Plenarprotokoll 15/98

Deutscher

Stenografischer Bericht

98. Sitzung

Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Inhalt:

Gedenkworte zu den Bombenanschlägen in Tagesordnungspunkt 16: Madrid ...... 8763 A a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung zur auswärtigen Kulturpolitik 2001 Tagesordnungspunkt 17: (Drucksache 14/9760) ...... 8779 A a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- b) Unterrichtung durch die Bundesregie- wurfs eines Telekommunikationsge- rung: Bericht der Bundesregierung setzes (TKG) zur auswärtigen Kulturpolitik 2002 (Drucksachen 15/2316, 15/2345, (Drucksache 15/2258) ...... 8779 A 15/2674, 15/2679) ...... 8763 C in Verbindung mit b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit zu dem Antrag der Abgeordneten Zusatztagesordnungspunkt 6: Dr. Martina Krogmann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Antrag der Abgeordneten Monika Fraktion der CDU/CSU: Mehr Wett- Griefahn, Eckhardt Barthel (), wei- bewerb, Wachstum und Innovation terer Abgeordneter und der Fraktion der in der Telekommunikation schaffen SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje (Drucksachen 15/2329, 15/2674, Vollmer, (Augsburg), weite- 15/2679) ...... 8763 D rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Aus- Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär wärtige Kulturpolitik stärken BMWA ...... 8764 A (Drucksache 15/2659) ...... 8779 B Dr. Martina Krogmann CDU/CSU ...... 8765 C in Verbindung mit Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 8768 D FDP ...... 8770 C Zusatztagesordnungspunkt 7: SPD ...... 8771 C Antrag der Abgeordneten Günter Nooke, Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Abgeord- Dr. Günter Krings CDU/CSU ...... 8773 A neter und der Fraktion der CDU/CSU: Auswärtige Kultur- und Bildungspoli- Dr. Martina Krogmann CDU/CSU ...... 8775 A tik stärken Hubertus Heil SPD ...... 8775 B (Drucksache 15/2647) ...... 8779 B CDU/CSU ...... 8775 C Günter Nooke CDU/CSU ...... 8779 C Manfred Helmut Zöllmer SPD ...... 8777 C SPD ...... 8782 A II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Dr. FDP ...... 8784 C der Abgeordneten Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Abgeord- Kerstin Müller, Staatsministerin AA ...... 8786 A neter und der Fraktion der CDU/CSU: Dr. Klaus Rose CDU/CSU ...... 8787 B Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Venezuela unterstützen – Freiheit der Lothar Mark SPD ...... 8789 A Medien und wirtschaftliche Prosperität Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos ...... 8791 A wiederherstellen (Drucksachen 15/2389, 15/2671) ...... 8804 B CDU/CSU ...... 8791 D Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU ...... 8804 C Dr. BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 8792 D Lothar Mark SPD ...... 8805 C Markus Löning FDP ...... 8807 D

Tagesordnungspunkt 18: Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 8808 C – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des (Wiesloch) SPD . . . . 8809 C BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . 8810 A gebrachten Entwurfs einesGesetzes über den Handel mit Berechtigun- gen zur Emission von Treibhausga- Tagesordnungspunkt 21: sen (Treibhausgas-Emissionshan- delsgesetz – TEHG) a) Antrag der Abgeordneten Horst (Drucksachen 15/2328, 15/2681, 15/2693) 8794 B Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und – Zweite und dritte Beratung des von der der Fraktion der FDP: Investitionen in Bundesregierung eingebrachten Ent- Verkehrsinfrastruktur sicherstellen wurfs eines Gesetzes über den (Drucksache 15/2423) ...... 8811 D Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen (Bayreuth) FDP ...... 8811 D (Treibhausgas-Emissionshandelsge- setz – TEHG) SPD ...... 8812 D (Drucksachen 15/2540, 15/2681, 15/2693) 8794 B CDU/CSU ...... 8814 B SPD ...... 8794 C Albert Schmidt (Ingolstadt) BÜNDNIS 90/ Marie-Luise Dött CDU/CSU ...... 8796 A DIE GRÜNEN ...... 8815 C Magdalene Strothmann CDU/CSU ...... Ulrich Kelber SPD ...... 8796 D 8817 A Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ Nächste Sitzung ...... 8818 D DIE GRÜNEN ...... 8798 A Birgit Homburger FDP ...... 8799 C Rolf Hempelmann SPD ...... 8800 D Anlage 1 Ulrich Petzold CDU/CSU ...... 8802 A Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 8819 A

Tagesordnungspunkt 19: Anlage 2 Zweite und dritte Beratung des von der Erklärung des Abgeordneten Jörg van Essen Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (FDP) zur Abstimmung über den Entschlie- eines Gesetzes über Begleitregelungen ßungsantrag des Ausschusses für Wirtschaft zur Einführung des digitalen Kontroll- und Arbeit zum Entwurf eines Telekommuni- geräts zur Kontrolle der Lenk- und Ru- kationsgesetzes – Drucksache 15/2674, hezeiten (Kontrollgerätbegleitgesetz – Buchstabe b der Beschlussempfehlung (Ta- KontrGerätBeglG) gesordnungspunkt 17 a) ...... 8819 C (Drucksachen 15/2538, 15/2675, 15/2680) 8803 C

Anlage 3 Tagesordnungspunkt 20: Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Beschlussempfehlung und Bericht des des Entwurfs eines Gesetzes über Begleitre- Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag gelungen zur Einführung des digitalen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 III

Kontrollgeräts zur Kontrolle der Lenk- Albert Schmidt (Ingolstadt) BÜNDNIS 90/ und Ruhezeiten (Kontrollgerätbegleitge- DIE GRÜNEN ...... 8823 A setz – KontrGerätBeglG) (Tagesordnungs- Horst Friedrich (Bayreuth) FDP ...... punkt 19) 8823 D , Parl. Staatssekretärin Ernst Kranz SPD ...... 8819 C BMVBW ...... 8824 B

Georg Brunnhuber CDU/CSU ...... 8820 C Anlage 4 Dr. Michael Fuchs CDU/CSU ...... 8822 A Amtliche Mitteilungen ...... 8825 A

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8763

(A) (C) Redetext

98. Sitzung

Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : schen Ihres Landes, sein Parlament und seine Regierung Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unsere tief empfundene Anteilnahme und Solidarität ent- Sitzung ist eröffnet. gegenzunehmen. (Die Anwesenden erheben sich) Ich danke Ihnen. Nun kommen wir zu unserer heutigen Tagesordnung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, entsetzt und fas- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: sungslos haben wir gestern die Nachrichten vernommen, dass in Madrid eine ganze Serie von Bombenanschlä- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gen auf Vorortzüge und Bahnhöfe immer mehr Men- gierung eingebrachten Entwurfs einesTelekom- schen – Männer, Frauen und auch Kinder – verletzte und munikationsgesetzes (TKG) in den Tod riss. Noch lassen sich über die Mörder, die diese Anschläge planten und verübten, nur Vermutun- – Drucksachen 15/2316, 15/2345 – (B) (D) gen anstellen und noch immer herrscht keine endgültige (Erste Beratung 86. Sitzung) Klarheit über die Zahl der Opfer. Es sind bisher fast 200 Tote und etwa eineinhalbtausend Verletzte – eine Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- furchtbare Tragödie. Allen, allen gilt unser Mitgefühl ses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss) und unser Beileid. – Drucksachen 15/2674, 15/2679 – Das müssen wir begreifen: Zum ersten Mal trifft eine terroristische Attacke dieses Ausmaßes ein Land der Eu- Berichterstattung: ropäischen Union. Der Terrorismus rückt näher; denn Abgeordnete Hubertus Heil Dr. Martina Krogmann diese wahnsinnigen Anschläge sollten unmittelbar das Michaele Hustedt Alltagsleben der Menschen einer der großen Hauptstädte Rainer Funke Europas treffen. Diese Anschläge und ihre Urheber zie- len auf das ganze spanische Volk und damit auf uns alle b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- in Europa. Das sollte und das muss uns einigen in Ab- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit scheu und Abwehr gegenüber dem Terrorismus. Wir ste- (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten hen an der Seite des spanischen Volkes und des spani- Dr. Martina Krogmann, Dagmar Wöhrl, Karl- schen Parlaments. Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Jetzt geht es darum, die europäische, die menschliche Zivilisation gegen terroristische Mörder zu verteidigen, Mehr Wettbewerb, Wachstum und Innova- die – mit welchem Ziel und mit welcher Begründung tion in der Telekommunikation schaffen auch immer – nicht davor zurückschrecken, den Alltag in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Der Deutsche Bun- – Drucksachen 15/2329, 15/2674, 15/2679 – destag und die Bürgerinnen und Bürger ganz Deutsch- Berichterstattung: lands empfinden für die Hinterbliebenen der Opfer tiefes Abgeordnete Hubertus Heil Mitgefühl. Unsere Gedanken sind bei denen, die mit ih- Dr. Martina Krogmann ren schweren Verletzungen in den Krankenhäusern be- Michaele Hustedt handelt werden. Rainer Funke Exzellenz, Herr Botschafter Rodriguez-Spiteri, ich Es liegen zwei Änderungsanträge und ein Entschlie- möchte Sie von dieser Stelle aus bitten, für die Men-ßungsantrag der Fraktion der FDP vor. 8764 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Präsident Wolfgang Thierse (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die ternet. Gleiches gilt für den Mobilfunkbereich, der mitt- (C) Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen lerweile rund 65 Millionen Kunden aufweist und einen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. ähnlichen hohen Umsatz wie der Bereich der Festnetzte- lefonie. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen- tarischen Staatssekretär Ditmar Staffelt das Wort. Der Wettbewerb hat aber nicht nur zu Preissenkun- gen, sondern auch zu deutlichen Qualitätssteigerungen Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär beim Bun- und einer Vielzahl von Innovationen wie DSL, WLAN desminister für Wirtschaft und Arbeit: oder UMTS geführt. Diese Entwicklung wäre ohne die Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undPostreformen der letzten 15 Jahre nicht möglich gewe- Herren! Mit der heute anstehenden Verabschiedung des sen. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Telekommunikationsgesetzes findet ein Vorhaben seinen die Entscheidungen sowohl zur Privatisierung als auch vorläufigen Abschluss, das für den Wirtschaftsstandort zur Marktöffnung in der Telekommunikation jeweils mit Deutschland von überragender Bedeutung ist. breiter parlamentarischer Mehrheit getroffen wurden. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sein (Beifall des Abg. Rainer Funke [FDP]) könnte!) Das derzeitige Telekommunikationsgesetz und die Mit dem Telekommunikationsgesetz wird ein in weiten darauf aufsetzende Arbeit der Regulierungsbehörde für Teilen neuer Ordnungsrahmen für die Telekommunikati- Telekommunikation und Post boten eine hervorragende onsbranche vorgelegt. Die Spanne der Regelungen reicht Grundlage für die Transformation der früheren Mono- von der Preis- und Wettbewerbsregulierung über Fragen pole in Wettbewerbsmärkte. Vor diesem Hintergrund der Sicherung der Grundversorgung mit Telekommuni- wären weitreichende Änderungen des aktuellen Ord- kationsdienstleistungen, des Verbraucher- und Daten-nungsrahmens eigentlich nicht erforderlich gewesen. schutzes, Fragen der Nummern- und Frequenzverwal- EU-rechtliche Vorgaben – insgesamt fünf Richtlinien – tung bis hin zur Telekommunikationsüberwachung. haben uns allerdings dazu gezwungen, den Rechtsrah- men insgesamt zu überarbeiten. Die Bedeutung der Telekommunikationsbranche lässt sich zum einen sicher am Gesamtumsatz und an den Von zentraler Bedeutung war für uns neben der Um- Beschäftigungszahlen ablesen. Im Jahre 2003 erzielten setzung europäischen Rechts die Berücksichtigung der die Netzbetreiber und TK-Diensteanbieter einen Umsatz tatsächlichen Marktentwicklungen und der Erfahrun- von deutlich mehr als 60 Milliarden Euro. Mehr alsgen, die wir mit den konkreten Regulierungsprozessen 220 000 Menschen waren in diesem Markt beschäftigt. im Laufe der letzten fünf, sechs Jahre gemacht haben. (B) Viel wichtiger als diese Zahlen ist aber die Bedeutung Vieles hat sich anders entwickelt, als man dies Mitte der (D) dieser Branche für die gesamtwirtschaftliche Entwick- 90er-Jahre angenommen hat. Das ist ein Umstand, aus lung in Deutschland. Die Telekommunikation ist we-dem ebenfalls Änderungsbedarf resultierte. sentlicher Bestandteil der Infrastruktur unseres Landes Unser Ziel war es, neben der Umsetzung der Richtli- und hat deshalb Ausstrahlung auf alle Wirtschaftsberei- nien die gesetzlichen Vorgaben mit Blick auf die Erfor- che. dernisse des Marktes zu optimieren. Vor diesem Hinter- Vor diesem Hintergrund ist es unser Ziel, dass diegrund wurde ein transparenter, intensiver und sehr deutsche Telekommunikationsbranche leistungsstarkkonstruktiver Dialog mit der gesamten Branche geführt, bleibt und ihre hohe Innovationskraft weiter ausbaut. was Hauptursache für die Überschreitung der Umset- zungsfristen der Richtlinien war. Allerdings kann sich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das Ergebnis dieses Diskussionsprozesses meines Erach- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tens sehr wohl sehen lassen. Wir wollen, dass Deutschland im weltweiten Wettbe- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ werb besteht und einer der führenden Telekommunikati- DIE GRÜNEN) onsstandorte weltweit ist; darauf zielt unsere Telekom- munikationspolitik. Dieses Ziel lässt sich am besten im Wir haben nicht nur die Richtlinienvorgaben in vernünf- Wettbewerb erreichen, der wiederum gewisse staatliche tiger Weise umgesetzt, sondern auch sehr genau darauf Eingriffe in Form einer sektorspezifischen Regulierung geachtet, dass den tatsächlichen Wettbewerbsentwick- benötigt. lungen wie auch dem konkreten Regulierungsbedarf an- gemessen Rechnung getragen wird. Ich denke, dass dies Wir haben in den letzten Jahren mit einer wettbewerbs- trotz Kritik an einzelnen Punkten von den allermeisten orientierten Telekommunikationspolitik im Interesse der Marktbeteiligten und auch in weiten Teilen der Politik so Wirtschaft und insbesondere der Verbraucher außeror- gesehen wird. dentlich viel erreicht. Die massiven Preissenkungen im Bereich der Festnetztelefonie haben in den letzten Jahren Auch wenn jetzt noch ein paar Punkte umstritten sind, die Kommunikationskosten von Unternehmen deutlich sollten wir die erzielten Übereinstimmungen nicht au- gesenkt und den privaten Haushalten Einsparungen in ßer Acht lassen. Wir haben uns den Antrag der CDU/ Milliardenhöhe gebracht. Als Folge der Wettbewerbsin- CSU-Fraktion sehr genau angeschaut und festgestellt, tensivierung in der Telekommunikation ist die Internet- wie viele Übereinstimmungen es in der Zwischenzeit nutzung geradezu explodiert: Heute nutzen auch rund mit Blick auf Ihre Fraktion gegeben hat. So sind in 60 Prozent der Erwachsenen in unserem Lande das In- dem TKG-Entwurf die Forderungen nach einer entschie- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8765

Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt (A) denen Ex-ante-Regulierung von Vorleistungen, einer Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): (C) chancengleichen Behandlung von Infrastruktur- und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ver- Dienstewettbewerb im Festnetz und im Mobilfunk, ei- treter der Bundesregierung hat gerade gesagt, der Ge- nem Konsistenzgebot für die Entgeltregulierung, einer setzentwurf könne sich sehr wohl sehen lassen. effektiven Sanktionsmöglichkeit bei missbräuchlichem Verhalten und einer Vermeidung von Überregulierung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ im Mobilfunk und auf neuen Märkten enthalten. DIE GRÜNEN) Dazu kann ich nur sagen: Diese Mittelmäßigkeit ist nicht Hier wurden meines Erachtens bereits mit dem Regie- unser Anspruch. rungsentwurf vom 15. Oktober 2003 ganz wesentliche Übereinstimmungen hergestellt; andere Punkte wurden (Beifall bei der CDU/CSU) im Anschluss an die Bundesratsstellungnahme klarer ge- Wir wollen ein gutes Gesetz, von dem ein klares Signal fasst. So wird die Frage, welche Bereiche der sektorspe- für Wettbewerb ausgeht. zifischen Regulierung unterliegen und welche dem all- gemeinen Wettbewerbsrecht, nun ausschließlich anhand (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann der in der EU-Kommissionsempfehlung enthaltenen Kri- brauchen Sie jetzt nur noch zustimmen!) terien geprüft. Das schaffen Sie mit diesem Gesetz ausdrücklich nicht. Der umstrittene Begriff des funktionsfähigen Wettbe- Deshalb können wir ihm nicht zustimmen. werbs wird im Telekommunikationsgesetz nicht mehr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – verwendet. Durch die Neufassung der §§ 18 bis 20 – hier Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Leider geht es um die Vorleistungsregulierung – wird deutlicher wahr!) als bisher herausgestellt, dass die Regulierungsbehörde einen großen Ermessensspielraum hinsichtlich der Regu- Eine der wichtigsten Voraussetzungen für Wettbe- lierungsintensität hat. Die Inkassovorschrift wurde in werb sind klare Regeln. Auf diese klaren Regeln in ei- den letzten Tagen aufgrund eines Kompromisses dernem neuen Telekommunikationsgesetz warten die Un- Marktparteien neu gefasst. Aufgenommen wurde die so ternehmen jetzt seit einem Jahr. Ein Jahr lang haben Sie genannte Gleichzeitigkeitsregel, die sicherstellt, dass nur diskutiert und dabei sogar die Frist der EU verstrei- das marktmächtige Unternehmen Wettbewerbern we-chen lassen. Wenn Ihnen die Branche wirklich so wich- sentliche Vorleistungen rechtzeitig zur Verfügung stellt, tig wäre, wie Sie das gerade behauptet haben, dann hät- spätestens mit Einführung eigener Endkundenprodukte. ten Sie schnell Rechtssicherheit schaffen müssen. Klargestellt wurde weiter, dass das Initiativrecht für kon- (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (B) krete Entgeltanträge im Fall der Auferlegung von Tarif- (D) systemen durch die Regulierungsbehörde weiterhin beim Stattdessen haben Sie in der Branche, in der zehn Mo- regulierten Unternehmen verbleibt. nate wie zehn Jahre wirken, kostbare Zeit einfach ver- geudet. Sicher, es gibt einige nicht berücksichtigte Vor- schläge, zum Beispiel bezüglich der Antragsrechte, der (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Leider Mehrerlösabschöpfung und der Gerichtszuständigkeiten. wahr!) Gleichwohl glaube ich, dass wir uns am Ende unserer In der vergangenen Woche ist bei Ihnen dann finale Diskussionen außerordentlich nahe gekommen sind. Ich Hektik ausgebrochen. wünsche mir sehr, dass die Opposition den entscheiden- den Schritt macht und einem in sich guten Gesetz ihre (Zuruf von der CDU/CSU: Torschlusspanik!) Zustimmung nicht verwehrt. In den letzten fünf Tagen erschienen drei Synopsen mit (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ jeweils 150 Seiten, wobei eine Änderung die nächste DIE GRÜNEN) jagte. Herausgekommen ist ein unausgegorenes Gesetz, durch das der Wettbewerb behindert wird. Deshalb leh- Sie sollten diese Entscheidung treffen. Ich denke, sienen wir dieses Gesetz ab. würde dem Wirtschaftsstandort Deutschland und der ge- (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt samten außerordentlich zukunftsorientierten Branche [Salzgitter] [SPD]: Das hatten wir schon! – – das habe ich vorhin geschildert – mehr als helfen. Ich Klaus Brandner [SPD]: Das, was Sie hier vor- bitte Sie, dies noch einmal sehr intensiv zu reflektieren. tragen, ist nicht schlüssig! – Hubertus Heil Schönen Dank. [SPD]: Wollen Sie nun Änderungen oder nicht?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir wollen ein Gesetz, das Monopole knackt, Wettbe- DIE GRÜNEN) werb stärkt und Regulierung so schnell wie möglich überflüssig macht. Präsident Wolfgang Thierse: (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Ich erteile Kollegin Martina Krogmann, CDU/CSU- Fraktion, das Wort. Die Telekommunikationsbranche ist von zentraler Be- deutung für unsere gesamte Volkswirtschaft. Sie ist (Beifall bei der CDU/CSU) Wachstumsmotor und Treiber für Innovationen. 8766 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Dr. Martina Krogmann (A) 350 000 Menschen arbeiten in diesem Sektor. Er er- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das wäre (C) streckt sich vom Bereich Festnetz über die Bereiche Mo- schön!) bilfunk, Multimedia und Internet bis hin zum kleinsten Deshalb müssen wir ihnen so etwas wie ein Klagerecht Softwareunternehmen, das Klingeltöne für Ihre Handys bei der Regulierungsbehörde geben, um Verfahren ein- entwickelt. Das TKG betrifft sie alle. zuleiten. Die Bundesregierung will, dass die Einleitung Im vergangenen Jahr sind allein im engeren Bereich dieser Wettbewerbskontrolle ausschließlich im Belieben der Telekommunikation 64 Milliarden Euro umgesetzt des Regulierers steht. worden. Jetzt stehen weitereInvestitionen in Milliar- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Unglaub- denhöhe an. Denken wir an den Breitbandbereich oder lich!) an neue Mobilfunksysteme. Deshalb brauchen wir ge- rade in der jetzigen wirtschaftlichen Situation ein Tele- Das ist aus unserer Sicht ein falscher und gefährlicher kommunikationsgesetz, von dem ein klares Signal für Weg. Wettbewerb, Investitionen und Innovationen ausgeht. (Beifall des Abg. [CDU/CSU]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Stellen Sie sich vor, Sie haben ein kleines Unterneh- Rainer Funke [FDP] – Klaus Brandner [SPD]: men und bemerken, dass ein Marktbeherrscher mit Genau das leisten wir mit diesem Gesetz!) Dumpingpreisen auf den Markt drängt. Laut Gesetzent- Dabei müssen wir zwei Märkte im Blick haben, den wurf müssen Sie dies hinnehmen und warten, ob und deutschen Markt und den internationalen Markt. wann die Regulierungsbehörde dies prüft und eventuell einschreitet. (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Sag bloß!) (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Aller- Ziel auf dem deutschen Markt ist es, so schnell wie mög- gnädigst!) lich den Übergang vom ehemaligen Monopol zum nach- Wir fordern zur Stärkung des Wettbewerbs zwingend haltigen Wettbewerb zu schaffen. Antragsrechte für Unternehmen bei Marktmissbrauch. (Klaus Brandner [SPD]: Was soll uns das sa- Es kann doch nicht sein, dass Unternehmen dem puren gen?) Ermessen der Regulierungsbehörde auf Gedeih und Ver- derb ausgeliefert sind und sogar tatenlos zusehen müs- Wettbewerb nützt allen, nicht als Selbstzweck oder als sen, wenn ihr eigenes Unternehmen wettbewerbswidrig Ziel an sich, sondern als das beste Instrument in unserer vom Markt gefegt wird. sozialen Marktwirtschaft, um Dynamik zu erzeugen, In- (Beifall bei der CDU/CSU) (B) novationen zu fördern und vor allem für den Verbraucher (D) die besten Produkte zu den günstigsten Preisen herzu- Eigentlich sollte man meinen, die Gewährung von stellen. Antragsrechten sei eine Selbstverständlichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist im neten der FDP) Prinzip ein Menschenrecht!) Der andere Markt, den wir betrachten müssen, ist der Das war es auch, bis der Gesetzentwurf das Bundeswirt- internationale, der globale Markt. Nur ein deutsches schaftsministerium verließ und unserem Finanzminister, Unternehmen ist ein Globalplayer, die Telekom. Natür- Herrn Eichel, in die Hände fiel. Er hat kurzerhand die lich dürfen wir diesem Unternehmen nicht durch natio- Antragsrechte herausgestrichen, die von Herrn Clement nale Gesetze Fesseln anlegen, die andere Unternehmen im Gesetzentwurf richtigerweise ausdrücklich vorgese- auf den Weltmärkten nicht haben. Wir müssen unserem hen waren. Globalplayer im internationalen Wettbewerb faire Chan- (Klaus Brandner [SPD]: Vergiftetes Lob!) cen erschließen. Ich finde es tragisch, dass der Finanzminister als größter (Beifall des Abg. Erich G. Fritz [CDU/CSU]) Aktionär der Telekom die Grundrichtung unserer Tele- kommunikationspolitik bestimmt. Für ein gutes Telekommunikationsgesetz müssen wir stets beide Märkte im Blick haben. Wir wollen starke (Beifall bei der CDU/CSU) Unternehmen, die investieren und Arbeitsplätze schaf- Gute Wirtschaftspolitik hat sich an den Erfordernissen fen. Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung kön- des Marktes zu orientieren, nicht an den Begehrlichkei- nen wir diese Ziele nicht erreichen. Der Gesetzentwurf ten unseres Finanzministers. ist unausgegoren und behindert Wettbewerb. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. neten der FDP – Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Gisela Piltz [FDP]) So geht das mit Clement doch immer! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie ha- Ich will unsere Hauptkritikpunkte nennen. Als Erstes ben das irgendwie nicht ganz richtig erfasst!) möchte ich den mangelnden Rechtsschutz für kleinere und neue Unternehmen anführen. Kleine Unternehmen Wir fordern effektiveSanktionsmöglichkeiten bei müssen die Chance erhalten, sich gegen Wettbewerbs- Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Für die verzerrungen und unfaire Praktiken wehren zu können. Preise, die wir für Telekommunikationsdienstleistungen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8767

Dr. Martina Krogmann (A) zahlen, also für das Telefonieren und das Surfen im In- Die Bundesregierung will nun aber die Unternehmen (C) ternet, soll die Vorabregulierung weitestgehend entfal- zwingen, zusätzlich zum Anschluss gleichzeitig Verbin- len. Wir unterstützen das. Regulierung muss da, wo es dungsleistungen bei der Telekom zu kaufen. Den An- möglich ist, wegfallen. Wir wollen keine Überregulie- schluss gibt es also nur im Paket. Viele Unternehmen rung. Damit aber der Wettbewerb gestärkt wird, brau- brauchen diese Verbindungsleistung aber gar nicht, weil chen wir scharfe Sanktionsmechanismen. Ein marktbe- sie sie selber erbringen. herrschendes Unternehmen darf erst gar nicht auf die (Hubertus Heil [SPD]: Reden Sie mal mit Bay- Idee kommen, einen Mitbewerber vom Markt zu drän- ern darüber! Herr Singhammer!) gen. Das heißt, wer seine Marktmacht missbraucht, darf dafür finanziell nicht auch noch belohnt werden. Sie kennen das: Sie sind im Baumarkt und brauchen ei- gentlich nur eine einzige Schraube, müssen aber gleich Die Sanktionsmechanismen, die die Bundesregierung das ganze Sortiment kaufen. Da wird das Schräubchen vorsieht, sind unzureichend. Sie laden marktbeherr-manchmal ganz schön teuer. schende Unternehmen geradezu ein, sich missbräuchlich zu verhalten. Wir fordern, dass alle missbräuchlich er- (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das nennt man wirtschafteten Erlöse zwingend und rückwirkend abge- Marktwirtschaft!) schöpft werden. Außerdem müssen die Bußgelder soDie Bundesregierung aber will so ein Sortiment. Sie hoch angesetzt werden, dass sie tatsächlich abschre-will, dass Unternehmen, die nur den Anschluss kaufen ckend wirken. Wir wollenMarktmissbrauch von vorn- wollen, zwangsweise etwas dazukaufen müssen, was sie herein unterbunden wissen. nicht wollen, weil sie es schon haben. Da kann ich nur (Beifall bei der CDU/CSU) sagen: Mit einer solchen Wettbewerbsphilosophie wer- den wir nie weiterkommen. Wir brauchen aber endlich Wir brauchen eine faireBalance zwischen Infra- Wettbewerb auch bei den Anschlüssen. struktur und Dienstewettbewerb.Der Gesetzgeber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- darf sich nicht zum Richter über bestimmte Geschäfts- neten der FDP) modelle machen. Das entscheidet allein der Markt. Klar ist: Infrastrukturinvestitionen sind die Voraussetzung für Einige Verbesserungen gibt es in Ihrem Gesetzent- Wettbewerb und technologische Innovation. Dort, wo In- wurf. frastrukturinvestitionen volkswirtschaftlich keinen Sinn (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ehr- machen, also in der Fläche, müssen die Voraussetzungen lich?) für Dienstewettbewerb geschaffen werden. Auf Druck der Union und der EU-Kommission haben (B) (D) Auch nach sechs Jahren Liberalisierung hält die Tele- Sie einige Begrifflichkeiten und Definitionen, die ganz kom immer noch 95 Prozent aller Anschlüsse. Wettbe- offensichtlich gegen EU-Recht verstoßen haben, korri- werb findet hier praktisch nicht statt. Das ist nicht die giert. Wir freuen uns, dass Sie unsere Forderung aufge- Schuld der Telekom, sondern das ist unser Versäumnis. nommen haben, „weiche“ Instrumente, die gerade für Wir haben es als Gesetzgeber in der Hand, die Weiter- den Mobilfunk wichtig sind, explizit im Gesetz zu ver- vermietung der bestehenden Anschlüsse gesetzlich zu ankern. Ich habe jetzt nur Zweifel, ob wirklich bereits regeln und so auch bei den Anschlüssen Wettbewerb zu alle „weichen“ Instrumente – ich denke an das Ver- ermöglichen. Das Instrument dafür heißt Resale. gleichsmarktprinzip – explizit im Gesetz enthalten sind. (Beifall des Abg. [CDU/ Dies ist von zentraler Bedeutung für den Mobilfunk. CSU]) Beim Mobilfunk sollten Sie besonders sorgfältig sein; denn hier haben Sie, wie ich finde, einiges gutzumachen. Resale ist die Möglichkeit, Anschlüsse der Telekom zu Schließlich war es Herr Eichel, der in Deutschland eine einem von der Regulierungsbehörde festgelegten Preis Versteigerung der UMTS-Lizenzen provoziert hat, zu mieten und an eigene Kunden zusammen mit anderen Dienstleistungen weiterzuverkaufen. Das ist also ein (Hubertus Heil [SPD]: Nein, das haben wir ge- ganz normaler wirtschaftlicher Vorgang. Entscheidend meinsam ins Gesetz geschrieben!) ist natürlich der Preis. und zwar mit den weltweit höchsten Gebühren von ins- (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das hätten wir gesamt 51 Milliarden Euro. jetzt nicht gedacht!) (Klaus Brandner [SPD]: Was hat das mit Der Preis muss so festgesetzt sein, dass Anreize für In- Marktwirtschaft zu tun? – Weiterer Zuruf von vestitionen in Infrastruktur erhalten bleiben. der SPD: Keiner hat sie dazu gezwungen!) Inzwischen wissen alle, dass diese Art der Versteigerung (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sensa- ein Riesenfehler war. tionelle Erkenntnis!) (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt Wenn das sichergestellt ist, haben wir Wettbewerb auf [Salzgitter] [SPD]: Wir haben doch Verträge allen Wertschöpfungsstufen, sowohl im Infrastrukturbe- abgeschlossen!) reich als auch im Dienstebereich. Die Mobilfunkunternehmen werden von der horrenden (Beifall bei der CDU/CSU) Schuldenlast fast erdrückt. Das müsste Ihnen von der 8768 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Dr. Martina Krogmann (A) SPD auch mit begrenztem ökonomischen Sachverstand zur weiteren Verkomplizierung unseres Rechtssystems(C) deutlich werden. bei. Wir halten das für falsch. (Zuruf von der SPD: Jetzt werden Sie unver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schämt!) Wir als Unionsfraktion wollen die gerichtlichen Verfah- Ein Unternehmen hat die Lizenz bereits zurückgegeben. ren in Deutschland einfacher, schneller und überschau- Ein zweites steht praktisch vor dem Aus. barer machen. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Kriegen die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – das Geld wieder?) Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wir auch! – Klaus Brandner [SPD]: Wir wollen sie überflüssig Der Aufbau der Netze für die so genannte dritte Genera- machen!) tion des mobilen Internet gerät ins Stocken. Auch in die- sem Zukunftsbereich drohen wir in Deutschland im in- Beim TKG stehen wir am Scheideweg: Wollen wir ternationalen Vergleich wieder einmal zurückzufallen. weniger oder mehr Wettbewerb, weniger oder mehr In- Deshalb müssen wir im Telekommunikationsgesetz jetzt novationen, weniger oder mehr Arbeitsplätze? dafür sorgen, dass der Mobilfunk nicht in das gleiche (Hubertus Heil [SPD]: Weniger oder mehr starre Korsett gezwungen wird wie das Festnetz. Sachverstand!) (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Genau!) Wir sind für mehr Wettbewerb, mehr Innovationen, mehr Der Mobilfunk braucht Flexibilität und keine Überregu- Arbeitsplätze. Das alles schafft der Gesetzentwurf nicht. lierung. Deshalb lehnen wir ihn ab. Der nächste Punkt betrifft dasRegulierungsverfah- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ren. Die EU-Richtlinien sehen einen großen Ermessens- neten der FDP) spielraum für die Regulierungsbehörde beim Einsatz ih- rer Instrumente vor. Das ist gut so. Der Regulierer kann Präsident Wolfgang Thierse: flexibler reagieren und er ist näher am Markt als der Ge- Das Wort hat nun die Kollegin Michaele Hustedt, setzgeber. Bündnis 90/Die Grünen. Ein großer Ermessensspielraum muss zwingend eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN größere politische Unabhängigkeit des Regulierers nach und bei der SPD) sich ziehen. Sonst haben die Unternehmen kein Ver- (B) trauen in die Entscheidungen der Behörde. Ohne Ver- Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (D) trauen werden sie aber nicht investieren. Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine beiden Vorredner haben es bereits festgestellt – darin sind wir uns einig –: Diese Branche ist ein Motor Dieses Vertrauen wird allerdings massiv untergraben, für die gesamte Volkswirtschaft. Ihre Weiterentwicklung wenn der Bundeswirtschaftsminister das Recht hat, poli- ist die Voraussetzung dafür, dass die Verbraucher, aber tische Einzelweisungen zu erteilen. Wir wollen die poli- vor allen Dingen auch die Industrie in der globalisierten tische Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde undWeltwirtschaft miteinander kommunizieren können. So transparente Verfahren. Einzelweisungen des Bundes- wie die Dampfmaschine die Initialzündung für die In- wirtschaftsministers lehnen wir entschieden ab. dustrialisierung bedeutete, so ist die Telekommunikation (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die Technologie, die mit der Globalisierung einhergeht. neten der FDP) Deswegen ist festzuhalten – das sollte auch deutlich Der letzte Hauptkritikpunkt betrifft denRechtsweg. gemacht werden, weil in Deutschland sehr viel gejam- Wir meinen, dass die gerichtlichen Entscheidungen dort mert wird –, dass die Überführung des Exmonopolmark- getroffen werden sollen, wo seit jeher wettbewerbsrecht- tes in einen Wettbewerbsmarkt bisher recht gut gelungen liche Streitigkeiten ausgetragen werden: bei den Kartell- ist. gerichten. Die Bundesregierung will aber ein auf zwei (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Instanzen verkürztes Verwaltungsgerichtsverfahren. Das SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) ist ein problematischer Sonderrechtsweg für die Regulie- rung. Er ist zudem völlig unnötig. Es sind Arbeitsplätze und Innovationen geschaffen worden. Sie hat zu sinkenden Verbraucherpreisen ge- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Warum?) führt und die Einführung neuer Technologien bei den Bürgern mit sich gebracht. Das ist – das möchte ich in Der kurze Kartellrechtsweg von den Oberlandesgerich- aller Deutlichkeit festhalten – eine Erfolgsgeschichte. ten direkt zum Bundesgerichtshof ist etabliert und be- währt. Die Bundesregierung trägt durch die Einführung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines Sonderverwaltungsrechtswegs für die TK-Regulie- und bei der SPD) rung Diese Erfolgsgeschichte wollen wir mit dem Gesetz- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Schon das entwurf zur Telekommunikationsregulierung fortsetzen. Wort!) Dafür müssen wir das Gesetz an die veränderten Rah- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8769

Michaele Hustedt (A) menbedingungen anpassen. Regulierung ist für uns ein Die Verkürzung des Rechtswegs ist also ein deutlicher(C) Instrument; sie ist kein Ziel. Unser Ziel ist, dass hoch- Beitrag zur Stärkung des Wettbewerbs. wertige Dienstleistungen und Produkte effizient bereit- gestellt werden. Deswegen muss die Regulierung regel- Zum Resale: In Bezug auf diesen Punkt neige ich der mäßig darauf überprüft werden, ob sie noch notwendig Meinung der Opposition zu. Die Grünen haben sich hier ist, und gegebenenfalls zurückgefahren werden. Das ma- nicht durchgesetzt. Allerdings ist das kein Schwarz- chen wir mit der TKG-Novelle. Wir führen die Regulie- Weiß-Thema. Hier muss zwischen Infrastrukturwett- rung dort zurück, wo inzwischen Gott sei Dank ein funk- bewerb und Dienstleistungswettbewerb abgewogen wer- tionierender Wettbewerb herrscht. Damit verliert dieden. Ich persönlich glaube, dass ein guter Dienstleis- Regulierung gleichzeitig an Starrheit. Wir führen mehr tungswettbewerb auch viele Anstöße für Investitionen in Flexibilisierung in der Regulierung ein. Das bedeutetdie Infrastruktur gibt. Daher wäre ein entbündeltes Re- auch mehr Gestaltungsfreiräume für die Behörde. sale besser. Wir haben uns aber, wie gesagt, nicht durch- setzen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Genau! Mehr Ich halte das für einen absolut richtigen Weg. Der Mut!) Kerngedanke ist in dem Gesetzentwurf verankert. – Sie, die Sie jetzt geklatscht haben, sollten bedenken, Für uns Grüne waren dabei drei Gesichtspunkte von dass nicht alle Ihre Kolleginnen und Kollegen Ihre Auf- zentraler Bedeutung: erstens die Weiterentwicklung des fassung teilen. Herr Singhammer hat zum Beispiel nicht Wettbewerbs, zweitens der Datenschutz und drittens der geklatscht. Das zeigt, dass Ihre Fraktion auch in dieser Verbraucherschutz. Unter Berücksichtigung dieser drei Frage gespalten ist. Ich werde haargenau verfolgen, ob Gesichtspunkte haben wir den vorliegenden Gesetz-Sie diesen Punkt im Bundesrat, in dem Sie die Mehrheit entwurf erarbeitet. Wenn wir demnächst über das Ener- haben, durchsetzen werden. Meine Prophezeiung ist, giewirtschaftsgesetz beraten und den Tätigkeitsbereich dass Sie es nicht schaffen werden. Das dürfte dann der der Regulierungsbehörde ausweiten, sollten wir meiner Beleg dafür sein, dass Frau Krogmann hier die Backen Meinung nach den Namen„Regulierungsbehörde“ in ohne Unterstützung ihrer eigenen Fraktion aufgeblasen „Wettbewerbsbehörde“ ändern; denn unser Ziel ist nicht hat. Regulierung – diese wollen wir weitestgehend zurück- fahren –, sondern Wettbewerb. Das sollte sich auch im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Namen widerspiegeln. und bei der SPD) (B) (Rainer Funke [FDP]: Aber auch im Gesetz!) Zum Datenschutz: Dieser ist für uns von zentraler(D) Bedeutung. Beim Datenschutz muss man zwischen dem – Im Gesetz natürlich auch. – Ich weiß, dies bedeutet, Schutz der Bürger sowie Sicherheits- und Wirtschafts- dass sich die Betroffenen umgewöhnen müssen. Aber interessen abwägen. Hier war der Regierungsentwurf ich glaube, die Beratungen über das Energiewirtschafts- deutlich über das Ziel hinausgeschossen. Wir, die Frak- gesetz sind ein guter Zeitpunkt für diese Namensände- tion des Bündnisses 90/Die Grünen, sind der Meinung, rung. dass es in diesem Bereich keine Verschärfung geben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sollte, und haben deshalb einiges zurückgenommen. Ent- scheidend ist, dass wir einen Paradigmenwechsel wol- Wir verbessern denWettbewerb deutlich, weil es len. Wir wollen, dass sich derjenige, der zum Beispiel gleichzeitig – das haben wir durchgesetzt – eine Bereit- das Abfragen oder die Speicherung von Daten beauf- stellung der Vorleistung geben muss. tragt, an der Finanzierung beteiligt. Das ist das entschei- (Beifall des Abg. Hubertus Heil [SPD]) dende Instrument, um die Hemmungslosigkeit der In- nenminister ein bisschen zu bremsen. Das bedeutet, dass das Entstehen neuer Monopole auf den Endkundenmärkten verhindert wird, wenn neue Pro- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Da ist etwas dukte eingeführt werden. Das ist eine deutliche Verbes- Wahres dran!) serung in Richtung mehr Wettbewerb. Ich finde übri-Wir werden dafür eine entsprechende Verordnung erlas- gens, Frau Krogmann, dass die Beschleunigung dessen. Rechtsverfahrens ein substanzieller, positiver Beitrag zur Weiterentwicklung des Wettbewerbs ist. Liebe Opposition, wir sind uns einig, dass das, was wir im Hinblick auf den Datenschutz vorgesehen haben, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keine unzumutbare Belastung für die Wirtschaftsunter- und bei der SPD) nehmen bedeutet. Sie haben ja behauptet, dabei gehe es Denn lange Rechtswege bedeuten, dass der Kläger lange um Hunderte von Millionen. Ich fordere Sie auf: Setzen warten muss, bis er Recht bekommt, dass dann die Be- Sie das auch bei Ihren Innenministern durch und sorgen troffenen unter Umständen nicht mehr am Markt sindSie im Vermittlungsverfahren dafür, dass dieser Punkt und dass sich Investitionen nicht mehr lohnen. nicht aus dem Gesetzentwurf gestrichen wird. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zivilrecht!) und bei der SPD) 8770 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Michaele Hustedt (A) Da wir dem Frieden nicht trauen, haben wir einige Rainer Funke (FDP): (C) Unterpunkte deutlich entschärft. Wir haben das Fernmel- Das, glaube ich, wird mir gelingen. – Herr Präsident! degeheimnis auf PIN, PUK und Passwort ausgeweitet. Meine Damen und Herren! Das heute zu beratende Tele- Wir haben des Weiteren auf eine Identifikationspflicht kommunikationsgesetz soll den Rahmen für anstehende bei Prepaid verzichtet sowie Hotels und Krankenhäuser Milliardeninvestitionen in einer der bedeutendsten Zu- von der Verpflichtung entbunden, Vorrichtungen zur Da- kunftsbranchen unseres Landes darstellen. Angesichts tenüberwachung vorzuhalten. Das wäre in der Tat unzu- der Bedeutung dieses Gesetzes ist es allerdings für einen mutbar gewesen. Parlamentarier, Herr Kollege Heil, geradezu erschre- ckend, wie wenig Respekt die Regierungsfraktionen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Parlament und damit dem Gesetzgeber entgegen- und bei der SPD) bringen. Das betrifft auch die Entschärfung der Jokerabfrage. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wenn Sie im Vermittlungsverfahren diese Punkte aus der CDU/CSU – Dr. Günter Krings [CDU/ dem Gesetzentwurf herausstreichen, dann werden Sie zu CSU]: Leider nicht zum ersten Mal!) verantworten haben, dass unzumutbare Belastungen auf Ich bin fest davon überzeugt: Hätte es, wie es eigent- die Bürger zukommen. lich auch verabredet war, anständige parlamentarische Letzter Punkt: Verbraucherschutz. Das ist für uns Beratungen gegeben – wir wollten in den Berichterstat- ein zentrales Thema. Wir haben auch in diesem Bereich tergesprächen die einzelnen Themen sauber abarbei- einiges durchgesetzt: Es gibt weiterhin eine Rechnung; ten –, hätten wir noch viele Schwächen des Gesetzes ge- der Schutz vor Missbrauch bei Mehrwertdiensten wird meinsam ausräumen können. Der gemeinsame Ent- deutlich verbessert – es gibt einen Schutz für Kinder, für schließungsantrag – Frau Kollegin Hustedt hat das eben Jugendliche, aber auch für Erwachsene –; wir haben eine erwähnt – und die gemeinsam getragenen Verbesserun- Preisansagepflicht bei allen Mehrwertdienstleistungen gen bei der zeitgleichen Bereitstellung von Vorleistun- und die Verbandsklage durchgesetzt. Zeitnah wird eine gen zeigen, dass das mit den handelnden Personen funk- Kundenschutzverordnung mit diesen Punkten erarbeitet, tioniert hätte. der auch der Bundestag zustimmen muss; wir sind daran Während die Regierung fast ein Jahr für die interne beteiligt. Abstimmung benötigt hat und sich der Bundesrat dann Ganz besonders wichtig sind mir die Belange der Ge- mehrere Monate Zeit für eine Stellungnahme erbeten hörlosen. In anderen Ländern ist es selbstverständlich, hat, wollen die Regierungsfraktionen die verplemperte dass auch die Gehörlosen am Sprachtelefondienst teilha- Zeit im Parlament anscheinend im Schweinsgalopp wie- (B) ben können. Diese Selbstverständlichkeit wollen wirder aufholen. Das Ergebnis ist eine unbefriedigende(D) auch in Deutschland erreichen. Wir müssen auch an die TKG-Novelle. Menschen denken, die eben nicht jederzeit alles können: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wenn ein Gehörloser beim Arzt einen Termin vereinba- der CDU/CSU) ren will, dann kann er das nicht per SMS oder per Inter- net machen. Die FDP wird dem Gesetz deshalb nicht zustimmen. Wir haben dieses Problem jetzt durch einen Kompro- Lassen Sie mich vier wesentliche Gründe für unsere miss mit der Telekom gelöst: Es findet über circa fünf ablehnende Haltung anführen: Jahre eine Pilotphase statt, in der den Gehörlosen diese Erstens. Wir lehnen das Einzelweisungsrecht, das die Technologie – die Dolmetscherdienste – bereitgestellt Bundesregierung in das Gesetz geschrieben hat, strikt ab. wird, und zwar unentgeltlich. Wir haben hier Gott seiEs stellt einen Bruch mit allen wettbewerbsrechtlichen Dank einen parteiübergreifenden, gemeinsamen Antrag Traditionen der Nachkriegsgeschichte dar. gestellt, in dem wir Folgendes deutlich machen: Wir ge- hen davon aus, dass dieses Angebot nach Ablauf der (Beifall bei der FDP) fünf Jahre weitergeführt und dass dann die Verpflichtung Welchen Sinn hat ein solches Recht für das Ministerium, in geltendes Recht überführt wird. Ich finde das gut. Ich wenn es nicht darum geht, dass der Bund aufgrund sei- meine, wir sollten fest versprechen, dass das unumkehr- ner fiskalischen Interessen Einfluss auf die Entscheidun- bar ist: Gehörlose müssen ab sofort auch in Deutschland gen der Regulierungsbehörde nehmen will? an diesen Diensten teilhaben können. (Hubertus Heil [SPD]: Eine Unterstellung!) Ich danke Ihnen. Mit dieser Einflussnahme auf eine Wettbewerbsbehörde (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird der wettbewerbsfeindlichen Haltung dieser Regie- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der rung die Krone aufgesetzt.Die Bundesrepublik ist ja CDU/CSU und der FDP) noch mit 43 Prozent an der Deutschen Telekom AG, also an einem Globalplayer, beteiligt. Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kollegen Rainer Funke, FDP-Frak- Zweitens. Wir lehnen das von den Regierungsfraktio- tion, das Wort. nen offenkundig mit der Deutschen Telekom ausgehan- delte gebündelte Resale ab. Damit wird die Quasimono- (Hubertus Heil [SPD]: Herr Funke, wollen Sie polstellung des ehemaligen Staatsunternehmens im artig bleiben!) Anschlussbereich zementiert. Mit einer solchen Rege- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8771

