Simone Burgschwaiger

Die steirische Rüstungsindustrie 1938 – 1945 und der Einsatz von ausländischen Arbeitskräften (Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, KZ-Insassen)

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Studienrichtung Betriebswirtschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz

Univ.-Prof. Dr. Stefan Karner Institut für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte

Graz, Dezember 2009 II

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht be- nützt und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in glei- cher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorlie- gende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Graz, Dezember 2009 Simone Burgschwaiger III

Inhaltsverzeichnis

I. Vorwort ______6 II. Einleitung ______7

III. Die Geschichte der steirischen Rüstungsindustrie ______9

1. Rüstungs- und Heeresmaterial liefernde Industriebetriebe der Monarchie ______12 2. Steirische Rüstungsbetriebe im Ersten Weltkrieg ______14 3. Die Rüstungsindustrie und der Friedensvertrag von St. Germain ______16 IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit ______18

1. Die wirtschaftliche Lage Österreichs im März 1938 ______21 2. Die wehrwirtschaftliche Bedeutung der Eingliederung Österreichs ______23 3. Der „“ und die Folgen ______26 V. Die Rüstungsindustrie im Steiermark ______31

1. Die „Wirtschaftsplanung“ im „Dritten Reich“ ______32 2. Die Errichtung der Wehrwirtschaftsorganisation ______35 3. Die Ernennung von Rüstungsbetrieben für die Wehrmachtsteile ______38 Die Rüstungsbetriebe des Heeres ______40 Die Rüstungsbetriebe der Luftwaffe ______41 Die Rüstungsbetriebe der Marine ______42 4. Die steirische Industrie und das deutsche Großkapital ______45 5. Rüstungsausbau und Vierjahresplanprojekte in der Steiermark ______47 6. Die Entwicklung der steirischen Rüstungsindustrie im Kriegsverlauf ______50 Die Blitzkriegwirtschaft ______50 Die Rüstungsära Speer ______53 Der Luftkrieg ______55 7. Die Bedeutung der steirischen Rüstungsindustrie in der gesamtdeutschen Rüstungsproduktion ______60 VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie ______63

1. Die Notwendigkeit des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte ______67 2. Der Bruch mit der nationalsozialistischen Ideologie ______70 3. Die Kategorisierung bei der Behandlung der ausländischen Arbeitskräfte ______72 IV

4. Die Kriegsgefangenen ______74 Kategorisierung der Kriegsgefangenen ______76 Umwandlung der Kriegsgefangenen in Zivilarbeiter ______78 5. Die Zwangsarbeiter ______79 6. Die KZ-Insassen ______82 7. Der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte in steirischen Rüstungsbetrieben ______84 8. Die Lebensbedingungen der ausländischen Arbeitskräfte ______88 Unterbringung ______88 Behandlung und Bewachung durch das Lagerpersonal ______91 Organisation des Arbeitseinsatzes ______93 Behandlung am Arbeitsplatz ______96 Ernährung ______97 Entlohnung ______99 Freizeitgestaltung ______101 Kontakt zur Zivilbevölkerung ______102 Fluchtversuche ______104 VI. Schlusswort ______106

Literaturverzeichnis ______107

Abbildungsverzeichnis

Bild 1: Die k.k. priviligierte Gussstahlfabrik Kapfenberg im Jahr 1870 ______13 Bild 2: Kapfenberg 1913: Geschossdreherei ______14 Bild 3: Kapfenberg 1916: Neue Werkstätte ______15 Bild 4: Der steirische Erzberg ______25 Bild 5:Landung der deutschen Luftwaffe am Thalerhof, 12. März 1938 ______27 Bild 6: Gesenkschmiede 1944 ______48 Bild 7: Neue Fertigungshalle in Kapfenberg ______48 Bild 8: US-Einsatzkarte für Kapfenberg vom 22. August 1944 ______57 Bild 9: Eine B-24 „Liberator“ beim Angriff auf das Steyr-Daimler-Puch-Werk in Graz- Thondorf am 16. Oktober 1944 ______58 Bild 10: „Ostarbeiterinnen“ am Firmengelände der Lapp-Finze AG ______90 Bild 11: Das Firmengelände der Lapp-Finze AG 1938 ______91 Bild 12: „Bewährte Ostarbeiter tragen ihr Ost auf dem linken Ärmel“ ______97

V

Diagramm 1: Gesamtzahlen der Kriegsgefangenen in den Lagern des Wehrkreises XVIII von 1940 bis 1944 ______74 Diagramm 2: Zivile Zwangsarbeiter im Landesarbeitsamtsbezirk Steiermark-Kärnten 1941 – 1944 ______82 Diagramm 3: Anzahl der Kriegsgefangenen in den Rüstungsbetrieben des Rüstungskom- mandos Graz ______94

Karte 1: Die steirischen Rüstungsbetriebe zu Beginn des Zweiten Weltkrieges ______39 Karte 2: Die steirischen Rüstungsbetriebe im Frühjahr 1944 ______61

I. Vorwort 6

I. Vorwort

Als 1919 in Vororten von Paris die Friedensverträge unterzeichnet wurden, zog wohl keiner der anwesenden Staatsmänner die Möglichkeit in Betracht, dass es in absehbarer Zukunft zu einem neuerlichen Krieg kommen würde, der den Ersten Weltkrieg in seinem Ausmaß in je- der Hinsicht um ein Vielfaches übertreffen würde. Mit den Ursachen und dem militärischen Verlauf dieses Krieges, der 1939 seinen Anfang nahm, haben sich Historiker schon sehr früh auseinandergesetzt. Lange Zeit wurde dabei al- lerdings außer Acht gelassen, dass es letztlich die ökonomischen Gegebenheiten waren, die den Verlauf des Zweiten Weltkriegs entscheidend bestimmten. Dies ließ in der neueren österreichischen Wirtschaftsgeschichte lange Zeit eine Lücke entste- hen, die zu schließen – auch wenn die Wirtschaftspolitik von einem verbrecherischen Regime betrieben worden und auf den Krieg ausgerichtet gewesen war – von großer Bedeutung war, weil die ökonomischen Veränderungen dieser Zeit einen entscheidenden Einfluss auf die Wirtschaft der Zweiten Republik hatten.1 Nicht zuletzt aber auch deshalb, weil der „An- schluss“ nur als ein Zusammenspiel von militärischen, politischen und wirtschaftlichen Moti- ven richtig verstanden werden kann.2 Ausgehend von der Tatsache, dass die österreichische Industrie unmittelbar nach dem „An- schluss“ in die deutsche Kriegswirtschaft einbezogen wurde, werde ich in meiner Arbeit der Frage nachgehen, welche Bedeutung den steirischen Betrieben während des Zweiten Welt- kriegs für die Rüstungsindustrie des „Dritten Reiches“ zukam, und welche Rolle der Arbeits- einsatz der ausländischen Arbeitskräfte dabei spielte. An dieser Stelle möchte ich mich bei Herrn Prof. Karner für die Vergabe dieses Themas für meine Arbeit bedanken. Er hat mir damit nicht nur ermöglicht, einen umfassenden Einblick in die steirische Rüstungsindustrie zu erhalten, sondern auch die Gelegenheit gegeben, mein geschichtliches Wissen zu erweitern und der Thematik „Zwangsarbeiter“, die bisher aus einer einzigen Zeile in Schulunterrichtsbüchern bestand, einen anderen Stellenwert zukommen zu lassen.

1 Vgl. BUTSCHEK Felix, Die österreichische Wirtschaft 1938 bis 1945. Wien 1978. S. 13, 15. 2 Vgl. SCHAUSBERGER Norbert, Rüstung in Österreich 1938-1945. Eine Studie über die Wechselwirkung von Wirtschaft, Politik und Kriegsführung. Publikationen des Österreichischen Instituts für Zeitgeschichte und des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien, Band 8. Wien 1970. S. 5. II. Einleitung 7

II. Einleitung

Als das NS-Regime in Österreich die Macht übernahm, war die Steiermark nicht nur ein Land, das in der Waffenerzeugung auf eine lange Tradition zurückblicken konnte, es war auch der Teil Österreichs, der über einen großen Reichtum an Bodenschätzen verfügte. Dass deutschnationales Gedankengut im 19. Jahrhundert gerade in der Steiermark auf beson- ders fruchtbaren Boden gefallen war, ist nicht zuletzt auf die jahrhundertealte Grenzlandfunk- tion dieses Gebietes zurückzuführen.3 Andererseits gab es hier während der NS-Zeit aber auch einen hohen Grad des Widerstands: Bereits bei der Volksabstimmung am 10. April 1938 wur- de 40.000 Steirern die Stimmabgabe verwehrt, rund 36.000 Regimegegner befanden sich während der nationalsozialistischen Herrschaft in Grazer Gefängnissen in Haft und etwa 8000 (die höchste Zahl in Österreich) wurden aus politischen Gründen hingerichtet.4 Die Grenzlage – als Brücke auf den Balkan – war schließlich auch ausschlaggebend dafür, dass die Nationalsozialisten nach dem „Anschluss“ bestrebt waren, die Steiermark zu einem Musterland ihrer Leistungen und Ideale zu machen. Doch trotz der straffen Organisation und Unterdrückung konnte sich das Land das typisch „Ur-Steirische“ größtenteils bewahren.5

Die Rüstungsindustrie, zu der anfänglich nur jene Unternehmen zählten, die Wehrmachtsauf- träge ausführten und von Wehrwirtschaftsinspektoren betreut wurden, umfasste nicht nur Endfertigungsbetriebe der Waffen-, Munitions- und Kriegsgeräteherstellung, sondern auch Zuliefer-6 und Grundstoffindustriebetriebe.7

Nach einem Einblick in die Entwicklung der steirischen Rüstungsindustrie vom Mittelalter ins Zeitalter der Industrialisierung, ihre Feuertaufe im Ersten Weltkrieg und die Auswirkungen des Friedensvertrags von St. Germain in Kapitel III beschäftigt sich Kapitel IV mit der Situa- tion der österreichischen Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit, der wehrwirtschaftlichen Be- deutung der Eingliederung Österreichs sowie den wirtschaftlichen Folgen des „Anschlusses“. Kapitel V thematisiert nach einer allgemeinen Betrachtung der „Wirtschaftsplanung“ im

3 Vgl. KARNER Stefan, Die Steiermark im Dritten Reich 1938-1945. Aspekte ihrer politischen, wirtschaftlich- sozialen und kulturellen Entwicklung, 3. Auflage. Graz 1994. S. 19. 4 Vgl. KARNER Stefan, „ ... Des Reiches Südmark“. Kärnten und Steiermark im „Dritten Reich“ 1938-1945, in: TALOS Emmerich et al (Hrsg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch. Wien 2000. S. 320. 5 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 20, 23. 6 Bei den Zulieferindustrien waren verschiedene Formen zu unterscheiden: „Vorlieferungen“ (Vormaterialien wie Stahl bis zum Halbzeug), „Unterlieferungen“ (kleinere Betriebe übernahmen verschiedene Arbeiten wie Drehen, Fräsen, Schneiden, usw.) und echte „Zulieferungen“ (Lieferung fertiger Einbauteile durch branchen- fremde Betriebe, z.B. Reifen an Kraftfahrzeugbetriebe oder Motore an Panzerwerke). Vgl. WAGENFÜHR Rolf, Die deutsche Industrie im Kriege 1939-1945, 2. Auflage. Berlin 1963. S. 62. 7 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 23 und vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 9. II. Einleitung 8

„Dritten Reich“ und der Errichtung der Wehrwirtschaftsorganisation die Entwicklung der steirischen Industriebetriebe – ihre „Ernennung“ zu Rüstungsbetrieben, den Rüstungsausbau und die Besitzumschichtungen – während der NS-Herrschaft, um abschließend ihre Bedeu- tung in der gesamtdeutschen Rüstungsproduktion darzulegen. Kapitel VI beschäftigt sich - nach einer allgemeinen Erörterung der Notwendigkeit des Arbeitseinsatzes der „Fremdvölki- schen“, der einen Bruch mit der nationalsozialistischen Ideologie darstellte - mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der ausländischen Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie.

Hinweisen muss ich darauf, dass analog zum Thema auf gendergerechte Formulierungen ver- zichtet und zum besseren Verständnis die in der NS-Zeit anfangs verwendete Bezeichnung „Ostmark“ für Österreich beibehalten wurde.

III. Die Geschichte der steirischen Rüstungsindustrie 9

III. Die Geschichte der steirischen Rüstungsindustrie

In den Eisenerzer Alpen - zwischen dem Ennstal und dem Murtal - liegt der Erzberg, der die Grundlage dafür schuf, dass sich in der Mur-Mürzfurche eine jahrhundertealte Tradition der Waffenerzeugung entwickelte.8

Aus dem 12. Jahrhundert erhaltene Dokumente über Radmeisterfamilien9 und ein zu dieser Zeit angelegtes Verbrüderungsbuch des Stiftes Seckau „Unsere Brüder aus dem Leobner Erz- gebiete“ geben einen Einblick in das Leben der „Eisenleute“ zu der Zeit, als der Berg noch im landesfürstlichen Eigenbetrieb gewesen war.10 Bereits zur Zeit Kaiser Maximilians, des „letz- ten Ritters“, der 1498 begonnen hatte, große Bestellungen in Auftrag zu geben, war Kapfen- berg die bedeutendste Waffenschmiede der Steiermark gewesen.11

Im Zeitalter der Industrialisierung entwickelten sich aus den Hammerwerken, Gießereien und Schmieden moderne Großbetriebe.12 Namen wie Mayr-Melnhof, Seßler und Körösi sind untrennbar mit der modernen steirischen Eisenindustrie verbunden. Sie begannen mit dem Aufbau von Industrieanlagen in einer Zeit, als das steirische Eisenwesen in einer schweren Krise steckte, weil das Eisen, das einst Welt- ruf erlangt hatte - nicht zuletzt aufgrund der Verwendung alter, traditioneller Formen der Ei- sengewinnung und –verarbeitung - auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig war13. Sie gelten als Begründer der modernen Eisen- und Stahlindustrie in der Steiermark, deren Bedeu- tung für die Rüstungsindustrie des „Dritten Reiches“ in meiner Arbeit erörtert werden wird. Es ist deshalb unerlässlich, auf das Wirken dieser Pioniere bzw. ihrer Nachkommen näher einzugehen. Anfang des 19. Jahrhunderts war ein gewisser Franz Mayr Besitzer einiger Hämmer in der Nähe von Bruck an der Mur und in Kapfenberg (u.a. des bekannten Erlachhammers) und ei- nes Hammers in Leoben-Waasen. 1836 errichtete er das Stahlwerk Franzenshütte in Dona- witz, das sein Sohn, ein in England ausgebildeter Berg- und Hüttenfachmann zum ersten

8 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 19. 9 Hammermeister traten erst etwa 100 Jahre später als selbständige Gewerken des Eisenwesens in Erscheinung. 10 Vgl. LOEHR Maja, Die Radmeister am steirischen Erzberg bis 1625. Eine soziologische Untersuchung. Graz 1941. S. 4, 7. 11 Vgl. BÖHLER Otto, Geschichte der Gebr. Böhler & Co. AG. 1870-1940. Steirischer Stahl für Werkzeug und Waffe, Band 1. Berlin 1941. S. 42, 53. 12 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 19. 13 Vgl. KLEIN Anton Adalbert, Franz Mayr-Melnhof, ein Pionier der modernen Eisenindustrie, in: TREMEL Ferdinand (Hrsg.), Steirische Unternehmer des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine Sammlung von Lebensbildern. Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark, Sonderband 9. Graz 1965. S. 6f. III. Die Geschichte der steirischen Rüstungsindustrie 10

Puddlingswerk der Steiermark machte. Dieses wurde – vergrößert durch die Errichtung der Carolihütte im Jahr 1843 - zur Gründungsstätte der gewaltigen Donawitzer Werksanlagen. Zusammen mit den Kapfenberger Anlagen wurde damals ein ansehnlicher Industriekomplex aufgebaut. Unter der Leitung von Franz Mayr Junior kam es in Folge zu einer ständigen Ver- größerung die Anlagen (z.B. Theodorhütte in Donawitz, Gussstahlfabrik in Kapfenberg) und des Erzeugungsprogramms. Daneben wurden alle neuen technischen Errungenschaften in den Industrieanlagen eingeführt: u.a. wurden die alten Hämmer in Donawitz durch Grob-, Mittel- und Feinwalzstrecken ersetzt und im Kapfenberger Erlachhammer zwei Tiegelstahlöfen er- richtet. Bei der Aufstellung neuer Schmelzöfen wurde 1858 die Regenerativfeuerung - eine völlig neue Erfindung von Friedrich Siemens – verwendet. Auf Mayrs Anregung hin begann der Engländer John Haswell dampfhydraulische Schmiedepressen zu bauen. Eine Presse kam in der Donawitzer Franzenshütte zum Einsatz. 1872, im selben Jahr, als er von Kaiser Franz Josef I. aufgrund seiner Verdienste für die steirische Wirtschaft in den Freiherrenstand erho- ben worden war, verkaufte Mayr von Melnhof angesichts einer schweren Krise in der Eisen- und Stahlindustrie den gesamten Industriekomplex um 5,25 Mio. Gulden an die Innerberger Hauptgewerkschaft14, die 1866 von der Österreichischen Creditanstalt übernommen worden war, und die 1881 mit anderen großen Montan- und Hüttenbetrieben in der neugegründeten Alpine Montan-Gesellschaft aufging. Später gelangte das Kapfenberger Werk in den Besitz der Brüder Böhler, denen bereits unter Franz Mayr die Alleinvertretung für Stahl aus Kapfen- berg übertragen worden war.15 Das zweite Puddlings- und Walzwerk der Steiermark wurde von Josef Seßler 1838 in Krieg- lach errichtet. Damit gab Seßler einen entscheidenden Anstoß zur Entwicklung der Mürztaler Eisenindustrie. Die anderen bedeutenden Betriebsansiedelungen im oberen Mürztales (z.B. Bleckmann, Vogel & Noot) kam es erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert - also wesentlich später. Auch Seßlers Nachkommen strebten nach Verbesserungen und dem Ausbau des Er- zeugungsprogramms. Mit der Verwendung der Dampfkraft in den 50er Jahren des 19. Jahr- hunderts, die die Erzeugung von Blechen bis zu elf Zentnern Gewicht ermöglichte, zählte Krieglach zu den modernsten Eisenwerken in der Steiermark und nahm 1857 mit einer Jahre- sproduktion von 3200 t Grob- und Feinblech unter den großen steirischen Eisenindustrien hinter Mayr-Melnhof in Leoben und Henkel-Donnersmarck in Zeltweg den dritten Platz ein. Berühmt wurde das Krieglacher Werk vor allem auch durch die Bleche des 1869 errichteten Feinblechwalzwerkes. Das 1870 verkaufte Unternehmen kam nach mehrfachem Besitzwech- sel 1939 zum zweiten Mal in den Besitz der Alpine Montan-Gesellschaft.16

14 „Innerberg“ war die heutige Bezirksstadt Eisenerz. 15 Vgl. KLEIN, Mayr-Melnhof, S. 5-9. 16 Vgl. PICKL Othmar, Josef Seßler und die Anfänge der Mürztaler Eisenindustrie, in: TREMEL Ferdinand (Hrsg.), Steirische Unternehmer des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine Sammlung von Lebensbildern. Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark, Sonderband 9. Graz 1965. S. 28-31. III. Die Geschichte der steirischen Rüstungsindustrie 11

In einer Zeit, in der jeder, der den Versuch unternahm, etwas Neues zu schaffen, mit Miss- trauen und Anfeindung verfolgt wurde, gelang es dem jungen, aus Ungarn stammenden Josef Körösi, in Graz ein Unternehmen aufzubauen. 1835 erwarb er im Alter von 24 Jahren die Ket- tenfabrik Josef Hochrichter (später Pengg-Walenta AG). Nach der Erteilung der Landesfab- riksbefugnis, der rechtlichen Grundlage für die Bezeichnung „k.u.k. privilegiert“, im Jahr 1841 stellte Körösi ein Ansuchen zur Erweiterung der Erzeugungsberechtigung für Maschi- nen und Metallwaren. Die Werksanlagen für sein Vorhaben ließ er 1852 auf den Gründen der alten Trummermühle in Andritz errichten. Die Produktionssparten waren neben dem Eisen- guss Messingwaren, Maschinenbau und Blecharbeiten. Allen Schwierigkeiten und Anfein- dungen zum Trotz gelang es Körösi, sich immer wieder durchzusetzen. Entgegen dem dama- ligen Zeitgeist hatte er auch ein sehr loyales Verhältnis zu seinen Arbeitern. Infolge der all- gemeinen wirtschaftlichen Entwicklung zu großen Zusammenschlüssen kam es nach seinem Tod zur Eingliederung der Maschinenfabrik Andritz in die Alpine Montan-Gesellschaft.17

Zum industriellen Zentrum, das sich im 19. Jahrhundert im Raum Graz entwickelte, zählten neben der Maschinenfabrik Andritz, die Weitzer Waggonfabrik (später Grazer Waggon- und Maschinenfabriks AG, Simmering-Graz-Pauker, SGP), Waagner-Biró, die Puchwerke und zahlreiche mittlere Betriebe der Metall- und Lederbranche.18

Die junge aufstrebende Industrie profitierte damals allerdings auch davon, dass sich der Kai- ser von Wirtschaftsexperten – vor allem dem aus dem Rheinland stammenden Philipp Ritter von Stahl - beraten ließ und sich auf diesem Gebiet sehr liberal verhielt.19

Der 1914 beginnende Erste Weltkrieg wurde zur Bewährungsprobe für die damals entstande- nen steirischen Großbetriebe.

17 Vgl. IBLER Hermann, Josef Körösi und die Andritzer Maschinenfabrik, in: TREMEL Ferdinand (Hrsg.), Steirische Unternehmer des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine Sammlung von Lebensbildern. Zeitschrift des Histo- rischen Vereins für Steiermark, Sonderband 9. Graz 1965. S. 11-15. 18 Vgl. Die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft 1881-1931. Wien 1931. S. 33 und Fischer Peter G., Die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft 1918-1938. Maschinschriftliches Manuskript; zitiert nach KARNER, Steiermark 1938-1945. S. 264. 19 Vgl. KLEIN, Mayr-Melnhof, S. 7. III. Die Geschichte der steirischen Rüstungsindustrie 12

1. Rüstungs- und Heeresmaterial liefernde Industriebetriebe der Monarchie

In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts begann unter den europäischen Staaten ein Wettrüs- ten einzusetzen.20 Auch die k.u.k. Monarchie erlebte nach der Bosnischen Annexionskrise eine steigende Rüs- tungskonjunktur.21 Die Rüstungsvorhaben stellten - nicht zuletzt aufgrund der neuen Waffen- technik, die im ausgehenden 19. Jahrhundert und in den letzten Jahren vor dem Ersten Welt- krieg enorme Fortschritte (z.B. Hinterlader, Rohrrücklaufgeschütze) gemacht hatte – einen bedeutenden Investitionsfaktor dar. Die Waffen, die in den Rüstungsbetrieben Österreich- Ungarns erzeugt wurden, waren qualitativ keineswegs schlechter als die anderer Industriestaa- ten. Der Grund, warum Russland, Frankreich und Deutschland der Monarchie in der Aufrüs- tung letztlich aber überlegen waren, lag daran, dass diese Länder in der Zeit von 1881 bis 1913 im Vergleich zu Österreich-Ungarn (12,7 Mrd. Mark) mehr als das Doppelte an finanzi- ellen Mitteln in die Waffenproduktion investiert hatten22. Gründe für das Zurückbleiben der Rüstungstätigkeit waren einerseits das viel zu geringe Heeresbudget und Rekrutenkontin- gent23, andererseits Konflikte aufgrund unklarer Kompetenzverteilungen zwischen General- stab und Kriegsministerium, aber auch die Sorge einiger Politiker, dass eine verstärkte Auf- rüstung von den Nachbarstaaten als Zeichen der Aggression gewertet werden könnte. Dass es der Monarchie dennoch möglich war, vier Jahre lang Krieg zu führen, lag nicht zuletzt an der Eigeninitiative der Industrie, die - auch ohne öffentliche Aufträge – begonnen hatte, moderne Waffen bis zur Serienreife zu entwickeln, deren Produktion unmittelbar mit Kriegsbeginn gestartet werden konnte.24

Den industriellen, mit den entwickelten europäischen Ländern durchaus vergleichbaren Kern bildeten innerhalb der noch stark agrarisch strukturierten Monarchie die deutschösterreichi- schen Gebiete. Die uralte Waffenschmiede der Böhler Werke in Kapfenberg war einer der bedeutendsten Rüstungskomplexe der k.u.k. Monarchie.25

20 Vgl. REINSCHEDL Manfred, Die Aufrüstung der Habsburgermonarchie von 1880 bis 1914 im internationa- len Vergleich. Der Anteil Österreich-Ungarns am Wettrüsten vor dem Ersten Weltkrieg. Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs, Band 16. Frankfurt/Main 2001. S. 193. 21 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 19. 22 Vgl. REGELE Oskar, Feldmarschall Conrad. Auftrag und Erfüllung 1906-1918. Wien 1955. S. 151. 23 Aus der Tatsache, dass lt. den Bestimmungen des Ausgleichs von 1867 für den planmäßigen Ausbau des Hee- res die Zustimmung beider Reichshälften notwendig war, versuchte Ungarn so oft wie möglich Kapital zu schla- gen. Vgl. REINSCHEDL, Aufrüstung, S. 193. 24 Vgl. ebd. S 79, 115, 193f. 25 Vgl. SCHAUSBERGER Norbert, Der Griff nach Österreich. Der Anschluss. Wien-München 1978. S. 82 und vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 21. III. Die Geschichte der steirischen Rüstungsindustrie 13

Bild 1: Die k.k. priviligierte Gussstahlfabrik Kapfenberg im Jahr 1870

Quelle: Böhler, Böhler & Co, S. 35.

Die Gebrüder Böhler, deren Name für erstklassige Qualität bürgte, machten den steirischen Stahl weltberühmt. Der rasche Aufstieg der Böhler-Werke zeigte sich auch dadurch, dass 1882 die ersten Tochtergesellschaften in Paris und Sheffield gegründet wurden. Innerhalb von nicht einmal zehn Jahren war es Böhler gelungen, den englischen Stahl aus dem Feld zu schlagen. Die 1889 erfolgte Kontaktaufnahme durch Oberst Murata, den Direktor der japani- schen kaiserlichen Waffenfabriken, stellte den ersten Anknüpfungspunkt für die späteren um- fangreichen Waffengeschäfte mit dem Fernen Osten dar.26 Im Böhler-Werk in Kapfenberg, das von Jahr zu Jahr größer, moderner und leistungsfähiger wurde, waren bereits seit jeher Gewehrlaufrohlinge hergestellt worden. In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts erforderte jedoch die Einführung des raucharmen Pulvers auch hoch bean- spruchbare Waffen - und die Erfindung des wolframlegierten Böhler-Gewehrlaufstahls er- langte weltweite Berühmtheit. Von der Einführung des Repetiergewehres bis zum Kriegsende waren in der k.u.k. Monarchie sämtliche Gewehre mit Läufen aus wolframhaltigem Böh- lerstahl versehen, der auch in die Gewehrfabriken vieler ausländischer Staaten exportiert wur- de. Bis Kriegsende wurden etwa 20 Mio. Gewehrläufe geschmiedet. Daneben wurde um 1890 mit der Erzeugung von Panzer- und Sprenggranaten für die k.u.k. Marine begonnen. Im Juni 1914 wurde das Feldhaubitzmodell „Ehrhardt-Böhler“ in das Produktionsprogramm aufge- nommen. Außerdem wurden infolge der nun größeren und weiteren Wirkung der Infanterie- geschosse auch Panzerschilde bei Böhler in Auftrag gegeben.27

26 Vgl. BÖHLER, Böhler & Co, S. 25f., 28f. 27 Vgl. ebd. S. 53f., 75f. III. Die Geschichte der steirischen Rüstungsindustrie 14

Bild 2: Kapfenberg 1913: Geschossdreherei

Quelle: Böhler, Böhler & Co, S. 76.

Neben dem Rüstungskomplex der Böhler-Werke waren die Hütte Donawitz der Alpine Mon- tan-Gesellschaft, die Steirischen Gussstahlwerke in Judenburg, die Bleckmann-Werke in Mürzzuschlag und Vogel & Noot in Wartberg bedeutende „K.-G.-L.-Betriebe“ (Kriegsleis- tungsbetriebe) der Monarchie in der Mur-Mürzfurche.28

2. Steirische Rüstungsbetriebe im Ersten Weltkrieg

Während des Ersten Weltkrieges machte sich die im internationalen Vergleich spät erfolgte Anschaffung der neuen Waffentechniken negativ bemerkbar. Zudem war verabsäumt worden, die Rüstungsindustrie Österreich-Ungarns, die vornehmlich für den Export tätig war und sich einen international renommierten Ruf erworben hatte, vermehrt an das k.u.k. Heer zu bin- den.29 Hätte die österreichische Regierung gewusst wie nahe der Krieg bereits war, und vor allem welche Anforderungen er stellen würde, dann hätte der Ausbau der Rüstungsbetriebe bereits ab 1910 ganz andere Ausmaße annehmen müssen. Nach dem Scheitern des Vorstoßes auf

28 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 19, 21. 29 Vgl. GUTSJAHR Martin, Rüstungsunternehmen Österreich-Ungarns vor und im Ersten Weltkrieg. Die Ent- wicklung dargestellt an den Firmen Skoda, Steyr, Austro-Daimler und Lohner. Dissertation. Wien 1995. S. 2. III. Die Geschichte der steirischen Rüstungsindustrie 15

Paris und den schweren Niederlagen in Galizien wurde von höchster militärischer Stelle - die noch Mitte Juli 1914 eine Vorratssicherung an Rohstoffen und Kriegsmaterial als für nicht notwendig erachtet hatte - die sofortige Verdoppelung und Verdreifachung der Rüstungser- zeugung gefordert. Die Erkenntnis der Schwere der Kriegslage führte auch unmittelbar zu einem sofortigen Ausbau der Betriebe mit Stahlöfen, Geschosspressen und Bearbeitungsma- schinen sowie zahlreichen Betriebserweiterungen (z.B. Böhlers große Munitionsfabrik bei Felixdorf, wo die Granaten aus Kapfenberg schussfertig elaboriert wurden).30

Bild 3: Kapfenberg 1916: Neue Werkstätte

Quelle: Böhler, Böhler & Co, S. 77

Nachdem die Industrie die guten Verdienstmöglichkeiten durch Militäraufträge erkannt hatte, setzte eine außerordentliche Rüstungskonjunktur ein.31

Durch die Mechanisierung der Fabriken und die Inbetriebnahme neuer, einfach zu bedienen- der Maschinen, die auch von ungelernten Kräften - vor allem von Frauen und Kindern bedient werden konnten - versuchte man, dem durch die Einberufungen entstandenen Mangel an qua- lifizierten Arbeitern zu begegnen.32

Zur laufenden Großerzeugung von Rüstungsgütern gingen immer wieder spezielle, den Be- dürfnissen der Armeen entsprechende Rüstungsaufträge ein. Während des Ersten Weltkrieges wurden in Kapfenberg insgesamt 5 Mio. Stück Artilleriegeschosse von 7- bis 42-cm-Kaliber (darunter die Panzergranaten für die k.u.k. Marine und die 30,5-cm-Granaten), Panzer, Feld-

30 Vgl. BÖHLER, Böhler & Co, S. 77, 81f., 84. 31 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 20. 32 Vgl. RIEDL Richard, Die Industrie Österreichs während des Krieges. Wien 1932. S. 304. III. Die Geschichte der steirischen Rüstungsindustrie 16 kanonen und Feldhaubitzen, Minenwerfer, Stahlhelme, Schutzschilde und natürlich die bereits erwähnten Gewehrlaufrohlinge aus Wolframstahl hergestellt. An die Hütte Donawitz ergingen vor allem Aufträge für Geschossrohlinge. Die Steirischen Gussstahlwerke erzeugten Ge- schützrohre und die Bleckmann-Werke und Vogel & Noot unterschiedlichstes Kriegsgerät. Lastkraftwagen, Omnibusse, Fahr- und Motorräder, Feldbahnmotoren und Spezialfahrzeuge wurden von den Grazer Puch-Werken geliefert.33

Der Kohlenmangel, der sich bereits ab dem zweiten Kriegsjahr bemerkbar gemacht und die Stahlproduktion behindert hatte, führte während des Krieges zu einem immer unaufhaltsame- ren Produktionsverfall. Zudem beeinträchtigten die Unterernährung der Menschen und die allgemeine Kriegsmüdigkeit, die sich auch in Streiks manifestierte, die Rüstungsproduktion.34 Der Waffenstillstand am 3. November 1918 nahm schließlich den völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch nur vorweg.

3. Die Rüstungsindustrie und der Friedensvertrag von St. Germain

Das Hinwegsetzen Deutschlands über die vertraglichen Bestimmungen des Friedensvertrages hatte international Verstimmung ausgelöst - und Konsequenzen für Österreich. Nach der Un- terzeichnung des Vertrages von St. Germain am 10. September 1919 hatten die Alliierten un- ter massiven Druck auch die Abänderung des Staatsnamens „Deutschösterreichische Repub- lik“ in „Republik Österreich“ am 21. Oktober und die Außerkraftsetzung der Gesetzesartikel, die Deutschösterreich als einen Bestandteil des Deutschen Reiches erklärten, erzwungen.35 Damit wurden die Erwartungen, die viele Österreicher mit dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich verbunden hatten, den sie als Selbstverständlichkeit, als Rettung erachtet hatten, mit einem Schlag zunichte gemacht.

