Der Strafprozess zum Partisanenmord von der Koralpe 1945/46

Darstellung und Analyse des Partisanenmordes von St. Oswald im Freiland 1945 und des damit verbundenen Prozesses am Volksgericht Graz 1946

Diplomarbeit

von Philipp Pöschl

zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Rechtswissenschaften an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens Universität Graz

eingereicht bei Ao.Univ.-Prof. Dr.iur. Helmut Gebhardt Institut für Rechtswissenschaftliche Grundlagen Fachbereich Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung

Graz, 2020

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Graz, am 22.12.2020 Philipp Pöschl

2 Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis ...... 5 1 Einleitung ...... 7 2 Die Tathandlung ...... 9 3 Täter und Opfer ...... 10 3.1 Täter Othmar Heitmann ...... 10 3.2 Täter Friedrich Scholler ...... 10 3.3 Täter Egon Obermayer ...... 10 3.4 Täter Rolf Kutschera ...... 11 3.5 Täter Walter Sachse ...... 11 3.6 Der Freigesprochene Hans Bacher ...... 11 3.7 Der Freigesprochene Ferdinand Hoffmann ...... 11 3.8 Kreisleiter Dr. Hugo Suette ...... 12 3.8.1 Exkurs Unterschied zwischen Partei und Staat ...... 13 3.8.2 Begriff Kreisleiter ...... 13 3.8.3 Exkurs ...... 14 3.8.4 Exkurs ...... 15 3.9 Die Opfer ...... 16 3.10 Die Privatbeteilige Frau Farkas ...... 16 4 Staatsrechtliche Entwicklung Österreichs ...... 18 4.1 Staatsrechtliche Entwicklung Österreichs bis 1945...... 18 4.2 Ostmark (-gesetz) ...... 19 4.3 Staatsrechtliche Entwicklung Österreichs nach 1945 ...... 20 5 Die Reichsarbeitsdienst-Lager und die Partisanen ...... 25 5.1 Die Geschichte zum Reichsarbeitsdienst ...... 25 5.2 Die Reichsarbeitsdienst-Lager in der Steiermark ...... 27 5.2.1 Das Reichsarbeitsdienst-Lager in Sankt Oswald ob Freiland ...... 28 5.3 Die Partisanen...... 28 5.3.1 Die Entstehung und Herkunft der Partisanen ...... 28 5.3.2 Die Partisanen in Österreich ...... 29 5.3.3 Die Kampfgruppe Steiermark ...... 30 6 Die rechtlichen Grundlagen ...... 31 6.1 Das Strafgesetz - StG 1852 ...... 31 6.2 Die Strafprozessordnung - StPO 1873 ...... 32 6.3 Das Jugendgerichtsgesetz - JGG 1928 ...... 34 6.4 Das Kriegsverbrechergesetz - KVG ...... 35 7 Die Organisation der Volksgerichtsbarkeit ...... 38 7.1 Schöffen (Aufgaben und Stellung) ...... 38 7.2 Das Volksgericht Graz ...... 39 8 Die vorprozessualen Erhebungen ...... 40 8.1 Die Strafverfolgung durch die Gendarmerie und die Polizei ...... 40 8.1.1 Juni 1945 ...... 40 8.1.2 Juli 1945 ...... 44 8.1.3 August 1945 ...... 45 8.1.4 Oktober 1945 ...... 46 8.1.5 April 1946 ...... 46 8.1.6 Mai 1946 ...... 46 8.2 Die gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Vorerhebungen bis zum Prozess am Volksgericht Graz ...... 47 8.2.1 Die Stellung der Staatsanwaltschaft ...... 47 8.2.2 Oktober 1945 ...... 48 8.2.3 November 1945 ...... 50 8.2.4 Dezember 1945 ...... 52 8.2.5 Jänner 1946 ...... 53 8.2.6 Februar 1946 ...... 54

3 8.2.7 März 1946 ...... 58 8.2.8 April 1946 ...... 58 8.2.9 Mai 1946 ...... 59 8.2.10 Juni 1946 ...... 60 9 Die „Anklageschrift“ ...... 61 10 Der Prozess ...... 66 10.1 Die Richter und Schöffen ...... 67 10.2 Der Beginn der Hauptverhandlung ...... 67 10.2.1 Die Aussagen des Angeklagten Othmar Heitmann ...... 68 10.2.2 Die Aussagen des Angeklagten Egon Obermayer ...... 69 10.2.3 Die Aussagen des Angeklagten Walter Sachse...... 70 10.2.4 Die Aussagen des Angeklagten Hans Bacher ...... 71 10.2.5 Die Aussagen des Angeklagten Rolf Kutschera ...... 72 10.2.6 Die Aussagen des Angeklagten Ferdinand Hoffmann ...... 73 10.2.7 Die Aussagen des Angeklagten Friedrich Scholler ...... 74 10.3 Das Beweisverfahren ...... 76 10.3.1 Die Aussage des Zeugen G ...... 76 10.3.2 Die Aussage des Zeugen H ...... 77 10.3.3 Die Aussage des Zeugen S ...... 77 10.3.4 Die Aussage des Zeugen P ...... 77 10.3.5 Der Sachverständige Dr. Schwarzacher ...... 78 10.3.6 Die Aussage der Zeugin T ...... 78 10.3.7 Die Aussage des Zeugen SCH ...... 78 10.3.8 Die Aussage des Zeugen B ...... 79 10.3.9 Die Aussage des Zeugen E ...... 80 10.3.10 Zum Nichterscheinen der Zeugin R ...... 80 10.3.11 Die Privatbeteiligte Frau Farkas ...... 80 10.3.12 Die Aussage des Zeugen K ...... 81 10.3.13 Die Aussage des Zeugen N ...... 81 10.3.14 Die abschließenden Anträge und Vorlagen der Beweismittel ...... 81 10.4 Das Beratungsprotokoll ...... 82 11 Das Urteil ...... 85 11.1 Die Urteilsgründe ...... 88 11.1.1 Die Urteilsgründe betreffend Othmar Heitmann ...... 88 11.1.2 Die Urteilsgründe betreffend Egon Obermayer ...... 91 11.1.3 Die Urteilsgründe betreffend Walter Sachse ...... 92 11.1.4 Die Urteilsgründe betreffend Friedrich Scholler ...... 93 11.1.5 Die Urteilsgründe betreffend Rolf Kutschera ...... 95 11.1.6 Die Urteilsgründe betreffend Hans Bacher ...... 95 11.1.7 Die Urteilsgründe betreffend Ferdinand Hoffmann ...... 95 11.2 Die Strafbemessung ...... 96 12 Die Begnadigungen ...... 98 12.1 Die Begnadigungsgesuche ...... 98 12.2 Die Begnadigungen der Verurteilten ...... 98 12.2.1 Die Begnadigung betreffend Egon Obermayer und Rolf Kutschera ...... 98 12.2.2 Die Begnadigung betreffend Othmar Heitmann ...... 99 12.2.3 Die Begnadigung betreffend Friedrich Scholler ...... 99 12.2.4 Die Begnadigung betreffend Walter Sachse ...... 101 13 Resümee ...... 102 14 Zusammenfassung ...... 105 Quellenverzeichnis ...... 109 a. Bücher ...... 109 b. Zeitungen ...... 111 c. Judikatur ...... 112 d. Internetquellen ...... 112

4 Abkürzungsverzeichnis § Paragraph §§ Paragraphen % Prozent Abs Absatz Abt Abteilung Art Artikel Aufl Auflage BGBl Bundesgesetzblatt Bl Blatt BMfJ Bundesministerium für Justiz Bsp Beispiel bspw beispielsweise bzgl bezüglich bzw beziehungsweise ca circa Db Deckblatt dh das heißt durchges durchgesehene erg ergänzte erw erweiterte Erläut Erläuterung etc et cetera f und die folgende ff und die folgenden FPÖ Freiheitliche Partei Österreichs gem gemäß Gestapo Geheime Staatspolizei HJ Hitlerjugend hM herrschende Meinung HV Hauptverhandlung Hrsg Herausgeber idF in der Fassung idgF in der geltenden Fassung iHv in Höhe von insb insbesondere iSd im Sinne des iSv im Sinne von

5 iVm in Verbindung mit iZm im Zusammenhang mit Jhdt Jahrhundert korr korrigierte KJV Kommunistischer Jugendverband KPÖ Kommunistische Partei Österreichs leg cit legis citatae LH Landeshauptmann lit litera Losebl Loseblatt lt laut LT Landtag mE meines Erachtens Nr Nummer NR Nationalrat NSkk Nationalsozialistische Kraftfahrkorps oa oder auch OLGR Oberlandesgericht Richter ÖVP Österreichische Volkspartei RAD Reichsarbeitsdienst RIS Rechtsinformationssystem der Republik Österreich S Satz SA Sturmabteilung sog so genannt SPÖ Sozialdemokratische Partei Österreichs SS Schutzstaffel StG Strafgesetz StPO Strafprozessordnung u und ua unter anderem uw und weitere überarb überarbeitete UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vgl vergleiche Vorbm Vorbemerkung vorl vorletze/r Z Ziffer zB zum Beispiel

6 1 Einleitung

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren sehr viele Autoren mit der Aufarbeitung der Kriegsverbrechen, die während der NS-Zeit in Österreich verübt wurden, und den nachfolgenden Strafverfahren, beschäftigt. Zu den Schlagworten Nachkriegsjustiz, Nachkriegsprozess bzw Volksgerichte finden sich zahlreiche Publikationen wie zB „Im Namen der Republik Österreich!“1 sowie „Das Volksgericht Graz“2. Von einem dieser interessanten Nachkriegsprozesse am Volksgericht Graz handelt nachfolgende Diplomarbeit.

Der Strafprozess zum Partisanenmord von der Koralpe 1945/46 war jener Partisanenmordprozess, welcher die Hinrichtung von fünf Partisanen am 1. April 1945 zum Gegenstand hatte. Ereignet hatte sich dies in St. Oswald im Freiland3 ( Deutschlandsberg) am Ostersonntag des Jahres 1945. Das mit den Ermordungen einhergehende strafgerichtliche Verfahren vor dem Volksgericht in Graz fand im Zeitraum vom 24. September 1946 bis zum 26. September 1946 statt. Verbrechen, die in dieser Zeit begangen wurden, zählen zu den Endphase-Verbrechen.4

Ziel dieser Diplomarbeit ist es, den Prozess vor dem Volksgericht Graz und dessen Vorgeschichte näher zu betrachten. Zum besseren Verständnis werden anschließend an die Tathandlung Informationen zu den Tätern und Opfern wiedergegeben. Hierzu sind die originalen Akten der Staatsanwaltschaft Graz, als auch die Akten des Volksgerichts Graz näher beleuchtet worden. Der Akt des Volksgerichts (Vr-276/45) besteht aus vier Bänden, jener der Staatsanwaltschaft Graz (St 562/45) aus einem Band. Zudem wurde noch der Akt der Staatsanwaltschaft zu Dr. Hugo Suette (2St 6086/65) angefordert, um ein tiefergehendes Wissen über den damaligen Kreisleiter zu erhalten. Die Akten zum gegenständlichen Prozess sind sehr umfangreich. Man sieht einen klaren Aufbau, welcher heute noch Gültigkeit besitzt, beginnend mit den polizeilichen Ermittlungen über die vorprozessualen Gerichtshandlungen und den laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hin zum ermittelten Sachverhalt, auf welchem die Anklageschrift beruht. Dies beinhaltete die Befragungen der Beteiligten und Zeugen sowie die Einholung von Gutachten, daran anschließend wohl der wichtigste Teil der Akten des Volksgerichts, die Hauptverhandlung und das Beweisverfahren mitsamt Beratungsprotokoll sowie das Urteil, welches über die Angeklagten gefällt wurde. Dargestellt werden auch die verhängten Strafen, deren Abwägung und die ergangenen Begnadigungen.

Zudem wird ein Überblick über die staatsrechtliche und wirtschaftliche Entwicklung Österreichs zu dieser Zeit gegeben. Von essentieller Bedeutung für den vorliegenden Sachverhalt war auch der Reichsarbeitsdienst (RAD), weshalb im Allgemeinen und im Speziellen auf das gegenständliche RAD- Lager in St. Oswald im Freiland näher eingegangen wird. Daran anschließend, wird der Begriff eines

1 POLASCHEK, Namen, S. 3. 2 MUCHITSCH, Volksgericht, S. 141. 3 Wurde auch des Öfteren als St. Oswald ob Freiland oder St. Oswald in Freiland bezeichnet. 4 RAFFEINER, Grazer, S. 549.

7 Partisanen, dessen Entstehung sowie die Herkunft dieser Widerstandskämpfer beleuchtet. Auf die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen und deren Bestimmungen (zB das KVG5, das StG 18526, die StPO 18737 und das JGG 19288), welche im Prozess vorkommen, wird sodann näher eingegangen. Dies soll zu einem leichteren Verständnis beitragen und ein Hineinversetzen in den gegenständlichen Prozess am Volksgericht Graz erleichtern. Von zentraler Bedeutung ist das Volksgericht, dessen zeitliches Wirken und Einsatzgebiet, in einem eigenen Kapitel näher ausgeführt wird.

In Zusammenschau werden in nachfolgenden Kapiteln, offene Fragen betreffend die Einordnung der Ermordungen geklärt und die ordentlichen Ermittlungen der Gendarmerie bzw Polizei dargestellt. Auch dürfen nachfolgende Fragestellungen nicht außer Acht gelassen werden: Welchen Zeugen der Tat kann man Glauben schenken? Hat das Volksgericht mit dem richtigen Strafausmaß entschieden? War dies nur ein Prozess zum Schein? Wurden alle im Sachverhalt vorkommenden Personen gemäß ihren Handlungen bestraft? Was ist mit dem Anstifter? Gibt es eine Abstufung zwischen den unmittelbaren Tätern und dem Anstifter?

Zum Abschluss werden die im Rahmen der Arbeit gesammelten Erkenntnisse zusammengefasst und hinterfragt, sowie die vorgebrachten Argumente rechtlich gewürdigt.

5 Verfassungsgesetz vom 26. Juni 1945 über die Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten (Kriegsverbrechergesetz), StGBl 1945/32. 6 Kaiserliches Patent, wodurch eine neue, durch die späteren Gesetze ergänzte, Ausgabe des Strafgesetzbuches über Verbrechen und schwere Polizei-Uebertretungen vom 3. September 1803, mit Aufnahme mehrerer neuer Bestimmungen, als alleiniges Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen für den ganzen Umfang des Reiches, mit Ausnahme der Militärgränze, kundgemacht, und vom 1. September 1852 angefangen in Wirksamkeit gesetzt wird, RGBl 1852/117. 7 Gesetz vom 23. Mai 1873, betreffend die Einführung einer Strafproceß-Ordnung. RGBl 1873/119. 8 Bundesgesetz vom 18. Juli 1928 über die Behandlung junger Rechtsbrecher (Jugendgerichtsgesetz). BGBl 1928/234.

8 2 Die Tathandlung Das RAD-Lager in St. Oswald im Freiland wurde am 1. April 1945 (Ostersonntag), vom nahe gelegenen Gerhardshof, telefonisch über die Sichtung einer sich nähernden Partisanengruppe informiert. Fünf Partisanen sollen den Hof eines Bauern in Osterwitz durch Waffengewalt überfallen und beraubt haben und, im Falle einer Bekanntmachung, mit einer Feuerlegung bedroht haben. Aufgrund der eingegangenen Meldung entsandte der RAD eine 20 Mann starke Truppe. Schließlich fand die Truppe die Freiheits- kämpfer in einem Bauernhaus nahe des Gerhardshofes, umzingelte das Haus und nahm fünf Partisanen, ohne weiteres Gefecht fest und überstellte die Festgenommenen in das RAD-Lager. Der nicht im Lager befindliche Friedrich Scholler (Führer der RAD-Abteilung St. Oswald) wurde von Haupttruppführer Ferdinand Hoffmann, welcher ein Telefonat mit dem Kreisleiter Dr. Hugo Suette führte, davon in Kenntnis gesetzt. Dr. Hugo Suette erteilte Ferdinand Hoffmann sodann den Befehl, dass die Partisanen als Erstes zu verhören und im daran in näherer Umgebung zum Lager zu erschießen wären. Am Nachmittag wurden die Partisanen von Friedrich Scholler und weiteren RAD-Mitgliedern verhört.9

Friedrich Scholler führte nach Mitteilung der Befehle selbst ein Telefongespräch mit dem Kreisleiter Dr. Hugo Suette, in welchem dieser auch ihm den Befehl erteilte, die Partisanen zu ermorden. Friedrich Scholler stellte nach dem Telefonat ein Erschießungskommando zusammen. Mit der Leitung des Erschießungskommandos wurde Walter Sachse beauftragt. Noch am Ostersonntag 1945 (ca 20 Uhr) wurden die Partisanen in zwei Gruppen separiert voneinander zum Schießplatz des Lagers geführt. Jene zwei, die der ersten Gruppe angehörten, welche zum Schießplatz geführt wurden, mussten sich in Panzerdeckungslöcher legen und wurden von Wenzel Dietl und N. George durch Abgabe von Genickschüssen getötet. Daraufhin wurden die übrigen drei Partisanen aus dem Lager geholt. Den ersten Genickschuss gab N. Lappe ab. Othmar Heitmann und Egon Obermayer gaben sodann, auf Befehl Walter Sachses, die letzten Schüsse auf die zwei noch übrig gebliebenen Partisanen ab. Im Anschluss an die Exekutionen wurden die Partisanen an Ort und Stelle vergraben.10

Am Nachmittag des Ostersonntags 1945 hatte Rolf Kutschera einen Partisanen durch unvorsichtiges Hantieren mit seiner Waffe, mittels eines ausgelösten Schusses, im Hüftbereich schwer verletzt, als er diesen zu seinem Verhör hätte bringen sollen. Der angeschossene Partisan wurde sodann nur unzureichend behandelt und sich selbst überlassen. Hans Bacher, der dies wahrgenommen hatte, machte Friedrich Scholler auf diesen Umstand aufmerksam. Der Verwundete hatte sich aufgrund seiner schweren Verletzung gekrümmt und Schmerzlaute von sich gegeben. Da er sich nicht mehr selbst bewegen konnte, wurde er von den anderen Partisanen zum Ort seiner Erschießung getragen und von Othmar Heitmann, durch Abgabe eines Genickschusses, getötet.11

9 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 40-41; Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 60-61; Das Steirerblatt vom 24. September 1946, S. 3; Die Wahrheit vom 24.09.1946, S. 2.; Neue Zeit vom 24.09.1946, S.3; Österreichische Zeitung vom 25.09.1946, S. 2; Weststeirische Rundschau vom 28.09.1946, S. 1. 10 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 40-41; MARSCHALL, Volksgerichtsbarkeit, S. 86-87. 11 9 St 562/45 – b. in Vg1 Vr-276/1945, Band 2, S. 41-42; Vg1 Vr-276/45, Band 2, S. 60-61.

9 3 Täter und Opfer

3.1 Täter Othmar Heitmann

Othmar Heitmann, manchmal auch Heidmann geschrieben, wurde am 11. Oktober 1927 in Bruck an der Mur geboren, war ledig, Kassier bei der österreichischen Staatseisenbahn und bis dato unbescholten.12

Er wuchs in Bruck an der Mur auf und ging dort zur Schule. Mit 14 Jahren begann er als Kanzleipraktikant bei der Reichsbahn. Im Juli 1944 rückte er zum RAD ins Lager St. Oswald ein. Sein letzter Dienstgrad war jener des Untertruppführers. Der NSDAP hatte er als Mitglied nie angehört, obwohl er „auf der Liste war, die in die Partei überführt werden sollten.“13 Er war auch ein Mitglied des Deutschen Jungvolkes14. Sein Vater war Sozialdemokrat, der trotz Aufforderung durch die NSDAP letzterer nicht beigetreten war. Die Mutter Heitmanns gehörte ebenfalls nicht der NSDAP an.15 3.2 Täter Friedrich Scholler

Friedrich Scholler, wurde am 11. Dezember 1910 in Niederösterreich geboren, war verheiratet und übte die Tätigkeit eines landwirtschaftlichen Verwaltungsbeamten aus. Gem einem Schreiben vom 25. Mai 1946 an den Gendarmerieposten in Scheibbs, bei dem Friedrich Scholler zu diesem Zeitpunkt inhaftiert war, wurde er an das landesgerichtliche Gefangenhaus VIII in Wien überführt und das Verfahren von der Staatsanwaltschaft Wien an jene in Graz übertragen.16

Sein Leumundzeugnis des Gemeindeamts Göstling beinhaltete keinen Eintrag. Dies wurde damit begründet, dass er nur während seines Urlaubs in der Gemeinde Göstling anwesend war. Den größten Teil der Zeit befand er sich im RAD-Lager in St. Oswald. Er bekleidete den Dienstgrad eines Oberfeldmeisters und war der Abteilungsführer des RAD-Lagers in St. Oswald. Vorstrafen waren bis zu diesem Zeitpunkt keine aktenkundig. Sein Vermögen zum Zeitpunkt des 5. September 1946 bestand aus seinem letzten Sold und ein paar Hundert Schilling auf einem Sparbuch. Von diesem Sparbuch behob seine Gattin monatlich ihr Haushaltsgeld. Ein weiteres Vermögen konnte nicht festgestellt werden.17 3.3 Täter Egon Obermayer

Egon Obermayer, auch Egon Obermaier geschrieben, wurde am 30. Juli 1927 in Leoben-Göss geboren, er war ledig und übte die Tätigkeit eines Brauers aus. Auch er war bis zum Zeitpunkt seiner Verhaftung am 27. Oktober 1945 unbescholten. Egon Obermayer besuchte zwischen 1933 und 1937 die Volksschule

12 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 39; Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 135. 13 Vg 1 Vr-276/1945, Band 1, S. 9. 14 Diejenigen, die noch zu jung waren für die Hitlerjugend (ab 14 Jahren, verpflichtend), konnten im Alter zwischen 10 und 14 Jahren dem Deutschen Jungvolk bzw auch Pimpfe beitreten, wo man sich auf die Zeit in der Hitlerjugend vorbereitete; ZEITKLICKS, 1933- 1945 NS- Zeit, Der Pimpf- Warten auf die HJ https://www.zeitklicks.de/nationalsozialismus/zeitklicks/zeit/alltag/von-klein-auf/der-pimpf- warten-auf-die-hj/ (eingesehen am 14.04.2020). 15 Vg 1 Vr-276/1945, Band 1, S. 8-9; Das Steirerblatt vom 24. 09. 1946, S. 3. 16 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 140; Das Steirerblatt vom 24. 09. 1946, S. 3. 17 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 69, 82.

10 in Göß. Daran anschließend besuchte er eine Schule in Innsbruck, da er zu seinem Vater gezogen war. Sein Verhalten in der Schule in Göß war vorbildlich. Zuletzt hatte er beim RAD den Dienstgrad Hauptvormann inne. Die Erhebungen zur Person wurden von der Sicherheitswache Leoben, Wachstube Göss, durchgeführt. Er besaß aufgrund der Angaben seiner Mutter, ein wenig Gewand (Anzug, Hemden, Unterhosen, Mantel) und ein Paar Schuhe. Ansonsten hatte er kein Vermögen und auch keine Einkommensquelle.18 3.4 Täter Rolf Kutschera

Rolf Kutschera, oder auch Rolf von Kutschera, wurde am 3. Jänner 1927 in Kulmsee in Polen geboren. Er war zuletzt Untertruppführer beim RAD. Aus den Materialien lässt sich entnehmen, dass er sowohl ledig als auch unbescholten war. Hinsichtlich seines Leumunds konnte die Polizeidirektion in Graz lediglich mitteilen, dass man keinerlei Aufzeichnungen über ihn hatte, und somit von einem einwandfreien Leumund ausginge. Die Kriminalpolizei Graz konnte bei der Festnahme von Rolf Kutschera kein Vermögen sicherstellen.19 3.5 Täter Walter Sachse

Walter Sachse wurde am 17. Mai 1912 in Nauenburg, Thüringen geboren. Er übte die Tätigkeit eines landwirtschaftlichen Arbeiters aus, war verheiratet und war bis zum Zeitpunkt seiner Verhaftung, am 23. Februar 1946, unbescholten. Er hatte den Dienstgrad Unterfeldmeister beim RAD inne. Bei seiner Verhaftung konnte die Gendarmerie kein Vermögen beschlagnahmen.20 3.6 Der Freigesprochene Hans Bacher

Hans Bacher wurde am 5. März 1909 in Laggen21 geboren und war Melker. Aus den Akten geht hervor, dass er verheiratet war. Sein Dienstgrad beim RAD war Unterfeldmeister. Bis zur Verhaftung am 23. Februar 1946 war er unbescholten. Bei seiner Verhaftung konnte die Gendarmerie kein Vermögen ausfindig machen.22 3.7 Der Freigesprochene Ferdinand Hoffmann

Ferdinand Hoffmann wurde am 3. Juni 1911, in Hall (Tirol) geboren. Er übte die Tätigkeit eines Gärtners aus und war verheiratet. Ferdinand Hoffmann war seit 1940 Mitglied der NSDAP. Beim RAD bekleidete

18 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 39; Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 63, 66, 78, 80, 136; Das Steirerblatt vom 24. 09. 1946, S. 3. 19 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 39; Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 75, 142; Das Steirerblatt vom 24. 09. 1946, S. 3. 20 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 39; Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 71-72, 78; Vg 6 Vr- 276/1945, Band 1, S. 176-177; Das Steirerblatt vom 24. 09. 1946, S. 3. 21 Laggen ist ein Ortsteil der Gemeinde Krems (Oberkärnten), welche dem Bezirk Spittal an der Drau angehört und hat ca. 40 Einwohner; Laggen, Ortschaft in Kärnten https://strasse-plz-ort.at/ortschaft/laggen-krems-in-kaernten/ (eingesehen am 07.01.2020). 22 St 562/45 – b. in Vg 6 Vr-276/1945, Band 2, S. 39; Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 72, 77, 84; Vg 6 Vr- 276/1945, Band 1, S. 176-177; Das Steirerblatt vom 24. 09. 1946, S. 3.

11 er den Dienstgrad Haupttruppführer. Bis zum Zeitpunkt seiner Verhaftung, am 23. Februar 1946, war er unbescholten. Bei seiner Verhaftung konnte die Gendarmerie kein Vermögen sicherstellen.23 3.8 Kreisleiter Dr. Hugo Suette

Dr. Hugo Suette, welcher auch Dr. Suetti genannt wurde, wurde am 27. März 1906 in Graz geboren. Zu seinem Familienstand war den Behörden nichts bekannt. Der NSDAP war er am 1. September 1927 beigetreten. Außerdem hatte sich Suette beim Juliputsch24 1934 beteiligt. Nach der Niederschlagung des Putsches war er ins Deutsche Reich geflüchtet. 1936 schloss Suette das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Erlangen (Thema der Dissertation: „Der nationale Kampf in der Südsteiermark 1867-1897“) ab. Nach der Wiedervereinigung mit dem Deutschen Reich wurde Dr. Suette zum NSDAP-Kreisleiter von Deutschlandsberg bestellt. Er war nicht nur für den Tod der fünf Partisanen, deren Tötung Thema dieser Diplomarbeit sind, verantwortlich. Darüber hinaus hatte er auch den Tod von ungefähr 20 politisch Gefangengenommenen befehligt, welche am 10. April 1945 auf der Hebalm von Angehörigen der SS und der Gestapo erschossen wurden.25

Der letzte bekannte Aufenthalt war jener in Deutschlandsberg. Auf Geheiß des Kreisleiters wurden zahlreiche Verbrechen begangen. Ein Beispiel hierfür war, dass aufgrund seines Befehls jene Mitmenschen zu töten waren, die die Freiheitskämpfer unterstützt hatten. Dr. Suette wurde am 7. September 1946 in Wien von den Briten festgenommen und nach Graz überstellt. „Nach seiner Flucht aus dem britischen Anhaltungslager in Graz-Wetzelsdorf am 5.11.1946 unbekannten Aufenthaltes und im staatspolizeilichen Fahndungsblatt zur Verhaftung ausgeschrieben,“ 26 wurde er „durch Anzeigen ob Verbrechen nach §§ 1, 2, 4, 7 KVG beschuldigt, daß er als Machthaber der ns. Gewaltherrschaft im Bezirk von Deutschlandsberg zu Ende des letzten Krieges selbständig die Verfolgung und Erschießung von Widerstandskämpfern und Wehrmachtsflüchtlingen sowie die Verbrennung eines Anwesens anbefohlen und durchgesetzt habe.“27 Die Kriminalpolizei Graz teilte der Abt 6 des Landesgerichts Graz mit, dass Dr. Suette „im Grazer-Fahndungsblatt Nr. 8 als Kriegsverbrecher nach § 7 KVG. vom BG.Deutschlandsberg Az.3 Z 170/45 vom 20.8.1945 ausgeschrieben“ 28 war. Im Prozess vor dem Volksgericht Graz teilte der Vorsitzende Dr. Nestroy mit, dass Dr. Hugo Suette unlängst in Deutschland festgenommen worden sei. Zu einer möglichen Überstellung des Dr. Hugo Suette äußerte er sich jedoch nicht. Ebenfalls wurde die Verhaftung des berüchtigten Kreisleiters Dr. Hugo Suette in Bayern durch eine Mitteilung der Gendarmerie bestätigt. Dr. Suette konnte dem Apparat der Nachkriegsjustiz entgehen

23 St 562/45 – b. in Vg 6 Vr-276/1945, Band 2, S. 39; Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 70-72, 76; Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 155; Das Steirerblatt vom 24. 09. 1946, S. 3. 24 Am 25. Juli 1934 hatten Mitglieder der illegalen Österreichischen SS das Bundeskanzleramt und das RAVAG (Radio Verkehrs AG) eingenommen, und die Falschmeldung verbreitet, dass Dr. Anton Rintelen neuer Regierungschef wäre. Hierdurch wurde der Eindruck erweckt, dass eine nationalsozialistische Machtergreifung in Österreich erfolgt sei. Kurz darauf wurde der Putsch niedergeschlagen. BALTL-KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 271-272. 25 SCHAFRANEK-BLATNIK, NS-Verbot, S. 522-523, TSCHERNE, Lonsperch, S. 421. 26 2 St 6086/65, S.24. 27 2 St 6086/65, S.24. 28 Vg 6 Vr-276/1945, Band 4, S. 88.

12 und verstarb 1949 in Erlangen. Dr. Hugo Suette befand sich nicht unter den Angeklagten des gegenständlichen Prozesses, da das Volksgericht Graz zum Zeitpunkt der Verhandlung keine Handhabe über ihn hatte.29 3.8.1 Exkurs Unterschied zwischen Partei und Staat

Die zentrale Aufgabe von politischen Leitern der NSDAP war die praktische politische Arbeit und die Betreuung der Bevölkerung. Zwischen SA-Führern und politischen Leitern existierte beidseitig kein Unterstellungsverhältnis. Eine reibungslose Zusammenarbeit wurde jedoch stets von ihnen verlangt. Die gemeinsame Zusammenarbeit zwischen politischen Leitern (wie zB Gauleiter, Kreisleiter) und den in ihrem Wirkungsbereich zuständigen SA-, SS-, NSkk- und HJ- Führern sollte durch monatliche Treffen gefördert werden und den Austausch anregen. Ein gegenseitiges Einmischen in die Angelegenheiten des anderen war nicht gestattet. Dem politischen Leiter wurde die Verantwortung über das gesamte politische Auftreten der NSDAP übertragen. In dem zugewiesenen Bereich war der politische Leiter der höchste Vertreter der NSDAP. Daher konnte jener die SA zur Unterstützung seiner politischen Aufgaben anfordern.30

Ein Indikator für den Staat war die Macht gegenüber jedem Menschen innerhalb des Staatsgebietes. Der Staat hatte das Recht rechtlichen Gehorsam von seinen Bürgern zu verlangen. Jegliches Handeln entgegen den gesetzlichen Bestimmungen wurde sanktioniert. Für die Einhaltung dieser Bestimmungen sorgten die eigenen Staatsbediensteten. Die Staatsordnung bildete den rechtlichen Rahmen für die Erlassung von Gesetzen. Die Partei auf der anderen Seite war (und ist) eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Die Parteiangehörigen lebten nach der gleichen Weltanschauung, welche auch Grundlage ihrer Statuten war. Gem § 1 Abs 1 Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat31 war „nach dem Sieg der nationalsozialistischen Revolution“32 die NSDAP „die Trägerin des deutschen Staatsgedankens“33 und wurde hierdurch als mit dem Staat verbunden angesehen.34 3.8.2 Begriff Kreisleiter

Die unterste Ebene in der NSDAP-Organisation bildete die Kreisleitung. Somit handelte es sich bei dieser Position um eine der Partei. Im Wirkungsbereich des zugeteilten Gebiets war der Kreisleiter für die gesamten politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten zuständig, und musste jene Aufgaben unter Einhaltung der nationalsozialistischen Weltanschauung ausüben. Bei einem Kreis handelte es sich in der Regel um eine Zusammenfassung mehrerer örtlicher Gebiete. Der Name des Kreises wurde vom Gauleiter als vorgesetzte Instanz genehmigt. Am lokalen Sitz des Kreisleiters wurde

29 Die Wahrheit vom 9.11.1946, S. 3; Neue Zeit vom 24.09.1946, S. 3; Österreichische Zeitung vom 26.09.1946, S. 2; Weststeirische Rundschau vom 16.11.1946, S. 1; 2St 6086/65, S.24; Vg 13 Vr-276/1945, Band 4, S. 13- 14. SCHAFRANEK-BLATNIK, NS-Verbot, S. 523. 30 LEY, Organisationsbuch, S. 70-71, 75-76. 31 Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat, vom 1. Dezember 1933, dRGBl 1933, S.1016. 32 § 1 Abs 1 Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat, vom 1. Dezember 1933, dRGBl 1933, S.1016. 33 § 1 Abs 1 Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat, vom 1. Dezember 1933, dRGBl 1933, S.1016. 34 LEY, Organisationsbuch, S. 486-489.

13 im Allgemeinen auch die Kreisleitung samt ihren Ämtern und Stellen etabliert. Zentrale Bedeutung hatten hier die folgenden Positionen: Kreisorganisationsleiter, Kreisschulungsleiter, Kreispropagandaleiter und Kreispersonalamtsleiter. Der Kreisleiter unterstand unmittelbar dem Gauleiter, somit waren fachliche Weisungen des zuständigen verpflichtend auszuführen. Die Ernennung eines Kreisleiters erfolgte auf Vorschlag des Gauleiters durch den Führer und ebenso auch dessen Abberufung. Die Pflicht des Kreisleiters war es unter anderem Veranstaltungen und Handlungen, die den Zielen und Vorstellungen der NSDAP zuwiderliefen, zu untersagen und zu unterbinden. Bei besonders schweren Fällen musste die Gauleitung unverzüglich informiert werden. Darüber hinaus gehende schärfere Maßnahmen wurden nach Meldung durch die Gestapo vollzogen. Gesetzliche Grundlage für die Funktion des Kreisleiters war die Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935.35

Während des Zweiten Weltkrieges wurde dem Kreisleiter die Organisation von Hilfsmaßnahmen bei Luftangriffen von der NSDAP zugeteilt. Solche Maßnahmen waren unter anderem Notquartiere und Verpflegung zur Verfügung zu stellen sowie den Hausrat von Opfern sicherzustellen. Darüber hinaus war der Kreisleiter in Großstädten Dreh- und Angelpunkt bei der Behebung von Schäden, welche durch Luftangriffe entstanden waren. Neben der Beseitigung von Kriegsschäden war der Kreisleiter auch für die Ehrenfeiern der Gefallenen der Partei verantwortlich. Die richterlichen Befugnisse, welche sich Dr. Hugo Suette angemaßt hatte, kamen einem Kreisleiter nicht zu.36 3.8.3 Exkurs Gauleiter

Der Gauleiter wurde mit der politischen Führung und Gestaltung eines bestimmten Teils des Reiches ( = mehrere Parteikreise, die zusammengefasst wurden) betraut. Diese Position war ebenfalls wie jene des Kreisleiters eine der Partei. In jenem zugewiesenen Bereich war der Gauleiter für die gesamte politische, kulturelle und wirtschaftliche Gestaltung der allgemeinen Lebensweise nach nationalsozialistischem Idealbild zuständig. Der Gauleiter war unmittelbar dem Führer unterstellt und wurde auch von diesem ernannt. Die Gesamtverantwortung über den Gau wurde dem Gauleiter übertragen. Dem Gauleiter wurde das Recht überantwortet in seinem zugewiesenen Bereich politische Leiter zu ernennen, diese zu beurlauben oder abzusetzen. Dem Gauleiter kam auch das Aufsichtsrecht zu, Veranstaltungen und Handlungen, die den Werten der NSDAP zuwiderliefen, zu unterbinden. Der Gauleiter bediente sich zur Erledigung seiner Geschäfte folgender Dienststellenleiter: Gaugeschäftsführer, Gauorganisationsleiter, Gauschulungsleiter, Gaupropagandaleiter, Gaupersonalamtsleiter und Gauinspekteure.37

35 Die Deutsche Gemeindeordnung. Vom 30. Januar 1935. dRGBl 1935/6; LEY, Organisationsbuch, S. 130-133. 36 Rothenburg unterm Hakenkreuz… und die Jahre danach, Aufteilung der NSDAP unterhalb der Gaue – Kreisleiter, Ortsgruppenleiter, Zellenleiter, Blockleiter, http://www.rothenburg-unterm -hakenkreuz.de/aufteilung-der-nsdap-unterhalb-der-gaue-kreisleiter-ortsgruppenleiter-zellenleiter-blockleiter/ (eingesehen am 04.11.2020); Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 129. 37 LEY, Organisationsbuch, S. 136-142.

14 Die Übertragung des Amtes eines an NSDAP-Gauleiter war eine der bedeutendsten Schritte zur Personalunion (Staats- und Parteiamt). Es handelte sich um jene Form, die zu dieser Zeit typisch war, nämlich die Beteiligung an staatlicher Machtausübung.38 3.8.4 Exkurs Reichsstatthalter

Der Reichskanzler konnte sich jeglicher Person als Reichsstatthalter bedienen. Einzige Bedingung war, dass der Reichsstatthalter nicht zugleich Mitglied einer Landesregierung sein durfte. Die Reichsstatthalter unterstanden den politischen Anweisungen des Führers. Der Reichskanzler erteilte dem Reichsstatthalter seine Anweisungen. Aufgabe eines Reichsstatthalters war die Gleichschaltung der Länder mit dem Reich, und diese brachte es mit sich, dass eine gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen dem Reichskanzler und dem Reichsstatthalter bestehen musste.39

„Die politische Stellung des Reichsstatthalters bedingt, dass der Reichsstatthalter nicht Mitglied des Vorstandes, Verwaltungsrates oder Aufsichtsrates eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens sein kann oder auch sonst neben seinem Amt eine Beschäftigung berufsmäßig ausüben darf.“ 40 Eine Unvereinbarkeit mit der Tätigkeit eines Gauleiters der NSDAP bestand hingegen nicht. Der Reichsstatthalter hatte die Möglichkeit zur Ernennung sowie Entlassung der LReg, der Auflösung des Landtags, der Ernennung von Beamten usw. Mit dem Recht auf Beamtenernennung sowie deren Entlassung wurde den Reichsstatthaltern die höchste Zuständigkeit in der Durchführung von politischer und arischer Säuberung von Beamten des Landes gem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums41 übertragen.42

Hitler unterzeichnete am 23. April 1938 einen Erlass, welcher „die Bestellung des für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“43 regelte. Bestellt für diese Position wurde Josef Bürckel44, welcher unmittelbar Hitler unterstellt war, und zu seinem bereits bestehenden Auftrag, nämlich der Reorganisation der österreichischen NSDAP, kam die „Durchführung der staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Wiedervereinigung Österreichs“ 45 hinzu. Er hatte somit quasi für Österreich die Stellung eines Reichsministers inne.46

In den sieben Reichsgauen der Ostmark, welche aufgrund der Weisung Hitlers nur mehr als Alpen- und Donau-Reichsgaue bezeichnet werden durften, hatten die Reichsstatthalter ein weitgefasstes Weisungsrecht, ausgenommen waren die Agenden von Bahn, Post, Finanzen und Justiz. Der

38 HÜTTENBERGER, Gauleiter, S. 74-75. 39 KLOSS, Reichsstatthalter, S. 29-32. 40 KLOSS, Reichsstatthalter, S. 35. 41 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Vom 7. April 1933. dRGBl 1933/ 34, S. 175. 42 KLOSS, Reichsstatthalter, S. 33-35, 43, 47; HÜTTENBERGER, Gauleiter, S. 75-79. 43 BOTZ, Nationalsozialismus, S. 257. 44 Josef Bürckel (1895 – 1944), war , Reichsstatthalter und auch Gauleiter von Wien. Wien Geschichte Wiki, Josef Bürckel Biografie https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Josef_B%C3%BCrckel (eingesehen am 15.09.2020). 45 BOTZ, Nationalsozialismus, S. 258. 46 BOTZ, Nationalsozialismus, S. 257-258.

15 Verwaltungsaufbau der Alpen- und Donau-Reichsgaue war zweistufig. Territorial gab es eine Untergliederung in Stadt- und Landkreise. St. Oswald im Freiland gehörte dem Landkreis Deutschlandsberg an. Der Gruppe der altösterreicherischen Reichsstatthalter, unter ihnen auch der Reichsstatthalter der Steiermark, Dr. Siegfried Uiberreither47, hatten einen besonderen Stellenwert für Hitler, insbesondere dann, wenn es um Fortgeltung österreichischen Rechts oder österreichischer Verwaltungstradition ging.48

3.9 Die Opfer

Bei den ermordeten Partisanen handelte es sich um fünf Männer. Die vollständigen Namen werden zum Schutz der Privatsphäre nicht angegeben. Sie wurden am 1. April 1945 von RAD-Arbeitsmännern ermordet. Einer von diesen, war der Sohn von Frau Farkas, welche sich als Privatbeteiligte anschloss. Ihr Sohn desertierte zu den Freiheitskämpfern, da er als Sohn eines altösterreichischen Offiziers die nationalsozialistischen Belehrungen in seiner Einheit mit der Herabwürdigung der Leistungen der Österreicher im Ersten Weltkrieg nicht mehr hinnehmen wollte. Auch war einer der Toten ein erfahrener Spanienkämpfer, Vorname Leo, welcher „bei einem britischen Pioniercorps tätig“49 war und über die UdSSR zur Kampfgruppe Steiermark gekommen war. Leo wurde am 30. Oktober 1914 in Wien geboren (wurde 30 Jahre alt), gehörte der KJV an und war Schweißer. Der Kampfgruppe Steiermark hatte er sich Mitte 1944 angeschlossen. Ein weiterer Ermordeter war ein Wehrmachtsdeserteur (Ende 1944 desertiert), Vorname Ubald (zur Zeit seines Todes ca 19/ 20 Jahre alt), aus Graz. Ubald gehörte keiner politischen Partei an. Zur Wehrmacht war er 1943 eingerückt. Er kämpfte an der Ostfront, wo er auch verwundet wurde. Nach seiner Genesung wurde er nach Italien entsandt. Hiernach erfolgte eine Strafversetzung aufgrund antifaschistischer Gesinnung nach Innsbruck (Strafkompanie Innsbruck). Das vierte Opfer war ein Slowene, Vorname Milos, welcher aus Maribor stammte, und über das fünfte war nichts Näheres bekannt.50

3.10 Die Privatbeteilige Frau Farkas

Am 17. September 1946 erschien Frau Farkas, die Mutter eines der ermordeten Partisanen bei der Geschäftsstelle des Volksgerichtes am Landesgericht für Strafsachen in Graz. Sie führte aus, dass sie die Mutter des Verstorbenen sei, welcher am 1. April 1945 ermordet worden war. Da sie nur

47 Dr. (1908 – 1984), Gauleiter der Steiermark von 22.5.1938 bis 8.5.1945. Ernennung zum Landeshauptmann der Stmk am 9.6.1938. HÜTTENBERGER, Gauleiter, S. 224; HÖFFKES, Hitlers, S. 351-352; korso, Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark, Dr. Siegfried Uiberreither – das zweite Leben des Gauleiters, http://korso.at/content/view/3151/163/ (eingesehen am 15.09.2020). 48 REBENTISCH, Führerstaat, S. 246-247; STATISTISCHES AMT FÜR DIE REICHSGAUE DER OSTMARK, Gemeindeverzeichnis, S. 13, 60. 49 RAFFEINER, Grazer, S. 551. 50 RAFFEINER, Grazer, S. 551; WACHS, Kampfgruppe, S. 54; DÖW, Engelmann, Leo (Lazar), ÖsterreicherInnen für Spaniens Freiheit 1936-1939, https://www.doew.at/erinnern/biographien/spanienarchiv- online/spanienfreiwillige-e/engelmann-leo-lazar (eingesehen am 23.09.2020); Steirerblatt vom 25. September 1946, S. 3.

16 eine kleine Rente bezogen habe, welche sie von der staatlichen Fürsorge erhielt, und angesichts ihres Alters, sei es ihr auch nicht mehr möglich gewesen, eine berufliche Tätigkeit auszuüben. Ein Vermögen habe sie auch nicht besessen. Ihr größter Wohltäter sei ihr Sohn gewesen. Daher schloss sie sich als Privatbeteiligte51 dem Verfahren an, um in der Verhandlung ihre Forderungen geltend zu machen.52

51 Bei einem Privatbeteiligten handelt es sich um eine Person, die durch ein Verbrechen oder durch ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen in ihren Rechten verletzt wurde. Ein Privatbeteiligter konnte sich bis zum Beginn der Hauptverhandlung wegen seiner Ansprüche dem Strafverfahren anschließen. § 47 StPO, RGBl 1873/119 idF 1945. 52 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 87.

17 4 Staatsrechtliche Entwicklung Österreichs

In diesem Kapitel soll die Entwicklung Österreichs vor und während dem Zweiten Weltkrieg sowie die Entwicklung nach Kriegsende geschildert werden. Die Unterteilung wurde in staatsrechtliche Entwicklung Österreich bis 1945, Ostmark (-gesetz), staatsrechtliche Entwicklung Österreichs nach 1945 und die wirtschaftliche Situation Österreichs nach 1945 getroffen. 4.1 Staatsrechtliche Entwicklung Österreichs bis 1945

Am 13. März 1938 sollte eine Volksbefragung über ein „freies und deutsches, unabhängiges und soziales, christliches und einiges Österreich“53, welche von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg54 initiiert wurde, stattfinden. Unter Druck von Hitler wurde jedoch die Volksbefragung abberaumt, da er anderenfalls mit einem militärischen Einmarsch gedroht hatte. 55 Die Staatsregierung des deutschen Reiches nötigte Schuschnigg des Weiteren auch als Bundeskanzler abzudanken. Der neue Bundeskanzler Seyß-Inquart bat um Unterstützung aus Deutschland, um den mittlerweile schon begonnenen Einmarsch des deutschen Militärs zu legalisieren. Noch in der Nacht, bevor die Volksbefragung stattfinden hätte sollen, überquerte eine Vielzahl deutscher Truppen die österreichische Grenze und besetzte in den kommenden 48 Stunden das gesamte Österreich. Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich starteten die Verhaftungen politischer Kontrahenten in Massen, und mit Unterstützung der Polizei verfolgte man die Gefolgsmänner der letzten Regierung. Auch zu bangen hatten vor allem Personen aufgrund ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit.56

Bundespräsident Miklas57 trat am 13. März 1938 zurück. Dies löste gemäß der Verfassung 1934 einen Übergang seiner amtlichen Rechte und Pflichten auf Bundeskanzler Seyß-Inquart aus. Von der Regierung wurde im Anschluss daran, gemäß Ermächtigungsgesetz 1934, ein „Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“58 verkündet. Gemäß Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetzes war „Österreich ein Land des Deutschen Reiches“ 59 und gem Artikel 2 dieses Bundesverfassungsgesetzes wurde am Sonntag, den 10. April 1938, eine Volksabstimmung über die Wiedervereinigung mit dem Deutschen Reich abgehalten. Von der Reichsregierung wurde noch am gleichen Tag ein Reichsgesetz erlassen, welches die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich regelte. Mit Erlass dieses Gesetzes im deutschen Reichstag war der Anschluss Österreichs vollendet. In Österreich wurde dieser Rechtsakt durch „Kundmachung des Bundeskanzleramtes, womit das

53 BALTL–KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 274. 54 Kurt Schuschnigg (1897 – 1977), Österreichischer Bundeskanzler von 1934 bis 1938. 55 LEHNER, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, S. 335. 56 BALTL–KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 274-275. 57 Wilhelm Miklas (1872 – 1956), österreichischer Bundespräsident von 1928 – 1938; Wien Geschichte Wiki, Wilhelm Miklas Biografie https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Wilhelm_Miklas (eingesehen am 08.08.2019). 58 Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, RGBl 1938/75. 59 Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, RGBl 1938/75.