Rainer Funke (A) lung, die ja auch europarechtlich auf tönernen Füßen onen- oder gar Milliardenbeträge geht, nicht zu verant- (C) steht und hinter die Spruchpraxis der Regulierungsbe- worten. hörde zurückfällt, ersetzen Sie von den Koalitionsfrakti- onen Wettbewerbspolitik durch Industriepolitik, Meine Damen und Herren, ich bedauere es sehr, dass wir die Branche weiter im Unklaren lassen. Angesichts (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dessen, was die Regierung und die sie tragenden Fraktio- der CDU/CSU) nen uns hier vorgelegt haben, ist eines klar: Wir sehen und zwar durch Industriepolitik der schlimmen Art, wie uns im Vermittlungsausschuss wieder. Man könnte den Ausspruch anführen: Bei Philippi sehen wir uns wieder. wir sie noch in den 70er-Jahren erlebt haben. Das lassen Auf Wiedersehen! wir Ihnen nicht durchgehen. Sachlich notwendig ist eine klare Vorgabe für entbündeltes, nicht konditioniertes Re- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sale, verbunden mit einer konsistenten Entgeltregulie- der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: rung. Wer ist Philippi?) Drittens. Wir können dieser Regierung keine europa- – Ich glaube Ihnen sogar, dass Sie das nicht wissen. rechtswidrigen Regelungen durchgehen lassen. So hat der Parlamentarische Staatssekretär Staffelt noch am (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Ich habe das letzten Mittwoch im Wirtschaftsausschuss bestätigt, dass große Latinum! Vorsicht!) es zum Beispiel bei den §§ 9, 10, 19 und 28 augen- scheinlich unterschiedliche Rechtsauffassungen zwi- Präsident Wolfgang Thierse: schen der Bundesregierung und der Europäischen Kom- Ich erteile das Wort Kollegen Hubertus Heil, SPD- mission gibt. Fraktion. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Legal – ille- (Beifall bei der SPD) gal – Rot-Grün! – Hubertus Heil [SPD]: Das hat er nicht gesagt!) Hubertus Heil (SPD): Wenn die EU-Kommission der Meinung sei, so hat er Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- dann ausgeführt, die Umsetzung dieser Sachverhalte sei nen und Kollegen! Bevor ich zu den Inhalten meiner nicht richtlinienkonform, dann solle sie eben klagen. Da- Rede komme, habe ich als Berichterstatter Folgendes mit wird aber weitere Verunsicherung in die Branche hi- vorzutragen. Das Ausschusssekretariat des Wirtschafts- neingetragen, was dann wiederum zu Investitionszurück- ausschusses bittet um Berichtigung folgender Passage in haltung führen kann. Das ist rechtlich heikel der und Beschlussempfehlung, die bei der Übermittlung (B) ökonomisch verantwortungslos. Das machen wenigstens nicht richtig wiedergegeben wurde: Im Entwurf des § 29 (D) wir nicht mit. Wenn es Zweifel an der Europatauglichkeit Abs. 4 Nr. 3 TKG-Entwurf ist das zweite Wort „langfris- gibt, dann – das müssen wir uns vor Augen führen – ist tigen“ vor dem Wort „Erfordernisse“ zu streichen. Der es am einfachsten, die Richtlinie eins zu eins umzuset- vollständige Text von § 29 Abs. 4 Nr. 3 hat nach der zen. Das haben Sie nicht getan. Korrektur folgenden Wortlaut: Vierter Punkt. Wir sind klar und entschieden für eine 3. die Erfordernisse hinsichtlich der Rendite für das Verlagerung des Rechtsweges von den Verwaltungsge- eingesetzte Eigenkapital, wobei auch die leistungs- richten zu den Kartellgerichten. spezifischen Risiken des eingesetzten Eigenkapitals (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der gewürdigt werden können, und CDU/CSU) Herzlichen Dank, Herr Präsident; wenn ich Ihnen das Nur damit setzen wir konsequent die Zielvorgabe um, die überreichen darf. Telekommunikationsbranche vom wettbewerblichen Aus- nahmebereich ins allgemeine Wettbewerbsrecht zu über- (Peter Hintze [CDU/CSU]: Was ist das?) führen. Ein Rechtswegewechsel strafft das Verfahren,– Das ist ein übliches Verfahren, Herr Kollege. Sie haben ohne den Rechtsschutz einzuschränken, und ist zudem der sich mit Ihrer Berichterstatterkollegin unterhalten. Es passgenauere Weg, um die Regulierungsbehörde bei der kann passieren, dass das Ausschusssekretariat Fehler Schaffung und Bewahrung von Wettbewerb auch recht- macht; Menschen machen Fehler. Es ist kein Fehler der lich zu begleiten. Regierung oder unserer Fraktion. Ich bitte um ein biss- (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: So ist es!) chen mehr Respekt vor den Mitarbeitern des Bundesta- ges. Über diesen Punkt waren eigentlich alle Fraktionen einer Meinung. Die Koalitionsfraktionen sind dann umgefal- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ len und haben den alten, nicht ganz richtigen Weg über DIE GRÜNEN – Peter Hintze [CDU/CSU]: die Verwaltungsgerichte eingeschlagen. Woher wissen wir denn, dass das nicht wieder ein Fehler ist?) (Hubertus Heil [SPD]: Nein! Wir sind anderer Meinung als Sie!) – Ach, Herr Hintze, Sie sind ja für Qualität berüchtigt. Ich halte das nach wie vor für falsch. Außerdem haben (Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Aller- Sie noch eine Rechtswegverkürzung eingeführt. Das ist dings! Herr Hintze steht für gute Qualität! Für in einem Rechtsstaat, erst recht, wenn es um hohe Milli- höchste Qualität, für Spitzenqualität!) 8772 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Hubertus Heil (A) – Okay, vielleicht auf irgendeiner Insel in der Nordsee, Der dritte Punkt war die Frage: Ist das, was wir machen, (C) wie Sie einmal gesagt haben, wenn ich das richtig in Er- EU-konform? Der vierte Maßstab war die Frage: Ist das innerung habe, Herr Hintze. mit unserer Verfassung vereinbar? Wir sprechen heute über die Telekommunikations- Anhand dieser vier Kriterien haben wir eine Reihe branche. Die Telekommunikationsbranche ist eine der von Änderungen vorgenommen, die ich nennen möchte. wichtigsten Branchen in Deutschland. Sie ist nicht nur Wir haben auf dem Weg vom Entwurf bis zum jetzigen eine Branche, in der in den letzten Jahren eine unheimli- Text den Wettbewerbsbegriff verändert. Frau Kollegin che Dynamik in Gang gekommen ist, sondern sie istKrogmann, ich finde es des Parlaments fast unwürdig, auch so etwas wie eine Schlüsselindustrie für unsere ge- wenn von Ihnen Änderungen in einem ganz normalen samte Volkswirtschaft. Es gibt bereits heute mehr Be- parlamentarischen Verfahren, in dem sich natürlich schäftigte in diesem Bereich als in der Automobilindus- Dinge ändern, weil es sich um einen Prozess handelt, je- trie. Deshalb möchte ich unterstreichen, was die Kolle- des Mal als Nachbesserung oder Ähnliches diskreditiert gin Hustedt, übrigens übereinstimmend mit allen Fach- werden. politikern und der Branche insgesamt, festgestellt hat: Der Liberalisierungsprozess an sich ist ein großer Erfolg (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ für Deutschland, den wir gemeinsam zu verbuchen ha- DIE GRÜNEN) ben. Wir haben in diesem Bereich einen dynamischen, Richtig ist, dass wir kein Durchwinkverein sind, sondern wachstumsorientierten Markt. Wir müssen jetzt sehen, der Deutsche Bundestag, der nach Ausschussanhörun- dass wir die nächste Stufe dieser Entwicklung angehen. gen seine Konsequenzen zu ziehen und manchmal auch Deshalb ist es notwendig, dass wir nicht nur EU-Dinge zu verändern hat. Richtlinien umsetzen – das tun wir –, sondern dass wir (Klaus Brandner [SPD]: Die Alternative wäre uns auch darüber verständigen, hier aufgrund unserer Er- durchpeitschen!) fahrung im Regulierungsbereich für mehr Dynamik zu sorgen. Wer so etwas zu diskreditieren versucht, der diskreditiert den gesamten Parlamentarismus. Das sollten Sie sich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einmal hinter die Ohren schreiben. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit hat DIE GRÜNEN – Dr. Martina Krogmann [CDU/ uns einen Entwurf vorgelegt, der eine gute Grundlage CSU]: Ein Jahr nichts und dann finale Hektik!) für die Beratung in diesem Parlament gebildet hat. Dass (B) es ein Jahr gebraucht hat, um ihn zu erstellen, liegt nicht Wir haben, im Gegensatz zu dem, was die Opposition (D) an der Ressortabstimmung, sondern daran, dass es einen uns zu unterstellen versucht, ein sehr wettbewerbs- intensiven, sehr guten und vertrauensvollen Prozess mit freundliches Gesetz gemacht. Wir haben dem Regulierer der gesamten Wirtschaft gab, mit Verbraucherverbänden, ein ganz scharfes Schwert für mehr Wettbewerb in die der Telekom, dem VATM, mit allen möglichen Unter- Hand gegeben, nämlich die gleichzeitige Bereitstellung nehmen, die im Markt sind. Es ist kein ideologischesnach § 37 TKG. Es geht darum, dass marktbeherr- Thema, wie Sie uns das weis, schwarz oder gelb zu ma- schende Unternehmen, die Produkte für Endkunden an- chen versuchen, sondern ein Fachthema, das im Detail bieten, zeitgleich Wettbewerbern wesentliche Vorleis- sehr schwierig ist. Deshalb war das Verfahren richtigtungen zur Verfügung stellen müssen, damit diese eigene und vernünftig. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mit- Geschäftsmodelle entwickeln können. Das unterstützen arbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums dafür, dass wir gemeinsam. Ich bitte, das einmal anzuerkennen. sie uns für den Prozess eine wirklich gute Beratungs- (Rainer Funke [FDP]: Das habe ich getan!) grundlage geliefert haben. – Sie haben das getan, Herr Funke. Aber Ihre Kollegen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ von der anderen Feldpostnummer sagen, dass es in die- DIE GRÜNEN) sem Bereich keine Veränderungen gegeben habe. Ich Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Regie- wiederhole: Das ist ein Punkt, der der Telekom nicht rungsfraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Dieschmeckt, der aber für den Wettbewerb notwendig ist. Er Grünen haben gleichwohl eine Reihe von Änderungen belegt, dass wir ein Gesetz im Interesse des Wettbewerbs vorgesehen. Wir gehen in vielen Bereichen – das ist aus- vorgelegt haben. geführt worden – auf Änderungswünsche des Bundesra- (Beifall bei der SPD) tes ein, ebenso auf Änderungswünsche der Opposition, wo wir sie sachlich geboten und begründet sehen. Präsident Wolfgang Thierse: Ich möchte Ihnen die Maßstäbe nennen, nach denen Kollege Heil, gestatten Sie eine Zwischenfrage des wir die Änderungen am Gesetzentwurf vorgenommen Kollege Krings? haben. Wir haben zuallererst gefragt: Ist das, was im Ge- setz steht, sinnvoll, und zwar für die Telekommunika- tion, aber auch für die gesamte Volkswirtschaft? Der Hubertus Heil (SPD): zweite Maßstab war: Was ist ordnungspolitisch geboten, Gerne. – Herr Krings, was gibt es Neues aus Mön- um in Deutschland mehr Wettbewerb zu ermöglichen? chengladbach? Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8773

(A) Dr. Günter Krings (CDU/CSU): (Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: (C) Mönchengladbach ist eine wunderschöne Stadt. Aber Wie bitte?) darum geht es heute nicht; darüber können wir späterWenn man aber mit anderen Teilen der Union, beispiels- ausführlich reden. weise mit der Bayerischen Staatsregierung, und mit Un- Herr Kollege Heil, Sie haben gerade das Gesetzge- ternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, redet, dann bungsverfahren ausführlich gelobt und herausgestellt, hört man die Auffassung, dass es sich um einen fairen wie offen der Bundestag an diese Thematik herangegan- Ausgleich handelt. gen ist. Sind Sie der Auffassung, dass die Beratungszeit Herr Kollege Krings, hätten Sie ein bisschen intensi- – im Januar gab es die erste Lesung und jetzt, Anfang ver gearbeitet! Wir haben Ihnen angeboten, zu jeder Ta- März, die zweite und dritte Lesung – ausreichend war? ges- und Nachtzeit Sitzungen abzuhalten. Teilweise ha- Sind Sie der Auffassung – die Regierungsfraktionen ha- ben wir sie miteinander durchgeführt. Sie müssen den ben uns erst Freitagnacht ihre Änderungsanträge über- Widerspruch auflösen, dass Ihnen einerseits die Sitzun- mittelt –, dass die Beratung eines derart komplexen und gen nicht ausreichen und dass wir andererseits schnell umfassenden Gesetzes in dieser Art und Weise ein ver- Klarheit schaffen sollen. Wir haben dafür gesorgt, dass nünftiges parlamentarisches Verfahren war? Sind Siedie Behandlung dieses Gesetzes nicht erst nach der Som- ferner der Auffassung, dass damit ein geordnetes, ver- merpause erfolgt, sondern dass wir miteinander in die- nünftiges, offenes und zielführendes parlamentarisches sem Verfahren zügig vorankommen. Verfahren gewährleistet ist? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Herr Krings, Hubertus Heil (SPD): Sie haben mich menschlich sehr enttäuscht!) Zumindest wir haben die Zeit genutzt, intensiv zu be- raten. Wir haben eine fünfstündige Anhörung miteinan- Beim Resale handelt es sich um die entscheidende der gehabt. Stellschraube, mit der man Infrastruktur- und Dienste- wettbewerb austarieren kann. Wir wollen und wir brau- (Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Fünf chen beides in Deutschland. Wir brauchen Investitionen Stunden für solch ein zentrales Thema!) im erheblichen Umfang in die Infrastruktur in den nächs- ten Jahren und Jahrzehnten. Wir brauchen aber gleich- Unsere Fraktion hat eine mehrtägige Klausurtagungzeitig einen Dienstewettbewerb, weil für den Verbrau- durchgeführt. Wir haben uns mit unserem Koalitions- cher – egal ob Wirtschaft oder Privatkunden – die partner abgestimmt. Im Gegensatz zu Gesetzgebungs- Dienste von entscheidender Bedeutung für die Akzep- verfahren aus Ihrer Regierungszeit haben wir Ihnentanz solcher Produkte sind. (B) rechtzeitig, nämlich bereits am vergangenen Donnerstag (D) und Freitag, unsere Änderungen übermittelt. Sie wissen, dass wir in diesem Bereich Änderungen vorgesehen haben. Wir werden darüber zu sprechen ha- (Rainer Funke [FDP]: Freitag um 19.02 Uhr! – ben, wenn es zu einem Vermittlungsverfahren kommt. Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Freitag Ich bin sehr gespannt, wie sich die CDU- und CSU-re- um 19.02 Uhr nach einem Jahr Diskussion!) gierten Bundesländer zu diesem Punkt verhalten werden. Sie hatten über eine Woche Zeit, sich damit zu beschäfti- Es geht nicht nur um die Interessen von Telekom, son- gen. Um es einmal deutlich zu sagen: Die CDU/CSU hat dern auch um die Interessen von City-Carriern wie Net Cologne, EWE TEL und von vielen anderen kleinen Un- es nicht geschafft, auch nur einen konkreten Änderungs- ternehmen, die Sie, Frau Kollegin Krogmann – Sie hören antrag im Wirtschaftsausschuss einzubringen. im Moment nicht zu –, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Mein Gott!) Sie verfassen nur allgemein gehaltene Entschließun- offensichtlich in diesem Punkt nicht im Blick haben. gen; das weiß die Branche. Sie sind nicht einmal in der Lage, auch nur einen Änderungsantrag zu stellen. Sie be- Es gibt ein anderes Thema, bei dem wir Erfolg hatten haupten, das Gesetz sei schlecht und die Bundesregie- – darauf sind wir sehr stolz – und das lange umstritten rung habe nicht genug daran gearbeitet. Obwohl Sie Ju- war. Wir haben der Telekom und den Mitbewerbern hin- risten in Ihren Reihen haben – auch Sie sind Jurist –, sichtlich des Billings und Inkassos, also der Rechnungs- schaffen Sie es nicht, Änderungsanträge zu formulieren, legung und des Mahnungswesens, gesagt: Setzt euch zu- die Sie im Wirtschaftsausschuss einbringen können. Das sammen und verhandelt; wir werden dann versuchen, ist schon ein erstaunlicher Vorgang. das, worauf ihr euch geeinigt habt, gesetzgeberisch ab- zubilden. Dieser Kompromiss ist gelungen. Es ist für die (Beifall bei der SPD – Karsten Schönfeld [SPD]: gesamte Branche und für die gesamte Wirtschaft, also Krings war nicht in der Anhörung!) nicht nur für Mehrwertdienste, ein Segen, dass wir die- sen Prozess angeschoben und moderiert haben. Herr Krings, versuchen Sie nicht, davon abzulenken, dass Sie sich in der Sache nicht einig sind, indem Sie auf Ich bitte die Opposition, wenigstens dies zu honorie- Verfahrensfragen hinweisen. Ich werde beim Thema Re- ren. Es waren nicht Sie, sondern wir, die das gemacht ha- sale noch darauf zurückkommen. ben. Wir bilden das im Gesetz ab. Frau Kollegin Krogmann spricht hier davon, dass un- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sere Regelung zum Resale ganz schlecht sei. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 8774 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Hubertus Heil (A) Wir sagen: Wenn sich die Branche vertraglich verstän- darum ging, das Geschäft anzupacken und durchzufüh- (C) digt, kann und wird von der Regulierung durch das TKG ren. Wir haben gesagt, dass es notwendig ist, auch für in diesem Bereich abgesehen; natürlich aber nicht von gehörlose Menschen einen Zugang zu Vermittlungs- der Regulierung durch das GWB. diensten zu organisieren. Deshalb gibt es dieses Modell- projekt. Wir wollen und werden dafür sorgen, dass es in Frau Kollegin Hustedt hat zum BereichSicherheit diesem Bereich über die Pilotphase hinaus – wie es in und Datenschutz Stellung genommen. Auch ich möchte anderen europäischen Ländern der Fall ist – ein Projekt das tun. Es geht darum, verschiedene Ansprüche auszu- gibt, nach dem Vermittlungsdienste auch von Gehörlo- tarieren. Dabei gibt es nicht nur Schwarz oder Weiß. Na- sen in Anspruch genommen werden können. türlich geht es uns, den Wirtschaftspolitikern, nicht da- rum, neue, unverhältnismäßige Belastungen für die (Beifall bei der SPD) Wirtschaft zu produzieren. Aber auch die Interessen der Ich kann verstehen, dass die Opposition versucht, Sicherheitsbehörden sind legitim. Angesichts aktueller randständige Punkte aufzublasen. Zur Frage der Wei- Entwicklungen kann man nur unterstreichen, dass Si- sungen weise ich Sie auf § 115 des Gesetzentwurfs hin, cherheitsbehörden die Möglichkeiten haben müssen, im der besagt, dass Weisungen zu veröffentlichen sind. Rahmen rechtsstaatlicher Verfahren an Informationen zu Beim Thema Antragsrechte bitte ich Sie darum, die Äu- kommen, um organisiertes Verbrechen oder Terrorismus ßerungen der Branche und des Regulierers zu beachten: bekämpfen zu können. Es geht aber auch darum, dass wir den Belangen des Datenschutzes und der Bürger- (Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Die rechte in Deutschland Rechnung tragen. Branche will Antragsrechte!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wenn sich Unternehmen an die Regulierungsbehörde DIE GRÜNEN) wenden, wenn der Regulierungsbehörde ein Sachverhalt zur Kenntnis gebracht wird, ist die Regulierungsbehörde Dies erwähne ich im Zusammenhang mit einem aktuel- nach Recht und Gesetz verpflichtet zu handeln. len Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Mit dem Aufblasen des Themas der Antragsrechte Wir haben uns diesen Komplex Stück für Stück und lenken Sie davon ab, dass wir im materiellen Bereich ein gründlich vorgenommen. Während Sie noch herumge- gutes Gesetz gemacht haben, und davon, dass Sie sich jammert haben, haben wir uns das Gesetz vorgenommen innerhalb Ihrer Fraktion an ein paar Punkten nicht grün und jeden Punkt auf Verhältnismäßigkeit abgeklopft. – besser gesagt: schwarz – waren und sich nicht verstän- Herausgekommen ist ein Gesetz, das sich, wie ich finde, digen konnten. Das betrifft auch die Frage des Rechts- sehen lassen kann. Es ist in diesem Punkt nicht nur or- weges. Herr Kollege Krings, Sie haben sich sehr intensiv (B) dentlich, sondern sehr gut gelungen. Wir haben einedamit beschäftigt und wissen, es gibt für beides gute und (D) Kostenbeteiligung von Sicherheitsbehörden an Überwa- schlechte Argumente. Wir haben sie sehr intensiv abge- chungsmaßnahmen vorgesehen, um die Verhältnismä- wogen und sind zu der Meinung gekommen, dass wir es ßigkeit zu wahren. Ich bitte, das als einen wirklichen Er- so belassen sollten. Sie wissen, dass die Unternehmen in folg zu betrachten. Deutschland sehr unterschiedliche Stellungnahmen zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ diesem Bereich abgeben. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Ich bin genauso gespannt wie die Grünen, ob dieEs gibt keinen einheitlichen Ruf aus der Branche nach CDU es schafft, das ihren Länderinnenministern klar zu dem Kartellrechtsweg. Es bleibt dabei: Die Regulie- machen. Im Gespräch mit unseren Innenpolitikern haben rungsbehörde ist eine staatliche Behörde. Deshalb ist der wir das klar machen können. Wir haben über die ver-Verwaltungsgerichtsweg rechtssystematisch der richtige schiedenen Interessen intensiv diskutiert. Die Frage ist, Weg. ob die CDU/CSU in diesem Bereich eine Arbeitsteilung vorsieht, nach der die Wirtschaftspolitiker immer nach der Entlastung der Wirtschaft und die Sicherheitspoliti- Präsident Wolfgang Thierse: ker nach immer schärferen und die Wirtschaft belasten- Kollege Heil, Sie müssen zum Schluss kommen. den Maßnahmen rufen. Wir jedenfalls werden das nicht zulassen. Hubertus Heil (SPD): Ja, gerne. Gleich. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich will Ihnen das gerne bei einem Glas Wasser erklä- ren, wenn wir etwas mehr Zeit haben. Zum Thema Gehörlose möchte ich Folgendes sagen: Wir haben auch in diesem Zusammenhang einen Prozess moderiert, und zwar zwischen dem Gehörlosenverband Präsident Wolfgang Thierse: und der Deutschen Telekom. Das Ergebnis ist ein Mo- Nicht jetzt. dellprojekt. Übrigens haben wir, Bündnis 90/Die Grünen und die SPD, diese Gespräche geführt und vorange- Hubertus Heil (SPD): bracht. Ich habe jetzt mitbekommen – das finde ich gut –, In diesem Zusammenhang nur so viel: Wir verab- dass die Opposition unseren Entschließungsantrag unter- schieden heute ein gutes Gesetz. Der Bundesrat könnte stützt. Die Opposition hat aber nicht mitgewirkt, als es eigentlich sofort zustimmen, wenn es ihm nicht um poli- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8775

Hubertus Heil (A) tischen Showkampf ginge. So sehen wir uns wahrschein- Ich will Ihnen aber zum Thema Resale die Antwort(C) lich im Vermittlungsausschuss wieder. Sei’s drum. Ich nicht schuldig bleiben. Wir schreiben Resale ins Gesetz. bin fest davon überzeugt, dass wir trotzdem ein gutesDer Streit besteht darüber, ob wir es gebündelt oder ent- Gesetz durchbringen werden. Die Unterschiede sindbündelt machen. Das ist die Wahrheit. Darüber kann nicht so riesig, wie Sie meinen. man unterschiedlicher Auffassung sein, dass sind auch viele Experten in diesem Bereich. An einem Punkt un- Präsident Wolfgang Thierse: terschiedlicher Meinung zu sein ist in einer Demokratie Kollege Heil, Sie können die Unterschiede jetzt nicht nichts Verkehrtes. mehr darlegen. Wir sind für Resale, weil wir Infrastruktur- und Dienstewettbewerb wollen und weil wir den Citycarriern Hubertus Heil (SPD): das Geschäft nicht kaputtmachen wollen. Ich bitte Sie, in Herzlichen Dank. Ihrem Wahlkreis mit EWE Tel, einem großen Unterneh- men in Niedersachsen, noch einmal über dieses Thema (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zu reden. DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank. Präsident Wolfgang Thierse: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin DIE GRÜNEN) Martina Krogmann das Wort. Präsident Wolfgang Thierse: Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Das Wort hat nun der Kollege Johannes Singhammer Herr Kollege Heil, ich hatte schon immer die Vermu- von der CDU/CSU-Fraktion. tung, dass Sie die Komplexität des Gesetzentwurfs nicht richtig durchdrungen haben. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der kann das jetzt geraderücken!) (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) Johannes Singhammer (CDU/CSU): Seit heute habe ich die Gewissheit. Sie haben wahrheits- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- widrig behauptet, ich hätte mich gegen Resale ausge-ren! Wir verfolgen zwei Ziele. Erstens. Wir wollen, dass sprochen. Das Gegenteil ist der Fall. Deutschland im Bereich der Telekommunikations- und der Informationstechnologie endlich wieder Spitze wird. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Resale für uns (B) (D) ein zentrales Instrument ist, um Wettbewerb herzustel- (Beifall bei der CDU/CSU) len. Wir lehnen Ihren Gesetzentwurf auch deshalb ab, Zweitens wollen wir, dass der Gesetzentwurf, über weil dieses Instrument unzureichend umgesetzt wird und den wir heute beraten, wie ein kraftvolles Schwungrad damit kein fairer Ausgleich zwischen Infrastruktur- und für die Wirtschaft – wir brauchen den Aufschwung drin- Dienstewettbewerb hergestellt wird. gend – und nicht wie ein Bremsklotz wirkt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU) neten der FDP) Es ist richtig und heute schon erwähnt worden, dass Präsident Wolfgang Thierse: dieser Branche eine Schlüsselfunktion zukommt. Der Herr Kollege Heil, bitte eine kurze Antwort. Umsatz der Telekommunikationsbranche beträgt 134 Milliarden Euro pro Jahr. Ein Vergleich: Die deut- sche Automobilbranche setzt im Inland 80 Milliarden (SPD): Hubertus Heil Euro um. Herr Staatssekretär Staffelt, auch Sie haben auf Vielen Dank, Herr Präsident, für Ihre Geduld. Ich ent- diese Schlüsselfunktion hingewiesen, und deshalb ver- schuldige mich für das Überziehen meiner Redezeit. stehe ich nicht, dass der Wirtschaftsminister bei der Be- Frau Kollegin Krogmann, ich habe nicht gesagt, dass ratung dieses außerordentlich wichtigen Gesetzentwurfs Sie gegen Resale sind. heute nicht selbst anwesend ist. (Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Wort- (Beifall bei der CDU/CSU) wörtlich!) Schließlich hat der Minister gestern Wirtschaft in der Ich habe gesagt, dass Sie gegen unsere Formulierungen ganz ursprünglichen Form am Nockherberg begutachten an diesem Punkt sind. können. Sie haben gerade anderen Berichterstatterkollegen (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Bei Ih- Sachverstand abgesprochen. Das macht kein Bericht- nen ist nicht einmal der stellvertretende Frak- erstatter, sei es der Kollege Funke oder die Kollegin tionsvorsitzende da!) Hustedt, und auch ich habe das nicht einmal bei Ihnen Wir wollen mit dem Telekommunikationsgesetz neue gemacht, Frau Kollegin. zukunftssichere Arbeitsplätze schaffen und eine Ba- (Peter Hintze [CDU/CSU]: Nur wenn es nötig lance herstellen zwischen Sicherheit und langfristiger ist, Herr Kollege!) Rentabilität von Investitionen einerseits und Offenheit 8776 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Johannes Singhammer (A) für technologische Entwicklungen andererseits, die in zeichnen war. Eigentlich hätten wir erwarten können,(C) dieser schnell wachsenden und sich verändernden Bran- dass in diesem Bereich ordentlich zugelegt wird. Wir che vom Gesetzgeber vielfach langfristig nicht über-wollen, dass dieses Gesetz dazu beiträgt. blickt werden können. (Beifall bei der CDU/CSU) Eines ist bei diesen Beratungen traurig: Sie haben Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Ge- sich zunächst viel zu viel Zeit gelassen und das Gesetz setz soll mehr Wettbewerb bringen. Es soll zur Anwen- dadurch über ein Jahr verzögert. Sie haben Ihre Bera- dung des allgemeinen Wettbewerbsrechts führen. Wir tungsfrist voll in Anspruch genommen, um dann die Op- wollen einen Abbau des in den einzelnen Marktbereichen position innerhalb kurzer Zeit mit einer Vielzahl von An- zum Teil noch recht unterschiedlichen Rechts erreichen, trägen zu überfallen. unnötige Regulierung zurückschrauben und zusätzlichen (Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil Spielraum für die nationale Regulierungsbehörde durch- [SPD]: Sie müssen schneller lesen!) setzen. Ich sage hier ganz klar: Auch wir haben ein Interesse da- (Jörg Tauss [SPD]: Reden wir einmal vom ran, dass dieses Gesetz bald und zügig verabschiedet Bundesrat! Das ist viel spannender!) wird. Deshalb war durchaus die Chance vorhanden, zu Im Einzelnen: Wir wollen keine Überregulierung auf einer gemeinsamen Lösung zu kommen. dem Mobilfunkmarkt, (Hubertus Heil [SPD]: Mit Ihnen ja, Herr Singhammer!) (Beifall des Abg. Hubertus Heil [SPD]) Unter dem Beratungsdruck, den Sie erzeugt haben, ist es wo ein guter Wettbewerb möglich ist. Es geht um aber unmöglich, diesen schwierigen Sachverhalten zeit- 20 Milliarden Euro. Im Klartext: Wir wollen, dass im lich und inhaltlich gerecht zu werden. Zuge der Entgeltregulierung nach § 28 Abs. 1 des Ge- setzentwurfs jeweils nur ein Kriterium und nicht eine (Jörg Tauss [SPD]: Ein halbes Jahr haben Sie Vielzahl von Kriterien erfüllt werden muss. Wir erachten es nicht bemerkt!) es nicht für nötig, hier eine Überregulierung einzufüh- ren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Ge- setz ist nicht der Ort für große ideologische Graben- Wir wollen im Festnetz, dass das Breitband seine kämpfe. Chancen nutzen kann. Wir sehen mit Besorgnis, dass im Jahr 2002 erst 4,8 Millionen – das sind nur 83 Anschlüsse (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie auf 1 000 Haushalte – der schnellen DSL-Breitbandinter- des Abg. Hubert Ulrich [BÜNDNIS 90/DIE (B) netanschlüsse – das ist die Luxusklasse des Anschlusses – (D) GRÜNEN]) verwirklicht waren. Wir wollen, dass Deutschland von ei- Es geht darum, pragmatische Lösungen zu entwickeln. nem Mittelplatz wieder auf einen Spitzenplatz kommt. Wir werden im Vermittlungsausschuss eine konstruktive Wir wollen deshalb, dass alle Schranken im Telekommu- Rolle einnehmen. nikationsgesetz, die das verhindern, verschwinden. (Hubertus Heil [SPD]: Sie ja!) Wir begrüßen, dass es in den vergangenen Wochen in einer Reihe von Streitpunkten – Rechnungsstellung, Ab- – Ich hoffe, dass das alle so tun, auch von Ihrer Seite. rechnung und Rechnungseinzug – zu einer Einigung Wir glauben, dass in diesem Projekt enorme Chancen zwischen den Wettbewerbern, insbesondere zwischen stecken. Der Bundesverband Informationswirtschaft, Te- der Deutschen Telekom AG und anderen Wettbewer- lekommunikation und neue Medien erwartet, dass in die- bern, gekommen ist. sem Jahr 70 Prozent der Branchenmitglieder zusätzliche Wir wollen – das sage ich auch in meiner Funktion als Investitionen und Wachstumschancen verwirklichen. derzeitiger Vorsitzender des Beirates bei der Regulie- (Jörg Tauss [SPD]: Da sehen Sie einmal, was rungsbehörde für Telekommunikation und Post –, dass wir bewirken! – Lachen bei der CDU/CSU) eine starke, unabhängige Regulierungsbehörde für Tele- kommunikation und Post in diesem Gesetz festgelegt – Wenn Sie nicht dran wären, dann wäre die Zahl ver- wird. mutlich noch viel höher. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall des Abg. Dr. Günter Krings [CDU/ CSU]) Wir wollen gerade die Präsidentenkammer, die künftig eine entscheidende Funktion haben wird, möglichst un- Insbesondere auf dem Mobilfunkmarkt herrscht eine abhängig gestalten. Wir wollen Kollegialentscheidungen Aufbruchstimmung, die nicht durch ein Gesetz, das nicht und keine Einzelentscheidungen. Wir wollen, dass Re- die notwendigen Voraussetzungen bietet, enttäuscht wer- gulierungsverfügungen in Anbetracht ihrer großen wirt- den sollte. schaftlichen Relevanz und zur Sicherstellung der Ein- Wir sehen auf der anderen Seite mit großer Besorgnis heitlichkeit der getroffenen Maßnahmen immer von der – das ist natürlich Ihr Werk –, dass in den vergangenen neu zu schaffenden Präsidentenkammer gemeinsam be- Jahren gerade in dieser Wachstumsbranche ein Absa-schlossen werden. Wir wollen, dass der Beirat eine stär- cken der Arbeitsplatzzahlen von 820 000 Beschäftigten kere Position der politischen Kontrolle erhält. Der Beirat im Jahr 2000 auf nunmehr 750 000 Beschäftigte zu ver- ist das Bindeglied zu den gesetzgebenden Körperschaf- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8777

Johannes Singhammer (A) ten Bund und Länder. Das muss durch eine Benehmens- Das zeigt auch, was über Parteigrenzen hinweg möglich (C) regelung für alle Beschlüsse der Präsidentenkammerist. zum Ausdruck kommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber ein Ziel gemeinsam verfolgen: Deutschland muss wieder [SPD]: Was denn jetzt, Unabhängigkeit oder Spitze werden. Deshalb brauchen wir kein mittelmäßi- politische Kontrolle?) ges Gesetz, sondern ein Spitzengesetz. – Ich habe es doch klar ausgeführt. (Beifall bei der CDU/CSU) In Bezug auf dieinnere Sicherheit haben wir sehr exakt abzuwägen und eine Balance zwischen den Erfor- Präsident Wolfgang Thierse: dernissen der Sicherheit und überbordenden wirtschaftli- Ich erteile das Wort Kollegen Manfred Zöllmer, SPD- chen Belastungen zu finden. Ich denke, dass wir da zu Fraktion. einer guten Lösung kommen werden. Der Bereich der im Fachchinesisch alsPrepaid be- Manfred Helmut Zöllmer (SPD): zeichneten, vorab bezahlten Benutzertelefonkarten für Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutsch- Handys, die eine Identifizierung außerordentlich er-land surft, chattet, simst, telefoniert fest oder mobil zu schweren, ist dabei besonders wichtig. Wenn wir uns die Lande, zu Wasser und in der Luft. Fast 40 Millionen ersten Minuten dieser Sitzung des Deutschen Bundesta- Deutsche bewegen sich nahezu täglich im weltweiten ges in Erinnerung rufen, als wir der Opfer eines grauen- Netz der Informationen. Im Jahre 2003 ist die Zahl der vollen Anschlags gedachten, dann müssen wir einfach Mobilfunkkunden auf fast 65 Millionen gestiegen, ge- sehen: Es gibt auch Schwachstellen, bei denen wir sehr genüber 1999 eine Verdreifachung. 342 Milliarden Ver- genau hinsehen müssen, damit sich dort keine Möglich- bindungsminuten waren im vergangenen Jahr zu ver- keiten für Kriminelle bieten, weit außerhalb jeglicherzeichnen. Diese Zahlen zeigen: Die Deutschen nutzen Kontrolle tätig zu werden. die Telekommunikationsangebote, sie informieren sich, sie kommunizieren und sie tun das gerne. Aber sie sind (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) als Verbraucherinnen und Verbraucher kritische und Lassen Sie mich abschließend noch zu dem ganz zen- preisbewusste Kunden, die nicht über den Tisch gezogen tralen Thema Wiederverkauf, dem so genannten Resale, und abgezockt werden wollen. Stellung nehmen. Das heute zu verabschiedende Telekommunikations- (Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]) gesetz regelt nicht nur die wirtschaftlichen Rahmenbe- (B) dingungen des Telekommunikationsbereichs, sondern(D) – Reden Sie doch nicht ständig dazwischen; lassen Sie hat auch den Verbraucherschutz im Auge. Dies haben die Menschen einmal ausreden! wir im Gesetz an exponierter Stelle deutlich gemacht. Ich stecke die Positionen ab, um die es uns geht. Wir Wir haben damit gezeigt, dass die künstliche Trennung wollen weder einen gebündelten, zeitlich unbegrenzten zwischen so genannten Wirtschafts- und reinen Verbrau- Wiederverkauf noch einen getrennten Wiederverkaufcherschutzgesetzen der Vergangenheit angehört. Eine von Anschluss oder Verbindungsleistung ohne jede Bin- aktive Verbraucherpolitik ist ein zentraler Baustein für dung an Bedingungen. einen funktionierenden Wettbewerb. Diese Ansicht un- terscheidet uns fundamental von der Opposition. Frau (Hubertus Heil [SPD]: Wer ist jetzt „wir“?) Krogmann, in Ihrem Beitrag kam das Wort Verbraucher- schutz nicht ein einziges Mal vor. – Das sage ich für die Opposition, für die CDU/CSU. – Das sind die von uns abgesteckten Positionen. In deren (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Rahmen sind wir bereit, mit Ihnen gemeinsam eine Lö- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sung zu finden. Das ist ein Angebot; Sie können es an- nehmen. Ich rate Ihnen auch, dies zu tun, denn es ist Ich gehe davon aus, dass die verbraucherpolitische auch im Interesse des Standorts Deutschland, hier zu ei- Sprecherin der CDU, Frau Heinen, diese Debatte am ner gemeinsamen Lösung zu kommen. Fernsehen verfolgt. Ich will nicht kritisieren, dass sie nicht anwesend ist. Aber das zeigt, welchen Stellenwert (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber der Verbraucherschutz bei Ihnen hat. [SPD]: Das ist aber ein deutlicher Unterschied zu Frau Dr. Krogmann!) Die Liberalisierung, die auf diesem Markt in den letz- ten Jahren stattgefunden hat, hat auch ihre Schattensei- – Das ist kein Unterschied, sondern das ist die genaue ten. Wo ein freier Markt herrscht, führt dies, gerade bei Darstellung unserer Position. technischen Neuerungen, auch zu Missbrauch. Telefoni- sche Mehrwertdienste und Internetangebote werden zum (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das Teil genutzt, um in besonders dreister Weise an das Geld hörte sich aber eben anders an!) der Kunden zu kommen. Mit dem vorliegenden Gesetz- Wir begrüßen auch – das sage ich zum Schluss mit entwurf wird der Weg hin zu einem verbesserten Ver- versöhnlichem Ton –, dass es bei den Gehörlosen gelun- braucherschutz, den wir im letzten Jahr beschritten ha- gen ist, eine gemeinsame Lösung zu erreichen. ben, konsequent weiter beschritten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 8778 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Manfred Helmut Zöllmer (A) Ich will das an sechs Punkten deutlich machen. Ers- Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter (C) tens. Die Befugnisse der Regulierungsbehörde werden Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- in Form einer Generalklausel auf alle Rufnummern ausge- che 15/2674, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas- dehnt. Dies erlaubt bei veränderten Missbrauchstatbestän- sung anzunehmen. Hierzu liegen zwei Änderungsan- den ein zeitnahes und flexibles Handeln der Regulierungs- träge der Fraktion der FDP vor, über die wir zuerst behörde. Das Ausweichen auf andere Nummerngassen abstimmen. wird damit wirksam verhindert. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache Zweitens. Details werden wir in einer noch zu erlas- 15/2684? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der senden Nummerierungsverordnung und in der Telekom- Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und munikations-Kundenschutzverordnung regeln. DiesBündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/ wird mit Zustimmung von Bundesrat und Bundestag ge- CSU und FDP abgelehnt. schehen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache Drittens. Die Regulierungsbehörde kann nicht nur ge- 15/2685? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der gen die missbräuchliche Nutzung aller Rufnummern ein- Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und schreiten, sondern auch gegen Missbrauch durch Dialer Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP bei vorgehen. Enthaltung der CDU/CSU abgelehnt. Viertens. Der Mehrerlösabschöpfungsanspruch fin- Nun bitte ich diejenigen, die dem Gesetzentwurf in det sich in § 41 des Gesetzes wieder. Mögliche Gewinne der Ausschussfassung mit der vom Berichterstatter vor- bei Verstößen gegen Verfügungen der Regulierungsbe- getragenen Korrektur zustimmen wollen, um das Hand- hörde können abgeschöpft werden. Der Anspruch istzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der klar gefasst und wird nicht mehr durch unbestimmteGesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Rechtsbegriffe relativiert. Er ist damit ein wirksamesStimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen Sanktions- und Präventionsinstrument. die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Fünftens. Das Verbandsklagerecht der Verbraucher- Dritte Beratung schutzverbände auf Unterlassung nach dem geltenden Unterlassungsklagengesetz ist in den Gesetzentwurf auf- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- genommen worden. setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Sechstens. In den Fragen der Fakturierung und des ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grü- Inkassos hat es eine sehr gute Vereinbarung zwischen (B) nen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange- (D) den beteiligten Unternehmen gegeben. Dies dient dernommen. Rechtssicherheit, entspricht den Wünschen der Verbrau- cherinnen und Verbraucher und sichert so den Verbrau- Abstimmung über den Entschließungsantrag der cherschutz. Fraktion der FDP auf Drucksache 15/2686. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dage- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des gen? – Stimmenthaltungen? – Der Entschließungsantrag BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grü- Der vor uns liegende Gesetzentwurf stärkt den Wett- nen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der bewerb auf dem Telekommunikationsmarkt. Er beinhal- CDU/CSU abgelehnt. tet ein schlüssiges Regulierungskonzept, stellt damit die Weichen für Investitionen und Innovationen in diesem Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Schlüsselbereich unserer Volkswirtschaft und stärkt den Drucksache 15/2674 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent- Verbraucherschutz. Dieser Gesetzentwurf verträgt keine schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- politische Blockade. Das würde den Unternehmen scha- schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – den, die Schaffung weiterer Arbeitsplätze verhindernDer Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, und den Verbraucherinnen und Verbrauchern schaden. Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.1) Meine Damen und Herren, setzen wir gemeinsam auf das Potenzial dieser Wachstumsbranche in Deutschland Tagesordnungspunkt 17 b. Abstimmung über die Be- mit einem hervorragendem Verbraucherschutz! schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/2674 zu dem Antrag der Frak- Herzlichen Dank. tion der CDU/CSU mit dem Titel „Mehr Wettbewerb, Wachstum und Innovation in der Telekommunikation (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksa- che 15/2329 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- Präsident Wolfgang Thierse: schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Ich schließe die Aussprache. hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Telekommu- nikationsgesetzes, Drucksachen 15/2316 und 15/2345. 1) Anlage 2 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8779

