Plenarprotokoll 13/110 (Zu diesem Protokoll folgt ein Nachtrag)

Deutscher

Stenographischer Bericht

110. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abge Zusatztagesordnungspunkt 3: ordneten Dr. Willfried Penner 9665 A Antrag der Abgeordneten Elisabeth Alt- mann (Pommelsbrunn), Dr. Uschi Eid, Eintritt des Abgeordneten Egbert Nitsch weiterer Abgeordneter und der Frak- (Rendsburg) in den Deutschen Bundes- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aus- tag 9665 A wärtige Kulturpolitik: Den Standort Erweiterung der Tagesordnung . . 9665B, 9728A neu bestimmen - den Stellenwert erhö- hen (Drucksache 13/4844) 9666 D Abwicklung der Tagesordnung 9666 B in Verbindung mit Absetzung der Punkte 8 und 10 von der Tagesordnung 9666C, 9808 A Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Freimut Du- Zusätzliche Ausschußüberweisung . . 9666 C ve, , weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Auswärti- Tagesordnungspunkt 3: ge Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 13/4851) . . 9667A a) Abgabe einer Erklärung der Bundes- regierung zur Auswärtigen Kulturpoli- in Verbindung mit tik 9666 D Zusatztagesordnungspunkt 5: b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Antrag der Abgeordneten Claus-Peter Grotz, Hartmut Koschyk, weiterer Ab- Gesetzes über den deutschen Aus- geordneter und der Fraktion der CDU/ landsrundfunk (Drucksache 13/4708) . 9666D CSU sowie der Abgeordneten Ina Albo- witz, Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann, wei- c) Große Anfrage der Abgeordneten Eli- terer Abgeordneter und der Fraktion sabeth Altmann (Pommelsbrunn) und der F.D.P.: Standortbestimmung der der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Auswärtigen Kulturpolitik (Drucksache NEN: Aktivitäten und Ziele der Bun- 13/4863) 9667 A desregierung in der Auswärtigen Kulturpolitik; Nutzung der Poten- in Verbindung mit tiale für Demokratisierung und friedli- che Konfliktbewältigung (Drucksache Zusatztagesordnungspunkt 6: 13/4618) 9666 D - Antrag der Abgeordneten Rezzo in Verbindung mit Schlauch, Christa Nickels und der Frak- II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: CDU/CSU 9699C Staatsferne und Selbstbestimmung des Dr. Peter Struck SPD 9701 A deutschen Auslandsrundfunks (Deut- Ulf Fink CDU/CSU 9702B sche Welle) (Drucksache 13/4846) . . 9667A (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Dr. , Bundesminister AA . 9667B GRÜNEN 9705B SPD 9672A Dr. F.D.P 9706A Claus-Peter Grotz CDU/CSU 9675B Dr. Heidi Knake-Werner PDS 9706D Freimut Duve SPD 9677 B Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜND Tagesordnungspunkt 4: NIS 90/DIE GRÜNEN 9677 D a) Erste Beratung des von den Abgeordne- F.D.P. 9679C ten Dr. , Michael Mül- PDS 9681 B ler (Düsseldorf), weiteren Abgeordne- Dr. , Bundeskanzler . . . 9682 D ten und der Fraktion der SPD einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes für Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜND die Förderung der industriellen Solar- 9686D, 9694 A NIS 90/DIE GRÜNEN zellentechnologie (SzFG) (Drucksache Siegfried Vergin SPD 9688 A 13/3812) 9707 D Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9689D b) Antrag der Abgeordneten Michaele Hu- 9691 B Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann F.D.P. . . . stedt, Dr. Uschi Eid, weiterer Abgeord- Dr. (München) CDU/CSU . . 9692 C neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . . 9694 D DIE GRÜNEN: 10-Punkte-Programm für den Einstieg ins Solarzeitalter 9695 B Ulrich Irmer F.D.P (Drucksache 13/4481) 9707 D Dr. Joseph-Theodor Blank CDU/CSU . 9696 D Dr. Hermann Scheer SPD 9708A Dr. F.D.P. (Erklärung Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister nach § 31 GO) 9697D BMBF 9710A Dr. Hermann Scheer SPD 9712C Tagesordnungspunkt 5: Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Antrag der Fraktionen der CDU/CSU NEN 9713A und F.D.P.: Zurückweisung des Ein- Paul K. Friedhoff F.D.P 9715C spruchs des Bundesrates gegen das Ge- Detlev von Larcher SPD 9716B setz zur Reform des Rechts der Arbeits- losenhilfe (Arbeitsiosenhilfe-Reform- Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE gesetz) (Drucksache 13/4867) . . . 9698D GRÜNEN 9716B Rolf Köhne PDS 9717 C Namentliche Abstimmung 9699 A Wilma Glücklich CDU/CSU 9718D Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . 9720D Ergebnis 9603 A Dr. Norbert Lamme rt , Parl. Staatssekretär 9722 C Zusatztagesordnungspunkt 7: BMWi Rolf Hempelmann SPD 9724 B Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Hans-Otto Schmiedeberg CDU/CSU . . 9729D und F.D.P.: Anrufung des Vermittlungs- ausschusses zum Gesetz zur Reform Tagesordnungspunkt 16: des Sozialrechts (Drucksachen 13/2440, 13/2764, 13/3904, 13/4211, 13/4239, 13/ Überweisungen im vereinfachten Ver- 4687, 13/4758, 13/4865) 9699B fahren

in Verbindung mit a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Geset- Zusatztagesordnungspunkt 8: zes zur Änderung des Jahressteuer- gesetzes 1996 (steuerliches Reiseko- Antrag der Fraktionen der CDU/CSU stenrecht) (Drucksache 13/4542) . . 9727B und F.D.P.: Anrufung des Vermitt- lungsausschusses zum Ersten Gesetz b) Erste Beratung des von der Bun- zur Änderung des Asylbewerberlei- desregierung eingebrachten Ent- stungsgesetzes und anderer Gesetze wurfs eines Gesetzes zu dem Ab- (Drucksachen 13/2746,13/3475,13/3720, kommen vom 14. Juli 1993 zwischen 13/3728, 13/3937,13/3949, 13/4686, 13/ - der Regierung der Bundesrepublik 4759,13/4866) 9699 B Deutschland und der Regierung der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 III

Russischen Föderation über den zes zu der Konstitution und der Kon- Luftverkehr (Drucksache 13/4630) . 9727B vention der Internationalen Fern- meldeunion vom 22. Dezember 1992 c) Erste Beratung des von der Bundes- sowie zu den Änderungen der Kon- regierung eingebrachten Entwurfs stitution und der Konvention der In- eines Gesetzes über Mitteilungen ternationalen Fernmeldeunion vom der Justiz von Amts wegen in Zivil- 14. Oktober 1994 (Drucksachen 13/ und Strafsachen (Justizmitteilungs- 3810, 13/4585, 13/4629) 9728 B gesetz) (Drucksache 13/4709) . . . 9727 C b) Zweite Beratung und Schlußabstim- d) Antrag der Abgeordneten Franziska mung des von der Bundesregierung Eichstädt-Bohlig, Angelika Köster eingebrachten Entwurfs eines Geset- Loßack, weiterer Abgeordneter und zes zu den Protokollen vom der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 6. Oktober 1989 und vom 26. Ok- NEN: Einlösung der Versprechen tober 1990 zur Änderung des Ab- von Rio auf der VN-Konferenz kommens vom 7. Dezember 1944 (HABITAT II) in Istanbul (Drucksa- über die Internationale Zivilluft- che 13/4616) 9727 C fahrt (Drucksachen 13/3849, 13/ 4599) 9728 C e) Unterrichtung durch die Bundesre- gierung: Waldzustandsbericht der Bundesregierung 1995 (Drucksache c) Zweite Beratung und Schlußabstim- 13/3208) 9727 C mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Zusatztagesordnungspunkt 9: zes zu dem Europa-Abkommen vom 12. Juni 1995 zur Gründung einer Weitere Überweisungen im vereinfach- Assoziation zwischen den Europäi- ten Verfahren schen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der a) Antrag des Abgeordneten Klaus-Jür- Republik Estland andererseits gen Warnick und der Gruppe der (Drucksachen 13/4024, 13/4855) . . 9728D PDS: Ergänzung des Eigenheimzu- lagengesetzes (Drucksache 13/4835) 9727 D d) Zweite Beratung und Schlußabstim- mung des von der Bundesregierung b) Antrag der Abgeordneten Eva Bul- eingebrachten Entwurfs eines Geset- ling-Schröter, Dr. , weite- zes zu dem Europa-Abkommen vom rer Abgeordneter und der Gruppe 12. Juni 1995 zur Gründung einer der PDS: Ausweitung des Sanie- Assoziation zwischen den Europäi- rungsauftrages der Wismut GmbH schen Gemeinschaften und ihren (Drucksache 13/4836) 9727D Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Litauen andererseits c) Antrag der Abgeordneten K ristin (Drucksachen 13/4025, 13/4856) . . 9729A Heyne, Albert Schmidt (Hitzhofen), und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE e) Zweite Beratung und Schlußabstim- GRÜNEN: Erstellung eines Schie- mung des von der Bundesregierung nenbauplans als Anlage zum Bun- eingebrachten Entwurfs eines Geset- desverkehrshaushalt (Drucksache zes zu dem Europa-Abkommen vom 13/4874) 9728A 12. Juni 1995 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäi- Zusatztagesordnungspunkt 27: schen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Erste Beratung des von der Bundesre- Republik Lettland andererseits gierung eingebrachten Entwurfs eines (Drucksachen 13/4026, 13/4857) . . 9729A Gesetzes zur Änderung des Zustim- mungsgesetzes zum Wismut-Vertrag (Drucksache 13/4789) 9728A f) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs Tagesordnungspunkt 17: eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der beschränkten persönli- Abschließende Beratungen ohne Aus- chen Dienstbarkeiten (Drucksachen sprache 13/3604, 13/3809 [Berichtigung], 13/ 4600) 9729 B a) Zweite Beratung und Schlußabstim- mung des von der Bundesregierung - g) Zweite und dritte Beratung des vom eingebrachten Entwurfs eines Geset Bundesrat eingebrachten Entwurfs IV Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

eines Gesetzes zur Änderung des Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . 9738A Gesetzes über Personalausweise Peter Zumkley SPD 9739 B und des Paßgesetzes (Drucksachen Dr. CDU/CSU 9740 C 13/3469, 13/4734) 9729C Gerd Höfer SPD 9741 C h) Beschlußempfehlung und Bericht Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) CDU/CSU 9742 C des Ausschusses für Fremdenver- Hans Raidel CDU/CSU 9743 D kehr und Tourismus zu dem Antrag Dieter Heistermann SPD 9744 D der Abgeordneten Halo Saibold, Eli- sabeth Altmann (Pommelsbrunn), Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . . . 9746 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zusatztagesordnungspunkt 12: NEN: Goldabbau in der Westtürkei unter Einsatz zyankalihaltiger che- Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- mischer Stoffe durch Unternehmen NIS 90/DIE GRÜNEN: Unzulässige aus der Bundesrepublik Deutsch- Verschärfung des Schwangeren- und land (Drucksachen 13/1017, 13/ Familienhilfeänderungsgesetzes des 4215) 9730A Bundes vom 21. August 1995 durch das Bayerische Schwangerenberatungsge- setz und das Bayerische Schwangeren i) Beschlußempfehlung und Bericht des (Drucksache 13/-hilfeergänzungsgesetz Ausschusses für Bildung, Wissen- 4858) 9747 B schaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu der in Verbindung mit Unterrichtung durch die Bundesre- gierung: Weißbuch zur allgemeinen Zusatztagesordnungspunkt 13: und beruflichen Bildung Lehren und Lernen - Auf dem Weg zur kogniti- Antrag der Fraktion der F.D.P.: Verfas- ven Gesellschaft (Drucksachen 13/ sungsgebotene Einhaltung des bundes- 3668 Nr. 2.37, 13/4680) 9730B einheitlichen Schwangeren- und Fami- lienhilfeänderungsgesetzes des Bundes j) Beschlußempfehlung des Petitions- vom 21. August 1995 durch die Bayeri- ausschusses: Sammelübersicht 123 sche Staatsregierung (Drucksache 13/ zu Petitionen (Drucksache 13/4694) 9730C 4879) 9747 C Edith Niehuis SPD 9747 C Zusatztagesordnungspunkt 10: Dr. Reinhard Göhner CDU/CSU . 9748D, 9761B Weitere abschließende Beratung ohne Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Aussprache NEN 9750C, 9761A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. 9752A Beschlußempfehlung und Bericht des Christina Schenk PDS 9753 A Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Hanna Wolf (München) SPD 9754 A und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Zustim- Barbara Stamm, Staatsministe rin (Bayern) 9755 A mungsbedürftige Verordnung zur Ein- Anni Brandt-Elsweier SPD 9757 D führung des Europäischen Abfallkata- Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . 9759A, 9761 D (Drucksachen logs (EAK-Verordnung) Hubert Hüppe CDU/CSU 9760 B 13/4689, 13/4726 Nr. 2, 13/4869) . . . 9730C Inge Wettig-Danielmeier SPD 9762 B Zusatztagesordnungspunkt 11: CDU/CSU (Erklärung nach § 31 G0) 9763A Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- Eva Bulling-Schröter PDS (Erklärung nach desregierung zu den Vorkommnissen § 31 G0) 9764 B bei dem öffentlichen Gelöbnis der Bun- deswehr in Berlin 9730 D Namentliche Abstimmungen . . . 9764 D, 9767 B Jörg van Essen F.D.P. 9730 D Verena Wohlleben SPD 9731 D Ergebnisse 9765A, 9769A CDU/CSU 9733 A Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Zusatztagesordnungspunkt 14: NEN 9734 A Zweite und dritte Beratung des von den Manfred Müller (Berlin) PDS 9735 -C Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜND Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär BMVg 9736 C NIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. einge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 V

brachten Entwurfs eines Zwanzigsten Telekommunikation (Drucksachen 13/ Gesetzes zur Änderung des Abgeord- 3920, 13/4864) 9788A netengesetzes und eines Siebzehnten Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . 9788B Gesetzes zur Änderung des Europaab- geordnetengesetzes (Drucksachen 13/ Hans Martin Bury SPD 9789 D 4840, 13/4872, 13/4873) 9767 C Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU 9791 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 9791 D in Verbindung mit Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Zusatztagesordnungspunkt 15: NEN 9793A F. D. P. 9794 C Antrag der Abgeordneten Peter Conra- Gerhard Jüttemann PDS ...... 9796B di, Detlev von Larcher und der Fraktion der SPD: Änderung des Solidaritätszu- Dr. CDU/CSU 9797 C schlaggesetzes 1995 (Drucksache 13/ Arne Börnsen (Ritterhude) SPD 9799A 4841) 9767 D Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE Andreas Schmidt (Mülheim) CDU/CSU 9767 D GRÜNEN 9799 D Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . 9771 B CDU/CSU 9802A Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister NEN 9773 A BMPT 9804 A Ernst Hinsken CDU/CSU 9774 B Jochen Welt SPD (Erklärung nach § 31 Norbert Gansel SPD 9774 C GO) 9807 B Horst Eylmann CDU/CSU 9775 A Michael von Schmude CDU/CSU . . 9775 C Tagesordnungspunkt 7: Dr. F.D.P. . . 9776A, 9784 B a) Beschlußempfehlung und Bericht des SPD 9776 C Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung Horst Eylmann CDU/CSU 9777 A Norbert Gansel SPD 9778 A - zu dem Antrag der Abgeordneten , Ernst Schwanhold, Dr. PDS 9778 D weiterer Abgeordneter und der Frak- CDU/CSU . . . 9779D, 9781 D tion der SPD: Bündnis für Arbeit Dr. PDS 9781 C - zu dem Antrag der Fraktion BÜND- Peter Conradi SPD 9782A, 9784 D NIS 90/DIE GRÜNEN: Beschäfti- gungschancen des ökologischen Um- Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ baus sofort nutzen: Bündnis für Um- NEN 9783 A welt und Arbeit Dr. Gregor Gysi PDS (Erklärung nach § 30 GO) 9785B (Drucksachen 13/3263, 13/3613, 13/ 4556) 9808B Hans-Ulrich Klose SPD (Erklärung nach § 31 GO) 9786A b) Beschlußempfehlung und Be richt des Detlev von Larcher SPD (Erklärung nach Ausschusses für Arbeit und Sozialord- § 31 GO) 9787A nung - zu dem Antrag der Abgeordneten Ul- Tagesordnungspunkt 6: la Schmidt (Aachen), Ottmar Schrei- ner, weiterer Abgeordneter und der a) Zweite und dritte Beratung des Ent- Fraktion der SPD: Arbeitsmarktpoli- wurfs eines Telekommunikationsge- tik für Frauen setzes (TKG) (Drucksachen 13/3609, - zu dem Antrag der Abgeordneten 13/4438, 13/4864) 9787 D (Bremen), Annelie Buntenbach, weiterer Abgeordneter b) Beschlußempfehlung und Bericht des und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE Ausschusses für Post und Telekommu- GRÜNEN: Die Arbeit von Frauen an- nikation zu dem Antrag der Abgeordne- erkennen, die Beschäftigung von ten Dr. Manuel Kiper, Christa Nickels Frauen fördern und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Errichtung einer Bundesan- - (Drucksachen 13/3760, 13/3973, 13/ stalt für die Regulierung von Post und 4479) 9808 B VI Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Andreas Storm CDU/CSU 9808 C b) Erste Beschlußempfehlung und Erster Adolf Ostertag SPD 9810B, 9816D Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE dem Entschließungsantrag der Abge- GRÜNEN 9812A ordneten Susanne Kastner, Joachim Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . 9813B Poß, weiterer Abgeordneter und der Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . 9814 A Fraktion der SPD zur Abgabe einer Er- klärung der Bundesregierung: Hoch- Dr. Gisela Babel F.D.P 9815A, 9817A wasserkatastrophe - Hilfen und Mög- Christina Schenk PDS 9817 B lichkeit vorbeugender Maßnahmen Horst Günther, Parl. Staatssekretär BMA 9818 D (Drucksachen 13/410, 13/1243) . . . . 9830C 9820 C Renate Jäger SPD c) Beschlußempfehlung und Be richt des CDU/CSU 9822 C Ausschusses für Umwelt, Naturschutz (Aachen) SPD . . . 9823D, 9826 C und Reaktorsicherheit Dr. Maria Böhmer CDU/CSU 9824 B - zu dem Entschließungsantrag der Ab- Walter Hirche F.D.P 9826A geordneten Susanne Kastner, Joa- Peter Keller CDU/CSU 9827 B chim Poß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zur Abgabe ei- Tagesordnungspunkt 9: ner Erklärung der Bundesregierung a) Zweite und dritte Beratung des von der - zu dem Entschließungsantrag der Ab- Bundesregierung eingebrachten Ent- geordneten Gila Altmann (Aurich), wurfs eines Gesetzes zur Einordnung Michaele Hustedt und der Fraktion des Rechts der gesetzlichen Unfallversi- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Ab- cherung in das Sozialgesetzbuch (Un- gabe einer Erklärung der Bundesre- gierung fallversicherungs - Einordnungsgesetz) (Drucksachen 13/2204, 13/2333) - zu dem Entschließungsantrag der Ab- Zweite und dritte Beratung des vom geordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- Dr. Winfried Wolf und der weiteren nes Gesetzes zur Ergänzung der Unfall- Abgeordneten der PDS zur Abgabe versicherung für Kinder in Horten und einer Erklärung der Bundesregierung Krippen und den übrigen Tageseinrich- tungen für Kinder (Kita-UVErgG) Hochwasserkatastrophe - Hilfen und (Drucksachen 13/373, 13/4754, 13/4853, Möglichkeit vorbeugender Maßnah- 13/4755) 9829A men (Drucksachen 13/410, 13/1243, 13/ 407, 13/408, 13/4006) 9830 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- d) Beschlußempfehlung und Be richt des wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung Ausschusses für Umwelt, Naturschutz der EG-Rahmenrichtlinie Arbeits- und Reaktorsicherheit schutz und weiterer Arbeitsschutz Richtlinien (Drucksachen 13/3540, 13/ - zu der Unterrichtung durch die Bun- 4337, 13/4854) 9829B desregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Qualität CDU/CSU 9829 C von Wasser für den menschlichen Gebrauch Zusatztagesordnungspunkt 16: - zu dem Antrag der Abgeordneten Su- Antrag der Abgeordneten Gila Altmann sanne Kastner, Klaus Lennartz, weite- (Aurich) und der Fraktion BÜNDNIS 90/ rer Abgeordneter und der Fraktion DIE GRÜNEN: Sozial- und umweltver- der SPD: Vorsorgender Gewässer- trägliche Mobilität - eine Gestal- und Trinkwasserschutz in der Euro- tungsaufgabe für die Zukunft (Druck- päischen Union sache 13/4703) 9830A (Drucksachen 13/2306 Nr. 2.62, 13/324, Tagesordnungspunkt 11: 13/3953) 9831A a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- Zusatztagesordnungspunkt 17: nes Gesetzes zur Änderung des Was- serhaushaltsgesetzes (WHG) (Drucksa- - Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen chen 13/1207, 13/4788) 9830B Rochlitz, Gila Altmann (Aurich), weite- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 VII

rer Abgeordneter und der Fraktion Anlage 1 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abwasser- Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9835* A einleitung aus Schiffen in Binnenwas- serstraßen (Drucksache 13/4842) . . . 9831A Anlage 2 Rede von Bundesfinanzminister Dr. Wai- Zusatztagesordnungspunkt 18: gel beim Treffen der Sudentendeutschen in Nürnberg; Auswirkungen auf die Antrag der Abgeordneten Christoph deutsch-tschechischen Beziehungen Matschie, Richard Schuhmann (De- litzsch), weiterer Abgeordneter und der MdlAnfr 56, 57 - Drs 13/4818 - Fraktion der SPD: Sanierung des Was- Jürgen Koppelin F.D.P. serhaushaltes in den Lausitzer und SchrAntw StMin Dr. AA . 9835* B Mitteldeutschen Braunkohlerevieren (Drucksache 13/4850) 9831 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordne- Tagesordnungspunkt 12: ten Robert Antretter (SPD) zur Abstim- mung über den Antrag der Fraktionen a) Große Anfrage der Abgeordneten SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betr. Dr. Christoph Zöpel, Brigitte Adler, wei- unzulässige Verschärfung des Schwange- terer Abgeordneter und der Fraktion ren- und Familienhilfeänderungsgesetzes der SPD: Mittelmeerpolitik (Drucksa- des Bundes vom 21. August 1995 durch chen 13/1964, 13/3037) 9832B das Bayerische Schwangerenberatungsge- setz und das Bayerische Schwangerenhil- b) Antrag der Fraktion der SPD: Weiter- feergänzungsgesetz (Zusatztagesord- entwicklung der Mittelmeerpolitik der nungspunkt 12) 9835 * D Europäischen Union (Drucksache 13/ 4581) 9832 C Anlage 4 in Verbindung mit Erklärung nach § 31 GO des Abgeordne- ten Hube rt Hüppe (CDU/CSU) zur Ab- Zusatztagesordnungspunkt 19: stimmung über den Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betr. Antrag der Abgeordneten Dr. Angelika unzulässige Verschärfung des Schwange- Köster-Loßack, Elisabeth Altmann ren- und Familienhilfeänderungsgesetzes (Pommelsbrunn), weiterer Abgeordne- des Bundes vom 21. August 1995 durch ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE das Bayerische Schwangerenberatungs- GRÜNEN: Demokratische, ökologische gesetz und das Bayerische Schwange- und soziale Prioritäten bei der Vertie- renhilfeergänzungsgesetz (Zusatztages- fung der Mittelmeerpolitik der Euro- ordnungspunkt 12) sowie über den Antrag päischen Union (Drucksache 13/4843) 9832 C der Fraktion der F.D.P. betr. verfassungs- gebotene Einhaltung des bundeseinheit- in Verbindung mit lichen Schwangeren- und Familienhilfe- änderungsgesetzes des Bundes vom Zusatztagesordnungspunkt 20: 21. August 1995 durch die Bayerische Staatsregierung (Zusatztagesordnungs Antrag der Fraktionen der CDU/CSU punkt 13) 9836* A und F. D. P.: Eine kohärente Mittel- meerpolitik der Europäischen Union (Drucksache 13/4868) 9832 C Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordne- Tagesordnungspunkt 13: ten Rudolf Bindig (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Zwanzigsten Ge- Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens setzes zur Änderung des Abgeordneten- Rössel, Dr. , weiterer Abge- gesetzes und eines Siebzehnten Gesetzes ordneter und der Gruppe der PDS: zur Änderung des Europaabgeordneten- Maßnahmen für die grundlegende Ver- gesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 14) 9837* B besserung der Einnahmen der Städte, Gemeinden und Landkreise (Reform der Kommunalfinanzierung) (Drucksa- Anlage 6 che 13/4597) 9832D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten , Dr. Joseph-Theodor Nächste Sitzung 9833 C Blank, Rudolf Braun (Auerbach), Albert - Deß, Peter Götz, Margarete Späte und Berichtigung 9833 (alle CDU/CSU) zur Ab- VIII Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Stimmung über den Entwurf eines Tele Maaß (Herne), Ursula Mogg, Jutta Müller kommunikationsgesetzes (Tagesord (Völklingen), Gerhard Neumann (Gotha), nungspunkt 6 a) 9337 * D Dr. Rolf Niese, Adolf Ostertag, Margot von Renesse, Otto Reschke, Günter Rixe, Dr. Hansjörg Schäfer, Dieter Schanz, Anlage 7 Bernd Scheelen, Ulla Schmidt (Aachen), (Meschede), Regina Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- Schmidt-Zadel, Heinz Schmitt (Berg), ten Hans-Werner Bertl, , Dr. Angelica Schwall-Düren, Lisa Seuster, Uwe Göllner, Dieter Grasedieck, Klaus Johannes Singer, Jörg Tauss, Dietmar Hagemann, Klaus Hasenfratz, Uwe Thieser, Wolfgang Weiermann, Jochen Hiksch, Jelena Hoffmann (Chemnitz), Er- Welt, Hildegard Wester, Lydia Westrich, win Horn, Marianne Klappert, Dieter Dieter Wiefelspütz 9838* C

- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9665

110. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Guten Morgen, 8. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet. und F.D.P.: Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Ersten Gesetz zur Änderung des Asylbewerber- leistungsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksachen Zunächst möchte ich unserem Kollegen 13/2746, 13/3475, 13/3720, 13/3728, 13/3937, 13/3949, Dr. Wilfried Penner zu seinem 60. Geburtstag, den er 13/4686, 13/4759, 13/4866 - am 25. Mai feierte, die besten Glückwünsche des 9. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Hauses aussprechen. (Ergänzung zu TOP 16) a) Beratung des Antrags des Abgeordneten Klaus-Jür- (Beifall) gen Warnick und der Gruppe der PDS: Ergänzung des Eigenheimzulagengesetzes - Drucksache 13/ Der Abgeordnete Rainder Steenblock von der 4835 - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat am 1. Juni 1996 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bul- auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag ling-Schröter, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Dagmar Enkel- verzichtet. Sein Nachfolger, der Abgeordnete Egbe rt mann, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der Nitsch (Rendsburg), hat am 4. Juni 1996 die Mitglied- PDS: Ausweitung des Sanierungsauftrages der Wis- mut GmbH - Drucksache 13/4836 - schaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich be- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kristin grüße den neuen Kollegen und wünsche gute Zu- Heyne, Albert Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann sammenarbeit. (Aurich) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Erstellung eines Schienenbauplans als An- (Beifall) lage zum Bundesverkehrshaushalt - Drucksache 13/ 4874 - Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- 10. Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache dene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in (Ergänzung zu TOP 17) der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Alt- sicherheit (16. Ausschuß) zu der Verordnung der Bun- mann (Pommelsbrunn), Dr. Uschi Eid, Dr. Angelika Kö- desregierung: Zustimmungsbedürftige Verordnung zur ster-Loßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Auswärtige Kulturpolitik: Einführung des Europäischen Abfallkatalogs (EAK- Verordnung - EAKV) - Drucksachen 13/4689, 13/4726 Den Standort neu bestimmen - den Stellenwert erhö- Nr. 2, 13/4869 - hen - Drucksache 13/4844 - 11. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, 4. Haltung der Bundesregierung zu den Vorkommnissen gitte Adler, Horst Kubatschka, weiterer Abgeordne- Bri bei dem öffentlichen Gelöbnis der Bundeswehr in Ber- ter und der Fraktion der SPD: Auswärtige Kulturpolitik lin der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache 13/ 4851 - 12. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Unzulässige Verschärfung des 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Claus-Peter Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes Grotz, Hartmut Koschyk, , weiterer Ab- des Bundes vom 21. August 1995 durch das Bayerische geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Schwangerenberatungsgesetz und das Bayerische Abgeordneten Ina Albowitz, Dr.-Ing. Karl-Hans Laer- Schwangerenhilfeergänzungsgesetz - Drucksache 13/ mann, Ulrich Irmer, weiterer Abgeordneter und der 4858 - Fraktion der F.D.P.: Standortbestimmung der Auswärti- gen Kulturpolitik - Drucksache 13/4863 - 13. Beratung des Antrags der Fraktion der F.D.P.: Verfas- sungsgebotene Einhaltung des bundeseinheitlichen 6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rezzo Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes Schlauch, Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/ des Bundes vom 21. August 1995 durch die Bayerische DIE GRÜNEN: Staatsferne und Selbstbestimmung des Staatsregierung - Drucksache 13/4879 - deutschen Auslandsrundfunks (Deutsche Welle) - 14. Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen Drucksache 13/4846 - CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und 7. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zwangzigsten Ge- und F.D.P.: Anrufung des Vermittlungsausschusses setzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und zum Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts - Druck- eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Euro- sachen 13/2440, 13/2764, 13/3904, 13/4211, 13/4239, paabgeordnetengesetzes - Drucksachen 13/4840, 13/ 13/4687, 13/4758, 13/4865 - 4872, 13/4873 - 9666 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 15. Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Conradi, innerhalb der Kernzeit die Vorlagen zur Solarzellen Detlev von Larcher, Dr. Peter Struck, Günter Verheu- technologie beraten. gen und der Fraktion der SPD: Änderung des Solidari- tätszuschlaggesetzes 1995 - Drucksache 13/4841 - Nach der Aktuellen Stunde zum Gelöbnis der Bun- 16. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Altmann deswehr in Berlin, die frühestens gegen 14.20 Uhr (Aurich) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: beginnen wird, sollen die Vorlagen zum Bayerischen Sozial- und umweltverträgliche Mobilität - eine Gestal- tungsaufgabe für die Zukunft - Drucksache 13/4703 - Schwangerenberatungsgesetz mit einer Stunde bera- ten werden, an die sich eine namentliche Abstim- 17. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Gila Altmann (Aurich), Franziska Eichstädt- mung anschließt. Darauf folgt die zweite und dritte Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Beratung des Diätengesetzentwurfs. Auch hierfür ist NIS 90/DIE GRÜNEN: Abwassereinleitung aus Schif- eine Debatte von einer Stunde vereinbart worden. fen in Binnenwasserstraßen - Drucksache 13/4842 - 18. Beratung des Antrags der Abgeordneten Christoph Der Tagesordnungspunkt 10 zur Asyl- und Flücht- Matschie, Richard Schuhmann (Delitzsch), Ma rion Ca- lingspolitik soll abgesetzt und dafür der Antrag der spers-Merk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Sozial- und um- der SPD: Sanierung des Wasserhaushaltes in den Lau- weltverträgliche Mobilität" beraten werden. sitzer und Mitteldeutschen Braunkohlerevieren - Drucksache 13/4850 - Des weiteren mache ich auf eine zusätzliche Aus- 19. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Angelika schußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste Köster-Loßack, Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn), , weiterer Abgeordneter und der Fraktion aufmerksam: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Demokratische, ökologi- Der in der 104. Sitzung des Deutschen Bundestages am sche und soziale Prioritäten bei der Vertiefung der 9. Mai 1996 überwiesene nachfolgende Entschließungsan- Mittelmeerpolitik der Europäischen Union - Drucksa- trag soll nachträglich dem Ausschuß für wirtschaftliche Zu- che 13/4843 - sammenarbeit und Entwicklung zur Mitberatung überwie- sen werden: 20. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Eine kohärente Mittelmeerpolitik der Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Europäischen Union - Drucksache 13/4868 - NEN zu der Grollen Anfrage der Abgeordneten Amke Die- tert-Scheuer, Helmut Lippelt, Gerd Poppe, weiterer Abge- 21. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu den Äußerungen von Iran-Politik der Bundesregierung - Drucksachen 13/1973, Bundesminister Dr. Theodor Waigel auf dem Sudeten- 13/3483, 13/4590 - deutschen Tag zu den deutsch-tschechischen Bezie- hungen Überweisung: 22. Erste Beratung des von den Abgeordneten Christine Auswärtiger Ausschuß (federführend) Scheel, Franziska Eichstädt-Bohlig, Kristin Heyne, wei- Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- teren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ lung DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Vermögensteuer und der Erb- Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - schaftsteuer - Drucksache 13/4838 - Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. 23. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Christa Luft, weiterer Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c sowie Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Den Reichtum umverteilen - Für eine gerechte Ausgestaltung der die Zusatzpunkte 3 bis 6 auf: Erbschaftsbesteuerung - Drucksache 13/4845 - 3. a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- 24. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Aktions- rung zur Auswärtigen Kulturpolitik programm gegen Wirtschaftskriminalität und Steuer- hinterziehung - Drucksache 13/4859 - b) Erste Beratung des von der Bundesregierung 25. Beratung des Antrags der Abgeordneten Oswald Metz- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über ger, Christine Scheel, Antje Hermenau, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: den deutschen Auslandsrundfunk Einstieg in eine umfassende Gemeindefinanz- und Un- - ternehmensteuerreform - Drucksache 13/4870 - Drucksache 13/4708 - 26. Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- Schulz (Berlin), Christine Scheel, Margareta Wolf ten Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) und (Frankfurt) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Solidaritätszuschlag weiter notwendig - Druck- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sache 13/4871 - Aktivitäten und Ziele der Bundesregierung in Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, so- der Auswärtigen Kulturpolitik; Nutzung der weit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung und Potentiale für Demokratisierung und friedli- der Zusatzpunktliste erforderlich ist, abgewichen che Konfliktbewältigung werden. - Drucksache 13/4618 - Ich weise darauf hin, daß unmittelbar nach der De- ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisa- batte über die Auswärtige Kulturpolitik über den beth Altmann (Pommelsbrunn), Dr. Uschi Eid, Einspruch des Bundesrates zum Arbeitslosenhilfe Dr. Angelika Köster-Loßack, weiterer Abge- Reformgesetz namentlich abgestimmt werden soll. ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Hierfür ist die Kanzlermehrheit erforderlich. GRÜNEN Im Anschluß daran sollen die Anträge auf den Auswärtige Kulturpolitik: Den Standort neu Drucksachen 13/4865 und 13/4866 zur Anrufung des bestimmen - den Stellenwert erhöhen Vermittlungsausschusses in verbundener Debatte - mit 30 Minuten beraten werden. Erst danach werden - Drucksache 13/4844 - Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9667

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frei- ganz kostbares Gut. Dadurch wurden und werden oft mut Duve, B rigitte Adler, Horst Kubatschka, lebenslange Brücken gebaut. Die Bundesregierung weiterer Abgeordneter und der Fraktion der und auch der Bundestag - da bin ich sicher - werden SPD diese Brücken auch in Zukunft pflegen. Auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Das bleibt eine der Grundvoraussetzungen für eine Deutschland gute Zukunft unseres Landes. - Drucksache 13/4851 - (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Der Bericht zur Auswärtigen Kulturpolitik, über Claus-Peter Grotz, Hartmut Koschyk, Armin den wir heute debattieren, belegt: Die Auswärtige Laschet, weiterer Abgeordneter und der Frak- Kulturpolitik ist und bleibt für die Bundesregierung tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten ein wichtiger, integraler, gleichberechtigter Bestand- Ina Albowitz, Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann, teil unserer Außenpolitik. Ulrich Irmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) Standortbestimmung der Auswärtigen Kul- turpolitik Trotz knapper Kassen und großer neuer Herausfor- derungen ist es gelungen, ihre Substanz und ihre - Drucksache 13/4863 - Qualität zu bewahren und neue Chancen zu nutzen. ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rez- Wir haben auf die Umbrüche seit 1989 auch im Be- zo Schlauch, Christa Nickels und der Fraktion reich der Kultur mit einer großen Kulturinitiative in BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mittel- und Osteuropa und in den GUS-Staaten rea- giert. Die Bundesregierung hat damit für die deut- Staatsferne und Selbstbestimmung des deut- sche Kultur und Sprache, soweit es unsere Kräfte zu- schen Auslandsrundfunks (Deutsche Welle) ließen, eine historische Chance genutzt. Das war zu- gleich ein wichtiges politisches Signal. - Drucksache 13/4846 - Das wiedervereinte Deutschland ist sich nicht Zur Großen Anfrage liegt ein Entschließungsan- selbst genug, wie manche befürchtet haben. Wir ver- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. stehen uns als Europäer, als weltoffene und weltzu- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind gewandte Deutsche im Sinne Thomas Manns. Wir für die gemeinsame Aussprache im Anschluß an die wollen und können auch von anderen lernen, vor al- Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. lem natürlich auch aus unserer eigenen Geschichte. Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so beschlossen. sowie des Abg. Freimut Duve [SPD]) Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Alles, was wir haben, ist immer im Austausch mit Kinkel. unseren Nachbarn entstanden, niemals ohne oder gegen sie. Deshalb ist unser Kurs ein für allemal europäisch. Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unser (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne heutiges Thema ist hochaktuell. Es geht um das ten der CDU/CSU und der SPD) Selbstverständnis und das Bild unseres wiederver- Wir wissen. sehr genau, daß Interesse, Verantwor- einten Landes. Es geht um unsere Rolle im Geben tung und Solidarität in unserer einen Welt nicht von- und Nehmen der Kulturen der Weltgemeinschaft. einander zu trennen sind. In diesem europäischen Deutschland ist nicht nur Indust rie- und Handels-, partnerschaftlichen und verantwortungsbewußten sondern auch Kulturnation. Kunst und Kultur haben Sinne verstehen wir Deutschland als Kulturnation. In ihren Wert in sich. Sie entspringen einem elementa- unserem Haus der Kulturen der Welt in Berlin ist das ren Empfinden der Menschen. zu einem praktischen Stück deutscher Politik gewor- den. Unsere kulturellen Traditionen und Leistungen sind nicht nur ein unverzichtbarer Teil unserer Identi- Ja, all das erforderte und erfordert große Anstren- tät, unseres Selbstverständnisses als Deutsche und gungen. Dafür gebührt vor allem den vielen enga- Europäer. Sie haben uns in der Vergangenheit mehr gierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer als alles andere dabei geholfen, die Achtung und Mittlerorganisationen, allen voran des Goethe-Insti- Sympathie der Völkergemeinschaft zu gewinnen. tuts, Dank und Anerkennung. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Frei mut Duve [SPD]) Die tausendfachen persönlichen Bande und Freundschaften, die vom Goethe-Institut, vom Aka- Sie haben mehr als einmal - leider Gottes war das demischen Austauschdienst, der Alexander-von- in den letzten Jahren dringend notwendig - aus der Humboldt-Stiftung, der Deutschen Forschungsge- Not eine Tugend gemacht und knappe Mittel mit viel meinschaft und anderen Kulturmittlern für unser- Einsatz und Phantasie wettgemacht. Sie vertreten je- Land geschlossen und gepflegt werden, sind ein den Tag draußen in der Welt das Bild unseres Landes 9668 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel und die Prinzipien unserer Auswärtigen Kulturpoli- schen Partnern reden. Dialog ist notwendig und nicht tik. Das sind: Dialog statt Monolog, Kulturstaat statt Ausgrenzung. Staatskultur, globale Lerngemeinschaft statt simpler Kulturexport. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU und des Abg. Freimut (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Frei Duve [SPD]) mut Duve [SPD]) Vor allem müssen wir uns vor falschen Pauschalur- Unsere Mittler sind - es ist wichtig, das zu beto- teilen und falschen Feindbildern hüten. Der Funda- nen - dabei organisatorisch unabhängig und gestal- mentalismus umfaßt nicht den ganzen Islam. Die er- ten ihr Programm in eigener Verantwortung. Gerade bittertste Auseinandersetzung mit ihm wird inner- das ist zu einem unverwechselbaren Markenzeichen halb des Islam selbst geführt. Die islamischen Länder unserer Selbstdarstellung im Ausland geworden, und müssen andererseits wissen, daß Toleranz und Offen- das muß auch so bleiben. heit eine Zweibahnstraße sind und für gesellschaftli- chen Rückschritt ein hoher wirtschaftlicher Preis zu (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) zahlen ist. Diesen Preis zahlen leider die Menschen, Nach dem Ende einer jahrzehntelangen ideologi- nicht die Regierungen. schen Auseinandersetzung hat die Frage des Zusam- menlebens der Kulturen neue Aufmerksamkeit ge- Wer den Sprung der asiatischen Tiger analysiert, funden - zu Recht. Das Bewußtsein um die kulturelle kommt an den konfuzianischen Tugenden nicht vor- Identität hat im globalen Dorf des ausgehenden bei. Wer sich fragt, weshalb gerade die USA beim 20. Jahrhunderts eine Renaissance erlebt. Das hat Schritt in die Informationsgesellschaft die Nase vorn Positives, aber leider auch Negatives. Nicht nur in haben, stößt auf die spezifische amerikanische Kultur Bosnien, sondern weltweit erleben wir heute ein des Fortschritts. Kurz ausgedrückt: Standortwettbe- Wiederaufflammen längst überwunden geglaubter werb ist im Kern Kulturwettbewerb, Wettbewerb kultureller, religiöser und ethnischer Gegensätze und zwischen den Gesellschaften, ihre Einstellung zum Konflikte. Es wäre schlimm, wenn wir nach dem Wandel, zum Fortschritt, zur Technologie und zur Er- Ende des Ost-West-Konflikts zulassen würden, daß ziehung. Jeder, der unsere Standortdiskussion ver- die Menschheit ihre Kräfte jetzt in einem Konflikt der folgt, weiß, wie wichtig es für uns Deutsche in unse- Kulturen zerreiben würde. Deshalb ist der Dialog der rer jetzigen Lage ist, auch auf diesem Gebiet dazuzu- Kulturen als Friedensstandort und gemeinsame lernen. Überlebenspolitik der Menschheit so wichtig gewor- (Beifall bei der F.D.P.) den. Nur wenn wir über unsere Grenzen hinausschauen, Im übrigen muß sich auch der Westen mit seinen werden wir in der Lage sein, das Richtige für unser Werten hinterfragen lassen. Es wird immer wichtiger, Land zu tun. die Erfahrungen und Diskussionen anderer Länder und Regionen in unsere kulturelle Öffentlichkeit ein- Aber es geht nicht nur um Wettbewerb. Die UNO- zubringen und von ihnen zu lernen. Das heißt: Kul- Städtekonferenz in Istanbul hat gerade wieder ver- turaustausch im Wortsinne als echte Zweibahn deutlicht, wie sehr unsere Welt zu einer Schicksals- straße. Das verlangt Zuhören, das verlangt Offenheit, gemeinschaft geworden ist. und das verlangt Unvoreingenommenheit von allen Seiten. Kulturaustausch heißt in diesem Zusammenhang gemeinsames Nachdenken über gemeinsame Lösun- Die Verbreitung der Kultur und die Erziehung zu gen, über eine Kultur des Überlebens, die Mensch Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden sind unlösbar und Natur, Ökonomie und Ökologie wieder in Über- mit der Würde des Menschen verbunden. einstimmung bringt. Auch deshalb ist der Kulturaus- Dieser Satz aus der Präambel der UNESCO-Ver- tausch eine so wichtige Zukunftsinvestition in den fassung bringt unser Verständnis von Auswärtiger Standort Deutschland. Deshalb darf unsere Diskus- Kulturpolitik auf den Punkt. Für uns hat diese Aus- sion über den Standort Deutschland nicht allein auf wärtige Kulturpolitik im Dreieck Freiheit, Menschen- das Wirtschaftliche verengt werden. rechte und Entwicklung große und unersetzbare Be- Meine Damen und Herren, auswärtige Kulturpoli- deutung. tik ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Län- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne dern, Wirtschaft und Gesellschaft. Es muß aber in der ten der CDU/CSU) Praxis noch deutlicher werden: Wenn wir den neuen Anforderungen vor dem Hintergrund knappen Gel- Das ist aber auch die große Bewährungsprobe, vor des gerecht werden wollen, kommen wir an einer der der Dialog zwischen den Kulturen heute steht, neuen, innovativen Bündelung der Kräfte nicht vor- vor allem gegenüber den islamischen Kulturen mit bei. Deshalb mein Anstoß zur Einberufung eines Bei- ihren 1,2 Milliarden Gläubigen. Unsere Kultur ist die rates für auswärtige Kulturpolitik. Deshalb auch einer offenen Gesellschaft. Wir diskutieren offen, meine Initiative für eine intensivierte Zusammenar- auch selbstkritisch, über alle wichtigen Fragen. So beit zwischen Kultur und Wi rtschaft. Hier muß im In- stellen wir uns auch nach draußen dar. In den islami- teresse unseres Landes stärker an einem Strang ge- schen Ländern herrscht zum Teil ein anderes Ver- zogen werden. Die kulturelle Ausstrahlung und Prä- ständnis vor. Das hat im wesentlichen Ursachen in- senz sind vom wirtschaftlichen Erfolg heute nicht der Geschichte. Also müssen wir mit unseren islami mehr zu trennen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9669

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Ich denke zum Beispiel an engere Zusammenar- wie sektoral. Das heißt Vorrang für Sprachförderung beit deutscher Verleger oder der Filmindust rie mit in Mittel- und Osteuropa, in den GUS-Staaten, Wis- dem Goethe-Institut. Ein gutes Beispiel ist das von senschafts- und Forschungszusammenarbeit in Goethe-Institut und DIHT gemeinsam entwickelte Asien, Erhaltung des gut ausgebauten Schulwesens Konzept der Förderung von Deutsch als Wirtschafts- in Lateinamerika. sprache. Die Fulbright - Kommission ermöglicht für ihre US-Stipendiaten im Zusammenhang mit der Es geht um mehr als Sprache und Wissenschafts- Wirtschaft Praktika nach Abschluß ihres Studiums. beziehungen. Kunst und Kultur sind viel mehr, ge- Warum sollte eigentlich so etwas nicht auch in hen weit darüber hinaus. Konzerte, Ballette, Kunst- Deutschland gelingen, ebenso wie das Marketing ausstellungen, Dichterlesungen - all das öffnet ei- von Stipendienprogrammen. gentlich erst die Herzen der Menschen, schafft Sym- pathie, wie es kein anderes Medium vermag. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten der engeren Zusammenarbeit; wir müssen sie nur auf- Wer dabei war, als der Leiter der Stuttgarter Bach- greifen. Ein Beispiel ist die Nutzung der modernen akademie, Helmuth Rilling, im August 1995 das Re- Medien. Die revolutionären Entwicklungen in den quiem der Versöhnung in Stuttgart aufgeführt hat, Bereichen Information und Kommunikation stellen ein Gemeinschaftswerk von 14 internationalen Kom- auch für die auswärtige Kulturpolitik eine Zeiten- ponisten, weiß, was ich meine. Ich bin gegenwärtig wende dar. Hörfunk und Fernsehen spielen eine im- mit Yehudi Menuhin im Gespräch über ein Konzert, mer größere Rolle. Darauf stellen wir uns ein. Im Sep- das im Oktober in Sarajevo stattfinden soll. Könnte tember 1994 gab es dazu in Asien einen hochrangig man sich eine schönere Friedensbotschaft für diese besetzten gemeinsamen Tisch. Gerade hier drängt leidgeprüfte Stadt vorstellen? Auch in Zeiten knap- sich doch fast zwingend die Notwendigkeit einer per Kassen dürfen wir deshalb nie vergessen: Gerade konzertierten Aktion aller gesellschaftlichen Kräfte diese Art von Kulturaustausch ist kein überflüssiger auf. Luxus. Er spricht die Menschen an und bewegt sie. Das Auswärtige Amt und die Mittlerorganisationen Meine Damen und Herren, auch die europäische haben auch die Herausforderung des Internets ange- Einigung hat nicht nur eine politisch-wirtschaftliche, nommen und daraus ein breites Angebot entwickelt. sondern auch eine geistig-kulturelle Dimension. Sie Es reicht von deutschlandkundlichen Informationen ist der Schlüssel für das Zusammenwachsen der Her- über Lehrmaterialien, Lehrveranstaltungen, Fortbil- zen. Nur so kann dem Nationalismus dauerhaft ein dungsprogrammen bis hin zur Eingliederung der Bü- Riegel vorgeschoben werden. Deutschland trägt da- chereien der Goethe-Institute in den USA in den für aus seiner Geschichte heraus eine besondere Ver- amerikanischen Bibliotheksverbund. antwortung. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das neue, ungeteilte Europa bietet unserem Land Sehr gut!) aber auch besondere Chancen, gerade für Kultur und Sprache. Wir haben sie erkannt und nehmen sie Ich finde, das sind interessante und gute Beispiele, wahr, soweit es unsere Kräfte nur irgendwie erlau- wie wir vernetzt auch international vorgehen kön- ben. Dabei konnten wir - auch das muß man einmal nen. sagen - auf den großen Leistungen der Spracharbeit der ehemaligen DDR aufbauen. Jeder polnische Ger- Eines jedenfalls ist klar: Wir können uns den Luxus manistikstudent war ein Jahr in der DDR. Insgesamt früherer Jahre nicht leisten, nämlich Politik, Außen- sind dort rund 30 000 ausländische Akademiker aus- wirtschaft und Auslandskulturarbeit nebeneinander gebildet worden. Der Deutsche Akademische Aus- zu betreiben. Das wird weiter nicht möglich sein. tauschdienst erfüllt hier eine große und wichtige (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Aufgabe der Nachbetreuung. Wir müssen Querverbindungen schaffen, Querstre- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU ben einziehen und neue Kräfte mobilisieren. Lassen sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie mich allerdings dazu eines klar sagen: Instrumen- Unsere zusätzlichen Anstrengungen in Mittel- und talisierung oder Kommerzialisierung unserer Kultur- Osteuropa und in den GUS-Staaten sind enorm. Der arbeit kann und darf nicht das Thema sein. Die Bun- Anteil Mittel- und Osteuropas und der GUS-Staaten desregierung will nicht Goethe sozusagen vor das am Kulturhaushalt wurde seit 1989 von 6 auf „Made in Germany" spannen. Kultur und Wirtschaft 16 Prozent gesteigert. Seit 1992 wurden 19 neue Kul- spiegeln als komplementäre Größen das neue Bild turabkommen geschlossen. 13 neue Goethe-Institute Deutschlands in der Welt, und natürlich darf und soll und zwei DAAD-Außenstellen haben in diesen Län- Kultur nicht zum Hilfsmittel der deutschen Export- dern ihre Arbeit aufgenommen. Der DAAD hat 1995, wirtschaft werden. Eine Gängelung der Kultur wider- spräche auch dem Geist unserer Verfassung. Sie oft nicht in der Bedeutung, die er hat, anerkannt, den Austausch von 13 500 Studierenden, Graduierten wäre kontraproduktiv, denn nur do rt , wo die Kultur und Wissenschaftlern gefördert. 130 DAAD-Lektoren Freiraum hat, entfaltet sie ihre volle Ausstrahlung. bilden Germanisten und Deutschlehrer aus. Es gibt (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sage und schreibe 1 300 Hochschulkooperationen. Meine Damen und Herren, historische Chancen im Die Förderung der deutschen Sprache im Ausland neuen Europa, neue Herausforderungen in Asien ist und bleibt für die Bundesregierung ein Schwer- und Lateinamerika und dazu engere finanzielle punktanliegen. Denn die Sprache ist nun einmal bei Spielräume, das verlangt klare Prioritäten, regional weitem der wichtigste Schlüssel der Tür zu fremden 9670 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Kulturen. Im zusammenwachsenden Europa, in einer nis bei den japanischen Studenten: Auf 43 000 in den eng zusammenrückenden Weltgemeinschaft ge- USA kommen 1 500 bei uns. Ähnlich ist das Verhält- winnt sie weiter an Bedeutung. nis bei den indischen Studenten: Es gibt 38 000 in den USA und nur 600 bei uns. Das muß uns zu den- Von den etwa 20 Millionen Menschen, die welt- ken geben. weit Deutsch lernen, leben rund zwei Drittel in Mit- tel- und Osteuropa und den GUS-Staaten. Natürlich Wir müssen natürlich auch darüber nachdenken, wird Englisch auch dort seine Sonderstellung behal- daß sehr oft die Besten nicht zu uns kommen, son- ten. Aber Mehrsprachigkeit war immer das beson- dern woanders hingehen. Das betrifft besonders den dere Markenzeichen europäischer Zivilisation. In der Bereich der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Regel ist in dieser Region in den Schulen Deutsch gerade die Fächer, in denen traditionell die Füh- hinter Englisch und vor Französisch die Nummer rungseliten ausgebildet werden. Wir müssen uns zwei in der Sprachausbildung. schon fragen: Was bedeutet das für die Ausbildung des eigenen akademischen Nachwuchses? Geht un- Die Mittel für die Förderung der deutschen Spra- sere Ausbildung an dem vorbei, was die heutige mo- che wurden 1996 auf 73 Millionen DM erhöht. Zu- derne Welt verlangt? gleich wurde die zeitliche Befristung des Sonderpro- gramms aufgehoben. Die Nachfrage nach Deutsch- (Gerhard Zwerenz [PDS]: Ja!) unterricht ist in diesen Staaten wirklich so enorm, daß sie kaum gedeckt werden kann. 552 Lehrer sind Ich möchte damit niemand auf die Anklagebank in die Region entsandt worden. Es fehlen nach den setzen und um Gottes willen auch nicht unsere Hoch- Anforderungen noch sage und schreibe 1 000. Ich schulen schlechtreden. Wir haben immer noch erst- möchte den Bundesländern von hier aus einmal sa- klassige Voraussetzungen, erstklassige Hochschul- gen, daß wir da gemeinsam, Bund und Länder, noch lehrer und erstklassige Forschung. Vier Nobelpreis- weit mehr tun müssen, aber auch tun können. träger seit 1991 zeigen: Wir bringen immer noch Spit- zenleistungen, aber auf den Erfolgen der Vergan- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) genheit können und dürfen wir uns nicht ausruhen. Meine Damen und Herren, wenn wir von den Wir brauchen im Hochschulbereich unbedingt eine Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion spre- stärkere Anpassung an die internationalen Entwick- chen, ist auch die Rückführung von Kulturgütern ein lungen, und wir brauchen vor allem mehr Wettbe- wichtiges Thema für uns. Mit Rußland, der Ukraine werb. In den letzten Monaten hat es vielfältige An- und Georgien stehen wir in Gesprächen, die wahr- strengungen und Vorschläge des Bundes und der haftig nicht einfach sind, aber es gibt Fortschritte. So Länder gegeben, wie die Internationalität unserer hat uns die georgische Regierung bei meinem dorti- Hochschulen und die internationale Kompatibilität gen Besuch vor kurzem zugesagt, 140 000 Bücher zu- ihrer Studiengänge - das ist mit das Wichtigste - und rückzuführen, die aus verschiedenen deutschen Bi- Abschlüsse gestärkt werden können. bliotheken stammen. Sie sollen noch in diesem Jahr nach Deutschland zurückgebracht werden. Der Kollege Rüttgers und ich haben uns zu diesem Thema gemeinsam an die Öffentlichkeit gewandt. Ich glaube, daß man gerade hier im Deutschen Wir meinen, daß folgendes notwendig ist: die Ein- Bundestag die Sensibilität dieses Themas in allen an- richtung spezieller internationaler zweisprachiger gesprochenen Ländern versteht, und wir alle wissen Studienangebote mit internationalen Abschlüssen als sehr genau, daß Geduld und Feinfühligkeit notwen- Pilotprojekte sowohl für deutsche als auch für auslän- dig sind. Aber die betroffenen Länder müssen wis- dische Studenten. Notwendig ist die Erweiterung des sen, daß das für uns eine wichtige Frage ist. Es geht Konzepts integrierter Studiengänge im Rahmen von nämlich in diesem Zusammenhang - das muß man nerschaften mit Hochschulen auch in Übersee, deutlich sagen - um Vertrauen, es geht um Verläß- Part insbesondere in Asien und Lateinamerika. Notwen- lichkeit, und es geht auch um Freundschaft. dig ist weiterhin die Entwicklung maßgeschneiderter (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Aufbau- und Promotionsstudiengänge für ausländi- ten der CDU/CSU) sche Studierende mit Bachelor-Abschluß. Die Trumpfkarte im Informationszeitalter ist ein ho- (Beifall der Abg. Cornelia Schmalz-Jacob hes Bildungs-, Erziehungs-, Wissenschafts- und For- sen [F.D.P.]) schungsniveau. Dabei wird die internationale Ver- flechtung immer wichtiger. Unsere Ausbildung muß Im Verhältnis zur Türkei ist uns ein wichtiger Fort- sich weit stärker in die internationale Entwicklung schritt gelungen: Besonders befähigte türkische Ab- einfügen. Wir müssen bei unseren Studienangeboten solventen werden in Zukunft nach einer etwa zwei- auch auf ausländische Standards und Erwartungsho- jährigen Studienzeit, in der bestimmte Studienlei- rizonte eingehen, stungen nachgeholt werden müssen, mit dem Ziel der Promotion an unseren Hochschulen zugelassen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Notwendig sind die Entwicklung besonderer Pilot- ten der CDU/CSU und der SPD) projekte im Sinne von „Servicepaketen" für auslän- dische Studierende mit sozialer, fachlicher und per- sonst geraten wir in die Isolierung. sönlicher Betreuung, die Verstärkung des Gastdo- In den USA studieren derzeit 450 000 Ausländer, zentenaustausches und die Sicherstellung der ange- davon 82 000 Chinesen. Zum Vergleich: Bei uns sind- messenen Anerkennung deutscher Hochschulab- es 5 000 Chinesen. Ähnlich drastisch ist das Verhält- schlüsse im Ausland. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9671

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Wir brauchen - bisher meinten wir, das nicht nötig tät in Schanghai wird der DAAD ein chinesisch-deut- zu haben, aber wir haben es nötig - mehr Informa- sches Hochschulkolleg mit den Fächern Wirtschafts- tion und Werbung im Ausland, und wir brauchen und Ingenieurwissenschaften sowie Jura einrichten, Verbesserungen im Bereich der deutschen Sprache das auf engste Wirtschaftskooperation ausgerichtet als Hochschulzugangsvoraussetzung. Briten und ist. An der Technischen Hochschule Hanoi soll ein Franzosen haben dafür standardisierte Prüfungsver- deutsch-vietnamesisches Zentrum zum wissenschaft- fahren. lich-technischen Austausch entstehen. In beiden Städten sind auch neue Goethe-Institute geplant. Für Schließlich brauchen wir - auch das müssen wir Asien tun wir also wirklich etwas. deutlich sagen - eine Überprüfung der visa- und aus- länderrechtlichen Regelungen für ausländische Stu- In Lateinamerika sind deutsche Sprache und Kul- dierende. Wir müssen uns bemühen, ihnen das Her- tur durch die deutschen Einwanderer seit Jahrhun- einkommen und den Aufenthalt hier zu erleichtern derten tief verwurzelt. Lateinamerika erhält bereits und nicht zu erschweren. jetzt den größten Anteil der Mittel für die Dritte Welt. Nirgendwo sonst gibt es ein so dichtes und effizien- Ohne Anpassung unserer Bildungspolitik an die tes Netz deutscher Auslandsschulen. Von 114 deut- Realitäten des heutigen weltweiten Wettbewerbs schen Schulen in aller Welt sind allein 37 mit über werden wir ins Hintertreffen geraten, wenn das nicht 40 000 Schülern in Lateinamerika. Unsere Auslands- schon geschehen ist, und deshalb muß schnell ein schulen sind Zentren deutscher Kultur und interna- vernünftiges Paket geschnürt werden. Das hat übri- tionale Begegnungsstätten, und wer Schüler einer gens auch etwas mit Föderalismus zu tun und ist deutschen Auslandsschule war, wird sein Leben lang nicht in erster Linie und allein Sache des Bundes. normalerweise besondere Bindungen an Deutsch- (Zuruf von der F.D.P.: So ist es!) land haben. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen Übrigens kommen diese Auslandsschulen auch es so gut wie ich: Auch in umgekehrter Richtung des der deutschen Wirtschaft und damit dem Standort Hochschulaustausches gibt es Anlaß zur Sorge. Mit Deutschland zugute. Sie sind wichtig für den interna- weitem Abstand zu wenige deutsche Studenten stu- tionalen Personaleinsatz deutscher Unternehmen. dieren im Ausland, besonders in Ländern außerhalb Europas und der USA. Die Gründe dafür sind vielfäl- Meine Damen und Herren, trotz der großen Spar- tig, vielschichtig. Neben Problemen der Anerken- zwänge wurde der Kulturhaushalt 1996 vom Rotstift nung ausländischer Studienzeiten bei uns ist es oft- doch wenigstens einigermaßen verschont. Auch von mals auch mangelnde Mobilität, die viele junge Stu- der im März verfügten Haushaltssperre wurde er völ- dierende vom Auslandsaufenthalt abhält. Aber un- lig freigestellt. Ich möchte dem Haushaltsausschuß, sere Führungskräfte von morgen brauchen Interna- den Berichterstattern und allen aus dem Hohen tionalität und Europafähigkeit, um den Herausforde- Hause für ihr großes Verständnis und die Unterstüt- rungen gewachsen zu sein, und Sprachkenntnisse zung meiner Bemühungen danken. und Auslandserfahrungen werden eben immer wich- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU tiger. sowie des Abg. Freimut Duve [SPD]) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Natürlich haben die notwendigen Schwerpunkt- Meine Damen und Herren, der Schwerpunkt Mit- verlagerungen und Rationalisierungen auch einige tel- und Osteuropa darf nicht dazu führen, daß wir unliebsame Entscheidungen notwendig gemacht. die Entwicklungen dort, wo sie am stürmischsten Fünf Goethe-Institute mußten wir schließen. Wie sind, in den Schwellenländern Asiens und Latein- schwer uns das gefallen ist, können Sie sich vorstel- amerikas, außer acht lassen. Staaten wie Japan, Sin- len. Es war ein nicht zu umgehender Schritt. gapur und Korea sind hochinteressante Wissen- schafts- und Forschungspartner. Wir brauchen nie- Die Bundesregierung ist aber entschlossen, bereits manden zu kopieren, aber lernen dürfen wir allemal, 1997 im Haushalt der Mittlerorganisationen mit der zum Beispiel vom Bildungsbewußtsein, der Verände- Flexibilisierung Ernst zu machen, und wir wollen rungsbereitschaft, der Disziplin und dem Arbeits- auch auf Regierungsebene die Abläufe straffen. Eine ethos der dortigen Bevölkerungen. bessere Zusammenführung und Koordinierung der Kompetenzen in diesem Bereich tut not. Der DAAD hat 1995 Asien zum Schwerpunkt ge- macht. Mit über 5 500 geförderten Studierenden und Meine Damen und Herren, wir wollen unserem Wissenschaftlern rangiert Asien nach Westeuropa Land in der Welt einen Platz sichern, der den Wün- und Mittel- und Osteuropa auf Platz 3. Die in diesem schen und Hoffnungen unserer Bürger wie den be- Jahr angelaufenen DAAD-Programme bieten im rechtigten Erwartungen unserer Nachbarn und Sinne des Asien-Konzepts der Bundesregierung eine Freunde entspricht. Dabei wird uns auch in Zukunft Verknüpfung von Hochschule, Indust rie und Wirt die Auswärtige Kulturpolitik eine unentbehrliche -schaft, zum Beispiel ein Austauschprogramm zwi- Stütze sein. Sie hat das internationale Vertrauen mit schen dem DAAD und der Korea Science and En- bewirkt, das uns die Wiedervereinigung ermöglichte. gineering Foundation. Nach 1989 hat sie Europa und der Welt gezeigt, daß manche vorher gehegten Sorgen unbegründet wa- Der im Austausch mit Japan überaus erfolgreiche ren. Heute muß uns unter anderem auch die Auswär- Programmtyp „Sprache und Praxis" kann jetzt auch - tige Kulturpolitik helfen, in einer Welt im Wandel in in China angeboten werden. An der Tongji-Universi weit größere Verantwortung hineinzuwachsen. 9672 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Die Bundesregierung wird deshalb alle Anstren- Darum empört mich das Wo rt „Büßerhemd", das gungen unternehmen, um diese Politik auch in Zu- ein verantwortungsloser Spitzenpolitiker in der letz- kunft trotz aller Haushaltszwänge auf - das ist ganz ten Woche für die große politische und kulturelle Lei- entscheidend - hohem Niveau fortzuführen. Dabei stung einer ganzen Generation benutzt hat, sehr. Es weiß sie sich von einem breiten Konsens im Parla- ist ein falsches Wo rt , und es sollte zurückgenommen ment und auch in der deutschen Öffentlichkeit unter- werden. stützt. (Beifall bei der SPD) Vielen Dank. Begriffen haben dieser Mann und auch seine Beif all- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) klatscher nichts. Denn diese neue Qualität ist der Realismus, den das Europa und auch die anderen Länder des 21. Jahrhunderts brauchen. Darauf sind Das Wort hat jetzt Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: wir stolz, und darauf können die Mitarbeiter der der Kollege Freimut Duve. Mittlerorganisationen stolz sein, die in den vergange- nen 40 Jahren überall in der Welt dazu beigetragen Freimut Duve (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- haben, daß es dieses wirklichkeitsgetreue Bild von men und Herren! Herr Außenminister, das war die uns gibt. Sie haben für die einzige Kulturform gear- Rede des Außenministers Kinkel von heute, die die beitet, die der selbstbewußten Demokratie angemes- Rede des Außenministers Kinkel im Januar vor dem sen ist: die Kultur der Wahrhaftigkeit, der Gelassen- Börsenverein radikal kritisiert hat. Sie haben eine heit und der Souveränität. ganz andere Rede gehalten als damals. Das ist gut. Die Lernfähigkeit einer so großen Bundesregierung Auch Bundespräsident Herzog bringt in vielen sei- haben wir immer wieder eingeklagt. Jetzt hat sie sich ner Reden wie seine Vorgänger jene souveräne Ge- als vorhanden erwiesen. Ich finde gut, daß Sie in vie- lassenheit zum Ausdruck, die auch der Auswärtigen len entscheidenden Punkten von der Werblichkeit Kulturpolitik gut ansteht. und Public-Relations-Rede vom Januar abgekommen Hans Magnus Enzensberger, Wolf Lepenies, Rolf sind und hier wieder zu dem Konsens zurückgefun- Michaelis und viele andere haben sich in der jüng- den haben, der uns bisher in der gemeinsamen Ar- sten Zeit sehr intensiv geäußert. Auch die „Fach- beit getragen hat. leute" wie Hilmar Hoffmann, Joachim Sartorius, Ich komme nachher noch auf die problematische Theodor Berchem haben sich erklärend und mah- Bemerkung zurück, daß bei uns die weniger intelli- nend zu Wort gemeldet. Wir hatten und haben seit genten Studenten aus dem Ausland ankommen. Es vielen Jahren zum erstenmal eine öffentliche Debatte hat tiefe strukturelle Gründe, warum wir immer we- zu diesem Thema. niger Studenten aus dem Ausland bei uns haben. Ei- Einige haben vor drohendem Mittelabbau ge- nige haben Sie genannt. warnt, andere vor der Gefahr, die große Herausforde- Es wäre natürlich ganz gut gewesen, Herr Bundes- rung zu verpassen: die Herausforderung eines außenminister, wenn Sie heute als Mitglied der F.D.P. grundsätzlichen Wandels der Aufgaben der Auswär- auch gesagt hätten, daß die Friedrich-Naumann-Stif- tigen Kulturpolitik. Wir sollten all diesen Stimmen tung das Institut in Peking schließt. dankbar sein; ohne sie gäbe es diese Kulturpolitik gar nicht. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Umgekehrt! Geschlossen (Beifall bei der SPD) wird!) Vor über 30 Jahren notierte Günter Grass: „Bevor - Geschlossen wird. Sie wird gezwungen, es zu es überhaupt eine deutsche Nation gab, gab es Klop- schließen. - Ich freue mich darüber nicht. Es ist na- stock und Lessing, eine deutsche Literatur." türlich eine dramatische Entwicklung, die eigentlich heute hier angesprochen gehört hätte. Das gilt auch für unser Thema. Ohne die Künstler - Schriftsteller, Musiker, Maler, Bildhauer und Archi- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ tekten - könnte es diese Auswärtige Kulturpolitik gar DIE GRÜNEN]: Der deutsche Botschafter nicht geben. Es ist häufig so in vielen Gebieten des wurde einbestellt! Dazu schweigt der Bun Lebens, daß sich die Mittler zu der Sache machen. desaußenminister!) Sie sind wichtig, aber ohne die Gegenstände des zu Vermittelnden gäbe es die ganze Sache gar nicht. Liebe Kollegen, wenn Deutsche meiner Generation irgendwo im Ausland gefragt werden, warum sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne stolz sind, Bürger dieser Bundesrepublik zu sein, ten der CDU/CSU) dann können sie mit der Überzeugung antworten: weil wir die erste Generation eines Volkes waren, die Damit sie möglich ist, muß es Filmer wie Rainer furchtbaren Anlaß hatte zu sagen, wir definieren uns Werner Fassbinder, Autoren wie Peter Rühmkorf nicht nur aus den großen Taten der eigenen Ge- oder Sarah Kirsch, Musiker wie Hans Zender und Ka- schichte oder gar wie Nationalisten aus der angebli- meraleute wie Michael Ballhaus geben. Auch das chen Barbarei der je anderen, sondern aus beidem, Engagement eines Mannes wie Professor Gerd aus der schönen und aus der schrecklichen Wahrheit- Albrecht, des Dirigenten, das in Prag auf soviel Bei- unserer eigenen Geschichte. fall und zugleich auf soviel politische Mißgunst traf Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9673 Freimut Duve - auch das muß man hier erwähnen -, ist ein Teil un- Wir haben uns um Konsens bemüht und werden serer Auswärtigen Kulturpolitik. uns weiterhin darum bemühen. Wenn es allerdings um grundlegende Fragen oder aktuelles drastisches (Beifall bei der SPD) Fehlverhalten und um den verantwortungslosen Um- Herr Außenminister, Sie haben im Januar dieses gang mit unseren gemeinsamen Institutionen geht, lockere und leckere Bild vom „Unternehmen Herr Kollege Schäuble, werden wir uns deutlich zu Deutschland" in die Diskussion gebracht. Sie haben Wort melden, gerade weil wir an diesen Grundposi- das heute stark korrigiert. Sie haben gemerkt, mit tionen festhalten wollen. solchen Wortspielen kommen weder der ökonomi- sche Aufschwung noch die Kulturpolitik in Gang. Dazu gehört - das hat der Außenminister gesagt - Die Korrektur heute war richtig. das Prinzip des Dialogs; denn dies ist heute wieder gefragt und wird in Zukunft immer wichtiger. Wolf Wer durch Kultur erfolgreich werben will, darf mit Lepenies hat davon gesprochen, daß in dieser globa- der Kultur nicht als Werber auftreten. Das wäre ein len Weltkultur Lerngemeinschaften entstehen. Wir Mißbrauch der Kultur. Dies ist der Ansatzpunkt, den müssen uns also darauf einrichten. wir in unserem Antrag so formuliert haben. Die großen Mittlerorganisationen - sie werden Wir reden heute morgen über ein sehr kostbares staatlich finanziert, ihre Arbeit machen sie jedoch au- Produkt unserer Außenpolitik, das seit Anfang der tonom - haben ihren Auftrag bisher gut bewältigt. Es 50er Jahre entwickelt worden ist und das es verdient, ist ihnen gelungen, immer den jeweils historischen zum Gegenstand eines historischen Rückblicks zu Herausforderungen der Zeit gerecht zu werden. Dies werden. Denn daran haben viele mitgearbeitet, geschah in vier Stufen, an die ich erinnern will: die manchmal kontrovers, häufig im fruchtbaren Kon- behutsame Entwicklung der Formen und Inhalte in sens. Daran haben - das muß hier gesagt werden - den 50er und 60er Jahren, was damals für Deutsche auch die steuerzahlenden Bürger mitgewirkt. Nie hat weiß Gott schwer genug war - ich erinnere an Dieter es in Deutschland eine so peinliche Debatte gegeben Sattler, der dazu viel beigetragen hat -; dann die - ich hoffe, es wird sie nie geben, und ich glaube große Leistung bei der Kulturhilfe nach der Unab- auch nicht, daß es sie je geben wird - wie jene, die hängigkeit vieler Staaten in Afrika und Asien in den Newt Gingrich in den USA über die Kosten amerika- 60er Jahren; auch die schwierige Arbeit in Diktatu- nischer Kulturinstitutionen im Ausland angezettelt ren wie Portugal, Griechenland und der Türkei oder hatte. die Arbeit unter der Apa rtheid in Südafrika - überall Ich danke unseren Bürgern, daß sie dieses bisher haben diese Institute gezeigt, daß sie mit den jeweils nie gemacht haben, und die Auswärtige Kulturpolitik anderen Herausforderungen umgehen können -; ist nie ein wirklicher Gegenstand der Kritik gewesen. und schließlich der Zeitbruch nach 1989. Das ist ein hohes Maß für die Qualität der Mitwir- In der letzten Zeit aber verstärken sich die Pro- kung der Bürger in der Demokratie an etwas, bei bleme, Fehlentwicklungen sind zu konstatieren, dra- dem sie nur indirekt die Vorstellung haben, daß sie matische Signale sind zu hören. Alle großen Mittler- partizipieren. organisationen, vor allem die Goethe-Institute, die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Humboldt-Stiftung und der DAAD, haben in den ver- ten der CDU/CSU) gangen vier Jahren gut reagiert. Trotz drohender bzw. vollzogener Schließungen konnte sogar noch Herr Bundeskanzler - da Sie in den Bänken der ein Goethe-Institut im Inland eröffnet werden; das In- Abgeordneten sitzen, könnte ich fast anspruchsvoll landsangebot an Kursen wurde verbessert. sagen: Herr Kollege Kohl - Seit langem drängen die Mittler darauf, mehr Ei- (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Warum genverantwortlichkeit bei finanziellen Dispositio- nicht!) nen zu erhalten. Das haben sie im Rahmen des bis- lassen Sie mir eine kritische Erinnerung loswerden: her rechtlich Möglichen bekommen. Ich schließe Kollegen von der SPD und ich haben sich in Ihren mich dem Dank an die Haushälter an: Ohne die Mit- 13 Regierungsjahren stets um einen Konsens in der wirkung dieser hätte es diese Öffnung zu mehr Ei- Sache bemüht. Wir haben die Auswärtige Kulturpoli- genverantwortlichkeit nicht gegeben. Der Bundestag tik nie so mißgünstig und kleinkariert angegriffen - hat Wichtiges dazu beigetragen. daran muß ich erinnern -, wie dies aus den 70er Jah- ren im Gedächtnis haften geblieben ist. Damals gab Herr Außenminister, Sie haben über unser Univer- es eine Opposition, die einzelne Veranstaltungen, sitätssystem geschrieben. Liederabende, Ausstellungen, selbst einzelne Buch- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ titel genutzt hat, um populistische Geschütze in Stel- DIE GRÜNEN]: Schreiben lassen!) lung zu bringen. Häufig erntete sie allerdings mehr Lach- als Schußsalven. - Gesprochen. Geschrieben hat dazu ; das Ich bin froh, daß es dies nicht mehr gibt. Vielleicht ist sehr gut. - Dieses Universitätssystem wird für Stu- können wir uns für alle Zukunft darauf verständigen, denten und Wissenschaftler aus dem Ausland immer daß dieser Weg der damaligen Opposition falsch war. weniger einladend. Es gibt viel zu viele Bar rieren, nach Deutschland zu kommen. Dabei handelt es sich (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Eine - nicht nur um Visa-Barrieren; Sie haben einige andere gute Opposition!) beschrieben. 9674 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Freimut Duve Darum finde ich es schon etwas peinlich, daß bei tionsreisen und die ihrer engeren Mitarbeiter ver- dieser Debatte heute die Vertreterin eines einzigen brauchen zu dürfen, wenn dann die Aufsichtsgre- Bundeslandes anwesend ist, mien erklären, es gebe keinen Anlaß zu Vorwürfen, und wenn die Vorsitzenden dieser Gremien zum (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Rücktritt gedrängt werden, so daß die Kontrollauf- Abgeordneten der CDU/CSU und des gabe zur Zeit überhaupt nicht mehr wahrgenommen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) werden kann, dann wirft das einen schwarzen Schat- obwohl die Bundesländer immer einklagen, an der ten auf die Arbeit der Auswärtigen Kulturpolitik ins- Auswärtigen Kulturpolitik mitwirken zu wollen. gesamt. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem (Günter Verheugen [SPD]: Vetternwirt- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) schaft! - Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Wenn das nur eine formale Mitwirkung sein soll, GRÜNEN und der PDS) dann bringt sie nichts. Sie sollte die Form einer tiefen Diskussion haben. Deshalb ist es schade, daß die Ich warne auch den Vorsitzenden von Inter Natio- Länder - bis auf eines - nicht vertreten sind. nes: Wer fünf Tage vor dieser Debatte, ohne den Au- ßenminister oder den Bundeskanzler darüber zu in-

Die Humboldt - Stiftung hat für unser Land eine formieren, den Bet riebsratsvorsitzenden per einst- phantastische Bilanz vorzuweisen; diese darf auf kei- weiliger Verfügung absetzen läßt, wer immer wieder nen Fall weiter geschmälert werden. Die Zahl der Sti- die Mitarbeiter des Hauses gegen sich aufbringt, der pendiaten hat von 650 auf 450 zurückgehen müssen. läuft in die Irre. Ich sage es ganz deutlich: Wenn par- teipolitisch ernannte Leiter - das gilt im Grundsatz Die Universitäten müssen einen neuen Anlauf neh- für alle Parteien - sich als unfähig erweisen, verant- men, um auch Hochbegabte zu uns zu holen. Wir wortungsvoll mit ihrer Aufgabe und ihren Mitarbei- brauchen ernsthafte Bemühungen dafür, daß mehr tern umzugehen, dann sind sie fehl am Platz und Deutsche im Ausland und mehr Ausländer hier stu- müssen abgelöst werden, bevor noch größerer Scha- dieren. Hierzu gehören gerade kulturell und wissen- den angerichtet wird. schaftlich Begabte aus Asien oder aus der sehr diffe- renzierten islamischen Welt. (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Bei den Naturwissenschaften werden wir auf GRÜNEN) Dauer nicht damit auskommen, von jedem - da un- terscheidet sich meine Auffassung von der des Au- Nach meiner Kenntnis der Sache habe ich das jetzt ßenministers -, der hier forscht, in jedem Fall das Er- alles noch sehr vorsichtig und eher zurückhaltend lernen des akademischen Deutschstandards zu ver- formuliert. Ich warne davor, hier leichtfertig den dro- langen, wenn er im Internet dann wieder englisch henden Schaden zu verniedlichen. schreiben soll. Hier liegt eine weitere Bar riere für (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Da ist wissenschaftliche Zusammenarbeit vor. ein bißchen viel zusammengerührt!) Wir haben ein stark abnehmendes Interesse junger - Nein, da ist nichts zusammengerührt. Man muß es Deutscher am Studium im Ausland festzustellen. Je einfach einmal ansprechen und darf es nicht immer enger die elektronischen Vernetzungen im Internet verstecken und dann auch noch die Kritiker denun- sind, desto geringer ist anscheinend das Interesse am zieren, wie es in jüngster Zeit geschehen ist. Wechsel des Studienorts. (Siegfried Vergin [SPD], zu Abg. Dr. F ried Negativ ist die Entwicklung in einem ganz ande- bert Pflüger [CDU/CSU] gewandt: Lesen ren Bereich. Ich erwähne das Institut für Auslands- Sie mal die Gutachten!) beziehungen in Stuttgart, Herr Dr. Schäuble. Nach meinem Eindruck haben sich do rt Unfähigkeit und Die große Herausforderung, vor der wir stehen, ist Verantwortungslosigkeit im Umgang mit Mitarbei- nicht mit konkreten historischen Ereignissen oder tern zu katastrophalen Folgen für das Ansehen auch Daten zu beschreiben. Die Veränderung durch die anderer Mittlerorganisationen entwickelt. technische, vor allem elektronische Globalisierung ist in ihren Folgen für die Auswärtige Kulturpolitik (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des nicht abzusehen. Informationen aller A rt, sei es über BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des ein Ereignis in Lübeck oder eines in Solingen, kön- Abg. Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]) nen mit wenigen Bildszenen die Warnehmung von Alle Anstrengungen nutzen nichts, wenn das Be- Deutschland radikal und auf Dauer verändern. Dar- wußtsein für die hohe Verantwortung bei dieser Auf- auf müssen die dem Wo rt gewidmeten Kulturpro- gabe fehlt. Was sich die Leitung des IfA an Mißach- gramme auf ihre eigene, möglicherweise andere und tung der Kontrollaufgabe und an persönlichen Verfil- neue Weise reagieren. zungen geleistet hat und leistet, spottet jeder Be- Dieser tiefgehende Wandel, der durch die ver- schreibung. schiedenen Kommunikationstechniken übernatio- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des nale Kulturarbeit verändert, heißt Globalisierung. Das bedeutet aber nicht Vereinheitlichung der Welt - BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ganz und gar nicht - oder gar Konflikt der Zivilisatio- Wenn parteipolitisch ernannte Direktoren glauben,- nen. Die soziale Wirklichkeit verändert sich mit der fast 35 Prozent des Reiseetats für ihre eigenen Direk Nutzbarkeit globaler Techniken ganz anders, als wir Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9675 Freimut Duve uns dieses noch vor einem Jahrzehnt vorgestellt hat- Politik einen festen Platz hat. Es hat sich dabei das ten. Bild von der dritten Säule eingebürgert. Ob nun dritte oder sonstwelche Säule: Auf jeden Fall - das ist Wir haben immer mehr Tourismus, der wichtig ist, doch entscheidend - ist die Auswärtige Kulturpolitik dabei aber möglicherweise immer weniger Kulturbe- eine tragende Säule und keine Ziersäule unserer Au- gegnungen. Möglicherweise ist er auch eine Antwort ßenpolitik. auf das Desinteresse am Studium im Ausland. So stu- dieren immer weniger Deutsche in anderen Ländern. (Beifall bei der CDU/CSU) Da die Studenten ja bereits von ihrer A rt her Globe- trotter sind, stehen sie vor der Frage: Warum denn im Dies hat die Debatte der vergangenen Monate Ausland noch studieren oder sich über Jahre bei- deutlich gemacht, ganz besonders aber auch eben spielsweise auf Japan als unterscheidbare Gesell- die Regierungserklärung des Bundesaußenministers. schaft mit besonderer Lebensart und Kultur einlas- Diese Erklärung, Herr Bundesaußenminister, findet sen? unsere Unterstützung. Wir werden in diesen Tagen Eine weitere Herausforderung: die Reisen der Rei- im zuständigen Unterausschuß für Auswärtige Kul- chen und die Fluchten der Armen. Auf den großen turpolitik den Tätigkeitsbericht der Bundesregierung Flugplätzen huschen wir aneinander vorbei, die ei- für die beiden vergangenen Jahre beraten. Dieser nen blaß und voller Unsicherheit, die anderen fröh- Bericht bietet ein hervorragendes Panorama, wie die lich und lebenssicher. Das hat radikal die Motive für immerhin 3,5 Milliarden DM, die wir jährlich für aus- das Interesse der Armen an der Welt der Reichen ver- wärtige Kulturarbeit ausgeben, in Projekte, in Maß- ändert. Aus dem kulturpolitisch erhofften Interesse nahmen umgesetzt werden. Diese Mittel sind, finanz- an uns ist häufig das individuelle Interesse an Moder- politisch betrachtet, Herr Finanzstaatssekretär, gut nisierungschancen geworden, wobei dann die Nähe angelegtes Geld. zu einer anderen Sprache - meistens Englisch, Namens meiner Fraktion möchte ich herausstellen Deutsch, Französisch - als wichtige Einlaßpforte ver- - dies ist keine bloße Pflichtübung -, daß Sie, Herr mutet wird, als zusätzliche Chance, vielleicht auch Bundeskanzler, gerade in der Auswärtigen Kultur- für den Job im reichen Land und damit die Auswan- politik ein wichtiger Motor und Anreger sind. Lassen derung. Sie es mich salopp sagen: Wir auswärtigen Kultur- Wir haben keine heile Welt der ausschließlich ed- politiker wissen Sie entweder zur Deckung in unse- len Begegnungen. Wir haben beides: den Verfall so- rem Rücken oder gehen auch schon das eine oder an- zialer Kulturen und das Entstehen neuer Chancen. dere Mal hinter Ihrem Rücken aufs Ziel zu. Auswärtige Kulturarbeit einer sozialen Demokratie darf ihre Sensibilität für beides nicht verlieren. Aber auch der Herr Bundespräsident hat schon mehrmals auf die Bedeutung der Auswärtigen Kul Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. turpolitik verwiesen. Sein Wo rt von der „Soft Power" (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne trifft meines Erachtens den Ke rn der Wirkung von ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Kultur als Faktor in den internationalen Beziehun- und der PDS) gen. Wo klassische Diplomatie vielleicht noch auf Vorbehalte stößt, öffnet Kultur Verstand und Herzen. Es war und ist diese vielleicht leise daherkommende, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt aber dafür um so mächtigere und anhaltendere Wirk- der Kollege Claus-Peter Grotz. kraft der kulturellen und wissenschaftlichen Begeg- nung, die das Bild unseres Landes in den vergange- Claus-Peter Grotz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! nen Jahrzehnten zum Positiven verändert hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Johann Wolfgang von Goethe ist ganz bestimmt nicht zufällig der Na- Ohne die erfolgreiche auswärtige Kulturarbeit - mensgeber für eine der größten Organisationen un- davon bin ich überzeugt - wäre es uns nach 1945 serer auswärtigen Kulturarbeit; denn was früher die nicht gelungen, das neue demokratische Deutsch- Möglichkeiten zu reisen betrifft oder dem Genie ei- land - zunächst leider nur Westdeutschland - welt- nes Johann Wolfgang von Goethe oder einer Ma- weit zu vermitteln. Insofern hatte die auswärtige Kul- dame de Staël, diese erlebten Eindrücke literarisch turarbeit in den Jahren 1989 und 1990 großen Anteil darzustellen, zu verdanken ist, nämlich die Begeg- an der Zustimmung zur Wiedervereinigung unseres nung, die Beschäftigung mit anderen Ländern, mit Landes. Daß die Wiedervereinigung jetzt neue, grö- anderen Kulturen, wird in unserer heutigen Gesell- ßere Herausforderungen an die gesamtdeutsche Kul- schaft durch die auswärtige Kulturarbeit auf breite- turpolitik stellt, erfahren wir auf Schritt und Tritt im ster Basis geleistet. Ausland. Die heutige Plenardebatte zeigt einmal mehr, daß Meine Damen und Herren, wenn wir heute über die Auswärtige Kulturpolitik beileibe kein Stiefkind die Auswärtige Kulturpolitik debattieren, dann ist der Politik ist. Im Gegenteil: Jenen Kulturschaffen- mir eines noch wichtig: Auswärtige Kulturarbeit wird den, die noch vor Monaten das Fehlen einer solchen ganz hervorragend in vielen Städtepartnerschaften, Debatte beklagten, brummt mittlerweile - wie es binationalen Gesellschaften, Kulturinitiativen und diese Woche in einer Kolumne hieß - wegen eben- Dritte - Welt - Gruppen geleistet. Ohne dieses breite dieser Debatte gar der Schädel. Diesen Brummschä- bürgerschaftliche Engagement wäre unsere kultu- del nehme ich gerne in Kauf, zeigt doch die außen-- relle Landschaft um vieles ärmer. Auf diesem breiten kulturpolitische Debatte, daß dieses Feld in unserer Fundament kann die Auswärtige Kulturpolitik des 9676 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Claus-Peter Grotz Bundes aufbauen, ohne natürlich die Länder aus die- Wer auswärtige Kulturarbeit betreibt, läßt sich auf ser Aufgabe völlig entlassen zu wollen. einiges ein. Denn richtig verstandene Auswärtige Kulturpolitik ist keine Einbahnstraße, kein bloßer Die Goethe-Institute, der Deutsche Akademische Kulturexport, sondern Dialog und Austausch. Dazu Austauschdienst, die Humboldt-Stiftung, Inter Natio- gehören Lernbereitschaft und Lernfähigkeit. Gegen- nes oder auch das Institut für Auslandsbeziehungen seitiges Geben und Nehmen, einander zuzuhören, haben zu Recht einen guten Namen. Viele andere aufeinander zuzugehen, die Bereitschaft, die eigene Länder beneiden uns um diese Einrichtungen. Welt auf der Folie des Fremden zu prüfen, sind un- verrückbare Prämissen. (Ina Albowitz [F.D.P.]: Sehr wahr!) Die Mitarbeiter dieser und anderer Organisationen - Dies muß sich dann allerdings auch politisch be- ich denke beispielsweise auch an die politischen Stif- währen. Wenn wir nämlich beispielsweise feststellen, tungen - leisten eine gute Arbeit. Man muß es ihnen daß Deutschland als Studienort nicht mehr erste nicht sagen. Sie fühlen sich vielmehr selber - wie es Wahl für Studenten aus anderen Ländern ist, dann ist am vergangenen Montag die Repräsentanten der Auswärtige Kulturpolitik auch ein Frühwarnsystem Goethe-Institute sagten - als kulturelle Botschafter für Defizite im eigenen Land. unseres Landes. Ich habe mich über dieses Wo rt - ausgesprochen von den Mitarbeitern - sehr gefreut. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Das System der unabhängigen Mittlerorganisatio- Deshalb ist die Debatte, die wir im Deutschen Bun- nen an Stelle einer staatlichen Zentralagentur - wie destag in diesen Wochen und Monaten über viele Be- wir es in Deutschland haben - hat sich im großen reiche der Kulturarbeit führen, für mich auch eine und ganzen bewährt. Herr Kollege Duve, ich nehme Debatte, in der wir viel aus anderen Ländern lernen es vor diesem Hintergrund lieber in Kauf, daß wir können und entsprechende Konsequenzen ziehen über die eine oder andere Maßnahme im Ausland müssen. einmal streiten, als das System insgesamt in Frage zu stellen. Die Kultur verträgt diesen Streit; sie braucht Im Wissenschafts- und Hochschulbereich geht es ihn auch. bei weitem nicht nur um Nebensächlichkeiten. Wis- (Siegfried Vergin [SPD]: Natürlich! Davon senschaft, Forschung und Lehre sind auf internatio- lebt sie!) nale Zusammenarbeit, auf Austausch angewiesen wie der Fisch aufs Wasser. Das totale Abschotten ge- Dieses System der unabhängigen, eigenständigen genüber dem Ausland, gegenüber dem internationa- Mittlerorganisation muß sich jetzt allerdings bewäh len Wissenschaftsaustausch usw. war im übrigen - ren, wenn es unter veränderten Bedingungen gilt, davon bin ich fest überzeugt - auch einer der tieferen mehr Koordination und Flexibilität zu zeigen. Kultu- Gründe für den Zusammenbruch der ehemaligen relle Botschafter braucht unser Land notwendiger DDR. Ein Land - darauf hat der amerikanische Histo- denn je. Denn während die Welt auf der einen Seite riker Kennedy hingewiesen -, das sich abschottet wirtschaftlich immer enger zusammenrückt, werden und abschließt, das auf Veränderungen und auf den auf der anderen Seite kulturelle oder ethnische Un- Wandel im Inneren wie von außen nicht mehr rea- terschiede wieder stärker betont - mit zum Teil, wie giert, fällt zurück. Wir in der Bundesrepublik wir im früheren Jugoslawien sehen, verheerenden Deutschland können und wollen uns dies nicht lei- Folgen. sten. Deshalb begrüßen wir auch ausdrücklich die Initiative von Minister Rüttgers und Minister Kinkel, Wir können mit Abrüstungspolitik Waffen aus der die vor 14 Tagen ein Programm zur Steigerung der Welt schaffen, aber nicht die Mentalität und die Ein- Attraktivität des Studien- und Forschungsstandortes stellungen der Menschen prägen. Dazu bedarf es des Deutschland vorgelegt haben. langen Atems der Begegnung, des Gesprächs und des Kennenlernens über den eigenen Kulturkreis (Zustimmung bei der CDU/CSU) hinaus. Zu diesem Dialog der Kulturen leistet die Bundesrepublik Deutschland einen wichtigen Bei- Gerade beim Wissenschafts- und Hochschulaus- trag, der meines Erachtens noch deutlich zunehmen tausch wird deutlich - um auch diesen Aspekt zu er- wird. So verstanden wird Auswärtige Kulturpolitik wähnen -, daß die Mittel der Auswärtigen Kulturpoli- auch zur Konfliktprävention. Der Preis dafür ist um tik im besten Sinne des Wortes Investitionen in die vieles niedriger als der, den man zahlen müßte, wenn Zukunft sind. Jährlich rund 500 Humboldt-Stipen- der Konflikt ausgebrochen ist. dien und rund 6 000 DAAD-Stipendien sind eine be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. achtliche Leistung, und meist entstehen daraus le- sowie bei Abgeordneten der SPD) benslange Verbindungen. Viele dieser Stipendiaten sind später einmal für uns Ansprechpartner in wichti- In diesem Dialog der Kulturen, der vielleicht auch gen Funktionen und Ämtern. Dies ist auch - das ist dann noch stattfinden können muß, wenn diplomati- doch völlig legitim und selbstverständlich - ein Be- sche Kanäle schon verstopft sind, bringen wir die tra- rührungspunkt von Auswärtiger Kulturpolitik und genden Werte unserer politischen Kultur ein: Men- den Interessen der Industrienation Deutschland. In- schenrechte , Rechtsstaat und Demokratie. Unsere sofern verstehe ich es nicht, wenn hier von der Oppo- auswärtige Kulturarbeit ist immer auch ein Ausdruck- sition versucht wird, einen Gegensatz zwischen der unserer Werteordnung. Frankfurter Rede und dem, was heute gesagt wird, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9677 Claus-Peter Grotz zu konstruieren. Das ist ein typisch deutscher Stammbuch geschrieben, daß wir zu unserer Sprache Popanz. auch durchaus stehen sollen. (Freimut Duve [SPD]: Was ist daran typisch (Freimut Duve [SPD]: Wir liegen sogar zu deutsch?) unserer Sprache!)

- Es wird in vielen anderen Ländern, Herr Kollege Meine Damen und Herren, ein Debattenbeitrag Duve, nicht verstanden, warum wir hier ein Problem wie meiner kann natürlich nur wenige Schwer- sehen, wo doch durch die Kooperation mit der Wirt- punkte benennen. Mit dem Antrag „Standortbe- schaft Chancen eröffnet werden, im Endergebnis zu stimmung der Auswärtigen Kulturpolitik", den wir mehr Kulturarbeit im Ausland zu kommen. Das wol- dieser Tage im Bundestag eingebracht haben, nimmt len wir doch alle. die Koalition insgesamt eine Positionierung in der Auswärtigen Kulturpolitik vor. Mir ist im übrigen das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) heutige Thema der Auswärtigen Kulturpolitik zu wichtig, als daß wir in einem Schnellschuß noch ei- Eine ähnliche Schieflage sehe ich bei Ihrer Argu- nen Antrag zu Tibet daranhängen könnten. Vielmehr mentation auch in bezug auf einen weiteren Kernbe- ist vereinbart und wäre der Sache auch angemessen, reich auswärtiger Kulturarbeit, die Sprachenarbeit. wenn wir den in schwierigen, langen Verhandlungen Wir hätten versagt, wenn wir nach 1989 nicht auf das vereinbarten Antrag in der kommenden Woche zur gestiegene Interesse an Deutsch als Fremdsprache Sache beraten. eingegangen wären. Auch dies war eine Bewäh- (Beifall bei der CDU/CSU) rungsprobe für die Flexibilität unserer Auswärtigen Kulturpolitik, auf neue Herausforderungen schnell Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch und angemessen zu reagieren. auf das Stichwort „Kulturgüterfrage" eingehen. Für viele ist diese Frage in der Auswärtigen Kulturpolitik in der Tat ein Randbereich, aber gerade in ihrer sym- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Grotz, gestat- bolischen Bedeutung ist sie nicht zu unterschätzen. ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Duve? Ich gehe davon aus, Herr Bundesaußenminister und Herr Bundeskanzler, daß wir, nachdem wir dieses Thema mit Rücksicht auf die Wahlen in Rußland wie Claus-Peter Grotz (CDU/CSU): Ja, gerne. vereinbart etwas zurückgestellt haben, zu dieser Frage langsam und sensibel - denn wir wollen Er- gebnisse und keine lauten Töne - die Gespräche wie- (SPD): Herr Kollege, sind Sie mit mir Freimut Duve der aufnehmen. Ich weiß, daß gerade die Bundesre- einer Meinung, daß bei dem Gespräch, das wir am gierung diesem Thema besonderen Stellenwert zu- Montag mit den Regionalbeauftragten geführt ha- weist. ben, sehr deutlich wurde, wie kritikwürdig viele der Maßnahmen sind, die in diesem Programm beschlos- Trotz oder vielleicht sogar wegen der gestiegenen sen worden sind, weil nämlich inzwischen von der Anforderungen und Erwartungen an die Auswärtige Gesamtzahl der Institute nur noch 25 Prozent arbei- Kulturpolitik bei gleichzeitig beschränktem Finanz- ten und andere ihre Arbeit schon eingestellt haben? volumen erlebt die Auswärtige Kulturpolitik im Mo- Das wurde uns dort gesagt; Sie saßen neben mir. ment nach 1989 meines Erachtens einen zweiten Aufbruch. Lassen Sie uns diesen Aufbruch nutzen!

Claus-Peter Grotz (CDU/CSU): Herr Kollege Duve, Vielen Dank. es ist selbstverständlich, daß ein Programm wie das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sonderprogramm Sprachen für MOE und GUS nach einigen Jahren überprüft wird. Solange es aber noch Nachfrage nach Deutschunterricht gibt, solange Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt noch Deutschlehrer fehlen, ist für mich klar, daß dies die Kollegin Altmann (Pommelsbrunn). eine wichtige Aufgabe Auswärtiger Kulturpolitik bleiben muß. Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herren! Herr Bundeskanzler! Herr Bundesaußenmi- nister! Sie sind eben wieder nach dem bekannten Wir sind in der Lage, dort, wo es sich nicht bewährt Schema vorgegangen: Erstens. Alles läuft bestens; oder wo wir an Hand des Verlaufs des Programmes denn wir stellen die Regierung. Zweitens. Das, was sehen, daß wir umsteuern müssen, uns entsprechend nicht gut läuft, wird verschwiegen. anzupassen. Das spricht doch nicht gegen die Sache als solche. Sie redeten eben, Herr Bundesaußenminister, von der beträchtlich gewachsenen Verantwortung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutschlands in der Welt. Sie sagen aber selbst, Herr Kinkel, daß die 0,25 Prozent des Gesamthaushaltes, Nur noch eines: Wenn hier von Ihnen etwas ver- die das Auswärtige Amt für Kultur aufwenden kann, krampft gerade der Schwerpunkt „Deutsch als zuwenig sind. Fremdsprache" als Ideologie abgetan wird, möchte ich entgegnen: Uns hat der Fachverband „Deutsch Ich will unsere gewachsene Verantwortung an ei- als Fremdsprache" in seiner Dresdner Erklärung ins nem konkreten Beispiel festmachen. Die Hauptstadt 9678 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) Zyperns, Nikosia, ist durch Mauern und Stachel- oder wenn Betreuungsmaßnahmen für deutsche Sol- draht geteilt - wie Berlin es war. Wie vergiftet die Si- daten im Ausland als Teil der Kulturpolitik des Ver- tuation dort ist, zeigt der schlimme Vorfall in der letz- teidigungsministeriums dargestellt werden. Wo liegt ten Woche, als ein 19jähriger griechischer National- denn da die kulturelle Kompetenz? gardist erschossen wurde, als er die Pufferzone be- In Ihrer Rede „Kunst und Kommerz", Herr Kinkel, trat. Sie haben mit dem griechischen Ministerpräsi- mahnen Sie einen Dialog zwischen Auswärtiger denten Stephanopoulos vorgestern sicher darüber Kulturpolitik und Exportwirtschaft an. gesprochen, Herr Bundeskanzler. (Ina Albowitz [F.D.P.]: Sehr gut!) Nikosia hat ein Goethe-Institut, das in dieser Puf- ferzone liegt. Nur dort können sich Menschen beider Wir wollen uns nicht dagegen sperren; Volksgruppen friedlich treffen. Dort können wir die (Ina Albowitz [F.D.P.]: Na wunderbar!) leidigen Erfahrungen aus unserer Geschichte über- mitteln und helfen, die widernatürliche Spaltung zu aber Auswärtige Kulturpolitik hat unabhängig zu überwinden. Beide Nationalitäten - Griechen und sein. Türken - verbindet eine große Zuneigung zur deut- schen Sprache und Kultur. Für uns ist das eine ein- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das hat auch keiner malige Chance für aktive Friedensarbeit. in Frage gestellt!) Doch was machen Sie, meine Damen und Herren - Ja, doch. - Die unwürdigen Vorgänge um die ge- sind von der Koalition? Hans Magnus Enzensberger plante chinesische Kulturwoche in München bringt es auf den Punkt: „Man geht mit einer Schä- der aktuelle Beweis dafür, daß diese Bedenken nicht bigkeit vor, die ans Groteske grenzt." aus der Luft gegriffen sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das wirkt sich konkret so aus: Die reichhaltige sowie bei Abgeordneten der SPD) Bibliothek des Goethe-Instituts wird wegen Geld- mangels geschlossen. Die Stelle der Fachkraft, die Genau sieben Jahre nach dem Massaker auf dem vor allem Informationen über Studienmöglichkeiten Platz des Himmlischen Friedens wollten die damali- in Deutschland liefern sollte, soll eingespart werden. gen Mörder bestimmen, wer über was wann und wo Gleichzeitig, Herr Bundesaußenminister, stellen Sie in Deutschland referieren darf. sich hier hin und beklagen, daß junge Menschen aus dem Ausland das Interesse verlieren, in Deutschland (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ zu studieren. Da helfen Ihre Worthülsen nicht, Herr DIE GRÜNEN]: Das reißt ein!) Kinkel; denn genau das wird von der Bundesregie- Wenn aber das Auswärtige Amt nicht schärfstens rung durch Kleinlichkeit und Organisationswirrwarr protestiert - das hat es nicht -, dann ist das ein feiger verursacht. Kotau vor der chinesischen Regierung. Wir benennen in unserem Antrag die wichtigsten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reformmaßnahmen: erstens schnelle gegenseitige sowie bei Abgeordneten der SPD) Anerkennung der Studienabschlüsse. Sie beklagen die mangelnde Mobilität. Dann dürften Sie aber Herr Grotz, wo bleibt da die Werteordnung? zweitens der gewünschten internationalen Mobilität Natürlich wäre es wirklichkeitsfremd, die Zusam- nicht durch ein schikanöses Aufenthaltsrecht Riegel menhänge zwischen Auswärtiger Kulturpolitik einer- vorschieben. seits und Wirtschaft andererseits nicht zu sehen, und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ungeschickt wäre es, diese nicht zu nutzen. So ist im Bericht über die Auswärtige Kulturpolitik, Herr Kin- Ich möchte als bayerische Abgeordnete eine An- kel, zu lesen: merkung machen. Ihr Minister Waigel mag es für In Übereinstimmung mit dem Asien-Konzept der Auswärtige Kulturpolitik halten, wenn er mit seinem Bundesregierung bleibt der Kulturbereich in der Trachtenhut von München nach Bonn reist. Deutsch- Dynamik unserer Gesamtbeziehungen zu dieser land hat aber mehr zu bieten als Lederhosen und Region eingebettet. Oktoberf est. Was auch immer das heißt: Die Aussage ist viel- Gerade die Auswärtige Kulturpolitik ist ein Be- deutig. Wie sonst sollte man es sich erklären, daß das reich, in dem die vorhandenen Mittel wesentlich effi- Goethe-Institut in Surabaya geschlossen werden zienter eingesetzt werden könnten. Kulturelle Viel- soll? Surabaya ist ein Drehkreuz in Indonesien und falt lebt nicht im Durcheinander, und viele Solisten hat eine Bevölkerung von sieben Millionen Einwoh- ergeben noch kein Orchester! Halten wir uns vor Au- nern. Zentren wie Jaka rta liegen 1 000 km entfernt. gen: Nur knapp ein Drittel der Ausgaben für Aus- Dann eröffnet man eben ein anderes Goethe-Institut wärtige Kulturpolitik verantwortet das Auswärtige - in Hanoi. Aber Auswärtige Kulturpolitik ist doch Amt. Zwei Drittel der Gelder, nämlich 2,6 Milliarden kein Wanderzirkus! DM, finden sich irgendwo in acht weiteren Ministe- rien. Es ist doch absurd, wenn das Innenministerium (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kulturpolitisch für Bürger und Bürgerinnen aus Po- sowie bei Abgeordneten der SPD) len, Rußland und Usbekistan verantwortlich ist Auch Ihre weiteren Schließungspläne sind unver- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ständlich. Ich nenne das Beispiel Napoli. Ohne Rück- DIE GRÜNEN]: Das ist wahr!) sicht auf die freundschaftlichen Beziehungen zwi- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9679

Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) schen Deutschland und Italien, die hier soeben ei- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt die nige Male angesprochen wurden, sollte hier ein Insti- Kollegin Ina Albowitz. tut stillschweigend geschlossen werden, das effektiv und hervorragend arbeitet. Aber sämtliche Hoch- schulen, Studenten und Studentinnen, musische und Ina Albowitz (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr kulturelle Einrichtungen, der Bürgermeister Basso- verehrten Damen und Herren! Daß der Außenmi- lino, Abgeordnete, Politiker und Politikerinnen in nister hier heute morgen eine Regierungserklärung Süditalien, selbst der Gemüsehändler an der Ecke zur Auswärtigen Kulturpolitik abgegeben hat und setzten sich für das Institut ein. „Non chiudete il Goe- der Herr Bundeskanzler das Wo rt ergreift, unter- the" hieß es: „Schließt unser Goethe-Institut nicht!" streicht die zunehmende Bedeutung der Auswärti- Dieser Proteststurm hatte ganz offensichtlich Erfolg. gen Kulturpolitik. Das ist auch gut so. Sie hätten zu viel außenpolitisches Porzellan zer- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schlagen. Neben der wirt Alle Beispiele verdeutlichen: So kann der wichtige schaftlichen Leistungsfähigkeit ist Beitrag zur kulturellen Zusammenarbeit nicht gesi- die Kultur der zweite große Eckpfeiler unseres Anse- chert werden, Herr Kinkel. Das Vertrauen in die Bun- hens in der Welt - ein Pfund, mit dem wir wuchern desrepublik Deutschland wird untergraben. Reform- können. Es kann daher nicht hoch genug einge- schätzt werden. Deshalb haben die Liberalen und al- bedarf steht an allen Ecken und Enden an. Nicht nur len voran natürlich die liberalen Außenminister der die mißlichen Vorfälle beim Institut für Auslandsbe- Auswärtigen Kulturpolitik immer große Bedeutung ziehungen, die soeben von Freimut Duve hier be- nannt wurden, zeigen uns das. beigemessen. Die Vermittlung der deutschen Spra- che, die Förderung des Austausches von Forschung Mir liegt ein Papier des Haushaltsbeauftragten ei- und Wissenschaft, Interesse zu wecken für unsere ner bekannten Mittlerorganisation vor. Darin heißt Literatur und Musik, für Geisteshaltungen und We rt es: -vorstellungen sind hervorragende Bausteine, um im Ausland für unser Land zu werben und gleichzeitig Heute, 24. 11. 1995, sind noch insgesamt 12,5 Mio. durch Information und Kommunikation das gegen- DM vorhanden. Das sind 31,6 % des Gesamthaus- seitige Verständnis zu verbessern. Es geht um einen haltes. allumfassenden Dialog, um partnerschaftliche Zu- Weiter heißt es: sammenarbeit der Nationen und um Vertrauen - kurzum: es geht um Völkerverständigung. Ich weise darauf hin, daß die zur Verfügung ste- henden Mittel in diesem Jahr komplett ausgege- Die Auswärtige Kulturpolitik ist demokratisch, ben werden müssen. föderalistisch und pluralistisch organisiert. Das ent- spricht unserem Gesellschaftssystem, ergibt sich Selbständige Haushaltsführung wäre die beste Pro- aber auch aus der Absicht, die wir verfolgen. Es geht phylaxe gegen solches Dezemberfieber. nicht darum, ein idealisiertes Bilderbuch-Deutsch- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN land an den Mann und die Frau in fremden Ländern und der SPD - Joseph Fischer [Frankfu rt] zu bringen. Wir wollen vielmehr das facettenreiche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da könnte Spektrum der geistigen, kulturellen und sozialen die F.D.P. ruhig mitklatschen!) Wirklichkeit unseres Landes weitergeben. Herr Kinkel, Sie fordern in der „Welt" Deregulie- (Beifall bei der F.D.P.) rung der erstarrten Haushaltspolitik. Wenn Sie hier Diesen Grundwerten entspricht das in der Aus- nur die Erkennungsmelodie der F.D.P. pfeifen, dann landskulturarbeit seit Jahrzehnten bewäh rte System geht unser Weg nicht zusammen. Sollten Sie aber verschiedener Mittlerorganisationen. Unter dem ernsthaft an Globalhaushalten, an weniger Bürokra- Dach des Auswärtigen Amtes entwickeln die Goe- tie und an mehr Transparenz interessiert sein, so ha- the-Institute, der Deutsche Akademische Austausch- ben Sie uns auf Ihrer Seite. dienst, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fulbright-Kommission, das Institut für Auslandsbe- sowie bei Abgeordneten der SPD) ziehungen, der Deutsche Musikrat und Inter Natio- nes, um nur einige wenige zu nennen, kultur- und bildungspolitische Programme in ihren jeweiligen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Altmann, Bereichen und tragen sie mit Tausenden von Mitar- kommen Sie zum Ende. Ihre Redezeit ist abgelaufen. beitern und Studenten in die Welt.

Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/ Selbstverständlich müssen die Grundlinien deut- DIE GRÜNEN): Noch ein Gedanke: Zentrale Auf- scher Außenpolitik dabei von allen mitgetragen und gabe Auswärtiger Kulturpolitik muß es sein, Brücken unterstützt werden. Die enge Zusammenarbeit mit zwischen Menschen verschiedener Sprachen und den Ländern in unserem föderalistischen Staat, die Kulturen zu bauen, von außen zu uns und von uns für die Kultur zuständig sind, aber auch mit anderen nach draußen. Dazu müssen wir unseren Beitrag lei- staatlichen und p rivaten Kulturinstitutionen garan- sten. tiert, daß ein breit gefächertes, von staatlicher Gän- gelung und politischer Einflußnahme unabhängiges (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Programm angeboten wird. Das gilt im übrigen auch sowie bei Abgeordneten der SPD) für den Auslandsrundfunk, die Deutsche Welle, des- 9680 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Ina Albowitz sen politische Eigenständigkeit gesetzlich vorge- Dach zusammenarbeiten, könnten wir unsere Stär- schrieben ist. ken noch deutlicher machen. Dieses dezentrale System hat sich bewäh rt und (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: bietet deshalb die besten Voraussetzungen, die grö- Aus Baden-Württemberg ist die Idee gewe ßeren Aufgaben und höheren Erwartungen zu erfül- sen! - Siegfried Vergin [SPD]: Nein, das ist len, die sich mit den enormen außenpolitischen Ver- eine alte Gewerkschaftsidee!) änderungen der letzten Jahre auch für die Auswär- Aber auch mit den heute zur Verfügung stehenden tige Kulturpolitik ergeben haben. Möglichkeiten wird hervorragende Arbeit geleistet. Derzeit lernen rund 20 Millionen Menschen auf der (Beifall bei der F.D.P.) ganzen Welt Deutsch, davon 13,5 Millionen in Mittel- Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der und Osteuropa. Zur Zeit bemühen sich 151 Goethe Entstehung zahlreicher demokratischer Staaten in Institute in 78 Ländern um weltweite Kultur- und Mittel- und Osteuropa mußte, kulturpolitisch be- Sprachförderung. Seit 1990 haben 15 neue Institute trachtet, eine große Fläche auf der Landkarte mit schwerpunktmäßig in den osteuropäischen und den Farbe und Leben erfüllt werden. Die abgebrochenen GUS-Staaten ihre Pforten geöffnet. Brücken und Bindungen zu Mittel- und Osteuropa, Die Verbreitung der deutschen Sprache im mittel- zu Rußland und den anderen GUS-Staaten mußten und osteuropäischen Raum nimmt stetig zu und wird Stück für Stück wiederaufgebaut werden. dazu beitragen, die Beziehungen zu verbessern und die Zusammenarbeit in Europa zu intensivieren. Damit haben wir aber auch dem großen Bedürfnis dieser Staaten nach intensiven Beziehungen zu (Zustimmung bei der F.D.P.) Deutschland Rechnung getragen. Korrespondierend zu den veränderten, neuen außenpolitischen Anfor- Leider - ich bedaure das außerordentlich - blieb es derungen wird dieser Region auch in kultureller Hin- auch dem Goethe-Institut, das sich in den mehr als sicht unsere besondere Aufmerksamkeit gelten. 40 Jahren seines Bestehens eine hervorragende Re- putation erarbeitet hat und während des Kalten Krie- (Beifall des Abgeordneten Dr. Wolfgang ges manches Tor geöffnet hat, Weng [Gerlingen] [F.D.P.]) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU und der SPD) Daneben wollen wir selbstverständlich die alten und guten Beziehungen zu Westeuropa und Nord- nicht erspart, Institute zu schließen, um die Sparauf- amerika hegen und pflegen. Auch der aufstrebende lagen zu erfüllen. asiatische Raum wird von uns nicht vernachlässigt. Mit dem neuen Lateinamerikakonzept der Bundesre- Generell ist angesichts der angespannten Haus- gierung komplettieren wir unsere Bemühungen auf haltslage eine Effektivierung des Mitteleinsatzes un- der anderen Seite des Globus. umgänglich. Deshalb müssen wir dringend darüber nachdenken und vorurteilsfrei prüfen, ob es noch Diese Aufzählung, meine Damen und Herren, sinnvoll ist, Haushaltsmittel auf die vielen verschie- macht aber auch das Dilemma der auswärtigen Kul- denen Resso rts zu verteilen. Eine Bündelung der Ak- turpolitik deutlich. Es klafft eine Schere zwischen tivitäten könnte sachdienlicher sein und zusätzliche dem, was außen- und kulturpolitisch sinnvoll und Spareffekte bringen. wünschenswert wäre, und dem, was in Zeiten knap- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne per öffentlicher Kassen bezahlbar ist. Selbstverständ- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lich kann auch dieser Bereich nicht von den allge- meinen Sparbemühungen ausgeschlossen bleiben. Bei den deutschen Auslandsschulen, die zu den äl- testen und wichtigsten Eckpfeilern der auswärtigen (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Kulturpolitik gehören, muß auch über neue Wege Leider!) nachgedacht werden. Die 113 Einrichtungen mit ih- ren rund 70 000 Schülern und über 1 500 aus Deshalb sind wir Liberalen schon froh, daß es gelun- Deutschland entsandten Lehrern verschlingen ein gen ist, die rund 3,6 Milliarden DM, die vom Bund Drittel des Kulturbudgets des Auswärtigen Amtes. für die auswärtige Kulturpolitik aufgebracht werden, Viele dieser Schulen kämpfen um ihre finanzielle zu halten. Existenz. Führt man sich vor Augen, daß Wissenschaft und Ich meine, es ist an der Zeit, auch hier die europäi- Kultur als Standortfaktoren eine immer größere sche Integration voranzutreiben und in Europa Part- Rolle im täglichen Leben der Menschen spielen, so ner zu suchen, um solche Schulen gemeinsam zu be- wird klar, wie wichtig es ist, in einem harten interna- treiben. Schließlich sind wir nicht die einzigen, de- tionalen Wettbewerb die Möglichkeiten der auswär- nen die Finanzierung solcher Institutionen große Sor- tigen Kulturpolitik intensiv zu nutzen. gen bereitet. Eine gemeinsame europäische Schule statt einer deutschen, einer französischen, einer eng- Wenn Wirtschaft und Kultur vor Ort Hand in Hand lischen - um nur einige aufzuzählen - wäre doch ein zusammenarbeiten, können sich dadurch enorme schönes Pendant für ein vereintes Europa. Chancen ergeben. Mit Hilfe von sogenannten deut- schen Häusern, also Einrichtungen, in denen Kultur-- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne institutionen und Wi rtschaftsverbände unter einem ten der CSU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9681

Ina Albowitz Die Auswärtige Kulturpolitik, meine Damen und man ist gegen die eigene Mannschaft, und man kürzt Herren, ist ein elementarer Bestandteil einer moder- diesen Rasen, indem man Rasenmäher rotieren läßt, nen und zukunftsorientierten Außen- und Wi rt die je Stunde einen Millimeter abtragen. -schaftspolitik. Leider haben das noch nicht alle er- kannt, und ich bedauere dies sehr. Wir Liberalen (Zuruf von der CDU/CSU: Können Sie nicht werden uns dafür einsetzen, daß diese großen Mög- etwas zur Sache sagen?) lichkeiten forciert genutzt werden. Außerdem ist - wenn Sie das noch hören wollen - Gestatten Sie mir zum Schluß noch eine Bemer folgendes für meine bayrischen Freunde hochinteres- kung auch als Haushaltspolitikerin. Der Stellenwert sant: Man hat überlegt, ob man nicht englische Rin- und das Ansehen einer Kulturnation definieren sich der über den Wembley-Rasen treiben soll. Aber da an erster Stelle nicht dadurch, wieviel Geld wir dafür der BSE-Speichel unter Umständen den eigenen ausgeben, sondern dadurch, in welchem gesell- Fußballern schadet, hat man davon Abstand genom- schaftlichen Klima wir diskutieren, welche Freiräume men. wir Andersdenkenden geben und mit wieviel Libera- (Zuruf von der F.D.P.: Zur Kultur!) lität wir den Menschen in unserem Land und auf der Welt begegnen. - Natürlich gehört die Landwirtschaft, genauso wie der Sport, die Religion und die Kirchen, zur Kultur. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das können Sie doch in Ihren Unterlagen nachlesen. Sehr gut!) In der Kultur verläuft die Teilungsgrenze bei uns Sie bestimmen sich allerdings auch dadurch, welche zwischen Innenpolitik und Außenpolitik. Innenpoli- Prioritäten wir den kulturpolitischen Aktivitäten, die tisch ist die Kultur Ländersache, außenpolitisch ist sie finanzielle Unterstützung brauchen, einräumen. Bundessache. Hier sehe ich einen prinzipiellen Wi- Deshalb bitte ich Sie sehr herzlich - das gilt nicht derspruch, der wahrscheinlich auf Grund unseres nur für die Auswärtige, sondern auch für die inländi- Grundgesetzes nicht aufhebbar ist. Aber man muß sche Kulturpolitik -, bei finanzpolitischen Entschei- diese Differenz beachten; denn in Wirklichkeit geht dungen die Kultur nicht als überflüssigen Luxus zu es darum, daß eine außenpolitische Kultur nur die betrachten, wo man bedenkenlos den Rotstift anset- Widerspiegelung der innenpolitischen Kultur sein zen kann, kann. Das will hier niemand wahrhaben und aner- kennen. (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) Wir haben am Montag eine halbe Hundertschaft sondern als wichtiges Grundbedürfnis des Men- von Angehörigen des Goethe-Instituts im zuständi- schen, denn er lebt nicht vom Brot allein. gen kulturpolitischen Unterausschuß anhören kön- Ich danke Ihnen. nen. Ich bin froh, daß ich dort war. Selbst der Präsi- dent Hilmar Hoffmann, ein alter Kulturarbeiter der (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und alten Bundesrepublik, war dabei. Es war insofern in- der SPD) teressant, als ich feststellen mußte: Zwei Stunden lang wurde über Finanzen gesprochen. Daß die Fi- nanzen für Kultur stets zu wenig sind, das wissen wir. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der Abgeordnete Gerhard Zwerenz. Weshalb man aber ausgerechnet in diesem zuständi- gen Unterausschuß nur über Finanzen sprechen mußte, das entzieht sich meiner Kenntnis. Gerhard Zwerenz (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich nehme an, daß die etwas Hilmar Hoffmann wußte dafür Tröstliches zu be- übermüdete, sauertöpfische Kulturdebatte, die bis richten, nämlich von einem Gespräch mit dem Bun- jetzt gelaufen ist, dramaturgisch beabsichtigt ist; deskanzler. Er ist also nicht nur in den Unteraus- denn sie gibt dem Bundeskanzler die Möglichkeit, schuß gekommen, sondern er war vorher bei einem anschließend revitalisiert das Wo rt zu ergreifen. Gespräch mit dem Bundeskanzler. Hilmar Hoffmann sagte dem Unterausschuß, dabei sei nicht über Geld (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Außer Ihnen habe ich gesprochen worden. Reaktion: Gelächter im Unter- bis jetzt keinen Sauertopf erlebt!) ausschuß. Der Kanzler habe „die Auswärtige Kultur- - Lassen Sie mich doch erst einmal reden. Wenn Sie politik als staatliche Kernaufgabe gewürdigt, die jetzt schon nervös werden, was wird dann anschlie- auch bei knappen Kassen nicht eingeschränkt wer- ßend passieren? den darf" . Das ist sehr schön formuliert. Das freut ei- nen natürlich. Aber wir wissen, das ist ein widerna- (Beifall bei der PDS) türlicher Spagat. Das gehört in die Sparte Kunst. Hier war auch ein Gelächter aus der Grube des Klassikers Ich will nur auf einen Maßstab hinweisen, zum Bei- in Weimar zu hören. spiel auf unsere Freunde in England. Schauen Sie doch einmal auf die letzte Londoner Unterhausde- Bei den Mittlerorganisationen, die die Auswärtige batte. Sie hat ergeben, daß die englische Fußball- Kulturpolitik hinauszutragen haben - neben den mannschaft bisher so schwach gespielt hat, weil der Goethe-Instituten auch viele andere Organisationen-, Rasen im Wembley-Stadion zu hoch gewachsen ist. geht es wesentlich um fünf parteinahe politische Was tut man in Britannien dagegen? Man debattiert Stiftungen, die von den Parteien mitfinanziert wer- darüber im Unterhaus, und zwar äußerst interessant.- den. Diese Stiftungen sind freilich so beschaffen, daß Die Presse schäumt. Man ist gegen die Deutschen, die Partei, für die ich hier stehe, die PDS, keine 9682 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Gerhard Zwerenz solche Stiftung finanziert bekommt. Hier besteht so- das eigentlich? Sie haben doch einen ungeheuerli- wohl innenkulturpolitisch wie auch außenkulturpoli- chen Umbruch in Ihrer inneren Kulturarbeit. Das tisch eine große Ungerechtigkeit; denn die PDS wird reicht doch bis in den Bundestag hinein. Wie ist es damit unterfinanziert. denn mit der Deserteursdebatte? Wie ist es denn mit dem Verbot von Tucholskys Wort „Soldaten sind (Zuruf des Abg. Freimut Duve [SPD]) Mörder"? Hier ist doch ein ungeheuerliches Ende - Wenn Sie uns fortwährend erzählen, wir verfügten und ein Anfang gesetzt. über Milliarden, dann muß ich sagen: Zeigen Sie uns Sie wollen eine andere Kultur. Haben die Goethe- diese Milliarden, dann werden wir damit die außen- Institute den Charakter, haben sie die Zivilcourage, politische Kulturarbeit forcieren! dies auch in ihrer äußeren Kultur zu vertreten? Ist das (Beifall bei der PDS - Freimut Duve [SPD]: also auch so, wenn insbesondere aus der Bundes- Wollt ihr auch eine haben?) wehr heraus diese neue Militärkultur vertreten wird? Ich spreche jetzt nur von einem einzelnen Bun- Wenn ich nun nach den Kulturprojekten frage, so deswehrprofessor, von Franz W. Seidler, der das spreche ich jetzt nicht von dem gewiß wichtigen und schöne Buch über die Kollaborateure geschrieben verdienstvollen Sprachunterricht, ich spreche von hat. Haben Sie nun den Mut, diesen Herrn Professor den kulturellen Projekten, die ja von den Goethe-In- Seidler in Norwegen über Quisling sprechen zu las- stituten und den anderen Mittlerinstituten betrieben sen? Haben Sie die Courage, ihn in Paris über Mar- werden. Dieses Verhältnis zwischen Sprachunter- schall Pétain sprechen zu lassen, in Belgien über Leo richt, der notwendig ist, und kulturellen Projekten Degrelle, in der Slowakei über Tiso, in Rußland über verschiebt sich fortwährend zuungunsten der Kultur- Kaminski und Wlassow? Sollte dies dann nicht rei- projekte. Wir haben als Zahlen für 1995 69 Prozent chen für einen Kongreß der Weißwäscher? Dies ge- Mittel für Sprachunterricht und nur noch 31 Prozent hört doch zur Kultur hinzu. für Kulturprojekte. Ich frage nun: Sollen diese Kultur- projekte fortwährend weiter eingeschränkt werden? Und wenn es in der inneren Kultur einen solchen Umbruch dahin gibt, dann muß sich das natürlich Ich frage auch - und dies ist eine Frage, die voll- auch in der Außenpolitik, in der Kulturarbeit draußen kommen objektiv gemeint ist, denn ich überschaue widerspiegeln; sonst sind Sie eben unehrlich, sonst die Arbeit der Mittlerorganisationen nicht genügend - vertuschen Sie das, was hier geschieht, Stimmt es - was gesagt wird -, daß nach dem Wegfall des Konkurrenzprinzips der beiden deutschen Staa- (Beifall bei der PDS) ten, durch die Schließung der DDR-Kulturinstitute nämlich die Umdeutung der deutschen Kriegsge- nun die westlichen, unsere jetzigen Kulturinstitute schichte, der Nachkriegsgeschichte und unserer diese Arbeit übernommen haben? Insbesondere gesamten Kultur. Sie sind jetzt für eine Militärkultur frage ich - der Außenminister hat ja vorhin die engagiert. Geben Sie dies zu, und zeigen Sie es auch Spracharbeit der ehemaligen DDR-Kulturarbeiter dem Ausland. sehr belobigt; aber danach frage ich nicht, obwohl die Anerkennung in der ehemaligen DDR wahr- (Beifall bei der PDS - Zurufe von der CDU/ scheinlich ganz gern gehört wird; sonst wird ja dort CSU: Schwachsinn! - Welch ein Sauertopf!) mit Anerkennung gespart - nach dem Anteil der Kul- turprojekte. Werden auch sie übernommen? Wie ist Das Wort hat der das denn eigentlich mit Anna Seghers, mit Arnold Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl. Zweig, mit Strittmatter? Werden sie jetzt in den Goe- the-Instituten auf den Platz gesetzt, auf den sie gehö- ren, Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Meine Damen und Herren! Ich denke, diese Debatte ist von einer (Beifall bei der PDS) Bedeutung, die es gebietet, daß wir jetzt nicht so ab- wenn es sich um eine gesamtdeutsche Kulturarbeit, wegige Themen erörtern sollten wie die Frage, ob um eine Projektarbeit handelt? Ich weiß, wovon ich wir in Deutschland eine neue Militärkultur oder Ver- spreche. Ich bin ja schließlich selbst lange Zeit frei gleichbares paktizieren. schwebender Schriftsteller gewesen. Ich kenne auch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eine ganze Anzahl einzelner Goethe-Institute, bei denen ich gewesen bin. Ich bin froh, daß wir heute diese Debatte führen, auch wenn wir viele andere wichtige Probleme in un- Kultur ist auch noch mehr als nur Sprachunterricht serem Lande erörtern. Denken Sie nur an die Fragen und Kulturprojekte. Ich frage nun einfach: Welchen im Zusammenhang mit der Ökonomie und der Ar- Wandel haben Ihre Institute denn jetzt mitgemacht? beitslosigkeit. Ich sehe darin - was mancher viel- Wir haben ja schließlich davon profitiert, daß in fast leicht tut - auch keinen Gegensatz. Ich sehe vor al- einem halben Jahrhundert Nachkriegskultur eine Li- lem, daß es notwendig ist, einer Entwicklung zu wi- teratur - wenn ich jetzt verengt von Literatur spre- derstehen, die nicht nur in Deutschland, sondern che, bitte ich das zu entschuldigen, ich habe nicht weltweit zu beobachten ist. mehr Zeit - von Böll und Andersch und Borche rt in diesen Goethe-Instituten vertreten worden ist, was Vereinfacht will ich es so sagen: In der Zeit des Kal- wird denn da jetzt gelehrt? Wenn es darum geht, daß ten Krieges stand im Zentrum der internationalen Außenkulturpolitik die Widerspiegelung der inneren Debatte vor allem die Frage von Verteidigung, von Kulturpolitik ist, dann frage ich einmal: Wagen Sie Rüstungspolitik und all dem, was damit zusammen- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9683

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hing. Wir haben jetzt in Europa - bei über 20 Mil- blik Deutschland war es wichtig, daß wir eine ge- lionen Arbeitslosen ist das ganz selbstverständlich - meinsame gewachsene Kultur hatten. Dies hat sich als vorrangiges Thema die soziale Sicherung, den in den Jahrzehnten der Teilung als besonders wich- Kampf um eine Verbesserung des Aufschwungs. Es tig und bedeutsam erwiesen. Ich bin mehr als einmal gibt manche Zeitgenossen, die meinen, daß in die- bei internationalen Besuchen gefragt worden: Ist sem Zusammenhang die Diskussion über die Lage Goethe eigentlich ein DDR- oder ein BRD-Deut- der Kultur, auch im eigenen Land, in Europa und der scher? An diesem Beispiel konnte man sehr gut er- Welt zweitrangig sei. Ich möchte dem ausdrücklich kennen, daß eine solche Inbesitznahme abwegig und widersprechen. Das vor allem ist der Grund, warum eine Verfälschung der Geschichte ist. ich hier spreche. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Der Versuch, auf deutschem Boden eine soge- Die Erfahrungen dieses Jahrhunderts haben uns nannte sozialistische Nationalkultur zu errichten, zu- Deutschen gezeigt, wie wichtig es ist, das kulturelle vor eine nationalsozialistische, hat sich als untauglich Bild unseres Landes offen und ohne jede Einschrän- erwiesen. Selbst die SED-Diktatur mußte in ihrer kung darzulegen und zu zeigen. Nicht Zensur ist ge- Endphase einsehen, daß ohne den Rückbezug auf fragt, sondern eine offene Gesellschaft, wie wir sie die deutsche Kulturnation ein deutscher Staat nicht uns wünschen und wie sie unserer Verfassungsord- zu machen ist. nung entspricht. Deswegen möchte ich ausdrücklich all das unterstreichen, was der Kollege Kinkel heute Wir haben erlebt - auch das gehört in dieses Bild -, im Namen der Bundesregierung zum Thema Aus- daß die deutsche Kultur schon der Vereinnahmung wärtige Kulturpolitik vorgetragen hat. durch die Nationalsozialisten widerstand. Viele Trä- ger der Kultur wurden damals verfolgt, gerade auch Es ist für die Zukunft Deutschlands auch unter die jüdischen, und viele wurden vom Regime ermor- ökonomischen Gesichtspunkten - das ist kein Ge- det. Anderen gelang es zu entkommen. Sie wurden gensatz - von großer Bedeutung, daß die Kulturna- im besten Sinne des Wortes zu Botschaftern des bes- tion Deutschland ihren Platz einnimmt. Wir sind eine seren Deutschlands. Ich nenne für viele Thomas lebendige Demokratie und stellen uns zu Recht im- Mann, Paul Hindemith und Max Beckmann. Die mer wieder dem Vorwurf, daß wir die Kulturnation Werke deutscher Emigranten haben mehr als vieles Deutschland nicht leidenschaftlich genug verteidig- andere die Ästethik des modernen Films bis in un- ten und darstellten. Ich finde, die heutige Debatte ist sere Tage hinein entscheidend geprägt. eine gute Chance, einen Beitrag dazu zu leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie alle haben mit ihren künstlerischen und intel- lektuellen Leistungen wertvolle kulturelle Traditi- Daß es dabei Defizite gibt, daß es in einer Zeit, in der onslinien in Deutschland lebendig erhalten, ja fo rt wir bei den Haushalten einsparen müssen, schwierig -entwickelt. Sie boten den folgenden Generationen ist, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, Orientierungen und Anknüpfungspunkte, nicht zu- ergibt sich von selbst. Das ist übrigens keine spezi- letzt in der kritischen und damit auch schöpferischen fisch deutsche Erfahrung; das beobachten wir gegen- Auseinandersetzung mit unserem Erbe. Daraus ver- wärtig in allen Parlamenten in der Welt. mochte die Auswärtige Kulturpolitik der Bundesre- publik Deutschland Überzeugungskraft und ein gu- Die heutige Debatte setzt keinen Schlußpunkt. tes Stück Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Sie hat Er- Vielmehr soll sie in die Öffentlichkeit ausstrahlen. Es folg gehabt, weil wir nicht versucht haben, propa- geht um das Selbstverständnis der Kulturnation der gandistische Elemente einzubringen. Ich denke, wir Deutschen, um die Frage, was wir waren, was wir sollten solchen Versuchen auch in Zukunft widersa- sind, was wir sein wollen, und natürlich auch darum, gen. wie wir gesehen werden. Um hier überzeugend und erfolgreich zu sein, brauchen wir einen wachen Sinn (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) für geistige Strömungen und kulturelle Entwicklun- gen, für den historischen Standort und für den Bei- Die Wiedervereinigung unseres Landes, die Rück- trag der Kultur der Deutschen zur Menschheit. kehr der Staaten Mittel- und Osteuropas in die Fami- lie der freien Völker, die rasante Globalisierung fast Meine Damen und Herren, daß das jeweils strittig aller Lebensbereiche bringt uns neue Eckdaten. ist, weil die Standorte strittig sind, ist doch normal. Auch mit Blick darauf müssen wir fähig sein, Inhalte Ich kann eigentlich nicht verstehen, wenn gelegent- und sicherlich auch Instrumente unserer Auswärti- lich in der Debatte - das ist eben wieder geschehen - gen Kulturpolitik zu überdenken. versucht wird, ideologische Mauern zu errichten. Die Verfassungsordnung unseres Landes und vor allem Es muß der Satz gelten, daß wir nicht die Lehrmei- die Idee unserer Verfassung stellen auf geistige Of- ster der Welt sind. Es handelt sich dabei um eine fenheit ab. Das wollen wir auch in der Auswärtigen weitverbreitete Stimmungslage, die auch gelegent- Kulturpolitik deutlich machen. lich in diesem Haus zu beobachten ist. Wir können von anderen eine Menge lernen. Ich denke dabei (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht ohne Grund besonders an Asien und Latein- Wir haben schließlich unsere Erfahrungen. Wir ha- amerika, an jene Länder und Staaten, deren erstar- ben die Erfahrung, daß die Kultur für die nationale kendes Identitätsbewußtsein auch eine Erklärung für Identität von allergrößter Bedeutung ist. In den Jah-- zunehmende wirtschaftliche und kulturelle Anzie- ren der Trennung zwischen DDR und Bundesrepu hungskraft bietet. 9684 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl So verstanden, glaube ich, kann die Auswärtige nen würdigen. Sie dienen nach Kräften gerade auch Kulturpolitik dazu beitragen, die europäische Identi- dem geistig-kulturellen Europa. Sie haben in vielen tät - genau das wollen wir doch - zu stärken und den Jahrzehnten Hervorragendes geleistet und zum An- Standort Europa attraktiver zu machen. Wenn wir sehen Deutschlands in der Welt ganz wesentlich bei- den Standort Europa kulturell attraktiver machen, getragen. Ich will die Mitarbeiter hier ausdrücklich dienen wir in unser aller Interesse immer auch dem rühmend erwähnen und ihnen danken: in den Mitt- Standort Deutschland. lerorganisationen, im Goethe-Institut, im Deutschen Akademischen Austauschdienst, in der Alexander- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) von-Humboldt-Stiftung und in der Deutschen For- Es ist nicht der Anlaß, eine Föderalismusdebatte zu schungsgemeinschaft. führen. Aber wir müssen uns bei vollem Respekt vor Wenn ich das so sage, dann schließt das nicht aus, unserer Verfassung darüber im klaren sein: Das ist daß der eine oder andere - ich schließe mich aus- eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und drücklich ein - bei diesem und jenem auch Grund Gemeinden. Wer glaubt, daß wir uns hier angesichts zur Kritik hat. der nationalen Dimension sozusagen in kleine Par- zellen zurückziehen könnten, der täuscht sich. (Ina Albowitz [F.D.P.]: Natürlich!) Ohne eine kulturelle Dimension wird das europäi- Wer aber Auswärtige Kulturpolitik als ein Feld be- sche Einigungswerk unvollständig sein. Ich finde es trachtet, in dem keine Kritik mehr geübt werden bemerkenswert, daß Jean Monnet, einer der Väter kann, der versteht nichts von der Sache. Europas, am Ende seiner Tage gesagt hat, wenn er (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) heute noch einmal Europas Aufbau zu beginnen hätte, würde er mit der Kultur beginnen. Wir bieten das volle Bild in seiner ganzen Buntheit. Dann haben wir auch zu gewärtigen, daß diese Bunt- Die geistig-kulturelle Einheit Europas war in ihrer heit nicht jedermann, auch mir nicht, zu jedem Zeit- Vielgestaltigkeit schon einmal über lange Zeiträume punkt gefällt. Realität. Wenn wir der kulturellen Dimension Euro- pas Gestaltung und Gewicht geben wollen, so ist das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. kein Wunschtraum, sondern es ist im besten Sinne sowie bei Abgeordneten der SPD, des des Wortes europäisches Erbe. Es ist das Erbe vom BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Christentum, von Humanismus und Aufklärung, das PDS) Erbe der gotischen Kathedralen, der italienischen Baumeister, das Erbe von Figuren wie Odysseus und Wer das nicht erträgt, der hat ein Verständnis von Faust, die die Literatur des Kontinents beschäftigten. Auswärtiger Kulturpolitik, das nicht zur Sache paßt. Picassos „Guernica" ist ein europäisches Werk. Und Zu den vielfältigen Aufgaben der Mittler gehört es ist ja kein Zufall, daß die 9. Symphonie Beetho- die Vermittlung eines Deutschlandbilds, das der vens Europahymne geworden ist. Wirklichkeit entspricht. Darüber zu streiten ist natür- Es war gut und es war richtig, daß im Maastrichter lich leicht möglich. Zu dieser Wirklichkeit gehört die Vertrag - ich denke, wir dürfen mit Stolz sagen, daß historische Dimension. Die historische Dimension die Bundesregierung dazu einen ganz wesentlichen der Deutschen hat düstere und beschämende Seiten, Beitrag geleistet hat - der sogenannte Kulturartikel aber sie umfaßt eben auch die demokratische und verankert wurde. Er ist zu Recht so ausgestaltet, daß die freiheitliche Tradition, die die Wirklichkeit des die traditionellen Träger und Verantwortlichen der heutigen Deutschlands und ganz gewiß vor allem Kulturpolitik, die einzelnen Mitgliedstaaten, Länder, seine Zukunft bestimmen. Manchmal habe ich den Regionen und Gemeinden, entsprechend dem wohl- Eindruck - auch das sage ich gerne einmal selbstkri- verstandenen Subsidiaritätsprinzip gestaltende Kraft tisch -, als verfügten unsere Partner, oft auch unsere sind und bleiben. Freunde in der Welt über eine klarere Vorstellung von Deutschland heute als wir selbst. Ich wünsche mir sehr, daß sich alle der zentralen Aufgabe europäischer Kulturpolitik verpflichtet füh- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge len, nämlich - wie es im Text heißt -, der „Verbesse- ordneten der F.D.P. und des Abg. Gerhard rung der Kenntnis und Verbreitung der Kultur und Zwerenz [PDS]) Geschichte der europäischen Völker". So formuliert Ich habe bei zahlreichen Begegnungen mit ausländi- es der Vertrag. schen Gesprächspartnern immer wieder erfahren, Das Europa der Bürger, von dem so oft gesprochen daß sie entsprechende Angebote unsererseits erwar- wird, wird es mit Sicherheit nicht geben, wenn man ten, also die Präsentation der verschiedensten - nicht den Bau dieses Hauses Europa den Regierungen und nur einer - Epochen unserer Geschichte. den staatlichen Instanzen allein überläßt; denn es Die deutsche Kulturgeschichte ist wahrhaft reich muß ein Europa für Bürger von Bürgern sein. Hierbei an guten Beispielen, die ein umfassendes Bild geben. ist die kulturelle Dimension von entscheidender Be- Die Vermittlung unseres kulturellen Erbes eröffnet, deutung. so glaube ich, die historische Tiefenschärfe, aus der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sich das heutige Deutschland verstehen läßt. Ein Land, das in diesem Jahrhundert zwei Weltkriege, Meine Damen und Herren, in dieser Stunde ist es die gigantischen Umbrüche, die Teilung erlebt hat, keine Pflichtübung, daß wir die Arbeit der Mitarbei-- muß in seinen Tiefen vielschichtig sein. Sie ist schon terinnen und Mitarbeiter in den Mittlerorganisatio für viele im eigenen Land schwer verständlich. Und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9685

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl dann stellen Sie sich die Frage: Wie stellt sich das können wir mit dieser Entwicklung nicht zufrieden dann für den Betrachter von draußen dar? Die Auf- sein. gabe der Mittlerorganisationen ist deswegen beson- ders wichtig, und sie ist noch gewachsen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS Die verfügbaren Mittel - das ist wahr - sind be- SES 90/DIE GRÜNEN) grenzt. Die Sparzwänge führen dazu, daß beispiels- weise das Goethe-Institut auf Standorte verzichten (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. ) mußte. Ich weiß auch - das soll nicht unterdrückt Vieles hat mit der dramatischen Umbruchsituation werden -, daß das Goethe-Institut seit der Wiederver- in der Welt, dem Ende des Kalten Krieges, dem Ende einigung 15 neue Zweigstellen hat eröffnen können des kommunistischen Imperiums und der größeren und mit Weimar und Dresden neue, dringend not- Freiheit für viele Völker, zu tun. Viele unserer Nach- wendige Inlandsinstitute hinzugekommen sind. barn in Europa, aber noch mehr außerhalb Europas Die derzeitige Situation, der Geldmangel, hat große haben den Wunsch, sich mit der deutschen Sprache Nachteile; das ist unbestreitbar. Aber vielleicht kann auch Inhalte zu erschließen. Das hat in vielen Fällen er auch einen guten Zwang zu mehr Innovationsbe- - das ist doch wahrlich nichts Schlechtes - auch et- reitschaft und administrativer Phantasie ausüben. was mit wirtschaftlichen Vorteilen zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die Europäische Union von heute und noch mehr die von morgen wird sicherlich eine Anzahl von rund Gerade die mit Recht auf ihre Unabhängigkeit stol- 100 Millionen Menschen aufweisen, die Deutsch als zen Mittlerorganisationen können einmal überprü- Muttersprache sprechen. Es ist doch ganz natürlich, fen, wo sie selbst Zeichen setzen können. Manches daß viele auch in der Nachbarschaft fragen: Dieses Mal habe ich den Eindruck, daß nicht nur in der Poli- Deutschland hat einen wichtigen Auftrag und spielt tik, sondern auch in diesem speziellen Bereich Koor- eine wichtige Rolle in der EU. Ist es nicht gut, diese dinierung und Abstimmung der Aktivitäten verbes- Sprache zu erlernen? Das hat nichts mit Konkurrenz- serungsfähig sind und daß die Frage des Prestiges in denken zu tun. diesem Feld der Politik eine mindestens genauso große Rolle wie in anderen Feldern der Politik spielt. Wer sich einen Rest von Vernunft bewahrt hat, weiß, daß wir weder mit dem Englischen noch mit Die Debatte hier sollte dazu führen - dazu möchte dem Französischen, noch mit dem Spanischen welt- ich auch die Kollegen im zuständigen Ausschuß ein- weit konkurrieren können. laden -, daß wir neue Überlegungen anstellen und vielleicht auch ein Stück Erneuerung ermöglichen. Aber wir können mehr tun als bisher. Wir müssen sicherlich überlegen, wie wir das be- (Freimut Duve [SPD]: Qualität statt Quantität!) stehende System straffen, wie wir die Kräfte bündeln können. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich - Aber das ist doch kein Gegensatz! Wenn Sie beziehe die Regierung und ihre Ressorts ausdrück- Deutsch lernen, können Sie das mit Qualität tun, und lich ein. wenn Sie es gut beherrschen, können Sie vielleicht sagen, das ist Quantität. Es ist schon sehr schwer - Meine Damen und Herren, ich bin nicht und war das geht in den Bereich der Philosophie -, darüber zu nie der Meinung, daß die Auswärtige Kulturpolitik streiten. Aber das ist eigentlich gar nicht unser eine schöngeistige Arabeske der Außenpolitik ist, so- Punkt. Ich finde, es ist eine gute Sache, wenn wir ge- zusagen ein Luxus. Sie war immer ein ganz zentraler genwärtig - Herr Kinkel, ich hoffe, ich habe die Zahl Pfeiler unserer Außenpolitik, deren Fundament Ver- richtig im Kopf - Anforderungen für 900 Lehrkräfte trauenswürdigkeit, Berechenbarkeit, Fähigkeit zur auf dem Tisch haben. Partnerschaft und zum Dialog sind. Deswegen dür- fen bei allen Sparzwängen die Kernaufgaben der Wenn ich sehe, wieviel Geld wir in vielen Berei- Auswärtigen Kulturpolitik nicht vernachlässigt wer- chen aufbringen, müßte es doch mit einer neuen den. Prioritätensetzung bei Bund und Ländern - die Län- der müssen aus vielen Gründen, auch aus Gründen Hierzu zählen für uns - ich denke, für uns alle hier der Verfassung, dabeisein - möglich sein, zu einer im Saal - vor allem die Vermittlung und Pflege der Verbesserung der jetzigen Lage zu kommen. deutschen Sprache. Darüber besteht glücklicher- weise breiter Konsens. Die entsprechenden Wünsche (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haben weltweit erheblich zugenommen. Wir alle wis- Denn die Sprachvermittlung - wenigstens das wird sen, wie hoch die Erwartungen gerade unserer östli- doch unbestritten sein - schließt stets auch die Ver- chen Nachbarn sind. Wir würden sie sehr enttäu- mittlung von Inhalten ein. Das kann doch nur in un- schen, wenn wir ihrem Wunsch nach mehr Sprach- serem gemeinsamen Interesse liegen. vermittlung nicht nachkämen. Bund und Länder ha- ben diesem Wunsch mit gemeinsamen Programmen Das Ineinandergreifen beider Elemente wird im zur Entsendung von Lehrkräften entsprochen. Zur Bereich der neuen Medien besonders deutlich. Sie Zeit entsendet der Bund 355 und die Länder sind daher für unsere Auswärtige Kulturpolitik von 197 Lehrkräfte. Ich will die Leistung des Bundes und eminenter Bedeutung. Diese steht wegen der wach- auch die der Länder wahrlich nicht geringschätzen. senden und weltumspannenden Computernetze und Aber wenn wir auf der einen Seite die Chancen und der zahllosen Satellitenprogramme unter einem sich auf der anderen Seite das, was wir uns leisten kön-- noch steigernden Wettbewerbsdruck. Die Interessen- nen, vielleicht auch leisten wollen, genau betrachten, ten können immer mehr auswählen. Das erfordert 9686 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl neue Formen von Schwerpunkten in der Präsenta- sehen werden. Dies gilt übrigens ebenso für Teile der tion. Wirtschaft wie auch für unsere Gymnasien.

Vor einigen Jahren hatten wir eine Idee, die zu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nächst auf Kritik stieß. Aber inzwischen ist sie Wirk- lichkeit geworden: das europäische Kulturpro- Dies zeigt ein Maß an Kurzsichtigkeit in vielen Insti- gramm Arte, das damals von François Mitterrand tutionen. Das ist nicht nur beklagenswert, sondern und mir initiiert wurde. auf Dauer sogar gefährlich.

