ALZ RHEINLAND - PF AGS LANDT SCHRIFTENREIHE DES 3 5

„PACKT AN! HABT ZUVERSICHT!“

Überdie Entstehung desLandesRheinland-Pfalz und seinen Beitragzur Gründung derBundesrepublik Deutschland

EdgarWagner Heft35 derSchriftenreihe desLandtagsRheinland-Pfalz ISSN 1610-3432 ISBN 978-3-9811001-2-9

IMPRESSUM Herausgeber:DerPräsident desLandtagsRheinland-Pfalz Text und Redaktion:EdgarWagner Deutschhausplatz 12 55116Mainz Gestaltung:PetraLouis, Copyright:LandtagRheinland-PfalzApril 2007 Druck:Johnen-Druck,Bernkastel-Kues

DerLandtagimInternet:www.Landtag.Rheinland-Pfalz.de „PACKT AN! HABT ZUVERSICHT!“

Überdie Entstehung desLandesRheinland-Pfalz und seinen Beitragzur Gründung derBundesrepublik Deutschland

VORWORT

Werermessen will,wie hochdie Lebensqualitätheutzutage in Rheinland-Pfalzist,wie starkseine Wirtschaftskraft,wie groß sein Ansehen und wie stabil seinedemokratische Ordnung geworden sind,dermuss zurückblicken aufdasEnde desZwei- ten Weltkrieges.Aufseinen Trümmern,in einerZeitstaatlichen Zusammenbruchsund allgemeinerApathie wurde Rheinland- Pfalzvon derfranzösischen Besatzungsmachtgegründet.

DieswarderBeginn einermittlerweile 60-jährigen Erfolgsge- schichte. DerLandtaghatdieseGeschichteimvergangenen Jahrin zwei Jubiläumsveranstaltungen thematisiert.Sie wer- den alsBand 32 und Band 33 dieservom Landtagherausge- gebenen Schriftenreihe dokumentiert.

IndieserReihe erscheintnunauchdervorliegende Band „Packtan! HabtZuversicht!“,in dem deru.a.für die Öffent- lichkeitsarbeitdesLandtagszuständige Abteilungsleiter, MinisterialdirigentEdgarWagner,die Entstehungsgeschichte desLandesvom Ende desZweiten WeltkriegesbiszumEnde derersten Wahlperiode desLandtags,alsovon 1945 bis1951, nachzeichnet.

Damitist ein dreifachesAnliegen verbunden:die Gründerge- neration zu ehren,die Nachgeborenen zu erinnernund die jun- gen Menschen anzuspornen. DieskommtauchimTitel dieses BandeszumAusdruck. Erstammtzwaraus dem Jahre1945, giltaberauchheutenoch. Denn esbedarfgroßerAnstren- gung,daswasaufgebaut wurde zu bewahren und weiterzuent- wickeln.

Joachim Mertes PräsidentdesLandtagsRheinland-Pfalz

AmerikanischerLuftangriff aufBingen am27.November1944 3

INHALT EINLEITUNG 9

I.KRIEGSENDE UND ERSTE NACHKRIEGSJAHRE 15 1. Kriegsende15 2.Kriegsfolgen 18 3.Nachkriegssorgen 21 4. Neuanfang 31

II.RHEINLAND-PFALZ ENTSTEHT 37 1. Die amerikanische Besatzungszeit37 a)Verwaltungsaufbau37 b)Provinz„Saar-Pfalzund Rheinhessen“ 39 c)Mittelrhein-Saar41 2.Die französische Besatzungszeit47 a)Sieger-und Besatzungsmacht47 b)Besatzungsgebiet50 c)Besatzungsorganisation 53 d) Deutschland- und Besatzungspolitik 60 e) Landesgründung 70 f) Verordnung Nr.5774 g) Rahmenbedingungen80 3.Fazit82

III.AUFBAU EINER DEMOKRATISCHEN 85 ORDNUNG 1. Ausgangspunkt 85 2.Demokratische Traditionen 87 3.Bürgerkomitees 94 4. Presse 97 5. Rundfunk 104 6.Gewerkschaften 107 7.Parteien 113 8. Kommunalwahlen 127 9. Die „GemischteKommission“ 133 10.Die Beratende Landesversammlung 139 11. Die vorläufige Landesregierung 147

ZerstörteMailandsgasseinMainz 5 12.Die Landesverfassung 157 a)Verfahren 157 b)Inhalt160 c)Abstimmung in derBeratenden 165 Landesversammlung d) Volksabstimmung 168 13.DerLandtag172 a)Landtagswahl 172 b)Konstituierung 174 c)ErsteWahlperiode 178 14. Die Landesregierung 182 15. Die Kommunalverfassung 191 16.Bezirkstagund Bezirksregierung derPfalz193 17.Besatzungsrechte195 18. Fazit199

IV.AKZEPTANZ DER DEMOKRATISCHEN 203 ORDNUNG 1. Wege zur Demokratie 203 2.Information durchPresseund Rundfunk 205 3.Parteien und Gewerkschaften als „Schule derDemokratie“ 209 4. Integration durchdie Kirchen 212 5. Leistungsnachweisevon Landtag217 und Landesregierung 6.Verbesserung derLebensumstände 221 a)Wirtschafts-und Währungsreform222 b)Marshall-Plan230 c)SozialerUnterbau236 7.Erziehung und Umerziehung 241 a)Grundlagen 241 b)Schulische Umerziehung von Jugendlichen 243 c)Außerschulische Umerziehung derJugend 247 d) Umerziehung von Erwachsenen 250 8. Entnazifizierung 256 9. Ankunftin derDemokratie 264 10.Fazit272

6 V.KONSOLIDIERUNG DES LANDES 275 1. Ungeliebt,aberbegehrt 275 2.ÄußereEinflüsse277 a)Die Alliierten 277 b)DerBund 278 c)Die Nachbarländer280 3.VorbehalteimInneren 283 a)Die Bevölkerung 283 b)Die Parteien 286 c)Landtagund Landesregierung 290 4. Konsolidierung 293 a)Die Landesverfassung 293 b)Traditionsbildung 294 c)Hauptstadtbeschluss 295 d) Integrationspolitik 300 e) Gemeinschaftserlebnisse303 5. Prognose306 6.Fazit308

VI.„GLIEDSTAAT“DER BUNDESREPUBLIK 311 DEUTSCHLAND 1. LondonerKonferenz311 2.FrankfurterDokumente312 3.Rittersturz-Konferenz313 4. HerrenchiemseerVerfassungskonvent316 5. ParlamentarischerRat318 6.Landtagund Grundgesetz 325 7.Bundesrepublik Deutschland 327 8. „Gliedstaat“Rheinland-Pfalz329 9. Fazit332

VII.ZUSAMMENFASSUNG 335

VIII.ANHANG 343 1. ListederVeröffentlichungen derKommission des343 Landtagsfür die GeschichtedesLandesRLP 2.Bildnachweis348

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EINLEITUNG

Indiesen Wochen jährt sichzum60.Maldie Gründung des LandesRheinland-Pfalz.Am30.August 1946–alsoein gutes Jahrnachdem Ende desZweiten Weltkriegesund desZusam- menbruchsderHitler-Diktatur –wurde sie vom Oberbefehls- haberderfranzösischen Zone GeneralPierre-Marie Koenig angeordnet.Kaumdrei Monatespäter–am22.November 1946–konstituiertesichdie Beratende Landesversammlung in Koblenz,umeine Landesverfassung auszuarbeiten,die – zeitgleichmitderersten Landtagswahl –am18. Mai1947 durchVolksabstimmung angenommen wurde.

Dieserneunmonatige Gründungsprozess sowie die ihm voran- gegangenen und nochnachfolgenden Entscheidungen zum AufbaudesLandesund seinerinneren Ordnung sind weitge- hend erforschtund vielfachbeschrieben worden. Zuden zahl- reichen Publikationen,die sichmitdiesen Ereignissen und ihrer Zeitbefassen,gehört auchdie von derKommission desLand- tagsfür die GeschichtedesLandesRheinland-Pfalzherausge- gebene Schriftenreihe,die bisher26Bände umfasst.Aufmehr als15 000 Seiten werden darin von den Bombenangriffen auf Mainzund Koblenz,überdie Versorgungskatastrophen der ersten Nachkriegsjahrebiszur Gründung desLandes,dem Auf- bauseinerstaatlichen Ordnung und den Maßnahmen zu sei- nerKonsolidierung die wichtigsten Themen derrheinland-pfäl- zischen Gründungs-und Aufbaugeschichtebehandelt.

Dervorliegende Band fasst aufrund 350Seiten die wesentli- chen Feststellungen dieser26Bände zusammen und gibt damitzugleichaucheinen Überblicküberdie Aufbaujahre unseresLandes.AufdieseWeisesoll dazu beigetragen wer- den,dass den Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzern –trotz dersechsJahrzehnte,die seithervergangen sind –die Ursprünge und Anfänge desLandesgegenwärtig bleiben. Selbstverständlichist diesnicht.Mehrdenn je beanspruchtdie Gegenwart unsereAufmerksamkeit,während unsereTräume

Überlebt:Mainzerin mitihren Kindernvordem LuftschutzraumanderPhilippsschanze 9 und Hoffnungen derZukunftgelten. Die Verbindungen zur Ver- gangenheitlösen sichdagegen zunehmend auf. Dasgiltauch für die EntstehungsgeschichteunseresLandes.

Werkenntnochdie Überlegungen und Entscheidungen der Alliierten,insbesonderederFranzosen,die zur Gründung unse- resLandesführten? Werkenntnochdie Rheinland-Pfälzerin- nernund Rheinland-Pfälzer,die diesesLand aufgebaut haben? Wem sagen die Namen Wilhelm Boden und PeterAlt- meier,HansHoffmann und Adolf Ludwig,Herbert Müllerund HansEiden,Fritz Neumayerund Wilhelm Rautenstrauchnoch etwas?Werdie Vergangenheitaus dem Blickverliert,lebtaber gefährlich. Daraufhatvorfast 200 Jahren schon derKoblen- zerJosef Görreshingewiesen:

„DerMenschfußtin derVergangenheit.DasVolk,welches seine Vergangenheitvon sichwirft,entblößtseine feinsten Lebensnerven allen Stürmen einerwetterwendischen Zukunft. Wehe alsouns,wenn unsereneueGestaltsosein würde,daß sie nur aus den Bedürfnissen derGegenwart ihrDasein schöp- fe!“

Von derKenntnisunsererVergangenheithängtauchdie ZukunftunsererDemokratie ab.Daraus resultiert daszweite Anliegen diesesBandes.Erwidmetsichschwerpunktmäßig dem Aufbauderdemokratischen Ordnung und den Bemühun- gen,die notwendig waren,umdie Menschen nachzwölf Jahren derDiktatur andieseOrdnung heranzuführen. Mittler- weile wirddie Demokratie alssoselbstverständlichhinge- nommen,dass oftkeine Vorstellung mehrdavon besteht,wie sie organisiert ist,welche Bedingungen erfülltsein müssen, damitsie funktioniert und weshalbmansie pflegen muss, damitsie fortbesteht.DieserRückblickaufdie Entstehungsge- schichtedesLandesmöchtedeshalbzur Auseinandersetzung mitdiesen Fragen anregen und dazu beitragen,die richtigen Antworten zu finden. ZugleichmöchteerdasBewusstsein dafür schärfen,dass esnichtnur mühsamwar,die demokrati-

10 sche Ordnung aufzubauen,sondernauchnur unterMühen gelingen wird,sie in Zukunftzubewahren. Insoweitsei anden Satz desverstorbenen Bundespräsidenten JohannesRauerin- nert:„Demokratie machtMühe,abersie ist derMühe wert.“

Vordiesem Hintergrund lagesnahe,die AufbaujahredesLan- desaus einerparlamentarischen Perspektivezu beschreiben. Dem Landtagund seinerVorgängerin,derBeratenden Landes- versammlung,wurde deshalbbesondereAufmerksamkeit gewidmet.Soweitmöglich,wurden die parlamentarischen Beratungen und die führenden Parlamentariermitihrem poli- tischen Werdegang in die Darlegungen miteinbezogen. Damit wirddem Umstand Rechnung getragen,dass derLandtagdas HerzstückderDemokratie unseresLandesist.Wie kein ande- resVerfassungsorganhaterdie Probleme desLandessowie die Sorgen und Hoffnungen seinerBevölkerung in den Grün- dungsjahren repräsentiert.

Die nachfolgenden Ausführungen zur Gründung und zumAuf- baudesLandessind in sechsKapitel untergliedert.DerSchil- derung desKriegsendesund derunmittelbaren Nachkriegszeit in den Gebieten desheutigen Rheinland-Pfalz(vgl. I.) folgteine Darstellung derEntstehungsgeschichteunseresLandes(vgl. II.),desAufbaus und derwachsenden Akzeptanzseiner demokratischen Ordnung (vgl. III.und IV.) sowie derKonsoli- dierung desLandes(vgl. V.). Ineinem letzten Kapitel gehtes schließlichumdie Gründung derBundesrepublik Deutschland und den Anteil,den dasLand Rheinland-Pfalzanihrhatte(vgl. VI.). Alle Kapitel enden mitdem Übergang von derersten zur zweiten Wahlperiode desLandtagsam18. Mai1951. Der Landtagzog von KoblenznachMainzund setztedamitseinen Hauptstadtbeschluss aus dem vorangegangenen Jahrum. Ein halbesJahrzehntwarseitderLandesgründung vergangen und damitdie ersteEtappe aufdem Weg zur Stabilisierung des Landesund seinerdemokratischen Ordnung zurückgelegt.In diesem Jahrnahm auchdas„Wirtschaftswunder“Gestaltan, die Menschen im Land waren wiederin Arbeit,hatten zu essen

11 und ein –häufig nochnotdürftiges–Dachüberihrem Kopf. DasLand warkein Provisoriummehr.Grund genug,umden Rückblickmitdem Jahr1951 abzuschließen.

Mithilfe desLandeshauptarchivs in Koblenz,diverserStadtar- chive,desArchivs desLandtagsund anderen Bildgebernist esgelungen,diesen Rückblickreichzu bebildern. Über200 Fotografien und sonstigesBildmaterialergänzen den Text und führen den Leserinnen und Leserndie Nachkriegszeitund die maßgeblichen AkteureunmittelbarvorAugen. Allen,die bei derBildauswahl mitgeholfen haben,sei gedankt.DerDank gilt auchden Mitarbeiterinnen und MitarbeiternderLandtagsver- waltung,die großen Anteil daranhaben,dass dieserBand zustande gekommen ist.

Nochein Wort zumTitel diesesBandes.Aucherfindetsichin dereingangsgenannten Schriftenreihe. Erist Teil eines Appells,mitdem sichderOberregierungspräsidentderVer- waltungsprovinzMittelrhein-Saar,Hermann Heimerich, am1.Juni 1945 andie Bevölkerung wandte,umsie zur Mit- wirkung amAufbaudesLandesund seinerDemokratie zu bewegen. „Atmetauf! Packtan! HabtZuversicht!“,hieß esin seinerRede. DerAufbauist allenthalben gelungen. Längst sprichtmanmitBlickaufdie Bundesrepublik Deutschland von einer„geglückten Demokratie“ und beziehtauchdie Länder in dieseBewertung mitein. Heute,60 JahrenachderGrün- dung von Rheinland-Pfalzund dem Aufbauseinerdemokrati- schen Ordnung,gehtesdarum,dieseOrdnung zu bewahren und den Bedürfnissen derZeitentsprechend weiterzuentwik- keln. Auchdasgelingtnichtvon selbst und vorallem nichtvon heuteaufmorgen. Deshalbgelten nochimmerdie Appelle von damals:„Packtan“! Hab Zuversicht!“ Heutekönntemanhin- zufügen:„Nehmteuchein Beispiel!“ –andenen nämlich,die dasLand vorjetzt 60 Jahren aufgebaut haben.

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I.KRIEGSENDE UND ERSTE NACHKRIEGSJAHRE

1. Kriegsende

Alsam1.September1939derZweiteWeltkrieg mitdem Über- fall derdeutschen WehrmachtaufPolen begann,hatten man- che schon vorAugen,wie dieserKrieg enden würde. Derin Nackenheim geborene und in Mainzaufgewachsene Carl Zuckmayerschriebandiesem Taginseinem amerikanischen Exil:

„Ichweiß,ichwerde alleswiedersehn, und eswirdallesganzverwandeltsein. Ichwerde durcherloschene Städtegehn, darin kein Stein mehraufdem andernStein – und selbst wonochdie alten Steine stehn, sind esnichtmehrdie altvertrauten Gassen – ichweiß,ichwerde alleswiedersehn und nichtmehrfinden,wasicheinst verlassen.“

Soist esgekommen. 1942wurden mitTrierund Mainzerst- mals„rheinland-pfälzische“ Städtevon britischen Bomberver- bänden angegriffen und schwergetroffen. Anfang 1944 häuf- ten sichdie Luftangriffe;abererst im September1944 erreichten alliierteBodentruppen in derEifel „rheinland-pfäl- zisches“Grenzgebiet.Die deutschen Truppen verschanzten sichhinterdem sog. Westwall und brachten den Angriff zunächst zumStehen. Die Trier-KoblenzerBevölkerung des GauesMoselland wurde evakuiert.BisMitteDezember1944 hatten 180000 Menschen ihreHeimatin Richtung Osten ver- lassen. Indiesen Monaten verstärkten Amerikanerund Briten die Bombenangriffe aufdie linksrheinischen Städte. ImOkto- berwurde u.a.Triermehrfachbombardiert und schließlich geräumt.Inden KellernderInnenstadtlebten noch50Einwoh- ner.Zur selben Zeitbegannen die Deutschen mitden Planun- gen für einen Gegenangriff,dersog. Ardennenoffensive. Sie

März 1945:Amerikanische Soldaten besetzen Holsthumbei Bitburg 15 begann am16.Dezember1944,führtezu Geländegewinnen, waraberam25. Dezemberbereits gescheitert.70 000 deut- sche Soldaten starben,außerdem viele Zivilpersonen. AlsAnt- wort aufdie Offensivewurde am18. DezemberKoblenz,am 23.DezemberBitburgund am25. DezemberKaiserslautern, BadKreuznachund Bingen bombardiert.Ende Januar1945 hatten die alliierten Truppen ihreStellungen aus dem voran- gegangenen Jahrwiedererreichtund am12.FebruarmitPrüm die erste„rheinland-pfälzische“ Stadterobert.

AuchimWesten begann nundie alliierteEndoffensiveaufdas Reich. Am27.Februar1945 erfülltesichdie Prophezeiung Zuckmayers.Andiesem Tagwurde seine HeimatstadtMainz von Verbänden derRoyalAirForceangegriffen. 131Lancas- ter-,311 Halifax-und 15 Mosquito-Bomberwarfen innerhalb von 22 Minuten 514 000 Stabbrandbomben,235Sprengbom- ben und 484LuftminenüberdemStadtgebietab.Mindestes 1200 Menschen starben. 80%desStadtzentrumswurden zer- stört.NochineinerEntfernung von 50Kilometernwarzu sehen,dass die Stadtbrannte. Zerstört wurden auchdie Adels- paläste,die andie Zeiterinnert hatten,alsMainzein „Central- ort“desHeiligen RömischenReichesdeutscherNationund Sitz desReichserzkanzlers gewesen war.Auchdas Bombardierung Deutschhaus branntebisaufseine Außenmauern von Mainz ab.Hierhattegut 150JahrezuvorderRheinisch- deutsche Nationalkonventgetagt,dasersteauf Schulkinderin demokratischen Grundsätzen beruhende Parla- einem Koblenzer mentin Deutschland. Niemand ahnteimFebruar Luftschutzkeller 1945,dass essechsJahrespäterwiederaufgebaut und Sitz desrheinland-pfälzischen Landtagswerden sollte.

AmTagdesLuftangriffsaufMainzhatten amerikanische Trup- pen die Linie Prüm-Bitburg-Saarburgerreicht.14Tage später befand sichdasgesamtelinke RheinufernördlichderMosel einschließlichderStadtTrierund derBrücke von Remagen in amerikanischerHand,eine Woche daraufauchdie linksrheini- schen GebietebisBingen und in derfolgenden Woche das gesamtelinke RheinufereinschließlichderStadtMainz,die am 22.März von amerikanischen Truppen besetzt wurde. Am 24. März stand kein deutscherSoldatmehrlinksdesRheins; drei Tage späterwaren auchdie rechtsrheinischen Gebiete unseresLandeserobert.Die JointChiefsof Staff deramerika- nischen Streitkräftegaben bekannt,dass Deutschland „nicht zumZwecke derBefreiung“ besetzt werde,„sondernals besiegterFeindstaat“.

Bei ihrem Vormarschnahmen die Amerikanermehrals700 000 deutsche Soldaten auflinksrheinischem Gebietgefangen. Rund 250000 wurden im LagerRemagen-Sinzig und 100 000 im LagerBretzenheim bei BadKreuznachunterfreiem Himmel festgehalten. Alsdie Amerikanerdie linksrheinischen Gebiete Mitte1945 andie Franzosen übergaben,hatten sie zwareinen Teil derGefangenen bereits freigelassen,abereinige 10000 hatten die Lagerzeitnichtüberlebt.Sie waren anden katastro- phalen Lagerbedingungen zugrunde gegangen.

17 Einmarsch Rechts desRheinswaren die Kämpfe unterdessen amerikanischerTruppen weitergegangen. Am11. April erreichten die in Neuwied Westalliierten die Elbe,am16.April begann der sowjetische VormarschaufBerlin. Am30.April erschoss sichHitlerim BunkerderReichskanzlei und hissten russische Soldaten aufdem Reichstagdie roteFahne. Berlin, die HauptstadtdesDeutschen Reiches,warerobert.Inder Nachtvom 6.aufden 7.Mai1945 kapituliertedasOberkom- mando derdeutschen Wehrmachtim Hauptquartiervon US- GeneralEisenhowerin Reimsbedingungslos.Ein Tagspäter, am8.Maium23.01UhrMEZ, tratdie Kapitulation anallen Fronten in Kraft.Jetzt warderKrieg in sämtlichen Gebieten des Deutschen ReicheszuEnde.

2.Kriegsfolgen

WashattederKrieg angerichtet?Über170 000 Menschen der aufdem Gebietdesheutigen Rheinland-Pfalzansässigen Bevölkerung hatten infolge desKriegesihrLeben verloren, darunter20000 Zivilisten,meist Frauen und Kinder.Mehrals 100 000 Menschen hatten den Krieg nur schwerverletzt über- lebtund waren deshalbohne berufliche Perspektive,darunter viele junge Menschen,für die sichderBegriff„verlorene Gene- ration“ einbürgerte. Mehrals70000 Frauen hattederKrieg

18 zu Witwen gemacht,fast 80000 Kinderwaren Wai- ToteZivilisten sen geworden. Hunderttausende waren infolge nachBombenangriff derKriegsereignissetraumatisiert.Wer,wie die aufMainz Mainzer,während desKrieges1127 MalFlieger- alarmerlebtund allein im Januarund Februar1945 über200 Stunden in Luftschutzkellernumsein Leben gebangthatte, dessen Psyche konntenichtunversehrt geblieben sein.

Unterden Toten waren auchrund 25000 Juden. Sie waren keine Kriegsopfer,sonderninKonzentrationslagernermordet worden. Von den 3000 Mitgliedernderjüdischen Gemeinde von Mainzwaren nur 76 übrig geblieben. Nur wenige hatten rechtzeitig emigrieren können. „Die große Masseist in den Konzentrationslagernoderbei andererGelegenheitumge- kommen“,hieß esin einem Berichtdes„Neuen MainzerAnzei- gers“vom 10.September1947.Auchdie alten jüdischen Gemeinden in Wormsund Speyerwaren ausgelöscht.

Zerstört waren auchdie Städte:Prüm,Bitburg,Remagen,Zwei- brücken und Altenkirchen zu über70%,Koblenzund Mainz zu über60%. Auchfür sie galt,wasein amerikanischerOffi- zierangesichts derTrümmerlandschaftvon Münsterfeststell- te:„Itlookslike Pompeii.“ Die Innenstädtebestanden nur noch aus ausgeglühten Ruinen,Kirchturmstrünken und Bergen von Trümmernund Schutt.Auchviele ländliche GebieteinEifel und

19 Hunsrück,anRhein,Sieg und Nahe waren hart getroffen. Besonders dasKampfgebietmitden DörfernderLandkreise Bitburgund Prümentlang derLinie desWestwallswarverwüs- tet.ImRegierungsbezirkTrierwaren 50%allerGebäude zer- stört,im RegierungsbezirkKoblenz27%,in derPfalz25%,in Rheinhessen 21%und in Montabaur 13%. Von 770 000 Woh- nungen waren fast 90000 völlig zerstört,weitere90000 nicht mehrbewohnbarund 120 000 zumTeil schwerbeschädigt. Allein in Mainzsummierten sichdie Gebäudeschäden auffast 250Millionen RM, zu denen weitere300 Millionen RM für zer- störteWohnungs-und Gewerbeeinrichtungen kamen.

11 Rhein-,20 Mosel-,10Lahn- und 17Nahebrücken waren ebenfallszerstört; hinzu kamen weitere600 Brücken im Zuge von Autobahnen und Straßen. Von rund 13000 Kilometern Straßen waren nur noch30 %ineinem passablen Zustand,von 5667 KilometernSchienenweg nur 500 Kilometerbefahrbar und von 28000 Lkws nur noch11000 betriebsfähig.

Die Industrie warweitgehend stillgelegt.Von 1470 Fabrikge- bäuden derLudwigshafenerBASF waren nur 6%unbeschä- digtgeblieben. 37 000 Menschen hatten hiergear- ZerstörteMainzer beitet.ImMai1945 lief die Produktion mitgerade Rheinbrücke mit einmal800 Beschäftigten wiederan. Auchdie dem ausgebrannten LandwirtschaftwarerheblichinMitleidenschaft Deutschhaus gezogen worden. Von 192000 landwirtschaftli- chen Betriebsgebäuden waren 43000 ganzoderteilweisezer- stört.1000 haAckerflächen waren allein in den Grenzregionen nichtmehrnutzbar.250haWeinberge waren ganz,2500 ha Rebland teilweiseverwüstet.Die Milcherzeugung betrugbis 1948 landesweitkaumnoch40%derVorkriegsmenge. Die kriegsbedingten Gesamtschäden in derLandwirtschaftwurden von derLandesregierung 1951 mitrund 500 Millionen DM angegeben,den Verlust persönlicherHabenichteingerechnet. Kaumein Land derspäteren Bundesrepublik warvom Krieg so sehrin Mitleidenschaftgezogen worden wie dasspätereRhein- land-Pfalz.

3.Nachkriegssorgen

Zuden Lasten,die derKrieg hinterließ,kamen die Sorgen der Nachkriegszeit:die Angst vorden Besatzungsmächten,das Warten aufvermissteAngehörige und Kriegsgefangene,vor allem aberdie katastrophale Wohnungs-undVersorgungslage.

Inden Gebieten desheutigen Rheinland-Pfalzfehlten rund 300 000 Wohnungen für eine knappe Million Einwohner.Ein Teil desnochvorhandenen Wohnraumswurde zunächst von den Amerikanernund dann von den Franzosen beschlag- nahmt,umdasBesatzungspersonalunterzubringen. Die ohnehin dramatische Wohnungssituation wurde dadurchwei- terverschärft.Wernochinden Städten lebte,hausteinBarak- ken und Bunkern,Ruinen und Kellern. Werin den letzten Kriegswochen vorden Bombenangriffen aufsLand geflohen oderdorthin evakuiert worden war,teiltesichden knappen WohnraummitderLandbevölkerung. 10bis12qm standen dort jedem zur Verfügung.Inden Städten waresnochweni- ger,durchschnittlich5bis8qm. Trotzdem wollten die meisten Städter,die esaufsLand verschlagen hatte,wiederzurück. Wegen derchaotischen Wohnungssituation gelang diesnur wenigen. Für die anderen wurden die Städtegesperrt.Sowar esin Ludwigshafen und Frankenthal,in Mainzund in Worms,

21 „Kellerkinder“in auchinKaiserslauternund in Zweibrücken. Allein Koblenz in Mainzgab esMitte1946noch30 000 Woh- nungssuchende. Aufdem Land waren die Städter nichtmehrwillkommen. ZumTeil mussten sie dort zwangswei- seeinquartiert werden,wasdie Spannungen verschärfte. Im KoblenzerRaumspitztesichdie Situation derart zu,dass dort ein Regierungskommissarfür die Umquartierung bestelltwer- den musste. Die Wohnungssituation derNachkriegsjahre umschreibtamEindringlichsten dasWort „Kellerkinder“. Es stand für Zerstörung,Hoffnungslosigkeitund Einsamkeit, auchfür Verwahrlosung.

DasLeben in den Ruinen warentbehrungsreichund lebens- bedrohlich. Ende 1945 stürztedasGebäude,in dem die Main- zerNeutorschule untergebrachtwar,ein und begrubeine Klas- sezwölfjährigerMädchen untersich. 17Kinder,die Lehrerin und derRektorderSchule starben. Eine Woche späterstürz- ten –wie der„NeueMainzerAnzeiger“berichtete–

„bei DunkelheitvierPersonen in Ausschachtungen,die zur Wiederherstellung derbeschädigten Wasser-und Stromleitun- gen vorgenommen wurden. GewissenloseMenschen hatten die hölzernen Absperrungen gestohlen,vermutlich,umsie als Brennholzzubrauchen …Die Ausgrabungen können nicht durchWarnlampen gesichert werden. Esist deshalbratsam, abendsnur solche Straßen zu begehen,deren augenblicklicher Zustand bekanntist.“

22 Esfehlteanallem,anStrom,Gas,Wasserund vor Trümmergrundstück allem anLebensmitteln. Seitdem Ende desKrie- in derMitternachts- gesherrschteeine Hungerkatastrophe,die insbe- gasseinMainz sondereaufdem ZusammenbruchdesWeltge- treidemarktesund dem Rückgang derGetreide- und Kartoffelproduktion in Deutschland beruhte,im Sommer1947 amschlimmsten warund bisweitinsJahr1948 dauerte. Wie in den anderen Zonen warauchdie Bevölkerung derfranzösi- schen Zone in „Selbstversorger“und „Normalverbraucher“ eingeteilt.Zuden einen zählten insbesonderedie Landwirte und ihreFamilienangehörigen,zu den anderen die sonstige, vorallem die städtische Bevölkerung. Umsie mitLebensmit- teln zu versorgen,hatten die LandwirteihreErnte,sonstige landwirtschaftliche Erzeugnissesowie Fleischund Wurst aus den Schlachtungen abzuliefern. Umihnen die Erfüllung ihrer Ablieferungspflichtzuerleichtern,wurde ihnen ein bestimm- terEigenanteil zugestanden,derdoppeltsohochwarwie die Ration für Normalverbraucher.Bei Kartoffeln betrugdasVer- hältnisin den Jahren 1946/47275kgzu 150kg und bei Fleisch 25kgzu 6,3kg. Trotzdem verweigerten viele Bauernimmer wiederdie vorgeschriebenen Abgabelieferungen,waszeitwei- sedazu führte,dass die Militärregierung Panzerin die Dörfer schickte,umdie Ablieferungspflichten durchzusetzen. Noch häufigerwaren Großrazzien derPolizei und derFeldgendar- men. Aberdaswaren letztlichnur Zeichen derHilflosigkeit.Die 220 000 Bauernhöfe in Rheinland-Pfalzließen sichnichtlücken- loskontrollieren.

23 Umdie vorhandenen Lebensmittel gerechtzuverteilen, behielten die Amerikanerund späterdie Franzosen dasRatio- nierungssystem bei,dasbei Kriegsbeginn von den Deutschen eingerichtetworden war.Danacherhielten die Normalverbrau- cher–unterteiltin zehn Untergruppen (von den Säuglingen bis zu den Schwerarbeitern) –wöchentlichbestimmteMengen der zur Verfügung stehenden Lebensmittel aufbesondere Bezugsscheine,den sog. Lebensmittelkarten,die auch„Hun- gerkarten“ genanntwurden. Statt desNormalbedarfsvon 2500 bis3500 Kalorien für einen arbeitenden Menschen,der in Kriegszeiten nichtunterschritten worden war,bekamen die Normalverbraucherzwischen 1945 und Mitte1948 kaum1000 Kalorien. Die genauen Mengen waren in den einzelnen Regio- nen und je nachJahreszeitunterschiedlichund davon abhän- gig,obauchKartoffeln zur Verfügung standen.Injedem Fall lagdie Kalorienzahl unterhalbdesExistenzminimumsvon 1500 Kalorien. ImJuli-BerichtdesJahres1946vermerktedasWirt- schaftsamtLandau:

„Täglichsprechen Hundertevon Personen beim städtischen Wirtschaftsamtvor,die flehentlichst bitten,sie dochnichtver- hungernzu lassen. Sie versichern,daßsie schon wochenlang ohne Kartoffeln und tagelang ohne Brotsind und sichvon durchgemahlenem Salatund ebensobehandelten Kartoffel- schalen ernähren. DasDurchsuchen von Müllkästen nachAbfäl- len ist eine tägliche Beschäftigung hungernderKinder.“

Die Brotkrise,die aufungenügende Getreideeinfuhren zurück- zuführen war,wurde durchden Mangel anKartoffeln verschärft. Die Trockenheit,die bisSeptember1947anhielt,verursachte die schlechtesteKartoffelerntedesJahrhunderts.Außerdem hatten die Normalverbraucherunterderunregelmäßigen und völligunzureichenden Zuteilung von Fett,Eiernund Milchund demvölligenFehlenvon Früchten und Gemüsezu leiden.

Die Menschenbegannen von ihren körperlichen Reserven zu leben. InTrierwaren 29,7%derKinderschlechtund 6,7%

24 unterernährt.ZahlloseStädter zogen aufsLand,umsichLe- bensmittel zu besorgen. Die sog. Hamsterzüge waren mit Tausenden von Menschen be- völkert.Werkeinen Platz in den Waggonsfand,stand aufden Trittbretternund Puffernoder saßaufden Wagendächern. Solange die Städternochüber Geld verfügten,konnten sie für Kartoffeln und Brotbezahlen. AlsihreGeldreserven erschöpft waren,tauschten sie Kleider und Schuhe gegen Lebensmittel ein,späterHaushalts-und Ein- richtungsgegenstände. 1946/47 hatten viele nichts mehr,wassie nochhätten tauschen können. Eswuchsdie Zahl derer,die in den Dörfernvon Haus zu „Hamsterzug“ Haus zogen,umsichein StückBrotodereine Hand voll Kartoffeln zu erbetteln. Anderesuchten in den Äckernnach letzten Kartoffelresten oderplünderten nachts die Felder.Der Felddiebstahl nahm schließlichsolche Ausmaße an,dass die Landesregierung im Frühjahr1947nächtliche Ausgangssper- ren verfügen musste.

Hungerund Unterernährung beeinträchtigten auchdie Produk- tivitätderWirtschaft.Viele Arbeiterwaren aufHamsterfahrten unterwegsoderkonnten nur zwei bisdrei Stunden amTagwirk- licharbeiten,weil sie zu größeren Anstrengungen nichtmehr fähig waren. ImHerbst 1947betrugdie Arbeitsproduktivitätoft nur nochein Drittel desnormalen Wertes.Anfang September 1947wollten die Arbeitnehmerinnen einerSchuhfabrik in Pirmasensnur noch24Stunden in derWoche arbeiten,weil sie sichvon ihrem Verdienst ohnehin nichts kaufen konnten. Die Reichsmarkhatteihren Wert verloren. Zigaretten wurden zur

25 Ersatzwährung. ImJuni 1948 verweigerten 15 000 hungernde Arbeiterin Ludwigshafen die Arbeit,und am16.Juni 1948 drohtederLandtagsogarseine Selbstauflösung für den Fall an,dass die Militärregierung nichtendlicheine Verbesserung derVersorgungslage herbeiführen würde.

Seitdem die Franzosen MitteJuli 1945 die ihnen zugewiese- ne Zone besetzt hatten (vgl. S.47ff.),hatten sie nur wenig zur Linderung derHungersnotbeigetragen. ImGegenteil:Aufder Grundlage derHaagerLandkriegsordnung versorgten sie aus dem vorhandenen Lebensmittelbestand bisMitte1948 ihrMili- tär-und Besatzungspersonalsowie deren Familienangehörige. Dieswaren zeitweiseeinige Hunderttausend Personen (vgl. S. 54 ff.). Biszu10%desNahrungshaushalts wurden soderein- heimischen Bevölkerung entzogen. Allein die Lebens-und Futtermittel,die zwischen Juni 1945 und Juni 1948 andie Franzosen geliefert werden mussten,hatten einen Wert von mindestens561Millionen DM.Die Entnahmen trugen dazu bei,dass die französische Zone bald als„Hungerzone“ galt, jedenfallswurden ihreBewohnerschlechterversorgtalsdie Menschen in den anderen Zonen. Mitte1946standen in der amerikanischen Zone für jeden Einwohner1330,in dersowje- tischen 1083und in derbritischen Zone 1050Kalorien zur Verfügung,dagegen waren esin derfranzösischen Zone z.T. wenigerals1000 Kalorien.

Allerdingsging esden Franzosen zu Hausenichtviel besser. Auchdie französischen „Normalverbraucher“lebten von den Rationen,die ihnen zugeteiltwurden,und die waren manch- malnochknapperbemessen alsdie Rationen im Besatzungs- gebiet.Imrestlichen Europawardie Situation nichtwesentlich anders.MitAusnahme von Großbritannien,den skandinavi- schen Ländernund derSchweizlitt dergesamteKontinent unterderHungerkatastrophe.

Ab Mitte1946verhinderten Lebensmittellieferungen aus dem Ausland,dass die Menschen in den Gebieten desheutigen

26 Rheinland-Pfalzverhungerten. Zuden Hilfen gehörten die sog. Carepakteaus den USA.NacheinerMeldung der„Rheinpfalz“ vom 21. Februar1948 wurden vom September1946bis Februar1948 insgesamt734300 CarepaketeinRheinland- Pfalzverteilt,die meisten miteinem Gewichtvon fünf Kilo- gramm. Sie enthielten in derRegel Lebensmittel für 30 Mahl- zeiten und bestanden aus Büchsenfleisch,Fett,Mehl,Kakao, Kaffee,Schokolade und Keksen,zuweilen fanden sichauch Raritäten darin wie Zigaretten und Seife oderWindeln und Puderfür Kleinkinder.Eine Stadtwie Triererhieltim Sommer

1947täglich100 bis130 solcherPakete. InMainz Ausgabe halfen vorallem die Spenden derSchweizerCari- von Carepaketen tasweiter.Im„Schweizerdorf“,einerAnsammlung von Baracken amKurfürstlichenSchloss,wurden Kinderzwi- schen zwei und 14 Jahren verpflegtund mitKleidung versorgt. BisAnfang 1948 verteiltemandort knapp 700 000 Portionen hochwertigerLebensmittel,dazu 175Kommunion- und Kon- firmationskleider.

ImWinter1945/46und vorallem im Winter1946/47kamzum Hungerdie Kälte. Drei MonateFrost mitTemperaturen bis unterminus 20 Gradmachten den zweiten Nachkriegswinter zu einem derhärtesten desJahrhunderts.Anden Fenstern

27 wuchsen die Eisblumen,weil die Wohnungen nichtbeheizt werden konnten. EsfehlteanBrennmaterial,vorallem an Kohle,die von den Franzosen beschlagnahmtwurde. Brenn- holzwurde zwarzugeteilt,dochmussteesvon den Menschen häufig selbst gefälltund nachHausetransportiert werden. In langen Kolonnen zogen z.B.die MainzermitKarren und Lei- terwagen zumOber-OlmerWald,umsichdort einige Ästeder abgeholzten Bäume zu sichern. Werdiesnichtkonnte–wie die Alten oderKranken –musstefrieren. ImDezemberbericht1946 desWirtschaftsamts Landauhieß es:

„Die in Notwohnungen und Baracken untergebrachten Perso- nen leiden entsetzlichunterderKälte;dort erstarren auchdie Kartoffeln zu Eisklumpen. Da die Holzzuteilungen nichtreichen, verfeuerndieseLeutejetzt ihreMöbel.“

InihrerNotversuchten vorallem die StädterBrennmaterialzu organisieren. Zuden bevorzugten Zielen gehörten die aufden Bahnhöfen stehenden WaggonsmitbeschlagnahmterKohle. InMainzentstand in diesen Monaten das„Kohle-Klauer-Lied“. NachderMelodie desSchlagers „Wenn bei Capridie rote Sonne im Meerversinkt“,sang man:

„Wenn bei Määnzdie roteSonne im Rhoi versinkt, uniwwermBohnhof die bleiche Sichel desMondesblinkt, ziehn die KohleklauermitihreSäckelcherzumBohnhof naus, unsie werfe im weiteBogen die Briketts raus. Undie Sterne,sie zeigen ihnen amFirmament, wenn die Polizei kimmthämlichoogerennt. Dann von Waggon zu Waggon dasalteLied erklingt, hört von fern,wie mansingt: Poli-Poli zieh dichzurick, jasonst kriehste3,4Briketts insGnick. Poli-Poli zieh dichzurück,deswärdein Glück.“

WasnachMainzerHumorklingt,vom KölnerErzbischof Josef Fringsausdrücklichgebilligtworden warund deshalbals

28 „fringsen“ in die Geschichteeingegangen ist,endetenichtsel- ten tragisch,soam7.März 1947,alsein 15-jährigerKohlen- diebin Mainzvon derPolizei erschossen wurde.

Zur Wohnungs-und Hungersnotund dem Mangel anBrenn- materialkamderKleidermangel. UnstillbarwarderBedarfan Wintermänteln,Arbeitskleidung und Säuglingswäsche. In Ludwigshafen wurden 1946für 1300 Säuglinge gerade einmal 871Windeln ausgegeben. Fallschirmseide warein begehrter Stofffür Hochzeitskleiderund Blusen,aus Hakenkreuzfahnen wurden Mädchenröcke und aus Wehrmachtsuniformen Hosen und Jacken für den „OttoNormalverbraucher“hergestellt. Schuhe gab eskaumund wenn,dann nur mitHolzsohlen. In Ludwigshafen hatten im Herbst 1946von 12000 Schülern 12%überhauptkeine Schuhe,15 %nur einen Schuhersatz und 24%sehrschlechteSchuhe. ImMai1946berichtetedie „Rheinpfalz“von derZuteilung von 44 500 PaarStoffschuhen für die gesamteProvinzHessen-Pfalz,in derweitübereine Mil- lion Menschen lebten. Aufdem Schwarzmarktim PirmasenserRaummusstemanvorderWährungs- Kindermit reform800 RM oder25bis30Pfund Mehl für ein zerschlissenem PaarSchuhe bezahlen. Schuhwerk

29 Überhauptkonntemanaufdem Schwarzmarkt–allerdingszu entsprechenden Preisen –soziemlichalleserwerben,wasman benötigte:Lebensmittel,Hausrat,Textilien,Baumaterialund Industrieerzeugnisse. Manche Waren wie Reifen,Motoren und Maschinenwaren überhauptnur aufdem Schwarzmarktzu erhalten. Sie kamen oftdirektaus derindustriellen Produkti- on,weil die Industrie von den Franzosen offenbarnochschwie- rigerzukontrollieren waralsdie Landwirtschaft.Eine weitere Quelle für den Schwarzmarktwardie Rheinschifffahrt.Aufdie- sem Weg kamen beträchtliche Warenmengen aus der Schweizund den Niederlanden. InMainzbefand sichder Schwarzmarktaufden Straßen derAltstadtrund umden Kirsch- garten,auchindereinen oderanderen Gaststätte. Dort waren auchdie SchieberzuHause,dieingroßem Stil ihreSchwarz- marktgeschäfteabschlossen. Bei einerTasse„Muckefuck“ wur- den auchschon maleinige hundert Flaschen „Schampus“ver- schoben oderLastwagenladungen mitSchuhen. Aufdem sog. grauen Marktwurden Kompensationsgeschäfteabgeschlossen und in den Geschäften „UT-Waren“ (Unter-der-Theke-Waren) verkauft.Wasnichtniet-und nagelfest war,wurde gestohlen und dasDiebesgut dann aufdem Schwarzmarktabgesetzt. Auchmithäufigen Razzien und Kontrollen wardem Treiben kein Ende zu bereiten.

Mittlerweile warauchCarlZuckmayeraus seinem Exil zurück- gekehrt und hatteseine Vaterstadtbesucht.Erberichtete davon in seinen Lebenserinnerungen:

„Ichging halbbetäubtdurchdie TrümmermeinerVaterstadt Mainz,stand vordem Schutt meinesElternhauses,konntemei- nen Schulweg nichtmehrfinden. Ichsahdie herzzerreißenden Suchzettel in den Bahnhöfen,Wände hoch,einerneben dem anderen,angeschlagen von all den Menschen,die einander verloren hatten. Ichsahdieseunheimlichen Bahnhöfe,voll von Harrenden,von Hoffenden und Hoffnungslosen,von Ungeheu- ernund Mördern,von Krüppeln,Flüchtlingen,von zermürbt und gebrochen heimkehrenden Kriegsgefangenen,von

30 Schwarzhändlern,Hungrigen,Strichjungen und -mädchen bevölkert und von Besatzungsleuten,die solche Beutejagten odervon ihrgeködert wurden.“

Sooderähnlichließ sichdie soziale Wirklichkeitauchinden anderen Gebieten desheutigen Rheinland-Pfalzund im übri- gen Reichsgebietbeschreiben. Manche fassten sie mitdem eherirritierenden Begriffvon der„Stunde Null“ zusammen, anderesprechen treffendervon einer„Zusammenbruchsge- sellschaft“.

4. Neuanfang

Sogroß die Notim Land und die Verzweiflung unterden Men- schen auchwar,dasLeben ging weiter.Viele suchten Trost und Orientierung in den Kirchen;die Gottesdienstewaren sogut besuchtwie lange nichtmehr.Tausende nahmen anden ersten Fronleichnamsprozessionen teil,die durchdie zerbombten Städteführten. Allein in Mainzwarvon mehreren tausend Andächtigen die Rede.

ZumTrost geselltesichzaghaftneuerLebensmut.Imberüch- tigten KriegsgefangenenlagerBretzenheim bei BadKreuznach entstand schon im Sommer1945 dasEnsemble „Die Optimis- ten“. Bereits im Herbst wurden ihm auswärtige Auftrittein Kreuznach,Bingen,derPfalzund amMittelrhein erlaubt.

24betagterheinhessische Juden kehrten im Juli 1945 aus dem KonzentrationslagerTheresienstadtnachMainzzurück. Michel Oppenheim,derersteMainzerKulturdezernent,grün- detemiteinigen von ihnen und wenigen überlebenden Main- zerJuden am9.November1945 in einem kleinen Raumdes RathausesamPulverturmwiederdie jüdische Gemeinde. Es dauertenochfast zwei Jahre,bisin derumgebauten Turnhal- le derFeldbergschule ein erstesGebetshaus eingeweihtwurde und die ersten Gottesdienstegefeiert werden konnten. AmTag

31 desjüdischen Neujahrs- festeshatten sichdie jüdi- schen Gemeinden von Mainzund Wiesbaden nahezu vollständig zur Einweihung eingefunden, ebenfallshohe Gästeder französischen Militärre- gierung,Vertreteraus der britischen und derameri- kanischen Zone sowie Mitgliederderdeutschen Verwaltung. Dasneue Michel Oppenheim, Gebetshaus wurde alsAusdruckdesjüdischen ersterMainzer Lebenswillensgedeutet.DerMainzerOberbürger- Kulturdezernent meisterKraus schloss seine Ansprache mitdem Bibelwort:„DerHerr läßtseinernichtspotten.“ Michel Oppenheim ließ in dieserZeitauchdie ersten Steinta- feln anderSynagoge und dem jüdischen Friedhof anbringen, die andie jüdischen OpferdesNationalsozialismus erinnern sollten:„Unseren OpfernzumGedenken. Den Mördernzur Schande. Den Lebenden zur Mahnung“,lauteteeine derIn- schriften.

Inden Städten hattemanunterdessen mitderBeseitigung von Schutt und Trümmernbegonnen. ImOktober1945 wurde in Mainzein „freiwilligerBevölkerungseinsatz“eingerichtet.Ein Jahrspäterwaren mitHilfe einerTrümmerbahn,deren Schie- nen querdurchdie Innenstadtliefen,in 47000 Tagewerken 50000 KubikmeterSchutt abgefahren worden. Mainzgaltals die bestgeräumteStadtamRhein. Alle Personen,die in den zurückliegenden zwölf Monaten regelmäßig einen Tagim Monatfür den Wiederaufbaugearbeitethatten,erhielten als Dank eine grüne Ehrenkarte,die eine bevorzugteBehandlung bei den städtischen Ämterngarantierte. Angesichts derlangen Schlangen,die sichnichtnur vorden Lebensmittelläden bil- deten,wardiesein nichtzuunterschätzendesPrivileg.

32 Bereits im Herbst 1945 begannen in fast allen Städ- Aufräumarbeiten in ten unseresLandesdie Theater-und Opernbühnen derMainzerInnenstadt ihreersteNachkriegsspielzeit.InKoblenzfanden die ersten Aufführungen nochimFoyerdesStadttheaters statt, daserst am1.Juni 1946mitLessings„NathanderWeise“ seine Einweihungsinszenierung erlebte. Die Menschen ström- ten in die Theater,auchwenn sie –wie in Koblenz–nochbis insJahr1947wegen deseiskalten Winters Holzund Kohle selbst mitbringen mussten.

ImNovember1945 kameserstmalszur einerFußballbegeg- nung zwischen Mannschaften aus verschiedenen Bezirken:VfR Frankenthalgegen TuSNeuendorf,bei dem damalsJupp Gauckel und Rudi Gutendorfspielten. 1946begannen die Meis- terschaftsspiele der„ZonenligaNord“. Die Ergebnissesind überliefert:Mainz05-1.FC Saarbrücken 2:4,WormatiaWorms -PhönixLudwigshafen 5:1,FKPirmasens-VfRFrankenthal2:3, VfRKaiserslautern-SV Kaiserslautern0:0.DasSpiel Borussia Neunkirchen -1.FC Kaiserslauternwarausgefallen.

Kerb, Kirmesund Kirchweih wurden wiedergefeiert,auch Wein- und Winzerfeste. Bereits 1946strömten 20 000 Men- schen in fünf Tagen in die ZeltedesMainzerWeinmarktes.Die Militärregierung hatte100 000 Flaschen Wein spendiert.Der „NeueMainzerAnzeiger“vom 24. September1946sprachvon

33 einem „Ansturmvon grotesken Ausmaßen“. Soverbreitet Apathie und Resignation auchwaren,Lebenslust,jaLebens- giertraten hinzu.Schon Ende 1945 waren drei Mainzerzum französischen Stadtkommandanten,MajorLouisKleinmann, zitiert und von ihm gefragtworden:„Meine Herren,wann fan- gen Sie mitdem Wiedererstehen derMainzerFastnachtan?“ Zuden drei Mainzerngehörteder„Fassenachter“Seppel Glückert.Höhepunktderersten Veranstaltungen im Februar 1946warseine Feststellung:„Merkenne noch!“ Deraufkom- mende Frohsinn waraberselten ausgelassen. DasMottolau- tete:„Lache unterTränen,und Duwirst ihrerHerr“. 1950zog die MainzerSitzungsfastnachtinswiederaufgebauteKurfürst- liche Schloss.1951 hörtemandort zumersten Maldie neue Strophe einesalten MainzerFastnachtsliedes:

„Wenn ichemol de Herrgott wär’, dann wüssteichnur eens: Ichnähm’ in meine Arme fest moi armzertrümmert Meenz. Ichstreichle esganzsanftund mild und sag:Hab’nur Geduld! Ichbaudichwidderaufgeschwind, Denn duwarst jagarnetschuld. Ichmachdichwidderwunnerschee, dukannst,duderfst nitunergehn. Heile,heile Gänsje…“

Seppel Glückert Zur selben Zeitwurde dasbenachbarteDeutsch- haus,dasbeim LuftangriffaufMainzzerstört worden war,wiederaufgebaut.HiersolltederLandtagdes zwischenzeitlichgegründeten Rheinland-Pfalzab der2.Wahl- periode sein neuesDomizil erhalten. 550000 Steine,1850 KubikmeterKiesund Sand,8500 SackZement,720 SackGips, 100 KubikmeterBauholz,170 Tonnen Eisen und 45 Doppel- zentnerSchieferwaren notwendig,ummitdurchschnittlich230 Arbeitskräften an153Arbeitstagen dasbisaufdie Außenmau- ernabgebrannteDeutschhaus wiederentstehen zu lassen.

34 Auchananderen Stellen derStadtund desLandes Räumungsarbeiten in der forciertemanden Wiederaufbau.Gleichzeitig Ruine desDeutschhauses verbessertesichdie Ernährungssituation. Im Januar1950wurden die letzten Lebensmittelkarten ausgege- ben und im April endetedasRationierungssystem,daself Jahrezuvoreingeführt worden war.Der„Normalverbraucher“ wurde zur historischen Figur,ebensodie „Trümmerfrau“,die auchinden rheinland-pfälzischen Städten zumAlltagsbild gehört hatte. Die unmittelbareNachkriegszeitwarzuEnde gegangen und mitihrdie schlimmsten Entbehrungen.

Vordiesem Hintergrund entstand aufAnordnung und mitHilfe derfranzösischen BesatzungsmachtdasLand Rheinland-Pfalz, wurde seine demokratische Ordnung aufgebaut und gesichert, seine Zugehörigkeitzur Bundesrepublik Deutschland vollzogen und den Menschen wiederHaltgegeben. Begonnen hatte dieseAufbauphasemitAufrufen,die überall im Lande zu hören und zu lesen waren:„Atmetauf!“,„Packtan!“,„HabtZuversicht.“ Eswaren Appelle einigerBürgerinnen und Bürger,die sich aufgemachthatten,umaufden Trümmernund Ruinen des Kriegeseine neue,gerechteund friedliche Ordnung aufzu- bauen.

35

II.RHEINLAND-PFALZ ENTSTEHT

1. Die amerikanische Besatzungszeit

a)Verwaltungsaufbau: Da die amerikanischen Truppen die GebieteunseresLandeserobert hatten,blieben sie zunächst auchdort,zumaldie genaueAufteilung derwestlichen Besat- zungszonen nochnichtfeststand. Anfang April 1945 räumten sie lediglichdie südpfälzischen LandkreiseBergzabern,Ger- mersheim und Landausowie den Land- und den Stadtkreis Speyerzugunsten derFranzosen,die anderEroberung die- sessüdpfälzischen Landstrichsbeteiligtgewesen waren. Bisauf Weitereswurden dieseKreisevon den Franzosen hermetisch abgeriegelt,sodass jederGüteraustauschund Personenver- kehrin dasbenachbarteamerikanische Besatzungsgebiet unterbunden wurde.

Die Besatzungszeitbegann mitdem Aufbaueinerneuen Ver- waltung. Viele Verwaltungsstellen waren in den letzten Kriegs- wochen insRechtsrheinische verlegtworden und zahlreiche Bürgermeisterund Landräteüberden Rhein in dasnochunbe- setzteReichsgebietgeflohen. Da sichauchein Großteil der Beamtenschaftin alle Winde zerstreut hatte,wardie Verwal- tungstätigkeit–vorallem aufregionalerEbene –weitgehend zumErliegen gekommen. Bereits im März und April 1945, d. h. nochvordermilitärischen Kapitulation,setzten die Ame- rikanerdeshalbBürgermeister,Oberbürgermeisterund Land- räteein,überwiegend Männer,die durchdasDritteReichnicht belastetwaren. Einige von ihnen standen schon bald ander SpitzedesLandes.Zuihnen gehörten u.a.Wilhelm Boden und HannsHaberer,auchHansHoffmann und Franz-Josef Wuer- meling. Boden wurde am20.April 1945 zumLandratvon Altenkirchen ernannt; erkehrtedamitin dasAmtzurück,in das erbereits während derWeimarerRepublik berufen worden war. 20 Monatenachseinem Amtsantritt sollteerersterMinister- präsidentvon Rheinland-Pfalzwerden. HansHoffmann,ein Sohn desfrüheren bayerischen Ministerpräsidenten Johannes

Landesfahne vordem Hotel Rittersturz bei Koblenz 37 Hoffmann,wurde amselben TagOberbürgermeistervon Lud- wigshafen. Wenig spätersollteerim ersten Kabinett Altmeier Finanzministerwerden. Etwazur selben Zeiternannten die Amerikanerden späteren Wirtschaftsministerund langjährigen Chef derStaatskanzlei HannsHabererzumLandratvon Neu- stadtund Franz-Josef Wuermeling,derspäterStaatssekretär im rheinland-pfälzischen Innenministeriumund Bundesfamili- enministerwerden sollte,zumBürgermeistervon Linz.

Wilhelm Boden, AuchderspätereInnenministerJakobSteffanwar HannsHaberer, bereits in Amtund Würden. Ihn hatten die Ameri- HansHoffmann, kaneram27.März 1945,d. h. fünf Tage nachdem JakobSteffan(v.l.n.r.) sie die Stadtbesetzt hatten,zumPolizeipräsidenten von Mainzernannt.Seine Aufgabebestand im Wesentlichen darin,die Polizei wiederaufzubauen. Sie erhielt eingefärbteWehrmachtsuniformen und Armbinden und dien- teden AmerikanernalsHilfstruppe,vorallem bei derBekämp- fung derumsichgreifenden Plünderungen. Viel ausrichten konntesie allerdingsnicht.Zumeinen warderPersonalbestand gering,zumanderen galten die nächtlichen Ausgangssperren –jedenfallsanfänglich–nichtnur für die Zivilbevölkerung, sondernauchfür die Polizei. „Die Nächte“ –schreibtHeinz Leiwig –„gehörten marodierenden Gruppen.“

Zwischen dem 10.und dem 25. April lösten amerikanische Besatzungstruppen die Kampfeinheiten der1.,3.und 7.ame-

38 rikanischen Armee ab.Am25. April übernahm die Die kommandierenden Führung desXXIII.Korpsder15. US-Armee die Generäle der Funktion einerMilitärregierung für die Bezirke US-Kampfeinheiten Koblenz,Trier,Pfalz,Rheinhessen und dasSaar- in derPfalz land. ErsterMilitärgouverneur wurde MajorGene- Patch(l.) und Devers ralHugh J.Gaffey,dersein Hauptquartierin Idar- Oberstein hatte. Ihm waren rund 36 000 Mann unterstellt,zu denen innerhalbderfolgenden vierWochen weitere20 000 Soldaten kamen. Zuseinen vordringlichsten Aufgaben gehör- tedie Errichtung einerZivilverwaltung,derAufbaueinerMili- tärpolizei und die Betreuung von rund 100 000 Personen ver- schiedenerNationalitäten,die von den Nationalsozialisten während desKriegesin dasGebietamMittelrhein verschleppt worden waren (displaced persons). b)Provinz„Saar-Pfalzund Rheinhessen“: Eine derersten Maß- nahmen derMilitärregierung wardie Einsetzung der„Provin- zialregierung Saar-Pfalzund Rheinhessen“. Sie erfolgteam 10.Mai1945,alsobereits zwei Tage nachderKapitulation der Wehrmacht.Zuihrem Zuständigkeitsbereichgehörten das ,Rheinhessen mitdem rechtsrheinischen Teil des StadtkreisesMainzund die Pfalz,allerdingsohne die südpfäl- zischen Landkreise,die –wie gesagt–imApril 1945 andie Franzosen übergeben worden waren. Sitz dieserersten über- regionalen deutschen „Regierung“ nachdem Krieg wurde das pfälzische Neustadt,woauchdie zuständige Militärverwaltung unterOberstleutnantNewmanstationiert war.Offenbarhing diesdamitzusammen,dass hierdie Gauleitung für die Pfalz

39 und späterauchfür dasSaarland untergebrachtwarund die Stadtdeshalbals„HauptstadtderWestmark“ angesehen wurde.

Andie Spitzederneuen Regierung wurde am18. Mai1945 der frühereOberbürgermeistervon Mannheim Hermann Heime- richberufen,ein Sozialdemokratund Jurist,den die National- sozialisten bereits 1933 alsOberbürgermeisterabgesetzt hat- ten. Zuden MitgliedernseinerRegierung gehörtealsLeiterder Abteilung für dasGesundheitswesen und späterauchfür Ernährung und LandwirtschaftAlexanderMitscherlichund zu den MitarbeiternDolf Sternberger,derdasdem Oberpräsiden- ten unmittelbarunterstellteNachrichten- und Presseamt übernahm. Mitscherlichsollte1966 die Leitung desSigmund- Freud-Instituts für PsychoanalyseinFrankfurt übernehmen und vorallem durchsein gemeinsammitseinerFrauMargaretever- fasstesWerk„Die Unfähigkeitzutrauern“ größereBekanntheit erlangen;Sternbergerwurde 1960 auf den Lehrstuhl für politische Wissen- schaften derUniversitätHeidelberg berufen und wardann lange JahrePrä- sidentdesdeutschen P.E.N.-Zentrums. Wie fast alle anderen Mitgliederund Mitarbeiterder„Regierung Heimerich“, stammten Mitscherlichund Sternberger aus dem Rechtsrheinischen;sie waren den Amerikanernvorallem von dem in Heidelberglehrenden Philosophen Karl Jaspers empfohlen worden.

InseinerRede anlässlichseinerAmtsein- führung legteHeimerichsein „Regie- rungsprogramm“ vor:gleiche Rationen für dasgesamteGebiet,Räumung der Straßen und Gehsteige von Schutt und Oberregierungspräsident Trümmern,Instandsetzung desStraßennetzes, Hermann Heimerich Aufbaueiner„Stafettenpost“,Beginn desElemen-

40 tarunterrichts,Bauvon Behelfsheimen,Beschaffung von Kohle und Nahrungsmittel etc.Auchdie „Frage derEinglie- derung von Mannheim,Heidelbergund desbadischen Landes in den BereichdesOberpräsidiums“warihm im Hinblick„auf die historische und wirtschaftliche Verflechtung mitderalten Kurpfalz“bereits ein Anliegen. Außerdem forderteer„eine ReformderGesinnung“. Vielesmüsse

„abgetanwerden,wasimmertieferin unseren Volkskörper gedrungen ist; die Korruption,die allzu große GiernachGeld und Gut,derNeid,die mangelnde Achtung vordem Alterund vordergeistigen Leistung,derRassenhaß,die Betrachtung des StaatesalsVersorgungseinrichtung und anderesmehr.Esmuß wiederein neuerIdealismus und eine wirkliche Ehrfurchtvor den ewigen Werten desmenschlichen Lebensund den gött- lichen Gesetzen aufgerichtetwerden.“

MitdieserMaßgabebegann die „Regierung Heimerich“ ihr Programm umzusetzen. Hierund dawurden die Schulen wie- dergeöffnet,etwain Worms,wodie Volksschulen für Kinder von sechsbisneunJahren mitinsgesamt16Klassen ihreArbeit aufnahmen. Schulkursefür Lehrerwurden vorbereitetund erste Überlegungen zur künftigen Konzeption von Schulbüchernund Lehrplänen angestellt.Die amerikanische Besatzungsbehörde beschränktesichinderRegel aufdie Überwachung derersten Aufbaumaßnahmen. c)Mittelrhein-Saar: MitWirkung vom 1. Juni 1945 wurde der Zuständigkeitsbereichder„Regierung Heimerich“ umdie ehe- malspreußischen Regierungsbezirke Trierund Koblenzerwei- tert,die von den Amerikanernbereits MitteMärz bzw.Anfang April wiedereingerichtetworden waren. Damiterstrecktesich die neueVerwaltungseinheitauchaufden rechtsrheinischgele- genen Teil desalten KoblenzerRegierungsbezirks.Heimerich erhielteine neueAmtsbezeichnung –erwarnunOberregie- rungspräsident–und seine Regierung eine neueBehördenbe- zeichnung:„dasOberregierungspräsidiumMittelrhein-Saar“.

41 Die Bezeichnung „Mittelrhein-Saar“wurde von deutscherSeite gewählt,vermutlichinAnlehnung andasvon den Franzosen 1801gebildete„GeneralgouvernementMittelrhein“,das etwadie gleiche territoriale Ausdehnung hatte. Die Bezeich- nung „Saar“warabsichtlichangefügtworden,umzu unter- streichen,dass dasSaargebietein festerBestandteil Deutsch- landssei. 3,5Millionen Menschen lebten in dieserneuen Verwaltungsprovinz.

Dem Oberregierungspräsidenten waren fünf Regierungspräsi- dienunterstellt,je einesfür die Pfalzund Rheinhessen,für Trier und Koblenzsowie für dasSaarland. Regierungspräsidentfür TrierwarseitMärz 1945 derGeschäftsführerderdortigen Pau- linus-Druckerei Wilhelm Steinlein,derspäterStaatssekretärim Ministeriumfür Wirtschaftund Verkehrwerden sollte. Regie-

42 rungspräsidentfür Koblenzwurde am5.Juni derLandratdes KreisesAltenkirchen und spätereMinisterpräsidentWilhelm Boden,Regierungspräsidentfür Rheinhessen am19. Juni der MainzerPolizeipräsidentund spätereInnenministerJakobStef- fan. Amselben Tagwurde derOberbürgermeistervon Lud- wigshafen und spätererheinland-pfälzische Finanzminister HansHoffmann RegierungspräsidentderPfalz.Erhatteseinen Sitz in Neustadt,dain Kaiserslautern–wooffenbardasRegie- rungspräsidiumzunächst errichtetwerden sollte–kein geeig- netesPersonalzu finden war.Allerdingskonnteererst Anfang Juli nachNeustadtkommen,damaninLudwigshafen keinen Nachfolgerfür ihn hattefinden können. DasRegierungspräsi- diumderPfalzstand deshalbzunächst nur aufdem Papier. Hoffmann und Steffanwaren Sozialdemokraten. Boden hatte während derWeimarerRepublik dem Zentrumangehört und sichnachdem Krieg –ebensowie Steinlein –derCDP ange- schlossen. „Mittelrhein-Saar“umfasstejetzt dasgesamte BesatzungsgebietdesXXIII.Korpsder15. US-Armee.

Bereits am15. Juni hattedasOberregierungspräsidiumder amerikanischen Militärregierung Rechenschaftüberseine bis dahin geleisteteArbeitabzulegen. Seitdem die „Provinzialre- gierung Saar-Pfalzund Rheinhessen“ am10.MaiinNeustadt eingesetzt worden war,waren gerade 36 Tage verstrichen. In dieserZeitwardie „Regierung Heimerich“ mitachtPräsidial- direktoren und entsprechenden Hauptabteilungen aufgebaut und eine Reihe von Ämterneingerichtetworden:dasLandes- ernährungsamt,dasLandeswirtschaftsamt,dasLandesar- beitsamt,dasAmtfür Straßen- und Brückenbau,dasLandes- straßenverkehrsamt,dasLandesforstamt,dasLandesfinanzamt sowie die Reichspostdirektion und die Reichsbahndirektionen in Mainzund Saarbrücken. Die bisdahin von rund 60 Mitarbei- terngeleisteteArbeitbeschränktesichalsoüberwiegend auf den Aufbaueinerfunktionsfähigen Organisation. Zur Linde- rung derNotin derBevölkerung hattedie „Regierung Hei- merich“ nochwenig beitragen können. Wie sichbald zeigen sollte,bekamsie dazu auchkeine Gelegenheitmehr.

43 MitteMai1945 hattederamerikanische Rundfunk die Nach- richtverbreitet,dass dergrößteTeil desRheingebietesunter französische Besatzung kommen würde. Amtliche Informatio- nen darüberwaren abernichtzuerhalten. Nocham15. Juni 1945 stellteGeneralGaffeygegenüberHeimerichfest:

„Asfarasanotherpowermayoccupyanypart of thisareaI havenotbeen notified of anysuchplanforthe moment.“

Ob erüberden bevorstehenden Besatzungswechsel wirklich nichtunterrichtetgewesen war,sei dahingestellt.Jedenfalls einigten sichdie amerikanische und die französische Regierung am22.Juni 1945 überden Wechsel derBesatzungsmacht(vgl. S.49). Am27.Juni 1945 sahsichHeimerichveranlasst,zu ent- sprechenden „Gerüchten“ gegenüberden Mitarbeiternseines OberregierungspräsidiumsStellung zu nehmen und sie zur Fortsetzung ihrerArbeitaufzufordern,da„eine endgültige Ent- scheidung überdie Zoneneinteilung im Rheingebietnochnicht getroffen und auchfür die allernächsteZukunftnichtzuerwar- ten“ sei. Bereits eine knappe Woche später–am2.Juli 1945 –verständigten sichdie Befehlshaberder15. US-Armee und der1. französischen Armee aberschon überdie Modalitäten desBesatzungswechsels,auchdarüber,dass eram10.Juli erfolgen sollte.

Heimerichund seine Präsidialdirektoren traten daraufhin am 5. Juli 1945 von ihren Ämternzurück. Sie waren nichtbereit, mitden Franzosen zusammenzuarbeiten,zumalsie vermute- ten,dass dieseihreeigene,aus Emigranten bestehende Regie- rung mitbringen würden. AufVorschlagHeimerichsernannten die Amerikanernocham7.Juli HansHoffmann,dergerade sein AmtalsRegierungspräsidentderPfalzin Neustadtange- treten hatte,zumneuen Oberregierungspräsidenten von „Mittelrhein-Saar“. Einen Tagspäterbegaben sichHeimerich und seine „Regierungsmitglieder“aufdie andereRheinseite in die amerikanische Besatzungszone,wosie neueAufgaben übernehmen wollten. Heimerichwareinige Zeitalshessischer

44 Ministerpräsidentim Gespräch,wurde dann aber1949 wieder Oberbürgermeistervon Mannheim.

Zwei Tage nachdem Heimerichund seine Kabinettskollegen Neustadtverlassen hatten –am10.Juli 1949 also–übergab GeneralGaffeyin Idar-Oberstein die ProvinzMittelrhein-Saar mitmilitärischem Zeremoniell anden französischen General Montsabert.Überall im Land wurden blau-weiß-rotumrande- tePlakatederProvisorischen Regierung derfranzösischen Republik angebracht,mitdenen die Bevölkerung überden Besatzungswechsel informiert wurde. Die Textewaren überall gleich:

„Die französische Regierung hatnichtdie Absicht,dem Land weitereLeiden,zu denen,die esbereits erduldethat,aufzu- erlegen. Eswerden deshalbkeine weiteren Maßnahmen gegen die Einwohnerschaftgetroffen werden. Sie hatkeiner- lei Mißhandlungen zu befürchten… Jedochwirddie Bevölke- rung gewarnt,daßjedesAttentat,jede Sabotage oderZucht- losigkeithart unterdrücktwird.“

Die Übernahme derBesatzung verlief allesanderealsreibungs- los.Den Franzosen fehlten zumTeil die erforderlichen Trans- portmöglichkeiten,zumTeil wurden sie ihnen von den Ameri- kanernzur Verfügung gestellt.Eskamzu Verzögerungen. In AndernachetwawarderAbzugderUS-Truppen nichtvordem 18. Juli 1945 abgeschlossen.

Juli 1945: Mainz-Hechtsheim wirdvon den amerikanischen an die französischen Besatzungstruppen übergeben

45

2.Die französische Besatzungszeit a)Sieger-und Besatzungsmacht: Unterden Siegermächten desZweiten Weltkriegsnahm Frankreicheine Sonderstellung ein. Sie ging zurückaufdie militärische Niederlage,welche die französischen Truppen 1940gegen die deutsche Wehrmacht erlitten hatten. AlsFolge davon wardernördliche Teil Frank- reichseinschließlichderHauptstadtParisbesetzt und derrest- liche Teil von einereigenen französischen Regierung mitSitz in Vichyverwaltetworden,die abermitden Deutschen koope- rierte. Sie verlorjede Selbstständigkeit,alsauchdie bisdahin „freie Zone“ im November1942nachderLandung derAlli- ierten in Nordafrikavon den Deutschen besetzt wurde. Inden KreisderSiegermächtekonntesichFrankreichdeshalberst ein- reihen,alsGeneraldeGaulle in London dasProvisorische Nationalkomitee gründete,den französischen Widerstand unterseinerFührung vereinigte,die Befreiung Frankreichs unterBeteiligung seinerTruppen erreichteund schließlichim August 1944 in dervon Verbänden derfranzösischen Résis- tancebefreiten französischen Hauptstadteinmarschierte.

Während seine Divisionen mitamerikanischerAusrüstung und unteranglo-amerikanischem Oberbefehl gegen die deutschen Truppen kämpften,legtedeGaulle im August 1944 erstmals seine territorialen Forderungen vor.Sie reichten von derhol- ländischen GrenzebiszumBodensee und von derfranzösi- schen Ostgrenzebisweitüberden Rhein hinaus.ImNorden umfassten sie Köln,im Süden Karlsruhe und Freiburgund in derMittereichten sie bisvordie ToreFrankfurts.Nachdem Ende derKampfhandlungen sollten dieseGebietevon franzö- sischenTruppen besetzt werden. Schon bei seinem Aufenthalt in MoskauAnfang Dezember1944 gab de Gaulle gegenüber Stalin aberein weitergehendesZiel seinerPolitik zu erkennen: die Annexion deslinken Rheinufers und desRuhrgebietes.

Eine eigene Besatzungszone wurde ihm von Roosevelt,Chur- chill und Stalin während derKonferenzvon Jaltaim Februar

47 1945 zugesichert.Amerikanerund Briten ließen sichsogarauf die russische Bedingung ein,die französische Zone aus der amerikanischen und britischen herauszuschneiden. Deren Zuschnitt waram14. November1944 von derseitJanuar1944 in London tagenden EuropeanAdvisory Commission (EAC)– einem Kollegiumvon alliierten Berufsdiplomaten –festgelegt worden. Danachsolltedie britische Zone in dem hierinteres- sierenden Raumdasgesamtelinke Rheinuferbiszur französi- schen GrenzeamOberrhein und die rechtsrheinischen Gebie- tedesehemaligen preußischen RegierungsbezirksKoblenz umfassen. Dasangrenzende rechtsrheinische Gebietsolltebis zumBodensee zur amerikanischen Zone gehören. Aus Teilen dieserGebietesolltedie EAC, derseitEnde November1944 auchfranzösische Delegierteangehörten,für die Franzosen eine Westzone zusammensetzen.

Die Verhandlungen fanden getrenntund ohne Beteiligung der sowjetischen EAC-Delegierten statt.Mitden Briten konnten sichdie Franzosen offenbarrascheinigen. Sie würden den süd- lichen Teil derehemaligen preußischen Rheinprovinzabtreten, d. h. den alten preußischen RegierungsbezirkTrier GeneraldeGaulle auf mitdem Saarland und den Regierungsbezirk seinerRundreisedurch Koblenzmitseinen rechtsrheinischen Gebietstei- die französische Zone len. Hinzukommen würden nochRheinhessen und im Oktober1945 die Pfalz.

48 Eine entsprechende Vereinbarung verzögertesichaber,weil die AmerikanerdieseGebietebesetzt hielten und sichmitden Franzosen auchnichtüberdie aus ihrerZone auszugliedern- den Gebietsteile verständigen konnten. Die Franzosen ver- langten Nassau,Kurhessen,dasrechtsrheinische Hessen- Darmstadt,Baden und einen kleinen Teil Württembergs.Um diesen Forderungen Nachdruckzu verleihen,eroberten sie ent- gegen den alliierten Absprachen im April 1945 Karlsruhe, Rastatt und Baden-Baden sowie Stuttgart und Freiburg. Die Amerikanerempfanden diesalsProvokation und bestanden aufdem freien Zugang zur Autobahnlinie Karlsruhe-Stuttgart- Ulm. Am2.Maihattesichdie französische Delegation in der EAC offenbaraufdieseForderung eingelassen,dochscheiter- teein VertragsabschlussandeGaulle,derdie von französi- schen Truppen eroberten Gebietenichträumen wollte. Am 26.Maiberichtetedie „NewYorkTimes“von den Auseinan- dersetzungen und davon,dass de Gaulle Karlsruhe für die fran- zösische Zone beanspruche. ImJuni mahnteStalin den Ab- schluss derVerhandlungen an. Am14. Juni meldetedie „New YorkTimes“,dass de Gaulle sichmitden amerikanischen For- derungen abgefunden habe,umandie dringend benötigten Kohlelieferungen aus derfranzösischen Zone zu gelangen. Am 22.Juni 1945 kamesendlichzu einem Abkommen zwischen deramerikanischen und derfranzösischen Regierung,demzu- folge sichdie französischen Truppen hinterdie Autobahnlinie Karlsruhe-Stuttgart-Ulm zurückzuziehen hatten und Frank- reichalsKompensation dafür vierrechtsrheinische Landkreise im Westerwald erhalten sollte.

