»Wenn man eine richtige Haltung hat, ist immer Platz für Optimismus«

Eine biografische Skizze Willi Gaischs entlang der Bruchlinien 1934 – 1938 – 1945 – 1956 – 1968 – 1989

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie

an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Hanno Wisiak

am Institut für Geschichte Begutachter: Univ.-Prof. Dr. Dieter Anton Binder

Graz, 2011 Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis...... 2 Vorbemerkungen ...... 5 Erinnerungen. Statt einer Einleitung...... 7

1. Theoretische Überlegungen...... 9 1.1 Theoretische Bemerkungen zur ›Biografie‹ ...... 9 1.2 Theoretische Bemerkungen zur ›Oral History‹...... 10

2. »Ein bescheidenes, mühsames Leben.« – Kindheit und Jugend ...... 13 2.1 Sein Umfeld. Graz in der Zwischenkriegszeit ...... 13 2.1.1 Der Bezirk Gries...... 13 2.1.2 Die Sozialen Verhältnisse...... 14 2.2 »Jedenfalls hat mein politisches Leben als Kind angefangen.« Seine Eltern: Georg Gaisch und Jochewet Rudmann ...... 15 2.3 »Dort hab ich die Kindheit verbracht« Kinderfreunde und rote Falken...... 18

3. »In Österreich siegte die Reaktion.« – Der 12. Februar 1934...... 21 3.1 Der Weg in den Bürgerkrieg. Ein historischer Abriss...... 21 3.2 Nach dem Aufstand...... 23 3.2.1 Exkurs: Zum Begriff ›Austrofaschismus‹...... 24 3.2.2 Illegale politische Arbeit von KPÖ und KJVÖ im Austrofaschismus...... 26 3.2.3 Willi Gaischs Tätigkeit ...... 28 3.2.4 Für die »freie, unabhängige, demokratische Republik Oesterreich« ...... 29

4. »Das österreichische Volk ist vergewaltigt worden« Die Annexion Österreichs...... 33 4.1 »Die waren brutal von Anfang an.« Die NS-Herrschaft etabliert sich...... 33 4.2 »Leib und Leben einzusetzen im Kampf für ein freies, unabhängiges Österreich!« Der kommunistische Widerstand...... 35 4.3 »Ohne das Glück würde ich nicht da sitzen.« – Willi Gaisch politisch und ›rassisch‹ verfolgt...... 38 4.3.1 »Nie als Jude gefühlt« ...... 38 4.3.2 »Da sind wir noch mehr zusammengewachsen.« ...... 39 4.3.3 »Delikt oder Grund: ›Kommunistische Betätigung‹« ...... 41

2 5. Die Befreiung ...... 45 5.1 Die Befreiung von Graz...... 45 5.2 »Ich hatte keinen Dunst vom Zeitungmachen.« Die Wahrheit...... 48 5.3 Wiederaufbau und kalter Krieg ...... 52 5.3.1 Überschätzte Perspektiven. Die KPÖ und allgemeine Wahlen...... 53 5.3.2 »Gegen die widerliche Astgemeinschaft von Kapitalisten und rechten SP-Führern« ...... 55 5.3.3 »Wir haben die Massen in der Hand gehabt.« Die steirische KPÖ und der ›Oktoberstreik‹ 1950...... 57 5.3.4 Die KPÖ und der Kampf zweier Weltsysteme...... 61 5.3.5 »Öffentlich sind wir nie gegen die Linie der Partei aufgetreten.« Der Bruch mit der KP Jugoslawiens und die steirische KPÖ...... 64 5.3.6 Für Frieden, Neutralität und Staatsvertrag...... 66

6. Der XX. Parteitag der KPdSU und die Ereignisse in Ungarn...... 69 6.1 »Die gemeinsame Führung ist stärker als die stärkste Persönlichkeit.« Der XX. Parteitag der KPdSU ...... 69 6.1.1 Die KPÖ und der ›Personenkult‹...... 72 6.1.2 Exkurs: Zum Begriff ›Stalinismus‹...... 75 6.2 Die »Ungarische Tragödie« ...... 76 6.2.1 Die Ereignisse in Ungarn 1956 Ein historischer Abriss...... 78 6.2.2 »Solidarität mit unseren Brüdern« Die Haltung der KPÖ...... 79 6.3 Auswirkungen und Bedeutungen...... 81 6.3.1 »Viele zweifeln an der Zukunft des Sozialismus.« Willi Gaisch und die Einheit der Partei in Graz...... 81 6.3.2 »Die Partei ist kein Diskutierklub.« Der 17. Parteitag der KPÖ...... 83 6.3.3 Die Nachwehen – Gräben tun sich auf...... 84

7. 1968 und die Folgen...... 88 7.1 Der ›Prager Frühling‹. Ein historischer Abriss ...... 89 7.1.1 Ökonomischer Schwenk und politischer Wandel ...... 89 7.1.2 Besorgnis und Intervention...... 92 7.2 »68 war ein tiefer Einschnitt.« Die Parteikrise der KPÖ ...... 95 7.2.1 »Eine heftige und gehässige Auseinandersetzung«...... 96 7.2.3 Der gescheiterte ›Neubeginn‹. Der 20. Parteitag der KPÖ ...... 98 7.2.4 »Die Führung ist auseinandergebrochen« ...... 100 7.3 ›Normalisierung‹ ...... 103 7.3.1 ›Zusammenarbeit zwischen den Bruderparteien‹...... 103 7.3.2 »Kampf um die Wiederherstellung der Einheit der Partei« ...... 104 7.3.3 »In schärfster Opposition zur Politik der Regierung Kreisky und zur SPÖ«...... 105 7.4 Willi Gaisch und der reale Sozialismus ...... 108 3 7.4.1 »Die Realität sehen« Willi Gaisch über die sozialistischen Länder ...... 108 7.4.2 »Lobhudelei in Wirklichkeit«. Willi Gaischs Broschüre ›Der verwirklichte Sozialismus‹...... 110 7.3.3 ›Perestroika‹ und ›Glasnost‹...... 112

9. 1989: Das ›Ende der Geschichte‹? ...... 115 9.1 »Teils richtige, teils verfehlte, teils vereitelte Politik.« Willi Gaisch und das Ende des Sozialismus...... 116 9.1.1 Historischer Abriss...... 116 9.1.2 »Unser unrealistisches Sozialismusbild mitgeprägt«. Das Ende des Sozialismus und die Identitätskrise der KPÖ...... 118 9.1.3 »Die Chance, daß aus unserer Partei wieder was wird« Der Grazer Parteitag 1991 und die ›Neuorientierung‹ der KPÖ...... 119 9.1.4 Erneuter Richtungsstreit statt ›Erneuerung‹...... 121 9.2 »Auf keinen grünen Zweig« Der Bruch der KPÖ Steiermark mit der Bundespartei...... 122 9.2.1 »Loyale Opposition ihrer Majestät der Europäischen Zentralbank« vs. »Ehebaldigst möglicher Austritt Österreichs aus der EU«...... 123 9.2.2 »Ausdauer, Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit« Der Aufstieg der KPÖ Steiermark ...... 125 9.2.3 »Eine theoretische Stütze unserer praktischen Arbeit«. Auf dem Weg zu (k)einem neuen Parteiprogramm ..... 128 9.2.4 Der ›Strukturstalinismus‹ der ›Anti-StalinistInnen‹...... 132 9.2.5 »Eine aufgepflanzte Fahne für Sozialstaatlichkeit und Sozialismus«. Das theoretische Wirken Willi Gaischs in den letzten Jahren...... 138

Nachwort ...... 145

Abkürzungsverzeichnis ...... 146

Literaturverzeichnis...... 148 Bibliografie ...... 148 Quellen…...... 152 Gedruckte Quellen...... 153 Kommunistische Zeitungen ...... 154 Internet…...... 155 Interviews...... 156

4 Vorbemerkungen In der vorliegenden Arbeit wurde die Schreibweise der zitierten Quellen der neuen Rechtschreibung nicht angepasst; lediglich offensichtliche Schreib- bzw. Tippfehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Titel von Beiträgen und Aufsätzen aus Sammelbänden und Zeitungen bzw. Zeit- schriften werden ebenso wie die Namen von deren VerfasserInnen in den Anmerkungen vollständig wiedergegeben, wovon aus Platzgründen bei den im Literaturverzeichnis ange- führten Werken abgesehen wurde. Die Zitation charakteristischer und repräsentativer Persönlichkeiten bzw. Texte sowie von Artikeln und Stellungnahmen aber auch Erinnerungen Willi Gaischs soll nicht nur bloße Nacherzählerei verhindern, sondern dient vor allem dazu, Selbstverständnisse, Werthaltungen und Handlungsweisen der zitierten Personen und Institutionen eo ipso zu illustrieren. Sie werden mitunter einander gegenübergestellt, um den LeserInnen die historischen Bruchlinien und die ihnen zugrunde liegenden (Welt-)Anschauungen zu vergegenwärtigen. Gewertet sollen sie nicht werden und kommentiert nur dann – in kurzen Exkursen –, wenn verwendete Begrifflichkeiten eine Reflexion nahe legen.

Danken möchte ich Hilde Gaisch und Lore Rossol, die ich erst durch den traurigen Anlass des Todes von Willi Gaisch kennen gelernt habe und mit denen mich mittlerweile enge freundschaftliche Bande verbinden. Genannt werden müssen auch Samuel Stuhlpfarrer und Robert Krotzer, die mir viele wertvolle Hinweise und Anregungen gegeben haben sowie Alexander Dinböck und vor allem Werner Murgg, der Willi Gaischs Nachlass verwaltet, sowie Manfred Mugrauer von der Alfred-Klahr-Gesellschaft. Sie alle haben mir zahlreiche Quellen zur Verfügung gestellt oder zugänglich gemacht. Auch Michael Egger vom Oral- History-Archiv am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Graz, Heimo Halbrainer vom Verein CLIO und Ute Sonnleitner von der Abteilung für Zeitge- schichte an der Universität Graz, deren Unterstützung und Ratschläge mir sehr geholfen haben gebührt mein Dank. Erwähnt werden müssen an dieser Stelle auch Annette Kravagna und Bernd Mugele von der Bibliothek des KPÖ-Bildungsvereines. Ganz besonders hervorheben möchte ich meine Eltern, die mich über all die Jahre – emotional und finanziell – ausgehalten haben. Von ganzem Herzen gedankt sei zu guter Letzt Elmar Schübl und Johannes Uray vom Zentrum für Wissenschaftsgeschichte der Karl- Franzens-Universität Graz und allen voran meiner Lebensgefährtin Silvia, die mich in den

5 letzten Monaten nicht nur mit Rat und Tat unterstützt, sondern mitunter auch geduldig ertragen haben.

6 Erinnerungen. Statt einer Einleitung »Wenn man eine richtige Haltung hat, ist immer Platz für Optimismus«,1 bemerkte Willi Gaisch fast beiläufig im Zuge eines Tonbandinterviews,2 bei dem er über sein langes politisches Wirken sprach, über die Höhen und Tiefen eines Lebens als Kommunist ange- sichts der politischen Entwicklungen in Österreich und der Welt. Der Marxismus war ihm immer Richtschnur.

Buchstäblich bis zuletzt war Gaisch mitten in den politischen Bewegungen gestanden und trotz angeschlagener Gesundheit am 5. November 2009 ins Taxi gestiegen, um an einer Demonstration3 von Tausenden Grazer Studierenden teilzunehmen. Die Einladung der uni brennt-Bewegung zu einem von Prof. Helmut Konrad eingelei- teten Zeitzeugengespräch am 10. Dezember4 im damals besetzten Hörsaal A der Grazer Vorklinik hatte er umgehend angenommen. Schon seit acht Uhr morgens waren wir gemeinsam unterwegs. Es war der erste Drehtag eines Filmprojektes über das bewegte Leben Willi Gaischs, das ich damals zusam- men mit Colette M. Schmidt, Sigmund Steiner und Samuel Stuhlpfarrer in Angriff genommen hatte. An die 250 ZuhörerInnen waren erschienen, um Gaischs Ausführungen über seine Kindheit und sein Wirken im antifaschistischen Widerstand zwischen 1934 und 1945 zu folgen. Er war freudig überrascht über das rege Interesse und wir zufrieden über die Kulisse, die ein so großes Auditorium im Film bieten würde. Ein Schlaganfall verhinderte, dass er seinen Vortrag, in dem er die Zusammenhänge zwischen dem Kampf gegen die Faschismen und den Protesten an den Universitäten und anderswo verdeutlichen wollte, zu Ende bringen konnte. Fassungslos alarmierten wir die Rettung und fuhren ins LKH, wo wir warteten, bis seine Frau und deren beider Tochter kamen. Von wem ich erfahren habe, dass Willi Gaisch in der Nacht gestorben war, weiß ich nicht mehr.

1 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0152), 29. September 2009. 2 Zusammen mit Colette M. Schmidt und Samuel Stuhlpfarrer führte der Verfasser eine Reihe von Tonbandinterviews mit Willi Gaisch im Grazer Café Weitzer in Vorbereitung auf den Film Genosse Wadtischki. – Anm. hw. 3 Die zentralen Forderungen der Grazer Demonstration im Rahmen eines bundesweiten Bildungs- aktionstages der Besetzungsbewegung waren: »Freie Bildung für alle! Gegen die Ökonomisierung und Verschulung der Unis! Für genügend Studienplätze, um studieren zu können! Zeitgemäße Ausstattung der Lehrsäle und Bibliotheken! Für eine Demokratisierung des Bildungswesens und der gesamten Gesellschaft!« (http://www.facebook.com/event.php?eid=97247254995&index=1, 24. Juni 2010) 4 http://www.kultur.graz.at/kalender/event/895936943, 24. Juni 2010. 7

Willi Gaisch hatte ich schon bald nach meinem Eintritt in die KPÖ im Jahr 2000 nicht nur kennen sondern auch schätzen gelernt. Umso mehr schockierte es mich, dass am Tag nach der Trauerfeier in der Grazer Feuerhalle der Verstorbene in einer Klammerbemerkung in einem Gastkommentar in der Kleinen Zeitung als »alter steirischer Stalinist« diffamiert wurde.5 Erst am Tag zuvor, an Willi Gaischs Sarg, hatte der Zeithistoriker und ehemalige Rektor der Grazer Karl-Franzens-Universität, Helmut Konrad, der Trauergemeinde mitgeteilt, dass der Hörsaal A der Universität Graz nach Gaisch benannt würde.6 Mit dem nachgerade zur Staatsdoktrin geronnenen Antikommunismus war Willi Gaisch zeit seines Lebens konfrontiert gewesen. Er versuchte, sowohl die Wurzeln als auch die Blüten, die vor allem dessen sozialdemokratische Spielart trug, zu überwinden. Während KommunistInnen und SozialistInnen an der Basis nicht selten in den politischen und sozialen Auseinandersetzungen zusammenarbeiteten, wurde von der sozialdemokratischen Parteifüh- rung der Antikommunismus quasi verordnet. Wie tief dessen Wurzeln reichen und welche Blüten er treiben sollte, verdeutlichte jener Gastkommentar eines ehemaligen Redakteurs der sozialdemokratischen Neuen Zeit und nunmehrigen außerordentlichen Professors am Institut für Soziologie der Grazer Universität.

5 Der Gastkommentar setzte sich eigentlich mit der Situation der österreichischen Universitäten und den Studierendenprotesten des Herbsts 2009 auseinander. »Was haben die Studierenden erreicht? Je- denfalls gelang es ihnen, Fragen der Hochschulbildung auf die innenpolitische Tagesordnung zu brin- gen. Allein schon deswegen sollten ihnen die Rektoren dankbar sein. […] Und sonst? Ja, sonst hat sich weniger getan und noch weniger bewegt. Arbeitsgruppen werden beraten, ein Hörsaal der Grazer Uni wird umbenannt (der Namenspatron ist schändlicherweise ein alter steirischer Stalinist) und vor allem verspre- chen alle, mehr Geld lockerzumachen.« (Christian Fleck, Mehr Geld hilft nicht, In: Kleine Zeitung, 22. Dezember 2009, S. 34; Hervorhebung von mir – hw.) 6 Vgl. http://www.kpoe-steiermark.at/index.php?aid=4864, 24. Juni 2010. 8 1. Theoretische Überlegungen

1.1 Theoretische Bemerkungen zur ›Biografie‹ In Willi Gaischs Biografie spiegeln sich nicht nur die Bruchlinien des ›kurzen 20. Jahrhunderts‹ (Eric Hobsbawm) sondern gleichsam die Höhen und Tiefen, die Siege und Niederlagen, die Erfolge und Fehler der kommunistischen Bewegung in Österreich, die für Willi Gaisch immer der Mittelpunkt seines Lebens war. Wenn man ernsthaft von der geschichtlichen Bestimmtheit der persönlichen Identität des Menschen sprechen will, muß man sich mit dem Gedanken an- freunden, daß hinter der nahezu unübersichtlichen, epochalen, sozial-struktu- rellen und kulturellen Vielfalt der Bedingungen des Lebenslaufs nicht eine uni- verselle, ahistorische, rein in ihrer Subjektivität begründete »Menschlichkeit« steht. Dahinter steht vielmehr eben eine epochal, sozial-strukturell und kultu- rell typische Form der Individuation.7 Diesem Ansatz Luckmanns folgend, kommen wir in dieser Arbeit ebenso wenig umhin, ereignisgeschichtliche Überblicke zu geben, wie deren Auswirkungen auf Willi Gaischs Um- feld zu schildern. »Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen«,8 formulierte Marx im Plural das, was wir mutatis mutandis im Singular in Hinblick auf Gaisch untersuchen wollen, um seine (politischen) Haltungen nachvollziehbar zu machen. Die von ihm getroffenen Entscheidungen, die sich – besonders in den zeithistorischen Brüchen – immer wieder von denen seiner – oft langjäh- rigen – Weggefährten unterschieden, determinierten seine weitere Biografie, deren Herzstück immer die Kommunistische Partei Österreichs war. Der organisatorische Rahmen9 seines Wirkens bewegte sich also entlang dessen, was in kommunistischer Diktion als ›Parteilinie‹ apostrophiert wurde. Im Ringen um selbige nahm er nicht immer exponierte, jedoch stets prinzipielle Standpunkte ein. Es ergibt sich, daß die Persönlichkeiten kraft der gegebenen Besonderheiten ihres Charakters die Geschicke der Gesellschaft beeinflussen können. Mitunter ist dieser Einfluß sogar recht beträchtlich, aber sowohl die Möglichkeit einer solchen Beeinflussung selbst als auch ihr Ausmaß werden durch die Organi-

7 Thomas Luckmann, Persönliche Identität und Lebenslauf – gesellschaftliche Voraussetzungen, In: Klingenstein/Lutz/Strourzh (Hg.), Biografie und Geschichtswissenschaft, S. 36f. 8 Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (1852), In: MEW Bd. 8, S. 115. 9 »Der Ablauf des institutionalisierten Handelns ist ›objektiv‹ festgelegt, das heißt, er wird vom ›zweck- rationalen‹ Sinnzusammenhang des jeweiligen spezialisierten Institutionsbereichs bestimmt.« (Luck- mann, Persönliche Identität und Lebenslauf, S. 40.) 9 sation der Gesellschaft, durch das Wechselverhältnis ihrer Kräfte bestimmt. Die Charakter-Eigenschaften der Persönlichkeit sind nur dann, nur dort und nur insofern ein »Faktor« der gesellschaftlichen Entwicklung, wann, wo und inwiefern die gesellschaftlichen Beziehungen ihnen erlauben, es zu sein.10 Als evident wird die Dialektik zwischen getroffenen (politischen) Entscheidungen des Ein- zelnen und deren Rückwirkungen vor allem auf die sie determinierenden milieuspezifischen Bedingungen und Positionen angenommen.11 Vice versa betrachtet manifestiert sich Struktur und deren Wandel im Individuum, das sie (mit-)generiert und in dem das Abstraktum – ›die Bewegung‹ oder ›die Partei‹ – zum Konkretum wird. Deshalb sind biografische Ereignisse mit Bourdieu auch als »Platzierungen und Platzwechsel im sozialen Raum zu definieren«.12

Die Dokumente, auf denen vornehmlich eine Biographie beruht, bestehen in den Resten, welche als Ausdruck und Wirkung einer Persönlichkeit zurück- geblieben sind. […] Die Aufgabe des Biographen ist nun, aus solchen Dokumenten den Wirkungs- zusammenhang zu verstehen, in welchem ein Individuum von seinem Milieu bestimmt wird und auf dieses reagiert. 13 Weil es die Quellenlage nicht zulässt, alle biografischen Aspekte anhand schriftlicher Quellen im allgemeinen und Dokumenten im besonderen zu rekonstruieren, wird in der Darstellung wiederholt auf Oral History zurückgegriffen,14 was auch eine kurze Reflexion über selbige notwendig macht.

1.2 Theoretische Bemerkungen zur ›Oral History‹ Dort wo andere Quellen fehlen, ist die alleinige Wiedergabe des Erinnerten mitunter unumgänglich. Geschichte gerinnt im Erlebten einer Einzelperson, widerspiegelt sich – im- mer gemäß der gesellschaftlichen Prägung – in ihrer Erinnerung und wird im Erzählten nicht

10 Plechanow, Über die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte, S. 28. 11 »Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt«, betonte Marx. (Karl Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Vorwort, In: Werke Bd. 13, S 9.) 12 Pierre Bourdieu, Die biographische Illusion, In: Fetz/Hemecker (Hrsg.), Theorie der Biographie, S. 309; Hervorhebung im Original. 13 Wilhelm Dilthey, Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geschichtswissenschaften, In: Fetz/ Hemecker (Hrsg.), Theorie der Biographie, S. 59f. 14 Zu den Tonband-Interviews, die hier als Quelle Verwendung finden, sei angemerkt. dass sie ursprüng- lich als Orientierung für ein Filmprojekt über Willi Gaischs Leben dienen sollten, also keine Gespräche waren, die mit der Intention geführt wurden, als Quelle benutzt oder zitiert zu werden. Bei den Interviews, die im Zuge der Dreharbeiten entstanden, war den Erzählenden klar, dass das Gesagte einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden könnte. 10 nur zugänglich, sondern auch notwendigerweise subjektiv – eben weil ein beschriebenes ›Ob- jekt‹ als ›Subjekt‹ zu Wort kommt, womit wiederum »die Individualität des Akteurs berück- sichtigt bleibt und diese Individualität sozial verursacht und strukturiert gedacht wird.«15

Die Zeitgeschichte hat als einziger Zweig der Geschichtswissenschaft die Möglichkeit, Auskünfte und Darstellungen von lebenden Zeitzeugen historischer Vorgänge und bemerkenswerter Phasen in der Geschichte […] gezielt einzuholen und zu verwer- ten.16 Die hier angesprochenen bemerkenswerten Phasen wurden von Willi Gaisch nicht nur erlebt, sondern prägten ihn und seine politische Arbeit unmittelbar. Gaischs Erzählungen über seine Eltern, seine Kindheit und Jugend, das Umfeld seiner Sozialisation verdeutlichen wiederum deren Vielschichtigkeit, in deren Verlauf verschiedene Betrachtungsweisen eingenommen werden,17 weshalb betont werden muss, »dass Erinnerung nicht ein passiver Verwahrungsort von Fakten ist, sondern ein aktiver Prozess der Herstellung von Bedeutungen.«18 Es ist keineswegs die alleinige Rekonstruktion des Geschehenen, die durch die uns zu Verfügung stehenden audio-visuellen Quellen geschehen soll – oder könnte –, sondern des Erlebten in seiner dialektischen Wechselwirkung mit dem Erinnerten.19 Gleichzeitig muss – wie bei anderen Quellengattungen auch – der Zweck und die Situation, für die bzw. in der die Interviews entstanden, in die Betrachtung desselben miteinbezogen werden.20

Weil – davon ist auszugehen – viele Aspekte, die in den Tonband-Interviews und Filmauf- nahmen von Gaisch erinnert und erzählt wurden, schon früher Gegenstände des Erinnerns und Erzählens waren, liegen ihnen mehr oder minder konsensuelle Erinnerungskanones der jeweiligen sozialen und politischen Milieus zugrunde,21 denen er angehörte: Soweit die dokumentarische Unternehmung die Erinnerung als hauptsächlich persönliches Phänomen, als Produkt eines Individuums und eines Interviews erscheinen lässt, sind wir davon abgehalten, zu realisieren, dass Darstellungen

15 Lamnek, Qualitative Sozialforschung, S. 594. 16 Siegfried Beer, Berichte von Zeitzeugen in Graz 1945, In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 25 (1994), S. 715. 17 Schrager, What is social in oral history?, S. 286f. 18 »But what is really important is that memory is not a passive depository of facts, but an active process of creation of meanings.« (Alessandro Portelli, What makes oral history different, In: Perks/Thomson, The oral history reader, S. 69.) 19 Vgl. Portelli, What makes oral history different, S. 67f. 20 Vgl. Ronald J. Grele, Movement without aim. Methodological and theoretical problems in oral history, In: Perks/Thomson, The oral history reader, S. 42 – 45. 21 Vgl. Karin M. Schmidlechner, Oral History: considerations on a never-ending story, In: Tischler (Hg.), From »milieu de mémoire« to »lieu de mémoire«, S. 135. 11 im Lauf des sozialen Lebens entstehen und sich entwickeln und die Zuhö- rerInnen, ForscherInnen und LeserInnen mit der Prägung früherer Interak- tionen erreichen.22 Insbesondere für einen Menschen wie Willi Gaisch, dessen Biografie aufs Engste mit seiner politischen Heimat und ihrer – oft traumatischen – Angelpunkte zusammenhängt, gilt diese Verwebung von individueller Reflexion und kollektivem Narrativ.23

Willi Gaischs Vita ist in manchen Aspekten vielleicht sogar prototypisch und kann deshalb pars pro toto als Leben eines österreichischen Kommunisten schlechthin gelesen werden, weil alles Trennende – das weltanschaulich-theoretische ebenso wie das praktisch politische – die einigende Klammer der Kommunistischen Partei Österreichs nicht sprengte; Das macht sie – hoffentlich – auch für LeserInnen interessant, denen vordergründig der Bezug zur Person Gaischs fehlt.

22 »Insofar as the documentary enterprise makes recollection appear to be a preeminently phenomenon, the product of an individual and an interview, we are deterred from realizing that accounts begin and evolve in the course of social life an come to listeners, researchers, an readers bearing the imprint of earlier interactions.« (Samuel Schrager, What is social in oral history?, In: Perks/Thomson, The oral history reader, S. 285.) 23 Vgl. Daniel Bertraux/Isabelle Bertraux-Wiame, Autobiografische Erinnerungen und kollektives Ge- dächtnis, In: Niethammer (Hg.), Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis, S. 152f. 12 2. »Ein bescheidenes, mühsames Leben«.24 Kindheit und Jugend

2.1 Sein Umfeld. Graz in der Zwischenkriegszeit

2.1.1 Der Bezirk Gries Im Arbeiterbezirk Gries, einer ›guten Gegend‹, wie er betonte,25 wuchs Willi Gaisch zusammen mit seinen Eltern und schließlich fünf Geschwistern26 in einer Wohnung mit 15m² in der Lagergasse 111, heute Grieskai 146, auf.27 Der Gries bildete als fünfter Stadtbezirk – zusammen mit dem Lend, dem vierten – den Kern der migrantisch und proletarisch geprägten Stadtteile von Graz am rechten, westlichen Ufer der Mur. »Das war in der ferneren Geschichte der Fall, hat aber auch noch in der Gegenwart trotz aller gegensteuernden Maßnahmen der Kommunalpolitik […] seine Richtigkeit.«28 Durch die Migration infolge des Endes des Ersten Weltkrieges29 herrschte in Graz Wohnungsnot, zu deren Linderung die Ge- meinde Graz beschloss, »selbst als Wohnbauunternehmer aufzutreten«,30 weshalb auch in der Nachbarschaft der Gaischs Barackensiedlungen entstanden waren,31 was die Wohnungsnot, die in Graz in der Zwischenkriegszeit drückend war, aber kaum linderte.32 Die schlechten sozialen Verhältnisse waren auch ein Grund, warum besonders im direkten Wohnumfeld der Familie Gaisch viele Linke und KommunistInnen wohnten und tätig waren.33 Aufgrund der

24 Gaisch, Filminterview (WGD_heim-0_4), 10. Dezember 2009. 25 Gaisch, Filminterview (WGD_heim-0_2), 10. Dezember 2009. 26 Die fünf Kinder von Georg Gaisch und Jochewet Viktoria Rudmann waren: – Rosina 1920 – 1990, – Willibald 1922 – 2010, – Friederike 1925 – 1995, – Adolf 1927 – 1934 und – Hedwig 1931 – 2001. (Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 27 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_heim-0_4), 10. Dezember 2009. 28 Vgl. Karl Albrecht Kubinzky, Die Murvorstadt: Lend und Gries. Die Geschichte zweier Grazer Stadt- bezirke von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, In: Murlasits/Prasenc/Reisinger, Gries. Lend, S. 20. 29 Kubinzky, Die Murvorstadt, S. 22. 30 Dienes/Kubinzky, Der Gries und seine Geschichte, S. 35. 31 Vgl. Dienes/Kubinzky, Der Gries und seine Geschichte, S. 35. 32 Vgl. Karin Schmidlechner, Die soziale Lage der steirischen Industriearbeiterschaft, In: Für Freiheit, Arbeit und Recht, S. 119 – 21. 33 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 13 hohen Anzahl slowenisch-stämmiger BewohnerInnen dieses Stadtteils war es in Graz auch als »Windischen-Viertel« bekannt.34 Auch das Zentrum der Grazer Jüdinnen und Juden in der Vor- und Zwischen- kriegszeit lag in diesen beiden Bezirken. Am Platz zwischen Grieskai und Lagergasse wurde 189235 der große Tempel errichtet.36 Im Jahr 1900 lebten 36 Prozent der jüdischen Bevöl- kerung von Graz im Gries, 1934 30 Prozent,37 womit dieser Bezirk die »höchste Konzentra- tion von Wohn- und Betriebsadressen von Juden in Graz aufwies«,38 auch wenn sie nur eine kleine Minderheit darstellten und 1900 2,3 Prozent und 1934 1,3 Prozent der Gesamt- bevölkerung des Bezirks ausmachten.39

2.1.2 Die Sozialen Verhältnisse Im Zeitraum zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und 1924 stellte der Nahrungsmittelmangel das dringendste Problem neben der Wohnungsnot dar. Er führte im März 1920 auch zu einer Kundgebung der Grazer Arbeiterschaft vor dem Sitz der Landes- regierung und kulminierte schließlich im Juni im so genannten »Kirschenrummel«, als bei einem Einsatz der Exekutive gegen eine spontane Demonstration sieben Menschen ums Leben kamen.40 Am Viehmarkt nördlich des 1923 errichteten Schlachthofs in der Nähe der Wohnung der Familie Gaisch konnten die GrazerInnen relativ billig minderwertiges Fleisch erwerben.41 Die Genfer Sanierung von 1922 führte in den Folgejahren zu massiver Teuerung – oder, vice versa betrachtet, zum Sinken der Reallöhne –, was die Situation der Arbeiterschaft

34 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_heim-0_2), 10. Dezember 2009. 35 Vgl. Dienes/Kubinzky, Der Gries und seine Geschichte, S. 36. 36 Bei den Pogromen der Nazis in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die Grazer Synagoge niedergebrannt. Im Oktober 1998 beschloss der Grazer Gemeinderat einstimmig die Wiedererrichtung, und »die Übergabe der neuen Synagoge an die IKG Graz erfolgte am 9. November 2000 in einem feierlichen Akt unter Anwesenheit von vielen Vertretern aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Kultur und auch vieler von der Stadt Graz eingeladenen ehemaligen Grazerinnen und Grazer aus Israel, den USA, Großbritannien und anderen Ländern.« (http://www.ikg-graz.at/ synagoge.htm, 19.August 2010.) 37 Vgl. Dienes/Kubinzky, Der Gries und seine Geschichte, S. 35. 38 Dienes/Kubinzky, Der Gries und seine Geschichte, S. 36. 39 Vgl. Dienes/Kubinzky, Der Gries und seine Geschichte, S. 36. Die Ursachen für den Rückgang waren, so Dienes und Kubinzky, »die Rückläufigkeit der Kultusgemeindenmitglieder in Graz insgesamt und die Verlagerung von Wohnplätzen in andere Bezirke. Letzteres kann als Zeichen der Assimilation interpretiert werden.« (ebda.) 40 Vgl. Schmidlechner, Die soziale Lage, S. 122. 41 Vgl. Dienes/Kubinzky, Der Gries und seine Geschichte, S. 27. 14 weiter verschärfte42 und nach sich zog, dass die Lebenserhaltungskosten durch die Löhne oft nicht mehr gedeckt werden konnten.43 Mit Ignaz Seipels44 Währungssanierung ging ein Anstieg der Arbeitslosigkeit einher,45 und »der Durchschnitt der unterstützten Arbeitslosen betrug 1928 [in der Steiermark] 20316 Personen.«46 Nach der 1929 ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise explodierten die Arbeitslosenzahlen in Österreich; zwischen 1930 und 1937 waren die Arbeitslosenraten immer im zweistelligen Bereich, wobei der Anteil derer, die Unterstützung von der öffentlichen Hand erhielten, kontinuierlich abnahm – ab 1934 bekamen überhaupt nur mehr etwa der Hälfte aller Menschen ohne Erwerbsarbeit in Österreich eine solche.47

2.2 »Jedenfalls hat mein politisches Leben als Kind angefangen.«48 Seine Eltern: Georg Gaisch und Jochewet Rudmann Am 3. Juli 1922 kam Willibald Gaisch als Sohn von Jochewet Rudmann49 und Georg Gaisch in Graz zur Welt. Gaisch erzählte, dass sein Vater, eigentlich gelernter Müller, vor dem Ersten Weltkrieg bei Puch in Graz gearbeitet hatte, verheiratet und Vater von drei Kindern war. Der Krieg hatte ihn an die Front und nach drei Wochen in eine sieben Jahre dauernde Kriegsgefangenschaft in Sibirien geführt, wo er – wie viele andere Kriegsgefangene in Russland – zum Kommunisten geworden war und 1920 Jochewet Rudmann, die Tochter eines Brest-Litowsker Rabbiners, kennen gelernt hatte.50 Beim Ausbruch des Krieges – Russland war am 1. August 1914 in den Krieg eingetreten – war Jochewet, die eigentlich in

42 Vgl. Hautmann/Kropf, Österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945, S. 124. 43 Vgl. Schmidlechner, Die soziale Lage, S. 124. 44 (1876 – 1932) war Theologe, Priester und christlich-sozialer Politiker. Er erreichte »1922 in Genf die Völkerbundanleihe und beendete durch die Sanierung des Schilling die Nach- kriegsinflation. Im Bürgerblock schloss er Christlichsoziale, Landbund und Großdeutsche zu einer antimarxistischen Einheitsfront zusammen, bekämpfte die Sozialdemokraten und förderte nach 1927 die Bewegung der Heimwehr. Anfangs großösterreichisch eingestellt, bekannte sich Seipel 1918 zur Republik und trat zuletzt für die berufsständische Ordnung ein.« (http://www.aeiou.at/aeiou. encyclop.s/s513761.htm, 30. August 2010) Nach den Ereignissen vom 15. Juli 1927 bekam er von der Arbeiterbewegung den Beinamen »Prälat ohne Milde«. (Vgl. Vocelka, Geschichte Österreichs, S. 277.) 45 Vgl. Hautmann/Kropf, Österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945, S. 124. 46 Schmidlechner, Die soziale Lage, S. 123. 47 Vgl. Goldinger/Binder, Österreich 1918 – 1938, S. 132. 48 Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0148), 24. September 2009. 49 JOCHEWET VIKTORIA RUDMANN wurde am 21. Jänner 1894 in Brest Litowsk an der Westgrenze des Russischen Reiches geboren. 50 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0146), 24. September 2009. 15 Paris lebte, wo ihr Bruder einen Schneider-Salon besaß, auf Urlaub bei ihren Eltern und schließlich dazu gezwungen gewesen, sich immer weiter ins Landesinnere zurückzuziehen.51 Nach der Eheschließung hatten sie mit ihrer ersten Tochter Rosina – Jochwet war schon mit ihrem zweiten Kind Willibald schwanger – die Rückreise nach Graz angetreten. Da Georg Gaischs erste Frau ihn nicht, wie er erwartet hatte, nach sieben Jahren in Russland für tot hatte erklären lassen, hätte er sich durch seine zweite Ehe des Strafbestands der Bigamie52 schuldig gemacht, weshalb seine Frau alle Dokumente vernichtet, ihren Mädchennamen, Rudmann, wieder angenommen und sich als Kriegsflüchtling ausgegeben hatte.53 Durch Übertritt in die altkatholische Kirche hofften die beiden, die Erlaubnis zur Eheschließung ohne vorherige Scheidung Georg Gaischs zu erhalten. Diesen Rat befolgend – er sollte sich später aus falsch herausstellen – trat Jochewet Rudmann aus der israelitischen Kultusgemein- de aus – »sie hat es immer wieder bereut.«54 Erst spät und angesichts der nationalsozialis- tischen Bedrohung sollte Gaischs erste Frau in die Scheidung einwilligen.55 Georg Gaisch und Jochewet Rudmann heirateten schließlich am 16. März 1935.56 »Mein Vater ist zwar eingerückt als fanatischer, kaisertreuer Soldat, aber als er zurück- gekommen ist, war er Kommunist«,57 erzählte Willi Gaisch. Der Vater arbeitete nach seiner Rückkehr nach Graz wieder als Müller in der Grazer Gemeindemühle, wo er auch bei den Betriebsratswahlen kandidierte. Da die KPÖ-Liste nicht mehr als ein Mandat erreichte und Gaisch nur Ersatzmann war, verlor er schließlich seinen Arbeitsplatz. Die folgende lange Zeit der Arbeitslosigkeit machte es ihm unmöglich, für all seine Kinder – nicht nur die, die er mit Jochewet Rudmann hatte, sondern auch für die drei aus erster Ehe – zu sorgen. So musste auch Willi Gaisch schon im Kindesalter der Lohnarbeit nachgehen. Er bediente für einen Schilling pro Woche den Blasebalg bei einem Schmied, der Werkzeuge für den Kanalbau in Graz reparierte58 und sammelte Schwemmholz an der Mur, da es an Geld zum Kauf von Brennstoffen fehlte – »Wir haben nur mit dem Holz daheim geheizt, das ich heim gebracht habe […], aber ich habe das nie als Belastung empfunden.«59 Beim nahegelegenen Rossmarkt

51 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_syna_02), 10. Dezember 2009. 52 Vgl. § 192 StGB. 53 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0146), 24. September 2009. 54 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 55 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 56 Vgl. a.-k. Kirche Graz, Karteikarte Georg Gaisch. 57 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 58 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0146), 24. September 2009. 59 Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0146), 24. September 2009. 16 sammelte er ein bis zwei Mal in der Woche Pferdemist als Dünger für die Heimgärten südlich des Stadtgebiets. Bei den zahlreichen Fischern tauschte er die in der Beinkammer des angrenzenden Schlachthofs gesammelten Maden gegen Fische ein und trug auch so zur Ernährung der Familie bei.60 »Es war ein bescheidenes, mühsames Leben«, sagte Gaisch, »aber wir haben uns nicht so elend gefühlt.«61 1936 schloss Willi Gaisch die Hauptschule ab62 und begann im Oktober des selben Jahres eine Lehre als Bau- und Möbeltischler, die er am 28. September 1939 mit der Gesellen- prüfung abschloss.63 »Jedenfalls hat mein politisches Leben als Kind angefangen. […] Das ist kein Ver- dienst«64 – beide Eltern waren seit 1928 Mitglieder der Kommunistischen Partei Öster- reichs.65 Willi Gaisch selbst wurde laut des 1946 ausgestellten Mitgliedsbuchs 1938 Mitglied der KPÖ66 und gab 1955 an, seit 1936 »in der Arbeiterbewegung tätig«67 gewesen zu sein. Schon 1933 war er dabei, als sein Vater und andere Kommunisten nach dem Reichstagsbrand und der Machtübertragung an Hitler in Deutschland Parolen wie »Heraus mit Thälmann,68 Torgler69 und Genossen!« auf die ganze Murseite des Puchwerks malten.70 »Die illegale Arbeit war selbstverständlich.«71

60 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_heim-0_3), 10. Dezember 2009. 61 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_heim-0_4), 10. Dezember 2009. 62 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0146), 24. September 2009. 63 Vgl. NS-Arbeitsbuch, S. 3. 64 Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0148), 24. September 2009. 65 Vgl. KPÖ-Mitgliedsbücher von Georg Gaisch und Dora Gaisch, 1946. 66 Vgl. KPÖ-Mitgliedsbuch von Willi Gaisch, 1946 In der Zeit der Illegalität wurden die Mitgliedschaften logischerweise geheim gehalten und Evidenzen zumeist vernichtet. – Anm. hw 67 KPÖ-Mitgliedsbuch von Willi Gaisch, 1955. 68 ERNST THÄLMANN war Hafenarbeiter in Hamburg und ab 1903 Mitglied der SPD. 1918 desertierte er und trat in die USPD ein, die er schließlich 1920 verließ, um Mitglied der KPD zu werden. Ab 1924 war er Mitglied des Reichstages, ab 1925 Parteivorsitzender und zweimal KPD-Kandidat für die Reichspräsidentenwahl. 1933 wurde er verhaftet und blieb bis zu seiner Ermordung durch die Nazis 1944 inhaftiert. 69 ERNST TORGLER (1893 – 1963) war kaufmännischer Angestellter und Mitglied der SPD, trat 1917 zur USPD und 1918 zur KPD über, für die er ab 1924 Reichstagsabgeordneter war. Er wurde als Vor- sitzender der KPD-Fraktion 1933 im Reichstagsbrandprozess angeklagt, jedoch aus Mangel an Bewei- sen freigesprochen. 1935 wurde er ausgeschlossen und kollaborierte mit den Nazis. Ab 1949 war er wieder Mitglied der SPD in der BRD. 70 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 71 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 17 2.3 »Dort hab ich die Kindheit verbracht.«72 Kinderfreunde und rote Falken Prägend in Willi Gaischs Kindheit und Jugend war die Zeit beim sozialdemokrati- schen Verein – eine kommunistische Organisation gab es noch nicht73 – Freie Schule – Kinder- freunde. Das Kinderfreunde-Heim befand sich in direkter Nachbarschaft zur Lagergasse, wo er mit seinen Eltern wohnte.74 Unter dem Eindruck des Massenelends, von dem vor allem proletarische Kinder betroffen waren, hatte Anton Afritsch75 am 26. Februar 1908 in Graz den Verein Kinderfreunde gegründet,76 um das »von der existenziellen Not des Tages«77 bestimmte Leben der proleta- rischen Kinder zu verbessern und sie im Sinne des Sozialismus zu erziehen.78 Der Zusammenschluss mit dem 1869 gegründeten Verein Freie Schule war 1923 erfolgt. Dieser hatte sich vor allem dem Kampf für eine Veränderung im Bildungswesen gewidmet, die die klerikal geprägte Erziehung überwinden sollte und schließlich in der Schul- reform Otto Glöckels79 seine Umsetzung gefunden hatte. Im Jahr 1925 entfalteten die Kinderfreunde in der Steiermark eine umfassende Fürsorgetätigkeit für proletarische Kinder, die zu Hunderten mehrere Wochen in den

72 Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0146), 24. September 2009. 73 Der kommunistisch orientierte Verein Kinderland – Junge Garde wurde erst 1946 gegründet. Vgl. http://www.kinderland-steiermark.at/wir/index_ueberuns.html, 14. Mai 2010. 74 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0146), 24. September 2009. 75 ANTON AFRITSCH (1873 – 1924) war zunächst Tischlergehilfe, dann Redakteur der sozialdemo- kratischen Zeitung Arbeiterwille und Gründete 1908 in Graz die Österreichischen Kinderfreunde. 76 Vgl. Uitz, Kinderfreunde und rote Falken, S. 103. 77 Uitz, Kinderfreunde und rote Falken, S. 87. 78 »Eltern und Erzieher sollten den Kindern durch das Führen einer partnerschaftlichen Ehe, durch ›soli- darisches Verhalten‹ sowie durch die Ablehnung der Prügelstrafe zu einem Vorbild werden. Eltern- abende über Erziehungsfragen, gemeinsame Ausflüge, sportliche Betätigung und Ferienaufenthalte wurden durchgeführt sowie die Gründungen von Kinderhorten, Ferienkolonien und Bibliotheken in Angriff genommen. Abstinenz gegenüber dem Alkohol galt als Prinzip. Ab 1912 erschien monatlich eine eigene Zeitschrift ›Der Kinderfreund‹. ›Jugendpost‹ und ›Sozialistische Erziehung‹ kamen hinzu. Auch begannen die »Kinderfreunde« schon sehr früh den Kindern nicht nur Erholung und Bildung zu vermitteln, sondern auch deren emotionelle Bindung an die Arbeiterbewegung zu fördern.« (Eduard Staudinger, Die andere Seite des Arbeiteralltags. Sozialdemokratisches Vereinswesen in der Steiermark 1918 – 1934, In: Für Freiheit, Arbeit und Recht, S. 135f.) 79 OTTO GLÖCKEL, (1874 – 1935) war sozialdemokratischer Politiker und ist bekannt als »führender Organisator der sozialdemokratisch ausgerichteten Schulreform in der 1. Republik […]. Glöckel und seine Mitarbeiter […] wollten Chancengleichheit durch Abbau von Bildungsbarrieren, soziale Integra- tion und Ausschaltung des kirchlichen Einflusses erreichen. Mit seinen Maßnahmen zur ›inneren‹ Reform, wie Neuformulierung der Lehrpläne, Herausgabe kindgemäßer Lehrbücher (mit Hilfe des von der Stadt Wien gegründeten Verlags Jugend und Volk), Einübung demokratischer Verhaltensmuster in den ›Schulgemeinden‹, Anhebung der Aus- und Fortbildung der Lehrer (1923 Errichtung des Pädagogischen Instituts der Stadt Wien mit Pädagogischer Zentralbibliothek), setzte sich Glöckel weitgehend durch.« (http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.g/g474293.htm, 20. August 2010.) 18 Kinderfreunde-Heimen der Steiermark verbrachten, auch wenn unzählige Kinder wegen Platzmangels nicht daran teilnehmen konnten.80 Den Verein kümmerte besonders »die Sorge um das gute Buch«81 für Kinder. Beson- ders Christl Klementschitz82 »hat sich meiner sehr angenommen«,83 erinnerte sich Willi Gaisch. Sie betreute die Bibliothek und sorgte sich sehr darum, was er las. So kam der junge Willi Gaisch zu marxistisch-orientierter und linker (Jugend-)Literatur, wobei ihn besonders Jack Londons Kurzgeschichten prägten, wie er immer wieder hervorhob. Der junge Bursch in Londons Erzählung Der Mexikaner machte den größten Eindruck auf ihn und war »irgend- wie ein Vorbild für mich. […] Die ganze Atmosphäre und die Begeisterung haben mich schon beeinflusst.«84 Nach dem Bürgerkrieg im Februar 1934 und der Errichtung des austrofaschistischen ›Ständestaates‹ wurde auch der Verein Freie Schule – Kinderfreunde aufgelöst.85 Bei der ca. 15 bis 20 Jugendliche umfassenden Gruppe Gries der illegalen Roten Falken, berichtete Gaisch, war er daraufhin noch etwa anderthalb Jahre tätig.86 Über die noch einige Zeit tätige sozialdemo- kratische Parteiorganisation bekamen sie Flugzettel und Pickerl zur Verfügung gestellt, mit denen sie in den Schulen politisch arbeiteten.87 Nachdem die Aktivitäten dort nicht mehr weitergeführt wurden, trat Willi Gaisch mit einigen Genossen 1936 zum Kommunistischen Jugendverband über. Den Grund für das Einschlafen der politischen Tätigkeit der Gruppe sah er darin, dass ihr Falkenführer88 die »Pfeiferl-Kapelle« legal in Räumlichkeiten der Arbeiterkammer, wo er arbeitete, weiterführte und so der politische Anspruch allmählich verloren ging.89

80 Vgl. Schmidlechner, Die soziale Lage, S. 123. 81 Tesarek, Die Österreichischen Kinderfreunde, S. 56. 82 CHRISTINE KLEMENTSCHITZ, geb. KRUSCHNIK (1889 – 1944) führte in der Grazer Annenstraße eine Geschirrhalle und war in der Grazer Sozialdemokratie führend aktiv. Auf dem internationalen Frauenkongress, der 1934 in Paris tagte, war sie die steirische Vertreterin. Nach dem 12. Februar 1934 wurde sie Landesleiterin der Roten Hilfe. Im Herbst 1944 wurde sie wegen ihrer politischen Betätigung verhaftet, ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert und dort ermordet. (Vgl. http://alltag. mur.at/lexikon/klementschitz-christine, 17. Juni 2011.) 83 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 84 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 85 Vgl. Tesarek, Die Österreichischen Kinderfreunde, S. 175. 86 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0148), 24. September 2009. 87 Vgl. Gaisch, Zeitzeugengespräch (WGD_uni-2-Vortrag), 10. Dezember 2011. 88 Zur Funktion des Falkenführers siehe: Uitz, Kinderfreunde und rote Falken, S. 630 – 632. – Anm. hw 89 Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0148), 24. September 2009. 19 Die Haltung der sozialdemokratischen Parteiführung führte generell dazu, dass Rote Falken in ganz Österreich sich dem KJV anschlossen,90 wie sich überhaupt tausende Sozial- demokratInnen91 der kommunistischen Bewegung, die bis dorthin nur punktuell Massen- einfluss erringen konnte, zuwandten. Zahlreicher als die Kommunistische Partei konnte ihr Jugendverband, obwohl er sich bereits seit 1931 in der Illegalität befand, schon vor den Februarkämpfen Übertritte aus sozialdemokratischen Jugendorganisationen verzeichnen.92

90 Kinderfreunde (Hg.), 60 Jahre Rote Falken, S. 33. 91 Vgl. Winfried R. Garscha/Hans Hautmann/Willi Weinert, Im Kampf gegen den Austrofaschismus, In: Die KPÖ, S. 205. 92 Vgl. Willi Weinert, Der Kommunistische Jugendverband in der Illegalität vor 1938, In: Kommunis- tische Jugendbewegung in Österreich, S. 37. 20 3. »In Österreich siegte die Reaktion.«93 Der 12. Februar 1934

3.1 Der Weg in den Bürgerkrieg. Ein historischer Abriss Der Weg, der in die blutigen Auseinandersetzungen zwischen den austrofaschistischen Heimwehren und dem Bundesheer auf der einen und dem republikanischen Schutzbund auf der anderen Seite führte, ist einerseits geprägt von der innenpolitischen Zuspitzung zwischen den politischen Lagern und andererseits vom Zurückweichen der sozialdemokratischen Führung. Die vielen von der KPÖ ausgehenden Angebote zur Bildung einer antifaschis- tischen Einheitsfront94 – sie waren einzig und allein an ein entschlosseneres gemeinsames Vorgehen der beiden Arbeiterparteien sowohl gegen den Heimwehrfaschismus als auch gegen den erstarkten Nationalsozialismus gebunden –, wurden von der sozialdemokratischen Führung immer zurückgewiesen.95 Nachdem im burgenländischen Grenzort Schattendorf am 30. Jänner 1927 bei einem Aufmarsch des Republikanischen Schutzbundes ein Kind und ein Kriegsinvalide von monarchistisch orientierten Paramilitärs erschossen wurden,96 kam es zu einem Aufschrei in der gesamten Arbeiterbewegung. Ein viertelstündiger Generalstreik wurde am Tag der Beerdigung der Schattendorfer Opfer, dem 2. Februar 1927, ausgerufen ›den Toten zur Ehre, der Reaktion zur Warnung‹.97 In der Folge kam es immer wieder zu Konfrontationen zwischen der Arbeiterschaft und dem Bundesheer, bei denen es jedoch nicht zu Zusammenstößen kam, weil die sozial-

93 Das schrieb Georgi Dimitroff, Generalsekretär der Kommunistischen Internationale über den öster- reichischen Bürgerkrieg des Februar 1934, hielt jedoch fest: »Aber es ist nur ein vorübergehender Sieg. Er enthält heute bereits Elemente der künftigen Niederlage der Bourgeoisie. Für die österreichischen Arbeiter ist es jetzt wichtig, daß sie nicht verzweifeln, daß sie nicht den Glauben an die Kraft ihrer Klasse verlieren, sondern im Gegenteil imstande sind, aus den Lehren des Februarkampfes alle notwendigen politischen und organisatorischen Schlussfolgerungen, vor allem hinsichtlich der Sozial- demokratie zu ziehen.« (Dimitroff, Brief an die österreichischen Arbeiter, 488f.) 94 Unter dem Begriff Einheitsfront (auch Aktionseinheit) war in der Arbeiterbewegung das »Zusammenwir- ken verschiedener Arbeiterorganisationen (Parteien, Gewerkschaften, Genossenschaften u.a.) zur Ver- wirklichung der gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse und aller Werktätigen, unabhängig von politischen und weltanschaulichen Auffassungen ihrer Mitglieder« gemeint. (KlPW, s.v. Aktionseinheit, S. 21.) 95 Vgl. etwa: Winfried R. Garscha, Formierung der KPÖ zu einer leninistischen Partei, In: Die KPÖ, S. 103f. bzw. Garscha/Hautmann, Februar 1934 in Österreich, S. 52 – 55. 96 Vgl. Winfried R. Garscha, Grundlinien der Politik der KPÖ 1920 bis 1945, In: 90 Jahre KPÖ, S. 20f. 97 Zit. nach: Reisberg, Februar 1934, S. 118. 21 demokratische Parteiführung vor den Drohungen der Staatsmacht immer wieder zurück- wich.98 Bereits am 23. September 1931 wurde der als Verband der Proletarierjugend Österreichs im Ver- einsregister eingetragene KJV nach zahlreichen antifaschistischen Kundgebungen wegen ›Überschreitung der Statuten‹ verboten.99 Nachdem die Regierung am 1. März 1933 mit aller Härte gegen einen – von deutsch- nationalen, christlich-sozialen und freien Gewerkschaften getragenen – Streik der Eisen- bahner gegen eine Auszahlung ihrer Löhne in drei Monatsraten vorgegangen war und so den Abbruch des Streiks erzwungen hatte,100 kam es am 4. März zu hitzigen Debatten im Parlament, in deren Folge der sozialdemokratische Nationalratsvorsitzende Karl Renner sein Amt zurücklegte, um das knappe Abstimmungsergebnis zu kippen. Als der christlich-soziale und der deutsch-nationale Präsident das ebenfalls taten, gab es im Parlament niemanden mehr, der die Sitzung leitete, was es ermöglichte, unter dem Vorwand der ›Selbstausschaltung des Parlaments‹ einen autoritären Staat zu errichten.101 Der christlich-soziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß102 trat in der Nacht vom 7. auf den 8. März zurück, um vom Bundespräsi- denten Wilhelm Miklas103 erneut ernannt zu werden. Am 24. März wurde – vorerst beschränkt auf drei Wochen – die Vorzensur eingeführt und über die Arbeiter-Zeitung und das Kleine Blatt, beides sozialdemokratische Zeitungen, verhängt,104 am 31. April folgte ein Betä- tigungsverbot für den Republikanischen Schutzbund, am 26. Mai wurde die KPÖ verboten.105

98 Vgl. Reisberg, Februar 1924, S. 118 – 121. 99 Vgl. Weinert, Der Kommunistische Jugendverband in der Illegalität vor 1938, S. 34. 100 Vgl. Reisberg, Februar 1934, S. 157f. 101 Vgl. Goldinger/Binder, Österreich 1918 – 1938, S. 200f. 102 ENGELBERT DOLLFUß (1892 – 1934) war christlich-sozialer Politiker; zunächst als Sekretär des nieder- österreichischen Bauernbundes, ab 1927 Direktor der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer, ab 1931 Minister für Land- und Forstwirtschaft, und schließlich von 1932 bis 1934 Bundeskanzler und Außenminister. »Dollfuß schaltete im März 1933 das Parlament aus, verbot 1933 die NSDAP, die Kommunistische Partei und den Republikanischen Schutzbund, 1934 nach den Februarkämpfen auch die Sozialdemokratische Partei und ließ als einzigen politischen Willensträger die Vaterländische Front zu. Er regierte mit Notverordnungen und führte das Standrecht und die Todesstrafe […] ein. Er schuf mit der Maiverfassung 1934 einen autoritären Ständestaat und stützte sich vor allem auf die katholische Kirche, die Heimwehr und die Bauern. […] Er wurde beim nationalsozialistischen Juliputsch ermordet, nachdem schon im Oktober 1933 ein Attentat auf ihn verübt worden war.« (http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.d/d621176.htm, 21. Juli 2010) Aufgrund seiner Körpergröße wurde er in der Bevölkerung immer wieder als »Millimetternich« verspottet. (Vgl. Vocelka, Geschichte Österreichs, S. 289.) 103 WILHELM MIKLAS (1872 – 1956) war erst Gymnasiallehrer und dann christlich-sozialer Politiker. Von 1928 bis zu seinem Rücktritt 1938 – er wollte das sog. ›Anschlussgesetz‹ nicht unterzeichnen – war er Bundespräsident. 104 Vgl. Garscha/Hautmann, Februar 1934, S. 58. 105 Vgl. Garscha/Hautmann, Februar 1934, S. 67. 22 Gegen die sich am anderen Ende des politischen Spektrums befindliche NSDAP wurde von der Regierung erst am 19. Juni ein Betätigungsverbot in ganz Österreich erlassen, nachdem »sich die Gewalttätigkeiten häuften und bereits Menschenleben zu beklagen waren.«106 Trotz des dringenden Abratens von Otto Bauer107 rief der Linzer Schutzbundführer Richard Bernaschek108 im Zuge einer gewaltsamen Waffensuche im Hotel Schiff, der Linzer Schutzbundzentrale, in den Morgenstunden des 12. Februar 1934 – »Massenverhaftungen von Schutzbundführern und umfangreiche Waffenbeschlagnahmen waren dem in den letzten Tagen in ganz Österreich vorangegangen«109 – zum bewaffneten Widerstand auf.110 Georg Gaisch war an den Gefechten in Graz Gösting beteiligt, wurde aber nicht verhaftet und blieb unverletzt, erinnerte sich sich sein Sohn.111 Die Kämpfe dauerten bis zum 15. Februar und endeten aufgrund der zögerlichen Haltung der sozialdemokratischen Parteiführung in einer Niederlage und der endgültigen Errichtung einer ständestaatlichen Diktatur unter Dollfuß und – nach seiner Ermordung im Zuge eines nationalsozialistischen Putschversuchs am 25. Juli 1934 – schließlich unter Kurt Schuschnigg.112

3.2 Nach dem Aufstand Nach der Niederlage in den Februarkämpfen, richtete Georgi Dimitroff,113 der Gene- ralsekretär der Kommunistischen Internationale, einen ›Brief an die österreichischen Arbeiter‹,114

