu einer stringenteren Formulierung des Ver- ursacherprinzips. Es hilft aber auch keineswegs, Sie sind sicherlich gemeinsam mit mir der Mei- stets lediglich am Tag des offenen Denkmals auf nung, dass es sich bei dieser Novellierung nicht um die Bedeutung der Denkmäler im Land hinzuwei- ein Projekt absoluter Dringlichkeit handelt, das al- sen. Eine Verbesserung der Bodendenkmalpflege lerhöchste Priorität genießen müsste. ist unumgänglich, damit die Finanzierung erforder- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- licher Maßnahmen der Bodendenkmalpflege im NEN]: Es geht um Modernisierung!) Rahmen von Bau- oder Erschließungsvorhaben eine für alle Beteiligten befriedigende Erklärung erfährt. - Sie können sich nachher zu Wort melden. Die Novellierung des Denkmalschutzgesetzes soll Hier macht ein mit heißer Nadel gestricktes Modell auch nach unserer Auffassung einen Beitrag zur wirklich keinen Sinn. Wir hatten in den vergange- 4392 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Wilfried Wengler)

Deregulierung der Verwaltungsaufgaben leisten. Verwaltungsstrukturen zu schaffen. In vielen Berei- Gut Ding will Weile haben, anders ausgedrückt, ein chen ist dieses sicher möglich und sinnvoll. Augenblick der Geduld kann vor großem Unheil Wir als SPD treten aber nicht dafür ein, Aufgaben, bewahren, ein Augenblick der Ungeduld ein ganzes die nur vor Ort gelöst werden können, zu zentrali- Leben zerstören. Meine Damen und Herren, chine- sieren und sie der Mitwirkung der Bürgerinnen und sische Sprichworte kommen hier offenbar in Mode, Bürger zu entziehen, gerade dann, wenn das ehren- aber im Gegensatz zum geschätzten Kollegen Fi- amtliche Engagement Voraussetzung für die Wahr- scher ist mir der chinesische O-Ton leider fremd. nehmung dieser Aufgaben ist. Ich beantrage die Überweisung des Gesetzentwur- (Beifall bei der SPD) fes der Grünen in den Bildungsausschuss sowie mitberatend in den Innen- und Rechtsausschuss und Dies gilt ganz besonders, liebe Kolleginnen und schlage vor, diesen Entwurf zusammen mit dem zu Kollegen der Grünen, für den Denkmalschutz. Wir erwartenden Gesetzentwurf der Regierung zu bera- haben die Sondersituation, dass die Hansestadt Lü- ten. Ich freue mich auf dann substanzielle Diskus- beck, deren Innenstadt seit 1987 als erstes Stadten- sionen. semble in Nordeuropa in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes eingetragen wurde, einen ganz an- (Beifall bei CDU und SPD) deren Abstimmungsbedarf Vizepräsidentin Ingrid Franzen: (Beifall bei SPD und FDP) Ich danke dem Herrn Abgeordneten Wengler. - Das zwischen den Interessen des Denkmalschutzes und Wort für die SPD-Fraktion hat nun Frau Abgeord- den Interessen der Wohnraumversorgung und der nete Ulrike Rodust. gewerblichen Wirtschaft zu bewältigen hat. Im Fall der Landeshauptstadt Kiel haben wir beispielsweise Ulrike Rodust [SPD]: solche Dinge nicht zu beachten. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Wir als SPD-Fraktion haben kein Signal aus Lü- und Kollegen! Die Grünen setzen sich für eine beck vernommen, auch nicht seitens der dortigen Neuregelung des Denkmalschutzrechts in Schles- Grünen, dass der Gesetzentwurf, den Sie heute in wig-Holstein ein und haben sich der Mühe unterzo- den Landtag einbringen, dort unterstützt würde, gen, nicht nur mit einem Eckpunkteantrag die Lan- was die Aufhebung der Sonderstellung Lübecks desregierung um einen Gesetzentwurf zu bitten, angeht. sondern diesen selbst zu erarbeiten. In weiten Tei- Über die Zuständigkeitsfrage hinaus habe ich die len hält sich die Mühe in Grenzen, da sie das bran- Befürchtung, dass wir dem Denkmalschutz einen denburgische Denkmalschutzgesetz weitgehend schlechten Dienst erweisen würden, wenn wir den wörtlich übernehmen. Sie gehen allerdings einen Gesetzentwurf der Grünen in dieser Form anneh- anderen Weg als Brandenburg bei der Zuweisung men und die beschleunigte Eintragung in eine der Verantwortung für den Denkmalschutz. Das Denkmalliste beschließen würden. Wir sollten uns brandenburgische Gesetz nimmt so wie das gelten- keinen Illusionen hingeben, dass Denkmalschutz de Gesetz in Schleswig-Holstein das Land und die ausschließlich unter seinen positiven Aspekten Kreise in die Pflicht. Die Grünen wollen nun die wahrgenommen wird. Die Kehrseite der Medaille Kreise und kreisfreien Städte aus dieser Verantwor- ist, dass viele Menschen den Besitz eines Baudenk- tung entlassen und die Zuständigkeit ausschließlich mals eher als Fluch denn als Segen wahrnehmen, der Landesregierung und den beiden zuständigen weil sie befürchten, für die Instandhaltung zur Kas- Behörden, also dem Landesamt für Denkmalpflege se gebeten zu werden, aber nur sehr eingeschränkte und dem Archäologischen Landesamt, zuweisen. Möglichkeiten haben, das Gebäude zu verwerten. Die Grünen nehmen mit ihrer Initiative Überlegun- Wozu das führt, wissen wir alle: Dann werden mit gen der für die Kulturpolitik zuständigen Staats- dem Bagger vollendete Tatsachen geschaffen, weil kanzlei vorweg, die ebenfalls eine Novellierung des ein Bußgeld für eine vermeintliche Fahrlässigkeit Denkmalschutzgesetzes von 1996 vorbereitet. Nach das bessere Geschäft gegenüber einer langfristigen dem Gesetzentwurf der Grünen soll die bisherige Instandhaltung ist. Sonderregelung entfallen, wonach die Hansestadt Es wäre politisch nicht nur inkonsequent, sondern Lübeck anstelle der beiden Landesämter die Auf- es würde auch widersprüchliche Signale an die Bür- gaben der oberen Denkmalschutzbehörde wahr- gerinnen und Bürger aussenden, wenn wir die nimmt. Für eine solche Regelung spricht das un- Bautätigkeit mit der neuen Landesbauordnung anre- strittige Bemühen, einfachere und kostengünstigere gen und erleichtern und sie dann mit einer ver- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4393

(Ulrike Rodust) schärften Denkmalschutzgesetzgebung wieder ein- Eingriffe in persönliche Rechte und da muss den schränken würden. Betroffenen der Rechtsweg offenbleiben. Ich will diese Bedenken in den Raum stellen, ohne Ihr Gesetzesvorschlag sieht vor, dass eine gerichtli- dass wir heute schon ein Ja oder Nein zur Initiative che Klärung erst dann vom Eigentümer herbeige- der Grünen sagen können oder müssen. Wie jeden führt werden kann, wenn er beispielsweise eine Gesetzentwurf werden wir auch diesen im Bil- bauliche Veränderung vornehmen will und dann die dungsausschuss und im mitberatenden Innenaus- Genehmigung, die dazu erforderlich ist, von der zu- schuss im Rahmen einer Anhörung erörtern, um zu ständigen Denkmalschutzbehörde versagt wird. Erst einer Abwägung der betroffenen Interessen zu dann ist nach Ihrem Gesetzesvorschlag die Mög- kommen. In Anbetracht der Planungen der Staats- lichkeit zu klagen für den Eigentümer eingetreten. kanzlei sollten wir es den Anzuhörenden aber er- Das halten wir für keinen akzeptablen Weg. sparen, zweimal im Abstand von wenigen Monaten Es kann auch aus unserer Sicht kein Argument sein, zu demselben Sachverhalt Stellung zu nehmen. Ich dass sich die zuständige Fachbehörde eine solche schlage daher vor, Ihren Entwurf gemeinsam mit rechtliche Regelung wünscht. Natürlich ist das, was dem von der Staatskanzlei derzeit vorbereiteten wir heute haben - auch die Auseinandersetzung mit Entwurf in die Anhörung zu geben. einer bestimmten Anzahl von Klagen, die es jedes (Beifall bei SPD und CDU) Jahr wieder gibt -, für die zuständige Fachbehörde mit einem Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden, Vizepräsidentin Ingrid Franzen: der die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter des Denkmalschutzes belastet und arg beschäf- Ich danke der Frau Abgeordneten Rodust. - Das tigt. Das ist aber auch bei anderen Behörden so, die Wort für die FDP-Fraktion hat der Herr Abgeordne- sich in ihrem Bereich solchen Aufwand und Ärger te Dr. Ekkehard Klug. durch Beschneidung bürgerlicher Einspruchs- rechte gern in ähnlicher Weise von der Hand schaf- Dr. Ekkehard Klug [FDP]: fen möchten. Das kann aber in einer rechtsstaatli- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die chen Ordnung nun einmal kein Kriterium sein für Änderungsanträge der Grünen zum Denkmal- die Frage, wie wir Gesetze formulieren. Eine Poli- schutzgesetz werden von uns in wesentlichen Punk- tik, die immer nur auf die Wünsche der jeweiligen ten abgelehnt. Es ist aus Sicht der FDP nicht akzep- Fachbehörde eingeht und dann entsprechend die je- tabel, dass sich die Eigentümer nach diesem Ge- weiligen Gesetze so zuschneidet, wie sich die Fach- setzentwurf nicht mehr vor Gericht gegen die Ein- behörde das wünschte, reduziert sich selbst auf die tragung ihrer Immobilien in eine Denkmalliste zur Rolle des Erfüllungsgehilfen der Verwaltung. Ich Wehr setzen können. denke, eine solche Politik braucht sich dann über ständig schwindende Akzeptanz bei den Bürgern (Beifall bei der FDP) nicht mehr zu wundern, sie ist nämlich selbst Durch das von den Grünen vorgesehene Listenver- schuld an dieser Entwicklung. fahren wird die bei dem bislang üblichen Regi- (Beifall bei der FDP) strierungsverfahren bestehende Möglichkeit, die eigenen Interessen vor Gericht durchzufechten, Im Übrigen möchte ich noch anfügen, dass es bei praktisch außer Kraft gesetzt. Der in unserem den Grünen, wenn man einmal die bundesweite Rechtsstaat für alle Bürger bei sie betreffenden Diskussion zum Thema Denkmalschutz ins Auge Verwaltungsakten offene Rechtsweg wird damit auf fasst, eine erstaunliche Slalomentwicklung zu die- die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme, sem Thema in den letzten Jahren gegeben hat. Im so heißt es im Gesetzentwurf, reduziert. Ich meine, Jahre 2000 gab es eine öffentlich sehr bemerkens- ohne Rechtsschutz wird Denkmalschutz zu staatli- werte Aktion der damaligen kulturpolitischen Spre- cher Willkür. cherin der grünen Bundestagsfraktion, Bundestags- vizepräsidentin Antje Vollmer, die eine Radikalre- (Beifall bei der FDP) form des Denkmalschutzes propagiert hat und den Es geht hier schließlich um erhebliche Eingriffe in öffentlichen Denkmalschutz geradezu auf Bauten in berechtigte Belange der betroffenen Eigentümer. staatlichem Eigentum beschränken wollte. Schon die Eintragung in eine Denkmalliste kann Private Gebäude sollten dann überhaupt nicht mehr dazu führen, dass sich beispielsweise der Wert ei- irgendwelchen staatlichen Denkmalschutzauflagen nes Gebäudes verändert oder auch die Möglichkeit unterliegen. Man könnte das mit schönen Zitaten beeinflusst, dieses Gebäude zu veräußern. Das sind untermauern, die damals der Ideengeber von Frau 4394 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Dr. Ekkehard Klug)

Vollmer geäußert hat, von wegen: Die meisten gende Veränderungsverbot fristgebunden ist, er- Denkmalschützer seien Prinzipienreiter, unwissend, folgt fast zwangsläufig ein Einspruch. Streit und rechthaberisch und so weiter. Das war gewisserma- jahrelange Verfahren sind die Folge. ßen eine super neoliberale Infektionsphase in der Das muss aber nicht sein, wenn Schleswig-Holstein grünen Denkmalschutzpolitik. zu einem Verfahren kommt, wie es in den meisten Das eine Extrem ist genauso falsch wie das andere Bundesländern gang und gäbe ist, dem sogenannten Extrem, nämlich das Machtverhältnis einseitig zu- Listenverfahren. Alle Denkmale werden erst ein- gunsten einer staatlichen Fachbehörde zu verändern mal in eine Liste eingetragen, erst bei einer Verän- und den Rechtschutz der privaten Eigentümer zu derung wird der Denkmalschutz tätig. Der SSW beschränken. Das ist aus meiner Sicht nicht tragbar. stimmt einer Umstellung auf dieses neue Verfahren Man braucht für den Denkmalschutz einen vernünf- prinzipiell zu. tigen Mittelweg. Darüber sollten wir uns dann - (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE wenn der Gesetzentwurf der Landesregierung vor- GRÜNEN) liegt - Ende des Jahres oder Anfang des nächsten Jahres unterhalten. Vom Genehmigungsvorbehalt im Listenverfahren sollen ausdrücklich behindertengerechte Zugänge, Ich hatte kürzlich als kulturpolitischer Sprecher ein also der Bau von Rollstuhlrampen, eine blindenge- interessantes Gespräch bei Herrn Staatssekretär rechte Bepflasterung und Ähnliches, ausgenommen Maurus. Ich bin mit Herrn Maurus einer Meinung, werden. Auch das begrüße ich nachdrücklich. dass man den Status des Lübecker Denkmalschut- zes so wie bisher belassen sollte. Beim Denkmalschutz geht es nicht um die unverän- derte Beibehaltung des Erscheinungsbildes für alle (Beifall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg Ewigkeit, sondern darum, gerade die Geschichte ei- [FDP], Jürgen Feddersen [CDU], Wolfgang nes Denkmales zu erhalten, beispielsweise die An- Baasch [SPD] und Hans Müller [SPD]) eignung eines Gebäudes durch seine Bewohner und Das ist von Ulrike Rodust gut begründet worden. Nutzer in den unterschiedlichsten Zeitläufen. Diese Dem schließe ich mich voll an. Ich glaube, dass wir Funktion des Denkmalschutzes kennen aber die hier in Schleswig-Holstein einen vernünftigen Weg Wenigsten, weil sich noch immer das Vorurteil des gefunden haben, der sachorientiert ist, auch wenn Denkmalschutzes als Domäne lebensferner Spinner es vielleicht Außenstehenden manchmal etwas un- hält, die unsere Gesellschaft am liebsten in die Ver- gewöhnlich erscheint, dass eine kreisfreie Stadt lan- gangenheit zurückversetzen wollen. Wegen dieser desrechtlich hier einen Sonderstatus hat. Aber der hartnäckig bestehenden Voreingenommenheit ge- ist - wie gesagt - gut begründet. genüber den Denkmalschützern ist eine solide Be- ratung und Aufklärung so wichtig. (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD) Landeskonservator Michael Paarmann weist in der aktuellen Ausgabe der „Zeitschrift für Denkmal- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: pflege“ zu Recht darauf hin, dass - ich zitiere - „wohl in keinem Bereich der öffentlichen Verwal- Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Klug. - Das tung dem Faktor Beratung eine größere Bedeutung Wort für den SSW im Landtag hat Frau Abgeord- zukommt“ als im Denkmalschutz. Das Werben für nete Anke Spoorendonk. den Denkmalschutz gerät aber hoffnungslos ins Hintertreffen, wenn alle Ressourcen nur noch dar- Anke Spoorendonk [SSW]: auf verwendet werden können, die allerschlimm- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sten Sünden zu verhindern. Der vorliegende Gesetzentwurf von BÜNDNIS (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 90/DIE GRÜNEN weist auf die hohe Zahl der Kla- gen hin, die durch den Verwaltungsakt der Denk- Frau Präsidentin, ich glaube die Uhr stimmt nicht. malerfassung jedes Jahr anhängig werden. Schlim- mer als die Zahl der Klagen finde ich, dass der Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Denkmalschutz durch das gewählte Verfahren in Wir haben Ihnen zwei Minuten dazugegeben, denn Misskredit gerät, weil Denkmalschutz als ein Ver- wir haben das Einstellen der Uhr auf fünf Minuten hinderungsinstrument wahrgenommen wird, das die nicht hinbekommen, liebe Kollegin Spoorendonk. persönliche Freiheit beschneidet. Ich denke, gerade andersherum wird ein Schuh daraus. Weil ein Wi- derspruch gegen die Eintragung und das daraus fol- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4395

Anke Spoorendonk [SSW]: Wir fordern, so viel Bürgernähe wie möglich, also dezentrale Anlaufstellen vor Ort, bei gleichzeitig so Wunderbar. - Auf Gefahrensituationen reagiert der viel Expertise wie möglich, also einem zentralen Denkmalschutz quasi wie in einer Notwehrsituation Expertenpool. mit Sofortvollzug. Für Beratung ist dann also keine Zeit mehr, was dem Ansehen des Denkmalschutzes (Beifall beim SSW) nicht zugute kommt. Wie dieser Spagat gelingen kann, das können wir Der SSW steht einer Neustrukturierung des Denk- nur nach sorgfältiger Beratung im Ausschuss klä- malschutzes offen gegenüber. Das sage ich ganz ren. Grundlage muss als Erstes - das hängt an dem klar. Dabei geht es aus unserer Sicht nicht darum, Wort Grundlage - eine Bestandsaufnahme der Ar- unbedingt die unteren Denkmalschutzbehörden beit der Denkmalschutzbehörden sein. Ich denke, einzusparen - wie im vorliegenden Entwurf vorge- erst dann können wir sehen, was wirklich läuft und schlagen. Das Prinzip in der Verwaltung, zumindest an welcher Stellschrauben gedreht werden muss. eine Armlänge vom Bürger entfernt zu sein, um Von daher stimme ich auch dem zu, was von mei- sich weder beeinflussen noch korrumpieren zu las- nen Vorrednern gesagt worden ist. Wir müssen uns sen, heiße ich prinzipiell gut. Doch den direkten im Ausschuss ganz einfach noch einmal sehr inten- Dialog mit Betroffenen kann ein angereister Fach- siv mit den unterschiedlichen Gegebenheiten vor mann aus Kiel nicht in der gleichen Weise leisten Ort beschäftigen. wie ein Ansprechpartner vor Ort. Wenn alle Bera- tungstermine zu Ferngesprächen werden, ist das nicht gerade die beste Voraussetzung für eine enge Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Zusammenarbeit zwischen Bürgern und Behörden. Die Zeit! (Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD] und Hans Müller Anke Spoorendonk [SSW]: [SPD]) Ich komme jetzt zum Schluss. - Wir müssen dann Gerade die Debatte um die Neutra-Siedlung in zu einer vernünftigen Regelung kommen. Quickborn hat gezeigt, dass das Eingreifen einer (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE Landesbehörde von Einzelnen als unerwarteter und GRÜNEN) hoheitlicher Willkürakt wahrgenommen wird. Die- se Missverständnisse kann man durch eine transpa- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: rente und erklärende Politik vor Ort vermeiden. Ge- nau das leisten die unteren Denkmalschützer auf Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk. - kommunaler Ebene, zumindest dort, wo sie noch Ich habe zurzeit zwei Wortmeldungen zu Kurzbei- mit genügend Ressourcen ausgestattet und entspre- trägen. Zunächst hat Herr Abgeordneter Dr. Hen- chend ausgebildet sind. ning Höppner das Wort. (Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber genau das ist der Punkt!) Dr. Henning Höppner [SPD]: Denn wenn wir ehrlich sind, wissen wir, dass die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Denkmalschutzbehörde auf Kreisebene längst kein Es wird immer gern über das Denkmalamt gespro- einheitliches Bild mehr darstellt. chen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal deut- lich darauf hinweisen, dass wir zwei obere Denk- Wir müssen also die neue Zuschneidung der Kom- malschutzbehörden haben, das Archäologische petenzen sorgfältig abwägen. Fundierter Denkmal- Landesamt in Schleswig und das Landesamt für schutz muss auf Expertenwissen zurückgreifen Denkmalpflege hier in Kiel. können. Zu dem Eindruck, der beispielsweise durch den Re- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) debeitrag des Abgeordneten Hentschel entstanden Das Erkennen, Deuten und Bewerten von Denkma- ist, kann ich nur sagen, im Rahmen des konstituti- len sowie der richtige Umgang mit traditionellen ven Unterschutzstellungsverfahrens hat es das Ar- Bautechniken, die schon lange nicht mehr ange- chäologische Landesamt schon in den 90er-Jahren wandt werden, erfordert ein Spezialwissen, das nur geschafft, alle - ich sage: alle! - bekannten archäo- die Profis im Landesamt in der gesamten Bandbrei- logischen Denkmale von besonderer Bedeutung un- te gewährleisten können. ter Schutz zu stellen. (Zuruf des Abgeordneten Lothar Hay [SPD]) 4396 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Dr. Henning Höppner)

Jedes Denkmal ist dort mit einer Einzelakte verse- den Denkmalschutz systematisch durch Nichtbeset- hen, eingemessen, fotografiert und mit Zustandsbe- zung von Stellen, durch nicht fachgerechte Beset- richten versehen, die sozusagen jährlich ergänzt zung von Stellung und durch ein Auflaufen vor Ort werden. Ich denke, das ist eine ganz vorbildliche an die Wand laufen lassen - Lübeck ist diesbezüg- Geschichte. Das muss man hier festhalten, weil die lich die positive Ausnahme; dazu komme ich beiden Ämter unterschiedliche Schwerpunkte in ih- noch -, ist es unsere Pflicht als Land zu sagen: rer Arbeit gesetzt haben. Dann wird diese Aufgabe sachkundig vom Land zurückgenommen. Die Leute werden weiterhin vor In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch Ort arbeiten, aber sie haben einen anderen Status. auf einen weiteren Aspekt der archäologischen Sie können nämlich ihrem Landrat ganz anders be- Denkmalpflege hinweisen. Dort ist es insbesondere gegnen, wenn sie als Mitarbeiter einer Landesbe- durch den vorherigen Amtsinhaber gelungen, ein hörde auftreten, und dies ist offensichtlich notwen- dichtes Netz ehrenamtlicher Denkmalpfleger aufzu- dig, wenn wir uns den praktischen Denkmalschutz - bauen. die archäologischen Dinge einmal ausgenommen - (Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer ansehen. [SPD], Jürgen Weber [SPD] und Dr. Ekke- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hard Klug [FDP]) Mit fortschreitender Zeit müssen im Übrigen weite- So kann man Menschen vor Ort, Landwirte zum re Übertagedenkmale geschützt werden. Wir haben Beispiel, die manchmal gar nicht wissen, dass sie wirklich bedauerliche Abrisse zu verzeichnen. Das ein archäologisches Denkmal auf ihrer Liegenschaft muss man einmal festhalten. Diese bedauerlichen haben, davon überzeugen und dazu gewinnen, für Abrisse, die nicht verhindert werden konnten, ha- die Denkmalpflege zu arbeiten. ben uns aufgeschreckt. Lieber Kollege Hentschel, ich glaube nicht, dass Jetzt komme ich zu Lübeck. Wir haben mit unseren wir dieses wichtige ehrenamtliche Netz von Denk- Lübecker Freundinnen und Freunden natürlich sehr malpflegern, das durch das Archäologische Landes- intensiv diskutiert. Das konnte man auch in der amt sehr stark gepflegt wird, dadurch aussetzen Presse verfolgen. Gerade in Lübeck ist das Ehren- sollten - sage ich einmal -, dass wir weiter zentrali- amt, das sich vor Denkmale stellt, eine nicht zu un- sieren. terschätzende Kraft. Wir Grüne sind in Lübeck, au- (Beifall bei der FDP) ßer dass wir für den Umweltschutz bekannt sind, Ich würde mir vielmehr wünschen, dass wir dieses gerade auch für den Denkmalschutz bekannt. Man- Netz von ehrenamtlicher Denkmalpflege auch zu- che dort nennen uns schon Denkmalschutzpartei, künftig in eine Baudenkmalpflege integrieren kön- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen. und FDP - Zurufe von der FDP: Oh, oh!) (Beifall bei SPD und FDP) weil wir intensiv mit dem Ehrenamt zusammenar- beiten, weil wir von dessen Ratschlägen profitieren Vizepräsidentin Ingrid Franzen: und auch nicht wenige dieser Fachleute in unseren Reihen haben. Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Frau Abgeordnete Birk. Aber gerade weil Lübeck ein so positives Beispiel ist, kann man doch nicht sagen, alles solle so blei- Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ben, wie es ist. Denn auch in Lübeck sind Konflikte oftmals nur gelöst worden, weil sich eine große po- Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und litische Kraft starkgemacht hat. Der Denkmalschüt- Kollegen! Ich will die Stichworte von Frau Spoo- zer ist, wenn der Bürgermeister die abwägende Be- rendonk und Herrn Höppner, die Themen Beratung hörde ist, nicht davor gefeit, dass „weggewogen“ und Ehrenamt, aufgreifen. wird, was er an berechtigten Aussagen macht. Die Wir haben einen Gesetzesvorschlag gemacht, der Aussage eines Landesbeamten wäre ein anderes sich an dem orientiert, was zwölf Bundesländer Kaliber. schon in der einen oder anderen Variante praktizie- Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Ich will nicht ren. Insofern verzichte ich jetzt darauf, auf die von die Fachleute aus Lübeck wegholen. Sie sollen das Haus & Grund geleiteten Beiträge von Herrn Klug Weltkulturerbe weiterhin fachkundig schützen und einzugehen. Wir wollen weiterhin eine sehr sach- weitere Entdeckungen fördern. kundige Beratung vor Ort. Genau daran hapert es. In dem Moment, in dem Kommunen und Kreise Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4397

Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Frau Kollegin, die Zeit! Das Wort hat der Herr Ministerpräsident.

Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peter Harry Carstensen, Ministerpräsident: Aber ich möchte, dass wir im ganzen Land wenig- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und stens eine minimale Struktur haben, was die Fach- Herren! Manchmal ist man überrascht. In diesem kunde angeht. Dazu hat Frau Spoorendonk das Not- Falle ist man positiv überrascht über den Antrag der wendige gesagt. Wie wir das genau machen, müs- Grünen. Der Begründung entnehme ich, dass es um sen wir im Ausschuss beraten. Unser Vorschlag zwei Punkte geht, einmal um den Wechsel vom sieht gerade vor, dass es regionale Zentren gibt. konstitutiven zum deklaratorischen Eintra- Selbstverständlich soll Lübeck ein solches bleiben. gungsverfahren und zum anderen um die Zentrali- Von hier sollen weiterhin Impulse für das ganze sierung des Denkmalschutzes. Land ausgehen. Lieber Herr Höppner, natürlich brauchen wir gera- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - de im Denkmalschutz das ehrenamtliche Element Jürgen Weber [SPD]: Reiner Zentralismus!) vor Ort. Gerade beim deklaratorischen Eintragungs- verfahren ist es möglich, zu einem vereinfachten Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Verfahren zu kommen. Dies hat mit dem Verfahren zu tun. Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Herr Abge- ordnete Müller das Wort. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Leider haben wir auch nicht überall bei den Kreisen Hans Müller [SPD]: derartige Experten. Manche gehen ins Parlament, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! andere gehen anderswohin. Insofern verändert sich Das positive Beispiel Lübecks ist durch die Sonder- dort manches. stellung dokumentiert. Diese Sonderstellung Lü- (Heiterkeit bei der CDU) becks hat nichts damit zu tun, dass es dort nicht auch zu Konflikten, Auseinandersetzungen und ge- Liebe Grüne, mit Ihren Zielsetzungen rennen Sie genläufigen Interessen kommt. Aber gerade die bei uns - zumindest bei mir - offene Türen ein. Kompetenz des Denkmalschutzes, auch des archäo- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) logischen Denkmalschutzes in Lübeck ist eigentlich Beides ist im Grundsatz auch im Gesetzentwurf landesweit unübertroffen. Das ist gar keine Frage. verankert, den die Staatskanzlei erarbeitet hat. Al- (Beifall bei SPD, FDP und vereinzelt bei der lerdings sage ich, lieber Herr Kollege Hentschel: CDU) Alles, was Sie als Begründung angeführt haben, Im Hinblick auf ein neues Gesetz sollte man sich galt vor drei Jahren auch schon. Tun Sie nicht so, sehr genau überlegen, ob man Veränderungen, Zen- als wären Sie jetzt die Treiber. Vorher hätte man tralisierungen vornimmt. Ich spreche mich aus- auch schon etwas machen können. drücklich dagegen aus und will sagen: In der Lü- (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE becker Bürgerschaft, in dem zuständigen Aus- GRÜNEN]: Sie hätten ja als CDU-Fraktion schuss, haben die Parteien zusammengefunden und den Gesetzentwurf einreichen können!) machen eine gemeinsame Denkmalschutzpolitik - Ja, das hätten wir auch machen können. mit den Ehrenamtlichen und auch mit der Deut- schen Stiftung Denkmalschutz, die ja nicht zu ei- (Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE nem geringen Teil mit über dieses Weltkulturerbe GRÜNEN]: Dann hätten wir ihn unterstützt!) wacht. Diese besondere Situation mir nichts, dir - Das glaube ich gern! Sie ausgerechnet! Herr Matt- nichts aus organisatorischen Gründen zu erledigen, hiessen, was sind Sie für ein Pharisäer! Als ob Sie wäre sträflich. das unterstützt hätten! Mein lieber Schwan! Ich freue mich schon auf die interessante Debatte (Beifall und Heiterkeit bei der CDU) im Ausschuss. Wenn Ihr Entwurf, der gut gemeinten und von mir (Beifall bei SPD und CDU) nicht zu kritisierenden Zielsetzungen zum Trotz heute nicht meine Zustimmung findet, dann ge- schieht das aus folgenden Gründen. 4398 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

Sie merken in Ihrer Begründung richtig an, dass historischen Gründen in das Denkmalschutzgesetz ganz viele Länder dieses deklaratorische Verfahren aufgenommen worden ist. schon haben. Aber Sie haben sich für Ihren Entwurf (Beifall bei CDU und FDP) leider ein Muster gesucht, das ein sehr schlechtes und inkonsequentes Beispiel dafür ist. Mit der Re- Lübeck nimmt als herausragendes Stadtdenkmal gelung, die § 6 Abs. 6 Ihres Gesetzentwurfs ent- und als UNESCO-Weltkulturerbe nach wie vor eine spricht, kommen alle Nachteile des konstitutiven Sonderstellung ein und von den etwa 8.000 Bau- Eintragungsverfahrens erneut zum Tragen und die denkmalen Schleswig-Holsteins liegen rund 17 % erwünschten Vereinfachungen bleiben aus, weil allein in Lübeck. Dies spiegelt sich in der Struktur man nämlich das Verfahren wechseln kann. Diese der Denkmalpflege wider. Regelung besagt, dass die Denkmaleigentümer auf Im Übrigen kann sich eine Novellierung des Denk- Wunsch und gleich zu Anfang eben doch wieder malschutzgesetzes auch nicht auf die von Ihnen auf das konstitutive Verfahren umsteigen können. vorgeschlagenen Punkte beschränken. Aufgrund Die Erfahrungen in Brandenburg zeigen, dass alle des EU-Rechts werden wir das Verursacherprin- Fälle, bei denen von dieser Regelung Gebrauch ge- zip deutlicher machen müssen als bisher und es im macht worden ist, auch nach dem alten Eintra- Gesetz verankern müssen. Auch die Regelungen gungsverfahren streitbefangen gewesen und deswe- zum Denkmalbereich sind verbesserungsbedürftig; gen auch streitbefangen weitergeführt worden sind. das habe ich bereits im Februar in meiner Rede zur Diesen Fehler der Brandenburger wollen wir in Neutra-Siedlung in Quickborn angesprochen. Wir Schleswig-Holstein nicht wiederholen. Der einzige müssen zudem die Regelung zur Verhinderung und originelle und originäre grüne Beitrag und Aspekt Ahndung von Raubgräberei schärfer fassen. Wir in diesem Entwurf sind die Berücksichtigungen der können und wollen es nicht straflos hinnehmen, Belange des Klimaschutzes durch die Denkmal- dass hier Teile unseres kulturellen Erbes geplündert schutzbehörden. Die Denkmalschutzbehörden ha- werden. ben kein grundsätzliches Problem mit der Nutzung Aber ich sage auch: Mit der Novellierung des regenerativer Energien. Das haben wir mit vielen Denkmalschutzgesetzes soll dieses Gesetz nicht Dingen, auch im Sönke-Nissen-Koog und anders- aufgebläht werden, sondern es soll im Gegenteil zur wo, gezeigt. Rund 2.500 Windkraftanlagen in Deregulierung beitragen. Schleswig-Holstein, zum Teil im Umgebungs- schutzbereich von Denkmalen, sind auch Belege für (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold die Kompromissfähigkeit der Denkmalschutzbehör- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) den. Wir haben vor, gut 20 % aller Paragrafen im Denk- Mit der Nutzbarkeit von Erdwärme haben die malschutzgesetz zu streichen. Den entsprechenden Denkmalschutzbehörden ebenfalls gute Erfahrun- Verwaltungsentwurf werden wir demnächst im Ka- gen gemacht. binett besprechen und ihn dann dem Landtag zulei- ten. Wir werden diesen Entwurf vor der Befassung Aber eines will ich Ihnen auch sagen: Kirchen sind durch den Landtag sorgfältig und intensiv mit Ex- nun einmal immer von West nach Ost ausgerichtet. pertinnen und Experten und mit den Verbänden, die Das bedeutet, dass eine Dachneigung immer nach von der Materie berührt sind, besprechen. Ich bitte Süden geht. Da liegt es vielleicht für manch einen also um etwas Geduld. Denn Gründlichkeit geht nahe, über einiges nachzudenken. Aber Solaranla- mir hier wirklich vor Tempo. Ich hoffe, dass wir gen auf der Lübecker Marienkirche und auf anderen dann aufgrund der doch weitreichenden Überein- Baudenkmälern oder zwecks Wärmedämmung mit stimmung in den Zielsetzungen, die sich hier ab- Kunststoffplatten eingepackte Fachwerkhäuser zeichnet, zu einem breiten parlamentarischen Kon- möchte ich mir auch in Zukunft nicht ansehen müs- sens kommen. sen, meine Damen und Herren. Frau Präsidentin, obwohl die Uhr, die das Ende der (Beifall bei CDU, SPD und des Abgeordne- Redezeit anzeigt, schon blinkt, erlaube ich mir zum ten Lars Harms [SSW]) Schluss noch einen ganz kurzen Dank an die vielen Von der Zentralisierung des Denkmalschutzes Privatpersonen, die den Denkmalschutz nicht als beim Land versprechen wir uns eine nötige Bünde- Bedrohung empfinden, sondern ihn unterstützen lung der Kräfte. Dabei denken wir allerdings nicht - wollen. Diesen Dank möchte ich für das vielfach ich sage das ganz eindeutig - an eine Aufhebung gezeigte private Engagement in unserem Land aus- der Sonderregelung für Lübeck, die schon 1958 aus sprechen. (Holger Astrup [SPD]: Sehr gut!) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4399