Präsident Wolfgang Thierse (A) die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP an- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (C) genommen. Haushaltsausschuss Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 16 a und Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die 16 b sowie die Zusatzpunkte 6 und 7 auf: Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. 16 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Günter Nooke, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Bericht der Bundesregierung zur auswärtigen Kulturpolitik 2001 Günter Nooke (CDU/CSU): – Drucksache 14/9760 – Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Überweisungsvorschlag: Lassen Sie mich zu Beginn drei Dinge feststellen: Ausschuss für Kultur und Medien (FDP) Auswärtiger Ausschuss Erstens. In kaum einem anderen, vielleicht in keinem Sportausschuss Bereich der Politik herrscht fraktions-, partei- und insti- Ausschuss für Bildung, Forschung und tutionsübergreifend ein derart solider Konsens wie in der Technikfolgenabschätzung Frage nach dem Sinn und dem Wert der auswärtigen Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Kultur- und Bildungspolitik. Ausschuss für Tourismus Zweitens. In keinem Bereich der Politik haben sich b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- die Ansprüche, die an ihn gestellt werden, in den vergan- gierung genen fünf Jahren derart rapide in geradezu Schwindel erregende Höhen entwickelt wie in der auswärtigen Kul- Bericht der Bundesregierung zur auswärtigen tur- und Bildungspolitik. Kulturpolitik 2002 Drittens. Kein Bereich der auswärtigen Politik ist aber – Drucksache 15/2258 – in den vergangenen Jahren so beschämend vernachläs- Überweisungsvorschlag: sigt worden wie die auswärtige Kultur- und Bildungspo- Ausschuss für Kultur und Medien (f) litik. Auswärtiger Ausschuss Sportausschuss (Beifall bei der CDU/CSU) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Die Ernsthaftigkeit des Themas und die bedrohliche Technikfolgenabschätzung Lage, in die die Institutionen der auswärtigen Kultur- (B) Ausschuss für Tourismus (D) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und Bildungspolitik geraten sind, und die weiteren Kür- zungen, die Außenminister Fischer in der vergangenen ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Woche im Ausschuss für Kultur und Medien ankündigte, Griefahn, Eckhardt Barthel (Berlin), Siegmund machen die heutige Debatte so wichtig. Wie in anderen Ehrmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- Bereichen rot-grüner Politik ist auch bei der auswärtigen tion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje Kultur- und Bildungspolitik ein krasses Missverhältnis Vollmer, Claudia Roth (Augsburg), Ursula Sowa, von der Ankündigung immer größerer Ziele einerseits, weiterer Abgeordneter und der Fraktion desaber immer weniger Realitätsbezug insbesondere zu den BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Haushaltszahlen andererseits zu beklagen. Auswärtige Kulturpolitik stärken Vertrauen entsteht so nicht. Die Mitarbeiterinnen – Drucksache 15/2659 – und Mitarbeiter in den Institutionen in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik werden verunsichert. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Schlimmer noch: Das Ansehen Deutschlands in der Welt Auswärtiger Ausschuss nimmt massiv Schaden. Wir reden bei der auswärtigen Ausschuss für Bildung, Forschung und Kultur- und Bildungspolitik von Mitteln, deren Höhe Technikfolgenabschätzung zum Beispiel an den Tischen der Mautverhandlungen al- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und lenfalls Heiterkeit hervorrufen würde. Aber so, wie die Entwicklung Haushaltsausschuss Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft sich mit dem Mautdebakel international lächerlich machen, ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter Nooke, Dr. Friedbert Pflüger, (Zuruf von der SPD: Das waren wohl eher (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak- Sie!) tion der CDU/CSU machen wir den hervorragenden Ruf der Mittler der aus- Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik stärken wärtigen Kultur- und Bildungspolitik in der Welt kaputt – im Grunde für Peanuts. – Drucksache 15/2647 – Überweisungsvorschlag: Der Außenminister hat im Ausschuss für Kultur und Ausschuss für Kultur und Medien (f) Medien in der vergangenen Woche in geradezu tränen- Auswärtiger Ausschuss treibender Weise erklärt Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (Zuruf der Abg. Monika Griefahn [SPD]) 8780 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Günter Nooke (A) – hören Sie doch einfach einmal zu –, es würden weitere es geht auch um die Einladung an die Welt, sich dieses(C) Einschnitte auf die auswärtige Kultur- und Bildungspoli- schöne Land vor Ort anzusehen. tik zukommen. Er sagte wörtlich: Nicht nur ins Fleisch, nein, diesmal „ins Mark“. Er sagte außerdem, dass er lei- All diese Punkte haben auch immense positive Aus- der auch nichts dagegen tun könne. Der Außenminister wirkungen auf langfristigeWirtschaftsbeziehungen ist Vizekanzler und wohl immer noch eine ernst zu neh- und damit auf den deutschen Anteil an internationalen mende Stimme des grünen Koalitionspartners. Wer,Märkten und an Märkten in Wachstumsregionen. Aus- wenn nicht er, kann Prioritäten setzen? wärtige Kultur- und Bildungspolitik soll nicht gemacht werden, weil sie sich mittel- und langfristig rechnet. (Monika Griefahn [SPD]: Das wird er wohl Aber wenn sie den Außenminister schon nicht interes- machen!) siert, sollte er wenigstens dieses Argument kennen. Es besteht der Verdacht – hier spreche ich nicht nur Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einen kri- im Namen meiner Fraktion –: Dem Außenminister ist tischen Punkt ansprechen. Problematisch vor dem Hin- die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik – freundlich tergrund kontinuierlich zusammengestrichener Mittel ist gesagt – nicht einen Pfifferling wert. das in zunehmendem und erschreckendem Maße inhalts- (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Blank frei werdende Gerede vom Dialog der Kulturen, von der [CDU/CSU]: Das ist nicht Verdacht, sondern Rolle der Kultur als Konfliktprävention. Der auswärti- Tatsache! Unverschämt!) gen Kultur- und Bildungspolitik geradezu die Sicherung des Weltfriedens aufzubürden ist nicht nur angesichts Um diesen Verdacht zu entkräften, wäre es besser gewe- der dürren Zahlen etwas vermessen, vielleicht sogar sen, er hätte heute zu guter Debattenzeit selber das Wort abenteuerlich. ergriffen. Herr Außenminister, es ist ja nicht nur die Op- position im Deutschen Bundestag, die Ihnen das sagt, le- Der Anteil der auswärtigen Kultur- und Bildungspoli- sen Sie die Zeitungen und vor allem: Lassen Sie Ihre ei- tik am Gesamthaushalt – ich will das noch einmal nen- genen Leute nicht im Stich; denen liegt wirklich etwas nen – hat mit derzeit 0,22 Prozent einen deprimierenden an diesem Thema. Tiefstand erreicht. Über das, was die deutsche auswärtige Kultur- und (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! Bildungspolitik jeden Tag auf der ganzen Welt leistet Irgendwie kommen Sie von der Konfrontation – im Kleinen wie auch langfristig –, brauche ich hier kei- nicht herunter!) nen Vortrag zu halten. Auf ihre Unverzichtbarkeit ist nicht nur in den vergangenen Tagen hingewiesen wor- Wir brauchen mehr Realismus und Pragmatismus, der (B) den. Hier besteht, wie ich eingangs sagte, Konsens. dem Auftrag der Mittler auswärtiger Kulturpolitik ent-(D) spricht. Auf der dünnen Basis der genannten Wir haben unserem Antrag die Ziele und Leistungen 0,22 Prozent ist langfristiges Planen kaum möglich. Pro- der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik voran-jekte, die mit Sondermitteln realisiert werden, wie die gestellt. Es geht um Interesse an Deutschland und um Stabstelle „Dialog mit der islamischen Welt“ können deutsche Interessen. Es tut uns allen gut, wenn wir gute nicht langfristig angelegt werden. Beziehungen zu unseren Partnern in der Welt haben. Was über Jahrhunderte gewachsen ist, darf nicht aus (Monika Griefahn [SPD]: Wieso? Sind sie Desinteresse oder durch unüberlegte Pauschalkürzungen doch! Das wurde gesagt!) – die gibt es übrigens auch bei Koch/Steinbrück – geop- fert werden. – Nein, das wurde nicht gesagt; die Mittel sind ja weg. – Doch alle Erfahrung in der auswärtigen Kulturpolitik hat (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gelehrt, dass nur in der Kontinuität der Erfolg liegt, dass neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) über lange Zeiträume hinweg Vertrauen aufgebaut wer- den muss und dass sich die Verlässlichkeit einer Partner- Wir brauchen auch gute Beziehungen zu denen, die viel- schaft erst nach vielen Jahren beweist. leicht noch nicht so gute Partner sind, aber ein besonde- res Interesse an Deutschland haben und diese Beziehun- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gen ausbauen wollen. der FDP) Es geht bei der auswärtigen Kultur- und Bildungspoli- Auswärtige Kultur- und Bildungsarbeit braucht gerade tik um Deutschland, um Kultur aus Deutschland, aber in beim interkulturellen Dialog Beharrlichkeit. Sie ist keine besonderem Maße auch um deutsche Kultur und umschnelle Eingreiftruppe. Aus dem anfänglichen Schei- Deutschland als Kulturnation in all ihrer Vielfalt. Es geht tern eines begonnenen Dialogs darf nicht mit betriebs- um Informationen aus Deutschland, aber auch um Infor- wirtschaftlicher Logik der Abbruch der Beziehungen ge- mationen in deutscher Sprache. Das Interesse an derschlussfolgert werden. deutschen Sprache im Ausland ist oft größer als hierzu- lande. Deutsch hat in vielen Ländern große Chancen als Die Anerkennung und der Ruf der Mittlerorganisatio- zweite Fremdsprache; deutsche Dichter und Philosophen nen sind hierzulande, wo die Einrichtungen häufiger im im Original zu lesen ist für viele noch ein großer Anreiz. Zusammenhang mit Haushaltskürzungen als im Zusam- Es geht bei der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik menhang mit ihren Projekten genannt werden, nicht an- um – ich nenne einen weiteren Punkt – die Darstellung nähernd mit dem Ruf zu vergleichen, den sie im Ausland Deutschlands in der Welt als ein weltoffenes Land. Aber genießen. Dieser Ruf im Ausland wird in einem Maße Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8781

Günter Nooke (A) gefährdet, wie wir uns das in Deutschland oft gar nicht (Monika Griefahn [SPD]: Wir auch!) (C) vorstellen können. Bundespräsidenten haben ja bekanntlich durchaus ent- Als Beispiel nenne ich dieAlexander-von-Hum- sprechende Erfahrungen, weil sie von der Welt und den boldt-Stiftung, die sich mit dem weltweiten Austausch Deutschen in ihr ziemlich viel mitbekommen. von Wissenschaftlern beschäftigt. Es mag sein, dass Noch einmal zum Antrag der SPD. Bezüglich der manchem eine solche Einrichtung etwas zu gediegen er- Auslandsschulen ist Ihr Antrag völlig leer; Sie haben scheint. Wir brauchen in Deutschland aber nicht über diese ganz vergessen. Ich hoffe, Sie haben die Auslands- Eliten und Exzellenz zu reden, wenn wir im Rahmen der schulen nicht schon abgeschrieben; denn auch sie gehö- auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik nicht sicher- ren zu diesem Komplex. stellen, dass ein internationaler, hochkarätiger Austausch von Wissenschaftlern erfolgt. (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das wäre eine Ka- tastrophe!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will gar nicht erzählen, was Sie in Ihrem Antrag zum Das wird gerne unterschätzt. Der Wissenschaftlertrans- Schulfonds schreiben, weil er nichts damit zu tun hat. fer auf höchstem Niveau ist von zentraler Bedeutung.Die Auslandsschulen werden nämlich anders finanziert. Wenn Deutschland mit seinen Spitzenwissenschaftlern im Ausland nicht präsent ist, dann ist Deutschland auch Mir geht es darum: Bildungspolitik ist in Ihrem An- nicht attraktiv für Spitzenwissenschaftler aus der Welt. trag schon im Titel weggekürzt worden. Wer kürzt, muss Gleiches gilt übrigens auch für den Nachwuchs – fürwissen, was und wohin er will. Wir sehen keinerlei Kon- Studenten und angehende Wissenschaftler – und fürzept der Bundesregierung zu diesem Thema. Auch die Künstler. vorliegenden Berichte aus den Jahren 2001 und 2002 ge- ben darüber keine Auskunft. Aus diesem Grund hat die Ich habe den Namen Alexander von Humboldt aber Unionsfraktion die heutige Debatte verlangt und ihren auch noch aus einem anderen Grund genannt. Mitglieder Antrag vorgelegt. Der Katalog unserer Forderungen des Kulturausschusses konnten vor kurzem während ei- kann nachgelesen werden. Er zeigt, dass wir mit der aus- ner Mexikoreise die außerordentliche Wertschätzungwärtigen Kultur- und Bildungspolitik im besten Sinne Alexander von Humboldts erleben. Die Mexikaner ver- noch viel vorhaben. ehren diesen Deutschen, der Mexiko 1803 mit einer For- schungsexpedition besuchte, präkolumbianische Kultu- Der Koalition ist zu diesem Thema leider nicht sehr ren erkundete und den Menschen dabei auf gleicherviel – vor allem kein einziger konkreter Rat – eingefal- Augenhöhe begegnete, fast als Nationalheiligen. Wenn len. „Neue Chancen ergreifen“, „neue Wege der Koope- (B) man in Mexiko hört, die Alexander-von-Humboldt-Stif- ration“, „neue Schwerpunkte“ – das alles klingt unge-(D) tung werde kaputtgekürzt, dann denkt dort niemand nur heuer neu. Ich vermute aber, dass den Mittlern beim an den Austausch von Wissenschaftlern, sondern viele Lesen ihres ziellosen und offenkundig völlig hilflosen meinen dann, in Deutschland herrsche Kulturbarbarei. Textes das kalte Grauen überkommt. Ich fürchte, dass sie alle Hoffnung fahren lassen werden, wenn sie lesen müs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie sen, dass künftig „die Haushaltsmittel für die auswärtige der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/ Kultur- und Bildungspolitiknachhaltig zu gestalten“ DIE GRÜNEN]) sein werden. Für die unfreiwillige Komik werden die Mittler kein Gespür mehr haben, eher für die offenkun- Deutsche auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hat noch – nicht nur in Mexiko – einen guten Ruf. Deutsch- dige Hilflosigkeit der Formulierung. Haushaltsmittel nachhaltig gestalten heißt doch nichts anderes, als ohne land bekommt aber immer stärkere Konkurrenz. In Blick auf die Aufgaben der Mittler den Etat zu senken. Deutschland wird das weniger bemerkt als vor Ort. Großbritannien und Frankreich segeln zum Beispiel mit (Horst Kubatschka [SPD]: Das verstehen Sie enormem staatlichen Rückwind neben uns. Deutschland falsch!) hat dagegen permanent staatlichen Gegenwind. Das ist absurd. Am nachhaltigsten sind übrigens Nullansätze; denn diese kann man bei Haushaltsberatungen nicht weiter (Monika Griefahn [SPD]: Das ist einfach kürzen. falsch!) Das ist das Gegenteil von dem, was im Titel Ihres An- Um im Bild zu bleiben, wirft jetzt auch noch der stell- trags versprochen wird, aber um die Stärkung der aus- vertretende Steuermann den Anker. wärtigen Kultur- und Bildungspolitik soll es bei der Koalition offensichtlich gar nicht gehen. Ich zitiere noch Ich will das Bild nicht überstrapazieren, aber docheinmal aus Ihrem Antrag. Dort heißt es unfreiwillig of- noch etwas aus dieser Woche berichten. Die Mitglieder fen: der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ wa- ren am Montag Nachmittag beim Käpt’n im Schloss AKP Bellevue. Ich glaube, ich petze jetzt nicht und teile nicht – schon bei der Sprache wird gekürzt; gemeint ist die zu viel mit: Bundespräsident Rau hat bezüglich der Rolle auswärtige Kulturpolitik – der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik eine ganz andere Auffassung als Fischer. Er misst ihr eine sehr ist nicht nur komplementäres oder gar verzichtbares hohe Priorität zu. Beiwerk … 8782 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Günter Nooke (A) Die Betonung liegt auf dem „nur“. In Klassenräumen noch ohne Fenster sitzen 50 Mäd- (C) chen in zwei Gruppen Rücken an Rücken, um zu lernen. All das erinnert mich an Karl Valentin. Wie wäre es Sie lechzen nach Bildung. Ich spreche von der Situation mit einem anderen Antragstitel: „Mögen hätt’ ich schon in Kabul im September letzten Jahres. Wie unser Islam- wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.“? beauftragter, Dr. Gunter Mulack, sehr richtig feststellte, (Beifall der Abg. Vera Lengsfeld [CDU/CSU]) schaffen wir Demokratie und Menschenrechte in vielen Ländern nur, wenn Mädchen und Frauen beteiligt sind. Ich lade Sie ein, auf der Basis unseres Antrages im Aus- Das geschieht nicht nur durch deutsche Schulen im Aus- schuss unser im Grunde gemeinsames Wollen zur wirkli- land, sondern auch durch von uns mit Projekten geför- chen Stärkung der auswärtigen Kultur- und Bildungs- derte Schulen. Da setzen wir an. politik im Auswärtigen Amt und in der Welt zum Ausdruck zu bringen. Die Sprachenschule in Teheran ist mehr als ein Insti- tut zur Vermittlung der deutschen Sprache. Es ist ein (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war Treffpunkt von Männern und Frauen, von Kreativen und jetzt aber nicht so sehr erkennbar!) Kulturen. Da begegnet man sich. Diejenigen, die Refor- Ich kann Ihnen nur zurufen: Wollen Sie nicht nur, son- men wollen und aufgeschlossen sind, haben die Mög- dern trauen Sie sich auch einmal. lichkeit, dort miteinander in Dialog zu treten. Danke schön. In Lateinamerika genießen Deutschland bzw. Eu- ropa großen Respekt und Anerkennung. Bei unserem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Besuch – Sie haben Mexiko erwähnt – in den deutschen Schulen in Arequipa, Lima und Mexiko-City wurde im- Präsident Wolfgang Thierse: mer wieder gefragt, warum wir uns nicht noch intensiver Ich erteile das Wort Kollegin Monika Griefahn, SPD- in Lateinamerika engagieren, da sich die Lateinamerika- Fraktion. ner nicht ausschließlich auf die USA beziehen wollen. Es ist ein ganz wichtiger Punkt, dass Europa bzw. Monika Griefahn (SPD): Deutschland dort einen guten Ruf hat. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Auch in Europa helfen neue Ideen und Bilder dabei, Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Besondersgegenseitig Vorurteile abzubauen. Schauen wir uns in willkommen heiße ich die ausländischen Gäste aus Peru. Frankreich die Deutsch-Mobile oder in Deutschland die Auch sie nehmen sehr aktiv an der auswärtigen Kultur- France-Mobile an. Sie haben dazu beigetragen, dass die politik teil. Nachfrage nach Deutsch bzw. nach Französisch als (B) Herr Nooke, wenn Sie davon sprechen, dass derFremdsprache hier wie dort einen Schub erhalten hat und (D) CDU/CSU die auswärtige Kulturpolitik so wichtig ist, dass das Deutschlandbild in vielen Teilen Frankreichs dann verstehe ich nicht, warum bis 1998 44 Goethe-zumindest aktualisiert werden konnte. Sie sind ein gro- Institute geschlossen werden mussten, darunter so wich- ßer Publikumserfolg, der auch mit dem Adenauer/de- tige wie in Hyderabad und Lahore, die wir heute müh- Gaulle-Preis ausgezeichnet wurde. Auf diese Tradition sam wieder einrichten müssen, damit der Dialog in die- und diese neuen Aspekte können wir bauen. Das ist das, sen Ländern tatsächlich stattfindet. Da stimmt dochwas wir mit neuen Ansätzen meinen. etwas nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN – Horst Kubatschka [SPD]: Wie Gunter Mulack feststellte, müssen wir noch stark Das ist Kurzzeitgedächtnis!) umsteuern, wenn wir insbesondere dieJugend in den – Das ist das Problem. islamischen Ländern erreichen wollen. 50 bis 70 Pro- zent der Bevölkerung sind unter 30 Jahre. Italien hat Angesichts der 23 Nobelpreisträger der Humboldt- aber genauso viele Goethe-Anlaufstellen wie der ge- Stiftung ist für alle klar, dass dies zu dem Bereich Inno- samte arabische Raum. Deshalb müssen wir Goethe-In- vation gehört. Wie man weiß, wird Innovation von die- stitute verlagern und gleichzeitig neue Wege stärker ser Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen ge- erschließen. Ich denke an Anlaufpunkte, Lesesäle, Infor- fördert und umgesetzt. mationszentren, Goethe-Zentren, aber auch an gemein- same Sportaktivitäten. Mannschaftssport als Lernen für (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Deshalb wird die Demokratie, auch das ist sicherlich ein Weg, gerade gekürzt!) an junge Leute heranzukommen. Das ist eine neue He- Sie haben den Titel unseres Antrags kritisiert. Sierangehensweise. wissen, dass es in der Regel in den Ländern Kultusmi- Jetzt kommen wir zum Hauptproblem, das wir vor nisterien gibt, die für Bildung zuständig sind. Deswegen uns hertragen: das liebe Geld. Wir alle müssen sparen, umfasst die Kulturpolitik bei uns alles, was Kultur und aber wir haben Prioritäten gesetzt: Zukunftsinvestitionen Bildung betrifft. Wir haben nicht den Anspruch gehabt, und Bildung wollen wir nicht vernachlässigen und die heute auch noch den gesamten Etat von Frau Bulmahn Mittel dafür nicht kürzen. und andere Bereiche mitzubehandeln, sondern wir wol- len heute über die auswärtige Kultur- und Bildungspoli- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried tik sprechen. Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8783

Monika Griefahn (A) Das ist unser Ziel. Wenn uns aber das Geld fehlt, dann die dann auch zu einem Studium nach Deutschland kom- (C) müssen wir intelligenter mit dem wenigen Geld umge- men? Sie tragen ihre Erfahrungen in ihre Gesellschaft hi- hen. Wenn es richtig ist, dass wir Bildung als Investition nein und sorgen dafür, dass Klischees abgebaut werden, betrachten – die Hauptmittel in der auswärtigen Kultur- und geben damit etwas zurück. Damit helfen die kultu- politik sind auch Bildungsmittel; betrachten Sie dierellen Programme, Herr Nooke, auch der aktiven Frie- 117 Auslandsschulen, die 126 Goethe-Institute weltweit denskonsolidierung. Das kann man doch gar nicht be- und die 30,5 Millionen Euro für den Studentenaus-streiten. tausch –, dann ist es auch richtig, zwei Schritte zu ma- chen. Erstens. Wenn es Einsparungen, die wir alle tragen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ müssen, geben muss, dann müssen diese aus dem Ge- DIE GRÜNEN – Günter Nooke [CDU/CSU]: samthaushalt erwirtschaftet werden, nicht aus dem Aber nicht alleine!) Haushalt für die auswärtige Kulturpolitik. Da sind wir – Sie helfen mit, habe ich gesagt. uns einig. An diesen Beispielen sieht man deutlich, dass die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ausgaben für Kultur beileibe keine Subventionen sind, DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der sondern eindeutig Investitionen in unsere Zukunft. Ich CDU/CSU und der FDP) glaube, dass wir die Mittlerorganisationen wie Goethe- Zweitens. Wenn wir innovative Wege gehen wollen,Institut, DAAD, Institut für Auslandsbeziehungen und dann müssen wir die Budgetierung, auch mit Decke- Alexander-von-Humboldt-Stiftung, aber auch alle ande- lung, in den Institutionen der auswärtigen Kulturpolitik ren, nicht einfach als Zuwendungsempfänger betrachten einführen und die Mittelaus den Einsparungen, die dürfen, nur weil sie als eingetragene Vereine oder Stif- durch die Budgetierung erfolgen können, den Mittlern tungen fungieren. Sie sind vielmehr – wie die Botschaf- für die Programmarbeit zur Verfügung stellen. Das ist ten – wie eine nachgeordnete Behörde zu betrachten, die ein entscheidender Punkt. Teil des Ministeriums ist. Von diesem Ansatz müssen wir ausgehen. Aber wir haben uns bewusst entschieden, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dass sie sozusagen autonom handeln dürfen. Insofern DIE GRÜNEN) müssen sie anders organisiert werden. Ein Beispiel: Es kann doch nichts dagegen sprechen, Sie haben die Auslandsschulen angesprochen, Herr dass ein Mittler mit den erwirtschafteten Budgetierungs- Nooke, die uns selbstverständlich wichtig sind. Sie sind renditen ein preiswerteres Haus mietet und die einge-uns zudem wichtig, weil sie Kindern, die sonst keine sparten Gelder in Programme steckt. Das sind die zu-Schulbildung bekommen könnten, ermöglichen, in deut- kunftsweisenden Perspektiven. Darin sind wir uns einig. (B) schen Schulen unterrichtet zu werden und mit Menschen (D) Wir müssen das nur umsetzen. aus anderen Ländern in Kontakt zu kommen. In Süd- In den Kommunen und Ländern geht das auch. Wenn afrika zum Beispiel besuchen südafrikanische Kinder eine Schule ein Energieeinsparungsprogramm aus be- den Problembereichen deutsche Schulen und erhal- schließt, neue Fenster einbaut und die Schüler lehrt, wie ten dadurch bessere Bildungsmöglichkeiten. man richtig lüftet, dann ist es Usus, dass die eingesparten Insofern vernachlässigen wir die Schulen mitnichten; Mittel zur Hälfte dem Investor, der diese Investitionen wir betrachten sie vielmehr als Begegnungsstätten. Das abschreibt, und zur anderen Hälfte der Schule für Pro- ist ein entscheidender Punkt. grammarbeit überlassen werden. Das streben wir bei den Institutionen auch an. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Günter Nooke [CDU/CSU]: Das steht aber nicht in Ih- Wenn man die Mittel für die Budgetierung deckelt, rem Antrag! Dann müssen Sie den Antrag dann spricht in meinen Augen nicht viel dagegen, das noch erweitern!) auch auf Bundesebene so zu machen. Dann sind die Leute vor Ort motiviert einzusparen. Dann fallen auch Wir haben jetzt weitereKooperationen vorgenom- die jährliche Hatz aufgrund der Kameralistik und dasmen. Auch das ist eine neue Methode. Goethe-Institute Novemberfieber weg. Davon haben alle etwas und wir haben vor Ort gemeinsam mit anderen europäischen sparen zusätzlich Geld. Das ist das Entscheidende. Ländern – mit Frankreich, Spanien und England – Lese- säle eröffnet. Mit der Robert-Bosch-Stiftung werden die- Die Kultur- und Bildungspolitik ist ein zentraler Be- ses Jahr unter anderem in Rumänien weitere zehn deut- standteil der allgemeinen Außenpolitik und mehr als sche Kulturzentren eröffnet. In Kooperation wird mehr nur die dritte Säule. Ihre Aufgaben werden noch zuneh- erreicht als im Alleingang. men. Sie werden angesichts vielfältiger Konflikte auch wichtiger. Wir können das in Afghanistan beobachten. Des Weiteren werden ehemalige Institute in Koopera- Der Aufbau bzw. der Erhalt von kultureller Infrastruktur tion mit Städten oder Universitäten in Goethe-Zentren wird trotz der täglichen Existenzprobleme, die die Men- umgewandelt. Das ist für Europa besonders wichtig, weil schen haben, begeistert aufgenommen. Die Wiedereröff- immer wieder über Schließungen diskutiert wird. Wir nung des Goethe-Instituts in Kabul im letzten Septem- müssen aber keine Einrichtungen schließen, sondern wir ber, die immense Nachfrage nach Deutschkursen undmüssen die Entwicklung in Europa betrachten. Wir sind das Lechzen nach Kultur sprechen Bände. Das dientein vereintes Europa, in dem wir auch gemeinsam arbei- auch unserer Zukunft, denn wer, wenn nicht die jungen ten müssen. Die eigentliche Arbeit der Goethe-Institute Leute, sind die Träger von Sympathie und diejenigen, muss in anderen Ländern, beispielsweise in arabischen 8784 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Monika Griefahn (A) Ländern oder in Südamerika, durchgeführt werden. Vor ten und sicherlich auch weiterhin konstruktiv an diesen (C) Ort in Europa sind andere Kooperationen zu gestalten, Fragen arbeiten werden. die auch entsprechend kostengünstiger sind. Das ist klar, Herzlichen Dank. weil es ein anderes System ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜND- DIE GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Dass wir den Vorschlägen imKoch/Steinbrück- Präsident Wolfgang Thierse: Papier zur auswärtigen Kulturpolitik nicht folgen wol- Ich erteile dem Kollegen Werner Hoyer, FDP-Frak- len, ist klar. tion, das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der FDP) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP]) Dr. Werner Hoyer (FDP): Denn das würde neben der Schließung von acht bis Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zehn Goethe-Instituten und der Streichung von rundMeine Damen Staatsministerinnen, ich freue mich sehr, 1 000 ausländischen Promotionsstipendien vom DAAD Sie hier zu sehen, aber ich fände es noch besser, wenn der bedeuten, dass bei der Alexander-von-Humboldt-Stif- Bundesaußenminister heute anwesend wäre und seine tung 300 ausländische Spitzenwissenschaftler wegfallen. Vorstellungen von der Bedeutung der auswärtigen Kul- Diese Zahlen gelten pro Jahr! Dass wir das nicht wollen, turpolitik zum Besten geben würde. Die beiden Gäste, die ist klar. Ich denke, wir arbeiten gemeinsam daran, dass er heute Morgen in dieser Stunde empfängt, hätten mit Si- das nicht passiert. cherheit so viel Respekt vor dem Parlament, dass sie ihm die Teilnahme an dieser Sitzung ermöglicht hätten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Wir wollen auch nicht die Programmarbeit in Latein- Es ist für die auswärtige Kulturpolitik nie leicht ge- amerika oder in Afrika – auch dieser Kontinent wirdwesen, Mittel zu beschaffen, Geld locker zu machen. Es leicht vergessen – zur Disposition stellen. Deswegen,hat auch immer wieder Rückschläge gegeben. Aber im Großen und Ganzen ist es nach hartem Kampf eigentlich denke ich, müssen wir nach Wegen suchen. Ich habe die immer wieder gelungen, der auswärtigen Kulturpolitik Wege aufgezeigt. Wir werden sehen, wie wichtig die einen angemessenen Platz im Bundeshaushalt zu ver- Kulturarbeit noch wird. schaffen. So schwankte der Anteil der auswärtigen Kul- (B) Es wird immer wieder gefragt, wie man zum Beispiel turpolitik in der ersten Hälfte der 90er-Jahre stets um(D) mit radikalisierten Islamisten Dialoge führen soll. 2,6 Promille des Gesamtetats. Dieses Niveau zu halten Zwar gibt es radikalisierte Menschen, mit denen keine war keine Selbstverständlichkeit, sondern Kampf. Dialoge möglich sind, aber es gibt auch eine große (Vorsitz: Vizepräsident Dr. ) Menge von Neugierigen, die aber eine gewisse Skepsis aufweisen und mit denen die Dialoge zu führen undAber seit 1999 geht es bergab. Der Anteil der auswärti- Kontakte möglich sind. Diese Menschen müssen wir er- gen Kulturpolitik am Gesamtetat liegt seither deutlich reichen. unter 0,25 Prozent. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Monika Griefahn [SPD]: Was war 1996, Herr DIE GRÜNEN) Hoyer? In Ihrer Zeit als Staatsminister sind ganz viele Institute geschlossen worden!) Wir sehen doch im Iran, in Indien, Indonesien und in an- deren islamischen Ländern, dass es ein Bedürfnis nach Der Anteil der auswärtigen Kulturpolitik am Gesamtetat entsprechenden Kontakten gibt. Man kann doch nicht al- des Auswärtigen Amtes ist von einst 33 Prozent auf mitt- les auf die kleine Schar von radikalisierten Islamisten re- lerweile 25 Prozent gesunken. duzieren, sondern es gibt eine große Menge von Men- Beim Schließen von Instituten gab es sehr schmerz- schen, die an Deutschland und an Europa ein großeshafte Entscheidungen, aber auch Fehlentscheidungen. Interesse haben, auch als Gegenpol oder Ergänzung zu Ich denke an Reykjavik. Sie selber haben vorhin Bei- den Vereinigten Staaten. Darin liegt unsere Chance. Das spiele genannt – Sie haben Italien angesprochen –, an ist der aktive Beitrag zur Friedenssicherung, den ich für denen deutlich geworden ist, warum man in bestimmten sehr wichtig halte und von dem ich meine, dass wir da- politischen Situationen umschichten muss. mit sehr viel erreichen können. Übrigens sollten wir auf der Mitgliederversammlung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ des Goethe-Instituts am kommenden Montag noch ein- DIE GRÜNEN) mal darüber reden, ob es tatsächlich richtig ist, zu sagen, dass wir keine deutsche auswärtige Kulturpolitik inner- Ich glaube, unsere Hauptaufgabe wird sein, gemein- halb der Europäischen Union mehr brauchen, da Eu- sam die Anstrengung zu unternehmen, die Budgetierung ropa gänzlich vereint ist. Ich halte das für einen falschen einzuführen, um einen flexibleren Umgang mit den vor- Ansatz. handenen Mitteln zu ermöglichen. Ich denke, dass wir in unserem Ausschuss und in diesem Hohen Hause eine ge- (Monika Griefahn [SPD]: Deswegen habe ich von meinsame Position zur auswärtigen Kulturpolitik vertre- den Kooperationsmodellen gesprochen!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8785

Dr. Werner Hoyer (A) Der Bundesaußenminister hat deutlich gemacht, dass Sie tragen seit mehr als zehn Jahren mit 1,5 Prozent Jahr (C) der Kahlschlag in den nächsten Jahren noch verschärft für Jahr zu den Stellenkürzungen bei und beteiligen sich werden müsse. Christof Siemes hat vorgestern in derselbstverständlich auch daran, für das jeweilige Ressort „Zeit“ zu Recht beklagt: die globale Minderausgabe zusammenzukratzen. Übri- gens, eine Fusionsrendite ist allerdings beim Goethe- Die auswärtige Kulturpolitik wird endgültig zu- Institut nie angekommen, wie das versprochen worden grunde gespart. war, als Goethe-Institut und Inter Nationes fusioniert Dieser Kahlschlag hat einen Namen: . wurden. Es würde sich lohnen, auch über dieses Thema noch einmal zu diskutieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt sollen aber die Mittlerorganisationen der aus- Dem Bundesaußenminister kommt zwar der Spruch von wärtigen Kulturpolitik doppelt zur Kasse gebeten wer- der auswärtigen Kulturpolitik als der dritten Säule der den: zuerst im Rahmen der allgemeinen Finanzmaßnah- auswärtigen Politik leichtüber die Lippen. Aber ermen, von denen alle Bundesressorts und ihre kämpft nicht für ihre materielle Ausstattung. Er kämpft nachgeordneten Dienststellen betroffen sind, und dann hier nicht für sein Haus. durch die besondere Berücksichtigung im Koch/ (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Steinbrück-Papier. Das ist unsachgemäß und unsystema- tisch. Das ist, wie heute die „Süddeutsche Zeitung“ zu Wie ist es sonst zu erklären, dass schon bei den Verhand- Recht schreibt, eine „intellektuelle Zumutung“. lungen im Vermittlungsausschuss über Koch/ die Steinbrück-Liste zum Subventionsabbau klar war, dass Wenn der Begriff der Subvention irgendwo fehl am einige Ressorts, die durchaus auch auf dem Gebiet der Platz und der Begriff der Investition irgendwo angemes- auswärtigen Kulturpolitik tätig sind, wie zum Beispiel sen ist, dann hier. Das meine ich nicht nur im wirtschaft- das Bundeskanzleramt und das BMZ, ungeschoren da- lichen, sondern durchaus auch im politischen und kultu- vonkommen, die Zuwendungsempfänger im Geschäfts- rellen Sinne. Die auswärtige Kulturpolitik trägt nämlich bereich des Auswärtigen Amtes aber voll betroffen sind, zum Erfolg der Friedenspolitik aktiv bei, sie steigert das und zwar auch dann, wenn sie systematisch überhaupt Ansehen Deutschlands in der Welt, sie fördert die wis- nicht in die Liste der Subventionsempfänger hineinpas- senschaftliche Vernetzung unseres Landes, sie begründet sen. Freundschaften und Partnerschaften und – last, but not least – flankiert sie eben auch die Außenwirtschaftspoli- Es ist schon absurd, dass Auslandsmedienarbeit,tik unseres Landes. wenn sie bei der Kulturstaatsministerin oder im BMZ ressortiert, von den Kürzungen ausgenommen wird, Nach dem 11. September 2001 hieß es: Auswärtige (B) wenn sie aber beim Goethe-Institut zu Buche schlägt,Kulturpolitik ist ein Instrument präventiver Konflikt- (D) voll von der Kürzungskeule erfasst wird. Dabei war Herr entschärfung. Als es dann um die Verteilung der Anti- Fischer in seiner Eigenschaft als heimlicher Bundesvor- terrormittel ging, war davon nicht mehr viel zu spüren. sitzender der Grünen doch in den entscheidenden (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Besprechungen der Parteivorsitzenden im Rahmen des Vermittlungsverfahrens persönlich beteiligt. Er hätte Es macht keinen Sinn, einerseits von „Eliteuniversitä- aufgrund guter Beratung seines Hauses wohl einigenten“ zu schwadronieren und andererseits den internatio- Unsinn verhindern können. Er hat darauf verzichtet und nalen Wissenschaftleraustausch lahm zu legen. Welch übernimmt deshalb die Hauptverantwortung für eine au- ein horrender, welch ein grausamer Widerspruch! ßenpolitisch, kulturpolitisch und bildungspolitisch un- verantwortliche Weichenstellung. Zu Recht schreibt der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) „Tagesspiegel“ gestern: Es ist uns im Kreise der Haushälter in den letzten Jah- Es ist … die alleinige Verantwortung des Außen- ren gelungen, einige Aspekte der auswärtigen Kulturpo- ministers, wenn er in seinem Haushalt die Kultur litik besonders hervorzuheben und neue Schwerpunkte überproportional zur Kasse bittet. zu setzen. Wir Parlamentarier haben den Haushalt der auswärtigen Kulturpolitik gegenüber dem Regierungs- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) entwurf in den letzten Jahren deutlich erhöht, und zwar Es herrschte bis vor kurzem Konsens darüber, dass es vor allem, um der strategischen Rolle derdeutschen zweckmäßig ist, den Spagat zwischen Staatsnähe undAuslandsschulen gerecht zu werden und um den Hoch- Politikferne der Kulturmittler dadurch zu erleichtern,schulstandort Deutschland attraktiver zu machen. Ich dass man diesen Bereich originärer staatlicher Tätigkeit hoffe, die Gemeinsamkeit der Haushälter auf diesem Ge- auslagert, rechtlich verselbstständigt und damit ein ho- biet wird auch in diesem Jahr wieder dazu führen, dass hes Maß an Eigenverantwortlichkeit und Unabhängig- das Allerschlimmste noch verhindert werden kann. Es ist keit schafft, aber natürlich ohne den Staat aus seiner Ver- allerdings wirklich an derZeit, alle Alarmglocken zu pflichtung zu entlassen. Umgekehrt ist es daher durchaus läuten; es ist fünf vor zwölf. Es kann noch etwas gesche- nachvollziehbar, dass dieMittlerorganisationen der hen; das Schlimmste kann noch etwas entschärft werden. auswärtigen Kulturpolitik solidarisch ihren Beitrag zur Strengen wir uns alle gemeinsam dabei an! Haushaltssanierung leisten müssen. Sie tun dies auch. Herzlichen Dank. Dementsprechend sind diese Organisationen auch von den allgemein verordneten Stellenkürzungen betroffen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 8786 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