106 Goldinger/Binder, Österreich 1918 – 1938, S. 205. 107 OTTO BAUER (1881 – 1938) war sozialdemokratischer Politiker und Theoretiker des Austromar- xismus, und zählte zu den Führern des linken Flügels der Sozialdemokratie. Nach den Februar- kämpfen 1934 emigrierte er erst nach Brno und nach dem deutschen Einmarsch in die ČSR nach Paris. 108 RICHARD BERNASCHEK (1888 – 1945) war sozialdemokratischer Landespolitiker und Schutzbund- führer in Oberösterreich. Am 18. April 1945 wurde er im KZ Mauthausen ermordet. (http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.b/b353813.htm; 21. Juli 2010.) 109 Goldinger/Binder, Österreich 1918 – 1938, S. 219. 110 Vgl. Garscha/Hautmann, Februar 1934, S. 113 – 115. 111 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 112 KURT SCHUSCHNIGG (1897 – 1977) war Jurist und christlichsozialer Politiker. Als Bundeskanzler von 1934 bis 1938 festigte er die Bindung an das faschistische Italien. Von Nazideutschland zum Rücktritt gedrängt, wurde er bis 1945 inhaftiert. In den USA, in die er 1948 auswanderte, war er bis 1967 Professor für Staatsrecht an der Universität St. Louis. Danach kehrte er nach Österreich zurück. 113 GEORGI DIMITROFF (1882 – 1949) war ein bulgarischer Kommunist und von 1935 bis 1943 General- sekretär der Kommunistischen Internationale sowie von 1946 bis zu seinem Tod Ministerpräsident der Volksrepublik Bulgarien. Aufgrund des Freispruchs im ›Reichstagsbrandprozess‹ 1933, den er als An- geklagter, der sich selbst verteidigte, erwirkte, wurde er in den sozialistischen Ländern als Held von Leipzig gefeiert. Mitte der 20er Jahre wurde er vom EKKI nach Österreich entsandt, wo unter seiner Anleitung die Fraktionskämpfe in der KPÖ beendet wurden. 114 Georgi Dimitroff, Brief an die österreichischen Arbeiter, In: Ausgewählte Werke, Bd. 1, S. 486 – 503. 23 die sich als bislang einzige in Europa, dem Vormarsch des Faschismus mit der Waffe in der Hand entgegen gestellt hatten: Die Hauptschwäche des Februarkampfes der österreichischen Arbeiter bestand darin, daß sie infolge des schädlichen Einflusses der Sozialdemokratie nicht begriffen, daß es nicht genügt, sich gegen den Angriff des Faschismus zu verteidigen […] Der bewaffnete Widerstand des österreichischen Proletariats gegen den Faschismus ging nicht in einen tatsächlichen bewaffneten Aufstand über. Darin bestand der Haupt- fehler.115 Das Vertrauen vieler AnhängerInnen der Sozialdemokratie in die eigene Parteiführung war nach ihrer defätistischen Haltung in den Februarkämpfen zutiefst erschüttert,116 was viele, die sich nicht der Kommunistischen Partei oder den Revolutionären Sozialisten117 anschlossen, in politische Passivität und innere Emigration drängte und manche, die generell mit der Linken brachen, in die Reihen der Nazis trieb.118 In »bleibender, sehr negativer Erinnerung« blieb Willi Gaisch ein Funktionär des Republikanischen Schutzbundes, der, zur Zeit als Graz kanalisiert wurde, als Partieführer beim Straßenbauamt arbeitete. Zu ihm hatte Gaisch aufge- sehen, seit er als Kind nach der Schule für ihn den Blasebalg getreten hatte. »Er war ein Held für mich«, sagte er. Als er sich am 12. Februar auf den Weg zur Schule machte, stand er in der ersten Reihe der angetretenen Sturmscharen. »Ich habe nie mehr mit ihm geredet.«119

3.2.1 Exkurs: Zum Begriff ›Austrofaschismus‹ Der Begriff des Faschismus war und ist unter HistorikerInnen wegen seiner Anwen- dung als politischer Kampfbegriff umstritten, jedoch findet er hier Verwendung, da er nicht nur für Willi Gaisch, sondern auch für die kommunistische Weltbewegung insgesamt zur Charakterisierung des politischen Systems in Österreich von 1934 bis 1938 als üblich und ver- bindlich angesehen werden muss. Da der Faschismus in den verschiedenen Ländern, in

115 Dimitroff, Brief an die österreichischen Arbeiter, 488f. 116 »Der 12. Februar war sowohl ein Heldenkampf wie ein Debakel. Er war ein Heldenkampf jener Teile der Arbeiterschaft, die trotz aller Schwierigkeiten zu den Waffen griffen […] Als einzige europäische Arbeiterbewegung hat die österreichische den siegreichen Vormarsch des Faschismus in einem heroischen bewaffneten Kampf aufzuhalten versucht. Der 12. Februar war aber auch ein Debakel der Sozialdemokratischen Partei, ein Versagen des Schutz- bundkommandos und der politischen Führung. […] Die bewaffneten Arbeiter blieben ohne zentrale Führung durch die Partei und sich selbst überlassen.« (Hautmann/Kropf, Österreichische Arbeiter- bewegung vom Vormärz bis 1945, S. 162f.; Hervorhebung im Original – Anm. hw.) 117 Die Revolutionären Sozialisten entstanden nach den Februarkämpfen und dem Verbot der SDAP und nannten sich zunächst Vereinigte Sozialistische Partei Österreichs. Sie grenzten sich sowohl gegen die reformistische Linie der sozialdemokratischen Parteiführung als auch gegen die KPÖ ab. Sie lösten sich 1938 offiziell auf. 118 Vgl. Sonnleitner, Widerstand, S. 248. 119 Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0146), 24. September 2009. 24 denen er an der Macht war, unterschiedliche Ausprägungen hatte, wird – eingedenk seiner unmenschlichsten und grausamsten Ausprägung im sog. ›Dritten Reich‹ mit der industriellen Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung – die Bezeichnung des Dollfuß-/Schuschnigg- Regimes in Österreich oft abgelehnt, weil »das Wort durchaus die Gefahr in sich [birgt], im Sinne einer Verharmlosung verstanden zu werden«;120 Ernst Hanisch etwa bezeichnet es als »faschistisch verkleidetes autoritäres Regime« und als »Imitationsfaschismus«121 und hebt die Unterschiede hervor.122 Damit würde jedoch, wendet Kurt Gossweiler ein, »der deutsche Extremfaschismus zur Norm dessen erhoben, was als faschistisch zu gelten hat.«123 Dimitroff charakterisierte als Generalsekretär der Kommunistischen Internationale den Faschismus an der Macht als »eine unverhüllte terroristische Diktatur der extrem reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals«124 und betonte: Der Faschismus und die faschistische Diktatur selbst weisen in den verschiedenen Ländern Formen der Entwicklung auf, die – den historischen, sozialen und wirtschaft- lichen Verhältnissen, den nationalen Besonderheiten und der internationalen Stellung des betreffenden Landes entsprechend – unterschiedlich sind.125 So wurde – und wird – der Faschismus in der marxistischen Theorie einerseits als ultima ratio verstanden, um die Aufrechterhaltung kapitalistischer Produktions- und Herrschaftsverhält- nisse zu gewährleisten.126 Andererseits kann eine faschistische Machtübernahme nicht aus- schließlich als Reaktion auf eine potentielle sozialistische Umwälzung gesehen werden, sondern liegt ebenso im Wesen des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium127 begründet:

120 Sonnleitner, Widerstand, S. 25. 121 Hanisch, Der lange Schatten des Staates, S. 313. 122 Vgl. Hanisch, Der lange Schatten des Staates, S. 311f. 123 Kurt Gossweiler, Faschistische Bewegungen und faschistische Diktatur in Österreich – ein Versuch ihrer Einordnung in eine Typologie des Faschismus, In: ders. Aufsätze zum Faschismus Bd. II, S. 676. In diesem Aufsatz des Faschismus-Forschers werden die österreichischen Besonderheiten, die ins Treffen geführt werden, um eine Charakterisierung des Ständestaates als faschistisch zurückzuweisen, aufgegriffen und nachgewiesen, dass – vom Standpunkt des Marxismus – das Dollfuß-/Schuschnigg- Regime als faschistisch gesehen werden muss. – Anm. hw 124 Dimitroff, Arbeiterklasse gegen Faschismus, S. 6; Hervorhebung im Original – Anm. hw 125 Dimitroff, Arbeiterklasse gegen Faschismus, S. 7; Hervorhebung im Original – Anm. hw 126 Vgl. KlPW, s.v. Faschismus, S. 257. 127 W. I. Lenin definierte die grundlegenden Merkmale dieser monopolistischen Stufe des Kapitalismus folgendermaßen: »Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herr- schaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausbildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abge- schlossen ist.« (Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus; In: Werke, Bd. 23, S. 271.) 25 Das Streben des Imperialismus nach Reaktion und Gewalt hat also eine zweifache Wurzel – sie liegt zum einen in seiner Natur, in seinem offensiven Drang nach Aus- dehnung seiner uneingeschränkten Herrschaft, sie wird zum anderen potenziert infol- ge der Bedrohung seiner Herrschaft durch die revolutionäre Arbeiterbewegung.128

Eine österreichische Besonderheit ist das Nebeneinander zweier faschistischer Bewegungen: der nationalsozialistischen auf der einen und der austrofaschistischen auf der anderen Seite,129 wobei zweitere ihre Ausprägung in den Heimwehren fand, die – »bereits in Entsprechung ihrer Eigendefinition – faschistische Organisationen«130 waren und erst 1936 als eine der wenigen verbliebenen eigenständigen Organisationen aufgelöst und in die Quasi-Einheits- partei Vaterländische Front eingegliedert wurden, nachdem Schuschnigg den Heimwehrführer, Fürst von Starhemberg131 entmachte hatte.132

3.2.2 Illegale politische Arbeit von KPÖ und KJVÖ im Austrofaschismus Die KPÖ versuchte das Aufkommen von Resignation in der Arbeiterschaft zu verhin- dern und SozialdemokratInnen, die von ihrer Parteiführung enttäuscht waren, für sich zu gewinnen:133 »Vorwärts vom Februaraufstand zum roten Oktober!«, hieß es in einer Sonder- nummer der Parteizeitung Die Rote Fahne wenige Tage nach dem Ende der Kampfhand- lungen. Ein Sturz der Dollfuß-Regierung innerhalb kurzer Zeit erwies sich jedoch als Fehlein- schätzung, weshalb sich die KPÖ auf eine Widerstandstätigkeit auf längere Perspektive ein- stellte,134 ohne dabei – wie es im sozialdemokratischen Milieu geschah – aufzuhören, mittels Flugzetteln und regionalen Zeitungen nach außen zu wirken.135

128 Gossweiler, Bündnispolitik gegen den Faschismus, In: KAZ 333, S. 21. 129 Gossweiler, Faschistische Bewegungen und faschistische Diktatur in Österreich, S. 671. 130 Sonnleitner, Widerstand, S. 27. 131 ERNST RÜDIGER FÜRST VON STARHEMBERG (1899 – 1956) war ab 1929 Heimwehrführer in Oberös- terreich und von 1930 bis 1936 Bundesführer des Heimatschutzes. Den Kurs von Dollfuß unter- stützend war er 1930 einige Monate Innenminister und von 1934 bis 1936 Vizekanzler. Nach Dollfuß’ Ermordung im Juli 1934 wurde er Bundesführer der Vaterländischen Front, bis er durch Schuschnigg entmachtet wurde und 1937 in die Schweiz emigrierte und erst 1952 nach Österreich zurückkehrte. 132 Vgl. Sonnleitner, Widerstand, S. 28. 133 »Der Begriff der ›Februarkommunisten‹ war nicht von ungefähr entstanden, vor allem im März und April kam es zu einer richtig gehenden Explosion der Mitgliederzahlen bei den [bereits seit 1933 illegalen – Anm. hw] KommunistInnen, die noch wenige Wochen zuvor eher ein ›Sektendasein‹ geführt hatten.« (Sonnleitner, Widerstand, S. 248.) Als Ende September 1934 in Prag der Parteitag der KPÖ zusammentrat, waren zwei Drittel der 70 Delegierten erst nach dem 12. Februar der Partei beigetreten. Sie stellten auch mehr als die Hälfte des neuen Zentralkomitees. (Vgl. Garscha/Haut- mann/Weinert, Im Kampf gegen den Austrofaschismus, S. 225.) 134 Vgl. Garscha, Das Ringen um die Einheit, S. 223. 135 Vgl. Sonnleitner, Widerstand, S. 249f. 26 Nach dem ursprünglichen Boykott der ständestaatlichen Institutionen und der Orientierung auf den Wiederaufbau der Freien Gewerkschaften (FG), den die Sozialdemo- kratie erst nach einem Sturz des Faschismus für möglich hielt,136 versuchte die illegale KPÖ »an der Basis in die Werksgemeinschaft, Einheitsgewerkschaft und SAG einzudringen, um das System zu unterwandern und in eine progressive Richtung zu lenken.«137 Die Differenzierung gegenüber der und die Orientierung auf politische Arbeit innerhalb der Einheitsgewerkschaft war zum einen den oft erzwungenen Eintritten vieler ArbeiterInnen in die EG und zum anderen der Einsicht geschuldet, dass diese von ihrer sozialen Struktur her eine ›Klassen- organisation‹ war.138 Schon im Oktober 1934 hieß es in einem Aufruf der Kommunistischen Internationale dazu: Dort, wo erhebliche Arbeiterschichten den faschistischen Gewerkschaften beige- treten sind […] gilt es, unverzüglich die Arbeit in diesen Gewerkschaften aufzu- nehmen und die durch sie gebotenen legalen Möglichkeiten auszunützen, die sich in den verschiedenen faschistischen, gleichgeschaltenen Organisationen bieten.139 Auch hatte die Mehrheit der sozialdemokratischen Anhängerschaft resigniert und kümmerte sich vorwiegend um das eigene wirtschaftliche Auslangen, was es für die KommunistInnen zur Notwendigkeit machte, angesichts des Massenelends gerade bei der sozialen Frage anzusetzen.140 Als Unterorganisation der Vaterländischen Front wurde am 31. März die Soziale Arbeitsgemeinschaft (SAG) gegründet, die das Ziel hatte, auch sozialdemokratische und kommu- nistische ArbeiterInnen nicht nur zu »bekehren«, sondern auch in das ständestaatliche System zu integrieren.141 Schon zuvor erhielt der Wiener Vizebürgermeister Dr. Ernst Karl Winter142

136 Vgl. Garscha/Hautmann/Weinert, Im Kampf gegen den Austrofaschismus, S. 258f. 137 Hautmann/Kropf, Österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945, S. 171; Hervorhebung im Original – Anm. hw. 138 Vgl. Garscha/Hautmann/Weinert, Im Kampf gegen den Austrofaschismus, S. 259f. 139 Resolution zum Bericht des Genossen Koplenig im Präsidium des EKKI über den 12. Parteitag der KP Österreichs, ZPA Nr. 5134, zit. nach: Garscha/Hautmann/Weinert, Im Kampf gegen den Austro- faschismus, S. 259f. 140 Vgl. Winfried R. Garscha, Grundlinien der Politik der KPÖ 1920 bis 1945, In: 90 Jahre KPÖ, S. 26f. 141 Dass dies nicht gelang und »der Kern der österreichischen Arbeiterbewegung seinen traditionellen, politischen und weltanschaulichen Überzeugungen treu« blieb, führen Hautmann und Kropf vor allem zurück auf die »sichtbare und für jeden Arbeiter am eigenen Leib verspürte Verschlechterung aller materiellen Lebensbedingungen« (Hautmann/Kropf, Österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945, S. 172; Hervorhebung im Original – Anm. hw.) 142 ERNST KARL WINTER (1895 – 1959) war Soziologe und Politiker der Vaterländischen Front. Nach seiner Absetzung als dritter Vizebürgermeister Wiens (1934 – 1936) emigrierte er 1938 über die Schweiz in die USA und kehrte erst 1955 nach Österreich zurück. 27 von Engelbert Dollfuß den »Auftrag, einen Brückenschlag zwischen Regime und Arbeiter- schaft zu versuchen und eine Befriedung herbeizuführen.«143

3.2.3 Willi Gaischs Tätigkeit Nachdem der Kontakt der Falken-Gruppe Gries zur SP-Parteiorganisation abgerissen war und sie deshalb keine mehr Agitationsmaterialien zur Verfügung hatte, stellten kommu- nistische Jugendliche den Kontakt zu den Falken her und warben für den KJV. Fast die ganze Gruppe, berichtete Willi Gaisch – er selbst war einer der jüngsten –, trat zum Kommu- nistischen Jugendverband über.144 Um die Jahreswende 1936/37 änderte die KPÖ ihre Taktik und setzte mit der Orien- tierung auf die Volksfrontpolitik145 die Beschlüsse des VII. Weltkongresses der Kommu- nistischen Internationale von 1935 um. Sie forderte ihre Mitglieder auf, in den gleich- geschalteten Gewerkschaftsorganisationen und der SAG zu wirken und angesichts der immer stärker werdenden Gefahr eines ›Anschlusses‹ Österreichs an Hitler-Deutschland für ein eigenständiges Österreich zu agitieren.146 Als Tischlerlehrling, führte Gaisch aus, begann er seine Agitation in der Berufsschule, nachdem er 1937 eine Schulungszusammenkunft von Mitgliedern des KJV auf der Teichalm nördlich von Graz besucht hatte, wo ihnen die Grundlinien der Argumentation vermittelt worden waren. Vor Unterrichtsbeginn und in den Pausen hielt er in der Grazer Wielandschule pro-österreichische Kurzreferate. Im ehemaligen Schutzbundheim in der Ungergasse fanden unter der Ägide der Vaterländischen Front jeden Mittwoch Heimabende der Tischlerlehrlinge statt, auf denen es angesichts der Bedrohung durch den deutschen Faschismus den Linken – obwohl eigentlich verboten – möglich war, ihren Widerstand zu organisieren. Auch an der politischen Arbeit in der SAG, wo die meisten KommunistInnen tätig waren, beteiligte sich Willi Gaisch und wirkte vor allem im Puchwerk.147 In die Zeit der Illegalen Arbeit vor 1938 fällt auch Gaischs Aneignung des Marxismus, die vor allem mit dem kommunistisch geprägten Umfeld verbunden war. Vor allem Max

143 Hautmann/Kropf, Österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945, S. 170. 144 Vgl. Gaisch, Zeitzeugengespräch (WGD_uni-2-Vortrag), 10. Dezember 2011. 145 Ziel der Volksfrontpolitik war die Bündelung aller antifaschistischen und demokratischen Kräfte zur »Verteidigung der demokratischen Rechte der Werktätigen gegen den Faschismus bzw. der Sturz des faschistischen Regimes und die Schaffung wirklich demokratischer Verhältnisse.« (KlPW, s.v. Volks- front, S. 920f.) 146 Vgl. Garscha/Hautmann/Weinert, Im Kampf gegen den Austrofaschismus, S. 233 – 235. 147 Vgl. Gaisch, Zeitzeugengespräch (WGD_uni-2-Vortrag), 10. Dezember 2011. 28 Krachler, ein Schriftsetzer bei Leykam, »hat es auf mich abgesehen gehabt«,148 erinnerte er sich. Willi Gaisch war fasziniert und besuchte ihn oft, auch weil er auswendig aus den Werken der marxistischen Klassiker zitieren konnte, was angesichts dessen, dass man damals aufgrund der Zensur kaum Zugang zu marxistischer Literatur hatte, für ihn besonders beein- druckend war.149 Krachler, der so quasi zu Gaischs Lehrer wurde, besorgte ihm antikommu- nistische Literatur, in der – freilich um sie zu ›widerlegen‹ – ausführlich aus den Werken von Marx und Engels zitiert wurde.150

3.2.4 Für die »freie, unabhängige, demokratische Republik Oesterreich«151 Der Juliputsch152 1934 führte, auch wenn er gescheitert war, die Gefahr einer national- sozialistischen Machtergreifung und einer damit einhergehenden Annexion Österreichs vor Augen. »Hitler-Deutschland wird trotz dem Mißlingen des Juliputsches auf seine Anschluß- pläne nicht verzichten«,153 warnte der 12. Parteitag der KPÖ, der Ende September in Prag tagte und aus konspirativen Gründen als ›Salzburger Parteitag‹ bezeichnet wurde.154 Es war Georgi Dimitroff, der in der Sekretariatssitzung des EKKI am 11. Mai 1936 der KPÖ riet, den antifaschistischen Widerstand mit dem Kampf »für die nationale Selbstständigkeit Öster- reichs, gegen die von Hitler ausgehende Gefahr des ›Anschlusses‹, d.h. der Einverleibung Österreichs durch Deutschland«155 zu verknüpfen.

148 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 149 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0148), 24. September 2009. 150 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 151 Das war die Losung, die Alfred Klahr (siehe Fußnote 156) in seiner die theoretischen Grundlagen für den Widerstandskampf der KPÖ gegen die deutsche Besatzung schaffenden Schrift in Weg und Ziel, dem theoretischen Organ der KPÖ, 1937 vorgab. (P. RUDOLF (=Alfred Klahr), Die nationale Frage und die Stellungnahme der Kommunisten in Österreich, In: Klahr, Zur österreichischen Nation, S. 58.) 152 »Der mit Wissen deutscher offizieller Stellen durchgeführte nationalsozialistische Putschversuch in Österreich begann am 25. Juli mit dem Überfall von 154 als Soldaten des Bundesheeres und Polizisten verkleideten SS-Leuten auf das Bundeskanzleramt. Dabei wurde Bundeskanzler E[ngelbert] Dollfuß von 2 Schüssen tödlich getroffen. Gleichzeitig drang eine Gruppe von Putschisten in die Wiener Senderäume der RAVAG ein und verbreitete die falsche Nachricht, dass Dollfuß die Regierungs- geschäfte an A[nton] Rintelen übergeben habe. Dies sollte das Zeichen für den Aufstand der National- sozialisten in ganz Österreich sein […] Nach der Niederschlagung wurden 13 Putschisten hingerichtet, etwa 4000 Aufständische wurden in Anhaltelager eingewiesen, viele flüchteten nach Jugoslawien. Auf Regierungsseite forderten die Kämpfe 107 Todesopfer, auf Seite der Aufständischen 140 Tote. Verletzt wurden insgesamt 500 – 600 Menschen. Für die Aburteilung der Beteiligten wurden am 26. Juli 1934 Militärgerichte geschaffen.« (http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.j/j850961.htm, 31. Jänner 2011.) 153 Zit. nach Reisberg, Februar 1934, S. 231. 154 Vgl. Garscha/Hautmann/Weinert, Im Kampf gegen den Austrofaschismus, S. 225. 155 Zit. nach: Garscha/Hautmann, Februar 1934, S.195. 29 »Als Urheber der marxistischen Theorie einer österreichischen Nation ist wohl Alfred Klahr156 anzusehen.«157 Als Verantwortlicher für ideologische Fragen des ZK der KPÖ wurde er damit beauftragt, eine historische Analyse der Fragestellung zu verfassen.158 Unter dem Pseudonym »Rudolf« publizierte Klahr dann im Frühjahr 1937 in Weg und Ziel, der theoretischen Zeitschrift der KPÖ, eine Artikelserie, in der er begründete, warum Österreich nicht Teil der deutschen Nation ist und die Wichtigkeit des Erhalts der österreichischen Unabhängigkeit hervorhob.159 Die revolutionären Sozialisten wiesen diese Herangehensweise zurück und hielten im Wesentlichen am Konzept einer ›gesamtdeutschen Revolution‹ fest, auch wenn die Sozialdemokratie 1933 den ‹Anschlußparagraphen‹ angesichts der Machtüber- tragung an die NSDAP in Deutschland aus ihrem Programm gestrichen hatte.160 Der Kampf um den Frieden und die Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit stellten schon 1935 die zentralen Punkte einer Resolution dar, die das Plenum des ZK der KPÖ am 22. und 23. Juni beschloss.161 Die Analyse der Situation und die Taktik der KPÖ brachte der Parteivorsitzende Johann Koplenig162 auf dem VII. Weltkongress der Kommu- nistischen Internationale im August desselben Jahres auf den Punkt: Eine der Besonderheiten, unter denen sich der Kampf des österreichischen Volkes gegen den Faschismus vollzieht, ist das enge Ineinandergreifen der außenpolitischen und innenpolitischen Probleme bei ihrer Einwirkung auf die Gestaltung und auf die Taktik des österreichischen Faschismus.163 In Österreich stehen große Massen der Bauern und der kleinbürgerlichen Schichten der Herrschaft des schwarz-grünen Faschismus feindlich gegenüber. Große Teile von ihnen jedoch setzen heute noch ihre Hoffnung auf den Nationalsozialismus. Im Namen der Verteidigung Österreichs gegen den Hitler-Faschismus unterdrückt der Heimwehrfaschismus mit brutaler Gewalt alle Freiheitsbestrebungen. Der österreichi- sche Faschismus gießt damit nur Wasser auf die Mühlen der Nazi und erleichtert es ihnen, den Haß breiter Volksmassen gegen das bestehende System für die Sache des Hitler-Faschismus demagogisch auszunützen.

156 ALFRED KLAHR (1904 – 1944) war Journalist und bedeutender Theoretiker der KPÖ sowie Mitglied ihres Zentralkomitees. 1937 emigrierte er nach Prag und musste schließlich vor den Nazis durch mehrere europäische Länder fliehen. 1942 wurde er verhaftet und in das KZ Auschwitz eingewiesen, aus dem er im Juni 1944 flüchtete. Kurz darauf wurde Klahr von der SS in Warschau erschossen. 157 Konrad, Widerstand, S. 143. 158 Vgl. Garscha/Hautmann, Februar 1934, S. 195. 159 Vgl. http://www.klahrgesellschaft.at/Klahr_Leben.html, 31. Jänner 2011. 160 Vgl. Garscha/Hautmann/Weinert, Im Kampf gegen den Austrofaschismus, S. 27. 161 Vgl. Garscha/Weinert, Bemühungen um die Volksfront, S. 230f. 162 JOHANN KOPLENIG (1891 – 1968) erlernte das Schuhmacherhandwerk und war seit 1909 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, bevor er sich 1918 der KPÖ anschloss, deren Vorsitzender er von 1927 bis 1965 und für die er 1945 Staatssekretär ohne Portefeuille und von 1945 bis 1959 Nationalrats- abgeordneter war. 163 Johann Koplenig, Volksfront in Österreich. Rede auf dem Weltkongress der Kommunistischen Inter- nationale, August 1935, In: Zucker-Schilling, Er diente seiner Klasse, S. 130f. 30 Der Kampf der Werktätigen Österreichs ist in erster Linie ein Kampf um ihre Frei- heit. Dieser Kampf ist gleichzeitig ein Kampf um den vom Faschismus bedrohten Frieden. Wer bedroht den Frieden in Österreich am stärksten? Der Hitler-Faschis- mus, der nach Österreich greift. Aber auch der österreichische Faschismus, der durch die Unterdrückung des werktätigen Volkes jene Kräfte niederhält, die allein imstande sind, den Frieden Österreichs gegen den Zugriff des deutschen Kriegstreibers zu schützen; auch er ist eine Gefahr für den Frieden. Wir glauben, daß die Möglichkeit besteht, auf der Grundlage der proletarischen Einheitsfront in Österreich eine breite Volksbewegung für die Wiederherstellung der Freiheitsrechte der Werktätigen, für den Frieden, für die Unabhängigkeit des öster- reichischen Volkes zu schaffen. Aber vorläufig sind nur die Elemente einer solchen Bewegung vorhanden, sie haben noch keine feste Gestalt angenommen.164 Dass die Gestalt, die diese Elemente einer Bewegung schließlich annehmen sollten, nicht fest genug war, um den Einmarsch der deutschen Truppen zu verhindern, lag auch daran, dass – gerade in der nationalen Frage – die Meinungen zwischen RS und KPÖ immer weiter ausei- nander gehen sollten und die Einheitsfront gegen Hitler nicht hergestellt werden konnte.165 In den letzten Tagen vor der Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland, ließ Schuschnigg es nach einer Unterredung mit Betriebsvertrauensleuten, der auch ein Kommu- nist angehört hatte, sogar zu, dass eine Vertrauensleutekonferenz stattfand, auch wenn eine Legalisierung der verbotenen Arbeiterorganisationen für ihn nicht infrage kam. Am 7. März trafen sich im Arbeiterheim Wien-Floridsdorf 300 Delegierte, die sich darauf einigten, die österreichische Arbeiterschaft dazu aufzurufen, sich gegen die bevorstehende Okkupation durch Nazi-Truppen zur Wehr zu setzen, auch wenn damit die Forderung nach der Wieder- herstellung von demokratischen Rechten nicht vom Tisch war.166 Schuschnigg setzte für den 13. März eine Volksbefragung über die Unabhängigkeit Österreichs fest.167 Auch die politische Linke unterstützte eine Großkundgebung am 27. Februar in Graz, bei der für ein ›Ja‹ zu Österreich geworben wurde.168 Jedoch gab Schuschnigg schließlich dem Druck der Nazis in Deutschland und Öster- reich nach, sagte die Volksabstimmung ab und trat sogar zurück, was den Einmarsch der deutschen Truppen in der Nacht vom 11. auf den 12. März jedoch nicht mehr verhindern konnte.169 Das Bundesheer erhielt den Auftrag, sich zurückzuziehen.170 Aus Österreich wurde die ›Ostmark‹.

164 Koplenig, Volksfront in Österreich, S. 137. 165 Vgl. Garscha, Grundlinien der Politik der KPÖ, S. 29. 166 Vgl. Garscha/Hautmann/Weinert, Im Kampf gegen den Austrofaschismus, S. 265. 167 Vgl. Goldinger/Binder, Österreich 1918 – 1938, S. 281 – 284. 168 Vgl. Eduard G. Staudinger, Zur Entwicklung des Nationalsozialismus in Graz von seinen Anfängen bis 1938, In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz, 18/19 (1988), S. 69. 169 Vgl. Goldinger/Binder, Österreich 1918 – 1938, S. 286 – 289 31

170 Zur kampflosen Kapitulation schreibt Willi Weinert: »Auch wenn der militärische Widerstand nur von kurzer Dauer gewesen wäre (und unter Vernachlässigung der Frage, wie bei dieser Konstellation die Westmächte reagiert hätten), hätte er die Absicht Österreichs zur Verteidigung seiner Unabhängigkeit dokumentiert. […] Das Argument, daß dieser [Abwehrkampf] viele Opfer forderte und daher sinnlos war, verliert angesichts jener hunderttausenden Österreicherinnen und Österreicher, die in den folgen- den Jahren auf den Schlachtfeldern für Hitlers Kriegsziele starben oder deren Opfer wurden, an Be- deutung.« (Willi Weinert, Gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, für die Wiedergeburt Österreichs, In: Die KPÖ, S. 268) 32 4. »Das österreichische Volk ist vergewaltigt worden.«171 Die Annexion Österreichs. Der Aufstieg der NSDAP setzte nach dem Scheitern des Pfrimer-Putsches172 im Sep- tember 1931 ein, in dessen Folge sich viele Mitglieder der Heimwehren und des Steirischen Heimatschutzes der NS-Bewegung anschlossen.173 Davor spielte sie noch eher eine geringe Rolle, wie das Ergebnis der Gemeinderatswahlen in Graz 1929 belegt. Obwohl sie den Begriff »Arbeiterpartei« im Parteinamen führten, war ihr Ergebnis gerade in den beiden Bezirken rechts der Mur unterdurchschnittlich – im Lend erreichten sie 1,1 Prozent der gül- tigen Stimmen und in Willi Gaischs Heimatbezirk Gries 1,3 Prozent.174 Erst nach der Nieder- lage der Sozialdemokratie in den Februarkämpfen und durch die Enttäuschung über die defä- tistische Haltung der sozialdemokratischen Parteiführung nahm der Anteil der ArbeiterInnen in der NSDAP eklatant zu.175

4.1 »Die waren brutal von Anfang an.«176 Die NS-Herrschaft etabliert sich. Schon in den Monaten vor dem ›‹ verstärkten die Nazis ihre öffentlichen Provokationen. Schmieraktionen häuften sich, in Schulen wurde immer öfter der Hitlergruß gebraucht, und es wurden vermehrt Kundgebungen abgehalten.177 Ebenso wie der Staats-

171 Aus dem Aufruf des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Österreichs zur Annexion, In: Klahr, Zur Österreichischen Nation, S. 189. 172 Der Pfrimer-Putsch war ein unter der Führung von Walter Pfrimer (1881 – 1968) stehender Putsch versuch des 14.000 Mann umfassenden Steirischen Heimatschutzes am 12. und 13. September 1931. »In der Obersteiermark wurden Verkehrswege blockiert, Bezirkshauptmannschaften und fast alle Orte besetzt und Bürgermeister verhaftet. Eine Truppe zog über Waidhofen an der Ybbs bis Amstetten. W. Pfrimer ließ ein ›Provisorisches Verfassungspatent‹ anschlagen, rief sich zum Staatsführer aus und proklamierte die Machtübernahme in Bund und Ländern. Der Putsch wurde weder von anderen Heimwehrverbänden noch von der Bevölkerung unterstützt und brach am Vormittag des 13. 9. nach Eingreifen des Bundesheers ohne größere Kämpfe zusammen.« (http://www.aeiou.at/aeiou. encyclop.p/p371165.htm, 3. Mai 2011.) 173 Vgl. Staudinger, Entwicklung, S. 55. 174 Vgl. Staudinger, Entwicklung, S. 47. 175 Vgl. Goldinger/Binder, Österreich 1918 – 1938, S. 293. 176 Gaisch, Zeitzeugengespräch (WGD_uni-2-Vortrag), 10. Dezember 2011. 177 Vgl. Gerhard Schöpfer, Das Jahr 1938 im Lichte von Augenzeugenberichten. Aus dem »Oral-History- Archiv« des Grazer Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz, 18/19 (1988), S. 79.

33 apparat schon längere Zeit von Nazis unterwandert war,178 waren auch in den Kasernen des Bundesheeres viele Parteigänger der Nazis zu finden.179 Die österreichischen Bischöfe arrangierten sich umgehend mit den so leicht an die Macht gekommen Nazis, um »den Weg für eine Sicherung ihrer Interessen frei [zu] machen.«180 Aus innerster Überzeugung und mit freiem Willen erklären wir unterzeichneten Bi- schöfe der österreichischen Kirchenprovinz anläßlich der großen geschichtlichen Geschehnisse in Deutsch-Österreich: Wir erkennen freudig an, daß die nationalsozialistische Bewegung auf dem Gebiet des völkischen und wirtschaftlichen Aufbaues sowie der Sozial-Politik für das Deutsche Reich und Volk und namentlich für die ärmsten Schichten des Volkes Hervorra- gendes geleistet hat und leistet. Wir sind auch der Überzeugung, daß durch das Wirken der nationalsozialistischen Bewegung die Gefahr des alles zerstörenden gott- losen Bolschewismus abgewehrt wurde. Die Bischöfe begleiten dieses Wirken für die Zukunft mit ihren besten Segens- wünschen und werden auch die Gläubigen in diesem Sinne ermahnen. Am Tage der Volksabstimmung ist es für uns Bischöfe selbstverständlich nationale Pflicht, uns als Deutsche zum Deutschen Reich zu bekennen, und wir erwarten auch von allen gläu- bigen Christen, daß sie wissen, was sie ihrem Volk schuldig sind.181 Auch der erste Staatskanzler der Republik, Dr. Karl Renner,182 meinte in einem Interview mit dem Neuen Wiener Tagblatt am 3. April 1938, nachdem eine den Nazis von Renner angebotene Plakataktion für ein »Ja« bei der für 10. April anberaumten Volksabstimmung abgelehnt worden war:183 Ich habe als erster Kanzler Deutschösterreichs am 12. November 1918 in der Natio- nalversammlung den Antrag gestellt und zur nahezu einstimmigen Annahme ge- bracht. »Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik.« Ich habe als Präsident der Friedensverhandlungen zu St. Germain durch viele Monate um den Anschluß gerungen – die Not im Lande und die feindliche Besetzung der Grenzen haben die Nationalversammlung und so auch mich genötigt, der Demütigung des Friedensvertrages und dem bedingten Anschlußverbot uns zu unterwerfen. Trotzdem habe ich seit 1919 in zahllosen Schriften und ungezählten Versammlungen im Lande

178 Vgl. Hanisch, der lange Schatten des Staates, S. 344f. 179 Vgl. Schöpfer, Das Jahr 1938, S. 78. 180 Goldinger/Binder, Österreich 1918 – 1938, S. 296. 181 »Feierliche Erklärung« der österreichischen Bischöfe vom 18. März 1938. Zit. nach: Goldinger/ Binder, Österreich 1918 – 1938, S. 296. Kurz darauf wurde Kardinal Innitzer vom Papst in Rom gerügt und musste eine Erklärung unter- schreiben, die vom Misstrauen des Vatikans gegenüber Hitler geprägt war. (vgl. Goldinger/ Binder, Österreich 1918 – 1938, S. 297.) 182 Dr. KARL RENNER (1870 – 1950) war ab 1907 sozialdemokratischer Reichsratsabgeordneter, von 1918 bis 1920 Staatskanzler der 1. Republik und Leiter der österreichischen Delegation bei den Friedens- verhandlungen von Saint-Germain. Zwischen 1930 und 1934 war er Nationalratsabgeordneter und von 1931 bis 1933 erster Nationalratspräsident; Nach der Befreiung 1945 war er erst Kanzler der provisorischen Regierung und dann erster Bundespräsident der zweiten Republik. 183 Vgl. http://www.dokumentationsarchiv.at/SPOE/1938_Renner_NAZI.htm, 14. April 2011. 34 und im Reiche den Kampf um den Anschluß weitergeführt. Obschon nicht mit jenen Methoden, zu denen ich mich bekenne, errungen, ist der Anschluß nunmehr doch vollzogen, ist geschichtliche Tatsache, und diese betrachte ich als wahrhafte Genug- tuung für die Demütigungen von 1918 und 1919, für St.-Germain und Versailles. Ich müßte meine ganze Vergangenheit als theoretischer Vorkämpfer des Selbstbestim- mungsrechtes der Nationen wie als deutschösterreichischer Staatsmann verleugnen, wenn ich die große geschichtliche Tat des Wiederzusammenschlusses der deutschen Nation nicht freudigen Herzens begrüßte.184 Am gleichen Tag, an dem dieses Interview mit Renner erschien, begann in Graz, der ›Stadt der Volkserhebung‹, wie sie genannt werden sollte, eine von zigtausenden Öster- reicherInnen bejubelte Rundreise durch Österreich zur Vorbereitung seiner ›Volksab- stimmung‹, die für den 10. April festgesetzt war.185 Der Taumel, in dem sich ganz Österreich befand, veranlasste den französischen Militärattaché zur Einschätzung, »daß dieses Volk von Dienstboten nur das bekommen hat, was es verdient, und daß es nicht würdig war, unab- hängig zu bleiben.«186

4.2 »Leib und Leben einzusetzen im Kampf für ein freies, unab- hängiges Österreich!«187 Der kommunistische Widerstand Noch in der Nacht vom 11. auf den 12. März verfasste das ZK der KPÖ einen flammenden Aufruf,188 der zum einen den Widerstandwillen der ÖsterreicherInnen189 ent- fachen bzw. aufrecht erhalten sollte, zum anderen einen Ruf um internationale Hilfe dar- stellte. Er schloss mit den Worten: Das österreichische Volk ist vergewaltigt worden, aber sein Kampf geht weiter. Durch seine eigene Kraft und durch die Hilfe der Weltfront des Friedens wird ein freies, unabhängiges Österreich wiedererstehen.190

Die KPÖ trug die Hauptlast des organisierten antifaschistischen Widerstandskampfes. 90 Prozent der Flugzettel und Zeitungen, die sich gegen den Faschismus richteten, waren

184 Aus der Gründungserklärung der Österreichischen Freiheitsfront Ende 1942; zit. nach: Weinert, Gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, S. 309. 185 Schöpfer, Das Jahr 1938, S. 80. 186 Zit. nach: Hanisch, Der lange Schatten des Staates, S. 341. 187 Zit. nach: Weinert, Gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, S. 309. 188 Siehe: Aufruf des ZK, S. 187 – 189. 189 »Der Nationalsozialismus stützte sich aber nicht nur auf die Deutsche Fremdherrschaft, sondern wurde auch von einer halben Million ÖsterreicherInnen getragen und war in allen Bevölkerungs- schichten verwurzelt. Diesen überzeugten Nationalsozialisten sowie den Mitläufern und ›Normalbür- gern‹ stand eine kleine Gruppe von Personen gegenüber, die für ein freies und unabhängiges Öster- reich eintraten und kämpften.« (Halbrainer, In der Gewißheit, S. 14.) 190 S. 189. 35 kommunistischen Ursprungs. 80 Prozent derjenigen, die wegen widerständiger Tätigkeit vor dem Volksgerichtshof oder dem Oberlandesgericht standen, waren KommunistInnen oder des Kommunismus verdächtig.191 Ihr Widerstand umfasste den Aufbau von Betriebsorganisa- tionen, die antifaschistisches Material in Umlauf brachten und – oft in Zusammenarbeit mit sogenannten ›Fremdarbeitern‹ – die (Rüstungs-)Industrie sabotierten. Durch die Rote Hilfe192 fanden viele Angehörige von politischen Häftlingen und ermordeten WiderstandskämpferIn- nen Unterstützung, und mit unzähligen Soldatenbriefen wurde versucht, Wehrmachtsangehö- rige zum Überlaufen zu den alliierten Armeen zu bewegen. Sogar in den Gefängnissen und Lagern organisierte man sich, um Informationen über den Kriegsverlauf zu erlangen und weiterzugeben, Schulungen abzuhalten und Menschen zu retten. Österreicher kämpften als Partisanen – auch mit österreichischen Bataillonen – in den Reihen der jugoslawischen Volks- befreiungsarmee. Im Salzkammergut, in Südkärnten, auf der Koralm und im Großraum Leoben bildeten sich auch auf österreichischem Boden eigenständige Partisanenverbände, die vor allem von Frauen mit Nahrungsmitteln und Informationen versorgt wurden. Kommu- nistInnen bildeten den Kern dieser Bewegung, die mit der Bekanntgabe der Gründung der Österreichischen Freiheitsfront Ende 1942 auf dem Moskauer Sender Freies Österreich ihren Aus- gang nahm.193 In ihr hieß es: Wir Teilnehmer an der Grundsteinlegung der Österreichischen Freiheitsfront haben geschworen, keine Mühen und Opfer zu scheuen, Leib und Leben einzusetzen im Kampf für ein freies, unabhängiges Österreich! […] Auf zum Volkskampf gegen Hit- ler und seinen Krieg und für ein freies und unabhängiges Österreich.194

191 Vgl. Halbrainer, In der Gewißheit, S. 29. 192 Die in Anlehnung an das internationale Vorbild entstandene Rote Hilfe Österreichs (RH) betreute in der ersten Hälfte der 1920er hauptsächlich GenossInnen, die aus den Balkanstaaten nach Österreich geflohen waren. Nach dem Justizpalastbrand verlagerte sich die Tätigkeit auf die finanzielle Unter- stützung von Angehörigen der Opfer des Juni 1927. Das Verbot der Roten Hilfe 1933 tat ihren Aktivitäten keinen Abbruch. Illegale Sammlungen fanden statt, Angehörige von politischen Häftlingen wurden weiter unterstützt, und den 700 in die Sowjetunion geflohenen österreichischen Schutzbünd- lern wurden dort Arbeitsplätze verschafft. Auch wenn die Repressalien nach der Annexion Österreichs viel massiver wurden – ihre AktivistInnen wurden oft mit der selben Härte verfolgt wie andere WiderstandskämpferInnen –, stellte die RH ihre Tätigkeit nicht ein. (Vgl. Garscha/Hautmann/Wei- nert, Im Kampf gegen den Austrofaschismus, 255 – 258.) 193 Hier eine Liste von Monografien anzuführen, die das gesamte Spektrum des kommunistisch geprägten Widerstands gegen die NS-Herrschaft umfasst, würde den Rahmen sprengen. Konzise Überblicke über die Widerstandstätigkeit von oder mit entscheidender Beteiligung von KommunistInnen finden sich etwa in: – Garscha, Grundlinien der Politik der KPÖ, S. 29 – 34. – Halbrainer, In der Gewißheit, S. 29 – 49. – Weinert, Gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, S. 299 – 320. Zum Widerstand in der Steiermark siehe insbesondere: Presterl, Im Schatten des Hochschwab. 194 Zit. nach: Weinert, Gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, S. 309. 36 Die Rahmenbedingungen, unter denen KommunistInnen Widerstand leisteten, wiesen im Zeitraum nach 1933/34 bzw. nach 1938 fundamentale Unterschiede auf. Mit der Forcierung der Kriegsindustrie ging die Arbeitslosigkeit schlagartig zurück,195 und »im Vergleich zur frömmelnden Muffigkeit des ›Ständestaats‹ konnte sich das NS-Regime als ›modern‹, ja ›revolutionär‹ präsentieren.«196 Auch wenn die KPÖ zwar auf Erfahrungen in der politischen Arbeit in der Illegalität zurückblicken und -greifen konnte, so unterschätzte sie anfangs doch teilweise die Brutalität, mit der die Nazis gegen sie vorgingen.197 Darüber führte Willi Gaisch aus: Mit dieser Erfahrung, die wir gehabt haben in diesen Jahren, war es dann eher mö- glich, den Widerstand aufzubauen, obwohl wir Illusionen gehabt haben über die Här- te des Kampfes, über die Grausamkeit des Faschismus. Es war nicht vergleichbar der Austro-Faschismus mit dem Nazi-Faschismus. Die waren brutal von Anfang an.198

Unmittelbar nach der Annexion Österreichs waren viele KommunistInnen verhaftet worden, und vor allem polizeibekannte Kader mussten untertauchen. Dem trug auch der Beschluss des im Ausland weilenden Zentralkomitees der Partei Rechnung, der zwar eine Reorgani- sation der Partei vorsah, aber bekannte KommunistInnen durch die Aufforderung, sich still zu verhalten, zu schützen versuchte.199 Der Schwerpunkt der politischen Arbeit der KPÖ verlegte sich nach dem ›Anschluss‹ Österreichs an Hitler-Deutschland in die Betriebe. Weil dort die »Kernschicht der Arbeiterklasse nach wie vor sozialistisch eingestellt [war], ergaben sich in den Betrieben die besten Voraussetzungen für den illegalen Kampf.«200 Auf eine jahrelange Verankerung der KPÖ konnte man in den Grazer Steyr-Daimler-Puch-Werken bauen, die zugleich den größten rüstungsrelevanten Betrieb in Graz darstellten.201 Die Gefahr, verhaftet zu werden und der Folter der Gestapo202 nicht standhalten zu können und so die Namen von GenossInnen preiszugeben, veranlasste die KPÖ dazu, sich neu, strikt konspirativ, zu organisieren. Zellen der Partei sollten nur mehr drei Personen

195 Vgl. Hautmann/Kropf, Österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945, S. 181f. 196 Garscha, Grundlinien der Politik der KPÖ, S. 30. 197 Vgl. Garscha, Grundlinien der Politik der KPÖ, S. 29. 198 Gaisch, Zeitzeugengespräch (WGD_uni-2-Vortrag), 10. Dezember 2011. 199 Vgl. Halbrainer, In der Gewißheit, S. 30. 200 Weinert, Gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, S. 301. 201 Vgl. Halbrainer, In der Gewißheit, S. 30. 202 Gestapo war die Kurzbezeichnung der Geheimen Staatspolizei, die im Prozess des Internationalen Mili- tärtribunals in Nürnberg 1945/46 als verbrecherische Organisation eingestuft wurde. Bereits unmittel- bar nach der Annexion Österreichs begann diese politische Polizei der nationalsozialistischen Herr- schaft in Österreich mit der Verfolgung von Regime-GegnerInnen. Ihr Terror steigerte sich nach Kriegsbeginn und endete erst mit der Befreiung. 37 umfassen und nur immer jeweils eine Person mit einer anderen Zelle oder einem Leitungs- gremium in Kontakt treten.203

4.3 »Ohne das Glück würde ich nicht da sitzen.«204 Willi Gaisch politisch und ›rassisch‹ verfolgt.

4.3.1 »Nie als Jude gefühlt«205 Religion spielte keine Rolle in Willi Gaischs Erziehung. Jüdische Bräuche und Gewohnheiten pflegte seine Mutter für sich. Sie aß kein Schweinefleisch und kochte teilweise für sich selbst. Feiertage beging sie mit anderen jüdischen Familien. Ich bin ja konfessionslos aufgewachsen, war immer Atheist, war nie religiös, hab mich auch nie als Jude gefühlt. Sympathie für die Juden hab ich eigentlich erst durch die Verfolgung bekommen.206 Dadurch, dass seine Mutter kaum deutsch konnte, als sie nach Graz kam, berichtete Gaisch, sprach sie mit den Kindern oft Jiddisch, eine mittelhochdeutsche Sprachvariante, die man- chen deutschen Dialekten ähnelt. Mit den so erlernten Sprachkenntnissen konnte er den Gesprächen der Grazer Juden und Jüdinnen folgen.207 Der in Graz vorhandene und seit der Weltwirtschaftskrise zunehmende Antisemi- tismus208 tangierte Gaisch in seiner Kindheit und Jugend kaum, lebte er doch als Arbeiterkind in einem proletarischen Viertel, in dem die Judenfeindschaft fast nur ›antikapitalistisch‹ ver- brämt in der Öffentlichkeit geäußert wurde. Er entsinnt sich, dass die antijüdischen Kinder- reime, mit denen er teilweise konfrontiert war, eher die Ausnahme als die Regel darstellten.209

Mit der Okkupation traf der rassistische Antisemitismus, der seit den beiden ›Nürnberger Gesetzen‹210 von 1935 juristisch institutionalisiert war, die Familie Gaisch in bisher unbekann-

203 Vgl. Halbrainer, In der Gewißheit, S. 30. 204 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 205 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 206 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 207 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_syna_02), 10. Dezember 2009. 208 Vgl. Dieter A. Binder, Das Schicksal der Grazer Juden 1938, In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz, 18/19 (1988), S. 212 – 216. 209 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 210 Durch das ›Reichsbürgergesetz‹ verloren jüdische BürgerInnen alle Rechte, und das ›Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre‹, das sogenannte ›Blutschutzgesetz‹ untersagte ihnen die Eheschließung mit ›Ariern‹. Die Nürnberger Gesetze waren auch die juristische Grundlage 38 tem Ausmaß. Schon bei der Farce der sogenannten ›Volksabstimmung‹ über die bereits voll- zogene Annexion Österreichs am 10. April 1938 durfte Jochewet Gaisch nicht teilnehmen: »Da ist zum ersten Mal bekannt geworden für die ganze Umgebung, dass sie Jüdin ist«,211 erzählte Willi Gaisch und erinnerte sich daran, dass sie sich auch fortan laufend bei der ›rassenpolitischen‹ Stelle in der Herrengasse melden musste.212 In Erinnerung blieb ihm, dass er von einer weinenden Nachbarin verständigt wurde, als bei den Pogromen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 – von den Nazis als ›Reichskristallnacht‹ apostrophiert – die SA die Grazer Synagoge in Brand steckte. Vom Au- garten am anderen Murufer aus beobachtete er, wie der Tempel brannte und bemerkte, dass unter den PassantInnen niemand war, der darüber gejubelt hätte. In Anspielung auf das Horst-Wessel-Lied meinte jemand: »Heute brennt die Synagoge und morgen die ganze Welt.«213

4.3.2 »Da sind wir noch mehr zusammengewachsen.« 214 Durch die Machtübernahme der Nazis in Österreich änderte sich schlagartig alles für die Familie, die durch die Situation noch enger zusammenwuchs, schilderte Willi Gaisch: Der Friseur, zu dem er seit seiner Kindheit gegangen war, warf ihn mit den Worten »da trauen sie sich herein, die Saujuden«215 aus seinem Geschäft. Als Jüdin erhielt Jochewet Gaisch keine Lebensmittelkarten; Willi Gaisch gab ihr seine. Sein Vater tauschte die Raucherkarten seines Sohnes gegen weitere Lebensmittelkarten ein. Eine Genossin, die als Fleischbeschauerin arbeitete, brachte der Familie zweimal in der Woche Fleisch, das sie aus dem nahegelegenen Schlachthof schmuggelte216 und die Besitzerin eines Gemüse-Verkaufsstandes in der Lager- gasse schenkte ihr abends das, was sie nicht verkauft hatte, beschrieb Gaisch die Unter- stützung, die seine Familie bekam.217 Vor der Gestapo geschützt wurde Jochewet Gaisch vom altkatholischen Pfarrer in Graz, indem er beteuerte, dass ihr Vater ein russisch-orthodoxer Religionslehrer gewesen

für den späteren industriellen Massenmord der jüdischen Bevölkerung Deutschlands, Österreichs und der von ihnen besetzten Gebiete. (Vgl. WdG, Bd. 2, s.v. Nürnberger Gesetze, S. 771.) 211 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 212 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 213 Gaisch, Filminterview (WGD_syna_01), 10. Dezember 2009. 214 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 215 Gaisch, Filminterview (WGD_heim-0_2), 10. Dezember 2009. 216 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 217 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_heim-0_3), 10. Dezember 2009. 39 wäre, hob Willi Gaisch hervor.218 »Das war ein wirklicher Antifaschist«,219 sagte er über den Priester. Sein Vater, führte er aus, blieb während der NS-Diktatur weitgehend unbehelligt und fand nach Jahren der Arbeitslosigkeit 1938 beim Wachdienst am Köflacher Bahnhof Beschäf- tigung. Bei der Graz-Köflach-Bahn etablierte sich schnell eine Widerstandszelle von Kom- munisten, die er von früher kannte. Köflach als Basis nutzend, beförderte ein Zugführer Material zu den in Slowenien operierenden PartisanInnen.220 Willi Gaisch selbst wurde nach seiner Freisprechung221 als Bau- und Möbeltischler am 28. September 1939 von der Gestapo dazu zwangsverpflichtet, ab 10. Oktober bei der Groß- Tischlerei Anton Weissina Söhne in der Marschallgasse222 zu arbeiten.223 Auch um seine Eltern und Geschwister zu schützen,224 zog der immer noch politisch aktive Willi Gaisch zu seiner späteren Frau Hildegard Spörk – sie hatten sich 1940 bei einem Tanzabend eines Grazer Trachtenvereins kennengelernt –, obwohl ihre Familie massive Vorbehalte gegen die Beziehung ihrer damals 16-jährigen Tochter mit ihm hatte. Dennoch bekamen die beiden ein Zimmer in der mütterlichen Wohnung in der Keplerstraße 34,225 in dem sie dann bald mit ihrem Sohn Fritz wohnten. »Mit dem Kennenlernen von ihm war eigentlich mein lockeres Dasein zu Ende«, betont Hilde Gaisch heute, aber »mir hat er gleich erzählt, dass seine Mutter Jüdin war. Mir war das egal.«226 Wie es jedoch in dem von vielen Nazis bewohnten Haus, in dem Hilde aufgewachsen war, die Runde machen konnte, dass ihr Freund jüdischer Abstammung war, weiß sie bis heute nicht. In einem Frisiersalon in der Technikerstraße erlernte sie das Handwerk der Friseurin – »bei einem prominenten Nazi«,227 wie sie sagt. Der Inhaber war schon illegaler Nationalsozia- list gewesen, und die Grazer NS-Prominenz bis hin zu Sigfried Uiberreither228 ging »im

218 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 219 Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 220 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 221 ›Freisprechung‹ war der damals geläufige Begriff für die Gesellenprüfung nach einer handwerklichen Lehre. – Anm. hw. 222 Vgl. NS-Arbeitsbuch, S. 6. 223 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 224 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_heim-0_2), 10. Dezember 2009. 225 Vgl. NS-Arbeitsbuch, S. 2. 226 Hilde Gaisch, Filminterview (WGD_Hilde_a), 2. März 2010. 227 Hilde Gaisch, Filminterview (WGD_Hilde_a), 2. März 2010. 228 Dr. SIGFRIED UIBERREITHER (1908 – 1984) studierte Rechtswissenschaften in Graz, war Mitglied der Burschenschaft Cheruskia und beteiligte sich 1931 am Pfrimer-Putsch. Nach dessen Niederschlagung wurde er Mitglied der SA und 1938 deren Schulungsleiter. 1938 wurde er Mitglied des deutschen Reichstages, Gauleiter und Mitglied der NSDAP, 1940 Reichsstatthalter von Steiermark. 1941 war er 40 Geschäft aus und ein«.229 Dennoch beschreibt Hilde Gaisch das Verhältnis zu ihrem Chef als gut, selbst als er erfuhr, dass sie von einem ›Juden‹ ein Kind erwartete; nur dessen Frau war ihr »nicht gut gesinnt.«230 Im Oktober 1942 eskalierte ein Streit zwischen ihr und Hilde Spörk, und die Hochschwangere verließ kurz vor dem Abschluss ihrer Lehre den Salon und betrat ihn nie wieder. An die Aussage der Frau »Wieso kommen wir dazu, dass wir ein Judenkind aushalten?«231 erinnert sich Hilde Gaisch noch heute. Obwohl bei der zuständigen Innung gegen sie interveniert worden war, konnte sie im Dezember ihre Lehrabschlussprüfung absolvieren, weil dort einige Funktionäre »im Widerstand aktiv«232 waren, wie sie sagt. Am 19. Jänner 1943 kam schließlich ihr Sohn Fritz zur Welt, am 10. Oktober 1944 folgte ihre Tochter Lore.233

4.3.3 »Delikt oder Grund: ›Kommunistische Betätigung‹« 234 Obwohl Jochewet Gaisch immer wieder Genossen bat, auf ihren Sohn einzuwirken, sich nicht mehr politisch zu betätigen,235 ließ er sich nicht davon abhalten, Widerstand zu leisten. Trotz der streng konspirativen Organisation der kommunistischen Widerstands- gruppen stand Willi Gaisch mit Dutzenden GenossInnen in Verbindung, gab er zu.236 Viele von ihnen wurden verhaftet, und er half über das System der Roten Hilfe, die Angehörigen mit Geld zu versorgen. Um sich selbst nicht in Gefahr zu bringen, wussten die Unterstützten nicht, wer sie versorgte. So erfuhr eine Nachbarin erst nach Kriegsende und der Rückkehr ihres Mannes aus dem KZ, dass Willi Gaisch derjenige gewesen war, der ihr jahrelang Geld unter der Tür durchgeschoben hatte.237

an den »volkspolitischen und rassischen Maßnahmen« in der sogenannten Untersteiermark beteiligt. Seiner Auslieferung an Jugoslawien entging er durch Flucht und lebte unter falschem Namen in der Bundesrepublik Deutschland. (Vgl. Stefan Karner, Maßgebende Persönlichkeiten 1938 in Graz, In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz, 18/19 (1988), S. 428f.). 229 Hilde Gaisch, Filminterview (WGD_Hilde_a), 2. März 2010. 230 Hilde Gaisch, Filminterview (WGD_Hilde_a), 2. März 2010. 231 Hilde Gaisch, Filminterview (WGD_Hilde_a), 2. März 2010. 232 Hilde Gaisch, Filminterview (WGD_Hilde_a), 2. März 2010. 233 Vgl. Reisepass, Willibald Gaisch (1954), S. 5. 234 Im ›Fragebogen ehemalig politisch verfolgter Antifaschisten‹ gab Willi Gaisch an, mehrmals in Gestapo-Haft gewesen zu sein. Als »Delikt oder Grund« führt er »kommunistische Betätigung« und »Als Partisan mit Waffen gegen Faschismus gekämpft« an. (Landesverband ehemalig politisch verfol- gter Antifaschisten, Fragebogen, S. 1.) 235 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 236 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0148), 24. September 2009. 237 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_heim-0_2), 10. Dezember 2009. 41 Für ihn »das wichtigste in der illegalen Arbeit«238 war das Verfassen von Soldaten- briefen. Er erinnerte sich, gemeinsam mit Hans Fenz239 Hunderte dieser Briefe an Soldaten verschickt zu haben, von denen sie wussten, dass sie diese entweder weitergeben oder selber zur politischen Arbeit unter den Soldaten an der Front verwenden würden.240 In der Wohnung im Haus in der Keplerstraße, wo er seit 1941 gemeinsam mit seiner späteren Frau wohnte, fand – allem Risiko zum Trotz – ein Wehrmachtsdeserteur Unter- schlupf.241 Seine Mutter versteckte nicht nur sich selbst sondern immer wieder auch andere Juden und Jüdinnen für ein oder zwei Nächte im Heimgarten der Familie südlich von Graz, wo Willi Gaisch mit von seinem Arbeitsplatz nachhause geschmuggeltem Abfallholz eine Holzhütte gebaut hatte.242 Er erinnerte sich, in der Tischlerei Weissina mit zwei Genossen eine illegale anti- faschistische Betriebsorganisation aufgebaut zu haben, die hauptsächlich aus Fremdarbeitern aus Slowenien und Griechenland bestand.243 In der Firma für die Griechen ›zuständig‹, schaffte er es, sie sukzessive mit Waffen zu versorgen. Über die Jahre hinweg entstand »eine feste Kampforganisation«,244 die dafür sorgte, dass die Produktion sabotiert wurde, als die ersten Rüstungsaufträge einlangten.245 Dass Willi Gaisch von der Gestapo dazu verpflichtet wurde, in der Großtischlerei Weissina zu arbeiten, bot ihm nicht nur die Möglichkeit, Widerstand zu leisten, sondern brachte ihm auch Schutz durch einen Werkmeister, welcher der Gestapo immer wieder über ihn Bericht erstatten musste. Obwohl eigentlich unpolitisch, war er als Zeuge Jehovas anti- nazistisch eingestellt und erklärte ihn wiederholt »zum besten Arbeiter und zum Unentbehr- lichen«,246 sagte Gaisch. So blieb er lange Zeit »unbehelligt«,247 auch weil andere, die von der Gestapo über ihn befragt wurden, ihn deckten.248

238 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0148), 24. September 2009. 239 HANS FENZ war nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg erst Schriftsetzer, dann Sportredak- teur beim Arbeiterwille, dem Organ der steirischen Sozialdemokratie, und trat infolge des Bürgerkriegs 1934 schließlich als Obmann der Falken-Gruppe Graz-Gries zum illegalen KJV über. Nach der Befreiung war er als Journalist erst bei der Neuen Steirischen Zeitung und dann bei der Wahrheit tätig. (Vgl. Schmiedbauer, Jeder Zeit, S. 19.) 240 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0148), 24. September 2009. 241 Hilde Gaisch, Filminterview (WGD_Hilde_a), 2. März 2010. 242 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 243 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 244 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 245 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 246 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 247 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 248 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 42 Als die Vernichtungsmaschinerie der Nazis immer radikaler wurde und man durch die Ehe mit einem ›Arier‹ nicht mehr geschützt war, flohen Georg und Jochewet Gaisch mit ihrer jüngsten Tochter aufs Land.249 Einen Tag bevor die Gestapo sie verhaften wollte,250 brachte sie ein befreundeter Fleischhacker aus der Nachbarschaft mit seinem Lieferwagen in die Weststeiermark, wo sie bei einem Großbauern bis zur Befreiung Unterschlupf fanden. Willi Gaisch erfuhr nie den Namen der RetterInnen seiner Eltern. Sie wollten – auch nach dem Ende der NS-Barbarei – nicht, dass es bekannt geworden wäre.251 Mithilfe eines Kontakts in Slowenien gelangte Willi Gaisch zu den Partisanen auf die Flattnitz im steirisch-kärntnerischen Grenzgebiet.252 Er erzählte, erst geflohen zu sein, nach- dem er seine Eltern in Sicherheit wusste, obwohl er schon von der Gestapo gesucht wurde.253 Hildegard Spörk hielt sich inzwischen nach einem längeren Aufenthalt bei ihrer Cousine in Maribor mit ihren beiden Kindern und der Mutter in St. Margarethen auf, als Willi Gaisch sie aufsuchte und sie darum bat, den gemeinsamen Sohn als ›Schutzschild‹ mitnehmen zu dürfen. Unter dem Vorwand, den anderthalbjährigen Fritz zu dessen Mutter bringen zu wollen, kam er leichter durch die Kontrollen auf dem Weg nach Kärnten.254 Wie vereinbart holte Hilde Spörk am Tag darauf ihren Sohn wieder ab.255 »Sie hat einiges mitgemacht meinetwegen – sie war standhaft«,256 war Willi Gaisch seiner späteren Frau bis zuletzt dankbar. Über sein Wirken in Kärnten erwähnte Gaisch den Auftrag, in einem Fremdarbeiter- lager, das sich in Metnitz befand, eine antifaschistische Gruppe aufzubauen. Diese, erzählte er, entwaffnete bei Kriegsende den dortigen Volkssturm,257 und besetzte die Flattnitz. Als die SS von Klagenfurt aus gegen sie eingesetzt wurde, zogen sie sich Richtung Lungau zurück, wo sie auf britische Panzer trafen.258

249 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0150), 29. September 2009. 250 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_heim-0_2), 10. Dezember 2009. 251 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0150), 29. September 2009. 252 Polizeidirektion Graz, Stellungnahme zum Antrag von Willi Gaisch, S. 1. 253 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0150), 29. September 2009. 254 Vgl. Hilde Gaisch, Filminterview (WGD_Hilde_a), 2. März 2010. 255 Vgl. Hilde Gaisch, Filminterview (WGD_Hilde_b), 2. März 2010. 256 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 257 Der Volkssturm wurde am 12. Feber 1945 durch einen Erlass Hitlers gegründet. Aus bis zu diesem Zeitpunkt nicht zur Wehrmacht eingezogenen Männern im Alter von 16 bis 60 bestehend, sollten die nur schlecht ausgerüsteten und ausgebildeten Einheiten das Vorrücken der alliierten Armeen aufhalten oder zumindest verzögern. (Vgl. WdG, Bd. 2, s.v. Volkssturm, S. 1138f.). 258 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 43 Immer wieder, sagte Gaisch, halfen ihm Menschen, sodass er das Glück hatte zu über- leben.259 »Ohne das Glück würde ich nicht da sitzen«,260 resümiert er. Zugute kam ihm auch, dass seine Mutter für jedes ihrer Kinder einen Kosenamen hatte; Ihren Sohn Willi rief sie immer Waditschki.261 Aufgrund des Mädchennamens der Mutter, Rudmann, den er bis zur Eheschließung der Eltern trug, wurde er von vielen FreundInnen Rudi genannt, und viele seiner GenossInnen kannten seinen richtigen Namen nicht einmal, was ihn bei Einvernah- men von KommunistInnen durch die Gestapo zusätzlich schützte, erklärte er.262 Insgesamt drei Mal war er von der Gestapo verhaftet worden, aber immer wieder freigekommen, gab er der Polizeidirektion Graz gegenüber an,263 als er 1947 eine amtliche Bestätigung benötigte, um Anspruch auf Leistungen nach dem Opferfürsorgegesetz zu erhal- ten. »Sein aktiver Einsatz für die Ziele eines freien demokratischen Österreichs als Freiheits- kämpfer ist aus den beigeschlossenen Unterlagen zu ersehen«,264 stellte die Grazer Polizei- direktion schlussendlich fest.