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

Denn wer bei uns durch das Land fährt, sieht, dass Bericht der Landesregierung auch private Denkmäler bei uns mit großem Auf- Drucksache 16/1407 wand und mit großem Engagement geschützt wer- den. Wer sein Land als schönes Land bezeichnen will und stolz darauf ist, der darf auch einmal die- b) Schulanmeldungen sen Menschen, die - zum Teil mit erheblichem fi- nanziellen Aufwand - hierzu beitragen, ein ganz Bericht der Landesregierung herzliches Dankeschön sagen. Sie helfen mit, dieses Drucksache 16/1410 Land nicht nur zum Blinken, sondern sogar zum Ich erteile der Ministerin für Bildung und Frauen, Leuchten zu bringen. Frau Erdsiek-Rave, das Wort. (Beifall im ganzen Haus) Ute Erdsiek-Rave, Ministerin für Bildung und Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Frauen: Ich danke der Ministerpräsidentin. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit vier Monaten gilt das neue Schulgesetz. Wohin (Heiterkeit) man auch schaut, stellt man fest, dass das Gesetz - Entschuldigung. Ich meine natürlich dem Herrn vielerorts schon sehr viel in Gang gesetzt hat. Es Ministerpräsidenten. Die andere Formulierung wa- gibt bei fast allen Kommunen und bei fast allen ren wir über viele Jahre hinweg gewohnt. Schulträgern eine sehr lebhafte Diskussion darüber, wie die Schullandschaft vor Ort in Zukunft ausse- Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich hen soll. Ich finde, es ist ein Erfolg für sich, dass schließe daher die Beratung. sich derzeit Eltern, Schüler, Lehrer und Kommunal- Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Druck- politiker intensiv über die Zukunft ihrer Schulen, sache 16/1380 (neu) dem Bildungsausschuss und ihrer Grundschulen und ihrer weiterführenden mitberatend dem Innen- und Rechtsausschuss zu Schulen, Gedanken machen. Selten habe ich so vie- überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich le sehr engagierte Diskussionen vor Ort erlebt, wie um das Handzeichen. das derzeit der Fall ist. (Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Vereinzelter Beifall bei der CDU - Beifall NEN]: Federführend dem Innen- und Rechts- beim SSW) ausschuss!) Natürlich - das ist häufig der Fall, wenn es zu ei- - Das geht auch; wir machen alles. Der Antragstel- nem Umbruch kommt - gibt es auf der einen Seite ler kann hier seinen Wunsch äußern. - Es ist bean- besorgte und unsichere Stimmen. Auf der anderen tragt worden, den Gesetzentwurf federführend dem Seite gibt es jedoch diejenigen, die sich über die Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend dem Möglichkeiten des neuen Schulgesetzes freuen. Ich Bildungsausschuss zu überweisen. Wer dem zu- habe den deutlichen Eindruck, dass Letzteres über- stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist wiegt. so beschlossen. (Vereinzelter Beifall bei der SPD) Die Geschäftsführer haben sich - dies sage ich als Ein Blick über den schleswig-holsteinischen Teller- geschäftsleitenden Hinweis - gemeinsam mit dem rand hinaus zeigt übrigens auch, dass die Diskussi- Antragsteller darauf geeinigt, den Tagesordnungs- on um das Schulsystem, insbesondere zur Zukunft punkt 14 auf die kommende Tagung im Juli zu ver- der Hauptschule, bundesweit eine erhebliche Dyna- tagen. mik bekommen hat. Das ist auch richtig und über- Wir fahren nun in der Beratung fort. Ich rufe die fällig. Tagesordnungspunkte 20 und 23 auf, die zur ge- (Vereinzelter Beifall bei der SPD) meinsamen Beratung anstehen: Für die Umsetzung des Schulgesetzes haben wir den Schulen und den Trägern bewusst einen breiten Gemeinsame Beratung zeitlichen Korridor mit vielen Einzelschritten bis zum Schuljahr 2010/2011 eingeräumt. Das erleich- a) Bericht über die aktuelle Umsetzung des tert die Anpassung. Niemand soll überfordert wer- Schulgesetzes den. Auch über das Schuljahr 2010/2011 hinaus wird der Prozess andauern. Denn wir streben ja als 4400 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Antwort auf die vielfältigen Herausforderungen un- der Schülerschaft an den neuen Gemeinschafts- serer Zeit einen nachhaltigen Wandel an. schulen sagen: Abgesehen davon, dass die Gesamt- schulen in Schleswig-Holstein bei ihrer Gründung Wer mit der Erziehung und Bildung von Kindern in genau derselben Situation waren - nämlich, dass und Jugendlichen zu tun hat, weiß, dass man sicht- zunächst nur wenige Schüler mit Gymnasialemp- bare und messbare Erfolge nicht über Nacht herstel- fehlung geschickt wurden, weil die Eltern zunächst len kann. Dazu bedarf es Zeit. Zwar mache ich mir einmal abwarten wollten, was sich da entwickelt -, nicht den alten Spruch zu eigen, Schulen veränder- ist es - das will ich hier ganz deutlich sagen - gera- ten sich langsamer als Kirchen - so etwas könnten de der Anspruch einer integrativen Schule, mehr wir uns auch gar nicht leisten -, aber spürbare und Schüler zu höheren Abschlüssen zu bringen. Es ist messbare Veränderungen erfordern Sorgfalt und gerade ihr Anspruch, Frau Herold - das gilt für die Geduld. Regionalschule -, die Schulartempfehlung gerade Meine Damen und Herren, die beantragten Berichte nicht als Festschreibung des Bildungsschicksals ei- können zum jetzigen Zeitpunkt nicht viel anderes nes Kindes zu begreifen. darstellen als Momentaufnahmen des Prozesses (Vereinzelter Beifall bei SPD und SSW) zum Zeitpunkt ihrer Erstellung. Ich will deswegen gern die Gelegenheit nutzen und Ihnen mündlich Wer das nicht akzeptiert und dies nicht als eines der berichten, was sich seit der Erstellung der schriftli- wichtigsten Ziele des neuen Schulgesetzes betrach- chen Berichte auf den angesprochenen Feldern ge- tet, wer es nicht als Ziel betrachtet, dass wir mehr tan hat: Schüler - - Alle Schulverordnungen befinden sich derzeit in (Zuruf) der Anhörung - beziehungsweise die entsprechen- - Ja, entschuldigen Sie, dass ich Sie anspreche. den Anhörungen sind abgeschlossen - und werden Aber Sie hatten sich zu dieser Frage in einer Weise in Kürze erlassen. Das reicht von der Gymnasial- geäußert, die ich nicht ganz nachvollziehen kann. verordnung über die Verordnung zur Orientierungs- Sie haben aber ja die Möglichkeit, hierzu noch ein- stufe, die Mindestgrößenverordnung bis hin zur mal Stellung zu nehmen. Die Schulartempfehlung Kontingentstundentafelverordnung. Diese Aufzäh- ist eine Momentaufnahme bei einem zehnjährigen lung könnte ich fortsetzen; Sie haben vielleicht aber Kind. auch so eine ungefähre Vorstellung davon, was das bedeutet - auch für die Mitarbeiterinnen und Mitar- (Vereinzelter Beifall bei SPD und CDU) beiter sowie für die Anzuhörenden in einem sol- Kinder entwickeln sich selbstverständlich noch chen Prozess. Aus einem Schulgesetz ergeben sich über das Alter von zehn Jahren hinaus. nun einmal eine Fülle von Konsequenzen. Die Ge- meinschaftsschulordnung ist in Kraft. Die Regio- (Zuruf: Aber das ist dort auch so gewesen!) nalschulordnung wird noch vor der Sommerpause - Was ist so gewesen? vom Kabinett verabschiedet werden. (Zuruf von der FDP: Dass sie dort auch eine Während Regionalschulen ja erst vom Schuljahr Empfehlung bekommen haben!) 2008/2009 an eingerichtet werden können, starten die ersten sieben Gemeinschaftsschulen bereits mit - Ja, das ist richtig. Aber wir stehen auf diesem dem nächsten Schuljahr. Die Einführung und Be- Standpunkt und deswegen haben wir ja beispiels- gleitung beider Schultypen bildet einen Schwer- weise auch die Regionalschule so konstruiert, dass punkt der Fortbildungsoffensive während der Um- sie eine gemeinsame Orientierung hat. Danach erst setzungsphase bis zum Jahr 2010. wird eine Empfehlung für den Bildungsgang getrof- fen. Auch da wird die Zuordnung nicht auf Dauer Zum 1. August 2007 werden Gemeinschafts- so festgeschrieben, dass es nicht auch die Möglich- schulen mit insgesamt rund 750 Schülerinnen und keit gäbe, dass Kinder den Bildungsgang einfacher Schülern ihre Arbeit aufnehmen. An allen sieben wechseln können als bisher. Das ist eines der wich- Standorten hat man sich intensiv Gedanken darüber tigen Ziele, die alle Schulformen in Zukunft be- gemacht, wie das gemeinsame Lernen der Schüle- trifft. Es geht darum, Schulartempfehlungen nicht rinnen und Schüler realisiert werden soll. Dabei als Schicksal zu begreifen. war das Ziel, jeden zu dem Schulabschluss zu füh- ren, der ihm, der seinen Fähigkeiten und Möglich- Meine Damen und Herren, die Konzepte auch der keiten am besten entspricht. Gesamtschulen sind unterschiedlich. Denn der Weg zur Gemeinschaftsschule muss der jeweiligen An dieser Stelle will ich auch ein Wort zu den Schule angemessen sein. Es geht nicht darum, ein Schulartempfehlungen und zur Zusammensetzung Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4401

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Einheitskorsett zu verordnen, in das sich alle hin- le Schülerinnen und Schüler jeweils an den neuen einzwängen müssen. Gemeinschaftsschulen angemeldet wurden. Dies konnten wir mitteilen, weil wir es einzeln bei den Die Entscheidung über die Genehmigungen haben Schulen abgefragt haben. Im Übrigen sind wir aber wir uns nicht leicht gemacht. Über das Konzept auf die Auswertung der Abfrage des Statistikamtes hinaus war vor allem zu prüfen, ob mit der Entste- Nord für die Schulanmeldungen angewiesen. Die hung der Gemeinschaftsschule ein gleichmäßiges, liegt leider noch nicht vor. Ich kann Ihnen also zu wohnortnahes und alle Schulen umfassendes Ange- diesem Punkt über den schriftlichen Bericht hinaus bot dauerhaft in der Region gewährleistet bleibt. keine belastbaren Informationen bieten. Ich sage Denn es ist ganz klar, dass bei der Weiterentwick- das aber für den Bildungsausschuss zu, sobald wir lung der Schullandschaft natürlich nicht nach dem diese Informationen haben. Windhundprinzip verfahren werden kann. Bei den Genehmigungen waren deshalb selbstverständlich Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf die Aspekte der Schulentwicklungsplanung zu berück- Vermittlung der vielfältigen Neuerungen einge- sichtigen. Wir haben die Entscheidungen zudem hen. Ich habe zu Beginn die aktuellen Diskussionen unter der Würdigung der eingeholten Stellungnah- über die Zukunft der Schulen im Land erwähnt. Wir men der Kreise getroffen, da dort in den meisten sehen es im Moment als unsere besondere Aufgabe Fällen noch gar keine Schulentwicklungsplanung an, dafür zu sorgen, dass sich alle Diskussionsteil- vorlag. nehmer möglichst einfach und möglichst umfassend mit den erforderlichen Informationen versorgen Zur Veränderung der Schullandschaft gehört auch, können. Vieles von der erwähnten Unsicherheit dass die Leitungsaufgaben angepasst werden. Des- geht auch darauf zurück, dass Gesetzesinhalte un- wegen haben wir uns in der Koalition auf neue vollständig weitergegeben werden. Wir haben des- Schulleitungsstrukturen verständigt, die wir über ei- halb nicht nur die im Bericht erwähnte Handrei- ne Änderung des Landesbesoldungsgesetzes zu Be- chung erarbeitet und verteilt, Informationen und ginn des Schuljahres 2008/2009 einführen wollen. Beratung stehen natürlich auch durch die Mitarbei- Die Leitungen an den weiterführenden Schulen sol- terinnen und Mitarbeiter und die Schulrätinnen und len insgesamt gestärkt und nach einheitlichen Krite- Schulräte zur Verfügung. rien aufgebaut werden. Wir wollen die Schulen da- durch in die Lage versetzen, vor allem in den Berei- Darüber hinaus sind wir derzeit in der intensiven chen Personalführung und -beurteilung sowie Qua- Vorbereitung des Fortbildungskonzepts, das die litätsentwicklung selbstständiger agieren zu kön- neuen Schularten, aber auch alle anderen Schulen, nen. auf die neuen Herausforderungen vorbereiten soll. Wenn wir damit fertig sind und die entsprechenden Die Schulen werden Kontingentstundentafeln er- Vorbereitungen abgeschlossen haben, will ich gern halten, die für Regional- und Gemeinschaftsschulen im Bildungsausschuss darüber berichten. ein höheres Unterrichtsvolumen enthalten als die bisherigen Real- und Hauptschulen. Diese Stunden- Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und ich tafeln sind ebenfalls derzeit in der Anhörung. Es ist hoffe auf weitere lebhafte Diskussionen, die übri- ebenso vorgesehen, in beiden neuen Schularten zu- gens nach meinem Eindruck vor Ort in großer sätzliche Stunden pro Klasse zur Differenzierung Sachlichkeit geführt werden. Dafür bedanke ich oder Doppelbesetzung zur Verfügung zu stellen. mich. Dies wird durch die Konzentration der Schulstand- (Beifall bei SPD, CDU und SSW) orte möglich und aus den Stellen des Förderfonds ergänzt. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Außerdem erhalten die zusammenwachsenden Schulen ein Jahr lang zusätzlich fünf Wochenstun- Ich danke der Frau Ministerin. - Ich eröffne die den, die sie für ein Vorbereitungsteam einsetzen Aussprache. Ich habe vorgesehen, zunächst den können und sollen, um den Wechsel gut begleiten beiden Antragstellern das Wort zu erteilen und zu können, und auf Wunsch entweder externe Be- dann nach der Größe der Fraktionen zu gehen. Des- gleitung oder entsprechende Finanzmittel. halb erteile ich zunächst für den SSW Frau Abge- ordneter Anke Spoorendonk das Wort. Über die Unterrichtsverpflichtung der Lehrkräfte an den neuen Schulformen sind wir noch in der Bera- Anke Spoorendonk [SSW]: tung. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Bericht über die Schulanmeldungen, der Liebe Frau Ministerin, vielen Dank für den Bericht. parallel behandelt werden soll, wissen Sie, wie vie- 4402 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Anke Spoorendonk)

Es ist auch gut, dass Sie deutlich gemacht haben, matik mit der Formulierung, dass die Landesregie- dass die schriftlichen Berichte nur eine Momentauf- rung Gemeinschaftsschulen unter „der Würdigung nahme darstellen, und dass Sie die Berichte münd- der Stellungnahmen der jeweiligen Kreise“ geneh- lich ergänzt haben. migt, elegant umschifft. Allerdings gab es beson- ders im Kreis Schleswig-Flensburg die interessante Natürlich ist die Einrichtung der ersten sieben Ge- Konstellation, dass sich vernünftige CDU-Kommu- meinschaftsschulen in Schleswig-Holstein ein er- nalpolitiker mit Unterstützung von SSW und SPD freuliches Ereignis für die zukünftige Schulpolitik vehement für die Einführung von Gemeinschafts- hier im Land. Das gemeinsame längere Lernen von schulen - zum Beispiel in den Gemeinden Hande- Kindern bis zur 10. Klasse ist aus Sicht des SSW witt und Schafflund - eingesetzt haben, während die das Zukunftsmodell schlechthin. Das haben uns CDU-Kreistagspolitiker Stimmung gegen diese nicht zuletzt immer wieder die verschiedenen PI- Schulart machten. In Flensburg hingegen gab es ei- SA-Studien vor Augen geführt. Die Einführung der ne Mehrheit von SSW, SPD und Grünen für die Er- Gemeinschaftsschulen ist eine vernünftige Ant- richtung von Gemeinschaftsschulen gegen den - ich wort auf die fehlende Chancengleichheit in unse- sage es deutlich - erbitterten Widerstand der CDU rem Bildungssystem und ich fand daher, dass es gut vor Ort. Der Landesteil Schleswig ist aber dennoch war, dass die Ministerin noch einmal auf die eine Art Vorreiter bei der Einführung von Gemein- Schulartenempfehlung eingegangen ist. Die Ge- schaftsschulen. Dies liegt sicherlich nicht zuletzt meinschaftsschule schafft die Vorraussetzung da- auch an der Nähe zu Dänemark. für, dass alle Kinder jedweder Herkunft fit fürs Le- ben gemacht werden. Insgesamt macht der Bericht über die aktuelle Um- setzung des Schulgesetzes aber auch die inneren Bei aller Freude gibt es aber auch immer noch viele Gegensätze dieser Schulreform deutlich. Das Ge- Widerstände zu überwinden. Der Schulstreit ist setz ist eben ein Kompromiss zwischen zwei völlig noch nicht vorbei und die Anhänger des geglieder- verschiedenen schulpolitischen Ansätzen. Zwar ten Schulsystems sind nicht bereit, ihre Position zu können sich beide Richtungen im Gesetz wiederfin- ändern. Wenn nämlich konservative Politiker und den, aber dadurch wird der Kampf zwischen den Lehrerverbände nicht nach wie vor die Gemein- Schularten nur auf die kommunale Ebene verla- schaftsschule aus ideologischen Gründen blockier- gert. Regionalschule oder Gemeinschaftsschule ist ten, würden zum neuen Schuljahr noch wesentlich heute die zentrale Frage in den kommunalen Gre- mehr als 750 Schulkinder gemeinsam unterrichtet mien und damit bei den Schulträgern vor Ort. werden. Der Streit der Großen Koalition um die Gemein- (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE schaftsschulen darf aber nicht auf die kommunale GRÜNEN) Ebene verlagert werden. Die Leidtragenden werden Geht es in diesem Tempo weiter, dann dauert die in so einem Fall die Schulträger und die Eltern sein, Reform noch Jahrzehnte. Deshalb muss die Landes- die große Hoffnungen in die Einrichtung von Ge- regierung weiterhin dafür werben, dass die Schule meinschaftsschulen setzen, weil sich so ihr ländli- der Zukunft vor Ort auch wirklich gebaut wird. Vor cher Schulstandort erhalten lässt. Darum dreht es allem die CDU-Mehrheiten in den Kreisen müssen sich häufig in den Diskussionen. So kann man nicht endlich akzeptieren und respektieren, dass die Ge- mit den Menschen in Schleswig-Holstein umgehen, meinschaftsschulen von den Eltern vor Ort gewollt das möchte ich noch einmal deutlich machen. Da- sind, statt sich weiterhin mit aller Macht gegen die her mein Appell an die CDU: Stehen Sie zu allen Schulreform zu stemmen. Teilen des Schulgesetzes und versuchen Sie nicht, (Beifall beim SSW) die guten Ansätze für eine zukunftsfähige Schule zu unterlaufen! Es kann nicht angehen, dass einige Kreise mit den sogenannten Schulentwicklungsplänen in der (Beifall beim SSW) Hand versuchen, die Bildung von Gemeinschafts- Allerdings muss auch die Landesregierung ihre schulen vor Ort zu verhindern. Im Bericht der Mini- Hausaufgaben machen, damit weitere Gemein- sterin wird deutlich, dass Schulentwicklungspläne schaftsschulen im Land entstehen können. Nicht zwar aufzustellen und regelmäßig fortzuschreiben zuletzt die GEW weist darauf hin, dass es immer sind, aber de facto können sie nicht als Argument noch Probleme mit der Finanzierung und den etwas dafür herhalten, dass das Ministerium die Genehmi- unklaren Rahmenbedingungen bei der Einführung gung für die Errichtung von Gemeinschaftsschulen von Gemeinschaftsschulen gibt. Dies betrifft auch verweigern soll. Dies ist auch nachweislich nicht das Ganztagsschulangebot für diese Schulart, wo geschehen. Ich finde, dass im Bericht diese Proble- bei den offenen Ganztagsschulen gerade viele Kin- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4403

(Anke Spoorendonk) der nicht erreicht werden, die ein solches Angebot heit wird dieser Prozess bereits 2010 abgeschlossen benötigen würden. Hier sollte das Bildungsministe- sein und wir hoffen, dass sich unsere Nachbarn in rium nachbessern. den Landesteilen Schleswig und Holstein dem lang- fristig zum Wohle der Kinder anschließen werden. (Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch die Frage, was denn nun mit den heutigen Gesamtschulen genau geschehen soll und wie de- ren Zukunft aussieht, ist noch nicht abschließend Vizepräsidentin Ingrid Franzen: geklärt. Auch hier wünschen wir uns, dass das Mi- Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk. - nisterium die notwendige Flexibilität aufweist, um Für die antragstellende Fraktion von BÜNDNIS den berechtigten Forderungen der erfolgreichen Ge- 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Abgeordneter samtschulen in Schleswig-Holstein entgegenzu- Angelika Birk das Wort. kommen. Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, dass dieses Erfolgsmodell jetzt zu den Verlierern Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der Schulreform gehören sollte, denn gerade diese Schulart erfüllt bereits heute alle pädagogischen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Anforderungen, die mit der Gemeinschaftsschule Herren! „Auf das Gymnasium sollen nur die Besten erreicht werden sollten. Ich plädiere dafür, dass die und mein Kind“ - mit diesem Ausspruch kennzeich- Umwidmung in Gemeinschaftsschulen nicht nur ein nete letzten Sonnabend Frau Professor Rita neues Türschild bedeutet, sondern dass auch das, Süssmuth vor dem Volkshochschulverband Schles- wofür die Gesamtschulen stehen, in das neue Kon- wig-Holstein den Elternwillen. Sie empfahl als zept aufgenommen wird. Konsequenz aus den Bildungsbefunden in Deutsch- land eine Abkehr von unserem gegliederten Schul- Im Bereich der Lehrerbildung kündigt die Landes- system hin zum gemeinsamen Lernen von Kindern regierung eine Fortbildungsoffensive an. Das ist jeder Herkunft und aller Begabungen. wichtig und vielleicht sogar entscheidend für den Erfolg der Gemeinschaftsschulen. Denn der SSW Und was haben die Eltern in Schleswig Holstein vertritt die Auffassung, dass das Verharren in tradi- aktuell zum Thema Schule entschieden? - Mit ei- tionellen Laufbahnen bei der Entwicklung einer zu- nem durchschnittlichen Zuwachs von rund 15 % kunftsfähigen Schule eher kontraproduktiv ist. erlebt Schleswig-Holstein einen Ansturm der künf- Denn bei der Umwandlung von Schulen in Gemein- tigen Fünftklässler auf die 100 Gymnasien im schaftsschulen müssen alle Lehrkräfte bei der Erar- Land. Die größten Zuwächse verzeichnen Husum - beitung des pädagogischen Konzeptes mit einge- plus 26,4 % - und Neumünster - plus 20,4 %. Auch bunden werden. Dazu gehört dann auch, dass dieser in Flensburg liegt das Plus mit 19,4 % kaum niedri- Schulentwicklungsprozess durch Fortbildungsmaß- ger. Rendsburg meldet 13,4 % mehr neue Schüler - nahmen für die Lehrkräfte entscheidend flankiert und die Aussicht, in eigens aufgestellten Containern wird. zu unterrichten. Viele Gymnasien müssen wohl etli- che Kinder abweisen, etwa die Pinneberger Johan- Insofern bin ich froh darüber, dass die Ministerin nes-Brahms-Schule - 170 Anmeldungen - oder das angesprochen hat, welche Unterstützungsmaßnah- Husumer Fachgymnasien, das eine Steigerung um men es für diese neuen Gemeinschaftsschulen ge- rund ein Drittel meldet. ben wird. Aufgrund vieler Veranstaltungen wissen wir, dass gerade das Problem der Fortbildung ange- Diese Informationen stammen nicht aus dem von sprochen wird. uns angeforderten Bericht des Bildungsministeri- ums, sondern aus der „Schleswig-Holsteinischen Es kommt also noch viel Arbeit bei der zukünftigen Landeszeitung“ vom 29. März dieses Jahres. Schulentwicklung auf uns zu. Natürlich wäre hier ein stringenteres Schulgesetz hilfreich gewesen. Wir Grüne wollten aufgrund dieser und ähnlicher Aber nun müssen wir mit diesem Gesetz leben und Meldungen anderer Medien wissen, ob jedes Kind alle konstruktiven Kräfte in Schleswig-Holstein den Platz an der Schule erhalten hat, für die sich die sollten sich gemeinsam für die Umsetzung des be- Eltern entschieden haben. stehenden Gesetzes einsetzen. Fünf Wochen vor den Sommerferien weiß das Mi- Der SSW wird sich jedenfalls vor Ort und im Land- nisterium laut Bericht nur so viel: Wie jedes Jahr tag weiterhin für die Einführung von Gemein- werden 50 % aller angemeldeten Gesamtschülerin- schaftsschulen nach skandinavischem Vorbild nen und Gesamtschüler mangels Plätzen abgelehnt einsetzen. Bei den Schulen der dänischen Minder- und müssen sich gegen ihren Willen im geglieder- 4404 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Angelika Birk) ten Schulwesen einen Platz suchen. Diese Eltern „Massive Einbrüche erleben dagegen die werden seit Jahren benachteiligt und das ist kaum Hauptschulen. In Neumünster etwa brachen mehr eine Zeitungsmeldung wert. die Meldezahlen um gut ein Drittel - 37 % - ein. Und in Eckernförde bekommt eine der (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - zwei Hauptschulen gar keine fünften Klassen Zuruf von der CDU: Die Eltern oder die Kin- zusammen.“ der?) Eine weitere Debatte zum Thema Hauptschule ist Und dies gilt, obwohl erfreulicherweise inzwischen in diesem Zusammenhang interessant und nahm in sieben neue Gemeinschaftsschulen genehmigt diesem Frühjahr ausgehend von den „Lübecker sind und mit ausreichend Schülerinnen- und Schü- Nachrichten“ ihren Verlauf. Die Grünen in Lübeck leranmeldungen im August den Betrieb aufnehmen. hatten massiv kritisiert, dass die Schulartempfeh- Es sind dies neue Schulen in Flensburg, Fehmarn, lungen der Grundschülerinnen und Grundschüler Halstenbek, Handewitt, Kellinghusen, Itzstedt und für die weiterführenden Schulen in solchen Fällen, Schafflund. in denen es sich um Grundschulen mit verbundener (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hauptschule handelt, statistisch erdrückend häufi- Herzlichen Glückwunsch an diese Kollegien und an ger für die Hauptschule ausfällt, als dies bei ande- ihre Schulträger zu ihrem Engagement! Dank gilt ren Grundschulen der Fall ist. Dies bestätigt einmal auch der Risikobereitschaft und dem Vertrauen der mehr die Schulforschungsergebnisse, dass 40 % der Eltern. Bei der Anmeldung ihrer Kinder an den Schulartempfehlungen falsch sind, ihre Prognosen Schulen konnte ihnen noch niemand sicher sagen, sich also nicht erfüllen. Auch zu diesem Politikum ob ihre Wunschschule überhaupt genehmigt wird. sehen Sie, Frau Erdsiek-Rave, keinen Handlungsbe- Sie haben sich ebenso wenig wie ihre kommunalen darf. Selbstverwaltungen nicht beirren lassen. Offenbar (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) spielten bei diesen Entscheidungen nicht allein Par- Von daher ist Ihr Hinweis darauf, dass die statisti- teibücher, sondern die nahe Nachbarschaft zu Dä- schen Erhebungen noch nicht abgeschlossen sind, nemark oder Hamburg eine entscheidende Rolle. für mich nicht befriedigend. Ich finde es richtig, Wir wissen - im Übrigen wiederum nicht aus dem dass sich viele Fragen dezentral beantworten las- Bericht der Landesregierung -, dass sich eine Reihe sen; dafür haben wir uns lange eingesetzt. Aber es von Schulen, aber auch weitere Schulträger auf die muss doch ein Onlineverfahren geben, das an Ihr Entscheidung für eine Gemeinschaftsschule vorbe- Ministerium meldet, wie die Anmelde- und Geneh- reiten. Überall im Land ist eine erfreulich breite ge- migungszahlen aussehen. Dass Sie dafür das Lan- sellschaftliche Diskussion an jedem Schulstandort desamt für Statistik brauchen, erstaunt mich. in Gang gekommen. Diese Diskussion würde noch (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - viel mehr an Fahrt gewinnen, wenn sich die Koaliti- Zuruf von der CDU: Dafür ist es doch da!) on zu unserem Vorschlag durchgerungen hätte, überall dort, wo sich ausreichend Eltern für eine Ganz ahnungslos konnte das Ministerium im März Gemeinschaftsschule starkmachen, auch eine Ge- jedenfalls nicht sein. Denn in der Presse vom meinschaftsschule einzurichten. Die Schulland- 29. März und später auch offiziell im Bildungsaus- schaft würde völlig umgekrempelt. schuss erfuhren wir, dass aktuell 100 Lehrerstellen auf die Gymnasien übertragen werden. Und wie sieht es nun im immer noch deutlich über- wiegenden gegliederten Schulwesen aus? Sind Leider enthalten die beiden Drucksachen der Lan- dort, wo die Eltern ja ein Anrecht auf die Schulart desregierung keine handfesten Angaben, welche fi- ihrer Wahl haben, alle Kinder bei ihrer Wunsch- nanzielle und logistische Unterstützung denn nun schule oder wenigstens bei der Schulart ihrer Wahl die sieben Schulen erhalten, die als erste neue Ge- zum Zuge gekommen? - Der Bericht der Landesre- meinschaftsschulen schon am 1. August 2007 den gierung kann weder einen Trend noch genaue Zah- Betrieb aufnehmen. Professor von Saldern, Schul- len benennen. Ebenso wenig steht darin, wie viele forscher an der Hochschule Lüneburg, berät das Schulen mangels Anmeldungen weniger oder keine Kollegium der zukünftigen Gemeinschaftsschule fünften Klassen einrichten konnten. Auch hier ist auf Fehmarn und lobte auf der Bildungsveranstal- hingegen die Landeszeitung aufgrund einer eigenen tung unserer Fraktion den Arbeitseinsatz, das Kon- Umfrage schon im März gut informiert und schreibt zept und den Mut dieser Lehrerschaft auf Fehmarn. am 29. März 2007: Aber er kritisierte auch: Wo bleibt das öffentliche Lob der Ministerin? Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4405

(Angelika Birk)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aus Lübeck und Ostholstein beispielsweise baten jüngst Abgeordnete aller Fraktionen, sich dafür ein- Wo bleibt wenigstens eine anteilige Finanzierung zusetzen, dass zumindest jede Klasse ihren festen der vielen Konferenzen und Fortbildungsfahrten, Raum hat und es nicht noch mehr Wanderklassen die diese Leute in ihrer Freizeit in andere Bundes- gibt. Sogar Berufsschulunterricht in Hotelräume länder an gute Schulen gemacht haben? Warum wird von den „Lübecker Nachrichten“ aus dem muss das zukünftige Kollegium so lange auf eine Kreis Lauenburg gemeldet. Entscheidung über die Schulleitung warten? Und warum, so fragen wir uns, wird diese Entscheidung, Nun haben wir nach wie vor die Schülerbeförde- wenn Schulen zusammengelegt werden, vom Mini- rungsdiskussion. Wir lesen heute in unserem Pres- sterium und nicht vom Schulleiterwahlausschuss sespiegel, dass im Kreis Plön dann, wenn die getroffen? Schulart nicht am nächsten Standort gewählt wird, die Eltern die gesamten Schulfahrten selbst bezah- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) len müssen. Da kann man nicht von freier Schulart- Als eine weitere Hürde für die neuen Pionier- wahl sprechen. schulen erweist sich, dass diese Gemeinschafts- (Zurufe) schulen nicht gebundene Ganztagsschule werden dürfen. Eine Rhythmisierung des Unterrichts für al- Hier machen Sie es sich zu einfach, Frau Ministe- le Kinder bis in den Nachmittag hinein ist so nicht rin, und auch die Zwischenrufer, wenn Sie sagen, möglich. Die Kommunen werden hier nicht ersatz- das sei Sache des örtlichen Schulträgers und es ge- weise ein Angebot für alle Kinder der Schule mitfi- be ja die kommunale Antragsebene für Finanzanträ- nanzieren. Dies veranlasste die „Kieler Nachrich- ge zu Schulkosteninvestitionen. Ich meine, wenn ten“ zum Thema offene Ganztagsschule am 19. Mai wir an dieser Stelle einfach nur die Hände in den dieses Jahres zu einer Glosse mit dem Titel „Alles Schoß legen, tun wir nicht das Richtige. Solange ist offen“. die Schulen keine Schulautonomie haben, die wir ja radikal einfordern, Denn die Hoffnung, die wir als Grüne in der letzten Legislaturperiode etwas blauäugig hatten, (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall des Abgeordneten Lothar Hay solange sie kein eigenes Budget haben und nicht [SPD]) pragmatisch selber Entscheidungen vor Ort treffen können - wenn sich die Schulen selbst helfen könn- dass es zu einer verbindlichen Kooperation aller au- ten, bräuchten wir hier im Landtag nicht darüber zu ßerschulischen Kinder- und Jugendangebote mit reden -, so lange haben wir eine Verpflichtung, dar- den Schulen kommt, erfüllt sich trotz erfreulicher auf zu gucken, was die kommunalen Schulträger Angebote offener Ganztagsangebote bisher kaum, tatsächlich tun und was sie nicht tun. Wir haben und gerade dann nicht, wenn Kommunen - wie dies hier eine Fürsorgepflicht. Der pädagogische Stan- derzeit durchaus geschieht - in diesem Bereich spa- dard, dass Kinder und Jugendliche zum Beispiel ren. einen eigenen Raum haben, ist genauso wichtig wie (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Tatsache, dass sie eine Klassenlehrerin oder An den Gymnasien hingegen, die nun - da die Lehr- einen Klassenlehrer haben. Da kann man nicht ein- pläne nicht allzu sehr entrümpelt wurden - den fach sagen, das ist Sache des Schulträgers, das in- Stoff von neun auf acht Jahre verteilen müssen, er- teressiert uns nicht. Wir jedenfalls sind besorgt dar- leben viele Schülerinnen und Schüler faktisch eine über. Ganztagsunterrichtssituation mit acht Unterrichts- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stunden am Tag, ohne dass sie als Ganztagsschule Nun haben wir landauf, landab die öffentliche Dis- deklariert werden. Und leider fehlt hier häufig auch kussion darüber, ob die Gemeinschaftsschulverord- ein entsprechendes pädagogisch stimmiges Ganz- nung und die weiteren geplanten Schulverordnun- tagskonzept mit längeren Spiel- und Erholungspau- gen nicht doch die Mobilität nach oben, insbeson- sen. Von daher müssen wir im Bildungsausschuss dere einen späteren Übertritt in die gymnasiale darüber reden, was dies konkret bedeutet und wie Oberstufe, erschweren. Jedenfalls alle diejenigen, wir helfen können. die auf Bildungspodien vor Ort sind, kennen die (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diskussion. Ein Eingehen auf diese Zusammenhän- Unabhängig von der Frage Ganztag oder nicht hat- ge, was hier passiert, welche Empfehlung das Mini- ten vielen Schulen schon vor Anmeldung für dieses sterium gibt, auch durch seine Verordnungen, die in Frühjahr akute Raumnot gemeldet. Elternbeiräte 4406 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Angelika Birk) der Anhörung sind, fehlt in den vorliegenden Re- Wir sind der Auffassung, dass Schulartempfehlun- gierungsdokumenten. gen ihre volle Berechtigung haben, weil es darum geht, damit ein Instrument zu haben, um möglichst Vizepräsidentin Ingrid Franzen: homogene Lerngruppen zu bilden. Damit wird der Weg zu einem höheren Abschluss keineswegs in ir- Frau Kollegin Birk, die Zeit ist abgelaufen. gendeiner Weise begrenzt. Wir haben ein völlig durchlässiges Schulsystem, das durch das neue Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schulgesetz noch durchlässiger wird. Also, das Ich weiß; ich komme zum Schluss. Ich könnte noch Ziel, höhere Abschlüsse zu erreichen, wird durch eine Reihe von Kritikpunkten äußern. diese Maßnahme, eine Schulartempfehlung abzuge- ben, keinesfalls konterkariert. Frau Ministerin, Ihr Bericht hier am Podium war et- was engagierter, aber zu dem, was Sie uns schrift- Meine Damen und Herren, das neue Schulgesetz lich geliefert haben, kann ich nur sagen: Berichte, sieht eine komplette Neustrukturierung unserer die von Schulreformen überzeugen sollen, sehen Schulstrukturen vor. Der Rahmen des neuen Schul- anders aus! gesetzes wird durch die Erarbeitung von Verord- nungen beziehungsweise Erlassen schrittweise um- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gesetzt. Dies geschieht in enger Abstimmung der beiden Koalitionspartner. Entsprechende Verord- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: nungen werden dem Kabinett vorgelegt. Das Wort für die CDU-Fraktion hat nun die Frau So findet die aktuelle Umsetzung des neuen Schul- Abgeordnete Susanne Herold. gesetzes unter anderem ihren Niederschlag in der im April in Kraft getretenen Gemeinschaftsschul- Susanne Herold [CDU]: verordnung. Gemeinschaftsschulen werden auf Antrag des Schulträgers nach Vorlage eines päd- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe agogischen Konzeptes genehmigt. Weitere Voraus- Frau Birk, Sie haben einen Antrag zum Thema setzung ist die Berücksichtigung der Schulentwick- Schulanmeldungen gestellt. Ich habe in Ihrem Bei- lungsplanung des Schulträgers und des Kreises. trag gerade nicht erkennen können, wie weit es dar- Darüber hinaus muss ein öffentliches Bedürfnis für um inhaltlich ging. Das war ein Rundumschlag die Einrichtung dieser Schulart bestehen und Min- über alle Themen im Bildungsbereich. Wenn Ihnen destgrößen müssen eingehalten werden. Nachzule- am Herzen liegt, dass wir das hier im Landtag dis- sen, werte Kollegen des SSW, ist das in § 7 der Ge- kutieren, obwohl das Thema Schulanmeldungen ei- meinschaftsschulverordnung. gentlich in den Bildungsausschuss gehört, dann bit- te ich darum, dass Sie auch inhaltlich eine Begrün- Noch einmal für die Kollegin Spoorendonk: dung abgeben und den Antrag interpretieren, der Erstens. Eine Absprache der Schulentwicklungs- hier vorgelegt worden ist. pläne der Schulträger mit dem Kreis beziehungs- (Beifall bei der CDU - Karl-Martin Hent- weise umliegenden Kreisen ist laut Verordnung schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als vorgegeben, auch wenn Ihnen das nicht gefällt. die CDU in der Opposition war, hat sie hier Diese Vorgehensweise sichert die strukturierte Ver- jeden Pups diskutiert! - Weitere Zurufe) sorgung mit den zuständigen Schulen, den Regio- nalschulen und den Gymnasien und den auf Antrag Vizepräsidentin Ingrid Franzen: entstehenden Gemeinschaftsschulen. Das Wort hat Frau Herold und sonst niemand! (Beifall bei der CDU) Zweitens. Liegt noch kein Schulentwicklungsplan Susanne Herold [CDU]: vor, entscheidet in diesem Falle die Schulaufsicht. Noch ein Wort zur Ministerin, weil Sie mich direkt Nachzulesen ist das unter anderem in der vom Mi- angesprochen haben, Frau Erdsiek-Rave. Ich weiß, nisterium herausgegebenen Handreichung für Kom- dass wir beim Thema Schulartempfehlungen aus- munen und Kreise. einanderliegen. Sie würden Schulartempfehlun- So ist auch bei den in der letzten Woche genehmig- gen in Schleswig-Holstein am liebsten komplett ab- ten Gemeinschaftsschulen für Schleswig-Holstein schaffen. verfahren worden. (Beifall beim SSW) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4407

(Susanne Herold)

Den von Ihnen, Frau Spoorendonk, beklagten kom- möglich. Ein qualifizierter Realschulabschluss führt munalen CDU-Feldzug gegen die Gemeinschafts- zur Berechtigung, auf die gymnasiale Oberstufe zu schulen kann ich somit nirgendwo entdecken. wechseln. (Beifall bei der CDU) Regionalschulen und Gemeinschaftsschulen sol- len eine gleiche Ausstattung erhalten. Dies, meine Und wenn ich mir die Beschlusslage in den Orten Damen und Herren, ist der CDU sehr wichtig. Es anschaue, in denen jetzt Gemeinschaftsschulen ent- wird künftig in Schleswig-Holstein keine Präferenz stehen werden, verstehe ich Sie noch weniger. für eine bestimmte Schulart geben! Meine Damen und Herren, mit dem Genehmi- (Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Das ist ja span- gungsverfahren für Gemeinschaftsschulen durch nend, das prüfen wir!) das Ministerium wurde auch noch einmal eindeutig klargestellt, dass ein Abitur an einer Gemein- Das heißt, die Unterrichtsverpflichtung für Lehrer, schaftsschule nach 13 Schuljahren erreicht werden die an der Regionalschule oder an der Gemein- kann, so wie das für Regionalschüler mit einem schaftsschule arbeiten, wird einheitlich sein. Es gibt qualifizierten Realschulabschluss zukünftig auch einen gemeinsamen verbindlichen Klassenteiler. möglich sein wird. Die auf Fehmarn angedachte Fördermaßnahmen werden an beiden Schularten Kombination eines G8-Gymnasiums mit einer gleichmäßig verteilt. Lehrkräfte werden durch ge- Gemeinschaftsschule wird es demnach nicht ge- zielte Fortbildungsmaßnahmen auf die neuen Struk- ben. Will Fehmarn also ein Gymnasium erhalten, turen eingestellt. ist das nur in der Kombination mit einer Regional- So viel zum derzeitigen Stand der Umsetzung des schule möglich. Schulgesetzes. Es war ja der Anlass Ihres Antrages, Meine Damen und Herren, die Gemeinschafts- das einmal dargestellt zu bekommen, liebe Frau schule setzt auf ein möglichst langes gemeinsames Spoorendonk. Lernen mit dem Schwerpunkt der Binnendifferen- Ich könnte mit der Oberstufenverordnung, die jetzt zierung bis zum Mittleren Abschluss. Dieses Kon- in die Anhörung gehen wird, fortfahren, und ich zept unterscheidet sie von den bisher in Schleswig- könnte auch auf die Verordnungen zur Grund- Holstein bestehenden Gesamtschulen, die ja nach schule, Hauptschule und Realschule abheben. Dazu der 7. Klasse eine äußere Differenzierung vorsehen. kämen die sich in der Anhörung befindliche Kon- Hierin ist der entscheidende Unterschied und auch tingentstundentafel und die Mindestverordnung. die Weiterentwicklung der Gesamtschule zur Ge- Die Beruflichen Schulen sowie die Förderzentren meinschaftsschule zu sehen. Notenzeugnisse wird habe ich dabei bisher völlig außer Acht gelassen. es an der Gemeinschaftsschule erst ab dem Deshalb schlage ich vor, dass Sie für weitere Infor- 8. Schuljahr verbindlich geben, da hier auch Pro- mationen, auch zu Fragen über Schulträgerfragen gnosen für die weitere Schullaufbahn gestellt wer- und Schulentwicklungspläne, so wie es das Minis- den. Schüler steigen ohne Versetzungsbeschluss auf terium in seinem Bericht ebenfalls anbietet, die und absolvieren nach fünf beziehungsweise sechs Website www.mbf.schleswig-holstein.de aufrufen. Schuljahren ihren zentralen Abschluss. Der Über- gang zur gymnasialen Oberstufe ist bei geeigneter Meine Damen und Herren, nun zum Antrag der Qualifikation möglich. Grünen über Schulanmeldungen für das Schuljahr 2007/08! Hier wird in dem Bericht deutlich darauf Meine Damen und Herren, die Regionalschulver- hingewiesen, dass zu diesem Zeitpunkt keine um- ordnung befindet sich zurzeit noch in der internen fassenden Angaben zu den Anmeldungen an Abstimmungsphase. Hier werden Real- und Haupt- Schulen gemacht werden können, da die endgülti- schüler nach einer gemeinsamen Orientierungsstufe gen Anmeldezahlen für alle Schularten erst im ab Klassenstufe 7 in den Hauptschul- beziehungs- Laufe des Monats vorliegen werden. Deshalb ist es weise Realschulbildungsgang auf Grundlage eines jetzt nicht möglich, auf den Bericht im Detail ein- Notenzeugnisses durch die Schule zugeordnet. Ne- zugehen. ben den bildungsgangbezogenen unterrichteten Kernfächern ist ein schulartübergreifender Unter- Die Anmeldezahlen für Gemeinschaftsschulen - richt in den Nebenfächern möglich. Dies soll in er- die Ministerin sprach davon - liegen, wie es die Mi- ster Linie kleinen Schulen helfen, in ihrer Unter- nisterin auch schon in der letzten Woche dargestellt richtsorganisation flexibler zu werden. hat, vor. Es ist schwierig, Aussagen zum Anmelde- verhalten der Eltern zu machen. Auffällig ist, dass Für die Hauptschüler wird die flexible Ausgangs- sehr wenige Anmeldungen gymnasial empfohlener phase flächendeckend eingeführt. Mit einem quali- Kinder vorliegen. fizierten Abschluss ist der Übergang zur Realschule 4408 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Susanne Herold)

