Horst LaudeJKPD in Frankreich funkt via Moskau 5

2 KPD in Frankreich sozialistische Regime fortsetzen. Am 7./8. funkt via Moskau November sind englisch-amerikanische Truppen in Marokko und Algerien gelandet. Zu Fakten, Zusammenhängen und Zwei Wochen später hat sich der sow- Hintergründen einiger Dokumente von . jetische Kessel um die 6. deutsche Armee 1942/43 bei Stalingrad geschlossen, und folgeneiche militärische Entscheidungen stehen bevor. HorstLaude Die Mitteilung, unterzeichnet von einem ge­ wissen "Rene", ist mit Hilfe der Leitung der französischen KP auf einem Funkweg zur Bei den Recherchen für die. Publikation Komintern an ihr Ziel gelangt. Die Mos­ "Nach Hitler kommen wir - Dokumente zur kauer Zentrale wir~ über Leistungen und Programmatik der Moskauer KPD-Führung Möglichkeiten antifaschistischer Tätigkeit, 1944/45 für Nachkriegsdeutschland" (hrsg. die von französischem Boden aus prakti­ v. Peter Erler, Horst Laude und Manfred ziert werden, ins Bild gesetzt und um ihre Wilk.e, Akademie-Verlag, Berlin 1993) Meinungsäußerung dazu ersucht. Vom Ein­ stießen wir im Archiv der Stiftung Parteien satz französischer Kommunisten und und Massenorganisationen der DDR auf Gesinnungsgef"ahrten anderer Nationalitäten eine Reihe von Dokumenten, die in mehr­ - Spanier, Italiener, Polen, Tschechen - ist facher Hinsicht aufschlußreich sind. die Rede, "die in den wichtigsten Betrieben Am 15. Dezember 1942 - der Zweite und Städten Deutschlands arbeiten und Weltkrieg geht ins vierte Jahr, und die Hit­ öfters nach Frankreich auf Urlaub zu ihren lerwehrmacht bekommt zum zweiten Mal Familien kommen". Durch die französische seit ihrem Marsch gen Osten die Geißel des KP ist die Verbindung mit ihnen geknüpft. russischen Winters zu spüren, die Strategie Sie bewähren sich als Mittler von Informa­ des Blitzkrieges ist gescheitert und die Rote tionen, Lageeinschätzungen und Hand­ Armee im Begriff, die strategische Initiative lungsdirektiven im Kampf gegen das Nazi­ an sich zu ziehen - empfängt der Parteivor­ regime. "Sie geben uns ausfUhrliehe Mittei­ sitzende der KPD, Wilhelm Pieck, in der lung, was in Deutschland vor sich geht, wir Moskauer Emigration eine "Meldung von ihnen Anweisungen, was sie dort machen 1 deutschen Freunden" aus Frankreich. Es ist können." Auf diese Weise bestünden auch ein Winkzeichen, eine Botschaft der dort direkte Verbindungen "mit unseren deut­ agierenden illegalen Parteiorganisation emi­ schen Freunden in den dortigen Betrieben", grierter deutscher Kommunisten, die in dem so im Saargebiet, in Solingen, Düsseldorf nun vollständig von den deutschen Truppen und Bremen, in Berlin und Leipzig. Unter besetzten Land (im August 1940 war der

größere Teil des Landes und am 11. No­ 2 Wir beschränken liDS hier auf die aus den vember auch die vom Vichy-Regime kon­ betreffenden Akten erkennbaren Segmente des trollierte südfranzösische Zone besetzt wor­ Gegenstandes. Spezielle Darstellungen zu den den) den Widerstand gegen das national- Gesamtzusammenhängen der deutschen Emigration in Frankreich tmd des Widerstandskampfes Deutscher auf französischem Boden finden sich u.a. in: 1 Alle die Dokumente betreffenden Quellen­ Scltiller, Dieter/Pech, Karlheinz/Herrmann, angaben beziehen sich auf die von der Stiftung Regine/Halm, Manfred: Exil in Frankreich, 1. Arcltive der Parteien tmd Massenorganisationen Aufl. Leipzig 1981. Pech, Karlheinz, a.a.O.; der DDR (SAPMO) im Btmdesarcltiv ver­ Institut f. Marxismus-Leninismus beim ZK der walteten Bestände des Zentralen Parteiarcltivs SED (Hrsg.): R.esistance: Erinnenmgen der SED (ZPA). ZPA, Ny 4036/508. deutscher Antifaschisten, 3. Aufl., Berlin 1983; Veröffentlicht in: Pech, Karlheinz: An der Seite Mayer, Herbert: In der Resistance - zwischen der Resistance. Die Bewegung "Freies Atlantik tmd Mittelmeer, in: Doemberg, Stefan Deutschland" für den Westen in Frankreich, 2. (Hrsg.): Im Btmde mit dem Feind. Deutsche auf überarb. u. erw. Aufl. Berlin 1987, S. 37f. alliierter Seite, Berlin 1995, S. 88ff. 6 Zdf 1/1996