259 Vgl. Gaisch, Tonbandinterviews (DW_A0149 und DW_A0150), 24. September 2009. 260 Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 261 Vgl. Gaisch, Zeitzeugengespräch (WGD_uni-2-Vortrag), 10. Dezember 2009. 262 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 263 Vgl. Polizeidirektion Graz, Stellungnahme zum Antrag von Willi Gaisch, S. 1. 264 Polizeidirektion Graz, Stellungnahme zum Antrag von Willi Gaisch, S. 1. 44 5. Die Befreiung Die Regierungen des Vereinigten Königreiches, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika kamen darin überein, daß Österreich, das erste freie Land, das der Hitlerschen Aggression zum Opfer gefallen ist, von der deutschen Herrschaft be- freit werden muß. […] Österreich wird darauf aufmerksam gemacht, daß es für die Beteiligung am Krieg Hitlerdeutschlands die Verantwortung trägt, der es nicht ent- gehen kann, und daß bei der endgültigen Regelung unvermeidlich sein eigener Beitrag zu seiner Befreiung berücksichtigt werden wird.265 Die Moskauer Deklaration266 forderte also von Österreich einen »Beitrag zu seiner Befrei- ung«; anders als in Ländern wie Jugoslawien und Griechenland, in Frankreich und Italien, in Polen, der Tschechoslowakei und den von den Nazis besetzen Gebieten der UdSSR fühlten sich die meisten Menschen in Österreich nicht als von einer fremden Macht besetzt und von einem terroristischen Staatsapparat unterdrückt – sie waren in der Mehrheit wesentlicher Be- standteil des NS-Regimes.267 Nichtsdestoweniger gab es Männer und Frauen, die sich der Naziherrschaft entgegenstellten. Tausende von ihnen fielen der Barbarei zum Opfer.268 Auch in der Steiermark waren in den letzten Kriegstagen die antifaschistischen Kräfte erstarkt und wirkten offensiv am Wiedererstehen Österreichs mit,269 das eingeleitet wurde, als die Rote Armee an der 3. ukrainischen Front Ende März die Offensive gegen Wien eröffnete und die Stadt am 13. April 1945 befreite.270

5.1 Die Befreiung von Graz Der Rückhalt der Nazi-Herrschaft in der Bevölkerung ging durch die Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung zurück, die der Kriegspropaganda und den Durchhalteparolen immer weni- ger Glauben schenkte, als im Spätherbst 1944 sich in der Grazer Murgasse die Steirische Kampf- gemeinschaft gründete. Die von Hans Müller, dem Sohn des Besitzers des Moden Müller-Kauf-

265 Moskauer Deklaration, zit. nach: Weinert, Gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, S. 299 – 320. 266 Die Moskauer Deklaration wurde während der Außenministerkonferenz, die von 19. bis 30. Oktober 1943 in Moskau tagte vom britischen Außenminister, Anthony Eden, dem der USA, Cordell Hull, und dem der Sowjetunion, Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow, verfasst. Am 16. November schloss sich das französische Komitee der Nationalen Befreiung der Deklaration an, in der sich die sowjetischen Pläne eines nach dem Krieg freien und unabhängigen Österreich gegen die britischen einer Donau- föderation, deren Teil Österreich hätte werden sollen, durch. (Vgl. Weinert, Gegen die nationalsozia- listische Gewaltherrschaft, S. 308f.) 267 Vgl. Hans Hautmann, Befreiung, Staatsvertrag, Neutralität und das Österreich von heute. Rede in Graz auf der Festveranstaltung der steirischen KPÖ, In: Die Steiermark wird frei, S. 10. 268 Vgl. Garscha, Grundlinien der Politik der KPÖ, S. 33f. 269 Vgl. Halbrainer, In der Gewißheit, S. 47 – 49. 270 Vgl. Hautmann, Befreiung, Staatsvertrag, Neutralität und das Österreich von heute, S. 11. 45 hauses, und Ferdinand Kosmus271 ins Leben gerufene Gruppe stellte Verbindungen nicht nur in die wesentlichen Grazer Industriebetriebe her, sondern auch ins Wehrbezirkskommando und ins Polizeirevier, wo Ausweispapiere für Deserteure besorgt wurden.272 Als sowjetische Truppen die Österreichische Grenze überschritten und auf Graz marschierten, gab die Steirische Kampfgemeinschaft ein Flugblatt heraus, in dem sie sich an die Grazer Bevölkerung wandte. STEIRER! VOLK von GRAZ! Soldaten! Volkssturmmänner! Arbeiter und Arbeiterinnen! […] Die glorreiche Rote Armee steht auf unserem, von den Nazischweinen so schwer geschädigten Heimatboden. Nicht als Eroberer, sondern als Befreier von schwerster Schmach und entsetzlichem Leid sind sie in unser Land einmarschiert. Ihr Kampf ist unser Kampf! An uns und in uns liegt es, diesen heiligen Befreiungskampf mit allen Mitteln und mit allen Kräften zu unterstützen und zu fördern, wo immer es nur geht. […] Uiber- reither! Dieses größte, verantwortungsfeige, steirische Nazischwein, das sein Leben hundertfach verwirkt hat, ist mitsamt seinen, uns art- und landfremden braunen Ver- brechern bereits gerichtet. Ihr Leben zählt nicht Tage, sondern Stunden. Sie sind zu feige, die Konsequenz daraus zu ziehen. Um sich noch eine knappe Galgenfrist he- rauszuschinden, sind sie gewissenlos genug, unsere Stadt, unser Land und unser Volk vollends zu vernichten. Das darf und wird ihnen nie gelingen, dafür wollen wir sorgen. […]273 Die Steirische Kampfgemeinschaft verhinderte in den letzten Kriegstagen nicht nur die Sprengung der Grazer Murbrücken, sondern auch Zerstörungen der wichtigsten Grazer Betriebe, indem ihre Mitglieder dort die Macht übernahmen.274 Unter ihrer Leitung befreiten die griechischen Fremdarbeiter, mit denen Willi Gaisch in der Tischlerei Weissina gearbeitet und für sie Waffen besorgt hatte,275 die letzten politischen Häftlinge und stellten sich in den Dienst einer ersten Polizei.276 »Die offizielle Machtübergabe war ja skandalös«,277 war Willi Gaisch empört. Am 8. Mai setzte eine Delegation der drei demokratischen Parteien, der für die KPÖ die

271 FERDINAND KOSMUS (1919 – 1981) erlernte das Dreher-Handwerk, war seit 1935 Mitglied der Kommunistischen Partei und arbeitete bis er 1945 in den Untergrund ging in der Weitzer Waggon- fabrik. Nach der Befreiung, an der er als Mitglied der Steirischen Kampfgemeinschaft Anteil hatte, war er erst Betriebsrat in der Maschinenfabrik Andritz und dann Sekretär und Obmann der Grazer Bezirks- organisation der KPÖ, für die er auch von 1958 bis 1981 als Gemeinderat und von 1959 bis 1969 als Arbeiterkammerrat tätig war. (Vgl. Heimo Halbrainer, Skizzen der steirischen Widerstandskämpfer/ innen, In: Presterl, Im Schatten des Hochschwab, S. 314f. 272 Vgl. Heimo Halbrainer, Widerstand und Befreiung: Die KPÖ in der Steiermark im Jahr 1945. Referat auf der Festveranstaltung der steirischen KPÖ am 30. April 2005, In: Die Steiermark wird frei, S. 5f. 273 Flugblatt der steirischen Kampfgemeinschaft, zit. nach: Presterl, Im Schatten des Hochschwab, Anhang, S. 296 – 298. 274 Vgl. Halbrainer, Widerstand und Befreiung, S. 6. 275 Vgl. Gaisch, Filminterview (WGD_cafe1-7), 10. Dezember 2009. 276 Vgl. Halbrainer, Widerstand und Befreiung, S. 6 sowie Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 277 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 46 späteren Landesräte Viktor Elser278 und Ditto Pölzl279 angehörten, Gauhauptmann Armin Dadieu280 ab, jedoch ohne ihn zu verhaften – »Hinter Schloss und Riegel«281 hätte er gemusst, meinte Willi Gaisch. Noch am selben Tag zur Mittagszeit richtete Ditto Pölzl via Radio eine Proklamation an die steirische Bevölkerung: Mit sofortiger Wirkung werden alle Funktionäre der NSDAP und ihrer Gliederungen in den Betrieben ihrer Funktion enthoben. Gleichzeitig ergeht ein Aufruf an alle Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre aus der Zeit von vor 1934, sofort provi- sorische Betriebsräte unter der Zuziehung von demokratischen Elementen zu bilden und in Funktion zu treten.282 Als am Tag darauf die Rote Armee in Graz angekommen war, setzte sie die provisorische Landesregierung ab,283 konnte jedoch die Maschinen in den Betrieben nicht demontieren, da die Betriebsräte ihnen als legale Macht gegenübertraten und dies verhinderten. »Die Direktor- en waren zu 99 % geflüchtet; die Betriebsräte aber waren da – das ist eine der größten Leis- tungen meines Lebens«,284 resümierte Pölzl später. Keine Woche danach wurde durch Vermittlung des Generalsekretärs der KPÖ, Friedl Fürnberg,285 die zweite provisorische Landesregierung eingesetzt. Dem Drittelproporz gemäß

278 VIKTOR ELSER (1893 – 1979) erlernte den Beruf des Bierbrauers und war zwischen 1919 und 1934 Bergarbeitersekretär, und für die Sozialdemokratische Partei von 1924 bis 1934 Vizebürgermeister von Köflach sowie Abgeordneter zum Steiermärkischen Landtag von 1926 bis 1934. Nach der Befreiung war er für die KPÖ von 1945 bis 1946 Landeshauptmann-Stellvertreter der Steiermark und von 1945 bis 1956 Nationalratsabgeordneter. (Vgl. http://www.parlament.gv.at/WWER/PAD _00309/, 21. Juni 2011.) 279 DITTO PÖLZL (1907 – 1994) erlernte bei Waagner-Biró das Handwerk des Anreißers (=Konstrukteur) und war bald Vertrauensmann und jüngster Betriebsrat im Werk. Am linken Rand der Sozialdemo- kratie stehend trat er nach dem 12. Feber 1934 der KPÖ bei für die er in vielen Funktionen, u.a. als Landesrat in allen provisorischen Landesregierungen und später als Landtagsabgeordneter, wirkte. 1957 verließ er die KPÖ und trat 1967 wieder der SPÖ bei. (Vgl. Pölzl, »…der Betrieb war meine Heimat«, S. 621f. sowie 626.) 280 Univ.-Prof. Dr. Ing. ARMIN DADIEU (1901 – 1978) trat 1932 – er wurde im selben Jahr außerordent- licher Professor an der Technischen Hochschule Graz – der NSDAP bei. Er wurde nach dem ›Ost- markgesetz‹ 1940 Gauhauptmann und Stellvertreter Uiberreithers. In dieser Funktion übergab er am 8. Mai 1945 die Macht an den Sozialisten Reinhard Machhold, ohne jedoch verhaftet zu werden. Vor seiner Flucht nach Lateinamerika 1947 lebte er versteckt in Graz. Er erhielt schließlich eine Professur an der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt in Stuttgart. (Vgl. Stefan Karner, Maßgebende Persönlichkeiten, S. 386.) 281 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 282 Zit. nach: Ditto Pölzl, »… der Betrieb war praktisch meine Heimat«. Erinnerungen, bearbeitet von Johannes Feichtinger, In: Beer (Hg.), Die »britische« Steiermark, S. 624. 283 Vgl. Herwig Holzer, Die Kommunistische Partei Österreichs in Graz 1945, In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 25 (1994), S. 126. 284 Zit. nach: Pölzl, »…der Betrieb war meine Heimat«, S. 624. 285 FRIEDL FÜRNBERG (1902 – 1978) war seit 1919 Mitglied der KPÖ und von 1922 bis 1926 Sekretär des Kommunistischen Jugendverbands und von 1926 bis 1932 Sekretär in der Kommunistischen Jugend- internationale in Moskau. Von 1924 bis zu seinem Tod war er Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ und von 1946 bis 1977 des Politischen Büros des ZK. Nach seiner Inhaftierung im austrofaschis- 47 stellte die KPÖ mit Viktor Elser, der auch für die Gemeinden und Sanitätsanstalten zuständig war, nicht nur einen Landeshauptmannstellvertreter, sondern mit Ditto Pölzl, der für Schule und Kunst verantwortlich war, sowie Raimund Bachmann auch zwei Landesräte.286 Bach- mann, erzählte Gaisch, war von ihm, der ihn aus der Zeit der Illegalität kannte als er mehrmals pro Woche dessen Gasthaus in der Neubaugasse aufsuchte, überredet worden, das Referat für Soziale Verwaltung zu übernehmen.287 Ebenso war die KPÖ in der Grazer Stadt- verwaltung mit Johann Janneschitz, (Vizebürgermeister) Josef Kovacic (Wohnungsamt) – ihn kannte Gaisch aus der Zeit, in der sie beide illegal in der SAG politisch gearbeitet hatten288 – und Franz Huihammer (Bauwesen) vertreten. Dem Polizeipräsidenten Alois Rosenwirth (SPÖ) wurde der Kommunist Paul Hotschewar als Stellvertreter zur Seite gestellt.289 Das Kriegsende, erzählte Willi Gaisch, erlebte er in Kärnten, wo er aus dem Radio erfuhr, dass Hans Fenz ihn suchte. Von den Engländern erhielt er einen Ausweis, mit dem er sich in der englischen Zone frei bewegen konnte, und machte sich auf den Rückweg nach Graz, wo er am 12. oder 13. Mai eintraf.290

5.2 »Ich hatte keinen Dunst vom Zeitungmachen.«291 Die Wahrheit Wieder in Graz angekommen, begann Willi Gaisch mit der Aufbauarbeit für die Redaktion einer kommunistischen Zeitung in der Steiermark, obwohl er keine Erfahrung in diesem Bereich hatte. In der mit Redakteuren aus allen drei antifaschistischen Parteien besetz- ten Neuen Steirischen Zeitung, 292 deren Chefredakteur der Kommunist Alfred Neumann293 bis

tischen Anhaltelager Wöllersdorf gelang ihm 1936 die Flucht nach Moskau. 1944 war er Mitbegründer des 1. österreichischen Freiheitsbataillons in Slowenien. 286 Vgl. Holzer, die KPÖ in Graz, S. 126. 287 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 288 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 289 Vgl. Holzer, die KPÖ in Graz, S. 126. 290 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 291 Gaisch, Tonbandinterview (A0090304), 13. Oktober 2009. 292 Aus der bei Leykam gedruckten von den Nazis herausgegebenen Tagespost ging die erste Zeitung in der Nachkriegssteiermark hervor, die noch zweimal unter diesem Namen erschien, ehe sie für eine Ausgabe Grazer Volkszeitung und ab 11. Mai 1945 Grazer antifaschistische Volkszeitung hieß. Wie die provisorische Landesregierung wurde auch die Redaktion des Blattes von der sowjetischen Verwaltung mir Vertretern aller drei demokratischen Parteien, SPÖ, ÖVP und KPÖ, besetzt. Mit 25. Mai erschien sie unter dem Titel Neue Steirische Zeitung. Organ der demokratischen Einigung, bis sie mit Jahresende 1945 eingestellt wurde. (Vgl. Müller, Nachrichtenmedien, S. 77f. sowie ebda., S. 112.) 293 Dr. ALFRED NEUMANN (1909 – 2001) war gebürtiger Innsbrucker und studierte in Graz Rechts- wissenschaften. Nach den Februarereignissen 1934 trat er von der Sozialdemokratischen Partei, der er 48 August war, wurden Artikel von Kommunisten veröffentlicht, solange es kein eigenes Organ der KPÖ gab.294 In einer Sitzung von Offizieren der britischen Psychological Warfare Branche (PWB) mit Landeshauptmann Machhold und Vertretern von SPÖ, ÖVP und KPÖ wurde die Herausgabe von Parteizeitungen beschlossen. So erschienen Ende Oktober in der Steiermark die Neue Zeit der SPÖ, das Steirerblatt der ÖVP und die Wahrheit der KPÖ als Wochenblätter mit einer Auflage von jeweils 50.000 Stück.295 Nach der Einstellung der Neuen Steirischen Zeitung erschien die Wahrheit ab 1. Jänner 1946, wie die Blätter der anderen beiden Parteien auch, als Tageszeitung.296 Erst befanden sich die Räumlichkeiten der Redaktion in der Stempfergasse und am Mehlpatz, bevor sie nach fast drei Jahren in die Lagergasse zog,297 wo die Druckerei des KPÖ-eigenen Österreichischen Volksverlages bereits seit 1. März 1948 arbeitete.298 In der Zeit davor war der KPÖ von den Besatzungsmächten zugesichert worden, dass ihre Publikationen in der Druckerei des Leykam-Verlages, den 1945 die SPÖ zugesprochen bekommen hatte, hergestellt werden könnten.299 Das spätere Volkshaus – es war nach der Arisierung im Besitz der Puchwerke – ging nicht unmittelbar nach Kriegsende in Besitz er KPÖ über.300 So hatte die Grazer KPÖ vorläufig ihren Sitz am Grieskai rechts der Mur, wo sich heute am David-Herzog-Platz 1 die Israelitische Kultusgemeinde befindet. Die Erbinnen des ursprünglichen Besitzers des Objekts in der Lagergasse, berichtete Gaisch, wollten anfangs nicht an die KPÖ verkaufen. Erst nach der Intervention seiner Mutter, die deren nach Palästina geflüchteten Vater gekannt hatte, wusste Gaisch aus Erzählungen, wären sie bereit gewesen, das Objekt an die KPÖ zu vermieten. Erst später konnte die KPÖ das Gebäude käuflich erwerben.301

seit 1929 angehörte zur KPÖ über und wirkte v.a. in der SAG für die Unabhängigkeit Österreichs. Gegen die deutsche Fremdherrschaft ab 1938 war ebenso illegal tätig, bis er 1943 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Nach der Befreiung wurde er nicht nur Chefredakteur der Neuen Steirische Zeitung sondern auch ›Unterstaatssekretär für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung‹ in der provi- sorischen Regierung Renner. (Vgl. http://alte.kpoe.at/lpd/0860.html, 21. Juni 2011) 294 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 295 Vgl. Müller, Nachrichtenmedien, S. 109. 296 Vgl. Müller, Nachrichtenmedien, S. 113. 297 Vgl. Schmidbauer, Jederzeit ist eine junge Zeit, S. 5. 298 Vgl. Gaisch, Froschauer, Filmgespräch (WGD_kpohaus-4 INT), 10. Dezember 2010. 299 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 300 Vgl. Schmidbauer, Jederzeit ist eine junge Zeit, S. 5. 301 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 49 Zu Beginn war Willi Gaisch Lokalredakteur und später für Außenpolitik zuständig.302 Nachdem er den ganzen Tag über Depeschen gesammelt hatte, musste »innerhalb von einer Stunde oder einer dreiviertel Stunde alles druckreif gemacht werden. Ohne Schreibkraft ist da nichts gegangen. Das war eine Zeit, wo ich so wirklich druckreif reden hab können«,303 erinnerte er sich. Im Zuge der Vorbereitungen auf die Wahlen von 1949 hob der damalige Chefredak- teur Willy Scholz304 die Wichtigkeit der Zeitung hervor, die »mobilisieren und organisieren« sollte: »Die Pressewerbung steht im Mittelpunkt der Parteiarbeit.«305 In der Landesleitung wurde vereinbart, die gesamte Mitgliedschaft zur Kolportage anzuhalten und auch das System des sozialistischen Wettbewerbs306 einzuführen.307 Wie hunderte KommunistInnen und Mit- glieder der Freie Österreichische Jugend (FÖJ)308 beteiligte Willi Gaisch sich an der Kolpor- tage der Zeitung und warb um AbonnentInnen in der Hackhergasse, für die er bei den Abo- Kampagnen eingeteilt war. Beim Austragen der Zeitungen entstanden oft politische Diskus- sionen mit den BezieherInnen, wodurch nicht wenige für die Politik der KPÖ interessiert und schließlich gewonnen werden konnten.309 Der spätere Parteivorsitzende Franz Muhri,310 der in den 50ern mehrere Funktionen in der steirischen Parteiorganisation bekleidete, erzählte über die Zeitung: Die »Wahrheit« hat nicht nur die Gesamtpolitik der Partei widergespiegelt, sondern auch eine besondere Bedeutung als steirische Regionalzeitung gehabt. Fragen der Betriebspolitik, der Gewerkschaftspolitik, der Kommunalpolitik haben einen großen

302 Vgl. Schmidbauer, Jederzeit ist eine junge Zeit, S. 15. 303 Gaisch, Froschauer, Filmgespräch (WGD_kpohaus-4 INT), 10. Dezember 2010. 304 WILLY SCHOLZ (1906 – 1979) erlernte das Handwerk des Autoschlossers und war sozialistischer Ju- gendfunktionär, bevor er Redakteur der sozialdemokratischen Zeitung Arbeiterwille wurde. 1934 schloss er sich der KPÖ an. Von den Faschismen politisch und von den Nazis als Jude ›rassisch‹ verfolgt, flüchtete er erst in die Sowjetunion und dann nach England, um nach der Befreiung Redakteur der Wahrheit zu werden. Nach den Ereignissen in Ungarn 1956 trat er aus der KPÖ aus. (Vgl. Schmid- bauer, Jederzeit ist eine junge Zeit, S. 19f.) 305 L.L.-Protokoll, 12. Dezember 1948, In: GrPA: Protokolle von L.L.-Sitzg. 1946 – 1956, S. 4. 306 Unter sozialistischem Wettbewerb ist eine Methode zu verstehen, mittels derer sich breite Kreise an der Umsetzung eines gestellten Zieles in komptetitiver Form beteiligen. In ihm »entwickeln sich vielfältige Initiativen und Formen des Wetteiferns«. (KlPW, s.v. sozialistischer Wettbewerb, S. 795.) 307 Vgl. L.L.-Protokoll, 12. Dezember 1948, In: GrPA: Protokolle von L.L.-Sitzg. 1946 – 1956, S. 4. 308 Die Freie Österreichische Jugend (FÖJ) wurde 1945 als überparteiliche Jugendorganisation geschaffen und hatte den Aufbau eines freien, unabhängigen und demokratischen Österreichs als Ziel. Nachdem SPÖ und ÖVP jedoch bald eigene Jugendverbände gründete, wurde die FÖJ faktisch zur Jugendorgani- sation der KPÖ. 1970 wurde sie durch die Kommunistische Jugend Österreichs (KJÖ) ersetzt. 309 Vgl. Schmidbauer, Jederzeit ist eine junge Zeit, S. 15 sowie S. 22. 310 FRANZ MUHRI (1924 – 2001) war antifaschistischer Widerstandskämpfer und nach 1945 in verschie- denen Positionen für die KPÖ tätig, deren Vorsitzender er als Nachfolger Johann Koplenigs zwischen 1965 und 1989 war. 50 Raum eingenommen. Die Zeitung war wirklich ein Organ der Arbeiter, der Betriebe, ein Organ, das sich voll eingesetzt hat.311 Leserdienst wurde in den 50ern eine Urlaubsaktion genannt, mit der die Wahrheit günstig Urlaube in Italien und vor allem auf den jugoslawischen Adria-Inseln anbot. Tau- sende Familien nahmen an den Reisen, die zu Agitationszwecken immer von Parteikadern begleitet wurden, teil. Ein Publikumsmagnet waren auch die Feste der Wahrheit, die erst am Areal des Grazer Volkshauses und später, als dort der Platz zu eng wurde, am Messegelände stattfanden und bis zu 20.000 Menschen anzogen.312 Bis heute, wenn auch in bescheidenerem Rahmen, findet diese Tradition mit dem alljährlichen Volkshausfest ihre Fortsetzung. Mit dem im Kalten Krieg immer weitere Kreise ziehenden Antikommunismus begann die Auflage der Zeitung zu sinken. Die Druckerei des Österreichischen Volksverlages geriet immer weiter in die roten Zahlen. Willi Gaisch schlug schließlich vor, nach dem Baseler Vorbild, auch Gratiszeitungen zu drucken, die es Ende der 60er Jahre in Graz noch nicht gab, und über Anzeigen von Geschäftleuten mit verhältnismäßig geringen Investitionskosten, das Defizit zu minimieren. Der Vorschlag wurde aber von der Landesleitung der steirischen KPÖ abgelehnt und die Druckerei mit 31. Jänner 1971 geschlossen. Die Wahrheit erschien nur mehr als Mutation des in Wien produzierten KPÖ-Organs Volksstimme mit einem eigenen Kopf. »Die ›Wahrheit‹ hat in all den Jahren, in denen sie in Graz gedruckt wurde, ihre Funktion als Organ der revolutionären Arbeiterbewegung in der Steiermark in Ehren erfüllt«,313 schrieben Landesobmann Franz Leitner314 und Sekretär Willi Gaisch in der letzten Nummer, die in Graz gedruckt wurde. In einem Gespräch für eine Broschüre anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der Wahrheit und ihrer Druckerei erinnerte sich Gaisch: Aus Sicht der Landesleitung der Partei war die Einstellung der vielseitig und flexibel einsetzbaren Zeitung ein Fehler. Zum Zeitpunkt der Liquidierung hatten »Wahrheit« und »Volkswille«315 zusammen eine Auflage von 10.000 Exemplaren, ein enormes politisches Kapital. Als die »Wahrheit« sich nur mehr im Kopf von der Volksstimme

311 Zit. nach: Schmidbauer, Jederzeit ist eine junge Zeit, S. 17. 312 Vgl. Schmidbauer, Jederzeit ist eine junge Zeit, S. 23f. 313 Franz Leitner, Willi Gaisch, Abschied von unserer Druckerei, In: Wahrheit, 31. Jänner 1971, S. 1. 314 FRANZ LEITNER (1918 – 2005) wurde schon 1936 wegen illegaler Tätigkeit für den KJV zu einer Kerker- und einer Polizeistrafe verurteilt. Am Tag des Überfalls der Nazis auf Polen wurde er verhaf- tet und kurz darauf in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert, wo er als gewählter ›Block- ältester‹ des ›Kinderblocks‹ half, die Leben vieler jüdischer Kinder zu retten und an der Selbstbefreiung des KZ teilnahm. Dafür wurde ihm später – neben vielen anderen Auszeichnungen – den Ehrentitel Gerechter unter den Völkern der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem verliehen. In der KPÖ, für die er von 1961 bis 1970 im steirischen Landtag saß, arbeitete Leitner in verschiedenen Funktionen u.a. als steirischer Landesobmann und Mitglied des ZK und des Politischen Büros. Nach seiner Pensionierung er als Zeitzeuge an Schulen. (Vgl. http://www.kpoe-steiermark.at/labg-a-d-franz-leitner-verstorben. phtml, 1. August 2011.) 315 Volkswille hieß die Zeitung der KPÖ in Kärnten, die ebenfalls in Graz gedruckt wurde. – Anm. hw. 51 unterschied und ihren regionalen Charakter verlor, sank die Auflage rapid bis zur Bedeutungslosigkeit. Andere Zeitungen bauten die Regionalberichterstattung aus, wir haben sie auf ein Minimum reduziert.316

5.3 Wiederaufbau und kalter Krieg »Wir waren alle enttäuscht. Wir haben ja gewusst, wer der Renner ist«,317 erzählte Gaisch darüber, dass Stalin die Weisung gab, Karl Renner mit der Bildung der provisorischen Regierung zu betrauen,318 jenem Proponenten der Sozialdemokratie, der über all die Jahre der ersten Republik als Personifizierung des rechten Flügels ihr Gegner gewesen war und von dem schon Lenin in seinem ›Brief an die österreichischen Kommunisten‹ geschrieben hatte, er sei ein »Lakaie der Bourgeoisie«.319 Schließlich setzte sich aber bei den meisten die Meinung durch, die Georgi Dimitroff gegenüber den KPÖ-Vorsitzenden Koplenig geäußert hatte, mit der Bitte, sie den österreichischen KommunistInnen zu übermitteln. Wir wissen gut, wer Karl Renner ist, ein eingefleischter Reformist und Opportunist, gegen den noch Lenin scharf aufgetreten ist. Er ist ein schlauer Fuchs. Doch unter den gegebenen Umständen ist er die geeignete Person an der Spitze der neuen Regierung, um der Gefahr einer Zerreißung des Landes zu begegnen. Man muß mit ihm zusammenarbeiten.320 Sich der Sowjetunion anbiedernd schrieb der ›schlaue Fuchs‹ am 15. April in einem Dankesbrief an den »sehr geehrte[n] Genossen Stalin«: Ohne die Rote Armee wäre keiner meiner Schritte möglich gewesen, und dafür bleibe nicht nur ich, dafür bleiben die »Zweite Republik Österreich« und ihre Arbeiterklasse Ihnen, Herr Marschall, und Ihrer siegreichen Armee für alle Zukunft zum Danke verpflichtet […] Das Vertrauen der österreichischen Arbeiterklasse insbesondere in die Sowjetrepublik ist grenzenlos geworden. Die österreichischen Sozialdemokraten werden sich mit der KP brüderlich auseinandersetzen und bei der Neugründung der Republik auf gleichem Fuß zusammenarbeiten. Daß die Zukunft des Landes dem Sozialismus gehört, ist unfraglich und bedarf keiner Betonung.321

316 Zit. nach: Schmidbauer, Jederzeit ist eine junge Zeit, S. 24. 317 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 318 Diese Entscheidung der sowjetischen Führung stieß bei fast allen führenden KPÖ-Funktionären, die faktisch vor vollendete Tatsachen gestellt wurde, auf Ablehnung. Vgl. Mugrauer, Die KPÖ in der provisorischen Regierung, S. 42 – 44. 319 W.I.Lenin, Brief an die österreichischen Kommunisten (1920), In: Werke Bd. 31, S. 258. 320 Zit. nach: Mugrauer, Die KPÖ in der provisorischen Regierung, S. 45. 321 Zit. nach: Josef Ehmer, Rupert Herzog, Von der Befreiung zum Staatsvertrag, In: Die KPÖ, S. 331f. 52 5.3.1 Überschätzte Perspektiven. Die KPÖ und allgemeine Wahlen In der ersten provisorischen Regierung unter Karl Renner war die KPÖ als gleich- berechtigte Partnerin mit Franz Honner322 als Innenminister, Ernst Fischer323 im Staatsamt für Volksaufklärung, Unterricht und Erziehung und Kultusangelegenheiten, Johann Koplenig als Staats- sekretär ohne Portefeuille und mit weiteren Unterstaatssekretariaten in allen Ressorts vertre- ten. Die erste Frau in einer österreichischen Regierung war eine Kommunistin: Hella Postra- necky324 war Unterstaatssekretärin im Staatsamt für Volksernährung.325

Keineswegs spannungsfrei war das Verhältnis zwischen der KPÖ und der Roten Armee. Die Plünderungen und die Vergewaltigungen durch manche sowjetische Soldaten machten es manchmal schwierig, sie als Befreier zu sehen. Bei einer Wahlveranstaltung versuchte der spätere steirische Landesobmann Walter Fischer326 den Arbeiterinnen eines Betriebs in Wien- Favoriten, der von den Sowjets übernommen worden war, die Situation zu erklären. Diese Armee ist von Stalingrad Tausende von Kilometer durch ihr Heimatland kämp- fend vormarschiert – durch Hunderte zerstörte Städte, Tausende niedergebrannte Dörfer, vorbei an den Leichen von Greisen, Frauen und Kindern. Und jetzt stellt

322 FRANZ HONNER (1893 – 1964) war ab 1927 Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ und wurde 1936 im Anhaltelager Wöllersdorf interniert, von wo er nach Moskau flüchtete, um ab 1937/38 auf repu- blikanischer Seite in Spanien zu kämpfen. Nach der Niederlage der spanischen Republik kehrte er nach Moskau zurück. 1944/45 bildete er österreichische Bataillone in der jugoslawischen Volksbefreiungs- armee aus. Von 1945 bis 1959 war er für die KPÖ Abgeordneter zum Nationalrat und von von 1946 bis 1959 Mitglied des ZK und des Politbüros, wo er sich hauptsächlich mit Gewerkschaftsfragen beschäftigte. (http://www.austria-lexikon.at/af/AEIOU/Honner%2C_Franz, 31. Mai 2011.) 323 ERNST FISCHER (1899 – 1972) war Schriftsteller, Publizist und kommunistischer Politiker und als brillanter Redner bekannt. In der ersten Republik arbeitete er bei der sozialdemokratischen Arbeiter- Zeitung und trat nach den Februarkämpfen 1934 zur KPÖ über. 1939 emigrierte er nach Prag, dann weiter nach Moskau, von wo er 1945 nach Österreich zurückkehrte. Nach der Befreiung bekleidete er viele Funktionen für die und in der KPÖ. Bis zum Ausscheiden der Partei aus dem Nationalrat 1959 war er deren Abgeordneter und bis zu seinem Ausschluss wegen parteischädigendem Verhalten in den Auseinandersetzungen nach dem ›Prager Frühling‹ Mitglied des Zentralkomitees. 324 HELENE POSTRANECKY, ›HELLA‹, vereh. ALTMANN (1903 – 1995) wurde, nachdem sie in der Zwischenkriegszeit Funktionärin der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei war, im April 1945 von der KPÖ für die erste provisorische Regierung nominiert, in der sie das Amt der Unterstaatssekretärin für Volksernährung bekleidete. Aus Protest gegen den Einmarsch von Truppen des Warschauer Vertrages in die ČSSR trat sie 1968 aus der KPÖ aus. 325 Manfred Mugrauer, Die Politik der KPÖ in den Jahren 1945 bis 1955/56, In: ders. (Hg.), 90 Jahre KPÖ, S. 37f. 326 WALTER FISCHER (1901 – 1978), Bruder von Ernst und Otto Fischer, war Arzt und Journalist. Er war an den Kämpfen im Februar 1934 beteiligt, dann in Wöllersdorf interniert und emigrierte 1935 in die UdSSR, von wo aus er nach Spanien ging, um als Arzt bei den Internationalen Brigaden am spanischen Bürgerkrieg teilzunehmen. Wieder zurück in der Sowjetunion war er als Chefredakteur von Radio Mos- kau für Österreich tätig. Nach seiner Heimkehr nach Österreich arbeitete er in verschiedenen Funktionen politisch und journalistisch für die KPÖ bis er infolge der innerparteilichen Auseinandersetzungen nach der Intervention der Warschauer Vertragsstaaten in der ČSSR aus ihr austrat. (Vgl. Fischer, Kurze Geschichten aus einem langen Leben, Klappentext.) 53 euch einmal vor, es wäre die hitlerdeutsche Armee gewesen, die nach einem solchen Marsch in das Land käme, aus dem so manche Division der feindlichen Truppen gekommen ist.327 Auch Ditto Pölzl erinnerte sich: Ich rechnete nicht mit den zahlreichen grausamen Vergewaltigungen von österreichi- schen Mädchen durch Teile der Roten Armee. Während meiner beiden Aufenthalte in der Sowjetunion hatte ich nämlich deren prüde Wesensart kennengelernt. Die Wirk- lichkeit belehrte mich aber eine besseren. Darüber war ich außerordentlich enttäuscht. Häufig waren auch Plünderungen durch Teile der Roten Armee. Eines Tages hatte ich in der Maschinenfabrik Andritz eine Unterredung mit einem russischen Offizier. Ein Soldat requirierte vor unseren Augen das Fahrrad eines Arbeiters. Mein Ge- sprächspartner zog erzürnt seine Pistole und richtete sie auf den Dieb. Dieser warf das Rad zu Boden und schrie uns an: »Die Deutschen haben meinen Vater und meine Mutter ermordet, und sie haben unser Haus zerstört! Und Du regst Dich wegen dieses lächerlichen Fahrrads auf.«328 Die fehlende öffentliche Distanzierung der KPÖ von den Verbrechen, die von Angehörigen der sowjetischen Truppen begangen wurden, schätzte Willi Gaisch als den größten Fehler dieser Zeit ein,329 war die KPÖ doch »eine Macht im Schatten der Besatzungsmacht«,330 wie es der Parteivorsitzende Johann Koplenig 1956 bei einem Plenum des ZK selbstkritisch ausdrücken sollte. »Es waren oft nicht besten, die sich 1945 der Partei anschlossen«,331 er- innerte sich Gaisch daran, dass Opportunisten, die sich mitunter sogar an Plünderungen beteiligten, Mitglieder der KPÖ wurden. Durch die Übergriffe von Teilen der sowjetischen Besatzungsmacht war es für ÖVP und SPÖ leicht, in den Wahlauseinandersetzungen an die antikommunistischen Ressentiments anzuknüpfen, die durch die jahrelange Nazipropaganda tief in der österreichischen Bevölkerung332 verwurzelt waren. Hinzu kam der wahltaktisch schlechte Termin am 25. November 1945, der für die KommunistInnen zu früh angesetzt war, weil sie im Gegensatz zu den anderen beiden Parteien in den ländlichen Gegenden, die in der aus der Ersten Republik übernommenen Wahlordnung bevorzugt wurden, im organisatorischen Aufbau hinterherhinkten.333 Die KPÖ schnitt weit unter ihren Erwar- tungen ab. In Graz erhielt sie lediglich 6,7 Prozent der Stimmen und stellte nur zwei Land- tagsabgeordnete.334 Bundesweit erreichte sie enttäuschende 5,4 Prozent.

327 Fischer, Kurze Geschichten aus einem langen Leben, S. 168f. 328 Vgl. Pölzl, »…der Betrieb war meine Heimat«, bearb. von Feichtinger, S. 624f. 329 Vgl. Holzer, Die KPÖ in Graz, S. 133. 330 Zit. nach: Mugrauer, Die Politik der KPÖ in den Jahren 1945 bis 1955/56, S. 42. 331 Zit. nach: Holzer, Die KPÖ in Graz, S. 135. 332 Noch waren ehemalige Mitglieder der NSDAP vom Wahlrecht ausgeschlossen, was »staatspolitisch und als Zeichen der Distanzierung vom Nationalsozialismus notwendig« war. (Hanisch, Der lange Schatten des Staates, S. 404.) 333 Vgl. Ehmer/Herzog, Von der Befreiung zum Staatsvertrag, S. 348f. 334 Vgl. Holzer, Die KPÖ in Graz, S. 135. 54 Mit übertriebenen Hoffnungen ging man auch in die Nationalratswahlen 1949, bei denen die KPÖ gemeinsam mit der von Erwin Scharf335 gegründeten Vereinigung Fortschritt- licher Sozialisten als Linksblock zur Nationalratswahl antrat: »Heute gibt es 150.000 wirkliche Mitglieder. Wenn neben jedem Kommunisten nur noch ein einziger KP wählt, so ist das praktisch schon eine Verdoppelung unserer Stimmen. Diese ist uns sicher.«336 Der Linksblock erhielt schließlich 213.066 Stimmen, 5,1 Prozent und fünf Mandate.337

5.3.2 »Gegen die widerliche Astgemeinschaft von Kapitalisten und rechten SP-Führern«338 Auch wenn bei allgemeinen Wahlen die KPÖ weit hinter ihren Hoffnungen und Erwartungen zurückblieb, hatte sie in den Betrieben regelrechte Hochburgen. Im September 1945 stellte die KPÖ in der Steiermark 118 BetriebsrätInnen, die SPÖ 97, die ÖVP 16, und parteilos waren fünf, wie in einem Wochenbericht der britischen Besatzungsmacht fest- gehalten ist.339 »Die Kommunisten beherrschten damals alle großen steirischen Betriebe«,340 erzählte später Ditto Pölzl. So waren 1945 etwa bei Waagner Biró sechs von sieben oder in der Andritzer Maschinenfabrik fünf von sechs Betriebsräten Kommunisten.341 Auch im größten Industriebetrieb Österreichs, der Alpine-Montan im obersteirischen Donawitz, konnten kommunistische Mehrheiten errungen werden.342 Hier spielte die Wahrheit, die in den Betrieben von den dort arbeitenden KPÖ-Mitgliedern kolportiert wurde, eine entscheidende Rolle.343 Leitlinie der kommunistischen Politik in den Betrieben war das konsequente Eintreten für die Interessen der ArbeiterInnen und gegen faule Kompromisse, wie sie unter anderen von ÖGB-Präsident Johann Böhm344 propagiert wurden:

335 ERWIN SCHARF (1914 – 1994) war zwischen 1934 und 1938 Funktionär der illegalen Revolutionären Sozialisten und von 1938 bis 1940 in Haft. Nach der Befreiung wurde er bis 1947 Zentralsekretär der SPÖ und 1948 als prominenter linker Kritiker der Parteiführung aus der Partei ausgeschlossen. Er war zweimal Nationalratsabgeordneter: Von 1945 bis 1948 für die SPÖ und von 1949 bis 1953 für den Linksblock. Seine 1950 gegründete Sozialistische Arbeiterpartei (Linkssozialisten) vereinigte sich 1956 mit der KPÖ. Von 1957 bis 1965 war er Chefredakteur der Volksstimme. (Vgl. http://www.aeiou.at/ aeiou.encyclop.s/s161861.htm, 3. Juni 2011 bzw. Scharf, Ich hab’s gewagt mit Sinnen…, S. 173 – 177.) 336 L.L.-Protokoll, 12. Dezember 1948, S. 2, GrPA: Protokolle von L.L.-Sitzg. 1946 – 1956. 337 Vgl. http://www.klahrgesellschaft.at/Chronik.html, 3. Juni 2011. 338 Wahrheit, 23. Juli 1949, S. 1. 339 Vgl. Halbrainer, Widerstand und Befreiung, S. 8. 340 Pölzl, »…der Betrieb war meine Heimat«, S. 625. 341 Vgl. Holzer, Die KPÖ in Graz, S. 128. 342 Vgl. Mugrauer, Die Politik der KPÖ in den Jahren 1945 bis 1955/56, S. 47. 343 Vgl. Schmidbauer, Jederzeit ist eine junge Zeit, S. 16. 344 JOHANN BÖHM (1886 – 1959) war von 1930 bis 1934 Abgeordneter zum Nationalrat und von 1945 bis 1959 auch dessen zweiter Präsident. Er war 1945 einer der Gründer des Österreichischen Gewerk- 55 Der wirtschaftliche Zusammenbruch, den der Krieg mit sich gebracht hat, die so weitgehende Entgüterung unseres Landes hat uns wohl beiden [gemeint sind die Interessensvertretungen der Unternehmer und der ArbeiterInnen. – Anm. hw] ge- zeigt, dass wir, mögen wir noch so viele Differenzen miteinander haben, zum Teil vielleicht auch eingebildete, doch auf einem Ast sitzen, von dem wir beide – wenn einer von uns ihn durchsägt – herunterfallen müssen.345 Diese Rede Böhms vor einer Zusammenkunft aus Industriellen und SPÖ-Ministern – sie prägte den Begriff der »Astgemeinschaft« und beschrieb im Kern bereits den Geist der späteren Sozialpartnerschaft – stieß bei KommunistInnen auf völlige Ablehnung. So erklärte Franz Honner in der Zeitung die arbeit,346 der Zeitschrift der Gewerkschaftlichen Einheit: In der ersten Nachkriegszeit haben die Arbeiter Tag und Nacht, bei Wasser und Brot – oft ohne Brot und Lohn – geschuftet und gerackert, um die Trümmer des Faschis- mus und des Krieges zu beseitigen, die Betriebe möglichst schnell in Gang zu brin- gen, damit der Bedarf der Bevölkerung einigermaßen gedeckt werden kann. Als Dank dafür verweigern die Kapitalisten selbst den Minimallohn, den die Arbeiter und Ange- stellten zu einer Menschenwürdigen Existenz brauchen. Angesichts einer solchen Tat- sache zu behaupten, daß die Arbeiter und Unternehmer gleichermaßen vom Schicksal »geprügelt« wurden, ist mehr als eine Unverfrorenheit […] Unsere Arbeiter mögen sich daher erinnern, wohin die Politik der Zusammenarbeit, der Klassenharmonie und des Burgfriedens in der Ersten Republik geführt hat: zum ständigen Wachstum der Kräfte des Kapitalismus, zu einer ständigen Schwächung der Kräfte der Arbeiter- schaft und letzten Endes zum Faschismus.347

Nach dem schlechten Ergebnis der KPÖ bei den Nationalratswahlen 1945 begannen SPÖ und ÖVP damit, die Betriebsräte, die sich bislang überparteilich konstituiert hatten, unter ihren Einfluss zu bringen. So gingen sie dazu über, getrennte Parteilisten für Betriebsrats- wahlen aufzustellen und Positionen und Funktionen in den Gewerkschaften nach parteipoli- tischem Proporz zu vergeben.348 Es gelang den beiden Großparteien, KommunistInnen suk- zessive aus gewerkschaftlichen Funktionen zu drängen. Ditto Pölzl etwa wurde 1948 bei der Landeskonferenz der Metall- und Bergarbeitergewerkschaft als Mitglied der Landesleitung

schaftsbunds (ÖGB), dem er bis zu seinem Tod vorstand, und gilt zusammen mit Julius Raab als Begründer der sogenannten ›Sozialpartnerschaft‹. 345 Zit. nach: Hädicke, ÖGB: Gefangen in der Sozialpartnerschaft? 346 die arbeit wurde 1947 gegründet und besteht als Monatsmagazin des Gewerkschaftlichen Linksblocks bis heute. Im Leitartikel der ersten Ausgabe hieß es: »Unsere neue Zeitschrift will der sozialen Neu- gestaltung Österreichs dienen und den Fragen der Sozialpolitik ihre besondere Aufmerksamkeit wid- men. Sie soll eine Waffe sein im Kampf für die wirtschaftlichen und sozialen Forderungen der Arbei- ter und Angestellten, für die Einheit der Arbeiterklasse und die Stärkung des einheitlichen Gewerk- schaftsbundes, für die Verstaatlichung der Großindustrie und die Planung der Wirtschaft, für den Sieg der Volksdemokratie in Österreich, die dem arbeitenden Volk ein menschenwürdiges Dasein sichern wird.« (Zit. nach: Streiter, Österreichs kommunistische Gewerkschafter, S. 33f.) 347 Zit. nach: Streiter, Österreichs kommunistische Gewerkschafter, S. 68f. 348 Vgl. Streiter, Österreichs kommunistische Gewerkschafter, S. 27 – 30. 56 des steirischen ÖGB abgesetzt.349 Der Rückhalt, den die KommunistInnen in den Betrieben genossen, ließ sich jedoch nicht so leicht zurückdrängen. Der Ausgang der Betriebsrats- wahlen 1947 versetzte den Spaltern der betrieblichen und gewerkschaftlichen Einheit einen schweren Schlag: Die Kommunisten und Einheitslisten erhielten 35 Prozent, die SP mußte sich mit 51,8 Prozent abfinden, die Volkspartei brachte es nur auf 3,2 Prozent, und für ›Sonstige‹ wurden 10 Prozent ausgewiesen.350 Das zeigte sich auch bei den Betriebsratswahlen im steirischen Bergbau und der Metall- industrie. »37,4 Prozent der Metall- und Bergarbeiter stimmen mit den Kommunisten«, titelte die Wahrheit am 8. Feber 1948.351 Trotz des immer größer werdenden antikommunistischen Drucks in der Gesellschaft im Allgemeinen und den Betrieben und Gewerkschaften im Besonderen konnte die KPÖ ihre Verankerung unter den ArbeiterInnen nicht nur ausbauen, sondern auch auf relativ hohem Niveau stabilisieren.352

5.3.3 »Wir haben die Massen in der Hand gehabt.«353 Die steirische KPÖ und der ›Oktoberstreik‹ 1950 Zwar hatte die Produktivität der österreichischen Wirtschaft 1950 bereits das Niveau von 1937 übertroffen, der Reallohn jedoch betrug nur die Hälfte. Dass die Löhne der ökono- mischen Entwicklung hinterherhinkten, war im Wesentlichen den fünf Lohn- und Preisab- kommen geschuldet, die ab Sommer 1947 zwischen Vertretern der Industrie und der Be- schäftigten geschlossen wurden, um eine Inflation zu verhindern.354 Dazu kamen Maß- nahmen der Regierung, die die zirkulierende Geldmenge reduzieren sollten.355 Aus Protest gegen das sogenannte ›Währungsschutzgesetz‹ – durch den Umtausch vom alten zum neuen Schilling im Verhältnis 3:1 wurden die kleinen Ersparnisse der Bevölkerung vernichtet, die großen Vermögen in Form von Produktionsmitteln wurden nicht angetastet356 – legte der Kommunist Karl Altmann357 sein Amt als Energieminister zurück, womit die KPÖ endgültig

349 Vgl. L.L.-Protokoll, 19. April 1948, S. 3, GrPA: Protokolle von L.L.-Sitzg. 1946 – 1956. 350 Streiter, Österreichs kommunistische Gewerkschafter, S. 27 – 30. 351 Wahrheit, 8. Feber 1948, S. 1. 352 Vgl. Ehmer/Herzog, Von der Befreiung zum Staatsvertrag, S. 378. 353 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 354 Vgl. Halbrainer, Löhne, Preise, Lügen, S. 10. 355 Vgl. Hanisch, Der lange Schatten des Staates, S. 408f. 356 Vgl. Ehmer/Herzog, Von der Befreiung zum Staatsvertrag, S. 356. 357 KARL ALTMANN (1904 – 1960) war Beamter in der ersten Republik. In der provisorischen Regierung war er Unterstaatssekretär für Justiz und von 1945 bis 1947 als Bundesminister für Elektrifizierung und Energiewirtschaft einziges Mitglied der KPÖ in der Bundesregierung. 57 aus der Regierung ausschied. Die Wahrheit druckte unter dem Titel »Diebstahl am Volk« Altmanns Rede im Nationalrat ab: Bankensanierung auf Kosten der kleinen Leute und ihrer bescheidenen Ersparnisse; keine ernste Wirtschaftsmaßnahme zur Beseitigung des Preischaos; keine Maßnahme, die geeignet sein könnte, das Lebensniveau der arbeitenden Menschen, das bereits auf die Stufe der Kulis gesunken ist, zu heben; keine Maßnahme, die irgendetwas vor- kehrt, um die Gewinne der Schieber und Spekulanten, der Kriegsgewinner und Nach- kriegshyänen zu erfassen und auch nur zur teilweisen Kostentragung heranzuziehen, nichts, um auch nur die Quellen dieser Reichtümer überprüfen zu können […] Ich erlaube mir daher, dem hohen Haus zur Kenntnis zu bringen, daß ich mich ent- schlossen habe, den Herrn Bundespräsidenten zu ersuchen, mich […] meiner Funk- tion als Mitglied der Bundesregierung zu entheben.358

Zwischen 1948 und 1950 gab es eine Vielzahl von Arbeitskämpfen, an denen sich nicht nur Zehntausende Menschen in der Steiermark beteiligten, sondern gegen die auch vonseiten der Staatsmacht vorgegangen wurde. So wurde gegen eine Demonstration von mehr als 10.000 Bauarbeitern im Dezember 1949 in Graz und gegen Straßen- und Eisenbahnblockaden in Voitsberg Polizei bzw. Gendarmerie eingesetzt.359 Die KPÖ spielte – nicht zuletzt durch die Berichterstattung in der Wahrheit – in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen immer eine zentrale Rolle, was auch in einer Einschätzung des Politbüros der Partei gewürdigt wurde: Die Kommunistische Partei hat in den letzten Jahren in der Steiermark bedeutende Fortschritte gemacht. Sie hat den wirtschaftlichen Kampf der Arbeiterklasse entfaltet ungeachtet des besonders starken Widerstandes der gerade dort vonseiten der Kapita- listenklasse und der Führung der S.P.Ö. geleistet wurde. Der Einfluss der Kommunis- ten ist in der Arbeiterschaft und zum Teil auch in den anderen Schichten des werk- tätigen Volkes gewachsen.360

Den Höhepunkt der Auseinandersetzungen bildete eine österreichweite Streikbewegung im Herbst 1950, die in Linz – von der VdU361-dominierten VÖEST – ihren Ausgang nahm und sich rasch über ganz Österreich ausbreitete.362 Schon in den Sommermonaten etablierte sich in vielen großen Betrieben eine Lohnbewegung, die bei der Gewerkschaft um die Unter- stützung ihrer Forderung nach einer Lohnerhöhung um 15 Prozent warb und zeitgleich ein

358 Wahrheit, 20. November 1947, S. 1. 359 Vgl. Ehmer/Herzog, Von der Befreiung zum Staatsvertrag, S. 373. 360 Über die Arbeit der steirischen Organisation. Resolution des Politbüros (1950), S. 1, In: GrPA: Bezirke – Protokolle. 361 Der Verband der Unabhängigen wurde 1949 gegründet und zum Sammelbecken für Deutschnationale und (ehemalige) Nazis. 1956 ging er in der neu gegründeten FPÖ auf. 362 Vgl. Hautmann, Der »Kommunistenputsch« 1950, S. 6. 58 viertes Lohn- und Preisabkommen – die Nachricht von laufenden Geheimverhandlungen hatte bereits die Runde gemacht – ablehnte. Als am 24. September die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen Regierung, ÖGB und Vertretern von Landwirtschaft und Industrie bekanntgegeben wurden, erfasste eine Streikwelle Österreich, die in ihrer Intensität nicht nur Gewerkschaft und Sozialdemokratie sondern auch die KPÖ überraschte.363 Letztere stellte sich umgehend hinter die sich in der Steiermark erst allmählich entwickelnde Streikbewegung, an der auch viele SozialistInnen und Parteilose teilnahmen, was die sozialistische Partei- führung veranlasste, »korrigierend einzugreifen«.364 Auf der Titelseite der Neuen Zeit, dem Organ der SPÖ in der Steiermark, wandte sie sich in gewohnt antikommunistischer Manier gegen »sinnlose Kundgebungen und Demonstrationen, wie sie von den kommunistischen Feinden unserer demokratischen Republik an manchen Orten gefordert werden.«365 Der Protest nahm vorerst trotzdem seinen Lauf. In Graz marschierten 12.000 ArbeiterInnen in einem Sternmarsch von allen relevanten Betrieben zur Grazer Burg. Auch wenn die Polizei wie befohlen mit Stahlhelmen und Bajonetten angetreten war, konnte die Wahrheit berichten: Meldungen über Ausschreitungen der Polizei liegen nicht vor. Viele Polizisten äußer- ten sich zu Arbeitern, daß sie für den Kampf den Arbeiter volles Verständnis haben. Sie selbst würden unter dem Raubpakt gleich leiden.366 »Wir haben die Massen in der Hand gehabt«,367 behielt Gaisch diese große Demonstration in Erinnerung. Er nahm als Redakteur der Wahrheit an ihr teil und war dafür zuständig, dass bei der großen Schlusskundgebung am Freiheitsplatz nur diejenigen zu Wort kamen, die von der Streikleitung dafür vorgesehen waren. »Auch die Sozialdemokraten haben revolutionäre Reden gehalten«,368 sagte er. Verheerend war der Beschluss, den Streik bis zu einer Betriebsräte-Konferenz, die für den folgenden Samstag in Wien einberufen wurde, um der vom ÖGB abgelehnten Protestbewegung eine Leitung zu geben, zu unterbrechen. »Man verwechselte den Streik mit einer Maschine, die man ab- und einschalten kann.«369 Obwohl in einigen Grazer Betrieben weitergestreikt wurde, ermöglichte die Unterbrechung des Streiks es Regierung und SP-

363 Vgl. Halbrainer, Sepp Filz und seine Zeit, S. 227 – 232. 364 Halbrainer, Löhne, Preise, Lügen, S. 10. 365 Neue Zeit, 26. September 1950, S. 1. 366 Wahrheit, 28. September 1950, S. 2. 367 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 368 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 369 Halbrainer, Sepp Filz und seine Zeit, S. 230. 59 Führung, diese Bewegung in bewährter Manier zu denunzieren. Von einer ›Gefahr für die Demokratie‹ und einem drohenden ›Kommunistenputsch‹ war die Rede.370 Unter dem Titel »Ultimatum läuft heute ab«, berichtete die Wahrheit am 3. Oktober, über die kämpferischen Betriebsversammlungen in Donawitz, in der Maschinenfabrik An- dritz, in den -Emailwerken in Knittelfeld, bei Waagner-Biró in Graz, in der Glasfabrik Gösting, bei VAEMAG Graz, in der Drahtgitterfabrik Hutter & Schranz, beim Bergbau in Pölfingbrunn und Fohnsdorf und in der Hütte in Liezen: Die Aufrufe und Mitteilungen der gesamtösterreichischen Betriebsrätekonferenz wer- den in Massenauflagen in allen Betrieben, unter der ganzen Bevölkerung des Bundes- gebietes verteilt. Alle Berichte, die einlangen, zeugen davon, daß sie mit großer Zu- stimmung aufgenommen werden. Die Flugblätter werden den Arbeitervertrauens- leuten buchstäblich aus der Hand gerissen.371 Die Ausgabe des folgenden Tages fiel der Zensur zum Opfer und wurde beschlagnahmt. »Die Konfiskation wird damit begründet, daß der Inhalt der ›Erklärung der Kommu- nistischen Partei Österreichs‹ beunruhigend und aufwieglerisch (§ 300 StG) wirkte.«372 Eine zweite Auflage der Mittwochsausgabe der Wahrheit erschien mit einer weißen Fläche anstatt der inkriminierten Erklärung.373 Nicht nur Propaganda und Zensur führten dazu, dass der Streik nicht erneut mit der gleichen Intensität aufgenommen wurde, sondern auch der am 4. Oktober vielerorts angetretene Werkschutz unterband eine Fortsetzung ebenso wie etwa die Verhaftung der kommunistischen Betriebsräte in Donawitz. In Wien, wo Bahnhöfe von den Streikenden besetzt wurden, gingen vom damaligen Sekretär der Bauarbeiter, Franz Olah, mit Unter- stützung der CIA mobilisierte Kommandos gegen die Protestierenden vor.374 So wurde angesichts der »Gefahr eines Blutvergießens«375 schließlich am 5. Oktober der endgültige Abbruch des Streiks beschlossen. »Die großen Reden haben keine Fortsetzung gefunden als Bewegung«,376 resümierte Willi Gaisch. »Wenn es funktioniert hätte – österreichweit – wie in Graz«,377 meinte er, hätte das ein Ansatzpunkt für eine alternative Entwicklung sein können.