Die Verhandlungen überden Zuschnitt derfranzösischen Zone hatten deutlichgemacht,dass die Franzosen zwarin den Kreis derSiegermächteaufgenommen worden waren,abernur als Juniorpartnerakzeptiert wurden. Sie waren eben nichtnur ein „verspäteter“,sondernauchnur ein „halber“Sieger.Solages in derNatur derSache,dass sie auchnur eine „Siegermacht amKatzentisch“ waren. Zuden Konferenzen von Jaltaund Potsdamwurden sie nichteingeladen und derKapitulation der

49 Deutschen hatten sie lediglichalsZeugen beigewohnt.Signa- tarmächtewaren die „Großen Drei“ gewesen.

b)Besatzungsgebiet: Die französische Zone waraufGrund der vorangegangenen Absprachen zwischen den Franzosen ei- nerseits und den Amerikanernund Briten andererseits von der EAC am26.Juli 1945 verbindlichfestgelegtworden. Das Ergebniswarfür Frankreichenttäuschend. Seine Zone warmit 43000 Quadratkilometern–daswaren nur 12%desGesamt- territoriumsdesReiches–die mitAbstand kleinsteund mit5,9 Millionen Einwohnernauchdie bevölkerungsärmstedervier Besatzungszonen,in die Deutschland aufgeteiltwurde. Sie bestand aus einem überwiegend linksrheinischgelegenen Nordteil und einem rechtsrheinischen Südteil,die derfranzö- sischen Zone dasAussehen von zwei sichanderSpitzeberüh- renden Dreiecken gaben (vgl. S.46).

Die Nordzone,aus derspäterdasLand Rheinland-Pfalzhervor- ging,umfasstevorallem jene Gebiete,aus denen die Ameri- kanerzuvordie VerwaltungsprovinzMittelrhein-Saargebildet hatten (vgl. S.42). Daswaren die früheren preußi- Hinweisschild in Mainz schen Regierungsbezirke Koblenzund Trier,ein-

50 schließlichdesSaarlandessowie Rheinhessen und die Pfalz. Hinzugekommen waren die rechtsrheinischen KreiseOber-und Unterwesterwald,Unterlahn und St.Goarshausen. Dafür waren die rechtsrheinischen Vorortevon Mainzund Worms sowie eine Reihe weitererrechtsrheinischerGemeinden,die

früherzuRheinhessen gehört hatten,verloren ge- Rechts-und linksrhei- gangen. Sie blieben in deramerikanischen Besat- nischerTeil von Mainz zungszone. Dersüdliche Teil derfranzösischen Zone setztesichaus je einem Teil Badensund Württembergs zusammen und schloss den ehemaligen preußischen Bezirk Hohenzollern-Sigmaringen sowie den bayerischen Landkreis Lindauein. 1946bildeten die Franzosen daraus die Länder Baden und Württemberg-Hohenzollern,die 1951 aufGrund von Volksabstimmungen mitdem zur amerikanischen Zone gehörenden Württemberg-Baden zumBundesland Baden- Württembergzusammengefügtwurden.

Statt deserhofften zusammenhängenden Gebietesentlang desRheinshatten die Franzosen alsonur Bruchstücke histo- rischgewachsenerLändererhalten. Übrigenserhielten sie auch in Berlin,dasebenfallsunterden Siegermächten aufgeteilt

51 wurde,nur den mitAbstand kleinsten Teil,nämlichdie Bezir- ke Reinickendorfund Wedding,während derrussische Sektor aus acht,deramerikanische aus sechsund derbritische aus vier Bezirken bestand.

DasHauptquartierderFranzosen lagimSüdteil ihrerZone,in derKurstadtBaden-Baden,die kaumzerstört warund vorallem übereine Reihe exklusiverHotelsverfügte,in denen die Spit- zen derBesatzungstruppen und derBesatzungsverwaltung residierten,darunterdaszumHotelkomplex„Brenners Park- hotel“ gehörende,heuteabernichtmehrbestehende Hotel Stéphanie,dasalsHauptquartierund Sitz desOberbefehlsha- bers derfranzösischen Zone diente. Offenbarwarin Baden- Baden die Zeitstehen geblieben. Während Mainz,Ludwigsha- fen und derRest derfranzösischen Zone in großen Teilen zerstört waren,atmeteBaden-Baden immernochdie luxuriö- seAtmosphärederVorkriegszeit.Die Besatzerund ihreFami- lien genossen dasTreiben einerweitgehend sorgenfreien Kur- stadt.Da viele Vichy-Sympathisanten unterden Besatzern vermutetwurden,galtBaden-Baden –jedenfallsunterden linksgerichteten Gruppen in Frankreich–bald als Hauptquartier „Klein-Vichy“. ImÜbrigen stellten die Deutschen derfranzösischen nur nocheine Minderheitin derStadtdar.1946 Militärregierung lebten neben den 34000 einheimischen Einwoh- in Baden-Baden nernmehrals40000 Franzosen in Baden-Baden.

52 Die Grenzen zu den benachbarten Besatzungszonen wurden abgeriegelt.InAnlehnung anden „eisernen Vorhang“im Osten sprachmanschonbald vom „seidenenVorhang“im Westen. Manmüsse,sobeschriebesein französischerBesat- zungsoffizier,die Zonen voneinanderabschließen wie die Schotten einesHochseeschiffs,damitnichtderganzeRaum überflutetwerde,wenn die WasserdesNationalsozialismus wiedereindrängen. DieseAbschottung führtedazu,dass die verschiedenen Regionen derfranzösischen Zone von ihren bis dahin bestehenden territorialen,wirtschaftlichen und kulturel- len Verbindungen getrenntwurden. InderNordzone wurden Trierund Koblenzvom Rest dervormaligen preußischen Rhein- provinzgetrennt,die rechtsrheinischen,ehemalsnassau- ischen Kreisevom Territoriumderpreußischen ProvinzHessen- Nassau,Rheinhessen von Hessen und diePfalzvon Bayern. Mit anderen Worten:Die Zonengrenzefolgtestrategisch-militäri- schen Erwägungen,abernichtden bisdahin bestehenden und historischgewachsenen Landesgrenzen. c)Besatzungsorganisation: Oberbefehlshaberderfranzösi- schen Zone warseitdem 23.Juli 1945 derfranzösische Armee- generalPierre-Marie Koenig. Abererst mitder Verordnung Nr.1vom 28. Juli 1945 übernahm er GeneralPierre-Marie formell die Befehlsgewalt.Offensichtlichhatten die Koenig Franzosen die verbindliche Fest- legung derZonengrenzedurchdie EAC am26.Juli abgewartet. Koenig waram10.Oktober1898 in derNormandie alsSohn eines elsässischen Orgelbauers geboren worden. Seine militärische Lauf- bahn hattebereits im 1. Weltkrieg begonnen,1923 nahm erander Rheinland-Besetzung teil,1941/42 kämpfteerin Nordafrikagegen die Truppen von Generalfeldmarschall Rommel,1944 wurde erOber- kommandierenderderfranzösischen StreitkräfteinFrankreich und dann Militärgouverneur desbefreiten .Politischstand erde Gaulle nahe,zu dessen engsten Vertrauten erzählteund dessen deutschlandpolitischenVorstellungen erwährend sei- nerBaden-BadenerZeitohne Abstriche und mitNachdruck vertrat.Persönlichwarerwohl ein „einfacherund direkter Mann“. Socharakterisierteihn jedenfallssein Kabinettschef GeneralNavarre,derim Übrigen seine „Ungezwungenheit“ und „Gutmütigkeit“hervorhob.

AlsOberbefehlshaberunterstanden ihm die französische Kontrollratsgruppe in Berlin,die Besatzungstruppen und die missverständlicherweiseMilitärregierung genanntezivile Besatzungsverwaltung. Vertreten wurde erbei derKontrollrats- gruppezunächst von GeneralKoeltz,dem im Juni 1946Gene- ralRogerNoiretfolgte. DieseGruppe warnur eingeschränkt in die französische Besatzungsverwaltung eingebunden. Denn im Unterschied zu den anderen Alliierten,die ihren gesamten LeitungsapparatnachBerlin verlegten,bliebdas französische HauptquartiermitseinerLeitungsebene in Baden-Baden,wasu.a.zur Folge hatte,dass Koenig nur zu den Sitzungen desAlliierten Kontrollrats nachBerlin kam. Da erauchkeine besonderen Anstrengungen unternahm,die Ber- linerKontrollratsgruppe in dasBaden-BadenerInformations- und Entscheidungsgefüge einzubinden,fehlteihrdie Autori- tät,uminBerlin eine maßgebliche Rolle zu spielen. Daswar deshalbfatal,weil derKontrollratdasobersteGesetzgebungs- und ExekutivorganderAlliierten war,dasüberalle wesentli- chen militärischen,politischen,wirtschaftlichen und sozialen Fragen zu entscheiden hatte,die Deutschland alsGanzes betrafen.

Bei den Besatzungstruppen warGeneralMontsabert derVer- treterKoenigs.Bei Kriegsende bestandenseineVerbände aus rund einerMillion Soldaten. Anfang 1946waren davon noch rund 200 000 in derfranzösischen Zone stationiert,1947noch 75000.Sie waren dem Berichteinerparlamentarischen Unter-

54 suchungskommission derfranzösischen National- GeneralMontsabert (l.), versammlung zufolge „extrem schlechtgekleidet“; Administrateur auchihreAusrüstung warin einem „beklagenswer- GénéralEmille Laffon ten Zustand“. InderNordzone kamen die Truppen überwiegend aus den Partisanenverbänden derRésistance. Selbst erlittene Unbill wareine derUrsachen für kriminelle Übergriffe und Racheakte,unterdenen die Bevölkerung ins- besondereinden Anfangsmonaten derBesatzungszeitzulei- den hatte.

AnderSpitzederfür die gesamtefranzösische Zone zuständi- gen Militärregierung stand alsAdministrateur Généralder38- jährige Jurist Emille Laffon,dereinzige Zivilist unterden VertreternKoenigs.Seine Regierung,die ebenfallsin Baden- Baden ihren Sitz hatte,gliedertesichinvierGeneraldirektio- nen –Verwaltung,Justiz,Sicherheitsowie Wirtschaftund Finan- zen –,die jeweilsaus einerReihe von Abteilungen bestanden. Zur Generaldirektion für Verwaltungsangelegenheiten gehör- teu.a.die von Raymond Schmittlein geleiteteAbteilung für „Öffentliche Bildung“,die ihrerseits aus Unterabteilungen bestand,und zwarfür Hochschule,Unterrichtswesen,Kunst, Dokumentation und Kultur sowie für Jugend und Sport.Von dieserAbteilung wirdspäternochdie Rede sein (vgl. S.242).

55 Gouverneur Hettier Inden fünf Militärprovinzen derBesatzungszone de Boislambert (l.), wurde Laffon durchjeeinen Gouverneur (Oberster Gouverneur André Delegierter)vertreten,die überein hohesMaßan Brozen-Faverau Eigenständigkeitverfügten. Drei dieserMilitärpro- vinzen (Gouvernements)lagen in derNordzone, nämlichRheinland-Hessen-Nassau,Hessen-Pfalzund das Saarland (vgl. S.65ff.). Zuden dortigen Gouverneuren gehör- ten Claude Hettierde Boislambert und derJurist AndréBro- zen-Faverau.Dereine –einerderersten französischen Offizie- re,die de Gaulle 1940nachLondon gefolgtwaren –warseit dem 1. Dezember1945 Gouverneur in Rheinland-Hessen-Nas- saumitSitz in BadEms,derandere–ein Résistancekämpfer, derunterdem Decknamen „Brozen“ Partisanengruppen in Nordfrankreichgeführt hatte–ab dem 15. Juni 1946Gouver- neur von Hessen-PfalzmitSitz im pfälzischen Neustadt.

Ihnen waren Bezirks-und Kreisdelegiertenachgeordnet,wel- che die Kontrolle überdie Regierungsbezirke und die Kreise ausübten. Nur in derfranzösischen Zone blieben die Besat- zungseinheiten auchaufKreisebene (Délégationsde Cercles) bis1949 voll besetzt.Die rund 80Délégationsde Cercles bestanden durchschnittlichaus vierbiself Offizieren und stell- ten ein engesÜberwachungssystem sicher,mitdessen Hilfe die Franzosen die maximale wirtschaftliche Ausnutzung ihrer Zone erreichen wollten. Die deutschen Verwaltungen mussten

56 ein ÜbermaßanBerichten und Statistiken fertigen. IhreBeauf- sichtigung durchdie verschiedenen Stellen derMilitärregie- rung reichte„bisanden Rand derSchikane und wurden von deutscherSeiteauchsoempfunden“. Insgesamtgehörten 1946derzivilen Besatzungsverwaltung 16400 Personen an, darunter„auchsehrunpassende Elemente,die oftkeine Erfah- rung hatten oderviel zu altund manchmalauchzweifelhaft waren“. Sostand esim ersten Bericht,den derGeneralverwal- terLaffon nachParisschickte,wodie Besatzungsverwaltung bald in schlechtem Rufstand. Hettierde Boislambert sprach im Sommer1948 von einer„Staubwolke“ aufgeblähterVerwal- tungsapparate,aberauchvon „Parasiten derBesatzung“, womiterdie großzügig nachgeholten Familien meinte,welche dieZahl derfranzösischenStaatsbürgerin derZone –ohne das Militärpersonal–aufzeitweiseüber50000 Personen anstei- gen ließen.

Die Kompetenzen von Koenig alsOberbefehlshaberund Laffon alsChef derMilitärregierung waren nichtklarvoneinan- derabgegrenzt.Sokames,dass Laffon Entscheidungskompe- tenzen beanspruchte,die ihm Koenig nichtüberlassen wollte. JemehrZuständigkeiten Laffon für sichreklamierte,desto mehrversuchteihn Koenig zurückzudrängen und zu entmach- ten. Binnen wenigerWochen bauteersichdeshalbein aus über300 Personen bestehendeseigenesZivilkabinett unter derLeitung von GeneralNavarreauf,mitdem erdie Dienst- stellen Laffonsdoppelte. ImErgebnisführtedieszueinem institutionalisierten Dauerkonflikt.Denn Koenig und Laffon vertraten in den wichtigsten deutschlandpolitischen Angele- genheiten unterschiedliche Auffassungen. Laffon wollteeine Veränderung der„bizarren“ Zonengrenzen,eine stärkere Zusammenarbeitmitden beiden anderen Westmächten,eine Art deutschen Länderratfür die gesamtefranzösische Zone, mehrKompetenzen für die deutschen Stellen und schließlich auchLänderin ihren historischgewachsenen Grenzen. Nichts davon entsprachden Vorstellungen Koenigs.Eine Verständi- gung zwischen beiden waroffenbarauchdeshalbschwierig,

57 weil sie –auchjenseits derdeutschlandpolitischen Fragestel- lungen –kaumGemeinsamkeiten besaßen. Koenig warein Par- teigängerde Gaulles,Laffon sympathisierte–bei allerBewun- derung für de Gaulle –mitden Sozialisten,Koenig warein militärischerStratege,Laffon ein brillanterOrganisator,Koenig sammelteroutinierteGeneräle und Offiziereumsich,Laffon junge Sozialisten aus derWiderstandsbewegung. Die Rivalität zwischen beiden warbald auchfür Außenstehende offenkun- dig. Ende 1946berichtetederLeiterderbritischen Militärmis- sion ansein AußenministeriumnachLondon:

„DerHauptgrund für die gegenwärtigen Friktionen scheintmir zu sein,daßdasCabinetcivil von GeneralKoenig ständig Ent- scheidungen trifftund Anordnungen gibt,ohne Laffon oder seinen Stab zu konsultieren. Aus eigenerBeobachtung kann ichsagen,daßdasVerhältniszwischenden beiden spürbar spannungsgeladen („noticeblyelectric“) ist,selbst in der Öffentlichkeitbei höchst formellen Anlässen.“

Die französische Nationalversammlung versuchte,dasansich nichtvorgesehene Zivilkabinett Koenigsaufzulösen,scheiter- teaberdamitaufderganzen Linie. Solegtesichdie französi- sche Besatzungsverwaltung zunehmend selbst lahm. Das OrganisationschaosdauertebisNovember1947.Erst dann gelang esKoenig,Laffon zur AufgabeseinesAmteszuzwin- gen und dessen Position selbst zu übernehmen,bisdasAmt desGeneralverwalters im Februar1948 abgeschafftwurde.

Die Organisationsstrukturen in Pariswaren kaumbesseralsdie in Baden-Baden:Am7.Juli 1945 bildetedie Provisorische Regierung unterde Gaulle ein InterministeriellesKomitee für deutsche und österreichische Angelegenheiten,dem alle mit Besatzungsfragen befassten Ministerund derOberbefehlsha- berderfranzösischen Zone angehörten. Estratam20.Juli 1945 zu seinerersten Sitzung zusammen und verabschiedete in den ersten Nachkriegsmonaten die Richtlinien für die fran- zösische Besatzungspolitik. ImHerbst 1945 ging aus dessen

58 Sekretariatein selbstständigesGeneralkommissa- PierreSchneiter(l.) riathervor,daseigenständige Aufgaben wahrzu- und JohannesHoffmann, nehmen hatte,insbesonderedie Kontrolle der Ministerpräsidentdes Besatzungsverwaltung in Baden-Baden und die Saarlands1947–1955 Unterstützung derPariserRegierung in deutsch- landpolitischen Angelegenheiten. Zunächst waresde Gaulle unterstellt,einige Monatenachdessen Rücktritt wurde esim Sommer1946in dasAußenministeriumeingegliedert und von UnterstaatssekretärPierreSchneitergeleitet.ImNovember 1946entstand eine eigene Aufsichtsbehörde für die besetzten Gebiete,im November1947ein eigenständigesStaatssekre- tariat,dasaberim Sommer1948 bereits wiederaufgelöst wurde. Dieseständigen organisatorischen Änderungen waren auchdie Folge von ebensohäufigenRegierungswechseln,die mitdem Rücktritt de Gaullesim Januar1946begannen und sichinverschiedenen Ausprägungen dersog. Dreiparteienre- gierung fortsetzten. DieshattewiederumRückwirkungen auf die Besatzungsverwaltung in Baden-Baden,die derfranzösi- sche HistorikerJoseph Rovanfolgendermaßen beschrieb:

„Die tiefen und sichweitervertiefenden Gegensätzezwischen kommunistischen,sozialistischen und christdemokratischen Elementen führten dazu,daßdie Verantwortlichen [in Baden- Baden]ein hohesMaßanSelbständigkeitgenießen und unter Umgehung ihrervorgesetzten Stellen jederzeitihrepolitischen Freunde in ParisumUnterstützung bitten [konnten].“

Die Regierung in Pariswaralsonichtnur unfähig,die organi- satorischen Mängel in Baden-Baden zu beheben,sie verstärkte

59 diesesogar.Die französische Nationalversammlung hattedie Baden-BadenerOrganisationsdefiziteund die unzureichenden PariserKontroll- und Aufsichtsmaßnahmen früherkanntund bereits im Februar1946eine ersteExpertenkommission in die französische Zone entsandt.Aberauchderen Vorschläge konn- ten die Missstände nichtbeheben. Letztlichgab esnur eine KonstanteinderPariserDeutschland- und Besatzungspolitik: Sie bestand in derPerson PierreSchneiters.Erleitetedas Generalkommissariat,alsesin dasAußenministeriumeinge- gliedert wurde,und übernahm auchdasAmtdesStaatssekre- tärs für deutsche Angelegenheiten,bisesim Juli 1948 wieder aufgelöst wurde. Während desgesamten Gründungsprozes- sesvon Rheinland-PfalzwareralsoinParisderzuständige und maßgebliche Politikerund damitneben Koenig und Laffon der dritteHauptakteur bei derLandesgründung. Aucherhatte seine eigenen deutschland- und besatzungspolitischen Vorstel- lungen,die sichwiederumvon denen Koenigsund Laffons unterschieden. Daswaren keine guten Voraussetzungen für eine stimmige und konsequenteDeutschland- und Besat- zungspolitik.

d) Deutschland- und Besatzungspolitik: Die französische Deutschland- und Besatzungspolitik lässt sichmitderFormel „Sicherheitund Kohle“ zusammenfassen. Letzteresstand für die ökonomische Nutzung derZone,die aufverschiedenen Wegen erfolgte. Durchumfangreiche Requisitionen wurden die Besatzungstruppen versorgt,und zwarsoreichlich,dass jedenfallsdie oberen Ränge hervorragend lebten. Ihre Fleischrationen betrugen 1946etwadas30-fache einerNor- malverbraucher-Ration. Maschinen und sonstige Güter,die im Krieg von FrankreichnachDeutschland verbrachtworden waren,wurden im Wege dervölkerrechtlicherlaubten Restitu- tion von den Franzosen wiederzurücktransferiert,wobei sie diesen Begriffoffenbarsehrgroßzügig auslegten. Weitaus höheralsin den beiden anderen Westzonen waren auchdie Pauschalzahlungen zur Deckung derBesatzungskosten. Im rheinland-pfälzischen Gebietmachten sie in den Jahren 1946

60 bis1949 rund 50%desSteuereinkommensaus und konnten nur durchKreditefinanziert werden. Besonders einschneidend waren die Reparationen,die FrankreichalsWiedergutmachung für die von derWehrmachtin Frankreichangerichteten Kriegsschäden verlangte. Sie umfassten nichtnur Kohle,son-

dernauchIndustriegüterund Agrarprodukte,die Demontage bei in solchen Mengen abgeliefert werden mussten, derBASF in dass bald von der„Ausplünderung“ desLandes Ludwigshafen die Rede war.Die Landesregierung bezifferteden Wert dieserRequisitionen,Reparationen und Demontagen bis zum20.Juni 1948 auf2,2Milliarden DM.Zur ökonomischen Nutzung derZone gehörteschließlichauchdasAbholzen der Wälder; rund ein Zehntel desrheinland-pfälzischenWaldbe- standeswardavon betroffen. Die kahl geschlagenen Waldhän- ge wurden zu einem Symbol derfranzösischen Besatzungspo- litik,auchwenn die Franzosen mitdem Erlösdesveräußerten Holzesnichtselten Lebensmittel für die hungernde Bevölke- rung importierten.

Die regierungsamtliche Sicherheitspolitik warschon zu Beginn dervon 1944 bisAnfang 1946dauernden ersten Präsident- schaftde Gaullesformuliert worden:Zerstückelung desDeut- schen Reiches,Internationalisierung desRuhrgebietesund Abtrennung desRheinlandes.Letzteresbezog sichnichtnur, abervorallem aufden Nordteil derfranzösischen Zone,also

61 im Wesentlichen aufdie Gebietedesheutigen Rheinland-Pfalz, die in den Augen de Gaullesstets alsAufmarschgebiet„ger- manischerInvasoren“ gedienthatten. Die Erfahrung,innerhalb von 70 Jahren –1870,1914 und 1940–drei MalOpferdeut- scherExpansion geworden zu sein,bestimmteseine Forderung nacheinem Sicherheitsglacisentlang desRheins.Während des Kriegesging die Forderung nacheinerAbtrennung deslinken Rheinufers mitderÜberlegung einher,diesesGebietzuannek- tieren;späterzieltesie eheraufdie Errichtung einesvom restlichen Deutschland getrennten,selbstständigen „Puffer- staates“mitwirtschaftlicherund verwaltungsmäßigerAb- hängigkeitvon Frankreich. Beide Forderungen gingen aber ineinanderüber.Eine eindeutige Festlegung gab esnicht.Als sichdeGaulle am3.Oktober1945 aufeine Rundreisedurch die französische Zone begab, griffernachBesuchen in Trier, Mainzund Neustadtbei einerAbschlussveranstaltung in Baden-Baden seine Abtretungsforderung wiederauf. Die links-

GeneraldeGaulle rheinischen Gebietewürden mitFrankreicheinen im Oktober natürlichen„Körper“bilden,die Pfalzsei eine Ver- 1945 in Speyer längerung desElsass und die Eifel eine Verlänge- rung derArdennen. DasRheinland solle sichdes- halbvon Preußen lossagen und Frankreichzuwenden. Von einerAnnektion wollteerzwarnichtsprechen;aberseine Vor- stellung von einer„wirtschaftlichen und moralischen Einheit“ deslinken Rheinufers mitFrankreichund seine Forderung nach

62 einer„unbegrenzten Präsenz“und einerebenso„unbegrenz- ten Kontrolle“ ließen eine solche Option immernochoffen. AuchnachdeGaullesRücktritt im Januar1946bliebFrankreich bei seinerAbtretungsforderung. ImApril 1946berichteteder „Rheinische Merkur“von einerErklärung desfranzösischen Außenministers Bidault,dass dasRheinland als„eine von Deutschland unabhängige Einheitbetrachtet“werden müsse. AllerdingshattedasPariserAußenministeriumzu diesem Zeitpunktbereits Zweifel anderRealisierbarkeitderAbtre- tungsforderung. Die internationale Politik begann sichseit Anfang 1946zuändern. DerWesten Deutschlandswurde eine Trumpfkarteimbeginnenden Ost-West-Konflikt.Amerikaner und Briten betrieben deshalbdie Stabilisierung derunterihrer Besatzung stehenden deutschen Gebieteund versuchten Frankreich,dasselbst aufWirtschaftshilfe aus den USA ange- wiesen war,entsprechend zu beeinflussen. Internbegann die französische Regierung deshalbnachAlternativen zu ihren überkommenen deutschlandpolitischenForderungen zu suchen,wobei zunehmend auchKonzepteanBedeutung gewannen,die bereits während desKriegesvon den Sozialis- ten und dernichtkommunistischen Résistanceentwickeltwor- den waren. Sie liefen aufeine Integration Westdeutschlands in eine starke supranationale Organisation bei gleichzeitiger Demokratisierung derdeutschen Gesellschafthinaus.Der Sozialist Léon Blum,dervon Dezember1946bisJanuar1947 Chef einesÜbergangkabinetts in Pariswar,wareinerder Protagonisten diesesIntegrationskonzeptes.

Nachaußen bliebFrankreichabereinstweilen bei seinerAbtre- tungsforderung. Immernochhofftedie Regierung,aufdiese Weisedie Mitalliierten zu Konzessionen zu bewegen. ImÜbri- gen glaubtesie,derfranzösischen Öffentlichkeitnochkeinen grundsätzlichen Wechsel ihrerDeutschlandpolitik zumuten zu können. Ende 1944/Anfang 1945 hatten einerrepräsentativen Umfrage zufolge 63 %derBefragten in Parisund sogar76% in derProvinzfür eine Abtrennung deslinken Rheinufers votiert,davon 41 %bzw.48%durchAnnexion zugunsten

63 Frankreichs.1946/47hattesichdarannochnichtviel geändert. Ganze10%derBefragten glaubten zu diesem Zeitpunktan eine künftige FriedfertigkeitderDeutschen. Sobetriebdas AußenministeriumbisaufWeitereseine Doppelstrategie,eine –wie eshieß –„doppelteDeutschlandpolitik“. Die Öffentlich- keiterfuhrdeshalbauchnichts davon,dass im April 1946dem französischen Oberbefehlshaberin Baden-Baden alsneuesZiel die „Gründung einesrheinischoderrheinisch-westfälischen StaatesalsTeil einerdeutschen Föderation“ vorgegeben wurde. Von einerAbtretung warin dieserinternen Anweisung keine Rede mehr.

Für GeneralKoenig wardiesein Bruchmitderüberkomme- nen Sicherheitspolitik de Gaulles,die ersichvon Anfang anzu eigen gemachthatte. ImUnterschied zu seinem Außenminis- teriumhielterdeshalbanderForderung,den Nordteil der Zone von Deutschland abzutrennen,fest.Ein autonomer Rheinstaatwargeradezu dasGroßprojekt,daserin unter- schiedlichen Varianten,aberstets mitgroßerHartnäckigkeit betrieb.Amweitesten ging wohl seine Vorstellung von einem rheinischen Bundesstaat,deraus derfranzösischen Nordzone und dem sichanschließenden Rhein-Ruhrgebietbestehen soll- te,dasdie Briten besetzt hielten. Da diesefür ein solchesPro- jektnichtzugewinnen waren,bliebein autonomes„Grand Rhénanie“ abernur ein großerTraumdesGenerals.Dasänder- teabernichts daran,dass erjedenfallsden Nordteil seiner Zone vom restlichen Deutschland trennen wollte. Allerdingshat Koenig seine Abtrennungs-und Autonomieüberlegungen nie öffentlichund unmissverständlichgeäußert.Aucherbetrieb eine Verschleierungstaktik bzw.–wie Küppers esformuliert – „Verdunklung in Sachen Autonomie“. Lagder„doppelten Deutschlandpolitik“ desfranzösischen Außenministeriums u.a.die Rücksichtnahme aufdie französische Öffentlichkeit zugrunde,sotrugdie Verschleierungstaktik Koenigsder öffentlichen Meinung in seinerNordzone Rechnung,denn offensichtlichbefürchteteer„eine folgenschwerepatriotische Reaktion“ derRheinländerfür den Fall eineroffen verfolgten

64 Abtrennungspolitik. Denn separatistische Bestrebungen gab es–anders alsnachdem 1. Weltkrieg –inden Gebieten am Mittelrhein nicht,allenfallskleine separatistische Gruppen,die sichvorallem aus Nazikreisen rekrutierten und keine Resonanz in derBevölkerung fanden. Sowaresnur zwangsläufig,dass die Auseinandersetzungen,die in derersten HälftedesJah- res1946zwischen Parisund Baden-Baden einsetzten,nicht öffentlich,sondernnur nochaufdem Dienstwege ausgetragen wurden.

Eng verbunden mitdem künftigen Status desNordteilsder französischen Zone –autonomerRheinstaatoderAnbindung anden Westen Deutschlands–wardie Frage nachderterri- torialen Gliederung diesesGebiets.ZuBeginn ihrerBesat- zungszeitwollten die Franzosen keine Staatsgründung, sonderndie Reaktivierung historischgewachsenerVerwal- tungseinheiten,und zwarnachdem Motto,je kleinerdesto besser,umsie aufdieseWeisemöglichst effektivkontrollieren und beherrschen zu können. UnterdieserZielvorgabestand die erstePhasederNeuorganisation deslinken Rheinufers.Sie führtezur Auflösung dervon den Amerikanernwenige Wochen zuvorerrichteten ProvinzMittelrhein-Saar(vgl. S.42).

Am25. Juli 1945 wurde dasSaarland ausgegliedert,umesin dasfranzösische Wirtschaftsgebieteinzubeziehen.Wenig später–wahrscheinlicham28. Juli –folgtedie Abtrennung der Regierungsbezirke Trierund Koblenz,die jeweilseigenständi- ge Verwaltungseinheiten bildeten.Am3.August wurden die vierrechtsrheinischgelegenen nassauischen Kreisemitihren rund 150000 Einwohnern,die bisdahin zumRegierungsbe- zirkWiesbaden gehört hatten,dem KoblenzerRegierungsbe- zirkangeschlossen. Rheinhessen und die Pfalz–derRest von Mittelrhein-Saar–blieben unterderBezeichnung „Pfalz-Hes- sen“ alsgemeinsamesVerwaltungsgebietbestehenund wur- den MitteAugust umdie viersüdpfälzischen Kreiseerweitert, die bereits seitAnfang April 1945 von französischen Truppen besetzt waren (vgl. S.37). Ende August wurde diesesGebiet

65 aus sprachlichen Gründen in „Hessen-Pfalz“umbenannt. HansHoffmann behielthierzunächst sein AmtalsOberregie- rungspräsident(vgl. S.44). Binnen wenigerWochen konnteer die Zahl seinerMitarbeitervon 60 auf200 erhöhen. Aber bereits Anfang Oktober1945 wurde erin einerüberraschen- den Aktion durchden LeiterdesPresseamtesOttoEichenlaub ersetzt,von dem sichdie Franzosen offenbarmehrUnterstüt- zung für ihreBesatzungspolitik erhofften.

HansHoffmann, AmEnde dieserersten Organisationsphase Oberregierungspräsident bestand derNordteil derfranzösischen Zone also von Hessen-Pfalz(l.) aus viervoneinanderunabhängigen Verwaltungs- und sein Nachfolger bezirken:den Regierungsbezirken Trierund OttoEichenlaub Koblenz,einschließlichdesrechtsrheinischen Teils desspäteren Rheinland-Pfalz,sowie dem Verwal- tungsgebietHessen-Pfalzund dem Saarland. DieseGliederung warAusdruckeinesausgeprägten Partikularismus und Regio- nalismus; manche sprachen von einem „radikalen Provinzialis- mus“,derauchdarin zumAusdruckkam,dass die Bezirke zunächst keinen Kontaktuntereinanderhalten durften. Diese Situation entsprachden Zielvorgaben de Gaulles.Sie geriet aber–wie vorallem die Fachleuteaus dem PariserWirtschafts- ministeriumerkannten –schnell in Widerspruchzu den Regeln

66 einereffektiven Verwaltung und derNotwendigkeit,die öko- nomischenRessourcen derNordzone besserzunutzen. Auf Dauerließ sichdieseSituation deshalbnichtaufrechterhalten.

Bereits im September1945 hatten die Franzosen für die Regierungsbezirke Trierund Koblenzdie Bildung eines gemeinsamen Statistischen Amtesangeordnetund Wil- helm Froitzheim,den späte- ren ersten Direktorbeim Landtag,zu seinem Präsiden- ten bestimmt.Am19. No- vember1945 wurden die zuständigen deutschen Stel- len angewiesen,für die Regierungsbezirke Trierund Koblenzaucheine Wilhelm Boden,Ober- gemeinsame Oberbehörde mitSitz in Koblenzauf- präsidentvon Rheinland- zubauen. Schon 14 Tage später,am2.Dezember Hessen-Nassau 1945,wurde dieseAnweisung umgesetzt.In Anwesenheitvon Laffon und Boislambert wurde derKoblen- zerRegierungspräsidentBoden im KoblenzerRathaus zum Oberpräsidenten derneuerrichteten Verwaltungsprovinz Rheinland-Hessen-Nassauernannt,welche die Regierungsbe- zirke Trierund Koblenzeinschließlichderrechtsrheinischen Kreiseumfasste. Die MitgliederseinerPräsidialregierung wur- den von ihm selbst ausgewählt.Unterihnen warauchderals LeiterdesInnenressorts vorgesehene HansGlobke,derspä- terunterKonradAdenauerStaatssekretärim Bundeskanzler- amtwerden sollteund dann wegen seinerMitwirkung an einem Kommentarzur Rassegesetzgebung zumGegenstand öffentlicherDiskussionen wurde. Die Franzosen hatten keine Einwände erhoben,weil ervon einem Entnazifizierungsaus- schuss deramerikanischen Zone als„nichtbelastet“eingestuft worden war.Da ihn die Briten aberbereits Ende 1945 zu ihrem Rechtsberaterberufenhatten,erhielterkeine Freigabe.

67 Die meisten Beamten des höheren Dienstesrekrutierte Boden aus dem Koblenzer Regierungspräsidium,dem er zunächst nochinPersonalunion vorstand. Erst im Mai1946setz- ten die Franzosen durch,dass er aufdiesesAmtverzichtete. Im selben Monatwurden auch– wiederumgegen den Willen Bodens–die viernassauischen Kreisezu einem eigenen Regie- rungsbezirkzusammengefasst, deraberdem Oberpräsidium PeterAltmeier, Rheinland-Hessen-Nassauunterstelltblieb.Erster Regierungspräsident Regierungspräsidentin Montabaur wurde der KoblenzerStadtratund Vorsitzende derdortigen Christlich-Demokratischen Partei PeterAltmeier.Erwurde am 24. Mai1946im Schloss zu Montabaur in sein neuesAmtein- geführt.BodensersterPersonalvorschlag,derKoblenzerPoli- zeipräsidentErnst Biesten,warvon den Franzosen nichtakzep- tiert worden.

Somitbestanden in derersten HälftedesJahres1946im Nord- teil derfranzösischen Zone –vom Saarland abgesehen,des- sen wirtschaftlicherAnschluss anFrankreichbereits eingelei- tetworden war–nur nochdie beiden Verwaltungsprovinzen Rheinland-Hessen-Nassauund Hessen-Pfalzunterden beiden christdemokratischen PolitikernWilhelm Boden und Otto Eichenlaub.Offenbarsollten dieseVerwaltungsbezirke zu eigenständigen Staaten weiterentwickeltwerden. Jedenfalls bezeichneten die Franzosen sowohl Rheinland-Hessen-Nassau alsauchHessen-PfalzalsLänder,deren Ober(regierungs)prä- sidien alsLandesregierungen und deren Präsidialdirektoren als Minister.InHessen-Pfalzgab esaußerdem –wie UlrichSprin- gorumberichtet–Entwürfe für ein eigenesLandeswappen (mit hessischem und pfälzischem Löwen,MainzerRadund Reichs-

68 apfel) sowie Überlegungen zu einerhessisch-pfälzischen Eisenbahn,einem eigenen Münzwesen und einerhessisch- pfälzischen Staatsbürgerschaft.

Mitte1946mussten Parisund Baden-Baden ihrAugenmerkauf die britische Zone richten,in derdie Gründung eigenständi- gerLändervorbereitetwurde,nachdem solche Länderim Sep- tember1945 bereits in deramerikanischen Zone entstanden waren. AuchmitBlickaufdie fortschreitende Blockbildung in Europamussteeine Reihe drängenderFragen beantwortet werden:zumErsten,obin einem weiteren Organisationsschritt auchdie beiden Verwaltungsprovinzen Rheinland-Hessen-Nas- sauund Hessen-Pfalzzusammengelegtwerden sollten,zum Zweiten,obdasneueGebilde die Stellung einesStaateserhal- ten sollteund zumDritten,obein solcherStaatpolitischan Frankreichangebunden oderstaatsrechtlichineine deutsche Föderation eingebrachtwerden sollte.

Schon mitSchreiben vom 6.März 1946plädierteGeneral Koenig gegenüberUnterstaatssekretärSchneiterfür eine Zusammenlegung derbeiden Verwaltungsbezirke Rheinland- Hessen-Nassauund Hessen-Pfalzund für eine entsprechende Straffung derfranzösischen Besatzungsverwaltung,wasauch aufeine Entmachtung Laffonshinauslief. VierTage später betonteeraber,dass dieseGebieteinjedem Fall vom Rest Deutschlandsgetrenntbleiben müssten. Und wiedereine Woche späterbrachteerden Gedanken einer„Föderation oderKonföderation desSüdwesten Deutschlands“indie Dis- kussion. Die französische Südzone solltedanachzumKern einerFöderation werden,dersichdie Länderderamerikani- schen Zone anschließen sollten und ggf. auchdie Nordzone, wenn sichderen Abtrennung von Deutschland nichtrealisie- ren lassen würde. MalplädierteKoenig für MainzalsHaupt- stadtdesneuzubildenden Staates,dann wiederfür Koblenz. „Koblenzkann zugleichdie HauptstadteinesaufunsereZone begrenzten Rheinstaatessein“ –schrieberam10.Juni 1946 nachParis–„und einen ersten Schritt zur Verwirklichung eines

69 großen sichzumNorden hin erstreckenden autonomen rhei- nischen Bundesstaatesdarstellen.“ Am18. Juli 1946wurde aus seinem Stab nocheinmaldaslangfristige Ziel dieserÜberle- gungen hervorgehoben:

„UnserHauptziel im Rheinland liegtdarin,einen Staatzu gründen,derstarkgenugist,umihn,fallsmöglich,vom Rest Deutschlandszutrennen.“

Die ohnehin schon verworrene Lage wurde nochdadurchver- kompliziert,dass Laffon alsChef derMilitärregierung mitkei- nerdieserÜberlegungen einverstanden war,insbesondere auchnichtmitderZusammenlegung von Rheinland-Hessen- Nassauund Hessen-Pfalz.Ervertratzwarauchein föderalisti- schesKonzept,aberaufderGrundlage deralten deutschen Länderund nichtvon Länderneugliederungen. Dabei konnte ersichauchaufden Gouverneur von Rheinland-Hessen-Nas- sauHettierde Boislambert berufen,dem ein solchesLand zu heterogen erschien,umaufDauerüberleben zu können. Aus Parismeldetesichdaraufhin derfür die deutschen Angelegen- heiten zuständige UnterstaatssekretärPierreSchneitermitdem Kompromissvorschlag,aus Vertreternvon Rheinland-Hessen- Nassauund Hessen-Pfalzeinen gemeinsamen Länderratzubil- den und die Zusammenlegung derbeiden Provinzen von einer Volksabstimmung abhängig zu machen.

e) Landesgründung: Die Entscheidung fiel am12.August 1946 in Paris.Andiesem Tagtrafen sichunterLeitung von Unter- staatssekretärPierreSchneiterdie Spitzen desfranzösischen AußenministeriumsmitGeneralKoenig und seinem General- verwalterLaffon. Gesuchtwurde ein Kompromiss,dernach Lage derDinge nur darin bestehen konnte,dass eralle Optio- nen für die Zukunftoffenhielt.Soeinigtemansichaufdie Zusammenlegung von Rheinland-Hessen-Nassauund Hessen- Pfalzzueinem „rhein-pfälzischen Land“ mitMainzalsHaupt- stadt.Für die Anhängereinergroßräumigeren Lösung war dieseEntscheidung vertretbar,weil sie die entsprechende Wei-

70 terentwicklung des„rhein-pfälzischen Landes“nichtaus- schloss und für die Befürwortereinesautonomen Pufferstaa- tesergab sichdie Zustimmungsfähigkeitdaraus,dass zum Status desneuen Landesnichts gesagtwurde. Aus diesem Grunde konntedie Entscheidung auchvom PariserAußenmi- nisteriummitgetragen werden,dasmittlerweile dazu neigte, die besetzten linksrheinischen Gebieteineinen –vorallem von den Amerikanernbetriebenen –föderativgegliederten west- deutschen Staateinzubringen. Obwohl dasSitzungsprotokoll ausdrücklicheine geschlossene Zustimmung für die „ideé cen- tralduprojectKoenig“ feststellte,wardieserwohl derVerlie- rerdesTages:Denn nichtKoblenzwarzur Landeshauptstadt bestimmtworden,sondernMainz.Nocham10.Juli 1946hatte Koenig aberanSchneitergeschrieben,dass „une implanati- on aMayence“ gleichbedeutend sei,miteinem Verzichtauf den Gedanken eines„Grande Rhénanie“,dem eigentlichen Ziel seinerPolitik.

AufderGrundlage deram12.August 1946getroffenen Absprache wurden in den folgenden Tagen in Parisdie notwen- digen amtlichen Erklärungen ausgearbeitet.Am28. August gingen derEntwurfeinerVerordnung und einererläuternden Deklaration im Baden-BadenerHauptquartierbei GeneralKoenig ein. Nichts warbisdahin überdie GeneralKoenig, bevorstehende Landesgründung andie Öffentlich- Oberbefehlshaberder keitgedrungen;offenbarwaren nochnichteinmal französischen die Alliierten darüberinformiert worden. Besatzungszone Vom eigentlichen Gründungsakt,derUnterzeichnung derVer- ordnung Nr.57,ist nichts überliefert,auchkein Bildmaterial. Offenbarerfolgtesie amVormittagdes30.August 1946im Hotel Stéphanie in Baden-Baden durchGeneralKoenig. Um 11 Uhrerhieltsein GeneralverwalterLaffon Ausfertigungen der Gründungsverordnung,umsie im JournalOfficiel,dem Amts- blatt desfranzösischen Oberkommandosin Baden-Baden, nochamselben Tagveröffentlichen zu lassen. Außerdem hatte erdafür zu sorgen,dass die Verordnung den beiden „Regie- rungschefs“von Rheinland-Hessen-Nassauund Hessen-Pfalz überbrachtwurde. Koenig selbst nahm amfrühen Nachmittag des30.August ander38. Sitzung desAlliierten Kontrollrates in Berlin teil,woerseine alliierten Kollegen überdie erfolgte

72 Landesgründung informierte. Esgab eine Rückfrage desame- rikanischen Vertreters nachdem Namen desneuen Landesund Irritationen aufsowjetischerSeiteüberdie Eile,mitderdas neueLand vorderanstehenden Außenministerkonferenz gegründetworden sei. Um16Uhrwurde die Verordnung mit derbeigefügten Erklärung Koenigsin Berlin andie alliierten und deutschen Pressedienstesowie anRadio Berlin weiterge- geben. Erst jetzt wurden aufVeranlassung Laffonsauchdie Ober(regierungs)präsidenten von Rheinland-Hessen-Nassau und Hessen-Pfalzinformiert.Wilhelm Boden wurde die Verord- nung Nr.57durchden VertreterLaffonsin Rheinland-Hessen- Nassau,Gouverneur Hettierde Boislambert,überbracht. Einerhandschriftlichen Anmerkung Bodenszufolge geschah

73 diesamNachmittagum„6Uhr“. Esist nichtauszuschließen, dass essichdabei umeinen SchreibfehlerBodenshandelt,da ereinem internen Vermerkzufolge zeitgleichmitderPressein Berlin –alsoum16.00 Uhr–unterrichtetwurde.

Amfolgenden Tagberichtetedie Pressevon derEntscheidung, wobei die BerlinerZeitungen dasKommuniquéder38. Sitzung desAlliierten Kontrollratesabdruckten,in dem die Gründung desneuen „Rheinisch-palatinischen Landes“nur nachrangig und kurz vermeldetwurde,während die Zeitungen in den Gebieten desneugegründeten Landesdie Verordnung Nr.57 und die Erklärung Koenigsim Wortlaut wiedergaben.

f) Verordnung Nr.57: Zentrale Bestimmung derVerordnung Nr. 57warderen Artikel 1. „Eswirdhiermit“–hieß esdort –„ein Land geschaffen,welchesdie Pfalzund die gegenwärtigen Regierungsbezirke Trier,Koblenz,Mainzund Montabaur umfaßt.“ Diesbedeutetenichts anderesalsdie Zusammenle- gung von Rheinland-Hessen-Nassauund Hessen-Pfalz.Was heutealsnaheliegende Entscheidung erscheint,warein riskan- tesUnterfangen. Die Pfälzerhatten bisdahin wenig mitden Koblenzernund die Triererkaumetwasmitden Mainzernzu tun. Der„Rheinische Merkur“stellteden Rheinland-Pfälzern deshalbam3.SeptemberihrneuesLand vor,zähltedessen Städteaufund die Bischofssitze,beschriebdie Regionen und ihreBesonderheiten und vergaßauchnichtzuerwähnen,dass dasneueLand aus über600 000 haAckerfläche,über700 000 haForst-und über40000 haRebland bestehe. DerArtikel liest sichwie dieBeschreibung einesunbekannten Landes.Dasalso warRheinland-Pfalz!

DieseBerichterstattung wardie Folge einesJahrhunderte umfassenden historischen Prozesses,in dem die Gebieteam Mittelrhein immerzuverschiedenen Einzelstaaten gehört hat- ten. Während desHeiligen Römischen Reicheswaren esins- besonderedie KurfürstentümerMainz,Trierund Pfalzund im Deutschen Bund,im Deutschen Reichund während derWei-

74 marerRepublik vorallem Preußen,Hessen(-Darmstadt)und Bayern. Denn Trierund Koblenzwaren 1815 zu Preußen,Rhein- hessen und die Pfalzein JahrspäterzuHessen(-Darmstadt) bzw.Bayerngekommen. Impreußisch-österreichischen Krieg von 1866 hatten dieseGebietesogargegeneinanderge- kämpft,Rheinhessen und die Pfalzaufösterreichischer, Koblenzund TrieraufpreußischerSeite. Da auchdie bisdahin zumHerzogtumNassaugehörenden rechtsrheinischen Ge- bietedesheutigen Rheinland-PfalzaufösterreichischerSeite gekämpfthatten,wurden sie vom siegreichen Preußen 1866 annektiert.SeitdieserZeitwaren fast alle Gebietevon Rhein- land-Hessen-Nassaupreußischgewesen. Nur während der kaumzwei Jahrzehntedauernden sog. Franzosenzeitwaren die linksrheinischen Gebietevon Rheinland-Pfalznichtaufver- schiedene Einzelstaaten verteiltgewesen,sonderninsgesamt von Frankreichannektiert worden. AberzumZeitpunktderLan- desgründung wardiesschon über130 Jahreherund botdes- halbkaumnochAnknüpfungspunktefür ein Zusammengehö- rigkeitsgefühl zwischen den verschiedenen linksrheinischen Landesteilen.

DasmitderVerordnung Nr.57verbundene Risiko bestand also vorallem darin,dass Gebietsteile zusammengefasst wurden, die nochnie zuvoreine staatliche Einheitgebildethatten und deshalbauchkeine gemeinsame historische Tradition besaßen. Die einen nannten dasneueLand deshalbein „Kunstprodukt“, die anderen ein „Land aus derRetorte“. Inbeiden Bezeichnun- gen schwangen Zweifel anderÜberlebensfähigkeitdes neuen Landesmit,die sichauchaus einerReihe weitererUnter- schiede ergaben,die zwischen den Landesteilen bestanden. Zwei Drittel derim Land lebenden Katholiken kamen aus Rheinland-Hessen-Nassau,zwei Drittel derProtestanten aus Rheinhessen und derPfalz.NennenswerteIndustrien gab es nur in Hessen-Pfalz,während Rheinland-Hessen-Nassauim Wesentlichen landwirtschaftlichgeprägtwar.Die Bedingungen für ein Zusammenwachsen derLandesteile waren deshalbam 30.August 1946nichtgut.

75 Fürs Ersteaberwaren durchArtikel 1derVerordnung Nr.57 dasTerritoriumdesneuen Landes–mankann auchsagen:des- sen „Staatsgebiet“–festgelegtund die Bevölkerung –alsodas „Staatsvolk“ –bestimmtworden. 2,75Millionen Menschen wurden überNachtzuRheinland-Pfälzernund 20 000 Quadrat- kilometermiteinem FederstrichzumLand Rheinland-Pfalz erklärt.Beidessolltesichübrigensnochgeringfügig ändern. Am8.Juni 1947erhieltdasLand 61Gemeinden derKreise Trier-Land und Saarburgmit394 Quadratkilometernund 37 000 Einwohnernzurück. Sie waren miteinergrößeren Zahl

von Gemeinden am18. Juli 1946dem Saargebietzugeschla- gen worden. Dafür wurden ebenfallsam8.Juli 194713Ge- meinden derKreiseBirkenfeld und mit71Quadratkilo- meternund 9500 Einwohnerndem Saargebieteingegliedert.

Von einem rheinland-pfälzischen Staatkonntezu diesem Zeit- punktnochnichtdie Rede sein,denn am30.August 1946gab esnochkeine Staatsordnung und deshalbauchnochkeine Staatsorgane. Immerhin enthielten die Verordnung Nr.57und die ihrbeigegebene Erklärung GeneralKoenigseine Reihe von Vorgaben für die künftige Staatsordnung und die einzurichten- den Staatsorgane. Die Erklärung beschriebdasFundament,auf dem dasneueLand aufgebaut werden sollte. Essollte„auf demokratischerGrundlage“ stehen. Die Verordnung regelte die einzelnen SchrittezumAufbaueinesdemokratischverfass-

76 ten rheinland-pfälzischen Staates:„Eine gemischte,aus Mit- gliedernderOberpräsidien Rheinland-Hessen-Nassauund Hessen-PfalzzusammengesetzteKommission“ solltegemäß Artikel 6derVerordnung die Verfassungsberatungen vorberei- ten. GemäßderArtikel 3und 5derVerordnung sollten die eigentlichen Verfassungsberatungen in einer„beratenden Ver- sammlung“ stattfinden,die aus „erwählten Vertretern“ derbei- den Provinzen bestehen sollte. Bei derErstellung desVerfas- sungsentwurfs–soArtikel 5Satz 1derVerordnung –habedie Versammlung Einvernehmen mitder„vorläufigen Regierung desLandes“herzustellen. Schließlich–soArtikel 5Satz 2der Verordnung –sei überden VerfassungsentwurfdurchVolksab- stimmung zu entscheiden. Die Verordnung Nr.57legtealso auchdie Schrittefest,die notwendig waren,umaus dem neuen Land einen veritablen Staatzumachen.

Auchdie Hauptstadtfrage wurde entschieden,und zwar–wie erwähnt–zugunsten von Mainz,wobei Artikel 2derVerord- nung Nr.57anordnete,dass die Landesregierung dort ihren Sitz haben würde,„sobald die entsprechenden wohnlichen Voraussetzungen geschaffen“ seien. Wann diesderFall sein würde,warnichtabzusehen. AngesichtdesZerstörungsgrads von Mainzwaraberklar,dass diesnocheine Zeitdauernwürde. NacheinerZählung vom 31. Dezember1946gab esin derStadt rund 25000 Haushalte,abernur 17000 Wohnun- gen. 8000 Familien waren alsozusammen mit ZerstörtesMainz anderen Haushalten untergebrachtund einige Tau- mitderRuine send Mainzerwarteten nochimUmland aufihre desDeutschhauses

77 Rückkehrin die Stadt.Die Unterbringung von Landtagund Landesregierung,ihrerMitarbeiterund deren Familien hätte die Situation weiterverschärft.Übergangsweisewarmandes- halbaufeine provisorische Hauptstadtangewiesen. NachLage derDinge kamdafür nur Koblenzin Betracht.Dort gab esnoch aus derPreußenzeitstammende Verwaltungsgebäude,die

Ehemaliges den Krieg halbwegsintaktüberstanden hatten und Oberpräsidiumder für dasParlamentund die Regierung eine zumin- preußischen Rheinprovinz dest provisorische Unterbringungsmöglichkeit in Koblenz boten. Außerdem konnten aus dem Kreisder Mitarbeiterdesbisdahin in Koblenzansässigen OberpräsidiumsRheinland-Hessen-Nassauauchdie Mitarbei- terfür die Landesregierung rekrutiert werden. Schließlichhatte deralsLandesgouverneur ausersehene Gouverneur des BezirksRheinland-Hessen-NassauHettierde Boislambert sei- nen Sitz in BadEms.Obwohl dieseUmstände den Teilnehmern amPariserSpitzengesprächvom 12.August bekanntgewesen waren,warin derVerordnung Nr.57von Koblenzalsproviso- rischerHauptstadtnichtdie Rede. PierreSchneiterhattesich ausdrücklichgegen eine entsprechende Regelung ausgespro- chen,umSpekulationen überdie künftige Anbindung des neuen Landeszuvermeiden. Nichtnur ihm warbewusst,dass GeneralKoenig KoblenzalsHauptstadteinesautonomen RheinstaatesinsAuge gefasst hatte.

78 Sowarein gutesJahrnachdem die Franzosen ihreZone über- nommen und besetzt hatten,mitderVerordnung Nr.57das „rhein-pfälzische Land“gegründetund derWeg festgelegt worden,aufdem essicheine Staatsordnung zu geben hatte. Die Verordnung Nr.57giltdeshalbalsdie Gründungs-bzw. Geburtsurkunde von Rheinland-Pfalz.Ausgearbeitetund „ausgefertigt“wurde sie von französischen Stellen. Deutsche Politikerhatten wederaufihren Inhaltnochaufeinzelne For- mulierungen Einfluss nehmen können. DasneueLand waralso –wie mandamalssagte–ein „Besatzungskind“. Ähnlichesgilt für den Namen desneuen Landes.InderDeklaration General Koenigswar–inderübersetzten Fassung –vom „rhein-pfäl- zischen Land“ die Rede. AuchdieseBezeichnung hattenur französische Väter.Deutsche waren anderNamensgebung nichtbeteiligt.Dementsprechend zurückhaltend und distan- ziert reagiertedie Bevölkerung aufdie Landesgründung. Für sie wardasneueLand –umimBild zu bleiben –jedenfallskein „Wunschkind“. Emotionslosnahmen sie dessen „Geburt“und die von den Franzosen angeordneten Geburtstagsfeierlichkei- ten zur Kenntnis.InMainzfand am11. und 12.September1946 eine zentrale militärische Feierstatt,in deren Mittelpunkteine Truppenparade mit5000 Soldaten aufdem Rollfeld des FintherFlugplatzessowie sportliche Veranstaltungen und nächtliche Fackelzüge standen. Die Presseberichtetevon einer „starken Beachtung derBevölkerung“. Mitanderen Worten: Die Mainzersahen zu,wie die Franzosen sichund ihreLandes- gründung feierten.

Eswarnur konsequent,dass auchanderSpitzedesneu gegründeten Landesein Franzosestand:Hettierde Boislam- bert wurde wenige Tage nachderVerkündung derVerordnung Nr.57zumLandesgouverneur ernannt.DerdiplomiertePoli- tikwissenschaftler,der1906 im DepartementCalvadosgebo- ren worden war,warin seinerneuen Funktion,die erbis1951 ausübte,derobersteRepräsentantderfranzösischen Besat- zungsmachtim Land. IndieserZeiterwarbersichzwarden Ruf einesbärbeißigen und autoritären „Königsvon Rheinland-

79 Landesgouverneur Pfalz“. Erfühltesichaberauchfür den Fortbestand Hettierde Boislambert und dasWohlergehen desLandesverantwortlich, daserimmerwiedervorMissbräuchen derfranzö- sischen Besatzungsherrschaftin Schutz nahm. Boislambert war 1939/1940alsfranzösischerVerbindungsoffizierbei den briti- schen Streitkräften eingesetzt worden und bereits im Juni 1940 de Gaulle nachLondon gefolgt,woerzudessen engsten Mit- arbeiternzählte. 1941 warervon derVichy-Regierung festge- nommenund zu mehrjährigerZwangsarbeitverurteiltworden. Alsihm Anfang 1943die Fluchtgelang,stieß ersofort wieder zu de Gaulle,derihn alsOberstleutnantbei derBefreiung Frankreichseinsetzte. Nachseinem Ausscheiden aus dem Amt desrheinland-pfälzischen Landesgouverneurs im März 1951 wurde erfür vierJahreindasPariserParlamentgewählt.Von 1960 bis1962 warerBotschafterFrankreichsim Senegal. Am 22.Februar1986ist erin Parisgestorben.

g) Rahmenbedingungen: InderVerordnung Nr.57fehltejeder Hinweisaufden Status desneugegründeten Landes; auchin derbeigefügten Deklaration Koenigsfand sichnur die Anmerkung,die Landesgründung diene der„Vereinfachung desverwaltungsmäßigen Aufbaus derfranzösischen Zone“. Koenig griffdamitaufeinen Vorschlagzurück,den erbereits im April 1946dem PariserAußenministeriumunterbreitet hatte. Zur Verschleierung derAutonomieoption solle das geplantepolitische Gebilde amMittelrhein den Deutschen als eine notwendige Verwaltungsreformdargestelltwerden. DieseÜberlegung lagjetzt auchderentsprechenden Formu- lierung in seinerderVerordnung Nr.57beigegebenen Erklä- rung zugrunde. Sie erlaubtevorallem dem Außenministerium,

80 dasschon seitMonaten praktiziertetaktische Doppelspiel fort- zuführen. Nachaußen,d. h. gegenüberden Alliierten und der eigenen Bevölkerung,forderteesweiterhin die Autonomie sei- nerNordzone und damitauchdesneugegründeten „rhein- pfälzischen Landes“,internhatteessichdagegen bereits mit einerAnbindung aneinen deutschen BundesstaatoderStaa- tenbund abgefunden. Indiesem Sinne bestand derfranzösi- sche AußenministernochimApril 1947aufderMoskauer AußenministerkonferenzgegenüberStalin darauf,dasRhein- land politischund wirtschaftlichaufDauervom Rest Deutsch- landszutrennen. GegenüberdemAuswärtigen Ausschussder PariserNationalversammlung hatteerdagegen bereits die Aussichtslosigkeiteinessolchen Projekteseingestanden.

GeneralKoenig ließ sichdagegen auchnachderLandesgrün- dung nichtvon dieserEinsichtbeeindrucken. Während die Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzerdarangingen, dem neuen Land eine demokratische Ordnung zu geben, bestand erimmernochaufseinen Rheinstaatsplänen. Am 12.Oktober1946beharrteergegenüberPierreSchneiter darauf,dass „wirunsaufDauer“imnördlichen Teil derZone halten wollen „im Schutz desRheins,den wiralsmilitärische GrenzeFrankreichsbetrachten“. Bei dieserEinstellung blieb erauchnochimMai1947,alserdem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Boden die Teilnahme ander Ministerpräsidentenkonferenzin München ver- Wilhelm Boden (Mitte) bieten wollte,umnicht„den Anschein eines während derMinister- Nachgebensin derfranzösischen Haltung zur poli- präsidentenkonferenz tischen Loslösung desRheinlandes“zu erwecken. in München

81 Sowarzwarim August 1946durchdie Verordnung Nr.57die Gründung von Rheinland-Pfalzangeordnetworden,seine Ein- beziehung in einen westdeutschen Bundesstaataberbliebbis Mitte1948 Gegenstand von taktischen Manövernund macht- politischen Ambitionen. Mitanderen Worten:DasLand war zwargeboren worden,die Nachwehen aberwaren nochhef- tig. Sowohl derAufbauderdemokratischen Ordnung alsauch die Konsolidierung desLandessollten darunterleiden.

3.Fazit

Die kurzeamerikanische Besatzungszeitwarnichtohne Bedeutung für die Gründung desLandesRheinland-Pfalz.Die Amerikanerhatten Organisationseinheiten,die von den Nationalsozialisten aufgelöst worden waren,wiederreaktiviert und neuegeschaffen,sodass die Franzosen aufeine bereits bestehende Organisationsstruktur zurückgreifen konnten. Dazu gehörtedie ProvinzMittelrhein-Saar,aus derzwei Jahre später–wenn auchinmodifizierterForm–dasLand Rheinland- Pfalzhervorgehen sollte. ImÜbrigen hatten die Amerikaner unbelasteten Frauen und MännernFührungsämteranvertraut, insbesonderedie Spitzenfunktionen in den Kommunen und Landkreisen,die zumgrößten Teil auchzu Beginn derfranzö- sischen Besatzungszeitim Amtverblieben. Schließlichwaren unterihrerVerantwortung Persönlichkeiten in Position gebracht worden,die in dersichanschließenden Gründungsphasedes Landeseine maßgebliche Rolle spielen sollten,vorallem Wilhelm Boden und HannsHaberer,aberauchJakobSteffan und HansHoffmann. PeterAltmeiersollteerst ein Jahrspäter die landespolitische Bühne betreten.

Die französische Besatzungszeitbegann im Juli 1945. Indie- sem Monatübernahm GeneralKoenig den Oberbefehl über die französische Zone,die aus einem linksrheinischen Nordteil und einem rechtsrheinischen Südteil bestand und die kleinste dervierBesatzungszonen war,in die Deutschland nachdem

82 Krieg aufgeteiltwurde. Derbeginnende Ost-West-Konfliktund die damitverbundene Blockbildung trugen wesentlichdazu bei,dass sichinnerhalbderfolgenden Monatedie französische Deutschlandpolitik,die ursprünglichaufdie Zerstückelung des Deutschen Reiches,die Internationalisierung desRuhrgebie- tesund die Abtrennung desRheinlandeszielte,zu ändern begann. Ein ZwischenergebnisdiesesProzesseswardie Grün- dung von Rheinland-Pfalz,die GeneralKoenig am30.August 1946in derVerordnung Nr.57verfügte. DerLandesgründung gingen mehrereSchrittevoraus,die derfranzösische Histori- kerJoseph Rovanironischals„meisterhaftdurchgeführteRück- zugsgefechtederfranzösischen Diplomatie“ bezeichnete. In ParisbetriebdasAußenministeriumzunehmend eine doppel- gleisige Politik,bei derdie wachsende Bereitschaft,daslinke Rheinuferin eine deutsche Föderation einzubringen,immer nochvon dernachaußen vertretenen Abtrennungsforderung überdecktwurde. InBaden-Baden verschleierteGeneral Koenig seine Pläne zur Gründung einesautonomen Rheinstaa- tes,umdie französischen Sozialisten,die beiden Westalliier- ten und die deutsche Bevölkerung nichtgegen sichaufzubrin- gen. Soentstand ein Land,dessen Zukunftnochgänzlich ungeklärt warund dessen Gebietsteile nochnie zusammenge- hört hatten. Mansprachdeshalbauchvon einem „Provisori- um“ und von einem „Land aus derRetorte“.

Deutsche Politikerwaren andieserLandesgründung nicht beteiligt; sie warausschließlichein ProduktfranzösischerPoli- tik. Vielen galtdasLand deshalbals„Besatzungskind“. Da von deutscherSeiteniemand gefragtworden war,waresauchkein „Wunschkind“. Mannahm esin Pflege und warteteab, wie es sichentwickeln würde. BleibtmanimBilde,hatten die Fran- zosen den Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzernin derVerordnung Nr.57allerdingseinen „Erziehungsplan“ an die Hand gegeben,derdieseEntwicklung in eine bestimmte Richtung lenkte. DasneueLand sollteaufdemokratischer Grundlage aufgebaut werden.

83

III.AUFBAU EINER DEMOKRATISCHEN ORDNUNG

1. Ausgangspunkt

Bereits derKrieg gegen dasDeutsche Reichwarfür die west- lichen Alliierten nichtnur ein „Kreuzzuggegen den National- sozialismus“,sondernauchein „Feldzugfür die Demokratisie- rung“Deutschlandsgewesen;erwurde auchnachder militärischen Kapitulation fortgesetzt.AufderPotsdamer Konferenzim Juli 1945 –zu derFrankreichnichteingeladen worden war–verständigten sichdie „Großen Drei“ aufdie sog. vier„D“:Demilitarisierung,Dekartellierung,Denazifizierung und Demokratisierung. Aberdie Beschlüssewaren gerade hin- sichtlichderbeabsichtigten Demokratisierung nur allgemeiner Natur und beschränkten sichdarauf,demokratische Einzel- aspektehervorzuheben:Daspolitische Leben sollteauf „demokratischerGrundlage“ wiederaufgebaut werden. Für Staatund Gesellschaftsollten nur Personen tätig sein,die auf Grund ihrerpolitischen und moralischen Eigenschaften geeig- netwaren,„anderEntwicklung wahrhaftdemokratischerEin- richtungen in Deutschland mitzuwirken“. DasErziehungswesen sollte„die erfolgreiche Entwicklung demokratischerIdeen“ ermöglichen. DasGerichtswesen sollteentsprechend „dem Grundsatz derDemokratie …reorganisiert werden“. Lokale Selbstverwaltungskörperschaften sollten „in ganzDeutschland nachdemokratischen Grundsätzen wiederhergestellt“werden. „Demokratische politische Parteien mitdem Recht,sichzu ver- sammeln und öffentlichzu diskutieren,sollten [ebenfalls]zuge- lassen werden.“ Die „GrundsätzederVertretung und derWahl in derRegional-,Provinzial- und Landesverwaltung“ sollten wiedereingeführt werden und schließlichsollten „Rede-,Pres- se- und Religionsfreiheitgewährt und freie Gewerkschaften erlaubt“werden.

Ein fertigesBild von Demokratie ließ sichaus diesen Bruchstü- cken nichtzusammenfügen,zumaldie Westalliierten offenkun-

Gouverneur Hettierde Boislambert und derspätere MinisterpräsidentWilhelm Boden 85 dig andereDemokratievorstellungen besaßen alsdie Sowjet- union. Auchdie andasPotsdamerAbkommen anknüpfende Erklärung GeneralKoenigsvom 30.August 1946,in dervon der„demokratischen Grundlage“ für dasneue„rhein-pfälzi- sche Land“ die Rede war,führtenichtweiter.Bemerkenswert ist immerhin die Aussage desPressesprechers desPariser Außenministeriums,derunterBezugnahme aufdie Verord- nung Nr.57von einem „allmählichen Hineinwachsen in eine parlamentarische und demokratische Lebens-und Staatsform“ sprach. Denn von derDemokratie alsLebensformwarin den PotsdamerBeschlüssen nichtdie Rede. All dieswarfeine Reihe von Fragen auf:

Kann eine Demokratie mitAussichtaufErfolg verordnetwer- den odersetzt ihrGelingen nichtvoraus,dass sie erstritten und erkämpftwird? Konntesichunterden Bedingungen einesBesatzungsregimes, dasmitdiktatorischen Befugnissen ausgestattetwar,über- haupteine Demokratie entwickeln? Wardie Demokratie überhaupteine Staatsform,mitderdie Deutschen würden umgehen können oderentsprachihrem Wesen –wie vorallem manche Franzosen meinten –nichteher eine autoritäreStaatsform? Gab esnachdem Dritten ReichnochDemokraten in ausrei- chenderZahl und mitungebrochenerÜberzeugung und Tat- kraft,die sichtrotz derZwänge derBesatzungszeitdem Auf- baueinerdemokratischen Ordnung würden widmen wollen? Waswarzutun,damitdie Demokratie nichtnur neuentstün- de,sondernauchBestand hätte,dass sie nichtnur „sei“,son- dern„bleibe“,wie derStaatsrechtslehrerHermann Jahrreiß es formulierte. Wardie Zeitwirklichschon reif,umdie Demokratie nichtnur alsStaats-,sondernauchalsLebensformzu praktizieren?

Wie ungewiss esin den ersten Nachkriegsjahren war,obder Aufbaueinerdemokratischen Ordnung erfolgreichverlaufen würde,hatbesonders eindringlichderVorsitzende derSPD-

86 Fraktion in derBeratenden Landes- versammlung Hoffmann beschrie- ben. Seine Rede zu Beginn der abschließenden Lesung derLan- desverfassung endetemitfolgen- den Worten:

„Meine Damen und Herren! Mit dem BegriffderDemokratie ist in Deutschland Dank dernazistischen Propagandagegen die Weimarer Republik vielfachverknüpftdie Erinnerung aneine schwächliche Regierung,eine kümmerlichvegetierende Wirt- HansHoffmann schaftund einen Staat,dervon derGnade der Siegerlebte. Die Sieger,die unsneuerdingszudemokratisie- ren wünschen,stehen mitunsvoreinerschweren Erziehungs- aufgabe. Sie wollen unszüchtigen,ohne unszuerschlagen,wir sollen Reparation leisten,ohne zu verbluten. Wirsollen leben, aberetwasschlechteralsdie andern,fürwahrein schwieriges Programm,bei dem Erfolg oderMißerfolg aufdesMessers Schneide stehen. UnsereAufgaben aberstellen unsdie Trüm- merhaufen,zwischen denen wirleben,alsdie stummen Zeu- gen und AnklägermenschlicherVerirrung. Sie weisen unsdie Pflichten. Aus ihnen erwächst unsauchdie Kraftund die Hoff- nung aufArbeit,und die Hoffnung nichtzuletzt aufFreiheit. Denn dasbedeutetunsdie Demokratie.“

2.Demokratische Traditionen

Die demokratische Ordnung musstenichtvon einem Nullpunkt aus aufgebaut werden. Denn auchdie Deutschen besaßen eine zwarimmerwiederunterbrochene,aberinsgesamtweit zurückreichende demokratische Tradition,die gerade in den Gebieten desheutigen Rheinland-PfalzbesondereHöhepunk- teaufzuweisen hatte. Ansie konnteangeknüpftwerden.

87 Die frühesten Spuren einerRepräsentation desVolkesfinden sichinden fast vergessenen landständischen Landtagen des TriererErzstiftes,die übermehrals200 JahreinderZeitdes Heiligen Römischen ReichesdeutscherNation bis1791 im Trie- rerLand getagthatten. Anders alsdie meisten vergleichbaren Landtage in anderen Territorien desAlten Reicheswaren auf ihnen nichtnur derKlerus,derAdel und die Städtevertreten, sondernauchdas„platteLand“,alsodie Bauernschaft.Die staatliche Machtlagzwarbeim Landesherrn,dem TriererErz- bischof,die Bauernhatten aberaufden Landtagen zumindest die Möglichkeitmitzureden.

Als1791/92zumletzten Malein LandtagimErzstiftzusammen- gekommen war,entstand nicht weitentferntdie von derfranzö- sischen Revolution initiierte MainzerRepublik. IhrRhei- nisch-deutscherNationalkon- ventdesJahres1793wardas ersteParlamentaufdeutschem Boden gewesen,dasaus Wah- len hervorgegangen war.Sie waren in den Gebieten zwi- schen Mainz,Bingen und Landaudurchgeführt worden, GeorgForster, umdasPrinzip derVolkssouveränitätandie Stelle Vizepräsidentdes desmonarchischen Prinzipszusetzen. Dieser Rheinisch-deutschen ersteDemokratieversuch,dervorallem mitdem Nationalkonvents Namen GeorgForsterverbunden ist,einem mit Humboldtbefreundeten Weltumseglerund Schriftsteller,wurde durchdie Truppen desAlten Reichesbeen- det,die dasGebietderMainzerRepublik im Mai1793zurück- eroberten.

Keine vierJahrespäter–französische Truppen hatten daslinke Rheinufererneut erobert –begannen in derPfalz,vorallem

88 aberauchimRheinland,nicht zuletzt in Koblenz,Versuche, eine anFrankreichangelehnte Cisrhenanische Republik ein- zurichten. Derjunge Josef Görresgehörtezu den Prota- gonisten dieserBestrebun- gen,die allerdingsbald die Unterstützung Frankreichsverloren,dasstattdes- Josef Görres,Mitinitiator sen einerAnnexion deslinken Rheinufers den Vor- derCisrhenanischen zuggab. Republik

Inden folgenden eineinhalbJahrzehnten,in denen die links- rheinischen Gebietezu Frankreichgehörten,erhielten die Men- schen Freiheits-und Mitwirkungsrechte,die sie bisdahin noch nichtgekannthatten. Sie kamen in den Genuss desCode Civil, nahmen anVolksabstimmungen teil und wählten ihreAbgeord- neten in dasPariserParlamentund in die regionalen Departe- menträte. DerPfälzerGeorgFriedrichDentzel waralsFeld- geistlicher,Abgeordneterund napoleonischerGeneraleiner derherausragenden,abertrotz allem fast in Vergessenheit geratenen Persönlichkeiten dieserZeit.

18 Jahrenachdem Ende derFranzosenzeit–imZuge desWie- nerKongresseswarmittlerweile andie Stelle des1806 unter- gegangenen Heiligen Römischen ReichesderDeutsche Bund getreten –wurde von Zweibrücken aus ein weitererAnlauf unternommen:AufInitiativedesaus Bergzabernstammenden FriedrichSchülerwurde im Januar1832 der„Deutsche Vaterlandsverein zur Unterstützung derFreien Presse“ –Press- verein genannt–gegründet.Sein Ziel warderAufbaueines unabhängigen Pressewesens,bald aberauchdie „Wiederher- stellung derdeutschen Nationaleinheit“miteinerdemokra- tisch-repräsentativen Verfassung. MitdieserZielrichtung ent- standen in den folgenden Monaten 116lokale Gliederungen, 67 davon in derPfalz,andereinden rechtsrheinischen Gebie- ten desDeutschen Bundesund einige sogarim Ausland,etwa

89 in Paris,woHeinrichHeine zu den Vereinsmitgliedernzählte. Bald gehörten dem Pressverein über5000 Mitgliederaus allen Schichten derBevölkerung an. DerPressverein wardererste Versuch,eine überregionale politische Organisation aufzubau- en. InsoweitwarerderAusgangspunktunsererheutigen poli- tischen Parteien. Wie die MainzerRepublik scheiterteaucher anden deutschen Fürsten,die ihn verboten und seine Mitglie- derverfolgten.

Immerhin wardie Neustädter Filiale desPressvereinsmit Philipp JakobSiebenpfeiffer und Johann GeorgAugust WirthanderSpitzenochinder Lage,die ersteMassende- monstration aufdeutschem Boden zu organisieren,die sichfür Freiheit,Einheitund Demokratie einsetzte. Sie fand am28. Mai1832 auf dem HambacherSchloss bei Neustadtstatt.20 000 bis 30 000 Menschen nahmen JakobSiebenpfeiffer, amHambacherFest teil. Eine derHambacherFah- Protagonist des nen wirdheuteimPlenarsaaldesLandtagsaufbe- HambacherFestes wahrt,alsAusdruckderfortdauernden Identifi- zierung mitden damaligen Zielen. Auchdie Forderungen desHambacherFestesblieben unerfüllt,zumTeil wegen derMeinungsverschiedenheiten,die bei den Festteil- nehmernselbst bestanden,zumTeil wegen desWiderstands derFürsten,die mitdrastischen Maßnahmen zur „Aufrechter- haltung dergesetzlichen Ruhe und Ordnung“ aufden „Ham- bacherSkandal“ reagierten.

Keine 16Jahrespäterhatten auchPersönlichkeiten aus den Gebieten desheutigen Rheinland-Pfalz,wie deraus Mainz stammende Johann Adamvon Itzstein,maßgeblichen Anteil

90 daran,dass sicham18. Mai 1848 in Frankfurt die erste deutsche Nationalversamm- lung konstituierte,umauf freiheitlich-demokratischer Grundlage die deutsche Ein- heitherzustellen. Ihrerster Präsidentwarderdamalsin Hernsheim bei Wormsleben- de Heinrichvon Gagern. Aber aucherund seine Paulskir- chenversammlung scheiterten bereits nacheinem knappen Jahranden deutschen Fürsten,vorallem amPreu- Heinrichvon Gagern, ßenkönig FriedrichWilhelm IV.Die Abgeordneten, PräsidentderFrankfurter die den linken Fraktionen derPaulskirchenver- Nationalversammlung sammlung angehört hatten,wurden verfolgtund mussten emigrieren. InTrierwurde derdemokratische Abge- ordneteLudwig Simon in AbwesenheitzumTode verurteiltund aufdem Marktplatz „in effigie“ –symbolischalso–verbrannt. Währenddessen erhoben sichdie Pfälzer,bildeten im Mai1849 eine Revolutionsregierung und sagten sichvom bayerischen Königreichlos.AuchihrAufstand wurde vom preußischen Mili- tärniedergeworfen. Ein steinernerObeliskinKirchheimbolan- den erinnert andie Gefallenen.