(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Es hat eine beachtliche Entwicklung genommen. Es sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- wird natürlich nie ein Programm sein, das mit all den SES 90/DIE GRÜNEN) Programmen großer Fernsehstationen konkurrieren kann. Aber es ist deutlich spürbar, daß von diesem Für diese Entwicklung gibt es viele Gründe, unter Programm eine große Wirkung ausgeht. Mit ihm anderem den, daß ein gigantischer bürokratischer wird in der täglichen Praxis bewiesen, daß - unge- Apparat aufgebaut worden ist. Es ist eigentlich be- achtet aller unterschiedlichen Traditionen und Pa rt scheiden, wenn man hier sagt: Wir wollen die Ver- -ner - Gemeinsamkeit im Dienste der europäischen hältnisse des Jahres 1910 wiederherstellen. Damals Kulturpolitik möglich ist. Was mich besonders er- konnte ein Student aus Bonn ohne jede Schwierig- freut, ist - das ist für mich ein gutes Zeichen -, daß keit an der Sorbonne oder in Oxford studieren und, nicht nur die Zuschauerzahlen steigen, sondern daß wenn er das nötige Kleingeld hatte, auch noch nach eine ganze Reihe von Sendern außerhalb der beiden Harvard gehen. Niemand kam auf den Gedanken, Gründerstaaten mit Arte kooperieren und daß die die Zertifikate des anderen Landes nicht anzuerken- Wirkung dieses Programms zunehmend auch im Be- nen. - Es haben sich Entwicklungen ergeben, die reich von Mittel- und Osteuropa spürbar wird. Wenn junge Leute davon abhalten, diesen Weg zu gehen. wir diese Gelegenheit nutzen und aufhören, von Das sollten wir ändern. Polen als Teil Osteuropas zu reden, wären wir schon (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ein ganz entscheidendes Stück weitergekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Mich beunruhigt in diesem Zusammenhang insbe- sowie bei Abgeordneten der SPD) sondere das sinkende Interesse junger Amerikaner, in Deutschland zu studieren, aber auch das junger Meine Damen und Herren, wir sind uns - das zeigt Deutscher, in Amerika zu studieren. Wir haben in auch die heutige Debatte - im klaren, daß die Aus- diesem Bereich schon einiges unternommen. So gibt wärtige Kulturpolitik und der Zustand des künstleri- es zum Beispiel das Programm der Bundeskanzler- schen und geistigen Lebens in Deutschland untrenn- stipendiaten der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, bar miteinander verbunden sind. Ich wi ll ausdrück- das Fulbright-Programm, das gemeinsam mit Bill lich das unterstreichen, was Klaus Kinkel eben zum Clinton ins Leben gerufene Deutsch-Amerikanische Thema Wissenschaft, Hochschule und Bildungswe- Akademische Konzil. Alle diese Initiativen stehen sen gesagt hat. Daß die deutschen Hochschulen an und fallen damit, ob wir etwas zu bieten haben, ob Attraktivität für ausländische Wissenschaftler und wir ausländische Studenten ansprechen, ob sie den Studenten verlieren, ist ein schwerwiegender Vor- Eindruck haben: Es ist gut, ein oder zwei Jahre in gang, der viele Gründe hat. - Ich bin ganz entschie- Deutschland zu studieren. - Und das hat viel mit dem den der Auffassung, daß das, was Jürgen Rüttgers Klima in unserem Land zu tun. und Klaus Kinkel in diesem Zusammenhang unter- nehmen, noch weiter verstärkt werden muß. Ich hoffe, das findet Ihrer aller Unterstützung. - Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Bundes- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abge- ordneten Altmann? Das berührt ganz unmittelbar die Wettbewerbsfähig- keit Deutschlands als Studienstandort, hat aber auch Auswirkungen auf den Wi rtschaftsstando rt Deutsch- Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Ja, bitte. land. Ein so stark exportabhängiges Land wie die Bundesrepublik kann sich auf gar keinem Feld - auf diesem schon gar nicht - Provinzialismus leisten. Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Herr Bundeskanzler, zum gerade von (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Ihnen angesprochenen Problem der mangelnden sowie bei Abgeordneten der SPD) Studierwilligkeit in Deutschland bzw. - umgekehrt - Meine Damen und Herren, wer genau hinschaut - im Ausland: Auf unsere Anfrage haben Sie geant- ich vergleiche meine eigene Studentenzeit in den wortet, daß daran die Überfüllung deutscher Hoch- 50er Jahren an den Universitäten Heidelberg und schulen, Desorientierung in nicht strukturierten Stu- Frankfurt mit den jetzigen Entwicklungen; das wird diengängen, überlange Studienzeiten und man- Ihnen ähnlich gehen -, der muß zugeben, daß diese gelnde Betreuung schuld sind. Sie haben weiter an- Frage von weitergehender Bedeutung ist. Es hat sich gegeben, daß es Äquivalenzprobleme gibt, daß Ab- die Entwicklung vollzogen, daß Auslandsaufenthalte schlüsse hier im Ausland oft unbekannt sind und während des Studiums nicht automatisch mit einem- falsch eingestuft werden. Weiter haben Sie in der Bonus, sondern in vielen Fällen mit einem Malus ver Antwort auf die Anfrage ausgeführt: Die ausländer- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9687

Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) rechtlichen Regelungen werden oft als langwierig, Meine Damen und Herren, wie diese kurze De- bürokratisch und hinderlich empfunden. batte gezeigt hat, empfinden wir ungeachtet unseres parteipolitischen Standorts die bestehende Situation (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist als unbefriedigend. Ich halte es aber nicht für gut es!) und habe deswegen kein Interesse daran - in weni- Ferner: Eine im Ausland vermutete ausländerfeindli- gen Stunden habe ich den großen Vorzug, mit den che Atmosphäre in Deutschland trägt nicht zur Stei- deutschen Ministerpräsidenten zusammentreffen zu gerung der Attraktivität der deutschen Hochschulen dürfen -, bei. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! - Jetzt frage ich Sie: Meinen Sie nicht, daß es Auf- Dr. [F.D.P.]: Das ist aber gabe der Politik, insbesondere der Bundespolitik, ist, nicht vergnügungssteuerpflichtig!) dem entgegenzuwirken? Hätten Sie dem nicht in den letzten 12 Jahren massiv entgegenwirken können? daß wir uns hier jetzt in Schlachtordnung aufstellen: hie Bundespolitik, da Landespolitik. (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) (Freimut Duve [SPD]: Aber die Mitarbeiter könnten wenigstens hiersein!) Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Warum soll die Kollegin diese Frage nicht stellen dürfen? Es erleich- - Das müßten Sie dann bitte denen sagen. Es steht tert ihr das Leben und uns das Beisammensein in die- mir nicht zu, diese Mängelrüge auszusprechen. sem Saal. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der Ich habe keine Einwände dagegen, daß Sie diese F.D.P.) Fragen stellen; ich greife sie gerne auf: Ich kann nachweisen, daß ich mich - mehr als viele andere in Sie haben ja einen amtierenden Fraktionsvorsitzen- der deutschen Politik - um jeden einzelnen dieser den; der ist voller Tatendrang. Vielleicht macht er Punkte bemüht habe. das, vielleicht sogar mit einem gewissen Erfolg. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich meine, wir sollten uns schon gemeinsam um dieses Thema bemühen. Es ist ja nicht irgendein Es gibt niemanden unter meinen Kollegen der Thema, es ist das Thema der Zukunft für unser Land Staats- und Regierungschefs der Europäischen im 21. Jahrhundert. Union, der sich mehr darum gekümmert hat, der mehr dafür eingetreten ist und, wenn Sie wollen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mehr dafür gekämpft hat, mit Blick auf die Studenten Ich möchte es einmal so sagen, wie ich es vor ein in Europa die Grenzen zu öffnen - nicht nur durch paar Tagen in einem Vortrag gesagt habe: Für mich das Beiseiteräumen von Schlagbäumen, sondern wäre es eine wirklich glückliche Entwicklung, wenn auch durch die Beseitigung von bürokratischen wir in etwa zehn Jahren in jedem Lehrerkollegium Hemmnissen -, um so beim einfacheren Zugang zu eines deutschen Gymnasiums ein oder zwei Lehr- Zertifikaten hilfreich zu sein. kräfte hätten, die einige Jahre an Auslandsschulen Ich muß Ihnen allerdings ganz offen sagen: Wir sto- verbracht haben. ßen bei unseren ausländischen Gesprächspartnern (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) auch hin und wieder auf Unverständnis, weil wir un- sere Probleme selbst nicht richtig lösen. Die sich daraus ergebende positive Wirkung an den Schulen brauche ich Ihnen nicht zu beschreiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. [F.D.P.]) Im Sinne dieser Anregung schlage ich vor - ich bin Sechs Jahre nach dem Tag der deutschen Einheit ha- gerne bereit, mit dabeizusein -, daß wir im zuständi- ben wir noch immer keine Einigung darüber erzielt, gen Ausschuß eine neue Gesprächsrunde eröffnen, ob es acht oder neun Jahre dauern soll, um am Gym- daß wir auf dieser Ebene mit der Kultusministerkon- nasium den Abschluß zu erreichen. ferenz ein neues Gespräch eröffnen, als Bundesregie- rung und über die parlamentarischen Institutionen. (Ina Albowitz [F.D.P.]: Wohl wahr!) Denn all das, was wir hier tun können, ist ein Stück Sicherung deutscher Zukunft. Das können Sie dem französischen, britischen, nie- derländischen und amerikanischen Kollegen schwer Meine Damen und Herren, kultureller Austausch klarmachen. ist Bedingung der deutschen Kulturnation. Die Aus- wärtige Kulturpolitik kann nur so lebendig und an- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ziehend sein wie das geistig kulturelle Leben in un- Ich gebe Ihnen als Bundeskanzler - auch als Vor- serem Land, dessen Kennzeichen Vielfalt ist. Wir sitzender meiner Partei - gerne zu, daß bei allem Ein- wollen keinen Kulturzentralismus. Aber wir stehen satz die Erfolge in diesem Bereich relativ gering sind. zu der gemeinsamen Verantwortung für unser Land, Aber da auch Sie in der Landespolitik nun Verant- und das heißt immer auch Verantwortung für das wortung übernommen haben, könnten Sie einen Bild Deutschlands in der Welt. wichtigen Beitrag auf diesem Felde leisten. Das wäre mir durchaus sympathisch. Ich sage noch einmal: Es ist eine gemeinsame Auf- gabe. Ich mache Ihnen für die Bundesregierung gern (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) erneut das Angebot, daß wir - ungeachtet unserer 9688 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl vielen anderen Gegensätze - auf diesem wichtigen ihrer Bildungs- und Hochschulpolitik Auswärtige Feld zusammenarbeiten. Kulturpolitik genauso betreiben wie die Kommunen mit ihren vielen Städtepartnerschaften im Ausland. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Abstimmung, Koordination, Schwerpunktsetzung, Beifall bei der F.D.P.) Ideenwettbewerb sind heute angesagt. Ein Rat für Auswärtige Kulturpolitik könnte hierbei segensreich Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat wirken. Lassen Sie uns, meine Kolleginnen und Kol- jetzt der Abgeordnete Siegfried Vergin. legen, darüber im Ausschuß weiter Gedanken aus- tauschen. Siegfried Vergin (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kultur lebt von der Unabhängigkeit, den Möglich- Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht der Bundes- keiten der Entfaltung und Kreativität - abseits staat- regierung zur Auswärtigen Kulturpolitik ist Grund- licher Selbstdarstellung. Wir begrüßen das kollegiale lage - so würde ich nach dem Verlauf der jetzigen Miteinander. Wir befürworten den Einsatz neuer Debatte sagen - für eine weitere, fruchtbare Debatte Technologien auch in der Auswärtigen Kulturpolitik. im zuständigen Unterausschuß. Aber wir warnen ausdrücklich vor jeder Form der Im jetzt vorgelegten schriftlichen Bericht der Bun- Vereinnahmung. Kultur vermitteln, die Menschen in desregierung vermisse ich aber eine Benennung anderen Staaten dadurch zum Kennenlernen und noch bestehender Probleme und Fragestellungen, zum Dialog ermutigen, das ist unser gemeinsames die sich aus der Auflösung des sogenannten Ost- Anliegen. blocks ergeben. Ich will dies an einem Beispiel be- (Beifall bei der SPD) schreiben: Auf Grund der vielfältigen Kontakte der ehemaligen DDR zu Ländern und Völkern in der Im Unterausschuß für Auswärtige Kulturpolitik arabischen Welt wurden in den 70er und 80er Jahren versuchen wir parteiübergreifend, eine Rückbesin- sehr viele Palästinenser - natürlich auch Libyer, Sy- nung auf die immer noch gültigen Beschlüsse von rer und Libanesen - vor O rt , aber auch in der DDR 1975 zu formulieren. Hierbei setzt die SPD-Fraktion selber ausgebildet. Sie erlernten die deutsche Spra- auf Dialog, damit unser gemeinsames Interesse an ei- che und lernten die Kultur Deutschlands schätzen. ner lebendigen, zukunftsorientierten Auswärtigen Kulturpolitik nicht dem parteipolitischen Strategie- Auf Grund dieser Entwicklung und der vielfältigen denken zum Opfer fällt. Wir fordern die Bundesregie- Förderungen im Rahmen von sogenannten Freund- rung deshalb eindringlich auf, das im September be- schaftsverträgen und der vielen palästinensisch- absichtigte Symposium, das auf die Zustimmung des deutschen Ehen sind Kenntnisse der deutschen Kul- Herrn Ministers Kinkel gestoßen ist, als kritisches tur und Sprache in der Nahostregion heute vorzufin- Forum auch für die eigene Politik zu betrachten. den. Es ist deshalb nicht ausreichend, Herr Bundes- minister, es den Ländern Baden-Württemberg und Es geht bei der Debatte um den Bericht der Bun- Nordrhein-Westfalen zu überlassen, mit kleinen Kul- desregierung ganz konkret auch um die für Förde- tureinrichtungen zu helfen. rung zur Verfügung stehenden Mittel. Angesichts knapper Kassen verschließen wir nicht die Augen Jassir Arafat hat mir bei meinem Besuch in Ramal- vor der Notwendigkeit, die Vergabe von Mitteln auf lah die Frage gestellt, warum die Bundesrepublik Effektivität und Erfordernis zu überprüfen. Wir be- nicht deutlich sichtbar mit einem Goethe-Institut in grüßen generell, daß der Kulturetat des Auswärtigen Erscheinung treten will. Amtes in 1996 gegenüber 1995 um 20 Millionen DM (Beifall bei der SPD) auf 1,19 Milliarden DM aufgestockt wurde. Ich be- danke mich ausdrücklich bei den Haushältern für die Auch mehrere deutschsprachige Abgeordnete des Leistung, die sie damit vollbracht haben. palästinensischen Autonomieparlaments haben mir ihr Bedauern darüber ausgedrückt, daß Frankreich (Beifall bei der SPD) und Großbritannien die Nase in ihrer Region vorn ha- Wir kritisieren aber, daß trotz der Zuständigkeit ben. Zu unserer Zielsetzung, den Friedensprozeß im des Auswärtigen Amtes für die Auswärtige Kulturpo- Nahen Osten zu fördern, gehört auch, diese vorhan- litik nur zirka ein Drittel der Mittel über den Haus- denen Kontakte zu nutzen und durch die Auswärtige halt des Auswärtigen Amtes laufen. Da die Bundes- Kulturpolitik einen vertiefenden Beitrag zur Verstän- minister Kulturpolitik offensichtlich in die eigene digung zu leisten. Selbstdarstellung einbinden, betreiben unter ande- (Beifall bei der SPD) rem auch das Verteidigungsministerium, das Wirt rium und der Bundesminister des Inne--schaftsministe Dieses Beispiel zeigt, daß die Entscheidungen über ren Kulturpolitik und Kulturförderung im Ausland. die Schwerpunktsetzungen nicht einfacher gewor- den sind und daß die Bundesregierung gut beraten (Freimut Duve [SPD]: Hört! Hört!) ist, ihre Entscheidungen auf eine breitere Basis zu Da ich persönlich den Glauben an eine Änderung stellen. des jetzigen Finanzierungszustandes durch die Bun- Warum sollte dies nicht ein Rat für Auswärtige desregierung verloren habe, unterstütze ich die Be- Kulturpolitik in Parallelität zum Wissenschaftsrat mühungen der Berichterstatter des Haushaltsaus- sein? Die Erwähnung von Baden-Württemberg und schusses, eine größere Effektivität der im Haushalt Nordrhein-Westfalen zeigt deutlich, daß, wie es eingestellten Mittel zu erreichen. Meine Kolleginnen heute wieder mehrfach betont wurde, die Länder mit und Kollegen, ich möchte Sie ermuntern, sich nicht Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9689

Siegfried Vergin zu scheuen, die innere Begründetheit mancher Haus- dungsprozessen erhalten. - Frau Kollegin Albowitz, haltsanforderungen für manches Ministerium zu be- Sie haben schon darauf hingewiesen. zweifeln und sie dem Auswärtigen Amt zurückzufüh- ren. In einigen Jahren werden europäische Schulen - natürlich nicht in der Form, in der sie heute für die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne privilegierten Mitarbeiter der europäischen Einrich- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRUNEN) tungen erstellt worden sind - in unseren Großstädten keine Ausnahme mehr sein. Sie dürfen es auch nicht Wir stimmen mit der Bundesregierung darin über- sein. Das Berliner Beispiel wird Schule machen. Ein ein, daß „die Auslandsschulen" - wie es in dem Be- Ring europäischer Schulen wird die Bundesrepublik richt der Bundesregierung steht - „zentrale Instru- durchziehen. mente der Auswärtigen Kulturpolitik sind" . Entspre- chend dieser Gewichtung war der Schulfunk am Kul- Das „Europäische Geschichtsbuch" - das ich mit- turhaushalt des Auswärtigen Amtes mit 366 Millionen gebracht habe, damit man auch daran glaubt, daß es DM beteiligt, wobei mit 282 Millionen DM der seit dem Jahre 1992 so etwas gibt - wird helfen, zu Kostenanteil für die Lehrerentsendung am höchsten lernen, wo unsere Gemeinsamkeiten liegen, worin ist. Wir begrüßen diese Gewichtung, machen aber die europäische Vielfalt besteht. Beides anzuerken- darauf aufmerksam, daß dieses zentrale Instrument nen führt zum Abbau von Vorurteilen. nur dann weiter erfolgreich sein kann, wenn die Zahl (Beifall bei der SPD) der entsandten Lehrkräfte nicht weiter ausgedünnt wird. Moderne Auswärtige Kulturpolitik wirkt heute im- mer auch in das Innere der Nation hinein. Dies zu be- Über die Präsenz der Schulen in der Welt sollten greifen fällt manchem schwer, es zu akzeptieren wir im Ausschuß noch einmal sehr genau sprechen. noch mehr. Doch sei es drum; so ist das nun einmal. Mir fällt besonders auf, daß der afrikanische und asiatische Raum sowie der Nahe Osten vernachläs- Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und sigt werden. Die Bundesregierung beschränkt sich in Kollegen, zum Abschluß gilt mein Dank allen Mitar- ihrem Bericht überhaupt auf sehr allgemeine Ausfüh- beiterinnen und Mitarbeitern, die in der gesamten rungen und vernachlässigt dabei aktuelle, nicht im- Welt im Rahmen der Auswärtigen Kulturpolitik für mer zufriedenstellende Entwicklungen. Ich nenne die Bundesrepublik Deutschland tätig sind. Was sie nur drei: als einzelne Personen in ihre Arbeit einbringen, ver- dient unser aller Achtung und Respekt und den So sind - erstens - im Auswärtigen Amt Befürch- Dank von uns allen. tungen von Lehrern speziell aus den USA bekannt, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) daß an den Schulen generell der Wunsch zum Erler- nen der deutschen Sprache rückläufig ist. Zweitens Namens der SPD-Fraktion erkläre ich, daß wir den gehen - das wurde heute hier schon des öfteren er- Überweisungen so, wie sie vorgeschlagen sind, zu- wähnt - die Wünsche nach Stipendien zum Studium stimmen und daß wir den Entschließungsantrag zur an den deutschen Universitäten zurück. Im Bereich Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Alt- der EU stellen wir - drittens - fest, daß das Interesse mann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an der deutschen Sprache und Kultur stagniert. zu den Aktivitäten und Zielen der Bundesregierung in der Auswärtigen Kulturpolitik und zur Nutzung Stellen sich diese Punkte auf den ersten Blick sehr der Potentiale für Demokratisierung und f riedliche verschieden dar, so lassen sich bei näherer Betrach- Konfliktbewältigung unterstützen werden. Ich be- tung doch verblüffende Gemeinsamkeiten feststel- dauere außerordentlich, Herr Bundeskanzler, daß Sie len. Ein wesentlicher Faktor für das Interesse an ei- auf dieses Problemfeld nicht eingegangen sind. nem fremden Land, an dessen Sprache und Kultur ist die Lebendigkeit in der Darstellung und Vermittlung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Hierbei geht es nicht allein um den Einsatz neuer ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Medien, sondern um die Angleichung an politische Rahmenbedingungen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt der Abgeordnete Gerd Poppe. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel kurz erläu- tern: Durch den Prozeß der europäischen Integra- tion in den letzten Jahrzehnten verwischen die ur- Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau sprünglichen Landesgrenzen. Seit den 50er Jahren Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn die boomt der Schüleraustausch. Die Perspektive für Auswärtige Kulturpolitik erfolgreich sein soll, dann Europa liegt eindeutig im Miteinander, im Zusam- müssen unsere gemeinsamen Werte in jeder Hinsicht menwachsen auch zwischen Ost und West. Somit glaubhaft vermittelt werden. Der Bundeskanzler hat wird auch der Bereich der Bildung immer mehr ein von Gemeinsamkeit gesprochen, und in vielen Fra- gesamteuropäischer. Anstrengungen nicht nur der gen, die er und auch der Außenminister angespro- nationalen Institutionen, sondern auch der europäi- chen haben, teilen wir diese Auffassung. Aber wir schen Gremien, der UNESCO und anderer Organisa- meinen, daß die deutsche Politik diese Werte jeder- tionen sind spürbar, aber auch notwendig. Nicht zeit nicht nur respektieren, sondern sie auch selbst mehr der nationalstaatlichen Schule wird die Zu- verkörpern muß. Das heißt nicht nur: die demokrati- kunft gehören; Auswärtige Kulturpolitik in Europa- sche Ordnung zu bewahren und die Menschenrechte wird immer mehr Geltung in innerstaatlichen Bil- zu achten. Das heißt ebenfalls: andere Völker in 9690 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Gerd Poppe ihrem Wunsch nach Durchsetzung von Demokratie gaben herauszuheben. Wir können nicht gleichzeitig und Menschenrechten zu unterstützen. zusehen, wie die Kultur eines anderen Volkes syste- matisch zerstört wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das verpflichtet uns. Ich kann diese Aufgabe nicht von den vielfältigen anderen Aufgaben Auswärtiger Die chinesische Führung hat ihr Mißfallen auf die Kulturpolitik trennen, anderen Völkern dabei behilf- uns altbekannte Weise zum Ausdruck gebracht, und lich zu sein, ihre eigene Kultur und ihre eigenen Tra- der deutsche Außenminister hat nachgegeben. Das ditionen zu bewahren. stellt die eigenen schönen Worte in Frage und des- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) avouiert die Grundlagen der erklärten deutschen Menschenrechts- und Kulturpolitik. Was in diesem Dabei müssen sicherlich Kompromisse eingegan- Fall geschehen ist, und zwar nicht zum erstenmal, ist gen werden, wenn man erfolgreich sein will. Aber der Kotau des Außenministers vor einem diktatori- das kann nicht heißen, daß das allzu bereitwillige schen Regime. Einlenken, der faule Kompromiß, der Opportunismus gegenüber undemokratischen Regimen, die die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschenrechte verletzen, hingenommen werden sowie bei Abgeordneten der SPD) können. Ein solches Vorgehen ist das Gegenteil ei- Dieses Regime hat sich dafür bedankt, indem es nes klugen Kompromisses und gefährdet oftmals entgegen seiner ursprünglichen Absicht den Bundes- auch das bereits Erreichte. außenminister nun doch nach Peking eingeladen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hat. Unsere Fraktion hat heute einen Entschließungs- (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Das ist antrag vorgelegt, der auf aktuelle Fragen der China- eine Lüge! Damit Sie das wissen! - Wolf politik Bezug nimmt. Da nun alle Fraktionen gemein- gang Zöller [CDU/CSU]: Nehmen Sie es sam einen Antrag zur Situation in Tibet eingebracht gleich zurück, Herr Poppe, wenn Sie was haben und eine entsprechende Debatte bevorsteht, Unwahres sagen!) möchte ich dieser Debatte nicht vorgreifen. Ich will aber ein Beispiel erwähnen. Die chinesischen Macht- Gleichzeitig hat es die Delegation des Unteraus- haber haben nach eigenem Ermessen einen neuen schusses Menschenrechte ausdrücklich ausgeladen, Pantschen-Lama, den nach dem Dalai-Lama nächst- weil diese Delegation nicht bereit ist, auf das Reise- höchsten Vertreter der buddhistischen Religion in Ti- ziel Tibet zu verzichten, und weil diese Abgeordne- bet, eingesetzt. - Die „Süddeutsche Zeitung" bemüht ten des Deutschen Bundestages nicht bereit sind, einen ironischen Vergleich: Man stelle sich vor, Fidel von dem vorhin genannten interfraktionellen Antrag Castro würde den nächsten Papst ernennen. - Abstand zu nehmen. (Heiterkeit) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Pekinger Kommunisten haben damit die religiö- sen Gefühle der Tibeter auf unerträgliche Weise ver- Ich meine, das ist eine Brüskierung des Deutschen letzt und haben eine weitere Eskalationsstufe bei der Bundestages, die nicht hingenommen werden darf. systematischen Zerstörung der tibetanischen Kultur betreten. Zugleich haben sie dem Dalai-Lama einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kampf auf Leben und Tod angekündigt und bedro- sowie bei Abgeordneten der SPD) hen inzwischen selbst diejenigen mit Repressionen, Ich will ganz ausdrücklich das Engagement der die in tibetischen Klöstern Bilder des Dalai-Lama auf- Friedrich - Naumann - Stiftung als Veranstalter der ge- hängen. nannten Konferenz hervorheben, auch das Engage- Während die Pekinger Führung auf solch skanda- ment von Abgeordneten der dieser Stiftung naheste- löse Weise die Rechte des tibetischen Volkes verletzt, henden Partei, die durch Geldsammlungen zum Ge- gibt der deutsche Außenminister in vorauseilendem lingen der Konferenz beitragen. Gehorsam dem offenen Druck der chinesischen Machthaber nach und veranlaßt die Streichung der Aber, meine Damen und Herren von der F.D.P., Sie Bundesmittel zur Finanzierung einer Konferenz, die sollten sich noch einmal die Frage stellen und dar- sich den mit Füßen getretenen religiösen und kultu- über nachdenken, wie dieser Unterschied zwischen den Worten, die auf Ihrem Parteitag gesprochen wur- rellen Rechten des tibetischen Volkes widmet und zu deren Besuch der Dalai-Lama soeben nach Bonn ge- den, und der Realität, die Sie nun vorfinden, zu- kommen ist. stande kommt, wie er zu erklären ist und wie man ihn auflösen kann. Sie haben vor wenigen Stunden Ich sagte es schon: Der Bundeskanzler und auch gehört, daß das Büro der Friedrich-Naumann-Stif- Herr Kinkel haben bei früheren Gelegenheiten tung in Peking geschlossen wird, daß also auch diese durchaus die Aufgaben der Kulturpolitik und auch Stiftung für einen Vorgang gestraft wird, den wir ge- den Zusammenhang mit den Menschenrechten be- meinsam unterstützen wollen. Diese Stiftung setzt tont. Dieses befürworten wir ausdrücklich. Es reicht sich nämlich ganz offen und eindeutig für die Wah- aber nicht. Es reicht nicht, diese Aufgaben und die- rung der Kultur des tibetischen Volkes ein. Dafür deutschen Leistungen bei der Erfüllung dieser Auf wird sie abgestraft. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9691

Gerd Poppe Meine Damen und Herren, ich denke, wir können Ich will kurz auf das eingehen, was hier sehr aus- es nicht akzeptieren, wenn in Peking entschieden führlich vom Bundeskanzler angesprochen worden wird, welche Veranstaltung auf deutschem Boden ist, daß nämlich Sprache Grundvoraussetzung für durch die Bundesregierung unterstützt wird und wel- das Verständnis unterschiedlicher Kulturen und für che nicht. zwischenmenschliche Kommunikation ist - auch im Alltag. Eine breitangelegte Förderung der deutschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sprache, wie sie der Bericht der Bundesregierung be- sowie bei Abgeordneten der SPD) legt, halten - es ist gut, das festzustellen - offenbar Ich frage mich, Herr Kinkel, was, wenn Ihre Reise alle Fraktionen in diesem Hause für unverzichtbar. zustande kommt - was ich nicht genau weiß; sie war Natürlich und verständlicherweise richtet sich aus aber vorgesehen -, bei dieser Reise unter diesen ak- unserem Kulturverständnis heraus das Augenmerk tuellen Umständen anderes herauskommen kann als auf die Sprache Goethes, auf die klassische deutsche die erneute Bestätigung des Eindrucks, daß es vor- Literatur. Aber lassen Sie mich hier feststellen: Un- rangig um die deutschen Wirtschaftsinteressen geht. verzichtbar gehört dazu auch die Gegenwartslitera- tur, wie auch insgesamt das aktuelle Gegenwartsbild Ich denke, wir sollten uns in der heutigen Debatte deutscher Kultur vermittelt werden muß. dessen bewußt sein, daß, während wir über die Ver- mittlung deutscher Kultur und deutscher Wertvor- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der stellungen sprechen, in anderen Teilen der Welt die SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kulturellen Werte zerstört und diejenigen, die sie ver- treten, verfolgt werden. Gerade weil wir diese Über- Genauso unverzichtbar, meine verehrten Kollegin- einstimmung in sehr wichtigen Fragen haben, for- nen und Kollegen, ist die Vermittlung der deutschen dere ich die Bundesregierung auf, sich auch in den Alltagssprache. Hier gab es gelegentlich wohl Kritik. Menschenrechtsfragen gegenüber Tibet, das heißt in Aber das ist nun einmal die Sprache der Arbeits- und ihrer Politik gegenüber China, dem Konsens, den die Geschäftswelt. Das ist die Sprache in Ausbildung Fraktionen bereits erreicht haben, anzuschließen und Studium. Auch das muß bei der Sprachvermitt- lung natürlich berücksichtigt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zu Recht wird das nachlassende Interesse auslän- sowie bei Abgeordneten der SPD) discher Studenten, in Deutschland zu studieren, be- und damit die wohlgesetzten Wo rte, die wir auch klagt. Hier ist vieles dazu gesagt worden. Ich will nur heute wieder vernommen haben, mit ihrem politi- eines feststellen: Das, was diskutiert wird, ist vorwie- schen Handeln in Einklang zu bringen. gend keine Frage knapper oder fehlender Finanzmit- tel, sondern eine Frage des Umdenkens und des gu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten Willens der Verantwortlichen, egal wo diese Ver- sowie bei Abgeordneten der SPD) antwortlichen sitzen: im Bund, in den Ländern, aber auch in den Bildungseinrichtungen selbst. Wann endlich werden wir wach, um aus unseren ausgetre- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat tenen Schuhen herauszusteigen, Beharrungsstreben, jetzt der Abgeordnete Dr. Karl-Hans Laermann. Gleichgültigkeit einerseits und ein gehöriges Maß an Arroganz andererseits abzulegen? Wann begreifen Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (F.D.P.): Frau Präsi- wir, daß eine internationale Verflechtung von Bil- dentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle- dung und Wissenschaft inhaltliche und strukturelle gen! Ich möchte nach dieser Debatte jetzt hier den Veränderungen unseres Bildungssystems - ich meine, Versuch unternehmen, in Anbetracht der mir zur insbesondere unseres tertiären Bildungssystems - Verfügung stehenden Zeit eine Zusammenfassung verlangt? Ich kann aus Zeitgründen leider nicht kon- vorzunehmen. Ich darf noch einmal ausdrücklich die kreter werden. Position der Freien Demokraten darlegen, daß wir Ich bin den Ministern Kinkel und Rüttgers ausge- die Auswärtige Kulturpolitik als ein Instrument be- sprochen dankbar, daß sie diese Fragen thematisiert trachten, das den lebendigen Austausch und die Zu- haben, und ich danke auch dem Bundeskanzler, der sammenarbeit fördert, daß nach dem Prinzip zu han- hier noch einmal nachdrücklich festgestellt hat, wie deln ist: Offenheit für das andere, das Fremde. wichtig dieses Thema der Bundesregierung ist und (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ wie sehr es in der Auswärtigen Kulturpolitik Beach- DIE GRÜNEN]: Gilt das auch für Tibet?) tung findet. Es gehört in diesen Zusammenhang. Die äußeren Rahmenbedingungen sind nicht nur Auswärtige Kulturpolitik kann nur in ihren Grund- bei den Studierenden so, sie sehen auch bei jungen prinzipien formuliert werden. Sie unterliegt dem dy- ausländischen Wissenschaftlern nicht anders aus. Es namischen Prozeß der kulturellen und gesellschaftli- muß festgestellt werden, daß die große Nachfrage chen Entwicklungen. Sie kann und muß der Vielfalt nach Stipendien - hier gibt es sie noch - auf Grund und dem Pluralismus Raum geben. Das gilt auch - der Finanzlage nicht ausreichend befriedigt werden um auf den Einwand einzugehen - für das Verhältnis kann. der Mittlerorganisationen zu anderen Ländern unab- hängig von staatlichen Positionen. Ich denke, daß die Man muß sich in dem Zusammenhang auch dar- Mittlerorganisationen und Institutionen, die frei und über im klaren sein - das möchte ich besonders beto- eigenständig den Kulturaustausch fördern und pfle- nen -, daß die Nachbetreuung ehemaliger Stipen- gen, diesem Grundsatz entsprechen. diaten und all der Ausländer, die nach ihrer Ausbil- 9692 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann dung in ihre Heimat zurückgekehrt sind, zu dauer- Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (F.D.P.): Ich denke, haften Verbindungen, zu Freundschaften führt. Die wir sollten bei den anschließenden Beratungen in Nachbetreuung erschließt überhaupt erst die Poten- den zuständigen Ausschüssen die Gemeinsamkeiten tiale für dauerhafte und fruchtbare Zusammenarbeit herausstellen. Dann erreichen wir etwas im Interesse sowie den Austausch auf kulturellem, gesellschaftli- der Auswärtigen Kulturpolitik. chem und wirtschaftlichem Gebiet. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Die Mittlerorganisationen und Stiftungen bemü- ten der CDU/CSU, der SPD und des BÜND hen sich vorbildlich, im Rahmen ihrer Möglichkeiten. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber diese Möglichkeiten gilt es zu verbessern. Auch bei knappen Haushaltsmitteln kann der Staat Ent- Ich danke namens der F.D.P. insbesondere allen scheidendes dazu beitragen, indem er, wie im Antrag Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aller Mittlerorga- der Koalitionsfraktionen aufgeführt, weitere Flexibili- nisationen und Stiftungen für die hervorragenden sierungsinstrumente zuläßt und den Institutionen Leistungen, die sie erbracht haben. Das muß man größere Handlungsspielräume gewährt. Herr Bun- hier einmal erwähnen. deskanzler, ich stimme Ihnen zu: Hier bedarf es mehr administrativer Phantasie. Ich denke, wir können Schönen Dank. und müssen dieses Unternehmen auch in der gegen- wärtigen Lage angehen. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des Die große Zahl von Nobelpreisträgern unter den BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ehemaligen Stipendiaten der Alexander-von-Hum- boldt-Stiftung ist ohne Zweifel ein hoch anerken- nenswerter Erfolg dieser Stiftung, eine verdiente Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Auszeichnung der Stiftungsarbeit. Wir sollten dar- jetzt der Kollege Erich Riedl. über aber nicht vergessen, unser Augenmerk und unser Interesse auch auf die bildenden und darstel- lenden Künstler zu richten. Sie sind es, die mit ihrem Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Frau Präsi- Wirken, ihrer Kreativität sozusagen die Empfindun- dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! gen, die Gefühle, das innere Wesen eines Volkes dar- Den Appell, den Kollege Professor Laermann an uns stellen. gerichtet hat, daß wir nämlich eine große Gemein- samkeit in der Auswärtigen Kulturpolitik haben, Die Einrichtungen zur Förderung deutscher Künst- möchte ich als Berichterstatter im Haushaltsausschuß ler sind im Bericht der Bundesregierung aufgeführt: für die Auswärtige Kulturpolitik zum Anlaß nehmen, Das Haus der Kulturen der Welt betreibt die Präsen- meine Freude darüber zum Ausdruck zu bringen - tationen ausländischer Kultur. Darüber hinaus gibt es ich bin ja, wie Sie wissen, lieber ein streitbarer als ein zahlreiche ähnliche Aktivitäten von Museen und Ga- konsensfähiger Abgeordneter -, daß wir dieses lerien, vielfach auf p rivater Basis. Sie sind wertvolle schöne Thema in schwieriger haushälterischer Zeit Beiträge zur Auswärtigen Kulturpolitik. Das muß lo- auch von der Seite der Kulturpolitiker her so über- bend anerkannt werden. Es wäre wünschenswert, im zeugend bescheiden und verantwortungsbewußt dis- Sinne der Gegenseitigkeit von Kulturaustausch, auch kutieren. ausländische Künstler zu fördern, und zwar solche, die noch nicht etabliert sind, hoffnungsvolle Nach- Das Gemeinsame zwischen den Haushältern und wuchstalente. den Kulturpolitikern hat es auch ermöglicht, daß sich der Haushalt für die Auswärtige Kulturpolitik trotz Wir sind uns gewiß alle darüber einig, daß ihrer Be- großer allgemeiner finanzpolitischer Schwierigkeiten deutung für die Auswärtige Kulturpolitik entspre- sehen lassen kann. chend eine bessere finanzielle Dotierung wünschens- wert wäre. Wir wissen auch alle um die angespannte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Kassenlage. Es ist aber bisher trotz schwieriger Situa- tion der Haushalte gelungen, die Substanz der För- Ich möchte zu drei Punkten kurz Stellung nehmen. derstrukturen zu erhalten, wenn auch zum Teil mit schmerzhaften Eingriffen. Erstens. Wir haben uns früher auch hier in Deutschland den Luxus geleistet, die drei Säulen un- Die im Bundeshaushalt insgesamt bereitgestellten serer Außenpolitik, nämlich die klassische Diploma- 3,6 Milliarden DM für die Auswärtige Kulturpolitik tie, die Außenwirtschaftspolitik und die Auswärtige sind ein beachtlicher Betrag. Eine bessere Koordinie- Kulturpolitik, als einsame Säulen, als einsame Soli- rung und eine Konzentration der Zuständigkeiten - täre in den Himmel ragen zu lassen, ohne uns allzu- das ist heute morgen schon wiederholt angesprochen viel Gedanken über Synergieeffekte und komple- worden - sollten zu einem effizienteren Mitteleinsatz mentäre Vernetzungen zu machen. Wenn wir ganz führen und auch finanzielle Handlungsspielräume ehrlich sind: Standortfragen waren auch kein Thema. eröffnen. Das hat sich in der Zwischenzeit gründlich geän- Ich sehe dieses Bestreben auch in allen Anträgen, dert. Heute müssen wir in Deutschland, müssen aber die zu dem Tagesordnungspunkt vorliegen. auch andere Länder um jeden Arbeitsplatz ha rt kämpfen und alles daran setzen, die internationale Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege,- Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft zu erhalten achten Sie bitte auf die Zeit! und zu verbessern. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9693 Dr. Erich Riedl (München) Eine Exportnation wie Deutschland kann es sich Ausführungen von mir überhaupt widersprechen eben nicht erlauben, Standortpolitik nur im eigenen könnten. Land zu betreiben. Hier liegt in der Tat ein Problem. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]) (Lachen bei der SPD - Zuruf von der SPD: Ein echter Riedl!) Sie muß dabei auch immer das Umfeld ihrer auslän- - Ja, da muß der Duve ein bißchen nachdenken, da- dischen Märkte mit einbeziehen. Herr Minister Kin- mit er begreift, was ich gesagt habe. Dafür habe ich kel, das haben Sie ja sehr deutlich zum Ausdruck ge- Verständnis. bracht. Nicht nur wirtschaftliche Erfolge, Marktstrategien Wenn unsere Forschung und Wissenschaft ihre in- oder die Lenkung von Investitionsströmen stehen da- ternationale Einbindung verlieren sollten, weil der bei im Vordergrund, sondern - darin sind wir uns Hochschul-, Forschungs-, Wissenschafts- und Kultur- jetzt bestimmt einig, Herr Duve - es geht um kultu- standort Deutschland unattraktiv wird, und zwar relle und politische Grundwerte. Es geht um Demo- nicht nur nach innen, sondern auch nach außen, und kratie und Rechtsstaatlichkeit, und ich sage Ihnen, es wenn unsere Studenten kein Interesse mehr an ei- geht natürlich auch um Menschenrechte und Plura- nem Auslandsstudium haben - Kollege Glotz hat das lismus. Es geht aber auch um Marktwirtschaft, Ar- dargelegt - oder der Austausch sich nur in bestimm- beitsordnungen und soziale Systeme. ten Spezialfächern abspielt, wenn wir unsere Aus- landsschulen vernachlässigen und das Netz der Ich will ein Drittes sagen und noch einmal speziell Goethe-Institute über das vertretbare Maß hinaus auf das Geld zu sprechen kommen. Was heute über ausdünnen, dann geht es im Grunde nicht nur um alle Fraktionen hinweg sehr deutlich zum Ausdruck die Auswärtige Kulturpolitik, sondern um die Zu- gebracht worden ist, ist der Wille, mit dazu beizutra- kunftsfähigkeit unseres Landes. gen, daß wir eine überzeugende Auswärtige Kultur- politik brauchen, eingedenk der Tatsache, daß Das hat uns, die Kulturpolitiker, die Finanz-, Haus- Deutschland in der Tat eine große Kulturnation ist. halts- und Außenpolitiker, heute gemeinsam zu die- ser wunderschönen und sehr guten Diskussion zu- Gott sei Dank wird in der Öffentlichkeit nur sehr sammengeführt. vereinzelt über die Haushaltsprobleme des Bundes und der Länder gejammert. Es wird schon gejam- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge mert, aber das geht manchmal am Thema reichlich ordneten der F.D.P.) vorbei. Zweitens. Ein wichtiger Aspekt für eine ergän- Tatsache ist, daß sich das Ergebnis unserer ge- zende außenkulturpolitische Standortbestimmung meinsamen Bemühungen, der Bemühungen aller liegt in der Tatsache, daß wir einerseits eine wirt- Fraktionen im Haushaltsausschuß sehen lassen schaftliche, wissenschaftliche und technologische kann. Der Haushaltsausschuß hat ja den Kulturhaus- Globalisierung erleben, andererseits aber beobach- halt des Auswärtigen Amtes für 1996 um sage und ten, wie sich in der Welt kulturelle Konkurrenzver- schreibe 15 Millionen DM über den Regierungsan- hältnisse herausbilden. Manche sprechen sogar vom satz hinaus erhöht. Kulturkampf.

Ich möchte nicht so weit gehen, aber doch die rich- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, ei- tige Beobachtung darstellen, daß es eine wachsende nen Augenblick, bitte. Ich möchte für etwas mehr Bedeutung des kulturellen Bewußtseins in der Welt Ruhe sorgen und bitte darum, daß der Mittelgang gibt und daß dies mit einem Wettbewerb der Regio- frei gemacht wird, damit die entsprechende Ruhe nen in Verbindung gebracht wird. Aus Asien ist zum eintreten kann. Beispiel immer wieder zu hören - jeder von uns, der (Freimut Duve [SPD]: Der grün-schwarze auf Dienstreisen unterwegs ist, wird das hören -: Wir, Gang muß freigehalten werden!) sagen die Asiaten, haben die bessere Wirtschaft und deshalb auch die größeren Wachstumserfolge, weil wir eine euch gegenüber überlegene Kultur haben. Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Danke schön, Frau Präsidentin, eine so charmante Hilfe Nach dem bekannten europäisch- asiatischen Gip- habe ich im Parlament noch selten genießen dürfen. fel wurde die Frage, warum sich Deutschland mit In- vestitionen und Wirtschaftserfolgen in Asien nach Ich sage es noch einmal, meine Damen und Her- wie vor relativ schwertut, kurz und bündig mit dem ren: Der Haushaltsausschuß hat über den Regie- Hinweis auf eine tiefe kulturelle Kluft und ein kul- rungsentwurf hinaus 15 Millionen DM mehr etati- turelles Nichtverstehen beantwortet. siert. Mit 1,19 Milliarden DM haben wir dem Aus- wärtigen Amt für dieses Jahr, für 1996, den zweit- (Zuruf des Abg. Freimut Duve [SPD]) höchsten Kulturhaushalt in seiner Geschichte über- haupt beschert. Da gibt es doch nichts zu jammern, Vielleicht ist das Tibet-Problem auch eine Frage Herr Hoffmann vom Goethe-Institut! Das will ich Ih- des gegenseitigen Nichtverstehens; das will ich aber nen von diesem Pult aus einmal ganz deutlich sagen. hier nur kurz anschneiden. Herr Kollege Duve, Sie- sind doch viel zu klug, als daß Sie diesen gescheiten (Beifall bei der CDU/CSU) 9694 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Erich Riedl (München) Und noch etwas, wozu ich dem Auswärtigen Amt Warum ist es denn eigentlich nicht möglich - und ein großes Kompliment machen muß. Der Herr Bun- da möchte ich an die Mittlerorganisationen appellie- desfinanzminister hat dem zustimmen können: Von ren -, daß große deutsche Konzerne, die im Ausland der von ihm angeordneten Haushaltssperre, die für arbeiten, tätig sind, dorthin exportieren und Ge- alle Etats gilt, konnte der Kulturhaushalt ausgenom- winne machen, auch die Kultur fördern und dann men werden, weil das Auswärtige Amt an anderer von den Mittlerorganisationen erlaubt bekommen, Stelle Einsparungen erbracht und deshalb der Aus- daß das Signet der jeweiligen Firma zwar nicht im wärtigen Kulturpolitik auch inte rn einen höheren Mittelpunkt des Kulturobjektes, aber doch beschei- Rang eingeräumt hat. den mit angeführt wird. Hier hat doch die Kultur ei- nen enormen Nachholbedarf. Das, was das Olympi- Das sind doch ganz hervorragende Ergebnisse, die sche Komitee in seiner absoluten Reinheit vor wir auch hier im Parlament festhalten sollten. 20 Jahren eingeführt hat, daß es auch Sponso ring der Wirtschaft bei den Olympischen Spielen gibt, müßte doch bei der Kultur ebenfalls möglich sein. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, darf ich Sie noch einmal unterbrechen. Gestatten Sie Ich bin absolut sicher, wenn in Verbindung mit eine Zwischenfrage der Kollegin Altmann? steuerlichen Abschreibungen - die ja bei der Kultur- förderung auch möglich sind - die Auswärtige Kul- turpolitik von der Wi rtschaft mehr beachtet wird, Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Ja, bitte. dann werden wir neben den Beiträgen, die der deut- sche Steuerzahler erbringt, noch viele weitere hun- dert Millionen DM für die Auswärtige Kulturpolitik (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/ Elisabeth Altmann sammeln können. DIE GRÜNEN): Herr Riedl, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, daß 1993 und 1994 der Etat für Auswärtige Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich Kulturpolitik erst einmal geschrumpft ist und daß er freue mich schon auf die Beratung des Haushaltes trotz Ihrer 15 Millionen jetzt immer noch unter dem 1997. Er wird wahrscheinlich noch etwas schwerer zu Stand von 1992 liegt? Wollen Sie weiter zur Kenntnis bearbeiten sein als der Haushalt 1996. Ich bin aller- nehmen, daß das, was Sie als Erfolg vermelden, le- dings sicher - das will ich an die Adresse der Opposi- diglich auf die Übernahme der Kultureinrichtungen tion sagen; ich hoffe, daß mir meine Parteifreunde der ehemaligen DDR nach der Wende zurückzufüh- nicht böse sind, wenn ich die Opposition heute etwas ren ist? öfter lobe, als es ihr sonst zukommt -, wenn sie mit der gleichen großen Vernunft und mit dem gleichen Verantwortungsbewußtsein den auswärtigen Kultur- Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Das letz- haushalt mit uns beraten wie beim letztenmal, dann tere nicht, das erstere ja, denn ich sagte Ihnen ja, daß werden wir auch im nächsten Jahr eine tolle Bilanz der Haushalt für 1996 der zweithöchste Kulturhaus- ziehen können. halt in der Geschichte des Auswärtigen Amtes über- haupt ist. Sie haben recht, 1993 war das Haushaltsvo- Ich möchte mich ganz zum Schluß bei den vielen lumen noch höher; es war um 4,8 Prozent höher als tausend Mitarbeitern im Ausland, bei den Mittleror- im Jahre 1996. ganisationen, aber auch in den Botschaften und im Auswärtigen Amt sehr, sehr herzlich für die gelei- Meine sehr verehrten Damen und Herren, im übri- stete Arbeit bedanken, die oft nach Dienstschluß, oft gen ist etwas anderes heute leider auch völlig unter- außerhalb der normalen Arbeitszeit, am Wochen- gegangen. Legen Sie es mir bitte nicht als intellektu- ende, an den Feiertagen geleistet wird. Dies alles zu- elle Überheblichkeit eines Haushälters aus; überheb- sammen, meine Damen und Herren, gibt uns Deut- lich will ich gar nicht sein. Ich glaube, daß die wenig- schen das gute Gefühl, daß wir nicht nur gut sind in sten von Ihnen im Einzelplan 05 die Übersicht 2 ein- der Wirtschaft, in der Politik und im Handel, sondern mal in der Hand hatten, wo die gesamten Ausgaben auch in der Kultur. des Bundes auf dem Gebiet der Auswärtigen Kultur- politik über zehn andere Ministerien hinweg aufgeli- In diesem Sinne sollten wir weiterarbeiten, damit stet sind. Da kommen wir auf eine Summe, die weit es auch auf diesem Gebiet weiter nach vorn geht. über 3,6 Milliarden DM liegt. Das ist ein ganz beacht- Danke schön. licher Beitrag Deutschlands und der deutschen Steu- erzahler für das, was wir unter Auswärtiger Kultur- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) politik verstehen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Darf ich zum Schluß noch etwas anfügen, was man jetzt die Kollegin Frau Dr. Sonntag-Wolgast. in Amerika immer sehr deutlich betreibt, das Sponso- ring - dieses blöde Wort möchte ich hier einmal in den Mund nehmen - von Kultur durch die Wirt- Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Frau Präsi- schaft. dentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Um gleich an Herrn Riedl anzuschließen: Ein flammendes Plä- Bei uns wird ja schon die Wetterka rte gesponsert. doyer für das Sponso ring in der Kultur ist immer gut, Wenn man am Abend im Fernsehen bei öffentlich- nur sagen Sie dann bitte dazu, daß auch bei großzü- rechtlichen Anstalten die Wetterkarte sieht, hat man gigsten Geldspenden auf alle Fälle vermieden wer- das einer bestimmten Brauerei oder was weiß ich den muß, daß irgendein Einfluß der Firmen auf die wem zu verdanken. kulturelle Aktivität, die jeweils gefördert wird, aus- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9695 Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast geübt wird. Darin sind wir uns einig. Dann ist das nisse wissen möchte, voller Freude im Ausland die klar. Deutsche Welle einschaltet und dann einen Nach- richtenmitschnitt vom Mittag bekommt? Stimmen Sie Meine Damen und Herren, im Zeitalter der Medi- mir zu, daß das ein Ärgernis ist? envielfalt gehört die Frage nach Perspektiven, Auf- trag und materieller Ausstattung der Deutschen Welle als wichtiges Thema in die Debatte über Aus- Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Selbstver- wärtige Kulturpolitik hinein. Denn wie die Bürger an- ständlich ist das ein Ärgernis, vor allem, wenn einem derer Staaten unsere Auseinandersetzung mit den das Ergebnis nicht paßt; das kommt erschwerend großen Problemen der Gegenwart und unsere A rt hinzu. des Umgangs mit aktuellen Ereignissen wahrneh- men, wird ja nicht unwesentlich von den Medien be- (Zurufe von der F.D.P.) einflußt und durch Medien transportiert. - Ja. Ich sage „einem". Sie haben um meine Antwort Ich beschäftige mich deshalb in meinem kurzen gebeten. Beitrag ausschließlich mit dem Gesetzentwurf der (Günter Verheugen [SPD]: Haben Sie schon Bundesregierung über den deutschen Auslands- einmal etwas von Zeitverschiebung gehört?) rundfunk, den wir ja heute in erster Lesung beraten und dem man jetzt zu dieser späten Debattenstunde Es ist natürlich so - das müssen Sie wissen, und das doch noch einige Worte widmen sollte. müßte Ihnen auch klar sein -, daß die Deutsche Welle auch in Regionen ausstrahlt, wo die Zeit noch Meine Damen und Herren, daß wir ein solches Ge- nicht so weit fortgeschritten ist. Deswegen liest sich setz brauchen, ist unstrittig. Das hat die SPD-Bundes- manches im Entwurf etwas kurios, weil es immer tagsfraktion schon vor einigen Jahren, als die ersten auch um die Zeitverschiebung geht. Das wird sich Entwürfe diskutiert wurden, unmißverständlich klar- nicht vermeiden lassen, es sei denn, es gibt techni- gemacht. Auch andere Staaten - so Frankreich, sche Möglichkeiten, das Programm von ARD und Großbritannien und die USA - haben ihre im Aus- ZDF ins Ausland zu strahlen. Aber das würde eine land ausgestrahlten Fernseh- und Hörfunkpro- neue rechtliche Vereinbarung erfordern. gramme auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Der Auslandsrundfunk hat seine Bedeutung für die Zu- Meine Damen und Herren, zurück zum Gesetzent- kunft, und wichtig ist auch der Aufbau des Fernseh- wurf der Bundesregierung. Wir wollen einige kriti- programms der Deutschen Welle, der seit einigen sche Anmerkungen machen, weil wir die A rt und Jahren erfolgt. Weise, wie die Bundesregierung an das Thema her- angeht, als kultur- und medienpolitisch einfach zu Da muß ich zunächst einmal ein Wo rt an die Adresse von Bündnis 90/Die Grünen sagen. Ich bin kurz gegriffen empfinden. Denn der Entwurf verord- net den Redakteuren und freien Mitarbeitern immer wahrhaftig auch keine Freundin von Werbung im öf- noch eine unnötige Regierungsnähe. Er bläht über- fentlichen Rundfunk. Sie wissen, in der Deutschen dies die Aufsichtsgremien zu sehr auf. Er versäumt es Welle soll künftig Werbung erlaubt sein. Sie verlan- gen nun wiederum Werbefreiheit, also totalen Ver- andererseits, die Personalvertretung an wichtigen Entscheidungen ausreichend zu beteiligen. zicht auf Werbung. Das wird insofern nicht gehen, als die Deutsche Welle - so ist nun einmal die Situa- Vor allem aber verpaßt der Entwurf praktisch die tion - auch auf die Einnahmen aus der Werbung an- Chance, vor dem Hintergrund tiefgreifender Verän- gewiesen ist. Außerdem ist die Zeit für Werbung nur derungen in der internationalen Politik, aber auch kurz bemessen. Ihre Bemerkung, wie wichtig es sei, angesichts der revolutionären Entwicklung des Me- eine solche ins Ausland strahlende Anstalt ganz vor dienangebotes die zukünftige Rolle des öffentlich- wirtschaftlichen Einflüssen zu schützen, kommt lei- rechlichen Rundfunks neu, klug und zukunftswei- der angesichts der Tatsache, daß wir seit eineinhalb send zu beschreiben. Jahrzehnten in öffentlich-rechtlichen Sendern Wer- bung haben, ein bißchen verspätet und ist insofern (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Eli ein bißchen realitätsfern. sabeth Altmann [Pommelsbrunn] [BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN])

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, Ich will das zunächst am Programmauftrag illu- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ir- strieren. Nun bin ich ganz froh darüber, daß im Ver- mer? gleich zum früheren Entwurf die Journalisten der Deutschen Welle nicht mehr zu wahrer Regierungs- frömmigkeit verpflichtet werden. Es heißt nun Gott Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Ja, bitte. sei Dank nicht mehr, daß - ich zitiere aus dem alten Papier - die Berichterstattung in dem Bewußtsein er- Ulrich Irmer (F.D.P.): Frau Kollegin, würden Sie mir folgen müsse, „daß die Sendungen der Deutschen zustimmen, daß es ein gewisses Ärgernis darstellt, Welle die Beziehungen der Bundesrepublik zu aus- wenn die Deutsche Welle im Ausland an einem wärtigen Staaten berühren können" . Das, liebe Kol- Sonntagabend die inzwischen unaktuell geworde- legen und Kolleginnen, hätte eine kritische Ausein- nen Nachrichten vom Mittag ausstrahlt, statt zum andersetzung etwa mit der Menschenrechtspolitik Beispiel die Nachrichten von ARD oder ZDF zu über- Chinas oder dem Tschetschenienkonflikt, um nur nehmen, besonders wenn dies an einem Wahlabend- zwei Beispiele zu nennen, ungeheuer erschwert, geschieht, am 24. März 1996, wenn man Wahlergeb wenn nicht sogar unmöglich gemacht. 9696 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Jetzt steht im Entwurf, die Sendungen sollten „ein nicht auf die leidige Diskussion um das künftige Ge- umfassendes Bild des politischen, kulturellen und bäude eingehen, das für das asbestverseuchte Hoch- wirtschaftlichen Lebens in Deutschland vermitteln, haus am Raderberggürtel in Köln als Ersatz dienen einen objektiven Überblick über das Weltgeschehen soll. Aber ein deutliches Bekenntnis der verantwortli- geben und die Reaktionen der Öffentlichkeit sowie chen Politiker zum Sitz in Köln bzw. später in Bonn der wesentlichen staatlichen und gesellschaftlichen haben die Betroffenen verdient. Das wird - das sei Kräfte in Deutschland auf diese Ereignisse darstel- ausdrücklich erwähnt - im Gesetzentwurf gegeben. len" . Auch das, meine Damen und Herren, greift Ebenso klar sollte dann aber auch die feste Zusage noch in die grundgesetzlich verbriefte Presse- und für den zweiten Sitz in Berlin verstanden werden. Meinungsfreiheit ein; denn wer bestimmt letztend- Mein Fazit: In den Fragen der inhaltlichen Bestim- lich, was die sogenannten „wesentlichen Kräfte" in mung und der personellen Mitsprache ist der Ent- diesem Lande sind? Kommt da nicht etwa zuallererst wurf unzureichend. Die Deutsche Welle soll umfas- die Riege der Minister oder der Koalitionsvertreter in send über kulturelle, politische, ökonomische und Betracht? ökologische Ereignisse und Entwicklungen in Nein, die beste Visitenkarte Deutschlands wäre ein Deutschland informieren. Sie hat auch einen Auftrag umfassender, auch von kritischem Geist beseelter zugunsten von Rechtsstaat und Demokratie, für das Journalismus, der unbeschönigt den gesellschaftli- Eintreten für Menschenrechte, für Minderheiten- chen Disput in diesem Staat widerspiegelt und in an- schutz und für Solidarität in der einen Welt. dere Staaten überträgt. Man beantragt bei uns ein wenig oft und fast (Beifall bei der SPD) schon inflationär Anhörungen. In diesem Fall einen gesellschaftlichen Disput in Form eines Fachforums Ich bin fest überzeugt: Das verträgt unsere Demokra- oder eines Hearings über die künftige Rolle und den tie; das schadet auch nicht unserem Image - ganz im Auftrag des Auslandsrundfunks zu finden, halte ich Gegenteil. für eine spannende und ergiebige Sache über die for- (Beifall des Abg. Detlev von Larcher [SPD]) male Zuständigkeit der jeweiligen Ausschüsse hin- aus. Ich kann das nur anregen. Ich meine, dieses Außerdem kann mir niemand schlüssig erklären, Thema wäre der Mühe we rt. warum der Rundfunkrat künftig aus sage und schreibe 30 statt, wie bisher, 17 Mitgliedern bestehen Ich danke Ihnen. soll, nachdem dieses Gremium erst vor wenigen Jah- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph ren von elf auf 17 Personen aufgestockt worden ist. Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ (Zuruf von der SPD: Das ist der schlanke NEN]) Staat!) Diese neue Aufstockung ist unangebracht. Außer- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat dem erhalten staatliche beziehungsweise staatsnahe jetzt der Abgeordnete Dr. Blank. Institutionen zuviel Gewicht. Das ist den öffentlichen Sendern noch nie gut bekommen. Zudem arbeiten Dr. Joseph-Theodor Blank (CDU/CSU): Frau Präsi- größere Gremien schwerfälliger und sind kostspieli- dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ger. Also fordern wir im Zeitalter der Verschlankung Vor fast genau zwei Jahren haben wir in diesem auch hier: Runter mit den Zahlen, dafür aber eine Haus schon einmal das Gesetz über den deutschen Stärkung des Gremiums Rundfunkrat nicht nach Auslandsrundfunk beschlossen. Das vor zwei Jahren Zahl und Staatsnähe, sondern nach Kompetenzen vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz fiel und auch personellen Zuständigkeiten, wenn wir an nach Anrufung des Vermittlungsausschusses durch die Entscheidung über künftige Direktoren denken! den Bundesrat der Diskontinuität anheim, so daß wir (Beifall bei der SPD) uns heute erneut in erster Lesung mit einem Deut- sche-Welle-Gesetzentwurf befassen müssen. Ansprechen möchte ich noch einen weiteren schwerwiegenden Mangel, nämlich den Mangel an Ich habe das Protokoll der damaligen Debatte nachgelesen und möchte mich deshalb in dieser heu- Mitspracherechten und Mitwirkungsrechten der Be- tigen ersten Lesung auf die Fragen konzentrieren, legschaft. Es soll eine Ermessensfrage des Rundfunk- rates sein, ob er ein Mitglied des Personalrats hören die damals zwischen den Regierungsfraktionen und will. Mit einer angemessenen Berücksichtigung der der Opposition streitig waren und die sich im Ver- Belange und auch des Sachverstandes der Programm- gleich zum letzten Gesetzentwurf verändert haben. macher hat das kaum etwas zu tun. Es ist auch über- haupt nicht einzusehen, warum die Mitarbeiter der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Moment, Herr Deutschen Welle gegenüber anderen öffentlich- Kollege. Ich versuche, für Ruhe hier im Haus zu sor- rechtlichen Sendern in Fragen der Mitbestimmung gen. Es ist sonst für den Redner sehr schwer zu spre- schlechtergestellt sein sollen. chen. Ein Schlußwort zur Standortfrage: Die Beschäftig- ten der Deutschen Welle haben keine leichten Zeiten Dr. Joseph-Theodor Blank (CDU/CSU): In der De- hinter sich. Es gab Rationalisierungen und Personal- batte vor zwei Jahren hatte vor allem die Formulie- abbau, und die Unsicherheit über den künftigen Sitz- rung des Programmauftrags der Deutschen Welle, steckt noch in den Knochen. Ich will an dieser Stelle wonach die Deutsche Welle „die deutsche Auffas- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9697

Dr. Joseph-Theodor Blank sung zu wichtigen Fragen darstellen und erläutern" enz der Kontrolle beim ZDF oder beim Deutschland- soll, für viel Zündstoff gesorgt. Diese Formulierungen radio beurteilt. 30 Rundfunkratsmandate bei der sind nun entfallen und durch eine neutrale Formulie- Deutschen Welle sind geradezu bescheiden im Ver- rung, Frau Sonntag-Wolgast, ersetzt worden. gleich zu 77 beim ZDF und zu 40 beim Deutschland- radio. Der seinerzeit ebenfalls umstrittene Programm- grundsatz, wonach die Berichterstattung in dem Be- Eine letzte Bemerkung: Daß die Deutsche Welle wußtsein erfolgen sollte, „daß die Sendungen der künftig neben ihrem Sitz in Köln, der eines Tages Deutschen Welle die Beziehungen der Bundesrepu- nach Bonn verlegt wird, auch einen Sitz in Berlin ha- blik Deutschland zu auswärtigen Staaten berühren ben soll, hat die Gemüter des Bundesrates erhitzt. können" , ist ebenfalls weggefallen. Von daher dürfte Die Vorwürfe, die Bundesregierung leiste einer Ab- diese seinerzeit umstrittene Frage jetzt auch mit der wanderung der Deutschen Welle nach Berlin Vor- Opposition konsensfähig sein. schub und begünstige eine weitere Schwächung der Region Köln/Bonn, sind allerdings völlig unbegrün- Umstritten war auch die Regelung der Finanzie- det. Die Festlegung eines zweiten Sitzes in Berlin hat rung der Deutschen Welle. Herr Kollege Verheugen lediglich den Hintergrund, daß der dortige Standort hat in der Debatte vor zwei Jahren eine lückenlose der Fernsehproduktion der Deutschen Welle eine Globalfinanzierung der Deutschen Welle gefordert. Aufwertung erfahren soll. Um aber allen anderen In- Auch ich habe damals keinen Hehl daraus gemacht, terpretationen der Doppelsitzregelung vorzubeugen, daß ich mich gemeinsam mit anderen Medienpoliti- hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zur kern der Koalition dafür eingesetzt habe, eine Glo- Stellungnahme des Bundesrates vorgeschlagen, dies balfinanzierung für die Deutsche Welle zu erreichen. nun auch gesetzlich zu fixieren und das Recht der Ich bin auch heute noch der Meinung, daß eine sol- Deutschen Welle, diese Frage in ihrer Satzung zu re- che Regelung sinnvoll wäre, geln, zu streichen. (Beifall des Abg. Günter Verheugen [SPD]) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, daß wir nach der langjährigen Debatte um um noch mehr Spielraum für wirtschaftliches Han- den Entwurf eines Deutsche-Welle-Gesetzes keine deln und Denken zu eröffnen. Die Haushaltspolitiker erneute Anhörung brauchen. Ich bitte alle Fraktio- aller Fraktionen haben uns unter Hinweis auf die nen, jedenfalls dafür Sorge zu tragen, daß dieses Ge- im Gegensatz zu den gebührenfinanzierten Lan- setz nun zügig beraten wird, damit wir endlich die desrundfunkanstalten haushaltsfinanzierte Deutsche Neuordnung des Rundfunks auch auf Bundesseite Welle zu einem rundfunk- und haushaltsrechtlichen abschließen können. Interessenausgleich - ich sage es freundlich - veran- laßt. Herzlichen Dank. Sollte die Forderung nach Globalfinanzierung in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) diesem Haus, Frau Kollegin Albowitz, wieder erho- ben werden, bezweifle ich, daß sich dies als mehr- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- heitsfähig erweisen würde. Deshalb hat sich die Bun- mit die Aussprache. Bevor wir zu den Abstimmungen desregierung dafür entschieden, in ihrem Gesetzent- kommen, hat das Wort zu einer Erklärung zur Ab- wurf keine entsprechende Regelung aufzunehmen. stimmung der Abgeordnete Otto Graf Lambsdorff. Das Spannungsverhältnis zwischen der Autonomie einer Rundfunkanstalt einerseits und dem Budget- (F.D.P.): Vielen Dank, recht des Parlaments andererseits muß deshalb in an- Dr. Otto Graf Lambsdorff Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, gemessener Weise gelöst werden. So sieht der Regie- meine Herren! Sie wissen, worum es geht: Ich will rungsentwurf vor, daß die Deutsche Welle eine ge- mein Abstimmungsverhalten für den Antrag der setzlich fixierte Finanzierungsgarantie erhält. Der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen begründen. Die Haushaltsplan, den die Anstalt entsprechend ihrer Friedrich-Naumann-Stiftung wird am kommenden Programmautonomie selbständig aufstellt, bildet da- Wochenende gemeinsam mit der tibetischen Exilre- bei die Grundlage für die Bemessung des Zuschusses gierung die zweite internationale Konferenz der Ti- aus dem Bundeshaushalt. bet-Unterstützungsgruppen im Wasserwerk des Bun- Ein dritter Punkt, der auch schon vor zwei Jahren destages abhalten. Frau Präsidentin, das Präsidium strittig gestellt wurde, ist die Neuregelung der Auf- des Bundestages hat uns diese Räumlichkeiten dan- sichtsgremien. Beim letzten Entwurf ist der Vorwurf kenswerterweise zur Verfügung gestellt. erhoben worden, das Gebot der Staatsferne sei nicht (Beifall bei der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/ angemessen berücksichtigt. Ich habe diesen Ein- DIE GRÜNEN) wand damals nicht für berechtigt gehalten. Gleich- wohl wird im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf die Die Friedrich-Naumann-Stiftung akzeptiert und re- Staatsquote nochmals reduziert und eine weitere ge- spektiert die in der Verantwortung und Zuständig- sellschaftliche Gruppe statt eines Staatsvertreters in keit der Bundesregierung liegende Entscheidung, den Rundfunkrat aufgenommen. Wer allerdings die die ursprünglich in Aussicht gestellte Finanzierung Vergrößerung des Rundfunkrates, Frau Kollegin in Höhe von 290 000 DM zurückzuziehen. Die Bun- Sonntag-Wolgast, die nach meiner Meinung der ge- desregierung wertet eine Konferenz unter Mitwir- stiegenen Bedeutung und der weltweit erhöhten Prä- kung der tibetischen Exilregierung als Gefährdung senz der Deutschen Welle entspricht, kritisiert, der- der außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik. muß sich die Frage gefallen lassen, wie er die Effizi Dies ist eine Entscheidung, die ausschließlich in der 9698 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Otto Graf Lambsdorff Kompetenz der Bundesregierung liegt. Ich habe, wie fentlich deutlich machen. Daß die sozialdemokrati- Sie wissen, öffentlich um Spenden für die Tibet-Kon- sche Fraktion einen daran hindern will, ferenz gebeten. Das Echo ist eindrucksvoll. Die Zu- neigung der Deutschen zur Sache des Dalai Lama (Widerspruch bei der SPD) und der Tibeter wird dadurch deutlicher als durch in dieser Sache öffentlich Stellung zu nehmen, ent- eine öffentliche Subvention. spricht nicht dem, was Sie sonst bei allen schönen Gelegenheiten über Menschenrechte von sich ge- (Beifall bei der F.D.P. - Heiterkeit beim ben. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Ich werde vor diesem Hintergrund dem Entschlie- ten der CDU/CSU) ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht zustimmen. Die Konferenz - - Wir werden uns an diesem Wochenende im Sinne eines Entschließungsantrags, den Sie alle unter- ( [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE schrieben haben, für eine Sache einsetzen, bei der GRÜNEN]: Peinlich, peinlich!) ich feststelle, daß die Deutschen - leider, muß ich sa- - Herr Kollege Schulz, machen Sie erst einmal so viel gen: offenbar mehr außerhalb dieses Hauses - sehr für die Tibeter und den Dalai Lama wie ich, und viel Mitgefühl, sehr viel Verständnis dafür haben, dann rufen Sie „peinlich, peinlich" ! Mein Gott! (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das Herrn Kin (Beifall bei der F.D.P. - Zuruf des Abg. kel!) Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]) daß wir uns für die Nöte und Sorgen eines kleinen Volkes im fernen Asien einsetzen. Wir bleiben auch Die Konferenz in Bonn findet statt. Wir, meine Da- dabei. men und Herren, die Friedrich-Naumann-Stiftung, wie alle anderen Stiftungen sind nicht die Bundesre- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne gierung. Aber als Nichtregierungsorganisation kön- ten der CDU/CSU) -nen und wollen wir unsere Auffassung von Freiheits und Menschenrechten deutlicher und unkonventio- Wir kommen neller formulieren. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: jetzt zum gemeinsamen Entschließungsantrag der (Beifall bei der F.D.P.) Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü- nen auf Drucksache 13/4889. Der Entschließungsan- Es ist geradezu der Sinn der deutschen politischen trag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Stiftungen, daß sie einen größeren Spielraum als Re- Drucksache 13/4880 wurde zugunsten des gemeinsa- gierung und Opposition haben, auch wenn sie aus men Entschließungsantrags zurückgezogen. öffentlichen Mitteln finanziert sind. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf (Zuruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD]) Drucksache 13/4889? - Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stim- - Herr von Larcher, daß Sie mir hier das Wo rt neh- men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der men wollen, werde ich mir merken, und dafür werde Opposition abgelehnt worden. ich Sie öffentlich vorführen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla- gen auf Drucksache 13/4708, 13/4844, 13/4846, 13/ Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Aber, Herr Kol- 4851 und 13/4863 an die in der Tagesordnung aufge- lege, Sie müssen Ihr Abstimmungsverhalten begrün- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu an- den und dürfen nicht weiter debattieren. derweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. (Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Erklärung zur Abstimmung, sondern eine Vorführungser Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: klärung!) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Dr. Otto Graf Lambsdorff (F.D.P.): Ich beantworte Zurückweisung des Einspruchs des Bundes- nur Zwischenrufe, Frau Präsidentin. rates gegen das Gesetz zur Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe (Arbeitslosenhilfe-Re- (Günter Verheugen [SPD]: Sie mißbrauchen formgesetz - A1hiRG) die Geschäftsordnung!) - Drucksache 13/4867 - - Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß ich hier, auch von Herrn Verheugen, mit Zwischenrufen Nach Art . 77 Abs. 4 des Grundgesetzes ist für die unterbrochen werde, ich mißbrauchte die Geschäfts- Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates die ordnung. Ich werde meine Auffassung zu diesem Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages Problem, die offensichtlich im Gegensatz zu der Ih- erforderlich. Das sind mindestens 337 Stimmen, also ren steht, und meinen Einsatz für das, was wir an die-- die Kanzlermehrheit. Wer also den Einspruch zurück- sem Wochenende tun werden, an anderer Stelle öf weisen will, muß mit Ja stimmen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9699

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Da die Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat zunächst absolute Mehrheit erforderlich ist, benötigen Sie der Abgeordnete Ulf Fink. Bitte schön. nach dem im Ältestenrat vereinbarten Verfahren - ich bitte Sie, jetzt genau zuzuhören - außer Ihrer Ulf Fink (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr Stimmkarte auch Ihren gelben Stimmausweis. Die- verehrten Damen und Herren! Der Bundesrat hat am sen können Sie, soweit noch nicht geschehen, Ihrem 24. Mai den vom Deutschen Bundestag am Schließfach entnehmen. Bitte achten Sie darauf, daß 29. Februar beschlossenen Gesetzen zur Reform der Stimmkarte und Stimmausweis auch Ihren eigenen Sozialhilfe und zur Novellierung des Asylbewerber- Namen tragen. Sie dürfen wie bei den zuletzt durch- leistungsgesetzes und anderer Gesetze seine Zustim- geführten namentlichen Abstimmungen Ihre Stimme mung verweigert. Wir, die CDU/CSU-Bundestags- nur an der Urne abgeben, deren Buchstabengruppe fraktion und die F.D.P., schlagen vor, daß der Deut- den Anfangsbuchstaben Ihres Nachnamens umfaßt; sche Bundestag beschließt, die erneute Einberufung sie sind gekennzeichnet. Bevor Sie Ihre Stimmkarte des Vermittlungsausschusses zu verlangen. in die Urne werfen, übergeben Sie bitte den Stimm- ausweis einem der Schriftführer an der Urne. Die Sie wissen, daß diesem bereits ein wochen- und Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich darauf monatelanges Vermittlungsverfahren vorausgegan- zu achten, daß Stimmkarten nur von Kolleginnen gen ist, das leider gescheitert ist, weil sich die Mehr- und Kollegen in die Urnen geworfen werden dürfen, heit der Länder, obwohl sie gerne die Entlastungen die vorher auch ihren Stimmausweis übergeben ha- der Länder, die mit diesen Gesetzen verbunden sind, ben. in Anspruch genommen hätte und darüber hinaus auch weitere Entlastungen zu ihren Gunsten im Ver- Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schrift- mittlungsausschuß beschlossen hatte, außerstande führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind gesehen hatte, einer Einsparung zugunsten des Bun- alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. des von lediglich 500 Millionen DM zuzustimmen. Ich eröffne die Abstimmung. Damit hat die Mehrheit der Länder einer Entlastung von insgesamt über 3 Milliarden DM zugunsten von Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das Ländern und Gemeinden ihre Zustimmung verwei- seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht gert. der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte Ich nenne dies eine ganz unverantwo rtliche Blok- die Schriftführer und Schriftführerinnen, mit der Aus- kadehaltung. zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir setzen die Beratungen fort. - Liebe Kollegin- nen und Kollegen, würden Sie bitte Ihre Gespräche Diese Blockadehaltung trifft besonders die Gemein- beenden, die Gänge frei machen und sich auf Ihre den in der Bundesrepublik Deutschland. Man muß Plätze begeben, sich das einmal klarmachen: Im Vermittlungsaus- schuß sitzen Bund und Länder, und die Länder ha- (Detlev von Larcher [SPD]: Auch die Regie ben die verfassungsrechtliche Aufgabe, die Interes- rung!) sen der Gemeinden zu wahren. Sie sind dieser Auf- damit wir die Beratungen fortsetzen können. gabe bei diesem Vermittlungsausschußverfahren in keiner Weise nachgekommen. Ich rufe nun die Zusatzpunkte 7 und 8 auf: Uns liegt ein Brandbrief der Spitzen der Gemein- den vor. Dieses Schreiben ist an den Bundeskanzler, ZP7 Beratung des Antrags der Fraktionen der an alle Ministerpräsidenten und an alle Fraktionsvor- CDU/CSU und F.D.P. sitzenden gegangen. Mit Genehmigung der Präsi- dentin möchte ich aus diesem Schreiben, das vom Anrufung des Vermittlungsausschusses zum Deutschen Städtetag, vom Deutschen Landkreistag, Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom Deutschen Städte- und Gemeindebund unter- - Drucksachen 13/2440, 13/2764, 13/3904, 13/ zeichnet ist, kurz zitieren: 4211, 13/4239, 13/4687, 13/4758, 13/4865 - Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, auch wenn ZP8 Beratung des Antrags der Fraktionen der der vorgelegte Gesetzentwurf zur Reform der So- CDU/CSU und F.D.P. zialhilfe Anrufung des Vermittlungsausschusses zum - ich möchte frei übersetzen: in manchen Punkten Ersten Gesetz zur Änderung des Asylbewer- den Erwartungen der Kommunen nicht entgegen- berleistungsgesetzes und anderer Gesetze kommt, - Drucksachen 13/2746, 13/3475, 13/3720, 13/ darf es bei dem Scheitern jedweder Änderungen 3728, 13/3937, 13/3949, 13/4686, 13/4759, 13/ im Bereich der Sozialhilfe und des Asylbewerber- 4866 - leistungsgesetzes nicht bleiben. Das Schreiben fährt fort: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vor- Die Bundesvereinigung der kommunalen Spit gesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist- zenverbände appelliert deswegen an die Bundes das so beschlossen. regierung, den Bundestag und den Bundesrat, 9700 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Ulf Fink nach dem Scheitern der Vermittlungsversuche . . . wir doch so nah beieinander sind, ist es in keiner die Reformziele des BSHG und des Asylbewer- Weise zu verstehen, daß nach wie vor diese Blockade berleistungsgesetzes nicht aufzugeben, und bit- besteht. tet den Deutschen Bundestag, den Vermittlungs- Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt nen- ausschuß erneut anzurufen. Für die bevorstehen- nen. Es ist schon eine merkwürdige Tatsache, wenn den Verhandlungen bieten wir unsere Hilfe an. wir auf der einen Seite ein Gesetz zur Reform der So- Ich denke, die Mehrheit der Länder muß sich ernst- zialhilfe vorschlagen. Dieses Gesetz muß notwendi- haft überlegen, ob sie es wirklich verantworten will, gerweise Einsparungen vornehmen, weil sonst die daß zum 1. Juli dieses Jahres, wenn dieses Gesetz Gemeinden ihre Aufgaben nicht finanzieren können. nicht zustande kommt, die Sozialhilfesätze drei-, Auch Sie wissen das. Zur gleichen Zeit haben wir auf vier-, fünfmal so hoch wie die Nettolohnentwicklung der anderen Seite vorgeschlagen, entscheidende gesteigert werden müssen. Die Länder müssen sich Strukturverbesserungen des Sozialhilfegesetzes vor- ernsthaft überlegen, ob sie es den Gemeinden zumu- zunehmen, um dafür zu sorgen, daß arbeitslose So- ten, daß es dann keine Deckelung der Pflegesätze in zialhilfeempfänger nach Möglichkeit eine neue den Heimen mit der Konsequenz gibt, daß Milliar- Chance bekommen, wieder in den Arbeitsmarkt zu- dendefizite zu Lasten der Gemeinden entstehen. Sie rückzukehren. Wir haben dort eine ganze Fülle von müssen sich ernsthaft überlegen, ob die vorgesehe- Brücken gebaut. Wir müssen nunmehr sehen, daß nen Verbesserungen zugunsten der Behinderten, be- diese wichtige Umbaumaßnahme, nämlich sparen - sonders der Rechtstellung der Behinderten in den aber doch um zu gestalten -, von der Mehrheit der A- Werkstätten, die neu eingeführten Hilfen für 500 000 Länder und von Ihnen in keiner Weise akzeptiert arbeitslose Sozialhilfeempfänger und die vom Deut- worden ist. Das wird ein wichtiger Punkt im Vermitt- schen Bundestag gemeinsam beschlossenen Aktivi- lungsausschuß sein. Arbeitslose Sozialhilfeempfänger täten, die dafür sorgen sollen, daß die Zahl der Ob- sind keine schlechteren Arbeitslosen als andere, son- dachlosen zurückgeht und hierfür nachher nicht dern sie brauchen eine neue Chance. Diese wollen überhöhte Kosten zu zahlen sind, nicht zustande wir ihnen geben. kommen. Sie müssen sich überlegen, ob weiterhin (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Vorschläge scheitern sollen, endlich ein gemein- sames Sozialhilferecht in ganz Deutschland einzu- Deshalb gilt mein Appell: Sorgen Sie bitte mit da- führen, und dafür sorgen, daß Hunderttausende von für, daß wir im Vermittlungsausschuß eine Mehrheit Sozialhilfeempfängern aus dem Bereich der Sozial- für einen wirklichen Umbau des Sozialstaates be- hilfe herauskommen, indem die Bundesanstalt für kommen, Arbeit und die Rentenversicherungsträger rechtzei- (Zuruf von der SPD: Abbau!) tig ihre Leistungen auszahlen. Sie müssen sich sehr gut überlegen, ob sie wirklich bereit sind, all diese auch im Sinne von neuen positiven Leistungen für wichtigen Punkte scheitern zu lassen. Behinderte, arbeitslose Sozialhilfeempfänger und Obdachlose. Dies sind ganz wichtige Maßnahmen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU die auch in Fachkreisen von allen Beteiligten aner- und der F.D.P. - Widerspruch des Abg. kannt sind. Peter Dreßen [SPD]) Sorgen Sie zweitens dafür, daß Sie Ihren gesamt- Dies ist um so unverständlicher, als sich die Mehr- staatlichen Verpflichtungen nachkommen. Es kann heit der Länder im Vermittlungsausschuß in großen doch nicht sein, daß ein Schwarzes-Peter-Spiel statt- Teilen bereits auf den Gesetzentwurf der Bundesre- findet; da einmal Bund, da einmal Länder und da ein- gierung zubewegt hat. Wie habe ich es vorher von mal Gemeinden. Vielmehr muß für eine faire Aufga- der SPD-Fraktion gehört? Da hieß es: Ihr wollt die Re- benverteilung zwischen allen drei Ebenen gesorgt gelsätze mit der Nettolohnentwicklung koppeln. Das werden. Wenn schon der Bund, der davon keinen sei ein schrecklicher Verstoß gegen das Bedarfsdek- einzigen Pfennig bekommt, sagt, die Sozialhilfe und kungsprinzip. das Asylbewerberleistungsgesetz sollen reformiert Die Mehrheit der A-Länder hat nunmehr genau werden, dann kann es doch nicht zuviel verlangt das beschlossen, was wir ursprünglich vorgesehen sein, von Ihnen die Zustimmung zu einer maßvollen hatten. Vorher hat es geheißen, die Deckelung der Entlastung des Bundes auf der anderen Seite zu be- Pflegesätze in den Behindertenheimen sei nicht an- kommen. Das gehört doch zu einer fairen Auf gaben- gemessen und gebe den Behindertenwerkstätten verteilung. nicht genügend Geld. Jetzt aber hat der Vermitt- (Beifall bei der CDU/CSU) lungsausschuß mit seiner Mehrheit beschlossen, eine noch sehr viel stärkere Deckelung dieser Pflegesätze Ich möchte noch ein Letztes sagen. Wir müssen die vorzusehen. Sozialhilfe umbauen; denn wir wissen alle, welch große Belastung diesem so wichtigen Netz unserer Was habe ich von Ihnen in den Debatten gehört? sozialen Sicherung aufgelastet ist. Deshalb ist es um Dort hieß es immer: Es ist nicht zumutbar, wenn man so wichtiger, daß wir rechtzeitig Maßnahmen ergrei- einem arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger, der kei- fen, um dieses System auch in Zukunft tragfähig und nen anderen Grund hat, nicht zu arbeiten, als daß er armutsfest zu machen. Deshalb muß man jetzt han- keine Lust hat, in diesen Fällen die Sozialhilfe um deln. 25 Prozent kürzt. Damals haben Sie gesagt: Das ist menschenunwürdig. Die Mehrheit der A-Länder hat Wer jetzt seine Zustimmung für eine Reform der jetzt gesagt: Jawohl, das muß gemacht werden. Da Sozialhilfe verweigert, der hat es zu verantworten, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9701

Ulf Fink wenn eine der wichtigsten Humansäulen unseres etwas mit Parteipolitik zu tun! Das hat etwas mit dem Sozialstaates in Mitleidenschaft gezogen wird. Des- Verfassungssystem in bezug auf Bund und Länder zu halb appelliere ich nachdrücklich an Sie, mitzuhel- tun und mit der hier grundsätzlich festzustellenden fen, daß der Vermittlungsausschuß zu einem guten Tatsache, daß es seit Jahren die Politik dieser Bun- Ergebnis kommt, damit wir den Sozialhilfeempfän- desregierung ist, sich auf Kosten der Länder und Ge- gern wirklich sagen können: Ja, wir haben unsere meinden zu entlasten. Jetzt ist hier endlich einmal Pflicht euch gegenüber getan. ein Schlußstrich gezogen worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Ministerpräsident Biedenkopf hat im Bundesrat an Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Peter Struck. die Koalitionsfraktionen - nicht an uns - eine War- nung gerichtet: (Lachen der Abg. Dr. Gisela Babel [F.D.P.]) Dr. Peter Struck (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihre Rede, Herr Kollege Fink, ist - Frau Babel, Sie waren ja nicht dabei. Warten Sie durch Sachunkenntnis getrübt worden. doch erst einmal ab; ich lese es Ihnen vor. (Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU/ Ich würde es für ein Unglück halten, wenn der CSU: Oh!) Bundesrat gezwungen wäre, bei nicht zustimmungs- pflichtigen Gesetzen zur Wiederherstellung des Zu- Ich verstehe überhaupt nicht, wieso Sie etwas aus sammenhangs - nämlich eines Paketes, in dem Ein- dem Vermittlungsausschuß erzählen, dem Sie gar spruchs- und Zustimmungsgesetze gemischt wer- nicht angehören. Die Sitzungen des Vermittlungs- den - mit Zweidrittelmehrheit zu entscheiden. Ich ausschusses sind meines Wissens nicht öffentlich. Sie möchte aber ausdrücklich feststellen, daß ich das behaupten hier etwas von angeblichen Gesprächen nicht ausschließen will. und Angeboten im Vermittlungsausschuß, von denen mir nichts bekannt ist. Ich bin bei den Gesprächen Meine Damen und Herren, das heißt im Klartext, beteiligt gewesen, auch bei denen mit der Bundesre- daß auch das Land Sachsen nicht bereit ist, sich ir- gierung. gendeiner Parteidisziplin oder der Disziplin einer Ko- alitionsfraktion - Herr Biedenkopf würde das ange- Ihre Angriffe gegen Herrn Stoiber, Herrn Teufel sichts einer Bundesregierung unter Kanzler Kohl so- und Herrn Biedenkopf verstehe ich nun ganz und wieso nicht tun - zu unterwerfen, nur damit bei Ih- gar nicht. Herr Kollege Fink, ich will einmal darauf nen irgendein einheitliches Stimmungsbild festge- hinweisen - vielleicht wissen Sie das gar nicht -, daß stellt werden kann und er zusätzlich 500 Millionen im Bundesrat nicht nur die von uns regierten Länder DM mit anderen Ländern zahlen muß. Ich sage: Wo zu den Gesetzen nein gesagt haben, sondern auch Biedenkopf recht hat, hat er recht. die Länder Bayern, Sachsen und Baden-Württem- Wir - die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD- berg. Wenn Sie hier von Blockade reden, dann sagen Mitglieder im Vermittlungsausschuß - sind gerne be- Sie das gefälligst auch einmal Herrn Biedenkopf, reit, zu versuchen, bei der Beratung der Gesetze, die Herrn Stoiber und Herrn Teufel! Es ist doch Unsinn, dem Vermittlungsausschuß jetzt wieder vorgelegt was Sie hier erzählen. werden, weil Sie die Anrufung verlangen, diese Fra- (Beifall bei der SPD) gen sehr sorgfältig zu prüfen, insbesondere die Fra- gen der Finanzverteilung zwischen Bund und Län- Hier nehmen Länder ein originäres Recht wahr. dern. Dazu gehört dann auch - das würde ich dem Das originäre Recht hinsichtlich der Gesetze, um die Bundesfinanzminister sagen wollen, wenn er noch es jetzt geht, heißt ganz konkret: Die Streichung der hier sein könnte -, originären Arbeitslosenhilfe, die Sie unter anderem (Zurufe von der SPD: Er ist da!) im Asylbewerberleistungsgesetz untergebracht ha- ben, würde für die Länder und Gemeinden in daß wir, wenn wir in der nächsten Woche im Vermitt- Deutschland zu einer Mehrbelastung um lungsausschuß über die Sozialhilfe und das Asylbe- 500 Millionen DM führen. Daß die das nicht mitma- werberleistungsgesetz reden, in die Überlegungen chen, verstehe ich voll und ganz. auch noch die Inhalte des Jahressteuergesetzes mit einbeziehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Herr Waigel, ich kann mir nicht vorstellen, daß wir im Vermittlungsausschuß zu einvernehmlichen Er- Statt dessen wird von seiten der Bundesregierung gebnissen - wie es das Wesen des Vermittlungsaus- herumgetrickst: Wir packen Asylbewerberleistungen schusses ist - kommen, die die anstehenden Pro- zusammen mit der originären Arbeitslosenhilfe, au- bleme hinsichtlich der zusätzlichen Finanzverteilung ßerdem mit der freien Beförderung Schwerbehinder- zwischen Bund und Ländern außer acht lassen. Das ter im öffentlichen Personennahverkehr. Die Länder muß schon ein Gesamtpaket sein. Wir können über sollen gleich noch einmal 230 Millionen DM mehr Gesamtpakete reden. Eines wird aber mit Sicherheit bezahlen, damit der Bund entlastet wird. Daß die nicht herauskommen - das kann ich Ihnen gleich sa- Länder - auch ein Herr Biedenkopf - dazu nein sa- - gen -: Weder bei der Entscheidung über die Gesetze, gen, verstehe ich. Tun Sie doch nicht so, als hätte das die jetzt im Vermittlungsausschuß anstehen, noch bei 9702 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Peter Struck der Entscheidung über das Jahressteuergesetz, das So geht das absolut nicht. - Wollen Sie eine Zusatz- uns auch im Vermittlungsausschuß beschäftigen frage stellen? - Gern. wird, wird herauskommen, daß wir der Abschaffung (Klaus Lennartz [SPD]: Der Bundeskanzler der Vermögensteuer und der Nichterhöhung des Kin- sagt: Sie sollen verzichten! Tun Sie es doch! dergeldes zustimmen. Das sage ich Ihnen hier deut- Das ist besser für Sie!) lich. Sie können sich darauf verlassen. Sie können sich alles das abschminken, was die Verschiebung der Kindergelderhöhung angeht. Ulf Fink (CDU/CSU): Wenn die Zahlen von 3 Mil- liarden DM und 500 Millionen DM nicht strittig sind, (Beifall bei der SPD) darf ich die Frage an Sie richten: Setzen Sie sich dann Was die Sozialhilfe angeht, gibt es überhaupt kei- für das Ergebnis des Vermittlungsausschusses ein? nen Streit darüber, daß das einzige Motiv, warum Mi- (Beifall bei der CDU/CSU) nister Seehofer darauf besteht, unseren Vorschlägen, nämlich die Sozialhilfe in den Jahren 1996, 1997 und 1998 entsprechend der Nettorentenanpassung zu er- Dr. Peter Struck (SPD): Nein, ich kann überhaupt höhen, nicht zu folgen, ist, daß diese Bundesregie- noch nicht abschätzen, welches Ergebnis die Bera- tungen des Vermittlungsausschusses haben werden. rung im Jahre 1997 bei der Sozialhilfe eine Null- runde durchsetzen will. Das machen wir nicht mit, (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) und das werden wir auch nicht mitmachen. - Nun einmal langsam! Es verhält sich ja nicht so, (Beifall bei der SPD) daß ich hier für A-Länder zu sprechen hätte. Das wäre nicht im Einklang mit meinem Verfassungsver- ständnis. Ich nehme sehr Rücksicht auf Beiträge der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Der Kollege Bayerischen Staatsregierung oder der baden-würt- Fink hat den Wunsch nach einer Zwischenfrage ge- tembergischen Landesregierung für den Vermitt- äußert. Oder wollen Sie eine Kurzintervention ma- lungsausschuß. chen? - Gut. Da Sie noch etwas Zeit haben, kann der Kollege Fink seine Zwischenfrage stellen. Bitte. (Zuruf von der CDU/CSU: Was ist mit Nie dersachsen?) Ulf Fink (CDU/CSU): Herr Struck, ich möchte die - Niedersachsen meine ich natürlich auch. Frage an Sie richten, ob Sie es für unangemessen Ich bin nämlich der Auffassung, wenn wir uns im halten, daß der Bund, wenn er auf der einen Seite, Vermittlungsausschuß über einen Kompromiß ver- auch gegen politische Widerstände, ein Einsparpaket ständigen sollen, dann müssen wir wenigstens Klar- von rund 3 Milliarden DM zugunsten von Ländern heit darüber haben: Wer wird wie neu belastet? Es und Gemeinden vorschlägt, auf der anderen Seite er- geht bei diesen Gesetzen doch auch um Lastenver- warten kann, daß er die Zustimmung zu einer Ein- teilung. Wenn man allein einmal das Thema nimmt, sparung auf seiner Seite in einer Größenordnung von daß sich der Bund um 230 Millionen entlasten will, 500 Millionen DM bekommt. indem er die Kosten für den unentgeltlichen Trans- port von Behinderten im öffentlichen Personennah- Dr. Peter Struck (SPD): Wenn das so wäre, würde verkehr auf die Länder und Gemeinden - im wesent- ich das natürlich nicht für unangemessen halten. Ich lichen natürlich auf die Länder - verlagert, dann muß kann schon rechnen. Nur, es verhält sich leider nicht man doch Verständnis dafür haben, daß die Länder so, Herr Fink. Sie können das nicht wissen, weil Sie sagen: Wenn wir dies übernehmen - das haben wir ja nicht an den Beratungen beteiligt waren. Die Höhe, in internen Gesprächen angeboten, daß man sich um wieviel denn die Länder und Gemeinden entla- darüber verständigen kann -, dann muß dafür an an- stet werden - Sie haben eben die Zahl 3 Milliarden derer Stelle ein Ausgleich geschaffen werden. Es genannt -, ist zwischen Bund und Ländern umstrit- kann doch nicht immer nur so ablaufen, daß Waigel ten. Wie das bei Leuten üblich ist, die sich in der Ma- seinen Haushalt entlastet und alle anderen dafür be- terie nicht so sehr auskennen, haben wir versucht, in zahlen müssen. dieser Frage auf Staatssekretärsebene zwischen (Beifall bei der SPD) Bund und Ländern wenigstens Einigung darüber zu erzielen, wieviel gespart werden soll, was sozusagen von da nach dort geht. Dieses Einvernehmen war Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bevor ich die nicht herzustellen. Die Zahl von 3 Milliarden ist um- nächste Rednerin aufrufe, gebe ich Ihnen das Ergeb- stritten. Die Länder sagen: Wir machen dabei Minus. nis der namentlichen Abstimmung über den Antrag Was sollen wir denn darauf anderes entgegnen, als der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Zu- zu sagen: Dann müssen wir uns zusammensetzen. rückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen Aber das kann doch nicht so ablaufen, Herr Fink, das Gesetz zur Reform des Rechts der Arbeitslosen- daß sich der Bund durch Regelungen in bezug auf hilfe auf Drucksache 13/4867 bekannt. Abgegebene die originäre Arbeitslosenhilfe entlastet, weil er sie Stimmausweise: 658. Abgegebene Stimmen: eben- nicht mehr zu bezahlen braucht. Ob er um falls 658. Mit Ja haben 340, mit Nein haben 318 ge- 800 Millionen oder 500 Millionen DM entlastet wird, stimmt. ist strittig; aber ich streite mich jetzt nicht um (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 300 Millionen. Klar ist allerdings, daß diese Entla-- stung zu Lasten von Ländern und Gemeinden geht. Der Antrag ist damit angenommen worden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9703

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Endgültiges Ergebnis Dr. Norbert Rieder Dr. Heiner Geißler Armin Laschet Dr. Erich Riedl (München) Abgegebene Stimmen: 658 Herbert Lattmann Klaus Riegert davon: Wilma Glücklich Dr. Paul Laufs Dr. Dr. Reinhard Göhner Karl Josef Laumann Franz Romer ja: 340 Peter Götz Werner Lensing Hannelore Rönsch nein: 318 Dr. Wolfgang Götzer (Wiesbaden) Joachim Gres Peter Letzgus Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Kurt-Dieter Grill Editha Limbach Dr. Klaus Rose Ja Wolfgang Gröbl Walter Link (Diepholz) Kurt J. Rossmanith Hermann Gröhe Eduard Lintner Adolf Roth (Gießen) Claus-Peter Grotz Dr. Klaus W. Lippold Norbert Röttgen CDU/CSU Manfred Grund (Offenbach) Dr. Christian Ruck Horst Günther (Duisburg) Dr. Manfred Lischewski Volker Rühe Carl-Detlev Freiherr von Wolfgang Lohmann Dr. Jürgen Rüttgers Hammerstein (Lüdenscheid) Roland Sauer (Stuttgart) Julius Louven Ortrun Schätzle Jürgen Augustinowitz (Großhennersdorf) Sigrun Löwisch Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz-Günter Bargfrede Otto Hauser (Esslingen) Dr. Michael Luther Heinz Schemken Hansgeorg Hauser Erich Maaß (Wilhelmshaven) Karl-Heinz Scherhag Dr. (Rednitzhembach) Dr. Dietrich Mahlo Gerhard Scheu Klaus-Jürgen Hedrich Norbert Schindler Meinrad Belle Günter Marten Dietmar Schlee Dr. Sabine Bergmann-Pohl Manfred Heise Dr. Martin Mayer Ulrich Schmalz Hans-Dirk Bierling Dr. Renate Hellwig (Siegertsbrunn) Dr. Joseph-Theodor Blank Ernst Hinsken Wolfgang Meckelburg Christian Schmidt (Fürth) Rudolf Meinl Dr.-Ing. Joachim Schmidt Dr. Josef Hollerith Dr. Michael Meister (Halsbrücke) Dr. Karl-Heinz Hornhues Dr. Andreas Schmidt (Mülheim) Dr. Norbert Blüm Siegfried Hornung Hans-Otto Schmiedeberg Joachim Hörster Rudolf Meyer (Winsen) Hans Peter Schmitz Dr. Maria Böhmer Hubert Hüppe Hans Michelbach (Baesweiler) Peter Jacoby Meinolf Michels Michael von Schmude Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Susanne Jaffke Dr. Gerd Müller Birgit Schnieber-Jastram Georg Janovsky Elmar Müller (Kirchheim) Dr. Dr. Wolfgang Bötsch Helmut Jawurek Engelbert Nelle Dr. Rupert Scholz Klaus Brähmig Dr. Dionys Jobst (Bremen) Reinhard Freiherr von Rudolf Braun (Auerbach) Dr.-Ing. Rainer Jork Johannes Nitsch Schorlemer Michael Jung (Limburg) Dr. Erika Schuchardt Dr. Rolf Olderog Wolfgang Schulhoff Dr. Egon Jüttner Friedhelm Ost Dr. Klaus Bühler (Bruchsal) Dr. Harald Kahl (Schwäbisch Gmünd) Hartmut Büttner Bartholomäus Kalb Norbert Otto (Erfurt) Gerhard Schulz (Leipzig) (Schönebeck) Steffen Kampeter Dr. Gerhard Päselt Frederick Schulze Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Peter Paziorek Diethard Schütze (Berlin) (Emstek) Hans-Wilhelm Pesch Clemens Schwalbe Irmgard Karwatzki Ulrich Petzold Dr. Christian Schwarz- (Nordstrand) Schilling Peter Keller Angelika Pfeiffer Wilhelm Josef Sebastian Dr. Gero Pfennig Dr. Bernd Klaußner Dr. Friedbert Pflüger Wilfried Seibel Albert Deß Hans Klein (München) Heinz-Georg Seiffert Renate Diemers Ulrich Klinkert Dr. Winfried Pinger Dr. Helmut Kohl Werner Dörflinger Hans-Ulrich Köhler Dr. Hermann Pohler Bernd Siebert Hansjörgen Doss (Hainspitz) Jürgen Sikora Dr. Manfred Kolbe Marlies Pretzlaff Maria Eichhorn Norbert Königshofen Dr. Bärbel Sothmann Eva-Maria Kors Dr. Bernd Protzner Margarete Späte Hartmut Koschyk Dieter Pützhofen Carl-Dieter Spranger Heinz Dieter Eßmann Manfred Koslowski Wolfgang Steiger Horst Eylmann Thomas Kossendey Hans Raidel Rudolf Kraus Dr. Dr. Wolfgang Freiherr von Wolfgang Krause (Dessau) Rolf Rau Stetten Jochen Feilcke Andreas Krautscheid Helmut Rauber Dr. Dr. Karl H. Fell Arnulf Kriedner Peter Harald Rauen Andreas Storm Ulf Fink Heinz-Jürgen Kronberg Otto Regenspurger Dirk Fischer () Dr.-Ing. Paul Krüger Christa Reichard (Dresden) Matthäus Strebl (Unna) Reiner Krziskewitz Klaus Dieter Reichardt Michael Stübgen (Hamburg) Dr. Hermann Kues (Mannheim) Egon Susset Dr. Bertold Reinartz Dr. Rita Süssmuth Dr. Gerhard Friedrich Dr. Karl A. Lamers Erika Reinhardt Michael Teiser Erich G. Fritz (Heidelberg) Hans-Peter Repnik Dr. Susanne Tiemann Hans-Joachim Fuchtel Roland Richter Dr. Klaus Töpfer Michaela Geiger Dr. Roland Richwien Gottfried Tröger 9704 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Nein Uwe Hiksch Georg Pfannenstein Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Eckhart Pick Wolfgang Vogt (Düren) Stephan Hilsberg Joachim Poß Dr. Horst Waffenschmidt SPD Gerd Höfer Rudolf Purps Dr. Theodor Waigel Frank Hofmann (Volkach) Karin Rehbock-Zureich Alois Graf von Waldburg-Zeil Brigitte Adler Ingrid Holzhüter Margot von Renesse Dr. Jürgen Warnke Erwin Horn Renate Rennebach Kersten Wetzel Robert Antretter Eike Hovermann Otto Reschke Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Hermann Bachmaier Lothar Ibrügger Bernd Reuter Gert Willner Wolfgang Ilte Dr. Edelbert Richter Bernd Wilz Barbara Imhof Günter Rixe Willy Wimmer (Neuss) Brunhilde Irber Reinhold Robbe Ingrid Becker-Inglau Gabriele Iwersen Gerhard Rübenkönig Simon Wittmann Wolfgang Behrendt Renate Jäger Dr. Hansjörg Schäfer (Tännesberg) Hans Berger Jann-Peter Janssen Gudrun Schaich-Walch Dagmar Wöhrl Hans-Werner Bertl Ilse Janz Dieter Schanz Michael Wonneberger Friedhelm Julius Beucher Dr. Uwe Jens Bernd Scheelen Elke Wülfing Rudolf Bindig Volker Jung (Düsseldorf) Dr. Hermann Scheer Peter Kurt Würzbach Lilo Blunck Sabine Kaspereit Siegfried Scheffler Arne Börnsen (Ritterhude) Susanne Kastner Horst Schild Wolfgang Zeitlmann Anni Brandt-Elsweier Hans-Peter Kemper Benno Zierer Tilo Braune Klaus Kirschner Dieter Schloten Wolfgang Zöller Dr. Marianne Klappert Günter Schluckebier Siegrun Klemmer Horst Schmidbauer Ursula Burchardt Hans-Ulrich Klose (Nürnberg) F.D.P. Hans Martin Bury Dr. Hans-Hinrich Knaape Ulla Schmidt (Aachen) Hans Büttner (Ingolstadt) Dagmar Schmidt (Meschede) Ina Albowitz Marion Caspers-Merk Fritz Rudolf Körper Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Dr. Gisela Babel Wolf-Michael Catenhusen Nicolette Kressl Regina Schmidt-Zadel Hildebrecht Braun Peter Conradi Volker Kröning Heinz Schmitt (Berg) (Augsburg) Dr. Herta Däubler-Gmelin Thomas Krüger Dr. Emil Schnell Günther Bredehorn Christel Deichmann Horst Kubatschka Walter Schöler Jörg van Essen Eckart Kuhlwein Ottmar Schreiner Dr. Dr. Marliese Dobberthien Konrad Kunick Gisela Schröter Gisela Frick Peter Dreßen Christine Kurzhals Dr. Mathias Schubert Paul K. Friedhoff Rudolf Dreßler Dr. Uwe Küster Richard Schuhmann Horst Fried rich Freimut Duve Werner Labsch (Delitzsch) Rainer Funke Ludwig Eich Brigitte Lange Reinhard Schultz Hans-Dietrich Genscher Peter Enders Detlev von Larcher (Everswinkel) Dr. Wolfgang Gerhardt Waltraud Lehn Volkmar Schultz (Köln) Joachim Günther (Plauen) Petra Ernstberger Klaus Lennartz Ilse Schumann Dr. Annette Faße Dr. Elke Leonhard Dr. R. Werner Schuster Dr. Elke Ferner Klaus Lohmann (Witten) Dietmar Schütz (Oldenburg) Ulrich Heinrich Lothar Fischer (Homburg) Christa Lörcher Dr. Angelica Schwall-Düren Walter Hirche Erika Lotz Ernst Schwanhold Dr. Iris Follak Dr. Birgit Homburger Norbert Formanski Dieter Maaß (Herne) Bodo Seidenthal Dr. Werner Hoyer Dagmar Freitag Winfried Mante Lisa Seuster Ulrich Irmer (Köln) Dorle Marx Horst Sielaff Dr. Klaus Kinkel Katrin Fuchs (Verl) Ulrike Mascher Erika Simm Detlef Kleinert (Hannover) Monika Ganseforth Johannes Singer Roland Kohn Norbert Gansel Ingrid Matthäus-Maier Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Heinrich L. Kolb Konrad Gilges Heide Mattischeck Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Jürgen Koppelin Iris Gleicke Wieland Sorge Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Günter Gloser Ulrike Mehl Wolfgang Spanier Dr. Otto Graf Lambsdorff Dr. Peter Glotz Herbert Meißner Dr. Dietrich Sperling Sabine Leutheusser Uwe Göllner Jörg-Otto Spiller Schnarrenberger Günter Graf (Friesoythe) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Antje-Marie Steen Uwe Lühr Angelika Graf (Rosenheim) Ursula Mogg Jürgen W. Möllemann Dieter Grasedieck Siegmar Mosdorf Dr. Peter Struck Günther Friedrich Nolting Achim Großmann Michael Müller (Düsseldorf) Joachim Tappe Dr. Karl Hermann Haack Jutta Müller (Völklingen) Jörg Tauss Lisa Peters (Extertal) Christian Müller (Zittau) Dr. Bodo Teichmann Dr. Klaus Röhl Hans-Joachim Hacker Volker Neumann (Bramsche) Margitta Terborg Helmut Schäfer (Mainz) Klaus Hagemann Gerhard Neumann (Gotha) Jella Teuchner Cornelia Schmalz-Jacobsen Manfred Hampel Dr. Edith Niehuis Dr. Gerald Thalheim Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Christel Hanewinckel Dr. Rolf Niese Dr. Alfred Hartenbach Doris Odendahl Dietmar Thieser Dr. Hermann Otto Solms Dr. Liesel Hartenstein Günter Oesinghaus Franz Thönnes Dr. Klaus Hasenfratz Leyla Onur Uta Titze-Stecher Carl-Ludwig Thiele Dr. Ingomar Hauchler Manfred Opel Adelheid Tröscher Dr. Dieter Thomae Dieter Heistermann Adolf Ostertag Hans-Eberhard Urbaniak Jürgen Türk Reinhold Hemker Kurt Palis Siegfried Vergin Dr. Wolfgang Weng Rolf Hempelmann - Albrecht Papenroth Günter Verheugen (Gerlingen) Dr. Barbara Hendricks Dr. Willfried Penner (Pforzheim) Dr. Guido Westerwelle Monika Heubaum Dr. Karsten D. Voigt (Frankfurt) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9705

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Josef Vosen Schon damals standen diese starken Worte in ei- Hans Georg Wagner Christa Nickels nem krassen Widerspruch zu den Kompromissen, die Hans Wallow Egbert Nitsch (Rendsburg) in den Arbeitsgruppen des Vermittlungsausschusses Dr. Konstanze Wegner Cern Özdemir längst erarbeitet wurden. In diesen Arbeitsgruppen Wolfgang Weiermann Gerd Poppe Reinhard Weis (Stendal) Simone Probst waren sich Bundesländer und Bundesregierung aus Matthias Weisheit Dr. Jürgen Rochlitz unserer Sicht gefährlich nahegekommen. Nicht mehr Gunter Weißgerber Halo Saibold strittig waren mittlerweile die Deckelung der Pflege- (Wiesloch) Christine Scheel und Sozialhilfesätze oder auch die Strafmaßnahmen Jochen Welt Irmingard Schewe-Gerigk bei der Verweigerung vermeintlich zumutbarer Ar- Hildegard Wester Rezzo Schlauch beiten. Einig war man sich auch bei dem Vorhaben, Lydia Westrich Albert Schmidt (Hitzhofen) Asylsuchende noch schlechter als bisher zu behan- Inge Wettig-Danielmeier Wolfgang Schmitt deln. Helmut Wieczorek (Duisburg) (Langenfeld) Heidemarie Wieczorek-Zeul Ursula Schönberger Daß die Verhandlungen schließlich doch geplatzt Dieter Wiefelspütz Waltraud Schoppe Berthold Wittich sind, hat mehr strategische als inhaltliche Gründe. Je Werner Schulz (Berlin) lauter sich die Auseinandersetzungen um das Spar- Dr. Marina Steindor Verena Wohlleben Christian Sterzing paket der Bundesregierung zuspitzten, desto mehr Hanna Wolf (München) Manfred Such erschien einigen Akteuren der Theaterdonner gebo- Heidi Wright Dr. Antje Vollmer ten. Ludger Volmer Dr. Christoph Zöpel Helmut Wilhelm (Amberg) Daß es so und nicht anders lief und daß die Ver- Peter Zumkley Margareta Wolf (Frankfurt) handlungen doch wieder aufgenommen werden sol- len, könnte man resigniert mit der Bemerkung abtun, daß Politik eben so sei und Show zum Geschäft ge- BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN PDS höre. Es geht aber um mehr als um die dramaturgi- Gila Altmann (Aurich) schen Qualitäten von Politik. Es geht um die Frage: Wolfgang Bierstedt Elisabeth Altmann Wie gehen wir eigentlich mit denen um, die die Kon- Petra Bläss (Pommelsbrunn) sequenzen unserer Entscheidungen zu tragen ha- Eva Bulling-Schröter Marieluise Beck (Bremen) Heinrich Graf von Einsiedel ben? Mit welchem Respekt oder auch mit welcher (Köln) Ignoranz verhalten wir uns eigentlich gegenüber den Angelika Beer Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs Asylsuchenden, den Sozialhilfeempfängern und den deren Annelie Buntenbach Dr. Gregor Gysi Behinderten, Lebenssituation durch die uns Amke Dietert-Scheuer Hanns-Peter Hartmann vorliegenden Gesetzentwürfe erheblich beeinflußt Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uwe-Jens Heuer würde? Dr. Uschi Eid Dr. Barbara Höll Andrea Fischer (Berlin) Dr. Willibald Jacob Wie verhalten wir uns eigentlich gegenüber den Joseph Fischer (Frankfurt) behinderten Menschen, die seit Monaten zwischen Rita Grießhaber Gerhard Jüttemann Hoffen und Bangen hin- und hergerissen werden? Gerald Häfner Dr. Heidi Knake-Werner Zuerst werden sie durch die Nachricht schockiert, Antje Hermenau Rolf Köhne daß sie nach den Plänen für die Sozialhilfereform nur Kristin Heyne Rolf Kutzmutz noch dann in den eigenen vier Wänden leben dürfen, Dr. Christa Luft Ulrike Höfken wenn ihre Versorgung nicht zu teuer wird. Dann sind Michaele Hustedt Heidemarie Lüth Dr. Manuel Kiper Dr. Günther Maleuda sie erleichtert, weil selbst der Behindertenbeauf- Monika Knoche Manfred Müller (Berlin) tragte der Bundesregierung ihnen versichert, daß mit Dr. Angelika Köster-Loßack Rosel Neuhäuser dem Scheitern der Verhandlungen im Vermittlungs- Christina Schenk ausschuß der Gesetzentwurf der Regierung endgül- Steffen Tippach tig vom Tisch sei. Nun, nur wenige Tage später, müs- Dr. Helmut Lippelt Klaus-Jürgen Warnick sen sie befürchten, daß alles wieder von vorn los Oswald Metzger Dr. Winfried Wolf geht. Kerstin Müller (Köln) Gerhard Zwerenz Dieser selbstvergessene und unberechenbare Poli- tikstil hat sehr viel mit der Rat- und Phantasielosig- keit seiner Akteure zu tun. Dieser Auseinanderset- Jetzt fahren wir in der Debatte fo rt. Das Wort hat zung zwischen den Sparkommissaren, die sich einer die Abgeordnete Andrea Fischer. unterschiedlichen Rhetorik bedienen, aber dasselbe Ziel verfolgen, fehlt jede inhaltliche und konzeptio- nelle Qualität. Die Qualität einer politischen Maß- Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! nahme wird nicht mehr daran gemessen, ob sie den Erst vor drei Wochen haben wir hier in diesem Haus Betroffenen hilft und die Risiken in einer modernen über dieses Thema debattiert. Damals sind starke Gesellschaft abfedert, sondern daran, ob sie ihren Worte gefallen; heute haben wir sie wieder gehört. Akteuren die eindrucksvolle Pose erlaubt und Kosten Die eine Seite spricht von der Blockadepolitik; die spart, ohne einflußreichen Interessengruppen auf die Füße zu treten. andere spricht von der Verweigerungshaltung. Vor drei Wochen hat Bundesminister Seehofer gesagt, Dabei stellt die Debatte über die Sozialhilfe und nachdem das nun im Vermittlungsausschuß geschei- den Umgang mit den Asylsuchenden wichtige Fra- tert sei, wolle er keinen neuen Versuch einer Sozial- gen an uns. Wie gehen wir mit einer Situation um, in hilfereform machen. der die sozialen Sicherungssysteme mit dem Zerfall 9706 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Andrea Fischer (Berlin) der Arbeitsgesellschaft und dem Wandel der Fami- schlägen verkürzen wollen. Von alldem haben Sie lie offensichtlich überfordert sind und immer mehr nicht gesprochen, sondern Sie haben nur die alte Menschen dauerhaft oder zeitweise in Armut gera- Larmoyanz angestimmt, daß es hier um Kürzungen ten? Wie kann angesichts von Fluchtbewegungen, von Bedürftigen und Armen gehe. Damit kommen Einwanderungen und europäischer Integration das Sie politisch nicht mehr über die Runden. ursprünglich nationale Sozialstaatsmodell den Reali- täten einer Weltgesellschaft angepaßt werden? (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Auf diese großen Fragen gibt es selbstverständlich Wir haben - das ist Ihnen schon vorgetragen wor- keine leichten Antworten. Ich behaupte auch nicht, den - in einem Sparpaket von 3 Milliarden DM Ihnen wir hätten die Antworten darauf in der Tasche. Wir 500 Millionen DM Einsparungen seitens des Bundes müssen aber doch darum ringen und uns diesen Fra- angeboten. Sie hatten zunächst einmal viel ehrgeizi- gen stellen. Die kurzatmige Politik, die nur von gere Ziele. Sie wollten auf Arbeitsebene sogar Haushaltsloch zu Haushaltsloch läuft, verweigert 37 Milliarden DM einsparen. Jetzt sind es offensicht- sich dieser Herausforderung aber. Diese Politik spielt lich nur noch 11 Milliarden DM. eine Gestaltungskraft vor, die sie im Konkreten nicht Meine Damen und Herren, Sie haben nichts zu beweisen kann. Wege gebracht; aber Sie hören wie wir die Klagen Dieses unwürdige Schauspiel machen wir nicht der Kommunen und der Spitzenverbände. Auch die mit. Deswegen lehnen wir eine Neuverhandlung der SPD an der Spitze mit Lafontaine sieht das so. Nur, beiden Gesetzentwürfe im Vermittlungsausschuß ab. seine Forderung, der Bund möge für die Sozialhilfe- kosten aufkommen, ist eine originelle Idee. Hierbei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) handelt es sich wieder um eine Verlagerung zu La- sten des Bundes, und damit drückt man sich um die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat eigentliche Reform herum. jetzt die Kollegin Dr. Gisela Babel. Nicht jeder erhält im Leben eine zweite Chance. Nicht jeder hat eine zweite Chance verdient. Aber Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine wir wollen den Ländern und auch der SPD mit unse- Damen und Herren! In völliger Abwesenheit der Ver- rem Antrag eine zweite Chance verschaffen, über treter des Bundesrates haben wir heute in Mehrheit unser Paket noch einmal neu zu beraten und zu ei- beschlossen, den Vermittlungsausschuß noch einmal nem vernünftigeren Beschluß zu kommen. Ich bitte anzurufen. Sie, darüber nachzudenken. Nutzen Sie diese Wir haben der Stellungnahme von Herrn Struck Chance. Machen Sie hier nicht so große Sprüche. Sie merkwürdigerweise entnehmen können, daß sich die wissen, daß aus dem Vermittlungsausschuß manch- gesamte große SPD hinter den Rücken von Herrn mal doch ganz andere Sachen herauskommen, und Biedenkopf und Herrn Stoiber, den beiden Minister- Sie müssen hier dafür geradestehen. Glauben Sie, präsidenten, versteckt. Meine Damen und Herren, daß die Entlastung der Sozialhilfeträger eines der Sie haben sich um die Kernfrage gedrückt, für die wichtigen politischen Reformvorhaben im Gesamtpa- Sie Mitverantwortung tragen: ob Sie einer Reform ket ist und Sie sich hier nicht davonstehlen können. der Sozialhilfe aufgeschlossen gegenüberstehen oder Sie sollten diese Chance für die Integration der So- mit nutzen. nicht. zialhilfeempfänger in den Arbeitsmarkt Sie können die Situation in den Werkstätten verbes- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Alles sern. blockierer!) (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist Demagogie, Es war nicht von irgendwelchen Alternativen die was Sie hier machen! - Weitere Zurufe von Rede. Herr Struck hat lediglich angedeutet, daß das der SPD) für ihn ein Punkt auf dem Basar sei, den er mit ande- ren Punkten gemeinsam verhandeln möchte, zum - Ich weiß, Sie hören das nicht gerne. Wir verhandeln Beispiel mit der Vermögensteuer. Er hat aber nicht ja auch mit den Ländern. gesagt, ob er die Klage der Städte und der Sozialhil- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. feträger für berechtigt hält, daß es gesetzliche Ände- rungen geben muß, um einsparen zu können - die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Kommunen leiden unter diesen Finanzlasten -, und daß es richtig ist, daß wir etwas tun. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Frau Fischer, noch zu Ihnen. Es sind in diesem Pa- jetzt die Abgeordnete Dr. Heidi Knake-Werner. ket, wie Sie wissen, Sonne und Schatten gemischt. Es ist ja nicht nur an Kürzungen gedacht, sondern es gibt einige Punkte, die wir sozialpolitisch für sehr Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Frau Präsidentin! vernünftig halten müssen. Denken Sie an die Mög- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch die PDS lehnt lichkeiten, wie wir Sozialhilfeempfänger in Arbeit in- die erneute Anrufung des Vermittlungsausschusses tegrieren. Denken Sie daran, daß jetzt vielleicht ein zum sogenannten Sozialhilfereformgesetz und zum Instrument geschaffen wird, daß ein Sozialhilfeträger Asylbewerberleistungsgesetz ab, weil wir auch nicht immer verpflichtet wird vorzuleisten. Denken schon vorher die Gesetze abgelehnt haben und über- Sie daran, daß wir die Zeit, in der unsere Bürger im- haupt keine Ansatzpunkte für neue Verhandlungen Status der Sozialhilfe leben, mit unseren Reformvor oder irgendwie gea rtete Kompromisse sehen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9707

Dr. Heidi Knake-Werner Die, wie es die Regierung zu nennen beliebt, Blok- Vorstoß! Ich will gar nicht mehr darüber reden, was kadepolitik der Länder hat einen ganz positiven Ef- das für sie bedeutet. fekt gehabt, nämlich den, daß die vielen Betroffenen in ihren Existenzsorgen für einen Moment aufatmen Ich vermute, die Regierungskoalition ist zu diesem konnten. Ich weiß natürlich, daß Sie in Ihrer Energie Schritt unter anderem dadurch ermuntert worden, die Leistungen für Sozialhilfeberechtigte, Arbeits- daß die Länderfinanzminister der Öffentlichkeit zwi- lose, Flüchtlinge und Schwerbehinderte zu beschnei- schenzeitlich eine Streichliste präsentiert haben, die den nicht nachlassen werden. Ich finde es ein unwür- wirklich Vergleichbares sucht. diges Hin und Her, was mit den Betroffenen gemacht wird und was allein an Finanzerwägungen geschul- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin, det ist. Sie müssen zum Schluß kommen. (Beifall bei der PDS) Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Mein letzter Satz: (Vo r s i t z: Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) Hier werden in bezug auf die Sozialhilfe noch schlim- Ich hoffe sehr, daß am kommenden Samstag die mere Angebote gemacht als jene, die die Regierung Hunderttausende hier in Bonn Ihnen in dieser Ener- sich bisher ausgedacht hat. Wir glauben, daß im Ver- gie einen kräftigen Dämpfer versetzen werden. mittlungsausschuß nur Verschlechterungen heraus- kommen können, und lehnen deshalb die Anrufung (Beifall bei der PDS) ab. Unsere Ablehnung ergibt sich aber auch aus der Danke. Erfahrung mit dem vom Vermittlungsausschuß ange- (Beifall bei der PDS) botenen Kompromißvorschlag in Sachen Sozialhil- fereform. Wir haben diesen aus guten Gründen ab- gelehnt; denn dieser Kompromißvorschlag unter- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die schied sich hinsichtlich der Veränderungen im So- Aussprache. zialhilferecht nur unwesentlich von dem Regierungs- entwurf. Das hat sogar Minister Seehofer bestätigt. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst Mir ist bis heute unklar, warum die Regierung da ei- über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und gentlich nicht zugestimmt hat. Allein die Anbindung F.D.P. zur Anrufung des Vermittlungsausschusses zu der Regelsatzerhöhung für 1996, 1997 und 1998 an dem Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts. Wer die Rentenerhöhung im Bundesgebiet West macht in stimmt für den Antrag auf Drucksache 13/4865? - Zahlen ganze 0,46 Prozent Erhöhung der Sozialhilfe- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit regelsätze aus. Wir alle wissen, daß, wenn das nicht den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die zustande kommt, laut Gesetz zum 1. Juli die Regel- Stimmen der Opposition angenommen. sätze um 8 bis 9 Prozent erhöht werden müßten, Abstimmung über den von den Fraktionen der wenn es denn überhaupt noch nach Bedarfsorientie- CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Antrag zur An- rung geht. rufung des Vermittlungsausschusses zum Asylbewer- Dieses Prinzip gilt ja wohl bis jetzt noch. berleistungsgesetz, Drucksache 12/4866. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Wir fürchten also, daß sich Bund und Länder in der Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- Verhinderung dieser Erhöhung treffen könnten. Die nen gegen die Stimmen der Opposition angenom- eigentliche Nagelprobe für die SPD-regierten Länder men. kommt dann in der Tat am 1. Juli. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf. Auch beim Asylbewerberleistungsgesetz gab es leider keine prinzipielle Ablehnung dieser men- a) Erste Beratung des von den Abgeordneten schenunwürdigen Verschlechterungen seitens der Dr. Hermann Scheer, Michael Müller (Düs- SPD-regierten Länder. Die Einigung ist vor allen Din- seldorf), Volker Junge (Düsseldorf), weite- gen daran gescheitert, daß die Länder Zweifel hat- ren Abgeordneten und der Fraktion der ten, ob bei der Ausweitung des Sachleistungsprin- SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset- zips tatsächlich Einsparungen zustande kommen zes für die Förderung der industriellen könnten, die höher liegen als die zusätzlichen Sozial- Solarzellentechnologie (SzFG) hilfeausgaben für den Fall, daß die originäre Arbeits- losenhilfe gestrichen wird - ein reiner Finanzpoker - Drucksache 13/3812 - also, nicht aber Überlegungen hinsichtlich der exi- Überweisungsvorschlag: stenzbedrohenden Situation der Betroffenen. Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ich wundere mich im übrigen auch über den Sin- Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau neswandel der Regierungskoalition. Ich habe noch Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Tech- gut im Ohr, daß Minister Seehofer versprochen hat, nologie und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO im Falle des Scheiterns im Vermittlungsausschuß eine erneute Initiative zur Sozialhilfeverschlechte- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten rung für diese Legislaturperiode zu unterlassen. Michaele Hustedt, Dr. Uschi Eid, Simone Auch die Betroffenen haben das mit Erleichterung Probst, weiterer Abgeordneter und der zur Kenntnis genommen. Und nun dieser erneute Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 9708 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose 10-Punkte-Programm für den Einstieg ins Wir müssen also lange vor der Erschöpfbarkeit her- Solarzeitalter kömmlicher Energiequellen das Solarzeitalter nicht nur begonnen, sondern bereits eingeführt haben. - Drucksache 13/4481 - Dies ist die große zivilisatorische Herausforderung Überweisungsvorschlag: der nächsten 50 Jahre. Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Finanzausschuß Mit energiewirtschaftlichem und energiepoliti- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten schem Business as usual werden wir vor dieser Her- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ausforderung kläglich versagen. Wir müssen sie poli- Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Tech- nologie und Technikfolgenabschätzung tisch lösen und können nicht auf die Energiewirt- Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus schaft warten. Das jüngste Programm der sieben gro- Haushaltsausschuß ßen EVUs, international des E-7-Gipfels, gestern ver- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für öffentlicht, mit einem Zehnmillionenprogramm für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. die Dritte Welt steht in einem grotesken Verhältnis Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen. von 1 : 10 000 für deren jährliche Investitionen in her- kömmliche Energieversorgungsanlagen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Kol- lege Dr. Hermann Scheer, SPD. Das Solarzeitalter bedeutet die vollständige Um- stellung der Energieversorgung der Menschheit auf unerschöpfliche Energiequellen, das heißt auf solare Dr. Hermann Scheer (SPD): Herr Präsident! Meine Energien, die gleichzeitig die Ökosphäre nicht beein- Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat einen Ge- trächtigen können. setzentwurf eingebracht, ein - so die Kurzfassung des Titels - 100 000-Dächer- und Fassadenprogramm Wer immer die Möglichkeit bestreitet, dies zu reali- für die Solarzellentechnologie. Dies ist ein Element sieren, hat der Menschheit keine Zukunft mehr anzu- des Schrittes in das Solarzeitalter. bieten. Der Eintritt in dieses Solarzeitalter ist eine histori- (Beifall bei der SPD) sche Notwendigkeit. Die einzig interessante Frage ist: Kommt die globale Massen- und Breiteneinfüh- Wer die Realisierung nicht bestreitet, sie aber den- rung solarer bzw. erneuerbarer Energien noch so noch aufschiebt, muß die Frage beantworten: Warum rechtzeitig, daß Klima- und andere Umweltkatastro- nicht jetzt den Sprung ins Solarzeitalter ansetzen phen noch abgewendet werden können und daß exi- durch entsprechende strategische Prioritätenset- stentielle internationale wi rtschaftliche und militäri- zung? sche Konflikte um knapper werdende herkömmliche Energieressourcen bei gleichzeitig wachsender Welt- Je länger wir nämlich warten, desto teurer wird es, bevölkerung und damit wachsender Zahl der Ener- weil die ökologischen Folgeschäden des herkömmli- gieverbraucher noch vermieden werden können? chen Energieeinsatzes zu einer immer untragbarer Umweltsicherheit, Versorgungssicherheit, wirtschaft- werdenden ökonomischen Bürde für die nächste Ge- liche Sicherheit und äußere Sicherheit - dies alles neration werden. Sollen wir der nächsten Generation können das Atomzeitalter und das Zeitalter fossiler sagen: Wir hätten eine Chance für die Vermeidung Brennstoffe bzw. die atomar-fossile Energiewirtschaft ökologischer Katastrophen gehabt, aber es hat sich immer weniger gewährleisten. leider nicht gerechnet? - Wer immer die Realisierung aufschiebt, muß also diese Frage beantworten. Das Solarzeitalter wird dauerhafte Umwelt- und Versorgungssicherheit bringen und einen großen Das solare Potential ist so groß, daß das kein Pro- Beitrag zur Vermeidung künftiger wi rtschaftlicher blem darstellen kann. Die Sonne strahlt in 30 Mi- und politischer Konflikte leisten. nuten so viel Energie auf die Erde, wie die Mensch- heit in einem Jahr an fossilen und atomaren Energien Wer immer, gleich aus welcher Wirtschafts- oder verbraucht. Parteirichtung, die Abwendung von existentiellen Gefahren davon abhängig macht, ob sich eine zivili- Die Frage der Realisierung ist also allein eine satorische Sicherheit dieser A rt rechnet, bewegt sich Frage des Inputs an wirtschaftlichen, technologi- im Zustand geistiger Fehlschaltungen und falscher schen und finanziellen Anstrengungen, die wir auf- politischer Maßstäbe. bringen. Die Enquete-Kommission hat herausgear- beitet, daß auf 0,3 Prozent der Erdoberfläche das (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Dreifache des gegenwärtigen Weltenergiebedarfs GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der mit solaren Technologien befriedigt werden könnte. PDS) Das Solarzeitalter ist aus zwei unleugbar existen- Die Photovoltaik, also die Solarzellentechnologie, tiellen Gründen eine historische Notwendigkeit: Er- ist eine von mehreren Energieträgern zur Nutzung stens, die atomar-fossilen Energiequellen sind ohne erneuerbarer Energien. Da diese alle einen unter- Zweifel erschöpflich. Zweitens, wir können es uns schiedlichen Entwicklungsstand haben, sind die poli- gar nicht mehr leisten, alle noch vorhandenen Ener- tischen Einführungsschritte zwangsläufig unter- gievorkommen zu verbrennen, weil dies die Öko- schiedlich. Bei einigen brauchen wir so etwas wie ein sphäre nicht aushält. 100 000-Dächer-Programm nicht; bei anderen haben wir völlig andere Ansatzmöglichkeiten - etwa bei der (Beifall bei der SPD) Gestaltung der Rahmenbedingungen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9709

Dr. Hermann Scheer Aber die Photovoltaik ist die vielversprechendste Telekommunikation größten Technologiemarkt des unter den solaren Technologien, weil sie am breite- 21. Jahrhunderts nicht beliefern können. sten anwendbar ist. Sie ist allerdings gegenwärtig ohne Zweifel die teuerste. Immerhin ist die Stromge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne winnung aus Photovoltaik heute schon bei einem ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Einsatz in den nicht an ein Stromnetz angebundenen Diejenigen, die diesen Schritt verschleppen, ge- ländlichen Räumen der Dritten Welt nicht mehr teu- fährden damit die Zukunft des Technologiestandorts rer als eine konventionelle Stromerzeugung etwa durch einen Dieselgenerator. Deutschland bzw. Europa. Wir haben die besten technologischen Voraussetzungen auf Grund eines (Beifall bei Abgeordneten der SPD) breiten wissenschaftlich-technologischen Know- hows. Aber wir verspielen diese leichtfertig, wenn Die Photovoltaik hat in den vergangenen Jahren wir nicht unverzüglich den Schritt in die Massenpro- eine beachtliche technologische Entwicklung ge- duktion gehen. nommen, nicht zuletzt in Deutschland. Die Solarmo- dule produzieren heute in zwei Jahren so viel Ener- Dazu gibt es zwei strategische Ansätze. Der eine gie, wie für ihre Herstellung notwendig ist - allen wäre die Einführung einer speziellen Tarifordnung Desinformationen zum Trotz -, bei einer Lebens- für die Einspeisung von Strom aus Solarzellen nach dauer von 30 Jahren und mehr. dem Prinzip der kostengerechten Vergütung. Über 20 Städte in Deutschland haben dies beschlossen, Den theoretischen Fall unterstellt, wir würden den unabhängig von den politischen Mehrheiten vor Ort. gesamten Strombedarf in Deutschland mit Solarzel- Die Grünen schlagen uns eine diesbezügliche Verän- lentechnologie zu decken versuchen, so bräuchten derung des Stromeinspeisungsgesetzes vor. Ich wir dazu eine Fläche von 3 000 Quadratkilometern. selbst bin einer der Wegbereiter dieses Vergütungs- Das sind weniger als 10 Prozent der in Deutschland modells und unterstütze es auch als bundespolitische überbauten Fläche. Aber das ist ein theoretischer Regelung. Fall. Es wäre nämlich falsch, alles nur mit Photovol- taik zu machen; dann hätten wir ein großes Speicher- Der zweite Ansatz ist das hier vorliegende 100 000- problem. Dächer-Programm. Er steht nicht im Widerspruch zu einem kostengerechten Vergütungsmodell, sondern Der entscheidende nächste Schritt ist der Über- beschleunigt den Weg dorthin, ob jetzt bereits auf lo- gang in die Massenproduktion, um den Teufelskreis kaler Ebene oder dann generell. zu durchbrechen: kein breiter Markt, weil zu teuer - zu teuer, weil kein breiter Markt. Die Marktchancen Wir wollen nicht, daß dieser Ansatz in allzu übli- sind gegeben. Keine Technologie hat jemals vor ihrer chem Hickhack verspielt wird. In den Gemeindepar- Einführung so viel öffentliche Sympathie gehabt, auf lamenten heben sich oftmals die klassischen Frakti- keine wurde so sehr gewartet, wie das heute bei der onsgrenzen auf, wenn es um die Förderung und lei- Solartechnologie der Fall ist. der auch um die Blockierung erneuerbarer Energien geht. Wir wollen eine konstruktive zielorientierte Be- Die politische Initiative für ein 100 000-Dächer-Pro- ratung in den Ausschüssen. gramm ist nötig, um den Sprung in die Massenpro- duktion zu organisieren, die die Kosten drastisch Wir sind dabei flexibel in der Frage, welches Fi- senkt. Es ist ein industriepolitisches Programm, das nanzierungskriterium für ein solches Programm das die Voraussetzungen für einen sich anschließend erfolgversprechendste ist. Wir sind auch flexibel in selbst tragenden Markt schaffen kann und soll und der Frage, für welchen finanziellen Deckungsvor- das den Grundstein für einen neuen Industriezweig schlag wir uns entscheiden sollten. Aber die Dek legt, der perspektivisch mehrere 100 000 Menschen kung sollte in jedem Fall aus der Streichung einer in Produktion, Installation und Wartung beschäftigen nicht mehr gerechtfertigten Subvention eines kon- wird. Diese industriellen Chancen öffnen sich demje- ventionellen Energieträgers kommen. Allein die nigen Industrieland, das als erstes den Schritt in die steuerfreien Rücklagen aus dem Betrieb von Atom- Massenproduktion unternimmt. kraftwerken machen 7 Milliarden DM Steuersubven- tionen pro Jahr aus. Allein die Streichung der Mine- Die entscheidende industriepolitische Frage ist ralölsteuerbefreiung für mineralölverarbeitende Be- heute: Erfolgt dieser Schritt bei uns, in Japan oder in triebe würde dieses Programm finanzieren. den USA? Die USA haben ein breit angelegtes Ex- portförderprogramm aufgelegt und sind in den Märk- Wir müssen also entscheiden, ob wir andere ten der Dritten Welt mit Hilfe der Weltbank und der Schwerpunkte setzen. Es geht nicht um mehr Geld, Entwicklungsbanken aktiv, weil sie entsprechende sondern um einen alternativen Geldeinsatz. Das Programme aufbieten, die wir noch nicht aufbieten. 100 000-Dächer-Programm verlangt also eine neue Aber sie haben einen schlechteren technologischen Prioritätensetzung. Entwicklungsstand als wir. In den 50er Jahren wurde das „Atoms for Peace" (Gert Willner [CDU/CSU]: Das ist sehr rich Programm mit großem ideellem und finanziellem tig!) Aufwand gestartet. Die Gefahren der Atomtechnolo- gie führten dazu, daß die damit verbundenen Hoff- Japan legt ein 65 000-Dächer-Programm auf, es hat nungen und Erwartungen an eine emissionsfreie und begonnen. Wer diesen Schritt in die indust rielle- dauerhafte Stromversorgung enttäuscht werden Massenfertigung versäumt, wird den neben der mußten. 9710 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Hermann Scheer In den 60er Jahren begeiste rte sich die Menschheit Nicht hier in diesem Saal, aber hier in diesem Parla- an dem Apollo-Mondfahrtprogramm, das zum tech- ment haben Vorgänger von uns gestanden, etwa mit nologiepolitischen Highlight wurde. den Namen Matthöfer, Ehmke oder Jochimsen, und sie haben auch davon gesprochen, daß alle Probleme Die Solartechnologie wird das einlösen können, beseitigt wären, wenn man denn konsequent auf was die Atomenergie nicht einlösen kann: ein nicht- Atomenergie setzt. Und heute wird gesagt, das war fossiler, risikofreier Energieträger für die Menschheit ein Fehlweg. zu sein. Und weil unsere Probleme auf der Erde und nicht auf dem Mond liegen, wird sie mehr Begeiste- Ich bin da ein Stückweit bescheidener rung in der jungen Generation auslösen als Raum- fahrtprogramme. Dazu brauchen wir Mut zu einem (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Deswegen großen Schritt. machen Sie gar nichts!) Dazu müssen wir endlich den Technikpessimismus und will mich deshalb darauf konzentrieren, was in überwinden, der seitens unserer Indust rie gegenüber Ihren Papieren steht. Dann komme ich allerdings zu der Solartechnologie gepflegt wird, aus Angst vor ei- einer Erkenntnis aus der Bibel: Es gibt nichts Neues nem Strukturwandel, der mit der Einführung der So- unter der Sonne. Denn das, was Sie konkret in Ihren lartechnologie beginnt. Es kommt auf die Politik an. Anträgen fordern, können Sie im Energieforschungs- programm nachlesen, das vor wenigen Wochen vom Danke schön. Bundeskabinett vorgelegt worden ist. (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ Was gut ist, wird bereits heute getan: Nutzung von DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Biomasse - fördern wir. Effizienzsteigerung - machen PDS) wir. Senkung des Energieverbrauchs - wird ener- gisch vorangetrieben. Nachhaltige Energiewi rtschaft Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der - ist zentrales Ziel des Energieforschungsprogramms, Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers. konzentriert auf den Abbau von CO2. Bildung und Ausbildung für energiesparendes und umweltscho- nendes Verhalten - fördern wir. Förderung regenera- Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie: Herr Prä- tiver Energieträger für Entwicklungsländer - machen sident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehr- wir auch. ter Herr Scheer! Ich hatte bisher noch nicht das Ver- Das heißt, bei der Frage, daß wir im Bereich Solar- gnügen, Sie zum Thema Solar reden zu hören, habe und regenerative Energiequellen weiterkommen natürlich das, was Sie dazu veröffentlichen, immer müssen, gibt es wohl grundsätzlich Einverständnis verfolgt und finde es auch wichtig und richtig, daß es zwischen allen Fraktionen. jemanden gibt, der sich für Solartechnik einsetzt. Was mit uns nicht zu machen ist, das ist die kopf- (Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ lose Flucht aus der Kernenergie. Ich glaube nicht, NEN]: Sie nicht! - Zurufe von der SPD) daß der Ausstieg auf absehbare Zeit möglich ist. Ich - Werden Sie doch nicht nervös! Ich wollte ihm ge- bin ganz sicher, daß das die Kernenergiegegner, rade ein Kompliment machen, weil ich es toll finde, auch die in diesem Haus, wissen und daß deshalb im wenn es einen Kollegen gibt, der sich besonders für Moment eine Strategie gefahren wird, die versucht, ein Thema schlägt und einsetzt. Es wird doch wohl die Endlagerung heute zu verhindern, um so den Be- keiner bestreiten, daß Herr Scheer das im Bereich trieb von Kernkraftwerken auf Dauer unmöglich zu der Solartechnologie tut. machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Detlev Das Paradoxe an der Situation ist, daß die Kern- von Larcher [SPD]: Wir sind doch nur auf kraftbefürworter in einer vergleichbaren Situation das „Aber" neugierig!) sind. Auch sie wissen, daß mindestens bis zum Jahre 2005 niemand in Deutschland ein neues Kernkraft- - Sie werden schon nervös, bevor ich etwas sage, werk bauen will. Herr von Larcher. Das ist wahr. (Detlev von Larcher [SPD]: Das war doch Das Aber - das meine ich allerdings ganz ernst - gar nicht Thema!) liegt in der Sprache, die Sie gebrauchen, Herr Scheer. Sie wollen ein „Solarzeitalter" beginnen. Es gibt dazu weder einen aktuellen Bedarf noch öf- Diejenigen, die in der Sache anderer Meinung sind fentliche Akzeptanz. als Sie, haben eine „geistige Fehlschaltung" . Das, was Sie tun, ist eine „historische Notwendigkeit" . Akzeptanz wäre auch in Zukunft nach meiner Ein- Das sind Worte aus dem Sprachgebrauch des Funda- schätzung allenfalls herstellbar, wenn es eine völlig mentalismus. neue Technologielinie gäbe. Ich glaube allerdings nicht - das scheint mir das aktuelle Problem zu sein -, (Widerspruch bei der SPD) daß es sich die Bundesrepublik Deutschland leisten Deshalb habe ich Probleme damit. kann, mangels Konsens in der Energiepolitik einen jahrelangen Stillstand zu erleben. Wenn Sie hier sagen, keine neue Technologie hat soviel öffentliche Sympathie gehabt wie die Solar-- (Detlev von Larcher [SPD]: Das war doch technologie, dann ist das eine ahisto rische Aussage. gar nicht Thema!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9711 Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers - Herr von Larcher, ist es denn nicht möglich, sich ben, die das Geld für ein Solardach zusätzlich zu den einmal anderen Argumenten zu öffnen, statt gleich Baukosten aufbringen können. zu brüllen, bloß weil jemand versucht, die Sache in größerem Zusammenhang darzustellen? (Lachen bei der SPD) (Detlev von Larcher [SPD]: Ich möchte gern, - Das ist schlichtweg die Verteilungswirkung, die daß Sie etwas zum Thema sagen!) darin liegt. - Melden Sie sich doch, wenn Sie etwas zu fragen Wenn das Geld nach zehn Jahren verpulvert ist, haben, statt dazwischenzurufen. soll das bewirkt haben - so sagt es die Begründung -, daß die Stromgestehungskosten aus Solarzellen in (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Haben Deutschland von heute 2 DM pro Kilowattstunde auf Sie das als Minister nötig?) rund ein Zehntel gesunken sind. Ich glaube nicht, - Ich ärgere mich darüber, wenn da jemand sitzt, lie- daß es ein solches Sonnenwunder gibt. ber Herr Müller, der die ganze Zeit nichts anderes zu Ich will auch konkret sagen, was hinter dem tun hat, als dazwischenzurufen. 100 000-Dächer-Programm, das Herr Scheer gerade (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Lassen vorgetragen hat, steht. Sie uns einmal zum Thema reden!) Wir wissen, daß damit durch den Staat rund - Ich versuche es ja. 5,1 Milliarden DM an öffentlichem und p rivatem Geld umgewälzt würden. Der Gewinn an Solarstrom (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nein, für unsere gesamte Stromversorgung würde bei gan- bisher noch nicht!) zen 0,04 Prozent liegen. Durch den massiven kurzfri- - Sie legen nicht fest, was das Thema ist. In diesem stigen Nachfrageschub würden die Preise für Solar- Parlament, Herr Müller, kann man noch sagen, was zellen nicht sinken, sondern steigen. man will. Das bleibt auch so. Der sprunghaft gestiegene deutsche Bedarf müßte Ich stelle die Frage, ob ein Übergangskonsens - - hauptsächlich über Impo rte ausländischer Produkte gedeckt werden. (Weitere Zurufe von der SPD) (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: - Herr Präsident, muß man das alles ertragen? Warum wohl? Weil Sie nicht fördern!) Da die Herstellung von Photovoltaikanlagen arbeits- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das muß man intensiv ist, würden über die gesamte Förderungs- nicht. Wenn Sie möchten, daß ich interveniere, tue dauer Niedriglohnstandorte bevo rteilt. ich das. Privater Forschung und Weiterentwicklung in der Solartechnologie würde nach meiner Ansicht jeder Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie: Ich be- Anreiz entzogen. Denn wer würde noch Materialfor- danke mich herzlich. schung betreiben, wer würde noch in Wirkungsgrad- steigerungen investieren, wenn ein solches massives Ich stelle deshalb die Frage, ob ein Übergangskon- staatliches Subventionsprogramm auch die Technik sens bis zum Jahre 2005 möglich ist. Bis dahin muß von gestern für die Abnehmer finanziell interessant geklärt werden, ob das CO2-Reduktionsziel erreicht machte? wird, ob neue technische Optionen zur Verfügung stehen und welchen Anteil erneuerbare Energien für Wir wissen, daß die Wachstumsraten der Photovol- eine sichere und kostengünstige Energieversorgung taikmärkte in den letzten Jahren bei durchschnittlich ermöglichen können. 15 Prozent lagen, und wir wissen, daß auch ohne Großsubventionen mit einem jährlichen Wachstum Es ist klar, daß ein solcher Übergangskonsens im von 20 Prozent in Zukunft zu rechnen ist. Ich glaube Kern ein Energieforschungskonsens wäre, weil die nicht, daß es verantwortbar ist, ja, ich halte es sogar Klärung der genannten Fragen heute von nieman- für Wahnsinn, eine derartige Entwicklung durch dem von diesem Pult oder von irgendeinem anderen Subventionen noch anheizen zu wollen und dann zu Katheder aus schlußendlich möglich ist. glauben, man käme dadurch auf einen nachhaltigen Entwicklungspfad, was ja wohl das Ziel sein muß. Ich will auch die SPD herzlich einladen, zu einem solchen Burgfrieden beizutragen, weil das für den Deshalb trete ich für einen anderen Weg ein. Ich Standort Deutschland und auch für das energiepoli- halte es zunächst einmal für erforderlich, konsequent tisch angestrebte Ziel - auch dann, wenn man den und kontinuierlich Forschungsförderung in diesem verstärkten Einstieg in die Solarenergie will - ein Bereich zu betreiben. Ich glaube, daß das neue Ener- wichtiger Schritt wäre. Ich glaube allerdings nicht, gieforschungsprogramm mit 400 Millionen DM in der daß der vorgelegte Gesetzentwurf für die Förderung Finanzplanung dies auch gewährleistet. Dabei set- der industriellen Solarzellentechnologie zu einem zen wir von vier Seiten aus an. solchen Burgfrieden beiträgt. Ich will das auch be- gründen. Erstens: Forschung zur Erhöhung des Wirkungs- grades von Solarzellen, was heißt, daß wir Maßnah- Die SPD schlägt vor, den Bürgerinnen und Bürgern men von der Weiterentwicklung der Siliziummateria- in den nächsten zehn Jahren etwa 3 Milliarden DM - lien bis hin zur Prüfung neuartiger Zellenkonzepte aus den Taschen zu ziehen, um sie Bauherren zu ge vorantreiben müssen. 9712 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers Zweitens: Kostensenkung durch Verbesserung der Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung, Fertigungstechnik und die Automatisierung von Her- Wissenschaft, Forschung und Technologie: Aber na- stellungsprozessen für Zellen und Module. türlich. Drittens: Wegbereitung für innovative Anwendun- gen der Photovoltaik in Bereichen, in denen sie ihre Dr. Hermann Scheer (SPD): Herr Minister, so sehr besonderen Vorteile gegenüber leitungsgebundener ich den letzten Gesichtspunkt teile, stellt sich trotz- Stromversorgung ausspielen kann. Das ist ein Punkt, dem die Frage: Ist Ihnen bewußt, daß ein Solarkraft- den Herr Scheer angesprochen hat. Da gibt es Berei- werk auf der grünen Wiese, das dann die Konse- che, in denen schon heute die Kosten vergleichbar quenz wäre, im bet riebswirtschaftlichen Vergleich sind, wenn man auch die Netzkosten jeweils in die deutlich teurer als hausinstallierte Anlagen ist und Rechnung einbezieht. Ich glaube, daß wir auf diesem daß demzufolge, da wir, wie vorhin von mir ausge- Gebiet noch einiges in Deutschland machen können. führt, kein Flächenproblem haben, was die Integra- tion in Gebäudestrukturen anbetrifft, der ökono- Der vierte Ansatzpunkt ist die Förderung der Solar- misch günstigere und rascher erfolgswirksame Weg technologien in den Ländern der Dritten Welt. Auch nicht derjenige über von EVUs installierte Solarkraft- das ist ein wichtiger und zentraler Punkt. werke wäre, sondern daß der eigentliche Hinde- rungsgrund für die EVUs der ist, daß die Energiever- Dieser Forschungsansatz reicht nach meiner An- sorgung dann zwangsläufig in andere Hände ge- sicht allein nicht aus. Ich habe das mit Wissenschaft- riete? Das ist der Strukturwandel. lern in Deutschland diskutiert. Sie gehen davon aus, daß sie es über diesen Weg in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren schaffen, von den berühmten Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung, 2 DM je Kilowattstunde, die unstrittig sind, vielleicht Wissenschaft, Forschung und Technologie: Entwe- auf die Hälfte der Kosten zu kommen. der, Herr Scheer, liegt ein Mißverständnis vor, oder wir sind unterschiedlicher Meinung. Wenn ich den Deshalb habe ich darüber nachgedacht - damit Sie Begriff „dezentrales Kraftwerk" gebrauche, meine auch sehen, daß mir das sehr ernst ist -, ob das zen- ich damit nicht, was jetzt etwa in Kobern-Gondorf trale Argument von Herrn Scheer, nämlich gemäß stattgefunden hat, den Versuch, irgendwo auf der der Bölkowschen Lernkurve über die Massenproduk- grünen Wiese ein Solarkraftwerk hinzusetzen, son- tion die Kosten zu senken, nicht einen Ansatzpunkt dern ich meine die Einbeziehung in die Gebäude- bietet, auf diesem Wege weiterzukommen. Ich sage strukturen. Im Rahmen des Energieforschungspro- noch einmal: Ich halte nichts von dem Subventions- gramms haben wir hierzu einen besonderen Pro- weg des 100 000-Dächer-Programms. Allerdings grammteil entwickelt; denn ich glaube, daß das nicht glaube ich, daß der richtige Weg über die Tarifauf- nur eine Frage der Energieversorgung ist, sondern sichtsbehörden der Länder und die Innovationsfähig- auch eine Frage des Städtebaus und der Architektur. keit der großen Energieversorgungsunternehmen Das, was bisher dazu angeboten ist, reicht - um das führt. einzuflechten - für mein Verständnis von Städtebau Wir haben eine Bundestarifordnung. Die Bundes- und Architektur noch nicht aus. tarifordnung liefert den Ländern die Grundlage für Ich denke nicht über irgendwelche großen Flächen eine innovationsorientierte Tarifaufsicht. Sie gibt den nach, auf denen man solche Solarkraftwerke, wie Sie Ländern Spielraum, im Rahmen ihrer Strompreisauf- sie beschrieben haben, baut, sondern ich meine die sicht innovative Energieversorgungskonzepte bei der Einbeziehung. Auch dies geht zusammen mit den Tarifgestaltung zu honorieren. Das müßte von den EVUs. Denn wo steht bitte geschrieben, daß es eine Ländern nur konsequent mit dem Ziel angewandt bestimmte Größenordnung haben muß, damit sich werden, daß es für die EVUs interessant wird, selbst die EVUs bei dieser Frage überhaupt engagieren? - die Betonung liegt auf „selbst" - Photovoltaikanla- gen zu installieren und als dezentrales Kraftwerk zu Beim durch Windenergie gewonnenen Strom prak- betreiben. tizieren wir ebenfalls ein anderes Verfahren. Auch da machen wir es dezentral, egal, ob da ein Windrotor Dazu müßte vorgesehen werden, daß die hierbei oder mehrere in einem kleinen Windpark stehen. entstehenden Mehrkosten der Solarstromerzeugung Entweder haben Sie zuviel in meine Aussage hinein- ebenso im Gefüge der Tarifordnung auf die Strom- interpretiert, was ich nicht gesagt habe, oder wir preise umgelegt werden können wie Einspeisungen sind, falls Sie der Auffassung sind, daß es nur als von Selbstversorgern. Außerdem muß es für EVUs in- Alternative geht, anderer Meinung. teressant werden, selbst Photovoltaikanlagen zu pro- duzieren, und zwar für den Eigenbedarf sowie für Meine Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen den deutschen und den internationalen Markt; denn und Kollegen, um das Ganze zusammenzufassen: Ich ich meine - auch da stimmen wir überein, Herr glaube, daß es notwendig ist, den Weg konsequent Scheer -, es ist schwer einzusehen, daß die kapital- zu gehen. Ich mache das bescheidener als Sie, Herr starken EVUs in Forschung und Entwicklung so völ- Scheer. Ich glaube auch nicht, daß hier ein neues lig abstinent bleiben und die ganze Forschung und Zeitalter ausbricht. Am Schluß werden wir einen Mix Entwicklung den Anlagenherstellern überlassen. bekommen. Ich persönlich - ich habe das auch öffentlich oft ge- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Minister, nug gesagt - glaube nicht, daß wir auf Kernkraft wer- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen den verzichten können. Ich bin nur sicher, wir wer- Scheer? den uns in dieser Frage in der nächsten Zeit nicht Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9713

Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers einigen. Deshalb ist es vielleicht auch für Sie bei Ih- Minister Rexrodt ist wegen Krankheit entschuldigt. rer Interessenlage, etwas für die Solarenergie zu tun, Ich wünsche ihm von hier aus gute Genesung. Aber wichtig, darüber nachzudenken, ob wir nicht in die- Frau Merkel müßte hier an der Debatte teilnehmen. ser ideologischen Frage eine „Auszeit" miteinander Statt dessen kämpft sie nur für die Atomkraft. vereinbaren und gleichzeitig, um in Sachen Solar- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Staatssekretär Hir energie und regenerative Energien weiterzukom- che ist da!) men, versuchen, die Entwicklung eines inhärent si- cheren Kernkraftwerks voranzutreiben. Wenn der Auch Sie, Herr Minister Rüttgers, haben die Hälfte richtige Zeitpunkt gekommen ist, wollen wir Bilanz Ihrer Redezeit für die Atomkraft verbraucht und kein ziehen und feststellen, wieviel wir konkret umsetzen Wort dazu gesagt, wie erneuerbare Energieträger tat- können. sächlich gefördert werden. Das bedeutet natürlich, daß wir den Weg im Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN reich Solarenergie gemeinsam gehen. Da gilt der von und bei der SPD) mir angesprochene Ansatz der Einbeziehung der Das ist die Pro-Atom-Politik der Bundesregierung. EVUs. Ich glaube nicht, daß es richtig ist, über einen subventionierten Ansatz weiterzumachen. Wir soll- Erneuerbare Energieträger schaffen Arbeitsplätze ten versuchen, den anderen Weg zu gehen. Darüber mit Zukunft - vor allem im Mittelstand und bei klei- wird man sicherlich im Ausschuß und darüber hinaus nen Investoren -, die nicht am Dauertropf von Sub- noch gemeinsam reden müssen. Diese Gespräche ventionsgeldern hängen. Das Wirtschaftsministerium sind notwendig und beginnen mit der heutigen müßte sich als begeiste rter Vorkämpfer für die erneu- Debatte. erbaren Energieträger präsentieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) An die Adresse von Frau Merkel, die nicht hier ist - das findet sie anscheinend nicht interessant genug -, Das Wort hat die gerichtet frage ich: Wie, bitte schön, möchte sie das Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: 2005 und 2050 denn erreichen, ohne Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen. Klimaschutzziel daß die Stromerzeugung Schritt für Schritt auf Sonne, Wind, Biogas und Erdwärme umgestellt wird? Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber nein, sie kämpft für die Atomkraft, nicht für die Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Mi- erneuerbaren Energieträger. nister Rüttgers, ich finde tatsächlich, daß die Bundes- regierung in Fragen erneuerbarer Energien außeror- Herr Minister Rüttgers, die Nutzung der Sonnen- dentlich bescheiden auftritt. Ich fände es besser, energie schafft auch Innovation. Wer hier als erstes wenn Sie hier entschieden aufträten und endlich ein- den Durchbruch schafft, wird weltweit auf diesem mal sagen würden, wie Sie die erneuerbaren Ener- wachsenden Markt die Nase vorn haben. Aber im- gien tatsächlich fördern. mer mit der Ruhe: Wir haben die Entwicklung in der Computertechnologie schon verschlafen, und wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden auch den Einstieg in das Solarzeitalter ver- schlafen. Sind Sie denn wirklich so phantasielos, daß Fakt ist nämlich, daß wir uns bei der Förderung er- Sie sich keine andere Energieerzeugung als auf der neuerbarer Energien in diesem Lande auf einem ab- Basis von Kohle und Atomkraft vorstellen können? soluten Tiefstand befinden. Die Technologie der Verbrennung fossiler Stoffe ist (Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers: Das nur etwas über 100 Jahre alt, die Atomkraft gerade stimmt doch nicht!) mal 50 Jahre. Glauben Sie etwa, daß die erdöl- und kohleabhängigen Energiesysteme die Energietech- Das Förderprogramm von 1996 war schon am nologien des 21. Jahrhunderts sein werden? 8. Januar 1996 vollständig ausgebucht, auch das von 1997 ist ausgebucht. Die Baugesetzbuchregelung Es gäbe hier eine Chance, mit einer Innovations wird verschleppt. Das Stromeinspeisungsgesetz wird technologie zum Marktführer zu werden, gleichzei- von den Stromkonzernen gesetzeswidrig boykottiert tig den Mittelstand zu fördern und dem Ziel näherzu- - hilfloses Achselzucken auf seiten der Bundesregie- kommen, die Treibhauskatastrophe zu verhindern, rung. Die Energiesteuer wird auf den Sankt-Nimmer- und das bei vollster Unterstützung durch die Bevöl- leins-Tag verschoben. Die Folge ist: Die Windkraft kerung. branche muß schon wieder Arbeitskräfte entlassen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und ASE, der letzte Photovoltaikhersteller in Deutschland, hat das Handtuch geworfen und ist in Wie man diese Chance vertun kann, verstehe ich die USA ausgewandert, weil er dort seine Produkte überhaupt nicht. Die Zukunft beginnt nämlich heute, besser absetzen kann. aber anscheinend nicht mit Ihnen. In der Atomkraftdebatte gehen Sie mit zwei Mini- Wir fordern die Ausweitung des Stromeinspei- stern engagiert in die Bütt, da wird kein Konflikt mit sungsgesetzes um eine kostendeckende Vergütung, der Bevölkerung gescheut, und es werden 50 Mil- unter anderem für die Photovoltaik. Das ist unser lionen DM für jeden Castor ausgegeben. Geht es Hauptinstrument, um die Massennachfrage in die- aber um die erneuerbaren Energieträger, die uns die sem Land zu fördern. Dieses Gesetz hat als Instru- Natur klimafreundlich zur Verfügung stellt, dann äu- ment ungeheure Vorteile. Es ist nämlich völlig unbü- ßern Sie Ihre Zweifel, Ihre Bedenken, Ihre Befürch-- rokratisch, es stellt keine Belastung des Haushalts tungen. dar - das ist in Sparzeiten besonders wichtig -, es 9714 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Michaele Hustedt gibt unabhängig von der Haushaltslage Investitions- die er anstrebt, Risikokapital von 4 Millionen DM zu sicherheit, und es gibt gleichzeitig einen Anreiz zur gewinnen. Das ist in diesem Land völlig unüblich. Wirtschaftlichkeit und zu sorgfältiger Wartung der Für Sonnenenergie jedoch besteht diese Bereitschaft. Anlage; denn wer besser und länger produziert, hat auch mehr Gewinn mit seiner Anlage. Ein ideales In- Ob jung, ob alt - alle lieben die erneuerbaren Ener- strument also, das absolut in diese Zeit paßt. gieträger, insbesondere die Sonnenenergie. Eine vom RWE in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage be- Der bisherige Erfolg des Stromeinspeisungsgeset- sagt, daß über 70 Prozent der Bevölkerung bereit wä- zes ist entsprechend beeindruckend. Es gab in den ren, mindestens 5 DM mehr, als die Stromrechnung letzten fünf Jahren eine Steigerung um 1 800 Prozent ausweist, zu bezahlen, wenn dieses Geld für erneuer- im Bereich der Windkraft. In Holland wurde mit die- bare Energieträger eingesetzt wird. Das heißt: Auch sem Instrument die Kraft-Wärme-Kopplung auf über von seiten der Bürger erhalten wir grünes Licht, den 40 Prozent gesteigert. In den letzten fünf Jahren wur- Weg des Stromeinspeisungsgesetzes weiterhin zu den in diesem Bereich 10 000 neue innovative Ar- verfolgen. beitsplätze durch die Windkraftbranche geschaffen. Zum Vergleich: In der gesamten Atomindustrie ar- Die Förderprogramme, wie die SPD sie vorge- beiten gerade mal 16 000 Menschen. schlagen hat, können in diesem Zusammenhang durchaus positiv ergänzend wirken. Dies gilt aller- Das Stromeinspeisungsgesetz hat auch einen un- dings nur für Förderprogramme, die über den Um- geheuer großen Innovationsschub im Bereich Wind- fang einer Portokasse, wie es die Bundesregierung krafttechnologien bewirkt. Die Anlagen wurden vorsieht, hinausgehen. Ein 100 000-Dächer-Pro- weiterentwickelt und sind in den letzten fünf Jahren gramm macht für die Sonnenenergie durchaus Sinn. wesentlich wirtschaftlicher geworden. Die spezifi- schen Kosten zur Erzeugung einer Kilowattstunde Mit dem Einstieg in die Massenproduktion könnte sind durch die Vergrößerung der Anlagen von 50 auf man den Preis für die Photovoltaikzellen mindestens 500 Kilowatt, teilweise sogar 1 Megawatt, deutlich halbieren - das wurde hier schon gesagt -, wenn gesenkt worden. Wir haben damit inzwischen Däne- nicht sogar auf ein Drittel zurückführen. Deshalb mark überholt und haben die beste Technologie an- wollen wir in unserem Stromeinspeisungsgesetz kei- zubieten. nen Fixpreis angeben; die Vergütung soll sich viel- mehr jedes Jahr nach dem neuesten Stand der Tech- Wann hat es schon einmal solch eine positive Bi- nik reduzieren. Das Förderprogramm kann das lanz eines Gesetzes gegeben? Man muß doch ver- Stromeinspeisungsgesetz positiv begleiten, um die rückt sein, wenn man dieses Gesetz nicht ausbaut Verbreitung der Photovoltaik voranzubringen. und nicht weiter auf dieses Instrument setzt. Anstatt aber nur immer wieder über den Standort (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutschland zu jammern, wie es von seiten der Bun- Doch Sie wollen es nicht. Wenn man nach dem desregierung getan wird, und keine Antworten dar- Warum fragt, dann kann man eindeutig sagen, Sie auf zu haben, wie man das Klimaschutzziel erreichen kuschen vor den großen Stromkonzernen. kann, sollte endlich gehandelt werden. Ich gebe Ih- nen einen Tip: Wenn Sie einen Energiekonsens wol- (Zuruf des Abg. Dr. Christian Ruck [CDU/ len, dann durch den Einstieg in das Solarzeitalter. CSU]) Hier nämlich besteht Konsens in diesem Lande. Denn die wissen, wenn diese Dynamik anhält, be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kommen sie eine echte Konkurrenz. Wenn die Bau- und bei der SPD) ern die Biogasanlagen bauen, wenn die Dorfgemein- schaften Windparks anlegen und wenn die Eigen- Dieser realisierbaren Vision sollte man alle Steine heimbesitzer Solardächer bauen und Wärme und aus dem Wege räumen. Strom erzeugen, dann wird Schritt für Schritt die Energieerzeugung von den Bürgern selbst in die Das wichtigste Element ist das Stromeinspeisungs- Hand genommen. Die Macht der großen Stromkon- gesetz. Aber auch andere Ministerien müssen und zerne, der großen Monopole wird damit von unten sollen dafür die Ärmel hochkrempeln. Der Einstieg in aufgelöst. das Solarzeitalter ist, wenn man es ernst damit meint, ein Reformprojekt für die gesamte Regierung. Des- (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Ich schlage wegen müßte hier eigentlich die gesamte Minister- vor, Mecklenburg-Vorpommern wird zuge riege vertreten sein. pflastert!) Der Ausstieg aus der Atomtechnologie, Herr Rütt- Damit würde auch eine neue Gründerwelle entste- gers, wäre eine Initialzündung. Endlich wären die hen, die diese unflexiblen Monopole endlich einmal Überkapazitäten weg, die eine Blockade für Investi- auf Trab bringen würde. Es gibt nämlich in unserem tionen und neue Technologien darstellen. Deswegen Lande nicht nur Shareholder und Manager, die quasi wirkt auch Ihr über die BTO vorgeschlagener Weg halbe Beamte sind. Es gibt in diesem Lande noch nicht; denn die Stromkonzerne haben wegen der echte Unternehmer, die etwas unternehmen wollen. Überkapazitäten zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt Es gibt eine große Bereitschaft in diesem Land, Geld kein Interesse an Neuinvestitionen. dafür in die Hand zu nehmen. Natürlich wäre die Einführung einer Energiesteuer Herr Salvamoser konnte es zum Beispiel innerhalb- für die Heranführung erneuerbarer Energieträger an von ganz kurzer Zeit schaffen, für seine Produktion, die Wirtschaftlichkeit außerordentlich hilfreich. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9715

Michaele Hustedt Wenn man sich, wie Herr Rexrodt, an die Neuord- Das Sonnenzeitalter beginnt, wenn dies viele Men- nung der Energiewirtschaftsstruktur begibt, sollte schen wollen. Es hat schon begonnen - von unten, man dies mit Blick auf die Zukunftstechnologien ma- leider gegen die Bundesregierung. chen und sie in ihrer Entwicklung durch eine Struk- tur fördern und nicht schädigen, wie es die Konse- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, quenz des Modells von Herrn Rexrodt wäre. Wir ha- bei der SPD und der PDS) ben einen entsprechenden Vorschlag für ein neues

Energiegesetz verabschiedet und werden dies im Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat der Bundestag einbringen. Kollege , F.D.P. Statt das Geld noch immer schaufelweise für die Atomtechnologie rauszuschmeißen, sollte das For- Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Herr Präsident! Meine schungsministerium die Mittel konsequent zugun- Damen und Herren! Vor uns liegt zur Beratung der sten der Sonnenenergie umschichten. Gesetzentwurf der SPD zur Förderung der industriel- len Solarzellentechnologie sowie der Antrag der Grü- Wir brauchen auch eine Ausbildungsoffensive für nen für ein 10-Punkte-Programm für den Einstieg ins Architekten, Handwerker und Ingenieure; denn viel Solarzeitalter. Ich denke, wir sind lange im Solarzeit- zu häufig wird den Bauherren und Baudamen die Be- alter; denn Leben ist, glaube ich, auf der Welt ohne reitschaft, auf den Einsatz von Sonnenenergie zu set- die Sonne überhaupt nicht möglich. zen, durch schlechte und unqualifizierte Beratung genommen. (Lachen bei der SPD - Beifall bei der F.D.P.) Wenn wir hier vom Solarzeitalter reden, dann mei- Auch Herr Töpfer könnte etwas tun. Wenn wir uns nen wir günstigstenfalls, daß wir ein ganz klein we- jetzt an die Novellierung des Baugesetzbuches ma- nig Energie, gemessen an der Gesamtenergie, die chen, sollten wir dafür sorgen, daß die erneuerbaren täglich benötigt wird, um überhaupt Leben zu erhal- Energieträger bei privaten Bauvorhaben begünstigt ten, aus anderen Quellen schöpfen. Deswegen wäre und auch die Altbauten umgerüstet werden. ich vorsichtig mit so großen Worten wie „Einstieg in (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Auf keinen ein Solarzeitalter". Seien Sie froh, daß die Sonne seit Fall!) langem scheint, sonst wären wir alle nicht hier. Mit diesen Initiativen greift die Opposition ener- Gerade die Entwicklungs- und Außenpolitik giepolitische Themen auf, die von großer Bedeutung könnte einen Beitrag leisten. Für viele Dörfer in den sind und zu Recht zunehmend in das Interesse der Entwicklungsländern ist die Versorgung mit Strom Öffentlichkeit gerückt sind. Ein Beweis dafür ist, daß durch Photovoltaik billiger als durch Großkraft- wir uns damit heute im Bundestag befassen. Die werke; denn sie sind nicht an das Stromnetz ange- Freien Demokraten begrüßen dies ausdrücklich. schlossen. Hier brauchen wir im Dialog mit den Ent- scheidungsträgern vor Ort Joint-ventures. Frau Hustedt, Sie haben vorhin von Unternehmern gesprochen, die etwas unternehmen wollen. Dazu Daß unsere Windkraftanlagenbauer gerade einmal gehört auch, daß man Kosten unter Kontrolle hat; das einen Export in Höhe von 10 Prozent verzeichnen, sage ich Ihnen als Unternehmer. Sie behaupten während dieser bei den Dänen 90 Prozent beträgt, dann, daß das Stromeinspeisungsgesetz ein so schö- hängt sicherlich auch damit zusammen, daß sie nes Gesetz ist, weil es die „Haushalte" nichts kostet. durch das Auswärtige Amt nur mangelhaft unter- Sie dürfen das aber nur auf die öffentlichen Haus- stützt werden. Das Auswärtige Amt nimmt die Groß- halte und nicht auch auf die p rivaten Haushalte be- kraftwerksbetreiber zu jeder Wirtschaftsreise mit, die ziehen, denn die privaten Haushalte kostet das wohl Windkraftanlagenbauer aber läßt es zu Hause. sehr viel. Zumindest meine Generation - das sage ich hier Als dieses Gesetz verabschiedet wurde, waren Ko- ganz deutlich - wird sich nicht damit abfinden, daß sten von 80 Millionen DM in der Diskussion. Mittler- unsere Zukunft verpraßt wird. Ein von Kohle und weile bewegen wir uns auf 400 Millionen DM zu. Atomkraft abhängiges Energiesystem ist nicht das Wenn alles, was in der Zwischenzeit angemeldet, im Energiesystem der Zukunft. Dieses Land wird sich Bau oder geplant ist, ans Netz ginge, würde das ändern. Die Energiewirtschaft muß sich ändern. Kosten von etwa 1,2 Milliarden DM bedeuten. Es Wenn die alte Generation, die alte Bundesregierung, kostet also eine ganze Menge, wenn auch nicht die dies nicht packt, dann sollte sie ihren Platz für Jün- öffentlichen Haushalte; aber wir sollten meiner Mei- gere frei machen. nung nach den Bürger nicht über Gebühr strapazie- ren und uns sehr wohl überlegen, wie weit wir dieses (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Instrumentarium ausdehnen wollen. Aber bei Ihnen sowie bei Abgeordneten der SPD) scheint das Geld der privaten Haushalte keine so große Bedeutung zu haben, das Geld in den öffent- lichen Kassen aber um so mehr. Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit. (Detlev von Larcher [SPD]: Nicht zu glau ben bei der F.D.P.-Politik!)