370 Vgl. Halbrainer, Löhne, Preise, Lügen, S. 10. 371 Wahrheit, 3. Oktober 1950, S. 1. 372 Wahrheit, 6. Oktober 1950, S. 2. 373 Vgl. Wahrheit, 5. Oktober 1950, S. 2. 374 Vgl. Halbrainer, Löhne, Preise, Lügen, S. 10. 375 Wahrheit, 6. Oktober 1950, S. 1. 376 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 377 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 60 Nach dem Zusammenbruch des Streiks setzte eine massive Welle des Antikommu- nismus ein. Die Legende vom ›kommunistischen Putschversuch‹ wurde noch massiver als in den Streikbewegungen gegen die ersten drei Lohn- und Preisabkommen tradiert. Tausende KommunistInnen und AktivistInnen des Arbeitskampfes wurden gekündigt. Viele wurden auch durch die sozialdemokratische Mehrheit ihrer gewerkschaftlichen Funktionen enthoben und der ÖGB damit regelrecht von den KommunistInnen gesäubert.378 So wurde etwa Gott- lieb Fiala,379 Mitbegründer und Vizepräsident des ÖGB, abgesetzt und aus der Gewerkschaft ausgeschlossen.380 Er kandidierte bei der 1951 stattfindenden Bundespräsidentschaftswahl und erhielt rund 220.000 Stimmen – mehr als der Linksblock bei der Nationalratswahl 1949 erreichen konnte.381 Nicht nur Fialas Abschneiden, sondern auch die Personalvertretungs- und Betriebsratswahlen 1951, bei denen in mehr Betrieben als zuvor kommunistisch dominierte Einheitslisten antraten und die Zahl der kommunistischen Mandate ausgebaut werden konnte, zeigen, dass die KPÖ und die von ihr forcierten Einheitslisten aus Kommu- nistInnen und LinkssozialistInnen in der Arbeiterschaft allen Angriffen und Maßregelungen zum Trotz breiten Anklang fanden.382

5.3.4 Die KPÖ und der Kampf zweier Weltsysteme Blieb nach der Oktoberrevolution von 1917 ›ein Sechstel der Erde rot‹, begannen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges viele Länder, sozialistische383 Entwicklungswege zu beschreiten. In Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien und Albanien wurden – nicht in Revolutionen, aber doch mit Zustimmung breiter Bevölke- rungsteile – »unter dem Schutz und bei aktiver Mitwirkung der sowjetischen Besatzungs- truppen die Grundlagen sozialistischer Gesellschaftsverhältnisse geschaffen.«384 Auf dem Boden der sowjetischen Besatzungszone im Osten Deutschlands entstand 1949 die Deutsche

378 Vgl. Streiter, Österreichs kommunistische Gewerkschafter, S. 76 – 78. 379 GOTTLIEB FIALA (1891 – 1970) war nach der Befreiung 1945 bis zu seinem Ausschluss Vizepräsident des ÖGB. Für die KPÖ, in deren ZK er saß, war der gelernte Stanzer von 1949 bis 1954 Mitglied des österreichischen Bundesrates. 380 Vgl. Mugrauer, Die Politik der KPÖ 1945 bis 1955/56, S. 48. 381 Vgl. http://www.klahrgesellschaft.at/Chronik.html, 3. Juni 2011. 382 Vgl. Ehmer/Herzog, Von der Befreiung zum Staatsvertrag, S. 373. 383 Als Sozialismus wird in der marxistischen Theorie die Gesellschaft verstanden, »die unmittelbar aus dem Kapitalismus hervorwächst; er ist die erste Form der neuen Gesellschaft, während der Kommu- nismus eine höhere Form der Gesellschaft ist, die sich erst dann entwickeln kann, wenn sich der Sozialismus vollständig [d.h. auch weltweit – Anm. hw] gefestigt hat. (W.I.Lenin, Referat über die Subbotniks auf der Moskauer Stadtkonferenz der KPR(B), 20. Dezember 1919, In: Werke Bd. 30, S. 274.) 384 Wagenknecht, Antisozialistische Strategien, S. 13. 61 Demokratische Republik.385 Im Fernen Osten wurde am 9. September 1948 im Norden des entlang des 38. Breitengrades geteilten Koreas unter der Führung Kim Il-sungs386 die Demokratische Volksrepublik Korea gegründet, und Mao Zedong387 proklamierte am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China.388 Bereits ab 1947 spitzte sich die weltpolitische Situation zu. Angesichts der sich be- schleunigenden volksdemokratischen389 Entwicklung in Ost- und Südosteuropa wurden die großen Kommunistischen Parteien in Westeuropa aus den Regierungen gedrängt.390 In Italien bereiteten die USA sogar eine militärische Intervention vor, für den Fall, dass die KP die Wahlen von 1948 gewonnen hätte.391 Diese Bereitschaft der USA, den Einflussbereich des erstarkten Sozialismus – auch militärisch – einzudämmen, fand in der Truman-Doktrin392 ihren ideologischen und mit der Militärhilfe der USA für die britischen Interventionstruppen gegen die PartisanInnenbewegung in Griechenland393 ihren ›realpolitischen‹ Ausdruck.394 Die ökonomische Seite der US-amerikanischen antikommunistischen Eindämmungs- politik war das ›European Recovery Program‹, das am 5. Juni 1947 vom US-Außenminister George C. Marshall395 in Harvard präsentiert wurde. Mit dem als Marshall-Plan bekannt gewordenen Programm wurden durch große Finanz- und Warenkredite die Ökonomien von 16 westeuropäischen Staaten gestützt und diese damit politisch stabilisiert. Zugleich wurde

385 Gegründet wurde die DDR am 7. Oktober 1949 als Reaktion auf die bereits im Mai durch die An- nahme des Grundgesetzes erfolgte Gründung der Bundesrepublik (BRD) in den westlichen, von Frankreich, Großbritannien und den USA besetzten Teilen Deutschlands. – Anm. hw. 386 KIM IL-SUNG, koreanisch: 김일성 , (1912 – 1994) war Gründer und bis zu seinem Tod Staatsoberhaupt der KDVR. 387 MAO ZEDONG, chinesisch: 毛泽东, (1893 – 1976) war von 1943 bis zu seinem Tod Vorsitzender der KP Chinas und Gründer sowie langjähriges Staatsoberhaupt der VR China. 388 Vgl. Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, S. 466. 389 Unter Volksdemokratie ist eine Übergangsstaatsform zu verstehen, »die sich im Ergebnis des zweiten Weltkrieges« herausgebildet und den »Aufbau des Sozialismus vorbereitet« hatte. (Vgl. WdG, Bd. 2, s.v. Volksdemokratie, S. 1128.) 390 Vgl. Mugrauer, Die Politik der KPÖ in den Jahren 1945 bis 1955/56, S. 46. 391 Vgl. Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, S. 300. 392 Die Truman-Doktrin wurde nach dem 33. Präsidenten der USA Harry S. Truman (1884 – 1972) be- nannt, der mit seiner Rede vor dem US-Kongress am 12. März 1947 den Kalten Krieg von westlicher Seite her begründete. (Vgl. Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, S. 289.) 393 Der Zweite Weltkrieg ging in Griechenland fast nahtlos in einen Bürgerkrieg zwischen kommunisti- schen PartisanInnen, die von Jugoslawien unterstützt wurden, und monarchistischen Regierungs- truppen mit der Unterstützung Großbritanniens und der USA über. Nach der endgültigen Niederlage der Linken 1949 trat Griechenland 1952 der NATO bei. (Vgl. Kinder/Hilgemann, dtv-Atlas Weltge- schichte, S. 507.) 394 Vgl. Wagenknecht, Antisozialistische Strategien, S. 19. 395 GEORGE CATLETT MARSHALL Jr. (1880 – 1959) war General der US Army und von 1947 bis 1949 US-Außenminister. Für den nach ihm benannten Marshall-Plan wurde ihm 1953 der Friedens- nobelpreis verliehen. 62 auch ein Markt geschaffen, wo Waren aus der amerikanischen Überproduktion abgesetzt werden konnten,396 was wiederum »zu einer wirtschaftlichen Abkapselung Österreichs von seinen östlichen Nachbarn«397 führte. Für Österreich bedeutete das erstens »Eingliederung in das westliche Wirtschaftssystem; zweitens die Übernahme amerikanischer Produktions- und Managementmethoden mit dem Ziel der wirtschaftlichen und politischen Integration Westeuropas; drittens die daraus folgende Eindämmung des Kommunismus und eine Hilfe zur Selbsthilfe, was in der Folge den amerikanischen Einfluß auf die westeuropäische Wirtschaftspolitik beträchtlich erweiterte.«398 So wurden nicht nur eine »Hegemonie Washing- tons über Europa«399 etabliert, sondern auch die politischen Widersprüche und Rivalitäten zwischen den kapitalistischen Staaten Europas durch das gemeinsame Feindbild des ›Kommunismus‹ in den Hintergrund gedrängt. Der Kalte Krieg zog auch in Österreich eine Radikalisierung des Antikommunismus auf allen politischen und zivilgesellschaftlichen400 Ebenen nach sich.401 Der KPÖ, die in der Folge des Ausscheidens aus der Regierung ihre Politik auf außerparlamentarische Aktivitäten konzentrierte, wurden nach den volksdemo- kratischen Umwälzungen in Ungarn und der ČSR, vor allem aber während und nach dem Oktoberstreik Putschpläne unterstellt.402 Vor allem von Seiten der SPÖ wurde versucht, die Betriebe von Linken zu säubern. Über die Methoden, derer sich die Sozialdemokratie dabei bediente, berichtete Willi Gaisch 1953 in Weg und Ziel, dem theoretischen Organ der KPÖ: Ein Element der »Amerikanisierung« der verstaatlichten Beriebe ist auch die »Aus- bildung« von bestimmten, ausgesuchten SP-Betriebsräten in der sogenannten Kautsky- Schule in Graz, deren Unterricht sich hauptsächlich mit der Theorie und Praxis des Antikommunismus beschäftigt. Die steirische Arbeiterkammer läßt sich die Finan- zierung dieser »Schule« in einem Jahr über 887 000 Schilling kosten. Es ist kenn- zeichnend für diese »Kautsky-Betriebsräte«, daß sie zu allen in der letzten Zeit durch- geführten Maßregelungen und Massenentlassungen ihre Zustimmung gegeben haben. Jene SP-Betriebsräte, die nicht immer nach der Pfeife des rechten Parteivorstandes zu tanzen bereit sind, werden systematisch durch »Kautsky-Schüler« ersetzt.403

396 Vgl. WdG, Bd. 2, s.v. Marshall-Plan, S. 688. 397 Ehmer/Herzog, Von der Befreiung zum Staatsvertrag, S. 361. 398 Hanisch, Der lange Schatten des Staates, S. 413. 399 Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, S. 318. 400 Zivilgesellschaft wird hier im Sinne des italienischen Marxisten Antonio Gramsci (1891 – 1937) verstan- den, der den gesellschaftlichen Überbau, der sich über die ökonomische Basis der Produktions- verhältnisse (struttura economica) erhebt, in zwei Teile gliedert: Erstens die società politica, den Bereich der Staatstätigkeit und die società civile, den Bereich der Meinungen und Ideologien, des »Massenbewusst- seins«. (Vgl. Holz, Theorie als materielle Gewalt, S. 65 – 69.) 401 Vgl. Ehmer/Herzog, Von der Befreiung zum Staatsvertrag, S. 371. 402 Vgl. Mugrauer, Die Politik der KPÖ in den Jahren 1945 bis 1955/56, S. 47. 403 Willi Gaisch, Die verstaatlichten Betriebe in der Steiermark, In: WuZ, Nr. 8-1953, S. 657. 63 Der Antikommunismus hatte bereits »im Arsenal der der faschistischen Propaganda eine zentrale Rolle eingenommen und in der österreichischen Bevölkerung tiefe Wurzeln geschla- gen.«404 Vor diesem Hintergrund wurde auch die Bindung der an den Rand gedrängten KPÖ an die Sowjetunion und die Volksdemokratien eine engere. Gegen die breite antikommu- nistische Kampagne, mit der die westlichen Medien die III. Weltfestspiele der Jugend und Studen- ten405 begleiteten, die im Sommer 1951 in der Hauptstadt der DDR stattfanden, schrieb »unser 20jähriger Redakteur Willi Gaisch«406 in der Sonntagsausgabe der Wahrheit enthu- siastisch an: Nicht in meinen kühnsten Träumen habe ich mir, aus Österreich kommend, diese neue deutsche Jugend vorstellen können. Man müßte von den Weltfestspielen erzäh- len, wie die Jugend tanzte und sang, einander die Künste zeigte, von der gewaltigsten Jugendfriedensdemonstration der Geschichte, die die Mörder zur Verzweiflung treibt und den Kriegstreibern und ihrer Hetzpresse die Galle platzen läßt vor Wut.407 In der ehrlichen Begeisterung, die junge KommunistInnen für den Aufbau des Sozialismus in Osteuropa empfanden, schloss er seine Reportage mit den Worten: Mit der Deutschen Demokratischen Republik entstand das erstemal in der Geschich- te Deutschlands ein fortschrittlicher demokratischer Staat, der mit der Blut- und Kriegspolitik der Ruhrbarone und Junker endgültig gebrochen hat. Und die Zukunft dieses Deutschlands ist herrlich und groß, weil die deutsche Jugend herrlich und groß ist.408

5.3.5 »Öffentlich sind wir nie gegen die Linie der Partei aufgetreten.«409 Der Bruch mit der KP Jugoslawiens und die steirische KPÖ Im Zuge der Zuspitzung des Kalten Krieges entstand eine folgenschwere Auseinan- dersetzung innerhalb der kommunistischen Weltbewegung – auf der einen Seite die Kommu- nistische Partei Jugoslawiens unter Tito410 und allen anderen Mitgliedsparteien des Komin-

404 Ehmer/Herzog, Von der Befreiung zum Staatsvertrag, S. 341. 405 Die Weltfestspiele der Jugend und Studenten wurden im Weltbund der Demokratischen Jugend (WBDJ) 1946 be- schlossen und 1947 das erste Mal durchgeführt. Bis zum Zusammenbruch des Sozialismus in Ost- europa waren sie die »größten, universellsten und repräsentativsten internationalen Jugendtreffen der Gegenwart« und standen »im Zeichen des gemeinsamen Kampfes gegen den Imperialismus, für Frie- den Solidarität und Freundschaft.« (KlPW, s.v. Weltfestspiele der Jugend und Studenten, S. 955.) 1959 wurden die VII. Weltfestspiele von der Freien Österreichischen Jugend in Wien ausgerichtet und von Regie- rung und Medien mit massiver antikommunistischer Propaganda begegnet, die jedoch kaum fruchtete. (siehe dazu genauer: Hautmann, Die Weltfestspiele 1959 in Wien.) 406 Willi Gaisch, Deutsche Jugend glaubt an neues Deutschland, In: Wahrheit, 26. August 1951, S. 9. 407 Willi Gaisch, Deutsche Jugend glaubt an neues Deutschland, In: Wahrheit, 26. August 1951, S. 9. 408 Willi Gaisch, Deutsche Jugend glaubt an neues Deutschland, In: Wahrheit, 26. August 1951, S. 9. 409 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 410 JOSIP BROZ, gen. TITO (1892 – 1980) war Anführer der jugoslawischen PartisanInnen, die im Zweiten Weltkrieg gegen die italienische und deutsche Besatzung kämpften. Nach der Befreiung wurde er Staatsoberhaupt von Jugoslawien und blieb es bis zu seinem Tod 1980. Nach dem Ausschluss der KPJ aus dem Kominformbüro wurde Tito eine der prägenden Persönlichkeiten der 1961 gegründeten 64 form-Büros411 auf der anderen. In einer scharfen Resolution wurde kritisiert, dass die KPJ »sich auf den Weg des Nationalismus begeben« und ein »schandhaftes, geradezu tückisches terroristischen System aufgebaut« hätte.412 Der schwelende Konflikt zwischen der KPJ und der KPdSU, der schließlich im Ausschluss der jugoslawischen KP aus dem Informationsbüro kulminierte, hatte seine Wurzeln in den hegemonialen Bestrebungen Titos am Balkan, diver- gierenden Auffassungen über den griechischen Partisanenkampf oder den territorialen An- sprüchen Jugoslawiens gegenüber Österreich.413 »Von besonderer Bedeutung für uns […] war die Resolution des Informationsbüros über den schändlichen Verrat der gegenwärtigen Führer der KP Jugoslawiens«,414 erklärte der Parteivorsitzende Johann Koplenig in seinem Bericht an den 14. Parteitag 1949. Eine Sondernummer von Weg und Ziel, die sich mit der Resolution befasste, erschien, und »in der KPÖ breitete sich ein Klima des Mißtrauens und der Verdächtigungen, zum Teil sogar eine hysterische Angst vor ›titoistischen Agenten‹ aus, die zu einzelnen Parteiausschlüssen führte.«415 In der steirischen Parteiorganisation über- wogen anfangs »Unverständnis und Zweifel«416 über die Vorwürfe gegenüber der jugoslawi- schen Parteiführung, beschrieb Willi Gaisch die Situation. Die Parteilinie setzte sich aber durch und zeitigte zahlreiche Parteiaustritte, auch wenn es in der Steiermark bei weitem nicht so viele waren wie in Kärnten, wo nicht nur ein Großteil der Parteimitglieder, die der slowe- nischen Minderheit angehörten, die KPÖ verließen, sondern auch bei der Nationalratswahl 1949, bei der ein Drittel der Stimmen verloren gingen,417 während im Rest Österreichs der Linksblock Stimmen gewinnen konnte.418 In Graz wurde aber keine Kampagne gegen diejenigen Mitglieder entfaltet, die den Bruch mit der KPJ nicht nachvollzogen, was am Parteitag 1951 Karl Altmann zu scharfer Kritik an der Grazer Parteiorganisation veranlasste: Nehmen wir das Beispiel der Grazer Eisenbahner-BO. In dieser BO bestand seit längerer Zeit ein Titoisten-Nest. Man kann nicht sagen, daß diese Bande sich beson-

sogenannten ›Blockfreien‹-Bewegung, die sich in der Auseinandersetzung zwischen den kapitalisti- schen und den sozialistischen Ländern neutral verhielt. 411 Das Kommunistische Informationsbüro bestand von 1947 bis 1956 und diente als Plattform für den inter- nationalen Erfahrungs- und Meinungsaustausch und zur Koordinierung des politischen Vorgehens der verschiedenen kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder. (Vgl. WdG, Bd. 1, s.v. Internationale Kommunistische Bewegung, S. 514.) 412 Vgl. Ehmer/Herzog, Von der Befreiung zum Staatsvertrag, S. 366. 413 Vgl. Leonid Gibianskii, The 1948 Soviet-Yugoslav Clash: Historiographic Versions and New Archival Sources, In: Fischer et. al. (ed.), Jugoslavija v hladni vojni, S. 61 – 67. 414 Bericht des Genossen Johann Koplenig an den 14. Parteitag, In: 14. Parteitag der KPÖ, S. 53. 415 Ehmer/Herzog, Von der Befreiung zum Staatsvertrag, S. 366f. 416 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 417 Vgl. Ehmer/Herzog, Von der Befreiung zum Staatsvertrag, S. 367. 418 Vgl. http://www.klahrgesellschaft.at/Chronik.html, 3. Juni 2011. 65 ders getarnt hätte. Ganz im Gegenteil: In den Zusammenkünften dieser BO traten die titoistischen Elemente, die immer wieder Reisen nach Jugoslawien unternahmen, mit offen titoistischen Ansichten auf. […] Aus politischer Schwäche ließen unsere Ge- nossen solche Diskussionen zu, sie betrachteten das feindliche Auftreten dieser Agen- ten als eine absolut zulässige »andere Meinung«.419 Am selben Parteitag trat der Generalssekretär Friedl Fürnberg, der selbst in den Reihen der jugoslawischen PartisanInnen gekämpft hatte, vehement gegen »dieses faschistische Regime in Jugoslawien« auf, wo »eine Verbrecherbande, die sich mit Hilfe von Betrug und Gewalt an die Spitze des jugoslawischen Staates gestellt hat, [sitzt].«420 »Öffentlich sind wir nie gegen die Linie der Partei aufgetreten«,421 sagte Gaisch, aber Teile der steirischen KPÖ widersetzten sich still den Ausschlüssen der ›Titoisten‹, die sie zwar formal zur Kenntnis nahmen und nachvollzogen, die betroffenen GenossInnen inoffiziell jedoch weiter in ihren Funktionen beließen.422

5.3.6 Für Frieden, Neutralität und Staatsvertrag. Vor dem Hintergrund des Marshall-Plans und seiner Funktion in der Systemausei- nandersetzung engagierte sich die KPÖ stark in der Friedensbewegung. Im Juni 1952 fand in Graz ein Jugendtreffen ›Für die Heimat – für den Frieden‹ statt, an dem sich trotz Schikanen der Stadtregierung und der Gendarmerie mehr als 10.000 Jugendliche und Friedensbewegte beteiligten. »Das größte Jugendtreffen, das Graz je erlebt hat«,423 titelte die Wahrheit. Zur Hauptaufgabe machte sich die KPÖ den Kampf um den Staatsvertrag,424 nachdem die Außenminister der USA und der UdSSR sich im Dezember 1946 darauf geeinigt hatten, das auf der nächsten Beratung der Außenminister der Alliierten ein ›Österreich- Vertrag‹ diskutiert werden sollte.425 Bereits im Jänner 1947 hielt Friedl Fürnberg in Weg und Ziel fest: Die möglichst rasche und vollständige Zurückziehung aller Besatzungstruppen in jeder Form ist aber nicht nur der Wunsch des österreichischen Volkes, sondern eine Bedingung für die Souveränität Österreichs.426

419 Diskussionsbeitrag von Karl Altmann, In: 15. Parteitag der KPÖ, S. 137. 420 Diskussionsbeitrag von Friedl Fürnberg, In: 15. Parteitag der KPÖ, S. 154. 421 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 422 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0151), 29. September 2009. 423 Wahrheit, 4. Juni 1952. 424 Vgl. Mugrauer, Die Politik der KPÖ in den Jahren 1945 bis 1955/56, S. 49. 425 Vgl. Ehmer/Herzog, Von der Befreiung zum Staatsvertrag, S. 360. 426 Friedl Fürnberg, Staatsvertrag und Souveränität, In: WuZ, Nr. 1-1947, S. 8. 66 Ein früher Abschluss des Staatsvertrages scheiterte aber an der durch die Truman-Doktrin verschlechterten Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den USA. Die außenpolitische Orientierung auf die Neutralität Österreichs wurde zunächst von allen anderen Parteien abgelehnt, als die KPÖ sie 1948 zu einer ihrer Kernforderungen machte.427 Als schließlich breitere Teile des österreichischen Bürgertums in der Neutralität eine gangbare Lösung sahen, begann die KPÖ unter dem Eindruck der Remilitarisierung der Bundesrepublik Deutschland und ihrem Beitritt zur NATO in dieser Frage zu schwanken und stellte die Agitation gegen einen befürchteten, jedoch wenig plausiblen Anschluss an Westdeutschland für kurze Zeit in den Mittelpunkt.428 Schließlich, den Gesprächen zwischen Vertretern der österreichischen und der sowjetischen Regierung, die den Weg für die Neutra- lität Österreichs geebnet hatten, hielt Johann Koplenig in einer Parlamentsdebatte fest: Wir Abgeordnete der Volksopposition429 freuen uns, heute in der Lage zu sein, einen entscheidenden außenpolitischen Schritt der Regierung zu unterstützen und für die Regierungserklärung über das Moskauer Abkommen zu stimmen, nachdem wir in den vergangenen Jahren gegen eine Außenpolitik Stellung genommen haben, die dem Kalten Krieg diente und keinen Erfolg für Österreich brachte. […] Die Jahre der einseitigen Orientierung auf Amerika waren für Österreich verlorene Jahre, sie haben uns dem Staatsvertrag nicht nähergebracht, sondern unser Land immer tiefer in den weltpolitischen Konflikt hineingezerrt. […] Man hat von Österreich als Bollwerk der westlichen Welt gesprochen, und manche Regierungssprecher gingen so weit, Österreich als einen Schützengraben im Kalten Krieg zu charakterisieren.430 Mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages am 15. Mai 1955 im Schloss Belvedere und dem Nationalratsbeschluss des Verfassungsgesetzes über die immerwährende Neutralität waren zwar die beiden außenpolitischen Kernanliegen der KPÖ realisiert, eine Entwicklung Öster- reichs in Richtung Sozialismus rückte jedoch in weite Ferne. »Die kurzfristige Perspektive, dass sich in Österreich etwas ändert«,431 berichtete Willi Gaisch, war vom Tisch. Das Weg- fallen einer zeitlich nahen, wenn auch wenig realistischen Möglichkeit einer volksdemokra- tischen Entwicklung führte zu Resignation in breiten Teilen der Mitgliedschaft. Gepaart mit

427 Vgl. Mugrauer, Die Politik der KPÖ in den Jahren 1945 bis 1955/56, S. 49. 428 Vgl. Ehmer/Herzog, Von der Befreiung zum Staatsvertrag, S. 399f. 429 Die Österreichische Volksopposition war ein Wahlbündnis, dem neben der KPÖ und der SAP auch die Demokratische Union um den Grazer Universitätsprofessor Josef Dobretsberger (1903 – 1970), der vom linken Flügel der ÖVP kam, angehörte. Auch wenn sie nur bescheidene Zugewinne im Vergleich zu den Wahlen 1949 verzeichnen konnte, erreichte sie mit 5,3 Prozent der Stimmen doch das beste Ergebnis einer kommunistisch dominierten Wahlbewegung in Österreich. (Vgl. Mugrauer, Die Politik der KPÖ in den Jahren 1945 bis 1955/56, S. 49.) 430 Johann Koplenig, Zwischen Moskauer Abkommen und Staatsvertrag. Aus dem Stenographischen Pro- tokoll des Nationalrats vom 28. April 1955, In: Zucker-Schilling, Er diente seiner Klasse, S. 173 – 175. 431 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0152), 29. September 2009. 67 den in den USIA-Betrieben432 einsetzenden massiven Diskriminierungen von kommunis- tischen ArbeiterInnen und Angestellten setzte 1955 eine weit größere Austrittwelle ein als im Zuge der weltpolitischen Brüche des Jahres 1956.433

432 Die USIA-Betriebe (Abk. für Управление советским имуществом в Австрии = Verwaltung des sow- jetischen Vermögens in Österreich) waren ehemaliges ›deutsches Eigentum‹, das nach der Befreiung Österreichs von der Sowjetischen Besatzung verwaltet wurde und fast die gesamte Schlüsselindustrie Ostösterreichs umfasste und nach dem Abschluss des Staatsvertrages sukzessive gegen Reparations- zahlungen an Österreich übertragen wurden. 433 Vgl. Mugrauer, Die Politik der KPÖ in den Jahren 1945 bis 1955/56, S. 50. 68 6. Der XX. Parteitag der KPdSU und die Ereignisse in Ungarn. Mitte der 50er Jahre, nach dem Abschluss des österreichischen Staatsvertrages, waren es zwei zentrale weltpolitische Ereignisse, die sich direkt auf die Entwicklung der KPÖ auswirkten. Zum einen war es der XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjet- union und der auf ihm durch Nikita Sergejewitsch Chruschtschow434 eingeleiteten ›Entstalini- sierung‹. Die zweite Zäsur waren die von Willi Gaisch wie von der KPÖ im Einklang mit der gesamten kommunistischen Weltbewegung als Konterrevolution eingeschätzten Ereignisse in Ungarn, in deren Folge Tausende UngarInnen nach Österreich flohen. Die damals in der Partei herrschende Stimmung charakterisierte Gaisch in seinem Schlusswort auf der Grazer Bezirkskonferenz der KPÖ Ende 1956 mit den Worten: Die Erregung, Verbitterung und Verwirrung, die tiefe Betroffenheit unserer Mit- glieder über die Enthüllungen des 20. Parteitages, besonders die Verbrechen Stalins, und die blutigen Ereignisse in Ungarn haben unsere Partei aufgewühlt und sich […] wie ein Gewitter mit Blitz und Donner entladen.435

6.1 »Die gemeinsame Führung ist stärker als die stärkste Persönlichkeit.«436 Der XX. Parteitag der KPdSU Als vom 14. bis zum 25. Februar 1956 die Delegierten zum XX. Parteitag der KPdSU, dem ersten nach dem Tod Josef Wissarionowitsch Stalins,437 zusammentraten, hatte Chrusch- tschow seine Macht in Zentralkomitee und Politbüro bereits relativ gefestigt. Behandelt wurden Fragen der internationalen Situation sowie der marxistisch-leninistischen Theorieent- wicklung, die Einführung des 7-Stunden-Arbeitstages und der sechste Fünfjahrplan.438 Nach- dem alle Tagesordnungspunkte abgearbeitet waren, wurde die Sitzung plötzlich für eine halbe Stunde unterbrochen und danach um eine Rede Chruschtschows erweitert.439 Obwohl eine

434 NIKITA SERGEJEWITSCH CHRUSCHTSCHOW (1894 – 1971) ging nach dem Tod Josef Stalins 1953 schließlich als Erster Sekretär des ZK der KPdSU hervor und wurde ab 1958 ebenso Ministerpräsident der UdSSR. Beider Ämter wurde er 1964 enthoben. 435 Protokoll der Bezirkskonferenz der KPÖ Graz am 28. Oktober 1956, Schlusswort des Genossen Willi Gaisch, S. 1, In: GrPA: Bezirke – Protokolle. 436 Wahrheit, 6. März 1956, S. 2. 437 JOSEF WISSARIONOWITSCH DSCHUGASCHWILI, gen. STALIN (1878 – 1953) kam schon in seiner Kind- heit in Georgien in Kontakt mit der marxistischen Arbeiterbewegung und wurde 1922 Generalsekretär der KPdSU (B), ab 1941 Vorsitzender des Rates der Volkskommissare und bis Kriegsende Ober- befehlshaber der Roten Armee. 438 IAB in Daten, S. 474f. 439 Vgl. Gossweiler, Die Taubenfußchronik, Bd. 1, S.18, Fn. 4. (Gossweiler übersetzt hier Lasar Kagano- witsch, Pamjatnie Sapiski, Moskwa 1996, S. 508f. aus dem Russischen. – Anm. hw.) 69 Mehrheit des Präsidiums des ZK es ablehnte, dass der Bericht Chruschtschows vorgetragen werden sollte, weil er in keiner Weise in der Parteitagsvorbereitung besprochen, diskutiert oder gar beschlossen worden war, setzte er durch, dass er diesen im Namen des Zentral- komitees verlesen konnte.440 Das Dokument ging als ›Geheimrede‹ in die Geschichtsbücher ein, weil es dem Parteitag in geschlossener Sitzung – d.h. unter Ausschluss der Öffent- lichkeit441 – vorgetragen wurde; eine sonst übliche Diskussion des Verlesenen wurde nicht zugelassen.442 Unter Josef Stalin, der die Sowjetunion nach dem Tode Lenins 1924 bis zu seinem eigenen 1953 – ebenso autoritativ wie schließlich autoritär – geleitet hatte, war sie aus einem rückständigen Agrarland in nur drei Jahrzehnten »zu einer bedeutenden Industriemacht trans- formiert worden«443 begleitet von »Volksbildungs- und Kulturtätigkeit [sowie] der Alphabeti- sierung einer mehrheitlich analphabetischen Bevölkerung«.444 Alle Verirrungen, Verfehlungen und Verbrechen in der Geschichte der Sowjetunion jener Zeit wurden in Chruschtschows Rede auf eine einzige Person und deren »Größen-« bzw. »Verfolgungswahn«445 reduziert und deren geradezu alleinige Ursache darin ausgemacht, dass sich allmählich der Kult um die Person Stalins herausgebildet hat, der in einer be- stimmten Phase zur Quelle einer ganzen Reihe äußerst ernster und schwerwiegender Entstellungen der Parteiprinzipien, der innerparteilichen Demokratie und der revolu- tionären Gesetzlichkeit wurde.446 Durch diesen gleichsam »umgestülpten Personenkult«447 wurde der Auftakt zu einer angebli- chen Überwindung der »Akte der Vergewaltigung der revolutionären sozialistischen Gesetz- lichkeit«448 suggeriert. Antworten auf die Frage nach systemischen Gründen der Fehlentwick- lungen und Ausartungen beim Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion konnten schon deshalb nicht gegeben werden, weil danach nicht gefragt wurde. Vor allem nach Stalins Tod wurden viele Opfer der Repressionen – oft posthum – rehabilitiert,449 aber durch die Pro- jektion alles Negativen auf die Person Stalins blieb nicht nur eine tiefschürfende und allseitige Aufarbeitung des Geschehenen aus, auch eine Analyse der – innenpolitischen wie inter-

440 Vgl. Kilew, Chruschtschow und der Zerfall der UdSSR, S. 29f. 441 Vgl. Kalt, In Stalins langem Schatten, S. 125. 442 Vgl. Kilew, Chruschtschow und der Zerfall der UdSSR, S. 31. 443 Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, S. 481. 444 Holz, Theorie als materielle Gewalt, S. 208. 445 Chruschtschow, Über den Personenkult und seine Folgen, S. 28 und 26. 446 Chruschtschow, Über den Personenkult und seine Folgen, S. 39. 447 Gossweiler, Wendebriefe, S. 10. 448 Chruschtschow, Über den Personenkult und seine Folgen, S. 39f. 449 Vgl. Kalt, In Stalins langem Schatten, S. 122f. 70 nationalen – Bedingungen und Ursachen für die entsetzlichen Seiten der sowjetischen Ge- schichte wurde dadurch nachgerade unmöglich.450 Dies lässt den Schluss zu, dass es Chrusch- tschow in der von ihm initiierten Kampagne gegen den ›Personenkult‹ weniger um eine Aufarbeitung von Fehlentwicklungen ging, als darum, sie zu instrumentalisieren, um sich selbst und seine Position in den Auseinandersetzungen um die politische Linie zu festigen.451

Wir dürfen diese Frage nicht aus der Partei heraustragen, noch weniger in die Spalten der Presse. Ebendeshalb referieren wir sie auf einer geschlossenen Sitzung des Partei- tages. Man muss das Maß kennen, den Feinden keine Nahrung geben, ihnen nicht unsere Blößen enthüllen.452 Diesen von Chruschtschow am Parteitag gestellten Anspruch führte er selbst umgehend dadurch ad absurdum, dass der Inhalt der Rede auf Anweisung des Präsidiums des ZK bald in allen Parteiorganisationen und darüber hinaus diskutiert werden sollte, obwohl der genaue Wortlaut in der Sowjetunion erst 1989 in der Parteizeitung Iswestija erschien.453 Die westliche nicht-kommunistische Presse veröffentlichte – vermutlich nicht ohne die Zustimmung Chruschtschows454 – detaillierte Darstellungen über den Geheimbericht.455 Nur wenige Wochen nach dem Parteitag wurde vom US-Außenministerium eine englische Übersetzung in Umlauf gebracht,456 und selbst die großen Kommunistischen Parteien Westeuropas – etwa die französische oder die italienische – mussten den detaillierten Inhalt auf diesem Weg erfahren.457 Die »emotionale Bindung«458 vieler SowjetbürgerInnen und KommunistInnen auf der ganzen Welt, deren zentraler Bezugspunkt im Kampf gegen den Faschismus die Sowjet- union mit Stalin an der Spitze gewesen war,459 wurde zutiefst erschüttert. Ratlosigkeit und Resignation machten sich breit – auch gegenüber dem Antikommunismus, der die Geheim- rede umgehend auszunutzen wusste. Das verstärkte sich noch, als Stimmungen, die das Geschehene »als Preis für den schließlich doch erkämpften Sieg«460 sahen, durch eine immer

450 Vgl. Holz, Theorie als materielle Gewalt, S. 207. 451 Vgl. Holz, Theorie als materielle Gewalt, S. 215. 452 Chruschtschow, Über den Personenkult und seine Folgen, S. 2. 453 Vgl. Chruschtschow, Über den Personenkult und seine Folgen, S. 1. 454 Vgl. Kalt, In Stalins langem Schatten, S. 125. 455 Vgl. Gossweiler, Die Taubenfußchronik, S. 69. 456 Vgl. Kilew, Chruschtschow und der Zerfall der UdSSR, S. 32. 457 Vgl. Gossweiler, Die Taubenfußchronik, S. 65. 458 Kalt, In Stalins langem Schatten, S. 125. 459 »Stalin wird Hitler das Genick brechen«, lautete eine von Ernst Thälmann geprägte und unter Anti- faschistInnen geläufige Redewendung, die Hoffnung und Zuversicht des Sieges des Sozialismus über die Barbarei zum Ausdruck brachte. 460 Kalt, In Stalins langem Schatten, S. 126. 71 intensivere Kampagne gegen den ›Personenkult‹ begegnet wurde461; freilich blieb auch weiterhin verschwiegen, dass Chruschtschow selbst hoher Funktionär in der Zeit der »Massenverhaftungen und Deportationen vieler tausend Menschen, Vollstreckungen ohne Gerichtsurteil und ohne normale Untersuchung«,462 wie dieser es selbst nannte, war und die Rolle, die ihm etwa in der Ukraine zukam.463 Darauf spielte auch Palmiro Togliatti,464 Vorsitzender der KP Italiens, in einem Interview mit der italienischen Literaturzeitschrift Nuovi Argomenti an, in dem er betonte, dass »Stalin trotz seiner Fehler die Zustimmung der großen Mehrheit des Landes, vor allem der führenden Kader, und auch der Massen fand«.465

6.1.1 Die KPÖ und der ›Personenkult‹ »Das Herz des großen Stalin hat aufgehört zu schlagen«,466 titelte die Wahrheit am 7. März 1953, zwei Tage nach Stalins Tod. Sechs der zwölf Seiten in der folgenden Sonntags- ausgabe waren Nachrufen, Trauerbekundungen und Gedichten vorbehalten. Tausende Stei- rerInnen kamen zu den von der KPÖ organisierten Trauerkundgebungen in Bruck an der Mur, Eisenerz, Fohnsdorf, Graz, Judenburg, Knittelfeld, Köflach, Leibnitz, Leoben, Mürz- zuschlag, Trofaiach, Voitsberg, Weiz und Zeltweg.467 Wie in allen Kommunistischen Parteien war es in der KPÖ üblich, auf Parteitagen, noch vor deren Eröffnung, Grußtelegramme und -schreiben an »den großen Mann, der die Kraft, die Idee und den Willen der internationalen Arbeiterklasse verkörpert«468 zu richten, der als »unser aller Freund und Lehrer, Genosse Stalin«469 adressiert wurde. Aufgrund der Meldungen in nicht- und antikommunistischen Zeitungen über den XX. Parteitag der KPdSU sah sich die Redaktion der Wahrheit veranlasst, auf die wachsende Unruhe der Parteimitglieder zu reagieren und druckte einen Artikel von Friedl Fürnberg ab, der als Generalsekretär gemeinsam mit Johann Koplenig und Franz Honner als Gast-

461 Vgl. Kalt, In Stalins langem Schatten, S. 126. 462 Chruschtschow, Über den Personenkult und seine Folgen, S. 7. 463 Vgl. Gossweiler, Wendebriefe, S. 10. 464 PALMIRO TOGLIATTI (1893 – 1964) war von 1947 bis zu seinem Tod Generalsekretär der Partido Comunista Italiano und lange Jahre führend in der internationalen kommunistischen Bewegung tätig. 465 Togliatti, Probleme der Entwicklung der sozialistischen Demokratie, S. 591; Hervorhebung durch die Redaktion von Weg und Ziel. – Anm. hw. 466 Wahrheit, 7. März 1953, S. 1. 467 Vgl. Wahrheit, 10. März 1953, S. 3. 468 Gruß des 14. Parteitages an die Partei der Bolschewiki, Gruß an Stalin, In: 14. Parteitag der KPÖ, S. 17. 469 Der Parteitag an Genossen Stalin, In: 15. Parteitag der KPÖ, S. 11. 72 delegierter am sowjetischen Parteitag teilgenommen hatte. Er spielte die Kritik, die am ›Personenkult‹ geübt worden war, herunter und wies die Berichterstattung als »Lügenkampa- gne« der bürgerlichen Presse zurück: Diese ganze Lügenkampagne hat natürlich einen bestimmten Zweck. Sie soll von den wirklichen Beschlüssen des Parteitages ablenken, nämlich […] daß im sechsten Fünf- jahrplan eine 30- bis 40prozentige Steigerung des Realeinkommens der Bevölkerung vorgesehen ist, daß ab 1957 schrittweise der Siebenstundentag, für Jugendliche und Schwerstarbeiter der Sechsstundentag eingeführt wird […]470 Verunsicherung und Verwirrung herrschten in der KPÖ, als der ›Geheimbericht‹ in gegner- ischen Zeitungen im Wortlaut erschien.471 Unter dem Titel »Märchen und Wahrheit über den XX. Parteitag der KPdSU« spottete die Wahrheit noch über »Die Dummheit vom Schul- globus«, einem »Unsinn, zu dem sich jeder Kommentar erübrigt«.472 Die Redakteure wussten (noch) nicht, dass Chruschtschow in der Rede allen Ernstes behauptet hatte, dass während des zweiten Weltkrieges Stalin als Oberbefehlshaber der Roten Armee »die Operationen anhand eines Globus«473 geplant hätte. »Die Stalindiskussion hat viele Genossen schwer vor den Kopf geschlagen […] Das hätten uns die Russen vor den Wahlen ersparen müssen«,474 ärgerte sich etwa ein Kommunist bei der Mitgliederversammlung der Grazer BO Straßenbahn. Bei einem Diskussionsabend der BO Landesregierung bemängelte ein Mitglied, dass die KPÖ »noch immer kein entspre- chendes Diskussionsmaterial über den 20. Parteitag herausgegeben« hatte und ein anderes fragte in die Runde: »Warum hat unsere Partei zu den Mitgliedern so wenig Vertrauen? Warum müssen uns unsere Gegner informieren?«475 Nicht nur der Mangel an Information bedrängte die kommunistische Parteibasis, sondern auch der Hohn und Spott, mit dem sie von der sozialdemokratischen Presse bedacht wurde. Nachdem Walter Ulbricht476 im Neuen Deutschland, dem Zentralorgan der SED, ge-

470 Wahrheit, 6. März 1956, S. 2. 471 Vgl. Ernst Wimmer, Neue Kampfbedingungen – Ursachen und Verlauf der Parteikrise – Die KPÖ in den siebziger und achtziger Jahren, In: Die KPÖ, S. 208. 472 Wahrheit, 18. März 1956, S. 2. 473 Chruschtschow, Über den Personenkult und seine Folgen, S. 23. 474 Protokoll der Mitgliederversammlung der BO Straßenbahn, Graz, 1. Juni 1956, S. 1, In: GrPA: Bezirke – Protokolle. 475 Protokoll vom Diskussionsabend der BO Landesregierung, Graz, 15. Juni 1956, S. 1, In: GrPA: Bezirke – Protokolle. 476 WALTER ULBRICHT (1893 – 1973) war seit 1912 Mitglied der SPD, ab 1917 der USPD und 1919 an der Gründung der KPD beteiligt, für die er ab 1928 Reichstagsabgeordneter wurde. Im selben Jahr wurde er Mitglied des ZK. Vor den Nazis flüchtete er erst nach Paris, dann nach Prag und lebte von 1940 bis 1945 in der Sowjetunion. Er bekleidete hohe Funktionen in der DDR und wurde 1950 Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). 1971 trat er nach mehreren 73 schrieben hatte, dass man Stalin nicht zu den Klassikern des Marxismus rechnen kann, machte sich die Arbeiter-Zeitung über die KPÖ lustig: Ulbricht hat dem Parteitag in Moskau beigewohnt. (Er ist, wie man sieht, fixer als die Österreichischen Kommunisten, die noch nicht recht wissen, woran sie sind und ob man »schon darf« oder »noch muss«.)477

Das theoretische Organ der KPÖ, Weg und Ziel, versuchte in seiner Aprilausgabe zunächst in der Rubrik Briefkasten, die Fragen der Parteimitgliedschaft und seiner LeserInnen zu beant- worten. Lapidar wurde festgestellt, dass die Ablehnung des ›Personenkults‹ »nicht neu und auch von Stalin selbst oft entwickelt worden«478 ist. Keine Ausgabe von Weg und Ziel im Jahr 1956 erschien ohne einen Beitrag über die vom XX. Parteitag der KPdSU aufgeworfene, für die KommunistInnen in Österreich und anderswo so wichtige Frage des ›Personenkults‹. Im Juli erschien eine Sondernummer, die ein Interview mit dem Generalsekretär der KP Italiens, Palmiro Togliatti479 sowie eine Erklärung der französischen KP enthielt, in der – gleichsam für die österreichischen KommunistInnen sprechend – »bedauert« wurde, daß angesichts der Umstände, unter denen der Bericht des Genossen Chruschtschow erstattet und verbreitet wurde, die bürgerliche Presse in der Lage war, Tatsachen zu veröffentlichen, die den französischen [respektive den österreichischen – Anm. hw.] Kommunisten unbekannt waren.480 Das, was die österreichische Parteiführung an der sowjetischen durch das Abdrucken dieser Stellungnahmen implizit kritisierte, wiederholte sie gegenüber ihrer eigenen Parteibasis: sie enthielt ihnen den Wortlaut der ›Geheimrede‹ vor.481 Nicht zuletzt unter dem Eindruck des schlechten Abschneidens der KPÖ bei den Nationalratswahlen am 13. Mai 1956 – sie hatte österreichweit fast 36.000 Stimmen und ein Mandat verloren – wurde eine breite Diskussion in der Partei initiiert.482 Die Verwirrung und Verunsicherung in der KPÖ brachte der Chefredakteur von Weg und Ziel, Franz Marek,483 mit diesen Worten auf den Punkt:

Meinungsverschiedenheiten mit der Führung der UdSSR aber auch innerhalb der SED von seinen Ämtern zurück. 477 Arbeiter-Zeitung, 6. März 1956, S. 2. 478 WuZ, Nr. 4-1956, S. 314. 479 Togliatti, Probleme der Entwicklung der sozialistischen Demokratie, S. 578 – 606. 480 Erklärung des Politbüros der KP Frankreichs über den 20. Parteitag der KPdSU, In: WuZ, Sonder- nummer, Juli 1956, S. 607; Hervorhebung im Original. – Anm. hw. 481 Vgl. Mugrauer, Die KPÖ, der 20. Parteitag und die Ungarnkrise 1956, S. 285f. 482 Manfred Mugrauer, Die KPÖ, der 20. Parteitag der KPdSU und die Ungarn-Krise 1956, In: Osteuropa vom Weltkrieg zur Wende, S. 265. 483 FRANZ MAREK (1913 – 1979) war polnisch-jüdischer Abstammung und wirkte im Widerstand gegen den Austrofaschismus und später in der französischen Résistance. Von der Gestapo 1944 verhaftet, 74 Wie eine offene Wunde brennt es in unserer Brust, seit wir erfuhren, daß im sozia- listischen Staat Unrecht geschehen konnte, daß die sozialistische Gesetzlichkeit ver- letzt wurde und Vergehen möglich waren, die dem Sozialismus zutiefst widerspre- chen. Angesichts der übermenschlichen Leistungen und Anstrengungen beim Aufbau des Sozialismus übersahen wir allzu leicht, daß auch der Sozialismus von Menschen erbaut und errichtet wird und daß menschliche Schwächen bei ungenügender Kon- trolle schädliche politische Auswirkungen haben könnten. Der Sozialismus ist keine automatische Garantie für Güte und Gerechtigkeit, sondern nur der Nährboden, auf dem im Kampf Gerechtigkeit erwirkt und gesichert werden kann.484

6.1.2 Exkurs: Zum Begriff ›Stalinismus‹ Aufgrund seiner vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten taugt der Terminus ›Stalinis- mus‹ kaum zur Analyse der Niederlage des Sozialismusversuchs im 20. Jahrhundert, zumal er »zur Charakterisierung weder der Periode des Aufbaus der Sowjetunion noch der in ihr wirksamen Tendenzen geeignet ist.«485 Einen ›Stalinismus‹ als in sich geschlossene theoretische oder ideologische Konzeption, wie es der Marxismus oder der Leninismus ist, gab und gibt es nicht, auch wenn die Bezeichnung in den Fraktionskämpfen innerhalb der KPdSU in den 20er Jahren als Etikettierung des Konzepts des ›Aufbaus des Sozialismus in einem Lande‹ verwendet wurde, das Stalin486 in Anlehnung an Lenin487 nach dem Ausbleiben proletarischer Revolutionen in Westeuropa – in Abgrenzung zu Trotzki und Bucharin und ihrer ›Ismen‹ – entwickelte, und das sich schließlich durchsetzte.488 Daraus entstand bald ein politischer Kampfbegriff, der es allmählich möglich machte, so Hans Heinz Holz, mit ihm beliebig − eine Phase im Aufbau des Sozialismus − eine Systemgestalt der kommunistischen Gesellschaft − eine theoretische Sonderform des Marxismus oder − eine persönliche Art staatlicher Herrschaftsausübung zu benennen und so verschiedene Aspekte des Kommunismus zwischen der Okto- berrevolution und dem Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaften Osteuro- pas unterschiedslos diffamierend zusammenzufassen.489

überlebte er nur mit Glück den Zweiten Weltkrieg. Nach der Befreiung gehörte er dem engsten Füh- rungskreis der KPÖ an und galt, nicht zuletzt aufgrund seiner Funktion als Chefredakteur von Weg und Ziel, dem theoretischen Organ der KPÖ, als deren Chefideologe. In den sechziger Jahren näherte er sich dem Flügel um Ernst Fischer an, als dessen wesentlicher Repäsentant er schließlich 1969 aus der Partei austrat, um gemeinsam mit Fischer die mittlerweile eurokommunistische orientierte Kultur- zeitschrift Wiener Tagebuch, die nach 1969 nicht mehr von der KPÖ finanziert wurde, herauszugeben. 484 Marek, Gedanken zum 20. Parteitag, S. 479. 485 Holz, Theorie als materielle Gewalt, S. 207. 486 Siehe: Josef Stalin, Zu den Fragen des Leninismus, In: Werke Bd. 8, S. 12 – 81; insb. S. 54 – 67. 487 Siehe etwa: W.I.Lenin, Über die Losung der vereinigten Staaten von Europa, In: Werke Bd. 21, S. 342 – 346. 488 Vgl. Kalt, In Stalins langem Schatten, S. 9. 489 Holz, Theorie als materielle Gewalt, S. 207. 75 Trotz der Unschärfe und der polemischen Aufgeladenheit des Begriffs gelangt er im haupt- sächlich von Willi Gaisch verfassten Landesprogramm der steirischen KPÖ490 zur Verwen- dung. Das Problem einer ausufernden Bürokratie und einem gleichsam mit ihr verknüpften Mangel an Demokratie waren für Gaisch die Hauptmerkmale seines ›Stalinismus‹-Begriffs: Das bürokratisch-administrative Herrschaftssystem hat Stalin überlebt, es war repro- duzierbar. Der Stalinismus nach Stalin brach mit dem Terror, aber nicht mit den De- formationen und den undemokratischen Methoden, die sich weiter verfestigten. Des- halb hat der Begriff »Stalinismus« seine Berechtigung.491 Vorbehalten, dass der Terminus immer wieder Kern und Instrument antikommunistischer Pauschalverurteilungen war und ist, war Gaisch sich bewusst. Dessen eingedenk stellte er fest, dass »für die Erneuerung der Sozialismuskonzeptionen und der kommunistischen Bewegung […] formelhafte öffentliche Distanzierungen vom Stalinismus wenig Sinn [machen]«.492 Dass er trotz seiner Ursachensuche von der »Projektion auf eine ›Unheilsfigur‹«493 nicht abrückt, der alle Fehlentwicklungen – auch jene späterer Jahre – angelastet werden können, liegt in persönlichen Erfahrungen begründet. Ein Onkel mütterlicherseits, der Parteisekretär in Leningrad war, »ist unter Stalin zugrunde gegangen, ist hingerichtet worden«,494 erzählte Gaisch. Dem selbst gesteckten Ziel, dass »eine vielseitige Analyse […] Wirkung und Gegen- wirkung, die Wechselwirkung zwischen eigenem Wollen und die Einwirkung der mächtigen Gegenkräfte berücksichtigen«495 muss, wird dieser Abschnitt des Landesprogramms jedoch nur bedingt gerecht. Zuweilen bleibt er in ›anti-stalinistischer‹ Monokausalität verhaftet, auch wenn eine Vielfalt an Fehlentwicklungen im Bereich des gesellschaftlichen Überbaus benannt und ihre »praktische und theoretische Aufarbeitung«496 eingefordert wird.