(A) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) Ich erteile das Wort für die Bundesregierung der und bei der SPD – Günter Nooke [CDU/CSU]: Staatsministerin Kerstin Müller. Gucken Sie doch einmal auf den relativen An- teil Ihrer Mittel!) Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen Wir leben aber nun einmal – das ist Ihnen möglicher- Amt: weise entgangen, obwohl ich mir das nach den Debatten Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heu- über Maastricht gar nicht vorstellen kann – in Zeiten tige Debatte und die jüngste Diskussion über Kürzungen knapper Kassen. Ich sage hier sehr deutlich: Die Solida- im Kulturhaushalt machen eines besonders deutlichrität gebietet, dass sich das Auswärtige Amt und auch – Herr Nooke, da sind wir uns in der Tat einig –: Diedie Kulturmittler an Einsparungen beteiligen. auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist vor allen Din- Etwas anderes sage ich hier auch ganz deutlich – da gen angesichts neuer Bedrohungen mehr denn je ein un- scheint ja zumindest bei den Kulturpolitikern im Hohen verzichtbarer Bestandteil einerumfassenden Außen- Hause Einigkeit zu bestehen –: Wir können es nicht hin- und Sicherheitspolitik. nehmen, wenn in denKoch/Steinbrück-Vorschlägen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN davon gesprochen wird, Ausgaben für die auswärtige und bei der SPD) Kultur- und Bildungspolitik seien Subventionen, die ab- gebaut werden müssen. Dazu kann ich nur sagen: Dieser Das ist vor allem auf unseren sicherheitspolitischen Subventionsbegriff ist absurd. Das hat der Außenminis- Ansatz – auch er ist inzwischen parteiübergreifend Kon- ter auch an jeder Stelle von Anfang an sehr deutlich ge- sens – zurückzuführen. Dieser Ansatz geht weit über mi- sagt. litärisches Engagement hinaus: Es geht um politische, ökonomische, gesellschaftliche und auch kulturelle Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dingungen und Entwicklungen, um dem komplexen und und bei der SPD) multidimensionalen Charakter von Krisen und Konflik- Der Kulturaustausch – Herr Kollege Hoyer, ich stimme ten Rechnung zu tragen. Dabei spielt gerade der Kultur- Ihnen zu – ist keine Subvention, sondern eine wichtige dialog eine bedeutende Rolle. Ich möchte in diesem Zu- Investition in die Zukunft. Es bringt uns überhaupt sammenhang drei Beispiele nennen: nicht weiter, wenn solche Dinge als Subvention bezeich- Erstens. Den Kampf gegen den internationalen net werden. Terrorismus werden wir nicht gewinnen, wenn wir ihn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht auch als kulturelle Herausforderung begreifen. und bei der SPD) (B) Deshalb ist es für unsere Außenpolitik von zentraler Be- (D) deutung, dass wir mit der islamischen Welt den Dialog An etwas anderes möchte ich Sie jetzt aber auch erin- über kulturelle Modernisierung suchen, nern, meine Damen und Herren von der Opposition: Herr Ministerpräsident Koch ist meines Wissens noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht Mitglied der Grünen geworden. und bei der SPD) (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Bei uns auch nicht!) etwa um – Herr Nooke, darum geht es – jungen Men- schen in den islamischen Ländern eine Perspektive, zum Die Koch/Steinbrück-Vorschläge wurden aber auch von Beispiel was Bildungschancen angeht, zu geben und um den Bundesländern, in denen Sie regieren und auch die ein Abdriften in den Extremismus zu vermeiden. FDP mitregiert, (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Aber nicht bei Zweitens. Auch in der Prävention und Bewältigung Herrn Koch!) von Krisen hat die auswärtige Kultur- und Bildungspo- litik als Teil der Außenpolitik große Bedeutung gewon- im Vermittlungsausschuss beschlossen. Tun Sie doch nen. Ob auf dem Balkan oder in Afghanistan: Was das hier nicht so, als trage dafür nur die Koalition oder gar Auswärtige Amt und die Mittlerorganisationen dort leis- nur der Außenminister die Verantwortung. ten, ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Stabilisierung des Friedens. So haben wir zum Beispiel in Afghanistan (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Höchstpersönlich!) – das war ein wichtiger Beitrag, mit dem wir dort voran- Das ist nun wirklich völliger Blödsinn. Sie alle tragen gegangen sind – ein Goethe-Institut wieder eröffnet. aufgrund der Beschlüsse des Vermittlungsausschusses dafür auch selbst Verantwortung. Drittens. Vergessen wir auch nicht: Wir erleben die außenpolitische Bedeutung des Kulturdialogs seit Jahr- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zehnten in Europa; schließlich ist die Erfolgsgeschichte und bei der SPD – Zuruf von der SPD: Die der europäischen Integration nicht zuletzt ein Ergebnis verschwinden immer an den Büschen, wenn’s des intensiven Austauschs im Bereich Kultur und Bil- ernst wird!) dung. Außerdem möchte ich Sie auch noch einmal an Ihre Herr Nooke, ich will Ihre Behauptung, es gebe keinen steuerpolitischen Vorschläge erinnern, nicht nur an die Bereich, den wir so vernachlässigt hätten, hier ganz klar gerade von der CDU beschlossenen, sondern erst recht an zurückweisen. Das Gegenteil ist der Fall. Diese Behaup- die von der FDP. Wenn diese steuerpolitischen Vor- tung ist geradezu abwegig. schläge realisiert würden, dann würden staatliche Leis- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8787

Staatsministerin Kerstin Müller (A) tungen doch erst recht gekürzt. Dann würde wahrschein- haltsberichterstatter für den Etat des Auswärtigen Amts (C) lich gar nichts mehr für die auswärtige Kulturpolitikund auch Mitglied des Unterausschusses für auswärtige übrig bleiben. Kulturpolitik, den es damals noch gab. Ich erinnere mich gut daran, dass wir damals eine kämpferische Zeit hat- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ten. Es gab Auseinandersetzungen um die politische und Ich finde es heuchlerisch, wenn man das in dieser De- manchmal auch ideologische Ausrichtung der dritten batte nicht erwähnt. Deshalb können Sie sich das Gejam- Säule der bundesdeutschen Außenpolitik. Es gab Aufre- mere auch wirklich sparen. gung um die richtige Vermittlung des Deutschlandbildes bzw. über die Vermittlung des richtigen Deutschlandbil- (Günter Nooke [CDU/CSU]: Da klatscht ja des. In dieser Auseinandersetzung flogen manchmal die keiner! – Dr. Werner Hoyer [FDP]: Unser Sub- Fetzen. Legendär ist inzwischen die Rede von Franz ventionsbegriff ist glasklar!) Josef Strauß beim Goethe-Institut in München und die Jedenfalls hat sich Minister Fischer persönlich in der Antwort des damaligen Ministerpräsidenten von Nord- Bundesregierung durch intensive Gespräche dafür einge- rhein-Westfalen, Johannes Rau, an gleicher Stelle. Das setzt, dass es keine weiteren Kürzungen in der auswärti- hat damals nicht geschadet. Da stand die auswärtige gen Kulturpolitik mehr gibt. Kulturpolitik im Mittelpunkt des deutschen Interesses. Darum kümmerte sich auch der Außenminister persön- (Zuruf von der CDU/CSU: Vergeblich!) lich, der heute wieder nicht anwesend ist. Ich kann Ihnen heute die erfreuliche Mitteilung machen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dass ich optimistisch bin, dass es uns gelingen wird, die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik weitgehend von Da waren viele Kräfte daran interessiert, dass es voran- den Koch/Steinbrück-Kürzungen auszunehmen. geht. Heute plätschert alles so dahin und wir werden mit Zahlen gefüttert, die hinten und vorne nicht stimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) In den vergangenen zehn Jahren hat sich natürlich in- haltlich viel verändert, einerseits, weil die Zeit weniger Auch im Haushaltsauschuss wurde gestern von den Ko- von Ideologie geprägt ist, andererseits wegen neuer tech- alitionsfraktionen ausdrücklich erklärt, dass Einsparun- nischer Möglichkeiten. Ich besuche jetzt wieder manch- gen in der auswärtigen Kulturpolitik vermieden werden mal Goethe-Institute oder Auslandsschulen. Da merkt sollen. Das, meine Damen und Herren, ist, wie ichman schon, dass da viel Neues entstanden ist. Es ist Gott glaube, eine gute Nachricht für die deutsche Außenpoli- sei Dank von den Trägern und den Mittlerorganisationen tik. sehr gut aufgegriffen worden. Die neue Zeit ist genutzt (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) worden. (D) Nun möchte ich noch etwas Versöhnliches sagen: Eine weitere Veränderung hat sich aber leider wegen Dass wir uns in diesem Hohen Hause in der Frage der schrumpfender Ressourcen ergeben. Geblieben ist die Wichtigkeit der auswärtigen Kulturpolitik einig sind,Auffassung, dass die auswärtige Kulturpolitik im Rah- sieht man daran, dass unsere Auffassungen bezüglichmen einer auf Friedenserhaltung, Konfliktprävention der Inhalte und Ziele der auswärtigen Kulturpolitik nah und Verwirklichung der Menschenrechte ausgerichte- beieinander liegen. Die heutige Debatte hat ja gezeigt, ten Außenpolitik große Bedeutung hat und unverzichtbar dass wir uns fraktionsübergreifend im Grundsatz über ist. Das kam heute mehrfach zum Ausdruck. An diesem die große Bedeutung des Kulturaustausches als eines Punkt werden wir uns wahrscheinlich auch in Zukunft zentralen Feldes der deutschen Außen- und Sicherheits- gemeinsam treffen. Aber weil die auswärtige Kulturpoli- politik einig sind. Deshalb hoffe ich auch in Zukunft auf tik so wichtig ist, muss auch die Konsequenz gezogen Ihre Unterstützung, wenn es darum geht, gemeinsamwerden, dass mehr dafür getan wird. – das liegt in unserem Interesse und entspricht der Inten- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tion des Ministers – die auswärtige Kultur- und Bil- dungspolitik zu stärken. Als Mitglied nicht des Ausschusses für Kultur und Medien, sondern des Auswärtigen Ausschusses betone Vielen Dank. ich: Die dritte Säule der Außenpolitik, nämlich unser (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kulturaustausch, hat nach dem 11. September 2001 und bei der SPD) eine zusätzliche Bedeutung gewonnen. Angesichts des schlimmen Geschehens in Madrid wird es noch wichti- ger werden, den Austausch zwischen den Kulturen in der Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Welt zu fördern. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Klaus Rose, CDU/CSU-Fraktion. Ich möchte der Bundesregierung durchaus zugeste- hen, dass sie im Rahmen des neuen Kulturkonzepts (Beifall bei der CDU/CSU) „Konzeption 2000“ bemüht ist, eine effektive auswärtige Kulturpolitik zu betreiben. Gemessen an den hehren Tö- Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): nen, die ich aus früheren Zeiten noch im Ohr habe, muss Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich be-ich aber feststellen: Erstens. Sie kochen nur mehr mit ginne, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit einer persön- Wasser, mit schalem Wasser. Zweitens. Die auswärtige lichen Vorbemerkung: Von 1983 bis 1994 war ich Haus- Kulturpolitik steht leider nicht mehr im Mittelpunkt des 8788 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Dr. Klaus Rose (A) politischen Ringens in Deutschland. Drittens. Der Ton sche Forschungsgemeinschaft und andere erwähnen. Sie (C) im Kampf um die Mittel wird wieder härter. Aber da-sind unendlich wichtig, weil sie ein Netzwerk von deut- rüber freue ich mich, weil es absolut nicht falsch seinschem Kulturaustausch in aller Welt bilden und weil wir muss, wenn man sich stärker einsetzt und wenn auf allen auf ihnen aufbauen können; man weiß, welche Verbin- Seiten gekämpft wird. Dabei können ruhig auch schär- dungen man dort über Jahrzehnte haben kann. Früher ha- fere Töne fallen, Ihnen gegenüber sowieso, verehrteben wir diesen Organisationen empfohlen, sich zusätz- Frau Staatsministerin. lich zu staatlichen Geldern um Sponsoring zu bemühen, um die Mittel zu erhöhen. Heute sind sie, weil die öffent- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lichen Mittel nicht mehr fließen, darauf angewiesen, sich Ich zeige Ihnen einmal die nackten Haushaltszahlen mit Wirtschaftsgeldern über Wasser zu halten. Das kann auf und bitte Sie, sich das anzuhören, weil Sie nämlich doch nicht im Sinne einer Förderung der auswärtigen immer etwas anderes sagen oder um den heißen Brei he- Kulturpolitik sein. Ich höre geradezu die früheren FDP- rumreden. Die Haushaltszahlen stehen in Ihren Berich- bzw. SPD-Kollegen Hamm-Brücher und , ten. Von 2001 bis 2003 gab es eine Einsparung von circa die noch gekämpft, sich aufgeregt und gefordert haben, 23 Millionen Euro. Der Bericht der Bundesregierungdass es mit der auswärtigen Kulturpolitik aufwärts gehen von 2001 sagt selbst, wasdas bedeutet: „Einschnitte in müsse. einigen Bereichen der Auslandskulturarbeit bis an die Grenze dessen, was ohne Substanzverlust geleistet wer- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: den konnte“. Das ist euphemistisch, höflich beschrieben. Herr Kollege Rose, Ihre Redezeit! Die Wirklichkeit ist anders, vor allem jetzt im Jahr 2004. Die Ankündigungen, die wir alle hören, deuten darauf Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): hin, dass wir bis zum Haushalt 2008 noch einmal Die acht Minuten Redezeit, die mir zustehen, sind mit 12 Prozent Kürzung bekommen. Ich glaube nämlich Sicherheit noch nicht um. nicht, dass sich Herr Fischer mit seinem Begriff von Kultur – den ich bisher nicht so richtig kennen gelernt habe – durchsetzen wird. 2008 ist er sowieso nicht mehr Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: im Amt, aber er wird sich auch vorher nicht durchsetzen. Ich habe deswegen die vorgegebene Redezeit großzü- gig interpretiert. Der Budgetanteil der auswärtigen Kulturpolitik am Bundeshaushalt ist von 1993 bis 2004 von 0,27 Prozent (CDU/CSU): auf 0,22 Prozent zurückgegangen. Dr. Klaus Rose Ich habe schon am Anfang meiner Rede gesehen, dass (B) (Dr. Werner Hoyer [FDP]: So ist es!) eine Redezeit von sechs Minuten eingestellt war, obwohl (D) ich acht Minuten habe. Das ist für mich aber jetzt nicht Das Auslandsschulwesen – von den 117 Auslands- wesentlich. schulen habe ich persönlich etwa 50 besucht und dort Diskussionen geführt – muss mit rückläufigen Mitteln Das Wesentliche ist, dass wir in den nächsten Mona- auskommen. Der Schulfonds wird laufend verringert.ten in den zuständigen Ausschüssen – vor allem im Ich will die Zahlen hier nicht erwähnen, aber sie sindHaushaltsausschuss – massiv für die auswärtige Kultur- nachzulesen und nachweisbar. Es gibt kaum mehr eine politik eintreten, Forderungen durchboxen und nicht nur Schule, die nicht betroffen ist. darüber reden. Ich sage noch einmal: Es dürfen ruhig schärfere Töne anklingen; denn nur so fällt man auf. Ich (Monika Griefahn [SPD]: Die Schulen sind hoffe sehr, dass wir trotz aller Probleme, die es an ande- gut ausgestattet!) rer Stelle gibt, gut zusammenarbeiten. Sie können sich vorstellen, welche Freude in vielen Or- (Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Sie sollten ten der Welt gegenüber Deutschland aufkommt. Man er- einmal zuhören, wenn Leute vorher etwas be- lebt, wie sich die Kinder dort bemühen. Aber man hört richten!) dauernd, wie schwierig es geworden ist. Sie haben stolz Kabul erwähnt. Ich war bereits 1986 in Kabul amIch möchte zum Abschluss sagen: Wir sollten ge- Goethe-Institut. Dass wir jetzt wieder dorthin können, meinsam um die beste Lösung ringen. Wir werden Sie haben wir unter anderem der NATO und der Bundes-natürlich auch weiterhin kontrollieren und aktiv werden, wehr zu verdanken. Was 1986 in Ihren Kreisen über die wenn Sie nur reden und nicht handeln. NATO und die Bundeswehr geredet wurde, will ich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – heute gar nicht erwähnen. Monika Griefahn [SPD]: Wir handeln! So eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Doppelbödigkeit! – Horst Kubatschka [SPD]: Gut kennt er sich nicht aus!) Aber dass Sie sich hier hinstellen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, und verkünden, dass endlich wieder etwas geschehen sei, ist schon ein Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: bisschen seltsam. Lieber Kollege Rose, ich weise Sie darauf hin – das wird Sie vielleicht trösten –, dass zwar die eingestellte Ich möchte auch die verdienstvollenMittlerorgani- Redezeit eine andere als die von den Geschäftsführern sationen wie den Deutschen Akademischen Austausch- angemeldete war, dass aber die vom Präsidenten zuge- dienst, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die Deut- standene Redezeit etwas mehr als die vorgesehene war. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8789

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) (Heiterkeit – Horst Kubatschka [SPD]: Eine wenngleich auch hier allgemein die Spielräume sehr eng (C) lammertsche Formulierung! – Dr. Wolfgang sind. Schäuble [CDU/CSU]: Das ist ausgleichende Ich freue mich, Frau Staatsministerin, dass anschei- Gerechtigkeit! Außerdem war er gut!) nend noch gelungen ist, neue Wege für die Reduktion Nun erteile ich dem Kollegen Lothar Mark das Wort der Summen, die im Koch/Steinbrück-Papier stehen, zu für die SPD-Fraktion. finden. (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Innerhalb des Lothar Mark (SPD): Etats!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Nur, man muss, um dies letztendlich beurteilen zu kön- heutige Debatte zur auswärtigen Kulturpolitik fällt innen, wissen, wie hoch die geforderten Beträge sein wer- eine Zeit, in der zu Recht mehrfach darauf hingewiesen den. wurde, dass das Koch/Steinbrück-Papier auf die aus- wärtige Kulturpolitik genauso wenig angewandt werden In beiden Anträgen wirdzu Recht darauf hingewie- dürfe wie auf die Binnenkultur. sen, dass die Ausgaben für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in den letzten zehn Jahren kontinuierlich (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Antje zurückgegangen sind und nun bei 558 Millionen Euro Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) liegen, was circa 26 Prozent des Gesamthaushaltes des Auswärtigen Amts entspricht. Investitionen in die Kultur – auch das haben wir mehrfach gehört – sind keine Subventionen. Sie sind Aufgrund der in dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion rentierliche Investitionen in die Zukunft, die dazu beitra- geäußerten Behauptung, kein Bereich der auswärtigen gen, das Bild Deutschlands als einer Kultur- und Bil-Politik sei in den vergangenen Jahren so vernachlässigt dungsnation in der Welt zu verbreiten und zu festigen. worden wie die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, Letztendlich sind sie aber auch wirtschaftsfördernd. sehe ich mich gezwungen, auf einige Erfolge im Bereich der AKBP hinzuweisen. Auch weise ich dezidiert darauf Die heute hier vorliegenden Anträge, die sich für eine hin, Stärkung der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik aussprechen, sind zunächst einmal zu begrüßen; denn sie (Zuruf des Abg. Günter Nooke [CDU/CSU]) bestätigen die Bedeutung, die das Parlament der Kultur dass sich einige der in Ihrem Antrag genannten Zahlen, beimisst. Herr Nooke, nicht nachvollziehen lassen. Im letzten Jahr Als Außenpolitiker und Berichterstatter der SPD-konnten die Mittel für Stipendien- und Wissen- schaftsprogramme mit 132 Millionen Euro im Ver- (B) Fraktion für den Haushalt des Auswärtigen Amtes habe (D) ich natürlich zwei Seelen in meiner Brust. In den Haus- gleich zu 1993 einen nominalen Zuwachs verzeichnen. haltsdebatten im Jahr 2003 hatte ich mich angesichts der Der Prozess der Schließungen vonGoethe-Instituten starken Kürzungen, denen sich auch das Auswärtigekonnte gestoppt werden; darauf hat Monika Griefahn Amt unterwerfen musste, dafür ausgesprochen, aufgrund hingewiesen. In Kabul wurde eine neue Zweigstelle er- der wachsenden Anforderungen an die deutsche Politik öffnet. In Schanghai, Teheran und Algier werden weitere in der Welt dieses Amt von weiteren gravierenden Kür- Eröffnungen folgen, sobald die politischen und techni- zungen auszunehmen. Dieser Appell galt insbesondere schen Umstände dies gestatten. bezüglich der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, Mit dem Ziel der Stärkung des europäischen Integra- der gerade im Bereich Krisenprävention, Konfliktbewäl- tionsprozesses in denErweiterungsstaaten der EU tigung und Stärkung der Zivilgesellschaft, aber auch bei wurden im Haushalt 2004 Gelder bereitgestellt, um ge- der Stärkung des europäischen Integrationsprozesses be- meinsam mit der Bosch-Stiftung neue Kulturzentren auf- sondere Verantwortung zukommt. zubauen. (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Die Horrorkür- Vor dem Hintergrund der internationalen Bedrohung zungsliste trägt die Namen Hermenau und durch Terror hat das Auswärtige Amt 2002 und 2003 Mark!) jeweils circa 5 Millionen Euro in europäisch- den islamischen Kulturdialog investiert. Davon werden im Angesichts der schwierigen Haushaltslage sehe ich Jahr 2004 fast 1 Million Euro allein in die kulturelle Zu- mich als Haushälter aber auch vor Sachzwänge gestellt, sammenarbeit mit dem Irak investiert. die Parlament und Bundesregierung zum Sparen zwin- gen. Immer stärkeren Anforderungen an die deutsche Auf die Situation in Afghanistan ist mehrfach hinge- Außenpolitik steht ein immer knapperes Staatsbudget wiesen worden; ich muss dies nicht wiederholen. gegenüber. Hier sind seit Übernahme der Regierungsver- Die Deutsche Welle wurde im letzten Jahr zusätzlich antwortung im Jahr 1998 kluges Handeln und Abwägen mit 1,2 Millionen Euro gefördert, um die Programmar- erforderlich. Ich begrüße deshalb auch, dass im Haus- beit in Afghanistan zu verstetigen. Auch in diesem Jahr haltsausschuss kürzlich Einigkeit wenigstens darüber er- sind erneut 600 000 Euro zusätzlich bewilligt worden. zielt werden konnte, dass das Auswärtige Amt durchDies sind Investitionen in den Aufbau der Zivilgesell- Umschichtungen im eigenen Einzelplan selbst entschei- schaft, die zugleich der Vermittlung unserer demokrati- den kann, wie die Koch/Steinbrück-Millionen erwirt-schen Werte in einer Krisenregion dienen. schaftet werden sollen. Ich schließe mich aber ausdrück- lich dem Wunsch des Bundesaußenministers an, dass (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des diese Mittel im Haushaltsvollzug zu erbringen sind, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 8790 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Lothar Mark (A) Meine Damen und Herren, ich kündige hier aber gegen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (C) über der Deutschen Welle an, dass ich vehement gegen die Einstellung des Spanischprogramms protestierenDies ist eine wesentliche Forderung in unserem Antrag. werde, Als Haushälter muss ich aber wiederum den Gesamt- haushalt im Auge haben. Der andere Teil der Einsparung (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des muss dem Finanzministerium zugute kommen. Hier un- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ terscheidet sich unser Antrag von dem der Opposition. CSU und der FDP) Da diese keine Regierungsverantwortung trägt, kann sie weil ich denke, dass dies kontraproduktiv im Hinblick verbal großzügiger sein. Dazu sage ich Ihnen, meine Da- auf die Politik ist, die wir ansonsten vertreten. men und Herren von der Opposition: Wären Sie in Ihrer Regierungszeit gewissenhafter mit dem Staatsbudget Beim Auslandsschulwesen konnten 2004 Kürzungen umgegangen, stünden wir heute nicht vor diesem riesi- verhindert werden. Ich glaube, dass dies angesichts des gen Schuldenberg bzw. den exorbitant hohen Zinszah- allgemeinen Kürzungstrends, der stattfand, bereits ein lungen, die uns in allen Politikfeldern die Grenzen auf- Erfolg war. Bei aller berechtigten Kritik, dass hier weit zeigen. mehr Finanzmittel erforderlich seien, haben die Spar- zwänge der letzten Jahre doch auch dazu geführt, auch in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der auswärtigen Kulturpolitik Innovationen und neues DIE GRÜNEN) Denken zu befördern. Ich verweise auf die vor zwei Jah- Tatsächlich verringerte sich der Anteil des auswärti- ren begonnene Reforminitiative des Auswärtigen Amts, gen Kultur- und Bildungshaushalts an den gesamten die auf mehr Effizienz, mehr Eigenverantwortung, fle- Ausgaben des Bundes von 0,26 Prozent auf circa xiblere Strukturen und modernes Personalmanagement 0,22 Prozent im Jahr 2004. Eine neuerliche Anhebung ausgerichtet ist. Die Mittlerorganisationen der auswärti- ist aber das Ziel und deswegen sind die Haushalts- und gen Kultur- und Bildungspolitik haben bewiesen, dass Finanzreform und viele andere Dinge in der Diskussion. sie Kosten senken, Stellen einsparen und Ressourcen zu- gunsten neuer Aufgaben und Initiativen verlagern kön- Bezüglich der angeblichen Halbierung der Mittel für nen. Ich halte es deshalb r fü falsch, dass eine solche die Sprachförderung, von der in Ihrem Antrag die Rede Strategie, die vielerorts eine hohe Effizienzrendite er- ist, möchte ich darauf hinweisen, dass es sich dabei um bringt, nicht belohnt werden soll. ein von 1993 bis 1995 befristetes Sonderprogramm han- delte. Es wurde von vornherein festgelegt, dieses Pro- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gramm wieder aufzugeben. Wie Sie darauf kommen, DIE GRÜNEN) dass die Mittel für die Programmarbeit von 118 Millio- (B) An dieser Stelle wiederhole ich mein seit langem ver- nen Euro im Jahr 1993 auf nun 51 Millionen Euro redu- (D) tretenes Credo für eine volle Budgetierung zunächst der ziert wurden, erschließt sich mir ebenfalls nicht. Haushalte der einzelnen Kulturmittler, die im Ausland Aufgaben des AA übernehmen. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. DIE GRÜNEN) Lothar Mark (SPD): Meines Erachtens sollte in einem nächsten Schritt, der Um versöhnlich zu schließen, lassen Sie mich sagen, gut vorbereitet werden muss, das gesamte Auswärtige dass die Forderung des CDU/CSU-Antrags nach einer Amt budgetiert werden, Bündelung der Haushaltstitel zur auswärtigen Kultur- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) politik in einem Ressort gerade auch vor dem Hinter- grund des Gesagten auf meine volle Sympathie stößt. wobei weitere Ministerien folgen sollten. Die Budgetie- Meine Vorstellungen dazu habe ich in meiner Rede zum rung wird zu mehr Flexibilität, zur Hebung der Eigenini- Haushalt vom November 2003 dargelegt. Dieses Thema tiative und Eigenverantwortung sowie zu weiterer Effi- sollten wir bei den vor uns liegenden Berichterstatterge- zienzsteigerung beitragen. sprächen gemeinsam aufgreifen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund mei- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ner Ausführungen bitte ich Sie um die Zustimmung zum Meine Kollegin Monika Griefahn ist bereits auf dasAntrag der Regierungskoalition. Thema Budgetierung eingegangen. Das jetzt geplante Vielen Dank. Pilotprojekt des Goethe-Instituts in Italien ist ein wichti- ger, wenn auch nach meiner Auffassung zu kleiner (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Schritt in die richtige Richtung. DIE GRÜNEN) (Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD]) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Die erwirtschaftete Effizienzrendite sollte zur Moti- Wenn im Übrigen die Haushälter bei den anstehenden vationssteigerung deshalb zumindest teilweise – icheinschlägigen Beratungen mit den Zuwachsraten für die meine aber: überwiegend – den Mittlern der auswärtigen Kulturpolitik ähnlich großzügig verfahren wie der Präsi- Kulturpolitik belassen werden. dent bei der Zuweisung der Redezeiten, wäre ein beacht- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8791

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) licher Teil der Probleme gelöst, die von allen Rednern Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie stel- (C) beklagt werden. len nun einmal auch die Bundesregierung und tragen für die Umsetzung dieser Subventionsabbauliste und damit (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem auch für die zukünftige Schließung von Goethe-Institu- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten und für die Streichung von Promotionsstipendien die Nun hat die Kollegin Gesine Lötzsch das Wort. Mitverantwortung. Ich finde es verwunderlich, dass die Ausgaben für Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): auswärtige Kulturpolitik und auch für die Stiftung Wis- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- senschaft und Politik plötzlich alsSubventionen be- ren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS. trachtet werden. Insofern schließe ich mich all denen, die das hier auch kritisiert haben, an. Ich hoffe nur, dass Sie Bundesminister Struck hat gestern die Bundeswehr Ihre Kritik auch entsprechend in der Realität umsetzen als die größte Friedensbewegung im Land bezeichnet. können. Darüber gab es schon einige Verwunderung. Ich habe in der Debatte um die Bundeswehrreform einen Vorschlag Wenn die Ausgaben für dieauswärtige Kulturpolitik zur Finanzierung der auswärtigen Kultur- und Bildungs- als Subventionen betrachtet werden, dann liegt es in der politik gemacht: Herr Struck gibt aus seinem 24 Milliar- Logik der Sache, dass auch die Ausgaben für die Rüs- den Euro umfassenden Haushalt 115 Millionen Euro ab, tungsprogramme der Bundeswehr als Subventionen be- um die Schließung von Goethe-Instituten im Ausland zu trachtet und damit in den Subventionsabbau einbezogen verhindern. werden müssen. (Beifall der Abg. [fraktionslos]) Als fraktionslose Abgeordnete hat man in diesem Haus nicht wirklich Vorteile. Doch ein Vorteil ist nicht Der bayerische Staatsminister Thomas Goppel will zu überschätzen: Man gerät nicht in die Gefahr, sich nur bei den Ausgaben für die Kultur im Inland kürzen, um mit einem Fachgebiet zu beschäftigen. Man muss sich die Kultur im Ausland zu finanzieren. Das finde ichmit allen Facetten der Politik der Bundesregierung be- nicht sinnvoll. Ich halte es auch für wenig überzeugend, fassen. Tag für Tag bin ich mehr darüber entsetzt, dass wenn der Außenminister die Kürzungen bei den Goethe- hier wirklich nichts zusammenpasst. Der Bundeskanzler Instituten, den Promotionsstipendien und den ausländi- hat noch vor ein paar Wochen das Jahr der Innovation schen Spitzenwissenschaftlerinnen und Spitzenwissen- verkündet und heute reden wir darüber, dass für junge schaftlern mit den Schwächen des Föderalismus begrün- Nachwuchswissenschaftler 1 000 Promotionsstipendien det. pro Jahr wegfallen sollen. Das ist weder zukunftswei- (B) (D) Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf send noch innovativ. Das müssen Sie ändern. Zimmermann, sagte völlig zu Recht: (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos] – Der deutsche Föderalismus mag für viele Unwäg- Monika Griefahn [SPD]: Das haben wir doch barkeiten in der Kulturpolitik verantwortlich sein, schon geändert!) an der Haushaltspolitik des Auswärtigen Amtes trägt er nun wirklich nicht die Schuld. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) Ich erteile der Kollegin Vera Lengsfeld, CDU/CSU- Fraktion, das Wort. Die von Bundesminister Fischer geplantenKürzungen gefährden bis zu 20 Goethe-Institute, 1 000 Promotions- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) stipendien sowie die Förderung von 300 ausländischen Spitzenwissenschaftlern. Vera Lengsfeld (CDU/CSU): (Zuruf von der SPD: Ihr habt doch gerade ge- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- hört, dass das nicht gemacht wird!) gen! Ein großzügig bemessener Etat für die auswärtige Kulturpolitik hat in den vergangenen Jahrzehnten maß- – Ich komme darauf gleich zu sprechen. geblich dazu beigetragen, das reichlich ramponierte An- sehen Deutschlands als Industrie- und Kulturnation in Bei meiner gestrigen Kritik an den Kürzungen gab es der Welt wiederherzustellen. Trotz dieser unbestreit- den Zwischenruf eines grünen Kollegen: Koch undbaren Bedeutung und des Erfolges der auswärtigen Kul- Steinbrück sind nicht die Bundesregierung. Augen-turpolitik für den Standort Deutschland ist, Frau Staats- scheinlich kennen auch die Mitglieder des Haushaltsaus- ministerin Müller, tatsächlich kein Bereich der schusses nicht das Schreiben – vielleicht haben sie esauswärtigen Politik in den vergangenen Jahren so ver- auch vergessen – des Staatssekretärs aus dem Finanzmi- nachlässigt worden wie gerade die auswärtige Kultur- nisterium, Herrn Diller, in dem er uns klipp und klar,und Bildungspolitik. schwarz auf weiß mitteilt, dass es eine Protokollerklä- rung der Bundesregierung gibt, in der sie sich verpflich- Ich finde es bezeichnend, dass unser Außenminister tet, die Koch/Steinbrück-Initiative zum Subventions- von nationaler Kultur- und Bildungspolitik als der drit- abbau auch in diesem Bereich umzusetzen. So steht es ten Säule der auswärtigen Politik nicht viel hält. Wie darin. Wenn Sie das korrigieren wollen, wünsche ich Ih- könnte er sonst solch drastische Kürzungen im Etat zu- nen dabei viel Erfolg. lassen? 8792 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Vera Lengsfeld (A) Sie haben hier mit bewegten Worten die Haushalts- rung, die Sie propagiert haben, meine Damen und Her- (C) notlage für die Kürzungen verantwortlich gemacht.ren von der Koalition, hat das alles nichts zu tun. Wort Schauen Sie sich aber den Haushalt Ihres Hauses und die und Tat passen nicht zusammen. Man kann nicht den von Ihnen zu verantwortenden Kürzungen einmal genau Bildungsstandort Deutschland fördern wollen und an. Dann werden Sie feststellen, dass unter Ihrer Verant- gleichzeitig die Ausgaben für die auswärtige Bildungs- wortung der Anteil der auswärtigen Kulturpolitik ampolitik zurückfahren. Ausnahmsweise schließe ich mich Gesamtetat des Auswärtigen Amtes von 33 Prozent auf hier einmal dem Argument meiner Kollegin von der 25 Prozent gesunken ist. PDS an. (Kerstin Müller, Staatsministerin: Falsch!) (Zurufe von der SPD: Oh!) Dafür sind Sie, der Außenminister und Ihr Haus verant- Ich muss nicht wiederholen, was sie zu den drastischen wortlich, niemand sonst. Kürzungen der Stipendien gesagt hat. Es ist immer die Krux für die letzten Redner, dass viele Argumente von (Beifall bei der CDU/CSU) den Vorrednern schon gebracht worden sind. Aber dieses Jetzt kündigt der Außenminister weitere Sparmaßnah- Argument ist tatsächlich so wichtig, dass man darauf men in seinem Kulturetat an, obwohl das Engagement noch einmal hinweisen muss. des Bundes für die auswärtige Kultur- und Bildungspoli- tik bereits heute unter den Stand der alten Bundesrepu- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: blik vor der Wiedervereinigung gefallen ist. Das ist Frau Kollegin Lengsfeld, bevor Sie jetzt der Versu- wirklich ein Armutszeugnis. chung erliegen, die Übereinstimmung mit der PDS breit Im Übrigen muss ich auch feststellen, dass es sichauszuwalzen, – während der Zeit der Regierung Kohl der Außenminister sowieso, aber auch der Bundeskanzler niemals nehmen Vera Lengsfeld (CDU/CSU): ließen, bei den Debatten über auswärtige Kulturpolitik Nein, so weit geht meine Übereinstimmung mit der anwesend zu sein. PDS nun wirklich nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Mark [SPD]: Wir werden überprüfen, Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ob das stimmt!) – muss ich Sie darauf hinweisen, dass dafür keine Re- dezeit mehr zur Verfügung steht. Das zeigt, welche Prioritäten die Regierung Kohl gesetzt hat. Wir sehen jetzt an den gähnend leeren Plätzen auf (B) der Regierungsbank, welche Prioritäten diese Regierung Vera Lengsfeld (CDU/CSU): (D) setzt. Gut, dann sage ich den berühmten letzten Satz: Wir brauchen keine Greencard, sondern ein Marketing für (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Damals hätte sich ein modernes Deutschland als Wirtschafts- und als Bil- auch das Finanzministerium nicht gedrückt!) dungsstandort; denn internationale Firmen und Studie- Damit korrespondiert, dass der Anteil der Mittel für die rende aus dem Ausland kommen am liebsten in ein auswärtige Kulturpolitik am Gesamtetat mit derzeitLand, von dem es in der Welt ein positives Bild gibt. 0,22 Prozent einen bisher nie dagewesenen Tiefstand er- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- reicht. neten der FDP) Eine Folge der kontinuierlichen Kürzungen ist, dass sich zum Beispiel die Mittel für die Sprachförderung Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: halbiert haben. Eine weitere Folge ist, dass die Mittel für Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin die allgemeine Programmarbeit, die das Bild prägen soll, Antje Vollmer, Bündnis 90/Die Grünen. das von der Kultur Deutschlands im Ausland besteht, von 118 Millionen Euro auf 51 Millionen Euro redu- Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ziert worden sind. Betroffen von den Sparplänen sind Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am neben dem Goethe-Institut auch der Deutsche Akademi- Ende der Debatte sage ich zunächst: Ich bin heilfroh um sche Austauschdienst und die Alexander-von-Humboldt- den Zeitpunkt dieser Debatte. Ich bin auch heilfroh um Stiftung. Davon war schon die Rede. Aber ich denke,den Alarm in allen Stellungnahmen – da spielt jeder man kann nicht oft und nicht nachdrücklich genug dar- seine Rolle – und um den öffentlichen Druck, den es ge- auf hinweisen, noch dazu in Anbetracht der Aussicht, geben hat; denn es war wirklich Gefahr im Verzuge. dass diese Etats bis 2007 um ein weiteres Drittel gekürzt werden sollen und es zu den Aufgaben des Deutschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Akademischen Austauschdienstes gehört, viel verspre- bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) chende Studenten und Wissenschaftler im Ausland zu Ich will aber nicht verkennen, dass am Anfang dieser fördern und mehr ausländische Studenten und auch Gefahr ein wirklich unglaublicher Skandal steht; einige Lehrkräfte für die hiesigen Universitäten zu interessieren haben schon darauf hingewiesen. Wie jemals die aus- und sie nach Deutschland zu holen. wärtige Kulturpolitik oder überhaupt die Kulturpolitik Mit dem derzeitigen Gerede vom Bildungsstandort als Subventionstatbestand in die Vorschläge von Koch Deutschland oder dem erklärten Willen zur Eliteförde- und Steinbrück kommen konnte, das lässt einen wirklich Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8793

Dr. Antje Vollmer (A) zweifeln, mit wie wenig kulturellem Verständnis man in Das möchte ich auch in Bezug auf die inhaltliche Aus- (C) diesem Land Ministerpräsident werden kann. gestaltung der auswärtigen Kulturpolitik betonen. Viele kommen auch zu uns, um das Modell einer stabilen De- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, mokratie mit einem großen Stellenwert der Kultur ken- bei der SPD und der FDP sowie der Abg. Vera nen zu lernen. Sie kommen aber auch nach Deutschland Lengsfeld [CDU/CSU] – Eckhardt Barthel – deswegen sollten wir die inhaltlichen Schwerpunkte [Berlin] [SPD]: Die CDU/CSU klatscht nicht nicht nur bei den klassischen Themen setzen –, um Insti- mit! – Gegenruf des Abg. Günter Nooke tutionenlehre zu erfahren. Gerade die Demokratien, die [CDU/CSU]: So viel Solidarität gibt es noch!) noch gefährdet sind und sich als instabil verstehen, wol- Das ist ja nun schön aufgeteilt: zwischen Herrn Kochlen lernen, wie es ein Land geschafft hat, aus einer Zeit von der CDU und Herrn Steinbrück von der SPD. der weltweiten Verachtung und des Totalitarismus zu ei- ner solch stabilen, ausgewogenen, föderal aufgebauten und kulturell bewussten Nation zu werden. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Im Protokoll wird festgehalten, wo gerade geklatscht (Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Ein sehr worden ist, damit es hier keinen Zweifel gibt. guter Hinweis!) (Heiterkeit im ganzen Hause – Zuruf von der Auch das muss ein Inhalt sein. Dafür müssen wir den CDU/CSU: SPD und Grüne waren auch da- Menschen Möglichkeiten geben. bei! – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die FDP eigentlich mitgeklatscht? – Gegenruf und bei der SPD) des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP]: Wir sind bei diesem Thema ganz entspannt!) Übrigens kommen sie auch wegen eines Rufes zu uns, den wir alle nicht geschaffen haben, sondern der von Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): unseren Vorfahren kommt: weil sie in Deutschland im- Das zeigt aber nicht nur, dass die beiden Ministerprä- mer noch das Land von Goethe und Alexander von sidenten und alle, die ihrem Papier später zugestimmt Humboldt sehen. Diese Einschätzung ist weltweit unge- haben, wenig kulturelles Verständnis haben, sondernfähr zur Hälfte auf beide Personen verteilt. auch, dass sie sehr wenig Verständnis dafür haben, in Alexander von Humboldt gilt als eine vollkommen welchem Land sie leben und welche Rolle die deutsche moderne Persönlichkeit, als wissenschaftsorientiert, als Kulturpolitik bzw. Kulturlandschaft in der Welt spielt. Weltbürger, als jemand, der multilateral denken konnte Man kann sich ja an vielen Punkten fragen, ob wirund der – ob er nun in Lateinamerika oder in Sibirien (B) frühere Spitzenstellungen noch innehaben. In der Wis- war – niemandem das Gefühl gegeben hat, in einem Ent- (D) senschaft haben wir keine Spitzenstellung mehr, die wir wicklungsland zu sein, das sich erst noch auf die Höhe noch am Anfang des Jahrhunderts hatten. Bei den Uni- des Weltbewusstseins erheben muss. Er reiste mit einer versitäten haben wir keine Spitzenstellung mehr. Auch unglaublichen Neugier. Genau das ist die Haltung, die in der Wirtschaft, der Automobil- und der Schwerindus- die Menschen bei uns suchen. Genau das können wir trie hatten wir Spitzenstellungen. Ebenso hatten wir – je- auch vertreten. Ich frage mich sowieso, warum wir nicht denfalls im Eindruck der Welt – Spitzenstellungen, was begreifen, dass Bach und Beethoven, Goethe und die Disziplin unserer Beamten und die Pünktlichkeit der Alexander von Humboldt – auch für unsere Wirtschafts- Deutschen Bundesbahn angeht. und Außenpolitik – das größte Kapital sind, das wir ha- ben. Vieles davon wird heute infrage gestellt. Aber unbe- stritten in der ganzen Welt gilt: Egal was man sucht – ob (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, es um Musik- oder Theaterveranstaltungen, die Opern- bei der SPD und der FDP) landschaft, das Konzertpublikum, Freundeskreise von Eine kleine Ergänzung in Bezug auf dieNeustruk- Kulturinstitutionen oder Ähnliches geht –, man findet es turierung der auswärtigen Kulturpolitik. Wir sind ja in Deutschland. All das ist bei uns einzigartig in derdazu übergegangen, nicht nur die großen und manchmal Welt. schwerfälligen Goethe-Institute in das Zentrum der Außenpolitik zu stellen, sondern gerade auch die Länder (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- zu berücksichtigen, die traditionell eine sehr enge Be- SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der ziehung zu Deutschland haben. Das sind oft kleinere CDU/CSU) Länder wie Vietnam, Laos, Nepal, Kambodscha und Wegen dieses Rufes unserer Kulturlandschaft kom- Guatemala. In diesen Ländern besteht eine alte, tradi- men vermehrt Menschen nach Deutschland. Sie kom- tionsreiche Liebe zu Deutschland, die mit den genannten men zu uns, um sich ausbilden zu lassen; denn nir-Bildern von Goethe, Humboldt, Mercedes und den Grü- gendwo sonst gibt es solche Ensembles, in denen man nen verbunden ist. das ganze kulturelle Spektrum – von der Klassik bis zur (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Avantgarde – lernen kann. Aber sie kommen auch, weil DIE GRÜNEN – Günter Nooke [CDU/CSU]: sie dahinter ein anderes Modell von Deutschland sehen. Das war Produktplacement!) Das bietet uns die unglaubliche Chance, zwischen den unterschiedlichen Charakteren westlich geprägter De- Es ist klar: Es gibt auch einen weltweiten Kampf um mokratien differenzieren zu können. die Eliten der Welt. Natürlich kämpfen auch die USA 8794 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Dr. Antje Vollmer (A) – berechtigt und mit ihrer fundierten Spitzenstellung – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (C) um sie. Gerade in kleineren Ländern gibt es aber ein un- ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- glaubliches Potenzial an Freundschaft und Interesse so- heit (15. Ausschuss) wie den Wunsch nach dauerhafter Zukunftsverbindung mit unserem Land. Wenn wir darauf nicht antworten – Drucksachen 15/2681, 15/2693 – könnten, würden wir sehr kurzsichtig denken. Berichterstattung: Abgeordnete Ulrich Kelber Noch ein Letztes zum Thema Subvention: Wenn der Marie-Luise Dött Subventionsbegriff von Koch/Steinbrück ernst genom- Dr. Reinhard Loske men wird, dann ist auch Sozialhilfe eineSubvention, Birgit Homburger dann ist auch Kindergeld eine Subvention. Das heißt, dann ist der Kern von Politik – wenn sie überhaupt nur Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Geld in die Hand nimmt – immer verbunden mit Sub- Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Dazu ventionen, die zu kürzen sind. Das wäre ein Offenba-höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- rungseid für die Politik, weil man dann nämlich garsen. nichts mehr gestalten könnte. Das ist eine intellektuelle Dämmerung; da ist nicht die Eule der Minerva am Flie- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- gen, sondern da sind alle Katzen grau. nächst dem Kollegen Ulrich Kelber für die SPD-Frak- tion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP) Ulrich Kelber (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: seit dreieinhalb Jahren Mitglied dieses Parlaments, aber Ich schließe die Aussprache. ein solches Affentheater, wie es CDU und CSU beim Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz in den letzten Ta- Ich erlaube mir den ganz unparteiischen Hinweis,gen veranstaltet haben, ein solches Ränkespiel von Par- dass dann, wenn im Deutschen Bundestag im Ganzen teitaktik hätte ich nicht für möglich gehalten. die heute von allen Fraktionen vorgetragenen Auffassun- gen über den Stellenwert der Kultur im Allgemeinen und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der auswärtigen Kulturpolitik im Besonderen so geteilt DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: werden, niemand dieses Haus daran hindern kann, auch Unglaublich!) in Zeiten knapper Haushaltsmittel die Prioritäten so zu Was die CDU/CSU macht, ist absolut beschämend und (B) setzen, wie das heute Morgen vorgetragen wurde. ein weiterer Beitrag zum Ansehensverlust des deutschen (D) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Parlaments. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Fachausschuss verweigert sich die CDU/CSU der Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den inhaltlichen Beratung. Dort wird die Beratung durch Drucksachen 15/2258, 15/2659 und 15/2647 sowie der eine Vielzahl – zum Teil wissentlich unsinniger – Ge- Vorlage aus der 14. Wahlpe riode auf Drucksache 14/9760 schäftsordnungsanträge verzögert. Im Plenum werden an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- unkollegial zustande gekommene und unbegründete Ge- geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der schäftsordnungsanträge gestellt. Ich sage Ihnen: Ich Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. hätte glatt den Glauben an das deutsche Parlament verlo- ren, wenn nicht – das ist sehr schön – einige Kollegen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: der CDU/CSU zu mir gekommen wären und gesagt hät- ten, auch sie finden das Verhalten Ihrer Fraktionsspitze – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- peinlich. nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zes über den Handel mit Berechtigungen zur DIE GRÜNEN) Emission von Treibhausgasen(Treibhausgas- Es geht heute um eine ganz andere Frage. Beim Emissionshandelsgesetz – TEHG) Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz werden die Me- – Drucksache 15/2328 – thoden geregelt, nach denen Unternehmen die Berechti- gung zur Emission von Treibhausgasen erhalten. Die (Erste Beratung 87. Sitzung) Überwachung, Abrechnung und die Handelsmethoden für Emissionsberechtigungen werden im Treibhausgas- – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Emissionshandelsgesetz geklärt. Dafür hatte die Bundes- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes regierung einen unbürokratischen und kostengünsti- über den Handel mit Berechtigungen zur Emis- gen Vorschlag gemacht. Übrigens liegt dieser Vorschlag sion von Treibhausgasen (Treibhausgas-Emissi- bereits heute in abgeänderter Form – dazu komme ich onshandelsgesetz – TEHG) gleich – auf dem Tisch, obwohl die dazugehörige Richt- – Drucksache 15/2540 – linie erst seit wenigen Wochen in Kraft ist. Für die Leis- tung, das so schnell umzusetzen, möchte ich mich bei (Erste Beratung 94. Sitzung) den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beiden Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8795