An vier von sieben Gemeinschaftsschulen gibt es Es sind nicht nur Hunderttausende von Schülern überhaupt keinen gymnasial empfohlenen Schüler. und Zehntausende von Lehrern, die von der Umge- Ich erwähne das vor dem Hintergrund, dass die Ent- staltung unseres Schulwesens betroffen sind, es scheidung für die Einführung einer Gemeinschafts- sind auch die Eltern, Großeltern und Schülerinnen schule von einigen Antragstellern - ich nenne und Schüler. Wenn wir an den Output des Bil- Schafflund und Kellinghusen - gefallen ist, um dungswesens in Gestalt der künftigen Lehrer, Ärz- möglichst ein Angebot auf gymnasialem Niveau te, Juristen und so weiter denken, betrifft es letzt- vor Ort machen zu können. lich wieder jeden von uns. Deshalb führen wir heu- te wieder eine Grundsatzdebatte und hören Ge- Die Anmeldezahlen der 25 Gesamtschulen im schichten über geschlagene Schlachten. Lande werden im Bericht ebenfalls dargestellt. Ich nehme an, Frau Birk - das hat sich ja schon in Ih- Deshalb ist es richtig, dass wir uns nicht nur im Bil- rem Wortbeitrag bestätigt -, dass Sie Ihren Antrag dungsausschuss, sondern auch im Plenum mit den zu den Schulanmeldungen gestellt haben, um bestä- Auswirkungen und der Umsetzung der neuen Re- tigt zu bekommen, dass es an den Gesamtschulen gelungen in regelmäßigen Abständen befassen, auch im nächsten Schuljahr wieder mehr Anmel- auch wenn das Fertigprodukt, nämlich das neue dungen geben wird, als Schülerinnen und Schüler schleswig-holsteinische Schulsystem, erst im aufgenommen werden können. Ich gebe Ihnen Schuljahr 2010/11 abgeschlossen ist. recht: Das ist so. Ein neues Schulgesetz bedeutet rechtstechnisch zu- Erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang nächst einmal, dass die untergesetzlichen Rechts- auch, dass es wie in den Jahren zuvor weiterhin quellen, darunter alle Schulartverordnungen, der einen Run auf unsere Gymnasien gibt. Hundert neuen Rechtslage angepasst werden müssen. Das weitere Planstellen für Gymnasien haben der Bil- gilt sowohl für die Schularten, die bei uns dem- dungs- und der Finanzausschuss deshalb zusätzlich nächst auslaufen, also Haupt-, Real- und Gesamt- bewilligt. schulen, als auch für diejenigen Schularten, die jetzt neu entstehen, besonders Regional- und Gemein- Ich schlage vor, über weitere Details nach entspre- schaftsschulen. chender Vorlage der Schulanmeldungen aller Schularten im Bildungsausschuss zu beraten, denn Die vom SSW abgefragten Verordnungen liegen als dieses Thema gehört dorthin. Entwürfe vor und haben zum Teil die Ministeri- umsanhörung bereits hinter sich. Sie sind auf dieser (Beifall bei der CDU) Grundlage entsprechend verändert worden. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Schulen sind bekanntlich keine Landeseinrich- tungen. Das Land setzt den rechtlichen Rahmen für Für die SPD hat der Herr Abgeordnete Detlef Bu- die Tätigkeiten der Schulen und stellt die Lehrkräf- der das Wort. te bereit. Die Schulträgerschaft liegt ganz über- wiegend bei den Gemeinden. Die regionale Schul- Detlef Buder [SPD]: entwicklungsplanung ist Sache der Kreise. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hierzu eine Anmerkung: Die Schulträger mögen Kurz vor der Mittagspause führen wir eine sehr in- sich bitte schön an ihre Schulträgerschaft erinnern. tensive bildungspolitische Debatte. Dasselbe gilt für die Kreis, die ebenfalls Schulträ- Es ist sicherlich unstrittig, dass das neue Schulge- ger sind. setz, das wir im Januar verabschiedet haben, eines Es ist deshalb richtig und wichtig, dass das Bil- der wichtigsten Reformprojekte der 16. Legislatur- dungsministerium bereits vor geraumer Zeit den periode ist. Anders als manches Gesetz, über das in Schulträgern eine umfangreiche Handreichung für diesem Haus, wenn wir ganz ehrlich sind, keine ihre Planungsaufgaben zur Verfügung gestellt hat. zehn Kolleginnen und Kollegen wirklich kompetent mitreden können, ist alles, was mit Schule zu tun Die Bildungsministerin hat in der vergangenen Wo- hat, kein spezielles Thema, wie wir der öffentlichen che die Ergebnisse des Genehmigungsverfahrens Debatte entnehmen können. Vielmehr geht Schule für die sieben zum kommenden Schuljahr beantrag- jede Abgeordnete und jeden Abgeordneten schon ten Gemeinschaftsschulen vorgestellt. Ich danke deshalb etwas an, weil jeder von uns schon einmal diesen Schulen, insbesondere den Kollegien, und eine Schule besucht hat und weil Schule auch die den Schulträgern sehr für ihre Bereitschaft, eine meisten Menschen in unserem Land betrifft, egal, Pionierrolle für unser neues Bildungssystem wahr- wer es ist und wie alt er ist. zunehmen und deshalb pädagogische Konzepte zu Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4409

(Detlef Buder) entwickeln, deren Erarbeitung für alle Beteiligten auseinandersetzt - sehr unaufgeregt vor sich geht. eine Herausforderung war. Die Dinge werden dort besprochen. Die Umsetzung des neuen Schulgesetzes setzt auch Aber hier stehen natürlich die Fragen der Neuorga- voraus, dass die Lehrkräfte und Schulleitungen ent- nisation des Schulwesens unter besonderer Be- sprechend fortgebildet werden. Das Ministerium rücksichtigung der demografischen Veränderungen hat hierzu ein Sonderprogramm aufgelegt und eine in der Gesellschaft im Vordergrund der Planungs- Reihe größerer Veranstaltungen durchgeführt. gespräche, nicht etwa die ideologische Auseinan- dersetzung in diesem Bereich. Einige scheinen mir Ich denke, dieser kurze Bericht bringt auch für die hier zu vergessen, dass wir ganz wesentliche demo- Nichtbildungspolitiker die Arbeit, die alle Beteilig- graphische Veränderungen vor uns haben, die uns ten, auch die Mitglieder des Bildungsausschusses bei der Veränderung des Schulwesens in der Regi- und der bildungspolitischen Arbeitskreise der Land- on und auf dem platten Land sehr deutlich mehr be- tagsfraktionen, seit langer Zeit leisten, nachvoll- stimmen werden als die Auseinandersetzung, die im ziehbar auf den Punkt. bildungsideologischen Bereich stattfindet. Die bildungspolitische Diskussion ist keine Frage Wir wissen, dass diese Reform nur gelingen kann, der sich überschlagenden Stimme, sondern eine wenn alle Beteiligten einschließlich Lehrern, Schü- Frage der Kontinuität in der Arbeit und in der Ar- lern und Eltern daran mitwirken. Das Land enga- gumentation. giert sich weiterhin trotz schwierigster Haushaltsla- Deutlich überflüssiger als der Berichtsantrag des ge durch die Schaffung neuer Lehrerstellen und SSW zur Umsetzung des Schulgesetzes war der von dem Fonds zur Vermeidung des Unterrichtsausfalls. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den diesjährigen Dass wir zu den Eingriffen in die Sonderzahlungen Schulanmeldungen. Ich meine, man kann solche für die Beamten keine Alternative sehen, haben wir Aussagen ruhig und gelassen tun. Nach meiner wiederholt deutlich gemacht, dennoch ist es außer- Meinung hätte man das ebenso gut als Kleine An- ordentlich schmerzlich, dass wir unseren Lehrerin- frage einreichen können. Das gilt umso mehr, als nen und Lehrern für die Mehrarbeit für die neuen einige der gestellten Fragen in die Kompetenz der Herausforderungen nicht die zu erwartenden Geld- Schulträger fallen oder Probleme aufwerfen, die die mittel anbieten können, sondern ihnen auch noch Managementkompetenz der einzelnen Schulleiter, Abstriche zumuten müssen. Das ist bedauerlich, nicht aber die zentrale Steuerung durch das Minis- aber in der derzeitigen Lage nicht zu ändern. terium betreffen. Das Bildungsministerium hat die gesetzlichen Vor- Dass die Nachfrage nach integrierten Unterrichts- gaben, die der Landtag im Januar beschlossen hat, formen ungebrochen ist und leider unter den vor- zügig und zielorientiert abgearbeitet. Dafür bedan- handenen Voraussetzungen nur zur Hälfte bedient ke ich mich bei allen beteiligten Mitarbeiterinnen werden kann, geht natürlich aus der Antwort her- und Mitarbeitern des Ministeriums für Bildung und vor. Dieses schlechte Verhältnis zwischen Angebot Frauen, insbesondere natürlich bei der Ministerin und Nachfrage wird sich allerdings - das hoffe ich und ihrem Staatssekretär. sehr - in Zukunft ändern, wenn wir in der Fläche mehr Gemeinschaftsschulen anbieten können. Eigentlich erübrigt sich eine Überweisung der bei- den Berichte an den Bildungsausschuss, da wir dort Was ich in den zahlreichen Diskussionen vor Ort mit den hier angesprochenen Problemen ständig be- und in der Presseberichterstattung feststellen kann, fasst sind. Wenn dies von den Antragstellern aller- ist, dass sich die Diskussion über unser Schulsys- dings gewünscht wird, können die Berichte zur ab- tem erheblich versachlicht hat. Die Szenarien vom schließenden Beratung an den Ausschuss überwie- Untergang des Abendlandes, der durch die Ände- sen werden, auch vielleicht als Beitrag zur weiteren rungen unseres Schulsystems bewirkt würde, sind Pädagogik des Landes, indem man ja manche Din- ganz überwiegend der Bereitschaft zum Dialog und ge mehrfach wiederholen muss, damit man sie be- zur Mitwirkung gewichen. Das zeigt sich insbeson- sonders gut lernt. dere - einige scheinen das zu vergessen - darin, dass die Diskussion über Modellregionen und Regional- (Beifall bei der SPD) planung - ein Projekt der Bundesregierung, das sich mit den regionalplanerischen Handlungsgrundsät- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: zen zur Gewährleistung der öffentlichen Daseins- vorsorge in den Kreisen Steinburg und Dithmar- Ich danke dem Herrn Abgeordneten Buder. - Das schen, parallel in den Kreisen der mecklenburgi- Wort für die FDP-Fraktion hat nun der Herr Abge- schen Seenplatte oder im Kreis Havelland-Fläming ordnete Dr. Ekkehard Klug. 4410 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Meine Damen und Herren, keine Realsatire ist die ungeklärte Antwort auf die Frage, wo denn eigent- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die lich die Lehrer für unsere Schulen bleiben bezie- Schulpolitik ist der Bereich in der Arbeit der hungsweise ob und wann und wo und wie viele zu Großen Koalition, mit dem Bürger am wenigsten ihnen kommen sollen. Nach wie vor gibt es keine einverstanden sind. 72 % sind gegen die Abschaf- Klarheit über die künftige Personalausstattung der fung der Realschulen, nur 20 % dafür. Ich denke, neuen Schularten, der Gemeinschaftsschule und der das sind Zahlen, die sehr deutlich machen, wie die Regionalschule, gleichwohl sollen Schulträger und Resonanz, wie die Akzeptanz ihrer Schulpolitik Schulen vor Ort sich in den nächsten Monaten oder im Lande ist. Jahren für die eine oder andere neue Schulart ent- (Beifall bei der FDP) scheiden. Auf welcher Grundlage denn? Das Misstrauen der Bürger gegen die Schulpolitik - Die Sozialdemokraten möchten, dass Gemein- das ist hier schon angesprochen worden - drückt schaftsschulen so ausstaffiert werden wie bislang sich natürlich auch in den Schulanmeldungen aus, Gesamtschulen. Das hat der Kollege Höppner hier zu denen sich die Eltern für ihre Kinder entschei- bei einer früheren Debatte im Landtag gesagt. den. Die Berichte, dass es an manchen Orten Zu- CDU-Kollegen wie Herr Wengler sagen in Gesprä- wächse bei den Anmeldezahlen der Gymnasien chen mit Besuchergruppen und Schülergruppen, von 20 oder 25 % gibt, sprechen Bände. Da ist sehr das werde auf keinen Fall so eintreten. Christdemo- viel ins Rutschen gekommen. Das Phänomen, dass kraten wollen für ihre Schulart, die Regionalschule Schüler plötzlich da auftauchen, wo sie die Landes- - Frau Herold hat das eben noch einmal bekräftigt -, regierung, das Ministerium, nicht erwartet hatte, die gleichen Konditionen durchgesetzt wissen wie gibt es auch in anderen Bereichen. Nach Abschaf- für Gemeinschaftsschulen. Kollege Wadephul, der fung des freiwilligen 10. Hauptschuljahres scheint Fraktionsvorsitzende, reist durch das Land und er- das Ministerium überrascht gewesen zu sein, dass klärt - wie in Rieseby -, der Umfang der Unter- man nun plötzlich für rund 1.600 Schüler eine Al- richtsverpflichtung an den Regionalschulen müsse ternative aus dem Hut zaubern musste. Man hat heruntergefahren werden, gesenkt werden. Das schnell die einjährige Berufsfachschule, eine neue würde freilich eine Menge kosten, entweder ent- Schulart ohne Abschluss - ich frage, mit welchem sprechend mehr Stellen für die Schulen oder eine Wert -, ohne Konzept, ohne Lehrkräfte - es wurde saftige Unterrichtskürzung. Das ist die logische von der Versetzung von nicht mehr benötigten Konsequenz, wenn man die Unterrichtungsver- Hauptschullehrkräften gesprochen - und auch ohne pflichtung verringert. Räume, erfunden. Das Beispiel Mölln ist genannt Bei so viel fröhlichen Versprechungen und - wie worden. Dort hat man sich sogar für drei Klassen, ich glaube - bewusst einkalkulierter Unklarheit fra- für 90 Schüler, aus Platznot für die Anmietung von ge ich die Regierung, Frau Erdsiek-Rave: Wann Räumen in einem Hotel entschieden. Die christde- endlich will denn Ihre Regierung dem Parlament, mokratische Vorsitzende des Bildungsausschusses, den Schulen und der Öffentlichkeit klipp und klar Frau Eisenberg, hat das in den „Lübecker Nachrich- sagen, wie denn die Personalausstattung der neuen ten“ mit den Worten kommentiert, die Hotellösung Schularten in Zukunft aussehen soll? sei allemal besser, als wenn die Schüler auf der Straße stünden. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Oder soll das Frau Erdsiek-Raves Kinderüberra- schung für eine ferne Zukunft bleiben? Meine Damen und Herren, so klein kann das klei- nere Übel ausfallen, das große Koalitionäre Schü- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Nikolaus!) lern und Eltern zu bieten haben. Wo sollen die zusätzlichen Lehrer für die offen- Vielleicht kommen wir in Schleswig-Holstein mit sichtlich im nächsten Schuljahr überquellenden Frau Erdsiek-Rave doch noch zur Einführung der Gymnasien herkommen? Hundert Stellen sind im Schule auf Rädern. Man setzt einfach einen Klas- Frühjahr schon einmal aus anderen Schularten, sencontainer auf einen Trailer und fährt ihn dorthin, nämlich aus Realschulen und Grund- und Haupt- wo er gerade mal benötigt wird. Dass diese Realsa- schulen, in den Bereich der Gymnasien transferiert tire überhaupt denkbar geworden ist bei Ihrer worden, aber das beruhte auf der Feststellung, dass Schulpolitik, zeigt, was Sie in diesem Land tatsäch- man schon im laufenden Schuljahr fast 2.000 mehr lich ausgelöst haben. Schüler an Gymnasien zu unterrichten hat - im lau- fenden Schuljahr! -, als es vorher von der Prognose (Beifall bei der FDP) her erwartet worden ist. Das heißt, wenn jetzt noch Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4411

(Dr. Ekkehard Klug) einmal ein erheblicher Anmeldeüberhang für das zusammengesetzt und zwei Stunden lang ein Ge- nächste Schuljahr dazukommt, stellt sich natürlich spräch über die Streitfragen geführt. - So viel zum dort die Frage der Unterrichtsversorgung und der Thema liberale tolerante Streitkultur in Baden- Verlagerung von Stellen. Württemberg. Dass es wegen der geplanten Umbrüche in der Streitkultur auf schleswig-holsteinische Art sieht Schullandschaft an den Schulen erhebliche Unruhe anders aus. Wenn sich ein Schulleiter in einer vor gibt, ist allgemein bekannt. Ich möchte dazu etwas Ort geführten Debatte etwa gegen Pläne zur Errich- zitieren. Frau Erdsiek-Rave hat das sehr verbrämt tung einer Gemeinschaftsschule ausspricht, dann und beschönigend dargestellt, wie ich finde. Ich erhält er aus Kiel die Anweisung, sich zurückzuhal- will dazu etwas aus der Mitgliederzeitschrift der ten. Das Klima hierzulande ist mittlerweile so, dass GEW Schleswig-Holstein zitieren, April-Ausgabe. Autoren, die im Magazin des Schulleiterverbandes Dass die Lehrerverbände des Beamtenbundes mit kritische Beiträge zur Schulpolitik des Landes ver- ihrer Schulpolitik nicht einverstanden sind, wissen öffentlichen, es vorziehen, dies anonym zu tun. alle, aber dass eine Lehrergewerkschaft, die die Ge- (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE meinschaftsschule befürwortet, sich kritisch zu dem GRÜNEN]: Die haben sogar einem Rektor jetzigen Zustand äußert, sollte man als Stimmungs- verboten, bei uns auf einer Veranstaltung et- bild aus den Schulen hier zitieren können. Es heißt was zu sagen!) dort: „Der Autor möchte namentlich nicht genannt wer- „Für etliche Kolleginnen“ den“, heißt es im Titel eines Artikels in der April- - Kolleginnen mit großem I - Ausgabe der Zeitschrift des Schulleiterverbandes, ein Beitrag, in dem das „Innovationschaos“ in der „ist die Wahl zwischen Regionalschule oder schleswig-holsteinischen Schulpolitik angeprangert Gemeinschaftsschule wie die zwischen Pest wird. Dies ist auch kein Einzelfall. und Cholera. Beide bleiben vorerst ungelieb- te Schulformen. Das sind Aussagen, aus de- Im liberalen Südwesten wird in einem liberalen, to- nen der Frust über die geringe Wertschätzung leranten Klima gestritten. Anders ist das in Schles- der bisher geleisteten Arbeit heraus klingt. wig-Holstein. Hier fordert die Obrigkeit, sprich das An anderen Kollegien kommt es zu internen Bildungsministerium, von seinen Beamten Gefolg- Kämpfen. Man sei dabei, sich auseinanderzu- schaft und Kritiklosigkeit. Sie werden nicht bestrei- dividieren.“ ten können, dass Sie im Zuge der Auseinanderset- zung um das Schulgesetz auch disziplinarische Ver- - Soweit das Zitat. fahren gegen Lehrkräfte eingeleitet haben. Wollen Meine Damen und Herren, man muss sich doch fra- Sie das bestreiten? gen, wie eine neue Schule gelingen soll, wenn sie (Wolfgang Kubicki [FDP]: Es ist so! Das vor Ort so wahrgenommen wird. kann sie gar nicht!) (Beifall bei der FDP) An anderer Stelle werden wir uns noch einmal ein- Ich will noch eines hinzufügen: Schulstrukturfra- gehend über das Thema unterhalten, denn Sie sind gen sind in Deutschland bekanntlich immer Streit- verpflichtet, dem Landtag die Wahrheit zu sagen, fragen. Wie es dabei um die Streitkultur in Schles- Frau Ministerin. wig-Holstein beschaffen ist, insbesondere im Hin- Hier ist es leider üblich geworden, dass vom Minis- blick auf die Toleranzschwelle bei der Obrigkeit, ist terium eher autoritär und obrigkeitlich eingegriffen ein Thema, das uns bei der Umsetzung des Schul- wird. Das ist eine zutiefst unerfreuliche Begleiter- gesetzes nicht gleichgültig sein kann. Bemerkens- scheinung der schulpolitischen Entwicklung der wert ist dabei der Vergleich mit anderen Bundes- letzten Zeit. ländern. In Baden-Württemberg haben sich un- längst - das ging auch durch die überregionale Pres- (Beifall bei der FDP) se - 100 Rektoren von Schulen in einer öffentlichen Von einer Haltung, wie sie Björn Engholm 1988 Erklärung für Gemeinschaftsschulen eingesetzt. einmal in Schleswig-Holstein propagiert hat und in Das widerspricht bekanntlich der baden-württem- die Politik des Landes einführen wollte, sind, jeden- bergischen Schulpolitik. Aber die „Schwäbische falls im Schulbereich, nicht einmal mehr Spurenele- Zeitung“ berichtete am 22. Mai unter der Über- mente übrig geblieben. schrift „Kultusministerium ist fair zu Kritikern“: Vertreter des Ministeriums und der Rektoren hätten Gleichwohl bleiben den Betroffenen natürlich Mög- sich an einen ovalen Tisch auf gleicher Augenhöhe lichkeiten zu reagieren. So hörte man beispielswei- 4412 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Dr. Ekkehard Klug) se von einer Schülergruppe des Inselgymnasiums Der Kollege Ekkehard Klug, der sich in Bildungs- auf Fehmarn, dass unterdessen die Hälfte des Leh- politik bekanntlich gut auskennt, hat eine Anfrage rerkollegiums Versetzungsanträge eingereicht hät- gestellt. Ich zitiere die Drucksachen 16/1322. In ten. - Das haben uns die Schüler hier erzählt. - Dem dieser Anfrage schreibt er: Vernehmen nach gehört auch der Schulleiter dazu, „Ergibt sich aus den unter 1 a) genannten der wohl in nächster Zeit auf einer anderen vakan- Rechtsvorschriften zur Wahlfreiheit der El- ten Schulleiterstelle im Kreis Ostholstein eingesetzt tern, dass eine Gemeinschaftsschule nur dann werden soll. Das ist natürlich auch eine Möglich- errichtet werden kann, wenn die Eltern als keit, sozusagen auf stille Art darauf zu reagieren, Alternative auch die Wahlmöglichkeit einer dass Erklärungen vor Ort nicht zulässig sind. Regionalschule und/oder eines Gymnasiums (Beifall bei der FDP) haben?“ Antwort: Vizepräsidentin Ingrid Franzen: „Nein. Die Schulaufsichtsbehörde hat aber - Mir liegen weitere Wortmeldungen für Kurzbeiträ- ebenso wie die Schulentwicklungsplanung ge vor. Zunächst erteile ich dem Herrn Abgeordne- des Kreises - darauf hinzuwirken, dass ein ten Karl-Martin Hentschel das Wort. gleichmäßiges, wohnortnahes und alle (Dr. Henning Höppner [SPD]: Da können Sie Schularten umfassendes Angebot erreicht jedes Problem jedes Polizeibeamten nehmen! wird.“ Das gehört nicht hierher!) Auf Fehmarn ist das nicht gegeben. In Fehmarn - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Karl-Martin gibt es nur eine Gemeinschaftsschule. Das ist klar. Hentschel! Nun ist die Frage: Was gilt für Heiligenhafen? Ist es bindend für die Genehmigung, wenn die Schul- Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- entwicklungsplanung des Kreises sagt, in Heiligen- NEN]: hafen solle keine Gemeinschaftsschule, sondern ei- ne Regionalschule sein? In der Antwort steht, sie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen habe darauf hinzuwirken. Das kann bedeuten: Man und Kollegen! Ich möchte zunächst sagen, dass es wirkt darauf hin, aber wenn Heiligenhafen entschei- in Schleswig-Holstein gelungen ist, in der Frage det, man wolle doch eine Gemeinschaftsschule, und des Schulsystems einen Schritt weiterzukommen, legt das entsprechende Konzept vor, dann wird das wenn auch auf verquerem Wege und über einen auch genehmigt. seltsamen Koalitionskompromiss; aber im Ergebnis ist das Ganze genial. Denn die Sache ist in Bewe- Ich stelle diese Frage gemäß Artikel 11 der Landes- gung gekommen und es wird jetzt vor Ort und in verfassung an die Frau Ministerin und bitte um eine den Kommunen entschieden. sofortige Antwort. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und SSW) Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Ich finde es ausgesprochen gut, dass wir endlich ei- ne Entscheidung vor Ort haben. Zu einem weiteren Kurzbeitrag hat die Frau Abge- ordnete Anke Spoorendonk das Wort. Nun gibt es eine große Partei in diesem Land, die versucht, diese Entscheidung vor Ort mit allen Mit- Anke Spoorendonk [SSW]: teln zu verhindern. Neulich war ich in Heiligenha- fen. Dort sagten mir der Bürgermeister - CDU -, ein Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! weiteres Ratsmitglied und auch ein Lehrer - alles Nunmehr liegt eine ganze Reihe von Problemstel- CDU-Mitglieder -: Wir wollen gern eine Gemein- lungen vor, die im Ausschuss geklärt werden müs- schaftsschule einführen, aber man hat uns gesagt, sten. Grundsätzlich will ich zu dieser Debatte sa- wir dürften das nicht. Daraufhin habe ich gefragt: gen: Sie ist aus unserer Sicht wieder einmal eine Warum dürft ihr das denn nicht? Sie antworteten: Debatte zu der Frage, ob das Glas halb voll oder Das liegt daran, weil es nicht ausreicht, wenn wir halb leer ist. Ich stimme dem Kollegen Karl-Martin ein Konzept und so weiter vorlegen. Nicht einmal Hentschel zu, wenn ich sage: Das Glas ist halb voll. die ausreichende Schülerzahl reicht aus. Es muss Wir sind in der Schulpolitik Schleswig-Holsteins auch mit der Schulentwicklungsplanung des Kreis- weitergekommen. Wir vom SSW haben dies ge- es übereinstimmen. Der Kreis mache eine andere wollt, und, lieber Kollege Buder, ich ging immer Kreisentwicklungsplanung, sagten sie. davon aus, dass auch die SPD das wollte. Insoweit Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4413

(Anke Spoorendonk) hätte ich mir ein bisschen mehr Leidenschaft ge- (Beifall beim SSW und der Abgeordneten wünscht. Aber das braucht jetzt nicht weiter vertieft Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu werden. NEN]) (Zurufe von der SPD) Vizepräsidentin Ingrid Franzen: - Das ist auch in Ordnung. - Nun zum Werdegang dieses Berichts. Wir hatten einen mündlichen Be- Für einen weiteren Kurzbeitrag hat der Herr Abge- richtsantrag zu einem Zeitpunkt gestellt, zu dem ordnete Buder das Wort. sich die Gemeinschaftsschulverordnung in der An- hörung befand, zu dem es mit dem Referentenent- Detlef Buder [SPD]: wurf zu dieser Verordnung Schwierigkeiten gab, Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Durchführung um es einmal diplomatisch zu formulieren. Seiner- und Umsetzung des Schulgesetzes hat wenig da- zeit wurde deutlich, dass in den Kreisen gefordert mit zu tun, dass man aufgeregt wie auf dem Hüh- wird, zunächst einmal keine Genehmigung für die nerhof herumrennt, laut gackert und sich dann dar- Errichtung von Gemeinschaftsschulen zu erteilen, über wundert, dass es in manchen Punkten nicht weil man sagte, man müsse die Kreisschulentwick- richtig läuft. Die Umsetzung des Schulgesetzes ist lung abwarten. vielmehr eine Frage der Kontinuität. Ich rege mich Das war ein Blockadeinstrument, liebe Kolleginnen natürlich überhaupt nicht künstlich darüber auf, und Kollegen! wenn es so ist, wie Sie das beschreiben. Ich weiß auch, dass es so ist, aber einmal haben sich diese (Beifall beim SSW und vereinzelt bei der Schulträger in den entsprechenden Punkten dort, SPD) wo ein ernsthafter Wunsch dahintersteckte, über die So haben wir das gesehen und so ist das auch vor versuchten Blockaden in den Kreisen hinwegge- Ort diskutiert worden. setzt. Liebe Kollegin Herold, ich kann Ihnen von CDU- (Beifall bei SPD und SSW) Kommunalpolitikern erzählen, die in der aktuellen Außerdem findet die Diskussion über die Umset- Situation durchaus unserer Auffassung waren und zung des Schulgesetzes in den einzelnen Gremien, die sich darüber gefreut haben, dass zum Beispiel gerade bei den Schulträgern, unter anderen Ge- der SSW ihr Anliegen, vor Ort eine Gemein- sichtspunkten statt. Sie findet unter dem Gesichts- schaftsschule zu errichten, vehement unterstützt punkt statt: Im ländlichen Raum haben wir die hat. Möglichkeit, unsere Schulen unter veränderten de- Insoweit ist es also nicht angesagt, weiteren Nach- mografischen Bedingungen zu erhalten. Dort ist das hilfeunterricht zu erteilen. Wir sind alle des Lesens Instrument der Gemeinschaftsschule ein Instru- mächtig und wissen, was in den verschiedenen Ver- ment, die Schule zu erhalten. So wird es dort disku- ordnungen steht, wenn wir denn Lust haben, sie zu tiert. Vorhin habe ich versucht, es anzudeuten: lesen. Die Blockadeinstrumente werden dort nicht ange- (Sylvia Eisenberg [CDU]: Darum würde ich wandt - egal, von welchen Kommunalpolitikern -, Sie bitten, dass Sie die entsprechenden Ver- wenn denn die Kollegen mitmachen und das tun, ordnungen lesen, damit Sie wissen, was darin was ihres Amtes ist, nämlich ein Konzept zu ent- steht und worüber Sie reden!) wickeln. Dieses Konzept muss in den Schulen ent- wickelt werden, es muss von den Kolleginnen und - Liebe Frau Kollegin Eisenberg, das ist ganz klar, Kollegen gemeinsam mit den Eltern entwickelt aber das ist nicht Thema. Ich sehe nicht ein, warum werden. - Das ist das eine. jetzt so getan wird, als sei das das zentrale Thema. Jetzt geht es darum, wie das Schulgesetz umgesetzt Das Zweite: Die Diskussion über die Veränderung wird und umgesetzt worden ist, mit welchen Mög- des Schulwesens wird unter anderem auch bei den lichkeiten die Umsetzung ausgestattet ist. Eltern geführt. Da kann man natürlich Folgendes machen: Man kann sagen: „Wir fragen einmal die- Darum noch einmal: Man kann die Umsetzung jenigen in den Schulen, ob sie eine Gemeinschafts- blockieren. Das ist geschehen. Es gibt Diskussionen schule besuchen wollen, wenn sie schon in der in den Kreisen, die kontraproduktiv sind, und alle zehnten Klasse sind.“ Welche Antwort Sie hierauf wissen das. Das, denke ich, muss im Landtag auch bekommen werden, ist ganz klar. Das heißt, das Be- angesprochen werden und darum ging es mir. fragungsinstrument spielt eine wesentliche Rolle. Das hat aber auch nichts mit Aufgeregtheit zu tun, 4414 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Detlef Buder) sondern das muss im Vorfeld in den Gremien ge- - Herr Fraktionsvorsitzender, Sie waren während klärt werden, die in der Schule hierfür eingerichtet dieses Redeteils, glaube ich, gar nicht anwesend. werden. Insofern halten Sie sich doch bitte zurück. Deshalb bin ich nach wie vor der Meinung, dass (Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich saß hier!) wir diese Debatte sehr unaufgeregt und ruhig füh- Herr Kollege Hentschel hat dann eine Frage ge- ren sollten. Es trägt natürlich auch nicht zur Ver- stellt, die ich zunächst insofern missverstanden hat- sachlichung der Debatte bei, wenn es Kollegen gibt, te, als ich dachte, dass er eine Aussage von mir zu die in vagen Andeutungen dem Ministerium und der Frage haben wolle, ob eine Gemeinschafts- der Ministerin etwas unterstellen, was sie mögli- schule in Heiligenhafen genehmigungsfähig wäre cherweise nicht weiß und was möglicherweise oder nicht. Ich bitte um Nachsicht, diese Frage überhaupt nicht zutrifft. könnte ich hier nicht beantworten. Aber zu der (Lachen des Abgeordneten Dr. Heiner Garg Grundsatzfrage, nämlich, wie sich die Schulent- [FDP]) wicklungsplanung des Kreises zu der der Schul- träger verhält, weise ich auf die Handreichung hin, Wenn jemand in einer Kollegiumszeitschrift einen die wir an alle Schulträger verschickt haben. Das ist Artikel veröffentlicht und sich dabei nicht traut, sei- der Bericht über die aktuelle Umsetzung des Schul- nen Namen dazuzuschreiben, dann - das kann ich gesetzes. Dort steht auf Seite 2 unter der Über- Ihnen nur sagen - traue ich diesem Artikel nicht. schrift „Schulentwicklungsplanung“: (Wolfgang Kubicki [FDP]: Unglaublich!) „Nach wir vor bleibt es Aufgabe der Schul- - Das ist gar nicht unglaublich. Auch Sie kennen träger, Schulentwicklungspläne aufzustellen doch das Presserecht, Herr Abgeordneter Kubicki. (§ 48 Abs. 1). Wesentlich deutlicher als bis- (Wolfgang Kubicki [FDP]: Bei den Repres- her aber regelt das Schulgesetz (§ 51) die sionen, die vom Ministerium ausgeübt wer- übergreifende Schulentwicklungsplanung auf den, ist das nicht verwunderlich!) der Ebene der Kreise. Diese sind künftig ver- pflichtet, zur Sicherung eines gleichmäßigen, - Wissen Sie, ich selbst bin 30 Jahre lang Lehrer ge- wohnortnahen und alle Schularten umfassen- wesen. Diese Unterstellung, die Sie da vorbringen, den Angebots unter Berücksichtigung der Ju- habe ich noch niemals erlebt. gendhilfeplanung eine Schulentwicklungs- (Beifall bei der SPD) planung für ihren Zuständigkeitsbereich auf- zustellen und fortzuschreiben. Die Schulent- wicklungsplanung ist mit den Schulträgern Vizepräsidentin Ingrid Franzen: im Kreis und kreisübergreifend abzustim- Das Wort hat nun die Frau Bildungsministerin Erd- men.“ siek-Rave. (Beifall des Abgeordneten Detlef Matthies- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ute Erdsiek-Rave, Ministerin für Bildung und Frauen: Zitat weiter: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich „Enthalten die Schulentwicklungsplanungen schlage vor, all die vielen sachlichen Fragen, die der Schulträger und des Kreises voneinander angesprochen worden sind und die ich natürlich abweichende Feststellungen, trifft die weder in den zehn Minuten meiner Redezeit noch - Schulaufsicht ihre Genehmigungsentschei- wegen der mangelnden Aktualität; das habe ich dung unter Würdigung beider Planungen und auch vorhin schon gesagt - im Bericht behandeln unter Heranziehung eigener Einschätzungen; konnte, ausführlich im Bildungsausschuss zu bera- überörtlichen Aspekten ist dabei besondere ten. Ich könnte jetzt hier auf alles eingehen und die Beachtung zu schenken.“ Fragen beantworten, aber dazu ist ja auch die Zeit (Beifall bei SPD, CDU und SSW) nicht mehr da. So muss es auch sein. Denn es sind die Schulträger, Ich will auch nicht auf die Unverschämtheiten des die letztlich entscheiden. Der Kreis nimmt eine Kollegen Dr. Klug eingehen. Das hatte schon eine Schulentwicklungsplanung vor - ich will mich hier Qualität, Herr Dr. Klug, die wir hier lange nicht jetzt nicht wiederholen -, die letzte Entscheidung mehr so gehabt haben. trifft dann jedoch die Genehmigungsbehörde und (Wolfgang Kubicki [FDP]: Was heißt hier das ist die Schulaufsicht, das Ministerium. „Unverschämtheit“?) Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4415