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):- - Sie brauchen es ja nicht zu glauben. Ich erlaube Ich komme zum Ende. mir trotzdem, die Gedanken vorzutragen, die ich mir 9716 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Paul K. Friedhoff dazu gemacht habe und die in meiner Fraktion auch seitigung der Kernkraftruinen der ehemaligen DDR entsprechende Mehrheiten haben. in Greifswald und anderswo zahlt der Bund minde- stens 15 Milliarden DM. Für die Beseitigung des Wis- Neben der Einsparung von Energie liegt in der mut-Uranloches in der ehemaligen DDR-Zeit zahlt Nutzung der regenerativen Energiequellen der der Bund 15 bis 20 Milliarden DM. Für seine Beteili- Schlüssel für eine umfassende Klimaschutzpolitik. gung an der Sanierung russischer Kraftwerke vom Dies ist breiter Konsens in der Gesellschaft und auch Typ Tschernobyl zahlt der Bund 15 Milliarden DM. zwischen den Parteien, wenn ich das richtig ver- Für die Beseitigung der Reaktorsuppe im For- stehe. schungsreaktor Karlsruhe zahlt der Bund 1 Milliarde Bei genauerer Betrachtung sind aber die Vor- DM. schläge, die Sie dazu abliefern, nicht zielgerichtet, sondern eine reine Forderung nach Subventionen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin Wir haben vorhin ja wieder einen breiten Katalog ge- Hustedt, Fragen sollen nach der Geschäftsordnung hört. Hinter diesen Vorschlägen steht eine handfeste kurz sein. Würden Sie bitte Ihre Frage stellen. Industriepolitik. Zusätzliche Programme in dreistelli- ger Millionenhöhe werden entworfen und gefordert. Der Bund, ohnehin in schwieriger Haushaltslage, soll Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): - so sieht es die SPD vor - im ersten Jahr des Pro- Ich komme zur Frage. Diese Liste kann man fortfüh- gramms 200 Millionen DM, im zweiten und dritten ren. Man kommt auf einen Subventionstatbestand in- Jahr 300 Millionen DM bezahlen, und als Ober- nerhalb von 10 Jahren von mindestens 95 Milliarden grenze weiterer Belastungen sind irgendwo DM. Jetzt frage ich Sie, da Sie von Subventionsgel 350 Millionen genannt. Von „degressiv ausgestalte- dern reden, ob die Atomkraft in Ihren Augen subven- tem Förderprogramm" also überhaupt keine Spur. tioniert wird oder nicht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Friedhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- legen Detlev von Larcher? Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Die Atomkraft wird heute aus verschiedenen Gründen bei der Erzeu- Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Ja, sicher. gung nicht subventioniert. Die Entwicklung ist selbstverständlich entsprechend subventioniert wor- den, weil es sich um einen Anschub handelte. Bei Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. den Zahlen, die Sie gerade genannt haben, sollten Sie jetzt einmal folgendes dagegenhalten. Es wird Detlev von Larcher (SPD): Herr Kollege, halten Sie etwa 30 Prozent der in diesem Land verbrauchten die Entlastung der mineralölverarbeitenden Industrie Menge an Elektrizität, auch aus Kernenergie, auf von der Mineralölsteuer für wichtiger als die Förde- Grund der damaligen Einführung heute sehr kosten- rung durch ein solches Programm? Es geht dabei im- intensiv erzeugt. Ich halte das, was Sie mit Ihrer merhin um 350 Millionen DM jährlich. Frage implizieren wollten, für nicht zielführend, weil wir über eine Technologie reden, die eingeführt ist. Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Ich halte jede Form von Diese Technologie hat sich bewäh rt und ist im Subventionierung für falsch. Genauso halte ich die Moment ein ganz wesentlicher Pfeiler unserer Strom- Förderung der deutschen Steinkohle mit 10 Mil- versorgung. liarden DM nicht für zielgerichtet. Wir machen an Der Antrag der Grünen geht über die Forderungen dieser Stelle eine ganze Menge falsch, allerdings ver- der SPD weit hinaus. Man muß ehrlich sagen, daß hindert dies die Opposition an vielen Stellen nicht, Sie der Sicherheit halber die wahren Kosten nicht be- sondern treibt uns geradewegs dorthin, wie bei dem ziffern, die ein aus Ihrer Sicht notwendiges grund- von mir vorhin gebrachten Beispiel. sätzliches Umdenken in der Energiepolitik zur Folge (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne hat. Sie fordern den „Umstieg von einer zentralisti- ten der CDU/CSU) schen Energiewirtschaft auf Basis von Atomspaltung und fossilen Brennstoffen zu einer dezentralen, bür- gernahen Sonnenwirtschaft" . Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Friedhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kol- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) legin Hustedt? Das liest sich wirklich toll. Bedenken Sie nur, was das in der Praxis kostet! Was daran am Ende noch Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Ja. bürgernah ist, steht auf einem völlig anderen Blatt. Ich denke, dieses Zitat aus dem 10-Punkte-Pro- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. gramm sagt vieles über die Wahrnehmung der Reali- täten von Bündnis 90/Die Grünen aus. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Für die F.D.P. ist die Energiepolitik ein integraler Ich lese Ihnen zur Verdeutlichung meiner Frage zu- Bestandteil der Wirtschaftspolitik, die selbstverständ- nächst eine Liste vor. Die bisher angefallenen Investi- lich auch der Umwelt verpflichtet ist. Dazu gehört tionen des Bundes in die Endlager Gorleben, Schacht- eine effiziente Klimaschutzstrategie; denn das Klima Konrad usw. betragen 4 Milliarden DM. Für die Be hat sich nach vorherrschender Meinung von Klima- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9717

Paul K. Friedhoff wissenschaftlern in den letzten 120 Jahren durch den sehr hohen Fertigungskosten, gepaart mit der immer Eintrag von Emissionen wie CO2 und anderen klima- noch geringen Ausbeute der Solarstrahlung, begrün- relevanten Spurengasen in der Atmosphäre verän- det. Daß wir durch das 10-Punkte-Programm des dert. Bündnisses/Die Grünen dahin kommen, daß es sich rechnet, glauben wir nicht. Eine sprunghafte Verbes- Deshalb hat die Bundesregierung ein CO2-Minde- serung ist überhaupt nicht zu erwarten. Vielmehr be- rungsziel von 25 bis 30 Prozent bis zum Jahre 2005 steht bei der Verwirklichung einer Großproduktion auf der Basis des Jahres 1990 formuliert. Hieran auf der Grundlage der derzeitigen Zellentechnik die arbeitet die Koalition. Gefahr einer grandiosen Fehlinvestition, weil in eini- Im Gegensatz zu den Ansätzen der Opposition, die gen Jahren durchaus Konkurrenten mit neuen Tech- ihre Minderungsstrategie vor allen Dingen auf die niken den Markt bedeutsam beeinflussen können. Ausweitung und Nutzung von regenerativen Ener- Wir wollen keine Industriepolitik, die lenkend in giequellen, insbesondere den Einsatz der Photovol- den Markt eingreift, ihn jedoch nicht antizipieren taik, konzentriert, verfolgt die F.D.P. einen breiteren kann. Auch hier gilt: Gut gemeint ist nicht schon gut. Ansatz. Für uns steht außer Frage, daß eine nationale Deshalb gilt den Vorschlägen der Opposition unser Klimaschutzpolitik wirtschafts- und arbeitsplatzver- klares Nein. träglich sein muß. Deshalb müssen die CO2-Minde- rungskosten für verschiedene Maßnahmekategorien Ich bedanke mich. sorgfältig geprüft werden. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Relativ günstige Minderungsmöglichkeiten finden sich bei der rationellen Energieanwendung, insbe- sondere bei der Energieeinsparung bei Gebäuden, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der bei der besseren Ausnutzung von Erdgas sowohl in Kollege Köhne, PDS. der Fernwärmeversorgung als auch in der Elektrizi- tätserzeugung und last but not least in der weiteren Nutzung der Kernenergie. Rolf Köhne (PDS): Herr Präsident! Liebe Kollegin- nen und Kollegen! Wasser, Wind, Sonne, Biomasse Wesentlich sind darüber hinaus auch die techni- und vorübergehend Kraft-Wärme-Kopplung sind die schen Maßnahmen im Straßenverkehr und die Aus- Stichworte einer zukünftigen Energieversorgung. Je- schöpfung der wirtschaftlich vertretbaren Optionen der - ich korrigiere mich: fast jeder - weiß das. Es bei den erneuerbaren Energiequellen. passiert aber so gut wie nichts. Wie die Langfriststu- Die große Bandbreite der möglichen CO2-Minde- die der Prognos AG zeigt, werden diese Energiequel- rungsmaßnahmen zeigt, wie wesentlich ein breiter len auch zukünftig kaum eine Rolle spielen. Das Klimaschutz ist. Die Verengung auf das Thema der selbstgesteckte klimapolitische Ziel wird durch diese Förderung vorhandener Technologien zur Stromer- Bundesregierung nicht erreicht werden, auch wenn zeugung aus Sonnenenergie genügt nicht; denn die sie noch so sehr daran arbeitet. Die Ausführungen Kosten und damit die gesamtwirtschaftlichen Rück- von Minister Rüttgers haben deutlich gemacht, wirkungen von unterschiedlichen Maßnahmen sind warum es so ist und daß es so bleiben wird. für ihren langfristigen Erfolg ausschlaggebend. Es ist wieder einmal deutlich geworden: Ohne ei- Dreh- und Angelpunkt der Durchsetzung unserer nen Ausstieg aus der Atomenergie wird es offensicht- klimapolitischen Ziele ist eine ökologische Weiter- lich keine Energiewende hin zu regenerativen Ener- entwicklung unseres Steuersystems. Die F.D.P. will giequellen geben. Es ist deshalb gut, daß sich die deshalb die ökologische Weiterentwicklung des SPD hier und heute für die Photovoltaik einsetzt und Steuersystems in die Strategie zur Steuersenkung einen Gesetzentwurf für ein 100 000-Dächer-Pro- einbetten. Innerhalb des Steuersystems muß eine gramm eingebracht hat. Dieser Gesetzentwurf findet Umschichtung erfolgen. Wir wollen den Abbau öko- ausdrücklich unsere Zustimmung. Ich stimme allen logisch kontraproduktiver Regelungen im Steuer- Ausführungen, die Kollege Scheer hier vorhin ge- recht und die Nutzung von Steuern zur Erreichung macht hat, zu. ökologischer Ziele. Wenn Minister Rüttgers meint, es würden 5 Mil- Für uns ist eine Besteuerung des Energiever- liarden DM ungerecht umverteilt werden, dann muß brauchs im Gebäudebestand und im Verkehr we- ich dazu feststellen: Diese Regierung verteilt an- sentlich; denn hier liegen die größten Einsparpoten- dauernd Gelder von unten nach oben um; auch das tiale. Einfach und systemgerecht wäre ein erhöhter ist ungerechtfertigt. Da finde ich es wesentlich gün- Mehrwertsteuersatz für den Energieverbrauch, also stiger, einmal in Richtung eines zukunftsfähigen Pro- auf Mineralöl, Erdgas, Heizöl und Strom. Dies muß jektes Geld umzuverteilen. allerdings europaweit erfolgen. Arbeitsplätze in Deutschland dürfen nicht noch mehr verteuert und Auch die Forderungen der Grünen, das Stromein- gefährdet werden. speisungsgesetz zu erweitern, mit Photovoltaik und Windkraft gewonnenen Strom im Binnenland kosten- Wir werden die Bundesregierung weiterhin bei der deckend zu vergüten, die Vergütung für die übrigen Förderung der Energieforschung unterstützen, auch regenerativen Energien auf 95 Prozent der Abgabe- im Bereich der Photovoltaik. Der noch nicht erfolgte preise zu erhöhen und endlich auch die Kraft- industrielle Durchbruch der Massenfabrikation von Wärme-Kopplung in dieses Gesetz mit einzubezie- Photovoltaikanlagen ist heute noch wesentlich in den hen, sind berechtigt. 9718 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Rolf Köhne Es schreckt mich im übrigen auch gar nicht, wenn nungsrechtlicher Hindernisse und vor allem an der dafür jährlich 1,2 Milliarden DM von den Verbrau- Beseitigung kommunaler Monopole eifrig gearbeitet. chern aufgebracht werden. Man teile das einmal Sollten sich diese Bestrebungen für eine Liberalisie- durch 80 Millionen. Als Ergebnis kommt heraus: rung des Strommarktes durchsetzen, wird man sich 15 DM pro Jahr und Bundesbürger. Ich gehe davon über Kraft-Wärme-Kopplung und die Umwandlung aus, daß die Menschen in diesem Land gerne bereit kommunaler Energieversorgungsunternehmen in sind, diese 15 DM für ein vernünftiges Projekt zu Energiedienstleister, die dann eine besondere Ver- zahlen. Die Menschen erschrecken viel mehr, wenn pflichtung zur Energieeinsparung haben, nicht mehr sie sehen, wieviel Geld in diesem Land unsinnig für zu unterhalten brauchen. Wenn durch Aushebelung andere Zwecke ausgegeben wird. des Wegerechtes der Kommunen die Städte und Ge- meinden ihre Straßen und Wege jedem Stromkon- (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ zern zur Verfügung stellen müssen, dann werden DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der sich die kommunalen Versorgungsunternehmen den SPD) übermächtigen Stromkonzernen gegenübersehen. Es wäre aber vielleicht klüger gewesen, diesen An- Sie werden diesen Konkurrenzkampf auf Dauer nicht trag separat einzureichen und ihn nicht mit den an- bestehen können. Darum geht es hier. deren Punkten zu verbinden, damit man in dieser Be- (Widerspruch bei der CDU/CSU) ziehung die Regierung besser hätte unter Druck set- zen können. Soweit zu diesem Themenkomplex. Eine beliebig mögliche, durch Planungsrecht nicht behinderte Verstärkung des Verbundnetzes wird Ich möchte jetzt noch einmal zu den Vorschlägen eine fortschreitende Zentralisierung der Stromer- für ein neues Energiewirtschaftsgesetz, die sich un- zeugung mit sich bringen. Nicht die dezentrale Ener- ter Punkt I.2 im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gieerzeugung, vielmehr wird die Zahl großer Kon- finden, etwas sagen. Ich finde, diese Vorschläge sind densationskraftwerke zunehmen. Dies wird die mutig und gewagt. Dort wird die organisatorische, ohnehin schon vorhandenen Überkapazitäten erhö- buchhalterische und eigentumsrechtliche Trennung hen, die Chancen regenerativer Energien weiter ver- von Erzeugung, Transport und Verteilung von Ener- mindern. Das ist das Problem. Es wäre deshalb an gie gefordert, eine vollständige eigentumsrechtliche der Zeit, daß sich die Opposition in diesem Hause, Trennung, also keine Aufspaltung in drei Tochterge- zusammen mit den Städten und Gemeinden, für eine sellschaften. Vielmehr sind die vollständige Ablö- Abwehrschlacht zur Rettung der Stadtwerke rüstet. sung des Leitungsnetzes vom Eigentum der EVUs Nur so haben regenerative Energien auch zukünftig und entsprechende gesetzliche Maßnahmen zum Be- eine Chance. trieb dieses Netzes unter gesellschaftlicher Kontrolle geplant. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Nun, das klingt gut. Eine solche Enteignung zum (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Wohle der Allgemeinheit könnte der Bundesrepublik ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE zu einer wahrhaft öffentlichen Energieversorgung GRÜNEN) verhelfen, wie sie in vielen europäischen Staaten üb- lich ist. Wie das Beispiel unserer Nachbarn zeigt, Das Wort hat die muß sich das nicht einmal negativ auf die Strom- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Kollegin Wilma Glücklich, CDU/CSU. preise auswirken, im Gegenteil: Exorbitante Mono- polprofite würden dann nicht mehr in den Fängen der Stromkonzerne hängenbleiben. Wilma Glücklich (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Die Formulierung in Punkt I.2 des Antrages der Herren! Natürlich ist die Verfügbarkeit von Energie Grünen, die heutige Monopolstruktur in der lei- eine der Grundvoraussetzungen für Freiheit, Wi rt tungsgebundenen Energiewirtschaft sei aufzuheben, -schaft und Wohlstand und damit zugleich eine der finde ich allerdings etwas verwirrend. Sicherlich wird Grundlagen demokratisch verfaßter Staaten. Armut von euch mit dem Beg riff „Monopolstruktur" die ist selbstverständlich ein großer Feind der Umwelt. Verbundstufe gemeint. Aber es gibt auch kommu- Deshalb ist die Idee, die hinter Ihrer Forderung nale Monopolstrukturen, die wir durchaus erhalten steckt, zunächst einmal auch so bestechend. Unbe- sollten. Die kommunalen Stadtwerke spielen viel- grenzte Verfügbarkeit von Energie, Minimierung von fach energie- und umweltpolitisch eine positive Schadstoffen, die - wie wir wissen - das globale Rolle. Wir halten es ebenfalls für legitim, daß die Klima bedrohen, und nachhaltige Energiewirtschaft Städte durch diese Stadtwerke Einnahmen erzielen, werden gefordert. Dafür arbeitet die Bundesregie- werden diese doch meist positiv - zum Beispiel zur rung bereits. Subventionierung des öffentlichen Personennahver- kehrs - verwendet. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das muß man aber mit der Lupe suchen!) Bezüglich der Novellierung des Energiewirt- schaftsgesetzes gibt es ganz andere Pläne, und zwar Natürlich kann man das nicht genug wiederholen. von seiten des Bundesministeriums für Wirtschaft. Die Situation unserer Umwelt ist allen bekannt. 1993 Weil dort dieselbe Sprache gesprochen wird und weil hat Deutschland 3 900 Milliarden Kilowattstunden man auch dort Monopolstrukturen aufbrechen will, Primärenergie verbraucht, wovon nur gut die Hälfte muß man aufpassen, daß man nicht verwechselt- auf die Industrie, die Energiewirtschaft und das Ge- wird. Dort wird nämlich an der Beseitigung pla- werbe entfielen. Das heißt, in der anderen Hälfte ist Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9719

Wilma Glücklich jede Menge Potential. Allerdings, meine ich, muß obwohl ein wirklicher Fortschritt in der Kombination man das sehr klug angehen. aller Energieformen und selbstverständlich insbeson- dere in der Einbeziehung erneuerbarer Energien, vor Wir wissen, daß unsere Atmosphäre von CO2- allem von Biomasse, besteht. Emissionen entlastet werden muß, um den drohen- den Kollaps abzuwenden. Solartechnologie ist natür- (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Aber lich - genau wie die Windenergie - eine symbolträch- das hat er doch gesagt!) tige und für die Bevölkerung ohne Zweifel am ehe- Solartechnologie ist Großtechnologie. Das können sten akzeptable Lösung, insbesondere da inzwischen Sie nicht bestreiten. natürlich bekannt ist, daß die Zeit der großen und zentralen Energieversorgungsunternehmen vorbei (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND ist. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall des Abg. Horst Kubatschka [SPD] - Ich erspare mir jetzt einen Seitenblick auf das, was Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: wir an Ökobilanzen - - Schön wär's!) (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wer die Umweltinteressen an diesem Punkt gegen- Der Generator auf dem Dach ist doch keine einander ausspielt, begeht allerdings einen schweren Großtechnologie! Das ist doch Unsinn!) Fehler.

Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Frau Kollegin Ich möchte es betonen: Die regenerativen Ener- Glücklich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kol- gien haben zur Zeit leider erst einen Anteil von legin Hustedt? 5 Prozent an der Stromgewinnung. Parallel müssen wir nach wie vor den Anteil an konventioneller Ener- gie vorhalten, was unsere Umwelt doppelt belastet. Wilma Glücklich (CDU/CSU): Nein, ich möchte den Gedanken gern zu Ende führen. Der Energiemarkt ist allerdings im Umbruch. Un- sere Forschung hat dazu deutliche Ergebnisse er- Solartechnologie ist Großtechnologie. Ich denke, bracht. Der Preis für die Herstellung von photovoltai- daß die Ökobilanzen deutlich machen, auf welchen schen Zellen ist in den vergangenen 20 Jahren auf Irrweg Sie sich da begeben. ein Fünftel gesunken. Ich denke, daß unsere For- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: schung seit Beginn der Regierung Kohl, seit 1983 - Das ist ja blamabel!) ich betone das ausdrücklich -, eine Verlagerung der Forschungsmittel von der damals ausschließlich in Meiner Meinung nach müssen und werden wir aus die Atom- und die fossile Energie zielenden For- Umweltschutzgründen ganz andere Wege einschla- schung in die breite Forschung aller Energieträger gen. Natürlich wirken die in der Bevölkerung nicht gebracht hat. Das können Sie nicht bestreiten. halb so chic wie das, was Sie gerade vorgestellt ha- ben. Sie sind technisch allerdings avanciert, weil sie (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das alles einbeziehen. Sie sind vor allen Dingen umfas- stimmt immer noch nicht!) send auf der Umweltebene, das heißt sie sind auch auf der untersten Ebene durchführbar. Ich denke, Solartechnologie ist eine typische Insellösung. Das das sollte ein wesentliches Ziel sein. werfe ich ihr gar nicht vor. Das ist durchaus ein Vor- teil, es muß nicht unbedingt ein Nachteil sein, wenn Die CDU/CSU setzt sich jedenfalls für Entstaatli- wir intelligent darangehen. Das ist es, was man for- chung und Dezentralisierung dieses Sektors ein. dern muß. (Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE Der alte Glaube an möglichst große Technik ist in GRÜNEN]: Dezentral gibt es doch über Deutschland leider noch immer weit verbreitet, haupt nicht!) (Zustimmung bei der SPD) Ich bin überzeugt davon, daß staatliche Förderung, wie Sie sie erneut fordern, nur in die vorhandenen insbesondere leider auch bei Ihnen, liebe Kollegen Monopole investiert. Dadurch schaffen wir auch auf von der SPD. dem privaten Kapitalmarkt, den wir in diesem Punkt noch viel zuwenig heranziehen, jeden Anreiz ab, Ka- (Widerspruch bei der SPD - Michael Müller pital in neue Ideen zu investieren, die Sie so sehr su- [Düsseldorf] [SPD]: Sprechen Sie vom chen. Ich denke, daß die notwendigen Kräfte so nicht Transrapid?) freigesetzt werden, um Neues umzusetzen, und daß Ich bewundere durchaus Ihre Energie, Herr wir dadurch eher neue Beschränkungen initiieren. Scheer, und Ihren Einsatz, wenn er auch nach meiner Wir setzen uns jedenfalls für Insellösungen ein. Da- Ansicht zu sektoral ist. Ihr Gesetzentwurf zielt leider für stehe ich absolut. Ich denke, daß Improvisationen wieder auf Förderung von Massenproduktion ab. Die und Kleinteiligkeit durchaus geeignet sind, die jet- Konzentration auf Solartechnologie allein birgt mei- zige Situation in eine positive Entwicklung umzu- nes Erachtens eine Gefahr. Sie suchen wieder nach wandeln. einer Patentlösung, Kleinteiligkeit und Abkehr von Großlösungen (Detlev von Larcher [SPD]: Aber er hat doch - heißt, daß wir den Abbau von staatlichen Subventio- das Gegenteil gesagt, Frau Kollegin!) nen und die Anlage von privatem Kapital wieder in- 9720 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Wilma Glücklich teressant machen müssen. Insbesondere auf dem Das, was ich dem entgegensetze, ist ein breiter Kon- Energiemarkt haben wir das in den letzten Jahren sens in der Bevölkerung, noch viel zuwenig in Anspruch genommen. Wir müs- sen daneben ein Anbieterdienstleistungsverhältnis (Unruhe bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ fördern, das die Energieversorgungsunternehmen DIE GRÜNEN) bisher leider noch nicht pflegen. den Sie nicht allein durch die Förderung und die Mo- bilmachung von Kapital in Ihrem Sinne, von Subven- Solartechnologie ist durchaus ein wichtiger Schritt; tionen, erreichen. Das, was wir machen müssen, ist, aber wir dürfen ihn nicht isoliert betrachten. auf der untersten Ebene Entscheidungsträger an (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ eine Stelle zu holen und die tatsächlich vorhandenen NEN]: Das tut doch keiner!) Potentiale im Energiesparbereich dem gegenüber- zusetzen, was Sie an Technologieförderung hier prä- Wir halten eine sektorale Lösung für eine Energie- sentiert haben. form für nicht mehr zeitgemäß. Integrierte Lösungen, insbesondere vielfältige Organisationsformen, wie Ich glaube im übrigen auch, daß wir sehr gut daran zum Beispiel Energy switching, sind längst Stand der tun, zu schauen, wo wir am besten Energie sparen. Technik. Auf diese Wege sollten wir weiter ver- Das kann durchaus nicht nur bei uns sein, sondern ist trauen. So unterschiedlich wie die Bundesrepublik selbstverständlich auch auf die Dritte Welt bezogen. selbst an ihren verschiedenen Orten ist, so unter- Insofern ist das, was wir in der Bundesregierung als schiedlich müssen natürlich auch die Energiegewin- Joint implementation betrachtet haben, ein wesentli- nungslösungen sein. Ich bin fest davon überzeugt, cher Punkt dazu. daß allein das Setzen auf das 100 000-Dächer-Pro- Im Bereich Forschung und Technologie sind wir gramm keine Patentlösung ist. nach wie vor auf Platz eins, insbesondere in der So- (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ lartechnik. Insofern haben wir den richtigen Weg ge- NEN]: Das sagt doch auch keiner! - Weite wiesen. Wir sollten dafür sorgen, daß dieser Weg rer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: weiter beschritten wird. Ich meine allerdings, daß wir So ein Schmarren!) allein mit Forschung und Technologie den Weg für einen tatsächlichen Energiegewinnungsprozeß nicht Ich weiß durchaus, daß die Förderung von alterna- erreichen würden. Ich bin zutiefst davon überzeugt, tiven Energien in bestimmten Wirtschaftsbereichen daß wir auch andere Wege in Anspruch nehmen auf Widerstand stoßen wird. Das ist völlig klar. Ich müssen. denke aber, daß wir in der Energieerzeugung weni- ger erreichen als in der Optimierung der Energie- Ich danke Ihnen. dienstleistungen, daß wir gerade dort Chancen für (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - die Wirtschaft und die Beschäftigung bieten. Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, welche denn?) Ich setze deshalb gegen Ihr Modell ein anderes. Ich sagte soeben schon: Es ist weniger chic und weni- ger glamourös als Technologien. Ich glaube, daß wir Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der die Idee „Global denken und lokal handeln" mehr in Kollege Michael Müller, SPD. den Vordergrund stellen müssen (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Herr Präsident! DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren! Ich finde es richtig, daß die Debatte über Energiepolitik eine Debatte ist, in und daß wir Fortschritte wirklich nur erreichen, der wir versuchen sollten, Gemeinsamkeiten zu fin- wenn wir auf der untersten Ebene die Entschei- den. Ich sage allerdings: Das fällt nach der bisheri- dungsträger einbeziehen. gen Debatte ziemlich schwer. Denn es besteht ein eklatanter Widerspruch zwischen den öffentlichen (Christoph Matschie [SPD]: Was meinen Sie Bekundungen, daß wir mehr solare und insgesamt damit? - Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/ regenerative Energieträger fördern und mehr Ener- DIE GRÜNEN]: Könnten Sie einmal etwas gie einsparen wollen, und dem, was hier im Parla- konkreter werden?) ment, wo es darauf ankommt, gesagt wurde. Das - Ich finde es außerordentlich bedauerlich, daß Sie paßt nicht zusammen. mir nicht zuhören, sondern sich vor sich hin amüsie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ren. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND PDS) NIS 90/DIE GRÜNEN) Ich finde es sehr interessant, Frau Glücklich, daß Sie der SPD jetzt Technikeuphorie vorwerfen. Das wesentliche Manko an Ihrem Gesetzentwurf ist in der Tat das Setzen auf Technik. (Heiterkeit bei der SPD) (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Ich habe mich nachhaltig an die Debatte über den DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein ganz neuer Transrapid erinnert gefühlt. Übrigens, Herr Kollege Vorwurf! So einen Vorwurf haben wir noch - Rüttgers, wenn ich es richtig sehe, sollen da rund nie gekriegt!) 8 Milliarden DM für eine Technologie ausgegeben Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9721

Michael Müller (Düsseldorf) werden, die nur eine Insellösung ist, während wir die sehr viel stärker als bisher an einer effizienten hier mit 3 Milliarden DM für eine Technologie, die und solaren Energieversorgung ausgerichtet sind. weltweit gebraucht wird, doch sehr günstig daste- Was ist die Ausgangssituation? Die öffentlichen Er- hen. Das, was Sie vorbringen, stimmt also alles nicht betragen heute etwa 100 000 zusammen. zeugungskapazitäten Megawatt. In den nächsten 15 Jahren müssen unge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ fähr 50 Prozent der Anlagen, also rund 50 000 Mega- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der watt, erneuert werden. Die Schlüsselfrage ist: Wollen PDS) wir sie erneuern mit neuen Kraftwerken - was zum Teil vielleicht auch sein muß -, oder wollen wir nicht Bei dem, was uns Sorgen macht, sollten wir uns ei- zumindest einen Großteil des zukünftigen Bedarfs nig sein. Das Prognos-Gutachten des Bundeswirt- wegsparen bzw. durch regenerative Energieträger schaftsministers sieht nach dem Jahre 2000 sogar ersetzen? Heute stellen wir die Weichen, ob wir die verstärkte energiepolitische Maßnahmen vor, weil Effizienzrevolution einleiten und die Brücke in die man der Auffassung ist, daß all das, was heute ge- Solarzeit bauen oder nicht. Diese Frage entscheidet macht wird, nicht ausreicht. Dieses Prognos-Gutach- sich nicht erst, wenn wir unmittelbar vor der Ent- ten kommt dennoch zu dem Ergebnis, daß im Jahre scheidung stehen, ob neue Kohle- oder Kernkraft- 2020 der Anteil der regenerativen Energien von werke - oder welche Kraftwerke auch immer - ge- heute 2,3 Prozent nur auf 3,6 Prozent des Primärener- baut werden, sondern heute bei den Weichenstellun- gieverbrauchs gestiegen sein wird. Wenn das eintritt, gen, die wir auf diesen beiden zentralen Zukunftsfel- ist das für die Bundesrepublik ein Armutszeugnis. dern vornehmen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Solange wir in der Logik der einseitigen Ausrich- GRÜNEN und der PDS) tung auf die Erzeugungskapazitäten verharren, wird Ihre Politik stimmt einfach nicht vor dem Hinter- dieser Strukturwandel nicht kommen. grund der internationalen Verpflichtungen, die wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des alle bereit sind einzugehen. Wenn wir unsere Verant- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wortung ernst nehmen, dann müssen wir die Solar- energie anders puschen, als das bisher der Fall ist. Deshalb müssen heute die politischen Weichen an- ders gestellt werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Vor dem Hintergrund von zwei in der nächsten PDS) Zeit anstehenden Entscheidungen möchte ich Sie nachdrücklich bitten, Ihre Positionen zu überdenken. Dann müssen wir dem, was Sie, Frau Glücklich, hier Wenn Sie Ihr Reden von der Notwendigkeit der Ener- sagen - nämlich daß unser Antrag nur ein sektoraler gieeinsparung und des Einsatzes von Solarenergie Ansatz sei - entgegentreten und sagen: Dies ist ein ernst meinen, dann machen Sie bitte nicht mit bei wichtiger Baustein, der neben vielen anderen wichti- dem Unsinn der und der dort gen Bausteinen steht. Aber es ist ein wichtiger Bau- EU-Energierichtlinie Deregulierung. Damit ist im Kern die angestrebten stein. ökologische Alternative nicht mehr möglich, weil das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den Rückzug der Politik aus der Gestaltung der Ener- DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Köhne gieversorgung bedeutet. [PDS]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In dem Prognos-Gutachten steht erstens, daß heute zu niedrige Energiepreise die effizienten und solaren Wir sind für mehr Wettbewerb. Allerdings muß dies Alternativen blockieren, und zweitens, daß die abge- Wettbewerb zugunsten von Einsparungen und ver- schriebenen großen Atom- und Kohlekraftwerke mit stärktem Einsatz von Solartechniken sein. Es darf ihren gewaltigen Überkapazitäten den Alternativen nicht zugunsten von noch mehr monopolistischer überhaupt keinen Raum lassen. Umgekehrt heißt das Macht ausgehen, die Strukturen verfestigt und den - ich will es auf den Punkt bringen -: Wenn die Poli- Klima- und Umweltschutz unmöglich macht. tik keine Richtungsentscheidungen für den Einsatz (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Solarenergie und für die Effizienzrevolution DIE GRÜNEN) trifft, werden sie nicht kommen; dann bleibt auch der Umweltschutz ein Alibi für Sonntagsreden. Auch die Energierechtsnovelle läuft auf einen Rückzug der Politik aus der Gestaltung der Energie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ versorgung hinaus. Dies ist genauso verhängnisvoll. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) Es ist so, Frau Glücklich: Wer die solaren und effizi- enten Energieträger fördern will, muß vor allem De- Deshalb: Wer - weil das eine zentrale Zukunfts- zentralisierung der Energieversorgung anstreben. technik ist - mehr solare Energie will, wer die Vision Insofern sind per se Solarenergie und Effizienzener- des Solarzeitalters verwirklicht sehen will - die wir gie dezentrale Energien. Es ist falsch, was Sie hier auch von der Enquete-Kommission Technikfolgenab- über großtechnische Lösungen sagen. Das paßt von schätzung her kennen -, wer will, daß der Anteil der der inneren Logik her nicht zusammen. Solarenergie in etwa 15 Jahren 10 Prozent ausmacht, der muß zuerst die Verantwortung der Politik einfor- (Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: dern, der muß von der Politik Lösungen verlangen, Genauso ist es!) 9722 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Michael Müller (Düsseldorf) Aber gerade weil das so ist, dürfen wir uns bei der Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Neufassung des energierechtlichen Rahmens nicht Bundesminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Liebe einseitig auf Zuwachs, Expansion und Verkauf aus- Kolleginnen und Kollegen! Der bisherige Debatten- richten wie in der Deregulierungslogik der Europäi- verlauf mit Beiträgen aus allen Fraktionen hat erken- schen Kommission bzw. des Wi rtschaftsministers, nen lassen, daß es für die eingebrachten Anträge sondern müssen Strukturen schaffen, mit denen die und Programme in der vorliegenden Form offensicht- beiden obersten Ziele - Effizienz und solare Energie - lich keine Mehrheit geben wird. umgesetzt werden können. Das muß unser Leitziel sein. Dafür sollten wir gemeinsam kämpfen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sehr überraschend!) (Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Ich habe mich eigentlich hierhin gestellt, weil ich NEN) den Versuch unternehmen wollte, Sie haben gesagt, wir würden vor allem die Haus- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: halte belasten. Ich sehe das nicht. Wenn die Rückla- Eine Mehrheit zu schaffen!) gen bei den Kraftwerken nach unseren Berechnun- gen in der Tat über 60 Milliarden DM betragen, er- zwischen dem Anliegen und den Möglichkeiten sei- möglicht das eine Lösung, wie sie in anderen Län- ner Realisierung noch einmal zu unterscheiden und dern auch praktiziert wird. Dann sollen diese Rückla- vielleicht einen Beitrag dazu zu leisten, daß weder gen in einen öffentlichen Fonds fließen, und von den auf der einen noch auf der anderen Seite die Verselb- Zinsen können wir ein Solarprogramm finanzieren, ständigung von Gesichtspunkten, die - jeweils für das weit über das hinausgeht, was hier gefordert sich betrachtet - eine gewisse Plausibilität haben, wird. schon dem Versuch einer Verständigung über das, was vielleicht geht, und das, was jedenfalls jetzt (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE nicht geht, im Wege steht. Diesen Versuch will ich GRÜNEN und der PDS) schon gern unternehmen, auch wenn ich mir bei ei- ner ganz kurzfristigen Betrachtung keine übertriebe- Das wäre sinnvolle und verantwortliche Energie- nen Hoffnungen auf das erreichbare Ergebnis ma- politik. Jedenfalls wäre es sinnvoller als das, was che. - Es gibt ja Debatten, heute mit diesen Mitteln zum Teil gemacht wird, wo keine neuen Strukturen und erst recht keine neuen (Kurze Unterbrechung wegen eines vor- Arbeitsplätze geschaffen werden. übergehenden Ausfalls der Tonübertragung am Stenographentisch) (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dinosaurier!) bei denen es nur auf das ankommt, was hinterher im Protokoll steht. Bei dieser, jedenfalls bei meinem Bei- Lassen Sie uns bitte diesen Weg gehen, denn das ist trag, kommt es mir nicht darauf an, was im Protokoll ein sinnvoller Weg. steht, sondern worauf wir uns hier in der Behandlung Eine abschließende Bemerkung: Unser Ansatz für des Themas hoffentlich verständigen können - oder auch nicht verständigen können. ein 100 000-Dächer-Programm ist ein wichtiger Bei- trag zu einer solaren Strategie. Das heißt nicht, daß Das Ziel, erneuerbare Energien sowohl im Inter- wir unsere solarpolitischen Initiativen auf ein esse unserer Umwelt wie auch im Interesse der 100 000-Dächer-Programm reduzieren. Wir müssen Sicherung endlicher Ressourcen und einer nachhal- auf die Anforderungen der unterschiedlichen Ener- tigen Entwicklung verstärkt zu fördern, wird in der gieträger auch mit unterschiedlichen Strategien ant- Öffentlichkeit weithin geteilt. Dieses Ziel ist auch in worten. Beispielsweise braucht die Windkraft ein an- diesem Parlament völlig unstreitig. deres Förderungsinstrumentarium als Solarzellen. Die Photovoltaik wiederum braucht ein indust rielles Worüber wir reden, gegebenenfalls auch streiten Anschubprogramm. Das sind völlig unterschiedliche müssen, ist, in welcher Weise, in welchem Tempo, Instrumente. Wer das gegeneinander ausspielt, hat mit welchen beabsichtigten und vielleicht auch un- die Problematik nicht begriffen. beabsichtigten Nebenwirkungen wir dieses Ziel tat- sächlich erreichen können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich persönlich habe überhaupt keine Schwierigkei- ten, der Zielsetzung des SPD-Gesetzentwurfs, die Was wir brauchen - und das ist kluge Industriepoli- Fertigung und Installation von Solarzellen zu för- tik -, ist ein Anschubprogramm für den Zukunfts- dern, grundsätzlich zuzustimmen, weil ich die Ein- markt der Solarzellen für die Erzeugung von photo- schätzung absolut teile, daß es sich bei der Photovol- voltaischem Strom. Dies ist Zukunftsvorsorge. Wer taik um eine langfristig zukunftsträchtige Technolo- sie heute verspielt - ich möchte es auf den Punkt gie mit strategischer Bedeutung und weltweit erheb- bringen -, der ist ein Technikfeind. lichem Potential handelt. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Ich meine auch, mindestens bis dahin müßte man GRÜNEN und der PDS) eine breite Übereinstimmung erreichen können, die allerdings die Verständigung über die Art der Umset- zung nicht zwangsläufig nach sich zieht. Es wäre Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der- schon ein beachtliches Stück gewonnen, wenn man Parlamentarische Staatssekretär Norbe rt Lammert . sich auf eine solche Art von Problem- oder Zielbe- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9723

Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert schreibung verständigen könnte, um dann gemein- Schließlich ist fünftens die Frage alles andere als sam darüber nachzudenken, ob überhaupt und wie unbedeutend, wo die erhofften Beschäftigungsef- ein solches Ziel erreicht werden könnte. fekte tatsächlich entstehen, ob das hier oder an- derswo der Fall ist und welche Arbeitsmarkteffekte Nun werden mir die Kolleginnen und Kollegen von sich in einem internationalen Vergleich daraus erge- der SPD und vielleicht auch von den Grünen nicht ben. Herr Kollege Rüttgers hat das vorhin schon an- übelnehmen, wenn ich - wie sie ja selber auch - in gesprochen. dem von ihnen vorgeschlagenen Konzept noch eine Reihe von offenen Fragen finde. Zum Teil haben sie Wenn man, was ich mit Interesse gehört habe, Herr selber auf diese Fragen hingewiesen und erkennen Kollege Müller, darüber nachdenkt, ob eine Finan- lassen, daß man durchaus unterschiedliche Einschät- zierungsquelle nicht auch eine andere Verwendung zungen und ganz sicher unterschiedliche Umset- heute gebildeter Rücklagen von großen Unterneh- zungsvorstellungen im Auge haben kann. men für eine bestimmte, nicht mehr für besonders zu- kunftsfähig gehaltene Technologie sein könnte Trotz der ausdrücklichen Vorgabe des Kollegen Scheer, man dürfe ein Konzept mit einer solchen (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nur die überragenden Bedeutung nicht an den üblichen Zinsen daraus!) Maßstäben messen und solle erst gar nicht mit han- - ja, das habe ich verstanden -, dann ist Vorausset- delsüblichen Einwänden wie dem kommen, das zung für die Mobilisierbarkeit solcher Mittel eine „rechne sich nicht", muß man am Ende natürlich Mindestverständigung über die Entsorgungskondi- Maßnahmen finden, die sich rechnen lassen, zumin- deren nichtverbindliche Klärung eine, um dest in dem simplen Sinne, daß sie finanziert werden tionen, nicht zu sagen: die zentrale Bedingung jedenfalls für können müssen. Deswegen hat mir der zweite Teil die heutige Höhe dieser Rücklagen darstellt. Hier Ihrer einschlägigen Bemerkung unter dem Gesichts- kommen wir schnell wieder auf Zusammenhänge, punkt der Konsensbildung, wenn sie denn erfolgen die gegen isolierte Problemlösungen sprechen. Wir soll, eher eingeleuchtet als der erste. Man muß dar- sollten insofern von Anfang an die Illusion vermei- über reden, wo es eher, wo es weniger und wo es den, man könnte eine Insellösung für dieses Anlie- vielleicht überhaupt nicht geht. Wir sollten jedenfalls gen unter souveräner Ausklammerung aller anderen Vorgaben vermeiden, die mit schöner Regelmäßig- damit zumindest indirekt verbundenen Fragen fin- keit eher Stolpersteine auf dem Weg zur Erreichung den. dieses Zieles sind als Möglichkeiten, es schnell zu er- reichen. Deswegen möchte ich gerne dafür werben, daß wir dogmatische Festlegungen vermeiden, sowohl posi- Wir müssen zweitens über realistische Stromgeste- tiv als auch negativ. Für gute Ziele muß man über- reden, die in dem Zusammenhang zu hungskosten zeugende Wege finden. Das muß nach beiden Seiten erwarten sind. Ich will mich im Augenblick gar nicht gelten. Das schlichte Anmelden eines guten Ziels ist an Spekulationen beteiligen. Aber daß es neben den noch nicht der Nachweis der Realisierbarkeit vorge- Einschätzungen, die etwa in der Enquete-Kommis- schlagener Konzepte, so wie sich allerdings umge- sion „Schutz der Erdatmosphäre" Niederschlag ge- kehrt diejenigen, die sagen: „Das Konzept leuchtet funden haben, auch andere gibt, ist nicht zu überse- mir noch nicht ein, aber das Anliegen finde ich hen. Darüber muß man ohne jeden Schaum vorm durchaus sympathisch" , dann an der Suche nach Mund unter Plausibilitätsgesichtspunkten reden. Be- überzeugenderen Lösungen beteiligen müssen. Das legen kann das heute niemand, jedenfalls nicht mit sage ich beispielsweise gerne zu, weil das Anliegen dem Anspruch auf Verbindlichkeit. wichtig genug ist, um sich um einen solchen wirklich (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das gilt möglichst unideologischen, unverkrampften Weg ge- leider für fast alles!) meinsam zu bemühen. - Natürlich gilt das für viele vergleichbare Sachver- (Beifall bei der SPD) halte. Wir werden das, liebe Kolleginnen und Kollegen, Es gibt drittens begründete Zweifel, ob die vorge- nicht mit der Brechstange machen können. Wir dür- sehenen fünf Jahre und 100 000 Anlagen ausreichen, fen vor allen Dingen auch keine Illusionen erzeugen um die Photovoltaik in die Nähe der Wirtschaftlich- und pflegen, die dann auf der Strecke das Ganze keit zu bringen. Über die Dimensionierung unter eher behindern als befördern. Die Kollegin Glücklich dem Gesichtspunkt: Was braucht man mindestens, hatte ja sicher recht, wenn sie vorhin darauf hinge- welchen Zeitraum, welches Fördervolumen im Sinne wiesen hat, daß wir jedenfalls für die überschaubare von Adressaten von Maßnahmen? wird man sicher Zukunft - und das haben ja auch ihre mit einem reden müssen, aber hoffentlich doch auch reden kön- leicht resignativen Unterton, den ich gut verstehe, nen. vorgetragenen Hinweise auf die Prognos-Studie ge- zeigt - mit einer überragenden Dominanz konventio- Viertens. Über Beschäftigungseffekte, und zwar neller Energien rechnen müssen, was wiederum sehr über saldierte Beschäftigungseffekte und nicht nur dafür spricht, daß wir intelligente Verbindungen zwi- über solche mit einer Technologie unmittelbar ver- schen dem einen und dem anderen suchen müssen bundene, wird man ebenfalls reden müssen, um sich und uns nicht in Alternativdiskussionen verlieren, nicht gegenseitig in Begeisterung zu reden bzw. um- die jenseits aller Realitäten sind, immer einbezogen gekehrt mit Totschlagargumenten jede A rt von Wei- mit der Bemühung um Alternativen. Dies gilt gerade terentwicklung unnötig zu blockieren. dann, wenn man die gegenwärtige Erzeugung, Ver- 9724 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert teilung und den Verbrauch von Energien nicht für Deutschland gerade dabei, eine mit großem Einsatz die letzte denkbare Lösung und auch nicht für die und viel Kreativität herausgearbeitete Chance leicht- voraussichtliche Lösung des 21. Jahrhunderts hält; fertig zu vertun. Diese Chance besteht darin, unsere eine Einschätzung, die ich persönlich sehr teile. Spitzenstellung in der Solartechnologieforschung zu nutzen und diese Technologie in marktfähige Pro- Ich will noch einen Hinweis geben. Es gibt ja eine dukte umzusetzen. Reihe von Beiträgen, die die Bundesregierung mit dieser Zielsetzung bereits leistet. Die sind vorgetra- Eines der Hauptargumente gegen den Einsatz der gen worden; ich will sie jetzt gar nicht wiederholen. Photovoltaik bestand lange darin, zu sagen: Das Ich will auf eine ganz bescheidene Möglichkeit hin- amortisiert sich nicht, bei der Herstellung der Geräte weisen, von der ich den Eindruck habe, daß viele da- wird mehr Strom verbraucht, als sie hinterher erzeu- von nicht einmal wissen, geschweige denn davon gen. Das hat sich schon als falsch herausgestellt. Wir Gebrauch machen. Im Rahmen der Fördermöglich- müssen die Chance nutzen und zeigen, daß sich keiten des 100-Millionen-Programms und der darin auch Forschung rechnet. verbundenen Fördermöglichkeiten für Solartechno- logie gibt es auch ein Programm „Sonne in der Wir haben seit 1975 gut 1 Milliarde DM an Bundes- Schule", das Möglichkeiten der Förderung von Akti- mitteln in die Erforschung und Entwicklung der Pho- vitäten eröffnet - beispielsweise auch durch Meßsta- tovoltaik investiert. Das ist gut. Aber wir dürfen nicht tionen -, selber mit dieser Technologie, mit ihren Wir- riskieren, daß wir erneut Forschungsergebnisse er- kungsmöglichkeiten, mit ihren Chancen, aber auch zielen, die weltweit erstklassig sind, und andere hin- mit ihren Problemen vertraut zu werden. Dies wäre gehen und sie in marktfähige Produkte umsetzen ganz sicher nicht der Befreiungsschlag zur Lösung und verkaufen. des großen Problems, über das wir diskutieren, aber Es ist richtig: Mit Photovoltaik werden wir im Ener- es könnte ein wichtiger Bestandteil der Verbreitung giemix nur einen kleinen Teil ausfüllen können. Es von Verständnis, auch von Risikoverständnis sein, ist ein langfristiges Vorhaben, in die Solarwirtschaft das wir für die Beförderung dieses Anliegens jeden- einzusteigen. Wir haben alle Chancen dazu. Es ist falls brauchen. Deswegen weise ich darauf ausdrück- wie im Fußball: Wer nicht den Anstoß macht, wird lich hin. nie ins Spiel kommen und kein Tor erzielen können. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Im Moment - es wurde bereits mehrfach heute er- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich will wähnt - verhindert noch der hohe Preis eine wirkli- für das Bundeswirtschaftsministerium, für die Bun- che Marktreife. Stromgestehungskosten in Höhe von desregierung gerne zusagen, daß wir uns mit der 1,65 DM bis 2,20 DM pro Kilowattstunde sind nach Einstellung an den Ausschußberatungen beteiligen Auffassung der Enquete-Kommission „Schutz der wollen, die ja nun bevorstehen und in denen wir alle Erdatmosphäre" heute zugrunde zu legen. Das ist miteinander den Versuch unternehmen sollten, nüch- wesentlich zu hoch. Hauptgrund dafür ist jedoch, tern und unvoreingenommen Spielräume auszuloten, daß die Solarzellenfertigung hier immer noch haupt- die es auf dem Weg in neue Strukturen geben muß. sächlich im Rahmen der Forschung stattfindet. In den Wir sollten, wenn wir die Verständigung jetzt aus hohen Preisen sind damit auch die Forschungsan- verschiedensten Gründen möglicherweise nicht er- strengungen enthalten. Die Großserienproduktion reichen, dies jedenfalls in einer Weise zu Ende brin- kann hier zu einem deutlichen Rückgang führen. gen, daß die weitere Suche für die Zukunft nicht er- schwert, sondern möglichst erleichtert wird. Wir können zügig über verbesserte Technik zu konkurrenzfähigen Preisen gelangen, wenn über die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Serienproduktion der Forschungskostenanteil zu- ordneten der SPD) rückgeht. Es gilt nun, aus dem Teufelskreis heraus- zukommen, in dem der Photovoltaik keine Chance Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der gegeben wird, weil sie angeblich zu teuer sei, um Kollege Rolf Hempelmann, SPD-Fraktion. über die Großserienproduktion auf den Markt zu kommen, und die deshalb zu teuer ist, weil es keine Großserienproduktion gibt. Diese Köpenickiade müs- Rolf Hempelmann (SPD): Herr Präsident! Meine sen wir beenden. Stellen Sie sich vor, der Computer- Damen und Herren! Lassen Sie mich ganz aktuell branche wäre es vor 20, 25 Jahren nicht gelungen, einsteigen. Sie wissen, es ist Fußballeuropameister- aus diesem Kreis auszubrechen. Ein PC von heuti- schaft. Nicht daß Sie denken, das habe nichts mit gem Leistungsstand wäre unbezahlbar und ein Fall dem Thema zu tun. Die Sonne ist rund, und die De- für das Technikmuseum. - Es ist also notwendig, hier batte dauert 90 Minuten. in die Großserienproduktion einzusteigen. Stellen Sie sich bitte vor, Sie stehen bei der Fuß- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) balleuropameisterschaft nach guter Vorbereitung als Stürmer vor dem Tor, die Abwehr ist ausgespielt, Sie Siemens macht mit der Produktion von Solarzellen sind einschußbereit, und lässig soll der Ball über die in Kalifornien anscheinend bereits ganz gute Ge- Linie geschoben werden. Doch siehe da, statt zu ver- schäfte. 70 Prozent der Solarzellen werden exportiert, wandeln, setzen Sie sich bequem, mit der Sportzei- mit einem Siemens-Anteil von 50 Prozent. Wir sehen: tung ausgerüstet, neben den Ball und lesen nach, In den USA und auch in Japan macht man es den Fir- wie eine andere Mannschaft einen hohen Sieg erzielt- men etwas leichter. Und auch da liegt das Geld nicht hat. Paradox, nicht wahr? Und doch sind wir in einfach auf der Sonnenbank. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13, Juni 1996 9725 Rolf Hempelmann Nein, in den USA gibt es ein Netzwerk für eine kann die Regierung die Standortdebatte endlich ein- strategische Exportoffensive und Institutionen zur mal nach vorn gewandt führen. Zwischenfinanzierung für Pilotprojekte, die gewis- sermaßen als Türöffner für die Märkte fungieren. Die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Japaner wiederum - das kennt man von ihnen - be- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) treiben auch im Bereich der Photovoltaik Förderung Es geht auch um neue, dauerhaft sichere Arbeits- bis zur Marktreife. plätze, für die wir eine Anschubfinanzierung brau- chen; mehr nicht. Wir sehen hier ferner: Ökonomie Im New-Sunshine-Program werden bis zum Jahre und Ökologie stehen sich nicht unvereinbar gegen- 2020 etwa 14 Milliarden Dollar veranschlagt. Mit ih- über. Wir haben die Chance, auf ökologisch sinnvol- rem 65 000-Dächer-Programm sind die Japaner die lem Weg Arbeitsplätze zu schaffen, vielleicht nicht ersten, die konsequent auf die Großserie setzen, wo- gleich morgen schon Hunderttausende, aber Arbeits- bei sie pikanterweise die Antragsformulare aus dem plätze in großer Zahl, die dauerhaft sicher sind. Mit deutschen 1 000-Dächer-Programm übernommen ha- solchen Arbeitsplätzen schaffen wir es, die Zahl der ben. Wir sollten diesen Markt nicht, wie schon so oft, Beitragszahler zu erhöhen und das Sozialsystem zu dem Land der aufgehenden Sonne überlassen. entlasten - intelligenter jedenfalls, als es Ihr Sparpa- Wir sollten auch an die europäische Dimension ket tut. denken. Die Athener Konferenz für erneuerbare (Zustimmung bei der SPD) Energien für den Mittelmeerraum im letzten Novem- ber hat gezeigt, wie hoch das Absatzpotential für Kosten wird das Programm den Steuerzahler Photovoltaik zu mittelfristig vernünftigen Preisen ist. nichts, wenn wir uns dazu entschließen - wie von uns Beim Thermie-Programm haben wir gesehen, welche vorgeschlagen; Sie können ja andere Vorschläge ma- Fehler die Bundesregierung macht. Bei der For- chen -, umweltschädliche Subventionen zu streichen schung hat sie noch mitgespielt, doch der Marktein- und für die Solardachförderung einzusetzen. Sehen führungsteil ist inzwischen tot. Sie sich einmal die Ifo-Liste an; dann erkennen Sie, was da alles möglich ist. Es ist also ganz und gar Wir sehen, trotz unseres Spitzenplatzes in der For- nicht so, Herr Rüttgers, daß wir den Bürgern das schung sind wir bei der Vermarktung bestenfalls in Geld aus der Tasche ziehen wollen. der zweiten Liga. Lassen Sie uns in die Zukunft investieren! Lassen (Zuruf von der SPD: Der Rüttgers ist in der Sie uns aus der Negativspirale herauskommen! Set- Kreisliga Erftkreis!) zen wir eine Positivspirale in Gang! Hören Sie mit rückwärts gewandter Politik auf! Hören Sie auf mit Das genügt nicht, wenn wir unseren Platz als Export- dem Rückpaß eines einseitigen Sparpakets, das bei weltmeister oder, um im Bild zu bleiben, wenigstens veränderten Spielregeln der Weltwirtschaft nur als als Exporteuropameister sicherstellen wollen. Eigentor enden kann. (Beifall bei der SPD - Jochen Feilcke [CDU/ (Beifall des Abg. Horst Kubatschka [SPD]) CSU]: War das nun ein Tor oder nicht?) Unser Gesetzentwurf ist ein Steilpaß, der neue Wir schlagen ein 100 000-Dächer-Programm vor. Räume öffnet. Wir werden sehen, ob Sie die Vorlage Es geht nicht bloß um ein Referenzprodukt, zum Bei- annehmen oder ob Sie sich verweigern, weil der Paß spiel um ein Dächerprogramm für Parkscheinauto- von einem ungeliebten Mitspieler kommt. Die Worte maten, nein, wir wollen ein degressives Beihilfepro- von Herrn Staatssekretär Lamme rt geben uns in ge- gramm, das auf einen mittelfristig selbsttragenden wissem Umfang Hoffnung. Insofern will ich schließen Industriezweig setzt. Wir wollen den Übergang in mit den Worten „Schaun mer mal". eine Massenproduktion, bei der konkurrierende Pro- duzenten Kostensenkungspotentiale nutzen können (Beifall bei der SPD) und müssen.

Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat der Das wird zugleich Impulse für die Forschung brin- Kollege Schmiedeberg, CDU/CSU. gen, der wir durch die Marktfähigkeit ihrer Ergeb- nisse zusätzliche Anreize geben. Das müßte vom Rüttgers-Club, der gerade die Forschungsförderung Hans - Otto Schmiedeberg (CDU/CSU): Herr Präsi- zu einem besonderen Anliegen gemacht hat, positiv dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! gesehen werden. Zeigen Sie also nicht nur durch Re- Wenn wir heute davon ausgehen, daß die weltweite den, zeigen Sie auch durch Handeln, daß Sie sich für Emission von Kohlendioxid durch den Verbrauch fos- die Sonnenenergie erwärmen, und zwar nicht nur in siler Energieträger zu einer Veränderung des Welt- der Sommerzeit als kostenloses Konjunkturpro- klimas mit unabsehbaren Folgen für Mensch und gramm für Sonnenölhersteller. Umwelt führt, so müssen wir eine zukünftige Ener- giepolitik auf eine Vermeidung bzw. Verringerung (Zuruf von der CDU/CSU: Ha! Ha!) der CO2-Emissionen ausrichten. Meine Damen und Herren, unser 100 000-Dächer- Die Bereitstellung und der Einsatz von Energie Programm ist wirtschaftspolitisch vernünftig. Es setzt sind mit großen Umweltbelastungen verbunden. Der darauf, daß Forschungsergebnisse auch verkauft CO2-Kreislauf unserer Erde ist dadurch gekenn- werden. Wir wollen Deutschland und auch Europa - zeichnet, daß ungefähr 60 Prozent aller Kohlen- auf einem absoluten Zukunftsmarkt etablieren. Hier dioxidemissionen in der Biosphäre und in den Ozea- 9726 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Hans-Otto Schmiedeberg nen wieder aufgenommen werden, der Rest aber in serkraft und ungefähr 1 Prozent durch Wind, Bio- der Atmosphäre mit einer mittleren Verweildauer masse und Müll abgedeckt werden. Nur ein tausend- von 120 Jahren verbleibt. In den letzten 150 Jahren stel Prozent unserer Stromerzeugung beruht heute ist durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie auf solarem Strom. Kohle, Erdöl und Erdgas der CO2-Anteil in der Atmo- sphäre urn rund 30 Prozent angestiegen. Weltweit Die erneuerbaren Energien können deshalb nur wurden 1990 rund 20 Milliarden Tonnen CO2 emit- allmählich einen entscheidenden Beitrag in unserem kostet heute annä- tiert. Wenn man jedoch bedenkt, daß Deutschland Energiesystem liefern. Solarstrom daran einen Anteil von 1 Milliarde Tonnen, also von hernd 1,80 DM je Kilowattstunde. Wenn wir rund ein 5 Prozent, hat, dann wird deutlich, daß international Drittel der Dachflächen aller Häuser in Deutschland, eine nachhaltige Energiepolitik eingeleitet werden die geneigt und nach Süden ausgerichtet sind, mit muß. Solarmodulen belegen würden, könnten theoretisch rund 150 Milliarden Kilowattstunden, das heißt ein Die zukünftige Energiepolitik der Bundesregie- Drittel des deutschen Stromverbrauchs, durch Solar- rung orientiert sich deshalb an den Leitlinien Wirt- strom gedeckt werden. Dies setzt jedoch bei den der- schaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Umwelt- zeitigen Preisen für Solaranlagen ein Investitionsvo- verträglichkeit. Eine Klimaschutzpolitik muß deshalb lumen von 4 000 Milliarden DM voraus. ökonomie- und arbeitsplatzverträglich angelegt sein. Deshalb ist es unerläßlich, daß CO2-Reduktionsmaß- Aber nicht nur diese hohen Investitionskosten, son- nahmen, die mit jeder aufgewandten Mark eine dern auch der hohe Energieverbrauch bei der Her- möglichst hohe CO2-Reduktion erzielen, eine zen- stellung von Solaranlagen sprechen gegen eine zu trale Bedeutung einnehmen. Die Sicherung des Wi rt kurzfristige Umstellung. Gegenwärtig benötigt man -schaftsstandorts Deutschland und der Klimaschutz 5 000 Kilowattstunden je Kilowatt installierte Lei- sind also als Einheit zu verstehen. stung. Das heißt, eine Photovoltaikanlage braucht derzeit fünf bis sieben Jahre, um die Energie zu lie- Um einen Beitrag zur Schonung unserer Umwelt fern, die zu ihrer Herstellung benötigt wird. und unseres Klimas zu leisten, wurden im Grundsatz drei gleich wichtige Strategien auf Bundes- und Lan- (Dr. Hermann Scheer [SPD]: Falsch!) desebene entwickelt: die Einsparung von Energie, Es ist illusorisch, zu glauben, daß durch massive fi- die Erhöhung der Effizienz bei der Energieerzeu- nanzielle Unterstützung ein schneller technologi- gung und -nutzung und die Nutzung erneuerbarer scher Durchbruch zu erzwingen ist. Energien. Auf allen Stufen der Prozeßkette, von der Gewinnung über die Umwandlung bis hin zur Nut- (Dr. Hermann Scheer [SPD]: Falsch!) zung beim Verbraucher, konnten in den letzten Jah- Wie jede Technologie braucht auch die Photovoltaik ren deutliche Fortschritte bezüglich der Energieeffi- einen längeren Zeitraum von ihrer Erforschung bis erreicht werden. zienz hin zur Marktdurchdringung. Die Energieintensität unserer Volkswirtschaft, also Das durch das BMBF im Mai verabschiedete der Energieverbrauch pro Einheit der volkswirt- 4. Programm Energieforschung und Energietechno- schaftlichen Wertschöpfung, konnte seit 1973 um fast logie reagiert auf diese Herausforderung und fördert 30 Prozent reduziert werden. Damit hat praktisch die Photovoltaik durch das neue Wegbereitungspro- eine Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom gramm „Photovoltaik 2005". Hierbei geht es in er- Stromverbrauch stattgefunden. ster Linie um die Senkung der Kosten durch Erhö- Einsparungspotentiale gibt es überall: im Verkehr, hung der Wirkungsgrade sowie Verbesserungen in im privaten Verbrauch und in der Wi rtschaft. Im Ver- der Fertigungstechnik. Neuartige Solarzellen wie die kehr sind es die verbrauchsarmen Autos, in der Wi rt Dünnschichtsolarzellen, die Verwendung von amor- -schaft energiesparende Produktionsverfahren und phem Silizium und Kupferindiumselenid verspre- Produkte. So kann zum Beispiel durch den Einsatz chen eine höhere Energieausnutzung. Allerdings moderner Technologien der Wirkungsgrad von Kraft- wird es noch zirka zehn Jahre dauern, bis solarer werken erhöht werden. Während herkömmliche Strom vergleichbar billig sein wird. Siemens schätzt, Kohlekraftwerke einen Gesamtwirkungsgrad von daß die Solarstromerzeugungskosten bis zum Jahr 40 Prozent haben, erhöht sich dieser bei Gas- und 2000 auf etwa 80 Pfennig je Kilowattstunde und bis Dampfkraftwerken um bis zu 15 Prozent. Allein zum Jahr 2010 auf etwa 60 Pfennig je Kilowattstunde durch die Substitution der Brennstoffe und die Erhö- reduziert werden können. Bis dahin werden sich hung des Wirkungsgrades reduziert sich der CO2- Photovoltaikanlagen nur als kleine und kleinste Ausstoß so um annähernd 50 Prozent. Stromversorgungsanlagen in Nischenmärkten rentie- ren. Das Energiepotential der Wasserkraft wird in Deutschland weitestgehend ausgeschöpft. Deshalb Trotz der zur Zeit noch hohen Investitionskosten geht es bei der Förderung der erneuerbaren Ener- sind photovoltaische Anlagen bereits heute in son- gien vor allem um die Nutzung der Wind- und Son- nenreichen Entwicklungsländern besonders gefragt. nenenergie sowie um die energetische Nutzung der In Gebieten, die fernab von Verkehrs- und Stromnet- Biomasse. Unsere Stromerzeugung beruht zu zen liegen, ist es bereits heute kostengünstiger, pho- 56 Prozent auf Kohle. Dieser Anteil besteht jeweils tovoltaische Anlagen im Verbund mit Dieselgene- zur Hälfte aus Braun- bzw. Steinkohle. Der Rest teilt ratoren für die Stromerzeugung zu nutzen. Dieser sich so auf, daß 30 Prozent durch die Kernenergie,- positive Kosteneffekt ergibt sich einerseits aus den 10 Prozent durch Gas und 01, 4 Prozent durch Was hohen Finanzierungskosten für die Erschließung die- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9727

Hans-Otto Schmiedeberg ser Gebiete, andererseits bewirkt die höhere und län- c) Erste Beratung des von der Bundesregie- gere Sonneneinstrahlung eine intensivere Nutzung rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- der Energiequelle Sonne. zes über Mitteilungen der Justiz von Amts wegen in Zivil- und Strafsachen Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die (Justizmitteilungsgesetz - JuMiG) erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren kei- nen wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduzierung lei- - Drucksache 13/4709 — sten können. Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß (federführend) (Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- GRÜNEN]: Wenn Sie so weitermachen wie ordnung bisher!) Finanzausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Anträge der SPD und der Grünen können nur Ausschuß für Gesundheit durch die Aufwendung erheblicher finanzieller Mit- Innenauschuß tel realisiert werden. Bei der derzeitigen Haushaltssi- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten tuation ist dies nicht leistbar. Wir dürfen die Erwar- Franziska Eichstädt-Bohlig, Dr. Angelika tungen an die Leistungsfähigkeit der erneuerbaren Köster-Loßack, Amke Dietert-Scheuer, wei- Energien nicht zu hoch stellen, da diese Erwartun- terer Abgeordneter und der Fraktion gen enttäuscht werden und somit die erneuerbaren BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Energien Schaden nehmen würden. Aus diesen Einlösung der Versprechen von Rio auf der Gründen werden wir den Gesetzentwurf der SPD- VN-Konferenz (HABITAT II) in Istanbul Fraktion und den Antrag der Fraktion des Bündnis- ses 90/Die Grünen ablehnen. - Drucksache 13/4616 — Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Haben (federführend) Sie das Herrn Lamme rt gesagt?) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die wicklung Aussprache. e) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- desregierung Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/3812 und 13/4481 an die in Waldzustandsbericht der Bundesregierung 1995 der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist of- - Drucksache 13/3208 — fenbar der Fall. Dann sind die Überweisungen so be- Überweisungsvorschlag: schlossen. Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16a bis e und Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- die Zusatzpunkte 9a bis c auf: heit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Tech- 16. Überweisungen im vereinfachten Verfahren nologie und Technikfolgenabschätzung a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- ZP9 Weitere Überweisungen im vereinfachten brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- Verfahren derung des Jahressteuergesetzes 1996 a) Beratung des Antrags des Abgeordneten (steuerliches Reisekostenrecht) Klaus-Jürgen Warnick und der Gruppe der - Drucksache 13/4542 — PDS Überweisungsvorschlag: Ergänzung des Eigenheimzulagengesetzes Finanzausschuß (federführend) - Drucksache 13/4835 — Sportausschuß Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Finanzausschuß (federführend) Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau b) Erste Beratung des von der Bundesregie- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Eva Bulling Schröter, Dr. Ruth Fuchs, zes zu dem Abkommen vom 14. Juli 1993 Dr. Dagmar Enkelmann, weiterer Abgeord- zwischen der Regierung der Bundesrepu- neter und der Gruppe der PDS blik Deutschland und der Regierung der Ausweitung des Sanierungsauftrages der Russischen Föderation über den Luftver- Wismut GmbH kehr - Drucksache 13/4836 — - Drucksache 13/4630 — Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Verkehr (federführend) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Finanzausschuß heit 9728 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose c) Beratung des Antrags der Abgeordneten b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Kristin Heyne, Albert Schmidt (Hitzhofen), schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Gila Altman (Aurich) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 13/4629 - Erstellung eines Schienenbauplans als An Berichterstattung: lage zum Bundesverkehrshaushalt Abgeordnete Carl-Detlev Freiherr von - Drucksache 13/4874 — Hammerstein Überweisungsvorschlag: Jürgen Koppelin Haushaltsausschuß (federführend) Dr. Rolf Niese Ausschuß für Verkehr Oswald Metzger Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen Der Ausschuß für Post und Telekommunikation an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse empfiehlt auf Drucksache 13/4585, den Gesetzent- zu überweisen. Das Justizmitteilungsgesetz, Druck- wurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, sache 13/4709, soll zusätzlich an den Innenausschuß die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu er- überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - heben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen wor- Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tages- den. ordnung um die erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Ich rufe Punkt 17 b der Tagesordnung auf: zur Änderung des Zustimmungsgesetzes zum Wis- Zweite Beratung und Schlußabstimmung des mut-Vertrag, Drucksache 13/4789, zu erweitern. Der von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Gesetzentwurf soll jetzt gleich behandelt werden. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung ein- wurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom verstanden? - Das ist der Fall. 6. Oktober 1989 und vom 26. Oktober 1990 zur Änderung des Abkommens vom 7. De- zember 1944 über die Internationale Zivilluft Dann rufe ich jetzt Zusatzpunkt 27 der Tagesord- fahrt nung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung - Drucksache 13/3849 - eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur (Erste Beratung 92. Sitzung) Änderung des Zustimmungsgesetzes zum Wismut-Vertrag Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- - Drucksache 13/4789 - schusses für Verkehr (15. Ausschuß) Der Gesetzentwurf soll zur federführenden Bera- - Drucksache 13/4599 - tung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitbe- ratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialord- Berichterstattung: nung sowie an den Ausschuß für Umwelt, Natur- Abgeordneter Michael Jung (Limburg) schutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksa- Sind Sie mit der Überweisung einverstanden? - Das che 13/4590, den Gesetzentwurf unverändert anzu- ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf Wir kommen jetzt zur abschließenden Beratung ei- zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt da- ner Reihe von Tagesordnungspunkten ohne Ausspra- gegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Gesetzent- che. wurf ist einstimmig angenommen.

Ich rufe Punkt 17 a der Tagesordnung auf: Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 c bis 17 e auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung von der Bundesregierung eingebrachten Ent- des von der Bundesregierung eingebrach- wurfs eines Gesetzes zu der Konstitution und ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Euro- der Konvention der Internationalen Fernmel- pa-Abkommen vom 12. Juni 1995 zur deunion vom 22. Dezember 1992 sowie zu Gründung einer Assoziation zwischen den den Änderungen der Konstitution und der Europäischen Gemeinschaften und ihren Konvention der Internationalen Fernmelde- Mitgliedstaaten einerseits und der Repu- union vom 14. Oktober 1994 blik Estland andererseits - Drucksache 13/3810 - - Drucksache 13/4024 - (Erste Beratung 92. Sitzung) (Erste Beratung 98. Sitzung) a) Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- schusses für Post und Telekommunikation Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- (17. Ausschuß) schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) - Drucksache 13/4585 - - Drucksache 13/4855 - Berichterstattung: Abgeordnete Elmar Müller (Kirchheim) - Berichterstattung: Hans Martin Bury Abgeordneter Wolfgang Weiermann Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9729

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ des von der Bundesregierung eingebrach- 4600, den Gesetzentwurf des Bundesrates in der von ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Euro- der Bundesregierung auf Drucksache 13/3604 vorge- pa-Abkommen vom 12. Juni 1995 zur schlagenen und auf Drucksache 13/3809 berichtigten Gründung einer Assoziation zwischen den Fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Europäischen Gemeinschaften und ihren so geänderten Gesetzentwurf zustimmen wollen, um Mitgliedstaaten einerseits und der Repu- das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- blik Litauen andererseits gen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- tung einstimmig angenommen. - Drucksache 13/4025 - (Erste Beratung 98. Sitzung) Wir kommen zur Beschlußempfehlung und Be richt des Aus dritten Beratung schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die - Drucksache 13/4856 - dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Berichterstattung: Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Abgeordneter Elmar Müller (Kirchheim) e) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- Tagesordnungspunkt 17 g: ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Euro- pa-Abkommen vom 12. Juni 1995 zur Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat Gründung einer Assoziation zwischen den eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Europäischen Gemeinschaften und ihren Änderung des Gesetzes über Personalauswei- Mitgliedstaaten einerseits und der Repu- se und des Paßgesetzes blik Lettland andererseits - Drucksache 13/3469 - - Drucksache 13/4026 - (Erste Beratung 92. Sitzung) (Erste Beratung 98. Sitzung) Beschlußempfehlung und Bericht des Innen- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- ausschusses (4. Ausschuß) schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) - Drucksache 13/4857 - - Drucksache 13/4734 - Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Weiermann Abgeordnete Meinrad Belle Dorle Marx Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Druck- Manfred Such sachen 13/4855 bis 13/4857, die drei Gesetzentwürfe Dr. Max Stadler unverändert anzunehmen. Wenn Sie damit einver- Ulla Jelpke standen sind, lasse ich über diese drei Gesetzent- würfe gemeinsam abstimmen. - Kein Widerspruch, Dazu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten dann verfahren wir so. Ich bitte diejenigen, die den Erwin Marschewski, Fritz Rudolf Körper und Dr. Max drei Gesetzentwürfen zustimmen wollen, sich zu er- Stadler vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer heben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ drei Gesetzentwürfe sind einstimmig angenommen. 4875? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ände- rungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- Tagesordnungspunkt 17 f: tionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS an- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat genommen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der beschränkten per- Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in sönlichen Dienstbarkeiten der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen - Drucksachen 13/3604, 13/3809 (Berichti- Änderung zustimmen wollen, um das Handzeichen. gung) - - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den (Erste Beratung 86. Sitzung) Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Frak- tion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen Beschlußempfehlung und Bericht des Rechts- und der PDS angenommen. ausschusses (6. Ausschuß) - Drucksache 13/4600 - Interfraktionell ist vereinbart, trotz der angenom- menen Änderung unmittelbar in die dritte Beratung Berichterstattung: einzutreten. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Abgeordnete Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten- Dann ist das mit der erforderlichen Mehrheit so be- Peter Enders schlossen. 9730 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Wir kommen zur Tagesordnungspunkt 17j:

dritten Beratung Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Sammelübersicht 123 zu Petitionen ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der - Drucksache 13/4694 - Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge- von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfeh- lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Tagesordnungspunkt 17 h: Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.

Beratung der Beschlußempfehlung und des Zusatzpunkt 10: Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus (21. Ausschuß) zu dem Antrag Weitere abschließende Beratung ohne Aus- der Abgeordneten Halo Saibold, E lisabeth Alt- sprache mann (Pommelsbrunn), Waltraud Schoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Beratung der Beschlußempfehlung und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuß) Goldabbau in der Westtürkei unter Einsatz zu der Verordnung der Bundesregierung zyankalihaltiger chemischer Stoffe durch Un- Zustimmungsbedürftige Verordnung zur Ein- ternehmen aus der Bundesrepublik Deutsch- führung des Europäischen Abfallkatalogs land (EAK-Verordnung - EAKV) - Drucksachen 13/1017, 13/4215 - - Drucksachen 13/4689, 13/4726 Nr. 2, 13/ 4869 - Berichterstattung: Abgeordnete Michael Jung (Limburg) Berichterstattung: Susanne Kastner Abgeordnete Steffen Kampeter Halo Saibold Marion Caspers-Merk Dr. Olaf Feldmann Dr. Jürgen Rochlitz Birgit Homburger Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- che 13/1017 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- Der Ausschuß empfiehlt, der Verordnung auf schlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Drucksache 13/4689 zuzustimmen. Wer stimmt für - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die tungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimment- angenommen. haltung der PDS angenommen. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 11 auf:

Tagesordnungspunkt 17 i: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissen- Haltung der Bundesgierung zu den Vor- schaft, Forschung, Technologie und Technik- kommnissen bei dem öffentlichen Gelöbnis folgenabschätzung (19. Ausschuß) zu der Un- der Bundeswehr in Berlin terrichtung durch die Bundesregierung Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Kol- Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen lege Jörg van Essen, F.D.P. Bildung Lehren und Lernen - Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Die F.D.P. hat die heutige Aktuelle - Drucksachen 13/3668 Nr. 2.37, 13/4680 - Stunde beantragt, weil eine Rechtsstaatspartei nicht Berichterstattung: widerspruchslos hinnehmen kann, wie in unserem Abgeordnete Dr. Egon Jüttner Land mit der Menschenwürde junger Menschen nur Stephan Hilsberg deshalb umgegangen wird, weil die Bundeswehr an Antje Hermenau die Öffentlichkeit tritt. Dr. Karlheinz Guttmacher (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Maritta Böttcher Uns geht es nicht um diese oder jene Einzelheit bei Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge- der militärischen Zeremonie. Für uns steht aber fest: genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfeh- Die Bundeswehr braucht sich nicht zu verstecken. lung ist einstimmig angenommen. Sie ist Teil dieser Demokratie, Teil dieses Volkes. Es Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9731

Jörg van Essen ist ein Teil der Kontrolle der Streitkräfte durch das ten in Westberlin geschützt hat, die auf Toleranz in Volk, daß sich die Bundeswehr öffentlich präsentiert. besonderer Weise angewiesen sind. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Paul Breuer [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Jeder soll und muß hören können, was die Vorge- Welch eine Anmaßung deshalb, nun von Berlin als setzten den Soldaten für ihren Dienst bei einem Ge- „Hauptstadt der Wehrdienstverweigerer" zu spre- löbnis mit auf den Weg geben. chen. Wir lassen das nicht zu. ( Vo r s i t z: Vizepräsident Dr. Burkhard (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Hirsch) Für uns ist Berlin die Hauptstadt aller Deutschen, Für mich steht unter denen, die sich Verdienste um selbstverständlich auch der Soldaten. die Verbindung von Bundeswehr und Gesellschaft Wir lassen es auch nicht zu, daß in unserem Land erworben haben, der Name ganz vorne. immer mehr der Eindruck entstehen kann, daß der (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) junge Soldat mit dem von der Verfassung geforder- ten Wehrdienst seiner Menschenwürde beraubt Was mag Georg Leber denken, wenn er erleben wird, er sich unerträglichen Unterstellungen ausge- muß, daß Teile seiner SPD mit PDS und Grünen zu- setzt sieht. Die Feiern zum 40jährigen Bestehen der sammenwirken Bundeswehr in Erfurt und Bonn stehen in der glei- chen Reihe, in der als letztes Ereignis das öffentliche (Zuruf von der SPD: Quatsch!) Gelöbnis in Berlin steht. Es gibt keine Veranstaltung und mit welch geradezu kindischen Argumenten die der Bundeswehr ohne diese unerträglichen Entglei- SPD-Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg vor- sungen von Bündnis 90/Die Grünen, PDS und eini- geht, um die für eine Demokratie selbstverständliche gen Sozialdemokraten. Einbindung der Streitkräfte in die Gesellschaft zu (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: verhindern? Leider wahr!) Uns geht es insbesondere darum, wie mit den jun- Wir Liberalen sagen ein eindeutiges Nein zu allen gen Frauen und Männern umgegangen wird, die ge- Versuchen, eine bestimmte Gruppe in unserer Ge- loben oder beeiden, das Recht und die Freiheit des sellschaft, hier die Wehrpflichtigen, als unterwertig deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Sie schützen darzustellen und auszugrenzen. damit auch unsere Verfassung, die es der für die Bun- deswehr verantwortlichen Politik zur Verpflichtung (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) macht, dem Frieden in der Welt zu dienen, und die Die Bundeswehr braucht sich nicht zu verstecken. einen Angriffskrieg unter Strafandrohung verbietet. Sie steht für diese Demokratie, für die Verteidigung Welches Verhältnis muß man zu dieser Verfassung der demokratischen Ideale. Wir Liberalen werden da- und ihren Grundrechten haben, wenn man solche für sorgen, daß es auch so bleibt: in Berlin und an an- Worte wie der Sprecher der Grünen, Ch ristian Strö- deren Orten in Deutschland, in den Kasernen und bele, findet? Er spricht von einer „Entscheidungs- bei öffentlichen Auftritten. schlacht" und erklärt, „Soldaten wird der Verstand Vielen Dank. abtrainiert, um sie zum Töten abzurichten". (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Unerhört! - Paul Breuer [CDU/CSU]: Widerwärtig!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat „Abrichten" - ich wiederhole es -, das ist ein Aus- die Abgeordnete Verena Wohlleben. druck, den man gegenüber Tieren verwendet. Wer wie der Sprecher der Grünen junge Menschen in ei- Verena Wohlleben (SPD): Herr Präsident! Meine ner derartigen Weise erniedrigt, ihre Menschen- sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bun- würde derart mißachtet und verletzt, dem fehlt jede deswehr hat seit ihrem Bestehen - über 40 Jahre Beziehung zu diesem Rechtsstaat und zu seinen lang - immer wieder mit feierlichen und öffentlichen Grundrechten. Gelöbnissen darauf hingewiesen, daß sie in der Mitte (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dieser Gesellschaft steht. Sie hat dokumentiert, daß sie zum Frieden für unser Land und in Europa ent- Diese Sprache - „Entscheidungsschlacht", „Ver- scheidend beigetragen hat. Aktuell wird dies im stand abtrainieren", „abrichten" - ist doch meilen- IFOR-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien immer weit weg von den Idealen des Grundgesetzes und wieder auf eindrucksvolle Weise deutlich. Dafür verräterisch in ihrer Aggressivität und ihrer Militanz. sprechen wir allen Soldaten und Soldatinnen, den zi- vilen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sowie den (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Verbalterro Reservisten Dank und Anerkennung aus. rist!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Wir stellen als Liberale dem ganz bewußt die offene F.D.P.) Bürgergesellschaft der Toleranz gegenüber, zu der selbstverständlich auch der „Staatsbürger in Uni- Das Wehrsystem der Bundeswehr steht auf zwei form" gehört. Es war im übrigen das Militär, das- Säulen: Die eine sind die freiwilligen Zeit- und Be- durch seinen Schutz der Stadt die vielen Minderhei rufssoldaten, die andere sind die Wehrpflichtigen. 9732 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Verena Wohlleben Dieses Wehrsystem hat sich bewährt. Allerdings ist Das ist ein unanständiger und untauglicher Versuch, es heute schwieriger, die allgemeine Wehrpflicht zu meine sehr verehrten Herren und Damen von der begründen als noch vor wenigen Jahren. Damals war F.D.P. Allein schon das Thema der von Ihnen bean- die Bedrohung noch sehr konkret und wurde von tragten Aktuellen Stunde desavouiert Ihre wahre Ab- den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes auch sicht. Es lautet nämlich: „Haltung der Bundesregie- so empfunden. Deshalb waren damals die Einsicht rung zu den Vorkommnissen bei dem öffentlichen und auch die Bereitschaft, den Wehrdienst zu leisten, Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin". Ich frage Sie: stärker ausgeprägt als heute. Gerade deshalb haben Wer bildet denn diese Bundesregierung? Sind Sie in wir den Wehrpflichtigen zu danken, die ihren Wehr- der Bundesregierung, oder sind Sie es nicht mehr? dienst leisten. (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Ist sie das (Beifall bei der SPD) Forum? Das ist doch das Parlament!) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir tragen Sie müßten doch die Haltung der Bundesregierung eine große Verantwortung. Sie ist aber zugleich auch am besten kennen, Herr Westerwelle. Auch die Aus- Verpflichtung für uns Abgeordnete, die parlamenta- sage Ihres eigenen Fraktionskollegen Burkhard rische Kontrolle der Streitkräfte gewissenhaft aus- Hirsch macht deutlich, wie durchsichtig und faden- zuüben. Die Bundeswehr - das haben Sie sehr richtig scheinig Ihr politisches Manöver bei der Beantra- gesagt, Herr van Essen - braucht sich nicht zu ver- gung dieser Aktuellen Stunde wirklich ist. In der stecken. Sie hat ihren Platz in der Mitte der Gesell- „Bonner Rundschau" vom 10. Juni 1996 wird er mit schaft und deshalb auch in der Öffentlichkeit. Wie oft folgenden Worten zitiert: allerdings ein feierliches Gelöbnis in der Öffentlich- keit abgehalten werden soll und an welchem Ort Warum macht man eigentlich eine solch pathos- oder Platz es stattfinden soll, schwangere Vereidigung im Geiste des 19. Jahrhunderts vor dem Charlottenburger (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Dies ist Schloß? In welche Tradition stellt man sich da? doch ein freies Land!) Das fragt Ihr eigener Fraktionskollege. ist eine Frage des politischen Gespürs, der politi- schen Kultur und der Opportunität. Darüber läßt sich (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der durchaus trefflich streiten. PDS) (Beifall bei der SPD) Ich will Ihnen sagen, meine Damen und Herren Wenn feierliche Gelöbnisse in der Öffentlichkeit von der F.D.P.: Mit dieser Aktuellen Stunde in diesem stattfinden, dann muß möglicherweise auch damit Hohen Hause werden Sie nicht erreichen, daß es bei gerechnet werden, daß gegen diese Gelöbnisse de- künftigen „feierlichen Gelöbnissen" in der Öffent- monstriert wird. In unserem Land - und nicht zuletzt lichkeit zu weniger oder überhaupt keinen Störun- in meiner Partei - gibt es Menschen, Herr van Essen, gen mehr kommen wird - was ich mir wirklich wün- die den Dienst mit der Waffe ablehnen. Das ist deren schen würde. Sie, meine sehr verehrten Herren und gutes Recht, das ebenfalls Verfassungsrang besitzt. Damen von der F.D.P., betreiben vielmehr eine unan- Und dies ist auch im Sinne von Herrn Georg Leber, gemessene Aufwertung der wenigen Störer in den Herr van Essen. Medien und in der Öffentlichkeit. War das Ihre Ab- sicht? - Ich hoffe nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD) und der PDS) Ich empfehle Ihnen, den Kommentar von Kurt Ki- Unstrittig muß aber in jedem Fall bleiben, daß alle ster in der „Süddeutschen Zeitung" vom 8. Juni 1996 Demonstrationen - ich sage: alle Demonstrationen - nachzulesen. Unter der Überschrift „Angst vor dem gewaltfrei und friedlich stattzufinden haben. Vaterland" heißt es - ich zitiere -: (Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Das war Kein übereifriger Minister, kein auf Glorien- nicht der Fall!) schein bedachter Bürgermeister sollte Soldaten als Schaufensterpuppen nationalen Gepränges - Darauf komme ich noch. aufmarschieren lassen. Die Störungen und gewalttätigen Ausschreitungen gegen das feierliche Gelöbnis in Berlin sind zu verur- (Jörg van Essen [F.D.P.]: Ist überhaupt nicht teilen. Hier gibt es nichts zu relativieren. geschehen!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Ich füge hinzu: Das haben unsere Soldaten - seien es F.D.P.) nun Berufs- oder Zeitsoldaten, seien es Grundwehr- dienstleistende - wirklich nicht verdient. Was aber hier klarzustellen ist, ist die Tatsache, daß von der F.D.P. versucht wird, dieses Gelöbnis so- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne zusagen als Vehikel zu benutzen, um parteipolitische ten der PDS) Vorteile zu erzielen.

(Beifall bei der SPD und der PDS - Wider - Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat spruch bei der F.D.P.) der Abgeordnete Jochen Feilcke. Deutscher Bundestag - 13. Wahperiodel - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9733

Jochen Feilcke (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine eben die Gemeinschaft, die ihnen genau diesen Damen und Herren! Die Rekruten der Bundeswehr Dienst abverlangt. Wer das bekämpft, will unsere geloben, der Bundesrepublik Deutschland treu zu Gemeinschaft, unseren freiheitlich-demokratischen dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Rechtsstaat beschädigen. Volkes tapfer zu verteidigen. Sie leisten keinen Amtseid gegenüber ihrem Vorgesetzten, sondern sie Auch die unsäglichen Einlassungen der Herren geloben gegenüber den Bürgern des freiheitlich-de- Trittin und Ströbele aus dem Vorstand der Grünen mokratischen Rechtsstaates Bundesrepublik Deutsch- zeigen, daß es immer noch Exponenten bei Ihnen land - also uns allen gegenüber, ob es uns gefällt gibt, die unverändert Front gegen den Rechtsstaat oder nicht -, auch unter Einsatz ihres Lebens unsere und seine legitimen Vertreter machen. Rechte und unsere Freiheiten zu verteidigen. Unsere (Jörg van Essen [F.D.P.]: Genauso ist es!) Freiheit und unser Recht sind ihnen im Falle eines ernsthaften Konfliktes sogar wichtiger als ihr eigenes Wie recht hat in diesem Zusammenhang der Vorsit- Leben. Dieses Gelöbnis gehört in die Öffentlichkeit; zende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordneten- es gehört an den öffentlichsten aller öffentlichen haus, Klaus Böger, der den Bündnisgrünen Arroganz, Plätze. Dummheit und Heuchelei bescheinigt. Geradezu empörend ist es, daß sich Teile der Berliner SPD so- Frau Wohlleben, die Rekruten, die vor dem Char- wie die Landesvorstände von Bündnisgrünen und lottenburger Schloß - übrigens zum erstenmal wirk- PDS unter einen gemeinsamen Aufruf „Ja - stören!" lich öffentlich in Berlin, Sie haben ja von der Häufig- stellen. keit gesprochen - Das Berliner Verwaltungsgericht hat in einem völ- (Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr richtig!) lig unverständlichen Urteil ihr Gelöbnis ablegten, haben sich ihrer Bürgerpflicht (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS nicht entzogen wie diejenigen, die in der Vergangen- SES 90/DIE GRÜNEN) heit Berlin quasi als eine Fluchtburg wählten. Die ha- ben sich nämlich jeglichem Dienst für die Gemein- zum Ausdruck gebracht: Die Würde eines öffentli- schaft entzogen, chen Gelöbnisses als Rechtsgut ist unbekannt. - Ich setze dem entgegen: Die Freiheit der Bürger, sich zu (Widerspruch bei der SPD) jeder Zeit und an jedem Ort zu diesem freiheitlich- und sie haben das nur tun können, weil unsere sten aller Staaten zu bekennen, die es je auf deut- Schutzmächte auch ihre Freiheit schützten. schem Boden gegeben hat, muß geschützt werden. Die Wehrpflichtigen dürfen nicht nur in die Öffent- Es ist übrigens total irrig, wenn eine Gruppe von lichkeit, wie gelegentlich gnädig formuliert wird; sie Berliner SPD-Abgeordneten - Frau Holzhüter, die müssen, wie ich finde, herausgestellt werden. gehören zu denen, die auch heute bei dieser Aktuel- (Beifall bei der CDU/CSU) len Stunde nicht anwesend sind - behauptet, daß in Berlin in der Zeit der Teilung eine kritische Haltung Denn sie leisten einen Dienst, der mit erheblichen zum Militär und Wehrdienst gewachsen sei. Die Ber- Risiken verbunden ist. Sie nehmen Einschränkungen liner wissen, daß die Soldaten der Alliierten ebenso ihrer Bürgerrechte und unter Umständen ihrer wie die Soldaten der Bundeswehr im Gegensatz zu Unversehrtheit in Kauf. Sie gehören nicht zu denen, den Soldaten der NVA stets auch die Rechte und die sich aus mehr oder weniger guten Gründen für Freiheiten Andersdenkender geschützt und vertei- den Ersatzdienst entscheiden oder sich drücken. digt haben. Als Berliner Abgeordneter erkläre ich: Erstens. Das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) öffentliche Gelöbnis am 31. Mai 1996 konnte in allen einzelnen Programmpunkten ohne unmittelbare Be- Frau Wohlleben, natürlich gehört dazu auch das einträchtigung des gesamten Verlaufes durchgeführt Recht, gegen ein öffentliches Gelöbnis zu protestie- werden. ren. Welche Verblödung, welche Menschenverach- tung muß wohl bei den einigen hundert herumstreu- (Gerhard Zwerenz [PDS]: Was soll das denn nenden Chaoten vorliegen, dann?) (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Zweitens. Die Berliner Polizei konnte trotz der vom NEN) Verwaltungsgericht ermöglichten sogenannten Ge- genveranstaltung die Sicherheit der mehreren tau- die das Demonstrationsrecht mit dem vermeintlichen send Gäste durchgehend gewährleisten. Dafür Recht verwechseln, andere - nämlich junge Wehr- danke ich allen eingesetzten Beamten und bekunde pflichtige - in ihrer Ehre und ihrer Menschenwürde insbesondere den neun Verletzten unter ihnen un- verletzen und sie als Mörder beschimpfen zu kön- nen? sere Solidarität. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Drittens. Die überwältigende Mehrheit der Berli- Beim öffentlichen Gelöbnis handelt es sich nicht ner steht zur Bundeswehr. Die Störer sind verirrte um eine Machtdemonstration, um Säbelrasseln, um Gestalten aus der Anarchoszene, die aus allen Teilen ein Symbol für Großmachtstreben. Es handelt sich Deutschlands angereist sind. vielmehr um das öffentliche Versprechen von jungen - Soldaten, sich für die Gemeinschaft einzusetzen - für (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 9734 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Jochen Feilcke Mit eindrucksvoller Mehrheit hat der Deutsche ches Recht in diesem Staat - in Art. 4 Nr. 3 des Bundestag beschlossen, Soldaten der Bundeswehr zu Grundgesetzes niedergelegt; Sie wissen das -, dieses friedensschaffenden und friedenssichernden Einsät- zu verweigern. Das heißt: Man darf auch öffentlich zen nach Bosnien-Herzegowina und Kroatien zu ent- dagegen kämpfen. Das ist ein selbstverständliches senden. Die Friedenskräfte der Bundeswehr gehören Recht in unserem Staat. in die Öffentlichkeit. Wir alle sollten sie dabei unter- stützen. Je mehr sich unsere Soldaten in der Öffent- Ich frage mich manchmal: Wo steht eigentlich die lichkeit zeigen, desto mehr wird verstanden, daß un- F.D.P. heute, wenn sie nicht mehr für diese selbstver- sere Bundeswehr die Armee der Demokratie ist. ständlichen Rechte eintritt, auch nicht mehr für öf- fentliche Auseinandersetzungen, für das Lebenseli- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - xier der Demokratie? Wenn die F.D.P. im Grunde nur Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ noch nationalen Weiheveranstaltungen huldigt, dann NEN]: Das war eine Rede zum Feindbild frage ich mich: Welcher Flügel hat sich denn bei Ih- „Demonstrant" ! - Weitere Zurufe vom nen durchgesetzt? BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der F.D.P.: Es hat sich die Ver nunft durchgesetzt!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat der Abgeordnete Gerald Häfner. Wenn wir über das Gelöbnis in Berlin reden, dann will ich Ihnen, Herr van Essen, sagen: Die Bundes- wehr war - das wissen wir alle - 40 Jahre in Berlin Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe den Eindruck - wenn Sie mir für einen Moment nicht anwesend. Sie ist jetzt dorthin zurückgekehrt. Ihre Aufmerksamkeit leihen wollen -, Wenn man zurückkehrt und ein gutes Verhältnis zu den Berlinern aufbauen will, dann haut man nicht (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ihre auf den Putz, daß die Wände wackeln, sondern ver- Fraktion macht doch einen solchen Kra sucht, sich mit den Menschen in einer vernünftigen wall!) Weise so zu arrangieren, daß Vertrauen in den de- mokratischen Charakter dieser Armee entstehen daß wir hier eine ausgesprochen skurrile Debatte kann. führen, die sich in diesen „running gag" der F.D.P. einreiht, wann immer irgendwo Menschen in diesem (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Toleranz Land demonstrieren und es öffentliche Auseinander- gegenüber Intoleranten!) setzungen gibt - ich sage Ihnen, daß Berlin schon ganz andere Auseinandersetzungen als diese erlebt Ich glaube, daß wir den Soldaten der Bundeswehr hat -, eine Aktuelle Stunde im Bundestag zu verlan- überhaupt keinen Gefallen tun, wenn wir sie in der- gen, zu dem Thema: Haltung der Bundesregierung artige öffentliche Machtdemonstrationen schicken. zu den Auseinandersetzungen in Gorleben, in Gun- Übrigens tun wir auch den Polizisten keinen Gefal- dremmingen, in Berlin usw. len damit, die in solchen Situationen immer ihren Kopf hinhalten müssen. Es hätte sehr viel bessere (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das ist Wege gegeben, als vor der Kulisse eines preußischen Ihnen unangenehm!) Schlosses in Berlin den sogenannten Platzhalteran- Welches Demokratieverständnis haben Sie, Herr van spruch aufzubauen. Essen und Herr Westerwelle? Das Gelöbnis in Berlin Ich hoffe - es heißt hier: „Haltung der Bundesre- ist eine Frage der Demokratie in diesem Lande, auch gierung" -, daß die Bundesregierung aus der Ge- des Parlaments. Aber die Formulierung „Haltung der schichte lernt und anfängt, eine demokratische Ar- Bundesregierung" finde ich nun ausgesprochen mee in einem demokratischen Staat entsprechend lächerlich. auftreten zu lassen. Ich glaube, das wäre auch vielen (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: „Mörder! Rekruten lieber. Mörder! " - Rufe sind nicht Demokratie!) (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: In der Was Sie zur Sache gesagt haben, ist, mit Verlaub, Öffentlichkeit!) ausgesprochen dünn. Ich gebe offen zu: In solchen - In der Öffentlichkeit, natürlich. Das „Zurück in die Auseinandersetzungen wird manches Unkluge und Kasernen! " halte ich für Humbug. Die Armee gehört manches Falsche gesagt, in die Öffentlichkeit. (Zuruf von der CDU/CSU: Manches Blöde!) (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Bravo!) auch manches, was ich empörend finde. Ich stehe dann nicht an, mich davon zu distanzieren. Die For- Aber das heißt nicht, daß wir dera rtige Weiheveran- mulierung in dem Zitat von Christian Ströbele, das staltungen brauchen, schon gar nicht an diesem Ort. Sie gebracht haben, „abrichten" , lehne ich ab. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sage ich ganz deutlich. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, Sie kennen doch diesen absurden Streit: Die Be- der SPD und der F.D.P.) zirksverwaltung hat darum gebeten, diese Veranstal-

Nur, daß bei der Bundeswehr - darum ging es ja in tung nicht auf der historischen Grünfläche vor dem dem Zitat - das Töten geübt wird, das können und- Schloß, sondern auf dem Parkplatz durchzuführen. sollten wir nicht leugnen. Es ist ein selbstverständli Aber die Bundeswehr hat gesagt, das gehe nicht; die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9735

Gerald Häfner Veranstaltung müsse vor dem Schloß stattfinden. - Manfred Müller (Berlin) (PDS): Herr Präsident! Das ist doch kindisch! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach mei- nem Verständnis hatte das Verhalten der F.D.P. bis- (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Der Präsi her etwas mit dem Protest des Bürgertums gegen den dent ist dann auch kindisch?) preußischen Obrigkeitsstaat von 1848 zu tun. So, kommen wir doch nicht weiter. (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das ist Ich will Ihnen noch mal deutlich sagen: Zur Demo- schon ein bißchen komplizierter!) kratie gehört die Verteidigung der Bürgerrechte. Zu Aber das, was Herr van Essen hier heute abgegeben den Bürgerrechten gehören f riedlicher Protest, auch hat, war das Bild einer Partei, die nach mehr Obrig- öffentliche Äußerungen von Unmut. Sie alle erinnern keitsstaat ruft und die etwas dagegen hat, sich an das seinerzeitige Urteil des Amtsgerichts München, nach dem öffentlicher Unmut, Pfeifen und (Jörg van Essen [F.D.P.]: Dann haben Sie Protest keinen Straftatbestand darstellen können - überhaupt nicht zugehört, Herr Müller! Ich zumal bei Veranstaltungen, bei denen öffentlicher habe für Toleranz geworben!) Jubel geradezu erwünscht ist. Da gibt es also keine daß Demokraten auch auf die Straße gehen, um ihre Bürgerpflicht. Meinung dort deutlich zu machen. In der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ber- (Beifall bei der PDS) lin heißt es - Herr Feilcke hat sie eben als unver- ständlich bezeichnet; daraus kann ich nur schließen, Herr Feilcke, Ihre Sprache ist wirklich verräterisch. daß er sie nicht verstanden hat; deshalb zitiere ich (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: „Mörder! daraus -: Mörder! " ist verräterisch!) Zu berücksichtigen ist bei der Entscheidung Sie reden von „herumstreunenden Chaoten" ; Sie re- auch, daß die Bundeswehr, wenn sie in die Öf- den von „verirrten Gestalten" - und meinen Demon- fentlichkeit geht, um diese bewußt zu einer wir- stranten? kungsvollen Darstellung nach außen zu nutzen, damit rechnen muß, daß Kritiker dieser Selbstdar- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Nein, Chao stellung ihre Einwände am selben Ort ebenfalls ten!) öffentlich zu erkennen geben. Der öffentliche Sie haben Herrn Ströbele hier im Parlament einen Straßenraum ist, solange - wie hier - die Öffent- Terroristen genannt. lichkeit nicht aufgehoben ist, das Forum aller, die ihn in befugter Weise benutzen. Die Bundeswehr (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Nein, einen kann nicht beanspruchen, das Gelöbnis auf ei- „Verbalterroristen" !) nem öffentlichen Platz vor einem ihr wohlgeson- - Nein, das haben Sie nicht gesagt. - nenen oder wenigstens meinungsindifferenten Publikum durchzuführen. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Doch! - Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Zuhören!) So ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist Ihre Sprache. Das scheint auch die Sprache Wenn Sie allmählich anfangen, diese Aufgeregt- zu sein, mit der der neue Berliner Innensenator heiten abzulegen und mit uns gemeinsam a) für eine Schönbohm - - demokratische Armee, für friedliche Darstellung nach außen und nicht für so ein Brimborium einzutre- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Ich bitte Sie, ten und b) dafür einzutreten, daß die Grundrechte in ihm das zu übermitteln!) diesem Land verteidigt und ausgeübt werden dürfen, - Nein. Das wird möglicherweise aus dem Protokoll dann haben wir Sie wieder auf unserer Seite. Wenn hervorgehen. Ich habe es so gehört, daß Sie gesagt Sie aber dem nationalliberalen Flügel huldigen und haben, Herr Ströbele sei ein Terro rist. Aber das kön- die Bürgerrechte mit Füßen treten wollen, kann ich nen wir klären. nur sagen: Ade, F.D.P.! Es gab einmal eine Bürger- rechts- und Demokratiepartei. Es ist schade, daß sie Ich meine, es ist beschämend, was von den Koaliti- sich mittlerweile in der Mitte des Hauses bewegt und onsfraktionen geboten wird. Wenn nach fünf Jahren nicht mehr ganz rechts, wo sie im Moment sitzt. deutscher Einheit schon jedes Gefühl für politische Signale verlorengegangen ist und Ihnen nichts ande- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN res mehr einfällt - und das in einem Land, in dem das sowie des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgit Militär schon immer eine besondere Rolle gespielt ter] [SPD] - Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Er hat und in dem besondere Sensibilität gegenüber bedauert, daß die Grünen im Bundestag unseren Nachbarn und der Bevölkerung notwendig sind! - Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Da ist -, dann weiß ich nicht, wie es in der Hauptstadt klatscht nicht mal die SPD! - Wilhelm Berlin weitergehen soll. Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da täuschen Sie sich, Herr Westerwelle! Ich habe ge- Wenn Herr Schönbohm davon spricht, daß Berlin klatscht! ) ohne Gelöbnisse nicht hauptstadtfähig werde, dann weiß ich nicht, welche Rolle diese Hauptstadt in Zu- kunft einnehmen soll. Ich behaupte, das öffentliche Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem- Zurschaustellen von Militär ist nicht nur höchst un- Abgeordneten Manfred Müller das Wort. zeitgemäß. Es zeugt von falsch verstandener Souve- 9736 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Manfred Müller (Berlin) ränität und schadet dem Ansehen dieses Staates bei Bernd Wilz, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- seinen Nachbarn in Europa und in der Welt. ster der Verteidigung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir von meinem Vorredner gehört (Beifall bei der PDS - Widerspruch bei der haben, das hat mich, was Preußen angeht, an DDR- CDU/CSU) Indoktrination erinnert. Es hätte dieser Bundesregierung, die im Zwei- (Widerspruch bei der PDS) plus-Vier-Vertrag die Verpflichtung eingegangen ist, daß von deutschem Boden nur noch Frieden ausge- hen wird, Ich hätte mir nur gewünscht, daß dieser Unrechts- staat DDR halb soviel Toleranz aufgebracht hätte, (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das steht wie es die Preußen gelehrt haben. schon im Grundgesetz!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gut angestanden, andere Signale über ihre Außen- und Sicherheitspolitik auszusenden als gerade jene, Ich erinnere daran, daß Scharnhorst einer der gei- die von diesem militärischen Spektakel ausgehen. stigen Väter der Bundeswehr ist; wir haben das im Denn was vor dem scheinbar unverdächtigen Char- letzten Jahr gebührend gewürdigt. Scharnhorst hat lottenburger Schloß unter der Losung, Normalität sich durch Zivilcourage, durch Mut, durch den Ge- durchsetzen zu wollen, ablief, entlarvt sich selbst. Es danken der Landesverteidigung und der Wehrpflicht spiegelt ein archaisch-feudales Politikverständnis wi- ausgezeichnet. Ich finde, das ist vorbildlich. der. Wenn es dafür eines Beweises bedurfte, so ist es die Behauptung - die auch heute hier wieder aufge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) stellt wurde -, Wehrpflicht und Gelöbnis seien demo- kratische Errungenschaften Preußens gewesen, Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, den vielen Bürgerinnen und Bürgern und auch denjenigen hier Friedrich Wilhelm III. brauchte damals Kanonen- futter. Damit sollte die Staatlichkeit Preußens ge- im Parlament zu danken, die im Zusammenhang mit stärkt und sein impe riales Eingreifen nach außen er- dem Gelöbnis von Berlin ihre Solidarität, ihren Dank möglicht werden. Auch das Gelöbnis in Berlin dient und ihre Unterstützung gegenüber unseren Soldaten zum Ausdruck gebracht haben. Ich fand und finde der öffentlichen Verklärung von Soldatentum und das großartig. militärischer Gewalt. Indem man es auf die natio- nale Bühne der Hauptstadt hebt, soll der Öffentlich- keit Militär als normales Mittel der deutschen Außen- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) politik in das Bewußtsein eingeträufelt werden. Au- ßerdem reiht sich dieses Spektakel in einen ganzen Trotz der Ausführungen meiner beiden Vorredner Werbefeldzug ein, den die Bundesregierung seit ge- will ich hier aber ganz klar sagen, daß es nach mei- raumer Zeit für die Bundeswehr veranstaltet. Ich ner Einschätzung in Wahrheit in vielen sicherheits- nenne nur den Großen Zapfenstreich im Oktober und außenpolitischen Fragestellungen doch einen er- 1995 in Bonn oder die peinliche Bundestagsdebatte freulichen Grundkonsens gibt. Darüber bin ich, auch über den sogenannten Ehrenschutz für Soldaten. im Interesse unserer Soldaten, froh. Diese neue Ein- mütigkeit - dies hat auch der Beschluß zu Kroatien/ Ich sage Ihnen, was Sie antreibt. Mit solchen Bosnien-Herzegowina gezeigt - hinsichtlich der Schritten soll ein günstiges Klima für Militäreinsätze Ziele deutscher Außen- und Sicherheitspolitik und im Ausland geschaffen werden. Minister Rühe hat die Rolle der Bundeswehr kann durch einige wenige das ungeschminkt erklärt. Zweck ist es, die ganze Demonstranten in Berlin nicht erschüttert werden, Gesellschaft auf diese neuen Aufgaben vorzuberei- auch nicht durch die Querelen im Vorfeld. Ich ten. glaube, wir sollten lieber nach dem Motto verfahren: Wer die Zukunft auf seiner Seite weiß, kann dem Vor diesem Hintergrund kann man es nur als Skan- Wort der Gestrigen gelassen lauschen. dal bezeichnen, daß die Deserteure des letzten Welt- krieges bisher noch niemals öffentlich gewürdigt (Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei der worden sind, von Rehabilitierung ganz zu schwei- PDS) gen. Selbst dieses Parlament hat es nur zu fast mitter- nächtlicher Stunde gewagt, das Thema der Wehr- Wer - hören Sie genau hin - von einer angeblichen machtsdeserteure anzusprechen. Ich kann nur sa- „Wiederaufnahme einer militaristischen Tradition", gen: Wie gut, daß es noch Menschen gibt, die die von einer „Verherrlichung" und „Verklärung" des Verherrlichung des Militärs nicht hinnehmen und Militärs spricht, hat von unserer Armee in der Demo- mutig und ohne Gewalt dagegen protestieren. Wie kratie nichts, aber auch gar nichts verstanden. gut, daß es vor allem junge Menschen sind, die sich von diesem Männlichkeitsritual offensichtlich nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) beeindrucken lassen. (Beifall bei der PDS) Wer ein öffentliches Gelöbnis gar als „perverses Ri- tual" bezeichnet, vergreift sich im Ton.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat (Gerhard Zwerenz [PDS]: Das steht so in der Herr Parlamentarische Staatssekretär Bernd Wilz. der Bibel!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9737

Parl. Staatssekretär Bernd Wilz Diese Leute nennen sich zwar gern Pazifisten, in Berlin war 45 Jahre lang wie kein anderer Ort den Wahrheit sind sie verbale Gewalttäter und Rufmör- Stürmen des Ost-West-Konfliktes ausgesetzt. Die der. Berlin-Blockade von 1948, der 17. Juni 1953, Chruschtschows Berlin-Ultimatum - allein diese Da- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ten rufen in Erinnerung, daß gerade die Berliner ihre Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Freiheit der Anwesenheit von Soldaten verdanken, DIE GRÜNEN]: Da greift aber gerade auch Soldaten unserer Verbündeten, die mutig und ent- einer daneben!) schlossen waren, unsere Demokratie, unsere Freiheit Mit Säbelrasseln und Militarismus hat unsere Bun- und unseren Frieden zu verteidigen, und zwar Seite deswehr nichts zu tun. Darauf hat Bundespräsident an Seite mit unserer Bundeswehr. Die Bundeswehr Herzog in Berlin zu Recht in sehr klaren Worten hin- wird auch weiterhin in Berlin und anderswo öffentli- gewiesen. Die Botschaft des öffentlichen Gelöbnisses che Gelöbnisse abhalten. von Berlin lautet vielmehr: Die Bundeswehr gehört in (Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/ unsere Mitte. Sie ist integraler und unverzichtbarer DIE GRÜNEN]: Wo denn noch?) Bestandteil unserer demokratischen Ordnung - einer Ordnung, die ihre äußere Sicherheit wesentlich unse- Unsere jungen Wehrpflichtigen haben es nicht ver- ren Soldaten verdankt. dient, beschimpft, verhöhnt oder ins Abseits ge- drängt zu werden. Im Gegenteil, sie verdienen die Die Soldaten sind Bürger in Uniform. Mit ihrem Achtung und den Dank von uns allen, vom gesamten Gelöbnis versprechen sie, die Freiheit und das Recht deutschen Volk. von uns allen zu verteidigen. Wir legen unseren Schutz in ihre Hände. Sie haben aber auch ein Recht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) auf unsere Unterstützung und unsere Anerkennung. Wir brauchen unsere Wehrpflichtigen. Ohne sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ohne die Reservisten kann die Bundeswehr auch und der F.D.P.) in Zukunft ihre Aufgaben nicht erfüllen. Die Wehr- pflichtigen repräsentieren einen Querschnitt der Fä- Bei einem Gelöbnis in der Öffentlichkeit bezeugen higkeiten und Qualifikation der jungen Generation. die Bürgerinnen und Bürger die Bedeutung und Sie und die Reservisten sind vielfach unentbehrliche Würde dieses feierlichen Versprechens, und sie zei- Spezialisten in vielen Funktionen. Deshalb auch ist gen mit ihrer Anwesenheit unseren Soldaten, daß sie die Wehrpflichtarmee die intelligente Armee, und auf die Zustimmung und den Rückhalt der Öffent- wir sind stolz auf diese Armee. lichkeit von Politik und Bevölkerung setzen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Auch in Ber- Unsere Verantwortung für die Stabilität in Europa lin!) verlangt, daß die Bundeswehr für den Fall der Fälle - Wer unsere Soldaten hinter die Kasernentore ver- den keiner will - mobilmachungs- und verteidi- bannen will, schiebt sie ab in Isolation und Ausgren- gungsfähig ist. Das geht nur mit Wehrpflichtigen und zung. Er fördert das, was wir alle verhindern wollen, gut ausgebildeten Reservisten. nämlich eine Armee, die sich zum Staat im Staate Die Wehrpflichtigen prägen die Führungskultur in entwickeln könnte. den Streitkräften. Sie halten die Bundeswehr jung (Jörg van Essen [F.D.P.]: Genau das!) und vital. Sie sorgen dafür, daß die Bundeswehr nicht nur Teil des Staates, sondern lebendiger Teil Wir wollen keine Bunkermentalität, sondern eine des Volkes ist und bleibt. bürgernahe, transparente Armee in unserer Mitte. Meine Damen und Herren, was mir besonders (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wichtig erscheint: Wehrdienst hat Verfassungsrang und hohe politische und moralische Qualität. Die Zum erstenmal in unserer Geschichte stehen De- Wehrpflicht ist Ausdruck der Bürgerverantwortung mokratie und Rechtsstaat, die Werte von Freiheit und in unserer freiheitlichen Demokratie. Wehrdienst ist Menschenwürde uneingeschränkt im Einklang mit die allgemeine Regel, Kriegsdienstverweigerung die dem militärischen Selbstverständnis. In Bosnien be- geschützte Ausnahme im Einzelfall, wenn wirklich weist unsere Bundeswehr Tag für Tag, daß sie ein- Gewissensgründe vorliegen. steht für die Werte unserer Verfassung, daß sie da ist für Menschen in Not und daß sie bereit ist, den Frie- (Gerhard Zwerenz [PDS]: So sehen Sie das!) den zu unterstützen, den Frieden zu halten und Frie- Diese Maßstäbe müssen im öffentlichen Bewußt- den zu schaffen. Unsere Soldaten nehmen dafür Risi- sein, in Schulen und Kirchen, in Jugendorganisatio- ken und Gefahren auf sich. Sie tun das ganz bewußt; nen und in der Ausbildung, in Gewerkschaften und denn sie wissen, sie dienen der Humanität. auch bei allen Parteien wieder zurechtgerückt wer- den. Nun ein Wort zu Berlin: Berlin ist die Stadt der Freiheit und der Einheit. Die Bundeswehr ist die Ar- Alle, die politisch und pädagogisch Verantwortung mee der Freiheit und der Einheit. Deshalb paßt ein tragen, müssen wieder stärker deutlich machen, wel- feierliches Gelöbnis der Bundeswehr besonders gut che Prioritäten die Verfassung vorsieht. in die Öffentlichkeit der deutschen Hauptstadt. (Beifall bei der CDU/CSU - Manfred Müller (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) [Berlin] [PDS]: Das ist entlarvend!) 9738 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Parl. Staatssekretär Bernd Wilz Der Bundespräsident hat in Berlin gesagt: „Die Dies wäre ohne den Beitrag der Soldaten der Bun- Politik hat eine Fürsorgepflicht für unsere Streit- deswehr so nicht möglich gewesen. kräfte. Die besondere Aufgabe, zu der wir unsere Soldaten verpflichten, legt uns auch eine besondere (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Verantwortung auf. " Die heutige Debatte ist Aus- Die Bundeswehr muß aber auch die Mittel und die druck dieser Verantwortung, und ich bin dankbar für Unterstützung erhalten, die sie für die Erfüllung ih- diese Aktuelle Stunde. res Auftrages braucht. Dies sind wir nicht irgendei- Aber die Solidarität endet nicht an den Türen die- ner abstrakten Organisation schuldig, sondern den ses Hauses. Sie ist gerade dann gefragt, wenn unsere Soldaten und ihren Familienangehörigen. Soldaten im täglichen Alltag die Rückenstärkung Ich sage: Wir Freien Demokraten bekennen uns zu brauchen, die ihnen zusteht. Auch hier braucht die öffentlich durchgeführten Gelöbnissen. Menschen Bundeswehr unsere Unterstützung. Ich finde, sie hat aus unserer Mitte leisten der Allgemeinheit einen be- ein Recht darauf. deutenden Dienst. Deshalb gehören Sie eben auch in Ich danke Ihnen. unsere Mitte gerade dann, wenn sie feierlich gelo- ben, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort er- Ich sage hier, meine Damen und Herren: Es ist für hält der Abgeordnete Günther Nolting. uns beschämend, wenn diese Veranstaltungen durch die Polizei vor Randalierern - ich betone ausdrück- lich: vor Randalierern - geschützt werden müssen. Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Herr Präsident! Verwerflich ist es auch, wenn es Kolleginnen oder Meine Damen und Herren! Der Dienst in der Bundes- Kollegen gibt, die sich zwar hier als Pazifisten gebär- wehr erfüllt den Auftrag unserer Verfassung, dem den, sich aber nicht eindeutig von gewalttätigen Kra- Frieden in der Welt zu dienen. Der Dienst in der Bun- wallmachern distanzieren. deswehr ist Friedensdienst. Die Bundeswehr ist eine Armee mitten in unserer demokratischen Gesell- (Beifall bei der F.D.P.) schaft. Sie ist eine Armee ohne Feindbilder, sie ist eine Armee ohne Haß. Ihr Auftrag ist Kriegsverhin- Hier spreche ich auch Kolleginnen und Kollegen aus derung und nicht Kriegführung. der PDS und aus der Grünen-Fraktion an. Die Bundeswehr steht für ein demokratisches und Meine Damen und Herren, auch die Wortwahl, die weltoffenes Deutschland, für die Achtung und Ver- Sie treffen, verrät zum Teil eine dera rt zweifelhafte teidigung der Menschenrechte und für den Wunsch Einstellung immer wieder. Da wird die angebliche nach Frieden in Europa und in der Welt. „Zurschaustellung von Macht" kritisiert. Da wird von „Relikten autoritärer vordemokratischer Gesell- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schaft" gesprochen, zum Beispiel von SPD-Abgeord- neten, und es ist die Rede von „feudalistisch perver- Deshalb, meine Damen und Herren, ist es auch sen Ritualen" , oder es heißt gar, Soldaten würden richtig, die Bundeswehr eben nicht in Kasernen zu „zum Töten abgerichtet". verstecken, wie wir das heute wieder gehört haben, sondern ihre Stellung als in der Gesellschaft veran- Meine Damen und Herren, ich wiederhole noch kerte Armee immer wieder zu manifestieren. einmal das, was Kollege van Essen dazu gesagt hat: Diese Aussage des Sprechers der Grünen ist entlar- Dies wird eben auch durch die Form des Gelöbnis- vend; sie ist menschenverachtend; und wir verwah- ses in der Öffentlichkeit getan, und ich zitiere hier ren uns auch dagegen, daß gewalttätige Chaoten aus den Kollegen Gerhardt, wenn ich sage: auf allen Plät- dem Schutz einer Menschenmenge heraus immer zen dieser Demokratie. Auch hier wird der hohe Stel- wieder Steine und Flaschen werfen konnten und daß lenwert der Bundeswehr als Wehrpflichtarmee unter- es auch in Berlin wieder zu „Mörder! Mörder!" -Ru- strichen. fen gekommen ist. Meine Damen und Herren, auch Grundwehr- Hier wird das Verhältnis zu den Werten unseres dienstleistende treffen eine Gewissensentscheidung, Grundgesetzes und unserer Demokratie in Frage ge- ebenso wie die längerdienenden Zeit- und Berufssol- stellt. Ich bedanke mich ausdrücklich beim Bundes- daten. präsidenten, daß er in Berlin bei dieser Gelöbnisfeier gesprochen hat. Meine Damen und Herren, der Staat erteilt den Auftrag, Soldaten müssen notfalls Leib und Leben (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- einsetzen. Gerade auch hieraus ergibt sich die beson- ten der CDU/CSU) dere Verantwortung des Staates für eine zielgerich- tete Außen- und Sicherheitspolitik, die dem Frieden Herr Kollege Häfner, ich würdige auch ausdrück- verpflichtet ist. lich, daß Sie sich hier an diesem Pult eindeutig von den Aussagen des Herrn Ströbele distanziert haben. Die F.D.P. trägt seit Jahrzehnten mit ihren Außen- ministern Verantwortung für die berechenbare und (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Des sogenann- vorausschauende Friedenspolitik unseres Landes. ten Herrn!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9739

Günther Friedrich Nolting Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, daß Sie dies - Richtig, Herr Kollege Fischer. getan haben. Meine Damen und Herren, ich erinnere Es ist doch völlig klar, daß unsere demokratisch an dieser Stelle noch einmal an unser Grundgesetz, verfaßte Bundeswehr Teil unserer Gesellschaft ist. das an zentraler Stelle festhält: Dabei haben gerade Sozialdemokraten bei ihrer Auf- Die Würde des Menschen ist unantastbar. stellung und Entwicklung maßgeblich mitgewirkt. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Wir sollten deshalb ein besonderes Interesse ha- DIE GRÜNEN]: Das gilt auch für die Abge ben, die Herstellung von Öffentlichkeit der Bundes- ordneten! Wenn ich heute so manche Reden wehr, wo immer möglich, zu fördern; denn nur dann höre!) haben engagierte Bürgerinnen und Bürger die Mög- lichkeit der Kontrolle und Teilhabe und somit die Ge- Ich denke, dies gilt auch für unsere Soldaten. legenheit zu hören, was militärische Führer oder an- Frau Kollegin Wohlleben, ich spreche auch Sie dere Redner den Wehrpflichtigen zu ihrem Dienst sa- noch einmal direkt an. Wir haben diese Aktuelle gen. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß viele Stunde hier beantragt, weil wir es als Rechtsstaats- daran interessiert sind. partei nicht hinnehmen, Ich verbinde die Bundeswehr mit dem Gedanken (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an Frieden und Freiheit, nicht mit preußischem Mili- sowie bei Abgeordneten der SPD - Joseph tarismus. Wer die Bundeswehr auch mit ihren For- Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ men der Darstellung mit preußischem Militarismus NEN]: Halleluja!) vergleicht, hat weder von der Bundeswehr noch von preußischem Militarismus Ahnung. wie mit Menschenwürde junger Menschen umge- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gangen wird. Herr Kollege Fischer, Sie können auf F.D.P.) Grund Ihrer Zwischenrufe eines von mir noch mit auf den Weg nehmen. Gerade deshalb sollten alle die, für die Demokra- tie, Freiheit und Friede eine Bedeutung haben, die (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Möglichkeit haben, an solchen Veranstaltungen teil- DIE GRÜNEN]: Ich weigere mich! Ich zunehmen. Im Gegensatz zu totalitären Staaten, in nehme nichts mit!) denen die Armeen vom Volk abgeschottet werden, Sie sind die personifizierte Sprechblase. Sie müssen ist in unserer Demokratie die Bundeswehr Teil des nur allmählich aufpassen, daß Sie nicht platzen. Staates. Sie ist Parlamentsheer. Daher ist es erforder- lich, daß ihr Tun und Handeln öffentlich wird, und Vielen Dank. das schließt selbstverständlich ein, daß das im übri- (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und gen gesetzlich verankerte Gelöbnis der Soldaten ge- der CDU/CSU - Joseph Fischer [Frankfurt] legentlich, meine Damen und Herren, öffentlich und [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da zerber nicht hinter der Kasernenmauer vonstatten geht. sten vorher Ihr Kanzler und Ihre Koalition, (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei bevor es mich zerreißt!) Abgeordneten der CDU/CSU) Dabei kann man, meine Damen und Herren, mit Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort be- dem Kopf durch die Wand gehen oder Verhältnismä- kommt der Abgeordnete Peter Zumkley. ßigkeit des Aufwandes und dergleichen beachten. Ich bin für letzteres. Peter Zumkley (SPD): Herr Präsident! Meine Da- (Zuruf von der F.D.P.: Das Ergebnis ist men und Herren! Das Gelöbnis in Berlin hat junge immer das gleiche!) - Wehrpflichtige als unsere Staatsbürger in Uniform in den Mittelpunkt einer öffentlichen feierlichen Veran- Es wird häufig eingewandt, daß Beamte, Polizisten staltung gestellt. Ich finde, zur Frage über den Ort oder Feuerwehrleute auch nicht öffentlich vereidigt hat meine Kollegin Wohlleben in bedenkenswerter werden. Das trifft zu. Zur Klarstellung für die Öffent- Weise etwas ausgeführt. Damit muß man sich auch lichkeit: Dies trifft auch für die Zeit- und Berufssolda- auseinandersetzen. In Berlin hätte man auch mit dem ten zu. Sie werden ebenfalls nicht öffentlich verei- Bendlerblock oder der Gedenkstätte Plötzensee be- digt. Der zum Dienst verpflichtete Wehrdienstlei- ginnen können. stende, der nicht vereidigt wird, sondern ein Gelöb- nis ablegt, ist damit mit keiner anderen Berufsgruppe (Gerhard Zwerenz [PDS]: Sehr gut, ausge- vergleichbar. zeichnet! - Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das solltet (Zuruf von der F.D.P.: So ist es!) ihr euch mal hinter die Ohren schreiben!) Über die Frage, ob ein öffentliches Gelöbnis oder Im Prinzip, Herr Kollege, muß ich aber sagen, daß ein Gelöbnis von Wehrpflichtigen zeitgemäß - was natürlich die Bundeswehr bei uns überall in die immer das heißt - ist oder nicht, kann man unter- Öffentlichkeit treten kann. schiedlicher Auffassung sein. Siehe auch die Diskus- sion in Berlin. Aber zum Demokratieverständnis ge- (Beifall bei der SPD - Joseph Fischer hört für mich auch die Übung von Toleranz. Bei uns [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sind vielfältige Demonstrationsmöglichkeiten selbst- Trotzdem wäre das gut gewesen!) verständliches Recht. Über eine Teilnahme entschei- 9740 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Peter Zumkley det jeder Bürger selbst. Niemand wird zur Teilnahme gezwungen. Die Bundeswehr hat nach meiner Auf- während des öffentlichen Gelöbnisses in Berlin. fassung die Pflicht und auch das Recht, aus vielen unterschiedlichen Anlässen in die Öffentlichkeit zu Vielen Dank. treten. Für Demonstrationen mit Störungen und Ge- walt gegen dera rtige Veranstaltungen, ob man sie (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei mag oder nicht, habe ich kein Verständnis. Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. - Zuruf von der CDU/CSU: Ein sehr Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat guter Sozialdemokrat!) der Abgeordnete Professor Dr. Scholz. Es zeugt von undemokratischer Haltung und man- gelnder Fähigkeit zur sachlichen und friedlichen Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Herr Präsident! Auseinandersetzung. Auch die völlig abwegigen, ja Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Ak- rechtswidrigen „Mörder!"-Rufe gehören in diese Ka- tuelle Stunde ist richtig und notwendig gewesen. tegorie. Das, was in Berlin am 31. Mai passiert ist, ist von ei- ner beschämenden Wirkung auf das Inland, auf un- Insbesondere den Angehörigen der Bundeswehr sere Demokratie, aber auch auf das Ausland. Herr sage ich, sich nicht in ihrem Verfassungsauftrag beir- Zumkley, obwohl ich Ihrer Rede durchgehend zu- ren zu lassen und weiterhin bereit zu sein, das Recht stimmen kann, muß ich fragen: Wer hat in diesem und die Freiheit des deutschen Volkes zu verteidi- Land schon solche Gewalttätigkeiten Flaschen, gen. Das schließt auch alle Widersacher ein. Steine und Leuchtspurmunition auf Rekruten gewor- Die Schreier und Gewalttäter - hierzu zähle ich fen - erlebt? Wer hat bisher erlebt, daß auf unseren ausdrücklich pauschal nicht die, die friedlich demon- Bundespräsidenten, auf unser Staatsoberhaupt, mit striert haben, ich sehe auch niemanden in diesem Leuchtspurmunition geschossen worden ist? Hause, der das begrüßt - Dazu vermisse ich ein deutliches Wort von der Op- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne position. Man kann das, was geschehen ist, nicht ein- ten der CDU/CSU und der F.D.P.) fach herunterspielen. Es ist nicht nur die Bundes- wehr, es sind nicht nur die Rekruten, denen bitteres möchten allerdings den Eindruck erwecken, als ob Unrecht angetan worden ist. Dies ist auch gegenüber die Bürgerinnen und Bürger in ihrer überwiegenden unserem Staatsoberhaupt, dem Bundespräsidenten, Mehrheit nicht zur Bundeswehr stehen würden. Das geschehen. ist, wie wir alle wissen, nicht der Fall. Die Buh-Rufe entsprechen weit überwiegend nicht der Auffassung Ich erwarte von der Opposition, daß sie sich hierzu unserer Bürgerinnen und Bürger. Die Buh-Rufer sind deutlich äußert und davon distanziert. nicht deren Vertreter. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Trotzdem, Herr van Essen, ist es notwendig, den ordneten der F.D.P. - Zurufe von der SPD) Dialog gerade über sicherheits- und verteidigungs- politische Fragen mit diesen kritischen Leuten zu - Ja, das erwarte ich. Ich denke, das stünde Ihnen führen. Das wäre besser gewesen als diese Aktuelle gut an. Ich weiß, die SPD tut sich in dieser Frage äu- Stunde, die ein wenig Vorführungscharakter haben ßerst schwer. Das beginnt mit dem Bezirksamtsbe- sollte. Sie ist Ihnen aber heute mißlungen. schluß der grün-roten Koalition in Charlottenburg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Sie unterstehen sich nicht, ein öffentliches Gelöbnis ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) verbieten zu wollen. - Das geht im Abgeordnetenhaus von Berlin weiter, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, in dem 26 von 55 Abgeordneten der SPD gegen das Sie müssen zum Schluß kommen. öffentliche Gelöbnis gestimmt haben. Ich frage mich, ob nicht die Bundestagsfraktion der SPD auch dazu verlieren sollte. Herr Zumkley, das (SPD): Ich komme zum Schluß. Ich einmal ein Wo rt Peter Zumkley hätte ich von Ihnen erwartet. Vielleicht wird Herr Hö- möchte unserem Bundespräsidenten dafür danken, fer etwas dazu sagen, ich hoffe das. daß er in Berlin vor aller Öffentlichkeit zu den Wehr- pflichtigen und zur Bundeswehr so gesprochen hat, Ich habe noch das Geschrei hier im Ohr: wie er es auch vor anderen Berufsgruppen, Verbän- 92 Festnahmen, darunter zwei Abgeordnete der PDS den und Organisationen tut. aus dem Berliner Abgeordnetenhaus unter dem Tat- verdacht der schweren Körperverletzung und des Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ihre Redezeit Widerstands gegen die Staatsgewalt. ist abgelaufen, Herr Kollege. Sie müssen zum Schluß kommen. Sie haben noch einen Satz. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Alles friedli- che Demonstranten!)