Ulrich Kelber (A) schwerpunktmäßig beteiligten Ministerien bedanken, Das kostengünstige und unbürokratische Verfahren(C) natürlich auch bei denen aus den anderen Ministerien. war eine Zusammenarbeit zwischen Bundesländern und Bundesebene. Wir mussten nach der auf einmal stattfin- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ denden Rücknahme der Zustimmung der CDU/CSU DIE GRÜNEN) einen reinen Bundesvollzug machen. Das heißt, die allei- nige Verantwortung für diese zusätzlichen Kosten und Das ursprünglich von der Bundesregierung vorge- diese zusätzliche Bürokratie liegt bei CDU und CSU. schlagene Konzept für das Treibhausgas-Emissionshan- Das muss öffentlich gesagt werden. delsgesetz war in allen Punkten überzeugend. Es setzte auf eine kleine Anzahl zusätzlicher Mitarbeiter, die die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vergabe und Abrechnung der Emissionsberechtigungen DIE GRÜNEN) kontrollieren sollten. Die Kontrolle der Anlagen sollte in einem Zug mit ohnehin stattfindenden Anlagenüberprü- Kurz vor Abschluss der Beratungen haben die CDU- fungen durch die Bundesländer erfolgen. regierten Länder die Zustimmung ihrer eigenen Fachmi- nister zurückgezogen, ohne dafür einen einzigen fach- Unbürokratisch und kostengünstig war dieser Vor-lich belastbaren Punkt zu nennen. Erst kurz vor Ab- schlag. Experten nannten ihn vorbildlich. Auch die Un- schluss der Beratungen wurde diese Zustimmung der ternehmen, also die, dieüber Gebühren dafür zahlen Fachminister zurückgezogen und ein Modell vorgeschla- müssen, was an Handelsmöglichkeiten, Kontrollmög- gen, das in der Kürze der Zeit überhaupt nicht mehr um- lichkeiten und Personal vorgesehen ist, waren mit dieser zusetzen wäre. Denn der Emissionshandel wird begin- Version eines Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes nen müssen. Die Zuteilung wird stattfinden müssen. Wir einverstanden. Dieser Vorschlag stand völlig außerhalb können nicht wieder von vorne anfangen, wenn man des parteipolitischen Streits. 15 von 16 Landesumwelt- vorher signalisiert hat, dass wir ein gemeinsames Modell ministern haben diesem Konzept ihre Zustimmung gege- wollen. ben, weil sie es für unbürokratisch und kostengünstig hielten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (René Röspel [SPD]: Hört! Hört!) Das heißt, Sie zwingen die Koalition, das kostengüns- Alle CDU-regierten Bundesländer haben diesem Kon- tigste und das unbürokratischste Verfahren nicht einzu- zept zugestimmt. Diese Zustimmung ist übrigens in den führen, sondern ein – natürlich immer noch im Rahmen Protokollen der Umweltministerkonferenz zu lesen.der Möglichkeiten – so gutes Verfahren wie möglich mit Leugnen ist also zwecklos. möglichst wenig Stellen und möglichst wenig Kosten, (B) aber in einem reinen Bundesvollzug durchzuführen. Für (D) Was ist eigentlich zwischen der damaligen Zustim- diese kurzfristigen Veränderungen tragen alleine Sie die mung zum Konzept und dem Affentheater der letztenVerantwortung. Von daher kann ich dieses Gejammere, Tage passiert? Warum schreibt der umweltpolitischedass Sie erst kurz vor Schluss Änderungsanträge bekom- Sprecher von CDU/CSU, der Kollege Paziorek – sonst men haben, nicht akzeptieren. Das muss ich Ihnen ein- ein sehr umgänglicher Mensch –, auf einmal Pressemit- fach sagen: Wer einen dazu zwingt, der muss auch nach teilungen voller Unwahrheiten und Verfälschungen? Die 19 Uhr bei der Arbeit bleiben und über Änderungsan- Antwort ist so einfach wie deprimierend: Die Zustim- träge nachdenken. Ich habe kein Verständnis für Ihre mung in einer Fachfrage durch die Fachminister passt Probleme. nicht in das parteipolitische Konzept der CDU/CSU- Spitze. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich habe als Berichterstatter der SPD-Fraktion für diesen Bereich begonnen, Wirtschaftsverbände und Un- Selbst bei einem Thema wie dem Treibhausgas-Emissi- ternehmen darüber zu informieren, welche finanziellen onshandelsgesetz, bei dem es um Klimaschutz, Produkti- und organisatorischen Belastungen durch diese parteipo- onsbedingungen und um die Kosteneffizienz für unsere litisch motivierten Spielchen von CDU/CSU auf sie zu- Unternehmen geht, wird von der CDU/CSU eine Verwir- kommen werden. Sie können mir glauben, diese Unter- rungs- und Verunsicherungsstrategie einer fachlich guten nehmen und Verbände sind sehr interessiert daran, zu Lösung vorgezogen. Das bleibt beschämend. erfahren, wer ihnen diese zusätzlichen Lasten ohne Not auferlegt hat. Die CDU/CSU wird in den nächsten Tagen CDU/CSU behaupten, SPD und Grüne hätten den Ge- noch einiges von diesen Unternehmen und Verbänden zu setzentwurf kurz vor Schluss noch einmal grundsätzlich hören bekommen. Denn in Zukunft werden sich diese verändert. Die Zahl der neu zu schaffenden StellenUnternehmen für Emissionen doppelt kontrollieren las- werde steigen, in Zukunft seien zwei Kontrollen pro An- sen müssen. Die Verantwortlichen dafür sitzen im lage notwendig und auch die Gebühren für die Unterneh- Konrad-Adenauer-Haus. In Zukunft werden diese Unter- men würden steigen. So lautet der Vorwurf an die Koali- nehmen höhere Gebühren als ursprünglich geplant für tion. Dieser Vorwurf, dass dort etwas geändert wird,Emissionszertifikate zahlen müssen. stimmt. Ja, wir mussten kurzfristig etwas ändern. Wir mussten an einem unbürokratischen und kostengünsti- (Widerspruch der Abg. Birgit Homburger gen Verfahren Änderungen vornehmen. [FDP]) 8796 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Ulrich Kelber (A) Die Verantwortlichen dafür heißen ,Drittens. Sie verursachen unnötige Kosten im Bundes- (C) und Peter Paziorek. haushalt. Wir werden nicht nur den Unternehmen, sondern Natürlich missfällt es Ihnen, dass die Bundesländer auch der Bevölkerung deutlich machen: Emissionshan- ihr verfassungsmäßiges Recht wahrnehmen, über die del ist ein sinnvolles Instrument für den Klimaschutz. 34. Bundes-Immissionsschutzverordnung zu beraten; Ohne die parteipolitischen Spielchen der CDU/CSUdenn Sie möchten die Fäden beim Emissionshandel in hätte er noch unbürokratischer und kosteneffizienter als der Hand behalten. mit der heute zu verabschiedenden Lösung eingeführt werden können. Diese Chance haben Sie im Bundesrat (Ulrich Kelber [SPD]: Das war abgespro- verspielt. Leider hat Ihre Bundestagsfraktion einfach chen!) mitgezogen, anstatt dem Bundesrat auch einmal einWenn Sie die Vollzugszuständigkeit jetzt aber einer Bun- deutliches Nein zu sagen. Schade, dass Sie nicht in der desbehörde wie dem Umweltbundesamt zuweisen, dann Lage waren, auch einmal über den eigenen parteitakti- wird den Landesbehörden eine originäre Zuständigkeit schen Schatten zu springen. Sie haben eine Chance ver- entzogen. tan. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ein Gesetz, durch das dieZuständigkeit der Länder beschnitten wird, ist aber selbst zustimmungsbedürftig. So steht es im Grundgesetz. Auch wenn Sie die 34. Bun- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: des-Immissionsschutzverordnung in ein Bundesgesetz Das Wort hat die Kollegin Marie-Luise Dött, CDU/ aufnehmen, befreit das nicht von der Zustimmungsbe- CSU-Fraktion. dürftigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Obwohl der Nutzen Ihrer Überlegungen sehr zweifel- (CDU/CSU): Marie-Luise Dött haft ist, muten Sie dem Land einen weiteren Anwuchs Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Treib- von Bürokratie und Kosten zu. hausgas-Emissionshandelsgesetz hat in den letzten Ta- gen einschneidende Änderungen erfahren. (Ulrich Kelber [SPD]: Warum denn?) (Horst Kubatschka [SPD]: Warum wohl?) Den unter dem Gesichtspunkt des Bürokratieabbaus oh- (B) nehin schon problematischen Emissionshandel blähen(D) Praktisch über Nacht wurden der geplante administrative Sie durch die ausschließliche Vollzugszuständigkeit des Aufbau völlig neu gestrickt und eine Bundeszuständig- Bundes weiter auf. Neben den zahlreichen bestehenden keit eingeführt. Genehmigungen müssen die Unternehmen jetzt noch (Ulrich Kelber [SPD]: Warum?) eine weitere beantragen und dafür ein aufwendiges Ge- nehmigungsverfahren durchlaufen. Sogar Anlagen, die An Ihrer mangelnden Wertschätzung gegenüber dem schon seit Jahren genehmigt und in Betrieb sind, brau- Parlament haben Sie auch dieses Mal keine Zweifel ge- chen jetzt eine neue, zusätzliche Genehmigung. lassen, Herr Trittin. Es ist nicht nur unprofessionell, son- dern auch respektlos, so weit reichende Änderungsan- Wie schwerwiegend diese Entscheidung tatsächlich träge erst um 19 Uhr abends vor der abschließendenist, zeigt die Tatsache, dass die deutschen Wirtschafts- Beratung an das Parlament zu überstellen. verbände sofort reagiert haben. Sie haben sich schriftlich an die Fraktionsvorsitzenden gewandt und um die Ein- (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber führung eines akzeptablen und optimierten Verwaltungs- [SPD]: Dann muss man halt einmal ein biss- systems gebeten. Mit Ihren Änderungen bewirken Sie chen schneller lesen!) das Gegenteil. Anstatt das Emissionshandelssystem möglichst schlank auszugestalten und bestehende Behör- Ihre Entscheidung, die 34. Bundes-Immissionsschutz- denstrukturen weitestgehend zu nutzen, bauen Sie neue verordnung in das TEHG zu integrieren, kann ich indes Strukturen auf. auch nicht nachvollziehen, Herr Trittin. Haben Sie die Folgen, die Ihre Beschlüsse haben, bedacht? Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Nein!) Frau Kollegin Dött, gestatten Sie eine Zwischenfrage Wissen Sie, was diese Entscheidung letztes Endes be- des Kollegen Kelber? deutet? Sie bedeutet: Erstens. Sie haben die Bundesrats- beteiligung ausgehebelt. Das mag für Sie erfreulich sein. Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Ob Ihnen dieser Schachzug aber wirklich etwas nützt, Ja, klar. steht noch gar nicht fest. Zweitens. Sie schaffen Büro- kratie und schädigen damit den Standort Deutschland. Ulrich Kelber (SPD): ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Wir sind der gleichen NEN]: Das ist ja die Höhe!) Meinung, dass die ursprüngliche Version besser war. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8797

Ulrich Kelber (A) Können Sie meine Ausführungen von vorhin bestäti- denen Sie sprechen, sind eher unrealistisch. Die Grund- (C) gen, dass die Umweltministerkonferenz – also die Bun- lagen dieser Schätzung haben Sie uns bisher nicht offen desländer – der vom Bundesminister vorgeschlagenen gelegt. Wie viele zusätzliche Stellen es aber auch sein Version erst zugestimmt und dann ihre Zustimmung vor mögen, sie belasten in jedem Fall den Bundeshaushalt. kurzem wieder zurückgezogen hat? Am Mittwoch im Ausschuss konnte Staatssekretär Baake keine Angaben darüber machen, wie die Finan- Marie-Luise Dött (CDU/CSU): zierung aussehen soll. Der Verweis auf die gebührenfi- Tatsache ist, Herr Kelber, dass die Umweltministerien nanzierte Deckung taugt nicht, solange es keine Gebüh- der Länder dem Prinzip des Emissionshandels im TEHG renordnung gibt. und der damit verbundenenAbwicklung auf Länder- (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber ebene zugestimmt haben. Um dieses Prinzip aber auszu- [SPD]: Noch formalistischer! Das ist doch lä- gestalten, musste die 34. Verordnung zum Bundes-Im- cherlich!) missionsschutzgesetz, BImSchV, eingeführt und auf Bundesebene beraten werden. Die dazugehörige Aus- Mit zusätzlichen Kosten und zusätzlicher Bürokratie stattung der entsprechenden Behörden hat auch etwas schaffen Sie nicht die Voraussetzungen, die ein Land be- mit Geld zu tun. Darüber wurde weiter beraten. Man sah nötigt, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein. sich in der kurzen Zeit auch aufgrund des finanziellen Das Märchen, Herr Trittin, vom marktwirtschaftlichen Umfanges, nicht in der Lage, zu einem Abschluss zuInstrument lassen sich die Anlagenbetreiber in Deutsch- kommen. Daraufhin ist die Beratung vertagt worden. land auch nicht mehr erzählen; Sie haben es gestern auf dem Energieforum erlebt. Die Nachteile der rot-grünen Diese Vertagung hat dann das BundesministeriumVersion vom Emissionshandel sind viel zu offensicht- zum Anlass genommen, um quasi über Nacht einen Vor- lich. Die Begriffe, auf die es beim TEHG ankommt, sind schlag aus der Schublade – ich habe darauf schon in mei- in Ihrer Version eben nicht Marktwirtschaft und Handel, ner letzten Rede hingewiesen – herauszuholen und vor- wie Sie es uns immer wieder weismachen wollen. Die zulegen. So etwas können wir nicht gutheißen; denn die entscheidenden Worte sind bei Ihnen doch Zuteilung, Umweltprüfung gehört in die Länder und nicht auf Bun- Plan und Cap. desebene. In den Ländern existieren bereits Strukturen, die man weiter ausschöpfen könnte. Deswegen, Herr Mit dem TEHG, aber vor allem mit dem Nationalen Kelber, finden wir die Art und Weise, wie hier vorgegan- Allokationsplan planen Sie weit reichende dirigistische gen wurde, nicht richtig. Auch die Tatsache der Ansied- Eingriffe, die ein ordnungspolitisches Instrumentarium lung auf Bundesebene finden wir zu bürokratisch, weil bei weitem übertreffen. Die deutsche Industrie und die dadurch neue Strukturen geschaffen werden, und zudeutsche Wirtschaft werden diese Eingriffe bitter zu spü- (B) teuer; darauf gehe ich gleich noch einmal ein. ren bekommen. Die Effekte auf den Arbeitsmarkt und(D) auf die Arbeitslosenzahlen, die jeden Monat gemeldet (Ulrich Kelber [SPD]: Die Frage ist beantwor- werden, sollten Sie nicht unterschätzen. tet!) Das Szenario sieht so aus: Die produzierende Indus- – Reicht Ihnen das? Gut. trie, die dem Emissionshandel direkt unterliegt, wird zu- (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sätzliche Kosten entweder über die Produktpreise weiter- NEN]: Ihm reicht es!) geben oder die Produktion verlagern oder zurückfahren müssen. Die Verdrängung der Produktion bedeutet Dass die Wirtschaftsverbände die Situation genauso auch die Verdrängung von Arbeitsplätzen. Doch damit einstufen, wie ich es gerade erklärt habe, zeigt derennicht genug. Es folgt nochein ganzer Rattenschwanz schnelle Reaktion und die Bitte um Einführung eines ak- weiterer Betroffenheiten. Wenn sich ein Produkt oder ein zeptablen und optimierten Verwaltungssystems. Diese Rohstoff verteuert, hat das auch negative Auswirkungen Strukturen, die jetzt aufgebaut werden, bewirken genau auf die weiterverarbeitenden Anwender. Auch diese das Gegenteil. Es ist keine schlanke Ausgestaltung, wenn Branchen werden mit den steigenden Preisen zu kämpfen eine weitere Behörde geschaffen werden muss. Die Ver- haben. fahren hätten bei den Landesimmissionsschutzbehörden gebündelt und der administrative und finanzielle Auf- (Beifall bei der CDU/CSU) wand hätte minimiert werden können. Stattdessen wer- Auch diese Branchen werden dann personelle oder den jetzt neue zusätzliche Kosten beim Umweltbundes- standortmäßige Konsequenzen ziehen. amt und damit beim Bund entstehen. All die angeführten Faktoren waren bei der Entschei- Die zentrale Vollzugszuständigkeit ist umständlich dung über den Bundesvollzug zu bedenken und gegen- und eine gesamte neue Genehmigungsbehörde muss ge- einander abzuwägen. schaffen werden. Dazu kommt die Überwachung und Kontrolle. Rund 2 300 Anlagen, verteilt über die ganze (Ulrich Kelber [SPD]: Stimmt!) Bundesrepublik, sind zu betreuen: in einigen Regionen – Das können Sie so schnell? Aha. – Auf der einen Seite mehr, in anderen weniger. Das bedeutet auch, dass Kon- steht die missliebige Beteiligung des Bundesrates an der trollen vor Ort durchgeführt werden müssen. Wie dies Gesetzgebung, wobei der Nutzen bzw. das Ziel, dieses effizient und unbürokratisch durch eine zentrale Behörde Verfassungsorgan auszuschalten, äußerst zweifelhaft ist. geschehen soll, ist mir nicht ersichtlich. Das mag zwar bei Ihnen so sein, Herr Kelber, aber bei mir nicht. Es be- (Ulrich Kelber [SPD]: Die haben sich selbst darf daher zusätzlichen Personals. Die 39 Stellen, von ausgeschaltet!) 8798 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Marie-Luise Dött (A) Auf der anderen Seite stehen hohe Kosten und die Wett- brauchsanfällig ist. Das ist ganz wichtig. Wir wollen ein (C) bewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutsch-Instrument, das im Gegenzug ordnungsrechtliche Detail- land. Also: Auf der einen Seite steht der Wunsch nach steuerungen überflüssig macht, also sich am Ziel des Bü- einem reibungslosen Gesetzgebungsverfahren, auf der rokratieabbaus orientiert. Das ist unser Fokus, mit dem anderen Seite stehen Zukunft und Arbeitsplätze. wir an dieses Gesetz herangehen, das von vielen Um- weltökonomen – ich sagte es bereits – empfohlen wor- Die Bundesregierung ist zu dem Schluss gekommen, den ist. Insofern geht es hier wirklich um eine sehr dass es wichtiger ist, ein unbequemes Rädchen im föde- grundsätzliche Frage. ralen Getriebe auszuschalten, als an die Zukunft unseres Landes zu denken. Auch die Sektoren, die nicht am Emissionshandel be- teiligt sind, also Verkehr, Privathaushalte und Gewerbe, (Beifall bei der CDU/CSU) müssen ihre Ziele erbringen. Deswegen haben wir in dem Gesetz noch die Klarstellung vorgenommen, dass Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: die Ziele, die von denEmissionshandelssektoren er- Ich erteile dem Kollegen Dr. Reinhard Loske, Bünd- bracht werden, in einem angemessenen Verhältnis zu nis 90/Die Grünen, das Wort. den Zielen in den anderen Sektoren stehen. Denn klar ist: Ohne Klimaschutz im Verkehr, in den Privathaushal- Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten und im Gewerbe kommen wir nicht ans Ziel. NEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sowie bei Abgeordneten der SPD) ist doch traurig, mit anzusehen, was aus einer Partei ge- worden ist, die 1990 beschlossen hat, den CO2-Ausstoß Ein weiterer Punkt, den wir im Gesetzentwurf klar- bis 2005 um 25 Prozent zu senken, gestellt haben, ist die Einbeziehung der so genannten In- strumente Joint Implementation undClean Develop- (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: 30!) ment Mechanism. Bei diesem Mechanismus geht es im die einmal einen Umweltminister namens Klaus Töpfer Prinzip darum, dass ein Teil der eingegangenen Ver- hatte und die einmal eine Umweltministerin hatte, deren pflichtungen zum Klimaschutz auch außerhalb der eige- Namen mir im Moment entfallen ist, die sich 1997 innen Landesgrenzen, beispielsweise durch Modernisie- Kioto für das In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls ein- rungsinvestitionen in Kraftwerke oder neue Technologien gesetzt hat. Diese Partei verfährt heute in Sachen Um- in Mittel- und Osteuropa oder auch in Entwicklungslän- weltpolitik nur noch nach der Strategie: verhindern, ver- dern, erfüllt werden kann. zögern, verschleppen. Das ist wirklich beschämend. (B) Wir erwarten, dass die Europäische Union in wenigen (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wochen dazu abschließend eine Richtlinie – eine so ge- und bei der SPD) nannte Verbindungsrichtlinie – vorlegt. Sobald diese Richtlinie vorliegt, wollen wir sie unter Beteiligung des Sie können Klimapolitik nicht nach dem Motto betrei- Parlaments miteinbeziehen, damit unsere Unternehmen ben: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!in Deutschland diese Instrumente nutzen können. Auch Das geht nicht. Ich glaube langsam, dass das Zitat zu- das ist eine wichtige Präzisierung im Gesetz, die wir trifft: Sie schlagen den Emissionshandel, aber Sie mei- jetzt vorgenommen haben. nen in Wahrheit den Klimaschutz insgesamt. Das muss man in der Deutlichkeit sagen. Zum Gesetzentwurf selber: Er ist ein erster Schritt zur Einführung des Emissionshandels und stellt gewisserma- (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das ist über- ßen die Rechtsgrundlage für den Emissionshandel dar. haupt nicht wahr, Herr Loske, und das wissen Das Gesetz regelt Fragen der Zuteilung, des Handels, der Sie ganz genau!) Sanktionen und der institutionellen Zuständigkeiten. Zu Ganz generell zu unseren Grundsatzpositionen in Sa- der hier schon heiß diskutierten Frage des Bundes- oder chen Emissionshandel: Wir haben es heute mit einer De- Landesvollzugs ist von Ulrich Kelber bereits das Not- batte zu tun, in der es um ein Mittel geht, nicht um ein wendige gesagt worden. Ziel. Wir reden also über eine Ziel-Mittel-Relation. Das ist ein sehr wichtiges Mittel, dessen Anwendung uns Ex- Die ganzen Spielchen im Bundesrat haben dazu ge- pertinnen und Experten seit Jahren empfehlen und das führt, dass wir jetzt vollständig auf Bundesvollzug um- darin besteht, dass der Staat die Ziele festlegt und diestellen. Die Verantwortung dafür liegt – das wurde be- Akteure, also vor allem die Unternehmen, mehr Freiheit reits ausgeführt – bei der Union. Allerdings will ich das bei der Zielerreichung bekommen. Insofern haben wir es nicht ganz so dramatisch darstellen wie meine Vorred- hier mit einem Instrument zu tun, das nicht nur seit lan- ner. Ich glaube, es gibt durchaus auch gute Gründe für gem gepredigt wird, sondern offenkundig auch eineeinen reinen Bundesvollzug, zum Beispiel, dass die Zu- Menge Vorzüge hat. teilung und die Sanktionierung einheitlich erfolgen. Da- durch werden Wettbewerbsverzerrung und die Entste- Die Anforderung, die wir an den Emissionshandel hung von Schnittstellen verhindert. Dadurch wird stellen, ist: Wir wollen ein Instrument, mit dem wir Kli- Klarheit gewährleistet. Außerdem werden die alten ord- maschutzziele sicher erreichen, das Anreize für frühenungsrechtlichen Strukturen praktisch komplett verlas- Modernisierungsinvestitionen schafft, das einfach hand- sen. Auch scheint sich der zusätzliche Mittelbedarf beim habbar, transparent und vor allen Dingen nicht miss-UBA in Grenzen zu halten. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8799

Dr. Reinhard Loske (A) Insofern ist der Gesetzentwurf, der heute verabschie- akzeptieren nicht, dass sich Industrie und Energiewirt- (C) det werden soll und dem wir zustimmen werden, in der schaft zulasten der Privathaushalte und des Verkehrs aus Tat nicht unser Vorschlag gewesen. Aber wir können da- ihrer klimapolitischen Verantwortung stehlen. mit leben. Wenn dieses Thema später in einem unechten Vermittlungsverfahren oder wo auch immer wieder auf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gerufen wird und wir zur alten Regelung zurückkehren, und bei der SPD) so werden wir dem nicht entgegenstehen. Das heißt, Ihre Die Sondertöpfe für die Kraft-Wärme-Kopplung und Obstruktionsstrategie wird sich sicherlich nicht auszah- für den Bereich der so genannten early actions, also der len. Investitionen, die vor 1998 in den neuen Bundesländern Interessant ist auch, dass die Industrie zunächst zwei getätigt worden sind, sind wichtig und von zentraler Be- oder drei Wochen stillgehalten hat. Jetzt erhalten wirdeutung – das wurde noch nicht angesprochen –, um das Briefe, in denen die vorgesehenen Regelungen abgelehnt Ganze zu einem glaubhaften System zu machen. Den werden. Wir werden sicherlich eine sachgerechte Lö-ersten Schritt tun wir heute mit der Verabschiedung des sung finden. vorliegenden Gesetzentwurfs. Darüber bin ich froh. Der zweite wird in Kürze folgen. Erlauben Sie mir in der verbleibenden Redezeit noch einige Anmerkungen zu dem aktuellen Konflikt. Für uns Danke schön. geht es bei dem nächsten Schritt, den wir mit dem Natio- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nalen Allokationsplan gehen müssen, vor allen Dingen und bei der SPD) darum, das Instrument so auszugestalten, dass es zur Schaffung von Investitions- und Modernisierungsanrei- zen geeignet ist. Es soll kein Instrument zur Strukturkon- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: servierung werden. Das wäre völlig falsch. Aber das be- Das Wort hat nun die Kollegin Birgit Homburger, fürchten wir aufgrund der Vorschläge der Union. FDP-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Birgit Homburger (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Für uns ist es völlig klar, dass durch eine vernünftige beraten heute erneut über das Treibhausgas-Emissionshan- Übertragungsregelung Anreize für frühe Modernisie- delsgesetz. Ich möchte gleich am Anfang klarstellen, wo- rungsinvestitionen geschaffen werden. Über die genaue rum es dabei geht. Es geht um die Realisierung des Klima- Ausgestaltung wird zurzeit noch geredet. Aber über die schutzes und insbesondere darum, dass eine nachhaltige Schaffung von frühen Investitionsanreizen besteht Klar- Klimaschutzpolitik verlangt, pro eingesetzten Euro so (B) heit. viele Treibhausgase wie möglich zu vermeiden. Anders (D) Bei reinen Neuanlagen – damit ist nicht der Ersatzausgedrückt: Es geht darum, Treibhausgasemissionen so von alten Anlagen durch neue gemeint – sind anspruchs- kostengünstig wie möglich zu verringern. Dafür ist der volle technische Standards notwendig. Es wäre in der Tat Emissionshandel das Instrument der Wahl. Deswegen ein schlechter Beitrag zum Innovationsjahr 2004, wenn hat die FDP bereits seit den 80er-Jahren dieses Instru- neuen Investoren am Hightechstandort Deutschlandment gefordert und seine Einführung forciert, und zwar keine klaren Standards vorgegeben würden. Das wäre auch auf internationaler Ebene. Ich bin froh, dass wir ein Rückfall gegenüber dem Status quo, den wir nicht nun dabei sind, dieses effiziente Instrument zu realisie- wollen. ren. Deswegen werden wir heute nicht gegen den vorlie- genden Gesetzentwurf stimmen. Ich werde später noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN detaillierter darauf eingehen. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Alles in allem schaffen die Modelle, die im Zusam- der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE menhang mit dem Nationalen Allokationsplan zurzeit in GRÜNEN) der Diskussion sind, durchaus Investitionsanreize. Sie si- gnalisieren Offenheit für neue Marktteilnehmer und zei- Das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz ist ein gen, dass für moderne Technologien im Bereich derMantelgesetz, das lediglich die formalen Regelungen Kohle noch ein gewisser Spielraum besteht. Das istbetreffend die Abwicklung des Handels enthält. Das Ge- keine Frage. setz ist also so allgemein gehalten, dass damit praktisch jede konkrete Ausgestaltung des Emissionshandels ver- Lassen Sie mich abschließend noch kurz auf dieeinbar ist. Gerne hätten wir dem Gesetzentwurf zuge- Grundausstattung zu sprechen kommen. Wir haben im- stimmt. Wir haben eine Reihe von Änderungsanträgen mer wieder darauf hingewiesen, dass unsere Politik auf eingebracht, die uns wichtig waren. Diese sind aber – lei- dem fußt, was wir mit der Industrie verabredet haben. der – allesamt abgelehnt worden. Deswegen werden wir Wir verlangen von ihr nicht mehr als das, was sie zuge- uns heute der Stimme enthalten. Es kommt jetzt auf die sagt hat. Das heißt für uns: Für die erste Etappe vonkonkrete Ausgestaltung des Emissionshandels an. Darü- 2005 bis 2007 brauchen wir ein Ziel, das klar unterber werden wir im Rahmen des Nationalen Allokations- 500 Millionen Tonnen CO2 liegt. Denn Zwischenziele plans noch diskutieren müssen. müssen immer auf dem richtigen Weg liegen. Für das Zieljahr 2012 ist, wie zugesagt, eine Reduktion um (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten 45 Millionen Tonnen gegenüber 1998 notwendig. Wir der CDU/CSU) 8800 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Birgit Homburger (A) Das Beratungsverfahren ist eine Zumutung. Das doch zu stärkeren Belastungen kommt, richtig sind. Das (C) liegt nicht nur daran, dass das Ganze schlecht vorbereitet hat dann aber nicht die Opposition, sondern das haben war, weil der Umweltminister über Jahre hinweg amSie zu verantworten. Emissionshandel desinteressiert war und ihn nicht wirk- lich wollte. Nun splitten Sie den Vorgang auch noch in (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) mehrere Gesetze auf. Das ist im Sinne der Übersichtlich- Der Nationale Allokationsplan wird für das Gelin- keit nicht zu akzeptieren. Wir hätten gerne eine gemein- gen des Emissionshandels entscheidend sein. Er enthält same Behandlung der Grundregeln, also des TEHG und die materiell maßgeblichen Vorschriften. Heute wollten des Nationalen Allokationsplans gehabt. Aber das haben eigentlich Herr Clement und Herr Trittin zum vierten Sie verhindert. Mal darüber verhandeln und die materiell-rechtlichen Regelungen schaffen. Da diese im Moment nicht vorlie- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gen, herrscht – auch bei den Arbeitnehmern – große Ver- Trotz aller Probleme, die es gegeben haben mag, ist es unsicherung und Investitionen werden nicht geplant. unglaublich, dass noch in der vorangegangenen Nacht Gestern haben diese Minister gesagt: „Entschuldigung, umfassende Änderungsanträge vorgelegt worden sind. wir finden leider keinen Termin.“ Ich finde, dass das ab- So etwas kann durchaus einmal passieren. Das wäre hin- solut nicht geht. Das ist keine Begründung. Für eine nehmbar. Aber das Problem besteht darin, dass zwi-solch wichtige Entscheidung muss man sich Zeit neh- schenzeitlich in jedem Gesetzgebungsverfahren Chaos men. Ende März läuft die Frist für die Abgabe bei der herrscht. EU-Kommission ab. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich kann nur sagen: Von dieser Entscheidung hängen Hunderte von Arbeitsplätzen und die Zukunft des Kli- Bei der Beantwortung der Frage, ob die Länder oder maschutzes in Deutschland ab. Darum erwarte ich, dass der Bund für die Umsetzung zuständig sein sollen, müs- diese Minister endlich zu einer Einigung kommen. sen zwar im Detail viele Abwägungen vorgenommen werden. Aber eines sage ich Ihnen sehr deutlich: Es gibt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nicht nur Schwarz und Weiß. Es ist nicht so gewesen, wie Wir fordern die Koalition deshalb auf, bei der Beratung es hier dargestellt worden ist: auf der einen Seite die Bun- der materiellen Grundlagen des Nationalen Allokations- desländer und auf der anderen Seite derBundesvollzug. plans zu einem seriösen Verfahren zurückzukehren. Man hätte eine andere Lösung wählen können. Wir woll- Wenn Sie das tun, dann können Sie mit uns darüber re- ten – wir haben einen entsprechenden Änderungsantrag den. Wenn das nicht der Fall ist, dann wird es für den eingebracht – von vornherein eine Börsenlösung und das Klimaschutz in Deutschland Probleme geben. Herr Mi- (B) Ganze von Privaten abwickeln lassen. Das wäre unbüro- nister Trittin, wenn Sie so weitermachen wie bisher,(D) kratischer und auf jeden Fall besser gewesen, als wenn dann werden Sie nicht nur dem Instrument an sich, son- das Umweltbundesamt dafür zuständig ist. dern auch dem Klimaschutz in Deutschland großen (Beifall bei der FDP) Schaden zufügen. Aber das haben Sie abgelehnt, liebe Kolleginnen und Vielen Dank. Kollegen von Rot-Grün. Das finde ich bemerkenswert, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) zumal das wieder nachdem Motto ging: Entweder stimmt der Bundesrat dem zu, was die Bundesregierung mit der 34. BImSchV vorgelegt hat, oder wir ziehen das Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ganze auf Bundesebene durch. Herr Trittin hat – wie so Nun erteile ich dem Kollegen Rolf Hempelmann, oft – die beleidigte Leberwurst gespielt. Ich bin wirklich SPD-Fraktion, das Wort. der Meinung: Die Zeiten für ein solches Verhalten soll- ten bei einem ausgewachsenen Minister längst vorbei Rolf Hempelmann (SPD): sein. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich muss zum Thema Bundesvollzug nichts (Beifall bei Abgeordneten der FDP) mehr sagen. Viele Redner haben dazu etwas gesagt. Ich Herr Kelber, ich möchte auf das eingehen, was Sieschließe mich ausdrücklich den Begründungen an, die zum Thema Bundesvollzug gesagt haben. Sie sagten, Sie Uli Kelber dazu angeführt hat. Ich denke, dass das, was hätten den Unternehmen und Verbänden mittlerweilebeispielsweise von Frau Dött, aber auch von Frau mitgeteilt, dass massive zusätzliche Belastungen auf sie Homburger zu diesem Thema gesagt worden ist, indirekt zukommen. Ich muss Sie deshalb schon fragen, ob uns eine Eloge auf die ursprüngliche Planung der Bundesre- der Staatssekretär im Ausschuss womöglich falsch infor- gierung war. Dass sie nicht realisiert werden kann, liegt miert hat. Er hat nämlich das glatte Gegenteil von dem – das weiß man – an den Vertretern anderer Parteien so- behauptet, was Sie uns hier heute Morgen erzählt haben. wohl im Bundestag als auch insbesondere im Bundesrat. Er hat nämlich gesagt, es werde eine „schlanke“ Umset- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zung mit maximal 39 Stellen geben. Dies ist mithin we- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) niger als das, was die Länder nach Aussage ihrer Vertre- ter eigentlich gebraucht hätten. Das bringt mich zu dem Ich möchte viel lieber darüber reden, was mit dem Ergebnis, dass an dieser Stelle offensichtlich etwas nicht TEHG und dem Emissionshandel auf uns zukommt. stimmt und unsere Befürchtungen, dass es womöglich Auch in dieser Debatte ist nämlich spürbar, dass offen- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8801

Rolf Hempelmann (A) bar versucht wird, bei der Industrie, bei der Energiewirt- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) schaft und möglicherweise auch bei den Verbrauchern DIE GRÜNEN) Angst vor diesem Instrument zu schüren. Dabei liegen Meine Damen und Herren, mir erscheint es in diesem die Fakten auf dem Tisch – es ist klar –: Deutschland Zusammenhang wichtig, dass wir nicht nur über die In- muss sich vor diesem Instrument wahrlich nicht fürch- dustrie und die Energiewirtschaft reden. Natürlich brau- ten. Interessanterweise – das wurde gerade schon postu- chen wir auch CO-Minderungserfolge in anderen Sek- liert – wurde dieses Instrument schon früher von denen 2 toren, wie zum Beispiel imVerkehrsbereich und bei gefordert, die sich heute in der Opposition befinden. den privaten Haushalten. Es wurden in der Vergangen-