18 Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, B.G. Bl. Nr. 75/1938, neuerlich verlautbart wird“60 vollzogen.61

Österreich war zwischen 1938 und 1945 faktisch wie ausgelöscht, jedenfalls politisch nicht existent und wirtschaftlich in der Rüstungsindustrie der Nationalsozialisten gefangen. Neben dem neu in Österreich eingeführten deutschen Reichsrecht blieben ABGB, ZPO, StG und StPO zum größten Teil in Kraft. Viele Bestimmungen wurden durch deutsches Recht, wie zB durch Analogieeinführung oder durch neue Straf- tatbestände im StG ergänzt bzw auch ersetzt. Während der sieben Jahre Österreichs im Deutschen Reich blieben die zuvor erwähnten Gesetze aufrecht. Durch den Krieg wurden die von den Nationalsozialisten vorangetriebenen Gesetzesarbeiten, wie zB das „Volksgesetzbuch“, beträchtlich verzögert.62

Die Moskauer Deklaration63 (30. Oktober 1943) durch die Alliierten stellte schon während des Zweiten Weltkrieges die Weichen für den Wiederaufbau Österreichs. Sie besagte, dass Österreichs Besetzung durch das Deutsche Reich nichtig wäre, und „Österreich als erstes Opfer der deutschen Aggression“64 wieder aufzubauen sei, unter Berücksichtigung eigener Leistung zur Erlangung der Freiheit. Die Alliierten wurden durch eine große Anzahl an österreichischen Staatsbürgern in ihren Heeren unterstützt. Des Weiteren kämpfte auch eine Vielzahl von ihnen im „Untergrund“ und an der Seite der Partisanen.65 4.2 Ostmark (-gesetz)

Die österreichische Regierung wurde durch einen Reichsstatthalter und einen Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich abgelöst. Dies geschah ganz im Zeichen des NS-Staatssystems (Einheit von Partei und Staat). Der Aufbau wurde durch das Ostmarkgesetz 66

60 Kundmachung des Bundeskanzleramtes, womit das Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, BGBl 1938/75, neuerlich verlautbart wird, GBl für das Land Österreich, 1938/1. 61 BALTL–KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 275. 62 BALTL–KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 276, 279-280, BRUCKMÜLLER, Sozialgeschichte, S. 421. 63 „Die Moskauer Deklaration der drei Alliierten USA, UdSSR und Großbritannien vom 1. November 1943 hielt bezüglich Österreich fest, dass es "das erste freie Land" gewesen sei, das der "Angriffspolitik Hitlers zum Opfer" fiel, dass die Besetzung Österreichs durch Deutschland am 13. März 1938 "null und nichtig" sei und dass nach dem Krieg "ein freies, unabhängiges Österreich wiederhergestellt" werden solle. Gleichzeitig wurde Österreich in der Deklaration aber auch daran erinnert, dass es seiner Verantwortung für "die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands" nicht entrinnen könne. Von der österreichischen Nachkriegspolitik wurden jedoch vor allem die "Opfer- und Nichtigkeitserklärungen" der Deklaration als wesentlich betrachtet. Sie dienten als Stichwörter für die Aufrechterhaltung des Opfermythos und für die Verhandlungsposition Österreichs bezüglich des Staatsvertrags. Die Formulierung von der Mitverantwortung Österreichs wurde demgegenüber auf Betreiben der österreichischen Regierung vor Unterzeichnung aus der Präambel des Staatsvertrags gestrichen.“; Demokratiezentrum Wien, Moskauer Deklaration http://www.demokratiezentrum.org/wissen/wissenslexikon/moskauer-deklaration.html (eingesehen am 09.05.2019). 64 Demokratiezentrum Wien, Moskauer Deklaration http://www.demokratiezentrum.org/wissen/wissenslexikon/moskauer-deklaration.html (eingesehen am 09.05.2019). 65 BALTL–KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 279-280. 66 Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark (Ostmarkgesetz), dRGBl 1939/74, S. 777.

19 normiert.67 In § 1 Abs 1 Ostmarkgesetz wurde die Bildung von sieben Reichsgauen auf dem Gebiet des Landes Österreich geregelt. Die Reichsgaue lauteten: Wien, Reichsgau Kärnten (Verwaltungssitz Klagenfurt), (Verwaltungssitz Krems), (Verwaltungssitz Linz), (Verwaltungssitz Salzburg), Reichsgau Steiermark (Verwaltungssitz Graz), Reichsgau Tirol (Verwaltungssitz Innsbruck). Hitler wollte den Namen „Ostmark“ nicht mehr verwenden, und daher wurden die Reichsgaue Österreichs als Alpen- und Donaureichsgaue bezeichnet. Darüber hinaus wurde auch die Verwendung des Begriffs Österreich nicht mehr gestattet. Die territoriale Aufteilung, so wie wir sie heute kennen, hatte zu dieser Zeit nicht bestanden. Das wurde aufgeteilt: das nördliche Burgenland gehörte zu Niederdonau, das südliche Burgenland gehörte zur Steiermark. Der Gau Oberdonau erhielt das Salzkammergut, dem Gau Kärnten wurde Osttirol zugeteilt und Vorarlberg wurde dem Gau Tirol zugewiesen.68

Gem § 3 Abs 1 Ostmarkgesetz stand an der Spitze des Reichsgaues der Reichsstatthalter, der auch Gauleiter der Partei war. „Die Aufgaben und Kompetenzen der ehemaligen obersten Landesorgane gingen auf den Reichsstatthalter über, der sowohl die staatliche Verwaltung wie die Selbstverwaltung des Reichsgaues leitete.“69 Die Gaue unterteilten sich in Stadt- und Landkreise. Die oberste Position eines Landkreises bekleidete ein Landrat, bei großen Städten ein Oberbürgermeister. Die Einteilung des Steiermark sah folgendermaßen aus: Es bestand ein Stadtkreis (Graz) und daneben existierten Landkreise, wie Bruck an der Mur, Deutschlandsberg, Feldbach, Fürstenfeld, Graz (Land), Hartberg, Judenburg, Leibnitz, Leoben, Liezen, Mürzzuschlag, Murau, Oberwart, Radkersberug, Voitsberg und Weiz.70 4.3 Staatsrechtliche Entwicklung Österreichs nach 1945

In den von den Sowjets eingenommenen Teilen Österreichs, dabei handelte es sich vor allem um Wien, Niederösterreich und das Burgenland, wurde von den Vorständen der SPÖ, der ÖVP und der KPÖ in einer Proklamation die Unabhängigkeit Österreichs ausgerufen und eine provisorische Staatsregierung, welche von Dr. Karl Renner71 geleitet wurde, eingesetzt. Dieser provisorischen Staatsregierung gehörten die damaligen drei politischen Kräfte, nämlich SPÖ, ÖVP und KPÖ zu fast gleichen Teilen an. Als erstes wurde mit dem StGBl 1945/172, unter der provisorischen Staatsregierung, welche mit voller Legislativ- und Exekutivgewalt ausgestattet war, die Unabhängigkeit Österreichs verkündet. Das Territorium

67 BALTL-KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 277. 68 BALTL-KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 278; § 1 Abs 1 Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark (Ostmarkgesetz), dRGBl 1939/74, S.777. 69 BALTL-KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 278. 70 BALTL-KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 278; § 9 ff Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark (Ostmarkgesetz), dRGBl 1939/74, S.777; STATISTISCHES AMT FÜR DIE REICHSGAUE DER OSTMARK, Gemeindeverzeichnis, S. 120, 124. 71 Dr. Karl Renner (1870 – 1950), hatte mehrere politische Funktionen inne, seine wichtigste war jedoch vom 27.04.1945 bis 20.12.1945 österreichischer Staatskanzler und daran anschließend österreichischer Bundespräsident 21.12.1945 bis 31.12.1950; Republik Österreich Parlament, Dr. Karl Renner https://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_01664/index.shtml (eingesehen am 08.08.2019). 72 Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs. Kundmachung über die Einsetzung einer provisorischen Staatsregierung. Und die Regierungserklärung. StGBl 1945/1.

20 Österreichs wurde unter den damaligen Staatsgrenzen wie im Jahr 1938 restauriert. Der Anschluss 1938 wurde für „null und nichtig erklärt“73. Die Bundesverfassung B-VG 192074 trat erneut in Kraft. Von der provisorischen Staatsregierung wurde am 1. Mai 1945 ebenfalls das Verfassungs-Überleitungsgesetz (V- ÜG)75 verkündet. Durch das V-ÜG trat die Bundesverfassung B-VG 1920 idF 1929 in Kraft, mit dem Wortlaut „alles nach dem 5. März 1933 erlassene Verfassungsrecht, daher auch die Verfassung 1934, aufgehoben wurde“.76

Die „vorläufige Verfassung“ enthielt Regelungen für den Fall, dass es aufgrund der militärischen oder politischen Situation unmöglich gewesen wäre, die Bestimmungen des B-VG 1920 idF 1929 durchzuführen. Diese sollte längstens sechs Monate nach Zusammenkunft des neu gewählten Nationalrates außer Kraft treten. Inhaltlich wurde in der „vorläufigen Verfassung“ die Einrichtung Österreichs als demokratische Republik befohlen. Sämtliche Rechtsvorschriften durften mit diesem Prinzip nicht in Widerspruch stehen.77

Von den Soldaten der Sowjetunion wurden zunächst die Bundeshauptstadt Wien sowie Teile des östlichen Österreichs vom NS-Regime Anfang April 1945 erlöst. Die US-Streitkräfte erreichten die westliche Grenze Österreichs im Mai 1945. Die Kapitulation, welche eine bedingungslose war, erfolgte am 9. Mai 1945. Die Besetzung Österreichs durch NS-Truppen, insb der SS war bis zu dieser Kapitulation aufrecht. Von den Besatzermächten wurden mit Oktober 1945 für das gesamte Bundesgebiet die SPÖ, ÖVP und KPÖ, als politische Parteien, gestattet.78

Mit dem Rechts-Überleitungsgesetz – R-ÜG79 wurden alle „nach dem 13. März 1938 erlassenen Gesetze und Verordnungen sowie alle einzelnen Bestimmungen in solchen Rechtsvorschriften, die mit dem Bestand eines freien und unabhängigen Staates Österreich oder mit den Grundsätzen einer echten Demokratie unvereinbar sind, die dem Rechtsempfinden des österreichischen Volkes widersprechen oder typisches Gedankengut des Nationalsozialismus enthalten“80 aufgehoben. Die hierdurch nicht erfassten Gesetze und Verordnungen, welche auf dem Hoheitsgebiet Österreichs nach dem 13. März 1938 erlassen wurden, wurden bis zu deren Neugestaltung vorläufig in Geltung gesetzt. Durch das Behördenüberleitungsgesetz81 wurde die ehemalige österreichische Behördenstruktur wiedereingesetzt.82

73 BALTL-KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 280. 74 Gesetz vom 1. Oktober 1920, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes- Verfassungsgesetz B-VG), BGBl 1920/1. 75 Verfassungsgesetz vom 1. Mai 1945 über das neuerliche Wirksamwerden des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 (Verfassungs-Überleitungsgesetz – V-ÜG), StGBl 1945/4. 76 Zum wortwörtlichen Zitat siehe BALTL-KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 281. Absatzzitat: LEHNER, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, S. 370; BALTL-KOCHER, Rechtsgeschichte S. 280-281. 77 BALTL-KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 281. 78 LEHNER, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, S. 369. 79 Verfassungsgesetz vom 1. Mai 1945 über die Wiederherstellung des Rechtslebens in Österreich (Rechts- Überleitungsgesetz – R-ÜG), StGBl 1945/6. 80 § 1 Abs 1 R-ÜG, StGBl 1945/6. 81 Gesetz vom 20. Juli 1945 über die Überleitung der Verwaltungs- und Justizeinrichtungen des Deutschen Reiches in die Rechtsordnung der Republik Österreich (Behörden-Überleitungsgesetz – Behörden-ÜG), StGBl 1945/94.

21 Einem großen Stellenwert im Wiederaufbau Österreichs kam der Entnazifizierung zu. Neben der Entnazifizierung durch die Alliierten selbst wurde die Entnazifizierung auch durch österreichische Behörden gem den Bestimmungen des Verbotsgesetzes durchgeführt83. Mit dem Verbotsgesetz wurden die NSDAP als auch ihre Untergruppierungen verboten, eine etwaige Neubildung wurde untersagt als auch das Vermögen der NSDAP für verfallen erklärt. Darüber hinaus mussten sich ehemalige Angehörige der NSDAP sowie ihre Gliederungen registrieren lassen. Anhand der Daten aus der Registrierung wurde dann in „Belasteter oder Minderbelasteter“ 84 unterteilt oder auch in Nichtregistrierungspflichtige. Durch die Registrierung wurde den Registrierungspflichtigen „die Ausübung der bürgerlichen Rechte“85, aber auch eine Beschäftigung in Arbeits- und Dienstverhältnissen vorläufig untersagt oder erheblich erschwert.86

Die Staatsregierung wurde von den westlichen Besatzungsmächten zunächst als Lakai der Sowjet-Union angesehen, und sie fand daher erst im September 1945 (1. gesamtösterreichische Länderkonferenz) bei den Bundesländern Anerkennung. Der Alliierten Rat87 akzeptierte am 20. Oktober 1945 die provisorische Staatsregierung für das gesamte österreichische Hoheitsgebiet. Die ersten Nationalratswahlen Österreichs nach Ende des Zweiten Weltkriegs fanden am 25. November 1945 statt. Wegen der damaligen politischen wie auch sozialen Herausforderungen und der Ausübung der Autorität der Besatzungsmächte wurde von Leopold Figl 88 eine Regierung mit Beteiligung aller Parteien gebildet. Diese Allparteienregierung fand am 07. Jänner 1946 durch den Alliierten Rat seine Zustimmung.89

Nach dem Einmarsch der Roten Armee in die Stadt Graz, am 9. Mai 1945, begannen intensive Gespräche und Diskussionen bzgl der Betrauung einer neuen Landesregierung für die Steiermark. Die neue Regierung bestand aus je drei Mitgliedern der ÖVP, der SPÖ und der KPÖ, Reinhard Machold90 hatte den Vorsitz inne. Die Berechtigung für diese Landesregierung wurde am 15. Mai 1945 durch die UdSSR erteilt. Die Sowjets hielten sich weitgehend aus den Verwaltungsangelegenheiten heraus, wodurch die Regierung häufig nach eigenem Ermessen handeln konnte. Das Zonenabkommen91 wurde am 9. Juli

82 BALTL-KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 282; §§ 1 Abs 1 u 2 R-ÜG, StGBl 1945/6. 83 Verfassungsgesetz vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz), StGBl 1945/6. 84 BALTL-KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 283. 85 BALTL-KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 284. 86 BALTL-KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 283-284. 87 Ist eine Einrichtung der Besatzungsmächte in der Nachkriegszeit (1945-1955), welche die Aufgabe hatte: Österreichs Unabhängigkeit von Deutschland, Errichtung einer selbständigen österreichischen Zentralverwaltung und freie und geheime Wahlen durchzuführen. Zusammengesetzt hat sich der Alliierten Rat aus vier Oberbefehlshabern der jeweiligen Besatzungsmächte, die sich dann 1946 als Hochkommissare bezeichneten. Die Hochkommissare repräsentieren jeweils die eigenen Regierungen und sind die höchste Instanz für Themen die sich auf das gesamte Bundesgebiet beziehen; Wien Geschichte Wiki, Alliierter Rat https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Alliierter_Rat (eingesehen am 08.08.2019). 88 Dipl.Ing. DDDr. h.c. Leopold Figl (1902-1965) Mitbegründer der ÖVP und österreichischer Bundeskanzler von 1945 bis 1953; Republik Österreich Parlament, Dipl.-Ing. DDDr. h.c. Leopold Figl https://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_00326/ (eingesehen am 08.08.2019). 89 LEHNER, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, S. 370. 90 Reinhard Machold (1879 – 1961), erster provisorischer steirischer Landeshauptmann 1945, SPÖ. 91 Durch das Zonenabkommen vom 09.07.1945 wurde Österreich unter den 4 Besatzungsmächten aufgeteilt. Die Aufsicht über die Zonen übt der Alliierten Rat aus. Wien selbst wurde auch in Sektoren aufgeteilt. Die

22 1945 zwischen Frankreich, Großbritannien, den USA und der Sowjetunion geschlossen. Die Briten übernahmen am 24. Juli 1945 amtlich die Steiermark als ihre zugewiesene Besatzungszone. Die amtierende Landesregierung wurde von den Briten veranlasst, sich der Amtsgeschäfte zu enthalten und ihren Rücktritt einzureichen. Eine formelle Beziehung zur österreichischen Regierung wurde untersagt und Normen, wie Gesetze und Verordnungen der Staatsregierung aufgehoben. Von den Briten wurde Reinhard Machold mit der Bildung einer neuen Landesregierung beauftragt, die am 8. August 1945 erstmals zusammentrat. Nur mit Zustimmung der britischen Militärregierung durften anfangs bedeutende Handlungen und Regelungen getroffen werden.92

Bereits im Krieg entfachte der gemeinsame Wille, Österreich wieder aufleben zu lassen, und die unterschiedlichen politischen Werte zugunsten dieses gemeinsamen Ziels hintan zu stellen. Mittels der Okkupationstheorie93 war es möglich, dass zB Internationale Verträge nach Beendigung der Besetzung Österreichs durch das Deutsche Reich wieder aufgelebt hatten.94

Durch das 2. Verfassungsüberleitungsgesetz95 wurde dem Landtag die Kompetenz zur Gesetzgebung von der provisorischen Landesregierung zurückübertragen. Am 19. Dezember 1945, mit der konstituierenden Sitzung des NR, trat wieder das B-VG idF 1929 in Kraft. Die zahlreichen finanziellen Unterstützungen durch westliche Staaten führten zu einer stärkeren Bindung an die westlichen Besatzungsmächte. Österreich war um einen Staatsvertrag und den Abzug der Besatzermächte bemüht. Durch den Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion (Kalter Krieg) verschleppten sich die Verhandlungen. Somit war auch ein vorzeitiger Abzug der Besatzungsmächte in weite Ferne gerückt.96

genaue Aufteilung war: Vorarlberg und Tirol waren in der französischen Zone, Salzburg und Oberösterreich (jedoch ohne das Mühlviertel) waren US-amerikanische Zone, Steiermark, Kärnten und Osttirol waren in der britischen Zone und Burgenland, Niederösterreich und das oberösterreichische Mühlviertel waren in der sowjetischen Zone. Wien selbst wurde auch in Sektoren unterteilt, nämlich der dritte, fünfte, elfte, zwölfte und dreizehnte Bezirk waren britisch, der siebente, achte, neunte, siebzehnte, achtzehnte und neunzehnte Bezirk waren US-amerikanisch, der zweite, vierte, zehnte, zwanzigste, einundzwanzigste und zweiundzwanzigste Bezirk waren sowjetisch und der sechste, vierzehnte, fünfzehnte und sechszehnte Bezirk waren französischer Sektor. Der erste Bezirk wurde als „Interalliierte Zone“ gemeinsam von den Besatzungsmächten administriert; Wien Geschichte Wiki, Besatzungszonen https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Besatzungszonen (eingesehen am 08.08.2019). 92 HASIBA–POLASCHEK, Steiermark, S. 3, 5. 93 „Die Okkupationstheorie besagt, dass Hitler-Deutschland Österreichs Staatsfunktionäre mit Gewalt zum Rücktritt gezwungen habe und das Land militärisch besetzt und hierauf ins Deutsche Reich eingegliedert worden sei, sodass es zwischen März 1938 und April 1945 keine rechtsverbindlichen Handlungen habe setzen können.“; Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit, Österreich oder die Österreicher? http://www.versoehnungsfonds.at/db/admin/de/index_main617a.html?cbereich=3&cthema=341 &carticle=595&fromlist=1 (eingesehen am 22. 08.2019). 94 BALTL–KOCHER, Rechtsgeschichte, S. 279-282. 95 Verfassungsgesetz vom 13. Dezember 1945, womit verfassungsrechtliche Anordnungen aus Anlaß des Zusammentrittes des Nationalrates und der Landtage getroffen werden (2. Verfassungs – Überleitungsgesetz 1945), StGBl 1945, 232. 96 LEHNER, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, S. 372; HASIBA–POLASCHEK, Steiermark, S. 9 -11.

23 Das Zweite Kontrollabkommen97 der Besatzungsmächte trat am 28. Juni 1946 in Kraft und brachte eine Verringerung der Einflussnahme auf die Gesetzgebungskompetenz. Mit diesem Abkommen erweiterte sich der Aktionsradius der Regierung Österreichs auf das gesamte Hoheitsgebiet, auch wenn Ausnahmen zur Regierung und der Behördenstruktur mit Weisungskompetenz zugunsten der Alliierten Kommission weiterhin bestanden. Dieses Kontrollabkommen brachte eine Erleichterung bei Erlassung von Gesetzen, denn nur Verfassungsgesetze (auch Verfassungsgesetze der Länder) bedurften noch der ausdrücklichen und schriftlichen Bestätigung des Alliierten Rates vor deren Veröffentlichung. Einfache Gesetze galten im Umkehrschluss jedoch als genehmigt, wenn nicht binnen einer Frist von 31 Tagen Einspruch dagegen erhoben wurde. Der Alliierten Rat hatte überdies noch ein Veto-Recht, wenn die Frist von 31 Tagen verstrichen war, und es sich um eine Materie wie zB eine Verordnung der Bundesregierung oder einzelner Bundesminister sowie weitere Kundmachungen, bei denen eine Kundmachung im Bundesgesetzblatt vorgesehen war, handelte. LH Anton Pirchegger98 wurde am 5. Juli 1946 von der britischen Militärregierung mitgeteilt, dass man beabsichtige, das Kontrollabkommen in der Steiermark gleich anzuwenden, was bedeutete, dass der steirische Landtag auch die volle Exekutivgewalt über die Steiermark erhielt.99

97 Zweites Kontrollabkommen, welches am 28.06.1946 in Kraft trat, wurde vom Alliierten Rat beschlossen, und regelt wie oben auch erwähnt eine Verminderung des Einflusses auf die österreichische Regierung und Politik; Wien Geschichte Wiki, Zweites alliiertes Kontrollabkommen https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Zweites_Alliiertes_Kontrollabkommen (eingesehen am 08.08.2019). 98 Anton Pirchegger (1885 – 1949) war steirischer Landeshauptmann von 1945 bis 1948, ÖVP; Republik Österreich Parlament, Anton Pirchegger https://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_01211/ (eingesehen am 08.08.2019). 99 HASIBA–POLASCHEK, Steiermark 1945 – 1955, S. 16 -18; Wien Geschichte Wiki, Zweites alliiertes Kontrollabkommen https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Zweites_Alliiertes_Kontrollabkommen (eingesehen am 08.08.2019).

24 5 Die Reichsarbeitsdienst-Lager und die Partisanen

Im Lichte dieser dargestellten Gesamtsituation soll nun der Reichsarbeitsdienst und dessen Geschichte sowie dessen Lager dargestellt werden. Dann wird auf das RAD-Lager St. Oswald und dessen geo- graphische Lage eingegangen. Daran anschließend werden Widerstandskämpfer, nämlich die Partisanen näher beleuchtet. Hierbei soll ein Überblick über die Entstehung und die Geschichte der Partisanen gegeben werden sowie über ihr Wirken in Österreich, und es wird näher auf die Kampfgruppe Steiermark eingegangen, welche auch unter dem Namen „Koralmpartisanen“ bekannt wurde. 5.1 Die Geschichte zum Reichsarbeitsdienst

Der NS-Arbeitsdienst, welcher der NSDAP untergeordnet war, bildete den Vorläufer zum Reichsarbeitsdienst. Mit dem Reichsarbeitsdienstgesetz 100 wurde aus dem NS-Arbeitsdienst der Reichsarbeitsdienst (RAD). Unterstellt wurde der RAD dem Reichsminister des Inneren. Arbeitsdienstpflichtig war sowohl die weibliche als auch die männliche deutsche Jugend.101

Durch die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom 13. März 1938102 wurde die Reichsarbeitsdienstpflicht in Österreich mit 1. Oktober 1938 eingeführt, verlautbart durch die Verordnung über die Einführung des Reichsarbeitsdienstes im Lande Österreich103. Es waren daher die bereits erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Reichsarbeitsdienstes vom 26. Juni 1935 sinngemäß anzuwenden. In Österreich hatte es bis dato den Arbeitsdienst gegeben, welcher sich in seiner Organisation und seiner Durchführung wesentlich unterschieden hatte.104

An der Spitze der Reichsleitung des Reichsarbeitsdienstes stand ein Reichsarbeitsführer. Diesem waren ein Dienst-, Personal-, Verwaltungsamt uw zur Seite gestanden. Territorial gesehen hatte sich der Reichsarbeitsdienst in Arbeitsgaue unterteilt. Ein Arbeitsgau bestand wiederrum aus vier bis acht Arbeitsdienstgruppen, welche sich in fünf bis zehn Arbeitsabteilungen unterteilten. Einer Arbeitsabteilung gehörten 152 Arbeitsmänner an. Hierbei waren die Führer schon mit eingerechnet.105

Die Aufnahme zur Führerlaufbahn erforderte ein Mindestalter von 16,5 Jahren, jedoch durfte das 24. Lebensjahr noch nicht abgeschlossen sein. Zudem musste man einen Nachweis über arische Abstammung sowie die bisherige Unbescholtenheit (polizeiliches Führungszeugnis und Strafregisterauszug) beibringen. Die Dienstgrade der Führerlaufbahn beim Reichsarbeitsdienst waren folgende: Truppführer, Obertruppführer, Unterfeldmeister (untere Führerlaufbahn); Feldmeister, Oberfeldmeister, Oberstfeldmeister (mittlere Führerlaufbahn); Arbeitsführer, Oberarbeitsführer,

100 Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935, dRGBl 1935/64. 101 LEY, Organisationsbuch, S. 465. 102 Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich. Vom 13. März 1938, dRGBl 1938/21. 103 Verordnung über die Einführung des Reichsarbeitsdienstes im Landes Österreich, vom 19. April 1938, dRGBl 1938, S. 400. 104 STAMM, Reichsarbeitsdienst, S. 151. 105 LEY, Organisationsbuch, S. 466.

25 Oberstarbeitsführer, Generalarbeitsführer, Obergeneralarbeitsführer, Reichsarbeitsführer (obere Laufbahn). Neben der Führerlaufbahn gab es noch die Verwaltungslaufbahn, welche folgende Dienstgrade umfasste: Amtswalter, Oberamtswalter, Hauptamtswalter (mittlere Laufbahn); Stabsamtswalter, Oberstabsamtswalter, Oberstamtswalter (obere Laufbahn). Die Stellung der Reichsarbeitsdienstführer war eine besondere, da sie weder Beamte noch Soldaten waren. Voraussetzung für einen persönlichen Aufstieg im RAD waren besondere Leistungen sowie ein erfolgreiches Absolvieren der RAD-Schulen.106

Der Kommandant der RAD-Abteilung, auch Abteilungsführer genannt, war ein Oberfeldmeister. Dieser war seinen ihm unterstellten Gruppenführern verantwortlich, damit jene die Abteilung in Arbeits-, Erziehungs- und Ausbildungsaufgaben erfolgreich führen konnten. Unterstützt wurde der Abteilungsführer durch seine Zugführer, welche den Dienstgrad eines Unterfeldmeister, Feldmeisters oder Oberfeldmeisters inne hatten. In wirtschaftlichen Angelegenheiten waren dem Abteilungsführer ein Verwalter, ein Zeugmeister und ein Quartiermeister bei Seite gestellt.107

Im Gegensatz zur Wehrmacht wurde beim RAD anstelle des Waffendienstes Arbeit geleistet. Hierbei kam dem RAD eine erzieherische wie auch eine wirtschaftliche Aufgabe zu. Jene Erziehung wurde in Lagern, welche sich außerhalb von Städten befanden, in militärischer Form vollzogen. Hiermit wollte man einerseits eine nationalsozialistische Arbeitsgesinnung und andererseits eine Volksgemeinschaft erzielen. Ziel war es die eigene Bevölkerung durch Bewirtschaftung des eigenen Bodens zu ernähren. Ein RAD-Arbeitsmann bekam für seinen Dienst keinen Lohn.108

Eine Verstaatlichung des RADs wurde durch das RAD-Gesetz vom 26. Juni 1935 vollzogen. Durch dieses Gesetz wurde das Unterstellungverhältnis unter die NSDAP aufgehoben. Er sollte eine selbständige Organisation werden wie zB die Wehrmacht oder die Polizei. Der RAD war dennoch äußerst stark mit der NSDAP verbunden war. Dies geschah bspw durch Ernennung Konstantin Hierls109 zum Reichsleiter des RADs, am 10. September 1936 beim Reichsparteitag. Einige Monate zuvor hatte Hierl das Goldene Parteiabzeichen verliehen bekommen. Unterstellt war der RAD dem Reichsminister des Inneren. Hierl begehrte ein eigenes Ministerium für den RAD unter seiner persönlichen Führung. Seine Forderung hatte sich nie durchgesetzt. In den Augen Hierls, welcher ein überzeugter Nationalsozialist war, gehörten die NSDAP und der Reichsarbeitsdienst zusammen, wenn sie auch formal getrennt waren.110

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden eine Vielzahl an RAD-Führern zum Wehrdienst eingezogen. Im Verlauf des Krieges wurden die RAD-Führer vermehrt eingesetzt um die Luftwaffe und

106 LEY, Organisationsbuch, S. 468; DECKER, Arbeitsdienst, S. 35-36. 107 SEIPP, Spaten, S. 168-169. 108 LEY, Organisationsbuch, S. 465-466. 109 Konstantin Hierl (1875 – 1955) war die tragende Figur beim RAD. Er gilt als Schöpfer und Organisator und wurde vom Reichsparteitag zum Führer des Arbeitsdienstes auserkoren. SEIPP, Spaten, S. 122-123. 110 TRYBEK, Reichsarbeitsdienst, S. 130.

26 das Heer als Bautruppe zu unterstützen. Im Jahr 1941, dem Beginn des Russlandfeldzuges, wurden Baueinheiten des Reichsarbeitsdienstes mit Fahrrädern ausgestattet, und kamen sehr weit vorne im Kriegsfeld zum Einsatz. Im Jahr 1942 wurden im Rahmen der „letzten deutschen Offensive im Osten“111 junge RAD-Einheiten eingesetzt, welche der Wehrmacht als Unterstützung zur Seite standen. Weitere RAD-Einheiten wurden für den Bau improvisierter Feldflugplätze für die Luftwaffe eingesetzt. Mit Ende des Jahres 1943 wurde die Ausbildung beim RAD zunehmend militärischer. Im selben Jahr wurden 400 schwere Flakbatterien von RAD-Führern übernommen, welche sich sowohl im Osten als auch im Westen gegen Panzerverbände bewährten. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde dem RAD auch die militärische Ausbildung mit der Waffe übertragen.112

Durch die Dritte Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Reichsarbeitsdienstgesetzes (Strafverfolgung gegen Angehörige des Reichsarbeitsdienstes) vom 16. November 1940113 wurde die Dienststrafrechtsbefugnis des RADs erweitert. Man konnte nun allgemeine Straftaten der Angehörigen aus dem eigenen Recht sanktionieren. Vor jenem Zeitpunkt war es üblich, dass zunächst das Gericht über strafbare Handlungen zu befinden hatte, und diese Handlungen erst vom RAD aufgegriffen werden durften, wenn das Gerichtsverfahren, aufgrund von geringem Verschulden, eingestellt wurde. Ein gefasstes Urteil des RADs konnte von den Gerichten nicht wieder aufgenommen oder neuerlich entschieden werden. Einige Tatbestände des Militärstrafgesetzbuchs fanden für den RAD, bei seinem Einsatz im Rahmen der Wehrmacht, Anwendung, wie zB Widersetzung, Ungehorsam, tätlicher Angriff auf einen Vorgesetzten, Meuterei, Straftaten gegen eine Wache, Plünderung usw. Für die zuvor erwähnten Delikte war das Wehrmachtsgericht zuständig. Hingegen wurden zB unerlaubte Entfernung, Fahnenflucht usw vom Reichsarbeitsdienst selbst strafrechtlich sanktioniert.114 5.2 Die Reichsarbeitsdienst-Lager in der Steiermark

In der Steiermark waren vom Reichsarbeitsdienst (RAD) im Sommer 1938 schon 22 Lager errichtet worden. Diese Lager wurden oftmals auch in abgelegenen Orten errichtet, um den lokalen Ausbau der Infrastruktur voranzutreiben. Nach und nach kamen weitere Lager hinzu.115

„RAD- Lager wurden in Bad Gleichenberg, Birkfeld, Dobl, Gaishorn, Graz (Lagergruppe 220), Grötsch, Hartberg (Lagergruppe 223), Kapfenstein, Lang, Leibnitz, Leoben (Lagergruppe 222), Lichendorf, Liezen, Loipersdorf, Poppendorf, Preding, Radkersburg, St. Oswald, St. Peter bei Feistritz, Pürgg- Schachen, Schönberg, Steindorf, Tillmitsch, Untertal, Weißenbach bei Liezen, Weniggleinz und Wildon aufgebaut.“116

111 MALLBREIN, Reichsarbeitsdienst-Dokumentation, S. 44. 112 MALLEBREIN, Reichsarbeitsdienst-Dokumentation, S.44-45. 113 Dritte Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Reichsarbeitsdienstgesetzes (Strafverfolgung gegen Angehörige des Reichsarbeitsdienstes) vom 16. November 1940, dRGBl 1940/ S.1513. 114 TRYBEK, Reichsarbeitsdienst, S. 143-146. 115 KARNER, Steiermark, S. 257. 116 KARNER, Steiermark, S. 257.

27 5.2.1 Das Reichsarbeitsdienst-Lager in Sankt Oswald ob Freiland

Das Reichsarbeitsdienst-Lager von Sankt Oswald ob Freiland (RAD-Abteilung 4/360) befand sich in der heutigen Gemeinde Kloster117 im Bezirk Deutschlandsberg, an der Grenze zu Kärnten. Gestartet wurde mit den ersten Arbeiten zur Errichtung des Lagers schon im Juni 1938. Vor dem RAD-Lager St. Oswald gab es ein Lager des „Freiwilligen Arbeitsdienstes“ in der Nachbargemeinde Sallegg118, wo in etwa eine 40 Mann starke Truppe eine Straßenverbindung von Stainz119 nach Kloster errichtete. Zur Fertigstellung dieser Verbindung kam es jedoch nicht, und somit wurde der RAD mit der Fertigstellung beauftragt. Das Lager lag auf einer Seehöhe von ca 1000 Meter, umgeben von Bergen und Natur. Die Unterkünfte, auch Baracken genannt, befanden sich auf Terrassen, welche in den Hang gebaut waren. Umgeben war das von den eigenen Angehörigen bewachte Lager von einem Jägerzaun.120

Das Reichsarbeitsdienst-Lager von Sankt Oswald ob Freiland hatte um 1945 ca 200 Mann Reichsarbeitsdienstangehörige und SS-Angehörige.121 5.3 Die Partisanen

In den nachfolgenden Abschnitten wird näher auf die Entstehung und Herkunft der Partisanen, sowie auf die Partisanengruppen in Österreich, insbesondere die Kampfgruppe Steiermark, eingegangen. 5.3.1 Die Entstehung und Herkunft der Partisanen

Der Begriff Partisan leitet sich aus dem Italienischen „partigiano“ ab. Darunter wird ein mit Waffen bestückter Kämpfer verstanden, welcher aber keinen Streitkräften eines Landes angehört. In der Regel kommt der Partisanenkampf dann vor, wenn ein Staat einen anderen annektiert hat, und sich einzelne Kämpfer, die keiner Armee angehören, gegen diese Besetzung wehren. Gekämpft wird primär mit leichten Waffen, da man oft auch im unwegsamen Gelände im Verborgenen unterwegs ist. Neben dem Kampf wird auch Spionage und die Sabotage des Gegners betrieben. Meist gehören diesen Gruppen

117 Ehemalige Gemeinde Kloster (194 Einwohner mit Stand 01.01.2014), wurde durch die steiermärkische Gemeindestrukturreform 2015, mit dem Ziel wirtschaftlichere, leistungsfähigere und professionellere Gemeinden, die die Grundversorgung des jeweiligen Gebiets abdecken, mit Deutschlandsberg, Freiland bei Deutschlandsberg, Bad Gams, Osterwitz und Trahütten zu Deutschlandsberg zusammengeschlossen; Gemeindestrukturreform, neue Gemeindestruktur, Reformagenda Steiermark, Gemeindestrukturreform Steiermark: „Stärkere Gemeinden – größere Chancen” http://www.gemeindestrukturreform.steiermark.at/cms/dokumente/11820435_97007261/ f8130d9d/Pr%C3%A4sentation_GSR_end.pdf (eingesehen am 22.08.2019); Gemeindestrukturreform, neue Gemeindestruktur, Die neue Gemeindestruktur der Steiermark http://www.gemeindestrukturreform.steiermark.at/cms/dokumente/11820435_97007261/ c19ab0d1/Liste%20Gemeinden_GSR%20Gesamt.pdf (eingesehen am 22.08.2019). 118 Sallegg ist ein Ortsteil der ehemaligen Gemeinde Kloster, und gehört aufgrund der steiermärkischen Gemeindereform nun zu Deutschlandsberg. 119 Die Marktgemeinde Stainz (8554 Einwohner mit Stand 01.01.2014) liegt im politischen Bezirk Deutschlandsberg und wurde durch die steiermärkische Gemeindestrukturreform 2015 mit den Gemeinden Georgsberg, Marhof, Rassach, Stainztal und Stallhof zur Marktgemeinde Stainz zusammengelegt; Gemeindestrukturreform, neue Gemeindestruktur, Die neue Gemeindestruktur der Steiermark http://www.gemeindestrukturreform.steiermark.at/cms/dokumente/11820435_97007261/ c19ab0d1/Liste%20Gemeinden_GSR%20Gesamt.pdf (eingesehen am 22.08.2019). 120 BLATNIK, Zeitzeugen, S. 120-121; TRYBEK Reichsarbeitsdienst, S. 64. 121 WACHS, Kampfgruppe, S. 17.

28 ortskundige Mitstreiter an, die essentiell für das sichere und zügige Vorankommen der Gruppe sind. Schutz und Hilfe erhielten die Partisanen in der Regel aus der Bevölkerung, indem sie vor Streitkräften der Kontrahenten gewarnt und versteckt sowie mit Nahrung und Kleidung versorgt wurden.122 5.3.2 Die Partisanen in Österreich

Generell war der Widerstandskampf in Österreich auf nicht gewaltsame Handlungen begrenzt, wie zB die Bildung von politischen Gruppen oder Verbreitung von Propagandamaterial, einzige Ausnahmen bestanden hinsichtlich der nachfolgenden Partisanengruppen. Die Partisanen und deren Kampf waren nicht ein Phänomen des Zweiten Weltkrieges. Im Spanischen Unabhängigkeitskrieg gegen Napoleon, wurde schon erstmals das Wort „Guerilla“, welches übersetzt „kleiner Krieg“ bedeutet, geprägt. Die Ausdehnung vom „kleinen Krieg“ zum „Volkskrieg“ erfolgte während des Zweiten Weltkriegs.123

Neben den im nachfolgenden Kapitel eigens behandelten Partisanen, namens Kampfgruppe Steiermark, gab es auch zahlreiche andere Partisanengruppen in Österreich. Die Hochburg des Partisanenkampfes war Südösterreich, insbesondere wurden im Herbst 1944 fünf Gruppen, auch bekannt als „Österreichische Bataillone“, auf slowenischem Hoheitsgebiet positioniert, von denen zwei Gruppen auch 1945 Kampferfahrung sammelten. Ein Großteil der Angehörigen dieser Partisanengruppen waren Funktionäre mit Kampferfahrung aus der KPÖ, von der Wehrmacht zu den sowjetischen Streitkräften Übergelaufene und auch Spanienkämpfer124. Neben den erwähnten Widerstandsgruppierungen, welche in Kärnten aktiv waren, war nur die „Partisanengruppe Leoben-Donawitz“125 mit Waffengewalt zu Tage getreten. Die „Salzkammergut-Partisanen“ hingegen hatten nie aktiv das Gefecht gesucht, da man Sanktionen gegenüber der Bevölkerung befürchtete. Zusammen mit den britischen Kampfgruppen (Ende April 1945/ Anfang Mai 1945) mischte man bei der Befreiung Österreichs mit und beteiligte sich auch an der Sicherstellung von Raubkunstgegenständen der Nazis, welche sich in einem Stollen befunden hatten, bevor diese durch die Nationalsozialisten zerstört werden konnten.126

Den Partisanengruppen, welche mit dem Fallschirm (insbesondere jenen, die in der Steiermark aktiv waren) abgesetzt wurden, und sich nach Österreich gekämpft hatten, fiel es unverhältnismäßig schwerer, als jenen Kärntner Partisanen, die vollste Unterstützung und Wertschätzung durch die Bauern aus Slowenien hatten, sich in der Öffentlichkeit zu etablieren, da die Nationalsozialisten mit gezielter NS- Propaganda die Partisanen diffamierten, und Unterstützer (Unterkunftsgewährung oder Versorgung mit Nahrung) durch den NS-Apparat gezielt verfolgt und bestraft wurden.127

122 HANISAULAND, Politik für dich (Bundeszentrale für politische Bildung), Partisan https://www.hanisauland.de/lexikon/p/partisan.html (eingesehen am 22.08.2019). 123 NEUGEBAUER, Widerstand S. 179. 124 Im spanischen Bürgerkrieg 1936-39 nahmen an der Seite der Spanischen Republik ca 1500 Österreicher teil. Man hat sich aufgrund der verlorenen Februarkämpfe entschieden den Faschismus zu bekämpfen; AEIOU – das Kulturinformationssystem; Österreich Lexikon, Spanienkämpfer http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.s/s682175.htm (eingesehen am 08.08.2019). 125 NEUGEBAUER, Widerstand S. 180. 126 NEUGEBAUER, Widerstand S. 180-181. 127 NEUGEBAUER, Widerstand und Partisanenkampf; NEUGEBAUER, Widerstand S. 179.

29 Die kommunistischen Parteien Jugoslawiens und Österreichs hatten ein Abkommen getroffen, wodurch „im Rahmen der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee (Tito-Partisanen) im Herbst 1944 fünf „Österreichische Bataillone“ in Slowenien aufgestellt“128 wurden. Zwei dieser Bataillone beteiligten sich bei Kampfeinsätzen. Die Kämpfer in den Bataillonen setzten sich aus getreuen Kaderangehörigen der KPÖ, aus Spanienkämpfern und aus Übergelaufenen zur Roten Armee zusammen. Mit dem Flugzeug wurden die Kämpfer nach Slowenien gebracht. Der Auftrag war von vorn herein nicht als Unterstützung der Tito-Partisanen zu funktionieren, sondern in den Süden Österreichs vorzudringen und an der Befreiung Österreichs gemäß der Moskauer Deklaration mitzuwirken.129 5.3.3 Die Kampfgruppe Steiermark

Zur Befreiung Österreichs wurde von den Alliierten, mit deren Moskauer Deklaration vom 1. November 1943, ein „eigener Beitrag“ verlangt. Die Führung der KPÖ, welche sich im Exil in der Sowjetunion befand, strebte eine Verstärkung des Widerstandskampfes bzw auch eine Ausweitung des Partisanenkampfes an. Mit Hilfe der Sowjetunion und einem Übereinkommen mit der jugoslawischen Militärmission konnte eine 25 Mann starke Truppe mit Junibeginn 1944 per Flugzeug nach Črnomelj130, welches von slowenischen Partisanen beherrscht wurde, gebracht werden. Die Männer dieser Partisanengruppe, welche unter dem Namen „Kampfgruppe Steiermark“ oder auch „Koralmpartisanen“ namhaft waren, setzten sich aus erfahrenen Kämpfern (Februar- 131 und Spanienkämpfer), welche Vertreter der Kommunisten waren, zusammen. Im September 1944 überschritt diese Gruppe die Grenze zu Österreich. Sie verweilte im Großraum der Koralm, wo sie dann gegen Nationalsozialisten und deren Anhänger kämpfte. Durch Wehrmachtsdeserteure und örtliche Widerstandskämpfer waren die Koralmpartisanen schließlich auf 500 Mann angewachsen. Am 8. Mai 1945 (Kriegsende) wurden Schwanberg132 und Deutschlandsberg133 von den Partisanen vom NS-Regime erlöst.134

128 NEUGEBAUER, Widerstand, S. 181. 129 NEUGEBAUER, Widerstand, S. 181. 130 Črnomelj, ist eine Stadt im südlichen Slowenien, nahe der Grenze zu Kroatien und hat derzeit über 5000 Einwohner. http://www.crnomelj.si/obcina-2/osnovni-podatki/o-obcini (eingesehen am 22.08.2019); 131 Februarkämpfe 1934 in Österreich. Bei einer Waffensuchaktion der Heimwehr leisteten „sozialdemokratische Schutzbündler“ im Linzer Hotel Schiff (sozialdemokratische Parteiheim) eine bewaffnete Gegenwehr. Aufgrund dessen brachen die Februarkämpfe von 12.02. bis 15.02.1934 aus; AEIOU – das Kulturinformationssystem; Österreich Lexikon, Februarkämpfe 1934 http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.f/f132496.htm (eingesehen am 08.08.2019). 132 Schwanberg liegt am Fuße der Koralm (südwestliche Steiermark), umgeben von Wäldern und Weingärten; Schilcherland Steiermark, Süd & West Steiermark, Schwanberg https://www.schilcherland.at/de/Schwanberg_c87 (eingesehen am 08.08.2019). 133 Deutschlandsberg, die Bezirkshauptstadt, befindet sich in der südlichen Weststeiermark, ebenso wie Schwanberg umgeben von Wiese, Wäldern und Weingärten. Derzeit hat Deutschlandsberg rund 11.600 Einwohner; DLBG Deutschlandsberg, Willkommen in der Bezirksstadt Deutschlandsberg! https://www.deutschlandsberg.at/ (eingesehen am 08.08.2019). 134 NEUGEBAUER, Koralmpartisanen.

30 6 Die rechtlichen Grundlagen

In den nachfolgenden Punkten soll kurz auf die wesentlichsten Bestimmungen des Kriegsverbrechergesetzes, des Strafgesetzes über Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen, auf die Strafprozessordnung und das Jugendgerichtsgesetz eingegangen werden. 6.1 Das Strafgesetz - StG 1852

Mit dem Gesetz vom 12. Juni 1945 über die Wiederherstellung des österreichischen Strafrechtes 135 wurden die in § 1 angeführten Verordnungen, welche während der NS-Zeit verlautbart wurden, aufgehoben oder abgeändert. Gem § 2 Abs 1 Gesetz vom 12. Juni 1945 über die Wiederherstellung des österreichischen Strafrechtes traten die Bestimmungen, welche in § 1 des Gesetzes genannt wurden, wieder in der Fassung des Strafgesetzbuches vom 27. Mai 1852, wie auch des Jugendgerichtsgesetzes vom 18. Juli 1928136 in Kraft. Gem § 3 Abs 1 Gesetz vom 12. Juni 1945 über die Wiederherstellung des österreichischen Strafrechtes hatte eine Vorschrift, welche mit der neu verlautbarten Fassung des Straf- gesetzbuches sowie dem Jugendgerichtsgesetz in Widerspruch stand, umgehend außer Kraft zu treten.137

Nachfolgend werden die wichtigsten Bestimmungen des Strafgesetzes 1852, die für das Verfahren relevant waren, erläutert. § 134 StG regelte den Mord: Nach dieser Norm, war jeder, der in der Absicht handelte, einen anderen Menschen zu töten oder aufgrund dessen Handelns der Tod eines anderen Menschen erfolgte, dem Delikt des Mordes schuldig.138 Mord wurde gem § 135 StG in 4 Kategorien unterteilt: Meuchelmord (mittels Gift oder sonstiger tückischer Weise), Raubmord (um eine fremde bewegliche Sache mittels Gewalt an sich zu bringen), bestellter Mord („Lohnmord“ oder in anderer Weise durch einen Dritten bestimmt) und gemeiner Mord (gehört zur schweren Gattung). 139 Ein vollendeter Mord sollte nicht nur dem unmittelbaren Täter, sondern auch dem, der den Mord in Auftrag gegeben hatte, oder den „unmittelbar Mitwirkenden“ zur Last fallen, und war mit dem Tode zu bestrafen.140

Eine zentrale Norm für den Gerichtsprozess findet sich in § 335 StG. Diese Bestimmung handelte „von den Vergehen und Uebertretungen gegen die Sicherheit des Lebens“141. Jedes aktive Tun oder auch Unterlassen, von demjenigen, der die Handlung oder Unterlassung setzt, und es für diesen aufgrund der allgemein bekannten Vorschriften oder auch ihm bekannten speziellen Vorschriften oder auch seiner Stellung in der Gesellschaft bzw auch seines Berufes zu verstehen hatte, dass durch seine Handlung oder auch Unterlassung „eine Gefahr für Leben, Gesundheit oder körperliche Sicherheit von Menschen

135 Gesetz vom 12. Juni 1945 über die Wiederherstellung des österreichischen Strafrechtes, StGBl 1945/25. 136 Bundesgesetz vom 18. Juli 1928 über die Behandlung junger Rechtsbrecher (Jugendgerichtsgesetz), RGBl 1928/234. 137 Gesetz vom 12. Juni 1945 über die Wiederherstellung des österreichischen Strafrechtes, StGBl 1945/25. 138 MALANIUK, Lehrbuch, S.8; § 134 StG. 139 MALANIUK, Lehrbuch, S.10-11; § 135 StG. 140 § 136 StG. 141 § 335 StG; MAUCHER, Nachschlagebuch, S. 105-106.