Beachtung aller notwendigen Vorsichts­ Die Voraussetzungen für den notwendigen maßnahmen könnten auch eigene Lands­ Stimmungsumschwung unter der deutschen leute, z. T. als ausländische Arbeiter getarnt, Bevölkerung und der Wehrmacht schienen ins Reich geschickt werden, um die "Ver­ günstig: die zunehmenden militärischen bindungen mit den dortigen Genossen" zu Mißerfolge an den Fronten in Ost und Süd, befestigen und "konkrete Anweisungen (zu) die massive Bombardierung westdeutscher übergeben." Der Absender, Rene, kann Städte durch englisch-amerikanische Flug­ schließlich vermelden: Durch Post und zeugverbände, der Niedergang der Wirt­ Feldpost, auf Wasserwegen, mit Eisenbahn schaft und der Volksernährung, die wach­ und Autotransporten, auch mit Hilfe von sende Gewißheit einer zweiten Front in W ehrmachtsurlaubern, werden propagandi­ Europa und die drohende Gefahr, daß stische Materialien, z.B. Dokumente der Deutschland selbst zum Kriegsschauplatz Moskauer KPD-Führung, Reden von "Wil­ und eine Katastrophe über das Reich, ein helm und Walter" (Pieck und Ulbricht), zweites V ersailles, heraufbeschworen wer­ nach Deutschland geschleust. Die illegal den kann. 3 Eine seit Wochen vorbereitete, herausgegebene Parteizeitung "Die Rote sorgfältig inszenierte propagandistische Fahne" wird in gleicher Weise vertrieben; Kampagne soll dem anvisierten Ziel einer sie erreicht aber auch Angehörige der deu­ breiten Friedensbewegung näherbringen. Zu tschen Besatzungstruppen in Frankreich. diesem Zweck wird von der KPD-Führung Die Vierergruppe von Zentralkomitee-Mit­ eine fiktive "westdeutsche Beratung der gliedern Pieck, Florin, Ulbricht und Acker­ nationalen Friedensbewegung" konstruiert mann verkörperten im Windschatten der und am 18. November 1942, drei Tage nach Komintern in der sov,jetischen Metropole jener Nachricht aus Frankreich, über den zu dieser Zeit die KPD-Führung. llmen von der KPD unter sov,jetischer Kontrolle betriebenen "Deutschen Volkssender publik muß die Nachricht von der Seine in der ge­ 4 gebenen Situation besonders willkommen gemacht. " Mit verteilten Rollen wird von gewesen sein, weil sie unter der Oberregie den Redakteuren und Sprechern des Sen­ des Exekutivkomitees der Komintern und in ders ein politisches und soziales Personen­ engster Tuchfühlung mit dem Beauftragten ensemble durchgespielt, das von dem als der sov,jetischen Führung in diesem Initiator der Zusammenkunft erscheinenden Gremium (Manuilski) gerade zu diesem und mit integrierender Mission versehenen Zeitpunkt besondere Anstrengungen unter­ Arzt über den sozialdemokratischen Hütten• nahm, um Kräfte zu mobilisieren und Akti­ arbeiter, den christlichen Bergarbeiterfuh­ onen in Deutschland zu organisieren, die rer, den kommunistischen Metallarbeiter, zum. Sturz der Hitlerregierung sowie zur den ehemals deutschnationalen Kreisen na­ Beendigung des Krieges fuhren könnten. bestehenden Pionierhauptrnann, den Land­ Ziel war es, eine "große nationale Friedens­ wirt, die Frau aus Köln, den "wirtschafts­ bewegung" ins Leben zu rufen, die alle parteilichen Kleinfabrikanten", den sozial­ sozialen Schichten umfaßt, von der Arbei­ demokratischen Eisenbahnbeamten, den terschaft bis zum Bürgertum, sowie alle von Kaplan und den Angestellten in der Che­ Hitler unterdrückten politischen Kräfte, von