Dr. Antje Vollmer Bundestagsvizepräsidentin A

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Dr. Antje Vollmer Bundestagsvizepräsidentin A Sendung vom 28.1.2014, 21.00 Uhr Dr. Antje Vollmer Bundestagsvizepräsidentin a. D. und Autorin im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauer, ganz herzlich willkommen zum alpha-Forum. Unser heutiger Gast ist Dr. Antje Vollmer. Sie gehörte 1983 zur ersten Fraktion der Grünen im Deutschen Bundestag. Sie war mit wenigen Unterbrechungen Mitglied des Hohen Hauses bis zum Jahr 2005 und sie war Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags von 1994 bis 2005, um nur einige ihrer Stationen zu nennen. Ich freue mich, dass Sie hier sind, herzlich willkommen, Frau Dr. Vollmer. Vollmer: Schönen guten Tag. Reuß: Eigentlich sind Sie ja 2005 offiziell aus der aktiven Politik ausgeschieden, aber Sie sind immer noch eine sehr gefragte Gesprächspartnerin und man sucht Ihre Expertise. Es gibt ja dieses schöne Zitat des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber: "Ein wirklich politischer Mensch kann das Politische gar nicht hinter sich lassen, selbst wenn er es wollte." Und Rudolf Dreßler von der SPD sagte mal: "Politik ist auch eine Sucht." Waren Sie auch ein Politik-Junkie? Vollmer: Mit Einschränkungen. Was ich nicht abstellen kann, ist, dass ich mir jeden Morgen mit der Teetasse in der Hand durch meine Zeitung ein Bild im Ganzen mache. Und auch dieses schnelle Erfassen, das man in der Politik hat, kann ich nicht abstellen: Man beschleunigt die Wahrnehmung selbst der Details, auch der Konfliktlagen usw. Das hört nicht auf. Ich ertappe mich auch öfters dabei, dass ich mir denke: "Jetzt mal so und so eingreifen, um die Situation zu drehen." Das spielt sich jedoch alles nur in meinem Kopf ab. Aber das ist nur die eine Seite, denn ich glaube, dass ich zu den glücklichen Leuten gehöre, die selbstbestimmt Schluss gemacht haben. Diese Entscheidung, aufzuhören im Jahr 2005, war ganz und gar meine eigene Entscheidung. Und damit hat mich das auch wirklich freigemacht. Alles in allem war das nicht nur selbst gewählt, sondern irgendwie auch ein respektvoller Schluss. Und er war früh genug, sodass ich mich noch einmal neu erfinden konnte. Das ganz große Glück meiner Zeit jetzt ist eigentlich, dass ich als Autorin angefangen habe, mich in ganz große historische Bereiche zu versenken, die mich mein Leben lang interessiert haben, vor allem die vergessenen Widerstandskämpfer vom 20. Juli. Je tiefer ich in dieses Thema hineingekommen bin, umso fassungsloser bin ich darüber, wie wenig sich die Deutschen um diese Gruppe, die doch so klein gewesen ist, um diese Gruppe sozusagen von zehn Gerechten gekümmert hat: Niemand wollte wissen, was das eigentlich für Leute waren, diese wenigen, die sich anders verhalten haben als die große Mehrheit. Dass ich das machen kann, dass diese Bücher Leser finden und dass ich auch meine eigene Sicht der Sache verändern kann, ist ein großes Glück. Denn das waren ja durchaus Leute, die ich früher, in meiner 68er-Zeit, sehr mit Abstand gesehen hätte. Dass ich heute die Ruhe habe, die Dinge ganz anders abzuwägen und mich ihnen noch einmal völlig neu zu nähern, empfinde ich als ein ganz großes Glück. Heute sprechen mich fast mehr Leute auf diese Bücher an als auf meine politische Zeit. Reuß: Sie haben es soeben gesagt, Sie haben selbst entschieden, aus der aktiven