IndieserZeitgehörten die linksrheinischen Gebietedesheu- tigen Rheinland-Pfalzbereits zu Preußen,Hessen-Darmstadt und Bayern,woinderersten Hälftedes19. Jahrhunderts – wenn auchaufderGrundlage landständischerVerfassungen und desmonarchischen Prinzips–die ersten Landesparlamen- tegewähltwurden,denen auchAbgeordneteaus den heute zu Rheinland-Pfalzgehörenden Gebieten angehörten. Insge- samtwaren eswohl mehrals600 „rheinland-pfälzische“ Parlamentariergewesen,die zwischen 1818 und 1918 Mitglie- derin den AbgeordnetenkammerninBerlin,Darmstadtund München gewesen waren,darunteraucheine Reihe von

91 Parlamentspräsidenten,wie etwaderPfälzerKarlFriedrich Heintz und derRheinhesseMoritz Schmitt.

Abererst nachdem Ersten Weltkrieg und dem Untergang desKaiserreicheswaren aus Deutschland und seinen Län- dernDemokratien geworden. Eswardie ZeitderWeimarer Republik,in derdie Gebietedes heutigen Rheinland-Pfalzimmer nochzu Preußen,Hessen und Bayerngehörten und Abgeord- neteindie mittlerweile demo- kratischgewählten Landtage nachBerlin,Darmstadtund München schickten. Obwohl JohannesHoffmann, die linksrheinischen GebietezumTeil nochbis Bayerischer 1930 von den Franzosen besetzt waren,erlebten Ministerpräsident die Menschen erstmalsfür einen längeren Zeit- 1919–1920 raumeine demokratische Ordnung. Zuderen Pro- tagonisten gehörten vorallem derRheinhesse BernhardAdelung und derPfälzerJohannesHoffmann,die sogarMinisterpräsidenten in Hessen bzw.Bayernwurden. JohannesHoffmann war–wie erwähnt–derVatervon Hans Hoffmann,derdem ersten Kabinett von PeterAltmeierals Finanzministerangehörte.

Alsesnachdem 30.August 1946darumging,für dasneue „rhein-pfälzische Land“eine demokratische Ordnung aufzu- bauen,konntealsoaneigene demokratische Traditionen und aneine Vielzahl von Vorbildernangeknüpftwerden. Darauf nahm auchHansHoffmann Bezug,alserim Verlaufder abschließenden Beratung derLandesverfassung feststellte:

„Auchwirhatten einmaleine Vergangenheit,die Wert war,fort- geführt zu werden,die brauchbareAnknüpfungspunktefür

92 einen Neuanfang bietet.Die Siegermögen die Grundsätze festsetzen,die Aufgaben stellen und sichdie Zensur vorbehal- ten. Abersie sollten unsdie Lösungen überlassen,die unse- ren Bedürfnissen,unseren Kräften und unsererEigenart ent- spricht.“

Hoffmann und seine Kollegen waren sichallerdingsauch bewusst,dass esnichtmöglichsein würde,nahtlosandiese Traditionen anzuknüpfen. Eswaren zu viele Fehlergemacht und zu viele Niederlagen erlitten worden. Alle vorangegange- nen Demokratieversuche waren gescheitert,insbesondere jenervon Weimar.Dasschloss es–wie derPräsidentder badischen Landesregierung Köhlerim „MainzerAnzeiger“ schrieb–aus,

„sicheinfachwiederanden Schreibtischniederzulassen,den manimJanuar1933 verlassen mußte,und dann zu tun,als wäredie Zeitstillgestanden. Dafür sind nichtMillionen gefal- len,gestorben und verdorben.“

Aus dem Scheiternwaren Konsequenzen zu ziehen. Insbeson- deremussten die Fehlervon Weimarvermieden werden. Die Frage,worin dieseimEinzelnen bestanden,wurde je nachpoli- tischem Standpunktunterschiedlichbeantwortet.NachAuffas- sung desOberregierungspräsidenten von Mittelrhein-Saar, Heimerich,waren esvorallem ein überzogenerGruppenego- ismus,eine übertriebene Toleranzund dasVerhältniswahlrecht. Viele stimmten ihm zu,alserin einerRede anlässlichseiner Amtseinführung am18. Mai1945 feststellte:

„DieserStaatlitt andem Gruppenegoismus,dersichüberall breitgemachthat.Jede Interessengruppe und vielfachauchdie einzelnen politischen Parteien sahen nur ihreigenesZiel,und waren kaummehrin derLage,den BlickaufdasGanzezu rich- ten. Außerordentlichgefördert wurde dieserGruppenegois- mus durchdasVerhältniswahlsystem,dasderEntstehung allzu vielerParteien Vorschubleisteteund eine klareMehrheitsbil-

93 dung in den Parlamenten verhinderte. Eine hilfloseKoalition folgtederanderen. Daraus resultiertedie Schwäche desWei- marerStaates,sein Mangel anFestigkeitund Autoritätund seine Unfähigkeit,dernationalsozialistischen Bewegung Herr zu werden. Diesem Staateschadeteschließlichauchseine übertriebene Toleranz.Mandarfnichtsotolerantsein,daßman gegen die Intoleranztolerantist.Ein Staat,dessen Autorität täglichvon jedem gewissenlosen Schurken untergraben wer- den kann,ist dem Untergang geweiht.“

SolltederneueDemokratieversuchgelingen,musstealso endlicheine wehrhafteund wertegebundene Demokratie geschaffen und den Menschen eine krisenfestedemokratische Gesinnung vermitteltwerden. Dasging nichtvon heuteauf morgen und warauchnichtmiteinem großen Wurfsicherzu- stellen. Notwendig waren viele Schritte. Sie betrafen den Staat und seine Ordnung ebensowie die Gesellschaftund ihreEin- richtungen. Sie reichten von derZulassung kirchlicherJugend- gruppen biszur Einsetzung einervorläufigenLandesregierung, vom AufbauderSelbstverwaltung biszumErlass einerneuen Landesverfassung. Die im Folgenden beschriebenen Demokra- tisierungsschrittestehen nur beispielhaftfür einen komplexen Demokratisierungsprozess.

3.Bürgerkomitees

DerersteSchritt betrafdie Gemeinden,Städteund Kreise. Die amerikanischen Truppen hatten bei ihrem EinmarschdasKon- zeptder„grassroot-democracy“,der„Graswurzeldemokratie“ mitgebracht.Vom Grunde aufsollten die Deutschen die Prin- zipien derDemokratie lernen. DasLernkonzeptbegann aufder Ebene derKommunen und Kreise. Hiersetztedie amerikani- sche Besatzungsmachtzunächst unbelasteteOberbürgermei- sterund Landräteein,zu denen auchWilhelm Boden,Hanns Habererund HansHoffmann gehörten (vgl. S.38). Alsdie ame- rikanischen Kampftruppen durchBesatzungseinheiten abge-

94 löst wurden,gingen diesedazu über,den BürgermeisternBei- rätezur Seitezu stellen,und zwarzuderen Entlastung,aber auchzu ihrerKontrolle. Solche Beirätegab esmitunterschied- lichen Bezeichnungen z.B.inNeustadt,Ludwigshafen,Fran- kenthal,Wormsund Mainz,auchinAndernach,Traben-Trar- bachund Wittlich.

Nachdem Abzugderamerikanischen Besatzungstruppen setzten die Franzosen deren Demokratisierungspolitik fort.Auf derGrundlage einerAnordnung desGeneralverwalters Laffon vom 15. September1945 wurde die Bildung von „Beratenden Bürgerkomitees“bzw.„Gemeinderatskomitees“angeordnet. DieseKomiteeswaren in gewisserWeise„vorparlamentari- sche“ Beiräte,welche die Bürgermeisterzuberaten hatten, aberauchselbst bestimmteAufgaben derKommunalverwal- tung übernehmen konnten. Inden Landgemeinden bestanden sie in derRegel aus sechs,in den Städten aus biszu30Mit- gliedern. Überwiegend gehörten ihnen Mitgliederderoffiziell nochgarnichtzugelassenen Par- teien an,zu einem beachtlichen Teil waren sie aberauchberufs- ständischorganisiert,etwain Speyer,Frankenthalund Neu- wied. Hinterdiesen ständischen Neuordnungsversuchen erkennt manfrühe Vorbehaltegegen die politischen Parteien,jedenfalls gegen ihreDominanzim politi- schen Leben. Dasständische Modell wareine Alternativezum Parteienstaat.Eshattebeachtliche Erfolge bei derKommunalwahl 1946,scheiterteaberschon1947 in den Verfassungsberatungen, alseine ursprünglichvorgesehene, ständischausgerichtetezweite Kammerwegen desWiderstands

95 insbesonderederSPD und derKPD nichtdurchgesetzt wer- den konnte(vgl. S.164).

InKoblenzkonstituiertesichimOktober1945 ein überwiegend aus Vertreterndergerade entstehenden Parteien zusammen- gesetzter„antifaschistischerBürgerrat“,deraufVorschlagdes KoblenzerOberbürgermeisters von derMilitärregierung genehmigtworden war.Erbefasstesichu.a.mitderErnäh- rungssituation,derZukunftderStadtKoblenzund derWieder- einführung derBekenntnisschule. Zuseinen Mitgliedern gehörten PeterAltmeierund ,die beide beim AufbaudesLandesnocheine hervorragende Rolle spielen soll-

PeterAltmeier(l.) Johann Junglas

ten,AltmeieralsMinisterpräsident,JunglasalsGesundheits- und Wohlfahrtsminister(vgl. S.185 f.). AlsAltmeierwegen sei- nerBerufung zumRegierungspräsidentvon Montabaur aus- scheiden musste(vgl. S.68),wurde Hubert Hermanssein Nach- folger.Zusammen mitAltmeierund Junglasgründeteereinige Wochen späterdie KoblenzerCDP,gehörtedann derBeraten- den Landesversammlung und dem Landtagsowie kurzzeitig auchdem Parlamentarischen Ratan.

Imselben Monatwurde auchinTrierein kommunalerBeirat zugelassen. Ihm gehörteu.a.HansEiden an,dergerade erst aus dem KonzentrationslagerBuchenwald in seine Heimatstadt zurückgekehrt war,woer–nochinderIllegalität–bereits die ersten Sitzungen derörtlichen KPD organisiert hatte. Aufsei-

96 nem Lebensweg wirdnochanandererStelle nähereingegan- gen (vgl. S.175f.).

BiszumHerbst 1945 waren Beiräteund Bürgerkomiteesfast flächendeckend in den Gemeinden und Städten desheutigen Rheinland-Pfalzgebildetworden. Sie waren ein „ersterSchritt in eine Selbstverwaltung nachdemokratischem Prinzip“ und bestanden biszuden ersten Kommunalwahlen am15. Septem- ber1946(vgl. S.127 ff.). Zugleichverkörperten sie in ihrer Zusammensetzung in gewisserWeisedas„andereDeutsch- land“,dasaus unbelasteten,antifaschistischen Kräften bestand. Aufihnen bautedasDemokratiekonzeptdesfranzö- sischen Generalverwalters Laffon auf.

4. Presse

DernächsteDemokratisierungsschritt bestand in derWieder- zulassung derPresse. Hatteesin derWeimarerRepublik noch 4700 Zeitungen verschiedensterGröße und politischerRich- tung gegeben,waren eszwei JahrenachHitlers Machtüber- nahme nur noch2500 und im Kriegsjahr1944 nur noch1019, davon 42in den Gebieten desheutigen Rheinland-Pfalz. Längst wardie Presse–insbesonderemitHilfe des1933 geschaffenen Reichsministeriumsfür Volksaufklärung und Propaganda–gleichgeschaltetund zumreinen Propaganda- instrumentfür die Nationalsozialisten geworden. Werim Pressewesen tätig sein wollte,mussteMitglied in derReichs- pressekammersein,die unterdem DachderReichskulturkam- mer–PräsidentwarJosef Goebbels–angesiedeltwar.

Mitihrem Einmarschverboten die Besatzungsmächtedeshalb sofort Druck,Erzeugung,Veröffentlichung und Verteilung von Zeitungen,Zeitschriften,Büchern,Plakaten,Tonaufnahmen und Spielfilmen jederArt.Ausnahmen bedurften derschriftli- chen Zulassung durchdie Militärbehörden. Esbegann eine „Periode derStille“,eine –wie derHistorikerWolfgang Benz

97 esnannte–„Informations-und Nachrichtenquarantäne“. Nachrichten erhieltmanimWesentlichen nur nochvon durch- ziehenden Soldaten und Flüchtlingen. Aufdiesem Weg wur- den zwarTatsachen und Fakten weitergegeben,abereben auchHalbwahrheiten und Gerüchte. Sie ließen dasInformati- onsbedürfnisderBevölkerung und damitdie Notwendigkeit von Zeitungen wachsen.

Bekanntmachungen Manbehalf sichzunächst mitsog. „Mitteilungsblät- deramerikanischen tern“,die einmalinderWoche erschienen und die Besatzungsbehörden in Ruinen lebenden Menschen mitamtlichen in Neuwied Nachrichten und Bekanntmachungen versorgten. Bereits am27.April 1945 –alsonochvorderKapi- tulationderWehrmacht–erschienen die „MainzerNachrich- ten“. Am11. Mai1945 berichteten sie z.B.davon,dass die Baurestederzerstörten Häuserbeschlagnahmtseien und Stei- ne,Dachziegel und Kessel nunmehrderstädtischen Bauver- waltung gehörten. Am2.Juni 1945 warzulesen,dass Straßen und Plätzeumbenanntworden seien. Der„Adolf-Hitler-Platz“ heiße jetzt „Ballplatz“,und die „Horst-Wessel-Straße“ wieder „Forsterstraße“. Am9.Juni 1945 wurde mitgeteilt,dass mit sofortigerWirkung die Sperrzeitfür alle Zivilpersonen aufdie Zeitzwischen 21.00 Uhrund 5.00 Uhrfestgesetzt worden sei.

98 Am24. Juni 1945 erschienen alserstedeutsche Zeitung im heutigen Rheinland-Pfalzdie „Kirchlichen Nachrichten für das BistumMainz“miteinerAnfangsauflage von 100 000 Exem- plaren. AlsdasBlatt wenig späterden Namen „Glaubeund Leben“ erhielt,hatteesschon eine Auflage von 200 000 Exem- plaren. Bereits Anfang Juni 1945 hattederbischöfliche Stuhl zu Mainzvon deramerikanischen Militärregierung die Lizenz für diesesWochenblatt erhalten.

Ab August1945 ließen auchdie Franzosen privatwirtschaftlich geführteRegionalzeitungen zu,die unterihrerAufsichterstellt wurden. Sie sollten überUrsachen und Folgen desNational- sozialismus aufklären und die Bevölkerung zur Demokratie hin- führen. Wasdasbedeutete,konntemandervon derfranzösi- schen Militärregierung herausgegebenen zweisprachigen Zeitung „La FranceenAllemagne“ entnehmen,die den Deut- schen 1945 mitteilte,dass esAufgabederLizenzpressesei,

„authentischNachrichten zu verbreiten,und die französischen Interessen in Deutschland zu verteidigen,die in den meisten Fällen gleichzusetzen sind mitdenen derDemokratie.“

Die erstelizenzierteZeitung warderam4.August 1945 erst- malserschienene „Mittelrhein-Kurier“mit315 000 Exempla- ren. Esfolgten die „Rheinpfalz“am29. September1945 mit

99 85 000 Exemplaren und die „Pfälzische Volkszeitung“ am16. Oktober1945 miteinerStartauflage von 40000 Exemplaren. Sie wurde allerdingsbereits im Mai1947von der„Rheinpfalz“ übernommen,dadie Papierzuteilung den neuzugelassenen Parteizeitungen zugutekommen sollte. Am26.Oktober1945 erschien miteinerAuflage von 75000 Exemplaren erstmalsder „NeueMainzerAnzeiger“mitErichDombrowski,dem ehema- ligen stellvertretenen Chefredakteur des„BerlinerTageblattes“ alsChefredakteur.Erübernahm auchdie Chefredaktion der „Allgemeinen Zeitung“,die ab 29. November1946alsüber- regionale Zeitung auchinden anderen Westzonen erschien und ab 2.Mai1947auchandie Stelle des„Neuen Mainzer Anzeigers“trat.Sie wardie Vorläuferin der„Frankfurter

Allgemeinen Zeitung“,die bisEnde 1949 aus drucktechni- schen Gründen in Mainzherausgegeben wurde und erst dann nachFrankfurt übersiedelte. Die „Trierische Volkszeitung“ (ab 16.Juli 1946:„TrierischerVolksfreund“) und die „Rhein- Zeitung“ wurden erst ab April 1946herausgegeben,wobei letztereden „Mittelrhein-Kurier“ersetzte.

Entsprechend dem von den Franzosen vorallem zu Beginn ihrerBesatzungspolitik verfochtenen KonzeptderDezentrali-

100 sierung wurden alsozunächst nur Regionalzeitungen mit begrenztem Verbreitungsgebietzugelassen. Mitihren Erscheinungsorten in BadEms,Neustadt,Kaiserslautern, Mainz,Trierund Koblenzdeckten sie dasgesamteGebietdes heutigen Rheinland-Pfalzab.ImMai1948 waren esachtZei- tungen miteinerGesamtauflage von knapp 1Million Exempla- ren für 2,7Millionen Einwohner.Wegen derPapierknappheit erschienen sie nur zwei- bisdreimalproWoche und hatten in derRegel nur einen Umfang von drei bisvierSeiten. Die „All- gemeineZeitung“brachteesbei ihrem Erscheinen Ende 1946 allerdingsbereits aufzwölf Seiten. IhreNachrichten bezogen sie von derin Baden-Baden von den Franzosen gegründeten Nachrichten-Agentur „Südena“,die wiederuminderHaupt- sache aufdie Meldungen der„AgenceFrance-Presse“ zurückgriff. Da esanfänglichkein Telefon gab und erst recht keinen Fernschreiber,wurde dasNachrichtenmaterialdurch Motorrad-Kuriereaus Baden-Baden zugestellt.

DasgrößteVerbreitungsgebiethattederam15. März 1946 erstmalserschienene „Rheinische Merkur“,dermitBeginn des Jahres1947in KoblenzalsWochenzeitung herausgegeben wurde. Für 1,60 RM fand erLeserzwischen Holland und der Schweiz.Binnen zehn Wochen steigerteerseine Auflage von 100 000 Exemplaren auf205000 Exemplare. Die Namenswahl warProgramm,denn sie nahm Bezugaufden von Josef Görresgegründeten VorläuferdesRheinischen Merkurs,der 1814 für kaumzwei JahreinKoblenzerschienen warund zur Niederwerfung dernapoleonischen Vorherrschaftüber Europabeigetragenhatte. „Esgibtkeinen größeren Namen, zu dem wirgreifen können“,schriebderHerausgeberFranz Albert Kramerin derersten Ausgabe,umdann fortzufahren:

„Esbedarfheuteeinesebensoweitgespannten und furchtlo- sen Denkens,umdie Ereignisse... in ihren Ursachen und ihrer Verknüpfung zu erkennen. Und esverlangteinen ebensogro- ßen Freimut,ein ebensosicheresGefühl dereigenen Würde, umsie unterden heutigen Verhältnissen öffentlichzu erörtern.“

101 „Freimut“alleine konnteabernichtgenügen. Freiheitmusste hinzukommen. Pressefreiheitnämlich,von derin den ersten Nachkriegsjahren abernochkeine Rede sein konnte. Natürlich waren Artikel mitnationalsozialistischem Gedankengut verbo- ten. DasGleiche galtfür Artikel,die einen Keil zwischen die Alliierten treiben oderMisstrauen in derBevölkerung gegen- überderBesatzungsmachtschüren wollten. Dasbedeuteteim Ergebnis,dass keine Kritik anderBesatzungsverwaltung geübt werden durfte. Daneben gab eseine Reihe von weiteren Tabu- themen:die Haltung derFranzosen zur deutschen Einheit,zum Saarstatut und zur ZukunftderGebieteanRhein und .Zum Problem desFöderalismus sollten allzu kritische Artikel vermie- den werden,dagegen wurden Artikel zur Entnazifizierung gefördert.ImÜbrigen konnten nur rein innerdeutsche Themen diskutiert und behandeltwerden. Überallem wachten Zenso- ren,d. h. französische Presseoffiziere,die zunächst eine Vor- zensur ausübten,abHerbst 1948 eine Nachzensur,die in einer nachträglichen Beanstandung unliebsamerArtikel bestand. Im Wiederholungsfalle mussten die Herausgebermiteinem Ver- weis,einerGeldstrafe odersogarmiteinerzeitlichbegrenzten oderendgültigen Suspendierung ihrerZeitung rechnen. Erst durchGesetz Nr.5derAlliierten Hohen Kommission vom 21. September1949 –die Bundesrepublik Deutschland war bereits gegründet–wurde dieseZensur aufgehoben und die FreiheitderPresseproklamiert.Damitwarauchdie Phaseder Lizenzpressebeendetund die HerausgabeneuerZeitungen möglich. Binnen wenigerMonateerschienen daraufhin 41 neueTageszeitungen.

Ab 1947konnten die seiteinem Jahrzugelassenen Parteien (vgl. S.113ff.) eigene Zeitungen herausgeben,die abereben- fallsvon den Franzosen genehmigtwerden mussten. InNeu- wied erschien am13.Mai1947miteinerAuflage von 100 000 Exemplaren für die CDU „DerWesten“ und zwei Monate späterfür die SPD in MainzmiteinerAuflage von 45 000 Exem- plaren „Die Freiheit“. Die FDP gab in BadKreuznachdie „Rhei- nisch-Pfälzische Rundschau“mit25000 Exemplaren heraus

102 und die KPD in Kaiserslauternmiteinerähnlichen Auflage ihr Organ„NeuesLeben“. Die Papierzuteilung erfolgtenachder Zahl dererrungenen Wählerstimmen,nur die kleinen Parteien konnten einen Zuschlagerhalten,wovon offenbarvorallem die KPD profitierte. MitAusnahme der„Freiheit“überlebten die Parteizeitungen aberdie Währungsreformund die damitver- bundene Preissteigerung nicht.Außerdem wardasBedürfnis nachAusgewogenheitbei den Leserngrößeralsvon den Par- teien vermutetworden war.

ImLaufe desJahre1950kameszumStreitzwischen den poli- tischen Korrespondenten in Koblenzund derLandesregierung, die ihreArbeitund die desLandtagsin den rheinland-pfälzi- schen Zeitungen nichtausreichend gewürdigtsah. Die Landes- regierung entschied deshalb, ab Mai1950eine eigene Zeitung herauszugeben,die „StaatsZeitung“. Wie Ministerpräsident Altmeierin einem Leitartikel zur ersten Ausgabefeststellte,soll- tesie

„die nachgeordneten Behörden,die Gerichte,die Wirtschaft, alle Faktoren desöffentlichen Lebensund die Gesamtheitder Staatsbürgerausführlichdarüberunterrichten,wasim staatli- chen Leben unseresLandesgeschieht,und die Gründe für die ergriffenen Maßnahmen bekanntmachen.“

103 Bisheuteerscheintdie StaatsZeitung einmalinderWoche,sei- nerzeitin einerAuflage von 10000 Exemplaren und einem Abonnementpreisvon 6,50DM für ein Vierteljahr,alsofür zwölf Ausgaben.

5. Rundfunk

EtwazeitgleichmitderPressewurde derRundfunk aufgebaut. Während desDritten ReichswarerunterderKontrolle von Staatund Partei und –wie die Presse–zu einem reinen Pro- pagandaorganpervertiert.DasVerbotallerdeutschen Rund- funkaktivitäten durchdie Siegermächtewardie Folge. Auch derBesitz von Radioapparaten warzunächst untersagt.Inder französischen Zone bestand dasRundfunkverbotlängeralsin den beiden übrigen westlichen Zonen,wasauchdamit zusammenhing,dass esin den Gebieten desheutigen Rhein- land-Pfalzbisdahin keine eigenständige Rundfunkorganisati- on gegeben hatteund vorhandene Sendeeinrichtungen im Krieg überwiegend zerstört worden waren.

Eine Ausnahme stellteein 107 mhoherSendemast in Koblenz dar,mitdessen Hilfe im Oktober1945 derSendebetriebeiner regionalen Radiostation begonnen wurde. Die Rede ist von „Radio Koblenz“,dasmitGenehmigung derfran- Radio Koblenzin zösischen Militärbehörde ein achtstündigesPro- derFalkensteinkaserne gramm ausstrahlte,dasim Wesentlichen aus Nachrichten,dem Suchdienst,Hörspielen und kulturellen Bei- trägen bestand und nur im Norden desLandesempfangen werden konnte.

ZeitgleichmitderAufnahme desSendebetriebsvon „Radio Koblenz“hattedie dem GeneralverwalterLaffon unterstellte „Section Radio“ einen Rundfunkaufbauplanvorgelegt,dem- zufolge in Baden-Baden eine zentrale Rundfunkanstaltfür die gesamtBesatzungszone eingerichtetwerden sollte,wobei für jede größereRegion ein eigenesStudio geplantwurde. Zen- trale und Regionalstudiossollten unterderAufsichtderFran- zosen stehen.

Sokamesauch. Am31. März 1946ging derSüdwestfunk von Baden-Baden aus aufSendung. Aus „Radio Koblenz“wurde dasSWF-Studio Koblenz,zu dem im Juli 1946ein zweites Regionalstudio hinzukam. Es hatteseinen Sitz in Kaiserslau- ternund die Aufgabe,ein Regionalprogramm für die Pfalz zu senden. Beziehtmandas dritteStudio in Freiburgmitein, hattederSWF zu dieserZeit173 Mitarbeiter,deren politische Zuverlässigkeitmit Studio Kaiserslautern Hilfe einesFragebogenssichergestelltwurde. Soweitesunterden Bediensteten politischbelastetePersonen gab, waren sie in politischwenig sensiblen Bereichen einge- setzt,etwaim Sinfonieorchester.

DerSchwerpunktdesProgrammslagaufmusikalischen, unterhaltenden und literarisch-bildendenProgrammen. Da der Rundfunk aberauchalsMittel derUmerziehung und Demokra- tisierung genutzt werden sollte,bildeten entsprechende Pro- grammteile einen zweiten Schwerpunkt.Erumfasstedie täg-

105 liche Sendung „Frankreichsprichtzumdeutschen Volk“,die „Pressestimmen“ und die „Deutsch-französischen Gespräche“, die ganzim Zeichen derUmerziehung standen und auchzur deutsch-französischen Verständigung beitragen sollten. Hinzu kamen die fünfmaltäglichausgestrahlten Nachrichten,die aus- schließlichaufMeldungen derfranzösischen Nachrichtenagen- tur AgenceFrance-Presseberuhten,zu denen die deutschen Mitarbeiterallerdingskeinen freien Zugang hatten. Sie erhiel- ten nur eine bereits vorsortierteAuswahl,die sie lediglich redaktionell überarbeiten konnten. Aberauchdieseüberarbei- teten Nachrichten mussten nochmalsderZensur vorgelegt werden. DieseZensur wurde erst 1950in eine Nachzensur für politischund literarische Texteumgewandelt,die wiederum erst Anfang 1952ganzaufgehoben wurde.

Bis1950konntederSWF in den Abendstunden nur von 20 %der Rheinland-Pfälzerempfangen werden,tagsüberwaren es immerhin rund 60 %. Das ändertesicherst,alsim Mai 1950in Wolfsheim bei Mainzdie damalsmodernsteGroßsende- Anlage Europasentstand. Erst jetzt konnten alle Rheinland- PfälzerdasProgramm ihres Senders rund umdie Uhremp- RheinsenderWolfsheim fangen.

Seit1948 hattederSWF die Rechtstellung eineröffentlich- rechtlichen Anstalt.Sie wardurchdie Ordonnanzen Nr.187und 188 vom 30.Oktober1948 begründetworden und hattezur Folge,dass derSüdwestfunk –unterderfortbestehenden AufsichtderFranzosen –von einem alleinverantwortlichen Intendanten geleitetwurde,dessen Amtsführung unterder Kontrolle einesVerwaltungsrats stand. MitderEinführung eines für dasRundfunkprogramm verantwortlichen Rundfunkrats,in

106 dem die wichtigsten gesellschaftlichrelevanten Gruppen ver- treten waren,wolltemanden Rundfunk in den Dienst derAll- gemeinheitstellen und möglichst unabhängig von staatlichen Einflüssen machen. InArtikel 2derOrdonnanzNr.187war MainzalsSitz desSWF bestimmtworden,weil dergrößteTeil derHörerschaftin Rheinland-Pfalzwohnte. Umgesetzt wurde dieseRegelung abernicht; die Sendezentrale bliebin Baden- Baden.

Die Regionalstudiosin Koblenz und Kaiserslauternbestanden bis1951. AlsderLandtagund die Landesregierung in diesem Jahrvon KoblenznachMainz umzogen (vgl. S.295 ff.),wurden beide Studioszum„Landesstu- dio Rheinland-PfalzdesSWF“ zusammengefasst.Dasneue Landesstudio wurde in Mainz angesiedelt,und zwarim histori- schenGebäude „ZumSautanz“, gegenüberdem Deutschhaus und dem Neuen Zeughaus,in denen heuteder Landesstudio im Landtagund die Staatskanzlei untergebracht „Sautanz“zu Mainz sind.

6.Gewerkschaften

Zuden frühesten und wichtigsten Elementen im Demokratisie- rungsprozess desLandesgehörten die Gewerkschaften,die im Mai1933 von den Nationalsozialisten verboten worden waren. Am10.Maiwardie Deutsche Arbeiterfront(DAF)unter Führung desNationalsozialisten Robert LeyalsZwangsorga- nisation allerArbeitnehmergegründetworden. NamhafteFüh- rerderChristlichen Gewerkschaften hatten sichnochindie DAF berufen lassen. AberauchihreGewerkschaftshäuser

107 waren am24. Juni 1933 von derNS-Betriebsorganisation über- nommen worden. Die DAF,die zunächst nocheinen gewerk- schaftsähnlichen Charakterhatte,wurde Ende 1933 von einer Arbeitnehmerorganisation in einen Verband „allerSchaffen- den“ umgewandeltund aufeine „Erziehungs-und Betreuungs- funktion“ ihrerrund 25Millionen Mitgliederbeschränkt.Viele Gewerkschaftsfunktionäreflohen insAusland,vorallem nach Frankreich,darunterdie beiden späteren Landesvorsitzenden derKommunistischen Partei Rheinland-PfalzHerbert Müller und OttoNiebergall sowie die späteren sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten FranzBögler,FriedrichWilhelm Wag- ner,Maxim Kuraner,GünterMarkscheffel und vorallem Adolf Ludwig,die alle in derGründerzeitvon Rheinland-Pfalznoch eine wichtige Rolle spielen sollten.

FranzBögler, Nachdem Zweiten Weltkrieg stelltesichdie Maxim Kuraner, Frage,obandie während derWeimarerRepublik GünterMarkscheffel, existierenden „Richtungsgewerkschaften“ ange- (v.l.) knüpftoderparteiübergreifende Einheitsgewerk- schaften gegründetwerden sollten. Letzteres wurde nichtzuletzt von Überlebenden derKonzentrationsla- gergefordert,wofür die Überlegung maßgebend war,dass die Zerrissenheitderdeutschen Gewerkschaften die Machtüber- nahme durchdie NSDAP erleichtert hatte. DieserAuffassung schlossen sichauchdie Alliierten an.

108 Schon während derkurzen amerikanischen Besatzungszeit waren in vielen Städten desLandesGewerkschaften entstan- den und –jedenfallszumTeil –auchzugelassen worden. Im Juli 1945 hatteder„Freie Deutsche Gewerkschaftsbund Lud- wigshafen“ bereits 6800 Mitgliederund die „Demokratische Gewerkschaftin Pirmasens“sogar7000 Mitglieder.Da esaber keine präzisen Direktiven gab, kamesauchvor,dass Gewerk- schaftsgründungen verboten wurden,etwain Mainzund in Rockenhausen. Wosie aberzugelassen wurden,waren esEin- heitsgewerkschaften.

Alsdie Franzosen im Juli 1945 ihreBesatzungszone übernah- men,forcierten sie vorallem in den Regierungsbezirken Trier und Koblenzdie Gründung von weiteren Ortsgewerkschaften und genehmigten hiersogarein Informationsblatt für die EinheitsgewerkschaftKoblenz-Trier,dessen Auflage zunächst 10000,wenige Wochen späterbereits 25000 Exemplare umfasste. Vorallem derTriererHansEiden,derunsbereits als Mitglied im Triererkommunalen Beiratbegegnet ist (vgl. S.96),spieltebei den ersten Gewerk- Gewerkschaftsversamm- schaftsgründungen in Triereine besondereRolle. lung vordem Mainzer ImUnterschied zu Trierund Koblenzwardie Stadttheater,1. Mai1946

109 französische Gewerkschaftspolitik in derProvinzHessen-Pfalz zunächst eherabwartend. Die Gewerkschaften wurden hier zwarnichtverboten,aberauchnichtausdrücklichgenehmigt.

DiesändertesichmitderVerordnung Nr.6vom 10.Septem- ber1945 und den zeitgleicherlassenen Ausführungsbestim- mungen,welche die Gründung von Gewerkschaften wieder zuließen,allerdingsnur nachGenehmigung und unterbeson- deren Voraussetzungen,zu denen dasGebotderinnergewerk- schaftlichen Demokratie und ein Mindestalterfür Mitglieder(18 Jahre) und den Vorstand (30 Jahre) gehörten. Zugelassen wur- den die Gewerkschaften nur als„örtliche Organisationen“ und nur zu dem Zweck,die beruflichen Interessen ihrerMitglieder zu vertreten. Die Frage,obEinheitsgewerkschaften odermeh- rereRichtungsgewerkschaften zugelassen werden sollten,war offen geblieben,allerdingsgab esdie Empfehlung,„Anträge aufKonstituierung von Einheitsgewerkschaften mitWohlwol- len zu betrachten“. DasGenehmigungsverfahren selbst warso kompliziert ausgestaltet,dass dasfranzösische Misstrauen in die demokratische ZuverlässigkeitgewerkschaftlicherMassen- organisationen mitHänden zu greifen war,auchwenn immer wiederdavon die Rede war,dass die Gewerkschaften der „wichtigsteDemokratisierungsfaktor“inDeutschland seien. Dementsprechend engmaschig warauchdie Kontrolle der Gewerkschaften. Nichtnur die Gründungsversammlungen, auchdie Generalversammlungen und Kongresseund alle sons- tigen öffentlichen Veranstaltungen konnten nur nachvorheri- gerGenehmigung durchdie Militärregierung stattfinden, wobei vorderVeranstaltung u.a.die Tagesordnung und danachdasSitzungsprotokoll einschließlicheinesjeweilsaus- zufüllenden Fragebogensden zuständigen französischen Stellen zugeleitetwerden mussten.

AufderGrundlage derneuen Regelungen kamesin derPro- vinzHessen-Pfalzin den folgenden Monaten zu einerWelle von gewerkschaftlichen Gründungsveranstaltungen,sodass Ende Juni 1946bereits 86000 organisierteArbeitnehmergezählt

110 wurden. Besonders hilfreichfür dieseEntwicklung wardie Wahl desSozialdemokraten Adolf Ludwig zum„Beauftragten der Gewerkschaften Hessen-Pfalz“,dermitGenehmigung der Franzosen ab November1945 von Neustadtaus die lokalen Gewerkschaften im Genehmigungsverfahren unterstützte. In

derProvinzRheinland-Hessen-Nassaugab es Beiratskonferenzder zunächst keine vergleichbareEinrichtung und Westdeutschen Gewerk- wegen dergeringen Industrialisierung derRegion schaften im Februar1949, auchkeine vergleichbaren gewerkschaftlichen stehend Adolf Ludwig Organisationsgrade. Die Militärregierung schätzte die Zahl derGewerkschaftsmitgliederin den Regierungsbezir- ken Trierund Koblenzim Juni 1946gerade einmalauf26 000 Arbeitnehmer.Und auchdieseZahl warnur dadurchzu errei- chen,dass manhierGewerkschaften entgegen den einschlä- gigen Regelungen aufBezirksebene zuließ.

MitderVerfügung Nr.54vom 12.April 1946wardie lokale AufbauphasederGewerkschaften aberohnehin zu Ende gegangen. Die neuen Regelungen ließen jetzt nichtnur „örtliche Vereinigungen“,sondernauch„provinziale Verbän- de“ und „provinziale Vereinigungen von Verbänden“ zu.In Hessen-PfalzführtediesbiszumEnde 1946zur Konstituierung von 14 Gewerkschaften mitinsgesamt109000 Mitgliedern,die sichauf120 örtliche Gewerkschaften stützten. InRheinland-

111 Hessen-Nassauging die Entwicklung zwarschleppendervon- statten,dochbildeten Ende Oktoberz.B.inTrierachtGewerk- schaften mitinsgesamt7000Mitgliederneinen neuorganisier- ten Bezirksverband.

Umdasorganisatorische Nord-Süd-Gefälle auszugleichen, wurde im Januar1947in Rheinland-Hessen-Nassau–wie in Hessen-Pfalz–ein Gewerkschaftsbeauftragtereingesetzt und erfahrene Gewerkschafteraus Hessen-Pfalzgebeten,ihren Kollegen im Norden bei derGründung von Gewerkschaften zu helfen. Sostieg die Zahl derGewerkschaften in Rheinland- Hessen-Nassauvon 17im Januarauf79Ende April 1947an. Zudiesem Zeitpunktwaren im gesamten Land 249 Gewerk- schaften von derMilitärregierung genehmigtworden. Sie schlossen sichzu 17gewerkschaftlichen Landesverbänden zusammen,die am2.Mai1947in Mainzden Gründungskon- gress desrheinland-pfälzischen Landesgewerk- Adolf Ludwig, schaftsbundesdurchführten. DerSozialdemokrat Vorsitzender Adolf Ludwig wurde Vorsitzenderdes„Allgemeinen desAllgemeinen GewerkschaftsbundesRheinland-Pfalz“. Auchsein Gewerkschaftsbundes VertreterMichael Hennen und derKassiererAnton Rheinland-Pfalz(l.), Calujakwaren Sozialdemokraten. Nur zwei derzehn Anton Calujak, weiteren Vorstandsmitgliedergehörten derKPD an, Vorstandsmitglied die im Übrigen aberden Vorsitz in sechsvon sieb-

112 zehn gewerkschaftlichen Landesverbänden stellte,u.a.indem mit33000 Mitgliederngrößten Landesverband derMetallar- beiter.Insgesamtgehörten dem Gewerkschaftsbund zum Gründungszeitpunkt176 781 Mitgliederan. Ende 1948 warmit 232 000 MitgliedernderHöchststand erreicht.Dasentsprach einem Organisationsgradvon 32,8%allerArbeiterund Ange- stellten.

Aufdem Gründungskongress desGewerkschaftsbundeswar einstimmig eine Entschließung zur „Wirtschaftsdemokratie und Sozialisierung“ angenommen worden. Manforderte„die Erweiterung derRechtederBetriebsräte,die Eingliederung derGewerkschaften in die Wirtschaftskammernund die Über- führung allerSchlüsselunternehmungen in Gemeineigen- tum“. ImÜbrigen wolltemanvorallem anderEntfernung der Nationalsozialisten aus Wirtschaftund Verwaltung mitwirken, sichfür die Einführung einesfortschrittlichen und demokrati- schen Arbeitsrechteseinsetzen und in allen Zweigen des öffentlichen Lebensvertreten sein. Gefordert wurde außerdem die Wiedereinführung desAchtstundentages,der40-Stunden- Woche,desStreikrechtesund die Beibehaltung des1. Maials gesetzlicherFeiertag. Hinterdiesen Forderungen standen alle in den neuen Einheitsgewerkschaften vertretenen Parteien. Auchsie waren von den französischen Besatzungsbehörden mittlerweile wiederzugelassen worden.

7.Parteien

MitderZulassung bzw.Wiederzulassung von politischen Par- teien solltedaspolitische Leben wiederin Gang gesetzt wer- den. Seit1933 waren sie von derBildfläche verschwunden gewesen. ZumTeil waren sie von den Nationalsozialisten ver- boten worden,wie am22.Juni 1933 die SPD, zumTeil hatten sie sichaufderen Druckhin selbst aufgelöst,wie am5.Juli 1933 daskatholische Zentrum. Am14. Juli 1933 hatteschließ- lichdas„Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“ die Bil-

113 dung einerpluralen Parteienlandschaftfür die Zukunftausge- schlossen. Geblieben warnur die NSDAP.Sie wurde zur Staats- partei desDritten Reiches.Aus dem ParteienstaatderWeima- rerRepublik,in dersichnoch1932 mehrals60Parteien und politische Vereinigungen anderReichstagswahl beteiligthat- ten,warein Einparteienstaatgeworden.

AufderPotsdamerKonferenzwarim August 1945 die NSDAP verboten und die Zulassung bzw.Wiederzulassung „von demokratischen politischen Parteien“ beschlossen worden. Frankreich,dasanden Verhandlungen nichtbeteiligtwar,ver- wirklichtedieseÜbereinkunftalsletztedervierBesatzungs- mächte,und zwarin deram21. Dezember1945 veröffentlich- ten Verordnung Nr.23 vom 13.Dezember1945,deren Ausführungsbestimmungen abernochbiszum12.Januar1946 aufsichwarten ließen. Erst dann konnten die Parteien in der französischen Zone zugelassen werden.

GemäßArtikel 1derVerordnung Nr.23 wurde nur die Grün- dung politischerParteien „demokratischen und antinatio- nalsozialistischen Charakters“gestattet.Voraussetzung war gemäßArtikel 2dieserVerordnung die Genehmigung durch den zuständigen Militärgouverneur.Diesführtedazu,dass – ebensowie in derbritischen und amerikanischen Zone –nur eine beschränkteZahl von Parteien erlaubtwurde. Damitwoll- ten die Alliierten eine einfachereKontrolle überdie Parteien sicherstellen,aberaucheine Zersplitterung desParteienwe- sens,dasdie WeimarerRepublik geschwächthatte,vermeiden. ImÜbrigen glaubteauchdie französische Militärregierung,auf dieseWeiseden politischen Grundströmungen derchristlichen Demokratie,desbürgerlichen Liberalismus,desdemokrati- schen Sozialismus und desKommunismus hinreichend Rech- nung zu tragen. Zwarwaren die Kommunisten nichtweniger entschiedene GegnerderWeimarerDemokratie gewesen als die Nationalsozialisten. 1946genossen sie aberwegen ihrer Zugehörigkeitzur französischen Regierung und dervielen aus derkommunistischen Résistancekommenden Sympathisanten

114 derfranzösischen Militärregierung dasbesondereWohlwollen derBesatzungsmacht.

WiderErwarten forderten die Lizenzierungsbedingungen kei- nen streng von unten nachoben vorzunehmenden Parteiauf- bau,wie ernochfür die Gewerkschaften vorgeschrieben wor- den warund wie erdem von den Franzosen immerwieder proklamierten Demokratiekonzeptentsprochen hätte. Statt- dessen wurden die Militärgouverneureangewiesen,die Partei- en aufderhöchsten bestehenden Verwaltungsebenezuzulas- sen,deren Vorstände dann ohne weitereGenehmigung regionale und lokale Organisationen einrichten konnten. Die

Gründe für die Umkehrung desansonsten von Verordnung Nr.23 den Franzosen bevorzugten Aufbauprinzips vom 29. November1945 sind nichtbekannt.Möglicherweisehängen sie mitdem vergleichsweisespäten Zulassungstermin zusammen, möglicherweiseaberauchmitderErwartung,die Parteien auf Landesebene besserkontrollieren zu können. Wahrscheinlich hätten die Franzosen mitderZulassung von Parteien nochlän- gergewartet,wenn sie sichnichtbereits auflokalerEbene längst zu formieren begonnen und damit–inderIllegalität– bereits existiert hätten. Denn Gespräche zur Gründung bzw. Wiedergründung von Parteien hatteesbereits unmittelbar nachdem Kriegsende gegeben,wobei sichdie SPD mitder Schwierigkeitkonfrontiert sah,dass sichviele ihrerMitglieder –vorallem aus derPfalz–nochinderEmigration befanden.

115 Die Anhängereinerchristlichen Partei mussten erst nocheine Verständigung darübererzielen,obdasaltekatholische Zen- trumwieder-odereine überkonfessionelle christliche Partei neugegründetwerden sollte. Vordiesem Hintergrund wurden die Parteien in den ersten Monaten desJahres1946in den Gebieten desheutigen Rheinland-Pfalzgegründetund von den Franzosen auchzugelassen.

Wasdie CDU anbelangt,so genehmigteGouverneur Hettierde Boislambert am 16.Januar1946die Grün- dung einer„Christlich Demokratischen Partei (CDP)“ für die Provinz Rheinland-Hessen-Nassau, die ihreGründungsver- sammlung am17.Februar in Koblenzabhielt.Vorsit- zenderwurde derehemali- ge ZentrumspolitikerFranz FranzHenrich, Henrich. Zuden Vorstandsmitgliederngehörten ersterVorsitzender derKoblenzerPeterAltmeier,derwenig späteran derCDP Rheinland- die Stelle Henrichstrat,und sein Schwager Hessen-Nassau Johann Junglassowie die TriererAloisZimmerund August Wolters.Zuden BeisitzernzählteauchWil- helm Froitzheim,derspäterdie ArbeitderBeratenden Landes- versammlung und dersog. Rittersturzkonferenzorganisierte und dann ersterDirektorbeim rheinland-pfälzischen Landtag wurde. InRheinhessen und derPfalzwaren die Anfänge der CDU mühevollerund konfliktbeladener.Hierwollten sowohl die Katholiken alsauchdie evangelischen Christen jeweilseine eigene Partei formieren,wasihnen die Franzosen aberunter- sagten. Esdurftenur eine christliche Partei für die gesamtePro- vinzHessen-Pfalzgeben.Sie wurde schließlicham5.März 1946 unterdem Namen „ChristlichDemokratische Union (CDU)“ zugelassen,wobei sichdie rheinhessischen CDU-Vertretereine

116 organisatorische Selbstständigkeitvorbehielten. DererstePar- teitagderCDU Hessen-Pfalzfand am24. August 1946in Muß- bachstatt,bei dem ein geschäftsführenderProvinzialvorstand alsDachverband für die beiden Bezirke eingesetzt wurde,dem u.a.derPfälzerJakobZieglerund derBingerErnst Lotz ange- hörten. Lotz wurde späterersterPräsidentderBeratenden Lan- desversammlung und ZieglerVizepräsidentdesersten rhein- land-pfälzischen Landtags.

Die Vereinigung derCDP und derCDU zu einem gemeinsa- men Landesverband nahm nochmehrereMonateinAnspruch und wurde von heftigen Auseinandersetzungen begleitet. Dabei ging esnichtnur umprogrammatische Fragen,sondern auchumdie Namensgebung. Die CDP –namentlichAltmeier und Süsterhenn –weigerten sichnachdrücklich,die Bezeich- nung „Union“ zu übernehmen,und die CDU-Vorstände im Süden,eben daraufzu verzichten. Die einen wollten sichnicht von einem angeblichen BerlinerZentralismus vereinnahmen lassen,die anderen sichnichtdem Verdachtaussetzen,sie seien etwasanderesalsihreCDU-Freunde in den anderen Län- dern. Sokames,dass beide Parteien in derBeratenden Lan- desversammlung,die sichimNovember1946konstituierte,um eine Landesverfassung zu erarbeiten (vgl. S.139ff.),zunächst nur eine FraktionsgemeinschaftmitderBezeichnung CDP/CDU bildeten. Erst aufdem gemeinsamen Parteitagam 14. Februar1947in BadKreuznachkameszueinem gemein- samen Landesverband. Ererhieltdie Bezeichnung „CDU Rheinland-Pfalz“. Altmeierund Süsterhenn hatten nachgege- ben,auchaufDruckvon außen. Mitdem Unionsbegriffsollte –soderParteitagsbeschluss –„sowohl derGedanke derpoli- tischen Zusammenarbeitderchristlichen Bekenntnissealsauch die Verbundenheitmitden gleichgerichteten christlich-demo- kratischen Parteiorganisationen desübrigen Deutschland zum Ausdruckgebrachtwerden“.

Für dasAmtdesLandesvorsitzenden derCDU kandidierten auf diesem ParteitagPeterAltmeierund dervon Trier,Rheinhes-

117 sen und derPfalzunterstützteAloisZimmer.Da Zimmer–an- ders alsAltmeier–nichtdasWohlwollen derFranzosen genoss, wurde ervon ihnen in Trierfestgehalten. SofehlteseinerKan- didatur dernotwendige persönliche Nachdruckund Altmeier,

PeterAltmeier(l.), AloisZimmer

derzudiesem ZeitpunktauchVorsitzenderderCDP/CDU-Frak- tion in derBeratenden Landesversammlung war,wurde zum Vorsitzenden gewählt.Aufdem ersten Landesparteitagam 17./18. Oktober1947in Kaiserslautern–mittlerweile warAlt- meierMinisterpräsident–wurde erin seinem Parteiamtbestä- tigt.Erst im März 1966 sollteerdie Führung derrheinland-pfäl- zischen CDU anseinen NachfolgerHelmut Kohl abgeben.

MitAltmeierhatten sichauchjene in derCDU durchgesetzt, die mitden Franzosen kooperieren wollten,in einerWestori- entierung die ZukunftDeutschlandssahen,gegen allesPreu- ßische zu Felde zogen und „deutsche Politik amRhein“ machen wollten. Der„Rheinische Merkur“warihrpublizisti- schesSprachrohr.Die Nationalen in derCDU, die Berlin als deutsche Hauptstadtpropagierten und ihreinnerparteilichen Widersacherals„Französlinge“ und zumTeil auchals„ver- kappteSeparatisten“ ansahen,waren insHintertreffen geraten.

Die SPD wurde im Unterschied zur CDU nichtneu,sondern wiedergegründet.Allerdingswurde ihranfänglichzur Aufla-

118 ge gemacht,dasaufGesamtdeutschland weisende „D“nicht in ihrem Namen zu tragen. Sie musstesichdeshalbzunächst SP-Hessen-Pfalzund SP-Rheinland-Hessen-Nassaunennen, eine Anordnung,die nie rückgängig gemachtwurde,andie sichaberbald kaumnochjemand hielt.ImUnterschied zur CDU blieben derSPD programmatische Zerreißproben zunächst erspart.Die Schwierigkeiten waren eheremotionaler Art und betrafen dasWiedersehenserlebnisnachderRückkehr aus Krieg,KonzentrationslageroderEmigration. ImÜbrigen fühlten sichdie Sozialdemokraten ohnehin anihrParteipro- gramm von 1925gebunden und waren derMeinung,dass sie sich–wie ihrspätererLandtagsabgeordneterGünterMark- scheffel 1947sagte–nochaufihr„altesund unveränderliches, aberimmerwiederneuesKampfprogramm derAusgebeute- ten gegen die Ausbeuter,derGetretenen und Geschundenen gegen die Gewinnerin den Krisen und Kriegen“ verlassen konnten. DasGefühl,alsmoralischerSiegeraus derZeitdes Nationalsozialismus auchdie legitime Kraftfür einen demokra- tischen Neuanfang zu sein,tatein Übriges,umsichzunächst einerprogrammatischen Standortbestimmung zu entziehen. WodiesalsDefiziterkanntwurde,wurden die Positionen des Parteivorstandesin Hannoverund insbesonderedie Reden des Parteivorsitzenden Kurt Schumacherübernommen.

Vordiesem Hintergrund wurde die SP(D)am16.Januar1946 –zeitgleichmitderdortigen CDP –inRheinland-Hessen-Nas- sauund am23.Februar1946auchinHessen-Pfalzzugelassen. Obwohl die Partei für die gesamteProvinzHessen-Pfalzzuge- lassen worden war,gab eszwei getrennteParteibezirke,wobei derpfälzische Vorstand die SPD-Hessen-Pfalzgegenüberder Militärregierung vertrat.Alsdie beiden Bezirksvorstände im Juni 1946einen gemeinsamen Bezirksvorstand für Hessen- PfalzmitSitz in Neustadtbeschlossen,wurden dieseBemühun- gen dadurchgegenstandslos,dass Rheinhessen im Oktober 1946Rheinland-Hessen-Nassauangegliedert wurde (vgl. S. 138).

119 Derorganisatorische AufbauderPartei ruhteaufden Schultern der„Altgenossen“,alsojenerFunktionäre,die bereits während derWeimarerRepublik Parteiämterinnehatten. Sie stellten die Vorstände aufden Bezirks-und Unterbezirksebenen;jüngere Parteimitgliederwaren allenfallsaufOrtsvereinsebene zu fin- den. Dasführteauchdazu,dass die Partei in den Nachkriegs- jahren zunehmend überalterte. Allenfallsein Drittel derPartei- mitgliederwarjüngerals46Jahre.

Zuden Altvorderen gehörteu.a.Adolf Ludwig. Erhatteeinen für seine SPD-Generation durchaus typischen Lebenslauf:Als dasLand 1946gegründetwurde,warer54 Jahrealtund hatte

120 ImVordergrund Adolf Ludwig (2.v.l.), Maxim Kuranerund LuiseHerklotz bereits ein bewegtespolitischesLeben hintersich. Nochim KaiserreichhatteersichderSPD angeschlossen,auchder Schuhmachergewerkschaft,die in seinerGeburtsstadtPirma- sens,wodasZentrumderSchuhindustrie lag,ihreHochburg hatte. Hierwurde ernachdem Ersten Weltkrieg außerdem Vor- sitzenderdesArbeiter-und Soldatenratesund ehrenamtlicher Bürgermeister,zunächst für die USPD, ab 1922 für die SPD.Ein Jahrspäterwurde ervon den Franzosen wegen seinersepa- ratistenfeindlichen Haltung aus derPfalzausgewiesen und nachseinerRückkehrin den bayerischen Landtaggewählt, dem eraucham29. April 1933 nochangehörte. Andiesem Tag stimmtederbayerische Landtagdem „Gesetz zur Behebung derNotdesbayerischen Volkesund Staates“,dem bayerischen Ermächtigungsgesetz,zu.Indieserstürmischverlaufenden Sit- zung gehörteAdolf Ludwig neben FranzBöglerzuden 16sozi- aldemokratischen Mitgliedern,die dem Gesetz ihreZustim- mung verweigerten. NochimJahr1933 wurde Ludwig mehrfachinPirmasensverhaftet; ersetztesichdann insSaar- land ab und ging von dort 1935insfranzösische Exil,woer zusammen mitHerbert Müller,dem späteren Landes-und Frak- tionsvorsitzenden derKPD in Rheinland-PfalzdasKomitee Frei- esDeutschland leitete. Erst im Oktober1945 konnteLudwig wiederin die Pfalzzurückkehren,woeraufeiner–nochillega- len –Delegiertensitzung zumprovisorischen Vorsitzenden der pfälzischen SPD gewähltwurde. IndieserFunktion hateram 15. Novemberund dann nocheinmalam27.Dezember1945

121 bei derMilitärregierung die Zulassung derSPD für die Provinz Hessen-Pfalzbeantragt.GemeinsammitBöglerwurde ervom ersten offiziellen SPD-NachkriegsparteitagalsVorsitzender bestätigt.Wegen seinerWahl zumGewerkschaftsvorsitzenden haterdiesesAmtallerdingsbereits ein Jahrspäterniederge- legt.1949 wurde erin den Bundestaggewählt,dem erbiszu seinem Tode am18. Februar1962 angehörte. Die „Rheinpfalz“ nannteihn einen der„Besten derpfälzischen SPD“.

Anders alsdie CDU bildetedie SPD zunächst keinen Landes- verband. Darin kamvorallem ihreOpposition zumneuen Land zumAusdruck(vgl. S.288 f.),die sie seitderLandesgründung immerwiederbetonteund die ihrletztlichauchein gespann- tesVerhältniszur französischen Besatzungsmachteinbrachte. MitBeginn derTätigkeitdesLandtagsbildeten die drei Bezir- ke derSPD Rheinland-Hessen-Nassau,Rheinhessen und Pfalz im Mai1947unterdem Vorsitz von FranzBöglerimmerhin einen Landesausschuss,dem zunächst neun,dann zwölf Mit- gliederangehörten,die abernur beratende Funktion hatten und keine Beschlüssefassen konnten.

Einen mühsamen Gründungsweg mussten auchdie Liberalen gehen,die in derPfalzeine biszumHambacherFest zurück- reichende Tradition besaßen. Sie erfreuten sichnichtunbe- dingtdesWohlwollensderfranzösischen Besatzungsmacht und hatten im Übrigen Schwierigkeiten,verschiedene politi- sche Strömungen zusammenzufassen. IhreEntwicklung verlief in Rheinland-Hessen-Nassauund in Hessen-Pfalzunterschied- lich. InHessen-Pfalzwarein AntragaufGründung eineslibe- ralausgerichteten Christlich-Sozialen-Volksbundesdarange- scheitert,dass neben derCDU keine weiterechristliche Partei zugelassen wurde. SobeantragteimFebruar1946ein kleiner KreisliberalerPersönlichkeiten die Zulassung des„Sozialen Volksbundes“für Hessen-Pfalz; zu ihnen gehörtederPräsidial- direktorbeim OberregierungspräsidiumHessen-Pfalz,Ludwig Ritterspacheraus Neustadt,derein knappesJahrspäterfür die CDU zumVorsitzenden desVerfassungsausschussesderBera-

122 tenden Landesversammlung gewähltwurde. Diesem Antragwurde erst am11. Mai 1946stattgegeben. Die pfälzi- sche CDU hattebei den fran- zösischen Stellen zugunsten desSozialen Volksbundes interveniert,„umeine liberale Orientierung derCDU zu ver- hindern“. Während derSozia- le Volksbund bei den Kommu- nalwahlen im September1946sowohl in KommerzienratWilhelm Rheinhessen alsauchinderPfalznur relativweni- Rautenstrauch ge Stimmen aufsichvereinigen konnte,erzielten vorallem in Rheinland-Hessen-Nassauliberale Honoratioren aufsog. Freien Listen beachtliche Stimmengewinne. ImSep- tember1946beantragtedaraufhin derTriererKommerzienrat Wilhelm Rautenstrauchdie Gründung derLiberalen Partei Rheinland-Hessen-Nassau,die mitderVerfügung Nr.123 am 21. September1946auchzugelassen wurde. Damitexistier- ten in Rheinhessen zwei liberale Parteien,derSoziale Volks- bund (SV)und die Liberale Partei (LP),die bei den Kreistags- wahlen im Oktober1946auchgegeneinanderantraten.

Aufdie DauerwardieseSpaltung für die Liberalen abersehr nachteilig. Sie erinnerteanWeimarerVerhältnisse. Deshalbbil- deten SV und LP Ende 1946eine Arbeitsgemeinschaft.Im Februar1947stelltederSoziale Volksbund seine Arbeitin Rheinhessen zugunsten derLiberalen Partei ein und umgekehrt die LP ihreArbeitin derPfalzzugunsten desdortigen SV.Erst am19. und 20.April 1947schlossen sichaufeinem Delegier- tentaginBadKreuznachdie Liberale Partei Rheinland-Hessen und derSoziale Volksbund derPfalzzur „Demokratischen Par- tei Rheinland-Pfalz“zusammen. Sie lehntejede Sozialisierung ab und tratfür die christliche Gemeinschaftsschule und für eine Stärkung desstaatlichen Zentralismus ein. ErsterVorsitzender desneuen Landesverbandeswurde Regierungspräsidenta.D.

123 WaltherDörr (l.), Dörr aus Birkenfeld,StellvertreterKommerzienrat 1908–1925linksliberaler Rautenstrauch,derbereits einige Monatezuvor, Abgeordneter am22.November1946,alsAlterspräsidentdie im Oldenburgischen konstituierende Sitzung derBeratenden Landes- Landtag versammlung eröffnethatte(vgl. S.…). Erhatte schon vordem Ersten Weltkrieg und danachbis 1933 alsAbgeordneterderNationalliberalen und derDeut- schen Volkspartei dem Reichstagangehört.Die Wahl zum ersten Landtagam18. Mai1947bestritten SV und LP allerdings nochgetrennt; im Landtagbildeten sie dann abereine gemein- same Fraktion,die sichnachderneugegründeten Partei „Demokratische Fraktion“ nannte. Nachdem sichdann am 10./11. Dezember1948 in Heppenheim anderBergstraße die „Freie Demokratische Partei“ gegründethatte,schloss sich– mitentsprechenden Namensänderungen –auchdie „Demo- kratische Partei Rheinland-Pfalz“derFDP alsLandesverband an.

Die KPD hatteesbei ihrerGründung einfacher.Sie konntein organisatorischerHinsichtandasJahr1933 anknüpfen,verfüg- tenochübereinen gut funktionierenden Apparatund genoss

124 –mitBlickaufdie PariserVolksfrontregierung,derdie Kommunisten nochalsstärkstePartei angehörten –die Sym- pathie derfranzösischen Militärbehörden. Am16.Januar wurde die KP für Rheinland-Hessen-Nassauund am4.Febru- ar1946für Hessen-Pfalzgenehmigt.Wie die SPD musstesie zunächst aufdas„D“inihrem Namen verzichten. Die Partei schien sichimVergleichzur WeimarerRepublik geändert zu haben. Entsprechend den Vorgaben desZK fordertez.B.die pfälzische KP statt derproletarischen Weltrevolution „eine par- lamentarische-demokratische Republik mitallen demokrati- schen Rechten und Freiheiten für dasVolk“. Aucheine „Ver- ständigung und Zusammenarbeit“mitderSPD wurde thematisiert.DochscheitertederVersucheinerVereinigung mit derSPD amWiderstand führenderSozialdemokraten. ImJanu- ar1947schlossen sichdie KP Rheinland-Hessen-Nassauund Hessen-Pfalzzueinem rheinland-pfälzischen Landesverband derKPD zusammen. IhrersterLandesvorsitzenderwarderaus Ludwigshafen stammende Herbert Müller(1900–1994),ein gelernterSchriftsetzer,dersichunmittelbarnachdem Ende des Ersten WeltkriegesderKPD angeschlossen hatteund für sie 1928inden bayerischen Landtaggewähltworden war.Bereits am2.Mai1933 warervon den Nationalsozialisten verhaftet und insKonzentrationslagerDachauverbrachtworden,woer bisApril 1935inhaftiert blieb.1937/38kämpfteeralsOffizier derInternationalen Brigade im spanischen Bürgerkrieg,1939 wurde erin Frankreichinterniert,ab1943lebteerdort in der Illegalität.ImAugust 1945 warernachLudwigshafen zurück- gekehrt und dort in den Stadtrat,den Kreistagund auchindie Beratende Landesversammlung gewähltworden. Schon 1948 wurde eralsLandesvorsitzenderund Fraktionsvorsitzenderim Landtagabgelöst.Mitihm verloren auchdie übrigen „Weste- migranten“ ihreParteifunktionen,die zunehmend von den in derSowjetunion geschulten ehemaligen Kriegsgefangenen wahrgenommen wurden. Wegen derdamiteinhergehenden Stalinisierung derKPD tratMüllerim September1949 aus sei- nerPartei aus und in die SPD ein,für die erdann nochbis1971 ein Landtagsmandatinnehatte. Die KPD warnur bis1951 im

125 Herbert Müller, ersterVorsitzender derrheinland- pfälzischen KPD und Fraktionsvorsitzender im Landtag

Landtagvertreten. DerEinzuginden zweiten Landtagschei- terteanihrem schlechten Wahlergebnis.Sie erhieltnur noch 4,4%derStimmen. 1956wurde sie dann vom Bundesverfas- sungsgerichtbundesweitalsverfassungswidrig verboten.

Sämtliche Parteien unterlagen derKontrolle derfranzösischen Militärregierung. Öffentliche Versammlungen mussten sie ge- nehmigen lassen;zumindest die SPD in Rheinland-Hessen- Nassaubenötigtedarüberhinaus auchfür ihreVorstandssitzun- gen und Fahrten mitihrem KraftfahrzeuganSonn- und Feiertagen die Zustimmung derfranzösischen Stellen. Aber auchdie anderen Parteien unterlagen vergleichbaren Ein- schränkungen. ImÜbrigen waresihnen verboten,in öffentli- chen Versammlungen bestimmteThemen zu behandeln. Dazu gehörtedie Frage derdeutschen Einheit,die beabsich-

126 tigteInternationalisierung von Ruhrund Rheinland und des wirtschaftlichen AnschlussesderSaaranFrankreich. AuchKri- tik anderinsAuge gefassten Föderalisierung deskünftigen deutschen Staateswaruntersagt.Insoweitunterlagen die Par- teien ähnlichen Beschränkungen wie die Presse(vgl. S.102).

UngeachtetallerSchwierigkeiten erreichten die Parteien –vor allem die SPD und die CDU –binnen wenigerMonateeinen beachtlichen Mitgliederbestand. DerSPD gehörten Ende 1946 in den beiden Provinzen Rheinland-Hessen-Nassauund Hessen-Pfalz33103 Mitgliederan. Zwei Jahrespäterwaren es bereits 46781 Mitglieder(z.Z.rund 48 000). Alsneugegrün- detePartei hattedie CDU zunächst keine vergleichbaren Zah- len vorzuweisen. Ihrgehörten im Jahr1947rund 20 800 Mit- gliederan(z.Z.rund 57000). Die KPD zählte1947ebenfalls rund 20 000 Mitglieder; alssie 1951 den Wiedereinzuginden Landtagverpasste,waren esnoch6500.Von derFDP sind die Anfangszahlen nichtverfügbar.Zurzeitgehören ihrrund 5000 Mitgliederan.

8. Kommunalwahlen

MitderZulassung derPresseund derParteien waren wichtige Voraussetzungen für die Durchführung von Kommunalwahlen geschaffen worden. Sie waren dernächsteSchritt im Demo- kratisierungsprozess desLandes.

Seit1933 hatteesin den Kommunen keine gewählten Vertre- tungskörperschaften und keine demokratischlegitimierten Bür- germeisterund Landrätemehrgegeben. Sie waren in derZeit desNationalsozialismus gleichgeschaltetworden. Daserste Gleichschaltungsgesetz vom 31. März 1933 hatteu.a.die kom- munalen Selbstverwaltungskörperschaften aufgelöst und deren Neubesetzung nachden Ergebnissen derReichstags- wahl vom 5. März 1933 ohne Berücksichtigung derKPD- Mandateangeordnet.Spätestensnachdem VerbotderSPD

127 am22.Juni 1933 hattedie NSDAP in allen Gemeindevertre- tungen die Mehrheit.Die völlige erfolgtedann mitderEinführung derDeutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar1935. Die Ratsmitgliederwurden nichtmehrgewählt, sondernvom Staatim Benehmen mitden Bürgermeisternfür die Dauervon sechsJahren berufen. Ohnehin hatten sie nur nochberatende Funktion.

Am22.Mai1946legtedasfranzösische Außenministeriumdie Termine für die Kommunalwahlen fest:den 15. September 1946für die Gemeinderatswahl und den 13.Oktober1946für die Kreistagswahl. Beide Wahlen sollten alsokurz nachder Gründung desLandesstattfinden. Einig warmansichdarüber, dass die Gemeinde- und Kreistagsmitgliederaufzwei Jahre gewähltwerden sollten. ImÜbrigen gab esviele Streitfragen. Entgegen den Wünschen derDeutschen sollten die Bürger- meisternicht–wie bis1933 –haupt-,sondernehrenamtlich tätig sein. Dafür gaben die Franzosen in derFrage desWahl- systemsnach. Nichtnachdem Mehrheitswahlrecht,sondern nacheinem modifizierten Verhältniswahlrecht Wilhelm Froitzheim, solltegewähltwerden. Schließlichbestanden die stellvertretender Franzosen aufderZulassung sog. parteiungebun- Leiterder denerListen,wogegen sichinsbesondereCDP Kommunalwahlen und CDU mitderBegründung wandten,solche Listen böten ehemaligen Nationalsozialisten einen Deckmantel für eine politi- sche Betätigung. Für die Fran- zosen überwog aberdie nicht unbegründeteSorge,dass insbesondereinländlichen Bereichen erhebliche Vorbe- haltegegenüberden Parteien bestehen würden. Auseinan- dersetzungen gab esauchbei den Stimmzetteln. Froitzheim, deralsLeiterdesStatistischen

128 Amtes(vgl. S.67)imspäteren Rheinland-Hessen-Nassauauch stellvertretenderWahlleiterbei den Kommunalwahlen war, berichtetedavon,dass entsprechend dem in Frankreichprak- tizierten Verfahren ursprünglichnur Stimmzettel verwendet werden sollten,welche die jeweiligen Wahlbewerberden Wahlberechtigen zur Verfügung stellten sollten.Dashätteein weitaus größeresPapierkontingenterfordert alsfür amtliche Stimmzettel,aufdie mansichschließlichdocheinigte. Da aller- dingsdie Papierfreigabenachden ursprünglichen Plänen bereits erfolgtwar,verfügteFroitzheim übereinen großen Papierbestand,derihm offenbarden Beinamen „Papierkönig“ und eine entsprechend privilegierteStellung einbrachte.

InderVerordnung Nr.44vom 28. Mai1946hatteGeneralKoe- nig auchverfügt,dass nichtalle volljährigen Rheinland-Pfälzer wahlberechtigtwaren. Wählbarwarnur,werdas25. Lebens- jahrvollendethatteund wederMitglied in derNSDAP oder ihren Untergliederungen gewesen war,nochnachdem März 1936 alsBerufsoffizieroderUnteroffizierim aktiven Dienst gestanden hatte. AuchdasaktiveWahlrechtwareinge- schränktund stand prinzipiell denen nichtzu,die Mitglieder derSS oderderWaffen-SS, derNSDAP oderihren Unterglie- derungen gewesen waren,sofernsie sichanderPartei mehr alsnur dem Namen nachbeteiligthatten. Außerdem waren auchsolche Personen von derWahl ausgeschlossen,die ohne Parteimitglied gewesen zu sein durchihreHaltung gezeigthat- ten,dass ihrAusschluss aus derWählerschaftgerechtfertigt war,wasvorallem bei denen unterstelltwurde,welche Deut- sche oderFremde wegen ihrerpolitischen Gesinnung,Rasse oderReligion angezeigtoderverfolgthatten.

ImWahlkampf betonten die Parteien,dass esumdie ersten freien Wahlen seit1933 gehe. Sie sahen die Wahlen deshalb nichtnur alsMacht-,sondernauchalsBewährungsprobefür die Bevölkerung und sichselbst an. DerWahlkampf sollteauch dazu dienen,die Menschen wiederfür die Politik zu interes- sieren und –wie derBezirksvorsitzende derpfälzischen SPD

129 Adolf Ludwig am28. August 1946schrieb–sie politischurteils- fähig zu machen,damit„Demagogen,Schwindlerund Lügner“ niemalswiedererfolgreichwären. Überhauptsolltedie Kom- munalpolitik „zur Volksschule derDemokratie“ werden. Auch ElseMissong (CDP),die in derWeimarerRepublik Mitglied der Zentrumsfraktion im Reichstaggewesen warund zu den ganz wenigen gehört hatte,die in einerfraktionsinternen Probeab- stimmung gegen dasErmächtigungsgesetz votiert hatten,rief die Bürgerzur MitarbeitamAufbauderDemokratie aufund warnte„eindringlichvorden ErbfehlernunseresVolkes,vorder Kritiksuchtund derEigenbrötlerei“. InTrierrief derörtliche Vor- sitzende derKPD HansEiden dazu auf,vom „Parteihader“ abzulassen und anderZusammenarbeitallerdemokratischen Kräftefestzuhalten.

NatürlichbotderWahlkampf den Parteien auchdie Gelegen- heit,den Wählerndie Wahlprogramme vorzustellen. Da die Unsicherheitüberdie künftigen Gestaltungsmöglichkeiten in einem besetzten Land groß war,hielten sichCDP und CDU mit konkreten Forderungen zurückund beschränkten sichaufall- gemeine Reflexionenüber „dasWoherund dasWohin“. ImÜbrigen forderten sie die Wählerauf,ihreWahlent- scheidung unterBerücksichti- gung ihrerreligiösen Einstel- lung zu treffen. Daslief vor allem im Norden desLandes aufdasWahlkampfmotto „ChristentumoderSozialis- mus“hinaus.Die SPD hatte dem nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Sie for- dertevorallem die Sozialisie- rung kommunalerLeistungen Adolf Süsterhenn und die Einführung von plebiszitären Rechten in im Wahlkampf die Gemeindeverfassung. Aberauchdie Schaffung

130 von Dauerkleingärten,die Errichtung von Ledigenheimen und die Sicherung von Schulausflügen finden sichinihrem Wahl- programm. Inihrem Ende August 1946veröffentlichten Kom- munalwahlprogramm fordertedie KPD die EinheitderArbei- terparteien,die Beseitigung desGroßgrundbesitzes,die Ausrottung desNazismus und desMilitarismus,volle Gleich- berechtigung derFrauen,ein Rechtderjungen Generation auf Arbeit,Erholung und Bildung sowie die baldige Rückkehrder Kriegsgefangenen. Obwohl seitdem 30.August die Gründung eines„rhein-pfälzischen“ Landesbekanntwar,spieltedieses Themain den 14 Wochen biszur Gemeinderatswahl offenbar keine größereRolle,wederbei CDP/CDU nochbei derSPD und auchnichtbei derKP und den Liberalen.

DerWahlkampf fand hauptsächlichinVersammlungen und in derPressestatt.Flugblätterund Wahlplakatewaren angesichts desknappen Papiers Mangelware. Die „Rheinpfalz“wiesauf einen Umstand hin,derfür unsheuteselbstverständlichist,den Menschen damalsabererst wiederbewusst gemachtwerden musste:

„Zumersten Malkönnen wirwiederfrei von jederDrohung und jederGesinnungsschnüffelei unsereStimme abgeben. Die Wahlen sind geheim.“

DerSüdwestfunk richteteinderNachtvom 15. zum16.Sep- temberbis6Uhrmorgenseigenseinen Wahlsonderdienst ein, derdie einlaufenden Wahlergebnisseindasdie gesamteNacht andauernde Musikprogramm einspeiste. Amanderen Morgen lagen die Ergebnissevor:ObgleichdasInteressederBevöl- kerung anderWahl im Vorfeld alsgeringeingeschätzt wurde, wardie Wahlbeteiligung groß. Landesweitbetrugsie 87,9%, in derPfalzwarsie mitrund 90%amgrößten. Allerdingswaren auch5,8%derStimmen ungültig,im BezirkTrierwaren es sogar10%. Die CDP/CDU wurde landesweitmit45,2%stärks- tePartei,gefolgtvon derSPD mit24,5%und den Parteilosen mit22,8%.Die KPD landetebei 6,5%.AufGrund dieser

131 Ergebnisseerhieltdie CDU 43,8%derSitzeinden Gemein- devertretungen,die SPD nur 14,3%,die Parteilosen dagegen 39,2%. Von den größeren Städten stelltedie SPD nur in Lud- wigshafen,Kaiserslauternund Frankenthaldie Mehrheit,in allen übrigen Städten einschließlichMainz,Koblenz,Trier,Pir- masens,Speyerund Zweibrücken waren CDP/CDU die stärks- ten Parteien. Wenige Tage nachderGemeinderatswahl wähl- ten die Stadt-und GemeinderäteihreOberbürgermeisterund Bürgermeister,insgesamtüber2000.Bei 94 %dieserWahlen obsiegten diejenigen,die von den Amerikanernbzw.Franzo- sen bereits alsOberbürgermeisterbzw.Bürgermeistereinge- setzt worden waren.

Die am13.Oktober1946folgen- de Kreistagswahl bestätigteim Wesentlichen die Ergebnisseder Gemeinderatswahl. Die Abwei- chungen hingen vorallem damit zusammen,dass offene Listen nichtmehrzugelassen worden waren. Aus diesem Grunde ging die Wahlbeteiligung von 87,9% auf78,5%zurück. Wiederwurden CDP und CDU die mitAbstand stärksten Parteien (54,9%), gefolgtvon derSPD (30,2%) und den Kommunisten (7,4%). Ineinem Wahlkommentardes„Neuen MainzerAnzeigers“ wurde den Parteien Anerkennung dafür gezollt,

„daßsie einen durchaus fairen Wahlkampf geführt,und esals demokratische Parteien,ganzgleichwelcherRichtung,vermie- den haben,den spähenden und unkenden Nazisin den Schlupfwinkeln auföffentlichem Marktein Bild derZerflei- schung darzubieten. Die Nazishofften Morgenluftzuwittern. Die Parteiensind übersie weg geschritten. Die Sonne lacht übereinem Land,dassicherfolgreichseine Selbstverwaltung zu zimmernversucht.“

132 Mitden Kommunalwahlen hatten die Bürgerinnen und Bürger erstmalsin dem seitdem 30.August 1946bestehenden Land ihren politischen Willen geäußert und damiteine demokrati- sche Grundlage geschaffen,aufderdie weitereDemokratisie- rung desLandesaufbauen konnte.

9. Die „GemischteKommission“

Die Einsetzung deraus VertreternderOber(regierungs)präsi- dien von Rheinland-Hessen-Nassauund Hessen-Pfalzbeste- henden „Gemischten Kommission“ warin derVerordnung Nr. 57vom 30.August 1946vorgeschrieben worden (vgl. S.74ff.). Sie sollteinderÜbergangszeitbiszur Wahl derBeratenden Landesversammlung und derErnennung dervorläufigen Landesregierung dasZusammenwachsen derVerwaltungsbe- zirke Rheinland-Hessen-Nassauund Hessen-Pfalzzueinem gemeinsamen rheinland-pfälzischenStaatvoranbringen;vor allem solltesie mitden Arbeiten anderLandesverfassung beginnen.

