Sieger Und Verlierer
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369 15-21 Lengsfeld 23.07.2000 18:48 Uhr Seite 15 Die politische Nr. 369/August 2000 Meinung Die Gleichgültigkeit gegenüber den Freiheitswerten ist die größte Gefahr für die „innere Einheit“ Sieger und Verlierer Vera Lengsfeld Als sich die deutsche Nation im Oktober Abgrenzung von „westdeutschen“ Lebens- 1990 in einem Staat vereinigte, beherrsch- und Politikstilen beobachtet. Von Aus- ten Freude und Optimismus das Denken plünderung sei allenthalben die Rede, von und Fühlen der meisten Deutschen. Heute, Bevormundung und Perspektivlosigkeit. im zehnten Jahr der Einheit, ist die Eupho- Heute wird zwar der Rechtsradikalismus rie einer gewissen Nüchternheit gewichen, von Jugendlichen im Osten beklagt (wäh- nicht jedoch einer nationalen Normalität. rend der Linksradikalismus der PDS längst Da von wirklichen Verlierern nicht gespro- salonfähig ist), es scheint aber der Glaube chen werden kann (was nach einer Revolu- zu bestehen, der Osten sei nicht so konven- tion nicht unbedingt die Regel ist), wird von tionell, nicht so „korrupt“, aus ihm kämen denjenigen, denen die ganze Sache nicht unbelastete, frische Politiker. behagt, ein diffuses Gefühl der Unzufrieden- Der Aufbau Ost ist nicht gescheitert. Seit heit verbreitet, so dass sich die Sieger kaum 1990 sind immense Leistungen vollbracht noch Sieger zu nennen trauen. worden. Insgesamt summieren sich die Das Verhältnis Ost – West in Deutschland ist Bruttotransfers aus öffentlichen Kassen seit nicht einfach zu beschreiben, denn gewisse 1991 auf weit über 1400 Milliarden D-Mark. Störungen beruhen nicht auf Tatsachen, Dieser Aufbau Ost zählt zu den beeindru- sondern auf mentalen Absonderlichkeiten. ckendsten Erfolgsgeschichten und Solidar- Noch im Herbst 1999 hätte man – wollte man leistungen unseres Jahrhunderts. Die neuen der veröffentlichten Meinung glauben – da- Länder sind sichtbar aufgeblüht. Wer das von reden müssen, dass die Kluft zwischen nicht sehen will, ist schlicht blind – oder West und Ost immer größer geworden sei, sehr vergesslich. Mittlerweile ist die Quote dass wir von der „inneren Einheit“ weit ent- der Erwerbstätigen im Westen und Osten fernt seien. Damals wurde – angeblich – im beinahe gleich groß und liegt bei etwa sech- Westen befürchtet, das Erbe der DDR er- zig Prozent. Allerdings, das Bild von „dem“ weise sich wirtschaftlich als Fass ohne Bo- Osten ist falsch: Die neuen Länder haben den, die ehemalige DDR hätte nur ver- eine unterschiedliche Entwicklung genom- seuchte Landstriche, verrottete Betriebe, men. Kurz nach der Währungsumstellung Atheismus, gedopte Sportler und Spitzel verdienten Arbeiter und Angestellte in der in die neue Bundesrepublik eingebracht. Industrie der neuen Länder durchschnitt- Im Osten andererseits wurde eine neue lich 1393 D-Mark im Monat, Arbeiter und An- 15 369 15-21 Lengsfeld 23.07.2000 18:48 Uhr Seite 16 Die politische Meinung Vera Lengsfeld gestellte in den alten Bundesländern durch- verteidigen gelte, bauen politische DDR- schnittlich 3983 D-Mark. Seitdem ist das ver- Nostalgiker insgeheim wieder eine System- fügbare Einkommen in den neuen Ländern bejahung auf. Es werden falsche Gegen- deutlich