31 herbeizuführen, oder zu vergrößern geeignet sei“142, sollte „wenn hieraus eine schwere körperliche Beschädigung (§.152)143 eines Menschen erfolgte, an jedem Schuldtragenden als Uebertretung mit Arrest von einem bis zu sechs Monaten; dann aber, wenn hieraus der Tod eines Menschen erfolgte, als Vergehen mit strengem Arreste von sechs Monaten bis zu einem Jahr geahndet werden“.144

Ebenfalls war auch § 34 StG von Bedeutung, nach welcher Strafbestimmung ein Verbrecher, der mehrere Straftaten begangen hatte, nach jener Norm, auf die die „schärfere Strafe“145 stand, zu bestrafen war. Hierbei war „Bedacht auf die übrigen Verbrechen“146 zu nehmen.147

§ 5 StG handelte von den Mitschuldigen und Teilnehmern an einem Verbrechen, das bedeutet, dass nicht nur unmittelbare Täter, sondern auch Mittäter oder Teilnehmer eines Verbrechens strafbar wurden.148

Auch noch erwähnt werden sollte der im Urteil zitierte § 2 StG, der „Gründe, die den bösen Vorsatz ausschließen“ 149 nannte. Danach wurde eine „Handlung oder Unterlassung nicht als Verbrechen zugerechnet“150, wenn einer von sieben Gründen vorlag. Der im Urteil erwähnte Grund war jener, wonach „eine Handlung oder Unterlassen nicht als Verbrechen zugerechnet wird, wenn die That durch unwiderstehlichen Zwang, oder in Ausübung gerechter Notwehr erfolgte.“151

Hinzuweisen ist letztlich auf § 55a StG, welcher die Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafe regelte. „Die Verwahrungs- und Untersuchungshaft, die der Verurteilte vor der Begründung des Urteiles I. Instanz erlitten hat, ist auf Freiheitsstrafen und Geldstrafen anzurechnen, soweit der Verurteilte sie nicht verschuldet hat.“152 6.2 Die Strafprozessordnung - StPO 1873

Mit dem Gesetz vom 12. Juni 1945 über die Wiederherstellung des österreichischen Strafprozeßrechtes153 wurden die in § 1 genannten Verordnungen aufgehoben. Die Strafprozeßordnung vom 23. Mai 1873154 trat für die aufgehobenen bzw abgeänderten Bestimmungen wieder in der Fassung vom 13. März 1938 in Kraft. § 3 Abs 1 Gesetz vom 12. Juni 1945 über die Wiederherstellung des österreichischen

142 § 335 StG. 143 Der oben angeführte Paragraph handelt von dem Verbrechen der schweren körperlichen Beschädigung. „Wer gegen einen Menschen, zwar nicht in der Absicht, ihn zu töten, aber doch in anderer feindseliger Absicht, auf eine solche Art handelt, daß daraus (§.134) eine Gesundheitsstörung oder Berufsunfähigkeit von mindestens zwanzigtägiger Dauer, eine Geisteszerüttung oder eine schwere Verletzung desselben erfolgte, macht sich des Verbrechens der schweren körperlichen Beschädigung schuldig.“ § 152 StG. 144 § 335 StG. 145 § 34 StG. 146 § 34 StG. 147 § 34 StG. 148 ALTMANN, Strafgesetz, S. 25-26; § 5 StG. 149 § 2 StG. 150 § 2 lit g StG. 151 § 2 lit g StG. 152 § 55a StG 1852 idF 1937 (durch RGBl 1913/143 eingeführt). 153 Gesetz vom 12. Juni 1945 über die Wiederherstellung des Strafprozeßrechtes, StGBl 1945/26. 154 Gesetz vom 23. Mai 1873, betreffend die Einführung einer Strafproceß-Ordnung. RGBl 1873/119.

32 Strafprozeßrechtes sah für den Fall eines Widerspruches, ein außer Kraft treten der ursprünglichen, widersprechenden Norm vor.155

Gemäß § 265a StPO wurde dem Gerichtshof156 ein Handlungsspielraum für Fälle eingeräumt, in denen ein Strafrahmen von fünf bis zehn Jahren bestimmt wurde, und sehr wichtige oder überwiegende Milderungsgründe vorgelegen haben, auf eine andere, mildere Kerkerstrafe zu erkennen oder auch die Arreststrafe zu verkürzen, es durfte eine Mindeststrafe von sechs Monaten jedoch nicht unterschritten werden. Wenn ein Strafrahmen von zehn bis zwanzig Jahren vorgesehen war oder auch eine lebenslange Haftstrafe, konnte wegen vorhandener Milderungsgründe, die Haftstrafe in ihrer Dauer auf ein Minimum von einem Jahr verkürzt werden, jedoch durfte die Art der Kerkerstrafe nicht geändert werden.157

§ 259 StPO regelte den Freispruch des Angeklagten. Ziffer 1 besagte, dass ein „Strafverfahren ohne den Antrag eines gesetzlich berechtigten Anklägers eingeleitet oder gegen dessen Willen fortgesetzt“158 zum Freispruch zu führen habe. Ziffer 2 beschäftigte sich mit dem Fall der Rücknahme der Anklage („nach Eröffnung der Hauptverhandlung“): Bevor sich die Richter zur Urteilsfindung in die Beratung begeben haben, konnte der Ankläger die Klage noch zurückziehen, was zu einem Freispruch führte. Zur Vollständigkeit soll noch die Ziffer 3 des § 259 StPO erwähnt werden: „Wenn der Gerichtshof erkennt, daß die der Anklage zu Grunde liegende That vom Gesetz nicht mit Strafe bedroht, oder der Thatbestand nicht hergestellt, oder nicht erwiesen sein, daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegt That begangen habe, oder daß Umstände sein, daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegt That begangen habe, oder daß Umstände vorliegen, vermöge welcher die Strafbarkeit aufgehoben oder die Verfolgung aus anderen als den unter Abs 1 und 2 angegebenen Gründen ausgeschlossen ist.“159

Im Falle der Verurteilung des Angeklagten musste im Urteil gem § 389 StPO auch zugleich ein Ausspruch über die Kosten erfolgen. Wurde der Angeklagte nicht in allen Punkten für schuldig befunden, musste eine Kostenabwägung stattfinden. Die Pflicht zum Kostenersatz traf nur den Verurteilten, jedoch niemals Dritte.160

Im Urteil wurde § 366 StPO ebenfalls angewandt. Es handelte sich hierbei um den Ausspruch zu den Forderungen des sogenannten Privatbeteiligten, das ist jener, der „durch ein Verbrechen oder durch ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen oder eine solche Übertretung in seinen Rechten“161 verletzt wurde. Dieser konnte sich bis zum Beginn der Hauptverhandlung, mit seinem behaupteten

155 Gesetz vom 12. Juni 1945 über die Wiederherstellung des Strafprozeßrechtes, StGBl 1945/26. 156 Gemeint ist hier die Strafkammer. 157 HOYER, Strafprozessordnung, S.178; § 265a StPO. § 265a StPO, eingeführt durch Strafrechtsänderungsgesetz 1934, BGBl 1934/77. 158 § 259 StPO. 159 § 259 StPO. 160 § 389 StPO. 161 GAMPP-KIMMEL, Lehrbuch, S. 42.

33 privatrechtlichen Anspruch, dem Verfahren als Privatbeteiligter anschließen. Das Strafgericht konnte diesem zivilrechtliche Ansprüche zuerkennen oder ihn auf den Zivilrechtsweg verweisen.162 6.3 Das Jugendgerichtsgesetz - JGG 1928

Ebenfalls zur Anwendung durch das Volksgericht Graz gelangte das JGG163. Dieses Gesetz bezeichnete, was ein Unmündiger und was ein Jugendlicher war. Ein Unmündiger war eine Person, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Hingegen sprach man von einem Jugendlichen, wenn diese Person zwar schon das 14. Lebensjahr beendet hatte, jedoch noch nicht das 18. Lebensjahr.164

Im Speziellen wird § 11 JGG erwähnt, welcher „für die Ahndung strafbarer Handlungen, die von „schuldfähigen Jugendlichen“ 165 begangen werden“ 166 , Sondervorschriften vorsah. Sollte ein Urteil üblicherweise auf schweren Kerker oder Kerker lauten, so war in diesem Fall auf strengen Arrest167 zu urteilen. Eine weitere Besonderheit war, dass anstelle einer lebenslangen Freiheitsstrafe, auf eine Freiheitsstrafe von max 10 Jahren zu erkennen war. Generell wurde die höchst mögliche Freiheitsstrafe für Jugendliche halbiert. Andere Folgen, die üblicherweise durch das StG oder andere gesetzliche Bestimmungen eintreten konnten, traten für Jugendliche nicht ein. Zum Beispiel war bei der Strafbemessung anstelle von schwerem Kerker oder Kerker, auf strengen Arrest zu erkennen. Auch existierten spezielle Tilgungsfristen, welche bei Verbrechen fünf Jahre und bei anderen strafbaren Handlungen drei Jahre betrugen. „Gegen einen Jugendlichen darf auf Zulässigkeit der Stellung unter Polizeiaufsicht nicht erkannt werden.“ 168 Zudem durfte ein Jugendlicher auch nicht des Landes verwiesen werden, selbst dann nicht, wenn dies verpflichtend vorgeschrieben war, wenn hiermit aufgrund der Entfernung zum aktuellen Aufenthaltsort, die Möglichkeit einer Verwahrlosung bestand. Diese Bestimmungen hatten auf die Verjährungsfrist keinerlei Auswirkungen.169

162 § 366 StPO. 163 Bundesgesetz vom 18. Juli 1928 über die Behandlung junger Rechtsbrecher (Jugendgerichtsgesetz). BGBl 1928/234. 164 § 1 JGG. 165 Hierbei handelt es sich um Jugendliche, die gemäß § 1 JGG das 14. Lebensjahr beendet haben, aber noch nicht das 18. Lebensjahr. 166 § 11 JGG. 167 Hier wurde der Häftling ohne Eisen gehalten, die Besonderheit beim strengen Arrest, oder auch „Arrest des zweiten Grades“, dass der Verurteilte ohne Anwesenheit eines Gefängniswärters niemanden sehen durfte oder auch ein Gespräch führen durfte, insbesondere auch in keiner Sprache, die jemandem vom Aufsichtspersonal mächtig war. §245 StG. 168 § 11 Z 5 JGG. 169 § 11 JGG.

34 6.4 Das Kriegsverbrechergesetz - KVG

Das Verfassungsgesetz vom 26. Juni 1945 über die Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten (Kriegsverbrechergesetz) 170 sanktionierte ein Verhalten, welches eine Person in „von den Nationalsozialisten angezettelten Kriegs gegen Angehörige der Wehrmacht der Kriegsgegner oder die Zivilbevölkerung einer mit dem Deutschen Reich im Krieg befindlichen oder von deutschen Truppen besetzten Staates oder Landes vorsätzlich eine Tat begangen oder veranlaßt hat, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit und den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts oder des Kriegsrechts widerpricht“171, verübt hatte. Das KVG war ein Ausnahmegesetz, welches zurück- gewirkt hat, daher war es auch äußerst umstritten. Die Gegner dieses rückwirkenden Ausnahmegesetzes sahen darin einen Verstoß gegen das Rechtsstaatlichkeitsgebot. Zu jener Zeit gab es aber auch kein Gesetz, welches zumindest auf gleicher Ebene oder auf höherer Ebene des Stufenbaus der Rechtsordnung gewesen wäre, und daher jene Rückwirkung verfassungswidrig gemacht hätte. Während der NS- Herrschaft in Österreich fehlte es auch an einem „berechtigten Vertrauen auf eine bestehende Rechtslage“ 172 . Das System der Nationalsozialisten, welches Verhalten akzeptierte, das ohne NS- Herrschaft als kriminell angesehen werden konnte, durfte jenes Vertrauen nicht für sich beanspruchen.173

Die Handlungen und Taten, die während der NS-Zeit in Österreich gesetzt wurden, wären isoliert betrachtet, also ohne NS-Apparat, wohl kaum in irgendeiner Weise begreifbar. Aus diesem Grund mussten eigene Tatbestände, losgelöst vom allgemeinen Strafgesetzbuch, also jenen, die das StG 174 behandelt, in einem gesonderten Gesetz geschaffen werden. Den Straftaten, die unter das KVG fallen, ist „der böse Vorsatz“175 gemein. Normiert wurde mit dem Kriegsverbrechergesetz unter § 1 KVG, was Kriegsverbrechen sind, § 2 KVG regelte die Kriegshetzerei, also wer sich der Propaganda bedient hat, um zum Krieg aufzuhetzen oder den Krieg an sich zu verlängern. § 3 KVG regelte die Quälereien und Misshandlungen, also das Ausnützen seiner Stellung, um einen anderen Menschen in eine qualvolle

170 Verfassungsgesetz vom 26. Juni 1945 über die Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten (Kriegsverbrechergesetz), StGBl 1945/32. 171 § 1 Verfassungsgesetz vom 26. Juni 1945 über die Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten (Kriegsverbrechergesetz), StGBl 1945/32. 172 www.nachkriegsjustiz.at, Kriegsverbrechergesetz (KVG) http://www.nachkriegsjustiz.at/service/gesetze/kvg.php (eingesehen am 10.09.2019). 173 ns-quellen.at, Materialien zum Nationalsozialismus Vermögensentzug, Rückstellung und Entschädigung in Österreich, Verfassungsgesetz vom 26. Juni 1945 über Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten (Kriegsverbrechergesetz) http://www.ns-quellen.at/gesetz_anzeigen_detail.php?gesetz_id=10002010&action=B_Read (eingesehen am 10.09.2019). 174 Kaiserliches Patent, wodurch eine neue, durch die späteren Gesetze ergänzte, Ausgabe des Strafgesetzbuches über Verbrechen und schwere Polizei-Uebertretungen vom 3. September 1803, mit Aufnahme mehrerer neuer Bestimmungen, als alleiniges Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen für den ganzen Umfang des Reiches, mit Ausnahme der Militärgränze, kundgemacht, und vom 1. September 1852 angefangen in Wirksamkeit gesetzt wird, RGBl 1852/117. 175 „Zu einem Verbrechen wird böser Vorsatz erfordert. Böser Vorsatz aber fällt nicht nur dann zur Schuld, wenn vor, oder bei der Unternehmung oder Unterlassung das Uebel, welches mit dem Verbrechen verbunden ist, geradezu bedacht und beschlossen; sondern auch, wenn aus einer anderen bösen Absicht etwas unternommen, oder unterlassen worden, woraus das Uebel, welches dadurch entstanden ist, gemeiniglich erfolgt, oder doch leicht erfolgen kann.“ § 2 StG.

35 Situation zu versetzen. § 4 KVG beschäftigte sich mit den Verletzungen der Menschlichkeit und der Menschenwürde, und §5 KVG stellte die Erschwerungsgründe für die §§ 3 und 4 KVG dar. Die „Missbräuchliche Bereicherung“ wurde in § 6 KVG geregelt. § 7 KVG beschäftigte sich mit der Denunziation, also der Verleumdung. Hochverrat am österreichischen Volk wird in § 8 KVG geregelt. In den weiteren Paragraphen dieses Gesetzes wurden der Geltungsbereich, die Verjährung, das Zusammentreffen mit anderen Strafgesetzen, der Vermögensverfall und besondere Bestimmungen für das Volksgericht geregelt.176

Für die bessere Verständlichkeit der Ermittlungstätigkeit, der Anklageschrift und des Prozesses vor dem Volksgericht Graz wird nachfolgend auf diese Bestimmungen näher eingegangen. Schon im ersten Absatz dieses Kapitels, wird erwähnt, wer als Kriegsverbrecher anzusehen war, bzw wer sich eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht hatte. „Des gleichen Verbrechens ist schuldig, wer im wirklichen oder angenommenen Interesse der Deutschen Wehrmacht oder der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in diesem Kriege im Zusammenhang mit kriegerischen Handlungen, mit militärischen Handlungen oder mit Handlungen militärisch organisierter Verbände gegen andere Personen eine Tat begangen oder veranlaßt hat, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit widerspricht.“177 Absatz 4 des §1 KVG regelte die strafrechtlichen Sanktionen, nämlich schweren Kerker178 von 10 bis 20 Jahren. Wenn durch die Handlung des Täters eine „schwere körperliche Beschädigung einer Person“179 oder „ein größerer Vermögensschaden angerichtet wurde“180 führte dies zu lebenslangem schweren Kerker, und falls das Verhalten „den Tod einer Person zur Folge hatte“181 wurde dies mit dem Tod bestraft.182

§ 3 Abs 1 KVG sanktionierte eine Handlung, die aus „politischer Gehässigkeit oder unter Ausnützung dienstlicher oder sonstiger Gewalt einen Menschen in einen qualvollen Zustand versetzt oder empfindlich mißhandelt hat“ 183 mit 5 bis 10 Jahren schwerem Kerker oder, wenn das Opfer einen „wichtigen Nachteil des Betroffenen an seiner Gesundheit“184 erlitt, mit 10 bis 20 Jahren schwerem Kerker. § 5 Abs 1 KVG, welcher die Erschwerungsgründe des § 3 KVG regelte, besagte, dass jener, der die Taten auf Geheiß beging, hierdurch sich nicht seiner Verantwortlichkeit entziehen konnte. Aber derjenige, der den Befehl hierfür gab, war strenger zu bestrafen als der Handelnde. Gem Abs 2 war derjenige, der solche Geheiße im wiederholten Maße erteilte, und dem „das Gesetz nicht die Todesstrafe

176 HAYDN, Wiedergutmachungsgesetz, S. 3-16. 177 § 1 Abs 2 Kriegsverbrechergesetz. 178 Schwerer Kerker ist die Kerkerstrafe zweiten Grades, das bedeutet, dass der Häftling „mit Eisen an den Füßen angehalten“ wurde. Auch ein Kontakt, außer zu den Gefängniswärtern, wurde, abgesehen von „ganz besonderen und wichtigen Fällen“ nicht erlaubt. §16 StG. 179 § 1 Abs 4 Kriegsverbrechergesetz. 180 § 1 Abs 4 Kriegsverbrechergesetz. 181 § 1 Abs 4 Kriegsverbrechergesetz. 182 Kriegsverbrechergesetz, StGBl 1945/32. 183 § 3 Abs 1 Kriegsverbrechergesetz. 184 § 3 Abs 1 Kriegsverbrechergesetz.

36 androhte, mit lebenslangem schweren Kerker“185 zu bestrafen, oder wenn er jemandem Quälereien und Misshandlungen iSd § 3 KVG in einer erheblichen Menge zufügte, mit dem Tod zu bestrafen.186 Das Kriegsverbrechergesetz ist nicht mehr in Geltung, es wurde vom Nationalrat mit der NS-Amnestie 1957187 in dessen § 13 Abs 2 NS-Amnestie 1957 aufgehoben. Es sollte eine Handlung, welche strafbar nach dem KVG war, nur mehr verfolgt werden, wenn jene Handlung auch nach dem StG strafbar ist.188

185 § 5 Abs 2 Kriegsverbrechergesetz. 186 Kriegsverbrechergesetz, StGBl 1945/32. 187 Bundesverfassungsgesetz vom 14. März 1957, womit Bestimmungen des Nationalsozialistengesetzes, BGBl. Nr. 25/1947, abgeändert oder aufgehoben werden (NS- Amnestie 1957), BGBl 1957/24. 188 www.nachkriegsjustiz.at, Kriegsverbrechergesetz (KVG) http://www.nachkriegsjustiz.at/service/gesetze/kvg.php (eingesehen am 10.09.2019).

37 7 Die Organisation der Volksgerichtsbarkeit

Die Volksgerichte, welche neu eingerichtet worden waren, waren für die Urteilsfindung der im Verbotsgesetz189 und Kriegsverbrechergesetz genannten Delikte zuständig. § 24 VerbotsG sah vor, dass zwei Berufsrichter (einer von ihnen führte den Vorsitz) und drei Laienrichter einem Senat angehörten.190 Gebildet wurden die Volksgerichtssitze bei den Oberlandesgerichten191, zudem existierten auch noch Außensenate „zB am Sitz eines Landes- oder Kreisgerichts wie etwa Leoben oder Klagenfurt“192. Die Richter der Gerichtshöfe erster Instanz, welche auch dem Volksgericht angehörten, wirkten an den Voruntersuchungen und Vorerhebungen mit oder waren Richter im Volksgerichtssenat. Für die Bestellung zum Schöffen gab es ein spezielles Auswahlverfahren. Dieses sollte sicherstellen, dass Schöffen aus einem Verzeichnis der politischen Parteien SPÖ, ÖVP und KPÖ dem Senat zugehörten, welches jedoch schon im Jahr 1946 revidiert wurde, sodass die Parteien bei der Schaffung einer gemeinsamen Liste von Schöffen mitwirkten.193

Die Entscheidung des Volksgerichts erfolgte in erster und auch letzter Instanz. Ein ordentliches Rechtsmittel, wie zB die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung, waren ausgeschlossen. Mittels des Überprüfungsgesetzes 194 wurde ein ausschließlich amtswegiges Verfahren zur Überprüfung der Entscheidung des Volksgerichts eingeführt: Demnach konnte der Präsidenten des Obersten Gerichtshofes die Überprüfung des Urteils, sowohl zum Vor- als auch zum Nachteil eines Angeklagten, durch einen Dreirichtersenat anordnen. Falls „der Oberste Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Urteil zugrunde gelegenen Tatsachen oder gegen die rechtliche Beurteilung“195 hatte, war das Urteil aufzuheben und eine neuerliche Verhandlung durchzuführen.196

Von den Volksgerichten in Österreich wurden in den Jahren 1945 bis 1955 in 23.477 Fällen Entscheidungen getroffen, wobei in 13.607 Fällen Schuldsprüche gefällt wurden. Mit dem Jahr 1956 wurden die ordentlichen Gerichte für die Urteilsfindung in dieser Materie für zuständig erklärt.197 7.1 Schöffen (Aufgaben und Stellung)

Beim Schöffensenat entscheiden die Laienrichter (Schöffen) in gemeinschaftlicher Tätigkeit mit den Berufsrichtern. Ein Schöffe durfte nicht nach dem Schöffenlistengesetz 198 von der Tätigkeit aus- geschlossen sein. Dies war man etwa wenn man unter 40 Jahre alt oder der deutschen Sprache sowohl in Wort und Schrift nicht mächtig war. Daneben bedurfte es weiters noch der Unparteilichkeit sowie auch

189 Verfassungsgesetz vom 08. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz), StGBl 1945/13. 190 § 24 Verbotsgesetz. 191 Die Oberlandesgerichtssitze befinden sich in Wien, Graz, Linz und Innsbruck. 192 POLASCHEK, Namen, S. 11. 193 POLASCHEK, Namen, S. 11 194 Verfassungsgesetz vom 30. November 1945 über das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof in Volksgerichtssachen (Überprüfungsgesetz). BGBl 1946/2. 195 MARSCHALL, Volksgerichtsbarkeit, S. 13. 196 POLASCHEK, Namen, S. 12-13; MARSCHALL, Volksgerichtsbarkeit, S. 13. 197 GARSCHA - KURETSIDIS-HAIDER, Ahndung, S. 321. 198 Bundesgesetz vom 28. August 1934 (Schöffenlistengesetz), BGBl 1934/212.

38 der Unbefangenheit. Ausschließungsgründe, welche sowohl für Berufsrichter als auch Laienrichter galten, waren jene wie eine eigene Beteiligung, also wenn man selbst durch eine derartige Tat verletzt wurde oder mit einem Opfer/ Täter verwandt oder verschwägert war. Neben den Ausschließungsgründen, welche von Amts wegen wahr zu nehmen waren, gab es auch noch Ablehnungsgründe (Befangenheit), welche von den Parteien darzulegen waren. Durch die Ausübung der Schöffentätigkeit sollte der Bevölkerung vermittelt werden, dass die Ausübung der Strafgewalt nicht als „einseitiger Akt staatlicher Allmacht gegenüber dem einzelnen erscheine und daß bei den schwersten Verbrechen sowie bei den politischen also mehr minder gegen den Staat gerichteten Delikten dadurch, daß nicht vom Staat angestellte Richter, sondern unabhängige Männer aus dem Volke die Richter sind“199 angesehen werde. Hierdurch soll ein Vertrauen in der Bevölkerung in die Rechtsprechung entstehen.200 7.2 Das Volksgericht Graz

Erst ab 10. Januar 1946 durften das VerbotsG und das KVG in den Besatzungszonen der westlichen Alliierten angewendet werden. Am 30. Januar 1946 trat in der britischen Zone das VerbotsG und das KVG in Kraft, davor mussten die Gerichte anfragen, um in jenen Materien ein Vorverfahren durchführen zu dürfen. Daher waren Ende Jänner 1946 ca 500 Verfahren ausständig waren. Man versuchte sich zuerst mit dem Strafrecht gem StG zu behelfen. Die Militärgerichte der Besatzer wirkten in den Anfängen an der Verurteilung der Kriegsverbrecher Österreichs mit. Nach und nach traten die Briten Fälle an die Volksgerichte ab, jedoch behielt man sich das Recht vor, Verfahren mit Auslandsbezug, insbesondere Kriegshandlungen gegen Juden, zu übernehmen sowie eine Überwachungstätigkeit auszuüben.201

Die Volksgerichte hatten anfangs mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die einer raschen und effizienten Urteilsfindung im Wege standen. Nach Kriegsende war es äußerst schwer die geflohenen Nationalsozialisten aufzufinden. Einige von ihnen wurden auch zum Teil in weiter entfernten Lagern der Alliierten gefangen gehalten, der Austausch von Informationen über Gefangene gestaltete sich mühselig. Die allgemeine Prozessvorbereitung sowie ein genereller Mangel an Anklägern und Richtern (wegen der Säuberungen in der Justiz) erschwerten die Lage. Im Februar 1946 hatte das Volksgericht (zuständig für die Steiermark und Kärnten) seine Tätigkeit aufgenommen und am 20. März 1946 wurde die erste Hauptverhandlung am Volksgericht Graz abgehalten.202

Anklage wurde am Volksgericht Graz in ca 7.000 Fällen erhoben und jenes fällte in 6.578 davon ein Urteil. Die Schuldspruchquote lag bei ungefähr 59% (3.873 Fälle) und 41% (2.714 Fälle) lauteten auf Freispruch. Es wurden zwölf Todesurteile verhängt und sechs lebenslange Kerkerstrafen. Zu erwähnen ist, dass nach 1948 kein weiteres Todesurteil oder keine Strafe des lebenslangen Kerkers mehr verhängt wurde. Die Mehrheit der Urteile lautete auf geringere Kerkerstrafen.203

199 LOHSING, Strafprozessrecht, S. 62. 200 GAMPP-KIMMEL, Lehrbuch, S. 28-31; LOHSING, Strafprozessrecht, S. 61-62. 201 MUCHITSCH, Volksgericht, S. 143. 202 POLASCHEK, Namen, S. 18; MUCHITSCH, Volksgericht, S. 143-144. 203 MARSCHALL, Volksgerichtsbarkeit, S. 35-36; MUCHITSCH, Volksgericht, S. 145-146.

39 8 Die vorprozessualen Erhebungen

In diesem Kapitel werden sowohl die Strafverfolgung durch die Polizei und die Gendarmerie als auch die gerichtlichen sowie die staatsanwaltschaftlichen Vorerhebungen behandelt. Die Gliederung erfolgt in zeitlicher Abfolge. 8.1 Die Strafverfolgung durch die Gendarmerie und die Polizei

8.1.1 Juni 1945 Die Staatspolizei Graz verfasste am 13. Juni 1945 einen Bericht, mit den Aussagen des Zeugen H, welcher auch im Gerichtsverfahren über die Geschehnisse des Ostersonntags 1945 aussagte. Nach den kurzen Angaben zur Person und Hs Tätigkeit beim RAD im Lager St. Oswald, berichtete dieser, dass man Partisanen nach fernmündlicher Meldung festgenommen habe. Aufgrund jener vor der Staatspolizei getätigten Aussage Hs wurde die Behörde gem § 24 StPO204 verpflichtet, den Geschehnissen vom 1. April 1945 nachzugehen. Aus dem Prinzip der Verfolgung von Amts wegen, erwächst aus einer strafbaren Handlung eines Menschen dem Staat ein Anspruch auf deren Verfolgung und Sanktionierung.205 Hiernach habe man die Partisanen in das RAD-Lager St. Oswald transportiert, wo sie verhört worden seien. Ein Partisan sei von Rolf Kutschera auf dem Weg zum Verhör angeschossen worden. Der Kreisleiter Dr. Hugo Suette, welcher von der Festnahme informiert worden war, habe den Befehl, die Partisanen nach dem Verhör zu erschießen und daran anschließend zu verscharren gegeben. Am Abend des 1. April 1945 habe H gesehen, wie Walter Sachse zwei Gefangene aus dem Lager mitgenommen habe. Auf der Wachstube bekundete der Zeuge H noch, dass dort Rolf Kutschera, N. Lappe, Othmar Heitmann, Wenzel Dietl, Egon Obermayer und N. George anwesend gewesen waren. Zu N. George fiel ihm außerdem noch ein, dass neben diesem eine Schaufel und ein Krampen gelegen waren. Daraus habe der Zeuge H geschlossen, dass die Partisanen getötet werden sollten. Kurz darauf habe der Zeuge H zwei Schüsse vernommen und einen Augenblick darauf, seien die übrigen drei Partisanen aus dem Lager geholt worden. H schlich, seinen Angaben nach, noch ein wenig hinterher und habe dabei vernommen, wie der Verwundete, welcher sich unter den Dreien befand, noch vor Schmerz geächzt habe. Später habe er noch drei Schüsse, aus ungefähr der selben Himmelsrichtung, gehört. In das Lager seien hierauf keine Partisanen zurückgekehrt. Am folgenden Morgen sei das Gerücht gestreut worden, man habe die Partisanen zur SS nach Deutschlandsberg überführt. Da H sich nicht getraut habe, seine Wahrnehmungen den anderen mitzuteilen, erfuhren die übrigen Arbeitsmänner erst einige Wochen später von diesem Vorfall.206

204 Aufgrund dieser Norm sind die Sicherheitsbehörden (Staatspolizei) verpflichtet, den Geschehnissen von denen sie Kenntnis erlangen nachzugehen. Sollte ein unverzügliches Einschreiten eines Untersuchungsrichters von Nöten sein, und keiner zur Verfügung stehen, so sind Handlungen zu setzen, die der „Aufklärung der Sache dienen“. § 24 StPO. 205 GAMPP-KIMMEL, Lehrbuch, S. 7-8. 206 Vg 1 Vr-276/45, Band 1, S. 3-4.

40 Bei der Staatspolizei Graz erschien am 20. Juni 1945 ein vormaliger RAD-Angehöriger, der Zeuge G, welcher ebenfalls der RAD-Abteilung angehörte. Nach einer kurzen Belehrung207, teilte er mit, dass er lediglich in der Wäscherei tätig gewesen sei. Der Zeuge G wurde auch zu seinen Personalien gem § 166 StPO208 befragt. Das Ereignis, welches er anschließend schilderte, habe sich am Ostersonntag 1945 in den frühen Morgenstunden abgespielt. Bei seiner Tätigkeit habe er beobachtet, wie einige RAD-Führer und Hilfsausbildner fünf gefangengenommene Partisanen ins Lager zur Wache geführt haben. Erkennen habe er Unterfeldmeister Walter Sachse und Hans Bacher, Haupttruppführer Wenzel Dietl und Ferdinand Hoffmann, Untertruppführer Rolf Kutschera, N. Lappe und Othmar Heitmann, Hauptvormann Parabel, Egon Obermayer und Helmut Abraham, Obertruppführer N. George sowie die Vormänner Felk und Kunz können. Diese sollen die Partisanen in der Nähe des Gerhardshofes in Freiland ohne Ausübung von Waffengewalt festgesetzt haben. Aus der eigenen Neugier von G, habe dieser stets versucht, in der Nähe der Gefangenen zu sein. Er sei jedoch ständig von Untertruppführer N. Lappe weggeschickt worden. Der Haupttruppführer Ferdinand Hoffmann habe mit dem Kreisleiter Dr. Hugo Suette telefoniert und daran anschließend habe es ein Gespräch mit Oberfeldmeister Friedrich Scholler, Unterfeldmeister Walter Sachse, Haupttruppführer Ferdinand Hoffmann und Unterfeldmeister Hans Bacher gegeben, an dem er teilgenommen habe. Am späteren Abend desselben Tages habe man zunächst zwei gefangene Partisanen und danach die übrigen Freiheitskämpfer in den Wald geführt. Nach Aussage von G, seien sie wahrscheinlich hingerichtet worden. Er habe eine Schussabfolge von zunächst zwei Schüssen und dann drei Schüssen gehört. Auffällig war auch, dass keiner der Partisanen wieder ins Lager zurück gekommen sei. Der Zeuge G habe in der Dunkelheit nicht sehen können, wer von den RAD-Angehörigen, die Freiheitskämpfer zur Exekution geführt habe und wer tatsächlich geschossen habe. Am 30. April 1945 sei der Zeuge G aus dem RAD ausgeschieden.209

Die Kriminalpolizeistelle Graz erhielt sodann einen Zwischenbericht von einem Kriminalsekretär, der mit 26. Juni 1945 datiert war, und in dem die bisherigen Ermittlungen im gegenständlichen Fall festgehalten wurden. Eine aus RAD-Arbeitsmännern zusammengestellte Streife habe fünf Partisanen festgenommen. Der RAD-Abteilungsführer Friedrich Scholler habe den Kreisleiter Dr. Hugo Suette über die Festnahme der Freiheitskämpfer verständigt. Hierauf habe Dr. Hugo Suette den Auftrag erteilt, die Partisanen zu erschießen. Nähere Erhebungen seitens des RAD seien nicht durchgeführt worden. Diesem Befehl habe sich zunächst Friedrich Scholler widersetzt. Nach einem Telefongespräch mit diesem, habe der Kreisleiter Dr. Hugo Suette mit harscher Stimme seine Instruktionen wiederholt und erklärt, „dass er dies decken werde“210. Daraufhin habe der Abteilungsführer seine Befehle ausgeführt. Auch der Vorfall

207 § 165 StPO. Der Zeuge ist darauf hinzuweisen, die an ihn gerichteten Fragen zur Wahrheitsfindung nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten und nichts zu verschweigen. Im Bericht der Staatspolizei wurde dies mit „zur Wahrheit ermahnt“ ausgedrückt. 208 § 166 StPO. Im Anschluss an die Belehrung zur Wahrheitswiedergabe ist der Zeuge zu seinem Namen, Alter, Geburtsort, Religion, Familienstatus, berufliche Tätigkeit und seinem Wohnort zu befragen. Gegebenenfalls auch zu dem persönlichen Verhältnis zu den Beschuldigten. 209 Vg 1 Vr-276/45, Band 1, S. 5-6; Vg 1 Vr-276/45, Band 2, S. 93-94. 210 Vg 1 Vr-276/45, Band 4, S. 101.

41 betreffend den angeschossenen Partisanen wurde erhoben. Weiters wurde festgehalten: „In den Abendstunden oder in den darauffolgenden frühen Morgenstunden wurden die fünf Freiheitskämpfer ohne ein gerichtliches Verfahren und ohne ein gesetzmässiges Urteil durch Genickschuss ermordet.“211

Weiters wurde mitgeteilt, dass in einem Laufgraben, in der Nähe der Schießstätte des RAD, mit den Abmessungen von 4m Länge und 0,5m Tiefe, drei männliche Leichen, welche Genickschüsse erlitten hatten, geborgen wurden. Unter ihnen sei auch derjenige gewesen, der im Hüftbereich schwer verletzt worden war. Das Grab wirkte frisch zugegraben. Bekleidet waren die Leichen in Wehrmachtskleidung. Bei den Untersuchungen kam erschwerend hinzu, dass die Leichen aufgrund der Verwesung nicht mehr eindeutig bestimmt werden konnten. Weitere zwei Leichen konnten an dieser Stelle jedoch nicht gefunden werden. Der Gerichtsmediziner212 der gerichtlichen medizinischen Universität Graz, hatte die Leichen obduziert und auch die Kleidung der Leichen verwahrt. Zentrale Norm für die Leichenbeschau war § 127 StPO, dieser sah vor, dass im Falle des Verdachts eines Verbrechens oder Vergehens, gegenständlich des Verbrechen des Mordes gem § 134 StGB, die Leichenbeschau und die Leichenöffnung durchzuführen war. Auch wurde dargelegt: „Bei der Festnahme, Eskortierung, Vernehmung und der Ermordung der fünf Freiheitskämpfer waren ausschliesslich Männer des Reichsarbeitsdienstes vom Lager Oswald beteiligt. Die zu dieser Zeit im Lager anwesenden Führer, Obflm. Scholler als Hauptverantwortlicher und seine Unterführer Hoffmann, Bacher, Sachse und Dietl haben obwohl sie zu derlei Handlungen nicht berechtigt waren – dies geht aus der Äusserung und dem Bedenken des Scholler hervor – stur den gesetzwidrigen Auftrag des ehemaligen Kreisleiters Dr. Suette ausgeführt und durch diese Unmenschlichkeit Blutschuld auf sich geladen.“213 Die Bedenken, die hier Friedrich Scholler äußerte, trafen zurecht zu. Der RAD war eine selbständige Organisation, welche grundsätzlich von Wehrmacht und Polizei zu trennen war. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges verschwammen immer mehr die Grenzen zwischen den Organisationen 214 . Keinesfalls durften Todesurteile über die Partisanen von Kreisleiter Dr. Hugo Suette verhängt und von den RAD- Angehörigen durchgeführt werden. Dies oblag den Kriegs- oder Standgerichten. 215 Dreh- und Angelpunkt in solch einem Ermittlungsverfahren wäre der Untersuchungsrichter gewesen. Die Todesstrafe hätte von einem Gericht nach einem ordentlichen Verfahren verhängt werden müssen. Somit hatte Friedrich Scholler mit seiner Aussage vollkommen Recht. Daher ist es unverständlich, dass sich

211 Vg 1 Vr-276/45, Band 4, S. 101-102; Vg 1 Vr-276/45, Band 1, S. 79-80. 212 Beim Gerichtsmediziner handelt es sich um einen Sachverständigen der menschlichen Anatomie, welcher aufgrund der Bestimmungen §§ 188 ff StPO durch den Untersuchungsrichter bestellt wurde. Gem § 124 StPO sind die vom Sachverständigen festgestellten Wahrnehmungen durch einen Protokollführer aufzunehmen oder dem Sachverständigen zur schriftlichen Abgabe in Form eines Gutachtens vorbehalten. §§ 124 u 188 ff StPO. 213 Vg 1 Vr-276/45, Band 4, S. 102. 214 Siehe hierzu Kapitel 5.1, S. 25-27. 215 LIEB, Krieg, S. 240; Bei den Standgerichten handelte es sich um Ausnahmegerichte, welche gem der Strafprozessordnung von 1873, RGBl 1873/119, zur „Bekämpfung bei schweren Delikten gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ eingesetzt werden konnten. Örtlich zuständig war der Gerichtshof 1. Instanz, in welchem Sprengel das Standgericht eingesetzt wurde. Die Entscheidung wurde durch einen 4-Richter-Senat in einem vereinfachten Verfahren gefällt. In der Regel ging es um die Verhängung von Todesurteilen. AEIOU - das Kulturinformationssystem; Österreich Lexikon, Standgerichte http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.s/s773263.htm (eingesehen am 20.12.2020).

42 RAD-Abteilungsführer Friedrich Scholler, trotz des Wissens der Unzuständigkeit und des Überschreitens der Befugnisse des RAD, zu solch einer Tat bereit erklärt hat. Festgehalten wurde auch, dass zu jenem Zeitpunkt, als man die Leichen entdeckt und geborgen hatte, Ferdinand Hoffmann, Hans Bacher und Walter Sachse noch nicht inhaftiert waren. Die drei Verdächtigen wurden erst nach der Vorstellung beim englischen Kommando festgenommen und nach Wolfsberg verbracht, weshalb sie nicht befragt werden konnten. Der Kreisleiter Dr. Hugo Suette, Friedrich Scholler und Wenzel Dietl waren zu jener Zeit noch flüchtig und befanden sich vermutlich in Kärnten.216

Der Zeuge B berichtete in einer Niederschrift im Juni 1945, aufgenommen von der Kriminalpolizeistelle Graz, dass er die Gespräche zwischen Friedrich Scholler und dem Kreisleiter Dr. Hugo Suette mitgehört habe. Hiernach habe der RAD-Abteilungsführer Friedrich Scholler die gefangengenommenen Partisanen zunächst nach Deutschlandsberg überstellen wollen. Jedoch habe ihm der Kreisleiter Dr. Hugo Suette entgegnet, dass er sie gleich exekutieren solle. Dem habe sich Friedrich Scholler zunächst verweigert. Er habe auf die Unzuständigkeit des RAD verwiesen und die Entbehrung einer rechtlichen Grundlage ins Treffen geführt. Der RAD war eine eigenständige Organisation. Bei der Funktion eines Kreisleiters handelte es sich um eine Parteifunktion 217 . RAD-Abteilungsführer Friedrich Scholler hatte dem Kreisleiter Dr. Hugo Suette zurecht den Mangel seiner Zuständigkeit und einer rechtlichen Grundlage für das gewünschte Handeln vorgehalten. Daraufhin habe der Kreisleiter seine Instruktionen wiederholt. Damit sei das erste Telefonat beendet gewesen. Kurze Zeit später sei ein zweites Telefonat geführt worden, in welchem Friedrich Scholler wiederholend mitteilte, diesen Befehl nicht auszuführen zu wollen. Dies habe er damit begründet, dass man dies nicht verheimlichen könne und auch er selbst wolle dies nicht verantworten. Mit Nachdruck habe der Kreisleiter Dr. Hugo Suette nochmals erklärt, dass seine Instruktionen auszuführen seien und er Friedrich Scholler persönlich schützen würde. Darauf sei das Gespräch beendet gewesen. Jedoch blieb Friedrich Scholler in Folge nicht standhaft, sodass er trotz Protests die geforderten Handlungen ausführte. Er hatte den Kreisleiter zurecht auf die Entbehrung einer rechtlichen Grundlage hierfür hingewiesen. Die Zuständigkeit zur Verhängung von Todesstrafen hatten im Zweiten Weltkrieg die Gerichte. In einem persönlichen Gespräch mit dem Bürgermeister der Gemeinde Kloster habe B erfahren, dass die Partisanen exekutiert worden waren.218

Am 17. Juni 1946 wurde sodann von der Kriminalpolizeistelle Graz, Anzeige gegen Ferdinand Hoffmann, Hans Bacher und Walter Sachse wegen der Ermordung der Partisanen erstattet. Die Kriminalpolizei war hier der Verpflichtung gem § 84 StPO219 nachgekommen, strafbare Handlungen, von welchen sie Kenntnis erlangt hatte, bei welchen es sich nicht um Privatanklagedelikte220 handelte,

216 Vg 1 Vr-276/45, Band 1, S. 69, 80-81; Vg 1 Vr-276/45, Band 4, S. 102. 217 Zum Begriff des Kreisleiters siehe Kapitel 3.8.2, S. 13-14. 218 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 73. 219 § 84 StPO. 220 Hierbei handelt es sich um ein Vergehen, das nach den geltenden Strafgesetzen nur auf Verlangen des in seinen Rechten Verletzten strafrechtlich verfolgt werden darf. Der Privatankläger hatte dies schriftlich oder mündlich beim zuständigen Strafgericht zu begehren. § 46 StPO.

43 dem Staatsanwalt des für den Sachverhalt zuständigen Gerichts anzuzeigen. Es wurde kurz die Handlung vom Gerhardshof, die Festnahme der Partisanen sowie deren Verbringen ins RAD-Lager geschildert. Auch wurden die Befehle des Kreisleiters Dr. Hugo Suette dargelegt. Der Sachverhalt wurde derart geschildert, dass die Exekutionen gegen Abend des Ostersonntages 1945, als es bereits finster gewesen war, durchgeführt wurden. Hierbei seien neben dem Abteilungsführer Friedrich Scholler auch noch die Führer Ferdinand Hoffmann, Hans Bacher, Walter Sachse und Wenzel Dietl vor Ort gewesen. Ein Partisan sei von einem RAD-Arbeitsmann angeschossen, kurz behandelt und dann auf dem Boden belassen worden. Festzuhalten sei jedoch, dass dem RAD außer einer Disziplinargewalt über RAD- Angehörige „keine weitere richterliche Befugnis zustand und auch die Führung des RAD nicht im Untergebenenverhältnis des Kreisleiters unterstanden war“221. Es hatten „diese in keiner Weise ein Recht die 5 österreichischen Freiheitskämpfer ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren und ohne ein gesetzmässiges Urteil zu erschiessen. Nach bestehenden Gesetzen entspricht die Handlungsweise einem 5 fachen Mord.“222 Zur Disziplinargewalt über Angehörige ist auf das Kapitel 5.1, S. 27 zu verweisen. Dem RAD stand mit der Dritten Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Reichsarbeits- dienstgesetzes vom 16. November 1940 nur die Strafverfolgung gegen Angehörige des RADs zu, mit einer Vielzahl an Ausnahmen, über welche nur die Gerichte urteilen durften. Festgehalten wurde, dass man nicht feststellen konnte, welcher der RAD-Angehörigen, welche Tat begangen hatte, da sich einige von ihnen im englischen Besatzungsgebiet befanden und nicht verhört werden konnten.223 8.1.2 Juli 1945

Am 12. Juli 1945 wurde Othmar Heitmann von der Stadtpolizei Bruck an der Mur in der Wohnung seiner Eltern verhaftet und am nächsten Tag ins Polizeigefängnis Graz überführt. Dem Untersuchungs- richter stand die Möglichkeit zu, einen Verdächtigen ohne Vorladung in Gewahrsam zu nehmen, wenn dieser entweder auf frischer Tat oder unmittelbar nach der Tat betreten wurde. Darüber hinaus bestand auch die Möglichkeit jemanden anzuhalten, wenn dieser Anstalten zur Flucht machte oder aufgrund der Strafandrohung für das vorgeworfene Delikt Fluchtgefahr bestand. Im Fall des Othmar Heitmann, dem zu jenem Zeitpunkt Mord gem § 134 StGB vorgeworfen wurde, bestand Fluchtgefahr. Einerseits aufgrund des von ihm begangen Delikts und andererseits, wäre es zu jener Zeit ein leichtes gewesen, wenn er von der Strafverfolgung gegen seine Person erfahren hätte, sich zu verstecken oder sich abzusetzen.224 Im Fall des Kreisleiters Dr. Hugo Suette konnte man sehr gut sehen, wie leicht sich jener der Nachkriegsjustiz entzogen hatte. Othmar Heitmann führte bei seiner Vernehmung als Beschuldigter bei der Polizei zunächst aus, wie seine Kindheit verlaufen war und welche Ausbildung er absolviert hatte, wie er zum RAD gekommen war und aus welchen Familienverhältnissen er stammte. Er teilte weiters mit, selbst nie der NSDAP angehört zu haben. Er sei lediglich ein Mitglied des Deutschen Jungvolkes225

221 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 85. 222 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 85. 223 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 84-85. 224 § 175 StPO. 225 Zum Begriff Deutsches Jungvolk siehe Fußnote 14, S.10.