Die Kommission bestand aus ihrem Vorsitzenden,dem Ober- präsidenten von Rheinland-Hessen-NassauWilhelm Boden, seinem ersten Stellvertreter,dem Oberregierungspräsidenten von Hessen-PfalzOttoEichenlaub, seinemzweiten Stellvertre- ter,dem Regierungspräsidenten von MainzJakobSteffanund neunweiteren Mitgliedern,darunterdie Regierungspräsiden- ten von Montabaur und Trier,PeterAltmeierund Wilhelm Steinlein. AufdieseZusammensetzung hatten sichdie beiden MilitärgouverneureBoislambert und Brozen-Favereaumit den Spitzen derbeiden Ober(regierungs)präsidien schon unmittelbarnachderLandesgründung am3.September1946 in Koblenzverständigt.Dervon derSPD vorgeschlagene ehe- malige ReichstagsabgeordnetePaulRöhle warvon Boislam- bert ohne nähereBegründung nichtakzeptiert worden,sodass die SPD nur mitdrei statt mitvierMitgliederninder „Gemischten Kommission“ vertreten war.Röhle wurde wenig

133 späteraberMitglied im Verfassungsausschuss der„Gemisch- ten Kommission“,obwohl den Franzosen offenbarbelasten- desMaterialgegen ihn vorlag. Katrin Kuschberichtetdavon, dass Röhle 1950derZusammenarbeitmitderGestapo über- führt worden sei.

Wilhelm Boden,bisdahin als Landratvon Altenkirchen,Koblen- zerRegierungspräsidentund Oberpräsidentvon Rheinland- Hessen-Nassau,übernahm damit den Vorsitz desersten deutschen Gremiums,dasfür dasgesamte neueLand zuständig war.Dass er dazu die fachlichen Qualifikationen besaß,hatten die zurückliegenden 16Monategezeigt.Aberauch seine demokratische Haltung Wilhelm Boden, stand außerFrage. Bereits in derWeimarerRepu- Vorsitzenderder blik hatteersichalsDemokratbewährt.Für die Gemischten Komission Zentrumspartei gehörteeru.a.dem Rheinischen Provinziallandtagund dem Preußischen Landtag an,in dessen Vorstand ernoch1933 gewähltworden war.Im Dritten ReichverlorerAmtund Mandatund hattelange unter persönlichen Schikanen und Verfolgung zu leiden.Überein hal- besJahrhatteerim WittlicherGefängniswegen haltloserVor- würfe eingesessen,von denen ersicherst nachdem Ende des Dritten Reichesentlasten konnte. MitWilhelm Boden tratdamit ein ausgewiesenerFachmann und vorallem ein Politikerandie Spitzedesneuen Landes,derseinen Landsleuten alsdemo- kratischesVorbild dienen konnte.

Die GemischteKommission konstituiertesicham12.Septem- ber1946in Mainz.Die Sitzung wareingebettetin eine Reihe von Festlichkeiten,mitdenen die Franzosen die wenige Tage zuvorbekanntgegebene Gründung desneuen Landesfeier- ten. Manöver,Truppenparaden,Fackelzüge und Sportveran-

134 staltungen sollten dieserersten Sitzung einesfür dasgesam- teLand zuständigen Gremiumseinen würdigen Rahmen geben. Die folgenden neunSitzungen fanden dann in Neu- stadt,BadKreuznach,Koblenzund Trierstatt.Nachderzehn- ten Sitzung am3.Januar1947–mittlerweile wardie vorläufi- ge Landesregierung im Amt(vgl. S.147ff.) –löstesichdie Kommission offenbarformlosauf.

ImMittelpunktihrerBeratungen stand derEntwurfeinerLan- desverfassung,derspäterderBeratenden Landesversamm- lung alsBeratungsgrundlage zur Verfügung gestelltwerden sollte. Zudiesem Zwecksetztedie GemischteKommission auf Anordnung derFranzosen einen Verfassungsausschuss ein, dem unterdem Vorsitz von Adolf Süsterhenn (CDP)Ernst Bies- ten (CDP),HannsHaberer(CDU),PaulRöhle (SPD),Wilhelm Kemmeter(SPD)und AndréHofer(KPD)angehörten. Auch Ludwig Ritterspacher,zu dieserZeitPräsidialdirektorim Ober- regierungspräsidiumHessen-Pfalz,waralsMitglied im Verfas- sungsausschuss vorgesehen gewesen,wechseltedann aberin den Verwaltungsausschuss,dersichvorallem mitdem Aufbau und derOrganisation derkünftigen Landesregierung befassen sollte.

DerVerfassungsausschuss berietzwischendem 21. September und dem 25. Oktober1946in insgesamtfünf Sitzungen einen

Adolf Süsterhenn (l.), Vorsitzenderdes Verfassungsausschusses derGemischten Komission, und Ernst Biesten

135 Verfassungsentwurf,den Süsterhenn zusammenmitBiesten zuvorerstellthatte. Die beiden waren die einzigen Juristen im Verfassungsausschuss,dereine von Haus aus Verwaltungsju- rist,derandereRechtsanwalt.Beide waren in dieserZeitin Unkel zu Hauseund schon deshalbmiteinanderbekannt. Außerdem leiteteBiesten die Rheinische Verwaltungsschule in Cochem,woSüsterhenn im AuftragBodensdie Fächer Staatslehreund Staatsrechtunterrichtete. Für die anstehende VerfassungsarbeithattesichSüsterhenn durchverschiedene Artikel überVerfassungsfragen,die im „Rheinischen Merkur“ erschienen waren,insGesprächgebracht.BiestensBerufung hing offenkundig damitzusammen,dass ervon Boden gera- de zumPräsidenten desLandesverwaltungsgerichts für die ProvinzRheinland-Hessen-Nassauberufen worden war.Beide hatten sichwährend derWeimarerRepublik in öffentlichen ÄmternalsDemokraten bewährt und im Dritten Reichunter den Nationalsozialisten zu leiden gehabt.Beide hatten ihre politische Heimatim Zentrumund sichnachKriegsende der KoblenzerCDP angeschlossen. Offenbargalten sie auchinden Augen derFranzosen alsdie maßgeblichen Köpfe im Verfas- sungsausschuss.Denn kurz vorBeginn seinerBeratungen waren Süsterhenn und Biesten von Hettierde Boislambert zu einem Gesprächüberdie anstehenden Arbeiten nachBadEms eingeladen worden.

Dervon ihnen erstellteVerfassungsentwurforientiertesichvor allem anderFrankfurterReichsverfassung von 1849,derpreu- ßischen Verfassung von 1850,derWeimarerReichsverfassung von 1919 und den bereits verabschiedeten Nachkriegsverfas- sungen derLänderderamerikanischen Besatzungszone. Er enthieltaberauchTextpassagen,die Süsterhenn und Biesten aus Vorschlägen übernommen hatten,die ihnen von Vertretern deskatholischen Klerus unterbreitetworden waren. Diese waren von Süsterhenn Anfang September1946zur Mitarbeit anderkünftigen Landesverfassung aufgefordert worden und hatten sichmitihm und Biesten auchzu mehreren Gesprächen getroffen,andenen u.a.auchderspätereKölnerErzbischof

136 und KardinalJoseph Höffner teilgenommen hatte. Während dieseTreffen geheim gehalten wurden,erwähnteSüsterhenn im Verfassungsausschuss,dass erden Verfassungstext auch mitVertreternderevangeli- schen Kirche erörtert habe. Nennenswerten Einfluss auf den InhaltdesEntwurfshatten dieseGespräche abernicht. Joseph Höffner

Derdem Verfassungsausschuss in derzweiten Sitzung vorge- legteEntwurfstelltebereits den Kernderspäteren Landesver- fassung dar.Erbestand aus einem Grundrechtsteil und Vor- schriften überdie Organisation desLandesund seiner Verfassungsorgane. Angestrebtwurde alsoeine sog. Vollver- fassung,waskeineswegsselbstverständlichwar,daz.B.die Länderderbritischen Besatzungszone sich bewusst aufOrganisationsstatutebeschränkten, Ministerpräsident umden provisorischen CharakterihrerLandesver- Boden mitdem fassungen zu betonen. ImÜbrigen spiegelteder KölnerKardinalFrings Verfassungsentwurfden Ver- suchSüsterhennswider,die Lehren derkatholischen Kirche aufdie staatliche Ordnung zu übertragen. Viele Artikel sind in diesem Sinne Konkretisierun- gen derkatholischen Natur- rechtslehreund derÜberzeu- gung Süsterhenns,dass nur „ein ungeschriebenesGesetz“, das„im Willen eineshöheren Wesenswurzelt“,in derLage sei,in ZukunfteinerEntartung desStaatsrechts vorzubeugen. AndereVorschriften desVerfas-

137 sungsentwurfssind Ausprägungen derpäpstlichen Enzyklika „Quadragesimo anno“ von 1931und desdarin postulierten Subsidiaritätsprinzips.

Inderabschließenden Ausschusssitzung am25. Oktober1946 hatten sichdie Ausschussmitglieder–wiederumbei Stimment- haltung Hofers –nochdafür ausgesprochen,keine Regelung zumVerhältnisvon Rheinland-Pfalzzuden übrigen Ländern und zu einem möglichen deutschen Gesamtstaatin den Ent- wurfaufzunehmen. Eine solche Regelung sei außenpolitischer Natur und deshalbnichtSache einesExpertengremiums,son- dernderBeratenden Landesversammlung vorzubehalten. Die Arbeiten desAusschussesendeten miteinem Dank desstell- vertretenden Ausschussvorsitzenden Röhle anSüsterhenn. Nur durchseine Arbeitsei esmöglichgewesen,in sokurzerZeit einen beschlussfähigen Verfassungsentwurfvorzulegen.

Die BeratungsergebnissedesVerfassungsausschusseswurden dann mitSchreiben vom 31. Oktober1946andie „Gemisch- teKommission“ übersandt,die den Entwurfallerdingserst in ihrerSitzung am28. November1946in AnwesenheitSüster- hennsnachkurzerDiskussion „alsbrauchbareGrundlage für die Beratungen derLandesversammlung“ zur Kenntnisnahm und ihn andie Beratende Landesversammlung weiterleitete, die sichmittlerweile konstituiert hatte. Die Verzögerung war offenbardaraufzurückzuführen,dass sichdie Franzosen inten- sivmitdem Verfassungsentwurfbefasst hatten. ZuÄnderun- gen haben ihrePrüfungen abernichtgeführt.

Inden beiden nochfolgenden Sitzungen der„Gemischten Kommission“ ging esvorallem umdie künftige Stellung der Pfalz.Nachdem Willen derfranzösischen Militärregierung soll- tesie den Sonderstatus einerProvinzmiteigenem Provinzial- landtagund eigenerProvinzialregierung erhalten. Umdieszu ermöglichen,hatteGeneralKoenig am8.Oktober1946Rhein- hessen aus dem OberregierungspräsidiumHessen-Pfalzaus- gegliedert und dem OberpräsidiumRheinland-Hessen-Nassau

138 zugeordnet,dem damitdie PfalzalseigenständigerBezirk gegenüberstand. DerbeabsichtigteSonderstatus derPfalz führteinderletzten Sitzung der„Gemischten Kommission“ am 3.Januar1947jedochzu heftigen Auseinandersetzungen. Nur derOberregierungspräsidentderPfalz,OttoEichenlaub, unterstütztedie französischen Pläne;von den übrigen Kommis- sionsmitgliedernwurden sie nachdrücklichabgelehnt.Die end- gültige Entscheidung überließ manaberderBeratenden Lan- desversammlung.

10.Die Beratende Landesversammlung

Die MitgliederderBeratenden Landesversammlung wurden nichtvom Volk,sondernvon den Personen gewählt,die bei den vorangegangenen Kommunalwahlen in den Kreisen und in den Gemeinden mitmehrals7000 Einwohnernein Mandat errungenhatten. Aktivund passivwahlberechtigtwaren damit insgesamt1655 Wahlmännerund Wahlfrauen. Sie wurden in vierWahlkörpereingeteilt.Die beiden Wahlkörpermitden Kreistags-bzw.Gemeinderatsmitgliedernaus Rheinland-Hes- sen-Nassau,wozu seitOktoberauchRheinhessen gehörte,hat- ten in Koblenz57Kreistags-und 23 Gemeinderatsmitglieder und ihreKollegen aus derPfalzin Neustadt31Kreistags-und 16Gemeinderatsmitgliederin die Beratende Landesver- sammlung zu wählen. AlsWahltaghatten die Franzosen den 17.November1946bestimmt.Da diesein Sonntagwarund anSonntagen alle öffentlichen Verkehrsmittel für Deutsche zugunsten von erholungssuchenden Angehörigen derfranzö- sischen Besatzungsmachtgesperrt waren,wurden die Wahl- männerund Wahlfrauen mitSonderbussen nachKoblenzund Neustadtgebracht,wosie auchein warmesMittagessen erhiel- ten,wasin derdamaligen Zeiteine besondereVergünstigung darstellte.

Die Wahlen,andenen sichnur 1640der1655 Wahlmännerund -frauen beteiligten und nur 1635eine gültige Stimme abga-

139 ben,brachten den beiden christlichen Parteien von CDP und CDU einen klaren Sieg. Von den 127 Mandaten erhielten sie 70.Die SPD erhielt41 Sitze,die KPD neunSitze,derSoziale Volksbund fünf und die Liberaldemokratische Partei zwei Sitze. VorderKonstituierung derBeratenden Landesversammlung wählten die Fraktionen ihreVorsitzenden. Vorsitzenderder CDP/CDU-Fraktion wurde derRegierungspräsidentvon Mon- tabaur,PeterAltmeier,VorsitzenderderSPD-Fraktion dervor- malige OberregierungspräsidentderProvinzMittelrhein-Saar und Oberregierungspräsidentvon Hessen-PfalzHansHoff- mann und Fraktionsvorsitzenderderbeiden liberalen Parteien, die eine Fraktionsgemeinschaftbildeten,deraus derPfalz stammende Jurist und Landgerichtspräsidentvon Kaiserslau- ternFritz Neumayer.VorsitzenderderKPD-Fraktion wurde ihr LandesvorsitzenderHerbert Müller.

Altmeierund Hoffmann waren die beiden dominierenden Persönlichkeiten in derBeratenden Landesversammlung:Für Altmeierwurde derFraktionsvorsitz Ausgangspunkteinerpoli- tischen Kariere,die ihn bisin dasAmtdesMinisterpräsiden- ten führen sollte. Hoffmann warderParlamentarierin der SPD-Fraktion;seine kurzeZeitalsFraktionsvorsitzenderstell- teden parlamentarischen Höhepunktseinespolitischen Lebensdar,dem nocheine kurzeAmtszeitalsMinisterim Kabi- nett Altmeierfolgte,bevorerim April 1952in seinerpfälzi- schen Heimatgemeinde Wachenheim starb.Seine Reden in der Beratenden Landesversammlung waren die rhetorischen und inhaltlichen GlanzlichterjenerZeit.Ob esumdie „Bewältigung derVergangenheit“ging,umdie Stellung derParteien und der Presseimdemokratischen System oderumdie Demokratie als Lebensform:HoffmannsBeiträge waren stets brillant.Seine Einstellung zur Politik beschrieberin derBeratenden Landes- versammlung mitfolgenden Worten:

„Politik ist mehrFingerspitzengefühl alsWissenschaft,mehr HandwerkalsKunst,mehrGeschäftalsIdeal. Esgehtnichtbei jederWahl umdie allerletzteEntscheidung,esgehtmeistens

140 nur umeinen kleinen Schritt nachrechts odernachlinks.Es gehtimmeraufvierJahreund nie umdastausendjährige Reich. Eshätteallesbesserumdie deutsche Politik gestanden, wenn sie wenigermitWeltanschauung getränktgewesen wäre, wenn wir,statt ewig von letzten Zielen zu schwärmen,unsmehr den praktischen Aufgaben desTageswidmen wollten.“

Werwaren die MitgliederderBeratenden Landes- Abgeordnete versammlung,werdie Männerund Frauen,die mit derBeratenden derauszuarbeitenden Landesverfassung die Landesversammlung Grundlage für die neuedemokratische Ordnung legen sollten? Da die ehemaligen MitgliederderNSDAP und ihrerUntergliederungen bei den vorangegangenen Kommu- nalwahlen wederaktivnochpassivwahlberechtigtgewesen waren (vgl. S.129),gehörtederBeratenden Landesversamm- lung jedenfallsniemand an,dersichwährend desDritten Rei- cheszumNationalsozialismus bekannthatte. KeinesihrerMit- gliederwardurchdasDritteReichbelastet.ImGegenteil: Annähernd die Hälftevon ihnen waraufdie eine oderandere Weisepolitischverfolgtworden,sei es,dass sie ihrepolitischen Ämterverloren hatten,die sie während derWeimarerRepu-

141 blik innehatten,sei es,dass sie berufliche Nachteile zu erlei- den hatten,ihrerFreiheitberaubtworden waren oderemigrie- ren mussten. Allein achtAbgeordnetederBeratenden Landesversammlung waren in Konzentrationslagerverbracht worden. Sogesehen spiegeltedie Beratende Landesversamm- lung zwardie politischen MehrheitsverhältnisseimLande wider; sie waraberallesanderealsein Spiegelbild derGesell- schaft,eherein Ausschnitt des„anderen Deutschlands“.

DasDurchschnittsalterderAbgeordneten lagbei 51,6Jahren. Die meisten bekleideten im Hauptberufein öffentlichesAmt, knapp ein Drittel hatteeine universitäreAusbildung,wobei rund 40%derCDP/CDU-Abgeordneten,abernur knapp 20 % derSPD-Abgeordneten Akademikerwaren. Für die Wahr- nehmung ihresMandateserhielten sie Diäten,die nachder Entfernung ihresWohnorteszumSitz derBeratenden Landes- versammlung in Koblenzgestaffeltwaren. Werden Versamm- lungsort mitderStraßenbahn erreichen konnte,bekam100 RM im Monat,die Abgeordneten aus derPfalz200 RM und alle übrigen 150RM.Wermitdem Zuganreiste,musstehäufig mit Güterwaggonsvorliebnehmen,wasden Präsidenten der Beratenden Landesversammlung,Ludwig Reichert,dazu ver- anlasste,die französische Militärregierung umverbesserteRei- semöglichkeiten für die Abgeordneten zu bitten.

Die Beratende Landesversammlung hatteinersterLinie die Landesverfassung zu erarbeiten und konntedarüberhinaus nur zu Fragen,die ihrvon dervorläufigen Landesregierung vorge- legtwurden,Stellung nehmen. DerErlass von Gesetzen und die Wahl desMinisterpräsidenten gehörten nichtzuihren Auf- gaben. Trotzdem warsie nachihrem Selbstverständnisdas ersteParlamentdesneuen Landes.Sie bezeichnetesichals Landtagund ihreMitgliederalsLandtagsabgeordnete. Damit knüpftesie andie Landesparlamentean,die 1933 von den Nationalsozialisten aufgelöst worden waren. Mitihreram22. November1946erfolgten Konstituierung endetedamiteine über13Jahredauernde parlamentsloseZeit.

142 Da in Mainz,wonachderVerordnung Nr.57 eigentlichderSitz desLandtagssein sollte, keine unzerstörten Tagungsmöglichkeiten zur Verfügung standen,fand die konstituie- rende Sitzung –ebensowie die folgenden Sitzungen –inKoblenzstatt,und zwar zunächst im dortigen Stadttheater,dasden Krieg weitgehend unbeschädigtüberstan- den hatte. „DasBild in dieserStättejahr- Tagungsort der hundertealterKulturtradition“ –schriebdie Beratenden „Rhein-Zeitung“ am23.November1946– Landesversammlung:

„warwürdig und eindrucksvoll. Die Bühne trugschlichten Schmuck,im Parkett hatten die 127 Abgeordneten Platz genommen. Die Logen blieben den Gästen vorbehalten,u.a. den VertreternderMilitärregierung,anderSpitzeGouverneur Hettierde Boislambert.“

Die Reden wurden von derBühne aus gehalten. Dort befan- den sichauchdie Plätzefür dasPräsidiumund –ab derzwei- ten Sitzung –auchdie für die Mitgliederdervorläufigen Lan- desregierung. DerOrchestergraben zwischen Bühne und Parkett warnichtabgedeckt,daskriegsbedingteLochinder Decke desTheaters nur notdürftig geschlossen. Derstrenge Frost im Winter1946/47machtesichdeshalbauchimThea- terbemerkbar.Werzwei Mäntel besaß,trugbeide übereinan- der.

InderNachmittagssitzung wurde deraus Wien stammende, seitKriegsende in Bingen wohnende,Ernst Albert Lotz (CDU) mitden Stimmen derCDP/CDU-Fraktion,derSPD und der Liberalen zumPräsidenten gewählt.Die neunAbgeordneten derKPD hatten gegen ihn votiert,weil ihnen dasAmteines Vizepräsidenten verweigert worden war.MitLotz stand ein aus- gewiesenerDemokratanderSpitzederBeratenden Landes- versammlung. Von den Nationalsozialisten warer1933 wegen seinerlangjährigen Tätigkeitfür dasZentrumaus dem

143 Ernst Albert Lotz, Schuldienst entlassen worden,in den erunmittel- ersterPräsident barnachKriegsende alsLeiterdesBingerStefan- derBeratenden George-Gymnasiumswiedereingetreten war. Landesversammlung (l.), Frühhatteersichauchwiederpolitischengagiert; und sein Nachfolger ergehörtezu den MitbegründernderCDU in Bin- Ludwig Reichert gen,woerKreisvorsitzenderwar,und in Rheinhes- sen,woerdie Funktion einesstellvertretenden Bezirksvorsitzenden innehatte. InseinerAntrittsrede nahm er u.a.zur Zukunftdesin derEntstehung begriffenen LandesStel- lung. Seine Ausführungen zeigen,wie ungewiss Ende 1946das Schicksaldes„rhein-pfälzischen Landes“war:

„Wirsind nichtberechtigtüberdie zukünftige Einordnung von Rheinland-Pfalzzuentscheiden.Aberichhalteesfür meine Pflicht,unsereWünsche gerade in dieserGrundfrage heute zumAusdruckzu bringen. Wirerhoffen die Bildung einesdeut- schen Bundesstaates,in den eingegliedert Rheinland-Pfalz seine geschichtliche Aufgabeweiterhin erfüllen kann. Eine Aus- schaltung unseresLandesaus dem deutschen Lebensraum würde nichtnur eine Schwächung desdemokratischen Gedankensin diesem bedeuten,sondernauchdasHochziel, die Vereinigten Staaten von Europazu bilden,in weiteFerne rücken.“

144 Da Ernst Albert Lotz 14 Tage nachseinerWahl zumKultus- ministerdervorläufigen Landesregierung ernanntwurde, mussteersein Präsidentenamtbereits am2.Dezember1946 niederlegen. Sein Nachfolgerwurde am5.Dezember1946der langjährige Oberbürgermeistervon Ludwigshafen,Ludwig Reichert,dernachdem Abschluss derVerfassungsberatungen nichtwiederaufdie landespolitische Bühne zurückkehrte,son- dernbis1957Oberbürgermeistervon Ludwigshafen blieb.

NachderWahl desPräsidenten wurden zehn Ausschüssegebil- det,u.a.derVerfassungsausschuss und derErnährungsaus- schuss.Die CDP-AbgeordneteElseMissong,die von 1932 bis 1933 den WahlkreisKoblenz/Trierim Reichstagvertreten hatte, begründetedie NotwendigkeitdesErnährungsausschusses mitfolgenden Worten:

„Esmuss mitallem Freimut festgestelltwerden,dass wir unterden gegenwärtigen Ver- hältnissen nichtmehrweiter leben können …Wirfordern einen Ausschuss zur Behe- bung derHungersnot.Ersoll andie Arbeitgehen. Wirwis- sen,wirsind arm,wirwollen und müssen unsbescheiden, aberwirwollen leben. Wenn bei unsseitmehralseinem Jahrdie Kaloriengrenzenicht erreichtwird,dann hatman bisherdarübergeschwiegen. Heuteinderersten Stunde,da esunsmöglichist zu sprechen,erheben wir ElseMissong, darumumsodeutlicherunsereStimme …Wirsind Abgeordneteder zusammengetreten alseineverfassungsgebende Beratenden Landesversammlung. Für Gräberbrauchenwir Landesversammlung keine Verfassung!“

145 WassichimRückblickdurchaus nachvollziehen lässt,führte damalszumEklat.Derfranzösische Gouverneur Boislambert sahinderRede einen Angriffaufdie französische Politik,zitier- tedie Fraktionsführung derCDP/CDU mitAltmeieranderSpit- zezu sichund wiesaufdie Folgen hin,die eintreten würden, wenn die Militärregierung dasLand in derErnährungskrisesich selbst überlassen würde. AuchderPräsidentderBeratenden Landesversammlung Ernst Lotz und sein VizepräsidentFranz Böglerwurden zurechtgewiesen,weil sie esunterlassen hät- ten,die Formulierung „für Gräberbrauchen wirkeine Verfas- sung“ zu rügen. ElseMissong selbst,die nochbiszum 23.November1946innerhalbderCDP/CDU-Fraktion alsmög- liche Wohlfahrtsministerin gehandeltworden war,wardamitfür ein entsprechendesAmtaus dem Rennen. Offenbargab es sogardarüberhinausgehende Schwierigkeiten:Eswird berichtet,dass ihrdasGefängnisgedrohthabe. Jedenfalls legtesie Ende Dezember1946ihrMandatniederund tratim folgenden Jahrauchaus ihrerPartei aus.Offenbarhattees innerhalbihrerFraktion Bemühungen gegeben,sie vom Mandatsverzichtabzuhalten und –nachdem diesnichtgelun- gen war–auchBestrebungen,die Fraktionsführung umPeter Altmeierabzulösen.

InderGründungsphasedesLandeswardie „AffäreMissong“ nur eine Episode. Abersie wirftein bezeichnendesLichtauf dasVerhältniszwischenderMilitärregierung und den Reprä- sentanten desneuen Landes.Zuden Folgen dieserAffäre gehörteesauch,dass alle Reden,die in derBeratenden Lan- desversammlung gehalten wurden,von nunanvon den Frak- tionsvorsitzenden überprüftwerden mussten. Diesewurden damitunmittelbarin die Pflichtgenommen und für die Äuße- rungen ihrerFraktionskollegen verantwortlichgemachtmitder Folge,dass Kritik anderfranzösischen Militärregierung vorerst kaumnochgeäußert wurde.

Die Beratende Landesversammlung kaminden folgenden fünf Monaten zu insgesamtacht–zumTeil mehrtägigen –Sitzun-

146 gen zusammen. Untergebrachtwaren die meisten Abgeord- neten in dieserZeitin verschiedenen Hotelsim benachbarten BadEms,von wosie vorjederSitzung mitmehreren Bussen nachKoblenzgebrachtwurden. Inder2.Sitzung am5.Dezem- berwurde den MitgliedernderBeratenden Landesversamm- lung die vorläufige Landesregierung vorgestellt,in der3.Sit- zung am6.Dezember1946wurde derVerfassungsentwurfan den Verfassungsausschuss überwiesen und in der8. Sitzung vom23.bis25. April 1947die entsprechende Beschlussemp- fehlung desVerfassungsausschussesberaten und angenom- men (vgl. S.165ff.). Inden übrigen Sitzungen wurden insbesondereErnährungsfragen behandeltund dasinsGere- de gekommene Entnazifizierungsverfahren modifiziert.

Unterihrem zweiten Präsidenten Reichert hattedie Beratende Landesversammlung ein erstaunlichesparlamentarisches Selbstbewusstsein entwickelt.Obwohl sie eigentlichnur „gut- achtlich“ zu den „Landesverordnungen“ derRegierung hätte Stellung nehmen sollen,wurden die ihrvorgelegten Verord- nungsentwürfe MinisterpräsidentBoden mitdem Zusatz zurückgereicht,dass sie sovon derBeratenden Landesver- sammlung „beschlossen“ worden seien. Die vorläufige Lan- desregierung akzeptiertediesund wurde von den Franzosen sogardazu ermuntert,die Beratende Landesversammlung nochstärkerin ihreArbeiteinzubeziehen. Esbliebaberbei wenigen Landesverordnungen,die derBeratenden Landesver- sammlung vorgelegtwurden,darunterdie Verordnungen „zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts in derStraf- rechtspflege“,„zur politischen Säuberung“ und „zumSchutz derVolksernährung“. Sie illustrierten auchdie speziellen Pro- bleme derdamaligen Zeit.

11. Die vorläufige Landesregierung

Bereits amTagderkonstituierenden Sitzung derBeratenden Landesversammlung hatten Sondierungsgespräche zwischen

147 Boislambert und den VertreternderParteien überdie Zusam- mensetzung dervorläufigen Landesregierung begonnen. Sie fanden im KoblenzerSchloss statt,in den folgenden Tagen auchamAmtssitz derMilitärregierung in BadEms.Frühzeich- netesichab, dass von den Parteien nur Besetzungsvorschlä- ge erwartetwurden,die Entscheidung überdie Zusammenset- zung dervorläufigen Landesregierung abervon den Franzosen getroffen werden würde. Schon in den Gesprächen amNachmittagund Abend des22.Novemberstand fest,dass die Franzosen trotz derabsoluten MehrheitderCDP/CDU- Fraktion in derBeratenden Landesversammlung aufeiner Koalitionsregierung bestehen würde,und zwarnachdem Vor- bild desdamaligen französischen „tripartisme“ von Christde- mokraten,Sozialisten und Kommunisten. Obwohl die Gesprä- che zwischen den Parteien offenbarreibungsloserverliefen als zwischen ihnen und derfranzösischen Militärregierung,war abzusehen,dass eszwischen CDP/CDU und SPD einen Kampf umdasInnenministeriumgeben würde,dasbeide für sich beanspruchten.

Am23.Novemberlegten die Verhandlungsführerder CDP/CDU, zu denen Altmeierund Boden gehörten,eine erste Kandidatenlistevor.Für dasAmtdesMinisterpräsidenten wur- den Wilhelm Boden und Anton Rinck,Präsidialdirektorim Oberpräsidiumvon Rheinland-Hessen-Nassau,vorgeschlagen und für die achtMinisterien insgesamt15 verschiedene Kan- didaten benannt,von denen zehn derBeratenden Landesver- sammlung angehörten. Für die SPD wurden am26./27. Novemberzunächst HansHoffmann,dann derPirmasenser Adolf Ludwig und schließlichderrheinhessische Regierungs- präsidentJakobSteffanalsInnenministersowie Präsidialdirek- torPaulRöhle alsArbeitsministernominiert.

Nachlangen Beratungen hattemansicham29. November 1946aufdie Kabinettslisteverständigt.Von den 17Kandida- ten derCDP/CDU waren nur zwei zumZuge gekommen: Wilhelm Boden alsMinisterpräsidentund Johann Junglasals

148 Wohlfahrtsminister.Die übrigen Vorschläge waren von Boislam- bert nichtakzeptiert worden. DerSPD erging esetwasbesser. Von ihren Nominierungen hatten sichnachzumTeil hartnäcki- gen Verhandlungen immerhinJakobSteffanalsInnen- und PaulRöhle alsArbeitsministerdurchgesetzt.Die Nominierung Hoffmanns,derbereits alsOberregierungspräsidentvon Hes- sen-Pfalzabgesetzt worden war(vgl. S.66),warvon den Fran- zosen alsProvokation empfunden worden. Ludwig hatten sie offenbarwegen einerSchriftabgelehnt,die er1923 gegen die französische Rheinlandpolitik verfasst hatte. Umsoüberra- schenderwardie Entscheidung zugunsten von Röhle,daervon den Franzosen nochalsMitglied derGemischten Kommission abgelehntworden war.Dass derSPD gegen den Widerstand derCDP/CDU dasInnenministeriumzugesprochen worden war,wurde alsAusgleichdafür gewertet,dass sie Wilhelm Boden,derin ihren Reihen sehrunbeliebtgewesen war,als Ministerpräsidentakzeptieren musste. Allerdingshattedies auchzur Folge,dass ihrstatt drei nur zwei Kabinettsposten zugestanden wurden.

Ein mühseligesund kontroversesProzederewarderEntschei- dung vorangegangen,werdie Pfalzin dervorläufigen Landes- regierung vertreten sollte. Dervon derMilitärregierung im OktoberalsOberregierungspräsidentvon Hessen-Pfalzabge- setzteHansHoffmann warbei den Franzosen nichtdurchzu- setzen gewesen und auchAdolf Ludwig warnichtakzeptiert worden. Boislambert entschied sichfür zwei Christdemokraten, für HansPeterHabereralsWirtschafts-und Finanzministerund OttoStübingeralsLandwirtschafts-und Ernährungsminister. Letztererhattezwardie Unterstützung seinerPartei,musste von ihrabererst zur Übernahme desAmtesüberredetwerden. Habererwurde dagegen von derpfälzischen CDU kategorisch abgelehnt.Hintergrund warseine angebliche Verstrickung in den PfälzerSeparatismus nachdem Ersten Weltkrieg und sein angeblichmangelndesEintreten für die CDU, sodass ereine Zeitlang sogaralsParteiloserbehandeltwurde. Obwohl sich die am30.Novemberim HambacherSchloss tagenden Mit-

149 gliederdesPfälzerCDU-Vorstandesgemeinsammitden pfäl- zischen MitgliedernderBeratenden Landesversammlung ein- mütig gegen Habereraussprachen,konnten sie seine Berufung in die vorläufige Landesregierung nichtverhindern. Die Mili- tärregierung hattesich–wie gesagt–bereits am29. Novem- beraufihn und die übrigen Kabinettsmitgliederfestgelegt.Am 2.Dezember1946wurden sie von Boden miteinfachem Schreiben ernanntund am5.Dezemberden Mitgliedernder Beratenden Landesversammlung vorgestellt.Werwaren die Mitgliederderersten rheinland-pfälzischen Landesregierung? Den meisten Rheinland-Pfälzernsagten die Namen nichts.In derPressewurden die neuen Regierungsmitgliederdeshalb miteinem ausführlichen Lebenslaufvorgestellt.

Wilhelm Boden (1890–1961),der neueMinisterpräsident,hatteinden zurückliegenden 20 Monaten als Landratvon Altenkirchen,Regie- rungspräsidentvon Koblenz,Ober- präsidentvon Rheinland-Hessen- Nassauund Vorsitzenderder „Gemischten Kommission“ den Wie- deraufbaudesLandesmaßgeblich mitgestaltet.Dieshatteihm den Ruf einesexzellenten Verwaltungsfach- mannesund dasVertrauen derFran- zosen eingebracht,die ihn offenbar schon im Februar1946alskünftigen Regierungschef desneuzuschaffen- den LandesinsGesprächgebracht hatten. Politischen Gestaltungswillen sprachen ihm die Parteien überwie- gend ab, wasvon den Franzosen aber eheralsVorteilangesehenwurde,da Wilhelm Boden, sie anderSpitzedesneuen Landeskeinen Politi- Ministerpräsident ker,sonderneinen ausgewiesenen Verwaltungs- fachmann sehen wollten.

150 Ebensowie Boden hatteauch InnenministerJakobSteffan (1888–1957)inden zurücklie- genden Monaten bereits an maßgeblicherStelle den Auf- baudesLandesmitgestaltet. ErwarPolizeipräsidentvon Mainz,Regierungspräsident von Rheinhessen und Mitglied der„Gemischten Kommissi- on“ gewesen. Vorallem sein Lebensweg vorderGründung desLandeshobihn von seinen Kabinettskollegen ab, denn Steffanwardereinzi- JakobSteffan, ge unterihnen,derwährend desDritten Reichs MinisterdesInnern jahrelang im Konzentrationslagerinhaftiert warund sichanschließend aktivim Widerstand gegen Hitlerengagiert hatte. 1908wardergebürtige OppenheimerderSPD beige- treten,von 1919 bis1933 warerin seinerHeimatstadtStadt- verordneterund von 1927 bis1933 zugleichAbgeordneterim hessischen Landtaggewesen. Von Juli bisNovember1932 gehörteeraußerdem dem Reichstagan. Bereits im Dezember 1933 wurde erin einem Prozess mitpolitischem Hintergrund zu einerGefängnisstrafe von zweieinhalbJahren verurteiltund nachderHaftverbüßung insKZ Dachauverbracht,aus demer erst am20.April 1940entlassen wurde. Durchdie Haftwarer zwarerwerbsunfähig geworden,erstelltesichabersofort den Widerstandsgruppen umden ehemaligen hessischen Innenmi- nisterWilhelm Leuschnerzur Verfügung.Seine Aufgabe bestand darin,im RaumFrankfurt/Heidelbergzuverlässige Mit- streiteralslokale Stützpunktleiterzugewinnen. ImZuge des gescheiterten Attentats aufHitlervom 20.Juli 1944 wurde er kurzzeitig inhaftiert,aberwiederfreigelassen. BiszumEnde der NS-Diktatur hieltersichdann im rheinhessischen Spiesheim verborgen. Nichtzuletzt wegen seinerlangjährigen KZ-Haft und seinerWiderstandstätigkeitgaltSteffanlange Jahreals politischkaumangreifbar.

151 Adolf Süsterhenn (1905–1974) hattegerade erst die landespo- litische Bühne betreten. Zehn Wochen zuvorhatteeralsVorsit- zenderdesVerfassungsaus- schussesder„Gemischten Kommission“ erstmalsein poli- tischesAmtim neugegründe- ten Land übernommen. Sowar seine Berufung zumJustizminis- terdervorläufige Höhepunkt einer„Blitzkarriere“,die so nichtvorherzusehen gewesen Adolf Süsterhenn, war.Während desDritten Reicheshatteerzeitwei- Justizminister sederSA angehört,sichaberalsRechtsanwalt auchbei derVerteidigung von Regimegegnern exponiert.Nachdem Krieg warerin seinerGeburtsstadtKöln derdortigen CDP beigetreten. KonradAdenauergehörtezu seinen politischen Mentoren;erhatteihn im Frühjahr1946als BeobachterderVerfassungsarbeiten in die amerikanische Zone entsandt.Die von Süsterhenn im „Rheinischen Merkur“veröf- fentlichten ErgebnisseseinerErkundungen und Überlegungen fanden allgemeine Aufmerksamkeitund trugen wohl auchzu seinerBerufung zumVorsitzenden desVerfassungsausschus- sesder„Gemischten Kommission“ bei. Dass ihn diesnoch nichtzueinem ausgewiesenen rheinland-pfälzischen CDU-Poli- tikermachte,zeigtesich,alsdie CDP/CDU den Franzosen ihre Vorschläge für die Besetzung desJustizressorts in dervorläu- figen Landesregierung präsentierten. Sie enthielten u.a.die Namen von Ludwig Ritterspacherund Hubert Hermans,aber nichtden von Süsterhenn. Erst mitseineroffenbarvon den Franzosen mitbetriebenen Ernennung zumJustizminister wurde erzueiner„zentralen Figur derrheinland-pfälzischen Politik“. Bereits knapp zwei Monatespätervertraterzusammen mitPeterAltmeierdie rheinland-pfälzischen Christdemokraten aufderKönigsteinerTagung,anderCDU-Delegiertedervier Besatzungszonen teilnahmen.

152 Für die Berufung zumErnäh- rungs-und Landwirtschafts- ministerhattesichder36-jähri- ge Winzerund Mitbegründer derCDU-PfalzOskarStübinger (1910–1988) durchseine Mitar- beitim Ernährungsausschuss desOberregierungspräsidiums in Neustadtempfohlen. Das neueAmtschien allerdingsein undankbarerPosten zu sein: Die Menschen hungerten und es warnichtabzusehen,wann sie wiedergenugzu essen haben würden. Die Beru- OskarStübinger, fung des„Vorzeigeprotestanten“ derrheinland- Landwirtschaftsminister pfälzischen CDU wurde aberzueinerErfolgsge- schichte,denn ersolltedasAmtdesLandwirtschaftsministers biszum30.April 1968behalten,zeitweise(1959–1968) hatte erauchdasAmtdesstellvertretenden Ministerpräsidenten inne.

HannsHaberer(1890–1967)galtseinen Partei- HannsHaberer, freunden in derPfalzals„Französling“,weil ernach Wirtschafts- dem Ersten Weltkrieg aneinerseparatistischen und Finanzminister Kundgebung teilgenommen hatte. Dieshattebereits dazu geführt,dass nichter,sondern derWeingutsbesitzerJakob Zieglerim August 1946zum Bezirksvorsitzenden derCDU- Pfalzgewähltworden war.Voll- kommen in den Hintergrund wardemgegenüberseine Geg- nerschaftzumNationalsozialis- mus getreten. NachHitlers Machtübernahme hatteihn ein Haufen grölenderNazisverprü-

153 gelt,in Dürkheim warersogarohne Gerichtsbeschluss mona- telang im Gefängnisfestgehalten worden. Seine Ernennung zumWirtschafts-und Finanzminister,für die derehemalige Chefredakteur beim Echo-VerlaginDuisburgkaumErfahrun- gen mitbrachte,hatteeroffenbardem Wohlwollen derFran- zosen und derUnterstützung Altmeiers zu verdanken. Alsdes- sen Vertrauterwurde erim Juli 1947,nachdemAltmeier Ministerpräsidentgeworden war,zumLeiterderStaatskanzlei ernannt.ErsolltediesesAmtbiszum30.Juni 1955 behalten. Habererwardaseinzige Mitglied dervorläufigen Landesregie- rung,dasnichtzugleichauchAbgeordneterderBeratenden Landesversammlung war.

DerKoblenzerJohann Junglas (1898 –1963)hattesichunmittelbar nachdem Ende desKrieges zusammen mitseinem Schwager PeterAltmeierim Bürgerratseiner Heimatstadtengagiert und war dort auchzumBeigeordneten gewähltworden. Seine Ernennung zumGesundheits-und Wohlfahrts- ministerhing wohl auchdamit zusammen,dass erin den ersten Nachkriegsjahren unterden füh- Johann Junglas, renden CDU-PolitikerninRheinland-Pfalzdie eng- Gesundheits-und sten Beziehungen zu den Gewerkschaften hatte. Wohlfahrtsminister Bereits vordem Dritten ReichwarerSekretärder christlichen Gewerkschaften gewesen und nur fünf Monatenachdem erzumMinisterernanntworden war, wurde derMitbegründerderrheinland-pfälzischen CDU in den Vorstand desrheinland-pfälzischen Allgemeinen Gewerk- schaftsbundesgewählt.Junglas,dervor1933 dem Rheini- schen Provinziallandtagangehört hatte,warMitglied derBera- tenden Landesversammlung und Abgeordneterdesersten rheinland-pfälzischen Landtags.Von 1949 bis1953gehörteer außerdem dem Deutschen Bundestagan.

154 Ernst Albert Lotz (1887–1948) wurde bereits vorgestellt(vgl. S. 143f.) Esbleibtanzumerken,dass erbereits wenige Monate nachseinerMinisterernennung seinen kommunalpolitischen Rückhaltverlor,für die ersteLandtagswahl nichtmehrnomi- niert wurde und im späteren Minderheitskabinett Bodensnicht mehrvertreten war.

DerzweiteSozialdemokratim Kabinett Boden warPaulRöhle (1885–1958). ImKaiserreichhatte erbereits Gewerkschaftsfunktio- nen und SPD-Ämterinne und war 1919 in die verfassungsgebende Nationalversammlung von Weimar gewähltworden. Von 1924bis 1933 warerMitglied desReichs- tagsund desPreußischen Land- tags.Keineraus derGründergene- ration derRheinland-Pfälzerhatte eine größereparlamentarische Erfahrung alser.ImDritten Reichwarerarbeitslos PaulRöhle, und von den Nationalsozialisten verhaftetworden. Arbeitsminister SeitJuni 1945 warerbeim Regierungspräsidium in Koblenzbeschäftigt,im Oktober1946wurde erPräsidialdi- rektorim OberpräsidiumRheinland-Hessen-Nassau.Erund Boden waren die einzigen Mitgliederderfrüheren „Regierun- gen“ von Rheinland-Hessen-Nassauund Hessen-Pfalz,die auchdervorläufigen Landesregierung angehörten.

EinzigerKommunist in derLandesregierung warWillyFeller (1905–1979),deraus Ludwigshafen stammteund nachdem Krieg auchwiederdorthin zurückkehrte. Während desDritten ReicheswarermehrereJahreinKonzentrationslagerinhaftiert und dann im Strafbataillon 999 eingesetzt worden. Seit1945 warer„Landeskulturleiter“derKP Hessen-Pfalzund Chef- redakteur derkommunistischen Zeitung „NeuesLeben“ (vgl. S.103). ErgehörtederBeratenden Landesversammlung an

155 und behieltsein AmtalsMinisterfür Wiederaufbauund Ver- kehrauchimersten Kabinett Altmeierbiszum9.April 1948.

MitderErnennung Wilhelm Bodensund seinerKabinettsmit- gliederam2.Dezember1946hattesichdasdrei Monatezuvor durchdie Verordnung Nr.57gegründeterheinland-pfälzische Land „de factound nachBesatzungsrecht“alsStaatetabliert. Denn jetzt gab esnichtnur ein rheinland-pfälzischesStaatsge- bietund Staatsvolk,sondernerstmalsauchStaatsorgane,zu denen außerdervorläufigen Landesregierung auchdie Bera- tende Landesversammlung gehörte. Dementsprechend warim „Rheinischen Merkur“vom 22.November1946zulesen:

„Mitdem Tag,andem die ersterheinische Konstituanteihre Beratungen aufnimmt,tritt die Eigenstaatlichkeitdesrheinisch- pfälzischen Landessichtbarin Erscheinung.“

Ministerpräsident Ebensowie den beiden Staatsorganen haftete Boden (r.) mitMitglie- aberauchderStaatsqualitätdesneuen Landes dernseinervorläufigen nochetwasProvisorischesan. Die Beratende Lan- Landesregierung: desversammlung hattenur einen sehrlimitierten Haberer,Lotz, Auftragund die vorläufige Landesregierung Süsterhenn und Steffan wederdemokratische Legitimation nochEnt-

156 scheidungsfreiheit.DurchVerordnung vom 4. Dezember1946 wurde ihrzwardasRechtzugesprochen,Rechtsverordnungen mitGesetzeskraftzuerlassen,dabei hattesie abereine Viel- zahl von Vorschriften desAlliierten Kontrollrats und derfran- zösischen Militärregierung zu beachten und Hettierde Bois- lambert alle Kabinettsbeschlüssevorzulegen,umdessen Einwilligung einzuholen. ImErgebniswardie vorläufige Lan- desregierung deshalbnichtviel mehralsein Sprachrohrdes Besatzungsregimesund ihr„demokratischerDeckmantel“. Allerdingsging ihrSelbstverständnis–wie dasderBeratenden Landesversammlung –vielweiter.Wilhelm Boden machtedies amEnde seinerersten Regierungserklärung vorderBeraten- den Landesversammlung Anfang Dezember1946deutlich,als erfeststellte:

„Esist über100 Jahreher,daßinHambachinderPfalzdemo- kratischgesinnteMänneraus dem Westen und Süden Deutschlandszusammenkamen,von dem Wunsche erfüllt, dem Weg desdeutschen Volkeseine neueRichtung zu geben. IhreZiele und Ideale faßten sie in dem Aufrufzusammen:‚Hoch leben die Vereinten Freistaaten Deutschlands!Hochlebedie conföderierteRepublik Europa!’ Mirdünkt,daßheutedie Zeit gekommen ist,daßwirunsdesGedankengutesunserereinst in Hambachversammelten Vorfahren erinnernund anderVer- wirklichung ihrerIdeale arbeiten.“

12.Die Landesverfassung a)Verfahren: NachderErnennung dervorläufigen Landesre- gierung begannen die eigentlichen Verfassungsberatungen. Dervon der„Gemischten Kommission“ und ihrem Vorberei- tenden Verfassungsausschuss erstellteVerfassungsentwurf warderBeratenden Landesversammlung am3.Dezember 1946zugegangen (vgl. S.138) und von ihrbereits am6. Dezemberanden von ihrgebildeten Verfassungsausschuss überwiesen worden,derzunächst aus 15 Mitgliedern

157 bestand,durchHinzuwahl von Vertreternderbeiden kleineren Parteien aberauf17Mitgliederverstärktwurde. Achtvon ihnen gehörten derCDP/CDU-Fraktion an,fünf derSPD, drei den Liberalen (SV/LP)und einerderKPD.

Adolf Süsterhenn warzunächst alsAusschussvorsitzendervor- gesehen,dochkamen nach seinerErnennung zumJustizmi- nisterBedenken auf,ober zugleicheinem Parlaments- ausschuss vorstehen konnte. Immerhin bliebermitBlickauf sein Abgeordnetenmandatein- fachesAusschussmitglied. Zum Vorsitzenden desVerfassungs- ausschusseswurde Ludwig Rit- Ludwig Ritterspacher, terspacher(CDU)gewählt,den seine Partei weni- Vorsitzenderdes ge Tage zuvornocherfolglosfür dasAmtdes Verfassungsausschusses Justizministers vorgeschlagen hatte. Erhattesich derBeratenden in derWeimarerRepublik in den linksliberalen Par- Landesversammlung teien,alsoinderDeutschen Demokratischen Par- tei (DDP)und derDeutschen Staatspartei (DStP), engagiert und wardeshalbund weil ermiteinerJüdin verhei- ratetwar,1937 von den Nationalsozialisten alsLandgerichts- ratin Frankenthalzwangsweiseinden Ruhestand versetzt wor- den. SeitAnfang 1946wareralsAbteilungsleiterfür Justizund Polizei Präsidialdirektorim OberregierungspräsidiumHessen- Pfalz.IndieserZeithatteersichauch–nachdem erursprüng- lichmitden Liberalen sympathisiert hatte(vgl. S.122)–der CDU angeschlossen,für die erauchindie Beratende Landes- versammlung gewähltworden war.

Von den achtAusschussmitgliedernderCDP/CDU-Fraktion waren vierJuristen,zumindest Süsterhenn warein ausgewie- senerVerfassungsexperte. Unterden fünf VertreternderSPD findetsichmitHansHoffmann nur ein Jurist.Seine Fraktions-

158 kollegen –sohieß es–waren in Staatsrechtund Redaktionsausschuss: Verfassungstheorie nichtdurchein Studium Hermans,Ritterspacher bewandert,sondernhätten die Verfassungsartikel und Hoffmann (v.r.n.l.), nur intuitivund pragmatischgeprüft,wobei für sie stehend FrauHolst ausschlaggebend gewesen sei,obderen Inhaltder und Wilhelm Froitzheim MentalitätderStaatsbürgerentsprochen hätte. Im (Verwaltung) Übrigen gehörten dem Ausschuss keine Mitglieder desVerfassungsausschussesder„Gemischten Kommission“ an. Allerdingswurde Biesten von dervorläufigen Landesregie- rung als„Sachverständiger“benanntund nahm in dieserFunk- tion auchanden Beratungen desVerfassungsausschussesteil. Die Abgeordneten Hermans(CDU)und Hoffmann (SPD)bilde- ten einen Redaktionsausschuss,der–wie eshieß –„in mühe- vollerKleinarbeitden Wortlaut desEntwurfsstilistischformte“.

DerAusschuss tagteunterschwierigsten äußeren Umständen aninsgesamt23Tagen in achtAusschusssitzungen. Erkonsti- tuiertesicham18. Dezember1946,seine abschließende Sit- zung fand am23.April 1947statt.Zunächst tagteerin Bad Kreuznach,aufDruckderMilitärregierung ab März in Koblenz. Bereits während seinerletzten Sitzung begann die abschlie- ßende PlenardebattederBeratenden Landesversammlung,

159 die sichbiszum25. April 1947hinzog und im Hotel Rittersturz bei Koblenzstattfand. Seitderersten Sitzung der„Gemisch- ten Kommission“ und ihresVorbereitenden Verfassungsaus- schusses(vgl. S.134) waren kaumachtMonatevergangen. Das entsprachinetwaderZeit,die in Bayern,Hessen und Baden- Württemberg,alsoinden Ländernderamerikanischen Zone, für die jeweiligen Verfassungsberatungen benötigtwurde.

Die kurzeBeratungszeitberuhteaufVorgaben derfranzösi- schen Militärregierung,die sichmitinhaltlichen Einflussnahmen zurückhielt,umderkünftigen Verfassung nichtden Rufeiner „Besatzungsverfassung“ anhängen zu lassen. Dass die zeitli- chen Vorgaben eingehalten werden konnten,ist im Wesentli- chen Adolf Süsterhenn zu verdanken,dessen Privatentwurf Grundlage derVerfassungsberatungen wurde. Ergiltdeshalb zu Rechtalsdergeistige Vaterderrheinland-pfälzischen Lan- desverfassung.

b)Inhalt: Die Beratungen standen unterderVorgabe,dass sich eine Katastrophe,wie sie durchden Nationalsozialismus her- beigeführt worden war,nichtwiederholen dürfe. Die Feststel- lung desVorsitzenden derSPD-Fraktion Hoffmann:„Wir beginnen mitdieserVerfassung die geistigeLiquidierung des Nationalsozialismus“,entsprachdeshalbderAuffassung aller Abgeordneten und bestimmtedie Beratungen derrund 200 Verfassungsartikel,die in den folgenden Wochen auf144 ver- ringert wurden. Eine auchnur halbwegsvollständige Bewer- tung dieserArtikel lässt sichandieserStelle nichtvornehmen. Zwei Schwerpunktesollen herausgegriffen werden:die Rege- lung überdie ZugehörigkeitdesLandeszur künftigen Bundes- republik Deutschland und die Vorschriften überden Aufbau derparlamentarisch-demokratischen Ordnung im Land.

Wasdie Zugehörigkeitvon Rheinland-Pfalzzueinem künftigen deutschen Gesamtstaatanbelangt,enthieltderVerfassungs- entwurfzunächst nochkeine einschlägige Regelung. Die Not- wendigkeiteinesverfassungsrechtlichen Bekenntnisseszu

160 Deutschland warzwarim Vorbereitenden Verfas- Landesverfassung sungsausschuss der„Gemischten Kommission“ mithandschriftlichen vom Kommunisten AndréHoferangesprochen, Anmerkungen von Süsterhenn aberim Hinblickaufden außen- Süsterhenns politischen Charaktereinersolchen Regelung abgelehntworden. InSüsterhennseigenerFraktion wardies vorallem deshalbaufmerksamregistriert worden,weil derVer- fassungsentwurfdie EigenständigkeitdesLandesund seine Staatlichkeitbesonders betonte,etwamitdem Vorschlag, einen eigenen Staatspräsidenten einzurichten. Nochbevordie Verfassungsberatungen in derBeratenden Landesversamm- lung und ihrem Verfassungsausschuss begannen,wurde des- halbu.a.aus Kirchenkreisen die Forderung andie CDP/CDU

161 herangetragen,ein BekenntniszuDeutschland in die Landes- verfassung aufzunehmen. Alssichähnliche Stimmen auch außerhalbvon Rheinland-Pfalzerhoben und diesezumTeil überdie PressederÖffentlichkeitzugänglichgemachtwurden, kamesbereits in derzweiten Sitzung desVerfassungsausschus- sesderBeratenden Landesversammlung am9.und 10.Janu- ar1947zueinerErgänzung desVerfassungsentwurfsumden Satz,Rheinland-Pfalz„ist ein GliedstaatDeutschlands“. Bei die- serRegelung ist es–von einerkleinen redaktionellen Ände- rung abgesehen –geblieben. Belege,die daraufhindeuteten, dass dieseErgänzung desVerfassungstextesmitderfranzösi- schen Militärregierung abgestimmtwurde,sind nicht bekannt.Von französischerSeitekamjedenfallskein Wider- spruch. Bei derBesprechung zwischen den Mitgliederndes Verfassungsausschussesund Hettierde Boislambert am11. März 1947wurde die Zugehörigkeitvon Rheinland-Pfalzzu Deutschland nichteinmalmehrangesprochen. Immerhin zeigtderBeratungsablauf,dass dasVerhältnisvon Rheinland- Pfalzzuden übrigen Ländern,die zwischenzeitlichrechts des Rheinsgegründetworden waren,jedenfallszuBeginn derVer- fassungsberatungen nochnichtgeklärt war(vgl. S.80f.).

Wasdie demokratische Ordnung desneuen Landesanbelangt, warderVerfassungsentwurfeindeutiger.Esstand außer Frage,dass dasim Entstehen begriffene Land demokratisch verfasst sein sollte. MitAusnahme derKPD führten erstmalsin derdeutschen Geschichtealle neu-und wiedergegründeten Parteien die Demokratie in ihrem Namen:die Sozialdemokra- tische Partei ebensowie die Christlich-Demokratische Union und die Demokratische Partei,die sichbald in Freie Demokra- tische Partei umbenannte. Erstmalsin derVerfassungsge- schichtesolltedasDemokratieprinzip auchausdrücklichinder Verfassung verankert werden,und zwaranzwei Stellen:Zum einen solltekünftig in Artikel 74Abs.1LV bestimmtsein,dass Rheinland-Pfalzein „demokratischerGliedstaatDeutsch- lands“sein würde,und zumanderen sollten in Artikel 33 LV die Schulen verpflichtetwerden,die Jugend zu „demokratischer

162 Gesinnung im GeistederVölkerversöhnung zu erziehen“. Die WeimarerReichsverfassung kanntekeine vergleichbaren Regelungen,auchnichtdie Landesverfassungen von Preußen, Bayernund Hessen,die zuvorfür die Gebietedesheutigen Rheinland-Pfalzgalten.

DasBekenntniszumPrinzip derVolkssouveränitätwurde aller- dingsdadurchrelativiert,dass dasVolk –anders alsnochinden Verfassungen derWeimarerRepublik –nichtmehralsAus- gangspunktderStaatsgewaltbezeichnetwurde,sondernnur alsderen „Träger“. Die Präambel derLandesverfassung stell- tespäterklar,wer„alsUrgrund desRechts“–und damitauch derStaatsgewalt–angesehen wurde:Gott.DieserGedanke kamauchinanderen Vorschriften derLandesverfassung zum Ausdruck. IhrgemeinsamerNennerwardervon Süsterhenn nachdrücklichvertretene katholische Naturrechtsgedanke.

AußerFrage stand,dass die demokratische Ordnung eine repräsentativesein sollte. AufderGrundlage von Volkswahlen sollten dasParlamentund parlamentarischverantwortliche Staatsorgane die Staatsgewaltausüben. Die grundlegenden Vorschriften überden Landtagsollten in derVerfassung selbst enthalten sein,die Wahl derAbgeordneten und ihreEnt- schädigung dagegen besonderen Gesetzen vorbehalten blei- ben. Bemerkenswert war,dass Süsterhenn auchdem parla- mentarischen Prinzip reserviert gegenüberstand. Sowie die politische Rechteund die Parteien derMittewährend derWei- marerVerfassungsberatungen einen „Parlamentsabsolutis- mus“befürchteten und daraus die Notwendigkeitinstitutionel- lerGegengewichteabgeleitethatten,plädierteaucherfür eine Relativierung desparlamentarischen Prinzips.Zudiesem ZweckgrifferaufVorschläge zurück,die schon in den Verfas- sungsberatungen zur preußischen,bayerischen und hessischen Landesverfassung überwiegend amWiderstand derSozialde- mokraten gescheitert waren. Dasgiltzunächst für den Vor- schlag,dasZweikammersystem einzuführen. Dem Landtagsoll- teein überwiegend berufsständischorganisierterStaatsratzur

163 Seitegestelltwerden,umaufdieseWeiseden Parteieneinfluss aufGesetzgebung und Regierungskontrolle begrenzen zu kön- nen. NochbiszumJanuar1947hieltdie CDP/CDU-Fraktion andieserzweiten Kammerfest,umdamit„jeglichen Diktatur- bestrebungen einerMehrheitvorbeugen“ zu können. Außer- dem plädierteSüsterhenn für die Einrichtung einesStaatsprä- sidenten,derdem Gedanken derparteipolitischen Neutralität zumZuge verhelfen sollte. Mitkeinem dieserVorschläge konn- teersichdurchsetzen,obwohl erdie Franzosen in beiden Punkten aufseinerSeitehatte.

Dasparlamentarische Prinzip wurde allerdingsdurchFormen derdirekten Demokratie ergänzt.Die Gesetzgebung,ein- schließlichderVerfassungsgesetzgebung,solltenichtnur dem Parlamentzustehen,sondernauchdem Volk. Damitwar– jedenfallsin derTheorie –dasparlamentarische Prinzip an einerwichtigen Stelle durchbrochen. Auchdiesstellteeinen Rückgriffaufdie WeimarerVerfassungstradition dar.Diesgilt auchfür die ehernegativeKonnotation,mitderdie politischen Parteien in die Verfassung eingeführt wurden. Sowie Artikel 130 Abs.1WeimarerReichsverfassung erwähntejetzt auch Artikel 127 Abs.1derLandesverfassung die Parteien nur im Zusammenhang mitderbeamtenrechtlichen Pflicht,dem Volk und nichteinerPartei zu dienen. SeitensderSPD wardiese Regelung beanstandetworden. „Künftige Verfassungsgeber“ –soihrFraktionsvorsitzenderHansHoffmann –

„werden sichwundern,wie eine Verfassung desdemokrati- schen Parteienstaatesesfertigbringt,dasentscheidende OrgandiesesStaatssystemsmitStillschweigen zu übergehen.“

Schon zwei Jahrespäter,alsdasGrundgesetz die wichtige Funktion derParteien für Staatund Gesellschaftin seinem Arti- kel 21klarstellte,hattesichHoffmannsProphezeiung erfüllt.

Schließlichwurde in derVerfassung aucheine Reihe von Grundrechten garantiert,die für den politischen Willensbil-

164 dungsprozess in einem demokratischen Staatswesen von grundsätzlicherBedeutung sind:die Meinungsfreiheit(Artikel 9Abs.1LV),die Versammlungsfreiheit(Artikel 12LV)und die Vereinigungsfreiheit(Artikel 13LV);eine ausdrückliche Rege- lung derPressefreiheitund derInformationsfreiheitfehltealler- dings.

WederdasBekenntniszuDeutschland nochdie Regelungen zur demokratischen Ordnung waren besonders kontrovers dis- kutiert worden. Politischen Sprengstoffhatten vorallem die Vorschriften zumSchulwesen und zur Wirtschaftsorganisation, wobei esbei derSchulfrage vorallem darumging,welche Aus- sagen die Verfassung zur konfessionellenAusrichtung der Volksschulen machen sollte,die von rund 90%derSchüler besuchtwurden. Die CDU plädiertefür die Einrichtung von Konfessionsschulen,die SPD für Simultanschulen. Trotz mas- siverBemühungen derFranzosen fand sichkeine Kompromiss- lösung. Manverständigtesichlediglichdarauf,dass bei der sichanschließenden Volksabstimmung überdie Schulartikel und den Rest derVerfassung getrenntabgestimmtwerden soll- te. Daswardie Ausgangslage am25. April 1947,alsin der Beratenden Landesversammlung die Abstimmung überdie Landesverfassung anstand. c)Abstimmung in derBeratenden Landesversammlung: Der 25. April warein Freitag. SeitMittwochhatten die Abgeord- neten im Hotel Rittersturz bei Koblenzüberdie Verfassung beraten und seitFreitagvormittagüberdie 144 Artikel desVer- fassungsentwurfsdie Einzelabstimmung durchgeführt,bei der sichdie SPD von wenigen Ausnahmen abgesehen nochder Stimme enthalten hatte. IhrFraktionsvorsitzenderHansHoff- mann hatteineinerbeeindruckenden Rede jede Polemik gegen den Verfassungsentwurfvermieden,die Mitarbeitsei- nerFraktion bei den Verfassungsberatungen hervorgehoben und ihrabschließendesVotumnochoffengelassen. AmNach- mittagkameszwischen den Fraktionen,insbesonderezwi- schen derCDP/CDU und derSPD, nocheinmalzu stundenlan-

165 Abstimmung gen Gesprächen,umbestehende Meinungsver- überdie schiedenheiten dochnochauszuräumen und zu Landesverfassung im einergemeinsamen Annahme derVerfassung zu Hotel Rittersturz gelangen.

AlsPräsidentReichert die Sitzung um19.00 Uhrwiedereröff- nete,waraberklar,dass dieseVersuche gescheitert waren. Hoffmann erklärtefür seine Fraktion,dass sie nachwie vorVor- behaltegegen die Regelungen zumSchulwesen und zur Wirtschafts-und Sozialordnung habeund vorallem „derSchaf- fung einesLandesalsselbständige Einheitim gesamtdeut- schen Aufbaunichtzustimmen“ könne. Altmeier,derVorsitzen- de derCDP/CDU-Fraktion,entgegnete,dass dasLand auch für seine Fraktion keinen „Ewigkeitswert“habe,zurzeitaber eine „politische Tatsache“ darstelle,„die aucheine Rechts- grundlage in FormeinerVerfassung“ brauche. DasProtokoll verzeichnet„Bravound Händeklatschen“;derBeitragvon HansHoffmann muss dem Protokoll zufolge schweigend zur Kenntnisgenommen worden sein. Wenige Minuten späterkam eszur Schlussabstimmung,andersichnur 101der127 Abge- ordneten beteiligten. 26 Abgeordnetewaren derAbstimmung ferngeblieben,nur einervon ihnen,Ludwig Ritterspacher,fehl- tewegen einesAutounfallsentschuldigt.Von den übrigen 25 Abgeordneten gehörten achtderCDP/CDU, 14 derSPD und drei derKPD an. Zudenen,die sichderAbstimmung entzo- gen hatten,gehörten auchdie beiden SPD-MinisterSteffan und Röhle sowie dereinzige Kommunist im Kabinett,Willi

166 Feller.Esfälltauf,dass rund ein Drittel derSPD-Fraktion der Abstimmung ferngeblieben war.Eswirdberichtet,dass sie sich während derAbstimmung –jedenfallsüberwiegend –inden Vorräumen desPlenarsaalsaufgehalten hätten,umsichnicht öffentlichgegen die eigene Fraktionstellenzu müssen.Ange- sichts derzurückliegenden Beratungen liegtdieseAnnahme nahe,denn nichtwenige AbgeordnetederSPD waren wohl für die Verfassung,beugten sichaberderFraktionsdisziplin. Mit FranzBöglerfehlteauchderjenige SPD-Abgeordnetebei der Abstimmung,dersichamnachdrücklichsten gegen dasLand gewandthatte.

Sowurde die Verfassung nur von 70 Abgeordne- PräsidiumderBeratenden ten angenommen;daswaren gerade einmal55% Landesversammlung derMitgliederderBeratenden Landesversamm- mitPräsidentReichert lung. Nur in Nordrhein-Westfalen,woesim Jahre (2.v.r.) 1950zur Abstimmung überdie dortige Landesver- fassung kam,wardie Zustimmung in derverfassungsgeben- den Versammlung mit50,9%nochgeringergewesen. 63 der 70 zustimmenden Abgeordneten gehörten derCDP/CDU an, sieben kamen aus dem LagerderLiberalen (SV/LP). Ausgerech- netdie beiden liberalen Parteien,die in Verfassungsfragen durchaus unterschiedlicherMeinung gewesen waren,waren damitdie einzigen,die in derSchlussabstimmung geschlossen aufgetreten waren. Die 31ablehnenden Stimmen kamen über- wiegend aus dem LagerderSPD-Fraktion. 25ihrerMitglieder

167 stimmten gegen die Verfassung. Hinzu kamen sechsMitglie- derderKPD-Fraktion;ausgerechnetihrFraktionsvorsitzender, Herbert Müller,der1949 zur SPD übertreten sollte,gehörte nichtdazu.Aucherfehltebei derSchlussabstimmung.

Die letzteSitzung derBeratenden Landesversammlung ende- teum20.00 Uhr.PräsidentReichert entließ die Abgeordneten mitnachdenklichen Worten:

„DerLandtaghatmitseinerAbstimmung seinerAufgabe genügt…Die Verfassung ist beschlossen. EsliegtnunamVolk von Rheinland-Pfalz,zu entscheiden,obdieseVerfassung Grundgesetz (!) desneuen Staateswerden soll …Sie gehen jetzt in die Wahl. Möchten Sie dochimWahlkampf ihreZusam- menarbeithierim Landtagnichtvergessen. Und möchten Sie auchdarandenken,daßSie in Zukunftim Landtagwieder zusammenarbeiten werden und IhreKraftvielfältigen Aufga- ben zuwenden müssen.“

d) Volksabstimmung: Bereits in derVerordnung Nr.57vom 30.August 1946hatteGeneralKoenig eine Volksabstimmung überdie Landesverfassung vorgeschrieben (vgl. S.77). AlsTer- min dafür warin derVerordnung Nr.87vom 17.April 1947der 18. Mai1947bestimmtworden. Obgleichdie Parteien wieder- holtumeine Verschiebung baten,ummehrZeitfür die Infor- mation derÖffentlichkeitzuerhalten,bestanden die Franzo- sen aufdiesem Tag.

Eswarein symbolträchtigesDatum,denn am18. Mai1848 war in derFrankfurterPaulskirche daserstegesamtdeutsche Par- lamentzuseinerkonstituierenden Sitzung zusammengekom- men;außerdem hattesicham18. Mai1933 derPreußische Landtagund mitihm die Abgeordneten aus den ehemalspreu- ßischen Teilen desheutigen Rheinland-Pfalzin Berlin zu ihrer letzten Sitzung versammelt,bevorderLandtagvon den Natio- nalsozialisten aufgelöst worden war.Allerdingsgibteskeine Anhaltspunktedafür,dass die Franzosen den 18. Maibewusst

168 gewählthätten,umaufdemokratische Traditionslinien des neuen Landesaufmerksamzu machen. Ein solcherHinweis hätteauchnichtin die politische LandschaftdesJahres1947 gepasst,denn der18. Mai1848 stand und stehtin ersterLinie für die Forderung nach„Freiheitund Einheit“Deutschlands. Wederdaseine nochdasanderegehörteaberdamalszuden vorrangigen Zielen derfranzösischen Deutschland- und Besatzungspolitik. Rheinland-Pfalzwarvon französischen Truppen besetzt und damitbisaufWeiteresallesandereals frei;außerdem waresnochlängst nichtausgemacht,dass die Deutschen in absehbarerZeitihrenationale Einheitwiederer- langen würden,jaesstand nochnichteinmalfest,obRhein- land-PfalzdieserEinheitüberhauptangehören würde. Sodürf- teeseherein geschichtlicherZufall alshistorischbegründete Absichtgewesen sein,dass die Volksabstimmung überdie Lan- desverfassung zusammen mitderWahl desersten Landtagsauf den 18. Maigelegtwurde. Diesgiltim Übrigen auchfür zwei weitereEreignisseaus derunmittelbaren Vorgeschichtebzw. GeschichtedesLandes,die ebenfallsmitdem 18. Maiverbun- densind:Am18. Mai1945warvon deramerikanischenMili- tärregierungdie Regierung Heimerichfür die Provinz„Saar- Pfalzund Rheinhessen“ –die Keimzelle desLandes– eingesetzt worden (vgl. S.40)und am18. Mai1949 wurde das Grundgesetz vom rheinland-pfälzischenLandtaggebilligt (vgl. S.327). AuchdieseDatierungen erfolgten nicht,um bestimmteTraditionslinien herzustellen oderfortzusetzen.

Kehren wirzur Volksabstimmung überdie Landesverfassung am18. Mai1947zurück. NachderAbstimmung in derBera- tenden Landesversammlung hatten die Parteien noch23 Tage Zeit,umden Bürgerinnen und Bürgerndie aus ihrerSicht wesentlichen Verfassungsfragen näherzubringen.Diesehatten bisdahin in derÖffentlichkeitkeine große Rolle gespielt. Anfänglichhing diesdamitzusammen,dass die Militärregie- rung eine Veröffentlichung derVerfassungsberatungen untersagthatte. Später,alsderVerfassungsausschuss derBera- tenden Landesversammlung tagte,hattedie Pressedie Bera-

169 tungen weitgehend ignoriert oderbagatellisiert.Erst gegen Ende derBeratungen wurde überZwischen- und Teilergebnis- seberichtet.Trotzdem kannten offenbarviele das,worübersie abstimmen sollten,nichtodernichthinreichend. Allerdings wurde diesauchvon keinerSeitekritisiert oderbeanstandet. Vielmehrbestand ein „fast völlig fehlendesInteressefür Ver- fassungsfragen und Fragen derkünftigen inneren Gestaltung DeutschlandsalsGesamtheit“. Sohieß esjedenfallsin einem Berichtvom 30.April 1947anden damaligen Ministerpräsiden- ten Boden. DerPräsidentderBeratenden Landesversammlung Reichert sprachdeshalbvon „derSuche einerVerfassung nach ihrem Volk“. Die Parteien versuchten ihreAnhängerin beson- deren Veranstaltungen und Rundfunkansprachen für bzw. gegen die Verfassung zu mobilisieren. Die katholischen Bischöfe sprachen in einem Hirtenwort vom 28. April 1947von einer„Stimmpflicht“und forderten die Gläubigen direktdazu auf,für die Verfassung einzutreten und derRegelung derSchul- frage zuzustimmen,während sichdie evangelischen Kirchen- leitungen daraufbeschränkten,den Gemeindemitgliederndie Zustimmung zu den Schulartikeln nahezulegen.

Die Ausgangslage warebensoklarwie ungewiss.Fest stand, dass bei einerAblehnung derVerfassung derneugewählte LandtagimEinvernehmen mitdervorläufigen Landesregie- rung eine neueVerfassung ausarbeiten sollte. Entsprechendes galtfür die Schulartikel. Sowaresmitden französischen Besat- zungsbehörden abgesprochen worden. Völlig offen warder Ausgang derVolksabstimmung,dadie SPD auchimWahl- kampf massivfür eine Ablehnung derVerfassung und der Schulartikel eingetreten war.

Am18. Mai1947beteiligten sich77,8%derca.1,6Millionen Wahlberechtigten anderVolksabstimmung. Ein beachtlicher Teil derStimmen warungültig (18,2%bei den Schulartikeln, 14,4%bei derVerfassung). Von den gültigen Stimmen votier- ten 53%für die Verfassung und 52,4%für die Schulartikel. LetztlichhattederRegierungsbezirkTrier,dermit76,5%dem

170 Verfassungsentwurfund mit82,8%den Schulartikeln zuge- stimmthatte,die Mehrheitim Land gesichert.AuchimRegie- rungsbezirkKoblenzüberwogen die Ja-Stimmen mit61,3%für die Verfassung und 65%für die Schulartikel. Eine knappe Mehrheitgab esauchjeweilsim RegierungsbezirkMontabaur. Dagegen sprachen sichRheinhessen und die PfalzmitMehr- heitgegen Verfassung und Schulartikel aus:InRheinhessen waren es53,2%und 67 %und in derPfalz59,7%und 63,2%. Die Gesamtverfassung und die Schulartikel waren damitmit denkbarknapperMehrheitangenommen worden. Bezogen aufdie Gesamtzahl derWahlberechtigten waren nur 35,2%für die Verfassung und 31,3%für die Schulartikel. Die Verfassung tratentsprechend ihrem Artikel 144 Abs.1mitdem 18. Mai 1947in Kraft.

Seithergiltder18. Mai1947alsGeburtstagdesLandesRhein- land-Pfalz.Der2.Dezember1946–alsmitderErnennung der Mitgliederdervorläufigen Landesregierung erstmalsalle Staatsmerkmale vorlagen (vgl. S.156f.) –tratdagegen in den Hintergrund. Dafür gibtesguteGründe:Zuihnen gehört der provisorische Charakterdervorläufigen Landesregierung,vor allem aberderUmstand,dass am18. Mai1947dasVolk als verfassungsgebende Gewaltund „säkulareUrquelle allen

171 Rechts und demokratischerLegitimation“ (soWalterRudolf) die Verfassung in Kraftgesetzt hatte. Erst jetzt wardeutsche Staatsgewaltin nennenswertem Umfange andie Stelle derbis dahin allesdominierenden Befehlsgewaltderfranzösischen Besatzungsbehörden getreten. Deshalbist esdurchaus legi- tim,den GeburtstagdesLandesaufden TagderVolksabstim- mung überdie Landesverfassung und damitaufden 18. Mai 1947zudatieren.

13.DerLandtag

a)Landtagswahl: Die Landtagswahl fand amselben Tagwie die Volksabstimmung überdie Landesverfassung statt.15Jahre waren seitden letzten Landtagswahlen in den Gebieten des heutigen Rheinland-Pfalzvergangen. Am24. April 1932 war zusammen mitderbayerischen Landtagswahl in derPfalz,am 19. Juni 1932 zusammen mitderhessischen Landtagswahl in Rheinhessen und am5.März 1933 mitderpreußischen Land- tagswahl auchinden Regierungsbezirken Trier,Koblenzund Montabaur gewähltworden. Da die Landtage spätervon den Nazisaufgelöst wurden,wareswährend desDritten Reichszu keinen weiteren Landtagswahlen mehrgekommen.