Peter Zumkley (SPD): Herr Präsident, ich komme Auch das, meine Damen und Herren, gehört zu den jetzt zum Schluß. Mein letzter Satz: Nach meiner Ereignissen vom 31. Mai, und auch das ist etwas, was Auffassung war das eine sehr zutreffende und be wir sehr deutlich nicht nur zur Kenntnis zu nehmen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9741

Dr. Rupert Scholz haben, sondern eindeutig in diesem Haus in der Ge- Vielen Dank. meinschaft von Demokraten zu verurteilen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Erwin Horn [SPD]: Wann war der denn Sol- ordneten der F.D.P.) dat? - Weitere Zurufe von der SPD - Gegen- rufe von der CDU/CSU) Die Bundeswehr gehört in unser Land, sie gehört zu unserem Land, sie steht für unser Land. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Zurufe sind ja erlaubt und möglich. Aber wenn Sie DIE GRÜNEN]: In der Mitte! Das haben wir hier eine Zwischenrede halten wollen, dann müssen schon fünfmal gehört! Ab in die Mitte!) Sie mit Ihrer Fraktionsführung ins klare kommen, ob Sie sich zu Wort melden dürfen. Sie steht für jeden Bürger. Jeder Bürger muß dieses, selbst wenn er anderer Meinung ist, respektieren. (Zuruf von der CDU/CSU: Die lassen ihn ja Das mindeste ist, das zu respektieren. nicht!) Es besteht überhaupt kein Zweifel: Jedermann hat Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Gerd Hö- das Recht zu demonstrieren. Das ist ein Verfassungs- fer. recht. Aber das, was unsere Soldaten leisten, ist eine Verfassungspflicht, die sie für jeden in unserem Lande leisten, für die sie einstehen, für die sie im Gerd Höfer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Ernstfall sogar - es ist der einzige Beruf in unserem verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Vor- Lande, der das erfordert - ihr Leben aufs Spiel setzen redner, ich kann zwar nicht mit den Augen Georg müssen. Lebers sehen. Ich kenne ihn relativ gut, weil er nebenan wohnt. Dann stimmen diese Gewalttäter ein entsetzliches „Mörder! "-Geschrei, wie wir es hier in Bonn anläß- (Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Sie sind lich des Zapfenstreichs bereits erlebt haben, an und doch Reserveoffizier!) schmeißen Steine, Flaschen und Leuchtspurmuni- - Herzlichen Dank, daß Sie mich daran erinnern. Das tion. stärkt meine Souveränität in dem Vortrag, wenn Sie das meinen, was man bei der Bundeswehr als Reser- (Zuruf von der SPD: Sie vermischen unzu veoffizier lernen kann. Unter anderem die Souveräni- lässigerweise alles miteinander!) tät kann man lernen; die Bundeswehr ist voll von sol- - Ich vermische überhaupt nichts. Aber Sie können chen Leuten. - Ich kann zwar nicht mit den Augen sich dazu ja äußern, und ich erwarte eine Äußerung; Georg Lebers sehen; ich kann aber möglicherweise das habe ich deutlich gesagt. etwas so sehen wie er. Die SPD hat sich heute wieder mit Beifall, aber Nur eines, sehr verehrter Herr Kollege, müssen Sie auch in Worten zu Georg Leber bekannt. Ich kann der SPD-Fraktion schon zubilligen: daß sie ihre ei- nur sagen: Georg Leber gehört zu den Vätern der gene Sprache wählt. Die Sprache, die die SPD-Frak- Bundeswehr. Ich glaube, alle Demokraten hier im tion mit ihren Vorrednerinnen und ihrem Vorredner Hause schätzen, danken und verehren Georg Leber. gesucht hat, war eindeutig und deutlich gegen chao- Für mich gilt das ganz persönlich auch. tische Zustände, gegen einzelne Störer und gegen Gewalttäter gerichtet. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD) (Beifall bei der SPD) - Mit den Augen Georg Lebers, wie es hier gesagt wor- So ist es überhaupt kein Problem, hier zu wiederho- den ist, müssen die Vorfälle gesehen und gewertet len - Sie wollten ja gerne, daß das von uns gesagt werden. Ich denke, die SPD tut gut daran, wenn sie wird -: Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, einmal mit den Augen Georg Lebers hier Position be- wenn irgend jemand mit irgendwelchen Andeutun- zieht. gen oder gar Waffen auch den Bundespräsidenten bedroht. Das kann kein Menschen gutheißen; das ist (Zuruf von der SPD: Das ist ja peinlich, was eine Selbstverständlichkeit. Sie da machen!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem - Aber die Genossen sind dabeigewesen. Natürlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) die Genossen sind dabeigewesen. Das ist das Pro- Jetzt haben Sie mich tatsächlich dazu gebracht, blem. Zugegeben, es ist eine schwierige Runde für eine Selbstverständlichkeit auszudrücken. Es ist aber Sie; das ist ganz unbestreitbar. auch eine Selbstverständlichkeit, daß man, wenn (Widerspruch bei der SPD) man über diese Vorgänge redet, sie etwas nüchterner anguckt und einmal prüft, welche Verbindung Sie Aber, meine Damen und Herren, Sie haben ja die zwischen Bundeswehr, dem feierlichen Gelöbnis und Chance, vor diesem Hohen Haus das zurechtzurük- der Aktuellen Stunde herstellen. Sie mißbrauchen ken, was Sie mitzuverantworten haben. Dazu sind zur Zeit die Bundeswehr als Katalysator dafür, daß Sie in entschiedener Weise hier in dieser Aktuellen Sie Ihre parteipolitisch-pathetisch ritualisierte Spra- Stunde aufgefordert. che nutzen, um zu sagen Die einzigen, die voll und 9742 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Gerd Höfer ganz hinter der Bundeswehr stehen, sind die CDU/ nicht wollen, und es nur einige wenige sind, die hin- CSU und die F.D.P. ter ihr stehen. Dies wollte ich deutlich zum Ausdruck bringen. (Beifall des Abg. Andreas Schmidt [Mül heim] [CDU/CSU]) Unsere Bundeswehr hat unsere Achtung verdient. Sie hat unseren Dank verdient. Wir werden beharr- Ich habe den aus der Chemie stammenden Beg riff lich, souverän und zäh an einer demokratisch verfaß- Katalysator benutzt, weil ein Katalysator es an sich ten Bundeswehr weiter mitarbeiten. hat, daß er etwas verändert, ohne sich selbst zu ver- ändern. Die Stellung der Bundeswehr ändert sich (Beifall bei der SPD) auch in ihrer Souveränität und in ihrem Selbstver- ständnis durch Ihre pathetischen Worte nicht, im Ge- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das genteil. Ich denke, wir sollten das auch betonen und Wort dem Abgeordneten Dr. Karl Lamers. den Bezug dazu herstellen, daß etwa 80 Prozent der Bevölkerung, wie eine Umfrage zeigt, hinter dieser Bundeswehr stehen. Dieses Selbstverständnis, hinter Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU): Herr der Bundeswehr zu stehen, braucht eben diese ritua- Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist lisierte Sprache nicht, sondern die Selbstverständ- gut und richtig, und der bisherige Debattenverlauf lichkeit, mit der auch Verena Wohlleben zur richti- beweist dies, daß sich heute auch der Deutsche Bun- gen Zeit Dank und Anerkennung gegenüber der destag mit dem öffentlichen Gelöbnis in Berlin be- Bundeswehr zum Ausdruck gebracht hat und ihr zur faßt. Herr Häfner, dies ist keine skurrile Debatte, son- richtigen Zeit die demokratische Unterstützung hat dern eine notwendige Debatte, denn wir müssen angedeihen lassen, was auch die SPD nach einem auch vom Deutschen Bundestag her Zeichen setzen. heftigen Ringen in den 50er Jahren stets sehr deut- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- lich und gut getan hat. ordneten der F.D.P. - Joseph Fischer (Beifall bei der SPD) [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rauchsignale!) Ich darf hier einmal betonen: Wenn die CDU/CSU - von einer Rechtsstaatspartei im Sinne von links und Unsere Soldaten sollen wissen, daß wir zu ihnen ste- rechts will ich nicht reden - eine so hohe Bindungs- hen, daß wir ihnen für ihren unermüdlichen Einsatz kraft gegenüber rechts aufbringen würde, wie es die für unser Volk und den Staat danken. Wir werden da- SPD geschafft hat, Pazifisten und Linke zu integrie- für sorgen, daß feierliche Gelöbnisse auch künftig in ren und sie in ein demokratisches Gefüge dieses aller Öffentlichkeit stattfinden und so zur Normalität Staates einzubinden, dann hätte sie ihre Aufgabe im des Alltags in unserem Staat und vor allem auch in parteipolitischen Sinne hundertprozentig erfüllt. unserer Hauptstadt Berlin werden. Dann würden wir weiterreden. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Diese Debatte gibt aber auch allen, die sich auf ei- Ich halte es für unverschämt, den Pazifisten den nem politischen Irrweg befinden - davon gibt es ei- Platz in der SPD abzustreiten. Sie gehören dorthin, nige -, die Chance, umzudenken und sich sowohl in und sie haben mit Sicherheit eine gute Wirkung auch ihrer Sprache als auch in dem, was sie tun, zu korri- auf die Sicherheitspolitik, weil man in den eigenen gieren. Konkret: Ich halte es für unerträglich, daß Reihen bestimmte Positionen besser überprüfen führende Damen und Herren aus dem Vorstand der kann. Grünen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Ge- löbnis von einem feudalistisch perversen Ritual spre- (Paul Breuer [CDU/CSU]: Muß man als chen. Dies ist eine Beleidigung für die Bundeswehr,- Pazifist gegen ein Gelöbnis sein?) die ich aufs schärfste zurückweise. - Herr Breuer, Sie haben das Gelöbnis dazu benutzt, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - andere Dinge anzusprechen. Das ist Ihnen, wie ge- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ sagt, mißlungen. Sie wollten auch die SPD instru- DIE GRÜNEN]: Alle sofort festnehmen las- mentalisieren. Sie wollten an Hand einer Minderheit, sen!) die wir eingebunden haben, in der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln, die SPD sei in wesentlichen Auch halte ich es für unerträglich, daß sich in Berlin Teilen gegen die Bundeswehr. Daß das nicht wahr eine unheilige Allianz zusammengefunden hat, um ist, wissen Sie genausogut wie ich. Dieser Versuch, die öffentliche Gelöbnisfeier im Schloßhof von Char- Herr Breuer, ist gescheitert. lottenburg zu verhindern. (Beifall bei der SPD) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wäre Ihnen eine heilige Ich lasse mich auch nicht davon abb ringen, zu sagen, Allianz lieber?) daß Sie dieses feierliche Gelöbnis, zu dem wir über- wiegend stehen - ich habe viele mitgemacht -, und - Herr Fischer, Sie sollten aufpassen. Vielleicht kön- ähnliche Dinge mehr nur als Anlaß genommen ha- nen auch Sie noch etwas lernen. - Es ist schon be- ben, gebetsmühlenartig zu sagen, daß Sie der ein- zeichnend, wer alles dazugehört: Chaoten, Initiati- zige Hort für die Bundeswehr sind und die SPD aus - ven gegen Wehrdienst und Bundeswehr, Teile der nehmen wir den alten Ausdruck - vaterlandslosen SPD im Berliner Abgeordnetenhaus, die SPD-Be- Gesellen besteht, die die Bundeswehr eigentlich gar zirksbürgermeisterin von Charlottenburg, eine grüne Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9743

Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Baubürgermeisterin, die Grünen und - wie könnte es Leben für andere und für den Frieden riskieren, sich anders sein? - natürlich die Altkommunisten der aber dann andererseits nicht offen und öffentlich zu PDS. unseren Soldaten bekennen zu wollen? Ich sage Ih- nen, es macht keinen Sinn. (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Sie erinnern sich wahrscheinlich noch an Ihre alten Ich weiß, daß es viele Sozialdemokraten gibt - hier Militärparaden, im Stechschritt die Fahnen hoch. Ich im Deutschen Bundestag, insbesondere auch im Ver- sage Ihnen: Diese Zeiten sind vorbei, und wir werden teidigungsausschuß, den ich am besten überblicken alles tun, daß sie sich in Deutschland nie wiederho- kann; auch Sie, lieber Herr Zumkley, haben eine be- len werden. achtenswerte Rede gehalten -, die sich klar und deutlich zu unserer Bundeswehr bekennen. Bitte sor- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gen Sie mit dafür, daß Sie durch linke Ideologen in Ihrer Partei oder auch in Berlin nicht als Partei ins- Die anderen, meine Damen und Herren, frage ich: gesamt in Mißkredit gebracht werden. Darum geht Sprechen Sie von Gelöbnis, das Sie verhindern und es. abschaffen wollen, und meinen vielleicht einige von Ihnen die Bundeswehr? Dazu sollten Sie vielleicht (Beifall bei der CDU/CSU - Günter Verheu auch etwas sagen. gen [SPD]: Wer ist denn der regierende Bür Meine Damen und Herren, was wollen Sie denn germeister?) beim Gelöbnis verhindern? Es ist ja heute schon aus- Ein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte, geführt worden, nämlich das Thema Krawallmacher. (Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfu rt] (Zurufe von der SPD) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) - Wenn Sie sich beruhigen, können Sie besser zuhö- daß junge Wehrpflichtige geloben, der Bundesrepu-- ren. blik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidi- Man kann für und gegen öffentliche Gelöbnisse gen. Ich frage die, die sich gegen ein öffentliches Ge- sein, aber eines kann es nicht geben: selbsternannte löbnis aussprechen: Haben Sie immer noch nicht be- Pazifisten, die anderen Menschen ihre Überzeugung griffen, daß die Bundeswehr eine Friedensarmee ist? mit Gewalt aufzwingen und geradezu aufprügeln Haben Sie immer noch nicht begriffen, daß der wollen. Das werden wir nicht hinnehmen. Dienst in der Bundeswehr ein Friedensdienst ist (Dr. Wolf Bauer [CDU/CSU]: Genau! - Bei (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: fall bei der CDU/CSU) Jetzt glaube ich das?) Wer als Pazifist dera rt gewalttätig vorgeht, wie dies und daß eine Gelöbnisfeier nicht ein Ritual vergan- in Berlin geschehen ist, zeigt, daß er zur Friedensfä- gener Tage oder, Herr Häfner, eine Machtdemonstra- higkeit überhaupt nicht fähig ist. tion ist, sondern ein würdiges Ereignis, in dem deut- sche Soldaten ihre Verbundenheit mit der Bevölke- rung zum Ausdruck bringen? Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie müssen zum Schluß Ich frage die Kritiker: Was wollen Sie eigentlich? kommen. Wohin wollen Sie die Gelöbnisse denn haben? (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Karl Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU): Das sind NEN]: Weg!) keine Pazifisten, sondern Wanderchaoten, Berufs- Hinter die Kasernenmauern und Kasernenzäune? demonstranten und Krakeeler, die mit den Mitteln des Rechtsstaates in ihre Schranken gewiesen wer- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den müssen. NEN]: Ja!) Zum Schluß gilt mein Dank unseren Polizeibeam- Als closed shop sozusagen? ten, die bei dem Gelöbnis in Berlin den demokrati- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schen Rechtsstaat wieder verteidigt haben. NEN]: Genau!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Ich meine und ich bin überzeugt - Frau Beer, Sie DIE GRÜNEN]: Vergessen Sie nicht, dem sollten auch zuhören -, ein solches Gelöbnis gehört Bundeskanzler zu danken! - Beifall bei der in die Öffentlichkeit, denn es ist die Öffentlichkeit, CDU/CSU) die von diesen jungen Menschen geschützt wird. (Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Beifall bei der Abgeordnete Hans Raidel. der CDU/CSU) Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Macht es Hans Raidel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine denn einen Sinn, zunächst auf einer breiten parla- sehr verehrten Damen und Herren! Jeder billig und mentarischen Basis unsere Soldaten in eine Friedens- gerecht denkende Mensch empfindet doch das, was mission nach Bosnien zu schicken, wo sie Leib und sich SPD, Grüne und PDS in Berlin geleistet haben, 9744 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Hans Raidel schlicht und einfach als einen Skandal, auf gut bay- Hans Raidel (CDU/CSU): Herr Präsident, ich risch gesagt: eine Sauerei. danke Ihnen sehr herzlich. Wir sollten aber bei Herrn Zwerenz vielleicht die angebrachte, altersmäßig be- (Beifall bei der CDU/CSU - Joseph Fischer dingte Nachsicht üben. [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier ist es eine Sauerei, bei euch ist es der (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Saustall!) Meine Damen und Herren, es war doch klar, daß Wenn es sich nicht um eine so ernste Sache han- gewalttätige Demonstranten, auch sogenannte Be- deln würde, könnte man dazu sagen, es ist eine Pro- rufschaoten, versuchen würden, das Gelöbnis mit al- vinzposse. Da bezieht sich Charlottenburg auf eine len Mitteln zu stören. Diejenigen, die so gerne die naturschutzrechtliche Vorschrift, um das Gelöbnis zu demokratische Öffentlichkeit für sich reklamieren, verhindern. Der Umweltsenator muß dem Unfug ein hatten doch nicht im Sinn, sich an demokratische Ende machen und genehmigt. Ganz pikant am Spielregeln zu halten. Rande: Zur gleichen Zeit stellte derselbe Bezirk ei- nen Antrag, Pioniere der Bundeswehr sollten beim „Wir verteidigen die Tradition Berlins. Sie war die Aufbau eines Jugendfreizeitheimes helfen. entmilitarisierteste Stadt Europas", brüllten sie. Wie sie das allerdings unter dem Alliiertenstatus, unter (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ dem bereits genannten Stechschritt der NVA in Ost DIE GRÜNEN]: Eine hervorragende Sache!) Berlin, möglich machen wollten, blieb ihr Geheimnis. Das muß man sich einmal vorstellen. Der Chor pfiff und skandierte: Mörder! Mörder! Nie wieder Deutschland! - Daraus folgt doch nur: Die Daraus kann man nur die eine Folgerung ziehen: Verbesserung des Ehrenschutzes für Soldaten ist Es wird wieder deutlich, daß die SPD nach wie vor längst überfällig. ein gespaltenes Verhältnis zur Bundeswehr und zum- Verteidigungsauftrag hat. Ansonsten hätte sie dieses (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Hickhack und Gezerre gar nicht erst angezettelt. sowie des Abg. Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU) Berlin vertrage keine Soldaten, riefen sie. Wie kurz Die Grünen kommen mit ihrer obskuren Forde- ist doch das Gedächtnis! Berlin hat zum Überleben rung nach Auflösung der Bundeswehr und der Soldaten gebraucht. Ohne Alliierte wäre West-Berlin NATO aus ihrer eingeengten Sichtweise nicht her- überhaupt nicht zu halten gewesen. Das weiß hier je- aus . der. rt] [BÜNDNIS 90/ (Joseph Fischer [Frankfu Von preußischer Tradition, die abzulehnen sei, war DIE GRÜNEN]: Da ist Hopfen und Malz oft die Rede. Alle wissen doch: Kein europäisches verloren, würde man in Bayern sagen!) Land ist weiter vom militärischen Kult entfernt als Ich behaupte: Sie werden wohl immer bei ihrer bei- Deutschland. nahe kindlichen Betrachtungsweise bleiben. Aber, meine Damen und Herren, die Medaille hat (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ja auch eine gute, eine schöne Seite. Unsere Bundes- wehr wird überall, auch in Berlin, als positiv empfun- Daß sich hier die PDS aufzwängt, ist fast normal. den. Was uns zufrieden stellen kann, ist die Aussage Aber daß gerade SPD und Grüne Kommunisten ein der Mutter eines jungen Soldaten in Berlin. Sie stellte Forum bieten, fest: Dieser Tag des feierlichen Gelöbnisses in Berlin, (Gerhard Zwerenz [PDS]: Wenn ich ein auf das man stolz sein kann, ist für uns und vor allem Kommunist bin, sind Sie ein Faschist!) für unseren Sohn ein großer Tag. ist schon eine beachtenswerte politische Fehllei- Vielen Dank. stung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Gerhard Zwerenz [PDS]: Wenn ich ein Kommunist bin, sind Sie ein Nazi!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem Abgeordneten Dieter Heistermann das Wo rt. Meine Damen und Herren, es war doch klar, daß linke Gruppen - - Dieter Heistermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf dieser Debatte Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, einen Augenblick. kann, wenn ich das einmal nach außen transparent machen darf, mit einem Bild der Keulenschwinger Herr Abgeordneter Zwerenz, Sie haben ein Mit- verglichen werden. glied dieses Hauses als Faschisten bezeichnet. Ich rufe Sie zur Ordnung. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Oder der geistigen Tiefflie (Abg. Gerhard Zwerenz [PDS] meldet sich ger!) zu einer Zwischenfrage) Ich denke, daß die A rt und Weise, wie wir über das Herr Kollege, Sie können fortfahren. Gelöbnis von jungen Menschen debattieren, weder Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9745

Dieter Heistermann dem Thema angemessen noch angemessener parla- und nicht den Versuch zu machen, weil ein Abgeord- mentarischer Stil ist. neter oder mehrere Abgeordnete sich anders verhal- ten, sozusagen den Eindruck zu vermitteln, als sei (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die SPD die personifizierte Unzuverlässigkeit. Ich Dies ist unparlamenta risch und auch unpolitisch. denke, dies wird der Debatte nicht gerecht. Sie tra- gen auch nicht dazu bei, daß sich die Bef riedung in- Ich muß ganz ehrlich sagen: Herr Kollege van Es- nerhalb der Bundeswehr fortsetzt, sondern dies führt sen, wenn Sie bei der Beantragung dieser Aktuellen zu Konfliktlagen, weil man dann gezwungen wäre, Stunde ein wenig an das Ergebnis einer solchen De- in der Bundeswehr Position zu beziehen. batte gedacht hätten, wären Sie gut beraten gewe- sen, diesen Tagesordnungspunkt nicht anzusetzen. Ich wiederhole: Die Bundeswehr ist keine Armee irgendeiner Partei, nicht der Freien Demokraten, (Beifall bei der SPD) nicht der Christdemokraten, auch nicht der Sozialde- mokraten, Aber jetzt, da er auf der Tagesordnung steht, glaube ich, hier wird viel Theaterdonner produziert, aber es (Jörg van Essen [F.D.P.]: Das ist auch gut steckt nicht der Versuch dahinter, die Konfliktstrate- so!) gie zu entwickeln oder Konfliktlösungen zu erarbei- ten, um das Problem dieser Gesellschaft zwischen sondern ihre Soldaten dienen diesem Land. Deshalb lassen wir die Bundeswehr auch nicht durch die Re- Bundeswehr einerseits und anderen, pazifistischen Auffassungen andererseits zu lösen. Diese Debatte gierungskoalition vereinnahmen. hätte eigentlich im Mittelpunkt dieser Auseinander- (Beifall bei der SPD - Jörg van Essen setzung stehen müssen, nicht die uralten Rituale, die [F.D.P.]: Wir nehmen sie in Schutz!) hier immer wieder vorgetragen werden. Ich sage auch ganz deutlich: Es gibt keinen Grund, Ich muß sagen, wenn ich ein junger Mann in der- Menschen zu verstecken, und ich betone ausdrück- Bundeswehr oder auch in der Friedensbewegung lich das Wort Menschen, weil es hier weder um Sol- wäre, dann würde ich mich für manchen Wortbeitrag daten noch um Kriegsdienstverweigerer geht. schämen, wenn er in meinem Namen so abgegeben worden wäre. Was für eine Debatte führen wir hier eigentlich? Das frage ich auch in Richtung einiger Beiträge. Mir (Beifall bei der SPD) ist das Demonstrationsrecht eines Bundeswehrsolda- ten genauso wichtig wie das Demonstrationsrecht ei- Ich will das noch einmal ganz kurz zusammenfas- nes Kriegsdienstverweigerers. sen. (Zuruf von der F.D.P.: Davon gehen wir (Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind doch aus!) nicht gezwungen worden zu reden!) Das haben wir gemeinsam zu verteidigen, dafür ha- Meiner Meinung nach haben wir heute Grund, das ben wir gemeinsam einzustehen. deutlich zu machen. (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Ich will auch noch auf den Beitrag des Kollegen Abgeordneten der CDU/CSU) Scholz antworten. - Kollege Scholz, auch 25 sozialde- mokratische Abgeordnete in Berlin haben das Recht, Deshalb möchte ich keinen Gegensatz konstruieren, andere Auffassungen zu vertreten und auch zu arti- und deshalb denke ich, daß jedermann das legitime kulieren, genau wie das jeder CDU-Kollege hier bei Recht, das in der Verfassung vorgegeben ist, in An- verschiedenen Abstimmungen ähnlich gemacht hat. spruch nehmen kann. (Zuruf von der CDU/CSU: Darauf haben wir Lassen Sie mich noch kurz eine Bewertung vorneh- hingewiesen!) men. Ich habe den Eindruck, hier ist wieder eine Schlacht geschlagen worden; es soll angeblich wie- Ich sage Ihnen auch voraus: Der Versuch, den Vor- der Besiegte und Sieger geben, und diese Debatte wurf der Unzuverlässigkeit zu erheben oder diese hat das leider bestätigt. Wir sind in den alten Gräben „Bonbons" in Richtung SPD zu schieben, scheitert an steckengeblieben. Wir haben in dieser Debatte kei- den Realitäten. nen Ansatz gefunden, die Gegensätze beizulegen. (Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU/ (Jörg van Essen [F.D.P.]: Doch, mehr Tole CSU: Oh!) ranz, Herr Kollege!) Lassen Sie mich das einmal ganz nüchtern sagen. In Ich möchte fragen, wem diese Debatte eigentlich dieser Armee dienen Söhne von Sozialdemokraten. hilft, wem sie geholfen hat. (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na!) (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Das fragen wir uns auch! - Jörg van Sie übernehmen die Rechte, die wir ihnen verfas- Essen [F.D.P.]: Mehr Toleranz!) sungsmäßig übertragen haben, und ich denke, es stünde auch den Kollegen der Regierungskoalition Ich frage, ob jetzt am Ende dieser Debatte klarge- gut an, diese Dienstleistung zu würdigen und auch worden ist, anzuerkennen (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ (Jörg van Essen [F.D.P.]: Machen wir doch!) NEN]: Mehr Demokratiebewußtsein!) 9746 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dieter Heistermann welches die Haltung der Bundesregierung nun tat- Vielen Dank. sächlich ist. (Beifall bei der SPD) (Guido Westerwelle [F.D.P.]: Ja!) Die Beiträge, die hier geleistet worden sind, waren Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem mehr der eigenen Profilierungssucht als der Aufklä- Abgeordneten Jürgen Augustinowitz das Wo rt. rung oder Verdeutlichung von Positionen geschuldet. Hier sind nur Bälle geworfen worden, aber es ist Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Herr Präsi- nicht dazu beigetragen worden, daß sich Soldaten dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zentrale ernstgenommen fühlen können. Botschaft, die von dieser Debatte ausgehen muß - ich Ich sage, Soldaten dürfen nicht mißbraucht wer- wende mich an den stellvertretenden Generalinspek- den, Soldaten dürfen weder für die eine noch für die teur der Bundeswehr, der heute hier ist, und an den andere Sache in Anspruch genommen werden. Es ist Staatssekretär - lautet: Wir wollen im Deutschen politische Aufgabe, diese Fragen zu klären. Man darf Bundestag, daß es auch in Zukunft öffentliche Gelöb- nicht auf dem Rücken von Soldaten solche politi- nisse gibt, und zwar überall in Deutschland, auch in schen Fragen austragen. Dazu sind sie uns zu wert- Berlin. voll, und das sollten sie sich auch selbst als Soldaten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie nicht gefallen lassen. bei Abgeordneten der SPD - Verena Wohlle (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ben [SPD]: Das ist für uns kein Thema!) Ich möchte den Ansatz von Peter Zumkley noch Frau Wohlleben, Sie haben eine sehr geschickte einmal aufgreifen. Ist die Politik nicht in der Lage, ei- Rede gehalten. Aber wir müssen noch einmal auf nen Dialog in Berlin zu beginnen, um die Konflikte, den Punkt zurückkommen. Herr Opel, Sie waren die die sich dort abgezeichnet haben, zu strukturieren- ganze Zeit nicht da. Deswegen muß ich es Ihnen ein und in einen Dialogprozeß mit denjenigen einmün- bißchen aufdröseln. den zu lassen, mit denen man reden kann? Ich weiß, Es gibt einen Aufruf in Berliner Zeitungen, der das wird nicht mit allen möglich sein. heißt: „Ja, stören!" Dieser Aufruf ist vom Landesvor- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Sie sind sehr stand der Jusos in der SPD in Berlin, von der Abge- realitätsfremd!) ordneten Müller von den Grünen, von der PDS und von den Grünen unterschrieben worden. Aber ich möchte mithelfen, daß auch die Bundes- wehr und dieses Parlament den Dialog in Berlin be- Es geht gar nicht darum, dem Kollegen der SPD ginnen, um zu zeigen, wie man zukünftig mit sol- aus dem Verteidigungsausschuß oder der ganzen chen Gelöbnissen umgeht. Es ist wert, diesen Ver- SPD zu unterstellen, sie hätten etwas gegen die Bun- such zu unternehmen. Wir Sozialdemokraten werden deswehr. Die Bundeswehr ist in der Tat die Armee jedenfalls alles tun, damit dieser Dialog dort begin- des deutschen Volkes. Aber Sie müssen in Ihrer Par- nen kann. tei immer noch klären, was los ist. Wenn sich die Jungsozialisten in der SPD, die SPD-Mitglieder in (Beifall bei der SPD) Berlin unter 35 Jahren, hinstellen und sagen: Wir wollen verhindern, daß die Bundeswehr ein Gelöbnis Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ihre Redezeit öffentlich durchführt, dann müssen Sie sich hier fra- ist abgelaufen, Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß gen lassen: Was hat die SPD-Bundestagsfraktion und kommen. Bundesführung unternommen, um das zu verhin- dern? Dieter Heistermann (SPD): Herr Präsident, ich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) möchte mit Ihrer Genehmigung kurz noch auf das eingehen, was der Herr Bundespräsident in Berlin Es gibt in Berlin eine ganze Mischung von ver- gesagt hat. schiedenen Subjekten und Organisationen, die dafür sorgen, die Bundeswehr in Berlin in Schwierigkeiten (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Das bedarf zu bringen. Dazu gehört Bündnis 90/Die Grünen ge- keiner Interpretation!) nauso wie ein beträchtlicher Teil der Berliner SPD. Aus dieser Verantwortung werden wir Sie heute Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nein, es tut mir nicht entlassen. leid, Ihre Redezeit ist abgelaufen. (Peter Zumkley [SPD]: Auch ein Teil der Gesellschaft!) Dieter Heistermann (SPD): Dann komme ich zum Schluß. Ich denke, die Debatte hat gezeigt, - - Wenn immerhin 25 Abgeordnete des Abgeordne- tenhauses von Berlin der SPD dem klar widerspre- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen, daß sich die Bundeswehr öffentlich darstellt, NEN]: Die Debatte war überflüssig!) dann muß man das hier in aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen. - Sie war nicht nur überflüssig. Vielleicht hilft sie da- bei, über die eigenen Positionen nachzudenken. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Wenn das Ziel erreicht worden ist, haben wir viel- Peter Zumkley [SPD]: Das ist auch ein Spie leicht Erfolg gehabt. gelbild des Volkes!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9747

Jürgen Augustinowitz Jetzt komme ich einmal zu den Grünen. Die Grü- ZP 13 Beratung des Antrags der Fraktion der F.D.P. nen sind in dieser Frage völlig gespalten. Sie haben Verfassungsgebotene Einhaltung des bundes- mit der Hälfte der Stimmen im Deutschen Bundestag kürzlich dem Einsatz der Bundeswehr in Bosnien zu- einheitlichen Schwangeren- und Familienhil- feänderungsgesetzes des Bundes vom gestimmt. 21. August 1995 durch die Bayerische Staats- (Otto Schily [SPD]: Das ist unglaublich!) regierung Was glauben Sie eigentlich, was die Soldaten, die - Drucksache 13/4879 - jungen Wehrpflichtigen, die Mütter und Väter, die Ich weise darauf hin, daß wir über die Anträge im Familien darüber denken, wenn Ihr Parteisprecher Anschluß an die Aussprache abstimmen werden. Es von einem perversen Ritual redet? Wann wollen Sie finden also zwei namentliche Abstimmungen statt. endlich erkennen, daß Sie so doppelbödig nicht ar- gumentieren können? Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe Ich muß an Sie wirklich im Interesse von Vernunft und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlos- und Anstand appellieren, zu erklären, daß Sie in Zu- sen. kunft diese Verbalangriffe auf die Bundeswehr un- terlassen. Ich eröffne die Aussprache und gebe der Abgeord- neten Dr. Edith Niehuis das Wo rt. Ich stelle zusammenfassend fest: Das, was sich in Berlin abgespielt hat, war eine Andeutung von Volksfront. Dr. Edith Niehuis (SPD): Herr Präsident! Sehr ge- ehrte Damen und Herren! Vor einem Jahr haben wir (Lachen bei der SPD) unter großer Kraftanstrengung hier im Deutschen Wir wissen alle, was Volksfrontbündnisse gegen die Bundestag einen Kompromiß verabschiedet, mit dem Bundeswehr schon geleistet haben. Ich erinnere wir fraktionsübergreifend in der stets heftig umstrit- daran, daß es 1980 in Bremen ein Gelöbnis gegeben tenen Frage des § 218 für Rechtssicherheit in der Re- hat, das unter ähnlichen Volksfrontzeichen stand und publik sorgen wollten. Es war ein Kompromiß. Denn darin geendet hat, daß es dort zu mächtigsten Kra- wir hatten im nächtelangen Tun vieles zu berücksich- wallen gekommen ist. Ich finde, Sie - SPD und tigen: nicht nur unsere eigenen Wertvorstellungen, Grüne - müßten am Rand ihrer Parteien dafür sorgen, nicht nur verschiedene Gesetzentwürfe, sondern auch den Auftrag des Einigungsvertrages, für eine (Widerspruch bei der SPD) bundeseinheitliche Regelung zu sorgen und ein um- daß es in diesem Zusammenhang endlich eine klare fangreiches Bundesverfassungsgerichtsurteil umzu- Haltung zur Bundeswehr gibt. setzen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dieser Kompromiß, der nach langer Diskussion mit großer fraktionsübergreifender Mehrheit verabschie- Aus diesem Zwiespalt werden Sie nicht herauskom- det wurde, hat eine hohe demokratische Qualität. men. Auch die vielen Zwischenrufe können nicht Darum - nicht nur wegen des Vorranges des Bundes- dazu beitragen, sich hieraus zu befreien. rechts - erwarten wir, daß der Kompromiß von allen Vielen Dank. Ländern und Landesregierungen respektiert wird. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Die Aktuelle Stunde ist beendet. Nun erleben wir, daß die Bayerische Staatsregie- rung mit zwei Gesetzentwürfen einen Sonderweg ge- Meine Kolleginnen und Kollegen, wir sollten viel- hen will, der in einigen wichtigen Punkten nicht mit leicht einmal darüber nachdenken, wie es dazu dem hier verabschiedeten Bundesrecht überein- kommt, daß bei diesem Thema so viele Emotionen stimmt. Eigentlich hätte die Bundesregierung von berührt und frei werden. sich aus auf die Bayerische Staatsregierung, zu der (Zuruf von der SPD: Vielleicht werden die ja sie doch eine politische Nähe hat, einwirken, die Ein- produziert, Herr Präsident!) haltung des Bundesrechts anmahnen und damit die Rechtsordnung in dieser Republik verteidigen müs- sen. Ich rufe die Zusatzpunkte 12 und 13 auf: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ZP 12 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN PDS) Unzulässige Verschärfung des Schwangeren- Statt dessen redet die Bundesregierung - die Re- und Familienhilfeänderungsgesetzes des Bun- gierungsbank ist mager besetzt - mit zwei Zungen: des vom 21. August 1995 durch das Bayeri- Der Justizminister mahnt die Einhaltung des Bundes- sche Schwangerenberatungsgesetz und das rechts an. Die Frauenministerin billigt ausdrücklich Bayerische Schwangerenhilfeergänzungsge- den bayerischen Sonderweg, stellt das Schwange- setz ren- und Familienhilfegesetz sowie das Verfassungs- - Drucksache 13/4858 - gerichtsurteil in der Öffentlichkeit falsch dar, billigt 9748 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Edith Niehuis damit als Regierungsmitglied den Bruch des Bundes- Hier geht es nicht nur darum, ob in einem Beratungs- rechts und lädt die Bayerische Staatsregierung ge- gespräch geschwiegen wird oder nicht, sondern auch radezu zum Verfassungsbruch ein. Dies ist ein skan- um die Gefahr, daß durch solch eine Regelung aus dalöser Vorgang. jeder Beratung sehr schnell ein Verhör werden kann, jede Frau sehr schnell eingeschüchtert werden kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dies ist nach unserem Schwangeren- und Familien- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der hilfegesetz unzulässig. PDS) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die Mitglieder der Bundesregierung haben im letz- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der ten Jahr alle - bis auf eine Ausnahme - dem Schwan- PDS) geren- und Familienhilfegesetz zugestimmt. Jetzt machen Sie sich freiwillig, zu Lasten der bayerischen Sie, Frau Stamm, beschädigen mit Ihrer Vorlage Frauen, der Berate rinnen und der Ärzte, zum Büttel das vom Verfassungsgericht gebilligte Schutzkon- der Bayerischen Staatsregierung. Darum sind wir, zept, das nur vertrauensvoll mit der Frau, aber nicht liebe Kolleginnen und Kollegen, heute als Parlament, gegen die Frau positiv wirken kann. als Bundesgesetzgeber, aufgefordert, etwas zu sa- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: So ist es!) gen. Aber Bayern will nicht nur in das Beratungsge- Ich erinnere mich noch sehr gut, daß der CSU-Ab- spräch eingreifen, sondern massiv auch in die ärztli- geordnete Scheu, mit dem wir die Beratungen im che Praxis - anders als das Bundesrecht - durch eine letzten Jahr aktiv durchgeführt haben, in der Debatte zusätzliche Strafbewehrung und durch Einkommens- vor einem Jahr, am 29. Juni, hier sagte, der Gesetz- schnüffelei eingreifen. entwurf sei die Umsetzung des Verfassungsgerichts- urteils, nutze die durch das Urteil gegebenen Spiel- Kolleginnen und Kollegen, die Bayerische Staats- räume und binde damit jede Auslegung. Dann fügte regierung hat sich nie mit dem vom Verfassungsge- Herr Scheu wortwörtlich hinzu: richt gebilligten Wandel im Lebensschutzkonzept abgefunden, einem Wandel, der auf Hilfe baut statt Das ist so eindeutig und unmißverständlich, daß auf Strafe. Schon als wir Anfang letzten Jahres nach alles andere dahinter zurückzutreten hat. dem Verfassungsgerichtsurteil anfingen, an einem fraktionsübergreifenden Kompromiß zu arbeiten, hat Dies, meine Damen und Herren, gilt auch für die die Bayerische Staatsregierung prophylaktisch mit Bayerische Staatsregierung. einer Verfassungsklage gedroht und so versucht, die- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ses Parlament unter Druck zu setzen. Jetzt, wo sich DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Da hat Bayern bundesweit und in der Gesellschaft isoliert er recht!) hat, versucht die Bayerische Staatsregierung, ihre Frustration an bayerischen Frauen, Beraterinnen und Sie, Frau Eichhorn, sagten in der gleichen Debatte, Ärzten auszulassen. Das kann nicht geduldet wer- entscheidend sei, daß dieser Kompromiß dem Schutz den. des ungeborenen Lebens diene und verfassungsge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mäß sei. Dann fügten Sie hinzu: DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Das können wir zusagen ... Ich werbe aus voller PDS) Überzeugung für diesen erzielten Kompromiß. Zu Recht war am 11. Juni in der „ Süddeutschen Zeitung" zu lesen: Dann bitte ich Sie als bayerische Abgeordnete: Wer- ben Sie für diesen Kompromiß! Die Ideologen haben wieder einmal das Wort - und da bleibt die Vernunft erfahrungsgemäß (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ komplett auf der Strecke. DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leut- heusser-Schnarrenberger [F.D.P.]) Darum sollten wir heute die Bayerische Staatsre- gierung auffordern, diesen Irrweg zu verlassen. Auch die bayerischen Frauen haben Anspruch auf eine gute, professionelle Beratung im Schwanger- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schaftskonflikt. Gerade diese wird ihnen durch den DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der bayerischen Gesetzentwurf vorenthalten. Bayern will F.D.P. und der PDS) den Frauen im Schwangerschaftskonflikt die not- wendige Beratungsbescheinigung verweigern, wenn Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das sie die Gründe für den Konflikt nicht mitteilen. Das Wort dem Abgeordneten Dr. Reinhard Göhner. ist eine handfeste Drohung und setzt die Frauen im Beratungsgespräch unter Druck, eventuell auch viele Beraterinnen. Wer sagt - wie zu hören ist -, hier gehe Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU): Herr Präsident! es nur darum, daß die Frau im Beratungsgespräch Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Einsicht, daß nicht schweige, verharmlost die geplante bayerische der jahrzehntelange Streit über den Schutz des unge- Regelung bewußt. borenen Lebens nicht zu weniger Tötungen ungebo- rener Kinder geführt hat, haben wir uns hier gemein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sam, mit einer großen, parteiübergreifenden Mehr- DIE GRÜNEN) heit dazu entschlossen, den vom Verfassungsgericht Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9749

Dr. Reinhard Göhner vorgezeichneten Weg einer Beratungsregelung zu Was von den Kritikern des bayerischen Entwurfs akzeptieren. Das gemeinsame Ziel war und bleibt, übersehen wird, ist die Tatsache, daß es eine amtli- Rechtsfrieden für das wichtigste Rechtsgut, nämlich che Auslegung dieser Vorschrift im Sinne der bayeri- den Schutz des Lebens, herzustellen. schen Regelung gibt; denn § 5 des Bundesgesetzes entspricht wörtlich der Formulierung, die das Bun- Nun behauptet die Opposition in ihrem Antrag, desverfassungsgericht selbst in seinem Urteil mit Ge- daß die bayerischen Gesetzentwürfe in vier Sachver- setzeskraft in der Vollstreckungsanordnung ver- halten gegen dieses Bundesgesetz angeblich ver- wandt hat. stoße. Die erste Rechtsfrage - es handelt sich um ganz nüchterne Rechtsfragen - lautet: Kann eine Be- Wollen Sie ernsthaft behaupten, daß die Ausle- ratungsbescheinigung auch dann erteilt werden, gung des Bundesverfassungsgerichts, die die Karls- wenn die Schwangere keinerlei Grund mitteilt, de- ruher Richter für ihre eigene Gesetzesformulierung rentwegen sie den Abbruch erwägt? Die Antwort des und damit zugleich für die Bundesregelung vorge- Bundesverfassungsgerichts dazu lautet: nommen haben, rechtswidrig ist? Die bayerische Re- gelung ist nichts anderes als die Übernahme dieser Die Aufnahme Auslegung der Karlsruher Richter. - also der Beginn - (Beifall bei der CDU/CSU) einer Konfliktberatung ist von vornherein nur Ich lasse ausdrücklich dahingestellt, ob eine an- möglich, wenn die Schwangere die wesentlichen dere Auslegung dieser Gesetzesformulierung als die, Gründe mitteilt . . . die das Verfassungsgericht vornimmt, verfassungs- Wenn es auch der Charakter einer Beratung aus- widrig wäre. Dem Verfassungsgericht aber zu unter- schließt, eine Gesprächs- und Mitwirkungsbe- stellen, seine eigene Auslegung sei rechtswidrig, ist reitschaft der schwangeren Frau zu erzwingen, mutig, aber reichlich abstrus. ist doch für eine Konfliktberatung ... die Mittei- Das Beratungsrecht des Bundes beruht auf der lung der Gründe unerläßlich. konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz. Von Dies von der Frau zu verlangen beeinträchtigt diesem Gesetzgebungsrecht hat der Bund nicht ab- weder die Ergebnisoffenheit der Beratung, noch schließend Gebrauch gemacht. Wir haben an einer wertet sie die der Frau zukommende Verantwor- ganzen Reihe von Stellen ausdrücklich ergänzende tung ab. landesrechtliche Regelungen vorausgesetzt. Es gibt daher keine grundsätzliche Sperrwirkung. Bei dem Die Mitteilung der Gründe ist nach Auffassung bayerischen Gesetzentwurf handelt es sich im Hin- des Bundesverfassungsgerichts also unerläßlich. Das blick auf die Voraussetzungen zur Erteilung der Be- Verfassungsgericht betrachtet diese Mitteilungs- ratungsbescheinigung exakt um das, was das Bun- pflicht nicht als eine Erzwingung der Gesprächs- und desgesetz damit geregelt hat. Mitwirkungsbereitschaft der Schwangeren, weil die Aufnahme, der Beginn, einer Konfliktberatung von (Beifall bei der CDU/CSU) vornherein nur möglich ist - das leuchtet auch ein -, Zweitens. Im Oppositionsantrag wird behauptet, wenn Gründe mitgeteilt werden, derentwegen eine Bayern verstoße gegen § 7 des Bundesgesetzes, weil Beratung erfolgen soll. Bayern die Ausstellung einer Beratungsbescheini- Es bleibt dabei: Es entscheidet allein die Schwan- gung auch dann verweigere, wenn durch die Fortset- gere nach der Beratung. Das ist der Unterschied zu zung des Beratungsgesprächs die Einhaltung der der alten Indikationsregelung, in der die Gründe Frist unmöglich werde. Dazu stelle ich fest: Sie ha- überprüft wurden. ben den bayerischen Gesetzentwurf nicht einmal ge- lesen. Denn in Art . 10 des bayerischen Gesetzent- (Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Aber wurfs heißt es ausdrücklich: Für die Fortsetzung des wenn sie den Schein nicht bekommt!) Beratungsgesprächs gilt § 7 Abs. 2 und 3 des Bundes- Ein Verstoß gegen Bundesrecht könnte die bayeri- gesetzes. Deshalb wird selbstverständlich auch nach sche Regelung nur dann sein, wenn das Bundesge- dieser bayerischen Regelung bei einer notwendigen setz diese nach Auffassung des Bundesverfassungs- Fortsetzung des Beratungsgesprächs vorher eine Be- gerichts unerläßliche Voraussetzung für das Eintre- ratungsbescheinigung ausgestellt, wenn anderen- ten in eine Konfliktberatung nicht übernommen und falls Fristablauf droht. eine andere, abschließende Regelung getroffen Ich fordere Sie auf, diese offensichtlich falsche Be- hätte. So ist offenbar die Auffassung der Opposition hauptung in Ihrem Antrag zurückzunehmen. Wenig- und des Bundesjustizministers. stens lesen sollten Sie den Gesetzentwurf, den Sie hier kritisieren. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, (Beifall bei der CDU/CSU) gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meyer (Ulm)? Drittens. In dem Oppositionsantrag wird behaup- tet, der von Bayern geforderte Identitätsnachweis der Schwangeren verstoße gegen Bundesrecht. Dazu Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU): Nein, ich möchte zunächst im Zusammenhang vortragen. kann ich nur sagen: Sie haben auch das Bundesge- setz nicht gelesen. Auch do rt wird nämlich verlangt, § 5 des Bundesgesetzes scheint in der Tat auf den daß die Schwangere ihre Identität gegenüber der ersten Blick unterschiedlich interpretierbar zu sein. Person, die die Bescheinigung ausstellt, nachweist. 9750 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Reinhard Göhner § 7 des Bundesgesetzes forde rt ausdrücklich - das Das wird dem Rechtsfrieden und damit auch dem kann auch gar nicht anders sein -, daß in der Bera- Schutz des ungeborenen Lebens dienen. tungsbescheinigung der Name der Schwangeren verzeichnet ist. Das verstößt auch nicht, wie Sie mei- (Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Edith Nie nen, gegen die Möglichkeit einer anonymen Bera- huis [SPD]: Unsinn! - Hanna Wolf [Mün tung; denn Bund und Land sehen gemeinsam vor, chen] [SPD]: Das ist doch der Gipfel! Das ist daß die beratende Person und die Person, die die Be- wirklich eine Leistung!) scheinigung ausstellt, verschieden sein können. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der Viertens. Sie behaupten, daß der Entwurf des Abgeordneten Rita Grießhaber das Wo rt . Bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes gegen Bundesrecht verstoße, weil die Anforderun- Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gen an Kliniken weit über das Bundesgesetz hinaus- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ge- gehen. Dazu stelle ich fest: Der bayerische Gesetz- dächtnis ist leider sehr oft kurz. Dabei liegt 1993 entwurf geht in der Tat über die Anforderungen des noch gar nicht lange zurück. Da haben sieben Män- Bundesrechtes in diesem Bereich hinaus. Aber das ner und eine Frau dem Parlament ein höchst wider- liegt daran, daß der Bund für diesen Bereich keine sprüchliches und frauenfeindliches Urteil als Arbeits- Gesetzgebungskompetenz hat und daß die alleinige grundlage vorgesetzt. Gesetzgebungskompetenz in diesen Fragen bei den Ländern liegt - so übrigens auch der Bundesjustiz- Das Karlsruher Urteil läßt verschiedene Interpre- minister, der Bayern ausdrücklich gegen diesen Vor- tationen zu. Einerseits darf nach Auffassung der wurf in Ihrem Antrag in Schutz genommen hat. Richter die Mitwirkung der Frau bei der Beratung nicht erzwungen werden; andererseits heißt es, wie Herr Göhner richtig ausgeführt hat, daß die Mittei- - Der Bund durfte mangels Gesetzgebungskompe- lung der Gründe für den Abbruch durch die Frau tenz diese Fragen nicht regeln. Die Vorschriften, die unerläßlich sei. Gerade wegen dieser Widersprüche Bayern hier vorsieht, mögen Ihnen nicht gefallen, ob- konnte das Urteil nicht einfach gleichermaßen wohl es sich um Vorschläge handelt, die das Bundes- rechtstechnisch in einem Gesetz umgesetzt werden. verfassungsgericht in seinem Urteil dem Gesetzge- Es mußte politisch entschieden werden, in welche ber nahegelegt hat; aber der Vorwurf eines Verstoßes Richtung der Karlsruher Richterspruch umgesetzt gegen Bundesrecht ist wiederum völlig abstrus, weil werden sollte. diese Regelungsmaterie allein in der Zuständigkeit der Länder liegt. Dieser politische Entscheidungsprozeß war - wir erinnern uns sehr gut daran - schwierig und schmerzlich. Wir haben diesem Gesetzentwurf nicht Meine Damen und Herren, wer gegen die beiden zustimmen können, weil er unseres Erachtens den bayerischen Gesetzentwürfe in Karlsruhe klagen Spielraum des Urteils zu Lasten der Frauen ein- will, der möge das tun. Wenn Sie do rt einen Antrag schränkte. Ich habe es sehr bedauert, daß eine Eini- wie hier im Bundestag vorlegen, dann wird das für gung von SPD, F.D.P. und Grünen nicht möglich war. Sie eine Blamage werden. Ich sage Ihnen voraus, daß Aber schon damals hing drohend das Damokles- Sie mindestens drei Ihrer vier Behauptungen bei ei- schwert einer Klage aus Bayern über dem Gesetzge- ner etwaigen Klage in Karlsruhe nicht vortragen wür- bungsprozeß. Der Kompromiß, so wurde argumen- den, weil spätestens irgendein Prozeßbevollmächtig- tiert, werde eine neue Klage verhindern. ter merken wird, daß Sie die beiden Gesetze nicht einmal gelesen haben. Ihr Antrag ist ein oberflächli- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wer cher Schnellschuß, ohne die bayerischen Gesetzent- will denn klagen?) würfe wirklich vollständig gewürdigt zu haben. Nach 20 Jahren sollte parlamentarisch endlich ein Schlußstrich unter eine Debatte gezogen werden, die Es fällt natürlich auf, daß die Kritik an den bayeri- gesellschaftlich schon längst zugunsten der Frauen schen Gesetzentwürfen ausschließlich von Befürwor- entschieden war. Dafür haben viele von Ihnen einen tern des damaligen Gruppenantrages kommt, jenes hohen Preis bezahlt, und jetzt vielleicht sogar verge- Gesetzes, das das Bundesverfassungsgericht für ver- bens. fassungswidrig erklärt hat. Wahr ist, daß die bayeri- schen Gesetzentwürfe wesentliche Sachverhalte an- Die Mehrheit dieses Hauses hat damals endlich ak- ders regeln als in dem damaligen Gesetz, das in zeptiert: Auf Frauen soll bei der schwierigen Gewis- Karlsruhe aufgehoben wurde. Das damalige verf as- sensentscheidung für oder gegen einen Schwanger- sungswidrige Gesetz sah in der Tat nicht vor, daß die schaftsabbruch kein Zwang ausgeübt werden. Frau Schwangere bei der Beratung die Gründe darlegen Süssmuth hat in dieser Debatte gesagt, daß das Le- muß. Das Verfassungsgericht hat das anders ent- ben nicht gegen die Mutter wirksam geschützt wer- schieden. Das eigentliche Problem ist, daß Sie die Be- den kann, sondern nur mit ihr. Das war der Ansatz- ratungsregelung, wie vom Verfassungsgericht vorge- punkt für den Kompromiß, der nicht von uns, aber schlagen, innerlich nicht akzeptiert haben. von Ihnen mit einer breiten Mehrheit verabschiedet wurde. Dieser Kompromiß gilt jetzt. Deshalb fordere ich Sie namens der CDU/CSU- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fraktion auf: Kehren Sie zu dem Konsens auf der und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Irmgard Grundlage des Verfassungsgerichtsurteiles zurück! Schwaetzer [F.D.P.]) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9751

Rita Grießhaber Und, meine Damen und Herren: Er gilt für das ge- Einhaltung von Bundesgesetzen sorgt. Dazu fehlt Ih- samte Bundesgebiet. Er muß ohne Abstriche für alle nen der Mut. Es ist scheinheilig, mit einem Antrag im Frauen in diesem Lande gelten. Denn eine der wich- Parlament zu winken, in der Bundesregierung aber tigsten Zielvorgaben des Gesetzes war es ja gerade, zu schweigen. daß Frauen in Hamburg und in Berlin genauso wie in Bayern und Baden-Württemberg die gleichen Bedin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gungen haben. und bei der SPD) (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Deshalb müs- Auch unsere Kolleginnen und Kollegen aus der sen die auch Bayern folgen! Völlig richtig!) CSU, die seinerzeit dem Kompromiß zugestimmt ha- ben, müssen sich fragen, ob sie sich das gefallen las- Was die Bayerische Staatsregierung mit ihrem Ent- sen. Frau Eichhorn, Sie haben in der Debatte letztes wurf vorhat, die ihn im Schweinsgalopp durch den Jahr gesagt - ich zitiere -: Landtag prügeln will, widerspricht der Intention des Bundesgesetzes. Das kann und das darf die Bundes- Eine bessere Formulierung des Kernpunktes un- regierung im Bereich der Bundesgesetzgebung nicht seres neuen Schutzkonzeptes zur Beratung ist zulassen. nicht möglich. Hier haben die anderen Fraktio- nen Zugeständnisse gemacht, für die wir dank- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bar sind. und bei der SPD) Bundesgesetze - das muß ein für allemal klar sein - Frau Eichhorn, gilt das nicht mehr? Warum setzen gelten in allen Bundesländern, auch im Freistaat Sie sich in Ihrem Land nicht für dieses beschlossene Bayern. Schutzkonzept ein? (Zustimmung bei der PDS) Daß die Frauenministerin dem Kompromiß damals nicht zugestimmt hat, war bitter für die Frauen. Aber Das von der Bayerischen Staatsregierung vorgese- daß sie jetzt noch Verständnis für den Rechtsbruch hene Gesetz setzt auf Restriktion und Abschreckung äußert, bringt das Faß zum Überlaufen. statt auf Hilfe. Es beweist keinerlei Sensibilität für die Lage der betroffenen Frauen. Die CSU will die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frauen demütigen und die Ärzte verunsichern. bei der SPD und der PDS sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]) (Lachen bei der CDU/CSU) Auch der Bundeskanzler und Sie, Herr Schäuble, Memmingen soll in Bayern wieder eingeführt wer- wollten diesen Kompromiß und haben dem Bundes- den. gesetz zugestimmt. Wo bleibt Ihr Engagement für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bundestreue Umsetzung? Wollen Sie sich das gefal- bei der SPD und der PDS sowie der Abg. lenlassen? Wollen Sie sich von Herrn Stoiber und sei- Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P]) nem Kabinett auf der Nase herumtanzen lassen? Was ist das für eine Bundesregierung, die nicht willens Aber das einzige, was ein solches Gesetz erreichen oder nicht in der Lage ist, Bundesrecht zur Geltung kann, ist die Zunahme des sogenannten Abtrei- zu verhelfen? Wo bleibt Ihr Engagement für den bungstourismus aus Bayern in andere Bundesländer, Rechtsstaat, wenn es um die Nötigungsversuche ge- wie wir ihn ja gut kennen. Hessen und Baden-Würt- genüber den Frauen durch bayerisches Landesrecht temberg haben da gute Erfahrungen gemacht. In geht? Bayern werden die Abbruchszahlen deshalb zurück- gehen, und die Staatsregierung wird sich dessen rüh- Jetzt ist politisches Handeln gefragt. Wirken Sie als men. Statt dessen sollte sie sich schämen, daß sie den Bundesregierung auf die Bayerische Staatsregierung Frauen in dieser Konfliktlage zusätzliche Not und zu- ein, die geplanten Gesetze erst gar nicht zur Abstim- sätzliche Kosten aufbürdet, statt ihnen rechtlich das mung zu stellen. Es ist höchste Zeit. zu bieten, was im Rest der Republik gilt. Meine Fraktion hat mit der SPD zusammen einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Antrag eingebracht, der Bayern bundesunfreundli- bei der SPD und der PDS sowie des Abg. ches Verhalten vorwirft und die Bayerische Staatsre- Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]) gierung auffordert, den Entwurf zurückzuziehen. Ich Herr Schmidt-Jortzig, es ist gut, daß Sie den Bay- bitte Sie, diesem zuzustimmen. In Bayern müssen die ern endlich die rote Karte gezeigt haben und den Frauen das gleiche Recht haben wie überall in der Bruch des Bundesgesetzes anprangern. Aber Sie Republik. sind Justizminister und Mitglied der Bundesregie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, rung. Wieso fordern Sie das Parlament auf, zu kla- bei der SPD und der PDS) gen, statt sich im Kabinett dafür einzusetzen, daß die Regierung für die Einhaltung dieses Gesetzes sorgt? Die Bundesregierung muß zugunsten der Frauen (Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) die politische und, wenn es sein muß, die juristische Auseinandersetzung mit Bayern in Kauf nehmen. Statt selbst aktiv zu werden, stiehlt sich die F.D.P. aus Wenn ein Bundesland den politischen und gesell- der Regierungsverantwortung. Als Mitglied der Bun- schaftlichen Frieden in einer Grundsatzfrage vorsätz- desregierung sind Sie auf Regierungsebene gefragt, lich aufs Spiel setzt, dann müssen politische Männer- darauf zu drängen, daß die Bundesregierung für die bündeleien hintanstehen. Das sind Sie den Frauen in 9752 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Rita Grießhaber der gesamten Republik, nicht nur in Baye rn, schul- müssen, die richtige Entscheidung in dieser schwieri- dig. Enttäuschen Sie die Frauen nicht! gen Situation zu treffen mit dem Ziel, das ungebo- rene Leben zu schützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir haben diese Regelung nicht verabschiedet, da- mit es viele, sondern damit es möglichst wenige Ab- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das treibungen in Deutschland geben wird. Wort der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnar- (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem renberger. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber es ist in diesen Regelungen konsequent und (F.D.P.): Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sehr richtig klargestellt, daß es der Beratungscharak- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist ter ausschließt, daß die Gesprächs- und Mitwir- heute hier die Stunde des Parlaments, und das lassen kungsbereitschaft der schwangeren Frau erzwun- wir uns auch nicht nehmen. gen wird. (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) Wenn Sie mit Beratern und Beraterinnen sprechen Denn hier ist vor knapp einem Jahr zum letztenmal - gestern ist im Fernsehen sehr eindrucksvoll die Be- über das Beratungskonzept zum Schutz des ungebo- raterin einer katholischen Beratungsstelle in Bayern renen Lebens und die Hilfe für Frauen in schwieri- aufgetreten -, dann ist klar, daß die Frauen in diesem gen Konfliktsituationen beraten und abgestimmt Beratungsgespräch über ihre Sorgen und Nöte reden worden. und ein Zwang nicht nur nicht nötig ist, sondern ge- radezu schädlich wäre, und zwar im Interesse der Viele, die jetzt auch hier sind, haben mit Sicherheit richtigen Umsetzung des Schutzkonzepts. gedacht, mit dieser Abstimmung endlich einen end- gültigen Schlußpunkt unter eine jahrelange inten- Dies paßt der Bayerischen Staatsregierung nicht, sive, kontroverse und auch emotionale Auseinander- denn sie ist unzufrieden mit diesem geltenden Recht. setzung gesetzt zu haben. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat uns jetzt eines beschert. Schon jetzt bestehen Verunsi- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) cherung und Unsicherheit bei betroffenen Frauen in Leider ist das nicht der Fall. Gegen das Gesetz vom Bayern, Entsetzen und auch Entrüstung bei den be- 21. August 1995 hat niemand das Bundesverfas- handelnden Ärzten und Unverständnis bei den ver- sungsgericht angerufen. Und dieser breite gesell- antwortungsvoll tätigen Beraterinnen und Beratern. schaftliche Konsens vom Juni letzten Jahres, der zu Das ist wahrlich kein Beitrag zum Schutz des unge- Rechtssicherheit und zu mehr Rechtsfrieden in borenen Lebens. Deutschland für die betroffenen Frauen, für die Bera- Die Bayerische Staatsregierung versucht, ihr Vor- tungsstellen und auch für die Ärzte geführt hat, ist gehen damit zu rechtfertigen, das Bundesrecht sei jetzt durch das Vorgehen der Bayerischen Staatsre- unklar und auslegungsbedürftig. Die Entstehungsge- gierung gefährdet. schichte lasse keinen klaren Willen des Gesetzgebers Was in den jahrelangen parlamentarischen Bera- auf Bundesebene erkennen. All das trifft ausdrück- tungen an Positionen teilweise nicht durchsetzbar lich nicht zu. Es ist ein Vorwand, um eine vermeintli- war, das soll jetzt durch dieses Gesetzgebungsvorha- che Landeskompetenz zu begründen, die gerade ben in Bayern wenigstens für den Freistaat Baye rn nicht gegeben ist; denn der Bund hat gehandelt. durchgedrückt werden. (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Das Gesetzgebungsvorhaben verfolgt ganz ein- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE deutig ein Ziel: Durch landesrechtliche Sonderrege- GRÜNEN) lungen, die teilweise wörtlich gegen das Bundes- Ich bin froh, daß der bayerische Ministerpräsident recht verstoßen, und durch ganz erhebliche Be- unmißverständlich ausgeführt hat, daß seiner Mei- schränkungen der Ausübung ärztlicher Tätigkeit soll nung nach dieses Bundesrecht verfassungskonform die Vornahme eines legalen Schwangerschaftsab- ist. Deshalb gibt es nur eine Konsequenz, und ich ap- bruchs massiv erschwert werden. pelliere an Sie, Frau Ministerin Stamm: Es ist nicht zu (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) spät. Ziehen Sie diese Vorhaben zurück! In dem Punkt zur Beratungsregelung enthält Ihr Vorschlag Herzstück des geltenden Schutzkonzepts ist die einen Verstoß gegen das Bundesrecht. verpflichtende Beratung. Das Bundesrecht sieht im § 219 Strafgesetzbuch und im § 5 zur Schwanger- (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei schaftskonfliktberatung eindeutige, und zwar ab- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE schließende, Regelungen vor. Danach ist die Bera- GRÜNEN und der PDS) tung, die dem Schutz des ungeborenen Lebens dient, die sich davon leiten lassen muß, der Frau zu helfen, Die anderen Regelungen, die Beschränkungen für eine verantwortliche Entscheidung zu treffen, ergeb- die Tätigkeit der Ärzte vorsehen, sind bürokratisch, nisoffen zu führen. extrem verwaltungsaufwendig, perfektionistisch und mit einem Kontroll- und Überwachungsapparat ver- Wir sind damals davon ausgegangen, daß es die sehen, der in solch einer Situation einmalig ist. Ich Verantwortung der Frau ist, die hier eine wichtige möchte hier jetzt auf Einzelheiten aus Zeitgründen Rolle spielt, daß wir sie stärken müssen, ermutigen nicht eingehen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9753 Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Ich möchte aber zum Schluß eines ganz klar sagen: Einstellung der oberen Richterinnen und Richter ist Wir bitten die SPD-Bundestagsfraktion um Unterstüt- durchaus zu befürchten, daß die obskuren Ideen zung unseres fundierten Antrages, der dieselbe Ziel- Bayerns akzeptiert werden. Dann stehen wir hier vor richtung wie der Antrag von SPD und Bündnis 90/ der Situation, daß die ganze Diskussion noch einmal Die Grünen verfolgt, aber sich in zwei Punkten un- von vorne losgeht. terscheidet und über diesen Antrag hinausgeht. Wir fordern neben der Bayerischen Staatsregierung auch Zum zweiten entläßt der Ruf nach einem neuen Ur- die Abgeordneten des Bayerischen Landtages auf, teil die Bundesregierung aus ihrer politischen Ver- diese Gesetzentwürfe nicht zu verabschieden. Es ist antwortung für die Durchsetzung des Bundesrechts. ja klar, an welche Adresse dies geht. Auch das sollte der Bundestag so nicht hinnehmen. Wir sagen auch ganz deutlich: Nötigenfalls muß Mit der Diskussion in Bayern über eine Verschär- die Durchsetzung von Bundesrecht auf dem Rechts- fung des Abtreibungsrechts in mehrfacher Hinsicht weg erzwungen werden. Das sagen wir klar und wird das Ziel verfolgt, Frauen die Abtreibung so deutlich, weil wir uns wünschen, daß mit einer Ab- schwer wie nur irgend möglich zu machen. Erneut stimmung über unseren Antrag deutlich wird, daß es wird versucht, die mittlerweile gegebene gesell- nötigenfalls dafür auch eine ausreichende Mehrheit schaftliche Akzeptanz der Frauen, die eine Abtrei- in diesem Parlament geben wird. bung in Erwägung ziehen, zu untergraben. Vielen Dank. Eine ganz wesentliche Frage ist in diesem Zusam- menhang auch, wie viele Ärzte und Ärztinnen in (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Bayern sich unter solchen Umständen, nach solchen Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Diskussionen überhaupt noch bereit erklären wer- GRÜNEN und der PDS) den, Abbrüche durchzuführen. Um den geplanten Rechtsbruch zu verhindern, be- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das darf es nicht der Klage vor dem Bundesverfassungs- Wort der Abgeordneten Christina Schenk. gericht. Das Grundgesetz sieht ausreichende Instru- mentarien für solche Fälle vor. Gemäß A rt . 84 Abs. 3 Christina Schenk (PDS): Herr Präsident! Meine Da- des Grundgesetzes hat die Bundesregierung die Aus- men und Herren! Die heutige Debatte erinnert mich führung der Bundesgesetze durch die Länder zu fatal an ein sarkastisches Sprichwort, das sich in der überwachen. Sie kann über die Möglichkeit des Bun- DDR einer gewissen Beliebtheit erfreut hat. Es lautet: deszwanges nach Art. 37 des Grundgesetzes derar- Gestern standen wir vor einem Abgrund, heute sind tige Vorgehensweisen unterbinden. wir einen Schritt weiter. Auch finanzielle Sanktionen im Zuge des Länder- Seit dem Beitritt der DDR ist ununterbrochen ver- finanzausgleichs sind ja denkbar. Mit der im sucht worden, eine mehrheitsfähige Regelung zur Schwangeren- und Familienhilfegesetz vorgeschrie- Frage des Abbruchs ungewollter Schwangerschaften benen Führung einer Bundesstatistik sind ja die Her- zu finden. Vor fast genau einem Jahr hat der Bundes- kunftsländer der ungewollt schwangeren Frauen tag nach einem außerordentlich mühevollen Prozeß feststellbar und damit der Abtreibungstourismus aus endlich ein Gesetz zustande gebracht. Die Befürwor- Bayern quantifizierbar. Eine entsprechende Aus- terinnen und Befürworter einer ersatzlosen Strei- gleichszahlung des Freistaates Bayern an andere chung der Abtreibungsparagraphen haben selbstver- Bundesländer ist somit rechnerisch faßbar. ständlich ihren Kampf fortgesetzt. Es geht uns um die Solche oder andere Überlegungen, wie der offen- gesellschaftliche Anerkennung der Souveränität der Entscheidung von Frauen. Dennoch haben wir die sichtlich beabsichtigte Rechtsbruch eines Bundeslan- Mehrheitsentscheidung als das derzeit im Bundestag des verhindert werden kann, scheint die Bundes- Erreichbare hingenommen und akzeptiert. regierung nie angestellt zu haben. Ich erinnere hier an die vor kurzem stattgefundene Fragestunde. Anders die Vertreter und Vertreterinnen des katho- lischen Fundamentalismus, bei denen erneut die Pro- Ich stelle also fest, daß weder Frau Nolte als Frau- bleme deutlich werden, die sie mit den demokrati- enministerin noch der Bundesjustizminister und ins- schen Institutionen und mit den von diesen getroffe- besondere auch nicht der Bundeskanzler ihrer Ver- nen Entscheidungen haben. Sie sind nicht bereit, antwortung gerecht geworden sind. Wozu aber brau- ihre Niederlage zu akzeptieren. Während sie 1992 chen wir eine Bundesregierung, die sich von der noch ihr Heil in der Anrufung des Bundesverfas- Bayerischen Staatsregierung öffentlich vorführen sungsgerichts gesucht haben, versuchen sie heute läßt? den offenen Rechtsbruch. Darauf sollte der Bundes- Eine abschließende Bemerkung noch zum gemein- tag eine klare Antwort finden. samen Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Allein eine Normenkontrollklage, wie sie ver- der hier zur Abstimmung gestellt wird. Auch wenn schiedentlich angekündigt worden ist, kann diese die PDS nach wie vor der Auffassung ist, daß die er- Antwort nicht sein, da sie in mindestens zweierlei satzlose Streichung des § 218 die einzige Garantie Hinsicht an der Lösung des Problems vorbeigeht. gegen Sonderwege oder Auslegungen von Bundes- gesetzen ist, wären wir bereit gewesen, den vorlie- Zum ersten ist eine Klage vor dem Bundesverfas- genden Entwurf mit zu unterzeichnen. Ich bedauere sungsgericht genau das, was die Bayerische Staatsre- es sehr, daß wir da nicht gefragt worden sind. Ich gierung will. Bei der bisherigen frauenfeindlichen kann hier aber trotzdem erklären, daß die PDS-Bun- 9754 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Christina Schenk destagsgruppe dem vorliegenden Antrag von SPD Dieses Vertrauen drückt sich auch in der hohen und Bündnis 90/Die Grünen zustimmen wird. Gesprächsbereitschaft der Schwangeren in der Kon- fliktberatung aus. Ein gesetzlich vorgeschriebener (Beifall bei der PDS, der SPD und dem Mitteilungszwang wird dagegen dieses sensible Ver- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) trauensverhältnis nur empfindlich stören. Aber viel- leicht setzt die CSU gar nicht auf Vertrauen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Im gleichen Geist zerstört das bayerische CSU-Ge- Wort der Abgeordneten Hanna Wolf. setz das Vertrauensverhältnis zwischen der zur Ab- treibung entschlossenen Frau und dem Arzt. Ihm Hanna Wolf (München) (SPD): Herr Präsident! wird vorgeschrieben, daß er die Abtreibung ableh- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der CSU- nen muß, wenn er sie nicht für verantwortbar hält. Es Generalsekretär Protzner hat erklärt, wird ihm aber ebenfalls vorgeschrieben, wann er sie (Zuruf von der CDU/CSU: Ein guter Mann!) nicht für verantwortbar halten darf, nämlich dann, wenn ihm die Frau ihre Beweggründe nicht mitge- für die CSU sei der Schutz des werdenden Lebens teilt hat. eine Gewissensfrage und Gewissensentscheidung. Damit soll doch der Arzt insgeheim wieder zum Für wen ist er das eigentlich nicht? Ich frage mich Richter gemacht werden. Aus der vom Bundesge- nur, wie wechselwendisch dieses Gewissen sein darf. setzgeber gewollten Gelegenheit zur Beratung wird Warum hat zum Beispiel die Mehrheit der CSU-Bun- in Bayern wieder ein Zwang zur Offenlegung für die destagsfraktion vor einem Jahr dem Bundestagskom- Frau. Das ist eine weitere vertrauenzerstörende Maß- promiß zum § 218 zugestimmt? Auch Sie, Herr Protz- nahme. Die Strafe als Schutzkonzept hat versagt. ner! Statt auf Strafe setzt die CSU nun auf Demütigung Heute muß ich Sie deshalb fragen: Haben Sie zu- und Zwang. gestimmt, weil Sie auf die bekannte Doppelstrategie (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des gebaut haben, daß nämlich die Bayerische Staats- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) regierung gerne so tut, als ob Bayern Ausland wäre, wenn ihr die Bundeslinie nicht paßt, nach dem Wo bleiben die Hilfen? Woher sollen die Frauen Motto: Die Bayerische Staatsregierung wird's schon den Mut zum Kind bekommen, wenn sie ihn nicht richten? Und die bayerische Sozialministerin Stamm haben? Woher sollen die Frauen noch das Vertrauen richtet es mit eisiger Kälte. in die dauerhafte Gültigkeit von Gesetzen nehmen, wenn diese in jeder neuen Sparrunde flugs wieder (Beifall bei der SPD) zur Disposition gestellt werden können oder in Einige von Ihnen haben dem Kompromiß von vorn- Bayern erst gar nicht gelten? herein nicht zugestimmt. Nun offenbart sich, welcher In Bayern gibt es keinen Rechtsanspruch auf einen Geist, welches Menschenbild hinter dieser CSU-Poli- Kindergartenplatz. Nur nach der Statistik gibt es tik steht. Lassen Sie mich das einmal den Geist des viele Kindergartenplätze in der Form der Betreuung Geis, den Geis-Geist, nennen. zwischen 9 und 12 Uhr, vielleicht auch etwas länger. Der Kollege Geis zum Beispiel lehnt es ab, Ehe- Dann bleibt den Müttern in der Zeit von 10 bis 11 Uhr frauen im Falle der Vergewaltigung durch ihren Ehe- genügend Zeit, ihrem 590-DM-Job nachzugehen. mann genauso gesetzlich zu schützen wie andere In Bayern gibt es kaum Ganztagsschulen, und in Vergewaltigungsopfer. Der Kollege Geis will Jugend- den Halbtagsschulen werden die zusätzlichen Sport- kriminalität dadurch bekämpfen, daß er alle Jugend- stunden und musischen Neigungsgruppen gerade lichen mit einem nächtlichen Ausgehverbot belegt. zusammengestrichen. Dafür sollen p rivate Musik- Und der Kollege Geis glaubt, werdendes Leben schulen und Sportvereine herhalten. Die Mütter sind durch eine quasi Zwangsschwangerschaft schützen dann wieder die unbezahlten Kindertaxifahrerinnen. zu können. Das ist ein zutiefst inhumaner Geist in der CSU. Die Bundesregierung verschiebt die gesetzlich be- schlossene Kindergelderhöhung. Das Studenten-BA- (Beifall bei der SPD, der PDS sowie bei föG macht die jungen Leute zu Schuldnern. Nach Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE dem Studium können sie ihre Schulden nicht abzah- GRÜNEN) len, weil der Arbeitsmarkt zu ist. Der Arbeitsmarkt ist Dieser Geist prägt auch die CSU-Vorstellung und zu, weil unter anderem die Frauen länger im Er- die Vorstellung eines Bischofs Dyba von einer Bera- werbsleben bleiben müssen, und das alles wegen tung. Sie setzen nicht auf Vertrauen, sondern auf Gesetzesverschlechterungen, die nicht absehbar wa- Zwang. Sie haben nicht einmal Vertrauen in die bis- ren, als diese Kinder noch nicht geboren waren. herige Tätigkeit der katholischen Beratungsstellen in Machen die Bundesregierung und die CSU den Bayern. Wenn in Bayern die Beratungszahlen - Frau Frauen so Mut zum Kind? Wer soviel Hilfen streicht, Stamm, Sie haben sie selbst genannt - angestiegen erledigt das Schutzprinzip Hilfe statt Strafe selbst. sind, dann ist das ein Beweis für das wachsende Ver- trauen, das die Beratungsstellen bei den Frauen in (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bayern erworben haben. Demütigungen und Pressionen sind kein geeigneter (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ersatz für eine Politik für Menschen. Nur eine Politik DIE GRÜNEN) für Menschen schützt werdendes Leben. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9755

Hanna Wolf (München) Ich gehe davon aus, daß der Deutsche Bundestag desrechtliche Umsetzung erforderlich, sei es durch mit Mehrheit den vorliegenden Anträgen zustimmt. Gesetz, Richtlinien oder Erlasse. Wir tun dies durch Sollte aber die Bayerische Staatsregierung trotzdem Novellierung unseres Schwangerenberatungsgeset- wie beabsichtigt ihre Gesetzentwürfe durchpeit- zes. Unser Entwurf enthält eine Fülle von notwendi- schen, steht ihr ein heißer Herbst bevor. gen und außerhalb jeglicher Kritik stehenden Rege- lungen, so etwa zum Beratungsverfahren, zur Aus- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE und Fortbildung der Fachkräfte, zur Notwendigkeit GRÜNEN und der PDS) der Supervision, zur verstärkten Einbeziehung des sozialen Umfeldes, zum Anerkennungsverfahren so- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das wie zur staatlichen und kommunalen Förderung. Wort der bayerischen Staatsministerin Frau Barbara Stamm. Ich bedauere sehr, daß sich die politische Diskus- sion auf einen einzigen Punkt dieses Entwurfs kon- zentriert, nämlich auf die Regelung, daß Vorausset- Staatsministerin (Bayern) (von Ab- Barbara Stamm zung für die Erteilung des Beratungsscheins die geordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr An- Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! gabe der Konfliktgründe der Frau ist. Ich bin namens der Bayerischen Staatsregierung dankbar, daß mir die vorliegenden Anträge zur No- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir le- vellierung unseres Bayerischen Schwangerenbera- gen den Frauen in Bayern - und da ist Ihre Behaup- tungsgesetzes sowie zum Bayerischen Schwangeren- tung falsch - damit keinerlei neue Last auf. Frau Ab- hilfeergänzungsgesetz Gelegenheit geben, offen- geordnete Wolf, da Sie ja Bayerin sind, müßte ich ei- sichtlich bestehende Mißverständnisse, gentlich davon ausgehen, daß Sie den Beratungs- schein kennen, den wir in Bayern seit 1993 in allen (Lachen bei der SPD) Beratungsstellen für das Beratungsgespräch zur Grundlage gemacht haben. In diesem Beratungs- aber auch bewußte Verdrehungen und Polemik rich- schein steht, daß die Frauen ihre Gründe mitgeteilt tigzustellen. haben. Wie notwendig diese Richtigstellungen sind und wie uninformiert selbst von den Antragstellern disku- Gehen Sie davon aus, meine sehr verehrten Da- tiert wird, beweist schon die Begründung der dem men und Herren, die Sie hier heute diese Anträge Hohen Haus vorliegenden Anträge. Sie unterstellt, stellen, daß in bayerischen Beratungsstellen seit 1993 der in Bayern geforderte Identitätsnachweis wider- Beratungsscheine ausgehändigt worden sind, die spräche dem Erfordernis einer auf Wunsch anony- nicht das zum Gegenstand haben, was dieser Bera- men Beratung. tungsschein beinhaltet? Davon können Sie nicht aus- gehen. Unsere Beratungsstellen haben mit diesem Selbstverständlich kann eine Frau anonym beraten Beratungsschein gearbeitet, in dem es heißt, daß die werden. In unserem Gesetz heißt es wörtlich: „Auf Frauen ihre Gründe mitgeteilt haben, und es hat kei- Wunsch kann die Beratung anonym erfolgen." Die nen Ärger, es hat keine Verunsicherung gegeben. Frau muß sich aber nach Abschluß der Beratung ge- genüber einer anderen Mitarbeiterin der Beratungs- (Abg. Hanna Wolf [München] [SPD] meldet stelle vor Erteilung des Beratungsscheins ausweisen. sich zu einer Zwischenfrage) (Lachen bei der SPD - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Frau ist einer Beratung in Bayern ferngeblie- Das ist der Geist von Memmingen!) ben, sondern die Zahlen in der Konfliktberatung ha- ben sich bei uns seit 1993 erhöht. Damit bleibt die Anonymität der Frau gegenüber der beratenden Person voll gewahrt. Das Rechtsdokument des Beratungsscheines kann Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Ministe- allerdings nur nach Identitätsnachweis ausgestellt rin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bayern Staatsministerin (Bayern): Nein. hat bereits seit 1977 ein eigenes Schwangerenbera- Barbara Stamm Es tut mir leid, mir ist eine Redezeit vorgegeben wor- tungsgesetz. Dieses enthält Aussagen zu Zielsetzung und Inhalt der Schwangerenberatung, zur Anerken- den, und ich möchte im Zusammenhang ausführen. nung von Beratungsstellen und zu ihrer staatlichen Förderung. Nach diesem Gesetz haben die Beraterin- (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nen der verschiedenen Beratungsträger, zu denen in DIE GRÜNEN) Bayern übrigens auch Pro Familia gehört, in den zu- rückliegenden Jahren beraten - ohne Auseinander- Ich möchte Ihnen noch einmal zu verstehen geben, setzungen, ohne Krach, ohne Polemik, aber unbe- daß das nun in unseren Gesetzentwurf übernom- streitbar zum Wohle der beratenen Frauen und zum mene Beratungsverfahren in Bayern bereits seit drei Schutz der ungeborenen Kinder. Jahren im vollen Einvernehmen mit den Beratungs- stellen verwendet wird. Diesen Beratungsschein Das im letzten Jahr zustandegekommene Schwan- habe ich persönlich mit Mitarbeiterinnen der Bera- gerschaftskonfliktgesetz des Bundes macht eine lan- tungsstellen erarbeitet - wohlgemerkt, auch Pro Fa- 9756 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Staatsministerin Barbara Stamm (Bayern) milia ist mit dabei gewesen -, und er wurde problem- Sie übersehen bei Ihrer Kritik aber eines: Das Bera- los eingesetzt. tungsmodell, das vom Bundesverfassungsgericht vor- gegeben worden ist, soll zum Schutzkonzept für das (Hanna Wolf [München] [SPD]: Warum ungeborene Kind werden. Dieses Schutzkonzept für machen Sie dann noch ein zusätzliches das ungeborene Kind kann wohl nur dann zum Tra- Gesetz?) gen kommen, wenn auch tatsächlich Beratung statt- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe findet. Es ist eben ein Unterschied, ob Sie eine bloße für den Freistaat Bayern bereits bei der Behandlung Information in der Beratungsstelle hinnehmen des Bundesgesetzes in der Sitzung des Bundesrates (Christina Schenk [PDS]: Genau das verhin vom 14. Juli 1995 ausdrücklich auf diese Problematik dern Sie! Sie verhindern, daß eine Beratung hingewiesen und betont, daß diese unklaren Vorga- stattfindet, die den Namen verdient!) ben erhebliche Risiken für den vom Bundesverfas- sungsgericht erwarteten verfassungskonformen Le- oder ob Sie, was sehr wichtig ist, der Beratung den bensschutz durch wirksame Konfliktberatung nach Charakter geben, daß der Frau geholfen werden dem Beratungsmodell beinhalten. kann und sie zum Austragen des Kindes in die Lage versetzt wird. Bei der klarstellenden Regelung Bayerns wird es auch an einem anderen Punkt bleiben. Was das Arzt- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) recht angeht, Herr Justizminister Schmidt-Jortzig - Dies ist die Vorgabe. Aus Art. 1 Abs. 1 des Grund- da kritisieren Sie uns nicht -, geben Sie uns als Lan- gesetzes ergibt sich die Verpflichtung des Staates, desgesetzgeber die Kompetenz. Aber, Frau Leut- menschliches Leben, auch das ungeborene Leben, heusser-Schnarrenberger, beim Arztrecht werden wir zu schützen. Dieser Schutz kann nach den Ausfüh- selbstverständlich das Verwaltungsverfahren und rungen des Bundesverfassungsgerichts auch über den Ablauf so gestalten, daß auch unsere Ärzteschaft - eine Konfliktberatung angestrebt werden. in Bayern damit zurechtkommt. Bayern steht zu diesem Beratungsmodell. Aller- (Hanna Wolf [München] [SPD]: Und die dings stehen wir auch zu der uns vom Bundesverfas- Frauen?) sungsgericht auferlegten Verantwortung, dieses Be- - Die Frauen sind beim Arztrecht völlig außen vor. ratungsmodell glaubwürdig und wirksam umzuset- zen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Ur- (Dr. Edith Niehuis [SPD]: Das glauben Sie teil für die verfassungskonforme Umsetzung des Be- doch nicht! - Freimut Duve [SPD]: Die ratungsmodells sehr klare Vorgaben gegeben, die Frauen sind draußen vor der Tür! - Weitere Herr Abgeordneter Dr. Göhner schon zitiert hat. Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Schon die Aufnahme der Konfliktberatung also er- fordert die Mitteilung der wesentlichen Gründe. Das Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf bedeutet, daß ohne diese Mitteilung eine Konfliktbe- Ihnen vielleicht in aller Ruhe einmal etwas sagen. ratung nach dem Modell „Lebensschutz durch Bera- tung" noch nicht einmal beginnen kann. Daher kann Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Einen Augen- dann auch keine Beratungsbescheinigung ausge- blick, Frau Ministerin. - Meine Kolleginnen und Kol- stellt werden, was ja nach dem Bundesgesetz einen legen, Sie müssen der Ministerin als Mitglied des Abschluß der Beratung voraussetzt. Was nicht be- Bundesrates Gelegenheit geben, hier vorzutragen. gonnen wurde, kann logischerweise auch nicht ab- Ich muß die Sitzung unterbrechen, wenn Sie ihr geschlossen werden. keine Möglichkeit geben. Es geht so nicht. Das sehen selbst SPD-geführte Länder so, in deren (Beifall bei der CDU/CSU) Richtlinien für die Anerkennung von Schwangeren- beratungsstellen nämlich wie im bayerischen Gesetz- Frau Ministerin, fahren Sie fo rt . entwurf vorgesehen ist, daß die Beraterin die wesent- lichen Gründe der Schwangeren für den Abbruch- Staatsministerin Barbara Stamm (Bayern): Meine wunsch im Beratungsprotokoll festhält. Offensicht- sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Ihnen als lich wird also auch hier von der Mitteilung der Frau in der Politik, als sehr engagierte Frau in der Gründe ausgegangen. Politik sagen, daß es mir in dieser Frage nicht darum Das Bundesverfassungsgericht ist sogar noch ei- geht, gegen die Frauen zu arbeiten. nen Schritt weitergegangen und hat ganz klar zwi- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ schen der allgemeinen Beratung und der lebens- DIE GRÜNEN]: Na! Das ist doch der Sinn schützenden Konfliktberatung im Beratungsmodell und Zweck der bayerischen Staatsregierung unterschieden. Hier ist eben die Mitteilung der in dieser Frage! Sie machen Politik gegen Gründe unerläßlich. die Frauen!) Auch an anderen Stellen hat das Gericht immer wieder betont, daß die Beratung den konkreten Ich bin mir völlig darüber im klaren, daß wir das un- Schwangerschaftskonflikt der Frau aufzugreifen hat. geborene Leben nicht gegen die Frauen sondern nur Aber das alles scheint in der aufgeregten politischen mit den Frauen schützen können. Auseinandersetzung nicht zu interessieren. Viele, die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sich mehr lautstark als sachkundig zu Wort melden, und der F.D.P.) wollen offenbar die Anerkennung einer „Scheinbe- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9757

Staatsministerin Barbara Stamm (Bayern) ratung" , einer „Beratungsfiktion" durchsetzen. Sie Ich könnte mir deshalb gut vorstellen, daß eine un- wollen noch immer die vom Bundesverfassungsge- abhängige Kommission zur Beobachtung der verfas- richt verworfene Fristenregelung. sungsmäßigen Umsetzung des Beratungsmodells eingesetzt wird. In ihr könnten Verfassungsrechtler, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vertreter von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Ärzten Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich habe mir und Frauenorganisationen zusammenarbeiten, Ihre Äußerungen in den letzten Tagen nicht nur ein- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ mal, sondern mehrmals zu Gemüte geführt. Ich muß DIE GRÜNEN]: Unter Vorsitz von Kardinal sagen, Sie persönlich stehen gar nicht zu dem Kom- Ratzinger!) promiß, der hier im Deutschen Bundestag getroffen worden ist. um die rechtliche sowie die praktische Umsetzung des lebensschützenden Beratungsmodells in Bund (Beifall bei der CDU/CSU) und Ländern zu beobachten und gegebenenfalls Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten. Sie interpretieren im Grunde genommen den Kom- promiß für sich. Allein wegen dieser unterschiedli- Frau Wolf, lassen Sie mich abschließend noch sa- chen Interpretierbarkeit muß es für einen Landesge- gen: Wenn Sie hier die Kindergartenplätze in Bayern setzgeber möglich sein, die Rechtssicherheit dafür zu anmahnen, dann kann ich nur sagen, Sie sind in schaffen, daß nicht unterschiedlich interpretiert wer- München Abgeordnete, und München hat in Bayern den kann. die schlechteste Kindergartenversorgung überhaupt. (Beifall bei der CDU/CSU - Sabine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Die Hanna Wolf [München] [SPD]: Keine Fra Bayerische Staatsregierung ist nicht das gen zulassen, aber das behaupten!) Bundesverfassungsgericht!) - Tragen Sie als Abgeordnete von München mit dazu Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bei, daß dies besser wird! In der Stadt, aus der ich weiß, wie Beratung stattfindet und wie Beratung komme, haben wir eine 100prozentige Versorgung. auch in Zukunft stattfinden muß. Die Schwangere (Beifall bei der CDU/CSU) wird in der Beratung zu nichts gezwungen, ihre Gründe werden nicht überprüft, bewertet oder beur- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich teilt. Der Schwangeren wird vielmehr geholfen. denke - das ist das, was mich in dieser Stunde und in den letzten Tagen ganz enorm bewegt -, daß wir (Vorsitz : Präsidentin Dr. Rita Süssmuth) Frauen in unserer Gesellschaft selbstverständlich selbst bestimmen dürfen. Aber dann, wenn neues Le- Ich darf zusammenfassen: Was das Arztrecht anbe- ben entstanden ist, müssen wir in unserer Gesell- langt, denke ich, wird es zu den vorliegenden Anträ- schaft alles tun, um diesem neuen Leben auch zum gen keine große Diskussion geben. Was aber vor al- Leben zu verhelfen. len Dingen die Novellierung unseres Schwangeren- beratungsgesetzes anbelangt, müssen wir unserem (Beifall bei der CDU/CSU) Verfassungsauftrag gerecht werden. Ich darf noch- mals betonen: Wir dienen damit gleichermaßen dem Deshalb ist der Staat dafür verantwortlich, den Schutz des ungeborenen Lebens wie der Hilfe für die Frauen mit Rat und tatkräftiger Hilfe zur Seite zu ste- Schwangeren. hen. Dann werden wir alle unserer Verantwortung gerecht. Herzlichen Dank. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wolf? (Beifall bei der CDU/CSU)

Staatsministerin Barbara Stamm (Bayern): - Nein. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt die - Diese Zielsetzung haben wir konsequent verfolgt. Kollegin Frau Anni Brandt-Elsweier. Die Bayerische Staatsregierung hat deshalb zweimal das Bundesverfassungsgericht angerufen und hatte Anni Brandt-Elsweier (SPD): Frau Präsidentin! mit ihren Klagen in zentralen Punkten Erfolg. Meine Damen und Herren! Vor einem Jahr hat der Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin Wolf Kreide gefressen. Er hat seine Stimme ändern zutiefst davon überzeugt - dafür werde ich auch wei- können, aber nicht seine Einstellung. Nach wie vor ter werben -, daß unser Beratungsmodell wie bisher frißt er die Zicklein. auch weiterhin ein Schutzkonzept für das ungebo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne rene Leben sein wird. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS - Michael Glos [CDU/CSU]: Es (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Um Gottes willen!) heißt „die" Wolf!) Anders lassen sich die bayerischen Ereignisse wirk- Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Modell - lich nicht beschreiben. vielleicht übersehen Sie das in Ihrer Argumentation - ausdrücklich unter die Beobachtungs- und etwaige Das Land Bayern will verhindern, daß die Bundes- Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers gestellt. republik Deutschland endlich den Alptraum des 9758 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Anni Brandt-Elsweier § 218 abschütteln kann. Dabei sah es vor einem Jahr auch dann, wenn die Frau ihre Beweggründe nicht noch so aus, als würden es alle Parteien mit dem ge- darlegt. Dies läuft auf eine totale Entmündigung der meinsam gefundenen Kompromiß ehrlich meinen. Frau hinaus. Ich frage mich, welches Frauenbild hier Wir sind aber offensichtlich getäuscht worden. zugrunde liegt. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Das unredliche Taktieren einer bundespolitischen Kleinpartei geht weiter. Vor dem Hintergrund, daß nur bestimmte, der bayerischen Landesregierung genehme Einrichtun- Vor einem Jahr haben wir in diesem Haus mit einer gen die Erlaubnis erhalten, dürfen wir gespannt sein, Mehrheit von fast 75 Prozent aller Stimmen ein neues ob es in Bayern überhaupt noch Hilfe für schwangere Recht zum Schwangerschaftsabbruch verabschiedet. Frauen in Notlagen geben wird. Was es geben wird, Es war natürlich ein Kompromiß, er wurde aber von ist klar: Es wird zu einem Tourismus kommen, den CDU/CSU, F.D.P. und SPD getragen. An dieser Re- wir bereits einmal hatten, diesmal aber nicht in die form waren gerade die Abgeordneten der CSU in er- Niederlande, sondern innerhalb der Bundesrepublik heblichem Maße beteiligt; denn es gab damals wohl Deutschland. Das halte ich für einen Skandal. keine Landesgruppe im Bundestag, die sich häufiger mit ihrer Landesregierung abgestimmt hat. Um so (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE unverständlicher und anmaßender ist daher das, was GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abge die Landesregierung Stoiber jetzt unter dem Deck- ordneten der PDS) mantel der Fürsorge anstrebt. Wir alle haben uns bei der Beratung der Reform (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- des § 218 eingehend mit dem Urteil des Bundesver- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN fassungsgerichts auseinandergesetzt und uns an und der F.D.P.) - dessen Vorgaben gehalten, dies unter Mitwirkung der CSU-Abgeordneten. Gemeinsam haben wir be- Aus der Angst heraus, mit einer erneuten Klage schlossen, daß die schwangere Frau in einem vor dem Bundesverfassungsgericht zu scheitern, Schwangerschaftskonflikt nicht gezwungen werden bastelt sie einen zutiefst frauenfeindlichen Gesetz- kann - dies stellt auch das Bundesverfassungsgericht entwurf über die Beratung in Fragen der Schwanger- ausdrücklich fest -, ihre Gründe anzugeben, da dies schaft und ein Schwangerenhilfeergänzungsgesetz dem beratenden Charakter widerspricht. Wir waren speziell für das Land Baye rn. Ich frage Sie, Frau Mi- uns alle einig. nisterin Stamm: Wenn vorher bei der Beratung alles in Ordnung war, weshalb dann dieser Entwurf? Ich bin davon überzeugt, daß niemand in diesem Hause sagen kann, er habe alle seine Vorstellungen (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE durchsetzen können. Es waren zu jedem Punkt Be- GRÜNEN und der F.D.P.) denken vorhanden. So ist es aber nun einmal. Wenn Zur Begründung sagt man, angeblich sei es not- man einen breiten Konsens haben will, muß man ei- wendig, einzelne Punkte des Reformgesetzes zu kon- nen Weg dazu finden und ihn auch gehen. kretisieren und Aufträge des Bundesverfassungsge- Ich denke, auch das Land Bayern ist an diesen richts - man höre! - zu erfüllen, die der Bundesge- Kompromiß gebunden; denn nicht ohne Grund steht setzgeber übersehen habe. Ich zitiere aus dem Vor- in Art. 31 unserer Verfassung, daß Bundesrecht Lan- spann - ich habe das gelesen -, der Bundesgesetzge- desrecht bricht. Es kann und darf kein eigenständi- ber sei nicht allen Regelungsaufträgen des Bundes- ges Abtreibungsrecht in Bayern geben. verfassungsgerichts nachgekommen. Herr Stoiber also als Lehrmeister der Nation! (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) Die bayerische Landesregierung will nur noch von Gynäkologen Schwangerschaftsabbrüche vorneh- Das werden wir nicht mittragen. men lassen - dies in Einrichtungen, die dafür eine (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE spezielle Erlaubnis erhalten haben. Jeder hier kann GRÜNEN und der PDS) sich jetzt vorstellen, welche Einrichtungen keine Erlaubnis erhalten werden. Leider sieht sich ja die Bundesregierung, die die Möglicheit einer Einflußnahme hätte, wohl nicht in Weiter darf der Arzt Abbrüche nur vornehmen, der Lage, hier ein deutliches Wo rt zu sagen. Aus dem wenn der Einkommensanteil durch Abbrüche unter für die Frauen zuständigen Ministerium kam bei der 25 Prozent liegt. Dies ist nicht nur eine unzulässige Fragestunde ohnedies nur das gewohnte naive Einschränkung der ärztlichen Berufsausübung. Es ist Schulterzucken und „kein Handlungsbedarf" . eine weitere Hürde für die Frauen. Wir sind gefordert. Es freut mich, daß die Kollegin- Die Zielrichtung wird noch deutlicher: Nach dem nen und Kollegen der F.D.P. hierzu einen deutlichen Willen der bayerischen Landesregierung soll es in Standpunkt beziehen. Ich bitte Sie alle, dem gemein- Bayern vor dem Abbruch den Zwang zu einem wei- samen Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen teren Beratungsgespräch mit dem Gynäkologen ge- zuzustimmen. ben. Nach diesem Gespräch entscheidet allein der Arzt, ob er einen Abbruch verantworten kann. Er (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ muß seine Mitwirkung ablehnen, wenn er ihn nicht DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der für verantwortbar hält - gut -, dies aber zum Beispiel F.D.P. und der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9759

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort nimmt gen sollen. Das hat der Bundesgesetzgeber getan, jetzt der Abgeordnete Professor Dr. Edzard Schmidt- und das darf nicht konterkariert werden. Jortzig. (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Frau Präsiden- tin! Meine Damen und Herren! Ich spreche als Mit- Meine Damen und Herren, ich will nicht noch glied des Bundestages, als Mitglied dieses Gesetzge- lange darauf bestehen - dazu sind die Argumente bers, genügend ausgetauscht worden -, daß der geplante Beschluß dieses einen bayerischen Gesetzentwurfes (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des in Sachen Schwangerschaftskonfliktberatung gegen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) das Bundesgesetz verstößt. An diesem Punkt will ich noch einiges deutlich machen. der vor einem guten Jahr dieses Gesetz beschlossen hat, gegen welches jetzt ein Landesgesetz verstoßen Es ist auch im Bundesgesetz eindeutig geregelt, will. daß auf die Mitwirkungsbereitschaft der Schwange- ren gesetzt wird; Meine Damen und Herren, insbesondere Frau Grießhaber und Frau Schenk, ich weiß gar nicht, (Unruhe) warum Sie sich an diesem Punkt so klein machen aber der Unterschied ist der, daß, wenn sich die und hinter der Bundesregierung verstecken wollen. Schwangere darauf nicht einlassen will, aus welchen Es ist Sache dieses Parlaments, es sich nicht gefallen Gründen auch immer, also die Erwartung der Mitwir- zu lassen, daß gegen seine Vorschriften verstoßen kung nicht erfüllt, es dann auch sein Bewenden ha- wird. ben muß. Es kann nicht erzwungen werden, daß sie mitwirkt. Sie muß also ihre Bescheinigung bekom- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- men, wenn sie zur Beratung kommt und sich die Ar- ten der SPD) gumente aufmerksam anhört. Es geht nicht um irgendwelchen administrativen Ge- (Unruhe) setzesvollzug, dessen richtige Durchführung die Bundesregierung zu kontrollieren hat, sondern es Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordne- geht darum, daß ein Gesetzgeber, der bayerische ter, darf ich einmal unterbrechen? - Es ist einfach Landesgesetzgeber, seinen Entwurf gegen den des nicht möglich, hier im Saal den Ausführungen zu fol- Bundesgesetzgebers setzt, und deswegen ist es na- gen. Ich bitte Sie, da wir noch mitten in der Debatte türlich das Parlament, welches sich hier wehren muß, sind, mehr Ruhe herzustellen. Sonst macht die De- und niemand anderes. batte keinen Sinn. (Abg. Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall der Abgeordneten Joseph Fischer GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen- [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], frage) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.] und Guido Westerwelle [F.D.P.]) - Vielen Dank, nein, es tut mir leid, die Debatte muß jetzt auch zu Ende kommen, glaube ich. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Vielen Dank. - (Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfu rt] Ich will es an diesem Punkt kurz machen. Es ist über- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) haupt nicht ernsthaft darum herumzukommen, daß die Formulierung in dem geplanten bayerischen Ge- Wir haben uns im Bundestag seit dem Urteil des setz gegen das Bundesgesetz verstößt. Das ist mit al- Bundesverfassungsgerichts im Mai 1993 - auch für len Auslegungskunststücken nicht hinwegzudisku- Sie gilt das hoffentlich, Herr Fischer - intensiv um ei- tieren. nen verfassungskonformen Weg bemüht und über (Beifall bei der F.D.P., der SPD und beim die Parteigrenzen hinweg um einen tragfähigen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Kompromiß zur Regelung des Abtreibungsrechts ge- Abgeordneten der PDS) rungen.

Wir haben - und dieser Gesichtspunkt ist über- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Schmidt-Jort- haupt noch nicht zur Sprache gekommen - mit die- zig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- sem Bundesgesetz die Rechtsverschiedenheit über- neten Hüppe? wunden, die zwischen den beiden Teilen Deutsch- lands bis dahin noch bestand. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Nein, vielen Dank. Da bin ich jetzt konsequent. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der SPD) Das ist nicht hinwegzudiskutieren; es sei denn, man interpretiere das bayerische Gesetz - so es denn Die neuen Länder hatten noch das Recht der alten eines wird - ausdrücklich bundesrechtskonform. DDR, und es war vom Bundesverfassungsgericht an- Aber das wiederum könnte dann nur verbindlich ein gemahnt, daß wir eine Einheitlichkeit zustande b rin- Verfassungsgericht tun. 9760 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Ich will nur noch auf einen Punkt näher eingehen. chen soll. Ich wundere mich, daß Sie jetzt einen an- Nach alledem kommt es nicht darauf an, ob das deren Standpunkt vertreten. bayerische Gesetzesvorhaben vielleicht doch ein Stück näher an der Verfassung oder - deutlicher ge- Da ich gerade sehe, daß Sie gleich antworten wol- sagt - an den Vorgaben des Bundesverfassungsge- len, darf ich Sie fragen, ob Sie jetzt Ihren Standpunkt richts zu dieser Mate rie liegen könnte. Darauf kommt „Hilfe statt Strafe" in „Abtreibung statt Hilfe" umge- es nicht an. wandelt haben. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der (Widerspruch bei der F.D.P. und der SPD - SPD sowie des Abg. Joseph Fischer [Frank- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ furt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) DIE GRÜNEN]: Unglaubliches muß man sich hier anhören!) Denn dieses Bundesgesetz hat nun einmal die Schwangerschaftskonfliktberatung so geregelt, wie - Wenn Sie das Recht auf Leben noch nicht akzeptie- es sie geregelt hat. Es ist niemand - ich glaube, auch ren, dann sollten Sie wenigstens das Recht auf freie niemand in diesem Saal - ernsthaft der Auffassung, Meinungsäußerung akzeptieren. daß die bundesgesetzliche Regelung zu diesem (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Punkt gegen die Verfassung verstoße. DIE GRÜNEN]: Ausgerechnet!) (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie Wenn Sie das mit der Hilfe für Frauen so ernst mei- des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] nen, darf ich fragen, ob Sie dann zum Beispiel das [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Kündigungsschutzrecht für Hausangestellte weiter Es kommt allein darauf an, daß der Bundesgesetz- behindern wollen, wonach schwangeren Hausange- geber die entscheidende Vorgabe zu dieser Materie stellten nicht gekündigt werden darf, oder wollen Sie getroffen hat und sich deshalb ein Landesgesetz-- das als F.D.P. nicht? geber, wie gerne er es auch immer wollte, davon Wenn Sie hier so reden, dann sagen Sie doch offen, nicht verabschieden darf. was Sie wollen. Sie wollen doch gar nicht die Hilfe Lassen Sie uns dem inakzeptablen Alleingang für Frauen. Bayerns entgegentreten. (Zuruf von der SPD: Unerhört! - Weitere (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Lassen Sie uns dem Gesetzgeber in München die - Frau Präsidentin, Sie sollten mir die Möglichkeit rechtsfriedens-, aber vor allen Dingen auch rechts geben, ausreden zu dürfen. einheitsgefährdende Haltung seines Vorhabens Wenn es Ihnen wirklich um das Recht der Frauen deutlich machen: in bundesstaatlicher, in verfas- ginge, warum regt sich dann heute keiner darüber sungsrechtlicher und in sachpolitischer Hinsicht. Las- auf, daß es immer noch Beratungsstellen wie Pro Fa- sen Sie uns immer noch intensiv auf ein Einlenken milia gibt, die die Frauen wegschicken und die Hilfe Bayerns hoffen. Aber wenn das nicht nutzt, dann der Stiftung „Mutter und Kind" bis heute noch nicht müssen wir auch wirklich beherzt den Gang zur ver- vermitteln? fassungsrechtlichen Überprüfung nach Karlsruhe antreten. Warum regen Sie sich nicht darüber auf, daß es in SPD-regierten Ländern wie in Nordrhein-Westfalen Vielen Dank. immer noch nicht den Beratungsschlüssel 1:40 000 (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem gibt? Das ist Hilfe für Frauen und nicht die Erleichte- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rung von Abtreibungen. Welches Frauenbild haben Sie eigentlich?

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen (Zurufe von der SPD) und Kollegen, es besteht der Wunsch nach drei Kurz- interventionen: von Herrn Hüppe, Frau Grießhaber Glauben Sie denn, daß alle Frauen nur abtreiben wollen? Das, was Sie wirklich wollen, ist, daß Abtrei- und Herrn Göhner. Ich sage gleich, mehr Kurzinter- bungsärzte wie Herr Stapf, der in der Anhörung ventionen kann ich nicht zulassen, weil wir sonst aus selbst gesagt hat, daß er innerhalb von wenigen Jah- dem Zeitplan geraten. ren 32 000 Abtreibungen vorgenommen hat - das Herr Hüppe. heißt pro 38 Minuten seiner Arbeitszeit eine Abtrei- bung -, weiter abtreiben dürfen und ihr Geld nur durch die Tötung ungeborener Kinder verdienen Hubert Hüppe (CDU/CSU): Herr Abgeordneter können. Innerhalb von 38 Minuten kann er die jewei- Schmidt-Jortzig, ich darf schon angesichts der Tatsa- lige Frau gar nicht aufklären, kann er überhaupt che, daß Sie meine Frage nicht zugelassen haben, nicht klären, ob die Frau unter Druck gesetzt wird. bemerken, daß Sie bei der letzten Abstimmung über Wenn Sie den Frauen und dem ungeborenen das Schwangerenhilfegesetz dieses Gesetz abge- menschlichen Leben helfen wollen, dann nehmen lehnt haben, weil Sie gesagt haben, daß Sie sich Sie Ihre Anträge zurück. keine Situation vorstellen können, bei welcher der Staat die Hand zum Töten menschlichen Lebens rei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9761

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Professor Ich komme auf diese Frage deshalb, weil ich der Schmidt-Jortzig, sind Sie einverstanden, daß ich erst öffentlichen Debatte und Ihrem B rief an den bayeri- die beiden anderen Kurzinterventionen zulasse und schen Justizminister entnommen habe, daß Sie - wie Sie dann im Zusammenhang darauf antworten? Sie dort formuliert haben - den von anderer Seite er- hobenen Vorwurf, der zweite bayerische Gesetzent- (Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [F.D.P.]: Ja!) wurf, nämlich der zum Schwangerenhilfeergän- - Danke schön. zungsgesetz, sei verfassungswidrig, nicht teilen. Dieser Standpunkt des Bundesjustizministeriums Frau Grießhaber. überrascht mich nicht, weil es über alle Jahre hinweg diesen Standpunkt immer konsequent vertreten hat. Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es Ich weiß als ehemaliger Parlamentarischer Staatsse- fällt mir nach der Beschimpfung all derer, die sich für kretär in Ihrem Hause noch sehr gut, daß die ge- eine Hilfe für Frauen einsetzen, nach diesem ideolo- samte Materie, die in diesem zweiten bayerischen gischen Ausguß unheimlich schwer, hier ruhig meine Gesetz geregelt ist, nicht bundesrechtlich geregelt Kurzintervention vorzubringen. werden kann, weil dem Bund dazu die Gesetzge- bungskompetenz fehlt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der F.D.P. und der PDS) Nun wird in Ihrem Antrag behauptet, der Verstoß gegen Bundesrecht beim Schwangerenhilfeergän- Der Justizminister hat hier ja ausdrücklich als Ab- zungsgesetz beruhe auf der von mir als französische geordneter gesprochen. Nun wäre es allerdings Regelung bezeichneten 25-Prozent-Klausel. Aber, höchst interessant, was denn die Auffassung des Ver- Herr Kollege Schmidt-Jortzig, genau dazu teilen Sie fassungsorgans Bundesregierung ist. Die Situation ist der Bayerischen Staatsregierung schriftlich mit, daß absolut ungewöhnlich: Wann haben wir Debatten, in Sie das für verfassungsgemäß halten. In bezug dar- denen sich die Bundesregierung überhaupt nicht - auf hat das Bundesministerium der Justiz der CDU/ an keiner einzigen Stelle - zu Wo rt meldet und ihre CSU-Fraktion schriftlich die Auskunft gegeben, als Meinung zu einem Vorhaben vorbringt? Sie wir das für einen Entwurf eines Bundesgesetzes vor- schweigt, sie ist stumm, sie ist abgetaucht. gesehen hatten: Das dürft ihr nicht; das ist aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schließliche Kompetenz des Landes. bei der SPD und der PDS) Da auch die Vorrednerin aus Ihrer Fraktion, Frau Sie ist in dieser Debatte nicht vorhanden. Sie hat die- Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, kein Wort ses Gesetz mit der Mehrheit ihrer Mitglieder mitge- dazu gesagt hat, wie Sie denn Ihre Behauptung be- gründen wollen, auch der andere bayerische Gesetz- tragen und hat jetzt kein Wo rt dazu zu sagen! Das ist entwurf verstoße gegen Bundesrecht, möchte ich Sie einfach empörend. fragen: Wo sehen Sie den Rechtsverstoß bei diesem Wir als Parlament, als Gesetzgeber wüßten gerne, Gesetz? Sie sind in dieser Frage offensichtlich ande- inwieweit die Bundesregierung die Kritik der Mit- rer Meinung als der Gesetzgeber in Bayern und übri- glieder dieses Hauses, der Mehrheit, die dieses Ge- gens auch als das Verfassungsgericht. Denn zum Bei- setz gerade verabschiedet hat, unterstützt und dahin- spiel diese französische Regelung, die 25-Prozent- tersteht oder nicht. Quote, die Vorschriften zum Arztrecht, die jetzt im bayerischen Gesetzentwurf stehen, sind ja die wörtli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, che Umsetzung dessen, was das Bundesverfassungs- bei der SPD und der PDS) gericht dazu vorgeschlagen oder mindestens nahe- gelegt hat. Da mögen Sie anderer Meinung sein als Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Dr. Göhner. das Bundesverfassungsgericht. Ich frage: Wo liegt der von Ihnen hier im Antrag Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU): Herr Kollege der F.D.P. im ersten Satz behauptete Rechtsverstoß Schmidt-Jortzig, Sie haben in einer, wie ich fand, dieses zweiten bayerischen Gesetzentwurfes? Vorge- sehr differenzierten Weise aus Ihrer Sicht begründet, tragen haben Sie dazu bisher nichts. Sie, Herr warum der bayerische Gesetzentwurf zum Schwan- Schmidt-Jortzig, haben aus überzeugenden Gründen gerenberatungsgesetz gegen das Bundesrecht ver- bisher die gegenteilige Auffassung vertreten. stoße. Dabei ist mir aufgefallen, wie Sie ausdrücklich (Beifall bei der CDU/CSU) betont haben, daß Sie diesen einen bayerischen Ge- setzentwurf wegen Verstoßes gegen das Bundesge- setz für rechtswidrig halten. Nun hat - Sie haben ja Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter für Ihre Fraktion gesprochen - die F.D.P.-Fraktion Schmidt-Jortzig. hier einen Antrag vorgelegt, dessen erster Satz lau- tet: Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Herr Kollege Die Gesetzgebungsvorhaben der Bayerischen Göhner, es geht mir in der Tat nur um die rechtliche Staatsregierung ... verstoßen gegen Bundes- Frage. Ich komme gleich noch auf das, was Sie, Herr Kollege Hüppe, nachgefragt haben, zu sprechen. Es recht. geht mir darum, ob es dem bayerischen Gesetzgeber (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ an diesem Punkt erlaubt ist, mit einem eigenen Ent- DIE GRÜNEN]: Heiliger Winkeladvokat!) wurf, mit einer eigenen Regelung gegenüber der des 9762 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Bundesgesetzgebers aktiv zu werden. Ich glaube den mit einer dauerhaften politischen Niederlage. nicht, daß das geht; denn in Art. 72 des Grundgeset- Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß zes steht nun einmal: Die Länder haben Gesetzge- Sie, meine Damen und Herren von der F.D.P., vor ei- bungszuständigkeit nur, soweit und solange der Bun- ner politischen Niederlage in eine juristische Ausein- desgesetzgeber von seiner Regelungszuständigkeit andersetzung flüchten wollen. keinen Gebrauch macht. Da er davon Gebrauch ge- macht hat, kann das so nicht akzeptiert werden. Die Androhung einer Normenkontrollklage - Sie wagen es, die übermächtige Bayerische Staatsregie- Im übrigen setze ich nach wie vor darauf - das rung vor das Bundesverfassungsgericht zu zwingen - letzte Wort des bayerischen Gesetzgebers ist ja noch soll Ihr Schweigen in der Koalition verschleiern. Sie nicht gesprochen -, daß vielleicht in den Beratungen machen sich klein als Minister, Herr Schmidt-Jortzig. im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, im Rechtsausschuß, Formulierungen zustande kommen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des die in der Tat die Verstöße, die ich anprangere, dann BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) doch vermeiden können. Ich setze immer auf die Lernbereitschaft der Menschen. Vielleicht werde ich Sind Sie seit 1982 in der Koalition mit der CDU/ hier ja sogar überrascht. CSU, oder sind Sie es nicht? Können Sie Ihre Koaliti- onspartner zur Respektierung des Kompromisses von Herr Hüppe, das genau ist, glaube ich, der Unter- 1995 auffordern, oder können Sie dieses nicht? Wir schied zwischen unseren beiden Positionen, den Sie alle wissen: Sie haben schon wegen weniger wichti- ansprechen. Ich bin in der Tat nicht glücklich über ger Punkte Koalitionsfragen gestellt und Koalitionen die bundesrechtliche Regelung in der Sache. Aber aufgekündigt. völlig abgesehen davon: Der Bundesgesetzgeber hat die Regelung nun einmal so getroffen, und deswe- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen ist es nicht zulässig, daß sich ein Land dagegen stellt, egal, ob man diese Regelung gut findet oder- Ich kann Sie nur sehr nachdrücklich auffordern, nicht. mehr Scharfsinn und Verve für die Lösung dieses Konflikts mit der CDU/CSU aufzubringen, als das (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei bisher geschehen ist. Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie schon den Rechtsweg beschreiten wol- len: Warum verlangen Sie von Ihrem Koalitionspart- ner nicht, daß die Bundesregierung die Bayerische Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt Staatsregierung mit einer Normenkontrollklage die Kollegin Inge Wettig - Danielmeier. stoppt oder daß sie im Wege des Bundeszwanges vor- geht?

Inge Wettig - Danielmeier (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Göhner, daß die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) bayerischen Gesetzentwürfe mit dem Bundesverfas- Die Gewissensfrage ist im letzten Jahr entschieden sungsgerichtsurteil übereinstimmen, steht ebenso- worden. Nur zwei Minister aus dieser Regierung ha- wenig zur Debatte wie die Verfassungskonformität ben gegen den Kompromiß gestimmt. des Bundesrechts. Ihr Zitat aus der Vollstreckungs- anordnung war selbstverständlich korrekt, aber sie Sie gehen den bequemen Weg, kündigen großartig gilt nicht mehr. Es gilt das im vorigen Jahr gemein- eine Klage an und vertrauen darauf, daß die sozialde- sam mit Ihnen beschlossene Bundesgesetz. Daran mokratischen Mitglieder des Bundestages Ihnen zu muß sich Bayern messen lassen. den für die Klage notwendigen Unterschriften ver- helfen; denn auch Sie wissen, daß die F.D.P.-Fraktion (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 177 weitere Unterschriften benötigt, um die Klagean- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der kündigung überhaupt umsetzen zu können. PDS) Sie wissen sehr wohl, daß Buchstaben und Geist Wir schließen am Ende dieser politisch zu führen- des Kompromisses anders waren, als sie jetzt aus den Auseinandersetzung eine Klage nicht aus. Aber Bayern zu uns wehen. Das gilt auch für die Beschrän- zunächst hat jede Fraktion, jede Partei ihre Arbeit zu kungen der Ärztinnen und Ärzte. Wir haben uns machen und ihre Möglichkeiten auszuschöpfen. auf Ihr Wort und das Wo rt von Herrn Kohl, Herrn (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph Schäuble und Herrn Waigel verlassen. Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Die Regierungsparteien bieten in dieser Frauen- NEN] - Sabine Leutheusser-Schnarrenber frage ein merkwürdiges Bild, und das gilt auch für ger [F.D.P.]: Das tun wir doch!) die F.D.P. - Das tun Sie eben nicht. Sie haben dazu offensicht- (Beifall bei der SPD) lich keine Möglichkeiten mit Ihrem Koalitionspart- ner. Viel Spaß. Als maßgebliche Teile des Liberalismus politisch vor dem Bismarckschen Obrigkeitsstaat kapitulierten, Zum Schluß möchte ich die Führung der CDU/ hätten sie ihre ganze Kraft - so sagen Analytiker der CSU-Bundestagsfraktion, besonders die 29 CSU-Ab- Geschichte - auf den Ausbau des Rechtsstaats ver- geordneten, die für den Kompromiß gestimmt haben, wandt. Nicht ohne Erfolg, aber schmerzlich verbun- auffordern, die Vergangenheit und die Vorausset- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9763

Inge Wettig-Danielmeier zungen für den Kompromiß sorgfältig in Erinnerung gierung der unsere Gesellschaft spaltende Streit um zu rufen. den Schwangerschaftsabbruch erneut auszubrechen droht. (Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Von Kompromissen dieser Art lebt die parlamenta- sowie bei der F.D.P., dem BÜNDNIS 90/DIE rische Demokratie: weil sie von Zeit zu Zeit in großen GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD) Streitfragen wenn nicht ein Ende, so doch eine Be- friedung herbeiführen können. Ich erinnere daran, wie viele Jahre dieser Streit nun schon angedauert hat und wie schmerzlich die Aus- Lassen Sie es zu, daß die Bayerische Staatsregie- einandersetzung insbesondere in unserer Fraktion rung den Kompromiß aufkündigt, lösen Sie mehr als war. einen Streit über den § 218 aus. Solch ein Verhalten bleibt auch auf anderen Feldern nicht ohne Konse- Daß man sich dann schließlich vor einem Jahr zu quenzen. Nutzen Sie also Ihren politischen Einfluß, einem Kompromiß zusammengefunden hat, war der und schaffen Sie diese Gesetze aus der Welt! allenthalben gewachsenen Einsicht zu verdanken, daß eine Fortdauer des Streits am allerwenigsten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen würde ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und den betroffenen Frauen unzumutbar sein würde. und der PDS) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der F.D.P., dem BÜNDNIS 90/DIE Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD) und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Der Kompromiß war ein Verdienst jener in diesem Vor der Abstimmung erfolgen zwei Erklärungen Hause, die sich in der von Emotionen, ideologischen zum Abstimmungsverhalten nach § 31 unserer Ge- Verhärtungen und ethischen Fundamentalpositionen schäftsordnung. geprägten Streitatmosphäre das notwendige Maß an praktischer Vernunft bewahrt hatten. Ich gebe zunächst Herrn Kollegen Horst Eylmann Es ist leider zu befürchten, daß der damals endlich das Wort. zustande gekommene Rechtsfriede jetzt wieder ein Stück weit verlorengeht. Auf keinem Gebiet brau- Horst Eylmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! chen wir aber diesen Rechtsfrieden dringender als im Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Für Bereich der rechtlichen Regelung des Schwanger- mein Abstimmungsverhalten sind folgende Überle- schaftsabbruchs. gungen maßgebend. Die Rechtsfragen, die im Zu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sammenhang mit dem Gesetzgebungsvorhaben der sowie bei der F.D.P., der SPD und dem Bayerischen Staatsregierung zum Schwangeren- und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Familienhilfeänderungsgesetz des Bundes auf tau- chen, sind kompliziert und nicht einfach zu beant- Die bayerischen Gesetzgebungsvorhaben werden worten. im Falle der Realisierung nach meiner Überzeugung in Bayern nicht ein einziges ungeborenes Leben zu- Ich neige zwar der Auffassung zu, daß einzelne Be- sätzlich retten. Sie könnten aber dazu führen, daß die stimmungen der bayerischen Entwürfe gegen Bun- alten Frontstellungen wieder entstehen, die betroffe- desrecht verstoßen, räume aber ein, daß es nachvoll- nen Frauen verunsichert werden und im Endergeb- ziehbare Begründungen für eine andere Rechtsauf- nis das ungeborene Leben in diesem Streitklima eher fassung gibt. mehr gefährdet denn stärker geschützt wird. Sowohl die Entscheidung des Bundesverfassungs- (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem gerichts als auch das Schwangeren- und Familienhil- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) feänderungsgesetz des Bundes aus dem letzten Jahr waren Ergebnisse mühsam zustande gekommener Aus diesen Erwägungen, die, wie sich unschwer Kompromisse. Solche Kompromißlösungen haben es aus meinen letzten Sätzen entnehmen läßt, in den an sich, daß sie nicht in allen Punkten mit der not- Bereich der Gewissensentscheidung hineinreichen, wendigen Stringenz und Klarheit formuliert sind und habe ich mich entschlossen, mich der Stimme zu ent- deshalb Raum für unterschiedliche Auslegungen und halten - im übrigen, wenn mich meine Erinnerung Interpretationen lassen. nicht täuscht, das erste Mal, seitdem ich diesem Hause angehöre. Ich kann nach Gesprächen, die ich Mit der rechtlichen Begründung der vorliegenden mit einigen meiner Fraktionskollegen und -kollegin- Anträge kann ich mich nicht in allen Punkten identi- nen geführt habe, davon ausgehen, daß sie aus ähnli- fizieren und teile insoweit teilweise die Einwendun- chen Erwägungen genauso handeln werden. gen, die mein Fraktionskollege Herr Göhner hier vor- getragen hat. Infolgedessen werde ich diesen Anträ- Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß ich damit gen nicht zustimmen. eher einen Beitrag zur Deeskalation des Streits leiste. Ich betone in diesem Zusammenhang schon jetzt, Meine sehr verehrten Damen und Herren, anderer- daß ich mich, sollte aus diesem Hause erneut das seits bedaure ich es außerordentlich, daß durch die Bundesverfassungsgericht angerufen werden, an ei- Gesetzgebungsvorhaben der Bayerischen Staatsre- nem solchen Verfahren nicht beteiligen werde. Denn 9764 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. 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Horst Eylmann es wäre falsch, dem Gericht erneut eine Entschei- Ich stimme den Anträgen zu, damit es nicht mehr dung zuzuschieben, mit der es sich genauso zu solchen peinlichen Szenen kommt wie bei den so- schwertun wird wie wir. genannten Memminger Hexenprozessen, wo der Richter wegen Befangenheit abgelöst wurde. Er (Beifall bei Abgeordneten der SPD) hatte nämlich selber seine Freundin zum Schwanger- Noch einmal: Was not tut, sind keine wirklichkeits- schaftsabbruch angetrieben. fremden Auseinandersetzungen um ethische, reli- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist giöse oder ideologische Grundpositionen. Wir sind ja allerdings verwerflich!) wieder einmal mitten drin. Ich stimme den Anträgen zu, damit Bayern endlich (Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bundesgesetze und Bundesverfassungsgerichtsur- NEN]: Ja! Genau!) teile achtet. Was not tut, sind Rechtsfriede und das geduldige Be- Zum Schluß: Wer andere als Verfassungsfeinde be- mühen, auf der Basis der geltenden Bundesgesetze schimpft, muß sich natürlich fragen lassen, wie es er den betroffenen Frauen ein Austragen der Schwan- oder sie mit der Verfassung hält. Da schaut es zur gerschaft zu ermöglichen. Zeit in Bayern ja schwarz aus. Ich will in diesem Zusammenhang meine Grund- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne überzeugung wiederholen, daß nach allen geschicht- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE lichen Erfahrungen Verbote und Strafen Schwanger- GRÜNEN) schaftsabbrüche kaum verhindern. Ungeborenes Le- ben hat die größten Chancen, geborenes Leben zu werden, wenn die Frauen und jungen Familien Ver- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Die Kollegen Ro- trauen zum Leben und zur Zukunft haben. bert Antretter und Hube rt Hüppe haben Erklärungen - nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll ge- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne- geben. *) ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsa- men Antrag der Fraktionen der SPD und des Bünd- Das kann die Politik nicht allein bewirken; auch die nisses 90/Die Grünen zur Verschärfung des Schwan- Kirchen sind aufgefordert. Aber die Politik kann ih- geren- und Familienhilfeänderungsgesetzes des ren Teil dazu beitragen, und darauf sollte sie sich Bundes durch das Bayerische Schwangerenbera- konzentrieren. tungsgesetz und das Bayerische Schwangerenhilfe- Vielen Dank. ergänzungsgesetz auf Drucksache 13/4858. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Die Antragsteller verlangen namentliche Abstim- sowie bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE mung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- GRÜNEN und der PDS) führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Da das der Fall ist, eröffne ich die Abstimmung. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung Frau Bulling-Schrö- Ich frage: Haben alle abgestimmt? Können wir die ter. Abstimmung schließen? - Das scheint der Fall zu sein. Damit schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Eva Bulling-Schröter (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte kurz Bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbreche ich begründen, warum ich so stimme, wie ich stimme. die Sitzung. Dann folgt die zweite namentliche Ab- Ich werde beiden Anträgen zustimmen. Ich komme stimmung über den F.D.P.-Antrag. aus Bayern und lebe dort. Für mich ist das Verhalten (Unterbrechung von 18.07 bis 18.15 Uhr) der CSU in Bayern scheinheilig und frauenfeindlich. Ich meine, daß die Arroganz der Macht dieser Staats- regierung dazu führt, mißliebige Entscheidungen des Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen Bundesverfassungsgerichts zu mißachten und dann und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder passende Landesgesetze nachzuschieben. eröffnet. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne- Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über ten der SPD) den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bünd- nisses 90/Die Grünen, Drucksache 13/4858, liegt vor. Ich stimme deshalb für diese Anträge, weil ich Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- meine: Mit der Nichtbeachtung des Bundesrechts führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab- sollen in Bayern Frauen noch mehr als woanders ge- stimmung bekannt. Abgegebene Stimmen: 641. Mit gängelt werden, gegängelt werden von Männern, Ja haben gestimmt: 316. Mit Nein haben gestimmt: die genügend Geld haben, solche Probleme unkon- 264. Enthaltungen: 61. Der Antrag ist angenommen. ventionell und unbürokratisch zu lösen. Ich frage mich - damit möchte ich niemandem zu nahe treten -, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ob noch keiner der Anwesenden hier vor solch einer GRÜNEN und der PDS) Notlage stand. Bis jetzt hat es noch keiner zugege- ben. ') Anlagen 3 und 4 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9765

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Endgültiges Ergebnis Dr. Ingomar Hauchler Günter Oesinghaus Uta Titze-Stecher Dieter Heistermann Leyla Onur Adelheid Tröscher Abgegebene Stimmen: 639 Reinhold Hemker Manfred Opel Hans-Eberhard Urbaniak davon: Rolf Hempelmann Adolf Ostertag Siegfried Vergin Dr. Barbara Hendricks Kurt Palis Günter Verheugen ja: 316 Monika Heubaum Albrecht Papenroth Ute Vogt (Pforzheim) nein: 262 Uwe Hiksch Dr. Wilfried Penner Karsten D. Voigt (Frankfurt) enthalten: 61 Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Martin Pfaff Josef Vosen Stephan Hilsberg Georg Pfannenstein Hans Georg Wagner Gerd Höfer Dr. Eckhart Pick Hans Wallow Ja Jelena Hoffmann (Chemnitz) Joachim Poß Dr. Konstanze Wegner Frank Hofmann (Volkach) Rudolf Purps Wolfgang Weiermann Ingrid Holzhüter Karin Rehbock-Zureich Reinhard Weis (Stendal) SPD Erwin Horn Margot von Renesse Matthias Weisheit Eike Hovermann Renate Rennebach Gunter Weißgerber Brigitte Adler Lothar Ibrügger Otto Reschke Gert Weisskirchen (Wiesloch) Gerd Andres Wolfgang Ilte Dr. Edelbert Richter Jochen Welt Hermann Bachmaier Barbara Imhof Günter Rixe Hildegard Wester Ernst Bahr Brunhilde Irber Reinhold Robbe Lydia Westrich Doris Barnett Gabriele Iwersen Gerhard Rübenkönig Inge Wettig-Danielmeier Klaus Barthel Renate Jäger Dr. Hansjörg Schäfer Helmut Wieczorek (Duisburg) Ingrid Becker-Inglau Jann-Peter Janssen Gudrun Schaich-Walch Heidemarie Wieczorek-Zeul Wolfgang Behrendt Ilse Janz Dieter Schanz Dieter Wiefelspütz Hans Berger Dr. Uwe Jens Bernd Scheelen Berthold Wittich Hans-Werner Bertl Volker Jung (Düsseldorf) Dr. Hermann Scheer Dr. Wolfgang Wodarg Friedhelm Julius Beucher Sabine Kaspereit Siegfried Scheffler Verena Wohlleben Rudolf Bindig Susanne Kastner Horst Schild Hanna Wolf (München) Arne Börnsen (Ritterhude) Ernst Kastning Otto Schily Heidi Wright Anni Brandt-Elsweier Hans-Peter Kemper Dieter Schloten Uta Zapf Tilo Braune Klaus Kirschner Günter Schluckebier Dr. Christoph Zöpel Dr. Eberhard Brecht Marianne Klappert Horst Schmidbauer Peter Zumkley Edelgard Bulmahn Siegrun Klemmer (Nürnberg) Hans Martin Bury Hans-Ulrich Klose Ulla Schmidt (Aachen) Hans Büttner (Ingolstadt) Dr. Hans-Hinrich Knaape Dagmar Schmidt (Meschede) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Marion Caspers-Merk Walter Kolbow Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Wolf-Michael Catenhusen Fritz Rudolf Körper Regina Schmidt-Zadel Gila Altmann (Aurich) Peter Conradi Nicolette Kressl Heinz Schmitt (Berg) Elisabeth Altmann Dr. Herta Däubler-Gmelin Volker Kröning Dr. Emil Schnell (Pommelsbrunn) Christel Deichmann Thomas Krüger Walter Schöler Marieluise Beck (Bremen) Karl Diller Horst Kubatschka Ottmar Schreiner Volker Beck (Köln) Dr. Marliese Dobberthien Eckart Kuhlwein Gisela Schröter Angelika Beer Peter Dreßen Konrad Kunick Dr. Mathias Schubert Matthias Berninger Rudolf Dreßler Christine Kurzhals Richard Schuhmann Annelie Buntenbach Freimut Duve Dr. Uwe Küster (Delitzsch) Amke Dietert-Scheuer Ludwig Eich Werner Labsch Reinhard Schultz Franziska Eichstädt-Bohlig Peter Enders Brigitte Lange (Everswinkel) Dr. Uschi Eid Gernot Erler Detlev von Larcher Volkmar Schultz (Köln) Andrea Fischer (Berlin) Petra Ernstberger Waltraud Lehn Ilse Schumann Joseph Fischer (Frankfurt) Annette Faße Klaus Lennartz Dr. R. Werner Schuster Rita Grießhaber Elke Ferner Dr. Elke Leonhard Dietmar Schütz (Oldenburg) Gerald Häfner Lothar Fischer (Homburg) Klaus Lohmann (Witten) Dr. Angelica Schwall-Düren Kristin Heyne Gabriele Fograscher Christa Lörcher Ernst Schwanhold Ulrike Höfken Iris Follak Erika Lotz Rolf Schwanitz Michaele Hustedt Norbert Formanski Dr. Christine Lucyga Bodo Seidenthal Dr. Manuel Kiper Dagmar Freitag Dieter Maaß (Herne) Lisa Seuster Monika Knoche Anke Fuchs (Köln) Winfried Mante Horst Sielaff Dr. Angelika Köster-Loßack Katrin Fuchs (Verl) Dorle Marx Erika Simm Steffi Lemke Monika Ganseforth Ulrike Mascher Johannes Singer Vera Lengsfeld Norbert Gansel Christoph Matschie Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Helmut Lippelt Konrad Gilges Ingrid Matthäus-Maier Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Oswald Metzger Iris Gleicke Heide Mattischeck Wieland Sorge Kerstin Müller (Köln) Günter Gloser Markus Meckel Wolfgang Spanier Winfried Nachtwei Dr. Peter Glotz Ulrike Mehl Dr. Dietrich Sperling Christa Nickels Uwe Göllner Herbert Meißner Jörg-Otto Spiller Egbert Nitsch (Rendsburg) Angelika Graf (Rosenheim) Angelika Mertens Antje-Marie Steen Cern Özdemir Dieter Grasedieck Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Ludwig Stiegler Gerd Poppe Achim Großmann Ursula Mogg Dr. Peter Struck Simone Probst Karl Hermann Haack Siegmar Mosdorf Joachim Tappe Dr. Jürgen Rochlitz (Extertal) Michael Müller (Düsseldorf) Jörg Tauss Halo Saibold Hans-Joachim Hacker Jutta Müller (Völklingen) Dr. Bodo Teichmann Christine Scheel Klaus Hagemann Christian Müller (Zittau) Margitta Terborg Irmingard Schewe-Gerigk Manfred Hampel Volker Neumann (Bramsche) Jella Teuchner Rezzo Schlauch Christel Hanewinckel Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Gerald Thalheim Albert Schmidt (Hitzhofen) Alfred Hartenbach Dr. Edith Niehuis Wolfgang Thierse Wolfgang Schmitt Dr. Liesel Hartenstein Dr. Rolf Niese Dietmar Thieser (Langenfeld) Klaus Hasenfratz Doris Odendahl Franz Thönnes Ursula Schönberger 9766 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Waltraud Schoppe Peter Harry Carstensen Hans-Ulrich Köhler Rolf Rau Werner Schulz (Berlin) (Nordstrand) (Hainspitz) Helmut Rauber Marina Steindor Wolfgang Dehnel Norbert Königshof en Peter Harald Rauen Christian Sterzing Hubert Deittert Eva-Maria Kors Otto Regenspurger Manfred Such Gertrud Dempwolf Hartmut Koschyk Christa Reichard (Dresden) Dr. Antje Vollmer Albert Deß Manfred Koslowski Klaus Dieter Reichardt Ludger Volmer Renate Diemers Thomas Kossendey (Mannheim) Helmut Wilhelm (Amberg) Wilhelm Dietzel Rudolf Kraus Dr. Bertold Reinartz Margareta Wolf (Frankfurt) Werner Dörflinger Andreas Krautscheid Erika Reinhardt Hansjürgen Doss Arnulf Kriedner Hans-Peter Repnik Dr. Alfred Dregger Dr.-Ing. Paul Krüger Roland Richter PDS Wolfgang Engelmann Reiner Krziskewitz Roland Richwien Rainer Eppelmann Dr. Hermann Kues Dr. Norbert Rieder Wolfgang Bierstedt Jochen Feilcke Werner Kuhn Dr. Erich Riedl (München) Petra Bläss Dr. Karl H. Fell Dr. Karl A. Lamers Klaus Riegert Maritta Böttcher Ulf Fink (Heidelberg) Franz Romer Eva Bulling-Schröter Dirk Fischer (Hamburg) Karl Lamers Hannelore Rönsch Heinrich Graf von Einsiedel Leni Fischer (Unna) Dr. Norbert Lammert (Wiesbaden) Dr. Ludwig Elm Klaus Francke (Hamburg) Helmut Lamp Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Dagmar Enkelmann Herbert Frankenhauser Armin Laschet Dr. Klaus Rose Dr. Ruth Fuchs Dr. Gerhard Friedrich Herbert Lattmann Kurt J. Rossmanith Dr. Gregor Gysi Erich G. Fritz Dr. Paul Laufs Adolf Roth (Gießen) Hanns-Peter Hartmann Hans-Joachim Fuchtel Karl-Josef Laumann Norbert Röttgen Dr. Barbara Höll Michaela Geiger Werner Lensing Dr. Christian Ruck Dr. Willibald Jacob Norbert Geis Christian Lenzer Roland Sauer (Stuttgart) Ulla Jelpke Dr. Heiner Geißler Peter Letzgus Ortrun Schätzle Gerhard Jüttemann Michael Glos Editha Limbach Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Heidi Knake-Werner Dr. Reinhard Göhner Walter Link (Diepholz) Hartmut Schauerte Rolf Köhne Peter Götz Eduard Lintner Heinz Schemken Rolf Kutzmutz Dr. Wolfgang Götzer Dr. Klaus W. Lippold Karl-Heinz Scherhag Dr. Christa Luft Joachim Gres (Offenbach) Gerhard Scheu Heidemarie Lüth Kurt-Dieter Grill Wolfgang Lohmann Norbert Schindler Dr. Günther Maleuda Wolfgang Gröbl (Lüdenscheid) Ulrich Schmalz Manfred Müller (Berlin) Hermann Gröhe Julius Louven Christian Schmidt (Fürth) Rosel Neuhäuser Claus-Peter Grotz Sigrun Löwisch Dr.-Ing. Joachim Schmidt Dr. Uwe-Jens Rössel Manfred Grund Heinrich Lummer (Halsbrücke) Christina Schenk Horst Günther (Duisburg) Dr. Michael Luther Andreas Schmidt (Mülheim) Steffen Tippach Carl-Detlev Freiherr von Erich Maaß (Wilhelmshaven) Hans-Otto Schmiedeberg Klaus-Jürgen Warnick Hammerstein Erwin Marschewski Hans Peter Schmitz Dr. Winfried Wolf Gottfried Haschke Günter Marten (Baesweiler) Gerhard Zwerenz (Großhennersdorf) Dr. Martin Mayer Michael von Schmude Gerda Hasselfeldt (Siegertsbrunn) Dr. Andreas Schockenhoff Otto Hauser (Esslingen) Wolfgang Meckelburg Dr. Rupert Scholz Nein Hansgeorg Hauser Rudolf Meinl Reinhard Freiherr von (Rednitzhembach) Dr. Michael Meister Schorlemer Klaus-Jürgen Hedrich Dr. Angela Merkel Dr. Erika Schuchardt CDU/CSU Helmut Heiderich Friedrich Merz Wolfgang Schulhoff Manfred Heise Rudolf Meyer (Winsen) Dr. Dieter Schulte Ulrich Adam Ernst Hinsken Hans Michelbach (Schwäbisch Gmünd) Peter Altmaier Peter Hintze Dr. Gerd Müller Gerhard Schulz (Leipzig) Anneliese Augustin Josef Hollerith Elmar Müller (Kirchheim) Frederick Schulze Jürgen Augustinowitz Dr. Karl-Heinz Hornhues Engelbert Nelle Diethard Schütze (Berlin) Dietrich Austermann Siegfried Hornung Bernd Neumann (Bremen) Clemens Schwalbe Franz Peter Basten Joachim Hörster Johannes Nitsch Dr. Christian Schwarz- Dr. Wolf Bauer Hubert Hüppe Claudia Nolte Schilling Brigitte Baumeister Peter Jacoby Dr. Rolf Olderog Wilhelm Josef Sebastian Meinrad Belle Susanne Jaffke Friedhelm Ost Horst Seehofer Dr. Sabine Bergmann-Pohl Georg Janovsky Eduard Oswald Wilfried Seibel Dr. Joseph-Theodor Blank Helmut Jawurek Norbert Otto (Erfurt) Heinz-Georg Seiffert Renate Blank Dr. Dionys Jobst Dr. Gerhard Päselt Rudolf Seiters Dr. Heribert Blens Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Peter Paziorek Johannes Selle Peter Bleser Michael Jung (Limburg) Hans-Wilhelm Pesch Bernd Siebert Dr. Norbert Blüm Ulrich Junghanns Anton Pfeifer Jürgen Sikora Dr. Maria Böhmer Dr. Egon Jüttner Dr. Gero Pfennig Johannes Singhammer Jochen Borchert Dr. Harald Kahl Dr. Friedbert Pflüger Margarete Späte Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Bartholomäus Kalb Beatrix Philipp Carl-Dieter Spranger Wolfgang Bosbach Steffen Kampeter Dr. Winfried Pinger Wolfgang Steiger Dr. Wolfgang Bötsch Dr.-Ing. Dietmar Kansy Ronald Pofalla Erika Steinbach Klaus Brähmig Manfred Kanther Dr. Hermann Pohler Dr. Wolfgang Freiherr von Rudolf Braun (Auerbach) Irmgard Karwatzki Ruprecht Polenz Stetten Paul Breuer Volker Kauder Dr. Albert Probst Dr. Gerhard Stoltenberg Monika Brudlewsky Peter Keller Dr. Bernd Protzner Andreas Storm Georg Brunnhuber Eckart von Klaeden Dieter Pützhofen Max Straubinger Hartmut Büttner Dr. Bernd Klaußner Thomas Rachel Matthäus Strebl (Schönebeck) Hans Klein (München) Hans Raidel Michael Stübgen Dankward Buwitt Ulrich Klinkert Dr. Peter Ramsauer Egon Susset Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9767