Aufgrund der Bestimmungen der Friedensverträge blieben die Lieferverträge der Kriegsmini- sterien von einen Tag auf den anderen aus. Da Betriebskapital und Kredite fehlten, mussten die Unternehmensleitungen versuchen, ihre Betriebe notdürftig in Gang zu halten und sich irgendwie den neuen Bedingungen anzupassen. Die angeordnete völlige Zerstörung des noch vorhandenen fertigen und halbfertigen Kriegsgerätes und jeder, nur irgendwie mit der Waf-

33 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 21f. 34 Vgl. GUTSJAHR, Rüstungsunternehmen, S. 2 und vgl. RIEDL, Industrie, S. 304. 35 Vgl. SCHAUSBERGER, Griff, S. 76f. III. Die Geschichte der steirischen Rüstungsindustrie 17 fenherstellung zusammenhängender Einrichtung wurde von 1920 bis 1927 von Kontrollkom- missionen überwacht. Gerade diese Tätigkeit der alliierten Kommissionen war es aber auch, die schließlich wieder so etwas wie Nationalbewusstsein bei der aufständischen Arbeiter- schaft hervorrief. Im Böhler-Werk in Kapfenberg z.B. waren in diesen Jahren Unternehmens- leitung und Belegschaft ein so eingeschworenes Team, dass es in all den Jahren nur einen einzigen Fall von Verrat gab. Gemeinsam gelang es immer wieder mit allen möglichen Tricks die Kommissionen zu täuschen - was angesichts der großen Mengen des zu verbergenden Materials nicht immer leicht war. Als 1927 diese Kontrollen aufhörten, war es gelungen, fast den gesamten Munitions- und Geschützvorrat, die Bearbeitungsmaschinen und fast alle Origi- nalzeichnungen für die Erzeugung von Waffen und Munition dem Zugriff der Entante zu ent- ziehen. Darüber hinaus war bei Böhler bereits wieder mit der Waffenerzeugung begonnen worden. Die ersten Gewehrläufe, die nach Brasilien gingen, wurden dabei zum Schutz vor Entdeckung als unauffällige Rundstäbe gefertigt. Diese früh wieder aufgenommene geheime Rüstungsarbeit in Kapfenberg hatte den Vorteil, dass Ingenieure und Arbeiter in der Waffen- fertigung auf dem Laufenden blieben.36 Wie Böhler gelang es aber auch vielen anderen Be- trieben wenigstens ihre Produktionsmittel vor der Vernichtung zu retten. Im Zuge des welt- weiten Wettrüstens, das nach der Machtübernahme Hitlers eingesetzt hatte, wurde dann auch in anderen steirischen Betrieben die Rüstungsproduktion wieder aufgenommen – zunächst geheim, ab 1935 ganz offiziell.37

36 Vgl. BÖHLER, Böhler & Co, S. 93f, 97, 119f. 37 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 23. IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit 18

IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit

Der Verfassungsbeschluss vom 30. Oktober 1918 bestimmte für Deutschösterreich die repub- likanische Staatsform. Trotzdem weigerte sich Kaiser Karl zunächst beharrlich zurückzutre- ten. Der Tag, der dann schließlich als das Ende der Monarchie in die Geschichtsbücher ein- ging, war der 11. November 1918: Mit der Signierung der ihm vorgelegten Erklärung trat der Kaiser zur Gänze von den Staatsgeschäften zurück. Damit hatte Österreich entgültig eine neue Staatsform. Tags darauf, am 12. November, erfolgte die „Ausrufung der Republik. (Dieser Tag wurde zum Staatsfeiertag der Ersten Republik.)38

Infolge des Zusammenbruchs des über Jahrhunderte gewachsenen, nahezu autarken wirt- schaftlichen Großraums der Monarchie wurden die wirtschaftlichen Umstellungsschwierig- keiten zum Kernproblem des jungen Staates. Die ökonomischen Kraftlinien, die in Wien zu- sammengelaufen waren, waren zerschnitten und viele Produktionskapazitäten ohne Rohstoff- basen und Absatzmärkte. Der Produktionsprozess wurde dadurch unterbrochen, dass sich nun die Rohstoffvorkommen und die verschiedenen Betriebe für deren Verarbeitung nicht mehr im gleichen Land befanden39. Die Nachfolgestaaten hatten sich aller Schulden entledigt und den Großteil des Goldschatzes der Österreich-Ungarischen Bank beansprucht. Österreich hat- te den überwiegenden Teil der Personalkosten der Donaumonarchie – auch die Beamten- und Offizierspensionen – übernehmen müssen. Die Forderungen ausländischer Gläubiger waren aufgewertet und österreichisches Eigentum in den Ententestaaten beschlagnahmt worden.40

Der nun zum Außenhandel gewordene traditionelle Binnenhandel verkomplizierte sich zu- sätzlich dadurch, dass sich die Nachfolgestaaten – zum Ausbau ihrer nationalen Industrie – sofort durch hohe Zölle und sonstige Außenhandelsrestriktionen gegen die österreichischen Importe abgeschlossen, während Österreich auf den unverminderten Import angewiesen war (was die Handelsbilanz außerordentlich passiv gestaltete).41 Zur Stagnation der Wirtschaft in den Folgejahren trug zweifelsohne das geschickt lancierte Märchen von der mangelnden „Le- bensfähigkeit Österreichs“ - ein nicht zu unterschätzender psychologischer Faktor, der jegli- ches Selbstbewusstsein untergrub und das Verlangen nach einer Vereinigung mit der Weima-

38 Vgl. BRAUNEDER Wilhelm. Die Verfassungssituation 1918: ein Staat entsteht, ein Staat geht unter, in KARNER Stefan – MIKOLETZKY Lorenz (Hrsg.), Österreich. 90 Jahre Republik. Beitragsband der Ausstel- lung im Parlament. Innsbruck 2008. S. 20ff. 39 Vgl. MADERTHANER Wolfgang, 12. Februar 1934: Sozialdemokratie und Bürgerkrieg, in: STEININGER Rolf – GEHLER Michael (Hrsg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Von der Monarchie bis zum Zweiten Weltkrieg, Band 1. Wien-Köln-Weimar 1997. S. 153. 40 Vgl. SCHAUSBERGER, Griff, S. 78, 83. 41 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 1938-1945, S. 25. IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit 19 rer Republik schürte - entscheidend bei.42 Friedrich Hertz und andere bedeutende National- ökonomen hatten zwar bereits in den ersten Jahren der Republik versucht, die Behauptung zu widerlegen, waren aber nicht ernst genommen worden.43 Die Zweifel an der Existenzfähigkeit der jungen Republik - zusätzlich durch die Inflation geschürt - wurden zu einem bestimmen- den Element der Periode von 1918 bis 1938 und hatten zeitweise eine geradezu lähmende Wirkung auf den Willen der Menschen, ihr Schicksal zu meistern.44 Der Zusammenbruch der Monarchie hatte aber nicht nur wirtschaftliche Folgen: Das Trauma der tiefen Veränderung der Machtstellung Österreichs hatte zu einer politisch-ideologischen Auseinandersetzung ge- führt, und die Kämpfe für oder gegen Reformen, revolutionäre Strömungen, Streiks, De- monstrationen und bewaffnete Konflikte waren ein Zeichen der instabilen Machtverhältnisse in der Gesellschaft.45 Die Situation wurde dadurch verschärft, dass es in verschiedenen Teilen Österreichs zu rebel- lieren begann: Die Länder wollten sich loslösen von der Republik. Sie strebten nach Unab- hängigkeit oder den Zusammenschluss mit angrenzenden Staaten. Die nun noch stärker zur Geltung kommende dominierende Stellung Wiens förderte die Abneigung gegen die „Parasi- tenstadt“, die Arbeiterbewegung, die sozialistisch gelenkte Regierung –gegen die Republik generell. Zwischen Wien und den Ländern entstand eine Kluft, die unüberbrückbar zu sein schein. Die österreichische Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920 stellte schließlich einen Sieg über den Länderpartikularismus dar und machte das neue Österreich zu einer politischen Einheit.46

Die Anschlussbegeisterung der Österreicher, die seit der Jahreswende 1918/19 immer mehr zurückgegangen war, wuchs erst nach dem Anschlussverbot in den Friedensverträgen in den Jahren 1920/21 – mit massiver Propaganda und finanziellen Mitteln von deutscher Seite- zu ihrer vollen Stärke heran.47 Die Anschluss-Sehnsucht, die in Parolen wie „Heim ins Reich!“, „Ein Volk, ein Reich!“, „Großdeutschland unsere Zukunft!“ kundgetan wurde, war jedoch nicht in allen politischen Lagern vorhanden. Während die Sozialdemokraten – neben den Deutschnationalen – euphorisch für die Vereinigung Deutschösterreichs mit der großen deut- schen Republik eintraten, weil sie in ihr nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit, sondern auch die Möglichkeit zur Schaffung einer politischen Einheitsfront sahen, waren die Christ- lichsozialen von einem Anschluss alles andere als begeistert. Der einstimmige Parlamentsbe- schluss am 12. November 1918 kam deshalb nur unter dem Druck von Revolutionsdrohungen

42 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 1938-1945, S. 28 und vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 16f. 43 Vgl. SCHAUSBERGER, Griff, S. 81. 44 Vgl. GOLDINGER Walter, Geschichte der Republik Österreich. Wien 1962. S. 118. 45 Vgl. HWALETZ Otto, Über einige Ergebnisse der Produktion auf dem Erzberg, in: Bergmann oder Werkssol- dat. Eisenerz als Fallbeispiel industrieller Politik. Dokumente und Analysen über die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft in der Zwischenkriegszeit. Graz 1984. S. 209f. 46 Vgl. GULICK Charles A., Österreich von Habsburg zu Hitler. Wien 1976. S. 42, 50, 53, 60. 47 Vgl. ZÖLLNER Erich, Geschichte Österreichs. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 6. Auflage. Wien 1979. S. 499 und vgl. SCHAUSBERGER, Griff, S. 79f. IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit 20 der „Roten Garde“ und der „Straße“ zustande – und an der am 11. Mai 1919 in ganz Deutsch- österreich veranstalteten Anschlusskundgebung beteiligten sich die Christlichsozialen nicht.48 Die Situation wurde durch die erzwungenen Gebietsabtretungen zusätzlich verschärft: Kärn- ten verlor an Jugoslawien das Seeland und das Mießtal, an Italien das Kanal- und das Gailitz- tal. Die Tschechoslowakei bemächtigte sich des sudetendeutschen Gebietes. Die Steiermark verlor die gesamte Untersteiermark an Jugoslawien, und Tirol musste Südtirol bis zum Bren- ner und das obere Drautal bis Sillian an Italien abtreten. 1921 kam dann allerdings das „Bur- genland“ endgültig an Österreich.49 Die Geldentwertung führte dazu, dass die Mittelschicht mehr und mehr verarmte. Die Menschen begannen angesichts der immer kritischer werdenden wirtschaftlichen Lage – trotz Verbots – ihre einzige Chance im „Anschluss“ an das Deutsche Reich zu sehen.50 Allerdings verlagerte sich die „Anschluss“-Bewegung nun weitgehend auf die Länder - vorwiegend auf Tirol, Salzburg und die Steiermark – die weg vom „roten, ver- judeten“ Wien wollten.51

Die Industrie, die die meisten Rohstoffquellen verloren hatte, war in eine verhängnisvolle Krise geraten. Da sich die Aufträge durch den Zusammenbruch der Monarchie drastisch redu- ziert hatten, sahen sich die meisten Betriebe gezwungen, in das Exportgeschäft einzusteigen. Infolge der eingeschränkten Produktionsfähigkeit während des Krieges waren die meisten Maschinen jedoch abgenutzt oder veraltert. Mit Hilfe der Völkerbundanleihe 1922 konnte schließlich ein Rationalisierungs- und Modernisierungsprozess anlaufen.52 Angesichts des reduzierten Binnenmarktes ergab sich nach dem Krieg auch für Österreichs größten Industrie- und Bergbaubetrieb, die Alpine Montan-Gesellschaft, eine völlig veränder- te Ausgangslage: Sie war nun im Gegensatz zu früher (rund 20 %) zu etwa 80 % vom Export abhängig.53 Der akute Arbeitermangel und der Ausfall der existentiellen Koksanlieferungen verschärften die Lage zusätzlich. Dies hatte zur Folge, dass es zu einer drastischen Verminde- rung der Erzförderung und infolgedessen auch der Roheisenerzeugung kam: Von 1916 bis 1919 sank die Erzförderung von 2,2 Mio. auf 228.000 t und die Roheisenerzeugung von 1917

48 Vgl. STEININGER Rolf, 12. November 1918 bis 13. März 1938: Stationen auf dem Weg zum „Anschluss“, in: STEININGER Rolf – GEHLER Michael (Hrsg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Von der Monarchie bis zum Zweiten Weltkrieg, Band 1. Wien-Köln-Weimar 1997. S. 99, 102f. 49 Vgl. KARNER Stefan, Die neuen Grenzen der Republik Österreich und ihre ökonomische Relevanz, in: KARNER Stefan – MIKOLETZKY Lorenz (Hrsg.), Österreich. 90 Jahre Republik. Beitragsband der Ausstel- lung im Parlament. Innsbruck 2008. S. 155. 50 Vgl. JAGSCHITZ Gerhard, 25. Juli 1934: Die Nationalsozialisten in Österreich, in: STEININGER Rolf – GEHLER Michael (Hrsg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Von der Monarchie bis zum Zweiten Weltkrieg, Band 1. Wien-Köln-Weimar 1997. S. 266. 51 Vgl. STEININGER, 12. November 1918, S. 107, 109. 52 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung; S.16f. 53 Vgl. HWALETZ, Ergebnisse, S. 211. IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit 21 bis 1920 von 246.000 auf 1.900 t.54 Nachdem die Verhandlungen mit der Tschechoslowakei aufgrund unakzeptabler Forderungen (die Tschechoslowakei forderte rund zwei Drittel der Alpine-Roheisenproduktion55) um 1920/21 gescheitert waren, bot sich als einziger Ausweg das Deutsche Reich an, das seine Erzvorkommen in Lothringen und Luxemburg verloren hat- te und deshalb an einem Tauschgeschäft Erz gegen Koks interessiert war.56

Die durch die internationale Konjunktur gestützte Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs zwischen 1924 und 1929, in der das Land begonnen hatte, sich wirtschaftlich neu zu orientier- ten, war allerdings zu kurz für entscheidende Veränderungen zur Überwindung der wirtschaft- lichen und sozialen Not gewesen. Die Weltwirtschaftskrise traf Österreich daher besonders schwer und nachhaltig: Das Produktionsvolumen der Industrie verringerte sich von 1929 bis 1933 um 38 %, und die Arbeitslosigkeit nahm Ausmaße an, wie man sie bisher noch nie er- lebt hatte (1933 waren 557.000 Menschen ohne Arbeit).57 Die ab 1933 einsetzende Belebung durch den Anschluss an die seit der Radikalisierung der Weltpolitik aufgekommene Rüstungskonjunktur erfasste allerdings nur einige Sparten der exportorientierten Großindustrie. Besonders begünstigt waren die Edelstahl- und eisenverar- beitende Industrie, die Kraftfahrzeugindustrie und Teile des Bergbaues.58 Vor allem die Alpine Montan-Gesellschaft als Österreichs größter Industrie- und Bergbaube- trieb konnte infolge der europäischen Rüstungskonjunktur bedeutende Gewinne erzielen. 1937 erreichte das Unternehmen mit rund 126 Mio. eine Umsatzsteigerung gegenüber dem Jahr zuvor von rund 43 Mio. Schilling.59

1. Die wirtschaftliche Lage Österreichs im März 1938

1937 hatte Österreich langsam begonnen, sich wirtschaftlich wieder etwas zu erholen. Dies hatte sich auch in der sinkenden Zahl der Arbeitslosen bemerkbar gemacht. Es wäre damals ein Leichtes gewesen, diese Entwicklung zu fördern. Der Ausbau der Industrie und die Er-

54 Vgl. Alpine-Buch-Eisenerz o.O. o.J.; zitiert nach LACKNER Helmut, Die Arbeit am Erzberg, in: Bergmann oder Werkssoldat. Eisenerz als Fallbeispiel industrieller Politik. Dokumente und Analysen über die Österrei- chisch-Alpine Montangesellschaft in der Zwischenkriegszeit. Graz 1984. S. 157. 55 Vgl. Krüger Erich, Grundlagen und Entwicklung der Roheisenindustrie Obersteiermarks seit 1866, staatswiss. Dissertation. Tübingen 1921. S. 246-256; zitiert nach LACKNER, Arbeit, S. 157. 56 Vgl. Waagner , Lukas, Bergwirtschaft Deutschösterreichs, in: Österr. Monatsschrift für den öffentlichen Bau- dienst und das Berg- und Hüttenwesen, I/1920, Heft 2/157, zitiert nach LACKNER, Arbeit, S. 157. 57 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 1938-1945, S. 28ff. 58 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 17f. 59 Vgl. FIEREDER Helmut, Reichswerke „Hermann Göring“ in Österreich (1938-1945). Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Salzburg, Bd. XVI. Wien-Salzburg 1983. S. 94. IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit 22 schließung der Rohstoffreservoire hätten vielen Menschen Arbeitsplätze verschaffen können. Die finanziellen Mitteln, die dafür notwendig gewesen wären, hätten auch zur Verfügung ge- standen, nur war es oberste Devise der damaligen Wirtschaftspolitik gewesen, den Geldum- lauf so weit wie möglich einzuschränken.60 Im März 1938 bot die österreichische Wirtschaft somit ein Bild hartnäckiger Stagnation mit tendenziell sinkenden Preisen, mit einer großen Anzahl unbeschäftigter Arbeitskräfte, mit einem teilweise unausgelasteten und mit Ausnahme der Edelstahl- und Kfz-Industrie veralteten Produktionsapparat. Österreich war der einzige Staat Europas, der in der Zwischenkriegszeit – nicht zuletzt aufgrund der harten Deflationspo- litik der Bundesregierung (die auch eine politische Radikalisierung mit sich gebracht hatte) ein schrumpfendes Wirtschaftswachstum aufgewiesen hatte.61 Besonders im Bergbau und in der Montanindustrie war es zu zahlreichen Stilllegungen ge- kommen. Aus konkurrenztaktischen Überlegungen hatten sich wichtige Unternehmen zu- sammengeschlossen: z.B. Schoeller und Bleckmann (1924), Austro-Daimler und Puch (1928), Steyr und Daimler-Puch (1934). Die 1934 einsetzende Rüstungskonjunktur hatte - wie bereits erwähnt - die Edelstahl- und eisenverarbeitende Industrie, die Kraftfahrzeugindustrie (diese hatte durch die Motorisierung des Bundesheeres einen besonderen Aufschwung genommen) und den Bergbau begünstigt.62

Zum Zeitpunkt der Eingliederung Österreichs hatte die österreichische Rüstungsindustrie in einigen Sparten eine Kapazität, die bereits weit über die Bedürfnisse des österreichischen Bundesheeres hinausreichte: Die Böhler-Werke in Kapfenberg produzierten Minenwerfer, Haubitzen, Feldkanonen, Panzerplatten, Artilleriegeschosse bis 30 cm und Schutzschilde. Dynamit Nobel in St. Lambrecht, die Sprengstoffwerke Blumau und die Bundes-Pulverfabrik Trofaiach erzeugten Pulver und Sprengstoffe. Munition und Handgranaten kamen von der Hirtenberger Patronenfabrik, der Staatsfabrik für Artilleriemunition in Enzesfeld, der Patro- nenfabrik in Lichtenwörth und kleineren Betrieben in Wien. Die Geschosse- und Granaten- herstellung erfolgte in der Alpine Montan in Donawitz (vor allem Knüppel), der Berndorfer Metallwarenfabrik (Hülsen und Zünder) und der Wiener Lokomotivfabrik (auch Lafetten). Für die Leichte Artillerie waren die Staatsfabrik in Wien XI und die Steirischen Gussstahl- werke Judenburg zuständig. Motoren und Kraftfahrzeuge wurden bei Steyr-Daimler- Puch in Steyr und Graz und der Wiener Automobilindustrie (vor allem bei der Österreichischen Sau-

60 Vgl. SCHAUSBERGER Norbert, Der wirtschaftliche Anschluss Österreichs 1938, in: Österreich in Geschich- te und Literatur, 15. Jg./5. o.O. 1971. S. 249f. 61 Vgl. BUTSCHEK Felix, Die österreichische Wirtschaft im 20. Jahrhundert. Wien 1985. S. 60 und vgl. SCHAUSBERGER Norbert, Die Auswirkungen der Rüstungs- und Kriegswirtschaft 1938-1945 auf die soziale und ökonomische Struktur Österreichs, in: FORSTMEIER Friedrich – VOLKMANN Hans-Erich (Hrsg.), Kriegswirtschaft und Rüstung 1939-1945. Düsseldorf 1977. S. 230. 62 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 17f, 23. IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit 23 er-Werke AG) erzeugt. In anderen Sparten, z.B. dem Flugzeug- und Panzerwagenbau, gab es hingegen noch keine leistungsfähigen Betriebe.63

Zwei Entwicklungen, die sich an der Jahreswende 1937/38 abgezeichnet hatten, waren aus- schlaggebend dafür gewesen, dass die Annexion Österreichs im Frühjahr 1938 erfolgte: Zum einen war für die deutsche Wirtschaft infolge der forcierten Aufrüstung eine äußerst kritische Situation entstanden, zum anderen hatte die Gefahr bestanden, dass mit zunehmender Besse- rung der österreichischen Wirtschaftslage das Märchen von der „mangelnden wirtschaftlichen Lebensfähigkeit“ Österreichs seine Glaubwürdigkeit verlieren könnte. Die allgemeine Rüs- tungskonjunktur und die sich abzeichnende Anpassung der österreichischen Wirtschaft an die veränderten Gegebenheiten der Republik hatten Hitler und dem deutschen Großkapital mit Recht Anlass zur Sorge gegeben, dass sie ihren Einfluss auf Österreich und damit auf den ganzen europäischen Südosten verlieren könnten.64 Tatsächlich konnte jedoch von einer all- gemeinen Besserung der Wirtschaftssituation keine Rede sein, denn die partielle Konjunktur, die die Rüstungsindustrie erfasst hatte, hatte keine Auswirkungen auf den Lebensstandard der breiten Masse der Bevölkerung.65

2. Die wehrwirtschaftliche Bedeutung der Eingliederung Österreichs

Die Anschlusspropaganda der expansiven deutschen Wirtschaftskreise hatte sich seit dem Anschlussverbot von St. Germain immer mehr von der politischen auf die wirtschaftliche Sphäre verlagert. Nachdem die Aufrüstung des Deutschen Reiches 1937 ihren Höhepunkt erreicht hatte, war eine Steigerung ohne Erweiterung der Rohstoffbasis und des Arbeitskräfte- potentials - vor allem angesichts der ehrgeizigen Aufgaben des Vierjahresplanes - nicht mehr möglich. Aus diesem Grund kamen, als Hitler und der österreichische Bundeskanzler im Feb- ruar 1938 zusammentrafen, primär Themen der Rüstungs- und Wirtschaftspolitik zur Spra- che.66

Mit der wehrwirtschaftlichen Lage Österreichs hatten sich nicht nur der Wehrwirtschaftsstab, der die Aufgabe hatte, die Wirtschaft auf den Krieg vorzubereiten, sondern auch zivile Stel-

63 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 24. 64 Vgl. SCHAUSBERGER, Anschluss, S. 250f. 65 Vgl. SCHAUSBERGER, Griff, S. 479. 66 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 5, 17. IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit 24 len, wie die Vierjahresplanbehörde unter Göring, das Reichswirtschaftsministerium und auch die deutsche Privatwirtschaft beschäftigt.67

Österreich hatte tatsächlich einiges zu bieten! Das anfänglich wohl begehrteste Ziel waren für das an chronischer Devisennot leidende Deutsche Reich aber zweifelsohne die österreichi- schen Gold- und Devisenvorräte, die sich infolge der deflationistischen Wirtschaftspolitik der österreichischen Regierung angehäuft hatten und beim Anschluss in der Höhe von 2,7 Mrd. Schilling (Valutenbestand/Nationalbank, ungemünztes Gold/Nationalbank, Golddepot/Bank von England, Clearing-Guthaben, abgelieferte Werte) der deutschen Wirtschaft zuflossen. Neben der wesentlichen Stärkung der geopolitischen und militär-strategischen Lage des Deutschen Reiches durch die Eingliederung, die dieses zum größten Staatsgebilde Europas machte (Territoriumsvergrößerung um 18 % auf rund 555.000 km², Bevölkerungszuwachs von 10 % auf rund 75 Mio.), bedeutete der „Anschluss“ auch eine erhebliche Verstärkung der deutschen Wehrmacht (in der Größenordnung von mindestens 8 Divisionen). Vor allem aber verfügte Österreich über ein reiches Rohstoffreservoir: Von größter wehrwirtschaftlicher Bedeutung waren dabei die Eisenerzlager, auf die sich die deutsche Großindustrie bereits seit dem Ersten Weltkrieg entscheidende Rechte gesichert hatte. Neben dem Hauptlager, dem steirischen Erzberg bei Eisenerz, waren vor allem der Kärntner Erzberg in Hüttenberg und das Lager in Radmer (in der Nähe von Eisenerz) von Bedeutung. Die Fördermenge in Eisen- erz betrug etwa 1,65, in Hüttenberg 0,165 und in Radmer 0,07 Mio. t. Dies bedeutete, dass Österreich fast 10 % des deutschen Einfuhrbedarfs (Deutschland 1937: Verbrauch: 29.133 Mio. t, Importbedarf: 20.611 Mio. t) decken konnte. In seinen Protokollen zu den Konferen- zen mit Hitler machte Speer am 6. März 1943 folgenden Eintrag: „Der Führer ist der Mei- nung, dass die Eisenerzeugung noch viel weiter gesteigert werden könnte; im besonderen soll der Eisenerzberg in der Ostmark auf keinen Fall geschont werden“68.69

67 Vgl. SCHAUSBERGER, Griff, S. 451. 68 Vgl. BOELCKE Willi A.(Hrsg.), Deutschlands Rüstung im Zweiten Weltkrieg. Hitlers Konferenzen mit Al- bert Speer 1942-1945. Frankfurt / Main 1969. S. 238. 69 Vgl. SCHAUSBERGER, Griff, S. 452-455, 463. IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit 25

Bild 4: Der steirische Erzberg

Quelle: Böhler, Böhler & Co, Bildteil.

Für die wehrwirtschaftliche Strategie des NS-Regimes war neben Eisenerz der Gewinn vor allem von Magnesit, Graphit (mit der Produktion lag Österreich 1937 an zweiter Stelle in der Welt), Wolfram (wegen der Unentbehrlichkeit in der Rüstungsindustrie und des weltweiten Mangels von größter Bedeutung), Antimon, Blei, Mangan, Talk und Golderz (hauptsächlich wegen des Arsenanfalls) interessant. Der Waldreichtum, die Erdölfelder und die Wasserkraft Österreichs stellten ebenfalls wichtige Faktoren dar. Daneben gab es in Österreich auch be- trächtliche unausgenutzte industrielle Kapazitäten, wobei die Eisen- und Stahlindustrie, vor allem aber die Edelstahlerzeugung, die weit über der anderer Länder lag (1937: Rohstahl: 800.000 t, Edelstahl: 150.000 t), einen wertvollen Gewinn für die Kriegswirtschaft des Deut- schen Reiches darstellte.70

Das „Gentlemen-Agreement“, zu dem es im Juli 1936 zwischen Deutschland und Österreich gekommen war, war von österreichischer Seite zunächst als wichtiger Schritt zur Entspan- nung gewertet worden. Man war sich des Ausmaßes des Abkommens, das für Deutschland bereits einen entscheidenden Etappensieg auf dem Weg zum „Anschluss“ darstellt hatte, nicht bewusst gewesen. 71

70 Vgl. SCHAUSBERGER, Griff, S. 455-459, 461, 463, 467. 71 Vgl. SCHAUSBERGER, Österreich, S. 739f. IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit 26

3. Der „Anschluss“ und die Folgen

Vor allem Frankreich hatte darauf beharrt, dass der Vertrag von Versailles auch den Passus zu enthalten habe, demzufolge sich Deutschland verpflichten hatte müssen, den Status Öster- reichs als unabhängiges Land anzuerkennen. Bis zur Vertragsunterzeichnung im Juni 1919 war man von deutscher Seite äußerst bemüht gewesen, alles zu vermeiden, was den Unmut der Alliierten erregt und damit für Deutschland noch härtere Vertragsbedingungen geschaffen hätte. Doch bald danach hatte man erneut begonnen, sich mit Plänen zur Ausweitung des Machtbereiches – nicht zuletzt als Entschädigung für die durch den Vertrag verloren gegan- genen Gebiete – auseinander zu setzten. An erster Stelle hatte wieder die Anschlussfrage ge- standen. Während die Artikel 2 und 61 der Reichsverfassung vom 11. August 1919 als Un- vereinbarkeit mit der österreichischen Unabhängigkeit den heftigen Protest der Alliierten aus- gelöst hatten und außer Kraft gesetzt werden mussten, hatte der Alldeutsche Verband nicht daran gehindert werden können, die „Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich“ als eines seiner Ziele zu fordern.72

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges enthielt die mit 5. August 1945 datierte Ausgabe der „Post Meridiem“ einen Artikel, der - 26 Jahre zurückblickend – zum Vertrag von Versailles wie folgt Stellung nahm: Die Bestimmungen – so hart sie damals auch geklungen haben mochten – hätten hinsichtlich der Vernichtung der militärischen Stärke Deutschlands versagt. Und zwar deswegen, weil der Vertrag zwei Absichten verbinden wollte, die miteinander un- vereinbar waren. - Zum einen sollte Deutschland so geschwächt werden, dass es keine militä- rische Bedrohung für die anderen europäischen Länder mehr darstellen könne, zum anderen sollte es aber weiterhin als eine Art Befestigungsanlage gegen die Revolution im eigenen Land und gegen den sowjetischen Kommunismus dienen.73

In Österreich war 1919 die „Deutsche Gemeinschaft“ gegründet worden, deren offizielles Ziel die Hebung der wirtschaftlichen Kraft des deutschen Volkes in Deutschösterreich gewesen war. In Wahrheit war diese Vereinigung, der Vertreter der Kirche, der Universitäten, des Mili- tärs und der hohen Beamtenschaft (Dollfuß, Seyß-Inquart) angehört hatten, aber antiliberal, antimarxistisch und antisemitisch eingestellt gewesen. Ihre Ansichten hatten mit dem Pro- gramm Hitlers weitgehend übereingestimmt - und sie kann als Weichensteller der späteren nationalsozialistischen Anschlussbewegung angesehen werden.74

72 Vgl. SCHAUSBERGER, Griff, S. 75f. 73 Vgl.„Post Meridiem“ vom 5. August 1945, zitiert nach ebd. S. 74f. 74 Vgl. ebd. S. 80f. IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit 27

Für die breite Masse der Öffentlichkeit, die Hitler einen enthusiastischen Empfang bereitete, war er die treibende Kraft der Veränderung, der Hoffnungsträger, der die herrschenden natio- nalen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zum Besseren wenden sollte. Denn es war der österreichischen Bevölkerung nicht verborgen geblieben, dass in Deutschland, seit die Nationalsozialisten die Lenkung im Reich übernommen hatten, ein starker wirtschaftlicher Aufschwung stattgefunden hatte. Da Hitler selbst aus Österreich stammte, galt er als Symbol für Österreichs Identifizierung mit der großdeutschen Idee.75 Beim Einmarsch präsentierte sich Hitler der Öffentlichkeit auch erstmals als Oberbefehlshaber der Wehrmacht.76

Bild 5: Landung der deutschen Luftwaffe am Thalerhof, 12. März 1938

Quelle: Beer, Krieg, S. 12.

Nachdem es den Nationalsozialisten gelungen war, im eigenen Land einen wirtschaftliche Aufschwung herbeizuführen, hielten sie es für angebracht, in Österreich nach einem ähnlichen Konzept vorzugehen.77 Die Ziele, die von den Nationalsozialisten unmittelbar nach dem „Anschluss“ angestrebt wur- den, waren demnach die rasche Beseitigung der Arbeitslosigkeit und die Unterordnung der österreichischen Produktionskapazitäten mit dem Ziel der Erhöhung der Produktivität, der Angleichung der Erzeugungskosten, der Koordinierung und Vereinfachung der Produktions- programme, der Errichtung einer Arbeitsteilung in der Schwerindustrie und der Stilllegung unwirtschaftlicher oder technisch veralterter Betriebe.78Am 13. März eröffnete das „Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ eine Flut unzähliger legis-

75 Vgl. LUZA Radomir, Österreich und die großdeutsche Idee in der NS-Zeit. Wolfsberg 1977. S. 47. 76 Vgl. SCHMIDL Erwin A., März 38. Der deutsche Einmarsch in Österreich. Wien 1987. S. 11. 77 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 20. Jhd., S. 60. 78 Vgl. FEICHTLBAUER Hubert, Zwangsarbeit in Österreich 1938-1945. Wien 2005. S. 52. IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit 28 lativer und organisatorischer Maßnahmen, und bereits am 15. März ordnete Hitler in einem Erlass u.a. die Gültigkeit des Vierjahresplanes für Österreich an.79 Die rasche Beseitigung der Arbeitslosigkeit durch Aufrüstung, Abkoppelung vom Weltmarkt, Mobilisierung inländischer Ressourcen und Großinvestitionen war wirklich (zumindest für den Augenblick) beeindru- ckend und hat sich tief in das Gedächtnis der Menschen eingegraben.80 Die Zahl der re- gistrierten Arbeitssuchenden sank von 401.001 (31. Jänner 1938) auf 156.174 (31. Jänner 1939) - allerdings mit einem deutlichen West-Ost-Gefälle.81 Vor der Volksabstimmung, die für den 10. April 1938 angesetzt wurde (Bundesverfassungsgesetz, Art. 1), nahm die Arbeits- beschaffung einen zentralen Stellenwert ein: Mit hastig ausgearbeiteten Arbeitsbeschaffungs- programmen und Phantasiebeträgen wurde eilig versucht, Stimmung für das neue Regime zu machen (u.a. wurde in der Wiener Sezession Ende März 1938 die Ausstellung „Die Straßen Adolf Hitlers“ eröffnet).82 In der Propagandaschlacht erwiesen sich die Nationalsozialisten hinsichtlich des Einsatzes der Mittel (vor allem der Massenmedien), der umfassenden Drama- turgie der Kampagne und des psychologischen Raffinements (u.a. Ansprache der einzelnen Zielgruppen) werbetechnisch ihrer Zeit weit voraus.83

Für Göring boten sich die unausgelasteten materiellen und personellen Ressourcen, die in Österreich reichlich vorhanden waren, als Möglichkeit zur Beseitigung der Schwierigkeiten, in die der Vierjahresplan geraten war, an. Hitler hingegen verband einen wirtschaftlichen Aufschwung des Landes, die Beseitigung der Arbeitslosigkeit mit einem enormen Anstieg seines Ansehens bei der österreichischen Bevölkerung. Doch während anfangs die Wirtschaft politischen und militärischen Plänen untergeordnet wurde, war es später – vor allem gegen Ende des Krieges hin – genau umgekehrt.84

Die österreichische Wirtschaft wurde, da im Gegensatz zu Deutschland noch genügend freie Kapazitäten vorhanden waren, nach dem „Anschluss“ besonders stark von der Rüstungskon- junktur erfasst. Dies führte zu einer Expansion vor allem der Grundstoff- und Investitionsgü- terindustrie (zu der die Rüstungsproduktion zu zählen ist).85

79 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 27f. 80 Vgl. SANDGRUBER Roman, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Wien 1995. S. 405, 407. 81 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 39. 82 Vgl. TALOS Emmerich – WEBER Fritz, Der wirtschaftliche „Anschluss“ und die „sozialen Segnungen“ des Nationalsozialismus. Versprechungen – Erwartungen – Realisationen, in: Wien 1938 (erschienen anlässlich der 110. Sonderausstellung im Historischen Museum der Stadt Wien vom11. März bis 30. Juni 1988). Wien 1988. S. 315f. 83 Vgl. SCHRAGE Dieter, Die totalitäre Inszenierung der Massen: Volksabstimmung vom 10. April 1938, in: Wien 1938 (erschienen anlässlich der 110. Sonderausstellung im Historischen Museum der Stadt Wien vom 11. März bis 30. Juni 1988). Wien 1988. S. 101f. 84 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 38f. 85 Vgl. WEBER Fritz, Zwischen abhängiger Modernisierung und Zerstörung. Österreichs Wirtschaft 1938-1945, in: TALOS Emmerich et al (Hrsg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch. Wien 2000. S. 338. IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit 29

Mit der Eingliederung Österreichs in den deutschen Wirtschaftsraum wurde der bisherige Au- ßenhandel mit Deutschland, der 15,5 % des gesamten Exports betragen hatte, zum Binnen- handel. Die Beseitigung der 40 %igen Exportkürzung, der Wegfall der deutschen Zölle noch im März und der Devisenhemmnisse im Juni des Anschlussjahres führten zu einem raschen Exportanstieg nach Deutschland. In dem Maße, in dem der Export nach Deutschland anstieg, reduzierte er sich allerdings in Drittländer. Dafür gab es verschiedene Gründe: die internatio- nale Konjunkturlage, der Ausbau nationaler Industrien, die Schillingaufwertung (die einer Zollerhöhung der Drittländer gleichkam), die vermehrte Lenkung des Güterstroms nach Deutschland und nicht zuletzt das deutsche System von bilateralen Handelsverträgen, das auch die österreichischen Warenströme beeinflusste.86 Die österreichische Wirtschaftsentwicklung wurde maßgeblich durch Investitionen der öffent- lichen Hand und der deutschen Industrie in kriegswirtschaftlich wichtige Infrastrukturanlagen (Wasserkraftwerke), Betriebe (Bergbau, Erdölgewinnung, Eisenerzeugung) und in den Stra- ßenbau, aber indirekt auch durch Investitionsanreize (z.B. vorzeitige Abschreibungsmöglich- keiten, Kreditbegünstigungen) beeinflusst. Im Zuge dieser expansiven Entwicklung ging auch die Zahl an Arbeitslosen zurück - und bald setzte die Konkurrenz um die nun knappen Ar- beitskräfte ein. Insgesamt gelang es, die Rate der Arbeitslosigkeit von 21,7 % im Jahr 1937 auf 3,2 % 1939 zu senken.87 Die zur Integration Österreichs in den deutschen Wirtschaftsraum durchgeführten Maßnah- men zur Preis- und Tarifangleichung umfassten u.a. die Erhöhung des Schillingwechselkurses um 36 % (von 2,17 S = 1 RM auf 1.50 S = 1 RM) und die Einführung des deutschen Preisre- gulierungssystems, wobei die gesunkenen Rohstoffpreise, die Aufwertung des Schillings und die bestehende Kapazitätsauslastung dem deutschen Vorhaben entgegenkamen.88 Die Eisen- und Stahlkontingentierung wurde im Juni 1938 auch auf Österreich ausgedehnt. Außerdem war im Jänner 1934 in Deutschland ein Gesetz zur Arbeitsplatzregelung erlassen worden, das nun auch in Österreich in Kraft trat und den Menschen durch die staatliche Lenkung bald die Möglichkeit nahm, sich ihre Arbeitsplätze selbst auszuwählen. Nur ein geringer Prozentsatz der rund 100.000 österreichischen Facharbeiter und Ingenieure hatte die Heimat freiwillig verlassen, um im „Altreich“ zu arbeiten. Ihr Abgang hinterließ eine große Lücke, an der die österreichische Industrie bis zum Ende des Krieges litt. 89

Zwei Monate nach dem „Anschluss“ konnte die eisenerzeugende Industrie, die in dieser Zeit die meisten Aufträge aus dem Deutschen Reich erhalten hatte, bereits eine 38ige Erhöhung ihrer Produktionskapazität aufweisen. Die Eisenerzförderung stieg 1938 durchschnittlich um

86 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 1938-1945, S. 47f. 87 Vgl. ebd. S. 57f, 66, 71. 88 Vgl. ebd. S. 56. 89 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 31. IV. Österreichs Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit 30

42 %, die Roheisenproduktion um 43 %. Aber auch in anderen rüstungswichtigen Grundstoff- industrien kam es zu deutlichen Kapazitätssteigerungen. So stieg z.B. die Erdölförderung mit von 33.000 t auf 57.000 t um 73 %. 1939 stießen die Industriezweige, die durch den An- schluss als erste expansive Impulse empfangen hatten, dann allerdings kurzfristig an ihre Ka- pazitätsgrenzen.90

Die Erwartungen, die viele Österreicher an den Regimewechsel geknüpft hatten, und die durch die nationalsozialistische Propaganda bis zur Volksabstimmung (10. April 1938) noch kräftig angeheizt wurden, hatten bei vielen Menschen den Eindruck erweckt, dass die Natio- nalsozialisten die Probleme Österreichs in wenigen Wochen oder Monaten lösen würden. Der anfänglichen Begeisterung folgte jedoch bald die Ernüchterung. So wurde u.a. am Erzberg ein Bergarbeiterstreik ausgelöst, der auf die anderen Werke der Alpine und auf die steirischen Werke des Böhler-Konzerns überzugreifen drohte - schließlich aber durch einen 150 Mann starken SA-Sturm niedergeschlagen wurde.91

Kurz nach dem „Anschluss“ wurde die Reichsmark-Währung in Österreich eingeführt, das gesamte Bankensystem in das deutsche System eingegliedert, die Nationalbank liquidiert und der Gold- und Devisenschatz der Reichsbank übergeben. Das ebenfalls eingeführte Kreditwe- sengesetz, wonach die Banken nach der Überführung in Privatbesitz unter staatliche Überwa- chung gestellt wurden, basierte auf den Erfahrungen aus der Bankenkrise und war darauf aus- gerichtet, die Rüstungsfinanzierung zu erleichtern. Die Kreditinstitute mussten einen großen Teil der Einlagen in Reichstiteln anlegen. (Zu Kriegsende bestand dann der größte Teil der Aktiven der österreichischen Kreditinstitute aus wertlosen Forderungen gegen das Deutsche Reich.)92