angestiegen: allein von 1991 bis sätze benutzt: „Demokratie“ gegen DDR-Ge- 1994 um über 51 Prozent. mütlichkeit, Pluralismus gegen Selbstach- Trotz des riesigen finanziellen Aufwandes, tung. Politische, mentale, kulturelle Diffe- mit dem Bund und Länder die Folgen von renzen werden vermischt. Der Trick funktio- Teilung und deutschem Kommunismus niert, die PDS, eine rein populistische Par- zu tilgen versuchen, trotz des realen Auf- tei, gewinnt allein aus zynischer Larmoyanz schwungs hat sich ein gemeinsames deut- ihre politische Stärke. Und nicht wenige sches Selbstbewusstsein in zehn Jahren Grüne und SPD-Politiker stoßen in das glei- nicht vollständig ausgebildet. Dafür gibt es che Horn, auch Bürgerliche lassen sich an- reale Gründe: Von der Arbeitslosigkeit sind stecken, und so bedient man die gleichen im Osten bestimmte Berufs- und Altersgrup- Affekte wie die Ewiggestrigen der Linken. pen betroffen. Die Zahl der Langzeitarbeits- Es wurden bei der Vereinigung durchaus losen ist viel zu hoch. Doch „Ostalgie“, ein Fehler gemacht. Der größte Fehler war, die im Übrigen weit übertriebenes Phänomen, Eröffnungsbilanz zu verschönern. Die Deut- kann erst entstehen, wenn Vergangenheit schen wurden mit dem Ausmaß des wirt- vergessen wird, wenn die DDR als obskures schaftlichen Bankrotts, der ökonomischen Objekt der politischen Verklärung er- und sozialen Verwüstung, die das SED-Re- scheint. Beschönigen, Banalisieren und gime hinterlassen hatte, nicht ernsthaft kon- Leugnen sind angesagt. Das sei, so will man frontiert. Das gab der umbenannten SED uns einreden, die Voraussetzung für die „in- bald die Möglichkeit, die flächendeckende nere Einheit“. Nun darf man sich nicht täu- Neustrukturierung der alten Wirtschafts- schen lassen: Hunderttausende Leistungs- strukturen, die daraus resultierende Arbeits- träger, besonders jüngere Facharbeiter und losigkeit und die Probleme der in Unselbst- Fachkräfte, sind in den Westen übergesie- ständigkeit gehaltenen Menschen mit der delt. Vor allem: Die meisten früheren DDR- offenen Gesellschaft zu Fehlern der Vereini- Bürger haben ihr Leben nach den gravieren- gung zu erklären. Die demokratischen Par- den Umbrüchen selbstbewusst, gelassen teien ließen zu, dass die PDS-Slogans von und selbstbestimmt neu gestaltet. Sie sind den „Bürgern zweiter Klasse“ die Meinung die Gewinner der deutschen Einheit. Es sind beherrschten, dass die Rede vom angeb- zwar lautstarke Gruppen, doch gleichwohl lichen „Abbau Ost“, dem Plattmachen von Minderheiten, die Stimmung gegen „den Demokratisierung die Atmosphäre vergifte- Kapitalismus“ und „den Westen“ machen. ten. Obwohl die PDS zwanzig Prozent der Scheinheilig geben sie vor, die Unterdrü- Wähler in den neuen Bundesländern reprä- ckung der Gesellschaft in der DDR durch an- sentiert, beherrscht sie achtzig Prozent der geblich nur einige wenige „schlechte Ge- Berichterstattung über die dortigen Par- nossen“ anzuerkennen. Über eine ver- teien. Dafür ist eine bundesdeutsche Publi- meintliche Identität einer „DDR-Biografie“, zistik verantwortlich, die mehrheitlich die die von „Besserwessis“ und Ex-Dissidenten Vereinigung nicht gewollt hat und zu deren angegriffen werde, die es aber gegen das Trauerarbeit über die verlorene