44 gewesen. Am Ostersonntag 1945 um 4 Uhr morgens hatte er seinen Dienst bei der Lagerwache angetreten. Später seien er und N. Lappe informiert worden, dass man Partisanen gesichtet habe. Sofort sei vom RAD-Lager eine Truppe losgeschickt worden, um die Partisanen zu stellen. Eineinhalb Stunden später seien die festgenommenen Partisanen in das Lager gebracht worden, wo sie danach verhört wurden. Auch schilderte Othmar Heitmann, wie ein Partisan auf dem Weg zum Verhör von Rolf Kutschera verwundet worden sei. Der Angeschossene sei jedoch nicht medizinisch behandelt, sondern verhört und anschließend notdürftig verbunden worden. Auf eigenen Wunsch sei der Verwundete ins Freie gebracht worden. Dies sei gegen den medizinischen Rat des Sanitäters Sollberg geschehen. Friedrich Scholler habe am Abend des gleichen Tages noch darauf bestanden, dass Othmar Heitmann zu ihm kommen solle und habe ihm zusammen mit den anderen befohlen, unter Führung des Walter Sachse, bei der Exekution zugegen zu sein. Othmar Heitmann habe lediglich aufgrund des Befehls, einen Schuss auf den angeschossenen Freiheitskämpfer abgegeben. Er habe sich jedoch gedacht, dass der Partisan schon tot sei, da er sich nicht mehr bewegte. Als Begründung gab er an, dass die RAD-Angehörigen Wenzel Dietl und Walter Sachse den Angeschossenen zuvor in eine ca ein Meter tiefe Grube geworfen hatten. Dabei habe der Partisan jedoch keine Regung von sich gegeben. Auch habe er Walter Sachse gefragt, ob er noch schießen solle, da er der Meinung sei, dass der Partisan bereits verstorben sei. Walter Sachse habe ihm hierauf entgegnet, dass er endlich den Befehl ausführen solle. Danach erläuterte Othmar Heitmann auch noch die Hinrichtungen der anderen Partisanen und welche Person hierfür zuständig gewesen sei. Er rechtfertigte sich damit, dass er hierfür von Friedrich Scholler bestimmt worden sei und sich nicht freiwillig dazu gemeldet habe.226

Die Staatsanwaltschaft beantragte zur Geschäftszahl 8 St 562/45 die Einleitung der Voruntersuchung gegen Othmar Heitmann, wegen des Verbrechens des Mordes gem §134 StG iVm §1 KVG. Die Einleitung der Voruntersuchung folgte den §§ 91 ff StPO. Der Sinn und Zweck der Voruntersuchung war, den Vorwurf der angelasteten Tathandlung zu überprüfen und den Sachverhalt weitestgehend zu ermitteln. Zudem wurde um die Verhängung der Untersuchungshaft über Othmar Heitmann nach § 180 StPO ersucht, welcher die ordentliche Untersuchungshaft normierte. Dies deshalb, da es sich bei Mord gem § 134 StG um ein Verbrechen handelte, auf welches die Sanktion der Todesstrafe gestanden hatte.227 8.1.3 August 1945

Am 8. August 1945 teilte das Gendarmeriepostenkommando Deutschlandsberg dem Bezirksgericht Deutschlandsberg den Fund der letzten zwei Leichen mit, welche dem Befehl des Kreisleiters Dr. Hugo Suette zum Opfer gefallen waren. Die Suche dieser zwei Leichen wurde von der Staatspolizei Graz unter Leitung des Kriminalsekretärs Duschitz durchgeführt. Eine der beiden Leichen konnte durch die Schwester des Verstorbenen wiedererkannt werden. Die unbekannte (zweite) Leiche wurde in

226 Vg 1 Vr-276/1945, Band 1, S. 7-8; Vg 6 Vr-276/1945, Band 4, S. 89-90. 227 Vg 8 Vr- 276/1945, St 562/45, S.2; §91 StPO.

45 Deutschlandsberg obduziert und anschließend vor Ort beerdigt. Die wiedererkannte Leiche wurde auch in Deutschlandsberg obduziert und anschließend nach Graz transportiert.228 8.1.4 Oktober 1945

Am 14. Oktober 1945 ersuchte die Abt 1 der Kriminalpolizei Graz den Gendarmerieposten St. Oswald, die Generalien der RAD-Angehörigen Ferdinand Hoffmann, Hans Bacher und Walter Sachse mitzuteilen. Am 9. Jänner 1946 wurden die gewünschten Generalien mitgeteilt.229 8.1.5 April 1946

Im April 1946 teilte die Kriminalpolizei Graz der Staatsanwaltschaft Graz schriftlich mit, dass man anhand der Ausschreibung im staatspolizeilichen Fahndungsblatt, den Tatverdächtigen Friedrich Scholler gefunden hatte. Er sei jener, der vom Gendarmerieposten Purgstall an der Erlauf230 verhaftet231 wurde. Auch wurde der Bericht, zu der Verhaftung, der Gendarmerie beigefügt.232 8.1.6 Mai 1946

In einem Schreiben der Gendarmerie Purgstall vom 10. Mai 1946 wurde der Staatsanwaltschaft Wien I mitgeteilt, dass Friedrich Scholler, ein „illegales Mitglied der NSDAP“233 seit dem März 1938 gewesen sein soll. Friedrich Scholler gab dazu an, sich erst nach dem Anschluss Österreichs, der NSDAP Ortsgruppenleitung Purgstall angeschlossen zu haben. Hierfür habe er eine „grüne Mitgliedskarte“234 bekommen. Friedrich Scholler habe auch der freiwilligen SS in Purgstall angehört und sei Angehöriger der NSDAP aus Überzeugung gewesen. Eine Funktion habe er jedoch nie innegehabt und nie Auszeichnungen durch die NSDAP erhalten. Aufgrund seiner Eigeninitiative, nämlich dem Ansuchen vom 6. Juni 1938, wurde Friedrich Scholler zum Reichsarbeitsdienst in Lünen eingezogen. Anfang Februar 1939 wurde er zum Feldmeister befördert und ein Jahr später zum Oberfeldmeister. Es konnte festgestellt werden, dass er wegen seiner politischen Gesinnung zum Reichsarbeitsdienst eingezogen worden war. Auch habe er während des Krieges keinen Einsatz an der Front absolviert. Friedrich

228 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 11. 229 Vg 6 Vr-276/45, Band 4, S. 86-88. 230 Purgstall an der Erlauf, ist eine Marktgemeinde mit 6154 Einwohnern in Niederösterreich; Marktgemeinde Purgstall an der Erlauf, Leben in Purgstall, Zahlen und Fakten https://www.purgstall-erlauf.gv.at/ Leben_in_Purgstall/Wissenswertes_zur_Gemeinde/Zahlen_und_Fakten (eingesehen am 20.11.2019). 231 Die Verhaftung wurde aufgrund der Ausschreibung des Friedrich Schollers im staatspolizeilichen Fahndungsblatt durchgeführt. So konnten die Sicherheitsbehörden den zu dieser Zeit Verdächtigen Friedrich Scholler in Verwahrung nehmen und dem BG Scheibbs überstellen. Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 204. 232 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 204. 233 Die NSDAP wurde in Österreich am 19. Juni 1933 verboten. Erst mit dem Anschluss im Jahr 1938 wurde das Verbot wieder aufgehoben. Alle Mitglieder die sich daher in jener Zeit angeschlossen haben, wurden als „illegale Mitglieder der NSDAP“ bezeichnet. 234 Die grüne Mitgliedskarte war eine seltene Mitgliedskarte der NSDAP, die in Österreich nur ungefähr 1% der Bevölkerung, über die Bauernschaft, erhalten hatte. Diese Mitgliedskarten wurden bis zum Verbot der NSDAP in Österreich durch die Landesleitung verwaltet und danach in die Reichsleitung in München aufgenommen; SSOAR, Open Access Repository, www.ssoar.info Die österreichischen NSDAP-Mitglieder: Probleme einer quantitativen Analyse aufgrund der NSDAP-Zentralkartei im Berlin Document Center https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/32842/ssoar-1980-botz- Die_osterreichischen_NSDAP-Mitglieder__Probleme.pdf?sequence=1&isAllowed=y&lnkname=ssoar- 1980-botz-Die_osterreichischen_NSDAP-Mitglieder__Probleme.pdf, S. 115 (eingesehen am 20.11.2019).

46 Scholler sei am 4. Mai 1945 in die Kriegsgefangenschaft der Briten (in der Nähe von Tamsweg) geraten, aus welcher er mit Ende Juni 1945 freigelassen worden war.235 8.2 Die gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Vorerhebungen bis zum Prozess am Volksgericht Graz 8.2.1 Die Stellung der Staatsanwaltschaft Bei der Staatsanwaltschaft handelt es sich um eine Justizbehörde, welcher die Ausübung der Strafrechtspflege obliegt. Die Strafrechtspflege erfolgt im Interesse des Staates. Die Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist es, strafbare Handlungen von Amts wegen zu verfolgen und Anklage zu erheben. Zu der Organisation der Staatsanwaltschaft bestehen Parallelitäten zu jenen der Gerichte. Bei jedem Strafgericht ist eine Staatsanwaltschaft oder ein Organ der Staatsanwaltschaft vertreten.236

Gem § 87 StPO237 war der Staatsanwalt verpflichtet, strafbare Handlungen, von denen er Kenntnis mittels Anzeige erhalten hatte und bei denen es sich um Offizialdelikte238 gehandelt hatte, zu prüfen. Personen, denen strafbare Handlungen und nicht nur Vergehen nachgesagt wurden, waren vom Staatsanwalt zu vernehmen. Dies war mit Unterstützung der Sicherheitsbehörden zu bewerkstelligen. Hierdurch sollte festgestellt werden, ob eine Person schuldig oder unschuldig sein könnte. Gem § 88 StPO239 hatte der Staatsanwalt die Möglichkeit den Untersuchungsrichter, die Bezirksgerichte oder die Sicherheitsbehörden Vorerhebungen durchführen zu lassen. Die Sicherheitsbehörden konnten über Auftrag des Staatsanwaltes Personen unbeeidigt vernehmen. Gem § 89 StPO 240 nahm der Untersuchungsrichter am Gerichtshof erster Instanz, solange kein Antrag des Staatsanwaltes vorlag, nur jene Handlungen vor, welche aufgrund ihrer Art und ihres Zwecks oder zeitlichen Dringlichkeit nicht aufgeschoben werden konnten. Hierüber war der Staatsanwalt in Kenntnis zu setzen. Nach Überprüfung der Anzeige und der Akten, und nach etwaigen ergänzenden Untersuchungen, hatte der Staatsanwalt, sofern er von der Tat durch jene Person überzeugt war, gem § 90 StPO241 ein Strafverfahren einzuleiten, dies durch Antrag auf Einleitung einer Voruntersuchung (§ 91 StPO242) oder durch die Einbringung der Anklageschrift. Sollte er sich gegen die Einleitung eines Strafverfahrens entscheiden, so war dies mit einem Vermerk an den Untersuchungsrichter weiter zu geben. Aufgrund dieses Vermerks waren die Vorerhebungen durch den Untersuchungsrichter einzustellen und ein eventuell in Haft genommener Verdächtiger aus der Haft zu entlassen.243

235 Z204/46 in Vg 6 Vr-276/1945, Band 2, S. 22-23. 236 GAMPP-KIMMEL, Lehrbuch, S. 37. 237 § 87 StPO. 238 Es handelt sich hierbei um von Amts wegen zu verfolgendes Delikte. Das Gegenteil hierzu wären Privatanklagedelikte, welche nur aufgrund einer Privatanklage verfolgt werden dürfen. GAMPP-KIMMEL, Lehrbuch, S. 7-8. 239 § 88 StPO. 240 § 89 StPO. 241 § 90 StPO. 242 § 91 StPO. 243 §§ 88 ff StPO.

47 8.2.2 Oktober 1945

Der Zeuge G wurde am 26. Oktober 1945 von OLGR Dr. Kürzl einvernommen244. Gem § 162 StPO wurde der Zeuge vom „Untersuchungsrichter ohne Beisein des Anklägers, des Privatbetheiligten, des Beschuldigten oder anderer Zeugen einzeln vernommen“245. Nach einer kurzen Belehrung wurde ein Zeuge zu seinen Personalien befragt. Die Belehrung wurde in § 165 StPO geregelt, und besagte dass der Zeuge vor seiner Vernehmung zu ermahnen war, „die an ihn gerichteten Fragen nach seinem besten Wissen und Gewissen“246 zu beantworten, „die reine Wahrheit anzugeben, nichts zu verschweigen und seine Aussage so abzulegen habe, daß er sie erforderlichenfalls bekräftigen könne“247. Im Anschluss daran waren Zeugen gem § 166 StPO über ihren Namen, das Alter, den Geburtsort, die Religion, den Familienstatus, die berufliche Tätigkeit, den Wohnort und darüber hinaus gehende andere persönliche Verhältnisse, insbesondere die zu den Beschuldigten zu vernehmen. 248. Zur Aussage, die er bereits getätigt hatte, sagte er, dass diese so stimme und er noch hinzufügen möchte, dass er nicht genau wisse, wer die Partisanen zur Exekution geführt habe. Am 2. April 1945 habe er vernommen, wie die RAD- Hilfsausbildner miteinander über die Exekution der Partisanen gesprochen haben. Am Vortag, in der Zeit zwischen 20 und 22 Uhr, sei Stubenabnahme gewesen. Danach habe man dann das Lager bzw die Baracke nicht verlassen dürfen. Auch seien in diesem Zeitfenster die Exekutionen durchgeführt worden. Der Zeuge G sei als Nachtwäscher eingeteilt worden, weshalb er in der Nacht wach blieb. Aufgrund dessen habe er sehen können, wie zunächst zwei Partisanen und dann die übrigen drei weggeführt worden waren. Von den Freiheitskämpfern sei jedoch keiner mehr in das Lager zurückgekehrt. Zur politischen Einstellung des Othmar Heitmanns konnte er keine Angaben machen.249

Der Zeuge H wurde ebenfalls am 26. Oktober 1945 von OLGR Dr. Kürzl vernommen250. Ergänzend zu seinen Angaben bei der Staatspolizei fügte er hinzu, dass er am 1. April 1945 am Nachmittag einen Schuss gehört habe und gesehen habe, dass einer der fünf Partisanen auf dem Boden gelegen habe. Neben diesem Freiheitskämpfer habe er Rolf Kutschera gesehen. Dieser habe diesbezüglich erklärt, dass ihm ein Missgeschick passiert sei. Auch habe der Zeuge H wahrgenommen, dass Ferdinand Hoffmann mit dem Kreisleiter Dr. Hugo Suette ein fernmündliches Gespräch geführt habe. Ferdinand Hoffmann habe sodann gegenüber den anderen gesagt, dass die Weisungen des Dr. Hugo Suettes seien, die Partisanen zu exekutieren. Am Abend des Ostersonntags 1945 sei der Zeuge H bei der Wache gewesen, um sich registrieren zu lassen, damit er am nächsten Morgen zum Frühdienst geweckt werde. Hierbei habe er vernommen, wie Wenzel Dietl eine Taschenlampe geholt habe und zwei von den Partisanen weggeführt habe. Auch habe er gesehen, wie die übrigen Freiheitskämpfer geholt wurden. Derjenige,

244 Die Vernehmung von Zeugen folgte den Bestimmungen der §§ 150 ff StPO. 245 § 162 StPO. 246 § 165 StPO. 247 § 165 StPO. 248 § 166 StPO. 249 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 28-29. 250 Zur Zeugenbefragung und -belehrung siehe Kapitel 8.2.2, 1. Absatz, S. 48. Die Vernehmung von Zeugen folgte den Bestimmungen der §§ 150 ff StPO.

48 welcher von Rolf Kutschera angeschossen worden war, sei auch dabei gewesen. Der Verwundete habe jedoch nicht mehr selbständig gehen können, weshalb er von den zwei anderen Freiheitskämpfern gestützt wurde. Den Verwundeten habe er auch noch sagen hören, dass er große Schmerzen habe und man vorsichtig sein solle. Der Zeuge H führte auch aus, dass er den Angeschossenen unter freiem Himmel gesehen habe. Auch sei jener vom Sanitäter Sollberg medizinisch versorgt worden. Über die Exekutionen habe der Zeuge H keine Angaben machen können, da er die Baracke nicht verlassen habe können.251

Am 26. Oktober 1945 konnte Rolf Kutschera ausfindig gemacht werden. Aufgrund des Telefongesprächs der Kriminalpolizei Graz mit OLGR Dr. Kürzel wurde veranlasst, dass Rolf Kutschera in das landesgerichtliche Gefangenenhaus in Graz verbracht wurde.252

Die Stiefmutter des Rolf Kutschera erschien am 30. Oktober 1945 beim Landesgericht für Strafsachen Graz und gab dort zu Protokoll, dass sie um die Enthaftung253 ihres Stiefsohnes bitte. Sie begründete ihr Begehren damit, dass sich ihr Mann in Kriegsgefangenschaft befinde. Rolf Kutschera solle hingegen vor seiner Verhaftung als Dolmetscher für das englische Hauptquartier tätig gewesen sein. Da sie zwei Kinder habe, welche im Volksschulalter seien und sie selbst kein Geld verdiene, sowie keine weitere Unterstützung erhielte, bedürfe sie daher des Einkommens ihres Stiefsohnes. Sie habe in der Verhaftung die Gefahr gesehen, dass ihr Stiefsohn seine Arbeit verliere und somit die Einkommensquelle der Familie verloren gehen könnte. Gem den Bestimmungen der §§ 190 ff StPO war eine Entlassung aus der Untersuchungshaft nur in den Fällen möglich, sofern es sich nicht gem § 192 StPO um ein Verbrechen handelte, auf welches die Todesstrafe oder eine mindestens fünfjährige Kerkerstrafe stand. In diesen Fällen wäre, sofern es die Verhältnisse des Verdächtigen und sein Vermögen zugelassen hätten, der Erlag einer Kaution254 in Form eines Geldbetrages aufzutragen oder eine Bürgschaft255 abzuverlangen gewesen. Im vorliegenden Fall stand Rolf Kutschera unter dem Verdacht der Quälereien und Misshandlungen mit Todesfolge gem § 3 Abs 2 KVG, welcher als Strafe die Todesstrafe vorsah, sodass dessen Entlassung aus der Untersuchungshaft nicht möglich war.256

251 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 30-31. 252 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 32. 253 Es handelte sich hierbei um ein Enthaftungsgesuch der Stiefmutter des Rolf Kutschera. 254 Bei der Kaution handelte es sich um eine Sicherheitsleistung (zur Sicherung des Strafverfahrens und des Strafvollzugs), welche in Bar (inländischer Währung) oder nach dem Kurswert des Erlagstags zu berechnenden Wertpapieren hinterlegt wurde. LOHSING, Strafprozessrecht, S. 247-248. 255 Bei der Bürgschaft handelte es sich ebenfalls um eine Sicherheitsleistung (zur Sicherung des Strafverfahrens und des Strafvollzugs). Hierzu bedurfte es eines tauglichen Bürgen, dh um einen solchen, der ein angemessenes Vermögen besaß und in dem Bundesland belangt werden konnte, in dem sich das erkennende Gericht befand. Bei mehreren Bürgen wurde zur ungeteilten Hand gehaftet. Wurde die Bürgschaft widerrufen, so hatte dies die Haftverhängung zur Folge. Mit der vollzogenen Verhaftung erlosch die Bürgschaft. LOHSING, Strafprozessrecht, S. 247-248. 256 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 40; §§ 190 ff StPO.

49 Am 31. Oktober ging eine Mitteilung von der Staatspolizei Graz (Kriminalpolizei Graz A I) beim Landesgericht für Strafsachen Abt 6 in Graz ein, dass Egon Obermayer, gem dem Ersuchen in der Stadt Leoben, angehalten und in das Bezirksgerichtsgefängnis Leoben überstellt wurde.257 8.2.3 November 1945

In einem Amtsvermerk der Staatsanwaltschaft Graz vom 2. November 1945 wurde festgehalten, dass der interimistische Staatsanwalt Dr. Boess beauftragt wurde, die „Ueberstellung des Egon Obermayer vom Bez. Ger. Leoben an das landesgerichtliche Gefangenhaus zu veranlassen, ihn nach Eintreffen zu vernehmen und den Polizeibericht samt Besch., Pro. der STA. im Nachhange zu übermitteln.“258

Der Zeuge S, welcher auch beim RAD in St. Oswald gewesen war, teilte mit, dass er in der Küche des Lagers beschäftigt gewesen war. Am Ostersonntag 1945 habe er gesehen, wie fünf Personen in das Lager gebracht worden waren. Nach Durchsuchung ihrer Habseligkeiten waren sie in die Arrestzelle gebracht worden. Am Nachmittag desselben Tags habe er einen Schuss gehört und danach gesehen, wie einer der Partisanen über die Stiege gefallen war und auf dem Boden gelegen habe. Der Sanitäter Sollberg habe sich sodann um jenen Partisanen gekümmert. Danach war jener Freiheitskämpfer in der Sonne verblieben. Auch habe er gehört, dass Rolf Kutschera den Freiheitskämpfer verwundet habe, da dieser flüchten wollte. Der Zeuge S habe sich danach in die Baracke begeben und habe erst, als es schon finster war, weitere Schüsse vernommen. Auch erwähnte er, dass es schon einmal einen Zwischenfall mit Rolf Kutschera gegeben habe. Dieser habe bereits früher mit einer Maschinenpistole ungewollterweise einem RAD-Angehörigen in die Schulter geschossen.259

Am gleichen Tag wurde auch noch der Zeuge P von OLGR Dr. Kürzl vernommen260. Er teilte in der Vernehmung mit, dass er selbst dem RAD in St. Oswald angehört habe. Er habe jedoch am 31. März 1945 Besuch von seiner Gattin gehabt. In der Nacht auf den 1. April 1945 sei der RAD in vollster Bereitschaft gewesen, dies aufgrund der Partisanen. Anlässlich des Anrufes über die Sichtung der Freiheitskämpfer, sei eine Truppe zusammengestellt worden, um diese gefangen zu nehmen. Er habe versucht, sich zurückzuhalten, damit er nicht dem Kommando zugeteilt werde. Auch gab er an, dass er selbst einer Widerstandsgruppe angehört habe. Als die zusammengestellte Truppe, welcher der Zeuge P nicht angehören wollte, mit den Gefangengenommenen zurückkehrt sei, habe der Zeuge P das Lager verlassen können. In der Früh des 2. April 1945 habe man ihm mitgeteilt, dass die Partisanen nach Deutschlandsberg überführt worden wären. Davon sei der Zeuge P jedoch nicht überzeugt gewesen. Er führte aus, dass er gehört habe, wie Friedrich Scholler mit dem Kreisleiter Dr. Hugo Suette telefoniert habe. Auch habe er von dessen Befehl gewusst. Der Zeuge P und ein weiterer Teil des RAD- Lagers

257 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 41. 258 Vg 6 Vr-276/1945, St 562/45, S.10. 259 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 43. 260 Zur Zeugenbefragung und -belehrung siehe Kapitel 8.2.2, 1. Absatz, S. 48. Die Vernehmung von Zeugen folgte den Bestimmungen der §§ 150 ff StPO.

50 seien rund zwei Wochen später in die Obersteiermark versetzt worden. Dabei habe er wahrgenommen, dass seine Bedenken berechtigt waren.261

Der Zeuge B, welcher am 5. November 1945 durch einen Richter am Bezirksgericht Deutschlandsberg vernommen wurde, teilte nach Personalien mit, dass er ein fernmündliches Gespräch zwischen Friedrich Scholler und dem Kreisleiter Dr. Hugo Suette mitangehört habe. In diesem habe der Kreisleiter Dr. Hugo Suette dem Abteilungsleiter Friedrich Scholler mitgeteilt, dass die Partisanen zu exekutieren seien. Friedrich Scholler habe sich gegen diesen Befehl verwehrt. Der Kreisleiter Dr. Hugo Suette habe ihm mit der Pflicht entgegnet, diese Instruktionen durchzuführen, da die Verantwortung ohnehin er (Dr. Hugo Suette) tragen würde.262

Der Beschuldigte Egon Obermayer wurde am 12. November 1945 am Landesgericht für Strafsachen Graz vernommen. Nach Belehrung und der Befragung zu seinen Personalien teilte dieser mit, sich nicht schuldig zu fühlen. Hierbei handelte es sich um die Vernehmung eines Beschuldigten, welche den Bestimmungen der §§ 198 ff StPO folgte. In der Voruntersuchung war der Beschuldigte gem § 198 StPO allein, dh ohne Ankläger und Verteidiger, zu vernehmen. In der Regel fand eine Vernehmung mündlich statt. Jedoch konnte der Untersuchungsrichter dem Beschuldigten die Beantwortung relevanter Punkte schriftlich gestatten. Gem § 199 StPO war der Beschuldigte am Beginn der Vernehmung darauf hinzuweisen, die an ihn gerichteten Fragen „bestimmt, deutlich und der Wahrheit gemäß“ 263 zu beantworten. Daran anschließend wurde der Beschuldigte zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt. Der Untersuchungsrichter hatte dem Beschuldigten das ihm vorgehaltene Verbrechen oder Vergehen zu benennen und ihn zu veranlassen, sich zu dem Geschehen zu äußern. Weitere Fragen waren so zu stellen, dass die gegen den Beschuldigten vorliegenden Verdachtsgründe dem Beschuldigten mitgeteilt wurden und dieser sodann die Möglichkeit hatte, sich zu jenen zu äußern und seine Rechtfertigung hierfür mitzuteilen. Beweismittel oder Tatsachen, die der Beschuldigte in der Vernehmung mitteilte, waren zu erheben, sofern es sich nicht um eine Verschleppung des Verfahrens durch den Beschuldigten handelte. § 200 StPO sah vor, dass die an den Beschuldigten gerichteten Fragen „nicht unbestimmt, dunkel, mehrdeutig oder verfänglich“264 sein durften. Gegenstände, die sich auf ein Verbrechen oder Vergehen beziehen, waren dem Beschuldigten vorzulegen. Auch durften keine Versprechungen oder Vorspielungen gegenüber dem Beschuldigten gemacht werden. Verweigerte der Beschuldigte seine Antwort im Allgemeinen bzw in Bezug auf bestimmte an ihn gerichtete Fragen oder „stellt er sich taub, stumm, wahnsinnig, oder blödsinnig,“265 und war der Untersuchungsrichter durch eigene Wahrnehmung oder durch Vernehmung von Zeugen und/ oder Sachverständigen von der Verstellung des Beschuldigten überzeugt, so war jener darauf hinzuweisen, dass hierdurch die Untersuchung nicht gehemmt werden

261 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 43-45. 262 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 46. 263 § 199 StPO. 264 § 200 StPO. 265 § 203 StPO.

51 würde. Er hätte sich lediglich der Möglichkeit seiner Rechtfertigung bzw seiner Rechtfertigungsgründe beraubt. Sollte der Beschuldigte von bereits gemachten Angaben abweichen oder widerrufen, so war er wegen der Gründe hierzu zu befragen. Egon Obermayer, der am 27. Oktober 1945 wegen des Verdachtes des Verbrechens des Mordes gem § 134 StG verhaftet wurde und sich seit diesem Zeitpunkt in Leoben in der Haftanstalt befand, nahm den Beschluss über die Verhängung von einer Verwahrungshaft ohne Beschwerde zur Kenntnis.266

Die Mutter des Egon Obermayer verfasste am 14. November 1945 die Bitte 267 , welche an die Staatsanwaltschaft Graz gerichtet war, ihren Sohn aus der Haft zu entlassen268. Zunächst führte sie aus, dass ihr Sohn zum Zeitpunkt der Tat, noch nicht volljährig gewesen sei. Auch habe sie ihrem Sohn empfohlen, als Hilfsausbildner beim RAD tätig zu werden, um dem Einrücken in die SS zu entgehen. Ebenso erläuterte sie, dass ihr Sohn niemals der NSDAP angehört habe und ihr Sohn kein Nationalist gewesen sei, sondern eine antifaschistische Einstellung gehabt habe. Auch erwähnte sie einen Kollegen, welchen ihr Sohn mit Kleidung und einer Waffe versorgt habe. Abschließend schrieb sie, dass sie wegen der Inhaftierung ihres Sohnes von seelischem Leid geplagt wäre sowie ihren Unterstützer hierdurch verloren habe. Einen weiteren Versuch zur Enthaftung unternahm die Mutter im Jänner 1946. Hierbei gab sie einen Zeitungsartikel wieder und benannte Zeugen, die dem Gesuch unterstützend hinzukommen sollten.269

Auch die Mutter des Othmar Heitmann richtete am 16. November 1945 ein Enthaftungsgesuch270 an die Staatsanwaltschaft Graz. Nach den kurzen Ausführungen zur Verhaftung ihres Sohnes und seines Eintritts zum RAD, versuchte sie ein Bild von der damaligen Situation zu zeichnen, um der Staatsanwaltschaft aufzuzeigen, unter welchem Druck ihr Sohn gestanden habe und welche Konsequenzen ihm im Falle einer Verweigerung gedroht hätten.271 8.2.4 Dezember 1945

Am 1. Dezember 1945 stellte der Amtsleiter der Staatsanwaltschaft Graz an den Untersuchungsrichter beim Landesgericht für Strafsachen Graz folgende Anträge: 1.) die Fortführung der Verfahren aufgrund der Genehmigung der Militärregierung; 2.) die Einleitung der Voruntersuchung272 gegen Walter Sachse, Hans Bacher, Rolf Kutschera, Egon Obermayer und Ferdinand Hoffmann sowie 3.) die Verhängung der Untersuchungshaft 273 über diese. Der Sinn und Zweck der Voruntersuchung war es, die erhobenen Anschuldigungen einer strafbaren Handlung einer vorläufigen Prüfung zu unterwerfen. Des Weiteren sollte auch der Sachverhalt möglichst genau ermittelt werden. Anhand dieser Informationen sollte

266 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 51-52; §§ 198 ff StPO. 267 Dies lässt sich als ein Enthaftungsgesuch der Mutter des Egon Obermayer deuten. 268 Die rechtliche Ausführung zur Enthaftung befindet sich in Kapitel 8.2.2, 4. Absatz, S. 49; §§ 190 ff StPO. 269 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 62-63, 66-67. 270 Zum Enthaftungsgesuch siehe das unter Kapitel 8.2.2, 4. Absatz, S. 49 Gesagte; §§ 190 ff StPO. 271 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 63. 272 Die Regelungen für die Voruntersuchung befanden sich in §§ 91 ff StPO. 273 Die gesetzliche Regelung für die Untersuchungshaft befand sich in §§ 180 ff StPO.

52 entweder das Verfahren eingestellt werden oder die Versetzung in den Anklagestand stattfinden und die dazu erforderliche Beweisgrundlage für die Hauptverhandlung geschaffen werden. „Der Untersuchungsrichter darf die Voruntersuchung nur wegen solcher strafbarer Handlungen und nur gegen diejenigen Personen einleiten, bezüglich welcher ihm ein darauf abzielender Antrag eines berechtigten Anklägers vorliegt.“274 Das bedeutet, der Untersuchungsrichter kann nur über einen Antrag des Staatsanwaltes und wegen einer vermeintlich verübten strafbaren Handlung gegen eine Person eine Voruntersuchung einleiten. In der Regel wird die Voruntersuchung vom Untersuchungsrichter persönlich und unmittelbar geführt, welches auch dem Prinzip der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit im österreichischen Strafprozess entspricht.275 Zu diesen Enthaftungsanträgen wurde folgendes festgestellt: „Der Enthaftung276 des Egon Obermaier, Rolf von Kutschera und Othmar Heidmann kann derzeit weg. der obligatorischen Haftgründe nicht zugestimmt werden.“277 Obligatorische Haftgründe bedeutete in diesem Zusammenhang, dass aufgrund der angelasten Tat, nämlich Mord gem § 134 StG, welcher als Sanktion die Todesstrafe vorsah, Gründe für eine verpflichtende Untersuchungshaft gem § 180 StPO vorlagen.278

Mit der Einvernahme von Walter Sachse, Hans Bacher und Ferdinand Hoffmann, welche sich in britischer Gefangenschaft in Wolfsberg befanden, sollte mit der Field Security Section279 ein Konsens gefunden werden. In einem Schreiben an das Prisoner of War Camp 372 in Wolfsberg teilte das Landesgericht für Strafsachen Graz am 19. Dezember 1945 mit, dass aufgrund eines anhängigen Verfahrens gegen Walter Sachse, Hans Bacher und Ferdinand Hoffmann, die Einvernahme im britischen Internierungslager Wolfsberg durchgeführt werden müsse und hierfür die Genehmigung der Militärregierung bestünde.280 8.2.5 Jänner 1946

Am 3. Jänner 1946 richtete der Untersuchungsrichter beim Landesgericht für Strafsachen Graz ein Schreiben an das Military Governement Public Safety Officer Graz Stadt, in welchem er kurz über den Sachverhalt informierte. Auch wurde näher erläutert, dass gegen Othmar Heitmann ein Verfahren wegen des Verbrechens des Mordes gem § 134 StG iVm § 1 KVG gerichtsanhängig sei und dass die weiteren Beschuldigten Rolf Kutschera und Egon Obermayer bereits inhaftiert seien. Man würde jedoch noch Walter Sachse, Hans Bacher und Ferdinand Hoffmann, welche involviert waren und welche sich im Prisoner of War Camp in Wolfsberg befänden, benötigen. Da dieses Schreiben der

274 § 92 StPO. 275 §§ 91 ff StPO; GAMPP-KIMMEL, Lehrbuch, S. 9. 276 Zur Enthaftung und einem allfälligen Enthaftungsgesuch siehe Kapitel 8.2.2, 4. Absatz, S. 49; §§ 190 ff StPO. 277 Vg 6 Vr-276/1945, St 562/45, S. 8. 278 Vg 6 Vr-276/1945, St 562/45, S. 8. 279 Feldsicherheitspolizei, stellte den Geheimdienst der britischen Armee dar. https://www.nam.ac.uk/explore/intelligence-corps National Army Museum, Regiments and Corps, Intelligence Corps (eingesehen am 14.04.2020). 280 Vg 6 Vr-276/1945, St 562/45, S. 8, 14.

53 Staatsanwaltschaft, um Einvernahme dieser, unbeantwortet geblieben war, ersuchte man um Überführung der Genannten zum Landesgericht für Strafsachen Graz.281 8.2.6 Februar 1946

Die Vernehmung des Beschuldigten Othmar Heitmanns erfolgte am 1. Februar 1946.282 Dem Beschluss, der Ausdehnung283 der Voruntersuchung wegen §§ 3 und 4 KVG, nahm er ohne Beschwerde zu erheben, zur Kenntnis. Hierauf führte Othmar Heitmann aus, dass er in der Nacht auf den Ostersonntag, dem 1. April 1945, Wachdienst gehabt habe, und somit nicht bei der Festsetzung der Partisanen dabei gewesen sei. Als man die gefangengenommenen Partisanen in das Lager geführt habe, sei sein Dienst noch nicht zu Ende gewesen. Ein RAD-Haupttruppführer namens Johann Postl habe ihm mitgeteilt, dass man Freiheitskämpfer gefangen genommen hatte. Kurz vor Ende seines Dienstes habe er auf dem Appellplatz fünf Personen wahrgenommen. Auch habe er gesehen, wie Friedrich Scholler einem Freiheitskämpfer, mit einem Bergstock, mehrmals auf den Kopf schlug. Dies habe Friedrich Scholler ungefähr zwei bis drei Mal gemacht. Bis am Abend habe er die Freiheitskämpfer lediglich dann gesehen, wenn diese von Rolf Kutschera und N. Lappe zum Verhör gebracht worden seien. Othmar Heitmann habe auch gesehen, wie der Sanitäter Sollberg den Angeschossenen versorgt habe. Er selbst habe nicht wahrgenommen, dass der Verwundete in der Sonne lag. Dies habe er aber von den anderen RAD-Arbeitsmännern gehört. Er äußerte auch, dass er sich nicht für schuldig erachte, da keine „Misshandlungen oder Beleidigungen, die eine Verletzung der Menschlichkeit oder Menschenwürde darstellen“ 284 von ihm begangen worden seien.285

Rolf Kutschera wurde ebenfalls am 1. Februar 1946 vernommen286. Ihm wurde auch mitgeteilt, dass mit Beschluss die Voruntersuchung auf §§ 3 und 4 KVG287 ausgedehnt288 wurde. Dies nahm Rolf Kutschera, ohne Beschwerde einzulegen, zur Kenntnis. Danach führte er aus, dass er in der Napola289 Schule in Wien Breitensee und nicht in Graz Liebenau gewesen war. Er selbst habe der Truppe angehört (wie auch

281 Vg 6 Vr-276/1945, St 562/45, S. 8, 15-16. 282 Die rechtlichen Ausführungen zur Beschuldigtenvernehmung befinden sich in Kapitel 8.2.3, 5. Absatz, S. 51-52; §§ 198 ff StPO. 283 Es handelte sich hierbei um eine Ausdehnung der Anklage. Eine Ausdehnung der Anklage wegen einer weiteren Straftat, welche von Amts wegen zu verfolgen war, konnte aufgrund des Antrages des Staatsanwaltes sogar noch in der Hauptverhandlung gestellt werden. Eine Zustimmung des Angeklagten hierfür war nur von Nöten, wenn durch die Ausdehnung der Angeklagte unter einen strengeren Strafrahmen fallen würde. § 263 StPO. 284 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 22. 285 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 21-22. 286 Die rechtlichen Ausführungen zur Beschuldigtenvernehmung befinden sich in Kapitel 8.2.3, 5. Absatz, S. 51-52; §§ 198 ff StPO. 287 § 3 KVG handelt von den Quälereien und Mißhandlungen. Der § 4 KVG beschäftigt sich mit den Verletzungen der Menschlichkeit und der Menschenwürde. StGBl 1945/32. 288 Zur Ausdehnung der Anklage siehe Fußnote 302, S. 54. 289 Steht für Nationalpolitische Erziehungsanstalt, und wurde eigentlich NPEA abgekürzt, aber der Begriff Napola setzte sich ebenfalls durch. Gegründet wurde sie im Jahr 1933, am Geburtstag Adolf Hitlers. Mit diesen Schulen wurde der Zweck verfolgt, schon sehr früh die nationalsozialistische Weltanschauung den Jungen zu indoktrinieren; ZEITKLICKS, 1938- 1945 NS- Zeit, Alltag, Schule und Bildung, Napola https://www.zeitklicks.de/nationalsozialismus/zeitklicks/zeit/alltag/schule-und-bildung/napola/ (eingesehen am 14.04.2020).

54 Egon Obermayer), welche die Partisanen am Gerhardshof festnahm. Die Informationen über den Aufenthalt der Freiheitskämpfer habe man fernmündlich von einem Bauern erhalten. Da man auf dem besagten Hof Schüsse vernommen habe, konnte man sehr schnell die Partisanen ausfindig machen. Einen konnte man sofort festnehmen, die Übrigen seien aufgefordert worden, das Haus widerstandlos zu verlassen. Diese haben sich sodann auch ohne Widerstand ergeben. Daran anschließend habe man das Bauernhaus durchsucht und habe Waffen sowie weitere Habseligkeiten gesichert. Die Gefangenen seien beim Transport zum Lager nicht misshandelt worden und im Lager waren sie zunächst in eine Arrestzelle gesperrt worden. Hiernach seien sie jeweils einzeln zum Verhör vorgeführt worden. Rolf Kutschera war nicht aufgefallen, dass Friedrich Scholler einen von den Freiheitskämpfern mit einem Stock auf den Kopf geschlagen habe. Nachdem Rolf Kutschera einen Partisanen aus Unachtsamkeit angeschossen hatte, sei er von seiner Aufgabe entbunden und seine Maschinenpistole sei sichergestellt worden. Was danach geschah, konnte er nicht mehr mitteilen.290

Egon Obermayer wurde am 1. Februar 1946 ein weiteres Mal einvernommen 291 . Hier wurde ihm mitgeteilt, dass man das Verfahren aufgrund seiner Tathandlungen auch auf die Verbrechen gem §§ 3 und 4 KVG292 ausdehnen293 wolle. Den Beschluss nahm er widerstandslos zur Kenntnis. Danach führte er aus, dass er zu jenen Personen gehört habe, welche entsendet worden waren, um die gesichteten Partisanen zu stellen. Unter Androhung der Verwendung einer Handgranate, welche man ansonsten in das Haus geworfen hätte, haben sich die Freiheitskämpfer ergeben. Danach seien diese in das RAD- Lager St. Oswald gebracht worden. Aufgefallen war ihm am Nachmittag desselben Tages, dass einer der Partisanen auf einem Reisighaufen im Hof gelegen war. Egon Obermayer führte weiter aus, dass dies vor der Verwaltungsbaracke gewesen sei. Seinen Angaben war zu entnehmen, dass es weder sonnig noch schattig gewesen sei. Zum Abschluss betonte er nochmals, dass er sich nicht als schuldig erachte.294

Am 14. Februar 1946 richtete der Untersuchungsrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz, ein Gesuch an das Bezirksgericht Wolfsberg, die Gefangenen Walter Sachse, Hans Bacher und Ferdinand Hoffmann in das Gefangenenhaus in Graz zu verbringen, da ein Verfahren, in welchem diese als Beschuldigte geführt wurden, anhängig war.295

Am 27. Februar 1946 wurde Walter Sachse vernommen296. Er sei seit 1. Jänner 1942 im Lager St. Oswald stationiert gewesen. Auch habe er den Rang eines Unterfeldmeisters innegehabt. Seine Sachverhaltsdarstellung zum Vorfall am 1. April 1945 begann bei der Sichtung der Partisanen und deren

290 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 37-38. 291 Die rechtlichen Ausführungen zur Beschuldigtenvernehmung befinden sich in Kapitel 8.2.3, 5. Absatz, S. 51-52; §§ 198 ff StPO. 292 § 3 KVG handelt von den Quälereien und Misshandlungen. Der § 4 KVG beschäftigt sich mit den Verletzungen der Menschlichkeit und der Menschenwürde. StGBl 1945/32. 293 Die rechtlichen Ausführungen zur Ausdehnung befinden sich in Kapitel 8.2.6, 1. Absatz, S. 54. 294 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 54-55. 295 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 138. 296 Die rechtlichen Ausführungen zur Beschuldigtenvernehmung befinden sich in Kapitel 8.2.3, 5. Absatz, S. 51-52; §§ 198 ff StPO.

55 Meldung an den RAD, führte über die Festnahme der Partisanen beim Gerhardshof bis hin zu deren Überführung in das RAD-Lager. Zudem schilderte er, dass Ferdinand Hoffmann es gewesen war, der den Kreisleiter Dr. Hugo Suette sowie die Gendarmerie von der Festnahme unterrichtet hatte. Walter Sachse sei nach der Festnahme nachhause gegangen und gegen 16 Uhr in das Lager zurückgekehrt. Walter Sachse habe auch nur kurz einem Verhör beigewohnt und sei danach in den Hof, zum angeschossenen Freiheitskämpfer, gegangen und habe sich mit diesem unterhalten. Dieser habe ihm sodann geschildert, wie es zu seiner Verwundung gekommen war. Walter Sachse gab auch an, Friedrich Scholler darauf angesprochen zu haben, weshalb der Verwundete im Freien sein müsse. Dem habe Friedrich Scholler entgegnet, dass ihn das nichts anginge. Friedrich Scholler habe ihm dann später befohlen, den angeschossenen Partisanen in die Arrestzelle zu bringen. Daraufhin habe Friedrich Scholler ihm den Befehl des Kreisleiters Dr. Hugo Suette mitgeteilt. Er gab an, dass er sich diesem Befehl nicht widersetzt habe. Auch habe er ausgeführt, dass er die Freiheitskämpfer töten würde, wenn er dies müsse. Walter Sachse sei dann zum Leiter des Exekutionskommandos bestellt worden. Begleitet sei dieser von Wenzel Dietl, N. George, N. Lappe, Egon Obermayer und Othmar Heitmann worden. Walter Sachse führte sodann aus, welche Person welchen Partisanen erschossen habe. Des Weiteren teilte er mit, dass die Löcher, in die diese geworfen worden waren, erst am nächsten Tag vollständig zugegraben worden seien. Im Anschluss an die Rückkehr in das Lager, habe Friedrich Scholler nur von Walter Sachse wissen wollen, ob der Befehl ausgeführt worden sei und ob einer der Partisanen entkommen wäre. Danach habe er wissen wollen, ob man bei der Tatausführung beobachtet worden sei und welcher Arbeitsmann welchen Partisanen erschossen habe. Friedrich Scholler habe auch gesagt, „wenn der Krieg schlecht ausgeht, dann haben wir dasselbe Schicksal zu erwarten.“297 Aufgrund dieser Äußerung sei Walter Sachse nachdenklich geworden, und ihm sei das Unrechtsbewusstsein der Tat begreiflich geworden. Die Anordnung, dass zwei Partisanen in die Panzerdeckungslöcher gebracht werden müssen, sei von Walter Sachse gekommen. Den Befehl, dass die Partisanen mittels Genickschuss getötet werden sollen, habe Walter Sachse jedoch ausschließlich an Othmar Heitmann gerichtet. Auch entbehrte der von Egon Obermayer geschilderte Sachverhalt, er (also Walter Sachse) habe ihn ermutigt, einen Schuss abzugeben, jeglicher Grundlage. Den Beschluss über Einleitung einer Voruntersuchung nahm Walter Sachse zur Kenntnis. Er gab an, dass er sich selbst für nicht schuldig befinde, da er nur Befehle von Kreisleiter Dr. Hugo Suette und Friedrich Scholler ausgeführt habe.298

Am 28. Februar 1946 wurde Hans Bacher vernommen299. Er erklärte, seit dem Jahr 1938 beim RAD gewesen zu sein. Der letzte Rang, den er bekleidet habe, war jener eines Unterfeldmeisters. Daran anschließend erzählte er von den Geschehnissen des 1. Aprils 1945. Begonnen habe alles mit einer fernmündlich gemeldeten Sichtung der Partisanen, dem Entsenden eines Kommandos (welchem er angehört habe) und dem Überführen der gefangengenommenen Partisanen in das Lager. Hans Bacher sei

297 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 141. 298 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 138-142. 299 Die rechtlichen Ausführungen zur Beschuldigtenvernehmung befinden sich in Kapitel 8.2.3, 5. Absatz, S. 51-52; §§ 198 ff StPO.

56 nach der Überführung der Freiheitskämpfer in seine Unterkunft zurückgekehrt. Diese habe sich außerhalb des Lagers befunden. Nach dem Frühstück sei er von Friedrich Scholler wieder in das Lager zurückbeordert worden. Friedrich Scholler habe ihm und Ferdinand Hoffmann die Instruktionen des Kreisleiters Dr. Hugo Suette mitgeteilt. Hans Bacher habe daraufhin erwidert, dass diese Handlungen nicht Aufgabe des RAD seien und im Falle des Falles man undurchsichtige Angaben dazu machen solle. Diesen Vorschlag habe Friedrich Scholler jedoch abgelehnt. Im Anschluss daran habe Rolf Kutschera einen Partisanen angeschossen, wobei dieser gegenüber Hans Bacher angegeben habe, dass der Freiheitskämpfer flüchten habe wollen. Walter Sachse und er (Hans Bacher) haben diesen in der Sanitätsstube versorgen lassen wollen. Diesbezüglich habe aber Friedrich Scholler entgegnet, dass dies seine Angelegenheit sei und er sich darum kümmern werde. Danach sei Bacher wieder in seine Unterkunft zurückgekehrt. Am selben Tag habe er den Dienst erst wieder gegen 21 Uhr angetreten. Dabei seien jedoch keine Gespräche geführt worden, was ihm allerdings merkwürdig vorgekommen sei. Friedrich Scholler habe ihm sodann erklärt, dass man die Partisanen nach Wolfsberg gebracht hätte.300

Am selben Tag wurde auch noch Ferdinand Hoffmann zu den Geschehnissen vernommen301. Dieser teilte zunächst Informationen zu seinem Eintritt beim RAD mit. Er gab an, dass er zuletzt den Rang eines Haupttruppführers innegehabt habe. Auch schilderte er die Geschehnisse vom Ostersonntag 1945. Die gefangengenommenen Freiheitskämpfer seien im Zuge der Überstellung in das Lager gebracht, dort in die Arrestzelle verbracht und am Nachmittag dann verhört worden. Die Geschehnisse zur Verletzung eines Partisanen in der Hüftgegend konnte er nicht wiedergeben. Er habe diesbezüglich in Erfahrung gebracht, dass dieser flüchten habe wollen. In seinem Gespräch mit dem Heilgehilfen Sollberg, habe dieser ihm mitgeteilt, dass der Angeschossene nicht schwer verletzt worden sei. Ferdinand Hoffmann habe zuerst mit dem Kreisleiter Dr. Hugo Suette telefoniert, da Friedrich Scholler noch nicht im Lager gewesen sei. Als Friedrich Scholler anwesend war, habe er ihm die Instruktionen Dr. Hugo Suettes mitgeteilt. Auch habe er zu Friedrich Scholler gesagt, dass er das nicht tun würde. Nach diesem Gespräch sei Ferdinand Hoffmann zu seiner Familie außerhalb des Lagers gegangen und sei erst um 21 Uhr wieder zurückgekehrt. Da habe er von einem Kameraden erfahren, dass die Partisanen bereits nicht mehr im Lager wären. Ferdinand Hoffmann habe den Verdacht gehabt, dass wohl doch die Befehle des Kreisleiters Dr. Hugo Suette ausgeführt worden seien. Er selbst habe nie einen Befehl bezüglich der Partisanen erteilt oder jemanden hierzu bestimmt. Die Mitteilung des Beschlusses, über die Einleitung einer Voruntersuchung, nahm er beschwerdelos hin. Abschließend erklärte er bei dieser Vernehmung, dass er unschuldig sei.302

300 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 147-148. 301 Die rechtlichen Ausführungen zur Beschuldigtenvernehmung befinden sich in Kapitel 8.2.3, 5. Absatz, S. 51-52; §§ 198 ff StPO. 302 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 152-154.