Bei der 1939 erfolgten Aufteilung der Bundesländer in sieben Reichsgaue erfolgten die Grenzziehungen zum Teil bewusst entgegen der historischen Tradition und der landwirt- schaftlichen Eigenart, um so den organischen Zusammenhang zwischen den Bundesländern zu zerschlagen. wurde zwischen Steiermark und Niederdonau (NÖ) aufgeteilt und Vorarlberg wurde in Personalunion vom in Tirol verwaltet. Teile von NÖ kamen zu Wien, das Gebiet von Aussee zu Oberdonau (OÖ) und Osttirol zu Kärnten.93

90 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 1938-1945, S. 58. 91 Vgl. FIEREDER, Reichswerke, S. 103. 92 Vgl. WEBER Wilhelm, Die Verstaatlichung in Österreich. Berlin 1964. S. 363f. 93 Vgl. ALTENSTETTER Christa, Der Föderalismus in Österreich. Studien zur Politik. Veröffentlichungen des Instituts für politische Wissenschaften an der Universität Heidelberg, Band 6. Heidelberg 1969. S. 20f. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 31

V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark

Im Rahmen des am 26. März 1938 von Göring in der Halle des Wiener Nordwestbahnhofes anlässlich einer Veranstaltung verkündeten „Aufbauprogramms für Österreich“ 94 wurde auch die steirische Wirtschaft durch den Ausbau der Rüstungsindustrie und die verstärkte Nutzung der Rohstoffe des Landes unmittelbar in das deutsche Rüstungsprogramm integriert. Vom „Anschluss“ versprachen sich die steirischen Unternehmer, die großteils bereits in der Zwischenkriegszeit mit der NS-Bewegung sympathisiert hatten, Aufträge, Kapazitätserweite- rungen und Gewinne. (Vor allem bei der Alpine Montan und Böhler waren in den Jahren der hohen Arbeitslosigkeit illegale Nationalsozialisten bevorzugt angestellt worden.)95 Waren unmittelbar nach dem „Anschluss“ die steirischen Betriebe der Eisen-, Stahl- und Fahrzeugindustrie für die deutsche Aufrüstung von vorrangiger Bedeutung, wurde in der Fol- ge die branchenbezogene Eingliederung der Industrieunternehmen den Bedürfnissen des Krieges angepasst. So erging nach Kriegsbeginn im September 1939 ein Großteil der Kriegs- aufträge auf Herstellung von Uniformstoffen und Wehrmachtsschuhen an Firmen der Leder- und Textilbranche, womit auch das weitverzweigte steirische Handwerk in die Wehrmachts- fertigung einbezogen wurde. Im Zuge des „Totalen Krieges“ und der Umsteuerung der ge- samten Rüstung mit den Schwerpunkten in der Rüstungsfertigung für die Luftwaffe, Marine und die Schnellen Truppen wurden die Betriebe der Eisen-, Metall- und Fahrzeugindustrie bis 1944 wieder zu den wichtigsten Rüstungsproduzenten.96

Die Aufnahme der Tätigkeit der Rüstungsbetriebe spiegelt sich auch in der Erhöhung der Be- schäftigtenzahlen wider: Bei der Elin AG in Weiz waren – vor allem aufgrund von Wehr- machtsaufträgen der Kriegsmarine - unmittelbar nach dem Anschluss 300 und 1939 weitere 400 Arbeiter neu eingestellt worden. Die Grazer Waggon- und Maschinenfabriks AG (vorm. Weitzer), die während der Wirtschaftskrise stillgelegt worden war, konnte im Sommer 1938, nachdem sie von der Deutschen Reichsbahn Großaufträge für Eisenbahnwaggons erhalten hatte, mit 600 Beschäftigten den Betrieb wieder aufnehmen. Bei der Alpine Montan, wo im Zuge des Vierjahresplanes bereits 1937 am Erzberg die Arbeitslosigkeit beseitigt worden war, konnte die Beschäftigungszahl von 13.388 im März 1938 bis zum Jahresende auf 16.437 er- höht werden. Nachdem seit Jahresbeginn 1938 im Donawitzer Stahlwerk der Alpine 500 Ar- beiter entlassen worden waren, wurden am 15. März bereits wieder 400 Arbeiter eingestellt. Die Belegschaft der Grazer Puch-Werke AG wurde von 1.821 im März auf 2.603 im Novem-

94 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 29. 95 Vgl. KARNER, Südmark, S. 296f. 96 Vgl. KARNER Stefan, Österreichs Rüstungsindustrie 1944. Ansätze zu einer Strukturanalyse. Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 25. Jg.-Heft 3./1980. S. 196f. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 32 ber aufgestockt. Bei Böhler in Kapfenberg wurden von März bis Dezember 1938 rund 1.000, im Eisenwerk Krieglach bis Anfang Oktober 167 Beschäftigte eingestellt. Mit 251 Neuein- stellungen bei den Steirischen Gussstahlwerken in Judenburg im Jahr 1938 erhöhte sich der Beschäftigtenstand dort auf 1.102 Arbeiter und Angestellte.97

Die Zielsetzungen des Vierjahresplans, zum einen Deutschland auf dem Rohstoffsektor vom Ausland möglichst unabhängig zu machen, zum anderen die Kontrolle der nationalsozialisti- schen Partei über die deutsche Industrie zu verschärfen, nahmen in den riesigen „Hermann Göring“ Werken konkrete Gestalt an.98 Nachdem die Creditanstalt-Bankverein gezwungen worden war, ihre Industriebeteiligungen an die Reichswerke (in kleinem Ausmaß auch an private reichsdeutsche Interessenten) abzugeben, wurden diesen die Österreichische Alpine Montan-Gesellschaft, Steyr-Daimler-Puch und die Gussstahlwerke Judenburg eingegliedert.99

1. Die „Wirtschaftsplanung“ im „Dritten Reich“

Nach der Machtergreifung Hitlers lautete das gemeinsame Programm der regierenden Interes- senkoalition - der NSDAP, der alten Eliten Schwerindustrie, Reichswehrgeneralität und der staatlichen Bürokratie - Aufrüstung. Die Montanindustriellen nahmen dabei eine exklusive Stellung ein. Die Machtverhältnisse waren jedoch aufgrund gegenseitiger Intrigen nie kon- stant. Mit der Aufrüstung gelang es den Nationalsozialisten auch, die enge Verbindung zwi- schen den konservativen Wirtschaftsfachleuten und der Generalität aufzusprengen: Im Machtkampf um das Tempo der Aufrüstung (die Industriellen und ihr Repräsentant in der Reichsregierung, Hjalmar Schacht, traten für eine zeitweise Drosselung ein) entschied sich die Generalität für die Hitler-Göring-Gruppe. Der 1936 proklamierte Vierjahresplan, mit dessen Durchführung Göring beauftragt wurde, war das äußere Zeichen dieser engen Verbindung zwischen politischer Führung und Generalität. Dem Vierjahresplanapparat gehörten die Ma- nager der modernen Großindustrie an, zu denen Göring, als Chef der Luftwaffe, die besten Beziehungen hatte.100 Die Aussichten auf Gewinnmaximierung und das Versprechen der Na- tionalsozialisten, die ökonomischen Probleme durch territoriale Expansion und Markterweite-

97 Vgl. KARNER , Südmark, S. 322f. 98 Vgl. MILWARD Alan S., Die deutsche Kriegswirtschaft 1939-1945. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Nr. 12. Stuttgart 1966. S. 11. 99 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 32. 100 Vgl. FIEREDER, Reichswerke, S. 17, 229f. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 33 rung zu lösen, bewirkten, dass sich die deutsche Finanz- und Wirtschaftswelt mehr oder we- niger unbedenklich bereit erklärte, mit dem NS-Regime gemeinsame Sache zu machen.101

Der Vierjahresplan kombinierte Rüstungs- und Autarkiepolitik und sollte Deutschland in Vorbereitung eines kriegerischen Konflikts vom Ausland wirtschaftlich möglichst unabhängig machen. Ohne Rücksicht auf die Kosten forderte Hitler die frühestmögliche Selbstversorgung, womit die Fragen der Wirtschaftlichkeit im Zweifelsfall immer dem Primat der Rüstung un- terzuordnen waren102.Unmittelbar nach der Verkündigung und gesetzlichen Verankerung des Vierjahresplans setzte Göring erste Erlässe zur Reglementierung des Arbeitseinsatzes in Kraft.103 Die Aufgaben, die Hitler dem Vierjahresplan, mit dem die eigentliche Wehrwirtschaft im „Dritten Reich“ begann, stellte und die vielgepriesene Aufrüstung versetzten nicht nur die potentiellen Gegner in den Glauben, dass Deutschland wirtschaftlich hervorragend auf den Krieg vorbereitet sei, die Kriegswirtschaft meisterhaft organisiert habe und die deutsche Wirt- schaft bewusst auf die Zwecke der Kriegsführung ausgerichtet worden sei.104 Ein Mythos, der aufgrund des damals eingesetzten Propagandaapparates auch lange nach dem Krieg unaus- rottbar zu sein schien. Aber die Gegner überschätzten Deutschlands Rüstung, denn das mo- derne Kriegsgerät - vor allem auf dem Flugzeug- und Panzersektor – konnte Deutschland nur in qualitativer Hinsicht, d.h. nur kurzfristig Überlegenheit verleihen105. Der propagandistisch groß herausgemachte Vierjahresplan, der jeder soliden volkswirtschaftlichen Grundlage ent- behrte, basierte lediglich auf Zielvorstellungen: Es gab keine langfristige Wirtschaftsplanung im „Dritten Reich“. Die Wirtschaft war für Hitler nur insofern interessant, als sie ihm zur Er- reichung seiner Ziele diente. Von Zeitfestlegungen und Durchführungskonzepten hielt Hitler nicht viel, er vertraute lieber auf das „Glück der Stunde“ und verstand es, einen günstigen Anlass sofort in seinem Sinne zu nutzen106. Neben einer schlagkräftigen Rüstung für Blitz- kriege, wollte Hitler auch eine auf vollen Touren laufende Friedensproduktion (was für ihn nicht zuletzt eine Prestigesache war). Das System der Multi-Kompetenzen sollte Hitler die uneingeschränkte Macht über alle Bereiche des Staates sichern, führte aber immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten.107

101 Vgl. VOLKMANN Hans-Erich, Politik, Wirtschaft und Aufrüstung unter dem Nationalsozialismus, in: FUNKE Manfred (Hrsg.), Hitler, Deutschland und die Mächte. Materialien zur Außenpolitik des Dritten Rei- ches. Düsseldorf 1976. S. 289. 102 Vgl. MEYER August, Hitlers Holding. Die Reichswerke “Hermann Göring”. München-Wien 1999. S. 63. 103 Vgl. SCHULTE Jan Erik, Zwangsarbeit und Vernichtung: Das Wirtschaftsimperium der SS. Oswald Pohl und das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt 1933-1945. Paderborn 2001. S. 106. 104 Vgl. MILWARD, Kriegswirtschaft, S. 9. 105 Vgl. WAGENFÜHR, Industrie, S. 24. 106 Vgl. SCHAUSBERGER, Österreich, S. 730. 107 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 10f, 44. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 34

Mit „Überraschungsaktionen“ und – falls erforderlich – mit Blitzkriegen glaubte Hitler, unter Einkalkulation des Wirtschaftspotentials der eroberten Länder, einen verteidigungsfähigen Großraum schaffen und eine Hegemonialstellung über Europa erreichen zu können, ohne in einen lang dauernden Krieg, für den das nötige Rüstungspotential gefehlt hätte, verwickelt zu werden. Das Blitzkriegskonzept basierte wirtschaftlich gesehen auf dem Unterschied zwi- schen dem Rüstungspotential und dem Kriegseffektiv.108

Führt man sich Hitlers Außenpolitik vor Augen, so erweisen sich die einzelnen Schritte seines Vorgehens allerdings als folgerichtige, notwendige Strategie: So verminderte die Besetzung der Rheinzone die Gefahr des Zweifrontenkrieges, und der Einmarsch in Österreich machte die militärische Situation der Tschechoslowakei so gut wie aussichtslos. Diese diente nach ihrer Besetzung als Aufmarschgebiet gegen Polen und dieses wiederum als Aufmarschgebiet gegen die Sowjetunion. Der ungehinderte Transport des schwedischen Erzes ins Deutsche Reich machte die Besetzung der westlichen Nachbarländer Schwedens erforderlich. Und nachdem Dänemark und Schweden in deutscher Hand waren, war Hitlers nächstes Ziel die Besetzung Frankreichs, um auf diese Weise freie Hand für den Angriff auf die Sowjetunion zu haben.109

Nach seiner Machtergreifung hatte Hitler – möglicherweise aufgrund seines begrenzten Ver- trauens zu den eigenen Wirtschaftsfachleuten – Vertreter des Großunternehmertums mit den wirtschaftspolitischen Aufgaben betraut, die in der Folgezeit in Übereinstimmung mit den Nationalsozialisten den Weg fortsetzten, den die Regierungen Papen und Schleicher einge- schlagen hatten. In dieser Phase bewegte sich auch die Wirtschaftspolitik prinzipiell noch innerhalb des marktwirtschaftlichen Rahmens. 1934 begannen das Ausmaß und die Ge- schwindigkeit der Aufrüstung auf Widerstand zu stoßen. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Tat- sache, die Hitlers engsten Vertrauten, die längst eingeweiht waren, nichts Neues war, offen- sichtlich, nämlich, dass Hitler von Anfang an nur wehrwirtschaftliche Interessen verfolgt hat- te. Unter dem Schlagwort „indirekte Arbeitsbeschaffung“ wurden die expansiven Maßnahmen ergriffen. Die Rüstungsausgaben erhöhten sich explosionsartig und erreichten 1938 74 % der öffentlichen Investitionen. Andere nennenswerte öffentliche Investitionen, wie der forcierte Autobahn- und sonstige Straßenbau, hingen ebenfalls mit der Rüstung zusammen.110

Die überdimensionale Aufrüstung hatte 1937 zu einem enormen Defizit an Devisen, Arbeits- kräften, Rohstoffen und Rüstungskapazitäten geführt, sodass der Rüstungsvorsprung nur

108 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 11f. 109 Vgl. BERNHARDT Walter, Die deutsche Aufrüstung 1934-1939. Militärische und politische Konzeptionen und ihre Einschätzung durch die Alliierten. Frankfurt/Main 1969. S. 19. 110 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 1938-1945, S. 37f. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 35 durch die Einbeziehung neuer Ressourcen zu behaupten bzw. weiter auszubauen war. Nach- dem die konservativen Wirtschaftsexperten nicht bereit gewesen waren, den Kriegskurs be- dingungslos mitzumachen, die Ansichten immer konträrer geworden waren, wurde 1936 Gö- ring Reichsbeauftragter für den Vierjahreplan, um – nach der Entmachtung der konservativen Wirtschaftsfachleute - eine kriegswirtschaftlich motivierte Autarkiepolitik zu betreiben.111 Der Kriegsausbruch änderte im Wesentlichen zunächst verhältnismäßig wenig an der einge- schlagenen Wirtschaftspolitik, die man als ausreichend organisiert für die erforderlichen Pro- duktionsumstellungen erachtete. An die Unternehmen, denen Rohstoffe und Devisen zugeteilt wurden, ergingen die Aufträge durch diverse militärische Stellen.112

2. Die Errichtung der Wehrwirtschaftsorganisation

1934 kam es mit der Installierung der neuen Stelle „Wehrwirtschafts- und Waffenwesen“ (die im Jahr darauf unter dem Namen „Amtsgruppe Wehrwirtschaftsstab“ geführt wurde) im Wehrmachtamt des Reichswehrministeriums (ab 1935 „Reichskriegsministerium“, ab 1938 „Oberkommando der Wehrmacht“,„OKW“) zur Schaffung einer zentralen wehrwirtschaftli- chen Führungsstelle. Da die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile jedoch bemüht waren, jegliche Befehlsgewalt der neuen Institution zu unterbinden, gestaltete sich die Koordination der Rüstungsplanungen und –maßnahmen äußerst schwierig.113 Während der Wehrwirtschaftsstab die unmittelbaren Rüstungsbetriebe (Betriebe, die Waffen und Munition erzeugten) zu betreuen hatte, unterstanden alle anderen kriegswichtigen Betrie- be dem Wirtschaftsministerium. Bis 1942 wurde diese für die gesamte Rüstungsproduktion ungünstige Zweiteilung der Wirtschaft beibehalten. Da jeder der drei Wehrmachtteile über ein eigenes Waffenamt verfügte, das die Auftragsvergabe an die Industrie bzw. die Abnahme vornahm, d. h. eine Sonderrüstung betrieb, war auch hier keine Einheitlichkeit gegeben.114 Mit der Installierung der Wehrwirtschaftsinspektionen (WiIn.) hatte der Wehrwirtschaftsstab in den Wehrkreisen Außenstellen, deren Aufgabenbereich die Erkundung von Rüstungsbe- trieben (und die Empfehlung an die Wehrmachtsteile), die Auftragsvergabe, die Finanzierung und Vorfinanzierung von Investitionen, die Rohstoff-, Arbeitskräfte- und Maschinenzuteilung sowie den Schutz der Betriebe umfasste.115 Als Unterinstanzen der Wehrwirtschaftsinspektio- nen fungierten in den Gauen die Wehrwirtschaftsstellen. Am 4. Februar 1938 führte die Über-

111 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 1938-1945, S. 37ff. 112 Vgl. ebd. S. 74. 113 Vgl. THOMAS Georg, Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft (1918 – 1943/45). Schriften des Bundesarchivs, 14. Boppard/Rhein 1966. S. 2. 114 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 13f. 115 Vgl. ebd. S. 14. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 36 nahme des Oberbefehls Hitlers über die Wehrmacht - mit dem Ziel einer beschleunigten Stei- gerung der Rüstungskapazität - zu einer weiteren Vergrößerung der Rüstungsdienststellen. Dies hatte zur Folge, dass der Wehrwirtschaftsstab am 1. August 1938 zur Amtsgruppe im Oberkommando der Wehrmacht (WStb./OKW) erhoben wurde.116

Nach dem „Anschluss“ erging – nach der Liquidierung des Kriegswirtschaftsamtes (KWA), die in der Zeit vom 16. bis 30. März 1938 erfolgte - am 1. April 1938117 vom Oberkommando der Wehrmacht der Befehl zur Errichtung einer Wehrwirtschaftsorganisation in Österreich mit der Wehrwirtschaftsinspektion XVII (WiIn. XVII) mit Sitz in Wien und der Wehrwirtschafts- inspektion XVIII (WiIn. XVIII) mit Sitz in Salzburg. Die Wehrwirtschaftsinspektion XVII nahm noch am selben Tag (1. April 1938) ihre Tätigkeit auf, die Wehrwirtschaftsinspektion XVIII am 23. April. Während der Wehrwirtschaftsinspektion XVII die Wehrwirtschaftsstellen Wien, Linz und Mödling unmittelbar unterstellt wurden, konnten die Wehrwirtschaftsstellen der Wehrwirtschaftsinspektion XVIII (nach erfolgter Zuordnung) erst am 1. Jänner 1939 (Graz und Innsbruck) bzw. am 15. Mai 1941 (Klagenfurt) ihre Tätigkeit aufnehmen. Die Auf- gaben der beiden Wehrwirtschaftsinspektionen bestanden in der Mithilfe bei der sofortigen Beseitigung der Arbeitslosigkeit, in der Erkundung geeigneter Rüstungsbetriebe und deren Belegung mit Aufträgen, sowie der Nutzbarmachung der gesamten österreichischen Wirt- schaft für Wehraufgaben. Die vom Oberkommando der Wehrmacht vergebenen Heeresauf- träge (25 Mio. RM) sollten die österreichische Wirtschaft beleben118.119 Die Amtsgruppe Wehrwirtschaftsstab im Oberkommando der Wehrmacht wurde mit Wirkung vom 16. Oktober 1939 aufgrund der Aufgabenerweiterung im Rahmen des nach dem Polen- feldzug erforderlichen neuen Programms für Angriffswaffen zunächst in ein Amt (WStb., Wehrwirtschaftsamt im OKW)120 und am 22. November 1939 infolge der stark vergrößerten Tätigkeit durch die Weisung des „Führers“ zur Höchststeigerung der Rüstung (die 1940 eine rasche Entscheidung bringen sollte) schließlich in das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt (WiRüAmt)121 umgewandelt. Konform damit kam es zu einer Umbenennung der Wehrwirt- schaftsinspektionen in Rüstungsinspektionen und der Wehrwirtschaftsstellen in Kommanden der Rüstungsbereiche.122 Ab diesem Zeitpunkt gab es dann das Kommando des Rüstungsbe- reiches Graz.

116 Vgl. THOMAS, Geschichte, 66f. 117 Vgl. Mf-T-77, R-752, 1988475, zitiert nach SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 30. 118 Vgl. Mf-T-77, R-752, 1988530, zitiert nach ebd. S. 30. 119 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 30, 187f. 120 Vgl. Mf-T-77, R-738, 967642, zitiert nach ebd. S. 57. 121 Vgl. Mf-T-77, R-738, 967691, zitiert nach ebd. S. 58. 122 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, 57f. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 37

Im Dezember 1939 übernahm Göring die Gesamtleitung der Kriegswirtschaft und ernannte am 23. Februar 1940 aufgrund der fatalen Situation auf dem Munitionssektor Todt, der sich bereits Anfang 1940 als Sonderkommissar für Sparsamkeit (durch Ersatz der kupfernen Ge- schossführungsringe durch gesinterte Eisenringe) einen Namen in der Rüstung gemacht hatte, zum Generalinspekteur für Sonderaufgaben des Vierjahresplanes.123

Nach der Ernennung Speers zum Minister für Bewaffnung und Munition ging die Rüstungs- organisation des Oberkommandos der Wehrmacht als „Rüstungsamt“ in das Reichsministeri- um für Bewaffnung und Munition ein. Der Versuch einer weitgehenden industriellen Selbst- verantwortung über sogenannte Ausschüsse und Ringe stellte – angesichts der Traditionsver- bundenheit der deutschen Wehrmachtsinstitutionen – eine Revolutionierung des Beschaf- fungswesens dar. Die Zusammenschlüsse in „Ausschüsse“ (Betriebe der Rüstungsentferti- gung, z.B. von Panzern, Kraftfahrzeugen, Schiffen, Waffen und Munition) und „Ringe“ (Zu- lieferbetriebe, z.B. Ring Eisenverarbeitung, Ring Elektrotechnik) standen unter der Leitung entsprechender Industrieexperten. Die zusätzliche Gliederung in Unterausschüsse, Unterringe, Arbeitsausschüsse usw. sollte eine möglichst betriebs- und produktnahe Lenkung ermögli- chen. Da jedoch mit der Schaffung dieser Organisation die bereits bestehenden Organisatio- nen nicht aufgelöst wurden, gehörten viele Betriebe wegen der Vielzahl der bei ihnen liegen- den Fertigungen nicht nur einer zweistelligen Zahl von Ausschüssen und Ringen, sondern auch mehreren Wirtschafts- und Fachgruppen an, was in der Folge zu erheblichen Mängeln in der statistischen Dokumentation führte.124

Die Rüstungsinspektionen und ihre Kommanden unterstanden nach ihrer Ausgliederung aus dem Oberkommando der Wehrmacht ab 7. Mai 1942 dem Reichsministerium für Bewaffnung und Munition und ab 2.9.1943 (nach der Umbenennung des Ministeriums) dem Reichsminis- terium für Rüstung und Kriegsproduktion.125 Im Zuge der Umstrukturierungen der deutschen Rüstung ab Juli 1944 nahmen die als Reichsverteidigungskommissare immer mehr Einfluss auf die Wirtschaft. So war auch die Macht des Grazer Rüstungskommandos vor allem auf Reichsverteidigungskommissar Uiber- reither (seit 22. Mai 1938 Gauleiter der Steiermark, zudem seit 1. April 1940 Reichsstatthal- ter) und seine Rüstungskommission übergegangen.126

123 Vgl. Mf-T-77, R-738, 967979, zitiert nach SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 59. 124 Vgl. WAGENFÜHR, Industrie, S. 40f. 125 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 188. 126 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 78, 102, 242. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 38

3. Die Ernennung von Rüstungsbetrieben für die Wehrmachtsteile

Unmittelbar nach dem „Anschluss“ begannen die Wehrmachtsteile (v.a. Heer und Luftwaffe) möglichst wichtige Produktionsstätten für ihren Bereich zu sichern. Nach nur wenigen Mona- ten waren die wichtigsten Produktionsstätten der steirischen Industrie in die Lieferungen für die deutsche Wehrmacht einbezogen. Die Produktionsaufträge der Rüstungsdienststellen des Oberkommandos Wehrmacht und des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition wurden über die Wehrwirtschaftsstelle Graz (ab November 1939 Rüstungskommando Graz) organisiert.127

Bis Kriegsbeginn im September 1939 wurden vom Oberkommando der Wehrmacht folgende 23 Unternehmen zu Rüstungsbetrieben erklärt: Gebr. Böhler & Co AG, Kapfenberg; Felten & Guilleaume AG, Bruck-Diemlach; AG der Emailwerke, Knittelfeld; Maschinenfabrik Andritz AG; Ludwig Binder & Co, Graz; Elin AG, Weiz; Lapp-Finze AG, Kalsdorf; Alpine Montan AG, Donawitz; Johann Pengg, Thörl; August Sattlers Söhne, Graz; Jakob Rathleitner, Graz; Schoeller-Bleckmann AG, Hönigsberg; Schoeller-Bleckmann AG, Mürzzuschlag; Stei- rische Gussstahlwerke AG, Judenburg; Steyr-Daimler-Puch AG, Graz; Treiber & Co, Graz; Grazer Waggon- und Maschinenfabriks AG (vorm. Weitzer, später Simmering-Graz-Pauker, SGP128), Graz; Pengg-Walenta, Graz; Robert Bieber, Graz; Franz Rieckh, Graz; Rottenman- ner Eisenwerke AG; Hutter & Schrantz, Pinkafeld und Brüder Assmann, Leibnitz.129

127 Vgl. KARNER Stefan, Die Steiermark im 20. Jahrhundert. Politik – Wirtschaft – Gesellschaft – Kultur, 2. Auflage. Graz 2005. S. 267. 128 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 300, 346. 129 Vgl. Mf-T-77, R-742, 972691, zitiert nach ebd. S. 239f. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 39

Karte 1: Die steirischen Rüstungsbetriebe zu Beginn des Zweiten Weltkrieges

Quelle: Karner, Steiermark 1938-1945, S. 240.

Mit der Ernennung weiterer Unternehmen wuchs die Zahl der Rüstungsbetriebe bis Ende 1940 auf insgesamt 40 an. Hinzugekommen waren: Otto Haase, Graz; Noricumwerke Cless, Graz; Fahrradwerke Weiß Junior, Graz; Vogel & Noot AG, Wartberg; Nierhaus’sche Ham- merwerke, Mürzzuschlag; Ferdinand Eisner, Weiz; Weißkirchner Baumwollweberei, Weiß- kirchen; Werk Wasendorf der Rottenmanner Eisenwerke AG; Alfred Wall, Graz; Eisenwerke AG, Krieglach; Waagner-Biro AG, Graz; Gottfried Witiz, Graz; Anton Paar, Graz; Albin Kassar, Graz; Ludwig Höfler, Graz; Eduard Watzke, Pinggau und Josef Treiber, Graz.130

Da aufgrund der komplizierten und langdauernden Vorbereitungen für den Produktionsanlauf bzw. den Ausbau der Werksanlagen die öffentlichen Beihilfen und Eigenmittel oft erschöpft waren, hatte das Reichswirtschaftsministerium, sofern keine privaten Kreditmöglichkeiten gegeben waren, Banken zur Vergabe langfristiger Kredite an die Rüstungs- und Zulieferin- dustrie ermächtigt: Heereslieferanten konnten einen Kredit bei der Heeresrüstungs-Kredit- AG., Luftrüstungsbetriebe bei der Bank der Deutschen Luftfahrt AG beantragen, und für Ma- rinebetriebe war die Deutsche Industriebank zuständig. Außerdem übernahm das Reich durch die bei Kriegsbeginn geschaffene Mobkredit-Aktion die Haftung für Bankkredite.131 Da die

130 Vgl. Mf-T-77, R-742, 972692f, zitiert nach KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 240f. 131 Vgl. Mf-T-83, R-102, 3477807, zitiert nach SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 51. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 40

Kreditgesetze allerdings erst mit 1. Oktober 1939 in Österreich wirksam wurden, befanden sich viele Betriebe durch das viel spätere Anlaufen im Nachteil gegenüber jenen des „Alt- reichs“.132

Die Rüstungsbetriebe des Heeres

Der Wehrmachtsteil Heer sicherte sich mit Steyr-Daimler-Puch in Thondorf, Böhler in Kap- fenberg, Schoeller-Bleckmann und der Alpine Montan bedeutende Großbetriebe der steiri- schen Industrie. (In der Eisen- und Stahlindustrie entfielen allerdings bedeutende Fertigungs- kapazitäten auch auf den Luftwaffenbereich.).133

Bei den steirischen Betriebsstätten der Steyr-Daimler-Puch AG gingen in der Folge beim Werk Graz (Puchwerk) Aufträge zur Herstellung von Zweirädern und Waffenteilen ein. Das Werk Graz-Thondorf wurde mit Produktionsaufträgen für Panzermotoren und Flugmo- torenteile (Anlauf November 1942) belegt.134 In der Zeit von 1938 bis 1945 bekam Steyr-Daimler-Puch Aufträge über 140.000 Truppen- Fahrräder (1938-1945), 31.300 Motorräder 125 (1940-1944), 10.000 Motorräder 250 (1938- 1944) und 2.500 Motorräder 350 (1938-1941).135

In der Panzer-Teilefertigung konnte Böhler Kapfenberg folgende Produktionszahlen ver- zeichnen: In der Panzerspäh- und Schützenpanzerwagen-Aufbaufertigung: „Mittlerer gepan- zerte Beobachtungskraftwagen“ (Sd.Kfz.254): 140 (1938-1939), „Leichter Panzerspähwagen“ (Sd.Kfz. 222): 152 (1939-1942), „Leichter Panzerspähwagen“ (Fu.) (Sd.Kfz. 223): 30 (1939- 1942), „Schwerer Panzerspähwagen“ (Fu.) (Sd.Kfz. 232): 560 (1940-1942), „Panzerfunkwa- gen“ (Sd.Kfz. 263): 140 (1940-1941), „Leichter gepanzerter Beobachtungs-Kraftwagen“ (Sd.Kfz. 253): 250 (1940-1941) und „Leichter Schützenpanzerwagen“ (Sd.Kfz.250): 1.075 (1942-1943). In der Wannen- und Türmefertigung: 516 Wannen und 695 Aufbauten für Pan- zer IV (Sd.Kfz.161) (1941-1944), 252 Wannen für Sturmgeschütz IV (Sd.Kfz.163) (1943- 1944), je 1.368 Wannen und Aufbauten für Jagdpanzer (Sd.Kfz.162) – Aufträge erst seit Herbst 1944, 10 Wannen für Sturmpanzer IV „Brummbär“ (Sd.Kfz.166) (1943), 200 Wannen für „Tiger“ (Sd.Kfz.181) (1942)und von 1943-1945 monatlich 120 Türme und 100 Wannen

132 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 52. 133 Vgl. KARNER, Steiermark 20.Jhd., S. 267f und vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 261. 134 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 193. 135 Vgl. Seper H., 100 Jahre Steyr-Daimler-Puch AG (1864-1964). Wien 1964. O.S., zitiert nach ebd. S. 195. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 41 für „Panther“ (Sd.Kfz.171). Daneben war das Böhler-Werk in Kapfenberg auch in der Kano- nen- (Zusammenbau), der Kanonenteile- und der Panzermotorenfertigung tätig.136 Im Rahmen der Geschützfertigung wurden in Kapfenberg auch Prototypen erzeugt: die 7,5- cm-rückstoßfreie Kanone 43, die 10,5-cm-Gebirgshaubitze 40 und das 7,5-cm- Gebirgsgeschütz (das 1945 vor der Einführung stand).137

Bei Schoeller-Bleckmann erfolgte die Panzerspäh- und Schützenpanzerwagen- Aufbaufertigung in Mürzzuschlag, aber auch in Ternitz (eine genaue Zuschreibung ist nicht möglich). Insgesamt wurden gefertigt: „Leichter Panzerspähwagen“ (Sd.Kfz.222): 900 (1939- 1942), „Leichter Panzerspähwagen“ (Fu.) (Sd.Kfz.223): 200 (1939-1942), „Kleiner Panzer- funkwagen“ (Sd.Kfz.260): 196 (1940-1942), „Kleiner Panzerfunkwagen“ (Sd.Kfz.261): 480 (1940-1942) und „Mittlerer Schützenpanzerwagen“ (Sd.Kfz.251): 2.322 (1940-1944).138

Außer dem Alpine-Stahlwerk in Donawitz erhielten letztlich alle bedeutenden Industriebetrie- be Aufträge vom Oberkommando des Heeres. Dazu zählten neben den Betrieben, die sich das Heer sofort in Österreich gesichert hatte, die Dynamitfabrik in St. Lambrecht, Felten und Guilleaume in Bruck und Diemlach, das Palten-Stahlwerk in Rottenmann, die Schmidhütte Liezen, die Steirischen Gussstahlwerke und Vogel & Noot.139

Die Rüstungsbetriebe der Luftwaffe

Die Luftwaffe konnte sich besonders wichtige Produktionsstätten - High-Tech- Endfertigungsbetriebe der steirischen Industrie – sichern, deren Rüstungsproduktionen in der Folge auch ausschließlich an die Luftwaffe gingen.140 In Graz arbeiteten für die Luftwaffe die Unternehmen Mörth, Steirer-Elektrobau, Steirerfunk, Treiber und Vaemag, in Leibnitz Assmann und in Wildon Lübold. 1941 wurde mit der An- gliederung der Untersteiermark die Produktionskapazität durch Westen in Cilli und die VDM- Luftfahrtwerke in Marburg erweitert. Das auf der Thesen in Marburg 1941/42 in einer schnel-

136 Vgl. Mf-T-77, R-738-747, zitiert nach SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 203f. 137 Vgl. Senger – Etterlin F.M.(Hrsg.), Die deutschen Geschütze 1939-1945. München 1960, zitiert nach SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 205. 138 Vgl. Mf-T-77, R-738-747, zitiert nach SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 203. 139 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 261. 140 Vgl. KARNER, Steiermark 20.Jhd., 267. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 42 len Fertigteilbauweise141 errichtete Zweigwerk der Flugmotorenwerke Ostmark (das später die Vereinigten Deutschen Metallwerke Düsseldorf übernahmen) wurde ab 1943 hinsichtlich Flugmotoren- und Propellerproduktion ein wichtiger Rüstungsproduzent für die Luftwaffe.142 Produktionsschwerpunkte waren z.B. bei Treiber Flugzeug-Auspuffanlagen, Teile für Me 109 und Ju 52143, bei Vaemag Bordfunkgeräte und bei Westen Spezialproduktionen für das „V2“- Programm.144 Daneben waren mehrere Betriebe in Andritz, Zeltweg, Judenburg und Donawitz in die Pro- duktion von Luftabwehr-Flak-Granaten eingeschaltet.145 1941 wurde im Schnellbau ein Werk der Steyr-Daimler-Puch AG zur Ausweitung der Luft- rüstung mit Reichsgeldern in Thondorf errichtet, das im Lizenzbau vor allem den Daimler- Benz-Flugmotor 605 produzierte.146 Dass Göring auch Oberbefehlshaber der Luftwaffe war, wurde dadurch deutlich, dass dem raschen und großzügig gestalteten Aus- und Aufbau der Luftwaffenbetriebe besonderes Au- genmerk geschenkt wurde.147

Die Rüstungsbetriebe der Marine

Nachdem für Hitler nach der Maikrise 1938 auch Großbritannien als potentieller Gegner in Betracht kam, entwarf die Kriegsmarine im Herbst 1938 den sogenannten Z-Plan, der das Schwergewicht auf den U-Boot- und vor allem Schlachtschiffbau (Bismarck, Tirpitz, Graf Zeppelin, Prinz Eugen, Seydlitz) legte. Da Hitler sich nicht mehr an das Flottenabkommen gebunden sah, das 1935 zwischen Deutschland und England getroffen worden war und die Marinerüstung drastisch eingeschränkt hatte, begann er 1939 für den U-Boot-Bau ein sich jährlich steigerndes Programm zu entwerfen. (Beginnend mit der Fertigstellung von 66 U- Booten erwartete er für 1947 – sozusagen als Endziel - eine Produktionskapazität von 249 Stück.) Da mit einem Seekrieg mit England im Oberkommando der Wehrmacht fast niemand ernsthaft gerechnet hatte, traf der Ausbruch des Krieges am 3. September 1939 die deutsche Kriegsmarine alles andere als vorbereitet. Unverzüglich wurde deshalb mit der Umsetzung des Mob-Programms, das im April 1939 festgelegt worden war, begonnen: Neben einer fest-