mieindustrie bis zum "nationalsozialisti­ 5 der Kommunistischen Partei und der Sozi­ schen Geschäftsmann" reicht. Als Kristalli­ aldemokratie über die Demokraten und das sationsprodukt der Beratung verbreitet der Zentrum bis zu den Deutschnationalen und Sender am 19. Dezember 1942 ein einstim- oppositionellen Teilen innerhalb des natio­ 3 nalsozialistischen Lagers. Selbstredend ge­ Siehe hierzu Pieck, Wilhelm: Zur Einschätzung der Lage in Deutschland - Perspektive und hört es zu dieser Konzeption der KPD-Füh• Aufgaben, in ZPA, Ny 4036/542: Sitzung des rung, daß sie sich einen wesentlichen Ein­ Sekretariats des EKKI am !.Dezember 1942. fluß der Partei auf eine solche zu formie­ 4 Schreiben W Pieck an Dimitroff vom rende Bewegung erhofft und zu erreichen 19.12.42, in ZPA, Ny4036/539 sucht. ~ Ebenda. Horst Laude/KPD in Frankreich funkt via Moskau 7 mig beschlossenes "Friedensmanifest an sich zur Jahreswende 1942/43 andeutenden das deutsche Volk und an die deutsche Konstellation im Verständnis der KPD­ 6 Wehnnacht" , dessen Entwurf am 10. Führung um das Heranreifen entschei­ Dezember von einer speziellen Kommission dungsträchtiger Vorgänge, die aus der Zu­ des Exekutivkomitees der Komintern abge­ spitzung der militärischen politischen und segnet worden ist7 und dessen offizielles ökonomischen Krisenmomente des Nazire­ Geburtsdatum am scheinbaren Ursprungs­ gimes erwachsen können. In einem von W. herd Rheinland-Westfalen sinnigerweise Pieck auf einer Sitzung des Sekretariats des mit dem 6. Dezember, einem Adventssonn­ EKKI am 1.12.1942 erstatteten Bericht tag, angegeben wird. Das Manifest8 enthält "Zur Einschätzung der Lage in Deutschland ein zehn Punkte umfassendes "Aktionspro­ - Perspektiven und Aufgaben"9 ist aus­ gramm der nationalen Friedensbewegung", drücklich vom "Kurs nehmen auf Vorberei­ das u. a. auf die sofortige Einstellung der tung der allgemeinen Volkserhebung zum Kriegshandlungen und die Zurückfuhrung Sturz der Hitlerbande" die Rede. Im Prozeß der Wehrmacht in die Heimat, den Sturz dieses Kampfes wird auch für die KPD eine der Hitlerregierung und die Schaffung einer neue historische Chance erwartet, zur ein­ "nationalen demokratischen Friedensregie­ flußreichen Kraft einer nationalen Friedens­ rung", die Verhaftung und Bestrafung der und Rettungsbewegung zu werden. Eine Kriegsschuldigen und die Einziehung ihres Chance, welche mit allen ihr gegebenen Vermögens sowie die Auflösung der SS Einsatz- und Einwirkungsmöglichkeiten und der gerichtet ist. Die Freiheit wahrgenommen werden soll, die von der der Meinung, der Presse und der Versamm­ revolutionären Agitation über Streiks und lung, die Freiheit des Glaubens und der Sabotageaktionen bis zur Organisierung des Weltanschauung sollen garantiert werden. bewaffueten Widerstandes reichen. Dabei Eine "aus freien, gleichen, direkten und ge­ sind sich die Moskauer Parteiführer voll­ heimen Wahlen hervorgehende neue deut­ kommen bewußt, daß es dazu größter sche Reichsversarumlung" soll eine demo­ Anstrengung bedarf, um das notwendige kratische Reichsverfassung beschließen. politisch-organisatorische Gerüst einer Das einen beispielgebenden nationalen wirksamen illegalen Arbeit der Partei in Konsens suggerierende Dokument schließt Deutschland wiederaufzubauen, feste mit der Parole: "Allseitige und alltägliche "Stützpunkte" zu etablieren, sie miteinander Volksaktion gegen die Fortsetzung des zu vernetzen und eine zentrale operative Krieges!