6.2 Die »Ungarische Tragödie«497 Unter dem Schlagwort der ›friedlichen Koexistenz‹ orientierte die KPdSU, nach ihrem XX. Parteitag verstärkt auf eine Politik »des friedlichen Nebeneinanderbestehens von Staaten

490 Zum Landesprogramm der KPÖ Steiermark sowie dessen Genese, Funktion und Wirkung siehe Kapitel 9.2.5, S. 138 – 144 dieser Arbeit. – Anm. hw. 491 Landesprogramm (2001), S. 14. 492 Landesprogramm (2001), S. 14. 493 Holz, Theorie als materielle Gewalt, S. 207. 494 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_A0149), 24. September 2009. 495 Landesprogramm (2001), S. 13. 496 Landesprogramm (2001), S. 14. 497 Marek, Zu den Ereignissen in Ungarn, S. 866. 76 mit verschiedenen sozialen Systemen«,498 wie Chruschtschow es ausdrückte. Außer Acht gelassen wurde dabei, dass die Gegenseite im Kalten Krieg dies zu nutzen wusste.499 So wurde nach der Einbindung der BRD in die NATO 1954 und der mit ihr einhergehenden Remilitarisierung im August 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) verboten.500 Mit der Wahl Eisenhowers501 zum Präsidenten der USA »wurde die – zumindest propagandistisch defensiv ausgerichtete – Politik des Containment (der ›Eindämmung‹) abgelöst durch die offen konterrevolutionäre Rollback-Strategie«,502 die mittels geheimdienstlicher Untergrundarbeit die sozialistischen Länder innenpolitisch zu schwächen und destabilisieren suchte,503 was angesichts mancher ökonomischer Schwierigkeiten und der politischen Instabilitäten in der Folge des XX. Parteitags der KPdSU auch teilweise Früchte trug. In den führenden Kreisen der KPÖ war schon bekannt, dass die Stimmung in der ungarischen Gesellschaft, nicht zuletzt aufgrund des Auseinanderklaffens des Lebensstan- dards von Parteikadern und der Masse der Bevölkerung, von Unzufriedenheit bestimmt war.504 Auch Gaisch hatte Ungarn noch Ende September 1956 besucht.505 Ebenso wie es wenige Woche nach Stalins Tod in der DDR zu Ausschreitungen gekommen war,506 setzte auch in der Volksrepublik Ungarn eine Bewegung ein, die im Austritt Ungarns aus dem Warschauer Vertrag gipfelte.507 In diesem Höhepunkt des Kalten Kriegs in Europa, kam es

498 Chruschtschow, Einige grundsätzliche Fragen, S. 172f. 499 Vgl. Wagenknecht, Antisozialistische Strategien, S. 33 – 35. 500 Vgl. IAB in Daten, S. 479. 501 DWIGHT DAVID EISENHOWER (1890 – 1969) war während des Zweiten Weltkrieges Oberbefehlsha- ber der alliierten Streitkräfte in Europa und von 1953 bis 1961 der 34. Präsident der USA, der erste von der Republikanischen Partei aufgestellte seit mehr als 20 Jahren. 502 Wagenknecht, Antisozialistische Strategien, S. 23. 503 Wichtigste politische Grundlage dieser Strategie war eine Dokumentenreihe des Nationalen Sicher- heitsrates der USA, die NSC-68. (Vgl. Wagenknecht, Antisozialistische Strategien, S. 23 – 28.) 504 Vgl. etwa: Fischer, Kurze Geschichten aus einem langen Leben, S. 182 – 184. 505 Vgl. Reisepass, Willibald Gaisch (1954), S. 10. 506 Der in der westlichen Geschichtsschreibung so genannte ›Juni-Auftstand‹ richtete sich ursprünglich in friedlichen Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen gegen die Erhöhung sowohl von Arbeits- normen als auch Preisen verschiedener Konsumgüter. Bald wurden – nicht zuletzt durch das im Kal- ten Krieg übliche Wirken westlicher Geheimdienste, das nach dem Ausbruch des Kriegs in Korea in- tensiviert wurde – Rufe nach dem Sturz der Regierung laut. Nach Übergriffen und Ausschreitungen greifen schließlich die staatlichen Organe der DDR und vor Ort stationierte sowjetische Truppen ein und schlugen den Aufstand nieder. (Vgl. IAB in Daten, S. 457 bzw. genauer: Kurt Gossweiler, Hinter- gründe des 17. Juni 1953, In: ders. Wider den Revisionismus, S. 47 – 69.) 507 Der Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand, auch Warschauer Vertrag, wurde 1955 zwischen Albanien, Bulgarien, Polen, Rumänien und der Tschechoslowakei – die DDR trat 1956 bei – in Warschau als Reaktion auf die Remilitarisierung Westdeutschlands durch die Pariser Verträge von 1954 abgeschlossen und sah neben politischer Zusammenarbeit eine automatische militärische 77 letztlich zur Intervention sowjetischer Truppen, um eine Restauration des Kapitalismus in Ungarn zu verhindern.508

6.2.1 Die Ereignisse in Ungarn 1956 Ein historischer Abriss Eine der zentralen Forderungen, die am 22. Oktober in einer Versammlung von Studierenden gestellt wurde, war die Rückkehr Imre Nagys509 in das Amt des Ministerpräsi- denten, von dem er anderthalb Jahre zuvor abgesetzt worden war. Rücknahmen von Norm- erhöhungen wurden ebenso gefordert wie Pressefreiheit und der Abzug der in Ungarn statio- nierten sowjetischen Truppen.510 Im Zuge einer Demonstration am 23. Oktober wandte sich Nagy am Balkon des Parlaments an die Massen. Dennoch wurde das Gebäude des Rund- funks angegriffen, um ein Verlesen der Forderungen durchzusetzen. Die Situation eskalierte, und Sicherheitsorgane begannen, scharf zu schießen. Schnell waren die Aufständischen mit Waffen ausgestattet und das Rundfunkgebäude erobert, worüber die liberal-bürgerliche Neue Zürcher Zeitung schrieb: Die Rebellen waren offensichtlich gut bewaffnet. Das schien bereits darauf hinzu- deuten, daß sich eine wohlausgerüstete und gut ausgebildete antikommunistische Un- tergrundbewegung die Gärung in Ungarn zunutze machte, um gegen die kommunisti- sche Herrschaft vorzugehen.511 Als Nagy zum Ministerpräsidenten ernannt wurde, sicherte er den Aufständischen ein ›Reformprogramm‹512 und Straffreiheit zu, wenn diese die Waffen niederlegen würden, was jedoch nicht passierte, obwohl die Frist von der Regierung sieben Mal verlängert wurde.513

Beistandsverpflichtung im Falle eines bewaffneten Überfalles auf ein Mitgliedsland vor. (Vgl. Vgl. KlPW, s.v. Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand, S. 895 – 898.) 508 Auch wenn USA und NATO wegen der Gefahr, dadurch einen dritten – eventuell atomaren – Welt- krieg auszulösen, nicht direkt in die Geschehnisse eingriffen, waren westliche Geheimdienste im Unter- bzw. Hintergrund tätig. Welche Rolle sie im Detail spielten, kann hier nicht ausführlich erörtert werden. – Anm. hw. 509 IMRE NAGY (1896 – 1958) war Agrarökonom, Kommunist und in verschiedenen Funktionen der Komintern und nach der Befreiung Ungarns in der Partei der Ungarischen Werktätigen (MDP) aktiv. Als Landwirtschaftsminister setzte er 1945 die Bodenreform durch und wurde 1953 Ministerpräsident Ungarns, jedoch im Zuge von Fraktionskämpfen 1955 abgesetzt und aus der MDP ausgeschlossen. Aufgrund seiner Rolle, die er im Herbst 1956 spielte, wurde er 1958 zum Tode verurteilt und hinge- richtet. 510 Vgl. Rüdiger Kipke, Die Volkserhebung: Zur Chronologie der Ereignisse, In: ders. (Hrsg.), Ungarn 1956, S.29f. 511 Neue Zürcher Zeitung, 25. Oktober 1956, zit. nach: Die Kämpfe in Ungarn – im Spiegel von Presse- meldungen, In: WuZ 12-1956, S. 850. 512 Vgl. WuZ 12-1956, S. 851. 513 Vgl. WuZ 12-1956, S. 852. 78 Nach mehrfachen Umbildungen der Parteiführung und der Regierung514 kündigte Nagy am 30. Oktober die Einführung eines Mehrparteiensystems an.515 Trotz aller Zugeständnisse kam es neben Bücherverbrennungen516 zu Hetzjagden und Lynchjustiz gegen KommunistInnen und sowjetische Staatsangehörige.517 Eine resümierende Schlagzeile in der SPÖ-nahen Welt- presse am 10. November lautete etwa »10.000 KP-Funktionäre erschlagen!«518 Als Nagy am 30. Oktober die Auflösung der Vereinigten Ungarischen Arbeiterpartei und am 1. November den Austritt Ungarns aus dem Warschauer Vertrag bekannt gab, was faktisch einem Wechsel der Fronten im Kalten Krieg gleichgekommen wäre, gründete János Kádár519 die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei (MSzMP) und rief sowjetische Truppen zur Hilfe.520 Nach der Beendigung des Aufstandes flohen 180.000 UngarInnen nach Öster- reich.521 Durch kostenlose Warenlieferungen, Sofortkredite und der Stundung früher gewähr- ter Darlehen durch die Regierungen der anderen sozialistischen Länder gelang die Normali- sierung des wirtschaftlichen Aufbaus in Ungarn verhältnismäßig rasch.522

6.2.2 »Solidarität mit unseren Brüdern«523 Die Haltung der KPÖ Die Frustration weiter Teile der Parteimitgliedschaft verdeutlichte den Fehler der schönfärberischen Berichterstattung über die sozialistischen Länder. Der Versuch einer Korrektur wurde noch vor den Ereignissen in Ungarn, im Juli 1956, unternommen; das Plenum des ZK der KPÖ hielt in einem selbstkritischen Beschluss fest: Es war ein großer Fehler, daß die Parteiführung in den Jahren des Kalten Krieges die außerordentlichen Schwierigkeiten den Mitgliedern nicht genügend vor Augen ge-

514 Vgl. Gossweiler, Taubenfußchronik, S. 152f. 515 Vgl. Kipke, Die Volkserhebung, S. 36. 516 Vgl. WuZ 12/1956, S. 860. 517 Vgl. Kipke, Die Volkserhebung, S. 36 und WuZ 12-1956, S. 861f. 518 Zit. nach: WuZ 12/1956, S. 862. 519 JÁNOS KÁDÁR (1912 – 1989) war ungarischer Kommunist und bekleidete in den Jahren 1949 bis 1950 das Amt des Innenministers, bis er wegen ›Titoismus‹ abgesetzt wurde. 1953, in der ersten Amtszeit Imre Nagys wurde er rehabilitiert und im Zuge der Ereignisse 1956 Erster Sekretär der MDP. Er war nach der Niederschlagung des Aufstandes bis 1958 sowie von 1961 bis 1965 ungarischer Minister- präsident. Bis 1988 blieb er Generalsekretär der Ungarischen Sozialistischer Arbeiterpartei (MSzMP). 520 Vgl. Gossweiler, Taubenfußchronik, S. 153. 521 Vgl. Hanisch, Der lange Schatten des Staates, S. 448. 522 Vgl. IAB in Daten, S. 481. 523 Darüber, wie sich die KPÖ in dieser Frage positionierte, resümierte der Chefredakteur von Weg und Ziel in der Septemberausgabe: »wenn wir uns von den Fehlern einer Bruderpartei distanzieren, so lösen wir nicht unsere Solidarität mit unseren Brüdern«. (Marek, Zu den Ereignissen in Ungarn, S. 876.) . 79 führt, häufig die Situation zu optimistisch dargestellt hat, statt sie mit schonungsloser Offenheit aufzuzeigen.524 Es war wiederum Weg und Ziel-Chefredakteur Franz Marek, der im Theorieorgan der KPÖ das Dilemma benannte, das so viele KommunistInnen, gerade in Österreich, in dessen direkter Nachbarschaft sich die Ereignisse abgespielt hatten, beschäftigte: […] aus dem tragischen Ineinander und Durcheinander von Massenkampf für die Demokratisierung der Volksrepublik und planmäßigem Mißbrauch dieses Kampfes, um alle Errungenschaften der Volksrepublik zu beseitigen – aus dieser ungarischen Tra- gödie steigen alle Fragen auf, die uns seit Wochen aufwühlen und erschüttern. Wie konnte es soweit kommen, daß sich Arbeiter, Studenten und Jugendliche erhoben, in einem Staat, der unter Führung der Kommunisten die Kapitalisten enteignet und den Großgrundbesitz entmachtet hatte? Wie kann eine Partei, die noch vor wenigen Jahren populär und in den Massen verankert war, so sehr das Vertrauen der Bevöl- kerung verlieren und verspielen? Wie soll man Kraft haben, die Idee des Sozialismus in die Massen zu tragen, wenn beim Aufbau des Sozialismus Fehler und Vergehen möglich waren, die dem Sozialismus zutiefst widersprechen.525 Die KPÖ teilte die Einschätzung der ungarischen Schwesterpartei und übernahm ihre Ana- lysen,526 was sich auch im ›Entwurf für Resolution für den 17. Parteitag der KPÖ‹ wider- spiegelte, der am 15. Jänner 1957 in der Parteipresse veröffentlicht wurde: In Ungarn (...) haben breite Schichten des Volkes berechtigte Forderungen erhoben und nach Entfaltung der sozialistischen Demokratie gestrebt. In Ungarn war die Partei infolge der Unbelehrbarkeit der alten Parteiführung und der zunehmenden Zerfahrenheit der, an der die Gruppe Nagy die Mitschuld trägt, nicht imstande, an die Spitze der Bewegung zu treten. Dadurch war die Arbeiterschaft führerlos, so daß es den Kräften der Konterrevolution gelang, die Führung an sich zu reißen. Die Massen, die sich dessen nicht bewußt waren, wurden zu einem Kampf für sie fremde Ziele mißbraucht und die Bewegung nahm einen konterrevolutionären Charakter an. Ein Sieg der nationalistischen, reaktionären Kräfte, die eine Militärregierung anstrebten, hätte nicht nur die Grundlagen des Sozialismus in Ungarn vernichtet, sondern er hätte auch über die Grenzen Ungarns hinausgegriffen, der Konterrevolution in ande- ren Ländern das Signal gegeben und dadurch die unmittelbare Gefahr eines dritten Weltkrieges heraufbeschworen. In dieser Situation wurde das Eingreifen der sowje- tischen Truppen zur harten Notwendigkeit, nicht nur zur Sicherung der Grundlagen des Sozialismus in Ungarn, sondern auch, um den bedrohten Frieden zu retten.527 Weite Verbreitung unter den österreichischen KommunistInnen fand eine Broschüre mit dem Titel ›Die konterrevolutionären Kräfte bei den Oktoberereignissen in Ungarn‹, die vom Informationsbüro des Ministerrats der ungarischen Volksrepublik herausgegeben wurde. Ungarn ist zu einer Arena tragischer Geschehnisse geworden. Die Politik Rákosis- Gerős528 führte die sozialistische Entwicklung des Landes in die Sackgasse. Die

524 Zit. nach: Wimmer, Neue Kampfbedingungen, S. 410. 525 Marek, Zu den Ereignissen in Ungarn, S. 866; Hervorhebung im Original. – Anm. hw. 526 Vgl. Mugrauer, Die KPÖ, der 20. Parteitag und die Ungarnkrise 1956, S. 279. 527 Diskussionsgrundlage für die Resolution des XVII. Parteitages, In: Wahrheit, 15. Jänner 1957, S. 5 – 8. 528 Gemeint sind MÁTYÁS RÁKOSI (1892 – 1971), bis 1956 Generalsekretär der MDP, und sein Nach- folger in dieser Funktion ERNŐ GERŐ (1898 – 1980). Beide wurden nach dem Ungarnaufstand mit 80 Folgen dieser verbrecherischen Politik lösten gewaltige Empörung und eine breite Volksbewegung aus. Hunderttausende setzten sich für die Säuberung der Volks- macht, für die Behebung der weitverbreiteten Bürokratismus und einer Politik ein, die die nationalen Gefühle schwer verletzte […] Aber die finsteren Kräfte der Konterrevolution versuchten von Anfang an, die Bewe- gung, die sich im Zeichen der berechtigten nationalen Forderungen des Volkes entfal- tet hatte, zum Sturz der Volksmacht zu mißbrauchen.529

Der anfängliche Versuch, eine differenzierte Analyse der Ereignisse zu liefern, spitzte sich angesichts der antikommunistischen Angriffe immer mehr auf die Frage ›Volksaufstand oder Konterrevolution‹ zu, an der sich die Geister in der Partei schieden.530 Der Antikommunis- mus war schon so weit zur Staatsdoktrin geworden, dass etwa der Delegation der Ungari- schen Sozialistischen Arbeiterpartei, die am 17. Parteitag der KPÖ teilnehmen wollte, von der österreichischen Bundesregierung die Einreise verweigert wurde.531 Die Auseinander- setzungen, die immer weniger inhaltlichen denn generalisierenden und polemisierenden Charakter annahmen, führten zur gegenseitigen Punzierung als ›Stalinisten‹ und ›Dogmatiker‹ auf der einen Seite und als ›Antisowjetisten‹ und ›Revisionisten‹ auf der anderen.532

6.3 Auswirkungen und Bedeutungen

6.3.1 »Viele zweifeln an der Zukunft des Sozialismus.« 533 Willi Gaisch und die Einheit der Partei in Graz Die Zeitung der steirischen Sozialdemokratie, die Grazer Neue Zeit, schrieb am 7. November 1956 programmatisch: »Es gibt keine Koexistenz mit der UdSSR und den Volks- demokratien, es gibt kein Verhandeln mit den Kommunisten.«534 Wie feindlich die Atmo- sphäre der KPÖ gegenüber war, beschrieb Walter Fischer, der 1956 Landesobmann der steirischen Partei wurde, so:

dem Etikett ›Stalinist‹ versehen und für sämtliche Fehlentwicklungen in der Volksrepublik Ungarn ver- antwortlich gemacht. 529 Die Konterrevolutionären Kräfte, S. 3. 530 Vgl. Mugrauer, Die KPÖ, der 20. Parteitag und die Ungarnkrise 1956, S. 281f. 531 Vgl. Eröffnungsansprache des Genossen Franz Honner, In: 17. Parteitag der KPÖ. S. 10. 532 Vgl. Mugrauer, Die KPÖ, der 20. Parteitag und die Ungarnkrise 1956, S. 291f. 533 Protokoll der Bezirkskonferenz der KPÖ Graz am 28. Oktober 1956, Schlusswort des Genossen Willi Gaisch, S. 4, In: GrPA: Bezirke – Protokolle. 534 Neue Zeit, 7. November 1956, S. 1. 81 Nach den ungarischen Ereignissen herrschte in der Arbeiterschaft Pogromstimmung gegen die Kommunisten. Die SP-Parole »Gebt keinem Kommunisten die Hand« fand breiten Widerhall.535 Etwa fünf bis sieben Prozent der Mitglieder traten Ende 1956 aus der steirischen KPÖ aus. Der prominenteste unter ihnen war der eben erst aus dem Nationalrat ausgeschiedene Viktor Elser.536 In dieser Zeit der »Erregung, Verbitterung und Verwirrung«537 wurde Willi Gaisch auf der Konferenz der Grazer Parteiorganisation deren stellvertretender Obmann.538 Schon 1952 war er aus der Redaktion der Wahrheit ausgeschieden und Bezirkssekretär der KPÖ in Graz geworden.539 In die Landesleitung der steirischen KPÖ gelangte er 1954, in deren Sekre- tariat wurde vorerst aber Max Schneider540 als formal Erster Sekretär der Grazer Parteiorgani- sation delegiert.541 Als Bezirkssekretär kam Willi Gaisch das Schlusswort auf der Grazer Bezirkskonfe- renz am 28. Oktober 1956 zu, in dem er – trotz eindeutiger politischer Positionierungen – Einheit und Zusammenhalt der Partei zu wahren versuchte. Er hatte durchgesetzt, dass die »Wahl der neuen Bezirksleitung nicht wie üblich in einer offenen Abstimmung, sondern in einer geheimen Wahl«542 durchgeführt wurde. Besonders Ditto Pölzl, der in der Grazer Organisation großen Rückhalt genoss und einziger Landtagsabgeordneter der Volksopposition in der Steiermark war, sowie der kommu- nistische Grazer Gemeinderat Franz Kramer traten vehement gegen die Parteiführung auf.543 Auf der inhaltlichen Ebene bezog Gaisch in der Frage des ›Personenkults‹ die gleiche Stellung wie Pölzl und stieß mit seiner Positionierung, dass »die furchtbaren Verbrechen Stalins […]

535 Fischer, Kurze Geschichten aus einem langen Leben, S. 187. 536 Vgl. Mugrauer, Die KPÖ, der 20. Parteitag und die Ungarnkrise 1956, S. 282f. 537 Protokoll der Bezirkskonferenz der KPÖ Graz am 28. Oktober 1956, Schlusswort des Genossen Willi Gaisch, S. 1, In: GrPA: Bezirke – Protokolle. 538 Vgl. Staatspolizeiliche Vormerkungen S. 2. 539 Vgl. Staatspolizeiliche Vormerkungen S. 1. 540 MAX SCHNEIDER (1921 – 2010) stammte aus jüdisch-atheistischem Elternhaus und stieß im 1936 von den Roten Falken zum KJV. 1939 flüchtete er vor den Nazis, um 1942 in die Britische Armee einzutre- ten. Wegen einer schweren Kriegsverletzung konnte er erst 1947 nach Wien zurückkehren, wo er für den späteren KZ-Verband zu arbeiten begann. In den 50er-Jahren war er gemeinsam mit Willi Gaisch Bezirkssekretär der KPÖ in Graz, bevor er von der Partei nach Wien berufen wurde, um dort Lan- dessekretär zu werden. Nachdem er in dieser Funktion 1968 wegen seiner Ablehnung der Intervention in Prag abgewählt wurde, trat er im Jahr darauf zusammen mit 26 anderen Mitgliedern des ZK aus der KPÖ aus. (Vgl. http://www.kpoe-steiermark.at/max-schneider-1921-2010.phtml, 28. Juni 2010.) 541 L.L.-Protokoll, 29. Mai 1954, S. 1, In: GrPA: Protokolle von L.L.-Sitzg. 1946 – 1956. 542 Protokoll der Bezirkskonferenz der KPÖ Graz am 28. Oktober 1956, Schlusswort des Genossen Willi Gaisch, S. 4, In: GrPA: Bezirke – Protokolle. 543 Vgl. Mugrauer, Die KPÖ, der 20. Parteitag und die Ungarnkrise 1956, S. 284. 82 durch nichts gerechtfertigt werden«544 könnten, einige vor den Kopf. Auf der formalen Ebene wies er die Angriffe auf die österreichische Parteiführung zurück – Pölzl und Kramer forderten deren rasche Absetzung durch einen außerordentlichen Parteitag – und wies Pölzl direkt zurecht: Du bist seit 1945 Mitglied des Zentralkomitees, und Du selbst warst eine zeitlang, als der Stalinterror schon wütete, in der Sowjetunion. Über die Verbrechen, die dort passiert sind, hast du genau so wenig gesprochen, wie die von dir kritisierten Genos- sen Koplenig, Fischer und Fürnberg. […] Eine Differenz zum Genossen Pölzl besteht auch in seiner Einschätzung der ungari- schen Ereignisse. […] Ich glaube, daß jene Genossen Recht haben, die der Ansicht sind, daß in Ungarn eine Konterevolution stattgefunden hat. Ditto hat zwar Recht, daß in Ungarn ein fragwürdiger Sozialismus herrschte, daß unsoziale und undemokra- tische Maßnahmen zu einer Entfremdung und tiefer Unzufriedenheit geführt haben. Diese Unzufriedenheit ermöglichte es einer gut organisierten, bewaffneten Konterre- volution zum Schlag gegen die sozialistische Ordnung auszuholen.545

6.3.2 »Die Partei ist kein Diskutierklub« 546 Der 17. Parteitag der KPÖ Viele Mitglieder, die in der Verurteilung des ›Personenkults‹ und der sowjetischen Intervention in Ungarn radikaler waren bzw. tiefgreifende personelle Konsequenzen gefor- dert hatten, traten im Vorfeld des Ende März 1957 in Wien stattfindenden 17. Parteitages der KPÖ, aus der Partei aus.547 Ditto Pölzl und Willy Scholz, ehemals Chefredakteur der Wahr- heit, verzichteten in einem Schreiben an das Zentralkomitee darauf, auf dem Parteitag aufzu- treten und verließen unmittelbar vor dessen Eröffnung die Partei.548 Mit ihnen ging Gaisch bei seinem Diskussionsbeitrag – ohne sie namentlich zu nennen – hart ins Gericht: Wieso war es den Leuten der Gruppe nicht möglich, unter den Genossen ein ernst- haftes Echo zu finden? Erstens infolge des klaren ideologischen und politischen Kampfes unserer Partei und zweitens, weil diese Leute der Partei keine bessere Politik vorschlagen konnten. Die Rufer nach »Erneuerung« hatten es zuerst sehr eilig. Jeder Termin für die Einbe- rufung des Parteitages war ihnen schon zu spät. Sie forderten öffentliche Erklärungen

544 Protokoll der Bezirkskonferenz der KPÖ Graz am 28. Oktober 1956, Schlusswort des Genossen Willi Gaisch, S. 1, In: GrPA: Bezirke – Protokolle. 545 Protokoll der Bezirkskonferenz der KPÖ Graz am 28. Oktober 1956, Schlusswort des Genossen Willi Gaisch, S. 2, In: GrPA: Bezirke – Protokolle. 546 Die Diagnose, dass die innerparteiliche Diskussion »nicht nur notwenig, sondern auch nützlich« war, verband der KPÖ-Vorsitzende in seinem Bericht an den Parteitag mit der Feststellung, »daß die Partei kein Debattierklub ist.« (Bericht des Zentralkomitees an den 17. Parteitag, In: 17. Parteitag der KPÖ, S. 137; Hervorgehung im Original. – Anm. hw) Es sollte nach Monaten der teilweise gehässig geführ- ten Auseinandersetzung wieder »an die Arbeit« (ebda. S. 140.) gegangen werden. 547 Vgl. Mugrauer, Die KPÖ, der 20. Parteitag und die Ungarnkrise 1956, S. 282f. 548 Austrittsschreiben von Ditto Pölzl und Willy Scholz, 28. März 1957 (Abschrift von Abschrift), Nach- lass Willi Gaisch, Kopie Bestand Wisiak. 83 über eine wesentliche Änderung der Politik unserer Partei. Als aber die Partei eine öffentliche Diskussion zur Vorbereitung des Parteitages einleitete, da hatten sie plötz- lich jede Lust an der Diskussion verloren und nichts zu sagen. Kein einziger von ihnen versuchte auch nur mit einer Zeile, einen konkreten positiven Vorschlag zu machen.549 Schon die Parteitagsvorbereitungen waren wesentlich im Zeichen der sich immer mehr ver- härtenden Fronten und der sich abzeichnenden Mehrheiten gestanden, weshalb der Partei- vorsitzende Johann Koplenig in seinem Referat versuchte, die Wogen zu glätten.550 Darauf bedacht, die Einigkeit der Partei zu gewährleisten, betonte er, dass »die negativen Seiten Stalins seine großen Verdienste um den Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion und um die internationale Arbeiterbewegung, seine Bedeutung als marxistischer Revolutionär nicht verwischen können.«551 Über den Diskussionsprozess über die Geschehnisse in Ungarn führte er aus, dass »es auch nicht an Versuchen gefehlt hat, durch eine destruktive Diskussion und Tätigkeit das Vertrauen der Partei zu untergraben.«552 Weil die Vorbereitung des Partei- tages von internen Querelen geprägt war, hob Koplenig hervor, »daß in dieser Zeit die Ak- tivität der Partei nach außen nachgelassen hat«553 und widmete zwei Drittel des Berichts innen-, wirtschafts- und gewerkschaftspolitischen Themen und Fragen der Konsolidierung der Partei.

6.3.3 Die Nachwehen – Gräben tun sich auf. Der Antikommunismus wurde immer mehr zur hegemonialen Ideologie in Öster- reich, wozu auch weltpolitische Ereignisse wie die siegreiche Revolution in Kuba im Jänner 1959554 oder der Bau der ›Berliner Mauer‹ im August 1961555 beitrugen. Nicht nur bei allgemeinen Wahlen, sondern auch in den Betrieben, in denen die KPÖ starke Positionen hatte, war ihr Einfluss teilweise zurück gegangen. In einigen Grazer Groß- betrieben waren bekannte kommunistische Betriebsräte und Vertrauensmänner infolge der Ungarn-Krise aus der Partei ausgetreten. Bei den Grazer Krankenkassen jedoch konnten Stimmen und Mandate gewonnen556 und auch in der Personalvertretung der Gemeinde Graz

549 Diskussionsbeitrag von Willi Gaisch, In: 17. Parteitag der KPÖ, S. 258. 550 Vgl. Wimmer, Neue Kampfbedingungen, S. 413. 551 Bericht des Zentralkomitees an den 17. Parteitag, In: 17. Parteitag der KPÖ, S. 125; Hervorhebung im Original – Anm. hw. 552 Bericht des Zentralkomitees an den 17. Parteitag, In: 17. Parteitag der KPÖ, S. 133. 553 Bericht des Zentralkomitees an den 17. Parteitag, In: 17. Parteitag der KPÖ, S. 133. 554 Vgl. IAB in Daten, S. 500. 555 Vgl. IAB in Daten, S. 523f. 556 Vgl. Diskussionsbeitrag von Paul Köberl, In: 17. Parteitag der KPÖ, S. 157. 84 die Positionen ausgebaut werden.557 »Für mich war das die schönste Zeit«,558 sagte Gaisch über die Jahre als Bezirkssekretär der Grazer Parteiorganisation, nicht zuletzt weil – allen Widrigkeiten zum Trotz – solche Erfolge errungen werden konnten. In den Sechzigern standen viele jahrzehntelang verdiente und respektierte Führungs- persönlichkeiten der Partei nicht mehr zu Verfügung. Franz Honner, »eine der ›proletarischen Säulen‹ der Partei«,559 starb 1964, und Johann Koplenig trat am Parteitag 1965, schon von schwerer Krankheit gezeichnet, als Vorsitzender der KPÖ zurück; ihm folgte Franz Muhri nach.560 Willi Gaisch war schon am 18. Parteitag 1961 ins 87-köpfige Zentralkomitee gewählt worden.561

Den wohl folgenschwersten Rückschlag erlitt die KPÖ bei den Nationalratswahlen 1959, als sie in keinem der Wahlkreise ein Grundmandat erringen konnte und deshalb nicht mehr im Parlament vertreten war, obwohl sie 142.570 Stimmen erhalten hatte.562 Schon 1957 war die KPÖ infolge der antikommunistischen Stimmung, nachdem sie fast die Hälfte der Stimmen verloren hatte, aus dem steiermärkischen Landtag ausgeschieden, in den sie jedoch am 12. März 1961, nachdem sich die Wogen des Kalten Krieges kurzfristig geglättet hatten, mit der Listenbezeichnung KLS – Kommunisten und Linkssozialisten, wieder einziehen konnte.563 Unter dem Eindruck dieses Erfolgs stand der 18. Parteitag, der nur wenige Wochen später zusammentrat, ganz im Zeichen der Losung ›Kommunisten ins Parlament‹.564 Das Ziel des Wiedereinzugs in den Nationalrat bei den Wahlen 1962 wurde allerdings verfehlt.565 Die Phase der Stabilisierung des Nachkriegskapitalismus, in der es zwar zeitweise Ver- langsamungen des Wirtschaftswachstums gab, die sich jedoch nicht zu Krisen zuspitzten,566 verschleierte, dass trotz »steigendem Lebensniveau der Arbeiterklasse die Ausbeutung im Kapitalismus bedeutend angewachsen ist.«567 Zwar stieg die Kaufkraft der österreichischen

557 Vgl. Diskussionsbeitrag von Josef Podhostnig, In: 17. Parteitag der KPÖ, S. 242. 558 Gaisch, Tonbandinterview (A0070225), 6. Oktober 2009. 559 Wimmer, Neue Kampfbedingungen, S. 438. 560 Vgl. Wimmer, Neue Kampfbedingungen, S. 438. 561 Vgl. Das neugewählte Zentralkomitee, In: 18. Parteitag der KPÖ, S. 362. 562 Vgl. Wimmer, Neue Kampfbedingungen, S. 415. 563 Vgl. http://www.verwaltung.steiermark.at/cms/beitrag/10038395/50647382/, 13. Juli 2011. 564 Vgl. Wimmer, Neue Kampfbedingungen, S. 418f. 565 Vgl. http://www.klahrgesellschaft.at/Chronik.html, 3. Juni 2011. 566 Vgl. Edmund Fiala, Das neue Gesicht der westeuropäischen Wirtschaft, In: KPÖ (Hrsg.), Die kapita- listische Wirtschaft heute, S. 5. 567 Friedl Fürnberg, Vorwort, In: KPÖ (Hrsg.), Die kapitalistische Wirtschaft heute, S. 5. 85 Bevölkerung an, die Reallöhne jedoch blieben hinter der Produktivitätssteigerung zurück.568 Die österreichische Variante der ›Sozialpartnerschaft‹ wurde zur Herrschaftsform.569 Zwar erste Anzeichen dieser Entwicklung verallgemeinernd, aber trotz sich abzeich- nender Wahlniederlagen an der These des XX. Parteitags der KPdSU vom parlamentarischen Übergang zum Sozialismus anknüpfend, begann eine breite programmatische Debatte, die 1958 in die theoretischen Leitsätzen ›Der Weg Österreichs zum Sozialismus‹ mündete.570 Die Basis für die Herausbildung der Strömung, die eine Sozialdemokratisierung der KPÖ anstrebte – später wurde das mit den Begriffen ›Eurokommunismus‹ und ›dritter Weg‹ umschrieben –, sind vielfältig.571 Zum einen setzte in den realsozialistischen Staaten eine immer offensichtlichere Phase der ökonomischen Stagnation ein. Die unrealistischen Proklamationen Chruschtschows, etwa dass die Sowjetunion die USA bald wirtschaftlich ein- und überholen würde, führten dazu, dass der Sozialismus – nach innen ebenso wie nach außen – an Strahlkraft verlor.572 Das Auseinanderklaffen von Sein und Schein ging so weit, dass im Entwurf für ein neues Parteiprogramm der KPdSU, der als Beilage in den Tageszei- tungen der KPÖ erschien, in großen Lettern als Schlusswort zu lesen war: Unter der bewährten Führung der Kommunistischen Partei und dem Banner des Marxismus-Leninismus hat das Sowjetvolk den Sozialismus aufgebaut. Unter der Führung der Kommunistischen Partei und dem Banner des Marxismus- Leninismus wird das Sowjetvolk die kommunistische Gesellschaft errichten. Die Partei verkündet feierlich: Die heutige Generation der sowjetischen Menschen wird im Kommunismus leben.573 Zum anderen begünstigte der gescheiterte Wiedereinzug ins Parlament 1962 und die daraus resultierende resignative Stimmung die Herausbildung der Strömung, die neue, mitunter vom Kommunismus wegführende Wege beschreiten wollte, was zu einem zähen Ringen um die inhaltliche Positionierung der Partei führte. Die vielen programmatischen Wendungen, die die KPÖ in diesen Jahren vollzog, zeitigten eine tiefe Verunsicherung breiter Kreise der Mit- glieder. »Da und dort wird sogar die bange Frage gestellt, ob der friedliche Weg nicht zur Preisgabe der revolutionären Prinzipien, zu einem Anschluß an die SPÖ-Politik führt«,574 berichtete Willi Gaisch, der mittlerweile Landessekretär der steirischen Parteiorganisation ge-

568 Vgl. Fritz Dunner, Probleme der österreichischen Wirtschaft, In: KPÖ (Hrsg.), Die kapitalistische Wirtschaft heute, S. 30. 569 Vgl. Wimmer, Neue Kampfbedingungen, S. 421 – 424. 570 Vgl. Hans Hautmann, Die KPÖ in den 1960er bis 1990er Jahren, In: 90 Jahre KPÖ, S. 54. 571 Vgl. Hautmann, Die KPÖ in den 1960er bis 1990er Jahren, S. 56. 572 Vgl. Kalt, In Stalins langem Schatten, S. 63. 573 Beilage zur Wahrheit, 19. August 1961. 574 Diskussionsbeitrag von Willi Gaisch, In: 19. Parteitag der KPÖ, S. 266. 86 worden war, dem 19. Parteitag 1965. Die Annäherung an die SPÖ, die ihren Antikommunis- mus freilich nie abgelegt hatte, ging soweit, dass eine Parteikonferenz – trotz massiver Beden- ken und tiefem Unbehagen – beschloss, bei den Nationalratswahlen 1966 in allen Wahlkrei- sen nicht zu kandidieren und zur Wahl der SPÖ aufzurufen. Nur im Wahlkreis IV, der die Wiener Bezirke Floridsdorf, Brigittenau und Leopoldstadt umfasste, trat die KPÖ an.575 Sie hoffte, durch die Konzentration aller Kräfte auf dieses Gebiet, das erforderliche Grund- mandat für den Einzug ins Parlament zu erreichen. Man scheiterte. Auch die befürchtete ÖVP-Alleinregierung, die von den BefürworterInnen dieser Taktik immer wieder ins Treffen geführt wurde, konnte dadurch nicht verhindert werden.576 Schlimmer: sie lieferte der SPÖ für lange Zeit die Argumente, »um von oppositionell gestimmten wenigstens die Stimme, wenn auch nicht Zustimmung zu bekommen.«577 Die unmittelbaren Folgen dieser Entschei- dung waren fatal: Bei verschiedenen kommunalen und Landtagswahlen 1967 musste die KPÖ herbe Verluste – stärker als die im Gefolge des Einmarschs der Truppen des Warschau- er Vertrages in die Tschechoslowakei – erleiden.578 Die Intervention von fünf Staaten des Warschauer Vertrages in der ČSSR wurde schließlich der Auslöser einer Parteikrise,579 deren Ursachen in den ungelösten Aufgaben der Analyse der Gesellschaft und einer aus ihr abzuleitenden programmatischen Orientierung580 in einer möglichst breiten innerparteilichen Debatte581 zu suchen sind. Weder gelang es, die Widersprüche zwischen den verschiedenen Flügeln in der Parteiführung zu überwinden, noch sie einer Klärung zuzuführen – das hätte einer breiten Diskussion an und mit der Parteibasis bedurft. »Die ideologischen Differenzen im Politischen Büro drangen jedoch nur gerüchte- weise in die unteren Stockwerke des Parteihauses und fast gar nicht in die Organisationen der Partei.«582

575 Vgl. http://www.klahrgesellschaft.at/Chronik.html, 3. Juni 2011. 576 Vgl. Furch, Das schwache Immunsystem, S. 41. 577 Wimmer, Neue Kampfbedingungen, S. 450. 578 Vgl. Wimmer, Neue Kampfbedingungen, S. 450. 579 Vgl. Mugrauer, Von der Verurteilung, S. 1f. 580 Zu diesen Auseinandersetzungen und deren unterschiedlichen Deutungen siehe Wimmer, Neue Kampfbedingungen, S. 437 – 447 auf der einen Seite bzw. Mugrauer, Von der Verurteilung, S. 1f. und 7f. auf der anderen. 581 Vgl. Furch, Das schwache Immunsystem, S. 40f. 582 Furch, Das schwache Immunsystem, S. 40. 87 7. 1968 und die Folgen Einen zentralen Wendepunkt in der Geschichte des 20. Jahrhunderts markiert das Jahr 1968. Die ersten Monate waren – auch außerhalb der sozialistischen Länder – geprägt von riesigen Demonstrationen gegen den seit 1965 von den Vereinigten Staaten geführten Krieg in Vietnam.583 In den USA schloss sich die Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King,584 der im April 1968 bei einem Mordanschlag erschossen wurde, der Friedensbewegung an. Ein Attentat wurde auch eine Woche später auf Rudi Dutschke,585 einen der wesent- lichsten Proponenten der Westberliner Studierendenbewegung, verübt. In Frankreich soli- darisierten sich im Mai alle drei großen Gewerkschaftsverbände mit den massiven polizeili- chen Repressalien ausgesetzten Studierenden, die sich für eine Reform des Hochschulwesens eingesetzt hatten. Der mehrwöchige Generalstreik wurde von Massendemonstrationen und Fabriksbesetzungen begleitet, in deren Folge Staatspräsident Charles de Gaulle586 kurzzeitig das Land verließ.587 In den kapitalistischen Ländern wurde der Marxismus für Studierende und junge Intellektuelle wieder attraktiv, wenngleich er sich als »ein seltsam seminarorientierter Mar- xismus, kombiniert mit einer Reihe von anderen akademischen Trends der damaligen Zeit«588 herausstellte, »denn er war im Hörsaal und nicht durch praktische Erfahrungen im Arbeits- leben entstanden.«589 Unter sowjetischer Führung griffen in der Nacht vom 21. auf den 22. August 1968 Truppen vier weiterer Staaten des Warschauer Vertrages (Bulgarien, DDR, Polen und Un- garn) ein.590 Dadurch wurde eine Entwicklung in der ČSSR aufgehalten, die in der KPÖ ebenso unterschiedlich bewertet wurde, wie die gegen sie erfolgende Intervention,591 die zwar

583 Vgl. IAB in Daten, S. 581. 584 MARTIN LUTHER KING JR. (1929 – 1968) war Baptistenpastor in den USA und wurde in der 60er Jahren zur zentralen Figur des Civil Rights Movement. Er trat für soziale Rechte und gegen Rassismus mit Mitteln des zivilen Ungehorsams ein. 585 ALFRED WILLI RUDI DUTSCHKE (1940 – 1979) war ein deutscher marxistischer Soziologe und ein- flussreicher Vertreter der westdeutschen Studierendenbewegung. Das Attentat, das am 11. April 1968 auf ihn verübt wurde, überlebte er zwar, erlag aber den Spätfolgen am 24. Dezember 1979. 586 CHARLES DE GAULLE (1890 – 1970) war General und führte während des Zweiten Weltkrieges die französische Résistance an. 1959 wurde er Präsident der Fünften Republik, die durch eine von ihm durchgesetzte Verfassungsänderung ein Jahr zuvor begründet worden war und blieb es bis zum April 1969. 587 Vgl. IAB in Daten, S. 583. 588 Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, S. 552. 589 Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, S. 553. 590 Vgl. IAB in Daten, S. 586f. 591 Vgl. Mugrauer, Von der Verurteilung, S. 1f. 88 nicht Grund aber Auslöser der tiefen Krise der Partei war. Willi Gaisch lehnte den Einmarsch ab, brach aber nicht mit der Partei, wie dies 27 Mitglieder des Zentralkomitees taten.

7.1 Der ›Prager Frühling‹. Ein historischer Abriss Ökonomische und gesellschaftliche Stagnationserscheinungen in der Tschechoslowa- kei und Strategien zu deren Überwindung waren schon bei der Vorbereitung des 13. Partei- tages der KPČ Thema. Deren mangelhafte und teilweise unterlassene Umsetzung ebnete den Weg für eine Politik, die mit dem Schlagwort des ›Sozialismus mit menschlichem Antlitz‹592 versehen und deren Dynamik schließlich durch den Einmarsch der fünf Warschauer- Vertragsstaaten beendet wurde.593

7.1.1 Ökonomischer Schwenk und politischer Wandel Ein Grundstein für das, was in die Geschichtsbücher als ›Prager Frühling‹594 eingehen sollte, wurde Ende Juni 1967 auf dem vierten Kongress des tschechoslowakischen Schrift- stellerverbandes gelegt,595 als Redakteure der Zeitung Literární noviny massive Kritik an der Politik der Kommunistischen Partei und ihrem Ersten Sekretär Antonín Novotný,596 der auch Staatspräsident der ČSSR war, übten.597 Das führte nicht nur zu Parteiausschlüssen einiger Kongressteilnehmer, sondern auch dazu, dass die Zeitschrift direkt dem Kulturministerium unterstellt wurde.598

592 Interessant wird eine Betrachtung der verwendeten Begrifflichkeiten, denen vordergründig schwerlich die Zustimmung verweigert werden kann, wenn man deren Antonyme betrachtet. Einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz zu fordern, impliziert, dass der bestehende kein solches hätte, also unmenschlich sei. Ein Eurokommunismus kann mithin auch als Abgrenzung von seinem asiatischen – ein Begriff, der landläufig immer die Konnotation des Rückständigen, Vormodernen und Barbarischen hatte und hat – Pendant gelesen werden. (Vgl. Furch, Das schwache Immunsystem, S. 45 und 58. 593 Vgl. Der Weg aus der Krise, S. 12f. 594 Der Begriff des ›Prager Frühling‹ wurde von westlichen nicht-kommunistischen Medien – in Analogie zur so genannten ›Tauwetterperiode‹ (russisch: ›Хрущёвская оттепель‹) in der Sowjetunion nach dem Tod Josef Stalins – geprägt und schließlich als ›Pražské jaro‹ im Tschechischen übernommen. 595 Vgl. Steigerwald, Paris und Prag. 596 ANTONÍN NOVOTNÝ (1904 – 1975) war gelernter Spengler und seit 1921 Mitglied der KPČ. Von 1941 bis zu dessen Befreiung war er im KZ Mauthausen inhaftiert. Er wurde 1953 Erster Sekretär des ZK der KPČ und ab 1957 Staatspräsident der Tschechoslowakei. Beide Ämter musste er nacheinander Anfang 1968 zurücklegen, und im Mai wurde seine Parteimitgliedschaft ausgesetzt. Zwar wurde Novotný 1971 wieder aufgenommen, spielte jedoch keine wesentliche Rolle mehr. Er galt als Reprä- sentant der ›antirevisionistischen‹ Linie. 597 Vgl. Navrátil (ed.), The Prague Spring, S. 8 – 12. 598 Vgl. Harald Knoll/Silke Stern, Zeittafel »Prager Frühling« 1967 – 1971, In: Karner/Tomilina/ Tschubarjan, Prager Frühling, S. 1219. 89 Erste Anzeichen für wesentliche Veränderungen in der Politik in der Tschecho- slowakei gab es beim ZK-Plenum der KPČ Ende Oktober 1967, auf dem auch Alexander Dubček599 Novotný kritisierte. Zwei Monate später, auf dem sogenannten ›Jännerplenum‹ des ZK der KPČ, wurde Dubček einstimmig zu deren Ersten Sekretär gewählt. Eine Trennung der Ämter des Parteivorsitzes und des Staatspräsidenten war schon zuvor im Präsidium des ZK diskutiert worden, hatte dort jedoch vorerst keine Mehrheit gefunden.600 Weil sich die Debatten auf Personalfragen zuspitzen, wurden die ökonomischen und gesellschaftlichen Probleme in den Hintergrund gedrängt. Es herrschte Unklarheit über die Beschlüsse des Jännerplenums, weil sie nicht veröffentlicht wurden und so die politischen Weichenstellungen von den ProponentInnen der unterschiedlichen Flügel unterschiedlich an die Öffentlichkeit getragen wurden, was mithin Unsicherheit und Desorientierung in Partei und Gesellschaft begünstigte und die Gräben in der KPČ weiter vertiefte.601 Der Versuch, sie durch die Umsetzung der Beschlüsse des 13. Parteitags zu lösen, blieb aus.602 Immer lauter wurden – nicht nur parteiintern, sondern auch in den Massenmedien – die Forderungen nach einem Rücktritt des Staatspräsidenten Novotný, denen er Ende März nachgab. Sein Nachfolger wurde Ludvík Svoboda,603 der mit überwältigenden Mehrheiten sowohl vom Plenum des ZK für das Amt vorgeschlagen als auch von der Nationalversamm- lung gewählt wurde.604 Das darauffolgende ZK-Plenum Anfang April verabschiedete ein Ak- tionsprogramm, das zwar die führende Rolle der Sowjetunion in der sozialistischen Staatenge- meinschaft anerkannte, diese aber in vielen Fragen durch die Preisgabe bisheriger politischer

599 ALEXANDER DUBČEK (1921 – 1992) lebte in seiner Jugend mit seinen Eltern in der Sowjetunion und trat 1939 der Kommunistischen Partei der Slowakei (KPS) bei, in dessen ZK er 1959 gewählt wurde. Nach Auseinandersetzungen mit Antonin Novotný, dem Ersten Sekretär der KPČ, setzte sich Dubček durch und wurde im Jänner 1968 dessen Nachfolger an der Spitze der Partei. Nach der militärischen Intervention wurde er vorerst im Amt belassen und schied aus diesem erst im April 1969 aus. Mehr als ein Jahr später wurde er schließlich aus der KPČ ausgeschlossen. 600 Vgl. Knoll/Stern, Zeittafel, S. 1219. 601 Vgl. Der Weg aus der Krise, S. 19. 602 Vgl. Der Weg aus der Krise, S. 15. 603 LUDVÍK SVOBODA (1895 – 1979) war tschechischer Berufsoffizier und Gründer der tschechischen Widerstandsbewegung Ochrana. 1939 flüchtete er vor den Nazis in die Sowjetunion und kehrte von dort als Kommandeur der 1. Tschechoslowakischen Brigade, als welcher er maßgeblich an der Befreiung seines Heimatlandes beteiligt war, zurück. Svoboda war von 1948 bis 1950 Verteidigungsminister, verlor jedoch bald alle Ämter, war 1952 kurzzeitig in Haft und arbeitete in der Folge auf einem Kollektiv-Bauernhof. Nach seiner Rehabilitierung leitete er die Klement-Gottwald-Militärakademie und wurde Vorsitzender des Militärhistorischen Instituts. Ab dem 30. März 1968 bekleidete er das Amt des Staatspräsidenten, aus dem er aus gesundheitlichen Gründen 1975 ausschied. 604 Vgl. Knoll/Stern, Zeittafel, S. 1221. 90 Positionen beunruhigte,605 während sich auch Kräfte formierten, die auf eine Demontage der sozialistischen Gesellschaftsordnung abzielten.606 Der wachsenden Sorge über die mögliche Unterminierung des Sozialismus, die bis zu dessen Beseitigung führen könnte, trug Dubček in seiner Rede am Mai-Plenum des ZK der KPČ Rechnung, in der er die erstarkenden anti- kommunistischen Strömungen »als Hauptbedrohung für das Fortschreiten des Demokrati- sierungsprozesses«607 charakterisierte. Gleichzeitig wies er jene Bestrebungen zurück, die der wachsenden Gefahr mit »im Wesentlichen inkorrekten Methoden, die unerwünschte Spannungen und Konflikte provozieren könnten«,608 begegnen wollten. Zugespitzt wurde die innenpolitische Situation am 27. Juni, als ohne Wissen der Regierung ein von Intellektuellen verfasstes Manifest mit dem Titel ›Dva tisíce slov‹ (Zwei- tausend Worte) zeitgleich in drei Tageszeitungen der ČSSR erschien.609 Die darin geforderten Überspitzungen des von der Regierung eingeschlagenen Kurses führten dazu, dass das Präsi- dium des ZK der KPČ das Papier noch am selben Tag zurückwies. Der Zeitpunkt der Ver- öffentlichung korrelierte mit dem Stattfinden vieler außerordentlicher Gebiets- und Regional- konferenzen der KPČ in den folgenden Tagen. Etwa jeweils ein Drittel der Versammlungen unterstützte das Manifest bzw. lehnte es ab.610 Ein weiteres Drittel war unentschlossen, hielt jedoch »die Reaktionen [der Regierung] auf die Proklamation für nicht angemessen.« 611 Eine unter der Federführung von Ota Šik612 ausgearbeitete Reform der tschechoslowakischen Wirtschaft war bereits 1965, noch mit Novotný an der Spitze von Partei und Staat, be-

605 Vgl. Navrátil (ed.), The Prague Spring, S. 83f. Auszüge der Resolution in englischer Übersetzung fin- den sich ebda. S. 92 – 95. 606 Vgl. Der Weg aus der Krise, S. 23 – 25. 607 »Anti-communist tendencies have grown stronger and certain elements are attempting to engage in more intensive forms of activity. The large majority of the party has come to realize this danger, which is today the main threat to the further progress of the democratization process. Increasing sections of the progressive public are beginning to be aware of it as well.« (Navrátil (ed.), The Prague Spring, S. 153.) 608 »The activation of right-wing forces has resulted in a certain inception of sectarian trends whereby attempts are being made to resolve the situation by largely incorrect methods that in turn might provoke undesirable tension and conflicts.« (Navrátil (ed.), The Prague Spring, S. 153.) 609 Vgl. Navrátil (ed.), The Prague Spring, S. 177. 610 Vgl. Knoll/Stern, Zeittafel, S. 1223. 611 Knoll/Stern, Zeittafel, S. 1223. 612 OTA ŠIK (1919 – 2004) war tschechischer Maler und seit 1940 Mitglied der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Nach der Befreiung 1945 begann er ein Studium der Wirtschaftswissenschaften und gehörte ab 1962 dem ZK der KPČ an. Schon 1967 wurde gegen viele Widerstände damit be- gonnen, sein ›Neues ökonomisches Modell‹ in der ČSSR umzusetzen, und er stieg 1968 in das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten auf. Während der militärischen Intervention weilte er in Belgrad, wo er dann Botschaftsrat wurde. Schließlich emigrierte Šik in die Schweiz, erhielt 1970 eine Professur an der Hochschule St. Gallen und näherte sich der Anthroposophie an. Er gilt als wesentlicher Reprä- sentant einer als ›dritter Weg‹ bekannten Strömung, die meinte, dass ein alternatives wirtschaftliches Konzept zwischen Kapitalismus und Sozialismus möglich sei. 91 schlossen worden. Ihre Umsetzung verzögerte sich jedoch angesichts der Unstimmigkeiten in der Parteiführung.613 Wirtschaftspolitische Demokratisierungs- und Reformprozesse, die die ins Stocken geratene Ökonomie wieder in Gang bringen sollten, hatten zuvor bereits in der DDR und Ungarn begonnen.614 Als Šik 1968 stellvertretender Ministerpräsident wurde, gingen seine Vorhaben aber wesentlich weiter.615 Was unter ›Mitbestimmung in der Produ- ktion‹ firmierte, sollte durch die Konkurrenz zwischen einzelnen Betrieben die – angeblich aufgrund der fehlenden Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes gesunkene – ›Arbeitsmoral‹ der Beschäftigten erhöhen.616 Die ökonomischen Versuche in der ČSSR mündeten schließlich in eine Inflation. Šik und andere propagierten angesichts der Situation der angeschlagenen tschechoslowakischen Wirtschaft einen großen Dollar-Kredit als einzige Lösung.617 Viele Faktoren deuten darauf hin, dass »die ›letzte Chance für den Sozialismus‹ durchaus die erste für den Kapitalismus«618 sein hätte können. Auch durch den Widerstand der Bevölkerung gegen das wirtschaftliche Programm des so genannten ›Sozialismus mit menschlichem Antlitz‹ ließen sich die ›Reformer‹ nicht beirren. Die betroffenen Arbei- terInnen wurden kurzerhand »entlassen, einige sogar umgebracht«.619

7.1.2 Besorgnis und Intervention Besorgnis über die Entwicklungen in der ČSSR wurde schon am 23. März 1968 in Dresden bei einem hochrangigen Treffen von kommunistischen und Arbeiterparteien und Vertretern der Regierungen der Tschechoslowakei sowie der Staaten, die im August militärisch intervenieren sollten, geäußert. Betont wurde in diesem Zusammenhang auch, wie wichtige es wäre, die »Wachsamkeit gegenüber den aggressiven Bestrebungen und der Wühl- tätigkeit der imperialistischen Kräfte gegen die Länder der sozialistischen Gemeinschaft zu erhöhen.«620 Im ersten Halbjahr 1968 hatten auch mehrere bi- oder multilaterale militärische Manöver von Truppen des Warschauer Vertrages in sozialistischen Ländern, die an die Tschechoslowakei angrenzten, stattgefunden.621

613 Vgl. Roesler, Wirtschafts- und politische Reformen, S. 110. 614 Vgl. Roesler, Wirtschafts- und politische Reformen, S. 107 – 109. 615 Vgl. Der Weg aus der Krise, S. 44f. 616 Vgl. Steigerwald, Paris und Prag. 617 Vgl. Der Weg aus der Krise, S. 27. 618 Roesler, Wirtschafts- und politische Reformen, S. 113. 619 Steigerwald, Paris und Prag. 620 IAB in Daten, S. 581. 621 Vgl. Knoll/Stern, Zeittafel, S. 1222 – 1226. 92 Die Spannungen vertieften sich, als im ›Manifest der 2.000 Worte‹ davon die Rede war, die Entwicklung »wenn nötig mit Waffen« gegen »ausländische Mächte«622 zu ver- teidigen. Immer wieder kam es zu Gipfeltreffen – mit und ohne tschechoslowakische Beteili- gung – sowie zu Telefonaten zwischen Dubček und Breschnew,623 in denen die Situation in der ČSSR debattiert wurde.624 Als Dubček auf bilaterale Aussprachen mit den Parteien bestand und sich deshalb weigerte, an einer Zusammenkunft in Warschau teilzunehmen,625 richteten die ›Fünf‹ einen Brief626 an das ZK der KPČ, in dem sie ihr Bedauern über dessen Nichtteilnahme ausdrückten und ihre Intentionen darlegten: Es war und ist nicht unsere Absicht, uns in Belange einzumischen, die ausschließlich die innere Angelegenheit Eures Staates und Eurer Partei sind, oder die Prinzipien des Respekts für die Eigenständigkeit und Gleichberechtigung in den Beziehungen zwi- schen kommunistischen Parteien und sozialistischen Ländern zu verletzten. […] Aber gleichzeitig können wir nicht hinnehmen, dass feindliche Kräfte Euer Land vom sozialistischen Weg abdrängen und drohen die Tschechoslowakei von der sozialisti- schen Gemeinschaft loszutrennen. Das ist nicht mehr Eure Angelegenheit allein.627 In einem Antwortbrief628 wurde sowohl auf die einzelnen Kritikpunkte der fünf Bruderpar- teien eingegangen und der Versuch unternommen, sie Punkt für Punkt zu entkräften, als auch die weiteren politischen Schritte zu skizzieren, die die Führung der KPČ setzten wollte. Betont wurde nicht nur »unsere Allianz und Freundschaft mit der UdSSR und den an- deren«,629 sondern auch die führende Rolle der kommunistischen Partei als Basis der sozialistischen Entwicklung: Es gibt keinen Zweifel daran, dass das Untergraben der führenden Rolle der kommu- nistischen Partei eine Bedrohung für das sozialistische System erzeugen würde. […]

622 »There has been great alarm recently over the possibility that foreign forces will intervene in our deve- lopment. […] We can show our government that we will stand by it, with weapons if it need be, if it will do what we give it a mandate to.« (Navrátil (ed.), The Prague Spring, S. 181.) 623 LEONID ILJITSCH BRESCHNEW (1907 – 1982) war seit 1931 Mitglied der KPdSU, an deren Spitze er nach der Absetzung Chruschtschows gelangte und es bis zu seinem Tod blieb. 624 Vgl. Knoll/Stern, Zeittafel, S. 1223 – 1225. 625 Vgl. Navrátil (ed.), The Prague Spring, S. 207. 626 Siehe: Navrátil (ed.), The Prague Spring, S. 234 – 238. 627 It was and is not our intention to interfere in matters that are purely the internal affair of your party and state, or to violate the principles of respect for independence and equality in relations between communist parties and socialist countries. […] But at the same time we cannot agree that hostile forces should push your country off the socialist path and threaten to detach Czechoslovakia from the socialist community. This is no longer your affair alone. (Navrátil (ed.), The Prague Spring, S. 235.) 628 Siehe: Navrátil (ed.), The Prague Spring, S. 243 – 249. 629 »Our alliance and friendship with the USSR and the other socialist countries are deeply rooted in the social system, in historical traditions, and in the experience of our peoples, their interests, an their outlooks on life.« (Navrátil (ed.), The Prague Spring, S. 244.) 93 Die kommunistische Partei stützt sich auf die freiwillige Unterstützung des Volks; […] Sie kann ihre Politik nicht durch Dekrete entfalten, sondern durch die Arbeit ihrer Mitglieder und durch die Integrität ihrer Ideale.630 Sowohl der Brief der ›Fünf‹ als auch die tschechoslowakische Antwort erschienen in einer Sonderausgabe des Zentralorgans der KPČ Rudé právo am 18. Juli. Bei einer bilateralen Aussprache im ostslowakischen Čierná nad Tisou zwischen Ver- tretern der KPdSU und der KPČ und einem Treffen der ›Sechs‹ in Bratislava konnten Kompromisse erzielt werden, die – aus Sicht der später intervenierenden Staaten – von tsche- chischer Seite nicht eingehalten wurden. Deshalb überschritten in der Nacht vom 20. auf den 21. August schließlich Truppen der fünf Warschauer Vertragsstaaten die tschechoslowakische Grenze, um die Beendigung der »von den imperialistischen Kräften unterstützten konter- revolutionären Verschwörung in der Tschechoslowakei«631 einzuleiten. Alexander Dubček blieb vorerst im Amt. Erst als es nach den beiden Siegen der ČSSR gegen die Sowjetunion bei der Eishockey-WM in Schweden am 21. und 28. März 1969 in der Tschechoslowakei zu antisowjetischen Ausschreitungen kam, bei denen u.a. das Büro der sowjetischen Fluglinie Aeroflot in Prag verwüstet wurde, geriet er unter immer stärkeren Druck und wurde in der Folge am 17. April als Erster Sekretär der KPČ durch Gustáv Hu- sák632 abgelöst.633

630 There is no doubt that undermining the leading role of the communist party would create a threat to the socialist system. […] the communist party relies on the voluntary support of the people; […] It cannot impose its policy by decrees, but by the work of its members an by the integrity of its ideals. (Navrátil (ed.), The Prague Spring, S. 245.) 631 IAB in Daten, S. 586. 632 GUSTÁV HUSÁK (1913 – 1991) war Jurist und seit 1929 Mitglied des Kommunistischen Jugendver- bandes und ab 1933 der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, in deren engster Führung er ab 1943 war. 1944 war er eine der Führungspersönlichkeiten des Slowakischen Nationalaufstandes gegen die nationalsozialistische Okkupation. 1950 wurde er unter dem Vorwurf der nationalistischen Abwei- chung aus allen Partei- und staatlichen Ämtern enthoben, 1951 verhaftet und 1954 zu lebenslanger Haft verurteilt, jedoch 1960 amnestiert und – nicht zuletzt auf Betreiben Alexander Dubčeks – 1963 rehabilitiert. 1968 bekleidete er schon wieder hohe Funktionen in Staat und Partei und war ein wesent- licher Repräsentant des sog. ›Prager Frühlings‹. Nach Dubčeks Absetzung 1969 folgte er ihm im Amt des Ersten Sekretärs des ZK nach und bekleidete es bis 1987. Von 1975 bis 1990 war Husák Staats- präsident der ČSSR. 633 Vgl. Knoll/Stern, Zeittafel, S. 1231.