141 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 264. 142 Vgl. KARNER, Steiermark 20.Jhd., S. 267f. 143 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 62 144 Vgl. KARNER, Steiermark 20.Jhd., S. 268. 145 Vgl. ebd. S. 268. 146 Vgl. BEER Siegfried – KARNER Stefan, Der Krieg aus der Luft. Steiermark und Kärnten 1941-1945. Graz 1992. S. 265. 147 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 61. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 43 gelegten jährlichen Produktionszahl an U-Booten, Torpedobooten, Minensuchbooten und Zerstörern sah dieses Programm auch Neukonstruktionen auf dem Gebiet der Schnellboote und Minenräumboote vor.148 Nach der Aufstellung des U-Bootprogramms begann die deutsche Kriegsmarine, sich auch freie Kapazitäten in der österreichischen Rüstungsindustrie zu sichern. 1940 begannen des- halb allmählich bei österreichischen – und in diesem Zusammenhang auch steirischen – Be- trieben Aufträge für die Marinerüstung einzugehen. So wurde zu Beginn des Jahres 1940. die Maschinenfabrik Andritz indirekt eine Produktionsstätte der deutschen Kriegsmarine, als an sie Aufträge zur Herstellung von Lauf- und Portalkranen ergingen. Die Gesamtauftragssumme für die von deutschen Marinewerften in Kiel und Lübeck bestellten 18 Krane belief sich da- mals auf fast 600.000 RM. Im Zuge der zunehmend forcierten Anwendung der Schweißtech- nik im U-Bootbau der norddeutschen Werften erhielt die Elin AG bedeutende Aufträge zur Herstellung von Schweißumformern149. Die Bestellmenge an Schweiß- und Kinomaschinen von 1.017 Stück im Jahr 1936 erhöhte sich 1938 auf 1.964 und 1939 auf 2.222 Stück (aller- dings reduzierte sich die Bestellmenge 1940 auf 2.042 Stück), und die Motorleistung konnte kontinuierlich gesteigert werden: von 8,9 kW 1936, auf 9,7 kW 1939 und schließlich auf durchschnittlich 10,8 kW 1940150. Ab Jänner 1940 gingen bei der Elin AG von der Kriegsma- rinewerft (KMW) Kiel auch laufend Aufträge für Lüftermotoren verschiedener Typen für Zerstörer ein. Im Frühjahr 1944 erhielt das Weizer Werk im Zuge der Auftragsvergaben für den Bau der neuen Elektro-U-Boote vom Oberkommando der Kriegsmarine den Auftrag (dem weitere folgten: im November 1944 auf 50 und im Februar 1945 auf 112 Stück151) auf Her- stellung von 172 Stück GV 323/28 Gleichstrom-Nebenschluss-Motoren. Infolge der Bomben- schäden in Deutschland erreichte die Elin letztlich einen Fertigungsanteil von über 50 % der gesamten Reichskapazität.152

Entgegen der anfänglich skeptischen Haltung der deutschen Marinedienststellen gegenüber einer Auftragsvergabe in die „Ostmark“, hatte die in diesen beiden steirischen Betrieben her- vorragend geleistete Qualitätsarbeit mit dazu beigetragen, das anfängliche Vorurteil, das nicht zuletzt darauf basiert hatte, dass der Großteil der bedeutenden Betriebe bereits von den ande- ren Wehrmachtteilen belegt worden war, zu beseitigen. In der Folge wurden auch bei Böhler- Kapfenberg und der Grazer Waggon- und Maschinenfabriks AG (SGP-Graz) – eigentlich von der Abteilung Heer betreute Betriebe - Aufträge untergebracht: Bei Böhler wurden Propeller-

148 Vgl. KARNER Stefan, Marine-Rüstung in Österreich 1938-1945. Sonderdruck aus Blätter für Technikge- schichte, 39./40. Heft. Wien 1980. S. 82f. 149 Vgl. Widdmann Karl, Entwicklungsgeschichte der „Elin“, unveröffentlichtes, maschinschriftliches Manu- skript. Weiz 1949, zitiert nach ebd. S. 85. 150 Vgl. Elin-Archiv, BL-Ordn.: Bestell-Ausstoß 1936-1944, zitiert nach KARNER, Marine-Rüstung, S. 85. 151 Vgl. Elin-Archiv, Fabrikationsnummernkartei: 369380-339551, 374281-374392, 374688-374737, zitiert nach KARNER, Marine-Rüstung, S. 101. 152 Vgl. KARNER, Marine-Rüstung, S. 84ff., 99, 101. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 44 wellen zum U-Boottyp VII C und Wellen für die Haupt-E-Motoren und später auch Druckla- gergehäuse und Teile von U-Bootskörpern gefertigt. Bei der Simmering-Graz-Pauker AG- Graz gingen im Juni 1940 von der Kriegsmarinewerft Kiel Aufträge auf insgesamt 50 Stück zweiachsiger Kesselwagen mit einer Auftragssumme von 440.000 RM ein. (Der Verkaufs- preis eines zweiachsigen Kesselwagens lag im Durchschnitt bei 8.800 RM153).154

Neben diesen steirischen Betrieben der Metallbranche erhielten auch Textilbetriebe Marine- rüstungsaufträge: Sattler & Söhne in Graz und die Weißkirchner Baumwollweberei stellten verschiedene Segeltücher her. Die Aufträge des Oberkommandos der Kriegsmarine bedeute- ten für diese relativ kleinen Betriebe mehr als die Hälfte ihres Gesamtauftragsvolumens.155

Mit der Angliederung der Untersteiermark im Jahr 1941 wurden auch die Betriebe dieses Ge- bietes, z. B. Pengg (Schleppständer, Spurbojenleinen und Gummikabel156) in Marburg und Westen (Wasserbomben und Seeminen) in Cilli mit Wehrmachtsaufträgen belegt.157

Ende des Jahres 1943 waren (die Elektromotorenerzeugung für die E-Boote ausgenommen) neben der Maschinenfabrik Andritz (Laufkräne), der Elin AG/Weiz (Schweißumformer, Lüf- termotoren), Böhler/Kapfenberg (Teile von U-Bootskörpern), der SGP/Graz (zweiachsige Einheits-Leichtbau-Kesselwagen) und Sattler & Söhne/Graz die Austria AG/Knittelfeld und Vogel & Noot/Wartberg (beide mit der Erzeugung von Fes-Ringen 8,8cm und 10,5,cm) in die Marinerüstungsproduktion eingeschaltet.158 In erhalten gebliebenen Teilen der Reichsbetriebskartei scheinen im März 1945 als in die Rüs- tungsproduktion der deutschen Marine eingeschaltete Betriebe neben Böhler, der Maschinen- fabrik Andritz, Simmering-Graz-Pauker/Graz und Vogel & Noot/Wartberg auch die Felten & Guilleaume AG/Bruck/Mur, die Palten Stahlindustrie GmbH/Rottenmann, die Schmidhütte Liezen, Schmid & Co KG/Liezen und Waagner-Biró/Graz auf.159

Insgesamt war jedoch die Marineproduktion während des Krieges im Bereich der Rüstungsin- spektion XVIII im Vergleich zu der im Wehrkreis XVII von so untergeordneter Bedeutung,

153 Vgl. SGP-Archiv, Erfolgsrechnungen, Ordner 3, Betr. Abt. 210.000, zitiert nach KARNER, Marinerüstung, S. 86. 154 Vgl. KARNER, Marine-Rüstung, S. 84, 86, 91, 107. 155 Vgl. ebd. S. 91, 94. 156 Vgl. ebd. S. 91. 157 Vgl. KARNER, Steiermark 20.Jhd, S. 268. 158 Vgl. Mf-T-77, R-747, 980594f., 980718, 980694, 980771, zitiert nach KARNER, Marine-Rüstung, S. 107. 159 Vgl. BA, R 3/2018/1000-1100, zitiert nach KARNER, Marine-Rüstung, S. 112f. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 45 dass sie bis Ende 1943 im Monatsbericht des Rüstungskommando Graz gar nicht eigens aus- gewiesen wurde.160

4. Die steirische Industrie und das deutsche Großkapital

So wie die billigen Phrasen des Parteiprogramms der NSDAP, wie „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ und „Brechung der Zinsknechtschaft“ nach der Machtübernahme Hitlers verhall- ten, so blieb auch die kapitalistische Wirtschaftsstruktur im „Dritten Reich“ unberührt. Seit dem Beginn der großen Krise hatten sich der Nationalsozialismus eindeutig als antisozialis- tisch zu erkennen ergeben161. Hitler und Vertreter der Großindustrie hatten ein gemeinsames Ziel: einen großeuropäischen Wirtschaftsraum unter deutscher Hegemonie. Ohne diese Inte- ressenskongruenz wäre die Schnelligkeit der deutschen Aufrüstung gar nicht möglich gewe- sen.162

Unverhüllt waren auch Görings Profit- und Beuteversprechungen am 17. Dezember 1936 vor Industriellen in Berlin gewesen:163

„...Die Auseinandersetzung, der wir entgegengehen, verlangt ein riesiges Ausmaß an Leistungsfähigkeit. Es ist kein Ende der Aufrüstung abzusehen. Allein ent- scheidend ist hier Sieg oder Untergang. Wenn wir siegen, wird die Wirtschaft ge- nug entschädigt werden .... Was würde sich mehr lohnen, als Aufträge für die Rüstung?...“

1931 hatte die geplante Zollunion, die die österreichische in die deutsche Wirtschaft einglie- dern sollte, den heftigsten Protest Frankreichs ausgelöst. Der Plan hatte damals aufgegeben werden müssen, aber nicht unwesentliche Anteile der österreichischen Industrie hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits in deutschem Besitz befunden.164 Das deutsche Großkapital hatte die Expansionschancen, die sich in Österreich aufgrund stagnierender Investitionsfähigkeit gebo- ten hatten, nicht ungenützt gelassen. Vor allem an der Alpine Montan war man im Ausland interessiert gewesen: Nachdem 1919 die fremde Einflussnahme mit einer italienischen Fi- nanzgruppe begonnen hatte, war das Unternehmen 1926 über Hugo Stinnes (der das Tausch- geschäft Erz gegen Koks durchgeführt hatte) zum größten deutschen Stahlkonzern, die Verei- nigten Stahlwerke AG Düsseldorf, deren Aufsichtsratvorsitzender Staatsrat Fritz Thyssen war,

160 Vgl. KARNER, Marine-Rüstung, S. 92, 94. 161 Vgl. SÖRGEL Werner, Metallindustrie und Nationalsozialismus. Eine Untersuchung über Struktur und Funk- tion industrieller Organisationen in Deutschland 1929 bis 1939. Frankfurt/Main 1965. S. 27. 162 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 11, 13. 163 Vgl. SÖRGEL, Metallindustrie, S. 78. 164 Vgl. FIEREDER, Reichswerke, S. 14. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 46 gekommen.165 Unter dem Einfluss der Vereinigten Stahlwerke hatten Rationalisierungsmaß- nahmen (u.a. Mechanisierung des Abbaus hochgradig erzhältiger Fronten) stattgefunden. Fünf Jahre später war bereits offen von „Raubbau“ gesprochen worden.166

Die Verflechtung und Interessenskongruenz der deutschen Rüstungswirtschaft und der deut- schen Großindustrie zeigte sich nach dem „Anschluss“ deutlich im Gleichgewicht zwischen staatlichem (gigantischer Ausbau der Hermann Göring-Werke) und privatem Einfluss (Über- nahme steirischer Industriebetriebe). Die rasche Eingliederung Österreichs in den deutschen Wirtschaftskörper war vor allem auf die reibungslose Zusammenarbeit Görings, als dem staat- lichen Interessensvertreter der Rüstungswirtschaft, und Kepplers, der sowohl die Privatwirt- schaft als auch für die Parteipolitik vertrat, zurückzuführen.167 Mit dem am 26. April 1938 erlassenen Gesetz zum Schutz der österreichischen Wirtschaft, wonach für Nichtösterreicher bei geplanten Unternehmensgründungen ausschließlich die Ge- nehmigung des erforderlich war, wurden für reichsdeutsche Privatfirmen die besten Voraussetzungen geschaffen, ihren Besitzstand durch systematische Kapitalbeteili- gungen auszubauen.168 Die Creditanstalt-Bankverein, in deren Händen sich bedeutende Industriebeteiligungen befan- den, wurde gezwungen, den Großteil davon an die Reichswerke „Hermann Göring“ und auch an private reichsdeutsche Unternehmen abzugeben und erhielt dafür 70 Mio. Papiermark169. Den Reichswerken wurden die Alpine Montan-Gesellschaft170, Steyr-Daimler-Puch, die Gussstahlwerke Judenburg und die Eisenwerke AG Krieglach eingegliedert.171 Während die Steirischen Gussstahlwerke der Konzernzentrale in Salzgitter direkt unterstellt wurden, behielten die anderen Unternehmen weitgehend ihre Selbständigkeit.172

Wie wichtig das steirische Erz (als basischer Teil des Hochofenmöllers) auch für die Ruhr- werke war, zeigen die langwierigen Verhandlungen zwischen den Spitzenmanagern der Ver- einigten Stahlwerke und der Reichswerke „Hermann Göring“ (Görings Manager war Paul Pleiger), bis dann am 11. Oktober 1938 endgültig die Entscheidung über den Verkauf der Al-

165 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 16 und vgl. LACKNER, Arbeit, S. 157. 166 Vgl. LACKNER, Arbeit, S. 191f. 167 Vgl. SCHAUSBERGER, Auswirkungen, S. 223. 168 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 30, 32. 169 Vgl. SCHAUSBERGER, Auswirkungen, S. 232. 170 Nach dem Anschluss gehörten folgende steirische Unternehmen der Alpine an: die Hütten Donawitz, Zelt- weg, Kindberg, die Steirischen Gussstahlwerke, die Eisenwerke AG/Krieglach, die Eisenlager Eisenerz und Radmer, die Braunkohlenreviere Köflach, Seegraben und Fohnsdorf und zahlreiche kleinere Bergbaue. Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 32. 171 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 32. 172 Vgl. FIEREDER, Reichswerke, S. 50. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 47 pine-Beteiligung fiel. Der Abschluss eines langfristigen Erzliefervertrages sollte die niedrige Bewertung (30 Mio. RM) ausgleichen.173

Nachdem der größte österreichische Industrie- und Bergbaukonzern und das größte Kraftfahr- zeug-Unternehmen vollkommen unter reichsdeutsche Kontrolle gekommen waren, begann der Wettlauf der deutschen Großindustrie nach den noch übrig gebliebenen Unternehmen. In der Folge entgingen zunächst nur Schoeller-Bleckmann und Böhler/Kapfenberg, das 1938 zwar auch schon zu 39,5 % im Besitz des reichsdeutschen Stahlvereins war (und später ganz unter deutsche Kontrolle kam) der vollen deutschen Besitzergreifung.174

5. Rüstungsausbau und Vierjahresplanprojekte in der Steiermark

Die Ausweitung der Rüstungskapazität beruhte neben der Erweiterung der Rüstungsbetriebs- stätten auf entscheidenden Kapazitätsausweitungen der Unternehmen.175 Die endlich erfolgte Umstellung auf Rüstungsproduktion zeigte sich im Frühjahr 1939 am deutlichsten an der einsetzenden Neubau- und Ausbautätigkeit, die sich vor allem auf die gro- ßen Rüstungsproduzenten wie Böhler, die Maschinenfabrik Andritz, die Austria Emailwerke, Felten Guilleaume und die Steirischen Gussstahlwerke konzentrierte.176

So wurde u.a. bei Böhler-Kapfenberg mit dem Bau eines Geschütz- (wurde im Sommer 1939 fertig) und eines Panzerwerkes begonnen. Im Ausbau befanden sich auch das Blechwalzwerk, die Gesenkschmiede und die Glüherei. Das Stahlwerk wurde durch Aufstellung von zwei Elektroöfen und einem Hochfrequenzofen auf eine Kapazität von 14.500 t / Monat erwei- tert.177 Für Bombenfertigung wurden die Alpine Donawitz und die Rottenmanner Eisenwerke ausgebaut.178

173 Vgl. FIEREDER, Reichswerke, S. 105, 115. 174 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 32f. 175 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 241f. 176 Vgl. ebd. S. 242. 177 Vgl. Mf- T-77, R-749, 984206f, zitiert nach SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 47. 178 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 47. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 48

Bild 6: Gesenkschmiede 1944

Quelle: Böhler, Edelstahl, S. 141.

Bei Böhler wurden im Zeitraum vom 1. Jänner 1939 bis 31. De- zember 1943 zum Bau von Anla- gen (ohne Betriebs- und Ge- schäftsinventar) insgesamt 261,8 Mio. RM investiert: der größte Anteil davon in Anlagen in Kap- fenberg (119,7 Mio. RM, auf St. Marein entfielen 10,5 Mio RM).179

Bild 7: Neue Fertigungshalle in Kapfenberg

Quelle: Böhler, Böhler & Co, S. 125.

Aufgrund der Tatsache, dass in Deutschland die Edelstahlerzeugung im Vergleich zu Öster- reich (17 %) nur etwas über 3 % der gesamten Rohstahlerzeugung ausmachte, wurde auf die- sem Sektor in die bedeutendsten Edelstahlwerke (Böhler-Kapfenberg, Schoeller-Bleckmann- Ternitz, Gussstahlwerke Judenburg, Alpine-Montan-Donawitz und Zeltweg) besonders kräftig investiert. Durch die Erweiterung der Anlagen stieg die Edelstahlerzeugung auf monatlich 68.000 t.180

179 Vgl. BÖHLER & Co. AG (Hrsg.), 1870-1970. 100 Jahre Böhler Edelstahl. Wien 1970. S. 66. 180 Vgl. SCHAUSBERGER, Auswirkungen, S. 234. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 49

Die wehrwirtschaftlich bedeutenden Industrien wurden vor allem von der Vierjahresplanbe- hörde und der kapitalstarken deutschen Privatindustrie angekurbelt. Während für die Erweite- rung und Rationalisierung der bestehenden Rüstungsbetriebe von Seiten der Wehrmacht gro- ße Investitionen getätigt wurden, wurde in kriegswichtige Neubauten mit etwa 30 Mio. RM (bis 1. Oktober 1938) verhältnismäßig wenig investiert.181 Davon entfielen in der Steiermark für den Bau von Panzerteilewerken bei Böhler-Kapfenberg (10,5 Mio. RM) und bei Schoel- ler-Bleckmann-Mürzzuschlag (2,91 Mio. RM) insgesamt 13,41 Mio. RM.182 1939 reduzierten sich die öffentlichen Ausgaben zum Ausbau der Rüstungsindustrie gegen- über dem Vorjahr erheblich. Die im Zeitraum von März bis September 1938 getätigten Inves- titionen in der Höhe von – wie bereits erwähnt - rund 30 Mio. RM gingen von Oktober 1938 bis März 1939 auf 7 Mio. RM zurück- nicht zuletzt deshalb, weil nun vermehrt die Privatwirt- schaft für Betriebsinvestitionen herangezogen wurde.183

Dass es im Jahr 1941 in der Steiermark zu einer Zunahme der Rüstungsbetriebserklärungen kam, ist nicht zuletzt auf den bedeutenden Gebietszuwachs durch die Angliederung der Unter- steiermark zurückzuführen. Im selben Jahr entstand mit der Gründung des Zweigwerks der Flugmotorenwerke-Ostmark in Marburg auch in diesem Raum ein bedeutender Rüstungsbe- trieb.184 Die wichtigste Rüstungsbetriebsgründungen in den Jahren 1942 und 1943 waren: die Eisen- werk-Breitenfeld GmbH (Munition, Geschosse), die Marburger All. Bau GmbH (Sperrgerät, U-Boot- und Kriegsschiffbau), die VDM-Luftfahrtwerke Steiermark GmbH, Marburg (Luft- schrauben, Flugmotoren) im Jahr 1942 und die Treiber & Co GmbH (Flugteile) im Jahr 1943.185 Das letzte 1944 zum Rüstungsbetrieb erklärte Unternehmen war die Firma Steirer-Elektrobau Kuczera in Graz, die für die deutsche Luftwaffe arbeitete.186 Infolge der nationalsozialistischen Raumordnungspolitik kam es zwischen den Jahren 1938 und 1945 zu einer entscheidenden Veränderung der Stadt Graz als Wirtschaftsraum. Durch die Eingemeindungen der Vorstadtgemeinden (u.a. Andritz, Thondorf) ging die Bedeutung des Stadtzentrums als Sitz von Industriebetrieben deutlich zurück, da die neuen Produktions- stätten in den eingemeindeten Stadtbezirken errichtet wurden.187

181 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 33f. 182 Vgl. Mf-T 77, R-11, 722477f, zitiert nach ebd. S. 33. 183 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 41. 184 Vgl. KARNER, Rüstungsindustrie, S. 196. 185 Vgl. ebd. S. 193. 186 Vgl. BA, R3/2019/0/1079/5523; zitiert nach KARNER, Steiermark 1938-1945; S. 256f. 187 Vgl. SCHÖPFER Gerald, Die Grazer Wirtschaft 1938-1945, in: KARNER Stefan (Hrsg.), Graz in der NS- Zeit 1938-1945. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Sonderband 1, 2. Auflage. Graz 1999. S. 346. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 50

6. Die Entwicklung der steirischen Rüstungsindustrie im Kriegsver- lauf

Nachdem die ehemaligen österreichischen Aufträge ausgelaufen waren, hatten die Vorarbei- ten für die Umstellung auf deutsches Kriegsgerät begonnen. 1938 konnte deshalb generell in Österreich noch keine nennenswerte Rüstungsendfertigung erzielt werden. Erst mit der Tschechenkrise im März 1939 begann sich die Aufrüstungskonjunktur wie im übrigen Öster- reich auch in der Steiermark bemerkbar zu machen: In den Rüstungsbetrieben wurden inten- sive Anlaufvorbereitungen getroffen und die Wehrwirtschaftsinspektion XVIII entfaltete eine gesteigerte Tätigkeit.188 Nachdem Polen am 30. August die Mobilmachung angeordnet hatte, gab Hitler den endgültigen Angriffsbefehl für 1. September. Ein Eingreifen der Westmächte hielt er nach wie vor für unwahrscheinlich. Die Kriegserklärung erfolgte schließlich am 3. September und löste nicht nur einen Schock bei der obersten deutschen Führung aus, sondern machte auch den Plan der schnellen Kriege zunichte.189

Die Blitzkriegwirtschaft

Charakteristisch für diesen Kriegsabschnitt, in dem die Wirtschaftskapazität der nacheinander einverleibten Staaten das Potential des Reiches für immer „größere Aufgaben“ bereit machen sollte, war, dass sich die Produktionsschwerpunkte ständig änderten, weil die Anordnungen der Führung immer aufgrund des gerade erforderlichen Kriegsmaterials getroffen wurden. Die Festlegung von Prioritäten, für deren Durchführung die Wehrmacht verantwortlich war, ver- langte der Rüstungswirtschaft außerordentliche Flexibilität ab, bedeutete konzentrierte Phasen höchster wirtschaftlicher Anstrengung.190 So führte etwa 1940/41 die „Luftschlacht um Eng- land“ zu einer Konzentration auf dem Sektor der Luftrüstung, was u.a. zum Neubau des Luft- waffenwerkes Thondorf und dem Aufbau der Flugmotorenwerke Ostmark in Marburg führte. Im Krieg gegen die Sowjetunion ergingen die Rüstungsaufträge hauptsächlich an Betriebe der Panzer-, Panzerteile- und Fahrzeugfertigung wie Böhler und Schoeller-Bleckmann.191

188 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 41, 45f. 189 Vgl. ebd. S. 49f. 190 Vgl. ebd. S. 12, 52, 55. 191 Vgl. KARNER, Steiermark 20.Jhd, S. 268. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 51

Durch Weisungen und Befehle Hitlers sollte das Wirrwarr der Dringlichkeitsstufen und Son- derprivilegien entschärft werden, allerdings kam es nicht selten vor, dass subalterne Stellen versuchten, mit einem „Befehl des Führers!“ ihre eigenen Forderungen durchzusetzen.192

Die Tatsache, dass der Großteil der Fabriken friedensmäßig weiterarbeitete, fand in der obers- ten Führung nicht überall Zustimmung. So war auch Generalmajor Thomas, der Chef des Wehrwirtschaftsstabes im Oberkommando der Wehrmacht, ein erklärter Gegner dieses Kon- zepts. Er teilte die Meinung Oberst Koeths, des Leiters der deutschen Kriegs- Rohstoffabteilung im Ersten Weltkrieg, der damals erklärt hatte: 193

„Kriegswirtschaft heißt nicht, die Wirtschaft im Krieg so zu führen, dass mög- lichst geringe wirtschaftliche Schäden entstehen, Kriegswirtschaft heißt vielmehr, sie so zu führen, dass man den Krieg gewinnt.“

Beim Kriegausbruch mit Polen hatten deshalb aufgrund der bisher sehr vernachlässigten Be- schaffung Munition, Pulver und Sprengstoffe oberste Priorität. Aus diesem Grund befahl das Oberkommando des Heeres für Böhler-Kapfenberg eine Steigerung der Fertigkeit (hier lief vor allem die Geschosserzeugung für die 10,5-cm-Feldhaubitze) und eventuell auch die Ein- führung von zwei Schichten zu je zehn Stunden.194 Im Winter 1939/40 standen die Vorbereitungen für den Anlauf der Munitionserzeugung im Mittelpunkt. Allgemein ergab sich dabei für die österreichischen Betriebe ein großes Problem aufgrund des Lehren- und Facharbeitermangels. Im Wehrkreis XVIII gab es aber immerhin sieben lieferfähige Lehrenfirmen.195 Im Rüstungsbereich Graz kam es zu einer Beschlagnah- mung von über 600 Drehbänken. Arbeitsgemeinschaften und eine Arbeitsbörse wurden einge- richtet, und es kam zur Sicherung der Existenz auch kleinerer Betriebe durch eine größere Streuung der Aufträge.196

Nachdem im Jahr 1940 eine Rüstungsflaute in einigen Rüstungsbetrieben zu Entlassungen von Arbeitskräften und speziell in der Zulieferindustrie zu Kurzarbeit geführt hatte197, begann mit der Unterzeichnung der Weisung 21, des Falls „Barbarossa“, am 18. Dezember 1940 (damit stand Hitlers Entschluss fest, auch vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjet- russland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen) für die Rüstungsindustrie eine neue

192 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 50. 193 Vgl. ebd. S. 44, 52. 194 Vgl. Mf-T-77, R-738, 967540, zitiert nach ebd. S. 49. 195 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 60. 196 Vgl. Mf-T-77, R-741, 971688, zitiert nach ebd. S. 60. 197 Vgl. KARNER, Rüstungsindustrie, S. 191. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 52

Phase – der „Große Blitzkrieg“. Da sich die Produktionsschwerpunkte nun auf den Panzer- und Flugzeugbau bzw. das entsprechende Sondergerät verlagerten, wurde die Erzeugung von Waffen und Munition (und auch die Erzeugung für die Marinerüstung) reduziert.198

Dass 1940 die Rüstungskapazität in der Steiermark noch weit hinter den erklärten Zielen lag, war auf verschiedene Ursachen zurückzuführen: Da es erst im Herbst 1939 gelungen war, bei der Rüstungsinspektion in Salzburg eine Abteilung „Marine“ zu installieren, war die Produk- tion für die Kriegsmarine bis zu diesem Zeitpunkt relativ unbedeutend.199 Im Rüstungsbau kam es zu Verzögerungen, da man viel zu wenig Arbeiter zur Verfügung hatte. So konnte sich etwa Böhler erst Mitte 1940 den noch zu Friedenzeiten festgelegten Programmzielen von mo- natlich 8 Flak-Geschützen, 5 schweren und 10 leichten Feldhaubitzen annähern.200 Die Rüs- tungsproduktionen wurden häufig aufgrund fehlender oder nicht entsprechender Kokillen um Monate verzögert (z. B. bei Felten & Guilleaume die 15-cm-Granaten-Erzeugung).201 Viel- fach war das Produktionsdefizit auch auf Organisationsmängel zurückzuführen: Bei den Rot- tenmanner Eisenwerken, bei der Alpine Donawitz, bei Felten & Guilleaume und bei Böhler wurden z.B. am 11. Juli 1940 die 15-cm-Granaten-Produktionen vom Munitionsausschuss gestoppt (die daraufhin entlassenen Arbeiter konnten nicht wieder angeworben werden) und vom Referenten des Oberkommandos des Heeres wieder angeordnet.202 Österreichische Facharbeiter wurden weiterhin ins Altreich abkommandiert und die Betriebe mussten sich mit Hilfsarbeitern und ausländischen Arbeitskräften behelfen, wodurch es zu wesentlichen Produktionseinbußen kam und die Qualität der Ware sank. Ähnlich wie der Fir- ma Böhler, die im Februar 1941 erklärte, dass sie mit einer entsprechenden Zahl an Arbeits- kräften ihr Flak-Produktionsvolumen um 100 Stück erhöhen hätte können, erging es vielen Betrieben.203

Das in den ersten beiden Kriegsjahren durchaus erfolgreiche „Blitzkrieg“-Konzept, das keine nennenswerte Einschränkung der Produktion für den zivilen Bedarf erforderte, erwies sich allerdings im Herbst 1941, als der Vormarsch der deutschen Armee ins Stocken geriet und mit dem Fall von Stalingrad, als gescheitert.204

198 Vgl. KARNER, Marine-Rüstung, S. 90, 92. 199 Vgl. ebd. S. 85ff. 200 Vgl. Mf-T-77, R-741, 972078, zitiert nach KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 244. 201 Mf-T-77, R-741, 972081, zitiert nach KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 244. 202 Vgl. Mf-T-77, R-741, 972501, zitiert nach KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 244. 203 Vgl. Mf-T-77, R-739, 1.968.785, zitiert nach GATTERBAUER Roswitha H., Arbeitseinsatz und Behandlung der Kriegsgefangenen in der Ostmark während des Zweiten Weltkrieges. Dissertation. Salzburg 1975. S. 29. 204 Vgl. WEBER, Modernisierung, S. 337. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 53

Die Rüstungsära Speer

Für die bislang erfolgreich geführten „Blitzkriege“ hatten Bewaffnung und Rüstungskapazität planmäßig völlig ausgereicht. Die ersten militärischen Rückschläge durch den unerwarteten Widerstand in der Sowjetunion mit schweren Verlusten an Menschen und Kriegsmaterial so- wie die amerikanische Aufrüstung führten dazu, dass die Jahreswende 1941/42 auch eine Än- derung der Kriegswirtschaft mit sich brachte.205 Der erste einer Reihe von Führerbefehlen kündigte am 3. Dezember 1941 eine stärkere Rationalisierung des Produktionsprozesses und eine Einschränkung bei den Verbrauchsgütern an. Um die Jahreswende herum wurde Hitler bewusst, dass sein Blitzkriegplan gescheitert war.206 Es war der Beginn es „Totalen Krieges“.

Die Umstellung der Kriegswirtschaft und die Expansion der Rüstungsproduktion in der zwei- ten Kriegshälfte sind mit einem Namen verbunden: Albert Speer. Der Chefarchitekt Hitlers wurde Nachfolger des ersten Ministers für Bewaffnung und Munition Fritz Todt, der im Feb- ruar 1942 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. In den etwas mehr als drei Jahren seiner Tätigkeit war er für das verantwortlich, was später als Rüstungswunder bezeich- net wurde. (In Wirklichkeit ist Deutschlands Übergang zur Kriegswirtschaft, der Beginn der Kontrolle der Rüstungsindustrie durch das System der Ausschüsse jedoch auf Todt zurückzu- führen, der zum Zeitpunkt seines Todes dabei gewesen war, ein wichtiger Mann zu wer- den.)207 Wesentliche Charakteristika dieser Ära waren die Reorganisation der Rüstungsproduktion und die zentrale Lenkung der gesamten Wirtschaft. Auf den Unternehmer entfiel eigentlich nur noch die Aufgabe der Produktionsablaufkontrolle. Während die Bedarfsanmeldungen an das „Reichsministerium für Bewaffnung und Munition“ (letztlich war es ja die Wehrmacht, die für Ausrüstung und Schlagkraft der kämpfenden Truppe verantwortlich war) ergingen, wel- ches für Quantität und Qualität der Rüstungsgüter verantwortlich war, erfolgte die Organisati- on der gesamten Rüstungsproduktion ab diesem Zeitpunkt ausschließlich durch das Ministeri- um Speer, in dem bestimmt wurde, in welchen Betrieben und nach welchen Methoden produ- ziert wurde.208 Damit wurde die direkte Auftragsvergabe und Produktionsbeeinflussung durch die drei Formationen der Streitkräfte unterbunden. Der Aufstieg Speers in der Kriegswirt- schaft seit Februar 1942 auf Kosten der etablierten Institutionen basierte auf den militärischen Misserfolgen der Wehrmacht (Überschneidung der Aufträge der Wehrmachtsteile, keine ter- mingerechten Fertigungen209) und der sich immer deutlicher zeigenden Materialüberlegenheit

205 Vgl. BUTSCHEK; Wirtschaft 1938-1945, S. 85. 206 Vgl. MILWARD, Kriegswirtschaft, S. 62. 207 Vgl. ebd. S. 53, 55, 57. 208 Vgl. WAGENFÜHR, Industrie, S. 39. 209 Vgl. THOMAS, Geschichte, S. 92f. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 54 der Gegner.210 Die Lenkung der Produktion erfolgte aus effizienztaktischen Gründen über „Ausschüsse“ und „Ringe“, die gleichartige Betriebe bzw. Betriebsabteilungen zusammenge- schlossen.211 In Zahlen ausgedrückt sah das Rüstungswunder folgendermaßen aus: Im Zeitraum vom De- zember 1941 bis Juni 1944 nahm die Rüstungsendfertigung um 230 % zu, wobei der Materi- aleinsatz pro Produkteinheit erheblich gesenkt werden konnte (was natürlich eine Qualitäts- verschlechterung zur Folge hatte). Im Vergleich zu 1939/40 erhielt die Rüstung 1943/44 etwa 50 % mehr Eisen zugeteilt; die Rüstungsendfertigung erzielte aber beinahe das Zweieinhalb- fache.212 In der Ära Speer kam es zu einer Herauslösung der Rüstungsdienststellen aus dem Oberkom- mando Wehrmacht. Ab 1943 unterstanden die Betriebsleitungen der steirischen Rüstungsbe- triebe damit ausschließlich den Weisungen Speers bzw. Malzachers, der Speers Bevollmäch- tigter und Stellvertreter im Rüstungsbezirk „Südost“ war, sowie dessen Bevollmächtigten für den Unterbezirk „Donau-Drau, Böhler Generaldirektor Franz Leitner. Daneben wurde ab Juli 1944 den Rüstungsstellen und dem militärischen Oberbefehlshaber des Wehrkreises XVIII, General Julius Ringel, Reichsverteidigungskommissar Uiberreither als Berater zur Seite ge- stellt.213 Die nun in Angriff genommene Tiefenrüstung erforderte eine Ausweitung der Produktions- stätten und eine Erhöhung des Arbeitskräftepotentials, was auch zu einer Änderung der Einbe- rufungspläne führte. Das Rüstungsministerium konnte für nun kriegswichtige Industriezweige sogenannte „Schlüsselkräfte“ einstufen, die völlig vom Wehrdienst befreit wurden214.215 Auf- grund der nun ebenfalls erfolgten gerechteren Verteilung der Arbeitskräfte zwischen den drei Wehrmachtsteilen, wurde auch die Luftwaffe (bisher war stets auf Göring Rücksicht genom- men worden) nicht mehr bevorzugt.216 Auch die steirische Industrie erreichte nun ihren Höhepunkt. Bei Böhler wurde mit dem Bau des Stahlwerks in St. Marein begonnen. Nach dessen Inbe- triebnahme im Juli 1944 konnte eine 3 %ige Steigerung der gesamten Edelstahlproduktion verzeichnet werden - womit Böhler klar über dem Reichsdurchschnitt lag.217

210 Vgl. HERBST Ludolf, Der Totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft. Die Kriegswirtschaft im Span- nungsfeld von Politik, Ideologie und Propaganda 1939-1945. Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 21. Stuttgart 1982. S. 267. 211 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 1938-1945, S. 86. 212 Vgl. WAGENFÜHR, Industrie, S. 79. 213 Vgl. KARNER, Steiermark 20.Jhd., S. 267. 214 Vgl. FD 1434/46 (Nr. 170); S. 61; zitiert nach MILWARD, Kriegswirtschaft, S. 72. 215 Vgl. MILWARD, Kriegswirtschaft, S. 72. 216 Vgl. FD 3353/45, Vol. , I – 19. Februar 1943; zitiert nach ebd. S. 72f. 217 Vgl. KARNER, Steiermark 20.Jhd., S. 268f. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 55

Der Luftkrieg

Als zu Beginn des Jahres 1941 britische und amerikanische Generalstabsoffiziere in Washing- ton zusammengetroffen waren, um die gemeinsamen strategischen Ziele für den Fall des Kriegseintritts der Vereinigten Staaten festzulegen, war man übereinstimmender Meinung gewesen, dass Deutschland der stärkste Gegner sei und sich alle Kriegsanstrengungen auf diesen zu konzentrieren hätten. Die Ergebnisse dieser Besprechungen wurden als Richtlinien im „American British Conversations Nr. 1“ („ABC 1“) dokumentiert. Demnach sollten die Alliierten u.a. eine kontinuierliche Luftoffensive gegen das deutsche militärische Potential und die Blockade Deutschlands durchführen, da eine alliierte Landoperation gegen Deutsch- land in absehbarer Zeit nicht möglich gewesen wäre. Für diesen Luftkrieg, der so erfolgreich sein sollte, dass eine Landoperation eventuell gar nicht mehr nötig sein würde, war der for- cierte Aufbau der Luftstreitkräfte vorgesehen. Die gesamte Planung ging, nach dem Kriegs- eintritt der Vereinigten Staaten im Dezember 1941, auf die Operationsabteilung des Vereinig- ten Generalstabs über. Im Jahr 1943 begannen von England aus regelmäßige Angriffe der 8. US-Luftflotte. Die Eröffnung einer zweiten Luftfront im Süden, d. h. ein Angriff auf Öster- reich war vorerst jedoch nicht möglich, da die überschweren Langstreckenbomber B-29 noch nicht verfügbar und die vorhandenen Basen für den Einsatz der B-24 und der B-17 ungeeignet waren. Im Jänner 1943 beschlossen Präsident Roosevelt und Premierminister Churchill auf der Casablanca Konferenz die kombinierte Bomberoffensive der britischen und amerikani- schen strategischen Luftflotten - den sogenannten „Point-blank“ - mit dem Ziel einer fort- schreitenden Zerstörung und Desorganisation des deutschen militärischen, industriellen und wirtschaftlichen Systems.218

Als der Luftkrieg gegen Deutschland mit voller Wucht einsetzte, galt die vom Bombenkrieg zunächst verschonte Ostmark als „Luftschutzbunker des Reiches“. Die Bedeutung der steiri- schen Rüstungsindustrie in dieser Phase des Krieges ist nicht zuletzt auf rüstungsbetriebliche Neugründungen und die damals erfolgte Fertigstellung der unmittelbar nach dem „Anschluss“ in Angriff genommenen Produktionsanlagen zurückzuführen. Von der Verlagerung von Be- trieben aus dem „Altreich“ war der Reichsgau allerdings ausgenommen.219

Nach der Einnahme von Foggia am 27. September 1943 und der Aufstellung der Alliierten Mittelmeer-Luftstreitkräfte mit der 15. US-Luftflotte, der die Traditionsverbände der ameri- kanischen Luftwaffe (1. Jagdgruppe, 2. Bombergruppe, 17. Bombergruppe), d.h. die erfah-

218 Vgl. ULRICH Johann, Der Luftkrieg über Österreich 1939-1945. Militärhistorische Schriftenreihe, Heft 5/6. Wien 1967. S. 1ff. 219 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 256. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 56 rensten Besatzungen angehörten, und dem 205. Bombergeschwader der Royal Air Force im November 1943 war durch die Gewinnung von Flugbasen auf dem europäischen Festland auch eine ausreichende Eindringtiefe vom Süden her gegeben. Durch die Überschneidung der Aktionsradien von Norden und Süden aus war es den Kommandeuren der alliierten Luftflot- ten möglich, jeden Punkt in Deutschland und in den von Deutschland besetzten Gebieten zu erreichen. Die zwei Luftfronten ermöglichten zudem Pendelbombardements, sodass ein Standortwechsel empfindlicher deutscher Industriebetriebe unwirksam und die deutsche Luft- verteidigung zersplittert wurde. Aufgrund der Verzögerung der Überführung der schweren Bomber nach Italien und der schlechten Wetterlage wurden allerdings bis Jahresende nur we- nige Einsätze geflogen. Gegensätzliche Ansichten führten dazu, dass die Engländer in der Nacht und die Amerikaner am Tag angriffen - und somit ein ursprünglich gar nicht geplantes erfolgreiches „Around the Clock-Bombing“ stattfand.220 Durch die Eröffnung dieser zweiten Luftfront kam auch die Steiermark in das Einfluggebiet der alliierten Luftkräfte. Dabei konzentrierte sich das strategische Interesse der amerikani- schen Luftstreitkräfte, die den überwiegenden Teil der Angriffe flogen (wie Originalunterla- gen des U.S. Strategic Bombing Survey zu entnehmen ist), im Raum Graz auf den Flugplatz Graz-Thalerhof, die Bahnanlagen, die Belgierkaserne (ein vermeintliches Artilleriedepot) und auf die Industrieanlagen der Steyr-Daimler-Puch A.G. in Graz-Thondorf und Graz- Puntigam221, Zentren der Kugellager-, Kraftfahrzeug- und Flugzeugindustrie. Aufgrund präzi- ser Kenntnisse über die Standorte der Rüstungsbetriebe (Geheimdienstaktionen verschiedens- ter Art haben eine für den Kriegsverlauf nicht unwesentliche Rolle gespielt222) war es der amerikanischen Luftwaffe möglich - ungeachtet weitgehender Tarnung - gezielte Angriffe zu fliegen.223

220 Vgl. ULRICH, Luftkrieg, S. 3f. 221 Vgl. KARNER Stefan (Hrsg.), Graz in der NS-Zeit 1938-1945. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann- Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Sonderband 1, 2. Auflage. Graz 1999. S. 8f. 222 Vgl. ebd. S. 12-21. 223 Vgl. ULRICH, Luftkrieg, S. 6f. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 57

Bild 8: US-Einsatzkarte für Kapfenberg vom 22. August 1944

Quelle: Beer, Krieg, S. 222.