(-) Deutsche aller Schichten, aller Leitung im Lande zu schaffen. Mit der Konfessionen und Parteien! Vereinen wir Installierung einer solchen Leitung versu­ uns zu einem Werk, zu einem Ziel: Für die chen sie zugleich, ihre eigene Rolle als Rettung des Reiches, für den Frieden zum direktiven- und impulsgebendes politisches Wohle von Volk und Vaterland!" Zentrum der Partei unter Schirm und Kon­ Mit diesem Kontext sind einige Rahmenbe­ trolle der so\-\jetisch beherrschten Kom­ dingungen und Zusammenhänge der Situa­ intern, zu behaupten und auszubauen. Unter tion umrissen, in der Pieck in Moskau das den komplizierten Kampfbedingungen und Signal von den "deutschen Freunden" aus den eingeschränkten Möglichkeiten, die Frankreich erhält. Es handelt sich bei der Entwicklungen in Deutschland direkt zu beeinflussen, setzen sie um so mehr auf die ihnen in Moskau zur Verfügung stehenden 6 Wiederveröffentlicht u.a. in : "Zur Geschichte Rundfunkstationen den "Deutschen der deutschen antifaschistischen Widerstands­ Volkssender" (DVS), mit täglich funf Sen­ bewegung 1933-1945", Berlin 1957, Seite 182- dungen, und das so\-\jetische "Inoradio" in 188. deutscher Sprache. 7 ZPA, Ny 4036/542. 8 Auf eine nähere Darstellung und Bewertung des Dokuments kann 1m gegebenen Zusammenhang verzichtet werden. 9 Siehe Fußnote 3. 8 ZdF 1/ 1996

Seit Kriegsausbruch waren von Moskau aus Rhein und sowie in Berlin ein illega­ wiederholt Anläufe unternommen worden, les Netz zu knüpfen und die Funkverbin­ den insbesondere fiir die Zeit nach 193 7 dung über Holland zur Moskauer Zentrale registrierten Zustand "einer gewissen zu sichern, zunehmenden Erfolg. Knöchel 10 Atomisierung der Partei" zu überwinden, gelang es, eine Landesleitung der KPD mit ihre illegalen Strukturen zu erneuern, alle Verbindungen in zahlreiche Landesteile zu noch vorhandenen oder nachgewachsenen schaffen. (Im Januar 1943 setzte eine neue Kräfte zu aktivieren und zusammenzu­ Verhaftungswelle deren Wirken jedoch ein führen. Das vom Exekutivkomitee der Ende). So konnte Pieck in einer Notiz über 12 Komintern am 30.12.1939 bestätigte, den "Zustand der KPD" vom Juli 1942 grundsätzliche Dokument "Politische Platt­ vermerken: "In der letzten Zeit wieder An­ form der Kommunistischen Partei Deutsch­ zeichen des Zusammenschlusses der unte­ lands"11 hatte "die Aufgabe des Aufbaus ei­ ren Parteieinheiten und Schaffen von Lei­ ner festen Parteiorganisation im Lande" for­ tungen- örtl.(lich) und gebietl.(ich). In allen muliert, "mit einheitlichen Leitungen, wel­ größeren Städten und allen Großbetrieben che, auf das engste mit den Massen verbun­ Parteigruppen - auch RHD [=Rote Hilfe den, die politische Linie und die Aufgaben Deutschlands ]-Gruppen." der Partei im Lande durchführen". Indessen Die Nachricht von den Pariser Freunden waren erfolgversprechende Ansätze zu ei­ war um so mehr geeignet, die Bemühungen nem neuen Leitungsnetz mit den immer der Moskauer Führung günstig zu flan­ neuen Verhaftungswellen durch die Gesta­ kieren, um eine neue Qualität der KPD­ po stets wieder zurückgedrängt oder zunich­ Aktivitäten im Lande zu erlangen, im Zei­ te gemacht worden. Verbindungen der frü• chen einer nationalen Sammlungsbewegung her bestehenden Abschnittsleitungen, die fiir den Frieden. Pieck begrüßt in seiner von Nachbarländern wie Frankreich, der Antwort vom 30. 