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE (Vereinzelter Beifall) GRÜNEN] geht zu einem Saalmikrofon. - Die Sitzung ist unterbrochen. Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist es gestattet, einen Zwischen- (Unterbrechung: 13:35 bis 15:03 Uhr) ruf zu machen? - Gegenruf des Wolfgang Kubicki [FDP]: Ein Zwischenruf ist etwas Präsident Martin Kayenburg: anderes! Da brauchen Sie nicht aufzustehen, Herr Kollege! - Heiterkeit) Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich begrüße Sie alle ganz herzlich. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, teile ich Ihnen mit, dass Herr Ministerpräsident Peter Harry Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage Carstensen und Herr Minister Dr. Ralf Stegner we- des Herrn Abgeordneten Hentschel? gen auswärtiger Verpflichtungen beurlaubt sind. Ute Erdsiek-Rave, Ministerin für Bildung und Auf der Tribüne begrüße ich den Landfrauenverein Frauen: Nortorf und Umgebung ganz herzlich. - Meine Da- men, seien Sie uns alle sehr herzlich willkommen! Ja. (Beifall) Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Ministerin, ich habe die Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Frage, ob Sie diese Information allen Schul- trägern mitteilen könnten. Denn ich erfahre Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur vor Ort immer wieder, dass die Schulträger Erleichterung Öffentlich Privater Partnerschaf- anders informiert sind. ten Es hat vor etwa drei Wochen - meine ich - eine aus- Gesetzentwurf der Landesregierung führliche Information an alle Schulträger in Form Drucksache 16/935 einer Handreichung zu dieser Frage gegeben, in der eben dies auch enthalten ist. Diese Information ist Bericht und Beschlussempfehlung des Finanzaus- meines Wissens auch allen Mitgliedern des Bil- schusses dungsausschusses, allen Abgeordneten, zur Verfü- Drucksache 16/1403 gung gestellt worden. Sie ist darin nachlesbar, Herr Kollege Hentschel. Ich erteile dem Berichterstatter des Finanzausschus- ses, Herrn Abgeordneten Günter Neugebauer, das Wort. - Bitte, Herr Neugebauer, Sie haben das Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Wort. Ich danke der Frau Ministerin. - Weitere Wortmel- dungen liegen mir nicht vor. Ich schließe daher die Günter Neugebauer [SPD]: Beratung. Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr geehrte anwe- Es ist Überweisung an den Ausschuss beantragt sende Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz- worden. Wer die Berichte Drucksachen 16/1407 entwurf, den ich Ihnen heute als Ergebnis der Bera- und 16/1410 dem Bildungsausschuss zu abschlie- tungen in den verschiedenen Ausschüssen vorstel- ßenden Beratung überweisen möchte, den bitte ich len darf, betreten wir gesetzespolitisches Neuland. um das Handzeichen. - Das war die Mehrheit. Dann Insofern sollten wir uns auch des besonderen Ereig- ist das so beschlossen. nisses bewusst sein. Wir werden die Sitzung um 15 Uhr fortsetzen und Der Landtag hat den Gesetzentwurf der Landesre- dann mit dem Tagesordnungspunkt 2 beginnen. gierung zur Erleichterung Öffentlich Privater Part- Ich möchte mir jedoch auch noch die Bemerkung nerschaften im September des letzten Jahres ohne erlauben, dass ich allen Fraktionen dankbar wäre, Aussprache an die Ausschüsse für Innen und Recht, wenn sie sich an die im Ältestenrat verabredeten Wirtschaft und Finanzen überwiesen. Der Finanz- Redezeiten hielten. Es tut uns nicht gut, einen so ausschuss - deswegen stehe ich heute hier - hat die wichtigen Punkt bis 13:30 Uhr zu beraten. Diese Federführung erhalten. Sie werden sich erinnern, Anmerkung erlaube ich mir. Zudem war in der Be- dass die Ausschüsse schriftliche Stellungnahmen ratung auch keine gute Qualität spürbar. Es tut mir eingeholt haben, die der Wissenschaftliche Dienst leid, dies sagen zu müssen. des Landtages dankenswerterweise für uns ausge- wertet hat. Es folgten weitere Beratungen über den 4416 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Günter Neugebauer)

Gesetzentwurf, der heute nach einem Dreiviertel- mehreren Sitzungen des Finanz- und des Wirt- jahr zur Verabschiedung in zweiter Lesung ansteht. schaftsausschusses intensiv diskutiert worden ist. Es gab ein Anhörungsverfahren und es wurden er- Der Finanzausschuss schlägt im Wesentlichen, wie gänzende Gutachten des Wissenschaftlichen Sie auch der Drucksache 16/1403 entnehmen kön- Dienstes eingeholt. Zusammen mit der ÖPP-Initia- nen, zwei Änderungen vor. Zum einen geht es um tive der Landesregierung hat nach meinem Ein- den § 1, nämlich die Zweckbestimmung des Ge- druck bereits diese Diskussion über den Gesetzent- setzes. Die wird erweitert. Zum anderen geht es um wurf dazu geführt, dass wir mittlerweile eine er- den § 4, der die Überschrift „Übertragung hoheitli- folgreiche Initialzündung für Öffentlich Private cher Befugnisse auf Private“ trug. Diesen Paragra- Partnerschaften in Schleswig-Holstein verzeichnen fen haben wir aufgrund verfassungsrechtlicher Be- können. ÖPP-Projekte sind zu einer festen Kompo- denken gestrichen. nente für Investitionsentscheidungen sowohl auf Im Mittelpunkt der Diskussion stand außerdem der Landesebene als auch auf kommunaler Ebene ge- Vorschlag der Architekten- und Ingenieurkammer, worden. in § 7 - Auswahl des Vertragspartners - festzu- Angefangen von Großprojekten wie dem Zentrum schreiben, freiberuflichen Dienstleistern zur Erbrin- für Partikeltherapie bis hin zu zahlreichen Schul- gung planerischer Leistungen eine angemessene baumaßnahmen der Kommunen werden Öffentlich Vergütung zu zahlen. Private Partnerschaften geprüft, ausgeschrieben und Die Ausschüsse sind nach intensiver Beratung mit zum Teil bereits realisiert. Dabei zeigt sich im Üb- dem Wissenschaftlichen Dienst des Landtages und rigen, dass selbst bei kleineren Investitionsvolumen der Auswertung von zwei zusätzlichen wissen- im einstelligen Millionenbereich die erhofften Ko- schaftlichen Gutachten einig, diesen Änderungsvor- steneinsparungen von 20 % mittels ÖPP erzielt schlag aus rechtssystematischen Gründen nicht auf- werden können. Beispielhaft hierfür sei der Bau ei- zunehmen, bei der Umsetzung des Gesetzes aller- ner Sporthalle in meiner Heimatstadt Ahrensburg dings die Auswirkungen auf mittelständische Un- genannt. ternehmen und freie Berufe genau zu beobachten Mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetz- und gegebenenfalls nach Ablauf einer bestimmten entwurfes werden derzeit noch bestehende Hürden Frist nachzusteuern. für Öffentlich Private Partnerschaften beseitigt und Im Namen des Finanzausschusses bitte ich Sie, dem damit die Vorschläge der Koalitionsfraktionen aus Gesetzentwurf Drucksache 16/935 mit den von mir dem Jahr 2005 umgesetzt. So enthält der Gesetzent- eben aufgezeigten Änderungen in der Fassung der wurf die verbindliche Verpflichtung, bei Wirt- Drucksache 16/1403, die mit den Stimmen von schaftlichkeitsuntersuchungen auf den gesamten CDU, SPD und FDP gegen die Stimme von Lebenszyklus eines Projektes abzustellen und dabei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen wor- die Risikoverteilung zwischen öffentlicher Hand den sind, zuzustimmen. und privatem Partner zu berücksichtigen. Ebenso (Beifall bei SPD und CDU) wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Land und Kommunen die Veräußerung von Vermögens- gegenständen selbst dann ermöglicht, wenn sie zur Präsident Martin Kayenburg: Erfüllung eigener Aufgaben weiterhin benötigt wer- Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Wortmel- den, nämlich unter der Maßgabe, dass die Veräuße- dungen zum Bericht liegen nicht vor. Dann eröffne rung zur anschließenden Eigennutzung erfolgt und ich die Aussprache. Das Wort für die CDU-Frakti- auf diese Weise die Aufgabe mindestens ebenso on hat Herr Abgeordneter Tobias Koch. wirtschaftlich erfüllt werden kann. Damit sind beide konkreten Forderungen des CDU/ Tobias Koch [CDU]: SPD-Antrages vollständig abgearbeitet worden. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Mein herzlicher Dank dafür gilt unserem Finanzmi- Herren! Ende 2005 hat der Landtag auf Antrag von nister Rainer Wiegard und den Mitarbeitern seines CDU und SPD die Landesregierung aufgefordert, Hauses. Öffentlich Private Partnerschaften in Schleswig- (Beifall bei CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE Holstein zu erleichtern. GRÜNEN und SSW - Detlef Matthiessen Den daraus resultierenden Gesetzentwurf beraten [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das wir heute in zweiter Lesung im Landtag. Der Be- für ein Parlamentsverständnis? Wir machen richterstatter wies dankenswerterweise schon dar- die Gesetze und nicht die Regierung!) auf hin, dass der Gesetzentwurf zwischenzeitlich in Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4417

(Tobias Koch)

Mit der heutigen Gesetzesverabschiedung schaffen Beitrag zur Sanierung unseres Landeshaushaltes. wir beste Voraussetzungen, um bei öffentlichen Die CDU-Fraktion wird dem vorliegenden Gesetz- Bauvorhaben in Schleswig-Holstein zukünftig pri- entwurf deshalb geschlossen zustimmen. vate Partner zu beteiligen und dadurch Kostenein- (Beifall bei CDU und SPD) sparungen von rund 20 % zu erzielen, indem Pla- nung, Bau, Betrieb und Finanzierung eines Vorha- bens durch den privaten Partner optimal aufeinan- Präsident Martin Kayenburg: der abgestimmt werden. Für die Fraktion der SPD hat Frau Abgeordnete Gleichzeitig erscheint es angebracht, daran zu erin- Birgit Herdejürgen das Wort. nern, dass ÖPP nicht „Bauen ohne Geld“ bedeutet. Als der Finanzminister in der damaligen Debatte Birgit Herdejürgen [SPD]: richtigerweise genau darauf aufmerksam gemacht Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- hat, glaubte die Opposition schon, jetzt würden die gen! Einen schillernden Begriff nennt der Bundes- Seifenblasen bei den Regierungsfraktionen zerplat- verband deutscher Banken die ÖPP und führt zahl- zen. Wenn man sich heute die Debatte um die Zu- reiche Beispiele für mögliches privates Engagement kunft des UK S-H anschaut, meine Damen und an: Straßen, Schulen, Kindertagesstätten, Kranken- Herren, so kann man jedoch den Eindruck gewin- häuser, Verwaltungsgebäude und auch Gefängnis- nen, dass ÖPP für manch einen in diesem Haus se. zum Allheilmittel geworden ist, um unliebsame Pri- vatisierungen zu verhindern. Obwohl dieses Instrument im Vergleich zu anderen Ländern bei uns in Deutschland bisher nur relativ (Günter Neugebauer [SPD]: Das habe ich wenig genutzt wird, hat es doch eine lange Ge- nicht verstanden!) schichte: Eine der Pionierinnen Öffentlich Privater - Das will ich Ihnen gern erklären, Herr Vorsitzen- Partnerschaften war Deutsche. Maria Kunigunde der! von Sachsen, Äbtissin des Essener Stifts, bewies im ausgehenden 18. Jahrhundert, das unter anderem Aber selbst Kosteneinsparungen von 20 % dank durch den intensiven Ausbau öffentlicher Verkehrs- ÖPP können einen Investitionsstau nur abmildern infrastruktur gekennzeichnet war, bemerkenswerten und nicht vollständig beseitigen. Die restlichen Geschäftssinn und Weitblick für die gemeinsamen 80 % der ursprünglichen Baukosten sind weiterhin Interessen von Staat und Wirtschaft. Nachdem sich von der öffentlichen Hand zu tragen. die Landstände nicht in der Lage gesehen hatten, Gerade vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass Geld für den Bau der preußischen Chaussee von der mit dem ÖPP-Erleichterungsgesetz die Notwendig- Mark nach Wesel aufzunehmen, ließ Maria Kuni- keit einer Aufgabenkritik noch einmal betont und gunde diese bauen und betrieb eine gebührenpflich- gesetzlich festgeschrieben wird. Wir legen uns da- tige Straßenverbindung als Privatunternehmerin. mit die Selbstverpflichtung auf, jederzeit zu prüfen, (Lothar Hay [SPD]: So sind sie, die Frauen! - ob und inwieweit bislang vom Staat wahrgenom- Heiterkeit) mene Aufgaben verzichtbar sind oder in anderer Weise erfüllt werden können. Die Chaussee brachte ihr jährlich einen Gewinn von 1.700 Reichstalern ein und Maria Kunigunde Ferner ist geregelt, dass Privaten die Möglichkeit verkaufte die Straße im Jahre 1803 für eingeräumt werden muss, darzulegen, ob sie die 45.000 Reichstaler an das Königreich Preußen, das vom Land wahrgenommene Aufgabe ebenso gut die wichtigste Straßenverbindung durch sein neu oder besser erfüllen können. erworbenes Gebiet selbst besitzen wollte. Nach Meine Damen und Herren, jeder Bürger würde be- heutigen Maßstäben war es also eine Art modifi- reits heute erwarten, dass die öffentliche Hand ge- ziertes Erwerbermodell nach § 3 Nr. 2 des ÖPP- nau so verfährt und er würde überrascht feststellen, Gesetzes. dass dem bislang nicht so ist. Für meine Fraktion (Thomas Stritzl [CDU]: Daran hat sich Neu- begrüße ich deshalb auch diese Gesetzesinhalte gebauer erinnert?) ausdrücklich. - Ja, er war dabei. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass von dem ÖPP-Erleichterungsgesetz ein deutlicher Im- (Heiterkeit) puls für mehr Investitionen und für einen Verzicht Die Realisierung des Bauprojektes erfolgte übri- oder eine Privatisierung bisheriger Staatsaufgaben gens ganz ohne Staatsgarantien; vielleicht ist dies ausgeht. Beides zusammen leistet einen wichtigen 4418 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Birgit Herdejürgen) ein geeignetes Vorbild für den Bau der festen Feh- nes Projektes sinnvoll ist. Und das Kompetenzzen- marnbelt-Querung. trum achtet darauf, wie die vertraglichen Bedingun- gen gestaltet sein müssen, um öffentliche Leistun- (Vereinzelt Beifall bei der SPD) gen - das ist ja unser Interesse - zeitnah und kosten- Angesichts dieses Projektes könnte man sagen, dass günstig zur Verfügung zu stellen. wir in Schleswig-Holstein etwas spät dran sind. Al- Wir werden uns in absehbarer Zeit sicherlich mit lerdings sind im Jahr 2007 - das haben nicht zuletzt den Auswirkungen und mit dem Verlauf von ÖPP die parlamentarischen Beratungen gezeigt - die ge- in Schleswig-Holstein beschäftigen. Möglicherwei- sellschaftlichen Voraussetzungen etwas komplexer, se müssen wir dann an der einen oder anderen Stel- die Anforderungen von Bürgerinnen und Bürgern le des Gesetzes Modifizierungen vornehmen. Diese stärker spezifiziert und die Verpflichtungen gesetz- Zeit sollten wir uns nehmen, aber wir sollten uns gebender Ebenen schränken eigenmächtige Bauvor- auch die Zeit nehmen, darauf zu blicken, wie sich haben, wie sie Maria Kunigunde betrieben hat, ein. ÖPP-Projekte hier in Schleswig-Holstein in der Von daher bin ich froh, dass Sie es nun geschafft nächsten Zeit entwickeln und welche Auswirkun- haben und die Beratungen in den Ausschüssen sind gen diese auf die unterschiedlichen Bereiche hier aus meiner Sicht zügig vorangegangen. im Lande haben. Insofern werden auch wir dem Zum Verfahren hat der Vorsitzende schon einiges Gesetzentwurf zustimmen. gesagt. Wir hatten eine schriftliche Anhörung und (Lothar Hay [SPD]: Geschlossen!) eine Kommentierung durch den Wissenschaftlichen Dienst. Wir haben uns in den abschließenden Bera- - Geschlossen. tungen auf einige Änderungen zum vorgelegten Ge- Ich bedanke mich bei allen, die mitgewirkt haben, setzentwurf geeinigt. Wir hatten eine Reihe von sowie für die zügige Beratung im Ausschuss. Änderungsvorschlägen, die wir in großen Teilen nicht aufgenommen haben und damit der Kommen- (Beifall bei SPD und CDU) tierung des Wissenschaftlichen Dienstes gefolgt sind. Man muss schließlich bei einem solchen Ge- Präsident Martin Kayenburg: setzesvorhaben immer aufpassen, dass man es nicht als ein Vehikel benutzt, um Dinge zu regeln, die Für die Fraktion der FDP hat nun deren Vorsitzen- hier orginär nichts zu suchen haben. Dazu zählen der, der Oppositionsführer Wolfgang Kubicki, das beispielsweise Verweise auf Wirtschaftlichkeitsun- Wort. tersuchungen, wie sie von der IHK vorgelegt wur- den. Es gab also eine Reihe von Punkten, die im Wolfgang Kubicki [FDP]: Sinne einer schlankeren Gesetzgebung aus unserer Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicht in diesem Gesetz nichts zu suchen haben. In- Auch ich möchte mich bei uns allen bedanken, dass sofern ist das, was jetzt dabei herausgekommen ist, wir so zügig beraten haben. eine wichtige Ergänzung für die Erleichterung Öf- fentlich Privater Partnerschaften. Freiwillige Zusammenarbeit ist gut für alle Betei- ligten. Auf diesem Grundsatz fußen auch Öffentlich Das Gesetz ist aber nur das eine. Wir müssen in Private Partnerschaften für Investitionen in öffentli- Schleswig-Holstein auch Instrumente vorhalten, um che Projekte, genauer gesagt in Projekte, die die den Anforderungen, die wir formuliert haben, in der Vertreter der öffentlichen Hand zwar verwirklichen Praxis gerecht werden zu können. In der öffentli- möchten, für die sie aber in den öffentlichen Kassen chen Diskussion werden Öffentlich Private Partner- bedauerlicherweise nicht genug Geld finden. Dafür schaften kritisch begleitet und ein wichtiger Aspekt gibt es in Schleswig-Holstein Beispiele zuhauf. ist - das habe ich schon bei der ersten Behandlung Welche Projekte davon im Rahmen Öffentlich Pri- im Landtag gesagt und da blicke ich in Richtung vater Partnerschaften verwirklicht werden können, Landesrechnungshof -: ÖPP ist kein Mittel zur kann allerdings nur im Einzelfall entschieden wer- Haushaltskonsolidierung; das müssen wir alle wis- den. sen und im Hinterkopf haben. Die rechtlichen Kriterien für diese Entscheidungen Jedes Projekt ist darauf zu überprüfen, ob es sinn- werden im vorliegenden Gesetzentwurf festge- voll ist, es als ÖPP-Projekt zu gestalten. Dafür ha- schrieben. So entstehen klare Verhältnisse bei ben wir unter anderem das Kompetenzzentrum bei Rechten und Pflichten aller an Öffentlich Privaten der Investitionsbank. Dieses Kompetenzzentrum Partnerschaften Beteiligten und klare Verhältnisse bietet Hilfestellung im gesamten Verfahren - gerade sind ein wesentlicher Bestandteil eines günstigen auch bei der Prüfung, ob ÖPP zur Realisierung ei- Klimas für Investitionen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4419

(Wolfgang Kubicki)

Auch in diesem Zusammenhang begrüßen wir es, begrenzen. Denn bei einer Vielzahl von sinnvollen Herr Finanzminister, dass Sie von sich aus die un- und als notwendig erachteten öffentlichen Investi- durchsichtigen Regeln zur Beleihung mit öffentli- tionen gibt es für Private kaum eine Rendite zu er- chen Ämtern aufgegeben haben. zielen. Als fiktives Beispiel - Herr Finanzminister, erlauben Sie mir, das zu sagen - möge dafür die Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Öffentlich Grundsanierung des Finanzministeriums herhalten. Privaten Partnerschaften sollen nicht nur mehr In- vestitionen ermöglicht werden, sondern in vielen Andererseits werden aus den Erfahrungen bei er- Fällen sollen sie auch früher erfolgen können. Denn folgreichen Öffentlich Privaten Partnerschaften mit private Vor- und Zwischenfinanzierungen kön- Sicherheit nach und nach Ideen für neue Möglich- nen viele Projekte ermöglichen, die bei rein öffent- keiten und Wege entstehen, wie öffentliche und pri- licher Finanzierung wegen der jährlich geltenden vate Investoren zum Vorteil beider Seiten auch zu- Budgetbeschränkung durch die verfassungsrechtli- sammenarbeiten könnten. So wird der tatsächliche che Verschuldungsgrenze entweder ganz ausfallen Anwendungsbereich für Öffentlich Private Partner- müssten oder erst viel später in Angriff genommen schaften - so hoffen wir jedenfalls - in absehbarer werden könnten. Zeit wachsen oder jedenfalls wachsen können. Dar- über freuen wir uns als Liberale selbstverständlich. Allerdings müssen wir darauf achten, dass die dabei entstehenden Eventualverbindlichkeiten der öf- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stimmen dem fentlichen Hand in den öffentlichen Haushalten an- Gesetzentwurf in der vom Ausschuss empfohlenen gemessen berücksichtigt werden. Sonst könnten Öf- Fassung uneingeschränkt zu. fentlich Private Partnerschaften missbraucht wer- (Beifall bei FDP, CDU und SPD) den, um diese Budgetbeschränkungen langfristig zu umgehen. Präsident Martin Kayenburg: Im Gesetzentwurf werden - wie gesagt - die rechtli- chen Kriterien für mögliche Öffentlich Private Part- Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN er- nerschaften abgesteckt. Für welche der möglichen teile ich dem Herrn Abgeordneten Detlef Matthies- Projekte sich tatsächlich solche Partnerschaften bil- sen das Wort. den lassen, hängt auch ganz entscheidend davon ab, was die privaten Partner dabei verdienen können. Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wer sich dieser Erkenntnis verweigert - liebe Kol- NEN]: leginnen und Kollegen, in den Ausschussberatun- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- gen vermitteln uns die Grünen manchmal diesen gen! Herr Kubicki, ich habe schon begriffen, dass Eindruck -, läuft einer utopischen Vision hinterher Sie die Grünen für fürchterlich blöd halten. und ist nicht ernst zu nehmen. Denn private Inve- storen investieren, weil sie darauf spekulieren, (Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki durch die Investitionen mehr Vorteile zu erreichen, [FDP] - Heiterkeit) als wenn sie das Geld anderswo ausgeben würden. Es wäre aber hilfreich, wenn Sie das mit Argumen- In Einzelfällen mögen sich diese Vorteile allein auf ten unterfütterten, die wir auch tatsächlich nennen, das Gefühl beschränken, etwas Sinnvolles und Gu- und nicht permanent die Übung führen, dass Sie tes geleistet zu haben. Im Regelfall aber werden uns Argumente unterstellen, die nicht so schlau diese Vorteile hauptsächlich an der Verzinsung des sind, die wir aber gar nicht gebracht haben. investierten Kapitals gemessen. Wer also glaubt, reiner Altruismus sei als Investitionsmotiv so weit (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold verbreitet, dass eine Vielzahl von Öffentlich Priva- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ten Partnerschaften verwirklicht werden könne, oh- Das machen Sie hier in feiner Regelmäßigkeit. Ich ne dass die beteiligten Privaten erwarten, für das halte das schon für grenzwertig. eingesetzte Kapital mittel- und langfristig marktüb- liche risikogewichtete Renditen zu erzielen, täuscht Meine Damen und Herren, ich danke für die Gele- sich. genheit, hier für die Grünen zum Gesetz zur Er- leichterung Öffentlich Privater Partnerschaften, ab- (Beifall des Abgeordneten Günther Hilde- gekürzt ÖPP, Stellung nehmen zu können. Die Dis- brand [FDP]) kussion um die ÖPP-Projekte hat zumindest eine Liebe Kolleginnen und Kollegen, so wird die Not- wichtige Erkenntnis gebracht: Wir müssen den ge- wendigkeit, marktübliche Renditen zu erreichen, samten Lebenszyklus einer Investition betrachten. die Verbreitung Öffentlich Privater Partnerschaften Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass beim Bau eines Gebäudes, egal ob Schule, Kita, Flughafen 4420 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Detlef Matthiessen) oder Schwimmbad, die Kosten über 25 bis 40 Jahre len Möglichkeiten der Kommunen kommt und kei- zu berechnen und zu betrachten sind. Die oftmals ne Finanzlasten in die Zukunft verschoben werden. politisch und öffentlich heftig umstrittene Investiti- Weiterhin haben wir Grünen zum § 6 angeregt, dass onssumme macht meistens nur 15 bis 25 % der die Träger der öffentlichen Verwaltung Wirt- Kosten im Lebenszyklus eines Projektes aus. Wich- schaftlichkeitsuntersuchungen machen müssen, tiger sind die Finanzierungs- und Betriebskosten. bevor sie über die Verlagerung einer öffentlichen Wir Grünen nennen gern auch die weiter steigenden Aufgabe auf ÖPP nachdenken. Leider sind beide Energiekosten; denn über den Zeitraum von 25 bis Ansätze von der Großen Koalition nicht aufgenom- 40 Jahren betrachtet macht sich meistens ein effizi- men worden. entes Energiekonzept, möglichst basierend auf er- neuerbaren Energien, bezahlt. Es gibt zwei zu Beginn hoch gelobte ÖPP-Projekte in Deutschland, die gründlich in die Hose gegangen Die Diskussion um ÖPP-Projekte fällt nicht plötz- sind. Das sind die Straßentunnel in Rostock und lich vom Himmel, sondern die akute Not der öffent- Lübeck. Die prognostizierten Verkehrszahlen wur- lichen Haushalte und der teilweise zu beobachtende den nie erreicht. Ich bin mir sehr sicher, wer am Verfall der öffentlichen Infrastruktur haben die Ende die Zeche zahlen wird, nämlich die Steuer- Kommunen und die Länder auf die Idee gebracht, zahlerinnen und die Steuerzahler. privates Kapital für Investitionen einzuwerben. Der private Kapitalgeber hat eine Gewinnerwartung. (Zuruf von der CDU: Ohne ÖPP wären sie Das stellt niemand in Abrede, Herr Kubicki, um das gar nicht da!) noch einmal zu betonen. Die Grundfrage für die Po- Aktuell wird in Lübeck eine weitere Mauterhöhung litik ergibt sich daraus, ob durch das Einbeziehen für den Herrentunnel diskutiert. Hintergrund sind des privaten Kapitals und privaten Know-hows die Nutzerzahlen. Statt der prognostizierten 37.000 wirklich Einsparungen zu realisieren sind. Belas- Pkws fahren nur 20.000 durch den Tunnel. Ich sage tungen im Haushalt werden heute vermieden, aber im Nachhinein, die Prognose war überoptimistisch. sie werden nur in die Zukunft verschoben. Der Prä- Ein weiterer Rückgang wird erwartet, wenn die sident des bayerischen Rechnungshofes sagt dazu: Nordtangente Ende 2007 eröffnet wird. Wer jetzt nicht zahlen kann, dem wird das auch nicht über ÖPP gelingen, weil er die Finanzierungs- Ein weiteres schlechtes Beispiel ist die Privatisie- lasten damit nur in die Zukunft verlagert. Recht hat rung beziehungsweise Teilprivatisierung der Was- er! ser- und Abwasserversorgung in Berlin, wo der Staatshaushalt unter der vereinbarten Last der Ga- Der Private muss seinen Gewinn erwirtschaften. Er rantiedividende für die Privaten in die Knie geht. muss Mehrwertsteuer und Körperschaftsteuer be- zahlen. Alles das muss die öffentliche Hand nicht Kernbereiche wie Polizei und Justizvollzug verbie- und sie ist diesbezüglich günstiger. Auch in der ten sich; sie obliegen allein dem Staat. Fremdfinanzierung ist die öffentliche Hand gün- Ich fasse zusammen: Wir halten es für falsch, dass stiger. Es gibt bislang deswegen nur wenige ÖPP- keine Wirtschaftlichkeitsberechnungen erfolgen Projekte in Deutschland. Wenn genau kalkuliert müssen, bevor eine öffentliche Investition oder wird, kommen die meisten Kämmerer in den Kom- Leistung als ÖPP erstellt wird. munen zu dem Ergebnis: Der Kommunalkredit ist als Finanzierung unschlagbar. (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb haben wir in der parlamentarischen Bera- tung in den Ausschüssen einen neuen Ansatz im § 6 Weiterhin muss sichergestellt werden, dass eine In- vorgeschlagen: Eine ÖPP-Finanzierung darf nur vestition auch ohne ÖPP finanziell von der Kom- dann erwogen werden, wenn Projekte konventionell mune bewältigt werden kann, dass es mit ÖPP aber nach alter Praxis auch realisiert werden könnten, sie wirtschaftlicher ist. Diese Änderungen sind von sich aber als ÖPP unter wirtschaftlichen Gesichts- CDU und SPD nicht gewollt. Deshalb lehnt die grü- punkten als günstiger für die öffentliche Hand dar- ne Landtagsfraktion den Gesetzentwurf ab. stellen. Nur dann soll eine ÖPP-Finanzierung um- Wir fürchten, dass ÖPP nur ein anderes Wort für gesetzt werden. neue Schulden wird. Unkalkulierbare Risiken und (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold Schattenhaushalte entstehen. Staatsgarantien be- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) freien den privaten Planer von dem, was essentiel- ler Bestandteil von Markt und Wettbewerb ist: Sie Damit wäre sichergestellt, meine Damen und Her- befreien von dem Risiko. Die Übernahme der Ga- ren, dass es zu keiner Überforderung der finanziel- rantien müssen nach unserer Auffassung wie Schul- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4421

(Detlef Matthiessen) den bewertet werden, zum Beispiel durch Anrech- besser wahrnehmen können. Zwar geht die Landes- nung auf die Maastricht-Kriterien. regierung nicht so weit wie die IHK, die in ihrer Stellungnahme bei einem positiven Prüfergebnis ei- Präsident Martin Kayenburg: ne Privatisierung verlangt. Wir sind aber genauso wie die kommunalen Landesverbände der Meinung, Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. dass die geltende Gemeindeordnung, die ja auch zu Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auffordert, völlig ausreichend ist. NEN]: Insgesamt gehen uns die Bestimmungen in §§ 5 Auch diese Frage ist bislang nicht geregelt. und 6 zu einseitig auf die Wirtschaftlichkeit von (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold öffentlichen Aufgaben ein. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wo bleibt hier die soziale und umweltmäßige Kom- ponente öffentlicher Aufgaben? Was ist zum Bei- Präsident Martin Kayenburg: spiel mit der öffentlichen Verantwortung auch für Für die Abgeordneten des SSW erteile ich der Vor- die Energie- und Wasserversorgung? Dies alles sitzenden, Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk, kann nicht allein aus der wirtschaftlichen Sicht be- das Wort. urteilt werden. Eines ist sicher: Natürlich versprechen sich die pri- Anke Spoorendonk [SSW]: vaten Partner von der Beteiligung an einem ÖPP- Projekt die Eröffnung neuer Geschäftsfelder sowie Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zusätzliche Gewinne. Der öffentliche Partner wie- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt die Lan- derum reduziert für den Privaten die Finanzierungs- desregierung einen Punkt in der Koalitionsverein- risiken. barung um, der vereinfacht gesagt das Ziel hat, den Staat von Aufgaben zu entlasten und diese den Pri- Die Beteiligung Privater an öffentlichen Aufgaben vaten zu übertragen. Dass der Entwurf einen nicht bergen aber auch viele Risiken. Bei der Vertragsge- zu unterschätzenden Gehalt an symbolischer Politik staltung kann es leicht zu asymmetrischen Verhält- enthält, sei dabei vorab erwähnt. Denn bundesweit nissen zwischen spezialisierten großen Unterneh- steht die Einführung von Öffentlich Privaten Part- men und relativ kleinen und in diesem Bereich un- nerschaften auf der Agenda von Parlamenten und erfahrenen Verwaltungen in Schleswig-Holstein Regierungen. Wir haben es also mit einem echten kommen. Die öffentliche Hand macht sich von Pri- Modernisierungsthema zu tun. Öffentlich Private vaten abhängig und es droht der Verlust an demo- Partnerschaften - ÖPP-Projekte - sind bereits jetzt kratischer Kontrolle, da ein Projekt nicht ausrei- möglich. Folglich wären sie, würde man der Entbü- chend überwacht und konzessioniert wird. Ich nen- rokratisierungsrhetorik der Regierung glauben, ei- ne hier noch einmal das prominente Beispiel Toll gentlich auch nicht regelungsbedürftig. Aber Regie- Collect. rungen regeln nun mal gern, unabhängig von ihrer Inwieweit die Einbindung der IB sowie der Koor- Rhetorik. dinatorenteams im Finanzministerium diese Risiken Mit dem Gesetz soll vermehrt privates Kapital und in Grenzen halten können, hängt sehr von den kom- Fachwissen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben munalen Verwaltungen ab, davon, ob sie diese Hil- mobilisiert werden können. Man verspricht sich da- fe denn auch annehmen. Wir befürchten jedenfalls, von, die öffentlichen Kassen zu entlasten und Pro- dass es keine Waffengleichheit zwischen den eh- jekte schneller und effizienter durchführen zu kön- renamtlichen Kommunalpolitikern und den mögli- nen. Im Entwurf heißt es hier wörtlich, dass erheb- chen professionellen privaten Partnern gibt. liche Effizienz- und Kostenvorteile realisiert wer- Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass ÖPP den können, wobei aber immer noch unklar bleibt, in der Regel langfristige Nutzungszahlungen für was das denn konkret heißt. konkrete Immobilien beinhaltet und es daher als Fi- Dabei sieht der SSW insbesondere die im § 5 vor- nanzierungsinstrument deutlich inflexibler ist als geschriebene generelle Überprüfung kritisch, ob ein Kredit. die von den Verwaltungen wahrgenommenen Auf- Da ÖPP den Immobilienbesitz der Gebietskörper- gaben verzichtbar sind oder in anderer Weise erfüllt schaften verkleinert und eine langfristige Aufga- werden können. Das heißt, die Verwaltungen sind benbindung bedeutet, verringert das den traditionel- in Zukunft generell dazu verpflichtet zu überprüfen, len Kreditrahmen der Kommunen und des Landes. ob nicht in geeigneten Fällen Private diese Aufgabe 4422 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Anke Spoorendonk)

Wo sollen eigentlich die Einsparungen herkommen, nanzierung, Betrieb, Bewirtschaftung. Alle sitzen wenn man ein Gewinnstreben der privaten Partner dabei in einem Boot und tragen an der Verantwor- legitimerweise unterstellen darf? Sie können zum tung mit. Wenn wir dies schon bei vielen Projekten einen aus der Umgehung von Tarifbindungen sowie in der Vergangenheit gehabt hätten, hätten wir viele Bewerbungs- und Ausschreibungsregeln, zum an- hundert Millionen Euro an Sanierungskosten für öf- deren durch Betriebsgrößenersparnisse eines priva- fentliche Gebäude nicht aufwenden müssen. Dazu ten Unternehmens herrühren. hätte man rechtzeitig und frühzeitig auf alle Betei- ligten hören müssen. Hinsichtlich des ersten Punktes spricht sich der SSW klar gegen Lohndumping aus. Darüber haben Die Kollegin Herdejürgen hat mir bezüglich der wir heute morgen schon diskutiert. Zweitens darf Frage des Erstgeburtsrechts nun leider einen Strich bezweifelt werden, dass der hiesige Mittelstand in durch die Rechnung gemacht, das ich gern in An- nennenswertem Umfang von dem Gesetz profitie- spruch genommen hätte. Aber es gilt wenigstens, ren wird. dass dieses Gesetz das erste eines Bundeslandes ist. Es ist ein kleines Gesetz. Es hat nur zwölf Paragra- Der SSW ist nicht generell gegen Privatisierung un- fen. Diese reichen aus, um die nötige Rechtssicher- serer öffentlichen Aufgaben oder gegen ÖPP. Wir heit zu schaffen. sind aber der Ansicht, dass die kommunale Ebene durch die Umsetzung des ÖPP-Gesetzes unter Zug- Wenn man die Stellungnahmen der Organisationen zwang gesetzt wird, weitere Privatisierungen voran- und Verbände, die abgegeben worden sind, auf- zutreiben. merksam durchliest, stellt man fest, dass dieser Ge- setzentwurf, der heute beschlossen werden wird, Wir lehnen das Gesetz ab und werden dem Ände- bei allen Beteiligten einen außerordentlichen Zu- rungsantrag der Grünen zustimmen, weil er auf je- spruch erfährt. Das lässt darauf schließen, dass das den Fall konsequent und logisch ist. Gesetz eine gute Wirkung entfalten wird. (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE Den Kollegen Matthiessen bitte ich, mir diejenige GRÜNEN) Stelle zu nennen, die im öffentlichen Bereich baut, ohne dafür Mehrwertsteuer zu zahlen. Ich wäre Präsident Martin Kayenburg: dankbar, wenn Sie mir diesen Tipp gäben. Für die Landesregierung hat Herr Finanzminister (Beifall bei CDU und FDP) Rainer Wiegard das Wort. Ich bitte darum nicht etwa, weil ich davon Ge- Rainer Wiegard, Finanzminister: brauch machen möchte, sondern weil ich dann mei- ne Umsatzsteuersonderprüfung sofort ansetzen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das wa- würde, um diesem Treiben ein Ende zu bereiten. ren erstaunlich viele Worte für ein erstaunlich klei- nes Gesetz. Aber es ist ein kleines Gesetz, das nach Herr Kollege Kubicki hat recht. Ich glaube, was die meiner Einschätzung große Wirkung entfalten wird. Gestaltung des künftigen Haushaltsrechts betrifft - Es ist gesetzliche Grundlage dafür, dass Private und sowohl bei den Kommunen als auch beim Land; ich Öffentliche miteinander auf einer gesicherten füge hinzu, obwohl es mich nichts angeht: auch Rechtsbasis eine Zusammenarbeit organisieren beim Bund -, müssen wir natürlich Sorge dafür tra- können, die häufig - das ist ja der Sinn von Öffent- gen, dass das, was hier an Investitionen geschaffen lich Privaten Partnerschaften bei Projekten - über wird und gleichzeitig an Verbindlichkeiten einge- 20 oder 25 oder mehr Jahre organisiert werden gangen wird, irgendwo abgebildet wird. Davon sind müssen. Dies mit einem Leitfaden hinzukriegen ist, wir, wie Sie wissen, im öffentlichen Haushaltsrecht glaube ich, nicht sehr einleuchtend. Ich glaube des- bedauerlicherweise weit entfernt. Aber wir arbeiten halb, dass wir mit dem Gesetz einen guten Schritt mit großem Ernst daran. tun. Als Folge dieses Gesetzes - davon bin ich fest über- Wo die Ersparnis liegt, mag man bei einzelnen zeugt - wird es eine bessere Infrastruktur mit effi- Projekten genau sondieren. Ich sage Ihnen, wo nach zienterem Einsatz der Steuermittel und schließlich meiner langjährigen kommunalpolitischen Erfah- auch mit mehr Beschäftigung in unserem Land ge- rung die Ersparnis liegt. Sie liegt darin, dass an ei- ben. Das wird der Erfolg eines so kleinen Gesetzes nem Projekt von Anfang an all diejenigen verant- sein. Ich denke, dann hat sich der Aufwand gelohnt. wortlich beteiligt sind, die jeweils von dem etwas (Beifall bei CDU, SPD und FDP) verstehen, was sie beitragen können. Das geht von der Konzeption und der Planung bis hin zu Bau, Fi- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4423