Die bereits im Sommer 1943 begonnenen Luftangriffe auf Österreich zeigten auch 1944 noch verhältnismäßig wenig zerstörerische Auswirkungen und verringerten im Gegensatz zu allen anderen Regionen des Deutschen Reiches die Wertschöpfung der österreichischen Industrie im Zeitraum von Mai 1944 bis Jänner 1945 um lediglich 9 %. In der letzten Kriegsphase, ab Februar 1945 wurden schwere Angriffe gegen Stadtzentren – auch gegen Graz – geflogen und Industrieanlagen zum Teil vollständig vernichtet. Insgesamt wurden im Zeitraum vom 13. August 1943 bis 8. Mai 1945 auf Österreich rund 120.000 t (größtenteils) Sprengbomben ab- geworfen.224

Gegen Kriegsende hin hatten auch die steirischen Betriebe infolge der Luftangriffe drastische Produktionsrückgänge zu verzeichnen.225 Angriffsziele der Alliierten auf Rüstungsbetriebe in Graz waren die Simmering-Graz-Pauker- Waggonfabrik (4., 5. und 9. März 1944) und das Werk der Steyr-Daimler-Puch AG in Thon- dorf (16. Oktober 1944). In Graz und anderen Industriezentren kam es sehr häufig zu Störun- gen infolge der Angriffe auf Verkehrseinrichtungen. Beim opferreichsten Angriff auf die Landeshauptstadt am 1. November 1944, bei dem kein genaues Angriffsziel zu erkennen war und etwa 1.200 Bomben abgeworfen wurden, kamen auch Industrieanlagen schwer zu Scha- den, u.a. die Simmering-Graz-Pauker AG, Waagner-Biró und die Anlagen der Steyr-Daimler- Puch AG in der Karlauerstraße. Beim britischen Nachtangriff am 31. März 1945 hingegen gab

224 Vgl. ULRICH, Luftkrieg, S. 38. 225 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 1938-1945, S. 93. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 58 es außer der Zerstörung der Garagen der Puch-Werke in der Karlauerstraße keine wesentli- chen Schäden an Industrieanlagen.226

Bild 9: Eine B-24 „Liberator“ beim Angriff auf das Steyr-Daimler-Puch-Werk in Graz- Thondorf am 16. Oktober 1944 Quelle: Beer, Krieg, S. 261.

Interessanterweise zeigten die alliierten Luftkampfverbände wenig Interesse an Judenburg, einem der wichtigsten Rüstungszentren Südösterreichs und den Schoeller-Bleckmann-Werken in Mürzzuschlag/Hönigsberg. Ein erstes Angriffsziel der alliierten Bomber war hingegen Kapfenberg, der Standort der Böhler-Werke, die bei den 13 Fliegerangriffen auf die Stadt zweimal – am 6. November und am 12. Dezember 1944 - direkt bombardiert wurden. Bei dem dadurch verursachten beträchtlichen Schaden wurde auch der letzte intakte Wasserham- mer, der „Lucknerhammer“ zerstört. Dass auf den Stahlindustrie-Komplex der Reichswerke „Hermann Göring“ in Leoben/Donawitz nur einige schwache Angriffe geflogen wurden, kann sowohl auf die Geländelage als auch auf die starke militärische Abwehr der Flakstellungen in Niklasdorf und St. Michael zurückzuführen sein. Der Erzberg selbst scheint in der anglo- amerikanischen Strategie keine Priorität besessen zu haben, denn obwohl er von der alliierten Aufklärung mit großer Aufmerksamkeit beleuchtet worden war, wurde er in der Folge kaum angegriffen. In Knittelfeld, der Stadt, die neben Graz von den alliierten Bomben am härtesten getroffen wurde (der massivste Angriff fand am 23. Februar 1945 statt), waren nicht die Aus- tria-Email-Werke, sondern die Bahnanlagen Ziel der alliierten Bomber. Im Frühjahr 1945 galten überhaupt alle Angriffe hauptsächlich den Verkehreinrichtungen, weshalb die schwers-

226 Vgl. BEER, Krieg, S. 259, 261, 279, 296f. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 59 ten Angriffe auf den traditionellen Verkehrsknotenpunkt Bruck an der Mur z.B. erst 1945 geflogen wurden.227

Nachdem die Steiermark auch ständiges Überflug- und Bomberzielgebiet westalliierter Ver- bände geworden war, wurden – um der alliierten Aufklärung zu entgehen – Rüstungsaufträge bis zu ganzen Betriebsteilen in aufgelassene Betriebe oder größere Gutsbetriebe verlagert. Dabei erhielten die behelfsmäßig eingerichteten Fertigungsstätten Tarnnamen: z.B. „Anna“ (der Reininghauskeller in Graz), „Feldspat“ (Marburg), “Kalzit“ (Weiz) und „Salm“ (Aflenz). Für die deutsche Rüstung besonders wichtige Fertigungen wurden unterirdisch, in geschützte Bunker und Höhlen verlagert: in den Römersteinbruch bei Aflenz (Steyr-Daimler-Puch, Graz: Zahnräder und Kurbelwellen), den Zementbau Kreuzeck bei St. Bartholomä (Steyr-Daimler- Puch, Graz: Abgasgeräte und Aggregate für DB 605), die Große Peggauer Höhle (Steyr- Daimler-Puch: Kurbelwellen), die Drachenhöhle Mixnitz (Treiber & Co, Graz: Abgasgeräte) und die Felshütte Peggau (Steyr-Daimler-Puch, Werk II, Graz: Panzer-Getriebe, Panzer- Kurbelwellen-Sperre).228

Aufgrund der Verschlechterung der militärischen Situation des Reiches wurde im Juni 1944 damit begonnen, das Hauptgewicht der Anstrengungen in der Rüstungswirtschaft auf Massen- erzeugung und Produktionskontinuität zu verlagern, was auch einen Abänderungsstop für die in Serienfertigung befindlichen Waffen zur Folge hatte.229

Ab 5. Februar des letzten Kriegsjahres konzentrierte sich die Rüstungsfertigung auf Hitlers Notprogramm. Von den 26 Betrieben der „Reichsvereinigung Eisen“ arbeiteten für das letzte Rüstungsprogramm des „Dritten Reiches“ das Stahlwerk Donawitz der Alpine, Böhler in Kapfenberg und St. Marein, Steyr-Daimler-Puch, die Schmidhütte Liezen, Vaemag und Trei- ber. Das Produktionsprogramm beschränkte sich auf Handfeuerwaffen, Handgranaten, Faust- patronen, Panzerminen, Panzerabwehrkanonen, Feldhaubitzen, Flak-Geschütze, Granat- und Nebelwerfer, Panzerwagen, Sturmgeschütze, Tornisterfunkgeräte, die Hochleistungsflugzeuge Messerschmitt 262, 152, 109 und Focke Wulf 190, die „Führergewaltaktionen“ Mistel, EZ 42, Störsender und „Elefant“.230 Nur noch einige unverbesserliche Optimisten hofften zu diesem Zeitpunkt, dass es in dem sich abzeichnenden Kriegsverlauf noch eine Wende geben könnte.

227 Vgl.. BEER, Krieg, S. 214, 216, 218, 220, 222, 225f, 230f. 228 Vgl. KARNER, Steiermark 20.Jhd., S. 268f und KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 247. 229 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 142, 144. 230 Vgl. BA, R3/1588; zitiert nach KARNER, Steiermark 20.Jhd, S.269. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 60

Letztendlich gelang es Speer, die Zerstörung der steirischen Industrieanlagen zu verhindern, indem er den „Nero-Befehl“, die unbedingte Zerstörung aller Anlagen, in eine Lähmung um- wandelte231.

7. Die Bedeutung der steirischen Rüstungsindustrie in der gesamt- deutschen Rüstungsproduktion

Im April des Anschlussjahres waren Görings Worte klar und unmissverständlich: Die öster- reichische Wirtschaft sollte der deutschen Aufrüstung untergeordnet zu werden.232

„Wir haben die Heimkehr der Ostmark nicht als Geschenk, sondern als volkswirt- schaftliche Verpflichtung empfunden. Ebenso haben wir aber auch unsererseits keine Geschenke machen wollen. Weder die Währungsangleichung, noch die Steuererleichterungen,…, sind so gedacht…. Das Deutsche Reich wird unverzüg- lich für Wehr und Waffen der Ostmark ebenso sorgen, wie für den Ausbau der Energiewirtschaft, die Hebung der Bodenschätze und der für den Vierjahresplan in Betracht kommenden Wirtschaftzweige“.233

Vorhandene Produktionszahlen belegen die Anstrengungen der Rüstungsbetriebe in Öster- reich, wenngleich diese sehr oft die letzten waren, die in den Produktionsprozess eingeschaltet wurden. So führte u.a. die Vernachlässigung der rechtzeitigen Beschaffung von Lehren, Werkzeugmaschinen, Kokillen und Rohlingen in der Munitionserzeugung - der oberste Priori- tät eingeräumt wurde - dazu, dass durch die Verzögerungen die vor dem Anlauf stehenden Programme bereits wieder überholt waren und abgeblasen wurden.234 Nach Weisung des Oberkommandos des Heeres war die Kokillenerzeugung im Wehrkreis XVIII überhaupt nicht erlaubt, die Lieferungen aus dem Altreich kamen aber oft zu spät oder waren fehlerhaft.235 Zudem gingen während des gesamten Krieges qualifizierte Arbeitskräfte durch Dienstverpflichtungen ins Altreich verloren.236

231 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945; S. 252. 232 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 28. 233 Göring Hermann, Wiederaufbau der Ostmark, in: Der Vierjahresplan 2. Jg. (1938), Folge 4, S. 194, zitiert nach ebd. S. 28f. 234 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 53, 60. 235 Vgl. Mf-T-77, R-750, 984617, zitiert nach ebd. S. 53. 236 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 60. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 61

Anhand von Produktionszahlen für das gesamte Reichsgebiet können der österreichischen Industrie folgende Kapazitätssteigerungen zugeordnet werden:1942 – 18 %, 1943 – 34 % und 1944 – (noch) 4 %.237

Von den im Jahr 1944 in der Reichsbetriebskanzlei erfassten 13.200 Rüstungsbetrieben be- fanden sich 716 (etwa 5 Prozent) auf österreichischen Gebiet und 82 davon in der Steier- mark.238

Karte 2: Die steirischen Rüstungsbetriebe im Frühjahr 1944

Quelle: Karner, Steiermark 1938-1945, S. 255.

Allerdings lag die Waffenproduktion nur bei den großen Rüstungsproduzenten wie Böhler, den Puch-Werken oder solchen Betrieben, die sich auf eine Produktion spezialisiert hatten (z.B. die Treiber-Gruppe) über der Hälfte der betrieblichen Gesamtproduktionen. Und selbst 1944, der Zeit der Rüstungshochkonjunktur, waren nur etwa 16 %, d.h. rund 130.000 der Be- schäftigten des Landes in der steirischen Rüstung tätig.239

237 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 1938-1945, S. 92. 238 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 254. 239 Vgl. KARNER, Steiermark 20. Jhd., S. 267ff. V. Die Rüstungsindustrie im Reichsgau Steiermark 62

Die steirischen Betriebe waren zwar im Verlauf des Krieges vermehrt in die Rüstungswirt- schaft des „Dritten Reiches“ einbezogen worden, tatsächlich größere Bedeutung erlangten sie aber erst in den letzten Kriegsmonaten. So gehörte die Maschinenfabrik Andritz damals zu den 15 wichtigsten Betrieben des Reiches, die Laufkräne fertigten. Die Stahlwerke Böhler- Kapfenberg und St. Marein zählten zu Engpasswerken erster und das Stahlwerk Donawitz zu einem Engpasswerk zweiter Ordnung. Diese Werke zählten auch zu den 26 Betrieben der „Reichsvereinigung Eisen“, die für das „Führer-Notprogramm“ im Februar 1945 unbedingten Flak-Schutz erhielten. Von der Inbetriebnahme des Böhler-Stahlwerks in St. Marein 1944 hatte sich Speer eine 3 %ige Steigerung der gesamten Edelstahlproduktion des „Dritten Rei- ches“ versprochen. Tatsächlich produzierte Böhler in diesem Jahr dreimal mehr Edelstahl als 1940.240 Exemplarisch für die enorme Produktionsausweitung in der steirischen Rüstungsindustrie sollen die übrigen Produktionssteigerungen der Firma Böhler stehen: 400 % bei Blechen, 500 % bei Gesenkschmiedestücken, knapp 400 % bei Panzergehäusen, das 20fache bei Geschüt- zen über 7,5 cm, das 4,7fache im Munitionsausstoß und fast das 10fache bei Ventilkegeln für Flugmotoren. Böhler-Kapfenberg lag damit klar über dem Reichsdurchschnitt. Daneben er- langten auch kleinere Betriebe speziell im vorletzten Kriegsjahr erhöhte Bedeutung für die Rüstung: So fertigte z.B. die Elin AG in Weiz mehr als die Hälfte aller deutschen U-Boot- Motoren für die U-Boot-Schleichfahrt. In Graz war die Firma Treiber eine der wenigen Pro- duktionsstätten des Deutschen Reiches, die Chrom-Nickel-Stahl verarbeiten konnte und damit Auspuffanlagen („Ringsammler“) für die deutschen Flugzeuge produzierte. Die Rüstungs- Großbetriebe Steyr-Daimler-Puch in Thondorf und das VDM-Luftfahrtwerk in Marburg er- zeugten Flugzeugmotoren, Fahrwerke und Propeller, die Betriebe der Eisen- und Metallin- dustrie in der Obersteiermark sämtliche Arten von Munition und Geschützen (z.B. Bomben in der Schmidhütte in Liezen). Daneben waren aber auch die Rohstoff- und Halbzeugfertigungen der Betriebe der Alpine Montan der Reichswerke „ Hermann Göring“ von Bedeutung.241

Obwohl die steirischen Rüstungsbetriebe quantitativ nur einen geringen Bruchteil der Rüs- tungsbetriebskapazitäten des „Dritten Reiches“ stellten, konnten einige von ihnen aufgrund ihrer Produktionskapazitäten erhebliche Bedeutung erlangen. Die Steiermark entwickelte sich – wie die gesamte „Ostmark“ - vom provinzialen Grenzland, das die deutsche Kriegswirt- schaft mit Rohmaterialien und Halbfertigprodukten beliefert hatte, zu einer Industriemacht mit qualitativ hochwertig verarbeiteten Produkten242.

240 Vgl. KARNER, Südmark. S. 311. 241 Vgl. ebd. S. 311f. 242 Vgl. BURR BUKEY Evan, Die Heimatfront: Von der „Ostmark“ zu den „Alpen- und Donaugauen“ 1939- 1945, in: STEININGER Rolf – GEHLER Michael (Hrsg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Von der Monarchie bis zum Zweiten Weltkrieg, Band 1. Wien-Köln-Weimar 1997. S. 468. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 63

VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungs- industrie

Während des Zweiten Weltkrieges bemächtigte sich das nationalsozialistische Regime nicht nur der Rohstoffe, Devisen, Goldvorräte und der militärischen Ausrüstung der sukzessive eroberten Länder, sondern auch der Arbeitskräfte. Die aus den von den Deutschen besetzten Ländern größtenteils verschleppten oder von verbündeten Staaten geschickten ausländischen Arbeitskräfte - Männer, Frauen, Kinder – 243 waren in sämtlichen Bereichen der NS- Kriegswirtschaft tätig. Die ausländischen Arbeitskräfte hatten den Status eines Zwangsarbeiters, Kriegsgefangenen oder KZ-Häftlings. Ohne den Einsatz der „Fremdvölkischen“ wäre die deutsche Kriegswirtschaft spätestens im Herbst 1941 zusammengebrochen.244

Im August 1944 befanden sich 7.615.970 ausländische Arbeitskräfte im Deutschen Reich. In dem riesigen Heer von Menschen, die damals als beschäftigt gemeldet waren, stellten die zi- vilen Zwangsarbeiter (5,7 Mio.) die überwiegende Mehrheit. Ein Viertel von ihnen waren Kriegsgefangene (1,9 Mio.). Es waren zum überwiegenden Teil Sowjets (2,8 Mio.), Polen (1,7 Mio.) und Franzosen (1,3 Mio.).245 Etwa jeder zehnte von ihnen befand sich auf österreichischem Gebiet.246 Laut NS-Statistiken ergab sich für Ende 1944 hier folgendes Bild: Neben 580.000 zivilen ausländischen Arbeits- kräften hatten 182.000 Kriegsgefangene und 64.000 KZ-Häftlinge Zwangsarbeit zu leisten. 247

Die Zwangsarbeit im NS-Staat lässt sich am besten folgendermaßen definieren: Menschen aller Altersgruppen und jeden Geschlechts mussten ohne Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten

243 Vgl. KARNER Stefan – RUGGENTHALER Peter, Kategorien der Zwangsarbeit und deren NS-rechtliche Grundlagen, in: KARNER Stefan – Peter RUGGENTHALER (Hrsg.), Zwangsarbeit in der Land- und Forstwirt- schaft auf dem Gebiet Österreichs 1939 bis 1945. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommissi- on. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich, Bd 26/2. Wien 2004. S. 33f. 244 Vgl. HERBERT Ulrich, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Bonn 1985. S. 11. 245 Vgl. ebd. S. 11. 246 Vgl. KARNER Stefan – RUGGENTHALER Peter – STELZL-MARX Barbara (Hrsg.), NS-Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie. Die Lapp-Finze AG in Kalsdorf bei Graz 1939 bis 1945. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Band 8. Graz 2004. S. 8. 247 Vgl. FEICHTLBAUER, Zwangsarbeit, S. 45f. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 64 unter Androhung von Strafe – nicht etwa aufgrund sozialer Not, sondern einzig und allein aufgrund ihrer nationalen, ethnischen und religiösen Herkunft – arbeiten.248 Das Bundesgesetzblatt über den Fonds für freiwillige Leistungen der Republik Österreich (BGBl. I 74/2000 vom 8.8.2000) gebraucht bei der Definition von NS-Zwangsarbeit zwei entscheidende Kriterien: Zwang und Täuschung.249

Die Zwangsarbeit begann mit der Eroberung Polens – und wurde zum Präzedenzfall. Den Kriegsgefangenen folgten Zivilarbeiter: Männer und Frauen jeden Alters, Intellektuelle und Arbeiter. Bereits zwei Tage nach dem Überfall auf Polen gab es in der oberschlesischen250 Kreisstadt Rybnik das erste deutsche Arbeitsamt. Die bis Anfang Oktober in Polen errichteten 115 Ar- beitseinsatzverwaltungsstellen sollten zunächst in erster Linie arbeitswillige Polen nach Deutschland vermitteln. Nachdem die Anwerbungen jedoch nicht den gewünschten Erfolg brachten, wurden im Jänner 1940 zunächst Pflichtkontingente für den Arbeitseinsatz und im Frühjahr die Arbeitspflicht in Deutschland für die Jahrgänge zwischen 1915 und 1925 ange- ordnet.251 Die für die deutsche Kriegswirtschaft dringend notwendige Erhöhung des Arbeits- kräftepotentials artete schließlich zu regelrechten Menschenjagden aus, bei denen junge Polen und Polinnen zusammengetrieben und zum Arbeitseinsatz nach Deutschland gebracht wur- den.252 Einer, der wenigen, der sich der Deportation entziehen konnte, weil er sich zur Zwangsarbeit in einem Steinbruch und später als Kesselreiniger in einer chemischen Fabrik verpflichten hatte lassen, war Karol Wojtyla, der spätere Erzbischof von Krakau und Papst von Rom.253

248 Vgl. FREUND Florian – PERZ Bertrand, Zwangsarbeit von zivilen AusländerInnen, Kriegsgefangenen, KZ- Häftlingen und ungarischen Juden in Österreich, in: TALOS Emmerich et al (Hrsg.), NS-Herrschaft in Öster- reich. Ein Handbuch. Wien 2000. S. 646. 249 Vgl. BGBl. I 74/2000 vom 8.8.2000. Bundesgesetzblatt über den Fonds für freiwillige Leistungen der Repub- lik Österreich, zitiert nach HAFNER Gerald – PETSCHNIGG Edith – RUGGENTHALER Peter, Zur Zwangs- arbeit im „Dritten Reich“: NS-Rassentheorien und Kategorisierungen, in: KARNER Stefan – RUGGENTHA- LER Peter – STELZL-MARX Barbara (Hrsg.), NS-Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie. Die Lapp-Finze AG in Kalsdorf bei Graz 1939 bis 1945. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen- Forschung, Band 8. Graz 2004. S. 15f. 250 Nach der im August 1939 in einem geheimen Zusatzprotokoll zum „Hitler-Stalin-Pakkt“ getroffenen Verein- barung zwischen NS-Deutschland und der Sowjetunion über die Aufteilung Polens wurde nach Kriegsbeginn Westpolen von der Deutschen Wehrmacht, Ostpolen von der Roten Armee okkupiert. Während das westlichste Gebiet dem Deutschen Reich eingegliedert wurde, wurde „Restpolen“ zum „Generalgouvernement“ erklärt. Vgl. Hafner, Zwangsarbeit, S. 35f. 251 Vgl. HERBERT Ulrich, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Bonn 1985. S. 67, 85. 252 Vgl. SAUL Klaus, „Gesichter der Zwangsarbeit“ – Eine Einführung. in: HOFFMANN Katharina – LEM- BECK Andreas (Hrsg.), Nationalsozialismus und Zwangsarbeit in der Region Oldenburg, Oldenburg 1999. S. 19. 253 Vgl. FEICHTLBAUER, Zwangsarbeit, S. 56. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 65

Im Mai 1940, mit Beginn des Krieges gegen Frankreich, befanden sich bereits etwa 700.000 Polen im Deutschen Reich. Für die Nationalsozialisten waren die Angehörigen dieses min- derwertigen Volkes bestenfalls zur Verrichtung harter Arbeit geeignet. Die überwiegende Mehrheit von ihnen kam deshalb in der Landwirtschaft zum Einsatz. Dies geschah aber nicht zuletzt auch deshalb, weil man ein Zusammentreffen der Polen mit der deutschen Industriear- beiterschaft, bei der nach wie vor mit Widerstand gerechnet werden musste, vermeiden woll- te.254

Im Herbst 1938 machte sich aufgrund des nach dem „Anschluss“ erfolgten Wirtschaftsauf- schwungs und nicht zuletzt aufgrund des Abzugs von Arbeitskräften, vor allem von hochqua- lifizierten Facharbeitern, auch in der steirischen Industrie ein Arbeitskräftemangel bemerk- bar.255 In der „Blitzkriegsphase“ spielte der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte bei den In- dustrieunternehmen, die darauf setzten, dass die heimischen Arbeiter bald wieder an ihre Ar- beitsstätten zurückkehren würden, allerdings noch keine wesentliche Rolle. Ein großer Teil der in der Industrie beschäftigen Ausländer (v.a. Italiener) arbeitete auf dem Bau, der den größten Rückgang an einheimischen Arbeitskräften zu verzeichnen hatte256. Mit dem ersten Rückschlag der deutschen Armeen vor Moskau entstand allerdings eine neue Situation: Von einem „Blitzkrieg“ konnte keine Rede mehr sein, die deutsche Rüstungswirtschaft musste sich auf einen länger andauernden Abnutzungskrieg einstellen und ihre Kapazitäten erheblich ver- größern. Nun wurden auch die Belegschaften der bis zu diesem Zeitpunkt geschützten Rüs- tungsbetriebe von einer massiven Einberufungswelle erfasst.257 Zu diesem Zeitpunkt war auch die Arbeitsmarktentwicklung in Österreich wie in Deutschland vom Einsatz ausländischer Arbeitskräfte geprägt. In der ersten Kriegsphase waren dies ange- worbene Freiwillige und Kriegsgefangene. Im Frühjahr 1941 entsprachen die rund 130.000 ausländischen Arbeitskräfte 6,6 % aller unselbständig Erwerbstätigen. In der Industrie waren davon etwa 35.000 beschäftigt. Die starke Expansion der österreichischen Industrie in der zweiten Kriegshälfte infolge der Inbetriebnahme neuer Rüstungsbetriebe, vermehrter Aufträge und letztlich der sichereren Lage zeigt sich auch im Anstieg der Industriebeschäftigung.258 Diese erhöhte sich im Zeitraum von 1939 bis 1944 um rund 40 % (200.000 Personen), in der Grundstoffindustrie um 50 % und im Investitionsgütersektor arbeiteten 1944 mehr als Dop- pelt so viele Menschen als im Vergleichsjahr 1939.259 Im Gegensatz zum „Altreich“ nahm in Österreich jedoch nicht nur der Anteil der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen an der Be- schäftigung sukzessive zu, sondern auch die Zahl der in der Industrie beschäftigten ausländi-

254 Vgl. HERBERT, Fremdarbeiter, S. 88. 255 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 335. 256 Vgl. HERBERT, Fremdarbeiter, S. 88. 257 Vgl. HERBERT Ulrich (Hrsg.), Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefange- ne und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945. Essen 1991. S. 10. 258 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 1938-1945, S. 89. 259 Vgl. WEBER, Modernisierung, S. 338. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 66 schen und inländischen Frauen (1943 um rund 26 % von 160.494 auf 201.972 und 1944 um rund 12 % von 201.972 auf 226.506).260

Zweckmäßigerweise kamen die zivilen Zwangsarbeiter zum überwiegenden Teil in den ihrer Heimat nahe gelegenen Gebieten des Deutschen Reiches zum Arbeitseinsatz: Während z.B. im Frühjahr 1941, zum Zeitpunkt des Überfalls auf Jugoslawien, 42,3 % aller zivilen Zwangsarbeiter in der Ostmark aus Südosteuropa stammten (im Altreich nur 9,5 %), betrug der Anteil der polnischen Arbeitskräfte nur 32 % (im Altreich mit 60 % fast doppelt so viel). In den Gauen zeigte sich dies daran, dass im Arbeitsamtsbezirk Steiermark-Kärnten verhält- nismäßig viele Jugoslawen, aber auch Italiener, in Wien-Niederdonau und Oberdonau Slowa- ken, in Wien-Niederdonau Ungarn und Oberdonau Bulgaren vertreten waren.261

Im alltäglichen Leben ist fast jeder, der den Zweiten Weltkrieg miterlebte, in irgendeiner Weise mit der Thematik „ausländische Zwangsarbeiter“ konfrontiert worden. Interessanter- weise ist der Arbeitseinsatz dieser Menschen aber immer irgendwie als kriegsnotwendige Selbstverständlichkeit betrachtet und nicht mit dem NS-Regime oder gar NS-Verbrechen in unmittelbaren Zusammenhang gebracht worden.262

Die Tatsache, dass sich eine so große Anzahl von Ausländern im Deutschen Reich befand, stellte für das NS-Regime ideologisch und sicherheitspolitisch eine große Herausforderung dar. Der Arbeitseinsatz von Zwangsarbeitern war jedoch nicht ausschließlich ein Phänomen der NS-Zeit. Bereits während des Ersten Weltkrieges waren ausländische Arbeitskräfte im Deutschen Reich zur Arbeit gezwungen worden. Obwohl die damalige Größenordnung der Beschäftigung von „Fremdvölkischen“ in keinem Verhältnis zu der nach 1939 gestanden hat- te, lassen sich bei den Arbeit- und Lebensbedingungen, den Strafmaßnahmen, vor allem aber auch bei der Diskriminierung polnischer Arbeiter viele Parallelen feststellen.263

260 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 1938-1945, S. 91, 126. 261 Vgl. FREUND Florian – PERZ Bertrand, Fremdarbeiter und KZ-Häftlinge in der „Ostmark“, in: HERBERT Ulrich (Hrsg.), Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945. Essen 1991. S. 319. 262 Vgl. HERBERT, Fremdarbeiter; S. 11. 263 Vgl. ebd. S. 11f, 35. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 67

1. Die Notwendigkeit des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte

Bereits 1937 hatte sich in Deutschland aufgrund des seit 1934 eingesetzten Wirtschaftsauf- schwungs, der innerhalb kürzester Zeit zur Vollbeschäftigung geführt hatte, ein Arbeitskräf- temangel bemerkbar gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war offensichtlich, dass eine Steigerung der Aufrüstung ohne die Heranziehung neuer Rohstoffreservoire und Arbeitskräfte nicht mehr möglich war.264 Einen nicht unerheblichen Anteil an dieser Entwicklung hatten die Autarkie- bestrebungen, die mit dem Ziel verfolgt wurden, Deutschland auf dem Rohstoffsektor vom Ausland weitgehend unabhängig zu machen (womit den Interessen mehrerer Wirtschaftskrei- se, vor allem der Exportindustrie zuwidergehandelt wurde265). Unter diesem Gesichtspunkt erfolgte im Sommer 1937 die Gründung der Reichswerke „Hermann Göring“ zur Ausnutzung auch minderwertiger heimischer Erze266, was den Einsatz von wesentlich mehr Arbeitskräften erforderte. Aber auch die Personen, die im riesigen Überwachungs- und Verwaltungsapparat tätig waren, gingen der Wirtschaft als Arbeitskräfte verloren.267 Obwohl bereits ab 1938 zahlreiche Arbeitskräfte aus Österreich und der Tschechoslowakei ins „Reich“ geholt worden waren und seit 1937/38 auch italienische Arbeitskräfte in Deutsch- land arbeiteten, kam es mit Kriegsbeginn zu einem drastischen Arbeitskräftemangel.268 1938 wurde in der Ostmark auch das „Arbeitsbuch“ eingeführt, das später im Rahmen der Zwangsarbeiterentschädigungen bei der Suche nach ehemaligen Zwangsarbeitern eine wichti- ge Rolle spielte. (1938 wurde aber auch die persönliche Freiheit der Reichsangehörigen durch die Einführung der allgemeinen Dienstpflicht und nach Kriegsbeginn durch die Erschwerung des freiwilligen Arbeitsplatzwechsels, die verpflichtende Teilnahme am Reichsarbeitsdienst (RAD) für Frauen und verlängerte Arbeitszeiten entscheidend eingeschränkt.)269

Vor Kriegsbeginn war vom nationalsozialistischen Regime die Verwendung von zivilen aus- ländischen Arbeitskräften zur Stützung der Kriegswirtschaft – im Gegensatz zur Verwendung der Kriegsgefangenen - weder geplant noch vorbereitet worden. Auch noch 1941, als die „Fremdvölkischen“ bereits die zwei Millionen-Grenze überschritten hatten, rechtfertigte das Regime den Arbeitseinsatz als Notstandsmaßnahme.270

264 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 5. 265 Aufgrund des „Unverstands“ des Reichswirtschaftsministeriums und des Widerstands der deutschen Wirt- schaft gegen „alle großzügigen Pläne“ zog es Hitler vor, die Denkschrift zum Vierjahresplan auf dem Obersalz- berg auszuarbeiten. Vgl. Dok. NI-4955, Aussage Speers vom 22.8.1945; zitiert nach Petzina Dieter, Autarkiepo- litik im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vierjahresplan. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitge- schichte, Nr. 16. Stuttgart 1968. S. 48. 266 Vgl. SCHAUSBERGER; Rüstung, S. 13. 267 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 10. 268 Vgl. HERBERT, Europa,. S. 9. 269 Vgl. FEICHTLBAUER, Zwangsarbeit, S. 53. 270 Vgl. SAUL, Gesichter, S. 12. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 68

Mit Kriegsbeginn kam es auch in der Ostmark zu Veränderungen auf dem Arbeitskräftemarkt. Bedingt durch die Einberufungen zur Wehrmacht stand dem durch die Rüstungskonjunktur steigendem Bedarf an Arbeitskräften ein immer kleiner werdendes Potential an inländischen männlichen Beschäftigten gegenüber.271 Obwohl die Zahl der Gesamtbeschäftigten durch Einberufungen zur Wehrmacht in ähnlicher Größenordnung wie im „Altreich“ sank, reduzier- te sich die Zahl der in der Industrie Beschäftigten in einem wesentlich geringeren Umfang. Was sicher darauf zurückzuführen ist, dass dieser sich im Aufbau befindliche, für die gesamte Kriegswirtschaft wichtige Sektor geschützt werden sollte.272

Die Lage auf dem Arbeitssektor verschärfte sich im Spätherbst 1942 aufgrund der Ver- schlechterung der Kriegslage und der dadurch bedingten verstärkten Einberufungen zur Schließung der Lücken des Feldheeres immer mehr, und die Rüstungsbetriebe waren in stei- gendem Maße auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Der Problematik einerseits 800.000 Mann für die Front freizumachen und andererseits die Rüstungsproduktion zu steigern konnte nur durch großangelegte Zwangsrekrutierungen von Arbeitskräften im Ausland begegnet werden273. Angesichts der erhöhten Anforderungen wurde eine zentrale Stelle für den Ar- beitseinsatz eingerichtet und Werner Mansfeld als Ministerialdirektor des Reichsarbeitsminis- teriums von Göring am 10. Jänner 1942 die Lenkung des Arbeitseinsatzes übertragen274. Mit der Ernennung Speers zum Generalbevollmächtigten für Rüstungsaufgaben verringerte sich allerdings Görings dominierende Stellung, worauf er durch ein Rundschreiben vom 27. März 1942 seine „Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz im Vierjahresplan“ auflöste. (Unter Mansfeld war es den Gauleitern aber auch immer wieder gelungen, den Abzug von Arbeitern aus ihren Gauen zu verhindern, wodurch es zu keiner systematischen Mobilisierung von Arbeitskräften für die Rüstungsindustrie gekommen war275.) Bereits einen Tag später bestellte ein Führerer- lass den thüringischen Gauleiter Fritz Sauckel, ein Nationalist der ersten Stunde276, zum „Ge- neralbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz“.277 Ab diesem Zeitpunkt intensivierte sich der Zustrom ausländischer Arbeitskräfte nach Österreich. Um eine bessere Zusammenarbeit hin- sichtlich des Arbeitseinsatzes der ausländischen Arbeitskräfte zu gewährleisten, bestimmte Sauckel mit 6. April 1942 die Gauleiter zu seinen Bevollmächtigten278.