10.194213 die Initiative aus Tschechoslowakei, Holland, Dänemark so­ Frankreich "als eine wertvolle Unterstütz• wie der Schweiz aus die illegale Arbeit ung unserer Arbeit" und bittet konkret um nach bestimmten Regionen in Hitler­ "wichtige Mitteilungen über Widerstands­ deutschland organisierten, waren durch den bewegung, Oppositionsäußerungen und Krieg, im Falle der Tschechoslowakei über Parteiarbeit" sowie um Übermittlung schon vorher, unterbunden worden. Ende "zuerlässiger Adressen aus größeren Januar 1941 entsandte die KPD-Führung Städten". Er bekundet sein Einverständnis ihr ZK-Mitglied mit dem mit der Entsendung deutscher Parteimitglie­ Auftrag nach Schweden, um von dort aus, der "fiir (die) Schaffung von direkten Ver­ im Zusammenwirken mit Kar! Mewis und bindungen, Übermittlung von Anweisungen Richard Stahlrnann, der Widerstandsarbeit und fiir ständige Arbeit in den Fabriken, bei der Partei im Lande einen neuen Schub zu größter Vorsicht und unter guter Tamung"­ verleihen und den Aufbau einer handlungs­ Er verweist auf die von der KPD-Führung fahi.gen zentralisierten Leitung zu betreiben. eingeschlagene Linie, wie sie im fiktiven Ehe der Versuch zur eigentlichen Ausfüh• "Friedensmanifest" vom Rhein zum Aus­ rung kam, wurde Wehner am 18. Februar druck kommt, und lenkt die Aktivitäten der 1942 von der schwedischen Polizei verhaf­ Adressaten auf die Verbreitung dieses Do­ tet. Demgegenüber war das ZK-Mitglied kuments. Das Hauptgewicht soll auf "Or­ Wilhelm Knöchel im Januar 1942 von Hol­ ganisierung und Führung der Friedens­ land aus nach Deutschland zurückgekehrt bewegung durch Schaffung von Komitees" und hatte mit seinen Bemühungen, an gelegt werden. "Wichtigste Parteiaufgabe ist (der) Ausbau und (die) Festigung der 10 ZPA, Ny 4036/497 : "Zustand der Partei" (Handschriftliche Notizen W. Piecks von Juli 12 Siehe Fußnote 10. 1942) 13 ZPA, Ny 4036/508. Veröffentlicht in : Pech, I I ZPA, Ny 4036/496. Kar1heinz, a.a.O., S. 37f. Horst Laude!KPD in Frankreich funkt via Moskau 9

Parteiorganisation durch Schaffung illegaler geben. Die andere Leitung, mit Filialen in Parteigruppen und (von) betrieblichen und Belgien und Luxemburg, befasse sich mit städtischen Leitungen". Die Parteifreunde Deutschland. Diesem Zweck dienen neben in Frankreich sollen ständig die Sendungen der bereits mitgeteilten Hilfe "ausländischer des Moskauer KPD-Rundfunks hören und Freunde" die Unterstützung durch deutsche auch alle ihre Verbindungen "fur die Agita­ Soldaten auf Heimaturlaub sowie das Aus­ tion zum Abhören des Deutschen Volks­ nutzen "alter Verbindungen" der Partei. senders" nutzen. Ausdrücklich wird der Moskauer Zentrale Am 20. März 1943 erreicht Pieck ein zwei­ versichert: "Die Arbeit beruht auf Direkti­ tes Telegramm aus vom ll.März14 Es ven des Volkssenders", "auf Euren Reden", reagiert auf eine ausdrückliche Anfrage der aber auch "auf eigener Initiative", wobei die Moskauer Zentrale und erteilt nähere Aus­ Regeln unserer Partei eingehalten werden". künfte über Zusammensetzung und Identität Trotz intensivierter Arbeit seien seit zwei der Pariser Leitung, über deren Ent­ Jahren keine Einbrüche durch die Gestapo wicklung und laufende Aktivitäten. "Rene" erfolgt. Anschließend präsentiert Rene selbst stellt sich als der frühere Abschnitts­ (Niebergall) seine "jetzigen Mitarbeiter" leiter im Saargebiet und seit 193 7 in Bel­ (insgesamt 12). Unter ihnen finden sich gien vor, zuständig fur die Region Mittel­ "Kar!, Jugendsekretariat" (d.i. Walter Häh• rhein, Köln und Aachen. Damit ist fur ne!, das fur die Jugendarbeit verantwort­ Pieck klar: Es handelt sich um keinen ande­ liche ZK-Mitglied der früheren Pariser Aus­ ren als Otto Niebergall, und der KPD-Vor­ landsleitung der KPD), "Franz von der sitzende notiert den richtigen Namen an den DVZ" (d.i. Ernst Melis, früher Redakteur Rand des Telegramms. Pieck erfährt weiter: der von der Partei herausgegebenen "Deu­ Niebergall, im Mai 1940 in Belgien ver­ tschen Volkszeitung", "Claude" (= Walter haftet und nach Frankreich deportiert, war Beling), "Max" (d.i. Willi Knigge, zuvor nach dem deutsch-französischen Waffen­ Organisationsleiter (Orgleiter) der KPD­ stillstand vom 22.6.1940 in der unbesetzten