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Rita Süssmuth Ich rufe die Zusatzpunkte 14 und 15 auf: Dr. Susanne Tiemann Michael Wonneberger Gottfried Tröger ZP 14 Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Dr. Klaus-Dieter Uelhoff tionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE Gunnar Uldall F.D.P. GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs Wolfgang Vogt (Düren) Ina Albowitz eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Gisela Babel des Abgeordnetengesetzes und eines Sieb- Dr. Theodor Waigel Hildebrecht Braun Alois Graf von Waldburg-Zeil zehnten Gesetzes zur Änderung des Europa- (Augsburg) abgeordnetengesetzes Dr. Jürgen Warnke Günther Bredehorn Kersten Wetzel Jörg van Essen - Drucksache 13/4840 - Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Dr. Olaf Feldmann (Erste Beratung 109. Sitzung) Gert Willner Gisela Frick Bernd Wilz Paul K. Friedhoff a) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Willy Wimmer (Neuss) Horst Fried rich schusses für Wahlprüfung, Immunität und Matthias Wissmann Rainer Funke Simon Wittmann Hans-Dietrich Genscher Geschäftsordnung (1. Ausschuß) (Tännesberg) Dr. Wolfgang Gerhardt - Drucksache 13/4872 - Elke Wülfing Joachim Günther (Plauen) Peter Kurt Würzbach Dr. Karlheinz Guttmacher Berichterstattung: Cornelia Yzer Dr. Helmut Haussmann Abgeordnete Dieter Wiefelspütz Wolfgang Zeitlmann Ulrich Heinrich Andreas Schmidt (Mülheim) Benno Zierer Walter Hirche Wolfgang Zöller Dr. Burkhard Hirsch Simone Probst Birgit Homburger Jörg van Essen Dr. Werner Hoyer Dr. Barbara Höll SPD Ulrich Irmer Roland Kohn - b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Robert Antretter Dr. Heinrich L. Kolb schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann - Drucksache 13/4873 - Enthalten Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine Leutheusser Berichterstattung: Schnarrenberger Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU Uwe Lühr Ina Albowitz Jürgen W. Möllemann Rudolf Purps Heinz Dieter Eßmann Günther Friedrich Nolting Oswald Metzger Horst Eylmann Dr. Rainer Ortleb Anke Eymer Lisa Peters ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Ilse Falk Dr. Klaus Röhl Conradi, Detlev von Larcher, Dr. Peter Struck, Wilma Glücklich Helmut Schäfer (Mainz) Günter Verheugen und der Fraktion der SPD Dr. Renate Hellwig Cornelia Schmalz-Jacobsen Änderung des Solidaritätszuschlaggesetzes Manfred Kolbe Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Wolfgang Krause Dr. Irmgard Schwaetzer 1995 (Dessau) Dr. Hermann Otto Solms - Drucksache 13/4841 - Dr. Manfred Lischewski Dr. Max Stadler Dr. Dietrich Mahlo Carl-Ludwig Thiele Zum Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag Ulrich Petzold Dr. Dieter Thomae der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des Bündnis- Angelika Pfeiffer Jürgen Türk Marlies Pretzlaff Dr. Wolfgang Weng ses 90/Die Grünen und der F.D.P. sowie ein weiterer Birgit Schnieber-Jastram (Gerlingen) Entschließungsantrag der Gruppe der PDS vor. Der Bärbel Sothmann Dr. Guido Westerwelle Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/4885 wurde zurückgezogen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den An- die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgese- trag der Fraktion der F.D.P. zur Einhaltung des bun- hen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch, wir verfah- deseinheitlichen Schwangeren- und Familienhilfeän- ren so. derungsgesetzes des Bundes durch die Bayerische Staatsregierung, Drucksache 13/4879. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kol- lege Andreas Schmidt. Die Fraktion der F.D.P. verlangt namentliche Ab- stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU): Frau Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- Ich eröffne die namentliche Abstimmung. ren! Wir debattieren einen interfraktionellen Gesetz- entwurf zum Thema Rechtsstellung der Abgeordne- Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkar- ten. Es ist ein gemeinsamer Gesetzentwurf von CDU/ ten abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Ich CSU, SPD, F.D.P. und Bündnis 90/Die Grünen. Ich schließe die Abstimmung. Das Ergebnis wird Ihnen begrüße es außerordentlich und ausdrücklich an die- später bekanntgegeben. ser Stelle, daß es zu diesem gemeinsamen Gesetzent- wurf gekommen ist; denn es ist in einer schwierigen Wir setzen die Beratungen fort. Ich bitte Sie, Platz Zeit ein Stück Wahrnehmung gemeinsamer Verant- zu nehmen. wortung zu diesem Thema. 9768 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Andreas Schmidt (Mülheim) Ich sage hier offen, daß dies auch in unserer Frak- Wir haben also mit diesem Gesetz einen zweifa- tion keine leichte Debatte und Diskussion war. Das chen Konsens erreicht: zum einen, daß wir jetzt in Ergebnis, der Gesetzentwurf, ist eine Abwägung der schwierigen wirtschaftlichen Situation einen Bei- zwischen der Kenntnis von der Notwendigkeit einer trag zu Verzicht und Sparsamkeit leisten, zum ande- angemessenen Entschädigung für Abgeordnete und ren, daß wir gemeinsam sagen, das Verfassungsge- der Erkenntnis, daß wir in dieser Zeit als Abgeord- bot einer angemessenen Entschädigung für Abge- nete auch einen Beitrag zum Sparen leisten müssen. ordnete müsse erreicht werden. Auch sagen wir ge- meinsam, wo diese angemessene Entschädigung lie- Wir stehen als CDU/CSU und F.D.P. für das Pro- gen soll. gramm für Wachstum und Beschäftigung. Das heißt auch, daß wir von den Bürgerinnen und Bürgern Ver- Ein Satz noch zum Thema Glaubwürdigkeit: Wir zicht und Einschränkung forde rn. Wer dies aber von haben ja - darüber wird eigentlich viel zuwenig ge- den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land ver- schrieben - im Dezember 1995 ein Gesamtreformpa- langt, muß als Politiker, als Parlamentarier auch ket beschlossen und haben auch gesagt, daß wir den selbst einen Beitrag leisten. Deswegen schlagen wir Bundestag im Jahre 2002 verkleinern werden. Wie es vor, die im Dezember 1995 beschlossene Diätenan- im Moment aussieht, werden wir noch vor der Som- passung in mehreren Stufen hin zu einer angemesse- merpause diesen Verkleinerungsbeschluß in Geset- nen Entschädigung um ein Jahr zu verschieben. Wir zesform gießen, so daß es sicher sein wird, daß er im halten dies in der jetzigen Situation für einen ange- Jahr 2002 Realität werden wird. messenen Beitrag. Ich will aber an dieser Stelle auch Abschließend will ich in dieser ja nicht ganz einfa- erklären, daß ich dezidiert dafür bin, daß wir das Ziel chen Debatte den Appell an uns alle richten, auf einer angemessenen Entschädigung nicht aufgeben Grund unserer gemeinsamen Verantwortung zu er- und im nächsten Jahr gemeinsam dafür sorgen soll- kennen, daß das Thema Diäten für eine Partei oder ten, daß das Gesetz beibehalten wird. eine Fraktion nicht geeignet ist, sich aus opportuni- stischen Gründen auf Kosten des Parlaments zu pro- (Lachen des Abg. Peter Conradi [SPD] - filieren. Statt dessen sollten wir gemeinsam eine of- Unruhe bei der SPD) fensive Auseinandersetzung mit einer ja vorhande- nen außer- und antiparlamentarischen Kampagne Der Gesetzentwurf ist das Ergebnis eines zügigen führen, die auf die Abgeordneten zielt, aber in Wahr- und ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahrens. heit den Parlamentarismus und damit die parlamen- Deswegen möchte ich auch an dieser Stelle den in tarische Demokratie treffen will. vielen Berichten und Presseartikeln erhobenen Vor- wurf zurückweisen, das Gesetzgebungsverfahren Wer den Abgeordneten des Deutschen Bundesta- und die Entscheidung hätten zu lange gedauert. ges Abzockermentalität, wie es der „Spiegel" ge- Wenn wir zum gleichen Thema ein Erhöhungsgesetz macht hat, vorwirft, der hat jeden Anspruch auf Se- im gleichen Tempo gemacht hätten, dann hätten uns riosität verloren. die gleichen Kommentatoren nicht Schneckentempo, sondern ein Hauruckverfahren vorgeworfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P und der SPD) Meine Damen und Herren, wir legen gleichzeitig Diese Sprache entlarvt sich selbst, weil sie offenkun- einen interfraktionellen Entschließungsantrag vor. Er dig und wider besseres Wissen gewählt wird und da- beinhaltet einen Appell an alle hauptberuflichen mit bewußt in Kauf genommen wird, die parlamenta- Amts- und Mandatsträger in Bund, Ländern und Ge- rische Demokratie zu beschädigen. Ich appelliere da- meinden sowie öffentlichen Einrichtungen, sich her an alle Fraktionen, den Konsens, den wir jetzt ge- ebenfalls solidarisch zu zeigen und einen Beitrag funden haben, auch dazu zu nutzen, sich gemeinsam zum Sparen zu leisten. Dies ist ein guter Antrag; dieser Kampagne gegen das Parlament und die Ab- denn die Abgeordneten können es nicht alleine ma- geordneten entgegenzustellen. chen, wenn es um das Sparen geht. Politik für Wachstum und Beschäftigung braucht viele Signale Vielen Dank. für Sparsamkeit und Zurückhaltung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen, und der SPD) daß wir mit diesem interfraktionellen Antrag eine neue Gemeinsamkeit erreicht haben, die es bisher Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Bevor ich dem zumindest mit der F.D.P. und auch mit Bündnis 90/ nächsten Redner das Wo rt gebe, gebe ich das von Die Grünen in diesen Fragen nicht gegeben hat. Sie den Schriftführern und Schriftführerinnen ermit- wissen, daß das frühere Abgeordnetengesetz nur mit telte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Stimmen der CDU/CSU und der SPD beschlos- den Antrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache sen worden ist. Die F.D.P.-Fraktion und auch die Grü- 13/4879 bekannt. Abgegebene Stimmen: 638. Mit nen erkennen mit diesem gemeinsamen Gesetz zum Ja haben gestimmt 349, mit Nein haben gestimmt erstenmal an, daß eine angemessene Entschädigung 249, Enthaltungen 40. Der Antrag ist angenom- für Bundestagsabgeordnete sich ungefähr an Gehäl- men. tern von Bundesrichtern orientiert. Dies ist eine neue Situation, die ich ausdrücklich begrüße. F.D.P. und (Beifall bei der SPD, der F.D.P. und dem Bündnis 90/Die Grünen haben sich hier auf die gro- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei ßen Parteien zubewegt. Abgeordneten der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9769

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Endgültiges Ergebnis Hans-Joachim Hacker Jutta Müller (Völklingen) Dr. Bodo Teichmann Klaus Hagemann Christian Müller (Zittau) Margitta Terborg Abgegebene Stimmen: 638 Manfred Hampel Volker Neumann (Bramsche) Jella Teuchner davon Christel Hanewinckel Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Gerald Thalheim Alfred Hartenbach Dr. Edith Niehuis Wolfgang Thierse ja: 348 Dr. Liesel Hartenstein Dr. Rolf Niese Dietmar Thieser nein: 250 Klaus Hasenfratz Doris Odendahl Franz Thönnes enthalten: 40 Dr. Ingomar Hauchler Günter Oesinghaus Uta Titze-Stecher Dieter Heistermann Leyla Onur Adelheid Tröscher Reinhold Hemker Manfred Opel Hans-Eberhard Urbaniak Ja Rolf Hempelmann Adolf Ostertag Siegfried Vergin Dr. Barbara Hendricks Kurt Palis Günter Verheugen Monika Heubaum Albrecht Papenroth Ute Vogt (Pforzheim) CDU/CSU Uwe Hiksch Dr. Winfried Penner Karsten D. Voigt (Frankfurt) Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Martin Pfaff Josef Vosen Wolfgang Dehnel Stephan Hilsberg Georg Pfannenstein Hans Georg Wagner Dr. Renate Hellwig Gerd Höfer Dr. Eckhart Pick Hans Wallow Wolfgang Krause (Dessau) Jelena Hoffmann (Chemnitz) Joachim Poß Dr. Konstanze Wegner Gerhard Schulz (Leipzig) Frank Hofmann (Volkach) Rudolf Purps Wolfgang Weiermann Michael Wonneberger Ingrid Holzhüter Karin Rehbock-Zureich Reinhard Weis (Stendal) Erwin Horn Renate Rennebach Matthias Weisheit Eike Hovermann Otto Reschke Gunter Weißgerber SPD Lothar Ibrügger Bernd Reuter Gert Weisskirchen (Wiesloch) Wolfgang Ilte Dr. Edelbert Richter Jochen Welt Brigitte Adler Barbara Imhof Günter Rixe Hildegard Wester Gerd Andres Brunhilde Irber Reinhold Robbe Lydia Westrich Hermann Bachmaier Gabriele Iwersen Gerhard Rübenkönig Inge Wettig-Danielmeier Ernst Bahr Renate Jäger Dr. Hansjörg Schäfer Helmut Wieczorek (Duisburg) Doris Barnett Jann-Peter Janssen Gudrun Schaich-Walch Heidemarie Wieczorek-Zeul Klaus Barthel Ilse Janz Dieter Schanz Dieter Wiefelspütz Ingrid Becker-Inglau Dr. Uwe Jens Bernd Scheelen Berthold Wittich Wolfgang Behrendt Volker Jung (Düsseldorf) Dr. Hermann Scheer Dr. Wolfgang Wodarg Hans Berger Sabine Kaspereit Siegfried Scheffler Verena Wohlleben Hans-Werner Bertl Susanne Kastner Horst Schild Hanna Wolf (München) Friedhelm Julius Beucher Ernst Kastning Otto Schily Heidi Wright Rudolf Bindig Hans-Peter Kemper Dieter Schloten Uta Zapf Arne Börnsen (Ritterhude) Klaus Kirschner Günter Schluckebier Peter Zumkley Anni Brandt-Elsweier Marianne Klappert Horst Schmidbauer Tilo Braune Siegrun Klemmer (Nürnberg) Dr. Eberhard Brecht Hans-Ulrich Klose Ulla Schmidt (Aachen) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Edelgard Bulmahn Dr. Hans-Hinrich Knaape Dagmar Schmidt (Meschede) Hans Martin Bury Walter Kolbow Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Gila Altmann (Aurich) Hans Büttner (Ingolstadt) Fritz Rudolf Körper Regina Schmidt-Zadel Elisabeth Altmann Marion Caspers-Merk Nicolette Kressl Heinz Schmitt (Berg) (Pommelsbrunn) Wolf-Michael Catenhusen Volker Kröning Dr. Emil Schnell Marieluise Beck (Bremen) Peter Conradi Thomas Krüger Walter Schöler Volker Beck (Köln) Christel Deichmann Horst Kubatschka Ottmar Schreiner Angelika Beer Karl Diller Eckart Kuhlwein Gisela Schröter Matthias Berninger Dr. Marliese Dobberthien Konrad Kunick Dr. Mathias Schubert Annelie Buntenbach Peter Dreßen Christine Kurzhals Richard Schuhmann Amke Dietert-Scheuer Rudolf Dreßler Dr. Uwe Küster (Delitzsch) Franziska Eichstädt-Bohlig Freimut Duve Werner Labsch Reinhard Schultz Dr. Uschi Eid Ludwig Eich Brigitte Lange (Everswinkel) Andrea Fischer (Berlin) Peter Enders Detlev von Larcher Volkmar Schultz (Köln) Joseph Fischer (Frankfurt) Gernot Erler Waltraud Lehn Ilse Schumann Rita Grießhaber Petra Ernstberger Klaus Lennartz Dr. R. Werner Schuster Gerald Häfner Annette Faße Dr. Elke Leonhard Dietmar Schütz (Oldenburg) Kristin Heyne Elke Ferner Klaus Lohmann (Witten) Dr. Angelica Schwall-Düren Ulrike Höfken Lothar Fischer (Homburg) Christa Lörcher Ernst Schwanhold Michaele Hustedt Gabriele Fograscher Erika Lotz Rolf Schwanitz Dr. Manuel Kiper Iris Follak Dr. Christine Lucyga Bodo Seidenthal Dr. Angelika Köster-Loßack Dagmar Freitag Dieter Maaß (Herne) Lisa Seuster Steffi Lemke Anke Fuchs (Köln) Winfried Mante Horst Sielaff Vera Lengsfeld Katrin Fuchs (Verl) Dorle Marx Erika Simm Dr. Helmut Lippelt Monika Ganseforth Ulrike Mascher Johannes Singer Oswald Metzger Norbert Gansel Christoph Matschie Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Kerstin Müller (Köln) Konrad Gilges Ingrid Matthäus-Maier Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Winfried Nachtwei Iris Gleicke Heide Mattischeck Wieland Sorge Christa Nickels Günter Gloser Markus Meckel Wolfgang Spanier Egbert Nitsch (Rendsburg) Dr. Peter Glotz Ulrike Mehl Dr. Dietrich Sperling Cern Özdemir Uwe Göllner Herbert Meißner Jörg-Otto Spiller Gerd Poppe Angelika Graf (Rosenheim) Angelika Mertens Antje-Marie Steen Simone Probst Dieter Grasedieck Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Ludwig Stiegler Dr. Jürgen Rochlitz Achim Großmann Ursula Mogg Dr. Peter Struck Halo Saibold Karl Hermann Haack Siegmar Mosdorf Joachim Tappe Christine Scheel (Extertal) Michael Müller (Düsseldorf) Jörg Tauss Rezzo Schlauch 9770 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Albert Schmidt (Hitzhofen) Dr. Gregor Gysi Wolfgang Gröbl Erich Maaß (Wilhelmshaven) Wolfgang Schmitt Hanns-Peter Hartmann Hermann Gröhe Dr. Dietrich Mahlo (Langenfeld) Gerhard Jüttemann Claus-Peter Grotz Erwin Marschewski Ursula Schönberger Dr. Günther Maleuda Manfred Grund Dr. Martin Mayer Waltraud Schoppe Manfred Müller (Berlin) Horst Günther (Duisburg) (Siegertsbrunn) Werner Schulz (Berlin) Dr. Uwe-Jens Rössel Carl-Detlev Freiherr von Wolfgang Meckelburg Marina Steindor Klaus-Jürgen Warnick Hammerstein Rudolf Meinl Christian Sterzing Gerhard Zwerenz Gottfried Haschke Dr. Michael Meister Manfred Such (Großhennersdorf) Rudolf Meyer (Winsen) Dr. Antje Vollmer Gerda Hasselfeldt Hans Michelbach Ludger Volmer Nein Otto Hauser (Esslingen) Dr. Gerd Müller Helmut Wilhelm (Amberg) Hansgeorg Hauser Elmar Müller (Kirchheim) Margareta Wolf (Frankfurt) (Rednitzhembach) Engelbert Nelle CDU/CSU Klaus-Jürgen Hedrich Bernd Neumann (Bremen) Helmut Heiderich Johannes Nitsch F.D.P. Ulrich Adam Manfred Heise Claudia Nolte Peter Altmaier Ernst Hinsken Dr. Rolf Olderog Ina Albowitz Anneliese Augustin Peter Hintze Friedhelm Ost Dr. Gisela Babel Jürgen Augustinowitz Josef Hollerith Eduard Oswald Hildebrecht Braun Dietrich Austermann Dr. Karl-Heinz Hornhues Norbert Otto (Erfurt) (Augsburg) Franz Peter Basten Siegfried Hornung Dr. Gerhard Päselt Günther Bredehorn Dr. Wolf Bauer Joachim Hörster Dr. Peter Paziorek Jörg van Essen Brigitte Baumeister Hubert Hüppe Hans-Wilhelm Pesch Dr. Olaf Feldmann Meinrad Belle Peter Jacoby Anton Pfeifer Gisela Frick Dr. Sabine Bergmann-Pohl Susanne Jaffke Dr. Gero Pfennig Paul K. Friedhoff Dr. Joseph-Theodor Blank Georg Janovsky Dr. Friedbert Pflüger Horst Fried rich Renate Blank Helmut Jawurek Beatrix Philipp Rainer Funke Dr. Heribert Blens - Dr. Dionys Jobst Dr. Winfried Pinger Hans-Dietrich Genscher Peter Bleser Dr.-Ing. Rainer Jork Ronald Pofalla Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Norbert Blüm Michael Jung (Limburg) Dr. Hermann Pohler Joachim Günther (Plauen) Dr. Maria Böhmer Dr. Egon Jüttner Ruprecht Polenz Dr. Karlheinz Guttmacher Jochen Borchert Dr. Harald Kahl Dr. Albert Probst Dr. Helmut Haussmann Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Bartholomäus Kalb Dr. Bernd Protzner Ulrich Heinrich Wolfgang Bosbach Steffen Kampeter Dieter Pützhofen Walter Hirche Dr. Wolfgang Bötsch Dr.-Ing. Dietmar Kansy Thomas Rachel Dr. Burkhard Hirsch Klaus Brähmig Manfred Kanther Hans Raidel Birgit Homburger Rudolf Braun (Auerbach) Volker Kauder Dr. Peter Ramsauer Dr. Werner Hoyer Paul Breuer Peter Keller Rolf Rau Ulrich Irmer Monika Brudlewsky Eckart von Klaeden Helmut Rauber Detlef Kleinert (Hannover) Georg Brunnhuber Dr. Bernd Klaußner Peter Harald Rauen Roland Kohn Hartmut Büttner Hans Klein (München) Otto Regenspurger Dr. Heinrich L. Kolb (Schönebeck) Ulrich Klinkert Christa Reichard (Dresden) Jürgen Koppelin Dankward Buwitt Norbert Königshof en Klaus Dieter Reichardt Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Peter Harry Carstensen Eva-Maria Kors (Mannheim) Dr. Otto Graf Lambsdorff (Nordstrand) Hartmut Koschyk Dr. Bertold Reinartz Sabine Leutheusser Hubert Deittert Manfred Koslowski Erika Reinhardt Schnarrenberger Gertrud Dempwolf Thomas Kossendey Hans-Peter Repnik Uwe Lühr Albert Deß Rudolf Kraus Roland Richter Jürgen W. Möllemann Renate Diemers Andreas Krautscheid Roland Richwien Günther Friedrich Nolting Wilhelm Dietzel Arnulf Kriedner Dr. Norbert Rieder Dr. Rainer Ortleb Werner Dörflinger Dr.-Ing. Paul Krüger Dr. Erich Riedl (München) Lisa Peters Hansjürgen Doss Reiner Krziskewitz Klaus Riegert Dr. Klaus Röhl Dr. Alfred Dregger Dr. Hermann Kues Franz Romer Helmut Schäfer (Mainz) Maria Eichhorn Werner Kuhn Hannelore Rönsch Cornelia Schmalz-Jacobsen Wolfgang Engelmann Dr. Karl A. Lamers (Wiesbaden) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Rainer Eppelmann (Heidelberg) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Irmgard Schwaetzer Heinz Dieter Eßmann Karl Lamers Dr. Klaus Rose Dr. Hermann Otto Solms Jochen Feilcke Dr. Norbert Lammert Kurt J. Rossmanith Dr. Max Stadler Dr. Karl H. Fell Helmut Lamp Adolf Roth (Gießen) Carl-Ludwig Thiele Ulf Fink Armin Laschet Norbert Röttgen Dr. Dieter Thomae Dirk Fischer (Hamburg) Herbert Lattmann Dr. Christian Ruck Jürgen Türk Leni Fischer (Unna) Dr. Paul Laufs Roland Sauer (Stuttgart) Dr. Wolfgang Weng Klaus Francke (Hamburg) Karl-Josef Laumann Ortrun Schätzle (Gerlingen) Herbert Frankenhauser Werner Lensing Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Guido Westerwelle Dr. Gerhard F riedrich Christian Lenzer Hartmut Schauerte Erich G. Fritz Peter Letzgus Heinz Schemken Hans-Joachim Fuchtel Walter Link (Diepholz) Karl-Heinz Scherhag PDS Michaela Geiger Eduard Lintner Gerhard Scheu Norbert Geis Dr. Klaus W. Lippold Norbert Schindler Wolfgang Bierstedt Dr. Heiner Geißler (Offenbach) Ulrich Schmalz Maritta Böttcher Michael Glos Wolfgang Lohmann Christian Schmidt (Fürth) Eva Bulling-Schröter Dr. Reinhard Göhner (Lüdenscheid) Andreas Schmidt (Mülheim) Heinrich Graf von Einsiedel Peter Götz Julius Louven Hans Peter Schmitz Dr. Ludwig Elm Dr. Wolfgang Götzer Sigrun Löwisch (Baesweiler) Dr. Dagmar Enkelmann Joachim Gres Heinrich Lummer Michael von Schmude Dr. Ruth Fuchs Kurt-Dieter Grill Dr. Michael Luther Dr. Andreas Schockenhoff Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9771

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Dr. Rupert Scholz Enthalten gungen zum Ausdruck bringen will und auch muß, Reinhard Freiherr von nicht unbedingt zu den angenehmsten Seiten meiner Schorlemer bisherigen Tätigkeit im Deutschen Bundestag gehört. Dr. Erika Schuchardt CDU/CSU Ich gebe das deswegen zu, weil ich in den vergange- Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte Horst Eylmann nen Tagen manchmal das Gefühl hatte, daß ich an- (Schwäbisch Gmünd) Anke Eymer läßlich von Diskussionen und Verhandlungen so ein Frederick Schulze Ilse Falk ganz klein wenig das Herz und die Seele meiner Kol- Clemens Schwalbe Wilma Glücklich leginnen und Kollegen berührt, vielleicht sogar her- Dr. Christian Schwarz Ulrich Junghanns ausgerissen habe. Ich bitte dafür ausdrücklich um Schilling Irmgard Karwatzki Nachsicht und Verständnis. Wilhelm Josef Sebastian Hans-Ulrich Köhler Horst Seehofer (Hainspitz) Dennoch sage ich sehr deutlich: Es geht nicht an- Wilfried Seibel Manfred Kolbe ders. Wir werden heute einen Beschluß, der die Erhö- Heinz-Georg Seiffert Editha Limbach hung der Abgeordnetendiäten aufschiebt, fassen Dr. Manfred Lischewski Rudolf Seiters und auch fassen müssen, wie ich finde. Von daher ist Johannes Selle Dr. Angela Merkel Bernd Siebert Ulrich Petzold dieser Zwiespalt, den ich persönlich empfinde, hier Jürgen Sikora Angelika Pfeiffer ganz besonders zu überwinden. Auch das ist manch- Johannes Singhammer Marlies Pretzlaff mal Politik. Warum denn eigentlich auch nicht? Wir Margarete Späte Dr.-Ing. Joachim Schmidt sind nicht nur für Schönwetterphasen und für die Be- Carl-Dieter Spranger (Halsbrücke) schäftigung mit schwierigen Themen, die dann am Wolfgang Steiger Hans-Otto Schmiedeberg Ende doch gut ausgehen, gewählt, sondern wir sind Erika Steinbach Birgit Schnieber-Jastram Bärbel Sothmann auch dazu gewählt, das eine oder andere über die Dr. Wolfgang Freiherr von Bühne der politischen Auseinandersetzungen zu Stetten Dr. Rita Süssmuth Dr. Gerhard Stoltenberg Gert Willner bringen, das uns manchmal beileibe keinen Spaß Andreas Storm Matthias Wissmann - macht. Peter Kurt Max Straubinger Würzbach Matthäus Strebl Ich glaube allerdings, draußen im Lande gibt es Michael Stübgen viele hunderttausend Menschen, denen die gerade SPD Egon Susset laufende Debatte auch keinen Spaß macht. Denen Michael Teiser Dr. Herta Däubler-Gmelin muten wir, und zwar alle, eine gehörige Po rtion Bela- Dr. Susanne Tiemann Norbert Formanski stung zu auf kommunaler Ebene, auf Länderebene Gottfried Tröger Margot von Renesse und vielleicht auch auf der Bundesebene. Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Ich will hier sehr eindeutig auf die Bundesebene Wolfgang Vogt (Düren) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN eingehen und meinem Vorredner Andreas Schmidt Dr. Horst Waffenschmidt widersprechen: Dies wollen wir nicht mitmachen. Dr. Theodor Waigel Monika Knoche Was heute passiert, darf keine Grundlage dafür sein, Alois Graf von Waldburg-Zeil Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Jürgen Warnke die Kürzungsschweinereien des sogenannten Be- Kersten Wetzel schäftigungs- und Wachstumsprogramms der Regie- Hans-Otto Wilhelm (Mainz) PDS rung und der Koalition zu untermauern oder mitzu- Bernd Wilz machen. Willy Wimmer (Neuss) Petra Bläss Simon Wittmann Dr. Barbara Höll (Beifall bei der SPD) (Tännesberg) Dr. Willibald Jacob Elke Wülfing Ulla Jelpke Nicht mit mir und nicht mit uns! Deswegen sei zu Be- Cornelia Yzer Dr. Heidi Knake-Werner ginn auch sehr deutlich angemerkt, daß wir hier Wolfgang Zeitlmann Rolf Köhne nicht im entferntesten einen Begründungsstrang Benno Zierer Rolf Kutzmutz mittragen oder liefern, der eine Argumentationshilfe Wolfgang Zöller Dr. Christa Luft für dieses Programm, das ich unsolide, unsozial und Heidemarie Lüth ungerecht nenne, darstellt. Rosel Neuhäuser SPD Christina Schenk Meine Damen und Herren, es geht nicht nur um Steffen Tippach die Bundesebene. Ich bin wie viele andere - eigent- Robert Antretter Dr. Winfried Wolf lich wie alle anderen - auch in der Landes- und in der Kommunalpolitik zu Hause. Wir sind das als Bun- destagsabgeordnete gewohnt. Wir kommen über- Das Wort hat jetzt der Kollege Wilhelm Schmidt. haupt nicht mehr daran vorbei, allen anderen auch in dieser Zeit sagen zu müssen: Wir sind an der einen oder anderen Stelle gezwungen, auch wenn es uns Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe leid und weh tut, Kürzungen vorzunehmen. Darum Kolleginnen und Kollegen! Die Umstände im Zusam- haben wir auch als Abgeordnete die Pflicht, einen menhang mit den eben erfolgten Abstimmungen Beitrag zu leisten, und zwar ganz allgemein, ohne sind aus meiner persönlichen Sicht sehr erfreulich. Rückkopplung auf eine ganze spezielle Vorgehens- weise oder einen ganz speziellen Vorgang hier im Ich will gerne dem Haus und insbesondere meinen Hause, einen Beitrag, der der Zeit angemessen ist, Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion ge- der der Aufgabe entspricht, der wir uns stellen, und genüber zugestehen, daß das, was ich heute mit mei- die wir dann auch insgesamt erfüllen wollen und er- ner fünften Rede zu den Abgeordnetenentschädi füllen müssen. 9772 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Daß das in den vergangenen Tagen und Wochen wann endlich glaubt man uns das? -: Diejenigen, die manchmal sehr holprig gelaufen ist, auch dafür muß 1977 als Bundestagsabgeordnete mit 7 500 DM Ein- ich um Nachsicht bitten. Ich finde, das ist alles nicht kommen gestartet sind - ich will Ihnen das noch ein- so gewesen, wie man untereinander manchmal um- mal mit den Zahlen in Erinnerung rufen -, haben in zugehen gewohnt ist. diesen 18 Jahren einen Zuwachs von 50,7 Prozent bei neun Nullrunden gehabt; 41,92 Prozent kumulativ, (Zuruf von der F.D.P.: Weiß Gott nicht!) 50,7 Prozent insgesamt, nämlich jetzt 11 300 DM. Dennoch war es erforderlich, daß wir uns fraktions- In der gleichen Zeit konnten diejenigen, die als Be- intern, fraktionsübergreifend auseinandersetzen, um amte in diesem Staate tätig sind, einen Einkommens- dann diesen schwierigen Weg zu beschreiten. zuwachs von 65,2 Prozent verzeichnen; wenn man al- Ich will auch wie Andreas Schmidt vor mir darauf les zusammenrechnet, sogar einen weit höheren von hinweisen, daß wir dadurch, daß die Grünen und die 89,4 Prozent. Der Beamte, der 1977 mit 7 500 DM ge- F.D.P. jetzt diesen interfraktionellen Antrag unter- startet wäre, hätte heute ein Gesamteinkommen von stützen, ein gutes Stück Gemeinsamkeit auch nach 14 200 DM. Dies ist im Verhältnis zu uns - 11 300 draußen zeigen, die es im Mai, Kollege Häfner, noch DM - zu sehen. nicht gegeben hat. Ich bitte noch einmal um Ver- Man muß sich bitte schön in Erinnerung rufen, daß ständnis dafür, daß ich seinerzeit ganz scharf insbe- die Rentner, die Sozialhilfeempfänger, die leitenden sondere auf den damals allein vorliegenden Antrag Angestellten und die normalen Angestellten im Au- der Grünen eingegangen bin. Ich stehe zu dem, was ßenhandel und Einzelhandel, wo auch immer, in die- ich damals gesagt habe - bis auf einzelne Kleinigkei- sen Jahren einen Einkommenszuwachs von über ten, die vielleicht etwas sehr personalisiert waren. 130 Prozent hatten. Dies war doch die Begründung Das Entscheidende aber ist: Sie haben, wie ich dafür, daß wir im Dezember 1995 den Schritt einer heute noch finde, seinerzeit einfach zu früh und ge- Erhöhung um 9 Prozent mit weiteren drei Steige- wissermaßen im vorauseilenden Gehorsam dieses rungsstufen, die wir uns für die darauffolgenden Problem, dieses Thema angepackt, und Sie haben Jahre vorbehalten hatten, vereinbart haben. Ich uns, das ganze Haus, damit noch mehr unter Druck stehe dazu. gesetzt, um dann am Ende tatsächlich nur noch kon- Trotz der Grundsatzentscheidung sage ich heute, statieren zu können: Es geht nicht mehr anders. Ob daß wir die erste Stufe verschieben wollen. Dennoch es uns nun leid tut oder nicht, mag dahingestellt blei- wollen wir die angemessene Entschädigung, die wir ben. im Dezember festgesetzt haben, erreichen, wenn Von daher, glaube ich, ist es wirklich nicht nur gut, auch später, nämlich im Januar 1999. sondern auch wichtig, daß wir hier - in gewisser Hin- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sicht jedenfalls - Solidarität üben in einem Grund- konsens - bei allen Abweichungen, die ich durchaus - Ob das tatsächlich der Fall sein wird? Liefern Sie auch verstehen will; das ist doch überhaupt nicht die den mißgünstigen Journalisten nicht gleich wieder Frage -, der das Haus draußen wieder als das Parla- selber eine Vorlage! Lassen Sie uns dies heute ein- ment insgesamt dastehen läßt. Das ist deswegen nö- fach als unseren Wunsch und festen Willen feststel- tig, weil wir auch das Ansehen des Parlamentes im len! Daran zu erinnern, glaube ich, ist richtig. Auge haben müssen, und zwar unisono in der Ge- samtheit. Wir hätten dies nach meiner Einschätzung Darüber hinaus will ich auch daran erinnern, daß wir uns mit weiteren Themen auseinandergesetzt ha- noch mehr verletzt, als es ohnehin in den vergange- ben. Die Diätenerhöhung, über die immer isoliert dis- nen Wochen geschehen ist, vielleicht auch durch kutiert wird, ist doch nur ein Teil des Gesamtpakets, manches Zögern und Taktieren oder wie immer das über das dieses Haus im übrigen noch immer debat- bezeichnet werden mag. tiert. Machen wir doch endlich der Öffentlichkeit, vor Wir sind jetzt an einem Punkt, wo wir zunächst allen Dingen den Journalisten, in angemessener noch einmal festzustellen haben - ich jedenfalls für Form klar, daß wir im Rahmen der Parlamentsreform mich und für die SPD-Fraktion -, daß das, was im De- schon eine ganze Menge geschafft haben und noch zember 1995 mit großer Mehrheit in diesem Hause Weiteres schaffen wollen. Es geht nicht nur um die beschlossen worden ist, nicht etwas für den Papier- Verkleinerung des Parlaments, die wir jetzt - wie ich korb war, daß wir das mit großer Überzeugung getra- finde: zu Recht - in dem Maße angehen, wie wir es gen haben und daß dies auch noch Bestand hat. Das uns vorgenommen haben; das ist mittlerweile sehr will ich unterstreichen. Ich will das deswegen unter- konkret. streichen, weil wir bei allen Veränderungen, die wir Daß wir die Offenlegung von Nebeneinkünften heute vornehmen, trotzdem die Grundüberzeugung und Nebentätigkeiten im Geschäftsordnungsaus- tragen, daß wir eine angemessene Entschädigung schuß dieses Hauses - der Kollege Wiefelspütz als brauchen, die wir im Dezember 1995 festgesetzt ha- Vorsitzender dieses Ausschusses ist hier anwesend - ben. anpacken, weiß inzwischen auch jeder. Daß wir dar- Lassen Sie mich das auch in Erkenntnis der Tatsa- über hinaus im Bereich der Abgeordnetenentschädi- che, daß gestern in einer großen deutschen Tageszei- gung Kürzungen bei Versorgungen, Übergangsgel- tung wieder eine Statistik veröffentlicht worden ist, dern und anderem vorgesehen haben, sei noch zu- die nicht nur polemisch, sondern auch irreführend sätzlich erwähnt. Ich will diesen Dingen nicht hinter- ist, noch einmal geraderücken. Es ist doch festzustel- herweinen, sondern möchte dies nur für die Öffent- len, was wir nun schon mehrere Male getan haben - lichkeit sehr deutlich machen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9773 Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Das ist keine Zustimmung zu Kürzungsbeschlüs- werden muß, in einer Zeit, in der der Großteil der Be- sen der Koalition. Trotz allem wollen und werden wir völkerung Reallohnverzichte hinnehmen muß, in ei- unseren Beitrag leisten. ner solchen Zeit kann es nicht angehen und kann es auch im Sinne und im gemeinsamen Interesse dieses Ich bitte um Verständnis dafür, daß wir heute auf Parlamentes nicht gutgehen, die Diäten für die Ab- diese Weise miteinander umgehen. Zudem bitte ich geordneten des Deutschen Bundestages um 525 DM um die Zustimmung des ganzen Hauses. heraufzusetzen, nachdem sie schon im Vorjahr, vor Vielen Dank. genau 8 Monaten, um beinahe 1 000 DM erhöht wor- den sind. Das kann nicht gutgehen, und das kann (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auch nicht richtig sein. Das paßt nicht in die politi- sche Landschaft. Das war unsere Position. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster der Kollege Gerald Häfner. Sie wissen, wir haben deshalb vor neun Wochen einen Gesetzentwurf vorgelegt, ihn aber nicht im Bundestag eingebracht, sondern den Fraktionen mit Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ver- dem Vorschlag übersandt, ihn gemeinsam einzubrin- ehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- gen. Wir wollten aus dieser Angelegenheit keinen gen! Wir haben es geschafft. Wir - damit meine ich parteipolitischen Hickhack machen, uns alle. (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Warten wir mal (Lachen bei Abgeordneten der SPD) ab!) sondern wir wollten, daß dies ein Zeichen ist, das das - Wir haben noch nicht abgestimmt; ich gehe aber Haus gemeinsam setzt. Ich bedaure heute noch, daß doch davon aus. Herr Wiefelspütz, wir wollen uns dieses Zeichen zunächst nicht zustande gekommen doch nicht ganz am Schluß noch lächerlich machen. ist. Es kommt jetzt zustande, und ich bin froh dar- über. (Rudolf Bindig [SPD]: Sie sind jetzt schon lächerlich!) Zur Demokratie gehört: Abgeordnete sind Vertre- ter des ganzen Volkes. Sie sind aus der Mitte des Vol- Der Deutsche Bundestag setzt heute ein gemeinsa- kes gewählt, und sie sollen das Volk vertreten. Dazu mes Zeichen der politischen Vernunft und der sozia- gehört meines Erachtens auch, daß sie angemessene len Verantwortung. Dieses Zeichen ist meines Erach- Entschädigungen erhalten. tens nicht hoch genug einzuschätzen. Es gehört viel dazu, auf Geld, das einem eigentlich nach einem gel- Diese schwere, verantwortungsvolle und für die tenden Gesetz schon zusteht, freiwillig zu verzichten. meisten von uns mit großen Opfern hinsichtlich der Das werden die Abgeordneten des Deutschen Bun- persönlichen Lebensführung verbundene Tätigkeit destages in diesem Jahr und, durch die Verschie- muß ordentlich entschädigt werden, damit auch gute bung, in einem gewissen Maß auch in den kommen- und erfolgreiche Menschen kandidieren, Mitglied den Jahren tun. Das ist meines Erachtens ein Erfolg dieses Parlamentes, dieses Deutschen Bundestages für das Parlament und für die Demokratie. werden wollen. Ich halte das für wichtig, und ich glaube, das folgt aus dem Demokratieprinzip. Pau- Vor Monaten schon haben wir, also BÜNDNIS 90/ schale Verunglimpfungen von Abgeordneten als Ab- DIE GRÜNEN, dieses Problem auf uns zukommen sahner und Selbstbediener sind deshalb nicht nur in sehen. Wir haben da wirklich eine Zeitbombe ticken der Sache fragwürdig, sondern häufig auch antipar- gehört. Wir haben gesagt: Es kann nicht angehen, lamentarisch und demokratiefeindlich. und es kann auch nicht gutgehen. (Widerspruch bei der SPD) (Peter Conradi [SPD]: Das war der grüne Abgeordnete Schulz!) - Wenn Sie anderer Meinung sind, dann stimmen Sie doch einfach nicht zu! Ich verstehe überhaupt nicht, Die Abgeordneten dürfen aber auch keine beson- daß wir interfraktionell einen Gesetzentwurf einbrin- deren Privilegien genießen, und sie müssen das gen, daß mir manche Kollegen, die ich auf den Gän- Schicksal der von ihnen vertretenen Bevölkerung tei- gen treffe, aber gleichwohl pausenlos sagen, ich sei len. Das heißt, wenn alle den Gürtel enger schnallen schuld daran, daß Sie dies nun beschließen müßten. müssen, dann muß das auch für uns gelten. Wenn Sie es nicht wollen, dann tun Sie es nicht! (Rudolf Bindig [SPD]: Selbstverständlich!) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Überschätzen Sie sich doch nicht! Mein Gott!) Wir sollen in einem Jahr prozentual nicht mehr, aber auch nicht weniger Verdienstzuwachs haben, als Was wir hier beschließen, ist im Moment die ge- dies beim Rest der Bevölkerung auch der Fall ist. meinsame Position des Hauses und der Fraktionen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und ich möchte so- (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sie hätten der weit um Ihren Respekt bitten, daß ich in meinen Aus- Verfassungsänderung zustimmen sollen!) führungen fortfahren kann. Ich glaube, auch das ist eine Konsequenz aus dem Wir haben das kommen sehen, weil wir gesagt ha- Demokratieprinzip. Deshalb wäre in einer Zeit, in ben, in einer Zeit, in der die öffentlichen Haushalte der, wie gesagt, überall Kürzungen hingenommen absolut an der Grenze des Leistbaren sind, in einer werden müssen, ein solches Signal des Deutschen Zeit, in der überall gekürzt und Verzicht geleistet Bundestages fatal gewesen. 9774 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Gerald Häfner Wir haben das hinbekommen, und ich glaube, wir und mich nicht, wie Sie sagten, als „Moralapostel" können nun deutlich sagen: Das, was der Deutsche aufgespielt. Das liegt mir fern. Bundestag getan hat, das bitten wir auch andere in Zum zweiten habe ich eben gesagt - wenn Sie mir diesem Land zu tun. Das heißt, wir haben einen inter- zugehört hätten, dann hätten Sie das der Rede ent- fraktionellen Antrag vorgelegt, Amtsträger und Man- nehmen können -, ich halte das, was der Deutsche datsträger in Bund, Ländern und Gemeinden afuzu- Bundestag jetzt vorhat zu beschließen, für einen fordern, das gleiche zu tun. wirklich gravierenden Schritt, den man anerkennen Ich möchte diese Aufforderung muß. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die müssen Sie (Freimut Duve [SPD]: Und warum haben an die bayerischen Grünen richten!) die bayerischen Grünen zugestimmt? - Wei terer Zuruf von der SPD: Frage beantwor insbesondere an die Bundesregierung richten; denn ten!) die Position, daß unglaubwürdig wird, wer von den Menschen das Sparen forde rt, selbst aber dazu nicht - Hören Sie doch einmal einen Moment zu. bereit ist, gilt in noch sehr viel höherem Maße als für Wir richten den Appell an alle anderen Mandats- den Deutschen Bundestag für die Bundesregierung. träger in Bund, Ländern und Gemeinden, sich Sie ist schließlich in viel höherem Maße nicht nur für ebenso zu verhalten. Es gibt überhaupt keinen An- die eingetretene dramatische wirtschaftliche und so- laß, den Bayerischen Landtag oder seine Mitglieder ziale Schieflage verantwortlich, sondern sie will den hiervon auszunehmen. Rentnerinnen und Rentnern einen Teil ihrer erworbe- nen Ansprüche kalten Herzens streichen, sie will die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall kürzen, sie will Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Gestatten Sie eine das Kindergeld nicht, wie beschlossen, anheben und weitere Zwischenfrage des Kollegen Gansel? eine weitere Reihe von sozialen Grausamkeiten be-- gehen, die ich deshalb so bezeichne, weil sie sozial Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): unausgewogen sind. Selbstverständlich. Deshalb ist es wichtig, daß das Sparen sichtbar oben beginnt und von oben nach unten erfolgt, nicht Norbert Gansel (SPD): Herr Kollege Häfner, stim- umgekehrt von unten nach oben. Ich glaube aus die- men Sie mir darin zu, daß es schon ein Defizit an poli- sem Grund, es ist notwendig, daß wir von diesem Ort tischer Führung und Verantwortung ist, wenn es die aus noch einmal ganz dringend den Appell an die Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien, Bundesregierung richten, sich dieser klugen und ver- die heute eine Kürzung der Diäten im Bundestag be- antwortungsvollen Entscheidung des Deutschen schließen, nicht geschafft haben, sich vor vier Wo- Bundestages auch für ihre eigenen Mitglieder, den chen zusammenzusetzen, um das gleiche für alle Bundeskanzler eingeschlossen, anzuschließen. Landtage in der Bundesrepublik Deutschland durch- zusetzen? Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Häfner, ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hins- CDU/CSU) ken? Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ver- Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im- ehrter Herr Kollege Gansel, ich stimme Ihnen zu, mer. Bitte schön. möchte es aber noch erweitern. Ich halte es für ein gravierendes Versäumnis, daß es auch uns nicht ge- lungen ist, dies schon vor Wochen zu beschließen, als Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Kollege Häfner, es ohne all den öffentlichen Streit und das Hickhack nachdem Sie sich hier als großer Moralapostel auf- möglich gewesen wäre, das uns allen, glaube ich, in spielen, möchte ich Sie fragen, ob es richtig ist - nach hohem Maße geschadet hat. meiner Information soll das der Fall sein -, daß die Grünen im Bayerischen Landtag jüngst einer Diäten- Ich ergänze meine Antwort um das, wonach Sie erhöhung zugestimmt haben. Ich frage Sie deshalb: konkret gefragt haben. Das wäre wünschenswert ge- Haben Sie dort auf Ihre Freunde Einfluß genommen, wesen. Ich möchte niemanden ausnehmen, das heißt dies nicht zu tun, oder haben Sie sich hier passiv ver- auch uns, Bündnis 90/Die Grünen, nicht. Es ist si- halten? cherlich, wenn man so etwas tut, sinnvoll, dies über- all zu tun, das heißt dort, wo man die entsprechen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- den Kanäle hat oder über Einfluß verfügt, sicherzu- ordneten der SPD) stellen, daß so etwas auch anderswo passiert. Ich stimme Ihnen deshalb zu. Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ver- ehrter Herr Kollege, zunächst habe ich in dieser Rede Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Eine weitere Zwi- meiner sachlichen und politischen Überzeugung schenfrage des Kollegen Eylmann? Ausdruck verliehen (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sie Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): reden immer von „wir"!) Selbstverständlich. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9775

Horst Eylmann (CDU/CSU): Herr Kollege Häfner, Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Sie haben die Frage des Kollegen Hinsken nicht be- Präsidentin, sofort, wenn ich diesen Gedankengang antwortet. Es geht nicht um den Appell, sondern beendet habe. darum, ob Sie als bayerischer Abgeordneter der Grü- nen in den letzten Wochen auf Ihre Parteifreunde in Es gibt nur eine einzige marginale Differenz in dem Bayern eingewirkt haben, do rt auf die Diätenerhö- Entwurf, und das ist eine Differenz, die wir mittragen hung zu verzichten und dagegen zu stimmen. können. Sie ist sicherlich eher dadurch begründet, daß es einfach schwergefallen wäre, nun am Ende (Peter Conradi [SPD]: Das ist gestern dem Entwurf der Grünen doch noch unverände rt zu- beschlossen worden!) zustimmen. In der Sache aber ist es genau das, was wir wollten: die Verschiebung nämlich nicht nur in Das ist eine ganz simple Frage. diesem Jahr, sondern um je ein Jahr nach hinten. Ich (Peter Conradi [SPD]: Ja oder nein!?) bin dankbar, daß dies so zustande gekommen ist, und bedaure, daß es so vielen Streits bedurfte.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lie- Bitte sehr. ber Herr Eylmann, die Frage von Herrn Hinsken habe ich beantwortet. Michael von Schmude (CDU/CSU): Herr Kollege Häfner, erklären Sie uns doch einmal, warum die (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) Grünen gestern noch in den Fächern des Haushalts- - Ich habe sie genauso beantwortet, wie ich jetzt Ihre ausschusses eine Gesetzesvorlage hatten, die eine Frage beantworten werde. Ich habe zu dieser Ge- Verschiebung der Anhebung der Diäten nur auf den schichte inte rn meine Meinung gesagt. Aber ich 1. April 1997 vorsah und warum Sie diese jetzt zu- habe im Bayerischen Landtag nicht abzustimmen, rückgezogen haben. Es gibt einen Unterschied zwi- sondern das sind andere Kollegen. Ich habe meine schen den beiden Gesetzentwürfen. Ich hätte gerne Meinung dazu übrigens nicht nur intern gesagt, son- von Ihnen einmal gewußt, was Sie bewogen hat, Ih- dern ich habe sie auch hier dargestellt. Ich kann Ih- ren Gesetzentwurf jetzt zurückzuziehen. nen das alles noch einmal sagen. Ich muß Ihnen offen gestehen: Mir fehlt im Mo- Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ver- ment ein bißchen der Sinn zu solchen persönlich ab- ehrter Herr Kollege, den Entwurf, von dem Sie spre- gefragten Bekenntnissen. Sie können mir sehr wohl chen, kenne ich schlicht nicht. Es gibt von unserer glauben, daß ich, wenn ich diese Überzeugung habe, Fraktion nur einen einzigen Entwurf. Der liegt in der daß es in diesem Jahr nicht in die Landschaft paßt, Lobby des Plenums aus. Er liegt seit acht Wochen auf die Diäten in solchem Maße zu erhöhen, dann auch dem Tisch des Hauses. dort, wo es hingehö rt, dafür kämpfe. Das habe ich In diesem Entwurf wird gefordert, nicht nur in 1996 hier getan. keine Anhebung durchzuführen, sondern alle im Ge- Ich habe dafür von Kollegen - auch von Ihnen, setz jetzt bereits vorgesehenen, weiteren Anhebun- Herr Eylmann - vieles vorgeworfen bekommen. Ich gen um jeweils 525 DM um genau ein Jahr zu ver- habe das auch in Bayern getan, Herr Eylmann. Aber schieben. Das bedeutet - Sie kennen das aber -: im Moment sind wir im Deutschen Bundestag. Hier 1. Juli 1997 statt 1996 und 1. April 1998 statt 1997, haben wir zu entscheiden und abzustimmen. 1. Januar 1999 statt 1998. Vielleicht ist es das, was Sie mit dem 1. April meinen. Das ist unser Entwurf Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen, den und entspricht dem, was hier gemeinsam beschlos- kurzen Rest meiner Rede darauf zu verwenden, um sen wird. noch einmal auf folgendes einzugehen: Wir haben, Lassen Sie mich noch ergänzen: Ich bin auch froh, wie gesagt, diesen Entwurf allen Fraktionen unter- daß wir die Altersentschädigung mit einbeziehen. Al- breitet und darum gebeten, ihn nicht unsererseits les in allem ist es eine Einsparung von 16,8 Millionen einzubringen, sondern gemeinsam. Es war sicher ein DM, die der Deutsche Bundestag, und zwar auf seine Fehler, daß über das Gespräch mit den Fraktionsvor- eigenen Mitglieder bezogen, beschließt. Wir haben sitzenden die Öffentlichkeit zu früh hergestellt wor- in dieser Woche - Wilhelm Schmidt hat dies eben den ist. Das sehe auch ich so. Diese Kritik teile ich, schon angesprochen - eine weitere Einsparung mit und ich beziehe Sie ebenfalls auf mich. auf den Weg gebracht, nämlich die Verkleinerung Ich halte es für einen gravierenden Fehler und des Bundestages. kann nicht verstehen, daß sich der Bundestag über Ich meine, daß es jetzt an der Zeit ist, daß andere - acht Wochen hinweg ein in dieser Weise nicht nach- diejenigen, die ich vorhin genannt habe, insbeson- vollziehbares Hickhack, eine Auseinandersetzung dere die Mitglieder der Bundesregierung - ihren Bei- zum Teil auch jenseits dessen, was wir uns gegensei- trag dazu leisten, das Sparen sozial zu gestalten und tig parlamentarisch schuldig sind, leistet, um am das Sparen von oben nach unten durchzuführen und Ende genau das zu beschließen, was wir am Anfang nicht umgekehrt. Morgen werden wir bereits eine vorgeschlagen haben. Debatte hierüber haben. Danke schön. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es besteht noch der Wunsch des Abgeordneten von Schmude nach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einer Zwischenfrage. sowie des Abg. Norbert Gansel [SPD]) 9776 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der hoben wurde, waren es die Kerle in Bonn. Wenn die Fraktionsvorsitzende der F.D.P., Kollege Dr. Solms. Bezüge für die Landtagsabgeordneten oder für die Landesminister angehoben werden, wird das alles in einen Topf geworfen, und es wird uns in die Schuhe (F.D.P.): Frau Präsidentin! Dr. Hermann Otto Solms geschoben. Deswegen möchte ich hier einen Appell Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich an die Landtage und die Landesregierungen richten, möchte aus dem Gedächtnis heraus den Kollegen sich dem Vorbild des Deutschen Bundestages und Häfner daran erinnern, daß in seinem Antrag etwas auch der Bundesregierung anzuschließen, die ja vor- anderes steht. Ich bitte ihn, seinen Antrag noch ein- gestern beschlossen hat, daß auch für die Minister mal zu lesen. Dort steht nämlich, daß er die Diätener- eine Nullrunde durchgeführt werden soll. höhung auf den 1. April nächsten Jahres verschieben will und daß, wenn ich mich recht entsinne, die letzte Stufe wegfallen soll. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ohne gen Bindig? die Versorgungsempfänger zu beteiligen!)

- Ohne die Versorgungsempfänger an den Änderun- Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Ja. gen zu beteiligen. - Es wäre ganz gut, wenn hier die Wahrheit gesagt wird. Aber Schwamm drüber. Rudolf Bindig (SPD): Herr Kollege Solms, darf ich Es geht jetzt darum, daß sich das Haus geschlossen Sie fragen, warum Sie hier immer nur über einen Teil dazu bekennt, daß die Diätenerhöhung um ein Jahr der F.D.P.-Position sprechen, nämlich den, der sich verschoben werden soll, und zwar in ihren Stufen je- darauf bezieht, die Diätenerhöhung zu verschieben, weils um ein Jahr. Das ist im Rahmen der Sparopera- aber den anderen Teil, der sich darauf bezieht, mög- tionen, die notwendig sind, auch unerläßlich. Ich bin lichst intensiv geheimzuhalten, wie hoch die Neben- - froh darüber, daß Sie diesen Überlegungen, die wir verdienste von F.D.P.-Abgeordneten sind, hier uner- in der F.D.P. schon im März angestellt hatten, gefolgt wähnt lassen? sind. Wir haben bewußt keinen Antrag eingebracht, weil wir eine möglichst große Zustimmung in diesem (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Hause erreichen wollten. Abgeordneten der CDU/CSU) Eine Bemerkung zum Kollegen Wilhelm Schmidt: Sparen ist schwer, und Kürzen ist immer schwer. Es Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Dafür gibt es ja ist aber nicht so, daß die Kürzungen des Bundes Verhaltensregeln des Deutschen Bundestages. Alles „Kürzungsschweinereien" sind, und die Kürzungen, muß angegeben werden. Im übrigen sind die Ruhe- die in SPD-geführten Ländern oder Kommunen standsgehälter von ehemaligen Ministern der F.D.P. durchgeführt werden, soziale Wohltaten. Das können genauso öffentlich bekannt wie die Ruhestandsge- Sie wohl wirklich niemandem mehr klarmachen. hälter von ehemaligen Oberbürgermeistern, die bei Ihnen in der Fraktion sitzen. Genausowenig wie wir (Heiterkeit bei der CDU/CSU) öffentlich darüber informiert werden, was Gewerk- schaftsführer, die bei Ihnen in der Fraktion sitzen, Wenn Sie heute mit einem Finanzminister eines aus Gewerkschaftskassen gezahlt bekommen, gilt SPD-geführten Bundeslandes sprechen, bekommen das für die Freiberufler, die bei uns in der Fraktion Sie von diesem überhaupt keine anderen Auskünfte sitzen und ihrem Beruf weiter nachgehen. als von einem Finanzminister in einem CDU- bzw. CSU-geführten Bundesland. Alle wissen, daß sie am (Freimut Duve [SPD]: Was sind denn das für Sparen mitwirken müssen. Nur, keiner will offen sa- Antworten?) gen, wo er sparen will, weil er weiß, daß er von den Betroffenen dann Kritik erfahren wird. Wir alle ge- Auch hier nützt das Schwarze-Peter-Spiel überhaupt meinsam werden also an diesen Sparmaßnahmen nichts; es gelten die gleichen Regeln für alle. Das ist nicht vorbeikommen. Wir können darüber streiten, auch in Ordnung so. welche Maßnahmen besser oder schlechter, welche (Beifall bei der F.D.P.) sozial ausgewogener oder welche wirtschaftlich an- reizender wirken und welche nicht. Aber gespart Das ist ausgesprochen transparent. werden muß. Schuldzuweisung, immer von der einen (Freimut Duve [SPD]: Nicht transparent!) Seite auf die andere, macht uns alle eher unglaub- würdig als glaubwürdig. Abschließend möchte ich noch auf einen Antrag eingehen, der von der SPD eingebracht worden ist (Beifall bei der F.D.P.) und der wohl noch aufrecht erhalten wird. Es handelt Ich bin dankbar, daß wir zu dieser Übereinstim- sich um den Antrag des Kollegen Conradi, der von mung gekommen sind. Ich will aber hinzufügen: An- der SPD-Fraktion übernommen worden ist und der gesichts der Höhe der Bezüge der Abgeordneten im vorsieht, sozusagen als Rache für diese Eigenspar- Deutschen Bundestag wäre das nicht notwendig ge- maßnahme nun die Bezieher von Einkommen über wesen. Denn der Deutsche Bundestag hat in nahezu 50 000 DM - Alleinstehende - durch eine Erhöhung 10 von den letzten 20 Jahren nicht in angemessener des Solidarzuschlags zu bestrafen. Ich glaube, das Weise an den Einkommenssteigerungen teilgehabt. weiter zu kommentieren erübrigt sich. Das fällt der Ich will auch darauf hinweisen, daß in der Öffentlich- Lächerlichkeit anheim, weil Ihr eigener Fraktionsvor- keit der Eindruck entstanden ist: Immer wenn ange sitzender, der nun bedauerlicherweise in dieser Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9777

Dr. Hermann Otto Solms Woche krankheitshalber nicht hier sein kann, vor wahlen anstehen und die ersten Startlöcher für die kurzem gefordert hat, daß der Solidarzuschlag so Bundestagswahl gegraben werden - sich dieses schnell wie möglich ganz abgeschafft wird. Haus dann anders verhalten würde als jetzt? - Ich glaube es nicht. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Aber kaum ist die Katze aus dem Haus, da tanzen die und der SPD) Mäuse auf dem Tisch. So kommt ein solcher Chaos Antrag zustande. Drittens. Ich werde, weil meine Geduld am Ende (Freimut Duve [SPD]: Herr Solms, ich lasse ist, einen Gruppenantrag für ein Gesetz über die mich von Ihnen nicht als Maus hinstellen!) Amtsbezüge der Mitglieder derjenigen Verfassungs- organe des Bundes initiieren, die aus dem Bundes- Ich möchte trotzdem die Gelegenheit benutzen, haushalt finanziert werden. Wir müssen sie nämlich von dieser Stelle aus dem Kollegen Scharping alles alle in ein Boot bekommen - alle! Gute zu wünschen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und und der SPD) der SPD) Wenn wir ein solches Gesetz schon in den letzten Ich hoffe, daß er bald wieder hier ist, damit uns sol- Jahren gehabt hätten, ein Gesetz, das auch die Be- che Chaos-Anträge nicht wieder vorgelegt werden. züge der Verfassungsrichter und der Minister fest- Vielen Dank. legt, dann - das ist meine feste Überzeugung - wären unsere Diäten wesentlich höher, als sie es jetzt sind. (Beifall bei der F.D.P. - Freimut Duve [SPD]: Der animalische Vergleich muß zurückge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

nommen werden!) Dieses Gesetz ist ganz einfach: Wir legen einen Sok- - kelbetrag für die Diäten und einen Multiplikator für Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer die verschiedenen Ämter fest. Kurzintervention hat der Kollege Horst Eylmann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Horst Eylmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Ich bitte Sie um Unterstützung für ein solches Ge- Meine Damen und Herren! Es ist schwer, diese Re- setz, damit diese Diskussionen endlich aufhören. den mit Ruhe anzuhören, weil sie so gehalten wer- den, als hätten wir in den letzten 19 Jahren keine Er- Und ich sage folgendes: Ich werde einem Gesetz fahrungen gemacht. über die Erhöhung der Beamtenbesoldung, das uns jetzt angekündigt wird, nicht zustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P. und der SPD) Erstens. Die Wahrheit ist, daß dieser Bundestag die Verschiebung nicht aus eigener guter Überzeugung Ich habe das schon im Dezember letzten Jahres er- beschließen wird, sondern aus reinem Opportunis- klärt. Ich werde mich völlig verweigern. mus. Das gilt jedenfalls für die Mehrheit des Bundes- Wir können ein solches Amtsbezügegesetz ja mal tages. so schnell - wir haben ein Vierteljahr Zeit - über die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Bühne bringen wie dieses Gesetz; das müßte auch und der SPD) einmal schneller gehen können. Das weiß auch die Öffentlichkeit. Deshalb erhöht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dieser Beschluß unser Ansehen nicht im geringsten. Und dann beschließen wir in Zukunft gemeinsam (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU über die Bezüge aller Verfassungsorgane, die aus und der SPD) dem Bundeshaushalt bezahlt werden. Ein Journalist hat kürzlich geschrieben, Opportu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge nismus stinke. ordneten der F.D.P. und der SPD) (Norbert Gansel [SPD]: Geld stinkt auch!) Dann wird es in Zukunft wesentlich anders gehen. In der Tat, so ist es. Da können wir noch so sehr tun - Wer glaubt, es könne so bleiben, wir würden die Diä Herr Häfner kann es vorzüglich -, als hätte sich die ten im nächsten Jahr erhöhen, der irrt sich gründlich. bessere Einsicht durchgesetzt. So ist es nicht, meine Damen und Herren. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Eylmann, ge- Zweitens. Es ist reine Augenwischerei, wenn hier statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gansel? so getan wird, als gehe es um eine Verschiebung von einem Jahr. Wer glaubt nach den Erfahrungen der Horst Eylmann (CDU/CSU): Aber natürlich. letzten Jahre allen Ernstes, daß es im nächsten Jahr nicht wieder einen Verschiebungsantrag geben wird, zumindest von den Grünen? Wer glaubt allen Ern- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Moment! Im Rah- stes, daß - da im Herbst nächsten Jahres Landtags- men einer Kurzintervention dürfen keine Zwischen- 9778 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth fragen gestellt werden. Herr Eylmann, ich hätte Sie Nehmen Sie zurück, was Sie eben gesagt haben! Sie fast als Redner eingeordnet. können es nicht ernst gemeint haben. (Norbert Gansel [SPD]: Ich darf keine (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch) machen!) Erinnern Sie sich an das, was Sie in der letzten Diä- ten-Debatte vor einem Jahr gesagt haben. Sie haben Horst Eylmann (CDU/CSU): Es tut mir außeror- gesagt, Sie seien für eine Offenlegung der Neben- dentlich leid, Herr Kollege Gansel. einkünfte von Bundestagsabgeordneten, wenn auch (Heiterkeit - Abg. Norbert Gansel [SPD] alle anderen das täten. Das ist ein sehr konstruktiver geht zum Rednerpult) Vorschlag. Nur haben Sie seit einem halben Jahr nichts dazu getan, um ihn zu verwirklichen.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Gansel, was Es gibt aber einen Ansatzpunkt, um das zu tun, möchten Sie? Sie können sich nur auf eine Rede mel- und das ist der, den Kollege Conradi nachher vor- den, nicht auf eine Kurzintervention. Auf welchen schlagen wird und den der Kollege Solms schon an- Redner beziehen Sie sich? gesprochen und verdreht hat: einen wirklichen Soli- darbeitrag all denen abzuverlangen, die soviel ver- dienen wie Bundestagsabgeordnete, nämlich 135 000 Norbert Gansel (SPD): Auf den Vorredner. -DM im Jahr, oder mehr. Das möchte ich doch richtig gestellt haben, Herr Solms: Sie haben nämlich von Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Also auf den Frak- 50 000 DM gesprochen. tionsvorsitzenden der F.D.P. (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Ihr Antrag!) Norbert Gansel (SPD): Frau Präsidentin! Kollegin- nen und Kollegen! Meine Kurzintervention kann sich Sie haben versucht, Stimmung zu machen. Sie haben geschäftsordnungsmäßig nur auf das beziehen, was versucht, das Einkommen von Bundestagsabgeord- der Vorredner gesagt hat. Auf Grund dieses Vortrags neten mit dem des Facharbeiters gleichzusetzen. hätte jemand auf die Idee kommen können, vorzu- (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Nein! Ihr schlagen, in den Bundestag ein Gesetz einzubringen, Antrag!) nach dem die Besoldungsverhältnisse von Abgeord- neten und allen anderen im öffentlichen Dienst Be- Soviel Verzicht leisten wir bei der Diätenkürzung schäftigten, die vom Bundeshaushalt abhängen - wirklich nicht, daß das zutreffen könnte. vom Bundesverfassungsrichter bis zum Vorstands- vorsitzenden einer Bank, die dem Bund gehört -, in Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege gleicher Weise zu behandeln sind. So ein Vorschlag Gansel, Ihre Redezeit ist abgelaufen. ist von dem Kollegen Eylmann eben tatsächlich ge- macht wurden. Norbert Gansel (SPD): Herr Eylmann, noch einmal: (Horst Eylmann [CDU/CSU]: Nein, nein!) Wir wollen keine Initiative, die uns in Mißkredit bringt, sondern die Unterstützung eines Vorschlages, Da ein neues Thema in der Diskussion ist, möchte der wirklich zu mehr Solidarität und Gerechtigkeit ich im Rahmen der Geschäftsordnung noch etwas an- beitragen kann. Das wird die Debatte der nächsten merken. Herr Kotlego Eylmann, lassen wir mal alles Runde sein. weg, worüber wir uns sonst gestritten haben; Nun laßt uns beschließen, was uns allen weh tut! (Horst Eylmann [CDU/CSU]: Schade!) Denn es geht um den Verzicht auf Geld. Aber wir Sie haben gelegentlich durchaus Positionen vertre- wissen seit acht Wochen, daß es unvermeidlich sein ten, zu denen man sagen könnte: Na ja, trotz alledem wird. Respekt! Aber was Sie eben gesagt haben, können (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie doch nicht wirklich ernst gemeint haben. Das ist doch geradezu der Versuch, in gesetzliche Form zu bringen, was an Vorurteilen in der Bevölkerung uns Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das war, meine gegenüber, den Bundestagsabgeordneten, und an- verehrten Kollegen, geschäftsordnungsmäßig eine deren gegenüber, die politische Verantwortung tra- Kurzintervention zu der Rede des Abgeordneten gen, täglich gepflegt wird, nämlich die Meinung: Die Dr. Solms. Darum muß ich Sie fragen, Herr Kollege da oben sind eine Clique, die für sich beschließt und Sohns, ob Sie antworten wollen. - Das ist nicht der kassiert; und wir da unten sollen zahlen. Das, was Sie Fall. vorgeschlagen haben, ist geradezu der Versuch, das Dann gebe ich der Abgeordneten Dagmar Enkel- in Gesetzesform zu bringen. Das können Sie doch mann das Wort. nicht ernst gemeint haben. Bevor aus dieser spontanen Diskussion etwas her- Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Herr Präsident! vorgeht, was dem Ansehen von Verfassungsorganen, Meine Damen und Herren! Ich denke, eines haben dem Ansehen derer, die öffentliche und politische wir in den letzten Wochen ziemlich deutlich gespürt: Verantwortung tragen, weiter schadet, was unsere Wir sitzen hier nicht auf einer einsamen Insel im Glaubwürdigkeit weiter reduziert, was praktizierte Ozean oder, wie der Kanzler neuerdings zu sagen Demokratie weiter in Mißkredit bringt, bitte ich Sie: pflegt, auf der „Insel der Seligen" . Ich bin froh, daß Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9779

Dr. Dagmar Enkelmann der öffentliche Druck offenkundig auch in diesem die Bundesregierung angekündigt, bis zum Frühjahr Hause noch etwas erreichen kann. Das zeigt auch, 1998 Reformen des Sozial- und Steuersystems wie wichtig „mehr Druck von unten" ist. In diesem durchs Parlament zu bringen, die offenbar weit über Sinne wünsche ich der Demo am Sonnabend hier in den jetzigen Sparbeschluß hinausgehen sollen. „Wir Bonn viel Erfolg. Ich wünsche mir, daß Hunderttau- werden über das gesamte System zu reden haben" , sende hierher kommen und dieser Bundesregierung so Bundeskanzler Kohl am Montag in Berlin. Ge- ordentlich Dampf machen. braucht würden „erhebliche Veränderungen der Strukturen" . (Beifall bei der PDS) In dem vorliegenden Zwanzigsten Gesetz zur Än- Meine Damen und Herren, in der Frage der Diä- derung des Abgeordnetengesetzes werden Grund- tenerhöhung mußten Sie nun zähneknirschend ein- sätze zur Offenlegung von Nebentätigkeiten bzw. lenken. Schwer genug ist es Ihnen gefallen. Daß Sie von Nebeneinkommen nach wie vor völlig ausge- das Ganze nun allerdings auch noch mit der Auffor- spart. Nach der Anhörung vom Mittwoch dieser Wo- derung an andere verbinden - damit meine ich jetzt che habe ich arge Befürchtungen, daß sich in diesem nicht die Bundes- oder die Landesminister, sondern Parlament in dieser Frage überhaupt nichts mehr tun Ihre Aufforderung an die Gewerkschaften, es Ihnen wird. Bei dieser Anhörung war zum Beispiel nicht ein gleichzutun, Lohnverzicht zu erklären -, ist mehr als Vertreter der F.D.P. anwesend; auch die CDU war demagogisch. Wollen Sie denn wirklich vergessen sehr schwach vertreten. Es war eine etwas müde An- machen, daß wir erst Ende des vergangenen Jahres hörung. einen Zuschlag von fast 1 000 DM bekommen ha- ben? Nein, mit Ihrem Einlenken wollen Sie das Paket Nach wie vor gelten für Abgeordnete großzügige sozialer Grausamkeiten schmackhaft machen: Sehet Pensionsregelungen; nach wie vor zahlen Abgeord- her, auch wir schnallen den Gürtel enger! Nun nete nicht in die Sozialkassen ein. Vor allen Dingen schluckt auch ihr die bitteren Pillen, die wir euch ver- das sind die Ungerechtigkeiten, die den Volkszorn ordnet haben! hervorgerufen haben. Solange wir daran nichts än- dern, bleibt das Ansehen der Abgeordneten - und Der Haken bei dem vorliegenden Gesetzentwurf damit auch das des Parlaments - beschädigt. liegt allerdings woanders. Da ist es schon etwas ver- wunderlich, daß selbst die Kolleginnen und Kollegen Ich will ein Wort zu unserem Abstimmungsverhal- vom Bündnis 90/Die Grünen hier als Antragsteller ten verlieren. Ich will gestehen, daß uns das große mitmachen. Denn die Diätenerhöhung 1996 wird Bauchschmerzen bereitet, weil wir dem Neunzehn- zwar verschoben, gleichzeitig auch die nächsten Stu- ten Gesetz nicht gefolgt sind - und eigentlich auch fen der Diätenerhöhung, aber Sie bleiben damit in nicht dem Zwanzigsten. Wir werden der Verschie- dem System, das im letzten Jahr hier mit großer bung trotzdem zustimmen, und zwar ganz einfach Mehrheit angenommen wurde. Das heißt, die Diäten- deshalb, weil das die einzige Chance ist, die Erhö- erhöhung gibt es zwar noch nicht dieses Jahr, aber hung für dieses Jahr abzuwenden. Wir wollen auch nächstes Jahr gibt es immerhin über 500 DM mehr. eines nicht: Wir wollen nicht in den Topf mit denen Den Gewerkschaften würden Sie, liebe Damen und geraten, die nachher für eine Erhöhung stimmen Herren von der Koalition, mindestens Unbescheiden- werden. Das heißt aber nicht - damit greife ich das heit vorwerfen, wenn sie mehr als 4,6 Prozent fordern auf, was Herr Eylmann schon gesagt hat -, daß wir würden. damit einer Diätenerhöhung für 1997 zustimmen Wir meinen, die Diätenerhöhung muß so lange werden. Sie werden zu gegebener Zeit von uns ent- ausgesetzt werden, bis die jetzt geplanten Maßnah- sprechende Anträge auf den Tisch bekommen. men zum Abbau des Sozialstaates zurückgenommen Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. sind.

(Beifall bei der PDS) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem Abgeordneten Hans Michelbach das Wort. Das ist um so notwendiger, als bestimmte Äußerun- gen darauf schließen lassen, daß es nicht bei den jet- zigen Sparmaßnahmen bleiben soll, daß sie nur ein Hans Michelbach (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Einstieg sind und daß mit noch gravierenderen Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Schritten der Umverteilung von unten nach oben ge- „Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber dies ist un- rechnet werden muß. sere", hat Jean-Paul Sartre einmal gesagt. Die Frak- tionen haben die Verschiebung der angemessenen rie- und Han- Der Präsident des Deutschen Indust Diätenerhöhung als Signal zur Zurückhaltung mehr- delstages, Stihl, hat zum Beispiel Nullrunden für alle heitlich beschlossen. Zum Wohl unserer Demokratie Beschäftigten bis zum Jahr 2000 gefordert. Er sagt: sollte es nach meiner Ansicht kein politisches Ge- Wir müssen bis zur Jahrtausendwende eine Sen- schäft mit der Diätenfrage mehr geben. Die Mehr- kung bei den Löhnen und Lohnzusatzkosten um heitsentscheidung unserer Fraktion ist deshalb zu insgesamt 20 Prozent erreichen ... Das Sparpa- akzeptieren. Es ist so, wie es ist. ket ist, wenn es ohne Abstriche beschlossen wird, Nicht zu akzeptieren ist dagegen die Reaktion der ein Programm, mit dem allerhöchstens ein Drittel SPD-Fraktion, die sich in ihrem heute eingebrachten des 20-Prozent-Ziels erreicht wird. Antrag zur Änderung des Solidaritätszuschlaggeset- Die Bundesregierung macht sich sofort daran, zes manifestiert, wie er vom Kollegen Conradi einge- diese Forderung der Arbeitgeber umzusetzen. So hat bracht, in der SPD mehrheitsfähig wurde und heute 9780 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Hans Michelbach zur Entscheidung steht. Als Vater dreier Töchter erin- Der Solidaritätszuschlag ist in dem Maße schritt- nert mich diese Entscheidung an ein trotziges Kind, weise zurückzuführen, wie der Aufbau Ost vor- dem man ein Bauklötzchen wegnimmt und das dann ankommt. aus Enttäuschung die Werke der anderen Kinder zer- stört und auch sie bestrafen will. Dieses Verhalten ist Ich zitiere weiter: eindeutig zu verurteilen - im Kinderzimmer wie im Angesichts der Rekordbelastungen mit Steuern parlamentarischen Alltag. und Abgaben hält der Deutsche Bundestag eine Unsere Zeit ist zwar schwierig, doch lange nicht Entlastung der Bürger für dringend erforderlich. hoffnungslos. Im „Programm für Wachstum und Be- Das ist wahr. Jetzt aber wollen Sie den Solidaritätszu- schäftigung" haben wir beschlossen, daß Besitz- schlag erhöhen. stände aufgegeben werden müssen, um den Sparer- fordernissen unserer Zeit Rechnung zu tragen. Wir Oder liegt es vielleicht daran, daß der Vorsitzende haben erkannt, daß wir mehr Wachstum und Be- Ihrer Fraktion - wir wünschen ihm gute Besserung - schäftigung brauchen, um den Sozialstaat zu sichern zur Zeit bedauerlicherweise nicht unter uns weilen und uns im internationalen Standortwettbewerb zu kann? behaupten. Wer das mit Ausdrücken wie „Kür- zungsschweinerei" oder „soziale Grausamkeit" diff a (Widerspruch bei der SPD) -miert, diffamiert sich in diesem Hause selbst. Wir ha- ben erkannt, daß wir dies über mehr Existenzgrün- Der Spruch von Herrn Solms ist zwar tierisch, aber er dungen, über eine weitreichende Reform der Erb- ist richtig: Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die schaft-, Vermögen-, Unternehmen- und Einkommen- Mäuse auf dem Tisch. - Vielleicht kann man auch sa- steuer, über eine Gemeindefinanzreform und den gen: Die Neidhammel haben freien Lauf. Abbau des Solidaritätszuschlages erreichen können. (Jörg Tauss [SPD]: Das ist nicht tierisch, das Das bedeutet: Steuerentlastung und gleichzeitige ist schwach!) Senkung der Lohnzusatzkosten. Dies haben wir im Wachstumspaket vom 25. Ap ril dargelegt und damit Für mich ist der Antrag vor allem eines: der Ver- eine klare Linie vorgegeben. such, die von Ihnen so geschätzte Vermögensabgabe mit diesem Diätenpaket durch die Hintertür einzu- Vor diesem Hintergrund mutet der heutige Antrag führen. Er ist ein erneuter Versuch, die Leistungsträ- der SPD zur Änderung des Solidaritäszuschlagge- ger in unserer Gesellschaft zu schwächen, Ihren setzes in Form einer Erhöhung dieser Abgabe von Frust auf andere zu übertragen. Das macht doch 7,5 Prozent auf 10 Prozent für alle diejenigen, die überhaupt keinen Sinn. Einmal mehr folgen Sie Ih- mehr als 135 600 DM brutto verdienen - anstatt einer rem Motto: Leistung darf sich nicht mehr lohnen. Senkung auf 5,5 Prozent in den nächsten zwei Jah- Oder anders - flapsig - gesagt: Was der Haifisch im ren, wie wir es durchführen -, sehr seltsam an. Wie Wasser, ist die SPD bei den Steuern. paßt er in eine Zeit, in der die Steuer- und Abgaben- belastung eindeutig zu hoch liegt und allseits be- Ihre Ankündigung, den Solidaritätszuschlag auf klagt wird? Wie paßt er in eine Zeit, in der die Entla- lange Sicht durch einen sogenannten Lastenaus- stung von Unternehmen und Bürgern gezielt ange- gleich mit besonderer Belastung höherer Einkommen strebt wird, in eine Zeit, in der alle nach Steuerver- zu ersetzen, läßt Schlimmes befürchten. Dabei igno- einfachung und Steuerreduzierung verlangen? rieren Sie sogar das Bundesverfassungsgericht, das im letzten Jahr den „Hälftelungsgrundsatz" vorgege- Mutmaßungen für die Gründe für diese steuerpoli- ben hat. Die Vermögensteuer wurde für grundge- tische Geisterfahrt der SPD gibt es viele. Die Presse setzwidrig erklärt für den Fall, daß sie zusammen mit befürchtet, gleich mehrere Kollegen von der SPD anderen Steuern, zum Beispiel der Einkommen- seien auf den Kopf gefallen und spricht von einem steuer, mehr als die Hälfte der Sollerträge eines Ver- "kollektiven Unfall" . Andere Stimmen glauben sich mögens aufzehrt. im Karneval oder machen die große Hitze für das wundersame Ansinnen in der SPD verantwortlich. (Peter Conradi [SPD]: Reden Sie doch zur Sache!) Auch ich frage mich, woran es liegt, daß die SPD einen derart unverständlichen, unbedachten und un- Wie rechtfertigen Sie da eine zusätzliche Vermö- sinnigen Antrag hier und heute einbringt. Liegt es gensabgabe? Nichts anderes ist das, was Sie mit die- daran, daß Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sem Antrag fordern, Ihr neuestes Manöver wurde je- einfach vergessen haben, daß Sie vor gar nicht allzu doch längst durchschaut, erfreulicherweise nicht nur langer Zeit die Abschaffung dieses Solidaritätszu- von den Medien - deren Kritik fast einhellig negativ schlags gefordert haben, also die Abschaffung von war -, sondern auch von den Leuten Ihrer eigenen dem, was Sie heute ausgerechnet erhöhen möchten? Partei. Wer soll sich da noch auskennen? Was wollen Sie denn wirklich? Ich lese Ihnen vor, was Ihr Ministerpräsident Schröder dazu sagt: Nach eigenen Angaben kann er (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die „Weisheit" Ihrer Forderung überhaupt „nicht nachvollziehen" . Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher, Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Ihren Ernst Schwanhold, bezeichnet den Antrag als Antrag vom 1. Februar, in dem es heißt - ich lese Ih- schlichtweg „falsch". Wo er recht hat, muß er recht nen Teile noch einmal vor -: bekommen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9781

Hans Michelbach Ihre wiederholten Attacken auf die sogenannten ven Tarif vorhanden ist und daß die Hetz- und Neid- Besserverdienenden - jüngstes Beispiel ist Ihre For- kampagnen völlig an den Tatsachen vorbeigehen. derung nach Kürzung von Spitzengehältern im öf- fentlich-rechtlichen Bereich - kann wirklich niemand (Widerspruch bei der SPD) in unserem Land mehr hören; das gilt scheinbar Ich fordere Sie von der SPD auf, Ihr „Feindbild ge- selbst für Ihre eigene Partei. gen Risikobereite und Leistungswillige" abzubauen Ihre Neidkampagne gegen Arbeitgeber und Ar- und endlich glaubwürdige und wirtschaftsfreundli- che Politik zu machen. Kehren Sie zurück zum Lei- beitnehmer mit überdurchschnittlichen Einkommen ist ungerecht. Es ist unfair, sie durch die Anhebung stungsprinzip, verlassen Sie das Steuertraumland so- des Solidaritätszuschlags - in Verbindung mit dem zialistischer Gleichmacherei! Thema Diäten - zusätzlich zur Kasse zu bitten. Ver- Meine Damen und Herren, wir lehnen einen sol- schweigen Sie doch bitte nicht, daß unsere Lei- chen Zuschlag ab. Ich meine, daß die Chance für stungsträger auf Grund des linear-progressiven Steu- mehr Wachstum und Beschäftigung nicht vertan wer- ertarifs - insbesondere angesichts eines Spitzensteu- den sollte, daß das, was Sie hier zusätzlich einbrin- ersatzes von 53 Prozent - ohnehin schon wesentlich gen, der falsche Weg, ein Sommertheater ist und daß höhere Abgaben leisten als die Bezieher kleiner und wir endlich zum Konsens in der Diätenfrage ohne mittlerer Einkommen. diese Nebenanträge zurückkehren sollten. (Konrad Gilges [SPD]: Das zahlt doch kei- Vielen Dank. ner mehr! Dummes Zeug!) (Beifall bei der CDU/CSU) Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung - vielleicht glauben Sie dem - zahlten die oberen 25 Prozent der Steuerpflichtigen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Zu einer Kurz- - mit Einkünften ab rund 73 000 DM 1995 mehr als intervention gebe ich das Wo rt dem Abgeordneten 70 Prozent des Lohn- und Einkommensteueraufkom- Gregor Gysi. Sie können vom Platz aus sprechen, mens. Dies ist Fakt. Dies waren rund 272 Milliarden Herr Kollege. DM. Die einen zahlten also 190 Milliarden DM und die anderen 80 Milliarden DM zum Gesamtsteuer- Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident! Meine Da- aufkommen. men und Herren! Ich bin sehr erstaunt über das, was Meine Damen und Herren, angesichts dieser Fak- der Vorredner hier zum Ausdruck gebracht hat. Sie ten nun den Beziehern dieser Einkommen eine wei- haben von einer zusätzlichen Vermögensabgabe im tere Steuerlast aufzubürden ist für den Wirtschafts- Zusammenhang mit dem Antrag der SPD gespro- standort und für den Arbeitsmarkt Schlichtweg kon- chen. Sie selbst haben diese Steuer Solidaritätszu- traproduktiv. Wir lehnen die von Ihnen intendierte schlag genannt. Doppelbesteuerung ab. Und dieser Solidaritätszuschlag - das ist Ihre Be- Im übrigen haben Sie doch erst kürzlich im Finanz- nennung -, die Solidarität soll erhöht werden, und ausschuß gefordert, Einkünfte sollten nur einmal be- zwar durch jene, die mehr und die am meisten in die- steuert werden. Wie ist dies mit Ihrer Soli-Erhö- ser Gesellschaft verdienen. Das müßte doch eigent- hungskampagne von heute zu vereinbaren? Die von lich Ihrem ursprünglichen Gedanken entsprechen. Ihnen herbeigesehnte Sondersteuer wird Ihrer fi- Wenn Sie dann sagen, das Ganze schüre eine nanz- und wirtschaftspolitischen Glaubwürdigkeit Neidkampagne, muß ich feststellen: In einer Situa- weiteren Schaden zufügen. tion, in der Sie die Sozialhilfe einfrieren, in der Sie Meine Damen und Herren, erfolgreiche Steuerpoli- Krankengeld kürzen, in der Sie bei allen sozial tik macht man nicht mit Emotionen, sondern mit Schwachen rangehen, es als Neidkampagne zu be- Sachverstand und Augenmaß. Dies gilt auch für die zeichnen, wenn etwas mehr Solidarität durch die Rei- von Ihnen so oft wiederholte Mär von der Schieflage chen verlangt wird, das ist wirklich eine Verhöhnung der Steuergerechtigkeit. der sozial Schwachen und der Lohnabhängigen in dieser Gesellschaft. Mir scheint, meine Damen und Herren, Sie wissen überhaupt nicht - obwohl Sie es als Antragsteller (Beifall bei der PDS und der SPD) wissen müßten -, daß der Bezieher eines Jahresein- kommens von 135 600 DM - verheiratet, zwei Kinder - Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege rund 40 000 DM Steuern zahlt. - Das zahlen auch die Michelbach, Sie können antworten. Abgeordneten. - Und es muß hier einmal verdeut- licht werden, daß jemand mit einem Einkommen von 50 000 DM nur rund 4 000 DM Steuern aufbringen Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Kollege Gysi, muß. es wurde deutlich, daß die Antragstellung der SPD zur Erhöhung des Solidaritätszuschlages auf (Zuruf von der SPD: Das ist ja Verdum- 10 Prozent vom Parlamentarischen Geschäftsführer mung!) Dr. Struck ausdrücklich als Vermögensabgabe for- muliert ist, die auf Dauer einzuführen ist. 40 000 DM und 4 000 DM: Rechnen Sie einmal die Prozentzahlen aus, dann muß Ihnen klar sein, daß (Günter Verheugen [SPD]: Das ist doch hier Steuergerechtigkeit nach dem linear-progressi Unsinn!) 9782 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Hans Michelbach - Ich habe die Presseartikel dabei; dies wurde aus- ein -, die Mitglieder des Bundes der Nichtsteuerzah- drücklich von der SPD zitiert. ler, unsere ehemalige Kollegin Frau Hamm-Brücher, die uns Enthaltsamkeit predigt und selbst 18 000 DM (Widerspruch bei der SPD) monatlich aus öffentlichen Kassen an Pensionen be- - Dann machen Sie das mit Ihrem Parlamentarischen kommt, Geschäftsführer aus. Das ist ein Originalzitat von Herrn Dr. Struck. Wir sind die falsche Adresse. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) (Günter Verheugen [SPD]: Das ist wirklich zuviel!) gutverdienende Fußballer, Anwälte, Ärzte und, nicht zu vergessen, Architekten - wer wollte ernsthaft et- Ich kann Ihnen nur deutlich sagen: Solange Sie was dagegen sagen, auch sie an der Solidarität zu selbst als Anwalt und als mediengerechter Mann beteiligen? sehr viele zusätzliche Honorare einstreichen, sollten Sie nicht von sozialer Gerechtigkeit, von Steuerge- (Beifall bei der SPD und der PDS) rechtigkeit und von sozialen Grausamkeiten in die- sem Lande reden. Das ist durchschaut. Das ist genau In den Medien ist behauptet worden, die SPD das, was Sie als Masche hier vorbringen. Es nimmt wolle alle Steuerzahler mit einem höheren Solidari- Ihnen aber niemand mehr ab. tätszuschlag belasten. Das ist plump gelogen. Es ist durchsichtig: Wieder einmal will man die kleinen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Leute aufhetzen, damit die großen Tiere verschont bleiben. „Die Abgeordneten jagen", da kommt in je- der Redaktion Freude auf. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nun erteile ich dem Abgeordneten Peter Conradi das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der - PDS) Peter Conradi (SPD): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Angesichts der allseits erhobenen Sich aber selbst am Sparen solidarisch zu beteiligen, Forderung, jetzt müsse aber gespart werden, ruft das das kommt nicht in Frage. Volk nach Gerechtigkeit - eine berechtigte Forde- (Beifall bei der SPD und der PDS) rung, denn das vorgelegte Sparpaket trifft vor allem die kleinen Leute. Ihr Protest wird durch die Medien Da werden uns Rachegelüste und Neidkomplexe un- mit gezielten Beiträgen auf das Thema Abgeordne- terstellt. Was sind das für Politiker, was sind das für tendiäten gelenkt. Damit soll, ganz im Sinne der Bun- Journalisten, die jeden Vorschlag für ein wenig mehr desregierung, von der sozialen Schieflage des Spar- Gerechtigkeit in diesem Land mit dem Totschlagar- pakets abgelenkt werden. gument „Neid" niedermachen! (Beifall bei der SPD und der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Die wirkliche Frage ist doch: Wie und bei wem soll ten der PDS) gespart werden? Genauer: Werden auch die Bezieher Die reichen Leute, ihre Hilfstruppen in den Medien höherer Einkommen - dazu gehören wir Abgeord- und ihre Hilfstruppen hier im Parlament verteidigen nete - an den Sparmaßnahmen beteiligt? ihren Reichtum mit einer unheimlichen Brutalität. Ich habe einen Gesetzentwurf zur Änderung des (Beifall bei der SPD) Solidaritätszuschlaggesetzes vorgelegt. Im Unter- schied zu meinem Vorredner habe ich den Namen Der Vorschlag, den Solidaritätszuschlag für die ho- dieses Gesetzes ernst genommen. Mit diesem Vor- hen Einkommen heraufzusetzen, ist gerecht, er ist schlag wird der Solidaritätszuschlag auf die Lohn- vernünftig, er ist praktikabel. Er würde schätzungs- und Einkommensteuer nicht für alle Steuerzahler, weise 1,5 Millionen Steuerzahler betreffen. Er würde wie fälschlich behauptet wird, sondern für die Steu- weit mehr als 1 Milliarde DM an Steuereinnahmen erpflichtigen, die so viel wie oder mehr als Bundes- bringen. Nun kommt das Argument: Sparen bei den tagsabgeordnete verdienen - das sind zur Zeit Ausgaben sei etwas anderes, als mehr Steuern zu 135 600 DM im Jahr - von 7,5 auf 10 Prozent erhöht, kassieren. Wohl richtig! Aber im Endeffekt läuft bei- und zwar - da Sie mich angesprochen haben, möchte des auf das gleiche hinaus: Das Defizit in der Bun- ich Sie bitten, daß Sie mir, jetzt auch zuhören - nicht deskasse und die Verschuldung werden vermindert. für alle Ewigkeit, sondern erklärtermaßen nur für die Zeit, bis der Solidaritätszuschlag - das wollen alle Die Bezieher höherer Einkommen bekommen nun Fraktionen dieses Hauses - abgeschafft ist. Das wird einmal keine Barzahlungen aus öffentlichen Kassen. wohl länger dauern als das Jahr, um das die Diäten- Sie bekommen kein BAföG, kein Wohngeld, keine erhöhung verschoben wird. Das heißt, es wird hier Sozialhilfe, sondern sie bekommen zahlreiche Steu- eine Maßnahme für die Restlaufzeit des Solidaritäts- ervorteile. Wer also die Bezieher höherer Einkommen zuschlags vorgeschlagen. Das bringt ein kleines an den Sparmaßnahmen beteiligen will, kann das Stück mehr Gerechtigkeit. nur über die Steuern tun. Nicht nur wir Abgeordneten, nein, auch andere Dies wollte ich als fraktionsübergreifenden Antrag Bezieher höherer Einkommen, die Spitzenmanager einbringen, aber die SPD-Bundestagsfraktion hat das der Wirtschaft, die Redakteure von Zeitungen und übernommen. Manchmal hat man auch in der eige- Fernsehen, die Professoren - da fällt mir auch einer nen Fraktion kleine Erfolgserlebnisse. Es sollte Sie Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9783

Peter Conradi nicht daran hindern, diesen Antrag ernsthaft zu prü- gung an das Gehalt eines kommunalen Wahlbeam- fen und ihm zuzustimmen, ten oder eines Bundesrichters auszusetzen, in Wahr- heit zu blockieren. Ich halte dieses Änderungsgesetz (Beifall bei der SPD) für ein dummes, ein schäbiges Ablenkungsmanöver. denn die deutsche Öffentlichkeit wird darauf ach- Ich finde es ärgerlich, wenn zum wiederholten Mal ten, - die Vorderbänkler im Bundestag den Hinterbänklern Enthaltsamkeit verordnen. Einige Vorderbänkler be- ziehen neben ihrer Abgeordnetenentschädigung aus Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Häfner? ihren heutigen und aus früheren Ämtern - als Frak- tionsvorsitzende, als ehemalige Minister, als Ge- schäftsführer, als frühere Bürgermeister - ein üppi- Peter Conradi (SPD): Ja, natürlich. Darf ich wenig- ges Zubrot aus öffentlichen Kassen und daneben in stens den Satz noch zu Ende führen? vielen Fällen weitere Einkünfte aus anderen Quel- len. Sie haben sich bisher erfolgreich gegen eine Of- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ja, natürlich. fenlegung ihrer Einkünfte gewehrt. Würden die Ein- künfte unserer Vorturner öffentlich bekannt, gäbe es großes Erstaunen. Peter Conradi (SPD): - wer sich hier im Bundestag beim Sparpaket um etwas mehr Gerechtigkeit be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der müht. PDS) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Damit mir Herr Schäuble und Herr Solms nicht Herr Abgeordneter! gleich wieder den verfluchten „sozialistischen Neid- komplex" vorwerfen, will ich sagen: Ich finde Ihre Einkünfte in Ordnung, die von Herrn Scharping Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Conradi! Da Sie uns das nun als eine so auch. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, daß die kluge steuerpolitische Konzeption vorstellen, Vorderbank mehr verdient. Eine solche Fraktion wie möchte ich Sie fragen, ob die SPD morgen in der Ihre oder unsere, Herr Schäuble, zu führen, dafür steuerpolitischen Debatte des Bundestages diesen müßte man noch sehr viel mehr Schmerzensgeld be- Antrag stellen wird, und wenn ja, warum wir uns kommen. dann heute damit befassen, wenn aber nein, ob nicht (Heiterkeit - Beifall des Abg. Dr. Peter die Tatsache, das hier in diese Debatte, die sich mit Struck [SPD]) einem völlig anderen Thema befaßt, hineinzuziehen, in der steuerpolitischen Debatte diesen Antrag aber Aber, Herr Schäuble, ich habe meine Nebenein- nicht zu stellen, den Schluß nahelegt, daß es sich um künfte seit vielen Jahren offengelegt, weil ich mich einen Schaufensterantrag handelt, der steuerpoli- ihrer - offenbar im Unterschied zu unseren scham- tisch gar nicht ernst gemeint ist. haften Vorturnern - nicht schäme. Ich käme mir aller- (Widerspruch bei der SPD - Wilhelm dings schäbig vor, würde ich als einer, der mehr ver- Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ausgerechnet dient als der Großteil der Abgeordneten, die nichts Sie!) neben den Diäten haben, den anderen hier mit sal- bungsvollen Worten Enthaltsamkeit predigen. Die Damen und Herren auf den ersten Bänken dieses Peter Conradi (SPD): Herr Abgeordneter, es tut mir Hauses trinken selbst Champagner und predigen leid, Sie haben offenbar den Antrag nicht begriffen. uns öffentlich Wasser. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (Widerspruch bei der SPD - Lachen bei der ten der PDS) CDU/CSU) Die Frage ist doch, ob hier allein ein Sonderopfer der Abgeordneten verlangt wird, was ein wenig mehr Eine politische Führung, die sich so unsolidarisch Solidarität darstellt, oder ob alle Menschen, die das- verhält, wird sich schwertun, an anderer Stelle Soli- selbe leisten können wie wir, die soviel wie oder darität einzufordern. mehr als wir verdienen, an dieser Solidaritätsabgabe Was uns heute nach dem peinlichen Gezerre zuge- beteiligt werden. Wenn Sie das nicht begriffen ha- mutet wird, ist unehrlich. Herr Eylmann hat darge- ben, tut es mir leid. legt, daß selbstverständlich die weiteren Änderun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- gen und Anhebungen entfallen. Glauben Sie im ten der PDS) Ernst, 1997 bei der Kandidatenaufstellung oder 1998 vor der Bundestagswahl würden die vorgesehenen Bisher sprach ich für meine Fraktion, jetzt spreche Erhöhungen zustande kommen? ich für mich. Aber wenn ich die Stimmung in meiner Fraktion richtig einschätze, bin ich mit meiner Mei- Ich werde dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. nung nicht allein. Es geht um den von unseren Frak- Ich beharre auf der Erfüllung des Verfassungsgebots, tionsvorsitzenden erzwungenen Gesetzentwurf, mit daß die Abgeordneten eine angemessene Entschädi- dem das erst im Dezember 1995 beschlossene Gesetz gung bekommen. Als ich hierherkam, wurde ich wie zur Änderung des Abgeordnetengesetzes schon wie- ein Landrat, wie ein Beigeordneter einer Großstadt der geändert werden soll, mit dem Ziel, die schritt- besoldet, heute werden wir wie ein Referatsleiter in weise Heranführung der Abgeordnetenentschädi- einem Ministerium oder wie ein Oberst in der Bun- 9784 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Peter Conradi deswehr besoldet. Bei allem Respekt vor der Büroka- Nun fordern Sie, daß der Solidarzuschlag noch ein- tie und der Bundeswehr ist das nicht angemessen. mal erhöht wird. Ich sage das nur, damit die Verhält- nisse klar sind. Wem haben Sie damit geholfen? Nie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der mandem; kein einziger Arbeitsplatz ist dadurch ent- CDU/CSU und der F.D.P.) standen. Die einzige Frage ist doch: Wie können Sie Ich bin es leid, für meine Arbeit als Abgeordneter die Leute, die mehr verdienen, weil sie mehr leisten, von den Fraktionsvorsitzenden wie ein Schuljunge (Widerspruch bei der SPD) herumgeschubst zu werden. Das beschädigt das Par- lament, und das verletzt unsere Selbstachtung. Es ist dazu bringen, auch in der Bundesrepublik mehr Ar- für die Demokratie gefährlich, die Abgeordneten beitsplätze zu schaffen? Erst wenn Sie diese Frage zum Prügelknaben der Nation zu machen. Wenn das beantwortet haben, bin ich bereit, Ihnen zu folgen so weitergeht: Wer wird dann noch für ein Mandat in und mich auf diese Diskussion einzulassen. diesem Hause kandidieren? Zweitens. Sie haben soeben versucht, die Neid- Es geht um das Ansehen des Hauses. Wer das An- kampagne auch innerhalb dieses Hauses zu schüren. sehen der Volksvertretung beschädigt - sei es von Ich möchte in aller Offenheit sagen: Mich stößt das außen durch anhaltendes Mobbing gegen die Abge- ab. Ich will hier ganz offen erklären: Ich erhalte als ordneten, sei es hier drinnen, weil er sich der Hetze Fraktionsvorsitzender doppelte Diäten. Ich weiß beugt -, der gefährdet die parlamentarische Demo- nicht, wie das in den anderen Fraktionen ist, aber ich kratie. vermute, es ist genauso. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der (Widerspruch bei der PDS) CDU/CSU und der F.D.P.) Ich sage Ihnen aus voller Überzeugung: Wir, die Mit dem Vorschlag meiner Fraktion, den Solidarzu- Fraktionsvorsitzenden, sind das auch wert. schlag für uns Abgeordnete und alle anderen, die so- viel wie oder mehr als wir verdienen, anzuheben, zei- (Beifall bei der F.D.P. - Widerspruch bei der gen wir, daß wir Bundestagsabgeordnete uns beim SPD) Sparen nicht drücken wollen, sondern daß wir bereit sind, unseren Teil an den Sparmaßnahmen zu tragen, Wir sind das genauso wie die Funktionsträger in den so wie alle anderen, die dazu genauso wie wir in der Fraktionen wert. Warum? Weil wir einen ganz ande- Lage sind. ren Arbeitsaufwand zu erbringen haben als die ande- ren Abgeordneten. Das muß in aller Öffentlichkeit Das ist ein Schritt, der die Spardebatte ein wenig klar gesagt werden. ehrlicher machen könnte, der ein kleines Stück mehr Gerechtigkeit bringen könnte. Der Bundestag nimmt In unserer Fraktion ist es üblich, daß über die zu- sich selbst bei diesen Sparmaßnahmen nicht aus, sätzliche Ausstattung der Funktionsträger der Frak- aber er sollte symbolische Strafaktionen gegen sich tionen in der Fraktion jedes Jahr öffentlich berichtet selbst ablehnen, weil damit die parlamentarische De- wird. Wegen der Öffentlichkeit und Transparenz gibt mokratie beschädigt wird. es überhaupt kein Mißtrauen und keine Neidge- fühle, sondern das wird akzeptiert. Deswegen habe (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der ich keine Scheu, die zusätzlichen Einnahmen der CDU/CSU und der PDS) Funktionsträger öffentlich bekanntzumachen. Ich habe das kürzlich auch der Presse gegenüber getan. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Zu einer Kurz- intervention gebe ich dem Abgeordneten Dr. Solms Danke. das Wort . (Beifall bei der F.D.P. - Unruhe)

Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Herr Kollege Conradi, mit Ihrem Antrag versuchen Sie erneut, die Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Meine verehr- Menschen hinters Licht zu führen, als hätten diejeni- ten Kollegen und Kolleginnen, wenn der Geräusch- gen, die mehr verdienen, nicht auch höhere Lasten pegel so hoch ist, daß man den Redner nicht mehr zu tragen; denn unser Steuersystem ist nun einmal so hören kann, dann werde ich die Sitzung unterbre- angelegt, daß diejenigen, die wenig verdienen, keine chen. Ich mache darauf vorsorglich aufmerksam, da- Steuern bezahlen, diejenigen mit mittleren Einkom- mit Sie wissen, daß das zu Lasten Ihrer Zeit geht. men mittlere Steuern bezahlen und diejenigen, die Das Wort hat der Abgeordnete Conradi. hohe Einkommen beziehen, hohe Steuern bezahlen.

(Widerspruch bei der SPD) Peter Conradi (SPD): Herr Abgeordneter Solms, ich Der Spitzensteuersatz liegt bei 53 Prozent, rechnet bin betrübt darüber, daß Sie offenbar unser Steuer- man den Solidarzuschlag dazu, liegt er bei 57 Pro- recht so wenig kennen. zent, plus Kirchensteuer sind Sie bei 60 Prozent. (Lachen bei der F.D.P.) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warum - Hören Sie ruhig zu! - Sonst würden Sie hier nicht wollen Sie dann Steuervereinfachung? - den der erst bei einem hohen Ein- Weitere Zurufe von der SPD) Spitzensteuersatz, kommen greift, mit dem Durchschnittsteuersatz ver- - Ich will nur, daß das klar ist. wechseln. Der durchschnittliche Steuersatz auf die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9785

Peter Conradi zu versteuernden Einkünfte liegt weit unter den von und Politiker dort glücklicherweise keine Honorare Ihnen genannten Sätzen. bekommen. So weit ist es noch nicht gekommen. Es gibt ganz wenige Ausnahmen, die von mir selbstver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ständlich auch öffentlich gemacht werden. Das heißt, Sie täuschen die Öffentlichkeit, wenn Sie Drittens habe ich hier mit großem Interesse gehört, bei Leuten, die in Wirklichkeit nicht einmal daß Fraktionsvorsitzende gelegentlich doppelte Diä- 40 Prozent Steuern bezahlen, von 53 Prozent reden, ten bekommen. Ich kann für unsere Gruppe mittei- ganz zu schweigen von den Gestaltungsspielräumen, len, daß der Vorsitzende eine zusätzliche Aufwands- die das Steuergesetz denen läßt, die viel verdienen. entschädigung in Höhe von exakt 1 000 DM erhält, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Mehr ist PDS) er auch nicht wert!) Da muß ich schon sagen: Bei dem, was hier den Ar- beitslosen, den alleinerziehenden Müttern, den aber an doppelte Diäten oder ähnliches nicht ge- Kranken, den Rentnern zugemutet wird, halte ich es dacht wird. für zumutbar, wenn unsereins und die, die mehr ver- Das alles ist aber nicht mein Problem. dienen, 2,5 Prozent mehr Solidaritätszuschlag auf die Steuer zahlen. Aber Sie lehnen - das habe ich vorher (Zurufe von der CDU/CSU) gesagt - brutal jede Solidarität ab. Sie sparen nur un- - Wenn Sie das angreifen, muß ich das hier richtig- ten; oben sind Sie nicht bereit, Solidarität zu leisten. stellen können. - Aber ich will Ihnen folgendes sa- (Beifall bei der SPD und der PDS) gen: Dann stimmen Sie doch endlich unseren Anträ- gen zu, daß die Nebeneinkünfte veröffentlicht wer- In einem anderen Punkt komme ich Ihnen gerne den, und dann haben wir diese Diskussion - - entgegen. Ich habe ausdrücklich gesagt: Daß Sie -- Herr Solms, ich darum Ihre Aufmerksamkeit bitten -, (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne die Fraktionsvorsitzenden und die anderen Lei- ten der SPD) stungsträger des Parlaments deutlich mehr als die normalen Abgeordneten verdienen, daran ist über- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege haupt nichts auszusetzen. Das habe ich nicht bean- Gysi, entschuldigen Sie bitte, Sie können lediglich standet. Ich habe nur gesagt: Ich finde es eigenartig, hier - - wenn Sie und andere der großen Mehrheit der Abge- ordneten, die ausschließlich die Abgeordnetenent- schädigung hat, Enthaltsamkeit verordnen. Das finde Dr. Gregor Gysi (PDS): Ich habe das richtiggestellt. ich nicht anständig. Das haben Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: getan. CDU/CSU und der PDS)

Dr. Gregor Gysi (PDS): Er hat gesagt, ich heuchele, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Es liegen eine Reihe von Erklärungen vor. Zunächst kommt eine Er- und deshalb sage ich, wenn man den Anträgen zu- klärung nach § 30 der Geschäftsordnung von dem stimmen würde, - Abgeordneten Gregor Gysi. Bitte, Herr Kollege. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Gysi! Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Der Kollege Michelbach hat es in seiner Erwiderung auf meine Kurzintervention für er- Dr. Gregor Gysi (PDS): - wäre das geklärt. forderlich gehalten, persönlich zu werden, und hat das, was er gerade angegriffen hat, meines Erach- Herr Kollege tens ein bißchen durchschauen lassen, nämlich Neid, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gysi, eine Sekunde. - Ich bin nicht bereit, über die indem er auf meine vermeintlichen Einkünfte als An- Geschäftsordnung zu diskutieren. Sie haben nach walt und im Fernsehen bei Talkshows hinwies und § 30 unserer Geschäftsordnung die Möglichkeit, mit meinte, daß es üble Heuchelei sei, was ich hier be- einer persönlichen Erklärung treibe. Dazu drei Bemerkungen: (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das habe ich Erstens. Seit 1990 habe ich als Anwalt mit Aus- gemacht!) nahme eines freisprechenden Urteils überhaupt keine Einnahmen mehr gehabt - das kann ich Ihnen etwas richtigzustellen. garantieren -, weil ich nämlich während der ganzen Zeit in der Politik tätig war. (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Ja!) (Zuruf des Abg. Hans Michelbach [CDU/ Das haben Sie getan. Nun gehen Sie darüber hinaus. CSU]) - Dann behaupten Sie doch so etwas nicht. Dr. Gregor Gysi (PDS): Nein, ich wollte den Vor- wurf, daß es Heuchelei sei, nur dadurch richtigstel- Zweitens. Wenn Sie öfter zu Talkshows eingeladen len, daß ich sage, daß, wenn man unseren Anträgen wären, würden Sie auch wissen, daß Politikerinnen stattgeben würde, wir, beide weniger hätten. Außer- 9786 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Gregor Gysi dem wäre alles öffentlich, und dann wäre jede Heu- für angemessen gehalten haben. Ich kann nicht er- chelei vorbei. Dazu wollte ich ihn gerne aufrufen. kennen, was sich an dieser Bewe rtung in der Zwi- schenzeit geändert hätte. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne- ten der SPD - Abg. Hans Michelbach (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der [CDU/CSU] meldet sich zu Wort) CDU/CSU) Das, meine Damen und Herren, ist der eine Grund, der mich veranlaßt, mit Nein zu stimmen. Der andere Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Es tut mir leid, ist mir eher noch wichtiger. Die Abgeordnetenent- Herr Kollege Michelbach. Zu den Erklärungen nach schädigung soll die Unabhängigkeit der Abgeordne- § 30 unserer Geschäftsordnung ist keine Gegenerklä- ten sichern. Dagegen verstoßen wir nach meiner Ein- rung vorgesehen. schätzung mit der heutigen Entscheidung in doppel- ter Weise. Ich gebe nun das Wo rt zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung dem Kollegen Klose. Zum einen hat nämlich die Unangemessenheit der Entschädigungshöhe Einfluß auf die zukünftige Zu- sammensetzung und die innere Struktur des Parla- Hans-Ulrich Klose (SPD): Herr Präsident! Meine ments. sehr geehrten Damen und Herren! Mir ist klar, daß ich mit dieser Erklärung zur Abstimmung öffentlich (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der keine Punkte machen werde, im Gegenteil. Die Öf- CDU/CSU) fentlichkeit erwartet angesichts der finanziellen und Für bestimmte Gruppen der Gesellschaft wird es zu- ökonomischen Situation des Gesamtstaates eine An- nehmend unattraktiver, ein Abgeordnetenmandat passung der Abgeordnetendiäten nach unten, was- anzustreben, während für andere der Zwang, das ich gut verstehen kann. Abgeordnetenmandat als Besitzstand zu verteidigen, eher noch zunehmen wird. Zugleich werden wir erle- Dennoch erkläre ich hier, daß ich der beantragten ben - so fürchte ich -, daß die Zahl der Abgeordne- Änderung des Abgeordnetengesetzes nicht zustim- ten, die die Abgeordnetentätigkeit gewissermaßen men werde. nebenamtlich ausübt, steigt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Peter Conradi [SPD]: So wird es sein!) CDU/CSU) Das halte ich für eine in höchstem Maße ungute Ent- Ich orientiere mich bei meinem persönlichen Abstim- wicklung, die ich durch mein Abstimmungsverhalten mungsverhalten an Art. 48 Abs. 3 Satz 1 des Grund- nicht noch befördern will. gesetzes. Dort steht: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine an- CDU/CSU) gemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Ent- Zum anderen stört es mich, daß wir bei der Ent- schädigung. scheidung über die Höhe der Abgeordnetenbezüge zunehmend unfreier werden bzw. uns unfrei ma- Mit dem Hinweis auf das Grundgesetz will ich deut- chen. lich machen, daß die Abgeordnetenentschädigung nicht beliebiges Instrument in der Hand der Politik (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) ist. Sie muß angemessen sein und die Unabhängig- keit der Abgeordneten sichern - so will es die Ver- Würde ich heute zustimmen - ich rede nur von mir -, fassung. dann nicht, weil ich diese Entscheidung für sachlich richtig hielte. Was ich für richtig halte, habe ich nach Natürlich weiß ich, meine Damen und Herren, daß wirklich sorgfältiger Prüfung in der Rechtsstellungs- über das Kriterium der Angemessenheit gestritten kommission und auch im Plenum vorgetragen. Nein, werden kann. Dieser Streit ist so alt wie die Abgeord- ich würde unter Druck entscheiden, was von mir er- netenentschädigung selbst. Ich kann aber nicht über- wartet wird, also eine oppo rtune Entscheidung tref- sehen, daß zwei unabhängige Kommissionen, zuletzt fen. die sogenannte Kissel-Kommission, die Unangemes- senheit der gegenwärtigen Entschädigung bestätigt (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der haben. Angemessen ist eine Entschädigung, die sich, CDU/CSU)

•wie 1976 vorgesehen, an den Besoldungsgruppen B 6 Das will ich nicht, weil ich es aus sehr grundsätzli- bzw. R 6 orientiert. Von dieser Größenordnung sind cher parlamentarischer Sicht für falsch halte. wir weit entfernt. Mit der vorgesehenen Verschie- bung entfernen wir uns weiter von diesem Maßstab, Dies ist der zweite und für mich entscheidende den noch vor wenigen Monaten die Rechtsstellungs- Grund, der vorgeschlagenen Änderung des Abge- kommission, der Ältestenrat und die Mehrheit des ordnetengesetzes nicht zuzustimmen. Deutschen Bundestages (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der (Zuruf von der CDU/CSU: Und die Sachver- CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ständigen!) NEN und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9787

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine weitere - Es ist quer durch die Fraktionen gegangen, mit Erklärung zur Abstimmung wird von dem Abgeord- Ausnahme der Fraktion der F.D.P. neten von Larcher gewünscht. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN) Detlev von Larcher (SPD): Herr Präsident! Meine Wir treten in die Kolleginnen und Kollegen! Ich kann dem interfrak- tionellen Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil er mir dritte Beratung zumutet, mit einer symbolischen Handlung die unso- und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die ziale und ökonomisch unsinnige Streich- und Kür- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- zungspolitik für die Opfer der Regierungspolitik ak- ben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann zeptabler zu machen. Ich kann nicht zustimmen, weil stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Le- durch meine Zustimmung das Programm zur Spal- sung bei Gegenstimmen und Stimmenthaltungen tung der Gesellschaft und zum Wachstum der Ar- aus den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD an- beitslosigkeit dieser Bundesregierung und der sie genommen worden ist. tragenden Koalitionsfraktionen „mehr Dignität erhal- ten soll" . Das haben heute Andreas Schmidt, Gerald Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsa- Häfner, Hermann Solms und Hans Michelbach mit men Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ ihren Beiträgen bestätigt. CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. auf Drucksache 13/4895. Wer für diesen Entschließungs- Ich bin bereit, auf 525 DM monatlich ab 1. Juli zu antrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - verzichten, aber nicht als Beispiel für die Rentner, die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und Kranke, son- fest, daß der Entschließungsantrag bei Stimmenthal- dern mit all denjenigen, die so hohe p rivate Ein- tungen aus der Fraktion der SPD und der Fraktion künfte haben wie ich als Abgeordneter und mehr. - der CDU/CSU angenommen worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS) Dann kommen wir zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksa- Sie alle sollen in einem Akt neuer Solidarität den che 13/4884. Wer für diesen Entschließungsantrag Anteil von ihren privaten Einkünften abgeben, den stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegen- die 525 DM von meinen Diäten ausmachen, damit probe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, die Opfer Kohlscher Politik nicht weiter geschröpft daß der Entschließungsantrag mit Stimmen des ge- werden. samten Hauses bei einer Stimmenthaltung aus der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der Ich stimme dem Antrag meiner Fraktion zu und PDS abgelehnt worden ist. lehne den interfraktionellen Antrag ab, weil ich eine Trendwende will: von der 13jährigen Umverteilung Wir kommen nun zur Abstimmung über den An- von unten nach oben und von der Politik zum Wachs- trag der Fraktion der SPD zur Änderung des Solidari- tum der Arbeitslosigkeit zu neuer Solidarität in unse- tätszuschlaggesetzes auf Drucksache 13/4841. rer Gesellschaft und zur energischen Bekämpfung Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um das der Arbeitslosigkeit. Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag mit den Stimmen der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Koalition gegen die Stimmen der Mehrheit der Frak- PDS) tion der SPD und der Gruppe der PDS bei Stimment- haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und einzelnen Stimmenthaltungen auch aus der Fraktion Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Die Ausspra- der SPD abgelehnt worden ist. che ist geschlossen. Wir treten in die Abstimmung ein. (Unruhe) Wir fahren mit Tagesordnungspunkt 6 fo Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den rt . Ich von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/ bitte die Kollegen, die der weiteren Beratung nicht folgen wollen, nun den Raum zu verlassen, damit wir Die Grünen und F.D.P. gemeinsam eingebrachten in den nächsten Punkt der Tagesordnung eintreten Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetenge- können. setzes und des Europaabgeordnetengesetzes, Druck- sache 13/4840 und 13/4872. Ich bitte diejenigen, die (Unruhe) dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustim- men wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ganze Abstimmungsverhalten ist übrigens Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der korrekt zu Protokoll gegeben. Da brauchen Sie keine Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit Mehrheit bei Bedenken zu haben, von keiner Seite. Gegenstimmen und Stimmenthaltungen aus den Fraktionen der CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: SPD und der Gruppe der PDS angenommen worden a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines ist. Telekommunikationsgesetzes (TKG) (Simone Probst [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- - Drucksachen 13/3609, 13/4438 - NEN]: Keine Enthaltung!) (Erste Beratung 83. und 101. Sitzung) 9788 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- der Länder, über das Gesetz verhandelt haben, gab schusses für Post und Telekommunikation es eine Reihe von Auseinandersetzungen. Dennoch (17. Ausschuß) sind wir am Mittwoch dieser Woche im Postausschuß zu einer einvernehmlichen Lösung gekommen, die - Drucksache 13/4864 - allerdings - das muß ich sofort hinzufügen - zumin- Berichterstattung: dest in den letzten 24 Stunden von Irritationen be- Abgeordnete Elmar Müller (Kirchheim) gleitet wurde. Hans Martin Bury Diese Irritationen sind es, die mich verleiten, nicht Dr. Manuel Kiper in der Breite des Gesetzes zu beginnen, sondern Dr. Max Stadler mich zunächst auf wenige Dinge zu konzentrieren, Gerhard Jüttemann um dann noch in ein paar Sätzen zu den Ereignissen b) Beratung der Beschlußempfehlung und des der letzten Stunden Stellung zu nehmen. Berichts des Ausschusses für Post und Tele- Eines der wichtigsten Kapitel dieses Gesetzes und kommunikation (17. Ausschuß) zu dem Antrag das, worüber wir uns am längsten auch gestritten ha- der Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Christa ben, war die Frage der Regulierung. Unbestritten be- Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE darf es einer Regulierung, die auch im Gegensatz zu GRÜNEN anderen Regulierungen, die wir in der Marktwirt- Errichtung einer Bundesanstalt für die Regu- schaft und auch in unserem Land kennen, nicht zum lierung von Post und Telekommunikation Ziel hat, zu verhindern, daß sich große, marktbeherr- schende Unternehmen bilden, sondern es bedarf ei- - Drucksachen 13/3920, 13/4864 - ner Regulierung, die umgekehrt dazu beiträgt, aus Berichterstattung: einem Monopol Unternehmen sich entwickeln zu las- Abgeordnete Elmar Müller (Kirchheim) sen, die - so hoffen wir - sich nun innerhalb dieses Hans Martin Bury ehemaligen Monopols vor allem auch zugunsten des Dr. Manuel Kiper Verbrauchers auf dem Telekommunikationsmarkt zu Dr. Max Stadler echten Wettbewerbern entwickeln können, die die- Gerhard Jüttemann sen Markt öffnen und ihn auch zu einem interessan- ten Markt der Investitionen; der auch Arbeitsplätze Es liegen je ein Änderungsantrag der Fraktionen schafft, entwickeln. der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen und ein Entschließungsantrag der Gruppe der PDS vor. (Beifall bei der CDU/CSU) Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für Das ist nicht nur unsere Hoffnung, sondern darauf die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - setzen wir, und das war auch das Ziel dieses Geset- Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann verf ah- zes. ren wir so. Meine Damen und Herren, eine Regulierungsbe- Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Ab- hörde, wie wir sie nun entwickelt haben, soll - dar- geordnete Elmar Müller. auf haben wir Wert gelegt - durchsetzungsstark sein, und deshalb hat sich dieser Streit bis in die letzten Tage hinein gelohnt. Diese Behörde soll von einem Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Herr Präsi- Präsidenten und zwei Vizepräsidenten geleitet wer- dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kol- den. Allerdings muß auch in der Bestellung der Re- leginnen und Kollegen! Wir beraten heute über das gulierungsspitze die Regierung das Letztentschei- Telekommunikationsgesetz, das die zwangsläufige dungsrecht haben. Darauf legen wir als Bundestag Folge einer Entwicklung seit der Postreform I im und auch als Vertreter des Inhabers, das heißt des Jahre 1989 ist. Besitzers dieses ehemaligen Monopolisten, Wert. Zunächst erfolgte die Privatisierung der Unterneh- Auch das war unbestritten. men der Deutschen Telekom zum 1. Januar 1995. Im Dabei sollen die Länder durchaus im Rahmen der Jahr 1993, also bereits während der Verhandlungen Möglichkeiten eines Beirates mitwirken dürfen. Al- zur Postreform II, gab es zu den Fragen der Liberali- lerdings geht es dabei lediglich, wie § 70 sagt, um sierung erste Überlegungen und Papiere. Hinzuge- eine Benehmensregelung. kommen sind eine Reihe von Grün- oder Weißbü- chern, von Entwicklungen der Europäischen Kom- Meine Damen und Herren, die Fragen des Univer- mission, die uns nun in die Lage versetzen, einen saldienstes, die uns besonders wichtig waren und Markt zu öffnen, den wir inzwischen alle miteinan- auf die mein Kollege Dr. Meister nachher im Detail der als den interessantesten und weltweit dyna- eingehen wird, sollen allerdings von dieser Behör- mischsten Markt überhaupt entdeckt haben; auf ihn denspitze auch vor allem do rt gelöst und entschieden setzen wir. Insbesondere in der Bundesrepublik werden, wo es um knappe Ressourcen und vor allem Deutschland verbinden wir mit dem Markt der Tele- strittige Entscheidungen geht. Ich denke, daß das kommunikation und seinen Entwicklungen große eine richtige Lösung innerhalb dieses Gesetzentwur- Hoffnungen. fes ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Die Unabhängigkeit dieser Behörde von tagespoli- Laufe der letzten Monate, in denen wir in der Koali- tischen Einflüssen zeigt sich auch darin, daß wir un- tion und interfraktionell, auch unter Einbeziehung abhängige Beschlußkammern innerhalb dieser Be- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9789

Elmar Müller (Kirchheim) börde gestaltet haben, die allerdings nun inzwischen macht. Ich denke, daß das, Herr Minister, wirklich - das ist vernünftig angesichts der qualitativen Auswirkungen auf die künftigen Verhandlungen Spitze, die wir bilden wollen - durchaus auch einen zum Postgesetz haben muß. Es darf nicht mehr ange- Verzicht auf ein Vorverfahren nach dem Verwal- hen, daß wir so verhandeln, daß die Länder mit im tungsverfahrensgesetz ausüben können. Das heißt Boot sitzen und uns dann immer noch - ich sage das also, es gibt Entscheidungen, die wirklich qualitativ Wort ausdrücklich - erpressen können, weil sie sa- und quantitativ von dieser unabhängigen Spitze ge- gen: Ihr braucht die Zustimmung im Bundesrat. troffen werden sollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Die wichtigste Aufgabe dieser Regulierungsbe- hörde wird unter anderem die Entgeltregulierung Das, was nun in diesen letzten Stunden mit sein, das heißt die Überwachung der im Gesetz vor- 22 Punkten durch die Länder noch einmal draufge- geschriebenen Netzzusammenschaltung, sowie der sattelt wurde, empfinde ich als eine Unverschämt- offene Netzzugang, der für zukünftige Nutzer außer- heit. Wir sollten alle gemeinsam in diesem Hause ordentlich wichtig ist. Diese drei Dinge sind es, die darauf achten, daß nichts, aber auch möglichst über- die Essentials dieses Gesetzes bilden. Wenn wir die- haupt nichts von dem, was die Länder nun zusätzlich ses nicht zustande gebracht hätten - das war der um- eingebracht haben, verwirklicht wird. strittenste Teil vor allem des bisherigen Monopolisten Ich möchte gerne noch einen letzten Teil anfügen, wie auch derer, die auf diesen Markt wollen -, dann Herr Präsident. Die Wettbewerber und Konkurrenten wäre das Gesetz insgesamt überhaupt nicht sinnvoll der Telekom haben gelegentlich in den letzten Tagen gewesen. Dinge verlauten lassen, aus denen man schließen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- kann, daß sie den letzten Stand der Gesetze nicht be- ordneten der F.D.P.) achtet haben. Die Auseinandersetzung, die notwen- dig war, haben wir durchgestanden. Wir erwarten Wir haben in diesem Zusammenhang die Netzzu- nun wirklich, daß vor allem diejenigen, von denen sammenschaltung, das heißt den offenen Netzzu- sich einer, der die Milliarden aus Monopoleinnah- gang, als Verpflichtung in das Gesetz geschrieben, men der EVUs sogar gehortet hat, dazu verstiegen wir haben die Nummernportabilität und „pre-selec- hat zu sagen, daß er, wenn das Gesetz nicht besser tion" als wichtige Voraussetzungen in das Gesetz würde, die künftige Telekommunikation vom Aus- aufgenommen, und wir haben vor allem darauf ge- land nutzen werde - dies ist eine Unverschämtheit achtet, daß diese „pre-selection" für den künftigen sondergleichen -, daß also diejenigen, die von dieser Kunden die Chance bietet, daß er wirklich in seiner Marktöffnung, die wir alle gemeinsam wollen, profi- Entscheidung unabhängig ist, welches Unternehmen tieren, ihr Wort wahrmachen und investieren und er künftig beauftragt, dessen Leistungen er mit sei- in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitsplätze nen Beiträgen entsprechend dem Tarif bezahlen schaffen und nicht ausschließlich kritisieren, was wird. sich der bisherige Monopolist leistet, sondern durch Deshalb kann der Bundespostminister, der dieses Innovation und eigene Tätigkeiten dafür sorgen, daß Gesetz eingebracht, gestaltet und in diesen ausführ- dieser Markt attraktiver wird. Er soll vor allem zu- lichen Verhandlungen immer wieder auf den Punkt gunsten derer attraktiver werden, die als Telefon- zugeführt hat, den wir als notwendig erachten, zu kunden und künftige Nutzer dieser Telefonnetze Recht sagen, daß wir damit das liberalste und vor al- eine günstige Tarifierung und eine möglicherweise lem auch marktoffenste Gesetz im Bereich der Tele- modernere Telekommunikation wollen. Dazu rufen kommunikation geschaffen haben, das es weltweit wir alle auf. Deshalb hoffe ich, daß dieses Gesetz am gibt. Ende dieser Auseinandersetzung Zustimmung findet und daß wir, wie gesagt, die Forderungen der Länder (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) alle gemeinsam vehement ablehnen. Ich möchte mit dem Dank an die Verhandlungs- Herzlichen Dank. führer und an die Kollegen, die daran beteiligt wa- ren, auch an die Kollegen meiner eigenen Fraktion (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) im Ausschuß, diesen Teil abschließen und möchte den Teil noch berühren dürfen, der uns nun in den Ich erteile dem letzten Stunden wirklich belastet. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Abgeordneten Hans Martin Bury das Wo rt . Was ist es inzwischen für eine politische Kultur, wenn wir in die Beratungen zu einem wichtigen Ge- (SPD): Herr Präsident! Meine setz die Vertreter der Länder einbeziehen, mit diesen Hans Martin Bury Damen und Herren! Die Debatte des Telekommuni- Vertretern monatelang verhandeln, gemeinsam zu kationsgesetzes hat einen langen Vorlauf: von der Lösungen kommen und dann wenige Stunden vor Vorstellung erster Eckpunkte bis zur heutigen zwei- der Entscheidung erleben müssen, daß sie das Er- ten und dritten Lesung im Bundestag. Das Thema ist gebnis der Verhandlungen zwar einsacken, aber daß dennoch über den gesamten Zeitraum spannend ge- sie dann immer noch etwas draufsatteln wollen? blieben, manchmal mehr als den Verhandlungsfüh- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) rern lieb war. Wir sollten uns gemeinsam dagegen wehren, daß Es geht mit dem Telekommunikationsgesetz um diese Unkultur in der Auseinandersetzung im Wett- nicht weniger als die Gestaltung eines der wichtig- bewerb zwischen Bundestag und Bundesrat Schule sten Zukunftssektoren unserer Volkswirtschaft; zu 9790 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Hans Martin Bury wichtig, um ihn dieser Regierungskoalition alleine zu Energieversorgungsunternehmen und andere, die überlassen. bereits in erheblichem Umfang über eigene Netze verfügen, müssen in die Pflicht genommen werden. (Beifall bei der SPD) Mit der Festschreibung eines offenen Netzzugangs Was wir beschließen, hat weitreichende Auswir- und der Verpflichtung zur Zusammenschaltung der kungen für Unternehmen, Beschäftigte und Verbrau- Netze für alle Netzbetreiber sorgen wir für faire cher - positive Auswirkungen; denn im Laufe der Wettbewerbsbedingungen und für den raschen Auf- Verhandlungen ist es gelungen, im Telekommunika- bau zusätzlicher flächendeckender Infrastrukturen. tionsgesetz wichtige Ziele festzuschreiben. Versuche, einzelne Anbieter unangemessen einsei- Mit der gesetzlichen Vorgabe eines Universal- tig zu belasten, konnten korrigiert werden. Der SPD dienstes wird gewährleistet, daß hochwertige Tele- ist es vor allem gelungen, die Zerschlagung der Tele- kommunikationsdienstleistungen zu erschwingli- kom zu verhindern. Mit den Regelungen zur struktu- chen Preisen im Wettbewerb angeboten werden, wo- rellen Separierung werden Unternehmen, die auf bei ich darauf hinweisen möchte - denn das wird im- anderen Märkten über eine marktbeherrschende mer wieder fehlerhaft berichtet -, daß wir einzelne Stellung verfügen, verpflichtet, ihre Telekommuni- Anbieter nicht von vorneherein zu Universaldienst- kationsaktivitäten in rechtlich selbständigen Unter- leistungen verpflichten. Wir setzen darauf, daß der nehmen zu führen. ordnungspolitische Rahmen des Telekommunikati- Es ist unbestreitbar, daß die Strommonopolisten onsgesetzes sicherstellt, daß hochwertige und preis- mit ihrer hervorragenden Kapitalausstattung eine günstige Telekommunikationsdienstleistungen flä- privilegierte Startposition im einsetzenden Wettbe- chendeckend im Wettbewerb angeboten werden. werb haben. Dennoch wollen wir - im Gegensatz zu Bei der Nutzung knapper Frequenzen sind jedoch den Grünen - deren Milliardeninvestitionen im Tele- Flächendeckungsauflagen vorgesehen. Damit sollen kommunikationssektor nicht verhindern. Auch die knappe Ressourcen bevorzugt den Anbietern zur Telekom kommt aus der Position des Monopolisten. Verfügung stehen, die einen hohen räumlichen Ver- Die Energieversorgungsunte rnehmen müssen nun sorgungsgrad gewährleisten. Das ist sowohl im indu- die Forderungen, die sie zur Liberalisierung des Tele- striepolitischen Interesse der Förderung marktstarker kommunikationsmarktes so vehement vertreten ha- Wettbewerber, die in Deutschland in die Erweiterung ben, auch in ihrem Stammgeschäft gegen sich gelten der Infrastruktur investieren und hier Arbeitsplätze lassen. schaffen, als auch im Interesse der Kunden. Denn (Beifall bei der SPD) nur die echte Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Anbietern stellt sicher, daß sich der Wettbewerb für Notwendig ist nicht der Ausschluß von Unternehmen die Kunden auszahlt. aus einem Zukunftsmarkt, sondern die Öffnung ihres Marktes in einer Weise, die auch ökologische Es ist uns gelungen, die Förderung von Telekom- Aspekte endlich zur Geltung bringt. munikationsdienstleistungen bei öffentlichen Ein- richtungen als Regulierungsziel im Gesetz zu veran- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD hat in kern. Ich halte das für ausgesprochen wichtig, um den Verhandlungen und Beratungen vieles erreicht; die Akzeptanz und Realisierung neuer Dienste und aber angesichts der Mehrheitsverhältnisse einige Anwendungen zu fördern und die Entwicklung einer Forderungen auch nicht durchsetzen können. Das Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft zu verhin- gilt zum Beispiel für die von uns vertretene breitere dern. Universaldienstdefinition. Ich bin aber sicher, daß die von einigen befürchtete Verengung auf Sprachte- Der Gesetzentwurf sieht außerdem unter anderem lefondienst schon dank des klaren Verfassungsauf- Regelungen vor, die sicherstellen, daß sich die Tele- trages nach Art . 87f des Grundgesetzes nicht rele- fonnummer des Kunden beim Wechsel der Telefon- vant wird. Der Universaldienstbegriff ist vielmehr re- gesellschaft nicht ändert. Wir haben bei den Daten- gelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls zu er- schutzbestimmungen Verbesserungen erreichen weitern. Das TKG sieht entsprechende Regelungen können, die die Veröffentlichung und Weitergabe und eine Beteiligung des Bundestages und des Bun- von Kundendaten von deren ausdrücklicher Zustim- desrates vor. mung abhängig machen. Ich bedaure, daß sich die Koalition unserem Anlie- Wir haben gegen erstaunlich heftigen Widerstand gen nicht angeschlossen hat, mit einer gesetzlichen der Koalition durchgesetzt, daß auch bei einer Viel- Regelung dafür zu sorgen, daß deutsche Unterneh- zahl von Telefondienstanbietern für die Bürgerinnen men zu ausländischen Märkten ebenso freien Zu- ver- und Bürger kostenlose Notrufmöglichkeiten gang haben müssen wie ausländische Unternehmen pflichtend vorgeschrieben werden. Ich hätte eigent- in Deutschland. Es geht nicht, daß etwa die USA, die lich gedacht, das sei eine Selbstverständlichkeit. Es immer am lautesten von freiem Welthandel reden, in bedurfte aber tatsächlich heftiger Auseinanderset- der Praxis immer wieder Hürden für die Betätigung zungen im Ausschuß. deutscher Unternehmen in den Staaten errichten. (Beifall bei der SPD) Die Bundesregierung muß hier mit größerem Nach- druck auf eine wechselseitige Marktöffnung drän- Die Bundesregierung hat in den Ausschußberatun- gen. gen immer wieder versucht, die Verpflichtung zur Zusammenschaltung von Netzen auf marktbeherr- Die CDU/CSU-Fraktion hat, ebenso wie der Tele- schende Unternehmen zu beschränken. Doch auch kommunikationsexperte der F.D.P., Graf Lambsdorff, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9791 Hans Martin Bury europarechtliche Bedenken wegen der Regelungen onsgesetz kein Präjudiz für einen Wegfall der Kon- zur Vergabe knapper Frequenzen und zu den ent- zessionsabgaben im Energiebereich geschaffen wer- sprechenden Flächendeckungsauflagen geäußert. In den darf. der Anhörung zum Telekommunikationsgesetz - Herr Funke lacht schon - wurden diese Bedenken (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ von Graf Lambsdorff nicht bestätigt. Es wurde ledig- DIE GRÜNEN) lich deutlich, daß einige Unternehmen am liebsten keinerlei Auflagen wollen. Das mag verständlich Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Sie gestatten sein, wenngleich es ein bezeichnendes Licht auf de- offenbar eine Zwischenfrage des Kollegen Müller? ren Mangel an gesellschaftspolitischem Verantwor- tungsbewußtsein wirft. Hans Martin Bury (SPD): Aber bitte. (Beifall bei der SPD) Ein Grund, auf Auflagen zur Sicherstellung des staat- Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Herr Kol- lichen Infrastrukturauftrages zu verzichten, ist es lege Bury, ich bin durchaus der Meinung, daß ich nicht. Ihre Ansicht zu diesem Thema in den letzten Wochen mehrmals gehört habe. Trotzdem finde ich es etwas Ein Thema, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist bis eigenartig, daß Sie diesen Antrag begründen. zum heutigen Tag unter uns strittig. Der Gesetzent- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Er muß sich an wurf sieht die unentgeltliche Nutzung öffentlicher die Mehrheit seiner Fraktion halten!) Wege für Telekommunikationszwecke vor. (Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Zu Ich bin sehr daran interessiert, Ihre persönliche Mei- Recht!) nung - nicht die Ihrer Fraktion - zu diesem Thema hier zu hören. Sie haben vorhin von der Mehrheits- Diese öffentlichen Wege befinden sich zum größten - meinung in Ihrer Fraktion gesprochen. Aber ich Teil im Eigentum von Kommunen. Die SPD-Fraktion frage: Wie sieht nun der postpolitische Sprecher der ist mit großer Mehrheit zu der Überzeugung gelangt, SPD-Fraktion diesen Antrag? daß die unentgeltliche Nutzung dieser Wege gegen die berechtigten Interessen der Kommunen verstößt. (Arne Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Das muß Die Fraktion hat deshalb einen Änderungsantrag im Ausschuß auch den Sprechern der CDU eingebracht, der die Rechtsposition der Kommunen mal so ergangen sein, Herr Kollege!) als Eigentümer der Verkehrswege anerkennt und ein Entgelt für die Nutzung vorsieht. Eine Verordnung Hans Martin Bury (SPD): Nachdem wir uns ge- der Bundesregierung, die der Zustimmung des Bun- meinsam so lange mit diesem Thema auseinanderge- desrates bedarf, soll Obergrenzen für das Wegenut- setzt haben, Herr Kollege Müller, bedaure ich, daß zungsentgelt vorsehen. Damit soll ebenfalls sicherge- Ihnen völlig entgangen ist, daß ich mich bis zur Sit- stellt werden, daß keine ungewünschten Belastun- zung der Bundestagsfraktion der SPD in dieser Wo- gen für Wirtschaft und Verbraucher, keine Wettbe- che vehement gegen die Einführung eines Wegenut- werbsverzerrungen zu Lasten einzelner Anbieter zungsentgelts ausgesprochen habe. Ich bin aber als und keine Verzögerungen beim Ausbau der Tele- Sprecher der Fraktion kommunikationsinfrastruktur entstehen. (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: In einer tragi Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzen- schen Position!) verbände hat ausdrücklich deutlich gemacht, daß es den Kommunen nicht um die Erschließung bedeu- verpflichtet, die Mehrheitsentscheidung der Fraktion tender neuer Einnahmequellen geht, sondern vorran- nicht nur zu respektieren, sondern sie auch hier vor- gig um die Wahrung ihrer Rechtsposition. Gestal- zutragen und nicht meine persönliche Auffassung in den Vordergrund zu stellen. tungsvorschläge, beispielsweise der Landesregie- rung von Nordrhein-Westfalen, die mit den kommu- (Beifall bei der SPD - Dr. Martin Mayer nalen Spitzenverbänden abgestimmt sind, liegen vor. [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: Das müßte Sie berücksichtigen auch den Beitrag des Anbieters doch einen Rücktritt wert sein! - Gegenruf zur Erfüllung des Infrastrukturauftrages bei der Be- von der SPD: Scheinheilig!) messung der Höhe des Wegenutzungsentgelts und wurden von Wolfgang Clement bereits in die inter- - Dann wäre Ihre gesamte Regierungsbank längst fraktionellen Verhandlungen eingebracht. leer. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen Gestatten Sie meine persönliche Auffassung zu diesem Thema. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: eine Zwischenfrage des Kollegen Weng? (Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Nein, die wollen wir hören!) Hans Martin Bury (SPD): Aber natürlich. Dennoch bitte ich Sie um Zustimmung zu dem An- trag der SPD. Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Kol- (Heiterkeit) lege Bury, die mit der Sache nicht so nah befaßten Kollegen, die aber mittlerweile wahrscheinlich nach- Wichtig ist für uns insbesondere, lieber Kollege Mül- vollziehen können, was Sie mit Ihrer Andeutung ler, daß mit den Regelungen im Telekommunikati- nach der Zwischenfrage des Kollegen Müller mein- 9792 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) ten, haben ein Interesse, zu erfahren, wie Sie in die- nige lächerlich, der wegen solchen Firlefanzes, über ser Frage abstimmen. den wir im Ausschuß im übrigen beraten und abge- stimmt haben, ernsthaft ein Vermittlungsverfahren (Anke Fuchs [Köln] [SPD] und Wolfgang zwischen Bundesrat und Bundestag anstrebt. Thierse [SPD]: Das wird man sehen!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) Hans Martin Bury (SPD): Zum ersten, lieber Herr Kollege Weng: Falls Sie mal wieder im Wahlkreis auf- Auch die Forderung des Landes Bayern, dem Bei- tauchen sollten, würde ich Ihnen den Werdegang rat der Regulierungsbehörde statt eines Mitwir- dieses Gesetzes in einem persönlichen Gespräch kungsrechtes ein Mitentscheidungsrecht zu geben, gern ausführlich erläutern. widerspricht allen Forderungen nach weitgehender Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde. Die Folge (Beifall bei der SPD) wäre im übrigen, daß die Entscheidungen des Beira- Zum zweiten wird die Fraktion der SPD, der ich an- tes - wie heute im Fall des Regulierungsrates - durch gehöre, dem Änderungsantrag in der zweiten Le- ein Kassationsrecht der Bundesregierung aufgeho- sung geschlossen zustimmen. ben werden könnten. Gewonnen wäre nichts; aber die Unabhängigkeit des Regulierers wäre dahin. Ich begrüße, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß es uns gelungen ist, eine Erklärung der Bundesregie- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der rung zum Thema „Dominoeffekt" bei den Konzessi- F.D.P.) onsabgaben und dessen Verhinderung sowie eine Im übrigen - auch wenn man das in Bayern und in Entschließung des Parlaments in die Beschlußemp- anderen Ländern noch nicht kapiert hat -: Diese Re- fehlung zum Telekommunikationsgesetz aufzuneh- gulierungsbehörde soll den Übergang vom Monopol men. in den Wettbewerb gestalten und die Einhaltung der - Ich erwarte darüber hinaus, daß der Bundespostmi- Regulierungsziele absichern. Sie ist kein Instrument nister für die Bundesregierung hier noch einmal klar- zur Durchsetzung von Länderwünschen. stellt, daß sich die Bundesregierung auch auf euro- Die vom Bundesrat auf einmal angemahnten Ver- päischer Ebene für den Erhalt der Konzessionsab- besserungen des Universaldienstes entsprechen gabe einsetzen und alle Versuche abwehren wird, zwar meinen Ausgangsforderungen; aber man kann die Konzessionsabgabe auszuhebeln. dem Bundestag von Länderseite aus nicht zum Vor- (Beifall bei der SPD) wurf machen, daß er für die Definition des Universal- dienstes exakt den Beschluß der Länderwirtschafts- Das Mißtrauen bei diesem Thema ist groß. Die minister übernommen hat. ständige Überwälzung von Belastungen auf die Kom- munen und die Versäumnisse dieser Bundesregie- Ich hoffe, daß sich morgen im Plenum des Bundes- rung bei der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik lie- rates die Politiker gegen die Beamten durchsetzen fern dafür genügend Gründe. und das Gesetz beschließen. Wir werden dem Telekommunikationsgesetz in der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der dritten Lesung zustimmen. Der Wettbewerbs- und F.D.P.) Regulierungsrahmen für den Telekommunikations- Mit dem Telekommunikationsgesetz machen wir markt der Zukunft kann sich insgesamt sehen lassen. den Weg frei für die erfolgreiche Entwicklung eines Wir sollten das Ergebnis selbstbewußt vertreten. der wichtigsten Zukunftssektoren unserer Volkswirt- Ich appelliere auch an den Bundesrat, dem Tele- schaft. Das TKG ist nicht ein „Bündnis für Arbeit", kommunikationsgesetz morgen zuzustimmen. sondern die Grundlage für Arbeit, hat Telekom-Chef Ron Sommer kürzlich formuliert. Der Gesetzgeber ist (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der immer wieder gedrängt worden, rechtzeitig die Rah- F.D.P.) menbedingungen für den Telekommunikationsmarkt zu schaffen, um den Investoren Planungssicherheit Die Länder haben in den vergangenen Monaten zur zu geben und dem Wettbewerb Schwung zu verlei- Verbesserung des Gesetzentwurfs beigetragen. Ei- hen. nige Länderanliegen wurden aufgenommen; andere sind verständlich, aus Bundessicht aber nicht sinn- Das Telekommunikationsgesetz wird - davon bin voll. Es handelt sich bei der Gestaltung des Telekom- ich überzeugt - rechtzeitig vor der Sommerpause be- munikationsmarktes eindeutig um eine Aufgabe und schlossen werden. Dann sind die Wettbewerber am Verpflichtung des Bundes. Zug. Wir sind gespannt auf die Einlösung der vielen tollen Versprechungen. (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.) Ich halte es nicht für akzeptabel, wenn der feder- führende Ausschuß im Bundesrat zum Beispiel we- Wir werden sie daran messen und, weil wir uns dar- gen der Frage, ob der Präsident der Regulierungsbe- auf alleine nicht verlassen können, mit dem Instru- hörde auf unbefristete Zeit oder jeweils für die Dauer mentarium des Telekommunikationsgesetzes und von fünf Jahren bestellt wird, empfiehlt, den Vermitt- des Regulierers dafür sorgen, daß wir das Ziel dei lungsausschuß anzurufen. Erstens handelt es sich um Liberalisierung erreichen: die flächendeckende Ver- eine Bundesbehörde, und zweitens macht sich derje sorgung unseres Landes mit noch besseren, preis- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9793

Hans Martin Bury günstigeren Telekommunikationsdienstleistungen Herr Bury, wenn Sie in den Änderungsantrag hin- zum Nutzen der Wirtschaft und der Verbraucher. eingucken, den wir heute vorlegen, dann werden Sie das noch einmal genau nachlesen können. Insofern (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei ist das, was Sie hier meiner Fraktion unterstellt ha- Abgeordneten der CDU/CSU) ben, unzutreffend. Auch unsere Fraktion hält es für notwendig, daß getätigte Investitionen, daß vorhan- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem dene Telekommunikationsstrukturen auch bei den Abgeordneten Dr. Manuel Kiper das Wo rt . Energieversorgern nicht brachliegen, sondern volks- wirtschaftlich genutzt und im Rahmen von Wettbe- werb fruchtbar eingesetzt werden können. Dr. Manuel Kiper (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle- Ein zweiter Aspekt der Kritik unserer Fraktion ist gen! Mit dem TKG wird für den Wettbewerb auf dem der Umgang mit den kommunalen Wegerechten. Ich Sektor Telekommunikation die Tür aufgemacht. Aus freue mich, daß die SPD-Fraktion, was diesen Punkt diesem Grunde begrüße ich die Zielsetzung dieses angeht, im letzten Augenblick aufgewacht ist und Gesetzes ausdrücklich. ihre Postpolitiker zurückgepfiffen hat, die im trauten Kostengünstige Versorgung wie auch optimale Einvernehmen mit den anderen Fraktionen die kom- munalen Wegerechte gewissermaßen mit Füßen tre- Kundenorientierung werden nicht durch Monopole, sondern am ehesten durch Konkurrenz erreicht. Ich ten wollen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir möchte den einbringenden Fraktionen und den Kol- haben im Ausschuß durchgesetzt, daß private leginnen und Kollegen im Ausschuß für Post und Grundstücksbesitzer Beeinträchtigungen durch die Telekommunikation anerkennend bescheinigen, daß Telekommunikation nicht einfach hinnehmen müs- im Ringen um dieses Gesetz ein Regulierungsrah- sen, sondern daß sie bei Beeinträchtigungen über das zumutbare Maß hinaus Ausgleichsforderungen men geschaffen wurde, der einen einigermaßen fairen Wettbewerb auf dem Telekommunikationssek- stellen können. Ich habe diese Forderung der CDU/ CSU-Fraktion unterstützt, weil ich das für recht und tor programmieren soll. billig halte. Aber in gleicher Logik hätten Sie von sei- Allerdings wurde aus meiner Sicht die Telekom ten der Regierungskoalition und auch Sie von seiten hinsichtlich mancher Bestimmungen zu sehr mit der SPD den kommunalen Wegerechten zum Recht Glacéhandschuhen angefaßt. Es ist für mich nicht er- verhelfen müssen. Leider haben Sie es bis zum heuti- sichtlich, warum in anderen Ländern zum Beispiel gen Tage nicht machen wollen. Die Postpolitiker der Kabel-TV-Netze und Telefonnetze getrennt werden SPD sind inzwischen von ihrer Fraktion dazu ge- müssen, in Deutschland bei der Telekom aber in gro- zwungen worden. ßem Umfang in einer Hand verbleiben dürfen. Der Änderungsantrag, der heute von der SPD- Einen zweiten gravierenden Punkt möchte ich Fraktion eingebracht wird, ist ein richtiger Antrag. nennen: die langen Übergangsfristen für nach altem Ich unterstütze ihn. Er ist in gleicher Weise Bestand- Recht genehmigte Monopoltarife. Auch hier hätte teil unseres Änderungsantrages zum Telekommuni- eine andere Regelung einem stärkeren Wettbewerb kationsgesetz. Ich würde mich freuen, wenn dieses gutgetan. Recht der Kommunen jetzt noch - in der letzten Phase der Beratung des Telekommunikationsgeset- Meine Damen und Herren, unsere Fraktion ist zes - in das Telekommunikationsgesetz aufgenom- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wo ist sie denn?) men werden würde und akzeptiert würde, daß in die Hoheit der Kommunen eingegriffen wird, die sich - sie ist natürlich vertreten -, obwohl wir die Zielset- das nicht gefallen lassen müssen. zung auf dem Sektor Telekommunikation begrüßen, mit diesem Gesetz unzufrieden. Die Kritik möchte ich Mein dritter Punkt ist der Universaldienst. Diesbe- in fünf Punkten zusammenfassen, die ich im einzel- züglich ist eine Schmalspurlösung verankert worden. nen in Form von Änderungsanträgen bereits im Aus- Der Universaldienst hätte zukunftsweisend und dy- schuß eingebracht und begründet habe. namisch ausgestaltet werden müssen. Das ist nicht der Fall; wir haben das breit diskutiert. Ein entscheidender Punkt der Kritik unserer Frak- tion ist die Frage der Quersubventionierung. Die Ich möchte einen vie rten Punkt nennen. Das ist die strukturelle Separierung bisheriger Monopolunter- Frage der fairen Regulierung und der Organisation nehmen der Energieversorger ist nicht gewährleistet. der Regulierungsbehörde. Ich darf daran erinnern, Nun hat der Kollege Bury hier gesagt, daß wir die daß der Herr Bundespostminister ursprünglich selber Energieversorger aus dem Sektor Telekommunika- der Überzeugung gewesen ist, daß lediglich eine tion fernhalten wollten. Nein, Herr Kollege Bury, so oberste Bundesbehörde die notwendige Unabhän- ist das nicht. Wir wollen die Energieversorger als Mo- gigkeit hat, um in diesem heute noch monopolisier- nopolisten aus dem Sektor Telekommunikation her- ten Markt für Wettbewerb zu sorgen. Ich bedaure, aushalten. Sie haben kein Anrecht, als Monopolisten daß auf Grund der Einwirkungen des kleinen Koaliti- mit ihren Monopolgewinnen eine Quersubventionie- onspartners in der Regierung diese richtige Position rung vorzunehmen und den Sektor Telekommunika- zum Schluß nicht durchgehalten wurde und nun im tion mit diesen Gewinnen aus dem Atombereich zu Rahmen des Bundeswirtschaftsministeriums eine unterwandern. Dieses Recht dürfen sie nicht haben. Bundesoberbehörde etabliert wird. (Beifall des Abg. Wolfgang Schulhoff [CDU/ (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: CSU]) Das ist der reine Neid!) 9794 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Manuel Kiper Wir bringen den Änderungsantrag ein, eine Bundes- ausgefüllt. Die Folge: Das Programm „Schulen ans anstalt damit zu beauftragen. Aber wir wissen auch Netz" läuft nicht flächendeckend, sondern nach dem in diesem Punkt, daß wir mit unserem Änderungsan- Windhundprinzip. Die nötigen Haushaltsmittel feh- trag keinen Erfolg haben werden. Er ist ja bereits len, das Programm ist auf Sponsorengelder angewie- verworfen worden, auch von seiten der SPD-Frak- sen. Hier zeigt sich, daß mit dem vorgelegten TKG tion. die historische Chance vertan wird, die informatio- nelle Grundversorgung anzupacken. Angesichts der Ich möchte einen fünften Punkt nennen. Das ist die leeren Kassen programmieren Sie mit diesem TKG Frage des Persönlichkeitsschutzes und der informa- einen schlechten Start in die Informationsgesell- tionellen Selbstbestimmung. Zwar wurde der Daten- schaft. schutz im § 86 des Gesetzes verankert und zwar möchte ich dem Kollegen Bury zustimmen, daß wir Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme an einigen Punkten gemeinsam Verbesserungen hin- zum Schluß. Zwar wird mit diesem Telekommunika- sichtlich des Datenschutzes in dieses Gesetz hinein- tionsgesetz Wettbewerb eingeleitet. Hinsichtlich die- gebracht haben, aber ich muß darauf hinweisen, daß ser Aspekte des Gesetzes haben Sie unsere Zustim- mit diesem Gesetz wieder eine wichtige Regelung mung. Aber informationelle Grundversorgung und verabschiedet wird, die letztlich mit dem großen informationelle Selbstbestimmung sind in der TKG- Lauschangriff in einer Reihe steht. Das, was von Ih- Welt leider nur Gartenzwerge. Deshalb sagen wir nen im § 87 dieses Gesetzes über automatisierte nein zu diesem Telekommunikationsgesetz. Dateiabfragen beschlossen worden ist, ist nicht im Sinne des Persönlichkeitsschutzes, sondern Nebelt Ich danke Ihnen. die informationelle Selbstbestimmung geradezu aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn wir das vor dem Hintergrund sehen, daß der sowie bei Abgeordneten der PDS) § 12 des Fernmeldeanlagengesetzes mit diesem Ge- setz nicht aufgehoben wird, sondern gewissermaßen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem für alle Ewigkeit gerettet werden soll - das haben Sie Abgeordneten Rainer Funke das Wort. beschlossen - und daß mit der Fernmeldeverkehr- Überwachungs-Verordnung auf der Grundlage des § 12 FAG und der in Zukunft für Geheimdienste und Rainer Funke (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- Behörden bestehenden Möglichkeit der automati- men und Herren! Mit dem Telekommunikationsge- sierten Abfrage ein Zugriff auf Kundenkarteien eta- setz beraten wir ein Gesetz, das wohl mit das wich- bliert ist, dann erkennen wir, daß das alles zusam- tigste wirtschaftspolitische Gesetz dieser Legislatur- men nicht ein Mehr, sondern ein Weniger an Persön- periode sein wird. Es ist in einem interfraktionellen lichkeitsschutz ergibt. Damit wird nicht nur der große Arbeitskreis, in dem ja auch die SPD und zeitweise Lauschangriff sanktionie rt , sondern Blitzlicht in der die Bundesländer vertreten gewesen sind, gründ- Dunkelkammer erzwungen. lichst vorberaten worden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Telekommunikation bestimmt in einem zuneh- und bei der PDS - Hans Martin Bury [SPD]: menden Maße unseren privaten, aber auch unseren Quatsch! - Arne Börnsen [Ritterhude] geschäftlichen Bereich, unser ganzes Leben. Wi rt [SPD]: Das ist der große Telefonbuch- -schaftspolitisch wird der Bereich der Telekommuni- angriff! ) kation in wenigen Jahren bereits die Größenordnung unserer Automobilindustrie - und die ist ja nicht Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit diesen ganz klein - erreichen. fünf Schwerpunkten unterstütze ich den von unserer Um so wichtiger ist es, daß wir in der Verhand- Fraktion eingebrachten Änderungsantrag zum TKG. lungsrunde zwischen den Koalitionsparteien, der Sie haben deutlich gemacht, daß Sie die Änderungs- anträge ablehnen werden. Zumindest sind sie bis- SPD und den Ländern eine Einigung erzielt haben. lang in den Ausschußberatungen abgelehnt worden. Dafür bin ich den beteiligten Kollegen, unserem Mo- derator Herrn Minister Dr. Bötsch - vielleicht darf ich Wir bedauern dies. Wir werden deshalb das TKG in der vorgelegten Fassung ablehnen. Sie einmal so bezeichnen - und vor allem auch sei- nen Mitarbeitern sehr dankbar. Paul Welfens kommentierte kürzlich in der „Wi rt Solche wichtigen Gesetze brauchen einen gesell- -schaftswoche " Deutschlands Defizite in der Tele- schaftlichen Konsens, und den haben wir jetzt erzielt. kommunikation. Sogar der Ruf nach Subventionen, Ich hoffe - damit kann ich mich nur dem anschlie- der Ruf nach Multimediaförderung aus dem Bundes- ßen, was der Kollege Müller und der Kollege Bury haushalt, wurde laut. Art. 87f Grundgesetz verpflich- gesagt haben -, daß die Länder morgen im Bundesrat tet den Bund flächendeckend zur Gewährleistung diesen gesellschaftlichen Konsens, an dem sie ja mit- angemessener und ausreichender Telekommunikati- gewirkt haben, und zwar entscheidend, noch in der onsdienstleistungen. Wohlgemerkt, es geht nicht nur letzten Woche, nicht aufkündigen. um Sprachkommunikation, sondern um die Gewähr- leistung von Telekommunikationsdienstleistungen. (Beifall des Abg. Dr. Max Stadler [F.D.P.]) Schulen ans Netz, Bibliotheken ans Netz - dies Mit diesem Gesetz verabschieden wir uns ord- sind wichtige Aspekte der Entfaltung der Informati- nungspolitisch vom Monopol der Telekom auf dem onsgesellschaft. Mit dem TKG wird dieser Gewähr- Gebiet der Netz- und Telefondienstleistungen, und leistungsanspruch eng ausgelegt und unzureichend zwar partiell bereits zum 1. Juli dieses Jahres. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9795