57 8.2.7 März 1946

Die Zeugin T wurde am 4. März zu den Geschehnissen vom Ostersonntag 1945 vernommen303. Sie schilderte, dass am frühen Morgen die Partisanen zu ihnen ins Haus gekommen seien, um Kaffee zu kochen. Kurz darauf waren RAD-Angehörige gekommen und haben sie, mitsamt den Kindern, in den Wald geschickt. Die Freiheitskämpfer hätten sich widerstandslos ergeben. Daraufhin wurden sie festgenommen. Die Zeugin T habe nicht sehen können, dass Misshandlungen gegenüber den Partisanen stattgefunden hätten.304

An demselben Tag wurde auch noch der Zeuge S vernommen305, welcher selbst ein RAD-Angehöriger war. Der Zeuge S gab an, selbst im RAD-Lager St. Oswald stationiert gewesen zu sein. Er sei in der Wäscherei beschäftigt gewesen. Er habe von anderen RAD-Angehörigen erfahren, dass eine Streife des RAD, fünf Partisanen gefangen genommen habe. Er habe auch beobachten können, wie die Freiheitskämpfer zum Abteilungsleiter Friedrich Scholler geführt worden seien. Auch habe er in Erfahrung gebracht, dass einer der Partisanen angeschossen worden sei. Am Ostermontag habe er beim Appell gehört, wie dort verkündet worden war, dass man die Partisanen nach Deutschlandsberg überführt habe. Hiernach seien sie nach Graz gekommen. Egon Obermayer habe dem Zeugen S den Vorfall mitgeteilt und ihm gesagt, dass beide aus dem RAD verschwinden sollten.306

Am 11. März 1946 wurde die Vernehmung des Beschuldigten Egon Obermayer fortgesetzt. Nachdem ihm die Aussagen des Beschuldigten Walter Sachse vorgehalten wurden, ergänzte er seine Aussage dadurch, dass Walter Sachse und N. Lappe ihm den Befehl zur Abgabe des Genickschusses erteilt haben. Egon Obermayer gab an, dass er das getan habe, was von ihm verlangt worden sei. Nach ihm habe Othmar Heitmann einen Partisanen töten müssen. Aus Angst vor Konsequenzen, sollen beide sich nicht getraut haben, sich dem Befehl zu verwehren.307 8.2.8 April 1946

Othmar Heitmann gab in der Fortsetzung zu seiner Vernehmung am 1. April 1946 an, er könne mit Bestimmtheit sagen, dass es Friedrich Scholler war, der gesagt habe, dass die gefangengenommenen Freiheitskämpfer zu töten wären. Zustimmung hierfür habe er durch Wenzel Dietl und Ferdinand Hoffmann erhalten. Die Gründe weshalb Friedrich Scholler diese Befehle weitergegeben habe, lagen entweder im Unterwürfigkeitsverhältnis oder in der eigenen politischen Motivation. Friedrich Scholler sei als ein äußerst jähzorniger Mensch bekannt gewesen. Othmar Heitmann gab an, dass Friedrich Scholler den Exekutionsvorschlag unterbreitetet habe. Die Aussage wurde auch jener von Friedrich Scholler gegenübergestellt. Hierzu gab Othmar Heitmann an, dass er der Meinung gewesen sei, gesehen

303 Zur Zeugenbefragung und -belehrung siehe Kapitel 8.2.2, 1. Absatz, S. 48. Die Vernehmung von Zeugen folgte den Bestimmungen der §§ 150 ff StPO. 304 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 157. 305 Zur Zeugenbefragung und -belehrung siehe Kapitel 8.2.2, 1. Absatz, S. 48. Die Vernehmung von Zeugen folgte den Bestimmungen der §§ 150 ff StPO. 306 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 158-159. 307 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 56.

58 zu haben, wie Friedrich Scholler den einen Partisanen - mit dem Stock - geschlagen hätte. Den tatsächlichen Befehl zur Abgabe des Genickschusses habe er von Walter Sachse erhalten. Friedrich Scholler sei es allerdings gewesen, der Othmar Heitmann zu diesem Exekutionskommando eingeteilt habe. Außerdem gab er an, dass er davon ausgegangen sei, dass er selbst getötet worden wäre, wenn er den Befehl nicht ausgeführt hätte.308

Der, von der Mutter des Othmar Heitmann beauftragte, Verteidiger Dr. Turek stellte am 3. April 1945 beim zuständigen Landesgericht für Strafsachen Graz, den Antrag, den in Untersuchungshaft befindlichen Heitmann, zu enthaften309. Dabei gab Verteidiger Dr. Turek an, dass Othmar Heitmann zum Zeitpunkt der Tat erst 17 Jahre alt gewesen war. Zudem ersuchte er um Überprüfung, ob Othmar Heitmann nicht bereits auf einen toten Partisanen geschossen habe, da er den Schuss auf den bereits verwundeten Freiheitskämpfer (verwundet sei dieser von Rolf Kutschera geworden) gerichtet habe. Auch müsse man davon ausgehen, dass sein Mandant unter erheblichen Druck gestanden sei und damit zu rechnen gewesen wäre, dass im Falle einer Nichtbefolgung, erhebliche Konsequenzen drohten. Der Verteidiger sah die rechtliche Möglichkeit, seinen Mandanten aus der Haft zu entlassen. Da die Familie kein Geld zur Aufbringung einer Kaution habe, bot er an deren Stelle Bürgschaften der Verwandten von Othmar Heitmann an, um diesen aus der Haft zu entlassen. Dem Ganzen legte er noch einen Lebenslauf bei, welcher von der Mutter schriftlich bestätigt wurde.310 8.2.9 Mai 1946

Am 5. Mai 1946 wurde der unbescholtene Friedrich Scholler, durch die Gendarmerie Purgstall, zum Gefangenenhaus Scheibbs311 überführt. Die Vernehmung312 Friedrich Schollers wurde vom zuständigen Richter des Bezirksgerichts Scheibbs, am 6. Mai 1946, durchgeführt. Er gab an, mit „dieser Sache überhaupt nichts zu tun“313 zu haben, er sei bei den Erschießungen nicht involviert gewesen. Er gab dazu an, dass es ihm nicht möglich gewesen war, dem Befehl des Vorgesetzten Kreisleiters Dr. Hugo Suette Einhalt zu gebieten, da er davon ausgegangen sei, dass ihm sonst selbst die Exekution gedroht hätte. Die vom Richter des Bezirksgerichts Scheibbs verhängte Verwahrungshaft314 nahm er widerstandslos zur Kenntnis.315

308 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 24-25. 309 Der Verteidiger führte hierzu seine Rechtsansicht an, welche dem Gesuch dienlich sein sollten. Zur rechtlichen Grundlage des Enthaftungsgesuchs siehe Kapitel 8.2.4, 4. Absatz, S. 49; §§ 190 ff StPO. 310 Vg 6 Vr-276/1945, Band 1, S. 178-181. 311 Die Stadt Scheibbs ist die Bezirkshauptstadt des Bezirkes Scheibbs (Niederösterreich), und bildet sich aus 18 Gemeinden. Die Stadt Scheibbs hat 4142 Einwohner (Stand Dezember 2019) und liegt im Mostviertel; Scheibbs, Scheibbs entdecken, Geschichte erleben, Bezirkshauptstadt Scheibbs heute, Schönes Altes, erfrischend Neues, Lebendige Bezirkshauptstadt und Kulturhafen an der Erlauf https://www.tourismus.scheibbs.gv.at/bezirkshauptstadt-scheibbs-heute (eingesehen am 07.01.2020). 312 Die rechtlichen Ausführungen zur Beschuldigtenvernehmung befinden sich in Kapitel 8.2.3, 5. Absatz, S. 51-52; §§ 198 ff StPO. 313 Z204/46 in Vg 6 Vr-276/1945, Band 2, S. 28-29. 314 Hierbei handelte es sich um eine Untersuchungshaft. Die gesetzliche Regelung für die Untersuchungshaft befand sich in §§ 180 ff StPO. 315 Z204/46 in Vg 6 Vr-276/1945, Band 2, S. 28-29.

59 Das Bezirksgericht Scheibbs wurde vom Landesgericht für Strafsachen Wien VIII. am 18. Mai 1946 benachrichtigt, dass das Verfahren gegen Friedrich Scholler an das Landesgericht für Strafsachen Graz abgetreten wurde. Nach dem Einlangen dieser Meldung am 25. Mai 1946 gab die Abt 2 des Bezirksgerichts Scheibbs dem Landesgericht Graz bekannt, dass die Überstellung mittels Gendarmerie nach Graz nur mit erheblichem Aufwand durchzuführen wäre, sodass Friedrich Scholler am 27. Mai 1946 zunächst dem Landesgericht Wien I. übergeben wurde. Das Landesgericht Wien wurde sodann ersucht, die Überführung an das Landesgericht für Strafsachen Graz zu bewirken. Das Landesgericht für Strafsachen Graz richtete darauf sein Begehren in einem Schreiben vom 5. Juni 1946 an das Landesgericht für Strafsachen Wien. In diesem Ansuchen wurde angegeben, dass Friedrich Scholler mittels erhöhter Sicherheit, aufgrund einer bestehenden Fluchtgefahr, möglichst zeitnah zu überstellen sei, da sich die anderen Mitbeschuldigten, schon in Graz in Untersuchungshaft befänden.316 8.2.10 Juni 1946

Am 6. Juni 1946 um 15:45 Uhr wurde Friedrich Scholler vom Landesgericht Wien I. nach Graz überstellt. Ebenfalls wurde ein Übernahmsbericht ausgefüllt, welcher die wichtigsten Angaben zum Gefangenen Friedrich Scholler enthielt. Auch wurde ein Effektenverzeichnis beigelegt, welches die Habseligkeiten des Gefangenen detailliert beschrieb.317

Am Landesgericht für Strafsachen Graz erfolgte am 18. Juni 1946 die Vernehmung318 des Friedrich Scholler. An dieser Vernehmung nahmen, neben dem Richter und dem Beschuldigten, auch ein Schriftführer teil. Friedrich Scholler führte sodann aus, wie es dazu gekommen war, dass er sich der NSDAP angeschlossen habe. Seinen Angaben zufolge erhielt er die Mitgliedskarte der NSDAP. Die Farbe der Karte, mit der ihm zugeteilten Mitgliedsnummer sowie das Datum der Aufnahme, habe er nicht näher betrachtet. Ferner gab er an, dass er Ende Juni des Jahres 1945, in Bischofshofen, aus seiner Kriegsgefangenschaft durch die USA entlassen worden sei. Daran anschließend habe es ihn zu seinen Verwandten gezogen, welche in Radstadt lebten. Dort habe er sich auch als Mitglied der NSDAP registrieren lassen. Anschließend gab er an, dass er schon von der Abteilung 6 zum gegenständlichen Fall vernommen worden sei. Aufgrund der bereits bestehenden Anhängigkeit des Sachverhalts, entschloss sich der Untersuchungsrichter die Vernehmung zu unterbrechen. Während der Unterbrechung wurde ermittelt, ob dieser Sachverhalt tatsächlich schon anhängig war.319

316 Z204/46 in Vg 6 Vr-276/1945, Band 2, S. 33-36. 317 Z204/46 in Vg 6 Vr-276/1945, Band 2, S. 30-31. 318 Die rechtlichen Ausführungen zur Beschuldigtenvernehmung befinden sich in Kapitel 8.2.3, 5. Absatz, S. 51-52; §§ 198 ff StPO. 319 Z204/46 in Vg 6 Vr-276/1945, Band 2, S. 31-32.

60 9 Die „Anklageschrift“320

Bei einer Anklageschrift handelte es sich um einen schriftlichen formellen Antrag des Anklägers auf Durchführung einer Hauptverhandlung vor einem näher bezeichneten Gericht gegen einen bestimmten Beschuldigten aufgrund der diesem vorgeworfenen strafbaren Handlungen. Die Anklageschrift gab somit den im österreichischen Strafprozess geforderten Anklagegrundsatz wieder und diente als Voraussetzung und Grundlage eines Verfahrens und einer Urteilsfindung. Inhaltserfordernisse der Anklageschrift waren: der Name des Beschuldigten, der Sachverhalt, welcher unter Anklage gestellt wurde, die materiellrechtliche Qualifikation der Tat, sachliche und örtliche Angabe des Gerichts, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, die Beweisanbietung und die Begründung.321

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Graz, Aktenzeichen 9 St 562/45 – b., war am 25. Juli 1946 beim Landesgericht für Strafsachen Graz eingegangen und richtete sich gegen Othmar Heitmann, Egon Obermayer, Walter Sachse, Hans Bacher, Rolf Kutschera, Ferdinand Hoffmann und Friedrich Scholler. Darin wurde vorgebracht, dass am 1. April 1945, im Nutzen der Wehrmacht und in Verbindung mit dem RAD-Lager St. Oswald, die zuvor genannten Personen, gegen die gefangengenommenen Freiheitskämpfer (Partisanen) Tathandlungen gesetzt bzw veranlasst haben, die den Grundsätzen der Menschlichkeit zuwiderlaufen: Othmar Heitmann und Egon Obermayer wurde vorgeworfen, jeweils gegen einen Partisanen einen Genickschuss abgegeben zu haben, mit der Intention, den Tod der Gefangenen herbeizuführen. Friedrich Scholler und Walter Sachse wurde vorgeworfen, durch einen Befehl zu jener Tat bestimmt zu haben, welche sie durch Othmar Heitmann und Egon Obermayer ausführen ließen. Hingegen wird Rolf Kutschera vorgehalten, durch einen äußerst sorglosen Umgang mit seiner Maschinenpistole, einen der gefangengenommenen Partisanen, durch Lösung eines Schusses, am Körper schwerstens verletzt zu haben. Ihm hätte bewusst sein müssen, dass hierdurch eine erhebliche Gefahr für das Leben des Angeschossenen bzw dessen körperliche Sicherheit bestanden habe. Des Weiteren wird den Angeklagten vorgeworfen, durch ihre „nationalsozialistische Niederträchtigkeit“ den verwundeten Partisanen, welcher von Rolf Kutschera angeschossen worden war, in der Sonne, über einen sehr langen Zeitraum, sich selbst überlassen zu haben, ohne Hilfe zu leisten, und ihm hierdurch Quälereien bereitet zu haben, die dem menschlichen Sein widersprechen.322

„Friedrich Scholler, Othmar Heitmann, Walter Sachse und Egon Obermayer haben das Verbrechen nach §1 Abs 2 KVG323 in Verbindung mit dem Verbrechen des Mordes gemäß §134 StG324“325 nach dem

320 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 40. 321 LOHSING, Strafprozessrecht, S. 357-359. 322 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 40. 323 § 1 Abs 2 KVG handelte von den Kriegsverbrechen. Jenes Verbrechens war schuldig wer im Interesse, wenn auch nur angenommen, der Deutschen Wehrmacht oder der ns.- Gewaltherrschaft im Zweiten Weltkrieg kriegerische Handlungen, militärischen Handlungen oder Handlungen militärisch organisierter Verbände gegen andere Personen eine Tat begangen oder veranlasst hat, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit widerspricht. § 1 Abs 2 KVG.

61 Anklagevorwurf begangen. Bei Friedrich Scholler und Walter Sachse stand die begangene Handlung auch im Zusammenhang mit § 5 StG 326 . Aufgrund des unvorsichtigen Hantierens mit dem Maschinenpistolenlauf durch Rolf Kutschera, wurde diesem der Tatbestand des § 335 StG327, nämlich die Übertretung gegen die Sicherheit des Lebens, angelastet. Folge dessen, dass der angeschossene Partisan sich selbst überlassen wurde, hatten nach der Anklage „Othmar Heitmann, Egon Obermayer, Walter Sachse, Hans Bacher, Rolf von Kutschera, Friedrich Scholler und Ferdinand Hoffmann das Verbrechen der Quälerei nach §3 Abs 2 KVG328 begangen, und seien hiefür Friedrich Scholler, Othmar Heitmann, Walter Sachse und Egon Obermayer nach §1 Abs 4 letzter Strafsatz KVG329 und §34 StG330, Rolf von Kutschera nach §3 Abs 2 KVG, Othmar Heitmann, Egon Obermayer und Rolf von Kutschera unter Bedachtnahme auf §11 JGG331 zu bestrafen.“332

Die Staatsanwaltschaft führte in ihrer Begründung auch aus, dass die zuvor erwähnten Tatverdächtigen dem RAD in St. Oswald im Freiland angehörten und ebenfalls Aufgaben der Wehrmacht innegehabt hätten. Dies war vor allem zu Ende des Zweiten Weltkrieges die Ausbildung mit der Waffe, welche vom RAD übernommen wurde.333 Auch muss erwähnt werden, dass es gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, im umliegenden Bereich zum Lager zu vermehrten Auseinandersetzungen mit Partisanengruppen, welche auch Versorgungstransporte (Nahrungsmittel-, Munitionstransporte) des RAD-Lagers St. Oswald überfielen, gekommen war.334

324 § 134 StG handelte vom Mord. Derjenige der gegen einen Menschen, mit der Intention, diesen zu töten, handelte und hieraus der Tod jenes Menschen oder eines anderen Menschen erfolgte, machte sich des Verbrechens des Mordes schuldig. § 134 StG. 325 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 40. 326 § 5 StG handelte von den Mitschuldigen und Teilnehmern an Verbrechen. Siehe unter Kapitel 6.1, Das Strafgesetz- StG 1852, S. 32; § 5 StG. 327 § 335 StG handelte von den von den Vergehen und Uebertretungen gegen die Sicherheit des Lebens. Siehe unter Kapitel 6.1, Das Strafgesetz- StG 1852, S. 31-32; § 335 StG. 328 § 3 Abs 2 KVG handelte von den Quälereien und Misshandlungen. Wenn durch eine Tat die Menschenwürde und die Gesetze der Menschlichkeit gröblich verletzt wurden oder den Tod eines von ihr betroffenen Menschen zur Folge, so sollte dieses Verbrechen mit dem Tod bestraft werden. § 3 Abs 2 KVG. 329 § 1 Abs 4 KVG handelte von den Kriegsverbrechen. Das Verbrechen wurde, soweit dies nicht durch internationale Verträge, Vereinbarungen oder Verpflichtungen anderweitig geregelt wurde, mit schwerem Kerker (Schwerer Kerker ist die Kerkerstrafe zweiten Grades, das bedeutet, dass der Häftling „mit Eisen an den Füßen angehalten“ wurde. Auch ein Kontakt, außer zu den Gefängniswärtern, wurde, abgesehen von „ganz besonderen und wichtigen Fällen“ nicht erlaubt. §16 StG 1852.) von 10 – 20 Jahren, wenn aber durch das Vergehen des Täters die schwere körperliche Beschädigung einer Person oder ein größerer Vermögensschaden angerichtet wurde, mit lebenslangem schwerem Kerker, falls jedoch das Verbrechen den Tod einer Person zur Folge hatte, mit dem Tode bestraft. § 1 Abs 4 KVG. 330 § 34 StG handelte vom Zusammentreffen mehrerer Verbrechen. Diese Norm regelte, dass beim Zusammentreffen mehrerer Verbrechen die strengere Strafe mit Abwägung über die gesamten Straftaten zur Anwendung kam. § 34 StG. 331 Wurden im Originalakt mit Kugelschreiber durchgestrichen. Gem § 106 StPO durften in einem einmal Niedergeschriebenen nichts Erhebliches ausgelöscht, ergänzt oder abgeändert werden. Durchgestrichene Stellen mussten gut lesbar sein. § 106 StPO. § 11 Abs 2 JGG handelte von der Ahndung strafbarer Handlungen, die von schuldfähigen Jugendlichen begangen wurden. § 11 Abs 2 JGG. 332 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 39-40. 333 Siehe Kapitel 5.1, S. 25-27. In diesem Kapitel geht es um die Aufgaben welche der RAD besaß. 334 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 40.

62 Die Angeklagten zeigten sich im Großen und Ganzen kooperativ und geständig. Sie wären laut ihren Aussagen aber nur die Ausführenden gewesen, die auf den Befehl des Kreisleiters Dr. Hugo Suette gehandelt hätten. Aufgrund dieses Befehls, erachteten sie sich auch nicht für schuldig.335

Othmar Heitmann gab in seiner Aussage an, dass Wenzel Dietl, N. George, N. Lappe, Egon Obermayer und er selbst von Friedrich Scholler ausgewählt worden seien, um den Befehl von Dr. Hugo Suette zu vollstrecken. Die Leitung über das Erschießungskommando habe Walter Sachse, welcher den Befehlen des Friedrich Scholler nachkam, gehabt. Er selbst habe den verwundeten Partisanen, welcher von Rolf Kutschera im Hüftbereich verletzt worden war, einen Schuss ins Genick verabreicht. Othmar Heitmann wäre jedoch davon ausgegangen, dass der Freiheitskämpfer bereits verstorben sei, weshalb er Walter Sachse auch vor der Abgabe des Schusses gefragt habe, ob dieser noch ausgeführt werden solle. Walter Sachse habe dies bejaht. Walter Sachse habe in seiner Aussage angegeben, dass ihm am Abend des 1. Aprils 1945 um ca 20 Uhr Friedrich Scholler mitgeteilt habe, dass er den Befehl von Dr. Hugo Suette erhalten habe, die gefangengenommen Partisanen zu exekutieren. Sodann solle Friedrich Scholler Walter Sachse gefragt haben, ob er das Erschießungskommando leiten wolle. Walter Sachse habe darauf geantwortet, sofern er dies auszuführen habe, werde er die Handlung ausführen. Die Exekutionen seien im Vorhinein mit jedem Schützen selbst vereinbart gewesen.336

Hans Bacher habe auf die Lage des verwundeten Partisanen hingewiesen und diesen in die Heilstube schaffen wollen. Friedrich Scholler habe Hans Bacher mitgeteilt, dass er die ganze Befehlsgewalt innehabe und dass es seine Angelegenheit sei, was mit dem Verwundeten passiere. Rolf Kutschera teilte mit, dass er einen Partisanen mit seiner Waffe durch einen Schuss verwundet habe, jedoch sei dies ungewollt passiert. Er habe nicht gedacht, dass die Waffe geladen und entsichert gewesen war. Dies sei passiert, als der Partisan von ihm zum Verhör gebracht worden sei und er ihn über die Konsequenzen eines Fluchtversuchs unterrichtet habe. Rolf Kutschera habe unabsichtlich den Repetierhebel der Maschinenpistole nach hinten gezogen, wodurch ein Schuss ausgelöst worden sei. Durch den Schuss habe er den Partisan im Hüftbereich getroffen.337

Egon Obermayer gab ebenfalls an, auf Geheiß Walter Sachses einen Partisanen mittels Genickschuss getötet zu haben. Er selbst fühle sich jener Tat nicht schuldig, da er auf Befehl unter einem gewissen Zwang gehandelt habe. Ferdinand Hoffmann rechtfertigte sich damit, dass Friedrich Scholler die Leitung des Lagers innegehabt habe und er daher dem Verwundeten nicht helfen habe können. Er habe die Gendarmerie und den Kreisleiter Dr. Hugo Suette telefonisch über die Festnahme der Partisanen informiert. Mit der Durchführung der Exekutionen habe er hingegen nichts zu tun gehabt.338

335 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 41. 336 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 41. 337 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 42. 338 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 42.

63 Friedrich Scholler rechtfertigte seine Handlung mit dem nachdrücklichen Befehl von Dr. Hugo Suette. Er habe Walter Sachse und Wenzel Dietl keine weiteren Instruktionen bzgl der Durchführung der Hin- richtungen gegeben. Er führte aus, dass im Frühjahr 1945 der Kreisleiter339 Dr. Hugo Suette im Lager verlautbart habe, dass er durch den Gauleiter 340 richterliche Funktionen verliehen bekommen habe, weshalb er annahm, dass Dr. Hugo Suette zu solchen Befehlen ermächtigt gewesen sei.341

Die Staatsanwaltschaft führte zudem aus, dass die Verantwortungen der Beschuldigten zum Teil nicht nachvollziehbar seien und sich auch widerlegen ließen. „Insbesondere kann dem Einwand, nur auf Befehl gehandelt und deshalb keine Schuld auf sich geladen zu haben, nicht beigepflichtet werden, denn § 1 Abs. 3342, sowie § 5 KVG343 legen nochmals ausdrücklich den in den Strafgesetzbüchern aller Kulturstaaten längst anerkannten Grundsatz fest, daß auch ein Befehl eine strafbare Tat nicht entschuldigt. Da nach den damals bestehenden gesetzlichen Bestimmungen der Leitung des RAD. Lagers außer der Disziplinargewalt über die eigenen Angehörigen des RAD. keine wie immer geartete richterliche und militärische Befugnis zustand, gefangene Partisanen einfach ohne ordentliches Gerichtsverfahren und ohne Urteil erschießen zu lassen oder zu erschießen und auch die Führung des RAD. einem Kreisleiter der NSDAP., auch wenn dieser Kampfkommandant gewesen ist, in keiner Weise unterstand, hätte Friedrich Scholler als Lagerführer dem Schießbefehl des Kreisleiters Dr. Suette nicht Folge leisten dürfen.“344 Der RAD hatte nur die Disziplinargewalt über eigene Angehörige.345

Den anderen Angeklagten wurde vorgeworfen, dass das Erschießen von Partisanen, ohne jegliche rechtliche Grundlage, Mord sei, und man sich daher gegen diesen Befehl zur Wehr hätte setzen müssen. Da man sich jedoch nicht dem zuvor erwähnten Befehl widersetzt habe, habe man sich der vorgeworfenen Verbrechen schuldig gemacht.346

„Auch Friedrich Scholler hat zugeben müssen, daß er es unterlassen habe, sich mit seiner vorgesetzten Dienststelle in Graz zumindest mittels Kurier in Verbindung zu setzen, was ihm damals immerhin möglich gewesen wäre. Auch hat er zugegeben, daß der Kreisleiter von Deutschlandsberg für ihn keine vorgesetzte Dienststelle sei.“347

339 Zum Kreisleiter siehe Kapitel 3.8.2, S. 13-14. 340 Zum Gauleiter siehe Kapitel 3.8.3, S. 14-15. 341 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 42. 342 § 1 Abs 3 KVG handelte von Kriegsverbrechen bzw deren Rechtfertigung die Tat nur auf Befehl ausgeführt zu haben, da dies die Tat nicht entschuldigt. § 1 Abs 3 KVG. 343 § 5 KVG handelte von den Erschwerungen der §§ 3 (Quälereien und Misshandlungen) und § 4 KVG (Verletzungen der Menschlichkeit und Menschenwürde). Gem § 5 Abs 1 KVG entschuldigte es nicht, die Taten nach §§ 3 und 4 KVG auf Befehl ausgeführt zu haben. Derjenige der die Befehle gegeben hatte, war strenger zu bestrafen als die Ausführenden. Gem § 5 Abs 2 KVG war derjenige, der solche Befehle wiederholt erteilt hatte, soweit nicht hierfür Todesstrafe vorgesehen war, mit lebenslangem schweren Kerker, oder wenn Taten gem §§ 3 und 4 KVG in erheblichem Ausmaß veranlasst wurden, mit dem Tode zu bestrafen. § 5 KVG. 344 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 42. 345 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 42; siehe auch Kapitel 5.1, Geschichte zum RAD, S. 25-27. 346 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 42. 347 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 42.

64 Dem verwundeten Partisan, der im Hüftbereich angeschossen worden war, sei auch keiner der Beschuldigten zur Hilfe gekommen. Von zwei Zeugen sei beobachtet worden, wie sich der Partisan nahezu eine Stunde lang, ohne Hilfe zu bekommen, auf dem Boden in der prallen Sonne gewunden habe. Keiner der zuvor genannten Beschuldigten habe sich um den Verwundeten gekümmert. Wenzel Dietl habe auf die Bemerkung des späteren Zeugen F, der um das Wohlergehen des angeschossenen Partisanen bemüht war, geantwortet, dass die Partisanen bloß nur Verräter seien.348

Es wurde daher in der Anklageschrift ausgeführt: „Da erweislich ist, daß keiner der Beschuldigten dem angeschossenen Partisanen Hilfe gebracht hat, obwohl die möglich gewesen wäre, haben“349 sich „alle für dieses unmenschliche Verhalten das Verbrechen nach § 3, Abs. 1 KVG.350 zu verantworten.“351 Rolf Kutschera habe durch sein grob fahrlässiges Hantieren mit einer geladenen und entsicherten Maschinen- pistole, eine Übertretung gegen die Sicherheit des Lebens gem § 335 StG verwirklicht. Auch wenn man Rolf Kutschera keine vorsätzliche Verletzung des Partisanen nachweisen habe können, habe dieser zumindest mit grober Fahrlässigkeit gehandelt. Aufgrund seiner Ausbildung als RAD-Angehöriger musste man annehmen, dass dieser mit dem Umgang einer Maschinenpistole ausgebildet worden war. Das RAD-Lager in St. Oswald sowie auch deren Angehörige, hatten militärische Einsätze ausgeführt und waren mit Waffen ausgestattet. Insofern ließ sich der RAD als ein militärisch organisierter Verband iSd § 1 Abs 2 KVG einordnen. Die Taten der Beschuldigten widersprechen den „natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit, weil sie wehrlose und gefangene Partisanen, wenn auch über Befehl durch Genickschüsse ermordet haben, bzw. ermorden ließen“ 352 Die Beschuldigten seien somit nicht nur Kriegsverbrecher iSd KVG, sondern auch Mörder iSd StG.353

Den Angeklagten wurde die Anklageschrift vom 20. Juli 1946 eröffnet, gegen die „gemäss § 24/ 2 StGB.354 Nr. 13 kein Rechtsmittel zulässig ist.“355. Sie bestätigten, dass ihnen die zu Last gelegten Taten zur Kenntnis gebracht worden waren und die Belehrung, dass gegen das Urteil des Volksgerichts kein Rechtsmittel zulässig sei.356

348 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 42-43. 349 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 43. 350 § 3 Abs 1 KVG handelte von den Quälereien und Misshandlungen. Derjenige, der in der ns.- Gewaltherrschaft aus politischer Gehässigkeit oder unter Ausnützung dienstlicher oder sonstiger Gewalt einen Menschen in einen qualvollen Zustand versetzte oder empfindlich misshandelte, wurde mit schwerem Kerker von 5 bis 10 Jahren, und wenn die Tat einen wichtigen Nachteil an der Gesundheit zur Folge hatte, mit schwerem Kerker von 10 bis 20 Jahren bestraft. § 3 Abs 1 KVG. 351 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 43. 352 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 43. 353 9 St 562/45 – b. in Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 42-43. 354 Hierbei wurde auf das Verfassungsgesetz vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz) StGBl 1945/13 Bezug genommen. Dieser Absatz 2 besagte, dass „die Bestimmungen der Strafprozeßordnung mit der Einschränkung anzuwenden, daß die Rechtsmittel des Einspruches gegen die Anklageschrift, der Berufung und der Nichtigkeitsbeschwerde sowie der Beschwerde gegen Beschlüsse des Volksgerichtes ausgeschlossen sind.“ Die Strafen waren ohne Aufschub zu vollstrecken. § 24 2 Abs Verbotsgesetz, StGBl 1945/ 13. 355 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 44. 356 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 44-45.

65 10 Der Prozess

Am 8. August 1946 wurde in der Abt 1 des Landesgerichts Graz unter der Leitung des Vorsitzenden Dr. Nestroy die Vernehmung der Angeklagten gem §§ 220357 u 221358 StPO durchgeführt. Hierbei handelte es sich um eine Vorbereitungshandlung zur Hauptverhandlung. Zu diesem Zweck wurden Othmar Heitmann, Egon Obermayer, Walter Sachse, Hans Bacher, Rolf Kutschera und Ferdinand Hoffmann aus der Haft vorgeführt. Diese teilten mit, dass es keiner Hinzufügung oder Abänderung der schon in der Voruntersuchung getätigten Angaben bedürfte. Des Weiteren sagten sie, dass sie es ihren Verteidigern überließen, Beweisanträge zu stellen. Die noch Minderjährigen, nämlich Othmar Heitmann und Egon Obermayer, nannten jeweils ihren Vormund. Die Verteidiger wurden dem Vorsitzenden gem § 220 StPO bekannt gegeben und mitgeteilt welcher der Angeklagten eines Amtsverteidigers bedurfte.359

Ebenfalls ließ Richter Dr. Nestroy Friedrich Scholler aus der Haft vorführen und vernahm diesen gem §§ 220 u 221 StPO. Friedrich Scholler gab ebenfalls an, dass er zu seiner bereits getätigten Aussage nichts mehr ergänzen möchte. Jedoch ersuchte er um einen Armenverteidiger.360

Der Termin für die Hauptverhandlung wurde für den 23. September 1946 um 9 Uhr anberaumt. Zu verständigen über diesen Termin waren die Staatsanwaltschaft, die Beklagten, deren Vertreter sowie die Zeugen. Zudem mussten drei Schöffen sowie zwei Ersatzschöffen und ein Berufsrichter, als Beisitzer, bestimmt werden. Auch ein Schriftführer wurde geordert. Außerdem benötigte man die Strafkarten sowie die Leumundszeugnisse der Beklagten. Daran anschließend wurden auch die Ladungen für die Zeugen versandt. Für Rolf Kutschera, Ferdinand Hoffmann, Hans Bacher und Walter Sachse wurden von der Rechtsanwaltskammer sodann Armenverteidiger, aufgrund der Bestimmungen der StPO361, beigestellt.362

357 § 220 StPO handelte von den Vorbereitungen zur Hauptverhandlung. Jeder Angeklagte musste binnen 3 Tagen nach rechtskräftiger Versetzung in den Anklagestand, in das Gefängnis des über den Sachverhalt aburteilenden Gerichtshofes überstellt werden. Binnen weiterer 24 Stunden musste der Angeklagte, da es sich in unserem Fall um ein Schwurgerichtshofverfahren handelte, vom Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter oder vom Gerichtsvorsteher erster Instanz vernommen werden. Sinn und Zweck war es zu ermitteln, ob der Angeklagte seinen Angaben aus der Voruntersuchung noch etwas hinzufügen oder etwas abändern möchte. Auch musste zu jenem Zeitpunkt, falls noch kein Verteidiger bestellt worden war, der Angeklagte aufgefordert werden, sich einen Verteidiger zu nehmen, ansonsten ihm einer von Amts wegen beizustellen war. § 220 StPO. 358 § 221 StPO handelte ebenfalls von den Vorbereitungen zur Hauptverhandlung (HV). Der Tag der HV wurde vom Vorsitzenden bestimmt, sodass der Angeklagte eine Frist von mindestens 3 Tagen, und bei einem Geschworenengericht von mindestens 8 Tagen zur Vorbereitung seiner Verteidigung hatte. Der Tag der HV war neben dem Angeklagten, dessen Verteidiger, dem Staatsanwalt und dem Privatbeteiligten bekannt zu geben. Zudem musste die Ladung die Androhung beinhalten, dass im Falle eines Ausbleibens des Angeklagten, die HV in seiner Abwesenheit vorgenommen oder ein Vorführungsbefehl zu derselben gestellt werden konnte. War der Vorführungsbefehl zeitlich nicht ausführbar, so musste die HV auf Kosten des Angeklagten vertagt und zu jener vorgeführt werden. Ebenfalls waren Zeugen und Sachverständigen zur HV vorzuladen. Hierfür war eine Frist von mindestens 3 Tagen ab der Zustellung vorzusehen. Wurde von Anfang an mit einer längeren Dauer der Verhandlung gerechnet, so war ein bzw zwei Ersatzrichter zu bestellen, für den Fall der Verhinderung des Richters. § 221 StPO. 359 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 46. 360 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 47. 361 Zu den einschlägigen Bestimmungen der StPO vergleiche §§ 220 u 221 StPO. 362 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 48-59; §§ 220 u 221 StPO.

66 10.1 Die Richter und Schöffen

Die Verhandlung wurde unter dem Vorsitzenden Dr. Nestroy geführt. Ihm zur Seite stand Richter Dr. Friedrich. Der Schriftführer war Dr. Mrak. Als Ankläger für die Staatsanwaltschaft trat Dr. Butschek auf. Die Schöffen des Verfahrens waren je ein Mitglied der SPÖ (A. Kummer, Portier aus Graz), der KPÖ (A. Sebath, Wärter aus Graz) und der ÖVP (R. Weghaupt, Gärtner aus Graz). Für diese wurden Ersatzschöffen bestellt. Dies waren für die SPÖ A. Bolin, Tischlermeister aus Graz, für die ÖVP H. Brandau, Spenglermeister aus Graz, und für die KPÖ J. Grulich, Oberwerkmeister aus Graz.363 10.2 Der Beginn der Hauptverhandlung

Am 23. September 1946 um 9 Uhr wurde die Hauptverhandlung eröffnet. Die rechtlichen Bestimmungen für die Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen erster Instanz fanden sich in den §§ 228 ff StPO364. Für die Staatsanwaltschaft war Dr. Butschek anwesend. Zudem gab es in diesem Verfahren eine Privatbeteiligte365, nämlich Frau Farkas. Einem Privatbeteiligten standen folgende Rechte zu: 1.) Der Privatbeteiligte konnte sowohl dem Staatsanwalt als auch dem Untersuchungsrichter dienliche Unter- lagen, die zur Überführung des Beschuldigten sowie zur Begründung des Entschädigungsanspruches beitrugen, geben. 2.) Der Privatbeteiligte konnte Akteneinsicht schon in der Voruntersuchung nehmen, sofern keine zwingenden Gründe dem entgegenstanden. 3.) Der Privatbeteiligte konnte auch an der Hauptverhandlung teilnehmen. Dabei konnte er auch Fragen an die Angeklagten, an Zeugen oder an Sachverständige stellen. Am Schluss der Hauptverhandlung erhielt ein Privatbeteiligter nach dem Staatsanwalt und dessen Schlussantrag das Wort, und konnte hier noch seine Ansprüche ausführen, begründen und Anträge stellen, über die im Urteil entschieden werden sollte.366

Den Angeklagten standen ihre Verteidiger beiseite, nämlich Dr. Turek für Othmar Heitmann, Egon Obermayer und Ferdinand Hoffmann, Dr. Held für Walter Sachse, Dr. Geigler für Hans Bacher und Dr. Ehrlich für Rolf Kutschera und Friedrich Scholler. Die Angeklagten wurden zur einer gewissenhaften Anhörung ermahnt. Anschließend wurde festgestellt, dass die Hauptschöffen am 1. September 1946 vereidigt wurden. Daraufhin rief der Vorsitzende die Sachverständigen und Zeugen herein, belehrte sie über den Eid, der von ihnen geleistet wurde, und entsandte die Zeugen auf das bereitgestellte Zimmer. Dies erging aus der Bestimmung des § 241 StPO. Die Sachverständigen durften während der Vernehmung der Angeklagten und Zeugen im Verhandlungssaal zugegen sein. Nachfolgend ließ der Vorsitzende die Anklageschrift vortragen. Dr. Nestroy bestimmte die separate Vernehmung der Angeklagten und begann mit der Einvernahme des Othmar Heitmann. Dr. Nestroy teilte ihm mit, dass er der Anklage eine Gegendarstellung bieten könne. Auch wurde ihm die Möglichkeit gewährt, zu den jeweiligen Beweismitteln seine Anmerkungen vorzutragen. Dies folgte aus dem § 245 StPO.367

363 Das Steirerblatt vom 24. 09. 1946, S. 3; Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 99. 364 §§ 228 ff StPO. 365 Zur Privatbeteiligten siehe auch Kapitel 3.10, S. 16-17. 366 § 47 StPO; Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 99-100. 367 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 99-100; §§ 241 u 245 StPO.

67 10.2.1 Die Aussagen des Angeklagten Othmar Heitmann

Othmar Heitmann, gem § 245 StPO368 vernommen, führte aus, dass er sich nicht als schuldig empfand. Dies begründete er damit, dass er die Tat unter Zwang ausgeführt habe. Er führte dann wie bei seiner Vernehmung vom 12. Juli 1945 und vom 1. Februar 1946 aus, dass er zur Wache eingeteilt gewesen war. Die Partisanen habe er erst um 9 Uhr desselben Tages erblickt. Ebenfalls habe er auch vernommen, wie zunächst Ferdinand Hoffmann und dann Friedrich Scholler mit dem Kreisleiter Dr. Hugo Suette telefoniert hatten. Ein wenig später habe er noch gehört, wie Friedrich Scholler mit zwei Haupttruppführern über die Partisanen gesprochen habe. Diesen habe er gesagt, dass er sie exekutieren werde, worauf diese beiden ihm beigestimmt haben. Die Partisanen seien gegen 13 Uhr von Friedrich Scholler verhört worden. Eine halbe Stunde darauf habe Othmar Heitmann Schreie gehört und habe einen verwundeten Partisanen gesehen. In diesem Zusammenhang habe er auch gesehen, wie Wenzel Dietl Rudolf Kutschera angebrüllt habe. Grundsätzlich habe es im Lager auch einen Arzt gegeben, der aber nicht zugegen gewesen sei. Der Verwundete habe auch keine Heilpflege erhalten. Im verwundeten Zustand sei dieser auch verhört worden. Der Partisan habe mitgeteilt, dass er aus Marburg stamme und dort auch seine Familie lebe. Auf Befehl Friedrich Schollers habe der Partisan in der Sonne dahinsiechen müssen. Als er und Walter Sachse zwei der Partisanen auf die Toilette geführt haben, habe er den Verwundeten in einer Zelle liegend gesehen. Egon Obermayer habe ihm mitgeteilt, dass ein Sonderkommando gebildet werden müsse, und man habe sich hierfür in Bereitschaft zu halten. Friedrich Scholler habe ihn kurz darauf tatsächlich rufen lassen, und ihm mitgeteilt, dass er an diesem Unterfangen teilnehmen müsse. Friedrich Scholler habe ihm eine Taschenlampe ausgehändigt und habe ihm befohlen dem Wort Walter Sachses zu gehorchen, widrigenfalls habe er mit einem Nachspiel zu rechnen. Walter Sachse habe das Kommando angeführt, welches mit zwei Partisanen in Richtung Schießplatz gegangen sei. Othmar Heitmann sei zur Rückendeckung eingeteilt gewesen. Dort habe er gesehen, wie sich einer der hingeführten Partisanen in ein Panzerloch gelegt habe und daraufhin habe er einen Schuss gehört. Wenzel Dietl habe diesen Schuss abgegeben. Daran anschließend haben Wenzel Dietl und N. George den getöteten Partisan begraben. Im Anschluss daran seien die übrig gebliebenen Partisanen von Wenzel Dietl, N. George und Walter Sachse hergeführt worden. Der Verwundete sei von den anderen zwei Freiheitskämpfern getragen worden. Egon Obermayer habe vor den Augen des Othmar Heitmanns einen Partisanen erschießen müssen. Sodann sei er an der Reihe gewesen, den Verwundeten zu exekutieren. Wenzel Dietl und N. George haben dafür den Verwundeten in das Panzerloch geworfen, woraufhin Walter Sachse den Befehl zu schießen erteilt habe. Othmar Heitmann habe nachgefragt, ob das wirklich noch notwendig sei, da er dachte, dass der Partisan schon verstorben sei.369

368 Der Angeklagte wurde vom Vorsitzenden über den Inhalt der Anklage vernommen. Im Falle der Äußerung der Unschuld, hatte der Vorsitzende dem Angeklagten mitzuteilen, dass er eine Erklärung zur Anklage abgeben als auch einzelne Beweismittel anführen könnte. Für den Fall, dass der Angeklagte von seinen früheren Aussagen abweichen sollte, so war jener über die Gründe des Abweichens zu befragen. § 245 StPO. 369 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 100-101; Neue Zeit vom 24.09.1946, S. 3.

68 Auf Frage des Vorsitzenden Dr. Nestroy, warum er den Befehl des Walter Sachse nicht verweigert habe, entgegnete Othmar Heitmann, dass er schon mehrmals davon erfahren habe, dass man solch einen Befehl nicht verweigern sollte, da man sonst selbst getötet werden würde. Wenzel Dietl, ein glühender Nazi, hätte ihn sogleich erschossen. Befragt, ob er den Befehl direkt von Friederich Scholler erhalten habe, erklärte Othmar Heitmann, dass er den Befehl zur Exekution erst am Schießplatz erfahren habe. Auch habe er die Schreie des Verwundeten nicht vernommen, da er nach seinem Wachdienst tagsüber geschlafen habe. Um den angeschossenen Partisanen habe er sich nicht gekümmert, weil er vernommen habe, wie sich Sanitäter Sollberg ihm angenommen und ihn verbunden habe. Gem § 249 StPO konnten außer dem Vorsitzenden die übrigen Mitglieder des Gerichtshofes, der Staatsanwalt, die Angeklagten und der Privatbeteiligte, sowie die Vertreter jeder zu vernehmenden Person, nach Erteilung des Worts durch den Vorsitzenden, Fragen stellen.370 Der Staatsanwalt wollte wissen, ob er sich bewusst war, dass es sich bei dieser Erschießung um einen Mord handelte. Dem entgegnete Othmar Heitmann, mit seiner Unwissenheit. Er sei davon ausgegangen, dass dies seine Richtigkeit habe, da der Freiheitskämpfer bereits verhört worden war. Er habe Angst davor gehabt wegzulaufen, da er zu jenem Zeitpunkt nicht gewusst habe, wie lange der Zweite Weltkrieg noch andauern würde. Friedrich Scholler habe gegenüber den Mitangeklagten erwähnt, dass sie über diese Exekutionen nichts sagen dürften.371 10.2.2 Die Aussagen des Angeklagten Egon Obermayer

Egon Obermayer wurde ebenfalls gem § 245 StPO vernommen und gab an, dass er nicht schuldig sei. Er habe sich zur Tathandlung genötigt gesehen. Am Ostersonntag 1945 habe um 6:30 Uhr ein Alarm ertönt, worauf ein Trupp entsendet worden sei. Diesem habe auch er angehört. Nach der Entsendung seien sie mit fünf gefangengenommenen Partisanen zurückgekehrt. Er habe lediglich erfahren, dass einer der Partisanen verwundet worden sei. Dies habe er selbst nicht gesehen. Um 19 Uhr desselben Tages sei Wenzel Dietl erschienen und habe ihm mitgeteilt, dass er seine Ausrüstung anlegen und am Appellplatz erscheinen solle. Als er am Appellplatz ankam, seien N. Lappe und Wenzel Dietl schon dort gewesen. Auch seien noch Walter Sachse und N. George hinzugestoßen. Man habe dann zwei der gefangengenommenen Freiheitskämpfer herbei geführt und Egon Obermayer habe gedacht, dass man diese nach Deutschlandsberg überstelle. Tatsächlich habe man diese auf den Schießplatz gebracht. Daran anschließend habe er zwei Schüsse vernommen. Sodann habe man die drei übrigen Partisanen herbei bringen müssen. Unter diesen habe sich auch der Angeschossene befunden. Egon Obermayer habe den Befehl zum Erschießen eines Partisanen von Walter Sachse erhalten. Daraufhin habe er das Gewehr entsichert und mit geschlossenen Augen einen Schuss abgegeben. Er könne nicht genau sagen, ob der Freiheitskämpfer sofort tot gewesen sei oder nicht, da er den Platz sofort verlassen habe und sich an einen Baum angelehnt habe.372

370 § 249 StPO. 371 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 101-102. 372 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 101-102.