Politik auszuscheiden. Sie haben dazu mal so schön gesagt, Sie wollten sich selbst in die Freiheit entlassen. Macht denn Politik ein Stück weit unfrei? Ist man zwischen Fraktion, Partei, Interessengruppen doch auch ein bisschen ein Getriebener? Vollmer: Ja, auf jeden Fall. Deswegen ist es ja auch sehr wichtig – das ist überhaupt in allen Dingen sehr wichtig und stellt auch ein Stück meiner politischen Lebensphilosophie dar –, dass man immer einen freien Ausgang bzw. einen Ausweg hat, dass man nie – und zwar auch existenziell nie – in eine Situation kommt, in der man nicht mehr frei wählen kann, weil man es sich z. B. nicht leisten kann, sich mit Mächtigen in der Partei anzulegen. Das ist der Hauptgrund, warum es wichtig ist, dass die Leute neben der Politik noch einen Beruf haben. Vieles, was man fürs politische Geschäft braucht, kann man im Beruf nicht lernen. Wichtig aber ist, dass man weiß, wer man ist, und dass man seinen Platz im Leben auch dann findet, wenn man sich mit allen Parteioberen angelegt hat und sie einen nicht wieder aufstellen wollen. Bei mir persönlich ging es damals ja um die Afghanistan-Entscheidung: Ich war von Anfang an eine starke Kritikerin – und bin das auch heute noch – dieses sogenannten Kriegs gegen den Terror. Ich bin vor allem deswegen dagegen, weil ich überhaupt nicht an seinen Erfolg glaube. Das zog sich durch, das war ja eine der großen, belastenden Entscheidungssituationen auch in der rot-grünen Koalition. Reuß: Sie haben sich damals im Bundestag der Stimme enthalten. Vollmer: Nein. Ganz am Ende musste ich mit Ja stimmen, denn es durften insgesamt nur vier grüne Abgeordnete mit Nein stimmen, weil Gerhard Schröder sonst die von ihm damit verbundene Vertrauensfrage verloren hätte. Es ging dann um die Frage, ob ich mit Nein stimmen darf oder ob ein blutjunger Abgeordneter, ein ganz leidenschaftlicher Pazifist, mit Nein stimmen darf. Ich habe daraufhin gesagt: "Mein Ja ist ein Nein und ich kann das auch öffentlich begründen." Ich hätte das nämlich damals als eine unrechtmäßige Auflösung des Parlaments empfunden – und ich empfinde das heute noch so. Ich bin Gerhard Schröder sehr dankbar dafür, dass er nein zum Irakkrieg gesagt hat: Das werde ich ihm auch nie vergessen, denn das empfinde ich bis heute als einen Höhepunkt unserer rot-grünen Koalition. Aber in dieser Situation war er nicht der starke Gerhard Schröder, sondern er meinte, er müsse den starken Mann machen und er müsse auch die Kritiker und Gegner dieses Kurses in seiner eigenen Fraktion dazu zwingen. Deswegen hat er eben diese Frage der Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan mit der Vertrauensfrage verbunden: "Habe ich das Vertrauen, mit dieser Regierung weitermachen zu können?" Auf diesen Teil der Frage konnte man als Mitglied der Regierungsfraktion ja schlechterdings nicht mit Nein antworten, das hat nur die CDU/CSU so gemacht. Aber an sich war es so, dass Angela Merkel im Hinblick auf den Afghanistan-Krieg schon früher angekündigt hatte, dass sie da noch viel freiwilliger mitmarschieren würde als die rot-grüne Koalition. Das heißt, in der Sache konnte man sowieso nichts entscheiden, man konnte nur für sein eigenes Seelenheil sorgen. Reuß: Als Sie 1984 mit zwei anderen Kolleginnen zur gleichberechtigten Fraktionssprecherin der Grünen-Fraktion gewählt wurden, haben Sie gesagt: "Ich habe keine Lust, ein Star zu werden." Und an