GemäßArtikel 1derLandesverordnung überdie Wahl zum ersten Landtagvon Rheinland-Pfalzhatten die rund 1,6Millio- nen wahlberechtigten Bürger100 Abgeordnetezu wählen. Zur Wahl standen nur die Parteien,die bereits anden Kreistags- wahlen teilgenommen hatten. SPD und KPD mussten immer nochaufdas„D“inihrem Parteinamen verzichten. Bei einer Wahlbeteiligung von 77,9%erhieltdie CDU 47,2%derStim- men,die SPD 34,4%,die KPD 8,7%und LP und SV zusam- men 9,7%. Die LiberalDemokratische Partei (LP)hattesichnur im Norden desLandesund in Rheinhessen zur Wahl gestellt und derSoziale Volksbund nur in derPfalz.ImVergleichzu den sieben Monatezuvordurchgeführten Kreistagswahlen hatte die CDU im Durchschnitt 7,7%derStimmen verloren,im

172 RegierungsbezirkKoblenzund Montabaur waren essogar mehrals10%bzw.12%,während die SPD in Rheinhessen die meisten Stimmen dazu gewonnen hatte,rund 7%. Besonders gravierend warwiederumdie Zahl derungültigen Stimmen. Sie belief sichauf10,6%,im RegierungsbezirkTrierwaren essogar 15,9%,während bei derKreistagswahl nur 5,8%eine ungül- tige Stimme abgegeben hatten. Die Gründe für die erhebli- che Zunahme derungültigen Stimmen sind nichtbekannt. Interessantist derHinweis,dass mitdem Wegfall derWahlbe- schränkung für ehemalige NSDAP-Mitgliederggf. die Zahl der ungültig wählenden Protestwählergestiegen sein könnte.

AufGrund derfranzösischen Verordnung Nr.93 Wahlen in Landau kamen am8.Juni 1947über60zuden früheren Kreisen Saarburgund Trier-Land gehörende Gemeinden,die aufGrund derfranzösischen Anordnung Nr.8vom 18. Juli 1946 andasSaarland abgetreten worden waren,wiederzuRhein- land-Pfalz.Durchdie Nachwahl in diesen Gemeinden am 21. September1947erhöhtesichdie Zahl derAbgeordneten von 100 auf101. Danachverteilten sichdie Mandateaufdie im Landtagvertretenen Fraktionen folgendermaßen:CDU 48,

173 SPD 34,KPD acht,LPsieben und SV vierMandate. Nur acht Frauen gehörten dem ersten Landtagan;viervon ihnen gehör- ten zur CDU-Fraktion,drei zur SPD-Fraktion und eine –als Nachrückerin –zu den Kommunisten.

b)Konstituierung: DerersteLandtagkonstituiertesicham 4. Juni 1947im Großen SaaldesKoblenzerRathauses; hierfan- den biszum19. August 1948 auchdie weiteren Landtagssit- zungen statt.NachderSommerpausezog derLandtagindas Vereinshaus deskatholischen Lesevereins,dassog. Görres- haus,in dem erbiszum30.März 1951,d. h. biszumEnde der 1. Wahlperiode,tagte. Dass derersteLandtagzunächst in Koblenzseinen Sitz hatte,warauchdie Folge von Artikel 83 Abs.3derneuen Landesverfassung. DanachhatsichderLand- tagamSitz derLandesregierung zu versammeln,und diesewar –abweichend von Artikel 2derVerordnung Nr.57vom 30. August 1946–immernochinKoblenzuntergebracht(vgl. S. 189 f.).

KoblenzerRathaus: Die 101Abgeordneten waren nochvom Präsiden- bisAugust 1948 ten derBeratenden Landesversammlung,Ludwig Tagungsort desLandtags Reichert,derdem Landtagnichtmehrangehörte,

174 zu ihrerersten Sitzung eingeladen worden. 71von Plenarsitzung des ihnen hatten bereits derBeratenden Landesver- Landtagsim sammlung angehört.Immernochwardie Zahl KoblenzerRathaus derer,die im Dritten Reichaufdie eine oderande- reWeiseverfolgtworden waren,groß. Allein zehn Abgeord- netewaren in Konzentrationslagerninhaftiert gewesen,darun- terderTriererKPD-AbgeordneteHansEiden,derfür die Beratende Landesversammlung nichtzur Verfügung gestanden hatte,weil ersein Stadtratsmandat,daseraufbrund der Gemeindewahl 1946gewonnen hatte,nichtangenommen hatte. Eiden ragteaus dem KreisderVerfolgten desNational- sozialismus hervor.Wegen seinerMitgliedschaftin derKPD war erbereits 1933 in Schutzhaftgenommen und 1936 wegen Vor- bereitung zumHochverratzudrei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Wenige MonatenachseinerEntlassung warerim Sep- tember1939indasKonzentrationslagerBuchenwald verbracht worden. AlsLagerältesterhatteernochkurz vordem Eingrei- fen derUS-Verbände verhindert,dass Tausende von Lagerin- sassen von derSS abtransportiert wurden. Am11. April 1945 beteiligten sichunterseinerLeitung bewaffneteLagerinsassen anderBefreiung von Buchenwald. Über20000 Häftlinge hat- ten mitseinerHilfe dasInferno überlebt,daruntermehrals 3000 Juden. 80000 Insassen waren in Buchenwald ermordet worden. Ihnen zur Ehrehatten sichdie Überlebenden einen TagnachderBefreiung zu einem letzten Appell versammelt, bei dem ein Aufrufverlesen wurde,dervom Internationalen Lagerkomitee,dem HansEiden ebenfallsvorstand,verfasst worden war.Erendetemitdem „Schwur von Buchenwald“:

175 „Wirstellen den Kampf erst ein,wenn auchderletzteSchul- dige vorden RichterndesVolkessteht.Die Vernichtung des Nazismus mitseinen Wurzeln ist unsereLosung! DerAufbau einerneuen WeltdesFriedensund derFreiheitist unserZiel! Dassind wirunseren gemordeten Kameraden und ihren Ange- hörigen schuldig!“

ImMai1945 warEiden –schwer gezeichnet–wiedernachTrier zurückgekehrt,wie esheißtim Mercedesdesletzten Lager- kommandanden,derihm vom Internationalen Lagerkomitee zur Verfügung gestelltworden war.Ein gutesJahrspäter erschien sein Bericht„Daswar Buchenwald“,in dem erdie im Lagerverübten Verbrechen und die Leiden derLagerinsassen schilderte. Sein Landtagsman- datlegteerbereits im Juli 1948 nieder,nachdem erzuvoraus derKPD ausgeschlossen worden HansEiden, war.Esheißt,seine Lebensgefährtin habeunter Landtagsabgeordneter dem Verdachtgestanden,mitdem französischen Geheimdienst zu kollaborieren. Am6.Dezember 1950ist HansEiden anden Folgen seinerKZ-Haftin Trierver- storben.

Manche Abgeordnetedesneugewählten Landtagskonnten trotz langerparlamentarischerAbstinenzaufeine große par- lamentarische Erfahrung zurückblicken. VierAbgeordnete waren bereits Mitglied im Reichstaggewesen,nämlichPaul Gibbert (CDU)von 1932 bis1933,PaulRöhle (SPD)von 1924 bis1933,FriedrichWilhelm Wagner(SPD)von 1930 bis1933 und JakobSteffan(SPD)von Juni bisNovember1932.Röhle waraußerdem 1919 und 1920 Mitglied in derVerfassungsge-

176 benden Deutschen Nationalversammlung in Weimargewesen. WeitereneunAbgeordnetewaren in den 30erJahren Mitglie- derim Preußischen bzw.imBayerischen Landtag,zumTeil auch im Rheinischen Provinziallandtag.

Die Abgeordneten wählten JacobDiel (CDU)zumersten Land- tagspräsidenten und knüpften damitandie EndphasederWei-

marerRepublik an:Denn in derkonstituierenden JacobDiel (l.) und und zugleichvorletzten Sitzung desPreußischen August Wolters, Landtagsam31. März 1933 warJacobDiel die ersten zusammen mitWilhelm Boden alsBeisitzerin das Landtagspräsidenten PräsidiumdesPreußischen Landtagsgewähltwor- den,dem erseit1921angehört hatte. Diel blieballerdingsnur kurzeZeitPräsidentdesrheinland-pfälzischenLandtags,denn bereits am13.Mai1948 wurde ervon August Wolters (CDU) abgelöst.Den Hintergrund für seinenRücktritt bildeten Vor- würfe,welche die „Rhein-Zeitung“ im August 1947gegen den Weingutsbesitzererhoben hatte. Sie betrafen vorallem seine Geschäftsbeziehung zu einem als„Großschieber“bekannten Kaufmann. DieseVorwürfe wurden zwarvon einemam28. August1947eingesetzten und unterdem Vorsitz desSPD-

177 Abgeordneten FriedrichWilhelm Wagnertagenden parlamen- tarischen Untersuchungsausschuss weitgehend entkräftet. Trotzdem entzog die SPD-Fraktion ihm ihrVertrauen.Alsauch seine eigene Fraktion von ihm abrückte,mussteDiel zurück- treten.Sein Nachfolger,August Wolters,warvor1933 Mitglied im Zentrumund SekretärderEisenbahnergewerkschaftin Koblenzund Triergewesen. Nach1945 gehörteerzuden Mit- begründernderCDU in Trierund in Rheinland-Pfalz.Sein Amt alsLandtagspräsidentübteerbis1959 aus.

Ebenfallsin derkonstituierenden Sitzung wurden die Fachaus- schüsseeingesetzt.Zuihnen gehörtederErnährungs-und Versorgungsausschuss sowie derFlüchtlings-und derPetitions- ausschuss.Damitwirddeutlich,wodie politischen Schwer- punkteinderersten Legislaturperiode lagen.

c)ErsteWahlperiode: Inseinerzweiten Sitzung am12.Juni 1947nahm derLandtagdie Erklärung desfranzösischen Gene- ralgouverneurs Boislambert überdie Verordnung Nr.95ent- gegen. Verschiedene Hoheitsrechte,die bisdahin derfranzö- sischen Besatzungsmachtvorbehalten waren, Görreshaus: wurden gemäßderneuen Landesverfassung auf von September1948 Landtagund Landesregierung übertragen. Ausge- bisApril 1951 nommen waren Angelegenheiten,welche die Tagungsort desLandtags Besatzungsmachtbetrafen,und Fragendermilitä-

178 rischen,industriellen und wissenschaftlichen Plenarsitzung des Abrüstung. Außerdem mussten z.B.Vorschläge, Landtagsim Koblenzer welche die Aufrechterhaltung deröffentlichen Görreshaus Ordnung und die Demokratisierung –besonders aufdem GebietdesErziehungswesens–betrafen,derfranzö- sischen Besatzungsmachtvorgelegtwerden,bevorsie dem Landtagzugeleitetwerden durften. ImÜbrigen waren alle GesetzesbeschlüssedesLandtagsvom französischen Ober- kommandierenden zu genehmigen,bevorsie von ihm veröf- fentlichtwurden. Mitanderen Worten:DerLandtaghattezwar eine Reihe von Zuständigkeiten,erkonntesie abernur wahr- nehmen,wenn die Franzosen damiteinverstanden waren. NichtdasVolk und seine Vertretung waren derSouveränim Lande,sondernimmernochdie Besatzungsmacht.

DieskommtauchinderBilanzfür die 1. Wahlperiode desLand- tagszumAusdruck:Mindestens19 derrund 250Gesetze,die vom Landtagverabschiedetwurden,hatten nichtdie Geneh- migung derfranzösischen Militärbehörden erhalten und waren deshalbnichtin Kraftgetreten. Bei einergroßen Zahl andererGesetzewurde die Genehmigung erst nachlangwie- rigen Verhandlungen bzw.Änderungen erteilt.Bei anderen Entwürfen kamesinfolge desfrühen EinspruchsderMilitärre- gierung erst garnichtzueinerVerabschiedung. Sokonntedas Landesgesetz überdie Feststellung desHaushaltsplanesfür dasRechnungsjahr1949 wederin zweiternochindritter Lesung beraten werden,nachdem die Militärregierung schon nachderersten Beratung die Genehmigung versagthatte. Für

179 die beiden vorangegangenen Rechnungsjahrewarzwarein Haushaltsgesetz verabschiedet,abervon den Franzosen nicht genehmigtworden,sodass die Landesregierung von 1947bis 1951 ohne genehmigten Haushaltarbeiten musste.

Für Parlamentund Regierung waren dieseUmstände sehrpro- blematisch. Esbestand die Gefahr,dass die allgegenwärtigen Schwierigkeiten,insbesonderedie gravierenden Versor- gungsprobleme,ausschließlichihnen und nichtauchderfran- zösischen Besatzungsmachtangelastetwürden. DerAbgeord- neteFriedrichWilhelm Wagner(SPD)verlangtedeshalbin seinerRede am7.Oktober1947:

„DaßwirklareZuständigkeithaben,und daßdieseklaren Zuständigkeiten deutlichgezeigtwerden,daßmanweiß,ver- antwortlichfür die Maßnahmen aufdem GebietderErnährung sind die oderdie,seien esDeutsche,seien esBesatzungsbe- hörden.“

Parlamentund Regierung wanderten alsolange aufeinem schmalen Grat.Aufdereinen Seitedrohten Repressalien der Franzosen,aufderanderen SeitederVertrauensentzugdurch die Bevölkerung. Und nur langsambegannen sichdie Volks- vertreterund ihreSprechervon den VertreternderBesat- zungsmächtezu emanzipieren. WarihrVerhältniszueinander

Landtagssitzung im Görreshaus mit PräsidentWolters und MinisterFeller(Redner)

180 anfänglichdasvon Befehl und Gehorsam,sobegannen Par- teien,Fraktionen und auchderLandtaggegen Ende desJah- res1947zunehmend Kritik anden Franzosen und ihrerVersor- gungspolitik zu üben und Forderungen zu stellen,zuweilen in einem durchaus forschen Ton. Ihren Höhepunkterreichtedie Auseinandersetzung zwischen dem Landtagund derBesat- zungsmachtin derPlenarsitzung am16.Juni 1948. Derfran- zösische Oberst Martinez,deralsdie „zentrale Figur derBesat- zungsverwaltung in Neustadt“galt,nahm die Kritik des liberalen Abgeordneten CarlNeubronneranderBesatzungs- politik zumAnlass,in die Sitzung einzugreifen,waszuderen Unterbrechung und nachihrerWiedereröffnung zu einem Beschluss führte,in dem derLandtagforderte,dass

„jegliche Entnahme [von Lebensmitteln]durchdie Besatzungs- machtund deren Familienangehörige sofort entfälltund der im Marshallplanvorgesehene Kaloriensatz von 1800 zu reali- sieren ist,andernfallsderLandtagsichgezwungen siehtzuprü- fen,obdie Voraussetzungen für die Erfüllung seinerverfas- sungsmäßigen Tätigkeitnochgegeben sind“.

DieserBeschluss markiert zugleichdasEnde derersten Phase derersten Legislaturperiode desLandtags,die von den sog. Kartoffeldebatten geprägtwar,d. h. von den Beratungen,die sichimPlenumund vorallem im Ernährungsausschuss mitder „Notunsererhungernden Bevölkerung“ befasst hatten,wie LandtagspräsidentWolters in derletzten Landtagssitzung fest- stellte. Zur zweiten Phasebemerkteer:

„Dann kamdie Währungsreform,und mitihreine Strukturän- derung unseressozialen Lebens.DerSchwerpunktunsererpar- lamentarischen Arbeitverlagertesichvom Ernährungssektor aufden Finanzsektor.Derentscheidende Ausschuss wurde der Haushalts-und Finanzausschuss.Finanzfragen beherrschten unsereTätigkeitim Parlament,obessichdarumhandelte,Wie- deraufbaumaßnahmen zu beraten oderzubeschließen oder soziale Gesetzezu verabschieden.“

181 14. Die Landesregierung

ErsteAufgabedesneugewählten Landtagswardie Wahl des Ministerpräsidenten und die Bestätigung seinesKabinetts.Da die Landtagswahl keinerPartei zur absoluten Mehrheitverhol- fen hatte,mussteeine Koalitionsregierung gebildetwerden. Die Koalitionsgespräche begannen nochimMai1947,waren aberam4.Juni,alsderLandtagzu seinerkonstituierenden Sit- zung zusammenkam,nochnichtbeendet.InderCDU waren gravierende Meinungsunterschiede darüberaufgetreten,ob die Koalition mitderSPD fortgesetzt oderein Bündnismitden Liberalen angestrebtwerden sollte. DieserStreitbrachtedem erst wenige Wochen alten Land seine erstehandfesteKrise. Sie bestand aus mehreren Akten. ErsterAkt:Inderkonstituieren- den Sitzung desLandtagskonntekein Ministerpräsident gewähltwerden. ZweiterAkt:Inderdritten Sitzung wurde Wil- helm Boden zwarmit54 gegen 38Stimmen zumMinisterprä- sidenten gewählt,erkonntedem Landtagaberkein mehrheits- fähigesKabinett präsentieren. DritterAkt:Eine Plenarsitzung, in derdiesnachgeholtwerden sollte,musstemangelsEinigung zwischen den Parteien abgesagtwerden. Vierter Ministerpräsidenta.D. Akt:MinisterpräsidentBoden musstezurücktreten. Wilhelm Boden FünfterAktund Finale:Eswurde ein Allparteien- mitseinem Nachfolger kabinett unterMinisterpräsidentPeterAltmeier, PeterAltmeier dem bisherigen Fraktionsvorsitzenden derCDU-

182 Fraktion,gebildet.Die Kritiken zu diesem politischen Theater- stückwaren denkbarschlecht.Die Presse–und nichtnur sie – sahdasneueparlamentarische System gleichzu Beginn durch die UnbeweglichkeitderParteien kompromittiert.Waswaren die Hintergründe und Ursachen dieserStartschwierigkeiten?

Die SPD, die eben nochgegen die Verfassung votiert hatte, hattezwarkeine Vorbehaltegegen eine weitereRegierungs- beteiligung,lehnteaberBoden alsMinisterpräsidenten ab.Sie unterstellteihm eine gewisseAffinitätzuden französischen Rheinlandplänen und machteihm einen Brief andie Militärre- gierung zumVorwurf,in dem ersichgegendie Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Osten ausgesprochen hatte,umdie homogene katholische Struktur im Norden desLandesnicht zu gefährden. Außerdem sei ernur ein „einfacherLandrat“und dem AmtdesMinisterpräsidenten nichtgewachsen. Die CDU wiederumwollteden bisherigen InnenministerJakobSteffan (SPD)nichtmehrin diesem Amtsehen,daerÄmterpatronage betrieben und z.B.inRheinhessen nur Genossen zu Landrä- ten ernannthatte. ImÜbrigen wehrtesie sichdagegen,einem Minister,dessen Partei die Verfassung abgelehnthatte,dasbis dahin für Verfassungsfragenzuständige Innenministerium anzuvertrauen. Beide Parteien waren in ihren Positionen unnachgiebig;dasichinnerhalbderCDUauchkeine Mehrheit für eine kleine Koalition mitden Liberalen fand,waren zunächst alle Wege aus derKriseverbaut.Die Pressereagier- temitUnverständnisund heftigerKritik. Bereits am26.Juni 1947schriebdie „Allgemeine Zeitung“:

„Diesen endlosen Debatten umdie Regierungsbildung stehen die Männerund Frauen von Rheinland-Pfalzbefremdetund verständnislosgegenüber.Da sichalle Parteien zur Mitarbeit bereiterklärt haben,können die Schwierigkeiten alsonur auf personellem Gebietliegen. Hierfür hatdasVolk heuteaberam allerwenigsten Verständnis.EserwartetMännerzufinden,die endlichzu klaren Entscheidungen kommen,denn die Zeit drängtzumHandeln,nichtzumVerhandeln.“

183 Regierung Altmeier(r.) Erst am8.Juli wurde ein Kompromiss gefunden. mitden MinisternSteffan Erbestand –wie gesagt–aus einem Allparteien- Süsterhenn,Neumayer, kabinett unterLeitung von PeterAltmeierund aus Hoffmann und Stübinger einerKompetenzbeschränkung desInnenministe- im KoblenzerRathaus riums,dasdie Zuständigkeitfür Verfassungsfragen andasJustizministeriumund für wichtige Personal- entscheidungen andasKabinett verlor.Dafür bliebSteffan Innenminister.Wilhelm Boden trateinen Tagspäter–am9.Juli –alsMinisterpräsidentzurück. Seine TätigkeitanderSpitzeder Exekutive,die Anfang 1946alsPräsidentdesOberpräsidiums von Rheinland-Hessen-Nassaubegonnen hatte,wardamit beendet.Seine parlamentarische Laufbahn ging allerdingswei- ter.ImApril 1948 wurde erVorsitzenderdesHaushalts-und Finanzausschussesund mitdem Beginn der2.Wahlperiode im Juni 1951 auchVorsitzenderderCDU-Landtagsfraktion. Die- sem Amt,daserbiszuseinem Tode im Oktober1961behielt, verdankteerseinen Rufals„Grandseigneur desrheinland-pfäl- zischen Landtags“.

AmTagseinesRücktritts alsMinisterpräsidentwähltederLand- tagmitden Stimmen von 92anwesenden MitgliedernPeter Altmeierzuseinem NachfolgeralsMinisterpräsident,und zwar –nichtwie diesheutzutage erforderlichist –ingeheimerWahl, sonderndurchAufstehen von den Plätzen. Ebensoeinstimmig wurde seinKabinett bestätigt.Damitwarzwardie Regierungs- krisezunächst beendet,aberdie Verärgerung gegenüberden politischen Akteuren blieb.Nocham30.September1947 schriebihnen die „ChristlichDemokratische Rundschau“fol- gende SätzeinsStammbuch:

184 „Allen politischDenkenden möchtemanzurufen: Regierung Altmeier(r.) IhrwolltDemokraten sein und mißachtetdie Tole- mitden Ministern ranz?Toleranzist derEckstein derDemokratie. Das Steffan,Hoffmann ist demokratisch:sichgegenseitig achten. Sich und Junglasim befeinden,dasist dasGegenteil von Demokratie, KoblenzerGörreshaus dasist Nihilismus und Auflösung jederOrdnung. Alsoseid Demokraten und achtetdie Geboteder Toleranz.“

WerwarderneueMinisterpräsidentund wie sahdasneueund zugleicherstevom LandtagbestätigteKabinett aus?Peter Altmeier,am12.August 1899 in Saarbrücken geboren und in Koblenzaufgewachsen,wardort 1929für dasZentruminden Stadtratgewähltworden,dem erbis1933 angehörte. Nachder Auflösung desZentrumshatteeresabgelehnt,im Stadtratzu bleiben und bei derNSDAP zu hospitieren. Stattdessen warer in seinen kaufmännischen Berufzurückgekehrt und hattebis zumEnde desZweiten Weltkriegesin einem KoblenzerGroß- betriebgearbeitet.1945/46gehörteerzudenMitbegründern derKoblenzerCDP.Wilhelm Boden hatteihn im April 1946 zumRegierungspräsidenten von Montabaur berufen. Ein hal- besJahrspäterwurde erMitglied in derBeratenden Landes- versammlung und VorsitzenderderCDP/CDU-Fraktion. Diese Funktion hatteerauchzu Beginn derersten Wahlperiode des Landtagsin derkurzen Zeitinne,alsBoden vergeblichversucht hatte,eine Regierungsmehrheitzusammenzustellen.

DasersteKabinett Altmeierwarein Allparteienkabinett; ihm gehörten MitgliederderCDU, derSPD und derKPD an,erst-

185 malsaberauchein VertreterderLiberalen. Aufdie Zusammen- setzung desKabinetts hatten die Franzosen diesesMalkeinen Einfluss genommen. GeneralKoenig hatteBoislambert ange- wiesen,Altmeierfreie Hand zu lassen. MitAusnahme von Lotz gehörten dem neuen Kabinett die alten CDU-Ministeran. Adolf Süsterhenn erhieltzumJustiz-auchdasKultusministeri- um. Johann JunglasbliebWohlfahrtsministerund Oskar StübingerMinisterfür Ernährung und Forsten. Die SPD stellte drei Minister:JakobSteffanbliebInnenministerund Hans Hoffmann,dessen Berufung in die vorläufige Landesregierung die Franzosen nochverhindert hatten,wurde Finanzminister. Neuim Kabinett waralsArbeitsministerWilhelm Bökenkrüger, dessen Nominierung aufden ausdrücklichen Wunschder

Wilhelm Bökenkrüger, Gewerkschaften zurückging. ErwarzuvorPräsidial- Arbeitsminister(l.), direktorderAbteilung Arbeitund Sozialesim Neu- , städterOberregierungspräsidiumund ein reiner Wirtschafts-und Fachbeamter.InderSPD hatteerkeine besonde- Verkehrsminister ren Funktionen inne,wenn manvon seinem Amt alsVorsitzenderdesOrtsvereinsHaardtabsieht. DasWirtschafts-und Verkehrsministeriumübernahm der Liberale Fritz Neumayerund dasWiederaufbauministerium erhieltwiederumderKommunist WillyFeller.Süsterhenn und

186 Hoffmann waren –wie WalterSchmitt berichtet–die starken Männerim Kabinett Altmeier.

Altmeiers Allparteienkabinett zerbrachbereits neunMonate späteram7.April 1948,weil CDU und SPD dem von derKPD gestellten WiederaufbauministerFellerim LandtagihrMiss- trauen erklärten. Erhattesichgegen die Einbeziehung von Rheinland-Pfalzin den nachdem damaligen US-Außenminister benannten Marshall-Planausgesprochen,in dem die US-Regie- rung den vom Krieg betroffenen europäischen Staaten,darun- terauchDeutschland,großzügige finanzielle Hilfen zugesagt hatte(vgl. S.230 ff.). Da die FDP wegen desgespannten Ver- hältnisseszur SPD zeitgleichauchihren Wirtschaftsminister Neumayeraus dem Kabinett zurückzog,übernahm Altmeierzu seinem MinisterpräsidentenamtdasWirtschaftsministerium und HansHoffmann neben dem Finanzministeriumauchdas Wiederaufbauministerium. Aus derAllparteienregierung war eine große Koalition geworden. Aberauchsie ging unruhigen Zeiten entgegen.

Grund hierfür warFranzBögler(SPD),dervon Altmeierim Sommer1947zumOberregierungspräsidenten derPfalzund damitzumNachfolgerdesChristdemokraten OttoEichenlaub ernanntworden war.DiesePersonalentscheidung warFolge desguten Wahlergebnisses,dasdie SPD in derPfalzerzieltund dasBöglerauchinden Landtaggeführt hatte,woerzunächst biszumJuli 1947dasAmtdesVizepräsidenten innehatte. Da ersichmitdem neuen Land nichtanfreunden konnte,diesnach außen hin auchsodeutlichzumAusdruckbrachte,dass ihm bald derRufeines„Landessprengmeisters“anhing,wurde er im Oktober1949 von Altmeierabervon seinem Amtentbun- den. BöglerwarunterVerstoß gegen einen Ministerratsbe- schluss dem Verein „Kurpfalz“beigetreten (vgl. S.283ff.) und hattesowohl die Landesregierung alsauchdie Militärregierung mitmaßlosen Attacken überzogen. Letzterehattedeshalbauch wiederholtaufseine Entlassung gedrungen. AlsKonsequenz aufseine Entlassung traten die SPD-MinisterSteffan,Hoffmann

187 und Bökenkrügeram20.Okto- ber1949 aus dem Kabinett aus, allerdingsnur widerwillig einem Parteibeschluss folgend. Inder Presseerklärten sie,nur „den Tischabzuräumen,umihn neu zu decken“. Bereits am14. Dezember1949 kamesdeshalb auchzur Wiederauflage der CDU/SPD-Koalition,wenn auch mitverkleinertem Kabinett. InnerhalbderSPD hatten sich diejenigen durchgesetzt,die FranzBögler,Ober- dasLand,solange esnuneinmalbestand,nicht regierungspräsident völlig konservativen Händen überlassen wollten. derPfalz Hoffmann wareinerderProtagonisten dieser Linie,Böglersein Gegenspieler.Zwischen beiden bestand in derFolgezeiteine ausgesprochene Gegnerschaft. Imneuen Kabinett waren dasArbeits-und dasWohlfahrtsmi- nisteriumzu einem Sozialministeriumzusammengefasst und JakobSteffanübertragen worden,aufden Altmeierwegen der anstehenden Hauptstadtentscheidung (vgl. S.295 ff.) angewie- sen war.DerSozialpolitikerBökenkrügermussteseinen Platz räumen. AußerSteffangehörten dem neuen Kabinett noch Süsterhenn (Justiz,Unterrichtund Kultus)und Stübinger (Landwirtschaft,Weinbauund Forsten) für die CDU und Hoffmann (Finanzen und Wiederaufbau)für die SPD an. Jung- las(CDU)waralsoebenfallsausgeschieden. DasInnenminis- teriumwurde von Altmeierübernommen;seitdem Ausein- anderfallen derAllparteienregierung hatteerbereits das Wirtschaftsministeriuminne.

AberauchindieserBesetzung hattedasKabinett keinen Bestand. Steffan,derseitderletzten Kabinettsumbildung das Sozialministeriumleitete,musstesein Amtim September1950 aufgeben. Ein juristischerUntersuchungsausschuss unterdem Vorsitz desspäteren Vizepräsidenten desBundesverfassungs-

188 gerichts FriedrichWilhelm Wagner(SPD)hatteeine Reihe von Vorwürfen nichtentkräften können,die von dem vormali- gen Landtagspräsidenten Diel und dem ehemaligen Staatsse- kretärim Innenministerium Wuermeling lanciert worden waren. Dabei ging esumeinen angeblichen Versicherungsbe- trugaus dem Jahre1932,um angebliche Kontaktezur Gesta- po und schließlichumeine überhöhteWiedergutmachungssumme. Nachfol- Wilhelm Odenthal, gerwurde aufVorschlagBöglers derPräsidentdes Sozialminister pfälzischen LandesarbeitsamtesWilhelm Odenthal (SPD). Mitdem AblaufderWahlperiode wechselteerallerdings in den .

ImVerlaufe derersten Wahlperiode waralsoaus einem Allpar- teienkabinett eine große Koalition geworden und die Zahl der Ministervon neunaufvierreduziert worden. DieseEntwicklung hing mitparteitaktischenÜberlegungen und unterschiedlichen politischen Einschätzungen zusammen,aberauchdamit,dass zwischenzeitlichdasGrundgesetz in Kraftgetreten warund eine Bundesregierung amtierte,die Aufgaben wahrzunehmen hatte,die bisdahin von den Landesregierungen erledigtwor- den waren.

Ihren Sitz hattedie Landesregierung –wie derLandtag–immer nochinKoblenz.Die Staatskanzlei befand sichimalten Ober- präsidiumamClemensplatz.Dorthin zog im Mai1948 auch MinisterpräsidentAltmeier,dermitseinem Sekretariatbis dahin aufdem Oberwerthresidiert hatte. Chef derStaatskanz- lei warHannsHaberergeworden,derunterMinisterpräsident Boden nochWirtschafts-und Finanzministergewesen war.Die einflussreiche Stelle desLeiters derAbteilung „Gesetzgebung

189 Staatskanzlei, Innenministeriumund Justizministeriumim alten Oberpräsidium

Wirtschafts-und Verkehrsministerium, Ernährungs-und Land- wirtschaftsministerium sowie Wiederaufbau- ministeriumim Behördenhochhaus am KoblenzerBahnhof

und Verwaltung“ hatteseit1948 MinisterialratHubert Hermans inne. Beide –Habererund Hermans–waren aberauchinden Landtaggewähltworden,sodass die ungewöhnliche Konstel- lation bestand,dass nichtnur derMinisterpräsident,sondern auchderChef derStaatskanzlei und sein VertreterAbgeord- neteimLandtagwaren. Die Wahlordnung hattekeine Vorsor- ge für mögliche Inkompatibilitätsfälle getroffen. Offenbarlie- ßen sichbeide Funktionen auchnichtgut miteinander vereinbaren. Fritz Dupprévermerktejedenfallsin einem klei- nen Aufsatz lapidar:„Friktionen sind auchnichtausgeblieben.“

190 15. Die Kommunalverfassung

Zuden Aufgaben von Landtagund Landesregierung gehörte esauch,die bisdahin aufgebautedemokratische Ordnung näherauszugestalten. Die dafür notwendigen Gesetzewaren u.a.inderLandesverfassung vorgeschrieben worden. InArti- kel 50Abs.3LV warbeispielsweisemitBlickaufdasSelbst- verwaltungsrechtderGemeinden und Gemeindeverbände der Erlass eines„Selbstverwaltungsgesetzes“angeordnetworden und in Artikel 80Abs.4LV für die Durchführung von Landtags- wahlen ein „Wahlgesetz“,dasgemäßArtikel 109Abs.4LV auchdie Einzelheiten von Volksbegehren und Volksentschei- de regeln sollte.

Bereits während derVerfassungsberatungen wardie Bedeu- tung desSelbstverwaltungsgesetzesfür die demokratische Ordnung im Land betontworden. Indem vom Abgeordneten Wuermeling vorgetragenen BerichtdesVerfassungsausschus- sesderBeratenden Landesversammlung hieß es:

„Die im 5. Abschnitt geregelteSelbstverwaltung derGemein- den und Gemeindeverbände ist die Grundlage einesdemo- kratischen Staates,dersichvon unten nachoben aufbauen mußund daherden Gemeinden und Gemeindeverbänden ein möglichst großesMaßvon Selbstverwaltung einzuräumen hat.“

Dem lagdie Überzeugung zugrunde,dass den Bürgerinnen und Bürgernamehesten im überschaubaren Bereichder Gemeinden vermitteltwerden kann,dass Demokratie mehrist, alseine Staatsform,in derdie Mehrheitentscheidet,sondern aucheine Lebensformdarstellt,die aufMitarbeitund Mitver- antwortung angewiesen ist.Dem entsprachdie Vorstellung von derGemeinde alsder„Urzelle“ derDemokratie.

Die NotwendigkeiteinesSelbstverwaltungsgesetzesergab sichvorallem daraus,dass während desDritten Reichesdie

191 gemeindliche Selbstverwaltung beseitigtund die Gemeinden gleichgeschaltetworden waren. Die leitenden Gemeinde- beamten waren zumgroßen Teil aus ihren Ämternentferntund durchAngehörige derNSDAP ersetzt worden. Die Gemeinde- vertretungen hatten ihreZuständigkeiten verloren,die Bürger- meisterwaren von derPartei ernanntund die Gemeindewah- len abgeschafftworden. Die Deutsche Gemeindeordnung vom 30.Januar1935hattediesen Zustand verfestigt(vgl. S.127 f.).

Mitdem Ende derHitler-Diktatur und dem Beginn derBesat- zungszeitwaren zwarersteSchritteunternommen worden,den Gemeinden dasSelbstverwaltungsrechtwiedereinzuräumen. Dochwaren die ersten Kommunalwahlen im Herbst 1946nach Besatzungsrechtdurchgeführt und dasKommunalrecht entsprechend dem Willen derfranzösischen Besatzungs- machtgestaltetworden (vgl. S.128). DerErlass einesneuen Gemeindeverfassungsrechtesgehörtedeshalbzu den vor- dringlichsten Aufgaben von Landtagund Landesregierung. Derdamalige Staatssekretärim Innenministeriumund vorma- lige LandtagsabgeordneteWuermeling bezeichnetedeshalb dasSelbstverwaltungsgesetz auch„alsdaswichtigsteWerk neben derVerfassung“.

Bereits ein guteshalbesJahrnachderVerabschiedung der Landesverfassung hattedasInnenministeriumseinen ersten Referentenentwurferstellt,den esam12.Dezember1947an die zwischenzeitlichgegründeten kommunalen Spitzenverbän- de zur Stellungnahme verschickte. Am10.März 1948 wurde derGesetzentwurfimLandtageingebrachtund nachnur vier- monatigerBeratungszeitam15. Juli 1948 bei lediglichsechs Gegenstimmen verabschiedet.Dass eserst am27.September 1948 ausgefertigtund verkündetwerden konnte,hing mitder verzögerten Genehmigung durchdie französische Besat- zungsmachtzusammen,die den Beratungen zwarzunächst freien Laufgelassen,dann aberdochVorbehaltegeltend gemachthatte,mitdenen sie sichaberletztlichnichtgegen Landtagund Landesregierung durchsetzen konnte. Sowurde

192 dasSelbstverwaltungsgesetz rückwirkend zum1.August 1948 in Kraftgesetzt; eswardamitdie ersteKommunalverfassung eineswestdeutschen Landesnachdem Krieg,die nichtvon einerBesatzungsmachtverordnetworden war.

DasGesetz bestand aus drei Hauptteilen,derGemeinde-,der Amts-und derKreisordnung. AlsvierterTeil wurde ein gutes Jahrspäternochdie Bezirksordnung hinzugefügt,aufdie im folgenden Abschnitt nähereingegangen wird. Mitdem neuen Selbstverwaltungsgesetz hattemansichwiedervon dervon den Franzosen Mitte1946eingeführten Munizipalverfassung verabschiedet,derzufolge aus derMittedesRatesein ehren- amtlicherBürgermeisterzuwählen war.Ohne dass esdarüber zwischen den Parteien zumStreitkam,warmanwiederzur sog. Bürgermeister-Verfassung miteinem hauptamtlichen Bürger- meisterzurückgekehrt.

16.Bezirkstagund Bezirksregierung derPfalz

Am16.Januar1950konstituiertesichaufderGrundlage der im November1949 vom Landtagbeschlossenen Bezirksord- nung derBezirkstagderPfalz,derzunächst aus den 35Land- tagsabgeordneten derPfalzbestand,seit1951 abervon den Pfälzernunmittelbargewähltwird. Damitwarvorerst ein jah- relangerStreitüberden Status derPfalzbeendetworden.

Die Auseinandersetzungen hatten ihren Ausgangspunktin der Verordnung Nr.57vom 30.August 1946,in derdie Pfalzim Vergleichzu den übrigen Landesteilen besonders hervorgeho- ben worden war.Dass daraus eine Sonderstellung derPfalz erwachsen sollte,hatten die Franzosen deutlichgemacht,als sie im Oktoberdesselben JahresRheinhessen aus derProvinz Hessen-Pfalzherausgelöst und derProvinzRheinland-Hessen- Nassauangliedert hatten (vgl. S.138). Die Sonderstellung der Pfalzsollteineinem eigenen ProvinziallandtagzumAusdruck kommen,derbei Entscheidungen desrheinland-pfälzischen

193 Landtags,welche die Pfalzbetrafen,ein Vetorechtbesitzen sollte. Außerdem sollteeseine eigene Provinzialregierung mit einem StaatssekretäranderSpitzegeben. Offenkundig sollte mitdem Provinziallandtaganden aufdie Départementräte während derFranzosenzeit(1801–1813)zurückgehenden PfälzerLandratangeknüpftwerden. 1816warererstmalsein- gerichtetund 1919 alsKreistagneukonstituiert worden. Inder „Gemischten Kommission“ waren diesePläne nur vom Ober- regierungspräsidenten derPfalz,OttoEichenlaub, unter- stützt,in derBeratenden Landesversammlung abereinhellig abgelehntworden. Alle Abgeordneten,auchdie Pfälzer,hat- ten sichgegen eine solche Sonderstellung ausgesprochen, weil sie darin einen gefährlichen Schritt zu einem pfälzischen Separatismus sahen. Indem Bericht,den derVerfassungsaus- schuss derBeratenden Landesversammlung überseine Verfas- sungsberatungen abgab, hieß eshierzu:

„DerVerfassungsausschußwareinstimmig derAuffassung,daß im InteressederEinheitund Einheitlichkeitdesneuen Landes und zur Ausschaltung unerwünschterpolitischerWirkungen der Pfalzkeine Sonderrechte,sondernnur diejenigen Selbstverwal- tungsrechteeinzuräumen seien,die sie schon früherbesaß, und die in einem nochzu erlassenden Selbstverwaltungsge- setz zu regeln seien.“

Teil des1948 erlassenen Selbstverwaltungsgesetzes(vgl. S. 191) wardie ein Jahrspäterin Kraftgetretene Bezirksordnung. AufihrerGrundlage trafen sicham16.Januar1950die 35pfäl- zischen Landtagsabgeordneten in NeustadtanderWeinstra- ße zur konstituierenden Sitzung desBezirkstages.ZumVorsit- zenden wählten sie den kaumdrei Monatezuvorvon MinisterpräsidentAltmeieralsOberregierungspräsidentder Pfalzentlassenen und in den Wartestand versetzten Franz Bögler.DerMitbegründerderpfälzischen SPD wurde übrigens 1962 aus seinerPartei ausgeschlossen. Vorangegangen war Ende 1960 seine Wiederwahl alsVorsitzenderdesBezirkstags mitHilfe von zwei Stimmen derrechtsradikalen Deutschen

194 Reichspartei,wasin derÖffentlichkeitals„Koaliti- FranzBögler,Vorsitzender on mitdem Hakenkreuz“angesehen wurde. desBezirkstags derPfalz,(2.v.l.)

17.Besatzungsrechte

Die neuerrichtetedemokratische Ordnung galtzunächst für ein besetztesLand. Die demokratischen Rechtekonnten des- halbnur soweitwahrgenommen werden,wie esdie Franzo- sen erlaubten. Die Demokratie waralsoeingeschränkt.Dasgalt insbesonderefür die Presseund den Rundfunk,die nichtfrei waren,sondernzensiert wurden,und für die Parteien und Gewerkschaften,die derKontrolle derBesatzungsmacht unterlagen.

MitderErnennung derLandesregierung Anfang Dezember 1946wurde dieseermächtigt,biszumInkrafttreten dervorge- sehenen Landesverfassung Vorschriften mitGesetzeskraftzu erlassen. Diesgaltallerdingsnur soweit,alsnichtRegelungen desfranzösischen Oberbefehlshabers Koenig oderseines Generalverwalters Laffon oderganzallgemein die französische Besatzungspolitik entgegenstanden. Mitanderen Worten: Rheinland-pfälzische Regelungen waren nachrangig und konnten jederzeitdurchfranzösische kassiert werden.

195 Alsdie Landesverfassung am18. Mai1947in Krafttratund sich wenig späterderLandtagkonstituierte,schränktedie Verord- nung Nr.95vom 9. Juni 1947die Machtbefugnissevon Land- tagund Landesregierung ein. Immernochhatten alliierte GesetzeVorrang,blieben bestimmteRegelungsbereiche den Franzosen vorbehalten,mussten vorallem Gesetzentwürfe zur Entnazifizierung,zur Aufrechterhaltung deröffentlichen Ord- nung und derDemokratie,insbesondereimErziehungswesen, vorab dem Militärgouverneur bzw.dem Landeskommissarvor- gelegtund auchsonstige Gesetzesbeschlüssevon ihm genehmigtwerden. Da diesnichtfristgebunden war,mussten oftin endlosen Einzelverhandlungen Bedenken derBesat- zungsbehörden ausgeräumtwerden,bevorein Gesetz endlich in Krafttreten konnte. Die Verordnung Nr.95führteauchdes- halbimmerwiederzuProblemen,weil die Franzosen selbst in Bereichen intervenierten,für die dasLand nachseinerVerfas- sung und alliiertem Rechtzuständig war.Nichtnur Ministerprä- sidentAltmeierinterveniertedeswegen,sondernauchMilitär-

Verabschiedung von GeneralKoenig in Mainz

196 gouverneur Hettierde Boislambert,derzumTeil zu DerneueHohe Komissar Einsprüchen gegen Landesgesetzegezwungen AndréFrançois-Poncet wurde und deshalbsogarmitseinem Rücktritt vordem Osteiner drohte. SpäterbezeichnetemandasVerhalten der Hof in Mainz Franzosen,nachaußen zugestandene Kompeten- zen im Innenverhältniswiederzurückzunehmen,als„Politik des alsob“,alsein „Stückbesatzungspolitische Artistik“.

Diesändertesicherst mitdem Inkrafttreten desBesatzungs- statuts am21. September1949,dasdie Beziehung zwischen den westlichen Besatzungsmächten einerseits sowie dem Bund und den Ländernandererseits in eindeutigerWeiseund für alle verbindlichregelte. Esbeendetezwarauchinderfranzösischen Zone die Militärherrschaft,beseitigteabernochnichtdie Beschränkung derdemokratischen Ordnung. Immernoch behielten sichdie Alliierten bestimmteMaterien vor:u.a.die Abrüstung,auchdie Entmilitarisierung und die Außenpolitik. Andie Stelle desmilitärischen Oberbefehlshabers tratledig- lichein zivilerHoherKommissar.GeneralKoenig wurde des- halbim August 1949 aufSchloss Bassenheim bei Koblenzals französischerOberbefehlshaberverabschiedet.Imselben

197 MonattratAndréFrançois-Poncet,derzuvorzuden Beratern Koenigsgezählthatte,sein AmtalsHoherKommissaran. Boislambert bliebderobersteRepräsentantFrankreichsin Rheinland-Pfalz,jetzt allerdingsin derFunktion eines„Landes- kommissars“. Erwurde im April 1951 in Mainzvon François- Poncetverabschiedet.Sein Nachfolgerwurde dervormalige Gouverneur derPfalzBrozen-Favereau.

Aufgrund desBesatzungsstatuts kamesauchzu einerVerfah- rensänderung. Erst jetzt wurde eine 21-tägige Frist für die Genehmigung von Gesetzen eingeführt,nachderen Ablauf Gesetzesbeschlüsseverkündetwerden konnten,sofernbis dahin von den Franzosen kein ausdrücklichesVetoeingelegt worden war.Mitdiesem abgekürzten Genehmigungsverfahren warallerdingsein erheblicherArbeitsaufwand verbunden,da sämtliche Textein55-facherAusfertigung in deutscher,engli- scherund französischerSprache vorgelegtwerden mussten.

DasEnde derfran- Aberdie Dinge begannen sichnachund nachzu zösischen Militärherr- normalisieren. DasBesatzungsstatut wurde am7. schaftin Rheinland-Pfalz, März 1951 in mehreren Punkten revidiert.Der Ministerpräsident Kriegszustand wurde formell aufgehoben,der Altmeier(l.) und Bund konntediplomatische Beziehungen zu François-Poncet(r.) anderen Staaten aufnehmen und die Länderihre Verhältnissezur jeweiligen Besatzungsmachtvereinfachen. Es entfiel deshalbauchdasVorprüfungsverfahren für Landesge- setze. Anseine Stelle tratzwischen Verabschiedung und Ver- kündung einesGesetzesein nachträglichesBeanstandungs- recht,dasoffenbarzukeinen nennenswerten Verzögerungen mehrführte.

18. Fazit

Sowie derEntstehung desLandesein mehrmonatigerProzess vorausging und die Gründung desLandesselbst die Zeitzwi- schen dem 30.August 1946und dem 18. Mai1947in Anspruchnahm,soerstrecktesichauchderAufbauderdemo- kratischen Ordnung übereinen längeren Zeitraum. Ein halbes Jahrzehntlagzwischen den ersten kommunalen Bürgerkomi- teesund dem ersten pfälzischen Bezirkstag. IndieserZeithat- ten die Franzosen Presseund Rundfunk,Gewerkschaften und Parteien,Kommunal- und Landtagswahlenzugelassen,die Ver- fassungsgebung initiiert und begleitetund schließlicheinen Teil ihrerBesatzungsrechteaufden Landtagund die Landes- regierung übertragen. Anders alsbei derLandesgründung,die ausschließlichvon denFranzosen angeordnetworden war,hat- ten die Deutschen anderdemokratischen Grundlegung ihres neuen Landesmaßgeblichen Anteil. Die Franzosen hatten den politischen und rechtlichen Rahmen dafür gesetzt,die Rhein- land-Pfälzerihn ausgefüllt.Zuweilen wardieserRahmen eng, wie bei den Partei- und Gewerkschaftsgründungen,zuweilen aberauchsehrweit,etwabei derVerfassungsgebung.

Invielen Bereichen konnteandie demokratische Tradition vor allem derWeimarerRepublik angeknüpftwerden,etwabei der GrundstrukturderLandesverfassung,derWiederzulassung von SPD und KPD und derEinrichtung desLandtagsalsparlamen- tarische Vertretung desVolkes.Inanderen Fragen wurden neue Wege gegangen,vorallem bei dem aufwenige Parteien beschränkten Parteiensystem,derZulassung von Einheits-statt

199 Gouverneur Hettier von Richtungsgewerkschaften und bei dernatur- de Boislambert (l.) rechtlichen Ausrichtung derLandesverfassung. mitMinisterpräsident WoimVergleichzur WeimarerRepublik Änderun- PeterAltmeier gen vorgenommen wurden,zog mannunKonse- quenzen aus Fehlentwicklungen,die zumUnter- gang von Weimarund zur Machtübernahme durchHitlergeführt hatten.

Auchdie Politiker,die für den Aufbauderdemokratischen Ord- nung mitverantwortlichwaren,hatten ihreersten politischen Gehversuche in derWeimarerRepublik unternommen und

200 waren dann während desDritten Reichsin die innereoder äußereEmigration gegangen. Wilhelm Boden gehörtedazu, auchPeterAltmeierund Adolf Süsterhenn,ebensoHansHoff- mann und Adolf Ludwig. Einige derGründungsväterwaren während desHitler-Regimesin Konzentrationslagerninhaftiert gewesen,nichtzuletzt JakobSteffan(SPD)und HansEiden (KPD). Kein Mitglied derBeratenden Landesversammlung und desersten Landtagsund kein Mitglied dervorläufigenund der ersten regulären Landesregierung hatteeine nationalsozialisti- sche Vergangenheit.ImGegenteil:Die meisten von ihnen hat- ten in dereinen oderanderen Weiseunterden Nationalsozia- listen gelitten. InsoweitwarderAufbauderdemokratischen Ordnung im Lande auchein Werkdes„anderen Deutsch- lands“,ein Werkantinationalsozialistischer,dasheißtunbe- lasteterMännerund Frauen.

Auchdie Bevölkerung hatteihren Anteil amAufbauderneuen Ordnung. Zwischen 1946und 1951 wurden sie mehrfachzur Wahl gerufen:zweimalzur Gemeinde- und Kreistagswahl,zwei- malzur Landtagswahl und –verbunden mitderersten Land- tagswahl –auchzur Volksabstimmung überdie Landesverfas- sung sowie einmalzur Bundestagswahl. Sie waresdeshalb auch,die am18. Mai1947alsverfassungsgebende Gewaltdie Landesverfassung in Kraftsetzteund den „Schlussstein“ für die demokratische Ordnung desLandesgesetzt hat.

201

IV.AKZEPTANZ DER DEMOKRATISCHEN ORDNUNG

1. Wege zur Demokratie

Die demokratische Ordnung im Land genoss den Schutz Frank- reichsund den derbeiden anderen westlichen Siegermächte, die selbst Demokratien waren und in den Westzonen keine andereStaatsformzugelassen hätten. Trotzdem warsie gera- de in ihrerAufbauphasebesonders zerbrechlich. Die neue Ordnung wurde wedermitFreudenfeuernnochmitFreiheits- bäumen begrüßt,esgab keine überschwänglichen Kundge- bungen und keine schwarz-rot-gold geschmückten Häuserzei- len wie noch1848 in Frankfurt.DaslagamNachkriegschaos und vorallem daran,dass die Menschen –jedenfallsüberwie- gend –wederDemokraten waren nochinderDemokratie die Lösung ihrerProbleme sahen. Sie waren von zwölf Jahren Nationalsozialismus geprägtund hatten –weitentferntvon einerdemokratischen Haltung –verinnerlicht,dass derEinzel- ne hinterden Staatzurückzutreten hatteund der„Andere“ außerhalbderVolksgemeinschaftstand. DiesesSystem hatte sichzwarnachdem verlorenen Krieg und den Verbrechen,die nachund nachansTageslichtkamen,komplett diskreditiert. Aberdamitwaren aus den ehemaligen Volks-und Parteigenos- sen nochkeine demokratischgesinnten Bürgergeworden. Sie hatten ihrealten Vorstellungen und ihren vertrauten Haltver- loren,abernochkeinen Ersatz gefunden,auchnichtin der Demokratie,zumalviele mitihrin derWeimarerRepublik keine guten Erfahrungen gemachtodersie sogarim Stichgelassen hatten.

Sowardie Demokratie zunächst nur eine Ordnung,in welche die Menschen erst nochhineinwachsen mussten. Sie warein „Haus“,dasin gewisserWeisenochaufseine „Bewohner“war- tete. Aufihren „Einzug“ warsie aberangewiesen. Denn ohne Demokraten würde die demokratische Ordnung aufDauerkei- nen Bestand haben. Dashatten vorallem die WeimarerErfah-

AuchinTrierwerden die alten Straßenschilderausgewechselt 203 rungen gelehrt,denen zufolge die WeimarerRepublik eine „Republik ohne Republikaner“gewesen war.Daraufhatteauch derPräsidentderBeratenden Landesversammlung Ludwig Reichert in seinerRede am23.April 1947hingewiesen,alser feststellte:

„Aristoteles,derVollenderdergriechischen Staatslehre,hat dasWesen einesStaatesin derVerfassung erblickt.Wirsind nichtmehrganzseinerAuffassung,weil wirerfahren haben, daßesmiteinerguten Verfassung allein nichtgetanist.Sie mußauchdasVolk finden,dasin ihrnichtein staatsrechtliches Elaboratsieht,sondernein organischesGebilde seinerStaats- idee,dem esmitAchtung gegenübersteht.“

ImGrunde genommen warklar,wasgetanwerden musste:Die Menschen mussten informiert und aufgeklärt,zur Demokratie erzogen und von ihrüberzeugtwerden. Ein Gesamtkonzeptzur Heranbildung von Demokraten gab esnicht,auchkeine GrundsatzdebatteimLandtag. Unausgesprochen ging man davon aus,dass alle gesellschaftlichen und staatlichen Einrich- tungen,dieTeil derdemokratischen Ordnung waren,gemein- sammitden Alliierten dasihredazu beitragen mussten,umdie Menschen zur Demokratie zu führen. Presseund Rundfunk standen deshalbebensoinderPflichtwie dieParteien und die Gewerkschaften,derLandtagund die Landesregierung und damitalle,die den Menschen im Land ein demokratischesVor- bild sein konnten. IhreAufgaben reichten von derpolitischen Bildung biszur demokratischen Erziehung,von derVerbesse- rung derLebensumstände biszumNachweis,dass die demo- kratische Ordnung funktionierte.

Alles,waszutunwar,trafallerdingsimmerwiederaufdassel- beProblem:Die Menschen hatten in den ersten Nachkriegs- jahren andereSorgen,alsden kürzesten und schnellsten Weg zur Demokratie zu finden. Erst kämpften sie umihrÜberleben und dann umeinen halbwegsgeordneten Alltag. Da blieb nichtmehrviel Raumfür Gesinnungsfragen. Sowie die demo-

204 kratische Ordnung nichtvon heute aufmorgen aufgebaut werden konn- te,sobrauchteesauchZeit,umdie Menschen von den Vorteilen der Demokratie zu überzeugen. Darauf hatteu.a.derPräsidentderbadi- schen Landesregierung Köhlerim „MainzerAnzeiger“hingewiesen:

„Glaubtvielleichtjemand,daßin wenigen Monaten ungeschehen gemachtwerden kann,wasin langen zwölf Jahren angerichtetwurde? Sogarim weisen HaushaltderNatur beanspruchtdie Heilung viel mehr Zeitalsdie Krankheitselbst.“

2.Information durchPresseund Rundfunk

AuchinderGründungsphaseunseresLandesgehörteeszu den Aufgaben von Presseund Rundfunk,die Bürgerinnen und Bürgerüberdie politischen Angelegenheiten zu informieren, umsozu ihrerMeinungs-und Willensbildung beizutragen. Da ihrInformationsstand in Fragen derDemokratie nachdem Ende desDritten Reichesbeklagenswert gering war,wardie Verantwortung von Presseund Rundfunk für die Heranbildung von Demokraten umsogrößer.

Presseund Rundfunk waren frühzugelassen worden und hat- ten mitihrerArbeitbereits wenige Monatenachdem Ende des Zweiten Weltkriegesbegonnen (vgl. S.97ff.). IhreAufgabewar klarumrissen. Sie sollten nichtnur überdie Verbrechen derNS- Zeitinformieren und die französische Besatzungs-und Außenpolitik möglichst verständnisvoll darstellen,sondernihre Leser-und Hörerschaftauchschrittweiseandie Demokratie heranführen. Letzteresgeschahvorallem durchdie politische

205 Berichterstattung,d. h. durchpolitische Artikel,Nachrichten und Kommentareund durchentsprechende Sendungen von Radio Koblenzbzw.dem SWF.

Inden ersten Nachkriegsjahren warallerdingswederdie Pres- semitderdemokratischen Entwicklung derBevölkerung,noch diesemitderdemokratischen AufbauarbeitderPressezufrie- den. Der„Rheinische Merkur“zog bereits im Sommer1946 „nacheinem JahrdemokratischerAufbauarbeit“eine erste– negative–Zwischenbilanz,daerin derBevölkerung keine

Ministerpräsident demokratische Aufbruchstimmung erkennen Boden (2.v.l.) konnte. Umgekehrt wurde aberauchdie Presse und Gouverneur von derBevölkerung kritisiert:Eine im Frühjahr Hettierde Boislambert (r.) 1947von französischerSeitedurchgeführte im Interview Umfrage bei 1600 Zeitungslesernkamzu dem Ergebnis,dass nur 28%derBefragten in der Lizenzpresseein demokratieförderndesInstrumentsahen und nur ein Drittel derBefragten warderAuffassung,dass die Pres- sebisdahin einen nennenswerten Beitragzur demokratischen Erziehung derJugend geleistethabe. Überdie Gründe für diesenegativen Umfrageergebnissewirdmanheutenur noch spekulieren können. Sicherlichgehörten die Einschränkungen derPressefreiheitdazu,die letztlichnur Artikel zuließen,die den Franzosen genehm waren. Offenbarwaresden französi-

206 schen Behörden aberauchnichtin ausreichendem Maße gelungen,von nationalsozialistischerVergangenheitunbelaste- teJournalisten für die Pressearbeitzugewinnen. Fast zwei Drit- tel derunterihrerKontrolle tätigen Journalisten hatten auch schon unterHitlergeschrieben. Von diesen waren wiederum mindestensdie HälfteMitgliederderNSDAP gewesen. Bei nachgewiesenerjournalistischerBefähigung sahmanalsoüber dunkle PunkteinderVergangenheithinweg. Dass belastete Journalisten ihreArbeitzumTeil auffragwürdige Weiseerle- digten,machtederVorsitzende derSPD-Fraktion HansHoff- mann in einerRede vorderBeratenden Landesversammlung am23.April 1947deutlich:

„Wirwerden darandenken müssen,daßdie zumDienst am Staateberufenen Fabriken deröffentlichen Meinung,die unter dem Mäntelchen einerscheinbaren Neutralitätund Unabhän- gigkeitNazigepflogenheiten erhalten oderneueentwickeln, in ihren Methoden aufsGrundsätzlichsteentnazifiziert und demokratisiert werden.“

Hoffmann übertrieballerdings. Esgab sicherlichauchdemokra- tischgesinnteZeitungsmacher. ErichDombrowski in Mainzund FranzAlbert Kramerin Koblenz gehörten zu ihnen. Dass ihre Arbeitfür die Demokratie för- derlichwar,stehtaußerFrage. Gerade im „Rheinischen Mer- kur“wurde in den ersten Nach- kriegsjahren,vorallem von Adolf Süsterhenn,eine Vielzahl von Artikeln veröffentlicht,die den Menschen dasZusammen- spiel derdemokratischen Kräfte im Lande erläuterten und viel zumVerständnisvon ErichDombrowski Demokratie beitrugen. Dasgaltauchfür die

207 anderen Zeitungen im Lande,in denen durchweg prominen- teund demokratischgesinnteParteivertreteralsfreie Mitarbei- terbeschäftigtwaren. Inder„Pfälzischen Volkszeitung“ waren esz.B.Eugen Hertel von derSPD und KarlAnton Vogtvon derCDU.Außerdem waren bereits vorderKonstituierung der Beratenden Landesversammlung die sog. Parteizeitungen zugelassen worden (vgl. S.102 f.),die jedenfallsbiszur Wäh- rungsreformeine hohe Auflage hatten und durchweg der Demokratie verpflichtetwaren,wenn manvom KPD-Organ „NeuesLeben“ absieht,daswiederholtin Konfliktmitden Franzosen geriet.

Imgroßen Einvernehmen mitderBesatzungsmachtagierte dagegen die im November1948 genehmigteund in Franken- thalherausgegebene Wochenzeitung „DerSchlüssel“,die aus- drücklichfür „demokratische Politik und christliche Kultur“ eintratund zeitweiseeine Auflage von weitüber100 000 Exemplaren erreichte. IhrEintreten für die Demokratie ging allerdingseinhermiteinem gewissen „demagogischen Ton“. Missstände wurden zwarfortlaufend kritisiert,aberkeine seriö- sen Verbesserungsvorschläge gemacht.Sowaren die Auswir- kungen derjournalistischen Arbeitaufdie junge Demokratie durchaus ambivalent.Eswurde zwarinformiert und kritisiert, abereben auchdiffamiert.Dasänderteabernichts daran,dass im Lande bald weitübereine Million Zeitungen für 2,7Millio- nen Einwohnergedrucktwurden,zu denen ab 1948 auchnoch die Zeitungen aus den übrigen westlichen Besatzungszonen und mitdem Ende derLizenzierungspflichtim September1949 eine Vielzahl weitererLandeszeitungen hinzukamen. IhrEnga- gementfür die Demokratie war–von Ausnahmen abgesehen –unbestreitbar.

Für den Rundfunk galtnichts anderes.NachderWährungsre- formwurde erfür die demokratische Ordnung sogarzuneh- mend wichtiger.EinerUmfrage aus dem Jahr1951 zufolge hat- ten sich52%derBefragten erst nachderWährungsreformim Jahre1948 ein Radio kaufen können. Erst seitdieserZeitwaren

208 die Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzerauchinstei- gendem Maße dazu in derLage,Sendungen von den in den beiden anderen Westzonen eingerichteten Sendernzu emp- fangen. Immerhin 32 %derbefragten Rundfunkhörergaben in einerUmfrage vom März 1949 an,dass sie sichpolitische Berichte,Vorträge und Diskussionen „gern“ anhörten,27 % hörten regelmäßig den Schulfunk. Daswarnichtwenig,wenn maninRechnung stellt,dass nur 25%den Sportfunk verfolg- ten. Dass dasInteresseanpolitischen Themen groß war,ergab aucheine weitereUmfrage aus dem Jahr1950:Nur 23 %der Befragten waren überhauptgegen politische Sendungen im Rundfunk,25%waren solche Sendungen gleichgültig,aber 54 %begrüßten sie. Alsdie ersteWahlperiode desLandtags zu Ende ging,hatten Presseund Rundfunk alsodasihnen Mög- liche getan,umdie Menschen in Rheinland-Pfalzüberdie poli- tischen Themen derZeitund die FunktionsweisederDemo- kratie zu informieren.

3.Parteien und Gewerkschaften als „Schule derDemokratie“

Sowie Presseund Rundfunk wesentlichfür die politische Mei- nungs-und Willensbildung derRheinland-Pfälzerwaren,so waren esauchdie politischen Parteien. Sie standen allerdings voreinerbesonders schwierigen Aufgabe. Die Parteien galten in derBevölkerung seitderWeimarerRepublik alsÄrgernis. DerBegriff„Partei“ warin derWeimarerDemokratie ein „Schmähwort“gewesen,dasnachdem Dritten Reichwegen derVerbrechen derNSDAP sogareinen kriminellen Hinter- grund erhalten hatte. Umsichdavon abzugrenzen,wurde die Demokratie Namensbestandteil allerneuund wiedergegrün- deten Parteien und Kernihresjeweiligen Programms.Dafür hatten die Franzosen schon mitihrerZulassungspraxis gesorgt.Vordem Hintergrund derhistorischenErfahrungen verstanden die Parteien sichdeshalbausdrücklichals„Schule derDemokratie“. DiesentsprachderErwartungshaltung in der

209 Bevölkerung:71%waren einerUmfrage aus dem Jahre 1952zufolge derMeinung, dass Parteien demokratisch sein müssten,nur 12%hielten diesnichtfür notwendig. Andererseits waren die Men- schen aberüberwiegend nichtmitderArbeitderPartei- en zufrieden und hielten Abstand zu ihnen. Die Frage, obsie bereitseien,in eine Par- tei einzutreten,beantworte- ten 85 %mitnein. Auchdie Jugendlichen betonten ihre Distanz.ImJuni 1947interes- sierten sichnur 21%von ihnen für die Parteien. Hans ParteitagderCDU: Hoffmann setztesichmitderin diesen Zahlen zum Bischof Stohr(l.), Ausdruckkommenden Distanzzuden Parteien MinisterAlbert Finck(r.) auseinander.Am13.März 1947stellteervorden Abgeordneten derBeratenden Landesversamm- lung fest:

„Nochhaftetden deutschen Parteien soviel von Illegalitätund Untergrundbewegung,von einseitigerInteressenvertretung, marktschreierischerPropaganda, von mehrtaktischerals sachlicherOpposition,ganzallgemein von negativen Eigenschaften an,daßmanbereitwäre,sie alsdie legalen tra- genden Kräftedesparlamentarischen Staatesallgemein anzu- erkennen …InsbesonderederParteiegoismus,die Parteigläu- bigkeitund die daraus entspringende wenig faireFormdes Parteienkampfesbelastetdie Demokratie.“

Die Parteien versuchten gegenzusteuern. Inden ersten Wahl- kämpfen begegneten sie sich–wie die Presseerleichtert fest- stellte–durchaus mitFairness.ImZusammenhang mitder

210 ersten Regierungsbildung schlossen sie sogarein Toleranzab- kommen,in dem sie sichzu sachlicherAuseinandersetzung ver- pflichteten (vgl. S.219). Vorallem aberschlossen sie unterein- anderKoalitionen und zogen damitauchKonsequenzen aus ihrem Versagen in derWeimarerRepublik. Auchwenn sichdie Konflikteinden darauffolgenden Jahren häuften und derpoli- tische Kampf wiederanSchärfe gewann,war1949 dochbereits knapp die HälftederBefragten derMeinung,dass zumindest die eine oderdie anderePartei dasihrMögliche zur Verbes- serung derLage getanhatte. AlsdasErgebnisderzweiten Landtagswahl feststand,zeigtesichaußerdem,dass viele ihre Lektion gelernthatten. Weitüber90%derabgegebenen Stim- men entfielen aufdie demokratischen Parteien. Die KPD und die seitderGründung derBundesrepublik Deutschland neu entstandenen und zumTeil demokratiefeindlichen Parteien gehörten zu den großen Wahlverlierern. Ganzoffensichtlich wardie ArbeitderParteien nichterfolglosgeblieben.

Dasgaltauchfür die in den Gewerkschaften organisierteArbei- terschaft.Die Zahl derorganisierten Arbeiterschaftwarnoch größeralsdie derParteimitglieder.Mehrals230 000 Arbeit- nehmerhatten sichbis1948 den Gewerkschaften im Lande angeschlossen. Daswaren rund 32,8%allerArbeiterund Angestellten und damitein Großteil derwahlberechtigten Bevölkerung. Da die Gewerkschaften mitdem Achtstunden- tag,derBeibehaltung des1. Maialsgesetzlichem Feiertag, dem Streikrechtund derMöglichkeitderSozialisierung von Produktionsmitteln gewerkschaftliche Grundpositionen bei den Verfassungsberatungen durchgesetzthatten,warauchvon Verfassungswegenallesgetanworden,umdie organisierte Arbeiterschaftin die neuedemokratische Ordnung zu integrie- ren. Auchwenn die Zahl derGewerkschaftsmitgliederzwischen 1949 und 1951 wiederzurückging und sichfür die Gewerk- schaften nichtalle verfassungsrechtlichen Verheißungen erfüllten,bliebdie neueOrdnung dochauchihreOrdnung, dersie alsEinheitsgewerkschaften gemeinsamverpflichtet blieben.

211 4. Integration durchdie Kirchen

Wederdie katholische nochdie evangelische Kirche hatten sich uneingeschränktfür die WeimarerDemokratie eingesetzt. Obwohl dasKirchenrechtin derWeimarerRepublik großzügig ausgestaltetworden war,hatten etwadie katholischen Bischö- fe ihreVorbehaltegegenüberderersten deutschen Demokra- tie nie aufgegeben. Diesgaltauchfür den Bischof von Trier, FranzRudolf Bornewasser,für den Weimarein „Produktder Aufklärung und deren antikirchlicherDenktraditionen“ warund damiteine Gefahrfür alles,wasihm heilig war.Deshalbsaher –wie HeinrichKüppers schreibt–„auchdasWeimarerVerfas- sungsziel vom mündigen StaatsbürgereheralsCrux,die er zunehmend für eine nachlassende Wirksamkeitkatholischer Morallehren verantwortlichmachte“. Sogesehen hatten auch die Kirchen durchaus ihren Anteil amUntergang derWeima- rerRepublik.

Obwohl sie sichauchimDritten Reichkompromittiert hatten, die evangelische Kirche mehralsdie katholische, Bischof Bornewasser waren sie alsOrganisation und moralische Instanz mitMinisterpräsident halbwegsintaktgeblieben. Die aufsie zukommen- Altmeierund Landtags- den Aufgaben waren immens.Die Kirchen hatten präsidentWolters ihrezerstörten Gotteshäuserwiederaufzubauen,

212 daskirchliche Leben zu erneuernund einen Beitrag Superintendent zur Linderung desNachkriegselendeszuleisten. von Rheinhessen, Daneben mussteihnen aberauchdarangelegen PfarrerBecker sein,dasKirchenvolk andie neuedemokratische Ordnung heranzuführen. DiesdeuteteauchderAbgeordnete Hoffmann bei derabschließenden Lesung derLandesverfas- sung in derBeratenden Landesversammlung an,alserfür die SPD-Fraktion feststellte:

„InderReihe deraußerstaatlichen Kräfte,die dem Staatzur Stärkung seinergeistigen Fundamentedienen können,muß zuvörderst die Kirche genanntwerden,wenn deren elementa- resittliche Energien wirksamund in geeigneterFormfür die demokratische Idee eingesetzt werden könnten oderwollten.“

Bereits am12.August 1945 wardementsprechend aufder Titelseiteder„Kirchlichen Nachrichten für dasBistumMainz“ ein gemeinsamerAufrufderEvangelischen Landeskirche in Hessen und desBischöflichen Ordinariats abgedruckt,in dem esu.a.hieß:

„Eine Überwindung derNotwirdnur dadurchmöglichsein, daßchristliche Kräftebestimmend amAufbaumitwirken.“

213 Diesbezog sichauchaufden demokratischen Aufbau.Inder ZeitunmittelbarnachKriegsende waren die Kirchen entspre- chend den alliierten Vorgaben zwardazu verpflichtet,sichjeder politischen Aktivitätzuenthalten und sichaufdie kirchlichen Dienstezu beschränken. Die –von den Franzosen tolerierte– Praxissahaberanders aus,wie sichbereits bei den Parteigrün- dungen zeigte. Vorallem die katholische Kirche spieltedabei eine maßgebliche Rolle. Die Bischöfe derzuRheinland-Pfalz gehörenden Diözesen sprachen sichgegen eine Wiedergrün- dung deskatholischen Zentrumsund für die Neugründung einerinterkonfessionellen Partei,derspäteren CDU, aus,wäh- rend die evangelische Kirche in derPfalzzunächst für den pro- testantischausgerichteten „Christlichen Sozialen Volksbund“ eingetreten war.Dementsprechend gab esvon kirchlicherSeite auchkein Verbotfür ihrePriester,sichparteipolitischzu enga- gieren.

Alsein dreiviertel Jahrnachden Parteigründungen die ersten Kommunalwahlen anstanden,wurde dasKirchenvolk zur Teil- nahme aufgefordert.Ineinem Hirtenwort desTriererBischofs Bornewasservom 14. August 1946hieß es:

„EuergreiserBischof,dem eine Erfahrung von 60 Jahren im öffentlichen Leben zur Seitesteht,und derEuerLeid und all EureNotin seinem Herzen mitsichträgt,bittetEuchalle,die Ihrwählen dürft,von Eurem WahlrechtGebrauchzu machen. Esist für Euchalskatholische Christen eine selbstverständli- che Gewissenspflicht,von Eurem WahlrechtGebrauchzu machen,und nur solchen Männernund Frauen EureStimme zu geben,von denen Ihrüberzeugtseid,daßinihren Händen Euerreligiöses,wirtschaftlichesund politischesWohl in guten Händen liegt.“

Ein ähnlichesHirtenwort wurde vordersichanschließenden Kreistagswahl von den Kanzeln verlesen. Eswiesaufderen Bedeutung für die Bildung derBeratenden Landesversamm- lung hin und schloss mitfolgenden Worten:

214 „Da somitdie Kreistagswahlen in ihrerpraktischen Auswirkung Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung unseres neuen Landeswerden,bitteichEuch,Männerund Frauen,und Dich,wahlberechtigteJugend,von Herzen:Erfülltalle ohne Ausnahme am13.OktoberEureWahlpflicht!“

Auchindie folgenden Verfassungsberatungen Ministerpräsident wurden die Kirchen einbezogen,die katholische a.D.Boden im Gespräch Kirche stärkeralsdie evangelische. Manche Text- mitdem Mainzer passagen derschließlichverabschiedeten Landes- Bischof Stohr verfassung stammten unmittelbaraus derFeder von Vertreternderkatholischen Amtskirche. Anderewaren starkvon ihnen geprägtworden. „ImBewußtsein derVerant- wortung vorGott,dem Urgrund desRechts und Schöpferaller menschlichen Gemeinschaft“–wie esin derPräambel heißt– garantiertedie Verfassung die Unantastbarkeitdesmenschli- chen Lebens(Artikel 3Abs.1),die FreiheitdesGlaubens(Arti- kel 8Abs.1),den besonderen Schutz von Ehe und Familie (Arti- kel23 Abs.1),dasnatürliche ErziehungsrechtderEltern(Artikel 25) und die Mitwirkung derKirchen bei derPflege und Förde- rung derFamilien und derErziehung derJugend (Artikel 26). Außerdem wurden die Kirchen als„anerkannteEinrichtungen für die Wahrung und Festigung derreligiösen und sittlichen Grundlagen desmenschlichen Lebens“bestätigt(Artikel 41).

215 Überhauptwurde die katholische Naturrechts-und Sozialleh- regleichsamzumVerfassungsdogmaerhoben.Süsterhenn hattesichbereits alsProtagonist und Theoretikereiner „christlichen Politik“ hervorgetanund deren Grundlagen und Konsequenzen in einerFülle von Artikeln beschrieben,die in dieserZeitim „Rheinischen Merkur“erschienen.

Sowaresnur folgerichtig,dass die katholische Kirche in einem beschwörenden Hirtenwort der(Erz)Bischöfe von Köln,Mainz, Speyer,Trierund desKapitularvikars von Limburgzur Annah- me derneuen Landesverfassung und zur Teilnahme anden damitverbundenen Landtagswahlen aufrief.

„InAugenblicken von solchweittragenderBedeutung“ –hieß esim Hirtenbrief vom 5. Mai1947– „ist esGewissenspflicht jedesKatholiken,von seinem Stimm- und Wahlrecht Gebrauchzu machen. Wirerwarten deshalb, daßjederWahl- berechtigteam18. Maizur Wahlurne gehtund verantwor- tungsbewußtseine Stimme abgibt.“

Ausdrücklichwarvermerkt,dass diesesHirtenwort „amSonn- tag,dem 11. und 18. Maiohne Zusatz und Kommentarden Gläubigen in allen Gottesdiensten bekanntzugeben“ sei. Damitwarauchsichergestellt,dass amWahltagund dem vor- ausgehenden Sonntagvon allen Kanzeln ein mehroderweni- gereindeutigerWahlaufrufzugunsten derCDU verlesen würde,denn unterBezugnahme aufeine PredigtPapst Pius XII. hieß esin dem Hirtenwort:

„Dem Stimmrechtentsprichtdie Stimmpflicht,die Pflicht,eine Stimme nur jenenKandidaten zu geben oderjenenKandida- tenlisten,die nichtnur unbestimmteund zweideutige Verspre- chen bieten,sondernsichereBürgschaft,daßsie die Rechte Gottesund derReligion respektieren werden.“

Vorbereitetund begleitetwurden dieseHirtenwortedurcheine Vielzahl einschlägigerArtikel in den jeweiligen Bistumsblättern,

216 alsou.a.imTrierer„Paulinus“,im Mainzer„Glaubeund Leben“ und im „Christlichen Pilger“,derim BistumSpeyer erschien.

Während die katholische Kirche alsosowohl die Annahme derLandesverfassung alsauchdie Zustimmung zu den Schulartikeln empfahl, erstrecktesichdie entsprechende Aufforderung derevangelischen Kirche nur aufdie Schularti- kel. Die Abstimmung überdie Verfassung im Übrigen wurde freigestellt.

Auchinden folgenden Jahren stimmten Kirchen und Staatin Rheinland-Pfalzin vielen Fragen so offensichtlichüberein,dass die religiösgebun- denen Bürgerdie neuedemokratische Ordnung in ihrem Kernals„christliche Staatsform“ begriffen,mitdersie sicharrangieren konnten. Anders alsin den Zeiten derWeimarerRepublik hatten die Kirchen den AufbaudesStaatesalso aktivund mitWohlwollen unterstützt und des- halbauchdazu beigetragen,dasKirchenvolk an Ordensfrauen bei die neuedemokratische Ordnung heranzuführen. derLandtagswahl

5. Leistungsnachweisevon Landtagund Landesregierung

EslagaufderHand,dass die Rheinland-Pfälzerdie neuerrich- tetedemokratische Ordnung nur dann akzeptieren würden, wenn sie im Sinne derparlamentarisch-demokratischen Spiel- regeln auchfunktionierte. Die äußeren Voraussetzungen dafür waren denkbarschlecht.Da Staatund Gesellschaftzusammen- gebrochen waren,funktionierteeigentlichkaumetwas. Außerdem wardie demokratische Ordnung nichteingespielt; ihreRegeln mussten erst nocherlerntund ihreBelastbarkeit unterBeweisgestelltwerden. Bewährungsproben gab es zuhauf.