94 7.2 »68 war ein tiefer Einschnitt.«634 Die Parteikrise der KPÖ Schon im Juni hielt das Zentralkomitee der KPÖ auf der ersten Seite ihres Zentral- organs die »volle Unterstützung […] für den neuen Kurs und die neue Führung unserer tschechoslowakischen Bruderpartei«635 fest. Am 22. August 1968, dem Tag nach der Inter- vention lautete der Aufmacher auf der Titelseite der Volksstimme: »Die KPOe gegen den Einmarsch«. Auf der ersten Seite befand auch eine ›Erklärung des Polbüros des ZK der KPÖ‹, in der es hieß: Der Einmarsch von Truppen aus fünf Ländern des Warschauer Paktes in die CSSR hat die österreichischen Kommunisten völlig überrascht und schwer getroffen. […] Es sind uns keine Tatsachen bekannt, die darauf hinweisen, daß die KPTsch nicht in der Lage wäre, die Grundlagen des Sozialismus zu festigen und die antisozialistischen Kräfte erfolgreich zu bekämpfen. Daher sehen wir auch keinerlei Berechtigung für die militärische Intervention der Truppen aus fünf Ländern des Warschauer Paktes. Bei aller Verbundenheit mit der Sowjetunion, mit der KPdSU und mit den anderen sozialistischen Ländern und ihren kommunistischen Parteien mißbilligt das Politbüro des ZK der KPÖ die militärische Intervention.636 Die Wortwahl ›Missbilligung‹ wurde noch am selben Tag auf der Sitzung des Zentralkomitees auf Betreiben Ernst Fischers zu ›Verurteilung‹637 verschärft, wodurch die verhältnismäßig kleine KPÖ ihre Ablehnung am schärfsten von allen europäischen Parteien formulierte.638 Das war freilich nur möglich, weil in der eilends einberufenen Sitzung wichtige Mitglieder des ZK, die die Entwicklungen in der ČSSR nicht vorbehaltlos goutierten bzw. ihnen kritisch gegenüberstanden – etwa die beiden Sekretäre des ZK Friedl Fürnberg und Erwin Scharf –, sich im Urlaub befanden. Eine Vertagung, wie sie vom steirischen Landesobmann Franz Leitner vorgeschlagen wurde, fand keine Mehrheit.639 Als sich die Ereignisse in der ČSSR überschlugen, war Willi Gaisch mit seiner Tochter auf Urlaub in der Sowjetunion, wo sie vom Einmarsch erfuhren. »Gleich waren sowjetische Freunde da«, schilderte Gaisch die Situation, die den UrlauberInnen »aus verschiedensten kapitalistischen Ländern zu erklären versucht[en], warum die Intervention notwenig war.«640

634 Nicht nur für die KPÖ, sondern auch für Willi Gaisch als Person war die durch die Intervention ausgelöste Parteikrise ein »tiefer Einschnitt«. (Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0152), 29. September 2009.) 635 Volksstimme, 8. Juni 1968, S. 1. 636 Volksstimme, 22. August 1968, S. 1. 637 Vgl. Beschluß des Zentralkomitees der KPÖ, In: 32. Plenartagung des ZK der KPÖ (1968), S. 58. 638 Vgl. Wortmeldung von Friedrich Hexmann, In: 20. Parteitag der KPÖ, S. 143. 639 Vgl. Wortmeldung von Franz Leitner, In: 32. Plenartagung des ZK der KPÖ (1968), S. 45. 640 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0152), 29. September 2009. 95 »Die Argumente, die für eine Intervention sprechen, sind nicht überzeugend«,641 erinnerte er sich, ihnen widersprochen zu haben.642 Er war nicht der Ansicht, dass der Einmarsch eine Notwendigkeit dargestellt hätte, wie das sowohl von den sowjetischen als auch vom Gros der anderen anwesenden KPÖ-Funktionäre gesehen wurde.643 Er brach seinen Urlaub ab und trat die Heimreise an, wo er »sofort«, wie er sagte, sich jenem Teil der Partei anschloss, der am Verhalten der ›Fünf‹ Kritik übte, und meinte, dass »man mit Bündnispartnern anders umgehen muss«.644

7.2.1 »Eine heftige und gehässige Auseinandersetzung«645 Der Unterschied zu Ungarn 1956 zu den Entwicklungen in der ČSSR war, dass es keine massiven gewaltsamen Ausschreitungen gegen die staatliche Ordnung gab. Noch in seinem Schlusswort auf dem ZK-Plenum am 13. September hielt der Parteivorsitzende Franz Muhri fest, dass »es keine akute konterrevolutionäre Situation gab«646 und setzte damit die bislang gültige Parteilinie fort. Die Geister schieden sich daran, ob konterrevolutionäre Ent- wicklungen ausgeschlossen waren oder ob sie durch die Intervention verhindert worden sind. Unmut regte sich vor allem an der Parteibasis. Muhri führte in seinem Bericht aus, dass »in zahlreichen Bezirken gute Funktionäre unserer Partei« gegen die Haltung des Zentralkomitees aufgetreten waren: »Ich habe eine Reihe von Diskussionen mitgemacht in Bezirken, wo fast alle gegen den Standpunkt des ZK aufgetreten sind«.647 Durch die Publikation der ZK- Protokolle, die auf Drängen derer, die die Intervention ›verurteilten‹, beschlossen worden war, wurde diese Skepsis der Mitglieder noch verstärkt, weil sie die Redebeiträge im Wortlaut kannten und sich selbst ein Bild machen konnten. Viele gelangten so zur Auffassung, dass das Auftreten von Fischer, Marek und anderen als ›revisionistisch‹ und ›antisowjetisch‹ zu charakterisieren war.648

641 Gaisch, Froschauer, Filmgespräch (WGD_kpohaus-4 INT), 10. Dezember 2010. 642 Vgl. Gaisch, Froschauer, Filmgespräch (WGD_kpohaus-4 INT), 10. Dezember 2010. 643 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0152), 29. September 2009. 644 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0152), 29. September 2009. 645 Nach dem eilig gefassten Beschluss des ZK vom 22. August, erinnerte sich Gaisch, kam es »zu einer heftigen, zu einer gehässigen Auseinandersetzung« (Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0152), 29. Sep- tember 2009.) 646 Schlusswort von Franz Muhri, In: 33. ZK-Plenum, 12./13. September 1968, S. 109. 647 Referat von Franz Muhri, In: 33. ZK-Plenum, 12./13. September 1968, S. 10. 648 Vgl. Scharf, Ich hab’s gewagt mit Sinnen…, S. 277f. 96 Gegen Ende dieser Sitzung des ZK gab auch Willi Gaisch »als einer jener Genossen, die auf Urlaub waren«,649 eine prinzipielle Stellungnahme ab: Mir fällt das umso leichter, als ich von Anfang an den Demokratisierungsprozeß in der ČSSR begrüßt und damit die Hoffnung verbunden habe, daß dort, in der ČSSR, durch die Demokratisierung ein Beispiel des Sozialismus geschaffen wird, das auch auf die kapitalistischen Länder und auch auf Österreich ausstrahlen wird. Darum hat mich die Nachricht von der Intervention zutiefst betroffen.650 Schon im Vorfeld dieser ZK-Sitzung hatte Ernst Fischer Öl ins Feuer der innerparteilichen Auseinandersetzungen gegossen. Der wortgewaltige und charismatische Kommunist hatte sich, nachdem er 1959 sein Nationalratsmandat verloren hatte, aus der Parteiarbeit zurück- gezogen und verstärkt der publizistischen Tätigkeit gewidmet.651 »Wer gegen die Sowjetunion Stellung nimmt, unterstützt, ob er es will oder nicht, die Welt des Kapitals«,652 hatte er 1949 den TeilnehmerInnen des 14. Parteitags der KPÖ zugerufen, sich jedoch in den Jahren nach seinem Ausscheiden aus der Politik immer mehr zu dem entwickelt, was von sozialdemo- kratischen und bürgerlichen Kreisen wohlwollend als ›Reformkommunist‹ bezeichnet wurde. In der ORF-Fernsehsendung Horizonte hatte Fischer – im Alleingang und entgegen der von ihm mitgefassten Beschlüsse des ZK – den Abbruch der Beziehungen mit der KPdSU verlangt, sollte diese seiner Forderung nach einem Abzug der sowjetischen Truppen aus der Tschechoslowakei nicht unmittelbar nachkommen.653 Besondere Empörung löste dieser öffentliche Appell aus,654 weil bereits am 22. August die sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung implizit an die »ehrlichen Reformkommunisten« gerichtet geschrieben hatte, sie sollten doch »zu ihrer Überzeugung stehen und das Lager Moskaus verlassen.«655 »Wer nicht erkennt, daß ein sofortige Abgrenzung von den falschen Auffassungen des Genossen Fischer notwendig ist, kennt die Stimmung in der Partei nicht«,656 hielt Willi Gaisch diesbezüglich fest. Obwohl Gaisch die ›Nachjännerpolitik‹ in der ČSSR begrüßte – später relativierte er seine damalige Haltung retrospektiv mit den Worten: »Ich war nie für

649 Wortmeldung von Willi Gaisch, In: 33. ZK-Plenum, 12./13. September 1968, S. 102. 650 Wortmeldung von Willi Gaisch, In: 33. ZK-Plenum, 12./13. September 1968, S. 102. 651 Vgl. Mugrauer, Von der Verurteilung, S. 2. 652 Die Sowjetunion und der Frieden. Referat des Genossen Ernst Fischer, In: 14. Parteitag der KPÖ, S. 85. 653 Vgl. Mugrauer, Von der Verurteilung, S. 4. 654 Vgl. Wimmer, Neue Kampfbedingungen, S. 464. 655 Arbeiter-Zeitung, 22. August 1968, S. 2. 656 Wortmeldung von Willi Gaisch, In: 33. ZK-Plenum, 12./13. September 1968, S. 103. 97 Dubček, vor allem nicht für seine Hintermänner«657 – und die Intervention ablehnte, miss- billigte er Fischers TV-Auftritt vehement: Jenen Genossen, die ständig gegen die Parteibeschlüsse verstoßen und extreme Erklä- rungen abgeben und die den Eindruck zu erwecken versuchen, als ob sie berufen wären, die Partei vorwärts zu treiben und als »Neuerer« zu wirken, möchte ich sagen, daß sie sich in einem schweren Irrtum befinden. […] sie tragen dazu bei, daß die Wirkungen mit den Ursachen verwechselt werden.658

7.2.3 Der gescheiterte ›Neubeginn‹659 Der 20. Parteitag der KPÖ Dem vom 3. bis 6. Jänner tagenden 20. Parteitag der KPÖ waren nicht nur erbitterte Kontroversen in der schriftlichen Diskussion vorangegangen, auch die Wahlen der Delegier- ten bei den Bezirkskonferenzen waren von heftigen Auseinandersetzungen geprägt.660 Eine zentrale Rolle in den Debatten vor und auf dem Parteitag selbst spielte das Bild, das die KPÖ in der Öffentlichkeit gab. Die Massenmedien präsentierten vorwiegend die Standpunkte der von ihnen so genannten ›Reformkommunisten‹, die sich gegen die Sowjetunion und die sozia- listischen Länder wandten. Aber auch die Parteimedien Volksstimme und Weg und Ziel, deren Chefredakteure dem Flügel um Ernst Fischer zuzurechnen waren, wurden für ihre Einseitig- keit angegriffen.661 So kritisierte der Betriebsrat der Grazer Waggonfabrik von Simmering- Graz-Pauker, Paul Köberl, der – ebenso wie Willi Gaisch – seit 1961 Mitglied des ZK war,662 dass das Politische Büro663 des Zentralkomitees nicht wie beschlossen gegen Fischer und Co. auftrat und so die Beschlüsse untergrub. So kam es zu der eigenartigen Erscheinung, daß das Zentralkomitee Beschlüsse fass- te, die dann vom Politischen Büro aufs Eis gelegt wurden.664 […] Hat man in »Weg

657 Gaisch, Froschauer, Filmgespräch (WGD_kpohaus-4 INT), 10. Dezember 2010. 658 Wortmeldung von Willi Gaisch, In: 33. ZK-Plenum, 12./13. September 1968, S. 103. 659 Der 20. Parteitag versuchte einen Schlussstrich unter die Parteikrise im Allgemeinen und die Gehässig- keiten im Besonderen zu ziehen, weshalb der Parteivorsitzende Franz Muhri resümierend betonte: »Jetzt wollen wir neu beginnen, neu beginnen in dem Sinn, daß tatsächlich niemand etwas nachgetra- gen wird, was er früher gesagt oder getan hat, daß entscheidend das Kriterium sein muß für jeden Genossen, für jeden Funktionär, wie er zu den Beschlüssen steht, wie er mithilft, die Beschlüsse umzu- setzen.« (Schlußwort des Genossen Muhri, In: 20. Parteitag der KPÖ, S. 462.) 660 Vgl. Wimmer, Neue Kampfbedingungen, S. 466f. 661 Vgl. Mugrauer, Von der Verurteilung, S. 4. 662 Vgl. Das neugewählte Zentralkomitee, In: 18. Parteitag der KPÖ, S. 362. 663 Ins Politische Büro gewählt des ZK wurden: Robert Dubovsky, Friedl Fürnberg, Otto Horn, Egon Kodicek, Josef Lauscher, Franz Marek, Franz Muhri, Alfred Ruschitzka, Erwin Scharf, Maria Urban und Franz West. (Vgl. Die Konstituierung des Zentralkomitees, In: 19. Parteitag der KPÖ, S. 332.) 664 Diese Vorgehensweise widerspricht dem ›Demokratischen Zentralismus‹. Gemäß diesem Organisa- tionsprinzip ist der Parteitag »die höchste Instanz der Kommunistischen Partei Österreichs« (Statut, 1961, § 15.); auf ihm wird das Zentralkomitee (ZK) gewählt. Ihm »obliegt die Führung und Leitung der Parteiarbeit. Es ist die höchste Instanz nach dem Parteitag.« (Statut, 1961, § 23.). Das Politische Büro wurde nicht nur vom ZK gewählt sondern ist diesem auch weisungsgebunden und rechen- schaftspflichtig. (Vgl. Statut, 1961, § 4 und § 23.) 98 und Ziel« etwas gelesen? Oder in der »Volksstimme«? Und sowohl der Chefredakteur von »Weg und Ziel« [Franz Marek, Anm. hw] als auch der Chefredakteur der »Volks- stimme« [Franz West, Anm. hw] sind doch Mitglieder des Politischen Büros. Aus funktionellen Gründen. Doch sie haben alles andere als funktioniert. Wie soll dann die Partei funktionieren?665

Zum Paukenschlag wurde die Wahl des Zentralkomitees. Vier Kandidaten erhielten weniger als die Hälfte der abgegebenen Stimmen und wären somit nicht Mitglieder des ZK gewesen; unter ihnen zwei Mitglieder des Politischen Büros: Franz Marek als Chefredakteur von Weg und Ziel und der für Gewerkschaftsarbeit zuständige Egon Kodicek.666 Neben der Unzufrie- denheit der Parteibasis stand auch im Raum, dass gezielte, organisierte Streichungen zu diesem Wahlergebnis geführt hätten.667 Der Parteivorsitzende Franz Muhri trat schließlich für eine »Korrektur« ein, weil die Partei sonst »von uns selbst zugrunde gerichtet würde auf längere Zeit und daß ich unter diesen Umständen, bei dieser Linie nicht dabei sein kann.«668 Auch drohten einige bereits gewählte Mitglieder des ZK, ihre Funktionen nicht antreten zu wollen.669 Muhri griff schließlich den Vorschlag auf, offen und en bloc über die gesamte ursprüngliche Liste der KandidatInnen für das ZK abzustimmen. Dadurch verblieb Marek im ZK, legte aber die Funktion des Chefredakteurs von Weg und Ziel zurück und schied aus dem Polbüro aus, in das Kodicek jedoch wieder gewählt wurde.670 Viele Fragen der politischen Orientierung und der Entwicklung der Tätigkeit der KPÖ traten durch die ideologisch aufgeladenen Debatten in den Hintergrund. Der ›Neu- beginn‹, der mit diesem Parteitag eingeleitet werden sollte, fand nicht statt. Zwar wurde in der einhellig angenommenen Resolution festgehalten, dass es »unerlässlich« wäre, »in den politi- schen und ideologischen Diskussionen die extremen Auffassungen von beiden Seiten, Dog- matismus und Revisionismus, entschieden zu bekämpfen«,671 die Konflikte schwelten jedoch weiter, was wiederum die ›extremen Positionen‹ beförderte.

665 Diskussionsbeitrag von Paul Köberl, In: 20. Parteitag der KPÖ, S. 104f. 666 Bericht über die Durchführung der Wahl des Zentralkomitees, der Schiedskommission und der Zen- tralen Kontrolle, In: 20. Parteitag der KPÖ, S. 465. 667 Vgl. Diskussion zur Wahl des Zentralkomitees, Wortmeldung von Franz Marek, In: 20. Parteitag der KPÖ, S. 469. 668 Diskussion zur Wahl des Zentralkomitees, Wortmeldung von Franz Muhri, In: 20. Parteitag der KPÖ, S. 468. 669 Vgl. Diskussion zur Wahl des Zentralkomitees, Wortmeldung von Walter Marek, In: 20. Parteitag der KPÖ, S. 475. 670 Vgl. Mugrauer, Von der Verurteilung, S. 4. 671 Resolution zum Bericht des Zentralkomitees über die politische Lage und die Aufgaben der Partei, In: 20. Parteitag der KPÖ, S. 524. 99 Willi Gaisch griff die vom 20. Parteitag der KPÖ ausgehende Losung vom ›Neu beginnen‹ auf und betonte im Zentralkomitee, »daß es nicht so sehr darauf ankommt, über die Notwendigkeit zu reden, die Einheit der Partei herzustellen« sondern eine politische Praxis zu entwickeln, in der »allen Genossen die Möglichkeit geboten wird, an der Wieder- herstellung der Einheit der Partei mitzuwirken.«672

7.2.4 »Die Führung ist auseinandergebrochen«673 Abermals war es Ernst Fischer, der, obwohl nicht mehr Mitglied des Zentralkomitees, die Situation eskalieren ließ. »Wegen einer Meinung kann man niemanden ausschließen«, war Willi Gaisch überzeugt, »aber wenn einer ständig die Beschlüsse bricht, dann ist er in der falschen Partei.«674 Nur einen Tag nach dem Ende des Parteitages gab Fischer der Zeit im Bild ein Interview, in dem er das Diktum vom ›Panzerkommunismus‹ prägte. Damit hatte er den Bogen überspannt.675 Nicht nur viele, die ihn bislang immer verteidigt hatten – und auch später seinen Ausschluss ablehnen sollten –, distanzierten sich öffentlich von seinem Auftreten, weil es »zu innerparteilichen Kämpfen auf[fordert], die unsere Partei schwä- chen«,676 wie etwa in einer von fast allen Mitgliedern des Polbüros in der Volksstimme ver- öffentlichten Stellungnahme festgehalten wurde. Auch die gemäß dem Statut der Partei677 unabhängig arbeitende Schiedskommission beschloss Anfang Mai, Fischer auszuschließen. Obwohl das Zentralkomitee empfahl, »diesen Beschluss aufzuheben«,678 bestätigte die Schiedskommission ihn im Oktober,679 nachdem Fischer im Juli mit einem Artikel in der liberalen Hamburger Wochenzeitung Die Zeit weiter Öl ins Feuer gegossen und faktisch zur Parteispaltung aufgerufen hatte. Unter dem Titel ›Die Alte und die Neue Linke‹ war er von der Möglichkeit ausgegangen, »daß große Parteien der Alten Linken sich strukturell transfor- mieren, wie etwa die Kommunistische Partei Italiens«, hatte jedoch gleichzeitig von der

672 Wortmeldung Willi Gaisch, In: 2. ZK-Plenum, 26./27. Februar 1969, S. 29. 673 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0152), 29. September 2009. 674 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0152), 29. September 2009. 675 Vgl. Mugrauer, Von der Verurteilung, S. 6. 676 Zit. nach: Theodor Heinisch, Bericht der Schiedskommission, In: 7. ZK-Plenum, 17./28. Oktober 1969, TOP 2, S. 1. 677 Vgl. Statut 1969, §§ 24, 35. 678 Zit. nach: Theodor Heinisch, Bericht der Schiedskommission, S. 3. 679 Vgl. Theodor Heinisch, Bericht der Schiedskommission, S. 8. 100 ›Linken‹ die taktische Flexibilität eingefordert, die »bis zum Versuch, versteinerte Parteien zu sprengen, von ihnen das loszureißen, was noch lebt«,680 gehen sollte. Willi Gaisch bekräftigte in einer schriftlichen Stellungnahme – er war nicht bei der ZK-Sitzung anwesend, die den Ausschluss Fischers behandelte – seine Haltung: Es ist eine Tatsache, daß Ernst Fischer, der sich in der Vergangenheit Verdienste um die Partei erworben hat, in den letzten Jahren sich immer weiter von der Partei ent- fernte und heute Positionen einnimmt, die ihn außerhalb der Partei stellen, besonders durch sein öffentlichen Auftreten gegen die Grundlagen und Beschlüsse der Partei. Wenn jemand wie Ernst Fischer öffentlich aufruft, die Organisation, der er angehört, zu verlassen, wenn er diese Organisation in der Öffentlichkeit herabsetzt und deren Statuten andauernd verletzt, dann muß er damit rechnen, daß er von dieser Organi- sation ausgestoßen wird. […] Trotzdem vertrat ich die Meinung, daß der Ausschluß zum jetzigen Zeitpunkt nicht richtig ist und daß es besser gewesen wäre, wenn die Schiedskommission Ernst Fischer eine Rüge, eine letzte Ermahnung erteilt hätte. Dann wäre die Öffentlichkeit auch besser auf eine eventuelle letzte Maßnahme vorbereitet worden.681 Gegen Fischers Ausschluss hatten sich 27 Mitglieder des Zentralkomitees in einer öffent- lichen Stellungnahme die als ›Erklärung der 27‹ bekannt wurde, gewandt. Gaisch hielt diese Erklärung für »falsch, weil jedes Nachaußentragen der innerparteilichen Diskussion die Klä- rung der Fragen behindert und in Wahrheit undemokratisch ist.«682 Der Streit eskalierte. Von der Parteibasis trafen unzählige Schreiben beim ZK ein, die zur Situation – und dabei weniger gegen den Ausschluss Fischers als gegen die ›Fraktionstätigkeit‹ der ›27‹ – Stellung bezogen. Gegen diese richtete sich auch die Neue Politik, eine Monatszeitschrift, um die sich der Flügel gruppierte, der sich als antirevisionistisch verstand, weil dessen Haltung in den offiziellen Parteimedien – »auf Grund der dort herrschenden Verhältnisse«,683 wie Erwin Scharf in seinen Memoiren festhielt – keinen Niederschlag fand. Zu den 41 UnterzeichnerInnen eines Briefs, der für die Herausgabe der neuen Zeitschrift das Zentralkomitee »um eine einmalige Starthilfe in der Höhe der Druckkosten der ersten Nummer«684 ersuchte, gehörten – Willi Gaisch ausgenommen, der sie ablehnte, weil sie »ebenfalls die Meinung einer Gruppe öffentlich vertritt«685 – das Gros der steirischen ZK-Mitglieder: Maria Greilberger, Paul Köberl, Franz Leitner, Karl Russheim und Franz Voves.686

680 Fischer, Die Alte und die Neue Linke. 681 Schriftliche Stellungnahme von Willi Gaisch, In: 7. ZK-Plenum, 17./28. Oktober 1969, TOP 2, S. 105. 682 Schriftliche Stellungnahme von Willi Gaisch, In: 7. ZK-Plenum, 17./28. Oktober 1969, TOP 2, S. 106. 683 Scharf, Ich hab’s gewagt mit Sinnen…, S. 281. 684 zit. nach: Scharf, Ich hab’s gewagt mit Sinnen…, S. 283. 685 Schriftliche Wortmeldung von Willi Gaisch, In: 7. ZK-Plenum, 17./28. Oktober 1969, TOP 2, S. 106. 686 Vgl. Scharf, Ich hab’s gewagt mit Sinnen…, S. 283. 101 Der endgültige Auslöser für das Auseinanderbrechen der Parteiführung – der Partei- vorsitzende Franz Muhri hatte vergeblich versucht, zu kalmieren – war ein personeller Be- schluss. In jugendpolitischen Fragen war man im ZK zur Ansicht gelangt, dass es notwendig wäre, eine explizit kommunistische Jugendorganisation aufzubauen.687 Als sich der im Politi- schen Büro für Jugendarbeit zuständige Franz Zapf weigerte, diese Orientierung auch umzusetzen, erschien es einer Mehrheit im Zentralkomitee nur logisch, ihn aus seiner Funktion abzuberufen. Die Entscheidung fiel knapp. 37 Mitglieder des ZK stimmten für die Absetzung Zapfs, 34 dagegen, 4 enthielten sich. Aus Protest gegen Zapfs Abwahl traten drei Mitglieder des Politbüros zurück, unter ihnen Egon Kodicek, der nur durch die »Korrek- tur«688 des Wahlergebnisses in seiner Funktion geblieben war, und Franz West, der seine Funktion als Chefredakteur der Volksstimme ebenfalls zur Verfügung stellte. Die Mehrheit der ›27‹ verließ den Saal und bald auch die Partei.689 Ihre Rück- und Austritte waren auch der Anfang vom Ende der so heftig geführten Auseinandersetzungen. Im Jänner 1970 beschloss das Kollegium der Neuen Politik, die Zeitschrift einzustellen,690 und der 21. Parteitag wandte sich in einer Resolution dagegen, »in unserer Partei eine neue Diskussion über die ČSSR zu führen, die unsere Partei lähmen und von den entscheidenden innenpolitischen Aufgaben ab- lenken würde.«691 »Mit den Meisten bin ich trotz des Bruches gut«,692 betonte Willi Gaisch über das private Verhältnis zu vielen, die der KPÖ damals den Rücken kehrten, auch wenn er deren politische Haltung retrospektiv als »rein reformistische Abweichung«693 charakterisierte. Gaisch selbst brach nicht mit der KPÖ, auch wenn er der Meinung blieb, dass die militärische Intervention in der ČSSR ein Fehler war und er die Positionen, die sich in den verhärteten Fronten schließlich durchsetzten als »zum großen Teil sektiererisch«694 beurteilte. Er nahm

687 Die Entwicklung der Freien Österreichische Jugend hatte in den letzten Jahren stagniert, was nicht ausschließlich an objektiven Faktoren gelegen haben konnte, war es doch im Gegensatz zur FÖJ der ebenfalls KPÖ-nahen Vereinigung Demokratischer Studenten (VDS) gelungen, ihren Einfluss auszu- bauen. (Vgl. Resolution zum Bericht des Zentralkomitees über die politische Lage und die Aufgaben der Partei, In: 20. Parteitag der KPÖ, S. 524.) 688 Diskussion zur Wahl des Zentralkomitees, Wortmeldung von Franz Muhri, In: 20. Parteitag der KPÖ, S. 468. 689 Vgl. Mugrauer, Von der Verurteilung, S. 7. 690 Vgl. Scharf, Ich hab’s gewagt mit Sinnen…, S. 292. 691 Die politische Lage Österreichs und die Aufgaben den Partei, In: 21. Parteitag der KPÖ, S. 357. 692 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0152), 29. September 2009. 693 Gaisch, Tonbandinterview (A0070225), 6. Oktober 2009. 694 Gaisch, Tonbandinterview (A0070225), 6. Oktober 2009. 102 mit dieser Einschätzung – wie anfänglich auch Franz Muhri – eine als ›zentristisch‹695 be- zeichnete Position ein.

7.3 ›Normalisierung‹696

7.3.1 ›Zusammenarbeit zwischen den Bruderparteien‹ Von den regierenden Kommunistischen Parteien hatten die Albanische und die Ru- mänische sowie der Bund der Kommunisten Jugoslawiens öffentlich gegen die Intervention in der Tschechoslowakei 1968 Stellung genommen. Albanien war aus Protest sogar aus dem Warschauer Vertrag ausgetreten.697 Die Kluft, die infolge dieser Ereignisse durch die kommu- nistische Weltbewegung ging, sollte auf der Internationalen Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien, die von 5. bis 17. Juni 1969 in Moskau tagte,698 überwunden werden. Willi Gaisch war schon zur Vorbereitung der Beratung von der KPÖ in die Sowjetunion entsandt worden699 und reiste gemeinsam mit Franz Muhri, Erwin Scharf, und Franz West zur Welt- konferenz.700 Die dort beschlossene Resolution war im Vorfeld in den ZKs der teilneh- menden Parteien ausführlich – und in der KPÖ mitunter auch kontroversiell – diskutiert worden. In einer ZK-Sitzung, in der über die Konferenz debattiert worden war, hatte Gaisch über die Orientierung »auf Einigung, auf Verständigung, aber auf prinzipienfeste Diskussion über die Meinungsverschiedenheiten, die es gibt«701 berichtet. Die teilnehmenden Parteien einigten sich schließlich auf ein Kommuniqué, mit dem ein Schlussstrich unter die Debatten über die Gewichtung von Souveränität vs. Solidarität unter den kommunistischen Parteien gezogen werden sollte: Die Teilnehmer der Beratung bekräftigen ihre Übereinstimmung darin, daß die Grundlage für die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Bruderparteien die Prin-

695 Manfred Mugrauer hält die »konstruktive Rolle und differenzierte Position« für »weitaus bedenkens- werter […] als die im Umfeld von Ernst Fischer und Franz Marek entwickelte Konzeption. […] Die- ses innerparteilich als ›Zentrismus‹ etikettierte Herangehen war m.E. kein taktisches Lavieren zwischen den Fronten, sondern eine der Situation angemessene inhaltliche Orientierung.« (Mugrauer, Von der Verurteilung, S. 7.) 696 Der Begriff der ›Normalisierung‹ wurde sowohl im internationalen Kontext im Bezug auf die ČSSR nach der Intervention verwendet, als auch zur Beschreibung der Entwicklung der KPÖ nach der Eskalation der Parteikrise, in der der Flügel, der sich nicht durchgesetzt hatte, die Partei verließ. 697 Vgl. Knoll/Stern, Zeittafel, S. 1230. 698 Vgl. IAB in Daten, S. 595 – 597. 699 Vgl. Staatspolizeiliche Vormerkungen S. 4. 700 Vgl. Scharf, Ich hab’s gewagt mit Sinnen…, S. 316. 701 Wortmeldung Willi Gaisch, In: 3. ZK-Plenum, 12./13. Mai 1969, S. 151. 103 zipien des proletarischen Internationalismus, der Solidarität und gegenseitigen Unter- stützung, der Achtung der Selbstständigkeit und Gleichberechtigung und der Nicht- einmischung in die inneren Angelegenheiten sind. Die strikte Einhaltung dieser Prin- zipien ist eine unerläßliche Bedingung für die Entwicklung der kameradschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Bruderparteien und für die Stärkung der kommu- nistischen Bewegung.702 »Aber was nützt der schönste Verband, wenn die Wunde darunter offen bleibt«, fragte Erwin Scharf in seinen Memoiren, sich auf die ›Verurteilung‹ der Intervention durch das ZK der KPÖ beziehend.703 Nachdem eine Delegation der KPÖ nach Prag gereist war, wurde im Frühjahr 1971 der auf Betreiben Ernst Fischers gefasste Beschluss vom 22. August 1968 – der Stimmung an der Basis entsprechend – revidiert und der Einmarsch als ›bittere Not- wendigkeit‹ charakterisiert.704

7.3.2 »Kampf um die Wiederherstellung der Einheit der Partei«705 Der Riss, der durch die Partei ging, spiegelte sich auch in den befreundeten Organi- sationen der KPÖ wider. Kodicek trat 1971 auch aus der Fraktion der Gewerkschaftlichen Einheit aus und gründete mit Anderen einen Verein, der sich ›Arbeitsgemeinschaft für Ge- werkschaftliche Einheit‹ nannte und im ÖGB von sozialdemokratischer Seite Unterstützung fand, weshalb sich die GE in ›Gewerkschaftlicher Linksblock (Kommunisten, Linke Sozia- listen und Parteilose)‹ umbenannte. Die Gruppierung, die sich abgespalten hatte, blieb weit- gehend einfluss- und bedeutungslos.706 Nach Auseinandersetzungen mit der Mehrheit der Führung in der FÖJ, die sich nicht nur inhaltlich, sondern auch organisatorisch immer weiter von der KPÖ absetzte, gründeten 160 Delegierte aus ganz Österreich am 10. Mai 1970 die Kommunistische Jugend Österreichs.707 In Graz fand die neu gegründete KJÖ die Unter- stützung Willi Gaischs, der bei Versammlungen der FÖJ wiederholt für deren Auflösung und den Übertritt ihrer Mitglieder zur KJÖ auftrat.708

702 Kommuniqué über die Internationale Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien, In: Inter- nationale Beratung, S. 43. 703 Scharf, Ich hab’s gewagt mit Sinnen…, S. 296. 704 Vgl. Mugrauer, Von der Verurteilung, S. 7. 705 Am 21. Parteitag, der das Ende der Parteikrise der KPÖ besiegelte, hielt Willi Gaisch den »bürger- lichen Vorstellungen, [dass] in unserer Partei Kämpfe um Posten und Funktionen« ausgetragen worden wären, entgegen, dass es sich vielmehr um einen »Kampf um die Wiederherstellung der Ein- heit der Partei auf der Grundlage unserer Beschlüsse« handelte. (Diskussion zum Bericht des Zentral- komitees, Wortmeldung von Willi Gaisch, In: 21. Parteitag der KPÖ, S. 206.) 706 Vgl. Streiter, Österreichs Kommunistische Gewerkschafter, S. 164 – 177. 707 Vgl. Walter Heil, Zur Gründung der KJÖ, In: Kommunistische Jugendbewegung in Österreich, S. 127 – 129. 708 Vgl. Staatspolizeiliche Vormerkungen S. 4. 104 In den 70er Jahren gewann die KPÖ, die durch den Austritt tausender Mitglieder709 ihre inneren Konflikte überwunden hatte, wieder an Einfluss. Die theoretische Konzeption des ›staatsmonopolistischen Kapitalismus‹,710 mit der die westeuropäische Gesellschaft im Allgemeinen und die österreichische Gesellschaft im Besonderen analysiert wurde, war nicht nur für viele linke Jugendliche und Studierende, sondern auch für von der Sozialdemokratie enttäuschte ArbeiterInnen attraktiv.711 Positiv wirkte sich auch in die internationale Entwick- lung für die KPÖ aus. Die Niederlage der USA im Vietnamkrieg und die folgende Gründung der Sozialistischen Republik Vietnam 1976 sowie die sandinistische Revolution in Nicaragua 1979 stärkten die Linke im Allgemeinen und die KPÖ im Besonderen.712 Zuvorderst die Nelkenrevolution in Portugal 1974 brachte »einen Aufschwung«, erzählte Gaisch, weil sie in Europa zeigte, »was möglich ist, wenn die Massen dafür sind.« 713

7.3.3 »In schärfster Opposition zur Politik der Regierung Kreisky und zur SPÖ«714 Die innerparteilichen Grabenkämpfe hatten die KPÖ nicht nur in ihrer praktischen Tätigkeit gelähmt, sondern auch ein Zurückbleiben in der theoretischen Auseinandersetzung mit neuen gesellschaftlichen Phänomenen nach sich gezogen. Den so entstandenen Schwä- chen sollten nach dem Ende der Parteikrise durch das Abhalten von Konferenzen und der Publikation der Protokolle in der ›kleinen theoretischen Reihe‹ begegnet werden,715 zumal die

709 Es »wurden auch einzelne Parteiausschlüsse vollzogen, etwa gegen Franz Marek. Insgesamt verringerte sich der Mitgliederstand der Partei um ein Drittel: von 31.415 am 1. Jänner 1968 auf 26.663 zur Zeit des 21. Parteitages im Mai 1970 und 21.680 Ende 1971.« (Mugrauer, Von der Verurteilung, S. 7.) 710 Nach 1945 hat sich der staatsmonopolistische Kapitalismus, auch unter seiner Abkürzung Stamokap bekannt, in Westeuropa voll herausgebildet und ist durch die allseitige Verstrickung aller wirtschaftlichen Be- reiche charakterisiert; »gewaltige Investitionen in Wissenschaft, Forschung, Bildungswesen u.a. Berei- chen sind für die erweiterte Reproduktion des Kapitals erforderlich. Die Erfordernisse übersteigen die materiellen Möglichkeiten selbst der stärksten privaten Monopole […], so daß […] eine den Profit- interessen unterworfene Lenkung, Verteilung und Umverteilung der materiellen Ressourcen im ge- samtwirtschaftlichen Maßstab durchgesetzt wird.« (KlPW, s.v. staatsmonopolistischer Kapitalismus, S. 922.) 711 Vgl. Hautmann, Die KPÖ in den 1960er bis 1990er Jahren, S. 57. 712 Vgl. Hautmann, Die KPÖ in den 1960er bis 1990er Jahren, S. 57. 713 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0152), 29. September 2009. 714 Innenpolitisch war die Politik der KPÖ und das Wirken Willi Gaischs in den 70er Jahren geprägt von der Auseinandersetzung mit der allein regierenden Sozialdemokratie. Besonders in den Gewerkschaf- ten wurde versucht, Anknüpfungspunkte für eine revolutionäre Politik zu finden, weshalb Gaisch gleichsam programmatisch erklärte: »Eine autonome, auf die Durchsetzung der eigenen Interessen orientierte Gewerkschaftsbewegung müßte in schärfster Opposition zur Politik der Regierung Kreisky und zur SPÖ stehen.« (Willi Gaisch, Gewerkschaften und politische Parteien, In: Für eine klassen- orientierte Gewerkschaftspolitik, S. 118.) 715 Vgl. Wimmer, Neue Kampfbedingungen, S. 497 – 498. 105 KPÖ seit den Nationalratswahlen am 1. März 1970 mit einer gänzlich neuen innenpolitischen Situation konfrontiert war. Die SPÖ erlangte unter Bruno Kreisky716 die relative Mehrheit und bildete mit der Duldung der FPÖ unter Friedrich Peter717 eine Minderheitsregierung. Das machte es für die KPÖ notwendig, ihr Verhältnis zur Sozialdemokratie neu zu definie- ren, weshalb für Ende April die erste theoretische Konferenz über ›Die Sozialistische Partei als Regierungspartei‹ einberufen wurde. Das Hauptaugenmerk seiner Wortmeldung am 21. Parteitag der KPÖ im Mai 1970 legte Willi Gaisch auf diese Frage: Die Tatsache, daß die SPÖ die Alleinregierung stellt, nährt zwar unmittelbar die Illu- sionen, leitet aber objektiv einen Prozeß der Konfrontation der Versprechungen mit den Taten der SPÖ-Führung ein, einen Prozeß der Aktivierung des vorhandenen tie- fen potentiellen Gegensatzes in der SPÖ, des allmählichen Zutagetretens des un- versöhnlichen Widerspruchs zwischen der Politik der SPÖ-Führung und den Klas- seninteressen der Arbeiter und Angestellten, der darauf beruht, daß die führenden Leute der SPÖ und des ÖGB in das kapitalistische Herrschaftssystem integriert sind und in allen Fragen, die die kapitalistische Machtstruktur berühren auf dem Stand- punkt der Kapitalisten stehen. […] Für uns entsteht dadurch die Frage, was wir als Partei tun müssen, daß die Wechselwähler, die immer mehr werden, in Zukunft nicht zwischen der SPÖ und der ÖVP hin- und herpendeln, sondern daß sie uns wählen.718 Tatsächlich erhielt die KPÖ Zulauf. »Nicht wenige Menschen sind von der Politik der SPÖ- Regierung enttäuscht, weil diese ihre Wahlversprechen gebrochen hat«,719 konstatierte Gaisch, als er schon im April 1971 in Weg und Ziel über Mitgliederzuwächse in Donawitz, Eisenerz und Mürzzuschlag berichten konnte. Der Wiedereinzug in den steiermärkischen Landtag, in dem die KPÖ seit 1970 nicht mehr vertreten war, gelang jedoch nicht.720 Nach der theoretischen Konferenz, die sich mit der Regierungsbeteiligung der SPÖ beschäftigte, setzte sich die KPÖ im Februar 1971 – ausgehend von der Forderung nach

716 (1911 – 1990) war Sozialist jüdischer Herkunft und leistete schon als Jugendlicher Widerstand gegen den austrofaschistischen Ständestaat, wofür er 1936 zu einer Kerkerstrafe verurteilt wurde. Vor den Nazis flüchtete er mit seiner Familie nach Schweden. Nach der Befreiung war Kreisky Diplomat und von 1959 bis 1966 Außenminister. Als die ÖVP 1967 die eine Alleinregierung bildete, wurde er Vorsitzender der SPÖ und Oppositionsführer im Parlament. 1970 wurde er mit Unterstüt- zung der FPÖ als Bundeskanzler angelobt und erreichte bei den Wahlen 1971, 1975 und 1979 die ab- solute Mehrheit, die er 1983 verlor und deshalb zurücktrat. In die Ära Kreisky fallen zahlreiche sozial- und gesellschaftspolitische Fortschritte. 717 FRIEDRICH PETER (1921 – 2005) trat 1938 der NSDAP bei und meldete sich zur Waffen-SS. Die Ein- heit, in der er als Obersturmführer eingesetzt war, gehörte zu jenen, die systematisch hunderttausende Jüdinnen und Juden hinter der Front ermordeten. Nach dem Krieg stritt Peter nicht nur die Beteili- gung daran ab, sondern selbst das Wissen darüber. Er stieg im VdU und später in der FPÖ auf und wurde schließlich 1970 deren Klubobmann im Nationalrat. Als Parteivorsitzender von 1958 bis 1978 schlug er einen ›liberalen‹ Kurs ein und näherte sich der SPÖ an. 718 Diskussion zum Bericht des Zentralkomitees, Wortmeldung von Willi Gaisch, In: 21. Parteitag der KPÖ, S. 207. 719 Willi Gaisch, Probleme unserer politischen Arbeit. Um die Stärkung der Partei und ihres Einflusses, In: WuZ 4-1971, S. 132. 720 Vgl. http://www.verwaltung.steiermark.at/cms/beitrag/10038395/50647382/, 13. Juli 2011. 106 einer Gesamtschule – mit bildungspolitischen Fragen auseinander, die angesichts der wissen- schaftlich-technischen Umwälzungen jener Jahre rapide an Bedeutung gewannen. Durch das Anknüpfen an Konzepte sozialdemokratischer Reformbestrebungen im Bildungsbereich wurde die Forderung nach einer umfassenden demokratischen Schulreform an die SPÖ- Alleinregierung gerichtet, die sie nun vernachlässigte.721 Willi Gaisch versuchte bei der dritten Konferenz im Mai 1971 ›Für eine klassenorien- tierte Gewerkschaftspolitik‹ politische Erfahrungen in steirischen Betrieben zu verallgemei- nern, die gezeigt hatten, »daß die arbeitenden Menschen scharf auf die Unsicherheit oder den Verlust des Arbeitsplatzes, auf die Senkung der Kaufkraft des Lohnes, auf Anschläge auf die Sozialversicherung reagieren.«722 Zentrales Anliegen war ihm, die Gewerkschaftsbewegung aus der – politischen und ideologischen – Umklammerung der SPÖ-Führung zu lösen, um den spontanen Kämpfen ein politisches Ziel, nämlich die Überwindung des Kapitalismus, zu geben: Sicher kann man einen grundlegenden Umschwung im Denken, in der Psychologie der Massen nicht allein durch ideologische Beeinflussung herbeiführen. Dazu sind auch Veränderungen in den objektiven Lebensbedingungen notwendig. Wenn aber das Bewußtsein der Arbeiter und Angestellten nur durch die Ideologie der Sozial- partnerschaft beeinflusst wird, werden selbst Veränderungen in den Lebensbedingun- gen keinesfalls zur Überwindung der Lethargie und zu gezielten Kampfaktionen füh- ren. […] Wie jegliche menschliche Tätigkeit nie ziel- und richtungslos ist, so muß auch die gewerkschaftliche Aktion mit ideologischen Auseinandersetzungen und mit zielstrebigem politischem Handeln verbunden werden.723 Hierbei ging es vor allem darum, den ArbeiterInnen die Illusionen in die Führung der SPÖ zu nehmen, weshalb sich Gaisch auf der Tagung ›Zum staatsmonopolitischen Kapitalismus in Österreich‹ im Jänner 1972 detailliert mit den »von der SPÖ kommenden Spitzenmanager[n]« auseinandersetze. »In unserer Kapitalismuskritik kommt der Klarstellung der Rolle der staats- monopolistischen Oligarchie große Bedeutung zu«, hielt er fest und forderte, den »vielen Mitgliedern und Anhängern der SPÖ die Erkenntnisse zu vermitteln, daß ihre Klasseninter- essen und die Klasseninteressen der die SP-Politik bestimmenden Managerschicht entgegen- gesetzt sind.«724 Ausgehend von Rationalisierungsmaßnahmen und Lohneinbußen bei Böhler in Kapfenberg und den Grazer Puch-Werken sowie den – mitunter erfolgreichen – Streiks dagegen, insistierte Gaisch bei der Konferenz ›Zur Lage der Arbeiterklasse in Österreich‹ im Jahr darauf wiederum auf die Perspektiven, die die KPÖ den Bewegungen geben müsste:

721 Vgl. Wimmer, Neue Kampfbedingungen, S. 499. 722 Gaisch, Gewerkschaften und politische Parteien, S. 118f. 723 Gaisch, Gewerkschaften und politische Parteien, S. 118f. 724 Willy Gaisch, In: Zum staatsmonopolitischen Kapitalismus in Österreich, S. 124. 107 Da aus der Stellung des Arbeiters im Produktionsprozeß spontan kein politisches Be- wußtsein entsteht, müssen die Kommunisten der Arbeiterklasse die Zusammenhänge von ökonomischen Besitzverhältnissen, Ausbeutung und der Funktion des Staates vermitteln sowie den Willen für systemüberwindende Lösungen erzeugen.725

7.4 Willi Gaisch und der reale Sozialismus726 »Wenn es in Moskau regnet, spannen sie am Höchstädtplatz den Schirm auf«, lautete ein gängiger Witz über die KPÖ in den 70er und 80er Jahren (im ›Globus-Haus‹ am Höch- städtplatz in Wien-Brigittenau befand sich der Sitz des Zentralkomitees der KPÖ). Zweifels- ohne war das Verhältnis der österreichischen KommunistInnen zu den sozialistischen Län- dern ein freundschaftliches und die Berichterstattung über sie eine wohlwollende. Auch Willi Gaisch betonte in diesem Zusammenhang: »Wer am real existierenden Sozialismus alles nur grau in grau sieht, wer nicht sieht, daß der Sozialismus heute schon dem Kapitalismus auf vielen entscheidenden Ab- schnitten weitaus überlegen ist, wird kein Anhänger der Kommunisten werden.«727 Die Solidarität der KPÖ mit ihren ›Bruderparteien‹ war aber deshalb keineswegs eine unkriti- sche. So betonte auch Gaisch, »daß die Entwicklung der sozialistischen Länder und der sozia- listischen Staatengemeinschaft nicht frei von inneren Widersprüchen vor sich geht.«728

7.4.1 »Die Realität sehen«729 Willi Gaisch über die sozialistischen Länder Im Themenbereich ›Sozialistische Länder‹ in der Zeitschrift Weg und Ziel veröffentlich- te Willi Gaisch ab den 70ern immer wieder Artikel und Analysen. Ausgangspunkt dafür war eine Folge von Reportagen mit dem Übertitel ›DDR: Einheit von Demokratie und Sozia-

725 Vgl. Willi Gaisch, In: Zur Lage der Arbeiterklasse in Österreich, S. 88 – 90. 726 Gegen den Begriff des real existierenden Sozialismus wendet Eric Hobsbawm ein, er wäre »ein mehrdeu- tiger Terminus, gab er doch implizit zu verstehen, daß es noch andere und bessere Arten des Sozia- lismus geben könnte, der bestehende jedoch als einziger auch praktisch funktioniere.« (Hobsbawm, Zeitalter der Extreme, S. 466f.) Solchen Einwänden hielt Willi Gaisch entgegen, dass man eben »bei der revolutionären Umgestaltung nicht von utopischen Wunschträumen ausgehen« könnte. (Willi Gaisch, Marxismus und realer Sozialismus, In: Marxismus 100 Jahre nach Marx, S. 66.) 727 Willi Gaisch, Probleme unserer politischen Arbeit. Um die Stärkung der Partei und ihres Einflusses, In: WuZ 4-1971, S. 133. 728 Willi Gaisch, Die Widersprüche im Sozialismus und ihre Überwindung, In: WuZ Nr. 7/8-1973, S. 294. 729 Die positive Grundhaltung Willi Gaischs gegenüber den sozialistischen Ländern verstellte ihm nicht die Sicht auf Fehlentwicklungen, die er in seinen Artikel immer wieder erwähnte: »Die Realität sehen, heißt natürlich auch sehen, daß die wesentlichen Unterschiede zwischen Stadt und Land und zwischen geistiger und körperlicher Arbeit noch bestehen […] Es gibt gibt noch beträchtliche Schwierigkeiten bei der Befriedigung der Wünsche der Bevölkerung«. (Willi Gaisch, Die Arbeiterklasse im Sozialismus, In: WuZ 5-1975, S. 232.) 108 lismus‹ in der Wahrheit im November 1970.730 »Der Zufall wollte, daß die Studiendelegation der KPÖ, der ich angehörte, zur selben Zeit in der DDR war wie der stellvertretende Chef- redakteur der ›Kleinen Zeitung‹, Dr. Kurt Wimmer«,731 schrieb Willi Gaisch im ersten Teil einer Serie. »Auch die ›Kleine Zeitung‹ muß zum Teil objektiv berichten«,732 bemerkte er über die Artikelfolge Wimmers im steirischen Kleinformat, auf die er in seinen Reportagen immer wieder Bezug nahm. Gleichsam als Zusammenfassung der Artikelserie und diese theoretisch verallgemei- nernd erschien unter dem Titel ›Sozialistische Demokratie in der DDR‹ Gaischs erster Artikel in der Rubrik ›Sozialistische Länder‹ in Weg und Ziel. »Auch in der DDR setzt sich das Neue, Bessere nicht durch ohne Widersprüche und Widerstand des Alten«, erklärte er darin, wobei »entscheidend ist, daß die Widersprüche und Konflikte nicht Ausdruck gegensätzlicher Klasseninteressen sind, sondern des Ringens um fortschrittliche Lösungen.«733 In früheren Jahren hatte auch er sich der Idealisierung nicht entziehen können, ab den 70ern wandte er sich in seinen zahlreichen Artikeln jedoch immer wieder gegen die ›revolu- tionäre Ungeduld‹, wenn »die Kraft des Beispiels nicht so stark wirkte«.734 Zentral sei die Überwindung der »ökonomischen Rückständigkeit auf allen Gebieten […], vor allem in bezug auf die Arbeitsproduktivität, den in letzter Instanz ausschlaggebenden Faktor für den Sieg der neuen Ordnung.«735 Deshalb hielt er 1975 in seinem Artikel ›Wissenschaftlicher Fort- schritt und Sozialismus‹ gleichsam programmatisch fest: Beim wissenschaftlich-technischen Fortschritt im Sozialismus geht es nicht schlecht- hin darum, die Technik auf einen höheren Stand zu bringen, sondern die sozialisti- sche Ordnung so zu vervollkommnen, daß sie eine den menschlichen Bedürfnissen

730 Willi Gaischs elfteilige Artikelserie ›DDR: Einheit von Demokratie uns Sozialismus‹ bestand aus: – Der erste sozialistische Staat deutscher Nation, In: Wahrheit, 5. November 1970, S. 2. – Zu neuen geistigen Ufern, In: Wahrheit, 6. November 1970, S. 7. – 150 Jahre alte Forderung der Arbeiter erfüllt, In: Wahrheit, 7. November 1970, S. 11. – Wie gut lebt man in der DDR, In: Wahrheit, 8. November 1970, S. 10. – Das sozialistische Mehrparteiensystem, In: Wahrheit, 10. November 1970, S. 2. – Widersprüche und Konflikte, aber keine Klassengegensätze, In: Wahrheit, 11. November 1970, S. 7. – Die Mauer ist kein Turngerät, In: Wahrheit, 12. November 1970, S. 7.

– Effektive Organe der Mitbestimmung und Mitverantwortung, In: Wahrheit, 13. November 1970, S. 7. – Welche Trümmer wurden weggeräumt?, In: Wahrheit, 14. November 1970, S. 11. – Wo der Arbeiter Herr im Haus ist, In: Wahrheit, 15. November 1970, S. 10. – Und die Weichen sind richtig gestellt, In: Wahrheit, 17. November 1970, S. 4. 731 Willi Gaisch, Der erste sozialistische Staat deutscher Nation, In: Wahrheit, 5. November 1970, S. 2. 732 Gaisch, Der erste sozialistische Staat deutscher Nation, S. 2. 733 Willi Gaisch, Sozialistische Demokratie in der DDR, In: WuZ 1-1971, S. 21. 734 Willi Gaisch, Perspektiven der sozialistischen Länder, In: WuZ 7/8-1974, S. 325. 735 Gaisch, Perspektiven der sozialistischen Länder, S. 326. 109 gerechte Entwicklung der materiell-technischen Produktivkräfte im Gesamtgefüge Produktion–Umwelt ermöglicht.736 Trotz seines prinzipiellen Optimismus gegenüber den tatsächlichen und potentiellen Fort- schritten, versuchte er, keine Schönfärberei – weder in Hinblick auf politische Mängel noch bei gesellschaftlichen Problemen – zu betreiben und hob im selben Jahr in seinem Beitrag ›Die Arbeiterklasse im Sozialismus‹ hervor: Es gibt noch beträchtliche Schwierigkeiten der Wünsche der Bevölkerung nach ge- wissen Waren. […] Nicht übersehen darf man eine eigentümliche Dialektik der Entwicklung. Im Gefolge des materiellen Wohlstands, der für die große Masse der Bevölkerung ein besseres Leben bedeutet, entwickeln einzelne Besitzstreben, Raffgier, Schmarotzertum. Die Verkürzung des Arbeitstages, die zwei freien Tage am Wochenende bedeuten für die Millionenmassen die Möglichkeit der Hebung des kulturellen Niveaus und der gesell- schaftlichen Aktivität. Einzelne benützen diese Freizeit fürs Faulenzen und Trinken, auf dessen Boden das Verbrechen gedeiht.737 Gaisch beschäftigte sich auch in einer eigenen Untersuchung mit der ›Persönlichkeitsentwick- lung im Sozialismus‹. »Ohne sehr hohe Produktionskapazitäten, die großen materiellen Reich- tum schaffen, bleiben alle Vorstellungen von der allseitigen Entfaltung der Persönlichkeit fromme Wünsche«,738 unterstrich er die Bedeutung der materiellen Basis für die Gesellschaft, die sich daran orientieren müsste, »welche Bildungsbedürfnisse sich in den kommenden Jah- ren entwickeln werden, wie Industrie und Landwirtschaft, Bau und Verkehrswesen, Kunst und Architektur, Gesundheits- und Sozialwesen dazu beitragen, die durch qualitativ höhere Bedürfnisse charakterisierte Lebensweise mitzugestalten«.739

7.4.2 »Lobhudelei in Wirklichkeit«740 Willi Gaischs Broschüre ›Der verwirklichte Sozialismus‹ Parallel zur Broschüre ›Marxismus-Leninismus. Grundkurs der KPÖ‹, erschien 1976 die von Willi Gaisch als ›Grundkurs der KPÖ über die Entwicklungsprozesse der sozialisti- schen Länder‹ verfasste Broschüre ›Der verwirklichte Sozialismus. Entstehung – Vorzüge – Probleme – Perspektiven‹. Sie gab einen historischen Abriss über die Oktoberrevolution und die Entstehung und Entwicklung der Sowjetunion,741 zeichnete die verschiedenen Ausprä-

736 Willi Gaisch, Wissenschaftlicher Fortschritt und Sozialismus, In: WuZ 3-1975, S. 136. 737 Gaisch, Die Arbeiterklasse im Sozialismus, S. 232. 738 Willi Gaisch, Persönlichkeitsentwicklung im Sozialismus, In: WuZ 7/8-1976, S. 314. 739 Gaisch, Persönlichkeitsentwicklung im Sozialismus, S. 316. 740 Gaisch, Tonbandinterview (A0070225), 6. Oktober 2009. 741 Vgl. Gaisch, Der verwirklichte Sozialismus, S. 22 – 26. 110 gungen bei der Herausbildung des sozialistischen Lagers nach 1945 nach742 und vermittelte kommunistisches Basiswissen durch eine konzise Einführung in grundlegende weltanschau- liche Prinzipien.743 Anders als in seinen Aufsätzen in Weg und Ziel wurden hier in erster Linie die ›Vorzüge‹ zur Geltung gebracht, die im Untertitel ebenso genannt wurden wie die ›Probleme‹, deren Erwähnung oder gar Analyse jedoch weitgehend unterblieb.744 Als »Lobhudelei«, die in der Schilderung der realen Verhältnisse »zu positiv ausge- fallen«745 war, charakterisierte Gaisch seine Broschüre später, verwies aber darauf, dass sie als ›Grundkurs der KPÖ‹ die Zustimmung der Parteiführung brauchte und deshalb von anderen bearbeitet wurde.746 Er erinnerte sich, auf der Parteischule in Mauerbach jahrelang der einzige Referent zum Thema ›Sozialistische Länder‹ und als solcher »schon kritisch«747 gewesen zu sein. So fand sich eine differenziertere Sicht schon in der Einleitung seines Beitrags im Proto- kollband auf einer theoretischen Konferenz der KPÖ anlässlich des hundertjährigen Todes- tages von Karl Marx. Darin kritisierte er »negative Erscheinungen, die mit den sozialistischen Produktionsverhältnissen unvereinbar sind«748 und verschwieg auch nicht, dass in der Sowjet- union erst »in einigen Jahren eine störungsfreie Versorgung der Bevölkerung«749 möglich sein würde. Dabei verlor er jedoch nicht aus den Augen, dass der sozialistische Aufbau »unter Bedingungen der rauen Wirklichkeit durchgeführt« wurde: Die Lösung vieler Aufgaben, wie Erhöhung des Lebensstandards, der Produktivität, der Wirtschaft usw., war meist von widrigen objektiven Faktoren abhängig, die nicht willkürlich gewählt oder verändert werden können. Nur Weltfremde können glauben, daß der reale Sozialismus in kurzer Zeit im strahlenden Bild allgemeinen Wohlstands und Kultur erglänzt.750

Das neue Parteiprogramm, das den Namen ›Sozialismus in Österreichs Farben‹ trug, wurde auf einem außerordentlichen Parteitag der KPÖ Ende Jänner 1982 einstimmig beschlossen. Bewusst oder unbewusst wurde hier auf den von Georges Marchais751 geprägten Begriff des

742 Vgl. Gaisch, Der verwirklichte Sozialismus, S. 26 – 31. 743 Vgl. Gaisch, Der verwirklichte Sozialismus, S. 59 – 80. 744 Vgl. Gaisch, Der verwirklichte Sozialismus, S. 34 und 35f. 745 Gaisch, Tonbandinterview (A0070225), 6. Oktober 2009. 746 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (A0070225), 6. Oktober 2009. 747 Gaisch, Tonbandinterview (A0070225), 6. Oktober 2009. 748 Vgl. Gaisch, Marxismus und realer Sozialismus, S. 67. 749 Gaisch, Marxismus und realer Sozialismus, S. 67. 750 Gaisch, Marxismus und realer Sozialismus, S. 66. 751 GEORGES MARCHAIS (1920 – 1997) war Gewerkschafter und von 1972 bis 1994 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs, die unter seiner Führung eine eurokommunistische Ausrichtung erhielt und sich der Sozialistischen Partei annäherte, mit der sie zeitweise in einer Regierung war. 111 ›Sozialismus in französischen Farben‹752 zurückgegriffen, obwohl die KPÖ dem sogenannten ›Eurokommunismus‹ immer kritisch bis ablehnend gegenüberstand.753 Zwar wird im ersten Kapitel des Programms über die »Epoche, in der wir leben«754 auf die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder als »die wichtigste Errungenschaft der internationalen Arbei- terbewegung«755 rekurriert und festgehalten, dass aufgrund »der Kraft des Sozialismus […] erstmals die Verhinderung eines Weltkrieges möglich geworden«756 ist; abgesehen von grund- sätzlichen Erwägungen unterblieb jedoch eine (positive) Bezugnahme auf die damals aktu- ellen Entwicklungen in den sozialistischen Ländern.