Wir müssen bis 2012 eine Reduktion der CO2-Emis- heit ja durchaus schon politische Instrumente entwickelt, sionen um 21 Prozent erreichen. Wir haben die Emissio- die allesamt mithelfen sollen, dass auch hier das Be- nen bis heute um circa 19 Prozent reduziert. Ich denke, wusstsein entsteht, dass eine Verringerung der Emissio- die übrigen zwei Prozentpunkte sollten wir uns schon nen nötig ist. zutrauen, insbesondere angesichts der von allen Fraktio- Der Emissionshandel bietet – jedenfalls wenn wir nen immer wieder beschworenen und beschriebenendiese Sektoren nicht aus dem Auge verlieren, sondern technologischen Leistungsfähigkeit unseres Landes. auch für sie Zielvorgaben machen – die Chance, dass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch in diesen Bereichen mehr als bisher passiert. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich möchte nur ein Beispiel nennen: Vor zwei Jahren ist des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ein Braunkohlekraftwerk nach neuestem Stand der Technik Deshalb gibt es im TEHG den Hinweis darauf, dass auch – BoA-1 – gebaut worden. Diese BoA hat einen Wirkungs- von den beiden genannten Sektoren Verkehr und private grad von 43 Prozent. Die Braunkohlekraftwerkein Haushalte angemessene Beiträge zur CO 2-Minderung er- Deutschland haben im Schnitt einen Wirkungsgrad, der wartet werden. Wir werden das im NAPG noch einmal etwa bei 33 bis 34 Prozent liegt. Der Löwenanteil derdeutlich konkretisieren. Anlagen hat einen Wirkungsgrad unterhalb von 32 Pro- zent. Allein eine solche Anlage ersetzt mehrere kleine Mehrfach ist Europa in dieser Debatte erwähnt wor- Anlagen und sorgt dafür, dass die Wirkungsgrade, relativ den. Wir haben ja in den vergangenen Jahren immer wie- gesehen, um 30 Prozent gesteigert werden. Das heißt, es der beobachtet, dass wir bei einzelnen Instrumenten die Vorreiterrolle übernommen haben, sei es beim EEG, sei gibt eine Minderung der CO2-Emissionen in Höhe von 30 Prozent. Wenn man sich überlegt, was passierenes bei der Ökosteuer. Wir haben bedauert, dass manche würde, wenn wir diesen Kurs im Braunkohlekraftwerks- uns dabei nur sehr langsam oder gar nicht gefolgt sind. (B) park weiter verfolgen und auch bei anderen Brennstoffen Das Instrument des Emissionshandels wird zeitlich in(D) ähnlich verfahren, dann bekommt man eine Vorstellung der gesamten EU eingeführt. Es bietet die hervorragende davon, welches Potenzial an Emissionsminderung allein Chance, von Anfang an eine Harmonisierung herbeizu- die Energiewirtschaft bietet. Ähnliches gilt für Teile der führen, und bietet damit letztlich die Möglichkeit, in den Industrie. Deswegen: Bange machen gilt nicht. Wir wer- nächsten Jahren auch bei anderen Instrumenten die von den das 21-Prozent-Ziel mit Sicherheit erreichen, und uns schon lange gewollte und angestrebte Harmonisie- zwar ohne Strukturbrüche, aber mithilfe eines vernünftig rung ein Stück voranzutreiben. Das wäre sowohl um- organisierten Strukturwandels. weltpolitisch als auch wirtschaftspolitisch in unserem Sinne, weil wir in diesem Zusammenhang natürlich im- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mer auch die Kostenfaktoren für die deutsche Wirtschaft DIE GRÜNEN) im Auge behalten müssen. Beim Emissionshandel be- kommen wir also das, was wir bei anderen Instrumenten Dieses Instrument wird in der Tat zum bisher kosten- eingefordert haben. günstigsten CO2-Minderungsinstrument werden. Dieses Instrument wird, weil wir es mit Augenmaß angehen Dazu gehört natürlich auch, dass die Bundesregierung werden, den Industrie- und Energiestandort Deutschland in Brüssel darauf dringt, dass die Umsetzung in anderen nicht etwa schwächen oder gefährden, sondern ihn viel- Mitgliedstaaten parallel erfolgt. Die ersten Signale aus mehr stärken. Brüssel sind ermutigend, denn Schluren und Schlunzen lässt man dort nicht zu. Das ist deutlich geworden. So (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten manches Mitgliedsland, das meinte, einmal ein wenig des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sanfter beginnen zu können, hat den ersten blauen Brief schon bekommen. Das ist also eine Riesenchance, auch Es wird dafür sorgen, dass Investitionen und Innovationen auf europäischer Ebene inumwelt- und energiepoliti- bei uns im Lande stattfinden, natürlich in der ganzen schen Fragen vernünftig voranzukommen. Wertschöpfungskette Energie, aber insbesondere im Kraftwerkspark. Es wird auch dafür sorgen, dass in der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Industrie Erneuerungspotenziale ausgeschöpft werden. DIE GRÜNEN) Es wird sozusagen eine sanfte Beschleunigung der Mo- Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsi- dernisierung unseres Landes begünstigen. Das müssen dent, ehe ich meine Redezertifikate vollständig aufge- wir sozusagen wollen. Ich glaube, dass das auch allen braucht habe Fraktionen klar ist. Insofern ist es komplett deplaziert, in Bezug auf dieses Instrument Ängste zu schüren. (Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Überzogen!) 8802 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Rolf Hempelmann (A) und ehe sozusagen die Zertifikatehandelsstelle eingreift che, dass der Nationale Allokationsplan – noch immer(C) – – unfertig – zwischen den Ministern der Bundesregierung höchst umstritten ist, lassen uns kaum eine Chance, die Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Qualität des Gesetzes umfassend zu beurteilen. Doch ei- Ich mache darauf aufmerksam, dass ich einen Handel nige Tatsachen lassen schon Misstrauen aufkommen. mit diesen Zertifikaten hier nicht zulassen könnte. Was wird mit dem grenzüberschreitenden Emissionshan- del? Was wird mit den so genannten Linking Directions? (Heiterkeit) Gilt da Kioto oder gilt ein selbst gebasteltes deutsches Kochbuch? Rolf Hempelmann (SPD): Lassen Sie mich bei dem Bild des gedeckten Tisches Ich habe das vorausgesehen. – Deswegen bedanke ich bleiben. Da stehen einige Gedecke recht unordentlich mich für Ihre Aufmerksamkeit. und es fehlen einige Besteckteile. In den §§ 5 und 10 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ TEHG wird festgelegt, dass die Betreiber ihre Mitteilun- DIE GRÜNEN) gen an die zuständige Behörde vorher von einer sachver- ständigen Stelle verifizieren lassen müssen. Spätestens Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: seit dem Gespräch von Mitarbeitern des BMU mit den Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der für die Verifizierung vorgesehenen sachverständigen Kollege Ulrich Petzold, CDU/CSU-Fraktion. Stellen müsste klar sein, dass eine Verifizierung in dem dafür vorgesehenen Zeitraum in der erforderlichen Qua- (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lität kaum machbar ist. Die Zahl der in Deutschland vor- NEN]: Wo ist denn eigentlich Herr Grill?) handenen Umweltgutachter ist einfach zu klein, um bis zum Jahresende alle für den Emissionshandel vorgesehe- Ulrich Petzold (CDU/CSU): nen Anlagen zu prüfen. Daran ändert auch die Zulassung Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- von Audit-Teams kaum etwas. Es tritt in jedem Fall eine ren! Liebe Kollegen! Damit hier nicht irgendwelcheVerknappung der Kapazität bei den sachverständigen Märchen stehen bleiben, lieber Herr Hempelmann, lieber Stellen auf, die sich in den Preisen niederschlagen wird. Herr Kelber: Dass Hamburg und Berlin sich in der Frage Zurück zu unserer Tafel. Es fällt auf, dass bei den Ge- der BImSch-Verordnung der Stimme enthalten haben, decken einiges nicht zueinander passt. Bei der Ökosteuer das mag vielleicht noch angehen. Aber ich weise darauf werden Steinkohle und Braunkohle vollkommen au- hin, dass auch Rheinland-Pfalz der Vertagung der ßen vor gelassen und nicht besteuert, 34. BImSch-Verordnung zugestimmt hat. (B) (D) (Ulrich Kelber [SPD]: Das hat die FDP er- (Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE zwungen! – Lachen bei der FDP) GRÜNEN]: Stimmt nicht! Stromsteuer!) Das ist ja wohl kein CDU-Land. Deswegen möchte ich während das TEHG Stein- und Braunkohle aus ökologi- gegen dieses Märchen in aller Gelassenheit Einspruch schen Gründen besonders belasten will. Beim Erdgas ist erheben. es genau umgekehrt. Auf Erdgas, das zur Stromerzeu- gung verwendet wird, wird die Ökosteuer erhoben, wäh- Außerdem, Herr Hempelmann, müssen Sie bitte be- rend es nach dem TEHG das Maß aller Dinge ist. Fisch- denken: Wenn ein modernes Kraftwerk mit einem Wir- besteck und Suppenteller passen nicht zusammen. kungsgrad von 43 oder 46 Prozent in der Reservevorhal- tung für die Einspeisung der Windkraft gefahren wird, Die Kellner stehen schon hinter den Gästen, um ih- nen, noch bevor sie richtig zu essen begonnen haben, wer kommt dann, bitte schön, für die CO2-Emissionen auf? Das müsste einmal geklärt werden. beim ersten Gang die Nahrung, nämlich die Emissions- rechte, zu entreißen. Anders kann man es nicht bezeich- Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat, nen, wenn bereits in der ersten Zuteilungsperiode wie von ihr selbst zugegeben, ein Problem bei der Ver- – wohlgemerkt: Es handelt sich um eine Übergangs- und mittlung ihrer Politik. Wenn man sich die komplizierte Probephase, die uns von der EU zugestanden wird – Materie des Emissionshandelsgesetzes ansieht, dann deutliche Kürzungen bei den Emissionsrechten vorge- wird man sehr schnell verstehen, dass es hier ganz stark nommen werden. auf eine allgemein verständliche Vermittlung ankommt. In diesem Zusammenhang fand ich einen Vergleich des (Horst Kubatschka [SPD]: Wie hängt das mit Sachverständigen Dr. Rothermel in der Anhörung zum dem Besteck und den Tellern zusammen? – TEHG am 9. Februar außerordentlich gut und bildhaft. Ulrich Kelber [SPD]: Wo steht das im TEHG?) Er verglich die Einführung des Emissionshandels mit– Auch Sie haben über den Nationalen Allokationsplan dem Versprechen eines Fünfgängemenüs. Mit demgesprochen. Emissionshandelsgesetz zeigt die Bundesregierung dem staunenden Publikum eine gedeckte Tafel und verlangt Denken Sie bitte auch an die Gäste! Da gibt es einige von uns als Parlamentariern, dass wir das von ihr ge-Gäste, die ihre Zeche schon längst bezahlt haben. Dazu kochte Fünfgängemenü in seiner Güte beurteilen und es zählen die Unternehmen in den neuen Bundesländern möglichst als sehr gut befinden. Nun wissen Sie alle,und die Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen, meine dass wir noch nicht einmal die Speisekarte kennen. Die lieben Freunde. Die Industrie in Sachsen-Anhalt hat seit zahlreichen Verordnungsermächtigungen und die Tatsa- 1990 ihre CO2-Emissionen um 56 Prozent gemindert, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8803

Ulrich Petzold (A) während die Emissionsminderung über das gesamte lung auf Drucksache 15/2681, die genannten Gesetzent- (C) Bundesgebiet gerade einmal 19 Prozent betrug. Nicht würfe als Gesetz über den Handel mit Berechtigungen nur ich habe den Eindruck, dass einige Gäste noch nichts zur Emission von Treibhausgasen in der Ausschussfas- zur Begleichung der Gesamtrechnung beigetragen ha- sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- ben. entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Das Schlimme dabei ist, dass der Koch Trittin jetzt sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung alle gleichmäßig zur Kasse itten b will. Diejenigen, die angenommen. schon einmal bezahlt haben, sollen jetzt das Gleiche be- zahlen wie diejenigen, deren CO2-Einsparkonto noch Wir kommen zur voll ist. Doch Ungleiche gleich zu behandeln wider- dritten Beratung spricht unserer Verfassung. Die Regierung sollte sich nicht wundern, wenn die auf diese Weise schlecht behan- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem delten Bundesländer vor das Bundesverfassungsgericht Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- ziehen. len, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich der Stimme? – Damit ist der Gesetzentwurf mit Denjenigen, die scheinheilig die Frage stellen: „Sol- den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der len wir bei anderen das kürzen, was wir den neuen Bun- CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion desländern an Aufbaureserve zubilligen?“, gebe ich kurz angenommen. und knapp die Antwort: Ja; denn das verlangt die inner- staatliche Solidarität. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wo ist Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Herr Grill? – Ulrich Kelber [SPD]: Da sagen regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ihre NRW-Kollegen aber etwas anderes!) zes über Begleitregelungen zur Einführung des digitalen Kontrollgeräts zur Kontrolle der Lenk- Angesichts der Tatsache, dass man eine CO -Reserve für 2 und Ruhezeiten (Kontrollgerätbegleitgesetz – den Ausstieg aus der Kernenergie aufbauen kann, frage KontrGerätBeglG) ich: Wie viel größer müsste die Reserve sein, die man für den Wiederaufbau der neuen Bundesländer einrichtet? – Drucksache 15/2538 – Immerhin hat die Schaffung gleicher Lebensverhältnisse Verfassungsrang. (Erste Beratung 94. Sitzung) a) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- (Beifall bei der CDU/CSU) (B) schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswe- (D) Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie sen (14. Ausschuss) mir, dass ich Ihnen ein letztes Bild präsentiere. Wir ha- – Drucksache 15/2675 – ben einen Blick auf die gedeckte Tafel, die Kellner, den Koch und die Gäste geworfen. Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth) (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wo ist Herr Grill? – Heiterkeit bei der SPD und dem b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Haben Sie nicht die Sorge, dass eine ganze Reihe von – Drucksache 15/2680 – Gästen aus der Industrie jetzt aufstehen, gehen und sich ein anderes Lokal als die „Bundesrepublik Deutschland“ Berichterstattung: suchen könnten, in dem sie willkommener sind und in Abgeordnete Bartholomäus Kalb Gunter Weißgerber dem sie satte CO2-Emissionsrechte genießen können? – Wir haben diese Sorge. Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Günter Rexrodt Danke schön. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für (Beifall bei der CDU/CSU – Michaele Hustedt die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die wer- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Nachbar- den wir nicht benötigen, weil die Kollegen Ernst Kranz, länder haben auch Emissionshandel!) , Albert Schmidt (Ingolstadt) und Horst Friedrich (Bayreuth) sowie die Parlamentarische Staatssekretärin Angelika Mertens ihre Reden zu Proto- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: 1) Ich schließe die Aussprache. koll gegeben haben. Das spart Zeit, erspart uns aber nicht die notwendigen Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak- Abstimmungen über den von der Bundesregierung ein- tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen so- gebrachten Entwurf eines Gesetzes über Begleitregelun- wie von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzent- gen zur Einführung des digitalen Kontrollgeräts zur würfe über den Handel mit Berechtigungen zur Emission Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten auf der Drucksache von Treibhausgasen auf den Drucksachen 15/2328 und 15/2540. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- 1) Anlage 1 8804 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) 15/2538. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Woh-Verantwortlichen abgewählt werden können. Dies will (C) nungswesen empfiehlt unter Ziffer I seiner Beschluss- Chávez verhindern. empfehlung auf Drucksache 15/2675, den Gesetzent- wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte (Manfred Grund [CDU/CSU]: Wo ist eigent- diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zu- lich die Bundesregierung?) stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-– Da die Bundesregierung auch das letzte Mal nicht da men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei- war, wundert es einen nicht, wenn sie auch heute nicht ter Beratung einstimmig angenommen. da ist. Dritte Beratung (Manfred Grund [CDU/CSU]: Die ist wahr- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem scheinlich schon in Kolumbien!) Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. – StimmtDas macht deutlich, welche Bedeutung die Bundesregie- jemand dagegen? – Oder enthält sich jemand rung der der Frage von Freiheit und Unfreiheit zumisst. Stimme? – Ich vermute einmal, dass niemand absichtlich steht, sondern eher zufällig, und dass damit der Gesetz- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – entwurf einstimmig angenommen ist. Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Mein lieber Herr Kollege Hedrich!) Unter Ziffer II seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro- be! – Enthaltungen? – Auch diese Beschlussempfehlung Herr Kollege Hedrich, diese Schlussfolgerung geht ist einstimmig angenommen. vielleicht ein bisschen zu weit, Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20: (Beifall bei der SPD) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- auch wenn das Monieren der Nichtanwesenheit der Bun- richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-desregierung sicher in Ordnung ist. schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Jürgen Hedrich, Dr. Friedbert Pflüger, Hermann Gibt es die Bundesregierung überhaupt noch, Gröhe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Herr Präsident?) der CDU/CSU Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Vene- Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): (B) zuela unterstützen – Freiheit der Medien und Herr Präsident, ich nehme Ihren Hinweis zur Kennt- (D) wirtschaftliche Prosperität wiederherstellen nis. Ich habe mir natürlich meine eigenen Gedanken dazu gemacht. – Drucksachen 15/2389, 15/2671 – Ich habe gesagt, Chávez wolle einen demokratischen Berichterstattung: Wechsel verhindern. Es gibt einen Unterschied zwischen Abgeorndete Lothar Mark der Tatsache, demokratisch gewählt zu sein, und demo- Klaus-Jürgen Hedrich kratischem Verhalten. Staatspräsident Chávez hat dem Dr. Ludger Volmer Staatspräsidenten von Simbabwe, Herrn Mugabe, vor Harald Leibrecht kurzem eine Kopie des Schwertes von Bolivar mit dem Dazu ist interfraktionell eine halbe Stunde vorgese- Hinweis überreicht, er zeichne damit einen Freiheits- hen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. kämpfer aus. Dies ist ein Regime, das gebrochene Kin- der zu Foltermaschinen ausbildet. – Das zu Chávez und Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort, weil Mugabe. er sowieso schon hier steht, dem Kollegen Hans-Jürgen Hedrich für die CDU/CSU-Fraktion. Inzwischen haben sich Hunderte von Intellektuellen und Künstlern in einem Appell an die internationale Öf- fentlichkeit gewandt, übrigens Künstler, die tendenziell Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): dem linken Spektrum des Landes angehören. Vor kur- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undzem hat der Botschafter von Venezuela bei den Vereinten Herren! Wir beschäftigen uns erneut sachgerecht, wie Nationen, Dr. Milos Alcalay, seinen Posten mit der Er- ich glaube, mit dem Thema Venezuela; denn die Lage in klärung niedergelegt, er könne den Weg weg von der De- diesem Land spitzt sich von Tag zu Tag zu. Dieses Land mokratie nicht mehr international verantworten. Ich ist auf dem Weg in einen autoritären Unrechtsstaat. Die könnte Ihnen noch mehr Beispiele nennen. „Washington Post“ beschrieb dies vor einigen Tagen als „coup by technicality“. Übersetzt hieße das: ein Staats- Ich habe heute eine persönliche Bitte an den Kollegen streich durch bürokratisch-administrative Mittel. Lothar Mark. Er hat bei der ersten Lesung in seiner zu Protokoll gegebenen Rede ausgeführt, er billige nicht die Dies ist nicht neu in der Geschichte der Menschheit. Arbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung in Venezuela, weil Es ist typisch für Situationen während des schleichenden sie sich in die inneren Angelegenheiten einmische. Überganges von der Demokratie zur Diktatur. Man sagt, Chávez sei demokratisch gewählt. Das war auch Hitler. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Schwach- Die Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass die sinn!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8805

Klaus-Jürgen Hedrich (A) Die Zeiten, in denen man sich zurücklehnen konnte und Herzlichen Dank. (C) sich nicht dafür interessieren musste, was in einem ande- ren Land passiert, sind lange vorbei. Auch Venezuela hat (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Wiener Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen 1994 unterzeichnet. Danach gibt es das klassi- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: sche Prinzip der Nichteinmischung nicht mehr; das weiß Das Wort hat der Kollege Lothar Mark, SPD-Frak- natürlich auch der Kollege Mark. tion. Herr Kollege Mark, ich möchte Sie trotzdem bitten, die Formulierung, dass sich die Konrad-Adenauer-Stif- Lothar Mark (SPD): tung einseitig einmische, zurückzunehmen. Ich darf Sie Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass sich Seit der ersten Lesung des zu behandelnden Antrags ist die sozialdemokratischen Parteien in Venezuela – also die Lage in Venezuela im Zuge des Tauziehens um ein Ihre Partner in der Sozialistischen Internationale –, AD mögliches Abberufungsreferendum derart eskaliert, dass und MAS, in aller Schärfe – übrigens schärfer als diesie uns Anlass zu größter Sorge geben muss. Ich möchte CDU/CSU im Bundestag – gegen Chávez geäußert ha- daher an dieser Stelle einen Appell an die venezolani- ben. Ich darf Sie, Herr Mark, weiter darauf aufmerksam sche Regierung richten, den weiteren Verlauf eines mög- machen, dass es eine eindeutige Erklärung der Sozialisti- lichen Einspruchsverfahrens nicht zu behindern, sollten schen Internationale gegen das Chávez-Regime gibt. Die sich Coordinadora Democrática und Nationaler Wahlrat schärfste Kritik an der aktuellen Politik des Chávez-Re- auf ein solches einigen können. Beide Seiten, Regierung gimes ist in einer Erklärung der spanischen Sozialisten, und Opposition, rufe ich auf, in dieser schwierigen PSOE, formuliert. – Wir haben heute Morgen unsere An- Situation Ruhe zu bewahren und die Verfassung strikt teilnahme angemessen zum Ausdruck gebracht, dasseinzuhalten. Eine nicht demokratische oder gewaltsame Spanien von einem Terroranschlag im wahrsten Sinne Lösung des Konflikts würde nicht nur die ganze Region des Wortes getroffen wurde. erschüttern, sondern auch die regionalen Integrations- prozesse um Jahre zurückwerfen. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf verwei- sen, dass sich Chávez strikt weigert, die FARC, die auf (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Terrorliste der Vereinten Nationen steht, als Terroror- DIE GRÜNEN) ganisation zu bezeichnen. Das heißt, er schützt Terroris- Ich begrüße ausdrücklich die beabsichtigte Formulie- ten und duldet sie sogar auf seinem eigenen Territorium. rung einer interfraktionellen Resolution durch den Aus- Vor diesem Hintergrund müssen wir für die Demokraten schuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, die Partei ergreifen. (B) der Kollege Hedrich eben bereits angesprochen hat, in(D) Ich bin dankbar, dass sich der Menschenrechtsaus-der auf die Situation der Parlamentarier in Venezuela schuss dieser Frage eingehend angenommen und an das hingewiesen werden soll. Nicht erst durch die Pläne von deutsche Parlament einstimmig appelliert hat, unserePräsident Chávez, das Erfordernis der Zweidrittelmehr- nachhaltige Solidarität mit den Abgeordneten der Oppo- heit für grundlegende Gesetze abzuschaffen, sind in der sitionsparteien im Parlament von Venezuela auszudrü- Vergangenheit die Rechte der Parlamentarier in Vene- cken. Dazu sollten wir, auch wenn wir möglicherweise zuela verletzt worden. Ich erinnere in diesem Zusam- über unseren Antrag unterschiedlich abstimmen, in der menhang auch an die verfassungswidrige Auflösung des Lage sein. Parlaments durch den Interimspräsidenten Carmona im April 2002. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall des Abg. Hans Büttner [Ingolstadt] Zur Opposition gehören alle: Konservative, Christdemo- [SPD] – Hans-Christian Ströbele [BÜND- kraten, Parteien der bürgerlichen Mitte, Sozialdemokra- NIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! Das kommt ten und Sozialisten. Sie alle haben in einer Erklärung an bei der CDU/CSU überhaupt nicht vor!) die internationale Öffentlichkeit, die Ihnen vorliegt, dar- gelegt, dass Chávez die Möglichkeiten des Parlaments Die Situation hat sich nach der Bekanntgabe des Ur- ausschalten und die Rechte der Parlamentarier beschnei- teils des Nationalen Wahlrats zugespitzt. Dem Begehren den will. Unser Anstand gebietet uns, unsere Solidarität der Opposition nach einem Referendum über den Ver- mit den Parlamentariern der Opposition in Venezuelableib von Präsident Chávez im Amt wurde nicht stattge- zum Ausdruck zu bringen. geben. Die Begründung lautete: Von den abgegebenen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 3,4 Millionen Unterschriften seien nur 1,8 Millionen neten der FDP) gültig. An etwa 876 000 Unterschriften seien bei der Überprüfung Zweifel aufgekommen. Im Wesentlichen Ich möchte mit einer eher pathetischen Bemerkung beziehen sich diese auf dieTatsache, dass Unterschrift schließen. Wenn der Vorwurf erhoben wird, ich sei zu und Fingerabdruck zwar vom Unterzeichnenden stam- einseitig, men, der Name und die Ausweisnummer aber von einem Wahlhelfer eingetragen wurden. Es handelt sich dabei (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE um eine erst nach der Unterschriftensammlung vom GRÜNEN]: Ja!) Wahlrat beschlossene Regelung. Diese Unterschriften dann bekenne ich mich dazu: Ich bin immer auf der Seite sind nunmehr unter Beobachtung gestellt. Um das vor- der Demokratie und der Freiheit. gegebene Quorum von 2,4 Millionen Unterschriften zu 8806 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Lothar Mark (A) erreichen, müssten nun rund 600 000 Unterschriftenauf die Verifizierung der Unterschriften aus den infrage (C) überprüft bzw. erneut geleistet werden. stehenden Listen, die mit einer Handschrift ausgefüllt wurden. Sie appellierten an den Wahlrat, vom guten Derzeit finden Gespräche zwischen der Opposition Glauben der Bürger auszugehen, die beim Ausfüllen der und dem Nationalen Wahlrat über dieAusgestaltung Listen behilflich waren. OAS und Carter-Center richten des Überprüfungsverfahrens statt. Die Opposition will den dringenden Aufruf an die Bürger, die staatlichen verhindern, dass die Beweislast umgekehrt wird und die Kräfte und die Medien, ihren Beitrag dazu zu leisten, Bürger nochmals unterschreiben müssen. Des Weiteren dass eine friedliche Lösung unter Wahrung der Men- ist sie mit der Verkürzung der vorgesehenen Frist für ein schenrechte möglich bleibt. Die Europäische Union hat solches Bestätigungsverfahren von fünf auf nunmehrsich dieser Erklärung mit einer Presseerklärung vom zwei Tage nicht einverstanden. 5. März inhaltlich angeschlossen. Die deutsche Botschaft in Caracas bestätigte gestern Meine Damen und Herren, nach wie vor gilt in Bezug auf Anfrage, dass für heute ein Treffen der Coordinadora auf die Beurteilung des vorliegenden Antrages, dass er Democrática mit den Vertretern des Nationalen Wahlra- der Situation in Venezuela nicht gerecht wird. tes anberaumt sei, in dessen Verlauf es zu einer Einigung bezüglich des Überprüfungsverfahrens kommen könnte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des – Hoffen wir es. – Die Coordinadora habe die Einladung BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zu Gesprächen bisher abgelehnt, denn bis heute habe Er findet daher auch weiterhin nicht unsere Zustim- man die Datenbasis, also die Unterschriftenlisten, abge- mung. Die Gründe dafür liegen auf der Hand und haben glichen. Parallel betreibe die Coordinadora die gerichtli- auch durch die aktuellen Entwicklungen nicht an Gültig- che Überprüfung der Wahlratsentscheidung. keit verloren: Sollte es zu einer Einigung kommen, wird die Über- Der Antrag ist hinsichtlich der Situationsanalyse un- prüfung aller Voraussicht nach an zwei Tagen Ende differenziert und unglücklich in seiner Schwerpunktset- März stattfinden. Sofern das erforderliche Quorum zu- zung auf die Medienfreiheit und die wirtschaftliche Si- stande kommt, wäre damit ein Referendum im Mai oder tuation in Venezuela. So wird zum Beispiel die Juni möglich. Einflussnahme der privaten Medien als politische Ak- Es wird allerdings zunehmend sichtbar, dass Präsi- teure überhaupt nicht berücksichtigt. Auch die Auswir- dent Chávez zum Zweck des Machterhalts bereit ist, alle kungen des wochenlangen nationalen Ausstandes auf Register, die eine verfassungsgemäße Deckung oderdie Wirtschaft, insbesondere die Erdölwirtschaft, wer- auch nur eine Halbdeckung haben, zu ziehen, um ein Re- den nicht aufgezeigt. ferendum abzuschmettern. (B) Seine einseitige Parteinahme für die Opposition ist(D) In den vergangenen Tagen ist es unter dem Eindruck nicht hilfreich. Der Antrag trägt nicht der Tatsache des Wahlratsurteils zu Massendemonstrationen – circa Rechnung, dass die Opposition auch als Teil des Pro- 500 000 Menschen – gegen die Regierung und zu Sym- blems und nicht nur als Teil der Lösung zu sehen ist. pathiebekundungen für Chávez gekommen. Dabei hat es (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mehrere Todesopfer und Verletzte gegeben. Regierung DIE GRÜNEN) und Opposition weisen sich hierfür gegenseitig die Schuld zu. Tatsache ist, dass die Todesopfer überwie- So zeugen zum Beispiel der versuchte Staatsstreich gend der Opposition zuzuordnen sind. Namhafte Men- im April 2002 oder die Ausrufung des nationalen Aus- schenrechtsorganisationen wie Human Rights Watchstands im Dezember 2002 nicht von verantwortungsvol- oder Amnesty International haben sich besorgt über die lem Handeln einer demokratisch gesinnten Opposition, Menschenrechtslage geäußert. Auch wir bedauern diese wie im Antrag angenommen. Es ist nämlich eben nicht Entwicklung zutiefst. so, dass auf der einen Seite die hehren Demokraten und Verteidiger der Freiheit stehen und auf der anderen Seite Es mehren sich außerdem Besorgnis erregende Hin- die Kräfte, die das Land in die Diktatur führen. weise darauf, dass die Regierung versucht, Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die am Referendum teilge- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE nommen haben, unter Druck zu setzen. Ihnen soll die GRÜNEN]: Genau!) Kündigung drohen, wenn sie ihre Unterschrift nicht wi- derrufen. Zwar wird dies aller Voraussicht nach für das Es werden keine Perspektiven aufgezeigt, wie eine Gesamtergebnis nicht ausschlaggebend sein, dennoch Dialoglösung seitens des Deutschen Bundestages geför- muss dieses Vorgehen der Regierung in aller Schärfe kri- dert werden könnte. Im Gegenteil: Durch die oben ge- tisiert werden. kennzeichnete Analyse wird die Polarisierung der vene- zolanischen Gesellschaft zumindest nicht gemindert und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ eine dauerhafte demokratische Konsensfindung zwi- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der schen den Lagern nicht begünstigt. CDU/CSU) Auch wenn man nach den Ereignissen der vergange- Das Carter-Center und die OAS bestätigten in einer nen Tage gegenüber der Regierung Chávez äußerst kri- Pressemeldung vom 2. März den weitgehend sauberen tisch und skeptisch eingestellt sein muss, macht dies die Ablauf der Unterschriftensammlung und konstatierten Rolle der Opposition nicht besser. Es kann doch nicht diplomatisch „Diskrepanzen“ mit dem Wahlrat in Bezug sein, dass jegliche differenzierte Betrachtung und kriti- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8807

Lothar Mark (A) sche Auseinandersetzung mit der venezolanischen Op- einseitige Einmischung der KAS in Caracas dienlich ist, (C) position als Verteidigung der Regierung gewertet wird. bleibt allerdings mehr als fraglich – zurückzunehmen. Damit befänden wir uns in der gleichen Sackgasse, in Ich nehme sie nicht zurück. Ich habe mich in vielfältiger die das Land seit Jahren steuert und die Ursache dafür Weise erkundigt und festgestellt, dass viele andere Ein- ist, dass alle vorhandene Energie verpufft: einerseits in richtungen und Organisationen die Situation auch so se- den Bemühungen der Opposition, die Regierung zu de- hen. Weil mich auch Kollege Weiß und Kollegin Nolte stabilisieren, andererseits in den Bemühungen der Re- in dieser Sache angeschrieben haben, weise ich darauf gierung, sich an der Macht zu halten und die Opposition hin, dass vielmehr das Gegenteil zutrifft. Es wird ver- verfahrenstechnisch zu schwächen. mutet, ich könnte dazu beitragen, dass die Konrad- Adenauer-Stiftung in Caracas Probleme bekommt. Wir beobachten in der aktuellen Situation, dass die Oppositionsbewegung weiterhin nur eine Anti-Chávez- Ich kann Ihnen sagen – das habe ich bis heute bewusst Bewegung ist, ohne dass bis heute alternative Konzepte zurückgehalten –, dass ich am 3. März dieses Jahres da- der Politikgestaltung erkennbar wären. für gesorgt habe, dass die Mitarbeiter der Konrad- Adenauer-Stiftung nicht aus Venezuela ausgewiesen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des werden. Diese Ausweisung steht aber nicht im Zusam- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) menhang mit meiner Rede, sondern es hat ganz andere Ich rufe daher eindringlich dazu auf, die Verantwortung Gründe. Als ich davon erfahren habe, habe ich sofort beider Seiten für die desolate Lage Venezuelas zu sehen massiv interveniert und zum Ausdruck gebracht, dass und zu benennen, auch wennsie vielleicht als graduell ein solcher Schritt im Interesse der Bundesrepublik unterschiedlich beurteilt werden kann. Deutschland, der Europäischen Union und auch von Ve- nezuela selbst nicht vollzogen werden dürfe. Meine Damen und Herren, die internationale Ge- meinschaft muss in dieser Situation sehr wachsam sein. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wie im Übrigen von beiden Lagern gewünscht, sollte die internationale Kontrolle des Überprüfungsverfahrens (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und im Weiteren gegebenenfalls eines Referendums ver- DIE GRÜNEN) stärkt werden. Nur so kann in der venezolanischen Be- völkerung wieder Vertrauen in diesen Abstimmungspro- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: zess und in die Institutionen aufgebaut werden. Das Wort hat nun der Kollege Markus Löning, FDP- Fraktion. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) (D) (B) Dies ist meines Erachtens in der derzeitigen verfahrenen Lage die einzige Möglichkeit, um den Druck aus dem Markus Löning (FDP): Kessel zu nehmen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Mark, als Vorbemerkung möchte ich darauf eingehen, Hier brauchen wir also keine Schwarz-Weiß-Anträge, was Sie zu der Frage gesagt haben, ob die Opposition in die Gräben vertiefen, anstatt Brücken zu bauen. Aus die- Venezuela demokratisch oder nicht demokratisch ist. Ich sem Grund werden wir Ihren Antrag, wenn mehr von un- glaube, diese Frage ist nicht der entscheidende Punkt. seren Leuten anwesend sein werden, mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ablehnen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/ Es geht nicht darum, ob die Opposition demokratisch ist CSU]: Wir können gleich abstimmen, wenn oder nicht. Es wird ja gar nicht abgestritten, dass nicht Sie wollen! – Weiterer Zuruf von der CDU/ alles so ist, wie wir es uns wünschen. Die Frage ist: Wird CSU: Überlegt euch das noch mal!) letztendlich auf demokratischem Wege ein Volksbegeh- ren durchgeführt oder nicht? Darum geht es. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit. GRÜNEN]: Das ist richtig! Ja!) Diese Frage müssen wir in den Vordergrund stellen. Ich (SPD): Lothar Mark glaube, hier sind wir uns weitgehend einig. Ich kann das auch als Intervention machen; denn ich wurde ja aufgefordert, zu diesem Thema zu sprechen. (Lothar Mark [SPD]: Ja, dazu habe ich mich positioniert!) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie versuchen, uns Ich wollte Sie ja nur an Ihre Redezeit erinnern. zu unterstellen, wir würden eine Opposition schönreden, die gar nicht demokratisch ist. Lothar Mark (SPD): (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Gut, ich bin auch sofort fertig. GRÜNEN]: Lesen Sie noch mal den Antrag! – Herr Kollege Hedrich bat mich, eine Formulierung Lothar Mark [SPD]: Aber es steht ja im Antrag aus meiner Rede vom 12. Februar dieses Jahres – ob die so drin!) 8808 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Markus Löning (A) Die FDP wird den Antrag der CDU/CSU unterstützen, nichts passiert und alles bleibt, wie es ist, sollten wir als (C) weil wir der Meinung sind, esist wichtig, von hier aus Deutsche bzw. als EU angesichts der ernsten Situation das Signal zu geben, dass wir die Situation in Venezuela bereit sein, Sanktionen zu verhängen. Wir müssen gege- im Blick haben. benenfalls deutliche Worte finden, um zu verhindern, dass das Land weiter in die Autokratie abrutscht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Danke. GRÜNEN]: Nicht dieses Signal!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich habe selten so viele Rückmeldungen bekommen wie auf meine Rede, die ich in der Debatte vor einiger Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zeit hier gehalten habe. Genau das zeigt mir, wie wichtig Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian es ist, dass wir uns mit der Situation inVenezuela aus- Ströbele. einander setzen.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE Vor zwei Tagen haben wir diese Debatte im Ausschuss GRÜNEN): geführt. Dort wurde von Ihrer Seite argumentiert, dass Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- die Behandlung dieses Themas gar nicht nötig sei und gen! Über das, was Sie, Herr Kollege Löning, zuletzt ge- dass man nur Appelle aussprechen könne, durch die man sagt haben, können wir uns durchaus verständigen. Wir aber nichts bewegen könne. – Alles Unfug! Natürlichkönnen uns ja überlegen – auch im Ausschuss –, ob wir wird diese Diskussion wahrgenommen. Wo sind wirnicht einen gemeinsamen Antrag einbringen, in dem wir denn hier? uns für ein demokratisch zustande gekommenes Refe- rendum einsetzen. Dabei sollten wir allerdings die Pro- (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Aber es bleme berücksichtigen, die hier in dieser Debatte schon muss auf Dialog zielen! – Zuruf von der CDU/ dargestellt worden sind. CSU: Ja!) Ich bin vor einem Monat, als hier die erste Lesung – Es tut mir Leid, aber was ist denn das für eine Aussage dieses Antrags stattgefunden hat, von einigen in dem über den Deutschen Bundestag? Ich fand es unerträglich, Sinne missverstanden worden, dass ich mich auf die dass so etwas über einen Antrag zu einem sehr ernsten Seite von Präsident Chávezhätte schlagen wollen. – Thema, mit dem wir uns hier auseinander setzen, gesagt Dem ist nicht so. Das Handeln, vor allen Dingen aber wird. auch die Worte dieses Präsidenten sind in vielfacher (B) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Hinsicht zu kritisieren. Ich stimme mit Ihnen überein:(D) Allen Versuchen, demokratische Rechte von Parlamen- Meine Damen und Herren, es geht um die Menschen tariern zu beschneiden oder einzuschränken, müssen wir in Venezuela. Ich verstehe auch nicht, warum Sie, wenn entgegentreten. In einer Demokratie dürfen Parlamenta- Kollege Hedrich von Demokratie und Freiheit spricht, riern nicht die Rechte beschnitten werden. etwas höhnisch grinsen; denn um diese Themen geht es in Venezuela. Das ist auch der Grund, aus dem wir Freie Genauso wenig dürfen in einer Demokratie die Mög- Demokraten diesen Antrag lichkeiten von Demonstrationen des Volkes auf der Straße – ein wichtiges Willensbildungselement in einer (Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE Demokratie – eingeschränkt werden. Wenn es gar zu GRÜNEN): Er lässt wesentliche Fragen weg!) Auseinandersetzungen mit Toten und Verletzten kommt, – auch wenn er vielleicht an der einen oder anderenist das nicht erträglich. Dann müssen unabhängige Un- Stelle besser formuliert und etwas aktueller sein könnte tersuchungen darüber stattfinden, wie es dazu gekom- – unterstützen. men ist. Der Einsatz von Sicherheitskräften, insbeson- dere des Militärs, muss kontrolliert werden. Das fordern (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wir nicht nur in Europa, sondern auch von Ländern wie Venezuela; in diesem Punkt sind wir uns völlig einig. Es ist wichtig, von hier das Signal an die Menschen aus- zusenden, dass wir die Situation in Venezuela beobach- Wir sind uns ebenfalls einig darin, dass die wirt- ten. Auch ist es sehr wichtig, Herrn Chávez das Signal schaftliche Lage und die Lage der Demokratie in Vene- zu geben, dass wir das Landnicht ignorieren und dass zuela äußerst schlecht ist. Wir unterstützen vieles von wir ihm das, was er dort tut, nicht durchgehen lassen. dem, was dieser Präsident vor seiner Wahl angekündigt (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE hat: die Bekämpfung der Armut, vor allem die Bekämp- GRÜNEN]: Dazu sollten Sie mal einen Antrag fung der Korruption. Das war ja eine seiner zentralen machen! – Lothar Mark [SPD]: Wenn Sie Forderungen, mit der er Erfolg gehabt hat. Offensicht- meine Rede richtig verstanden hätten, dann lich war dieser Kampf nach allem, was vorher passiert müssten Sie das ja attestieren!) ist, notwendig. Wir müssen aber feststellen, dass diese Versprechungen in der Praxis dieser Regierung nicht ein- Herr Mark, das, was Sie zum Thema der internationa- gehalten worden sind. Die Erfolge, die man dem Volk len Kontrolle gesagt haben, unterstütze ich. Ich glaube, versprochen hat, sind nicht eingetreten. Die Wertung der wir sollten noch viel stärker darauf drängen, dass dieser Arbeit dieser Regierung müssen wir dabei letztlich allein sehr gute Weg beschritten wird. Wenn in diesem Bereich dem venezuelanischen Volk überlassen. Die müssen sa- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8809

Hans-Christian Ströbele (A) gen: Das hast du versprochen – was hast du eingehalten? Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (C) Was ist die Alternative dazu? – Das muss in einem Ihre Redezeit ist bereits abgelaufen. Also fassen Sie Wahlprozess zur Diskussion und zur Abstimmung ge- sich beide bitte kurz. stellt werden. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Nun wirk- Hinsichtlich des Referendums haben Sie mich voll lich! Nehmt eure Mehrheit woanders her! – auf Ihrer Seite; das habe ich Ihnen im Ausschuss schon Weiterer Zuruf von der FDP: Ach nein! Es gesagt. Man kann nicht die Absetzung des Präsidenten geht nicht um Mehrheiten! – Ute Kumpf als Möglichkeit in die Verfassung schreiben, wie es Herr [SPD]: Es geht um die Sache! – Lachen bei der Chávez getan hat, dann aber, wenn ein Referendum mit CDU/CSU und der FDP) einer solchen Zielsetzung angestrebt wird, schon von vornherein, bevor man überhaupt die Unterschriften- Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): zettel kontrolliert hat, von Wahlbetrug sprechen. Das ist Es geht hier eindeutig um die Sache. Herr Kollege völlig daneben und kann nicht unsere Billigung finden. Ströbele, vorhin hat der Redner der CDU/CSU-Bundes- Dieses Vorgehen begründet den Verdacht, dass bei der tagsfraktion, Kollege Hedrich, behauptet, dass FARC in Prüfung dieser Unterschriften erhebliche Kritik ange- Venezuela eine Chance habe oder sich gar bewegen bracht ist und wir dreimal hingucken müssen. könne. Ich weiß nicht, ob er dafür Beweise hat. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch feststel- (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!) len, dass von den über 3 Millionen Unterschriften ganz Aber vielleicht können Sie in irgendeiner Weise eine offensichtlich eine ganze Reihe zweifelhaft sind. Wenn Antwort auf das geben, was er letztlich als Vorwurf for- ich das richtig weiß, hat selbst die Opposition nicht bei muliert hat. zehn oder 200 oder 2 000, sondern bei immerhin 200 000 dieser Unterschriftenzettel davon gesprochen, (BÜNDNIS 90/DIE dass sie nicht richtig zustande gekommen sind und zu- Hans-Christian Ströbele GRÜNEN): rückgezogen werden müssen. Wenn der Oberste Wahlrat dann erklärt, noch sehr viel mehr Unterschriftenzettel Herr Kollege, diese Frage ist völlig berechtigt. Ich müssten überprüft werden, sollten wir das aufgreifenhabe bereits im Ausschuss zu dieser Frage Stellung ge- und dürfen nicht von vornherein sagen: Dieser Wahlrat nommen. Ich will auch hier dazu Stellung nehmen. Wir, macht nur das, was Präsident Chávez sagt. Das heißt, wir ich selber, die Koalition und auch die Bundesregierung, müssen fordern, dass eine objektive, eine rechtsstaat-haben immer wieder vor einer Entwicklung in Kolum- liche Überprüfung der Voraussetzungen für das Referen- bien gewarnt, die dazu führt, dass unter anderem FARC- Rebellen, aber auch andere militärische Kräfte, die in (B) dum erfolgt. Wenn es inVenezuela nicht möglich ist, (D) sich auf eine allseits akzeptierte Überprüfung zu einigen, Kolumbien unter Druck geraten, in die Nachbarstaaten weil die Fronten zu verhärtet sind, müssen wir – dasausweichen. Das gilt sowohl für Ecuador als auch für finde ich richtig, das sollten wir auch von hier aus for- Brasilien sowie für Venezuela als Nachbarstaaten. dern – eine internationale Überprüfung in die Wege lei- (Manfred Grund [CDU/CSU]: Es sind jetzt ge- ten. Das wird wahrscheinlich nicht von Deutschland aus nügend Leute da! Sie können aufhören!) passieren können, aber es wird von den Nachbarstaaten aus durchaus möglich sein. Unter anderem lehnen wir den Plan Colombia für Ko- lumbien ab, weil wir sagen: Das führt dazu, dass der Wir müssen vorher beide Seiten – die Opposition und Krieg, der in Kolumbien stattfindet, jetzt auch in Vene- die Regierung – auffordern, ein solches Ergebnis anzu- zuela oder Ecuador geführt werden soll. Das heißt, die erkennen. Dann wird entweder ein Referendum durch- Behauptung von Ihnen, Herr Chávez stecke mit der Gue- geführt oder nicht, falls die Anzahl der gültigen Unter- rilla aus Kolumbien unter einer Decke, ist eine unbewie- schriften nicht ausreicht. Nach einem Referendumsene Unterstellung. Das muss man ganz konkret feststel- müssten Neuwahlen stattfinden. len. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lassen Sie mich abschließend einen Satz wiederho- und bei der SPD) len: Ihr Antrag ist deshalb nicht zustimmungsfähig, weil er den Eindruck erweckt, als ob nur die Opposition an Lassen Sie mich meinen anderen Satz noch zu Ende die Regierung gebracht werden müsste, um in Venezuela bringen. ökonomisch vernünftige und demokratische Verhältnisse herzustellen. Dem ist absolut nicht so. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) – Aber natürlich! Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Redezeit ist jetzt doch abgelaufen. Kollegen Weisskirchen?