217 Wilhelm Boden,derersteMinisterpräsidentdesLandes,hatte schon nachwenigen Tagen dasVertrauen desLandtagsverlo- ren. JacobDiel,derersteLandtagspräsident,musstenach wenigeralseinem Jahrvon seinem Amtzurücktreten. Die Lan- desregierung unterPeterAltmeierverlorzwei Koalitionspart- nerund mussteihreMinistersooftauswechseln,wie keine Regierung mehrnachihr.IhrVerhältniszumOberregierungs- präsidenten derPfalzwarzerrüttetund führteschließlichauch zu dessen Entlassung. Die Franzosen griffen in die Abläufe von Plenarsitzungen desLandtagsein,der–wasspäternie mehr geschah–sogarmitseinerSelbstauflösung drohte. Die SPD opponiertegegen den Fortbestand desLandesund wirkte dochanseinem Aufbaumit.Die Landesregierung legtesich mitderPresseimLand an,woraufdiesedie Pressekonferen- zen derMinisterboykottierteund die Landesregierung eine eigene „StaatsZeitung“ herausgab.

Dieseund andereSchwierigkeiten waren allerdingsnichtaufdie neugeschaffene demokratische Ordnung zurückzuführen. ImGegenteil:Sie gab den Verantwortlichen Regeln andie Hand,mitderen Hilfe sie dieseSchwierigkeiten meisternkonnten. So wardie Zeitzwischen 1947und 1951 für die politischVerantwortlichen aucheine Zeit,in dersie die demokratischen Regeln erlern- ten,ihreFunktionsfähigkeitüberprüften und deren Tauglichkeitfeststellten. Für den LandtagbestätigtediesderAbgeord- neteNowackinderletzten Plenarsitzung des1. Landtagsam30.März 1951,alser feststellte: Landtagsabgeordneter Wilhelm Nowack „Wirhaben unsin diesem Hauseerst langsam die Methoden parlamentarischerArbeitwieder zurückgewinnen müssen,und ichglaube,eshaben unsdas Präsidiumund Herr PräsidentWolters eine wertvolle Stützebei

218 dieserArbeitgegeben. Eswareine große Schwierigkeit,aus diesem 1. Landtag,derüberwiegend keine parlamentarische Erfahrung hatte,ein Instrumentzumachen,daswirklichposi- tiveArbeitleisten konnte. Wenn esvielleichteine Statistik über Ordnungsrufe in den verschiedenen Parlamenten gäbe… dann würde wahrscheinlichunserLandtag…anletzterStelle rangieren.“

Ganzoffenkundig hatten die Beteiligten aus den Fehlernder WeimarerRepublik gelernt.Die Parteien und Fraktionen gin- gen fairermiteinanderumund kooperierten miteinander.Dies warderwesentliche Inhaltdesoben bereits erwähnten Tole- ranzabkommens,in dem die Parteien und Fraktionen sichver- pflichteten,in politischen Auseinandersetzungen von Unsach- lichkeiten Abstand zu nehmen und in Rundfunk und Presse persönliche Verunglimpfungen zu unterlassen. Politische Gegnersollten nur dann in derÖffentlichkeitangegriffen wer- den,wenn ihnen zuvordie Möglichkeitzur Stellungnahme gegeben wurde. Außerdem verabredeten die Koalitionspart- nerim Landtag,keine Anträge einzubringen,deren Umsetzung „nachLage desSachverhalts“unmöglichwar.Ein Ausschuss, dersichaus je zwei VertreternderParteien zusammensetzte, hattedie Aufgabe,etwaige Verstöße gegen dasAbkommen beizulegen. Auchwenn die hohen Ziele diesesAbkommens nichtalle erreichtwerden konnten,wardasMaßderZusam- menarbeitund gegenseitigen Rücksichtnahme docherheblich größer,alsdiesin den Zeiten derWeimarerRepublik gewesen war.

DeshalbwarderLandtagauchimstande,die wichtigste Aufgabe,die erin einem parlamentarischen Regierungssystem besitzt,zu erfüllen. Obwohl sichdie Allparteienregierung auf- lösteund die KPD sowie die Liberalen aus dem Kabinett Altmeierausschieden,warimmereine stabile Regierungsmehr- heitsichergestellt.Dass dies–anders nochalsin Weimar– gelang,warauchein Verdienst derSPD, die sichanderRegie- rungsarbeitbeteiligte,obwohl sie dasLand ablehnte.

219 Trotz derbesatzungsrechtlichen Hindernissehatten Landtag und Landesregierung amEnde derersten Wahlperiode auch ein eindrucksvollesGesetzgebungsprogramm umgesetzt.Es waren über250Gesetzeverabschiedetworden (vgl. S.179f.), rund die Hälftedavon sogareinstimmig. Derweitaus überwie- gende Teil dieserGesetze–rund 230 –warerst nachdem Aus- tritt von KPD und Liberalen aus derRegierung beschlossen worden. Daswarnur möglich,weil derLandtagmitseinen Aus- schüssen nahezu permanenttagteund allein zu 95 Plenarsit- zungen zusammenkam.

Landtagspräsident Schließlichwaresdem Landtagund derLandes- Wolters während regierung sogargelungen,gegenüberderBe- einerPlenarsitzung im satzungsmacht„Flagge zu zeigen“. Beide ent- Görreshaus wickelten ein zunehmend stärkerwerdendes Selbstbewusstsein. Wegen deshohen Abgabe- sollsanLebensmitteln für die Besatzungsmachtdrohtedie Lan- desregierung am14. Mai1948 mitihrem Rücktritt und der Landtagam16.Juni 1948 mitseinerSelbstauflösung. Beides geschahöffentlichund mitentsprechenderResonanzin der Presse. Inder„MainzerAllgemeinen Zeitung“ vom 14. Mai 1948 wurde LandwirtschaftsministerOskarStübingerwie folgt zitiert:

220 „Esgehtnichtmehrsoweiter…Solltedie Juni-Fleischaufla- ge in dergleichen untragbaren Höhe wie im Maiübermeinen Kopf hinweg zwangsweisefestgesetzt werden,soerkläreich hiermitfeierlich,daßichnichtgewilltbin,gegenüberLandtag und Volk von Rheinland-Pfalzeine auchnur scheinbareVerant- wortung zu tragen für eine Maßnahme,die ichfür undurchführ- barund verhängnisvoll ansehe. Ichwerde daherfür den Fall, daßdie Militärregierung für den MonatJuni nichtdie Militär- auflage und die BerlinerAuflage erheblichvermindert,mein AmtalsMinisterfür Ernährung und Landwirtschaftzur Verfü- gung stellen.“

Die parlamentarisch-demokratische Ordnung begann also bereits während derBesatzungszeit,ihreeigene staatliche Autoritäthervorzubringen.

AmEnde der1. Wahlperiode konntedeshalbmiteinergewis- sen Erleichterung,aberauchmitStolzfestgestelltwerden,dass die demokratische Ordnung trotz allerSchwierigkeiten die Erwartungen erfüllthatte. Sie warzwarin vielerleiHinsichtnoch ein Provisorium,aberinsgesamtmehralseine Notunterkunft. Allem Anschein nachwarsie „bezugsfertig“.

6.Verbesserung derLebensumstände

Auchwenn die demokratische Ordnung „bezugsfertig“ war und die großen gesellschaftlichen Organisationen die Men- schen zum„Einzug“ aufforderten,bedurfteesdocheinesstar- ken Impulses,umdie BürgerauchtatsächlichzumEinzugzu bewegen. NachLage derDinge konnteein solcherAnreiznur von einergrundlegenden Verbesserung derLebensumstände ausgehen. Denn diesewaren sokatastrophal,dass sie sogar den Bestand derneuen Ordnung gefährdeten. Immeröfter hörtemanden Satz:„UnterAdolf ist esunsbessergegangen.“ MinisterpräsidentAltmeierstelltedeshalbin seinerRegie- rungserklärung am16.Juni 1948 fest:

221 „DerAufbauderdeutschen Demokratie kann sichnur aufder Grundlage gesunderWirtschafts-und Ernährungsverhältnisse vollziehen. Ein wirtschaftlichverelendetesund dem Hunger überantwortetesVolk kann nichtTrägerdesdemokratischen Aufbaus sein,sondernläuftGefahr,ein Opferradikalerund nihilistischerBewegungen zu werden.“

Daswardie Meinung allerParteien. FinanzministerHansHoff- mann (SPD)fassteesaufdem Gewerkschaftskongress 1948 in dem Satz zusammen:

„Allein die Loslösung vom HungerbedeutetSicherung der Demokratie.“

Zwarwarnichtzuerwarten,dass dasebensojunge wie kleine „rhein-pfälzische Land“ selbst für einen wirtschaftlichen Auf- schwung sorgen konnte,aberseine demokratische Ordnung würde davon profitieren,wenn dieservon den Westalliierten ausging,die ebenfallsDemokratien waren. Sosetztemanalle Hoffnungen aufdie Wirtschafts-und Währungsreformund vor allem aufden Marshall-Plan. Beide wirtschaftlichen Großpro- jektewaren in gewisserWeisemiteinanderverknüpft.Denn Voraussetzung für die Einbeziehung derdrei westlichen Besatzungszonen und ihrerLänderin dasHilfsprogramm des Marshall-Planswardie wirtschaftliche und politische Stabilisie- rung dieserLänder,die mansichvorallem von derWirtschafts- und Währungsreformversprach.

a)Wirtschafts-und Währungsreform: AnderNotwendigkeit einerWirtschafts-und Währungsreformfür die besetzten deut- schen Gebietegab esbereits seit1946keine ernsthaften Zwei- fel. Niemand warmehrbereit,für die nochimmergültige ReichsmarkGüteroderWaren aus derHand zu geben. Bei der Einbringung desersten rheinland-pfälzischen Haushaltsgeset- zesstellteFinanzministerHoffmann deshalbsarkastischfest, dass „dasFinanzamtdie einzige Stelle (sei),die sichnochmit Geld zufrieden stellen lasse“. Stattdessen florierten Tauschwirt-

222 schaftund Kompensationsgeschäfte. Diesbrach- Lebensmittelkarten tezwarden Schwarzhandel zumBlühen,aberdie Wirtschaftnichtin Schwung. Die Wirtschafts-und Währungs- reformsollteAbhilfe schaffen,jedenfallsin den Ländernder westlichen Besatzungszonen,denn im Verlaufe desJahres 1947wurde immerdeutlicher,dass die sowjetischbesetzte Zone ihren eigenen Weg gehen würde. Ende 1947wurde die neuedeutsche Währung in den USA gedruckt,in 23 000 Kisten verpackt,nachBremerhaven verschifftund im Februar1948 untergrößterGeheimhaltung in Frankfurt deponiert.Die neue Währung warein Kind Amerikas.

Imselben Monat–am25. Februar1948 –befasstesichder rheinland-pfälzische LandtagerstmalsmitderWährungsre- form. Die Liberalen sprachen von „Geheimniskrämerei“ und forderten „bei derVorbereitung derWährungsreformund des damitzusammenhängenden Kriegslastenausgleichseine ent- sprechende Mitwirkung derVolksvertreterderdrei Länderder französischen Zone“. Offenbarwarvorallem den Mitgliedern derCDU-und derSPD-Fraktion die Aussichtslosigkeiteines solchen Begehrensbewusst,denn bereits die große Geheim-

223 haltung zeigte,dass die Alliierten jedenfallsdie Währungsre- formalsihreeigene Angelegenheitansahen. Sobekamim LandtagnichtderAntragderLiberalen die Mehrheit,sondern ein von derKPD eingebrachterAntrag,derdie Landesregie- rung aufforderte„zur Prüfung dermitderWährungsreformund dem Kriegslastenausgleichzusammenhängenden Fragen und zur Herbeiführung einesfür alle Besatzungszonen geeigneten Kreditinstituts geeigneteSchrittezu unternehmen”.

Für solche SchrittefehlteesaberanderZeit.Schon am1.März 1948 wurde die „Bank deutscherLänder“gegründetund wenig spätervon den Alliierten die Regelung desLastenaus- gleichszurückgestellt.Deutsche Fachleutewaren seitApril 1948 im Wesentlichen nur nochmitderOrganisation derWäh- rungsreformbefasst,darunterauchzwei Vertreterderfranzö- sischen Zone. MitteJuni 1948 stand plötzlichdie Einbeziehung derfranzösischen Zone in die Währungsreforminfrage. Frank- reichzögerte,weil in derPariser Dr. Nationalversammlung die Abstim- mung überden aufderLondoner Sechsmächtekonferenzbeschlosse- nen Planeinerwestdeutschen Staats- gründung anstand. Erst alsam17.Juni 1948 die Zustimmung –mitknapper Mehrheit–erteiltwurde,stand auch einerWährungsreforminderfranzösi- schen Zone und damitauchinRhein- land-Pfalznichts mehrim Weg. Schon einen TagspäterinformierteLudwig Erhard,derneuernannteDirektor des„Vereinigten Wirtschaftsgebie- tes“,in einerRundfunkansprache des Hessischen Rundfunksdie Westdeut- schen überdie bevorstehende Verän- derung. Den Termin für die Wäh- rungsumstellung hatteerselbst erst eine Stunde vorhervon den Alliierten

224 erfahren. Einen weiteren Tagspäterdruckten die Zeitungen eine amtliche Erklärung derMilitärregierung ab.Sie hattefol- genden Wortlaut:

„DasersteGesetz zur Neuordnung derdeutschen Geldreser- ven ist von den Militärregierungen Großbritanniens,derVer- einigten Staaten und Frankreichsverkündetworden,und tritt am20.Juni in Kraft.Die bisherige gültige deutsche Währung wirddurchdiesesGesetz aus dem Verkehrgezogen. Dasneue Geld heißtdie ‚Deutsche Mark’,jede Deutsche Markhat100 deutsche Pfennige …AllesAltgeld mitAusnahme von Klein- geld tritt amMontagaußerKraft.Münzen und Noten biszu einerMarkbleiben im Umlauf,sind abernur nochein Zehntel desNennwerts wert …Zunächst erhältjederEinwohnerder drei Westzonen 60 Deutsche MarkimUmtauschgegen 60 MarkAltgeld. 40Markwerden sofort,die übrigen 20 Mark einen Monatspäterausgezahlt.DerUmtauscherfolgtam Sonntagaufden Lebensmittelkartenstellen. Lebensmittelkar- ten und Kennkarten sind mitzubringen. DerFamilienvorstand kann den Umtauschfür die Familie vollziehen.“

Einen Tagspäterwurde bekanntgegeben,dass die Schulden miteinem Kurs von 10RM zu 1DM umgerechnetwürden,Bar- geld zumKurs von 100 RM zu 6,50DM umgetauschtund Löhne und Mieten im Verhältnisvon 1:1gezahltwürden.

Inunmittelbarem Zusammenhang mitderWährungsreform kameszudermitdem Namen von Ludwig Erhardverbunde- nen Wirtschaftsreform,die im Kernaus derAufhebung der alten Bewirtschaftungsvorschriften und derFreigabederPrei- sefür landwirtschaftliche Produkteund gewerblichhergestell- teFertigwaren und damitin derEinführung derMarktwirtschaft bestand. Allerdingsgaltdieszunächst nur für die Bizone. Inden Ländernderfranzösischen Zone –und damitauchinRheinland- Pfalz–wurde die ReformderBewirtschaftung und derPreis- kontrolle zögerlichund zunächst wenigerkonsequentdurch- geführt.Einige Bewirtschaftungsvorschriften blieben in Kraft;

225 Rheinland-Pfälzerbeim erst im März 1949 –achtMonatenachdem die Geldumtausch WirtschaftsreforminderBizone in Gang gesetzt worden war–kamesauchinRheinland-Pfalzzu einerPreisfreigabe,die allerdingsfür Obst und Gemüse,Schu- he und Textilien eingeschränktwar.NachAuffassung des Nationalökonomen Wilhelm Röpke –aufdessen Empfehlung die Ernennung ErhardszumDirektordes„Vereinigten Wirt- schaftsgebietes“zurückging –sollten die Länderderfranzösi- schen Zone aufdieseWeisealsein „Art von Kontrollversuch“ dienen,umdie WirksamkeitderWirtschafts-und Währungs- reforminderBizone besserermitteln zu können. DasErgeb- nisfiel eindeutig aus.Die in derfranzösischen Zone zunächst nochfortbestehenden Bewirtschaftungsvorschriften wurden von derBevölkerung nichtbeachtetund mussten etappenwei- seaufgehoben werden. Schon am3.Juli 1948 hieß esin der „Rheinzeitung“:

„Die finanziellen Schwierigkeiten,in die Erzeugerund Händ- lerdurchden scharfen Währungsschnitt geraten sind,lassen nachund nachdasganzeKartenhaus derZwangsbewirtschaf- tung zusammenbrechen.“

Welche Auswirkungen hatten die Wirtschafts-und vorallem die Währungsreformaufdie Lebensbedingungen derMenschen?

226 Die ersten Auswirkungen beschriebderLandratvon Koblenz in seinem Lageberichtvom 18. Juli 1948. Darin hieß es:

„Die Lage in den ersten Wochen nachdem 21. ist kurz folgen- de:DasAngebotderWirtschaftdürfteauchdie optimistischs- ten Erwartungen nochübertroffen haben. Entsprechend ist demgemäßdie Kauflust.“

Mitseinerzweiten Feststellung wareroffenbarzuvoreilig gewesen,denn die Menschen hatten zwar„Lust“die plötzlich auftauchenden Waren zu kaufen,aberkein Geld. Altmeierwies aufdiesen Umstand in seinerRede vordem 2.Landespartei- tagderCDU am24. Oktober1948 in Trierhin:

„WasunsereinnereWirtschaftanbelangt,soist esbedauer- lich,daßunsereFreude überdasErscheinen von Waren auf dem Marktvon derschmerzhaften Empfindung begleitetist, dassichaus dem Mangel anGeld für jeden interessierten Käu- ferbemerkbarmacht.“

Etwasgriffigerhieß eswenige Wochen späterin einem deut- schen Schlager:„Wersoll dasbezahlen,werhatdasbestellt, werhatsoviel Pinkepinke,werhatsoviel Geld?“ Mitanderen Worten:„OttoNormalverbraucher“gehörtezu den Verlierern derWährungsreform,die Hausbesitzer,Betriebseignerund Gewerbetreibenden,die ihregehorteten Waren in gutesGeld umwandeln konnten,zu den Gewinnern. Diesführtezunächst zu einerNeugestaltung desSchwarzmarktes.Waren die Städ- terzuvoraufsLand gezogen,sobrachten die Bauernnunihre Wareindie Stadtund dienten sie dem Einzelhandel an. Das Lebensmittelgewerbewurde zumHauptverteilerder„schwar- zen Ware“. Während die Verwaltung Mühe hatte,die geringen Fleischrationen von 400 bis500 Gramm im Monatzugewähr- leisten,wurden zur gleichen Zeitin den Metzgereien Fleisch und Wurstwaren pfundweiseund markenfrei zu überhöhten Preisen verkauftund in den Restaurants teureFleischgerichte in beliebigerMenge ohne Marken serviert.DerDürkheimer

227 Wurstmarkt–schreibtRothenberger–warein einziger Schwarzmarkt.ImErgebnisbedeutetedies,dass „derarme Mann nichteinmalseine Rationen bekam,derReiche sichaber allesleisten konnte“.

Trotz einesPreisstopps,den die Franzosen aus derHitlerzeit übernommen hatten,und einesvom Landtagam19. August 1948 erlassenen „Gesetzesgegen die Preistreiberei“ stiegen vorallem die Lebensmittelpreise. GegenüberMai1948 klet- terten die Preisefür Kartoffeln –den Angaben Rothenbergers zufolge –um18%,Roggenbrotum20 %,Butterum28%, Milchum30 %,Eierum40%und Zuckerum50%. Von Juni bisOktober1948 stieg derIndexderLebenshaltungskosten einervierköpfigen Arbeiterfamilie von 116,7(1938=100)auf 143an,erreichteimJanuar1949 mit165,7seinen Höchststand und fiel dann im Laufe desJahresauf158,1ab.Erst unmittel- barvorder2.Landtagswahl im April 1951 überschritt ermit 161,4wiederdie 160er-Marke.

Zur gleichen ZeitstagniertederLohnindexbei 124(1938= 100). Seitdem Dritten Reichhatteein –von den Franzosen ebenfallsübernommener–Lohnstopp bestanden,dernach Kriegsende von den Unternehmernallerdingsdurchaußerta- rifliche Zahlung von Zulagen teilweiseumgangen worden war. Am25. November1948 verabschiedetederLandtageinstim- mig ein Gesetz überdie Aufhebung desLohnstopps,in dem zur Verhinderung eines„unbegrenzten Lohnabbaus“die am 16.Oktober1939rechtswirksamgewährten Lohn- und Gehaltssätzezu Mindestsätzen erklärt wurden. Allerdings scheitertediesesGesetz amEinspruchderFranzosen. Trotz steigenderPreiseverweigerten die Arbeitgebereine Erhöhung dertariflichen Löhne. Die Gewerkschaften scheuten den Streik. Ein Grund dafür wardie in diesen Monaten immernoch steigende Arbeitslosigkeit.

DerLandtaghatteaus Sorge voreinem Anstieg derArbeits- losigkeitbereits einen TagnachderWährungsreformein

228 „Gesetz überdie Sicherung derArbeitsplätze“ erlassen,dem- zufolge vorjederEntlassung die Zustimmung einesaus dem Vorsitzenden desArbeitsamtesund je einem Vertreterder Arbeitgeberund derArbeitnehmerbestehenden Ausschusses eingeholtwerden musste. DasGesetz warursprünglichbiszum 30.September1948 befristet,wurde dann aberbisin dasJahr 1950hinein verlängert.Obwohl offenbareine große Zahl von Kündigungsanträgen durchden Ausschuss abgelehntwurde,

229 konntedasGesetz die rasantansteigende Arbeitslosigkeitim Land nichtverhindern. Ende 1949 hattesichdie Zahl der Arbeitslosen im VergleichzumJahresanfang auf53000 ver- fünffacht.ImDezember1950waren sogar100 000 Menschen im Lande arbeitslos.Erst im Verlaufe desJanuar1951 warmit 116163 Arbeitslosen derHöchststand erreicht.Alsdie Land- tagswahl im April 1951 anstand,warmit75000 Arbeitslosen in etwawiederderStand desVorjahreserreicht.DieseEntwick- lung warzwarauchdaraufzurückzuführen,dass dasLand rund 100 000 Flüchtlinge und Zuwandererin den Arbeitsmarktzu integrieren und mitden weltwirtschaftlichen Folgen des Korea-Kriegeszukämpfen hatte. Aberauchdie Wirtschafts- und Währungsreformhatteihren Anteil daran.

Fasst mandie frühen Folgen derWirtschafts-und Währungre- forminderfranzösischen Zone zusammen,bleibtfestzuhalten, dass die Lebenshaltungskosten massivanstiegen,die Löhne dagegen stagnierten. DerGeldmangel trafvorallem die sozi- alschwachen Bevölkerungsschichten,die Invaliden,Rentner und kinderreichen Familien,denen zumTeil dasGeld fehlte, umsichdie offiziellen Lebensmittelrationen kaufen zu können, und die erst rechtnichtin derLage waren,sichaufdem Schwarzmarktzuversorgen. Hinzu kamdie rasantwachsende Scharvon Arbeitslosen,die nur zumTeil eine staatliche Arbeits- losenhilfe bezogen und unterdem allgemeinen Preisanstieg nochstärkerlitten alsderRest derNormalverbraucher.Justus Rohrbachschriebin seinem 1955 herausgegebenen Buch„Im Schatten desHungers“:

„Die Uniformierung desKonsumsim Schatten desHungers wichwiederderHerrschaftdesGeldbeutels,die sozialen Unterschiede,jahrelang durchdie gemeinsame Notin den Hintergrund unterdrückt,traten wiederhervorund drohten zu Spannungen zu führen.“

b)Marshall-Plan: Dernachseinem Initiator,dem damaligen US-Außenministerund späteren Friedensnobelpreisträger

230 George C.Marshall,benannteMarshall-PlanwaralsAuslands- hilfegesetz am3.April 1948 vom amerikanischen Kongress ver- abschiedetworden. Erstellteein europäischesHilfs-und Wie- deraufbauprogramm dar,mitdem die USA derVerelendung Westeuropasentgegenwirken wollten,umsichdadurchihren angestammten Absatzmarktzubewahren und im Zeichen des beginnenden Kalten Kriegsein Bollwerkgegen die Sowjetuni- on und damitgegen den Kommunismus zu errichten.

DerMarshall-PlansahKreditesowie die Lieferung von Rohstof- fen,Lebensmitteln und Waren vor,wobei die europäischen Zahlungen für dieseLieferungen aus den USA aufeigensein- gerichteteKonten erfolgten,den sog. Gegenwertfonds,über deren Verwendung derjeweilige Staatgemeinsam mitder„EuropeanCooperation Administration Informationstafel (ECA)“ entschied. Dasgaltauchfür Rheinland- einerWanderausstellung Pfalz,dessen Gegenwertfondsaberebensowie zumMarshall-Plan

231 die derübrigen LänderderWestzonen bisaufWeiteresim amerikanischen Besitz blieb.

Die GeltungsdauerdesMarshall-PlanswaraufvierJahrebefris- tetund lief am30.Juli 1952aus.Bereits am17.März 1948 teil- teGeneralKoenig den Ministerpräsidenten derfranzösischen Zone mit,dass auchRheinland-Pfalz,Baden und Württemberg- HohenzollernanderMarshall-Plan-Hilfe teilhaben würden. Am 16.April 1948 wurde die Einbeziehung derdrei Westzonen durchderen Oberkommandierende vereinbart und die Abwicklung derMarshall-Plan-Hilfen in derfranzösischen Zone durchVertragvom 9. Juli 1948 geregelt.Die Durchfüh- rung desMarshall-PlanslaginderHand derfranzösischen Mili- tärregierung,die einen Koordinierungsausschuss bildete, dem alsVertretervon Rheinland-PfalzHubert Armbrusterange- hörte,derseit1946außerordentlicherProfessorandergera- de wiedereröffneten MainzerUniversitätwar.

DerLandtagbefasstesichbereits in seiner25. Sitzung am 7.April 1948 mitden aus dem Marshall-Planzu erwartenden Hilfen und begrüßteineinerResolution „die Einbeziehung Deutschlandsin die Organisation und dasWiederaufbaupro- gramm desMarshall-Plans“,wobei allerdingsauchschon die Sorge anklang,dass erdie Spaltung Deutschlandsvertiefen könnte. Denn die Sowjetunion hatteden LändernihrerBesat- zungszone die Teilnahme amMarshall-Planverboten. Im Landtagwandtesichdementsprechend die KPD gegen den Marshall-Plan,weshalbdem kommunistischen Wiederaufbau- ministerWilli Felleram7.April 1948 von den übrigen Land- tagsfraktionen dasMisstrauen ausgesprochen wurde,sodass eraus derLandesregierung ausscheiden musste.

Die ersten Marshall-Plan-Lieferungen erreichten die französi- sche Zone und damitauchRheinland-Pfalzerst im 4. Quartal 1948. InseinerRede vordem zweiten Landesparteitagder CDU am23./24. Oktober1948 in TrierbeklagtePeterAltmei- erden schleppenden Beginn derHilfsleistungen,woransich

232 offenbarauchAnfang 1949 nochnichts Grundsätz- Informationstafel einer lichesgeändert hatte. Jedenfallsbedauerteerin Wanderausstellung zum seinerRede am18. Januar1949 vordem Landtag Marshall-Plan erneut „folgenschwereVerzögerungen“,die erins- besonderedaraufzurückführte,dass deutsche Stellen nichthin- reichend in die Planung und Abwicklung desMarshall-Planes eingebunden würden. ImApril 1950waren dann aberoffen- bardie Startschwierigkeiten längst überwunden. Anlässlichder Eröffnung einerMarshall-Plan-Ausstellung am26.April 1950 in KoblenzwiesAltmeierdaraufhin,dass „jedeszweiteBrot, daswiressen,…aus Mitteln desMarshall-Plans“stamme,um dann fortzufahren:

„Essei daranerinnert,daßderMarshall-Planseine Gegner hatte…Aberheutekann die Frage gestelltwerden:Woher hätten wirdie Rohstoffe nehmen sollen,woherinsbesondere Baumwolle und Häutefür Kleidung und Schuhe? Werhätte unsereFabriken in Gang gebracht?WerhätteunsereUnter-

233 nehmen finanziert?Wohersollten Kreditegenommen werden, umdie Maschinenparkszuerneuern? Wenn wirvon hieraus miteinem Blickaus den Fensterndie Moselstaustufe erfassen, sohaben wireinen freudigen und konkreten Beweisfür die Größe derMarshall-Plan-Hilfe voruns.“

DamithatteAltmeierdie beiden Schwerpunktegenannt,für welche die Mittel desMarshall-Plansin Anspruchgenommen wurden:für die Verbesserung derErnährungslage und für die Förderung derWirtschaft.Angesichts derauch1948 nochdra- matischen Ernährungslage wurden die rund 100 Millionen Dol- lar,die derfranzösischen Zone für dasersteMarshall-Plan-Jahr (1. Juli 1948 –30.Juni 1949) ohne Rückzahlungsverpflichtung zur Verfügung gestelltwurden,überwiegend für den Import von Lebensmittelnverwandt.AufdieseWeisewurden in die- sem Jahru.a.177 348 Tonnen Getreide und Mehl,21188 Ton- nen Zucker,11 986Tonnen Fett,9047Tonnen Maisund 1304 Tonnen Obst eingeführt.Insgesamtwaren esLebensmittel für 83Millionen Dollar,von denen 60 %aus ERP-Mitteln finanziert wurden.

Für daszweiteMarshall-Plan-Jahr(Juli 1949 –Juni 1950)stand derfranzösischen Zone ein Dollarkreditvon 102,6Millionen Dollarzur Verfügung,von dem wiederdie Hälftefür Lebens- mittelimporteverwandtwerden sollte;nachderRekordernte von 1949 konntedavon aberein Teil für Investitionsgüterabge- zweigtwerden. Dabei bliebesauchinden beiden letzten Marshall-Plan-Jahren,alsdie Mittel überwiegend dem Aufbau derWirtschaftzugutekamen. Anlässlicheinerweiteren Mar- shall-Plan-Ausstellung stellteMinisterpräsidentAltmeierdazu am16.Mai1951 in Mainzfest:

„Hierdarfichinsbesondereauchaufdie Mittel verweisen,die zu einem strukturellen AufbauunsererWirtschaft…geflossen sind,wobei essichumrund 38Millionen [DM] für die gewerb- liche Wirtschaft,rund 24Millionen für die Verkehrsmittel und den Fremdenverkehrund rund 17Millionen für die Landwirt-

234 schaft,insgesamtalsoum79Millionen handelt,wodurch wesentliche,zerstörteBetriebewiederaufgebaut,neue Betriebeerrichtetund neueArbeitsplätzegeschaffen werden konnten.“

MitHilfe desMarshall-PlaneskonntedasProduktionsniveau derrheinland-pfälzischen Wirtschaftentscheidend angehoben werden. LagderProduktionsindex1947bezogen aufdasJahr 1936 –dem letzten Vorkriegsjahr,dasnochnichtvon dermili- tärischen Aufrüstung desReichesbestimmtworden war–noch bei 39,7,sostieg erbisDezember1948 bereits auf63,1und bisNovember1949 sogarauf88,0.Ein Jahrspäterhatteer bereits dasNiveaudesJahres1936 überschritten. Alsdie Landtagswahl im April 1951 anstand,hattesichderIndexbei rund 106,0eingependelt.MotordieserEntwicklung waren zunächst die Investitionsgüterindustrie sowie die Nahrungs- und Genussmittelindustrie,späterdie allgemeine Produktions- und Verbrauchsgüterindustrie. Dasdamiteinhergehende

235 Wirtschaftswachstumwirktesichauchaufdie Beschäftigungs- zahlen im Land aus.Altmeierbemerktehierzu in seinervorge- nannten MainzerRede:

„Ichglaubeesgenügteine Feststellung,daßseit1948 rund 130 000 Arbeitsplätzemehrgeschaffen werden konnten,was neben dem Fleiß unsererarbeitenden Menschen in Stadtund Land und neben derInitiativeunsererUnternehmerinsbeson- deredurchdie Hilfen desMarshall-Planes,durchdie Lieferung von Rohstoffen und derdadurcheingetretenen wesentlichen Steigerung unsererAusfuhren möglichwar.“

Alsesim April 1951 zur Landtagswahl kam,konntealsoauch festgestelltwerden,dass die Hilfen aus dem Marshall-Planent- scheidend zur Verbesserung derErnährungs-und derWirt- schaftssituation sowie zu einem Anstieg derBeschäftigungs- verhältnissebeigetragen hatten. Dieslindertedie frühen negativen Folgen derWirtschafts-und Währungsreform(vgl. S.227 f.),ohne sie allerdingsgänzlichkompensieren zu können.

c)SozialerUnterbau: Die Forderung nacheinem sozialen Unterbaufür die demokratische Ordnung warbereits vom ersten Präsidenten derBeratenden Landesversammlung Lotz anlässlichderKonstituierung desVerfassungsausschusses erhoben worden und in derBeratenden Landesversammlung auchauffruchtbaren Boden gefallen. Die Landesverfassung erhielteinen eigenenAbschnitt überdie Wirtschafts-und Sozi- alordnung,dessen Vorschriften auf„soziale Gerechtigkeit“ (Artikel51Abs.1)und „ein menschenwürdigesDasein für alle“ zielten,das„RechtdesNächsten“ und „die Erfordernissedes Gemeinwohls“(vgl. Artikel 52)betrafen und alle in derWirt- schaftTätigen verpflichtete,„anderLösung derwirtschafts- und sozialpolitischen Aufgaben mitzuwirken,umdamitdie wirt- schaftlichen und gesellschaftlichen Gegensätzezu überbrü- cken“. Indiesem Sinne sollteRheinland-Pfalznichtnur „ein demokratischer“,sondernauchein „sozialerGliedstaat Deutschlands“sein (vgl. Artikel 74Abs.1). DieseVerfassungs-

236 bestimmungen veranlassten den LandtagzumErlass einiger Wirtschafts-und Sozialgesetze,darunterdie Gesetzeüberdie Bodenreform,die Organisation derSozialversicherung und das Schlichtungswesen. KeinesdieserGesetzewirktesichaufdie brennenden sozialen Fragen derunmittelbaren Nachkriegszeit aus.

MitderGründung derBundesrepublik Deutschland (vgl. S.327 ff.) erhieltderBund die Gesetzgebungszuständigkeitfür den „sozialen Unterbau“derdemokratischen Ordnung,dochent- ließ diesdasLand nichtaus seinerVerantwortung für die sozia- len Belange seinerBewohnerim Übrigen,zumalderBund bis zumEnde derersten Wahlperiode desLandtagskeine eige- nen sozialpolitischen Gesetzgebungswerke aufden Weg brachte.

Solange dasLand für die Sozialpolitik alleine zuständig war, hattedieseeine Art „Nothilfe-Funktion“ für Menschen aus sog. Schicksalskategorien,alsovorallem für Flüchtlinge,Heimkeh- rer,Ausgebombteund Kriegsopfer.Die Mittel,die dem Land dafür zur Verfügung standen,waren indessen mehrals beschränkt.Nachdem BerichtderLandesregierung „überihre Tätigkeitvom Juni 1947bisApril 1951“ hattedasLand vorder Währungsreformzu geringe Einnahmen,weil die Wirtschaft sichin„den RaumdesSchwarzhandelsund derTauschgeschäf- teverflüchtet“hatte,und nachderWährungsreform,weil diese zu einem massiven Geld- und Kapitalmangel geführt hatte. Noch1950/51 nahm dasLand in derReihe derdamalself Län- derderBundesrepublik Deutschland gemessen anseiner Finanzkraftmit104DM proEinwohnernur den vorletzten Rang ein. DerAbstand zumBundesdurchschnitt betrug43DM und derzumnordrhein-westfälischen Nachbarnsogar71DM.Die Folge warein permanentdefizitärerHaushalt.Dementspre- chend begrenzt waren die Hilfsmöglichkeiten desLandes.

Alsdie 1. Wahlperiode desLandtagszuEnde ging,wardes- halbdasProblem desKriegsfolgenlastenausgleiches,dasdie

237 Alliierten bei derWährungsreformausgeklammert und in die Hände derDeutschen gelegthatten,nochweitgehend unge- löst.AuchderAusgleichdersozialen Härten,die mitderWirt- schafts-und Währungsreformverbunden waren,ließ nochauf sichwarten. Hierzu hattederKreuznacherLandratam10.Juni 1948 in einem Lageberichtanden Regierungspräsidenten von Koblenznocheindringlichfestgestellt:

„Wenn auchinderMasseVertrauen in die neueMarkgesetzt wird,sodarfaberderTeil derBevölkerung nichtvergessen wer- den,deraufGrund seinersozialen Lage durchunterschieds- loseradikale Abwertung sehrschwerbetroffen wurde. Ich denke hierbesonders andie mühsamzusammengesparten kleinen Guthaben von Arbeiternund arbeitsunfähigen alten Leuten. Viele,besonders ältereLeute,sind darunter,die schon zumzweiten Maldie HärteeinerAbwertung übersicherge- hen lassen mußten. Verständnisvolle sehen ein,daßdie deut- schen Behörden keinen odernur einen geringen Einflußaufdie Gesetzgebung anläßlichderWährungsreformhatten. Sie erwarten aber,daßdie im Gesetz immernochgegebene Mög- lichkeiteinerevtl. Verbesserung von den deutschen Behörden angestrebtwird.“

Esgab zwarein Soforthilfegesetz,dasKreditefür Kriegssach- geschädigteund Währungsgeschädigtevorsah,aberdiese reichten nichtaus,umden Betroffenen wirklichweiterzuhelfen. Vergleichbaresgaltfür die Unterstützung,die politischVerfolg- ten,Flüchtlingen und sonstigen Notleidenden gewährt wurde. Sie waren Zeichen desguten Willens,mehrabernicht. LandtagspräsidentWolters machtediesin deranlässlichdes Besuchsvon BundespräsidentTheodorHeuss anberaumten Sondersitzung desLandtagsam11. Januar1950deutlich,als ermitBlickaufdie Notlage im rheinland-pfälzischen Grenzland feststellte:

„Landtagund Landesregierung haben in den letzten Jahren immerwiederversucht,zu helfen,soweitesin ihren Kräften

238 stand. Aberdie Mittel,überdie wirverfügen konnten,waren derart gering,daßmanvon einerHilfe für die Grenzbevölke- rung unseresLandesfast nichtsprechen kann.“

Ähnlichesgaltfür den sozialen Wohnungsbau,dereinen rie- sigen Bedarfzu decken gehabthätte,aberbisin die zweite HälftedesJahres1950nichtstattfand. Inden ersten Nach- kriegsjahren fehlteesanBaustoffen,die den West-Alliierten abgeliefert werden mussten,und nachderWährungsreforman Geld,weil eszuknapp geworden war.AlsdasWohnungsbau- programm desLandes1950anlief,wardasLand im Unter- schied zu anderen Ländernvollständig aufFremdmittel angewiesen,insbesondereaufBundeszuweisungen. Sie sum- mierten sichaufgerade einmal55,5Millionen DM, die außer- dem nochzweckgebunden waren,sodass die entsprechenden Darlehen im Wesentlichen nur für den Flüchtlingswohnungs- bauund den Wiederaufbauderzerstörten Dörferder„Roten

239 Zone“ zur Verfügung gestelltwerden durften. AndereBevöl- kerungskreisekamen erst garnichtin den Genuss von Förder- geldern. Immerhin konnten mitden vorhandenen Mitteln im Jahr1950landesweitrund 5500 Wohnungen wiederaufgebaut bzw.instandgesetzt und weitererund 9000 Wohnungen neu gebaut werden. Zusammen mitdem Wohnungsgewinn aus dem frei finanzierten Wohnungsbaukammanaufrund 20 000 Wohnungen,die 1950dem Wohnungsmarktzugeführt werden konnten. Dieswarzwarim Vergleichzu den in den Vorkriegs- jahren jährlichgebauten Wohnungen nichtwenig,aberim Verhältniszudem,wasnotwendig gewesen wäre,bei weitem nichtausreichend.

Dabei wargerade die Sozialpolitik von Landtagund Landes- regierung in manchen Bereichen vorbildlich,auchimVergleich mitden anderen Ländern. Diesgaltvorallem für die Kriegs- opferversorgung:Von ihrwar–einschließlichderFamilienan- gehörigen und Hinterbliebenen –rund ein Fünftel derBevöl- kerung,d. h. etwa600 000 Menschen,betroffen. Von ihnen waren 312000 unmittelbareKriegsopfer.Sie erhielten entspre- chend dem Gradund derArt ihrerBehinderung eine Rente bzw.Hilfen für die Heilbehandlung. Beideslaginderfranzö- sischen Zone und auchinRheinland-PfalzzumTeil erheblich überdem LeistungsniveauderLänderin derBizone.

Trotzdem wurden die Leistungen von den Kriegsopfernselbst und ihren Verbänden heftig kritisiert,weil sie alsbeileibenicht ausreichend angesehen wurden. Die Situation verschärftesich noch,alsmitderGründung derBundesrepublik Deutschland (vgl. S.327 ff.) die Zuständigkeitfür die Kriegsopferversorgung von den Ländernaufden Bund überging und mitdem 1950 erlassenen Bundesversorgungsgesetz dasVersorgungsniveau in den Ländernderfranzösischen Zone zumTeil erheblichher- abgesetzt wurde. AltmeierprotestierteimBundesratund die Kriegsopferdemonstrierten aufderStraße. IhreWut und Ent- täuschung waren groß,blieben aberwegen derbeschränkten Finanzkraftvon Bund und Land zunächst ohne Folgen.

240 Trotz allerBemühungen von Landtagund Landesregierung war esalsobiszumEnde der1. Wahlperiode desLandtagsnicht gelungen,die demokratische Ordnung durcheinen tragfähi- gen sozialen Unterbauabzusichern. DerLastenausgleichließ nochaufsichwarten,dersoziale Wohnungsbaulief gerade erst anund die geleisteten Hilfen waren in derRegel sogering, dass sie die NotderMenschen nichtwirklichlindernkonnten. Die Marktwirtschaft,diedurchdie Wirtschafts-und Währungs- reformeingeführt worden war,hattealsonochkeinen sozialen Rahmen erhalten. DieserAufgabesolltesicherst derBund in den folgenden Jahren widmen.

7.Erziehung und Umerziehung a)Grundlagen: DerWeg zur demokratischen Ordnung war abernichtnur eine Frage deräußeren Lebensumstände,son- dernauchderinneren Einstellung. HansHoffmann sprachvon der„Säuberung derGehirne“,anderevon „geistigerErneue- rung“. Süsterhenn hatteimZusammenhang mitden Verfas- sungsberatungen davon gesprochen,

„daßdie staatliche und gesellschaftliche Neuformung des deutschen Volkslebensin ersterLinie eine geistige Wandlung voraussetze”.

Die Franzosen dachten in dieselbeRichtung:Mitgrößerem Nachdruckalsdie beiden anderen westlichen Siegermächte widmeten sie sichdeshalbdersog. Umerziehung derDeut- schen. Zudiesem Zwecksetzten sie im März 1945 sogarein eigenesGremiumein,dasVorschläge zur Umerziehung erar- beiten sollte:die „Commission de rééducation dupeuple allemand“,die dem französischen Erziehungsministerium angegliedert warund aus Regierungsvertreternund Hoch- schullehrernbestand. DerGermanist Edmond Vermeil warihr Vorsitzenderund derGeneralsekretärdeseingangsbereits erwähnten Interministeriellen Ausschusses(vgl. S.58f.) gebo-

241 renesMitglied. Die Bera- tungsergebnissederUmer- ziehungskommission flos- sen in die Entscheidungen desInterministeriellen Aus- schussesein,dessen Direk- tiven von derfranzösischen Militärregierung umzu- setzen waren,vorallem von derzuständigen Abtei- lung für Erziehungsfragen, die von Raymond Schmitt- lein geleitetwurde. Seine Ansprechpartneraufdeut- scherSeitewaren ab Dezember1946derKultus- ministerdervorläufigen Landesregierung Lotz und Raymond Schmittlein, ab Juni 1947dessen NachfolgerSüsterhenn,dem LeiterderAbteilung im Kabinett AltmeierzusätzlichzumJustizministe- für Erziehungsfragen riumauchdasAmtdesKultusministers übertragen derfranzösischen worden war. Militärregierung Die ersten Direktiven desInterministeriellen Aus- schusseszur Umerziehung stammen vom 20.Juli 1945 und pro- pagierten bereits die „Déprussianisation“,worunterdie Beseitigung all dessen verstanden wurde,wasin den Augen derFranzosen den preußischen CharakterderDeutschen aus- machte. AlsZiele der„Déprussianisation culturelle“ wurden dementsprechend die Achtung desIndividuums,die Vermitt- lung von Freiheitsrechten und die Pazifizierung desdeutschen Wesensgenannt.ImNovember1945 folgten weitereEmpfeh- lungen zur „rééducation“. Darin warvon einer„neuen Pädago- gik“und einem „neuen Humanismus“die Rede,die aus „unse- rerTradition und unsererKultur“abzuleiten seien. Diese Direktiven spiegeln die beiden Seiten derfranzösischen Umerziehungspolitik wider:Erziehung zu Demokratie und Frei-

242 heitin Staatund Gesellschafteinerseits,dabei aberstrikteOri- entierung,jaÜbernahme desfranzösischen Vorbildsin allen einschlägigen Bereichen andererseits. b)Schulische Umerziehung von Jugendlichen: Die Schulen waren von den Amerikanernbereits im Mai1945 geschlossen worden. Vielerorts hatteesohnehin seitMonaten keinen Unter- richtmehrgegeben,in MainzetwaseitSeptember1944. Als sie im Verlaufe desSeptember/Oktober1945 von den Fran- zosen wiedergeöffnetwurden –vorallem umdie Kindervon derStraße zu holen –,fehlteesanSchulgebäuden. Sie waren zerstört odermehroderwenigerbeschädigt.Manbehalf sich mitNotunterkünften,z.T.auchmitBaracken. Da manbereits mitderEntnazifizierung derLehrerbegonnen und rund 3000 von ihnen alsehemalige NSDAP-Mitgliederentlassen hatte, fehlten auchdie Lehrer.Eskamzu erheblichen Unterrichtsaus- fällen,denen mitsog. Schulhelfernsoweitwie möglichbegeg- netwerden sollte. Dabei handelteessichvorallem umpoli- tischunbelastetepensionierteLehrerund umAbiturienten mit

243 pädagogischerErfahrung,denen manmitHilfe von Umerzie- hungskursen den „neuen Unterricht“nahezubringen versuch- te. DieserrichtetesichimWesentlichen nachden französischen Lehrplänen,die andie Stelle deram11. September1945 außer Kraftgesetzten deutschen Lehrpläne traten. InVolksschulen wurde derGeschichtsunterrichtuntersagt,in höheren Schulen blieberaufdasAltertumund die Kunstgeschichtebe- schränkt.WernichtamReligionsunterrichtteilnahm,musste ersatzweiseEthikunterrichterhalten. DerDeutschunterricht sollteimSinne derVölkerverständigung erteiltund durchtäg- licheine Stunde Französischunterrichtergänzt werden,der anfangsvorallem von jungen Franzosen erteiltwurde.

Schulbeginn Am2.November1945 wurden auchdie deutschen in Rheinland-Pfalz Schulbücher,Atlanten und sonstige Schulmateria-

lien verboten,die zwischen 1933 und 1944 herausgegeben worden waren. ÜbergangsweisegriffmanaufBücheraus der WeimarerZeitund aus derSchweizzurück,bismanab 1946 mitHilfe einesunterderLeitung von Dr.Burdastehenden Lehr- buchmittelverlagsin OffenburgneueSchulbücherfür die gesamtefranzösische Zone herausbrachte. 1947wurden für 900 000 Schüler6,3Millionen Schulbücherproduziert,1948

244 waren esbereits 10Millionen. IhreQualitätwarzumindest in Teilen fragwürdig. Dasgaltauchfür neueAtlanten,in denen sichinderRegel keine Karten von Deutschland befanden. Abbildungen überdie französische Zone enthielten allenfalls Darstellungen derneugegründeten Länder.Zurückzuführen wardiesim Wesentlichen aufRaymond Schmittlein,der–nicht ohne Rückendeckung aus Paris–eherderAuffassung war,dass sichauchdasSchulbuchwesen anden vorhandenen französi- schen Texten zu orientieren habe. Andererseits wurden aber auchGeschichtsbücherzugelassen,welche die demokratische Tradition in Deutschland betonten und in diesem Zusammen- hang vorallem die GeschichtederDeutschen Nationalver- sammlung von 1848 ausführlichbehandelten. Trotzdem bleibt derEindruck,dass die Umerziehung derSchülerdurchneue Schulbücheroffenbarnur zumTeil zielführend war.

Anfang 1946ordneteRaymond Schmittlein auchdie Ausbil- dung derLehrernachfranzösischem Vorbild an. Die ersteStufe bestand aus einem vierjährigen Besuchsog. Pädagogien und die zweiteaus einem zweijährigen BesuchpädagogischerAka- demien,und zwarbei Geschlechtertrennung und konfessionell simultanerPrägung dieserEinrichtungen. Abiturienten sollten nur in Ausnahmefällen zu den Akademien zugelassen werden. Offenbarglaubten die Franzosen damitvorallem Söhne und Töchteraus Arbeiter-und Bauernfamilien fördernzu können, von denen sie eine größereUnterstützung für die Demokrati- sierung derSchule erwarteten alsvon Kindernaus dem bür- gerlichen Milieu.Trotz erheblicherEinwände von deutscher Seitegegen die Pädagogien,den Ausschluss von Abiturien- ten und den simultanten CharakterderEinrichtungen bestand die Militärregierung aufstrikterAusführung ihrerVerordnung. Sowurden bis1949 zehn Pädagogien errichtet:in Münstermai- feld,BergNassau,Montabaur,Wittlich,BadNeuenahr,Alzey, Kaiserslautern,Zweibrücken und Speyermitzwei Anstalten. Nachdem die am18. Mai1947in Kraftgetretene Landesver- fassung die Ausbildung derLehrerin „nachBekenntnissen getrennten Lehrerbildungsanstalten“ festgeschrieben hatte,

245 wurden durchRichtlinie desKultusministeriumsvom Dezem- ber1949 die Lehrerbildungsanstalten nachKonfessionen getrennt,sowie esdie Deutschen von Anfang angefordert hatten. Außerdem konnten sichauchAbiturienten zu Lehrern ausbilden lassen,wobei sie dasPädagogikumüberspringen und direktmitdem Studiumaneinerpädagogischen Akade- mie beginnen konnten.

Wasfür die Lehrerausbildung galt,galtschließlichauchfür alle sonstigen schulpolitischen Maßnahmen,welche die Franzosen im Zeichen derUmerziehung durchgeführt hatten. Kaumeine hatteüberdasJahr1949 hinaus Bestand. Die im Rahmen der Entnazifizierung aus dem Schuldienst entlassenen Lehrer waren Ende der1940er,Anfang der1950erJahrenachund nachvon derGruppe derMinderbelasteten in die Gruppe der Mitläuferumgestuftworden und wiederin den Schuldienst zurückgekehrt.Die französischen Lehrpläne waren zurückge- nommen und die Herstellung von Schulbüchernwiederin deutsche Hände gelegtworden. Dasgiltmehroderweniger für den gesamten Bereichderschulischen Erziehung. Auch wenn sichdie Franzosen Schritt für Schritt und viel früher,als sie esursprünglichgeplanthatten,aus derVerantwortung zurückziehen mussten,bliebmaßgeblich,wasseitMai1947in Artikel 33 derLandesverfassung geregeltwar:

„Die Schule hatdie Jugend …infreier,demokratischerGesin- nung im GeistederVölkerversöhnung zu erziehen.“

Angesichts derimmernochbestehenden Schulraumnot,dem Mangel angeeigneten Schulbüchernund dem Überfluss an belasteten Lehrernwardies1950/51,alsdie Landtagswahl anstand,allerdingseherAnspruchalsWirklichkeit,und damit in ersterLinie ein Wechsel aufdie Zukunft.Dass manihn einzulösen gedachte,zeigten die Haushaltszahlen,aberauch z.B.die Einrichtung desSchulelternbeirates.20,40DM gab das Land proKopf derBevölkerung für die Volksschulen aus und stand damitandritterStelle unterden Ländern. DerSchulel-

246 ternbeiratwaram24. April 1951 konstituiert worden,umdazu beizutragen,„die Jugend zu echten Demokraten zu erziehen“. DaraufhatteKultusministerSüsterhenn in seinem Eröffnungs- referatausdrücklichhingewiesen. c)Außerschulische Umerziehung derJugend: Die außerschu- lischen Umerziehungsmaßnahmen beruhten aufden weltlichen und konfessionellen Jugendverbänden und Jugendgruppen, die durchVerordnung Nr.25vom 13.Dezember1945 zuge- lassen wurden und dasVakuumfüllen sollten,dasdurchdas VerbotderHitlerjugend entstanden war.Die französische Zulassungspolitik verfolgtedasZiel eines„begrenzten Plura- lismus“. Einerseits solltedie Bildung einerEinheitsjugend ver- hindert werden,für die mandie deutsche Jugend nachzwölf Jahren „HJ“anfällig glaubte,andererseits solltederPluralis- mus nichtzuletzt aus Gründen derKontrollierbarkeitder Jugendverbände begrenzt bleiben,und zwaraufdie wichtig- sten konfessionellen,weltanschaulichen und berufsständischen Richtungen. Die Jugendverbände durften sichausschließlich zu ihrermoralischen,sozialen,künstlerischen,beruflichen oder körperlichen und sportlichen Ausbildung zusammenfinden; parteipolitische Aktivitäten waren untersagt.

Konfessionelle Gruppen wurden alserstezugelassen. Die katholische Jugend warin dergesamten französischen Zone bisAnfang 1947in über1000 lokalen Gruppen organisiert,die zusammen über120 000 Mitgliederhatten. Zur selben Zeitwar die evangelische Jugend in rund 450Gemeinden mitrund 35000 Jugendlichen organisiert.ImVergleichdazu blieben die weltlichen Jugendverbände weithinterden konfessionellen zurück. Die „Naturfreunde“ hatten in dergesamten französi- schen Zone rund 10000 Mitglieder,4000 davon in Rheinland- Pfalz.Übereinen nochgeringeren Mitgliederbestand verfüg- tedie Gewerkschaftsjugend,die mitfünf lokalen Gruppen und 2861Mitgliedernfast ausschließlichinRheinland-Pfalzvertre- ten war,sichdort aberim Januar1949 auflösteund in die Jugendabteilungen derGewerkschaften integriert wurde.

247 Europapolitisches Die Möglichkeit,miteigenen erzieherischen Maß- Engagementander nahmen aufdie ArbeitderJugendverbände einzu- deutsch-elsässischen wirken,warfür die Franzosen vorallem bei den kon- Grenze fessionellen Gruppen von Anfang ansehrgering; sie wurden aberauchinden übrigen Bereichen bis 1948 weitgehend reduziert.Mitdem Inkrafttreten desBesat- zungsstatuts im Jahre1949 (vgl. S.197)verloren die Besatzer jeden unmittelbaren Einfluss aufdie ArbeitderJugendbewe- gung.

Zuständig für die außerschulischen Umerziehungsmaßnahmen warin dervon Raymond Schmittlein geleiteten Direktion für „Öffentliche Erziehung“ die Abteilung für „Jugend und Sport“. 1949 –nachdem Inkrafttreten desBesatzungsstatuts –erhieltsie die Bezeichnung „Abteilung für Internationale Beziehungen“. Damitwarzugleichdie Verlagerung des ArbeitsschwerpunkteszumAusdruckgebrachtworden. 1946 hatten die Franzosen damitbegonnen,deutsche Jugendliche aus derfranzösischen Zone mitfranzösischen Jugendlichen zusammenzubringen. Anfangswaren esnur einige Hundert; 1949 warihreZahl bereits auf5000 angestiegen,wobei zuneh- mend auchJugendliche aus Drittländerndazukamen,sodass sichaus den deutsch-französischen Treffen regelrechteinter- nationale Jugendtreffen entwickelten. Umdie organisatori- schenProbleme besserin den Griffzu bekommen,die mitdie-

248 serneuen Größenordnung verbunden waren,richtetedie Baden-BadenerAbteilung für Internationale Beziehungen regionale Bürosein,unteranderem in Speyer.Hierhatteein jungerfranzösischerOffizierauchein Begegnungszentrumein- gerichtet,in dem 1947daserstedeutsch-französische Historikertreffen stattfand. 1950wurde dasZentrumvom Bun- desjugendring alsTreffpunktfür deutsche und ausländische Jugendleiterausgebaut.

Von derMainzerUniversitätkamen starke Impulsefür die seit 1947anlaufenden internationalen SommerkursemitStuden- ten aus vielen europäischen Ländern,vorallem aus Frankreich; auchdasDolmetscherinstitut in Germersheim spielteindiesem Zusammenhang eine besondereRolle.

Höhepunktderinternationalen Jugendbegegnungen wardas europäische Jugendtreffen aufderLoreley,bei dem aufGrund einerfranzösischenInitiativeinderZeitvom 20.Juli bis6.Sep- tember1951 rund 35000 Jugendliche zusammen- kamen. Die Federführung für die Vorbereitung und InternationalesJugend- Durchführung diesesTreffens,dasunterdem treffen aufderLoreley

249 Motto„Jugend baut Europa“stand,warderrheinland-pfälzi- sche Landesjugendring,derbereits im Februar1948 in KoblenzalsVertretung der„gemeinsamen Interessen der Jugend“ gegründetworden war.Ihm gelang es,Jugendliche aus 14 verschiedenen Nationen zusammenzuführen:60 % kamen aus Deutschland,20 %waren Franzosen,10%Briten, 4%Belgierund Niederländerund 2%Italiener.Eswareine Begegnung dereuropäischen Kulturen,politische Fragen stan- den im Hintergrund. Trotzdem kameszupolitischen Ausei- nandersetzungen,alsder„Rheinische Merkur“inseinerAus- gabevom 17.August 1951 unterdem Titel „Loreleymitrotem Haar“eine kommunistische Infiltration beklagte,die manu.a. anderKritik gegen eine mögliche deutsche Wiederbewaff- nung und gegen dasFranco-Regime festmachte. Eine drei- stündige Pressekonferenzamfolgenden Tagkonntedie Anschuldigungen aus derWeltschaffen.

Daseuropäische Jugendtreffen aufderrheinland-pfälzischen LoreleywarderHöhepunktdervon den Franzosen initiierten Jugendtreffen. Finanzielle Kürzungen infolge desBesatzungs- statuts führten zunächst zu einem erheblichen Rückgang der Jugendbegegnungen. Trotzdem entwickelten sie sichzu einem „HauptinstrumentderUmerziehung“. Letztlichführten sie auchzu dem 1963 gegründeten deutsch-französischen Jugendwerk. Von allen Umerziehungsmaßnahmen derFranzo- sen hatten dieseinternationalen Begegnungen schließlichdie nachhaltigsteWirkung.

d) Umerziehung von Erwachsenen: Die Umerziehung der erwachsenen Deutschenbetrieben die Franzosen miteiner gewissen Skepsis.Sie hätten sichimLeben eingerichtetund seien kaummehrlernfähig,meintetwaRaymond Schmittlein, aufdessen Veranlassung hin die Deutschen zunächst vorallem überdieVerbrechen derNS-Diktatur informiert wurden,und zwarnichtnur durchPresseund Rundfunk,sondernvorallem auchdurchdasKino. Von besondererBedeutung wardabei die Wochenschau.BiszumSommer1947waren dasin Frankreich

250 hergestellteSequenzen,die dann von derin Deutschland pro- duzierten Wochenschau„Blickindie Welt“abgelöst wurden. ZumZweckderrééducation wurden auchbesondereDoku- mentarfilme aufgeführt.Ein Beispiel ist derKZ-Film „Die Lager desGrauens“,derMitte1946gezeigtwurde. Bereits im April desgleichen Jahreslief in Ludwigshafen derDokumentarfilm „Todeslager“imBeiprogramm. Ein ZweibrückerKino zeigte aktuell zumGeschehen am25. Oktober1946den Vorfilm „NürnbergerProzess“. Inderfranzösischen Zone erschien in diesen Monaten miteinerAuflage von 200 000 Exemplaren die Aufklärungsschrift„DerNürnbergerLehrprozeß“ von Hans Fiedler,in dem die Ethik desNürnbergerTribunalsverteidigt wurde:

„Schon daßein Gerichtdaist,daßetwaszumRichten in Nürnbergerscheint(!),dasdie Vorgänge,die zu diesem Krieg und zur bestehenden Verelendung Europasführten,untersucht und überprüft,ist unsagbarbeglückend.“ Alfred Döblin

Hinterdem Pseudonym„HansFiedler“verbargsichderSchrift- stellerAlfred Döblin,deraus dem Exil zurückgekehrt war,in Baden-Baden für die Franzosen alsLiteraturzensortätig war

251 und zwei Jahrespäterhalf,die Akademie derWissenschaften und derLiteratur in Mainzzugründen (vgl. S.254).

Auchüberdie zwölf Nachfolgeprozessevon Nürnbergwurde in den Wochenschauen nochberichtet.Die Deutschen hatten dafür offenbarbald kein Verständnismehr.SogarderFraktions- vorsitzende derSPD im rheinland-pfälzischen Landtag,Hans Hoffmann,stelltedazu in der34. Sitzung am16.Juli 1948 fest:

„… haben die Alliierten miteinem großen Aufwand anPropa- gandain den NürnbergerSchauprozessen sichbemüht,uns von derSchuld unsererFührerund unsererMitschuld alsden Geführten zu überzeugen. Ichverratekein Geheimnis,wenn ichsage,daßdasdeutsche Volk,weithin abgestumpftgegen Propagandain jederFormund hinlänglichbeschäftigtmitden Sorgen umseine nackteExistenz,sichsolcherArt moralischer Bekehrungsversuche nichtin dem erwarteten Maße geneigt und empfänglichgezeigthat.“

Die kulturellen AngebotederFranzosen stießen offenbarauf größereAkzeptanz.Dasbetrafdie Theatergruppen,die im Lande unterwegswaren,die Dichterlesungen,die Wanderaus- stellungen,vorallem auchdie Kunstausstellungen,die den Deutschen wiederden freien Blickaufdie während desDrit-

252 ten Reichsverschlossene kulturelle Vielfaltermöglichten. EinerderHöhepunktewardie Ausstellung „Moderne franzö- sische Malerei“,die bereits 1946in derdamaligen Mainzer „Kunsthalle“,dem Haus amDom,gezeigtwurde. Die Palette der130 Werke von 100 Künstlernreichtevom Impressionismus biszur École de Paris.Die Resonanzwarüberwältigend. So konnten die Franzosen zwarden HungernachBrotund Kar- toffeln nichtstillen,aberden nachKunst und Kultur,zumalauf ihreVeranlassung und mitihrerUnterstützung beinahe flächen- deckend auchneueBildungseinrichtungen gegründetwurden.

Aufdem Gelände einerehemaligen Wehrmachts- Wiedereröffnung der kaserne wurde bereits im Mai1946die 1476/77 MainzerUniversität gegründeteund 1798 von den Franzosen aufge- lösteMainzerUniversität„wiedereröffnet“. 1535Studenten und 553Studentinnen immatrikulierten sichfür daserste Semester; schon 1948 wardie Zahl derStudenten auf6000 gestiegen. Die Universitätwarzumindest anfänglichauchals Mittel derUmerziehung gedachtund wurde deshalbden in der französischen Zone bereits existierenden älteren Hochschulen in Freiburgund Tübingen bewusst alsReformuniversität gegenübergestellt.Hiersollteeine demokratische Eliteheran- gebildetwerden,die dasLand und seine Bevölkerung wieder

253 zur Demokratie zurückführen sollte. Umdiessicherzustellen, wurden unbelasteteGründungsprofessoren eingestellt,ein fächerübergreifendesStudiumgenerale eingerichtet,dassich auchderpolitischen Bildungsarbeitannahm,und Studenten- verbindungen verboten,dasie alseine Formderreaktionären deutschen Universitätskultur angesehen wurden,die eszu überwinden galt.

1947folgtedie Gründung derstaatlichen Akademie für Ver- waltungswissenschaften in Speyer,die nachfranzösischem Vor- bild vorallem dasJuristenmonopol in derVerwaltung brechen sollte,und derDolmetscherschule in Germersheim,die den Deutschen die Torezur Weltöffnen sollte. 1949 wurde die Aka- demie derWissenschaften und derLiteratur in Schloss Herns- heim bei Wormsgegründet,deren Literaturklassedernach Deutschland zurückgekehrteAlfred Döblin vorstand und die ihren Sitz in Mainznahm. 1950kamdasMainzerInstitut für Europäische Geschichtehinzu,in dem die Geschichtswissen- schaften nichtmehrnur aus einernationalen,sondernauchaus einereuropäischen Perspektivegelehrt werden sollten. InZei- ten größtermateriellerund geistigerNotbegann damitauch die geistige Erneuerung derMenschen. Die Franzosen hatten darangroßen Anteil.

Wie dasBeispiel dernachdem Vorbild derPariserENA gegründeten heutigen Deutschen Hochschule für Verwaltungs- wissenschaften in Speyerzeigt,wardieserAnteil –wasseine inhaltliche Ausrichtung anbelangt–abernichtvon Dauer. MinisterpräsidentAltmeierbemerktespäter,dass sie „eine guteEinrichtung“ gewesen sei. Allerdingsbeanstandeteer, dass „sie nachdem Wunsch[derFranzosen]leiderunsere Beamten ganzfranzösischausgerichtet“habe,umdann fort- zufahren:„Dasging zu weit.Dasgab heftige Kämpfe. Sie wurde aberbald das,waswirdaraus gemachthaben.“

Sowie derSpeyererAkademie ging esauchanderen Einrich- tungen,mitdenen die Franzosen die Deutschen umerziehen

254 wollten:Sie wurden bald das,wasdie Rheinland-Pfälzerdar- aus machten. Dasbedeutetnicht,dass die Umerziehungspo- litik derFranzosen gescheitert war.Sie beschränktesicham Ende aberdarauf,Entwicklungen eingeleitetzuhaben,die die Deutschen –sobald sie dazu in derLage waren –inihrem Sinne und entsprechend ihrereigenen Tradition fortsetzten. Aber auchdieseTradition hattedemokratische Wurzeln;sie reich- ten in die ZeitderWeimarerRepublik und biszur Frankfurter Nationalversammlung desJahres1848 und derMainzer Republik von 1793zurück(vgl. S.87ff.).

ImÜbrigen waresauchein eigenesAnliegen von Deutschen, aus derVergangenheitzulernen. Auchindiesem Zusammen- hang soll anCarlZuckmayererinnert werden,derunmittelbar nachdem Ende desKriegesin seine Heimatzurückgekehrt war und auchzwei Jahrespäterim November1947bei derUrauf- führung von „DesTeufelsGeneral“ in Frankfurt dabei war.Da diesesStück„Anlaßzu produktiverErregung und Auseinander- setzungen“ gab, hatZuckmayersichden Fragen derMenschen gestellt,1948 auchimRahmen einerVeranstaltung derMain- zerUniversität.Inseinen Lebenserinnerungen heißtesdazu:

„Zwei Jahrehabeichdarangesetzt,in Studenten- und Schülerversammlungen,bei Jugendtagungen, bei jungen Intellektuellen und bei derGewerk- Zuckmayermit schaftsjugend desRuhrkumpels,überall,woman Studentinnen und michwollte,sogarbei den jungen Leuten derehe- Studenten derMainzer maligen Waffen-SS im AnhaltelagerDachau,der Universität,1948

255 deutschen Jugend,die ratlosaus dem Zusammenbruchher- vorgegangen war,Rede und Antwort zu stehen. …Wochen- und monatelang reisteichumher,von Versammlung zu Diskus- sion …DiesesLeben ging überdie menschliche Leistungskraft. AmEnde desJahres1948,nacheinerDiskussions-und Ver- sammlungsreisedurchsRheinland und Ruhrgebiet,bei derich michnur nochmitSchnapsaufrechterhalten hatte,brachich miteinem Herzinfarktzusammen.“

Die Erziehung zur Demokratie warjedenfallsnichtnur eine Auf- gabederFranzosen,nichtnur eine Pflichtderstaatlichen Orga- ne,sondernebensosehrein Anliegen vielerSchriftsteller, Künstlerund anderer,die sichineinerentsprechenden Verant- wortung sahen.

8. Entnazifizierung

Seitdem amerikanische Truppen im Mai1945 in München die Mitgliederkartei derNSDAP sichergestellthatten,wusste man,dass ihrrund 8,5Millionen Deutsche angehört hatten. Knapp eine Million davon vermutetemaninder Ehemalige NS-Partei- französischen Zone,einige Hunderttausend in genossen leisten den Gebieten desheutigen Rheinland-Pfalz.Als Aufräumarbeiten in der ElitederPartei hatten sichSS und Waffen-SS ver- MainzerOberstadt standen,denen 1944 rund 200 000 bzw.900 000 Männerangehört hatten. AmEnde desDritten Reicheswur- den sie ebensoverboten,wie die übrigen Parteiorganisatio- nen und die NSDAP selbst,und zwardurchBeschluss derPots- damerKonferenzAnfang August 1945. Die Parteimitglieder, „welche mehralsnur nominell anihrerTätigkeitteilgenom- men“ hatten,sollten aus dem öffentlichen Dienst und den Füh- rungsfunktionenderWirtschaftentferntund durchdemokra- tischgesinntePersonen ersetzt werden. Solauteteein weitererBeschluss derPotsdamerKonferenz.Erwardie Grund- lage dersog. Entnazifizierung,die in den folgenden sechsJah- ren in allen Besatzungszonen alseine Art politischerReini- gungsprozess durchgeführt wurde,den die Alliierten –soder HistorikerWolfgang Benz–„alsVorbedingung für die künfti- ge Rehabilitierung Deutschlands“und alsVoraussetzung für die Demokratisierung seinerBevölkerung verstanden.

Inderfranzösischen Zone wurden –anders alsin Internierungslager deramerikanischen –nichtalle Personen aufihre Petrisbergbei Trier NS-Vergangenheithin überprüft,sondernnur die Angehörigen desöffentlichen Dienstesund derJustiz,dasFüh- rungspersonalderPrivatwirtschaftund bestimmtefreie Beru- fe wie Ärzte,Anwälte,Journalisten und Geistliche. UmWirt- schaftund Verwaltung wiederin Gang zu bringen,kümmerte mansichzunächst umdie große Zahl derwenigerschwerwie- genden Fälle,während die bekannten und bekennenden Nationalsozialisten in den drei rheinland-pfälzischen Internie-

257 rungslagerninLandau,Diezund Trierzunächst aufihreEntna- zifizierungsverfahren warten mussten.

Von derÜbernahme derBesatzungsgewaltbiszumHerbst 1945 hatten die Franzosen die Entnazifizierung selbst durch- geführt,diesedann aberden Deutschen überlassen und sich nur nochein Aufsichtsrechtvorbehalten. InRheinland-Hessen- Nassauund in derPfalzwurden aufKreisebene Untersuchungs- ausschüsseeingerichtet,die in derPfalzmehreren zentralen Säuberungskommissionen und im Norden sog. Bereinigungs-

258 kommissionen zuarbeiteten,die überdie untersuchten Fälle zu entscheiden hatten. Die Entnazifizierungsorganisation stand in derPfalzunterderLeitung desfrankophilen und parteilosen Oberregierungsvizepräsidenten CarlFelixKochund in Rhein- land-Hessen-NassauunterderLeitung eines„Dreierausschus- ses“,dem biszuseinerErnennung alsRegierungspräsident von Montabaur auchPeterAltmeierund –nachseinem Aus- scheiden –Johann Junglas–angehörten,die beide zu den Mit- begründernderKoblenzerCDU zählten (vgl. S.96). Allen Ent- nazifizierungsorganen gehörten Mitgliederdergerade zugelassenen Parteien an,außerdem VertreterderKirchen,der Gewerkschaften und desöffentlichen Dienstes.Letzteresoll- ten sicherstellen,dass die infolge derEntnazifizierung ausge- sprochenen Entlassungen nichtzumZusammenbruchderVer- waltung und derJustizführen würden. Waren von den Franzosen in den Anfangsmonaten ihrerBesatzung von 45 000 überprüften Personen rund 10000 aus ihrem Amtentferntwor- den,sowurden anschließend bisApril 1947200 000 Perso- nen überprüftund rund 20 000 von ihnen entlassen.

InderBevölkerung,in den Parteien,aberauchinden Kirchen wuchsin dieserZeitdie Kritik amEntnazifizierungsverfahren.

259 Von Willkür wardie Rede und davon,dass die Kleinen verfolgt werden,die Großen aberunbehelligtblieben. Dasumsich greifende Denunziantentumwurde ebensobeklagtwie die sog. Persilscheine für ehemalige NS-Aktivisten. Vorallem bemängeltemandasFehlen einesBerufungsverfahrensund die Beeinträchtigung derVerwaltung durcheine allzu rigide Entlassungspraxis.Die Parteien wiederumverdächtigten sich gegenseitig,die Entnazifizierung zur Diskriminierung despoli- tischen Gegners zu nutzen.

InderBeratenden Landesversammlung wurde dasbisdahin geltende Entnazifizierungsverfahren frontalangegriffen. Der Fraktionsvorsitzende derCDP/CDU PeterAltmeiersprachvon „politischerChristenverfolgung“ und sein Kollege von der SPD, HansHoffmann,von „quasifaschistischen Methoden“. Für Altmeierwardie zumSchutz derDemokratie angeordne- teEntnazifizierung selbst zu einem „Krebsgeschwür für die wer- dende Demokratie“ geworden. Hoffmann formuliertevorsich- tiger:Die Entnazifizierung schaffeein „neuesund schwieriges Problem,nämlichdasderWiedereingliederung derehemali- gen Parteigenossen in den neuen Staat“. Mankann esaber auchwenigerambitioniert ausdrücken:Die Parteien hatten sich gegen die Entnazifizierung in Position gebracht.Zehntausen- de von ehemaligen einfachen NSDAP-Mitgliedernbildeten ein umkämpftesWählerpotenzial. CarlFelixKochstellte1947fest:

„Inallen Parteien findetmandie gleichen Beispiele dafür,daß ihnen die völlig farcenhafteLösung derpolitischen Säuberung willkommen ist.Die Nazi-VergangenheiteinesMenschen ist für eine Partei ausgelöscht,wenn ersichheuteabsolut und enthu- siastischzu dieserbekennt.“

Soüberraschtesnicht,dass die Mitarbeitin den Untersu- chungsausschüssen bald verpöntwar.Die Parteien fanden zeit- weiseniemanden mehr,derdort mitarbeiten wollte,sodass die ArbeitderUntersuchungsausschüssehin und wieder sogarzumErliegen kam.

260 Die Franzosen hatten Mühe,die Kritik derBeratenden Landes- versammlung nachzuvollziehen und sahen in ihr–jedenfalls zumTeil –einen Vorboten desbevorstehenden Wahlkampfes und im Übrigen einen Beleg für die Unverbesserlichkeitder Deutschen. Andererseits wuchsen auchihreeigenen Vorbehal- tegegenüberderEntnazifizierung. Die Deutschen zu entnazi- fizieren,bedeuteletztlichnur ein Herumkurieren anden Sym- ptomen,hieß esin Kreisen derMilitärregierung. Manmüsse sie stattdessen „entdeutschen“ bzw.„entpreußen“,schrieb derfranzösische Germanist Edmond Vermeil,derin dieserZeit schon von Amts wegen mitderUmerziehung derDeutschen in derfranzösischen Zone befasst war.

ImApril 1947wurde dasEntnazifizierungsverfahren noch einmalgeändert,und zwardurchdie „Landesverordnung zur politischen Säuberung im Lande“. Sie beruhteaufeinem MusterentwurfderFranzosen,berücksichtigtestärkeralsbis- herrechtsstaatliche Prinzipien und führteauchzu einem weitgehend landeseinheitlichen Verfahren. Esgab jetzt fünf Belastungskategorien:Hauptbeschuldigte,Belastete,Min- derbelastete,Mitläuferund Entlastete. AnderSpitzeder Entnazifizierungsbürokratie stand ein Landeskommissarfür die politische Säuberung,dem ein politischerLandesbeiratzuge- ordnetwar.ErsterLandeskommissarwurde Johann Junglas, derzudiesem ZeitpunktGesundheits-und Wohlfahrtsminister im Kabinett Boden gewesen war.Esgab öffentliche Ankläger und Spruchkammernmiteinem zumRichteramtbefähigten Vorsitzenden. Sowohl dem politischen Beiratalsauchden Spruchkammerngehörten wiederumVertreterderParteien an. Eine Berufung gegen die Entscheidungen derSpruchkammern warnur bei erstinstanzlichen Verurteilungen zu mehralseinem JahrFreiheitsstrafe und hohen Geld- bzw.Vermögensstrafen möglich. DasneueVerfahren erfülltejedochdie mitihm ver- bundenen Erwartungen nicht.Die nachjuristischen Kriterien vorgehenden Spruchkammernwaren kauminderLage,poli- tische Schuld festzustellen und zu ahnden. Sie entwickelten sich deshalbzu sog. Mitläuferfabriken. Vorallem die politisch

261 schwererBelasteten,die in den oben genannten Internierungs- lagernaufihrEntnazifizierungsverfahren warteten –allein im LagerDiezwaren esim Mai1947noch4000 Internierte–,pro- fitierten davon. Hettierde Boislambert sprachjedenfallsPeter Altmeiergegenüberentrüstetvon einer„entreprisedeblan- chissage“,alsovon einer„Weißwäscherei“.