69 Auch gab er an, dass er die begründete Furcht hatte, selbst exekutiert zu werden, wenn er diesen Befehl nicht ausgeführt hätte. Sollte er jemals noch in eine solche Situation kommen, würde er jedoch lieber selbst getötet werden, als jemand anderen zu erschießen. Weiters konnte er nicht sagen, ob die Partisanen tot oder lebendig begraben wurden. Er teilte jedoch mit, dass sich keiner der Partisanen bewegt habe. Gem § 249 StPO373 konnte der Verteidiger Dr. Turek ihn zu seinem Werdegang befragen. Nach Besuch der Schule habe er eine Lehre absolviert, dann sei er zum RAD gekommen.374

Egon Obermayer führte weiters aus, dass RAD-Angehörige aus dem RAD Lager geflohen seien. Er selbst habe gegenüber einem Kollegen nach der Ermordung der Partisanen geäußert, dass er das Lager verlassen wolle. Auch habe er sich während seiner Zeit beim RAD der KPÖ angeschlossen.375 10.2.3 Die Aussagen des Angeklagten Walter Sachse

Walter Sachse wurde gem § 245 StPO befragt und gab bekannt, dass er sich schuldig fühle bzw Mitschuld habe, da er den mittelbaren Befehl des Kreisleiters Dr. Hugo Suette ausgeführt habe. Über seine Kindheit erzählte er nur, dass seine Eltern früh verstorben waren und er in einer ländlichen Region herangewachsen sei. Letztendlich habe er sich im Jahr 1933 dafür entschieden als Soldat zu dienen. Zum Sachverhalt gab er an, dass eine ca neun Mann starke Streife entsendet worden sei, um die Partisanen zu finden und zu stellen. Bei den Partisanen habe man außer Maschinenpistolen auch weitere Gegenstände gefunden, die wohl bei Raubzügen in der näheren Umgebung erbeutet worden waren. Bei der Rückkehr ins RAD-Lager habe Ferdinand Hoffmann den Kreisleiter Dr. Hugo Suette verständigt. Friedrich Scholler sei zu diesem Zeitpunkt nicht zugegen gewesen. Während dessen seien die Freiheitskämpfer in den Abteilungsbunker gesperrt worden. Walter Sachse habe sich erst um 16:30h wieder im Lager bei Friedrich Scholler zurückgemeldet. Inzwischen sei er nachhause gegangen, bei den Verhören sei er nur kurz anwesend gewesen. Er sei dann in den Hof gegangen. In einem Gespräch habe ihm der Partisan mitgeteilt, dass er angeschossen worden sei und nur geringe Schmerzen habe. Walter Sachse habe sich bei Friedrich Scholler erkundigt, warum der Verwundete auf einem Reisighaufen läge. Dann sei der Bürgermeister der Gemeinde Kloster im Lager erschienen und habe Walter Sachse gefragt, was hier vor sich gehe. Er habe auf den Abteilungsführer Friedrich Scholler verwiesen. Letztendlich sei der Verwundete auf Geheiß des Abteilungsleiters Friedrich Scholler in den Bunker getragen worden. Am Abend, so gegen 20 Uhr, sei Friedrich Scholler an ihn herangetreten und habe ihm mitgeteilt, dass nach den Telefongesprächen mit Dr. Hugo Suette die Partisanen exekutiert werden müssten.376

Walter Sachse sei jedoch nicht davon ausgegangen, dass weder Dr. Hugo Suette noch Friedrich Scholler autorisiert gewesen wären, einen Exekutionsbefehl durchführen zu lassen. Kurz nach 20 Uhr habe Friedrich Scholler das Zimmer betreten und habe ihn gefragt, ob er nun mitmachen würde. Dies sei der entscheidende Punkt gewesen, an dem sich nun auch Walter Sachse entschlossen habe, dem Befehl Folge

373 § 249 StPO handelte vom Fragerecht an den Angeklagten, welches vom Vorsitzenden erteilt wurde. § 249 StPO. 374 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 102; Die Wahrheit vom 24.09.1946, S. 2; Neue Zeit vom 24.09.1946, S. 3. 375 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 102. 376 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 102-104.

70 zu leisten. Von den gefangen genommenen Partisanen seien die ersten beiden von Wenzel Dietl und N. George getötet und zurückgelassen worden. Die übrigen Freiheitskämpfer seien sodann zum Schießplatz geführt worden. Nach den Exekutionen seien die getöteten Partisanen in den Panzerdeckungslöchern verscharrt worden. Die Gräber der ersten beiden seien etwa 150 Meter entfernt von den anderen dreien gelegen. Auch führte Walter Sachse weiter aus, es entspräche nicht der Wahrheit, dass Othmar Heitmann mit ihm eine Unterhaltung über das Ableben des Verwundeten geführt habe. Zur Wortmeldung des Othmar Heitmann, Walter Sachse habe über seine Frage geantwortet, dass Othmar Heitmann den Schuss ins Genick des Partisanen abzugeben und ihn mit der Taschenlampe unterstützt habe, entgegnete Walter Sachse, dass er weder Othmar Heitmann noch Egon Obermayer ein Kommando hierfür gegeben habe. Auch habe er keinen Zwang ausgeübt. Er gab an, dass Wenzel Dietl das Kommando ausgeführt hätte, hätten sich Egon Obermayer oder Othmar Heitmann geweigert, den Befehl auszuführen.377

Walter Sachse teilte auch mit, dass er gemeinsam mit Hans Bacher den Vorgesetzten Friedrich Scholler über die Unrichtigkeit dieser Tat informiert habe. Den Befehl Friedrich Schollers habe er aufgrund einer Mischung aus Zwang und Gehorsam durchgeführt. Sich selbst mache er den Vorwurf, dass er sich nicht mit Nachdruck dagegen verwehrt habe. Weiters gab er an, dass Kreisleiter Dr. Hugo Suette des Öfteren im Lager zugegen gewesen sei und dieser ihn auch mit dem Volkssturm378 beauftragt habe. Die RAD- Vorschriften seien nicht so streng gelebt worden, wie es beim Militär Usus gewesen sei. Die einschlägigen Vorschriften, in Bezug auf eventuelle Befehlsverweigerungen, seien jedoch auch beim RAD zum Ende des Zweiten Weltkrieges geändert worden. Zu sagen ist an dieser Stelle, dass gem § 15 Reichsarbeitsdienstgesetz 379 die Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes der Dienststrafordnung des Reichsarbeitsdienstes unterstellt waren. Bei der Wehrmacht wären sie für solch eine Befehlsverweigerung nach dem Militärstrafgesetzbuch verurteilt und erschossen worden. Der RAD wurde hier aber nicht für die Wehrmacht tätig, und somit hätten sie für solch ein Verhalten auch nicht erschossen werden dürfen. Sofern sich Othmar Heitmann und Egon Obermayer verwehrt hätten, die Partisanen zu exekutieren, hätte Wenzel Dietl sie hierfür auch nicht erschossen.380 10.2.4 Die Aussagen des Angeklagten Hans Bacher

Hans Bacher wurde gem der Bestimmung des § 245 StPO vernommen und wies die ihm vorgeworfene Schuld von sich. Der Verwundete sei auf einem Haufen gelegen und habe noch keine Heilbehandlung erhalten. Walter Sachse habe erklärt, dass jener auf eigenen Wunsch an der frischen Luft sein wolle.

377 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 103-104. 378 Beim , welcher im Herbst 1944 gegründet wurde, handelte es sich um das „letzte Aufgebot“, und zwar wurden, alle noch nicht im Krieg befindlichen Männer, welche waffenfähig waren und sich im Alter zwischen 16 und 60 Jahren befanden, eingezogen um das Reich zu verteidigen; LEMO, Lebendiges Museum online, Der Zweite Weltkrieg, Kriegsverlauf, Volkssturm https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kriegsverlauf/volkssturm.html (eingesehen am 31.03.2020); Deutschlandfunk, Hintergrund, Hitlers „letztes Aufgebot“, „Volkssturm“ im Zweiten Weltkrieg https://www.deutschlandfunk.de/volkssturm-im-zweiten-weltkrieg-hitlers-letztes- aufgebot.724.de.html?dram:article_id=461321 (eingesehen am 31.03.2020). 379 Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935, dRGBl 1935/64. 380 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 103-104; Die Wahrheit vom 24.09.1946, S. 2.

71 Friedrich Scholler habe Hans Bacher dann mitgeteilt, als dieser den Verwundeten in eine Baracke schaffen wollte, dass dies seine (dh Friedrich Schollers) Angelegenheit sei. Daraufhin habe Hans Bacher sich auf den Heimweg gemacht und sei gegen 21 Uhr ins Lager zurückgekehrt, er habe nicht gesehen, dass sich der verwundete Partisan aufgrund seiner Verletzung quälte. Nach Kenntnis der geplanten Exekutionen habe er Friedrich Scholler mitgeteilt, dass dieser das Vorhaben nochmals überdenken solle. Friedrich Scholler habe hierauf ein Gespräch mit Dr. Hugo Suette, dass die RAD-Arbeitsmänner den Befehl nicht ausführen würden, angekündigt. Staatsanwalt Dr. Butschek bestand auf die Feststellung, dass die Möglichkeit bestanden habe, einem Dienstvorgesetzten zu widersprechen. Dies hatte den Sinn, dass dies gem § 271 StPO381 im Protokoll vermerkt wurde.382

Die Verhandlung wurde nach einer Unterbrechung am Nachmittag desselben Tages fortgesetzt. Der Vorsitzenden stellte gem § 271 StPO im Protokoll fest, dass die gesetzlichen Vertreter 383 der Angeklagten Egon Obermayer und Othmar Heitmann nicht erschienen waren.384 10.2.5 Die Aussagen des Angeklagten Rolf Kutschera

Rolf Kutschera, gem § 245 StPO vernommen, führte aus, dass sein Vater Führer des freiwilligen Arbeits- dienstes gewesen sei. Im Oktober 1943 sei er dem RAD beigetreten. Er habe sich vom einfachen Hilfs- ausbildner bis zum Untertruppführer empor gearbeitet. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges sei er zu seiner Mutter385 nach Lienz gezogen und habe als Dolmetscher den Unterhalt für sich, seine Mutter und seine Geschwister bestritten. Am 1. April 1945 sei nach der Sichtung von Partisanen bei einem Bauern eine Truppe zusammengestellt worden. Die Partisanen seien widerstandslos verhaftet und im Lager verhört worden. Ein Partisan habe ihnen jedoch mitgeteilt, dass die restlichen einen Fluchtversuch planen würden. Darum sei er beim Verhör des zweiten Partisanen derart angespannt gewesen, dass er vergessen habe, auf den Sicherungshebel der Maschinenpistole zu achten. Als er den Partisan von der Zelle zum Verhör bringen wollte, habe sich ein Schuss gelöst. Die Maschinenpistole habe er hierbei geneigt gehalten, sodass die Kugel die Hüfte des Freiheitskämpfers getroffen habe und diese anschließend am Boden, neben Wenzel Dietls Fuß, aufschlug. Daraufhin habe Wenzel Dietl ihn gerügt. Der Verwundete sei zusammengesackt. Friedrich Scholler habe ihn ebenfalls für sein unvorsichtiges Hantieren mit der Maschinenpistole gerügt. Am Sonntag zuvor habe Rolf Kutschera ebenfalls durch unachtsames Hantieren mit der Waffe einen RAD-Kameraden durch Abgabe eines Schusses verletzt.386

Rolf Kutschera habe den Verwundeten nicht zum sofortigen Aufstehen vom Boden aufgefordert und auch nicht zu ihm gesagt, er solle nichts vormachen. Als Strafe für das Verwunden des Partisanen sei

381 §§ 271 f StPO handelte von der Protokollführung. §§ 271 f StPO. 382 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 104. 383 Da Egon Obermayer als auch Othmar Heitmann minderjährig waren, bedurften beide eines gesetzlichen Vertreters. Gesetzlicher Vertreter waren in der Regel die Eltern, wenn sie miteinander verheiratet sind. Bei minderjährigen Kindern, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind, war dies grundsätzlich die Mutter. § 167 ABGB. 384 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 104. 385 Tatsächlich handelte es sich um seine Stiefmutter, diese wurde jedoch als Mutter bezeichnet. 386 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 105; Die Wahrheit vom 24.09.1946, S. 3; Neue Zeit vom 24. 09.1946, S. 3.

72 Rolf Kutschera zum Horchposten eingeteilt worden. Da der Horchposten gut 200 Meter höher gelegen sei als das RAD-Lager, habe er den Verwundeten nur aus der Ferne beim Antreteplatz liegend gesehen. Hierbei habe er nicht erkennen können, dass dieser an großen Schmerzen gelitten habe. Als bereits die Dunkelheit eingekehrt sei, sei er von seinem Posten abgelöst worden, weshalb er von den Exekutionen nichts mitbekommen habe. Er sei weder Mitglied der NSDAP noch einer ihrer Untergruppen gewesen.387

Dr. Butschek, der Staatsanwalt, erklärte hierauf in der Hauptverhandlung, dass er von dem Vorwurf des Verbrechens nach § 335 StG388 in der Anklage zurücktrete, aber die Anklage gegen Rolf Kutschera wegen des Verbrechens nach § 3 KVG389 aufrechterhalten bleibe. Der Verzicht auf die Verfolgung nach § 335 StG wurde mit § 2 Befreiungsamnestie390 begründet, der ihm als Nichtmitglied der NSDAP zum Vorteil gereichen solle. Es handelte sich hiermit um einen Teilrücktritt von der Anklage, der gem § 259 Z 2 StPO zu einem Freispruch in diesem Punkte führte.391 10.2.6 Die Aussagen des Angeklagten Ferdinand Hoffmann

Ferdinand Hoffmann, ebenfalls gem § 245 StPO vernommen, bekannte sich nicht schuldig. Der NSDAP habe er sich im Februar des Jahres 1941 angeschlossen. Er habe jedoch keine Funktion ausgeübt. Seit dem Jahr 1938 sei er beim RAD gewesen, dies bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Den Sachverhalt schilderte er derart, dass er nach der Festnahme der Partisanen zunächst bei der Gendarmerie und dann bei Dr. Hugo Suette, dem Kreisleiter und Kampfkommandanten, angerufen habe. Er sei davon ausgegangen, dass die Aussage des Dr. Hugo Suettes, nämlich im Besitz von richterlichen Rechten zu sein, zutreffend sei. Aufgrund des Telefonats mit der Gendarmerie habe er die Information bekommen, dass man, dh die Gendarmerie, selbst die gefangen genommenen Partisanen abholen könne oder diese von RAD-Angehörigen zum Gendarmerieposten transportiert werden könnten. Der Kreisleiter Dr. Hugo Suette habe ihm im Telefonat noch weitere Instruktionen angekündigt. Am selben Tag zur Mittagszeit habe dann Dr. Hugo Suette zurückgerufen und angeordnet, dass die Gefangenen auf sein Geheiß und seine Verantwortung zu exekutieren seien. Ferdinand Hoffmann fragte darauf den Kreisleiter Dr. Hugo Suette, ob er dies wirklich veranlassen könne. Währenddessen sei Friedrich Scholler hinzugekommen, und Ferdinand Hoffmann habe ihm den Befehl weitergemeldet. Dabei habe er (Ferdinand Hoffmann) auch mitgeteilt, dass er diesen Befehl nicht ausführen werde. Daraufhin habe ihm Friedrich Scholler zu verstehen gegeben, dass man dies nicht so handhaben würde. Zum Gesundheitszustand des Verwundeten habe ihm Sanitäter Sollberg mitgeteilt, dass der Zustand nicht sehr ernst sei. Hiernach habe er den verwundeten Partisan nicht mehr gesehen. Er sei erst wieder gegen 21 Uhr in das RAD-Lager zurückgekehrt und habe eine unangenehme Stimmung verspürt. Er gab an, dass er den Befehl zur Exekution nicht umgesetzt hätte, da dies jeglicher Rechtsgrundlage entbehre und er dies nicht mit seinem

387 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 105. 388 § 335 StG handelte von den Vergehen und Uebertretungen gegen die Sicherheit des Lebens. § 335 StG. 389 § 3 KVG handelte von den Quälereien und Misshandlungen. § 3 KVG. 390 Bundesgesetz vom 6. März 1946 über die Einstellung von Strafverfahren, dich Nachsicht von Strafe und die Tilgung von Verurteilungen aus Anlaß der Befreiung Österreichs (Befreiungsamnestie), BGBl 1947/192. 391 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 105; § 259 StPO.

73 subjektiven Empfinden vereinbaren hätte können. Ferdinand Hoffmann hatte mit seiner getätigten Aussage recht, denn selbst im Krieg gab es ein Verfahren, welches einzuhalten war. Dem RAD oblag es nicht zu richten und die Exekutionen auszuführen. Ferdinand Hoffmann hätte wie angeführt, die Festnahme der Gendarmerie melden und die gefangen genommenen Partisanen dann der Gendarmerie überstellen oder jene durch die Gendarmerie abholen lassen müssen. Es hätte ein ordentliches Verfahren vor einem Gericht stattfinden müssen, und nur ein Richter hätte ein Exekutionsurteil verhängen dürfen.392

Hiernach stellte Staatsanwalt Dr. Butschek gem § 249 StPO393 die Frage, was im Falle einer Weigerung der Erschießungen gewesen wäre. Ferdinand Hoffmann erwiderte hierauf, dass bis dato solch eine Situation noch nie vorgekommen sei. Hier ist auf die Aussage des Walter Sachse zu verweisen, welcher mitteilte, dass eine Weigerung beim RAD nicht so streng gehandhabt werden würde wie bei der Wehrmacht. Daher hätte seiner Aussage nach allenfalls die Möglichkeit bestanden, den Exekutionen Einhalt zu gebieten ohne einen gewichtigen Nachteil befürchten zu müssen.394 10.2.7 Die Aussagen des Angeklagten Friedrich Scholler Friedrich Scholler bekannte sich gem § 245 StPO für nicht schuldig. Im Jahr 1938 sei er beim RAD aufgenommen worden und seit dem Jahr 1943 in St. Oswald stationiert. Die Verständigung über die Festnahme der Partisanen habe er, als er auf der Hebalm war, erhalten. Im Lager angekommen, habe ihm Ferdinand Hoffmann die Befehle des Kreisleiters Dr. Hugo Suette mitgeteilt, woraufhin er selbst Dr. Hugo Suette kontaktiert und ihn ersucht habe, die Exekutionsbefehle zurückzuziehen. Er habe die Partisanen nach Deutschlandsberg zum Gendarmerieposten überstellen lassen wollen. Hierauf habe der Kreisleiters Dr. Hugo Suette von ihm wissen wollen, ob er nicht wüsste, was es bedeute, einen Befehl auszuführen und bei Nichtdurchführung der Anordnungen mit harten Konsequenzen gedroht. Im nächsten Telefonat habe Dr. Hugo Suette, bei Nichtausführung des Befehls, die Ereilung desselben Schicksals (einer Exekution) angedroht. Die Partisanen hätten bei ihrer Einvernahme mitgeteilt, dass sie im Besitz einer besseren Bewaffnung als der RAD St. Oswald seien. Rolf Kutschera habe am Weg zum Verhör einen Partisanen verwundet, hierauf habe er Rolf Kutschera verwarnt. Sanitäter Sollberg sei zur medizinischen Hilfe gerufen worden. Auf Wunsch des Verwundeten sei dieser jedoch im Freien belassen worden. Nachdem die Verhöre beendet gewesen waren, habe sich der verwundete Partisan bereits im Bunker befunden. 395

Friedrich Scholler habe Wenzel Dietl und N. George mitgeteilt, dass Dr. Hugo Suettes Befehl möglichst rasch vollstreckt werden müsse und sie sich ein paar Helfer aus den Untertruppführern aussuchen sollen. An eine Unterredung mit Othmar Heitmann und Egon Obermayer könne er sich nicht mehr erinnern. Die Angaben des Othmar Heitmann, dass Friedrich Scholler und Walter Sachse, ihn zu sich zitiert hätten und ihm mitteilten, dass er bei diesem Unterfangen mitzuhelfen habe, bestätigte Friedrich Scholler. Der

392 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 105-106. 393 § 249 StPO handelte vom Fragerecht an den Angeklagten, welches vom Vorsitzenden erteilt wurde. § 249 StPO. 394 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 105-106. 395 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 106.

74 Vorsitzende hielt ihm seine Angaben aus den früheren Protokollen, dass N. George und Wenzel Dietl sich unaufgefordert für die Sache zur Verfügung gestellt hätten, gem § 245 StPO vor. Friedrich Scholler schloss nicht aus, dass N. George und Wenzel Dietl dies als direkten Befehl gewertet haben.396

Zur Aussage des Walter Sachse, er (Friedrich Scholler) habe Walter Sachse erklärt, dass es ihnen ähnlich ergehen könne, wenn man den Krieg verlieren würde, erklärte Friedrich Scholler sich nicht mehr genau daran erinnern zu können. Nach seiner Meinung sei der Befehl des Kreisleiters kein Auftrag zum Mord gewesen, da ihnen Dr. Hugo Suette kundgetan habe, dass er im Besitz von richterlichen Aufgaben und Befugnissen sei. Diese behaupteten richterlichen Befugnisse standen dem Kreisleiter Dr. Hugo jedoch nicht zu. Als Kreisleiter bekleidete er lediglich eine politische Funktion. Über eine Exekution hätte auch im Zweiten Weltkrieg ein Gericht nach einem ordentlichen Verfahren mit einem Urteil entscheiden müssen.397

Auf die Vorhaltung des Staatsanwalts gem § 249 StPO398, aus welchem Grund er nicht selbst den Befehl vollstreckt, sondern sich Jugendlicher bedient habe, erwiderte er, dass er Wenzel Dietl und N. George für diese Aufgabe ausgewählt habe. Warum Wenzel Dietl und N. George nicht alle Partisanen selbst erschossen haben, wisse er nicht. Jedenfalls habe er Egon Obermayer oder Othmar Heitmann hierzu keinen Befehl gegeben. Diese seien lediglich als Wache bestimmt gewesen. Zur Frage des Staatsanwalts, inwiefern Friedrich Scholler geprüft habe, ob die Partisanen verstorben waren, gab er an, dass er hierzu keine Veranlassung gegeben und er sich auch keine weiteren Gedanken gemacht habe. Er könne sohin nicht mit Sicherheit sagen, ob die Freiheitskämpfer beim Eingraben schon verstorben waren.399

Seinen Befehl, welcher den Beteiligten verbot, über die Erschießungen zu sprechen, bestätigte er. Er habe damit die Absicht verfolgt, dass im RAD-Lager nicht über die Erschießungen gesprochen werden sollte. Aus Angst vor Dr. Hugo Suette habe er dessen Befehl mit den Erschießungen durchgeführt. Überdies wollte der Vorsitzende Dr. Nestroy noch wissen, welche Aufgabe Walter Sachse hierbei zukam. Friedrich Scholler gab zur Rolle des Walter Sachse an, dass er nicht ausschließlich auf Wenzel Dietl und N. George vertrauen wollte. So habe er daher Walter Sachse, mit Kommandogewalt, mitentsandt.400

Friedrich Scholler wurde nun vom Verteidiger Dr. Geigl gem § 249 StPO zum verwundeten Partisanen befragt. Hans Bacher habe ihn informiert, dass der Verwundete in die Heilstube müsse. Hierauf habe er Sanitäter Sollberg antreten lassen, um den Angeschossenen zu versorgen. Weitere Schritte habe er deshalb nicht unternommen, da er von Sanitäter Sollberg informiert worden sei, dass die Verwundung nicht schwer wäre.401

396 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 107. 397 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 107. 398 § 249 StPO handelte vom Fragerecht an den Angeklagten, welches vom Vorsitzenden erteilt wurde. § 249 StPO. 399 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 107-108; Die Wahrheit vom 24.09.1946, S. 3. 400 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 107-108. 401 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 108.

75 10.3 Das Beweisverfahren

Das Beweisverfahren folgte den Regeln gem §§ 246 ff StPO. Von zentraler Bedeutung war § 247 StPO, welcher die Regelungen über die Befragung von Zeugen und Sachverständigen normierte. Folgende Anträge wurden von den Parteienvertretern gestellt: •) Antrag des Verteidigers Dr. Turek über die „Bestellung eines Sachverständigen durch das Landesgendarmeriekommando und Vernehmung darüber, welche Befugnisse Dr. Suetti 402 damals gehabt“ 403 habe „und wie die Partisanen im allgemeinen behandelt wurden.“404 •) Weiterer Antrag des Verteidigers Dr. Turek, nämlich Vernehmung der Zeugin R „darüber, dass ihr Sohn wegen Befehlsverweigerung beim Arbeitsdienst erschossen wurde“405 •) Antrag des Verteidigers Dr. Ehrlich über die „Vernehmung eines medizinischen Sachverständigen über die Art der Verletzung des verwundeten Partisanen und ob das Liegen an der Sonne für ihn schmerzhaft war“406; •) Antrag des Verteidigers Dr. Held über Vernehmung der Witwe „des Zahnarztes in Schwanberg über die Gewaltherrschaft des Dr. Suetti und des gleichen den Bezirksgendarmeriebeamten N in D.Landsberg“ 407 . Der Staatsanwalt Dr. Butschek beantragte die zuvor genannten Beweisanträge abzulehnen. Hierauf zog sich der Gerichtshof zu seiner Beratung zurück.408

Nach Abschluss der Beratungen verkündete Dr. Nestroy folgenden Beschluss: Den Anträgen auf Zulassung der Zeugin R, der Witwe des Zahnarztes von Schwanberg, und des Gendarmen N wurde stattgegeben. Auch wurde dem Antrag auf Bestellung eines medizinischen Sachverständigen stattgegeben, welcher über die Verletzungen und Schmerzen des verwundeten Partisanen Auskunft geben sollte. Die Hauptverhandlung wurde auf den nächsten Tag, den 24. September 1946, um 9 Uhr vertagt.409 10.3.1 Die Aussage des Zeugen G

Am 24. September 1946 begann die Einvernahme der Zeugen. Die Zeugen waren einzeln in der Anwesenheit der Angeklagten zu vernehmen. Zunächst wurden sie belehrt, und diejenigen von ihnen, die schon im Vorverfahren unter Eid gestanden hatten, wurden an den geleisteten Eid erinnert. Vom Vorsitzenden waren die gleichen Bestimmungen über die Anhörung von Zeugen und Sachverständigen wie jene durch den Untersuchungsrichter in der Voruntersuchung anzuwenden. Hiervon durfte abgewichen werden, wenn sich die Bestimmungen in der Hauptverhandlung nicht ausführen ließen. Aufgabe der Vorsitzenden war es darauf zu achten, dass ein nicht vernommener Zeuge oder Sachverständige sich nicht an der Vernehmung anderer Zeugen oder Sachverständigen beteiligte. Aussagen von Zeugen, die voneinander abwichen, hatte der Vorsitzende gegenüber zu stellen. Sowohl Zeugen als auch Sachverständige hatten bis zur Entlassung durch den Vorsitzenden in der Sitzung zu

402 Kreisleiter und Kampkommandant von Deutschlandsberg Dr. Hugo Suette, wurde des Öfteren auch Dr. Hugo Suetti geschrieben. 403 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 108. 404 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 108. 405 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 108. 406 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 108. 407 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 108. 408 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 108; §§ 246 ff StPO. 409 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 108-109.

76 bleiben. Der Angeklagte musste nach Anhörung jedes Zeugen, Sachverständigen oder Mitangeklagten befragt werden, ob er dem noch etwas hinzufügen möchte. Gem § 249 StPO konnten außer dem Vorsitzenden die übrigen Mitglieder des Gerichtshofes, der Staatsanwalt, die Angeklagten und der Privatbeteiligte, sowie die Vertreter jeder zu vernehmenden Person, nach Erteilung des Worts durch den Vorsitzenden, Fragen stellen. Unangemessene Fragen konnte der Vorsitzende zurückweisen. Gem § 247 StPO wurde der Zeuge G zu seinen Personalien befragt. Seiner Einvernahme vom 20. Juni 1945 fügte er hinzu, dass er von Ende Dezember 1944 bis Anfang Mai 1945 als RAD-Angehöriger im RAD-Lager St. Oswald in der Wäscherei tätig gewesen sei. Am Morgen des 1. April 1945 habe er beobachtet, wie die gefangen genommenen Partisanen in das RAD-Lager transportiert worden seien. Den Verwundeten habe er nie zu Gesicht bekommen. Zur Frage des Umgangs mit geflüchteten RAD-Angehörigen, antwortete er, dass zuvor zwei Arbeitsmänner aus seiner Abteilung geflohen, diese jedoch nicht exekutiert worden seien. Die Flucht dieser zwei Arbeitsmänner sei erst nach der Erschießung der Partisanen erfolgt.410 10.3.2 Die Aussage des Zeugen H

Der Zeuge H gab an, dass er im RAD-Lager St. Oswald seit Mitte Februar 1945 stationiert gewesen sei. Am 1. April 1945 habe er wahrgenommen, wie Rolf Kutschera und weitere RAD-Angehörige einen verwundeten Freiheitskämpfer zum Lagersanitäter Sollberg gebracht haben. Dort habe er medizinische Unterstützung bekommen und darum ersucht, im Freien verweilen zu können, gegen 17 Uhr sei er auf seinen eigenen Wunsch, in den Bunker gebracht worden. Er habe nicht wahrgenommen, dass der Verwundete sich vor Schmerzen gekrümmt habe. Als die Partisanen zu den Exekutionen gebracht worden seien, habe der angeschossene Partisan über Schmerzen im Fuß geklagt.411 10.3.3 Die Aussage des Zeugen S

Im Anschluss bekundete der Zeuge S, dass er beobachtet habe, wie man den angeschossenen Partisan zur Heilstube gebracht habe und wie er verbunden worden sei. Ein wenig später habe er ihn jedoch auf einem Reisighaufen liegend gesehen. Schmerzlaute habe er nicht wahrnehmen können.412 10.3.4 Die Aussage des Zeugen P

Der Zeuge P führte aus, dass er seit Mitte Mai 1938 beim RAD gewesen und seit Februar 1944 im Lager St. Oswald stationiert gewesen sei. Am 1. April 1945 habe ihn seine Frau besucht, weshalb er nicht alles im Detail mitbekommen habe. Er habe lediglich den angeschossenen Partisan am Abend gegen 19 Uhr auf dem Reisighaufen gesehen. Er sei jedoch darüber verwundert gewesen, dass dieser noch lebte. Auf die Frage des Staatsanwalts, ob er etwas zur Gesinnung des Rolf Kutschera mitteilen könnte, erwiderte er, dass Rolf Kutschera Napola-Schüler gewesen sei und gänzlicher Nationalsozialist.413

410 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 109; §§ 247 ff StPO. 411 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 109. 412 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 109. 413 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 109-110.

77 10.3.5 Der Sachverständige Dr. Schwarzacher

Der Sachverständige Prof. Dr. Schwarzacher, Professor für gerichtsärztliche Medizin, erklärte die Verletzungen des angeschossenen Partisanen. Für die Befragung des Sachverständigen galten die gleichen Regelungen gem §§ 247 ff StPO. In seinen Ausführungen stellte er dar, dass das Geschoss, aus der Maschinenpistole in einem schief absinkenden Winkel den Körper getroffen hatte. Hierbei sei die Bauchhöhle perforiert worden. Auch die Niere sowie die Leber und die Darmschlingen wurden wohl verwundet. In der Regel weise solch eine Verletzung keine starke Blutung auf. Mit äußerster Wahrscheinlichkeit habe der Heilgehilfe auf die Wunde eine Kompresse gegeben und diese dann verbunden. Man könne nur sehr schwer beurteilen, was für den Verletzten besser wäre. Der Meinung des Sachverständigen nach, war es jedoch unverantwortlich, den Angeschossenen ohne jegliche Unterstützung und Hilfe unter freiem Himmel zurückzulassen. Zudem hätten sich auch schmerzhafte Hämatome bilden können, welche große Schmerzen verursachen könnten. Nach einer Weile habe eine typische leichte Benommenheit eintreten können, wodurch man in der Regel ruhiger werde. Inwiefern die Sonnenstrahlung gut oder schlecht für den Partisanen gewesen war, lasse sich nicht genau bestimmen. Aufgrund des Grades der Verletzung hätte ein Heilgehilfe zumindest für eine andere Art der Erleichterung sorgen müssen. Bei der gegenständlichen Verletzung habe es sich um eine schwere gehandelt, die bei Unterlassung einer Hilfeleistung zum Tod geführt hätte.414 10.3.6 Die Aussage der Zeugin T

Die Zeugin T führte aus, dass am frühen Morgen des 1. April 1945 fünf Partisane angeklopft und angefragt haben, ob sie hier Kaffeekochen dürfen. Ihr Mann habe den Partisanen erklärt, dass es hier wegen regelmäßig patrouillierender Streifen nicht sicher wäre. In diesem Moment habe sich schon eine Streife genähert. Die Partisanen habe sich daraufhin verteilt, einer von ihnen sei auf die Toilette gegangen, welche sich im Freien befand. Dabei sei er sofort verhaftet worden. Die anderen haben sich im Schlafzimmer versteckt. Ein RAD-Arbeitsmann namens Wenzel Dietl habe von ihr verlangt, dass sie sich in Richtung Wald bewegen solle. Nach dem Aufruf zum Ergeben, seien die Partisanen aus dem Haus gekommen und haben sich widerstandslos festnehmen lassen.415 10.3.7 Die Aussage des Zeugen SCH

Der Zeuge SCH sei in den letzten Monaten vor Kriegsende auch beim RAD gewesen. Beim Appell habe er vernommen, dass die Befehle ausnahmslos durchzuführen seien, widrigenfalls man dies mit seinem Leben bezahlen würde. Es sei strenger Gehorsam gelehrt und gelebt worden. Ihm sei aber nicht bekannt gewesen, dass Arbeitsmänner diszipliniert worden wären. An das Geschehen vom Ostersonntag 1945 habe er nur mehr in Erinnerung, wie N. George Egon Obermayer abgeholt habe. Friedrich Scholler habe beim nächsten Appell bekannt gegeben, dass die Partisanen zunächst nach Deutschlandsberg und dann

414 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 110; Das Steirerblatt vom 25.09.1946, S. 3; Die Wahrheit vom 25.09.1946, S. 2-3. 415 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 110, 232-233; Die Wahrheit vom 25.09.1946, S. 3.

78 nach Graz zu bringen wären. Der Zeuge SCH habe an diesem Tag mehrmals gehört, dass Egon Obermayer vom Flüchten gesprochen habe.416 10.3.8 Die Aussage des Zeugen B Der Zeuge B, ein vom Dienst suspendierter Gendarm, führte aus, dass er ein Telefongespräch, welches einmal unterbrochen worden sei, zwischen Friedrich Scholler und Dr. Hugo Suette, über die gefangen genommenen Partisanen, abgehört habe. Kreisleiter Dr. Hugo Suette habe Friedrich Scholler am Telefon mitgeteilt, dass die Partisanen zu exekutieren seien, woraufhin Friedrich Scholler entgegnet habe, dass er hierfür keine Legitimation hätte. Als Dr. Hugo Suette, nach einer Gesprächsunterbrechung, das noch einmal von ihm gefordert habe, habe dieser die mangelnde Legitimation eingewendet. Hierauf habe Friedrich Scholler nochmals die gleichen Instruktionen erhalten. Dem habe er abermals ausdrücklich entgegnet, dass der RAD für solch ein Unterfangen nicht zuständig sei. Daraufhin habe Dr. Hugo Suette die Anordnung wiederholt, den Führergruß von sich gegeben und das Gespräch beendet.417

Dr. Hugo Suette habe explizit erwähnt, dass es sein Befehl sei und er die schützende Hand darüber halten würde. Über Frage des Vorsitzenden, wie die Gendarmerie mit den Partisanen verfahren wäre, sofern der RAD sie ihnen gebracht hätte, antwortete der Zeuge, dass mit sehr großer Wahrscheinlichkeit die Gendarmerie den gleichen Befehl zur Durchführung erhalten und diesen dann auch auszuführen gehabt hätte. Auch wenn der Zeuge B der Meinung gewesen war, dass er diesen Befehl hätte ausführen müssen, so wäre dies nicht rechtens gewesen. Wie schon mehrmals erwähnt, hätten die Gendarmen die Partisanen festnehmen und einem Untersuchungsrichter vorführen müssen. Dieser hätte dann im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren einleiten und mit der Voruntersuchung beginnen müssen. Es hätte eine ordentliche Hauptverhandlung stattfinden und ein rechtmäßiges Urteil gefällt werden müssen. Dieses wäre dann zu vollstrecken gewesen. Auch während des Zweiten Weltkrieges hätte dieses Verfahren eingehalten werden müssen. Weiters führt der Zeuge B aus, dass Dr. Hugo Suette allseits gefürchtet gewesen sei. Es sei besser gewesen, sich seinen Befehlen nicht zu widersetzen, da man sonst erschossen worden wäre. Der Zeuge habe noch versucht, Friedrich Scholler zu kontaktieren, da man seitens der Gendarmerie auch gegen den Befehl des Kreisleiters Dr. Hugo Suette gewesen sei. Er hätte Friedrich Scholler den Vorschlag gemacht, die Erschießungen zu melden, die Freiheitskämpfer jedoch gehen zu lassen. Zur Frage des Staatsanwalts, ob eine sittentreue Person fähig gewesen wäre, dies zu verhindern, antwortete er, dass die Möglichkeit hierzu bestanden habe.418

Verteidiger Dr. Ehrlich befragte nun nach Erhalt des Worts gem § 249 StPO den Zeugen B, inwiefern der Kreisleiter Dr. Hugo Suette Anordnungen über Leben oder Tod geben habe dürfen. B erwiderte hierauf, dass sich dieser nicht an die Vorgaben gehalten habe. Friedrich Schollers tatsächlicher Vorgesetzter sei Hauptmann Schmidt gewesen, aber auch dieser habe auf die Anordnungen des Dr. Hugo Suette gehört.

416 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 110-111. 417 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 111; Das Steirerblatt vom 25.09.1946, S. 3; Die Wahrheit vom 25.09.1946, S. 3; Neue Zeit vom 25.09.1946, S. 3; Österreichische Zeitung vom 26.09.1946, S. 2. 418 Das Steirerblatt vom 25.09.1946, S. 3.

79 Der Zeuge war auch der Meinung, dass, wenn Friedrich Scholler die Festnahme Hauptmann Schmidt mitgeteilt hätte, eine Einmischung des Kreisleiters Dr. Hugo Suette erfolgt wäre und dies zum selben Ergebnis geführt hätte. Eine Anordnung, dass Dr. Hugo Suette über der Wehrmacht oder der SS stehe, habe es nicht gegeben. Aufgrund dessen lässt sich schließen, dass aus reiner Furcht vor der Person des Kreisleiters Dr. Hugo Suette Befehle ausgeführt wurden, von denen man wusste, dass dieser jene nicht erteilen hätte dürfen.419 10.3.9 Die Aussage des Zeugen E

Der Zeuge E führte aus, dass er seit Februar 1939 beim RAD gewesen sei und zuletzt den Rang eines Unterfeldmeisters bekleidet habe. Ein besonderes Naheverhältnis zur Wehrmacht habe nicht bestanden.420 Mitgebracht hatte er ein Verzeichnis über die entwendeten Gegenstände des Bauern durch die Partisanen. Dr. Hugo Suette habe zu jenem Zeitpunkt nicht die volle Autorität gehabt und somit habe die Möglichkeit bestanden, dem Begehren eine Abfuhr zu erteilen.421 10.3.10 Zum Nichterscheinen der Zeugin R

Die Zeugin R, welche auf Antrag des Verteidigers Dr. Turek geladen wurde, war nicht erschienen. Dies wurde vom Vorsitzenden gem § 271 StPO 422 protokolliert, womit er der verpflichtenden Protokollführung nachkam. Daraufhin verzichtete Dr. Turek auf die Einvernahme der Zeugin.423

Nach einer Unterbrechung der Hauptverhandlung wurde Friedrich Scholler zum Verbleib der bei den Partisanen gefundenen Gegenstände, wie bspw Kleidung, Taschenmesser und Lebensmittel befragt. Hierauf erwiderte Friedrich Scholler, dass die Bekleidung, die sichergestellt worden sei, von der Schwester des betroffenen Bauern geholt worden sei. Sichergestellte Lebensmittel habe die Schwester zum Teil mitgenommen.424 10.3.11 Die Privatbeteiligte Frau Farkas

Frau Farkas schilderte in der Hauptverhandlung vom Tod ihres Sohnes durch einen Brief informiert worden zu sein. Sie führte zunächst aus, wie ihr Sohn zu den Partisanen gekommen sei. Dies gab sie folgendermaßen bekannt: „Er desertierte zu den Partisanen, weil er es als Sohn eines altösterreichischen Offiziers nicht ertragen konnte, daß im Rahmen „politischer Belehrungen“ in seiner Einheit die Leistungen der Österreichischer im ersten Weltkrieg stets herabgesetzt wurden.“ 425 Aufgrund ihres Alters sei ihr verstorbenes Kind eine zusätzliche Stütze zur staatlichen Fürsorge gewesen, daher verlange

419 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 111-112. 420 Siehe auch Kapitel 5.1 zur Geschichte des RAD, S. 25-27. 421 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 112. 422 § 271 StPO beinhaltete Regeln über die Protokollführung in der Hauptverhandlung. Dies sah vor, dass ein Protokoll bei sonstiger Nichtigkeit aufzunehmen war. Auch mussten die anwesenden Mitglieder des Gerichtshofes, der Parteien und ihrer Vertreter protokolliert werden. Die geforderten Förmlichkeiten des Verfahrens mussten dokumentiert und die Zeugen und Sachverständige, die vernommen worden waren, angeführt werden. Eventuell vorgelesene Aktenstücke wurden ebenfalls dokumentiert. Die Parteien hatten die Möglichkeit, die Feststellung einzelner Punkte im Protokoll zu verlangen. § 271 StPO. 423 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 112. 424 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 112, 115. 425 Das Steirerblatt vom 25.09.1946, S. 3.

80 sie eine Rente iHv 100 Schilling monatlich. Mit dieser Forderung schloss sie sich dem Verfahren als Privatbeteiligte426 an.427 10.3.12 Die Aussage des Zeugen K

Auf Antrag des Verteidigers Dr. Turek wurde der Zeuge K, welcher Egon Obermayers Vormund war, zu dessen Gesinnung in politischer und in menschlicher Hinsicht vernommen. Egon Obermayers Vormund war ein Fachausbilder für Maurer. Jener zeigte in der Hauptverhandlung eine Bescheinigung vor, aus welcher hervorging, dass er „als Opfer für den Kampf um ein freies Oesterreich anzusehen“428 war. Zudem zeigte er eine weitere Bescheinigung, auf der man erkennen konnte, dass er vier Jahre wegen Hochverrats inhaftiert gewesen war. Er habe Egon Obermayers Mutter schon seit Beginn des Krieges gekannt. Als er aus der Haft entlassen wurde, nahm ihn diese im Jahr 1944 auf. Seine Entscheidung sei auf sie gefallen, da er sie als Regimegegnerin in Erinnerung hatte. Bei einem gemeinsamen Besuch mit der Mutter Egon Obermayers im RAD-Lager habe er festgestellt, dass Egon Obermayer selbst Antifaschist sei. Auch habe ihm dieser einmal eine Pistole, welche er aus dem RAD-Lager St. Oswald entwendet hatte, mitgebracht. Damit hätte er sich gegen eine allfällige Anhaltung zur Wehr setzen können. Nach den Exekutionen der Freiheitskämpfer sei Egon Obermayer versetzt worden. Bei einem Heimatbesuch habe dieser unter großer Aufregung die Absicht, den RAD zu verlassen, erklärt. Die Aussagen des Zeugen K sollten Othmar Heitmann unterstützend zukommen, sodass dieser nicht nur nach den Geschehnissen des Ostersonntags 1945 beurteilt werden würde.429 10.3.13 Die Aussage des Zeugen N

Zuletzt wurde der Zeuge N gehört, welcher auf dem Gendarmerieposten in Deutschlandsberg tätig und 1938 abgesetzt worden war. Dieser konnte zu Dr. Hugo Suette sagen, dass er ihn zwar nicht persönlich gekannt, jedoch erfahren habe, dass dieser selbst Exekutionen durch Schusswaffengebrauch veranlasst habe. Diese Aussage unterstützte nur die Zeichnung über das Bild des Kreisleiters Dr. Hugo Suette, der als äußerst blutrünstig und gnadenlos bekannt gewesen war.430 10.3.14 Die abschließenden Anträge und Vorlagen der Beweismittel

Der Verteidiger von Othmar Heitmann legte ein Dienstzeugnis, die Mitgliedskarte der SPÖ, die SPÖ- Mitgliedskarte des Vaters und den von der KPÖ ausgestellten Nachweis der Mutter, dass diese nie Mitglied der NSDAP gewesen war, vor. Daraufhin wurden die Anzeigen, die Polizeiberichte, die Strafkarten von Othmar Heitmann, Leumundschreiben desselben, die Jugend- und Schulerhebungen sowie Berichte und die Erhebungen über sein Vermögen wiedergegeben und die Verhandlung vertagt.431

426 Zur Definition eine Privatbeteiligten siehe Kapitel 3.10, S. 16-17 und Kapitel 10.2, S. 67. 427 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 112-113, 237-238; Das Steirerblatt vom 25.09.1946, S. 3; Die Wahrheit vom 25.09.1946, S. 3; Neue Zeit vom 25.09.1946, S. 3. 428 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 113. 429 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 113, 119, 121. 430 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 113. 431 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 113, 115-120.

81 Das Verfahren wurde am 25. September 1946 fortgesetzt. Nachdem der Vorsitzende gem § 255 StPO432 das Beweisverfahren für geschlossen erklärt hatte, stellte Staatsanwalt Dr. Butschek sodann, in seinem Schlussvortrag, den Antrag auf Verurteilung im Sinne der Anklageschrift und führte weiter aus, dass man sich nicht damit rechtfertigen könne, auf Befehl gehandelt zu haben. Zudem schilderte er, wie sich das nationalsozialistische Regime gerne der Jugendlichen für ihre Zwecke bediente. „Ganz unrichtig sei es auch, wenn man die Partisanen als Franktireure bezeichne, auf die die Haager Landkriegskonvention keine Anwendung zu finden habe. Gefangene zu töten ist immer Mord, denn sie sind kein Feind mehr; das ist nicht nur Dienstvorschrift aller Kulturstaaten, sondern stand auch im Soldbuch jedes Wehrmachtsangehörigen.“433

Nach der Bestimmung des § 255 StPO gehörte den Angeklagten und deren Verteidigung die Schlussrede. Dr. Turek forderte für Ferdinand Hoffmann einen Freispruch und für Othmar Heitmann und Egon Obermayer, ersuchte er um eine milde Strafe, da sich seine Mandanten „der Tragweite ihrer verbrecherischen Tat nicht bewußt gewesen seien.“434 Verteidiger Dr. Held ersuchte für Walter Sachse um einen Freispruch, in eventu um eine milde Strafe, da sein Mandant seit 1933 Berufssoldat war und daher „keinen eigenen Willen hatte.“435 Verteidiger Dr. Held benannte den „Kreisleiter Dr. Suette als den Urheber aller in der Weststeiermark begangenen Verbrechen“436. Verteidiger Dr. Geigl beantragte für Hans Bacher einen Freispruch. Dr. Ehrlich stellte für Rolf Kutschera ebenfalls den Antrag auf Freispruch und für Friedrich Scholler forderte er eine milde Strafe.437

Daraufhin wurde die Verhandlung vom Vorsitzenden Dr. Nestroy geschlossen und der Gerichtshof zog sich zur Urteilsberatung § 257 StPO438 zurück.439 10.4 Das Beratungsprotokoll

Bei der Beratung über die Urteilsfindung, die am 25. September 1946 um ca 16 Uhr begann, waren der Vorsitzende Dr. Nestroy, Richter Dr. Friedrich und die Schöffen aus der Hauptverhandlung anwesend. Ein gesondertes Protokoll über die Beratung musste gem § 272 StPO440 geführt werden. Gem § 258 StPO durfte bei der Urteilsfällung nur auf dasjenige Rücksicht genommen werden, was in der Hauptverhandlung vorgekommen war. Dem Gericht kam die Aufgabe zu, die Beweismittel einzeln in Ansehung auf Glaubwürdigkeit und Beweiskraft, sorgfältig und gewissenhaft zu überprüfen. „Ueber die

432 §§ 255 f StPO handelte von abschließenden Vorträgen der Verfahrensparteien. §§ 256 f StPO. 433 Das Steirerblatt vom 26.09.1946, S. 3; Neue Zeit vom 26.09.1946, S. 3; Österreichische Zeitung vom 26.09.1946, S. 2; Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 114. 434 Die Wahrheit vom 26.09.1946, S. 3. 435 Die Wahrheit vom 26.09.1946, S. 3. 436 Die Wahrheit vom 26.09.1946, S. 3. 437 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 114; Das Steirerblatt vom 26.09.1946, S. 3; Die Wahrheit vom 26.09.1946, S. 3. 438 § 257 StPO normierte die Handlung des Vorsitzenden, der aufgrund dieser Bestimmung die Verhandlung für geschlossen erklären konnte. Daran anschließend hatte sich der Gerichtshof zur Urteilsberatung zurückzuziehen. § 257 StPO. 439 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 114. 440 § 272 StPO handelte von der gesonderten Protokollführung bei der Beratung und Abstimmung am Schluss der Hauptverhandlung. § 272 StPO.