Präsident Martin Kayenburg: dingungen für die Menschen gibt, die im Vollzug arbeiten, ist alles andere als einfach. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Doch genau diesen Anspruch haben wir an den schleswig-holsteinischen Strafvollzug. Wir werden Frau Kollegin Spoorendonk, mir liegt kein Ände- auch alles dafür tun, dass dieser Anspruch gewähr- rungsantrag der Grünen vor. leistet wird. Ich lasse über den Gesetzentwurf Drucksache 16/ Im Zuge der Föderalismusreform ist die Gesetzge- 935 in der vom Ausschuss empfohlenen Fassung bungskompetenz zu den Bundesländern gewan- abstimmen. Wer zustimmen möchte, den bitte ich dert. Wir haben darüber debattiert. Ich war darüber um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltun- nicht begeistert, aber es ist nun einmal so. Nun neh- gen? - Damit ist der Antrag Drucksache 16/1403 in men wir die Herausforderung an. Wir werden uns der vom Ausschuss empfohlenen Fassung mit den demnächst in diesem Hause mit einem Entwurf ei- Stimmen von CDU, SPD und FDP gegen die Stim- nes Jugendstrafvollzugsgesetzes befassen. Denn der men von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW Jugendstrafvollzug braucht eine klare gesetzliche angenommen. Grundlage, die es bislang nicht gibt. Dass der bis- Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 8 auf: herige Zustand untragbar und verfassungswidrig war, hat das Bundesverfassungsgericht der Politik Strafvollzug in Schleswig-Holstein zu Recht ins Stammbuch geschrieben. Der Landtag wird - so ist das geplant - noch in die- Große Anfrage der Fraktion der FDP sem Jahr durch die Verabschiedung eines solchen Drucksache 16/995 Gesetzes endlich umfassende und klare Regelungen Antwort der Landesregierung schaffen und damit Abläufe, Angebote und Sankti- Drucksache 16/1347 onsinstrumente in den Jugendanstalten auf eine gesetzliche Grundlage stellen. Wir werden voraus- Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das sichtlich noch in diesem Jahr in einer länderüber- ist nicht der Fall. greifenden Arbeitsgruppe einen Gesetzentwurf für Dann erteile ich das Wort zur Beantwortung der die Untersuchungshaft erarbeiten. Beide Gesetze Großen Anfrage dem Minister für Justiz, Arbeit haben im Moment Vorrang, weil wir hier ein beste- und Europa, Herrn Uwe Döring. hendes rechtliches Vakuum füllen müssen. Das exi- stierende Strafvollzugsgesetz hat sich grundsätzlich bewährt und ist aus Sicht der Landesregierung erst Uwe Döring, Minister für Justiz, Arbeit und Euro- zu einem späteren Zeitpunkt in ein Landesgesetz zu pa: überführen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Meine Damen und Herren, viele unsere Vollzugs- Umgang mit Straftätern entzünden sich immer wie- gebäude stammen aus der Kaiserzeit, und in vielen der hitzige öffentliche Debatten. Das passiert bis- unserer Vollzugsanstalten haben wir einen erhebli- weilen mit einem polemischen und populistischen chen Sanierungs- und Modernisierungsbedarf. Mit Zungenschlag. Deshalb ist es wichtig, dass wir heu- dem für die Jahre 2000 bis 2005 beschlossenen In- te die Große Anfrage diskutieren, die einen umfas- vestitionsprogramm und der folgenden Ergänzung senden Überblick über den Strafvollzug in Schles- bis 2010 investieren wir sehr viel Energie und Geld. wig-Holstein gibt. Schritt für Schritt wird damit die bauliche Substanz Die Sicherstellung eines modernen Strafvollzugs des Strafvollzuges verbessert. Im letzten Jahr konn- gehört zu den wichtigsten Aufgaben eines Justizmi- ten wir zum Beispiel das pädagogische Zentrum der nisteriums. Schließlich ist die Freiheitsstrafe der JVA Neumünster, das neue Küchen- und Arbeitsge- schwerste Eingriff des Staates in die Grundrechte bäude der JVA Flensburg eröffnen. Mit der Einwei- seiner Bürger. hung des neuen F-Hauses in Lübeck haben wir An- fang des Jahres einen weiteren Meilenstein gesetzt. Rechtsstaatlichkeit, Besonnenheit und Augenmaß Damit verfügt Schleswig-Holstein zum ersten Mal müssen den Umgang mit den Gefangenen prägen. über eine eigene Sicherheitsabteilung für besonders Ich sage deutlich: Menschen wegzuschließen ist gefährliche Gefangene. Das Bauprogramm in den einfach. Aber einen Strafvollzug zu gewährleisten, nächsten Jahren wird dazu führen, dass weitere der die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung Verbesserungen durchgeführt werden können und achtet, die Gefangenen auf ein Leben in Freiheit dass es durch neue Haftplätze ermöglicht wird, vorbereitet und dafür sorgt, dass es gute Arbeitsbe- 4424 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Minister Uwe Döring)

Mehrfachbelegungen von Gefängniszellen wei- gebote für Ausbildung, Beschäftigung, Beratung testgehend abzubauen. und Therapie der Gefangenen haben. Die Ausbil- dung nimmt bei uns einen vorderen Rang ein. Bei Meine Damen und Herren, ein anspruchsvoller den Beschäftigungsmöglichkeiten müssen wir noch Strafvollzug ist mehr als ein Verwahrvollzug. Es zulegen. Aber - und das sage ich auch ganz deutlich braucht nicht nur gute Gebäude, es braucht auch - nichts schützt so gut vor Rückfall in die Krimina- qualifiziertes und motiviertes Personal. Bei der lität wie Arbeit und Arbeitsmöglichkeiten. Dafür Personalausstattung haben wir eine angespannte, müssen wir während des Strafvollzuges die Grund- insgesamt aber noch vertretbare Situation. Kürzun- lagen legen. Der Ernstfall ist die Entlassung. Wir gen beim Personal des Strafvollzuges würden zu müssen dafür sorgen, dass die Menschen, wenn sie unzumutbaren Belastungen der Bediensteten, aber die JVAs verlassen, dann auch eine Möglichkeit ha- auch zu Sicherheitseinbußen und geringeren Chan- ben, entsprechend ihren Lebensunterhalt selbst zu cen auf soziale Eingliederung der Gefangenen füh- verdienen. Wir haben in der Vergangenheit ein ren. Ich sage klar und deutlich, Einsparungen beim Netzwerk mit externen Partnern kontinuierlich aus- Personal des Justizvollzuges halte ich für unverant- gebaut. Das erleichtert den Übergang vom Gefäng- wortlich. Und ich halte es für gut, dass wir das mit- nisalltag in ein freies Leben außerhalb des Vollzu- einander vereinbart haben, da nicht ranzugehen. ges. (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE Meine Damen und Herren, wenn ich am Anfang GRÜNEN) meiner Rede von den Herausforderungen des Straf- Ich schließe da gern an an die Debatte, die wir ge- vollzuges gesprochen habe, gilt das in besonderem stern geführt haben. Ich möchte hier auch einmal Maße für den Umgang mit jungen Straftätern. Die sagen, um nicht missverstanden zu werden: Ich bin Gewaltkriminalität bei jungen Menschen nimmt kein verbiesterter Minister, der nicht irgendwo kür- zu. Wir haben in Schleswig-Holstein Gott sei Dank zen will. Ich bin auch nicht der Schutzheilige des keine Berliner Verhältnisse mit Hunderten von bru- öffentlichen Dienstes, aber an dieser Stelle möchte talen Intensivtätern, aber auch in unseren größeren ich dem Schleswig-Holsteinischen Landtag eine Si- Städten und im Hamburger Umland zeigen sich tuation ersparen, die der nordrhein-westfälische ähnliche Tendenzen, wenn auch noch auf niedrige- Landtag gerade hinter sich hat, der jahrelang in die- rem Niveau. Das muss man wissen, das gehört auch sem Bereich gekürzt hat. Dann geschah der Mord in zur Diskussion und zur Wahrheit. Die Folge dieser Siegburg, und auf einmal wurden über 300 neue Entwicklung ist, die Klientel in den Jugendanstalten Stellen bewilligt, die überhaupt nicht besetzt wer- wird schwieriger. Wir müssen leider zur Kenntnis den können, weil die Leute nicht da sind. nehmen, dass wir es im Jugendvollzug häufig mit Ich bin sehr froh, dass der Schleswig-Holsteinische potenziell gewaltbereiten Gefangenen zu tun haben. Landtag, aber auch mein Kollege Finanzminister Ich sehe diese Entwicklung mit großer Besorgnis. diese Situation verstehen. Ich denke, wir haben Hier darf sich aber niemand zur Blauäugigkeit ver- gleich noch einmal Gelegenheit, dass sich auch die leiten lassen. Gerade auf Gewaltkriminalität von Ju- Fraktionen dazu äußern. Ich würde mir da ein kla- gendlichen muss eine schnelle und konsequente Re- res Bekenntnis aller Fraktionen wünschen. Ich habe aktion von Polizei und Justiz folgen. Andererseits noch sehr gut in Erinnerung, dass beispielsweise dürfen wir junge und erwachsene Straftäter nicht die Fraktion der Grünen bei den letzten Haushalts- über einen Kamm scheren. Gerade der Jugendstraf- beratungen bei diesem Thema nur die Bildung aus- vollzug muss den besonderen Entwicklungsbedin- genommen hat. Alle anderen sollten es selbst er- gungen junger Menschen Rechnung tragen. Der wirtschaften. Das heißt, auch wir hätten das selbst von uns vorzulegende Gesetzentwurf stellt deshalb erwirtschaften müssen. Ich würde gern auch noch auch den Erziehungsgedanken in den Vordergrund: einmal ein sehr deutliches Wort von Ihnen dazu hö- Erziehungsvollzug und Sozialisierung. Ich sage hier ren, weil ich mir schon vorstellen kann, welche De- bewusst: Sozialisierung, nicht Resozialisierung. batte wir beim Jugendstrafvollzugsgesetz führen. Das ist nämlich das Problem. Es ist das erste Mfal, Beim Jugendstrafvollzug werden wir nämlich dass das in Jugendanstalten geschehen muss, und durch die Vorgaben des Verfassungsgerichts eine das macht es nicht einfach. Sozialtherapie einrichten müssen. Das halte ich für An vielen Stellen des Gesetzentwurfes kommt zum richtig, aber das geht nicht zum Nulltarif. Wir wer- Ausdruck, die Selbstverantwortung der jungen den hier für das nötige Personal sorgen müssen. Menschen muss gefördert werden, wir müssen Meine Damen und Herren, wir haben erst einen schulische und berufliche Ausbildung haben, wir kompletten modernen Strafvollzug, wenn wir An- müssen vor allen Dingen das Einhalten von klaren Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4425

(Minister Uwe Döring)

Regeln üben. Das heißt, es muss klar definiert sein, Präsident Martin Kayenburg: was gemacht werden muss und was gemacht wer- Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Opposi- den kann. Wenn man Dinge, die einem als Ver- tionsführer, Herrn Abgeordneten Wolfgang Ku- pflichtung auferlegt sind, in den Jugendanstalten bicki, das Wort. nicht durchführt, dann muss das auch mit Sanktio- nen bewehrt sein. Das werden wir klar zum Aus- druck bringen, um gegenüber diesen jungen Men- Wolfgang Kubicki [FDP]: schen deutlich zu machen, welche Verpflichtungen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sie haben. Bereits im September 2006 hatte die FDP-Fraktion Zusammenfassend lässt sich feststellen - das wird die Große Anfrage zum Strafvollzug in Schleswig- an vielen Stellen der Großen Anfrage deutlich -, Holstein gestellt. Seit Ende April liegt die umfang- einfache Lösungen gibt es im Strafvollzug nicht. reiche Antwort der Regierung vor und ich möchte Daran gemessen befinden wir uns aber in Schles- allen, die daran mitgewirkt haben, sehr herzlich für wig-Holstein in einer guten Verfassung. Der Straf- ihre Arbeit danken. Das kommt bei mir im Gegen- vollzug in Schleswig-Holstein gibt den Gefangenen satz zu vielen anderen sehr selten vor. Bei diesem neue Perspektiven, er fördert aber auch Sicherheit Fall möchte ich das besonders zum Ausdruck brin- und Prävention. Ein Strafvollzug, mit dessen Hilfe gen. ein Straftäter einen festen Platz in der Gesellschaft Es ist schon lange her, dass in diesem Umfang findet, ist der wirksamste Schutz vor Kriminalität. Zahlen und Fakten zum Strafvollzug in Schles- In unserem gemeinsamen Bemühen um weitere wig-Holstein gebündelt zusammengetragen worden Verbesserung dürfen wir nicht nachlassen. Das sind sind. Bereits das verdient große Anerkennung, denn wir besonders den Bediensteten im Strafvollzug dadurch gibt es endlich wieder eine gemeinsame schuldig. Für sie ist die Arbeit mit den Gefangenen Grundlage, auf der wir auch mit den Mitarbeiterin- anstrengend, oft sehr belastend, und der Erfolg ist nen und Mitarbeitern aus dem Strafvollzug über höchst ungewiss. Ich möchte deshalb nicht versäu- Strafvollzug in Schleswig-Holstein diskutieren kön- men, an dieser Stelle all denen Respekt zu zollen, nen. Denn das stand für die FDP-Fraktion schon bei die sich im Vollzugsdienst, in der Gerichts- und Be- Einreichung der Großen Anfrage fest: Wir werden währungshilfe, bei den beteiligten Trägern und an uns mit den Vertreterinnen und Vertretern aus dem anderer Stelle professionell und leidenschaftlich für gesamten Justizvollzugsdienst fachlich unterhalten einen humanen und modernen Strafvollzug einset- müssen, um ein realistisches Bild von dem zu erhal- zen. ten, wie Strafvollzug heute funktioniert, was im (Beifall) Strafvollzug tatsächlich geleistet wird und vor al- lem was geleistet werden kann. Allein das statisti- Ich denke, ich spreche auch im Namen des Landta- sche Material reicht dafür nicht, kann es auch ges, wenn ich mich am Schluss meiner Rede noch nicht, aber es bietet, wie gesagt, eine gute Grundla- einmal bei den Mitarbeitern der Justizvollzugsan- ge. Dafür meinen herzlichen Dank. stalten für ihren täglichen Einsatz bedanke, der un- ser aller Anerkennung findet und der sehr häufig im (Beifall bei der FDP) Schatten steht. Bei so viel Datenmaterial zum Thema Strafvollzug (Beifall bei der FDP) ist es nicht anders zu erwarten, dass sich sowohl Positives wie Negatives dazu anmerken und ablei- Wir reden zu Recht viel über den Bereich der Poli- ten lässt. Statistisch positiv ist sicherlich hervorzu- zei, das ist richtig, aber der Strafvollzug hat eine heben, dass die Zahl der einsitzenden Strafgefange- mindestens genauso schwierige Aufgabe zu ge- nen und Sicherungsverwahrten eher rückläufig ist, währleisten zu manchmal ganz schwierigen Rah- dass statistisch die Gesamtzahl der Stellen im Ju- menbedingungen. Deswegen finde ich es gut und stizvollzug erhöht wurde und auch stetig an einer danke der FDP für die Gelegenheit, dass wir in der Verbesserung der baulichen Situation in den Justiz- Großen Anfrage einmal die Gesamtsituation in die- vollzugsanstalten gearbeitet wird. sem Landtag mit Ihnen diskutieren können. Ich freue mich auf die Beratungen, die wir noch in den Auch der Landesrechnungshof weist in seinen jüng- Ausschüssen haben werden. sten Bemerkungen darauf hin, dass „das Justizmini- sterium … im Justizvollzug eine Vielzahl von Re- (Beifall bei SPD, CDU und FDP) formprojekten begonnen“ hat, um allerdings im gleichen Atemzug darauf hinzuweisen: „ohne sie … abzuschließen“. Genau das ist das Dilemma. Denn es ist ja nicht so, dass in Schleswig-Holstein 4426 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Wolfgang Kubicki) in Sachen Strafvollzug nichts getan wird; nur, was soweit es geht. Aber ich befürchte, dass wir auch in getan wird, ist nach meiner Auffassung zu wenig. Schleswig-Holstein unter erheblichen Druck gera- ten werden. Eine Vielzahl engagierter Kolleginnen und Kolle- gen im Justizvollzug macht immer noch das Beste Bevor Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, mir wi- aus den schwierigen Bedingungen in den verschie- dersprechen, lassen Sie mich das an zwei Beispie- denen Anstalten. Aber mit „immer noch“ können len deutlich machen. wir uns nicht zufriedengeben. Dabei fehlt die Per- Seit 2002 hat sich die Gesamtzahl der Stellen im spektive. Justizvollzug ausweislich der Großen Anfrage von Aber was ist die Perspektive? Was soll Strafvollzug 841 auf 865 im Jahr 2006 erhöht. Tatsächlich sind leisten? Was sind wir bereit zu tun - Klammer auf, von diesen Stellen aber nur 836 besetzt, mithin zu zahlen, Klammer zu -, damit er das auch leisten 29 Stellen weniger als vorgesehen. Gleichzeitig hat kann? sich jedoch die Anzahl der Haftplätze von 2002 bis 2006 um 161 erhöht. Genau das ist Ausdruck feh- Noch bestimmt folgender Satz im Strafvollzugsge- lender personeller Mittel. setz bundeseinheitlich das Vollzugsziel - ich zitie- re -: Noch deutlicher wird die „Trendwende“ unter Be- rücksichtigung des im Entwurf vorliegenden Ju- „Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er gendstrafvollzugsgesetzes der Landesregierung, auf dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in das in der Großen Anfrage so oft Bezug genommen Freiheit einzugliedern.“ wird und das wir noch gesondert beraten werden. Es soll dem Gefangenen ermöglichen, künftig ein Gemäß § 2 versucht die Landesregierung allen Ern- Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu stes, als Ziel und Aufgabe des Jugendstrafvollzugs, führen. die Gleichrangigkeit zwischen dem Resozialisie- Als Liberaler fühle ich mich diesem Ziel in beson- rungsziel und der Aufgabe, die Allgemeinheit vor derem Maße verpflichtet. Jedem verantwortlichen weiteren Straftaten zu schützen, festzuschreiben. Innen- und Rechtspolitiker muss klar sein: Einen Herr Minister, ich will es an dieser Stelle noch ein- Häftling nur zu verwahren, ihn ungebessert zu ent- mal sagen: Das geht so nicht. Wir werden das bei lassen, ist weitaus gefährlicher, als ihn bereits im den Beratungen des Jugendstrafvollzugsgesetzes Vollzug auf das Leben danach vorzubereiten. auch nicht so stehenlassen wollen, weder beim Ju- Ich sage einmal: Wenn man jemanden aus der Haft- gendstrafvollzugsgesetz noch in einem neuen Straf- anstalt entlässt, ihn vor die Tür schickt, aber ihm vollzugsgesetz für Erwachsene. nicht einmal erklärt, dass sich zwischenzeitlich die Zurück zur Anfrage! Mit großem Erstaunen habe Bedingungen bei der Einlösung eines Fahrscheins ich zur Kenntnis genommen, dass die Regierung in für Busse geändert haben - es ist so; das hat sich im dem großzügigen Zeitrahmen von September bis öffentlichen Personennahverkehr geändert -, der April, den sie zur Beantwortung der Großen Anfra- muss sich nicht wundern, dass jemand einsteigt und ge erbeten hatte, just den 6. Dezember 2006 als glaubt, er kann im Bus bezahlen, anschließend er- Stichtag für die Bezifferung der tatsächlichen Bele- wischt wird, um möglicherweise ein Ermittlungs- gungszahlen in den Justizvollzugsanstalten ge- verfahren wegen der Benutzung öffentlicher Perso- wählt hat. Nicht der 6. November 2006 oder der nennahverkehrsmittel ohne Bezahlung zu erhalten. 6. Januar 2007, nein, der Nikolaustag musste es Das ist keine Chimäre. Das ist tatsächlich alles sein. Kollege Stritzl, ich sage auch gleich warum. schon passiert. Wir sind ja nicht blöd. Leider birgt die mit der Föderalismusreform ver- Dies ist sicherlich nicht zufällig, wenn man berück- bundene Verlagerung der Regelungskompetenz sichtigt, dass auf Erlass des Ministeriums alle Straf- im Strafvollzugsrecht jedoch die Gefahr, dass die- gefangenen in Schleswig-Holstein auf entsprechen- ses Vollzugsziel zunehmend durch einen Verwahr- den Antrag bereits am 7. November vorzeitig ent- vollzug abgelöst wird, weil die für eine erfolgreiche lassen werden können, wenn die Vollstreckung ih- Resozialisierung erforderlichen personellen und rer Freiheits- oder Ersatzfreiheitsstrafe in den Zeit- sachlichen Mittel fehlen. raum vom 8. November 2006 bis zum 18. Janu- Herr Minister, ich bin Ihnen außerordentlich dank- ar 2007 fällt und bestimmte Voraussetzungen er- bar dafür, dass Sie erklärt haben - das nehme ich Ih- füllt sind. Diesen „Gnadenerweis zu Weihnachten“ nen auch ab -, dass Sie an dem eigentlichen Voll- - eine sehr vernünftige Regelung - haben selbstver- zugsziel der Resozialisierung festhalten wollen, ständlich einige in Anspruch genommen und das Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4427

(Wolfgang Kubicki) hat natürlich Auswirkungen auf die tatsächlichen wertete Gebäude. Das wirft wahrlich kein gutes Belegungszahlen zum 6. Dezember 2006. Licht auf den Sanierungsprozess. Zwar werden deshalb nicht gleich die Belegungs- Bereits seit Gerd Walter wird die Sanierung im Ju- spitzen von durchschnittlich über 1.700 Gefange- stizvollzug als Schwerpunktthema definiert und nen aus den vergangenen Jahren erreicht werden. werden Mängel beklagt. Es ist höchste Zeit, dass Aber die tatsächliche Überbelegung wird ver- das Klagen und die Sanierung endlich zu einem En- schleiert, wenn für die Stichtagszählung genau der de kommen. Zeitpunkt gewählt wird, an dem die meisten der In- Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich nun haftierten schon wieder „ausgeflogen“ sind. zum Schluss komme, möchte ich noch kurz auf die Doch die Anzahl der Gefangenen ist nur eines der Situation des Personals in den Justizvollzugsan- Probleme. Wesentlich gravierender als die Quanti- stalten eingehen. Kurz nur deshalb, weil wir für die tät der Strafgefangenen in den Justizvollzugsanstal- weiteren Beratungen im Ausschuss nicht nur eine ten wirkt sich die Qualität der von ihnen begange- Anhörung wünschen, in der den Betroffenen die nen Delikte aus. Darauf haben Sie, Herr Minister, Gelegenheit gegeben wird, uns nicht nur weiter was den Jugendstrafvollzug angeht, wie ich denke, über die vielschichtigen tatsächlichen Belastungen zutreffend hingewiesen. Ich war wirklich schockiert zu informieren, sondern weil wir auf deren Grund- zu lesen, dass sich die Anzahl der Gewaltdelikte lage auch nach Lösungsansätzen suchen wollen. durch jugendliche Strafgefangene von 19,1 % im Das fängt bei der Verlängerung der wöchentlichen Jahre 2004 auf 35,9 % im Jahre 2006 fast verdop- Arbeitszeit auf 41 Stunden ohne die Festlegung ei- pelt hat. Zudem hat sich die Straflänge erhöht. nes Berechnungszeitraums an, setzt sich über die Diskrepanz zwischen vorgesehenen und besetzten Es ist nachvollziehbar, dass dementsprechend die Stellen fort, greift die Fragen nach dem Einsatz von Gewaltbereitschaft im Gefängnis auch spürbar Frauen auf, die Streichung des Anwärtersonderzu- größer geworden ist und dass dies auf die Stim- schlags, den Einsatz von Waffen und so weiter. mung im Gefängnis insgesamt wirkt, ja wirken muss. Dies ist ein Faktor, der übrigens nur sehr be- Denn leider zeichnen sich die Antworten insbeson- schränkt durch Statistik fassbar ist. dere im dritten Teil der Großen Anfrage durch viele allgemeine Ausführungen und Definitionen aus, die Ich kann allerdings die Mitarbeiterinnen und Mitar- der Fragestellung mehr formal als inhaltlich gerecht beiter im Vollzugsdienst gut verstehen, die sich vor werden. diesem Hintergrund mehr Personal wünschen, um der Situation Herr zu bleiben. Bestimmte Vor- Konkret ist allerdings die Aussage, dass die Prü- kommnisse in Jugendvollzugsanstalten müssen uns fung einer ÖPP für den Küchenneubau in der JVA in bestimmten Bereichen zum Nachdenken Anlass Lübeck nicht weiterverfolgt wird. Es geht also, geben. Herr Minister. Gefreut habe ich mich allerdings in diesem Zusam- Ich freue mich auf die Beratungen im Innen- und menhang, dass nach dem Entwurf des neuen Ju- Rechtsausschuss, beantrage die Überweisung des gendstrafvollzugsgesetzes die Einrichtung einer Berichtes und werde im Ausschuss weitere Ausfüh- sozialtherapeutischen Abteilung für die jugendli- rungen machen. chen Strafgefangenen vorgesehen ist. Bleibt zu hof- (Beifall bei der FDP) fen, dass die neue Abteilung auch mit dem erforder- lichen Personal ausgestattet wird. Herr Minister, darüber wird auch noch im Rahmen der weiteren Präsident Martin Kayenburg: Haushaltsplanberatungen zu reden sein. - Vielleicht Für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abge- oder hoffentlich ein Hinweis, der so selbstverständ- ordneten Thomas Stritzl das Wort. lich ist, dass es deshalb dazu keine weiteren Aus- führungen im Bericht gibt. Thomas Stritzl [CDU]: Was den baulichen Zustand der Justizvollzugsan- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und stalten angeht, so knüpft die Antwort auf die Große Herren! Durch die Große Anfrage der FDP haben Anfrage geradezu nahtlos an die Informationen aus wir heute relativ aktuell nach den Veränderungen vorangegangenen Berichten an. Es ist zwar nicht der Föderalismusreform - der Minister hat darauf mehr von „menschenunwürdigen Unterbringungen“ hingewiesen - die Möglichkeit, über Aspekte des die Rede, wie es einst die grüne Justizministerin Strafvollzugs in Schleswig-Holstein zu reden. Ich Anne Lütkes formulierte. Aber auch nach Jahren will noch einmal darauf hinweisen, dass auch mei- der Sanierung gibt es immer noch mangelhaft be- ne Fraktion kein Befürworter der Dezentralisie- 4428 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Thomas Stritzl) rung der Zuständigkeiten für den Strafvollzug Gemeinsamer Ansatz ist es auch, die Jugendlichen war, weil natürlich die Gefahr zu besorgen ist, dass gleichwohl stärker in die Pflicht zu nehmen. Das es einen Wettbewerb um den schärfsten und auch bedeutet, dass sie selbst an dem auch vom Gesetz- billigsten Strafvollzug in der Bundesrepublik gibt. geber gewünschten Erfolg mitarbeiten müssen. Oh- Wir hoffen, dass er nicht stattfindet; denn unser ne das eigene Zutun des jeweils Betroffenen gelingt Ziel ist klar: Wir wollen einen humanen Strafvoll- nirgends etwas; das gilt auch für den Jugendstraf- zug, und wir wollen nach wie vor den Schwerpunkt vollzug. bei der Resozialisierung. Stichwort: Das Leben in Insgesamt kann man also feststellen, dass die Aus- Freiheit vorbereiten. und Weiterbildungsangebote in den Justizvollzugs- (Beifall der Abgeordneten Manfred Ritzek anstalten des Landes ausreichen, auch wenn dies [CDU] und Karl-Martin Hentschel [BÜND- noch verbesserungsfähig ist. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Der Bericht stellt ferner fest, dass darüber hinaus - Schleswig-Holstein wird auch weiter versuchen, das mag als kleiner Beleg für die eben genannte möglichst bundeseinheitliche Regelungen zu fin- These dienen - auch im Rahmen der Befragung der den, die dem Grundgedanken genügen, den ich Gefangenen selbst keine großen Lücken sichtbar eben gerade vorgestellt habe. Ich glaube, ein gutes werden, wenn es um die Frage geht, welche der ge- Beispiel dafür, wie man insoweit arbeiten kann, wünschten Qualifikationsmöglichkeiten nicht ange- sind die Verhandlungen zum Jugendstrafvollzugs- boten werden. In Einzelfällen kommt dies - das ist gesetz, für das im Ergebnis die Eckpunkte auf Bun- auch nachzulesen - sicherlich vor, aber eine geball- desebene vereinbart beziehungsweise zwischen den te Häufung dieser Beobachtung scheint uns hier Ländern abgesprochen worden sind. Allerdings fin- nicht vorzuliegen. Das spricht auch ein Stück weit de ich es auch richtig, dass der im Land zuständige dafür, dass das Ministerium und seine Mitarbeiter Minister Döring weitere, eigene, zusätzliche Ak- sowie die Verantwortlichen in den Anstalten selbst zente setzt. Ein Stichwort ist hierbei die Mehrfach- die notwendigen Schwerpunkte setzen können und unterbringung und auch andere Bereiche. Das sind hierbei über das erforderliche Fingerspitzengefühl vernünftige und auch angemessene Bereiche. verfügen. Ich sage das auch vor dem Hintergrund der bedau- Erfreulich ist darüber hinaus, dass die norddeut- erlichen Vorfälle in Schleswig, einerseits mit dem schen Bundesländer zwar im Rahmen unterschiedli- Vorkommnis der menschenverachtenden Quälerei cher Programme, aber doch auf gemeinsamer Basis und auf der anderen Seite mit Vorkommnissen bis tätig werden, und zwar insbesondere im Bereich der hin zum Suizid. Es besteht also Bedarf, weitsichtig schulischen Programme und der beruflichen Bil- zu handeln. dung. Grundsätzlich muss auf die Arbeit der Jugendvoll- Die Anstaltsmodernisierung ist angesprochen zugsanstalten ein besonderes Augenmerk gelegt worden; sie wird vorangetrieben. Es geht hier nicht werden. Nicht zuletzt und gerade in diesem Bereich - um Missverständnissen vorzubeugen - um „Lu- wird natürlich auch über Karrieren, über Lebenswe- xusgefängnisse“, sondern schlicht um Verhältnisse, ge entschieden. Hier wird entschieden, ob am An- die einen erfolgreichen Justizvollzug und eine gute fang eine Resozialisierung gelingt, oder ob sich ei- Justizvollzugsarbeit gewährleisten. In Lübeck hat ne Karriere in einem kriminellen Bereich anbahnt, man ja das Problem mit der Höhe der Mauer ge- nicht nur mit den entsprechenden persönlichen und habt. Aber es geht nicht nur darum, sondern auch menschlichen, sondern vor allem auch volkswirt- um die Ausgestaltung der Räumlichkeiten selbst. schaftlichen Schäden. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Es ist die Frage, Deshalb ist dem Bereich der Bildungs- und Aus- welche Materialien hier verwendet wurden!) bildungsangebote besonderes Augenmerk zu wid- - Na gut, Sie waren näher dran und haben das Ge- men. Ich entnehme der Antwort zu der Großen An- fängnis wohl auch schon von innen gesehen, Herr frage, dass diese im Ergebnis durchaus umfangreich Kollege Kubicki. Im Ergebnis ging es aber darum, sind und vom Erwerb eines Schulabschlusses über das Entfleuchen zu verhindern. ein vielfältiges Ausbildungsplatzangebot bis hin zum Bewerbungstraining reichen. Man muss, glau- Da die Maßnahmen im laufenden Betrieb durchge- be ich, sagen: Im Jugendstrafvollzug wird - im po- führt und fortgesetzt werden müssen, kann natürlich sitiven Sinne dieses Wortes - im Lande einiges ge- nicht nur nach finanziellen Gesichtspunkten vorge- boten. gangen werden. Dies ist denjenigen entgegenzuhal- ten, die kritisieren, dass es nicht schnell genug ge- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4429

(Thomas Stritzl) he. Die Finanzen sind der eine Faktor - sicherlich hat, was ihr widerfahren ist, sowie auch andere da- haben sie immer eine begrenzende Wirkung -, das zu geschwiegen haben. andere ist jedoch, dass es im laufenden Betrieb von- Die Aufgabe, Therapieangebote und Therapieplätze statten gehen muss. Insofern, glaube ich, kann man zu verstetigen, ist eine der Anforderungen, die auch auch hier sagen, dass das, was man sich vornimmt, das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat. in der Tat bei der Abwicklung sicherlich auf einem Die höchstrichterliche Rechtsprechung macht hier guten Weg ist. Vorgaben; das Land kommt dem nach. Sie haben Besonderes Augenmerk gilt natürlich immer dem bereits darauf hingewiesen, dass dies sicherlich Thema „Gewalt in Anstalten“. Hier brauchen, auch im Stellenplan noch einmal seinen Nieder- glaube ich, insbesondere auch diejenigen, die die- schlag wird finden müssen. Ich will nur darauf hin- sen - der Minister hat es dargestellt - oft durchaus weisen, dass wir - Sie haben die Diskussion vom schweren Dienst in den Anstalten leisten, unseren gestrigen Tag erwähnt - natürlich hier die Koaliti- Rückhalt. Mir ist zwar nicht bekannt - vielleicht ist onsvereinbarungen nicht erweitern können, was de- das auch nicht feststellbar -, dass es eine übermäßig ren Ergebnis angeht. hohe Zahl von Widerstandshandlungen gäbe; inso- Auch wenn ich aktuell jetzt hinsichtlich der Maß- fern müssen wir heute eigentlich auch keine größe- nahmen und Aufgaben keine Sparpotenziale benen- ren Besorgnisse artikulieren. Trotzdem, meine ich, nen kann - wahrscheinlich wäre sogar eher das Ge- ist, auch wenn es sich nur um wenige Fälle von Wi- genteil der Fall -, ist es gleichwohl so, dass wir über derstandshandlungen handelt, darüber nachzuden- das, was wir gemeinsam im Koalitionsvertrag ver- ken, ob diese Fälle von den zuständigen Staatsan- einbart haben, an dieser Stelle hier und heute nicht waltschaften wirklich immer gleich zur Einstellung hinausgehen können. gebracht werden müssen. Darüber wird man zumin- dest noch einmal nachdenken dürfen. Insgesamt, glaube ich, kann man sagen: Schleswig- Holstein hat ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Nach den Vorfällen in der Justizvollzugsanstalt Strafe und Resozialisierung geschafft. Ich glaube, Siegburg - der Minister hat das Thema angespro- dass sich dies auch in der weiteren Gesetzgebung chen - haben wir natürlich eine öffentliche Sensibi- abbilden wird. lisierung - darauf habe ich schon hingewiesen - auch hier im Land im Hinblick auf die Vorkomm- Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im nisse der Jugendvollzugsanstalt in Schleswig. Zu Ausschuss. verhindern ist dies nicht vollständig; absolute Si- (Beifall bei CDU und SPD) cherheit gibt es nirgends. Aber auch dies zeigt viel- leicht, welchen unterschiedlichen Anforderungen auch die Bediensteten in den Anstalten jeweils aus- Präsident Martin Kayenburg: gesetzt sind und wo auch die Grenzen eines sich Für die Fraktion der SPD hat Frau Abgeordnete öffnenden Vollzugs, eines auf Resozialisierung an- Anna Schlosser-Keichel das Wort. gelegten Vollzugs - Stichwort Haftgruppen, wo man dieses stärkere Miteinander im Rahmen einer Anna Schlosser-Keichel [SPD]: verlässlichen, kontrollierten, aber doch freizügige- ren Umgebung, um auf das Leben vorzubereiten, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wünscht - liegen. In den USA sind, wie ich kürzlich gelesen habe, Gefängnisse ein blühender Wirtschaftszweig mit Man muss sich eben vergegenwärtigen, dass es in hohem Wachstumspotenzial. Es herrscht ein Wett- solchen Gruppen Gewaltausübungen geben kann, bewerb um den härtesten und billigsten Strafvoll- die das Maß der Vorstellung - jedenfalls, wenn man zug. es von außen betrachtet - sprengen. Da kommt dann immer gleich die Frage auf: Wie kann so etwas pas- (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki sieren? Hier kommt es eben auf die Art und Weise [FDP]) der Führung vor Ort an; das Personal muss auch Auch wenn bei uns immer wieder der Ruf nach richtig geschult und eingesetzt werden. Aber auch mehr Privatisierung und nach härteren und längeren hier ist etwas Eigenverantwortung gefordert. Es Strafen ergeht, sind wir doch von amerikanischen macht daher hellhörig, wenn man hört, dass in Verhältnissen im Strafvollzug in Deutschland und Schleswig jemand derart drangsaliert wurde, wie insbesondere in Schleswig-Holstein meilenweit ent- dies geschehen ist, aber diese Person noch nicht fernt. einmal selbst frühzeitig davon Mitteilung gemacht (Wolfgang Kubicki [FDP]: Dankenswerter- weise!) 4430 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Anna Schlosser-Keichel)

- Ja, dankenswerterweise. - Auch die Antwort der Motivation und Zuverlässigkeit leisten. Seit dem Landesregierung auf die Große Anfrage der FDP, Jahr 2002 beträgt die Zahl derer, die freiwillig aus für die ich Herrn Minister Döring und vor allem dem Dienst ausgeschieden sind, gerade einmal fünf. seinen fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ich glaube, auch das ist eine Zahl, die durchaus für danke, belegt dies. Ich danke auch der FDP für die sich spricht. zielführende Fragestellung, die uns nun zu dieser Mein Dank und der Dank meiner Fraktion geht an Arbeitsunterlage verholfen hat. dieser Stelle an die Mitarbeiterinnen und Mitarbei- Grundsätzlich wird in dem vorliegenden Bericht die ter. Es ist gut und wichtig, dass der Minister un- Leitlinie deutlich, an der sich die Politik in Schles- missverständlich deutlich macht, dass angesichts wig-Holstein seit vielen Jahren orientiert. Diese der Aufgaben und der hohen Belastung im Straf- Leitlinie heißt, dass die soziale Integration von vollzug keinerlei Raum für Einsparungen besteht. Straftätern im Vordergrund stehen muss und dass Unser Fraktionsvorsitzender hat sich da in der gest- dies gleichzeitig der beste Opferschutz ist. Der rigen Aktuellen Stunde eindeutig positioniert. Ich Schwerpunkt dieser Integrationsarbeit muss in den möchte das hier gern wiederholen. Justizvollzugsanstalten geleistet werden. Wir haben (Beifall bei der SPD sowie der Abgeordneten deshalb große Anstrengungen unternommen - und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tun dies immer noch -, um hierfür möglichst opti- NEN] und Anke Spoorendonk [SSW]) male Rahmenbedingungen zu schaffen, und zwar mit einem millionenschweren, noch nicht abge- Weiter zu den Kosten: Zugegeben, der Tageshaft- schlossenen Investitionsprogramm für eine umfas- kostensatz ist mit 90,62 € im Vergleich zum Bun- sende Modernisierung, aber auch im personellen desdurchschnitt relativ hoch. Das liegt nicht zuletzt Bereich. an der erfreulich geringen Inhaftierungsquote und den folglich relativ kleinen Anstalten in Schles- Deshalb hat es - anders als in fast allen anderen Po- wig-Holstein. Die Quote liegt bei 65 Gefangenen litikbereichen - im Justizvollzug keine Personal- pro 100.000 Einwohner, der Bundesdurchschnitt einsparungen gegeben. Im Gegenteil: Die Gesamt- bei 100. Eine so geringe Inhaftierungsquote ist in zahl der Stellen hat sich seit dem Jahr 2002 von 841 Schleswig-Holstein Tradition. auf 865 erhöht. Ich gehe auch davon aus, dass von den 24 Anwärtern und Anwärterinnen, die zum Die relativ hohen Kosten entstehen aber auch durch Stichtag 31. Dezember 2006 noch in der Ausbil- eine große und differenzierte Palette von schuli- dung waren, nun alle erfolgreich ihre Ausbildung schen und beruflichen Bildungsmaßnahmen sowie absolviert haben. Ich hoffe, dass ein Großteil der Therapie- und Beratungsangeboten, zu denen auch bislang unbesetzten Stellen nun durch sie besetzt die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter freier werden kann. Träger und nicht zuletzt die Berufsschulen einen wichtigen Beitrag leisten. Einen Dank an dieser (Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki Stelle auch an sie alle. Sie leisten hervorragende [FDP]) Arbeit in einem Bereich, der nicht immer die Sym- Aber das können wir ja in den weiteren Beratungen pathie der Öffentlichkeit hat. im Ausschuss noch nachprüfen und gegebenenfalls Die Antwort auf die Große Anfrage nennt als Sum- hinterfragen. me für Resozialisierungsmaßnahmen 3,88 Millio- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende nen €. Das sind ohne Berücksichtigung der Perso- Bericht macht deutlich, welch großen Belastungen nalaufwendungen 21,7 % der Gesamtaufwendun- die Bediensteten im Justizvollzug ausgesetzt sind. gen für den Justizvollzug. Das ist ein Betrag, der 6-Tage-Woche, Schichtdienst und Überstunden sich sehen lassen kann, und das ist gut angelegtes sind die Regel; 42 % der Mitarbeiter und Mitarbei- Geld. Denn ein nachgeholter Hauptschulabschluss terinnen leisteten im letzten Jahr Überstunden, und oder ein in der Haft erworbener Gesellen- oder fast 47 % von ihnen warten auf ihre Beförderung. Facharbeiterbrief oder auch eine Schuldnerberatung Hinzu kommen die Beeinträchtigungen durch die sind für viele Gefangene die Grundvoraussetzung, seit Jahren laufenden und noch immer andauernden nach der Verbüßung der Gefängnisstrafe wirklich Bauarbeiten. Ich weiß, dass dies alles nicht lustig neu starten zu können - keine Garantie, aber doch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist. Wir eine wichtige Voraussetzung. wissen jedoch aufgrund unserer Besuche in den Ju- Gerade im Jugendvollzug sind die Bildungs-, aber stizvollzugsanstalten und den dort geführten Ge- auch die Erziehungsangebote außerordentlich um- sprächen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fangreich und differenziert. Das ist auch notwendig, dort ihre Arbeit dennoch engagiert und mit großer wenn man den Teufelskreis von Rückfallen vermei- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4431