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): GRÜNEN): Ich komme zu dem Satz, mit dem ich aufgehört habe. Ja. Ich sage Ihnen: Eine Opposition, die 40 Jahre lang 8810 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Hans-Christian Ströbele (A) Gelegenheit hatte, in Venezuela eine demokratische und (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (C) ökonomisch vernünftige Politik zu machen, die an der GRÜNEN]: Wir auch!) Korruption gescheitert ist – deshalb wurde dieser Präsi- dent gewählt –, die vor zwei Jahren – Uribe erklärt klar und deutlich: Bei der Terrorismusbe- kämpfung an den kolumbianischen Grenzen besteht Einvernehmen und Gemeinsamkeit mit sämtlichen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nachbarstaaten, die von der politischen Farbe her zum Herr Kollege! Teil sehr unterschiedlich regiert werden. Das einzige Land, mit dem das nicht funktioniert, ist Venezuela. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deswegen ist es offenkundig, dass Chávez es hin- – einen Putsch durchgeführt hat und als erste Maß- nimmt und duldet – wenn nicht sogar fördert –, dass das nahme das Parlament aufgelöst hat, hat sich selber dis- venezulanische Staatsgebiet von der kolumbianischen kreditiert und ist auch keine Alternative für Venezuela. Guerilla als Rückzugsgebiet genutzt wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE und bei der SPD) GRÜNEN]: Das ist doch eine Unterstellung! Wie können Sie sagen, dass er das fördert? Es gibt keinen Beweis dafür!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Weiß. Sie Ich habe in Caracas mit Vertretern dreier unterschiedli- haben gesehen, es sind extra viele Kollegen in den Ple- cher Menschenrechtsorganisationen Venezuelas gespro- narsaal gekommen, um Ihnen zum Geburtstag zu gratu- chen. Alle drei haben mir bestätigt, dass sie vor Ort klare lieren. Das tun wir hiermit. Erkenntnisse darüber gewonnen haben, dass die kolum- (Beifall – Ute Kumpf [SPD]: So sind wir bianische Guerilla auf venezolanischem Staatsgebiet frei eben!) schaltet und waltet. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Genau!) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Vielen Dank, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Punkt muss offensiv, klar und deutlich angespro- chen werden. Dafür gibt es keine Entschuldigung. (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Peter, nun sei auch versöhnlich!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (B) – Der Kollege Weisskirchen ruft mir zu: Sei versöhnlich! (D) Doch ich verstehe die Argumentationsweise der Kolle- Venezuela befindet sich in diesen Tagen in einer sehr gen Mark und Ströbele nicht. Man muss sich bei einer kritischen Situation; denn es ist offenkundig, dass die Rede im Parlament fragen: Wem soll das nutzen, was ich Unterschriften für das Abberufungsreferendum nur auf hier sage? massiven politischen Druck von Chávez nicht anerkannt wurden. Das Abstimmungsergebnis im Wahlrat betrug (Lothar Mark [SPD]: Der Demokratie, und drei zu zwei. Die unabhängigen Beobachter der OAS zwar auf beiden Seiten!) und des Carter-Zentrums kritisieren dieses Ergebnis klar Das Argument, auf die Mängel der früheren Regierun- und eindeutig. Ein Präsident, der von Anfang an und bis gen und politischen Parteien hinzuweisen, ist berechtigt. heute nur erklärt, dieses Referendum sei ein Megabe- Aber das ist ja auch die typische Methode, mit der Chávez trug, macht deutlich: Er ist gar nicht an einem fairen argumentiert und seine antidemokratische Politik durch- Auszählverfahren interessiert. Für ihn stand von vorn- setzt. herein fest, dass ein Referendum für ihn und seine Re- gierung nicht infrage kommt, obwohl es in der Verfas- (Lothar Mark [SPD]: Aber die Opposition ist sung vorgesehen ist. Das ist der von Anfang an klar auch antidemokratisch!) geäußerte antidemokratische Wille des Herrn Chávez, So, wie Sie das jetzt praktisch vorgetragen haben, ist das den es eindeutig zu verurteilen und zu kritisieren gilt. nur Wasser auf die Mühlen von Chávez. Man muss sich (Beifall bei der SPD – Hans-Christian Ströbele immer fragen: Wem nutzt es? [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – wir auch getan!) Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Wenn man fragt, auf was dieser Präsident eigentlich GRÜNEN]: Das legitimiert unsere Kritik an noch reagiert, bekommt man immer die Antwort: Wenn, Chávez!) dann nur auf Druck von außen. Deswegen glaube ich: So Das Gleiche gilt – ich denke an die zur Mehrheitsbe- weit Venezuela auch von uns weg ist, wir Deutschen und schaffung notwendige Frage des Kollegen Weisskirchen wir Europäer würden einen großen Fehler begehen, an den Kollegen Ströbele – für die Tätigkeit der kolum- wenn wir jetzt nicht mit einer klaren und eindeutigen bianischen Guerilla. Kürzlich war Staatspräsident Uribe Äußerung den notwendigen politischen Druck aufbauen aus Kolumbien hier. Die Bundesregierung – auch Vertre- würden, der Chávez vielleicht doch noch zum Einlenken ter der SPD-Fraktion – hatte Gelegenheit, ausführlich mit bringt und der die Voraussetzung dafür ist, dass es in Ve- ihm zu sprechen. nezuela wieder zu einer vernünftigen politischen und Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8811

Peter Weiß (Emmendingen) (A) wirtschaftlichen Entwicklung kommen kann; darum geht Angesichts seiner potenziellen wirtschaftlichen(C) es. Stärke und angesichts seines Ölreichtums ist Venezuela ein wichtiges und bedeutendes Land in Lateinamerika. (Beifall des Abg. Markus Löning [FDP] – Hans- Es kann uns nicht egal sein, dass sich dieses Land zu ei- Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ner autoritären Diktatur entwickelt. Deswegen wäre es NEN]: Machen Sie einen vernünftigen Antrag, notwendig gewesen, dass wir im Deutschen Bundestag dann können wir darüber reden!) ein einheitliches und klares Signal senden. Ich bedauere Deswegen kann ich es nicht verstehen, dass mit Argu- außerordentlich, dass Rot-Grün aus mir nicht verständli- menten, die zum Teil an den Haaren herbeigezogen sind, chen Gründen dazu nicht bereit und in der Lage ist. versucht wird, den Antrag der CDU/CSU heute hier im (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bundestag abzulehnen. Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Dann müs- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE sen Sie einen anderen Antrag formulieren! – GRÜNEN]: Er ist einfach schlecht und einsei- Lothar Mark [SPD]: Einem einseitigen Antrag, tig!) der von Blinden gestellt ist, können wir nicht zustimmen!) – Herr Ströbele, wenn er schlecht wäre, dann hätte ich es ja verstanden, wenn die Koalitionsfraktionen Ände- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: rungsanträge in die Ausschussberatungen eingebracht Ich schließe damit die Aussprache. oder heute einen eigenen Antrag vorgelegt hätten. Das haben Sie aber nicht getan. Das Europäische Parlament Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti- war gestern mit den Stimmen der Christdemokraten und gen Ausschusses auf Drucksache 15/2671. Der Ausschuss der Sozialdemokraten in der Lage, gemeinsam eine klare empfiehlt die Ablehnung des Antrags der Fraktion der Entscheidung zu treffen und ein klares Signal an Vene- CDU/CSU auf Drucksache 15/2389 mit dem Titel: „De- zuela zu senden. Dass der Deutsche Bundestag ange-mokratie und Rechtsstaatlichkeit in Venezuela unterstüt- sichts der Verweigerung von Rot-Grün heute offensicht- zen – Freiheit der Medien und wirtschaftliche Prosperität lich nicht in der Lage dazuist, gibt einem in der Tat zu wiederherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- denken. Das halte ich für eine Niederlage und nicht für fehlung des Ausschusses? – Gegenstimmen? – Enthaltun- einen Sieg der Demokratie. gen? – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Manfred Grund [CDU/CSU]: Traurig! – Ulrich Heinrich [FDP]: Denn sie wissen nicht, Ich stelle einmal die Frage: Cui bono? Wem nützt was sie tun!) denn das, was sich hier abspielt? (B) Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD (D) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von GRÜNEN]: Ja, eben!) CDU/CSU und FDP angenommen worden. Ich nehme den Kolleginnen und Kollegen der Sozialde- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 a auf: mokraten und der Grünen gerne ab, dass auch sie, wie Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst wir, die Entwicklung in Venezuela mit großer Sorge beo- Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), bachten. Eberhard Otto (Godern), weiterer Abgeordneter (Lothar Mark [SPD]: Der Bevölkerung in Ve- und der Fraktion der FDP nezuela nützt das nichts! Polarisierung nützt in Investitionen in Verkehrsinfrastruktur sicher- keinem Fall irgendjemandem!) stellen Das heutige Abstimmungsergebnis wird aber nur – Drucksache 15/2423 – Chávez und seinen Anhängern nutzen. Sie werden Ihre Überweisungsvorschlag: Reden – ich gebe gerne zu: von Ihrer Seite aus ist dies Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) nicht gewollt – als Unterstützung für ihre Position wer- Haushaltsausschuss ten. Von daher bitte ich Sie noch einmal herzlich, sich zu Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die überlegen, ob wir heute das richtige oder das falsche Si- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die gnal nach Venezuela senden. FDP fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi- (Lothar Mark [SPD]: Wenn man meine Rede derspruch. Dann ist so beschlossen. als Unterstützung wertet, muss man mit dem Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst Klammerbeutel gepudert sein!) der Abgeordnete Horst Friedrich. Wir haben es als deutsche Parlamentarier und Europäer in der Hand, ob wir unseren Parlamentskolleginnen und Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): -kollegen in Venezuela die notwendige Unterstützung Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! geben und eine Lanze für Demokratie und Freiheit bre- Es ist einigermaßen schwierig, sich von der großen Politik chen. und den Menschenrechten in Venezuela abzuwenden und ei- nem für uns in Deutschland sicherlich mindestens genauso (Lothar Mark [SPD]: Dann muss Ihr Antrag von drängenden Problem zuzuwenden, nämlich der Sicherstel- der Grundbasis her demokratisch sein!) lung der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Dieses 8812 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Horst Friedrich (Bayreuth) (A) brennende Thema ist in unserem Antrag vom Januar do- Rest müsste dringend ausgebaut werden, von neuen Ver- (C) kumentiert worden. Dabei agieren die Bundesregierung kehrswegen ganz zu schweigen. und die sie tragenden Fraktionen offensichtlich nach wie vor nach den Prinzipien Hoffnung und Glauben. Damit Ich will gar nicht auf die sehr positive Antwort der kann man aber weder Verkehrswege bauen noch Arbeits- Bundesregierung bezüglich der Finanzierung der Ver- plätze erhalten noch neue schaffen. kehrswege für die Fußballweltmeisterschaft eingehen. Das basiert alles auf der Annahme, dass das Geld, das Wie anders ist denn zu verstehen, dass der für diesen Sie angeblich so seriös vorfinanziert haben, tatsächlich Bereich zuständige Minister, Manfred Stolpe, auf Nach- fließt. Das glaube ich, ähnlich wie bei der Umsetzung fragen erklärt: Ich bin mir mit dem Bundeskanzler und der Maut, erst dann, wenn ich es tatsächlich gesehen dem Finanzminister einig, dass Investitionen stattfinden habe. Von einer Bundesregierung, die die Aufgabe hat, müssen. – Dieser Aussage kann man zwar uneinge-einen Haushalt vorzulegen, der den Grundsätzen der schränkt zustimmen. Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit entspricht, er- warte ich mehr als das, was Sie vorlegen. Das zeigt aller- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) dings auch die Not, in der Sie sind. Aber was heißt das für seinen Etat? Die Ausgangssitua- Das Schlimme an dem ganzen Dilemma ist, dass Sie tion war folgende: Der Minister hat in völliger Nichtbe- offensichtlich völlig ignorieren, dass Arbeitsplätze in der achtung der Beschlüsse des Vermittlungsausschusses zur überwiegend mittelständisch geprägten Bauwirtschaft Maut – diese hat die FDP Gott sei Dank nicht mitgetra- aufgrund dieser Verunsicherung wegfallen. Mittlerweile gen, weil wir schon damals weitere Ärgernisse vorherge- stapeln sich bei uns die Briefe von Vertretern der Bauin- sehen und befürchtet haben –, dustrie und von Handwerkern, seien sie nun im Bereich (Rainer Fornahl [SPD]: Schlaumeier!) der Schiene oder des Straßenbaus tätig, in denen hände- ringend darum gebeten wird, endlich Sicherheit bei der Einnahmen von 2,1 Milliarden Euro aus der Maut in sei- Finanzierung zu schaffen. nen Haushalt für das Jahr 2004 eingestellt. Gleichzeitig aber hat er den Haushaltsansatz um 2,2 Milliarden Euro (Markus Löning [FDP]: Das kann man bei reduziert, um die Entsperrung der Milliarde gegenüber dem Minister vergessen!) dem Haushaltsausschuss zu begründen und eine angebli- Sie versuchen das zwar. Aber die Grundlage dafür, che seriöse Gegenfinanzierung nachzuweisen: Mandass wir Ihnen das glauben können, haben Sie mit dem, stelle einfach eine gute Milliarde Euro aus Einnahmen was Sie bisher vorgelegt haben, nicht geschaffen. aus dem laufenden Schiedsgerichtsverfahren mit dem Konsortium Toll Collect ein. Kein Mensch kann zum Ganz besonders toll ist, dass der Herr Minister die (B) heutigen Zeitpunkt sagen, ob die Bundesregierung über- Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, die die (D) haupt Geld bekommt, wann es fließt – das kann schließ- Maut einnehmen sollte und die von Ihnen bewusst nicht lich noch ein paar Jahre dauern – oder wie diese 1 Mil- kreditfähig gemacht worden ist, liarde Euro seriös in den Haushalt eingestellt werden (Markus Löning [FDP]: Zum Glück!) soll. Das ist die eine Maßnahme, die zur Sicherung der 2 Milliarden Euro erfolgte. aufgefordert hat, sie solle mal eben 1 Milliarde Euro Kredit aufnehmen. Auf die gesetzliche Ermächtigung Interessant ist aber auch eine weitere Maßnahme. Da- dafür, dass er das auch darf, warten wir noch. Der An- für darf die Bahn herhalten, die sich anschickt, an die trag, den wir Ihnen heute vorlegen, dokumentiert das al- Börse zu gehen. Ihr wird folgender Deal aufs Auge ge- les. Deswegen wäre es schön, wenn Sie ihm zustimmen drückt: Die Bahn muss sich am Kapitalmarkt 1 Milliarde würden. Das müssen Sie tun, wenn Sie sich als Parla- Euro besorgen, mit der Darlehen vorfristig getilgt wer- mentarier noch ernst nehmen wollen. den, die ihr aber bisher zinslos zur Verfügung gestellt worden sind. Durch diese Vorfristigkeit der Tilgung be- Danke sehr. kommt diese 1 Milliarde Euro auf einmal das Volumen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) von 2 Milliarden Euro. Aber das Geschäft bleibt aus meiner Sicht noch immer anrüchig; denn hier geht es um Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: die Seriosität von Haushaltszahlen. Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe Beckmeyer. (Markus Löning [FDP]: Die wissen doch gar (Beifall bei der SPD) nicht mehr, was das ist!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, auf Uwe Beckmeyer (SPD): dieser Basis versuchen Sie, einen Haushalt zu einem Zeit- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und punkt aufzustellen, zu dem wir einen neuen Verkehrswe- Herren! Lieber Horst Friedrich, man fragt sich nicht nur, geplan beraten, die EU-Osterweiterung auf uns zukommt ob der Antrag alt war, sondern auch, ob Ihre Rede aus und die von Ihnen selbst vorgelegten Straßenbauberichte dem Januar stammt. Denn das, was Sie hier vorgetragen dokumentieren, in welchem Zustand die Verkehrsinfra- haben, ist inzwischen überholt. struktur in Deutschland ist. 30 Prozent aller technischen (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Nein!) Bauwerke wie Brücken und Tunnel sind – wenn über- haupt – nur noch eingeschränkt nutzbar. Mindestens wei- Überholt ist der aufgrund der fehlenden Mehrheit zu- tere 20 Prozent sind gerade noch akzeptabel. Aber derrückgezogene Antrag zur Einsetzung eines Untersu- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8813

Uwe Beckmeyer (A) chungsausschusses, wobei Sie, wie ich der „Welt“ von Als Beginn der Mauterhebung wurde der 1. Januar 2005 (C) heute entnehmen konnte, darauf spekulieren, ihn festgelegt. in Damit konnten – ich wiederhole das an dieser 14 Tagen erneut einzubringen. Glauben Sie denn, dass Stelle – in der 42. Sitzung des Haushaltsausschusses am Sie in 14 Tagen eine Mehrheit haben? 3. März auch mit den Stimmen der FDP die Sperre für die mautfinanzierten Ausgaben aufgehoben und die ge- (Rainer Fornahl [SPD]: Da lachen ja die Hüh- planten Investitionen laut Kapitel 12 02 beschlossen ner! – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: War- werden. Die nötigen Mittel sind somit für 2004 durch ten Sie es doch ab!) den Beschluss des Haushaltsausschusses gesichert. Genauso verhält es sich mit Ihrem Antrag zu Investitio- (Lachen bei der FDP) nen in die Verkehrsinfrastruktur, den Sie hier im Bundes- tag diskutieren wollen. Für die folgenden Jahre zwingen jedoch die globalen Minderausgaben und die Einsparauflagen aus der Umset- (Rainer Fornahl [SPD]: Nebelkerzen!) zung der gemeinsam beschlossenenKoch/Steinbrück- Wichtig ist doch, dass die Verkehrsinfrastruktur im Jahre Vorschläge – aus denen Sie sich bitte nicht verabschie- 2004 finanziert werden kann. Am besten ist es, wenn wir den mögen, weil Sie im Vermittlungsausschuss mitge- dafür Geld haben und nicht auf irgendwelche anderen wirkt haben – zu einer strengen Priorisierung der Vorha- Titel zurückgreifen müssen. ben und einem flexiblen Einsatz der Haushaltsmittel. Insofern ist der erste Punkt abgehakt und überflüssig. (Beifall bei der SPD) Zum zweiten Punkt: Ihre Forderung zur Verkehrs- Das ist durch den Haushaltsausschuss sichergestellt, der infrastrukturfinanzierungsgesellschaft ist nicht ohne einstimmig, auch mit den Stimmen der FDP, die Aufhe- Weiteres von der Hand zu weisen, zumal auch wir So- bung der Sperre beschlossen hat. zialdemokraten dieses Instrument in unsere Überlegun- (Rainer Fornahl [SPD]: Sehr interessant!) gen einbezogen hatten. Es ist richtig, dass die Mautein- nahmen unmittelbar der VIFG zugewiesen werden, Das führt dazu, dass es wieder eine ordentlicheVer- wenn diese Gesellschaft kreditmarktfähig gestellt wird. kehrsinfrastrukturfinanzierung für das Jahr 2004 im Die Gesellschaft ist doch im vergangenen Jahr gegründet Haushalt des Verkehrsministeriums gibt. worden, um eine Bündelungsfunktion für die erhobenen Was bedeutet nun der Finanzierungsvorschlag des Fi- Nutzerentgelte aus der Verkehrswegenutzung zu über- nanzministers in Bezug auf die 1 Milliarde von der DB nehmen und die reine Haushaltsfinanzierung durch eine AG, den Sie als kritikwürdig bezeichnet haben? Das ist Nutzerfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur zu ergän- zum Vorteil der Deutschen Bahn AG, weil zinslose Dar- zen. (B) (D) lehen des Bundes sofort fällig werden und damit Schul- Für die maastrichtkonforme Kreditfähigkeit der VIFG den der DB AG in Höhe von 2 Milliarden Euro zurück- ist die Sektorzuordnung entscheidend. Die ökonomi- gezahlt werden. In diesem Fall ist das auch zum Vorteil schen Aktivitäten der VIFG sind dann als maastricht- der Bundesrepublik Deutschland. Beide haben etwas da- wirksam anzusehen, wenn sie nicht dem Sektor Kapital- von. Das ist eine klassische Win-Win-Situation. gesellschaften, sondern dem Staat im Sinne der Regeln (Beifall bei der SPD) des europäischen Systems volkswirtschaftlicher Gesamt- rechnung zugerechnet werden. Sie wissen aber so gut Wir diskutieren einen Antrag, der vom 28. Januar die- wie ich, dass wir uns dazu derzeit noch im Stadium einer ses Jahres stammt. Es ist ein Problem, wenn man An- verfassungsrechlichen Prüfung befinden. Lassen Sie uns träge zu Zwischenstadien stellt und glaubt, politisch auf- die Ergebnisse dieser Prüfung abwarten. Dann können hucken zu müssen und damit die Lösung zu haben. wir uns zu einem späteren Zeitpunkt weiter mit diesem (Rainer Fornahl [SPD]: Stochern im Nebel!) Thema beschäftigen. Inzwischen ist die Zeit über Ihren Antrag hinweggegan- Zum dritten Punkt: Ihre Forderungen nach einem Ge- gen. Es gibt eine völlig neue Situation. Diese Situation setzentwurf zur Erweiterung der privatwirtschaftlichen ist eindeutig geklärt, wie ich eben schon beschriebenFinanzierungs- und Beteiligungsmodelle sowie nach habe. mehr Möglichkeiten zur Anwendung der so genannten A-Modelle und F-Modelle sind überflüssig. Dass wir (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Die Situa- diese Modelle in Zukunft noch stärker anwenden wer- tion heißt: Nichts ist klar und das auf hohem den, ist längst Konsens und auch mit dem Ministerium Niveau!) abgesprochen. Ich will etwas zu den einzelnen Punkten sagen. Ihre For- Das A-Modell ist bereits Bestandteil eines eigenen derung nach Sicherstellung der Investitionsmittel ist, wie Programms des Bundesverkehrsministeriums mit einem Sie ebenso wie ich wissen, längst von der Realität über- Investitionsvolumen von 3,6 Milliarden Euro. Die Um- holt. setzung dieses Programms erfordert die Zustimmung des Die jüngst mit dem Betreiberkonsortium getroffene jeweiligen Bundeslandes. Es ist zwischenzeitlich von al- Vereinbarung besagt, dass der Auftragnehmer für alle len betroffenen Ländern zur weiteren Realisierung ak- Nettomautausfälle des Bundes haften wird. zeptiert worden. Zur Umsetzung der Projekte nach dem A-Modell bedarf es deshalb keiner spezialgesetzlichen (Renate Blank [CDU/CSU]: Ihr träumt!) Grundlage. 8814 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Uwe Beckmeyer (A) Zum so genannten F-Modell ist zu sagen, dass derzeit hoch belasteter Autobahnen können nicht in Angriff ge- (C) neun Betreibermodelle mit einem Investitionsvolumen nommen werden. von 2,9 Milliarden Euro vom Ministerium geprüft wer- den. Bundesweit gibt es seit dem 12. September 2003 Drittens. Der Ausbau der Wasserwege stagniert, und die „Feste Warnowquerung Rostock“ als erstes Projekt zwar nicht nur aufgrund fehlender Mittel, sondern auch nach diesem Modell. Es folgen die Travequerung bei Lü- aufgrund der restriktiven Vorstellungen des Umweltmi- beck bis Mai 2005 und der Wesertunnel in Bremen bis nisteriums. Wie lange hat es nach dem Hochwasser ge- 2010. Das heißt, dass auch hier die Verantwortlichendauert, bis an der Elbe die dringend notwendigen Repa- längst an einer Erweiterung privatwirtschaftlicher Finan- raturmaßnahmen begonnen werden konnten? – zierungs- und Beteiligungsmodelle für den Bundesver- Eineinhalb Jahre! Mittlerweile sollten doch alle wissen, kehrswegeplan arbeiten. Neue Gesetze, wie Sie es in Ih- dass eine Verlagerung auf das umweltfreundliche Bin- rem Antrag fordern, benötigen wir in diesem Bereichnenschiff nur funktionieren kann, wenn eine möglichst nicht. ganzjährige Befahrbarkeit der Wasserstraßen gewähr- leistet ist. Aber zwischen Sonntagsreden und Handeln (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ klaffen bei Rot-Grün große Lücken. DIE GRÜNEN) Viertens. Der Ausbau der Schieneninfrastruktur Ich komme zum Schluss. Der Ausbau der Bundes-wurde gestoppt. Das Thema Schiene ist ein ganz beson- fernstraßen, Bundeswasserstraßen und des Schienennet- deres Kapitel. Zum Beispiel wirft das Verkehrsprojekt zes ist zweifelsohne eine entscheidende Voraussetzung „Deutsche Einheit“ Nr. 8.1/8.2 – Halle–Leipzig–Nürn- für eine positive Entwicklung der Wirtschaft. Durch die berg – die Frage auf, wer eigentlich die Verantwortung genannten Entscheidungen – an denen auch Sie imfür die Schieneninfrastruktur in Deutschland hat. Haushaltsausschuss beteiligt waren – haben wir trotz schwieriger Rahmenbedingungen die notwendigen In- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: vestitionen auf einem verantwortbaren Niveau gesichert. Herr Mehdorn!) Dies ist ein Erfolg der Bundesregierung, des Ressorts Die rot-grüne Bundesregierung hat im Jahr 2002 aus ideo- und der die Bundesregierung tragenden Fraktionen. Die- logischen Gründen diese Strecke auf Eis gelegt. Dann ser Erfolg ist gut für unser Land. hat der Bundeskanzler angekündigt – er hat so versucht, Herzlichen Dank. Wählerstimmen in den neuen Bundesländern zu gewin- nen –, dass diese Stecke gebaut wird. Schließlich wurde (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vonseiten der Deutschen Bahn AG mitgeteilt, dass die- DIE GRÜNEN) ses wichtige Verkehrsprojekt der transeuropäischen (B) Netze mangels Geld nicht mehr weitergebaut wird, was (D) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: umgehend vom Verkehrsministerium dementiert wurde. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Renate Blank. Die Grünen wollen das Projekt sogar qualifiziert been- den. Ich frage mich angesichts dessen, wer Herr im Renate Blank (CDU/CSU): Hause ist. Eigentlich müsste Minister Stolpe seinen Platz Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herrfür Herrn Mehdorn räumen. Kollege Beckmeyer, es tut mir Leid, das sagen zu müs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – sen, aber entweder Sie äumen tr oder Sie glauben an Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Er könnte Märchen. ja Kundenbetreuung machen!) (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Er träumt!) Noch einige Anmerkungen zur Verkehrsinfrastruk- Herr Staatssekretär Diller, überzeugen Sie doch die SPD turfinanzierungsgesellschaft, die keine Kredite aufneh- von dem, was im Haushaltsausschuss beschlossenmen darf: Es rächt sich nun, dass diese Gesellschaft – sa- wurde! Von 2,1 Milliarden Euro veranschlagten Maut- lopp formuliert – nur ein Inkassobüro ist und keine einnahmen wurde nämlich 1 Milliarde Euro gesperrt, die weiteren Aufgaben hat. Man hat also nur eine Organisa- zwar inzwischen wieder entsperrt wurde, aber die Mittel tionspriviatisierung und keine Aufgabenprivatisierung, fehlen trotzdem. wie von der Pällmann-Kommission vorgeschlagen, vor- Das ist für die deutsche Verkehrsinfrastruktur einegenommen. Die Verwaltungsausgaben für diese Gesell- echte Katastrophe, schaft stehen zwar im Haushalt. Es gibt jedoch nichts zu tun. Es werden derzeit Däumchen gedreht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Aber der und zwar erstens deshalb, weil bis Ende 2004 rund Geschäftsführer kriegt ein Gehalt! Und was 2,8 Milliarden Euro fehlen werden. Das sind 60 000 Ar- für eines!) beitsplätze in der Baubranche. Das Anti-Stau-Programm aus dem Jahr 2000, das im Hinblick auf die LKW-Maut Wir brauchen eine Weiterentwicklung der privatwirt- konzipiert wurde, ist doch Makulatur. Das Gleiche kann schaftlichen Finanzierungs- und Beteiligungsmodelle, man bald auch vom Bundesverkehrswegeplan behaup- aber mit Beteiligung des Parlaments; denn wohin es ten. führt, wenn das Parlament nicht beteiligt ist, sehen wir bei der LKW-Maut. Zweitens. Ortsumgehungen, die ja Menschenschutz und Umweltschutz bedeuten, und der wichtige Ausbau (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8815

Renate Blank (A) Die künftigen LKW-Maut-Mittel – sofern sie denn Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (C) überhaupt fließen – sollten, wie der Kollege HorstDas Wort hat der Abgeordnete Albert Schmidt. Friedrich schon ausgeführt hat, zusätzlich zu den bishe- rigen Haushaltsmitteln zur Verfügung gestellt werden. Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich wundere mich allerdings, warum die Länder hierNEN): nicht aufheulen; denn sie sind betroffen. Aber wahr- Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und scheinlich schreien sie deshalb noch nicht, weil über-Kollegen! Dieser Tagesordnungspunkt – er beschäftigt haupt noch keine Mittel zur Verfügung stehen. uns an einem Freitagnachmittag, wo viele schon im Wo- Auch das Anti-Stau-Programm aus dem Jahr 2000 chenende sind – ist offenbar so interessant, dass er sogar sollte – so die Intention der Bundesregierung – dringend die Bürgermeister des Landkreises Neu-Ulm nach Berlin erforderliche Zusatzmittel zur Verfügung stellen; denn geführt hat. die Vertreter der Bundesländer hatten schon im Jahr (Manfred Grund [CDU/CSU]: Aus dem Eichs- 1997 darauf hingewiesen, dass ihnen 4 Milliarden DM, feld sind auch Leute da!) also rund 2 Milliarden Euro pro Jahr fehlen. Diese Aus- sage wurde auf einer Sondersitzung der Landesverkehrs- Das zeigt uns, dass die Frage: „Wie geht es mit den Ver- minister am 25. Februar 2004 bestätigt; denn der einstim- kehrsinvestitionen weiter?“, alle, also die Vertreter der mige Beschluss fordert vom Bund, sein Investitionsniveau Bundespolitik bis hin zu denen der Kommunalpolitik, bei den Fernstraßen auf mindestens 5,8 Milliarden Euro umtreibt. Dass wir es mit einem Megaproblem zu tun ha- pro Jahr zu steigern, damit Stau auf deutschen Straßen ben, lässt sich überhaupt nicht wegdiskutieren. Wenn in verhindert werden kann. Laut Aussage der Bundesregie- einem Haushaltsjahr 2,1 Milliarden Euro an Nettoein- rung betragen die Staukosten 100 Milliarden Euro pro nahmen ausfielen, ohne dass das Probleme nach sich Jahr. zöge, dann wäre das ein Wunder Gottes. Nach Adam Riese muss das ein gigantisches Problem sein. Dieses Die von Minister Stolpe vorgestellte Lösung betref- Problem ist im Grunde nicht lösbar; aber es ist be- fend die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung ist aber kein herrschbar. seriöses Konzept. Die Erwartung, nach dem Schiedsver- fahren 1,5 Milliarden Euro zu erhalten, gleicht doch ei- (Renate Blank [CDU/CSU]: Aber wie, bitte?) nem ungedeckten Scheck. Bei diesem miserablen Vertrag Zu diesem einvernehmlichen Ergebnis sind in den letz- sind doch die Aussichten wenig erfolgversprechend – von ten Tagen und Wochen der Bundesfinanzminister, der der Dauer gar nicht zu reden. Es steht noch nicht fest, ob Bundesverkehrsminister und das Parlament gekommen. die Mittel überhaupt und wann sie fließen. Man kann so- Lieber Kollege Friedrich, das Ziel, die Investitionen (B) gar davon ausgehen, dass dieses Schiedsverfahren min- (D) destens ein bis zwei Jahre dauern wird. in die Verkehrsinfrastruktur sicherzustellen, teile ich voll und ganz. Ich glaube, niemand in diesem Hause hat et- Die vorfristige Tilgung zinsloser Darlehen seitens der was gegen dieses Ziel. Nur: Für diejenigen, die in der DB AG – auch hierbei geht es um einen Betrag von über Regierungsverantwortung sind, reicht es natürlich nicht, 1 Milliarde Euro – stellt eine Anleihe auf die Zukunft einen Antrag mit einer sicherlich lobenswerten Intention dar; denn für künftige Haushalte sind die Tilgungsraten zu stellen; vielmehr muss man der Aufforderung tatsäch- bereits eingeplant und fallen damit in den Folgejahren lich nachkommen. aus. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wir kön- Ich möchte ein Wort zu der im Raum stehenden Ein- nen ja tauschen!) richtung eines Untersuchungsausschusses sagen. – Die Wählerinnen und Wähler haben anders entschie- den, Herr Kollege. Wir können jetzt nicht einfach tau- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: schen. Das ist so. Aber achten Sie bitte auf die Zeit! (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wenn ihr weiter keine Probleme habt, diese Probleme Renate Blank (CDU/CSU): löse ich dann schon!) Zurzeit liegen wichtige Fakten auf dem Tisch. Es ist bekannt, dass es sich um einen für die Bundesregierung Ich bin ganz froh, dass es mittlerweile gelungen ist, sehr schlechten Vertrag zulasten der Bürgerinnen unddafür zu sorgen, dass die gesperrten Haushaltsmittel – es Bürger handelt. Hinzu kommt ein miserables Control- handelt sich um Mittel in der Höhe der Hälfte der Netto- ling durch die Bundesregierung. Minister Stolpe sollte einnahmen durch die Maut – für dieses Jahr freigegeben sich aber nicht sicher fühlen; denn es könnte eine Situa- werden. tion entstehen, die einen Untersuchungsausschuss erfor- (Renate Blank [CDU/CSU]: Ihr glaubt doch derlich macht, zum Beispiel wenn weitere schwerwie- auch wirklich alles!) gende Ungereimtheiten erkennbar werden oder die Bundesregierung eine lückenlose Aufklärung verwei- Das ist nicht nur für die Bauwirtschaft, sondern auch gert. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben! für die Verkehrspolitiker ein wichtiges Signal. Das be- deutet nämlich: Mit Planungen kann sofort begonnen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – werden, bei der DB vorhandene Vergabestopps können Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Herzlich aufgehoben werden – teilweise ist es schon geschehen – willkommen im Klub!) und eine weitere Verzögerungsstrategie seitens großer 8816 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Albert Schmidt (Ingolstadt) (A) Auftraggeber wie der DB AG hat keine sachliche Grund- Sie sagt nicht mehr und nicht weniger, als dass die Deut- (C) lage mehr. sche Bahn AG Verbindlichkeiten – auf Deutsch: Schul- den – gegenüber dem Bund vorzeitig ablösen kann und (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Na, weiß dafür dann einen Abschlag bekommt. Das ist auch im das auch der Hartmut?) normalen Wirtschaftsleben durchaus der Fall. So haben Meines Erachtens ist die Verteilung der Finanzlast, unterm Strich beide Seiten etwas davon: Die eine, in die- die durch diese Finanzlücke entstanden ist, im Rahmen sem Fall die Deutsche Bahn AG, verringert ihren Schul- des Möglichen erfolgt und eigentlich ganz ansehnlich. densaldo und die andere, in diesem Fall der Bund, erhält Wie schon angesprochen wurde, erwartet man vom Kon- vorzeitig ihr Geld zurück und kann früher damit operie- sortium als dem eigentlichen Verursacher der Ausfälle ren, also unmittelbar sofort wieder für Investitionen in sehr wohl Schadenersatzzahlungen und Vertragsstra- die Schiene einsetzen. fenzahlungen in erheblicher Höhe. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Und die (Renate Blank [CDU/CSU]: Bei diesem grot- Bahn bleibt auf den Zinsen sitzen!) tenschlechten Vertrag?) Ich kann nichts erkennen, was daran falsch oder schlecht Unter Verkehrspolitikern sollte in dieser Angelegenheit wäre. Ich finde, wir sollten uns als Verkehrspolitiker ge- an und für sich kein Grund zur Kritik bestehen. Vielmehr meinsam darüber freuen, dass diese Möglichkeit wahr- sollte es völlig normal sein, dass wir unsere Forderungen genommen wurde. zunächst an diejenigen richten, die uns den Schlamassel eingebrockt haben. Lassen Sie mich abschließend sagen, da meine Rede- zeit schon fast abgelaufen ist: Wir sollten an dieser Stelle (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht polarisieren, und bei der SPD) Was wäre denn die Alternative? Wenn wir im Um- (Renate Blank [CDU/CSU]: Ach!) kehrschluss gesagt hätten: „Herr Eichel, stellen Sie uns sondern zusammenhalten. Wir stehen gemeinsam vor einen Scheck in Milliardenhöhe aus, damit die Industrie der Aufgabe, das Geld zu sichern. Ich sage eines ganz keine Probleme bekommt“, dann hätten wir damit signa- klar – das habe ich hier schon einmal gesagt –: Wir ha- lisiert: Wir glauben gar nicht an unsere Schadenersatzan- ben jetzt für den Haushalt 2004 die Auswirkungen der sprüche und wir wollen siegar nicht ernsthaft einfor- Verhandlungsergebnisse des Vermittlungsausschusses, dern. Das wäre genau der falsche Weg gewesen. soweit es in unserer Macht stand, minimiert und gerecht (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Der hat verteilt; wir konnten sie nicht vollständig abwenden. Ich (B) kein Scheckbuch mehr!) bin aber strikt dagegen, dass wir das, was im Dezember (D) 2003 beschlossen wurde, einfach widerstandslos in der Frau Kollegin Blank, wenn behauptet wird – darauf vorgesehenen Höhe für die Jahre 2005, 2006 und wo- wurde schon hingewiesen –, dass die Verflüssigung der möglich noch folgende durchexekutieren. Das halte ich Schadenersatzansprüche in der erforderlichen Höhe na- auch aus verfassungsrechtlichen Gründen für problema- türlich nicht innerhalb von wenigen Monaten zu erwar- tisch. Von daher müsste es unser gemeinsames Anliegen ten ist, weil ein Schiedsgerichtsverfahren einige Zeitsein, alles zu tun, damit die Kürzungen, die in den Ein- dauert – wir alle wissen nicht genau, wie lange –, dann zelplänen erbracht werden sollen, meinetwegen auch im stimme ich sofort zu. Es ist auch klar, dass wir alle nicht Einzelplan 12, Verkehr, nicht vollständig und vor allen genau wissen, wie lange es dauert. Es kann also sehrDingen nicht bei den Investitionen im Verkehrsetat wohl die Situation entstehen, dass wir die Einnahmen, durchschlagen. die wir von dieser Seite einfordern und mit gutem Grund erwarten, zwischenfinanzieren müssen. Um diese Tatsa- (Renate Blank [CDU/CSU]: Ihr seid doch an che rede ich nicht herum. Aber von vornherein zu sagen, der Regierung!) dass man das gar nicht für möglich hält, wäre ein völlig falsches Signal. Es könnte zur Finanzierung dieses An- Das hielte ich für verkehrspolitisch falsch und für kon- teils also allenfalls eine Zwischenfinanzierung nötigjunkturpolitisch kontraproduktiv. Lassen Sie uns in die- werden. sem Punkt am selben Strang ziehen und auch mit unse- ren Ministerpräsidenten reden, die uns den Quatsch Der zweite Teil ist ja nun durch dieVereinbarung eingebrockt haben. Das waren sowohl Herr Koch als mit der Deutschen Bahn AG gesichert. Man kann jetzt auch Herr Steinbrück, aber eben nicht nur Herr kritisieren – das kann ich durchaus nachvollziehen –,Steinbrück. Die Opposition kann sich an dieser Stelle dass die Deutsche Bahn AG in einem Akt des politischen nicht wegducken. Sie steht in dieser Frage genauso in Judo die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen hat undder Verantwortung wie die Koalition. eine Regelung vorgeschlagen und wohl auch gewährt bekommen hat, die im Grunde genommen dem Unter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nehmen nicht schadet, sondern unterm Strich sogar und bei der SPD) nützt. Das kann man kritisieren. Aber unter den gegebe- nen Umständen halte ich das von beiden Seiten für cle- ver und unheimlich kreativ. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Lena Strothmann. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Da sind wir bei der kreativen Buchführung!) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8817

(A) Magdalene Strothmann (CDU/CSU): den Speditionen schrillen seit langer Zeit die Alarmglo- (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle cken. Gerade diese Firmen setzen auf minutiöse Zeit- in diesem Hohen Haus haben ein gemeinsames Ziel,pläne und Rahmenbedingungen, um im harten Wettbe- nämlich Arbeitsplätze zu sichern. Das heißt, zu verhin- werb bestehen zu können. dern, dass immer mehr Menschen in Arbeitslosigkeit ab- Meine Damen und Herren, wie gehen wir eigentlich driften. Auch in einer Debatte über Investionen in Ver- mit dem deutschen Mittelstand um? Kühe, die man mel- kehrsinfrastruktur in Deutschland muss das betont ken will, sollte man nicht vorher schlachten. werden. Das ist ein Aspekt, der immer wieder vergessen wird. Arbeitsplätze entstehen eben nicht durch ABM- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Schon gar Maßnahmen, nicht durch Subventionen und schon gar nicht in Zahlung geben!) nicht aufgrund von Sparmaßnahmen. Arbeitsplätze in Öffentliche Aufträge und Investitionen sind natürlich diesem Land entstehen durchWirtschaftswachstum, nicht nur zur Schaffung von Arbeitsplätzen gedacht. Der und das in Deutschland erst bei einem Wachstum von Staat erhält im Gegenzug eine langfristig ausgerichtete 2 Prozent. Von diesem Ziel sind der deutsche Mittelstand Verkehrsinfrastruktur auf der Habenseite. und das deutsche Handwerk aber weit entfernt. Nachhaltige Investitionspolitik heißt für mich, eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) klare Finanzierungslinie zu halten und nicht mit der Axt Große deutsche Unternehmen schaffen derzeit eher zu kürzen. Zur Erinnerung: Gesamtinvestitionen in Was- Arbeitsplätze im Ausland. Viele deutsche Produkte serstraßen: minus 44,2 Prozent; entstehen mittlerweile im Ausland, weil sich das positiv (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Hört! Hört!) auf deren Unternehmensbilanzen auswirkt, aber leider negativ auf den deutschen Arbeitsmarkt. Derzeit gibt es Investitionen in Schiene: minus 26,3 Prozent; Investitio- laut „Spiegel“ 2,6 Millionen Arbeitsplätze deutscher Fir- nen in Fernstraßenbau: minus 15,9 Prozent. men im Ausland. Umso mehr muss die öffentliche Hand (Renate Blank [CDU/CSU]: Das ist die Ver- ein verlässlicher Investor und Auftraggeber für unsere kehrspolitik von Rot-Grün!) Unternehmen bleiben. Immerhin erhielten beispiels- weise Handwerksunternehmen früher bis zu 15 Prozent Sie sparen bewusst an der falschen Stelle. Das ist so, als ihrer Aufträge von der öffentlichen Hand. Diese Zahlwenn ein Handwerksmeister, der aufgrund mangelnder geht aufgrund der katastrophalen Finanznot mittlerweile Aufträge sparen müsste, zunächst seinen Telefonan- gegen null. Allein 70 000 Arbeitsplätze in der Baubran- schluss kündigen würde. che sind durch fehlende Maut-Einnahmen gefährdet. Nun soll die Deutsche Bahn durch eine vorgezogene Til- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) (B) (D) gung von Krediten die Lücke im Verkehrshaushalt stop- Besonders das Verhältnis zwischen enormen Kon- fen sumausgaben und geringen Investitionen ist erschre- (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ ckend. Das gilt für den kompletten Bundeshaushalt ge- DIE GRÜNEN]: Zur Hälfte!) nauso wie für den Verkehrshaushalt. und die Arbeitsplätze im Straßenbau sichern. Gestrichene Investitionsmittel sollen durch Mautein- nahmen teilweise ersetzt werden. Die Mauteinnahmen Damit das klar ist: Wir begrüßen, dass die Haushalts- sollten die Investitionen aber eigentlich ergänzen. Die sperre in Höhe von circa 1 Milliarde Euro aufgehoben Gelder waren als zusätzliche Mittel für den Straßenbau wurde. geplant – eine Vereinbarung zwischen Bund und Län- dern, die Sie gebrochen haben. (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na also!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das macht den Weg frei für gestoppte Verkehrsinvesti- Die Toll-Collect-Verhandlungen der letzten Monate tionen vor allen Dingen in Straße und Schiene. waren nicht durchschaubar und wenig zielorientiert. (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und für Arbeitsplätze!) DIE GRÜNEN]: Na, na, na!) Aber es darf nicht darüber hinweggetäuscht werden,Die Bürger zeigen kein Verständnis mehr dafür und das dass diese Mittel ursprünglich aus Mauteinnahmen kom- Ausland lacht über uns. men sollten, die nach wie vor fehlen. (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) GRÜNEN]: Das Ergebnis ist doch okay!) Ob sie überhaupt in dieser Höhe kommen, ist aus heuti- Keine Rede ist mehr von den 6,5 Milliarden EuroGe- ger Sicht völlig offen. samtschaden, die am 16. Februar von Minister Stolpe offiziell genannt wurden. Für den zukünftigen eventuel- (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ len Ausfall ab 2005 gibt es auch keine volle Haftung. DIE GRÜNEN]: So ist das in einem Rechts- Mit aller Selbstverständlichkeit aber wird die Einigung staat nun einmal!) auf die Hälfte als Erfolg gefeiert. Frau Mertens, wann Eine Verkehrspolitik mit falschen Prioritäten gefähr- wird eigentlich das als Vertrag unterzeichnet, was der det nicht nur Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft. Auch in Bundeskanzler mit Toll Collect ausgehandelt hat, damit 8818 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