Emigrationsleitung in Paris), "Erna" {Stahl­ Zone des Vichy-Regimes in an mann) und die Spanienkämpfer Fritz Lenz der Bildung einer neuen KPD-Leitung in und Fritz Leisner. Pieck notiert hinter jeden Frankreich beteiligt, zusammen mit Decknamen auf dem Telegrammblatt, "Claude" (d.i. Walter Beling) und "Ernst" soweit bekannt, den entschlüsselten Namen (d.i. Alexander Abusch), beides Mitarbeiter des betreffenden KPD-Funktionärs und der früheren operativen Auslandsleitung der gegebenenfalls weitere Daten zur Person. Partei in Paris unter Franz Dahlem. (Der im Wenige Tage später, am 24. März 1943, - Internierungslager Le Vernet festgehaltene das Inferno von Stalingrad war untilgbar Dahlem hatte dem neuen Leitungsstab Geschichte, und das Blatt hatte sich zugun­ zugestimmt). 1m April 1941 war Niebergall sten der Sov.jetunion und ihrer Verbün• im Auftrag der Parteileitung zur Arbeit deten zu wenden begonnen - ersucht Pieck unter den deutschen Soldaten nach Paris die Freunde in Frankreich um Informatio­ gegangen. Jetzt, so kann er weiter mitteilen, nen über "Unzufriedenheit und Widerstand gebe es in Paris zwei Leitungen. Die eine, im Lande, besonders in bezug auf Auswir­ aus Deutschen und Österreichern beste­ kung totaler Mobilisierung und Bombardie­ hend, mit einer Filiale in Belgien, sei "unter rung", über Existenz und Arbeitsweise von Kontrolle und mit Hilfe der französischen illegalen Parteigruppen in Städten, über das Direktion" (d.i. die Leitung der französi• Erscheinen illegaler Zeitungen. 15 Bis Mitte schen KP) tätig und fur die Arbeit unter den Mai 1943 gehen daraufhin weitere Tele­ deutschen Soldaten verantwortlich. Von ihr gramme mit Angaben zur Lage in Deutsch­ werden die Organe "Der Soldat im Westen" land und Zeugnissen des Widerstands von und fur Belgien "Die Wahrheit" herausge- Frankreich und Belgien via Moskau,. Am

14 Ebenda. "Ebenda. 10 ZdF 111996

11 . Mai wird rückblickend lakonisch über deutsch-französischer Zusammenarbeit und eine "Beratung (der) deutschen Parteiorga­ Solidarität im Kampf gegen den gemein­ nisation in Frankreich, Belgien und Hol­ samen Feind verweisen können. Man wird land" mit 50 Funktionären berichtet, die indessen auch mancher Fakten und Zusam­ sich bereits im Januar mit der Lage und den menhänge gewahr, die das zu DDR-Zeiten Aufgaben in der Armee und Deutschland nicht selten "zurechtgedrechselte" Bild vom beschäftigt und viele Vorschläge ergeben "inspirierenden und organisierenden Zen­ hätte.16 Die KPD-Führung antwortet um­ trum" des antifaschistischen Widerstands­ gehend mit längeren Direktiven. Danach kampfes in Gestalt der Moskauer KPD­ scheint eine längere Pause in den Funkver­ Führung zurechtrücken. Zum Beispiel ist bindungen eingetreten zu sein; die vorlie­ nach Aktenlage zu vermuten, daß diese genden Archivalien geben für die Folgezeit Führung erst im Dezember 1942 bzw. März keine Kunde. Die nächste Mitteilung, die 1943 (!) näheres erfahrt, wie und von wel­ sich in den Akten findet, kommt am chen Protagonisten im Sommer des Jahres 22.September 1944 aus Frankreich.17 Rene 1940 eine neue illegale Leitung der in und der führende französische Kommunist Frankreich emigrierten KPD-Mitglieder Duclos sowie weitere Unterzeichner bitten gebildet wurde und welche weiteren Lei­ umgehend um "Direktiven für den weiteren tungsstrukturen dort seit Mitte 1941 im Zu­ Kampf' des Komitees der Bewegung "Frei­ sammenwirken mit der Resistance aufge­ es Deutschland" für den Westen. An der baut worden sind. Das "organisierende Zen­ Spitze des am 11. November 1943 gebilde­ trum" offenbarte hier unübersehbare Gren­ ten Komitees, das deutsche Politemigranten zen seiner "Verbindungen" und