7.3.3 ›Perestroika‹ und ›Glasnost‹757 Als Willi Gaisch 1979 Obmann der steirischen Landesorganisation der KPÖ wurde,758 befand sich die Partei – trotz des Einflusses, den sie etwa in der Friedensbewegung hatte oder der Rolle, die sie bei Arbeitskämpfen einnahm – in einer Periode der politischen Stagnation, die mittelbar auch mit jener der Sowjetunion zusammenhing. Nicht zuletzt durch das Verschlingen enormer Ressourcen im Wettrüsten, das ihr von den USA und der NATO aufgezwungen wurde,759 verfestigte sich in den 80er Jahren der ökonomische Stillstand in der UdSSR, dessen Überwindung von enormer Bedeutung für alle sozialistischen Länder war.760 »Die gesamte Volkswirtschaft unter strengste ökonomische Kriterien zu stellen, ist ein ak- tuelles Hauptproblem«,761 schrieb Willi Gaisch angesichts erster Versuche zur Überwindung

752 Vgl. Grußworte von Jacques Denis (FKP), In: 27. Parteitag der KPÖ, S. 193. 753 »Es ist offensichtlich«, schrieb etwa der Parteivorsitzende Franz Muhri in einer Broschüre, in der Posi- tionen der KPÖ zum ›Eurokommunismus‹ dargelegt wurden, »daß mit der Kampagne unter dem Schlagwort ›Eurokommunismus‹ unter anderem auch das Ziel verfolgt wird, Uneinigkeit zwischen den kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder hervorzurufen, diese gegen die Bruderparteien in den sozialistischen Ländern, insbesondere die KPdSU, auszuspielen. Diesen Absichten tritt unsere Partei entschieden entgegen.« (Franz Muhri, Zur Diskussion über den »Eurokommunismus«, In: Muh- ri/Scharf/Wimmer, Eurokommunismus, S. 5.) 754 Sozialismus in Österreichs Farben, S. 5 – 13. 755 Sozialismus in Österreichs Farben, S. 6. 756 Sozialismus in Österreichs Farben, S. 7. 757 Die Schlagwörter, mit denen Michail Gorbatschow sein politisches Programm umschrieb, fanden in ihren russischen Varianten Eingang in unseren Sprachgebrauch. ›Perestroika‹, russisch: ›перестройка‹, heißt ›Umbau‹ und meinte vor allem Reformen in Richtung ›Marktwirtschaft‹. ›Glasnost‹, russisch: ›гласность‹, bedeutet ›Offenheit‹ und war die Losung, unter der Demokratisierungsmaßnahmen und Konzepte zur Ausweitung der Selbstverwaltung zusammengefasst wurden. 758 Vgl. Willi Gaisch 60 Jahre, In: Volksstimme, 3. Juli 1982; Schnittarchiv ZPA. 759 Vgl. Hautmann, Die KPÖ in den 1960er bis 1990er Jahren, S. 57. 760 Vgl. Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, S. 583 – 588. 761 Willy Gaisch, Aktuelle Probleme der sozialistischen Länder, In: WuZ 9-1983, S. 322. 112 der strukturellen wirtschaftlichen Probleme unter Juri Andropow,762 die ihren Ausdruck in den zurückgehenden Wachstumsraten der sowjetischen Ökonomie seit den 70er Jahren fanden.763 In zwei ›Eine stürmische Phase sozialistischer Entwicklung‹ betitelten Artikeln in Weg und Ziel begrüßte Gaisch – im Einklang mit der Mehrheit der Parteiführung der KPÖ – die schließlich von Michail Gorbatschow764 eingeleitete Politik,765 von der er glaubte, sie würde »besorgniserregende Erscheinungen der Stagnation und Deformation in der Volkswirtschaft« sowie »negative Entwicklungen in der sozialen und geistigen Sphäre und im politischen Sys- tem«766 überwinden. Ausgangspunkt dafür war der XXVII. Parteitag der KPdSU, der auf den Tag genau 30 Jahre nach dem XX. abgehalten wurde, wobei davon ausgegangen werden kann, dass diese Symbolik beabsichtigt war.767 Die neue Parteiführung um Gorbatschow schien nunmehr den Sozialismus an seinen seit Chruschtschow (zu) hoch gesteckten Ansprü- chen zu messen und suggerierte deren Realisierung durch den neu eingeschlagenen Kurs.768 Daran knüpften sich die Erwartungen vieler KommunistInnen auch in den kapitalistischen Ländern, die den realen Sozialismus nicht nur an seinen Zielen, sondern auch an seiner Strahlkraft maßen, was Willi Gaisch so formulierte: Letztendlich kann der Sozialismus diesen Wettbewerb nur bestehen und darin siegen, wenn er ein höheres Niveau der Arbeitsproduktivität erreicht. […] Derzeit ist der reale Sozialismus, wie er in der Sowjetunion existiert, nicht in der Lage, alle Vorzüge

762 JURI WLADIMIROWITSCH ANDROPOW (1914 – 1984) war zwischen 1967 und 1982 Leiter des sow- jetischen Geheimdienstes KGB und folgte 1982 Breschnew als Generalsekretär der KPdSU. Er verstarb 1984 nach nur 13 Monaten im Amt. 763 Vgl. Wimmer, Die Rezeption der Ideologie der Perestroika durch die KPÖ, S. 34. 764 MICHAIL SERGEJEWITSCH GORBATSCHOW (*1931) studierte, aus bäuerlichen Verhältnisse kommend, Jus und war seit 1952 in der KPdSU tätig zbd stieg Ende der 60er Jahre rasch auf und wurde schließlich 1985 Generalsekretär. Die von ihm 1986 eingeleitete Politik führte zum Zerfall des sozia- listischen Lagers, weshalb er retrospektiv von vielen als ›Totengräber des Sozialismus‹ gesehen wird. Er begreift sich selbst heute als Sozialdemokrat. 765 Zur Analyse der Etappen der Politik Gorbatschows verwendet Kurt Gossweiler die Metapher der Zwiebelschalen, die mit der sukzessiven Festigung von dessen Einfluss an der Spitze der KPdSU fallen. Als erste Schale beschreibt er Gorbatschows Rekurrieren auf Marx und Lenin, um seine Posi- tion zu festigen, als zweite dessen Vorstöße zur Etablierung ökonomischer Strukturen, die in letzter Instanz in die Restauration des Kapitalismus münden mussten, als dritte sein außenpolitisches Zurück- weichen vor dem Imperialismus, den er für friedens- und partnerschaftsfähig hielt, viertens die Beseiti- gung des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln, wofür er den Hebel bei der Land- wirtschaft ansetzte, fünftens die Ankündigung der Preisgabe der europäischen sozialistischen Länder unter dem Deckmantel eines ›gemeinsamen Europäischen Hauses‹ usw. (Vgl. Kurt Gossweiler, Die vielen Schalen der Zwiebel Gorbatschow, In: ders. Wider den Revisionismus, S. 257 – 285.) 766 Willi Gaisch, Eine stürmische Phase sozialistischer Entwicklung (1), In: WuZ 10-1987, S. 348. 767 Vgl. Gossweiler, Die vielen Schalen der Zwiebel Gorbatschow, S. 260. 768 Vgl. Wimmer, Die Rezeption der Ideologie der Perestroika durch die KPÖ, S. 36. 113 des Sozialismus und damit seine Beispielwirkung und Anziehungskraft zur Geltung bringen.769 Wie groß nicht nur Gaischs Hoffnung, sondern auch sein Vertrauen in den Umbau der Sowjetunion war, zeigt, dass er bei dessen Umsetzung ausschließlich von »Formen und Methoden, die dem Charakter des sozialistischen Eigentums und der Priorität der gesell- schaftlichen Interessen entsprechen«770 ausging. Skepsis hinsichtlich der Implementierung von Marktmechanismen wies er implizit als »dogmatische Voreingenommenheit« zurück und erklärte: »Unvereinbar sind nur Sozialismus und ›freie‹ Marktwirtschaft. Unvereinbar sind allerdings auch bürokratische Planwirtschaft und sozialistischer Markt.«771 Das Abrücken von der Plan- und das Übergehen zur Markwirtschaft zeitigte jedoch nicht nur nicht die erhoffte Überwindung der Stagnation, sondern verschärfte die Krise der Sowjetunion weiter, bis es ab 1988 sogar zu einem Rückgang der Produktion kam. Diese Ent- wicklung wurde wiederum dazu benutzt, um ein Programm der Entstaatlichung und Privati- sierung ideologisch vorzubereiten.772 Dass das Ziel von ›Perestroika‹ und ›Glasnost‹ die Desintegration des sozialistischen Lagers war, bekannte Gorbatschow selbst post festum in einem Interview mit dem deutschen Magazin Der Spiegel im Jänner 1993: Wenn Sie meine Aussagen nehmen, dann wird ihnen klar, daß meine politischen Sym- pathien der Sozialdemokratie gehören und der Idee von einem Sozialstaat nach der Art der Bundesrepublik Deutschland.773 Trotz aufkommender Zweifel erkannte Gaisch, der seit dem 26. Parteitag 1987 dem politi- schen Büro angehörte,774 den »Verrat« lange nicht, bis er »am Ende dann sichtbar«775 wurde, wie er retrospektiv eingestand.

769 Gaisch, Eine stürmische Phase sozialistischer Entwicklung (1), S. 349. 770 Gaisch, Eine stürmische Phase sozialistischer Entwicklung (1), S. 349. 771 Gaisch, Eine stürmische Phase sozialistischer Entwicklung (1), S. 350. 772 Vgl. Wimmer, Die Rezeption der Ideologie der Perestroika durch die KPÖ, S. 39f. 773 Der Spiegel, 18 Jänner 1993, zit. nach: Gossweiler, Die Vielen Schalen der Zwiebel Gorbatschow, S. 285. 774 Vgl.: Neu im Politischen Büro: Willi Gaisch, In: Volksstimme, 11. April 1987; Schnittarchiv ZPA. 775 Gaisch, Tonbandinterview (A0070225), 6. Oktober 2009. 114 9. 1989: Das ›Ende der Geschichte‹?776 Zweifelsohne war der Zerfall der sozialistischen Staatengemeinschaft 1989 der schwerste Schicksalsschlag für die kommunistische Weltbewegung, von dem sie sich bislang nicht erholen konnte. Die Länder, die weiterhin am sozialistischen Entwicklungsweg festhal- ten, sind – als Regel bestätigende Ausnahme sei hier Kuba erwähnt – kaum noch Bezugs- punkt für die Linke, zumal gerade die Politik Chinas unterschiedlich bewertet wird; das Spektrum reicht hier von kritisch-solidarisch bis zur Ablehnung des chinesischen Weges als kapitalistische Restauration.777 Das viel zitierte ›Ende der Geschichte‹ ist jedoch nicht eingetreten. Die Folgen des erlittenen Rückschlags charakterisierte Willi Gaisch in der Präambel des 2001 beschlossenen Landesprogramms der steirischen KPÖ so: Eine rigorose soziale Demontage, Ausgrenzung und Vertiefung der sozialen Spaltung der Gesellschaft, von Menschen hervorgerufene Umweltkatastrophen, welche die Existenz und Lebensgrundlagen von Millionen Menschen gefährden, sowie die Dra- matik der Entwicklung zum ungezügelten und kriegerischen Kapitalismus droht den Menschheitstraum von Freiheit und Gleichheit von Solidarität und Sozialismus für immer auszulöschen.778

Bezugspunkt für die Linke wurde die Entwicklung in Lateinamerika, in der sich unter dem Schlagwort des ›Sozialismus des 21. Jahrhunderts‹, alternative Perspektiven auftaten. Zuversichtlich zollte Gaisch diesem Prozess im Entwurf für die Überarbeitung des Landes- programms der KPÖ Steiermark Respekt: Es gelang im Hinterhof der stärksten imperialistischen Macht, explizit gegen den Neoliberalismus gerichtete Bewegungen zu stabilisieren und revolutionäre Prozesse in Gang zu setzen. Nach dem sozialistischen Kuba beschreiten auch andere Staaten pro- gressive, antiimperialistische und antimonopolistische Entwicklungswege. Das 21. Jahrhundert wird zum Jahrhundert eines neuen Aufschwungs der revolutionären Bewegung und einer neuen Serie von sozialen Revolutionen in der Welt.779 In Europa gibt es lediglich punktuelle Erfolge kommunistischer Parteien, etwa jene Griechen- lands oder Portugals, die wieder Masseneinfluss erlangen konnten. Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund der Aufstieg der steirischen KPÖ, die um die Jahrtausendwende histo- rische Wahlergebnisse erreichte.

776 ›Das Ende der Geschichte‹ lautete der Titel eines Buchs des US-amerikanischen Politologen Francis Fukuyama, das angesichts des Zusammenbruchs der Sowjetunion Anlass von politologischen Kontro- versen wurde und als geflügeltes Wort weitere Verbreitung fand. 777 Ein übersichtliches Bild über die verschiedenen Zugänge zur ›China-Frage‹ bietet etwa die Ausgabe 4-08 der Marxistischen Blätter, der Theorie-Zeitschrift der DKP. 778 Landesprogramm, Oktober 2001, S. 3. 779 Diskussionsentwurf Landesprogramm 2011, S. 54. 115 9.1 »Teils richtige, teils verfehlte, teils vereitelte Politik.«780 Willi Gaisch und das Ende des Sozialismus

9.1.1 Historischer Abriss Im Frühling und Sommer 1989 schlug die Zersetzung der sozialistischen Staaten- gemeinschaft in deren Zerfall um,781 dem die von der Sowjetunion im Stich gelassenen Staats- und Parteiführungen nichts mehr entgegensetzen konnten. Mit dem Placet Gorbatschows be- gannen in Polen im Februar 1989 Verhandlungen zwischen der Regierung und der anti- kommunistischen Solidarność-Bewegung, die schließlich auch zu den Wahlen zugelassen wurde und ab August den Ministerpräsidenten stellte. Im Juni wurde der Stacheldraht an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn – mediengerecht aufbereitet – vom österreichischen Außenminister Alois Mock782 und dessen ungarischen Amtskollegen durchtrennt. Unter der Schirmherrschaft von Otto Habsburg,783 dem Sohn des letzten österreichischen Kaisers, wurde am 19. August 1989 in der Nähe von Sopron ein sogenanntes ›paneuropäisches Pick- nick‹ inszeniert, in dessen Zuge mehrere hundert DDR-BürgerInnen die Grenze nach Öster- reich überschritten, was Auslöser einer, schließlich von der neuen DDR-Führung nach Erich Honecker784 gebilligten, Ausreisewelle wurde, die im Fall der Berliner Mauer am 9. November gipfelte. Schon am Tag darauf war in Bulgarien Todor Schiwkow785 gezwungen zurück-

780 Die wohl tiefste Zäsur für die kommunistische Weltbewegung machte eine Analyse der Ursachen un- umgänglich. Gaisch schrieb darüber im 2001 beschlossenen Landesprogramm der steirischen KPÖ: »Wer den Sozialismus will, muss die Geschichte des Realsozialismus bilanzieren, muss sich der histo- rischen Wahrheit stellen, mit allen Plus und Minus. […] Die Politik des Realsozialismus war teils rich- tige, teils vereitelte Politik.« (Landesprogramm 2001, S. 13) 781 Wenn nicht anders gekennzeichnet vgl. für diesen Überblick: Kinder/Hilgemann, dtv-Atlas Weltge- schichte, S. 559f.; Pirker, Jelzins perfekter Staatsstreich; sowie Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, S. 600 – 613. 782 ALOIS MOCK (*1934) war von 1979 bis 1989 Obmann der ÖVP, von 1987 bis 1995 österreichischer Außenminister sowie zwischen 1987 und 1989 Vizekanzler in der großen Koalition. Er gilt als wesent- licher Wegbereiter des EU-Beitritts Österreichs. Durch sein Drängen auf eine rasche internationale Anerkennung von Slowenien und Kroatien trug er auch zum kriegerischen Zerfall Jugoslawiens bei. 783 OTTO HABSBURG (1911 – 2011) war der letzte Kronprinz der Donaumonarchie und wurde nach der Revolution von 1918 dem Habsburgergesetz gemäß des Landes verwiesen. 1938 arbeitete er auf eine Restauration der Monarchie in Österreich hin. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs prägte der Antikommunismus sein politisches Wirken. Der nach heftigen innenpolitischen Debatten um seine Erklärung über den Verzicht auf den Thron 1966 nach Österreich Zurückgekehrte wurde 1973 Präsi- dent der Paneuropa-Union. 1979 wurde er Mitglied des Europäischen Parlaments für die deutsche CSU. 784 ERICH HONECKER (1912 – 1994) war seit 1930 Mitglied der KPD, ab 1933 im Widerstand gegen die Nazis aktiv und wurde deshalb zu einer Zuchthausstrafe in Berlin Moabit verurteilt. Nach der Befrei- ung gehörte er zu den Gründern der Freien Deutschen Jugend. 1971 wurde er Walter Ulbrichts Nachfolger an der Spitze der SED und der DDR. 785 TODOR SCHIWKOW (1911 – 1998) war seit den frühen 1930ern im kommunistischen Jugendverband Bulgariens und später im antifaschistischen Widerstand aktiv. 1954 wurde er Generalsekretär der BKP 116 zutreten, und im Dezember legten sowohl der Minister- als auch der Staatspräsident der ČSSR ihre Ämter nieder; die Tschechoslowakei zerfiel schließlich am 31. Dezember 1992. Am Christtag 1989 wurde der drei Tage zuvor nach blutigen Unruhen gestürzte rumänische Staats- und Parteichef Nicolae Ceauşescu786 mit seiner Frau standrechtlich erschossen. Zur zentrifugalen Hauptkraft in der Sowjetunion selbst wurde der Nationalismus, der sich – begünstigt durch ›Glasnost‹ – v.a. in den baltischen Unionsrepubliken, die sich in der Folge als Sollbruchstellen der UdSSR erwiesen, breitgemacht hatte. Am 11. März 1990 erklärte Litauen als erste Sowjetrepublik ihre Abspaltung von der Union. Die Beschlüsse über die Auflösung des Warschauer Vertrages am 1. Juli 1991 und am 5. September sogar der Sowjetunion waren in der Dynamik, mit der die Kettenreaktion von- statten ging, nur mehr Formsache. Kurz zuvor war ein von sowjetischen Militärs, die an der alten Ordnung festhielten, getragener Putschversuch gegen Gorbatschow kläglich gescheitert. Bis zuletzt unterschätzte Willi Gaisch sowohl die Kräfte als auch die Dynamik, die auf die Desintegration des Sozialismus hinwirkten. Noch einen Monat vor dem Fall der Berliner Mauer hatte er anlässlich des 40. Gründungsjubiläums der DDR eine KPÖ-Delegation nach Magdeburg geleitet. In einem Interview mit der Volksstimme sprach er vom Unmut der Bevöl- kerung über »die rigorosen Reisebeschränkungen« und »den Hang der Führung, die Mei- nungsbildung zu gängeln«.787 Den Eindruck, dass der Anfang vom Ende der DDR begonnen hatte, gewann Gaisch nicht: Nahezu alle Menschen, mit denen wir sprachen – ihre Stimmung war nicht gerade überschäumend –, kritisierten einerseits konkrete Mißstände und drängen auf Verän- derungen. Sie fordern mehr individuelle Freiheiten. Andererseits betonen sie, was sich nicht ändern soll: die soziale Sicherheit mit dem Recht auf Arbeit, auf Bildung, auf menschenwürdige Wohnung. Sie wollen zwar auch vieles, was es in der BRD gibt, aber keine Anpassung an die BRD in Bezug auf das Niveau ihrer Mieten und Ver- kehrstarife, in Bezug auf die Versorgung mit Kindergartenplätzen usw. Die meisten stehen zu ihrem Staat.788

und blieb es bis 1989, womit er zunächst nicht nur jüngster, sondern schließlich auch längstdienender Generalsekretär einer regierenden Partei in einem sozialistischen Land war. 786 NICOLAE CEAUŞESCU (1918 – 1989) war ab 1965 Generalsekretär die Rumänischen Kommunistischen Partei und ab 1967 Staatspräsident Rumäniens. Seine Distanzierung von der Sowjetunion machten ihn in der westlichen Politik populär und führten auch zur Aufnahme Rumäniens in den Internationalen Währungsfonds. Durch den Abbau der so angehäuften Staatsschulden war Rumänien 1989 zwar schuldenfrei, stand aber wirtschaftlich und sozial am Abgrund. 787 Bürger verlangen von Partei Offenheit!, In: Volksstimme, 15. Oktober 1989; Schnittarchiv ZPA. 788 Bürger verlangen von Partei Offenheit!, In: Volksstimme, 15. Oktober 1989; Schnittarchiv ZPA. 117 9.1.2 »Unser unrealistisches Sozialismusbild mitgeprägt«.789 Das Ende des Sozialismus und die Identitätskrise der KPÖ Als am 19. Jänner 1990 der 27. Parteitag der KPÖ zusammentrat, stand er im Zeichen der noch andauernden Niederlage des Sozialismus in Europa. »Insbesondere die Ereignisse, die Krisen, die Deformationen, ja Verbrechen in den sozialistischen Ländern«, betonte der scheidende Parteivorsitzende Franz Muhri unter dem Eindruck der blutigen Ereignisse in Rumänien in seiner Eröffnungsrede, »haben bei uns tiefe Betroffenheit und Erschütterung ausgelöst.«790 Mit Selbstkritik leitete Willi Gaisch seine Wortmeldung auf diesem Parteitag ein: Genossinnen und Genossen außerhalb der Steiermark beurteilen meine Parteiarbeit hauptsächlich nach Vorträgen und Artikeln über sozialistische Länder in Grund- schulungen und Seminaren, wo ich – was stimmt – unser unrealistisches Sozialismus- bild mitgeprägt habe.791 Er hielt es für notwendig, »gegenüber dem dogmatischen Sozialismus einen scharfen Tren- nungsstrich zu ziehen«,792 ein Abgehen von kommunistischen Prinzipien und eine Umgestal- tung der kommunistischen Partei zu einem sozialdemokratisierten Linksprojekt kam für ihn jedoch nicht infrage: Niemand der einen Bruch mit dem Überlebten vollzieht und an der revolutionären Erneuerung unserer Sozialismuskonzeption mitarbeitet, ist ein Wendehals, sondern zeigt Charakterstärke. Wendehälse sind jene, die ihren sozialistischen Überzeugungen den Rücken kehren und plötzlich behaupten, der Sozialismus sei keine geschichtlich notwendige Alternative zum Kapitalismus mehr. Für uns muß außer Frage stehen, daß eine erneuerte KPÖ eine revolutionäre Partei bleibt.793 Gaisch erinnerte sich daran, dass niemand auf diesem Parteitag gegen ihn aufgetreten war.794 Dennoch strichen ihn mehr als ein Drittel der Delegierten am Stimmzettel für die Wahl des Zentralkomitees.795 Die Nachfolge von Franz Muhri an der Spitze der sich in einer schweren Identitäts- krise befindenden KPÖ traten Walter Silbermayr und Susanne Sohn an, deren Konzeption für viele einer Liquidation gleichkamen. So stand unter anderem im Raum, nicht nur auf eigenständige Kandidaturen zu verzichten, sondern sogar den Namen der Partei zu ändern. Die Stimmengleichheit bei Abstimmung darüber auf der Oktobersitzung des Zentralkomitees

789 Selbstkritisch gestand Willi Gaisch auf dem unter dem Eindruck des sich auflösenden Realsozialismus stattfindenden 27. Parteitages ein, »unser unrealistisches Sozialismusbild mitgeprägt« zu haben. (Wortmeldung von Willi Gaisch, In: Der 27. Parteitag der KPÖ, S. 147.) 790 Franz Muhri, Eröffnung des Parteitages, In: Der 27. Parteitag der KPÖ, S. 10. 791 Wortmeldung von Willi Gaisch, In: Der 27. Parteitag der KPÖ, S. 147. 792 Wortmeldung von Willi Gaisch, In: Der 27. Parteitag der KPÖ, S. 147. 793 Wortmeldung von Willi Gaisch, In: Der 27. Parteitag der KPÖ, S. 148. 794 Vgl. Gaisch, Tonbandinterview (A0090304), 13. Oktober 2009. 795 Vgl. Wahl des Zentralkomitees und der Kommissionen, In: Der 27. Parteitag der KPÖ, S. 263. 118 bedeutete dem Statut gemäß die Ablehnung des Antrags.796 Silbermayr und Sohn traten daraufhin im März 1991 als Vorsitzende zurück und aus der Partei aus, nachdem sie sich in den Auseinandersetzungen im ZK, deren Kern die Entscheidung Erneuerung oder Auflösung der KPÖ waren, nicht durchsetzen konnten.797 Zwei Wochen zuvor waren die letzten Ausgaben der Tageszeitungen der KPÖ – das Zentralorgan Volksstimme ebenso wie seine steirische Mutation, die Wahrheit – erschienen; ab April 1991 wurde von der KPÖ eine wöchentlich erscheinende linke Zeitschrift mit dem Namen Salto finanziert,798 die jedoch weder Breitenwirkung entfalten konnte, noch Rückhalt in der Parteimitgliedschaft hatte – sie wurde als ›Salto Mortale‹ geschmäht799 – und deshalb nach weniger als zwei Jahren des Erscheinens wieder eingestellt werden sollte.800

9.1.3 »Die Chance, daß aus unserer Partei wieder was wird«801 Der Grazer Parteitag 1991 und die ›Neuorientierung‹ der KPÖ Der 28. Parteitag trat am 14. Juni 1991 im Saal der Grazer Arbeiterkammer zusammen und war somit der erste nach 1945, der »außerhalb der Bundeshauptstadt«802 stattfand, wie Ernest Kaltenegger803 in der Eröffnungsrede hervorhob. Hier sollte der Grundstein für die Erneuerung gelegt und die organisatorische Föderalisierung eingeleitet werden. Mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundesvorstands, wie das ZK nun genannt wurde, wurde nicht mehr vom Parteitag gewählt, sondern von den Landesorganisationen delegiert.804 Anders als früher wurde vom Zentralkomitee kein Vorsitzender gewählt, sondern vom Parteitag selbst

796 Vgl. Wimmer, Die Rezeption der Ideologie der Perestroika durch die KPÖ, S. 260. 797 Vgl. Wimmer, Die Rezeption der Ideologie der Perestroika durch die KPÖ, S. 262. 798 Vgl. http://www.klahrgesellschaft.at/Chronik.html, 3. Juni 2011. 799 Vgl. Andreas Wimmer, Partei und Medienpolitik, In: Neue Volksstimme, April 1993, S. 8. 800 Vgl. Diskussion zum Finanzbericht. Wortmeldung von Otto Bruckner, In: Der 29. Parteitag der KPÖ, S. 134f. 801 In seiner Eröffnungsansprache an den 28. Parteitag, der von 14. bis 16. Juni 1991 im Saal der Grazer Arbeiterkammer tagte, rief Ernest Kaltenegger die TeilnehmerInnen dazu auf, »alle uns bewegenden Fragen offen und kameradschaftlich zu diskutieren. Hören wir einander zu, grenzen wir nicht aus und geben wir uns gemeinsam die Chance, daß aus unserer Partei wieder etwas wird.« (Ernst Kaltenegger, Eröffnung, In: Der 28. Parteitag der KPÖ, S. 12.) 802 Ernst Kaltenegger, Eröffnung, In: Der 28. Parteitag der KPÖ, S. 11. 803 ERNEST KALTENEGGER (*1949) kam 1972 von der Sozialdemokratie enttäuscht aus der Sozialisti- schen Jugend zur KPÖ und zur neu gegründeten Kommunistischen Jugend. Als Funktionär der Partei war er in verschiedensten Positionen und Gremien tätig und übernahm 1981 das einzige Grazer KPÖ- Gemeinderatsmandat von Franz Voves sen. Untrennbar mit seinem Namen verbunden ist der Auf- stieg der kommunistischen Bewegung in Graz, wo er mit konsequenter Interessenspolitik für Mie- terInnen großes Ansehen erwarb. Von 1998 bis 2005 war er Wohnungsstadtrat in Graz und danach bis 2010 Klubobmann der KPÖ im steiermärkischen Landtag. 804 Vgl. Wahlergebnisse, In: Der 28. Parteitag der KPÖ, S. 293f. 119 drei SprecherInnen (Otto Bruckner,805 Margitta Kaltenegger und Julius Mende) sowie ein Sekretär des Bundesvorstands (Walter Baier806). Willi Gaisch kandidierte nicht mehr für den Bundesvorstand und wurde im November auch in der Funktion des Landesobmanns der KPÖ Steiermark von Franz Stephan Parteder807 abgelöst.808 Nach dem Parteitag, als »die Differenzen aufgekommen« waren, nahm Otto Bruckner im Bundesvorstand »eine gute Haltung«809 ein, hob Gaisch hervor. Mit den Rück- und Austritten von Silbermayr, Sohn und weiteren 18 Mitgliedern des Zentralkomitees war die Frage nach dem Fortbestand der KPÖ als selbstständige Partei jedoch nicht geklärt, sondern lediglich aufgeschoben. Die beschlossene politische Erklärung war bewusst sehr weit gefasst und stellte den Versuch einer einigenden Klammer dar, die manche Prinzipien außer Streit stellte, vieles aber offen ließ, was auch in ihrer Vorbemerkung festgehalten wurde: Sie widerspiegelt, daß es in unserer Partei sowohl Unklarheiten über den künftigen Weg als auch Widersprüche und Konflikte gibt. […] Was wir versuchen ist, […] zu zeigen, daß Sozialdemokratisierung, Auflösung oder Sektendasein, die sich als reale Entwicklungsmöglichkeiten herausgestellt haben, für die KPÖ keine Orientierung dar- stellen.810 Mit dem Verweis auf eine noch zu erstellende programmatische Erklärung wurde die für viele essentielle Frage der Beibehaltung des Namens der KPÖ aufgeschoben.811

805 OTTO BRUCKNER (*1962) erlernte das Tischlerhandwerk und war Aktivist der Kommunistischen Jugend (KJÖ), deren Vorsitzender er schließlich wurde, ab 1980 Mitglied der Kommunistischen Partei und von 1985 bis 1991 des ZK. Zwischen 1991 und 1993 war er einer von drei BundessprecherInnen der KPÖ und wurde 2004 Sprecher der Kommunistischen Initiative zur Erneuerung der KPÖ. 2005 trat er nach einem Höhepunkt von innerparteilichen Auseinandersetzungen aus der KPÖ und gehörte zu den MitbegründerInnen der Kommunistischen Initiative als eigenständige Organisation. Seit 2009 ist er Wiener Arbeiterkammer-Rat für die Liste Kommunistische Gewerkschaftsinitiative International (KOMintern). 806 WALTER BAIER (*1954) wurde 1977 Vorsitzender des KSV und war seitdem Mitglied des ZK der KPÖ. 1982 wurde er Parteifunktionär und gehörte ab 1987 dem Politbüro an. 1991 wurde er Bundes- sekretär der KPÖ und war zwischen 1994 und 2006 deren Vorsitzender. 807 FRANZ STEPHAN PARTEDER (*1947) war Vorsitzender des VSStÖ in Graz als er 1973 der KPÖ bei- trat und gründete ein Jahr später den Kommunistischen Studentenverband in Graz. Zwischen 1980 und 2000 gehörte er dem ZK bzw. dem Bundesvorstand und von 1991 bis 2000 dem Bundes- ausschuss, wie das politische Büro seit 1991 hieß, an. Er war als Redakteur der Wahrheit und der Volks- stimme tätig, als er 1990 zum Landessekretär der KPÖ Steiermark wurde. Zwischen 1991 und 2011 war er deren Landesvorsitzender. Er arbeitet als Sekretär des Gemeinderatsklubs der KPÖ Graz und ist seit 2003 Bezirksvorsteherstellvertreter in Bezirk Graz-Innere Stadt. Die Salzburger Nachrichten bezeich- neten ihn als »stets im Hintergrund von Spitzenkandidat Kaltenegger agierende[n] Landeschef, der den Ruf eines ›Chefideologen‹ genießt«. (Martin Behr, Jagd auf Roter Oktober, In: Salzburger Nachrichten, 22. September 2005.) 808 Vgl. Zum 70. Geburtstag von Willi Gaisch, In: Argument Nr. 26, 29. Juni 1992; Schnittarchiv ZPA. 809 Gaisch, Tonbandinterview (A0090304), 13. Oktober 2009. 810 Politische Erklärung der KPÖ, In: Der 28. Parteitag der KPÖ, S. 377. 811 Vgl. Politische Erklärung der KPÖ, In: Der 28. Parteitag der KPÖ, S. 385. 120 9.1.4 Erneuter Richtungsstreit statt ›Erneuerung‹. Dem Ausbleiben großer Aufträge nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Län- der folgte die Liquidierung der parteieigenen Globus-Druckerei im Herbst 1991, durch die etwa 300 ArbeiterInnen und Angestellte ihren Arbeitsplatz verloren.812 1992 klagte die deut- sche Treuhandanstalt, die die volkseigenen Betriebe der DDR nach deren Ende privatisierte und abwickelte, die KPÖ, wodurch ein Großteil ihres Vermögens blockiert wurde.813 Die Treuhand erhob Anspruch auf die Außenhandelsfirma Novum, die Aufträge aus den sozia- listischen Ländern an die österreichische Verstaatlichte anbahnte und damit die KPÖ finan- zierte.814 Die Partei, die lange Jahre aus dem Vollen hatte schöpfen können, stand nun vor finanziellen Engpässen, die den politischen Richtungsstreit – vor allem in Hinblick auf ihre Medienpolitik – vertieften. Der kleinste gemeinsame Nenner des 28. Parteitags war der organisatorisch eigen- ständige Erhalt der KPÖ gewesen sowie die lapidare Feststellung, dass die KPÖ »eine mar- xistische Partei [ist]«815 und auf dieser Basis ›erneuert‹ werden sollte. »Dieser Konsens war das wertvollste Ergebnis«, wurde im Editorial der Nullnummer der Neuen Volksstimme festge- halten. »Umso befremdender ist es, wenn heute eine Ausgrenzung erfolgt«, heißt es dort weiter. »Und zwar just derjenigen, die nicht hinter den Parteitag zurückgehen wollen.«816 Das Fehlen einer Parteizeitung, in der ein breiter Diskussionsprozess über die Form und Inhalt der angestrebten ›Erneuerung‹ hätte stattfinden können, war die Motivation für die Gründung der Neuen Volksstimme im Juli 1992 gegen den Willen des Parteivorstandes gewesen. Mit der Wahl des Namens wollte sie »im Geiste der sinnvollen, guten Losung ›Kontinuität und Erneuerung‹ an das Wirken der Zeitung der KPÖ anknüpfen«.817

Die Drei-SprecherInnen-Führung gehörte nach nur drei Jahren der Vergangenheit an. Walter Baier hatte sich durchgesetzt und wurde vom auf dem 29. Parteitag 1994 in Linz gewählten Bundesvorstand, dessen Sekretär er bislang gewesen war, zum Parteivorsitzenden bestellt. Der Parteitag selbst stand nicht ausschließlich im Zeichen der Debatten um die Verwendung des Parteivermögens. Prägend war auch die Auseinandersetzung um die dort beschlossene,

812 Vgl. Politischer Bericht, In: Der 29. Parteitag der KPÖ, S. 23. 813 Vgl. Finanzbericht, In: Der 29. Parteitag der KPÖ, S. 117f. 814 Vgl. Christa Zöchling, Osthandelsfreiheit, In: profil 42. Jg. Nr. 33/2011, S. 23f. 815 Politische Erklärung der KPÖ, In: Der 28. Parteitag der KPÖ, S. 382. 816 Eine Zeitung, die uns hilft, In: Neue Volksstimme, Nr. 0, Juli 1992, S. 2. 817 Warum dieser Name?, In: Neue Volksstimme, Nr. 0, Juli 1992, S. 2. 121 ›Grundzüge einer Neuorientierung‹ genannte, programmatische Erklärung, die laut Walter Baier »selbstverständlich […] kein Programm« wäre, sondern eine »Momentaufnahme unse- rer heutigen Erkenntnisse« und ein »Ausgangspunkt für eine weitere Diskussion«.818 Dem wurde von steirischer Seite in der Person Werner Murggs819 vehement widersprochen: […] ich war in der Steiermark Koordinator einer Programmkommission, die sich mit diesen »Grundzügen« auseinander gesetzt hat und ich habe an den Genossen Baier Legionen von Protokollen dieser Programmkommission geschickt, aber wir mußten leider feststellten, daß sie nicht so eingearbeitet wurden, daß die »Grundzüge« […] angenommen werden konnten.820 Viel schärfer formulierte es etwa die Herausgeberin der nVs,821 Lisl Rizy: Es ist der populistische, unsichere Versuch, alle zufriedenzustellen, jedoch am wenig- sten die KommunistInnen. Es ist […] ein wahlloses aneinanderreihen von Binsen- wahrheiten, die sich manchmal widersprechen, oft ist was Richtiges darunter und jeden dritten oder vierten Absatz gibt es einen antipatriarchalischen Durchschuß.822

9.2 »Auf keinen grünen Zweig«823 Der Bruch der KPÖ Steiermark mit der Bundespartei Vor allem die grosso modo einheitliche und marxistische Positionierung der steiri- schen Parteiorganisation in den politischen Grundfragen, zuvorderst in der unbeirrt und grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber der EU, bildeten den Ausgangspunkt für deren Aufstieg, während in vielen anderen Landesorganisationen sich die Flügelkämpfe zu- spitzten und sich letzten Endes Positionen durchsetzten, die die steirische KPÖ ablehnt(e).824 Auch die auf Betreiben der steirischen KommunistInnen erfolgte statutarische Föderalisie- rung der KPÖ825 begünstigte deren eigenständige Entwicklung ebenso wie ihre autonome

818 Politischer Bericht, In: Der 29. Parteitag der KPÖ, S. 28. 819 Dr. WERNER MURGG (*1958) studierte Philosophie und Geschichte in Graz. Der KPÖ trat er 1988 bei und wurde 1994 deren Bezirkssekretär in Leoben, wo er 1995 in den Gemeinderat und 2005 zum Stadtrat gewählt wurde. Im selben Jahr wurde der enge Freund Willi Gaischs Landtagsabgeordneter. Seit 2010 ist er einer von drei SprecherInnen der KPÖ Steiermark. Murgg hielt am 21. Dezember 2009 die Trauerrede an Willi Gaischs Sarg in der Grazer Feuerhalle. 820 Plenardiskussion, Wortmeldung von Werner Murgg, In: Der 29. Parteitag der KPÖ, S. 82. 821 Als sich Anfang 1993 eine Annäherung in medienpolitischen Fragen abzeichnete und die KPÖ wieder eine Wochenzeitung unter dem Namen Volksstimme herausgab änderte die Neue Volksstimme ihren Titel in nVs. (Vgl. 1992 – 2002. 10 Jahre »nVs« – neue Volksstimme, In: nVs, Nr. 77, Juni 2002, S. 28.) 822 Plenardiskussion, Wortmeldung von Lisl Rizy, In: Der 29. Parteitag der KPÖ, S. 45. 823 Was Willi Gaisch über die theoretische Arbeit mit dem Bundesvorstand sagte, nämlich dass man mit ihr »auf keinen grünen Zweig« (Willi Gaisch, Ein wenig über die Geschichte des Programmentwurfs der steirischen KPÖ, In: nVs, Nr. 81, April 2003, S. 11.) kam, traf schließlich auch für die praktische politische Tätigkeit zu und führte dazu, dass die KPÖ Steiermark eine eigenständige Entwicklung nahm. 824 Vgl. etwa: Colette M. Schmidt, Offen und radikal zugleich, In: Der Standard, 5. Juli 2006. 825 Vgl. Wortmeldung von Franz Stephan Parteder, In: Der 28. Parteitag der KPÖ. S. 268. 122 programmatische Arbeit, deren Wichtigkeit Willi Gaisch bereits 1974 in einem schriftlichen Diskussionsbeitrag zum 22. Parteitag der KPÖ hervorgehoben hatte: Wenn es uns gelingt, unsere praktische Tätigkeit theoretisch zu durchdringen und ihr so eine zeitgemäße richtige Orientierung geben, dann wird es uns bedeutend leichter fallen, den Pessimismus, die Passivität und den engen Praktizismus in der Parteiarbeit zu überwinden.826

9.2.1 »Loyale Opposition ihrer Majestät der Europäischen Zentralbank«827 vs. »Ehebaldigst möglicher Austritt Österreichs aus der EU«828 Schon 1988 publizierte die KPÖ eine Denkschrift mit dem Titel ›EG-Anschluss – Nein‹, in der sie die wirtschafts- und sozial- aber auch die friedenspolitischen Argumente zusammenfasste, die gegen einen Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft spra- chen. Die KPÖ warnte vor dem Verlust der »Möglichkeit der Devisenkontrolle, des Schutzes unserer Währung vor Destabilisierung und Spekulation«829 ebenso wie vor dem drohenden »Ruin zahlreicher kleiner und mittlerer Bauern« durch die »Überschwemmung des Marktes mit der EG-Überschußproduktion.«830 Sie wies auf den Zusammenhang mit »der seit einigen Jahren verfolgten Wirtschaftspolitik«, die sich in »Schrumpfung, Zerschlagung, (Re-)Privati- sierung«831 manifestierte, hin und machte auf die Gefahr aufmerksam, dass »ein neues poli- tisch-militärisches Machtzentrum«832 forciert würde. Die friedens- und neutralitätspolitischen Aspekte wurden 1990 anlässlich des 35- jährigen Jubiläums der Staatsvertragsunterzeichnung in der Broschüre ›Linke Beiträge zur Europapolitik – Staatsvertrag. Neutralität. Deutsche Frage‹ besonders hervorgestrichen. 1991, in der durch die kapitalistische Restauration in Osteuropa ausgelösten Krise der KPÖ, be- kräftigte diese auf ihrem 28. Parteitag den Kampf gegen den ›EG-Anschluß‹ als wichtigstes Politikfeld:

826 Schriftlicher Diskussionsbeitrag von Willi Gaisch, In: Der 22. Parteitag der KPÖ, S. 254f. 827 So bezeichnete der steirische Landesvorsitzende Franz Stephan Parteder in einem Interview mit der jungen Welt die Gründung der Europäischen Linkspartei, die von der KPÖ Steiermark stets abgelehnt wurde. (siehe: Bald europäische Linkspartei: Polittourismus mit EU-Knete, In: KommInform-Beilage der nVs, Nr. 85, Juni 2004, S. XI.) 828 Diese Formulierung aus dem Landesprogramm der steirischen KPÖ bringt ihre prinzipielle EU- Opposition auf den Punkt. (siehe: Landesprogramm 2001, S. 27.) Die politisch-strategische Orien- tierung auf einen EU-Austritt Österreichs kann auch als einigende Klammer der KommunistInnen inner- und außerhalb der KPÖ angesehen werden. (Vgl. Tibor Zenker, Raus aus der EU… – und dann? – Strategische Implikationen des antimonopolistischen Weges, In: ders. Der Imperialismus der EU, S. 99 – 116.) 829 KPÖ (Hrsg.), EG-Anschluss – Nein, S. 5. 830 KPÖ (Hrsg.), EG-Anschluss – Nein, S. 6. 831 KPÖ (Hrsg.), EG-Anschluss – Nein, S. 7. 832 KPÖ (Hrsg.), EG-Anschluss – Nein, S. 11. 123 Der Widerstand gegen die Aufgabe der Neutralität […] sowie gegen die sozialen, öko- logischen und politischen Auswirkungen des EG-Kurses wird den Hauptinhalt der Politik der KPÖ in der nächsten Zeit bilden.833

Nach dem Beitritt Österreichs zur EU forderte die KPÖ folgerichtig den Austritt und bekräf- tigte diese Haltung sowohl in den Thesen ihres außerordentlichen Parteitags 1996834 als auch in ihrem auf dem 30. Parteitag 1997 beschlossenen Aktionsprogramm.835 Ein erstes Aufwei- chen in dieser Haltung zeigte sich – obwohl nie auf einem Parteitag oder einer Konferenz beschlossen – in einer Broschüre zur EU-Osterweiterung 2001, in der die EU zwar noch »als imperialistisches Projekt mit dem Ziel, ganz Europa einem […] kapitalistischen Integrations- prozess zu unterwerfen«836 charakterisiert wurde, ein potentieller EU-Austritt jedoch nicht einmal mehr Erwähnung fand. Abstrakt verlangt wurden »EU-weit geltende, verbindliche soziale Mindeststandards« und die »Macht der Großkonzerne und Großbanken […] zu beschneiden«837, ohne darauf einzugehen, ob – im institutionellen Rahmen der EU – diese Forderungen überhaupt umsetzbar wären, die »wohl wissend, dass sich die Realität der EU unter den gegebenen Kräfteverhältnissen in eine andere Richtung bewegt«, aufgestellt wurden, wie man zugeben musste. Die Bundespartei war also stillschweigend zur unkon- kreten Position übergegangen, dass die EU »grundlegend zu reformieren«838 sei. Dem ent- gegentretend wurde im selben Jahr ein »ehebaldigst möglicher Austritt Österreichs aus der EU«839 im Landesprogramm der steirischen KPÖ festgeschrieben. Die Auseinandersetzung in der Frage der Haltung zur EU kulminierte auf einer Partei- konferenz im März 2004, wo die KPÖ – mit dem knappen Ergebnis von 158 Pro- und 122 Gegenstimmen – den Beitritt zur Europäischen Linkspartei beschloss.840 Kurz vor deren Gründungskongress fasste Franz Stephan Parteder die Haltung der steirischen KPÖ in einem Interview mit der linken deutschen Tageszeitung junge Welt zusammen: Bei diesem Projekt geht es nicht um die Organisierung von Kämpfen gegen den EU- Imperialismus, für sozialen Fortschritt oder für den Frieden, sondern um die Herstel- lung einer bürokratischen Struktur mit gut bezahlten Posten, die aus EU-Geldern be- zahlt wird. […]

833 Politische Erklärung der KPÖ, In: Der 28. Parteitag der KPÖ, S. 379. 834 Vgl. Thesen des außerordentlichen Parteitags, In: Materialien des a.o. Parteitages 1996 in Wien, S. 72f. 835 Vgl. »Was will die KPÖ?«, In: 30. Parteitag der KPÖ, S. 120f. 836 KPÖ (Hrsg.), Wohin geht die EU?, S. 10. 837 KPÖ (Hrsg.), Wohin geht die EU?, S. 13. 838 KPÖ (Hrsg.), Wohin geht die EU?, S. 13. 839 Landesprogramm 2001, S. 27. 840 Vgl. Walter Winterberg, EU und EL – Gedanken zur Europäischen Linkspartei, In: KommInform- Beilage der nVs, Nr. 85, Juni 2004, S. XI. 124 Hier entsteht die loyale Opposition ihrer Majestät der Europäischen Zentralbank und kein Europa von unten.841

Die Analyse des Charakters der EU und vor allem eine daraus abzuleitende politische Strate- gie stellte sich als markanteste inhaltliche Differenz und schließlich als Sollbruchstelle heraus und war mit ein Grund für den faktischen Rückzug der steirischen Parteiorganisation aus dem Gefüge der Bundespartei. »Die steirische KPÖ hat sich stets gegen den Beitritt der KPÖ zur EU-Linkspartei ausgesprochen und lehnt eine Mitarbeit in ihren Strukturen ab«,842 bekräftigte Parteder Ende Oktober 2005.

9.2.2 »Ausdauer, Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit« Der Aufstieg der KPÖ Steiermark Welche Relevanz »Ausdauer, Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit« in der politischen Ar- beit hätten und wie zentral es wäre, dass »in unserer Partei Worte und Taten übereinstim- men«,843 unterstrich Gaisch schon 1978 angesichts »des Fehlens größerer Aktionen und des keineswegs erfreulichen Zustands vieler Parteiorganisationen, die die Inaktivität und fata- listische Stimmungen fördern«.844 Noch viel mehr traf das auf die Zeit nach dem Zerfall der sozialistischen Länder zu. Zu Beginn der 90er Jahre hatte die steirische KPÖ – ebenso wie die Bundespartei – mit dem zurückgehenden Einfluss in Betrieben und Kommunen, dem hohen durchschnitt- lichen Alter der Mitglieder und immer geringer werdenden finanziellen Mitteln zu käm- pfen.845 Ihren Tiefststand hatte die Grazer KPÖ bei den Gemeinderatswahlen 1983 erreicht, wo sie gerade noch 1,83 Prozent der Stimmen erhielt und denkbar knapp ihr Gemeinderats- mandat halten konnte.846 Ernest Kaltenegger, das erste Mal Spitzenkandidat der KPÖ in Graz, berichtete dem 25. Parteitag im Jänner 1984, dass »jene Sprengel, wo wir örtlich aktiv waren, z.B. in Wohnungsfragen, […] ein überdurchschnittliches Ergebnis«847 brachten. Das theoretische Verallgemeinern dieser Erkenntnis und die praktische Umsetzung der daraus

841 zit. nach: Bald europäische Linkspartei: Polittourismus mit EU-Knete, In: KommInform-Beilage der nVs, Nr. 85, Juni 2004, S. XI. 842 Franz Stephan Parteder, Ein Kongress, der keine großen Wellen schlagen wird. 843 Schriftlicher Diskussionsbeitrag von Willi Gaisch, In: Der 23. Parteitag der KPÖ, S. 295. 844 Schriftlicher Diskussionsbeitrag von Willi Gaisch, In: Der 23. Parteitag der KPÖ, S. 293. 845 Vgl. Ernest Kaltenegger, Die KPÖ Steiermark – kommunistische Politik heute, In: 90 Jahre KPÖ, S. 340. 846 Vgl. http://www.graz.at/x_wahl2003/erg/grwahl/excellist.htm, 13. Juli 2011. 847 Wortmeldung von Ernst Kaltenegger, In: Der 25. Parteitag der KPÖ, S. 124. 125 gezogenen Schlüsse gewährleisteten die Etablierung der steirischen KPÖ als Oppositions- und Interessenspartei und wurde später in die Losung ›Eine nützliche Partei für das tägliche Leben – und für die großen Ziele der Arbeiterbewegung‹848 gegossen. Gerade in Wohnungs- und Mietangelegenheiten machte sich Kaltenegger einen Na- men, wozu vor allem außerparlamentarische Aktivitäten beitrugen – etwa der 1991 einge- richtete Notruf für MieterInnen und eine von mehr als 17.000 GrazerInnen unterstützte Ini- tiative nach dem Volksrechtegesetz,849 die dazu führte, dass in Grazer Gemeindewohnungen seit 1997 eine Mietzinsobergrenze von maximal einem Drittel des Haushaltseinkommens verankert wurde. Die Kommunalwahlen 1993 brachten eine Steigerung auf 4,2 Prozent der Stimmen,850 und Elke Kahr851 besetze das errungene zweite Mandat im Grazer Gemeinderat. »Ein wahrer Durchbruch«852 gelang 1998, so Kaltenegger im Sammelband ›90 Jahre KPÖ‹, als die KommunistInnen mit 7,9 Prozent vier Mandate erhielten und er aufgrund des Proporzes in die Grazer Stadtregierung einzog. Obwohl die »politischen Zielvorstellungen nur einge- schränkt mit dem bestehenden Profitsystem kompatibel sind«.853 Die Konzentration auf Wohnungsfragen als politisches Kernthema verbreiterte das Ansehen Kalteneggers, der mittlerweile von den Medien als ›Engel der Mieter‹ apostrophiert wurde. ›Auch das ist Kultur – Ein Bad für jede Gemeindewohnung‹ lautete der Titel einer Kampagne im Zuge des Kulturhauptstadtjahres Graz 2003. Unter kommunistischer Verant- wortung für die Wohnungsangelegenheiten in Graz wurde es in der Folge »weitestgehend geschafft, dass Substandardwohnungen verschwunden sind.«854 Die »große Sensation« nannte Willi Gaisch die Steigerung der KPÖ auf 20,7 Prozent der Stimmen im Jahr 2003. Sie bedeutete zwölf statt bisher vier Mandate und einen zweiten Sitz in der Grazer Stadtregierung und eröffnete die Möglichkeit »die Isolierung unserer Partei in der Gesellschaft zu überwin- den.«855

848 Resolution des 24. Landesparteitags der KPÖ Steiermark, In: PiB April 2007, S. 5. 849 Vgl. PiB, Dezember 1996, S. 3. 850 Vgl. http://www.graz.at/x_wahl2003/erg/grwahl/excellist.htm, 13. Juli 2011. 851 ELKE KAHR (*1961) arbeitete nach dem Abschluss der Handelschule als Bankangestellte, während sie die HAK-Abendmatura absolvierte. 1983 trat sie in Graz der KPÖ bei und begann 1985 in deren Grazer Bezirksleitung zu arbeiten. 1993 wurde sie neben Ernest Kaltenegger KPÖ-Gemeinderätin in der steirischen Landeshauptstadt und 1998 Klubobfrau. Als Kaltenegger 2005 in den steiermärkischen Landtag wechselte, wurde sie seine Nachfolgerin als Wohnungsstadträtin. 852 Kaltenegger, Die KPÖ Steiermark – kommunistische Politik heute, S. 340. 853 Kaltenegger, Die KPÖ Steiermark – kommunistische Politik heute, S. 341. 854 »Die Bereitschaft, sich zu wehren, wird wachsen« (Interview mit Ernest Kaltenegger), In: PiB April/ Mai 2009, S. 4. 855 Willi Gaisch, Wahlsieg in Graz, Steirisches Landesprogramm der KPÖ und Koalitionsfragen, In: So- zialistische Programmatik, Staat und Regierungsfrage, S. 71 126 Wie die steirischen KommunistInnen von der Bevölkerung wahrgenommen wurden, bringt deren Losung ›Helfen statt reden!‹856 auf den Punkt. Sie unterschieden und unter- scheiden sich von den anderen Parteien mitunter dadurch, dass sie »politische Ämter, in welche Mandatarinnen und Mandatare in ihrem Namen entsandt werden, prinzipiell als Ehrenämter«857 betrachtet und es auch statutarisch festgehalten ist, dass Gehälter aus haupt- amtlichen politischen Funktionen eine Grenze, »die sich am Facharbeiterlohn orientiert«,858 nicht übersteigen darf. Alles was diese Obergrenze übersteigt, zahlen die kommunistischen MandatarInnen in einen Sozialfonds ein, aus dem in Not geratenen Menschen in der Steier- mark unbürokratisch geholfen wird. Offen gelegt wird die Verwendung dieser Gelder, die im Zeitraum von 1998 bis 2010 bereits eine Million Euro überstieg, jährlich beim sogenannten ›Tag der offenen Konten‹.859 2005 weitete die KPÖ nicht nur bei den steirischen Kommunalwahlen außerhalb von Graz ihren Einfluss aus,860 es gelang auch erstmals seit 1970 mit Ernest Kaltenegger als Spitzenkandidat der Einzug in den steiermärkischen Landtag. Objektive Umstände wie die tiefe Zerrüttung des ›dritten Lagers‹, das sich in FPÖ und BZÖ aufgespalten hatte, begüns- tigten, dass man mit 6,34 Prozent und vier Mandaten drittstärkste Kraft wurde.861 Anerken- nung dafür kam auch aus der konservativen Tageszeitung Die Presse: Aus den mitleidig belächelten »Kummerln« wurden die geachteten »Kommunisten«. Am Ende schaffte Kaltenegger das, was so gar nicht seinem Naturell und Ziel ent- spricht: Er wurde medial zur Ikone und Lichtgestalt hochstilisiert, das Kürzel KPÖ als »Kaltenegger-Partei« übersetzt.862

Elke Kahr trat ein denkbar schweres Erbe an und wurde nach Kalteneggers Wechsel in die Landespolitik Wohnungsstadträtin in Graz. Der mit der Integrität und Strahlkraft der Person Ernest Kalteneggers verbundene Aufstieg der steirischen KPÖ barg die Gefahr des Rück- schlages durch sein Fehlen in sich. Als sich die KPÖ bei den Grazer Gemeinderatswahlen 2008 fast halbierte, zeigte sich die Kehrseite der Taktik, in der Öffentlichkeitsarbeit die Partei zugunsten seiner Persönlichkeit zurückzustellen. Ein extrem hetzerischer Wahlkampf der

856 Vgl. PiB 3-1997, S. 1. 857 Geschäftsordnung der steirischen KPÖ, In: PiB 3-2007, S. 4. 858 Geschäftsordnung der steirischen KPÖ, S. 4. 859 Vgl. http://www.kpoe-graz.at/tag-der-offenen-konten-20101.phtml, 15. September 2011. 860 Vgl. http://www.kpoe-steiermark.at/kpoe-zufrieden-mit-gutem-ergebnis-bei-gemeinderatswahlen. phtml, 15. September 2011. 861 Vgl. http://www.verwaltung.steiermark.at/cms/beitrag/10038395/50647382/, 13. Juli 2011 862 Die Presse, 22. August 2010. 127 FPÖ mit Susanne Winter,863 dem die KPÖ wenig entgegensetzte, sowie das dirty campaig- ning vonseiten des BZÖ trugen ebenfalls zu diesem Rückschlag bei.864 Trotz der herben Verluste ist ein Ergebnis von 11,2 Prozent – verglichen mit dem Abschneiden bei früheren Wahlen – für eine kommunistische Partei beachtlich.