271 Vgl. FREUND, Zwangsarbeit, S. 651. 272 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 1938 bis 1945, S. 79. 273 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 113. 274 Vgl. IMT: Bd. VIII, S. 160, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 18. 275 Vgl. MILWARD, Kriegswirtschaft, S. 74f. 276 Vgl. FEICHTLBAUER, Zwangsarbeit, S. 60. 277 Vgl. IMT: Bd. XXVII, Dok. 1666-PS, S. 432, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 19. 278 Vgl. IMT: Bd. VIII, S. 161, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 21. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 69

1944 stieg die Zahl der in der österreichischen Industrie beschäftigten ausländischen Arbeits- kräfte auf rund 206.000. Damit erhöhte sich ihr Anteil an der gesamten Industriebeschäfti- gung von 6,2 % im Jahr 1941 auf 28 % (im „Altreich“ 21,4 %).279 Aufschluss über die Strukturverschiebung, die auf dem Arbeitssektor im Wehrkreis XVIII innerhalb von 20 Monaten eingetreten war, liefern Beschäftigungsstatistiken aus den Jahren 1941 und 1942:280. 31.1.1941: 23.248 Facharbeiter, 1.717 ausländische Arbeitskräfte, 1.057 Kriegsgefan- gene (Gesamtbeschäftigte in der Rüstung: 43.341)

30.9.1942: 34.273 Facharbeiter, 12.803 ausländische Arbeitskräfte, 5.094 Kriegsge- fangene (Gesamtbeschäftigte in der Rüstung: 80.360) Im letzten Quartal 1943 brachte die Heranziehung von Lazarettinsassen (die sogenannte A.- Z.-S.-Aktion, die Auskämmung des zivilen Sektors) und italienischer Militärinternierter eine vorübergehende Erleichterung in der Arbeitseinsatzlage.281 Dem Wehrkreis XVIII wurden dabei allein im Oktober 6.400 Italiener zugewiesen.282 Im Herbst 1944 standen sich einheimische Arbeiter und Angestellte und ausländische Ar- beitskräfte aus 26 Ländern (7.906.760 ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene und 400.000 KZ-Häftlinge) in einem Verhältnis von etwa 2:1 gegenüber. Insgesamt wurden wäh- rend der gesamten Kriegszeit etwa 9,5 Millionen ausländische Arbeitskräfte zum „Reichsein- satz“ in der gesamten Wirtschaft (von der Verwaltung abgesehen) nach Deutschland gebracht. Die ausländischen Arbeitskräfte waren im Durchschnitt zwischen 20 und 24 Jahre alt, aber auch 13-, 14jährige Kinder waren als „beschäftigt“ gemeldet.283

Sauckel wurde beim Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess zum Tode verurteilt – aber zuvor hatte Hitler mit ihm zufrieden sein können, denn wie Sauckel selbst betonte, waren von den Millionen ausländischer Arbeiter im „Dritten Reich“ keine 200.000 freiwillig gekommen.284

279 Vgl. BUTSCHEK, Wirtschaft 1938-1945, S.91. 280 Vgl. Mf-T-77, R-740, 970517/18, zitiert nach SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 110. 281 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 134. 282 Vgl. Mf-T-77, R-740, 970970f, zitiert nach ebd. S. 134. 283 Vgl. HERBERT, Europa, S. 7 284 Vgl. FEICHTLBAUER, Zwangsarbeit, S. 60. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 70

2. Der Bruch mit der nationalsozialistischen Ideologie

Der rassistische Antisemitismus war in der abendländischen Geschichte nichts Neues. Doch während er bisher soziale, wirtschaftliche und religiöse Beweggründe gehabt hatte, gaben ihm die Nationalsozialisten – stark beeinflusst von Rassentheoretikern wie Gobineau, Chamber- lain und Lagarde285 - mit ihrer Rassenlehre eine extreme Wende ins Biologische.286 Demzufolge lagen dem Programm der NSDAP287, das am 24. Februar 1920 auf ihrer Grün- dungsversammlung im Hofbräuhaus in München vorgestellt wurde, bereits früher formulierte rassistische und ökonomische Ideen zugrunde, die in Verbindung mit der Lage Deutschlands nach dem Versailler Friedensvertrag ein explosives Gemisch bildeten. Die Verwebung des Rassegedankens mit dem Gedanken der Nation wurde im Programm der NSDAP, das den „Zusammenschluss aller Deutschen aufgrund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu einem Groß-Deutschland“ forderte, in These 4 des Parteiprogramms offensichtlich: 288

„Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtsnahme auf Konfession. (...)289“.

Die Rassenlehre entsprach Hitlers innerster Überzeugung und wurde weitgehend von seinen persönlichen Ansichten bestimmt. Richard Wagner, Chamberlain (Wagners Schwiegersohn), der Alldeutsche Parteiführer Georg von Schönerer oder der Wiener Bürgermeister Karl Lue- ger waren, wie alle Männer, denen Hitler große Bewunderung entgegenbrachte, Antisemi- ten.290 Hitlers Vision von der Zukunft Deutschlands beruhte auf einer Rassenphilosophie, die sich aus populär wissenschaftlichen Arbeiten ableitete, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun- derts. in Mode gekommen waren. Die Sozialdarwinisten hatten Darwins Lehre von der Evolu- tion und der natürlichen Auslese aufgenommen, erweiterten und verfälschten sie jedoch, um jene Rassenlehre zu begründen, die Hitler so faszinierte. Aussagen wie von Gobineau, wo- nach die weiße „arische“ Rasse allen anderen überlegen sei und Völker wie die Griechen und

285 Während Lagarde die Religion als Stifterin der nationalen Einheit sah (wobei sich seine religiöse Weltan- schauung als rassistische entpuppte), stimmten Gobineau und Chamberlain darin überein, dass sich Kultur und Rasse aufeinander beziehen. Vgl. KLEPSCH Thomas, Nationalsozialistische Ideologie Eine Beschreibung ihrer Struktur vor 1933. Studien zum Nationalsozialismus, Band 2. Münster- 1990. S. 87-98. 286 Vgl. KLEPSCH, Ideologie, S. 86. 287 Die NSDAP ging aus der vom Münchner Eisenbahnschlosser Anton Drexler und dem Lokomotivführer Mi- chael Lotter am 5. Jänner 1919 gegründeten DAP hervor. Vgl. KLEPSCH, Ideologie, S. 85. 288 Vgl. KLEPSCH, Ideologie, S. 84f. 289 ROSENBERG Alfred, Wesen, Grundsätze und Ziele der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. Das Programm der Bewegung, 18. Auflage. München 1938. S. 28. 290 Vgl. BREITLING Rupert, Die nationalsozialistische Rassenlehre. Entstehung, Ausbreitung, Nutzen und Schaden einer politischen Ideologie. Meisenheim/Glan 1971. S. 15, 20ff. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 71 die Römer aufgrund ihrer Rassereinheit die Welt beherrscht hätten, haben Hitler stark beein- flusst. Ebenso wie Francis Galton, einer der ersten Sozialdarwinisten (und Cousin Darwins), der Begründer der „Eugenik“ - einer Methode, die rassische Qualität eines Menschen anhand genetischer Merkmale nachzuweisen.291

Die Tatsache, dass man Fremde ins Reich holte, dass schließlich Millionen Ausländer im NS- Staat lebten und arbeiteten, stand in krassem Widerspruch zu der vor dem Krieg bestimmen- den Ideologie von der Säuberung Deutschlands von allen Personen und Gruppen „nichtdeut- scher Herkunft und Blutes292“. Alfred Rosenberg, ein ehemaliger mittelloser Russlandflücht- ling und enger Vertrauter Hitlers, der zum Chefredakteur des „Völkischen Beobachters293“ aufgestiegen war, entfaltete den rassistischen Antisemitismus in voller Schärfe.294

Anfangs waren sowohl der Arbeitseinsatz deutscher Frauen als auch der von Ausländern vom nationalsozialistischen Regime vehement von der Hand gewiesen worden. Einhellig wurde die Meinung vertreten, dass die Beschäftigung deutscher Frauen einen eklatanten Verstoß gegen das frauen- und sozialpolitische Konzept, der Ausländereinsatz gegen die „völkischen“ Prinzipien der Nationalsozialisten darstellen würde, v.a. weil die massenhafte Beschäftigung von „Fremdarbeitern“ im Reich eine Bedrohung der „Blutreinheit“ des deutschen Volkes dar- stellen würde. Als jedoch kurz nach Kriegsbeginn eine Entscheidung gefällt werden musste, kam das Regime zu der Überzeugung, das der Ausländereinsatz das kleinere „Übel“ darstelle. Da die polnischen Kriegsgefangenen und die angeworbenen Polen den Arbeitskräftebedarf nur zu einem geringen Bruchteil decken konnten, wurden brutale Maßnahmen ergriffen. Es fanden regelrechte Treibjagden statt, und innerhalb weniger Wochen wurden mehr als eine Million Polen ins Deutsche Reich deportiert. Zum Schutz des „deutschen Blutes“ war be- stimmt worden, dass mindestens die Hälfte der zu rekrutierenden polnischen Zivilarbeiter weiblichen Geschlechts zu sein hätte. Nach wie vor wurde der „Poleneinsatz“ von den Natio- nalsozialisten als Verstoß gegen die „rassischen“ Prinzipien empfunden. Deshalb wurde be- gonnen, den „volkspolitischen Gefahren“ mit scharfen Maßnahmen entgegenzuwirken.295. Die Bestimmung des prozentuellen Frauenanteils (50 %) galt später auch für die Beschäfti- gung ziviler Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion. Bei den Arbeitskräften aus anderen Län- dern betrug der Frauenanteil jeweils etwa ein Drittel.296

291 Vgl. CLAY Catrine – LEAPMAN Michael, Herrenmenschen. Das Lebensborn-Experiment der Nazis. (engl. Originaltitel: Master Race). Deutsche Erstausgabe, München 1997. S. 26f, 28f. 292 Vgl. ROSENBERG, Wesen, S. 10, 30. 293 Die antisemitische Druckschrift wurde zum Zentralorgan der NSDAP. Vgl. Breitling, Rassenlehre, S. 32. 294 Vgl. BREITLING, Rassenlehre, S. 32. 295 Vgl. FREUND, Zwangsarbeit, S. 648f. 296Vgl. HERBERT, Europa, S. 7, 9f. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 72

Der Arbeitseinsatz sowjetischer Kriegsgefangener und Zivilarbeiter war vor Beginn des Krie- ges aus „rassischen“ und sicherheitspolizeilichen Gründen explizit ausgeschlossen worden. Ein Standpunkt, der angesichts des Steckenbleibens der deutschen Offensive Ende Oktober 1941 revidiert werden musste. Da jedoch zuvor keine kriegswirtschaftliche Notwendigkeit zur Beschäftigung sowjetischer Kriegsgefangener im Reich bestanden hatte, waren Millionen von ihnen in den Massenlagern im Hinterland ihrem Schicksal überlassen worden, wo sie verhun- gert, erfroren oder umgebracht worden waren297. Da nur ein geringer Teil der Millionen von Kriegsgefangenen die barbarische Gefangenschaft überlebt hatte und auch nur bedingt ar- beitsfähig war, begann Sauckel „in Windeseile“ und mit brutalsten Mittel – die bereits in Po- len erprobt worden waren – mit der Rekrutierung sowjetischer Zivilarbeiter.298 Der „Russeneinsatz“ und die „Endlösung der Judenfrage“ waren Entscheidungen, die von Hitler, Göring, Himmler und Heydrich gleichzeitig gelöst wurden. Somit begann die Vernich- tung der Juden erst im Herbst 1941, als sowjetische Arbeitskräfte ins Deutsche Reich ge- kommen waren, konkrete Formen anzunehmen.299

3. Die Kategorisierung bei der Behandlung der ausländischen Ar- beitskräfte

Der Zwangscharakter der Ausländerrekrutierung, der 1941 bereits deutlich zugenommen hat- te, war 1942, als massenhaft sowjetische Staatsangehörige in Deutsche Reich verschleppt wurden, durchgängig gegeben.300 Da für die einzelnen Volksgruppen spezielle, auf der „rassischen Wertigkeit“ basierende Vor- schriften erlassen wurden, entstand ein gestaffeltes System der nationalen Hierarchisierung, an deren unterste Stufe jüdische KZ-Häftlinge standen, gefolgt von sowjetischen Kriegsge- fangenen.301

297 Vgl. HERBERT Ulrich, Der „Ausländereinsatz“ in der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945, in: SPANJER Rimco – OUDESLUIJS Diete – MEIJER Johan (Hrsg.), Zur Arbeit gezwungen. Zwangsarbeit in Deutschland 1940-1945. Bremen 1999. S. 15. 298 Vgl. SAUL; Gesichter, S. 13. 299 Vgl. HERBERT Ulrich, Arbeit und Vernichtung. Ökonomisches Interesse und Primat der „Weltanschauung“ im Nationalsozialismus, in: HERBERT Ulrich (Hrsg.), Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilar- beiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945. Essen 1991. S. 399, 416. 300 Vgl. JOHN Michael, Zwangsarbeit in der oberösterreichischen Großindustrie 1941-1945. Ein sozial- und wirtschaftshistorischer Überblick, in: HAUCH Gabriella (Hrsg.), Industrie und Zwangsarbeit im Nationalsozia- lismus. Mercedes Benz – VW - Reichswerke Hermann Göring in Linz und Salzgitter. Studien zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte, 13. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann Instituts für Gesellschafts- und Kulturge- schichte. Innsbruck 2003. S. 150. 301 Vgl. KARNER, NS-Zwangsarbeit, S. 8. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 73

Im November 1942 hatten die Gestapo bzw. der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei Himmler eindeutige Bestimmungen erlassen, wonach die Behandlung der ausländi- schen zivilen Zwangsarbeiter auf der Basis einer neunteiligen Skala zu erfolgen habe. Demzu- folge ergab sich folgende Reihung:302

 Flamen, Holländer, Dänen und Norweger

 Italiener (bis zur Absetzung Mussolinis im Juli 1943303), Spanier, Slowaken, Kroaten, Bulgaren und Ungarn

 Franzosen und Belgier

 Serbien und Griechen

 Protektoratsangehörige(aus Böhmen und Mähren) nichtdeutscher Abstammung

 Letten, Litauer (aus den jeweiligen – seit dem Hitler-Stalin-Pakt – sozialistischen Sowjetrepubliken)

 Weißrussen und Ukrainer (aus Ostpolen und dem Distrikt Lemberg)

 Polen

 „Ostarbeiter“ Bei dieser Einteilung kam sowohl die Rassen- als auch die Bündnispolitik der Nationalsozia- listen zum Tragen. Die den untersten Stufen zugeordneten Polen und „Ostarbeiter“ nahmen die diskriminierends- ten und repressivsten Stellen ein. Mit der rassischen Kategorisierung, mit der bis ins Kleinste abgestuften Skala der Behandlung bzw. Erniedrigung versuchte das NS-Regime auch be- wusst, die einzelnen Gruppen gegeneinander auszuspielen304. Vor allem zwischen die Völker der Sowjetunion sollte die unterschiedliche Behandlung einen Keil treiben, um sie auf diese Weise besser kontrollieren zu können.305

302 Herrenmensch und Arbeitsvölker. Ausländische Arbeiter und Deutsche 1939-1945. Beiträge zur nationalsozi- alistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Band 3. Berlin 1986. S. 36f; zitiert nach JOHN, Zwangsarbeit, S. 150. 303 Vgl. RUGGENTHALER Peter, „Ein Geschenk für den Führer“. Sowjetische Zwangsarbeiter in Kärnten und der Steiermark 1942-1945. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Band 5. Graz 2002. S. 22. 304 Vgl. EICHHOLTZ Dietrich, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945. Band 1: 1939-1941. Berlin 1969. S. 91. 305 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinatz, S. 174. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 74

4. Die Kriegsgefangenen

Den polnischen Kriegsgefangenen folgten Kriegsgefangene aus anderen Ländern. Ihre „An- kunft“ im Deutschen Reich spiegelte die militärischen Erfolge Hitlers wider.

Die Gesamtzahlen der Kriegsgefangenen in den Lagern des Wehrkreises XVIII von Septem- ber 1940 bis Dezember 1944:306

80.000 70.000 60.000 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000 0

10.09.194031.03.194101.09.194101.02.194201.06.194201.01.194301.06.194301.01.194401.06.194401.12.1944

Diagramm 1: Gesamtzahlen der Kriegsgefangenen in den Lagern des Wehrkreises XVIII von 1940 bis 1944 (eigene Darstellung) Quelle: Speckner; Kriegsgefangenenlager, S. 338

Im September 1940 befanden sich in den Lagern 2.542 Kriegsgefangene, im März 1941 27.180 (Arbeitskommando: 25.684), im September 1941 53.692 (Arbeitskommando: 49.783), im Februar 1942 59.368 (Arbeitskommando: 49.056), im Juni 1942 58.550 (Arbeitskomman- do: 51.164), im Jänner 1943 56.269 (Arbeitskommando: 51.730), im Juni 1943 55.261(Arbeitskommando 51.260), im Jänner 1944 69.035 (Arbeitskommando: 59.237), im Juni 1944 70.465 (Arbeitskommando: 60.186) und im Dezember 1944 61.877 (Arbeitskom- mando: 5.064).

Von den 61.877 Kriegsgefangenen, die sich zum Stichtag 1. Dezember 1944 in den Lagern des Wehrkreises XVIII befanden, wurde die überwiegende Mehrheit von französischen

306 Vgl. BAMA, RW 6/v. 184, 450-452, zitiert nach SPECKNER, Kriegsgefangenenlager, S. 338. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 75

Kriegsgefangene (27.089) gestellt, gefolgt von sowjetischen (15.582), britischen (11.232) - und mit großem Abstand – serbischen (4.808), italienischen (1.054), polnischen (997), belgi- schen (888), holländischen (166) und amerikanischen (65) Kriegsgefangenen.307 Statistiken belegen, dass die Franzosen durchgehend die größte Gruppe unter den Kriegsge- fangenen darstellten.308

Die Arbeits- und Lebensumstände der Kriegsgefangenen waren von den extremsten Gegen- sätzlichkeiten geprägt: Auf der einen Seite wurden kahlgeschorene, halbverhungerte Men- schen wie Tiere hinter Stacheldraht gehalten, auf der anderen Seite gab es nicht nur eine kor- rekte Behandlung unter den humanitären Schutzregeln der Genfer Konvention und der Be- obachtung des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, sondern auch z.B. französische Lageruniversitäten und amerikanische Kulturveranstaltungen.309 Die Rassenideologie kehrte das Regime gegenüber Kriegsgefangenen besonders deutlich her- vor. Das Verbot des Umgangs mit Kriegsgefangenen bzw. die Einschränkung auf das not- wendigste Maß galt ganz besonders gegenüber den Angehörigen slawischer Völker.310

Geregelt wurde das „Kriegsgefangenenwesen“ (KGW) der Deutschen Wehrmacht durch das Oberkommando der Wehrmacht. Da bereits lange vor dem Polenfeldzug mit Kriegsgefange- nen gerechnet worden war, war diese Einrichtung gut durchdacht und vorbereitet worden. Bereits Monate vor Kriegsbeginn waren Lagerstandorte erkundet und Dienstvorschriften für die Führung der Kriegsgefangenenlager erstellt worden. Da die Organisation des Kriegsge- fangenenwesens vorrangig auf den Arbeitseinsatz ausgerichtet war, war bereits früh ein be- sonderes Augenmerk auf die Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern gelegt worden.311 Benannt wurden die Kriegsgefangenenlager nach der ihnen zugedachten Verwendung:312 „Stalag“ war ein Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlager, das der Aufnahme von Mann- schaftsdienstgraden und Unteroffizieren diente. Theoretisch war eine Belegstärke von 10.000

307 Vgl. BAMA, RW 6/v. 184, 450-452, zitiert nach SPECKNER, Kriegsgefangenenlager; S. 338. 308 Vgl. FREUND Florian – PERZ Bertrand – SPOERER Mark, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939-1945. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich, Band 26/1. Wien 2004. S. 218. 309 Vgl. BISCHOF Günter – KARNER Stefan – STELZL-MARX Barbara (Hrsg.), Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges. Gefangennahme – Lagerleben – Rückkehr. Wissenschaftliche Veröffentlichungen des Ludwig- Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Band 4. Wien 2005. S. 10f. 310 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 342. 311 Vgl. SPECKNER Hubert, Kriegsgefangenenlager in der „Ostmark“, in: BISCHOF Günter – KARNER Stefan – STELZL-MARX Barbara (Hrsg.), Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges. Gefangennahme – Lagerleben – Rückkehr. Wissenschaftliche Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Band 4. Wien 2005, S. 329 332. 312 Vgl. ebd. S. 330f. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 76

Mann vorgesehen gewesen. Tatsächlich waren in einem Stalag jedoch 30.000 bis 60.000 oder mehr Gefangene untergebracht. „Oflag“ war ein „Kriegsgefangenen-Offizierslager. Es diente der Aufnahme von Offizieren und einer gewissen Anzahl von einfachen Soldaten, die dort als Ordonnanzen (Bedienung der Offiziere, Lagerarbeiten) eingesetzt waren. Arbeitseinsatz wurde von den kriegsgefangenen Offizieren nur in sehr bescheidenem Ausmaß und zumeist freiwillig geleistet. Sowjetische Offiziere, die uneingeschränkt Arbeitseinsatz zu leisten hatten wurden hingegen in Stalags eingeliefert. Die gemäß Dienstvorschrift festgelegte Größe der Oflags von 1.000 Mann wurde zumeist auch eingehalten. „Dulag“ war ein Kriegsgefangenen-Durchgangslager. Hier waren die Kriegsgefangenen nur vorübergehend zur Registrierung, Untersuchung und Entlausung untergebracht. Sie existierten in der Ostmark zwar zu Beginn des Krieges, wurden jedoch bald in Stalags umgewandelt. „Heilag“ war ein Kriegsgefangenenheimkehrerlager, wo schwer kranke Kriegsgefangene oder aus einem anderen Grund freigelassene für den Transport in ihre Heimat vorbereitet wurden. Ein solches existierte allerdings im Wehrkreis XVIII nie. (In der „Ostmark“ gab es lediglich von Herbst 1941 bis Frühjahr 1942 das Stalag XVII A Gänserndorf zur Repatriierung jugo- slawischer Kriegsgefangener.) Daneben gab es noch die sogenannten Schattenlager, deren Gefangene auf Arbeitskomman- dos untergebracht waren und die deshalb nur aus einer Kommandantur bestanden.

Für die Steiermark befand sich ein zentrales Kriegsgefangenenlager in „Niederdonau“ (nö. von Eisenstadt): das Stalag XVII A Kaisersteinbruch (neben XVII B Krems-Gneixendorf das erste313 Kriegsgefangenlager auf österreichischem Boden). Von dort ergingen ab 1939 die meisten Kriegsgefangenen-Zuweisungen. In der Steiermark selbst gab es zwei zentrale Lager mit Verteilerfunktion: ein Stammlager in Marburg (ab 1941) und ein Offizierslager in Wagna. Daneben wurden auch aus dem 1941 errichteten Stammlager Wolfsberg (Kärnten) Kriegsge- fangene in die Steiermark vermittelt.314

Kategorisierung der Kriegsgefangenen

Mit der Haager Landkriegsordnung (HLKO) vom 18. Oktober 1907, als einem Bestandteil der Abkommen der Haager Friedenskonferenzen, wurde erstmals der Versuch unternommen, die

313 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 48. 314 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 341. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 77

Behandlung von Kriegsgefangenen international zu regeln und eine willkürliche Behandlung weitestgehend zu unterbinden. Eine erneuerte Version dieser Bestimmungen wurde mit der Ratifizierung des Abkommens der Genfer Konventionen vom 27. Juli 1929 geschaffen. Wenngleich die Bestimmungen der HLKO im Vergleich zur Genfer Konvention allgemeiner gehalten sind, enthalten sie dennoch bereits wesentliche, die Behandlung und den Arbeitsein- satz der Kriegsgefangenen betreffende Reglementierungen, die sich in konkretisierter und umfassenderer Form in der Genfer Konvention wiederfinden. Die Genfer Konvention vom 27. Juli 1929 war von allen großen, in den Zweiten Weltkrieg involvierten Kriegsteilnehmern mit Ausnahme der Sowjetunion unterzeichnet worden.315 Bezüglich des generellen Arbeitseinsatzes von Kriegsgefangenen (die HLKO betrachtete ihn vor allem als eine Art „Beschäftigungstherapie“316) heißt es in Art. 27 der Genfer Konvention, dass kriegsgefangene Offiziere und Unteroffiziere nicht zur Arbeit gezwungen werden dürfen, ihr Arbeitseinsatz auf freiwilliger Basis erfolgen muss. Kein Kriegsgefangener darf jedoch zu Arbeiten herangezogen werden, zu denen er aufgrund seiner physischen Konstitution nicht in der Lage ist (Art. 29). Art. 31 weist explizit darauf hin, dass der Arbeitseinsatz nicht „unzu- träglich und gefährlich“ sein und nicht in unmittelbarer Beziehung zu den Kriegshandlungen stehen darf. Das heißt, dass jeder Einsatz von Kriegsgefangenen in Rüstungsbetrieben einen Verstoß gegen die völkerrechtlichen Bestimmungen darstellt und als Zwangsarbeit anzusehen ist.317 Die in beiden Vertragswerken geforderte menschliche und gerechte Behandlung von Kriegs- gefangenen wurde im „Dritten Reich“ durch die NS-„Rassentheorie“ pervertiert.

Im NS-Staat wurden bezüglich ihrer rechtlichen Stellung drei Kategorien von Kriegsgefange- nen unterschieden:318

 Kriegsgefangene, die dem Schutz der Genfer Konvention unterlagen,

 Kriegsgefangene, die dem Schutz der Haager Landkriegsordnung (HLKO) unter- lagen und

 Kriegsgefangene, die ohne völkerrechtlichen Schutz waren. Zu den Kriegsgefangenen, die unter dem Schutz der Genfer Konvention standen, zählten v.a. westliche Gefangene. Dem Schutz der HLKO unterlagen die Gefangenen, die aus Ländern kamen, die nicht die Genfer Konvention unterzeichnet hatten. Die Bestimmungen der HLKO, die für alle Staaten, die sie ratifiziert hatten, verbindlich waren, wurden im „Dritten Reich“

315 Vgl. HAFNER, Zwangsarbeit, S. 18, 24f. 316 Vgl. MOJONNY Gerardo Luigi, The labor of prisoners of war in modern times. An appreciation on the cause and the effect of the Geneva Conventions. Locarno-Fribourg 1955. S. 25. 317 Vgl. HAFNER, Zwangsarbeit, 19f. 318 Vgl. ebd. S. 17f. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 78 größtenteils bewusst ignoriert. Dies hatte zur Folge, dass die Kriegsgefangenen, die dem Schutz der HLKO unterlagen, vielfach schutzlos waren. Zu den Kriegsgefangenen ohne jegli- chen völkerrechtlichen Schutz zählten nach NS-Auffassung sowjetische Kriegsgefangene und italienische Militärinternierte (IMI).319 Dass die italienischen Kriegsgefangenen keinen völ- kerrechtlichen Schutz erhielten, war die Folge des politischen Umsturzes in Italien, der eine unerwartete Wende gebracht hatte. Nach dem Sturz Benito Mussolinis am 25. Juli 1943 war die neue Regierung unter Pietro Badoglio von der Allianz mit Hitler-Deutschland ins Lager der Alliierten übergewechselt. Damit die 600.000 italienischen Soldaten, die von der Deut- schen Wehrmacht vor allem im Mutterland, in Griechenland und auf dem Balkan320 aufgegrif- fen und entwaffnet worden waren, als „Verräter an der gemeinsamen Sache“ nicht unter den Schutz des Genfer Abkommens fielen, erhielten sie den Status „Militärinternierte“. Nur etwa jeder Zehnte von ihnen erklärte sich bereit, freiwillig auf Seiten Hitler-Deutschlands weiter- zukämpfen. Rund 44.000 der ins Deutsche Reich deportierten und als Zwangsarbeiter („Badoglio-Schweine“) eingesetzten IMI „landeten“ in der „Ostmark“.321 Wie sowjetische und polnische Kriegsgefangene waren auch sie der Kontrolle des Roten Kreuzes entzogen. Ihre Lebensverhältnisse waren katastrophal, vergleichbar nur mit denen sowjetischer Kriegs- gefangener. Überall schlug ihnen eine Welle der Verachtung entgegen.322 In der „Ostmark“ wurden die IMI vor allem in den „Hermann Göring“-Werken und im Bergbau eingesetzt.323

Umwandlung der Kriegsgefangenen in Zivilarbeiter

Die Umwandlung der Kriegsgefangenen in Zivilarbeiter brachte für das NS-Regime den Vor- teil, dass es bedingungslos ehemalige Kriegsgefangene in der Rüstungsindustrie einsetzen konnte, ohne mit dem Kriegsgefangenenabkommen in Konflikt zu geraten. Neben den materiellen Vorteilen entfielen für die nun „freien Arbeiter“ die Lagerverordnun- gen und ähnliche Bestimmungen. Zugleich entstanden für sie aber auch etliche Nachteile, da sie ihren Anspruch auf Behandlung nach der Genfer Konvention und damit den weitgehenden Schutz bei gerichtlicher Verfolgung verloren. Die deutsche Polizei konnte Zivilarbeiter wie politische Gefangene jederzeit in Arbeitserziehungslager (AEL) oder KZ einliefern, die im Gegensatz zu den Kriegsgefangenenlagern, die auch der Kontrolle des Internationalen Roten Kreuzes unterstanden, vollkommen in den Händen der Gestapo und SS waren. Die Bestim-

319 Vgl. HAFNER, Zwangsarbeit, S. 18, 23. 320 Vgl. PLATO Alexander von – LEH Almut – THONFELD Christoph (Hrsg.), Hitlers Sklaven. Lebensge- schichtliche Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich. Wien-Köln-Weimar 2008. S. 10. 321 Vgl. FEICHTLBAUER, Zwangsarbeit, S. 55. 322 Vgl. SAUL, Gesichter, S. 11. 323 Vgl. MF-T 71/31, 425.426, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 60. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 79 mung, wonach Kriegsgefangene zur Verbüßung von Disziplinarstrafen nicht in Strafanstalten, Gefängnissen oder Zuchthäusern unterzubringen waren324, wurde laufend verletzt. Während des Krieges wurden allerdings auch gegenüber Zivilarbeitern strengere Sicherheitsbestim- mungen erlassen, die auch deren Freiheit weitgehend einschränkten, wie etwa ein Ausgehver- bot ab 21 Uhr für ausländische Arbeitskräfte325.326 Beispielsweise wurde im Mai 1940 ein Großteil der polnischen Kriegsgefangenen durch einen Führererlass aus der Gefangenschaft entlassen.327. Dies bedeutete für diese jedoch aufgrund der „Polenerlasse“, die sie von jeder Teilnahme am öffentlichen Leben ausschlossen, keine tatsächliche Erleichterung ihrer Situation. Im April 1943 wurden gemäß einer Verfügung des Rüstungsministeriums auch 20 Prozent der eingesetzten französischen Kriegsgefangenen „...als Anerkennung für guten Arbeitseinssatz bei Beibehaltung ihres Arbeitsplatzes...“ durch die Militärdienststellen in das Zivilarbeitsverhältnis übergeführt328. Dies geschah nicht zuletzt als Gegenzug dafür, dass in den westeuropäischen Ländern die örtlichen Behörden bei den Rekrutierungen von Arbeitskräften mit der deutschen Seite zusammenarbeiteten.329

Genauere Zahlen über die Umwandlung von Kriegsgefangenen für die „Ostmark“ und demzu- folge für die Steiermark liegen nicht vor. Doch scheinen sie in der „Ostmark“ nicht unbe- trächtlich gewesen zu sein, wie ein Beispiel aus dem Wehrkreis XVIII belegt:330 Im August 1944 waren im Kupferbergwerk Mühlbach 27 Prozent der ausländischen Arbeitskräfte Zivil- arbeiter und 73 Prozent Kriegsgefangene gewesen - nach erfolgter Umwandlung sah das Ver- hältnis folgendermaßen aus: 62 Prozent Zivilarbeiter und 38 Prozent Kriegsgefangene.331

5. Die Zwangsarbeiter

Die Arbeitskräfte aus West-, Süd- und Südosteuropa, die anfangs vor allem aufgrund der ho- hen Arbeitslosigkeit in ihren Heimatländern und allerlei Versprechungen ins Deutsche Reich gekommen waren, hatten später vielfach keine Chance mehr gehabt, ihr Arbeitsverhältnis zu

324 Vgl. RGBL 1934/II, Art 55, S. 246; zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 119. 325 Vgl. DÖW-Akt 8407, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 117. 326 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 116f. 327 Vgl. PFAHLMANN Hans, Fremdarbeiter und Kriegsgefangene in der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945. Darmstadt 1968. S. 86. 328 Vgl. Mf-T-77, R-743, 974546; zitiert nach KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 340. 329 Vgl. HAFNER, Zwangsarbeit, S. 29f. 330 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 117. 331 Vgl. Mf-T-71, R-17, 407.573, 407.589, zitiert nach ebd. S. 117. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 80 beenden.332 Diese Gruppe stellte allerdings nur einen geringen Teil jener 5,7 Millionen ziviler Zwangsarbeiter dar, die sich im Herbst 1944 im Deutschen Reich befanden. Die aus der Sow- jetunion deportierten „Ostarbeiter“ bildeten dabei mit 2,8 Millionen die größte Gruppe. In Industriebetrieben stammte Ende 1944 jeder dritte Arbeiter aus dem Ausland.333

Eine grobe Einteilung der zivilen Zwangsarbeiter unterschied zwischen „Westarbeitern“, Po- len und „Ostarbeitern“. Bei den „Westarbeitern“ wurde differenziert zwischen Arbeitskräften „germanischer Abstammung“ und denjenigen „nichtgermanischer Abstammung“: Zur ersten Gruppe gehörten Arbeitskräfte aus Großbritannien, Dänemark, Island, Norwegen, Schweden, den Niederlanden und dem flämischen Sprachgebiet Belgiens, der Niederlande und Frank- reichs, zur zweiten Gruppe diejenigen aus Frankreich und dem wallonischen Sprachgebiet Südbelgiens.334 Die Kategorisierung bildete auch die Grundlage der arbeitsrechtlichen Rege- lungen.335 Eine Zwischenstellung in der NS-Hierarchie nahmen Arbeitskräfte aus befreundeten Staaten (Spanier, Italiener – bis zur Absetzung Mussolinis am 25. Juli 1943), Kriegsverbündete (Bul- garen, Mazedonier) und Gegner der Sowjetunion (Letten, Litauer, Ungarn, Slowaken, Mol- dawier) ein. Die Behandlung der Slowenen war von der Kategorisierung in „wiedereindeut- schungsfähig“ oder „nichteindeutschungsfähig“ abhängig.336 Bei der Sonderstellung der südslawischen Kroaten, als Bürger eines befreundeten Staates, trat der nationalsozialistische Rassenwahn vor wirtschaftlichen bzw. politischen Notwendigkeiten zurück („Historiker“ waren im Auftrag der Nationalsozialisten bemüht, die Sonderstellung der Kroaten zu begründen.).337

Als Vertreter eines slawischen Volkes galten die Polen pauschal als „minderwertig“ und nur als Arbeitsknechte zu gebrauchen.338 Ihre öffentlich erkennbare Diskriminierung wurde am 8. März 1940 in den sogenannten „Polenerlassen“ gesetzlich verankert. Demnach waren Polen verpflichtet an ihrer Kleidung ein „P“ zu tragen. Es war dies die erste öffentliche Kennzeich- nung von Menschen im „Dritten Reich“, der das „Ostabzeichen“ und der Judenstern folgen sollten.339 Die repressiven Bestimmungen umfassten den Ausschluss vom öffentlichen und kulturellen Leben (u.a. Benutzung von Verkehrsmitteln, Gaststätten, Kinos, Veranstaltungen, Kirchen)

332 Vgl. SAUL, Gesichter, S. 10. 333 Vgl. HAFNER, Zwangsarbeit, S. 27. 334 Vgl. RUGGENTHALER, Geschenk, S. 21f, 27, 29. und KARNER, Kategorien, S. 41. 335 Vgl. KARNER, Kategorien, S. 42. 336 Vgl. RUGGENTHALER, Geschenk, S. 22ff, 26. 337 Vgl. ebd. S. 25 338 Vgl. ebd. S. 27. 339 Vgl. HERBERT; Fremdarbeiter, S. 76. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 81 und das Verbot von sexuellen Kontakten zu Deutschen, die – wie es im Merkblatt, das den Polen ausgehändigt wurde, hieß - mit dem Tode bestraft wurden.340

„Ostarbeiter“ waren eindeutig die Repräsentanten des „Untermenschentums“ (Die Millionen. gefangener Sowjetsoldaten hatten für die deutsche Propaganda eine willkommene Illustration der östlichen Minderwertigkeit dargestellt. Damals war zum ersten Mal der Begriff „Unter- mensch“ aufgetaucht.341) Für ihre Zuordnung waren jedoch letztlich nicht rassische, sondern geographische Gegebenheiten ausschlaggebend. Als „Ostarbeiter“ galten „diejenigen Arbeits- kräfte nichtdeutscher Volkszugehörigkeit, die im Ukraine, im General- kommissariat Weißruthenien oder in Gebieten, die östlich an diese Gebiete und an die frühe- ren Freistaaten Lettland und Estland angrenzen, erfasst und nach der Besetzung durch die Deutsche Wehrmacht in das Deutsche Reich einschließlich des Protektorats Böhmen und Mähren gebracht und hier eingesetzt werden“342.