Informiert­ und widerstandsbereite Wehrmachtsange­ heit. hörige zusammenführt und an der Seite der Zum Schluß kann der Autor des vorliegen­ französischen Resistance für das Ende der den Beitrages noch von einer kleinen Ent­ Hitlerherrschaft kämpft, steht jener Nach­ deckung in den genannten Dokumenten be­ riebtengeher vom 15. Dezember 1942, richten: Es handelt sich um einen weiteren Rene = Otto NiebergalL Baustein zu einer bekanntermaßen bela­ Überdenkt man diese historischen Fakten steten und umstrittenen Biographie, die und Informationen über den hier fragmenta­ über manche Strecken noch unaufgehellt ist risch vorgestellten antifaschistischen Wider­ und zu der z. T. einander widersprechende standskampfes, so mag man die Archivdo­ Angaben vorliegen. In der von Rene= Nie­ kumente als Zeugnis dafür nehmen, daß bergan arn 11. März 1943 übermittelten sich der Widerstand auch unter den überaus Aufstellung seines ,jetzigen" Mitarbeiter­ schwierigen Bedingungen doppelter Verfol­ stabes erscheint, wie schon erwähnt, auch gung durch die deutschen Okkupations­ der Name "Fritz Leisner", mit dem ergän• organe und die Organe des Vichy-Regirnes zenden Vermerk "(Sp. Kapitän)". Dahinter aufs neue erhob. Man wird die Entschlos­ verbirgt sich kein anderer als Erich Mielke, senheit der Akteure, nach der militärischen später langjähriger Minister für Staats­ Niederlage des Zufluchtslandes Frankreich sicherheit in der DDR, der unter dem Deck­ den Kampf wiederaufzunehmen und ihren namen Fritz Leissner (oder Leisner) von Mut zu gefahrvollem Einsatz, zu verbuchen September 1936 bis Februar 1939 am Spa­ haben. Auch den nicht geringen Grad an nienkrieg teilnahm; zunächst als Soldat im Initiative und Selbständigkeit des Handelns, Stab, danach als Kapitän der Operations­ die sich freilich immer wieder mit dem abteilung der XIV. Infanteriebrigade, später gewohnten Hören auf die "Direktiven" der als Ausbildungsoffizier in der XI. Interna­ Moskauer Zentrale paarten. Man wird auf tionalen Brigade und als Adjutant bei Wil­ das Beispiel internationaler, insbesondere helm Zaisser, dem ersten Minister für Staatssicherheit der DDR, sowie in wei- 16 Ebenda. 17 Ebenda. Horst Laude!KPD in Frankreich funkt via Moskau 11 teren Funktionen.18 Pieck notierte auf der Paris. Hier ergibt sich ein Widerspruch: In Telegra:mnullederschrift auch in diesem seinem handschriftlichen Lebenslauf vom Falle den entschlüsselten Namen (allerdings März 1951 21 hat Mielke diese Aktivitäten in falscher Schreibweise: "Erich Milke") wesentlich geringer angesetzt, als sich nach und fugt dem erläuternd hinzu: "(Berliner) dem Zeugnis Niebergalls vermuten läßt. L.Sch [=Lenin-Schule] Paul Bach." 19 Da­ Mielke schreibt dort, daß er Ostern 1941 mit sind Stationen der Mielkeschen Biogra­ noch an einer Parteileitungssitzung teilge­ phie und sein in der Sowjetunion gefuhrter nommen habe, die Verbindungen aber dann Deckname angesprochen: 1932 bis 1934 sehr schwer wurden. "Als am 22. Juni 1941 Ausbildung an der Lenin-Schule der Kom­ die Deutschen die SU überfielen, nahm ich intern in Moskau, 1934/35 weitere militär• noch einmal im Auftrage meiner Gen. die politische Spezialausbildung und schließ• Verbindung mit der Leitung in Toulouse lich von Ende 1935 bis September 1936 auf. Nach gründlicher Diskussion wurde Lektor fur militärpolitische Fragen an der beschlossen, sofort etwas zu tun. Die Lei­ Lenin-Schule. Mit der Emigration nach tung wollte das Notwendige organisieren. Moskau hatte sich Mielke 1931 den polizei­ Jedoch die Verbindung riß ab. Später, 1942, lichen Fahndungen nach seiner Person we­ bekam ich noch einmal Verbindung mit gen Teilnahme an der Terroraktion