9.2.3 »Eine theoretische Stütze unserer praktischen Arbeit«.865 Auf dem Weg zu (k)einem neuen Parteiprogramm866 Nach seinem Ausscheiden aus der operativen Leitung der Partei zog Gaisch sich jedoch keineswegs ins Privatleben zurück, sondern wirkte weiter für die KPÖ. Er half nicht nur bei Kampagnen und Aktionen der Partei,867 sondern vertiefte auch seine theoretischen Arbeiten. Das ›weiß-grüne Arbeitsbeschaffungsprogramm‹, das die steirische KPÖ bereits im Frühjahr 1989 beschlossen hatte, analysierte »die Auswirkungen der Zerschlagung der ver- staatlichen Industrie. 30.000 Arbeitsplätze wurden vernichtet.«868 Gewarnt wurde vor einem EG-Beitritt Österreichs, der »zu weiteren Betriebsstillegungen« sowie »zum Ausverkauf von Schlüsselpositionen der verstaatlichten Industrie«869 führen würde. Die Alternativen, die in diesem Programm entwickelt wurden, sahen einen starken öffentlichen Wirtschaftssektor vor, in dem »Arbeitsbeschaffung […] sich mit sozialem und ökologischem Fortschritt verbinden [lässt]«.870 Zusammen mit dem damaligen Landesobmann des GLB Steiermark Kurt Lutten- berger und dem Leobener Gemeinderat Werner Murgg überarbeitete er das Programm mehr-

863 Dr.in SUSANNE WINTER (*1957) war bei den Grazer Gemeinderatswahlen 2008 Spitzenkandidatin der Freiheitlichen Partei und wurde 2009 für im Wahlkampf getätigte Aussagen wegen Verhetzung sowie wegen Herabwürdigung religiöser Lehren verurteilt. (Vgl. http://derstandard.at/1231152544424/ Prozess-wegen-Verhetzung-Winter-verurteilt, 15. September 2011) 864 Vgl. Elke Kahr, Ein besseres Profil für die KPÖ, um den arbeitenden Menschen eine politische Heimat zu geben, In: PiB Februar 2008, S. 3. 865 Seine Konzentration auf programmatische Arbeiten erklärte Willi Gaisch damit, dass »die Programm- vorbereitung [des Bundesvorstands; Anm. hw] für den 32. Parteitag unserer Meinung nach unkorrekt und unergiebig verlief und wir für unsere Orientierung dringend ein Programm brauchen, das auf mar- xistischen Erkenntnissen fußt und eine theoretische Stütze unserer praktischen Arbeit darstellt.« (Gaisch, Ein wenig über die Geschichte des Programmentwurfs der steirischen KPÖ, S. 11.) 866 Aus Platzgründen kann hier auf den programmatischen Richtungsstreit nicht im Detail eingegangen werden. Willi Gaisch fasste am Höhepunkt der Auseinandersetzungen die grundlegenden Differenzen so zusammen: »Zum Beispiel wird der Imperialismus nicht als Monopolkapitalismus gefasst, sondern nur als imperialistische Kriegspolitik, also nur als politisch-militärisches Herrschaftssystem. […] Im steirischen Programm verteidigen wir die Subjektrolle der Arbeiterklasse, begründen ihre zentrale Be- deutung für die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft. Man muss als Kommunist auch grund- legend Stellung nehmen zu den Aufgaben der Kommunistischen Partei.« (Gaisch, Ein wenig über die Geschichte des Programmentwurfs, S. 11.) 867 Willi Gaisch ist 85, In: Partei in Bewegung, September 2007, S. 16. 868 Willi Gaisch, Die Verstaatlichte ist die Alternative, In: WuZ 12-1989, S. 486. 869 Zit. nach: Gaisch, Die Verstaatlichte ist die Alternative, S. 487. 870 Gaisch, Die Verstaatlichte ist die Alternative, S. 488. 128 mals und verstand es auch als »Diskussionsanstoß«, wie er im Vorwort zur dritten Auflage betonte: Die Debatte darüber, wie eine Gesellschaft jenseits von Konzernherrschaft und Pro- fitprinzip aussehen und funktionieren könnte, ist nicht abgehobener Luxus, sondern lebenswichtig für wirkliche Oppositionspolitik. Nichts stabilisiert das Bestehende stärker als der resignierende Glaube an seine Alternativlosigkeit […] Wir unterbreiten hiermit unser Alternativprogramm und benennen auch die dazuge- hörigen Finanzierungsquellen.871

Ein Antrag, der 1997 ausgehend von einer Landeskonferenz der steirischen KPÖ an den 30. Parteitag der KPÖ gestellt und dort mit breiter Mehrheit angenommen wurde, forderte nicht nur ein Ende der Programm- und somit Orientierungslosigkeit ein, sondern benannte auch die Eckpunkte des zu erstellenden Parteiprogramms.872 Der Auftrag des Parteitages lautete, auf der Grundlage einer Analyse des bestehenden kapitalistischen Systems eine »so realistisch als mögliche Ausgestaltung der Begriffe ›Sozialismus und Kommunismus‹«873 zu entwickeln und über »zuerst radikal-demokratische Reformen« sowie über »historische Etappenziele« den Weg »in eine sozialistische Gesellschaft«874 zu skizzieren. Für den Diskussionsprozess wurden drei bis vier Jahre anberaumt. Als der 31. Parteitag im Dezember 2000875 zusammentrat, machte die blau-schwarze Regierung die fehlende Orientierung der KPÖ überdeutlich. Der Bundesvorstand war dem Auftrag, einen Programmentwurf entlang der beschlossen Grundlinien vorzulegen, nicht nachgekommen und veröffentlichte stattdessen ein im Wesentlichen von Walter Baier ver- fasstes Dokument mit dem Titel ›Feministisch. Demokratisch. Kommunistisch.‹876 Kern des Papiers war das nicht näher definierte Schlagwort des ›neuen Kommunismus‹, von dem der Landesvorsitzende der steirischen KPÖ sagte, es hätte »höchstens in der Warenwerbung, nicht aber in einer wissenschaftlichen Diskussion seinen Platz«.877 Dagegen bildete sich eine breite Front der Ablehnung. Wesentliche Teile des Bundesvorstands stellten ihm die ›Thesen

871 Alternativen zur Massenarbeitslosigkeit, S. 5. 872 Vgl. Antragskommission im Einvernehmen mit der KPÖ Steiermark, Ausarbeitung eines Entwurfs eines neuen Parteiprogramms, In: 30. Parteitag der KPÖ, S. 174 – 177. 873 Antragskommission, Ausarbeitung eines Entwurfs, S. 175. 874 Antragskommission, Ausarbeitung eines Entwurfs, S. 177. 875 Über den 30. Parteitag, der am 8. und 9. Dezember in Wien tagte, gibt es weder ein gedrucktes noch ein vollständiges Protokoll. Einige Dokumente und Statements sind im Internet abrufbar unter: http://alte.kpoe.at/bund/parteitag/parteitag.htm. 876 Feministisch. Demokratisch. Kommunistisch. Entwurf eines politisch-programmatischen Dokuments für den 31. Parteitag, http://alte.kpoe.at/bund/parteitag/polprog.htm, 20. September 2011. 877 Franz Stephan Parteder, Eine Fingerübung: Was ist Kommunismus?, In: nVs, Nr. 71, März 2001, S. 3. 129 zur programmatisch-politischen Diskussion in der KPÖ‹878 entgegen. In den Vorbemer- kungen wiesen sie den Versuch zurück, »eine ›Mutation‹ der Partei« einzuleiten, »an deren Ende eine zivilgesellschaftliche Reformpartei mit dem Namen KPÖ stehen könnte«.879 Nach- dem sich für das Dokument ›Feministisch. Demokratisch. Kommunistisch.‹ keine Mehrheit abzeichnete, musste es zurückgezogen werden. Der Parteitag beschloss, einen neuen Anlauf in der Programmdebatte zu unternehmen, dazu Konferenzen zu zentralen Fragen abzuhalten und die schriftliche Diskussion in der Mitgliederzeitung argument fortzusetzen.880 Die folgenden Auseinandersetzungen machten deutlich, dass eine Einigung, wie sie sich durch den 31. Parteitag abgezeichnet hatte, doch nicht möglich war. Viele kritisieten, dass sie von der Parteiführung um Walter Baier nachgerade verhindert wurde.881 Franz Par- teder fasste die Vorbehalte im Auftrag des Sekretariats der steirischen Parteiorganisation zusammen: Die Bundespartei organisierte nicht eine breite, die Parteibasis einbeziehende Pro- grammdiskussion, sondern eine Reihe von Konferenzen, die keine gleichberechtigte Diskussion unterschiedlicher politischer und ideologischer Positionen ermöglichten, sondern als Mittel zum Ausgrenzen von Personen und Meinungen verwendet wur- den.882 Der Bundesvorstand hatte im August 2002 unter dem Titel ›Die Welt verändern!‹883 einen Entwurf für programmatische Thesen publiziert, den die KPÖ Steiermark ablehnte884 und deshalb den Antrag an den 32. Parteitag stellte, das steirische Landesprogramm in seiner überarbeiteten Fassung »als eine Diskussionsgrundlage für die weitere, erst ernsthaft zu be- ginnende Programmdebatte in der KPÖ zu beschließen.«885 Vor dem Hintergrund des histo- rischen Wahlsieges der Grazer KPÖ bei den Gemeinderatswahlen im Jänner 2003, bei denen sie mehr als 20 Prozent der Stimmen erhielt, lenkte die Parteiführung ein. Der Bundesvor-

878 Thesen zur programmatisch-politischen Diskussion in der KPÖ, In: argument special, Sonderbeilage zur Volksstimme Nr. 45, 9. November 2000, S. 8 – 14. 879 Thesen zur programmatisch-politischen Diskussion in der KPÖ, S. 8. 880 Vgl. Beschlüsse des 31. Parteitages zur Programmarbeit, In: argument special, Sonderbeilage zur Volksstimme Nr. 52, 28. Dezember 2000. 881 Vgl. Offener Brief an die Parteiführung. Wir wollen eine revolutionäre Erneuerung der KPÖ, In: nVs, Nr. 77, Juni 2002, S. 11f. 882 Franz Stephan Parteder, Gelungen war das nicht, In: argument Nr. 2-2003, S. 8. 883 Die Welt verändern! Programmatische Thesen für den 32. Parteitag (Entwurf), In: argument, 8a-2002, S. 1 – 16. 884 Vgl. Parteder, Gelungen war das nicht, S. 9. 885 Antrag des Landesvorstandes der KPÖ Steiermark, In: argument, Nr. 4-2003, S. 10. 130 stand beschloss, ein Kompromisspapier zu erarbeiten und dieses der ersten Sitzung des 32. Parteitags, die sich mit programmatischen Fragen beschäftigen sollte,886 vorzulegen.887 ›Eine Theorie für das tägliche Leben‹ war der Titel, unter dem die KPÖ Steiermark am 22. März 2003 ein Symposium über ihr Landesprogramm veranstaltete. Auf ihm hob Willi Gaisch die Notwendigkeit eines Programms hervor, das »auf marxistischen Erkenntnissen fußt und eine theoretische Stütze unserer praktischen Arbeit darstellt.«888 Das, was der Landesvorstand der KPÖ Steiermark erarbeitet hat, ist kein kurz gefas- stes Parteiprogramm, wie wir es ursprünglich vorhatten. Es ist ein politisches, ideolo- gisches Grundsatzpapier.889 Als solches wurde es gemeinsam mit den ›Thesen‹ des Bundesvorstandes als »gleichberech- tigte Diskussionsgrundlage«890 beschlossen. Angenommen wurde auch ein gemeinsamer An- trag des steirischen Landesvorstandes mit der Bezirksorganisation Wien-Ottakring, der die Zusammensetzung und Arbeitsweise der einzusetzenden Programmkommission festlegte.891 Diese nahm ihre Arbeit auf und legte – gemäß den diesbezüglich auf drei Parteitagen ge- fassten Beschlüssen – einen Entwurf vor.892 Der Bundesvorstand, der sich faktisch nur mehr aus zwei Personen zusammensetzte (wie es dazu kam, wird unter 9.2.4 beleuchtet – Anm. hw) und insofern nicht mehr als repräsentativ gesehen werden konnte, erklärte die Kommis- sion jedoch für »gescheitert«893 – nachdem er erfolglos versucht hatte, »durch einen adminis- trativen Eingriff Mehrheitsverhältnisse zu verändern«,894 wie die Programmkommission einwendete.

886 Die beschlossene Zweiteilung des 32. Parteitags sah vor, in der ersten Sitzung die Programmdiskussion zu führen und in der zweiten politische Fragen zu besprechen und den neuen Bundesvorstand zu wählen. (Vgl. 32. Parteitag der KPÖ, In: argument, Nr. Nr. 3-2003, S. 1.) 887 Vgl. Johann Höllisch, Gemeinsamkeiten außer Streit stellen, In: argument, Nr. 3-2003, S. 2. 888 Gaisch, Ein wenig über die Geschichte des Programmentwurfs, S. 11. 889 Gaisch, Ein wenig über die Geschichte des Programmentwurfs, S. 11. 890 Beschlüsse des 32. Parteitags zur weiteren Programmarbeit, In: Das Protokoll des 32. Parteitags, 1. Teil, S. 161. 891 Beschlüsse des 32. Parteitags zur weiteren Programmarbeit, S. 162 892 Vgl. Rudolf Reiter, Information zur Arbeit der Programmkommission der KPÖ, In: nVs, Nr 86, September 2004, S. 28. 893 Michael Graber, Programmkommission gescheitert, In: argument, Nr. 8-2004, S. 2 894 Reiter, Information zur Arbeit der Programmkommission der KPÖ, S. 28.

131 9.2.4 Der ›Strukturstalinismus‹895 der ›Anti-StalinistInnen‹896 Als Anhaltspunkt für den Beginn des systematischen Hinausdrängens kommunis- tischer Positionen erachtete Willi Gaisch es, dass der als ›Chefideologe‹ der KPÖ geltende897 Ernst Wimmer, »einer der klügsten Köpfe in der KPÖ«,898 wie Gaisch es formulierte, am Grazer Parteitag 1991 knapp nicht die erforderliche Stimmenanzahl für die Wahl in den Bundesvorstand der Partei erhielt, nachdem eine »Hetze gegen ihn betrieben«899 worden war. In seinem Diskussionsbeitrag hatte Wimmer festgehalten: Ich bin mit dem Passus im Entwurf der Politischen Erklärung einverstanden, wo es heißt: »Heute bedeutet das, zur Entwicklung eines undogmatischen, sich in Mei- nungsstreit und Pluralität verändernden Marxismus beizutragen.« Ich frage nur be- scheiden: Wie kann das möglich sein, wenn viele, die für die Notwendigkeit der Er- neuerung und die Unentbehrlichkeit des Marxismus entschieden eintreten, etikettiert werden als Dogmatiker, als Altstalinisten, als Neostalinisten usw.?900

Dass die programmatischen Vorstöße der Führung von der Mitgliedschaft immer wieder zurückgewiesen wurden, zeigt, wie sehr sich die Geister über den Inhalt der auf dem 28. Parteitag proklamierten ›Erneuerung‹ der KPÖ schieden. Aber auch die Unzufriedenheit in organisatorischen und politischen Fragen wuchs angesichts der (Wahl-)Erfolge in der Steier- mark, während die Parteigliederungen, die politisch auf einer Linie mit der Parteispitze agierten, in der Mehrheit bestenfalls stagnierten. Die steigende Kritik der Parteibasis fand im Juni 2002 ihren Ausdruck in einem offenen Brief, der bis zum Parteitag im März 2003 von hunderten AktivistInnen – darunter das Gros der Betriebs- und GemeinderätInnen – unter- zeichnet werden sollte. 901 Darin hieß es: Seit Walter Baier KPÖ-Vorsitzender ist, spricht er von der Erneuerung unserer Partei […] Doch was hat er erreicht? GenossInnen, die in Betrieben, Gewerkschaften, Ge- meindestuben und an Universitäten erfolgreich sind, verweigern ihm die Unterstüt- zung, viele haben resigniert und sich zurückgezogen. Unsere Partei ist nur mehr ein Schatten ihrer selbst. […]

895 Der Begriff des ›strukturellen Stalinismus‹ geht auf Franz Stephan Parteder zurück, der anlässlich des 80-jährigen Bestehens der KPÖ darauf verwies, »daß auch die jetzige Funktionärsgeneration« von einem »autoritären Parteiverständnis geprägt worden ist […] Es ist leichter, eine neue Sprache zu lernen, als neue Verhaltensweisen.« (Franz Stephan Parteder, Wir sind Kommunisten – salonfähig wollen wir nicht werden, In: PiB, Oktober 1998, S. 5.) 896 Wie unter 6.1.2 umrissen, diente die Punzierung von KritikerInnen als ›Dogmatiker‹ und ›Stalinisten‹ nicht nur zu deren Ausgrenzung, sondern auch dazu, ihre Positionen abzukanzeln, ohne sich näher mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. 897 Vgl. Wimmer, Die Rezeption der Ideologie der Perestroika durch die KPÖ, S. 265. 898 Gaisch, Tonbandinterview (A0090304), 13. Oktober 2009. 899 Gaisch, Tonbandinterview (A0090304), 13. Oktober 2009. 900 Wortmeldung von Ernst Wimmer, In: Der 28. Parteitag der KPÖ, S. 79. 901 Vgl. nVs, Nr. 80, März 2003, S. 15. 132 Wer ständig von »Demokratie« spricht, muss sich fragen lassen, weshalb er sie in der Partei nicht zulässt. […] Wir wollen, dass die Erneuerung der Partei von unten aus- geht und nicht von einer Handvoll GenossInnen, die seit über einem Vierteljahrhun- dert bezahlte »Spitzen«funktionäre in verschiedenen Funktionen der Partei sind, defi- niert wird.902

Auf den zwei Sitzungen des 32. Parteitages, bei denen alle Mitglieder der KPÖ teilnahme- und stimmberechtigt waren, kulminierten die Streitigkeiten zwischen Apparat und Basis. Erstmals in der Nachkriegsgeschichte kam es dazu, dass es zum amtierenden Parteivorsit- zenden einen Gegenkandidaten gab. Auf einer Versammlung der steirischen KPÖ war als solcher einstimmig der Tiroler Landesvorsitzende Manfred Eber nominiert worden, ebenso wie die Innsbrucker Biologin Petra Stöckl als Alternative zur bisherigen Frauenvorsitzenden Heidemarie Ambrosch.903 Letztere wurde heftig kritisiert, nachdem sie als Mitglied des Vor- stands des Kosmos-Frauenraums in Wien Angestellte kündigte, die einen Betriebsrat gründen wollten.904 Sie unterlag Petra Stöckl mit 188 zu 197 Stimmen. Walter Baier blieb mit 204 zu 183 Stimmen knapp Parteivorsitzender und zog nur deshalb in die Bundesvorstand ein. Die 199 Stimmen, die nötig gewesen wären, um in den Bundesvorstand einzuziehen, hätte er nicht erreicht. Die erforderliche Wahlzahl erhielten überhaupt nur fünf der 78 KandidatIn- nen.905 Durch die Kooptierung von nicht stimmberechtigten VertreterInnen der Landesorga- nisationen wurde versucht, die Parteileitung funktionsfähig zu halten. Noch vor der Been- digung des 32. Parteitags wurde beschlossen, dass der 33. zwei Kriterien erfüllen musste. Zum einen sollte wieder jedes KPÖ-Mitglied teilnahme- und stimmberecht sein, zum anderen sollte er weder in Wien noch in der Steiermark stattfinden.906

Im September 2003 gaben Vorsitzender Walter Baier und Finanzreferent Michael Graber dem Bundesvorstand der KPÖ die Generalkündigung aller Parteiangestellten907 sowie die

902 Offener Brief an die Parteiführung. Wir wollen eine revolutionäre Erneuerung der KPÖ, In: nVs, Nr. 77, Juni 2002, S. 11f. 903 Vgl. Weitere Wahlvorschläge an den 32. Parteitag, In: argument, Nr. 6-2003. 904 Vgl. http://www.kominform.at/article.php/20041006123443505/, 23. September 2011. 905 Das waren der Finanzreferent Michael Graber, der GLB-Vorsitzende Manfred Groß – er konnte aufgrund eines Schlaganfalls im Frühjahr 2003 seine Tätigkeit nicht ausüben –, der Wiener Postge- werkschafter Robert Hobek, der Gewerkschaftssekretär Oliver Jonischkeit sowie die Obfrau des Grazer KPÖ-Gemeinderatsklubs Elke Kahr. (Vgl. argument, Nr. 7-2003, S. 5.) 906 Beschlüsse nach den Länderberatungen, In: Das Protokoll des 32. Parteitags, 2. Teil, S. 100. 907 Vgl. Die Krise bewältigen. Erklärung des Bundesvorstandes vom 11. Oktober, In: argument, Nr. 10- 2003, S. 1. 133 Einstellung der Subventionen für die Wochen-Volksstimme bekannt.908 Sie argumentierten mit der Notwendigkeit, aufgrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichts in Berlin, das das erstinstanzliche Urteil in der Causa Novum aufhob.909 Nachdem in erster Instanz das Vermö- gen der Novum der KPÖ zugesprochen worden war und die Treuhandanstalt Berufung einge- legt hatte, agierte die Partei Willi Gaischs Auffassung nach »zu siegesgewiss«.910 Gaisch hatte dafür plädiert, auf einen Vergleich hinzuarbeiten, da es seiner Meinung nach kaum möglich gewesen wäre, dass die kleine KPÖ den Prozess gegen den »stärkste[n] imperialistische[n] Staat«911 Europas gewinnen hätte können. Intransparenz war der Grund, warum Petra Stöckl ihre Funktion als Frauenvorsitzen- de und Mitglied des Bundesvorstands am 12. Oktober 2003 zurücklegte. Dass dieser derart tiefgehende Einschnitte beschloss, »ohne den Bundesvorstand ausreichend über die finanziel- len Verhältnisse der Partei zu informieren«,912 war für sie nicht tragbar. Nachdem Robert Hobek schon am 31. Oktober seine Funktion im Bundesvorstand niedergelegt hatte,913 trat am 16. Februar 2004 auch Elke Kahr als stellvertretende Parteivor- sitzende zurück. Die Zusammenarbeit in unserer Partei kann […] nicht funktionieren, wenn der Vor- sitzende Gen. Walter Baier die Diskussionen im Bundesvorstand immer wieder so führt, dass es zu Seitenhieben gegenüber Einzelnen oder ganzen Landesorganisatio- nen kommt.914 Kahr kritisierte in ihrer Stellungnahme jedoch nicht nur die Intransparenz und Ausgrenzung weiter Teile der Partei bei Grundsatzentscheidungen. Vor allem das Wirken an der politi- schen Basis kam für Kahr, die betonte, »ein anderes Arbeiten gewöhnt«915 zu sein, zu kurz: Für mich gehören zuerst andere Aufgaben erledigt. Unser Vorsitzender tut aber so, als schreibe die Partei ihre Diplomarbeit. Dabei haben wir noch nicht einmal unsere Hausaufgaben für den Abschluß der Pflichtschule gemacht.916 Am 20. Februar schied schließlich auch der GLB-Vertreter Oliver Jonischkeit aus dem Buvo aus und klagte darüber, dass Baier und Graber sich darauf konzentrierten, »den Feind in den eigenen Reihen zu suchen«, während Anträge, die »dem Vorsitzenden Walter Baier nicht ge-

908 Vgl. Wir kämpfen weiter. Auszüge aus der Rede von Gen. Michael Graber bei der Informations- veranstaltung am 7. Oktober in Wien, In: argument, Nr. 10-2003, S. 5. 909 Vgl. Walter Baier, Partei der AktivistInnen und der Bewegung, In: argument, Nr. 10-2003, S. 3f. 910 Gaisch, Tonbandinterview (A0090304), 13. Oktober 2009. 911 Gaisch, Tonbandinterview (A0090304), 13. Oktober 2009. 912 Presseinformation der KPÖ Tirol – Innsbruck, 2003-10-12, zit. nach: In: argument, Nr. 10-2003, S. 2. 913 Vgl. Robert Hobek legt sein Bundesvorstandsmandat zurück, In: argument, Nr. 11-2003, S. 3. 914 Elke Kahr, Warum ich aus dem Bundesvorstand ausscheide, In: argument, Nr. 2-2004, S. 5. 915 Kahr, Warum ich aus dem Bundesvorstand ausscheide, S. 5. 916 Kahr, Warum ich aus dem Bundesvorstand ausscheide, S. 5. 134 nehm waren, einfach nicht abgestimmt« wurden. »Untragbar« war für den ÖGB-Sekretär, dass diejenigen, die die Generalkündigung arbeitsrechtlich angefochten hatten, im argument »namentlich an den Pranger gestellt«917 wurden. Eine Stellungnahme von Gabi Leitenbauer, die als Betriebsratsvorsitzende der KPÖ Steiermark dazu Stellung beziehen wollte, wurde vom argument nicht gedruckt, erschien aber in der nVs: Die Parteiführung behauptet, es sei durch das verlorene Novum-Urteil kaum mehr Geld vorhanden. Schlägt man die Zeitungen auf, wird man eines besseren belehrt: Der Vorsitzende in Paris, der Vorsitzende in Indien, der Vorsitzende in Athen, die »Volksstimme« soll in neuem Kleid erscheinen, die KPÖ an der EU-Wahl teilnehmen etc. All das kostet Geld! Auch Gerüchte um einen neuen (bezahlten?) Parteiapparat gibt es. Frei nach dem Motto: Klein aber fein – und linientreu! Fakt ist: Die Partei hat sehr wohl noch Geld. Das bestreitet in der Zwischenzeit nicht einmal mehr der Fi- nanzreferent. So soll sich das jährliche Budget bei ca. 7 Millionen Schilling bewe- gen.918

Die nunmehr aus faktisch zwei Personen bestehende Parteiführung begegnete dem schwin- denden Rückhalt erst mit Ausgrenzungen, dann vermehrt mit administrativen Maßnahmen. Die basisnähere, weil hauptsächlich von VertreterInnen der Landesorganisationen beschickte Programmkommission wurde für ›gescheitert‹ erklärt, im Innsbrucker Parteilokal der KPÖ Tirol, deren Vorsitzender Manfred Eber gegen Walter Baier als Parteivorsitzender kandidiert hatte, wurden die Schlösser ausgetauscht und damit die gewählte Leitung ausgesperrt.919 Gegen Eber wurden ebenso wie gegen die zurückgetretene Frauenvorsitzende Petra Stöckl, die ebenfalls in Tirol organisiert war, Parteiausschlüsse vorbereitet.920 Vor diesem Hinter- grund lud der Trofaiacher Gemeinderat und ehemalige VÖEST-Betriebsrat Karl Russheim921 am 17. April 2004 »Kommunistinnen und Kommunisten, die ich kenne, zu einem Erfah- rungsaustausch«922 ein, an dem auch Willi Gaisch teilnahm. Dort konstituierte sich die ›Kommunistische Initiative zur Erneuerung der KPÖ‹ als »breite Sammlungsbewegung der

917 Oliver Jonischkeit, Rücktrittserklärung, zit. nach: KommInform-Beilage der nVs, Nr. 84, März 2004, S. VIII.) 918 Gabi Leitenbauer, Hintergründe zum Arbeitskampf innerhalb der KPÖ, In: KommInform-Beilage der nVs, Nr. 84, März 2004, S. I. 919 Vgl. Ausgrenzung der Tiroler Landesorganisation und Mobbing der Landesleitung, In: KommInform- Beilage der nVs, Nr. 85, Juni 2004, S. II. 920 Vgl. Stellungnahme der KPÖ Tirol zur »Vorladung« der Schiedskommission, In: KommInform- Beilage der nVs, Nr. 85, Juni 2004, S. III. 921 KARL RUSSHEIM (*1931) entstammt einer kommunistischen Arbeiterfamilie aus Donawitz und wurde nach dem Oktoberstreik 1950 aus dem dortigen Hüttenwerk entlassen, später jedoch wieder einge- stellt. Russheim war lange Jahre in öffentlichen, etwa als Zentralbetriebsrat der VÖEST-Alpine, als Arbeiterkammer- in der steirischen AK und Gemeinderat in Trofaiach, sowie in Parteifunktionen, in der Landesleitung ebenso wie im Zentralkomitee, aktiv. 922 Karl Russheim, In großer Sorge um die kommunistische Identität der Partei, In: KommInform-Beilage der nVs, Nr. 85, Juni 2004, S. I. 135 innerparteilichen Opposition«,923 wie sie deren Sprecher Otto Bruckner später charakteri- sieren sollte. Den Vorwurf des Fraktionismus, der von der Parteiführung umgehend erhoben wurde, wies Russheim zurück: »Wenn es in unserer Partei eine Fraktion gibt, die sich gegen das politische Selbstverständnis eines großen Teils der Parteibasis organisiert, dann ganz an der Spitze!«924 Dass entgegen des Beschlusses des 32. Parteitages – und damit statutenwidrig – die verbliebenen zwei Bundesvorstandsmitglieder den 33. nicht als Mitgliederparteitag einberie- fen,925 wurde zum einen mit den finanziellen Engpässen nach der Niederlage im Novum- Prozess und zum anderen ganz offen mit der »Verschärfung und Eskalation des Fraktions- kampfes gegen die Parteiführung«926 argumentiert. »Als Akt der Notwehr und der Wieder- herstellung der innerparteilichen Demokratie«927 berief in Reaktion darauf die der steirischen KPÖ nahe stehende Parteiorganisation Wien-Ottakring einen Mitgliederparteitag nach Am- stetten ein – »gemäß den geltenden Statuten und in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des 32.«928 Nicht nur die Leitungen und Mitgliederversammlungen der Salzburger,929 der Tiroler930 und der steirischen931 Parteiorganisationen fassten Beschlüsse, die auf die Abhal- tung eines Mitgliederparteitags beharrten. Einzelne versuchten sogar, ihr Recht auf Teil- nahme ohne Delegierung einzuklagen.932 Der gerichtliche Weg scheiterte, und der Mitglieder- parteitag in Amstetten wurde abgesagt, weil einzelne Ottakringer KommunistInnen – die Bezirksorganisation Ottakring war schon im Oktober aufgelöst worden – »mit einer Flut von Klagen eingedeckt« waren, »denen horrende Summen zu Grunde«933 lagen, wie sie erklärten. Angesichts dieser Vorgeschichte machte der Beschluss des von Baier und Graber nach Linz- Ebelsberg einberufenen Parteitags – er wurde und wird von von breiten Kreisen nicht als solcher anerkannt – auf viele einen zynischen Eindruck:

923 Otto Bruckner, Was bleibt von der KPÖ, In: offen-siv, Nr. 5-2005, S. 18. 924 Russheim, In großer Sorge um die kommunistische Identität der Partei, S. II. 925 Vgl. Bundesvorstand beruft den 33. Parteitag als Delegierten-Parteitag nach Linz ein, In: argument, Nr. 9-2004, S. 1. 926 Didi Zach, Bundesvorstand beschließt Einberufung des 33. Parteitages für 11./12. Dezember nach Linz, In: argument, Nr. 9-2004, S. 2. 927 KPÖ-Bezirksorganisation Ottakring, Wir können nicht anders, In: nVs, Nr. 87, Oktober 2004, S. 1. 928 KPÖ-BO Ottakring, Wir können nicht anders, S. 1. 929 Vgl. Beschluss des Landesvorstandes der KPÖ Salzburg, In: nVs, Nr. 87, Oktober 2004, S. 2. 930 Vgl. Beschlüsse der Mitgliederversammlung der Landesorganisation Tirol, nVs, Nr. 88, November 2004, S. 2. 931 Vgl. nVs, Nr. 87, Oktober 2004, S. 2. 932 Vgl. argument, Nr. 11-2004, S. 3. 933 Erklärung der Kommunistischen Initiative zur Erneuerung der KPÖ, In: nVs, Nr. 89, Dezember 2004, S. 2. 136 Der Parteitag will eine neue Einheit des Handelns schaffen, die über die solidarische Verbindung unterschiedlicher Standpunkte und Sichtweisen zustande kommt.934 Die Kommunistische Initiative zur Erneuerung der KPÖ bilanzierte demgegenüber: Walter Baier lässt sich von seinen Anhängern einen Sieg zelebrieren. Es geht im aller- dings wie dem seligen Feldherren Pyrrhus, der zwar seine Gegner bezwang, aber kaum mehr Truppen hatte.935 Die steirische KPÖ lehnte die Form des 33. Parteitages ebenso wie seine Ergebnisse und Beschlüsse als statutenwidrig ab und nahm deshalb – wie die Tiroler und Salzburger Parteiorganisationen – nicht daran Teil und war auch in den auf ihm gewählten Gremien nicht vertreten. Nachdem gegen Lisl Rizy als Herausgeberin der nVs und andere Ausschlussverfahren angestrengt und kritische Parteiorganisationen aufgelöst wurden,936 kehrten viele Mitglieder der KPÖ resigniert den Rücken, und schließlich trat auch Otto Bruckner aus ihr aus und begründete seinen Schritt damit, dass ihm »als Kommunisten eine weitere Mitgliedschaft unmöglich«937 geworden war. So konstituierte sich im Jänner 2005 in Wien die Kommunistische Initiative als eigenständige Organisation, weil viele meinten, »dass eine Veränderung in der KPÖ wegen der völligen Abschaffung der innerparteilichen Demokratie auf Sicht nicht möglich ist.«938

Die KPÖ Steiermark setzte nicht nur ihren eigenständigen Weg fort, sondern betrachtete sich auch politisch nicht mehr an die bundesweiten Strukturen gebunden. Dass die steirische Parteiorganisation hinausgedrängt wurde, wie dies anderswo geschah, verhinderte ihre Geschlossenheit und vor allem ihr politischer Erfolg939 – im Oktober 2005 wurde sie mit 6,34 Prozent der Stimmen und vier Mandaten drittstärkste Kraft im Steiermärkischen Landtag.940 Gemeinsame Kandidaturen bei bundesweiten Wahlen vertieften noch die skeptische und ablehnende Haltung der SteirerInnen gegenüber der Führung in Wien, von der man den

934 Ein neues Kapitel aufschlagen. Beschluss des 33. Parteitags, In: argument, Nr. 12-2004, S. 1. 935 Die Ebelsberger Parteitagsfarce ist Geschichte, In: nVs, Nr. 89, Dezember 2004, S. 3. 936 Die »Säuberungen« beginnen… Es kann nicht sein, was nicht sein darf, In: KommInform-Beilage der nVs, Nr. 90, März 2005, S. III. 937 Otto Bruckner, Austritt aus der KPÖ – offener Brief (gekürzt), In: KommInform-Beilage der nVs, Nr. 90, März 2005, S. I. 938 Bruckner, Was bleibt von der KPÖ?, S. 18. 939 Otto Bruckner, Wird die ganze Steiermark aus der KPÖ ausgeschlossen?, In: nVs, Nr. 93, Februar 2006, S. 23. 940 Vgl. http://www.verwaltung.steiermark.at/cms/beitrag/10038395/50647382/, 13. Juli 2011 137 Eindruck gewann, dass sie im Windschatten steirischer Erfolge reüssieren wollte, ohne inhalt- lich auf die KPÖ Steiermark zuzugehen.941

9.2.5 »Eine aufgepflanzte Fahne für Sozialstaatlichkeit und Sozialismus«.942 Das theoretische Wirken Willi Gaischs in den letzten Jahren. Die Wirtschaftskrise der Jahre 2007 ff. stellte die steirische KPÖ vor neue Heraus- forderungen – nicht nur in ihrer politischen Praxis, sondern auch in der ihr zugrunde liegen- den theoretischen Analyse der Gesellschaft. Dem Beschluss eines Landesparteitags folgend, konstituierte sich ein Arbeitskreis, der im Landesprogramm notwendige Aktualisierungen vornehmen sollte.943 Angesichts der sich immer weiter vertiefenden Krise und damit den immer zahlreicher werdenden Fragen, die einer grundsätzlichen Betrachtung harrten, wurde aus der ursprünglich angedachten Überarbeitung eine Neufassung des ersten, des analytischen Kapitels des Programms. Willi Gaisch war federführend bei der Aktualisierung dieses Teils mit dem Titel ›Die Welt, in der wir leben. Wesenszüge des Kapitalismus im 21. Jahrhundert – Imperialismus heute‹. Der Kern seines Anliegens war es, »die Entstehung und die Dimension dieser veritablen Überproduktions- bzw. Unterkonsumtionskrise«944 darzustellen, heißt es in der Einleitung. Vor der für Jänner 2012 anberaumten Beschlussfassung wurde 2011 der innerparteiliche Diskussionsprozess945 über die von Gaisch 2008 fertig gestellte Neuauflage946 eingeleitet. Ausgangspunkt ist ein historischer Rückblick über die ›Ursachen der Prosperitätsphase des Nachkriegskapitalismus‹,947 der die Besonderheiten der Entwicklung beschreibt und hervorhebt, dass die »weitgehende Verstaatlichung der Grund- und Schwerstoffindustrie sowie der Banken«948 nicht nur der Diskreditierung des Kapitalismus durch Faschismus und Krieg geschuldet war, sondern auch deshalb erfolgte, weil »die finanziellen Möglichkeiten und

941 Vgl. Franz Stephan Parteder, …verwundert, wer da die KPÖ repräsentiert, In: nVs, Nr. 95, Oktober 2006, S. 3f. 942 In einem Artikel über die Neufassung des steirischen Landesprogramms bezeichnete Willi Gaisch die- ses als »aufgepflanzte Fahne für Sozialstaatlichkeit und Sozialismus«. (Willi Gaisch, Unser Landespro- gramm, In: PiB, Juli 2008, S. 8.) 943 Vgl. Werner Murgg, Mit unserem Programm arbeiten, In: PiB September 2007, S. 12. 944 Landesprogramm 2011, S. 9. 945 Werner Murgg, KPÖ-Programm: Antworten auf die Krise, In: PiB Juli 2011. 946 Vgl. Gaisch, Unser Landesprogramm, S. 16. 947 Landesprogramm 2011, S. 9 – 10; Die in einfache Guillemets gesetzten Textteile bezeichnen hier die Titel der Unterkapitel. – Anm. hw 948 Landesprogramm 2011, S. 9. 138 die Organisationskraft des Einzelkapitals«949 nicht ausreichten, um im internationalen Maß- stab bestehen zu können. Ein ›Klassenkompromiss minimierte [die] Auswirkungen der kapitalistischen Ausbeutung‹,950 der in Form der Sozialpartnerschaft über die Jahre Vollbeschäftigung und steigende Löhne gewährleistete und so »geeignet [war,] im System- wettbewerb mit dem Sozialismus erfolgreich die Massenloyalität der Arbeiterklasse mit Ab- milderung der Klassengegensätze zu erreichen.«951 ›Die Wirtschafts- und Sozialpolitik des Keynesianismus‹952 sorgte dafür, »dass die massenhaft hergestellten Güter auch auf eine massenhafte kaufkräftige staatliche wie private Nachfrage trafen.«953 ›Das Ende der »inneren Expansion« der Kapitalismus‹954 zeichnete sich Mitte der 70er Jahre ab, und die systematische Überakkumulation von Kapital wurde offensichtlich. »Die gewaltig ausgebauten Produktionspotenziale erwiesen sich als im Verhältnis zur kaufkräftigen Nachfrage überdimensioniert.«955 Das jähe Ende der Vollbeschäftigung und steigende Staats- defizite, mit denen diese Entwicklung abgefedert werden sollte, bezeichnen die augenschein- lichsten Auswirkungen dieser »ersten großen Nachkriegskrise in den entwickelten kapitalisti- schen Staaten.«956 Der ›Übergang vom »Wohlfahrtsstaat« zum neoliberalen Risikokapitalis- mus‹957 ist als Wechsel zwischen zwei »Wachstumsmodelle[n] der kapitalistischen Wirtschaft«, zu charakterisieren, deren Unterschiede »in der Schwerpunktsetzung und in der Methode«958 liegen: Das überflüssige Kapital suchte neue Wege und Formen für profitable Verwendung, fand sie auf dem „Weltmarkt“, und eine marktwirtschaftsgläubige Politik öffnete die Schleusen […] Die politischen Instanzen folgten weitgehend den Vorgaben des Fi- nanzkapitals, das die Deregulierung der Finanzmärkte und die Erweiterung der Frei- handelszonen forderte.959 Mit dieser Entwicklung gingen umfassende Privatisierungen, ein massiver Rückbau sozi- alstaatlicher Errungenschaften und der Rückgang sicherer Arbeitsplätze einher. Die im sozial- partnerschaftlichem Denken regelrecht gefangenen Gewerkschaften konnten dem kaum et-

949 Landesprogramm 2011, S. 9. 950 Landesprogramm 2011, S. 10 – 11. 951 Landesprogramm 2011, S. 11. 952 Landesprogramm 2011, S. 11 – 12. 953 Landesprogramm 2011, S. 11f. 954 Landesprogramm 2011, S. 12 – 14. 955 Landesprogramm 2011, S. 13. 956 Landesprogramm 2011, S. 13. 957 Landesprogramm 2011, S. 14 – 17. 958 Landesprogramm 2011, S. 14. 959 Landesprogramm 2011, S. 15. 139 was entgegensetzen. Es entstand »der Finanzmarktkapitalismus, der auf drei Säulen ruht: 1. Spekulation 2. Druck auf die Löhne 3. Abbau staatlicher Leistungen.«960 Das Kapitel ›Thatcherismus und Reaganomics. Neoliberalismus erstmals als Staats- doktrin‹961 beschreibt die politische Durchsetzung dieses neuen Akkumulationsmodells in Großbritannien und den USA als Ausgangspunkt für analoge Verfahren in anderen entwi- ckelten Ländern, während der Abschnitt ›Neoliberalismus befördert Überproduktionskrise – Die Wirkung des Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate‹962 die ökonomische dieser Vorgänge einer genaueren Betrachtung unterzieht: »Zu den Warenbergen, die keine Käufer fanden, gesellten sich Berge von Kapital, das kaum in der Warenproduktion profitable Investitionsmöglichkeiten finden konnte.«963 Um die Profite zu sichern, werden einerseits die Belegschaften verkleinert und andererseits müssen immer größere Kapitale investiert werden, was aber dazu führt, dass die Profitraten tendenziell sinken, was Gaisch im Landesprogramm mit Marx »als das ›in jeder Beziehung wichtigste Gesetz der modernen politischen Ökonomie und das wesentlichste, um die schwierigen Verhältnisse zu verstehen‹ (MEW, Bd. 42, S. 641)«964 bezeichnet.965

960 Landesprogramm 2011, S. 16. 961 Landesprogramm 2011, S. 17 – 18. 962 Landesprogramm 2011, S. 19 – 20. 963 Landesprogramm 2011, S. 19. 964 Landesprogramm 2011, S. 19. 965 Das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate wird ebenda so zusammengefasst: »Wie von Marx im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate dargelegt, lässt die beständige Produktivitätssteigerung durch den Einsatz neuartiger Produktionsmittel (Automatisierung) den Anteil des konstanten Kapitals (Maschinerie) im Verwertungsprozess steigen und den des variablen Kapitals (Arbeitskraft) sinken. Ein Unternehmen, das durch die Einführung neuer Produktionstechniken mehr Waren in kürzerer Zeit mit weniger Arbeitskräften herstellen kann, erwirtschaftet Extraprofite, da es für seine Produktion weni- ger als die durchschnittliche gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit aufwenden muss, die ja die tat- sächliche Wertgröße einer Ware bestimmt. Sobald sich aber der Einsatz der neuartigen Produktions- mittel gesamtwirtschaftlich durchgesetzt hat, sinkt die gesellschaftliche notwendige Arbeitszeit, die zur Herstellung der betreffenden Ware aufgewendet werden muss. Die Extraprofite unseres ›innovativen‹ Unternehmens schmelzen mit der Zeit dahin. Da die im Produktionsprozess verausgabte Lohnarbeit (variables Kapital) die Quelle des Mehrwertes bildet, geht diese Erhöhung der ›organischen‹ Zusammen- setzung des Kapitals (Marx) bei gleich bleibenden Aufwendungen für das besagte variable Kapital mit einem Fall der Profitrate einher. Der nun geschrumpfte Anteil des Kapitals innerhalb des Produktions- prozesses teilt sich bekanntlich in notwendige Arbeitszeit (Lohn) und Mehrarbeit (Mehrwert). Die Rela- tion zwischen diesen beiden Elementen des variablen Kapitals konstituiert die Mehrwertrate. Das Kapital sucht auch individuell den Fall der Profitrate durch eine absolute wachsende Masse des Profits wettzumachen. Das setzt jedoch Akkumulation auf großer Stufenleiter voraus. Akkumulation und Konzentration, die den Fall der Profitrate durch die Masse des Profits kompensieren sollen, för- dern jedoch selbst den Fall der Profitrate. So dreht sich die kapitalistische Produktion in einem Kreis von Widersprüchen, die nur von Zeit zu Zeit durch die Krisen gewaltsam gelöst werden können. (Landesprogramm 2011, S. 19f.) 140 ›Der Markt darf nicht Nabel der Weltwirtschaft bleiben‹966 wird gefolgert und betont, dass »Märkte […] untergeordnet, geregelt und begrenzt werden«967 und die Mittel zur Befrie- digung der Grundbedürfnisse der Menschen in öffentlichem Eigentum bleiben oder dorthin überführt werden müssen. »Mehr Produktivität muss in kürzere Arbeitszeiten umgesetzt werden, damit nicht Arbeitslosigkeit, sondern Zeitwohlstand entsteht und mit ihm neue Lebensqualität.«968 Hervorgehoben wird auch, dass eine Gegenüberstellung von ›Finanzsphäre versus »Realwirtschaft«?‹969 weder möglich noch zielführend ist: Die Vorstellung von einem zersetzenden Finanzkapital, welches das kerngesunde pro- duzierende Gewerbe mit in den Abgrund der Rezession reißt, stellt somit die Realität geradezu auf den Kopf. Die Wahrheit ist, dass das avancierte kapitalistische System von dem Prozess der Finanzialisierung, dem Anwachsen der finanziellen Struktur in Relation zur realen Ökonomie abhängig war und [dieser] sich als das wichtigste Mittel erwiesen hat, die Stagnation in der Produktion und der Investitionstätigkeit in den vergangenen Dekaden zu bekämpfen.970 Zwar konnte auf diesem Wege der allseitigen Verschuldung ein Hinauszögern des Aufbre- chens der krisenhaften Erscheinungen erreicht werden, jedoch waren ›riesige Spekulations- gewinne mit spekulativem Profit‹971 die Grundlage für das »Platzen der Blase der Subprime- Kredite«972 in den USA, wodurch ein Dominoeffekt ausgelöst wurde, der bewirkte, dass die gesamte Konstruktion wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel. Um das Loch dieser Subprime-Kredite zu stopfen, musste man andere öffnen, um eine Schuld zu bezahlen, war es nötig, sich neu zu verschulden.973 Näher auf den Zusammenhang zwischen der Stagnation der Masseneinkommen und dem – fiktiven – Anstieg der Werte von Immobilien wird im Kapitel ›Klaffende Einkommensschere – vorgetäuschte Vermögensgarantien‹974 eingegangen. Mit dem Postulat ›Die Weltwirtschaftskrise hat »systemische« Gründe‹975 wird jenen Erklärungsversuchen entschieden entgegengetreten, die die Grundlage der Krise darin veror- ten, »dass ein Banker zu profitgierig und charakterschwach«976 wären. ›Die Finanzoligarchie

966 Landesprogramm 2011, S. 21 – 22. 967 Landesprogramm 2011, S. 21. 968 Landesprogramm 2011, S. 21. 969 Landesprogramm 2011, S. 22 – 23. 970 Landesprogramm 2011, S. 22. 971 Landesprogramm 2011, S. 23 – 24. 972 Landesprogramm 2011, S. 24. 973 Landesprogramm 2011, S. 24. 974 Landesprogramm 2011, S. 24 – 25. 975 Landesprogramm 2011, S. 25 – 26. 976 Landesprogramm 2011, S. 26. 141 als dominante Herrschaftsform des Imperialismus‹977 stellt die sich wandelnden Eigentums- strukturen und den »Prozess der wechselseitigen Durchdringung von Industrie- und Bank- kapital«978 dar. ›Das Herzstück der kapitalistischen Produktionsweise‹979 kann demzufolge nur die »materielle Warenproduktion«980 sein: Bei genauerem Hinsehen erweist sich diese Trennung von Finanz- und Realwirtschaft nicht nur als oberflächlich, manches Mal geradezu als ein pro-kapitalistisches Täu- schungsmanöver. Das erinnert an die Nazipropaganda gegen das »raffende«, ver- meintlich jüdische Kapital.981 Beleuchtet wird die ›IT-Industrie – [als] materielle Grundlage für den aktuellen Crash‹982 –, weil sie ein bedeutender Sprung in der Produktivkraftentwicklung war und »eine über die Konjunkturschwankungen hinausreichende Überproduktion und abnehmende Beschäfti- gung«983 nach sich zog. ›Der Arbeitsgesellschaft droht die »Verflüchtigung« der Lohnarbeit‹984 schließt das Landesprogramm daraus, weil »die arbeitssparenden Effekte der technischen Innovationen« nicht mehr »durch das Wirtschaftswachstum und die damit einhergehende Zunahme der Beschäftigungszahlen ausgeglichen«985 werden konnte. ›Die wirkliche Ursache der Krise‹986 ist also »die lang anhaltende Tendenz einer stag- nierenden bzw. generell schwächer werdenden Nachfrage nach Gütern«,987 wobei es als »er- staunlich« eingeschätzt wird, »dass sich dieser Ausbruch so lange hinausgezögert hat.«988 Aufgrund der Vielfalt an ökonomischen Voraussetzungen und den tiefgreifenden Folgen wird die gesamte Entwicklung als ›eine integrative Zivilisationskrise des kapitalistischen Gesellschaftssystems‹989 charakterisiert und die Frage aufgeworfen ›Ist der Kapitalismus am Ende?‹990 Trotz der verneinenden Antwort wird der »Bankrott der Politik und der Formeln

977 Landesprogramm 2011, S. 26 – 29. 978 Landesprogramm 2011, S. 27. 979 Landesprogramm 2011, S. 29 – 31. 980 Landesprogramm 2011, S. 30. 981 Landesprogramm 2011, S. 29f. 982 Landesprogramm 2011, S. 31 – 32. 983 Landesprogramm 2011, S. 32. 984 Landesprogramm 2011, S. 33 – 34. 985 Landesprogramm 2011, S. 33. 986 Landesprogramm 2011, S. 34 – 36. 987 Landesprogramm 2011, S. 34f. 988 Landesprogramm 2011, S. 36. 989 Landesprogramm 2011, S. 37 – 38. 990 Landesprogramm 2011, S. 38. 142 des Kapitalismus« hervorgehoben und die objektive »Notwenigkeit des Sozialismus«991 betont. ›Realwirtschaft weiter im Sinkflug – Die Krise vernichtet massenhaft Arbeitsplätze‹992 heißt das Kapitel, das sich mit der augenscheinlichsten unmittelbaren Auswirkung auf die entwickelten Industrieländer auseinandersetzt; ›Motto: Weiter so! – »Unbankrottbare« Banken zocken wie vor der Krise!‹993 jenes, das die Bankenrettungspakete als »Reanimation von Finanzleichen«994 einschätzt. Die Abschnitte ›Österreich – 100 Milliarden Lohnraub‹995 und ›Es droht die Abwälzung der Rekord-Staatsschulden auf die Bevölkerung‹996 fassen die unmittelbaren Auswirkungen auf die Bevölkerung hierzulande zusammen, während in ›Die Schulden werden verstaatlicht‹997 Ursachen für die geschnürten Sparpakete benennt. Doch nicht nur die ökonomischen Triebkräfte, sondern auch die durch sie bedingte internationale Politik wird in ›Die USA agieren weiter als Weltmacht Nr. 1‹998 und ›USA und China: Zu weiterer Kooperation gezwungen‹999 beleuchtet, das Verhältnis der beiden »Haupt- konkurrenten in der Weltarena«1000 beschrieben und attestiert, dass ›das Ende des Dollars als Weltreservewährung […] in die Nähe gerückt‹1001 ist. Die ›EU – Ein Bündnis imperialistischer Staaten‹1002 – wird als »der unmittelbarste Ri- vale der Vereinigten Staaten von Amerika auf der weltpolitischen Bühne«1003 gefasst und nicht von früheren programmatischen Erklärungen abgerückt: Die Hoffnung auf fortschrittliche, gar sozialistische Umgestaltungsmöglichkeiten der EU hat keinerlei materielle und realistische Grundlage. Der imperialistische Grund- charakter der EU macht jede Erwartung illusorisch, dass die Europäische Union ohne grundlegenden Umbruch der Macht- und Eigentumsverhältnisse zu einem Gegenpol in der Welt werden könnte, der für Frieden, Demokratie und gesellschaftlichen Fort- schritt steht.1004

991 Landesprogramm 2011, S. 38. 992 Landesprogramm 2011, S. 38 – 40. 993 Landesprogramm 2011, S. 40 – 42. 994 Landesprogramm 2011, S. 40. 995 Landesprogramm 2011, S. 42 – 43. 996 Landesprogramm 2011, S. 43 – 44. 997 Landesprogramm 2011, S. 44 – 45. 998 Landesprogramm 2011, S. 45. 999 Landesprogramm 2011, S. 45 – 46. 1000 Landesprogramm 2011, S. 45. 1001 Landesprogramm 2011, S. 46 – 47. 1002 Landesprogramm 2011, S. 47 – 49. 1003 Landesprogramm 2011, S. 47. 1004 Landesprogramm 2011, S. 48. 143 Eine »neue multipolare Weltordnung könnte sich als Sechseck (USA, EU, China, Russland, Indien und Japan) herausbilden«,1005 und ›ein neuer historischer Block ist im Entstehen‹,1006 weil der »Einfluss der vier wichtigsten, nicht dem ›Westen‹ zuzurechnenden Staaten […] nicht länger ignoriert werden«1007 kann, wenn auch eingeräumt wird, dass »die BRIC1008-Staaten keine politische Einheit«1009 darstellen. Im Kapitel ›Lateinamerika: Alternative soziale Integration‹1010 werden die Errungen- schaften des Übergangs zu einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts in einer Aufzählung hervorgestrichen: die gerade stattfindenden Nationalisierungswellen ausländischer Unternehmen, die Verteilung von Großgrundbesitz an Landarbeiter, die Schaffung einer allgemeinen öffentlichen Gesundheitsorganisation, eines nationalen Schulsystems und der Besei- tigung der Wohnungsnot.1011 Zwar mit Vorbehalten, aber prinzipiell wohlwollend wird ›die VR China: Hauptmotor der Weltwirtschaft‹1012 eingeschätzt. Ob sie sich auf dem Weg zum Sozialismus befindet, wie es die chinesische Führung sieht, oder in Richtung einer kapitalistischen Restauration bewegt, wird offen gelassen: »Die Entscheidung in dieser Auseinandersetzung hängt in erster Linie von der weiteren Entwicklung der KP Chinas ab.«1013

In seinen letzten Lebensjahren, fiel es Willi Gaisch, der schon unter mehreren Krankheiten litt, immer schwerer, sich an Aktionen und Kampagnen der steirischen KPÖ zu beteiligen.1014 Nicht zuletzt deshalb konzentrierte er sich auf die programmatisch-theoretische Arbeit. Gaisch konzipierte den rundum erneuerten ersten Teil des steirischen Landesprogramms als Vademekum über die Krise der Jahre 2007 ff., der sich aus ihr ergebenden politischen Umgruppierungen sowie der möglichen Ausgangspunkte einer alternativen Gesellschafts- ordnung, deren Voraussetzungen, Konturen und Potentiale und im anschließenden Teil mit dem Titel ›Der Sozialismus – unser programmatisches Fernziel‹ entwickelt werden.

1005 Landesprogramm 2011, S. 51f. 1006 Landesprogramm 2011, S. 41 – 53. 1007 Landesprogramm 2011, S. 52. 1008 Brasilien, Russland, Indien und China. 1009 Landesprogramm 2011, S. 52. 1010 Landesprogramm 2011, S. 53 – 54. 1011 Landesprogramm 2011, S. 53. 1012 Landesprogramm 2011, S. 54 – 55. 1013 Landesprogramm 2011, S. 55. 1014 Vgl. Werner Murgg, Willi Gaisch 1922 – 2009, In: PiB, Februar 2010, S. 7. 144 Nachwort Die Konsolidierung und Stabilisierung seiner Partei erlebte Gaisch nicht mehr. »Bes- tes Ergebnis seit 1970«1015 titelte die Mitgliederzeitung Partei in Bewegung nach den steirischen Gemeinderatswahlen am 21. März 2010, bei denen die KPÖ ihre kommunalen Mandate von 13 auf 28 mehr als verdoppelte, in Knittelfeld mit Renate Pacher erstmals in die Stadtre- gierung einzog und in Trofaiach mit Gabi Leitenbauer die erste kommunistische Vizebürger- meisterin in der Geschichte Österreichs stellt.1016 Die KommunistInnen reüssierten vor allem dort, wo sie »die Menschen über die wahren Ursachen und Auswege der kapitalistischen Wirtschaftskrise glaubhaft aufklären«1017 konnte, wie Leitenbauer im Landesvorstand ana- lysierte. Sie unterstrich in diesem Zusammenhang die Bedeutung des »Entwurf[s] des Partei- programmes, das unter der Federführung von Willi Gaisch entstanden«1018 war. Das Landesprogramm ist gleichsam Gaischs politisches Vermächtnis; »Wenn man eine richtige Haltung hat, ist immer Platz für Optimismus«,1019 fasste er das Grundanliegen seines Werkes und gewissermaßen seines Lebens zusammen, in dem er »nie gezweifelt [hatte], dass irgendwann der Sozialismus triumphieren wird – im Weltmaßstab und trotz aller Nieder- lagen und Rückschläge«,1020 wie er betonte. Diese biografische Skizze soll nicht nur »ein kämpferisches, erfülltes Leben«,1021 wie Gaisch es selbst in einem Gespräch nannte, sondern auch die Konturen eines Menschen zeichnen, der sich Marx’ »kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«,1022 zur Handlungsmaxime gemacht hat, und gleichsam einen bescheidenen Beitrag zur Verständnis der Dialektik zwischen Einzelnem und Gesellschaft im Österreich des ›kurzen 20. Jahrhundert‹ leisten.

1015 Bestes Ergebnis seit 1970, In: PiB April 2007, S. 1. 1016 Vgl. Bestes Ergebnis seit 1970, In: PiB April 2007, S. 1. 1017 Gabi Leitenbauer, Die Lehren für die Zukunft, In: PiB April 2007, S. 5. 1018 Gabi Leitenbauer, Die Lehren für die Zukunft, In: PiB April 2007, S. 5. 1019 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0152), 29. September 2009. 1020 Gaisch, Tonbandinterview (DW_B0152), 29. September 2009. 1021 Gaisch, Tonbandinterview (A0090304), 13. Oktober 2009. 1022 Karl Marx, Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, In: MEW, Bd. 1, S. 385; Hervor- hebung im Original. 145 Abkürzungsverzeichnis AK: Arbeiterkammer Anm.: Anmerkung BKP: Bulgarische Kommunistische Partei BL: Bezirksleitung BO: Betriebsorganisation BRD: Bundesrepublik Deutschland BRIC: Brasilien, Russland, Indien, China BuVo: Bundesvorstand BZÖ: Bündnis Zukunft Österreich ČSSR: Tschechoslowakische Sozialistische Republik CSU: Christlich Soziale Union DDR: Deutsche Demokratische Republik ders.: derselbe DKP: Deutsche Kommunistische Partei Dr.: Doktor ebda.: Ebenda EG: Einheitsgewerkschaft EG: Europäische Gemeinschaft EKKI: Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale EU: Europäische Union FDJ: Freie Deutsche Jugend FÖJ: Freie Österreichische Jugend FCG: Fraktion Christlicher Gewerkschafter FG: Freie Gewerkschaften FPÖ: Freiheitliche Partei Österreichs FSG: Fraktion Sozialistischer, ab 1991 Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen GE: Gewerkschaftliche Einheit Gen.: Genosse Gin.: Genossin GLB: Gewerkschaftlicher Linksblock GPA: Gewerkschaft der Privatangestellten GrPA: Grazer Parteiarchiv hw: Hanno Wisiak IKG: Israelitische Kultusgemeinde KAZ: Kommunistische Arbeiterzeitung KI: Kommunistische Initiative KJÖ: Kommunistische Jugend Österreichs KJV: Kommunistischer Jugendverband KlPW: Kleines Politisches Wörterbuch KSV: Kommunistischer StudentInnenverband Kominform: Kommunistisches Informationsbüro Komintern: Kommunistische Internationale KOMintern: Kommunistische Gewerkschaftsinitiative International KPdSU: Kommunistische Partei der Sowjetunion

146 KPČ: Kommunistische Partei der Tschechoslowakei KPD: Kommunistische Partei Deutschlands KPÖ: Kommunistische Partei Österreichs KZ: Konzentrationslager LL: Landesleitung LV: Landesvorstand MDP: Magyar Dolgozók Pártja = Ungarische Partei der Werktätigen MSzMP: Magyar Szocialista Munkáspárt = Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei nVs: Neue Volksstimme ÖGB: Österreichischer Gewerkschaftsbund ORF: Österreichischer Rundfunk ÖVP: Österreichische Volkspartei PiB: Partei in Bewegung (Mitgliederzeitung der steirischen KPÖ) Polbüro: Politisches Büro Politbüro: Politisches Büro RH: Rote Hilfe RS: Revolutionäre Sozialisten SAG: Soziale Arbeitsgemeinschaft SED: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SPD: Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPÖ: Sozialistische, ab 1991 Sozialdemokratische Partei Österreichs StGB: Strafgesetzbuch s.v.: sub voce = unter dem Ausdruck UdSSR: Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken USAP: Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei USIA: Управление советским имуществом в Австрии = Verwaltung des sowjetischen Vermögens in Österreich USPD: Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands VF: Vaterländische Front VdU: Verband der Unabhängigen Vgl.: Vergleiche VÖEST: Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke WdG: Wörterbuch der Geschichte WuZ: Weg und Ziel ZK: Zentralkomitee ZPA: Zentrales Parteiarchiv

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Interviews Hilde GAISCH, Filminterviews (WGD_Hilde_a, WGD_Hilde_b, WGD_Hilde-2a, WGD_Hilde1-3, WGD_Hilde-7, WGD_Hilde-10) geführt von Colette M. Schmidt, Samuel Stuhlpfarrer und Hanno Wisiak, 2. März 2010; Bestand Wisiak Willi GAISCH Tonbandinterviews (DW_A0146, DW_A0147, DW_A0148, DW_A0149, DW_A0150, DW_A0150) geführt von Colette M. Schmidt, Samuel Stuhlpfarrer und Hanno Wisiak, 24. September 2009; Bestand Wisiak.

156 Willi GAISCH, Tonbandinterviews (DW_B0151, DW_B0152) geführt von Colette M. Schmidt, Samuel Stuhlpfarrer und Hanno Wisiak, 29. September 2009; Bestand Wisiak. Willi GAISCH, Filminterviews (WGD_cafe2 -25, WGD_syna_01, WGD_syna_02, WGD_syna_04, WGD_syna_05, WGD_syna_06, WGD_syna_07, WGD_syna_08) geführt von Colette M. Schmidt, Samuel Stuhlpfarrer und Hanno Wisiak in der Grazer Synagoge, 10. Dezember 2009; Bestand Wisiak. Willi GAISCH, Filminterviews (WGD_cafe1-3, WGD_cafe1-4, WGD_cafe1-7, WGD_cafe1-8, WGD_cafe1-9, WGD_cafe1-10, WGD_cafe1-11, WGD_cafe1-12, WGD_cafe1-13, WGD_cafe1-14, WGD_cafe2-16, WGD_cafe2-25), geführt von Colette M. Schmidt, Samuel Stuhlpfarrer und Hanno Wisiak im Café Weitzer, Graz, 10. Dezember 2009; Bestand Wisiak. Willi GAISCH, Alfred FROSCHAUER, Filmgespräch (WGD_kpohaus-4 INT), geführt von Colette M. Schmidt, Samuel Stuhlpfarrer und Hanno Wisiak im Volkshaus der KPÖ Graz, 10. Dezember 2010 Willi GAISCH, Zeitzeugengespräch (WGD_uni-2-Vortrag), 10. Dezember 2010

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