Rainer Funke Diese marktwirtschaftliche Öffnung hat meine Grundeigentum bezahlen lassen wollen, erneut ins Partei ja schon bei der Postreform II gefordert. Wir Gespräch gebracht wird. konnten uns damals nicht durchsetzen. Jetzt ist sie, (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Gott sei Dank, umgesetzt worden. Da haben sicher- Raubritter!) lich nicht nur die ordnungspolitische Überzeugung gesiegt, sondern auch der wirtschaftliche Druck aus Ich kann durchaus verstehen, daß die Gemeinden dem Inland, aber auch aus dem Ausland und eben aus ihrer Finanznot natürlich überall irgendwo versu- auch das Bewußtsein, daß wir inzwischen in der chen, Gelder zu bekommen; aber dennoch meine Telekommunikation nicht mehr nationale Märkte ich, daß sowohl die Deutsche Telekom als auch lizen- haben, sondern nur noch weltweit operieren kön- zierte p rivate Wettbewerber Infrastrukturen für die nen. Verbraucher sicherstellen müssen. Ich glaube auch, daß die Deutsche Telekom den (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Wettbewerb mit den nationalen, aber auch mit den Dies ist ja auch im Grunde genommen im Interesse internationalen Mitwettbewerbern nicht zu scheuen der Gemeinden. Insoweit wird der infrastrukturelle braucht. Der Wettbewerb wird ihr nicht etwa Nach- Auftrag aus der Vergangenheit, in der die Gemein- teile, sondern in meinen Augen sogar erhebliche den ja auch keine Konzessionsabgaben bekommen Vorteile bringen. haben, lediglich fortgesetzt. Der Grundsatz „Wettbewerb belebt das Geschäft" Deswegen ist es auch nicht einzusehen, daß allein gilt auch hier. Die Deutsche Telekom wird allerdings durch die Privatisierung der Deutschen Telekom die noch stärker als bisher durch den Wettbewerb zu Gemeinden wie im Mittelalter Wegezölle erheben kundenfreundlichem Verhalten gezwungen sein. Die dürfen. Hinzu kommt, daß den Gemeinden mit ihren beamtenmäßige Verteilmentalität, die teilweise ja kommunalen Versorgungsunternehmen die Möglich- nach wie vor besteht - ich kann das aus eigenem Er- keit, und zwar zusätzlich, eingeräumt worden ist, leben selbst bestätigen -, wird endlich ein Ende ha- Dienste und auch ihre Netze anzubieten, wodurch ben müssen. weitere Einnahmen zu erzielen sind. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Es Wenn der Finanzbedarf der Gemeinden dann be- bessert sich!) sonders groß und dringlich ist, besteht ja auch die Möglichkeit einer attraktiven Privatisierung. Was den wettbewerbspolitischen Ordnungsrah- men betrifft, haben wir uns für einen offenen, libera- Ich glaube auch, daß man der Öffentlichkeit eine len Marktzugang und den asymmet rischen Wettbe- solche Wegelagerergebühr nicht mehr vermitteln werb entschieden. In der Tat, die Deutsche Telekom kann. Das Aufkommen würde rund 4 bis 6 Milliarden ist marktbeherrschend, und um Wettbewerb entste- DM ausmachen. Wir sind als Staat nicht mehr aufge- hen zu lassen, bedarf es einer st rikten Wettbewerbs- rufen, dem Bürger dauernd weitere Gelder aus den aufsicht durch die Regulierungsbehörde. Darauf hat Taschen zu ziehen. Kollege Bury zu Recht hingewiesen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Diese wird jedoch nicht auf Dauer erforderlich Wir müssen eher bemüht sein, Steuern und Abgaben sein, denn bundesweit werden der Deutschen Tele- zu senken. kom Wettbewerber erwachsen, die starke nationale und internationale Mütter mit hoher Finanzkraft ha- (Arne Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Dann ben, die zum Teil durch regionale Monopolgewinne, muß man sich aber allmählich auf den Weg zum Beispiel bei den Stromversorgern, entstanden machen!) ist. - Herr Kollege Börnsen, eine Wegelagerergebühr Ich bin froh darüber, daß wir uns hinsichtlich der würde schließlich in entscheidendem Maße den Bör- Regulierungsbehörde daran gehalten haben, den sengang der Deutschen Telekom gefährden. Wettbewerb nicht übermäßig zu regulieren. Wir ha- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Nein, es geht ben die Bemühungen um den schlanken Staat ernst um Gebühren!) genommen. Insoweit ist es auch richtig, daß wir uns lediglich für eine obere und nicht für eine oberste Die Telekom ist weltweit das zweitgrößte Unterneh- Bundesbehörde entschieden haben. men der Telekommunikationsbranche. Als „global player” ist sie auf eine globale Finanzierung ange- Wir wollen keine Mammutbehörde schaffen; wir wiesen. Herr Kollege Börnsen, auch Sie wollen diese wollen nur Regelungen vornehmen, die zur Auf- globale Finanzierung. rechterhaltung des Wettbewerbs tatsächlich notwen- dig sind. Deshalb macht es auch Sinn, diese Regu- Wenn wir diese globale Finanzierung in Anspruch lierungsbehörde dem Bundesministerium für Wi rt nehmen wollen, dürfen der Telekom durch zusätz- -schaft anzugliedern. Schließlich geht es hierbei um liche Gebühren für Leitungsrechte keine Nachteile Ordnungspolitik und in ganz erheblichen Maße um entstehen. Das würde nämlich die Refinanzierung Wirtschaftspolitik. am internationalen Kapitalmarkt erschweren. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich bedauere sehr, daß eine „Wegelagerergebühr", mit der sich die Gemeinden die Durchleitung von Ich appelliere daher an den Bundesrat und auch an Telekommunikationsleitungen durch kommunales die kommunalpolitisch orientierten Kollegen im 9796 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Rainer Funke Deutschen Bundestag, von einer Gebührenerhebung Stromerzeuger werden Ihnen dankbar sein für die Abstand zu nehmen. neuen Möglichkeiten, nationale und internationale Märkte aufzurollen und Milliardenprofite zu schef- Ich erkläre ausdrücklich, daß die im Telekommuni- feln. kationsgesetz gefundene Regelung, die auf die be- sondere geschichtliche und infrastrukturelle Ent- Das Telekommunikationsgesetz in der Form, wie wicklung Rücksicht nimmt, auf die Konzessionsabga- es heute verabschiedet werden soll, kennt nur ein ben für die Versorgungswirtschaft keine präjudizielle einziges Ziel: rücksichtslose Unterstützung der Tele- Wirkung haben wird. kommunikationsunternehmen beim Kampf um Marktanteile in dieser Wachstumsbranche mit zwei- Durch die Zusammenschaltung von Netzen der stelligen Zuwachsraten. Wettbewerber ist eine auch volkswirtschaftlich sinn- volle Lösung gefunden worden, die sicherlich auch (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Unglaub ressourcensparend ist. Ich bin sicher, daß die Wettbe- lich!) werber untereinander eine vernünftige Regelung fin- Deshalb haben Sie als Gesetzeszweck schönfärbe- den. Dabei wird die Zusammenschaltungsverord- risch die Förderung des Wettbewerbs bestimmt, als nung, die noch zu erlassen ist, sicherlich helfen. wäre nicht klar, daß Wettbewerb Konkurrenz bedeu- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ab- tet und zu Konzentration und Zentralisation des Ka- schließend sagen, daß das Telekommunikationsge- pitals und damit notwendig zu neuen, diesmal priva- setz ein gutes marktwirtschaftliches Instrument ist, ten Monopolstrukturen im Telekommunikations- um den Wettbewerb in einem dynamischen und markt führt. stark wachsenden Markt zu sichern. Dabei wird es (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Was neben den bundesweiten Wettbewerbern auch eine schlagen Sie denn vor?) Vielzahl von kleinen örtlichen regionalen Wettbe- werbern geben, die besondere Netze und Dienstlei-- Aber auch für existentielle soziale Interessen der stungen anbieten werden. Das sind Dienstleistun- Menschen haben Sie bestenfalls ein Schulterzucken gen, die die ganz Großen, nämlich Telekom, VEBA, übrig. Die Telekom als die absolute Nummer eins im RWE und ähnliche, nicht zur Verfügung stellen kön- BRD-Telekommunikationsmarkt baut beispielsweise nen oder wollen. Insoweit ist dieses Telekommunika- offiziell 60 000 Stellen ab, während sie ihren Reinge- tionsgesetz durchaus mittelstandsfreundlich. winn 1995 von 3,6 Milliarden auf die Rekordsumme von 5,3 Milliarden DM gesteigert hat. Und kein Pro- Vor allem aber wird durch vielfältige Dienste und test von Ihrer Seite, keine Kritik der Volksvertreter an durch den Wettbewerb der Standort Deutschland derlei Praktiken gegen das Volk! auch im Telekommunikationsbereich international gestärkt. Im Gegenteil, Sie segnen weitere Gebührenerhö- hungen ab und verhüllen, solange es nur geht, daß Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. der Stellenabbau mit 60 000 noch lange nicht been- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) det sein wird. Sie reden immer von neuen Arbeits- plätzen. Das ist bislang nur Wunschdenken. Tatsache ist, die Stellen werden abgebaut. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Gerhard Jüttemann. Ich sage es hier noch einmal: Die Konkurrenten der Telekom planen für 10 Prozent Marktanteil maxi- mal 10 000 Stellen. Das macht für 100 Prozent Markt- Gerhard Jüttemann (PDS): Herr Präsident! Meine anteil 100 000 Arbeitsplätze. Die Telekom allein hat Damen und Herren! Sie werden heute gegen die aber heute noch 213 000. Stimmen der Abgeordneten der PDS ein Gesetz ver- abschieden, das innerhalb eines halben Jahres im So wird Ihr sogenanntes Informationsgesellschafts- wahrsten Sinne des Wortes zusammengeschustert vorhaben ermöglichen, daß beispielsweise der Da- worden ist und eine Reihe verhängnisvoller gesell- tentransfer im Bankgeschäft bis ins Unermeßliche schaftlicher Folgen haben wird. beschleunigt und verbilligt wird oder daß hochaus- gebildete und dennoch billige Techniker der Dritten Wenigstens eines haben Sie damit erreicht: Sie lie- Welt Konstruktionen berechnen und ihre Ergebnisse gen im allgemeinen Trend der Qualität der Be- in die in der BRD stehende Produktionsanlage ein- schlüsse dieses Hauses und damit im Trend des kon- spielen. servativen Zeitgeistes. (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Stoppt Von Anfang an ging es Ihnen nicht darum, die das Internet!) Möglichkeiten der neuen Informations- und Kom- Aber sie wird auf der anderen Seite die schon munikationstechnologien für die Bewältigung aku- heute unerträgliche Flut von Manipulation und Des- ter Existenzprobleme der Gesellschaft zu prüfen und information explosionsartig verstärken. Dafür legen die Ergebnisse einer solchen Prüfung in das Tele- Sie heute mit diesem Gesetz das Fundament. kommunikationsgesetz einfließen zu lassen. Ihnen ging es nur um eines: so schnell wie möglich ein Ge- Zu einigen anderen eigentlich unglaublichen Män- setz zu haben, das den Telekommunikationsmarkt so geln Ihres Gesetzes: Da wäre als erstes die Beschrei- weit wie möglich dereguliert. Beides scheint Ihnen bung des Universaldienstes als Mindestangebot, als gelungen zu sein. Die Vorstände von Telekom und Armeleutetelefon. Warum haben Sie den Beg riff den Neueinsteigern aus den Reihen der großen „Universaldienst" verwendet? Dieser Beg riff kommt Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9797

Gerhard Jüttemann aus den USA und bedeutet dort die Möglichkeit für Es war nicht möglich, in der Kürze der Zeit alle die Bürgerinnen und Bürger, die hochentwickelte In- Mängel des Telekommunikationsgesetzes auf zuli- formationsinfrastruktur zu nutzen. Ihr Universal- sten, schon gar nicht in der eigentlich gebotenen dienst hat mit dem ursprünglichen Beg riff nichts, Ausführlichkeit. Der kontraproduktive Ansatz, die aber auch gar nichts zu tun. Sie verwenden ihn wie- Regulierungsbehörde dem Bundeswirtschaftsmi- der nur, um schönzufärben. Sie wollen keine Univer- nisterium anzugliedern, kann beispielsweise nur saldienstverpflichtung, keine Universaldienstab- noch kritisch angemerkt werden. gabe. Der Markt soll es richten, unreguliert. So pro- Insgesamt ist das Telekommunikationsgesetz, das grammieren Sie das Chaos. So programmieren Sie Sie hier vorgelegt haben, mit einem eindeutigen Un- den Abbau der flächendeckenden und tarifeinheitli- genügend zu bewe rten. Lehnen Sie es ab! Stimmen chen Basisversorgung in strukturschwachen Gebie- Sie doch unserem Entschließungsantrag zu! Dann ten und gefährden damit den Art. 87f des Grundge- bekommen Sie zwar keine Deregulierung, was Sie setzes und ermöglichen auf der anderen Seite eine negativ bewerten mögen, aber Sie bekommen viel- unerträgliche profitable Rosinenpickerei der Anbie- leicht auch keine so starke Destabilisierung in die- ter in Ballungsgebieten. sem Land, die die logische Folge Ihrer Deregulierung Schulen, Bibliotheken, Universitäten kommen in sein wird. Ihrem Gesetz überhaupt nicht vor, schon gar nicht öf- Danke schön. fentliche Telekommunikationszentren, (Beifall bei der PDS) (Arne Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Lesen!) zu denen jedermann zu erschwinglichen Preisen Zu- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der gang hätte. Als würde die gegenwärtige Teilung der Kollege Michael Meister, CDU/CSU. Gesellschaft nicht reichen, schmieden Sie an neuen Teilungstechniken, das heißt Teilung in jene zah- (CDU/CSU): Herr Präsident! lungskräftigen Menschen, die sich die neuen Medien Dr. Michael Meister Meine sehr verehrten Damen und Herren! In und die Ausbildung dafür leisten können, und jene Deutschland wird mit dem vorgelegten Telekommu- anderen, die dazu eben nicht in der Lage sind. nikationsgesetz der Weg in die Informationsgesell- ( Vo r s i t z: Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) schaft des 21. Jahrhunderts frei gemacht. Ein absoluter Skandal des Telekommunikationsge- Inwieweit Multimediaanwendungen und Multime- setzes ist der § 87, der erstmals in der Geschichte der diadienste eine Chance am Standort Deutschland ha- Bundesrepublik staatlichen Behörden ohne Vorlie- ben und inwieweit wir in diesem Sektor international gen von Gründen einen jederzeitigen und von nie- wettbewerbsfähig sein werden, wird durch das Tele- mandem kontrollierbaren Zugriff auf Kundendaten kommunikationsgesetz bestimmt. Immerhin können aller Telekommunikationsanbieter ermöglicht. Or- wir in diesem Wirtschaftssektor die größten Zu- well läßt grüßen. wachsraten in naher Zukunft erwarten. Das Telekommunikationsgesetz dient als Einstieg Nach meiner Einschätzung ist ein funktionierender in den totalen Überwachungsstaat. Das in A rt. 10 des Wettbewerb in der Telekommunikation das beste Grundgesetzes garantierte Fernmeldegeheimnis ist Fundament für den Aufbau und Ausbau der neuen damit das Papier nicht mehr wert, auf dem es ge- Medien am Standort Deutschland. Wir haben uns schrieben steht. Informationelle Selbstbestimmung deshalb zu Beginn der Beratungen zum Ziel gesetzt, wird auf Dauer unmöglich gemacht. Wenn Sie das das liberalste Telekommunikationsgesetz der Welt zu Gesetz in wenigen Minuten verabschiedet haben schaffen. werden, wird damit ein realer und meßbarer Abbau Ich bin froh, Herr Kollege Bury, daß wir auf Ihren von Demokratie in diesem Land verbunden sein. Vorschlag nicht eingegangen sind, im bilateralen Be- (Beifall bei der PDS) reich Handelsschranken abzubauen, sondern daß wir als Bundesrepublik Deutschland eine Vorleistung Anachronistisch und absurd ist Ihr Ansatz, die erbringen und das liberalste Gesetz auch tatsächlich Kommunen zu zwingen, private, nur ihren Profiten schaffen. verpflichtete Konzerne zu subventionieren, indem sie (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nein, das stimmt ihre Wege und Plätze für Telekommunikationsleitun- aber nicht!) gen kostenlos bereitstellen sollen. Ausgerechnet in diesem Punkt paßt Ihnen plötzlich die Marktlösung - Der Kollege Bury hat vorhin vorgetragen, daß er die nicht mehr. Handelsschranken bilateral abbauen wolle. Warum? Weil sie gerade hier die Kapitalverwer- Um die sogenannte Grundversorgung der Bevölke- tung behindert und Ihnen im Vergleich dazu die rung mit Telekommunikationsdiensten zu sichern, Kommunalfinanzierung sowieso egal ist. Konsequen- haben wir den Begriff des Universaldienstes in die- terweise hätten Sie sich dann allerdings auch Ihre ses Gesetz aufgenommen. Wir sind davon überzeugt, politischen Erklärungen sparen sollen, wonach die daß sich das berechtigte Interesse der Bürger an ei- Kommunen im Energiebereich weiterhin Konzes- ner Grundversorgung mit Telekommunikations- sionsabgaben erhalten sollen. Das wollen wir doch dienstleistungen nicht als Innovationsbarriere erwei- erst einmal abwarten. Ihre Erklärung setzt kein sen darf. Deshalb haben wir uns st rikt gegen jeden Recht, das Ergebnis der Klage eines EVU schon. Versuch gewandt, bei einer Innovation sofort eine 9798 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Michael Meister flächendeckende Vollversorgung verlangen zu wol- nen und mittleren Unternehmen den Marktzugang len. nicht erschweren oder diesen gar verhindern. Eine solche Überfrachtung des Universaldienstbe- § 11 Abs. 7 des Telekommunikationsgesetzes hal- griffs hätte mittel- und langfristig Innovationen am ten wir in der heutigen Fassung für überflüssig, da Standort Deutschland verhindert und technischen nach Einschätzung von Fachleuten dieser Passus nie Stillstand, sogar Rückschritt in einem ganz zentralen zur Anwendung kommen wird. Feld der Wirtschaft bedeutet. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Universaldienst muß die Bedingungen allge- Sollte dennoch die Situation eintreten, daß dieser meine Verfügbarkeit, erschwingliche Preise, diskri- Passus greift, so wäre dies eine einseitige Benachtei- minierungsfreier Zugang und Kontinuität sowie ligung von kleinen und mittleren Unternehmen ge- Gleichbehandlung aller Nutzer erfüllen. Deshalb genüber den Branchenriesen, die Universaldienstlei- werden wir mit diesem Gesetz auch keine Marktspal- stungen erbringen und sich auf diesem Weg weitere tung, Herr Kollege Bury, herbeiführen, sondern alle Privilegien sichern könnten. Leider war eine Eini- Nutzer gleichbehandeln. gung über die Streichung dieses Absatzes 7 in § 11 (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nicht möglich. Unsere Definition des Universaldienstes mußte Meine Damen und Herren, das Fernmeldewesen ebenso beachten, daß er nicht Marktbarrieren er- fällt nach den Bestimmungen des Grundgesetzes ein- richtet, die nur von wirtschaftlich potenten Anbietern deutig in die Kompetenz des Bundes. Allein deshalb übersprungen werden können. Wer den Universal- müssen alle Versuche der Länder und des Bundesra- dienst in seinem Umfang zu weit definiert, der ver- tes, in einen originären Zuständigkeitsbereich des baut kleinen und mittleren Unternehmen den Zu- Bundes einzudringen, erhebliche verfassungsrechtli- gang zum Telekommunikationsmarkt. Wir wollen- che Bedenken auslösen. ausdrücklich auch die Chance für kleine und mittlere Weiterhin ist es nicht unsere Absicht, mit dem Te- Unternehmen, und deshalb können wir den Univer- lekommunikationsgesetz in irgendeiner Form in das saldienst nur als Basisdienst definieren. Rundfunkrecht einzugreifen. Unser Ziel ist es viel- mehr, die volkswirtschaftlich bedeutende Telekom- (Beifall bei der CDU/CSU) munikation zu liberalisieren und dies auf einen brei- Es kann weder unsere Aufgabe sein, den seitheri- ten gesellschaftlichen Konsens zu gründen. gen Monopolisten unter Schutz zu stellen, indem wir Genau deshalb haben wir ja versucht, ohne verfas- die Barrieren für den Marktzugang von Wettbewer- sungsrechtliches Gebot dennoch eine Mitwirkung bern hochlegen, noch kann es unsere Aufgabe sein, der Landesregierungen im 18köpfigen Beirat der Re- ein Monopol in ein Oligopol zu überführen, weil gulierungsbehörde zuzulassen. Daß wir hier eine dann nur schlagkräftige, finanziell starke Unterneh- gleichberechtigte Mitwirkung der Landesregierun- men eine Zugangschance hätten. Mit dieser Betrach- gen etwa bei personellen Entscheidungen und bei tung bewegen wir uns im übrigen auch auf der ge- der Aufsicht über die Arbeit der Regulierungsbe- meinsamen Grundlage der Europäischen Union, die hörde zulassen, ist ein sehr weitgehendes Zuge- den Universaldienst ebenfalls als Mindestdienst qua- ständnis an die Länder. lifiziert. Auch bei den Übergangsbestimmungen des Tele- Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch bei kommunikationsgesetzes sind wir den Wünschen der der Eintrittsgrenze, ab der ein Unternehmen ver- Länder weitgehend gefolgt. Rechtsverordnungen pflichtet wird, Universaldienstleistungen zu erbrin- über den Netzzugang und die Frequenzordnungen gen, sind wir den Oppositionsfraktionen sehr weit können vom Bundesrat mitbestimmt und müssen entgegengekommen. Wir haben die Schranke immer dort genehmigt werden. wieder zurückgenommen. Ich bedaure es außeror- dentlich, daß wir am Ende nicht zu einem gemeinsa- Meine Damen und Herren, gerade vor dem Hinter- men Abstimmungsergebnis gekommen sind, son- grund der derzeitigen wi rtschaftlichen Prognosen - dern den Kompromiß alleine tragen mußten. Der Tat- Herr Kollege Bury, Sie haben das erwähnt - darf man sache, daß sich das Nachfrageprofil der Nutzer erst den engen Zusammenhang zwischen Investitionsbe- in Zukunft entwickeln wird, sind wir mit einer mo- reitschaft, klaren rechtlichen Rahmenbedingungen dernen und dynamischen Definition des Universal- und tatsächlich ausgelösten Investitionen sowie de- dienstbegriffes nachgekommen. ren positiven Wirkungen auf den Arbeitsmarkt nicht vergessen. Aus dieser Überlegung heraus hoffe ich, Meine Damen und Herren, die Anzahl der Lizen- daß morgen auch die Mitglieder des Bundesrates zen soll grundsätzlich nicht beschränkt sein, es sei dem Gesetzentwurf in der hier vorliegenden Fassung denn, es gibt physikalische Restriktionen, die eine zustimmen. faktische Barriere darstellen. Das Telekommunikati- onsgesetz trägt damit der verfassungsrechtlich ge- Danke schön. schützten Berufs- und Gewerbefreiheit Rechnung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die Zahl der Marktteilnehmer und damit auch wie- der die Mitwirkung von kleineren und mittleren Un- ternehmen werden nicht vom Gesetzgeber limitiert. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Die Lizenzauflagen sind so zu gestalten, daß sie klei Kollege Arne Börnsen, SPD. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9799

Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD): Herr Präsident! Ergebnis herauskommt, ist groß. Das sollte man nicht Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol- unbedingt provozieren. leginnen und Kollegen! Warum haben wir als SPD dieses Gesetz mit ausgehandelt? Warum haben wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das Gesetz gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen Meine Damen und Herren, Kollege Kiper hat uns in den Bundestag eingebracht? Warum werden wir heute, wie ich meine, in einer kollegialen und zu- das Gesetz heute auch in dritter Lesung mit unter- rückhaltenden Art und Weise kritisiert. Das muß stützen? auch so sein. Aber die Kritikpunkte sind wesentlich zurückgeführt worden, wenn ich das mit manchen Es lag uns daran, daß in einer möglichst kurzen Auseinandersetzungen vergleiche, Herr Kollege Zeit Klarheit über die künftige Entwicklung des Tele- Kiper, die wir im Vorfeld hatten. Ich danke Ihnen kommunikationsmarktes herrscht. Wir wollten, daß ganz ausdrücklich dafür, daß wir mit Ihnen zusam- Planungssicherheit nicht nur für die künftigen priva- men eine so konstruktive und kollegiale Beratung im ten Wettbewerber hergestellt wird. Wir wollten, daß Ausschuß durchführen konnten. auch für die Telekom AG der Rahmen des Wettbe- werbs sowie der Zeitpunkt seines Beginns, nämlich Lassen Sie mich nur zu einigen Punkten etwas sa- zum 1. Januar 1998, klar und deutlich wird. gen. Ich glaube, daß wir den Universaldienst so schon richtig angelegt haben. Wir müssen - das ist Wir wußten natürlich, daß wir es hier mit einem wichtiger, als wenn wir den Universaldienst jetzt durch den Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetz künstlich aufbohren - darauf achten, daß Wettbe- zu tun haben. Um so mehr wollten wir erreichen, daß werb entsteht. Wir müssen überprüfen, ob die Struk- die politischen Dissonanzen, die unterschiedlichen turen, ob die Einzelelemente, die wir ins Gesetz ein- Bewertungen und Ansichten über die Leitlinien des gebracht haben, tatsächlich ausreichend geeignet Gesetzes im Vorfeld behandelt werden, weil es bei sind, daß Wettbewerb in einer möglichst kurzen Zeit diesem entscheidenden sowie komplizierten und und wirksam entsteht. Wenn das der Fall ist, ist am komplexen Gesetz nach unserer Ansicht unzumutbar ehesten die Garantie dafür gegeben, daß steigende wäre - ich wollte gerade sagen: gewesen wäre -, Nachfrage nach modernen und neuen Telekommuni- wenn wesentliche strittige Punkte im Vermittlungs- kationsdienstleistungen dazu führt, daß das Element, ausschuß ausgehandelt werden. welches wir im Gesetz drin haben, nämlich die dyna- mische Anpassung an die tatsächliche Nachfrageent- Ich will mich hinsichtlich der möglichen Entschei- wicklung, auch genutzt werden kann. dung des Bundesrates ganz zurückhaltend äußern. Ich möchte nur auf folgendes aufmerksam machen - es wurde schon von einigen gesagt -: Wir haben die Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Herr Kollege Bundesländer in diese Beratung mit einbezogen. Wir Börnsen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- haben uns selbst quasi in einer gewissen Infragestel- gen Kiper? lung unserer Oppositionsrolle in die Verhandlungen begeben, nicht etwa, weil wir mitspielen wollten, Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD): Ja. sondern weil uns in unserer Verantwortung etwas daran lag, daß ein Optimum in parlamentarischen Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Bitte. Verhandlungen erreicht wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Manuel Kiper (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Börnsen, wir haben in der Universal- Ich glaube, daß wir tatsächlich eine Struktur für dienstleistungsverordnung genau aufgeführt, was das Telekommunikationsgesetz erreicht haben und zukünftig universaldienstpflichtig sein soll. Da wird es im Ausschuß in vielen Bereichen durch die ent- zum Beispiel das Errichten und Unterhalten von Te- sprechenden Gespräche auch mit den Vertretern des lefonzellen genannt. Ich frage mich nun: Ist es eine Bundesrates verbessern konnten, so daß man von ei- besondere Belastung für den bisherigen Monopoli- nem guten Ergebnis sprechen kann. Um so mehr sten, wenn er dies zukünftig als Universaldienst lei- würde ich es bedauern, wenn dieses Ergebnis mor- sten muß? gen früh vom Bundesrat so nicht akzeptiert würde. Ich werfe einen Blick nach England, das in der Li- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) beralisierung des Telekommunikationsmarktes um zehn Jahre voraus ist. Ich hätte um so weniger Verständnis dafür, weil wir schließlich wissen, wer an den Gesprächen teilge- Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Bitte eine Frage, nommen hat. keine Kurzintervention. Alles Weitere, auch hinsichtlich einiger Aperçus, ist von den Kolleginnen und Kollegen gesagt wor- Dr. Manuel Kiper (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den. Da will ich mich zurückhalten. Ich möchte bloß Die Frage ist, ob Sie es angesichts des Umstandes, an den Bundesrat appellieren, das, was wir gemein- daß in England die öffentlichen Telefonzellen ein sam aufgebaut haben, nicht durch den Vermittlungs- Plusgeschäft für den Universaldienstpflichtigen, die ausschuß gefährden zu lassen. Die Wahrscheinlich- britische Telekom, sind, nicht für angemessener hiel- keit, daß als Ergebnis nach den Beratungen im Ver- ten, wenn wir in der Universaldienstleistungsverord- mittlungsausschuß möglicherweise ein Plus-Minus- nung Dinge aufgenommen hätten, die den bisheri- 9800 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Manuel Kiper gen Monopolisten zukünftig auch finanziell ein klein Gepflogenheit, daß man die Position der Mehrheit wenig gefordert hätten? übernimmt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD): Nein, Herr Kol- lege Kiper, das kann nicht der Sinn eines Universal- Das hat nichts mit Zwang zu tun. Da kann man eher dienstes sein. Wir wollen überhaupt keinen Monopo- sagen: Wart ihr vielleicht nicht in der Lage, eure Posi- listen mehr, sondern wir wollen, daß die Nachfrage tion genügend herüberzubringen? Man muß ganz am Markt dazu führt, daß alle Anbieter von Tele- selbstkritisch sagen, daß wir dazu offensichtlich nicht kommunikationsdienstleistungen dem Kunden ein in der Lage waren. höheres Niveau anbieten. Da kommt es weniger auf Herr Kollege Funke, dann muß man aber auch die Telefonzellen an. Ich glaube, hier gibt es noch nach den Ursachen fragen. Tatsache ist doch, daß ganz andere Bereiche, deren Aufzählung ich mir aus Sie, Herr Funke, und viele Ihrer Kollegen in der Zeitgründen schenken will. Wichtig ist aber, daß die F.D.P. nicht so kommunalpolitisch verankert sind, wie Nachfrage am Markt entsteht. Es wäre uns doch tat- es viele meiner Kollegen in der SPD sind. sächlich nicht geholfen, wenn nur ein Anbieter ge- zwungenermaßen ein besonderes Angebot macht. (Beifall bei der SPD) Vielmehr müßten dies alle Anbieter tun. Insbesondere die Kollegen aus Nordrhein-Westfa- Herr Kiper, ich möchte zu einem Punkt, den Sie er- len haben ganz stark diese Position vertreten. Denn wähnten, sehr deutlich eine Gegenposition auf- in Nordrhein-Westfalen sind wegen der Strukturver- bauen. Das ist der Bereich des Datenschutzes, der änderung die Kommunen ganz besonderen zusätzli- Bereich des § 87, den Sie genannt haben. Diese Dra- chen strukturellen und damit finanziellen Belastun- matisierung, die Sie hier eingebracht haben, ist nach gen unterworfen. Da kann ich es den Kollegen nicht meiner Ansicht völlig ungerechtfertigt. verübeln, aus der Situation der Kommunen heraus - von dieser Forderung nicht abweichen zu wollen. Ich halte auch einige Elemente der öffentlichen Diskussion in diesem Zusammenhang für wirklich Ich mag eine andere Einstellung in der Bewe rtung ungerechtfertigt. Es sind die Elemente des Fernmel- haben. Ich gebe auch zu, sie mag vielleicht mehr deanlagengesetzes auf das Telekommunikationsge- fachspezifisch sein. Das ist aber keine Auszeichnung setz übertragen worden. Qualitativ ist nichts verän- - im Gegenteil -, weil man hier die gesamtgesell- dert worden. Wäre das der Fall gewesen, hätten wir schaftliche Frage mitbewerten muß. Meine Damen das im Ausschuß auch nicht mitgemacht. und Herren, die Politik der Bundesregierung über Das, was Sie nannten, ist eine Folgewirkung des 14 Jahre hat die Kommunen in diese finanzielle Si- Wettbewerbs. Wir haben in Zukunft nicht mehr ei- tuation gebracht. nen Anbieter, wir haben eine Vielzahl von Anbietern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir hoffen sogar, daß es eine Zahl ist, die weit über 100 liegt, und daß dann moderne Möglichkeiten der Also machen Sie es sich nicht so leicht, jetzt zu Informationssammlung genutzt werden. Ich kann meinen, wenn wir keine Mehrheit in unserer Frak- nicht verstehen, was dagegen eingewandt wird. tion hätten finden können, läge das an unserer Un- vollkommenheit. Herr Kollege Kiper, ist es nicht auch so, daß die Polizei heute die Möglichkeit hat, die Halterdaten (Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Das eines Fahrzeuges über die Kfz-Stellen abzufordern? kann aber auch wirtschaftspolitische Ein Wollen Sie eine vergleichbare Vorgehensweise der sicht sein!) Strafverfolgungsbehörden im Telekommunikations- Es hat Ursachen auch in der Politik. Ich bitte das zu bereich unterbinden? Ich sehe nicht, was das ernst- berücksichtigen. haft mit einer Einschränkung der informationellen Selbstbestimmung oder anderen Einschränkungen Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch zu tun haben soll, und kann Ihre Kritik nicht nach- einige grundsätzliche Bewe rtungen vorlegen, insbe- empfinden. sondere zu der Frage des Wettbewerbs. Wir haben hier einen Gesetzentwurf zur Beschlußfassung vor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der liegen, der im Grundsatz keine Vorgabe für eine Flä- CDU/CSU) chendeckung gibt. Der Kollege Bury hat darauf ver- Meine Damen und Herren, Sie kennen meine Posi- wiesen, daß wir nicht glauben, einen Universaldienst tion hinsichtlich der Frage des Wegerechtes. Trotz- direkt auflegen zu müssen, weil wir davon ausgehen, dem möchte ich es nicht alleine dem Kollegen Bury daß ein Universaldienst in hoher Qualität heute in überlassen, hier dagegenzuhalten. Es wird ein biß- Deutschland von der Telekom angeboten wird. Das chen leichtfertig der Versuch gemacht, uns in eine ist kein Punkt, der eingefordert werden muß. Ecke zu drängen. Das schafft ihr bei unserem Ge- Lassen Sie mich aber ganz offen sagen: Bezüglich wicht sowieso nicht. der zukünftigen Entwicklung der Telekommunikati- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) onsangebote und der Entwicklung des Wettbewerbs kann man heute nur Prognosen abgeben. Sie können Um das einmal ganz klar zu sagen: Wir sind nicht zutreffen, sie können aber auch danebenliegen. gezwungen worden, unsere Position zu ändern. Wir haben eine Abstimmung in der Fraktion gehabt und Wir gehen davon aus, daß die Telekom sehr starke sind unterlegen. Dann gehört es zur demokratischen Mitbewerber bekommen wird. Das wollen wir auch, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9801

Arne Börnsen (Ritterhude) da wir die Entstehung eines funktionierenden Wett- jekte, für solche neuen Funktechnologien notwendig bewerbs zum Ziel haben. Ein solcher funktionieren- ist, um nicht einen Nachteil zu erleiden. der Wettbewerb kann nur festgestellt werden, wenn die Kunden, die Verbraucher - nicht nur die gewerb- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rainer lichen, sondern auch die privaten -, eine wirkliche Funke [F.D.P.]) Wahl zwischen verschiedenen Anbietern haben und diese auch wahrnehmen können. Das heißt: Diese Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die in einen ha Wahl darf nicht nur in den Ballungsräumen, sondern Deutsche Telekom AG rten Wettbewerb geschickt wird. Es wird auch immer wieder zur Dis- muß auch in der Fläche möglich sein. kussion gestellt, ob die Telekom, mit der eine große Wenn wir nach einiger Zeit feststellen können, daß Zahl von Arbeitsplätzen verbunden ist, die die Ziel- dieses Ergebnis erreicht ist, wird man uns bestätigen: setzung hat, die Rolle eines globalen Wettbewerbers Der Ansatz des Gesetzes war richtig. zu spielen, die Ende 1996 an die Börse geht, in der Übergangszeit nicht noch ein bißchen geschützt wer- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) den sollte.

Wir gehen natürlich davon aus, daß sich die neuen Natürlich wird auch darauf aufmerksam gemacht - Anbieter zuerst auf die Ballungsräume konzentrieren Herr Jüttemann, insofern kann ich Ihnen nicht wider- werden. Das ist gar nicht anders zu erwarten. Wir ge- sprechen -, daß 60 000 Arbeitsplätze verlorengehen hen aber auch davon aus, daß in den Ballungsräu- könnten. Wäre es aber deshalb richtig, die Telekom men ein gnadenloser Preiswettbewerb einsetzen in der Übergangszeit zu schützen? Ich glaube es wird. Wenn sich die neuen Wettbewerber nur auf die nicht. Die Telekom braucht nicht den zahmen Wind Ballungsräume reduzieren, werden sie nicht in der eines angekündigten Wettbewerbs zum 1. Januar Lage sein, ihre Position zu halten bzw. eine Wettbe- 1998, sondern den Sturm eines stattfindenden Wett- werbsposition gegenüber den weiterhin marktbe- bewerbs, um tatsächlich effizienter und kunden- herrschenden Unternehmen aufzubauen. freundlicher zu sein und zu einem lohnenswerten Anleger zu werden. Der potentielle Anleger wird, Aus diesen Gründen, aber auch aus Gründen des glaube ich, eher prüfen, wie die Wettbewerbssitua- Marketings - das wird sich aus der künftigen Markt- tion ab 1998 in Deutschland sein wird, und zwar aus politik der Unternehmen ergeben - werden sie ge- der Erfahrung heraus, daß wirklich offener und funk- zwungen sein, ihre Dienste uneingeschränkt, überall tionierender Wettbewerb wesentlich mehr Markt- in der Republik, anzubieten. Wir haben das Instru- potentiale eröffnen wird. Die Erfahrungen, die man ment dafür gegeben, indem wir gesagt haben: Inter- in England einerseits und in den USA andererseits connection, also der offene Zugang zum Netz, muß gewonnen hat, sprechen eine deutliche Sprache. für alle gewährleistet sein. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Hier kommen wir zu einem der Punkte der Regu- Schluß kein großes Lied davon singen, was ich mir lierung. Die Regulierung der Stellschraube wird eine manchmal abends, wenn ich mich noch 5 Minuten entscheidende Voraussetzung dafür sein, daß der damit beschäftige, durch den Kopf gehen lasse: Wir Wettbewerb funktioniert. Das haben wir beim Mobil- machen jetzt schon einige Jahre in Deutschland sehr funk gesehen. erfolgreich Telekommunikationspolitik, und dieses Gesetz ist der Abschluß eines langjährigen Verfah- Wir haben lediglich do rt Einschränkungen vorge- rens, nommen, wo es um begrenzte Ressourcen geht, näm- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der lich bei den begrenzten Frequenzen im Funkbereich. Hier wollen wir eine Optimierung erreichen. CDU/CSU) nicht der Abschluß einer fachbegrenzten Gesetzge- Man muß sich aber fragen, meine Damen und Her- bung. Vielmehr können wir damit - ich drücke mich ren, ob wir, wenn wir in der Zeit bis 1998 geruhsam vorsichtig aus - die Weichen dafür gestellt haben, das Monopol beibehalten und dann allmählich zum daß Deutschland auf dem Gebiet der Informations- Wettbewerb übergehen, nicht Entwicklungen, ich und Kommunikationstechnologien einen Spitzen- will nicht sagen: verschlafen, aber nicht ausreichend platz in Europa fördern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Zum Funkbereich gibt es in Gelsenkirchen ein Pi- CDU/CSU) lotprojekt, wenn ich mich nicht täusche: mit 300 Teilnehmern; das ist eine Riesenzahl. Vergleich- und einen gleichwertigen Platz in der T riade neben bar ist eine Anwendung dieser Funktechnologie in den USA und Japan einnehmen wird. Japan. In Tokio sind inzwischen 2,5 Millionen Teil- nehmer gewonnen worden. Es wird in der Zukunft für den Indust rie- und Dienstleistungsstandort dieses Landes von entschei- Ich frage mich schon, ob diese sehr zurückhaltende dender Bedeutung sein, welche Höhe die Kosten der Genehmigungspolitik Pilotprojekten gegenüber Informationsübertragung haben. Ich bin der Über- nicht die Entwicklung der neuen Technologien, zu- zeugung, daß über einen voll funktionierenden Wett- mindest bis zum Jahr 1998, eher behindert. Wir soll- bewerb die Kosten für die Übertragung von Informa- ten prüfen, inwieweit in der Übergangszeit eine stär- tionen am schnellsten gesenkt werden. Das hat uns kere Marktöffnung für solche Demonstrationspro- auch in den Beratungen geleitet. 9802 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Arne Börnsen (Ritterhude) Wir wissen alle, daß wir eine Senkung dieser Ko- mittlerweile eine Dynamik entwickelt, bei der es sten in Deutschland brauchen. Sie sind heute viel zu nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie hoch, sie führen heute zur Abwanderung von Ar- der Liberalisierung geht. Deshalb war es besonders beitsplätzen. Deswegen sage ich: Nur eines ist wichtig, daß sowohl die Koalitionsfraktionen als auch schlimmer als ein staatliches Monopol: ein privates die SPD dieses Gesetz im Grundsatz von Anfang an Monopol. Das haben wir heute bei der Telekom. Das getragen haben und es sogar gemeinsam einge- muß beendet werden, das muß wirkungsvoll durch bracht haben. Schaffung von Wettbewerb ab 1. Januar 1998 been- det werden. Dafür haben wir gemeinsam eine Verän- Demokratie lebt zwar vom Gegeneinander, von der derung der Regulierungsinstrumente erarbeitet, die, Konkurrenz der unterschiedlichen Auffassungen. Bei wie ich glaube, sehr gut sind. Davon wird es abhän- allem notwendigen Streit muß jedoch die Konsensfä- gen, ob dieser Wettbewerb unseren Ansprüchen, un- higkeit erhalten bleiben. Gerade in einem föderalen seren Zielen und unseren Ideen entsprechend funk- Bundesstaat ist dies ein wichtiges demokratisches tioniert. Element. Wenn diese Ziele erreicht werden, haben wir ein Dieses Fundament der Gemeinsamkeit haben die vernünftiges Gesetz gemacht. Heute sind wir der Länder leider verlassen. Herr Börnsen, Sie haben Überzeugung, Ordentliches geleistet zu haben. Ich eben darauf hingewiesen, daß die Vertreter der Län- hoffe, das läßt sich in 4 Jahren auch sagen. der mit uns am Tisch saßen; sie wurden in die Bera- tung wie bei kaum einem Gesetzesvorhaben einbe- Herzlichen Dank. zogen, das ich bisher in meinen 14 Jahren Bundestag (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der miterlebt habe. Jetzt versuchen sie einfach das F.D.P.) Handtuch zu zerreißen. Ich habe kein Verständnis mehr für die Länder.

- Das Wort hat der Vizepräsident Hans Ulrich Klose: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Kollege Professor Schulhoff, CDU/CSU. Zurück zum Gesetz. Nicht alles wurde kritiklos Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU): Herr Präsident! und unstreitig behandelt. Ein besonderer Streitpunkt Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem zwischen Bund, Ländern und Gemeinden war die bereits mit der Postreform I und II der Grundstein zur von uns vorgesehene Beibehaltung des unentgeltli- Privatisierung der Telekom AG gelegt und einige chen Wegerechts. Dies galt und gilt für die einzelnen Dienste schon dem Wettbewerb zugeführt wurden, Bundestagsfraktionen. Während wir es geschafft ha- geht es heute um das eigentliche Herzstück der Tele- ben, eine einheitliche Meinung herbeizuführen, lie- kommunikation, um die Aufhebung der Staatsmono- ber Kollege Blank, ist dies der SPD, wie wir eben ge- pole bei den Netzen und beim Telefondienst. Damit hört haben, leider nicht gelungen. Ich gebe zu, es wird der Weg für neue Marktteilnehmer frei, von de- war auch für uns schwer; denn wir kennen den nen wir eine Intensivierung des Preis- und Leistungs- Druck der Gemeinden. wettbewerbs erwarten. Deshalb lassen Sie mich die wesentlichen Argu- Ohne Zweifel, die Telekommunikation ist der mente, die für die Beibehaltung der alten Regelung Markt der Zukunft, und mit diesem Gesetz machen sprechen, kurz nennen. Bereits nach dem Telegra- wir die Bundesrepublik Deutschland auf einem wich- fenwegegesetz war es ausschließlich der Telekom er- tigen Sektor zukunftsfähig. Für Deutschland erwar- laubt, öffentliche Verkehrswege unentgeltlich zu ten Marktbeobachter eine Expansion des Marktvo- nutzen. Mit dem neuen Gesetz tritt das Telegrafen- lumens von 83 Milliarden DM 1995 auf etwa wegegesetz außer Kraft. Mit dem Telekommunikati- 110 Milliarden DM im Jahr 2000. Dieser Markt wird onsgesetz wird entsprechend der alten Regelung die in wenigen Jahren die Bedeutung der Automobilin- unentgeltliche Benutzung öffentlicher Verkehrswege dustrie haben - wir haben das eben schon vom Kolle- jetzt auch privaten lizenzierten Telekommunika- gen Funke gehört -, sie vielleicht - davon bin ich tionsunternehmen erlaubt. überzeugt - übertreffen, denn er hat noch Zukunft. Das hat Herr Kiper hören müssen. Nach wie vor bleibt der Infrastrukturauftrag erhal- ten, der den Unternehmen bestimmte Aufgaben für Die Bedeutung der Liberalisierung reicht jedoch eine umfassende und flächendeckende Versorgung weit über den Telekommunikationsbereich hinaus. der Bevölkerung mit Telekommunikationsleistung Die Qualität der Infrastruktur für Informationen und auferlegt. Über die Einhaltung hat der Bund zu wa- Kommunikation wird ein immer wichtigerer Faktor chen. Dies war und ist durch Art. 87 f des Grundge- für die Behauptung der gesamten Wi rtschaft im inter- setzes Verfassungsauftrag, der keine Beschränkung nationalen Standortwettbewerb. Dies gilt natürlich über die Art der Wahrnehmung enthält. Materiell hat auch für die Wissenschaft. sich also für die Gemeinden überhaupt nichts geän- Wer die Bedeutung einer leistungsstarken Tele- dert. Nur wird künftig nicht mehr ein Staatsunter- kommunikation für den Standort Deutschland des- nehmen - dies ist vom Gesetzgeber ausdrücklich ge- halb nur an Produktions- und Beschäftigungszahlen wollt, deshalb das ganze Verfahren -, sondern pri- dieser Branche mißt, greift entschieden zu kurz. Eine vate Anbieter werden diese Leistungen im Wettbe- gute Ordnungspolitik in diesem Sektor ist Wachs- werb erbringen. Es wird keine kommunale Rechts- tums- und Standortpolitik zugleich, und zwar für position verletzt; denn es gibt keinen Eingriff in das ganz Europa. Europaweit hat die Reformdiskussion Eigentumsrecht nach A rt . 14 des Grundgesetzes. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9803

Wolfgang Schulhoff Diesen Einwand der Gemeinden hielt ich immer Brief ist so gut, daß ich ihn hier in einigen Passagen für vordergründig. Letztlich ging es den Kommunen vortragen möchte. Denn vielleicht gelingt es mir jetzt um die Erschließung einer neuen Geldquelle. Herr mit Ihren Worten, Ihre Kollegen doch noch zu über- Börnsen, Sie haben das eben sehr richtig implizit zeugen. zum Ausdruck gebracht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Sie schreiben nämlich: Jedoch ist meiner Ansicht nach die Erhebung eines Die Einführung von Konzessionsabgaben für die Wegeentgeltes dafür ein untauglicher Ansatzpunkt. Nutzung öffentlicher Verkehrswege ist nach un- Die Gemeinden gehen, wie ich später noch ausfüh- serer Auffassung sachlich unbegründet und kon- ren werde, nicht leer aus. traproduktiv. Weiter verstehe ich ihre Sorge, daß eine unentgelt- Sie haben recht. liche Nutzung der öffentlichen Verkehrswege durch private Unternehmen eine Signalwirkung erzielen Des weiteren führen Sie an anderer Stelle aus: könnte, auch weitere kommunale Aufgaben in Frage Ein Vergleich der kommunalen Energieversor- zu stellen. Damit ist der Bereich der Konzessionsab- gung mit dem Telekommunikationsbereich, der gaben angesprochen. Ihr sogenannter Dominoeffekt seit jeher nicht zu den Aufgaben kommunaler tritt meiner Ansicht nach nicht ein; denn man kann Daseinsvorsorge zählt, sondern durch den Bund das unentgeltliche Wegerecht nicht mit Konzessions- gewährleistet wird, ist nicht korrekt. abgaben vergleichen. Die Versorgung mit Energie ist nämlich Teil der lokalen Daseinsvorsorge in kommu- Auch hier haben Sie völlig recht; ich habe mich eben naler Eigenverantwortung. Gegen Konzessionsabga- ähnlich ausgedrückt. ben erkaufen sich die Energieanbieter das Recht, die Gemeinde mit Energie zu versorgen. Sie erwerben (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - ein Gebietsmonopol. Zuruf des Abg. Dr. Willfried Penner [SPD]) Zum Schluß raten Sie Ihrer Fraktion: Im übrigen haben wir in unserer Beschlußempfeh- lung zu diesem Gesetz deutlich gemacht, daß es im Die SPD-Bundestagsfraktion ist meines Erach- Energiebereich beim Recht der Kommunen bleibt, tens gut beraten, auch weiterhin nicht die Einfüh- Konzessionsabgaben zu vereinbaren. Das hat viele rung einer neuen Steuer unserer Kollegen dazu gebracht, heute zuzustimmen. - lieber Herr Penner, Herr Bury hat von einer Steuer Ich wiederhole also: Keine kommunalen Rechte gesprochen - werden berührt. Im Gegenteil: Es bieten sich neue - darauf liefen die kommunalen Überlegungen Möglichkeiten für die Kommunen und die anderen faktisch hinaus - zu fordern. Gebietskörperschaften. Schon jetzt hat der Fiskus, insbesondere die Gemeinden, starke finanzielle Vor- Herr Bury, Sie haben völlig recht. Sie haben uns teile. In diesem Jahr wird die Deutsche Telekom Ge- überzeugt. Deshalb können wir mit Ihren Argumen- werbesteuer in einer Höhe von zirka 2 Milliarden ten Ihrem Antrag und Ihrem Änderungsantrag nicht DM an die Kommunen abführen. zustimmen. Nach überschlägigen Berechnungen auf der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Grundlage der durchschnittlichen Hebesätze bedeu- Zuruf von der SPD) tet das zum Beispiel für Städte wie Dresden Einnah- - men in Höhe von 20 Millionen DM, für München Vielleicht war es doch auch ganz wichtig für Sie. 70 Millionen DM und für Berlin 90 Millionen DM. Zum Schluß noch eine kurze Bemerkung zu der Selbst eine kleine Stadt wie Euskirchen würde Quersubventionierung, die eben angesprochen wor- 5 Millionen DM, Nürnberg 42 Millionen DM und den ist. Es darf nicht hingenommen werden, daß mit meine Heimatstadt Düsseldorf 50 Millionen DM er- Monopolgewinnen Wettbewerbsvorteile erzielt wer- halten. den. Wir entflechten nicht ein staatliches Monopol, um gleichzeitig private Monopole zu stützen. Mono- Darüber hinaus ist dieses Jahr mit einer Umsatz- pole sind Krebsgeschwüre einer freiheitlichen Wett- steuer in Höhe von 5,5 Milliarden DM zu rechnen, bewerbsordnung. zusätzlich mit 2,5 Milliarden DM Körperschaftsteuer und 100 Millionen DM Grundsteuer. Das sind doch (Beifall bei der CDU/CSU) Beträge. Die von mir genannten Summen sind doch - mehr als ein Trostpflaster. Sie entsprechen ungefähr An sich müßte die F.D.P. klatschen; das war doch dem, was sich die Gemeinden aus den Kosten für das Thema ihres Parteitages. Wegerecht errechnet haben. Die zusätzliche Einfüh- Wir können diese Gefahr für unsere Wettbewerbs- rung von Wegenutzungsgebühren würde zu einer ordnung endgültig nur bannen, indem wir weitere unmittelbaren Belastung sowohl aller Privatkunden Bereiche unserer Wi rtschaft deregulieren und libera- als auch insbesondere der Wirtschaft führen. Wir ha- lisieren. Es gibt also noch sehr viel für uns zu tun. ben deshalb diesen Passus nicht angreifen wollen. Mit dem vorliegenden Gesetz haben wir jedenfalls Lieber Herr Bury, ich will Ihnen nicht zu nahe tre- - Herr Börnsen, Sie haben völlig recht - einen wichti- ten. Ich schätze Sie sehr. Sie haben am 7. Dezember gen Beitrag zur Sicherung des Standortes Deutsch- 1995 Ihrer Fraktion einen B rief geschrieben. Dieser land geleistet. Ich will meine Hoffnung dahin gehend 9804 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Wolfgang Schulhof f zum Ausdruck bringen, daß wir das, lieber Herr Kol- tet haben, meinen besonderen Dank sagen, stellver- lege Börnsen, auch noch in vier Jahren zu Recht sa- tretend dem Ausschußvorsitzenden, Herrn Kollegen gen können. Arne Börnsen, Ich danke Ihnen herzlich. (Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den Obleuten Müller und Dr. Stadler, dem Kollegen Bury und einem, der nicht im Ausschuß sitzt, der aber maßgebend an den Verhandlungen beteiligt Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat der Bundesminister Bötsch. war, (Zuruf von der SPD: Helmut Kohl!) Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister für Post und Telekommunikation: Herr Präsident! Meine Damen dem Herrn Kollegen Funke. und Herren Kollegen! Der heute zur Abstimmung (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger stehende Gesetzentwurf für ein neues Telekommuni- lingen] [F.D.P.]) kationsgesetz basiert auf einem Eckpunktepapier, das ich im Frühjahr letzten Jahres der Öffentlichkeit Die für das Telekommunikationsgesetz zuständi- vorgestellt habe. Daraus ist nach umfangreichen gen Ausschüsse des Bundesrates haben in ihren Konsultationen der erste Entwurf des Telekommuni- gestrigen Sitzungen wesentliche Änderungen am kationsgesetzes entstanden, der gemeinsam von den Gesetzentwurf gefordert. Ich kann meine Verwunde- Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. in rung darüber nicht verhehlen, weil die gegenüber den Bundestag zur ersten Lesung am 1. Februar 1996 den Ländern gegebenen Zusagen in den Verhand- eingebracht worden ist. lungen nahezu hundertprozentig eingehalten wor- den sind. Ich glaube, daß wir angesichts der Bedeu- Wenn Sie diesen ersten Entwurf mit dem heute- tung für den Wirtschaftsstandort Deutschland, für vorliegenden vergleichen, werden Sie feststellen, Wirtschaft und Verbraucher, für die Deutsche Tele- daß die Grundstruktur erhalten geblieben ist und kom AG und nicht zuletzt für die Wettbewerber, die dennoch viele Änderungen vorgenommen wurden. im Vertrauen auf eine vernünftige Politik bereit ste- Daß diese Veränderungen insgesamt zu Verbesse- hen, Milliardenbeträge zu investieren, ein gemeinsa- rungen geführt haben, ist ein Verdienst aller Seiten mes und klares Votum von Bundestag und Bundesrat dieses Hauses, die auch unter dem Druck des demo- für diesen Gesetzentwurf brauchen. kratischen Verfahrens, eine stabile Mehrheitsmei- nung bilden zu müssen, sowie unter starkem Zeit- (Beifall bei der CDU/CSU) druck wegen der internationalen Situation - die ich Das wäre ein wichtiges Signal für die zukünftige Ent- jetzt nicht besonders ausführen will - immer sach- wicklung dieser neuen Branche; denn es würde Ver- dienliche Lösungen gefunden haben. trauen für die Investoren schaffen. Beispielhaft war die Flexibilität, mit der ein Geset- zeswerk, das von der Bundesregierung bei der Ein- Ich bin nun gespannt, ob das, was die Ausschüsse bringung in bestimmten Fragen ausdrücklich als durch sicherlich sachkundige, fachkundige, aber noch unvollkommen qualifiziert worden war, auf doch nicht politisch verantwortliche Mitarbeiter ge- politischer Ebene durch das Parlament und durch be- stern empfohlen haben, tatsächlich morgen von den gleitende politische Gespräche vorangetrieben politisch Verantwortlichen auf den Transmissionsrie- wurde. Ich gebe zu: Da sind Verbesserungen gekom- men gesetzt wird und verabschiedet wird. men. Nobody is perfect. Nur, ganz so dramatisch, wie Ich will noch folgendes sagen, meine Damen und das der Kollege Bury in seinem ersten Beitrag darge- Herren Kollegen. Wenn die Bundesregierung im stellt hat, war es nicht. Die Gespräche sind eigentlich Bundesrat einmal durch einen Parlamentarischen sehr ruhig verlaufen; keiner Seite wurde irgend et- Staatssekretär vertreten wird, dann rümpft man dort was abgezwungen. Vielmehr wurde sowohl auf der schon die Nase, weil man das nicht für adäquat und einen als auch auf der anderen Seite viel Überzeu- Parlamentarische Staatssekretäre nicht immer für sa- gungsarbeit geleistet. tisfaktionsfähig hält. Ich hätte mir eigentlich vorge- Ich möchte die Eingeweihten daran erinnern, daß stellt, daß diese eineinhalbstündige Debatte heute die Numerierungsvorschriften insgesamt erst letzte abend nicht nur von von mir sehr geschätzten Mitar- Woche vorgelegt werden konnten. Wenn wir den- beitern aus dem Bundesrat verfolgt wird, sondern noch den überarbeiteten Gesetzentwurf heute in daß wenigstens ein politisch Verantwortlicher auf der zweiter und dritter Lesung im Bundestag beraten Bundesratsbank Platz genommen hätte. und morgen dem Bundesrat vorlegen können, so ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge das sicherlich der besonderen Leistung der Kollegin- ordneten der SPD) nen und Kollegen zu verdanken, die bereit waren, auch Sonderschichten einzulegen, um dieses wich- Ich glaube nicht, daß die Damen und Herren, die tige Vorhaben rechtzeitig zu einem - wenn auch nur morgen im Bundesrat sind, alle den Nachtzug oder vorläufigen - Abschluß zu bringen. die Frühflugzeuge nehmen, denn die Verhandlun- gen des Bundesrates beginnen ja um 9 Uhr. Ich möchte deshalb allen Kolleginnen und Kolle- gen aus dem Ausschuß für Post und Telekommunika- (Zuruf von der SPD: Nein, die sind alle tion, die an den Beratungen beteiligt waren, aber beim Kanzler! Lesen Sie denn nicht Zei auch den anderen, die das Vorhaben politisch beglei tung?) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9805

Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch - Die Ministerpräsidenten sind beim Kanzler. Ich dem Wettbewerb stellen können. Das sind zwei Sei- glaube, die Kabinette bestehen nicht nur aus den Mi- ten derselben Medaille. nisterpräsidenten, gnädige Frau Kollegin. Sie sollten sich vielleicht etwas mit der Struktur des Bundesra- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge tes befassen. ordneten der F.D.P.) Ich sage das, weil ich glaube, daß gegenseitiger Deshalb freut es mich, daß auch der Vorstandsvor- Respekt doch am Platze ist. sitzende der Deutschen Telekom, Herr Dr. Sommer, immer wieder darauf hinweist, daß man die Rahmen- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. bedingungen so schnell wie möglich braucht. sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Kollege Börnsen, was die Pilotprojekte an- Ich glaube, die Telekommunikation wird für die langt: Sie haben diese angesprochen und haben mit Entwicklung der Informationsgesellschaft und die einem gewissen Unterton gesagt, es gebe ungefähr zukünftige Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaft- 300 Erstteilnehmer bei dem DECT-Versuch in Gel- standorts Deutschland eine Schlüsselrolle spielen. Es senkirchen, den ich selber der Öffentlichkeit vorge- ist schon wiederholt darauf hingewiesen worden, stellt habe. auch in dieser Debatte. Wirtschaft und Verbraucher Sie werden sich aber daran erinnern, welche Mühe sind in zunehmendem Maße auf leistungsfähige Te- uns die Formulierungen bei der Verleihungsverord- lekommunikationsdienstleistungen angewiesen. Ich nung gemacht haben und welche Mühe wir hatten, meine, daß der Telekommunikationsmarkt in dieser diese Pilotprojekte unter dem Stichwort „Nichtanta- Hinsicht ein innovatorisches und wirtschaftliches sten des Kerns des Monopols bis 1998" überhaupt Potential birgt, das gewaltig ist, das aber nur im auf den Weg bringen zu können. Bei mir rennen Sie Wettbewerb in vollem Umfang erschlossen werden da Flügeltüren ein. kann. Die modernen Technologien ermöglichen eine - in der Vergangenheit ungeahnte Vielfalt und unge- Ich muß mich bei der Genehmigungspraxis natür- ahnte Dynamik. Mit der Liberalisierung, also mit der lich an die Verleihungsverordnung halten. Da ist von Schaffung von Wettbewerb, werden wir erreichen, „Pilotprojekten mit innovativem Charakter" die daß dieses Potential zügig ausgeschöpft wird. Rede. Damals haben wir uns auf die Definition im Sinne von „technisch innovativem Charakter" ver- Kollege Börnsen, Sie haben am Schluß Ihrer Aus- ständigt und nicht nur kaufmännische Gesichts- führungen darauf hingewiesen, daß wir vielleicht punkte einbezogen, zum Beispiel, wie man mit einer schon etwas zu spät sind; ich habe das Ihren Worten größeren Anzahl von Kunden umgehen sollte. Es gab so entnommen. Sie haben gesagt, in den letzten Jah- auch dahin gehende Vorstellungen. Sollte da eine ren sei durch den Wettbewerb, aber auch durch die andere Auffassung bestehen, müssen wir uns wäh- Politik bei der Rahmengestaltung einiges geleistet rend der Geltungsdauer des FAG darüber nochmals worden. unterhalten. Ich erinnere mich daran, daß das nicht alles im Herr Kollege Kiper, Sie haben die Frage des Uni- politischen Konsens ablief und schon die Privatisie- versaldienstes angesprochen. Ich kann mich auf das rung der Unternehmen der - wie man heute sagen beziehen, was andere gesagt haben. Wir sind der muß - ehemaligen Deutschen Bundespost eine ge- Auffassung, daß sich das Universaldienstangebot im waltige Überzeugungsarbeit erfordert hat. Wenn Wettbewerb ausreichend einstellen wird und daß wir man 1989/90 im Zuge der Postreform I von einer Ver- nur in Ausnahmefällen regulatorisch eingreifen müs- fassungsänderung hin zur Privatisierung und Libera- sen. lisierung gesprochen hätte, hätte man meinen Vor- gänger, Herrn Schwarz-Schilling, wahrscheinlich Ich gebe zu, der Universaldienst in den Vereinig- ziemlich ausgelacht. ten Staaten bedeutet trotz des gleichen Beg riffs teil- weise etwas anderes. Das ist so mit der englischen (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Bötsch und der deutschen Sprache. Der „locomotive engi- feiert Bötsch!) neer" ist entgegen weitverbreiteter Meinung kein „Lokomotivingenieur", sondern ein Lokomotivführer. - Ich sage das nur aus meiner Erinnerung heraus, Insofern muß man mit Beg riffen diesseits und jenseits ohne nachträglichen Vorwurf. Auch die europäische des Atlantiks etwas vorsichtig umgehen. Entwicklung und die in den Vereinigten Staaten ha- ben natürlich zu dieser Meinungsbildung beigetra- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gen, der wir uns heute Gott sei Dank erfreuen kön- ordneten der F.D.P.) nen. Mir ist das nur deshalb eingefallen, Herr Kollege (Beifall des Abg. Dr. Guido Westerwelle Funke - Sie lachen so -, weil es 1970, als die Kollegin [F.D.P.]) Hamm-Brücher die große Bildungskatastrophe in Deutschland an die Wand gemalt hat, ein Argument Der Wettbewerb - auch darauf hat Kollege Börn- war, wieviel „Lokomotivingenieure" es in den Verei- sen hingewiesen - ist natürlich nicht allein aus volks- nigten Staaten im Verhältnis zu Deutschland gebe. wirtschaftlichen Gründen notwendig. Die Deutsche Damals hat man das sprachlich aufgeklärt. Telekom AG - sie erkennt es nicht immer - braucht den Wettbewerb; denn wer im Ausland erfolgreicher (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Wettbewerber sein will, der muß sich auch im Inland Reisen bildet!) 9806 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch Künftig sollen nicht nur die Deutsche Telekom, nikationsgesetz normiert sind, überhaupt nicht ge- sondern alle im Wettbewerb stehenden lizenzpflichti- ben. Das wäre eine Mischverwaltung, die meines Er- gen Anbieter die Übertragungswege unentgeltlich achtens unserer Gesamtverfassung fremd ist. nutzen können. Da werden wir eine Kampfabstim- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mung, wie man sagt, in der zweiten Lesung haben. Darauf will ich im Hinblick auf die morgigen Bera- Kollege Bury, es ist immer mißlich, wenn man tungen im Bundesrat hingewiesen haben. Briefe schreibt. Man kann dann irgendwann einmal daraus vorlesen, und sie werden gegen einen selber Ich werde morgen im Bundesrat auch sagen, daß verwandt. Deshalb benutze ich lieber das Telefon in ein etwaiges Ergebnis des Vermittlungsausschusses solchen Fragen; dann kann man nichts vorlesen. nicht nur der Zustimmung des Bundesrates, sondern zu gegebener Zeit auch der Zustimmung des Bun- Meine Damen und Herren, ich sage jetzt mit gro- destages bedarf. Ich bitte alle, die dort tätig sind, das ßem Respekt für die beiden Kollegen, die sich insbe- zu berücksichtigen. Die Monopole laufen in jedem sondere in Ihrer Fraktion für das unentgeltliche We- Fall am 31. Dezember 1997 aus. Wenn es kein Ergeb- gerecht eingesetzt haben: Ich halte es durchaus für nis geben sollte, dann werden wir einen liberalisier- ein Zeichen politischer Kultur, wenn man sich in ei- ten Markt ohne konstante Regelungsbedingungen ner solchen Frage, die nicht eine Gewissensfrage ist, haben. Ich glaube nicht, daß das irgend jemand will. der Mehrheitsmeinung der eigenen Fraktion an- Das kann auch die Mehrheit des Bundesrates nicht schließt. wollen. Insofern wäre es das Gescheiteste, sie würde (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das soll morgen unserem Gesetzentwurf zustimmen. bei Ihnen auch manchmal vorkommen!) Vielen Dank. Ich hätte das nicht anders gemacht; ich sage das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ganz deutlich. Ich bin im Inhalt völlig anderer Auffas-- sung; aber daraus können wir den beiden Kollegen Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Die Abgeordne- natürlich keinen Vorwurf machen. Ich erinnere mich ten Meinrad Belle, Professor Dr. Joseph-Theodor noch an den bemerkenswerten Beitrag - nicht von Blank, Rudolf Braun, Albe rt Deß, Peter Götz, Marga- Ihnen, Kollege Bury, und nicht von Ihnen, Kollege rete Späte und Gert Willner, alle CDU/CSU-Fraktion, Börnsen - in der ersten Lesung zu diesem Thema, als geben eine gemeinsame Erklärung zu Protokoll.' ) auch ein Sprecher Ihrer Fraktion mit hervorragenden juristischen und politischen Argumenten gegen das Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Ab- Wegerecht Stellung genommen hat. stimmung über die von den Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD und der F.D.P. sowie von der Bundes- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) regierung eingebrachten Entwürfe eines Telekom- Meine Damen und Herren, der Kollege Bury hat munikationsgesetzes. Das sind die Drucksachen 13/ die Frage angesprochen, ob die Koalition hier nicht 3609 und 13/4438. einer Entschließung zustimmt und sagt: Selbstver- Der Ausschuß für Post und Telekommunikation ständlich hat das keinen Dominoeffekt auf die Kon- empfiehlt unter Nr. I a seiner Beschlußempfehlung zessionsabgabe im Energiebereich. Erstens. Ich will auf Drucksache 13/4864, die Gesetzentwürfe zusam- das, was in dieser Entschließung steht, ausdrücklich menzuführen und in der Ausschußfassung anzuneh- bestätigen. Zweitens. Selbstverständlich ist das nicht men. nur unsere Meinung zum Hausgebrauch und für den heutigen Anlaß. Vielmehr werden wir uns auch in Es liegt je ein Änderungsantrag der Fraktionen der Europa nachhaltig dafür einsetzen, daß es so bleibt, SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Wir wie es jetzt in Deutschland geregelt ist, unabhängig stimmen zunächst über den Änderungsantrag der von der Frage der Liberalisierung im Energiebereich. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 4892 ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion ge- Verabschiedung dieses Gesetzes, dessen wesentliche gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Inhalte heute abend mehrfach skizziert wurden, ist der Gruppe PDS bei einer Stimmenthaltung aus den eine entscheidende Vorbedingung dafür erfüllt wor- Reihen der SPD abgelehnt. den, daß die zukünftigen Marktentwicklungen in der Telekommunikation in die richtigen Wege geleitet Wir kommen zum Gesetzentwurf in der Ausschuß- werden. Damit ist die Aufgabe jedoch noch nicht zur fassung. Die Fraktion der SPD verlangt zu einer Vor- Gänze bewältigt. Es gilt, das Gesetz mit Leben zu er- schrift getrennte Abstimmung. Ich rufe Teil eins bis füllen. Teil sieben in der Ausschußfassung auf. Ich bitte die- jenigen, die zustimmen wollen, um das Handzei- Dazu bedarf es auch einer starken Regulierungs- chen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Teil eins bis behörde. Ich unterstreiche, was an anderer Stelle ge- Teil sieben sind mit den Stimmen der Koalitionsfrak- sagt wurde: Das wird eine Bundesbehörde; so ist sie tionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von angelegt. Wir haben keine Mischverwaltung zwi- Bündnis 90/Die Grünen und PDS und eine Stimme schen den Ländern und dem Bund. Insofern kann es aus den Reihen der SPD angenommen. Entscheidungsrechte eines politischen Gremiums bei den Rechtsansprüchen, wie sie jetzt im Telekommu *) Anlage 6 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9807

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Ich rufe Teil acht - Benutzung der Verkehrswege - Diesen Vorschlägen sowie dem Antrag meiner auf. Hierzu liegt auf Drucksache 13/4893 ein Ände- Fraktion in gleicher Sache hat sich die Koalition bis- rungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer stimmt lang verweigert. In Abwägung der Sachverhalte und für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Rechtsgüter, hier speziell des kommunalen Selbst- Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den verwaltungsrechts, komme ich mit einer Reihe von Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion zu dem men der Opposition abgelehnt. Ergebnis, diesem Gesetzentwurf in der dritten Le- sung nicht zuzustimmen. Ich bitte diejenigen, die Teil acht in der Ausschuß- fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Teil acht ist des Abg. Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]) in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koaliti- onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition an- Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Wir kommen genommen. jetzt zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Ich rufe Teil neun bis Teil dreizehn, Einleitung und ben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetz- Überschrift in der Ausschußfassung auf. Ich bitte die- entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen jenigen, die zustimmen wollen, um das Handzei- und eines Teiles der SPD-Fraktion gegen die Stim- chen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Teil neun men von Bündnis 90/Die Grünen, der Gruppe der bis Teil dreizehn, Einleitung und Überschrift sind mit PDS und eines anderen Teiles der SPD-Fraktion bei den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD- einigen Enthaltungen der SPD-Fraktion angenom- Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die men. Das war kompliziert, aber so ist es. Grünen und der Gruppe PDS sowie gegen eine Stimme aus den Reihen der SPD angenommen. Da- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- mit ist die zweite Beratung abgeschlossen. schlußempfehlung des Ausschusses für Post und Te- lekommunikation zu dem Antrag der Fraktion Bünd- Ich rufe jetzt die nis 90/Die Grünen zur Errichtung einer Bundesan- dritte Beratung stalt für die Regulierung von Post und Telekommuni- kation, Drucksache 13/4864, Nr. I b. Der Ausschuß und Schlußabstimmung auf. empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3920 abzu- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Zu einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäfts- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- ordnung hat der Kollege Jochen Welt das Wo rt . fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bünd- nis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Jochen Welt (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ge- ehrten Damen und Herren! Dem vorliegenden Tele- Der Ausschuß für Post und Telekommunikation kommunikationsgesetz werde ich wie eine Reihe von empfiehlt unter Nr. II seiner Beschlußempfehlung auf Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion nicht zu- Drucksache 13/4864 die Annahme einer Entschlie- stimmen, weil die Wegerechtsfrage nicht zufrieden- ßung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - stellend im Interesse der Städte und Gemeinden ge- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- löst ist. Damit wende ich mich nicht gegen ein zu- fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- kunftsorientiertes Telekommunikationsgesetz. Es ist nen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der notwendig; es ist Voraussetzung für die Wettbe- SPD bei Gegenstimmen der Gruppe der PDS ange- werbsfähigkeit des privatisierten Unternehmens - nommen. national und international. Der Ausschuß für Post und Telekommunikation Ich wende mich gegen die Mißachtung eines Ver- empfiehlt unter Nr. III der Beschlußempfehlung, eine fassungsgebotes, nämlich gegen die Mißachtung der dort abgedruckte Erklärung der Bundesregierung Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gemäß zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für Art . 28 unseres Grundgesetzes. Der Gesetzgeber die Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- greift ohne Not in diese Selbstverwaltung ein und tungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den hindert die Gemeinden an der Ausübung ihres We- Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion gerechts für ein jetzt privates Unternehmen. Das ist Bündnis 90/Die Grünen und der SPD bei Gegenstim- ein Einfallstor für alle Versorger im Bereich von men der Gruppe der PDS angenommen. Strom, Wasser oder Fernwärme, ähnlich gestellt zu Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- werden. Es ist nicht nur ein rechtliches Desaster ge- schließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksa- gen die Selbstverwaltung, sondern auch ein finan- che 13/4886. Wer stimmt für diesen Entschließungs- zielles Abenteuer für die Gemeinden und die durch antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ent- Gebühren- und Abgabenerhöhungen letztlich wie- schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti- der betroffenen Bürger. onsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimment- haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und ge- Das wäre vermeidbar gewesen: Die kommunalen gen die Stimmen der PDS abgelehnt. Spitzenverbände haben frühzeitig alternative Vor- schläge eingebracht, die die Rechtsposition der Ge- Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt auf- meinden wahren und die Wettbewerbsfähigkeit der rufe, teile ich Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kolle- Telekom sichern konnten. gen, zur Abwicklung der für heute vorgesehenen Ta- 9808 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose gesordnung folgendes mit: Interfraktionell ist zu- - zu dem Antrag der Abgeordneten Ma- nächst vereinbart worden, den Tagesordnungs- rieluise Beck (Bremen), Annelie Bun- punkt 8 - Beratung der Großen Anfrage der Fraktion tenbach, Andrea Fischer (Berlin), weite- der SPD zur Armut in der Bundesrepublik Deutsch- rer Abgeordneter und der Fraktion land - abzusetzen. Sind Sie damit einverstanden? - BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlos- Die Arbeit von Frauen anerkennen, die sen. Beschäftigung von Frauen fördern Außerdem ist vereinbart worden, daß die Reden zu - Drucksachen 13/3760, 13/3973, 13/4479 - folgenden Tagesordnungspunkten zu Protokoll gege- ben werden sollen: Tagesordnungspunkte 9 a und b, Berichterstattung: Unfallversicherung und Arbeitsschutz; Tagesord- Abgeordnete Dr. Ma ria Böhmer nungspunkte 12a und b und Zusatzpunkte 19 und 20, Beratung mehrerer Vorlagen zur Mittelmeerpoli- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für tik; Tagesordnungspunkt 13, Antrag der Gruppe der die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden PDS zur Verbesserung der Einnahmen der Städte vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist und Gemeinden. so beschlossen. (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Und Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Kol- Zusatzpunkt 16!) lege Andreas Storm, CDU/CSU. - Das ist bei mir noch nicht angekommen. Andreas Storm (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Es ist also auch vereinbart worden, den Zusatz- Damen und Herren! Es ist ja wirklich nicht das erste punkt 16 zu Protokoll zu geben. Zu Protokoll geben Mal in diesem Jahr, daß sich das Hohe Haus mit der heißt, daß die Abstimmungen, die zu den Punkten Frage der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit befaßt. vorgesehen sind, stattfinden. Das muß klar sein. Das Ringen um eine gemeinsame Strategie von Ar- beitnehmern und Arbeitgebern mit der Politik, das Sind Sie damit einverstanden, daß die Reden zu Ringen um ein Bündnis für mehr Arbeitsplätze wird den genannten Punkten zu Protokoll gegeben wer- sicherlich hier im Haus im Grunde von jedem be- den? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be- grüßt. Aber die Losung darf nicht lauten: Wir suchen schlossen. Ich bitte, die Redebeiträge, die zu Pro- den Konsens um jeden Preis. Eine Konsenslösung tokoll gegeben werden sollen, bis zum Ende der darf nicht zur Nonsenslösung werden. Angesichts Sitzung hier abzugeben. von vier Millionen Arbeitslosen dürfen auf die Fra- gen von heute nicht mehr die Antworten von gestern Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b gegeben werden. auf: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - a) Beratung der Beschlußempfehlung des Be- Zustimmung bei der SPD) richts des Ausschusses für Arbeit und So- Anfang dieser Woche fand eine Anhörung der En- zialordnung (11. Ausschuß) quete-Kommission „Demographischer Wandel" zur - zu dem Antrag der Abgeordneten Ott- langfristigen Arbeitsmarktentwicklung statt. Dort er- mar Schreiner, Ernst Schwanhold, Do ris klärte Dr. Wolfgang Klauder vom Institut für Arbeits- Odendahl, weiterer Abgeordneter und markt- und Berufsforschung in Nürnberg: der Fraktion der SPD Auch wenn wir heute natürlich noch nicht alle zu- Bündnis für Arbeit künftigen Produkte und Märkte kennen können, spricht viel dafür, daß wir auf Grund der Informa- - zu dem Antrag der Fraktion BÜND- tionstechnologien und anderer neuer Technolo- NIS 90/DIE GRÜNEN gien am Beginn einer neuen Wachstumswelle stehen, wie sie bereits früher von den bedeuten- Beschäftigungschancen des ökologi- den technischen Erfindungen ausgelöst wurden. schen Umbaus sofort nutzen: Bündnis Die Frage ist nur, ob wir in Deutschland und Eu- für Umwelt und Arbeit ropa daran teilhaben werden oder ob es diesmal - Drucksachen 13/3263, 13/3613, 13/4556 - hauptsächlich Asien und Amerika sein werden. Berichterstattung: Genau dieses, meine Damen und Herren, ist die Abgeordneter Andreas Storm Herausforderung, vor der wir stehen. Wir brauchen ein Bündnis für Wettbewerbsfähigkeit. Wenn Arbeit- b) Beratung der Beschlußempfehlung und des geber und Arbeitnehmer zusammenkommen, so muß Berichts des Ausschusses für Arbeit und die erste Frage lauten: Wie erreichen wir es, daß Sozialordnung (11. Ausschuß) deutsche Produkte qualitativ so gut sind, daß interna- tionale Marktanteile gehalten oder gar ausgebaut - zu dem Antrag der Abgeordneten Ursu- la Schmidt (Aachen), Ottmar Schreiner, werden können? Wie erreichen wir es, daß neue Pro- duktideen und Verfahren, daß Innovationen in Christel Hanewinckel, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD Deutschland umgesetzt werden? Kurzum: Wie schaf- fen wir es, daß mehr Produkte bei uns mit mehr Men- Arbeitsmarktpolitik für Frauen schen produziert werden? Das heißt dann in der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9809

Andreas Storm Sprache der Ökonomen: ein höheres Wachstum und vorzuschlagen: Wir nehmen dem Bürger das Geld eine größere, beschäftigungsintensivere Wachstums- nicht aus der linken Hosentasche, wir nehmen es ihm rate. aus der rechten Hosentasche. Neue Betriebe durch die Förderung von Existenz- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - gründungen, mehr Arbeitsplätze in p rivaten Haus- Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ halten, mehr Arbeitsplätze in bestehenden mittel- DIE GRÜNEN]: Normalerweise finden Sie ständischen Betrieben - das sind die Eckpfeiler des dort nur das Kleingeld! Sie müssen die Programms für Wachstum und Beschäftigung. Es Brieftasche anvisieren!) sind offensive Strategien. Ihre Vorschläge hingegen, meine Damen und Herren, sind reine Umverteilungs- Meine Damen und Herren, wer den Standort strategien. Deutschland dauerhaft nach vorn bringen will, der muß langfristig verläßliche Perspektiven bieten, Herr (Beifall bei der CDU/CSU) Fischer. Das gilt insbesondere auch für die sozialen Ich nenne das Beispiel der Arbeitszeitverkürzung. Sicherungssysteme. Deswegen ist eine langfristige Wir haben die kürzeste Jahresarbeitszeit aller Indu- Festigung des Generationenvertrages wichtiger als strieländer. Der Abstand zwischen uns und den Ver- kurzfristige Umfinanzierungsstrategien. Wir begrü- einigten Staaten beträgt mittlerweile 58 Arbeitstage ßen es daher außerordentlich, daß unter dem Vorsitz pro Jahr. Das sind zwölf Wochen, das ist ein Viertel- des Bundesarbeitsministers eine Kommission einge- jahr. Das muß man sich einmal klarmachen. setzt worden ist, die bis zum Jahresende Vorschläge für eine Weiterentwicklung der Rentenversicherung Ich frage Sie: Welches international tätige Unter- vor dem Hintergrund der demographischen Entwick- nehmen entscheidet sich für einen Standort, lung ausarbeiten will. (Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Fischer, wenn die erste Frage lautet: Wie kön- Ich sagte vorhin: Wir dürfen auf die Fragen von nen wir die ohnehin weltweit niedrigste Arbeitszeit heute nicht die Antworten von gestern geben. Es weiter verkürzen - und das auch noch bei den höch- wäre dennoch falsch, jedem neumodischen Schlag- sten Arbeitskosten pro Stunde? Eine solche Diskus- wort hinterherzulaufen. Das gilt insbesondere für das sion ist im Hinblick auf die Steigerung der Wettbe- Thema „ökologische Steuerreform". werbsfähigkeit unseres Standortes nicht mehr zu ver- antworten. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) Ich will ein weiteres Beispiel für den falschen, weil defensiven Ansatz nennen: Das sind die Vorschläge - Denn wer mit Steuern steuern will, Herr Fischer, zur Umfinanzierung in der Sozialversicherung. Na- der muß wissen, wohin er steuern will. türlich stimmen die Sozialpolitiker aller Fraktionen darin überein, daß versicherungsfremde Leistungen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - in einem stärkeren Maße, als dies bisher der Fall ist, Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ aus Steuermitteln zu finanzieren sind. DIE GRÜNEN]: Den Eindruck machen Sie!) Aber, meine Damen und Herren, es ist doch ein Irr- Wir haben in dieser Woche interessante Ergebnisse glaube, zu meinen, man könne mal eben so gehört, die das Rheinisch-Westfälische Institut für 30 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt zusam- Wirtschaftsforschung für die nordrhein-westfälische mensparen, um den Bundeszuschuß für die gesetzli- Landesregierung untersucht hat. Die Erkenntnisse che Rentenversicherung kurzfristig zu erhöhen. Da der Wissenschaftler waren erschreckend. Ich nenne bleibt nämlich nur ein einziger Ausweg: Das ist die einmal vier Punkte. Erhöhung von Steuern. Genau dies ist der falsche Weg. Erstens. Da die von der SPD vorgeschlagenen Ein- stiegsmodelle nur den Endverbrauch von Energie be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) steuern wollen und auch noch zahlreiche Ausnahme- Eine reine Umfinanzierung versicherungsfremder regelungen vorsehen, kann man diese Vorschläge Leistungen in der Sozialversicherung macht ökono- nach Auffassung des RWI unter ökologischen Aspek- misch nämlich wenig Sinn. Das zeigen auch die Stu- ten schlicht vergessen. dien, die das Prognos-Institut für die Hans-Böckler- Stiftung erstellt hat. Darin wurde untersucht, welche Zweitens. Eine spürbare Minderung von CO2- Auswirkung eine Senkung der Sozialbeiträge bei ei- Emissionen ließe sich nur mit hohen Steuersätzen, ner gleichzeitigen Erhöhung von indirekten Steuern wie sie das DIW in Berlin vorgeschlagen hat, ver- auf Wachstum und Beschäftigung hat. Diese Studie wirklichen. In diesem Fall stehen aber der Belastung für die Hans-Böckler-Stiftung hatte das Ergebnis: von energieintensiven Sektoren durch die hohe Eine Umfinanzierung versicherungsfremder Leistun- Energiesteuer nur relativ geringe Entlastungen bei gen führt kurzfristig zu mehr Arbeitslosigkeit. Dienstleistungen und arbeitsintensiven Branchen ge- genüber. In einer Situation, in der die Belastungen der Men- schen und der Wirtschaft in unserem Lande mit Steu- Das RWI hat errechnet - jetzt hören Sie genau zu -, ern und Abgaben eine historische Rekordmarke er- daß in den alten Bundesländern über 400 000 Ar- reicht haben, ist es unverantwo rtlich, als Königsweg beitsplätze innerhalb von 15 Jahren wegfallen. 9810 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Andreas Storm Meine Damen und Herren, das ist ein Arbeitsplatz- das „Bündnis für Arbeit" . Anstatt das Angebot der vernichtungsprogramm. Gewerkschaften weiter zu verfolgen, legte die Bun- desregierung ein Programm vor, das diesen Namen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - wahrlich nicht verdient. Vielmehr ist es ein Horrorka- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ talog sozialer Grausamkeiten und ungerechter Um- DIE GRÜNEN]: Unglaublich! Das ist ja noch verteilung. weniger, als die Regierung vernichtet hat!) (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Oi! Das war jetzt Drittens. Die Ökosteuer ist als Instrument zur Ent- aber stark!) lastung bei den Lohnnebenkosten deshalb ungeeig- net, weil das Gesamtsteueraufkommen im Zeitablauf In Wirklichkeit löst es keines der drängenden Pro- deutlich zurückgeht. Dieser Effekt wird nach Mei- bleme, wirtschaftspolitisch nicht, finanzpolitisch nung des Instituts bisher deutlich unterschätzt. nicht und erst recht nicht sozial- und gesellschaftspo- litisch. Viertens. Deshalb kommt der RWI-Präsident Klem- mer zu dem Ergebnis, daß Umwelt- und Arbeits- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: marktpolitik voneinander getrennt werden müssen. Diese Sprechblasen können Sie auf den Parteitagen ablassen!) Meine Damen und Herren, angesichts der zu ho- hen Gesamtabgabenbelastung bei uns ist es nicht zu Im Gegenteil: Es trägt dazu bei, daß sich die Pro- verantworten, jetzt, zu diesem Zeitpunkt, neue Steu- bleme verschärfen werden. Es führt zu gesellschaftli- ern einführen zu wollen. Die Losung muß vielmehr cher Konfrontation und gefährdet den sozialen Frie- lauten: Wir müssen das viel zu komplizierte Steuersy- den. stem in Deutschland radikal durchforsten. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Für den Standort Deutschland und die Schaffung Sie schüren das doch!) neuer Arbeitsplätze liegt hier nämlich ein massives Um die Wirtschaftskrise, die wir haben, und die Potential; denn international tätige Unternehmen Massenarbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen, hätte treffen ihre Standortentscheidung zunehmend nach der Kanzler ein ausgewogenes Konsolidierungskon- der Höhe und der Größenordnung der nominalen zept mit sozial gerechten Sparmaßnahmen und ei- Steuersätze. nem Maßnahmenbündel für Investitionen und Ar- (Peter Dreßen [SPD]: Woher haben Sie diese beitsplätze vorlegen müssen. Statt dessen hat er die Weisheit?) Gewerkschaften mit unannehmbaren und völlig ein- seitigen Einschnitten konfrontiert. Weder die Spitze Hier sind uns unsere Nachbarn erheblich voraus. der Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände noch die Deswegen dürfen wir den Anschluß nicht verlieren, Bundesregierung ist bereit, konkrete Schritte einzu- und deswegen, meine Damen und Herren, sind mu- leiten, um zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Das tige Reformen angesagt. Gegenteil ist der Fall. Der Bundeskanzler und Teile (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der Arbeitgeberschaft sind nicht ehrlich genug, ge- hen nicht ehrlich mit diesem Bündnis um. Das ist in- Denn nur auf diesem Wege ist der Standort Deutsch- zwischen bekannt. Stumpfe hat das „Bündnis für Ar- land sicher in das 21. Jahrhundert mit mehr Arbeits- beit" für tot erklärt. Kohl ist dann zum Totengräber plätzen zu bringen. für das „Bündnis für Arbeit" geworden. Es ist jetzt deutlich, daß sich Regierung und Koalition mit dem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Spitzenverband der Arbeitgeber gegen die Gewerk- schaften verbündet und ein Bündnis gegen die Ar-

Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat der beit geschlossen haben. Kollege Adi Ostertag, SPD-Fraktion. (Zuruf von der SPD: Pfui!)

Adolf Ostertag (SPD): Herr Präsident! Meine ver- Diese Regierung will die wirtschaftlich Starken be- ehrten Damen und Herren! Wir reden hier über das lohnen und die Schwachen weiter belasten. Sie will, „Bündnis für Arbeit". Der Umgang der Regierungs- daß sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer koalition und der Bundesregierung mit diesem weiter einschränken müssen. Sie will, daß Kranke, „Bündnis für Arbeit" ist ein trauriger Beweis dafür, Arbeitslose, Frauen, Kinder und ältere Menschen wie sie in den letzten Monaten getrickst und ge- den Gürtel wirklich enger schnallen müssen, und sie täuscht hat, und zwar auf Teufel komm raus - und will elementare Rechte der Arbeitnehmerinnen und das bei einer christlichen Partei. Arbeitnehmer einschränken. Damit hat - das hat schon unser Parteivorsitzender gesagt - der Bundes- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kanzler auf die ausgestreckte Hand der Gewerk- schaften gespuckt. Das ist in den letzten Monaten Ihr Anfang dieses Jahres gab es Kanzlerrunden mit Politikstil gewesen. Gleichzeitig hat der Kanzler ei- Gewerkschaft und Arbeitgebern, um die Massenar- nen Kniefall vor den Scharfmachern der Arbeitgeber beitslosigkeiten gemeinsam zu bekämpfen. Das hörte gemacht. sich gut an und war wohlbedacht, aber anscheinend nur, um über die Wahlen vom 24. März zu kommen. Aufwärts wird es weiter mit den Gewinnen, mit Danach war Schluß mit dem Süßholzraspeln. Die den Aktienkursen und mit den Einkommen der Bundesregierung torpedierte mit ihrem sogenannten Wohlhabenden in diesem Land gehen. Abwärts geht Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung es mit den Einkommen von Millionen. Die Lebensbe- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9811

Adolf Ostertag dingungen der Normalverdiener werden sich weiter Faulenzer und bestraft sie mit erheblichen Einkom- verschlechtern. Wenn Kindergeld eingefroren wird menseinbußen. und gleichzeitig die Vermögensteuern abgeschafft werden, dann kann doch von einem fairen Lasten- (Beifall bei Abgeordneten der SPD - ausgleich wirklich nicht die Rede sein. Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das ist gar nicht wahr!) (Beifall bei der SPD und der PDS) Wir lehnen die weitere Demontage des Arbeitsför- Mit dem wohlklingenden Namen „Programm für derungsgesetzes ab. Die gestern vom Kabinett be- Wachstum und Beschäftigung" wird kein einziger schlossenen Verschlechterungen des AFG bestrafen Arbeitsplatz geschaffen. Mit ihrem Programm löst die Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit Bedrohte. Bundesregierung wirklich kein Problem. Die Arbeits- losigkeit und die Staatsverschuldung werden weiter (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der zunehmen. Wirtschaftsforschungsinstitute und Sach- PDS) verständigenrat haben festgestellt: Die Arbeitslosen- Sie taugen nicht zur Reduzierung der Arbeitslosig- zahl wird im nächsten Jahr um 300 000 steigen. Nach keit. Man kann doch Arbeitslosigkeit nicht dadurch Berechnungen des DGB werden die geplanten Kür- bekämpfen, daß man die Arbeitslosen bekämpft oder zungen allein in der Renten-, Kranken- und Arbeits- bestraft. losenversicherung weitere 150 000 Menschen ar- beitslos machen. Diese Zahlen unterstreichen ein- Die umfassende Anrechnung von Abfindungen, deutig, daß es notwendig ist, ein Bündnis für Arbeit die Verschärfung der Zumutbarkeit und die Verrin- zu schaffen. gerung der Leistungen für ältere Arbeitslose schaffen keinen einzigen Arbeitsplatz. Mit ihren Plänen zum Sozialabbau hat die Regie- rung dafür gesorgt, daß das soziale Klima in Deutsch- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der land kälter wird. Aus tiefer Sorge um die Menschen PDS - Walter Hirche [F.D.P.]: Durch Senken in unserem Land haben sich der DGB und die mei- der Lohnnebenkosten!) sten sozialen Wohlfahrtsverbände auf einem Sozial- Dadurch werden immer mehr Arbeitslose in die So- gipfel getroffen. Dabei haben sie sich auf eine ge- zialhilfe getrieben, und Sie plündern noch mehr die meinsame Sozialcharta geeinigt. Kassen der Kommunen. Diese Sozialcharta ist ein Aufschrei gegen die Re- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: gierungspläne, mit dem die verheerenden Ein- Der Mann muß in die Gewerkschaft! - schnitte ins soziale Netz begründet werden. Sie ist Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Da ist er schon!) ein Bündnis für Arbeit und soziale Gerechtigkeit. Auch die beiden großen Kirchen unterstützen im - Das würde Ihnen ganz guttun. Grundprinzip die Kernaussagen der Sozialcharta. Das müßte eine Partei, die sich christlich nennt, sehr Wir sind auch gegen die Verschiebung der Kinder- nachdenklich machen und zur Umkehr bewegen. gelderhöhung. Der Bundeskanzler, der lauthals die Familie als Fundament unseres Staates preist, will (Beifall des Abg. Dr. Willibald Jacob [PDS] - die Familienfinanzen beschneiden. Anspruch und Peter Dreßen [SPD]: Die haben doch ihr Wirklichkeit klaffen hier meilenweit auseinander. „C" vergessen!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber das „christlich" scheint nur ein Firmenschild zur Täuschung der Wählerinnen und Wähler zu sein. Ich glaube, das muß doch eigentlich jedem, der nicht blind durch das Land läuft, klar sein. Ihr Bündnis gegen Arbeit richtet sich insbesondere gegen Arbeitnehmer und Arbeitslose, gegen Fami- Die Verschlechterungen im Rentenrecht unterstrei- lien und Frauen, gegen Renterinnen und Rentner, chen das ebenso nachhaltig. Davon werden beson- und letztlich grenzt es auch weiterhin die Jugendli- ders Frauen und diejenigen betroffen sein, die auf chen in unserer Gesellschaft aus. die flexible Altersgrenze vertraut haben. Sie kündi- gen diesen Konsens auf. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Daran glauben Sie doch selber nicht!) Ein solches Programm ist Gift für die öffentlichen Haushalte. Es zerstört das Vertrauen in die Tragfä- Kohls Programm gegen die Zukunft ist ein Programm higkeit des Rentenkompromisses von 1992. Die ge- gegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. plante Heraufsetzung des Rentenalters für Frauen ist Die Einschränkung des Kündigungsschutzgesetzes letzten Endes ein Programm gegen Ausbildungs- macht das noch deutlicher als alles andere. plätze; denn es werden keine Arbeitsplätze frei, die eigentlich für junge Menschen in diesem Land vor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) handen sein müßten. Die Abschaffung von bestehenden Schutzrechten für Wir Sozialdemokraten werden uns nicht an dieser Millionen von Beschäftigten wird nicht zu mehr Be- schäftigung führen. Sie bedeutet den Einstieg in das schäbigen Politik gegen Arbeit und soziale Gerech- amerikanische System des Heuerns und Feuerns. tigkeit beteiligen. Es ist höchste Zeit für neue Zei- chen in der Politik. Wir haben ein verläßliches Konso- Wir lehnen auch die Eingriffe in die Lohnfortzah- lidierungsprogramm vorgelegt. Die SPD setzt auf ein lung ab. Damit diffamiert diese Regierung alle Ar- Gesamtkonzept und hat Maßnahmen erarbeitet, mit beitnehmer, die krank werden, als Drückeberger und denen die Arbeitslosigkeit bekämpft und neue wirt- 9812 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Adolf Ostertag schaftliche Dynamik entfaltet werden kann sowie so- Sie, meine Damen und Herren aus den Regie- ziale Gerechtigkeit unverzichtbarer Maßstab bleibt. rungsfraktionen, lehnen die konkreten Vorschläge, Unter dieser Zielsetzung stehen die Angebote zu ei- die wir vorgelegt haben, ab. Sie sind nicht einmal be- ner vernünftigen Zusammenarbeit von seiten der reit, auf kurzsichtige Leistungskürzungen im Sozial- SPD-Opposition und der Gewerkschaften. Dieses bereich zu verzichten. Sie ignorieren die besonders Angebot steht nach wie vor. schlechte Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und ihre häufig nicht vorhandene soziale Absiche- Die Opposition und die Gewerkschaften haben rung. Frauen sind im „Bündnis für Arbeit" gar nicht nicht nur Forderungen an andere gerichtet, sondern erst vorgekommen. auch eigene Beiträge angeboten. Noch haben wir die Chance für ein breites Bündnis, das dringend not- Um das zu verändern, haben die Oppositionsfrak- wendig wäre. Aber das Bündnis wird nur dann zu- tionen eine Reihe von Vorschlägen gemacht, die Ih- stande kommen, wenn sich die Regierung darauf be- nen heute zur Abstimmung vorliegen. Ihre Rhetorik, sinnt, den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Politik meine Damen und Herren von den Regierungsfrak- zu stellen. tionen, von gesellschaftlicher und sozialer Verant- wortung im „Bündnis für Arbeit" hat gerade einmal (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- bis zu den Landtagswahlen im März gereicht. Unmit- ten der PDS) telbar nach den Landtagswahlen haben Sie das An- gebot der Gewerkschaften mit einem unglaublichen Affront ausgeschlagen. Nicht „Programm für mehr Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat die Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grü- Wachstum und Beschäftigung" , sondern „Programm nen. gegen Beschäftigte, Arme, Kranke und Behinderte" wäre eindeutig der treffendere Titel für die Vorlage der Bundesregierung. Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-- NEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren! Mit der Initiative „Bündnis für Arbeit" hat die IG sowie bei Abgeordneten der SPD und der Metall den Versuch unternommen, die Massen- PDS) erwerbslosigkeit wieder ins Zentrum der politischen Denn wachsen werden allein die Vermögen, wenn Diskussion und des politischen Handelns zu rücken. Herr Waigel auf Vermögensteuereinnahmen in Höhe Damit hat die Gewerkschaft ein bemerkenswertes von 8 Milliarden DM verzichtet. Das als Sparpro- gesellschaftspolitisches Verantwortungsbewußtsein gramm zu verkaufen kommt einer Irreführung der gezeigt. Öffentlichkeit gleich. (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Und ihren Tarif- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vertrag unter Dach und Fach gebracht!) sowie bei Abgeordneten der SPD und der Was die Regierung dazu beitragen wollte, war von PDS) Anfang an wenig genug: große Worte über die Hal- bierung der Erwerbslosigkeit bis zum Jahr 2000. Für die Beschäftigung und die Beschäftigten ist Ihr Aber konkrete Initiativen zur Bekämpfung der Ar- Programm ein Minusgeschäft, wie allerdings die letz- beitslosigkeit ist sie schuldig geblieben. ten 14 Jahre Ihrer Regierungszeit. Denn seit 1982 versuchen Sie, die Umverteilung von unten nach Wir haben eine ganze Reihe konstruktiver Vor- oben als beschäftigungswirksam zu verkaufen. Was schläge gemacht: Arbeitszeitverkürzung, die drin- Sie damit erreicht haben, ist ein Höchststand an Ar- gend nötig ist, damit die vorhandene Erwerbsarbeit beitslosigkeit. gerechter verteilt wird und mehr Menschen die Chance auf einen Arbeitsplatz haben; ein größeres (Jörg Tauss [SPD]: Das ist es! Die alten Kon Engagement in der aktiven Arbeitsmarktpolitik, um zepte!) kurzfristig Arbeitsplätze zu schaffen; ökologischer Haben Sie sich eigentlich einmal klargemacht, was Umbau und Öko-Steuer, um auch mittel- und langfri- Ihre Maßnahmen für die Betroffenen bedeuten? stig Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Hören Herr Storm, vielleicht schauen Sie sich doch einmal Sie doch auf!) unsere Konzepte etwas genauer an und befassen sich damit. Allein so kurzsichtige, aus der Zeitung - Hören Sie mir doch vielleicht einmal zu. - Nehmen entnommene RWI-Analysen helfen hier, glaube ich, wir eine alleinerziehende Frau, von Beruf Floristin. nicht weiter. Wer Umwelt und Arbeit, wie Sie es eben Sie verdient brutto 3 100 DM; netto zuzüglich Kinder- gesagt haben, auseinanderhalten will, geld verbleiben ihr etwa 2 260 DM. Wenn wir jetzt die Fixkosten abziehen - eine Warmmiete von rund (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ist ja gar 800 DM, den Beitrag für die Kindertagesstätte, die nicht wahr! Er hat gesagt: Arbeitsmarktpoli- Monatskarte für den Bus, Versicherungen, Telefon tik und Umweltpolitik!) und Strom -, dann bleiben etwa 950 DM im Monat der schafft es mit Sicherheit nicht, die Gesellschaft für Ernährung, Kleidung usw. Vielen erwerbstätigen der Bundesrepublik zukunftsfähig zu machen. Frauen - das wissen wir alle - bleibt noch weniger, wenn wir an all die un- und angelernten Beschäftig- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten denken. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9813

Annelie Buntenbach Die Floristin wird krank. Beispielsweise leidet sie lung sowie auf Krankengeld angewiesen ist. Daß an einer Allergie, was bei Floristinnen eine häufige zum Beispiel die Kosten für die Medikamente stei- Erkrankung ist. Sie wird krankgeschrieben und muß gen, ist ein Unglücksfall, der nicht nur diese Floristin sich einer längeren Behandlung unterziehen. Die trifft, den Ihre Regierung vielmehr für alle hervorruft. Kürzung der Lohnfortzahlung reduziert ihr Nettoein- Das gilt für alle anderen Punkte auch. kommen auf rund 1 850 DM und damit das tatsäch- lich verfügbare Einkommen auf rund 600 DM. Wenn (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sie nach sechs Wochen auf Krankengeld angewiesen Ich habe das Beispiel deswegen einmal durchargu- ist, das ja jetzt um weitere 10 Prozent gekürzt werden mentiert, weil ich das für den gesellschaftlichen Nor- soll, dann bleiben ihr nur noch 540 DM zur Verfü- malfall halte und es nichts mit dem zusätzlich gebro- gung. Parallel steigen ihre Kosten: die Zuzahlung für chenen Zeh, dem Ziegel auf dem Kopf oder dem Blu- Medikamente, bei der bevorstehenden Kur muß sie mentopf, der vom Balkon fällt, zu tun hat. 25 DM am Tag dazuzahlen. Da ist es schon gut, daß die Kur auf drei Wochen begrenzt ist, obwohl das für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Gesundheit bekanntlich weniger bringt als vier bei der SPD und der PDS) Wochen; denn schon die drei Wochen kann sie sich eigentlich nicht leisten. Meine Floristin kehrt jetzt zum dritten Mal an ih- ren Arbeitsplatz zurück und findet ihre Kündigung Zurückgekehrt an ihren Arbeitsplatz, findet sie vor. dann ihre Kündigung vor. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Haben (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Reden Sie doch Sie schon einmal etwas von Überforde- einmal über Arbeitgeber!) rungsklausel gehört?) Das Kündigungsschutzgesetz gilt für sie in ihrem Be- - Wir werden im Ausschuß noch Gelegenheit haben, trieb mit sieben Beschäftigten inzwischen nicht darüber zu reden, da die Überforderungsklausel si- mehr. Bei den miesen Bedingungen im neuen Ar- cherlich durch Ihre weiteren Vorhaben sehr überfor- beitsförderungsgesetz kann sie sich ausrechnen, daß dert werden wird. es nicht lange dauert, bis sie Sozialhilfe beantragen muß. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Beispiel belegt, daß die vorgelegten Maßnah- men der Bundesregierung insbesondere Menschen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin Buntenbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage? mit niedrigem Einkommen und mit Kindern treffen. Niedrige Einkommen sind im besonderen Frauen- einkommen; denn immer noch verdienen Frauen bei Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gleicher Arbeit im Durchschnitt gesehen rund ein NEN): Ja, bitte. Drittel weniger als Männer. Ihre Maßnahmen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Mich hat ge- vernichten Arbeitsplätze und erleichtern Kündigun- radezu die Fülle der Ereignisse, die auf die Floristin gen, besonders die von Frauen. Betroffen sind doch einstürzen, in Sorge gebracht diejenigen Branchen, in denen Frauen häufig be- schäftigt sind: in kleinen Dienstleistungsbetrieben, (Zurufe der SPD: Frage!) im Einzelhandel usw. - ja, die kommt sofort -, daß sie, wenn sie aus der Frauen können meist auch nur eine kürzere Be- Kuranstalt herauskommt, stolpert, ihr möglicher- schäftigungszeit aufweisen als Männer. Schließlich weise ein Ziegelstein auf den Kopf fällt, sie vom Auto sind sie immer noch diejenigen, die zu Hause bleiben überfahren wird und Sie dann noch beklagen müs- und die Kinder erziehen. Bei den Ruinen, die von sen, daß das Sterbegeld gekürzt worden ist. den Sozialauswahlkriterien für den Kündigungs- (Zuruf von der SPD: Wo ist die Frage?) schutz übrigbleiben sollen, berücksichtigen Sie ge- nau das nicht. Die Dauer der Betriebszugehö rigkeit - Die kommt jetzt. zum Beispiel ist ein Kriterium, das bei den jetzigen Ist es nicht ein bißchen überzogen, wenn Sie ganz Lebens- und Arbeitsbedingungen immer Frauen ge- konzentriert alle möglichen negativen Fälle auf eine genüber Männern benachteiligt und ihnen als erste Person beziehen und das Ganze damit so dramatisie- den Kündigungsschutz entzieht. ren, daß Sie zu dem Schluß kommen, so geht das al- Ich frage mich, ob Sie, meine Damen und Herren les nicht? von den Regierungsfraktionen, wirklich die Frauen zurück an den Herd drängen wollen oder, wie es Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- heute schönfärberisch heißt - das habe ich bei Herrn NEN): Herr Kollege, das ist durchaus ein Normalfall. Biedenkopf, glaube ich, noch gelesen -, die Erwerbs- Es handelt sich um die normale Einkommenssitua- neigung von Frauen eindämmen möchten? Bei dem, tion einer Floristin, die durchaus als Beispiel genom- was Sie uns hier in den letzten Wochen vorlegen, hat men werden kann für ein durchschnittliches Einkom- sich mir der Eindruck aufgedrängt: entweder zurück men. Wir wissen, daß viele Frauen weniger verdie- an den eigenen Herd oder - ergänzend - als Dienst- nen. Der Fall, den ich geschildert habe, ist lediglich mädchen an den eines Besserverdienenden. Der der, daß sie erkrankt und deshalb auf Lohnfortzah- kann sich ja jetzt dank der Steuererleichterungen 9814 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Annette Buntenbach eine Putzfrau leisten und muß dafür nicht einmal So- In der Tat bin ich dafür, - wir werden dafür eigene zialversicherungsabgaben bezahlen; Vorschläge unterbreiten -, die Arbeit im Haushalt so- zialversichert abzusichern. (Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist doch gerade der Sinn der Sache, daß Sozialabgaben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - abgeführt werden! - Wolf-Michael Caten- Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sie sind husen [SPD]: Das soziale Herz der F.D.P. nicht weiter, als Frau Matthäus-Maier vor meldet sich zu Wort!) drei Jahren auch war!) Zurück zu den Sozialversicherungsbeiträgen von denn mit Sozialversicherungsbeiträgen von Frauen Frauen. Ich sagte eben schon, daß man damit hierzu- ist man hierzulande ausgesprochen sparsam. lande sehr sparsam ist. Mini-Jobs von 590 DM im Monat haben in den letzten Jahre rapide zugenom- (Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/CSU] mel- men; gerade im Handel sind sie inzwischen systema- det sich zu einer Zwischenfrage) tisches Mittel von Personalplanung geworden. Im Osten der Republik finden Neueinstellungen im Handel fast nur noch unterhalb der Versicherungs- Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Gestatten Sie pflicht statt, weil die Handelsketten bei fast das, Frau Buntenbach? 50 Prozent Überkapazität in scharfer Konkurrenz ste- hen und an der Logistik und an der Sozialversiche- rung sparen. Und wenn Sie jetzt die Ladenöffnungs- Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zeiten verlängern wollen, werden noch mehr ver- NEN): Ja. nünftig abgesicherte Jobs in ungeschützte Mini-Jobs zerlegt. Der geht ganz wesentlich zu Lasten von Frauen.

Karl -Josef Laumann (CDU/CSU): Frau Kollegin Sie müssen endlich dafür sorgen, daß jede dauer- Buntenbach, wir wissen doch beide durch die vielen hafte Beschäftigung sozialversichert ist. Denn so, wie Diskussionen im Ausschuß für Arbeit und Sozialord- der Prozeß jetzt abläuft, zementieren Sie nicht nur nung, daß wir davon ausgehen müssen, daß in den die Schlechterstellung von Frauen, sondern auch die nächsten Jahren Hunderttausende von einfachen Be- Altersarmut von Frauen wird vorprogrammiert. schäftigungen in unserer Industriegesellschaft weg- fallen. Geben Sie mir nicht recht, daß es sinnvoll ist, Von Gleichberechtigung ist also keine Rede. Aber gerade für diese Menschen neue Beschäftigungsfel- damit nicht genug. Die Krönung des Ganzen ist die der, zum Beispiel auch im privaten Haushalt, zu er- beschleunigte Heraufsetzung des Rentenalters für schließen? Sind Sie nicht der Meinung, daß es dann Frauen. Unter arbeitsmarktpolitischen Gesichts- eine richtige Regelung ist, die steuerliche Absetzbar- punkten bei fast 7 Millionen fehlenden Arbeitsplät- keit dieser Kräfte daran zu binden, daß sie sozialver- zen ein kompletter Widersinn. sicherungspflichtig eingestellt sind? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir alle hier wissen, daß es gute Gründe für das NEN): Erster Punkt. Wenn Sie die Sozialversiche- niedrigere Rentenalter von Frauen gibt. Sie wissen, rungspflicht einführen und das auch gerade für daß Frauen in der Regel Mehrfachbelastungen aus- Frauen, die im Haushalt arbeiten, gilt, finde ich das gesetzt sind. Sie ergreifen aber keine Maßnahmen sehr gut. Ich hoffe, daß Sie damit auch die Geringfü- gegen die Mehrfachbelastungen, sondern Sie fügen gigkeitsgrenze abschaffen; denn Sie wissen, daß weitere Belastungen hinzu und wollen die Renten- viele von diesen Jobs im Haushalt eben Mini-Jobs versicherung auf Kosten der Frauen sanieren. Hier sind, die in einzelne Stunden zerlegt sind. Der gibt es dann offensichtlich auch keinen Vertrauens- Dienstleistungsscheck zum Beispiel oder andere For- schutz. men der steuerlichen Begünstigung setzen aus mei- ner Sicht eindeutig voraus, daß die Sozialversiche- Meine Damen und Herren, mit Umbau des Sozial- rungspflicht von Anfang an oder ab einer Bagatell- staates hat das, was die Bundesregierung vorgelegt grenze sichergestellt ist. Da sehe ich im Moment bei hat, nichts zu tun. Sie sind dabei, durch Deregulie- Ihnen keine Ansatzpunkte. Die F.D.P. fordert ja sogar rung und Ausgrenzung den Sozialstaat auseinander- ein, die Geringfügigkeitsgrenze hochzusetzen. zunehmen, und Sie wollen den Weg frei machen für einen Arbeitsmarkt, der ohne politisches Korrektiv Zweiter Punkt. Wir haben hier Umverteilungstat- nur noch olympiareifen Mannschaften eine Chance bestände genug. Das heißt, es muß darum gehen, bietet. Ich sage ganz bewußt Mannschaften; denn of- daß nicht diejenigen, die viel verdienen, weiter privi- fensichtlich disqualifiziert immer noch auch die Ge- legiert werden. Wenn Sie eine steuerliche Absetzbar- bärfähigkeit für diese Olympiade. keit in der Form, wie Sie das vorschlagen, machen, Unsere Forderung: Nehmen Sie Ihren Maßnah- dann werden Sie einen zusätzlichen Umverteilungs- menkatalog und werfen sie ihn dorthin, wo er hinge- tatbestand schaffen, den ich nicht zumutbar finde. hört: in den Papierkorb! (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Da ist ja die SPD (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schon besser!) bei der SPD und der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9815

Annette Buntenbach Machen Sie sich an die Arbeit! Denn die Opposition Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Nein, Herr Präsident, ich hat mit ihren Anträgen, die Ihnen heute vorliegen, möchte gerne fortfahren. Schritte in die richtige Richtung aufgezeigt. (Gerd Andres [SPD]: Frau Dr. Babel, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Anhörung gab es noch gar nicht!) bei der SPD und der PDS) Nach wie vor ist die Lohnhöhe die entscheidende Größe. Sie muß sich am Produktivitätsfortschritt

Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat die orientieren und - das ist entscheidend - darunter Kollegin Dr. Gisela Babel, F.D.P. bleiben, falls die Aufgabe, Arbeitslose zu integrieren, ernst genommen wird.

Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- (Beifall bei der F.D.P.) men und Herren! Ich stelle fest: Es gibt einen lebhaf- Produktivitätsfortschritte, die durch Arbeitsplatzab- ten Wettbewerb, wer die linkeste Partei ist, wer die bau erreicht werden, können redlicherweise nicht abgefeimteste, angriffslustigste Rede zu bieten hat. mehr unter Arbeitsplatzhaltern verteilt werden. Dies Ich darf jetzt das Pendel vielleicht wieder einmal in sind - um auch in der Politik dem Gebrauch der die andere Richtung ausschlagen lassen. Quellenangaben zu genügen - Vorschläge, die Horst Der SPD-Antrag „Bündnis für Arbeit" stellt klar, Siebert in einem Referat vor der Bertelsmann-Stif- daß die SPD die Hauptverantwortlichen für die Besei- tung vertrat. Nur wenn in mehreren Null-Runden auf tigung der Arbeitslosigkeit beim Staat und bei der die Zunahme der Tariferhöhung von etwa 2 Prozent Bundesregierung sieht. In sechs Punkten ordnet sie der Stundenproduktivität verzichtet würde, könne ihre Forderungen in Maßnahmebündeln, die von der man in vier Jahren 1,2 Millionen Arbeitslose integrie- Bundesregierung zu treffen und natürlich auch zu fi- ren. nanzieren sind. (Jörg Tauss [SPD]: Dann sind wir pleite!) Dann kommt, was niemanden im Hause mehr Das setzt Einvernehmen voraus. Dieses ist kaum zu überraschen kann, was niemanden mehr interessie- erwarten. ren wird und an was niemand, auch Sie selbst nicht, glauben wird, nämlich Ihr Arbeits- und Strukturför- Für den Gesetzgeber stellen sich dann schon sehr derungsgesetz, die Frage des Heranziehens von unbequeme Fragen: Müßten nicht Arbeitslose die nicht ausbildenden Betrieben zu einer Abgabe, steu- Chance erhalten, zu Einstiegstarifen, die 20 Prozent erliche Anreize für die Ausbildung, Garantien für unter dem Tariflohn liegen, ihre Arbeitskraft anzu- Ausbildungsplätze und die Forderung nach Rück- bieten? Müßten nicht Arbeitnehmer mit eigenen Ab- nahme von Gesetzen: BSHG, Asylbewerberlei- machungen für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes sor- stungsgesetz, Arbeitslosenhilfegesetz usw. gen können, indem sie das Recht erhalten, sich mit dem Arbeitgeber darauf einigen, legal Lohnverzicht Die SPD verweist also wieder auf ihre Vorstellun- zu leisten? gen zum Arbeits- und Strukturförderungsgesetz, das sie wohl für ein Allheilmittel hält. In den Anhörun- (Beifall bei der F.D.P.) gen aber - das darf ich in Erinnerung rufen - haben Meine Damen und Herren, wenn sich in all diesen die Sachverständigen eindeutig festgestellt, daß die Fragen Entrüstung regt und wenn Sie Ihre Hände staatliche Arbeitsmarktpolitik nur einen kleinen und schützend vor den Flächentarifvertrag halten, dann - das, was die SPD in ihrem Gesetz vorschlägt, insge- das sage ich Ihnen voraus - wird die Flucht aus den samt einen untauglichen Beitrag darstellt, dieser Be- Tarifverträgen verstärkt einsetzen und die heilige Ta- schäftigungskrise beizukommen. Es müssen - das rifautonomie unterspülen. Das kann nicht Ihr Inter- wird immer wieder betont; Sie aber sagen es nie - die esse sein. wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen, um für eine bessere Beschäftigung sorgen zu können. Der Flächentarif muß flexibler werden. Ansonsten Verantwortlich sind sicher die Tarifpartner. scheren die Unternehmer aus der Tarifbindung aus und zahlen niedrigere Löhne. Maßvolle Lohnrunden (Gerd Andres [SPD]: Von welcher Anhö- und tarifliche Öffnungsklauseln sind das Gebot der rung sprechen Sie eigentlich?) Stunde. Sie brauchen sich gar nicht so aufzuregen: Wie kann die Integration von Arbeitslosen in den Sie gibt es bereits in Tarifverträgen der Textilindu- Arbeitsmarkt gelingen? strie, wo der Arbeitsplatzverlust besonders drama- tisch war. (Gerd Andres [SPD]: Welche Anhörung war Lassen Sie mich aber an dieser Stelle eine Gruppe das?) erwähnen, die zwar eine Schlüsselrolle spielt, in die- - Das war die öffentliche Anhörung zu Ihrem Arbeits- ser Situation aber nie erwähnt wird. Das sind die Un- strukturgesetz. Das ist wirklich üppig nach vorne ternehmer. Fragt man heute bei der Jugend nach, und nach hinten diskutiert worden. welche Personen sie als Leitbilder unserer Gesell- schaft wahrnehmen, welche Persönlichkeiten sie schätzen und für nachahmenswert halten, werden

Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Frau Kollegin Sie kaum hören, daß die Jugend Unternehmer ir- Dr. Babel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- gendwie einleuchtend, deren Leben vorbildlich und legen Ostertag? deren Leistungen bewundernswert findet. 9816 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Dr. Gisela Babel Es ist aber wichtig, daß es uns gelingt, ein positives Was ist die Folge? Die Unternehmer werden diese Beispiel herauszustellen, damit junge Menschen den Qualifizierung eben unterlassen; denn das sind ja In- hohen Einsatz an eigener Tatkraft und Leistungsbe- vestitionen, die sich offensichtlich nicht auszahlen. reitschaft wagen. Die Gesellschaft muß für unterneh- Solange wir in solchen Fragen nicht mehr Rücksicht merische Tätigkeit viel mehr werben und junge Men- auf betriebliche Belange nehmen - ich mache das schen an Wettbewerb heranführen und gewöhnen, einmal ganz bewußt an solchen Beispielen fest -, auch in unseren Bildungseinrichtungen. wird sich natürlich auch an der Qualifizierung wenig ändern. (Beifall bei der F.D.P. - Jörg Tauss [SPD]: Machen Sie doch etwas für die jungen (Beifall bei der F.D.P. - Jörg Tauss [SPD]: Unternehmer! Fangen Sie doch mal an!) Das Beispiel stimmt nicht!) Jetzt stelle ich einmal die Frage, wie Unternehmer Zum Schluß möchte ich darauf hinweisen, daß das eigentlich sind. Vergessen wir einmal die Karikatu- von der SPD geforderte Maßnahmenbündel von der ren der Manager in Nadelstreifen oder das Fehlver- Koalition ja bereits vorgelegt wurde, und zwar mit halten von Managern der Vorstandsebene bei man- den Schwerpunkten Liberalisierung des Arbeitsrech- chen größeren Entscheidungen. Sehen Sie sich doch tes und der Senkung der gesetzlichen Lohnnebenko- einmal in kleinen oder mittelständischen Betrieben sten. Sie sollen Sozialversicherungsbeiträge stabili- um, in Firmen in bäuerlich geprägter Landschaft, de- sieren, was übrigens auch Arbeitnehmerhaushalten ren Geburtsstätte oft eine Garage oder der väterliche zugute kommt. Handwerksbetrieb war und die heute mit hochmo- dernen Maschinen ausgerüstet sind, mit Firmenkon- Die Anträge der SPD und der Grünen können die takten nach China und Südamerika. Das sind un- Koalition nicht beirren. Wir werden an dem Pro- glaublich fähige, fleißige, wache Leute mit guten gramm für Wachstum und Beschäftigung festhalten. Kontakten zu ihrer Belegschaft. - Vielen Dank. (Jörg Tauss [SPD]: Ja?) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Wenn Sie diese Unternehmer einmal fragen, ob sie ten der CDU/CSU - Gerd Andres [SPD]: sich in unserer Gesellschaft richtig gewürdigt und Das war eine überraschende Aussage, Frau anerkannt sehen, dann kommt resignierend die Ant- Babel!) wort: Eigentlich nicht. Das müssen wir ändern und auch in öffentlicher Parlamentsdebatte feststellen: Es sind solche Unter- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei- nehmer und Unternehmerinnen - ich sage einmal, ner Kurzintervention hat der Kollege Adi Ostertag. daß wir gerade als Parlamentarierinnen eine Rund- reise machen, um Unternehmerinnen zu besuchen Adolf Ostertag (SPD): Sehr geehrter Herr Präsi- und ihre Betriebe anzusehen -, auf die sich unsere dent! Meine Damen und Herren! Frau Babel, ich Hoffnungen richten müssen. muß eindeutig feststellen: Es gab noch keine Anhö- (Beifall bei der F.D.P.) rung zum ASFG. Das wäre auch bisher gar nicht sinnvoll gewesen, sowohl aus Sicht der Opposition Bei der Ausbildung nehmen die Probleme zu. Daß als auch aus der der Regierung. Das Kabinett hat ge- junge Menschen nicht den Ausbildungsplatz bekom- stern beschlossen, das AFRG der Regierung einzu- men, den sie sich wünschen, muß vielleicht hinge- bringen. In diesem AFRG-Entwurf steht, daß die Al- nommen werden. Daß es aber Ausbildungsangebote ternative zum Gesetzentwurf der Regierung das gibt, die nicht angenommen werden, schon weniger. ASFG der SPD ist. Das wird parallel gelesen. Nach Ausbildung muß sich für Betriebe lohnen, denn nur meinen Informationen wird Ende September die An- dann bilden sie aus. Auch da müssen die Rahmenbe- hörung stattfinden. Das nur zur Klarstellung. dingungen stimmen, da muß die tarifliche Entloh- nung im Verhältnis zur geleisteten Arbeit stimmen. Einen zweiten Punkt muß ich noch klarstellen. Sie haben eben gesagt, in unserem Antrag „Bündnis für Ganz offensichtlich ist es für Unternehmer wesent- Arbeit" zeigten wir immer nur auf die Regierung, die lich billiger, ausgebildete Leute abzuwerben und ein- Arbeitsplätze zu schaffen habe. Ich möchte nur daran zustellen, anstatt selber für den Nachwuchs zu sor- erinnern, daß bei der Einbringung des ASFG meine gen. Solange dies so ist, wird sich an der Ausbil- Kolleginnen und Kollegen und ich immer deutlich dungsfront wenig ändern. gemacht haben, daß die SPD von einem Gesamtkon- Nicht einmal die innerbetriebliche Weiterqualifi- zept zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zierung von Mitarbeitern lohnt sich in manchen Fäl- ausgeht, das aus mindestens drei Elementen besteht. len. Manches Unternehmen qualifiziert seine Mitar- Wir brauchen erstens eine andere Wirtschafts- und beiter, damit sie an hochmodernen, computergestütz- Finanzpolitik als die, die Sie in der Regierung betrei- ten Maschinen arbeiten können. Eine solche Qualifi- ben und Sie als Koalitionsfraktionen unterstützen. zierung kostet in der Größenordnung von 30 000 DM. Wir brauchen zweitens eine andere Arbeitszeitpoli- Sie ist teuer. Daher versuchen die Bet riebe, solche tik, insbesondere eine gerechtere Verteilung der vor- qualifizierten Mitarbeiter an den Bet rieb zu binden, handenen Arbeit. Wir brauchen drittens eine andere und stellen dann fest, daß die Bindung, wenn sie Arbeitsmarktpolitik. Diese Arbeitsmarktpolitik sehen über ein halbes Jahr hinausgeht, von Arbeitsgerich- wir - wie wir sie uns vorstellen - im ASFG wirklich ten als rechtswidrig angesehen wird. festgeschrieben. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9817

Adolf Ostertag Von daher haben wir immer von diesem Drei- Die Rede ist auf seiten der Koalition von Hundert- Schritte-Konzept gesprochen. Das haben Sie an- tausenden neuer sozialversicherungspflichtiger Ar- scheinend bisher noch nicht begriffen, obwohl es beitsplätze, die in diesem Bereich entstehen können. mehrfach dargestellt worden ist. Sie verengen das 1 Million Arbeitsplätze sind es bei Herrn Jagoda. immer auf die Arbeitsmarktpolitik. Herr Westerwelle hat von 700 000, Frau Böhmer von schätzungsweise 500 000 Arbeitsplätzen gesprochen. Wir sind doch nicht von gestern. Wir haben längst Allein die Spanne, die dabei festzustellen ist, weist begriffen, daß die Arbeitsmarktpolitik nur ein Ele- darauf hin, daß diese Angaben weder Hand noch ment in einem integrierten Politikkonzept ist, um die Fuß haben. Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der PDS) ten der PDS) Wirklich seriöse Untersuchungen, wie die des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstituts kom- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Dr. Babel. men zu dem Schluß, daß es noch nicht einmal 100 000 Erwerbsplätze sein werden. Stellt man dann Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Herr Kollege Ostertag, ich noch in Rechnung, daß einzelne Frauen mehrere sol- finde, es ist ein außerordentlich erfreulicher Fort- cher Jobs benötigen, um davon leben zu können, so schritt, wenn Sie feststellen, daß das Heil eben nicht reduziert sich die Zahl der beteiligten Arbeitskräfte nur aus der staatlichen Arbeitsmarktpolitik kommt. noch einmal erheblich. Ich bin bereit, dieses zur Kenntnis zu nehmen. Wenn nun aber die zu erwartenden Effekte bezüg- Wenn Sie sagen, eine Anhörung zu Ihrem Gesetz lich regulärer Beschäftigungsverhältnisse dermaßen kommt erst, dann will ich nur darauf verweisen, daß gering sind, dann stellt sich doch die Frage, was die wir bereits eine große Anzahl von Anhörungen hat- Bundesregierung mit dieser propagandistisch und fi- ten, die auf Ihren Initiativen basiert haben, und daß nanziell so aufgeblasenen Initiative wirklich be- wir zu Ihren Vorstellungen mehrfach Sachverstän- zweckt. Zum einen versucht die Bundesregierung, dige aus der ganzen Bundesrepublik zusammenge- auf diese Art und Weise arbeitsmarktpolitisches En- rufen haben. Diese Voten liegen vor. gagement vorzutäuschen. Das hat sie dringend nötig. Wenn Sie sagen, daß dies nur ein Baustein ist und Schließlich ist es das einzige, was ihr unter der Über- daß zu dem Thema vor allem ganz entscheidend die schrift „Neue Beschäftigungsfelder erschließen" ein- Steuerpolitik gehört, freut mich das ebenfalls. Was gefallen ist. Sie nicht gesagt haben, ist, daß Sie eine Unterneh- mensteuerreform dringend anmahnen und daß Sie (Beifall bei der PDS) gewillt sind, hierbei mitzumachen. Bislang habe ich von seiten der SPD immer nur gehört, daß Sie sich Zum anderen schanzt sie ihrer Klientel - wohlge- dabei total verweigern und daß Sie die Unterneh- merkt in Zeiten allgemein verkündeter Sparsamkeit - mensteuerreform oder die Abschaffung der Gewer- so ganz nebenbei großzügige Steuergeschenke zu. bekapitalsteuer nicht wollen. Bis zu 24 000 DM jährlich dürfen künftig von der Steuer von denen abgesetzt werden, die Dienstperso- Im Moment kann ich das noch nicht ganz ernst nal im eigenen Haus beschäftigen. Die Ausweitung nehmen. Aber wenn es eine Friedenstaube am Him- des Dienstmädchenprivilegs ist eine weitere giganti- mel sein sollte, daß Sie das alles mitmachen wollen, sche Umverteilung von Einkommen zugunsten der kann ich diesen Abend schon für sehr erfreulich hal- ohnehin Privilegierten. ten. Vielen Dank. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der F.D.P. Gerd Andres [SPD]: Das ist aber noch nicht alles. Mit dem Dienstmäd- Wir wollen nicht alles mitmachen! - Weite- chenprivileg wird in erster Linie, so meine ich, ein rer Zuruf von der SPD: Das kann man bei politisches Signal gesetzt. Diese sogenannte Beschäf- der F.D.P. sowieso nicht!) tigungsinitiative soll nämlich deutlich machen, wo die Arbeitsmarktperspektiven für Frauen liegen. Denn natürlich sind es Frauen, die sich künftig mas- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die senhaft in privaten Haushalten des besserverdienen- Kollegin Christina Schenk, PDS. den Nachbarn oder der Nachbarin verdingen sollen: schlecht bezahlt und nicht sozialversichert. Christina Schenk (PDS): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Die Bundesregierung hat sich ver- Von Arbeitsplätzen mit Sozialversicherung - im- pflichtet, in den nächsten dreieinhalb Jahren 2 Mil- merhin war davon noch in der Koalitionsvereinba- lionen Erwerbsarbeitsplätze zu schaffen. rung die Rede - spricht man heute nicht mehr. (Walter Hirche [F.D.P.]: Nein, die Bundesre- Frauen werden also verstärkt in Beschäftigungsver- hältnisse mit geringfügigem Einkommen, in Jobs mit gierung nicht!) schlechter Bezahlung, flexiblen Arbeitszeiten sowie Als Wachstumsbranche der Zukunft hat sie die Pri- fehlende arbeits- und tarifrechtliche Absicherung ab- vathaushalte entdeckt. Ich denke, hier lohnt sich ein gedrängt. Die Erschließung qualifizierter, zukunftsfä- genauerer Blick. higer Beschäftigungsfelder für Frauen ist - ich frage: 9818 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Christina Schenk wen überrascht das hier nun wirklich noch? - die Sa- vathaushalten massenhaft sozialversicherungspflich- che dieser Bundesregierung nicht. tige Beschäftigungsverhältnisse zu erschließen seien. Das also ist es, was letztlich von Ihrem Antrag jetzt (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Billigjobs übrigbleibt: eine generelle Zustimmung zur völlig gab es in der DDR!) verfehlten Politik der Bundesregierung in diesem Be- - Da haben Sie aber wenig Ahnung, Herr Kollege reich. Sehr bedauerlich! Laumann. Die PDS lehnt es kategorisch ab, den Bereich haus- Eine weitere Botschaft dieser Beschäftigungsinitia- haltsnahe Dienstleistungen als arbeitsmarktpoliti- tive lautet: Erwerbstätigkeit und Familie sind in die- sche Perspektive für Frauen festzuschreiben - vor al- sem Lande nicht miteinander vereinbar. Ernsthafte len Dingen als einzige. Bemühungen, die gesellschaftlichen Ursachen für (Beifall bei der PDS - Widerspruch bei der dieses Problem zu beseitigen, sind also auch künftig F.D.P.) nicht zu erwarten. Männer können die Forderungen ihrer Partnerinnen nach gleichberechtigter Teilung Statt dessen fordern wir eine radikale Veränderung von Hausarbeit und Zeit für Kinder nur mit dem Hin- der Erwerbsstrukturen in dieser Gesellschaft. Eine weis auf die staatlich geförderte Anstellung einer allgemeine und deutliche Verkürzung der Arbeits- Putz- oder Kinderfrau zurückweisen. zeit ist dabei unabdingbar. Auch Sie von der Koali- tion werden nicht darum herumkommen. Auf diese Weise wird nicht nur die geschlechtsspe- zifische Arbeitsteilung verfestigt, sondern auch die (Beifall bei der PDS) soziale Spaltung der Gesellschaft vertieft. Auf der ei- nen Seite stehen diejenigen, die gut bezahlte Karrie- Nur so kann die vorhandene bezahlte Arbeit so rejobs einnehmen und sich ihre volle zeitliche Ver- verteilt werden, daß Frauen und Männer gleicherma- fügbarkeit und Flexibilität mittels einer Haushalts- ßen die Chance zu qualifizierter Erwerbsarbeit und hilfe sichern. Auf der anderen Seite wächst die Zahl auf ein existenzsicherndes Einkommen haben. Zu- von Frauen in der Rolle der Dazuverdienenden ohne gleich ist die Verkürzung der Arbeitszeit die wichtig- eine eigenständige ökonomische Existenz und mit ste Voraussetzung für die Lösung des Vereinbar- vorprogrammierter Altersarmut. keitsdilemmas, das die einen in ungeschützte schlecht bezahlte Putzjobs drängt und die anderen Nun wissen wir auch, daß es einen wachsenden von Haushaltshilfe und Kinderfrau abhängig macht. Bedarf an haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen gibt. Die richtige Antwort darauf Wir fordern die Bundesregierung auf, qualifizierte wäre der Ausbau eines öffentlichen Dienstleistungs- Arbeitsmarktperspektiven für Frauen zu erschließen. sektors. Statt dessen forciert die Bundesregierung je- Wir sind durchaus behilflich, wenn Ihnen dazu nichts doch die Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Wer mehr einfallen sollte. genug Geld hat, braucht auf die Umsetzung des (Rolf Köhne [PDS]: Sehr gut!) Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz nicht zu warten. Er kompensiert den fehlenden Kita-Platz Wenn die Bundesregierung denn schon bereit ist, mit einer steuerlich absetzbaren Kinderfrau und die Frauenerwerbstätigkeit dauerhaft zu subventionie- Leistungsdefizite im Schulbereich mit Nachhilfe- ren - wie das jetzt mit diesem Dienstmädchenprivileg unterricht. angedacht ist -, dann sollte sie die Gelder genau in diese qualifizierten Arbeitsmarktperspektiven inve- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Was soll das hei- stieren. ßen?) Gleichzeitig erneuern wir unsere Forderung nach Diese Möglichkeit bleibt den Einkommensschwä- Abschaffung der sozial ungeschützten Beschäfti- cheren versagt. Sie bleiben auf staatliche Einrichtun- gungsverhältnisse, das heißt nach der Versiche- gen angewiesen. Das wird zu einer Stigmatisierung rungspflicht für jegliche Arbeit von der ersten Stunde dieses Bereichs und einer deutlichen Absenkung sei- an, sowie nach Ausbau des Angebots an öffentlichen ner Standards führen. Dienstleistungen. (Birgit Homburger [F.D.P.]: Oh!) Vielen Dank. - Ja, so ist das. (Beifall bei der PDS) Allgemein öffentlich zugängliche Dienstleistungen sind aber die Grundlage für soziale Chancengleich- Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat der heit. Das aber - soziale Chancengleichheit - ist für Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther. die Bundesregierung ein vollkommen fremder Ge- danke. Sie will eine Gesellschaft, in der sich einige wenige hemmungslos auf Kosten der Mehrheit profi- Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundes- lieren. minister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsi- dent! Meine Kolleginnen und Kollegen! Kollege An dieser Stelle muß ich leider auch ein Wort an Ostertag, ich möchte zunächst Ihre überzogenen An- die SPD-Fraktion richten. Mit sicherem Auge hat sich griffe auf die Bundesregierung pauschal zurückwei- nämlich die Koalition aus Ihrem Antrag „Arbeits- sen. Ich möchte auf die Einzelheiten nicht eingehen. marktpolitik für Frauen" genau den Punkt herausge- Das war alles sehr unappetitlich. Wir spucken insbe- griffen, mit dem sie dem von ihr so aufwendig er- sondere in keine offenen Hände. Wir sind anständige zeugten Mythos Nahrung verleihen kann, daß in Pri- Leute. Das tun wir nicht. Wir spucken auch nicht in Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9819

Parl. Staatssekretär Horst Günther Ihre Hand, die Sie uns heute freundlicherweise zur len, auch dem globalen Wettbewerb. Alles andere Zusammenarbeit gereicht haben. Das nehmen wir wäre Rückschritt, an. Insoweit war wenigstens etwas Positives dabei. (Widerspruch bei der SPD und der PDS) Dann habe ich gedacht: Nun bist du mal gespannt, ob der Kollege Ostertag heute einen guten Tag hat den die Bundesregierung nicht mitmachen wird. - Ich kann ja verstehen, daß Sie angesichts der Tatsa- und das Plenum, das ja in dieser Weise besetzt ist, chen so unruhig sind. Aber hören Sie doch einmal vielleicht überzeugt, den Vorschlägen aus seinen An- trägen zu folgen. Aber er hat hier kein Wort über die zu! Sie können sich ja gleich auch noch äußern. eigenen Anträge verloren. Daher, lieber Kollege Und es genügt auch nicht, die Initiativen der IG Ostertag, haben Sie auch Dinge aufgegriffen, die Metall für ein Bündnis für Arbeit zu begrüßen, die heute gar nicht auf der Tagesordnung stehen. Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirt- schaft zu fordern und im selben Atemzug eine ge- (Vorsitz Vizepräsident Hans Klein) setzliche Ausbildungsplatzumlage zu verlangen, die Das steht Ihnen frei. Aber ich hätte doch gedacht, Sie die Wirtschaft nur mit neuen Kosten belasten und zu hätten hier mal etwas Kämpferisches zu Ihren eige- nichts führen würde. nen Anträgen gesagt. Das gleiche gilt für Ihre Forderung, die Fördermög- Auf der anderen Seite kann ich Sie verstehen, daß lichkeiten zur Wiedereingliederung von Langzeitar- zu verbessern - unter Verweis auf Ihren Sie nicht immer dasselbe wiederholen wollen, als da beitslosen Entwurf für ein Arbeits- und Strukturförderungsge- sind: Wiederherstellung des Arbeitsvermittlungsmo- setz. Warum verschweigen Sie, daß Ihr Gesetzent- nopols der Bundesanstalt, Wiedereinführung des Rechtsanspruchs auf Unterhaltsgeld - das fordern Sie wurf zu erheblichen Mehrbelastungen der öffentli- chen Haushalte führen wird? Nach meiner Einschät- schon seit 1994 -, Wiedereinführung des Schlecht-- wettergeldes. Zur Erinnerung: Wir haben im Oktober zung handelt es sich um bis zu 30 Milliarden DM. ein Gesetz gemacht; die Tarifvertragsparteien haben Wie wollen Sie das seriös finanzieren? Sie haben die einen Tarifvertrag abgeschlossen. Also, alles vorbei, Chance verpaßt, das hier darzulegen. Das hätten Sie eben machen können. Vielleicht kommt das ja noch. alles nur Wiederholungen, die Sie hier in Ihren An- trägen bringen. Von daher: nichts Neues. Eine solche Forderung, wie Sie erheben, paßt heute wahrlich nicht mehr in die Landschaft. Wenn keine Vorschläge wiederholt werden, dann Wie hoffnungslos veraltetet Ihre Vorschläge zur Ar- kommen Sie mit Neuauflagen, in diesem Fall mit der beitsmarktpolitik sind, zeigt sich besonders beim Neuauflage einer Gemeinschaftsinitiative zur Schaf- Thema „Frauen und Arbeit". Zu dem wichtigen An- fung von Ausbildungsplätzen im Osten. Warum brin- trag, den Sie gestellt haben, ist bisher in dieser De- gen Sie denn jedes Jahr eine Neuauflage alter Vor- batte kein Wort gefallen. Ich erinnere nur an die Dis- schläge? Das schafft keinen Ausbildungsplatz, und kussion um die neuen Beschäftigungsverhältnisse in das hilft auch keinem Jugendlichen. Privathaushalten. Wir haben aufgezeigt, welches Ar- Unser Konzept, auf das wir uns inzwischen mit den beitsplatzpotential hierin insbesondere für Frauen Sozialpartnern und den Regierungen der neuen Län- steckt. Sie kannten nur das Totschlagargument der grundsätzlich verständigt haben, lautet: Maßnah- „Dienstmädchenprivileg". memix aus betriebsnaher Ausbildungsförderung und (Zuruf der Abg. Christina Schenk [PDS]) Förderung von Ausbildung in Verbünden, bei Exi- stenzgründern und in Kommunen. Damit haben wir - Sie haben es nicht gelesen, Frau Kollegin. unsere Handlungsfähigkeit wieder unter Beweis ge- stellt. Die Opposition läuft den Realitäten wieder ein- Jetzt, wo die Bundesregierung in ihrem Entwurf ei- mal hinterher. nes Jahressteuergesetzes 1997, dessen Behandlung morgen früh hier auf der Tagesordnung steht, steuer- Das gilt auch für eine weitere Forderung Ihrer An- liche Erleichterungen und die Vereinfachung der Ar- träge, nämlich die Anhebung des berücksichti- beitgebereigenschaft in Privathaushalten vorsieht, gungsfähigen Arbeitslohns im zweiten Arbeits- versuchen Sie, auf den Zug aufzuspringen. Aber markt auf 100 Prozent des Lohns im ersten Arbeits- auch das ist schon zu kurz gesprungen. Denn wie im- markt. Ich dachte, wir wären uns einig, daß der mer schlagen Sie mit Ihren Zuschüssen den Weg zweite Arbeitsmarkt nicht Parkplatz ist, sondern eine über den Staat vor und schaffen so nur staatlich sub- Brückenfunktion für den ersten Arbeitsmarkt hat. ventionierte Beschäftigungsverhältnisse statt Ar- Kein noch so gut bezahlter ABM-Platz ist so gut wie beitsplätzen, die sich auf dem regulären Arbeits- ein normales Arbeitsverhältnis -- das wissen wir alle - markt behaupten können. Wir brauchen keine sub- mit normalem Lohn statt Lohnersatz. Mit Ihrer 100- ventionierten, wir brauchen konkurrenzfähige Ar- Prozent-Forderung fesseln Sie doch nur die Arbeits- beitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt. Das ist für losen auf dem zweiten Arbeitsmarkt und verkaufen uns das Ziel Nummer eins. dies noch als soziale Wohltat. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Walter Hirche [F.D.P.]: Dazu müssen die Lasten gesenkt werden! - Zuruf von der So kann heute keine moderne Arbeitsmarktpolitik SPD: Dann machen Sie mal! - Wer regiert aussehen. Moderne Arbeitsmarktpolitik muß sich denn hier?! 14 Jahre haben Sie Zeit den wirtschaftlichen Gegebenheiten nun einmal stel gehabt!) 9820 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Parl. Staatssekretär Horst Günther - Ich trinke mal etwas Wasser, damit Sie weiter sern und modernisieren, damit es auch künftig er- schreien können. folgreich angewendet werden kann. Für uns haben grundsätzlich die Arbeitsplätze auf Aber ein Gesetz allein genügt nicht. Gebraucht dem ersten Arbeitsmarkt Priorität. Als Grundlage werden Unternehmer, Betriebs- und Personalräte, dafür haben wir das „Bündnis für Arbeit" mit den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Aber Sozialpartnern, das 50-Punkte-Aktionsprogramm für auch der einzelne kann an diesem Gesetz mitwirken Investitionen und Arbeitsplätze sowie das Programm und es aktiv unterstützen. für Wachstum und Beschäftigung. Die ersten Bera- Zusammen werden wir unser Ziel Nummer eins, tungen dazu haben stattgefunden. die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, erreichen. Un- Gestern, am 12. Juni 1996, hat das Bundeskabinett ser Arbeitsförderungs-Reformgesetz ist dabei ein ent- das Arbeitsförderungs-Reformgesetz beschlossen, scheidender Schritt auf diesem Weg. Mit dem SGB III das noch in diesem Jahr im Bundestag verabschiedet werden wir die Arbeitsförderung für den Beginn des werden könnte. Dieses Reformgesetz ist keine kleine 21. Jahrhunderts fitmachen. Novelle; es ist ein klares, modernes Gesetz, das die Vielen Dank. Erwerbschancen der Arbeitslosen verbessert und den Arbeitsämtern vor Ort die Möglichkeit zum ei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) genständigen und dynamischen Handeln geben soll. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kolle- gin Renate Jäger. Aktive Leistungen zur Eingliederung statt passiver Leistungen - das ist unser Ziel. Bezieher von Arbeits- Renate Jäger (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! losengeld werden zu den unterschiedlichen Einglie-- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde derungsleistungen den gleichen Zugang haben, so es schon richtig, Herr Staatssekretär Günther, daß daß die Leistungen frühzeitig eingesetzt werden kön- mein Kollege Ostertag verschiedene Dinge, zu denen nen. die heutige Thematik Beziehungen aufweist, und As- Die Zusammenfassung und Neubestimmung der soziationen aufgegriffen hat und sich nicht so eng an verschiedenen Lohnkostenzuschüsse verhindern ein unserem Antrag orientiert hat. Ich denke, das liegt in Ausfransen des neuen Arbeitsförderungsgesetzes. dem großen politischen Umfeld begründet. Die Vorteile dieser Maßnahmen liegen auf der Hand: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Schnelligkeit, Transparenz, Lesbarkeit, Erhöhung der Effektivität, Steigerung der Effizienz - ein weite- Natürlich begrüßen wir es, wenn Sie wettbewerbs- res Ziel unseres Entwurfes, das wir erreichen wer- fähige Arbeitsplätze schaffen. Das ist das Allerbeste. den, indem wir die vorhandenen und bewährten ar- Wir würden uns in keiner Weise dagegenstellen. Ich beitsmarktpolitischen Instrumente optimieren und verfolge seit Bestehen der Einheit die Neujahrsan- neue einführen, sprachen des Bundeskanzlers sehr aufmerksam. (Adolf Ostertag [SPD]: Wann denn?) (Andreas Storm [CDU/CSU]: Immer ein Gewinn!) zum Beispiel Trainingsmaßnahmen, Eingliederungs- maßnahmen in Sozialplänen, Eingliederungsverträge Für meine Begriffe ist das oberste Ziel des Bundes- von Langzeitarbeitslosen sowie die Förderung von kanzlers immer wieder - seit wir die Einheit haben - neugegründeten kleinen Betrieben bei Einstellung die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Aber was ist von Arbeitslosen. passiert? Die Arbeitslosigkeit ist ständig gestiegen, seit wir die Einheit haben. Dezentralisierung und Kompetenzerweiterung - und damit auch Delegation von mehr Verantwortung (Zuruf von der SPD: So kämpfen die!) und stärkerer Wettbewerb der Arbeitsämter unter- So kennen wir das bisher. Wundern Sie sich doch einander - werden den Einsatz der verschiedenen nicht, wenn wir von Ihnen ein Bild gewinnen, das Sie arbeitsmarktpolitischen Instrumente ortsnah und heute abzustreiten versuchen. flexibel ermöglichen. Hierzu gehört auch der neue, frei verfügbare „Innovationstopf" der Arbeitsämter, Wir fordern in unserem Antrag „Bündnis für Ar- um auf örtliche Gepflogenheiten flexibler als bisher beit" von der Bundesregierung ein Maßnahmebün- reagieren zu können. Dabei müssen die Arbeitsämter del - Frau Dr. Babel ist schon darauf eingegangen - vor allem im Dienstleistungsbereich und in kleineren für ein beschäftigungswirksames und ökologisch ver- und mittleren Betrieben aktiv mehr Stellen akquirie- trägliches Wirtschaftswachstum. Die Koalitionsfrak- ren. Die Vermittlung muß wieder Vorrang vor der In- tionen haben am 25. April dieses Jahres dieses anspruchnahme von Leistungen der Arbeitsförde- schöne „Programm für mehr Wachstum und Beschäf- rung haben. tigung" beschlossen. Der Name läßt eigentlich hof- fen, daß ein solches Maßnahmebündel darin enthal- Man könnte noch vieles zu diesem Gesetz sagen. ten ist. Wir kommen im einzelnen aber noch dazu. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Denn es Das alte AFG hat in der Vergangenheit mehr als wird darin die Verlängerung der Lebensarbeitzeit eine Bewährungsprobe bestanden, nicht nur im Zuge festgelegt. Während 4 Millionen Menschen in der deutschen Einheit. Wir werden es weiter verbes Deutschland arbeitslos sind und Arbeit suchen, müs- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9821