gegen Marseille, wohin die Leitung gegangen war, die Polizisten Lenck und Anhalt am 9. Au­ und sollte November 1942 dort hinkom­ gust 1931 auf dem Berliner Bülowplatz ent­ men." Mit der Besetzung Südfrankreichs wgen. In seinem Funktelegramm vom durch die deutschen Truppen habe es je­ 24.März 1943 versäumt Pieck denn auch doch keine Verbindung mehr gegeben. Als nicht, die Genossen in Frankreich zu Lette unter dem Namen Richard Hebel ermahnen: "Sorgt fur genügende Sicherung legalisiert, habe er dann in Südfrankreich von Leisner wegen Bülowplatzsache. "20 die Arbeit fortgesetzt. Am 2. Januar 1944 Mit der Erwähnung Mielkes in der Nieher­ sei er, zusammen mit einem Franwsen, gaUseben Mitstreiterliste scheint klarge­ nach vorübergehender Verhaftung wegen stellt: Nach seiner im Anschluß an die Spa­ Differenzen mit seinem Unternehmer, der nienzeit belegten Parteiarbeit in Belgien, Organisation Todt "zur Verfügung gestellt" u.a. als Redakteur der "Neuen Rheinischen worden. Warum diese herunterspielende Zeitung", seiner im Mai 1940 erfolgten Darstellung der Zusammenarbeit Mielkes Deportation nach Südfrankreich und der mit den Leitungen der Partei in Frankreich? etwa ein Dreivierteljahr währenden Inter­ Was steckt hinter dem Fakt, daß er, der nierung im Lager Saint Cyprien hat Mielke nach seinen eigenen Angaben, im Süden etwa ab Frühjahr 1941 und zumindest bis des Landes lebte und u.a. als Holzfäller ar­ Februar/März 1943 aktiv an der leitungs­ beitete, im März 1943 noch als Mitarbeiter mäßig organisierten Widerstandsarbeit der der Leitung in Nordfrankreich bezeichnet Partei in Frankreich teilgenommen, zuerst wurde. Und: Ist es, angesichtsder Tatsache, in Toulouse, später mit Verbindung nach daß die Pariser Leitung sich unter anderem mit der Einschleusung deutscher Kommuni­

18 sten ins "Reich" befaßte, ein Zufall oder Zu diesen und den folgenden biographischen mehr, wenn Mielke im Dezember 1944 den Angaben s .. Lang, Jochen von: Erich Mielke. Eine deutsche Karriere, Berlin 1993; Otto, Rhein überschritt, "um unsere Arbeit unter Wilfriede: Zur Biographie von Erich Mielke. den Deutschen in Deutschland selbst fortzu­ Legende und Wirklichkeit, Hefte zur DDR­ setzen"? Vor Spekulationen wollen wir uns Geschichte 23 , Berlin, Dezember 1994 . Dort hüten, doch, wie stets, ergeben sich beim sind im Anhang auch handschriftlich gefertigte Recherchieren gewisse Einsichten und zu­ Angaben Mielkes zu semer Biographie gleich neue Fragen. wiedergegeben (s. Lang, Jochen von, a.a 0 ., S. 226f., Otto, Wilfriede, a a 0., S 33-35) I ~ ZPA, Ny 4036/508. 20 Ebenda. 21 s. Otto, Wilfriede, a.a.O. , S. 33-35. 12 ZdF 111996

Literatur: Lang, Jochen von: Erich Mielke. Eine deutsche Karriere, Berlin 1993 Mayer, Herbert: In der Resistance - zwischen Atlantik und Mittelmeer, in: Doemberg, Stefan (Hrsg.): Im Bunde mit dem Feind. Deutsche auf alliierter Seite, Berlin 1995 N.N.: "Zur Geschichte der deutschen antifaschi­ stischen Widerstandsbewegung 1933-1945 ", Berlin 1957 Otto, Wilfriede: Zur Biographie von Erich Mielke. Legende und Wirklichkeit, Hefte = DDR-Geschichte 23 , Berlin, Dezember 1994 Pech, Karlheinz An der Seite der Resistance. Die Bewegung "Freies Deutschland" für den Westen in Frankreich, 2. überarb. u. erw. Aufl Berlin 1987 Ders.: Resistance: Erinnerungen deutscher Anti­ faschisten, hrsg. v. Institut f Marxismus­ Leninismus beim ZK der SED, 3. Aufl., Berlin 1983 Schiller, Dieter/ Pech, Karlheinz/ Herrmann, Regine/ Hahn, Manfred Exil in Frankreich, l. Aufl. Leipzig 1981 Pieck, Wilhelrn: Zur Einschätzung der Lage in Deutschland - Perspektive und Aufgaben, in: ZPA, Ny 4036/542 Sitzung des Sekretariats des EKK.l am !.Dezember 1942