82 Frage, ob eine Thatsache als erwiesen anzunehmen sei, entscheiden die Richter nicht nach gesetzlichen Beweisregeln, sondern nur nach ihrer freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnen Ueberzeugung.“441

Nach dem Beratungsergebnis wurde Othmar Heitmann einstimmig gem § 1 Abs 2 KVG (Kriegsverbrechen)442 iVm § 134 StG (Mord)443 für schuldig befunden. Zu § 3 Abs 1 KVG (Quälereien und Misshandlungen)444 wurde Othmar Heitmann in Stimmenmehrheit für schuldig befunden. Auch wurde ein einstimmiger Beschluss zur Anwendung des § 13 Abs 1 KVG445 gefasst, welcher anstatt der Todesstrafe eine Freiheitsstrafe vorsah. Lediglich der Schöffe R. Weghaupt, wollte das Strafmaß auf zweieinhalb Jahre reduzieren. Die gleiche Entscheidung wurde zum Angeklagten Egon Obermayer getroffen. Der Angeklagte Walter Sachse wurde gem § 1 Abs 2 KVG (Kriegsverbrechen) iVm § 134 StG (Mord) für schuldig befunden, jedoch vom Vorwurf nach § 3 Abs 1 KVG (Quälereien und Misshandlungen) freigesprochen. Die Anwendung des § 13 Abs 1 KVG wurde ebenfalls einstimmig beschlossen, jedoch waren sich die Schöffen zum Ausmaß der Strafe nicht einig, denn der Schöffe R. Weghaupt, stimmte nur für eine 15-jährige Haftstrafe. Hans Bacher wurde im gemeinsamen Einvernehmen freigesprochen. Rolf Kutschera wurde gem § 3 Abs 1 KVG (Quälereien und Misshandlungen) für schuldig befunden. Auch wurde bei Rolf Kutschera die Anwendung des § 13 Abs 1 KVG beschlossen. Ferdinand Hoffmann wurde mit der Mehrheit an Stimmen freigesprochen, für schuldig befand ihn lediglich der Vorsitzende Dr. Nestroy. Dieser stellte darauf ab, dass Ferdinand Hoffmann dem Verwundeten keine Hilfe geleistet hatte. Friedrich Scholler wurde gem § 1 Abs 2 KVG iVm § 134 StG (Mord) einstimmig für schuldig befunden. Hinsichtlich des Strafmaßes stimmte allerdings der Schöffe R. Weghaupt für 20 Jahren Haft. Einigkeit bestand bei der Anwendung des § 13 Abs 1 KVG. Die Angeklagten Hans Bacher und Ferdinand Hoffmann wurden einstimmig freigesprochen. Zudem wurde noch der Beschluss „auf Aberkennung der Haftentschädigung der Angeklagten Bacher und Hoffmann, weil für die Verfolgung und Haft ein hinreichend begründeter Verdacht vorlag, der nicht

441 § 258 StPO; Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 122-123. 442 § 1 Abs 2 KVG handelte von den Kriegsverbrechen. Jenes Verbrechens war schuldig wer im Interesse, wenn auch nur angenommen, der Deutschen Wehrmacht oder der ns.- Gewaltherrschaft im Zweiten Weltkrieg kriegerische Handlungen, militärischen Handlungen oder Handlungen militärisch organisierter Verbände gegen andere Personen eine Tat begangen oder veranlasst hat, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit widerspricht. § 1 Abs 2 KVG. 443 § 134 StG handelte vom Mord. Derjenige der gegen einen Menschen, mit der Intention, diesen zu töten, handelte und hieraus der Tod jenes Menschen oder eines anderen Menschen erfolgte, machte sich des Verbrechens des Mordes schuldig. § 134 StG. 444 § 3 Abs 1 KVG handelte von den Quälereien und Misshandlungen. Derjenige, der in der ns.- Gewaltherrschaft aus politischer Gehässigkeit oder unter Ausnützung dienstlicher oder sonstiger Gewalt einen Menschen in einen qualvollen Zustand versetzte oder empfindlich misshandelte, wurde mit schwerem Kerker von 5 bis 10 Jahren, und wenn die Tat einen wichtigen Nachteil an der Gesundheit zur Folge hatte, mit schwerem Kerker von 10 bis 20 Jahren bestraft. § 3 Abs 1 KVG. 445 „Die Bestimmungen des Artikels V des Verbotsgesetzes sind auch auf die Strafverfahren nach diesem Gesetz sinngemäß anzuwenden. Jedoch kann in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen das Volksgericht, wenn es dies einstimmig beschließt, an Stelle der Todesstrafe eine lebenslange schwere Kerkerstrafe oder schweren Kerker von 10 bis 20 Jahren verhängen bei anderen angedrohten Strafen von den Bestimmungen der §265a StPO, §54 StG Gebrauch machen.“ § 13 Abs 1 KVG.

83 in der Folge entkräftet worden ist“446 gefasst. Damit sollten Hans Bacher und Ferdinand Hoffmann für ihre Zeit in Untersuchungshaft nicht vom Staat entschädigt werden, da ein begründeter Verdacht vorlag, der erst bei der Urteilsfindung, also im letzten Stadium vor Urteilsverkündung, ausgeräumt werden konnte. Abgeschlossen war die Beratung am 26. September 1946 um ca 11 Uhr.447

Danach erschien der Gerichtshof wieder, verkündete sein Urteil samt den Erwägungen und erteilte Rechtsmittelbelehrung. Die (bisher in Untersuchungshaft befindlichen) Angeklagten wurden sofort in Strafhaft genommen. Ein ordentliches Rechtsmittel war gegen das Urteil des Volksgerichts nicht zulässig.448

446 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 123. 447 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 122-123. 448 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 114; § 24 Verbotsgesetz, StGBl 1945/13.

84 11 Das Urteil

Das Urteil, welches vom Volksgericht am 26. September 1946 verkündet wurde, lautete wie folgt: „Die Angeklagten Othmar Heitmann, Egon Obermaier 449 , Walter Sachse, Rolf Kutschera und Friedrich Scholler sind schuldig. Sie haben am 1. April 1945 somit zur Zeit der ns. Gewaltherrschaft in St. Oswald ob Freiland bei Deutschlandsberg, 1.) im angenommenen Interesse der deutschen Wehrmacht und im Zusammenhang mit Handlungen der militär. organisierten RAD-Abteilung St. Oswald, Othmar Heitmann, Egon Obermaier, Walter Sachse und Friedrich Scholler gegen gefangene Partisanen Taten begangen, bezw. veranlaßt, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit widersprechen, und zwar haben: a) Othmar Heitmann und Egon Obermayer gegen je einen gefangenen Partisanen in der Absicht sie zu töten, durch Abgabe von Genickschüssen auf eine solche Art gehandelt, dass dadurch deren Tod erfolgte. b) Walter Sachse und Friedrich Scholler die unter 1 a) angeführte Übeltat durch Befehl vorsätzlich veranlaßt.“450 Somit hatten „Othmar Heitmann, Egon Obermaier, Walter Sachse und Friedrich Scholler, das Verbrechen nach § 1 Abs 2 KVG.451 in Verbindung mit den Verbrechen des Mordes nach § 134 StG.452, Walter Sachse und Friedrich Scholler auch in Verbindung mit § 5 StG.453“454 verwirklicht.455

Da die Angeklagten für schuldig befunden wurden, musste im Urteil gem § 260 StPO ausgesprochen werden, welcher Taten die Angeklagten für schuldig befunden wurden, dies durch eine genaue Bezeichnung der bedingenden Tatumstände. Die strafbare Handlung die durch die Angeklagten begangen wurde, musste angeführt werden, ebenso die Strafe zu welcher die Angeklagten verurteilt wurden. Weiters waren die strafgesetzlichen Bestimmungen, welche auf die Angeklagten angewendet wurden, sowie die Entscheidung über geltend gemachte Entschädigungsansprüche auszusprechen.456

Nach dem Urteilsspruch haben weiters „Othmar Heitmann, Egon Obermaier, Rolf Kutschera und Friedrich Scholler, aus politischer Gehässigkeit und in Ausnützung dienstlicher Gewalt, den von Rolf Kutschera angeschossenen und schwerverwundeten Partisanen unbekannten Namens durch Liegenlassen in der Sonne durch längere Zeit und ohne weitere Hilfeleistung, in einen qualvollen

449 Egon Obermayer wurde im Originalakt an dieser Stelle so geschrieben. 450 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 124. 451 § 1 Abs 2 KVG handelte von den Kriegsverbrechen. Jenes Verbrechens war schuldig wer im Interesse, wenn auch nur angenommen, der Deutschen Wehrmacht oder der ns.- Gewaltherrschaft im Zweiten Weltkrieg kriegerische Handlungen, militärischen Handlungen oder Handlungen militärisch organisierter Verbände gegen andere Personen eine Tat begangen oder veranlasst hat, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit widerspricht. § 1 Abs 2 KVG. 452 § 134 StG handelte vom Mord. Derjenige der gegen einen Menschen, mit der Intention, diesen zu töten, handelte und hieraus der Tod jenes Menschen oder eines anderen Menschen erfolgte, machte sich des Verbrechens des Mordes schuldig. § 134 StG. 453 § 5 StG handelte von den Mitschuldigen und Teilnehmern an Verbrechen. Siehe Kapitel 6.1, S. 32; § 5 StG. 454 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 124. 455 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 124. 456 § 260 StPO.

85 Zustand versetzt, wobei die Tat einen wichtigen Nachteil des Betroffenen an seiner Gesundheit zur Folge hatte.“457

Damit hatten „Othmar Heitmann, Egon Obermaier, Rolf Kutschera und Friedrich Scholler, das Verbrechen der Quälerei nach § 3 Abs. 1 KVG.458 begangen. Es werden hiefür die Angeklagten Othmar Heitmann, Egon Obermaier, Walter Sachse und Friedrich Scholler nach § 1 Abs. 4 letzter Strafsatz KVG.459 unter Anwendung des § 13 Abs. 1 KVG.460, und § 34 StG.461“462 bestraft. Angesichts ihres Alters kam bei Egon Obermayer und Othmar Heitmann § 11 JGG463 zur Anwendung, welcher iVm § 1 Abs 5 Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallgesetz 464 Anwendung fand. § 11 JGG sah eine Verkürzung der Haftstrafe bei einem Tatzeitpunkt Jugendlichen aufgrund seines Alters vor465. Rolf Kutschera wurde gem § 3 Abs 1 S 2 KVG und § 13 Abs 1 KVG iVm § 265a StPO466 für schuldig befunden.467

457 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 124. 458 § 3 Abs 1 KVG handelte von den Quälereien und Misshandlungen. Derjenige, der in der ns.- Gewaltherrschaft aus politischer Gehässigkeit oder unter Ausnützung dienstlicher oder sonstiger Gewalt einen Menschen in einen qualvollen Zustand versetzte oder empfindlich misshandelte, wurde mit schwerem Kerker von 5 bis 10 Jahren, und wenn die Tat einen wichtigen Nachteil an der Gesundheit zur Folge hatte, mit schwerem Kerker von 10 bis 20 Jahren bestraft. § 3 Abs 1 KVG,. 459 § 1 Abs 4 KVG handelte von den Kriegsverbrechen. Das Verbrechen wurde, soweit dies nicht durch internationale Verträge, Vereinbarungen oder Verpflichtungen anderweitig geregelt wurde, mit schwerem Kerker (Schwerer Kerker ist die Kerkerstrafe zweiten Grades, das bedeutet, dass der Häftling „mit Eisen an den Füßen angehalten“ wurde. Auch ein Kontakt, außer zu den Gefängniswärtern, wurde, abgesehen von „ganz besonderen und wichtigen Fällen“ nicht erlaubt. §16 StG 1852.) von 10 – 20 Jahren, wenn aber durch das Vergehen des Täters die schwere körperliche Beschädigung einer Person oder ein größerer Vermögensschaden angerichtet wurde, mit lebenslangem schwerem Kerker, falls jedoch das Verbrechen den Tod einer Person zur Folge hatte, mit dem Tode bestraft. § 1 Abs 4 KVG. 460 § 13 Abs 1 KVG lautete: „Die Bestimmungen des Artikels V des Verbotsgesetzes sind auch auf die Strafverfahren nach diesem Gesetz sinngemäß anzuwenden. Jedoch kann in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen das Volksgericht, wenn es dies einstimmig beschließt, an Stelle der Todesstrafe eine lebenslange schwere Kerkerstrafe oder schweren Kerker von 10 bis 20 Jahren verhängen, bei anderen angedrohten Strafen von den Bestimmungen der §265a StPO, §54 StG Gebrauch machen.“ 461 § 34 StG handelte vom Zusammentreffen mehrerer Verbrechen. Diese Norm regelte, dass beim Zusammentreffen mehrerer Verbrechen die strengere Strafe mit Abwägung über die gesamten Straftaten zur Anwendung kam. § 34 StG. 462 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 124. 463 § 11 JGG sah für die Ahndung strafbarer Handlungen die von schuldfähigen Jugendlichen begangen wurden Sondervorschriften vor. So war anstatt auf schweremn Kerker oder Kerker auf strengen Arrest zu erkennen. Anstelle einer lebenslangen Freiheitsstrafe war auf eine Freiheitsstrafe von höchstens 10 Jahren zu erkennen. Weitergehende Ausführungen finden sich unter Kapitel 6.3, S. 34; § 11 JGG. 464 § 1 Abs 5 Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallgesetz normierte eine Bestimmung für Straftaten Jugendlicher, für die das Volksgericht zuständig war. Im Abs 5 wurde auf Abs 4 Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallsgesetz verwiesen. Dieser besagte, dass die Anwendung des § 13 Abs 1 KVG über die Anwendbarkeit des §§ 265 a StPO und 54 StG unter den dort genannten Voraussetzungen, auch für §§ 8 u 10 bis 12 Verbotsgesetzes gegolten hatte. Sah die Strafandrohung die Todesstrafe oder lebenslange Freiheitsstrafe vor, so durfte ein Strafminimum von 7 Jahren nicht unterschritten werden. § 1 Abs 5 Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallgesetz, StGBl 1945/177. 465 Zu § 11 JGG siehe Kapitel 6.3, S. 34. 466 Gem § 265a StPO wurde dem Gerichtshof ein Handlungsspielraum eingeräumt. In Fällen in denen ein Strafrahmen von 5 bis 10 Jahren bestimmt wurde, und sehr wichtige oder überwiegende Milderungsgründe vorgelegen hatten, konnte auf eine andere, mildere Kerkerstrafe oder Verkürzung der Arreststrafe erkannt werden. Eine Mindeststrafe von 6 Monaten durfte jedoch nicht unterschritten werden. War ein Strafrahmen von 10 bis 20 Jahren vorgesehen oder eine lebenslange Haftstrafe, dann konnte aufgrund vorhandener Milderungsgründe, die Haftstrafe auf eine Mindestdauer von einem Jahr verkürzt werden. Wichtig hierbei war

86 Othmar Heitmann und Egon Obermayer wurden zu strengem Arrest für die Dauer von sieben Jahren, wobei die Strafe an jedem 1. April mit Dunkelheit verschärft wurde, Walter Sachse und Friedrich Scholler wurden zu einer lebenslangen Strafe des schweren Kerkers verurteilt. Diese wurde durch ein hartes Lager im vierteljährlichen Intervall und durch die am 1. April jeden Jahres zur Anwendung kommende Dunkelheit, verschärft. Rolf Kutschera wurde zu vier Jahren schweren Kerkers mit Dunkelheit an jedem 1. April sowie eines harten vierteljährlichen Lagers verurteilt. Die nunmehr Verurteilten wurden gem § 389 StPO 468 zum Kostenersatz für den Prozess und den Strafvollzug verpflichtet. Auf Grundlage des § 366 StPO 469 wurde die Privatbeteiligte auf den Zivilrechtsweg verwiesen.470

Hinsichtlich der bis zur Urteilsverkündung bereits verbüßten Haft wurde ausgeführt, dass gem § 55 a StG471 „die Haft bei Othmar Heitmann von 12. Juli 1945, 11 Uhr, bei Egon Obermaier vom 27. Oktober 1945, 8 Uhr, bei Walter Sachse vom 23. Februar 1946, 11 Uhr, bei Rolf Kutschera vom 26. Oktober 1945, 8 Uhr, und bei Friedrich Scholler vom 5. Mai 1946, 12 Uhr und zwar bei allen, bis 26. September 1946, 13 Uhr eingerechnet“472, wurde.473

Dagegen wurden die Angeklagten Walter Sachse, Hans Bacher und Ferdinand Hoffmann von der Anklage, „sie hätten am 1. April 1945 somit zur Zeit der ns. Gewaltherrschaft in St. Oswald ob Freiland, bei Deutschlandsberg, aus politischer Gehässigkeit und in Ausnützung dienstlicher Gewalt den von Rolf Kutschera angeschossenen und schwerverwundeten Partisanen unbekannten Namens durch Liegenlassen in der Sonne durch längere Zeit und ohne weiterer Hilfeleistung in qualvollen Zustand versetzt, gemäß § 259 Z1. 3 StPO.474 und der Angeklagte Rolf Kutschera von der Anklage, er habe einen gefangenen Partisanen unbekannten Namens durch unvorsichtiges Hantieren mit seiner Maschinenpistole angeschossen und schwer verletzt und dadurch eine Handlung unternommen, von

jedoch, dass die Art der Kerkerstrafe nicht geändert werden durfte. § 265a StPO, eingeführt durch Strafrechtsänderungsgesetz 1934, BGBl 1934/77. 467 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 124. 468 § 389 StPO handelte vom Kostenausspruch. In jenen Fällen, in denen der Angeklagte bzw die Angeklagten für schuldig befunden wurden, musste im Urteil auch zugleich ein Ausspruch über die Kosten beinhaltet sein. § 389 StPO. 469 § 366 StPO sah für den Fall der Verurteilung des Beschuldigten die Entscheidung über den Anspruch des Privatbeteiligten vor. Jedoch konnte auch das Strafgericht, wenn die Ergebnisse des Strafverfahrens nicht ausreichten, um über den Anspruch des Privatbeteiligten zu urteilen, den Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg verweisen. Gegen jenen Verweis konnte kein Rechtmittel eingelegt werden. § 366 StPO. 470 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 124; Das Steirerblatt vom 27.09.1946, S. 4; Die Wahrheit vom 27.09.1946, S. 3; Neue Zeit vom 27.09.1946, S. 3; Wiener Zeitung vom 27.09.1946, S. 4. 471 § 55 a StG handelte von der Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafe. Soweit im Urteil nichts anderes ausgeführt wurde, war die Verwahrungs- und Untersuchungshaft anzurechnen. § 55 a StG, RGBl 1912/141. 472 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 125. 473 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 125. 474 Walter Sachse, Hans Bacher und Ferdinand Hoffmann wurden gem § 259 Z 3 StPO von der Anklage freigesprochen. Im Originalakt steht § 259 Z1, 3 StPO, jedoch konnte nur § 259 Z 3 StPO gemeint sein. Diese Norm besagte, dass die Angeklagten freizusprechen waren, wenn der Gerichtshof erkannte, dass die Tat, welche der Anklage zugrunde lag nicht erwiesen war, dass die Angeklagten jene Tat begangen hätten. § 259 Z 3 StPO.

87 welcher er schon nach ihrer natürlichen für jedermann leicht erkennbaren Merkmalen und Folgen einzusehen vermochte, daß sie eine Gefahr für das Leben und die körperliche Sicherheit von Menschen herbeizuführen geeignet sei gemäß § 259 Z1. 2 StPO.475 freigesprochen.“476

Wie die Zeitung „Das Steirerblatt“477 in ihrer Ausgabe vom 27. September 1946 berichtete, wurde das Urteil, als angemessen wahrgenommen. Der Gerichtshof hatte, wie auch von dem Vorsitzenden Dr. Nestroy betont, bewusst eine Abkehr von Todesstrafen gemacht, da der Initiator der Exekutionen, der Kreisleiter Dr. Suette war, welcher diesbezüglich strenger zu bestrafen gewesen wäre, als die Ausführenden.478

Die Zeitung „Die Wahrheit“479 kritisierte in ihrer Ausgabe vom 27. September 1946 äußerst milde Strafen für die Täter: „Scholler und Sachse haben Mordbefehle erteilt und Heitmann und Obermayer führten diese Befehle bedingungslos aus. Man kann einen fünffachen Mörder nicht deshalb pardonieren, weil es noch einen hundertfachen Mörder gibt und daraus den Schluß ziehen, daß man einen fünffachen Mörder zwanzigmal milder bestrafen muß wie einen hundertfachen Mörder. Nach dem Kriegsverbrechergesetz kann eine Handlung, selbst wenn sie unter Zwang erfolgte, nicht entschuldigt werden, alle Angeklagten hatten die Möglichkeit, sich dem Befehl zu widersetzen.“480 11.1 Die Urteilsgründe

Das Urteil wird nachfolgend zu den Begründungen und den einzuordnenden strafbaren Handlungen erläutert. 11.1.1 Die Urteilsgründe betreffend Othmar Heitmann

„Othmar Heitmann wird beschuldigt, daß er einen Partisanen durch Genickschuß getötet habe und daß er den von Kutschera angeschossenen schwerverwundeten Partisanen durch Liegenlassen in der Sonne durch längere Zeit und ohne weiteren Hilfeleistung in einen qualvollen Zustand versetzt habe. Er hätte darnach das Verbrechen nach § 1 Abs. 2 KVG.481 in Verbindung mit dem Verbrechen des Mordes482 und

475 Der Staatsanwalt war in der Hauptverhandlung von jenem Punkt zurückgetreten. Dies löste gem § 259 Z 2 StPO einen Freispruch von der Anklage, in diesem Fall einen Freispruch von einem bestimmten Delikt aus. § 259 Z 2 StPO. 476 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 125. 477 Es handelt sich hierbei um eine Zeitung der ÖVP, welche im wöchentlichen Intervall seit Oktober 1945 und seit 31.08.1946 täglich, außer an Montagen und Feiertagen erscheint; Library of Congress, Das Steirerblatt https://www.loc.gov/item/sn89049669/ (eingesehen am 14.04.2020). 478 Das Steirerblatt vom 27.09.1946, S. 4. 479 Es handelt sich hierbei um eine Tageszeitung der KPÖ; KPÖ Steiermark, Jubiläum: Wahrheit in Graz gedruckt https://www.kpoe-steiermark.at/jubilaum-wahrheit-in-graz.phtml (eingesehen am 14.04.2020). 480 Die Wahrheit vom 27.09.1946, S. 3. 481 § 1 Abs 2 KVG handelte von den Kriegsverbrechen. Jenes Verbrechens war schuldig wer im Interesse, wenn auch nur angenommen, der Deutschen Wehrmacht oder der ns.- Gewaltherrschaft im Zweiten Weltkrieg kriegerische Handlungen, militärischen Handlungen oder Handlungen militärisch organisierter Verbände gegen andere Personen eine Tat begangen oder veranlasst hat, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit widerspricht. § 1 Abs 2 KVG. 482 Mord § 134 StG. Derjenige der gegen einen Menschen, mit der Intention, diesen zu töten, handelte und hieraus der Tod jenes Menschen oder eines anderen Menschen erfolgte, machte sich des Verbrechens des Mordes schuldig. § 134 StG.

88 das Verbrechen der Quälerei nach § 3 KVG.483 begangen.“484 Othmar Heitmann gab diesbezüglich an, dass er mit den anderen RAD-Angehörigen von Friedrich Scholler zu dieser Handlung ausgewählt worden sei. Der verwundete Freiheitskämpfer sei von Wenzel Dietl und N. George in ein Loch geworfen worden. Othmar Heitmann habe gefragt, wozu ein Schuss seinerseits von Nöten sei, da der Partisan bereits tot wäre. Darauf habe Walter Sachse entgegnet, dass er endlich einen Schuss abgeben solle. Danach habe Othmar Heitmann den Schuss abgegeben, da er sich nicht getraut habe, sich dem Befehl zu widersetzen. Er habe befürchtet, wenn er dies nicht tun würde, von Wenzel Dietl erschossen zu werden. „Was nun die Verantwortung des Angeklagten betrifft, daß er nur auf Befehl gehandelt habe, so vermag ihn dies nicht zu entlasten, da § 1 Abs. 3 KVG.485 sowie § 5 KVG.486 ausdrücklich festsetzt, daß auch ein Befehl eine strafbare Tat nicht entschuldigt.“487 § 5 KVG sah einen Erschwerungsgrund vor. Derjenige, der die Tat befohlen hatte, war strenger zu bestrafen, als derjenige der die Tat ausgeführt hatte. Ebenfalls eine wichtige Kernaussage des § 5 Abs 1 KVG war, dass sich niemand mit der Begründung auf Befehl gehandelt zu haben, exkulpieren konnte. Dabei handelte es sich um eine bedeutsame Aussage, welche in § 5 Abs 1 KVG niedergeschrieben wurde. Einen Befehl einfach so auszuführen, ohne je über die Konsequenzen des Handels nachgedacht zu haben, soll niemanden von seiner Schuld befreien. Dies ist meiner Meinung nach auch richtig. Die Aussage, dass der Partisan zum Zeitpunkt der Abgabe des Schusses schon tot gewesen wäre, konnte durch Walter Sachses Aussage widerlegt werden. Zudem hatte auch der Zeuge H zu Protokoll gegeben, dass er wahrgenommen habe, dass der Freiheitskämpfer im Lager noch am Leben gewesen sei. Dies sei kurz vor dem Transport zur Exekutionsstelle noch der Fall gewesen.488

Somit wurde der von Othmar Heitmann behauptete Sachverhalt, der Partisan sei zum Zeitpunkt der Abgabe des Genickschusses schon tot gewesen, vom Volksgericht richtigerweise als widerlegt angenommen. Außerdem wurde die von Othmar Heitmann behauptete Anwendung des Handelns unter „unwiderstehlichem Zwangs“ 489 , widerlegt. „Voraussetzung für die Annahme des unwiderstehlichen

483 § 3 KVG sprach von den Quälereien und Misshandlungen. Derjenige der während der ns.- Gewaltherrschaft aus politischer Gehässigkeit oder unter Ausnützung dienstlicher oder sonstiger Gewalt einen Menschen in einen qualvollen Zustand versetzte oder empfindlich misshandelt hatte, wurde mit schwerem Kerker von 5 bis 10 Jahren bestraft. Wurde durch jene Tat ein schwerwiegender Nachteil an der Gesundheit des Betroffenen verursacht, dann mit schwerem Kerker von 10 bis 20 Jahren. Hatte jene Tat den Tod eines Menschen zur Folge, somit war dieses Verbrechen mit dem Tode zu bestrafen. § 3 Abs 1 u 2 KVG. 484 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 126. 485 § 1 Abs 3 KVG handelte von Kriegsverbrechen bzw deren Rechtfertigung die Tat nur auf Befehl ausgeführt zu haben, da dies die Tat nicht entschuldigt. § 1 Abs 3 KVG. 486 § 5 KVG handelte von den Erschwerungen der § 3 (Quälereien und Misshandlungen) und § 4 KVG (Verletzungen der Menschlichkeit und Menschenwürde). Gem § 5 Abs 1 KVG entschuldigte es nicht, die Taten nach §§ 3 und 4 KVG auf Befehl ausgeführt zu haben. Derjenige der die Befehle gegeben hatte, war strenger zu bestrafen als die Ausführenden. Gem § 5 Abs 2 KVG war derjenige, der solche Befehle wiederholt erteilt hatte, soweit nicht hierfür Todesstrafe vorgesehen war, mit lebenslangem schweren Kerker, oder wenn Taten gem §§ 3 und 4 KVG in erheblichem Ausmaß veranlasst wurden, mit dem Tode zu bestrafen. § 5 KVG. 487 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 126. 488 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 126-127. 489 Hierbei handelt es sich um Gründe, die den bösen Vorsatz ausschließen. Gem dieser Litera muss es sich um ein gleichwertiges Gut handeln, welches geopfert wird, damit eine Handlung nicht als Verbrechen angesehen wird. IdF eine Tötungshandlung zu begehen, um sein eigenes Leben zu retten. § 2 lit g StG.

89 Zwanges im Sinne des § 2 lit. g StG.“490 war, „daß der Täter sich der Befolgung des Befehles nicht überhaupt entziehen kann.“491 Vom Volksgericht wurde aber festgestellt, dass es Othmar Heitmann möglich gewesen wäre zu flüchten oder sich im Dunklen zu verstecken. Auch war er im Besitz von überdurchschnittlich kognitiven Fähigkeiten. Dies wurde auch zurecht vom Volksgericht in seinem Urteil festgestellt. In der Dunkelheit, einige hundert Meter vom Lager entfernt, hätte sich Othmar Heitmann sehr leicht absetzen und verschwinden können. So hätte er auch nie wieder in das Lager zurückkehren müssen. Festgehalten wurde auch, dass er gegen Walter Sachses Ausführungsbefehl keine Stellungnahme abgab. Außerdem wäre Othmar Heitmann bei Nichtbefolgung nicht erschossen worden. Dies wurde von Friedrich Scholler auch so im Hauptprozess angegeben. Somit kam das Volksgericht zum Ergebnis, dass in diesem Fall kein unwiderstehlicher Zwang vorlag. Ebenfalls war der Angeklagte Othmar Heitmann sich dessen bewusst, was durch die Abgabe eines Schusses passieren könne. Der RAD in St. Oswald ließ sich unter einen militärisch organisierten Militärverband, wie dies in § 1 KVG gefordert wurde, subsumieren. Auch führte das Volksgericht aus, dass die Handlungen, welche von den Angeklagten gesetzt wurden, den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit entgegenstünden, da man bereits festgenommene, unbewaffnete Freiheitskämpfer, welche sich nicht mehr wehren konnten, durch Schüsse ins Genick getötet hatte. Somit sah das Volksgericht den objektiven Tatbestand und den subjektiven Tatbestand des § 1 Abs 2 KVG iVm § 134 StG als erfüllt an.492

Dem Angeklagten wurde auch noch „zur Last gelegt, daß er nämlich den schwerverletztem Partisanen durch Liegenlassen in der Sonne durch längere Zeit und ohne weitere Hilfeleistung in einen qualvollen Zustand versetzt habe.“493 Othmar Heitmann hatte nach Ansicht des Volksgerichts dem Verwundeten keine Unterstützung zukommen lassen. Er hatte sohin keinesfalls die Absicht, die Situation des verwundeten Partisanen zu verbessern. Othmar Heitmann hatte sohin den Tatbestand des Verbrechens gem § 3 KVG494 erfüllt. Durch das Unterlassen jeglicher Hilfeleistung hatte dieser „die Gesetze der Menschlichkeit gröblich verletzt, aber die Menschenwürde nicht. Das Gericht hat jedoch angenommen, daß durch die Tat ein wichtiger Nachteil des Betroffenen an seiner Gesundheit eingetreten ist.“495 Daher wurde § 3 Abs 1, S 2 KVG 496 angewendet. Somit sah das Gericht auch in diesem Fall einen Schuldspruch hinsichtlich der genannten Norm als berechtigt an.497

490 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 127. 491 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 127. 492 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 127. 493 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 127. 494 § 3 KVG handelte von den Quälereien und Misshandlungen. § 3 KVG. 495 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 127-128. 496 § 3 Abs 1 KVG handelte von den Quälereien und Misshandlungen. Derjenige, der in der ns.- Gewaltherrschaft aus politischer Gehässigkeit oder unter Ausnützung dienstlicher oder sonstiger Gewalt einen Menschen in einen qualvollen Zustand versetzte oder empfindlich misshandelte, wurde mit schwerem Kerker von 5 bis 10 Jahren bestraft. Entscheidend war der 2. Halbsatz der Norm. Dieser besagte, wenn die Tat einen wichtigen Nachteil an der Gesundheit eines Menschen zur Folge hatte, wurde dies mit schwerem Kerker von 10 bis 20 Jahren bestraft. § 3 Abs 1 KVG. 497 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 128.

90 Für die Bemessung der Strafe wurde als mildernd berücksichtigt, dass Othmar Heitmann geständig und bisher unbescholten war und den Befehl eines Vorgesetzten ausführt hatte. Zudem bestand eine Versorgungspflicht gegenüber der Mutter. Einen Erschwerungsgrund stellte das Zusammenkommen zweier Verbrechen (§ 1 Abs 2 KVG iVm § 134 StG und den § 3 Abs 2, S 2 KVG) dar.498 11.1.2 Die Urteilsgründe betreffend Egon Obermayer

Dem Angeklagten Egon Obermayer wurden ebenfalls die Verbrechen des § 1 Abs 2 KVG499 iVm § 134 StG500 angelastet. Egon Obermayer hatte auf Befehl des Walter Sachses einen Partisanen erschossen. Jedoch kam auch bei ihm der „unwiderstehliche Zwang“ gem § 2 lit g StG501 nicht zur Anwendung. Zu den Argumenten einer Fluchtmöglichkeit kann auf das bei Othmar Heitmann Ausgeführte (S. 89-90) verwiesen werden. Egon Obermayer hatte auch mit der Absicht, den Tod des Partisanen herbeizuführen, gehandelt, da er einen Schuss in dessen Genick abgab. Egon Obermayers Argument, er hätte die Augen beim Schuss geschlossen gehabt, schütze ihn nicht vor seiner begangenen Tat. Das Volksgericht ging davon aus, dass es äußerst unwahrscheinlich sei, mit geschlossenen Augen einen Schuss ins Genick abzugeben. Dieser Meinung ist auch zu folgen, da dies den allgemeinen Erfahrungssätzen entspricht. Aufgrund der Ausbildung, die Egon Obermayer beim RAD erhalten hatte und im Dunkeln erscheint es mir ebenfalls äußerst unwahrscheinlich, dass man mit geschlossenen Augen genau ins Genick trifft. Es lagen sowohl die objektiven als auch die subjektiven Tatbestandsmerkmale vor, sodass er das Verbrechen des § 1 Abs 2 KVG iVm § 134 StG begangen hatte und er dieser Tat schuldig gesprochen wurde. Zur Begründung des Schuldspruchs wurden die gleichen Argumente wie bei Othmar Heitmann herangezogen, also jene, welche durch einen „militärisch organisierten Verband“502 vollzogen wurden, und auch den „natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit“503 widersprachen.504

Der Tatbestand des § 3 Abs 1 KVG505 wurde ebenfalls von Egon Obermayer verwirklicht, da sich auch dieser nicht um den schwerst Verwundeten gekümmert hatte. Durch das Ausbleiben jeglicher Hilfeleistung wurde der Partisan daher in einen qualvollen Zustand versetzt. Dies hatte das Volksgericht richtigerweise festgestellt, denn ein Mensch, der um das Wohlergehen von anderen Menschen besorgt ist,

498 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 131-132. 499 § 1 Abs 2 KVG handelte von den Kriegsverbrechen. Jenes Verbrechens war schuldig wer im Interesse, wenn auch nur angenommen, der Deutschen Wehrmacht oder der ns.- Gewaltherrschaft im Zweiten Weltkrieg kriegerische Handlungen, militärischen Handlungen oder Handlungen militärisch organisierter Verbände gegen andere Personen eine Tat begangen oder veranlasst hat, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit widerspricht. § 1 Abs 2 KVG. 500 Mord § 134 StG. 501 Hierbei handelt es sich um Gründe, die den bösen Vorsatz ausschließen. Gem dieser Litera muss es sich um ein gleichwertiges Gut handeln, welches geopfert wird, damit eine Handlung nicht als Verbrechen angesehen wird. IdF eine Tötungshandlung zu begehen, um sein eigenes Leben zu retten. § 2 lit g StG. 502 § 1 Abs 2, 2. HS KVG 1945. 503 § 1 Abs 2, 2. HS KVG 1945. 504 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 128. 505 § 3 Abs 1 KVG handelte von den Quälereien und Misshandlungen. Derjenige, der in der ns.- Gewaltherrschaft aus politischer Gehässigkeit oder unter Ausnützung dienstlicher oder sonstiger Gewalt einen Menschen in einen qualvollen Zustand versetzte oder empfindlich misshandelte, wurde mit schwerem Kerker von 5 bis 10 Jahren, und wenn die Tat einen wichtigen Nachteil an der Gesundheit zur Folge hatte, mit schwerem Kerker von 10 bis 20 Jahren bestraft. § 3 Abs 1 KVG.

91 lässt jenen in einer akut lebensbedrohlichen Situation bestmögliche und rasche Hilfe zukommen. In den weiteren Begründungen wurde auch auf die Ausführungen zu Othmar Heitmann verwiesen.506

Als mildernd wurde bei der Strafbemessung berücksichtigt, dass Egon Obermayer geständig und unbescholten war, und lediglich die Befehle seines Vorgesetzten ausgeführt und eine Pistole für seinen Vormund, der Antifaschist war, verschafft hatte. Einen Erschwerungsgrund stellte das Zusammen- kommen zweier Verbrechen (§ 1 Abs 2 KVG iVm § 134 StG und § 3 Abs 2 S2 KVG) dar.507 11.1.3 Die Urteilsgründe betreffend Walter Sachse

Walter Sachse hingegen hatte die Morde, welche von Othmar Heitmann und Egon Obermayer begangen wurden, durch seinen Befehl veranlasst. Friedrich Scholler hatte sich am Abend des Ostersonntags 1945 an ihn gewandt, um ihm mitzuteilen, dass, auf Geheiß des Kreisleiters Dr. Hugo Suette, die Partisanen zu exekutieren seien. Friedrich Scholler wollte von ihm wissen, ob er mitmache, und Walter Sachse antwortete ihm, wenn dies der Befehl sei, dann mache er mit. Walter Sachse hatte behauptet, selbst nicht den Befehl zum Erschießen gegeben zu haben, was jedoch durch die Mitangeklagten Othmar Heitmann und Egon Obermayer widerlegt werden konnte. Es haben sich aus den Aussagen der beiden keinerlei Zweifel an deren Glaubwürdigkeit ergeben. Zudem wurde keinerlei Feindseligkeiten zwischen den Angeklagten festgestellt. Walter Sachse hatte auch zugegeben, die Schützen zum Schießplatz begleitet und ihnen dort die Panzerdeckungslöcher gezeigt zu haben. Den Befehl zum Exekutieren der Partisanen führte Walter Sachse aus Angst und aus Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb des Kaders aus. Die Möglichkeit zum Widersetzen gegen diesen Befehl gab es, da die Bestrafung und Disziplin im RAD- Lager St. Oswald nicht besonders strikt war. Das Gericht hat demnach Walter Sachse hinsichtlich des § 1 Abs 2 KVG iVm §§ 5 u 134 StG für schuldig befunden.508

Vom Verbrechen der Quälerei gem § 3 KVG wurde Walter Sachse freigesprochen, da er sich mit dem verwundeten Partisanen mehrmals unterhalten und sich über seine Verfassung informiert hatte. Dies wurde vom Gerichtshof als seelischer Beistand aufgefasst. Weiters hatte er angeregt, dass der Verwundete in die Heilstube gebracht werde. Daraus ließ sich schließen, dass er den qualvollen Zustand abwenden wollte. Somit war er vom Tatbestand der Quälerei nach § 3 KVG freizusprechen.509

Bei der Bemessung der Strafe wurde als mildernd berücksichtigt, dass Walter Sachse geständig und unbescholten war. Auch hatte er lediglich den Befehl seines Vorgesetzten ausgeführt. Zudem bestand eine Versorgungspflicht gegenüber seiner Frau und seinen Kindern. Einen Erschwerungsgrund stellte das Verleiten des Egon Obermayer und des Othmar Heitmann, zweier Jugendlicher, zur Tathandlung dar.510

506 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 128. 507 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 132. 508 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 128-129. 509 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 129. 510 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 132.

92 11.1.4 Die Urteilsgründe betreffend Friedrich Scholler

Friedrich Scholler erteilte so wie sein Untergebener Walter Sachse die Befehle zur Tötung der Partisanen. Er selbst hatte keinen Partisanen getötet. Zur Rechtfertigung für seine Handlung gab er an, nur den unmittelbaren Befehl des Kreisleiters Dr. Hugo Suette ausgeführt zu haben. Da Friedrich Scholler zum Zeitpunkt der Festnahme der Partisanen abwesend war und erst bei der Rückkehr ins RAD-Lager von den Instruktionen von Ferdinand Hoffmann gehört hatte, hatte er Dr. Hugo Suette unverzüglich fernmündlich kontaktiert. Dabei hatte er diesen ersucht, den Befehl zu revidieren. Der Kreisleiter drohte hierauf dem Lager-Kommandanten Friedrich Scholler, dass dieser mit schweren Nachteilen bis hin zum Verlust seines Lebens zu rechnen hätte, sofern dieser den Befehl nicht ausführte. Daraufhin hatte Friedrich Scholler die Anweisungen des Kreisleiters, welche rasch durchgeführt werden sollten, an Wenzel Dietl und N. George weitergegeben. Die beiden mussten sich zur Unterstützung ein paar RAD- Arbeitsmänner holen. Dr. Hugo Suette hatte beim Aufruf des Volkssturms im Frühjahr 1945 im Lager erklärt, dass er im Besitz von richterlichen Aufgaben und Befugnissen sei, weshalb Friedrich Scholler angenommen habe, dass der Kreisleiter Dr. Hugo Suette, einen Befehl zur Exekution erteilen könne.511

Das Argument, welches bereits Othmar Heitmann und Egon Obermayer vorgebracht hatten, nur auf Befehl gehandelt zu haben, kam ihm daher nicht zu Gute. An dieser Stelle sei auf die Urteilsgründe betreffend Othmar Heitmann (S. 88 ff) zu verweisen. Die Geltendmachung des „unwiderstehlichen Zwangs“ gem §2 lit g StG512 kam auch für Friedrich Scholler nicht zur Anwendung. Wie der Zeuge B in der Hauptverhandlung ausgeführt hatte, hätte dieser dem Kreisleiter eine Durchführungsmeldung geben und die Partisanen einfach auf freien Fuß setzen können. Angesichts dieser Möglichkeit kam der „unwiderstehliche Zwang“ Friedrich Scholler nicht zu Gute.513

Der Gerichtshof stellte fest, dass auch Friedrich Scholler Bedenken bezüglich des Befehls des Kreisleiters Dr. Hugo Suette gehabt hatte, da Friedrich Scholler diesen erneut telefonisch kontaktierte, wobei er die Zulässigkeit des Befehls hinterfragte. Die RAD-Angehörigen Ferdinand Hoffmann und Hans Bacher waren gegen den Befehl des Dr. Hugo Suette. Der Kreisleiter Dr. Hugo Suette war nicht die vorgesetzte Stelle, sondern diese war bekanntlich der Trupp 360, welcher in Graz stationiert war. Die Funktion des Kreisleiters war nur eine Parteifunktion514. Hauptmann Schmidt vom Trupp 360 des RAD, welcher in Graz stationiert war, war der direkte Vorgesetzte des RAD-Abteilungsführers Friedrich Scholler. Jenem hätte er die Gefangennahme der Partisanen mitteilen und auch dessen Befehle hätte er ausführen müssen. Dargelegt wurde schon zur Zeugenaussage des B515, dass auch Hauptmann Schmidt auf die Befehle des Kreisleiters Dr. Hugo Suette gehört hatte. Der Trupp 360 wurde jedoch zu diesem

511 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 129. 512 Hierbei handelt es sich um Gründe, die den bösen Vorsatz ausschließen. Gem dieser Litera muss es sich um ein gleichwertiges Gut handeln, welches geopfert wird, damit eine Handlung nicht als Verbrechen angesehen wird. § 2 lit g StG. 513 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 129. 514 Zur Definition eines Kreisleiters siehe Kapitel 3.8.2, S. 13-14. 515 Zur Zeugenaussage des Zeugen B in der HV siehe Kapitel, 10.3.8, S. 79-80.

93 Zeitpunkt in die Obersteiermark verlegt, weshalb keine telefonische Kontaktmöglichkeit vorhanden war. Nach der Urteilsbegründung hätte Friedrich Scholler aufgrund seiner Zweifel an diesem Befehl, diesen aufschieben lassen und einen Kurier zum Trupp 360 entsenden müssen. Weitere Indizien für sein Unrechtsbewusstsein waren das von Friedrich Scholler angeordnete Verbot über die Exekutionen zu sprechen sowie das Gespräch mit Walter Sachse, in welchem er geäußert hatte, ihnen würde ein ähnliches Los drohen, wenn man den Krieg verlieren würde. Der Gerichtshof stellte somit fest, dass sowohl die objektiven als auch der subjektiven Tatbestände der Verbrechen des § 1 Abs 1 KVG516 iVm § 134 StG517 sowie § 5 StG518 vorlagen, und daher Friedrich Scholler zu diesen Anklagevorwürfen schuldig zu sprechen war. Die geltenden rechtlichen Bestimmungen des RAD zu jener Zeit erlaubten Friedrich Scholler lediglich die Innehabung der Disziplinargewalt über die Arbeitsmänner des RAD. Darüber hinaus gehende Kompetenzen wurden ihm nicht zugestanden. Zudem wusste Friedrich Scholler, dass der Kampfkommandant Dr. Hugo Suette nicht sein befehlshabender Vorgesetzter war. Ohne ein richterliches Urteil hätte der Befehl des Kampfkommandanten nicht vollstreckt werden dürfen.519

Auch wurde Friedrich Scholler das Verbrechen der Quälerei gem § 3 KVG vorgehalten. Er hatte den schwerverwundeten Partisan über mehrere Stunden unter freiem Himmel belassen und wollte ihm keine weitere medizinische Unterstützung zukommen lassen. Walter Sachse und Hans Bacher wiesen darauf hin, dass der Verwundete in die Heilstube zu transportieren sei. Diesen entgegnete er, dass dies seine Angelegenheit wäre. Friedrich Scholler ließ ihn später nur in einen Arrestbunker transportieren. Der Gerichtshof hatte daher angenommen, dass sich Friedrich Scholler aus „politischer Gehässigkeit“520 gegenüber den Partisanen und unter „Ausnützung dienstlicher oder sonstiger Gewalt“521 des § 1 Abs 3 KVG522 schuldig gemacht hatte. Für Friedrich Scholler wurde vom Volksgericht die dienstliche Gewalt angenommen, da die gefangenen Freiheitskämpfer dem RAD unterstanden.523

Bei der Strafbemessung wurde als mildernd berücksichtigt, dass Friedrich Scholler geständig und unbescholten war. Auch hatte er auf Befehl gehandelt und Versorgungspflichten für seine Frau und seine Kinder. Als Erschwerungsgründe wurden dargelegt, dass er Othmar Heitmann und Egon Obermayer, zwei Jugendliche, zur Tathandlung verleitet hatte und das Zusammenkommen zweier Verbrechen.524

516 Wer im Zweiten Weltkrieg gegen Angehörige der Wehrmacht, der Kriegsgegner oder der Zivilbevölkerung eines mit dem Deutschen Reich im Krieg befundenen Staates vorsätzlich eine Kriegshandlung begangen oder veranlasste hatte, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit widersprochen hatte und den Grundsätzen des Völkerrechts oder Kriegsrechts, wurde als Kriegsverbrecher bestraft. § 1 Abs 1 KVG. 517 Mord § 134 StG. 518 § 5 StG handelte von den Mitschuldigen und Teilnehmern an Verbrechen. Siehe Kapitel 6.1, S. 32; § 5 StG. 519 Vg 1Vr-276/1945, Band 2, S. 129-130. 520 § 3 Abs 1 KVG 1945, StGBl 1945/32. 521 § 3 Abs 1 KVG 1945, StGBl 1945/32. 522 § 1 Abs 3 KVG handelte von Kriegsverbrechen bzw deren Rechtfertigung die Tat nur auf Befehl ausgeführt zu haben, da dies die Tat nicht entschuldigt. § 1 Abs 3 KVG. 523 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 130-131. 524 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 132.

94 11.1.5 Die Urteilsgründe betreffend Rolf Kutschera

Rolf Kutschera wurde das Verbrechen der Quälerei gem § 3 KVG und die Übertretung gegen die Sicherheit des Lebens gem § 335 StG525 vorgehalten. Zum Anklagevorwurf nach § 335 StG war der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung „von diesem Punkte der Anklage mit Rücksicht auf die Befreiungsamnestie zurückgetreten.“ 526 Daher erfolgte diesbezüglich ein Freispruch gem § 259 Z 2 StPO527. Das Volksgericht urteilte, dass der Tatbestand des § 3 Abs 1 KVG528 erfüllt war. Rolf Kutschera wurde für sein unvorsichtiges Hantieren mit der Maschinenpistole und die dadurch erfolgte schwere Verletzung eines Partisanen zum Horchposten strafversetzt. Da sich der Posten außerhalb des Lagers, ungefähr 200 Meter höher befand, konnte er den Verwundeten im Freien liegen sehen. Als Verursacher dieser Verwundung, hatte er nichts unternommen, um dem Angeschossenen zu helfen. Somit wurde Rolf Kutschera vom Volksgericht des Verbrechens nach § 3 Abs 1 KVG für schuldig befunden.529

Bei der Bemessung der Strafe wurde als mildernd berücksichtigt, dass Rolf Kutschera geständig und unbescholten war. Hinzu kam, dass er noch keine 20 Jahre alt war und Versorgungspflichten hatte.530 11.1.6 Die Urteilsgründe betreffend Hans Bacher

Hans Bacher hatte angegeben, dass er gemeinsam mit Walter Sachse Friedrich Scholler auf den Bedarf einer medizinischen Unterstützung des Angeschossenen hingewiesen hatte. Dieser entgegnete ihm, dies wäre nicht seine Angelegenheit, woraufhin er sich auf den Weg nachhause machte. Aus den vorgelegten Beweisen hatten sich keine strafbaren Handlungen des Hans Bacher ergeben, weshalb das Volksgericht nicht von seiner Schuld überzeugt war und er sohin freigesprochen wurde. Dies wurde damit begründet, dass er sich des Angeschossenen annahm und ihn in die Heilstube transportieren wollte.531 11.1.7 Die Urteilsgründe betreffend Ferdinand Hoffmann

Ferdinand Hoffmann führte aus, wie man den Verwundeten in die Heilstube gebracht habe. Er befragte den Sanitäter Sollberg über den Zustand des Verletzten, wobei ihm dieser mitgeteilt habe, dass keine schweren Verletzungen vorhanden wären. Daraufhin hatte Ferdinand Hoffmann den Partisan nicht mehr gesichtet. Nachdem er sich nachhause begeben hatte, kehrte er erst am Abend desselben Tages gegen 21 Uhr in das Lager zurück. Hierbei wurde ihm mitgeteilt, dass sich die Partisanen nicht mehr im Lager befänden. Aus den vorliegenden Beweisen waren keine strafbaren Handlungen Ferdinand Hoffmanns

525 § 335 StG handelte von den von den Vergehen und Uebertretungen gegen die Sicherheit des Lebens. § 335 StG. 526 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 131. 527 Der Staatsanwalt war in der Hauptverhandlung von jenem Punkt zurückgetreten. Dies löste gem § 259 Z 2 StPO einen Freispruch von der Anklage, in diesem Fall einen Freispruch von einem bestimmten Delikt aus. § 259 Z 2 StPO. 528 § 3 Abs 1 KVG handelte von den Quälereien und Misshandlungen. Derjenige, der in der ns.- Gewaltherrschaft aus politischer Gehässigkeit oder unter Ausnützung dienstlicher oder sonstiger Gewalt einen Menschen in einen qualvollen Zustand versetzte oder empfindlich misshandelte, wurde mit schwerem Kerker von 5 bis 10 Jahren, und wenn die Tat einen wichtigen Nachteil an der Gesundheit zur Folge hatte, mit schwerem Kerker von 10 bis 20 Jahren bestraft. § 3 Abs 1 KVG. 529 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 131. 530 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 132. 531 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 131.