Renate Jäger sen andere wesentlich länger arbeiten als geplant wie ein Ausgleich geschaffen werden kann zwischen und länger Arbeitsstellen besetzen als vorgesehen. ausbildenden und nichtausbildenden Betrieben oder Natürlich könnte man dies als ein Beschäftigungs- wie sie eine äquivalente Anzahl an Ausbildungsplät- programm für die rentennahen Jahrgänge und für zen, wie sie in den alten Bundesländern vorhanden die ältere Generation bezeichnen. Was geschieht ist, auch in den ostdeutschen Bundesländern zur Ver- aber dabei mit den jüngeren Leuten, die wesentlich fügung stellen will. Aber da bleiben sämtliche Vor- weniger Möglichkeiten am Arbeitsmarkt haben? Ein schläge aus. Beschäftigungsprogramm für die Jugend finde ich in Ihrem Paket nicht. (Jörg Tauss [SPD]: Es kommt nichts!) (Dr. Edith Niehuis [SPD]: Das ist wahr!) Statt ein Maßnahmebündel für mehr Beschäfti- gung vorzulegen, plant die Koalition ein massives Heute haben die Koalitionsfraktionen den Ein- Herunterfahren der aktiven Arbeitsmarktpolitik in spruch des Bundesrates gegen die Arbeitslosenhilfe Ostdeutschland. Reform zurückgewiesen. In Ihrem Arbeitsiosenhilfe- Reformgesetz haben Sie unter anderem festgelegt, daß in allgemeine Maßnahmen zur Arbeitsbeschaf- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, ich darf fung nur noch Langzeitarbeitslose eingewiesen wer- Sie einen Moment unterbrechen. - Wir sind wieder in den können. Sie haben vorgeschlagen, daß nach der Situation, daß die Unruhe überhaupt nichts mit sechsmonatiger Arbeitslosigkeit ein individueller der Rednerin zu tun hat, sondern das Ergebnis ver- Fahrplan für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu schiedener Kleinkonferenzen ist, die zum Teil nicht erstellen ist. Aber was passiert dann weiter? unterbrechbar sind. Der Jugendliche, der nach seiner Ausbildung nicht (Heiterkeit) übernommen wird oder nach einer kurzen Arbeits-- zeit arbeitslos wird, ist von sozial ungeschützten Er- Renate Jäger (SPD): Wenn man dieses Herunter- messensleistungen abhängig, oder er muß erst zu ei- fahren auf das Jahr 2000 hochrechnet, bleiben etwa nem Langzeitarbeitslosen werden. Erst dann ist für ein Drittel der heutigen Maßnahmen übrig. Wir ha- ihn eine reguläre Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ben das einmal für das Land Sachsen berechnet: Von vorgesehen. den zirka 120 000 Teilnehmern in ABM, Fortbildung (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das ist Unsinn! und Umschulung würden im Jahre 2000 noch zirka Das meine ich auch!) 38 000 Teilnehmer übrigbleiben. Insgesamt ergäbe dieser Abbau - oder die Angleichung der Arbeits- Natürlich ist es richtig, Langzeitarbeitslose zu för- marktförderung Ost an West - einen Zuwachs von dern; das ist auch unser Ziel. Aber richtiger ist es 200 000 bis 250 000, bis fast 270 000 Arbeitslosen, doch, einen von Arbeitslosigkeit betroffenen Men- was zu einer Erhöhung der Arbeitslosenquote von schen überhaupt nicht erst in die Langzeitarbeitslo- 15,2 Prozent auf bis zu 20 Prozent führt. Daß dabei sigkeit kommen zu lassen. viele sozial- und umweltpolitisch wichtige Projekte eingestellt werden müssen, ist sicher jedem klar. (Beifall bei der SPD - Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Da stimme ich Ihnen zu!) Wir geben aber auf der anderen Seite wieder mehr Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe aus. Sie glau- Im „Bündnis für Arbeit" ist insbesondere auch das ben, daß Sie auf Grund der kürzeren Bezugsdauer Problem der Ausbildungsplätze angesprochen wor- von Arbeitslosengeld und der Kürzung der Arbeitslo- den. Wenn wir die Entwicklung der letzten Jahre be- senhilfe Einsparungen haben. Sie vergessen dabei trachten, dann müssen wir feststellen, daß trotz aller aber die weiteren gesellschaftlichen Belastungen, die Appelle des Bundeskanzlers nicht genügend Ausbil- durch Arbeitslosigkeit auf uns zukommen. dungsplätze zur Verfügung gestellt wurden. Im ver- gangenen Jahr hat die Wirtschaft das Lehrstellenan- (Beifall bei der SPD) gebot weiter reduziert, obwohl es in der Kanzler- runde die Zusage von seiten der Wirtschaft gab, Krankheitskosten steigen, psychosoziale Konflikte 10 Prozent mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. In nehmen zu, es kommt zu Schäden bei Kindern, die diesem Jahr wird es ähnlich sein. Die Statistik der zu beheben sehr teuer kommt, und die Jugendkrimi- Bundesanstalt für Arbeit für die neuen Länder mel- nalität wächst an. det zwar einen Zuwachs von Ausbildungsstellen von Ein weiterer Punkt ist anzumerken: Auf Grund der 1,1 Prozent. Aber zu bemerken ist: Dem steht ein Zu- schwachen Eigenkapitalausstattung ostdeutscher wachs an Bewerbern von 10,3 Prozent gegenüber. Betriebe sagen die Wirtschaftsforschungsinstitute ein Maßnahmen, um diese Diskrepanz zu beseitigen, fin- weiteres Unternehmenssterben in den ostdeutschen den sich in Ihrem Programm nicht. Bundesländern voraus. Das führt dann zu einem wei- (Beifall bei der SPD) teren Ansteigen der Arbeitslosigkeit. Ich möchte das Problem einmal mit Aussagen Ihres Parteifreundes, In diesem Sinne lautet unsere Forderung, daß die des Ministerpräsidenten von Thüringen, Dr. Bern- Bundesregierung endlich Vorschläge vorlegt, wie hard Vogel, belegen, der gestern im Deutschland- Anreize für Bet riebe geschaffen werden, die über ih- funk folgendes sagte: ren Bedarf hinaus ausbilden, Die wirtschaftliche Lage in Ostdeutschland ist (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) ernst. Viele Betriebe sind in einer kritischen Ver- 9822 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Renate Jäger fassung ... Wenn man in Deutschland Schnupfen bestanden hat. Ich nenne hier beispielhaft die Textil- hat, dann haben wir industrie. Ein anderer Grund ist der Wegfall des ehe- mals mit Personal übermäßig ausgestatteten Staats- - gemeint ist der Osten - apparats. schon eine Grippe. Bei uns ist die Situation immer Die Situation in Westdeutschland ist differenzier- um ein deutliches Stück ernster als im Westen, ter. Hier gehört zur Analyse die Feststellung, daß die Jede Verschlechterung der Situation auf dem Ar- Zahl der Erwerbstätigen im Zeitraum 1983 bis 1995 beitsmarkt in den ostdeutschen Bundesländern wird um 2,765 Millionen zugenommen hat. An dieser Zu- ihre Auswirkungen auf Gesamtdeutschland haben. nahme sind die Frauen mit 1,976 Millionen Personen - das sind 75,5 Prozent - beteiligt. Also haben in er- Ich möchte einmal einen Vergleich zu Ludwig Er- ster Linie die Frauen von der Zunahme der Zahl der hards Ansichten ziehen. Er sah in der Verwirkli- Erwerbstätigen profitiert. chung von Gerechtigkeit und Chancengleichheit das soziale und demokratische Element unserer Wirt- (Beifall bei der CDU/CSU) schaftsordnung. Das beweisen auch die Zahlen der Sozialversiche- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Er hat aber auch rungspflichtigen: Hier hat die Anzahl der Frauen im „Maßhalten!" gesagt! Das tun wir nicht selben Zeitraum um 22,5 Prozent, die Anzahl der mehr!) Männer jedoch nur um 5,5 Prozent zugenommen. Diese Zunahme wirkt sich bei den Sozialversiche- Auf den Einigungsprozeß von heute bezogen kann rungspflichtigen besonders bei den Teilzeitbeschäf- das doch wirklich nur heißen, daß wir uns um die An- tigten aus. Ihre Anzahl hat sich im genannten Zeit- gleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West raum um 62,5 Prozent erhöht. Das zeigt: Die Teilzeit- weiterhin verantwortlich bemühen müssen. offensiven, die vom Deutschen Bundestag gefordert (Beifall bei der SPD) wurden, waren erfolgreich. Aber was Sie mit der Angleichung der Arbeitsförde- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU rung Ost an West planen, ist die Aufhebung des Prin- und der F.D.P.) zips von Chancengleichheit und Gerechtigkeit. Wir sind uns darin einig, daß Teilzeitbeschäftigung (Beifall bei der SPD) nicht automatisch mit Frauenbeschäftigung übersetzt Vielleicht möchten Sie die Angleichung gerne auf werden darf. Deshalb sind Wirtschaft und Arbeitneh- dem Papier stehen sehen und sie als Ihren Grundsatz mer zu ermutigen, Teilzeitbeschäftigungen auch im gelten lassen, aber dadurch haben Sie dieses Prinzip Produktionsbereich anzubieten und anzunehmen. Wenn dieser Durchbruch gelingt, dann erhält Teil- noch lange nicht mit Leben erfüllt. Das tun Sie erst mit einer Politik, die wirklich Gerechtigkeit und zeitarbeit auch in der Gesellschaft einen anderen Stellenwert. Chancengleichheit zwischen Ost und West sowie zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten schafft. (Beifall bei der CDU/CSU) (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die absolute Teilzeitarbeit kann der Gesetzgeber nicht verordnen. Gleichheit gibt es nie! Das ist ein Phantom!) Wir können jedoch im Interesse von Arbeitsvertei- Stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu! Es wäre lung dafür werben und positive Beispiele benennen. besser für Deutschland. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Zum Beispiel die (Beifall bei der SPD) geringfügig Beschäftigten!) Das gilt auch für andere Bereiche: Frauenförde- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Renate rung ist weder das Zauberwort, mit dem sich alle Diemers, Sie haben das Wort. frauenspezifischen Probleme, denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt sind, lösen lassen, noch kön- nen wir die private Wi rtschaft zur Frauenförderung Renate Diemers (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor vier Tagen hat der zwingen. Ich werde nicht müde, dies zu betonen, Präsident der Bundesanstalt für Arbeit die Arbeits- weil oft - auch heute wieder - so getan wird, als ob in marktdaten für den Monat Mai bekanntgegeben. Ich der privaten Wirtschaft Frauenförderung und die denke, wir alle waren und sind darüber bestürzt, daß Schaffung von Arbeitsplätzen in Voll- oder Teilzeit sich keine Entspannung bei der Arbeitslosigkeit ab- per Verordnung möglich seien. Natürlich ginge das - zeichnet. Ebenso sind wir uns wohl alle darin einig, ich habe das schon oft hier gesagt -, allerdings setzt daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit absolute das eine andere Gesellschaftsordnung voraus, die Priorität hat. wir nicht wollen. (Jörg Tauss [SPD]: Leider nicht einig!) (Beifall bei der CDU/CSU) Zur Analyse der sich verfestigenden Zahl der Ar- Ich denke, darin stimmen wir mit allen demokrati- beitslosen gehört die Feststellung, daß wir einen schen Parteien in unserem Land überein. geographisch geteilten Arbeitsmarkt haben. Die (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sehr richtig!) Gründe der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland lie- gen im Zusammenbrechen ganzer Wirtschaftsberei- Was wir können, das ist, Rahmenbedingungen zu che, in denen auch eine hohe Frauenbeschäftigung schaffen, Ich erinnere daran, daß wir vor zwei Jahren Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9823 Renate Diemers Art. 3 Abs, 2 unseres Grundgesetzes präzisiert ha- Zukunft bestimmen. Deshalb halte ich es für unred- ben. Ich erinnere an das Gleichbehandlungsgesetz lich und unverantwortlich, den Frauen einzureden, im bürgerlichen Recht und an das Gleichbehand- Teleheimarbeit würde alte Heimarbeitsformen ergän- lungsgebot im Betriebsverfassungs- und im Bundes- zen. Damit werden den Frauen nicht nur Chancen, personalvertretungsgesetz. Es liegt an uns allen, sondern wird ihnen auch der Zugang zu hochqualifi- diese klaren Rechte immer wieder deutlich zu benen- zierten Berufen verbaut. Dagegen haben die Männer nen. Das ist wirkungsvoller, als nach neuen Regelun- diese Technologien und die Telearbeit längst für sich gen zu rufen. entdeckt und halten das Feld besetzt. Es muß darum gehen, Frauen zu ermutigen, sich mit neuen Arbeits- Zum Bereich Frauenförderung gehören für mich feldern und Arbeitsformen auseinanderzusetzen und folgende zentrale Punkte: Erstens. Anstatt zu jam- sie mitzubestimmen. Darin liegt eine neue Dimen- mern und immer neue Projekte und Modelle zu for- sion und eine Chance für die Frauenförderung. dern, muß es gelten, die Firmen und Unternehmen positiv zu nennen, die auf Grund von Tarif- oder Be- Meine Damen, meine Herren, mit der 4. Welt- triebsvereinbarungen eine vorbildliche Frauenförde- frauenkonferenz wurden klare Positionen bezogen rung betreiben. und Forderungen für die Stellung der Frauen in Fa- (Beifall der Abg. Erika Reinhardt [CDU/ milie, Beruf, Gesellschaft und Politik aufgestellt. Ich CSU]) bin davon überzeugt, daß in der Zusammenarbeit al- ler, die an den Pekinger Beschlüssen direkt beteiligt Zweitens. Zur Frauenförderung gehört für mich waren und sind, auch ein Erfolg für die Frauen auf auch die Feststellung, daß Frauen ihr Selbstbewußt- dem Arbeitsmarkt erreicht werden wird, sein deutlich machen. In den letzten Jahren erfolgte jede dritte Betriebsneugründung durch eine Frau. In (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) diesem Zusammenhang sage ich mit allem Nach- druck: Für mich ist die Tatsache unhaltbar, daß es Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Ulla mittlerweile mehr als 700 verschiedene Förderpro- Schmidt, Sie haben das Wort. - Frau Kollegin, bevor gramme gibt und, weil es so bequem ist, immer neue Sie mit Ihrer Rede beginnen, erlauben Sie mir, zu sa- Programme gefordert werden. Welche Frau oder wel- gen: Es ist ja nun üblich, daß man bei hohen und run- cher Mann kann sich bei dieser Programmflut gezielt den Geburtstagen gratuliert. Aber wenn jemand an von einem Programm angesprochen fühlen, sich das Rednerpult tritt, der gerade Geburtstag hat, ist selbständig zu machen? Die Folge ist: Es muß, um das anders: Ich darf Ihnen im Namen des Hauses gra- überhaupt die Fördermöglichkeiten zu kennen, pro- tulieren. fessionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. - Dazu sage ich: Diese Art von Arbeitsbeschaffung (Beifall) kann nicht unsere Absicht sein, Drittens. Zur Frauenförderung gehört nach meiner Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Vielen Dank, Herr Überzeugung auch, daß reguläre - also sozialversi- Präsident! Eigentlich war ich an meinem Geburtstag cherungspflichtige - Arbeitsplätze geschaffen wer- sehr gut gelaunt und wollte mich heute abend auch den. Unbestritten besteht in den privaten Haushalten mit der Frauenministerin ernsthaft darüber auseinan- ein erhebliches Arbeitsplatzpotential. Ich frage mich: dersetzen, was wir denn jetzt in Sachen Arbeitsförde- Warum fällt es vielen von Ihnen so schwer, der steu- rung tun können. erlichen Absetzbarkeit dieser Arbeitskräfte zuzu- Aber, Herr Kollege Günther, mich hat eben schon stimmen? Zur Frauenförderung gehört für mich auch, erschüttert, mit welcher Arroganz Sie über die Pro- daß endlich mit dem bösen Begriff des Dienstmäd- bleme in diesem Lande sprechen chenprivilegs Schluß gemacht wird. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) und wie Sie in einem Aufwasch so mal eben alles Viertens, Wir alle wissen um die Bedeutung der be- weggewischt haben, was hier an Vorschlägen ge- ruflichen Erstausbildung und um die Ausbildungs- kommen ist. Mir fiel dabei ein Spruch ein: Das beste platzknappheit, von der junge Frauen besonders be- Rezept für lebenslange Unwissenheit ist, sich stets troffen sind. Deshalb appelliere ich an die Wi rtschaft, mit seinen eigenen Ansichten und eigenen Kenntnis- an jeden Arbeitgeber: Kommen Sie Ihrer Ausbil- sen zufriedenzugeben. dungsverpflichtung, die Sie im dualen System ha- ben, nach! Sie haben bei verschiedenen Gelegenhei- (Beifall bei der SPD) ten versprochen, das Ausbildungsplatzangebot be- darfsgerecht zu erhöhen. Ich bitte Sie dringend: Lö- Ich halte das in der Situation, in der wir sind, für sen Sie Ihr gegebenes Wort ein! Das wäre ein Signal falsch. Ich muß sagen, das Schlimmste, was über- an die Jugend, das ihr zeigt, was es heißt, Mitverant- haupt in diesen letzten Wochen passiert ist, ist nicht wortung zu übernehmen. Alle an der Berufsausbil- die Tatsache, daß wir über unterschiedliche Kon- dung Beteiligten sind aufgefordert, die jungen zepte streiten, wie wir auf die Herausforderungen Frauen zu ermutigen, sich die Palette der zukunfts- reagieren und die Probleme lösen können, sondern bezogenen Berufe zu erschließen. es ist die Tatsache, daß Sie mit Ihrem Programm und auch mit dem, was Sie eben wieder erwähnt haben, Fünftens. Zukunft - das betrifft besonders den gro- die Bereitschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- ßen Bereich Multimedia. Er wird wesentlich Arbeits- nehmer in diesem Lande, die Bereitschaft von vielen bedingungen, Arbeitsformen und Arbeitszeiten der Frauen und Männern in diesem Lande, das Ihre dazu 9824 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Ulla Schmidt (Aachen) beizutragen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und Ihr Konzept sehr viel weiter geht, als diese Regierung ihren Part zu tragen, einfach mit Füßen treten, an- in diesem Bereich überhaupt vorgehen will. statt sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, was (Beifall bei Abgeordneten der SPD) an Vorschlägen auf dem Tisch liegt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich komme zu einem nächsten Punkt, den Sie an- DIE GRÜNEN) gesprochen haben. Sie haben davon gesprochen, daß das, was wir wollten, staatliche Subventionierung Sie haben nur davon gesprochen, daß unsere Vor- wäre und wir konkurrenzfähige Arbeitsplätze schläge die Kosten verteuern. Ich nenne ein Beispiel: brauchten. Da hätte ich mir einmal gewünscht, daß Privathaushalte. Ich will jetzt nichts dazu sagen, daß Sie bei Ihrem ganzen Programm nur einen einzigen Sie bei dem Antrag offensichtlich nicht mitbekom- Vorschlag gemacht hätten, wie denn in diesem men haben, daß wir lernfähig sind, weil wir nicht bei Lande tatsächlich gewährleistet ist, daß gleiche Ar- unseren Ansichten bleiben, sondern davon reden, beit auch gleich teuer ist. Wir dürfen keine Wettbe- daß ein Konzept vorgelegt werden soll, wie haus- werbsverzerrungen im Einzelhandel und in vielen haltsbezogene Dienstleistungen in abgesicherten anderen Bereichen haben, in denen Großketten Arbeitsverhältnissen in Anspruch genommen wer- Menschen ohne Sozialversicherungspflicht arbeiten den können. Dies ist kein Dienstmädchenprivileg. lassen können, während der Einzelhandel sozialver- Frau Kollegin Schenk, ich wäre froh, wenn wir heute sicherungspflichtig absichert und er dadurch Wettbe- so weit wären, daß die Regierung ein Konzept vorge- werbsnachteile hat. legt hätte. Ich teile die Auffassung, daß auch im Be- reich der privaten Dienstleistungen Arbeitsplätze zu Wo ist Ihr Konzept, daß alle Menschen, die regel- schaffen sind und daß ein Markt für Dienstleistungen mäßig arbeiten, auch die Sozialversicherung bezah- vor allem auch für Menschen besteht, die sich anson- len? Wo sind die Forderungen, daß wir eine soziale sten diese Dienstleistungen nicht kaufen könnten. Absicherung für diese Menschen vornehmen? Wie Das sind Familien mit Kindern, es sind ältere Men- kommen wir dahin, daß Menschen sich wieder ihre schen. Wir müssen vielfältige Formen finden. Dieses eigene Existenz auch im Alter erwirtschaften können Konzept liegt aber nicht vor. und nicht auf die Sozialhilfe angewiesen sind, so wie das bei Ihnen der Fall ist? Es liegt einzig und allein vor, daß haushaltsbezo- gene Dienstleistungen im Umfang bis zu 24 000 DM Nichts davon ist da. Das wären Dinge, über die wir steuerlich abgesetzt werden können. Wer darin ein reden sollten. Wir müssen darüber reden, wie wir Konzept sieht, der tut mir leid. Das sehe ich nicht. den Mißbrauch der Geringfügigkeitsgrenze bekämp- fen wollen. Wir brauchen Konzepte, wie wir Schein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ arbeit und Scheinselbständigkeit bekämpfen. Herr DIE GRÜNEN - Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Kollege, das wäre das Modell, wie auch die Schwarz- Das ist ein Konzept für Arbeitsplätze!) arbeit bekämpft werden kann. Wenn es eine Regie- - Das ist kein Konzept für Arbeitsplätze. Wir müssen rung zuläßt, daß in diesem Land weit über 6 Millio- nen Arbeitsplätze ohne jede soziale Sicherung sind, uns überlegen, wie - - läßt sie zu, daß die Schwarzarbeit genau darunter verdeckt wird, statt daß sie bekämpft wird, wie es Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, gestatten notwendig wäre. Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Dr. Böhmer? (Beifall bei der SPD) Sie haben weiter davon gesprochen, daß Sie mit Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Ja. Ihren Beschlüssen ein „Ausfransen" des Arbeitsför- derungsgesetzes verhindern würden. Das hätte ich Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Frau Kollegin gerne etwas näher erklärt. Mir kommt die Frage: Was Schmidt, es mag sein, daß Sie, weil erst morgen die meinen Sie damit? Meinen Sie mit „Ausfransen", daß erste Lesung des Jahressteuergesetzes beginnt, noch Sie jetzt die Arbeitsförderungsmaßnahmen, Arbeits- nicht zu der Stelle vorgedrungen sind, an der in der beschaffungsmaßnahmen, Fortbildung, Weiterbil- Tat über die steuerliche Absetzbarkeit von Haus- dung und Umschulung in Ostdeutschland um haltskräften entschieden wird und an der auch nie- 10 Milliarden DM kürzen wollen, obwohl die Arbeits- dergelegt ist, daß ein Dienstleistungsscheck in losigkeit dort nicht sinkt, sondern ansteigt? Meinen Deutschland eingeführt wird. Das ist etwas, was mitt- Sie mit „Ausfransen", daß Sie endlich so weit sind, lerweile auch bei Ihnen Zustimmung findet. das Arbeitsförderungsgesetz so zu ändern, daß Frauen, die im Mutterschutz oder im Erziehungsur- Wenn Sie ein Konzept fordern, frage ich Sie: Ist Ih- laub sind, keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosen- nen entgangen, daß die Regierung schon weit über geld haben? Herr Kollege Günther, Sie müssen da ein Konzept hinaus ist, schon eine konkrete Geset- nicht so schauen. Das ist die Komplexität Ihres Geset- zesinitiative startet und daß mehrere Projekte in zes. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, wenn Deutschland in diesem Bereich laufen? Sie das Arbeitsförderungsgesetz verschlechtern, wenn Sie die Höhe des Arbeitslosengeldes ver- Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Es laufen wie immer schlechtern, und wenn Sie die Zumutbarkeit zurück- Modellprojekte der Regierung oder auch des Mi- setzen, daß dies notwendig ist, weil Sie in diesem nisteriums. Aber, Frau Kollegin Böhmer, wir beide Land den Kündigungsschutz aufweichen? Die Auf- müssen uns darüber nicht streiten, weil ich weiß, daß weichung des Kündigungsschutzes in Betrieben mit Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9825

Ulla Schmidt (Aachen) bis zu zehn Vollzeitbeschäftigten, was auch in Freizeit umgewandelt werden können. Natürlich 20 Teilzeitbeschäftigte sein können - das sage ich an können Sie das als Gesetzgeber. die Frauenministerin gerichtet -, bewirkt doch, daß immer mehr Frauen arbeitslos werden, weil mehr (Walter Hirche [F.D.P.]: Die Leute stellen Frauen als Männer in diesen kleinen Bet rieben arbei- nicht ein und lassen die anderen Überstun ten. Über 80 Prozent der Beschäftigten arbeiten in den machen! Genauso ist es doch!) den Betrieben, für die Sie den gesetzlichen Kündi- - Da wäre einmal eine vernünftige Handlungsweise gungsschutz abschaffen wollen. dieser Regierungskoalition erforderlich. Frau Ministerin Nolte, ich erwarte nicht viel von Ih- (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Noch mehr nen, aber daß Sie einmal ein einziges Wort zu dieser Zwang, noch mehr Kündigung!) Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der Erwerbstätigkeit von Frauen sagen, hätte ich schon - Es geht nicht um noch mehr Zwang, Frau Babel. gern einmal gehabt. Ich sage Ihnen einmal eines. Einer Ihrer Kollegen hat letztens ein Wo rt gesagt: Lieber befristet arbeiten als (Beifall bei der SPD - Walter Hirche [F.D.P.]: langfristig arbeitslos. Wenn sich diese Alternative für Chancen für neue Arbeitsplätze!) Sie so stellt - dies mag ein Grund sein -, dann muß ich sagen: Dies ist nicht der Staat, in dem ich groß ge- - Was für Chancen für neue Arbeitsplätze, Herr Kol- worden bin, und dies ist nicht der Staat mit den sozia- lege? Die Chance, daß dann, wenn die Frau Ministe- len Bedingungen, unter denen ich groß geworden rin ihre Projekte und schöne Worte über Vereinbar- bin, Ich will nicht, daß Menschen in diesem Land so keit von Beruf und Familie und flexiblen Arbeitszei- leben. Ich möchte, daß wir in einem Land leben, in ten dahin gehend löst, daß morgen die Frauen im Be- dem für beide, für Männer und Frauen, auf dem Er- trieb gesagt bekommen: Wenn Sie Ihre Kinder be- werbsarbeitsmarkt Platz ist, wodurch beide in der treuen, dann können Sie übermorgen zu Hause blei- Lage sind, ihre eigene Existenz zu sichern, ben! Diese Verhältnisse schaffen Sie in Deutschland,- und nichts anderes. (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das wird nie gehen!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und in den ein Mindestmaß an sozialem Schutz zu einem friedlichen Leben der Familien gehört. Ich will keine Arbeitsplätze in einem Lande, wo die Familien nur noch von Lohn zu Lohn leben können Dies alles wollen Sie zerstören. Die Aufweichung und wo sie nicht langfristig planen können. Der Kün- des Kündigungsschutzes ist die Wurzel, das ist im digungsschutz ist eine soziale Errungenschaft in un- Grunde genommen der Kern aller Angriffe, die Sie in serem Lande, die ich im Interesse der Arbeitnehmer, der kommenden Zeit auf die Arbeitnehmerrechte aber auch im Interesse der Frauen, denen ich eine führen wollen. gerechte Chance auf dem Arbeitsmarkt verschaffen will, nicht so leichtfertig aufgeben möchte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und der PDS - Walter Hirche [F.D.P.]: Es geht um die, die draußen Auch ich weiß - deshalb hat mich erschüttert, was sind!) der Kollege gemacht hat -, daß es den Königsweg zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht gibt. Da- - Sie wissen ganz genau, daß deswegen niemand von will ich gar nicht reden. Aber ich meine, daß es hineinkommt. sich angesichts von vier Millionen registrierten Ar- beitslosen, angesichts von sechs Millionen Men- (Walter Hirche [F.D.P.]: Natürlich kommen schen, die einen Arbeitsplatz suchen, lohnen würde, die hinein!) über jeden einzelnen Vorschlag, der hier eingebracht wird, zu reden, statt ihn pauschal als unsinnig abzu- - Sie wissen ganz genau: Heute sagen Sie, die lehnen. Schwelle ist fünf, und der sechste wird nicht einge- stellt. Morgen erhöhen Sie die Schwelle auf zehn, Wenn Sie keine Gesetze machen wollen: Warum und da wird der elfte nicht eingestellt. Sie wissen ge- lernen Sie dann nicht von der Frauenministerin des nau, daß nach dem Kündigungsschutzgesetz auch Landes Brandenburg? Dort wird die öffentliche Auf- schon heute eine Beschäftigung möglich ist, bei der tragsvergabe an frauenfördernde Maßnahmen ge- innerhalb der ersten fünf Jahre eine Kündigungsfrist bunden. Ich sage, das ist ein Schritt, etwas zu tun. von vier Wochen zum Monatsende besteht. Das ha- Das wird nicht Millionen oder Hunderttausende Ar- ben Sie doch beschlossen. Es ist doch nicht so, als beitsplätze bringen, aber es bringt Arbeitsplätze. könnte heute nicht betriebsbedingt gekündigt wer- Warum binden Sie in der Strukturpolitik und in all den. Hier bauen Sie doch einen Popanz auf, um Ar- dem, was in Angriff genommen wird, den Einsatz beitnehmerrechte abzubauen. von öffentlichen Geldern - das Grundgesetz gibt Ih- nen dazu den Auftrag - nicht an frauenfördernde (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Maßnahmen? GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD) Wissen Sie, warum sie die Leute nicht einstellen? Warum machen Sie nicht endlich einen Vorschlag, Warum nutzen Sie nicht wirklich alle Möglichkeiten wie denn die Überstunden abgebaut, verboten oder zur Arbeitszeitverkürzung, zum Abbau von Über- 9826 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Ulla Schmidt (Aachen) stunden und zur Einführung von wirklich qualifizier- Was wir wollen, ist, daß die Betriebe eine Chance ten Teilzeitarbeitsplätzen? bekommen, dann, wenn Aufträge vorhanden sind, Leute einzustellen, sich aber auch von ihnen ohne Ich hätte mir gewünscht, daß wir in einen Dialog große Schwierigkeiten in Zeiten trennen zu können, eingetreten wären und darüber diskutiert hätten, in denen keine Aufträge da sind; denn sonst gehen was machbar ist und was nicht, und daß Sie ein ein- die Betriebe kaputt. Auf diese Weise gehen auch die ziges Mal über Ihren Schatten gesprungen wären Arbeitsplätze kaputt. und eine Möglichkeit gesucht hätten, wie wir wirk- lich Arbeitsplätze schaffen können. Eines ist unter al- Die Auswirkungen der Politik der von Ihnen ge- len Experten klar: Ihr Programm wird keinen einzi- rühmten Frau Hildebrandt können Sie in Branden- gen Arbeitsplatz schaffen. Die Experten gehen viel- burg schon heute sehen. Die Arbeitslosenrate steigt mehr davon aus, daß im nächsten Jahr allein 350 000 im Vergleich zu den anderen neuen Bundesländern weitere Arbeitsplätze vernichtet werden. Das kann viel stärker, als es in der Vergangenheit jemals der nicht der Weg in die Zukunft sein. Fall war. Vielen Dank. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Schmidt und der PDS) zur Replik.

Vizepräsident Hans Klein: Zu einer Kurzinterven- Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Herr Kollege, ich tion erhält der Kollege Walter Hirche das Wo rt. stimme mit Ihnen überein. Auch wir sind der Auffas- sung, daß wir etwas an der Abgabenbelastung än- dern müssen und daß selbstverständlich auch wir bei Walter Hirche (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- den Arbeitskosten zum Beispiel die Sozialversiche- men und Herren! Wenn man überlegt, wie man Ar- rungsbeiträge als ein Problem ansehen. Wir wollen beitsplätze schaffen kann, dann stellt sich die Frage: sie senken. Auch dazu haben wir Vorschläge ge- Woran liegt es, daß wir zu wenig haben? Es liegt macht. daran, daß das Produkt, das mit unserer Arbeit ver- kauft wird, entweder im Preis oder in der Qualität Ich sage Ihnen einmal folgendes zu den eben von nicht stimmt. mir angesprochenen nicht sozialversicherungs- pflichtigen Arbeitsverhältnissen: Laut einer Antwort (Jörg Tauss [SPD]: Miesmacherei! Das ist des Bundesarbeitsministeriums, also der Bundesre- Miesmachen des Standorts Deutschland!) gierung, hat allein die Zunahme der ungeschützten Das ist Inhalt der Innovations- und Kostendebatte. Arbeitsverhältnisse 1992 bewirkt, daß den Sozialver- sicherungskassen für den Bereich Westdeutschland Wir unterhalten uns im Augenblick über einen 9,4 Milliarden DM entgegangen sind. Wenn wir jetzt Teilaspekt, nämlich über die Kostenfrage. Es ist völ- wissen, daß seit 1992 die Zahl dieser Beschäftigungs- lig klar, daß in diesem Zusammenhang auch die Vor- verhältnisse angestiegen ist und auch die aus Ost- schläge der Regierung stehen, die vielen Zusatzko- deutschland dazukommen, dann lohnt es sich schon, sten, die die Arbeit belasten, sowohl im Bereich der darüber nachzudenken. Abgaben als auch im Bereich der Steuern abzusen- ken. Ich weiß ganz genau, daß viele kleine und mittlere Betriebe dies auch fordern. Sie sind nicht diejenigen, Ich habe immer gedacht - so habe ich auch die In- die fordern, daß wir die nicht sozialversicherungs- tervention der SPD verstanden -, daß sie diesen Weg pflichtigen Arbeitsverhältnisse beibehalten. Ich grundsätzlich für richtig hält und daß es den Streit kenne Gegenden, in denen der Einzelhandel sagt, eigentlich darüber gibt, daß die Maßnahmen als sol- sie würden die Forderung nach deren Abschaffung che, aber nicht die Grundrichtung unterschiedlich unterstützen, beurteilt wird. (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Nein!) Jetzt sagen Sie aber, daß alle gemachten Vor- schläge falsch waren, dabei sagen Sie nicht, wo wirk- weil sie ihre Wettbewerbsfähigkeit dadurch einge- lich Kostenentlastung stattfindet. Ich hatte das Ver- schränkt sehen, daß große Handelsketten heute - gnügen, acht Jahre lang Mittelstandspolitik in den das halte ich für einen Skandal - mehr als die Hälfte Ländern machen zu dürfen. Das geschieht in den ihrer Beschäftigten nicht mehr sozialversicherungs- Ländern aus größerer Nähe, als das vom Bundestag pflichtig beschäftigen. So war das damals mit diesen aus möglich ist. Brandenburg hatte die niedrigste Arbeitsverhältnissen nicht gemeint - das weiß jeder Arbeitslosenzahl von allen neuen Bundesländern. hier in diesem Raum -, sondern es war für kurzzei- Diese Tatsache hat etwas damit zu tun gehabt, daß tige zusätzliche Arbeitsverhältnisse gedacht. wir versucht haben, Flexibilität in größtmöglichem (Beifall bei der SPD) Umfang zu schaden, daß wir versucht haben, den Betrieben zu ermöglichen, Leute einzustellen, aber Ein zweiter Punkt: Wenn ich heute mit kleinen und auch zu entlassen, wenn keine Aufträge mehr da wa- mittleren Unternehmern und Existenzgründern und - ren. Damit sollte verhindert werden, daß ausschließ- gründerinnen rede - auch das mache ich -, dann ist lich mit dem Instrument der Überstunden gearbeitet für sie nicht das Hauptproblem, daß sie den sechsten wurde, wenn Aufträge da waren. oder die sechste nicht einstellen. Vielmehr ist ihr Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9827

Ulla Schmidt (Aachen) Hauptproblem die Frage, wie denn unbürokratisch gungsorientierte Tarifabschlüsse hinzuwirken. Das Risikokapital zur Verfügung gestellt wird, damit sie Leitmotiv ist die Sicherung und Schaffung von Ar- auch über schwere Zeiten kommen können. beitsplätzen. Das ist das Ziel. Anders ausgedrückt: Da sitzen die Arbeitslosen mit am Tisch. Dazu sichert (Beifall bei der SPD) die bayerische Wirtschaft verstärkt Investitionen in Natürlich fragen sie auch nach Lohnkostenzuschüs- Bayern zu. Das ist ganz wichtig für uns, weil wir wis- sen. Das ist das, was der Kollege Ostertag Ihnen eben sen, daß die Gewinne von heute die Investitionen gesagt- hat: Wir haben in diesem Arbeitsförderungs von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen und Strukturgesetz auch Maßnahmen, um von den sind, und das in Bayern. bloßen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen hin zu einer (Gerd Andres [SPD]: Herr Keller, hier ist der Vielzahl von Förderinstrumenten zu kommen, die Bundestag und nicht der bayerische Land meiner Meinung nach immer noch besser und billiger tag!) für den Staat sind, wenn sie eingesetzt werden, um Ar- beit zu schaffen, als Unterstützung im ersten Arbeits- - Ich will Beispiele bringen. Worte belehren, Bei- markt oder als Brücke zum ersten Markt, nicht als spiele reißen mit. Das ist ein alter römischer Grund- dauerhaft subventionierte Arbeitsplätze im zweiten satz. Davon können Sie noch etwas lernen. Jetzt hö- Arbeitsmarkt. Das will niemand. ren Sie einmal ein bißchen zu. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dies kommt die Gesellschaft allemal billiger. Wir ha- Ferner wollen die bayerischen Unternehmer die ben doch die Kostenexplosion in allen sozialen Siche- Teilzeitarbeitsplätze, über die wir heute schon viel rungssystemen, weil die Massenarbeitslosigkeit zu- diskutiert haben, deutlich erhöhen, weil wir noch ein nimmt und weil wir zuwenig Beitragszahlerinnen Stück Nachholbedarf haben. Auch das ist vorbildlich. und -zahler haben. Deshalb sind alle Maßnahmen, Warum sollen wir solche Vorbilder nicht einmal zur die wir da vorgeschlagen haben, auch dafür gedacht, - Kenntnis nehmen? Für den Schulabgänger wird in daß wir diese Zahl erhöhen. Das würde dann genau zumutbarer Entfernung ein Ausbildungsplatz zur dem Ziel des Bundes entsprechen, aber es würde Verfügung gestellt. Dazu verpflichten sich die bayeri- eben auch Arbeitsplätze schaffen. schen Unternehmer in einem Land mit 12 Millionen Einwohnern. (Beifall bei der SPD) Weiterhin sind sich Gewerkschaften und Arbeitge- ber in Bayern einig, die Arbeitszeit noch flexibler zu Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- gestalten und die Überstunden durch Ausgleichsmo- lege Peter Keller. delle abzubauen. Ich meine, dieses Pilotmodell sollte unsere Anerkennung verdienen. Ich weiß nicht, Peter Keller (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine warum ich so etwas nicht hier im Deutschen Bundes- lieben Kolleginnen und Kollegen! Seit Monaten ist tag vortragen kann. das Wort „Bündnis für Arbeit" in aller Munde. Man- (Adolf Ostertag [SPD]: Wir respektieren das che haben diesen Beg riff auch schon tot gesehen. ja! Aber sagen Sie einmal etwas zur Politik Aber dieses Bündnis lebt, und es lebt seit Dienstag Ihrer Fraktion!) besonders als Pilotprojekt in Bayern. An sich bedaure ich, daß dieses Bündnis für Arbeit auf Bundesebene - - Dann ist ja gut. vom Gedanken her sicherlich ein guter Ansatz - auf Grund der nicht ganz realisierbaren Vorstellungen Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich will auch von der IG Metall und natürlich auch auf Grund etwas an die Adresse der Arbeitgeber sagen: Wenn der Anträge, die wir heute behandeln sollen, auf Eis Arbeitgeber, wie es oft geschieht, ihre Verbände ver- gelegt wurde. lassen, dann schwächen sie die Tarifpartnerschaft und natürlich auch das Bündnis und schließlich den (Adolf Ostertag [SPD]: Das glauben Sie aber Standort Deutschland. Ich persönlich meine: Die selber nicht!) Flucht aus Tarifverträgen ist die Flucht aus der sozia- len Verantwortung und aus der sozialen Ordnung, in - Hören Sie doch erst einmal zu! der wir hier leben. Deshalb, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des möchte ich einfach einmal fragen, was das gemein- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ) same Ziel von Gewerkschaften, Arbeitgebern und der Politik in Bayern ist. Die Vertragsparteien haben Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Politik die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittel- kann die Rahmenbedingungen nicht allein schaffen. punkt gestellt und drei Ziele genannt, nämlich er- Die Tarifpartner müssen ihre Beiträge dazu leisten. stens den Beschäftigungsabbau zu stoppen, zweitens Ich möchte nur drei mögliche Felder, die wir heute die Zahl der Arbeitslosen bis zum Ende des Jahres oft in Richtung der Regierung diskutiert haben, noch 2000 zu halbieren und drittens ein ausreichendes einmal aufzeigen, die gerade für die Tarifvertrags- Ausbildungsplatzangebot vorzulegen. Diese Ziele parteien wichtig sind. können wir sicherlich gemeinsam unterstreichen; in Erstens der Abbau von Überstunden. Ich frage Bayern tun das zumindest auch die Gewerkschaften. mich wirklich: Warum sind hier so wenige Erfolge Wie sieht nun konkret der Weg aus? Arbeitgeber auf diesem Feld zu verzeichnen, wo es über 2 Mil- und Gewerkschaften verpflichten sich, auf beschäfti- liarden Überstunden in der Republik gibt? 9828 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Peter Keller Zweiter wichtiger Punkt für die Tarifvertragspar- Man muß dieses Zitat von Oswald von Nell-Breu- teien oder auch für Gruppierungen in den Betriebsrä- ning, den gerade seine Gewerkschafter sehr schät- ten: Der Abschluß befristeter Arbeitsverhältnisse. zen, nicht teilen, aber man muß zumindest zur Kennt- Ich frage auch hier: Warum wird die Möglichkeit so nis nehmen, wie er sich über Zumutbarkeit von Ar- wenig genutzt, durch mehr befristete Arbeitsverhält- beit geäußert hat. Deshalb wollte ich uns allen diesen nisse Auftragsspitzen aufzufangen, neue Mitarbeiter Text wörtliche Zitat einfach vortragen. einzuführen und vielleicht auch zu testen, um daraus ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu gestalten? Es Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, zum gilt der Satz, der vorhin schon einmal zitiert worden „Bündnis für Arbeit" möchte ich mit einem Zitat en- ist: Lieber befristet Arbeit, als unbefristet arbeitslos. den: Der dritte Punkt, der hier zu nennen wäre, ist das Wir brauchen in diesem Lande positive Signale Stichwort Vermögensbildung. Warum wird in den dafür, daß diejenigen, die an hervorragender Tarifverträgen immer nur über Barlohnerhöhungen Stelle Verantwortung für Wachstum und Arbeits- verhandelt, anstatt den Gedanken des Investivlohns plätze tragen, sich auf gemeinsame Ziele verstän- einzubringen? digen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will auf eine Dieses Zitat stammt nicht von mir, sondern vom weitere Tatsache hinweisen. Wir müssen uns die kri- Vorsitzenden des DGB, Dieter Schulte, allerdings tische Frage stellen, warum manches Arbeitsplatz- vom Januar dieses Jahres. Ich meine, wir sollten die potential, das es gibt, von uns so wenig genutzt wird. Hoffnung haben, daß das Pilotprojekt „Bündnis für Wie kommt es, daß 1995 über 1 Million Arbeitser- Arbeit", dieser Beschäftigungspakt in Bayern für laubnisse von Arbeitnehmern außerhalb der EU aus- viele andere Länder, auch SPD-regierte Länder, ein gestellt und genehmigt wurden? Warum ist das so? Beispiel sein sollte. Ich meine, unsere Wirtschaft hat Könnte es sein, daß wir ausländischen Arbeitneh- viele Bündnisse auf Landesebene und betrieblicher mern zumuten, was wir deutschen Arbeitnehmern Ebene notwendig. nicht zumuten wollen, zum Beispiel im Hinblick auf (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Lohn und auf Arbeitsbedingungen?

Wenn ich Ihnen das Zitat von Oswald von Nell- Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus- Breuning, den wir sicher alle schätzen, vortrage, was sprache. er zur Zumutbarkeit sagt, werden Sie vielleicht kriti- scher nachdenken. Er sagt nämlich: Wir kommen zu den Abstimmungen. Gerade bei der Zumutbarkeit hat sich das von Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit den Politikern gezüchtete Anspruchsdenken ver- und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der heerend ausgewirkt und die Solidarität zerstört. SPD zu einem „Bündnis für Arbeit", Drucksache 13/ Zum Mindestmaß von Solidarität gehört, daß ich 4556. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf anderen nicht zur Last falle, solange ich mir selbst Drucksache 13/3263 abzulehnen. Wer stimmt für helfen kann. diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfeh- (Unruhe) lung ist angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Keller, ich und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion des muß Sie einen Moment unterbrechen. Niemand Bündnisses 90/Die Grünen zu einem „Bündnis für kann gezwungen werden zuzuhören, aber es wäre Umwelt und Arbeit" , Drucksache 13/4456. Der Aus- doch immerhin möglich, daß man dem Redner zu- schuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3613 mindest das Gesicht und nicht den Rücken zudreht. - abzulehnen. Wer stimmt dem zu? - Gegenprobe! - Bitte fahren Sie fort. Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist ange- nommen. Peter Keller (CDU/CSU): Ich zitiere immer noch den geschätzten Oswald von Nell-Breuning: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der Solange ich mich durch eigene Arbeit erhalten SPD zu einer Arbeitsmarktpolitik für Frauen, Druck- kann, habe ich keinen Anspruch darauf, mich sachen 13/4479: Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag durch Beiträge anderer erhalten zu lassen, bloß auf Drucksache 13/3760 abzulehnen. Wer stimmt für weil ich mich für die Arbeit, die ich finden kann, diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? zu fein dünke. Zumutbar ist jede Arbeit, nach der - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschluß- Bedarf besteht, für die ich die unentbehrliche empfehlung ist angenommen. Qualifikation besitze und die ich ohne Überforde- rung meiner Kraft leisten kann. Selbstverständ- Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit lich wird man nach Möglichkeit jedem die seiner und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion des Qualifikation am besten entsprechende Arbeit zu Bündnisses 90/Die Grünen zur Anerkennung der Ar- vermitteln suchen, aber nach christlicher Über- beit sowie zur Förderung der Beschäftigung von zeugung ist jede Arbeit ehrenvoll und jedem, der Frauen, Drucksache 13/4479. Der Ausschuß emp- sie leisten kann, grundsätzlich zumutbar. fiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3973 abzuleh- nen. Wer stimmt dem zu? - Gegenprobe! - Die Be- (Jörg Tauss [SPD]: Wann war das?) schlußempfehlung ist angenommen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9829

Vizepräsident Hans Klein Der Tagesordnungspunkt 8 ist abgesetzt. Zum Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: Grünen vor. a) - Zweite und dritte Beratung des von der Die Reden sind zu Protokoll gegeben. Dem hat das Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Haus bereits zugestimmt.*) eines Gesetzes zur Einordnung des Rechts Der Berichterstatter, Kollege Grund, will, glaube der gesetzlichen Unfallversicherung in das ich, eine Änderung bekanntgeben. Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs- Einordnungsgesetz - UVEG) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine - Drucksachen 13/2204, 13/2333 - Manfred Grund lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: (Erste Beratung 58. Sitzung) Guten Morgen! - Zweite und dritte Beratung des vom Bun- Nachdem alle Reden zu Protokoll gegeben worden desrat eingebrachten Entwurfs eines Geset- sind, muß ich auf einen Druckfehler hinweisen. In zes zur Ergänzung der Unfallversicherung der uns vorliegenden Beschlußempfehlung auf für Kinder in Horten und Krippen und den Drucksache 13/4754 ist ein Fehler enthalten, den ich übrigen Tageseinrichtungen für Kinder gerne korrigieren möchte. (Kita-UVErgG) Im Zuge der Drucklegung wurde in Art. 1 unter - Drucksache 13/373 - § 129 Abs. 1 die Nr. 7 fälschlicherweise kursiv ausge- (Erste Beratung 38. Sitzung) druckt, was bedeuten würde, daß sie entfiele. Das ist aa) Beschlußempfehlung und Bericht des aber nicht richtig. Nr. 7 bleibt unverändert bestehen. - Ausschusses für Arbeit und Sozialord- Ich bitte, darüber abzustimmen. nung (11. Ausschuß) (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und - Drucksachen 13/4754, 13/4853 - dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Berichterstattung: Abgeordneten der SPD - Dr. Gisela Babel Abgeordnete Manfred Grund [F.D.P.]: Wie haben Sie das gemerkt?) Konrad Gilges Annelie Buntenbach Wir kommen zur Ab- Dr. Gisela Babel Vizepräsident Hans Klein: stimmung über den von der Bundesregierung einge- Petra Bläss brachten Entwurf eines Unfallversicherungs-Einord- bb) Bericht des Haushaltsausschusses nungsgesetzes, Drucksachen 13/2204, 13/2333 und (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- 13/4754 Nr. 1. schäftsordnung Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion - Drucksache 13/4755 - Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4894 vor, über den wir zuerst abstimmen. Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer Hans-Joachim Fuchtel stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Antje Hermenau Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Ina Albowitz Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der b) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Ausschußfassung mit der vorgetragenen Berichti- desregierung eingebrachten Einwurfs eines gung zuzustimmen gedenken, um ihr Handzeichen. Gesetzes zur Umsetzung der EG-Rahmen - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf richtlinie Arbeitsschutz und weiterer Arbeits- ist damit in zweiter Beratung angenommen. schutz-Richtlinien Dritte Beratung - Drucksachen 13/3540, 13/4337 - (Erste Beratung 86. Sitzung) und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- ben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetz- schusses für Arbeit und Sozialordnung entwurf ist angenommen. (11. Ausschuß) Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung emp- - Drucksachen 13/4756, 13/4854 - fiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/4754, den Gesetzentwurf des Bundes- Berichterstattung: rates zur Ergänzung der Unfallversicherung für Kin- Abgeordnete Manfred Grund der in Horten und Krippen auf Drucksache 13/373 für Konrad Gilges erledigt zu erklären. Wer stimmt dieser Beschlußemp- Annelie Buntenbach Dr. Gisela Babel *) Die Redetexte werden als Anlage 8 in einem Nachtrag zu Petra Bläss diesem Stenographischen Bericht abgedruckt. 9830 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Vizepräsident Hans Klein fehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält Berichterstattung: sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist an- Abgeordnete Dr. Norbert Rieder genommen. Susanne Kastner Dr. Jürgen Rochlitz Wir kommen zur Abstimmung über den von der Birgit Homburger Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz b) Beratung der Ersten Beschlußempfehlung und weiterer Arbeitsschutz-Richtlinien auf den und des Ersten Berichts des Ausschusses für Drucksachen 13/3540, 13/4337 und 13/4756. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die dem (16. Ausschuß) zu dem Entschließungsan- Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen trag der Abgeordneten Susanne Kastner, wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenprobe! - Ent- Joachim Poß, Bernd Reuter, weiterer Abge- haltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter ordneter und der Fraktion der SPD zur Ab- Beratung angenommen. gabe einer Erklärung der Bundesregierung Ich eröffne die Hochwasserkatastrophe - Hilfen und Mög- lichkeit vorbeugender Maßnahmen dritte Beratung und Schlußabstimmung. Diejenigen Kolleginnen und - Drucksachen 13/410, 13/1243 - Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. - Gegen- Berichterstattung: probe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist an- Abgeordnete Steffen Kampeter genommen. Susanne Kastner Michaele Hustedt Birgit Homburger Ich rufe Zusatzpunkt 16 auf: Dr. Dagmar Enkelmann Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Altmann (Aurich) und der Fraktion BÜND- c) Beratung der Beschlußempfehlung und des NIS 90/DIE GRÜNEN Berichts des Ausschusses für Umwelt, Na- turschutz und Reaktorsicherheit (16. Aus- Sozial- und umweltverträgliche Mobilität - schuß) eine Gestaltungsaufgabe für die Zukunft - zu dem Entschließungsantrag der Abge- - Drucksache 13/4703 — ordneten Susanne Kastner, Joachim Poß, Überweisungsvorschlag: Bernd Reuter, weiterer Abgeordneter und Ausschuß für Verkehr (federführend) der Fraktion der SPD zur Abgabe einer Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Erklärung der Bundesregierung Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - zu dem Entschließungsantrag der Ab- Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau geordneten Gila Altmann (Aurich), Mi- Hierzu sind die Reden ebenfalls zu Protokoll gege- chaele Hustedt, Ul rike Höfken und der ben worden * ; dem wurde bereits vom Haus zuge- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur stimmt. Abgabe einer Erklärung der Bundesre- gierung Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/4703 an die in der Tagesordnung auf- - zu dem Entschließungsantrag der Abge- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ordneten Dr. Dagmar Enkelmann, einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dr. Winfried Wolf und der weiteren Abge- Dann ist die Überweisung so beschlossen. ordneten der PDS zur Abgabe einer Er- klärung der Bundesregierung Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 d und Zusatz- punkte 17 und 18: Hochwasserkatastrophe - Hilfen und Mög- lichkeit vorbeugender Maßnahmen 11. a) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Geset- - Drucksachen 13/410, 13/1243, 13/407, 13/ zes zur Änderung des Wasserhaushaltsge- 408, 13/4006 - setzes (WHG) Berichterstattung: - Drucksache 13/1207 - Abgeordnete Steffen Kampeter (Erste Beratung 47. Sitzung) Susanne Kastner Michaele Hustedt Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- Birgit Homburger schusses für Umwelt, Naturschutz und Dr. Dagmar Enkelmann Reaktorsicherheit (16. Ausschuß) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des - Drucksache 13/4788 - Berichts des Ausschusses für Umwelt, Na- *) Die Redetexte werden als Anlage 9 in einem Nachtrag zu turschutz und Reaktorsicherheit (16. Aus- diesem Stenographischen Bericht abgedruckt. schuß) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9831

Vizepräsident Hans Klein - zu der Unterrichtung durch die Bundesre- liegt ein weiterer Änderungsantrag der Fraktion der gierung SPD vor.

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bun- über die Qualität von Wasser für den desrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung menschlichen Gebrauch des Wasserhaushaltsgesetzes, Drucksachen 13/1207 und 13/4788 Nr. I. Dazu liegt je ein Änderungsantrag - zu dem Antrag der Abgeordneten Su- der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die sanne Kastner, Klaus Lennartz, Michael Grünen sowie der Gruppe der PDS vor. Müller (Düsseldorf), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf Vorsorgender Gewässer- und Trinkwas- Drucksache 13/4890? - Gegenprobe! - Enthaltun- serschutz in der Europäischen Union gen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. - Drucksachen 13/2306 Nr. 2.62, 13/324, 13/ Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion 3953 - Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4876? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsan- Berichterstattung: trag ist abgelehnt. Abgeordnete Wilhelm Dietzel Susanne Kastner Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf Dr. Jürgen Rochlitz Drucksache 13/4849? - Gegenprobe! - Enthaltun- Birgit Homburger gen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. ZP17 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Gila Altmann (Aurich), Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die dem Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeord- Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Ent- GRÜNEN haltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Abwassereinleitung aus Schiffen in Binnen- wasserstraßen Ich eröffne die

- Drucksache 13/4842 — dritte Beratung Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr (federführend) und Schlußabstimmung. Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Jetzt bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen gedenken, sich ZP18 Beratung des Antrags der Abgeordneten Chri- von den Plätzen zu erheben. - Gegenprobe! - Enthal- stoph Matschie, Richard Schuhmann (De- tungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. litzsch), Marion Caspers-Merk, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reak- Sanierung des Wasserhaushaltes in den Lau- torsicherheit empfiehlt unter II seiner Beschlußem- sitzer und Mitteldeutschen Braunkohlerevie- pfehlung auf Drucksache 13/4788 die Annahme ei- ren ner Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußem- pfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- - Drucksache 13/4850 — schlußempfehlung ist angenommen. Überweisungsvorschlag: Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend) ßungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache Ausschuß für Wirtschaft 13/4852. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag der SPD zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält Für die Tagesordnungspunkte 11a bis 11d sowie sich der Stimme? - Der Entschließungsantrag ist ab- die Zusatzpunkte 17 und 18 sind die Reden zu Proto- gelehnt. koll gegeben worden * . Dazu bedarf es aber noch der Zustimmung des Hauses. Ist das Haus damit einver- Erste Beschlußempfehlung des Ausschusses für standen? - Das ist der Fall. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Zum Wasserhaushaltsgesetz liegt je ein Entschlie- Erklärung der Bundesregierung zu den Hochwasser- ßungsantrag und ein Änderungsantrag der Fraktion katastrophen, Drucksache 13/1243. Der Ausschuß der SPD sowie ein Änderungsantrag der Fraktion empfiehlt, die Nr. 2 des Entschließungsantrages der Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS vor. Fraktion der SPD auf Drucksache 13/410 abzulehnen Zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Um- und die übrigen Teile einer späteren Beschlußfas- welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu den Ent- sung vorzubehalten. Wer stimmt für diese Beschluß- schließungsanträgen zur Hochwasserkatastrophe empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält *) Die Redetexte werden als Anlage 10 zu diesem Stenographi- sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist an- schen Bericht abgedruckt. genommen. 9832 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Vizepräsident Hans Klein Beschlußempfehlung des Ausschusses für Um- b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu den Ent- Weiterentwicklung der Mittelmeerpolitik schließungsanträgen der Fraktion der SPD, der der Europäischen Union Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der Gruppe der PDS zu der Erklärung der Bundesregierung zu - Drucksache 13/4581 — den Hochwasserkatastrophen, Drucksache 13/4006. Überweisungsvorschlag: Der Ausschuß empfiehlt, die Entschließungsanträge Auswärtiger Ausschuß (federführend) auf den Drucksachen 13/410, 13/407 und 13/408 zu- Verteidigungsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sammengefaßt in der Ausschußfassung anzuneh- Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- men. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion lung der SPD auf Drucksache 13/4891 vor, über den wir Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union zuerst abstimmen. Wer stimmt dem Änderungantrag ZP19 Beratung des Antrags der Abgeordneten der SPD zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält Dr. Angelika Köster-Loßack, Elisabeth Alt- sich der Stimme? - Der Änderungsantrag ist abge- mann (Pommelsbrunn), Angelika Beer, weite- lehnt. rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Aus- Demokratische, ökologische und soziale schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- Prioritäten bei der Vertiefung der Mittel- cherheit? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- meerpolitik der Europäischen Union schlußempfehlung ist angenommen. - Drucksache 13/4843 — Beschlußempfehlung des Ausschusses für Um- Überweisungsvorschlag: welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Auswärtiger Ausschuß (federführend) Richtlinienvorschlag der Europäischen Union über Verteidigungsausschuß die Qualität von Wasser für den menschlichen Ge- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- brauch auf Drucksache 13/3953, Nr. 1. Wer stimmt lung dieser Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist ange- nommen. ZP20 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reak- Eine kohärente Mittelmeerpolitik der Euro- torsicherheit empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluß- päischen Union empfehlung auf Drucksache 13/3953 die Annahme - Drucksache 13/4868 — einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschluß- Überweisungsvorschlag: empfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Auswärtiger Ausschuß (federführend) Beschlußempfehlung ist angenommen. Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, lung Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union der Fraktion der SPD zu einem vorsorgenden Gewäs- Auch hier sind die Reden unter Zustimmung des ser- und Trinkwasserschutz in der Europäischen Hauses zu Protokoll gegeben worden .* ) Union auf Drucksache 13/3953, Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/324 abzu- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - gen auf den Drucksachen 13/4581, 13/4843 und 13/ Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußem- 4868 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- pfehlung ist angenommen. schüsse vorgeschlagen. Sind die Mitglieder des Hau- ses damit einverstanden? - Dies ist der Fall. Dann Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen sind die Überweisungen so beschlossen. auf den Drucksachen 13/4842 und 13/4850 an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse zu über- Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: weisen. Besteht darüber das Einverständnis des Hau- Beratung des Antrags der . Abgeordneten ses? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Christa Luft, Rolf Überweisung so beschlossen. Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Maßnahmen für die grundlegende Verbesse- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12a und 12b so- rung der Einnahmen der Städte, Gemeinden wie die Zusatzpunkte 19 und 20 auf: und Landkreise (Reform der Kommunalfinan- zierung) 12. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeord- neten Dr. Christoph Zöpel, B rigitte Adler, - Drucksache 13/4597 — Dr. Ulrich Böhme (Unna), weiterer Abge- Überweisungsvorschlag: ordneter und der Fraktion der SPD Finanzausschuß (federführend) Mittelmeerpolitik Innenausschuß * ) Die Redetexte werden als Anlage 11 in einem Nachtrag zu - Drucksachen 13/1964, 13/3037 - diesem Stenographischen Bericht abgedruckt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9833

Vizepräsident Hans Klein Die Reden sind zu Protokoll gegeben. *) Das Haus Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages- hat dem bereits zugestimmt. ordnung.

Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- auf Drucksache 13/4597 an die in der Tagesordnung destages auf Freitag, den 14. Juni 1996, 8 Uhr ein. aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einver- standen? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Die Sitzung ist geschlossen.

*) Die Redetexte werden als Anlage 12 in einem Nachtrag zu diesem Stenographischen Be richt abgedruckt. (Schluß der Sitzung: 0.16 Uhr)

Berichtigung 109. Sitzung, Seite 9651 A, dritter Absatz, fünfte Zeile: Die Wörter „für den Alpha" sind durch die Wörter „für IFOR" zu ersetzen.

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9835 '

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 kannt und seine Unterstützung für deren Annähe- rung an die europäischen Institutionen und die Ein- Liste der entschuldigten Abgeordneten richtung eines deutsch-tschechischen Zukunftsfonds unterstrichen. Dies alles ist erklärte Politik der Bun- entschuldigt bis desregierung. Abgeordnete(r) einschließlich Bundesminister Waigel hat zugleich eine Reihe Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 13. 6. 96* von Fragen angesprochen, die derzeit Gegenstand der deutsch-tschechischen Gespräche über eine ge- Ferner, Elke SPD 13. 6. 96 meinsame Erklärung sind. In diesem Zusammen- Fuhrmann, Arne SPD 13. 6. 96 hang hat er von der tschechischen Seite ein klares Wort des Bedauerns zum Unrecht der Vertreibung Gysi, Andrea PDS 13. 6. 96 der Sudetendeutschen sowie ein klärendes Wort zu Kronberg, Heinz-Jürgen CDU/CSU 13. 6. 96 den Beneś -Dekreten und dem sogenannten Amne- stiegesetz gefordert. Leidinger, Robert SPD 13. 6. 96 Dies sind Forderungen, die auch die Bundesre- Lummer, Heinrich CDU/CSU 13. 6. 96 ' gierung in den Verhandlungen mit der tschechi- Michels, Meinolf CDU/CSU 13. 6. 96 schen Regierung aufgestellt hat und die - neben dem klaren deutschen Bekenntnis zu den Verbre- Reschke, Otto SPD 13. 6. 96 chen der Nazidiktatur am tschechischen Volk - we- sentlicher Bestandteil der gemeinsamen Erklärung Dr. Rexrodt, Günter F.D.P. 13. 6. 96 sein sollen. Scharping, Rudolf SPD 13. 6. 96 Zu Frage 57: Schulte (Hameln), B rigitte SPD 13. 6. 96 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 13. 6. 96 * * Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß die Rede die deutsch-tschechischen Beziehungen be- Zierer, Benno CDU/CSU 13. 6. 96 * lastet hat.

für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Ver- sammlung Anlage 3

Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Robert Antretter (SPD) zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen SPD und Anlage 2 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betr. unzulässige Verschärfung des Schwangeren- Antwort und Familienhilfeänderungsgesetzes des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen des Bundes vom 21. August 1995 des Abgeordneten Jürgen Koppelin (F.D.P.) (Druck- durch das Bayerische sache 13/4818 Fragen 56 und 57): Schwangerenberatungsgesetz und das Bayerische Teilt die Bundesregierung inhaltlich die Ansichten von Bun- desminister Dr. Theodor Waigel, die er in seiner Rede beim Tref- Schwangerenhilfeergänzungsgesetz fen der Sudetendeutschen in Nürnberg geäußert hat? (Zusatztagesordnungspunkt 12) Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Rede von Bundesminister Dr. Theodor Waigel die deutsch-tschechischen Beziehungen belastet hat? Ich stimme in der heutigen namentlichen Abstim- mung gegen den Antrag aus folgenden Gründen: Zu Frage 56: Wir haben als Bundesgesetzgeber bei der Beschluß- fassung über das Schwangeren- und Fmailienhilfe- Bundesminister Waigel hat in seiner Eigenschaft änderungsgesetz das Bundesverfassungsgerichtsur- als Vorsitzender der CSU beim vergangenen Pfingst- teil vom 28. Mai 1993 damit zitiert, daß von der treffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft schwangeren Frau erwartet wird, daß sie der bera- grundsätzliche Ausführungen zum Stand der tenden Person die Tatsachen mitteilt, deretwegen sie deutsch-tschechischen Beziehungen gemacht. Er hat einen Abbruch der Schwangerschaft erwägt. Das sich dabei nachdrücklich zur Zusammenarbeit und Bundesverfassungsgericht hat dies weiter konkreti- zur Versöhnung mit der Tschechischen Republik be- siert, indem es ausgeführt hat, daß die Aufnahme ei- 9836* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 ner Konfliktberatung von vornherein nur möglich ist, möglich, wenn die Schwangere der beratenden Per- „wenn die Schwangere der beratenden Person die son die wesentlichen Gründe mitteilt, die sie dazu wesentlichen Gründe mitteilt, die sie dazu bewegen, bewegen, einen Abbruch der Schwangerschaft in Er- einen Abbruch der Schwangerschaft in Erwägung zu wägung zu ziehen" . Das Gericht weiß sehr wohl die ziehen. Wenn es auch der Charakter einer Beratung Mitwirkungsbereitschaft der Frau, die nicht erzwing- ausschließt, eine Gesprächs- und Mitwirkungsbereit- bar ist, von der Mitteilung der wesentlichen Gründe schaft der schwangeren Frau zu erzwingen, ist doch zu unterscheiden und in Verhältnis zu setzen: „Wenn für eine Konfliktberatung, die zugleich die Aufgabe es auch der Charakter einer Beratung ausschließt, des Lebensschutzes erfüllen soll, die Mitteilung der eine Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der Gründe unerläßlich, die dazu führen, einen Schwan- schwangeren Frau zu erzwingen, ist doch für eine gerschaftsabbruch zu erwägen." Konfliktberatung, die zugleich die Aufgabe des Le- Insofern kann ich keinen Widerspruch des Bayeri- bensschutzes erfüllen soll, die Mitteilung der Gründe schen Schwangerenberatungsgesetzes zum Bundes- unerläßlich, die dazu führen, einen Schwanger- gesetz und insbesondere zum Urteil des Bundesver- schaftsabbruch zu erwägen" . Die Mitteilung der fassungsgerichts erkennen. Gründe ist daher eine notwendige Bedingung für eine zu bescheinigende Beratung, und oftmals wird die Berate rin gerade durch Kenntnis der Gründe und Einzelumstände des konkreten Konfliktfalls die Ge- sprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der Frau her- beiführen können und gemeinsam mit ihr Auswege Anlage 4 aus ihrer Notsituation aufzeigen können. Der Antrag findet also im Urteil des Bundesverfassungsgerichts Erklärung nach j 31 GO keine Stütze. des Abgeordneten Hubert Hüppe (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Antrag Der Antrag ist auch deshalb abzulehnen, weil es in der Fraktionen SPD und der Beratungspraxis durchaus Fälle gibt, wo Auslän- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN derinnen ohne Deutschkenntnisse einen Zettel vorle- betr. unzulässige Verschärfung des gen, auf dem eine Beratungsbescheinigung verlangt Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes wird. Kommt es dann zu keinem Beratungsgespräch des Bundes vom 21. August 1995 im eigentlichen Sinne, so wird die Beraterin auch durch das Bayerische nicht in Erfahrung bringen können, ob etwa die Frau Schwangerenberatungsgesetz und das Bayerische unter dem Druck ihres Umfeldes steht oder welche Schwangerenhilfeergänzungsgesetz Hilfen geeignet wären, ihre Notlage abzuwenden, (Zusatztagesordnungspunkt 12) mit der Folge, daß nicht-deutsche ungeborene Kin- sowie über den der noch schlechter geschützt sind als deutsche. Dies Antrag der Fraktion der F.D.P. betr. ist nicht hinnehmbar. verfassungsgebotene Einhaltung des bundeseinheitlichen Schwangeren- und Wem an einer wirklichen Beratung gelegen ist, der Familienhilfeänderungsgesetzes des Bundes muß daher in diesen Punkten der Bayerischen Staats- vom 21. August 1995 durch die Bayerische regierung beipflichten und den vorliegenden Antrag Staatsregierung zurückweisen.

(Zusatztagesordnungspunkt 13) Der Antrag muß weiterhin abgelehnt werden, weil er in der Frage des Identitätsnachweises einen fal- schen Schluß aus dem bayerischen Gesetzentwurf Ich werde gegen den Antrag stimmen, aber nicht nur weil ich die Argumentation meiner Fraktion teile, zieht: denn die Möglichkeit, gegenüber der beraten- daß die Bayerische Staatsregierung hier einen legiti- den Person anonym zu bleiben, ist völlig unberührt men, durch das Schwangeren- und Familienhilfe- von dem Erfordernis des Identitätsnachweises ge- änderungsgesetz eröffneten Gestaltungsspielraum genüber einer anderen Person bei Aushändigung wahrnimmt. Die Bayerische Staatsregierung ist mit des Beratungsscheines. ihrem Vorhaben darüber hinaus näher am Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 und Der Antrag findet meine Ablehnung auch in seiner damit näher am Grundgesetz als das im vorigen Jahr Kritik an der von der Bayerischen Staatsregierung vom Bundestag verabschiedete Schwangeren- und geplanten Begrenzung der Einnahmen aus Abtrei- Familienhilfeänderungsgesetz, dessen Unzulänglich- bungen auf ein Viertel der Gesamteinnahmen. Denn keit heute einmal mehr deutlich wird. auch hier begeben sich die Antragssteller in einen Widerspruch zum Bundesverfassungsgericht, das Ich stimme auch deshalb gegen den Antrag, weil dem Gesetzgeber aufgegeben hatte, den Gefahren er von falschen Voraussetzungen und einem mit dem für ein Lebensschutzkonzept zu begegnen, die sich Urteil des Bundesverfassungsgerichts unvereinbaren aus dem Entstehen reiner Abtreibungseinrichtungen Verständnis von Schwangerschaftskonfliktberatung ergeben. Der Abtreiber F riedrich Andreas Stapf hat ausgeht. Denn das Verfassungsgericht, das der Bera- in der öffentlichen Anhörung vom 14. November tung einen entscheidenden Stellenwert beimißt, sagt 1991 gesagt: „Ich habe in den zwölf Jahren seit 1980 unmißverständlich, diese sei „von vornherein nur etwa 32 000 Schwangerschaftsabbrüche durchge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9837* führt. Ich hoffe, man wird ein wenig auf die Erfah- Politik der amtierenden Bundesregierung hineinge- rung hören." Nach Herrn Stapfs eigener Angabe bracht worden ist. sind das knapp 2 700 Abtreibungen pro Jahr oder dreizehn Abtreibungen pro Arbeitstag, das heißt - Ich bin persönlich bereit, einen solchen Beitrag zu unterstellt man, daß er keine anderen ärztlichen Tä- leisten, meine allerdings, daß derartige Regelungen tigkeiten ausübt - höchstens knapp 38 Minuten je nicht für die Abgeordneten singularisiert werden Abtreibung einschließlich ärztlicher Aufklärung, Be- sollten. In Krisenzeiten reicht es nicht, wenn nur die ratung, Untersuchung und Dokumentation, Nach- Politik mit gutem Beispiel vorangeht. Alle Mitglieder sorge und finanzieller Abwicklung. Wo ist hier rein unserer Gesellschaft, die ein ähnliches oder sogar ein zeitlich eine Chance dafür, daß die „Beteiligung des deutlich besseres Einkommen haben, sollten eben- Arztes zugleich Schutz für das ungeborene Leben falls einen vergleichbaren, angemessenen Solidar- bewirkt", wie es das Bundesverfassungsgericht for- beitrag erbringen. Da kaum damit zu rechnen ist, dert? daß die genannte Gruppe dem Vorbild des Bundesta- ges freiwillig folgen wird, sollte ein solcher Beitrag in Der Antrag trifft auf meinen Widerspruch, indem Einklang mit der öffentlichen Meinung durch eine er den Eindruck erweckt, es liege im Interesse der entsprechende Gesetzesregelung eingefordert wer- Frauen, möglichst einfach - anonym, ohne Angabe den. Technisch am einfachsten geht dies durch eine von Gründen und ohne sich auf ein Gespräch ein- entsprechende Erhöhung des Solidaritätsbeitrages zulassen - den für die Abtreibung erforderlichen im Steuerrecht für die genannte Gruppe - Jahresein- Schein erhalten zu können. Er ist darüber hinaus kommen ab DM 135 600 und höher. Ich wäre aller- scheinheilig, indem er andere Mißstände be- dings auch mit einer anderen Maßnahme gleicher schweigt, wie etwa, daß heute noch Beratungsstel- Wirkung einverstanden. len von Pro Familia die Hilfen aus der Bundesstif- Ein solcher Solidaritätsbeitrag der „Besserverdie- tung „Mutter und Kind" nicht an ratsuchende nenden" würde es ermöglichen, viele der geplanten Frauen vermitteln oder daß die den Antragstellern Kürzungen für Menschen in schwierigen Lebensla- nahestehende Landesregierung von Nordrhein- gen zu verhindern und die innere Solidarität unseres Westfalen bis heute ihren aus dem SFHÄndG er- Landes zu stärken. So wie die Bundestagsabgeord- wachsenden Verpflichtungen zur Sicherstellung ei- neten sollten auch die Führungskräfte und Manager nes ausreichenden Beratungsangebotes nicht nach- der Wirtschaft, die politischen Amtsträger in Bund gekommen ist. und Land, die Landräte und (Ober-)Bürgermeister, die Kapitaleigner, die leitenden Redakteure von Zei- Ich stimme aus den angeführten Gründen gegen tungen, Rundfunkt und Fernsehen, die Ministerial- den Antrag und weil er in demaskierender Offenheit bürokratie, die Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure, Ar- zum Ausdruck bringt, wo für seine Urheber die Prio- chitekten, die Fußball- und Tennisstars, die Schau- ritäten liegen: in der möglichst einfachen Ausgabe spieler und Musiker usw. ihren solidarischen „ Son- des Scheines zur Tötung des Kindes sowie ihrer routi- derbeitrag" leisten - immer vorausgesetzt, sie haben nemäßigen Durchführung - und nicht in möglichst das entsprechend hohe Einkommen. Die entspre- guter Beratung zur Abwendung der Tötung. chenden Regelungen sollten gemeinsam mit den Re- gelungen für Abgeordnete beschlossen werden, die dann ja auch mit einbezogen sind. Ich bin gegen eine Sonderregelung nur für die Abgeordneten.

Anlage 5

Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Rudolf Bindig (SPD) Anlage 6 zur Abstimmung über den Entwurf Erklärung nach § 31 GO eines Zwanzigsten Gesetzes der Abgeordneten Meinrad Belle, zur Änderung Dr. Joseph-Theodor Blank,Rudolf Braun (Auerbach), des Abgeordnetengesetzes Albert Deß, Peter Götz, Margarete Späte und eines Siebzehnten Gesetzes und Gert Willner zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf (Zusatztagesordnungspunkt 14) eines Telekommunikationsgesetzes

Der Bundestag berät darüber, die bestehende (Tagesordnungspunkt 6 a) Rechtslage im Abgeordnetenrecht zu verändern, da- mit die Mitglieder des deutschen Bundestages einen Wir stimmen dem von den Fraktionen der CDU/ besonderen Solidaritätsbeitrag erbringen in der der- CSU, SPD und F.D.P. gemeinsam eingebrachten Ent- zeitigen, schwierigen, wi rtschaftlichen und finanziel- wurf eines Telekommunikationsgesetzes - Drucksa- len Lage, in welche unser Land durch die fehlerhafte che 13/3609 - zu. 9838* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Erstens. Eine große Besorgnis der Kommunen ist sind und zu keiner weiteren Einwirkung füh- ausgeräumt. Die Kommunen hatten die Befürchtung, ren... daß die Regelungen des § 49 TKG Auswirkungen auf das Recht zur Erhebung von Konzessionsabgaben Soweit für die Errichtung neuer Kabel zusätzliche haben könnten. Diese Besorgnis ist ausgeräumt, Grabungs- und Bauarbeiten erforderlich sind oder in- nachdem Staatssekretär Pfeffermann am 8. Mai 1996 folge der zusätzlichen Nutzung bestehender Leitun- auf Nachfrage des Abgeordneten Gert Willner für die gen weitere Wartungsarbeiten notwendig werden, Bundesregierung im Innenausschuß erklärt hatte, die über das zumutbare Maß hinausgehen, müssen daß die Bundesregierung nicht beabsichtige, in die diese nach der Erklärung des Parlamentarischen Konzessionsabgabe der EVUs einzugreifen. Dies ist Staatssekretärs selbstverständlich wie bisher mit eine Festschreibung der bestehenden kommunalen dem Grundstückseigentümer verhandelt und durch Rechte. Entschädigung ausgeglichen werden.

Zweitens. Die Besorgnisse des Bauernverbandes Dies ist eine deutliche Klarstellung. sind durch Erklärungen der Bundesregierung weit- gehend ausgeräumt:

So hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Wolfgang Gröbl, auf Anfrage des Abge- Anlage 7 ordneten Gert Willner am 23. Mai 1996 erklärt: Erklärung nach § 31 GO Die in dem Entwurf des Telekommunikationsge- der Abgeordneten Hans-Werner Bertl, setzes vorgesehene Duldungspflicht für die Verle- Dagmar Freitag, Uwe Göllner, Dieter Grasedieck, gung und Nutzung von Telekommunikationslei- Klaus Hagemann, Klaus Hasenfratz, Uwe Hiksch, tungen besteht lediglich gegenüber solchen Ein- Jelena Hoffmann (Chemnitz), Erwin Horn, wirkungen, die die Benutzung des Grundstücks Marianne Klappert, Dieter Maaß (Herne), nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen. Ursula Mogg, Jutta Müller (Völklingen), Gerhard Neumann (Gotha), Dr. Rolf Niese, Hierbei ist zum Beispiel an den Fall gedacht, bei Adolf Ostertag, Margot von Renesse, Otto Reschke, dem eine unterirdische Leitung ein Grundstück Günter Rixe, Dr. Hansjörg Schäfer, nur wenige Zentimeter berührt. Eine unwesentli- Dieter Schanz, Bernd Scheelen, che Beeinträchtigung wäre etwa auch in der Be- Ulla Schmidt (Aachen), nutzung bereits bestehender betriebseigener Lei- Dagmar Schmidt (Meschede), tungen durch Telekommunikationsanbieter oder Regina Schmidt-Zadel, Heinz Schmitt (Berg), im sog. Durchschießen von Leitungen in vorhan- Günter Schluckebier, Dr. Angelica Schwall-Düren, dene Leerrohre zu sehen. Demgegenüber wäre die Lisa Seuster, Johannes Singer, Jörg Tauss, Neuverlegung einer unterirdischen Leitung unter Dietmar Thieser, Wolfgang Weiermann, Öffnung des Bodens nicht zu dulden. Jochen Welt, Hildegard Wester, Die vorgesehenen Regelungen knüpfen an gel- Lydia Westrich, Dieter Wiefelspütz tendes Recht § 10 Telegraphengesetz an und er- (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf weitern es lediglich um vergleichbare Fallgestal- eines Telekommunikationsgesetzes tungen. Die Befürchtungen des Verbandes, das ge- plante Telekommunikationsgesetz führe zu einer (Tagesordnungspunkt 6) weiteren Aushöhlung des Eigentums, halte ich da- her für unbegründet. Dem vorliegenden Telekommunikationsgesetz wer- de ich, wie eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen Am selben Tag hat - ebenfalls auf Anfrage - der meiner Fraktion, dann nicht zustimmen, wenn die Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesmini- Wegerechtsfrage nicht im Interesse der Städte und sterium für Post und Telekommunikation Dr. Paul Gemeinden zufriedenstellend gelöst ist. Laufs u. a. erklärt: Damit wende ich mich nicht gegen ein zukunfts- Ausgangspunkt der Regelung des § 56 TKG-E ist orientiertes Telekommunikationsgesetz. Das ist not- das derzeit geltende Telegraphenwegegesetz, das wendig. Das ist Voraussetzung für die Wettbewerbsfä- mit Inkrafttreten des TKG seine Gültigkeit verlie- higkeit des privatisierten Unternehmens - national ren wird. Die vorgesehene Nachfolgeregelung des und international. Ich wende mich gegen die Mißach- § 56 regelt neben diesem Tatbestand in Anleh- tung eines Verfassungsgebotes, die Mißachtung der nung an § 906 BGB, daß Grundstücksbeeinträchti- Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gem. gungen durch Telekommunikationslinien - sei es Art. 28 GG. Der Gesetzgeber greift ohne Not in diese durch oberirdische, sei es durch unterirdische Li- Selbstverwaltung ein, hindert die Gemeinden an der nienführung - dann entschädigungslos hinzuneh- Ausübung ihres Wegerechts für ein jetzt p rivates Un- men sind, wenn sie objektiv unwesentlich sind ternehmen. Ein Einfallstor für alle Versorger, von oder deshalb nicht wesentlich sind, weil sie be- Strom, Wasser bis Fernwärme, ähnlich gestellt zu wer- reits von einem eingeräumten Recht abgedeckt den. Nicht nur ein rechtliches Desaster gegen die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9839*

Selbstverwaltung, sondern ein finanzielles Aben- wahren und die Wettbewerbsfähigkeit der Telekom si- teuer für die Gemeinden und die durch Gebühren- chern konnten. Diesen Vorschlägen sowie dem Antrag und Abgabenerhöhungen letztlich wieder betroffenen meiner Fraktion in gleicher Sache hat sich die Koaliti- Bürger. ton bislang verweigert. In Abwägung der Sachverhalte und Rechtsgüter, hier speziell des kommunalen Selbst- Das wäre vermeidbar gewesen. Frühzeitig haben die verwaltungsrechts, kommen wir zu dem Ergebnis, die- kommunalen Spitzenverbände alternative Vorschläge sem Gesetzentwurf in dritter Lesung nicht zuzustim- eingebracht, die die Rechtsposition der Gemeinden men.

Nachtrag zum Plenarprotokoll 13/110

Deutscher Bundestag

Nachtrag zum Stenographischen Bericht

110. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

- Inhalt:

Anlage 8 Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- ordnungspunkt 9 (a - Entwurf Unfallver- ordnungspunkt 11 (a - Entwurf eines Ge- sicherungseinordnungsgesetz und Ent- setzes zur Änderung des Wasserhaushalts- wurf eines Gesetzes zur Ergänzung der gesetzes; b und c - Hochwasserkatastro- Unfallversicherung für Kinder in Horten phe - Hilfen und Möglichkeit vorbeugen- und Krippen und den übrigen Tagesein- der Maßnahmen; d - Vorschlag für die richtungen für Kinder; b - Entwurf eines Richtlinie des Rates über die Qualität von Gesetzes zur Umsetzung der EG-Rahmen Wasser für den menschlichen Gebrauch richtlinie Arbeitsschutz und weiterer Ar- und Antrag: Vorsorgender Gewässer- und beitsschutz-Richtlinien) 9841* A Trinkwasserschutz in der Europäischen Union), zum Zusatztagesordnungspunkt 17 Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU 9841* A (Antrag: Abwassereinleitung aus Schiffen Erika Lotz SPD 9841 * D in Binnenwasserstraßen) und zum Zusatz- tagesordnungspunkt 18 (Antrag: Sanie- Dr. Gisela Babel F.D.P 9842* D rung des Wasserhaushaltes in den Lausit- Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE zer und Mitteldeutschen Braunkohlenre- GRÜNEN 9843* C vieren) 9850 D Manfred Müller (Berlin) PDS 9844* A Dr. Thomas Goppel, Staatsminister (Bay ern) 9850* D Manfred Grund CDU/CSU 9844* C Dr. Norbert Rieder CDU/CSU 9852* B Susanne Kastner SPD 9853' B Anlage 9 Birgit Homburger FD P. 9854* C Zu Protokoll gegebene Reden zum Zu- Dr. Jürgen Rochlitz BÜNDNIS 90/DIE satztagesordnungspunkt 16 (Antrag: So- GRÜNEN 9855* C zial- und umweltverträgliche Mobili- tät - eine Gestaltungsaufgabe für die Zu- Eva Bulling-Schröter PDS 9856* C kunft) 9846*A Christoph Matschie SPD 9857* B Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/DIE Dr. Angela Merkel, Bundesministerin GRÜNEN 9846*A BMU 9857*D Dr. Walter Bauer CDU/CSU 9847* A Konrad Kunick SPD 9848*B Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages F.D.P. 9849* A ordnungspunkt 12 (a - Große Anfrage Dr. Winfried Wolf PDS 9850*A betr. Mittelmeerpolitik; b - Antrag: Wei- II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 terentwicklung der Mittelmeerpolitik der Carl-Ludwig Thiele F.D.P 9869 *D Europäischen Union), zum Zusatztages- Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ordnungspunkt 19 (Antrag: Demokrati- NEN 9870* B sche, ökologische und soziale Prioritäten bei der Vertiefung der Mittelmeerpolitik Dr. Uwe Jens Rössel PDS 9871* A der Europäischen Union) und zum Zu- satztagesordnungspunkt 20 (Antrag: Eine Anlage 13 kohärente Mittelmeerpolitik der Europäi- schen Union) 9858* D Erklärung des Abgeordneten Günter Dr. Christoph Zöpel SPD 9858* D Marten (CDU/CSU) zur Abstimmug über Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU . 9861* D den von der Fraktion der F.D.P. gestellten Antrag „Verfassungsgebotene Einhaltung Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ des bundeseinheitlichen Schwangeren- DIE GRÜNEN 9863* C und Familienhilfeänderungsgesetzes des Dr. Helmut Haussmann F.D.P 9864* B Bundes vom 21. August 1995 durch die Manfred Müller (Berlin) PDS 9865*A Bayerische Staatsregierung" 9872* D Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA . 9865 *C

Anlage 14 Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ordnungspunkt 13 (Antrag: Maßnahmen ten Maria Eichhorn (CDU/CSU) zur Ab- für die grundlegende Verbesserung der stimmung über den von der Fraktion der Einnahmen der Städte, Gemeinden und - F.D.P. gestellten Antrag „Verfassungsge- Landkreise - Reform der Kommunalfinan- botene Einhaltung des bundeseinheitli- zierung) 9866*D chen Schwangeren- und Familienhilfeän- derungsgesetzes des Bundes vom 21. Au- Gerhard Schulz (Leipzig) CDU/CSU . . 9866* D gust 1995 durch die Bayerische Staatsre- Dieter Grasedieck SPD 9868* D gierung" 9873* A Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9841*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 8 Wie eingangs bemerkt, haben wir jedoch auch dar- auf geachtet, daß die Regelungen nicht zu einem un- Zu Protokoll gegebene Reden tragbaren Verwaltungsaufwand führen, der diesen zu Tagesordnungspunkt 9 positiven Effekt wieder zunichte machen würde. Ins- (a - Entwurf Unfallversicherungs-Einordnungs besondere mußte auf eine mittelstandsorientierte gesetz und Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung Ausgestaltung des Arbeitsschutzgesetzes geachtet der Unfallversicherung für Kinder in Horten und werden. So sind z. B. kleinere Betriebe von Doku- Krippen und den übrigen Tageseinrichtungen mentationspflichten befreit. für Kinder; b) - Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung Das Gesetz enthält flexible Vorschriften, die den der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und Beteiligten Spielraum für vernünftige, auf die kon- krete betri weiterer Arbeitsschutz-Richtlinien) ebliche Gefährdungssituation zugeschnit- tene Maßnahmen erlauben. Wir setzen also verstärkt auf die Eigeninitiative der Bet riebe. Das neue Ar- Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Nach vielen Mo beitsschutzgesetz bietet damit einen guten Ansatz naten intensiver Beratungen ist es schließlich gelun- für einen effektiven betrieblichen Arbeitsschutz. Und gen, europäisches Recht in ein vernünftiges Regel- nicht zuletzt werden die Voraussetzungen für eine ef- werk umzusetzen. Hier paßt nun wirk lich das Wort: fektive Zusammenarbeit der Berufsgenossenschaften „Ende gut, alles gut"; denn es ist gelungen, aus der mit der staatlichen Gewerbeaufsicht geschaffen. Um ursprünglichen aufgeblähten und schwer durch- es auf einen Nenner zu bringen, schaffen wir also Re- schaubaren Gesetzesvorlage ein modernes, über- gelungen, die sich sowohl menschlich als auch öko- sichtliches und schlankes Gesetz zu machen. Das uns nomisch lohnen und darüber hinaus einen Beitrag damals vorliegende Paragraphenungeheuer konnte- zur Entbürokratisierung und zum schlanken Staat sozusagen gezähmt werden. Auf dem Tisch liegt nun leisten. eine wirkliche 1 : 1-Umsetzung der europäischen Erlauben Sie mir noch die abschließende Berner- Rahmenrichtlinie, eine gute Kombination von sicher- kung: Dieses Gesetz schafft auch die Basis, auf der heitsrechtlich und gesundheitlich Notwendigem und noch verschiedene Einzelrichtlinien umzusetzen ökonomisch Sinnvollem. sind. Ich nenne nur die Einzelrichtlinien zu Bild- Das vorliegende Arbeitsschutzgesetz berücksich- schirmarbeit, Benutzung von Arbeitsmitteln und per- tigt nun zum einen das individuelle Sicherheits- und sönlichen Schutzausrüstungen. Für die entsprechen- Gesundheitsbedürfnis der Arbeitnehmerinnen und den Verordnungen enthält das Arbeitsschutzgesetz Arbeitnehmer in den Bet rieben, zum anderen das die Ermächtigungsgrundlage. Ich werde mich dafür Anliegen der Arbeitgeber, nicht überzogene Vor- einsetzen, daß sich diese Verordnungen an der Ziel- schriften übergestülpt zu bekommen. richtung des Arbeitsschutzgesetzes orientieren und keine praxisfernen Regelungen treffen. Das Bundes- Optimaler Sicherheits- und Gesundheitsschutz ist arbeitsministerium hat hier bereits die weitere enge für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ele- Abstimmung signalisiert, wofür ich mich bedanke. mentar wichtig. Das versteht sich von selbst. Dazu kommt jedoch ein anderes: Hohe Arbeitsproduktivi- Erika Lotz (SPD): Die Problematik, um die es hier tät kann dauerhaft nur mit gesunden Menschen er- in diesen Gesetzen geht - um Arbeits- und Gesund- reicht werden. Deshalb liegt das Interesse an einem heitsschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- wirksamen Arbeitsschutz nicht nur bei den Arbeit- mern -, hätte aus Sicht der SPD-Fraktion bessere Ge- nehmerinnen und Arbeitnehmern. Auch jedem ver- setze verdient. nünftigen Betriebsinhaber ist daran in besonderem Maße gelegen. Wir bedauern insbesondere, daß die Chance für eine Reform des Berufskrankheitenrechts mit dem Bereits in der Vergangenheit konnten durch einen Ziel, die Rechte der Versicherten zu stärken, a lles verbesserten Arbeitsschutz die Unfallzahlen laufend transparenter zu machen, von der Bundesregierung gesenkt werden. Ein sicherlich nicht zu unterschät- nicht genutzt wurde. Wir halten dies nach wie vor für zender Standortvorteil! Viele Betriebe, vor allem grö- notwendig und entlassen die Bundesregierung und ßere, haben dies bereits erkannt und ein entspre- die Koalitionsfraktionen hier nicht aus ihrer Verant- chendes Arbeitsschutz-Management mit Erfolg ein- wortung. Eine Krankheit, die mit Wahrscheinlichkeit geführt. auf eine Arbeit unter schädlichen Einwirkungen zu- rückzuführen ist, muß als Berufskrankheit anerkannt Trotzdem ist Deutschland neben den Niederlanden werden, wenn der Träger der Unfallversicherung nach wie vor Europameister bei den Fehlzeiten. Die nicht das Gegenteil nachweisen kann. Wir fordern unbestritten zu hohen Arbeitskosten zwingen uns, nach wie vor eine grundlegende Reform des Berufs- vermeidbare arbeitsbedingte Erkrankungen auszu- krankheitenrechtes. merzen. Zusammen mit dem Unfallversicherungs- Einordnungsgesetz paßt also das Arbeitsschutzge- In einer weiteren Novelle ist dieser Komplex im setz genau in die gegenwärtige politische Land- Sinne sozialer Gerechtigkeit zu lösen. Alle arbeitsbe- schaft. Fehlzeiten belasten die Bet riebe in Milliar- dingten Gesundheitsschäden müssen in die Entschä- denhöhe. Deshalb ist es richtig, am Arbeitsplatz auf digungspflicht der gesetzlichen Unfallversicherungs- eine wirksame Prävention zu setzen. pflicht einbezogen werden. Schädliche Einflüsse im 9842* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Arbeitsleben tragen mit dazu bei, daß heute mehr als bedingte Gesundheitsgefahren beziehen, durchzu- die Hälfte der Arbeitsnehmer/innen vorzeitig in führen. Rente gehen. In einem besseren Arbeits- und Ge- sundheitsschutz liegt also ein Schlüssel, um den frü- Alle Aktivitäten, die mit Sicherheit nicht nur einen hen Verschleiß des Einzelnen, aber auch die Bela- wesentlichen Beitrag zur gesundheitsgerechten Ar- stung der Solidargemeinschaft zu verhindern. beitsgestaltung leisten, sondern auch zur Kostenent- lastung von Betrieben und Sozialversicherungsträ- Im Laufe der Beratungen - auch zwischen Bundes- gern beitragen, werden durch die Streichung des § 20 rat und Bundesregierung - sowie in den Ausschußbe- zunichte gemacht. Sie zerstören das zarte Pflänzchen ratungen konnte der ursprüngliche Entwurf so verän- Prävention - koste es, was es wolle! dert werden, daß wir heute - trozt der für uns offen- sichtlichen Mängel - den Gesetzen zustimmen wer- Doch weiter zur Unfa llversicherung: Viele Men- den. schen führen Klage wegen der Gutachter. Hier konnte die SPD-Fraktion Verbesserungen erreichen. Es konnte auf unsere Initiative hin eine Verbesse- Die Unfallversicherungsträger müssen zukünftig, rung für die Versicherten im Bereich des Datenschut- wenn ein medizinisches Gutachten eingeholt wird, zes erreicht werden. Ich will an dieser Stelle aus- den Versicherten grundsätzlich mehrere Gutachter drücklich dem Datenschutzbeauftragten und seinen vorschlagen. Mehr Information und Transparenz ist Mitarbeitern danken, daß auch sie mit Sorge trugen, hier für die Versicherten erreicht worden. Sollte die die Rechte der Versicherten zu stärken. Praxis allerdings zeigen, daß dem Willen des Gesetz- gebers nicht gefolgt wird, muß diese Regelung ein- Wichtig ist für uns die Ausdehnung der Aufgaben- deutig im Sinne der Versicherten und der Transpa- stellung der Unfallversicherungsträger, präventiv zur renz nachgebessert werden. Die Berufsgenossen- Verhütung aller arbeitsbedingten Gesundheitsgefah- schaften haben es also in der Hand. ren tätig zu werden. Diese Änderung ist schon längst überfällig. Die bisherige Beschränkung auf die Ver- Auch bei der Umsetzung der EG-Rahmenrichtli- hütung von Arbeitsunfällen ist zum wesentlichen Teil nien hat sich die Bundesregierung nicht mit Ruhm verantwortlich für schwerwiegende Defizite, die bekleckert. Zeitlich befindet sich Deutschland dabei beim Schutz von Leben und Gesundheit der Arbeit- in der letzten Reihe der EU-Länder, und inhaltlich nehmer und Arbeitnehmerinnen in unserem Land gibt es eher das Minimalste an gesetzgeberischer bestehen. Aktivität. Vom Ziel einer grundlegenden Reform des Arbeitsschutzes sind wir noch weit entfernt. Die Im Lichte der Erkenntnis, daß durch Prävention ge- SPD-Fraktion hat noch erhebliche Bedenken hin- sundheitliches Leid verhindert, aber auch den Betrie- sichtlich der Vollständigkeit der Umsetzung der EG- ben und Sozialversicherungsträgern Kosten erspart Rahmenrichtline, will aber eine weitere Verzögerung werden, kann ich nun ganz und gar nicht verstehen, bei der Erfüllung europäischer Vertragspflichten daß in der Unfallversicherung der Präventionsauftrag nicht behindern. Einige Verbesserungen konnten ja erweitert wird, daß aber gleichzeitig der Bundesge- auch über Gespräche mit dem Bundesrat erreicht sundheitsminister und die Koalition im Rahmen der werden. dritten Stufe der Gesundheitsreform die Präventions- aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung Ich stelle noch einmal nachdrücklich fest, daß der durch die ersatzlose Streichung des § 20 SGB V so- arbeitsbedingte Anteil am bet rieblichen Kranken- wie die Absicht, zukünftig Präventionsangebote als stand und an der Frühinvalidität von Arbeitsnehmern Satzungsleistung alleine von den Versicherten finan- und Arbeitnehmerinnen außergewöhnlich hoch ist. zieren zu lassen, den vorbeugenden Gesundheits- Betriebliche Gesundheitsförderung verhindert Ar- schutz demontieren. Dies alles widersp richt dem er- beitsunfähigkeit, und Prävention ist notwendig als klärten Ziel der Bundesregierung, die Lohnnebenko- Aufgabe für die Berufsgenossenschaften, aber auch sten, wie z. B. Lohnfortzahlungskosten, zu senken. für die gesetzliche Krankenversicherung. Mit dieser Veränderung werden auch vielverspre- chende Kooperationsansätze der Berufsgenossen- schaften und der Krankenkassen bei der Verhütung Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Mit dem SGB VII bekom- arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren zerstört. men wir ein modernes Unfallversicherungsrecht. Seine gesetzlichen Grundlagen sind lesbarer, sind Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenver- benutzerfreundlicher geworden, für die Versicherten sicherung und Unfallversicherung haben 1994 in ei- und die Arbeitgeber, für die Träger, für die Gerichte. ner Empfehlungsvereinbarung gemeinsame Aktivi- Mehr Transparenz im Dschungel unseres Sozial- täten bei der Verhütung arbeitsbedingter Gesund- rechts war schließlich das Hauptmotiv für das Unter- heitsgefahren ausgesprochen. Im Rahmen eines nehmen Sozialgesetzbuch, das die Sozialpolitiker vor großangelegten Forschungsprojekts, das vom Bun- inzwischen mehr als 20 Jahren in Angriff genommen desverband der Betriebskrankenkassen und vom hatten. Mit dem Rückblick auf das 5. Buch (Kran- Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossen- kenversicherung), das 6. Buch (Rentenversicherung) schaften getragen wird, bemüht man sich, Zusam- und das 11. Buch (Pflegeversicherung) sollten wir menhänge zwischen Arbeitseinflüssen und Erkran- uns allerdings selbstkritisch fragen, ob wir konse- kungen zu ermitteln und präventive Lösungsvor- quent genug für mehr Transparenz gesorgt haben. schläge zu erarbeiten. Auch einzelne Berufsgenos- Immerhin, in der Unfallversicherung wurde dieses senschaften und einzelne Krankenkassen haben be- Ziel nicht verfehlt. Mit dem SGB VII wird die gesetz- gonnen, gemeinsame Projekte, die sich auf arbeits- liche Unfallversicherung weiterentwickelt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9843*

Dies gilt einmal für die Erweiterung des Präven- Ein Wort noch zum Arbeitsschutzgesetz. Die F.D.P. tionsauftrages und für die Verbesserung der Zusam- hat hier sehr viel durchgesetzt. Wir haben in der zu- menarbeit zwischen Unfallversicherung und staatli- rückliegenden Wahrperiode dafür gesorgt, daß ein cher Gewerbeaufsicht. Hier kommt es vor allem dar- wesentlich umfangreicheres Gesetz, das die Bet riebe auf an, doppelte Überwachungen und widersprüchli- unzumutbar belastet hätte, nicht ins Gesetzblatt che Überwachungsmaßnahmen zu vermeiden. Das kommt. Das hier heute vorliegende Gesetz ist we- neue Recht schreibt deshalb eine enge Zusammen- sentlich schlanker, präziser und lehnt sich auch en- arbeit beider Aufsichtsdienste vor. Der F.D.P. liegt be- ger an die europäische Richtlinie an. Die F.D.P. hat sonders daran, daß diese Aufgaben im Rahmen der dafür gesorgt, daß gerade kleine und mittlere Unter- bestehenden Organisationsstrukturen erfüllt werden, nehmen von nicht tragbaren finanziellen und büro- daß also keine neuen Bürokratien aufgebaut werden. kratischen Belastungen frei bleiben. Erfreulich ist, Das ist sichergestellt. Zusätzliches Personal wird daß sich offensichtlich auch im Bundesrat eine prag- nicht benötigt. matische Linie durchgesetzt hat, die diesen Kurs un- terstützt. Die F.D.P. wird beiden Gesetzen heute zu- Sinnvoll ist auch die Erweiterung des Präventions- stimmen. auftrages. Die Unfallversicherung soll künftig auch den Ursachen arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren Annelle Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ nachgehen und ihre Beratung auf diesem Felde aus- NEN): Die Bundesregierung besiegelt heute ihre Un- bauen. In diesem Rahmen sieht die F.D.P. folgende fähigkeit, ihrer Gestaltungsaufgabe im Arbeitsschutz Schwerpunkte: nachzukommen. Was hier heute verabschiedet wer- den soll, ist - soweit es den Arbeitsschutz bet rifft - Kleine und mittlere Betriebe brauchen bei der enttäuschend, das absolute Minimalprogramm, und praktischen Umsetzung der europäischen Richtlinien das noch mit Jahren Verspätung. Wir werden der zum Arbeitsschutz Unterstützung. Das können nur- Umsetzung der EU-Rahmenrichtlinie zustimmen, die Unfallversicherungsträger leisten. Von diesen er- denn ein kleines bißchen Arbeitsgrundlage ist besser warten wird auch verstärkte Aktivitäten zum Schutz als gar nichts, und wir hoffen, daß jetzt zügig weitere der Arbeitnehmer vor chemischen, biologischen und EU-Richtlinien wie die zur Bildschirmarbeit in Kraft physikalischen Einwirkungen am Arbeitsplatz. Wich- gesetzt werden. Immerhin ist es auf Initiative des tig ist schließlich die Zusammenarbeit mit den Kran- Bundesrates endlich gelungen, in dem Zuge den be- kenkassen, um Präventionsmaßnahmen zielgenauer schämenden Paragraphen aus der Gewerbeordnung einzusetzen, auch mit dem Ziel, betriebliche Fehlzei- von 1869 außer Kraft zu setzen, der den Arbeitgeber ten zu senken. Dabei erwartet die F.D.P., daß die Un- verpflichtet hat, Leben und Gesundheit der Arbeit- fallversicherung mit ihrer paritätischen Selbstverwal- nehmer und Arbeitnehmerinnen nur soweit zu schüt- tung die Präventionsmaßnahmen praxisorientiert, be- zen, „wie es die Natur des Betriebes gestattet". triebsnah und wirtschaftlich ausgestaltet. Also bitte keine zusätzliche Kostenbelastung für die Betriebe! Die Chance zu einer zeitgemäßen und umfassen- den Gestaltung von Arbeitsschutz und Gesundheits- Unbestritten ist der Nachholbedarf beim Daten- förderung im Bet rieb, zu der uns auch der Einigungs- schutz. Mit dem SGB VII schaffen wir auch für die vertrag verpflichtet, vertun Sie wieder einmal. Schon Unfallversicherung ein modernes Datenschutzrecht, in der vorigen Legislatur sind Sie mit einer weiterge- das die Interessen von Verwaltung und Versicherten henden Initiative an den Querelen und Lobbyisten angemessen berücksichtigt. Datenschutz ist kein des Manchesterliberalismus in Ihren eigenen Reihen Selbstzweck. Es wäre sozialstaatswidrig, wenn die gescheitert. Dabei ist Arbeitsschutz und Gesund- Unfallversicherungsträger vor lauter Datenschutz heitsförderung das Mittel schlechthin, Kranken- keine Sachentscheidungen mehr treffen könnten. An stände in den Betrieben zu senken, indem Arbeitsbe- dieser Stelle möchte ich dem Bundestagsbeauftrag- dingungen, die krank machen, gemeinsam mit den ten für den Datenschutz, Herrn Dr. Jacob, ausdrück- Kolleginnen und Kollegen der Problemabteilungen lich für seine konstruktive Zusammenarbeit danken. verändert werden. Aber genau daran haben Sie of- fensichtlich kein Interesse, der Präventionsgedanke Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der das spielt auch im SGB VII eine viel zu geringe Rolle. Im Gutachterverfahren in der Unfallversicherung be- Gegenteil - mit der Abschaffung des § 20 SGB V im trifft. Nach eingehender Beratung sehen wir ein Be- Rahmen Ihres Sozialabbaupakets entziehen Sie der nennungsrecht beim Versicherungsträger vor sowie Gesundheitsförderung im Betrieb die Grundlage. ein Vorschlags- und Wahlrecht beim Versicherten. Statt dessen wollen Sie die Kranken durch die Kür- Was heißt das? Der Versicherungsträger benennt zung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bestra- mehrere Gutachter und kann dabei auch den Vor- fen und betreiben nackte Interessenpolitik der Ar- schlag des Versicherten berücksichtigen. Der Versi- beitgeberseite, die kurzfristige Kosten sparen will zu cherte darf unter den Vorgeschlagenen, deren Kom- Lasten der Gesundheit und des Schutzes der Be- petenz unstrittig ist, wählen. Ein einseitiges Benen- schäftigten. Um den Arbeitgebern Kosten zu sparen nungsrecht des Versicherten ist nicht akzeptabel, (die statt dessen dann meist die Beitragszahlerinnen weil es sich nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen der Krankenkassen aufbringen müssen), haben Sie vereinbaren läßt. Im Amtsermittlungsverfahren der auch beim SGB VII darauf verzichtet, die Berufs- Unfallversicherung muß der Träger auch bei der Be- krankheitenfrage endlich angemessen zu regeln und auftragung der Gutachter Herr des Verfahrens blei- denjenigen, die an ihrer Arbeit unwiederb ringlich ben, sonst könnte er seiner gesetzlichen Verantwor- krank geworden sind, im Anerkennungsverfahren tung nicht gerecht werden. ausreichende demokratische Rechte zu sichern. Der 9844* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Begriff der Berufskrankheiten muß neu gefaßt wer- pflichtet, eine die Gesundheit fördernde Arbeits- den, denn eine Krankheit ist dann eine Berufskrank- umwelt zu gestalten? Sie hätten die Chance gehabt, heit, wenn im Einzelfall die bet riebliche Verursa- durch ein wirklich zukunftsweisendes Arbeitsschutz- chung wahrscheinlich ist. Neue wissenschaftliche Er- gesetz einen Schritt nach vorne zu machen. Sie ha- kenntnisse müssen zügig in die Entscheidungen der ben diese Chance vertan und einen Schritt in die ent- Berufsgenossenschaften einfließen und Verfahren gegengesetzte Richtung gemacht. verändert werden, die das blockieren. Damit komme ich zum zweiten Punkt meiner Kri- Insbesondere durch das dankenswerte Engage- tik. Sie vergießen hier anläßlich ihres Katalogs der ment des Bundesbeauftragten für den Datenschutz sozialen Grausamkeiten Krokodilstränen über den ist die ursprüngliche Gesetzesvorlage der Bundesre- hohen Krankenstand in den Betrieben. Und was ist gierung im Verlauf der Ausschußberatungen in eini- die Folge? Sie beseitigen die Lohnfortzahlung und gen Punkten sehr verbessert worden. Trotzdem ist kürzen das Krankengeld. Sie ergreifen keine Initia- aus unserer Sicht das Ergebnis keineswegs ausrei- tive, um das Krankwerden am Arbeitsplatz zu be- chend. Deswegen haben wir einen Änderungsantrag kämpfen, Sie bekämpfen die am Arbeitsplatz krank vorgelegt, der umfassende Regelungen anbietet, ge- Gewordenen. Und das ist der eigentliche Zynismus rade zu dem heiklen Problem der Berufskrankheiten- Ihrer Politik. Die einzigen, die Sie schützen, sind die anerkennung, aber auch zur Prävention und Stellung Arbeitgeber. Sie schützen Sie vor einem zeitgemäßen des Sicherheitsbeauftragten und zu einigen Aspek- Arbeitsschutz. Das Weitere regelt dann die einge- ten des Datenschutzes. Dafür bitte ich um Ihre Zu- schränkte Lohnfortzahlung. Und das trifft auch für stimmung. die Einordnung des Rechts der Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch zu. Auch hier verspielen Sie die Chance, die immensen Kosten von Arbeitsunfäl- Manfred Müller (Berlin) (PDS): Zu dem vorliegen- len durch eine Verbesserung der Prävention zu sen- den Gesetzentwurf zur Umsetzung der europäischen ken, sondern sparen zu Lasten der Unfallopfer. Rahmenrichtlinie will ich wegen der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit nur zwei Punkte her- Bei beiden Gesetzesentwürfen wiegen die Ver- ausgreifen: Erstens ist der Entwurf die dürftigste Um- säumnisse und Halbherzigkeiten wesentlich schwe- setzung der EU-Richtlinie, die man sich denken rer als die geringfügigen Verbesserungen. Deshalb kann. Ja, er erfüllt deren Vorgaben in bestimmten werden wir uns der Stimme enthalten. Teilen nicht einmal. Zweitens offenbart dieses Gesetz außerordentlich deutlich, wie wenig es dieser Bun- Manfred Grund (CDU/CSU): Wir beraten heute in desregierung auf den Krankenstand in den Bet rieben 2. und 3. Lesung über das Unfallversicherungs-Ein- ankommt - wie sie uns beim Ang riff auf die Lohnfort- ordnungsgesetz (UVEG). Mit diesem Gesetz wird das zahlung Glauben machen wollte. Unfallversicherungsrecht als Siebtes Buch in das So- Zum ersten Punkt: Die CDU/CSU-Fraktion ist in zialgesetzbuch eingeordnet. Die die Unfallversiche- der letzten Legislaturperiode vor der F.D.P. und den rung tragenden Grundsätze sind unumstritten. Das Arbeitgebern mit dem Entwurf eines Arbeitsschutz- Vorhaben „SGB VII" mußte deshalb nicht mit einer Rahmengesetzes in die Knie gegangen. Was Sie grundlegenden inhaltlichen Reform verbunden wer- heute vorlegen, ist so unverbindlich und vage, daß den. Gegenstand des UVEG ist die rechtssystemati- sich am Arbeitsschutz in den Bet rieben nichts, aber sche Überarbeitung des Unfallversicherungsrechtes, auch gar nichts ändern wird. Was soll eine Formulie- gerade im Hinblick auf den Datenschutz. Zu den rung verändern, in der es heißt: „Die Arbeit ist so zu Neuregelungen gehört u. a. die Erweiterung des Prä- gestalten, daß eine Gefährdung für Leben und Ge- ventionsauftrages des Unfallversicherungsträgers auf sundheit möglichst vermieden und die verbleibende die Abwehr arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren Gefährdung möglichst gering gehalten wird." Ich und die Erweiterung des Versicherungsschutzes in weiß ja, daß Flexibilisierung eines Ihrer Lieblings- Kindertagesstätten. worte ist, aber das sollte Sie nicht auch noch dazu Die Beratungen zum UVEG erfolgen vor dem Hin- verleiten, solche Gummiparagraphen zu produzie- tergrund einer insgesamt sehr erfreulichen Entwick- ren. Dieses doppelte „möglichst" entwe rtet den ge- lung im Bereich der Arbeits- und Wegeunfälle und samten Entwurf, macht die Zielbestimmung unver- im Bereich der Berufskrankheiten: Die Zahl der erst- bindlich und schränkt sogar noch die EU-Richtlinie mals entschädigten Arbeitsunfälle hat sich von 1960 ein. Und nicht nur das, Sie verletzen auch aufs neue bis 1990 halbiert. Die Zahl der tödlichen Arbeitsun- wieder einmal den Einigungsvertrag. In diesem war fälle ist von 1960 bis 1990 um fast zwei Drittel zurück- festgeschrieben worden - ich zitiere -, „den öffent- gegangen. Die Ausgaben der Unfallversicherung lich-rechtlichen Arbeitsschutz in Übereinstimmung sind seit 1950 unter dem Anstieg der Löhne und Ge- mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaften hälter geblieben. Die Kosten der gesetzlichen Un- und dem damit konformen Teil des Arbeitsschutzes fallversicherung liegen zur Zeit bei jährlich ca. der DDR zeitgemäß neu zu regeln." Bevor Sie sich 23 Milliarden Mark. allzu sehr erregen, will ich ja gerne zugeben, daß die Wirklichkeit in den Betrieben der DDR anders aus- Der erfreuliche Rückgang von Arbeitsunfällen und sah, als es das Gesetz vorsah. Was aber hindert Sie von Berufserkrankungen hat seine entscheidende daran, genau aus diesem Grunde und in Erfüllung Ursache im Bemühen der Bet riebe und der Verwal- des Einigungsvertrages ein Gesetz vorzulegen, das tungen, der Unfallversicherungsträger und des Staa- die Arbeitgeber nicht nur auffordert, möglichst Ge- tes, den Arbeitsschutz kontinuierlich zu verbessern. fahren zu vermeiden, sondern ausdrücklich ver- Dieser guten Entwicklung muß alles hinzugerechnet Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9845* werden, was im Bereich der Prävention, der Verhü- sichtsbeamte noch ein gut ausgebauter Verwaltungs- tung von Unfällen und Berufskrankheiten getan apparat. wird. Denn Arbeitsschutz ist nicht nur Schutz vor Un- fällen und Berufskrankheiten, Arbeitsschutz muß Dem Versicherten helfen wir am besten, wenn die sich vorbeugend auf die Verhütung arbeitsbedingter Betroffenen am Feststellungsverfahren stärker als Gesundheitsgefährdungen ausrichten. Denn Präven- bisher beteiligt werden, wenn das Verfahren offen tion, Verhütung, ist eine Investition in die Zukunft. und transparent geführt wird. Deshalb regelt das UVEG nicht mehr nur die grund- Ich bin deshalb der Mehrheit des Sozialausschus- sätzliche Verpflichtung der Unfallversicherungsträ- ses sehr dankbar, daß wir gerade im Bereich Trans- ger zum Schutz der Versicherten gegen Arbeitsun- parenz und Beteiligung gute Lösungen gefunden ha- fälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Ge- ben. Wir konnten uns darauf verständigen, daß die sundheitsgefahren, sondern das geltende Recht wird Versicherten vom Unfallversicherungsträger eine Ko- um die Aufgabe der Gefahrenverhütung erweitert. pie der von den Krankenkassen übermittelten Aus- Die Unfallversicherungsträger werden stärker als kunft verlangen können. Damit wird über das bishe- bisher verpflichtet, Ursache-Wirkung-Beziehungen rige Auskunfts- und Einsichtsrecht hinausgegangen, zu ermitteln. der Versicherte hat Anspruch auf die authentische Form der Auskunftserteilung in Gestalt einer Kopie. Der wohl strittigste Punkt in der Beratung war das Verfahren zur Anerkennung von Berufskrankheiten. Nicht nur in diesem Punkt, sondern bei allen Da- Insbesondere wurden die strenge Kausalität im Hin- tensammlungen und Datenübermittlungen war es blick auf die Entschädigungsvoraussetzungen und notwendig, intensiv mit dem Datenschutzbeauftrag- die angeblich restriktive Entschädigungspraxis im ten der Bundesregierung zusammenzuarbeiten. Da- Bereich der Berufskrankheiten kritisiert. tenschutz ist gerade im Unfallrecht Persönlichkeits- schutz. Die Zusammenarbeit mit dem Datenschutz- - Für die Anerkennung einer Krankheit als Berufs- beauftragten am Zustandekommen dieses Gesetzes krankheit besteht eine strenge Bindung und kein war nicht nur geboten, die Zusammenarbeit war freier Ermessensspielraum, der allenfalls durch finan- auch äußerst konstruktiv und hilfreich. zielle Gegebenheiten begrenzt wäre. Die Einstands- In einem weiteren Bereich werden im Gesetz die pflicht des Sonderversicherungssystems Unfallversi- Rechte der Versicherten gestärkt, und zwar bei der cherung setzt die notwendige Feststellung der Ursa- Auswahl des Gutachters. Im § 200 ist geregelt, daß che-Wirkung-Beziehung und gesicherte medizi- vor Erteilen eines Gutachterauftrages dem Versicher- nisch-wissenschaftliche Erkenntnisse voraus. Das ten vom Unfallversicherungsträger mehrere Gutach- Berufskrankheitenrecht wird ständig weiterentwik- ter zu benennen sind und der Betroffene auf sein Wi- kelt, gerade in jüngster Vergangenheit ist der Er- derspruchsrecht verwiesen wird. In der Begründung kenntnisstand der medzinischen Wissenschaft auch zum § 200 wird ausgeführt, daß auch der Versicherte durch Beteiligung anderer Fachdisziplinen enorm das Recht hat, einen oder mehrere Gutachter vorzu- gewachsen. Gefährdungen, die früher als unbedenk- schlagen. Damit wird für den Versicherten ein Aus- lich galten und weniger beachtet wurden, gelten wahlrecht begründet, und das Verfahren wird trans- heute als Ursache schwerer Gesundheitsschädigun- parenter. Versicherte können aber bereits nach be- gen. stehender Rechtslage Sachverständige ablehnen, wenn die Besorgnis der Befangenheit besteht. Um es noch einmal zu sagen: Damit eine Erkran- kung als Berufskrankheit anerkannt werden kann, Innerhalb der Beratungen zum UVEG haben wir muß die versicherte Tätigkeit die Ursache für die eine Anregung der Industriegewerkschaft Bauen- schädigende Einwirkung sein, und die Einwirkung Agrar-Umwelt aufgenommen. Die ursprüngliche For- wiederum muß ursächlich für die Erkrankung sein. mulierung im § 16 Abs. 2 hätte dazu geführt, daß im Inland tätige ausländische Unternehmen aus der Wenn allerdings eines der beiden Ursachenzusam- Überwachung durch die für die Prävention zuständi- menhänge nicht nachgewiesen werden kann, muß gen Unfallversicherungsträger ausgeschlossen blie- eine Ablehnung des Falles erfolgen. Sowohl durch ben. Nach der nunmehr vorliegenden Fassung des die Anhörung der Sachverständigen als auch durch § 16 Abs. 2 gelten die Unfallverhütungsvorschriften vielerlei Zuschriften und Petitionen wissen wir, daß eines Unfallversicherungsträgers auch für Unterneh- es im Einzelfall für den Versicherten schwierig ist, men und Beschäftigte von ausländischen Unterneh- schlüssig nachzuweisen, daß seine Erkrankung mit men, die eine Tätigkeit im Inland ausüben, ohne ei- der versicherten Tätigkeit ursächlich zusammen- nem inländischen Unfallversicherungsträger anzuge- hängt. Wir wissen auch, daß Versicherte sich wün- hören. schen, daß ihre Anträge auf Anerkennung einer Be- Wir haben im Laufe der Beratungen zu diesem Ge- rufskrankheit schneller und transparenter bearbeitet setz auch die vielfältigen Zuschriften von Kommunen werden. Die Lösung dieser Probleme liegt aber nicht und Feuerwehren berücksichtigt. Im UVEG wird in einer Beweistlastumkehr, nicht im Ersatz der Kau- klargestellt, daß die Errichtung neuer Unfallversiche- salität durch die Installation einer gesetzlichen Ver- rungsträger ausgeschlossen wird, daß aber be- mutung mit der Beweislast bei den Unfallversiche- stehende UVT, wie Feuerwehr-Unfallkassen und Ei- rungsträgern, daß die Krankheitsursache außerhalb genunfallversicherungen, Bestandsschutz haben. der versicherten Tätigkeit angesiedelt ist. Für eine solche Beweisführung nutzen dem Unfallversiche- Zum Organisationsrecht enthält das SGB VII keine rungsträger weder gut ausgebildete technische Auf gravierenden Änderungen gegenüber der RVO. Die 9846* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Organisationsstruktur, insbesondere die Gliederung - eine Mobilität, für die wir im Stau stehen, hinterm der Berufsgenossenschaften nach Branchen, hat sich Steuer sitzen und die angesparte Zeit totschagen, bewährt. Das SGB VII läßt aber die Zusammenle- gung gewerblicher Berufsgenossenschaften und die - ein Leben, in dem es nur noch darum geht, von A Zusammenlegung von Unfallversicherungsträgern nach B zu kommen und den lästigen Raum dazwi- der öffentlichen Hand auf Beschluß ihrer Vertreter- schen möglichst schnell zu überwinden, versammlungen mit Zustimmung der Aufsichtsbe- - eine Lebensart, die die Städte kaputtmacht und hörden zu. Angesichts von gegenwärtig 54 UVT der Straßenraum zu Durchraskanälen degradiert, öffentlichen Hand und 35 gewerblichen sowie 20 landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften ist - einen Teufelskreis, der Menschen vor dem Verkehr durchaus Handlungsbedarf für Organisationsverän- ins Grüne flüchten und damit mehr Zersiedelung derungen gegeben. und mehr Verkehr produzieren läßt, Die Versicherten werden sich auch in Zukunft auf - einen Verkehr, der uns immer mehr die Freiheit eine funktionsfähige, leistungsfähige und finanzier- der Gestaltung unserer individuellen Zeit nimmt, bare Unfallversicherung verlassen können. Mit dem weil wir immer mehr Aufwand betreiben müssen, 7. Buch des SGB wird die Unfallversicherung den Be- um unser ständiges Unterwegssein mit immer kür- dingungen der modernen Industrie- und Dienstlei- zerer Verweildauer an einem Ort zu organisieren stungsgesellschaft angepaßt. und koordinieren. Mobilität, wie wir sie verstehen, ist etwas anderes: die Möglichkeit, sich zu bewegen, Räumlichkeit zu erleben, Nähe zu erfahren. Freiheit, sich zu bewegen Anlage 9 - und es bewußt zu unterlassen. Mobilität ist ein - Grundrecht. Dieses Recht - und nicht etwa der Zu Protokoll gegebene Reden Zwang zum Autofahren - muß das Ziel einer zu- zum Zusatztagesordnungspunkt 16 kunftsorientierten Verkehrspolitik sein. Sie muß da (Antrag: Sozial- und umweltverträgliche Mobilität - sein für alle gesellschaftlichen Gruppen, nicht nur für eine Gestaltungsaufgabe für die Zukunft) die, die ein Auto besitzen: - vor allem für Kinder, die den Spielraum „Straße” Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ auch für ihre Entwicklung brauchen, NEN): Mobil ohne Auto - wir diskutieren heute zu einer Aktionswoche, die von vielen unterschiedli- - für Frauen, die ganz andere Wegebeziehungen ha- chen Gruppen aus der Umweltbewegung, den Kir- ben als Männer und die meisten zu Fuß oder auf chen und Gewerkschaften getragen wird. dem Fahrrad unterwegs sind, Die rund 600 örtlichen Gruppen, die den diesjähri- - für alte Menschen, die den Lebensraum vor ihrer gen Aktionstag durchführen, zeigen, daß es eine Tür zur Aufrechterhaltung ihrer sozialen Beziehun- breite soziale Basis für eine Mobilität ohne Auto gibt. gen benötigen, Mehr als eine halbe Million Teilnehmer strafen dieje- - für Seh- und Körperbehinderte, deren Recht auf nigen Lügen, die immer noch behaupten, die Leute wollten ja nichts mehr als Autofahren. selbstbestimmte Fortbewegung eine demokrati- sche Selbstverständlichkeit sein muß. Sie haben die Nase voll Diese Mobilität ist umweltverträglich. Denn ihr - von dem bunten Blech, das ihnen die Innenstädte Herzstück ist die Verkehrsvermeidung: Wir müssen verstopft, Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Freizeit - Leben! - wieder zusammenführen. - von dem Lärm, der einen als Fußgänger die Spra- che verschlägt, Die prognostizie rten Verkehrszuwächse können wir uns nicht mehr leisten. Schon heute kostet uns - von dem Ozon, das einem die Tränen in die Augen der Verkehrsbereich bereits 250 Milliarden Mark im treibt und die Kehle zuschnürt, Jahr, über 8 000 getötete und 500 000 verletzte Men- - und von der Unfallgefahr, die den Kindern die schen, unzählige zubetonierte Landschaften, ver- Spielräume bis zur Bewegungslosigkeit beschnei- nichtete Lebensräume. Dieser Verkehr, diese - Ihre - det. Verkehrspolitik frißt uns auf. Die herrschende Politik versucht, uns zu verkau- Das Auto muß gebändigt werden. Es darf nicht län- fen, daß das Wachstum von Entfernungen, von Ge- ger in unserem Lebensraum wildern und uns die Le- schwindigkeiten und Autos uns insgesamt eine hö- bensgrundlagen rauben. Aus dem Raubtier muß ein here Mobilität, mehr Zeit und damit mehr Lebens- Haustier werden. qualität beschert hätte. Dazu müssen wir weg von der Betonlogik der Bun- Aber was ist das für eine Lebensweise - immer desverkehrswegepläne , hin zum Bundesverkehrs schneller, immer weiter, immer hektischer, immer ge- plan, der gesellschaftliche Mobilität durch intelli- fährdeter -, ein Leben auf der Überholspur, einge- gente Vernetzung der umweltfreundlichen Verkehrs- klemmt zwischen Dränglern und 40-Tonnern? Wir träger - sowohl in städtischen wie ländlichen Räu- schaffen uns selbst damit men - möglich macht, der unnötigen Verkehr vermei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9847* det und alle gesellschaftlichen Gruppen und sozialen Unsere Politik hingegen will sicherstellen, daß alle Schichten gleichberechtigt teilhaben läßt. Bevölkerungsschichten Auto fahren können. Mobilität, Herr Minister Wissmann, das ist nicht Oder: Ist es sozialverträglich, wenn die vielen Aus- zuletzt die Einsicht, daß der Kopf rund ist, damit das pendler, die mitunter weite Wege zu ihrem Arbeits- Denken die Richtung wechseln kann (Francois Picca- platz haben und auf die Benutzung ihres Autos ange- bia). wiesen sind, eine gewaltige Kürzung der Kilometer- pauschale hinnehmen müssen? Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU): „Sozial- und umwelt- Laut Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verträgliche Mobilität - eine Gestaltungsaufgabe für „Einstieg in eine ökologisch-soziale Steuerreform" ist die Zukunft" ist nicht nur ein wichtiges, sondern eine Absenkung des Pauschsatzes zunächst auf auch ein hochinteressantes und spannendes Thema. 50 Pfennig/km und schrittweise auf 20 Pfennig/km Ich freue mich, daß die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- vorgesehen. nen in ihrem Antrag anerkennt, daß „Mobilität ein Bedürfnis des Menschen sowie ein wichtiger Stand- Oder: Ist es sozialverträglich, wenn Millionen von ort- und Wirtschaftsfaktor" ist. Menschen, die bisher das Flugzeug benutzten, um ihre Traumstrände zu erreichen, künftig hierauf ver- Anstatt aber nun die richtigen und wichtigsten zichten sollen, weil dieser Lebensstil nicht in das Handlungsfelder anzusprechen, die zur Erreichung Konzept einer sozial- und umweltverträglichen Mo- dieser Maxime notwendig sind, legt die Fraktion bilität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen paßt? Bündnis 90/Die Grünen einen Forderungskatalog vor, dem nur sehr schwer etwas Neues zu entnehmen Oder: Ist es umweltverträglich, wenn in Ver- ist: kehrsstaus - lt. ADAC verbringt jeder Pkw-Fahrer bereits 65 Stunden/Jahr im Stau - eine ungeheure - schrittweise Erhöhung der Mineralölsteuer, Menge Kraftstoff sinnlos vergeudet wird? Studien (BMW-Stau-Studie) besagen, daß die Zeitverluste - Umwandlung der Kilometerpauschale in eine ver- durch Staus auf deutschen Autobahnen jährlich kehrsunabhängige Entfernungspauschale, volkswirtschaftliche Kosten von 202 Milliarden DM - Zurückdrängung des Autoverkehrs aus den Innen- verursachen. Hinzu kommen 17 Milliarden DM für städten, den Kraftstoffmehrverbrauch (17 Milliarden DM ent- sprechen ca. 13 Milliarden Liter Benzin). - Einführung eines Tempolimits und Oder: Ist es umweltverträglich, dem umweltver- - Schaffung eines gesetzlichen Rahmens für Abga- träglichsten Verkehrsträger schlechthin - der Bin- ben auf ruhenden und fließenden Verkehr auf nenschiffahrt - höhere Kosten aufzuerlegen (s. „Ein- kommunaler Ebene. stieg in eine ökologisch-soziale Steuerreform" Frak- Unschwer ist auch zu erkennen, daß es sich hierbei tion Bündnis 90/Die Grünen)? um eine weitere Kampagne gegen das Auto handelt. Allein diese wenigen Fragen zeigen, daß hinter Es ist durchaus nachvollziehbar, wenn sich der Auto- dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fahrer durch diesen Antrag wieder einmal als Melk- kein schlüssiges Konzept steht. kuh der Nation fühlt. Mit Steuererhöhungen und Verboten allein lassen Von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden sich die anstehenden Probleme wie Einschnitte bzw. Beschränkungen der Mobilität ins- besondere im Straßenverkehrsbereich gefordert. - sozial- und umweltverträgliche Mobilität, Letztendlich aber geht es einzig und allein darum, - Sicherung des Standortes Deutschland, durch eine kräftige Verteuerung des Straßenverkehrs die Mobilität weiter Kreise unserer Bevölkerung ein- - Abbau der Arbeitslosigkeit und zuschränken. - Bewältigung sozialer Probleme Da diese sog. vorsorgende Mobilitätspolitik ökolo- gisch, ökonomisch und auch aus sozialer Sicht ak- nicht lösen. zeptabel sein soll - wie es im Antrag der Fraktion Wir alle wissen, daß eine gute Wirtschaftspolitik Bündnis 90/Die Grünen formuliert ist -, ergeben sich gleichzeitig auch eine gute Sozialpolitik ist. Und wir zwangsläufig viele Fragen, z. B.: Ist es sozialverträg- alle wissen auch, daß Wirtschaft und Verkehr wie sia- lich, wenn die Mineralölsteuer so erhöht wird, daß mesische Zwillinge sind. Selbstverständlich hat jedes das Autofahren zum Privileg und selbst der Durch- Wirtschaftswachstum auch steigende Verkehrsmen- schnittsverdiener zum Mobilitätsverzicht gezwungen gen zur Folge. Allerdings scheinen einige Politiker wird? Denn der „Einstieg in eine ökologisch-soziale immer noch zu glauben, daß wachsende Verkehrs- Steuerreform" (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen) mengen - d. h. die Transportbedürfnisse der Wirt- sieht die Einführung folgender Steuern vor: schaft und die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen - - Ökosteuer: einfache Stellschrauben sind, die man je nach Welt- 1996: +50 Pfennig/Liter anschauung herauf- oder herunterdrehen kann. Diese Auffassung ist nicht nur grundsätzlich falsch, und in den Folgejahren: +30 Pfennig/Liter sondern auch außerordentlich gefährlich für die wei- - Energiesteuer: tere Entwicklung des Standortes Bundesrepublik nach Einführung: +0,5 Pfennig/Liter Deutschland. 9848' Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Nur ein ausgewogenes Verkehrssystem, in dem den zu besuchen, all das sind legitime Verkehrsbe- alle Verkehrsträger ihren spezifischen Vorteilen ent- dürfnisse ebenso wie der Transport von Rohstoffen sprechend optimal eingesetzt werden, kann dazu und Produkten zwischen den Bet rieben der Wirt- beitragen, den Standort Deutschland langfristig zu schaft. sichern und ihn im europäischen und weltweiten Wettbewerb dauerhaft konkurrenzfähig zu halten. Mobilität ist also unverzichtbar in der modernen Daher müssen die wichtigsten Handlungsfelder einer Gesellschaft. Sie ist aber kein Wert für sich. Vielmehr modernen Verkehrspolitik auch weiterhin sein: ist ein Übermaß an Bewegung, die hektische Fluk- tuation großer Mengen von Personen und Gütern 1. Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung, intel- auch eine Bedrohung des Lebenswertes der Stadt- ligente Vernetzung der Verkehrsträger unter ver- teile, Gegenden und Biotope, die durch den Verkehr stärktem Einsatz von Telematik, berührt werden. Ruhe, Sich-Ausruhen, In-Sich-Ru- hen, Verkehrsruhe stellen ebenso Werte dar wie das 2. Ausbau und Nutzungsoptimierung der Verkehrs- sinnvolle Erreichen von Zielen. infrastrukturen, 2. Der Fortschritt, unabhängig von Fahrplänen den 3. Marktkonforme Ausgestaltung staatlicher Rah- eigenen Weg mit einer selbstgesteuerten Kabine zu menbedingungen, suchen, Gepäck, Güter, mehrere Personen mitzuneh- 4. Entwicklung umweltschonender Technologien im men, hat unsere Gesellschaft und Zivilisation zutiefst Verkehrsbereich, geprägt und ist nicht rücknehmbar. Das Auto ist Be- standteil der Industriegesellschaft. Mit dem Versuch 5. Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des öffentli- einer autogerechten Organisation, der immer stärke- chen Personenverkehrs, ren Ausrichtung ihrer Strukturen auf den Autover- 6. Stärkung der Wettbewerbskraft der deutschen kehr aber zerstört die Gesellschaft gleichzeitig Le- Verkehrswirtschaft. bensqualität, deren Erreichung sie mit Hilfe des Au- tos anstrebt. Die aufgeführten Handlungsfelder entsprechen der Politik der Bundesregierung und der sie tragen- Wir müssen dieses Verkehrsmittel herunterholen den CDU/CSU-Bundestagsfraktion. vom Altar des Goldenen Kalbes, um das sich alles dreht, und es auf eine dienende Funktion verweisen. Den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Das bedeutet, Sicherheitsgefahren zu minimieren „Sozial- und umweltverträgliche Mobilität - eine Ge- und den Verbrauch knapper Ressourcen wie Luft, staltungsaufgabe für die Zukunft" lehnen wir ab, da Lärmfreiheit, Boden, Treibstoff, Rohstoffe und Ener- er alles andere tut, aber nicht dazu beiträgt, die Zu- gien für die Produktion des Autos. Das bedeutet kunft zu gestalten. auch, sich zu beschränken in der Nutzung dieses Verkehrsmittels, bedeutet eine Verpflichtung der Konrad Kunick (SPD): Die SPD-Fraktion im deut- Politik, andere Verkehrssysteme anzubieten für die schen Bundestag begrüßt die Initiative von Umwelt- Erschließung des ländlichen Raumes durch Bus und verbänden, kirchlichen Gruppen und Bürgerinitiati- Bahn, den Bau und Bet rieb leistungsfähiger Straßen- ven für einen freiwilligen autofreien Sonntag am bahnen und Schnellbahnen in den Städten und Bal- 16. Juni 1996 nach dem Motto „Mobil ohne Auto". lungsräumen, wie auch die Förderung des Fahrrad- Wir Sozialdemokraten unterstützen diese Aktion und verkehrs durch Herstellung eines guten Fahrradwe- fordern dazu auf, an diesem Tage „Schnupperurlaub genetzes und Privilegierung dieser umweltfreundli- vom Auto" zu nehmen und statt dessen sich auf ei- chen Verkehrsart. gene Kraft zu besinnen, in die Pedale zu treten, die Es geht auch um die Menschenfreundlichkeit des Angebote des öffentlichen Nahverkehrs anzuneh- städtischen Lebensraumes: Autoverkehr verdrängt men und zu Fuß die Umgebung auf Wanderungen Menschen, autofreie Räume laden zum Leben ein. Es und Spaziergängen zu ergründen. muß Schluß sein mit der Opferung von Architektur Wir Sozialdemokraten unterstützen den zur De- und Urbanität für den Autoverkehr. Fußgänger, Rad- batte stehenden Antrag, der weitgehend mit unseren fahrer, Straßenbahnen sollen Vorrang in der Stadt ha- Beschlüssen und verkehrsökologischen Absichten ben. Leben in der Stadt muß wieder attraktiver wer- übereinstimmt, und hoffen, daß der Bundestag durch den, als wegzusiedeln, weil die heutige Stadt krank eine breite Zustimmung die Initiatoren der Aktion macht. „Mobil ohne Auto" ermutigt. Die Zerstörung der Städte durch den Autoverkehr, Angesichts der Fülle der Tagesordnung möchte ich die Opferung von immer mehr Landschaftsraum, die mich auf einige wenige Punkte zur wünschenswer- ständig wachsenden Staus, die Belastung der Luft ten Zukunftsentwicklung des Verkehrssystems be- durch Autoabgase, die Toten und Verletzten des schränken: Straßenverkehrs stehen für den hohen Preis, den eine autogläubige Gesellschaft für ihre Mobilität in 1. Die Möglichkeit der Mobilität, d. h. die Möglich- Anpassung an das Auto entrichtet hat und entrichtet. keit, ferne Ziele und Ziele in der Region oder in der Es ist deshalb höchste Zeit, eine neue Verkehrspoli- eigenen Stadt zu erreichen, ist ein Stück Lebensqua- tik für ein menschenfreundlicheres, die Natur scho- lität. Die Entfernung zu Freunden, Verwandten, Ur- nendes Gesamtverkehrssystem durchzusetzen. laubszielen bequem zu überwinden, aus dem ländli- chen Raum zum Arbeitsplatz zu gelangen, Theater 3. Mit der Aktion „Mobil ohne Auto" geht es uns und Kultur, Einkaufsziele, Lokale, Erholungsgegen- darum, den demokratischen Prozeß des Umdenkens Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9849' zu fördern, neue Verhaltensweisen einzuüben, Re- Drei Beispiele: formpotentiale zu stärken. - Jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland hängt di Das Fahrrad gehört allemal zu den intelligentesten rekt oder indirekt von der Automobilindustrie ab. Verkehrsmitteln, die der Mensch erfunden hat: Al- lein mit seiner Kraft erweitert er seinen fußläufigen - Zwischen 1960 und 1990 resultierten 50 Prozent Radius um ein Vielfaches, ohne Abgase und mit ei- des Produktivitätswachstums aus den Steigerun- nem geringen Materialaufwand kommt er leicht gen der Straßenverkehrsleistungen. voran, betätigt sich sportlich und tut etwas für seine - Das Bruttoinlandsprodukt im Jahre 1990 wäre Gesundheit. ohne die Zunahme der Verkehrsleistungen um Dieses schöne Verkehrsmittel sollten möglichst 700 Milliarden DM geringer ausgefallen. viele Bürgerinnen und Bürger am 16. Juni, einem Eine Abkopplung des Wirtschaftswachstums vom hoffentlich sonnigen Sonntag, für ihre Ausflüge be- Verkehr kann daher nicht der richtige Weg sein. nutzen und damit gleichzeitig demonstrieren für ein Gesamtverkehrskonzept, in dessen Mittelpunkt der Zwei Bereiche des Verkehrs stehen im Mittelpunkt Mensch, seine Gesundheit, seine Lebensräume und des vorliegenden Antrags, denen mit verkehrspoliti- eine sinnvolle Mobilität stehen. schen Holzhammermethoden wie drastischen Ver- teuerungen und Verboten der Garaus gemacht wer- Wir Sozialdemokraten werden dabei sein. den soll. Sowohl der Individual- als auch der Straßen- güterverkehr werden zum Sündenbock jedweder Verkehrs- und Umweltproblematik gemacht. Der Horst Friedrich (F.D.P.): Es ist erstaunlich, wie die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen von einer ÖPNV und der Schienengüterverkehr werden dem- grundsätzlich richtigen These zu zum Teil völlig fal- gegenüber als heilige Kühe gefeiert, die imstande sind, das Paradies auf Deutschlands Straßen zu brin- schen Ergebnissen kommt. In dem vorliegenden An-- trag ist im zweiten Absatz zu lesen: „Mobilität ist ein gen. Bedürfnis des Menschen sowie ein wichtiger Stand- Leider fehlt an dieser Stelle der Raum, um sich de- ort- und Wirtschaftsfaktor" . So weit, so gut. tailliert mit diesen Fehleinschätzungen auseinander- zusetzen. Daß die Möglichkeiten, die der ÖPNV als Anstatt aber im folgenden - ausgehend von dieser Instrument zur Vermeidung eines seit 30 Jahren dro- Feststellung - Vorschläge zu machen, wie sowohl das henden, aber bisher nie eingetretenen Verkehrskol- Bedürfnis nach als auch die ökonomische Bedeutung laps besitzt, auch in den Reihen der Verkehrswissen- der Mobilität sozial- und umweltverträglicher gestal- schaft vernünftiger eingeschätzt werden, verdeut- tet werden könnte, schlagen die Grünen Maßnah- licht folgendes Zitat von Prof. Kutter vom Deutschen men vor, die der gesellschaftlichen und wirtschaftli- Institut für Wirtschaftsforschung: chen Realität hohnsprechen. Der ÖPNV wird immer ineffizienter. Um immer Es ehrt den Deutschen Bundestag, wenn ihm die kleinere Gruppen zu bedienen, muß er immer Grünen die Möglichkeit zuschreiben, über Jahr- mehr in die Fläche gehen. Reparatur und In- zehnte andauernde Entwicklungen mit Hilfe eines standhaltung fressen immer mehr Geld - und ir- Antrags umkehren zu können. Die Trennung von Ar- gendwann kann es keinen Ausbau mehr geben, beit und Wohnen, das arbeitsteilige Wi rtschaften, die weil ihn sich niemand mehr leisten kann. Zwi- Erschließung des Lebensraumes sind aber sicher schen den Zentren und den Satelliten wird der nicht einer - in den Augen der Antragsteller - ver- ÖPNV erfolgreich sein, zwischen den Satelliten fehlten Politik zuzuschreiben, sondern das Ergebnis wird er nie kommen; denn er kann nicht alle be- langfristiger sozioökonomischer Entwicklungen, auf dienen. die die Politik nur bedingt Einfluß hatte und hat. Verkehr mit all seinen - auch negativen - Ausprä- Vor dem Hintergrund eines nach den Wünschen gungen ist gleichsam Folge und Katalysator dieser der Grünen drastisch verteuerten Individualverkehrs Entwicklungen. Es wäre sicher wünschenswert, hätte dies zwangsläufig eine sinkende Mobilität vor künftige Raumordnungsverfahren auch unter der allem der Ärmeren zur Folge. Ist das gewollt? Prämisse Verkehrsvermeidung zu erarbeiten. Der Forderung nach einer Umkehr der Bahnreform Hierauf sollte auch nach Ansicht der F.D.P. ver- und einer 100prozentigen Verlagerung des Güterver- stärkt Wert gelegt werden. Neue Siedlungskonzepte kehrs auf die Schiene kann mit Blick auf die tatsäch- werden aber erst in Jahren oder Jahrzehnten greifen. lichen Gegebenheiten nur mit Kopfschütteln begeg- Es wird kaum möglich sein, qua Gesetz und im nach- net werden. Eine restriktive Politik zu Lasten des hinein bestehende Siedlungsstrukturen einfach zu Straßengüterverkehrs steht im Gegensatz zu dessen verändern. Unternehmen in Wohngebieten oder dynamischer Entwicklung - trotz erheblicher Kosten- Pendler den Innenstädten ansiedeln zu wollen, ist steigerungen in der jüngsten Vergangenheit. unrealistisch. Der stetig steigende Bedeutungszuwachs ist die Somit bleibt der Verkehr grundsätzlich eine der Folge grundlegender struktureller Veränderungen in notwendigen Voraussetzungen für Arbeit, Wohlstand Industrie und Handel. Während die Produktion hoch- und Freizeit - quasi das Schmiermittel unserer Ge- wertiger Investitions- und Konsumgüter gestiegen sellschaft. Dieser externe Nutzen des Verkehrs ist, ging die Produktion niedrigwertiger Massengüter kommt bei den Diskussionen um Verkehrsvermei- zurück. Der Straßengüterverkehr kann aber weitaus dung oder -verlagerung leider immer zu kurz. flexibler auf die neuartige Produktpalette reagieren. 9850* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Zitat: Städte - die Stadt Marburg an der Lahn und Berlin - die damalige Presse durchgesehen. In beiden Fällen Die wirtschaftlich herausragenden Leistungs- war das Ergebnis dasselbe: möglichkeiten des Straßengüterverkehrs haben sich gerade in der jüngsten Vergangenheit wie- Vor den autofreien Sonntagen wurde von offizieller der gezeigt: Die Revitalisierung von Ostdeutsch- Seite und in Massenmedien ein Horrorszenario von land und der osteuropäischen Staaten wäre ohne Immobilität und Chaos an die Wand gemalt. Es gab Nutzfahrzeugverfügbarkeit nicht möglich gewe- offen rassistische Hetze - gegen „die Scheichs", die sen. Der Lkw stellt einen logistischen Potential- „den Ölhahn abdrehen". faktor für die Wettbewerbsfähigkeit von Wi rt -schaftszweigen und Regionen dar. Mit dem Zeitpunkt des ersten autofreien Sonntags - und ich betone: das waren so gut wie völlig auto- (Prof. Gerd Aberle, 23. Mai 1996) freie drei Sonntage - kippte die Stimmung komplett Eine Politik gegen den Straßengüterverkehr und um: Es überwog die Zustimmung. In Berlin brachte eine ökonomisch nicht zu legitimierende Bevorzu- die F.D.P. einen Vorschlag ein, den Kudamm generell zur autofreien Zone zu erklären. In Marburg wurden gung der Bahn gefährdet aber nachhaltig den Wi rt -schaftstandort Deutschland und hunderttausende ge- Stimmen zitiert, wonach Familienväter end lich mal werbliche Arbeitsplätze im Verkehrssektor. wieder Zeit für die Familie und für einen Spazier- gang gefunden hätten. In den Niederlanden ergab Arbeitsplatzvernichtung, Verstaatlichung, Abkas- zum gleichen Zeitpunkt eine Meinungsumfrage eine sieren - eine solche Politik ist mit der F.D.P. nicht zu klare Mehrheit für die Beibehaltung autofreier Sonn- machen. Daher lehnen wir den vorliegenden Antrag tage. ab. Es kam anders. Und es kam so, daß heute die Städte im Autoverkehr ersticken und dennoch - so Dr. Winfried Wolf (PDS): „Mobil ohne Auto" - das- das neue Grünbuch der Europäischen Union - erscheint vielen in der Bevölkerung und vielen Mit- die Durchschnittsgeschwindigkeit im motorisierten gliedern dieses Bundestages als eine nicht umsetz- Stadtverkehr auf das Niveau des Verkehrs mit Pfer- bare Forderung. defuhrwerken gesunken ist: 15 bis 20 km/h Durch- Wenn jetzt unter Schirmherrschaft der Bundesre- schnittsgeschwindigkeit gilt hier, über den Tag ge- gierung ein solcher autofreier Sonntag - für den rechnet, bereits als guter We rt. 16. Juni - propagiert wird, kommt dieses wichtige „Mobil ohne Auto" ist eine unterstützenswerte In- Projekt einer tödlichen Umarmung nahe. Just dieser itiative. Der Antrag der Kollegin Gila Altmann und Tage flattert uns die neue Broschüre „Reisezeit" des der Grünen ist ausgezeichnet und wird von uns Bundesverkehrsministeriums in die Büros. Obgleich ebenso unterstützt. Verkehrsminister Wissmann anscheinend neutrale Begriffe wie „Verkehrskalender" und „Ratgeber" für die Fahrt in den Urlaub wählt, so meint er doch auf 16 buntbedruckten und in hoher Auflage verbreite- ten Seiten immer nur Reisen im privaten Pkw: Infor- Anlage 10 miert wird über Autobahnstrecken und nicht über Urlaub ohne Auto. Gewarnt wird vor Autobahnbau- Zu Protokoll gegebene Reden stellen - kein Wort zu Urlaub mit der Bahn. zu Tagesordnungspunkt 11 Das ist ehrlicher als die Unterstützung für „Mobil (a - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung ohne Auto". Allein im Zeitraum 1990 bis 1996 stieg des Wasserhaushaltsgesetzes; die mit Pkw zurückverlegte Leistung nochmals um b und c - Hochwasserkatastrophe - Hilfen und rund 20 Prozent, der Luftverkehr wuchs sogar um Möglichkeit vorbeugender Maßnahmen; 35 Prozent. Gleichzeitig wird der Schienenverkehr d - Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über immer unattraktiver. die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch und Dieser Tage berichtete die „Süddeutsche Zeitung": Antrag: Vorsorgender Gewässer- und Trinkwasser Aus einer DB-internen Verspätungsstatistik .. . schutz in der Europäischen Union), geht hervor, daß von 108 IC/EC-Zügen lediglich zum Zusatztagesordnungspunkt 17 64,3 Prozent pünktlich oder bis 5 Minuten ver- (Antrag: Abwassereinleitung aus Schiffen spätet waren. 17 Prozent hatten bis zu 10 Mi- in Binnenwasserstraßen) nuten, zwölf Prozent gar mehr als 20 Minuten und zum Zusatztagesordnungspunkt 18 Verspätung. (Antrag: Sanierung des Wasserhaushaltes in den Lausitzer und Ich erinnere mich gut an das Jahr 1973 und die er- Mitteldeutschen Braunkohlenrevieren) sten autofreien Sonntage in Westdeutschland. Diese waren Ergebnis eines ökonomischen Drucks; Stich- worte: Ölkrise, Anstieg des Öl-Weltmarktpreises und Staatsminister Dr. Thomas Goppel (Bayern): Es ist Ölverknappung. das besondere politische Anliegen Bayerns, durch die Neugestaltung des Wasserhaushaltsgesetzes ei- Doch das Interessante war: Die autofreien Tage nen wirkungsvollen Gewässerschutz zu erreichen, wurden nicht negativ bilanziert. Ich habe diese der auch dem Wirtschaftsstando rt Deutschland ge- meine Erinnerung neulich aufgefrischt und für zwei recht wird. Dabei ist die Beachtung des Verhältnis- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9851* mäßigkeitsgrundsatzes bei den Anforderungen an Technik" zu verstehen ist. Blankoschecks können Abwassereinleitungen Dreh- und Angelpunkt des und dürfen wir nicht unterschreiben! Baye rn wird im Gewässerschutzes. Genauso entscheidend für den übrigen die Nr. 1 des vorgeschlagenen Entschlie- Gewässerschutz ist es aber auch, die wasserrechtli- ßungsantrags, wonach in der künftigen Rechtsver- chen Verfahren wieder auf das notwendige Maß zu- ordnung für die Mindestanforderungen nach § 7 a rückzuführen. keine erhöhten Anforderungen an die kommunale Abwasserbehandlung festgeschrieben werden, sehr Das ist der Grund, warum der Freistaat Bayern genau bei der Verordnungsgebung beachten. eine entsprechende Bundesratsinitiative zur Ände- rung des Wasserhaushaltsgesetzes startete, die ich Weiterhin ging es dem Freistaat Baye rn um den heute — Pardon: endlich — in diesem Hohen Hause Abbau überzogener Verfahrenserfordernisse im was- vertreten darf. serrechtlichen Vollzug. Vor allem soll nach der Neu- fassung des § 31 Absatz 3 Wasserhaushaltsgesetz bei Der heute abschließend zu beratende Entwurf des planfeststellungspflichtigen Gewässerausbauvorha- Gesetzes hat einen langen Weg hinter sich. Die im ben die kostenintensive Umweltverträglichkeitsprü- September 1993 dem Bundesrat von uns vorgelegte fung künftig auf diejenigen Ausbauvorhaben be- Initiative zur Anpassung des Wasserhaushaltsgeset- schränkt werden, die auf Grund ihrer Bedeutung und zes unterfiel wegen der auslaufenden Legislaturperi- ihrer Auswirkungen auf die Umwelt eine solche Prü- ode leider der Diskontinuität. fung auch rechtfertigen. Für den naturnahen Ausbau Schon im ersten Anlauf stand die stärkere Berück- bei Teichen und kleinräumige naturnahe Umgestal- sichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei tungen wie die Beseitigung von Bach- und Graben- den Mindestanforderungen nach § 7 a Wasserhaus- verrohrungen sollen damit Umweltverträglichkeits- haltsgesetz an bereits bestehende Abwassereinlei- prüfungen entfallen. Materielle Abstriche für den tungen, wie er nun in der beabsichtigten Neufassung Umweltschutz sind mit diesem wesentlichen Beitrag des § 5 enthalten ist, im Vordergrund. Es ist aus baye- für die Vereinfachung wasserrechtlicher Verfahren rischer Sicht untragbar, wenn bei Nachrüstungen auf nicht zu befürchten. Grund der Verschärfung der Mindestanforderungen Schließlich sollte aus bayerischer Sicht durch die für eine ganze Industriebranche im Einzelfall der Änderungen der §§ 23 und 33 Wasserhaushaltsge- Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keine Berücksichti- setz, wie sie im heute zu beratenden Gesetzentwurf gung findet, obwohl in diesem speziellen Fa ll der Ge- enthalten sind, für die Länder die Möglichkeit eröff- wässerschutz gar nicht bedroht ist. net werden, künftig das Einleiten von wenig ver- Die diskutierte Verschärfung von Mindestanforde- schmutztem Niederschlagswasser in oberirdische rungen an Abwassereinleitungen aus der Textilher- Gewässer bzw. das Grundwasser für erlaubnisfrei zu stellung ist dafür ein gutes Beispiel. erklären. Dieses Wasser darf nicht „wegkanalisiert" werden; es kann und soll nach unserer Auffassung Das Ganze wird noch problematischer, weil nach an Ort und Stelle verbleiben. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Mindestanforderungen künftig durch Rechtsver- Ich stelle die Schwerpunkte der bayerischen Bun- ordnung und nicht mehr durch Verwaltungsvor- desratsinitiative zur Änderung des Wasserhaushalts- schriften festzulegen sind. Gerade auch deshalb ist gesetzes bewußt so stark heraus, um deutlich zu ma- der auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßig- chen, was Auslöser und Zielsetzung der Ihnen heute keitsgrundsatz bei nachträglichen zusätzlichen An- zur Beratung vorliegenden Novelle war und ist, forderungen an vorhandene Abwassereinleitungen auch, welche Veränderungen eingetreten sind. Eine unmittelbar im Wasserhaushaltsgesetz zu verankern. Deregulierung gerade auch im Wasserrecht und die Auch die nach § 7 a Absatz 2 beabsichtigten bran- Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei chenbezogenen Verhältnismäßigkeitsregelungen bei der Nachrüstung bestehender Abwasserbehand- nachträglichen zusätzlichen Anforderungen an vor- lungsanlagen stärken ohne Zweifel den Wirtschafts- handene Abwassereinleitungen können die Einzel- standort Deutschland. Sie heben aber den Gewässer- fälle nicht erfassen, bei denen der Aufwand zusätzli- schutz nicht auf. Ganz im Gegenteil: sie dienen ei- cher Anforderungen außer Verhältnis zum für den nem Gewässerschutz mit Augenmaß, der das Not- Gewässerschutz angestrebten Erfolg steht. wendige tut, das Überflüssige aber unterläßt. Die Neufassung des § 7 a Absatz 1 mit dem einheit- Angesichts der Notwendigkeit, die aufgezeigten lichen „Stand der Technik" und die Verankerung des Anliegen einer Lösung zuzuführen, konnte auf die Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in § 5 sind deshalb bayerische Initiative nach dem „Fehlschlag" aus der als Gesamtpaket der Novellierung anzusehen. Sie letzten Pe riode nicht verzichtet werden. Der bayeri- sind nicht voneinander zu trennen. Nur Verhältnis- schee Bundesratsantrag vom 11. Dezember 1994 war mäßigkeitserwägungen im Einzelfall rechtfertigen daher nur folgerichtige Konsequenz. sehr hohe Reinigungsanforderungen generell. Die nachfolgenden parlamentarischen Beratungen Noch einmal muß ich unterstreichen: Die Einfüh- hier in Bonn haben bestätigt, daß das bayerische rung des einheitlichen Niveaus „Stand der Technik" Grundanliegen letztlich von den betroffenen Kreisen für Mindestanforderungen an Abwassereinleitungen erkannt und unterstützt wird. Deutlich wurde dies in § 7 a Absatz 1 kann allerdings nur mitgetragen durch die in das vorliegende Änderungsgesetz auf- werden, wenn gleichzeitig in Abs. 5 die Definition genommenen Vorschläge der unabhängigen Exper- unter Verweis auf den Beschluß des Umweltaus- tenkommission zur Vereinfachung und Beschleuni- schusses aufgenommen wird, was unter „Stand der gung von Planungs- und Genehmigungsverfahren 9852* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 unter Leitung von Prof. Schlichter, die unter anderem Das Technikniveau, das in den kommunalen Klär- auch die im Gesetzentwurf vorgesehene Ergänzung anlagen angewandt werden soll, wird bekanntlich des § 5 zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz enthal- zwar im Gesetz beschrieben, aber nicht endgültig de- ten. Auch die öffentliche Anhörung von Sachverstän- finiert. Die eigentliche Definition erfolgt im Anhang 1 digen durch den Umweltausschuß des Deutschen zum Gesetz, der in Zukunft nicht mehr als Verwal- Bundestages am 25. September 1995 zeigte deutlich tungsvorschrift, sondern dem europäischen Willen die Notwendigkeit zu einer Neugestaltung der An- folgend als Rechtsverordnung das Anforderungsni- forderungen an die Abwassereinleitungen in Form veau festlegen wird. Nach dem Willen des Bundesge- einer akzeptablen Gesamtlösung. Der lange Weg der setzgebers, und das wird durch eine von einer ganz Wasserhaushaltsgesetzänderung war damit auch breiten Mehrheit des Bundestages getragene Ent- eine Chance, ein Gesetz zu gestalten, das gleich schließung bestätigt, aber auch von Bundesrat und auch diese Vorstellungen aufnimmt. Bundesregierung bekräftigt, soll inhaltlich an diesen Anforderungen nichts geändert werden. Lassen Sie mich zum Schluß noch die Nr. 3 des vor- geschlagenen Entschließungsantrags aufgreifen. Mit Ich glaube, daß das aus zwei Gründen besonders ihr wird die Bundesregierung aufgefordert, sich auf erwähnenswert ist: einerseits, weil dadurch die Be- der Ebene der Europäischen Union für eine Verein- fürchtungen, aber auch die Behauptungen von Kom- heitlichung der vorgeschriebenen Überwachungs- munen entkräftet werden, daß das Reinigungsniveau und Probenahmeverfahren in bezug auf die Einhal- und damit die Kosten immer weiter hochgeschraubt tung der EG-Grenzwerte zur Abwasserbehandlung werden sollen; andererseits - und das ist fast noch einzusetzen - ein Antrag, der selbstverständlich zu bemerkenswerter - zeigt das den Abschluß einer um- unterstützen ist. weltpolitischen Erfolgsstory sondergleichen, die sich vor 20 Jahren zwar viele erhofft, aber nur wenige vor- Dies rührt an das Grundproblem, daß die derzeit stellen konnten, der Tatsache nämlich, daß wir bei vorliegenden EG-Wasserrichtlinien insgesamt un- den kommunalen Kläranlagen, wenn denn alles um- übersichtlich und teilweise widersprüchlich sind. Es gesetzt ist, was längst schon eingeleitet ist, keine ist deshalb allerhöchste Zeit, daß Brüssel endlich ein substantiellen Verbesserungen der Reinigungslei- in sich schlüssiges europäisches Wasserrecht mit einer stung mehr brauchen werden, da wir durch weitere Wasserrahmenrichtlinie schafft. Unter dem harmoni- Verbesserung der Reinigungsleistung die Qualität sierenden Dach einer solchen Rahmenrichtlinie sind unserer Vorfluter praktisch nicht mehr verbessern die bestehenden einzelnen Wasserrichtlinien so neu können. zu ordnen, daß sie übersichtlich und damit handhab- Wir haben also ein ganz wichtiges Umweltziel er- bar werden - keine leichte Aufgabe, wie ich zugebe. reicht und können sagen, der Aufwand hat sich ge- Dabei ist insbesondere der vorbeugende Gewässer- lohnt, aber jetzt muß die Konsolidierungsphase kom- schutz auch in der europäischen Gesetzgebung zu men, also die Phase, in der man nach einer zugege- verankern. Er muß im Sinne des Emissionsprinzips ben hektischen Zeit voller Nachbesserungen in aller beim Verursacher ansetzen und darf nicht auf eine Ruhe darauf achten muß, daß bei Erhaltung der er- - rechnerisch mögliche - Belastung von „ Reinwas- reichten Reinigungsleistung alle Kraft darauf gesetzt sergebieten " abstellen. wird, diese Leistung immer kostengünstiger zu errei- chen. Aber insgesamt muß man sagen: Wir haben ge- Der Bayerische Landtag hat gestern entspre- zeigt, daß bei gemeinsamer Anstrengung aller im chende Anträge der CSU-Fraktion verabschiedet, so Gewässerbereich Großartiges erreicht werden kann. daß auch mit bayerischen Bundesratsinitiativen mit Das gibt Mut und zeigt, daß Umweltschutz nicht eine diesem Ziel zu rechnen sein wird. unendliche Geschichte ist, sondern so hervorragende Erfolge zeitigen kann, daß man sagen kann: Aufgabe Wenn es uns gelingt, neben der heute zu beraten- erfüllt, laßt uns zu neuen Taten schreiten. den Wasserhaushaltsgesetzänderung auch das euro- päische Gewässerschutzrecht sinnvoll und praktika- Und diese neuen Taten, zu denen eben auch die bel zu gestalten, wird damit, davon bin ich über- Kosteneinsparung gehört, sind - zumindest sehe ich zeugt, ein erfolgreicher, von unserer Bevölkerung es so - ein zweiter wichtiger Punkt im Wasserhaus- mitgetragener Gewässerschutz auch auf europäi- haltsgesetz. Wird doch in verschiedenen scheinbar scher Ebene ermöglicht. kleinen Punkten, die aber in der Summe im Laufe der Jahre ganz erhebliche Kostenspareffekte bringen werden, die Möglichkeit eröffnet, ohne Verlust an Dr. Norbert Rieder (CDU/CSU): Nach langer, um Umweltqualität einfachere, preisgünstigere Lösun- nicht zu sagen: schwerer Geburt werden wir heute gen zu schaffen. So bei der Möglichkeit der schadlo- endgültig über das Wasserhaushaltsgesetz debattie- sen Regenwasserversickerung, die es ermöglichen ren und es wohl auch beschließen. Es ist schade, daß wird, den einen oder anderen Kanal in seinem Quer- diese Debatte am verborgensten Platz der Bundesre- schnitt entweder nicht vergrößern zu müssen oder publik, nämlich mitten in der Nacht im Deutschen beim Neubau einen kleineren Querschnitt wählen zu Bundestag, stattfindet. Denn dieses Gesetz enthält können, als es sonst nötig gewesen wäre. Gleichzei- neben einigen wichtigen Neuerungen, auf die ich tig wird das aber auch in der einen oder anderen nachher noch eingehen möchte, zwischen den Zeilen Kläranlage ein wenig dazu beitragen, daß bei Regen- einiges, was auch oder gerade aus der Sicht eines die Reinigungsleistung der Kläranlage, die bisher überzeugten Umweltschützers erwähnenswert ist. durch den Verdünnungseffekt des Regenwassers in Doch dazu muß ich ein wenig weiter ausholen. der biologischen Stufe abgenommen hat, erhalten Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9853' bleibt, was seinerseits wieder den Gewässern nützt. In den letzten Tagen gingen Meldungen über die Daß nebenbei noch die Grundwasserneubildung ein schwarzen Flecken im Wattenmeer durch die Presse, wenig verbessert wird, sei nur am Rande ewähnt. die eine Folge des unzureichenden Gewässerschut- zes sind. Die jetzt festgestellten großflächigen In vielen Einzelfällen wird auch die Klarstellung, schwarzen Flecken im Wattenmeer zeigen, daß nach daß Kleinkläranlagen durchaus dem Wohle der All- der Ostsee nun auch große Teile der Nordsee abster- gemeinheit dienen können, zu ganz erheblichen ben. Hier haben Sie den Beweis: Die völlig unzurei- Kosteneinsparungen führen. Es ist wirklich nicht ein- chende Gewässerschutzpolitik der Bundesregierung zusehen und auch aus Umweltgründen nicht gebo- hat katastrophale Folgen für das Ökosystem Meer. ten, daß auch der letzte Einödhof mit Anschlußko- sten von teilweise Hunderttausenden von Mark an Statt sich aber nun endlich einem vernünftigen, eine Sammelkläranlage angeschlossen wird. vorbeugenden Gewässerschutz zu widmen, werden mit der vorliegenden Novellierung des Wasserhaus- Nun noch ein letzter Punkt: Die Maßnahmen, die haltsgesetzes neue Vollzugshemmnisse aufgebaut, zum Hochwasserschutz vorgeschlagen werden, sind werden trotz Einsparungsprogrammen neue Subven- ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Kostenein- tionsquellen für die Landwirtschaft geschaffen und sparung zu sehen; denn es ist inzwischen ja wohl all- sollen auf Betreiben des Kollegen Ramsauer auch fa- gemein bekannt, daß ein vorsorgender Hochwasser- tale Freiräume für Wasserkraftwerksbetreiber ge- schutz durch den Erhalt der natürlichen Über- schaffen werden. Das hat mit Gewässerschutz nichts schwemmungsgebiete die volkswirtschaftlich gün- mehr zu tun, sondern ist Lobbyismus in Reinkultur. stigste Möglichkeit sein kann, in unserer dichtbesie- Da ist dem Herrn Ministerpräsidenten Stoiber in delten Bundesrepublik die Schäden durch Hochwas- Bayern und der Schlichter-Kommission in Bonn ein- ser so niedrig wie möglich zu halten. Daß diese natür- gefallen, daß wir eine stärkere Betonung der Verhält- lichen Überschwemmungsgebiete bzw. naturnah nismäßigkeit bei Anforderungen an die Abwasserbe- ausgebauten oder naturnah erhaltenen Fließgewäs- handlung brauchen. Dies führt uns alle in einen Ver- ser gleichzeitig dem Naturhaushalt - unter anderem baldschungel, weil wir nämlich jetzt unterschiedli- durch die Verbesserung der Selbstreinigungskraft che, mehrfache Regelungen zur Beachtung der Ver- der Gewässer - dienen, aber auch Erholungsland- hältnismäßigkeit bei Einleitungsgenehmigungen schaften für unsere Bevölkerung erhalten bzw. schaf- und bei den Anforderungen an die Abwasserreini- fen, womit der volkswirtschaftliche Nutzen noch ver- gung bekommen. Dies führt in der Praxis schlicht stärkt wird, ist für jeden einsichtig, der wenigstens dazu, daß es zu Vollzugshindernissen kommt und zu ab und zu selbst einmal an einem Gewässer Entspan- einem Rückschritt im Gewässerschutz. nung sucht. Wie wir alle wissen, steht der Grundsatz der Ver- Insgesamt bin ich mir sicher, daß dieses Gesetz ein hältnismäßigkeit bereits im Grundgesetz. Er bedarf gutes Gesetz ist, das dazu beitragen wird, einerseits deshalb keiner weiteren Betonung. Wir alle wissen unsere Umwelt weiter zu verbessern, andererseits auch, daß der Bundesrat zwar den Regelungen in § 7 aber auch zur Kostendämpfung beitragen wird. Wir Abs. 2 zur Verhältnismäßigkeit zugestimmt hat, aber als CDU/CSU stimmen deshalb diesem Gesetz zu. dies nur in Verbindung mit der Vereinheitlichung des Ich bitte Sie alle, ebenfalls zuzustimmen. Anforderungsniveaus auf den „ Stand der Technik". Da gab es nun in der jüngsten Vergangenheit eine breite Interpretationsspanne über die damit verbun- Susanne Kastner (SPD): Die heutige Debatte, liebe denen Kosten. Die Schätzung von 40 Milliarden Kolleginnen und Kollegen, läuft unter dem Motto Mark zusätzlicher Kosten für die Kommunen geister- „Vorwärts, liebe Regierung, wir müssen zurück". ten durch die Republik, und dies hat nicht nur die Notwendig wurde die Novellierung des Wasserhaus- Kommunen aufgeschreckt. Nach langer, notwendi- haltsgesetzes auf Grund von Urteilen des Europäi- ger Diskussion haben nun auch die Kommunen ver- schen Gerichtshofes, in denen die Bundesregierung standen, daß die Einführung des „Standes der Tech- verpflichtet wurde, Anforderungen an die Beschaf- nik" bei der Umsetzung der allgemeinen Verwal- fenheit und Benutzung von Gewässern durch Rechts- tungsvorschrift in Rechtsverordnungen für die Kom- verordnungen statt durch bestehende Verwaltungs- munen eben keine erhöhten Anforderungen bedeu- vorschriften zu regeln. Dies ist unstrittig. Aber daß tet. Dies haben wir auch in dem interfraktionellen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Entschließungsantrag noch einmal gemeinsam so be- diese Gelegenheit nutzen, Sachzwänge vorzutäu- kräftigt und werden dies sicher auch heute so verab- schen, um Rückschritte im Gewässerschutz durchzu- schieden. setzen, halte ich für einen untragbaren Vorgang. Die ATV hat ja bereits zugesagt, daß sie auch die Normierungen und Anforderungen an die Abwasser- Es gibt da einen schönen Spruch, der lautet: „Wer anlagen auf ihre Kosten hin überprüfen wird, um den Sachzwänge vorschützt, ist ein Zwangsarbeiter" - Gemeinden dadurch einen größeren finanziellen und genauso sehen Ihre Neuerungen im Wasser- Spielraum zu geben und den Gebührenanstieg zu haushaltsgesetz auch aus. Sie wollen mit den vorge- beschränken. Im übrigen, denke ich, haben die Kom- schlagenen Änderungen zum Wasserhaushaltsgesetz munen die größten Einsparpotentiale, wenn sie de- lediglich die Interessen der Indust rie, der Kraftwerks- zentrale kleinere Kläranlagen planen bzw. zulassen. betreiber, der Landwirtschaft und der Privatisie- rungsideologien der F.D.P. befriedigen. Der Gewäs- Ein wirklich starkes Stück in Ihrem Vorschlag zur serschutz bleibt dabei auf der Strecke. Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes ist die 9854* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 vorgesehene Regelung für pauschale Ausgleichszah- Ich kann mich noch gut an die letzte Debatte zum lungen an Landwirte in Überschwemmungsgebieten. Hochwasserschutz erinnern, in der Frau Ministerin Die Kosten dafür schieben Sie wieder einmal elegant Merkel hochfliegende Pläne zum Hochwasserschutz den Ländern und Kommunen zu. Ich finde diesen ankündigte. Umgesetzt ist bis heute nichts davon. Vorgang ungeheuerlich. Sie verlangen von den Län- Wann hören Sie endlich auf mit der allgemeinen An- dern und Kommunen Einsparungen in Höhe von kündigungspolitik und fangen an, die Probleme rund 25 Milliarden Mark, aber gehen dann gleichzei- praktisch anzugehen? Ich jedenfalls finde es beschä- tig hin und schieben ihnen die Kosten für neue Sub- mend, wenn wir den Betroffenen beim nächsten ventionen an die Landwirtschaft zu. Da geht es wie- Hochwasser entgegentreten müssen, um ihnen zu sa- der einmal nach dem Motto „daß Subventionen staat- gen, der Wille war zwar da, aber wir haben leider liche Kraftnahrung für jene Kinder der Nation sind, nichts getan. die am lautesten brüllen" . Sie werden wohl kaum er- warten, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir die- Ich fordere Sie daher auf, stimmen Sie dem erneut sen Unsinn auch angesichts Ihres Sparprogramms eingebrachten SPD-Entschließungsantrag zum mitmachen. Hochwasserschutz zu. Stimmen Sie dem SPD-Ent- schließungsantrag zum Wasserhaushaltsgesetz zu, Als ich in den Bundestag kam, dachte ich, daß wir um die Bundesregierung aufzufordern, endlich eine Abgeordneten die Pflicht haben, das Wohl des deut- vorsorgende Gewässerschutzpolitik zu betreiben. schen Volkes zu mehren und ... Gelernt habe ich bei den Diskussionen zum Wasserhaushaltsgesetz, daß Birgit Homburger (F.D.P.): Der Gesetzentwurf des dies für einige Kollegen nur zweitrangig ist. An er- Bundesrates ist eine gute Grundlage zur Novellie- ster Stelle stehen da die Vertretung der eigenen rung des Wasserhaushaltsgesetzes. Er stimmt . mit Lobby und die eigenen wirtschaftlichen Interessen. den Vorstellungen der Koalition in weiten Berei- Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, daß im chen überein. Die SPD im Bundestag zeigt wieder Wirtschaftsausschuß ein Passus in diese Novelle zum einmal ihre politische Handlungsfähigkeit. Sie leh- Wasserhaushaltsgesetz aufgenommen wurde, der die nen ab, was der von der SPD dominierte Bundesrat Privilegierung von Wasserkraftnutzung vorsieht. befürwortet - ein Bild der Zerrissenheit. Dies kann und wird doch so ausgelegt werden, daß eine weitere Zerstörung schützenswerter Flußsy- Mit dem Gesetzentwurf verfolgen wir im wesentli- sterne vorangetrieben wird. Wir halten diesen Rück- chen vier Ziele: Wir passen deutsches Recht an das schritt im Gewässerschutz für einen großen Fehler. EU-Recht an. Wir harmonisieren das technische An- forderungsniveau unter ausdrücklicher Verankerung Noch einen Satz, meine lieben Kolleginnen und des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Wir verbessern die Kollegen, möchte ich zu der von der F.D.P. immer Rahmenbedingungen, um Abwasserbehandlung ko- wieder mit Vehemenz vorgetragenen Regelung zur stengünstiger zu gestalten, und wir veranlassen die Privatisierung sagen. Diese Regelung zur Privatisie- Länder zu besserer Vorsorge gegen Hochwasser. rung der kommunalen Abwasserbehandlung ist Zentraler Punkt für die F.D.P. sind die Regelungen, schlichtweg überflüssig und würde die Kommunen die zu kostengünstigeren Organisationsformen und und Länder unnötig unter Druck setzen. Konzeptionen der Abwasserbeseitigung führen. Ab- wasserbeseitigung muß nicht teuer sein. Es gibt viele Wir diskutieren heute ja nicht nur das Wasserhaus- Kommunen, die das beweisen: durch Organisations- haltsgesetz, sondern auch einen Antrag zur Bekämp- formen, die wirtschaftliches Handeln erlauben, durch fung von Hochwasserkatastrophen, die EG-Trink- intelligente, dezentrale Konzepte und durch eine wasserrichtlinie und die Sanierung der Wasserhaus- sparsame Gebührenkalkulation. In den neuen und halte in den ostdeutschen Braunkohlegebieten, wozu alten Ländern, auch in den ländlichen Regionen fin- mein Kollege Christoph Matschie noch etwas sagen den Sie Kommunen mit der dritten Reinigungsstufe, wird. Ich gebe zu, daß es schwierig ist, angesichts die alle modernen Anforderungen erfüllen und deren der hochsommerlichen Temperaturen über Hochwas- Gebühren trotzdem viel niedriger als in anderen ser zu reden. Auch angesichts der Tatsache, daß wir Kommunen sind. Von Vorbildern muß man lernen! in diesem Frühjahr von solchen Katastrophen ver- Wer Gebühren erhebt, muß alles tun, um sie niedrig schont wurden, scheint das Problem in manchen zu halten. Die Devise „Das haben wir immer schon Köpfen auch schon nicht mehr vorhanden zu sein. so gemacht" können wir uns nicht mehr leisten. Trotzdem, denke ich, haben wir hier im Deutschen Ohne privates Know how, ohne privates Kapital und Bundestag die Pflicht, endlich ein Bündel von Maß- ohne Wettbewerb sind die anstehenden Investitionen nahmen für ein ökologisches Hochwasserschutzpro- in den neuen, aber auch in den alten Ländern nicht gramm zu beschließen. Dies wurde aber im Umwelt- zu schaffen. ausschuß von den Koalitionsfraktionen schlicht abge- lehnt. Wieder ist die Situation so, daß die Bundesre- Deshalb erleichtert der Gesetzentwurf auf Druck gierung die gesamte Verantwortung den Ländern zu- der F.D.P. die Privatisierung durch die Möglichkeit schiebt, obwohl - und daran sollte man noch einmal der Beleihung. So kann die gesamte Abwasserbesei- erinnern - sie ihre Hausaufgaben nicht macht. Wo tigungspflicht auf P rivate übertragen werden. Dann bleibt denn das Bodenschutzgesetz? Wie lange ha- tragen diese Firmen und nicht mehr die kommunalen ben wir auf die Vorlage zur Novellierung des Bun- Verwaltungsbeamten das Haftungsrisiko. Ein we- desnaturschutzgesetzes gewartet? Wo bleibt eine No- sentliches Argument der Privatisierungsgegner wird vellierung des Baurechts, das der Hochwasserproble- damit hinfällig. Frau Kastner, Ihre ideologische Ver- matik Rechnung trägt? klärung der Hoheitsbetriebe ist nicht sachdienlich. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9855*