(Anna Schlosser-Keichel) den will. Viele der jugendlichen Straftäter kom- wird Gelegenheit zu weiteren Beratungen sein; wir men nicht nur ohne Schulbildung und somit ohne wollen ja auch eine Anhörung durchführen. Ein Berufsaussichten, sondern auch lebensuntüchtig kurzes Fazit möchte ich schon jetzt ziehen. Sie ken- und emotional verwahrlost in den Strafvollzug. nen vielleicht den viel zitierten Spruch von Leo Tolstoi: „Um einen Staat zu beurteilen, muss man Dass sich der Anteil der Gewaltdelikte - das ist seine Gefängnisse von innen ansehen.“ schon genannt worden - von 19,1 % auf 35,9 % in- nerhalb von zwei Jahren derart massiv erhöht hat Bei einem Blick in unsere Gefängnisse müssen wir und dass dadurch auch eine stetige Verlängerung feststellen, dass auch dort natürlich nicht alles per- der durchschnittlichen Straflänge zu beobachten ist, fekt ist. Obwohl die wirklich kritischen Vorfälle im spricht eine deutliche Sprache. Mit dem Thema Ju- Jahr an einer Hand abzuzählen sind, muss uns jede gendkriminalität, Jugendstrafvollzug werden wir Gewalttätigkeit zwischen Häftlingen oder gegen uns aus Anlass des zu erwartenden Gesetzentwurfs Bedienstete, muss uns jeder Ausbruchversuch, jeder noch ausführlich beschäftigen. Suizidversuch nachdenklich und wachsam machen und zum Handeln auffordern. Abgesehen von der beruflichen Qualifizierung ist die Arbeitsmarktsituation im Vollzug grundsätzlich Ich bin aber überzeugt, dass wir - was das Sicher- von großer Bedeutung. Arbeit strukturiert den Tag, heitsbedürfnis der Allgemeinheit angeht, was die Arbeit bringt Geld für Sonderwünsche, für Aus- Belange der Bediensteten angeht, aber auch was die gleichszahlungen an die Opfer und für die Zeit nach Interessen der Gefangenen angeht - guten Gewis- der Entlassung. Auch wenn man berücksichtigt, sens auf die Situation in unseren Gefängnissen und dass lediglich etwa 85 % der Gefangenen arbeitsfä- die weitere Entwicklung in den Justizvollzugsan- hig und arbeitswillig sind, reichen die zur Verfü- stalten blicken können. gung stehenden rund 500 Beschäftigungsmöglich- (Beifall bei SPD und CDU sowie der Abge- keiten leider nicht aus. ordneten Wolfgang Kubicki [FDP] und An- Bemerkenswert ist, dass es wie im Leben draußen gelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) auch im Knast unbesetzte Arbeitsplätze gibt, vor allem in den Eigenbetrieben, weil es bei den Ge- Präsident Martin Kayenburg: fangenen an der nötigen Qualifikation mangelt. An- dererseits fehlen Arbeitsplätze mit einfachem An- Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat forderungsprofil, weil - wie im Leben draußen - der Fraktionsvorsitzende Karl-Martin Hentschel das Unternehmer, die früher in den Anstalten produzie- Wort. ren ließen, ihre Aufträge inzwischen ins Ausland verlegt haben. Hier besteht Handlungsbedarf. Eine Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neue Arbeitshalle in der JVA Kiel mit 50 neuen Ar- NEN]: beitsplätzen, eine verstärkte Akquise und nicht zu- Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Prä- letzt die veränderte konjunkturelle Lage sollen die sident! Schleswig-Holstein hat durch jahrelange Po- Arbeitsplatzsituation im kommenden Jahr verbes- litik der verantwortbaren Haftvermeidung und Haft- sern. So der Bericht des Ministers. reduzierung eine ausgesprochen niedrige Inhaftie- Noch ein paar Worte zur Gefangenenentlohnung, rungsquote. weil ich mich in der letzten Zeit massiv über recht (Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir haben auch ruppige Forderungen nach mehr finanzieller Eigen- nicht mehr Gefängnisse!) beteiligung der Gefangenen geärgert habe, nicht nur an den Kosten der Gesundheitsfürsorge, sondern Die niedrige Inhaftierungsquote spart auch viel darüber hinaus auch an Stromkosten und so weiter. Geld. Diese wurde auch durch die Fortentwicklung Die Entlohnung - das ist nicht jedem bekannt - be- der Sozialen Dienste in der Justiz und durch die trägt zurzeit exakt 10,58 €, nicht pro Stunde, son- Übertragung von Aufgaben auf Träger der freiwil- dern pro Tag. Jeder möge sich fragen, wie viel an ligen Straffälligenhilfe erreicht. Abzügen davon noch zumutbar ist und ob bei die- Ich möchte auch das Investitionsprogramm Justiz- sen Größenordnungen der Verwaltungsaufwand vollzug hervorheben, das hier schon mehrfach ge- wirklich vertretbar ist. nannt worden ist, das die rot-grüne Landesregie- (Zurufe) rung in den Jahren 2000 bis 2005 mit 57 Millio- nen € auf den Weg gebracht hat, um Modernisie- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe in der rungen zu finanzieren sowie mehr Arbeitsmöglich- Kürze der Zeit nur wenige Punkte der umfangrei- keiten und insgesamt bessere Voraussetzungen für chen Vorlage ansprechen können. Im Ausschuss einen modernen Vollzug zu schaffen. 4432 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Karl-Martin Hentschel)

Wenn wir den Spitzenplatz in der niedrigen Inhaf- (Wolfgang Kubicki [FDP]: In was für Kli- tierungsquote halten wollen, müssen wir die Ange- schees leben Sie eigentlich?) bote der Resozialisierung ausbauen und verbes- Auch kennen sie oft in Konfliktsituationen keine sern. Hier wurde das Beispiel USA genannt. Ein anderen Verhaltensweisen als Prügelei. Brutal aus- Blick in solche Länder zeigt uns, wie erfolgreich gedrückt: Wenn wir Resozialisierung ernst meinen, unser Weg ist. In den USA sitzen mehr als zehnmal dann müssen wir den Kreislauf aus Hilflosigkeit, so viele Strafgefangene in Gefängnissen wie in Drogen, Suff und Kriminalität durchbrechen. Ei- Deutschland, geschweige denn in Schleswig-Hol- genverantwortliches Leben ist eine Fähigkeit, die stein mit seinen 60 % Bundesdurchschnitts. Trotz- genauso gelernt und geübt werden muss wie Fahr- dem ist die Zahl der Straftäter in den USA wesent- radfahren. Daher müssen wir bei der Einübung des lich höher als in Deutschland. Es ist also nicht si- neuen Lebensstils, der sinnvollen Zeit- und Frei- cherer. Die Folgen sind nicht nur eine viel höhere zeitgestaltung unsere Hauptaufmerksamkeit wid- Zahl von rückfälligen Straftätern, sondern es entste- men. hen auch immense Kosten. Die USA geben mittler- weile mehr Geld für ihre Strafanstalten aus als für (Wolfgang Kubicki [FDP]: Und schon wie- Hochschulen. Das zeigt, dass unser Weg richtig ist der diese maternalistischen Fantasien!) und dass wir fortschreiten müssen. Das Problem dabei ist, dass ein solches Leben in In § 2 des Strafvollzugsgesetzes ist das Ziel des eigener Verantwortung unter den künstlichen Be- Strafvollzugs vorgegeben - das ist hier schon viel- dingungen des Strafvollzugs nur sehr schwer ge- fach gesagt worden -: Der Gefangene soll fähig lernt werden kann, denn dort herrschen enge Re- werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Le- geln. Dort gliedern sich viele Strafgefangene gut ben ohne Straftaten zu führen. ein, nur wenn sie rauskommen, ist es ganz schnell wieder vorbei. Deswegen ist eine Phase des offenen In meiner Tätigkeit im Anstaltsbeirat der JVA Kiel Vollzugs am Ende der Vollzugszeit ausgesprochen habe ich viele Gespräche mit ehrenamtlichen Be- wichtig. treuern geführt. Mich hat immer wieder die Frage beschäftigt: Mit was für Gefangenen haben wir es (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eigentlich zu tun? Dabei wurde mir immer deutli- Nur wenn es gelingt, in dieser Phase eine neue Um- cher, dass das Bild aus dem Fernsehkrimi vom ge- gebung für den Gefangenen zu finden - möglichst rissenen Berufskriminellen in den meisten Fällen an auch, wenn eine Wohnungs- und Arbeitsbeschaf- der Realität vorbeigeht. fung gelingt - und er nicht mehr in sein altes Milieu (Wolfgang Kubicki [FDP]: Sonst wären sie zurückfällt, kann die Resozialisierung erfolgreich auch nicht erwischt worden!) sein. Dabei ist auch die Betreuung wichtig. Mir wurde von Betreuern immer wieder gesagt, dass es Die große Mehrzahl der Inhaftierten hat bestenfalls wichtig ist, dahin zu kommen, dass diejenigen, die einen Hauptschulabschluss, meistens sogar gar kei- den Gefangenen heute im Knast betreuen, ihn auch nen Schulabschluss, sie haben keine oder eine auf dem Weg danach begleiten. Eine personelle schlechte Ausbildung. Sie haben meist keinen so- Kontinuität hinzubekommen, ist ganz entschei- zialen Halt, ein unterentwickeltes Selbstbewusst- dend dafür, dass die ganze Sache funktioniert. sein und nicht die Fähigkeit, sich aus einem Milieu herauszulösen. (Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das gilt für die meisten Wirtschaftsstraftäter nicht!) Es ist bedauerlich, dass der Landesregierung bei dem Stichwort der Resozialisierung und auch bei - Es gibt auch Ausnahmen. - In der Lösung aus dem der Frage der Betreuung relativ wenig in diesem Milieu liegt aber die Hauptaufgabe der Straffälli- Bericht sagt. Das sollten wir in der Ausschussbera- genhilfe innerhalb und außerhalb der Justizvoll- tung nachholen, weil ich glaube, dass das zentrale, zugsanstalten. Selbst wenn sich Strafgefangene strategische Fragen sind, die für die Entwicklung während des Gefängnisaufenthaltes durch Arbeit des Vollzugs von Bedeutung sind. Denn in der Fö- und Betreuung gut eingegliedert haben, ist es damit deralismuskommission hat der Landesgesetzgeber nach dem Verlassen der Haftanstalt meistens ganz nun die Aufgabe, den Strafvollzug zu regeln. Ich schnell vorbei, denn sie wissen nicht, wohin sie ge- weiß, dass viele Justizpolitiker dagegen waren, weil hen sollen. Sie landen ganz schnell wieder bei ihren der Wettlauf der Schäbigkeit befürchtet wurde, wie Kumpels, sie versaufen ihr im Gefängnis gespartes es genannt wurde. Geld, wenn sie überhaupt etwas haben, und wenn das alle ist, begehen sie den nächsten Einbruch. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4433

(Karl-Martin Hentschel)

Ich sehe aber, dass so, wie wir uns in Schleswig- (Zuruf: Man kann denen auch allen einen Holstein aufgestellt haben - und ich habe auch den Schlüssel geben!) Beitrag von Thomas Stritzl gehört, der mich Vielleicht noch eine Bemerkung zu der vom Minis- durchaus erfreut hat -, in diesem Landtag eine rela- ter angesprochenen Frage des Sparens in der Justiz. tiv breite Einigkeit haben, unseren Weg in einer Mit ist klar, dass jeder Minister sein Haus bis aufs vernünftigen Richtung weiter zu gehen. Wenn das Blut verteidigt. Das ist sein Job. Ich habe nicht ge- so gelingt, könnte die Chance der Föderalismusre- fordert, dass im Strafvollzug gespart wird. Ich habe form nicht zum Negativen ausfallen, sondern in den Haushaltsberatungen gesagt, dass mit Aus- Schleswig-Holstein könnte die Chance der Födera- nahme des Bildungsministeriums die Häuser - so lismusreform im Positiven nutzen und tatsächlich wie es in den letzten Jahren der Fall war, als wir einen vorbildlichen Strafvollzug, den wir schon ha- noch dabei waren - selbst die zusätzlichen Gehalts- ben, weiterentwickeln und gerade die Schwach- erhöhungen erbringen müssen. punkte noch weiter verbessern. Es gibt im Justizbereich durchaus Dinge, über die Wenn uns das gelingt, ist uns der Lohn gewiss, man diskutieren und die man auch noch verbessern nicht nur weniger Kriminalität und Strafrückfällig- kann. Ich nenne nur die Stichworte, damit Sie wis- keit zu haben, sondern auch erhebliche Kosten in sen, worüber wir nachdenken und dass es nicht der der Gesellschaft einsparen zu können. In diesem Strafvollzug ist: Betreuungsrecht, Mediation, Um- Herbst wird sich der Landtag zunächst mit dem Ju- wandlung von Straftaten wie Schwarzfahren, und gendstrafvollzug befassen müssen. Wir haben so weiter in Ordnungsstrafen, Haftverwaltungsmaß- grundsätzliche Zweifel - genauso wie der Verband nahmen, Ausweitung von Diversionsverfahren. Das der Strafrechtspflege -, ob der geschlossene Straf- ist eine ganze Reihe von Punkten, wo erheblich viel vollzug als Regelvollzug dazu geeignet ist, zur Bes- Geld ausgegeben wird. Ich denke, dass auch im Ju- serung beizutragen. Das ist die zentrale Frage, die stizbereich angesichts der Finanzlage des Landes diskutiert werden muss. Wenn der geschlossene darüber nachgedacht werden muss, wo gespart wer- Strafvollzug aus Sicherheitsgründen stattfinden den kann. Ich glaube, dass wir da nicht so weit von- muss, muss er den besonderen Anforderungen des einander entfernt sind. Umgangs mit jungen Menschen - und das sind praktisch fast immer junge Männer - gezielt Rech- Schleswig-Holstein hat bei der Verabschiedung des nung tragen. Ich bin gespannt auf diese Debatte, ich Strafvollzugsgesetzes die große Chance, den eige- möchte ihr nicht vorgreifen. nen vorbildlichen Weg zu sichern und weiterzuent- wickeln und so die Vorreiterrolle bei einer erfolg- Wichtiger Faktor sind auch die Räumlichkeiten. reichen Resozialisierung weiter auszubauen. Der Wenn man durch eine JVA geht, ist man erstaunt, Lohn sind weniger Strafgefangene, weniger Ge- dass ununterbrochen Türen auf- und zugeschlossen fährdung für die Bevölkerung und dass wir weniger werden. Wenn man da durchgeht, muss man stän- Geld ausgeben müssen. Ich würde mich freuen, dig von jemandem begleitet werden, der einen wenn es gelingt, den überparteilichen Konsens auf durchschließt, wie das genannt wird. diesem Weg, den wir auch in der Vergangenheit (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki über alle Parteigrenzen hinweg hatten, fortzusetzen [FDP]) und zu verbindlichen Regelungen zu kommen. Des- wegen schlage auch ich vor, den Bericht an den In- Ich finde ausgesprochen intelligent, was die GMSH nen- und Rechtsausschuss zu überweisen, und hoffe für die JVA Lübeck vorgeschlagen hat, nämlich die auf eine konstruktive Beratung. Zahl der Eingänge auf zwei zu reduzieren, einen an einem Ende und den anderen am anderen Ende. So (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wird ein Weg geschaffen, der durch den ganzen Knast führt. Von da aus sollen dann immer die Präsident Martin Kayenburg: Gänge in die einzelnen Abteilungen abgehen. Da- durch kann man praktisch durch den ganzen Knast Für die Abgeordneten des SSW erteile ich der Vor- gehen, ohne dass ständig geschlossen werden muss. sitzenden, Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk, Das spart enorm Personal. das Wort. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber nicht die Anke Spoorendonk [SSW]: Strafgefangenen!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! - Natürlich nicht die Strafgefangenen, Herr Ku- Auch wir möchten uns bei der antragstellenden bicki, das haben Sie schlau bemerkt, klasse. Fraktion, bei dem Ministerium und bei den Mitar- 4434 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Anke Spoorendonk) beiterinnen und Mitarbeitern für die Beantwortung Dreierzellen, wie in Flensburg, sicherlich von dieser Großen Anfrage bedanken. Das ist eine gute selbst. Grundlage für die anstehende Diskussion und da- Gerade Jugendliche, die ihr ganzes Leben noch vor von kommen noch einige auf uns zu. sich haben, müssen eine zweite Chance erhalten, Bei der Ausgestaltung des Strafvollzugs steht für um nach Verbüßung der Strafe mit einer entspre- den SSW immer noch die Resozialisierung im Mit- chenden schulischen oder beruflichen Perspekti- telpunkt. Wir wollen einen modernen und das, was ve selbstständig leben zu können. Den Ausbau ent- wir früher humanen Strafvollzug genannt haben. sprechender Angebote - vor allem in Neumünster - Ich betone das, weil gerade in diesem Politikfeld begrüßt der SSW ausdrücklich. Angesichts immer die Boulevardmedien durch ihre einseitige Bericht- längerer Haftzeiten bieten qualifizierende Maßnah- erstattung immer wieder eine aufgeheizte Stim- men eine gute Grundlage für ein neues Leben. Inso- mung zu erzeugen wissen. Da ist dann von Weg- fern hat der Minister zu Recht darauf hingewiesen, schließen und Schlimmerem die Rede. Ich denke, dass sich diese Klientel in den letzten Jahren verän- es gilt, sich immer wieder von so einer Stimmungs- dert hat. Dass die Freizeitangebote parallel ausge- mache zu distanzieren. baut werden, weil gerade Jugendliche bei Leerzei- ten auf dumme Gedanken kommen, ist der richtige Die Föderalismusreform hat den Ländern die Auf- Weg und sollte weitergeführt werden. gabe für den Strafvollzug übertragen. Kritiker be- fürchten einen Billigknast, der von privaten Unter- Dass auch bald die jugendlichen weiblichen Gefan- nehmen allein aus Profitkalkül betrieben wird. So genen im Land statt im niedersächsischen Vechta eine Aufgabenübertragung wird es in Schleswig- stationiert werden, ist gut und richtig. Eine wohn- Holstein nicht geben, das haben wir heute noch ein- ortnahe Inhaftierung erleichtert es den jungen mal bestätigt bekommen. Wir vom SSW werden ei- Frauen sicherlich, den Anschluss an ihr Umfeld ner Privatisierung des Strafvollzugs auch niemals und ihre Familie zu behalten. In die gleiche Rich- unsere Stimmen geben. tung geht die Erhöhung der Besuchszeiten auf mo- natlich vier Stunden. Die Zusammenarbeit der Länder in Sachen Straf- vollzug begrüßen wir aber ausdrücklich. Aber es Ich möchte aber auch betonen, dass es nicht sein wird sich in Zukunft zeigen, wie sich die neue kann, dass Jugendliche erst nach einer Straftat über- Kompetenzaufteilung auswirken wird. Strafvoll- haupt Förderung erhalten. Die nach wie vor hohe zugspolitik bemisst sich eher nach Jahrzehnten Jugendarbeitslosigkeit bleibt eine der wesentlichen denn nach Legislaturperioden. Ursachen der Jugendkriminalität. Im Mai war je- der sechste Arbeitslose im Agenturbezirk Flensburg Die rot-grüne Landesregierung hatte ein großes In- unter 25 Jahre alt. Beschäftigungslos und perspek- vestitionsprogramm für Haftanstalten angescho- tivlos geraten Jugendliche mit dem Gesetz in Kon- ben, das nun weitergeführt wird. Noch im Jahr flikt und machen eher Bekanntschaft mit dem Straf- 2000 musste die damalige Justizministerin teilweise vollzug, als es ihnen lieb ist. Einzelfälle zeigen er- katastrophale Zustände in den Haftanstalten einräu- schreckende Wertedefizite bei den Tätern, die die men. Übrigens hat damals auch die FDP-Fraktion Strafwürdigkeit ihrer Taten auch noch vor Gericht eine entsprechende Anfrage gestellt. Ich fand, das leugnen. war auch damals schon hilfreich. Seitdem hat sich zum Glück viel getan. Diese Defizite kann eine aufsuchende Sozialarbeit auffangen. Deren Mittel wurden aber ausgerechnet Wir unterstützen die Modernisierung der Haftan- im letzten Haushalt um ein Drittel gekürzt. Diese stalten als einen Beitrag zur Resozialisierung, denn Kürzung ist nicht hinnehmbar und sollte bei den enge Knäste überfordern das Personal und führen nächsten Haushaltsberatungen bedacht werden. zu Gewalt. Diese Kürzung ist auch ein Beispiel kurzsichtiger Zahlen aus der Großen Anfrage belegen eindrück- Politik: Wenn Beratung und Sozialarbeit zurückge- lich die Anstrengungen des Landes, diese Defizite strichen werden, steigt die Wiederholungsgefahr. zu beheben. Die Anstalten im Land sind nun einmal Gerade im Jugendstrafvollzug ist das eine unheil- in ihrem Kernbestand durchschnittlich 100 Jahre volle Entwicklung, wie wir wissen. und älter und können nur mit erheblichem Aufwand (Beifall bei SSW und FDP) baulich umgestaltet werden. Hier wird gute Arbeit durch Kompetenzkonflikte Eine Neiddebatte, nach der es Gefangene besser zwischen Sozial- und Justizministerium zerrieben. hätten als mancher Mieter, erledigt sich angesichts Ich hoffe, dass wir auch diesen Punkt im Ausschuss der immer noch notwendigen Unterbringung in ansprechen. Lobenswerterweise hat die Große An- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4435

(Anke Spoorendonk) frage dieses Problem zutage gefördert. Wir müssen Präsident Martin Kayenburg: hier schnellstmöglich auf Änderung drängen. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass Eine aktuelle Debatte möchte ich allerdings nicht ich die Beratung schließe. Es ist beantragt worden, unerwähnt lassen und diese betrifft das Personalma- die Antwort der Landesregierung auf die Große An- nagementkonzept der CDU. Die Landesregierung frage, Drucksache 16/1347, federführend an den In- hebt in ihrer Antwort hervor und belegt dies im nen- und Rechtsausschuss zur abschließenden Bera- Weiteren durch Fakten, dass die Mitarbeiter im tung zu überweisen. Wer so beschließen möchte, Justizvollzug stark belastet sind. Ich hätte mir al- den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - lerdings - das möchte ich auch hinzufügen - greif- Enthaltungen? - Dann ist einstimmig so beschlos- bare Zahlen gewünscht, die diese Belastung quanti- sen worden. fizieren. Denn dann könnte man schwarz auf weiß Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Tribüne nachlesen, dass keinerlei Stellenabbau vorgesehen begrüßen wir ganz herzlich Mitglieder des CDU- ist. Dabei sollten wir es auch belassen. Ortsverbandes Ahrensburg. - Seien Sie uns alle sehr (Beifall bei SSW und FDP) herzlich willkommen! Im Jugendstrafvollzug benötigen wir sogar mehr (Beifall) Stellen. Die Antwort verweist hier vor allem auf In Anbetracht der bestehenden Zeitkontingente den Bedarf an sozialtherapeutischen Fachkräften; schlage ich vor, dass wir jetzt die Tagesordnungs- aber auch die Verlängerung der Besuchszeiten wird punkte ohne Aussprache aufrufen und dies nicht mehr Personal nötig machen. erst am Ende der morgigen Tagung machen. - Ich Das Personal in den Haftanstalten ist hoch moti- sehe keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. viert, was unter anderem an der enormen Fortbil- Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 5 auf: dungsbereitschaft der Mitarbeiter abzulesen ist. 865 Stellen im Justizvollzug stehen jährlich minde- stens 1.200 Teilnehmer an Fortbildungsveranstal- Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur tungen gegenüber. Ich finde das absolut lobenswert Änderung des Gesetzes über die Führung der und das ist ein beispielhaftes Verhalten. Berufsbezeichnungen Architektin oder Archi- tekt, Stadtplanerin oder Stadtplaner und Bera- In anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes tende Ingenieurin oder Beratender Ingenieur so- sucht man häufig dergleichen. wie über die Errichtung einer Architekten- und Allerdings deutet die ausweichende Antwort zur Ingenieurkammer (Architekten- und Ingenieur- Aufwandsentschädigung für Diensthundeführer ei- kammergesetz - ArchIngKG) ne gewisse Unflexibilität im Bereich personeller Gesetzentwurf der Landesregierung Veränderung an. Es handelt sich um die Anschaf- Drucksache 16/1405 fung und Ausbildung anstaltseigener Drogenspür- hunde. Neue Aufgaben werden - so scheint es zu- Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das mindest - nicht so schnell in Bestehendes aufge- ist nicht der Fall. Eine Aussprache ist nicht vorge- nommen, wie es möglich wäre. sehen. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksa- Haftanstalten sind - ich denke, das habe ich bereits che 16/1405 an den Innen- und Rechtsausschuss zu ausgeführt - per se Organisationen, die sich nur überweisen. Wer so verfahren will, den bitte ich um langsam verändern. Im Sinne einer modernen Reso- das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - zialisierung und Personalführung sollten nach sorg- Dann haben wir einstimmig so beschlossen. fältiger Abwägung die Prozesse in den Anstalten Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 6 auf: beschleunigt werden. Defizite, denen sich die Fach- leute in den Anstalten durchaus bewusst sind, soll- ten schneller behoben werden können. Dabei Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur kommt es natürlich auf den Flankenschutz durch ei- Änderung des Landesbeamtengesetzes ne Politik an, die sich nicht von aktuellen Gescheh- Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE nissen treiben lässt. Dafür steht der SSW bereit und GRÜNEN ich denke, die Debatte hat gezeigt, dass wir alle da- Drucksache 16/1420 für bereit stehen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das (Beifall bei SSW, SPD und FDP) ist nicht der Fall. Eine Aussprache ist nicht vorge- sehen. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksa- 4436 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Präsident Martin Kayenburg) che 16/1420 an den Innen- und Rechtsausschuss zu GRÜNEN zu, dem Beschlussvorschlag der beteilig- überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ten Ausschüsse CDU, SPD und FDP. ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Damit empfiehlt der Ausschuss dem Landtag, den Stimmenthaltungen? - Dann haben wir einstimmig Antrag Drucksache 16/1292 in der nachstehenden so beschlossen. Fassung anzunehmen: Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 9 auf: „Die Landesregierung wird gebeten, ihre An- strengungen fortzusetzen und für Schleswig- Situation der Nord- und Ostseefischerei Holstein ein Energieszenario zu entwickeln, das die nationalen und internationalen Ziele Antrag der Fraktionen von CDU und SPD zur CO2-Reduzierung erfüllt. Dabei sind un- Drucksache 16/1401 ter anderem Schwerpunkte der modernen Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Energiepolitik wie Energiesparen, erneuerba- ist nicht der Fall. Eine Aussprache ist nicht vorge- re Energien, Energieeffizienz und Kraft-Wär- sehen. Ich schlage Ihnen Abstimmung in der Sache me-Kopplung sowie Versorgungssicherheit vor. Wer zustimmen will, den bitte ich um das zugrunde zu legen.“ Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann haben wir einstimmig so beschlossen. Präsident Martin Kayenburg: Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 17 auf: Ich danke der Frau Berichterstatterin Tenor-Al- schausky. Am Ausstieg aus der Atomkraft festhalten Nach meiner Wahrnehmung gibt es keine Wortmel- dungen zum Bericht. Dann lasse ich über den An- Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trag Drucksache 16/1292 in der vom Ausschuss Drucksache 16/1292 empfohlenen Fassung abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegen- Bericht und Beschlussempfehlung des Sozialaus- probe! - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag in der schusses vom Ausschuss empfohlenen Fassung, Drucksa- Drucksache 16/1421 che 16/1421, mit den Stimmen von CDU, SPD und Ich erteile der Berichterstatterin des Sozialaus- FDP gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS schusses, der Frau Abgeordneten Siegrid Tenor-Al- 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW schausky, das Wort. angenommen worden. Ich rufe nunmehr auf Tagesordnungspunkt 22: Siegrid Tenor-Alschausky [SPD]: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Umsetzung des Landesausführungsgesetzes zum Landtag hat den Antrag der Fraktion BÜNDNIS Sozialgesetzbuch XII (AG SGB XII) 90/DIE GRÜNEN „Am Ausstieg aus der Atomkraft festhalten“ durch Plenarbeschluss vom Bericht der Landesregierung 23. März 2007 federführend an den Sozialausschuss Drucksache 16/1409 und mitberatend an den Wirtschaftsausschuss sowie Ich erteile das Wort der Ministerin für Soziales, Ge- an den Umwelt- und Agrarausschuss überwiesen. sundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Der beteiligte Wirtschaftsausschuss empfahl mit Dr. Gitta Trauernicht. den Stimmen von CDU, SPD und FDP bei Enthal- tung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Annah- Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin für Soziales, me des Antrags in geänderter Fassung. Der eben- Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren: falls beteiligte Umwelt- und Agrarausschuss schloss sich dieser Beschlussempfehlung mit glei- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die chem Stimmenverhältnis an. Überschrift des Antrages und auch des Berichtes klingt nach Technokratie und der Sprache der Ver- Der federführende Sozialausschuss hat seine Bera- waltungsmodernisierer. In der Tat, dies ist auch ein tung am 31. Mai 2007 durchgeführt und alternativ wichtiges Stück Verwaltungsmodernisierung. Fünf zwischen dem Antrag Drucksache 16/1292 und der Monate nach der Übertragung der Eingliederungs- Beschlussempfehlung der beteiligten Ausschüsse hilfe vom Land auf die Kommunen legen wir einen abgestimmt. Dem Antrag Drucksache 16/1292 Zwischenbericht über das bisher größte Beispiel für stimmte die Vertreterin von BÜNDNIS 90/DIE Verwaltungsstrukturreform in Schleswig-Holstein Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4437

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht) vor. Es ist ein bereits jetzt erkennbar erfolgreiches schaft. Inklusion geht von der Verschiedenheit der Beispiel, bei dem aber deutlich wird, wie schwierig Menschen aus, die gleiche Rechte als Bürgerinnen der Weg zu einem neuen Rollenverständnis von und Bürger in unserer Gesellschaft haben. Pointiert Land und Kommunen sein kann. formuliert: Denn es ist normal, verschieden zu sein. (Unruhe) (Beifall bei der SPD) Das Zweigruppendenken, die durchgängige Un- Präsident Martin Kayenburg: terscheidung zwischen Behinderten und Nichtbe- Entschuldigung, Frau Ministerin! Ein bisschen hinderten, das System von Institution und Besonde- mehr Aufmerksamkeit wäre angebracht. rung muss vollständig überwunden werden. Das ist Ziel von Inklusion. Dr. Gitta Trauernicht, Ministerin für Soziales, (Beifall bei der SPD) Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren: Zu den konkreten Fragen zur Umsetzung verweise Noch wichtiger aber ist, dass hinter dieser Reorga- ich auf den Bericht und möchte nur zwei Anmer- nisation konkrete soziale Politik für mehr als kungen machen. Ich werte es als großen Erfolg, 25.000 Menschen in Schleswig-Holstein steht, was in der kurzen Zeit an Teilhabeplanung schon nämlich für diejenigen, die Eingliederungshilfe er- aufgebaut worden ist. Die Zunahme von 80 auf 140 halten. Es geht um Eltern, um Freunde und Unter- Hilfeplanerstellen in diesem Jahr wird nicht ohne stützer. Es geht um mehr als 20.000 Beschäftigte in positive Folgen für die Hilfegewährung bleiben. 450 Werkstätten. Es geht um Wohneinrichtungen oder Tagesförderstätten. Es geht um insgesamt Die mitgelieferte Tabelle zeigt, dass die Verhältnis- mehr als 600 Millionen € und nicht zuletzt geht es se im Land noch sehr unterschiedlich sind. In der um das Recht auf Teilhabe und Selbstbestimmung Tat, sie müssen angeglichen werden. Transparenz von Menschen mit Behinderung, um ihre konkreten und intensive Diskussion sind aus meiner Sicht die Bedarfe, um ihre Wünsche, ihre Hoffnungen. Der beste Voraussetzung für eine solche Angleichung. Weg von der Fürsorgepolitik zur Teilhabepolitik ist In diesem Prozess gibt es noch Meinungsunter- ohne Alternative. schiede zwischen den Trägern und ihren Verbänden Mit dem Ausführungsgesetz zum SGB XII hat der und den Kommunen. Aber auch hier setze ich dar- Landtag die Zusammenfassung der Hilfe aus einer auf, dass sich die Diskussion über die Anpassung Hand beschlossen und die Verantwortung bei den des Landesrahmenvertrages an den Interessen der Kreisen und kreisfreien Städten zusammenge- Menschen mit Behinderung orientiert. Ich bin opti- fasst. Dies ist die Basis, der zentrale Baustein für mistisch, dass es im Laufe dieses Jahres Ergebnisse die Weiterentwicklung der Politik für Menschen geben wird. Die von der kommunalen Seite vorge- mit Behinderung in Schleswig-Holstein. Auf dieser legten Konzeptionen zur Eingliederungshilfe las- Grundlage haben wir mit der Leitorientierung In- sen jedenfalls von ihrer Grundtendenz und ihrer klusion eine breite Diskussion angestoßen. Kom- Grundlinie her hoffen, dass es zu dieser gemeinsa- munalpolitiker, Verwaltungen, Verbände, Träger men Verständigung kommt. und vor allen Dingen Bürgerinnen und Bürger mit (Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Sie sind optimi- und ohne Behinderung diskutieren inzwischen über stisch!) Ziele und Wege für eine selbstverständliche Einbe- - Nicht nur optimistisch, sondern wir arbeiten auch ziehung von Menschen mit Behinderung in alle Be- daran, dass dieses Ergebnis erzielt wird. reiche unseres gesellschaftlichen Lebens. In der letzten Woche habe ich mit der Vorsitzenden der Die bundesgesetzlichen Voraussetzungen sind in Lebenshilfe, Frau Stojan-Rayer, das Inklusionsbüro Schleswig-Holstein zügig umgesetzt worden, und eröffnet. die Rahmenbedingungen in Schleswig-Holstein sind so, dass bundesweit wahrgenommen wird, in Mit der Übertragung der Verantwortung auf die welcher Weise das Thema der Menschen mit Be- kommunale Ebene und der von manchen als provo- hinderung hier in Schleswig-Holstein aufgegriffen zierend empfundenen Zielsetzung Inklusion hat die wird. Einladungen zu Vorträgen, zu Diskussionen Diskussion die Ebene der Fachleute verlassen und und die Bitte um Übersendung von Materialien be- erreicht jetzt notwendigerweise und gewünscht legen dies. breite Bereiche der Gesellschaft. Der Begriff „In- klusion“ irritiert manche. Dabei ist es damit eigent- Der Bericht macht aber deutlich, dass mit der Orga- lich ganz einfach. Integration bedeutet die Einglie- nisationsentscheidung durch AGSGB XII durchaus derung von etwas Unterschiedlichem in die Gesell- ein schwieriger Prozess der Neubestimmung der 4438 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