Magdalene Strothmann (A) wir für unsere Investitionen endlich Rechtssicherheit ha- lich, dass es diesen Anforderungen nicht gewachsen ist. (C) ben? Nun ist auch klar, warum in Anbetracht unserer Huckel- pisten alle Automobilhersteller auf Geländewagen set- (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Sehr richtig!) zen. Nebenbei gesagt: Die Informationspolitik Ihres Hauses (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und in Bezug auf die Mitglieder des Verkehrsausschusses der FDP) war mehr als dürftig. Viele unserer Hauptrouten sind vollkommen veraltet, (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ weil sie zu lange nicht ausgebaut wurden. DIE GRÜNEN]: Na, na, na!) Der Individualverkehr nimmt weiter zu, da die Mobi- Denn sehr bald schon kommt ein neues Problem auf lität der Menschen steigt. Selbst von Auszubildenden er- uns zu. Wenn ab 2005 die neue EU-Wegekosten-Richtli- wartet man heute, dass siegrößere Strecken zurückle- nie gilt, gen. Mobilität und Erreichbarkeit sind ein wichtiger (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ Standortfaktor für unsere Betriebe und für die Mitarbei- DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt peinlich! Die ist ter vor Ort. Deshalb brauchen wir mehr Investitionen. doch gescheitert! Das war der Informations- Sonst bewegt sich in Deutschland bald gar nichts mehr. stand vom September letzten Jahres!) Danke schön. dürfen nur noch diejenigen Maßnahmen berücksichtigt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) werden, die neu gebaut bzw. maximal 15 Jahre alt sind. Die Berechnungsgrundlage ändert sich im kommenden Jahr also gravierend. Nur 25 Prozent des heutigen Auto- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: bahnnetzes wurden innerhalb der letzten 15 Jahre ge- Frau Kollegin, ich gratuliere Ihnen im Namen des baut. Das heißt, enorme Verluste kommen auf unseren Hauses zu Ihrer ersten Rede in diesem Parlament. Haushalt zu. (Beifall) Meine Damen und Herren, wir brauchen Investitionen Für Sie war es die erste Rede und für uns war es die in unsere Verkehrswege. Handlungsauftrag sollte sein, letzte Rede in der heutigen Debatte. schon heute auf das zukünftige Verkehrsaufkommen zu reagieren. Das wird meines Erachtens auch beim neuen Ich schließe die Aussprache. Bundesverkehrswegeplan überhaupt nicht berücksich- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf tigt. Es fehlt an Mut, in die Zukunft zu schauen, und an Drucksache 15/2423 an die in der Tagesordnung aufge- (B) Ideen, die Probleme zu lösen. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- (D) Die EU-Osterweiterung startet am 1. Mai 2004.verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Konkret heißt das für uns zunächst einmal: Der Transit- so beschlossen. verkehr wird rapide zunehmen, ausländische LKWs fah- Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. ren kostenlos auf unseren Autobahnen und tanken auch noch vor den Grenzen, weil der Sprit dort billiger ist, Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf Mittwoch, den 24. März 2004, 13 Uhr, ein. (Zuruf von der CDU/CSU: Dank Rot-Grün!) Die Sitzung ist geschlossen. und Deutschland guckt wieder einmal in die Röhre. Aus- maß und Zustand unseres Straßennetzes machen deut- (Schluss: 13.56 Uhr) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8819

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung entschuldigt bis des Abgeordneten Jörg van Essen (FDP) zur Abgeordnete(r) einschließlich Abstimmung über den Entschließungsantrag des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit zum Binninger, Clemens CDU/CSU 12.03.2004 Entwurf eines Telekommunikationsgesetzes – Drucksache 15/2674, Buchstabe b der Be- Borchert, Jochen CDU/CSU 12.03.2004 schlussempfehlung (Tagesordnungspunkt 17 a) Namens der Fraktion der FDP erkläre ich: Unser Vo- Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 12.03.2004 tum lautet Ja. Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 90/ 12.03.2004 Franziska DIE GRÜNEN Anlage 3 Friedrich (Mettmann), SPD 12.03.2004 Zu Protokoll gegebene Reden Lilo zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Dr. Gehb, Jürgen CDU/CSU 12.03.2004 Begleitregelungen zur Einführung des digitalen Kontrollgeräts zur Kontrolle der Lenk- und Ru- Glos, Michael CDU/CSU 12.03.2004 hezeiten (Kontrollgerätbegleitgesetz – Kontr- GerätBgelG) (Tagesordnungspunkt 19) Hartnagel, Anke SPD 12.03.2004 Ernst Kranz (SPD): Mit dem Gesetzentwurf der Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ 12.03.2004 Bundesregierung wird eine seit 1998 diskutierte Ände- DIE GRÜNEN rung einer Verordnung derEuropäischen Gemeinschaft umgesetzt. In dieser Verordnung zur Einführung digita- Karwatzki, Irmgard CDU/CSU 12.03.2004 ler Kontrollgeräte werden die Lenk- und Ruhezeiten für Fahrer von Güterfahrzeugen mit über 3,5 Tonnen oder (B) (D) Dr. Küster, Uwe SPD 12.03.2004 von Omnibussen mit mehr als acht Fahrgastplätzen künftig besser zu überwachen sein. Laurischk, Sibylle FDP 12.03.2004 Es wäre eigentlich eine erfreuliche Sache, die der Ver- besserung der Sicherheit im Straßenverkehr dient; wir Lehder, Christine SPD 12.03.2004 sind uns da alle einig. Doch leider sind die terminlichen Zwänge, ausgelöst durch die Europäische Kommission, Leutheusser- FDP 12.03.2004 nicht durch entsprechende praktische technische Mög- Schnarrenberger, lichkeiten abgedeckt. Sabine Zahlreiche Verstöße in den letzten Jahren haben nicht Mortler, Marlene CDU/CSU 12.03.2004 nur Unfälle verursacht, sondern auch zu einer Wettbe- werbsverzerrung geführt. Denn die guten Schafe, die Multhaupt, Gesine SPD 12.03.2004 sich an die vorgegebenen Zeiten halten, kommen natür- lich später am Zielort an als die schwarzen Schafe, die Rachel, Thomas CDU/CSU 12.03.2004 eine bestellte Ware schneller zum Kunden bringen und damit auch weiterhin den Zuschlag bekommen. Mit den Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 12.03.2004 Schafen meine ich nicht etwa die LKW-Fahrer, nein. Diese sind häufig sogar die Opfer ihrer Arbeitgeber Scharping, Rudolf SPD 12.03.2004 – weil Liefertermine einzuhalten sind –, die ausrei- chende Pausen nicht zulassen. So hat sich beispielsweise Schreiner, Ottmar SPD 12.03.2004 im vergangenen Jahr ein LKW-Fahrer einer internationa- len Spedition sogar selbst der Polizei in Sachsen gestellt, Schultz (Everswinkel), SPD 12.03.2004 weil er von 5 Uhr morgens bis um halb 3 Uhr des nächs- Reinhard ten Tages unterwegs war. Das sind 21,5 Stunden, also über das Doppelte der vorgeschriebenen maximalen Teuchner, Jella SPD 12.03.2004 Lenkzeit von zehn Stunden. Die einzigen Pausen waren Ess- und Tankpausen, keine Ruhezeiten. Dr. Thomae, Dieter FDP 12.03.2004 Kontrollen finden statt, doch kann bei weitem nicht jeder Fahrer kontrolliert werden. Zudem ist eine Mani- Türk, Jürgen FDP 12.03.2004 pulation des derzeit noch eingesetzten Fahrtenschreibers 8820 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

(A) ohne viel Aufwand möglich. Ein digitales Kontrollgerät müssen, nämlich zwölf Monate nach Veröffentlichung(C) ist sehr schwer manipulierbar; denn die Manipulationdes technischen Anhangs, um den Starttermin „5. Au- wird gespeichert. Damit kann nachvollzogen werden,gust 2004“ einhalten zu können. Dies ist auch deshalb wann und von wem die Manipulation vorgenommenwichtig, um eine ausreichende Testzeit zur Verfügung zu wurde. Die Ermittlung eines Manipulators ist nun pro- haben. Bislang liegt allerdings keine Bauartgenehmi- blemlos möglich. gung vor. Die Kommission ist nun laut Verordnung in der Pflicht, dem Rat einen Vorschlag für die Verschie- Bis zur Einführung der digitalen Kontrollgeräte ist al- bung des Starttermins vorzulegen. Der Termin muss lerdings noch ein enormes Stück Arbeit zu leisten, so- – folgt man der Logik der EG-Verordnung – um mehr als wohl bei der Entwicklung der Geräte als auch bei derein Jahr verschoben werden, nämlich auf ein Jahr nach Logistik, was den Einbau der Geräte betrifft, zum Bei- Vorliegen der Bauartgenehmigung. Gemeinsam mit den spiel die Bereitstellung von ausreichend Karten, die Per- anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft werden sonalisierung der Karten und die Bereitstellung vonwir uns weiterhin vehement dafür einsetzen, den Termin Software. zu verschieben, um das sonst drohende und bereits ab- Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Ge- sehbare Debakel zu verhindern. setzentwurf einige Fragen aufgeworfen, denen wir nun unter Zustimmung aller Fraktionen mit einem Ände- Georg Brunnhuber (CDU/CSU): Am vergangenen rungsantrag entgegenkommen: So wird beispielsweise Dienstag tagten die EU-Verkehrsminister in Brüssel. Die die Speicherung der Daten auf zwei Jahre verlängert, um Tagesordnung hatte es in sich. Neben der Bahnlibera- eine Angleichung an das Arbeitszeitgesetz zu erreichen. lisierung und dem Richtlinien-Entwurf zur LKW-Maut Die Forderung, die Speicherung der Daten auch durch erhitzte der harmlos anmutende Tagesordnungspunkt Dritte erfolgen zu lassen, war nach Meinung der Bun- „Aufzeichnungsgerät im Straßentransport“ wohl am desregierung allerdings schon bisher möglich, wobei die meisten die Gemüter. Worum geht es? In fünf Monaten, Verfügung und Herausgabe der Daten nur durch das Un- am 5. August 2004, müssen laut EU-Verordnung alle neu ternehmen selbst erfolgen darf. gewerblich genutzten Kraftfahrzeuge mit mehr als 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht mit dem digita- Weiterhin wurden beim Kraftfahrt-Bundesamt bereits len Fahrtenschreiber zur Kontrolle der Lenk- und Ruhe- Maßnahmen zur Unterstützung der an der Umstellung zeiten ausgerüstet sein. Beteiligten eingeleitet. Das Kraftfahrt-Bundesamt wird die erforderlichen Karten personalisieren und bereitstel- Dies hat durchaus plausible Gründe: len; an den Ausgabestellen wird es eine Browser-ba- sierte Dialoganwendung kostenlos zur Verfügung stel- Die verbindliche Einführung digitaler Fahrtenschrei- (B) len. Zudem steht das Bundesamt telefonisch für Fragen ber ist die Antwort auf zunehmende Unfallzahlen im(D) zur Verfügung. Zur Optimierung der Arbeitsabläufe wer- Schwerlastverkehr, vor allem aber auch bei Bussen und den künftig Vertreter aller Beteiligten – die Ausgabestel- Kleinlastern. len, die Softwareanbieter und das Kraftfahrt-Bundesamt – Durch den Wechsel vom handgeschriebenen Fahrten- in einem Arbeitskreis ihre Erfahrungen einbringen und buch zur digitalen Kontrolle sollen die Fahrer zur Ein- dort, wo es notwendig ist, Korrekturen vornehmen. haltung bestimmter Fahrpausen gebracht werden. Die Der Passus „fahrerlaubnisrechtliche Auskünfte“Lenk- und Ruhezeiten von Berufskraftfahrern werden wurde eingefügt. Damit erhalten die beteiligten Behör- künftig fälschungssicherer und zuverlässiger aufgezeich- den und Stellen das Recht, im automatisierten Verfahren net, dies soll zum Abbau von Missbräuchen des ge- zu prüfen, ob der Antragsteller einer Karte die erforderli- genwärtigen Systems und somit zu mehr Sicherheit auf che Fahrerlaubnis besitzt. Darüber hinaus wird eine vom Europas Straßen führen. Bundesrat geforderte strafrechtliche Verfolgung bei Mit der europaweiten Harmonisierung der digitalen künftigen Manipulationen des digitalen Kontrollgerätes Erfassung der Fahrdaten wird die Arbeitszeit von LKW- über eine mögliche Änderung des Straßenverkehrsgeset- Fahrern leichter überprüfbar und der Beruf sicherer. Für zes geprüft. Fuhrunternehmer bietet das System zudem die Chance zum effizienteren und profitableren Flottenmanagement. Allerdings gibt es noch einen besonders großen Stol- perstein auf dem Weg zur Einführung, der uns allen Sor- Das Programm ist so ausgelegt, dass auch vorhandene gen bereitet: der von der Europäischen GemeinschaftLogistiksysteme eingebunden werden können. Die Digi- vorgegebene Starttermin „5. August 2004“. Ministertalisierung ermöglicht dem Spediteur mit Bordcompu- Manfred Stolpe hat sich deshalb im Dezember 2003 mit tern, Analysesoftware und internetgestütztem Auswer- einem entsprechenden Schreiben an die Vizepräsidentin tungsservice eine intelligentere Ausnutzung der der Kommission, Frau Palacio, gewandt. vorhandenen Transportressourcen. Angesichts ständig steigender LKW-Zahlen auf unseren Straßen könnte dies Über die Forderung für die Verschiebung des Startter- ein willkommener Nebeneffekt des Fahrtenschreibers mins sind wir uns fraktionsübergreifend einig. Diesesein. Forderung bringen wir heute mit einem gemeinsamen Änderungsantrag in den Deutschen Bundestag ein. Laut Das neue, in das Armaturenbrett eingebaute Gerät soll Verordnung hätten die Bauartgenehmigungen sowohl für Zeit, Geschwindigkeit sowie die Entfernung der Fahrten das Kontrollgerät als auch für die vier verschiedenenregistrieren und diese Informationen anschließend ab- Kontrollkarten bereits am 5. August 2003 vorliegenspeichern. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8821

(A) Aber noch immer hat kein Geräteproduzent eine Bau- Technik entsprechende Verschlüsselungsverfahren auf(C) artgenehmigung erhalten. Das hätte eigentlich bis 5. Au- seine Kosten anzuwenden, nur schwer nachvollziehbar. gust 2003 geschehen müssen. Dass dies nicht umgesetzt Eine solche Verpflichtung stellt eine Vereinfachung der werden konnte, ist in Anbetracht der langen Vorlaufzeit Kontrolltätigkeit zulasten des Unternehmers dar, der die völlig unverständlich. Die Entscheidung, die mechani- Kosten für die Anschaffung und Pflege entsprechender schen Geräte auszutauschen, ist bereits im September Maßnahmen allein zu tragen hat. Es ist deshalb erforder- 1998 vom Ministerrat getroffen worden. lich, die Kosten für die Unternehmen im Rahmen zu hal- ten. Kommt nach der Mautpleite in Deutschland nun also die Tachokatastrophe in der EU? Alle Anzeichen spre- Zur Aufrechterhaltung effizienter Betriebskontrollen chen dafür! Meine parlamentarische Anfrage an dieist die Datenspeicherung von Fahrerkarten und Massen- Bundesregierung hat schwarz auf weiß bestätigt: Frühes- speicher von Kontrollgeräten unverzichtbar. Eine solche tens im 2. Quartal 2004 kann eine Bauartgenehmigung Verpflichtung der Betriebe darf jedoch nur im internatio- für ein digitales Kontrollgerät erteilt werden. Dies hat nalen Kontext erfolgen, da ansonsten Wettbewerbsver- zur Folge, dass am 5. August 2004 weder in Deutschland zerrungen zum Nachteil der Betriebe entstehen, die ge- noch in anderen EU-Staaten praxistaugliche digitalezwungen sind, kostenintensive Infrastruktur zur Kontrollgeräte zur Verfügung stehen. Der StichtagDatenspeicherung anzuschaffen. 5. August 2004 zur Einführung des digitalen Fahrten- Eine entsprechende europäische Vorschrift existiert schreibers ist definitiv nicht mehr zu halten. bislang noch nicht. Es gibt zwar Überlegungen bezüglich Die EU-Kommission hat sich bisher geweigert, den einer betrieblichen als auch externen Datenspeicherung Forderungen verschiedener Mitgliedsländer nach einer in so genannten Download-Zentren. Dies ist jedoch im Verlängerung der Einführungsfristen nachzugeben. Eine Rat der Verkehrsminister heftig umstritten. Ohne eine Anfrage der CDU-Europaabgeordneten Brigitte Langen- verbindliche europäische Grundlage zur harmonisierten hagen an die EU-Kommission ergab, dass die EU-Kom- Einführung einer Speicherverpflichtung sehen sich die mission offensichtlich mit dem Vorschlag eines neuen deutschen Unternehmen durch den Alleingang der rot- Einführungstermins so lange warten will, bis der erste grünen Bundesregierung mit erheblichen Wettbewerbs- Hersteller die erforderliche Typengenehmigung für die nachteilen konfrontiert. Dies führt zu einer weiteren Dis- neue „Black Box“ erhält.Auch die eingangs erwähnte kriminierung des deutschen Gewerbes, dem durch den Sitzung der EU-Verkehrsminister in Brüssel brachte aus „vorauseilenden Gehorsam“ von Rot-Grün ein Schaden diesem Grund keine endgültige Entscheidung über eine zu entstehen droht, der der weiteren Beschleunigung von Verschiebung des Termins. Betriebsaufgaben Vorschub leistet. (B) In Anbetracht des ungewissen Einführungsdatums Wenn der im Augenblick von Frankreich favorisierte (D) und der Tatsache, dass viele Kritikpunkte und Unge-Vorschlag einer Beibehaltung des Starttermins am 5. Au- reimtheiten im neuen System nicht nachgebessert bzw. gust 2004, bei individueller Einführung des Gerätes ausgeräumt sind, ist es nicht nachvollziehbar, dass die durch die einzelnen EU-Staaten, umgesetzt würde, wäre Bundesregierung die Schaffung der Voraussetzungen für die angestrebte EU-weite Harmonisierung obsolet. Ei- die Einführung des Systems nun mit solcher Vehemenz nige Länder hätten den Fahrtenschreiber, andere noch betreibt. Lassen Sie michdie Kritikpunkte kurz anfüh- nicht. Die Folge ist ein Kontrollchaos im internationalen ren: Verkehr. Sowohl das Fahrpersonal als auch die Unternehmen Die Situation wird zusätzlich verschärft durch die Tat- werden durch den Zwang, Fahrerkarten – und gegebe- sache, dass eine Nachrüstung älterer Wagen nicht vorge- nenfalls Kartenführerschein –, Werkstatt- und Unterneh- sehen ist. Also wird es selbst bei einer EU-einheitlichen menskarten in periodischen Abständen käuflich erwer- Tachonutzung ein mehrjähriges Nebeneinander von Pa- ben zu müssen, mit neuen Kosten belastet. Diese können pier- und Elektronikschreiber geben. Das dürfte die Kon- je nach Kartenbedarf einen erheblichen Umfang errei- trolleure endgültig zur Verzweiflung bringen. chen. Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, entspre- In Anbetracht der ohnehin dramatisch schlechten wirt- chend dem vom Ausschuss einstimmig angenommenen schaftlichen Rahmenbedingungen und unter Berücksich- Entschließungsantrag der Union sich weiterhin und mit tigung eines offensichtlichen Ausbleibens der verspro- Nachdruck bei der Europäischen Kommission für eine chenen „größtmöglichen Harmonisierung“ im Zuge der Veränderung des Starttermins und für einen ausreichen- Einführung der streckenbezogenen Maut, ist der Gedanke den Testzeitraum einzusetzen, um Rechtsunsicherheit, der Deckelung von Kostenfaktoren im Rot-Grünen Ge- Defizite bei der Überwachung der Lenk- und Ruhezeiten setzentwurf nicht genügend berücksichtigt worden. und zusätzliche Kosten für die Ausgabe der Fahrer-, Un- ternehmens- und Werkstattkarten zu vermeiden. Darüber Denn nach dem Gesetzentwurf drohen den Unterneh- hinaus muss sichergestellt werden, dass eine nationale mern darüber hinaus weitere Kosten: So ist die vorgese- Verpflichtung zur Speicherung auf einer EU-einheitli- hene Verpflichtung des Unternehmers, im Falle der von chen Vorgabe beruht und zeitgleich in den Mitgliedstaa- den zuständigen Behörden veranlassten Datenfernüber- ten wirksam wird, um Wettbewerbsnachteile für die tragung dem jeweiligen Stand der Technik entspre-deutschen Unternehmen durch einen nationalen Allein- chende Maßnahmen zur Sicherstellung von Datenschutz gang zu vermeiden. Die Bundesregierung sollte darauf und Datensicherheit sowie dem jeweiligen Stand derhinwirken, das drohende Kontrollchaos aufgrund eines 8822 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

(A) Nebeneinanders verschiedener Systeme abzuwenden, in- Digitale Fahrtenschreiber sind notwendig, hier geht es (C) dem sie – entgegen den französischen Vorstellungen – um mehr Sicherheit bei LKWs und Omnibussen. Den- für einen EU-einheitlichen Starttermin eintritt. ken wir nur an das letzte tragische Ereignis kurz hinter der deutschen Grenze bei Aachen, dann wird die Not- Die Panne um die deutsche LKW-Maut darf sich nicht wendigkeit von kontrollierten Lenk- und Ruhezeiten mit dem digitalen Fahrtenschreiber auf europäischersehr schnell klar. Ebene wiederholen. Was bleibt, ist der erneute Image- schaden aufgrund unzureichender Vorbereitung und un- Daher ist europaweit, auch in den neuen EU-Staaten, realistischer Termine. Dies hätte durch rechtzeitiges Ein- eine einheitliche Technik zu entwickeln und einzubauen. greifen der Bundesregierung verhindert werden können. Das neue digitale System sollte so eingerichtet sein, dass es Manipulationen, wie sie vorher bei den Papierfahrten- schreibern möglich waren, verhindert. Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Ich begrüße diese Debatte heute außerordentlich, denn sie könnte helfen, Auch die Strafen müssen harmonisiert werden. Ich ein neues deutsches LKW-Debakel zu verhindern. Eswill nun nicht ins Detail gehen, wie viel Euro adäquat geht um das drohende Kontrollchaos im nationalen und wären. Doch es darf auf keinen Fall dazu kommen, dass im internationalen Verkehr. in Deutschland die rigidesten Sanktionen drohen, wäh- rend in anderen Staaten gerade mal eine Verwarnung er- Die digitalen Fahrtenschreiber, auch digitale Tacho- geht. Die Standort- und Wettbewerbsnachteile für graphen genannt, stellen die deutsche Industrie nach der Deutschland wären fatal. Maut-Pleite erneut vor riesige Probleme. Etwa zehn Ein weiterer Punkt ist die EU-einheitliche Ausrüstung europäische Unternehmen haben bei der EU-Genehmi- der Polizei mit notwendigen Lesegeräten. Denn was gungsbehörde Ispra Geräte abgeliefert, darunter auchnützt uns eine nach deutscher Gründlichkeit ausgestat- Siemens. Nur zwei dieser Geräte funktionieren im baby- tete Polizei, wenn die Kontrolle nur bei deutschen LKWs lonischen Sprachdialog. Bei Daimler-Chrysler in Stutt- und Bussen funktioniert. Was ist mit dem griechischen gart heißt es: Für eine seriöse Nutzung müssen die Ge- LKW auf deutschen Straßen? räte mindestens ein Jahr erprobt werden. – Der jetzige Stand der Dinge: Eine Bauartgenehmigung kann für die- Des Weiteren gilt es auch, die verschieden geregelten ses digitale Kontrollgerät frühestens im zweiten Quartal Ruhezeiten zu harmonisieren. All das sind neben dem 2004 erteilt werden. Problem des Starttermins noch Punkte, die nur bei euro- paweit einheitlicher Regelung funktionieren können. Der Stichtag 5. August 2004 ist also nicht mehr zu Es geht hier um Straßenverkehrssicherheit, zu deren halten. Das Rennen um den Titel „Maut II“ wird eng (B) Lasten die Verzögerung gehen wird. Deutschland ist ein (D) zwischen digitalem Fahrtenschreiber und Arbeitslosen- Transitland und der meiste Güterverkehr wird immer geld II. noch über die Straße abgewickelt. Die Zahl derer, die bei Dass der Stichtag in weite Ferne gerückt ist, scheint Unfällen mit LKW-Beteiligung verunglücken, steigt. In – man glaubt es kaum – auch bei Rot-Grün angekommen 2002 verursachten solche Unfälle im Durchschnitt täg- zu sein: Gestern haben wir im Verkehrsausschuss ge-lich 4 Tote und 27 Schwerverletzte. Daher ist hier eine meinsam einem Entschließungsantrag zugestimmt: Die strenge Kontrolle unabdingbar, die nur durch eine Har- Bundesregierung ist aufgefordert, sich bei der Europäi- monisierung in Europa erreicht wird. schen Kommission dafür einzusetzen, den Starttermin Eine Terminverschiebung ist zwingend notwendig. für das digitale Kontrollgerät zu verschieben. KlareDafür ist es wichtig, dass die Bundesregierung in Brüs- Worte des deutschen Verkehrsministers in Brüssel sind sel einem Termin zustimmt, den selbstverständlich auch nun unabdingbar. Er ist daran zu messen, eine EU-ein- alle anderen EU-Länder befürworten. heitliche Lösung zu finden. Neben der Sicherheit geht es nämlich noch um Ar- Doch heute beraten und stimmen wir über ein Gesetz beitsplätze in Speditionen, Fuhrunternehmen und ande- ab, das die Voraussetzungen für ein System regelt, des- ren Gewerben. Nicht nur der unrealistische Starttermin, sen Koordinaten noch völlig ungewiss sind. Daher for- auch mangelnde vereinheitlichte Vorschriften auf EU- dere ich Sie auf, Ihre politische Energie nun allein auf Ebene diskriminieren das deutsche Gewerbe erheblich. die Verschiebung dieses fatalen und unrealistischen Wir verabschieden jetzt ein Gesetz, dessen Kritik- Starttermins zu legen. „Starttermin“ ist bei uns sonstpunkte und Ungereimtheiten auf nationaler und interna- bald gleichbedeutend mit „Fehlstart-Termin“. Ein zutionaler Ebene ein gewaltiges Problem darstellen. Ich schwaches Auftreten in Brüssel mit dem Ergebnis, dass warne die Bundesregierung, nun mit treudeutschem Ge- à la Frankreich nun jedes Land unkoordinierte Allein- horsam vorauszueilen und die deutsche Verkehrsindus- gänge produziert, ist gefährlich und schädlich zugleich. trie mit erheblichen Wettbewerbsnachteilen zu konfron- tieren. Die Situation wird zusätzlich verschärft durch die Tat- sache, dass eine Nachrüstung älterer Fahrzeuge nicht ge- Ich fordere die Bundesregierung vielmehr auf: Erledi- plant ist. Also wird es selbst bei einem EU-einheitlichen gen Sie Ihre nationalen Pflichten! Denn noch immer ge- Verfahren ein mehrjähriges Nebeneinander von Papier- ben Sie zu, es sei unklar, ob das Kraftfahrtbundesamt und Elektronikschreiber geben. Das dürfte alle Beteilig- oder Unternehmen die Karten in den Ländern ausgeben ten endgültig zur Verzweiflung bringen. sollen. Treten Sie mit dem nötigen Nachdruck in Brüssel Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8823

(A) für eine Veränderung des Starttermins auf! Und befreien pulationen der Erfassungsgeräte möglich sind, müssen(C) Sie Deutschland endlich von seinem Damoklesschwert unter strenger Kontrolle bleiben. mit dem Namen „Pleiten, Pech und Pannen – made in “. Weitere Fragen sowohl zur Verwendung und Verwal- tung der biometrischen als auch administrativen Daten, die Frage der Speicherdauer und des Speicherortes und Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE die Fragen des Datenschutzes müssen geregelt werden. GRÜNEN: Das Kontrollgerätbegleitgesetz haben wir be- Schon allein aus diesem Grunde muß die Fahrpersonal- reits in der vergangenen Woche in erster Lesung behan- verordnung jetzt neu geregelt werden. delt. Darüber hinaus haben wir uns im Ausschuß für Ver- kehr, Bau- und Wohnungswesen am 9. März 2004Dem Kraftfahrt-Bundesamt wird mit der Aufgabe der nochmals des Themas intensiv angenommen. Nach län- Zertifizierung der kryptologischen Schlüssel eine große gerer Debatte haben wir einen interfraktionellen Ent-Verantwortung zugeteilt. Wenn aber ein Schlüsselma- schließungsantrag verabschiedet, in dem die Bundesre- nagement in dieser Komplexität weltweit so einzigartig gierung aufgefordert wurde, in ihren Bemühungen um ist, dann müssen wir uns an dieser Stelle vor einer erneu- die Einführung eines digitalen Kontrollgerätes nichtten Blamage in Acht nehmen und dem KBA eine reelle nachzulassen und sich bei der EU-Kommission insbe- Chance für eine Einführung geben. sondere für die Einrichtung einer Testphase und die Neu- vereinbarung eines realistischen Einführungstermins Die Klärung der Terminfrage ist – wie schon weiter einzusetzen. oben dargelegt – von zentraler Bedeutung, bevor wir die- ses Neuland betreten. DieEinfügung einer Testphase Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir waren uns am halten wir ebenfalls nach den Erfahrungen der letzten Mittwoch auch einig, dass wir aus der leidvollen Erfah- Monate für unverzichtbar. Die Bundesregierung sei an rung der vergangenen Monate mit dem LKW-Maut-Er- dieser Stelle auch nochmals eindringlich gebeten, regel- fassungssystem lernen müssen. Daher gilt es, dass wir mäßig über den Sachstand zu informieren, eventuell Pro- uns den konkreten Problemen, dass es a) noch kein Mit- bleme rechtzeitig zu identifizieren und an uns, d. h. die gliedsland der EU gibt, das aufgrund der Komplexität beteiligten Fachabgeordneten auch entsprechend zeit- eine Bauartgenehmigung für dieses neue System erteilt nah zu kommunizieren. hat und b) auch noch keine funktionierenden Endgeräte zur Verfügung stehen, aktiver nähern müssen. Wir wollen ein fälschungssicheres und effizienteres System für die Erfassung der Lenk- und Ruhezeiten, um Konkret: Wenn sich schon heute abzeichnet, dass der die Manipulationen zu verringern und damit die Sicher- Einführungstermin am 5. August 2004 ist nicht zu halten (B) heit im Straßenverkehr weiter zu verbessern. Aber wir(D) ist, dann müssen wir bereits heute die Reißleine ziehen! wollen es nicht um jeden Preis. Die Lösung kann nur in einer Fristverlängerung liegen, die daher auch schnellstmöglich bei der EU-Kommis- Daher sollten wir jetzt die Voraussetzungen für die sion eingeholt werden muß. Einführung des Systems schaffen und dafür sorgen, dass dieses innovative Kontrollsystem nicht durch übermäßi- Wenn wir diese neue Kontrolltechnik ohne den ent- gen Ehrgeiz an einem zu frühen Start scheitert. sprechenden technischen Vorlauf einführen, dann wer- den wir garantiert mit so erheblichen Anlaufproblemen Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. konfrontiert werden, dass diese schon am ersten Tag die Akzeptanz des Systems dauerhaft schädigen würden. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Die Eile, mit der Wir müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen der Deutsche Bundestag von der ersten jetzt zur zweiten und sollten uns weiterhin befristet auf die vorhandenen und dritten Lesung des vorliegenden Gesetzes kommt, Lenk- und Ruhezeiterfassungsysteme verlassen. Erststeht in eklatantem Widerspruch zur tatsächlichen tech- wenn das neue System tatsächlich funktionsfähig zur nischen Realisierung des Gerätes zur Kontrolle der Verfügung steht, kann es auch eingeführt werden. Lenk- und Ruhezeiten. Dennoch halte ich es für richtig, diesen Gesetzent- Der ehrgeizige Zeitplan der Kommission ist bereits wurf zum jetzigen Zeitpunkt vorzulegen und auch zujetzt nicht mehr zu halten, da nach dem Zeitplan vom verabschieden, da wichtige Gesetzesänderungen zur Ein- 5. August 2002 zum Beispiel 24 Monate nach Veröffent- führung des digitalen Kontrollgerätes Voraussetzunglichung alle Neufahrzeuge mit dem neuen System auszu- sind. Ohne eine Anpassung des Fahrpersonalgesetzesrüsten sind. Das wäre der 5. August des Jahres 2004. (FPersG) und des Gesetzes über die Errichtung einesNach uns bekannten Unterlagen liegt zwölf Monate nach Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA-Gesetz) ist die Umset- Veröffentlichung noch keine einzige Bauartgenehmi- zung der EG-Verordnungen nicht möglich. gung für ein Kontrollgerät geschweige denn die vier Kontrollgerätekarten vor, sodass die Kommission nach Die verschiedenen Chipkartentypen müssen persona- ihrem eigenen Zeitplan veranlasst gewesen wäre, einen lisiert und registriert sein, damit Manipulationen ein Rie- neuen Fristenplan vorzulegen. gel vorgeschoben werden kann. Die Registrierung verlo- rener oder defekt gemeldeter Karten sichert vor ihrem Vor dem Hintergrund der laufenden Diskussion über Missbrauch, durch den Sozialvorschriften umgangendie Probleme der Einführung der Maut, insbesondere der werden können. Und Werkstattkarten, mit denen Mani- Technikausstattung, wäre die Kommission gut beraten, 8824 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004

(A) den sicherlich ehrgeizigen Zeitplan neu zu überdenken nismus. Allerdings bietet er schwarzen Schafen einen(C) und realistisch anzupassen. vermeintlichen Vorteil: Er ist manipulierbar! Die Einführung des digitalen Kontrollgerätes, der so Das wollen wir ändern. genannten Blackbox, ist mit Zustimmung der FDP be- schlossen worden. Wir stehen weiterhin dazu, dass die Mit „wir“ meine ich nicht nur die Bundesregierung; Verkehrssicherheit im LKW-Bereich im Wesentlichen denn die Einführung des digitalen Kontrollgeräts geht davon abhängt, ob die Sozialvorschriften, insbesondere auf einen Beschluss der Europäischen Union zurück. die Lenk- und Ruhezeiten, eingehalten werden. DiesUnd genau darum geht es heute: Mit dem Gesetzentwurf wirft eine entscheidende Frage auch im Hinblick auf die über Begleitregelungen zur Einführung des digitalen neu hinzukommenden Mitgliedstaaten der EU ab 1. Mai Kontrollgerätes wird ein Beschluss der Europäischen 2004 auf. Der jetzigen Technik zur Überprüfung der Ge- Union in nationales Recht umgesetzt. Damit schaffen schwindigkeit bzw. der Lenk- und Ruhezeiten sind in der wir die Voraussetzungen für die erforderlichen Ausfüh- Manipulation offensichtlich keine Grenzen gesetzt. Es rungsregelungen. bleibt zu hoffen, dass die mit der Einführung des digita- Und warum der ganze Aufwand? Weil die Regelun- len Kontrollgeräts einhergehende Sicherheit vor Mani- gen der betreffenden EG-Verordnung 2135/98 nicht aus- pulationen tatsächlich anhält. Deswegen ist und bleibt reichen, um das neue System zu realisieren. Deshalb das Ziel richtig. müssen wir das Fahrpersonalgesetz ergänzen. Gegenüber der Bundesregierung muss aber deutlich Da geht es um die Kontrollen durch die jeweiligen gemacht werden, dass die Umsetzung der Einführung in Behörden und um die Überwachung der Einhaltung der Europa gleichzeitig stattfinden muss, zu gleichen Bedin- Sozialvorschriften durch den Unternehmer, und es geht gungen und nicht nach dem bisherigen Spiel, dassum die Einführung einer Mitteilungspflicht der Bußgeld- Deutschland das, was aus Europa vorgeschrieben wird, behörden, die für die Sozialvorschriften zuständig sind. hundertprozentig mit einem gewissen Sicherheitszu- Diese Regelungen werden mit dem vorliegenden Gesetz schlag umsetzt. Vor dem Hintergrund nach wie vor ekla- getroffen. tanter Wettbewerbsverzerrungen bei der Ausgangssitua- tion im europäischen Güterverkehrsmarkt ist einHinzu kommen technische Regelungen. Da geht es weiteres erschwerendes Signal für das deutsche Ge-dann zum Beispiel um das so genannte „Herunterladen“ werbe von dort nicht mehr zu verkraften. Insofernder Daten aus dem Kontrollgerät oder der Fahrerkarte in schließt sich die FDP-Fraktion der Forderung des Bun- die betriebliche Datenverarbeitung. Ohne eine solche desverbandes Güterkraftverkehr und Logistik an, dass Funktion wären zum Beispiel Betriebsprüfungen nicht (B) Deutschland nur an einer gleichzeitigen Einführung des durchführbar. (D) Kontrollgeräts in allen Mitgliedstaaten interessiert sein kann. Deswegen ist und bleibt die politische Forderung, Zu guter Letzt stellen wir mit diesem Gesetzentwurf auf die Kommission einzuwirken, einen Zeitplan vorzu- die Zuständigkeit der Länder klar, was die Ausgabe der legen, der diesem Petitum Rechnung trägt. Diese Auffor- Kontrollgerätekarten anbelangt. Das alles ist nicht strit- derung ist im Verkehrsausschuss einvernehmlich be-tig. Das alles ist völlig undramatisch. Trotzdem meinen schlossen worden, über alle Parteigrenzen hinweg. Wir einige, das aufblasen zu müssen, weil es in ganz Europa sind gespannt, ob die Bundesregierung diesem Wunsch bis heute noch keine Bauartgenehmigung für digitale des gesamten Verkehrsausschusses Rechnung trägt. Kontrollgeräte gibt. Deshalb besteht jetzt ein gewisser Zeitdruck: Nach Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- den jetzt geltenden Fristen müssen ab August alle desminister für Verkehr, Bau und Wohnungswesen: Es ist Neufahrzeuge mit einem entsprechenden Gerät ausge- offenbar nötig, noch einmal über diesen Gesetzentwurf stattet werden. Europaweit haben die Gerätehersteller er- zu sprechen; denn ich habe den Eindruck, dass sich der klärt, dass dieser Zeitplan nicht zu halten ist. Die deut- Sinn des Kontrollgerätbegleitgesetzes noch nicht allen schen Hersteller – Actia, Siemens-VDO – rechnen offenbart hat. Diese Kolleginnen und Kollegen kann ich frühestens im zweiten Quartal 2004 mit einer Bauartge- beruhigen: Das digitale Kontrollgerät hat aber auch gar nehmigung. nichts mit Mauterhebung oder Onboard-Units zu tun. Das ist nun wirklich Unsinn. Hier geht es um die Einfüh- Die logische Konsequenz: Es wird im August in ganz rung eines neuen Fahrtenschreibers – ein Gerät, das den Europa kein einziges praxistaugliches digitales Kontroll- meisten wohl bekannt sein dürfte. Es dient zur Überwa- gerät geben. Das ist bedauerlich, denn nach der jetzigen chung der gefahrenen Geschwindigkeiten, und es dient Regelung müssen die Mitgliedstaaten schon ab Mai in zur Überwachung der Einhaltung von Lenk-und Ruhe- der Lage sein, bauartgenehmigte Kontrollgerätekarten zeiten. Was bisher mehr schlecht als recht mechanisch auszugeben. Das ist zeitlich einfach nicht zu schaffen. erfasst wurde, wird in Zukunft digital ausgewertet. Letztlich müssen auch die Techniker mit der neuen Tech- nik an funktionsfähigen Geräten geschult werden. Daran ist nichts Beunruhigendes oder Zweifelhaftes. Das ist der Lauf der Zeit. Wer sich moderne Lastwagen Allerdings ist es unsinnig, der Bundesregierung in einmal genau ansieht, weiß, wie viel Elektronik unddiesem Zusammenhang Vorwürfe machen zu wollen. Software in diesen Fahrzeugen steckt. Der mechanische Denn die hat das zeitliche Problem schon lange erkannt. Fahrtenschreiber wirkt da schon fast wie ein Anachro- Es ist ja richtig, dass die EU Druck macht, was die Ein- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. März 2004 8825

(A) führung des neuen Gerätes angeht. Allerdings brauchen Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (C) wir einen neuen Zeitplan. – Unterrichtung durch die Bundesregierung Deshalb hat Bundesminister Stolpe schon im vergan- Jahreswirtschaftsbericht 2004 der Bundesregierung genen Dezember an die Kommissarin de Palacio ge- Leistung, Innovation, Wachstum schrieben. Er hat auf die bestehenden Probleme hinge- wiesen und dringend um einen realistischeren Zeitplan – Drucksache 15/2405 – gebeten. Eine solche Verschiebung wäre EU-rechtlich möglich. Bislang lehnt die Kommission sie allerdings Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und ab. Wir halten das für falsch, weil ein Festhalten an den Landwirtschaft Fristen allen Beteiligten Probleme bereiten würde. Ich bin allerdings sehr optimistisch, dass die Kommission – Unterrichtung durch die Bundesregierung hier noch einlenken wird. Denn sie hat entsprechende Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse- Bemerkungen nicht nur aus Deutschland zu hören be- rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ für kommen. den Zeitraum 2003 bis 2006 Die Technik steht also noch nicht. Das ist immer un- – Drucksachen 15/1201, 15/2105 Nr. 2 – erfreulich, das wissen wir alle. Trotzdem müssen wir jetzt den EU-Vorgaben Rechnung tragen, indem wir die – Unterrichtung durch die Bundesregierung gesetzlichen Grundlagen schaffen. Dieser Gesetzentwurf Bericht der Bundesregierung über die künftige Gestal- tut das. tung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) hier: Rahmenplan 2004 bis 2007 Anlage 4 – Drucksachen 15/2035, 15/2105 Nr. 3 – Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Die Abgeordnete Dr. Angelica Schwall-Düren hat da- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische rum gebeten, bei dem Gesetzentwurf zur Verbesserung Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- des Schutzes junger Menschen vor Gefahren des Alko- tung abgesehen hat. hol- und Tabakkonsums auf Drucksache 15/2587 nach- träglich in die Liste der Antragsteller aufgenommen zu werden. Auswärtiger Ausschuss (B) (D) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 15/2104 Nr. 2.1 mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 Drucksache 15/2217 Nr. 1.1 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den Drucksache 15/2217 Nr. 2.9 nachstehenden Vorlagen absieht: Innenausschuss Innenausschuss Drucksache 15/2217 Nr. 2.25 Drucksache 15/2373 Nr. 2.26 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die für den Kauf- kraftausgleich maßgebende Entwicklung im Wäh- Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und rungsgebiet des Euro Landwirtschaft – Drucksachen 15/2320, 15/2442 Nr. 1.1 – Drucksache 15/2028 Nr. 2.14 Drucksache 15/2028 Nr. 2.15 Drucksache 15/2028 Nr. 2.18 Haushaltsausschuss Drucksache 15/2373 Nr. 2.14 Drucksache 15/2373 Nr. 2.19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 15/2373 Nr. 2.27 Drucksache 15/2373 Nr. 2.51 Haushalts- und Wirtschaftsführung 2003 Drucksache 15/2373 Nr. 2.55 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 15 09 Titel 681 01 Drucksache 15/2447 Nr. 2.15 – Versorgungsbezüge für Beschädigte – Titel 632 51 Drucksache 15/2447 Nr. 2.18 – Kriegsopferfürsorgeleistungen und gleichartige Leis- tungen – – Drucksachen 15/2321, 15/2369 Nr. 3 – Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Drucksache 15/2447 Nr. 2.5 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 15/2519 Nr. 2.8 Haushalts- und Wirtschaftsführung 2003 Überplanmäßige Ausgabe bis zur Höhe von 30 Mio. Euro bei Kapitel 12 25 – Wohnungswesen und Städte- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und bau – Titel 632 01 – Wohngeld nach dem Wohngeldge- Entwicklung setz – Drucksache 15/2104 Nr. 1.4 – Drucksachen 15/2376, 15/2442 Nr. 1.2 – Drucksache 15/2373 Nr. 2.9 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344 ISSN 0722-7980