Während der SPD Artenschutz für beamtete Klär- große Mehrheit des Bundestages darin einig, daß werksleiter betreibt, sind die kommunalen Spitzen- durch diese Novellierung des WHG keine Gebühren- verbände schon viel weiter. Sie unterstützen unsere erhöhungen bei der kommunalen Abwasserbehand- Regelung. lung begründet werden können. Die Weichenstellung bleibt unvollständig, wenn Mit den Vorschriften zur Verbesserung des Hoch- wir die wirtschaftlicheren privatrechtlichen Organi- wasserschutzes und zum Erhalt der natürlichen und sationsformen weiter steuerlich benachteiligen. Herr naturnahen Gewässer ziehen wir die Konsequenz Staatssekretär Hauser vom Bundesfinanzministerium aus der Anhörung zum Hochwasserschutz. Dabei hat für die Bundesregierung in diesem Hause am darf aber eines nicht übersehen werden: Vollzugsde- 18. Januar 1996 wörtlich erklärt: fizite der Länder können auch durch die besten Ge- setze nicht ausgeglichen werden. Dies gilt um so Die Forderung nach steuerrechtlicher Gleichstel- mehr, als der Bund wegen seiner Rahmengesetzge- lung von privaten und öffentlich-rechtlichen An- bungskompetenz kaum noch Vollregelungen treffen bietern auf dem Entsorgungssektor unterstütze kann. Deshalb kommt es darauf an, daß die Länder ich als Vertreter der Bundesregierung und des mit uns an einem Strang ziehen. für Steuerfragen innerhalb der Bundesregierung federführenden Ressorts. Wir erwarten von die- Die F.D.P. stimmt dem Gesetzentwurf und dem ser Gleichstellung eine Aktivierung des Wettbe- Entschließungsantrag des Umweltausschusses zu. werbs. Kommunale Entsorger müssen sich in stärkerem Maße als bisher dem Wirtschaftlich- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): keitsvergleich mit privaten Anbietern stellen. Dr. Jürgen Rochlitz Eine der größten Umweltschweinereien für das Me- Hierdurch werden Rationalisierungspotentiale dium Wasser ist grundsätzlich gelöst: In Schwedens aufgetan, die dem Gebührenzahler zugute kom- Papierindustrie gelang es, die bisher nötigen Abwas- men. sermassen durch einen geschlossenen Wasserkreis- Dem ist nichts hinzuzufügen. Und deshalb muß lauf zu bändigen. Nur noch ein Zehntel der bisher diese Regelung in das Jahressteuergesetz 1997 hin- nötigen Frischwassermenge wird künftig verbraucht. ein. Wir müssen den Kommunen Klarheit geben, ob Der Stand der Technik macht es damit möglich, nach sie für Ihre Investitionen in den Genuß des Vorsteuer- dem in Deutschland entwickelten chlorfreien Bleich- abzugs kommen. Ein längeres Hinauszögern führt verfahren Papier und Zellstoff zu produzieren, ohne dazu, daß notwendige Investitionen zurückgestellt schwerstabbaubare Chlor- und Schwefelverbindun- werden. Dies ist sowohl aus ökologischen Gründen gen in die Gewässer einzuleiten. als auch im Interesse der Arbeitsplätze in der Bau- Dieser neue Stand der Technik wird es schwerha- wirtschaft untragbar. Auch die Gebührenzahler wer- den darunter leiden. Bei jährlichen Baukostensteige- ben, sich in Deutschland durchzusetzen, wenn das rungen von 5 Prozent werden so Gebührensprünge Wasserhaushaltsgesetz in der bisher vorliegenden Form verabschiedet werden sollte. Wir werden also programmiert. weiter hinnehmen müssen, daß durch Papier- und Die ausdrückliche Zulassung der Regenwasserver- Zellstoffabriken ganze Flüsse und Bäche geleitet sickerung und der Kleinkläranlagen wird dezentra- werden und hochbelastete Abwässer in das Gewäs- len kostengünstigen Abwasserkonzepten in den Flä- ser eingeleitet werden. chengemeinden Rückenwind geben. Es wird Zeit, daß die Länder endlich aufwachen und ihre Vorga- Nun sieht das novellierte Wasserhaushaltsgesetz in ben ändern. Es ist ein Skandal, wenn immer noch der Beschlußfassung des Umweltausschusses die große, teure zentrale Kläranlagen von den Ländern Einführung genau dieses notwendigen Standes der bevorzugt bezuschußt werden. Umdenken tut not. Technik vor. Behauptungen, daß die Vereinheitlichung des Doch was nützt uns diese Verbesserung, wenn technischen Anforderungsniveaus auf den Stand der durch die Hintertür ein Übermaß an Verhältnismä- Technik in den Kommunen zu 30 Milliarden Mehrko- ßigkeit und durch das Kriterium der wirtschaftlichen sten führen wird, sind schlicht falsch. Die Rechtsver- Zumutbarkeit der modernste - ja, der modernste - ordnung für kommunale Kläranlagen, deren Entwurf Stand der Technik in der Schublade bleibt? fertig ist, wird die gleichen Anforderungen wie bis- Die vom Bundesrat und letzt von Bayern auf den her festsetzen. Die dreifache Verankerung des Ver- Weg gebrachte 6. Novelle des Wasserhaushaltsgeset- hältnismäßigkeitsgrundsatzes - in der Definition des zes stellt die bisherige Philosophie des Gewässer- Standes der Technik, durch Herabsetzung der Anfor- schutzes vollkommen auf den Kopf. Ja, sie gräbt mit derungen für bestehende Anlagen und für die Ein- dem Ziel der Deregulierung dem Gewässerschutz zelfallprüfungen - sind eine weitere Sicherung. Und glatt das Wasser ab. schließlich hat die F.D.P. durch die Änderung des § 18a durchgesetzt, daß auch das außergesetzliche Deregulierung ist mittlerweile zu einem wahrlich Regelwerk nicht hochgeschraubt wird. Darüber hin- zwanghaften Verhalten der Umweltpolitik gewor- aus räumen wir mit dieser Vorschrift den Kommunen den: Zur Zeit werden völlig überlastet und ungeprüft gegenüber den Genehmigungsbehörden auch mehr und unter Vortäuschung einer angeblichen Vereinfa- Spielraum als bisher bei der Ausgestaltung ihrer An- chung wasserrechtlicher Verfahren unter gleichzeiti- lagen ein. So wird es leichter, angepaßte, kostengün- ger Beibehaltung geltender Umweltstandards Vor- stigere Lösungen zu verwirklichen. Aus diesen Grün- schläge über Vorschläge zum Abbau hoher Schutz- den sind sich Bundesregierung, Bundesrat und eine vorschriften vorgebracht. Diese Hungerkur des Um- 9856* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 weltrechts steht unter dem Motto: Umweltschutz ja - empfehlung des Umweltausschusses eben gerade nur kosten darf er nichts. nicht folgen. So auch hier: Die Einhaltung geltender Mindest- Die nämlich entstand, als die neuerlichen katastro- standards bei der Abwassereinleitung wird allein phalen Berichte von der Nordseeküste noch nicht be- schon durch die Einführung der Verhältnismäßig- kannt waren. Dort breitet sich fußballfelderweit ein keitsprüfung auf vier Ebenen ad absurdum geführt: Absterben der gesamten Wattenmeerfauna aus. Ei- erstens durch die in einer neuen Definition des Stan- nes der wertvollsten und artenreichsten Ökosysteme des der Technik enthaltene Prüfung auf wirtschaftli- ist damit in höchste Gefahr geraten; um das plötzli- che Vertretbarkeit, zweitens durch branchensspezifi- che Umkippen zu verhindern, müssen alle verfügba- sche Verhältnismäßigkeitsabwägungen, drittens ren Notbremsen gezogen werden. durch betriebsbezogene Ausnahmeregelungen - die Eine wäre ein Wasserhaushaltsgesetz, das dem sogenannten einzelfallbezogenen Verhältnismäßig- konsequenten Gewässerschutz wirklich dient und keitsprüfungen, nach denen es bis zu einem gewis- nicht den wirtschaftlichen Interessen der Einleiter. sen Grad von der wirtschaftlichen Lage des Betriebes abhängt, wieviel Umweltfürsorge ihm in Zukunft ab- verlangt werden kann. Eva Bulling - Schröter (PDS): „Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück". Dies scheint der Leitfaden der Dieses Übermaß an Verhältnismäßigkeit ist voll- 6. Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes zu sein. Was kommen unnötig: Schließlich ist der Grundsatz der die Beschlußempfehlung des Umweltausschusses be- Verhältnismäßigkeit bereits verfassungsrechtlich ver- trifft, kommt gleich noch ein Rückwärtssprung dazu. ankert, Verwaltungsentscheidungen haben sich Aber der Reihe nach: daran zu messen. Die Einführung zusätzlicher Ver- hältnismäßigkeitsklauseln ist daher nicht nur über- Die PDS begrüßt grundsätzlich die Ausdehnung flüssig, sondern auch dem Gewässerschutz höchst des schärferen Anforderungsniveaus „Stand der schädlich: Technik" auf alle Einleiter. Dabei sind die Zielrich- tung die industriellen Einleiter, nicht die Kommunen. Eine auf insgesamt vier Ebenen vorgeschriebene Die 40 Milliarden, die durch diese Novelle laut Bun- Verhältnismäßigkeitsprüfung würde nicht nur zu desverband der Deutschen Gas- und Wasserwirt- enormen Vollzugsproblemen führen. Die unselige schaft angeblich auf die Städte und Gemeinden zu- Verquickung der Definition des „Stands der Tech- kommen, sind aus der Luft gegriffen. Die geltenden nik" mit Wirtschaftlichkeitsaspekten würde weit scharfen Anforderungen an die Einleitungswerte über das Wasserrecht hinaus auch beim Immissions- kommunaler Kläranlagen haben sich nämlich mittler- schutzrecht diese schärfste Waffe deutschen Umwelt- weile dem Stand der Technik angenähert. rechts zu einem stumpfen Schwert verkommen las- sen. Heute müssen aber nur wenige industrielle Einlei- ter ihre Anlagen nach dem Stand der Technik errich- Zu Recht wurde in der Anhörung des Umweltaus- ten, da als „gefährliche Stoffe" momentan nur schusses festgestellt, daß ein durch die Begründung Schwermetalle und Organochlorverbindungen defi- des Gesetzentwurfs angestoßener Interpretations - niert werden. Damit werden jedoch - je nach Bran- wandel in diesem Sinne einen erheblichen Rück- che - nur wenige Promille bis Prozent der Gesamt- schritt mit Konsequenzen weit über das Wasserrecht fracht der schwer abbaubaren Abwasserinhaltsstoffe hinaus bedeuten und den umweltrechtlichen Vollzug erfaßt. wesentlich verzögern und erschweren würde. Mit der Ausdehnung des Standes der Technik auf Anstatt sich in Deregulierung zu üben, sollte die alle Einleiter würde also die Gesamtfracht der Bundesregierung lieber Vollzugsdefizite innerhalb schwer abbaubaren Abwasserinhaltsstoffe reduziert des Wasserrechts zum Beispiel im Umgang mit was- werden, was wir auch in unserem Änderungsantrag sergefährdenden Stoffen beseitigen. Hier sollte end- begrüßen. lich - analog dem Altlastenrecht - der nicht ord- nungsgemäße Zustand von Anlagen zum Umgang Allerdings wird dieser Fortschritt in der Novelle mit wassergefährdenden Stoffen die Behörden er- mehrfach aus Wirtschaftlichkeitsüberlegungen kon- mächtigen, vom Betreiber einen Sanierungsplan ab- terkariert. Dies geschieht durch die Einführung der zuverlangen. Verhältnismäßigkeitsklauseln in § 5 Abs. 1 und an anderen Stellen, die dem Wirtschaftlichkeitsprinzip Darüber hinaus sind für viele Industriebranchen, einen unausgewogen hohen Stellenwert gibt. Das wie der Zellstoff-, Textil- oder Stahlindustrie, noch muß jedoch schon aus Verfassungsgründen berück- immer keine - sich an dem Stand der Technik orien- sichtigt werden. Das Umweltbundesamt schätzt ein, tierenden - Anhänge verabschiedet. daß mit dieser Überbetonung wirtschaftlicher Inter- essen „Stand der Technik" - ich zitiere - „nicht zu Dies ist ebenso unverständlich wie das mangelnde einer Verbesserung des Gewässerschutzes führen Engagement der Bundesregierung, die Bestellung wird, sondern zu einer Absenkung von Umwelt- von Gewässerschutzbeauftragten auch für größere schutzanforderungen unter Wirtschaftlichkeitsge- Indirekteinleiter zum Regelfall zu machen. sichtspunkten. " Heute haben Sie, meine Damen und Herren, die In der Beschlußempfehlung des Ausschusses wird Chance - sogar ganz aktuell -, der Umwelt einen dem Wunsch der Bundesregierung entsprochen, wichtigen Dienst zu erweisen, wenn Sie der Beschluß- kräftig Kurs auf die Privatisierung der Abwasserbe- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9857* seitigung zu nehmen. Nach § 18 soll es nicht nur beitung. Dieses Problem, das besonders im mittel- möglich sein, die Erfüllung der Aufgabe der Abwas- deutschen Raum eine erhebliche Rolle spielt, kann serbeseitigung an Dritte zu übergeben - was heute nur durch eine enge Verzahnung von Braunkohlesa- im übrigen in den Ländern mit den Betreibermodel- nierung, Wasserwirtschaft und Altlastenbeseitigung len schon Realität ist -, sondern es soll möglich wer- gelöst werden. Wir brauchen hier problemübergrei- den, die Aufgabe selbst zu privatisieren. fende Sanierungsprojekte. Bislang gibt es sie nicht. Aus natürlichen Monopolen, die ja deshalb in öf- Zweitens. Wenn es nicht gelingt, die ehemaligen fentlicher Verantwortung stehen, würden private. Braunkohlegruben rechtzeitig zu fluten, droht eine Die Folge wären Gebietsmonopole, die zu Lasten der Versauerung des aufsteigenden Grundwassers. Das Bürger Monopolpreise durchsetzen und - ähnlich Problem ist bekannt. Eine tragfähige auch finanziell wie im Energiesektor - ökologische Technologien abgesicherte Lösung gibt es bislang nicht. des integrierten Umweltschutzes verhindern könn- ten. Für hoheitliche Aufgaben wäre dies eine völlig Drittens. Gleichzeitig mit der vermehrten Bereit- neue Qualität. Es würde die Tür aufstoßen zur unge- stellung von Oberflächenwasser zur Flutung der Ta- zügelten Privatisierung jeglichen kommunalen Ei- gebaurestlöcher muß die Regulierung der Flüsse ge- gentums und kommunaler Aufgaben. Das lehnen wir währleistet sein. Die Spree z. B. ist in ihrem heutigen strikt ab. Zustand zu einem erheblichen Teil von Wasser ab- hängig, das aus dem Abpumpen in den Tagebaube- Ein anderer Punkt. Der vorliegende Gesetzentwurf reichen stammt. sieht vor, daß weiterhin nur im Ausnahmefall Gewäs- Viertens. Schließlich kommen noch spezielle Ge- serschutzbeauftragte für Indirekteinleiter bestellt fahren, wie die Möglichkeit des örtlichen Durch- werden müssen. Aus Gründen des Gewässerschut- bruchs tertiären Salzwassers, im mitteldeutschen zes sehen wir es aber für sinnvoll an, daß auch große Braunkohlerevier hinzu. Indirekteinleiter dazu verpflichtet werden. Wir bean- tragen weiterhin, die Erstellung von Abwasserkata-- Bislang erfolgt die Sanierung des Wasserhaushal- stern zur Aufgabe der Gewässerschutzbeauftragten tes im wesentlichen im Rahmen der Sanierung der zu machen. Tagebaunachfolgelandschaften und -altlasten. Die hier insgesamt erzielten Sanierungserfolge sind be- Der Ihnen vorliegende Antrag der PDS zum Hoch- achtlich und sollen nicht kleingeredet werden. wasserschutz fordert, sämtliche im Bundesverkehrs- wegeplan '92 unter dringendem Bedarf aufgeführten Wir wollen mit unserem Antrag allerdings bewir- Ausbauvorhaben an Bundeswasserstraßen ersatzlos ken, daß die Lösung der komplizierten Fragen der zu streichen. Die dafür bereitgestellten Gelder sollen Regulierung des Wasserhaushaltes einen größeren in ein „Sofortprogramm für einen vorbeugenden öko- Stellenwert bekommt und in der Finanzierung ent- logischen Hochwasserschutz " fließen. sprechend berücksichtigt wird. Die damit finanzierbaren Maßnahmen, wie der Wir wollen dabei auch die Einbeziehung des Alt- Rückbau kanalisierter Flüsse, die Renaturierung na- bergbaus ohne Rechtsnachfolger in die Finanzie- türlicher Überschwemmungsgebiete, die Rückverset- rungsregelung nach dem Verwaltungsabkommen. zung von Deichen sowie Maßnahmen gegen eine weitere Versiegelung der Böden, würden mehr für Den Sanierungsgesellschaften müssen auch wei- den Hochwasserschutz tun, als die entsprechenden terhin arbeitsmarktpolitische Fördermittel in ausrei- halbherzigen Paragraphen in der vorliegenden chender Höhe zur Verfügung stehen, so daß eine ver- Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes bewirken nünftige Planung möglich ist und Beschäftigung ge- werden. sichert wird.

Dr. Angela Merkel , Bundesministerin für Umwelt, Christoph Matschie (SPD): Der Braunkohleberg bau in Ostdeutschland hat zu einer weiträumigen Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich freue mich, Zerstörung des natürlichen Wasserhaushalts in der daß wir nun endlich so weit sind, ein seit Jahren zum betroffenen Region geführt. Nach Angaben der Teil sehr kontrovers diskutiertes, unter erheblichem „Vereinigung Deutscher Gewässerschutz" besteht Zeitdruck stehendes Gesetzesvorhaben hier im Ho- ein Wasserbedarf zur Auffüllung von Tagebaurest- hen Haus zu verabschieden. Die vom Bundesrat ein- löchern und zur Regulierung des Grundwassers von gebrachte Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz dient rund 21 Milliarden m3 . Dies entspricht dem vierfa- nicht etwa länderspezifischen Interessen, sondern chen Inhalt aller deutschen Talsperren. verfolgt auch und gerade aus der Sicht des Bundes wichtige und dringliche Anliegen. Gesetzlicher Die Wiederherstellung eines sich weitgehend Handlungsbedarf besteht aus ganz verschiedenen selbst regulierenden Wasserhaushaltes wird mehrere Gründen: Jahrzehnte erfordern. Schon die Lösung dieses Pro- blems ist in den niederschlagsarmen und mit wenig Erstens. Wir müssen schnellstmöglich die gesetzli- chen Grundlagen für die vom Europäischen Ge- Oberflächenwasser ausgestatteten Gebieten eine ge- waltige Aufgabe. Hinzu kommen jedoch noch wei- richtshof geforderte Umsetzung der EG-Richtlinie tere schwerwiegende Probleme. durch Rechts- statt Verwaltungsvorschriften schaf- fen. Wir können es uns nicht leisten, ein zweites Mal Erstens. Das wieder ansteigende Grundwasser er- in derselben Sache vom Gerichtshof verurteilt zu reicht die in den genannten Regionen lagernden Alt- werden. Eine solche Klage könnte jeden Tag einge- lasten aus der Großchemie und der Braunkohleverar hen und würde - durch den Maastricht-Vertrag neu 9858* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 eingeführt - erstmals zur Verhängung eines Zwangs- des Hochwassers verstärken und beschleunigen, zu geldes führen. unterlassen oder auszugleichen. Ich möchte hier nur die Bodenversiegelung erwähnen. Die Länder erhal- Zweitens. In einigen Sachpunkten, z. B. beim ten damit ein effizientes gesetzliches Instrumenta- Hochwasserschutz, ist es notwendig, das gesetzliche rium, um ihrer Verantwortung für den Hochwasser- Instrumentarium zu verbessern. Hierzu gehört auch schutz gerecht werden zu können. eine Neukonzeption des § 7 a WHG, der zentralen bundesrechtlichen Abwasservorschrift. Dabei gilt es, Für Gewässerausbauten wird die aufwendige die Belange eines wirksamen und praktikablen Um- Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens ein- weltschutzes mit dem Gebot einer unter Verhältnis- geschränkt und eine Reihe weiterer verfahrensver- mäßigkeitsaspekten vertretbaren Belastung des Bür- einfachender und -beschleunigender Regelungen gers und der Wirtschaft in Einklang zu bringen. eingeführt. Im Zusammenhang mit der Neuregelung zur Renaturierung von Gewässern möchte ich zur Drittens. Ein zentrales Anliegen ist weiterhin, Ver- Klarstellung noch auf folgendes hinweisen: waltungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleu- nigen - auch im Wasserbereich. Das Wasserhaus- Im neuen § 31 Absatz 1 Satz 2 WHG erhalten be- haltsgesetz als Rahmengesetz des Bundes läßt hier stimmte Nutzungen der Wasserkraft gegenüber der nur punktuelle Maßnahmen zu, bei Verfahrensrege- Renaturierung von Gewässern in der Regel Bestands- lungen liegt der Schwerpunkt der Verantwortung bei schutz. Bei der Inanspruchnahme dieses Bestands- den Ländern. schutzes muß der Betreiber selbstverständlich bele- gen, daß die Voraussetzungen des Satzes 2 vorlie- Viertens. Schließlich soll das WHG auch für private gen. Ist ihm dies nicht möglich, bedeutet dies nicht, Organisationsmodelle in der Abwasserentsorgung daß die Wasserkraftnutzung nicht mehr genehmi- geöffnet werden. Die Verantwortung für die organi- gungsfähig sei. Es entfällt nur die Zulassung unter satorischen Entscheidungen verbleibt voll bei den den erleichterten Voraussetzungen des Satzes 2, und Ländern und den abwasserbeseitigungspflichtigen es verbleibt bei der Anwendung der allgemeinen Re- Kommunen. Auch hier setzt die Rahmenkompetenz gel des Satzes 1. dem Bundesgesetzgeber enge Grenzen. Daß eine Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes notwendig Insgesamt bleibt festzuhalten, daß die Koalition und dringlich ist, bestreitet niemand. Die Schwierig- den Entwurf des Bundesrates in mehreren wichtigen keiten liegen in der inhaltlichen Ausgestaltung einer Punkten ergänzt hat. Die Diskussion hierüber in und breiter angelegten Novelle. Die Koalition hat auf der mit den Ländern wird sicherlich nicht einfach. Ich Grundlage der Vorschläge der Bundesregierung ein hoffe aber, daß es uns gelingen wird, die anstehen- gutes und, wie ich meine, konsensfähiges Konzept den Probleme sachgerecht zu lösen und nicht nur das vorgelegt. Ich kann in der zur Verfügung stehenden zu verabschieden, was als kleinster gemeinsamer Zeit nur auf die wichtigsten Schwerpunkte hinwei- Nenner übrigbleibt. sen: Wir haben anerkanntermaßen gerade im Gewäs- Das am Vorsorgegedanken orientierte Anforde- serschutzbereich beachtliche Erfolge erzielt. Dies rungsniveau für Abwassereinleitungen wird einheit- ignoriert der Entschließungsantrag der SPD-Frak- lich auf den Stand der Technik festgelegt, wie er be- tion, obwohl sich in den bisherigen Beratungen auch reits im Immissionsschutz- und im Abfallrecht üblich die SPD bemüht hat, durch die WHG-Novelle keinen ist. Dieser Stand der Technik wird unter Berücksichti- Anlaß zu einem weiteren Anstieg der Abwasserko- gung der sich abzeichnenden supra- und internatio- sten zu liefern. Der Gesetzentwurf bringt insgesamt nalen Harmonisierungsbestrebungen neu definiert den Gewässerschutz weiter voran und verdient des- und für die Nachrüstung von Altanlagen unter einen halb die Zustimmung des Hauses. Verhältnismäßigkeitsvorbehalt gestellt. Zusammen mit anderen abwasserrechtlichen Regelungen, insbe- sondere der Zulässigkeit privater Organisationsmo- delle bis hin zur vollen Übertragung der Abwasser- beseitigungspflicht auf private Dritte schaffen wir Anlage 11 wichtige Voraussetzungen für eine effiziente und ko- stengünstigere Abwasserentsorgung. Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 12 Das Wasserhaushaltsgesetz betont stärker als bis- her die Notwendigkeit einer wirksamen Hochwasser- (a - Große Anfrage betr. Mittelmeerpolitik; vorsorge. So wird die grundsätzliche Verpflichtung b - Antrag: Weiterentwicklung der Mittelmeerpolitik der Europäischen Union) zur Erhaltung oder Wiederherstellung natürlicher zum Zusatztagesordnungspunkt 19 oder naturnaher Gewässer insbesondere mit dem (Antrag: Demokratische, ökologische und soziale Ziel eingeführt, wieder mehr Gebiete für die Rück- Prioritäten bei der Vertiefung der Mittelmeerpolitik haltung von Hochwasser zu gewinnen. Überschwem- der Europäischen Union) mungsgebiete werden als solche kraft Bundesgesetz definiert und von den Ländern festgesetzt. Auch in und zum Zusatztagesordnungspunkt 20 (Antrag: Eine kohärente Mittelmeerpolitik der das neue Bundes-Bodenschutzgesetz und in die No- velle zum Bundesnaturschutzgesetz sollen Regelun- Europäischen Union) gen aufgenommen werden, die darauf abzielen, menschliche Eingriffe in den Naturhaushalt, die den Dr. Christoph Zöpel (SPD): Die Anträge von CDU/ Abfluß des Niederschlagswassers und damit auch CSU und F.D.P., von Bündnis 90/Die Grünen und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9859* meiner Fraktion zur europäischen und deutschen dende Prüfstein für eine erfolgreiche Mittelmeerpoli- Mittelmeerpolitik geben Anlaß, zunächst eigene tik nach dem historischen Jahr 1989 ist die Politik ge- prinzipielle Überlegungen zu diesem Bereich inter- genüber den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens. nationaler Politik zu formulieren: Zwischen Arabien, Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Europa und Israel besteht eine vielfach tragische Montenegro sind Anrainerstaaten des Mittelmeers. Dreiecksbeziehung welthistorischer Dimension. Pro- Bosnien-Herzegowina ist dabei zu einem großen Teil bleme in diesen Beziehungen zu lösen entzieht sich von Muslimen bewohnt, und der Konflikt zwischen den Möglichkeiten kurz- oder auch mittelfristiger in- den bosnischen Muslimen einerseits, den griechisch- ternationaler Politik. Vor allem in Israel und bei den orthodoxen Serben sowie den katholischen Kroaten arabischen Staaten bestimmen kollektive Erinnerun- andererseits ist der Kern der ethnisch-kulturellen gen an historische Ereignisse immer die aktuelle Poli- Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien. tik. Aber auch Europa kann sich diesem Erbe kollek- Er ist vor allem wegen dieses islamischen Faktors be- tiver Schuld und kollektiven Leidens nicht entziehen. deutungsvoll für die gesamte Mittelmeerpolitik der Die moderne Attitüde individueller Verantwortung, Europäischen Union, auch der gegenüber Israel. Die bestimmt vom Datum der Geburt, versagt. Golgatha, Beziehungen der Union bzw. ihrer Mitgliedstaaten Massada, die Kreuzzüge, der Fall Konstantinopels, zu den muslimischen Staaten im Mittelmeerraum das Amselfeld, die Türken vor Wien, unvergleichlich sind die entscheidende Herausfordereung für eine schrecklicher der Holocaust sind lebendig. Die Rede erfolgreiche Mittelmeerpolitik, deren Ziel die ge- des israelischen Präsidenten Weizman vor dem Deut- meinsame Sicherheit aller Beteiligten als Vorausset- schen Bundestag und vielfältige Begegnungen mit zung freundlicher Zusammenarbeit ist. Arabern und Juden zeigen diese existentielle Verwo- benheit in jahrtausendalter Geschichte dem Euro- Nach den Erfahrungen mit der Politik der EU und päer und dem Deutschen, der darauf eingehen muß. ihrer Mitgliedstaaten im ehemaligen Jugoslawien - konkretisiert sich die Frage nach der europäischen Für den Konflikt zwischen Israel und seinen arabi- Fähigkeit zu einer gemeinsamen Mittelmeerpolitik schen Nachbarn tragen so Deutschland und Europa auf die Gewährleistung gemeinsamer Sicherheits- historische Verantwortung. Ohne die Kolonialpolitik politik im Mittelmeerraum. Dazu gehören nämlich vor allem Großbritanniens und Frankreichs und vor die Bereitschaft und Fähigkeit, politische Gewalt, das allem ohne den von Deutschland verschuldeten heißt Gewaltanwendung zwischen Staaten oder eth- Holocaust sähe die Landkarte des Nahen Ostens an- nischen Gruppen zu verhindern oder wieder zu be- ders aus. Europa hat die Koexistenz von Israel und enden. In Bosnien-Herzegowina ist es erst zu einer arabischen Staaten gewollt, und Europa trägt damit Beendigung der Gewalttätigkeiten gekommen, Verantwortung gegenüber Juden und Arabern. nachdem die Vereinigten Staaten bereit waren, sich im Rahmen der IFOR-Mission der Vereinten Natio- Seit dem Vertrag von Oslo ist diese Koexistenz da- nen auch mit Sicherheitskräften zu engagieren. Zu- bei, auch von den arabischen Staaten akzeptiert zu vor konnte eine sicherheitspolitische Inte rvention der werden. Die bislang hauptbetroffenen Araber, die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zumindest Palästinenser, sind auf dem Weg zur staatlichen An- aus zwei Gründen nicht erfolgreich sein: erstens we- erkennung durch Israel und die Weltgemeinschaft. gen, partiell historisch begründbarer, unterschiedli- Dies ist eine Chance des Friedens und der Zusam- cher Interessen gegenüber den Konfliktparteien, menarbeit für Israel und Arabien. Gleichzeitig öffnet zweitens wegen der unzulänglichen Bereitschaft, es Europa den Weg zu einer Politik, die Sicherheit sich auf einen quantitativ ausreichenden Einsatz von und Zusammenarbeit im ganzen Mittelmeerraum Sicherheitskräften zum Zwecke der Friedensherbei- zum Ziel hat. Ohne jeden Zweifel - ohne Oslo wäre führung und -sicherung zu verständigen. Der Zusam- Barcelona nicht möglich gewesen. menhang zur Sicherheitspolitik Israels ist offenkun- Für Deutschland hat das besondere Bedeutung. dig. Israel erachtet Europa zu Recht als einflußlos, Sein Verhältnis zu Israel und den arabischen Staaten was die israelische Sicherheit angeht. Europa darf zahlen, ist die praktische Konsequenz, von zentraler läßt sich nur in gemeinsame europäische Politik inte- Bedeutung ist das Militärabkommen mit den USA. griert dauerhaft gestalten. Die in Maastricht vertraglich vereinbarte gemein- Hier liegt auch eine ganz besondere Implikation same Außen- und Sicherheitspolitik und in deren für Deutschland, seit mit dem Vertrag über die Euro- Rahmen die Mittelmeerpolitik der Europäischen päische Union, der am 7. Februar 1992 in Maast richt Union kann natürlich unterschiedliche Interessen der unterzeichnet wurde, eine gemeinsame Außen- und 15 Mitgliedstaaten nicht beiseite schieben; sie müs- Sicherheitspolitik eingeführt wurde. Seitdem ist die sen vielmehr im Rahmen gemeinsamer Politiken be- Mittelmeerpolitik, ist die Politik der Europäischen rücksichtigt werden. Hinsichtlich der Mittelmeerpoli- Union gegenüber Israel und den arabischen Staaten tik sind Kriterien für diese unterschiedlichen Interes- Bestandteil dieser gemeinsamen Außen- und Sicher- sen insbesondere: die geopolitische Lage, die Wi heitspolitik und damit auch Teil deutscher Außen- rt -schaftsstruktur, die Betroffenheit durch Wanderun- politik. Eine gemeinsame Politik der Europäischen gen und multikulturelle Integrationserfordernisse. Union gegenüber den ihr nicht angehörenden Anrai- nerstaaten des Mittelmeers ist dringend erforderlich. Diese Kriterien bedeuten für die Bundesrepublik Dabei stellt sich allerdings die Frage, in welchem Deutschland insbesondere: Maße die Mitgliedstaaten der Europäischen Union überhaupt zu einer gemeinsamen Außen- und damit Erstens. Die Beziehungen der Europäischen Union auch Mittelmeerpolitik fähig sind. Der entschei zu ihren Nachbarn im Osten sind von besonderem 9860* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Gewicht, weil es nicht im Interesse Deutschlands lie- mischen Ländern eintreten. Es wäre sicher nicht gen kann, daß die Ostgrenze Deutschlands auch die schädlich gewesen, wenn Bundeskanzler Kohl bei Ostgrenze der Europäischen Union ist. Daher muß seinem jüngsten Besuch in Marokko auch mit Reprä- sich Deutschland in besonderer Weise um ein ausge- sentanten der demokratischen Opposition zusam- wogenes Verhältnis der EU-Beziehungen nach Osten mengetroffen wäre. und Süden, also zum Mittelmeerraum, bemühen. An diesen drei Maximen orientierte inte rnationale Zweitens. Die Wirtschaftsstruktur hat Konsequen- Zusammenarbeit erfolgt vermehrt im Rahmen inter- zen für die handelspolitischen Elemente der gemein- nationaler Organisationen. Das gilt global für die samen Mittelmeerpolitik. Für Deutschland haben Be- Vereinten Nationen und ihre Nebenorganisationen. deutung: die Steigerung von Industrieexporten, die Das gilt auch regional. Internationale Organisationen relativ geringe Konkurrenz zu Agrarexporten aus mit Bedeutung für die Mittelmeerpolitik der Europäi- den Nicht-EU-Mittelmeerländern, der Wunsch nach schen Union sind die NATO, die Westeuropäische Diversifizierung der Energieimporte - bei Schonung Union und die Organisation für Sicherheit und Zu-. der eigenen Kohlenproduktion -, die Bestrebungen sammenarbeit in Europa einerseits, die Arabische zu einer Verteuerung des Energieverbrauchs aus Liga, die Union des Arabischen Maghreb und die Or- ökologischen Gründen, insbesondere angesichts der ganisation Islamische Konferenz andererseits. CO2-Problematik, mit Auswirkungen auf die Ener- Für eine Politik der Sicherheit und Zusammenar- gieexporte von Mittelmeerländern. beit im Mittelmeerraum ist die frühere Konferenz Drittens. Ein hoher Anteil - etwa 2,5 Millionen - und jetzige Organisation für Sicherheit und Zusam- von vorwiegend aus der Türkei sta mmenden musli- menarbeit in Europa zu einem Leitbild geworden. mischen Bewohnern sowie gleichzeitig eine singulär Italien und Spanien haben entsprechend eine Konfe- hohe Betroffenheit durch Zuwanderer aus osteuro- renz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittel- päischen Ländern. Die Fähigkeit Deutschlands, an- meerraum vorgeschlagen. Im Mittelpunkt einer sol- dere Kulturen und Ethnien zu integrieren, ist in der chen Konferenz würden vertrauensbildende Maß- Dreierbeziehung Arabien-Europa-Israel von brisan- nahmen und die Rüstungskontrolle stehen. Entspre- ter Bedeutung. chende Bemühungen haben mit der Teilnahme ara- bischer Staaten am OSZE-Prozeß begonnen. Europa Seit 1989, nach Beendigung der Ost-West-Konfron- darf nicht darauf verzichten, sich für die Abrüstung tation, haben drei Maximen internationaler Zusam- auch in Israel und den arabischen Staaten zu enga- menarbeit immer mehr Gewicht für die Beziehungen gieren. zwischen Staaten: In den Zusammenhang einer entsprechenden Erstens. Es hat sich ein Netz verflochtener Sicher- Sicherheitspolitik gehört schon die beobachtende heitskooperation zwischen allen Staaten entwickelt, Teilnahme Israels und Marokkos an der Nordatlan- einschließlich der gemeinsamen Abwehr des interna- tischen Versammlung und die Beteiligung der tionalen Terrorismus. Dieser internationale Terroris- Maghreb-Staaten sowie Ägyptens und Israels an mus fokussiert sich in Israel und seinen arabischen Veranstaltungen der Westeuropäischen Union. Nachbarstaaten. Es birgt die Gefahr, die Logik des Krieges dort wieder zur Geltung kommen zu lassen. Eine wesentliche Intensivierung der Mittelmeer- Wenn diese Logik herrscht, hat eine gemeinsame politik der Europäischen Union bedeutete die ge- Mittelmeerpolitik keine Chance. Diplomatische Be- meinsame Euro-Mittelmeer-Konferenz mit den mei- ziehungen zwischen allen beteiligten Ländern sind sten Anliegerstaaten des Mittelmeeres, außer Libyen, deshalb eine Notwendigkeit. Albanien und den Staaten des ehemaligen Jugosla- wiens, am 27./28. November 1995 in Barcelona. Zum Zweitens. Der Anteil des Welthandels an der Welt- Abschluß der Konferenz wurden die Barcelona- produktion ist von 10 Prozent auf 15 Prozent gestie- Deklaration und ein gemeinsames Arbeitsprogramm gen. Außenpolitik wird immer mehr zu Außenwirt- verabschiedet. Im Mittelpunkt der vereinbarten Zu- schaftspolitik, die Handeslbeziehungen der Staaten sammenarbeit stehen Hilfen der Europäischen Union diversifizieren sich. Sanktionen oder Embargos als an die Mittelmeer-Anrainer von 4 685 Millionen ECU Dauerinstrumente internationaler Politik werden so für 1995 bis 1999. Diese direkten Finanzhilfen wer- mehr und mehr untauglich. den ergänzt durch Hilfen der Europäischen Investiti- onsbank und bilaterale Hilfen von Mitgliedstaaten Drittens. Die Beachtung der Prinzipien der Men- der Europäischen Union an Anrainerstaaten des Mit- schenrechte und des Pluralismus wird eingefordert. telmeers. Gefährdet ist diese Hilfe vor allem, wenn Ihre Grundlage sind die entsprechenden Deklaratio- auch nur zeitweise die Logik des Krieges Vorrang be- nen der Vereinten Nationen. Dazu kommen regio- kommt. Grenzschließungen Israels gegenüber den nale Deklarationen. Von spezifischer Bedeutung für palästinensischen Gebieten, mehr noch die Bombar- den Mittelmeerraum sind die des Europarats und die dements der libanesischen Infrastruktur vernichten der Organisation Islamische Konferenz. Ein besonde- diese Hilfe. Auf Dauer wird die gemeinsame Mittel- res Problem für die Beziehungen zwischen den meerpolitik nur erfolgreich sein, wenn sich alle Betei- „westlichen" und den islamischen Staaten ist dabei ligten für die wirtschaftliche Entwicklung aller ande- die Gleichstellung der Frau. Hier ist das Schlußdoku- ren Beteiligten verantwortlich sehen. ment der UN-Konferenz zur Lage der Frau in Peking 1995 eine neue Grundlage. Deutschland sollte sehr Die entscheidenden Ziele der Barcelona-Deklara- nachdrücklich für die Menschenrechte und die Prin- tion sind: eine gemeinsame Zone des Friedens und zipien von Pluralismus und Demokratie auch in isla- der Stabilität, eine Zone gemeinsamer Prosperität, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9861' einschließlich einer Freihandelszone bis zum Jahr tierung der Menschenrechte und der Bedeutung 2010, die Partnerschaft im sozialen, kulturellen und der Zivilgesellschaften in den Staaten des südli- menschlichen Bereich, einschließlich des Austauschs chen Mittelmeerraumes; zwischen den Zivilgesellschaften. - Stand der Ratifikation und Verwirklichung der vor- Diese generellen Ziele stoßen auf offene Probleme. handenen VN-Konventionen zum Schutze der Manche sind bereits angesprochen. Offene Probleme Frauen und ihrer Rechte (Übereinkommen über einer gemeinsamen Mittelmeerpolitik für die nicht- die politischen Rechte der Frau von 1953, Überein- europäischen Teilnehmerstaaten mit Ausnahme Is- kommen zur Beseitigung jeder Form von Diskrimi- raels sind vor allem: ökonomische Rückständigkeit nierung der Frau von 1979) und Stand der Umset- und politische und ökonomische Zersplitterung. zung der Abschlußdokuemnte der 4. Weltfrauen- konferenz von 1995 (Aktionsplattform und Pekin- Mit ihrer Teilnahme an der Mittelmeerpolitik ha- ger Erklärung) in den Ländern am südlichen und ben sich diese Staaten für eine möglichst rasche Inte- östlichen Rand des Mittelmeeres; gration in einen liberalisierten Welthandel entschie- den. Dazu benötigen und erwarten sie Hilfe der EU - Stand der Wirtschaftsreformen und deren soziale und anderer Staaten und internationaler Organisatio- Absicherung; nen, insbesondere der Weltbank. Ihre eigene wirt- schaftspolitische Strategie muß auf Industrialisie- - Stand der sektorübergreifenden Vorhaben der Ar- rung, Exportförderung und Tourismusförderung ge- mutsbekämpfung; richtet sein. - Entwicklung der Umwelt, des Bevölkerungswachs- Erschreckend gering ist der Handel der nichteuro- tums und der Migration aus den Ländern des süd- päischen Teilnehmerstaaten untereinander. Bei- lichen Mittelmeerraumes in die Staaten der EU; spielsweise gehen die Exporte Ägyptens zu - Stand der Rüstungskontrollvereinbarungen, ver- 38 Prozent in die EU, zu 20,4 Prozent in die USA, aber trauensbildender Maßnahnen und Abrüstungsver- nur zu 1,5 Prozent nach Nah- und Mittelost. Eine er- einbarungen im Mittelmeerraum; folgreiche Industriealisierung mit weltmarktfähigen Betriebsgrößenstrukturen erfordert größere Märkte - Entwicklung der Rüstungsexporte aus der EU - durch handelspolitische Integration dieser Staaten. aufgegliedert nach den einzelnen Expo rt- und Im- portländern - in den südlichen Mittelmeerraum; Offene Probleme der Europäischen Union und ih- Fortschritte bei der Entwicklung einer gemeinsa- rer Mitgliedstaaten sind vor allem die Konflikte zwi- men EU-Politik zur Rüstungsexportkontrolle in die schen Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen. Das Staaten am Südrand des Mittelmeers. gilt vor allem für die Mittelmeeranrainer in der EU und macht sich insbesondere gegenüber konkurrie- Die SPD ist bereit, mit CDU/CSU, F.D.P. und Bünd- renden Agrarimporten bemerkbar. Bei den Verhand- nis 90/Die Grünen über einen gemeinsam getrage- lungen über ein Kooperationsabkommen mit Ma- nen Beschluß des Bundestages zur Mittelmeerpolitik rokko gelang es den südeuropäischen Mitgliedstaa- im Rahmen der Ausschußberatungen zu sprechen. ten, dieses Problem sozusagen auf Deutschland ab- zuschieben. Es kam zu erheblichen Differenzen über Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Für Blumenimporte aus Marokko in die Bundesrepublik. Deutschland und Europa geht es im südlichen und Die deutschen Interessen an der Mittelmeerpolitik östlichen Mittelmeerraum um fünf vorrangige Inter- lassen sich so zusammenfassen: Es geht wirtschaft- essen: lich um den Expo rt von Industrieproduktion versus Erstens. Der Nahost-Friedensprozeß muß zu einem den Import von Sonne und Energie. Es geht ange- erfolgreichen Ende geführt werden. sichts rund 2,5 Millionen muslimischer Bewohner um die Vertiefung des multikulturellen Verständnisses. Zweitens. Das Bevölkerungswachstum in vielen Mittelmeerdrittstaaten muß gebremst werden, um Deutschland ist auf dem Wege, eine euromediter- Europa nicht einer Migrationswelle aus dem Süden rane wie christlich-islamische Drehscheibe zu wer- auszusetzen. den. Und auch die Einflüsse jüdischer Kultur müssen dabei wieder willkommen sein und ungefährdet wir- Drittens. Die Belastungen des Mittelmeeres durch ken können. Einflüsse aus dem Osten und dem Sü- Schadstoffeinleitungen müssen reduziert werden. den werden sich in Deutschland verstärkt treffen. Viertens. Das erhebliche wirtschaftliche Gefälle Die Metropole Berlin wird eine besondere Rolle da- zwischen nördlicher und südlicher Mittelmeerküste bei spielen. muß abgebaut werden. Eine erfolgreiche Mittelmeerpolitik erfordert konti- Fünftens. Die Ausbreitung des islamischen Funda- nuierliche Information an Parlament und Öffentlich- mentalismus darf nicht gefördert werden. keit. Die SPD-Bundestagsfraktion forde rt deshalb die Bundesregierung auf, bis Ende 1997 dem Bundestag Bei genauer Betrachtung hängen diese Punkte eng zu folgenden Punkten zu berichten: miteinander zusammen: Der Nahostkonflikt und die - Stand der Vorbereitung zur Folgekonferenz der politische Instabilität hemmen die wi rtschaftliche Konferenz von Barcelona; Entwicklung. Ohne eine zukunftsträchtige wirt- schaftliche Entwicklung wird die Entlastung des Mit- - Fortschritte bei der Demokratisierung, der Ent- telmeers von Schadstoffimmissionen nicht erreicht wicklung des politischen Pluralismus, der Respek- werden können. Nur der sorgsame Umgang mit den 9862* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Ressourcen wird die Länder der südlichen Mittel- Wie reagieren die Staaten der Europäischen Union meerküste in die Lage versetzen, auch künftig ihren auf die Herausforderung? Wer nimmt sich dieses Bürgern ein menschenwürdiges Leben zu ermögli- Themas an? chen. Ohne wirtschaftliche Entwicklung wird das Be- völkerungswachstum nicht zurückgehen. Und Mittelmeerpolitik ist ein klassisches Feld der Spa- schließlich wird ohne den f riedlichen nationalen und nier, Portugiesen und vor allem auch Franzosen. Nur internationalen Ausgleich der Interessen dem islami- verstehen sie unter Mittelmeerpolitik vorwiegend die schen Fundamentalismus nicht zu begegnen sein. Auseinandersetzung mit dem westlichen Mittelmeer- raum. Ihre Mittelmeerpolitik ist im Grunde eine Ma- Damit spiegeln die Konflikte im Mittelmeerraum in ghreb-Politik. Würde sich eine Mittelmeerpolitik der ungeheurer Dichte die zentralen Probleme globaler Europäischen Union auf den Maghreb beschränken, Politik wider: Unterentwicklung, Bevölkerungs- dann würde sie zu kurz greifen. wachstum, Jugendarbeitslosigkeit, Auslandsver- schuldung, nationalstaatliche Egoismen, demogra- Da ist Ägypten, das auf Grund seiner Größe und phische Defizite, ein hohes Gewaltpotential und seiner Bevölkerungsstärke traditionell eine führende schließlich kulturelle und ethnische Gegensätze. Rolle im arabischen Lager wahrnimmt. Da ist die Tür- kei, die als Teil der NATO und natürlicher Verbünde- Insgesamt droht vielen Mittelmeerdrittländern ge- ter der Turk-Völker auf dem Gebiet der ehemaligen genwärtig der Übergang von der Stagnation in die Sowjetunion an Bedeutung gewonnen hat. Da ist offene Krise, die nur durch eine umfassende wirt- schließlich Israel, mit dem gerade uns Deutsche ein schaftliche und politische Strukturanpassung vermie- ganz besonderes Verhältnis verbindet und das sich den werden kann. Dazu gehören auch die Bereit- seit seiner Gründung als Teil der westlichen Staaten- schaft dieser Länder zur Zusammenarbeit unterein- gemeinschaft versteht, das von seinen Nachbarn ander und ihre Integration in den Weltmarkt. auch als westlicher Staat behandelt wird. Wenn die Europäische Union mit der Mittelmeer- konferenz vom November 1995 erstmals den Versuch Deutschland hat erhebliche Interessen im Mittel- unternommen hat, mit den Partnerländern des südli- meerraum. Deshalb müssen wir jede Arbeitsteilung chen und östlichen Mittelmeerraumes in einen ge- innerhalb der Europäischen Union vermeiden, wel- meinsamen Dialog zu treten, so ist dies nicht zuletzt che die Beziehungen zu den mittel- und osteuropäi- ein Ergebnis des Endes des Ost-West-Konfliktes, der schen Staaten vorrangig in die deutsche Verantwor- die Lage im Mittelmeerraum grundlegend verändert tung, die Beziehungen zum Mittelmeeraum vorwie- hat. Im Nahen Osten und im Maghreb finden mehr gend in die französische oder spanische Verantwor- oder weniger intensive staatliche Transformations- tung stellt. prozeße statt, die mit erheblichen sozialen Lasten für Die Ausgestaltung der Beziehungen der Europäi- die Bevölkerung verbunden sind. Die wirtschaftli- schen Union zu ihren Nachbarn im Süden und Osten chen Reformen wurden in der Regel von alten Eliten des Mittelmeerraumes wird zusammen mit der not- begonnen, die versuchten, ihre politische Macht zu erhalten. wendigen Stabilisierung Mittel- und Osteuropas zur Schlüsselfrage für die künftige Struktur unseres Kon- Ohne die Bereitschaft zum Wandel der politischen tinents. Mittelmeerpolitik ist auch im deutschen In- Systeme droht in vielen islamischen Staaten eine Le- teresse eine der zentralen Aufgaben der Gemeinsa- gitimationskrise, die die Ausbreitung des Islamismus men Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen begünstigt. Was ist eigentlich dieser islamische Fun- Union. damentalismus, über den so viele reden? Nur die Europäische Union hat die Chance, zu ei- Der Begriff unterstellt, es handele sich um eine Be- ner Atmosphäre des Vertrauens und zu einer kon- wegung, die in besonderer Weise den Ideen des Is- struktiven Partnerschaft beizutragen, die zur Bewäl- lam verpflichtet ist. Das ist aber falsch. Islamismus ist tigung der großen ökologischen, ökonomischen und nämlich im wesentlichen eine Laienbewegung, die sozialen Herausforderungen und zur Vermeidung vor allem für junge Menschen Attraktivität besitzt. von Migrationsbewegungen erforderlich ist. Die Anziehungskraft des Islamismus beruht auf einer stark vereinfachenden Ursachenanalyse für wirt- Auf Grund ihrer politischen und ökonomischen schaftlichen Niedergang und Perspektivlosigkeit, Leistungsfähigkeit kann die Europäische Union die populistischen Schuldzuweisungen, klaren Freund- Mittelmeerdrittländer unterstützen, ihre Probleme zu Feind-Bildern, auf einer instrumentalisierten Heils- meistern. Schließlich liegt der südliche und östliche gewißheit und Heilsvertröstung. Das Gefühl der Min- Mittelmeerraum geographisch, wi rtschaftlich und si- derwertigkeit und Unterlegenheit gegenüber dem cherheitspolitisch in unmittelbarer Nachbarschaft westlichen System wird durch den Anspruch morali- Europas. Rund fünf Millionen Menschen aus den scher Überlegenheit des Islam kompensiert. Damit Mittelmeerdrittländern haben ihren Arbeitsplatz in verbunden ist eine Ablehnung all dessen, was mit den Ländern der Europäischen Union. unislamisch und westlich identifiziert wird. Natürlich sind zunächst eigene Anstrengungen der Islamismus ist nicht die Durchsetzung der religiös betroffenen Länder erforderlich. Sie brauchen auch motivierten Ziele von Moslems, Islamismus ist viel- die Unterstützung der islamischen Pa rtnerländer, die mehr der Ausdruck des Wunsches marginalisierter auf Grund ihres Ölreichtums dazu in der Lage sind. Bevölkerungsgruppen nach Gleichberechtigung, Aber sie brauchen eben auch die Unterstützung der nach Veränderung, nach Wohlstand. Europäischen Union. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9863 '

Entscheidend wird nicht die Höhe der Fördermittel giger Bedeutung. Ich denke, hierzu gehört auch die sein, die aus der Europäischen Union in diese Länder Bereitschaft, für den Mittelmeerraum Verantwortung fließen. 4,7 Milliarden ECU auf fünf Jahre sind zwar zu übernehmen. Die Bundesregierung ist gefordert, ein bemerkenswerter Betrag, aber auch sie werden diese Politik in enger Abstimmung mit unseren euro- erfolglos versickern, wenn diese Länder ihr eigenes päischen Partnern fortzuentwickeln. Entwicklungspotential nicht ausreichend mobilisie- ren. Aus den Anträgen von SPD und CDU/CSU wird deutlich: Hierüber besteht weitgehend Konsens. Ich Wir haben im Antrag der Koalitionsfraktionen als denke, wir sollten diesen Konsens nutzen, an den ge- vorrangige Ziele einer Mittelmeerpolitik der Europäi- meinsamen Konzepten weiterzuarbeiten. Die Konfe- schen Union aufgeführt: renz von Barcelona war ein guter Anfang. - die Etablierung einer auf Integration und regiona- ler Zusammenarbeit aufbauenden Friedensord- Dr. Angelika Köster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIE nung; GRÜNEN): Von einer Vertiefung der Mittelmeerpoli- tik der EU zu reden heißt, sich den Herausforderun- - politische und soziale Stabilität durch ökonomische gen für demokratische, ökologische und soziale Ent- und soziale Entwicklung sowie die Einhaltung der wicklungen in dieser Region zu stellen. Demokrati- Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Pluralis- sierungsprozesse müssen im Rahmen dieser neuen mus ... und Verwirklichung demokratischer Staats- Politik vorrangig unterstützt werden. Die sie tragen- wesen; den gesellschaftlichen Akteure sind die wichtigsten - die wirtschaftliche Konsolidierung ... durch innere Hoffnungsträger für eine nachhaltige f riedliche Ent- Reformen, den Ausbau des Handelsverkehrs inner- wicklung im Mittelmeerraum, ob in Palästina, Ägyp- halb der Region ...; ten, Algerien oder Marokko. - militärische Stabilität durch Begrenzung und Ab- Gleichzeitig sind die Bemühungen um eine demo- bau des hohen Gewaltpotentials, der militärischen kratische Entwicklung in den Mittelmeeranrainerlän- Aggressionsbereitschaft und der Proliferation zu- dern eine Grundlage für die Prävention neuer ge- sätzlicher Waffensysteme. waltsam ausgetragener Konflikte, ob inner- oder zwi- schenstaatlich. Aus dieser Sachlage ergibt sich die Lassen Sie mich einen weiteren Punkt anführen: Notwendigkeit, auch die bisher nicht in diesen Aus- Wir brauchen den Austausch der Menschen und tausch einbezogenen Länder einzubinden, so z. B. Ideen, der Kulturen und Traditionen, weil Verständ- Albanien und Slowenien. Innen- und außenpoliti- nis vor allem ein Ergebnis des gegenseitigen Ken- sche Widerstände gegen die notwendigen Friedens- nens ist. prozesse in der Region sind nicht nur den islamisti- schen Terrorgruppen zuzurechnen, sondern ebenso Wir sollten uns hüten, mit vorgefertigten Urteilen gravierend sind die institutionellen Formen der Ge- Situationen in den Mittelmeerländern zu beurteilen. walt, die in vielen Ländern die innergesellschaftli- Bevormundung ist das letzte, was diese Länder brau- chen Konflikte verschärfen. chen. Bevormundung verstärkt den Islamismus. Das kann eigentlich nicht unser Ziel sein. Eine selektive Die Bundesregierung sollte in enger Abstimmung Wahrnehmung der politischen Entwicklung in den mit den europäischen Partnerregierungen Initiativen betroffenen Staaten durch die Europäer und die vor- für politische Konfliktlösungen ergreifen, die nicht eilige Parteinahme bei ihren inneren Konflikten ge- unter dem Verdacht der Fortschreibung traditioneller fährden eine europäische Strategie ebenso wie die Abhängigkeiten stehen, so z. B. in Algerien. So soll, Überbetonung religiös-kultureller Unterschiede. insbesondere angesichts der politischen Bedeutung der Region, ein gleichrangiges, von gegenseitigem Die Erklärung von Barcelona hat den Rahmen für eine multilaterale Kooperation abgesteckt. Durch Respekt geprägtes Verhältnis zwischen den Ländern multilaterale und bilaterale Kooperation werden die der EU und den ehemaligen Kolonien, insbesondere Beziehungen der Europäischen Union zu ihren Mit- im Maghreb, entwickelt werden. Die ökologischen Herausforderungen einer nachhaltigen Entwicklung telmeerpartnern künftig intensiviert. im Mittelmeerraum sind bisher nicht angemessen be- Die in Barcelona vereinbarte und bis zum Jahr rücksichtigt worden. Bei der starken Betonung der 2010 zu errichtende Freihandelszone EU-Mittelmeer wirtschaftlichen Dimension der Mittelmeerpolitik ist ein wesentlicher Beitrag zur wirtschaftlichen Ent- muß vor allem darauf geachtet werden, daß Umwelt- wicklung der Mittelmeerdrittländer. Austauschmaß- risiko-Industrien oder -Technologien nicht in die Mit- nahmen und die Zusammenarbeit von staatlichen telmeeranrainer, die nicht der EU angehören, verla- und nichtstaatlichen Organisationen können zu ei- gert werden. nem vertieften Verständnis zwischen den Ländern und Kulturen beitragen. Im Bereich des Tourismus fordern wir die Bundes- regierung auf, sich innerhalb der EU für Initiativen Die EU hat mit dem Vertrag von Maast richt verein- einer nachhaltigen Tourismusentwicklung im Mittel- bart, durch eine gemeinsame Außen- und Sicher- meerraum einzusetzen, auf der Basis der Tourismus- heitspolitik, durch gemeinsame Beschlüsse und Ak- charta von Lanzarote. Insbesondere müssen gemein- tionen das Gewicht der Eurpoäischen Union als Ak- sam mit der vom Tourismus lebenden Bevölkerung teur in der Weltpolitik zu stärken. Dabei war ihre Lösungen gesucht werden, die nachteilige soziale Verantwortung zur politischen und militärischen Sta- und kulturelle Folgen, insbesondere in den islamisch bilisierung des europäischen Kontinents von vorran- geprägten Ländern, vermeiden helfen. Dazu gehört 9864* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 die ernsthafte Beschäftigung und Auseinanderset- daß sich die EU mit zwölf zum Teil sehr unterschiedli- zung mit kulturellen Traditionen, die uns EU-Euro- chen Mittelmeer-Anrainerstaaten auf eine so um- päern nur zu oft als exotische Fassade dienen. fangreiche Agenda einigen würde?

Die sozialen Herausforderungen der Mittelmeer- An dieser Stelle ist es deshalb angebracht, dem Rat partnerschaft können wir nur in Zusammenarbeit mit und der Kommission sowie der Bundesregierung für den Nicht-Regierungsorganisationen, die sich für die ihre Initiative und deren erfolgreiche Umsetzung zu benachteiligten Gruppen in der Bevölkerung einset- danken. An der deutschen EU-Präsidentschaft hat zen, angehen. Dies soll auf EU-Ebene vor allem die SPD damals kein gutes Haar gelassen. So durch eine stärkere Unterstützung der direkten Zu- schlecht aber kann der deutsche Ratsvorsitz nicht ge- sammenarbeit von Menschenrechts-, Frauengrup- wesen sein: Die Bundesregierung hat mit Unterstüt- pen, Gewerkschaften, die aktuelle krisenhafte Zu- zung der Koalitionsfraktionen das Projekt einer spitzungen wie in Algerien zu vermeiden bzw. abzu- neuen Partnerschaft von Anfang an aktiv mit voran- bauen suchen, geschehen. Gerade die Frauen müs- gebracht. Es war der Europäische Rat in Essen, der sen in den Mittelmeerländern in besonderer Weise die Weichen für diese neue wichtige Phase der Mit- unterstützt werden, weil sie auf vielen politischen telmeerpolitik gestellt hat. Ebenen eine Kultur der Zusammenarbeit über natio- nale und religiöse Grenzen hinweg etabliert haben. Es ist in unserem ureigensten deutschen Interesse, Innerhalb der EU-Austauschprogramme sollte die neben der Heranführung der mittel- und osteuropäi- Bundesregierung, deshalb auch besonders auf eine schen Nachbarn an die EU, auch die Zusammenar- Geschlechterparität drängen. Frauen, die sich in den beit mit unseren südlichen Nachbarländern zu vertie- Konfliktregionen des Mittelmeerraums für Brücken fen. Die EU hat Nachbarn im Norden, Osten und im der Verständigung einsetzen, sollten besonders ge- Süden. Wir wollen an allen unseren Außengrenzen fördert werden. Auch im kulturellen und wissen- eine gute Nachbarschaft in Frieden, Stabilität und schaftlichen Austausch können sie am ehesten eine- Wohlstand. neue Vision der andalusischen Synthese zwischen Christentum, Judentum und Islam entwickeln, die Das Mittelmeer war in der Vergangenheit ein Meer vor der Reconquista eine multikulturelle, wissen- der Konflikte. Die Partnerschaft Europa-Mittelmeer schaftliche Blüte hervorgebracht hatte. Mit einer sol- wird wichtige Beiträge dazu leisten, Spannungsfel- chen Synthese der Kulturen und Denkansätze der in dieser Region abzubauen. Deshalb ist es ent- könnte man den Herausforderungen der Mittelmeer- scheidend, daß bei einem vertieften politischen Dia- politik wirksam gerecht werden. log sicherheitspolitische Fragen nicht ausgeschlossen werden sollen. Die Fortsetzung des Nahost-Friedens- Dr. Helmut Haussmann (F.D.P.): Es war lange Zeit prozesses hat eine zentrale Bedeutung für die Re- Tradition in diesem Haus, daß parlamentarische Ent- gion. Dieser Prozeß setzt voraus, daß alle Staaten der scheidungen in den großen Fragen der Außen- und Region sowie das Selbstbestimmungsrecht des palä- Europapolitik stets breite fraktionsübergreifende stinensischen Volkes anerkannt werden. Auch kön- Mehrheiten fanden. Dieser Grundkonsens über Par- nen die Staaten auf dem Gebiet des ehemaligen Ju- teigrenzen und Regierungswechsel hinweg hat die goslawiens und ebenso Libyen von einer europäi- gute Zusammenarbeit unseres Landes mit den Pa rt schen Mittelmeerpolitik nicht auf Dauer ausgeklam- -nerländern stark gefördert. mert bleiben.

Leider hat die Opposition diesen festen Pfad der Eine gute Partnerschaft lebt auch von visionären Übereinstimmung in der jüngsten Vergangenheit Zielen. Für alle Pa rtner von großem Vorteil wäre si- wiederholt verlassen. Ich denke hier an den Bundes- cherlich die Schaffung einer großen gesamteuro- wehreinsatz in Bosnien und die vertragsgemäße Ver- päisch-mediterranen Freihandelszone. Freihandel ist wirklichung der Europäischen Wirtschafts- und Wäh- keine Einbahnstraße. Durch Öffnung unserer Gren- rungsunion. Ob sich dies für die Opposition gelohnt zen geben wir den südlichen Nachbarn die Möglich- hat, bezweifle ich. Für das Gesamtbild Deutschlands keit, ihre Wirtschaft weiterzuentwickeln mit allen im Ausland war dies schädlich. Vorteilen für die eigene Bevölkerung. Für die euro- Um so mehr stelle ich heute mit großer persönli- päische Wirtschaft öffnen sich in unmittelbarer Nähe cher Befriedigung fest, daß der eingeschlagene Weg interessante und wachsende Absatzmärkte, die auch einer neuen Dimension der deutschen und europäi- bei uns zu mehr Beschäftigung führen. schen Mittelmeerpolitik auf nahezu ungeteilte Zu- stimmung im Parlament stößt. Dies geht auch grund- Die neuen Assoziierungsabkommen der EU mit sätzlich aus den vorliegenden Anträgen hervor. Den- Mittelmeer-Anrainerstaaten sind das wesentliche In- noch möchte ich hier nachdrücklich für die Annahme strument zur Umsetzung der neuen Zusammenar- des Koalitionsantrags werben: Er stellt die Chancen beit. Wer aber - wie wir Deutschen - aus guten Grün- und künftigen Herausforderungen für eine wach- den Freihandel anstrebt, jedoch andererseits wegen sende euro-mediterrane Kooperation heraus. Der einiger tausend Tonnen Schnittblumen aus Partikular- Bundesregierung wird eine klare Orientierung gege- interressen heraus ganze Assoziierungsabkommen ben. blockiert, macht sich unglaubwürdig. Damit diese Abkommen aber ihre positiven Wirkungen voll ent- Mit dem erfolgreichen Abschluß der Mittelmeer falten können, müssen die südlichen Pa rtnerländer Konferenz in Barcelona beginnt eine neue Ara der entschlossen soziale und wi rtschaftliche Reformen euromediterranen Pa rtnerschaft. Wer hätte gedacht, durchführen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9865*

Ein weiteres wichtiges Element der Zusammenar- sches Entwicklungsprogramm für die Region südlich beit ist die Einbeziehung des sozialen und kulturel- des Mittelmeeres im Interesse der Völker dieser Re- len Bereichs. Gute Nachbarn reden miteinander. Der gion. Dieses Programm sollte sich nicht darauf be- enge Dialog der Partner und ein reger Austausch der schränken, den europäischen Markt für Produkte - gesellschaftlichen Gruppen können die Demokratie also nicht nur für Rohstoffe - des Mittelmeerraumes und die Einhaltung von Menschenrechten fördern. zu öffnen. Es kommt vor allem darauf an, die Staaten mit Hilfe der EU in die Lage zu versetzen, daß diese Die weiterentwickelte Mittelmeerpolitik Deutsch- auf nachhaltige und sozial und ökologisch verträgli- lands und der Europäischen Union ist ein gutes Fun- che Weise ihr eigenes Wirtschaftspotential entwik- dament für eine engere Pa rtnerschaft mit unseren keln können. Nur dadurch könnten langfristig ge- südlichen Nachbarn. Alle beteiligten Staaten sind meinsamer Wohlstand und Stabilität erzielt werden. aufgefordert, durch Verstetigung und kontinuierliche Weiterentwicklung der Zusammenarbeit das Mittel- meer zu dem zu machen, was es einmal war: ein Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Meer des blühenden Handels und des Austauschs Amt: Die Große Anfrage der SPD zur Mittelmeerpoli- der Kulturen. tik, die Antwort der Bundesregierung hierauf und insbesondere die drängenden Probleme des Mittel- meerraumes haben eine ernsthafte Debatte verdient. Manfred Müller (Berlin) (PDS): Die PDS unterstützt Ich möchte einige grundsätzliche Bemerkungen zur das Anliegen der vorliegenden Anträge, zur Weiter- Mittelmeerpolitik der Bundesregierung machen. entwicklung der EU-Mittelmeerpolitik beizutragen. Auch wir sind der Meinung, daß die Konferenz von Erstens. Der gelegentlich zu hörende Vorwurf ei- Barcelona ein notwendiger und wichtiger Schritt war. ner einseitig ostwärts orientierten deutschen Außen- politik wird durch die vorliegende Antwort der Bun- Die in der Deklaration von Barcelona formulierten desregierung als undifferenzie rtes Pauschalurteil erstrebenswerten Ziele eines „gemeinsamen Frie- - entkräftet. dens- und Stabilitätsraumes" und der Schaffung ei- ner „Zone gemeinsamen Wohlstands" sind nur auf Zwar ist es richtig, daß wir auf Grund unserer Geo- der Basis einer gleichberechtigten Partnerschaft zwi- graphie und Geschichte insgesamt weniger enge schen den Staaten der EU und denen des Mittel- Bindungen zu diesem Raum entwickelt haben als an- meerraumes realisierbar. Gerade dafür aber bieten dere südliche EU-Partner. Das politische Verantwor- sowohl die gegenwärtige Strategie der EU als auch tungsbewußtsein der deutschen Außenpolitik endete die vorliegenden Anträge von Koalition und SPD jedoch noch nie an den Alpen. Es gab schon immer keine Gewähr. ein Mittelmeerengagement der Bundesregierung. Wir arbeiten aktiv mit an der Gestaltung zukunfts- An dieser Stelle nur einige Argumente zum Projekt weisender Antworten für diese so schwierige und der Freihandelszone, die bis 2010 errichtet werden komplexe Region. soll: Zweitens. Es liegt im unmittelbaren deutschen In- Erstens birgt sie die Gefahr, daß den westeuropäi- teresse, zu Stabilität und Frieden in der Mittelmeer- schen Unternehmen zwar ungehindert Zugang zu region beizutragen, und zwar bei weitem nicht nur den Märkten südlich des Mittelmeeres geöffnet und deshalb, weil hier ein Drittel des weltweiten Ölhan- ihnen Erdöl, Erdgas und andere Rohstoffe zu günsti- dels verläuft. Dies macht deutlich: Die Mittelmeerre- gen Bedingungen gesichert würden, die Entwick- gion ist für uns ein wichtiger Baustein im Gebäude lungsländer aber wegen der sich enorm verschärfen- der internationalen Politik. den Konkurrenz kaum bessere Chancen erhalten werden, ihre Agrar- und Industrieprodukte auf dem Dies gilt aber nicht nur für uns: Die Probleme des europäischen Markt abzusetzen. Mittelmeerraums sind eine echte europäische Her- ausforderung, die nur durch eine gemeinschaftliche Zweitens wird die Erhöhung der finanziellen Hilfe Anstrengung bewältigt werden kann. Dies bedeutet durch die EU nicht ausreichen, um die negativen aber, daß nationaler Ehrgeiz hinter einer gemeinsa- Auswirkungen der Freihandelszone für den Süden men Antwort Europas zurückstehen muß. zu kompensieren. Drittens. Im Mittelmeerraum gibt es ein Span- Drittens muß weiterhin befürchtet werden, daß der nungspotential, das viele Probleme der internationa- Druck der EU in Richtung uneingeschränkter Markt- len Politik widerspiegelt: Insgesamt zehn lokale und wirtschaft (einschließlich der geforderten Privatisie- regionale Krisenherde, die Gefahr der Proliferation rungen) in den arabischen und afrikanischen Mittel- von Massenvernichtungswaffen, Migrationspro- meerländern ähnlich wie in Osteuropa zu enormer bleme und Umweltrisiken - um nur das Wichtigste zu Arbeitslosigkeit und weiterer Zunahme von Armut nennen. Wir sind entschlossen, eine Entschärfung und weiteren sozialen Problemen führt. dieser Probleme nicht auf die lange Bank zu schie- Viertens würde die Übernahme des auf Profitmaxi- ben. Daher gilt es, jetzt zu handeln. Dies wollen wir mierung und Ressourcenvergeudung orientierten gemeinsam mit unseren EU-Partnern tun. westeuropäischen Wirtschaftsmodells verheerende Der Schwerpunkt des Mittelmeerengagements der Folgen für den Mittelmeerraum und die dort leben- Bundesregierung liegt daher auf engagierter Mitge- den Menschen haben. staltung der Mittelmeerpolitik der EU, insbesondere Die PDS ist deshalb gegen eine Freihandelszone. der euro-mediterranen Pa rtnerschaft, wie sie durch Wir sind der Meinung: Notwendig ist ein strategi die historische Konferenz und Erklärung von Barce- 9866* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

lona im November letzten Jahres auf regionaler Basis Algerien erteilt haben. Damit schließt die EU zum ei- ins Leben gerufen wurde. Der Anteil Deutschlands nen eine wesentliche Lücke in ihrer Mittelmeerpoli- an der konzeptionellen Entwicklung der neuen, ver- tik, zum anderen bekräftigen wir damit unseren fe- stärkten Mittelmeerpolitik der EU kommt symbolhaft sten Willen, einen substantiellen Beitrag zur politi- darin zum Ausdruck, daß die Grundlagen für dieses schen und wirtschaftlichen Stabilisierung Algeriens ehrgeizige Projekt auf dem Europäischen Rat in Es- zu leisten. sen gelegt wurden. Die EU wird all ihre Mittelmeerpartner bei den not- Viertens. Die Erklärung von Barcelona ist Aus- wendigen Strukturreformen in Wi rtschaft und Ver- druck der Entschlossenheit der EU, in den Bereichen waltung umfassend unterstützen. Sie hat hierfür für des politischen und sicherheitspolitischen Dialogs, den Zeitraum von 1995 bis 1999 Mittel in Höhe von der Wirtschaft- und Finanzbeziehungen und der so- 4,7 Milliarden ECU in der sogenannten MEDA-Haus- zialen, kulturellen und menschlichen Dimension mit haltslinie bereitgestellt. Dies entspricht einer erhebli- ihren Mittelmeerpartnern eine echte Pa rtnerschaft chen Steigerung der bisher für die südlichen Nach- aufzubauen. Dies bedeutet nicht nur Verstärkung barn zur Verfügung stehenden Mittel. der Beziehungen zwischen der EU und den einzel- nen Partnern in der Region, das heißt der Nord-Süd- Leider wird der Einsatz des Großteils dieser Mittel Dimension, sondern auch Verstärkung der Zusam- derzeit dadurch blockiert, daß Griechenland seit Mo- menarbeit der Pa rtner untereinander, also auch För- naten aus sachfremden Gründen seine Zustimmung derung der Süd-Süd-Dimension dieser Pa rtnerschaft. zur Verabschiedung der entsprechenden Rechts- grundlage, der MEDA-Finanzverordnung, verwei- Nun kommt es darauf an, die Erklärung von Barce- gert. Die Bundesregierung hat wiederholt an Grie- lona zügig mit Leben zu füllen. Hierzu sind wir ent- chenland appelliert, die Verabschiedung der MEDA- schlossen. Dabei wollen wir, daß die Zusammenar- Verordnung zu ermöglichen. Sie wird sich weiterhin beit mit den Mittelmeerpartnern in allen drei Berei- mit Nachdruck hierfür verwenden. chen gleichmäßig entwickelt wird. Im Bereich des politischen und des sicherheitspolitischen Dialogs Die umfassende Intensivierung der Beziehungen setzen wir uns dafür ein, daß die Mittelmeerpartner zu den Mittelmeerpartnern der EU hat für uns hohe auch von unseren Erfahrungen im Bereich vertrau- Priorität. Sie darf weder verzögert werden, noch dür- ensbildender und rüstungskontrollpolitischer Maß- fen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Engage- nahmen profitieren können, die diesem Raum im Ge- ments der EU entstehen. Dem werden wir mit aller gensatz zu Europa bislang weitgehend fremd sind. Entschlossenheit entgegenwirken. Deshalb unterstützen wir die französische Initiative für einen Mittelmeerpakt. Gleichzeitig streben wir an, diesen sicherheitspoli- tischen Dialog mit laufenden Initiativen der NATO, OSZE, WEU und des Nahost-Friedensprozesses ab- Anlage 12 zustimmen, um ein strategisches Gesamtkonzept zu erarbeiten. Ein synergetisches Zusammenwirken al- Zu Protokoll gegebene Reden ler Initiativen ist notwendig, denn die EU allein ist zu Tagesordnungspunkt 13 nicht in der Lage, den komplexen Problemen des ge- (Antrag: Maßnahmen für die grundlegende samten Mittelmeerraums eine strategische Antwort Verbesserung der Einnahmen der Städte, entgegenzusetzen. Gemeinden und Landkreise - Reform der Kommunalfinanzierung) Fünftens. Kernelement der wirtschaftlichen Pa rt -nerschaft ist die schrittweise Errichtung einer großen euro-mediterranen Freihandelszone bis zum Jahr Gerhard Schulz (Leipzig) (CDU/CSU): Die SED 2010. Dieses ambitiöse Projekt, das wir voll und ganz und der Sozialismus der DDR liefen immer schon der unterstützen, wird zu einer engen wi rtschaftlichen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verflechtung der Mittelmeerpartner untereinander Entwicklung hinterher. Der schmerzliche Beweis sowie mit der EU führen und damit den Mittelmeer- kam für uns Ostdeutsche, als mit der Wiedervereini- partnern auch das Tor zu ihrer Integration in die gung 1990 eine kritische Bestandsaufnahme erfolgte. Weltwirtschaft aufstoßen. Auf dem Weg dorthin wer- Auch der sogenannte „demokratische Sozialismus" den gewiß noch zahlreiche Hindernisse zu überwin- lahmt, und zwar politisch und intellektuell. Das wird den sein, doch das Ziel lohnt die Mühe. in der Diskussion, die wir heute führen müssen, wie- der einmal in eklatanter Weise deutlich. Erste, wichtige Schritte sind schon getan: Mit der Türkei und mit Israel hat die EU bereits eine Zoll- Nun gab es in der DDR eine bewährte Methode, union bzw. eine Freihandelszone verwirklicht, mit um die allen bewußte Rückständigkeit zu kaschie- Tunesien und Marokko ist die Schaffung von Frei- ren: die des Märchen-Erzählens. Der Märchenerzäh- handelszonen fest vereinbart, und mit mehreren an- ler war der Agitator. Wir Ostdeutsche wissen sicher- deren Partnern, so Ägypten, Jordanien, Libanon, lich noch, was uns das Zentralkomitee der SED in wird hierüber zur Zeit verhandelt. In diesem Zusam- stundenlangen Reden vormachen wollte, obwohl, bis menhang möchte ich ferner den Beschluß des Allge- auf einige Unverbesserliche, wir doch alle die Wahr- meinen Rates der EU von Anfang dieser Woche er- heit kannten und nie etwas auf die Reden gegeben wähnen, mit welchem wir der Kommission ein Ver- haben. Das Märchen heute heißt: Der Bund berei- handlungsmandat für ein Assoziationsabkommen mit chert sich auf Kosten der Kommunen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9867*

Ein kurzer Blick auf die Entwicklung der Steuer- der PDS führen wollen, ist deshalb im Deutschen einnahmen der Gebietskörperschaften verschafft je- Bundestag völlig deplaziert. Sie muß in den Landta- doch Klarheit. Während sich nämlich von 1992 bis gen geführt werden. 1996 die Steuereinnahmen des Bundes um rund 12 % verringerten, stiegen die Einnahmen der Gemeinden Die Regierungskoalition legte bereits zu Beginn lediglich um rund 3 %, aber die Einnahmen der Län- des Jahres 1995 einen Entwurf zu einer Gemeindefi- der stiegen um über 35 %. nanzreform vor. Vorgesehen ist die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und eine mittelstandsfreundli- Diese Zahlen kann jeder im jährlichen Finanzbe- che Senkung der Gewerbeertragsteuer. Als Aus- richt nachlesen. Sie belegen eine wesentliche Ver- gleich sollen die Kommunen einen festen Anteil an schiebung der Steuereinnahmen vom Bund zugun- der Umsatzsteuer erhalten. Damit hätten die Kommu- sten der Länder. Da diese nicht genügend an die Ge- nen nach der Beteiligung an der Einkommensteuer meinden weitergegeben haben, kam es seit 1992 zur eine weitere Beteiligung an einer zweiten großen Stagnation der Steuereinnahmen der Gemeinden. aufkommensstarken Steuer. Zudem sind in den letz- Während der Bund 1992 noch rund 100 Milliarden ten beiden Jahrzehnten die Zuwächse bei der Um- DM mehr Steuern einnahm als die Länder, wird diese satzsteuer wesentlich höher gewesen als bei der Ge- Differenz 1996 nur noch wenige Milliarden DM be- werbesteuer. Schon innerhalb der nächsten fünf tragen. Jahre hätten die Kommunen einen Tauschgewinn von über zwei Milliarden DM gemacht. Einen Ge- Wenn also der Bund Aufgabenübertragungen auf winn, den man auch schon jetzt für die vergangenen Länder und Gemeinden vornahm, hat er dafür Sorge Jahre hätte verbuchen können, wenn man sich schon getragen, daß den Ländern und Kommunen entspre- vor Jahren für eine solche Umsatzsteuerbeteiligung chende Finanzmittel zur Verfügung gestellt wurden, entschieden hätte. Leider ist diese Gemeindefinanz- damit sie diese Aufgaben auch bewältigen können. reform im letzten Jahr am Widerstand der SPD ge- Bedauerlicherweise haben die Länder eine erhebli- scheitert, obwohl der Bundesfinanzminister bei der che Summe der für die Kommunen bestimmten Fi- Einführung der Umsatzsteuerbeteiligung ausdrück- nanzmittel nicht durchgereicht, sondern zur Sanie- lich garantiert hatte, daß jede Gemeinde zumindest rung der eigenen Haushalte zweckentfremdet ver- die Mittel erhalten sollte, die sie bis dahin aus Ge- wendet. werbesteuereinnahmen erzielten. Ich will meine Ausführungen am Beispiel der So- zialausgaben konkrektisieren: Der Bund hat seit Dadurch, daß sich die PDS vehement gegen eine 1993 verschiedene Maßnahmen verabschiedet, um solche Lösung verschließt, stellt sie sich eindeutig ge- die Kommunen von Sozialausgaben zu entlasten. Der gen die Entschließung der kommunalen Spitzenver- Sozialhilfeanstieg wurde per Gesetz auf jährlich 2 % bände vom 22. November 1995, die einer unmittelba- begrenzt. Mit der Umsetzung des neuen Asylrechts ren Umsatzsteuerbeteiligung der Städte und Ge- wurde zum einen die Anzahl der Asylbewerber um meinden als Ersatz für die geplanten Gewerbesteuer- zwei Drittel reduziert und zum anderen die Zuwen- änderungen zustimmen wollen, wenn bestimmte dungen für Asylbewerber gesenkt. Die politischen Voraussetzungen erfüllt sind. Sie sprechen hier also Prügel für die beiden Punkte hat die Koalition erhal- nicht für die Gemeinden, sondern gegen sie. ten und getragen. Im Gegensatz zur SPD sehe ich die Verweige- Mit der Einführung der Pflegeversicherung wurde rungshaltung der PDS aber in einem historischen die Sozialhilfe und damit die Kommunen ebenfalls und ideologischen Zusammenhang. Die SED - und entlastet. Mit Umsetzung der zweiten Stufe der Pfle- unter den Unterzeichnern des Antrags der PDS be- geversicherung ab 1. Juli 1996 sparen die Kommu- finden sich ja auch einige SED-Mitglieder - hat zur nen wiederum mehrere Milliarden DM. Aber nur DDR-Zeit die Kommunen systematisch enteignet dann, wenn sich die Länder tatsächlich an der Finan- oder willkürlich mit enormen Schulden belastet, was zierung der Pflegeinfrastruktur beteiligen, und die- de facto einer Enteignung gleichkam. Sie kennen die ses nicht allein den Kommunen überlassen. Diskussion um die kommunalen Altschulden, wo die PDS jetzt forde rt, der Bund solle sie übernehmen. Bei der Betrachtung der Gesamtbelastung durch Diese Belastung der Kommunen erfolgte durch die Sozialausgaben kann man heute lediglich auf fun- SED bewußt, um ihre Pleite zu vertuschen. Heute dierte Zahlen des Jahres 1993 zurückgreifen. In die- verhindern diese Sozialismusgläubigen Mehreinnah- sem Jahr betrug das Sozialbudget, also die Summe men für die Gemeinden durch die Beteiligung an der aller Sozialausgaben, rund 1 100 Milliarden DM. Da- Umsatzsteuer und erreichen damit das gleiche wie von brachten der Bund 20,8 %, die Länder 9,7 % und zur DDR-Zeit, nämlich keine Entlastung, sondern die Gemeinden 8,5 % auf. Von 1990 bis 1993 stieg eine zusätzliche Belastung der Kommunen. hier der Anteil des Bundes um 2 Prozentpunkte und der Anteil der Kommunen um 0,5 Prozentpunkte. Was man aufgrund der Fakten und der heutigen Der Anteil der Länder verringerte sich jedoch um Argumentationsführung der PDS mit absoluter Ge- 0,5 Prozentpunkte und damit um 20 Milliarden DM. wißheit feststellen kann, ist die immer noch vorhan- dene Inkompetenz insbesondere in finanzwirtschaft- Die Zahlen des Sozialbudgets belegen also keine lichen Fragen, die sie heute wie zur DDR-Zeit in er- Lastenverschiebung des Bundes auf die Kommunen, schreckender Weise wieder an den Tag legt. Das ist sondern eine Lastenverschiebung von den Ländern auch kein Wunder, denn die Persönlichkeiten, die auf die Kommunen. Entlastet haben sich allein die heute das geistige und personelle Fundament der Länder. Die Debatte, die die Damen und Herren von PDS bilden, gehören zur SED-Elite. 9868* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996

Eine intensivere Betrachtung des in Ihrem Antrag PDS ihrem Antrag dann noch die Krone der Realitäts- enthaltenen Forderungskatalogs belegt dies. Man ferne auf. Schon jetzt sind die meisten Steuerämter kann ihn folgendermaßen zusammenfassen: Sie wol- der Kommunen absolut überbelastet. Der Steuerge- len eine höhere Steuerbelastung für Unternehmen setzgeber ist da nicht schuldlos, das wi ll ich gerne zu- und Bürger, Sie wollen mehr Staatswirtschaft und Sie geben. Aber wie man auf die Idee kommen kann, wollen ein noch komplizierteres Steuerrecht. Die hö- den Verwaltungsaufwand für eine Grundsteuererhe- here Steuerbelastung erreichen Sie, meine Damen bung auch noch zu vervielfachen, während die ge- und Herren von der PDS, über Ihre Forderung nach samte Bundesrepublik nach Steuervereinfachung Revitalisierung und Ausweitung der Gewerbesteuer und Entbürokratisierung schreit, das will mir, meine auf Freiberufler und andere selbständig Arbei- Damen und Herren, nicht in den Kopf. Da der Antrag tende. Abgesehen von Ihren äußerst unpräzisen Vor- in keinster Weise die tatsächliche Steuerbelastung schlägen, die Sie im übrigen von den Kollegen der für unterschiedliche Grundstücksarten auch nur grob SPD abgeschrieben haben, müssen Sie aber wissen, thematisiert oder gar quantifiziert, kann ich nicht auf daß bereits jetzt die Steuerbelastung dieses Perso- die daraus entstehenden Mehrbelastungen für die nenkreises, den Sie zur Kasse bitten wollen, um 6 % Bürger eingehen. Daß es solche Mehrbelastungen höher liegt. Gewerbetreibende, die ihren Bet rieb geben wird, ist klar, denn das ist ja gerade Ihr Ziel. nicht als Kapitalgesellschaft führen, zahlen zur Zeit bis zu 47 % an Einkommensteuer für ihre gewerbli- Nun liegt ja das eigentlich Entlarvende in dem An- chen Einkünfte, Freiberufler und Selbständige zah- trag der PDS aber in der Forderung, den Anteil der len bis zu 53 % an Einkommensteuer. Kommunen an der Einkommensteuer von 15 % auf 20 % zu erhöhen. Das liest sich gut. Das bringt Stim- Diese Steuerlast ist ohnehin viel zu hoch und hin- men, denkt der populistisch und sozialistisch ge- sichtlich der neuesten Entscheidungen des Bundes- schulte PDS-Agitator, sprich: Märchenerzähler. Aber verfassungsgerichts sehr bedenklich. Wenn Sie für bei der vorgeschlagenen Gegenfinanzierung der je- diese Berufsgruppen aber jetzt eine noch höhere weiligen Anteile von Bund und Ländern zeigt sich die Steuerlast einfordern, stellen Sie sich gegen den bei Unseriosität der PDS, die als staatswirtschaftlicher Fachleuten über alle Parteigrenzen im Deutschen Wolf im kommunenfreundlichen Schafspelz wohl in Bundestag bestehenden Konsens, daß wir in diesem der Tat nur Schafe von der Umsetzbarkeit ihrer Ideen Land die Steuern nicht anheben, sondern senken überzeugen kann. Die vorgeschlagene und übrigens müssen. Auch hier findet sich die alte Gesinnung der auch verfassungsmäßig bedenkliche Ausweitung der SED wieder. Sie haben nichts gelernt aus der Tatsa- Besteuerung von p rivaten Immobilienverkäufen che, daß hohe Steuern die individuelle Leistungsbe- reicht bei weitem nicht zur Kompensation aus. Dar- reitschaft zerstören. über hinaus finde ich es eine Zumutung, daß Sie Pri- vatpersonen, die sich mühsam aus versteuertem Ein- Flankiert wird Ihr Wunsch nach mehr Steuern von kommen ein Haus gebaut haben, bei Verkauf des der Ablehnung jeglicher Privatisierung von kommu- Hauses auch noch zur Kasse bitten wollen. nalen Dienstleistungen. Was Sie als „Tafelsilber” der Kommunen bezeichnen, wie zum Beispiel kommu- Dieser Antrag der PDS ist ein Lehrstück, daß der nale Abfall- und Abwasserentsorgungsbetriebe, sind Sozialismus der DDR, die Wirtschafts- und Leistungs- in Realität zumeist hoch defizitäre Unternehmen in feindlichkeit - und konkret bezogen auf das heutige kommunaler Hand. Eine Privatisierung führt im all- Thema - und der Drang zur strategischen Aushöh- gemeinen zum erfolgreicheren Wi rtschaften. Es gibt lung der kommunalen Selbständigkeit und Eigenver- in diesem Bereich sicherlich auch schlechte Bei- antwortung in den Köpfen der Verantwortlichen spiele. Das will ich nicht verhehlen und unter den der PDS immer noch beherrschend und gewollt ist. Teppich kehren. Aber in der Gesamtbilanz werden Es sind die Abgeordneten der PDS, die in diesem bei Privatisierungen von kommunalen Dienstleistun- Bundestag vorgeben, Forde rungen scheinbar zugun- gen in den überwiegenden Fällen sowohl die Kom- sten der Kommunen zu stellen, in Wirk lichkeit je- mune als auch der Bürger entlastet. doch den Kommunen eine Ausweitung ihrer Steuer- Auch hier haben Sie nichts aus der Geschichte ge- einnahmen durch die Beteiligung an der Umsatz- lernt, obwohl das doch Ihr großer Anspruch war und steuer verweigern. ist. Staatswirtschaft hat den Staat DDR ruiniert und die arbeitenden Menschen um die Früchte ihrer Ar- Die Regierungskoalition wird an ihrer Politik fest- beit betrogen. Hinter jedem Ihrer Gedanken, meine halten, die nachweislich die Kommunen entlastet hat Damen und Herren, liegt ein G rund, eine Gesin- und in Zukunft noch mehr entlasten wird. Wir halten nung, die in Ihrem Fall ganz konkret in der Vergan- an den Plänen für eine Gemeindefinanzreform fest genheit zu suchen und zu finden ist. Als einer der und werden sie in diesem Jahr erneut an diesem Ort wenigen selbständigen Handwerksmeister in der zur Abstimmung stellen. Und auf das Geschwätz der DDR ist mir das ganz besonders bewußt, denn ich PDS hören wir bestimmt nicht. Es ist nicht so, daß wir habe Ihre Praktiken am eigenen Leibe zu spüren be- auf diesem Ohr taub wären. Nein, wir haben ein sol- kommen. Meine Mutter ist 1972 der Enteignung nur ches Ohr überhaupt nicht. knapp entronnen, und ich weiß, worüber ich rede.

Mit dem Vorschlag für eine angeblich „ökologisch Dieter Grasedieck (SPD): Die Gemeinden stehen orientierte Reform der Grundsteuer", in dem Sie auf bereits vor dem Abgrund. In den nächsten Jahren einzelne Grundstücke innerhalb einer Gemeinde un- treibt die Bundesregierung unsere Kommunen noch terschiedliche Hebesätze anwenden wollen, setzt die einen großen Schritt weiter. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9869*

Viele Schwimmbäder, Büchereien, Theater und Ju- lition die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer er- gendhäuser müssen in unseren Städten geschlossen neut aufgreifen wollen. werden. Überall in Deutschland sind unsere Gemein- den zu diesen schmerzhaften Einschnitten gezwun- Unsere Bedingungen: gen. Die Kritik der Bürgerinnen und Bürger an kom- 1.Einvernehmen mit Ländern und Gemeinden ist er- munalpolitischen Entscheidungen wächst. Doch forderlich. nicht die Kommunalpolitiker tragen die Verantwor- tung für diese Entscheidungen. Wer die Musik be- 2. Die Gewerbeertragsteuer muß verfassungsrecht- stellt, muß sie auch bezahlen. Nach diesem Prinzip lich abgesichert werden. arbeiten Sie von der Bundesregierung schon lange nicht mehr. Es ist die Regierungskoalition, die immer 3. Die Gemeinden müssen stets an der Ansiedlung mehr gesamtstaatliche Kosten auf die Gemeinden von Betrieben interessiert sein. Eine Hebesatzrege- abwälzt. Die Kommunalpolitik wird handlungsunfä- lung könnte dieses gewährleisten. hig. Es ist die Regierungskoalition, die den Woh- nungsbau und die Städtebauförderung nicht mehr 4. Die Gegenfinanzierung einer Gewerbesteuerre- fördert. Die Gemeinden können keine oder weniger form darf nicht zu einer einseitigen Belastung von bezahlbare Wohnungen bereitstellen. Es ist die Re- Mittelstand und Handwerk führen. gierungskoalition, die die Arbeitslosenhilfe kürzt. Zum Beispiel würden von einer Abschaffung der Unsere Bürgerinnen und Bürger sind dadurch mehr Gewerbekapitalsteuer nur 16 % der Großbetriebe und mehr auf die Sozialhilfe der Kommunen ange- und Banken profitieren. Alle Bet riebe würden aber wiesen. nach den Vorschlägen der Bundesregierung belastet; Wo liegen die eigentlichen Gründe der kommuna- auch Klein-, Mittel- und Handwerksbetriebe, die len Finanzmisere? Eine der Hauptursachen für die Fi-- heute keine Steuern zahlen. Die Klein- und Mittelbe- nanznot der Gemeinden ist der dramatische Anstieg triebe haben in den letzten zehn Jahren über der Sozialhilfeausgaben. In meinem Wahlkreis Bott- 1,5 Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Die Großin- rop/Gladbeck ist der Sozialetat von 1982 bis 1995 um dustrie hat Arbeitsplätze abgebaut. Eine dera rtige das 3,5fache gestiegen. Die westdeutschen Gemein- Steuererhöhung wäre deshalb wi rtschaftspolitisch den mußten 1982 für die Sozialhilfe 16,3 Milliarden nicht zu verantworten. DM aufwenden; heute sind es 51 Milliarden DM. In Besondere Sorgen macht uns auch die Lage der den neuen Bundesländern steigen die Ausgaben von ostdeutschen Städte. Durch die sogenannten Alt- 2 Milliarden im Jahr 1991 auf 7 Milliarden DM im schulden lastet auf den ostdeutschen Gemeinden in- vergangenen Jahr. Diese explosionsartige Zunahme zwischen ein Schuldenberg von 8,7 Milliarden DM. der Sozialhilfeausgaben der Gemeinden ist auch Diese Altschulden waren Zwangskredite der DDR. durch die härteste Sparpolitik unserer Gemeinden Mit einer geordneten Finanzpolitik hatten diese Kre- nicht aufzufangen. dite nichts zu tun. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Blockadehaltung aufzugeben. Die ostdeut- In der vergangenen Woche erzählte mir ein ar- schen Gemeinden müssen entlastet werden. beitsloser Schlosser: „Ich bin jetzt 52 Jahre alt, habe 34 Jahre als Schlosser gearbeitet. Meine Firma hat Wir müssen in unserer Bundespolitik verantwort- vor circa 3 Jahren die Produktion in Gladbeck aufge- lich handeln. Der Bund darf die Lasten nicht auf die geben. Ich wurde damals arbeitslos und hatte als Kommunen verschieben. 50jähriger Schlosser auf dem Arbeitsmarkt keine Chance. Ich war schon zu alt. Jetzt bekomme ich im 1. Die Städte müssen von Sozialkosten entlastet wer- nächsten Monat 1 150 DM Arbeitslosenhilfe." Wir den. Eine Beteiligung des Bundes an der Sozial- rechneten dann die Sozialhilfe für seine Fami lie aus. hilfe ist zwingend erforderlich. Rund 8 000 DM jährliche Sozialhilfeleistung der Stadt. Hier sehen Sie besonders deutlich, wer die 2. Wir brauchen im Bund eine Wirtschafts- und Fi- Last der Arbeitslosigkeit mitträgt: Es sind unsere nanzpolitik, die für mehr Wachstum und für mehr Städte. Arbeitsplätze sorgt. Der jüngste Plan der Bundesregierung zur Absen- 3. Wir brauchen eine neue Gemeindefinanzreform. kung der Arbeitslosenhilfe ist keine Sparmaßnahme. Alle erforderlichen Aufgaben müssen die Gemein- Die Bundeslasten werden den Kommunen zugescho- den finanzieren können. ben. Die Arbeitslosigkeit wird damit kommunalisiert. 4. Wenn die Bundesregierung in der Zukunft neue Die Gemeinden werden zu Erfüllungsgehilfen einer Pflichtaufgaben bei der Kommune bestellt, muß Verordnungsmaschine degradiert. Deshalb fordern der Bund auch die Rechnung bezahlen. wir eine Beteiligung des Bundes an den Kosten der Sozialhilfe. Besonders die Sozialhilfelasten, die durch Mit dem Motivationsmotto der Bundesregierung die Langzeitarbeitslosigkeit und durch die Zuwande- für unsere Kommunen ,, Spare in der Zeit, so hat du rung entstehen, müssen künftig vom Bund übernom- in der Not auch nichts" muß endgültig Schluß sein. men werden.

Wir werden uns im Zusammenhang mit dem Jah- Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Aus welchen Gründen ressteuergesetz 1997 noch eingehend mit dem der Antrag der PDS um diese frühe Morgenzeit bera Thema Gewerbesteuer befassen, da Sie von der Koa ten werden soll, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich 9870* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 halte es auch nicht für glücklich, wenn um diese Zeit grundlegende Reform garantiert. Das Vorhaben der im Parlament Anträge beraten und beschlossen wer- Bundesregierung steht ausschließlich unter der Leit- den sollen. Gleichwohl, wir haben uns im Finanzaus- idee der Unternehmensteuerreform, die ihrerseits je- schuß im Vorfeld mit der angesprochenen Problema- doch ebenfalls nicht überzeugen kann. Die um- tik nicht nur bei diesem Antrag schon mehrfach aus- standslose Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer einandergesetzt. und die damit verbundene Senkung der Gewerbeer- tragsteuer ohne die gleichzeitige Schaffung von Die F.D.P. möchte den Kommunen interessantere überzeugenden Alternativen wird der politischen Be- Einnahmemöglichkeiten verschaffen, als dieses deutung der Städte und Gemeinden nicht gerecht. durch die Gewerbesteuer der Fall ist. Wäre den Kom- munen in der Vergangenheit schon als Ausgleich für Eine systematische Reform der Gemeindefinanzie- die Gewerbesteuer ein Anteil an der Umsatzsteuer rung muß unserer Meinung nach folgende Bedin- seitens der Länder eingeräumt worden, stünden die gungen erfüllen: Kommunen heute erheblich besser da, als dieses der- zeit der Fall ist. Im Gegensatz zur Gewerbesteuer ist Die Finanzverantwortung (A rt. 28, 104 a) muß die Umsatzsteuer eine Wachstumssteuer. Sie wissen, grundsätzlich neu geregelt werden. daß das Grundgesetz eine Beteiligung der Kommu- Das Konnexitätsprinzip des Grundgesetzes muß im nen an der Umsatzsteuer nicht vorsieht. Entspre- Rahmen einer Strukturreform der Gemeindefinanzen chende Änderungsanträge aus der Koalition zu einer wiederhergestellt werden. solchen Grundgesetzänderung wurden von der Op- position so blockiert, daß eine Zweidrittelmehrheit Um die finanzielle Eigenverantwortung der Kom- nicht erreicht wurde. munen zu stärken, muß ihnen eine Finanzausstat- tung zugestanden werden, die es ihnen ermöglicht, In der Anhörung zum Jahressteuergesetz des letz- ihr Recht auf kommunale Selbstverwaltung zu ver- ten Jahres wurde uns seitens der Sachverständigen wirklichen. Daher muß die Scherenwirkung zwi- bestätigt, daß die Gewerbesteuer ein echtes Hinder- schen unterproportional wachsenden Einnahmen nis für Investitionen in Deutschland darstellt. Sie und überproportional wachsenden Ausgaben ge- wird in anderen Ländern nicht erhoben, und sie muß bremst werden. Die förderale Lastenverschiebung gezahlt werden, auch wenn Betriebe keinen Gewinn muß aufhören. Das im Geschäftsleben übliche Motto erwirtschaften. Die Gewerbesteuer gehört abge- „Wer bestellt, bezahlt" ist auch im Verhältnis von schafft. Wir brauchen Investitionen in Deutschland, Bund und Gemeinden anzuwenden. weil nur durch Investitionen neue Arbeitsplätze ge- schaffen werden. Deshalb treten wir seitens der Die Gewerbesteuer muß revitalisiert werden. Ihre F.D.P. für die Abschaffung der Gewerbesteuer ein, Bemessungsgrundlage sollte durch Ausweitung der wobei ein Teil des Ausgleichs über eine Umsatzsteu- Gewerbesteuerpflicht auf alle Unternehmen im Sinn erbeteiligung der Kommunen erfolgen soll. Zudem des Umsatzsteuerrechts verbreitert werden. Gleich- halte ich es nach wie vor für richtig, wenn die Kom- zeitig hat ein Abbau der Freibetragsregelungen statt- munen einen eigenen Hebesatz auf einen Teil der zufinden. Die Abschaffung der Gewerbekapital- Lohn- und Einkommensteuer erhalten würden, weil steuer ist nur zu rechtfertigen, wenn gleichzeitig die dieses dazu geeignet wäre, über eine direkte Steuer Restgewerbesteuer erhalten, ausgebaut und verfas- eine direkte Verbindung zwischen den Bürgern in sungsrechtlich abgesichert wird. den Kommunen und ihren Kommunalpolitikern her- zustellen. Der Interessenzusammenhang zwischen Unterneh- men und Kommunen muß gewahrt werden. Die Ge- Die PDS als Nachfolgerin der SED hat in den meindesteuer sollte an der Produktion und der Wert- 40 Jahren Sozialismus in Deutschland gezeigt, wie schöpfung in einer Gemeinde anknüpfen, damit der sie Kommunen und die öffentliche Hand finanziell Anreiz erhalten bleibt, in ihrem Bereich Unterneh- ausgestattet hat. Wer dem Bürger immer mehr weg- men anzusiedeln und zu erhalten. nehmen möchte - wie die PDS mit diesem Antrag -, um Wohltaten durch die öffentliche Hand mit diesen Eine horizontale Streuung im Steueraufkommen Geldern des Bürgers verteilen zu können, wird erle- von Kommunen mit ähnlicher Größe und Funktion ben, daß die Bürger diese A rt der Bevormundung satt muß vermieden bzw. korrigiert werden. Diese Auf- haben. Das gilt auch für die neuen Bundesländer, in gabe kann vor allem durch eine Beteiligung der denen die Gewerbekapitalsteuer 1997 eingeführt Kommunen an der Umsatzsteuer erfüllt werden. werden müßte, wenn sie nicht ganz abgeschafft wird. Es muß ein Verteilungsschlüssel für die Umsatz- Die Zeichen sind nicht darauf angelegt, den Bürgern steuerbeteiligung präzisiert werden. Er muß sicher- mehr wegzunehmen, sondern den Bürgern mehr von stellen, daß eine Steuerkraftverbesserung bei den ihrem selbst erarbeiteten Geld zu belassen. strukturschwachen Gemeinden erreicht werden kann. Auch die Modalitäten der Umsatzsteuerbeteili- gung sollten grundsätzlich festgelegt werden. Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine Gemeindefinanzreform ist immer noch überfäl- Es muß eine Übergangszeitregelung durch einen lig. Trotz umganreicher Vorarbeiten der kommunalen Vorabverteilungsschlüssel auf Grundlage der bishe- Verbände, der Wissenschaft und Politik hat die Bun- rigen Gewerbekapitalsteueranteile getroffen wer- desregierung kein Konzept entwickelt, das eine den. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9871*

Ein langfristiger Verteilungsschlüssel muß die Si- fällig. Grundlegende Strukturdefizite der Finanzie- cherung des bisherigen Finanzaufkommens der Ge- rung der Städte, Gemeinden und Landkreise und da- meinden auch über das Jahr 2000 hinaus gewährlei- mit in Beziehung stehende Verwerfungen treten sten. nämlich immer deutlicher zutage. Die Einnahmen der Kommunen fließen äußerst unstetig, sind abhän- Die kommunale Finanzreform soll insgesamt steu- gig vor allem von der Konjunktur, von Besonderhei- erneutral erfolgen und muß mit einer Unternehmen- ten der örtlichen sowie der Wi rtschaftsstruktur - teil- steuerreform gekoppelt werden. Durch eine Auswei- weise vom Wohl und Wehe eines einzigen Unterneh- tung der Gewerbesteuerpflicht kann eine Gegenfi- mens geprägt - und insbesondere von politischen nanzierung im Bereich der Gewerbesteuer gefunden Entscheidungen des Bundes und der Länder. Der werden, ohne den Unternehmenssektor zusätzlich zu vorliegende PDS-Antrag, „Maßnahmen für die belasten. grundlegende Verbesserung der Einnahmen der Städte, Gemeinden und Landkreise (Reform der Ökologische Erfordernisse müssen berücksichtigt Kommunalfinanzierung)" , will diese unhaltbare Si- werden. Bodenbesteuerung im Sinne einer ökologi- tuation verändern. schen Lenkung muß als Teil einer Gemeindefinanz- reform verstanden werden. Steuerliche Privilegierun- Die Kreditmarktschulden der Kommunen belaufen gen von Wertzuwächsen (Ausrichtung an der Lei- sich bundesweit kumulativ auf rund 190 Milliarden stungsfähigkeit) müssen beendet und die Funktions- DM. Das Anfang 1996 von den kommunalen Spitzen- fähigkeit des Bodenmarktes muß im Hinblick auf verbänden prognostizierte Finanzierungsdefizit von eine effizientere und ökologisch verträglichere Ver- 12 Milliarden DM wird wegen unerwartet hoher wendung von Grund und Boden verbessert werden. Steuerausfälle bis Jahresende voraussichtlich bereits auf 20 Milliarden DM angewachsen sein. Die Kom- - munen werden vom Bund, aber auch von den Län- dern zusehends als haushalts- und finanzpolitische (PDS): Die Bundesregierung Dr. Uwe-Jens Rössel Manövriermasse behandelt. Sie haben im Bundestag hält in ihrem sogenannten Programm für mehr und in den Landtagen kaum eine Lobby und können Wachstum und Beschäftigung daran fest, die Gewer- in den allermeisten sie betreffenden Fragen lediglich bekapitalsteuer vollständig abzuschaffen sowie die am Katzentisch von Bund und Ländern - ohne Gewerbeertragsteuer weiter einzuschränken. Als Stimmrecht - teilnehmen. Offensichtlich ist daher, „Ausgleich" für daraus resultierende jährliche Ein- daß Städte, Gemeinden und Landkreise eine im nahmeausfälle in Höhe von rund 7 Milliarden DM Grundgesetz verankerte Interessenvertretung benö- sollen die Städte und Gemeinden im Rahmen der tigen. Dafür dürfte die Einrichtung einer Kommunal- morgen beginnenden parlamentarischen Debatte kammer - gleichrangig neben Bundestag und Bun- zum Jahressteuergesetz 1997 an der Umsatzsteuer desrat - eine geeignete Möglichkeit sein. Die PDS- beteiligt werden. Die Verwirklichung eines solchen Bundestagsgruppe jedenfalls will sich dafür stark Vorhabens würde jedoch „keine müde Mark" an machen. Mehreinnahmen für die Kommunen bringen. Sie würde deren Finanzierung überdies auf eine noch Die Bundesregierung will offenkundig nicht wahr- unsicherere Grundlage stellen. haben, daß die dramatische Finanznot von Städten, Gemeinden und Landkreisen eine latente Gefahr für Nachdem der genannte Vorstoß der Bundesregie- das Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland rung im Jahressteuergesetz 1996 nicht durchsestzbar überhaupt darstellt. Diese Einschätzung hat nichts war und am gemeinsamen Handeln von SPD, BÜND- mit einem Schreckensszenario zu tun, sondern ist NIS 90/DIE GRÜNEN und PDS sowie am Widerstand durch Fakten belegt. Immer mehr Kommunen sind der kommunalen Spitzenverbände scheiterte, soll nicht einmal mehr in der Lage, ihnen obliegende so- jetzt die „gleiche Soße ohne Änderungen wieder auf- genannte freiwillige Aufgaben namentlich auf sozia- gewärmt werden" . Das lehnt die PDS-Bundestags- lem und soziokulturellem Gebiet zu erfüllen. Auch gruppe entschieden ab. Auch die von der Bundesre- dadurch wird die Spaltung vor allem der Städte in gierung den Kommunen wiederholt erteilte Auffor- arm und reich weiter vorangetrieben, können sich derung, ihre Finanzlöcher durch einen zügellosen Gewalt und Kriminalität teilweise unkontrollie rt aus- Verkauf Ihres Tafelsilbers - Wohnungen, Unterneh- breiten, nimmt der Verkehrsinfarkt immer schmerzli- men, Grund und Boden - zu lösen, kommt über das chere Züge an. Stadium haushaltspolitischer Flickschusterei nicht hinaus und wird von uns abgelehnt. Pa rtielle Priva- Besorgniserregend ist aber auch der gravierende tisierungen - zum Beispiel von Reinigungsdiensten - Rückgang der kommunalen Investitionen in West- können unter bestimmten Voraussetzungen selbst- wie Ostdeutschland. Trotz des immensen Staus auf verständlich durchaus sinnvoll sein. dem Gebiet der Infrastruktur verringerten sie sich in den neuen Bundesländern von 17,7 Milliarden DM in Anstatt dieser Praktiken der Bundesregierung ist 1994 auf 15,9 Milliarden DM im Jahr 1995. Für 1996 angesichts der dramatischen Finanznot der überwie- droht ein weiteres Absinken um mindestens 2 Mil- genden Mehrheit der insgesamt 15 000 Städte und liarden DM. Das ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht Gemeinden bzw. 323 Landkreise in der Bundesrepu- für den von der Bundesregierung vorgeschlagenen blik sowie der anhaltenden Strukturkrise der Kom- Aufbau Ost, sondern bedeutet bundesweit, daß die munalfinanzen jedoch eine Reform der Kommunalfi- Kommunen ihrer Verantwortung als wichtigster öf- nanzierung, die ihren Namen verdient, längst über fentlicher Auftraggeber sowie bedeutender Arbeit- 9872* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 geber immer weniger gerecht werden können. Die rung im gleichen Zeitraum insgesamt 4,4 Milliarden Leidtragenden sind vor allem mittelständische und DM an eigenen Einnahmen verloren. Die Länder pro- Handwerksbetriebe, darunter das so leidgeprüfte fitieren von der genannten Steuerrechtsänderung mit Baugewerbe. einem Einnahmeplus, das mit 7,9 Milliarden DM al- lerdings weit geringer als für den Bund ausfüllt. Viele Kommunen sind nicht einmal mehr in der Lage, den für die Gewährung von Fördermitteln des Darüber hinaus soll unter Berücksichtigung des Bundes, der Länder bzw. der Europäischen Union er- damit verbundenen Verwaltungsaufwandes geprüft forderlichen Eigenanteil - mitunter beträgt der Ei- werden, bei der Verteilung der Einkommensteuer genanteil lediglich 10 % an der auszureichenden För- vom bisher ausschließlichen Wohnortprinzip abzuge- dersumme - aufzubringen. Daraus entsteht zugleich hen und künftig die Verteilung der Einkommen- die schizophrene Situation, daß bestimmte Förder- steuer im Sinne einer Verkopplung von Wohnortprin- töpfe nicht mehr bzw. nicht mehr in dem zur Verfü- zip mit dem Arbeitsortprinzip vorzunehmen. Auf gung stehenden Umfang ausgereicht werden kön- diese Weise wird ermöglicht, daß vor allem die gro- nen, obwohl der Bedarf immens ist. ßen Städte, die unter der akuten Finanznot beson- ders zu leiden haben, besser in die Lage versetzt Eckpunkte des PDS-Antrages über „Maßnahmen werden, ihnen obliegende besondere Aufgaben vor für die grundlegende Verbesserung der Einnahmen allem auf sozialem und soziokulturellem Gebiet zu fi- der Städte, Gemeinden und Landkreise (Reform der nanzieren. Kommunalfinanzierung) " sind: Erstens. Unternehmen dürfen nicht aus ihrer Ver- Drittens. Die Grundsteuer soll auch im Lichte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom vergan- antwortung für die maßgeblich von ihnen genutzte Infrastruktur entlassen werden. Daher soll die Ge- genen Jahr zu einheitswertabhängigen Steuern als eine wichtige kommunale Einnahmequelle (jährlich werbesteuer als Bindeglied zwischen der ortsansässi-- gen Wirtschaft und der Gemeinde nicht wie von der etwa 13 Milliarden DM) erhalten bleiben und vor al- lem in Richtung eines ökologisch orientierten Boden- Bundesregierung beabsichtigt abgeschafft, sondern steuerkonzeptes weiter ausgestaltet werden. erhalten und - bezogen auf die Ertragsteuer - revita- lisiert werden, wobei gleichzeitig auch die bekla- Viertens. Im Grundgesetz soll verankert werden, genswerte Konjunkturabhängigkeit der Städte und daß den Städten, Gemeinden und Landkreisen vom Gemeinden bei der Gewerbesteuer vermindert wer- Bund und den Ländern Aufgaben, die zu Mehrbela- den soll. stungen für die betroffenen Kommunen führen, nur Der Kreis der Steuerpflichtigen bei der Gewerbe- dann übertragen werden dürfen, wenn gleichzeitig steuer sollte daher insbesondere durch die Einbezie- die dafür erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfü- hung kapitalkräftiger Freiberufler, Vermögensbera- gung gestellt werden. tungsfirmen sowie Unternehmen aus der Branche Fünftens. Die ostdeutschen Kommunen sollen min- „Vermietung und Verpachtung" erweitert werden, destens bis zum Jahre 2002 eine gesetzlich garan- die künftig ab einer angemessenen finanziellen tierte Investitionspauschale erhalten. Diese Pau- Grenze Gewerbeertragsteuer und Gewerbekapital- schale sollte 200 DM je Einwohnerin bzw. Einwohner steuer entrichten sollten. betragen. Die Regelung zur Verteilung soll so erfol- Die jetzigen Freibeträge für die Gewerbesteuer gen, daß eine volle Verfügbarkeit dieser Mittel für sollen prinzipiell verändert werden. Sie können die Kommunen gesichert wird. Die Finanzierung die- durch eine solche Neuregelung der Freibeträge er- ser Pauschale könnte auch mit aus der Rückholung setzt werden, mit der vor allem kleine Gewerbetrei- von Forderungen des Bundes aus dem Verkauf ost- bende und Handwerker von Steuerbelastung ausge- deutscher Banken erfolgen. nommen würden, ohne daß gleichzeitig die großen Unternehmen von einer A rt Mitnahmeeffekt profitie- ren könnten.

Zweitens. Die Wirksamkeit der Einkommensteuer Anlage 13 für die Kommunalfinanzierung soll spürbar erhöht werden. Der Anteil der Gemeinden an der Einkom- Erklärung des mensteuer soll von derzeitig 15 Prozent auf künftig Abgeordneten Günter Marten (CDU/CSU) 20 Prozent vergrößert werden. Bund und Länder sol- zur Abstimmung über den von der Fraktion len dementsprechend auf einen bestimmten Anteil der F.D.P. gestellten Antrag an der Einkommensteuer verzichten. Das erscheint „Verfassungsgebotene Einhaltung des bundes angesichts des zunehmenden Entzugs von Einnah- einheitlichen Schwangeren- und Familienhilfe mequellen der Kommunen im Rahmen von Steuer- änderungsgesetzes des Bundes rechtsänderungen zugunsten vor allem des Bundes, vom 21. August 1995 aber auch der Länder mehr als gerechtfertigt. Im Er- durch die Bayerische Staatsregierung" gebnis der Steuerrechtsänderung im Zeitraum 1991 - Drucksache 13/4879 - am 13. Juni 1996: bis 1996 nimmt der Bund, Recherchen des Rheinisch Westfälischen Instituts für Wi rtschaftsforschung zu- Ich habe an der Abstimmung nicht teilnehmen folge, zusätzlich 183 Milliarden DM ein. Dagegen ge- können. Ich erkläre, daß ich den Antrag abgelehnt hen den Kommunen durch diese Steuerrechtsände hätte. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juni 1996 9873*

Anlage 14

Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Maria Eichhorn (CDU/CSU) zur Abstimmung über den von der Fraktion der F.D.P. gestellten Antrag „Verfassungsgebotene Einhaltung des bundeseinheitlichen Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes des Bundes vom 21. August 1995 durch die Bayerische Staatsregierung" - Drucksache 13/4879 - am 13. Juni 1996: Ich habe an der Abstimmung teilgenommen und mit Nein gestimmt.