anderer Stelle haben Sie mal gesagt: "Ich bin gar nicht optimal ausgestattet fürs öffentliche Leben, ich bin eigentlich menschenscheu." Sind Sie am Ende aufgrund der Tatsache, dass Sie eine der profiliertesten Vertreterinnen der Grünen waren, nicht doch ein Star geworden? Vollmer: Aber es stimmt schon, was ich gesagt habe: Ich bin medienscheu und auch eher menschenscheu. Reuß: Ist das immer noch so? Vollmer: Ja, das ist auf eine bestimmte Weise immer noch so. Das hat mir auch in mancher Hinsicht Schwierigkeiten gemacht. Das hat sich auch manchmal in meiner Stimme ausgedrückt. Ich habe dann natürlich schon auch gemerkt, dass die Leute dann, wenn man jemandem anmerkt, dass er etwas sagen will, weil er sich sehr lange mit einer Materie beschäftigt hat, bis er ein Urteil gefunden hat, diese gewisse Scheu, diese gewisse Sprödigkeit manchmal sogar als Erleichterung empfinden und genauer zuhören. So habe ich dann irgendwie gelernt, damit zu leben. Aber am Anfang war das natürlich nicht ganz leicht, weil das in einer solchen Sphäre – in der eigentlich die Alphatiere die Dinge bestimmten und in der man immer oben auf der Welle schwimmen muss und auch ausstrahlen muss: "ich habe Macht und ich weiß es!" – nicht so häufig zu finden ist. Aber ich habe dann ja sehr oft in Bereichen arbeiten können, in denen ich etwas sehr lange vorbereiten konnte, bevor ich dann mit doch schon ziemlich guten Ergebnissen an die Öffentlichkeit treten konnte. Nehmen wir mal das Beispiel des "Dialogs mit Terroristen". Das war ja und ist bis heute ein hochgefährliches Thema. Reuß: Das bezog sich auf den Dialog mit den RAF-Terroristen. Vollmer: Der RAF-Terror war für die Bundesrepublik der damaligen Jahre mindestens genauso belastend, wie das heute der al-Qaida-Terrorismus für die USA ist. Reuß: Sie haben diesen Dialog bereits in einer Zeit gesucht, als die RAF noch aktiv war. Vollmer: Heute denke ich mir manchmal und heute muss selbst ich sagen, dass das wirklich höchst risikoreich gewesen ist. Es war höchst risikoreich, noch während gemordet wurde, während man noch gar nicht wusste, wie viele von diesen Terroristen es im Untergrund eigentlich gibt, diesen Terroristen bereits einen Dialog anzubieten. Das hat natürlich auch entsprechend heftige und brutale Konsequenzen gehabt: Damals hatte auch ich die dicken Balken in der Bild-Zeitung. Reuß: Sie sind damals als "Sympathisantin" usw. beschimpft worden. Vollmer: Ja, und wenn wieder ein Mord passiert ist, sollte ich mich persönlich bei der Familie der Opfer entschuldigen, denn ich hätte diese Mörder unterstützt. Seit der Zeit weiß ich jedoch viel: Erstens weiß ich, was es heißt, am Pranger zu stehen. Seit dieser Zeit habe ich eigentlich auch immer auf Leute geachtet, die plötzlich im Zentrum einer solchen Kampagne stehen, und darauf geschaut, wie es ihnen geht. Ich habe aber auch begriffen, dass auch leise Leute geradestehen und so eine Situation überleben können. Ich befand mich damals in dieser Situation wirklich absolut mit dem Rücken an der Wand. Es gab damals ja sogar Kritik aus der eigenen Fraktion, z. B. von Otto Schily usw. Reuß: Otto Schily sagte: "Mit Leuten, die einen Genickschuss verantworten, mit denen unterhält man sich nicht." Vollmer: Ja, "mit denen unterhält man sich nicht". Reuß: Er spielte damit u. a. auf die Ermordung von Hanns Martin Schleyer an.
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