95 ersichtlich. Er war am Wohl des Partisanen interessiert und erkundigte sich nach dessen Verfassung. Ihm wurde vom Sanitäter Sollberg mitgeteilt, dass es sich um keine äußerst schwere Verwundung gehandelt hätte. Auch wusste er nicht, dass man den Partisanen unter freiem Himmel belassen hatte. Das Versetzen in einen qualvollen Zustand ohne jegliche Unterstützung konnte ihm sohin, aufgrund seiner Ortsabwesenheit, nicht vorgehalten werden. Das Volksgericht war anhand der vorliegenden Beweise von der Schuld des Angeklagten Ferdinand Hoffmann nicht überzeugt und sprach ihn frei.532 11.2 Die Strafbemessung

Die Strafe war für Othmar Heitmann und Egon Obermayer durch das Volksgericht gem der Bestimmung des § 1 Abs 4 KVG533 auszumessen, wobei § 11 JGG534 anzuwenden war, da beide zum Tatzeitpunkt Jugendliche waren. Aufgabe war es, die Milderungsgründe mit den Erschwernisgründen abzuwägen. Bei Egon Obermayer und Othmar Heitmann wurden § 13 Abs 1 KVG535 iVm § 11 JGG und §1 Abs 5 Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallgesetz536 angewandt. Aufgrund dessen, wurde über beide eine strenge Arreststrafe von sieben Jahren verhängt. Gemäß der Bestimmung des § 1 Abs 5 Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallsgesetz durfte die Strafe aufgrund der Strafandrohung der begangenen Tat sieben Jahre nicht unterschreiten.537

Die Bemessung der Strafe des Walter Sachse und des Friedrich Scholler erfolgte gem § 1 Abs 4 letzter Strafsatz KVG, der als Sanktion die Todesstrafe vorsah. § 1 Abs 5 KVG538 wurde berücksichtigt, nach

532 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 131. 533 Das Verbrechen wurde, soweit dies nicht durch internationale Verträge, Vereinbarungen oder Verpflichtungen anderweitig geregelt wurde, mit schwerem Kerker (Schwerer Kerker ist die Kerkerstrafe zweiten Grades, das bedeutet, dass der Häftling „mit Eisen an den Füßen angehalten“ wurde. Auch ein Kontakt, außer zu den Gefängniswärtern, wurde, abgesehen von „ganz besonderen und wichtigen Fällen“ nicht erlaubt. §16 StG 1852.) von 10 – 20 Jahren, wenn aber durch das Vergehen des Täters die schwere körperliche Beschädigung einer Person oder ein größerer Vermögensschaden angerichtet wurde, mit lebenslangem schwerem Kerker, falls jedoch das Verbrechen den Tod einer Person zur Folge hatte, mit dem Tode bestraft. § 1 Abs 4 KVG. 534 § 11 JGG sah für die Ahndung strafbarer Handlungen die von schuldfähigen Jugendlichen begangen wurden Sondervorschriften vor. So war anstatt auf schweren Kerker oder Kerker auf strengen Arrest zu erkennen. Anstelle einer lebenslangen Freiheitsstrafe war auf eine Freiheitsstrafe von höchstens 10 Jahren zu erkennen. Weitergehende Ausführungen finden sich unter Kapitel 6.3, S. 34; § 11 JGG. 535 „Die Bestimmungen des Artikels V des Verbotsgesetzes sind auch auf die Strafverfahren nach diesem Gesetz sinngemäß anzuwenden. Jedoch kann in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen das Volksgericht, wenn es dies einstimmig beschließt, an Stelle der Todesstrafe eine lebenslange schwere Kerkerstrafe oder schweren Kerker von 10 bis 20 Jahren verhängen, bei anderen angedrohten Strafen von den Bestimmungen der §265a StPO, §54 StG Gebrauch machen.“ § 13 Abs 1 KVG. 536 § 1 Abs 5 Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallgesetz normierte eine Bestimmung für Straftaten Jugendlicher, für die das Volksgericht zuständig war. Im Abs 5 wurde auf Abs 4 Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallsgesetz verwiesen. Dieser besagte, dass die Anwendung des § 13 Abs 1 KVG über die Anwendbarkeit des §§ 265 a StPO und 54 StG unter den dort genannten Voraussetzungen, auch für §§ 8 u 10 bis 12 Verbotsgesetzes gegolten hatte. Sah die Strafandrohung die Todesstrafe oder lebenslange Freiheitsstrafe vor, so durfte ein Strafminimum von 7 Jahren nicht unterschritten werden. § 1 Abs 5 Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallgesetz, StGBl 1945/177. 537 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 132; § 1 Abs 5 Volksgerichtsverfahrens- und Vermögensverfallgesetz. 538 Gem dieser Bestimmung war derjenige, der Handlungen gem § 1 Abs 1 u 2 KVG befohlen hatte, strenger zu bestrafen, als derjenige der diese Tat unmittelbar ausgeführt hatte. Im Falle der mehrmaligen Wiederholung war, sofern nicht die Todesstrafe zu verhängen war, lebenslanger schwerer Kerker zu verhängen. Wurden die

96 der der Veranlasser einer Straftat eine strengere Strafe bekommen sollte, als der unmittelbar Handelnde. Im Verfahren wurde festgestellt, dass Kreisleiter Dr. Hugo Suette der Befehlsgeber der Exekutionen und zweifellos als Haupttäter anzusehen war, jedoch Walter Sachse und Friedrich Scholler den Befehl weitergegeben hatten. Auch wandte der Gerichtshof für Walter Sachse und Friedrich Scholler die Bestimmung des § 13 Abs 1 KVG an, weshalb man zu dem Ergebnis gelangte, dass anstelle der Todesstrafe, die Strafe des lebenslangen schweren Kerkers zu verhängen war.539

Die Strafe für Rolf Kutschera wurde gem § 3 Abs 1 S 2 KVG540 beurteilt, der eine schwere Kerkerstrafe zwischen zehn und zwanzig Jahren vorsah. Da „die Tat einen wichtigen Nachteil des Betroffenen an seiner Gesundheit zur Folge hatte“541 wurde dies zusätzlich zu den Milderungs- und Erschwerungs- gründen berücksichtigt. Der Partisan wurde schwerst verletzt und erhielt keine ärztliche Behandlung. Der Gerichtshof wandte die Bestimmung des § 13 Abs 1 KVG für Rolf Kutschera an, da sein Alter (knapp über 18 Jahre) berücksichtigungswürdig war. Auch wurde § 265a StPO 542 bei der Strafbemessung berücksichtigt. Sohin verhängte das Volksgericht eine Strafe von vier Jahren schweren Kerkers.543

„Um den verurteilten Angeklagten zu Bewußtsein zu bringen, welche schwere Schuld sie auf sich geladen haben, wurde an jedem Jahrestag der Tat, eine Dunkelhaft angeordnet.“544 Von der Regelung des Verfalls des Vermögens gem § 9 S 2 KVG545 wurde abgesehen, da Othmar Heitmann, Egon Obermayer, Walter Sachse und Rolf Kutschera kein Vermögen besaßen und lediglich Friedrich Scholler im Besitz von einem geringen Vermögen war.546

Taten gem § 1 Abs 1 u 2 KVG in großem Umfang veranlasst, so war auf die Todesstrafe zu erkennen. § 1 Abs 5 KVG. 539 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 132. 540 Hierbei handelte es sich um Quälereien und Misshandlungen, welche im Falle eines gewichtigen Nachteils des Betroffenen an seiner Gesundheit schweren Kerker von 10 bis 10 Jahren vorsahen. § 3 Abs 1 S 2 KVG. 541 § 3 Abs 1 KVG 1945. 542 Gem § 265a StPO wurde dem Gerichtshof ein Handlungsspielraum eingeräumt. In Fällen in denen ein Strafrahmen von 5 bis 10 Jahren bestimmt wurde, und sehr wichtige oder überwiegende Milderungsgründe vorgelegen hatten, konnte auf eine andere, mildere Kerkerstrafe oder Verkürzung der Arreststrafe erkannt werden. Eine Mindeststrafe von 6 Monaten durfte jedoch nicht unterschritten werden. War ein Strafrahmen von 10 bis 20 Jahren vorgesehen oder eine lebenslange Haftstrafe, dann konnte aufgrund vorhandener Milderungsgründe, die Haftstrafe auf eine Mindestdauer von einem Jahr verkürzt werden. Wichtig hierbei war jedoch, dass die Art der Kerkerstrafe nicht geändert werden durfte. § 265a StPO, eingeführt durch Strafrechtsänderungsgesetz 1934, BGBl 1934/77. 543 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 132. 544 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 132. 545 Gem dieser Bestimmung konnte in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen vom Einziehen des Vermögens gänzlich oder auch teilweise Abstand genommen werden. § 9 S 2 KVG. 546 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 132.

97 12 Die Begnadigungen 12.1 Die Begnadigungsgesuche

Am 3. Juni 1947 war beim Landesgericht für Strafsachen Graz ein Überprüfungsgesuch des Verteidigers Dr. Paul Turek zur Verurteilung von Othmar Heitmann und Egon Obermayer eingegangen. Mit seinem an den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs gerichteten Gesuch versuchte er eine Überprüfung des Urteils gem § 3 Überprüfungsgesetz547 zu erwirken. Der Leiter der zuständigen Geschäftsabteilung am Obersten Gerichtshof in Wien teilte in einer Note dem Volksgericht Graz mit, dass sich keine Gründe ergeben hätten, die eine Überprüfung des Urteils rechtfertigen würden. Er wies dieses jedoch an, die Gnadenbitte gem § 411 Abs 4 StPO548 zu behandeln.549

Am 23. Juni 1947 richtete Verteidiger Dr. Bichler, ein weiteres Gnadengesuch für Egon Obermayer sowohl an das Landesgericht für Strafsachen Graz als Volksgericht, als auch an die Gnadenabteilung im Bundesministerium für Justiz. Rolf Kutschera richtete aus der Haft heraus, in einem Schreiben vom 6. Mai 1947, ein Gnadengesuch an das Landesgericht für Strafsachen Graz als Volksgericht. Die Mutter von Egon Obermayer wandte sich mit einem Gnadengesuch an den Oberstaatsanwalt in Graz, in welchem sie ihre Situation darstellte. Sie leide aufgrund der Inhaftierung und habe gesundheitliche Probleme. Daher habe sie auch um persönliche Unterstützung gebeten. Danach führte sie den persönlichen Werdegang ihres Sohnes aus. Auch zeigte sie auf, dass durch die Haftstrafe ihres Sohnes, ihre finanziellen Mittel äußerst gering seien.550 12.2 Die Begnadigungen der Verurteilten

12.2.1 Die Begnadigung betreffend Egon Obermayer und Rolf Kutschera

In einer Note an das Landesgericht für Strafsachen Graz als Volksgericht, welche am 8. Mai 1948 eingegangen war, wurde mitgeteilt, „daß zufolge Erlasses des Bundesministeriums für Justiz vom 16. April 1946, Z1. 35.666/ 48 der Herr Bundespräsident am 14. April 1948 dem Egon Obermayer den Rest der über ihn mit dem Urteil des Volksgerichtes beim Landesgerichte für Strafsachen Graz vom 26. September 1946, Vg 1 Vr 276/45-147, verhängten siebenjährigen strengen, verschärften Arreststrafe mit den Wirkungen der bedingten Verurteilung unter Festsetzung einer Probezeit von 5 Jahren und dem Rolf

547 Verfassungsgesetz vom 30. November 1945 über das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof in Volksgerichtssachen (Überprüfungsgesetz), BGBl. Nr. 1946/4; „Ergeben sich erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Urteil zugrunde gelegten Tatsachen oder findet der Oberste Gerichtshof, daß ein Strafgesetz zum Vor- oder Nachteil des Angeklagten unrichtig angewendet worden ist, so hebt er das Urteil auf und verweist die Sache zur neuerlichen Verhandlung an das gleiche oder ein anderes Volksgericht.“ gem § 3 Überprüfungsgesetz, BGBl 1946/4. 548 Dies war die Regelung, wie Gnadengesuche zu behandeln waren. Das Erstgericht prüfte das Gesuch und wies dieses zurück, sofern es nicht wichtige Gründe erblickte, die für die Milderung oder Nachsicht der Strafe sprachen. IdF wurde das Gesuch mit dem Antrag des Erstgerichts an das Gericht 2. Instanz vorgelegt, das nach Anhörung des Oberstaatsanwaltes das Gesuch zurückweis oder dieses mit seinem Antrag dem Justizminister vorlegt hatte. Gegen die Zurückweisung des Gnadengesuches bestand keine Beschwerdemöglichkeit. § 411 StPO. 549 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 148-151. 550 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 153-160, 161-164, 165-167, 170-171.

98 Kutschera den Rest der über ihn mit dem gleichen Urteil verhängten vierjährigen schweren, verschärften Kerkerstrafe mit den Wirkungen der bedingten Verurteilung unter Festsetzung einer Probezeit von 5 Jahren bedingt nachgesehen hat.“551 Aufgrund dieser bedingten Strafnachsicht hatten Egon Obermayer (inhaftiert seit 27. Oktober 1945) und Rolf Kutschera (inhaftiert seit 26. Oktober 1945) nur eine Freiheitsstrafe von etwas weniger als zweieinhalb Jahren verbüßt. Die Probezeit für den bedingt nachgesehenen Strafteil bei Egon Obermayer endete daher am 19. April 1953. Die des Rolf Kutscheras endete am 19. Mai 1953.552

Egon Obermayer stellte im Juli 1951 die Bitte an das Volksgericht beim Landesgericht für Strafsachen Graz, seine bedingte Begnadigung, welche am 19. April 1953 geendet hätte, in eine unbedingte Begnadigung zu wandeln. Aufgrund der Erhebungen des Bundespolizeikommissariats Leoben kam der Amtsleiter zu dem Resümee, dass keine Bedenken gegen den Antrag des Egon Obermayer bestünden. Dem Begehren wurde am 22. März 1952 durch Nachsicht der restlichen Strafe stattgegeben.553 12.2.2 Die Begnadigung betreffend Othmar Heitmann

Die Mutter des Othmar Heitmann richtete an den Bundespräsidenten Dr. Karl Renner die Bitte um Begnadigung ihres Sohnes. Nach Schilderung des Werdegangs ihres Sohnes verwies sie darauf, dass Egon Obermayer am 19. April 1948 mit Probezeit enthaftet worden sei. Nach Einsicht in die Erhebungen durch das Justizministerium, wurde das Gnadengesuch Othmar Heitmanns befürwortet. Othmar Heitmann wurde „gemäß Erlaß des Bundesministeriums für Justiz vom 13.10.1948, Zahl 65.364/48, unter Festsetzung einer Probezeit von 5 Jahren bedingt begnadigt.“554 Othmar Heitmann, der sich seit 12. Juli 1945 in Haft befand, verbüßte daher eine unbedingte Freiheitsstrafe von drei Jahren drei Monaten und drei Tagen. Seine Probezeit endete am 15. Oktober 1953. Eine endgültige Strafnachsicht erfolgte am 23. Dezember 1953, in welcher die Strafe mit 15. Oktober 1948 als verbüßt galt.555 12.2.3 Die Begnadigung betreffend Friedrich Scholler

Eine von Friedrich Scholler bevollmächtigte Rechtsanwaltskanzlei aus Wien stellte einen Antrag auf Überprüfung des Urteils. Es wurde reklamiert, dass in der Verurteilung gem § 1 Abs 2 KVG556 iVm § 134 StG557 und § 5 StG558 unrichtigerweise, der Schuldausschließungsgrund des „unwiderstehlichen Zwangs“ nicht angewandt wurde. Hierzu wurden Sachverhaltsergänzungen sowie Zeugen angeführt, alternativ wurde vorgebracht, dass sich Friedrich Scholler in einem Putativnotstand559 befunden habe. § 1

551 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 188. 552 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 188-189, 193-194. 553 Vg 1 Vr-276/1945, Band 3, S. 18-19, 22, 46. 554 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 204. 555 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 195-204, 207; Vg 1 Vr-276/1945, Band 3, S. 107. 556 § 1 Abs 2 KVG handelte von den Kriegsverbrechen. § 1 Abs 2 KVG. 557 Handelt vom Mord, § 134 StG. 558 § 5 StG handelte von den Mitschuldigen und Teilnehmern an Verbrechen. § 5 StG. 559 Die irrige und entschuldbare Annahme einer Notstandslage. „Dieser Irrtum war durchaus geeignet, meine seelische Zwangslage herbeizuführen und mich zu meiner Verhaltensweise zu bestimmen. Ich sah mich so in eine zur Rechtsverletzung unwiderstehlich zwingende Situation versetzt. Da ich in entschuldbarer Weise glaubte, meiner standrechtlichen Erschiessung allein durch die Weitergabe des Befehles entrinnen

99 Abs 2 KVG sei deshalb nachteilig angewandt worden, da der RAD eine militärisch organisierte Organisation gewesen sei, aber nicht „im wirklichen oder angenommen Interesse der Deutschen Wehrmacht“560 gehandelt habe. Auch die Bestimmungen des §§ 211 und 212 Reichsstrafgesetzes561 (zu jenem Zeitpunkt der Tat in Geltung) hätten vom Volksgericht angewandt werden müssen. „Weder Mordlust, noch Befriedigung des Geschlechtstriebes, noch Habgier oder andere niedere Beweggründe haben uns zur Tat bestimmt.“562 Das „Gesetz vom 31. Juli 1945, betreffend der Übergangsbestimmungen zur Wiederherstellung des österreichischen Strafrechts und des österreichischen Strafprozeßrechtes“563 besage auch, dass dieses „auf alle vor dem Inkrafttreten der wiederhergestellten Gesetze begangenen strafbaren Handlungen insofern Anwendung,“564 zu finden habe, „als diese dadurch keiner strengeren Behandlung als nach dem früher bestandenen Rechte unterliegen.“565 Aufgrund dessen müsse daher Friedrich Scholler die Anwendung des Reichsstrafgesetzes gewährt werden, da jene Bestimmungen für ihn günstiger wären. Dem Landesgericht für Strafsachen Graz als Volksgericht wurde am 29. Mai 1950 vom Bundesministerium für Justiz mitgeteilt, dass aufgrund der erfolgten Überprüfung des Urteils für Friedrich Scholler, kein Grund zur Begnadigung gefunden wurde.566

In einem weiteren Überprüfungsgesuch wurde im Jänner 1951 vorgebracht, weshalb das Volksgericht nicht für § 1 Abs 2 KVG iVm § 134 StG zuständig gewesen wäre. Friedrich Scholler habe lediglich einen Verstoß gegen das Reichstrafgesetz gesetzt. Insbesondere wurden die §§ 212567, 213568 RStGB für einschlägig erachtet. Das Volksgericht wäre sohin gem § 13 Abs 2 KVG für die Beurteilung dieses Sachverhalts nicht zuständig gewesen. Auch sei die Bestrafung des Friedrich Schollers gem § 3 KVG fälschlicherweise erfolgt. Die Ehefrau des Friedrich Scholler brachte im November 1951 eine Bitte zur Begnadigung beim Bundespräsidenten ein, in der sie auf die familiäre Situation verwies.569

zu können, kann mich der Vorwurf des bösen Vorsatzes nicht treffen. Auch diesem Schuldausschliesungsgrunde des Irrtums über Tatsachen gemäss § 2 e StG trug das Erstgericht keine Rechnung.“; Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 215. 560 § 1 Abs 2 KVG 1945. 561 Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, dRGBl 1871/24. § 211 RStGB (Mord): „(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.“; § 212 RStGB (Totschlag): „(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.“ 562 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 215. 563 Das Gesetz vom 31. Juli 1945, betreffend der Übergangsbestimmungen zur Wiederherstellung des österreichischen Strafrechts und des österreichischen Strafprozeßrechtes, StGBl 1945/105. 564 § 1 Gesetz vom 31. Juli 1945, betreffend Übergangsbestimmungen zur Wiederherstellung des österreichischen Strafrechtes und des österreichischen Strafprozeßrechtes, StGBl 1945/105. 565 § 1 Gesetz vom 31. Juli 1945, betreffend Übergangsbestimmungen zur Wiederherstellung des österreichischen Strafrechtes und des österreichischen Strafprozeßrechtes, StGBl 1945/105. 566 Vg 1 Vr-276/1945, Band 2, S. 212-216, 217. 567 § 212 RStGB normierte den Totschlag. § 212 RStGB, dRGBl 1871/24. 568 § 213 RStGB normierte den minder schweren Fall des Totschlags. § 213 RStGB, dRGBl 1871/24. 569 Vg 1 Vr-276/1945, Band 3, S. 8-12, 60-66.

100 Für Friedrich Scholler wurde eine Gnadentabelle angelegt und ein Führungsbericht eingeholt, der ihm eine sehr gute Führung und Arbeitsleistung bescheinigte. Friedrich Scholler wurde am 24. Oktober 1952, auf Entschluss des Bundespräsidenten, unter Setzung einer Probezeit von sieben Jahren, bedingt begnadigt. Der seit 5. Mai 1946 inhaftierte Friedrich Scholler verbüßte sohin eine unbedingte Haftstrafe von sechs Jahren fünf Monaten und neunzehn Tagen. Die Probezeit endete am 24. Oktober 1959.570 12.2.4 Die Begnadigung betreffend Walter Sachse

Die Schwester des Walter Sachse richtete ein Gnadengesuch (Anfang Juni 1951) an den Bundespräsidenten Österreichs. Sie schilderte, dass der Befehl, den Walter Sachse Egon Obermayer erteilt habe, nur zur Rettung des Egon Obermayers gedient habe und Egon Obermayer und Othmar Heitmann eine kürzere Strafe als ihr Bruder erhalten haben.571

Die Direktion der Männerstrafanstalt Graz befürworte die Begnadigung. Die Sicherheitsdirektion Graz teilte ebenfalls mit, dass aus ihrer Sicht keine Bedenken gegen eine Begnadigung sprechen. Selbst ein Pfarrer des Evangelischen Pfarramtes Graz, würde seine Begnadigung voll und ganz unterstützen.572

In dem Gnadenbogen des Walter Sachse wurde dieser als gedrillter Soldat beschrieben, der ohne zu hinterfragen Befehle ausführte. Der Strafsenat des Oberlandesgerichts Graz wies jedoch das Gnadengesuch für Walter Sachse, das vom Volksgericht unterstützt wurde, mit Beschluss vom 3. April 1952 „mangels wichtiger Gründe derzeit zurück“ 573 . Sein Verteidiger, Dr. Katsch, brachte zum ursprünglichen Gesuch der Schwester des Walter Sachse ergänzend die Bitte vor, dass zumindest der Umwandlung der lebenslänglichen schweren Kerkerstrafe in eine angebrachte zeitliche Freiheitsstrafe nachgekommen werden möge.574

Am 8. August 1952 wurde abermals ein Gnadengesuch für Walter Sachse von seinem Verteidiger gestellt. Nach nochmaliger Schilderung der Tatsachen wurde um eine Umwandlung der lebenslangen Freiheitsstrafe in eine zeitlich beschränkte ersucht.575

Am 24. Oktober 1952 wurde dem Volksgericht Graz die bedingte Begnadigung des Walter Sachses zur Kenntnis gebracht. Durch den Entschluss des Bundespräsidenten vom 22. Oktober 1952 und aufgrund des Erlasses des BMfJ vom 23. Oktober 1952, wurde Walter Sachse durch Setzung einer siebenjährigen Probezeit bedingt begnadigt. Walter Sachse, der am 23. Februar 1946 inhaftiert wurde, verbrachte somit sechs Jahre acht Monate und einen Tag in Haft. Die Probezeit endete am 23. Oktober 1959.576

570 Vg 1 Vr-276/1945, Band 3, S. 70-78, 88, 91. 571 Vg 1 Vr-276/1945, Band 3, S. 13-16. 572 Vg 1 Vr-276/1945, Band 3, S. 20-21, 28, 34. 573 Vg 1 Vr-276/1945, Band 3, S. 27-33, 55. 574 Vg 1 Vr-276/1945, Band 3, S. 56-58. 575 Vg 1 Vr-276/1945, Band 3, S. 66-68. 576 Vg 1 Vr-276/1945, Band 3, S. 87, 90.

101 13 Resümee

Die Zeit, in der die Tathandlungen begangen wurden, war zu Ende des Zweiten Weltkrieges. Eine Vielzahl an äußeren Faktoren hatte diese Zeit bestimmt. Die Bevölkerung wurde von den Nationalsozialisten derart geprägt, dass Partisanen als Feinde angesehen wurden, weshalb auch bei jeglichen Sichtungen der Freiheitskämpfer, sofort eine Informationsweitergabe an Nazi-Behörden erfolgte. Im gegenständlichen Sachverhalt, welcher die Grundlage für den Prozess gebildet hatte, erfolgte jedoch die Mitteilung an den RAD in St. Oswald im Freiland. Dieser wurde am Ostersonntag des 1. April 1945 von einem Bauern über die Sichtung einiger Partisanen in Kenntnis gesetzt. Hierauf machte sich der RAD unverzüglich auf den Weg, um die Partisanen zu stellen.

Die nachfolgenden Geschehnisse standen im Spannungsfeld der von der NSDAP geschaffenen Hierachie und eines unbedingten Befehlsgehorsams im Gegensatz zu den menschlichen Grundwerten, sowie dem Handeln nach eigenem Gewissen. Die Verantwortung der Angeklagten, nur auf Befehl gehandelt zu haben, erscheint nicht geeignet, Kriegsverbrechen zu rechtfertigen: Im vorliegenden Geschehen sollten die aufgegriffenen Widerstandskämpfer sofort nach deren Einvernahme – ohne Durchführung irgendeines Verfahrens – nach der Anordnung des Kreisleiters Dr. Hugo Suette hingerichtet werden. Die Angst bei Befehlsverweigerung selbst bestraft oder gar getötet zu werden, durfte nicht zur Folge haben, dass jegliche Einhaltung von, auch in dieser Zeit geltenden Vorgaben, missachtet wurde. Die Angeklagten haben nach den aufgefundenen Materialien wohl nicht versucht, den Befehl zur sofortigen Exekution der Partisanen zu hinterfragen, geeignete Stellen über die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Befehls in Kenntnis zu setzen oder den Befehl zu verweigern.

Wenn auch das erst später in Kraft getretene KVG in seinem § 1 Abs 5 KVG vorsieht, dass Befehlsgeber strenger als Befehlsempfänger bei Kriegsverbrechen zu bestrafen sind, so kann dies Befehlsempfänger, auch wenn diese Jugendliche sind, im vorliegenden Geschehen nicht von ihrer Schuld exkulpieren.

Friedrich Scholler und des Walter Sachse verantworteten sich, lediglich aufgrund der Befehle des Kreisleiters Dr. Hugo Suette die Exekutionen durchgeführt zu haben. Hierzu ist auszuführen, dass dies im Urteil ohnehin als Milderungsgrund berücksichtigt wurde, zumal grundsätzlich die Todesstrafe zu verhängen gewesen wäre. Selbstverständlich muss man sich im Klaren sein, dass fast jeder versucht hatte, den Krieg auch in den eigenen Reihen unbeschadet zu überstehen und deshalb Handlungen gesetzt hatte, die ansonsten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gesetzt worden wären. Dies darf allerdings nicht dazu führen, dass man eine solche Situation als Rechtfertigungsgrund für das Ermorden der fünf Partisanen heranzieht. In den Ausführungen der Gerichtsakten kann man auch gut erkennen, dass sowohl Friedrich Scholler als auch Walter Sachse ein Alter hatten, in welchem man nicht mehr von „jugendlichem Leichtsinn“ sprechen konnte. Es wäre daher die Aufgabe Friedrich Schollers gewesen, den Befehlen des Kreisleiters Dr. Hugo Suette zu widersprechen. Sofern man diesbezüglich das Argument ins Treffen führen wolle, dass es sich bei Friedrich Scholler um einen Untergebenen des Kreisleiters Dr. Hugo Suette

102 gehandelt habe, so ist dem mit den Ausführungen des Zeugen B zu entgegnen. Diese sind als zutreffend zu erachten. Demnach hätte man dem Kreisleiter zunächst die – eben nicht erfolgten – Exekutionen als vollzogen melden sollen. Im Anschluss daran hätten die RAD-Arbeitsmänner die Partisanen, wenn schon nicht frei lassen, zumindest an einen anderen Ort verbringen sollen.

Zu der Person des Kreisleiters Dr. Hugo Suette gilt es zu sagen, dass er eine gefürchtete Person war. Auch hatte er kein Geheimnis daraus gemacht, dass er jene Mitbürger exekutieren lassen würde, die mit den Freiheitskämpfern kooperierten. Hinzu kommt, dass er der Meinung war, dass er richterliche Funktionen innehabe. Dies war zwar nicht der Fall, jedoch hatte es auch niemand gewagt, ihm Einhalt zu gebieten. Dies hätte aber nicht dazu führen dürfen, die von ihm angeordnete Tötung der Partisanen ohne jegliches Verfahren und ohne Versuche, die geeignete Dienststelle zu kontaktieren, zu vollziehen.

Die Verantwortung der Verurteilten Othmar Heitmann und Egon Obermayer lautete, nur einen Befehl ausgeführt zu haben. Das Argument des „unwiderstehlichen Zwangs“ ist meines Erachtens zu Recht vom Volksgerichtshof Graz widerlegt worden. Die Voraussetzung für den „unwiderstehlichen Zwang“ lautete gem § 2 lit g StG, dass sich der Täter der Befolgung des Befehls nicht entziehen konnte. Othmar Heitmann und Egon Obermayer hätten diesem Befehl aber Einhalt gebieten oder zumindest in der Dunkelheit flüchten können. Zudem wurde auch von Zeugen belegt, dass man eine Flucht aus dem Lager des RAD nicht so streng geahndet hätte wie bspw bei der Wehrmacht. Auch ist an dieser Stelle zu sagen, dass ein Mord auf Befehl, dennoch ein Mord bleibt.

Die Angeklagten Hans Bacher und Ferdinand Hoffmann wurden vom Volksgerichtshof Graz freigesprochen. Dies ist meiner Meinung nach, bei Hans Bacher vollkommen zu Recht erfolgt. Dieser hatte nämlich sowohl mit den Verhören als auch mit den Exekutionen überhaupt nichts zu tun. Zudem hatte Hans Bacher sich selbst beim verwundeten Freiheitskämpfer über dessen Wohl erkundigt und wollte jenem, medizinische Unterstützung, durch den Sanitäter Sollberg, zukommen lassen. Dies hatte ihm jedoch Friedrich Scholler verweigert. Somit konnte zu Recht, keine Schuld des Hans Bacher festgestellt werden. Bei Ferdinand Hoffmann ist dies etwas anders zu sehen. Dieser war es nämlich, der, der den – für solche Fälle gar nicht zuständigen - Kreisleiter Dr. Hugo Suette und die Gendarmerie über die Gefangennahme der Partisanen informiert hatte. Es lässt sich sohin die Vermutung aufstellen, dass der Kreisleiter Dr. Hugo Suette, ohne diese Meldung, vielleicht nie von den gefangen genommen Partisanen erfahren hätte. Zu Gute halten muss man Ferdinand Hoffmann allerdings, dass er zusammen mit Walter Sachse den Abteilungsführer Friedrich Scholler auf die Lage des Verwundeten aufmerksam gemacht hatte. Weiters hatte sich Ferdinand Hoffmann über den Gesundheitszustand des Verwundeten, bei Lagersanitäter Sollberg, informiert. Auch war er während der vollzogenen Exekutionen nicht im Lager. Der Volksgerichtshof hatte Ferdinand Hoffmann daraus folgend, in Ermangelung einer strafbaren Handlung, freigesprochen.

103 In Summe lässt sich aufzeigen, dass alle Verurteilten milde Strafen bekommen haben. Insbesondere unter Berücksichtigung der Begnadigungen, musste keiner von ihnen eine lange Haftzeit ertragen. Die Strafen, die Othmar Heitmann und Egon Obermayer erhalten hatten, waren eine strenge Arreststrafe für die Dauer von sieben Jahren. Bei dieser Strafbemessung wurde auch das Alter der beiden berücksichtigt. Diese waren nämlich zum Tatzeitpunkt noch nicht volljährig. Gegen Rolf Kutschera wurde eine vierjährige Arreststrafe des schweren Kerkers verhängt. Die Strafen, welche Friedrich Scholler und Walter Sachse erhalten hatten, waren eine lebenslange Freiheitsstrafe des schweren Kerkers.

In der Folge hatte Egon Obermayer eine bedingte Begnadigung erhalten. Demnach musste er nicht einmal drei Jahre in Haft verbringen. Othmar Heitmann wurde ebenfalls eine bedingte Begnadigung zuteil. Er verbrachte daher ca drei Jahre in Haft. Rolf Kutschera musste lediglich ca drei Jahre in Haft verbringen. Friedrich Scholler wurde am 24. Oktober 1952 bedingt begnadigt. Er verbrachte sohin ca sechseinhalb Jahre in Haft, obwohl er zunächst zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden war. Walter Sachse wurde am 23. Oktober 1952 bedingt begnadigt. Er verbrachte ca sechs Jahre und acht Monate in Haft. Anhand dieser Darstellungen ist deutlich zu erkennen, dass keiner der Verurteilten eine lange Haftstrafe verbüßen musste.

Die Strafbestimmungen und Begnadigungsvorschriften wurden sohin sehr großzügig zu Gunsten der Verurteilten angewandt. Aus heutiger Sicht sind sowohl die Verurteilungen als auch die Begnadigungen differenzierter zu betrachten, zumal das heutige Strafgesetzbuch bspw keine Todesstrafen, keine Kerkerstrafen sowie kein hartes Lager kennt.

104 14 Zusammenfassung

Die gegenständliche Diplomarbeit, der Strafprozess zum Partisanenmord von der Koralpe 1945/46 - Darstellung und Analyse des Partisanenmordes von St. Oswald im Freiland 1945 und des damit verbundenen Prozesses am Volksgericht Graz 1946, wurde zu einem besseren Leseverständnis in 13 Kapitel aufgegliedert.

Zunächst wurde die Tathandlung näher untersucht, beginnend mit der Vorgeschichte, der Sichtung von Partisanen, deren Festnahme und Überführung in das Lager, über die dort durchgeführten Verhöre, die Verwundung (Schussverletzung) eines Partisanen durch Rolf Kutschera, bis hin zu den abschließenden Ermordungen der Partisanen durch Genickschüsse in den Abendstunden des Ostersonntags im Jahr 1945. Dabei wurden die wichtigsten Ereignisse des 1. April 1945 dargestellt, also jene Handlungen, welche für den Sachverhalt maßgeblich waren, und über welche im September 1946 am Volksgericht Graz geurteilt wurde.

Daran anschließend wurde auf die Täter und Opfer, deren Hintergrund sowie Herkunft, soweit bekannt, eingegangen. An dieser Stelle ist nochmals zu erwähnen, dass nur die notwendigsten Daten angegeben wurden um einen allfälligen Schutz der Charaktere und deren Angehörigen zu gewährleisten. Jedoch befinden sich bereits zahlreiche weitere Informationen frei zugänglich im Internet. Ebenfalls beschrieben wurde der blutrünstige Kreisleiter Dr. Hugo Suette, da er einer der für das Kriegsverbrechen maßgeblichen Personen war. Diesem wurde im gegenständlichen Verfahren vor dem Volksgericht Graz nicht der Prozess gemacht, da er für die Justiz und das Volksgericht vor und im Prozess nicht greifbar war. Dr. Hugo Suette wurde von den britischen Besatzungsmächten Anfang September 1946 festgenommen. Daran anschließend wurde er in das Anhaltungslager Graz-Wetzelsdorf überstellt. Aus diesem Lager war er Anfang November geflüchtet und er verstarb 1949 in Freiheit.

Ebenfalls unerlässlich waren die historischen Umstände zum Zeitpunkt der Tat und des Prozesses. Ziel war es hierbei, einen situativen Überblick über Österreich um 1945 zu vermitteln. Zudem wurde auch auf die Ostmark samt dem Ostmarkgesetz näher eingegangen. Danach wurden die Erlangung der Eigenständigkeit Österreichs, die österreichische Übergangsregierung sowie der Einfluss der Briten auf die Steiermark aufgezeigt. Auch die wirtschaftliche Situation Österreichs um 1945, welche nach Ende des Zweiten Weltkrieges katastrophal war und fremder Unterstützung bedurfte, wurde dabei kurz beleuchtet.

Einen zentralen Stellenwert bei der Tatbegehung und dem nachfolgenden Prozess nahm der Reichsarbeitsdienst ein. Nach einem kurzen allgemeinen Teil zum RAD wurde auf dessen Herkunft bzw Geschichte näher eingegangen. Ziel war es hierbei einen Überblick zum RAD zu geben. Die Voraussetzungen, die es bedurfte um beim RAD aufgenommen zu werden, und die Dienstgrade spielten hier genauso eine Rolle. Darüber hinaus wurden auch die Unterschiede zur Wehrmacht herausgearbeitet, um zu veranschaulichen, was die Aufgaben und Befugnisse eines RAD-Angehörigen waren. An dieser

105 Stelle war es auch wichtig hervorzuheben, dass der RAD sowohl mit der Wehrmacht als auch der NSDAP an sich nichts zu tun hatte. Der RAD war eigenständig und hatte sich aus dem NS-Arbeitsdienst entwickelt, welcher der NSDAP unterstellt war. Mit der Ernennung Konstantin Hierls zum Reichsleiter des RAD verschwamm hingegen die Grenze zwischen NSDAP und RAD. Auf die Befugnisse des RAD im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg und deren Fortentwicklung wurde ebenso eingegangen. Hierbei wurde festgestellt, dass auch während des Zweiten Weltkrieges die gesetzlichen Bestimmungen, welche besagten, dass den gefangen genommenen Partisanen, ein ordentliches Verfahren in einem Prozess zu machen war, nicht außer Kraft getreten waren. Dies wurde deutlich im Schlussvortrag des Staatsanwalts von Dr. Butschek präsentiert, welcher hervorhob, dass gefangen Genommene zu töten immer Mord sei, da sie sich durch die Festnahme nicht mehr zur Wehr setzen konnten. Darüber hinaus führte er weiters aus, dass dies in jedem Soldbuch eines Wehrmachtsangehörigen so gestanden sei. Da der RAD gegen Ende des Zweiten Weltkrieges die militärische Ausbildung übertragen bekommen hatte, musste dies auch den RAD-Arbeitsmännern bekannt sein.

Auch die rechtlichen Bestimmungen, die Grundlage für den Prozess vor dem Volksgericht Graz waren, wurden näher untersucht. Die wichtigsten Normen für den Prozess stammten aus dem KVG, welches die Besonderheit besaß, auf jene Taten, welche unter des NS-Zeit in Österreich begangen worden waren, zurückzuwirken. Wichtig für den Prozess und das dazugehörige Urteil waren sohin die Bestimmungen des §§ 1, 3, 5 u 13 KVG, welche die zentralen Normen für die Urteile gegenüber Othmar Heitmann, Egon Obermayer, Rolf Kutschera, Walter Sachse und Friedrich Scholler bildeten. In diesem Zusammenhang durften auch das StG, die StPO und das JGG nicht außer Acht gelassen werden.

Darüber hinaus wurden die aufgrund der Verbrechen der NS-Zeit neu eingerichteten Volksgerichte, welche für die Urteilsfindung in den Materien des Verbotsgesetzes und des Kriegsverbrechergesetzes zuständig waren, behandelt. Diese Gerichte urteilten im Zeitraum von 1945 – 1955 in 23.477 Fällen. Zusammengesetzt hatten sich die Volksgerichte aus einem Richter, der den Vorsitz innehatte und einem zweiten Berufsrichter sowie aus drei Schöffen (Laienrichter). Die erste Verhandlung am Volksgericht Graz fand am 10. Jänner 1946 statt. Mit größeren Schwierigkeiten hatte man anfangs auch deshalb zu kämpfen, da viele Nationalsozialisten zu Kriegsende geflohen waren. Drei der gesuchten Tatverdächtigen, nämlich Walter Sachse, Hans Bacher und Ferdinand Hoffmann wurden bspw im Prisoner of War Camp in Wolfsberg festgehalten. Es bedurfte einiger Mühen und Zeit, bis man die Tatverdächtigen vernehmen und nach Graz überführen konnte. Die letzten Urteile des Volksgerichts wurden 1955 gefällt. Im Jahr 1956 wurden die ordentlichen Gerichte für die Urteilsfindung in den zuvor genannten Materien für zuständig erklärt.

Bei den vorprozessualen Erhebungen ging es um die Untersuchung der Ermordungen der Partisanen durch die Polizei bzw die Gendarmerie und die staatsanwaltschaftlichen sowie gerichtlichen Erhebungen vor Prozessbeginn. Die Gliederung erfolgte in zeitlicher Abfolge, damit man daran sehen kann, wie der Weg sich von den einleitenden Schritten bis hin zum Prozess und dem Urteil entwickelt hatte. Zunächst

106 brachte die Aussage des Zeugen H vom 13. Juni 1945 bei der Staatspolizei alles ins Rollen. Von erheblicher Bedeutung waren auch die Ermittlungen zum Tathergang, sowie die Aussagen der Beschuldigten und der Zeugen. Insbesondere die Zeugen und Beschuldigten waren es, aufgrund deren Aussagen sich der Sachverhalt nach und nach feststellen ließ. Darüber hinaus konnte man auch erkennen, wie der erste Festgenommene Othmar Heitmann sich tatsachengeständig gezeigt hatte. Allerdings wollte sich Othmar Heitmann mit dem Befehl zum Genickschuss exkulpieren, und dies wurde später vom Volksgericht richtigerweise nicht berücksichtigt, da ihm auch eine Flucht im Dunkeln als Alternative zur Verfügung gestanden wäre. Auch das gerichtsmedizinische Gutachten war in diesem Kapitel von Bedeutung. Insbesondere bei der Beschuldigtenvernehmung wurden den teils abweichenden Aussagen der Angeklagten sowie der Zeugen und deren Vorhaltung gegenüber den Angeklagten Beachtung geschenkt. Eine der wohl schwierigsten Aufgaben war es hierbei herauszufinden, welcher Aussage zu folgen war.

Nach Erforschung des maßgeblichen Tathergangs durch Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten brachte die Staatsanwaltschaft Graz die Anklageschrift am 25. Juli 1946 beim Landesgericht Graz ein. Hierbei präsentierte die Staatsanwaltschaft das von ihr angenommene Tatgeschehen und dessen rechtliche Beurteilung.

Das Kernstück der Diplomarbeit bildete der Prozess vor dem Volksgericht Graz. Eröffnet wurde die Hauptverhandlung am 23. September 1946 durch den Vorsitzenden Dr. Nestroy. Dargestellt wurden die Einvernahmen und Verantwortungen der Angeklagten Othmar Heitmann, Egon Obermayer, Walter Sachse, Hans Bacher, Rolf Kutschera, Ferdinand Hoffmann und Friedrich Scholler. Größtenteils zeigten sich die Angeklagten so wie in den Erhebungen vor Prozessbeginn geständig. Einige Aussagen wichen jedoch in Details ab und so kam es dem Volksgericht zu, diese zu würdigen. Bei der Befragung betreffend Walter Sachse gab dieser richtigerweise an, dass der RAD für die Ausführung der Befehle des Kreisleiters Dr. Hugo Suette nicht zuständig gewesen wäre. Sodann wurde das Beweisverfahren beleuchtet, in welchem die Zeugen G, H, S, P, T, SCH, B, E, F, N, der Sachverständige Dr. Schwarzacher und die Privatbeteiligte Frau Farkas vernommen wurden. Wie der Zeuge B dies richtig angesprochen hatte, hätte die Anweisung Dr. Hugo Suettes zur Tötung der Partisanen verweigert und die Gendarmerie verständigt werden können, die dann die Freiheitskämpfer in Gewahrsam genommen hätte. Bezug genommen wurde auch auf die Beratungsergebnisse des Gerichtshofs, auf das gefällte Urteil und die verhängten Strafen.

Weiters wurden der Urteilsspruch, dessen Begründung und die differenzierten Strafbemessungen beleuchtet. Gegen Othmar Heitmann und Egon Obermayer wurde eine strenge Arreststrafe für die Dauer von sieben Jahren verhängt. Ihnen kam ihr junges Alter und damit der Anwendungsbereich des JGG zugute. Das Höchstmaß der Strafe, welches sie aufgrund § 11 JGG erwarten hätten können, betrug zehn Jahre. Somit wurde ihnen nicht die Höchststrafe auferlegt. Sicherlich wurde bei der Beurteilung der bis zu diesem Zeitpunkt einwandfreie Lebenswandel berücksichtigt. Eine wesentlich strengere Strafe

107 erhielten Walter Sachse und Friedrich Scholler. Ihnen kam aufgrund ihres Alters nicht das Privileg des günstigeren Strafrahmens des JGG zu. Walter Sachse und Friedrich Scholler wurden zu einer lebenslangen Strafe des schweren Kerkers mit hartem Lager im vierteljährlichen Intervall verurteilt. Bei ihnen war jedoch auch zu berücksichtigen, dass die Todesstrafe eine mögliche Strafsanktion gewesen wäre. Jedoch wurde bei der Urteilsberatung die Anwendung des § 13 Abs 1 KVG beschlossen, welcher anstatt der Todesstrafe eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsah. Somit erhielten Walter Sachse und Friedrich Scholler eine milde Strafe. Rolf Kutschera wurde zu vier Jahren schweren Kerkers und hartem vierteljährlichem Lager verurteilt. Staatsanwalt Dr. Butschek war während des Prozesses von § 335 StG, also den Vergehen und Übertretungen gegen die Sicherheit des Lebens zurückgetreten. Ferdinand Hoffmann und Hans Bacher wurden vom Volksgericht freigesprochen. Diesen konnte das Volksgericht keine strafbaren Handlungen nachweisen. Im Urteil wurde zudem ausgesprochen, dass die bereits in Haft verbrachte Zeit auf die Haftstrafe angerechnet werden sollte.

Im Kapitel der Begnadigungen geht es um die von den Verurteilten und deren Angehörigen nach dem Urteil gestellten Ansuchen und deren Versuche, eine vorzeitige Haftentlassung zu erwirken. Hierbei sieht man die Anstrengungen der Verurteilten und von deren Angehörigen, eine vorzeitige Entlassung aus der Haft zu erreichen. Bereits ein Jahr nach Ausspruch des Urteils wurden die ersten Gesuche zur vorzeitigen Haftentlassung eingebracht. Es schien, dass nach Ende des Krieges alles, was im Krieg geschehen war, hinter sich gelassen werden sollte. Jeder der Verurteilten wurde frühzeitig aus der Haft entlassen, keiner musste die durch das Urteil vom Volksgericht verhängte Strafe zur Gänze verbüßen. Der Prozess vor dem Volksgericht sollte unter anderem der Verarbeitung des im Zweiten Weltkrieg Geschehenen dienen. Es handelte sich nicht um einen Scheinprozess, denn es wurde ein ordentliches Ermittlungsverfahren und eine gewissenhafte Vernehmung der Zeugen und der Beschuldigten durchgeführt, was zu fundierten Feststellungen und einer nachvollziehbaren rechtlichen Beurteilung der Tathandlungen führte. Jedoch wurden mit den frühzeitigen Begnadigungen der Verurteilten die Sanktionen eines ohnehin schon milden Urteils aufgeweicht.

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