Rolle von Land, Kommunen, Verbänden, Trägern ma auf Kosten der Betroffenen, der Menschen mit und Menschen mit Behinderung selbst eingeleitet Behinderung und ihrer Angehörigen, im Augen- worden ist. Land und Kommunen sind hier noch blick nicht einfach. Die Kommunen haben den nicht am Ende. Die Unterschrift der Kommunen Landesrahmenvertrag, der Grundlage für die Fi- unter den öffentlich-rechtlichen Vertrag zum ge- nanzierung aller Leistungen für die Menschen mit meinsamen Ausschuss fehlt noch. Aber mit den Behinderung ist, schon Ende letzten Jahres gekün- jetzt laufenden regelmäßigen Konsultationsgesprä- digt und weigern sich in ihrem Fachausschuss, der chen ist ein entscheidender Schritt gemacht worden. die Rahmenbedingungen neu gestaltet, den gewich- Wir reden nicht mehr ausschließlich über Finanzen tigsten Mitfinanzier, das Land, angemessen an der und Zuständigkeiten, sondern wir reden über Ziele, Mitsprache zu beteiligen. Die Wohlfahrts- und Be- Methoden, konkrete Verabredungen und die be- hindertenverbände lassen sie erst recht nicht an ih- rechtigten Erwartungen von Menschen mit Behin- ren Tisch. derung. Dies gilt auch für die Wohlfahrtsverbände, Noch längst nicht alle Kreise und kreisfreien Städte die Fachverbände und die Arbeitsgemeinschaften haben für die neue Aufgabe der Bewilligung von der Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Behindertenhilfe in stationären Einrichtungen aus- Ich bin allen Beteiligten außerordentlich dankbar reichend Fachleute eingestellt und ausreichend fort- dafür, dass sie zu einer konstruktiven Mitarbeit und gebildet. Die Tabelle zeigt ja, was jetzt passieren zur Weiterentwicklung der gemeinsamen Politik soll. Aber das ist noch längst nicht überall umge- bereit sind. Wir können und wir werden damit setzt. Wenn man guckt, woher die einzelnen kom- schrittweise eine noch stärke Einbeziehung und men: Ostholstein hat bisher die viele Arbeit, die es Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger mit schon für diesen Sektor gab, mit zwei halben Stel- Behinderung in Schleswig-Holstein erreichen. Jeder len bewältigt. Da ist natürlich der Sprung besonders kann seinen Teil dazu beitragen, dass dieses Ziel groß, der zu machen ist. gelingt. Am schwersten wiegt aber, dass viele Kommunen (Beifall bei SPD und CDU) ihre neue Zuständigkeit vor allem als Chance an- sehen, in diesem Bereich massiv einzusparen, und Präsident Martin Kayenburg: dies, obwohl unstrittig ist, dass es zukünftig deut- lich mehr Menschen mit Handicaps geben wird als Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die früher, seien sie seelischer, geistiger oder körperli- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Frau cher Art. Das heißt positiv ausgedrückt, mehr Ver- Abgeordnete Angelika Birk. schiedenheit. Vielerorts wurde schon Monate vor der Übergangszeit zur neuen gesetzlichen Regelung Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: über Anträge der Menschen mit Behinderung lieber Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen erst einmal nicht entschieden. und Kollegen! Warum solch eine lange Redezeit? - Damit nicht genug! Unterstellen die Kommunen Ich finde, dieses Thema hat es verdient; denn wir denjenigen, die die Hilfeleistung erbringen - in sind insgesamt nicht in einer so einfachen Lage, Schleswig-Holstein sind dies überwiegend Einrich- wie es die Ministerin hier hat anklingen lassen. Seit tungen der Behinderten- und Wohlfahrtsverbände -, Anfang diesen Jahres sind die Kommunen allein schlichtweg eine grundsätzliche Befangenheit? Sie für die Gestaltung der Leistungen für Menschen mit sprechen ihnen damit die Kompetenz ab, im Sinne Behinderung, die gesetzlich unter dem sperrigen der Menschen mit Behinderung an der Hilfepla- Namen „Eingliederungshilfe“ firmieren, zuständig, nung für den einzelnen Menschen, aber auch an der für alle Leistungen, auch der für die stationären Be- Planung für die unterschiedlichen Hilfen in einer reiche der Behindertenhilfe. Die Landesregierung Region von Anfang an mitzuwirken. hat im Übergang mit Fortbildung und Einarbeitung geholfen und leistet jährlich mit circa 365 Millio- Natürlich ist dies ein sensibles Feld. Auch wir den- nen € Unterstützung. Das ist eine sehr hohe Sum- ken, dass da nicht alles so bleiben kann, wie es ist; me, und die soll sogar noch steigen. So weit so gut. das ist klar. Aber wie aus den Schriftwechseln zwi- So könnte es gehen. schen den Wohlfahrtsverbänden und den kommu- nalen Landesverbänden deutlich wird, gehen die Leider geht es bisher aber nicht so; denn die Kom- Vertreter der kommunalen Landesverbände per se munen haben sich entschlossen, in Konfrontations- davon aus, dass ihre eigene bisher gezeigte Hal- starre zu verfallen, trotz der Mehreinstellungen, die tung, nämlich bei diesem Thema immer zuerst ans sie bisher vornehmen, trotz einiger positiver Zei- Geld zu denken, auch die Philosophie der Behin- chen, die auch ich anerkenne. Insgesamt ist das Kli- derteneinrichtungen ist. Dies kommt auch in den Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4439

(Angelika Birk) durch den Bericht dokumentierten Entscheidungs- von ihrem Rechtsstatus her immer noch zu Sozial- diagrammen der Kommunen zum Teil zum Aus- hilfeempfängern gemacht. Dies wirkt, da können druck. wir sagen, was wir wollen, leider immer noch ge- sellschaftlich ausgrenzend. Die spannende Frage wird sein: Wie wird künftig Casemanagement gestaltet? Und wird es immer so Jetzt komme ich zu denjenigen, die die Hilfe erbrin- sein, dass man zuerst zu einer behördenartigen Ca- gen. Auch hier gibt es Kritisches zu sagen. Aus- semanagement-Stelle gehen muss, bevor man sich grenzend ist immer noch die Struktur der hiesigen Rat bei einer Behinderteneinrichtung, sei sie ambu- Hilfeangebote. So haben sich vielerorts monopo- lant oder stationär, holen darf? Wenn es so sein lartige Einrichtungen der stationären Behinderten- sollte, wäre es lebensfremd und ginge an den Be- hilfe gebildet. Die systematische Förderung neuer dürfnissen von Menschen mit Behinderung und ih- Arten von Integrationsbetrieben haben auch wir ren Angehörigen vorbei. Grünen - das geben wir hiermit freimütig zu - bei unserem früheren Koalitionspartner in Schleswig- Inzwischen ist der Dialog in Gang gekommen, aber Holstein nicht durchsetzen können. Viele stationäre nur deshalb, weil neben dem Ministerium auch wir Einrichtungen der Behindertenhilfe sind inzwischen vom Landtag Druck gemacht haben. Das Ministeri- dabei, sich zu wandeln und zu öffnen. um engagiert sich ja in dieser Hinsicht. Trotzdem: Solange diese stationären Einrichtungen Druck gemacht haben aber auch die Menschen mit durch Investitionszuschüsse gegenüber ambulanten Behinderung selbst. Sie haben schon Anfang des Hilfeleistungsformen privilegiert sind und noch Jahrtausends, als sich die ersten Zeichen für geän- nicht einmal ordentlich abrechnen müssen, wie es derte Zuständigkeiten abzeichneten, gefordert, dass der Landesrechnungshof zu Recht kritisiert, wird nicht ohne sie entschieden wird. Sie haben sich der Wandel nicht belohnt, sondern bestraft. Ich neh- mehrmals öffentlich zu Wort gemeldet. me zur Kenntnis, dass Sie hier einen finanziellen Aber diese Förderung steht noch im Raum. Von ih- Wandel wollen. Ich unterstütze das sehr. rer Erfüllung sind wir noch weit entfernt. Ich war sehr erschrocken - das muss ich deutlich sa- Wir stellen also fest: Der Begriff „Inklusion“ ist da, gen -, als ich die Summen gesehen habe, die offen- aber die Gesellschaft ist noch lange nicht offen für sichtlich über zehn Jahre nicht richtig abgerechnet die selbstverständliche Teilhabe von Menschen worden sind. Wenn man an die vielen kleinen Sum- mit Behinderung. Daher ist es gut, wenn vom men im Sozialbereich denkt, die uns oft fehlen, Land durch öffentliche Veranstaltungen und Förde- dann wirken natürlich zweistellige Millionenbeträ- rung einzelner Modellprojekte Promotoren und ge, die nicht ordentlich abgerechnet worden sind, Vernetzungsangebote neue Wege der gesellschaftli- schon erschreckend. chen Teilhabe besonders gefördert werden. Wir haben uns auf Bundesebene für das persönliche Doch, Frau Trauernicht, sosehr ich dies anerkenne Budget eingesetzt. Der Landtag hat dazu schon vor und schätze und sosehr dies - das muss ich deutlich mehreren Jahren Modellversuche vor Ort eingefor- sagen - ein Unterschied zu den Schwerpunkten Ih- dert. Nach langem Zögern entsprechen nun erste rer Vorgängerin ist, so reicht dies politisch nicht zu Kommunen in Schleswig-Holstein diesem Auftrag. einem so massiven Konflikt. Wir können als Land Aber auch etwas anderes schreiben Sie fest: Sie und als Landesregierung nicht zuschauen, wie die wollen diese Finanzhilfen grundsätzlich für Men- kommunalen Landesverbände an dieser Stelle wei- schen mit geistiger Behinderung ausschließen. terhin so unterschiedlich agieren. Ich finde, es muss Das können wir nicht nachvollziehen. Auch diese sichergestellt werden, dass alle Menschen vor Ort Menschen haben doch das Recht, dass sich die Hil- zu ihrem Recht kommen, die ein Recht auf die fen nach ihren Bedürfnissen und nicht nach Sach- Leistung von Behindertenhilfe haben. zwängen einer Einrichtung oder nach der Kassenla- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ge der Gemeinde richten. Deswegen ist es wichtig, Bisher haben die Bundes- und Landesgesetze - das auch darüber nachzudenken, wie diese Menschen wissen wir alle - falsche finanzielle Anreize gesetzt. zu einem persönlichen Budget kommen, auch wenn Die 2004 im Grundsatz beschlossene und jetzt das zugegebenermaßen nicht ganz einfach ist. schrittweise umgesetzte Reform war überfällig. Fazit: Der Bericht der Landesregierung kann es bei Leider ist es nicht gelungen, ein Leistungsgesetz zu aller wohlwollenden Beschreibung eines Prozesses, schaffen, das den Bund verpflichtet, Land und der sich gerade radikal verändert und dessen Fest- Kommunen bei der Finanzierung zu entlasten. So schreibung wahrscheinlich heute schon gegenüber werden Bürgerinnen und Bürger mit Behinderung früher veraltet ist, nicht verbergen, dass die Ausein- 4440 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Angelika Birk) andersetzungen um die Hilfen für Menschen mit Der Bericht zeigt auf, dass die Mitarbeiterinnen und Behinderung in weiten Teilen - das muss man ein- Mitarbeiter in Schulungen über die grundsätzlichen fach sagen - für die Kommunen ein beschämender Themen und Verfahrensabläufe informiert und wei- Beitrag zum Jahr der Chancengleichheit sind. tergebildet worden sind. Insbesondere bei der durchaus voluminösen Übergabe der Akten und der Deshalb mein Appell an Sie alle: Gehen Sie auf Ih- Verantwortlichkeiten zeigt der Bericht auf, dass die re Landräte und Bürgermeister zu! Verlangen Sie Zusammenarbeit mit den Kommunen und dem Mi- Rechenschaft darüber, wie vor Ort mit den Rechten nisterium offenbar sehr gut geklappt hat. Auch nach und dem Geld für Menschen mit Behinderung um- dem 1. Januar standen die Mitarbeiter des Ministe- gegangen wird! Betätigen auch Sie sich als riums den kommunalen Mitarbeiterinnen und Mit- Moderatoren, um festgefahrene Strukturen zwi- arbeitern mit Rat und Tat zur Seite, sodass im Sinne schen den Verhandlungskontrahenten einerseits und der Betroffenen gehandelt werden konnte. Dafür den Behinderteneinrichtungen andererseits bei den mein ganz herzlicher Dank an beide Seiten! Kommunen zu lockern! Denn das Problem ist nicht nur eines, das man auf zentraler Ebene lösen könn- (Beifall bei der SPD) te. Es muss vor Ort gelöst werden. Vor allem müs- Die Kreise und kreisfreien Städte sind seit dem sen die positiven Beispiele, die Einrichtungen, die 1. Januar umfassend für die Abschlüsse von Lei- neue Wege gehen, die insbesondere das ganze stungsvereinbarungen zuständig. Zu den ihnen oh- Spektrum der ambulanten Hilfen nutzen, gefördert, nehin übertragenen Zuständigkeiten wurden ihnen gelobt und öffentlich unterstützt werden, auch in ih- auch die Leistungs-, Vergütungs- und Prüfvereinba- ren Finanzverhandlungen. Es darf nicht sein, dass rungen für die übrigen 420 voll- und teilstationären bestimmte Großeinrichtungen auf jeden Fall die Einrichtungen der Eingliederungshilfe und 36 Kin- Platzhirsche sind und sich die anderen eine solche dertagesstätten mit heilpädagogischen Kleingrup- Stellung schwer erkämpfen müssen. Wenn wir neue pen sowie 176 Kindertagesstätten mit integrativen Wege gehen wollen und das persönliche Budget zu Gruppen übertragen. einem Erfolgsmodell machen wollen, dann erfor- dert es unseren ganzen Einsatz, damit endlich zu- Die Kreise und kreisfreien Städte haben Arbeits- mindest unsere Kinder sagen können: Es gibt ver- gruppen gebildet, in denen sie eng zusammenar- schiedene Menschen; aber das Wort „Behinde- beiten und gemeinsam Steuerungsinstrumente ko- rung“, wie wir es heute noch verwenden, muss der ordinieren wollen. Die Kreise haben das in Form ei- Vergangenheit angehören. ner Koordinierungsstelle gemacht, die in Rends- burg mit 12 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) unterschiedlichsten Fachrichtungen besetzt ist. Die kreisfreien Städte haben das in Form einer Arbeits- Präsident Martin Kayenburg: gruppe für überregionale Zusammenarbeit und Ab- Für die Fraktion der CDU hat die Frau Abgeordnete stimmung im Rahmen des SGB XII gemacht. Heike Franzen das Wort. Das ist alles sehr löblich. Doch alles, was laut Be- richt in diesen Arbeitsgruppen geleistet wird, sollte Heike Franzen [CDU]: von allen zusammen im gemeinsamen Ausschuss Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum geleistet werden, unter anderem mit der ganz spezi- 1. Januar 2007 ist das Landesausführungsgesetz ellen langfristigen Zielsetzung, die bisher sehr un- zum Sozialgesetzbuch XII in Kraft getreten, das terschiedlichen Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere den Leistungen der Eingliederungshil- landesweit einheitlicher zu gestalten und die Lei- fe aus einer Hand den Rahmen geben soll. Die Hil- stungsgewährung nicht vom Wohnort abhängig zu fen für Menschen mit Behinderung sollen nicht machen. Lange Verhandlungen und Auseinander- mehr davon abhängig sein, wer Kostenträger ist, setzungen um die finanzielle Ausgestaltung des sondern insbesondere von den Bedürfnissen der Be- Ausführungsgesetzes standen dem bisher im Wege, troffenen. getrieben von der Sorge, dass die Kreise und kreis- freien Städte stärker in die finanzielle Verantwor- An dieser Stelle sage ich deutlich, dass dieses Ge- tung für die Eingliederungshilfe genommen wer- setz keine Kleinigkeiten regelt. Vielmehr werden den, da sie nach wie vor die Kostenträger für die hier ganz konkret die Aufgaben des Landes auf die ambulanten Hilfen sind und auch für die Hilfepla- Kommunen übertragen, und zwar mit den dazuge- nung zuständig sind. hörigen Mitteln. Es ging unter anderem um die erhöhten Personal- kosten für eine Hilfeplanung, die die Bedürfnisse Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4441

(Heike Franzen) von Menschen mit Behinderung in den Mittelpunkt Wolfgang Baasch [SPD]: stellt oder auch die allgemein zu erwartende Ko- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! stensteigerung in diesem Bereich. Dazu hat es meh- Ich will mit einem herzlichen Dankeschön an die rere intensive Verhandlungsrunden gegeben, an de- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialministe- nen auch die Staatskanzlei sowie das Innen- und riums, aber auch an den Staatssekretär und an die das Finanzministerium beteiligt waren. Dabei wur- Ministerin für diesen Bericht zum Stand der Umset- de über die Finanzierung der umsteuerungsbeding- zung des Ausführungsgesetzes zum SGB XII be- ten Kostenzuwächse bei der ambulanten Hilfe Ein- ginnen. Herr Staatssekretär Dr. Körner hat ja bereits vernehmen erzielt. Die kommunale Seite akzep- in der letzten Woche im Sozialausschuss ausführ- tierte unter Berücksichtigung der bis dahin vorlie- lich einen Zwischenbericht über den aktuellen genden Sozialhilfeabrechnungen, dass die im Aus- Stand der Umsetzung des Ausführungsgesetzes führungsgesetz ausgewiesenen Beträge auskömm- zum SGB XII gegeben. Dabei ist zumindest für lich sind und ein Betrag zu Finanzierung der um- mich deutlich geworden, mit welcher Intensität die steuerungsbedingten Kostenzuwächse bei der am- Sozialministerin und der Staatssekretär in Gesprä- bulanten Hilfe zur Verfügung steht. Es steht also chen mit den Kreisen und kreisfreien Städten, mit der Unterzeichnung eines öffentlich-rechtlichen den Leistungsanbietern, den Trägern von Einrich- Vertrages über die Bildung eines gemeinsamen tungen, aber auch mit den Betroffenen selbst die Ausschusses nichts mehr im Wege. Umsetzung dieses Gesetzes begleiten. Dennoch wollen die Kommunen mit dem Verweis Frau Kollegin Birk, ich habe den Eindruck gewon- auf noch offene finanzielle Risiken diesen Vertrag nen, dass in wirklich vielen Gesprächen viel Bewe- nicht unterzeichnen. Ich will es einmal ganz deut- gung drin ist und dass der gemeinsame Ausschuss lich formulieren: Ein Ausführungsgesetz ist keine ein Ziel ist, das wir nicht nur im Gesetz festge- Vereinbarung, die man einhalten kann oder auch schrieben haben, sondern weil wir ihn umsetzen nicht, sondern hier handelt es sich um Gesetzge- wollen. Dass da aber eine Starre ist und man über- bung, und es wird erwartet, dass insbesondere dann, haupt nicht zueinander kommt und dass da über- wenn sich alle darüber einig sind, dass die finanzi- haupt nichts stattfindet, kann ich nun wirklich nicht ellen Gegebenheiten als ausreichend anerkannt sind nachvollziehen. - und es wird ohnehin unumgänglich sein, den ge- meinsamen Ausschuss zu bilden, da es zu seinen (Zuruf der Abgeordneten Angelika Birk zentralen Aufgaben gehört, die Finanzierung der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) den Kommunen übertragenen Aufgaben transparent - Ich kann das trotzdem so nicht nachvollziehen. und verteilungsgerecht zu organisieren -, Landes- Ich will das auch gegenüber der Kollegin Franzen recht umgesetzt wird. sagen. Ich hatte das Gefühl, dass dort einiges in Be- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wegung ist, dass allerdings der gemeinsame Aus- schuss noch nicht feststeht. Das muss unser Ziel Ich appelliere also an dieser Stelle an die Kommu- bleiben, dass der kommt. Es ist berichtet worden nen, nicht länger zu zögern und zu unterschreiben. von Gesprächen mit den Landräten, es ist berichtet Ausgesprochen wünschenswert fände ich, wenn worden, dass die Stelle in Rendsburg arbeitet und man sich im gemeinsamen Ausschuss darauf ver- dass sie, wie ich finde, mit durchaus interessanten ständigen könnte, dass sich nicht nur die Kommu- Vorschlägen darangeht, wie dieses Gesetz auf re- nen und das Land beteiligen, sondern insbesondere gionaler Ebene in den Kreisen umgesetzt werden auch die Reha-Träger und die Interessenvertretun- muss, weil die Kreise natürlich ein hohes Interesse gen der Menschen mit Behinderung. haben, eine entsprechende Umsetzung zu finden. (Beifall bei CDU, SPD und BÜNDNIS 90/ Insofern wäre es falsch, hier davon zu berichten, DIE GRÜNEN) dass wir dort Starren aufknacken müssen. Ich glau- be, es ist eher richtig, alle vernünftigen und klugen Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Ansätze, die es auf allen Ebenen gibt, zu unterstüt- zen und sich konstruktiv einzumischen. Ich danke der Frau Abgeordneten Franzen. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter (Vereinzelter Beifall bei der SPD) Wolfgang Baasch. Das Ausführungsgesetz zum SGB XII ist ein Ge- setz, mit dem das Land den Kreisen und kreisfreien Städten seit dem 1. Januar 2007 fast alle Aufgaben- bereiche nach dem SGB XII übertragen hat. Dies bedeutet eine gewaltige Veränderung in allen Be- 4442 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Wolfgang Baasch) reichen. Es ist eine Veränderung, weil damit die selbstverständlich und sollte in zukünftigen Verträ- Eingliederungshilfe in einer Hand bei den Kommu- gen nicht ausgeschlossen sein. nen gebündelt wird, und es ist eine gewaltige Ände- (Vereinzelter Beifall bei der SPD) rung, weil Menschen mit Behinderung ein Recht auf Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in Dass im Bericht gemeinsame Gespräche von kom- der Gemeinschaft haben und jetzt in noch stärkerem munalen Landesverbänden und den Verbänden der Maße als bisher eine Teilhabeplanung mit jedem Wohlfahrtspflege mit der Landesregierung ange- einzelnen Betroffenen geführt werden muss. kündigt werden, ist ein sehr positives Signal, weil ich glaube, dass man über bilaterale Gespräche Es ist aber auch ein gewaltiger finanzieller Rah- auch zu den Gesprächen kommen muss, wo alle ge- men. Insgesamt geht es dabei um weit über meinsam an einem Tisch sitzen. 560 Millionen €, die das Land den örtlichen Trä- gern der Eingliederungshilfe erstattet. Dass dieses Insgesamt lässt sich zusammenfassen: Wir haben Gesetz kein Sparkonzept ist und die Neuausrich- eine Entwicklung, in der sehr viel auf den Weg ge- tung der Politik für Menschen mit Behinderung bracht worden ist. Es entwickeln sich individuelle nicht Sparzwängen unterliegt, macht deutlich, dass Teilhabepläne für Menschen mit Behinderung. wir im Landtag eine jährliche Steigerung für die Das Selbstbestimmungsrecht von Menschen mit Eingliederungshilfe von 3,6 % im Haushalt festge- Behinderung wird gestärkt, Angebote im Bereich legt haben. Dass dieser Politikbereich finanziell so von Wohnen und Arbeiten werden stärker differen- ausgestattet worden ist, ist aus meiner Sicht auch ziert und überhaupt ist durch die aktuelle Entwick- einen Dank an die Finanzpolitiker im Hause wert, lung der Fokus auf den Politikbereich für Menschen den ich hier als Sozialpolitiker gezielt aussprechen mit Behinderung gestärkt. möchte. Damit meine ich natürlich auch in erster So bleibt festzuhalten, dass es in unserer Gesell- Linie den Vorsitzenden des Finanzausschusses. Das schaft ganz normal ist, verschieden zu sein. Dieses war eine gute Zusammenarbeit. Ein herzliches Dan- Selbstverständnis gilt es, in der Umsetzung des keschön für die sehr effektive Arbeit! SGB XII und des individuellen Rechtsanspruchs (Vereinzelter Beifall bei der SPD) deutlich zu machen. Es gilt, Menschen mit Behin- derung selbst, ihre Eltern, Freunde, Nachbarn, Be- Dass Neuerungen und Veränderungen oft auch kri- schäftigte in Institutionen, Einrichtungen und Ver- tische Fragen und Sorgen über die Entwicklung mit waltungen und auf allen Ebenen der Politik davon sich bringen, versteht sich fast von selbst. Ich will zu überzeugen, dass Selbstbestimmung und Selbst- aber sehr wohl die Kritik und das kritische Nachfra- verwirklichung in allen Bereichen unseres Lebens gen der Leistungsanbieter, in diesem Falle vor al- auch für Menschen mit Behinderung gelten. lem der großen Wohlfahrtsverbände, aufgreifen. Die Kündigung des Landesrahmenvertrages (Beifall bei SPD und CDU) durch die Kreise und kreisfreien Städte hat bei den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und den Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Verbänden privater Anbieter von Leistungen für Menschen mit Behinderung große Sorge ausgelöst, Ich danke dem Herrn Abgeordneten Baasch. - Das Sorge um die zukünftige Qualität und den Umfang Wort für die FDP-Fraktion hat nun der Herr Abge- von Hilfen und Unterstützungsleistungen für Men- ordnete Dr. Heiner Garg. schen mit Behinderung. Dass es dabei um keine kleine Gruppe geht, macht die Zahl deutlich, dass Dr. Heiner Garg [FDP]: es circa 27.000 Menschen mit Behinderung in Frau Präsidentin! liebe Kolleginnen, liebe Kolle- Schleswig-Holstein sind, die von der Kündigung gen! Das Sozialgesetzbuch XII umfasst in der Tat des Landesrahmenvertrages betroffen sind. Wir alle einen großen Aufgabenbereich mit komplexen The- stehen hier in der Pflicht und in der Verantwortung, men. Der Schwerpunkt dabei, den alle Vorredner für die Menschen mit Behinderung tragfähige Rah- angesprochen haben, ist die Eingliederungshilfe. Es menbedingungen zu gestalten, die allen Betroffe- sind in Schleswig-Holstein allein 27.000 Lei- nen und Anspruchsberechtigten entsprechend ihrem stungsberechtigte, die hierdurch abgesichert wer- individuellen Unterstützungsbedarf gerecht werden. den. Entsprechend hoch sind die juristischen Anfor- Dass dabei die Verbände der Menschen mit Behin- derungen, die von den Kommunen bewältigt wer- derung und die Wohlfahrtsverbände nicht nur Lei- den müssen. stungsanbieter sind, sondern auch in vielen Fällen die sozialanwaltliche Funktion von Beratung und Man muss es noch einmal ganz deutlich sagen: Es direkter Unterstützung übernehmen, ist für mich handelt sich beim SGB XII eben gerade nicht um ein Leistungsgesetz, sondern um ein Organisati- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4443

(Dr. Heiner Garg) onsgesetz, das im Wesentlichen die Zuständigkei- den Landesrahmenvertrag entsprechend nachzuver- ten zwischen Kommunen und Land regelt, die Fi- handeln und funktionierende Gremien ins Leben zu nanzierung eingeschlossen. In diesem Gesetz wer- rufen, die konkrete Absprachen zwischen Leis- den bislang existente unterschiedliche sachliche tungserbringern und Leistungsträgern überhaupt er- Zuständigkeiten beseitigt. Das klingt zunächst ein- möglichen, waren Land und Kommunen bisher vor mal ganz harmlos, aber die Regelungen haben es in allem damit beschäftigt, ihre Finanzbeziehungen der Tat in sich, denn mit der Übertragung der Auf- untereinander zu klären, obwohl gerade diese Klä- gaben auf die Kommunen werden diese in die Lage rung eigentlich stattgefunden haben sollte. versetzt, eine individualisierte Teilhabeplanung ih- Alle notwendigen Entscheidungen, die bereits vor rer Bürger mit Behinderung zu gewährleisten. Das Verabschiedung des Ausführungsgesetzes hätten ist das, was als individuelle Hilfeplanung hier im- getroffen werden müssen, um eine einheitliche mer debattiert wird. Damit wird nichts anderes ge- Teilhabeplanung vor Ort überhaupt zu ermöglichen, tan, als die Ausführung aller Aufgaben aus dem sind damit unterblieben und der in der Theorie völ- SGB XII in einer Hand zusammenzuführen. lig richtige Anspruch einer individuellen Teilhabe- Ziel hierbei war es - das darf man dabei nicht ver- planung droht, wenn wir uns jetzt nicht wirklich gessen -, Drehtüreffekte, die allein aus der unter- aufraffen, wenn sich die Frau Ministerin nicht wirk- schiedlichen Zuständigkeitsverteilung herrühren, zu lich aufrafft, dazu zu verkommen, dass wir in die- vermeiden. sem Land eine Teilhabe nach Postleitzahlen be- kommen. Das ist genau das Gegenteil dessen, was (Beifall der Abgeordnete Angelika Birk wir alle hier im Hause erreichen wollten. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE Damit - das will ich an dieser Stelle bei aller Kritik, GRÜNEN) die Sie, Frau Birk, hier angebracht haben, und die ich im Übrigen teile, sagen - besteht erstmals die Ich sage es noch einmal, Frau Ministerin Trauer- Chance, bisher bestehende Strukturen zu überden- nicht. Ich meine das ganz ernst. Sie geben sich sehr ken, sie aufzubrechen und neue Wege in der Teilha- optimistisch, dass in diesem Jahr noch ein neuer beplanung zu gehen. - Das war die Theorie. Landesvertrag von den Kommunen unterzeichnet wird. Ich frage Sie - dazu haben Sie nichts gesagt -: Nun kommen wir zur Praxis, Frau Ministerin! In Was werden Sie unternehmen, wenn das nicht der der Praxis wird deutlich, dass wir in Schleswig- Fall ist? Der jetzt vorgelegte Bericht - er kann le- Holstein von den gesetzten Zielen noch ein ganzes diglich ein erster Zwischenbericht sein - zeigt, dass Stück weit entfernt sind. Was Sie hier vorgetragen bisher die zentrale Aufgabe, Ihre zentrale Aufgabe, haben, hat mit Optimismus wenig zu tun. Die Zu- die Kommunen einzubinden, weitgehend verfehlt standsbeschreibung, die Sie heute dem Parlament wurde. Nun ist es Ihre Aufgabe, funktionierende gegeben haben, ist extrem blauäugig gewesen, um Strukturen zu bilden. es einmal freundlich auszudrücken. Natürlich kann man bei einer solch umfassenden Umstrukturie- Ich frage zum Beispiel einmal und will das gerne rung nicht erwarten, dass die Kommunen ihre Rol- aufgreifen - da bin ich näher bei Ihnen, Frau Fran- le von heute auf morgen vollständig ausfüllen. zen, als bei Wolfgang Baasch, der es aus meiner Selbst umfangreiche Einarbeitungs- und Schulungs- Sicht auch sehr rosig sieht -: Warum wurden denn angebote des Landes können einen reibungslosen bisher Leistungserbringer und Verbände lediglich Übergang nicht vollständig gewährleisten. Immer- im Rahmen von Fach- und Regionalkonferenzen hin wurden Akten des Landes lastwagenweise über eingebunden, anstatt sie zusammen mit den Leis- das Land verteilt und den Kommunen überlassen. tungserbringern in einem gemeinsamen Ausschuss Ich bin aber davon überzeugt, dass es sich jetzt bei einzubinden? der Umsetzung rächt, dass das Ausführungsgesetz (Vereinzelter Beifall bei FDP und BÜNDNIS im Rahmen des Haushaltsstrukturgesetzes zum 90/DIE GRÜNEN) Haushaltsplan 2006 gegen den erklärten Willen al- ler Beteiligten durchgedrückt worden ist, anstatt al- Auch da bin ich bei Ihnen und auch bei Ihnen, Frau le Beteiligten rechtzeitig mitzunehmen. Allein die- Birk. Das steht im Gesetz, und an das Gesetz haben ser Umstand hat das laufende Umsetzungsverfahren sich diejenigen, die es auszuführen haben, zu hal- von vornherein unnötig belastet. ten. Es muss umgesetzt werden. Da gibt es kein Vielleicht oder Irgendwann-einmal. Anstatt gemeinsam Kriterien zu entwickeln, wie Teilhabeverfahren künftig aussehen sollen, landes- Auf keinen Fall, liebe Kolleginnen und Kollegen, einheitliche Rahmenbedingungen zu vereinbaren, darf es dazu kommen, dass die Menschen, die einen 4444 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Dr. Heiner Garg)

Anspruch auf Eingliederungshilfe haben, darun- weil sie die Bedingungen in der ambulanten Hilfe, ter leiden müssen, dass die Strukturen fehlen. Ich die sie eigentlich wollen, aufreibt. wage einmal die Prognose, dass uns das Ausfüh- Auch wenn dies nicht der Fall ist, führen verteilte rungsgesetz zum SGB XII noch einige Male hier Kompetenzen dazu, dass die Menschen mit Behin- beschäftigen wird, allein schon, um die vermeintli- derung beziehungsweise deren Angehörige zu ei- chen Fortschritte der Landesregierung in diesem nem halben Studium gezwungen werden. Rechts- Bereich als Parlament nachvollziehen zu können. vorschriften sind so kompliziert und Antragswege (Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE so verschlungen, dass man nur als Sozialexperte GRÜNEN) wirklich zu seinem Recht kommt. Das ist keine Gleichbehandlung der Leistungsbezieher und Lei- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: stungsberechtigten, sondern eine eindeutige Bevor- zugung derjenigen, die in der Lage sind, ihr Anlie- Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg. gen systemgerecht zu formulieren. Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich auf der Gerade viele Eltern fühlen sich, als ob sie vor ei- Besuchertribüne den ehemaligen Kieler Oberbür- nem gigantischen Fahrkartenautomaten stünden, germeister, Norbert Gansel, in Begleitung von Stu- der zwar die richtigen und preisgünstigsten Tickets denten der Politikwissenschaften begrüßen. - Seien ausdruckt, aber erst nachdem der Kunde reihenwei- Sie uns herzlich willkommen! se richtige Befehle eingegeben hat. (Beifall) (Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg Für den SSW im Landtag hat der Herr Abgeordnete [FDP]) Lars Harms das Wort. Wenn Klienten die Leistungen teilweise selbst pro- duzieren müssen, stehen wir vor dem Bankrott ei- Lars Harms [SSW]: nes Systems, das die Benachteiligten eigentlich in Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und die Lage versetzen soll, ihre Interessen gleichbe- Herren! Die Bürgerbeauftragte hat in ihrem aktuel- rechtigt umsetzen zu können. Das System soll ihre len Tätigkeitsbericht, den wir bereits in der letzten Defizite ausgleichen und nicht verstärken. Sitzung diskutierten, einige Beispiele erschrecken- Im Sozialausschuss sind wir letzte Woche auf die der Willkür im Bereich der Eingliederungshilfe Vorteile des Fallmanagements aufmerksam ge- aufgedeckt. So setzen einige Jugendämter die Stun- macht worden. Die entsprechenden Folien sind dem denzahl für die Schulbegleitung behinderter Kinder Bericht angefügt. Fallmanagement ist die Organi- - ich zitiere - „ohne hinreichende Begründung und sierung der Hilfen um die Bedürfnisse des Betroffe- gegen die fachliche Empfehlung der Schule“ zu nen herum. Ich formuliere es einmal so: Das ist die niedrig an. Die betroffenen Eltern wehren sich mit Abkehr von der Dominanz der Organisationslogik, Einsprüchen, wenden sich an Rechtsanwälte oder die die Fälle so lange zurechtbiegt, bis sie der Lo- eben an die Bürgerbeauftragte. Dieser nervenaufrei- gik und den Abläufen der Organisation entspre- bende Aufwand wäre gar nicht nötig, würden sich chen. Vereinfacht gesagt: Jetzt steht der Mensch im die Jugendämter von vornherein an die fachlichen Mittelpunkt. Verbindliche Zusagen schaffen trans- Vorgaben halten. In der Behindertenhilfe sollten parente Abläufe und erhöhen die Kontrollmöglich- fachliche Belange immer vor finanziellen Belangen keiten. rangieren. Dass das jetzt gelingt - das ist wirklich so; das kann Gerade bei behinderten Kindern und Jugendlichen ich aus eigener Erfahrung sagen -, ist ein riesiger kann eine frühzeitige und umfassende Unterstüt- Schritt vorwärts. Schließlich variiert das Erschei- zung einer Verschlechterung vorbeugen oder zur nungsbild einer Behinderung erheblich, je nach Al- weiteren Aktivierung beitragen. Dabei kommt es ter, sozialem Umfeld und Vorgeschichte des Be- darauf an, dass möglichst alle Fachrichtungen Hand troffenen. Dieser Tatsache kann jetzt Rechnung ge- in Hand arbeiten. Statt die Eltern zu einer regel- tragen werden. Das begrüße ich wirklich ausdrück- rechten Tournee der unterschiedlichen Hilfeleister lich. zu zwingen, sollte eine koordinierte Unterstützung angeboten werden. Das, was im stationären Bereich Doch das ist der zweite Schritt vor dem ersten. Vor oftmals selbstverständlich ist, nämlich personelle der Erstellung der Hilfeplanung müssen zunächst Kontinuität, ist im ambulanten Bereich nicht immer die Ansprüche als berechtigt anerkannt sein. Ohne gegeben. Das hat teilweise die absurde Folge, dass Anspruch, gibt es keine Leistung; ohne Anerken- Eltern verzweifelt zur stationären Hilfe greifen, nung des Anspruchs kommt man also gar nicht in Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4445