NachMaßgabederneuen Regelungen wurden von Mai1947 bisMärz 1950landesweitnocheinmalrund 100 000 Personen überprüft.Zusammen mitden bisdahin behandelten Entnazi-

262 fizierungsfällen waren im Land schließlichrund 300 000 Perso- nen kontrolliertworden;daswaren etwaswenigerals10%der Bevölkerung. Dasursprüngliche Ziel derEntnazifizierung –die NS-Aktivisten aus dem öffentlichen Dienst und derSpitzeder deutschen Wirtschaftzuentfernen –warauchinRheinland- Pfalznur zu einem geringen Teil gelungen. Waren 193966 % derBediensteten im öffentlichen Dienst Mitgliederder NSDAP gewesen,sowaren esEnde 1946zwar„nur noch“ 21%,aberAnfang 1950schon wieder37,7%,und selbst die- serProzentsatz stieg in den folgenden Jahren nocheinmalan. Daswarvorallem daraufzurückzuführen,dass viele,die nach 1945 zunächst entlassen worden waren,ab1947/48 als„poli- tischtragbar“eingeordnetoderamnestiert worden waren und wiederin ihreÄmterzurückkehren konnten. Allerdingsunter- schieden sichdie Zahlen je nachVerwaltungszweigund Regi- on zumTeil erheblich. 1950waren etwaim KreisWormsnoch 11,5%derPolizeibeamten ehemalige Nationalsozialisten, während in TrierzudieserZeit72,8%derGrundschullehrerund 58,8%derGymnasiallehrerehemalige Parteigenossen waren. Für FrankenthalgaltÄhnliches.InderStadtverwaltung und im Landratsamtwardie Zahl derehemaligen Parteimitglieder sogarhöherals1939,im Erziehungswesen warsie nur gering- fügig,im Polizeidienst dagegen massivgesunken. Inderrhein- land-pfälzischenJustizwardieSituationAnfang 1950nichtviel anders.Richterund Staatsanwälte,die derNSDAP angehört hatten,waren wiederin führende Funktionen gelangt.Von ins- gesamt110annationalsozialistischen Sondergerichtsverfahren beteiligten Juristen wurden 47wiederin den rheinland-pfälzi- schen Justizdienst übernommen und zumindest einmalbeför- dert,einervon ihnen biszumOberlandesgerichtspräsidenten. AufsGanzegesehen hatten dasBerufsbeamtentumund die Justizalsodie Entnazifizierung „in erstaunlicherpersoneller Kontinuität“(Wehler)überstanden,auchimneugeschaffenen Rheinland-Pfalz.

Mitdem „Dritten Landesgesetz überden Abschluss derpoli- tischen Säuberung in Rheinland-Pfalz“vom 31. Mai1952zog

263 derLandtag–bei nur einerGegenstimme –für Rheinland-Pfalz schließlicheinen Schlussstrichunterdie Entnazifizierung. Die Staatskanzlei vermeldetenichtohne Stolz:„Auchmitdiesem eindeutigen Schlußstrichunterein unerfreulichesKapitel der NachkriegszeitstehtRheinland-PfalzmitanersterStelle unter den LändernderBundesrepublik.“ Bereits 1949 wardieser Schlussstrichvon Dolf Sternbergerangeregtworden:

„Manfühlt,manmußeine positiveneueOrdnung schaffen und darumein weitesHerz haben,viele Chancen geben,viele tole- rieren,die gesternFeinde waren.“

Eswuchsbei vielen die Erkenntnis,dass dasLand,dasvon den alliierten Siegermächten eine zweiteChancezumNeuaufbau seinerDemokratie erhalten hatte,seinen möglichen Gegnern im Innerneine ebensolche Chancegewähren sollte–soweit sichdieseben nochvertreten ließ. Damalshattemandie Hoff- nung,dass die Integration der„Ehemaligen“ die junge Demokratie wenigerbelasten würde alsderen Ausgrenzung. HeutewirdmansichmitderVermutung begnügen müssen, dass dieseIntegrationsversuche die ersten Schrittebeim Auf- baueinerdemokratischen Ordnung jedenfallsnichtwesentlich behindert,die Demokratisierung desLandesabereherverzö- gert haben. Immerhin waresgelungen,die NS-Aktivisten von den Schaltstellen derpolitischen Machtzuverdrängen und dort einen dauerhaften Elitewechsel herbeizuführen. Später solltesicherweisen,dass auchdie ehemaligen Mitläuferkeine große Neigung mehrverspürten,rechtsextremen Parteien ihre Stimme zu geben.

9. Ankunftin derDemokratie

Wie alsofiel die BilanzamEnde der1. Wahlperiode aus und waswarderErtragfür die demokratische Ordnung? Vieles konnteaufder„Haben-Seite“ verbuchtwerden. Die Zusam- menbruchsgesellschafthattesichzu einerAufbaugesellschaft

264 formiert.Andie Stelle staatli- cherAnarchie warstaatliche Ordnung und in begrenztem Umfange auchstaatliche Autoritätgetreten. Die wich- tigsten gesellschaftlichen Organisationen bemühten sich,ihrKlientel andie demo- kratische Ordnung heranzu- führen. Die Ernährungs-und Versorgungslage hattesich nachhaltig gebessert und die Wirtschaftwuchs.Auchwares gelungen,die ehemaligen Nationalsozialisten von politi- schen Ämternfernzuhalten. Andererseits wuchsen die sozialen Gegensätze. Die Lebenshaltungskosten stiegen,auchdie Preiseund die Infla- tion. Die Arbeitslosigkeitwargroß und die soziale Sicherheit gering. Schließlichhattemanesauchnichtverhindernkönnen, dass ein großerTeil derehemaligen Nationalsozialisten wie- deraufihrealten Stellen im öffentlichen Dienst,insbesonde- reimSchuldienst zurückgekehrt waren. Mitanderen Worten: Die Bilanzenthieltpositiveund negativeBuchungen. Sie gab Anlass zur Hoffnung,aberauchzur Sorge.

Ähnlichwurden auchdie Auswirkungen beurteilt,die diese Bilanzaufdie Menschen und ihreHaltung zur demokratischen Ordnung hatte. Sorge bereitetedasfortbestehende politische Desinteresseund die unzureichende politische Mitarbeit. Liest mandie LageberichtederLandräteund Regierungsprä- sidenten,stößtmanbisMitte1948 aufeine endloseLitanei von zumTeil wortgleichen Klagen über„eine große Teilnahmslo- sigkeitund passiveHaltung derBevölkerung gegenüberdem politischen Geschehen“. Auchdie Beratungen und Entschei- dungen desLandtagswurden kaumzur Kenntnisgenommen.

265 LandwirtschaftsministerStübingerstellteinderSitzung des Landtagsvom 4. Juni 1947fest:

„Ichbin überzeugtdavon,wenn ichnundiesesHaus verlas- sen würde und würde michindie Schlangen stellen,die vor irgend einem Bäckerladen in unserem Land von wartenden Menschen gebildetwerden,sowürde ichvon den in Unruhe wartenden Frauen,wenn ichansie die Frage stellen würde, wassie von derheutigen Eröffnung desLandtagshalten, bestimmtnur ein einzigesWort hören:‚GibunsBrot,dasande- reinteressiert unssehrwenig.’“

Offenbargaltdiesfür die gesamteBevölkerung,für die älte- reGeneration ebensowie für die Jungen,für Frauen und Män- ner,für Arbeiterund Arbeitslose. Auchdie Studenten dergera- de erst gegründeten MainzerUniversitätmachten keine Ausnahme. Derfranzösische Philosoph Emmanuel Mounier (1905–1950)sahsichjedenfalls1947veranlasst,in dererste Ausgabederneuen Studentenzeitschrift„Die Burse“ gegen die umsichgreifende apolitische Haltung derStudenten anzu- schreiben. Inseinem Grußwort hieß esu.a.:

„Junge Deutsche,junge Akademiker,alsIhrSoldaten waret, hatmaneuchgelehrt,daßesdie erstePflichtdesSoldaten sei, nichtzufliehen. Die erstePflichtdesMenschen ist,nichtzuflie- hen. Die erstePflichtdesStaatsbürgers ist,nichtzufliehen. BeschäftigtEuchmitLatein,Ethnographie,Philologie,analy- tischem Denken. AberfaßtLatein,Ethnographie,Philologie und mathematische Analysen nichtalsZufluchtstätteauf,um dort zu vergessen,daßEuerLand,daßEuropa, daßMillionen von Menschen,die gegenwärtig unglücklichsind odereszu werden drohen,Euchaufrufen,Euchganzpersönlich,Ihr Fachleutedergeistigen Erkenntnis,daßIhrdie Probleme auf- helltund sie vorderVerzweiflung rettet…Sagtnicht,fort mit derPolitik! IhrwerdetsounbewußtPolitik machen,und zwar die schlechteste. Seid Führerzur Wahrheitund keine Mit- läufer.“

266 Erst Mitte1948 wurden ersteAnzeichen für ein steigendes InteressederBevölkerung anpolitischen Dingen registriert. DerTriererRegierungspräsidentberichtetjedenfallsam25. Mai 1948 im Zusammenhang mitdem Ost-West-Gegensatz und dem Marshall-Planvon „politischem Interesseinderbreiten Bevölkerung“. Abersie warnichtvon Dauer.Inderzweiten Jahreshälftebegann ein massiverMitgliederschwund bei den politischen Parteien. Die SPD verlorim Land zwischen Mitte 1948 und Ende 1950ein Viertel ihrerMitglieder; daswaren fast 10000 Frauen und Männer.Imselben Zeitraumging auchdie Zahl derOrtsvereine zurück,wenigergravierend zwar,aber dochinnennenswertem Umfang. Gab es1948 landesweit831 dieserlokalen Parteigliederungen,sowaren es1950nur noch 725. DerCDU erging esnichtviel besserund den Gewerk- schaften auchnicht.AlsderLandesgewerkschaftsbund zur Durchsetzung von Lohnerhöhungen am20.August 1948 einen Landesprotesttagmiteinem einstündigen Generalstreik in allen Betrieben desLandesdurchführen wollte,wardie Reso- nanzgering. Nur wenige Betriebewurden bestreikt,zumTeil gab esnochnichteinmalProtestkundgebungen,und woes– wie in Mainzund Ludwigshafen –zu Demonstrationen kam, verließen die Arbeitervorzeitig die Veranstaltungen. Alsdie ersteWahlperiode desLandtagszuEnde ging,konstatierte mandementsprechend eine verbreitete„Ohne-mich-Hal- tung“,die unterdem Schlagwort vom „Politischen Nihilismus“ sogarzueinem wichtigen Wahlkampfthemawurde. Adolf Süsterhenn,derdamalige Justiz-und Kultusminister,nahm in einem Artikel derRheinpfalzvom 24. April 1951 dazu wie folgt Stellung:

„PolitischerNihilismus bedeutetalsoeine völlig ablehnende Haltung desMenschen gegenüberallem,wasmitPolitik zusammenhängt…Die Vertretereinersolchenpolitischen Ent- haltsamkeitbetrachten sichselbst meist alsbesonders klugund fortschrittlich. Sie argumentieren gernmitdem Schlagwort, daßPolitik den Charakterverderbe,bedenken abernicht,daß in WirklichkeitschlechteCharakteredie Politik verderben.“

267 Die Liberalen griffen dieseProblematik sogarin einem Wahl- kampfgedichtaufund reimten:

„Herr ‚Ohne mich’ ist stets dagegen und fühltsichallen überlegen! Die Klugen überhören sein Geschrei und wählen alle Listedrei!“

Umsoerleichterterwaren alle,alsdie Wahlbeteiligung höher ausfiel,alserwartetworden war.Mit74,8%warsie zwaretwas geringeralsbei derLandtagswahl 1947(77,9%)und derBun- destagswahl 1949 (79,4%),aberhöheralsbei den Kommu- nalwahlen 1948 (73,7%). Außerdem wardie Zahl dergültigen Stimmen erheblichangewachsen,und zwarvon 89,4%bei der Landtagswahl 1947über91,3%bei derGemeinderatswahl 1948 auf94,6%bei derBundestagswahl 1949 und 95 %bei derLandtagswahl desJahres1951. Die Zahl derWähler,die 1951 aus Protest ungültig wählten,hattesichalsoimVergleich zumJahr1947halbiert.Inabsoluten Zahlen gerechnetwardie Zahl derabgegebenen StimmenimVergleichzu 1947von knapp 1,3Millionen aufmehrals1,5Millionen sogarbeacht- lichangewachsen.

Nochbemerkenswerteralsdie vergleichsweisehohe Wahlbe- teiligung wardasWahlergebnisselbst.Obwohl im Vergleich zur ersten Landtagswahl von 1947sieben weitereParteien bzw. Wählervereinigungen angetreten waren,hatten die Christde- mokraten,die Sozialdemokraten und die Liberalen ihrStimm- ergebnisinsgesamtin etwahalten können. Die Parteien,die nichtaufdem Boden derdemokratischen Ordnung standen, gehörten dagegen zu den großen Wahlverlierern. Dasgaltins- besonderefür die KPD, deren Stimmergebnismehralshalbiert wurde;wegen derneueingeführten 5%-Sperrklausel warsie mitihren 4,3%auchnichtmehrim neuen Landtagvertreten. NocheindeutigerwardasVotumgegen den „Bund derHei- matvertriebenen und Entrechteten (BHE)“ und die „Deutsche Reichspartei (DRP)“,die nur 1,9%bzw.0,5%derStimmen

268 erhalten hatten. ZumKlientel desBHE gehörten außerden Flüchtlingen vorallem alteNationalsozialisten,die sichalsEnt- rechteteansahen und dazu beitrugen,dass derBHE zwei Jahre spätermit5,9%inden Bundestageinzog.

Mitdem rheinland-pfälzischen Wahlergebnissetztesichein all- gemeinerLernprozess fort,derbei den Alliierten begonnen und amEnde auchdie Bevölkerung erreichthatte. Die Ame- rikanerhatten sichanders alsnachdem Ersten Weltkrieg nicht aus Europazurückgezogen. Die Verfassungsgeberhatten sich bemüht,die KonstruktionsfehlerderWeimarerDemokratie zu vermeiden. Die politische Arbeitvon Landtagund Landesre- gierung warvom neuen demokratischen Geist und damitvon größererSachlichkeitund Fairness geprägt,und die großen gesellschaftlichen Organisationen hatten sichumdie Einbin- dung ihrerKlientel in die demokratische Ordnung bemüht.In diesem Sinne waresein AktneugewonnenerEinsicht,dass sichauchdie Bevölkerung bei ihrerWahlentscheidung aufdie- jenigen Parteien konzentrierte,die aufdem Boden derneuen demokratischen Ordnung standen.

Zusammen mitdervergleichsweisehohen Wahlbeteiligung rechtfertigtdiesesWahlergebnisauchdie Feststellung,dass die Bevölkerung im April 1951 in derdemokratischen Ordnung angekommen war.Dagegen sprichtauchnichtdasallseits beklagteDesinteressederMenschen anpolitischen Angele- genheiten. DiesesDesinteressewarwedereine rheinland-pfäl- zische nocheine deutsche Besonderheit.Eswarvielmehrkenn- zeichnend für alle europäischen Gesellschaften,die unterdem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen zu leiden hatten. Zu ihnen gehörteauchdie französische Bevölkerung,die in den ersten Nachkriegsjahren nichtwenigerapathischund orientie- rungsloswar,wie die Deutschen eswaren. Dasbelegen die sog. Präfektenberichte,die in besternapoleonischerTradition monatlichinden französischen Departements erstelltund an dasInnenministeriumnachParisgeschicktwurden,umüber den „étatd’ esprit“derBürgerzuberichten. Auchinihnen war

269 immerwiederund überJahrehinweg von Apathie und Resi- gnation und von mangelndem InteresseamSchicksalder Nation und derVerfassungsfrage die Rede. Sowardasumsich greifende politische DesinteresseinersterLinie dem Nach- kriegselend geschuldet,gerade auchinDeutschland.

Immerhin machten die Menschen die Erfahrung,dass ihnen dasparlamentarisch-demokratische System bei formaler Erfüllung ihrerdemokratischen Pflichteine „emotionale Aus- zeit“erlaubte,in dersie ihrprivatesLeben neuorganisieren konnten,ohne zusätzlichpolitische Verantwortung überneh- men zu müssen. ZwarwarauchihreAnkunftin derDemokra- tie damitzunächst nur formalerNatur,aberdasgenügte,um die neueOrdnung immerhin akzeptieren zu können. Eswarein ersterSchritt.WeitereSchrittemussten folgen,insbesondere eine verstärkteMitarbeitin politischen Dingen und damitder Schritt von einerpassiven Akzeptanzzur aktiven Befürwortung. Eine Lebensform,die auchnichtpolitische Bereiche umfasste, warsie zu diesem Zeitpunkt–von gewissen Mitbestimmungs- regelungen im Wirtschafts-und Sozialbereichabgesehen – ohnehin nochnicht.Manche beklagten dies,etwaderSozial- demokratKarlKuhn,derin derabschließenden Landtagsabgeordneter Sitzung derBeratenden Landesversammlung KarlKuhn feststellte:

„Wenn er[derLandtag]sichals souveränerVertreterdesVolkes erachtet,haterzubedenken, daßererst im Anfangspunkt einerdemokratischen Entwick- lung steht.DasVolk soll in die Demokratie hineinwachsen. Es soll Stufe nachStufe zur vollen- deten Demokratie aufsteigen. Dasdemokratische Vollgefühl derVolksvertretermußvordie- serTatsache zurückstehen. Es

270 ist bitterfür alle meine Freunde,denen Demokratie keine Regierungsmethode,sondernein Lebensgesetz ist,sichindie- sem engen Rahmen bewegen zu müssen. Eswirddahereine AufgabedesLandtagssein,alle davon zu überzeugen,daß dieserenge Rahmen nichtaufdie DauerGesetz bleiben kann. DasZiel derzukünftigen Volksvertretung wirddarin bestehen, durchBefreiung von Furchtund Notdie unveräußerlichen Güterderdemokratischen Grundhaltung in Staat,Gesellschaft und Wirtschaftzuerschließen.“

Die französische Besatzungsmachthatteden Weg derRhein- land-Pfälzerzur Demokratie erleichtert,aberzugleichauch erschwert.Sicherlichwaresin den ersten Nachkriegsjahren hilf- reich,dass die Westalliierten keine Alternativezur Demokra- tie zugelassen und diesederBevölkerung gleichsamoktroy- iert hatten. Denn sovage und unbestimmtderZweckwar,den die Franzosen mitdem neugegründeten Land verfolgten,so eindeutig und kompromissloswaren sie,alsesdarumging, dem neuen Land demokratische Strukturen und seinerBevöl- kerung eine demokratische Gesinnung zu vermitteln. Fraglos hattediesden Menschen amMittelrhein den Bruchmitdem Nationalsozialismus und die Orientierung hin zur Demokratie erleichtert.Gleichzeitig erschwertedie Art,wie die Franzosen ihrBesatzungsregime ausübten,die Akzeptanzderdemokra- tischen Ordnung,denn mehralsin den beiden anderen West- zonen praktizierten die Franzosen ein System von „Befehl und Gehorsam“ und viel längeralsdie Amerikanerund Briten brauchten sie,umden rheinland-pfälzischen Verfassungs-und Verwaltungsorganen eigene Zuständigkeiten und derBevölke- rung schrittweiseSelbstverantwortung zu übertragen. Erst Mitte1949 –drei JahrenachderGründung desLandes– gewährtedasBesatzungsstatut den Rheinland-Pfälzerndiesel- ben Selbstbestimmungsrechtewie ihren Landsleuten in den übrigen Bundesländern. Alsdie ersteWahlperiode desLand- tags1951 zu Ende ging,stelltedeshalbauchdasfranzösische Besatzungsregime kein unüberwindbaresHindernismehrfür die Akzeptanzderdemokratischen Ordnung dar.

271 10.Fazit

DerUntergang derWeimarerRepublik hattegezeigt,dass eine stabile Demokratie mindestensvon zwei Voraussetzungen lebt: von einerfunktionsfähigen demokratischen Ordnung und einer hinreichenden Zahl von Demokraten,die dieseOrdnung am Leben halten und sie notfallsauchverteidigen würden.

Nachdem ZusammenbruchdesDritten Reichesgab eszwar auchdas„andereDeutschland“,Antifaschisten und Demokra- ten aus WeimarerZeiten. Sie hatten beim Aufbauderdemo- kratischen Ordnung Verantwortung übernommen,abersie waren nichtsozahlreich,wie manessichgewünschthätte. Die meisten Menschen mussten erst nochvon derDemokratie überzeugtwerden und davon,dass essichlohnt,für sie ein- zutreten. DieseAufgabeoblagallen,die amAufbauderdemo- kratischen Ordnung beteiligtbzw.Teil dieserOrdnung waren.

Landtagund Landesregierung führtenden Nachweis,dass die neueparlamentarisch-demokratische Ordnung funktionierte und in derLage war,auchunterden Bedingungen einesBesat- zungsregimesstaatliche Autoritäthervorzubringen und die RechtederBürgerzuwahren. Kirchen,Parteien und Gewerk- schaften trugen dazu bei,dasKirchenvolk,die Parteimitglie- derund politischInteressiertesowie die organisierteArbeiter- schaftandie neuedemokratische Ordnung heranzuführen. Mit Hilfe derWährungsreform,derEinführung derMarktwirtschaft und desMarshall-Planesgelang esden USA und den jeweils zuständigen deutschen Stellen,die Ernährungs-und Versor- gungslage auchimneuen „rhein-pfälzischen Land“ nachhal- tig zu verbessernund die WirtschaftzumWachstumzu brin- gen. Schließlichwaresdurchdie Entnazifizierung auch gelungen,die ehemaligen NS-Aktivisten von den Schaltstel- len derpolitischen Machtzuentfernen bzw.fernzuhalten. Auch wenn nochvielesim Argen lag,esvorallem nochkeinen sozia- len Rahmen für die Marktwirtschaftgab und die Ergebnisseder begonnenen „Umerziehung“ bzw.„geistigen Erneuerung“

272 nochnichtabzusehen waren,waren die ersten demokratischen Aufbauleistungen groß genug,umdie Menschen andie par- lamentarisch-demokratische Ordnung heranzuführen. Dies bestätigen die hohe Wahlbeteiligung bei den diversen Wah- len,die zwischen 1946und 1951 in Rheinland-Pfalzdurchge- führt wurden,und die ErgebnissedieserWahlen,die die demo- kratischen Parteien stärkten und extremen Parteien eine Absage erteilten.

Die Akzeptanzderdemokratischen Ordnung warallerdings zunächst nur formalerArt.Von eineraktiven Befürwortung der neuen Ordnung konntenochkeine Rede sein. Dasbelegtdas große politische Desinteresse,dasin den ersten Nachkriegs- jahren herrschte. Eswarallerdingskennzeichnend für die meis- ten westeuropäischen Gesellschaften,die unterdem Krieg und seinen Folgen zu leiden hatten. Insoweitunterschied sichdie Lage z.B.inFrankreichnichtvon den LändernseinerBesat- zungszone.

ImÜbrigen beschränktesichdie Akzeptanzaufdie Demokra- tie alsStaatsform. AlsLebensformwurde sie in dieserZeitvon den wenigsten begriffen.

273

V.KONSOLIDIERUNG DES LANDES

1. Ungeliebt,aberbegehrt

Während mansichdarumbemühte,die demokratische Ord- nung aufzubauen und die Menschen mitihrvertraut zu machen,mussteauchumden Fortbestand desLandes gekämpftwerden,denn erwurde innerhalbund außerhalbder Landesgrenzen immerwiederinfrage gestellt.Dashing vor allem damitzusammen,dass dasTerritoriumdesneuen Lan- des„zusammengestückelt“war.Esumfasstekeine historisch, wirtschaftlichund kulturell zusammengehörenden Gebiete, sondernfolgtedem VerlaufderZonengrenze,die wiederum besatzungspolitischen Überlegungen geschuldetwar.

Viele Rheinland-Pfälzerwollten deshalbmitihrem jeweiligen Regierungsbezirkwiederin den territorialen Verband zurück, dem sie bis1933 bzw.1945 angehört hatten;dort wurden sie sozusagen mitoffenen Armen erwartet.Dasgaltfür Nordrhein- Westfalen,dasAnsprüche aufdie Regierungsbezirke Trierund Koblenzgeltend machte,die bis1945 zur preußischen Rhein- provinzgehört hatten,deren nördlicherTeil 1946in dasLand Nordrhein-Westfalen eingegliedert worden war.Bayernstreb- tedie Rückgliederung derPfalzan,mitderesinfolge desWie- nerKongressesseit1816verbunden gewesen war,und Hes- sen bekundeteaus demselben Grund sein Interessean Rheinhessen. Außerdem hatteesein Auge aufdie rechtsrhei- nischen Gebietevon Rheinland-Pfalzgeworfen,mitdenen es sein Territoriumabzurunden gedachte. Altekurpfälzische Tra- ditionen führten schließlichdazu,dass vorallem Baden,dasvor einem Zusammenschluss mitWürttemberg-Baden und Würt- temberg-Hohenzollernzu einem Südwest-Staatstand,eben- fallsaufeinen Anschluss derPfalzspekulierte.

Zweifel amFortbestand desLandesergaben sichaußerdem aus seinerwirtschaftlichen Schwäche. Esgab keine Boden- schätzeund –von derLudwigshafenerBASF abgesehen –auch

MinisterpräsidentPeterAltmeier 275 keine Großindustrie. Mittel- und Kleinbetriebewaren durch Demontage und Beschlagnahmeaktionen derFranzosen, Landwirtschaftund WeinbaudurchKrieg und Nachkriegsfol- gen schwergetroffen. Dementsprechend gering wardie FinanzkraftdesLandes,die nichtausreichte,umdie dringends- ten Nachkriegsprobleme in den Griffzu bekommen. Viele sahen in Rheinland-PfalzdeshalbdasArmenhaus derRepublik. Da esohnehin aufdie Unterstützung derfinanzstarken Länder angewiesen war,hielten manche esfür konsequenter,die ein- zelnen Landesteile entsprechend derhistorischgewachsenen Verbindungen andie reicheren Nachbarländeranzuschließen.

Hinzu kamdie Skepsisgegenüberderfranzösischen Besat- zungsmacht,die bis1948/49 nochimVerdachtstand,eigene Ziele mitihrem neugegründeten Land zu verfolgen. Deshalb hafteteihm –mehralsallen anderen LändernderWestzonen –dasOdiumdesProvisorischen an. Kurz gesagt:DasAnsehen des„Retortenstaates“wargeringund seine Zukunftsprogno- seschlecht.

Wertrotzdem aufdasÜberleben desLandessetzte,konnte immerhin aufdie Geschichteverweisen. Sie hattegelehrt,dass auchheterogene Landesteile zusammenwachsen können. Gerade die Gebieteaufdem linken Rheinuferwaren dafür ein gutesBeispiel,denn nachdem WienerKongress wollten weder die Rheinhessen zu Hessen-Darmstadtnochdie PfälzerzuBay- ern,und die Triererund Koblenzerverspürten schon garkeine Affinitätzuden Preußen. Trotzdem waren sie in ihreneuen Staaten hineingewachsen,wasnichtzuletzt die nachderGrün- dung von Rheinland-Pfalzeinsetzenden Rückkehrbestrebun- gen zeigten. Allerdingswaren die Rahmenbedingungen seiner- zeitgünstigergewesen,vorallem deshalb, weil die territoriale Gliederung nachdem WienerKongress jedenfallsnichtvon außen infrage gestelltworden war.Daswarjetzt anders.Rhein- land-Pfalzhattesichnichtnur mitinneren Widerständen,son- dernauchmitNeugliederungswünschen auseinanderzusetzen, die von außen andasLand herangetragen wurden,nämlich

276 von den Alliierten,vom Bund und von einzelnen Nachbarstaa- ten. DerFortbestand desLandesmusstedeshalbanmehre- ren Fronten verteidigtwerden.

2.ÄußereEinflüsse a)Die Alliierten: Alsdie Franzosen dasLand gegründethat- ten,hatten sie esnichtmiteinerBestandsgarantie ausgestat- tet.Sie betrachteten eseherals„Sprungbrett“,umihren Ein- flussbereichauchaufdasnördliche Rheinland und das Ruhrgebietauszudehnen. Mitdiesem Ziel verhandelten sie nochwährend derLondonerKonferenzen in derersten Hälfte desJahres1948 mitden Briten,zu deren Besatzungszone dieseGebietegehörten. Ein gemeinsamesbritisch-französi- schesStaatsgebilde wardasZiel,dasaberamWiderstand der Briten scheiterte,die stattdessen andem von ihnen knapp zwei Jahrezuvorgegründeten Nordrhein-Westfalen festhalten wollten. Soschlossen sichdie Franzosen amEnde dem Votum derLondonerKonferenzan,dasnichtnur den Weg für einen westdeutschen Staatfreigab, sonderndie Ministerpräsidenten derLänderauchaufforderte,nochvorderGründung derBun- desrepublik Deutschland Vorschläge für eine Neugliederung ihrerLändervorzulegen. Obwohl die Alliierten den Minister- präsidenten zu verstehen gaben,dass sie aufabsehbareZeit keine zweiteGelegenheitmehrfür eine Veränderung der Ländergrenzen erhalten würden,konnten sichdie Länderchefs bisOktober1948 nichtaufNeugliederungsvorschläge ver- ständigen. Eine Mehrheitvon sechsgegen fünf derLänder- chefsvotiertefür die Beibehaltung desStatus quo,darunter derrheinland-pfälzische MinisterpräsidentAltmeier,deru.a. seine Kollegen aus Nordrhein-Westfalen,Bayernund Baden aufseinerSeitehatte,mitAusnahme von Hessen alsojene Län- der,die eigentlichanGebietszuwächsen aus Rheinland-Pfalz interessiert waren. Da den Westalliierten mittlerweile erheblich mehranderGründung eineswestdeutschen Staatesalsan dessen Binnenstruktur gelegen war,fanden sie sichmitdem

277 VotumderMinisterpräsidenten ab.Allerdingsmachten sie ihre Ankündigung wahrund schoben künftigen Länderneugliede- rungen erst einmaleinen Riegel vor.

Mitdem Inkrafttreten desGrundgesetzessuspendierten sie dessen Artikel 29GG, derdie Voraussetzungen und das Verfahren für eine Länderneugliederung regelt.Biszum Abschluss einesFriedensvertragesodereineseinvernehmlich festgelegten früheren ZeitpunkteswardamitderWeg für eine Neugliederung derLändervorerst versperrt.Rheinland-Pfalz konnteaufatmen. EshatteZeitgewonnen,umseine ausein- anderstrebenden Gebietsteile zu integrieren,Zeitaberauch, umsichderSorgen anzunehmen,unterdenen die Menschen in derNachkriegszeitlitten. LetztlichwardiesauchderGrund für die Suspendierung desArtikels29GG gewesen. Die Alli- ierten gingen zu Rechtdavon aus,dass den Deutschen gravie- rendereProbleme alsdie Neugliederung ihrerLänderinsHaus standen. Damitmeinten sie insbesondereden Wiederaufbau derWirtschaft,die Regelung desLastenausgleichs,die Ord- nung derFinanzen und die Lösung desFlüchtlingsproblems. ImÜbrigen hatten sie Sorge,dass eine territoriale Umformung derLändereinengebietsmäßigenErdrutschvon Münchenbis Düsseldorfund von FreiburgbisKiel auslösen würde.

b)DerBund: MitderGründung derBundesrepublik Deutsch- land am23.Mai1949 gerietdervon den Alliierten suspendier- teArtikel 29GG in den BlickpunktderNeugliederungsdebat- te. Inseinem Absatz 1warderBundesgesetzgeberbeauftragt worden,dasBundesgebiet„unterBerücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit,dergeschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge,derwirtschaftlichen Zweck- mäßigkeitund dessozialen GefügesdurchBundesgesetz neu zu gliedern“. Gegenstand dieserRegelung waralsodie Neu- gliederung desgesamten TerritoriumsderBundesrepublik. Die Möglichkeit,dieLandeszugehörigkeiteinzelnerGebietsteile zu ändern,warin Absatz 2desArtikels29geregelt,und zwarin einem zweistufigen Verfahren. Eine entsprechende Änderung

278 musstevon mindestenseinem Zehntel derWahlberechtigten in einem Volksbegehren gefordert und sodann aufderGrund- lage einesBundesgesetzesin einem Volksentscheid beschlos- sen werden.

Beide Wege waren zwarwegen derSuspendierung von Arti- kel 29GG zunächst versperrt.Mitdem Hinweis,große Teile der Bevölkerung wünschten eine Länderneugliederung,erhieltder Bund abervon den Alliierten die Zustimmung für die Einset- zung einerKommission,die Vorschläge für eine Länderneu- gliederung ausarbeiten sollte. ImOktober1949 setzteder Bundestagdeshalbeinen „Ausschuss für die gebietliche Neu- ordnung“ unterdem Vorsitz deshessischen FDP-Bundestags- abgeordneten August-Martin Eulerein. Diesersog. Euler-Aus- schuss sprachineinem Zwischenberichtvom 30.Juni 1951 dem Land jede Existenzberechtigung ab.Rheinland-Pfalzsoll- teentwederunterden LändernNordrhein-Westfalen,Hessen und BayernaufgeteiltoderalsGanzesmitHessen vereinigt werden. Allerdingsstieß dieserVorschlagnichtnur aufden

BundeskanzlerKonrad Adenauerin Mainz

Widerspruchderrheinland-pfälzischen Landesregierung,son- dernauchaufVorbehaltebeim damaligen BundeskanzlerKon- radAdenauer.DerVorschlaghattedeutlichgemacht,dass sich eine Länderneugliederung auchaufdie Zusammensetzung des Bundesratesauswirken würde. Bei einerAuflösung von Rhein-

279 land-Pfalzwürden die vierBundesratsstimmen desCDU- geführten Landesund damitauchdie CDU-Mehrheitim Bun- desratverloren gehen. DaranwarAdenauer,dersichvorder Gründung derBundesrepublik nochfür die Angliederung von Trierund KoblenzanNordrhein-Westfalen ausgesprochen hatte,nichtmehrgelegen. UmZeitzugewinnen,setzteereine Kommission derBundesregierung ein,die sichunterdem Vor- sitz desfrüheren Reichskanzlers HansLuthererneut mitder Länderneugliederung befassen sollte.

c)Die Nachbarländer: Auchdie Länder,die anrheinland-pfäl- zischen Gebietsteilen interessiert waren,hatten sichnachder Gründung derBundesrepublik Deutschland neupositioniert. BesondereAktivitäten entfalteteBayern. Den Startschuss gab MinisterpräsidentEhard,alseram30.Juli 1948 im bayerischen Landtagerklärte,den Pfälzernstünden in Bayernalle Türen offen. Umfür einen Anschluss vorbereitetzusein,wurde in den Ministerien derbayerischen Staatsregierung sog. Pfalzrefera- teeingerichtet.Derbayerische LandtagsetzteimMärz 1950 einen aus allen MitgliederndesÄltestenrats bestehenden Pfalzausschuss ein,derjedesJahrzur ZeitderWeinleseindie Pfalzreiste,umsichüberden Rückkehrwillen derPfälzerzu informieren und für einen Anschluss zu werben. Kurz nachder Einsetzung diesesAusschusseswurde im Plenarsaaldesbaye- rischen Landtagsauchder„Bund derPfalzfreunde in Bayern“ gegründet,dem wenig späterschon eine Vielzahl bayerischer Landkreiseund StädtealskorporativeMitgliederangehörten. Außerdem existiertebereits seitEnde 1949 ein von derbaye- rischen Staatskanzlei finanzierterLandesverband derPfälzerim rechtsrheinischen Bayern,dersichwie die genannten Einrich- tungen derWiedervereinigung derPfalzmitBayernverschrie- ben hatte.

Bereits 1949 verwahrtesichdie rheinland-pfälzische Landes- regierung formell gegen dieseWiederanschlussbemühungen. InseinerLandtagsrede zur Frage derLänderneugliederung kamMinisterpräsidentAltmeieraufeinen entsprechenden

280 rheinland-pfälzischen Kabinettsbeschluss zu sprechen und stelltefest:

„Die Landesregierung Rheinland-Pfalzhatvon Berichten Kenntnisgenommen,wonachbayerische Minister,Abgeord- neteund Dienststellen durchBestellung von Pfalz-Referenten in den bayerischen Ministerien,Gründung von Pfalz-Ausschüs- sen,Besuchen,Reden und Veranstaltungen in derPfalz,neu- erdingssogardurchEntsendung einesbayerischen Landtags- ausschussesin die pfälzischen Grenzgebiete,intensive Werbemaßnahmen für die Rückgliederung derPfalznachBay- ernentfalten. Obwohl all dieseMaßnahmen alsnichtoffiziell bezeichnetwerden,läßtsichdabei die amtliche Initiativeund Mitwirkung derbayerischen Regierung nichtbestreiten. Die Landesregierung Rheinland-Pfalzweist daraufhin,daßdie Frage derLänderneugliederung gemäßdem Grundgesetz durchdie Bundesorgane geregeltund …biszumAbschluß einesdeutschen Friedensvertrageszurückgestelltworden ist. Wenn heuteschon alle deutschen Landesregierungen in den Gebieten,die sie im Zuge derNeugliederung zu erwerben trachten,eine Annexions-Propagandaentfalten würden,dann würde eine bedenkliche Unruhe und Unsicherheitin die politische und wirtschaftliche Aufbauarbeithineingetragen werden.“

DiskreteralsBayerngingen Baden und Württemberg-Baden vor.ImAugust 1948 mahntederwürttemberg-badische MinisterpräsidentReinhold Maierdie Befürwortereinessol- chen ZusammenschlussesmitderPfalzausdrücklichzur Vor- sicht.Ähnlichverhielten sichdie hessischen Regierungen mit den Ministerpräsidenten Stockund Zinn,die aberkeinen Zwei- fel daranließen,dass sie Rheinhessen und Montabaur in ihren Staatsverband aufnehmen und derBevölkerung dafür entspre- chende Privilegien einräumen würden. Späterwarsogarvon einerDoppelhauptstadtWiesbaden/Mainzdie Rede. Mit regierungsamtlichen Verlautbarungen hielten sie sichaber zurück.

281 Nordrhein-Westfalen hatteimSommer1948 nochgemeinsam mitRheinland-Pfalzgegen eine Länderneugliederung votiert, weil esim Falle einerEingliederung von Trierund Koblenz befürchtete,selbst zu groß und deshalbgegebenenfalls geteiltzuwerden. MitderGründung derBundesrepublik hatte esseine Haltung geändert.Ministerpräsident Karrikatur aus den Arnold (CDU)wurde zu einem engagierten Ver- Ruhr-Nachrichten vom fechternordrhein-westfälischerAnsprüche auf 09.12.1953 Trierund Koblenzund damitzueinem dereinfluss-

reichsten Gegenspielerdesrheinland-pfälzischen Ministerprä- sidenten Altmeier.Dernordrhein-westfälische Finanzminister HeinrichWeitz starteteimJanuar1951 –alsokurz vorderrhein- land-pfälzischen Landtagswahl –einen weiteren Vorstoß in Sachen Trierund Koblenz,dergroße publizistische Resonanz fand. Für dasLand wardiesvorallem deshalbbedrohlich,weil sichdieserInitiativesofort einflussreiche Kreisederrheinland- pfälzischen CDU und FDP umFranz-Josef Wuermeling und Wilhelm Nowackanschlossen. Denn eineswarklar:Rheinland- Pfalzwürde nur dann fortbestehen,wenn esselbst und mit Nachdruckfür seine Existenzeintreten würde.

282 3.VorbehalteimInneren a)Die Bevölkerung: Die Rheinland-Pfälzerhatten aufdie Grün- dung desLandeszunächst mitZurückhaltung reagiert; von der Verordnung Nr.57hatten sie kaumNotizgenommen. Esgab keine Proteste,aberauchkeinen Jubel,nichteinmalinMainz, dasalskünftige Landeshauptstadtvorgesehen war.Zwarwar hierderHauptstadtbeschluss am11./12.September1946 gefeiert worden,abernichtvon den Deutschen,sondernvom französischen Militär(vgl. S.79). Inanderen Teilen desLandes hattedie Bevölkerung ähnlichreagiert.Ineinem Lagebericht desLandrats von Simmernhieß es:

„Die Nachrichtvon derBildung desneuen LandesRheinland- Pfalzist mitGleichmut und ohne erkennbaresInteresseaufge- nommen worden. Manhätteesin derBevölkerung liebergese- hen,mitdernördlichen Rheinprovinzzusammen einen gemeinschaftlichen Staatzubilden,weil wirtschaftliche und kulturelle Interessen sowie die gemeinschaftliche geschichtli- che VergangenheitBindungen geschaffen haben,die zurzeit wedermitden hessischen nochmitden pfälzischen Gebiets- teilen desneugeschaffenen Landesbestehen.“

EtwasfreundlicherbeurteiltederTriererRegierungspräsident Wilhelm Steinlein am25. Oktober1946die Lage. Die Schaf- fung desneuen Landes–sohieß esin seinem Bericht–„wurde allgemein begrüßt,damansichdavon unterderKontrolle des künftigen Parlaments eine weitergehende Autonomie in Ver- waltungsangelegenheiten und eine Verbesserung derwirt- schaftlichen Lage“ verspreche. Aberauchindiesem Bericht wirddie verbreiteteHoffnung angesprochen,dass die Landes- gründung „vielleichtderersteSchritt zur Bildung einesgröße- ren Landes“sei.

Insgesamtzeigtedie Bevölkerung Mitte1946aberwederan derGründung desLandesnochanseinermöglichen Neuglie- derung ein besonderesInteresse. Daranändertesichauchin

283 den beiden folgenden Jahren kaumetwas.1948 berichtetdie „NeueMainzerZeitung“ davon,dass die Frage derLänderneu- gliederung im Allgemeinen und die desFortbestandesvon Rheinland-Pfalzim Besonderen in derBevölkerung kein Themasei. Eine entsprechende Diskussion setzteerst ein,als die Westalliierten im Juli 1948 die Ministerpräsidenten derLän- deraufforderten,Vorschläge für eine Neugliederung ihrerLän- dervorzulegen. Erst jetzt wurden die Neugliederungswünsche auchinRheinland-Pfalzstärkerartikuliert.

Daskamauchinzwei Vereinsgründungen zumAusdruck,mit denen viele Pfälzerihren Angliederungswünschen Nachdruck verleihen wollten:1949 gründetesichderVerein „Kurpfalz“, derdie Wiedervereinigung derrechts und linksdesRheins gelegenen Gebietederehemaligen Kurpfalzbetrieb, wasletzt- lichaufeinen Zusammenschluss derPfalzmitdem späteren Baden-Württemberghinauslief. VorsitzenderdesVereinswar derfrüherePräsidentderBeratenden Landesversammlung Ludwig Reichert.Zuden prominenten Mitgliederngehörten auchderSozialdemokratFranzBögler,derLiberale FranzNeu- mayerund Hermann Heimerich,den die Amerikanerwährend ihrerBesatzungszeitzumOberpräsidenten derProvinz„Mittel- rhein-Saar“ernannthatten. InKonkurrenzdazu gründeten die pfälzischen Bayernfreunde 1950den Bund „Bayernund Pfalz“ unterdem Vorsitz desCDU-Landtagsabgeordneten Max Schulerund seinesStellvertreters Ludwig Ritterspacher,der 1946/47alsMitglied derBeratenden Landesversammlung Vor- sitzenderdesVerfassungsausschussesgewesen war.ImMärz 1951 zähltederBund rund 700 Mitglieder.Beide Vereine betrieben eine rege Öffentlichkeitsarbeit; die Bayernfreunde verfügten sogarüberein eigenespublizistischesSprachrohr, die ab 1951 sogenannte„Stimme derPfalz“.

Auchwenn die ResonanzdiesesVereinszuBeginn derfünfzi- gerJahrenochgering war,wardie BereitschaftderPfälzer,das Land zu verlassen,offenbargroß. Küppers sprichtjedenfalls davon,dass die Pfälzer„in den Jahren nach1948 ganzzwei-

284 fellosmehrheitlicheine süddeutsche Ausrichtung derPfalz“ gewollthätten. Wie die Stimmung in den anderen Landestei- len war,lässt sichimEinzelnen nichtmehrfeststellen. Jeden- fallsgab esdazu seinerzeitkeine Umfragen. Manche schlos- sen vom ErgebnisderVolksabstimmung überdie Landesverfassung aufdie Einstellung derBevölkerung zum Land. Da sichnur ein Drittel derWahlberechtigten ausdrück- lichfür die Verfassung ausgesprochen hatte(vgl. S.170 f.),war für sie die Volksabstimmung auchein Votumgegen dasLand. DieseSchlussfolgerung trifftabernichtzu.Als1956Volksbe- gehren überden Verbleibdereinzelnen Landesteile in Rhein- land-Pfalzdurchgeführt wurden,warderWunschdasLand zu verlassen dort amgrößten,wodie Verfassung 1947die größ- teZustimmung erhalten hatte:in den CDU-Hochburgen von Daun,Prümund Wittlich,wobiszu33%einen Wechsel ihres RegierungsbezirkesnachNordrhein-Westfalen wünschten. Trotzdem wareswohl richtig,dass in den Jahren nach1948 derWiderstand gegen dasLand auchimvormaligen Rhein- land-Hessen-Nassauoffenbarnichtwesentlichgeringerwarals in derPfalz.

285 b)Die Parteien: Vom ZeitpunktderLandesgründung anhat- ten alle Parteien Probleme mitdem neuen „rhein-pfälzischen Land“,die SPD mehr,die CDU weniger.Für keinen dermaß- geblichen PolitikerwardasLand von Anfang aneine Herzens- angelegenheitgewesen,und keinerhattesichmitihm von Beginn anvorbehaltlosidentifiziert.Dasgaltselbst für Altmei- erund Süsterhenn,die späteramnachdrücklichsten für den Fortbestand desLandeseintraten.Für AltmeierhattedasLand zunächst keinen „Ewigkeitswert“und für Süsterhenn wares nicht„mitdem Griffel Gottesin die Landkarte“ geritzt.Die Vor- behaltederParteien hingen zwarin ersterLinie damitzusam- men,dass sichdasLandesgebietaus dem zufälligen Verlauf derZonengrenzeergeben hatte,landsmannschaftliche und kulturelle Verbindungen trennteund ohne Rücksichtaufdie betroffene Bevölkerung „zusammengestückelt“worden war. AndereBeweggründe kamen aberhinzu:Die SPD befürchte- teaufGrund desbesonderen Zuschnitts desLandeseine dau- erhaftekonservativeMehrheit,die CDU wiederumbezweifelte dessen wirtschaftliche Überlebensfähigkeit.Auchparteiinter- ne Überlegungen spielten eine Rolle. InderCDU etwaver- stärktedie Dominanzdernördlichen Parteigliederungen Ab- spaltungstendenzen bei einerReihe ihrerpfälzischen Parteifreunde. ImÜbrigen steigertedie Geheimhaltungs-und Verschleierungspolitik derfranzösischen Behörden dasMiss- trauen gegenüberden französischen Absichten und die Besorgnis,Frankreichwerde amEnde dasLand oderTeile davon dochnochvom übrigen Deutschland trennen und in sei- nen Einflussbereichbringen wollen. Für die SPD wardasLand deshalbnochviele Jahreein „französischerZweckverband“.

Eskamhinzu,dass esden Parteien nichtgelang,in ihren eige- nen Reihen eine geschlossene Haltung zur Rheinland-Pfalz- Frage herzustellen. InderCDU etwagab eseinen zunehmend einflussreicherwerdenden Kreis,dereinen loyalen Standpunkt zumLand bezog. Altmeierund Süsterhenn gehörten dazu, auchAloisZimmer.Für sie warderFortbestand desLandes auchdeshalbwichtig geworden,weil sie eine Rückkehrdes

286 SaarlandesnachDeutschland nur in Verbindung miteinem Anschluss anRheinland-Pfalzfür denkbarhielten. Daneben gab eseinen zwarnichtganzsoeinflussreichen,aberzahlenmäßig offenbarstärkeren Kreis,derdasLand zwarals„politische Tat- sache“ akzeptierte,aberaufdie ersteGelegenheitwartete, diesezu revidieren. JacobDiel,dererstePräsidentdesrhein- land-pfälzischen Landtags,gehörtezu diesem Kreis.Erhatte seine kritische Einstellung zu Rheinland-Pfalzbereits in seiner Antrittsrede alsLandtagspräsidentam4.Juni 1947offenge- legt.Die Zukunftvon Rheinland-Pfalzsaherin einem „größe- ren westdeutschen Gliedstaat,der–wenn möglich–die fran- zösische Nordzone,Nordrhein-Westfalen und Großhessen umfassen“ müsse;insoweitsei Rheinland-Pfalznur eine Etap- pe aufdem Weg zu einem größeren Bundesland. Ein dritterKreisbe- stand aus ausgewiesenen Gegnern desneuen Landes.Dereinfluss- reichsteunterihnen warwohl Franz- Josef Wuermeling,derbei allen möglichen Gelegenheiten gegen dasLand opponierteund dabei MinisterpräsidentAltmeiermehrals einmaldesavouierte. Erwarübri- gensdereinzige aus derFührungs- riege derrheinland-pfälzischen CDU, derspäteralslangjähriger BundesfamilienministerunterBundeskanzler Landesgegner Adenauerbundespolitische Karrieremachte. Um Franz-Josef Wuermeling ihn alsausgewiesenen Landesgegnerscharten sich jedenfallsviele aus derNord-CDU, vorallem aus dem Rechts- rheinischen. AuchOskarStübinger,Landwirtschaftsministerim Kabinett Altmeier,gehörtemitden meisten Mitgliederndes pfälzischen CDU-Bezirksvorstandes–jedenfallsin den ersten Nachkriegsjahren –zu den Landesgegnern. Solange nichtklar war,obdie Franzosen die Pfalzmöglicherweisedochvom Rest Deutschlandsabspalten würden,hatten sie sichmitNeuglie- derungsforderungen zurückgehalten. AlssichdieseGefahr

287 späterverringerte,wolltesichStübingermitseinen Pfälzer CDU-Freunden dagegen alle Optionen offenhalten. Aufder Sitzung despfälzischen BezirksvorstandesderCDU vom Sep- tember1948 votierten nur achtMitgliederfür ein Verbleiben in Rheinland-Pfalz,zwölf waren für einen Anschluss anden geplanten Südweststaat,dasspätereBaden-Württemberg, und sechsstimmten für eine RückkehrnachBayern.

AuchinderSPD gab esunterschiedliche Auffassungen,aber die Mehrheitwareindeutig gegen dasLand eingestellt.Bereits am4.September1946–alsounmittelbarnachderLandes- gründung –sprachen sichdie Pfälzerund die KoblenzerSPD in einergemeinsamen Protestnotegegen dasneueLand aus, daes„ohne Fühlungsnahme mitallen politischen Kräften des Landes“geschaffen worden sei. Ein Dreivierteljahrspäterlehn- tedie SPD sogardie Landesverfassung ab, weil sie sichimmer nochnichtmitdem Land angefreundethatte(vgl. S.166 f.). Und wiederumein Jahrspäter–imSommer1948 –fassteihr Landesausschuss den Beschluss,Rheinhessen,Hessen-Nassau und Koblenz-Triersollten gemäßdem klaren VotumderBevöl- kerung „wiederin ihrehistorische Verbindung mitdenjenigen Gebieten zurückgebrachtwerden,von denen sie durchBefehl derBesatzungsmächtegetrenntwurden“. Für die Pfalzwurde die Verbindung mitdem Südweststaatvorgeschlagen.

Bemerkenswerterweiseerschien 1951 in derersten Februar- ausgabeder„StaatsZeitung“ aufderTitelseiteein Artikel unter derÜberschrift:„Dr.Schumacher:dasProblem Rheinland-Pfalz ist sehrschwierig und auchnichtdasDringlichste“. Vorder PressehattederSPD-Bundesvorsitzende daraufhingewiesen, dass manhinsichtlichderAuflösung desLandesschon deswe- gen vorsichtig zu Werke gehen müsse,weil andernfallsdie Lösung derSaar-Frage erschwert werden könnte. Damithatte Schumacherein Argumentaufgegriffen,dasAltmeierseit1948 regelmäßig benutzt hatte,umNeugliederungswünsche abzu- wehren. Obwohl die rheinland-pfälzische SPD ansonsten die AutoritätihresParteivorsitzenden nichtantastete,folgtesie ihm

288 in diesem Punktnicht.ImGegenteil:Sie machtedie Frage der Länderneugliederung und damitdie Auflösung von Rheinland- Pfalzzuihrem Dauerthema, auchimWahlkampf.

Protagonist einerNeugliede- rung warvorallem derPfälzer FranzBögler,dersichselbst zum „Landessprengmeister“ernann- teund offen für eine Angliede- rung derPfalzanden im Entste- hen begriffenen Südweststaat eintrat.Aufihn waren letztlich auchalle Beschlüssezurückzu- führen,welche die SPD seitder Gründung desLandesgegen dessen Fortbestand gefasst hatte. Ein vehementerVertreter einerbaldigen Auflösung des Landeswarauchderrhein- hessische Bezirksvorsitzende GünterMarkscheffel, „Landessprengmeister“ derlautstarkdie Wiederherstellung der„natürli- FranzBögler chen Verbindung“ von Rheinhessen und Hessen forderte. Erhatteesin seinem Bezirkallerdingsauchmitkom- promissbereiteren Genossen zu tun,zu denen offenbarauch JakobSteffangehörte,von dem keine Plädoyers für die Auf- lösung desLandesüberliefert sind. Ähnliche Zurückhaltung wurde zumTeil auchvon anderen prominenten Parteigenos- sen geübt.Zuihnen gehörteletztlichauchAdolf Ludwig,für den die Auflösung desLandesnach1948 keine besondere Prioritätmehrbesaß.

DasLand waralsonichtnur in derBevölkerung,sondernauch in den Parteien umstritten:Die CDU hatteesletztlichinihrer Mehrheitals„politische Tatsache“ akzeptiert und warnur in einem gesamtdeutschen Zusammenhang bereit,überseinen Fortbestand zu diskutieren. InderSPD bliebdagegen derpoli- tische Kampf gegen dasLand nochaufJahrehinaus aufder

289 Tagesordnung. Dass sie auchimMärz 1951 die Landtagswah- len verlor,hatdazu sicherlichbeigetragen.

c)Landtagund Landesregierung:Daesin derBevölkerung und in den Parteien Vorbehaltegegen dasLand gab, mussten sie zwangsläufig auchimLandtagbestehen.Wenn es,wassel- ten genuggeschah,zu einem einmütigen Beschluss in derLan- desfrage kam,waren dieseVorbehaltemitHänden zu greifen. Dervon CDU, SPD und Liberalen getragene Beschluss vom 30.Juli 1948 ist dafür ein typischesBeispiel. Darin heißtes:

„Entsprechend derbishereinmütig bekundeten Auffassung desLandtags,daßdasLand Rheinland-Pfalzin seinergegen- wärtigen Formkeine befriedigende Endlösung darstellt,hat ein etwaigerZusammenschlußvon einzelnen Teilen desLan- desRheinland-Pfalzmitanderen Ländernaußervon kulturel- len,sozialen und geschichtlichen Gesichtspunkten vorwiegend von wirtschaftlichen Gesichtspunkten auszugehen. Dabei ist in ersterLinie von dem Willen derin Frage kommenden Bevöl- kerungsteile auszugehen. Sollteeine für die einzelnen Landes- teile verschiedene Lösung nichtdurchführbarsein,ist die Gesamtlösung in derFormderVerbindung unseresLandesmit einem derNachbarländeranzustreben.“

Dieswarzwarkein Beschluss gegen den Fortbestand desLand- tags,abernacheinerbedingungslosen Verteidigung von Rheinland-Pfalzhörteessichauchnichtan. Treffend beschreibtWalterSchmitt,derspätereLeiterderStaatskanz- lei,die Stimmung im Landtag. Ineinem Aufsatz,den eranläss- lichdes40.GeburtstagsdesLandesschrieb, hieß es:

„Wenn etwaim Jahr1950ein Abgeordneteraufdem Podium desParlaments von Rheinland-Pfalzalsvon ,unserem Land’ gesprochen hätte–bezeichnenderweisehatesjaauchkeiner getan–erhätteschallendesGelächterim ganzen Hausegeern- tet,allenfallsin derLautstärke unterden Fraktionen leichtdif- ferenziert.SostarkwardamalsnochdasBewußtsein desPro-

290 visorischen,sowenig erst eine wirkliche Identifikation mitdem Neuen spürbar.“

Da die Landesregierung bisMitte1948 von einerAllparteien- koalition und anschließend von einergroßen Koalition getra- gen wurde,die Ressorts auchdementsprechend besetzt waren,warauchsie nichtgeschlossen für den Fortbestand des Landes.Entscheidend wardeshalb, welche Position Minister-

präsidentAltmeieralsRegierungschef einnahm. Landtagssitzung im Seine eherdilatorische Einstellung zumLand,die KoblenzerRathaus mit ernochwährend derVerfassungsberatungen als den CDU-Abgeordneten VorsitzenderderCDP/CDU-Fraktion anden Tag Zimmer,Hermans gelegthatte,hatteerseitseinerWahl zumMinis- und Ministerpräsident terpräsidenten aufgegeben. a.D.Boden (v.l.n.r.)

DerErhaltdesLandeswurde zu seinem wichtigsten Anliegen. Dashattemachtpolitische,aberauchnationalpolitische Grün- de,denn derin Saarbrücken geborene Altmeierwiesseinem Land die treuhänderische Wahrnehmung dersaarländischen Interessen in derneugegründeten Bundesrepublik Deutsch- land zu.Außerdem warerdavon überzeugt,dass nur derFort- bestand von Rheinland-Pfalz–dasalseinzigesBundesland eine gemeinsame Grenzemitdem Saarland hatte–dessen Rück-

291 kehrin den Kreisderwestdeutschen Ländergewährleisten würde. ImÜbrigen glaubteer,dass gerade Rheinland-Pfalzmit seinerchristlichbeeinflussten Verfassung berufensei,die vom Christentumgeprägten Traditionen seinerBevölkerung zu ver- teidigen. Mitdiesen Argumenten kämpfteergegen alle Neu- gliederungsbestrebungen,die im Land bestanden und von außen andasLand herangetragen wurden,wasinsbesondere 1948 derFall gewesen war,alsdie Ministerpräsidenten im Auf- tragderAlliierten Vorschläge für eine auchRheinland-Pfalzein- beziehende Länderneugliederung vorlegen sollten. Dass das Land in diesen Monaten nichtzur Disposition gestelltwurde, warin ersterLinie Altmeiers Verdienst.Gegen den Widerstand derAlliierten und einesTeilsseinerMinisterpräsidentenkolle- gen setzteeresdurch,dass sichamStatus quoderLänder zunächst nichts änderte(vgl. S.313ff.). Die Ministerpräsiden- tenkonferenzen in Koblenzund aufdem Jagdschloss Nieder- wald sowie derNeugliederungsausschuss derMinisterpräsi- denten waren die wesentlichen Stationen diesesKampfesum den Fortbestand desLandes,bei dem Altmeiervorallem von Adolf Süsterhenn und Hubert Hermansunterstützt wurde.

Sein Erfolg in den Verhandlungen desJahres1948 bildetedie Grundlage,von deraus ersichauchinden folgenden Jahren für die ExistenzseinesLandeseinsetzte. Sowurde erzur Sym- bol- und Integrationsfigur desneuen Landes.Dass ersich dabei seinerMinisternichtimmersichersein konnte,tritt dem- gegenüberin den Hintergrund.Sein Landwirtschaftsminister Stübingertanztezwarhin und wiederaus derReihe,aberschon die beiden SPD-Kollegen Hoffmann und Steffanließen sich mehroderwenigerin die Kabinettsdisziplin einbinden. Für Hoffmann hattediessogarparteipolitische Nachteile. 1949 wurde erunterdem Vorwand,wegenseinesMinisteramtes keine Zeitmehrfür die Parteiarbeitzuhaben,nichtmehrin den pfälzischen Bezirksvorstand gewählt.

Trotz Altmeiers Einsatz für dasLand wardessen Fortbestand aberungewiss.Erwürde letztlichnur dann zu sichernsein,

292 wenn esgelänge,die Bevölkerung von den Vorteilen zu über- zeugen,die für sie miteinerZugehörigkeitzuRheinland-Pfalz verbunden sein würden. Dafür brauchteesZeit,die den Rhein- land-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzernjedenfallsseitder Suspendierung von Artikel 29GG eingeräumtworden war.

4. Konsolidierung a)Die Landesverfassung: Die Konsolidierungsversuche begannen mitdem Inkrafttreten derLandesverfassung. Sie bil- detedie Grundlage für dasZusammenwachsen dereinzelnen Landesteile und eine „Identifikationsbasis“für die Bevölke- rung. Aus ihrkonnteein Landesbewusstsein bzw.ein „Verfas- sungspatriotismus“erwachsen,wie Dolf Sternbergeres1982 mitBlickaufdasGrundgesetz formulierte. Auchinsoweithatte manaus derGeschichtegelernt.Als1816die PfalzzuBayern und dasspätereRheinhessen zu Hessen-Darmstadtgekom- men waren,hatten sichderbayerische König und derhessi- sche Großherzog mitdem Erlass von Verfassungen,die esbis dahin im deutschen Raumnochnichtgegeben hatte,beson- ders beeilt.Inden Verfassungen sahen sie die Möglichkeit,ihre Gebietszuwächse,die sie infolge desWienerKongresseszu verzeichnen hatten,besserund schnellerin ihrStaatsgebietzu integrieren. Inderbayerischen Verfassung von 1818 hieß es bezeichnenderweise,dass sie dazu beitragen möge,im gesamten Land einen „Nationalgeist“zu begründen und wachzuhalten. Aberwie damalswürde esauchjetzt für diese Integration Zeitbrauchen,denn derInhaltderneuen Verfas- sung warnur wenigen bekannt,außerdem warerkompliziert und nichtimmermitderVerfassungswirklichkeitin Übereinstim- mung zu bringen. All diesmussteerlebt,erprobtund letztlich akzeptiert werden. Wiederumwardie Situation nichtanders als zu Beginn deskonstitutionellen Zeitalters.Auchdamalshatten die GebieteamMittelrhein Zeitgebraucht,umsichmitihrer neuen Staatszugehörigkeitabzufinden,und nochmehrZeit, umsie auchinnerlichzu bejahen.

293 b)Traditionsbildung: Für die Entstehung einesrheinland-pfäl- zischen „Wir-Gefühls“bedurfteesaußerdem einer„histori- schen Traditionsstiftung“,wie derfrühereLandtagspräsident Grimm 2002 in einem VortragüberdasGeschichtsbewusstsein in den Ländernfeststellte. Landtagund Landesregierung erkannten diesfrüh. InAusführung von Artikel 74LV kames bereits mitGesetz vom 10.Mai1948 –d.h.kaumein Jahrnach Inkrafttreten derLandesverfassung –zumErlass einesLandes- gesetzes,welchesdasLandeswappen festlegte. Esbestand aus drei Teilen und zeigtein derMitteaufschwarzem Feld einen rotgekrönten, goldenen Löwen,rechts davon aufsilbernem Feld ein rotesKreuz und aufder linken Seiteaufrotem Grund ein silbernes,sechs- speichigesRad. Aufdem Schild ruhteine goldene „Volkskrone“,deren Blätter dem Weinlaubnachemp- funden sind. Die drei Schildsymbole stehen für die historischen Wappen- bildervon Kurpfalz,Kur- trierund Kurmainzund symbolisieren die jahrhundertealteTer- ritorialgeschichteanRhein und Mosel. DieseRückbesinnung aufdie drei rheinischen Kurfürstentümersolltedie auseinan- derstrebenden Regionalidentitäten zusammenhalten,denn sie brachtedie gemeinsame GeschichtezumAusdruck,welche die rheinland-pfälzischen Landesteile während desAlten Reiches verbunden hatte. Aufsymbolische Weiseverband dasWappen damitdie drei Regionalidentitäten zu derangestrebten Lan- desidentität.

Eine ähnliche Zielrichtung warmitderWahl derLandesfarben verbunden. Gegen den anfänglichen Widerstand derFranzo-

294 sen entschied sichderLandtagfür die Farben Schwarz-Rot- Gold,die Farben also,für die sichspäterauchderBundestag entschied,alserdie Nationalfarben festlegte. Gerade die rheinland-pfälzische Entscheidung hatteeine besonders traditionsstiftende Bedeutung,denn schwarz-rot-goldene Fahnen waren im Gebietdesheutigen Rheinland-Pfalzzum ersten MalalspolitischesSymbol verwendetworden:1832,als einige 10000 Menschen aufdem HambacherSchloss für Einheitund Freiheiteingetreten waren.

Die Landesregierung hattesichsehrumeine zügige Zustim- mung derFranzosen zu den neuen Landesfarben bemüht, denn der18. Mai1948 stand unmittelbarbevorund damitder 100.JahrestagderKonstituierung derFrankfurterNationalver- sammlung,die am18. Mai1848 im Zeichen von Schwarz-Rot- Gold den Versuchunternommen hatte,Deutschland auf demokratischerGrundlage zu vereinen. AuchdieseTraditions- linie solltemitderFarbenwahl gezogen werden. ImÜbrigen warder18. MaiauchderJahrestagdesInkrafttretensder Landesverfassung,derseitdieserZeitalsdereigentliche GeburtstagdesLandesgefeiert wird.

Landeswappen,Landesfarben und derVerfassungstagam 18. Maiwaren alsodie Symbole,die aufdie Geschichtedes Landesund sein Selbstverständnishinweisen und damitzusei- nerIdentitätsbildung beitragen sollten. c)Hauptstadtbeschluss: Landesverfassung und Staatssymbo- le waren abernichtmehralseine Art von Initialzündung für das Zusammenwachsen derMenschen. Einen kurzfristigeren Effekterhofftemansichvon derEntscheidung überdie künf- tigeHauptstadtdesLandes.InArtikel 2derVerordnung Nr.57 vom 30.Mai1946hatten die Franzosen Mainzzur Hauptstadt des„rhein-pfälzischen Landes“bestimmt(vgl. S.77),sichaber wegen derfehlenden „baulichen Voraussetzungen“ damitein- verstanden erklärt,dass die Beratende Landesversammlung und die vorläufige Landesregierung,späterauchdererste

295 Schild in Mainz mitden französischen Okkupations-und Annexionszeiten seit1642

Landtagund die neueLandesregierung,ihren Sitz zunächst in Koblenznahmen. Damitwardie Grundlage für den zwei Jahre späterausbrechenden Streitgelegt,obdie Hauptstadtwürde bei Koblenzbleiben oderaufMainzübergehen sollte.

Ende März 1950hatten die Franzosen aufDrängen Altmeiers Artikel 2derVerordnung Nr.57aufgehoben,umdem neuen Land die souveräne Entscheidung überseine Hauptstadtzu ermöglichen,sowie eswenige Monatezuvordie gerade gegründeteBundesrepublik Deutschland mitBlickaufBonn getanhatte. Esfolgten heftige Auseinandersetzungen zwi- schen und innerhalbderParteien und Fraktionen. Wergegen den Fortbestand desLandeswar,warjetzt auchgegen einen UmzugnachMainz.Für ein provisorischesLand –sodie Argu- mentation –brauchtemanauchnur eine provisorische Haupt- stadt.Anderewaren aus Kostengründen gegen einen Umzug oderweil sie sichauchbei einem Umzugkeine nennenswerte Stabilisierung desLandesversprachen,insbesonderekein Ent- gegenkommen der„abtrünnungswilligen“ Pfälzer.Die Fraktio- nen gaben die Abstimmung im Landtagfrei und wunderten

296 sichüberdasErgebnis:Dervom ÄltestenrataufBitten derLan- desregierung eingebrachteAntragaufUmzugnachMainz wurde am4.April 1950mit43zu43Stimmen bei sechsEnt- haltungen abgelehnt.Landesgegnerwie Wuermeling (CDU) und Bögler(SPD)befanden sichebensobei den Umzugsgeg- nern,wie die aus Koblenzstammenden „Landestreuen“ und Altmeier-Vertrauten Hermansund Junglas.Immerhin 13von 48 Abgeordneten derCDU-Fraktion hatten gegen den Umzugs- antragvotiert,alle kamen aus dem Norden. Indergegen den Fortbestand von Rheinland-Pfalzeingestellten SPD-Fraktion wardie Ablehnung gegenüberMainznochgrößer:Von den 34SPD-Abgeordneten hatten nur zehn für einen Umzug gestimmt.Die Liberalen und Kommunisten waren ohnehin dagegen.

DasAbstimmungsergebnisentsprachwederden Erwartungen derFranzosen nochdenen derLandesregierung. Die Franzo- sen waren brüskiert und Altmeieroffenbarschockiert.Er bemühtesichaber–auchaufDruckderFranzosen –bald um eine erneuteAbstimmung. AufAntragvon 42CDU-und SPD- Abgeordneten kamesam16.Mai1950zueinem zweiten Landtagsvotum. DiesesMalwardasErgebniseindeutig:Mit 49 zu 32 Stimmen bei drei Enthaltungen entschieden sichdie Abgeordneten für einen UmzugnachMainz.Ministerpräsident Altmeier–obwohl Koblenzer–hattesein gesamtesPrestige für Mainzin die Waagschale geworfen;die Erkenntnis,dass die Hauptstadtentscheidung für dasLand von existenzieller Bedeutung sein würde,wargewachsen und derDruckder Franzosen wirdein Übrigesgetanhaben. Eine Staatskrise–von dermanche sprachen –warabgewendetworden. Jedenfalls stimmten diesesMal18SPD-Abgeordnetefür Mainz,alsoacht mehralsfünf Wochen zuvor.Die übrigen hatten sichderStim- me enthalten,auchBögler.InderCDU-Fraktion hattenur ein AbgeordneterdasLagerderUmzugsgegnerverlassen und sich den Umzugsbefürworternangeschlossen. Immerhin gab es unterden CDU-Abgeordneten,die am4.April nochgegen einen Umzugvotiert hatten,einige,die anderAbstimmung

297 von vornherein nichtteilnahmen,darunterallein neunKoblen- zer,u.a.auchJunglas.Maßgebend für dasAbstimmungsver- halten warletztlichdie regionale ZugehörigkeitderAbgeord- neten. Unterden Koblenzerund TriererAbgeordneten gab es in beiden großen Parteien nur wenige,die für einen Umzug votiert hatten. Die entscheidende Unterstützung für den Umzugkamaus Rheinhessen und derPfalz.Ob die Entschei- dung von „staatsbildenderBedeutung“ war–wie manche sagen –,magdahingestelltbleiben. Stabilisierend hatsie sich aberin jedem Falle aufdasLand ausgewirkt.

Dervormalige „Central-Ort“desHeiligen Römischen Reiches wurde damitzumZentrumdesneuen Landes.Hatteerim Mit- telalterund in derfrühen Neuzeitdazu beigetragen,dasAlte Reichzusammenzuhalten,sokonntedie Stadtjetzt auchdie verschiedenen Landesteile von Rheinland-Pfalzzusammenbrin- gen. Seine überragende geschichtliche Bedeutung wardafür bedeutsam,seine geographische Lage ebenfalls,auchdie frü- hen Maßnahmen,die Stadtzumgeistigen und wissenschaftli- chen MittelpunktdesLandeszumachen,wozu insbesondere die bereits 1946erfolgteGründung derJohannesGutenberg- Universitätzählt(vgl. S.253). SowarderHauptstadtbeschluss zugunsten von Mainznichtnur wichtig,umdie Rheinhessen gegen eine mögliche Angliederung ihresRegierungsbezirksan Hessen einzunehmen,sie trugauchdazu bei,die Daswiederaufgebaute Landesteile zu einem gemeinsamen Land zusam- Deutschhaus menzufügen.

298 AlsFolge desHauptstadtbeschlusseszogen Wiederaufbaudes Landtagund Landesregierung nachMainz,die BassenheimerHofszum Staatskanzlei im Juli 1950in den BassenheimerHof Sitz derStaatskanzlei und derLandtagam18. Mai1951 in daswieder aufgebauteDeutschhaus (vgl. S.34). Dass mansichfür dieses geschichtsträchtige Gebäude entschied,warnichtdarauf zurückzuführen,dass hier1793dasersteandemokratischen Grundsätzen orientierteParlamentaufdeutschem Boden,der Rheinisch-deutsche Nationalkonventgetagthatte,sondern dem Umstand geschuldet,dass esaußerdem Kurfürstlichen Schloss kein weiteresGebäude in derStadtgab, dasalsPar- lamentssitz infrage gekommen wäre. DasKurfürstliche Schloss wolltedie Stadtdem Land allenfallsaufMietbasiszur Verfügung stellen,wasfür den Landtagnichtin Betrachtkam. ErwollteseineigenesDomizil und nicht–wie zuvorin Koblenz –einen angemieteten Parlamentssitz.

Auchdie einzelnen Ministerien verlegten ihren Sitz von KoblenznachMainz.DasInnenministeriumund dasMinisteri- umfür Unterrichtund Kultur zogen in die Nähe derStaatskanz- lei anden Schillerplatz,dasJustizministeriumindie Ernst-Lud- wig-Straße,dasFinanz-und Wiederaufbauministeriumindie Neubrunnenstraße,dasWirtschafts-und Verkehrsministerium in die Ludwigstraße,dasSozialministeriumindie Uferstraße und dasLandwirtschaftsministeriumanden Fischtorplatz.Die Ministerien derLandesregierung waren alsoüberdie gesam- teInnenstadtverteilt.

299 Für die MitarbeiterderLandesregierung und desLandtagswar immernochnichtgenügend Wohnraumvorhanden. ZumTeil wurden sie in den Holzhaussiedlungenuntergebracht,die nach dem Krieg in den MainzerStadtteilen Gonsenheim und Mom- bachvon und für die Besatzungsmachtgebaut worden waren, darunterdie „Offiziershäuser“,in denen die höheren Dienst- grade derfranzösischen Besatzungsarmee gewohnthatten.

Dass 1955 nur 42%derRheinland-Pfälzerwussten,dass ihrPar- lamentin Mainztagte,während zur gleichen Zeit73%derBay- ernmitMünchen die richtige Antwort geben konnten,darfin diesem Zusammenhang nichtfalschgedeutetwerden,denn München warseitjeherbayerische Hauptstadtund seit1820 auchSitz desbayerischen Landtags.Mainzdagegen beher- bergtegerade erst vierJahredasLandesparlament.Sogese- hen sind selbst diese42%ein respektablesErgebnisund ein Zeichen desbeginnenden Zusammenwachsens.

d) Integrationspolitik: DerHauptstadtbeschluss warnur das signifikantesteBeispiel für die Bemühungen von Landesregie- rung und Landtagsmehrheit,dasZusammenwachsen desLan- deszufördern. Diesem Ziel dienteu.a.auchdie Festlegung von KoblenzalsSitz desLandesverwaltungsgerichts,das zugleichden Verfassungsgerichtshof desLandesbildete. Mit Blickaufdie zeitgleichdurchgeführten Beratungen in der Hauptstadtfrage warim Landesgesetz überdie Verwaltungs- gerichtsbarkeitvom 14. April 1950derSitz desLandesverwal- tungsgerichts nochoffengelassen worden. Erst alsdie Ent- scheidung zugunsten von Mainzgefallen war,bestimmtedie Landesregierung in einerRechtsverordnung vom 20.Septem- ber1950KoblenzalsSitz desLandesverwaltungsgerichts und damitauchdesVerfassungsgerichtshofs.Da fügteessichgut, dass derRechnungshof desLandes,deraufGrund einer Genehmigung derfranzösischen Militärregierung vom 24. Ok- tober1946und derergänzenden Rechtsverordnung dervor- läufigen Landesregierung vom 18. März 1947eingerichtetwor- den war,seinen Sitz in Speyerhatte. AufdieseWeisewaren

300 auchderNorden desLandesund die Pfalzmit ErsterSitz desLandes- wichtigen Einrichtungen bedachtworden. rechnungshofsin der alten Oberpostdirektion Mitdem Landesgesetz überdie Verwaltungsge- zu Speyer richtsbarkeithattederLandtagauchdasVerfahren und die Organisation derVerwaltungsgerichtsbarkeitlandes- einheitlichgeregelt.Bisdahin gab esin den verschiedenen Tei- len desLandesunterschiedliche Regelungen,je nachdem,ob diesezu Preußen,Hessen oderzuBayerngehört hatten. Auch wenn sichLandtagund Landesregierung immerwieder bemühten,den geschichtlichgewachsenen Besonderheiten derLandesteile Rechnung zu tragen,wardochauchdie Ver- einheitlichung derRechtsordnung eine wichtige und zugleich

301 notwendige Voraussetzung für dasZusammenwachsen des Landes.Auchdasging nichtvon heuteaufmorgen:Bisdas zunächst fortgeltende alteRechtvollständig durchneuesLan- desrechtersetzt war,solltenochfast ein Jahrzehntvergehen. Auchmitpersonalpolitischen Maßnahmen versuchtedie Lan- desregierung dasZusammenwachsen dereinzelnen Landestei- le zu fördern. Derpfälzische OberregierungspräsidentFranz Böglerwarvon Altmeier1949 entlassen worden,weil ersich in derLandesfrage keine Zurückhaltung mehrauferlegte. Außerdem wurden die Beamten desLandesangewiesen,sich mitRücksichtaufihrebeamtenrechtliche Treuepflichtjeder Tätigkeitzuenthalten,die aufdie Auflösung desLandesziel- te. Diesrichtetesichvorallem gegen die Mitwirkung im Bund derBayernfreunde,führtedann abersofort zu heftigen Reak- tionen derpfälzischen CDU, deren Bezirksvorstand sich gegen jede Gängelung derBeamten zur Wehrsetzte,davon ihnen kein „politischerGehorsam“ verlangtwerden könne. Diesebeiden Beispiele zeigen,wie kompliziert esin den ersten Nachkriegsjahren war,dasZusammenwachsen desLandeszu fördern.