In der „Ostmark“ stieg die Zahl der zivilen ausländischen Arbeitskräfte von April 1941 bis September 1944 von 128.000 auf 580.000 an, wobei die überwiegende Mehrzahl (fast ein Drittel) – wie im „Altreich“ - aus sowjetischen Zwangsarbeitern bestand.343 Auch im Landesarbeitsamtsbezirk Steiermark-Kärnten stieg – wie aus folgendem Diagramm ersichtlich – die Zahl der zivilen Zwangsarbeiter kontinuierlich an.

340 Vgl. HERBERT, Fremdarbeiter, S. 77.. 341 Vgl. DALLIN Alexander, Deutsche Herrschaft in Russland 1941-1945. Düsseldorf 1958. S. 81. 342 Vgl. RGBl. 1942, I, v.30.6.1942, S. 419; Wer gilt als Ostarbeiter, zitiert nach RUGGENTHALER, Geschenk, S. 29. 343 Vgl. FEICHTLBAUER, Zwangsarbeit, S. 62. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 82

160.000 140.000 120.000 100.000 80.000 60.000 40.000 20.000 0

25.04.1941 25.09.1941 10.07.1942 30.06.1943 31.12.1943 31.03.1944 30.09.1944

Diagramm 2: Zivile Zwangsarbeiter im Landesarbeitsamtsbezirk Steiermark-Kärnten 1941 – 1944 (eigene Darstellung) Quelle: Freund, Zwangsarbeiter, S. 51,53-58.

Im September 1944 befanden sich Landesarbeitsamtsbezirk Steiermark-Kärnten insgesamt 141.578 zivile Zwangsarbeiter, wobei „Ostarbeiter“ (45.527) und Polen (30.791) am stärksten vertreten waren - gefolgt von Italienern (16.008), Schutzangehörigen des Deutschen Reiches (9.334), Franzosen (8.630), Kroaten (6.832), Jugoslawen (5.009), Protektoratsangehörigen (4.536) und Ungarn (3.452). Daneben waren noch Slowaken, Niederländer, Belgier, Dänen, Staatenlose und verschiedene anderer Staatsangehörige in diesem Amtsbezirk beschäftigt.344

6. Die KZ-Insassen

Bis zum Sommer 1941 war der Arbeitseinsatz von KZ-Häftlingen nicht von kriegswirtschaft- licher Relevanz, sondern wurde unter den Gesichtpunkten „Erziehung“, Strafe und Vernich- tung betrieben.345 Obwohl die Zahl der KZ-Insassen drastisch anstieg, begannen die Todeszahlen 1943 zu sin- ken. Dies war auf die Forderung Speers (der Hitler im September 1942 nachgab) zurückzu-

344 Vgl. Der Ausländereinsatz im Großdeutschen Reich, Nr. 2/3 vom 31.3.1944, S. 32ff, zitiert nach FREUND, Zwangsarbeiter, S. 58. 345 Vgl. HERBERT, Arbeit, S. 391. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 83 führen, die SS solle der Industrie KZ-Häftlinge „leihweise“ zur Verfügung zu stellen. Ende 1944 waren von den 600.000 KZ-Insassen 480.000 arbeitsfähig gemeldet.346 Der Einsatz von KZ-Insassen in der Rüstungsindustrie führte zur Errichtung von Nebenlagern auf dem Gelände der Betriebe bzw. in deren Nähe.347 Sie wurden in der Regel allerdings nur bei jenen Firmen eingerichtet, die auf eigene Initiative Häftlinge anforderten. Gemeinsame Interessen von SS und Rüstungsfirmen oder gute persönliche Beziehungen zu hohen NS- Funktionären spielten dabei eine ganz entscheidende Rolle. Eingesetzt wurden die KZ- Häftlinge beinahe ausnahmslos in der metallerzeugenden und –verarbeitenden Rüstungsin- dustrie. Ausnahmen in der „Ostmark“ stellten nur zwei Konzentrationslager dar, in denen weibliche Häftlinge untergebracht waren: das KZ Hirtenberg der Gustloffwerke (Munitions- erzeugung) und das KZ bei der Lenzinger Zellwolle AG.348

Die Steyr-Daimler-Puch AG war einer der ersten Rüstungsbetriebe in der Steiermark, der KZ- Häftlinge einsetzte. Die Häftlinge wurden für die Umsiedelung des Werkes Thondorf ange- fordert. An den neuen Standorten entstanden die Lager Leibnitz-Graz und Peggau. Sie waren Nebenlager des KZ-Mauthausen. 349

Der Arbeitseinsatz von KZ-Häftlingen in der Rüstungsindustrie, der von einem permanenten Überlebenskampf geprägt war, wurde ab 1942 zu einem wesentlichen Bestandteil der deut- schen Kriegswirtschaft. Damit begann aber auch Sabotage eine immer größere Rolle zu spie- len. Die SS verfolgte deshalb jeden Sabotageversuch mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln: mit Hilfe eines Heers von Spitzeln, mit unmenschlichen Foltern und Hinrichtungen als Abschreckung (Im Auschwitzer Außenlager Blechhammer wurde z.B. ein jüdischer Häft- ling vor allen zum Appell Angetretenen gehängt, weil er ein Stück Draht aufgehoben hatte, um seinen Schuh zusammenzubinden).350

In der „Ostmark“ nahm der Einsatz von KZ-Häftlingen in der Rüstungsindustrie mit dem La- ger Steyr-Münichholz seinen Anfang. Mit der weiteren Errichtung zahlreicher Außenlager des KZ Mauthausen kam es auch zu einem signifikanten Ansteigen der Häftlingszahlen. So ver-

346 Vgl. FEICHTLBAUER, Zwangsarbeit, S. 65. 347 Vgl. BENZ Wolfgang, Zwangsarbeit im nationalsozialistischen Staat. Dimensionen – Strukturen – Perspekti- ven, in: BENZ Wolfgang – DISTEL Barbara (Hrsg.), Zwangsarbeit. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Dachauer Hefte,Heft 16. o.O 2000. S. 10. 348 Vgl. FREUND, Fremdarbeiter; S 328f. 349 Vgl. STELZL Barbara, Lager in Graz. Zur Unterbringung ausländischer Zivilarbeiter, Kriegsgefangener und KL-Häftlinge 1938-1945, in KARNER Stefan (Hrsg.), Graz in der NS-Zeit 1938-1945. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Sonderband 1, 2. Auflage. Graz 1999. S. 355, 358. 350 Vgl. LANGBEIN Hermann, Arbeit im KZ-System, in: BENZ Wolfgang – DISTEL Barbara (Hrsg.), Sklaven- arbeit im KZ. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Dachauer Hefte, Heft 2. o.O o.J. S. 11. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 84 doppelte sich die Zahl der fast ausschließlich männlichen Personen, die in Mauthausen und Außenlagern inhaftiert waren im Zeitraum von Anfang 1943 bis Anfang 1944 von ca. 14.000 auf ca. 28.000, um bis Oktober 1944 auf 73.000 zu steigen.351

Standen bei den Arbeitsstätten der SS auch nach dem Einsatz von Häftlingen in der Rüstungs- industrie „Strafe“ und ideologisch motivierte Vernichtung weiterhin im Vordergrund, so war die private Industrie am deren Schicksal insofern interessiert, als es im Verhältnis zur Steige- rung der Produktion stand. Dies bedeutete schonende Behandlung auf qualifizierten Arbeits- plätzen ebenso wie die Vernichtung riesiger Häftlingsmassen bei der Durchpeitschung der Bauprojekte in den letzten Kriegsmonaten.352 Trotz Speers bedeutender Rolle wurden die Sonderinteressen der SS, die sich um ihr eigenes „Wirtschaftsimperium“ kümmerte, immer stärker.353

7. Der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte in steirischen Rüstungs- betrieben

Der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte in der Rüstungsindustrie wurde in einer Verfügung des Reichswirtschaftsministeriums vom 7. Oktober 1940 geregelt: Danach durften diese we- der bei geheimer Produktion und „sabotageempfindlichen Stellen“ eingesetzt werden, noch Zutritt dazu haben. Sie durften nicht mit deutschen Arbeitern zusammen eingesetzt und unter- gebracht werden und mussten unter ständiger deutscher Aufsicht stehen. Bei Kriegsgefange- nen musste zusätzlich die Spionage- und „Zersetzungsgefahr“ ausgeschaltet sein, und die ihnen übertragenen Aufgaben durften in keinem unmittelbaren Zusammenhang zu den Kriegshandlungen stehen.354

Die ersten polnischen Arbeiter – bis Dezember 1939 waren es 300 - wurden am Erzberg ein- gesetzt. In einem Bericht des Rüstungskommando Graz vom 20.1.1940 wurde diesbezüglich darauf hingewiesen, dass sich unter diesen Arbeitern auch ehemalige polnische Soldaten be- fänden, wodurch eine strengere Bewachung, die Unterbringung in geschlossenen Lagern und verschiedene andere Vorsichtmaßnahmen getroffen werden müssten.355

351 Vgl. FREUND, Fremdarbeiter; S. 326f. 352 Vgl. HERBERT, Arbeit, S. 417. 353 Vgl. MILWARD, Kriegswirtschaft, S. 140. 354 Vgl.Mf-T-77, R-742, 972561; zitiert nach KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 336. 355 Vgl. Mf-T-77, R-741, 971825. Bericht v. 20.1.1940, zitiert nach KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 335. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 85

Der Winter 1939/40 war so hart, dass Bauarbeiten größeren Umfangs nicht in Angriff ge- nommen werden konnten, und die Rüstungsindustrie praktisch nur mit Vorbereitungen für den künftigen Anlauf beschäftigt war. Ein Sonderbedarf an Facharbeitern und Hilfsarbeitern war deshalb in dieser Zeit nicht gegeben. Die Arbeitslosigkeit hatte jedoch insofern katastro- phale Auswirkungen, als es, trotz der Appelle des Rüstungskommandos Graz, das um den Anlauf der Munitionsfertigung und die Realisierung der Bauprogramme fürchtete, zu weite- ren Abwanderungen von Facharbeitern (v.a. von Metallarbeitern) ins „Altreich“ kam. Infolge der steigenden Zahl von Einberufungen und der Zunahme der Bautätigkeit in der Rüstungsin- dustrie ging im Februar 1940 die Arbeitslosigkeit abrupt zurück.356 Bereits Ende Mai/Anfang Juni 1940 begann die Produktionsleistung der Rüstungsbetriebe von der Möglichkeit der Arbeitskräftebeschaffung bestimmt zu werden. In der Steiermark fehlten zu in dieser Zeit 6.500 Bauarbeiter für Rüstungs- und Siedlungsbauten357. Nachdem auch die angelernten Hilfsarbeiter knapp geworden waren, wurde mit einer großangelegten Rekrutie- rung von Kriegsgefangenen, Umsiedlern, volksdeutschen Flüchtlingen, Slowaken, Protekto- ratsangehörigen, Strafgefangenen, Zigeunern und Juden begonnen, die jedoch die zur Wehr- macht eingerückten oder ins „Altreich“ abgezogenen Facharbeiter nicht ersetzen konnten. Deshalb entbrannte, nachdem das Landesarbeitsamt begonnen hatte, die Umschulung auslän- discher Arbeitskräfte in die Wege zu leiten, ein Kampf unter den Rüstungsbetrieben um Zu- weisung ausländischer Arbeitskräfte. Dass den Rüstungsbetrieben nicht die benötigte Anzahl an Arbeitskräften zur Verfügung gestellt wurde, war nicht zuletzt auf den Autobahnbau zu- rückzuführen, wo einige tausend Kriegsgefangene eingesetzt waren, während den Rüstungs- betrieben im Wehrkreis XVIII lediglich 951 zugeteilt wurden358. Allein im Jänner 1941 for- derten 12 steirische Rüstungsbetriebe in 22 Ansuchen 1.062 Arbeitskräfte an359.360 Im Laufe des Jahres 1941 stieg die Zahl der Rüstungsarbeiter von 36.011 auf 45.319 (37.749 Männer, 7.570 Frauen). Im selben Zeitraum erhöhte sich auch die Zahl der Rüstungsbetriebe von 49 im April 1941 auf 72 im Dezember 1941361. Trotz der steigenden Zahl bestand ein signifikanter Arbeitskräftemangel: Die Sollzahlen für die wichtigsten Rüstungsproduktionen betrugen pro Monat zwischen 1.500 und 2.000 Arbeitskräften, die 1941 nicht mehr gestellt werden konnten.362

Mit zunehmender Kriegsdauer kam den Kriegsgefangenen eine stets größere Bedeutung zu. Während in den Betrieben der Reichswerke „Hermann Göring“ die einberufenen Arbeitskräf-

356 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 343. 357 Vgl. Mf-T-77, R-741, 972078, R-742, 972690ff, Arbeitsmarktbericht 1939/40, zitiert nach ebd. S. 344. 358 Vgl. Mf-T-77, R-742, 972953f, zitiert nach ebd. S. 345. 359 Vgl. Mf-T-77, R-742, 972954, zitiert nach ebd. S. 345. 360 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1845, S. 344f. 361 Vgl. Mf-T-77, R-742, 743, 750, zitiert nach ebd. S. 350. 362 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 350. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 86 te durch Kriegsgefangene (zumindest quantitativ) nahezu zur Hälfte ausgeglichen werden konnten, führten die Einstellungen von Kriegsgefangenen in den Bergbauen der Alpine zu einer Vergrößerung des Beschäftigtenstandes.363 Trotz der Tatsache, dass die Rüstungsindust- rie auch in der Steiermark in immer größerem Maße auf den Einsatz von Kriegsgefangenen angewiesen war, wurde die Rassenideologie ihnen gegenüber besonders hervorgekehrt (v.a. gegenüber Angehörigen slawischer Völker), der Umgang mit ihnen verboten bzw. auf das Notwendigste eingeschränkt.364 Die zur Jahresmitte 1941 in der Steiermark eingetroffenen englischen Kriegsgefangenen durf- ten in der Rüstungsindustrie nicht eingesetzt werden. (Eine Ausnahme stellte das Werk Wa- sendorf der Rottenmanner Eisenwerke dar, wo eine Abteilung von etwa 80 Mann beschäftigt war.) Dasselbe traf 1941 im Bereich des Rüstungskommandos Graz auch auf Kriegsgefange- ne aus dem ehemaligen Jugoslawien zu, die während der militärischen Operation gegen Jugo- slawien sogar aus den Betrieben in der Grenzzone abgezogen wurden.365 1942 verschärfte sich abermals die Situation am steirischen Arbeitsmarkt. Trotz der unter- nommenen Maßnahmen (wie Umschulungen) wirkte sich die geringere Leistungsfähigkeit der Ausländer bzw. auch der einheimischen weiblichen Arbeitskräfte produktionsmäßig aus. Als Ersatz kamen sowjetische und griechische Kriegsgefangene, gegen Ende des Jahres auch sow- jetische Zwangsarbeiter zum Einsatz. Dabei wurden sowjetische Kriegsgefangene durchwegs als „führungs- und leistungsmäßig“ beurteilt, allerdings hieß es, dass sie in einer schlechten körperlichen Verfassung wären. Die sowjetischen Zivilarbeiter waren zwar physisch geeignet, entsprachen hingegen in fachlicher Hinsicht weniger. Die Beurteilung der griechischen Kriegsgefangenen fiel allgemein sehr schlecht aus. Weil Unterbringung und Verpflegung nicht den Erwartungen der sowjetischen Zivilarbeiter entsprachen, ergaben sich bei ihnen auch zunehmend disziplinäre Schwierigkeiten.366

Ab 1942 waren überwiegend „Ostarbeiter“ in der steirischen Rüstungsindustrie tätig.367 Nachdem die ersten von ihnen im Juni 1942 am Erzberg eingesetzt worden waren368, kamen die Arbeitskräfte eines noch im selben Monat eingetroffenen Transports in verschiedenen Betrieben zum Einsatz: bei Böhler (210), Vogel & Noot (160), Steyr-Daimler-Puch in Thon- dorf (100), bei den Steirischen Gussstahlwerken (80) und bei Ludwig Binder in Graz (10).369 Auch während des „Totalen Krieges“ (1943) kam es zu keiner Änderung auf dem Arbeits- markt. Der chronische Facharbeitermangel wurde zusätzlich noch weiter verstärkt, da am 5. Juli 1943 5 Prozent der in der „Ostmark“ und im Protektorat beschäftigten Bauarbeiter zur

363 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S 320ff. 364 Vgl. Mf-T-77, R-743, 975066, Erlaß des RMin. f. RuK v. 19.6.1944, zitiert nach KARNER, Steiermark 1938- 1945, S. 342. 365 Vgl. Mf-T-77, R-743, 974037, zitiert nach KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 351. 366 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 351. 367 Vgl. IMT, 29. Bd., S.239, Dok. Nr. 2039 PS; zitiert nach ebd. S. 337. 368 Vgl. Mf-T-77, R-743, 974114. Bericht v. 9. 6. 1942; zitiert nach ebd. S.337. 369 Vgl. Mf-T-77, R-743, 974133; zitiert nach ebd. S. 337. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 87

Behebung von Bombenschäden in Norddeutschland abgezogen wurden370. Als auch die Fach- arbeiter an die Fronten abkommandiert wurden, waren die Betriebe in immer stärkeren Maße auf den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte angewiesen. Im Oktober wurde die Arbeitsein- satzlage durch die Heranziehung von rund 5.800 italienischen Militärinternierten kurzfristig entlastet. Zunehmend mussten Arbeiter aus den steirischen Rüstungsbetrieben auch abgestellt werden: u.a. wurden sowjetische Kriegsgefangene im Bergbau eingesetzt und französische Kriegsgefangene durch das Oberkommando des Heeres abgezogen. Selbst die Einführung der 72-Stunden-Woche in Betrieben mit besonders dringender Fertigung (z.B. Flagproduktion) brachte infolge sinkender Stundenleistung und zunehmender Ausschusszahlen nicht den ge- wünschten Erfolg371. Um den laufend steigenden Produktionsanforderungen dennoch gerecht zu werden, wurden immer drastischere Maßnahmen ergriffen: So kam es zu einem zuneh- menden Einsatz von Lazarett- und Gefängnisinsassen sowie Zwangsarbeitern (vorwiegend Franzosen und Italiener) und zu „Betriebsumsetzungen“, wobei z.B. der ganze Arbeiterstand eines Konsumindustriebetriebes in der Rüstungsindustrie eingesetzt wurde. Der Produktions- druck führte dazu, dass man begann, der Arbeitsunlust ausländischer Arbeitskräfte mit „Schnellverfahren“ zu begegnen (diese wurden angezeigt und mit 8 Wochen Arbeitserzie- hungslager bestraft).372

Im Jänner 1944 waren insgesamt 68.415 Arbeitskräfte in den steirischen Rüstungsbetrieben beschäftigt. Der „anerkannte“ unbedingte Mehrbedarf (der sich noch erhöhen sollte) belief sich auf 3.552 Arbeitskräfte.373 Die Veitscher Magnesitwerke AG geben ein Beispiel für den Beschäftigungsstand eines stei- rischen Rüstungsbetriebes im Jahr 1944: von den 1.529 Arbeitern waren 524 Ausländer elf verschiedener Nationalitäten: 174 Italiener, 154 „Ostarbeiter“, 54 französische Kriegsgefan- gene, 48 russische Kriegsgefangene, 46 Franzosen, 28 Ungarn, 5 Jugoslawen, 4 Polen, 3 Bul- garen, 3 Staatenlose, 2 Holländer, 2 Indochinesen und 1 Spanier.374

370 Vgl. SCHAUSBERGER, Rüstung, S. 134. 371 Vgl. Mf-T-77, R-743, 975322, zitiert nach KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 353. 372 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 352f, 355. 373 Vgl. Mf-T-77, R-743, 974960, zitiert nach ebd. S. 356. 374 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 341. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 88

8. Die Lebensbedingungen der ausländischen Arbeitskräfte

Da Lebensbedingungen waren von sehr vielen Faktoren abhängig. Mit dem ihnen zugewiese- nen Status waren die Schwere der Arbeit, die materielle Versorgung, Ernährung, Unterkunft, Arbeitszeiten, Entlohnung sowie die Art der Behandlung durch Vorgesetzte und Bewacher verbunden. Die Bedingungen, die für viele Gruppen lebensbedrohlich waren, waren allerdings auch massiv abhängig von der Region, den Wirtschaftssektoren, Branchen und Betrieben so- wie dem Zeitpunkt des Arbeitseinsatzes.375 Nicht zuletzt war ihr Los aber auch bestimmt von ihrem Verhältnis zu den Wachmannschaften und zur steirischen Bevölkerung.376

Die von den Nationalsozialisten vorgenommenen Kategorisierungen und die von zahlreichen anderen Bedingungen (u.a. Einsatzort) abhängigen Unterschiede machen es unmöglich, die Situation der ausländischen Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie pauschal zu beurteilen. Dennoch lässt sich verallgemeinernd sagen, dass der Arbeitseinsatz hart war – oft bis an die Grenzen der physischen Belastbarkeit ging, und die Gedanken sich zumeist nur um eines drehten - die nächste Mahlzeit377.

Unterbringung

Die verschiedenen Lagersysteme, die es in Österreich gab, unterschieden sich hinsichtlich der für sie zuständigen Behörden, der Bewachung, vor allem aber durch die unterschiedlichsten Lebens- und Arbeitsbedingungen. In den Lagersystemen der KZ, wo Häftlinge aus fast allen Ländern Europas festgehalten wurden, herrschten die schlechtesten Bedingungen. Sie standen unter der Verfügungsgewalt des Reichsführers SS, insbesondere der Inspektion der Konzent- rationslager bzw. des Wirtschafts- und Verwaltungs-Hauptamtes sowie des Reichssicher- heitshauptamtes378. Die Lagerbewachung erfolgte durch Angehörige der SS und der Wehr- macht. Ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich der Gestapo fielen die „Arbeitserziehungsla- ger“, wo bis Anfang April 1945 „faule Leute“ wegen Vertragsbruchs oder Arbeitsbummelei

375 Vgl. FREUND, Zwangsarbeit, S. 646f. 376 Vgl. PETSCHNIGG Edith, „The spirit of comradeship“. Britische Kriegsgefangene in der Steiermark 1941 bis 1945, in: BISCHOF Günter – KARNER Stefan – STELZL-MARX Barbara (Hrsg.), Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges. Gefangennahme – Lagerleben – Rückkehr. Wissenschaftliche Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Band 4. Wien 2005. S. 421. 377 Vgl. PETSCHNIGG, spirit, S. 428. 378 Vgl. HERBERT, Arbeit, S. 387. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 89 wieder „zur Arbeit erzogen“ werden sollten379 (in Graz z.B. „Arbeitserziehungslager Thon- dorf“380). Dort stellte die Polizei die Bewachung der vorwiegend ausländischen Zivilarbeiter und Zivilarbeiterinnen. Das umfangreiche Lagersystem für Kriegsgefangene hingegen wurde von der Wehrmacht kommandiert. Das umfassendste Lagersystem sowohl hinsichtlich der Anzahl der Gefangenen, als auch in Bezug auf seine Ausdehnung über ganz Österreich war das für zivile Ausländer.381 Unterschiedlich große Lagereinrichtungen prägten auch das Erscheinungsbild von Graz. Bis- her konnten in der Stadt fast zwanzig Lager, in denen Kriegsgefangene, zivile Zwangsarbeiter oder KZ-Häftlinge untergebracht waren, ausfindig gemacht werden.382 Es gab Lager, die zur Unterbringung ausländischer Arbeitskräfte dienten, die alle im gleichen Betrieb (etwa der Steyr-Daimler-Puch AG) zum Arbeitseinsatz kamen. In anderen Lagereinrichtungen hingegen wurden Arbeiter verschiedener Unternehmen bzw. Einsatzorte zusammengefasst.383 Zur Un- terbringung ausländischer Arbeitskräfte errichtete z.B. die Steyr-Daimler-Puch AG die Lager Murfeld I (Zufahrt Liebenauer Hauptstraße, Thondorf) und Murfeld II (Zufahrt Liebenauer Hauptstraße, Thondorf-Eichbachgasse) und die Firma Treiber das sogenannte, aus fünf Bara- cken bestehende „Treiberlager“.384 Das Lager Nord, Kapellenstraße, hingegen beherbergte u.a. 1942 500 Russen für die Maschinenfabrik Andritz, die Simmering-Graz-Pauker und die Waagner-Biró AG.385

Die rasseideologischen Kategorisierungen äußerten sich im Verbot der gemeinsamen Unter- bringung „germanischer“ und „fremdvölkischer“ Arbeiter, wobei für „germanische“ auch die Möglichkeit bestand, in Privatquartieren unterzukommen.386 Die Unterbringungen waren zwar sehr unterschiedlich, im Allgemeinen aber schlecht.387 Die Kriegsgefangenenlager mussten - um Fluchtversuchen vorzubeugen - mit einem zwei Meter hohen Drahtzaun umgeben sein388, ebenso die Lager der „Ostarbeiter“389. „Wir durften das Lager nicht verlassen, außerdem hatten wir Angst, das Lager zu verlassen. Das Lager war mit Stacheldraht umzingelt.“ Der Stacheldraht signalisierte Gefahr nicht nur

379 Vgl. StLA, Landesgericht für Strafsachen Graz, Vr-2458/1946 , S. 238, zitiert nach STELZL, Lager, S. 359. 380 Vgl. STELZL, Lager, S. 359. 381 Vgl. FEICHTLBAUER, Zwangsarbeit, Klappentext. 382 Vgl. STELZL, Lager, S. 353, 355. 383 Vgl. STIEBER Gabriella, Displaced Persons – Ausländerlager in Graz, in: Bouvier F. – Valentinitsch H. (Red.), Graz 1945. Historisches Jahrbuch der Stadt Graz, Bd. 25, S. 242f; OSTERLOH Jörg, Ein ganz normales Lager. Das Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlager 304 (IV H) Zeithain bei Riesa/Sa. 1941 bis 1945, Schrif- tenreihe der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft, Band 2. Leipzig 1997, S. 39f, zitiert nach ebd. S. 354. 384 Vgl. STELZL, Lager, S. 359, 361. 385 Vgl. Mf-T-77, R-743, 973869, KTG, 9.2.1942, zitiert nach ebd. S. 355. 386 Vgl. HERBERT, Fremdarbeiter, S. 100. 387 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 341. 388 Vgl. Mf-T-77, R-741, 1.972.120, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 86. 389 Vgl. HERBERT, Fremdarbeiter, S. 156. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 90 der einheimische Bevölkerung, sondern auch den dahinterlebenden „Ostarbeitern“ – Gefahr vor einer feindlichen „deutschen“ Außenwelt.390

(...)Jede der Baracken bestand aus zwei Zimmern, wo jeweils zwanzig Personen untergebracht werden konnten. Als Schlafstätten dienten einfache Holzpritschen in der Form von Zweistockbetten. Matratzen und Polster waren mit Stroh ge- füllt.391 Trotz der keinen Holzöfen war es im Winter sehr kalt392 (...)

Bild 10: „Ostarbeiterinnen“ am Fabriksgelände der Lapp-Finze AG

Quelle: Knoll, Zwangsarbeit, S. 127.

Bei der Lapp-Finze AG in Kalsdorf bei Graz (der heutigen Roto Frank Eisenwarenfabrik AG), erfolgte die Unterbringung der Arbeiter gemäß den NS-Rassenhierarchien getrennt nach den verschiedenen Nationalitäten: Die französischen Zivilarbeiter wurden in einer eigenen Baracke beim Gasthof Josef Pendl (heute Geschäft Biedermann) untergebracht. Das Quartier der britischen Kriegsgefangenen befand sich in einem gemauerten Haus am Fabrikgelände. Für die „Ostarbeiter“ waren hingegen eigens drei Baracken am Fabrikgelände (eine für Män-

390 Vgl. RIEF Silvia, Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit, Die Steyr-Werke und das KZ Gusen. Der National- sozialismus und seine Folgen, Band 2. Innsbruck 2005. S. 99 391 Vgl. KNOLL Harald – RUGGENTHALER Peter – STELZL-MARX Barbara, Zwangsarbeit bei der Lapp- Finze AG, in: KARNER Stefan – RUGGENTHALER Peter – STELZL-MARX Barbara (Hrsg.), NS- Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie. Die Lapp-Finze AG in Kalsdorf bei Graz 1939-1945. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Band 8. Graz 2004. S. 127. (AdBIK, Interview, Elena Burlakova, Krasnyj Sulin, 4.7.2001, Interview Fil’, Interview, Zinaida Fomenko, Novocerkassk, 3.7.2001, Interview Kopylova, Interview Zganjar, Interview Viets) 392 Ebd. S. 128. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 91 ner, zwei für Frauen) errichtet worden, die – wie gesetzlich vorgeschrieben - mit Stacheldraht umgeben waren. 393

Bild 11: Das Firmengelände der Lapp-Finze AG 1938

Quelle: Hafner, Zwangsarbeit, S. 65.

Behandlung und Bewachung durch das Lagerpersonal

Für die Bewachung der Kriegsgefangenenlager war die Wehrmacht zuständig. Die Lagerauf- sicht stand unter der Leitung eines Lagerkommandanten, dem mehrere Offiziere – darunter auch ein Abwehroffizier – zur Seite standen.394 Um es Wachen und Offizieren zu ermögli- chen, mit den Gegebenheiten besser zurechtzukommen, wurden laufend Ausbildungskurse über die Behandlung von Kriegsgefangenen abgehalten395. Infolge der zunehmenden Abstel- lungen des Wachpersonals an die Front wurden während des Krieges auch vermehrt Hilfs- wachmannschaften (die einen Treueeid ablegen mussten) herangezogen.396 Änderungen der Bestimmungen über die Behandlung der Kriegsgefangenen führten z.B. da- zu, dass bei den französischen Kriegsgefangenen die Bewachungsbestimmungen gelockert wurden: Ab Oktober 1941 standen sie auf dem Weg zu den Einsatzorten und auch während

393 Vgl. KNOLL, Zwangsarbeit, S. 126f. 394 Vgl. IMT-Bd. X, S. 622, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 43. 395 Vgl. IMT-Bd. X, S. 629, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 44. 396 Vgl. DÖW-Nr. 8440, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz; S. 138. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 92 der Arbeit unter der Führung eines französischen Unteroffiziers, was nicht zuletzt infolge der Einsparung von Wachmannschaften auch der deutschen Wehrmacht zugute kam. 397 Im Laufe des Krieges gewann - infolge der zunehmenden Einziehung auch des Wachperso- nals zum Frontdienst - die Selbstverwaltung unter den Kriegsgefangenen immer mehr an Be- deutung - wodurch sich die Situation für diese großteils verbesserte. Von den Gefangenen wurden Vertrauensleute gewählt, die mit den Lagerorganen in Verbindung standen. Von ent- scheidender Bedeutung war das Verhältnis, das zu den Lagerorganen aufgebaut werden konn- te bzw. auch deren politische Einstellung.398

Am 16. Juni 1941 und am 8. September 1941 wurden vom Oberkommando der Wehrmacht eigene Bestimmungen für die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener erlassen, wonach der im Kampf gegen den Nationalsozialismus stehende „ (...) bolschewistische Soldat jeden Anspruch auf Behandlung als ehrenhafter Soldat verloren (...)“ habe.399

Ebenso wie das Verhalten der Bevölkerung gegenüber Kriegsgefangenen generell sehr unter- schiedlich war, war auch das Verhalten der Wachmannschaften. Vielfach gingen die Wach- mannschaften brutal und unmenschlich vor400, daneben gab es aber auch (vereinzelt) ein von NS-Reglementierungen abweichendes Verhalten: So kam es vor, dass Wachsoldaten in öf- fentlichen Gaststätten mit den Kriegsgefangenen Karten spielten und stillschweigend übersa- hen, wenn den Gefangenen Zigaretten, Lebensmittel oder Sonstiges zugesteckt wurde401. In einem Gestapobericht vom 8.1.1940 wurde berichtet, dass ein Unteroffizier der Bewa- chungsmannschaft einen polnischen Kriegsgefangenen ausgerechnet in eine Parteiversamm- lung mitnahm. Dem Standartenführer, der den Unteroffizier zur Rede stellte, gab dieser zur Antwort, sie seien eben Österreicher und da sei auch die Behandlung der Gefangenen gemüt- licher402. Obwohl solche Vorkommnisse Ausnahmen darstellten, kann aufgrund des Ver- gleichs der Todeszahlen davon ausgegangen werden, dass die Behandlung und die Situation der Kriegsgefangenen im Allgemeinen in der „Ostmark“ etwas besser war403.