(Lars Harms) den Genuss der fachübergreifenden Fallkonferenz nanziellen Überlegungen der zuständigen Ämter und des Casemanagements. Das ist eigentlich ganz unterliegen. logisch. Doch gerade mit der Anerkennung der An- (Beifall beim SSW und vereinzelt bei der spruchsgrundlage tun sich viele Jugendämter sehr FDP) schwer, weil sie wissen, welche Kosten sie damit auslösen. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: (Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich danke dem Herrn Abgeordneten Harms. - Wei- tere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich Ist der Anspruch erst anerkannt, müssen die Lei- schließe daher die Beratung. Es ist Überweisung an stungen gewährt werden. Daher zögern einige Ju- den zuständigen Ausschuss beantragt worden. Wer gendämter die Anspruchsanerkennnung heraus. Es den Bericht Drucksache 16/1409 dem Sozialaus- ist ein Skandal, wenn sich Jugendämter wie Versi- schuss zur abschließenden Beratung überweisen cherungsgesellschaften gerieren, die aus Kosten- möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. Es ist so gründen Erstschreiben zu Schadenregulierungen beschlossen worden. prinzipiell nicht stattgeben. Hinhaltetaktik und Ver- schleppung mögen den Haushälter erfreuen; sie ge- Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: fährden bei Menschen mit Behinderung unter Umständen die Rehabilitation. Im öffentlichen Logistikkonzept für Schleswig-Holstein Raum ist das völlig inakzeptabel. Bericht der Landesregierung Genau das geschieht trotzdem jeden Tag in unse- Drucksache 16/1406 rem Land. Wenn man die geschilderten Fälle der Bürgerbeauftragten hochrechnet, die überdies eine Ich erteile dem Minister für Wissenschaft, Wirt- steigende Zahl von Fällen der Eingliederungshilfe schaft und Verkehr, Herrn Dietrich Austermann, verzeichnet, ist die Entwicklung besorgniserregend. das Wort. Gerade Eltern behinderter Kinder fühlen sich über die an sich schon beklemmende Situation hinaus Dietrich Austermann, Minister für Wissenschaft, oftmals hilflos und allein gelassen. Eine finanzori- Wirtschaft und Verkehr: entierte Bürokratie verschlimmert das Leid. Das ist besonders perfide. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion hat am 27. Februar die Landesregie- Der SSW begrüßt die Initiative von Kreisen und rung aufgefordert, schriftlich über ihr Logistikkon- Kommunen, die Eingliederungshilfe stärker auf den zept für Schleswig-Holstein zu berichten. Offen- Einzelfall auszurichten und eine Vereinheitlichung sichtlich war dies getragen von dem Gedanken, des Verfahrens voranzutreiben. Es darf eben keine dass durch die Entwicklung der Verkehrsströme ein Rolle spielen, in welchem Kreis oder welcher Stadt gestaltendes Handeln der öffentlichen Hand erfor- ein Hilfebedürftiger wohnt. derlich ist. Diese Grundüberzeugung teilen wir. Wir Trotz der Konzeption ist eine einheitliche Handha- stellen fest, dass sich die Verkehrsströme zurzeit bung der Anspruchsanerkennung aber noch nicht in gewaltig entwickeln. Ich darf nur folgende Zahlen Sicht. Eine Vereinheitlichung des Verfahrens ist nennen: Von 1998 bis heute hat es eine Zunahme nur nützlich, wenn die Anspruchsberechtigung lan- des Straßenverkehrs von 60 % gegeben. Im Bereich desweit nach einheitlichen Kriterien geprüft wird. der Schifffahrt über den Nord-Ostsee-Kanal hat sich die Ladungsmenge mehr als verdoppelt. Der (Beifall bei der FDP) Güterumschlag der Häfen hat um 35 % zugenom- Ansonsten bleibt es beim Ausschluss von Leistun- men. Es wird weiter davon gesprochen, dass sich gen für die Betroffenen und dann nützt es einem diese Entwicklung fortsetzen soll. auch nichts, wenn man ein gut durchstrukturiertes Angesichts dieser Entwicklung und der Situation Verfahren hätte erwarten können, wenn man sich des Landes könnte man die folgende Überlegung gegen das Amt durchgesetzt hätte. anstellen: Können wir mit einem Konzept sämtliche (Dr. Heiner Garg [FDP]: So ist es!) Aufgaben lösen? Ich sage hierzu: Wir haben ver- schiedene Veranstaltungen durchgeführt. Beispiels- Hier müssen deshalb feste Regelungen geschaffen weise gab es den ersten Logistikkongress in Schles- werden, und diese müssen im Sinne der Betroffe- wig-Holstein, in dessen Rahmen wir von den Inter- nen abgefasst sein und dürfen nicht kurzfristigen fi- essenten erfragt haben: „An welcher Stelle sehr ihr 4446 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Minister Dietrich Austermann) die deutlichen Schwerpunkte? An welcher Stelle, Dies alles zeigt, dass leistungsfähige Verkehrsver- meint ihr, muss konkret gehandelt werden?“ bindungen - dies hatte ich eben bereits gesagt - und moderne logistische Schnittstellen unabdingbar Das Ergebnis kann man vielleicht wie folgt zusam- sind, um die Transportlogistikbranche im Land menfassen: Es geht hier vor allem darum, dass wir wettbewerbsfähig zu halten. Langfristig wird der die Infrastruktur verbessern, dass wir in weiten Ausbau der Infrastruktur über die Wettbewerbsfä- Teilen versuchen, die Systeme, die offensichtlich higkeit unseres Landes entscheiden. Daher sind die gefordert werden - das ist beispielsweise die Realisierung der Schlüsselprojekte im Straßen- Schiene, das sind die Häfen und die Straßen - ziel- und Schienenbereich sowie Investitionen für den gerichtet so auszubauen, dass sie diese Verkehrs- Ausbau der Seehäfen und Wasserstraßen als lo- ströme aufnehmen können. gistische Knotenpunkte außerordentlich wichtig. In der Logistikbranche hat sich in letzter Zeit Er- Ich erwähne der Kürze halber hier nur kursorisch hebliches getan. Auch heute ist der Boom, den die- auch den Ausbau den Bundesfernstraßennetzes - se Branche erfährt, noch unverändert groß. Allein A 20, A 21, A 7, A 23 und B 5. Wichtig sind jedoch für den Hamburger Hafen als dem entscheidenden auch nachhaltige und möglichst optimal gestaltete Logistikzentrum Norddeutschlands wird eine Um- Hinterlandanbindungen, um auch künftig die Poten- satzsteigerung des Containerumschlags auf ziale der Häfen nutzen zu können. Eine weitere Op- 18 Millionen Container prognostiziert. Das ent- timierung der Hinterlandanbindung des Lübecker spricht etwa einer Verdopplung der zurzeit umge- Hafens ist insbesondere über den Ausbau des Elbe- schlagenen Menge. Da rechnerisch circa ein Drittel Lübeck-Kanals für Großmotorschiffe zu erreichen. der ankommenden Waren als für die Metropolregi- Die Landesregierung erhebt diese Forderung mit on selbst bestimmt eingestuft werden, wird die Lo- Nachdruck gegenüber dem Bund. gistikbranche in Schleswig-Holstein in den näch- Zudem werden wir verschiedene Projekte durchfüh- sten Jahren mit einem deutlichen Wachstum rech- ren und Strategien verfolgen, die die in den Häfen nen können. Den vorliegenden Prognosen zum Gü- selbst praktizierten Verkehrssysteme - Telematik- terverkehr in Schleswig-Holstein zufolge wird die systeme, kombinierter Ladungsverkehr und Ähnli- Menge der transportierten Güter bis zum Jahr 2015 ches - unterstützen, und zwar über Förderprogram- noch einmal um weitere 35 % zunehmen. me und hier insbesondere über das Zukunftspro- Von besonderer Bedeutung ist für unser Bundes- gramm Wirtschaft. land natürlich der Seeverkehrsmarkt an der Ost- Neben regionalen Aktivitäten in Brunsbüttel, Flens- see. Dreh- und Angelpunkt für die Verkehrsströme burg, Padborg oder Lübeck gibt es derzeit Bestre- sind die Ostseehäfen des Landes mit ihrem Ange- bungen für eine landesweite Initiative unter Feder- bot an logistischen Dienstleistungen. Damit sind sie führung der Güterverkehrszentren Kiel und Lü- weit mehr als reine Umschlagsstationen. Aufgrund beck und unter Mitwirkung der Wirtschaftsförder- der Prognosen ist davon auszugehen, dass im Jahr einrichtungen und der Industrie- und Handelskam- 2015 eine Steigerung um 55 % gemessen am Jahr mern. Diese Initiative soll Kooperationsmöglichkei- 1998 erfolgt sein wird. Im letzten Jahr betrug die ten prüfen, sie soll Hemmnisse abbauen und insbe- Umschlagsmenge in Lübeck 30 Millionen t. Wir sondere die positiven Effekte aus dem Wachstum gehen davon aus, dass es in absehbarer Zeit 40 Mil- des Hamburger Hafens nutzen. lionen und in 15 Jahren möglicherweise sogar schon 50 Millionen t sein werden. Das setzt aller- Ich bin zuversichtlich, dass mit den dargestellten dings voraus, dass man vor Ort keine Fehler macht. Aktivitäten und Maßnahmen weitere Wertschöp- fungsmöglichkeiten gegeben sind und damit ver- Der zunehmende Wettbewerb, insbesondere bei den bunden weitere Arbeitsplätze im Logistikbereich Ostseeverkehren, macht auch vor Staatsgrenzen in Schleswig-Holstein gebunden werden können. nicht halt. Ganz aktuell gibt es Bemühungen, den Seien Sie versichert, dass die Landesregierung und Betrieb durch polnische Fähren in Richtung Skan- die Logistikbranche auch in Zukunft daran festhal- dinavien auszubauen und vermehrt Fährverkehre ten wird, über den Logistikbetrieb mehr Ar- über die polnischen Häfen aufzunehmen. Zwischen beitsplätze in Schleswig-Holstein zu schaffen, und dem polnischen Swinemünde und dem schwedi- dieses weiter im Fokus behält. schen Trelleborg verkehrt seit Februar ein neuer Li- niendienst; weitere Fährlinien zwischen Polen und (Beifall bei CDU, SPD sowie des Abgeord- dem Baltikum sind geplant. Dafür sind von der pol- neten Dr. Heiner Garg [FDP]) nischen Regierung Programme für den Ausbau der Infrastruktur und der Häfen vorgesehen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4447

Vizepräsidentin Ingrid Franzen: deren Binnenwasserstraßen ging dagegen absolut und relativ zurück. In Schleswig-Holstein spielt der Ich danke dem Herrn Minister. - In der Aussprache Schienengüterverkehr kaum eine merkliche Rolle; erteile ich für die antragstellende Fraktion der FDP gerade einmal 2,3 % der transportierten Menge Herrn Dr. Heiner Garg das Wort. wird auf der Schiene transportiert. Das zeigt dreier- (Unruhe - Zuruf des Abgeordneten Hans- lei: Jörn Arp [CDU] - Heiterkeit) Erstens scheint es mengenmäßig noch viel Potenzi- al zu geben, um Güterverkehr von der Straße auf Dr. Heiner Garg [FDP]: die Schiene umzulenken. Zweitens scheint die Ei- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! senbahn hier bislang für Güterverkehrstransporte Lieber Kollege Arp, ein bisschen können Sie viel- vergleichsweise unattraktiv zu sein, und drittens leicht noch warten. Sie werden allerdings über- wird es vermutlich sehr lange dauern, bis Trans- rascht sein von dem, was Sie gleich zu hören be- portverlagerungen von der Straße auf die Schiene kommen. merkliche Veränderungen in der Struktur des soge- nannten Modal Split im Güterverkehr hinterlassen. (Hans-Jörn Arp [CDU]: Ihr Lob womöglich!) Der Güterumschlag in den vier bedeutensten See- - Abwarten. - Schleswig-Holstein ist ein Transit- häfen Schleswig-Holsteins ist zwischen 1998 und land. Es ist die Drehscheibe des Ostseehandels, die 2006 um knapp 48 % gestiegen. Das gesamte Brücke zwischen Skandinavien und Westeuropa Wachstum des Umschlags entfiel auf die Häfen und dem - wenn ich das einmal so flapsig aus- Kiel und Lübeck und davon zu vier Fünfteln auf drücken darf - nördlichen Hinterland des achtgröß- den Hafen Lübeck. ten Hafens der Welt, des Hamburger Hafens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus alldem lassen Mit Logistik wird in Schleswig-Holstein viel Geld sich zwei Schlussfolgerungen ziehen. Beide hat die verdient. Vielleicht könnte es sogar noch mehr Landesregierung erkannt. Geld sein und könnten durch Logistik noch mehr Arbeitsplätze entstehen. Der Bericht des Wirt- Erstens sollten hauptsächlich die Fernstraßen und schaftsministers zeigt, wie das gehen könnte. Nicht der Nord-Ostsee-Kanal dringend ausgebaut wer- nur, dass die Landesregierung genau diese Poten- den. Denn sonst droht schnell der Güterverkehrsin- ziale erkannt hat, sie hat auch bereits zweckdienli- farkt. Dann würden die Verkehre umgelenkt und che Maßnahmen ergriffen und kann hierüber kurz, anschließend gerieten auch sehr schnell viele der präzise und verständlich berichten. hiesigen Arbeitsplätze in der Logistik in Gefahr. Ich will hinzufügen: Das gilt nicht nur für die Logi- Lieber Kollege Arp, sehr geehrter Herr Wirtschafts- stik. minister, das ist ein wohltuender Kontrast zu vielen anderen Politikfeldern in Ihrem Verantwortungsbe- Zweitens scheint für die nördlichen Landesteile reich. An diesem Bericht sieht man: Es geht doch! logistisch leider nicht viel zu holen zu sein. Logisti- sche Wertschöpfung wird dort angesiedelt, wo die (Lachen und Zuruf des Abgeordneten Hans- Verkehre gebrochen werden, zum Beispiel in den Jörn Arp [CDU]) Häfen. Darüber kann sich sogar die CDU-Fraktion freuen. (Jürgen Feddersen [CDU]: Husumer Hafen!) (Zuruf des Abgeordneten Hans-Jörn Arp Bedeutende solcher Bruchstellen fehlen im nördli- [CDU]) chen Landesteil nahezu. - Wir können gern über - Das können Sie gern verbreiten. An dieser Stelle den Husumer Hafen diskutieren, Kollege Fedder- geht das. Die Daten aus den Tabellen, die uns mit- sen. geliefert wurden (Zuruf des Abgeordneten Hans-Jörn Arp (Zuruf des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU]) [CDU]) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den Maßnah- - nun bist du mal wieder ganz ruhig da vorn -, las- men, die die Landesregierung begonnen hat oder sen folgende Schlüsse zu: Die transportierte Men- ausweislich des Berichts beginnen will - Gründung ge ist von 1998 bis 2004 um 70 % gestiegen. Auf der Logistikinitiative, Förderung der regionalen der Straße betrug diese Steigerung 60 % und auf Güterverkehrszentren in Lübeck, Kiel und Flens- dem Nord-Ostsee-Kanal 116 %. Die transportierte burg, Kooperation mit unseren Nachbarn -, sind wir Menge auf Schienen und auf den sogenannten an- einverstanden. Herr Minister Austermann, ich sage 4448 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Dr. Heiner Garg)

Ihnen ausdrücklich die Unterstützung meiner Frak- Schleswig-Holstein insbesondere von diesem tion bei diesen Initiativen zu. Boom. Einzig bei der einzelbetrieblichen Förderung blei- Schleswig-Holstein ist Dreh- und Angelpunkt für ben wir dabei: Wir halten sie für unzweckmäßig. Verkehrsströme nach Nord- und Osteuropa. Diese Wenn der Güterverkehr tatsächlich so viel Poten- zentrale Lage gilt es für die Ansiedlung neuer Un- zial für unser Land hat, dann sollten und werden ternehmen und hochqualifizierte Arbeitsplätze zu wenigstens die regionalen Kreditinstitute bereit nutzen. sein, Investitionen auch ohne Subventionen zu fi- Schleswig-Holsteins Voraussetzungen für einen at- nanzieren. Die Subventionen würden auch hier traktiven Logistikstandort sind gut. Der Nord-Ost- überwiegend Mitnahmeeffekte auslösen. Deshalb see-Kanal - das wurde schon von meinen Vorred- sollte die Landesregierung die knappen Mittel des nern gesagt - als direkter Seeweg zwischen Nord- Landes auf den Ausbau der logistisch bedeutsamen und Ostsee bietet exzellente Voraussetzungen für Infrastruktur konzentrieren. attraktive und wettbewerbsfähige Seetransportlei- Lieber Kollege Arp, ich freue mich besonders auf stungen. die Ausschussberatung mit Ihnen zum Logistikkon- Der Lübecker Hafen ist Deutschlands zentraler zept Ihres Wirtschaftsministers. Ostseehafen und profitiert von der unmittelbaren (Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Nähe zum Hamburger Hafen. Der Hafen Brunsbüt- Klug [FDP]) tel entlastet bereits heute schon den Hamburger Ha- fen. Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Darüber hinaus zeigt der Bericht, dass sich außer- Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das halb der Häfen wichtige logistische Zentren gebil- Wort für die CDU-Fraktion hat nun Herr Abgeord- det haben. So finden sich in den kreisfreien Städten neter Jörn Arp. und den angrenzenden Landkreisen ein hohes logi- stisches Dienstleistungsangebot und eine entspre- Vielleicht noch einmal erläuternd: Bei Berichtsan- chende Nachfrage, die weiterhin stark steigt. trägen erteilen wir jeweils dem Antragsteller zuerst das Wort. Das tun wir schon die ganze Legislatur- Die geografische Lage Schleswig-Holsteins führt periode über. aber auch dazu, dass viele Güter, die heute auf der Straße transportiert werden, häufig leider nur durch Hans-Jörn Arp [CDU]: unser Land hindurchtransportiert werden. Dies wird sich nicht einfach verhindern lassen, aber wir müs- Frau Präsidentin! Ich bedanke mich für die Beleh- sen versuchen, durch eine attraktive Gestaltung des rung. Standortes Schleswig-Holsteins neue Dienstleistun- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich be- gen rund um die Logistik in unserem Land anzusie- danke mich auch bei der FDP, das so interessante deln. und für Schleswig-Holstein zukunftsträchtige The- Wir begrüßen und unterstützen die Aktivitäten des ma durch Ihren Antrag hier heute auf die Tagesord- Wirtschaftsministers, die im Bericht genannt wer- nung gesetzt zu haben. Wir sind uns wohl einig, den. dass dieses für Schleswig-Holstein so wichtige Thema eigentlich einen prominenteren Platz ver- Die Logistikbranche kann sich jedoch nur dann dient hätte als abends um halb sechs am Ende der weiterentwickeln, wenn die Rahmenbedingungen Plenardebatte; aber das können wir ja durch unsere stimmen. Dazu zählen insbesondere die Infrastruk- Beiträge verbessern. tur und die planungsrechtlichen Vorgaben. Bei der Infrastruktur sind wir mittlerweile auf einem gu- Ich danke auch dem Minister und seinem Haus für ten Weg. Die Versäumnisse der Vergangenheit - den Bericht. insbesondere die Verhinderungen durch die Grünen Die Logistikbranche ist eine der eigentlichen Ge- in den letzten Jahren und Jahrzehnten - konnten von winner der Globalisierung. Auch in Schleswig-Hol- uns abgebaut werden. stein spielt die Logistikbranche eine wichtige Rolle, (Beifall bei der CDU) wie die Zahlen im Bericht zeigen. Das starke Wachstum des Hamburger Hafens führt zu einer Die A 20 wächst jeden Tag und ist westlich der A 7 großen Nachfrage nach logistischen Dienstleistun- dank des unermüdlichen Einsatzes aller Beteiligten gen in ganz Norddeutschland. Durch die geografi- endlich ausfinanziert. Unzählige Baumaßnahmen sche Lage zwischen Nord- und Ostsee profitiert im Land - ich will sie nicht alle aufzählen, der Mi- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4449

(Hans-Jörn Arp) nister hat es gemacht und selbst Heiner Garg hat es - Herr Hay, nicht anders als die, die Sie auch ken- bestätigt -, wie man an vielen Baustellen sieht, und nen. weitere Planungen weisen auf eine Verbesserung Meine Damen und Herren, mein Appell ist - wir der Infrastruktur hin. Es gibt feste Zeitpläne für werden das im Wirtschaftsausschuss sicherlich wei- Beginn oder Fertigstellung solcher Maßnahmen, ter diskutieren -, zusammen mit dem Innenministe- was es Investoren sicherlich auch einfacher macht. rium die Frage zu beantworten, wie wir die Landes- Das zeigt, dass wir vorankommen. Auf der Straße planung modernisieren können. Die Instrumente, und im Wasser wird in Schleswig-Holstein so viel die wir heute haben, reichen nicht aus. gebaut wie zu keiner anderen Zeit. Ich freue mich zusammen mit dem Kollegen Heiner Meine Damen und Herren, ich bin der festen Über- Garg auf die weiteren Beratungen, er hat ja heute zeugung, dass die Fehmarnbelt-Querung - wir Abend bewiesen, dass man es mit Kritik auch nett hoffen, dass sie kommt - dem Logistikstandort machen kann. Warum nicht gleich so, warum nicht Schleswig-Holstein einen enormen Schub geben schon heute Morgen? Es wäre besser, wenn Sie in wird. Zukunft immer nur nachmittags redeten! (Beifall des Abgeordneten Jürgen Feddersen [CDU]) Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Diesen Schub haben wir dann aber im Wesentli- Die Redezeit, Herr Arp! chen - Anke, hör bitte zu! - dem kleinen und netten Partner und Nachbarn Dänemark zu verdanken, Hans-Jörn Arp [CDU]: denn den dänischen Unternehmern sowie der Be- reitschaft der dänischen Banken ist es zu verdan- Frau Präsidentin, ich bedanke mich dafür, dass Sie ken, dass dieses größte Verkehrsprojekt, das zurzeit mir eine Minute mehr gegönnt haben. in Europa geplant wird, realisiert wird. Es ist schon Herzlichen Dank und schönen Abend! peinlich, wenn man sich das Verhalten des deut- schen Verkehrs- und Finanzministers in dieser Sa- (Beifall bei der CDU) che einmal ansieht. Bei einem Projekt von 6 Milli- arden € sollten wir hier gegenüber den Dänen ein Vizepräsidentin Ingrid Franzen: klein wenig Demut zeigen. Ich danke Herrn Abgeordneten Arp. Man könnte (Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Sie ja glatt noch weiterreden lassen. - Das Wort für Lothar Hay [SPD] - Günter Neugebauer die SPD-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Tho- [SPD]: Auch der Bundeskanzlerin!) mas Rother. - Entspannen Sie sich doch, es ist doch halb sechs und wir haben gleich Feierabend. Thomas Rother [SPD]: Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein Appell an Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen alle Beteiligten lautet: Wir müssen darauf achten, und Kollegen! Vielen Dank erst einmal an die Lan- dass wir nicht nur Transitland sind. Die Wert- desregierung für diesen knappen, aber aussagekräf- schöpfung kann und muss bei einem so großen tigen Bericht zum Logistikstandort Schleswig-Hol- Projekt in unserem Land stattfinden. stein - Heiner Garg hat darauf hingewiesen -, der den Wirtschaftsbericht, den wir heute früh disku- Bei der Frage - es ist schade, dass der Innenminister tiert haben, in sinnvoller Weise ergänzt. nicht hier ist - passen die Instrumente der Landes- planung der 60er-, 70er- und 80er-Jahre nicht mehr. Es stimmt, die Transport- und Logistikbranche Es gibt eine Menge Investoren, die bereit sind, in ist einer der führenden Wachstumsbereiche der Schleswig-Holstein in Logistikunternehmen, aber deutschen Wirtschaft. Lange wurde in diesem Be- auch in Logistikstandorte zu investieren. Dafür reich nicht so viel Geld verdient wie heute. Das ist brauchen wir andere Einrichtungen in der Landes- angesichts der Diskussion gestern einmal eine der planung, andere Gesetze in der Landesplanung, Sonnenseiten der Globalisierung. flexiblere Möglichkeiten, um hier tätig zu werden. Der Bericht macht die überdurchschnittliche Be- Es gibt Investoren, die bereit sind, bis zu 1 Milliar- deutung dieses Wirtschaftssektors für Schleswig- de € in solche Standorte zu investieren. Holstein deutlich. Es wäre allerdings gut gewesen, (Lothar Hay [SPD]: Sind die auch seriös?) wenn die konkreten Beschäftigtenzahlen für die beteiligten Branchen der Drucksache zu entneh- men gewesen wären. Die Zahlen sind teilweise ent- 4450 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Thomas Rother) halten, aber nicht komplett. Sofern diese Zahlen (Beifall der Abgeordneten Angelika Birk vorliegen, sollten sie nachgeliefert werden. Denn es [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ist natürlich bedeutsam, inwieweit dieser Boom Zum Beispiel boomt gerade die Schifffahrt ohne auch zu mehr Beschäftigung führt. Das ist ein we- Ende, da wird Geld verdient ohne Ende und es ist sentlicher Aspekt, der bei der Förderung von Maß- dennoch erforderlich, bei Besteuerung von Gewinn nahmen im Logistikbereich zu beachten ist, vor al- und Einkommen sowie bei der Sozialversicherung len Dingen in Abgrenzung und Förderkonkurrenz Vergünstigungen und Ausgleichszahlungen zu ge- zu anderen Bereichen. währen, nur weil das anderswo der Fall ist. Auch Die verkehrlichen Anforderungen an Sicherung und wenn es sich dabei um Bundesmittel handelt, ist die Ausbau des Anteils an diesem Boom sind in beiden Gelegenheit zurzeit sehr günstig, hier zu einer Sub- Berichten ausführlich beschrieben. Ebenso sind die ventionsabbaulösung zu kommen. Aber das wäre Projekte wie Güterverkehrszentren und Kooperatio- natürlich ein Auftrag für den Europaminister, der nen auf verschiedenen Ebenen enthalten. Damit gerade nicht da ist. wird auch schon in Teilen der Antrag des SSW zur Ebenso fehlen im Bericht ökologische Aspekte des Kooperation der Nordseehäfen aus der vergangenen Transportwesens, denn je mehr transportiert wird, Tagung beantwortet, lieber Lars Harms. desto mehr Kraftstoffe müssen verbraucht werden Die Initiativen der Landesregierung sind gut und und desto mehr Schadstoffe stoßen die Abgasanla- richtig und der Wirtschaftsausschuss sollte über die gen der Transportmittel in die Luft. Über die ökolo- weitere Entwicklung laufend informiert werden. gischen Aspekte des Schiffsverkehrs haben wir hier auch schon des Öfteren gesprochen, aber es gehört Liebe Kolleginnen und Kollegen, was im Bericht natürlich auch die Optimierung der Bahnanbindung enthalten ist, brauche ich hier nicht zu wiederholen; Schleswig-Holsteins und die Begrenzung des Lkw- das haben meine beiden Vorredner schon gemacht. Verkehrs dazu - allein schon wegen der Begrenzt- Das ist erledigt. Dennoch gibt es weitere Punkte, heit der Straßenkilometer, die zur Verfügung ste- die aus meiner Sicht im Bericht fehlen und viel- hen. leicht in der Ausschussdiskussion ergänzt werden könnten. Es wäre zu prüfen, inwieweit erreicht wer- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den kann, dass Güter nicht nur umgeschlagen wer- Auch das muss nachgeholt werden. Das bemerken den, also durchlaufen, sondern bei uns in Schles- sogar die Industrie- und Handelskammern in ihrem wig-Holstein auch veredelt werden können, wie Papier zur Verkehrsinfrastruktur in Schleswig- man es so schön nennt. Holstein. Das ist gerade sechs Wochen alt und (Günter Neugebauer [SPD]: Sehr gut!) stammt aus dem April. Selbst die haben das be- merkt. In Lübeck gibt es das Beispiel, dass Papier nicht nur in Rollen an die Druckereien weitergeliefert Es gehören auch die Wettbewerbsverzerrungen wird, sondern auch schon maschinengerecht in Bo- dazu, unter denen deutsche Spediteure zu leiden gen geschnitten und vorbereitet wird. Das schafft haben. Bei Kraftstoffen und Löhnen unterbieten Arbeitsplätze im produzierenden Bereich und auch neue EU-Länder trotz aller Begrenzungen, zum das ist wichtig. Beispiel beim Treibstoff, den man nach Deutsch- land mitnehmen kann, unsere Standards und unsere (Beifall der Abgeordneten Jürgen Feddersen Preise. Dieser Fall, der zum Schutz unserer Trans- [CDU] und Dr. Heiner Garg [FDP]) portunternehmen geklärt werden muss, ist ebenso So etwas wäre auch für andere Warenbereiche zu einer für den Europaminister. prüfen und könnte durch die Wirtschaftsförderge- Der Bericht macht zudem deutlich, dass es sehr sellschaften vor Ort angestoßen werden. sinnvoll ist, wenn Verkehrseinrichtungen - es gibt Herr Kollege Garg hat schon darauf hingewiesen - zurzeit eine unsägliche Diskussion um Häfen - in das hat mich auch etwas erstaunt -, dass der Aspekt staatlicher Hand bleiben, das erhält nämlich nicht des Wettbewerbs in Bezug auf die vorhandenen nur die Förderfähigkeit durch die europäische Uni- Wettbewerbsverzerrungen durch Subventionen im on, sondern sichert auch den freien Zugang zu allen Bericht gar nicht angesprochen wird. Es ist schon Dienstleistungen und bietet Gewähr für vernünftige absurd, wenn in Wachstums- und Boombranchen soziale Standards für die Beschäftigten. Das soll auch im europäischen Rahmen Subventionen ge- Projekte, die privat finanziert oder betrieben wer- zahlt werden. den - so haben wir eben über die Öffentlich Priva- ten Partnerschaften gesprochen - nicht diskriminie- ren, sondern ganz im Gegenteil ist privates Engage- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4451

(Thomas Rother) ment zu unterstützen. Aber unabhängig davon - ge- Stück Anpassung an logistische Erfordernisse ran- rade in diesem störanfälligen System, bei dem sehr gehängte Wertschöpfung im Land, die - verschie- große Geldsummen bewegt werden - bleibt eine dentlich diskutiert - nicht gering ausfällt. staatliche Lenkung und eine staatliche Aufsicht er- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN forderlich. und SSW) Die Logistikinitiative des Landes ist eine sehr gu- Wichtig ist eine gute Infrastruktur aus Straßen, te und unterstützenswerte Sache und die Grund- Schienen- und Wasserwegen. Mit dem Nord-Ost- satzentscheidung, die noch vor den Sommerferien see-Kanal - oder in der Seefahrersprache Kiel- dazu getroffen werden soll, ist daher auch ein span- Canal genannt - haben wir in Schleswig-Holstein nendes Thema für eine der nächsten Wirtschafts- die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der ausschusssitzungen. Welt, nicht in der Tonnage, aber in den Schiffsbe- (Beifall bei der SPD) wegungen. Mit einer Ladung von 95,8 Millionen t auf den Schiffen der NOK-Passage wurde 2006 ein Vizepräsidentin Ingrid Franzen: neuer Rekord aufgestellt: ein Zuwachs von 8,6 % gegenüber 2005. 8,6 % innerhalb eines Jahres ist ei- Ich danke Herrn Abgeordneten Rother und erteile ne gewaltige Größenordnung und der Minister hat das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn ausgeführt, dass die Prognosen dahin gehen, dass Abgeordneten Detlef Matthiessen. dieses Wachstum anhält. Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Unruhe) NEN]: Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Vielen Dank erstmal an die Kollegen der FDP Darf ich einmal darauf aufmerksam machen, dass für diesen Antrag. Herr Minister Austermann, Dank Herr Matthiessen der Redner ist und nicht alle an- auch an Ihr Haus für den Bericht zu diesem unbe- deren, die miteinander reden? stritten wichtigen Wirtschafts- und Verkehrsthema. (Zurufe) Logistik wird definiert als integrierte Planung, Or- ganisation, Steuerung, Abwicklung und Kontrolle Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des gesamten Material- und Warenflusses. Das ist NEN]: mit den notwendigen Informationsflüssen verbun- Ja, aber der Minister hört zu. Er ist multitaskingfä- den, beginnend beim Lieferanten durch die betrieb- hig. So nennt man das. Das wird von einem Lan- lichen Wertschöpfungsstufen bis zur Auslieferung desminister verlangt: Snacken und tohöörn gliektie- der Produkte an den Kunden inklusive der Abfall- dig. entsorgung und des Recyclings. Das ist Logistik. Wir unterstützen den Ausbau, die Begradigung und Logistik ist wesentlich mehr als nur die Abwick- die Ertüchtigung des NOK und den Ausbau von lung von Transporten. Dabei wird verlangt, dass Königsförde bis Holtenau. Die immer größeren kundenorientiert und kostenoptimal das richtige Feeder-Schiffe sollen auch gern den kurzen Weg Produkt zur richtigen Zeit zum richtigen Preis am durch den Kanal und nicht den Umweg über Ska- richtigen Ort in der richtigen Menge in der richti- gen nehmen. gen Qualität bereitzustellen. Schleswig-Holstein ist ein klassisches Transitland, wobei ein durchfah- Nicht nur der wachsende Schiffsverkehr, auch stei- render Lkw fast keine Wertschöpfung im Land er- gende Bunkerpreise erhöhen die Nachfrage nach laubt. Es wäre wünschenswert - ich glaube, das ist den Kanalpassagen. Fast 3.000 direkte und indi- auch die Hauptintention der FDP - in Schleswig- rekte Arbeitsplätze hängen am NOK mit all diesen Holstein auch hochwertige Logistikdienstleistung Wertschöpfungseffekten im Land. In Lübeck sind anzubieten, diesen Bereich auszubauen, mit dem es 1.000 Leute bei der Hafengesellschaft selbst und die Beschäftigung und Wertschöpfung in unserem 5.000 Leute im Umfeld. Daher ist auch das eine In- Land erreicht wird. tention, die mit dem FDP-Antrag verbunden ist. Es handelt sich keineswegs um Peanuts, sondern um Thomas Rother sprach schon Beispiele aus Lübeck veritable Anteile an der schleswig-holsteinischen an, zum Beispiel Zwischenverarbeitung beim Wirtschaft. Wechsel im Modal Split oder, was keiner der Red- ner gesagt hat, das Engagement des Europaminis- Güterverkehre gehören auf Schiff und Schiene ters. Der Landanschluss für Schiffe ist ebenfalls ein und nicht vorwiegend auf die Straße. Der kombi- 4452 Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007

(Detlef Matthiessen) nierte Verkehr Schiene-Straße-Wasser hat sein Lars Harms [SSW]: Potenzial aus unserer Sicht noch lange nicht er- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und reicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in Zu- Herren! Der Bericht der Landesregierung macht kunft den Transportweg präferieren müssen - auch deutlich, wie sich der Güterverkehr in den letzten durch leichte Umlademöglichkeiten, Containeran- Jahren entwickelt hat und die Prognosen machen passungen im Modal Split -, der den energieärm- deutlich, dass mit erheblichen Verkehrszuwächsen sten Transport gewährleistet. in den kommenden Jahren zu rechnen ist. Darüber (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hinaus ist er ein verkehrstechnischer Maßnahmen- und SSW) katalog, wie die Verzahnung und Kopplung der un- terschiedlichen Verkehrswege vorangebracht wer- Dann werden wir auch in Zukunft bei der Globali- den soll. Hierzu sind entsprechende Ziele und sierung die Nase vorn haben. Schritte aufgeführt, doch leider lässt der Bericht Nach dem Güterverkehrszentrum Lübeck gibt es in noch viele Fragen offen, wie einige Vorredner das Kiel ähnliche Initiativen. Der Förderverein Güter- schon sagten. Wir wissen, dass die Prognosen des verkehrszentrum Kiel ist ins Leben gerufen worden. Bundesverkehrswegeplans für 2015 bereits heute Hier sollen Unternehmen aus Transport, Handel erreicht sind. und Gewerbe und Institutionen zusammenarbeiten, Das stellt uns vor das Problem, dass wir mit den die den Logistikstandort Kiel nach vorn bringen veranschlagten Investitionskosten vom Bund für wollen. Örtlich ist die gemeinsame Arbeit denkbar, die Verkehrsträger weit im Hintertreffen sind. Das am Güterbahnhof Meimersdorf zum Beispiel. bedeutet, dass die zu tätigenden Investitionen von Der Bericht beschreibt nur, es geht überall auf- Bund und Land wirklich genau überlegt sein wol- wärts. Wir hatten aber auch die Einstellung von len. Und ich denke, dass uns das gestrige Treffen Fährverbindungen, zum Beispiel ins Baltikum. Da im Wirtschaftsausschuss mit der Deutschen Bahn in finde ich die Anregung des Ministers sehr gut, diese vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet hat. Verbindungen auch über eine Kooperation mit pol- Für den gesamten skandinavischen Güterverkehr nischen Häfen wieder aufnehmen zu können. ist Schleswig-Holstein die Verbindung nach Süden. Dies führt uns bereits heute an die Grenzen dessen, Vizepräsidentin Ingrid Franzen: was die Verkehrsträger aufnehmen können. Und die Herr Matthiessen, die Zeit! Situation wird sich für Schleswig-Holstein weiter verschärfen, wenn wir nicht klar deutlich machen, Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wie und wann die Nord-Süd-Achse ausgebaut NEN]: wird. Leider erfahren wir hierzu im Bericht nichts. Ja! - Der Minister hat auch die anstehenden Infra- (Beifall beim SSW) strukturmaßnahmen kursorisch erwähnt. Ich will Für den Güterverkehr auf der Straße ist klar, dass an dieser Stelle nicht auslassen, dass wir einen an- die Nord-Süd-Verbindung, sprich die A 7, weiter deren Standpunkt haben. Darauf haben wir an ande- ausgebaut werden muss. Der Bericht weist in die- rer Stelle schon hingewiesen. Der Bericht ist auf sem Zusammenhang darauf hin, dass der sechsstrei- zehn Seiten komprimiert. Er hätte auch wesentlich fige Ausbau der A 7 vom Bordesholmer Dreieck länger sein können. Ich freue mich auf die Bera- bis zur Landesgrenze bis Hamburg kommt. tung. Das reicht aber nicht. In Dänemark gibt es Überle- (Zurufe: Das schont aber Papier!) gungen, die Jütlandautobahn auszubauen. Daher - Ja, das kommt darauf an, aber Herr Rother hat zu muss der sechsstreifige Ausbau der A 7 bis zur Recht darauf hingewiesen, dass ein ganzer Teil Landesgrenze nach Dänemark durchgeführt wer- Zahlen im Bericht fehlte. Ich freue mich auf die den. Alles andere wäre eine verkehrstechnische Un- Ausschussberatung. zulänglichkeit. Hierbei gilt es dann auch, den Ver- kehr durch Logistikzentren entsprechend zu be- (Beifall beim SSW) gleiten.

Vizepräsidentin Ingrid Franzen: Die Standorte die hierfür in Frage kommen sind Neumünster, Flensburg und Padborg. In Padborg Ich danke Herrn Abgeordneten Matthiessen. - Das und Flensburg gibt es bereits ein Logistikzentrum, Wort für den SSW im Landtag hat Herr Abgeord- auf dessen Erfahrungen man zurückgreifen kann. neter Lars Harms. Dies gilt es entsprechend einzubinden und zu er- Schleswig-Holsteinischer Landtag (16. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 7. Juni 2007 4453

(Lars Harms) weitern. Hier kann sich vieles für die Standorte menhang kommen wir um eine norddeutsche Flensburg und Neumünster entwickeln, wenn wir Nordseehäfenkooperation nicht herum. endlich ein Konzept hätten, wie wir diese Standorte Wenn wir über den Hamburger Hafen sprechen, ist weiterentwickeln. Das ist für uns wichtiger als ein auch der Weser-Jade-Port zu nennen. Wir brau- Brückenbau in der Ostsee, von dem wir nichts ha- chen ein länderüberschreitendes Konzept mit einer ben. vernünftigen Anbindung an den Süden für die Zu- (Beifall beim SSW) sammenarbeit der Nordseehäfen. Wir als SSW ha- ben den entsprechenden Antrag gestellt, aber statt Für den Schienengüterverkehr in Nord-Süd-Rich- diesen zu unterstützen und endlich zu handeln, will tung gilt es entsprechend. Auch hier muss es zügig der Wirtschaftsminister wohl auch dieses Thema Verbesserungen geben. Die geplante Instandset- lieber aussitzen. Denn im Bericht findet sich nichts zung der Eisenbahnhochbrücken in Rendsburg und dazu. Hochdonn sind hierbei nur der Anfang. Hier hat die gestrige Wirtschaftsausschusssitzung deutlich (Beifall beim SSW) gemacht, dass die Sanierung der Rendsburger Im Bericht wird davon ausgegangen, dass gerade Hochbrücke bis 2013 abgeschlossen sein soll. Das im Bereich Verkehrslogistik noch erhebliches ist auch gut, aber wir erhalten damit gerade mal den Wirtschafts- und Arbeitsmarktpotenzial liegt. Status quo. Damit wird der Engpass über den Nord- Wenn wir diese Potenziale ausschöpfen wollen, Ostsee-Kanal langfristig nicht beseitigt. Was wir dann brauchen wir realistische Konzepte, die sich brauchen, ist eine Lösung, die den Verkehr rei- mit der Wirklichkeit befassen und die verkehrstech- bungslos fließen lässt. nischen Probleme dort angehen, wo sie sind. Was (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE wir nicht brauchen, ist ein Wirtschaftsminister, der GRÜNEN) die Hände in den Schoß legt. Und diese muss jetzt geplant und angeschoben wer- (Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE den. Der Wirtschaftsausschuss sagt im Bericht GRÜNEN) nichts dazu. Dies gilt im Übrigen auch für den südlichen Be- Vizepräsidentin Ingrid Franzen: reich Schleswig-Holsteins. Um den Schienengüter- Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms. - Wei- verkehr vernünftig um den Flaschenhals Hamburg tere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass ich die zu leiten, brauchen wir eine Ostumgehung. Zum Beratung schließe. einen können nur so die wachsenden Güterverkehre abgewickelt werden und zum anderen wird der Be- Es ist Ausschussüberweisung beantragt worden. reich Pinneberg/Elmshorn entlastet, was dann auch Wer den Bericht Drucksache 16/1406 an den Wirt- dem SPNV sehr zugute kommen würde. Auch hier schaftsausschuss zur abschließenden Beratung muss geplant und angeschoben werden. Leider ist überweisen möchte, den bitte ich um das Handzei- das nicht der Fall und auch im Bericht steht nichts chen. - Das ist einstimmig. dazu. Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Das norddeutsche Logistikzentrum liegt laut Be- heutigen Sitzung. Ich wünsche Ihnen einen schönen richt in erster Linie in Hamburg mit seinem Hafen. Sommerabend und wir treffen uns morgen um Auch hier hat es in den letzten Jahren bereits im- 10 Uhr zu Tagesordnungspunkt 7 wieder. mense Zuwächse gegeben und der Bericht progno- Die Sitzung ist geschlossen. stiziert bis 2015 eine Verdopplung der Anzahl der Container. Aber auch hier müssen wir weiterden- Schluss: 17:55 Uhr ken. Auch der Hamburger Hafen und die Elbe ha- ben begrenzte Kapazitäten. Daher ist es wichtig, jetzt die Weichen zu stellen, wenn wir mit Welthä- fen konkurrieren wollen. Und in diesem Zusam-

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst und Ausschussdienst