AmEnde genügteesnicht,die Beamten gegenüberdem Land zur Loyalitätzuverpflichten,die Menschen mussten vielmehr davon überzeugtwerden,dass ihnen dessen Fortbestand auch Vorteile bringen würde. Vorallem die Landesregierung muss- tedeshalbÜberzeugungsarbeitleisten,musstewerben,auf- klären und informieren. DiesgeschahinReden,den frühein- setzenden Kreisbereisungen,bei Parteiveranstaltungen,in Landtagsdebatten und Pressegesprächen. Immerund immer wiederwurden die Vorteile eineseigenen Landesbeschworen und die Nachteile betont,die miteinem Landeswechsel ver- bunden sein würden. Mitguten Gründen konntedie Regierung daraufhinweisen,dass die einzelnen Landesbezirke ihreInter- essen effektiverin einem eigenen Land durchsetzen könnten alsvon einerRandlage aus,in die sie geraten würden,wenn sie sichalsAnnexeinem anderen Bundesland anschlössen. Immerwiederwurde auchaufdie „nationalpolitische Aufga-

302 be“ desLandeshingewiesen,bei einerWiedereingliederung desSaarlandesin den westdeutschen StaatdasSaargebietin daseigene Land aufzunehmen. Altmeierund vorallem Süsterhenn wurden nichtmüde,aufden nachdem Krieg von den Amerikanerngebildeten VerwaltungsbezirkMittelrhein- Saarhinzuweisen,in dem die Saarnochmitden späterrhein- land-pfälzischen Gebieten verbunden gewesen war.Rheinland- Pfalzmusstefortbestehen,wenn manzu diesem Ausgangs- punktzurückwollte. e) Gemeinschaftserlebnisse: Sowie esnichtnur eine Aufga- bederstaatlichen Organe war,die Menschen andie neue demokratische Ordnung heranzuführen,sokonnteauchein Landesbewusstsein nichtnur aufGrund von staatlichen Ent- scheidungen und staatlicherÜberzeugungsarbeitentstehen. Zueinem guten Teil musstesichein rheinland-pfälzischesWir- Gefühl aus derGesellschaftselbst entwickeln. Die Möglichkei- ten dafür waren vielfältig und zahlreich. Rheinland-pfälzische Erfolge bei sportlichen Wettkämpfen etwagehör- ten dazu.Zuden bemerkenswertesten gehörteder DeutscherFußball- Sieg des1. FC KaiserslauternimEndspiel umdie meister1951

303 deutsche FußballmeisterschaftdesJahres1951. Mit2:1sieg- tedie „Walter-Elf“ im BerlinerOlympiastadion gegen die Mannschaftvon Preußen Münster,nachdem sie in den Jahren zuvorbereits wiederholtdie Meisterschaftderfranzösischen Zone gewonnen hatte. Welchen Stellenwert dieserErfolg für den inneren ZusammenhaltdesLandeshatte,zeigtdas Glückwunschtelegramm,dasMinisterpräsidentAltmeierdem Verein und derMannschaft„sofort nachBekanntgabedes Ergebnisses“schickte:

„Hocherfreut überdasErgebnisderFußballmeisterschaft1951 sende ichIhnen meine herzlichen Glückwünsche. Mitder gesamten Bevölkerung desLandesRheinland-Pfalzbin ichsehr stolzaufihren großen Sieg.“

Dass diesesEreignispolitische Dimensionen hatte,erkennt manauchdaran,dass die „StaatsZeitung“,die jaderBericht- erstattung überlandespolitische Themen vorbehalten war(vgl. S.103),in ihrerAusgabevom 8. Juli 1951 unterderÜberschrift „Vorbildliche Leistung führt zumZiel“ überdiesesEndspiel und die Entwicklung des1. FC Kaiserslauternausführlichberichte- te. VerfasserdesArtikelswarder„Beauftragtefür Sportfragen im Ministeriumfür Unterrichtund Kultur“,und eswarsicher- lichkein Zufall,dass erauchaufdie „altesportliche Tradition“ desVereinszusprechen kamund „die Anlage aufdem Bet- zenberg“ als„eine derschönsten vereinseigenen Anlagen in Deutschland“ bezeichnete. SowolltemanauchdasLand Rheinland-Pfalzsehen:ein Land mitgroßerTradition,in dem essichzu leben lohnte. Alsdie deutsche Fußballnationalmann- schaftdrei JahrespäterWeltmeisterwurde,haben dasauch politische Kommentatoren alsden eigentlichen Gründungsakt derBundesrepublik Deutschland bezeichnet.Ganzsoent- schieden wirdmanden Gewinn dernationalen Fußballmeister- schaftdurchden 1. FC Kaiserslauternnichtbewerten können, aberauchertrugzu einem rheinland-pfälzischen Wir-Gefühl und zu einem gewissen StolzaufdasLand bei. Insoweithatte ersicherlichaucheine integrationsfördernde Wirkung.

304 Abernichtnur sportliche Erfolge förderten das Explosionsunglück Zusammenwachsen derRheinland-Pfälzerinnen in derBASF und Rheinland-Pfälzer,gemeinsamerfahrenes Leid hattedieselbeWirkung. Daszeigten zwei große Katastro- phen,die dasLand in seinen Aufbaujahren trafen:Am28. Juli 1948 hatteein ExplosionsunglückinderBASF 207 Menschen- leben und 4000 Verletztegefordert und kein Jahrspäter,am 15. Juli 1949,waren weiteTeile derdurchden Krieg ohnehin schon starkinMitleidenschaftgezogenen StadtPrümebenfalls durcheine Explosion zerstört und dabei zwölf Menschen getö- tetworden. Inbeiden Fällen befasstesichderLandtagmitden Geschehnissen,mitderLudwigshafenerExplosion sogarim Rahmen einerSondersitzung. Minister- Prümnachder präsidentAltmeierund LandtagspräsidentWolters Explosionskatastrophe

305 wandten sichausdrücklich„andie rheinland-pfälzische Bevöl- kerung in Stadtund Land“ mitderBitteumGeld- und Sach- spenden. Inbeiden Fällen wurden Staatsbegräbnisseangeord- net.Die Unterstützung aus derBevölkerung warjeweilsgroß und ein Zeichen dafür,dass sichdie Bevölkerung nichtnur im Erfolg,sondernauchimLeid miteinanderverbunden fühlte.

5. Prognose

Sowarmanchesaufden Weg gebracht,alsdie Landtagswah- len im April 1951 anstanden. Die Menschen mussten nicht mehrhungern,die meisten hatten wiederein Dachüberihrem Kopf und die Wirtschafterlebteeinen Aufschwung. Die demokratische Ordnung waraufgebaut worden,die staatli- chen Organe funktionierten und auchdie Grundlage für ein rheinland-pfälzischesLandesbewusstsein wargelegtworden. DasLand warkein Provisoriummehr.Sowie die Menschen die neuedemokratische Ordnung desLandesakzeptierten,so konnten sie sichprinzipiell auchinihrem neuen rheinland-pfäl- zischen Land zu Hausefühlen. Während esaberzur demokra- tischen Ordnung keine Alternativegab, würde die Bevölkerung überkurz oderlang zwischen Rheinland-Pfalzund seinen Nach- barländernwählen können. Wie lautetealsodie Prognose,als die ersteWahlperiode desLandtagszuEnde ging?

Süsterhenn,deranAltmeiers Seitefür den Fortbestand des Landesgekämpfthatte,analysiertedie Lage Mitte1951 in einerausführlichen Schriftunterdem Titel „Rheinland-Pfalz– Problematik und politische AufgabeeinesLandes“. Seine Ergebnissefielen positivfür dasLand aus.Die Alliierten wür- den „nochlange Zeit“die Suspendierung desArtikels29GG aufrechterhalten. Die Frage derNeugliederung sei deshalb „nochkeineswegspolitischakut“. Selbst wenn eine Neuglie- derung wiederrechtlichmöglichwerde,sei sie „in absehbarer Zeitgarnichtzuerwarten“. Eine Neugliederung dergesam- ten Bundesrepublik Deutschland im Sinne von Artikel 29Abs.

306 1GG sei deshalbäußerst unwahr- scheinlich,weil die Interessen der beteiligten Länderzuunterschied- lich,die Meinungsverschiedenheiten derpolitischen Parteien aufBundes- ebene zu groß und die Vorausset- zungen von Artikel 29Abs.1GG zu unbestimmtseien,umdie territoria- le Gliederung derBundesrepublik insgesamtändernzu können. Für Rheinland-PfalzgelteimPrinzip dasselbe,weil sichhierkeine Mehr- heitfür einen Landeswechsel einzel- nerGebietsteile finden würde. Das gelteinsbesonderefür die Pfalz, weil die Auffassungen derdortigen Bevölkerung sogegensätzlichseien,dass sich Adolf Süsterhenn „keine positiveMehrheitfür den Anschluss der Pfalzanirgendein anderesLand zusammenbrin- gen“ lasse.

SüsterhennsEinschätzungen erwiesen sichnichtin allen Punk- ten alsrichtig:Die Alliierten hoben bereits 1955 die Suspen- dierung von Artikel 29GG auf,sodass bereits 1956die not- wendigen Volksbegehren für eine Neugliederung des Landesgebietesdurchgeführt werden konnten. Eine Neuglie- derung derBundesrepublik Deutschland erwiessichdagegen tatsächlichalssoproblematisch,dass sie –wie von Süsterhenn vorhergesehen –bisheutenichtrealisiert werden konnte. Im Übrigen fand sichinden einzelnen Landesteilen von Rheinland- Pfalzauchkeine Mehrheitfür den Anschluss aneinesderNach- barländer.Allerdingswardie Lage nur in derPfalzsoeindeu- tig,wie sie Süsterhenn gesehen hatte. Die dortigen Volksbegehren,die sichalternativfür einen Anschluss an Baden-WürttembergoderBayernaussprachen,blockierten sichgegenseitig,sodass keinesdasnotwendige Quorumvon 10%derWahlberechtigten erreichte. Inallen anderen Landes-

307 teilen wardasErgebnisderVolksbegehren knapperalsvon Süsterhenn 1951 erwartetworden war:14,2%derKoblenzer und Triererstimmten für einen Anschluss anNordrhein-West- falen,25,3%waren im RegierungsbezirkMontabaur für eine Angliederung anHessen und immerhin rund 20 %derRhein- hessen wolltewiederzurückindashessische „Mutterland“. Ins- gesamtentschieden sichimmerhin 361572 Rheinland-Pfälzer im Jahre1956gegen ihreigenesLand. Die Vermutung liegt nahe,dass dieseZahl nochgrößergewesen wäre,wenn die Volksbegehren bereits 1951 durchgeführt worden wären, aberselbst die Zahlen aus dem Jahre1956sind beachtlich hoch,wenn mansie etwamitdem ErgebnisderVolksabstim- mung aus dem Jahre1947vergleicht.Damalshatten 579000 Wahlberechtigtefür und rund 514 000 gegen die Verfassung votiert.Mitanderen Worten:Rheinland-PfalzwaramEnde der ersten Wahlperiode desLandtagszwarkein Provisoriummehr, aberseine Existenzwarnochlängst nichtgesichert.

6.Fazit

Fragtmannachden Gründen,weshalbdas1946aus derTaufe gehobene Land in derNachkriegszeitnichtauseinanderbrach, wirdmanzwischen derZeitvorund nachderGründung der Bundesrepublik Deutschland zu unterscheiden haben. Inder ZeitvorderGründung wareszumeinen die mangelnde Bereit- schaftderAlliierten,eine Neugliederung zuzulassen,die zu einerRevision derZonengrenzegeführt hätte. Zumanderen waresaberauchdem Einsatz von MinisterpräsidentAltmeier und einigen seinerParteifreunde zu verdanken,dass dasLand in seinem 1946festgelegten territorialen Bestand überlebte. Dasgiltinsbesonderefür die ZeitnachderÜberreichung der FrankfurterDokumenteimSommer1948. Alsdie Bundesrepu- blik im Mai1949 konstituiert wurde,verhindertevorallem die Suspendierung desArtikels29GG eine Neugliederung des Bundesgebietesund damitaucheine Auflösung desLandes Rheinland-Pfalz.Alsdie Suspendierung 1955 aufgehoben

308 wurde,trugdasfehlende InteressedesBundesaneinerNeu- gliederung zumFortbestand desLandesbei. Alserin den 1970erJahren endlichdie notwendigen gesetzlichen Grund- lagen für die Durchführung von Volksentscheiden erließ,hatte sichdasLand längst stabilisiert und seine Bürgerinnen und Bür- gerhatten in ihrergroßen Mehrheiterkannt,dass Rheinland- Pfalzmehralsein Provisoriumwar.

309

VI.„GLIEDSTAAT“DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

1. LondonerKonferenz

AlsdasLand gerade dabei war,mitHilfe derWährungs-und Wirtschaftsreformsowie desMarshall-Planesseine Bevölke- rung für die demokratische Ordnung zu gewinnen und Land- tagund Landesregierung die ersten Schrittezur Konsolidierung desLandesunternahmen,gab esin den drei Westzonen ins- gesamtelf und in dersowjetischbesetzten Zone fünf Länder. Esexistierteabernochkein deutscherGesamtstaat.ImJanu- ar1947warlediglichdie amerikanische mitderbritischen Zone zu einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet,dersog. Bizone, zusammengefasst und im Mai1947dafür u.a.ein von den Landtagen derbeiden Zonen beschickterWirtschaftsrateinge- setzt worden. Die Einbeziehung derfranzösischen Zone in die- ses„VereinigteWirtschaftsgebiet“wurde zwarvom rheinland- pfälzischen Landtagund derLandesregierung wiederholt gefordert,sie scheiterteaberamWiderstand derFranzosen. AuchaufderLondonerKonferenz,zu derim Frühjahrund Früh- sommer1948 die drei Siegermächteund die Vertreterder Benelux-Staaten zusammengekommen waren,umihrekünfti- ge Deutschlandpolitik aufeinanderabzustimmen,wardie Tri- zone nichtzustande gekommen,sondernnur eine engerewirt- schaftliche Zusammenarbeitzwischen derBizone und der französischen Zone vereinbart worden,die dann auchinder Währungsreformund im Marshall-Planihren Ausdruckfand. Die Einbeziehung dersowjetischbesetzten Zone stand zu die- sem Zeitpunktschon nichtmehrzur Debatte. Stattdessen gab die LondonerKonferenzden Startschuss für die Gründung eines„neuen“ deutschen Staatesin den drei Westzonen. In ihrem Schlusskommuniquévom 7.Juli 1948 wardavon die Rede

„… die augenblickliche Teilung Deutschlandswiederaufzuhe- ben,allerdingsnichtdurchdie Wiedererrichtung eineszentra-

BundespräsidentTheodorHeuss mit MinisterpräsidentPeterAltmeier 311 listischen Reiches,sondernmittelseinerföderativen Regie- rungsform,die die Rechtedereinzelnen Staaten angemessen schützt und gleichzeitig eine angemessene,zentrale Gewalt vorsieht.“

Alsdie französische Nationalversammlung den Ergebnissen derLondonerKonferenzam17.Juni 1948 –wenn auchnur mit knapperMehrheit–zustimmte,wurden sie auchfür die fran- zösische Besatzungszone bindend. Gut 14 Jahrenachdem die Nationalsozialisten durchdasGesetz überden Neuaufbaudes Reichesvom 30.Januar1934die LänderderWeimarerRepu- blik alsStaaten aufgelöst hatten,wardamitderWeg wieder frei für ein bundesstaatlichgegliedertes(West)Deutschland, wobei die Alliierten die Ausgestaltung „derföderativen Regierungsform“ den Ländernüberließen.

2.FrankfurterDokumente

Die ErgebnissederKonferenzwurden in drei Dokumenten zusammengefasst,die den Ministerpräsidenten derin den Westzonen gebildeten Länderam1.Juli 1948 im Hauptver- waltungsgebäude desIG-Farbenkonzernsin Frankfurt ausge- händigtwurden. OffenbarhatteMinisterpräsidentAltmeiermit seinen beiden Kollegen aus derfranzösischen Zone Schwierig- keiten,überhauptzugelassen zu werden. Sie waren bisdahin aufdem bizonalen Parkett nochnichtaufgetreten und erhiel- ten deshalberst nacheinem förmlichen Antrittsbesuchbei den amerikanischen und britischen OberbefehlshabernClayund Robertson Zutritt.

Um11.30 Uhrwurden die Dokumenteineiner–wie sichder BremerBürgermeisterWilhelm Kaisen erinnerte–„sehr steife[n], betontformelle[n]Atmosphäre“ übergeben. Sie gel- ten alsdie Geburtsurkunden derBundesrepublik Deutschland. Imersten und wichtigsten Dokumentwurden die Ministerprä- sidenten autorisiert,eine Verfassungsgebende Versammlung

312 zur Ausarbeitung einerVerfassung einzuberufen. DieseVer- sammlung habe–soheißtesin diesem Dokument–„eine demokratische Verfassung“ auszuarbeiten,eine „Regierungs- formdesföderalistischen Typs“festzulegen,eine „angemes- sene Zentralinstanz“zu schaffen,„die individuellen Rechteund Freiheiten“ zu garantieren und die Verfassung einem Referen- dumzu unterwerfen. Imzweiten Dokumentwurden die Minis- terpräsidenten „ersucht“,nochvordem Zusammentritt der Verfassungsgebenden Versammlung die Ländergrenzen zu überprüfen und Änderungen vorzuschlagen. DasdritteDoku- mentschließlichenthieltden EntwurfeinesBesatzungsstatu- tes,welchesdaskünftige VerhältnisderdeutschenRegierung zu den Besatzungsmächten regeln sollte. Auchhierzu sollten die Ministerpräsidenten Stellung nehmen.

NochinFrankfurt kamen sie darin überein,ihreHaltung nicht sofort,sondernineinergemeinsamen Konferenzfestzulegen. Diesesolltevom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Altmeierin Koblenzausgerichtetwerden,umauchaufdiese Weiseden trizonalen CharakterderKonferenzzubetonen. Damitwardasmaßgebliche „Organ“ für die drei Westzonen geschaffen worden:die KonferenzderMinisterpräsidenten. Sie wurde zumWegbereiterfür die zu gründende Bundesrepublik Deutschland. Für Rheinland-Pfalzund dessen Ministerpräsiden- ten Altmeierwaresein ersterSchritt aus derIsolierung.

3.Rittersturz-Konferenz

ZumTagungsort wurde dasHotel „Rittersturz“bei Koblenz bestimmt,dasdurchdie Kriegsereignisseallerdingssoherun- tergekommen war,dass Gouverneur Hettierde Boislambert – wie sichFritz Duppréerinnert –die Möbel seineseigenen Sitzungssaaleszur Verfügung stellen musste,damitein ange- messenerRahmen gewährleistetwerden konnte. Am8.Juli eröffneteAltmeierdie Sitzung und wurde aufVorschlagdes bayerischen Ministerpräsidenten EhardzumVorsitzenden

313 bestellt.Alle elf Ministerpräsidenten derwestdeutschen Län- derwaren anwesend,neben HansEhardunteranderem auch Wilhelm Kaisen aus Bremen,HinrichWilhelm Kopf aus Nieder- sachsen und KarlArnold aus Nordrhein-Westfalen. Dazu kam eine Reihe von Landesministern,wie etwaCarlo Schmid, Staatspräsidentund Innenministervon Württemberg-Hohen- zollern. InVertretung desRegierenden Bürgermeisters von Ber- lin,Ernst Reuter,warauchdie BerlinerBürgermeisterin Louise Schroedererschienen. Zur rheinland-pfälzischen Delegation gehörten neben MinisterpräsidentAltmeierInnenminister Steffan,JustizministerSüsterhenn,FinanzministerHoffmann, derChef derStaatskanzlei Habererund Ministeri- Ministerpräsident alratHermans.DasBesondereandieserKonferenz Altmeiereröffnetdie war,dass zumersten Malauchdie Ministerpräsi- KonferenzderMinister- denten derLänderderfranzösischen Zone offiziell präsidenten der aneinem solchen Treffen teilnehmen konnten und deutschen Länderim einervon ihnen –Altmeier–sogaralsGastgeber Hotel Rittersturz fungierte.

Nichtvertreten waren die Spitzen derParteien. Sie hatten im Vorfeld mit„ihren“ Ministerpräsidenten in Vorbereitungskon- ferenzen versucht,eine gemeinsame Haltung zu den Frankfur- terDokumenten herzustellen. ImVerlaufe derKonferenzstat-

314 teteErichOllenhauerin Vertretung deserkrankten Kurt Schu- macherden Ministerpräsidenten einen Besuchab, während KonradAdenaueraufderanderen RheinseiteimHause Süsterhennsden Konferenzverlaufverfolgte. Gegen ihreTeil- nahme anderKonferenzsetztesichvorallem Altmeierzur Wehr,sodass nur die Sitzungspausen für gemeinsame Gespräche genutzt werden konnten.

DergesamteBeratungsablaufdokumentiert den Steffan,Altmeierund Zwiespalt,in dem sichdie Ministerpräsidenten Süsterhenn (v.l.n.r.) befanden:Sie standen vorderGrundfrage,entwe- während der dereinerstaatlichen Organisation für daskünftige Rittersturz-Konferenz Deutschland zuzustimmen,und damitdessen Tei- lung in Kaufzu nehmen,oderaberohne staatliche Rechteals ProvisoriumSpielball derAlliierten zu bleiben. Soeinigten sie sicham10.Juli aufeinen Kompromissversuch:kein Staat, sondernnur ein administrativerZweckverband,keine Verfas- sungsgebende Nationalversammlung,sondernein Parlamen- tarischerRat,keine Verfassung,sondernein Grundgesetz und keine Volksabstimmung,sondernnur eine Ratifizierung durch die Landtage. Die Alliierten,die eine Stellungnahme zu den FrankfurterDokumenten erwartethatten,wurden alsomit Gegenvorschlägen konfrontiert und reagierten dementspre- chend vorwurfsvoll. „Aufderganzen Linie“ –soGeneralClay

315 zu den Ministerpräsidenten –„haben ihreKoblenzerBe- schlüsseeine große Chancefür Deutschland zerstört.“

Sokamesam21. und 22.Juli 1948 im Jagdschloss Nieder- wald bei Rüdesheim zu einerweiteren KonferenzderMinister- präsidenten,in derdiesezwardie KoblenzerBeschlüssebestä- tigten,aberin einem wesentlichen Punktaufdie Alliierten zugingen:Sie stimmten zu,möglichst bald einen westdeut- schen Staatzugründen. Daswardie Grundlage,aufdersich die Ministerpräsidenten dann am26.Juli 1948 –alsoknapp vierWochen nachderÜbergabederFrankfurterDokumente –mitden Militärgouverneuren einigten. Die Alliierten waren mitdem provisorischen Charakterdeszuschaffenden west- deutschen Staateseinverstanden,auchmitdem Vorschlag,die Frage derLänderneugliederung nichtvorden Verfassungsbe- ratungen,sondernparallel zu ihnen zu erörtern. „Enavant!“ – „DerWeg ist frei!“,rief derfranzösische Oberkommandieren- de GeneralKoenig den elf Regierungschefszu.

ImErgebnishatten sichdie Länderdamitder„Kernstaatsidee“ angeschlossen,die Westdeutschland alsKernderFreiheitund desRechts begriff,dem sichimLaufe derZeitdie anderen Teile desfrüheren Reichesanschließen würden. Manwolltealsokei- nen Teil-,sonderneinen Kernstaat.Dass damitdie Teilung Deutschlandsverbunden war,hatteAltmeierin seinerRegie- rungserklärung vordem Landtagdeutlichgemacht.

4. HerrenchiemseerVerfassungskonvent

Esfolgtedie Ausarbeitung desGrundgesetzes.Umdem dafür zuständigenParlamentarischen Rateine Arbeits-und Bera- tungsgrundlage andie Hand geben zu können,hatten die Ministerpräsidenten ein Sachverständigengremium„zur Aus- arbeitung einesVerfassungsentwurfs“eingesetzt,dasauf Einladung desbayerischen Ministerpräsidenten HansEhard vom 10.bis23.August 1948 im Alten Schloss aufderHerren-

316 insel im Chiemsee tagte. Dem Verfassungskonvent Unterschriften unter gehörten unterdem Vorsitz desbayerischen dem Verfassungs- Ministers Anton Pfeifferelf Länderdelegiertean, entwurfvon die von etwa20 Mitarbeiternund Sachverständi- Herrenchiemsee gen unterstützt wurden. Rheinland-pfälzischer DelegierterwarAdolf Süsterhenn,aus Württemberg-Hohen- zollernwarCarlo Schmid gekommen,aus Berlin OttoSuhr.Zu den Sachverständigen zählten u.a.TheodorMaunzund Hans Nawiasky,zwei renommierteStaatsrechtslehrer.DerKonvent verstand sichals„eine mehrwissenschaftliche Studiengesell-

317 schaft“und solltekeine politischen Entscheidungen treffen, sondernverfassungspolitische Grundentscheidungen vorberei- ten. Dementsprechend enthieltsein 124-seitigerAbschlussbe- richtzueinerVielzahl von Regelungsvorschlägen auchAlter- nativempfehlungen. Alternativloswardie Betonung der Grund-und Menschenrechte,die deshalb–abweichend von derWeimarerReichsverfassung,aberin Übereinstimmung mit derrheinland-pfälzischen Landesverfassung –anden Beginn desGrundgesetzesgerücktwerden sollten,für dessen Artikel 1Abs.1folgende Regelung vorgeschlagen wurde:

„DerStaatist umdesMenschen willen da, nichtderMensch umdesStaateswillen.“

Damithatten die Konventsmitgliedereinen naturrechtlichen Gedanken aufgegriffen,derbereits vom Abgeordneten Wuermeling im Rahmen derBeratungen derrheinland-pfälzi- schen Landesverfassung betontworden war.

5. ParlamentarischerRat

Die Beratungen desParlamentarischen Ratesbegannen am1. September1948 unterdem Vorsitz desspäteren Bundeskanz- lers KonradAdenauerim Lichthof des„Zoologischen For- schungsinstituts und MuseumsAlexanderKönig“ in Bonn. Von den 65Mitgliederngehörten je 27 derCDU/CSU und derSPD ansowie fünf derFDP und je zwei derDeutschen Partei,dem Zentrumund derKPD.Sie waren indirekt,d. h. nichtvom Volk, sondernvon den Landtagen gewähltworden. Entsprechend dem von den Ministerpräsidenten festgelegten Schlüssel von einem Abgeordneten je 750000 Bürgernstanden Rheinland- PfalzvierSitzezu.Aufgrund einesgemeinsamen Wahlvor- schlagsvon CDU-und SPD-Fraktion entfiel die Wahl aufJustiz- ministerAdolf Süsterhenn und den späteren Kultusminister Albert Finckfür die CDU und die Abgeordneten FriedrichWil- helm Wagnerund KarlKuhn für die SPD.

318 Plenarsitzung des Parlamentarischen Ratesin Bonn

Den größten Einfluss aufdie Verfassungsberatungen hatte wohl Adolf Süsterhenn,deralsVerfassungsexpertemittlerwei- le auchaußerhalbdesLandessohochangesehen war,dass er sogarzumstellvertretenden Vorsitzenden derCDU/CSU-Frak- tion im Parlamentarischen Ratgewähltwurde. Aufihn gehtder GottesbezuginderPräambel desGrundgesetzeszurück,auch die z.B.inArtikel 6Abs.2GG enthaltenen Bezüge zumchrist- lich-naturrechtlichen Denken. Sein Name ist abervorallem mit derEinrichtung desBundesratesverbunden,den eralseine aus Vertreterndereinzelnen Landesregierungen bestehende Repräsentation derLänderwollteund auchdurchsetzte,zum Teil gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen. Denn nichtwenige in derCDU traten für dasSenatsmodell ein,dem- zufolge derBundesrataus gewählten Ländervertreternbeste- hen sollte. Süsterhenn konnteallerdingsanderVerabschie- dung desGrundgesetzesnichtteilnehmen. Am5.Mai1949 – drei Tage vorderSchlussabstimmung –verunglückteerauf einerAutofahrt von seinem Wohnsitz in KoblenznachBonn schwer.InderFolgezeitkonnteerzwarnochsein Amtals Justiz-und Kultusministerwahrnehmen und im Bundesratden Ausschuss für InnereAngelegenheiten leiten. Aberdie

319 Süsterhenn vordem gesundheitlichen Folgen desUnfallswaren offen- Parlamentarischem Rat barsogravierend,dass erMinisterpräsidentAlt- und nachseinem meier„wiederholtund dringend“,soAltmeierin unfallbedingtem einerRede am23.Juni 1951,darumbat,„von sei- Ausscheiden nerWiederverwendung alsMinisterbei derNeu- bildung derRegierung abzusehen“. Dass Süster- henn nachderLandtagswahl 1951 tatsächlichaus der Landesregierung ausschied und alsNachfolgerErnst Biestens zumPräsidenten desLandesverwaltungsgerichts und Vorsit- zenden desVerfassungsgerichtshofsernanntwurde,waraber wohl aucheine Folge derKoalitionsverhandlungen mitderFDP und innerparteilicherDiskussionen.

Carlo Schmid,derden Vorsitz desHauptausschussesdes Parlamentarischen Ratesinnehatte,hatden Rheinland-Pfälzer Adolf Süsterhenn in seinen „Erinnerungen“ einen „derbefä- higsten Streiterfür die Vorstellungen derCDU“genanntund weiterausgeführt:

„Seine Argumenteentnahm erhäufig den Naturrechtsvorstel- lungen derkatholischen Theologie. Erbeeindrucktedamit manchen Kollegen,fand aberselten die Zustimmung des gesamten Hauses.Erwarvon großerBeredsamkeitund ver- stand sichtrefflichaufsArgumentieren. Mitihm zu Kompromis- sen zu kommen,warschwierig,dochwenn ereinmalJa gesagt hatte,konntemansichaufseinen Handschlagverlassen.“

320 Carlo Schmid skizzierteauchdie Rolle,die derSozialdemokrat FriedrichWilhelm Wagnerim Parlamentarischen Ratspielte:

„JustizratFriedrichWilhelm WagnerwarderfeurigsteSprecher derSPD-Fraktion. Immeraufdem Plan,wenn esgalt,für demo- kratische Rechtsgarantien zu kämpfen und vermeintliche Angriffe von klerikalerSeiteabzuwenden. Dasgab seinerElo- quenzgelegentlichetwasvon derBeredsamkeit,die Don Qui- chotteinderverzauberten Schänkeentfaltet,abermanliebte diesen aufrechten Demokraten –derin den bösen Jahren als Emigrantfür seine demokratische Gesinnung zu leiden hatte –,zumalerein standhafterZecherwar,dersichinden Wein- stuben derengeren und weiteren Umgebung Bonnsvortreff- lichauskannte.“

WagnerwarVorsitzenderdesAusschussesfür die Wagnerals Abgrenzung derZuständigkeiten zwischen dem Reichsbannerführer(l.) Bund und den Ländern,außerdem warergemein- und alsVizepräsident sammitCarlo Schmid maßgeblichdafür verant- desBundesverfassungs- wortlich,dass im Grundgesetz die Todesstrafe aus- gerichts drücklichabgeschafftwurde. Damitwarauchdie ursprünglichinderLandesverfassung zugelassene Todesstra- fe gegenstandslosgeworden. Wenn mansowill,hattesich Wagnerdamitnachträglichdochnochgegen Süsterhenn

321 durchgesetzt,derein AnhängerderTodesstrafe gewesen war. Wagnerwurde 1949 in den Deutschen Bundestaggewählt, dem erbis1961angehörte. Indiesem Jahrwurde erVize- präsidentdesBundesverfassungsgerichts und Vorsitzenderdes 2.Senats,waserbiszumOktober1976 auchblieb.

ImVergleichzu Süsterhenn und Wagnertraten Finckund Kuhn, die beiden anderen Rheinland-Pfälzer,im Parlamentarischen Ratwenigerhervor.Derin HambachalsStudienrattätige Albert

Albert Finck(l.), Finck,derin derWeimarerRepublik dem Zentrum KarlKuhn angehört hatte,während desDritten Reichesmit einem Berufsverbotbelegtworden warund nach dem Krieg zu den Gründungsmitgliedernderpfälzischen CDU gehörte,wareinesderwenigen Mitgliederim Parlamentari- schen Rat,die zuvorwederein Abgeordnetenmandatnochein Ministeramtinnehatten. Beideserwarbererst 1951,alserin den Landtaggewähltund von MinisterpräsidentAltmeierzum NachfolgerSüsterhennsalsKultusministerberufen wurde. Auf Albert Finck,dem die Urheberschaftfür die dritteStrophe des DeutschlandliedesalsNationalhymne zugeschrieben wird, gehtoffenbarauchdie späterin Artikel 51 Abs.2GG enthal- tene Regelung zurück,dass im Bundesratjedem Land mindes- tensdrei Stimmen zustehen.

322 AuchderGewerkschafterund Vorsitzende desKreisernäh- rungsausschussesin BadKreuznach,KarlKuhn,hatim Parla- mentarischen Ratkeine besondereRolle gespielt.Erwar bereits 1922 als24-Jährigerzur SPD gestoßen,1933 von den Nationalsozialisten in Schutzhaftgenommen worden und nachdem Krieg in die Beratende Landesversammlung und späterauchinden Landtaggewähltworden,dem erbis1967 angehörte. AlslangjährigerGeschäftsführerderSPD wirkteer mehrin parteipolitischeralsin parlamentarischerHinsicht.

AufGrund derschweren Verlet- zungen,die Süsterhenn bei sei- nem Unfall erlitten hatte,wurde Hubert Hermans,einervon Alt- meiers engsten Mitarbeiternin derStaatskanzlei und zugleich Abgeordneterim Landtag,zu seinem Nachfolgerim Parla- mentarischen Ratbestimmt. Allerdingsgeschahdieszuei- nem Zeitpunkt,alsdie Grund- gesetzberatungen im Wesentli- chen abgeschlossen waren. Hubert Hermans

DerParlamentarische Rattagteinsgesamtnur zwölf Mal,der von ihm eingesetzteHauptausschuss unterseinem Vorsitzen- den Carlo Schmid dagegen 59 Mal. Beide –Plenumund Hauptausschuss –berieten in öffentlicherSitzung. Allerdings wurde derDialog mitderÖffentlichkeitnichtunbedingt gesucht.DerAntrag,auchdie sieben Fachausschüsseöffent- lichtagen zu lassen,wurde abgelehnt.AllenfallsAnregungen von Interessengruppen nahm manindie Beratungen mitauf. Die „Süddeutsche Zeitung“ beklagteam8.Februar1949 folg- lichdasFehlen eineröffentlichen Meinung zur Verfassungsge- bung. SomitwiederholtesichaufBundesebene das,wasim Lande bereits zwei Jahrezuvorbeobachtetworden war(vgl. S.169f.).

323 NeunMonatenachderKonstituierung desParlamentarischen Ratesbeendetedieserseine ArbeitmitderVorlage einesVer- fassungsentwurfs,und zwaram8.Mai1949,dem vierten Jah- restagderKapitulation derdeutschen Wehrmacht.DasNeue und Wesentliche,dasdiese–Grundgesetz genannte–Verfas- sung mitsichbrachte,betrafdie Demokratie. Inder„ZEIT“ hieß eshierzu im Mai1949:

„DerBruchmitderüberlieferten Demokratie beginntdort,wo Sicherungen gegen eine neue,Machtergreifung’ eingebaut worden sind. GebranntesKind scheut dasFeuer,und viele Mit- gliederdesParlamentarischen Ratessind gebrannteKinder. DerVolkswille in FormdesMehrheitswillensist nichtderhöchs- teSouverändiesesGrundgesetzes.Dieszeigtsichschon darin, daßdie beiden Artikel,in denen die Menschenrechteund der CharakterdesStaatesumschrieben und garantiert werden, überhauptunabänderlichbleiben sollen. Hierwerden also bestimmteInhalteund Werteüberden formalen Volkswillen gestellt,und dasallein begründeteinen neuen,bishernicht eindeutig definierten BegriffderDemokratie. Desweiteren wirdeine positiveMinderheitim Bundestagausdrücklich gegen eine negativeMehrheitgeschützt.Die Bundesregierung kann nichtgestürzt werden,sofernnichtdie Opposition zugleicheinen neuen Bundeskanzlerernennt.Die in sichunei- nige oppositionelle Mehrheitbleibtalsomachtlos.“

Am8.Mai1949 stimmten 53der65Abgeordneten desPar- lamentarischen Ratesdem Grundgesetz zu,darunterauchdie vierVertretervon Rheinland-Pfalz,dagegen stimmten sechs derachtAbgeordneten derCSU, die beiden VertreterdesZen- trums,die beiden Abgeordneten derDeutschen Partei und die beiden Kommunisten. Die drei Militärgouverneuregaben am 12.Mai1949 ihrPlazet.EswarderTag,andem in Berlin die sowjetische Blockade endete. ImIG-Farben-Verwaltungsge- bäude übergaben die drei MilitärgouverneureeinerDelegati- on desParlamentarischen RatesdasgenehmigteGrundgesetz und eine Zusammenfassung deralliierten Vorbehalte. Außer-

324 dem erhielten die ebenfallsanwesenden Ministerpräsidenten derLänderein Schreiben,dassie ermächtigte,dasGrundge- setz den Landtagen zur Ratifizierung vorzulegen.

6.Landtagund Grundgesetz

Esist keine Nachlässigkeit,dass derLandtagimZusammen- hang mitderEntstehung derBundesrepublik Deutschland bis- herkeine Erwähnung gefunden hat.GeburtshelferderBundes- republik Deutschland waren die Ministerpräsidenten der Länder,nichtdie Landesparlamente. Letzterespielten in die- sem Prozess nur eine nachgeordneteRolle,und die von ihnen erwarteteZustimmung zumGrundgesetz brachtesie zum ersten Malineine Funktion,die sie in derZukunftregelmäßig innehaben sollten:die desparlamentarischen Notars.Sie soll- ten „beglaubigen“,wasandereausgehandelthatten. Hinzu kommt,dass derLandtagseitderAushändigung derFrankfur- terDokumentenur sehrzurückhaltend in die sich anschließenden Beratungen und Kompromiss- Landtagssitzung im findungen eingebunden worden war.Am29. und Görreshaus

325 30.Juli 1948 wurde ervom Ministerpräsidenten Altmeierüber die Rittersturzkonferenzund die sichanschließenden Gesprä- che mitden Militärgouverneuren unterrichtetund am18. August 1948 –eheramRande –überdie gerade stattfinden- den Beratungen desHerrenchiemseerVerfassungskonvents informiert.Dabei leiteteMinisterpräsidentAltmeierseine Rede bezeichnenderweisemitden Worten ein:„wie Sie derPresse entnommen haben werden“. ImVerlaufderAussprache amfol- genden Tagist die eherzögerliche Einbeziehung desLandtags in den Verfassungsprozess auf„Bundesebene“ vom Abgeord- neten FriedrichWilhelm Wagner(SPD)problematisiert worden:

„DerHerr AbgeordneteHermanshatunsheuteein sointer- essantesMaterialunterbreitet,von dem wiralsVertreterdes Volkeskeine Ahnung hatten. Esmußzumindest für die Zukunft dafür gesorgtwerden,daßwenigstensdie Fraktionen und ihre Repräsentation soimBilde sind,daßdie Abgeordneten wis- sen,wasin den wichtigsten Fragen vorsichgeht.Meine Her- ren,ichrege deshalban,und icherlaubemirim Laufe derheu- tigen Sitzung einen konkreten AntragnachRücksprache mit den übrigen Fraktionen einzubringen,daßfür diesebesonde- ren Verhandlungen ein besondererAusschußgebildetwird, dervergleichbarist mitdem früheren Auswärtigen Ausschuß desDeutschen Reichstags... Dann werden wirauchindiesem Ausschußdie Dinge besprechen können,die sodiffizil,zumTeil soprekärsind,daßessichnichtimmerumeine öffentliche Besprechung handeln kann.“

Ein solcherAusschuss ist indessen nie eingerichtetund der Landtagspäterauchnichtintensiverin die Beratungen einge- bunden worden. ImGegenteil:InderFolgezeit–d.h.seitder Konstituierung desParlamentarischen Rates–wurde derLand- tagüberhauptnichtmehrüberden Stand derBeratungen zum Grundgesetz,zur Länderneugliederung und zumBesatzungs- statut unterrichtet.JustizministerSüsterhenn und Albert Finck,die beiden von derCDU nominierten rheinland-pfälzi- schen Mitgliederim Parlamentarischen Rat,verfassten stattdes-

326 sen in diesen Monaten eine ganzeReihe von Presseartikeln überaktuelle Streitfragen im Parlamentarischen Rat,die vor- nehmlichim„Rheinischen Merkur“und in der„Rhein-Zeitung“ zu lesen waren. Esist nichtbekannt,dass derLandtagdies beanstandetodervon sichaus aufeine regelmäßige Unterrich- tung durchdie Landesregierung gedrängthätte. Espasst in diesesBild,dass derLandtagam18. Mai1949 –zwei Jahre nachderVolksabstimmung überdie Landesverfassung –seine Zustimmung zumGrundgesetz erklärte,ohne aufdie dazu erfolgteRegierungserklärung durchden Ministerpräsidenten Altmeierzumindest eine Aussprache durchzuführen. Die Zustimmung desLandtagszumGrundgesetz wargroß. Mit Ausnahme derAbgeordneten derKPD stimmten alle rhein- land-pfälzischen Abgeordneten für seine Annahme.

Diesentsprachden Voten in neunderzehn übrigen Landes- parlamente,die sichzwischen dem 18. und dem 21. Mai1949 ebenfallsmitdem Grundgesetz befassten. Lediglichder bayerische Landtag,der17Stunden überdasGrundgesetz debattiert hatte,lehnteesschließlichmit101gegen 63 Stim- men alszuzentralistischab, bejahteaberseine Geltung,soweit 2/3 derLänderdasGrundgesetz annehmen würden. Dieswar derFall.

7.Bundesrepublik Deutschland

Am23.Mai1949 eröffneteKonradAdenauerdie Schlusssit- zung desParlamentarischen Rates,die von fast allen Rundfunk- anstalten direktübertragen wurde und mehreinem Festaktals einerPlenarsitzung glich. Seinerkurzen Ansprache folgtedie Unterzeichnung derOriginalausfertigung desGrundgesetzes durchdie MitgliederdesParlamentarischen Rates,die Minister- präsidenten und die Landtagspräsidenten derelf beteiligten Bundesländer.Für Rheinland-Pfalzunterzeichneten außerden vierMitgliedernimParlamentarischen RatMinisterpräsident PeterAltmeierund LandtagspräsidentAugust Wolters,derim

327 Hubert Hermans Mai1948 andie Stelle JacobDielsgetreten war. unterzeichnetdas KonradAdenauererinnerteinseinem Schlusswort Grundgesetz,stehend nocheinmalandie Teilung Deutschlandsund derspätere brachteseine Hoffnung zumAusdruck,„dass bald Bundespräsident derTagkommen möge,andem dasganzedeut- TheodorHeuss, sche Volk wiedervereintsein wird“. MitAblaufdes im Hintergrund 23.Mai1949 tratdasGrundgesetz für die Bundes- KonradAdenauer republik Deutschland in Kraft.

Am14. August 1949 folgtenacheinem oftharten und pole- mischen Wahlkampf die Wahl desersten Deutschen Bundes- tages.Sie brachtederCDU mit31%zu 29,2%einen knap- pen Vorsprung vorderSPD, die für die nächsten 17Jahre Oppositionspartei wurde,während die CDU in dieserZeiteine bürgerliche Regierung mitden Liberalen bildete. Aus Rhein- land-Pfalzhattedie CDU 49,1%derStimmen beigesteuert und damit18,1%mehralsdie Bundes-CDU im Durchschnitt erobert.

Am7.September1949 kamderBundestaginBonn zu seiner ersten Sitzung zusammen,umErichKöhlerzuseinem Präsiden- ten zu wählen. Ihm gehörten 25Abgeordneteaus Rheinland- Pfalzan. 13davon stelltedie CDU, sieben die SPD, vierdie FDP und ein Mandathattedie KPD gewonnen. Ebenfallsam7.Sep-

328 temberkonstituiertesichauchderBundesratund bereits fünf Tage später–am12.September–die Bundesversammlung, umden ersten Präsidenten derBundesrepublik Deutschland zu wählen. Unterden 804Mitgliedernwaren auch25vom rheinland-pfälzischen LandtaggewählteMitglieder.Zwölf von ihnen waren AbgeordnetederCDU-Fraktion,neunwaren auf VorschlagderSPD-Fraktion gewähltworden,darunterfünf Landtagsabgeordnete. FDP und KPD stellten jeweilszwei wei- tereMitgliederin derBundesversammlung,die schließlich TheodorHeuss im zweiten Wahlgang zumBundespräsidenten wählte. Drei Tage später–am15. September1949 –wählte derBundestagden 73-jährigen Vorsitzenden derCDU derbri- tischen Besatzungszone,KonradAdenauer,mitderdenkbar knappen Mehrheitvon einerStimme zumBundeskanzler. Bereits am20.Septemberwurde die Bundesregierung vom Bundestagbestätigt.Ihrgehörtenur ein Rheinland-Pfälzeran: Eswarderaus Kaiserslauternstammende FDP-PolitikerFritz Neumeyer(1884–1973),derWohnungsbauministerwurde, nachdem erzuvorim ersten Kabinett Altmeierbis1948 Wirt- schafts-und Verkehrsministergewesen war.Mitderparlamen- tarischen Bestätigung derBundesregierung wardie Grün- dungsphasederBundesrepublik Deutschland vorläufig abgeschlossen.

8. „Gliedstaat“Rheinland-Pfalz

Mitdem Inkrafttreten desGrundgesetzeswarRheinland-Pfalz „Gliedstaat“derBundesrepublik Deutschland geworden. So hatteesdie Landesverfassung bereits seitdem 18. Mai1947 in ihrem Artikel 74Abs.1bestimmt.Zwei Jahrelang wardies nur ein Ziel gewesen,jetzt beschriebesdie Realität.Wie sah dieseRealitätaus?

Rheinland-Pfalzblieb–wie die anderen Länderauch–ein Staat.Dasstelltenichtnur dasBundesverfassungsgerichtin einerseinerersten Entscheidungen fest,eskommtauchinder

329 Landesverfassung zumAusdruck,die unteranderem davon spricht,dass die „Staatsgewalt“imLand vom Volk ausgehtund dasLand „Staatsverträge“ abschließen kann. Inprotokollari- scherHinsichtsprichtmanauchvon der„Staatsregierung“, den „Staatsministern“ und der„Staatskanzlei“. Dementspre- chend bezeichnetemanden ersten Besuch,den dergerade fünf Monateamtierende BundespräsidentTheodorHeuss am 11. Januar1950dem Land in Koblenzabstattete,als„Staats- besuch“.

Die staatliche HoheitsgewaltdesLandeswurde allerdingsmit Inkrafttreten desGrundgesetzesnachMaßgabeseinerVor- schriften beschränkt.Dasgaltinsbesonderefür die Gesetzge- bungskompetenz,die bisdahin ausschließlichbeim Land lag und mitderKonstituierung derBundesrepublik Deutschland in wichtigen Bereichen aufden Bund überging bzw.von ihm in Anspruchgenommen wurde. Dazu gehörtedie öffentliche Fürsorge,die Versorgung derKriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen,die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen sowie dasRechtderWirtschaftund das Arbeitsrecht.Vorallem für den sozialen Unterbauderdemo- kratischen Ordnung warjetzt in ersterLinie derBund zustän- dig.

AlsGliedstaatderBundesrepublik nahm dasLand aberande- rerseits auchanderStaatsgewaltdesBundesteil,und zwar überden aus VertreternderLänderbestehenden Bundesrat. AufdieseWeiseerhieltRheinland-Pfalzzusammen mitden anderen Länderneinen gewissen Ausgleichfür die verlorenen Gesetzgebungskompetenzen. Rheinland-Pfalzstanden von den anfänglich42stimmberechtigten MitgliedernvierStim- menzu.Sie wurden von MitgliedernderLandesregierung aus- geübt,daruntervon MinisterpräsidentAltmeier,derspäter selbst PräsidentdesBundesrats wurde. 116MalkamderBun- desratwährend derersten Legislaturperiode desBundestages, alsovon 1949 bis1953,zu Plenarsitzungen zusammen. 761Mal tagten in dieserZeitseine Ausschüsse. Niemalswiederwur-

330 den dieseZahlen auchnur annähernd erreicht.Die Ministerpräsident Arbeitsbelastungen,die durchden Bundesratauf Altmeier die Landesregierung und ihreMitarbeiterzukam, und Sozialminister waren deshalbin diesen ersten Jahren enorm. In Wolters im Bundesrat derBevölkerung wurde diesnichtbesonders registriert.Alsdie Menschen 1951 –auchinRheinland-Pfalz– gefragtwurden,wasdie AufgabedesBundesratessei,hatten 64%davon keine und 28%eine falsche Vorstellung. Ledig- lich8%wussten,dass erdie Vertretung derLänderim Bund ist.

AlsGliedstaaten mussten die Länderauchfüreinandereinste- hen,insbesondereinfinanziellerHinsicht.Finanzstarke Länder mussten die finanzschwächeren anihrerWirtschaftskraftteil- haben lassen. Diesgeschah–und geschieht–insbesondere überden sog. Länderfinanzausgleich. Alsdie ersteWahlperi- ode desLandtagszuEnde ging,berichtetedie Landesregie- rung davon,dass eszurzeitdarumgehe,Rheinland-Pfalzvon 74,3%auf84%derbundesdurchschnittlichen Finanzkraftzahl zu bringen. Daszeigtzumeinen,wie weitdie Finanzkraftdes

331 LandesAnfang derfünfzigerJahreunterdem Durchschnitt aller Länderlag;esmachtaberauchdeutlich,dass Rheinland-Pfalz, wie die anderen Bundesländerauch,von derGründung der Bundesrepublik Deutschland profitierte. Dasgaltauchfür die Stabilisierung seinerdemokratischen Ordnung und die Konso- lidierung seinerstaatlichen Existenz.

9. Fazit

DerWeg zum„Gliedstaat“derBundesrepublik Deutschland hatteseinen Ausgangspunktin Artikel 74Abs.1LV,dereine entsprechende Stellung desLandesbereits zwei Jahrevorder Gründung derBundesrepublik Deutschland festschrieb.Über die beiden LondonerKonferenzen im Frühjahrund Frühsom- mer1948,die FrankfurterDokumente(1. Juli 1948),die Ritter- sturzkonferenz(8. bis10.Juli 1948),den HerrenchiemseerVer- fassungskonvent(10.bis23.August 1948) und den Parlamentarischen Rat(1. September1948 bis23.Mai1949) führtederweitereWeg zur Gründung derBundesrepublik Deutschland,die ihrewichtigsten Bundesorgane in derZeit vom 7.biszum20.September1949 konstituiertebzw.wähl- te. Jetzt warRheinland-Pfalzdas,wasesseitzwei Jahren gemäßseinerVerfassung angestrebthatte:ein „Gliedstaat“, zwarnichtdesgesamten Deutschlands,aberderdie drei West- zonen zusammenfassenden Bundesrepublik Deutschland,die sichals„Kernstaat“deskünftigen Gesamtdeutschland ver- stand.

Rheinland-Pfalzhattezu dieserEntscheidung wichtige Beiträ- ge geliefert.Dereingeschlagene Weg wurde von derMinister- präsidentenkonferenzaufdem Rittersturz bei Koblenzunter derFederführung desrheinland-pfälzischen Ministerpräsiden- ten Altmeierfestgelegt.Dazu gehörtedie Ausarbeitung eines Grundgesetzes,aufdessen InhaltJustizministerSüsterhenn maßgeblichen Einfluss genommen hatte. Diesgeschahvor allem im Parlamentarischen Rat,in dem auchderSozialdemo-

332 kratFriedrichWilhelm Wagnereine beachtenswerteRolle spielte. Insbesonderedie Abschaffung derTodesstrafe ist auf ihn zurückzuführen.

DerLandtaghatkeinen nennenswerten Einfluss aufdie Grün- dung derBundesrepublik nehmen können. Die Ministerpräsi- denten spielten in diesem Gründungsprozess die Hauptrolle, die Landesparlamenteblieben Statisten. Immerhin hatten sie –anstelle derBürgerin ihren Ländern–dem Grundgesetz zuzustimmen. Derrheinland-pfälzische Landtagentledigtesich dieserPflichtmitgroßerMehrheit.

333

VII.ZUSAMMENFASSUNG

1. Die Gründung von Rheinland-Pfalzerfolgterund 16Mona- tenachdem seine Gebietevon amerikanischen Kampftruppen erobert und besetzt worden waren. DasLand warverwüstet, die Menschen hungerten und Hunderttausende waren aufder Suche nacheinerBleibe. Die Gesellschaftwarzusammenge- brochen,die staatliche Autoritätauch.

2.Die Amerikanerhielten dasGebietvon März bisMitteJuli 1945 besetzt.IndieserZeitschufen sie zunächst die Provinz „Saar-Pfalzund Rheinhessen“,aus deram1.Juni 1945 die Pro- vinz„Mittelrhein-Saar“hervorging. ImKernumfasstesie bereits die Gebietedesspäteren Rheinland-Pfalz; außerdem Saarland waren esdie Regierungsbezirke Trierund Koblenz sowie Rheinhessen und die Pfalz.AnderSpitzederProvinzi- alregierung stand derSozialdemokratHermann Heimerich,der mitseinem Kabinett aberbereits am5.Juli 1945 zurücktrat.Es warbekanntgeworden,dass die Franzosen die ProvinzMittel- rhein-SaaralsBesatzungsgebietübernehmen würden.

3.DerBesatzungswechsel ging aufeinen Beschluss zurück,den Roosevelt,Churchill und Stalin während derKonferenzvon Jaltaim Februar1945 getroffen hatten. Die in London tagen- de EuropeanAdvisory Commission,ein Kollegiumvon Berufsdiplomaten,dem seitNovember1944 auchdie Franzo- sen angehörten,hattedie französische Besatzungszone im Einzelnen festgelegt.Sie bestand aus einem überwiegend linksrheinischen Nordteil und einem rechtsrheinischgelegenen Südteil. DerNordteil umfasstedie Gebietevon Mittelrhein- Saarund einige rechtsrheinischgelegene,ehemalsnas- sauische Kreise. DasHauptquartierderFranzosen lagim Südteil ihrerZone,in Baden-Baden. Hierhatten derOberkom- mandierende derfranzösischen Besatzungsmacht,General PierreKoenig,und derChef derfranzösischen Militärregierung Emille Laffon ihren Sitz.

335 4. Bestand unterden Franzosen ursprünglichEinigkeitdarüber, dass die GebieteamRhein annektiert oderzumindest vom restlichen Deutschland separiert werden sollten,begann mit dem Ost-West-Konfliktund derBildung von Länderninsbeson- dereinderamerikanischen Zone im VerlaufdesJahres1946 eine vorsichtige Revision derfranzösischen Haltung. Sie führ- team30.August 1946zur Gründung desLandesRheinland- Pfalz.Gründungsurkunde wardie von GeneralKoenig unter- zeichneteVerordnung Nr.57,in der–dasSaarland ausgenommen –die Gebietederfranzösischen Nordzone zum Land Rheinland-Pfalzzusammengefasst wurden.

5. Rheinland-Pfalzwaralsoeine Schöpfung Frankreichs:Die Franzosen bestimmten den Namen desLandes,legten seine Grenzen fest,setzten die erste,nochprovisorische Landesre- gierung ein und gaben den Zeitplanvor,nachdem sichdas neugegründeteLand zu einem eigenständigen Staatentwi- ckeln sollte. Deutsche Stellen oderdeutsche Politikerwaren wederbei derGründungsentscheidung nochbei der Namensfestlegung und auchnichtbei derFestlegung des Gründungszeitpunktesbeteiligt.

6.Rheinland-Pfalzwarein „Land aus derRetorte“:Esbestand aus Gebieten,die zuvorz.T.über130 Jahrelang vorallem zu drei verschiedenen Einzelstaaten gehört hatten:zu Preußen, zu Hessen und zu Bayern. MitderGründung desLandeswurde deshalbnichtnur ein neuesStaatsgebilde geschaffen,eswur- den auchdie überkommenen territorialen,kulturellen und wirt- schaftlichen Verbindungen seinerLandesteile zu den benach- barten Ländernunterbrochen. Grund dafür warderVerlaufder Zonengrenzen,die für die territoriale Neuordnung Deutsch- landsmaßgeblichwurden. Die Parteien,große Teile derBevöl- kerung und auchdie benachbarten Ländersahen deshalbin dem neugegründeten Land zunächst nur ein Provisorium,das überkurz oderlang in anderen territorialen Verbindungen auf- gehen würde.

336 7.DerGründung desLandesfolgtederAufbauseinerdemo- kratischen Ordnung. Sie erfolgtenachMaßgabedervon der Konferenzvon PotsdamimJuli 1945 beschlossenen Vorgaben und derVerordnung Nr.57und knüpfteandie demokratischen Traditionen an,die von derMainzerbiszur WeimarerRepublik reichten. DerAufbaueinesPressewesens,die Gründung einer Rundfunkanstalt,die Einrichtung von Gewerkschaften,die Bil- dung von Parteien und die Durchführung von Kommunalwah- len waren die ersten Elementedieserneuen demokratischen Ordnung. Konsequenzen aus dem ZusammenbruchderWei- marerRepublik wurden vorallem dadurchgezogen,dass an Stelle derRichtungsgewerkschaften Einheitsgewerkschaften und anStelle einesVielparteiensystemsnur vierParteien zuge- lassen worden waren.

8. ImMittelpunktderdemokratischen Ordnung stand die neue Landesverfassung,die von der„Gemischten Kommission“ und derBeratenden Landesversammlung sowie ihren jeweiligen Verfassungsausschüssen in derZeitvom September1946bis April 1947beraten und beschlossen wurde,allerdingsgegen die Stimmen derSPD und derKPD.GeistigerVaterdieserVer- fassung warAdolf Süsterhenn,derbereits vorBeratungsbeginn gemeinsammitdem Präsidenten desLandesverwaltungsge- richts für Rheinland-Hessen-Nassau,Ernst Biesten,einen Ver- fassungsentwurfausgearbeitethatte,derdann Grundlage der folgenden Verfassungsberatungen wurde. Erwargekennzeich- netvon derkatholischen Naturrechtslehreund derSorge vor einem Parlamentsabsolutismus sowie Vorbehalten gegen eine strikteUmsetzung desdemokratischen Prinzipsder Volkssouveränität.

9. Am18. Mai1947stimmten die Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-PfälzermitknapperMehrheitfür die Verfassung und wählten ihren ersten Landtag. Seithergiltder18. Mai1947als eigentlicherGeburtstagdesLandes.Esbesaßjetzt eine demo- kratische Ordnung und diesewar–anders alsdie Gründung desLandes–maßgeblichvon deutscherSeitegestaltetwor-

337 den,vorallem von Politikern,die durchdasDritteReichnicht kompromittiert waren. Wilhelm Boden gehörtezu ihnen,auch PeterAltmeierund Adolf Süsterhenn,ebensoHansHoffmann und Adolf Ludwig.

10.DerneugewählteLandtagkonstituiertesicham4.Juni 1947im Großen SaaldesKoblenzerRathauses.Die 101Abge- ordneten gehörten fünf Fraktionen an,allein 48 von ihnen waren Mitglied derCDU-Fraktion. Viele hatten nochparlamen- tarische Erfahrungen während derWeimarerRepublik sammeln können,waren während derNazizeitverfolgtworden oderhat- ten aus politischen Gründen ihreberufliche Stellung verloren. ErsterLandtagspräsidentwurde JacobDiel (CDU),deraber bereits ein Jahrspätervon August Wolters (CDU)abgelöst wurde. Rund 250Gesetzewurden in derersten Wahlperiode desLandtagsbeschlossen. Mindestens19 davon waren aller- dingsvon den Franzosen nichtgenehmigtworden,u.a.auch die Haushaltsgesetze,sodass dasLand bis1950ohne geneh- migten Haushaltregiert werden musste. Die Souveränitätdes Landtags,derLandesregierung und damitdesLandesinsge- samtwardaherzunächst erheblicheingeschränkt.

11. Zuden Aufgaben desneugewählten Landtagsgehörten die Wahl desMinisterpräsidenten und die Bestätigung seines Kabinetts.AuchdamithattederLandtagSchwierigkeiten, denn dem von ihm zumMinisterpräsidenten gewählten Wilhelm Boden gelang esnicht,ein mehrheitsfähigesKabinett zusammenzustellen. DeshalbwähltederLandtagam9.Juli 1947PeterAltmeier,den bisherigen Vorsitzenden derCDU- Fraktion,zumneuen Ministerpräsidenten und bestätigte zugleichsein Allparteienkabinett,dasallerdingsbereits neun Monatespäterzerbrachund dann nur nochaus Mitgliedernder CDU-und derSPD-Fraktion bestand.

12.Einen gewissen Abschluss fand derAufbauderstaatlichen Ordnung im Land mitdem 1949 erlassenen Selbstverwaltungs- gesetz,zu dem auchdie Bezirksordnung desLandesgehörte.

338 AufihrerGrundlage konstituiertesicham16.Januar1950der BezirkstagderPfalz.Erwarvon derursprünglichen Forderung derfranzösischenBesatzungsmacht,für die Pfalzeinen eige- nen Provinziallandtageinzurichten,übrig geblieben. Vorsitzen- derwurde FranzBögler(SPD),derdiesesAmtbis1961inne- hatte,obgleicherals„Landessprengmeister“zu den hartnäckigsten Gegnerndesneuen Landeszählte.

13.Ebensowichtig wie derAufbauderdemokratischen Ord- nung wares,die Menschen andie neuedemokratische Ord- nung heranzuführen,denn die Erfahrungen von Weimarhat- ten gelehrt,dass eine demokratische Ordnung ohne Demokraten aufDauerkeinen Bestand haben würde. Alle gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen,die Teil der neuen Ordnung waren,mussten andieserAufgabemitwirken. Presseund Rundfunk standen ebensoinderPflichtwie die Par- teien und die Gewerkschaften. Anders alsin den Zeiten der WeimarerRepublik begleiteten auchdie Kirchen den Aufbau desStaatesaktivund mitWohlwollen und trugen dazu bei,das Kirchenvolk andie neuedemokratische Ordnung heranzufüh- ren. Landtagund Landesregierung führten den Nachweis,dass die neuedemokratische Ordnung funktionierte. Obwohl sich die Allparteienregierung auflösteund die KPD sowie die Libe- ralen aus dem Kabinett Altmeierausschieden,warimmereine stabile Regierungsmehrheitsichergestellt.Trotz derbesat- zungsrechtlichen Hindernissehatten Landtagund Landesregie- rung amEnde derersten Wahlperiode auchein eindrucksvol- lesGesetzgebungsprogramm umgesetzt.Über250Gesetze waren in 95 Plenarsitzungen verabschiedetworden.

14. Die Menschen begannen sichallerdingserst dann mitder neuen demokratischen Ordnung zu identifizieren,alssichihre persönliche Lebenssituation ab 1948/49 zu ändernbegann. Mit Hilfe derWährungsreform,derEinführung derMarktwirtschaft und desMarshall-Plansgelang esden USA und den jeweils zuständigen deutschen Stellen,die Ernährungs-und Versor- gungslage auchimneuen „rhein-pfälzischen Land“ nachhal-

339 tig zu verbessernund die WirtschaftzumWachstumzu brin- gen. ImÜbrigen waresdurchdie Entnazifizierung auchgelun- gen,die ehemaligen NS-Aktivisten von den Schaltstellen der politischen Machtzuentfernen bzw.fernzuhalten. Auchwenn nochvielesim Argen lag,esvorallem nochkeine soziale Absi- cherung derMarktwirtschaftgab und die Ergebnisseder begonnenen „Umerziehung“ bzw.„geistigen Erneuerung“ nochnichtabzusehen waren,waren die ersten demokratischen Aufbauleistungen groß genug,umdie Menschen andie par- lamentarisch-demokratische Ordnung heranzuführen.

15. Diesbestätigen die hohen Wahlbeteiligungen bei den diversen Wahlen,die zwischen 1946und 1951 in Rheinland- Pfalzdurchgeführt wurden,und die ErgebnissedieserWahlen, welche die demokratischen Parteien stärkten und extremen Parteien eine Absage erteilten. Die Akzeptanzderdemokrati- schen Ordnung warallerdingszunächst nur formalerArt.Von eineraktiven Befürwortung derneuen Ordnung konntenoch keine Rede sein. Dasbelegtdasgroße politische Desinteres- se,dasin den ersten Nachkriegsjahren herrschte. Eswaraller- dingskennzeichnend für die meisten westeuropäischen Gesellschaften,die unterdem Krieg und seinen Folgen zu lei- den hatten.

16.DerAufbauderstaatlichen Ordnung wurde in den Anfangsjahren desLandesimmerwiederinfrage gestellt.Viele Rheinland-Pfälzerwollten mitihrem jeweiligen Regierungs- bezirkinihrealten territorialen Verbindungen zurückkehren: Trierund KoblenznachNordrhein-Westfalen,Montabaur und Rheinhessen nachHessen und die PfalzentwedernachBay- ernoderin einen neuzugründenden Südweststaat,wosie jeweilsauchmitoffenen Armen erwartetwurden. Dass das Land vordiesem Hintergrund nichtauseinanderbrach,hatte verschiedene Gründe. InderZeitvorderGründung derBun- desrepublik Deutschland lageszumeinen andermangelnden BereitschaftderAlliierten,eine Neugliederung zuzulassen, die zu einerRevision derZonengrenzen geführt hätte. Zum

340 anderen waresaberauchdem Einsatz von Ministerpräsident Altmeierund einigen seinerVertrauten zu verdanken,dass das Land in seinem 1946festgelegten territorialen Bestand über- lebte. Alsdie Bundesrepublik im Mai1949 konstituiert wurde, verhindertevorallem die Suspendierung desArtikels29GG eine Neugliederung desBundesgebietesund damitaucheine Auflösung desLandesRheinland-Pfalz.Alsdie Suspendierung 1955 aufgehoben wurde,trugdasfehlende Interessedes BundesaneinerNeugliederung zumFortbestand desLandes bei.

17.Ein wesentlicherSchritt im Konsolidierungsprozess desLan- deswardie nachheftigen Auseinandersetzungen am16.Mai 1950vom Landtaggetroffene Entscheidung,Mainzzur Hauptstadtvon Rheinland-Pfalzzubestimmen,sodass der Landtagund die Landesregierung ihrprovisorischesDomizil in Koblenzaufgeben mussten. Die endgültige Festlegung der Hauptstadtwarein deutlichesSignaldafür,dass auchdasLand selbst nichtmehralsProvisoriumbetrachtetwurde.

18. Zudiesem Zeitpunkthatten sichdie in den Besatzungs- zonen derWestalliierten gebildeten Länderbereits zur Bundes- republik Deutschland zusammengeschlossen. Vorangegangen waram1.Juli 1948 die Übergabedersog. FrankfurterDoku- menteandie Ministerpräsidenten derLänder,deren Beratung in dersog. Rittersturz-Konferenzin Koblenzund die Ausarbei- tung desGrundgesetzesdurchden Parlamentarischen Rat, dem auchvierrheinland-pfälzische Vertreterangehörten. Zu- sammen mitden übrigen MitgliedernderCDU, derSPD und derFDP stimmten sie am8.Mai1949 dem Grundgesetz zu, dasdaraufhin am18. Mai1949 auchvom rheinland-pfälzischen Landtagratifiziert und am23.Mai1949 von den Mitgliedern desParlamentarischen Rates,den Ministerpräsidenten und den Landtagspräsidenten unterschrieben wurde und amfolgenden TaginKrafttrat.Seitherist dasLand Rheinland-Pfalzein Glied- staatderBundesrepublik,sowie esArtikel 74Abs.1derLan- desverfassung bereits seitdem 18. Mai1947bestimmt.

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VIII.ANHANG

1. ListederVeröffentlichungen derKommission desLandtagsfür die GeschichtedesLandesRheinland-Pfalz

Band 1 Die Entstehung derVerfassung für Rheinland-Pfalz. Eine Dokumentation Bearb.von Helmut Klaas 1978,880S.

Band 2 PeterAltmeier,Reden 1946–1951 Ausgewähltund herausgegeben von KarlMartin Graßund Franz-Josef Heyen 1979,458 S.

Band 3 Karl-HeinzRothenberger Die Hungerjahrenachdem Zweiten Weltkrieg. Ernährung und Landwirtschaft in Rheinland-Pfalz1945–1950 1980,285 S.

Band 4 (vergriffen) Helmut Schnatz DerLuftkrieg im RaumKoblenz1944/45. Eine Darstellung seinesVerlaufs, seinerAuswirkungen und Hintergründe 1981,606 S.

Band 5 . Franz-Josef Heyen Rheinland-Pfalzentsteht. Beiträge zu den Anfängen desLandes Rheinland-Pfalzin Koblenz1945–1951 1984,480S.

18. Mai1951:DerLandtagtagt erstmalsim Deutschaus zu Mainz 343 Band 6 PeterBrommer Quellen zur Geschichtevon Rheinland-Pfalz während derfranzösischen Besatzung März 1945 bisAugust 1949 1985,816S.

Band 7 Hans-Jürgen Wünschel Quellen zumNeubeginn derVerwaltung im rheinland-pfälzischenRaum unterderKontrolle der amerikanischenMilitärregierung April–Juni 1945 1985,391 S.

Band 8 StephanSchölzel Die Pressepolitik in derfranzösischen Besatzungszone 1945–1949 1986,312S.

Band 9 DieterBusch DerLuftkrieg im RaumMainzwährend des Zweiten Weltkrieges1939–1945 1988,402 S.

Band 10 RainerHudemann Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945–1953. Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung im Rahmen französischerBesatzungspolitik 1988,616S.

344 Band 11 Alain Lattard Gewerkschaften und Arbeitgeberin Rheinland-Pfalz unterfranzösischerBesatzung 1945–1949 Aus dem Französischen übersetzt von EvaZiebura 1988,355 S.

Band 12 Katrin Kusch Die Wiedergründung derSPD in Rheinland-Pfalz nachdem Zweiten Weltkrieg (1945–1951) 1989,327 S.

Band 13 Marie-FranceLudmann-Obier Die Kontrolle derchemischen Industrie in derfranzösischen Besatzungszone 1945–1949 1989,191 S.

Band 14 HeinrichKüppers Staatsaufbauzwischen Bruchund Tradition. GeschichtedesLandesRheinland-Pfalz1946–1955 1990,305S.

Band 15 Michael Sommer Flüchtlinge und Vertriebene in Rheinland-Pfalz. Aufnahme,Unterbringung und Eingliederung 1990,330 S.

Band 16 PeterBucher(Hrsg.) Adolf Süsterhenn. Schriften zumNatur-, Staats-und Verfassungsrecht 1991,410S.

345 Band 17 RainerMöhler Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland unterfranzösischer Besatzung von 1945–1952 1992,450S.

Band 18 StephanPieroth Parteien und PresseinRheinland-Pfalz1945–1971. Ein Beitragzur Mediengeschichte unterbesondererBerücksichtigung der MainzerSPD-Zeitung „Die Freiheit“ 1994,974S.

Band 19 Anne Martin Die Entstehung derCDU in Rheinland-Pfalz 1995,397S.

Band 20 FranzJosef Heyen,Anton MariaKeim (Hrsg.) AufderSuche nachneuerIdentität. Kultur in Rheinland-Pfalzim Nachkriegsjahrzehnt 1996,623 S.

Band 21 PeterHeil Gemeinden sind wichtigeralsStaaten. Idee und Wirklichkeitdeskommunalen Neuanfangsin Rheinland-Pfalz1945–1957 1997,414 S.

Band 22 Klaus J.Becker Die KPD in Rheinland-Pfalz.1946–1956 2001,583S.

346 Band 23 Hedwig Brüchert Rheinland-Pfälzerinnen. Frauen in Politik,Gesellschaft,Wirtschaft und Kultur in den Anfangsjahren desLandes Rheinland-Pfalz 2001,486S.

Band 24 Hans-Joachim Mack DasKriegsende in Rheinland-Pfalz. Kämpfe und Besetzung 1945 bearbeitet/dargestelltunterMitwirkung von Armin Meyer-Detring und PeterVoss 2001,408S.

Band 25 PeterGleber „Schon immerein Kernstückder Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ DerSPD-BezirkPfalzin den sechzigerJahren 2003,349 S.

Band 26 Markus Schäfer Datenhandbuchzur GeschichtedesLandtags Rheinland-Pfalz1947–2003 Hrsg. von Christoph Grimm 2005,615 S.

347 2.Bildnachweis

a)Die Mehrzahl derAbbildungen und Fotografien stammt aus den Beständen desLandeshauptarchivs Koblenzund wurde mitHilfe von FrauDr.Göbel für diesen Band aus- gewählt.Eshandeltsichumdie Bilderaufden Seiten:

14,17,18,27,35,40,61,62,67,68,72,73,78,80,81, 84,87,95,96(r.),98,115,116,118,124,128,130,135, 137 (u.),141,143,150,151,152,153(u.),154,156,159, 161,167,174,175,177,179,180,182,184,186,189, 190,195,200,202,210,212,215,218,220,224,226, 243,249,257,262,274,279,289,291,305(u.),307,314, 315,317,319,320,321,322 (r.),328und 331.

b)Aus den Beständen desStadtarchivs Mainzstammen die Bilderaufden Seiten:

19,32,33,34,45,50,51,53,55,56,62,70,77,88,99, 100,103,109,171,196,197,198,213,223,229,231, 233,235,239,242,251,252,253,255,258,296,298 und 299.

c)Aus den Beständen desStadtarchivs Landaustammen die BilderaufderSeite173.

d) Aus den Beständen desStadtarchivs Ludwigshafen stammtdasBild aufderSeite305(o.).

e) Aus den Beständen desStadtarchivs Koblenzstammen die Bilderaufden Seiten 29und 166.

f) Aus den Beständen desStadtarchivs Wiesbaden stammt dasBild aufderSeite256.

g) Aus den Beständen desStadtarchivs Baden-Baden stammtdasBild aufderSeite52.

348 h) Aus den Beständen desBundesarchivs stammtdasBild aufderSeite37. i) Aus den Beständen desHistorischen Archivs desErzbis- tumsKöln stammtdasBild aufderSeite137 (o.). j) Aus den Beständen desArchivs desSüdwestrundfunks stammen die Bilderaufden Seiten 104,105,106 und 107. k) Aus den BeständendesArchivs derMainzerAllgemeinen Zeitung stammen die Bilderaufden Seiten 205und 207. l) Aus den Beständen des„ArchivesduministèredesAffari- resétrangèresColmar“stammen die Bilderaufden Sei- ten 56,59,76,248 und 301. m)Aus dem Archivdes1. FC KaiserslauternstammtdasBild aufderSeite303. n) Aus dem Bildarchivvon HerrnHeinzLeiwig,Mainz,stam- men die Bilderaufden Seiten 3,5,7,16,39und 48. o) Aus dem Privatbestand von HerrnUdo Weberstammtdas Bild aufSeite23. p) Aus dem Privatbestand von HerrnDieterLang,Landtags- verwaltung,stammtdasBild aufderSeite178. q) Aus dem Privatbestand von HerrnRichardWalterstammt dasBild aufSeite206. r)Aus dem BildarchivderDeutschen Presseagentur (dpa) stammen dasTitelbild sowie die Bilderaufden Seiten 22 und 25.

349 s)Aus dem ArchivdesLandtagsRheinland-Pfalzstammen die Bilderaufden Seiten:

38,66 (l.),96(l.),108,123,134,144,153(o.),155,158, 176,185,188,217und 244.

Ineinigen Fällen konnten die Rechteinhabernichtermittelt werden. Indiesen Fällen ist derLandtagbereit,nachAnfor- derung rechtmäßige Ansprüche abzugelten.

350 LANDTAG RHEINLAND-PFALZ