Im Herbst 1944 kam es zu einer Neuorganisation des Kriegsgefangenenwesens. Nachdem Himmler bereits seit langem versucht hatte, das Kriegsgefangenenwesen in seine Hände zu bekommen, wurde ihm dieses im Oktober (mit Ausnahme der britischen und amerikanischen

397 Vgl. DÖW-Nr. 8440, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 53. 398 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 70f. 399 Vgl. DÖW-Nr. 8440, zitiert nach ebd. S. 170f. 400 Vgl. Mf-T-84, R-14, 40615e, Tagesrapport der Geheimen Staatspolizei Wien, 18.12.1939, zitiert nach GAT- TERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 255. 401 Vgl. Mf-T-84, R-14, 40615e, Tagesbericht der Geheimen Staatspolizei Wien, 18.12.1939, zitiert nach GAT- TERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 255. 402 Vgl. Mf-T-84, R-14, 41515, Tagesbericht der Geheimen Staatspolizei Wien, 8.1.1940, zitiert nach GAT- TERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 255f. 403 Vgl. SPECKNER, Kriegsgefangenenlager, S. 346. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 93

Kriegsgefangenenlager) überantwortet. Mit den Kommandeuren des Kriegsgefangenenwesens der Waffen-SS404 begann nicht nur eine Willkürherrschaft über die Kriegsgefangenen, son- dern auch der Aufbau eigener Wirtschaftsunternehmungen.405 „Ostarbeiterlager“ wurden von Lagerführern rund um die Uhr bewacht, nachts wurde des öf- teren kontrolliert, ob alle auf ihren Plätzen waren.406

Organisation des Arbeitseinsatzes

Für den Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen waren das Oberkommando des Heeres und das Reichswirtschaftsministerium verantwortlich. Grundlegende Verordnungen und Richtlinien wurden vom Oberkommando des Heeres erlassen.407 Die Mehrzahl der Kriegsgefangenen wurde Arbeitskommandos zugewiesen, sodass nur ein geringer Teil von ihnen im Stalag ver- blieb.408 Die Landesarbeitsämter waren als untergeordnete Stellen des Reichsarbeitsministeriums (spä- ter des „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz“) die bearbeitenden Stellen für den Arbeitseinsatz.409 Dies sah in der Praxis folgendermaßen aus: Die Unternehmer richteten ihre Ansuchen um Zuteilung von Arbeitskräften an die lokalen Arbeitsämter, die die Gesuche an die zuständigen Landesarbeitsämter weiterleiteten. Diese forderten daraufhin beim Wehr- kreiskommando die Arbeitskräfte an und bekamen sie je nach Bedarf zugeteilt.410 Da Kriegs- gefangene nur in Betrieben eingesetzt wurden, die die erforderlichen Bedingungen und Si- cherheitsbestimmungen erfüllten, hatten kleinere Unternehmen oft das Nachsehen.411 Der Einsatz der ausländischen Arbeitskräfte wurde von den Prioritäten der Kriegswirtschaft, den Qualifikationsanforderungen und vor allem von den den einzelnen Nationalitäten rassis- tisch zugeschriebenen Fähigkeiten bestimmt.412

404 Vgl. IMT-Bd. XX, S. 335, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 46. Da nach internationalen Bestimmungen Polizeikräfte nicht zur Verwaltung des Kriegsgefangenwesens eingesetzt werden durften, wurden höhere SS- und Polizeiführer in die Waffen-SS übernommen und zu Kommandeuren des Kriegsgefangenenwesens in den Wehrkreisen ernannt. 405 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 45f. 406 Vgl. KNOLL, Zwangsarbeit, S.129 (AdBIK, Interview Fil). 407 Vgl. IMT-Bd. XVIII, S. 38 und Bd. XI, S. 192, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 43. 408 Vgl. PETSCHNIGG, spirit, S. 423. 409 Vgl. IMT-Bd. X, S. 628, zitiert nach GATTERBAUER; Arbeitseinsatz, S. 44. 410 Vgl. IMT-Bd. X, S. 628 zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 45. 411 Vgl. Mf-T 77, R-743, 1 974 037, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 30. 412 Vgl. FREUND, Zwangsarbeit, S. 660. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 94

Dass die Arbeitsmarktsituation zu einem stetigen Anstieg des Einsatzes von Kriegsgefange- nen (Kgf.) in den Rüstungsbetrieben auch im Bereich des Rüstungskommandos Graz führte, wird anhand der statistischen Aufstellung aus dem Jahr 1941 deutlich:

1800

1500

1200

900

600

300

0 Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41 41

Diagramm 3: Anzahl der Kriegsgefangenen in den Rüstungsbetrieben des Rüstungs- kommandos Graz (eigene Darstellung) Quelle: Gatterbauer, Arbeitseinsatz, S. 299

31.1.1941: 0 Kgf., 28.2.1941: 447 Kgf., 31.3.1941: 908 Kgf., 30.4.1941: 995 Kgf., 31.5.1941: 748 Kgf., 30.6.1941: 854 Kgf., 31.7.1941: 854 Kgf., 31.8.1941: 853 Kgf., 30.9.1941: 850 Kgf., 31.10.1941: 1.434 Kgf., 30.11.1941: 1639 Kgf., 31.12.1941: 1.968 Kgf. Mit 1.968 Kriegsgefangenen Ende 1941 betrug ihr Anteil in der steirischen Rüstungsindustrie 4,4 Pro- zent.413

Wegen der Fluchtgefahr war im Wehrkreis XVIII der Einsatz serbischer Gefangener strengs- tens untersagt (diese wurden im Wehrkreis XVII eingesetzt).414 Im Oktober 1941 wurde zwischen dem Oberkommando der Wehrmacht und dem Reichsar- beitsministerium die Vereinbarung getroffen, sowjetische Kriegsgefangene lediglich für Ar- beiten im Metall-, Bau- und Forstbereich einzusetzen.415 Bereits im November 1941 wurde von Göring – auf Anregung Speers - ihr Einsatz auch in der Rüstungsindustrie angeordnet, wo

413 Vgl. Mf-T-87, R-743, 1 974 053; zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 299. 414 Vgl. Mf-T-77, R-739, 1 967 217; zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 301. 415 Vgl. PFAHLMANN, Fremdarbeiter, S. 57. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 95 sie vor allem in der Panzer- und Geschützproduktion und im Flugzeugteilbau eingesetzt wur- den.416 Abgesehen von den gefährlichen Sonderkommandos rettete diese Entscheidung vielen Gefangenen das Leben, denn nun stand nicht mehr die sinnlose Vernichtung im Vordergrund, sondern die Arbeitsleistung für die deutsche Wirtschaft.417 Signifikant ist der Unterschied, den es hinsichtlich des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte innerhalb der steirischen Betriebe gab. Gelang es Unternehmen, die durch die laufenden Ein- berufungen zur Wehrmacht entstandenen Lücken mit dem Einsatz ausländischer Arbeitskräfte notdürftig zu schließen bzw. mussten sogar Einbussen hingenommen werden, konnten Betrie- be der Alpine Montan wie die Hüttenwerke Kindberg, Krieglach und Judenburg oder der Kohlenbergbau Köflach durch den intensiven Einsatz ausländischer Arbeitskräfte sogar eine wesentliche Erweiterung ihres Arbeitskräftepotentials verzeichnen. Kindberg, Krieglach und Judenburg stellten zudem eine Ausnahme dar, als sie ihren Stand an einheimischen Arbeitern halten konnten. Mit Ausnahme von Krieglach und Eisenerz dominierten in den steirischen Alpine Montanbetrieben einheimische Arbeiter. Der Einsatz sowjetischer Gefangener kon- zentrierte sich bei den steirischen Betrieben der Gesellschaft auf Kindberg (62 %), Köflach (45 %) und Donawitz (9 %).418

Abgesehen vom physischen und psychischen Zustand der Gefangenen waren Arbeitswille und Arbeitseinsatz stark von ihrer allgemeinen Einstellung zum Krieg abhängig. Für die einen war der Krieg zu Ende. Sie hatten in diesen Krieg ziehen müssen, und jetzt mussten sie eben ar- beiten. Für andere hingegen ging der Krieg in den Betrieben weiter, und sie versuchten mit allen Mitteln, den „Feind“ weiterhin zu bekämpfen.419 Ein Großteil der Sabotageaktionen ging auf das Konto der „Antihitler-Bewegung“420, der bedeutendsten Widerstandsgruppe un- ter den Kriegsgefangenen der „Ostmark“, die in den Händen sowjetischer Gefangener lag und der die Gestapo fieberhaft versuchte, auf die Spur zu kommen. Der unmittelbare Zusammen- hang zwischen Arbeitsleistung und Behandlung zeigt sich am Beispiel der französischen und belgischen Gefangenen, die nicht zuletzt aufgrund ihrer weitgehenden Bewegungsfreiheit die beste Arbeitsleistung aufwiesen. Die letzte Stelle bei der Beurteilung der Arbeitsleistung nahmen hingegen britische und sowjetische Gefangene ein. Der Grund für die schlechte Ar- beitsleistung der Briten lag an deren Überzeugung, dass Deutschland den Krieg verlieren würde. Es war sozusagen ihr Beitrag zum Kampf gegen den Feind. Die sowjetischen Gefan- genen hingegen wären zwar willig gewesen, aber körperlich in einer zu schlechten Verfas- sung.421

416 Vgl. IMT-Bd. XVII, S. 57; zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 63. 417 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 65. 418 Vgl. ebd. S. 322, 326. 419 Vgl. ebd. S. 263. 420 Vgl. DÖW-Nr. 8477, S. 3f zitiert nach ebd. S. 270ff. 421 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 263, 265. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 96

Behandlung am Arbeitsplatz

Die ausländischen Arbeitskräfte aus Nord- und Westeuropa und die Angehörigen der verbün- deten Staaten und der Satellitenstaaten waren am Arbeitsplatz den einheimischen Arbeitern weitgehend gleichgestellt.422 Die Bedingungen für Kriegsgefangene am Arbeitsplatz waren sehr unterschiedlich und wur- den im Wesentlichen von den Soldaten der Wachmannschaften bestimmt. Teilweise standen die Kriegsgefangenen unter der Aufsicht sadistischer Wachmannschaften, die eine nachlas- sende Arbeitsleistung mit Hieben bestraften. Zu ihrer Einstellung, im Gefangenen lediglich ein Arbeitstier zu sehen, hatte die nationalsozialistische Propaganda entscheidend beigetra- gen. Hatten auch nicht alle Soldaten so brutale Behandlungsmethoden, so gelang es doch nur einem kleinen Teil von ihnen, persönliche Kontakte zu den Gefangenen aufzubauen.423 Vor allem die sowjetischen Kriegsgefangenen, denen ohnehin angemessene Verpflegung, Behausung, Kleidung und ärztliche Versorgung versagt wurden, die misshandelt, gefoltert und menschenunwürdigen Erniedrigungen ausgesetzt wurden, wurden auch zur Arbeit unter größtenteils unmenschlichen Bedingungen gezwungen. Um ihren Kontakt zur einheimischen Bevölkerung nach Möglichkeit zu unterbinden, durften sie nur in einem geschlossenen Kom- mando von zwanzig Arbeitern eingesetzt werden424.

Den Auswirkungen auf die Arbeitsmoral nach der militärischen Wende bei Moskau und der Schlacht von Stalingrad versuchten die Nationalsozialisten dadurch entgegenzusteuern, dass sie begannen, „Ostarbeiter, die sich besonders „verdient“ gemacht hatten, auszuzeichnen („Ost“-Abzeichen auf dem linken Oberarm bzw. ab Juni 1944 „landmannschaftliche Moti- ve“).425

422 Vgl. SAUL, Gesichter, S. 10. 423 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 115. 424 Vgl. IMT Dok.: 1193-PS, Bd. XXVII, S. 57, zitiert nach ebd. S. 173. 425 Vgl. KARNER, Kategorien, S. 48. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 97

Bild 12: „Bewährte Ostarbeiter tragen ihr Ost auf dem linken Ärmel“ Quelle: Knoll, Zwangsarbeit, S. 139.

Antonia Kopylova, geborene Michajlova, die als junges Mädchen als „Ostarbeiterin“ bei Lapp-Finze in Kalsdorf eingesetzt war, liefert ein Beispiel für die Schlechterstellung der „Ostarbeiter“ in der Industrie. Obwohl sie bereits damals an einer Sehschwäche litt, wurde sie zur Mithilfe bei Schweißarbeiten eingeteilt. Sie erhielt jedoch, im Gegensatz zum britischen Kriegsgefangenen, der das Schweißgerät bediente, keine Schutzbrille. - Heute ist sie fast blind.426

Ernährung

Die Arbeiter „germanischer“ und „nichtgermanischer“ Abstammung, die „Westarbeiter“ er- hielten die gleichen Ernährungs- und Verpflegungssätze wie die einheimischen Arbeiter.427 Aufgrund der allgemeinen Lebensmittelknappheit, des Mangels an eiweiß- und vitaminreicher Nahrung428 litten aber fast alle in der Rüstungsindustrie eingesetzten Arbeiter permanent an Hunger429. Mit Kriegsbeginn war die Rationierung von Lebensmitteln und anderen Bedarfsar- tikeln (Kohle, Schuhe, ...) eingeführt worden, und es mangelte – abgesehen vom Nahrungs- entzug, dem Menschen im „Dritten Reich“ ausgesetzt waren – an regelmäßig verfügbaren,

426 Vgl. KNOLL, Zwangsarbeit, S. 145f. 427 Vgl. KARNER, Zwangsarbeit, S.41. 428 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 88. 429 Vgl. SAUL, Gesichter, S. 19. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 98 frei wählbaren und qualitativ wie quantitativ ausreichenden Nahrungsmitteln.430 Luckett, ein englischer Kriegsgefangener, der in einem Arbeitskommando in Radmer im Einsatz war, er- innert sich, dass sie zu Mittag lediglich eine halbflüssige Suppe erhielten, die entweder aus Kohl oder Kartoffeln zubereitet wurde, manchmal auch gedünstete Rüben: „(...) they were very woody and totally inedible, and very sour (...)“.431 Das Essen wurde, wenn keine Sitzge- legenheit vorhanden war, im Stehen eingenommen. Die Mittagspause dauerte höchstens zwanzig Minuten. Abends gab es wieder Suppe; an arbeitsfreien Tagen jedoch nur eine Mahl- zeit – Suppe.432

Bei Lapp-Finze in Kalsdorf wurde z.B. den „Ostarbeitern“ an Wochenenden zeitweise er- laubt, den örtlichen Bauern – vor allem bei der Erntearbeit – zu helfen, womit sie sich zusätz- liche Mahlzeiten „erarbeiten“ konnten (meist erhielten sie Kartoffeln).433

In einem Merkblatt für die Behandlung von Kriegsgefangenen beim Arbeitseinsatz im Be- reich des Stalag 306 (XVIII D) hieß es: Die Verpflegung sollte so ausreichend sein, dass die volle Arbeitskraft erhalten bleibe.434 Nationalität und Arbeitseinsatzbereich bestimmten den Verpflegungssatz.435. Für die Kriegsgefangenen stellten die Lebensmittelpakete, die ihnen durchschnittlich einmal pro Woche vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes ausge- händigt wurden, eine ganz wesentliche zusätzliche Versorgungsquelle dar.436 Bei Kriegsge- fangenen, die in einem Betriebslager untergebracht waren, hatte der Unternehmer für die Ver- pflegung aufzukommen. Dafür durfte er 0,80 bis 1,20 RM/Tag vom Entgelt der Kriegsgefan- genen abziehen.437 Anders war die Situation für sowjetische Kriegsgefangene: qualitativ und quantitativ schlech- te Nahrung sollte dazu beitragen, die „Untermenschen“ durch Verhungern auszurotten. 438 Infolge des immer kritischer werdenden Arbeitskräftemangels und der Einsicht, dass von aus- gehungerten, geschwächten Menschen keine normale Arbeitsleistung erwartet werden konnte, bestimmte Sauckel in einem Erlass vom 24. März 1942 höhere Verpflegungssätze für sowjeti- sche Kriegsgefangene.439 Dieselbe Verpflegung wie Kriegsgefangene anderer Länder erhiel- ten die sowjetischen allerdings erst ab August 1944.440

430 Vgl. SANDGRUBER, Ökonomie, S. 436. 431 Vgl. IWM, D.W.Luckett (90/4/1), S. 31, zitiert nach PETSCHNIGG, spirit, S. 431. 432 Vgl. PETSCHNIGG, spirit, S. 431. 433 Vgl. KNOLL, Zwangsarbeit, S. 135. 434 Vgl. StLA, ZGS, Strafgefangenenlager, Kt. 1. Merkblatt für die Behandlung von Kriegsgefangenen beim Arbeitseinsatz im Bereich des Stalag 306 (XVIII D) vom 1.6.1941, zitiert nach PETSCHNIGG, spirit, S. 430. 435 Vgl. KARNER, Kategorien, 50ff. 436 Vgl. PETSCHNIGG, spirit, S. 431. 437 Vgl. ENDERLEIN Kurt – RIEDEL Fritz, Die Preisbildung beim Einsatz von Kriegsgefangenen und Auslän- dern in der Bauwirtschaft. Wien 1942. S. 71. 438 Vgl. IMT-Bd. XVII, S. 67, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 89. 439 Vgl. PFAHLMANN, Fremdarbeiter, S. 194. 440 Vgl. IMT-Bd. XV, S. 54, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 90. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 99

1942 wurden auch die Verpflegungssätze für Ostarbeiter verbessert - zudem sollten eine Lohnerhöhung durch Verringerung der Ostarbeiterabgabe, die Entfernung des Stacheldraht- zaunes bei den Quartieren und die Einrichtung eines Postverkehrs indirekt zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit beitragen.441

Entlohnung

Bestrebungen, nach den strafrechtlichen Sonderbestimmungen, auch die Arbeitsbedingungen der Polen - unter Durchsetzung des Herrenmenschenprinzips und Görings Forderung nach billigen Arbeitskräften – zu vereinheitlichen, führten am 5.August 1940 zur Einführung der „Sozialausgleichszulage“ („Polen-Abgabe“). Durch die 15 %ige Ausgleichszulage, die von den Unternehmen an den Staat abgeführt werde musste, spielte der Aspekt der „Billigkeit“ der Polen nun nicht mehr die hervorragende Rolle, und der Schwerpunkt der Ausbeutung verla- gerte sich vom Arbeitslohn zu den Arbeitsbedingungen (v.a. Arbeitszeit). In der Folge wurde die arbeitsrechtliche Diskriminierung der Polen durch zahlreiche Einzelerlasse weiter ver- schärft: Ab November 1941 wurden Polen nur für die tatsächlich geleistete Arbeit bezahlt, es galt für sie jeweils die niedrigste Tarifordnung und es durften ihnen keine Zulagen gezahlt werden442.443 Auch die Tarifregelungen für „Ostarbeiter“ sahen vor, die Entlohnung so gering wie möglich zu halten. Sie sollten den Unternehmern als billige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Aus- gehend vom Lohn, den ein einheimischer Arbeiter erhielt, wurde dieser durch die „Ostarbei- tersteuer“ so weit herabgesetzt, dass der Monatslohn nicht mehr als etwa 50 RM betrug. Da- von wurden noch Unterkunft und Verpflegung abgezogen, sodass den „Ostarbeitern“ im End- effekt so gut wie nichts übrig blieb. Höhere Arbeitsleistung bedeutete einen höheren Ver- dienst, ein höherer Verdienst bedeutete höhere Steuern (alles über 17 RM wöchentlich wurde vollständig versteuert444). Zur Steigerung des Leistungswillens und der Anwerbungszahlen wurden die Löhne dann durch eine neue Regelung im Juni 1942 leicht angehoben und höhere Arbeitsleistungen berücksichtigt. Lohn erhielten auch die Ostarbeiter nur für tatsächlich ge- leistete Arbeitsstunden. Erhielt z.B. ein vergleichbarer einheimischer Arbeiter einen Brutto- lohn von 360,00 bis 367,50 RM, betrug der in Tabellen festgesetzte Nettolohn für den „Ostar- beiter“ 129,00 RM. Der Nettolohn minimierte sich durch den Abzug der Kosten für Unter-

441 Vgl. PFAHLMANN, Fremdarbeiter, S. 147. 442 Vgl. RABl 1941, S. 1448, AO des RAM vom 5.10.1941, zitiert nach HERBERT, Fremdarbeiter, S. 93. 443 Vgl. HERBERT, Fremdarbeiter, S. 92f. 444 Verordnung des Reichsarbeitsministers über die Besteuerung und die arbeitsrechtliche Behandlung der Ar- beitskräfte aus den neu besetzten Ostgebieten (StVA Ost) vom 20.1.1942, RGBl. I, S. 41. RStBl 1942, S. 49, zitiert nach ebd. S. 172. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 100 bringung und Verpflegung auf 84,00 RM. Dieser Betrag verringerte sich allerdings nochmals durch den Abzug der Kosten für Bekleidung usw. Außerdem wurde der Betrag oft in Form eines Lagergeldes ausbezahlt.445

Die Kriegsgefangenen nahmen bei der Entlohnung eine Sonderstellung ein, da nicht der Kriegsgefangene in ein Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmer eintrat, sondern der Unter- nehmer Vertragspartner des Stammlagers wurde, wodurch keine direkte Entlohnung vom Be- trieb erfolgte. Aufgrund der vertraglichen Verpflichtungen hatte der Unternehmer, die für Kriegsgefangene festgesetzten Vergütungssätze an das Stammlager abzuführen. Dieses zahlte den nach allen Abzügen verbliebenen Rest des Lohns in Form eines eigenen Lagergeldes aus oder er wurde gutgeschrieben.446 Beim Arbeiteinsatz in der Industrie und der gewerblichen Wirtschaft erhielt der Kriegsgefan- gene 60 % des tariflichen Lohnsatzes. Da der inländische Hilfsarbeiter in der Regel 0,55 RM/Stunde erhielt, bedeutete die Regelung für den Kriegsgefangenen einen Stundenlohn von 0,33 RM. Auch der Facharbeiterlohn betrug 60 % des ortsüblichen Facharbeitertarifs. Die oberste Grenze bei Akkordlöhnen, die im Interesse der Erzielung möglichst guter Leistungen ausbezahlt wurden, wurde bei Hilfsarbeitern mit 0,43 RM/Stunde festgesetzt.447 Auch bei schnellster und bester Arbeit erhielt der Kriegsgefangene demnach weniger als der inländi- scher Arbeiter bei normaler Arbeitsleistung. Mit September 1943 galten für Akkordlöhne neue Bestimmungen, wonach der Kriegsgefangene 40 % des errechneten Akkordverdienstes ausbezahlt bekam, 10 % an das Stammlager abzuführen waren, und der Restbetrag vom Un- ternehmer für Unterkunft und Verpflegung einbehalten werden konnte.448 Denn üblicherweise hatte der Unternehmer für Unterkunft, Verpflegung, Arbeitskleidung und alle Nebenkosten wie Transport, Aufsicht, Dolmetscher usw. aufzukommen. Wurde Unter- kunft und Verpflegung hingegen von der Wehrmacht gestellt, hatte das Unternehmen festge- legte Entschädigungssätze an das Stammlager zu entrichten.449 Sowjetische Kriegsgefangenen, die in den elendsten Unterkünften untergebracht waren und die schlechteste und unzureichendste Verpflegung erhielten, bekamen mit 0,20 RM/Stunde (auch für eine Facharbeitertätigkeit) nur 36 % des Arbeitslohnes eines inländischen Hilfsar- beiters.450 Erst ab September 1943 war es auch ihnen möglich, Leistungszulagen in der Höhe von 0,30 RM/Stunde zu erhalten.451

445 Vgl. HERBERT, Fremdarbeiter, S. 172f. 446 Vgl. ENDERLEIN Kurt – RIEDEL Fritz, Die Preisbildung beim Einsatz von Kriegsgefangenen und Auslän- dern in der Bauwirtschaft. Wien 1942. S. 24. 447 Vgl. ebd. S. 71. 448 Vgl. PFAHLMANN, Fremdarbeiter, S. 182. 449 Vgl. ENDERLEIN, Preisbildung, S. 28, 71. 450 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 82.. 451 Vgl. PFAHLMANN, Fremdarbeiter, S. 182. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 101

Um die Arbeitsmoral zu verbessern, versuchten viele steirische Betriebe die Kriegsgefange- nen-Löhne durch Geld- und Sachzuwendungen etwas aufzubessern. Ab Oktober 1942 konn- ten Unternehmen sowjetischen Kriegsgefangenen, die sich durch Fleiß und Zuverlässigkeit ausgezeichnet hatten, freiwillige Leistungszulagen bis zu 20 Pfennig/Arbeitstag zukommen lassen.452 Die zunehmende Bedeutung der Kriegsgefangenen als Arbeitskräfte-Ersatz in den Rüstungsbetrieben zeigt der Aufruf Speers vom 23. Dezember 1943, in dem er die „Betriebs- führer“ aufforderte, die Entlohnung der Kriegsgefangenen ihren Leistungen anzupassen und ihnen die Möglichkeit zu geben, mit dem Geld Gegenstände des persönlichen Bedarfs zu er- werben.453 Dass die Kriegsgefangenen in den Wehrkreisen XVII und XVIII auch verstärkt zu Bauarbei- ten herangezogen wurden, ist auf den umfangreichen Aus- und Neubau von Rüstungsbetrie- ben zurückzuführen.454

Freizeitgestaltung

Die ausländischen Arbeitskräfte „germanischer“ Abstammung waren ebenso wie Wallonen und Franzosen und die Angehörigen verbündeter Staaten und Satellitenstaaten am Arbeits- platz und in der Freizeit weitgehend den inländischen Arbeitern gleichgestellt.455 Neben der Tatsache, dass es kaum Freizeitgestaltungsmöglichkeiten gab, ließ die anstrengen- de Arbeit einer interessanten Freizeitgestaltung im Allgemeinen ohnehin wenig Raum. An den arbeitsfreien Sonntagen (bei einem Arbeitskommando in Radmer war z.B. nur jeder zwei- te Sonntag arbeitsfrei) nahmen Reinigungsarbeiten im Lager, die Reinigung der Bekleidung und die Körperpflege einen Großteil der Freizeit in Anspruch. Baden (oft der ausschließliche Wunsch) fand unter katastrophalen hygienischen Bedingungen statt: die gesamte Mannschaft eines Zimmers (etwa 38 Mann) musste in einem Wasser baden: „(...) so those who were at the back of the queue had some very thick water to bathe (...)456.“457 In manchen Lagern hatten Kriegsgefangene die Gelegenheit, in Sammelräumen die propagan- distischen Sendungen des nationalsozialistischen Deutschlands zu hören. Ob sie diesem „An- gebot“ großes Interesse entgegenbrachten, ist allerdings fraglich. Neben diversen allgemeinen Lagerzeitungen wie z.B. „The Camp“ (für Engländer), „Oversea-kid“ (für Amerikaner) oder

452 Vgl. Mf-T-77; R-743, 974309, zitiert in KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 339f. 453 Vgl. Mf-T-77, R-743, 974849. zitiert nach KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 340. 454 Vgl. BA, R 41/166, fol. 23; zitiert nach FREUND, Fremdarbeiter, S. 318. 455 Vgl. SAUL, Gesichter, S. 10. 456 Vgl. IWM, D.W. Luckett (90/4/1), S. 27, zitiert nach PETSCHNIGG, spirit, S. 435. 457 Vgl. PETSCHNIGG, spirit, S. 434f. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 102

„Ilustrovane Novine“ (für Serben), die in erster Linie Propagandazwecken dienten, erschienen auch lokale, auf die jeweiligen Lager zugeschnittene. Von der Möglichkeit, eigene Beiträge einzubringen, wurde von den Gefangenen kaum Gebrauch gemacht. Außerdem verlor die Presse durch die Zensur der Abwehr viel an Bedeutung.458

Kontakt zur Zivilbevölkerung

Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter gehörten zunehmend zum Alltag der einheimi- schen Bevölkerung.

„Ständig waren ca. 45 Mann in Kalsdorf unter militärischer Bewachung. Zwei Jahre waren die Franzosen hier. Sie waren auch sehr arbeitsam. (...) Sonntags (...) blieben sie zu Hause bei Pendl, wo sie auch eine eigene Küche hatten und fei- erten. (...) Samstags verschwanden in Kalsdorf immer drei oder vier Katzen. Ge- legentlich hatten sie sonntags Gottesdienst und nachmittags Konzert. Von den Puchwerken kam manchmal eine eigene französische Kapelle“.459 Aus der Chronik der Pfarre Karlsdorf.

Mit den französischen Kriegsgefangenen hatte sich auch das Problem der Beziehungen zwi- schen der einheimischen Bevölkerung und den Ausländern für die Behörden verschärft. Das Verbot jeglichen Kontakts zur einheimischen Bevölkerung - soweit er durch die Arbeit nicht unumgänglich war - ließ sich bei den Franzosen noch weniger durchsetzten als bei den polni- schen Arbeitern. Der anfängliche Einsatz der Kriegsgefangenen in Arbeitskolonnen wurde bald durch die Verteilung auf Arbeitskommandos abgelöst. Dadurch wurde es unmöglich, den Kontakt mit der Bevölkerung zu unterbinden. Eine einheitliche Politik wurde von Seiten der NS-Behörden nicht verfolgt: Einerseits wurden die Bestimmungen für Franzosen ständig ge- lockert, andererseits versuchte man den Bruch des Kontaktverbots mit zum Teil drakonischen Strafen zu ahnden. Da eine nachhaltige Durchsetzung der Bestimmungen nicht möglich war, wurden exemplarisch und mit großem Propagandaaufwand harte Strafen verhängt. Sie basier- ten nicht nur auf der NS-Ideologie von der Reinhaltung des Blutes, sondern auch auf der Furcht vor den Folgen, die ein zu enger Kontakt zwischen den „Ausländern“ und der einhei-

458 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 106f. 459 Vgl. Chronik der Pfarre Kalsdorf; Rupnik, Geschichtsfragmente Kalsdorf, zitiert nach KNOLL, Zwangsar- beit, S. 126. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 103 mischen Bevölkerung mit sich bringen könnte, wie etwa die Hilfe zu Fluchtvorbereitungen, verbotene Nachrichtenübermittlung und Sabotagehandlungen460.461 Der Umgang mit Kriegsgefangenen wurde ein einfaches Mittel, unbeliebte Nachbarn oder Kollegen anzuzeigen. Man wusste nicht mehr, wem man trauen konnte - auch hinter der freundlichsten Fassade konnte sich ein Denunziant verbergen. Seit Ende 1940 wurde der „verbotene Umgang mit Ausländern und Kriegsgefangenen“ zum Massendelikt. Die Fälle, die mit Ausländern zu tun hatten, machten im Sommer 1942 80 % aller Verhaftungen der Gesta- po aus. Dennoch konnte der Kontakt zwischen den Ausländern und der einheimischen Bevöl- kerung nicht unterbunden werden. Die Zunahme der „GV“-Verbrechen war für die NS- Behörden besorgniserregend. Trotz der Ankündigung, die Gefangenen der Gestapo zur Er- schießung zu übergeben, verhängten die Militärgerichte in der Regel drei Jahre Gefängnis (vor allem auch wegen der Teilnahme der Schutzmächte an den Verhandlungen). Angeblich stieß die 1940 ergangene Weisung bezüglich der Erschießung von Kriegsgefangenen, die ein intimes Verhältnis mit einheimischen Frauen hatten, bei einem Teil der österreichischen Be- völkerung auf große Zustimmung 462. Nachdem auch der propagandistische Vorstoß wenig Wirkung zeigte, wurde begonnen, in jeder größeren Stadt und bei allen Großbetrieben Bordel- le einzurichten (über die allerdings öffentlich nicht gesprochen wurde).463 Weiterhin streng bestraft wurde hingegen der „verbotene Umgang“ mit polnischen Arbeits- kräften. Diesbezüglich war vom Landeshauptmann von Steiermark am 8. April eine Verord- nung „ über die Behandlung der im Reichsgau Steiermark eingesetzten Arbeiter und Arbeite- rinnen polnischen Volkstums“ erlassen worden, die den Kontakt zwischen einheimischen und polnischen Arbeitskräften weitestgehend unterbinden sollte.464 Intime Beziehungen zwischen einheimischen Frauen und Polen waren ein Kapitalverbrechen, das für den Mann die Todesstrafe vorsah. Die „Polenerlasse“, die zweisprachig herausgege- ben wurden, nahmen eindeutig dazu Stellung „(...)Wer mit einem deutschen Mann oder einer deutschen Frau geschlechtlich verkehrt, oder sich ihnen sonst unsittlich nähert, wird mit dem Tode bestraft.“ Geahndet wurden diese „Verbrechen“ durch die Gestapo. Die deutsche Frau bzw. das deutsche „Mädel“ wurden öffentlich angeprangert, und zwar durch das Abschneiden der Haare und die Unterbringung in einem Gefängnis oder in einem Konzentrationslager. Die meisten der mittelalterlich anmutenden „spontanen Aktionen“ wurden von der Hitlerjugend und anderen nationalsozialistischen Organisationen geleitet465. Aber erst nach dem Sieg über

460 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 122. 461 Vgl. HERBERT, Fremdarbeiter, S. 122. 462 Vgl. Mf-T-84, R-14, 41243; zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 123. 463 Vgl. HERBERT, Fremdarbeiter, S. 122-127. 464 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 336. 465 Vgl. GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 252. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 104

Frankreich (aus Rücksichtnahme auf das neutrale Ausland) begann eine Verfolgungsjagd mit tausenden von Prozessen und hunderten Hinrichtungen.466 Ein Erlass vom August 1943 verfügte, dass Kriegsgefangene aus Frankreich, England und Belgien, die Geschlechtsverkehr mit deutschen Frauen und Mädchen hatten, genauso mit dem Tod zu bestrafen waren wie polnische Kriegsgefangene.467

Um die negative Einstellung der Bevölkerung gegenüber den Ostvölkern zu schüren, waren die verschiedensten „Märchen“ über deren Lebensweise in Umlauf gebracht worden. Im Lau- fe des Krieges – bedingt durch den Arbeitseinsatz - konnte sich jedoch der antifaschistische Teil der einheimischen Bevölkerung sein eigenes Bild von den „animalischen, stumpfsinnigen und faulen Kreaturen468“ machen. Was sie empfanden war jedoch oft nicht der suggerierte Hass - sondern Mitleid und Sympathie. Allerdings stellten humane Gesten für die einheimische Bevölkerung ein großes Risiko dar: Wurden sie dabei ertappt, wenn sie Gefangenen etwas „zusteckten“ oder als Vermittler fun- gierten, hatten sie mit mehrjährigen Gefängnisstrafen zu rechnen469. Diejenigen, die den Mut aufbrachten, gegen die brutale Behandlung der Gefangenen zu protestieren, erwarteten härtes- te Strafen470. Vor allem französischen Gefangenen gelang es mit Hilfe der Bevölkerung mit- tels Deckadressen aber immer wieder, die strenge Lagerzensur zu umgehen471.

Fluchtversuche

Viele ausländische Zwangsarbeiter, die die Arbeits- und Lebensbedingungen im Deutschen Reich nicht mehr aushielten, versuchten zu flüchten bzw. nützten den Urlaub, um in ihrer Heimat zu bleiben. Aus diesem Grund ermächtigte Sauckel im August 1943 einzelne Betriebe zur Verhängung von Urlaubssperren. Aber selbst das im Jänner 1945 erlassene generelle Ur- laubsverbot schuf keine Abhilfe.472 Bei Steyr-Daimler-Puch wurden deshalb– wie bei einigen anderen Betrieben auch – nur mehr so viele Arbeiter beurlaubt, wie Landsleute sich vom Heimaturlaub wieder zurückmeldeten.473

466 Vgl. HERBERT, Fremdarbeiter; S. 77, 79, 127f. 467 Vgl. BA R 58/272f, zitiert nach HERBERT, Fremdarbeiter, S. 125. 468 Vgl. DALLIN, Herrschaft, S. 81. 469 Vgl. DÖW-Nr. 421, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 249. 470 Vgl. DÖW-Nr. 5733 b, S. 6, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 251. 471 Vgl. DÖW-Nr. 5731, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 249. 472 Vgl. HAFNER, Zwangsarbeit, S. 30. 473 Vgl. KARNER, Steiermark 1938-1945, S. 353. VI. Ausländische Arbeitskräfte in der steirischen Rüstungsindustrie 105

Mehr als die Hälfte der seit Frühjahr 1942 geflohenen ausländischen Arbeitskräfte waren „Ostarbeiter“. Dies ist angesichts der Tatsache, dass sie im Deutschen Reich von den auslän- dischen Arbeitskräften unter den schlechtesten Lebens- und Arbeitsbedingungen zu leiden hatten, nicht verwunderlich. Bei ihrer Ergreifung erfolgte die Einweisung in ein Arbeitserzie- hungslager, ab Herbst 1944 auch zunehmend in ein Konzentrationslager.474

Die Wiederergreifung geflohener Kriegsgefangener hatte unterschiedliche Ahndungsmaß- nahmen zur Folge: Gemeine Soldaten und Unteroffiziere, die den Arbeitseinsatz nicht ver- weigert hatten, wurden nach dem ersten Fluchtversuch im Stalag gemäß der Genfer Konven- tion disziplinarisch bestraft 475, bei wiederholten Versuchen erfolgte die Überstellung in ein Arbeitserziehungslager476. Sowjetische Kriegsgefangene, die auf ihrer Flucht Straftaten (Zi- vilkleidung und Lebensmittel waren bei einer Flucht unerlässlich) begangen hatten, wurden unmittelbar nach ihrer Ergreifung der Geheimen Staatspolizei übergeben477. Bei ihnen wurde sogar ohne vorherigen Anruf von der Schusswaffe Gebrauch gemacht478. Einer am 2. März 1944 von Hitler erlassenen Verfügung, dem sogenannten „Kugel Erlass“ zufolge wurden auf der Flucht aufgegriffene Offiziere und Unteroffiziere, die einen Arbeits- einsatz verweigert hatten unter dem Kennwort „Stufe III“ in das KZ Mauthausen eingeliefert und sofort durch Genickschuss oder Gas hingerichtet.479 Zu dieser Vorgehensweise waren alle SS- und Polizeiführer – trotz unumschränkter Macht der SS – zu absoluter Geheimhaltung verpflichtet. Wehrmachtsauskunftsstellen, Vertretern des Internationalen Kreuzes und anderen Hilfsorganisationen gegenüber galt der Hingerichtete als „geflohen und nicht wiederergrif- fen“.480 Eine Ausnahme bildeten nichtarbeitende amerikanische und britische Offiziere und Unteroffiziere: Sie wurden nach ihrer Wiederergreifung der Wehrmacht und nicht der Sicher- heitspolizei übergeben.481

Da die meisten Fluchtversuche beim Arbeitseinsatz unternommen wurden, wurde den Unter- nehmern mit der Abziehung von Arbeitskräften gedroht, falls ein geglückter Versuch auf mangelnde Sicherheitsmaßnahmen zurückzuführen war.482

474 Vgl. HERBERT, Fremdarbeiter, S. 311-313. 475 Vgl. DÖW-Nr. 8440, S. 1, zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 131. 476 Vgl. DÖW-Nr. 4621; zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 131. 477 Vgl. PFAHLMANN , Fremdarbeiter, S. 184. 478 Vgl. DÖW-Nr.1983; zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 144. 479 Vgl. DÖW-Nr. 3689; zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 119, 133. 480 Vgl. DÖW-Nr. 3689; S. 1; zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 133f. 481 Vgl. DÖW-Nr. 3689, S. 3; zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 135. 482 Vgl. DÖW-Nr 8440; zitiert nach GATTERBAUER, Arbeitseinsatz, S. 144. VI. Schlusswort 106

VI. Schlusswort

Allein die Tatsache, dass Göring vor und nach der Okkupation die treibende Kraft gewesen ist, beweist die große wirtschaftliche Bedeutung Österreichs für das aufrüstende Reich. Bei der erhofften Überwindung der Vierjahresplankrise spielte die Steiermark, die eine wesentli- che Vergrößerung der Erzbasis versprach und über traditionelle Rüstungsbetriebe verfügte, eine nicht unwesentliche Rolle. Die Ausweitung der Rüstungserzeugung basierte in der Stei- ermark – im Gegensatz zum Westen des Landes - neben der Produktionsstätten-Vermehrung vor allem auf der Kapazitätsausweitung der Unternehmen, wobei das Augenmerk besonders auf den Betrieben der Edelstahlerzeugung lag. Trotz der Tatsache, dass sich in der Steiermark nur etwa 11 % aller österreichischen Rüs- tungsfirmen befanden, dass auch während des „Totalen Krieges“ - in der Zeit der Hochkon- junktur der Rüstung - mehr als die Hälfte der steirischen Betriebe vor allem Konsumgüter erzeugten, und die Waffenproduktion nur bei den großen Rüstungsproduzenten und den Be- trieben, die sich auf eine Produktion spezialisiert hatten, über der Hälfte der betrieblichen Ge- samtproduktion lag, belegen Produktionszahlen die enormem Anstrengungen der steirischen Rüstungsbetriebe. Während der NS-Herrschaft hatten zwar laufend (etappenweise) Rüstungsbetriebs- Ernennungen stattgefunden, und die Unternehmen waren während des Krieges auch vermehrt in die Rüstungswirtschaft des „Dritten Reiches“ einbezogen worden, dennoch konnten sie – vor allem die Betriebe des Eisen- und Stahlsektors – erst in den letzten Kriegsmonaten tat- sächliche Bedeutung erlangen. Zum Ausbau der Produktionskapazitäten trugen die ausländischen Arbeitskräfte entscheidend bei. Die„Fremdarbeiter“, deren Einsatz ursprünglich gar nicht geplant gewesen war, die Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge bildeten auch in der Steiermark zunehmend das Rück- grad der Rüstungswirtschaft.

Die Eigentumstransfers, die nach der Besetzung Österreichs stattfanden, waren für die laufen- de Produktion aufgrund der Tatsache, dass die neuen Eigentümer über das erforderliche Kapi- tal zu umfangreichen Investitionen und über entsprechendes technisches Know-how verfügten nicht unbedingt von Nachteil, und nach dem Krieg hatte die Verstaatlichung der sich in deut- scher Hand befundenen Unternehmen einen positiven Einfluss auf den raschen Wiederaufbau. Es hat sich herausgestellt, dass sich während der NS-Zeit nahezu alle großen steirischen Be- triebe von „Rang und Namen“ in den Händen des Heeres befanden. Diese Festsstellung ver- leitet dazu, einen Blick zurückzuwerfen auf die Geschichte der steirischen Rüstungsindustrie, auf die mittelalterlichen Waffenschmieden in der Mur-Mürz-Furche – womit sich der Kreis meiner Arbeit zu schließen scheint. Literaturverzeichnis 107

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