DDR es ge- „Runtermachen von Lebensleistungen“ zu hört, die Nach-Wende-SED zu hofieren. Die 16 369 15-21 Lengsfeld 23.07.2000 18:48 Uhr Seite 17 Die politische Sieger und Verlierer Meinung stupide kommunistische Wirklichkeit der verschlechterte sich die Lage sichtbar. PDS wurde geschickt verdeckt: Aber sie ist Schürer prognostizierte im Mai 1989 – auf dem Parteitag in Münster sichtbar ge- selbstredend intern – die Zahlungsunfähig- worden. keit der DDR für 1991. Der Verschleißgrad in sensiblen Bereichen der Industrie, so schätzte das MfS im Oktober ein, lag bei Zwangsläufiger Untergang fünfzig Prozent, bei landwirtschaftlichen Die DDR ist zwangsläufig verschwunden: Anlagen bei 65 Prozent: Am 27. Oktober Schon Ende 1981 bahnte sich ein Kredit- 1989 trug Generalleutnant Kleine, Leiter stopp westlicher Banken für die DDR an. der MfS-Hauptabteilung XVIII (Volkswirt- Die Investitionseffizienz halbierte sich in schaft), seinen Abteilungsleitern eine Kri- dem kurzen Zeitraum von 1981 bis 1984. sen-Analyse vor. Nach seiner Einschätzung Seit Mitte der achtziger Jahre gab es kein wären mindestens 500 Milliarden erforder- reales Wirtschaftswachstum mehr. Die In- lich, um den Anschluss an die westlichen novationsschwäche der DDR war evident. Länder auf dem Gebiet der industriellen Die Leistungen der DDR-Wirtschaft hätten Produktion nicht zu verlieren. Dies hätte auch mit einem deutlich geringeren Einsatz zwei vollen jährlichen Nationaleinkom- an Arbeitskräften erbracht werden können. men der DDR entsprochen. Alexander Si- Große Teile der Industrie hatten in über nowjew hat in seinem 1980 erschienenen vierzig Jahren der sozialistischen Herr- Buch Kommunismus als Realität erkannt, schaft weitgehend von ihrer Substanz ge- dass die „soziale Auslese der anpassungs- lebt. Die internationale Wettbewerbsfähig- fähigsten Individuen“ eine wichtige Grund- keit verschlechterte sich rapide. Die ver- lage für die Existenz der Ostblockstaaten ge- minderte Exportfähigkeit der DDR-Pro- wesen ist. Gerade die SED-Eliten in der DDR dukte drückte sich auch in der Verände- waren eine Negativ-Auslese. Zu den Ver- rung des Kurses der Mark der DDR zur D- sprechen des Einigungsprozesses aller- Mark aus. War 1970 noch eine Relation von dings gehörte, die SED-Eliten zu schonen. 1,70 Mark für eine D-Mark festgelegt, so wur- Die Eliten der DDR sind fast vollständig auf den im Jahre 1988 4,40 Mark für eine D-Mark die Füße gefallen. Verlierer der Einheit je- getauscht. Der Versuch, die Mikroelektro- denfalls sind sie nicht. nik weltmarktfähig zu entwickeln, schei- Viel realer ist jedoch die Benachteiligung terte völlig. Der im Jahre 1988 von der DDR durch die Entscheidung der Bundesregie- hergestellte 256-Kilobit-Chip kostete 534 rung, das zwischen 1945 und 1949 in der So- DDR-Mark je Stück, auf dem Weltmarkt war wjetzone enteignete Gut zu verkaufen, statt er für zwei Dollar zu bekommen. Das Brut- den rechtmäßigen Eigentümern zurück- toinlandsprodukt pro Kopf stieg von 1985 zugeben. Dies hat mehr als nur materielle bis 1989 nur noch unwesentlich an und fiel Bedeutung, es ist vorenthaltene Gerechtig- relativ zum bundesdeutschen Pro-Kopf-BIP keit. Auch die zögerliche finanzielle Ent- von 36 Prozent 1985 auf 33