Fakultät für Kultur- und Sozialwissen- schaften

Sven Devantier

Franz Dahlem. Eine politische Biographie

Dissertation

Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie (Dr. phil.) im Fach Geschichtswissenschaft an der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen

Betreuer: Prof. Dr. phil. Arthur Schlegelmilch

Franz Dahlem. Eine politische Biographie

eingereicht von Sven Devantier, M.A.

Potsdam 2020

INHALTSVERZEICHNIS

I. EINLEITUNG 7 1. Forschungsstand und Ansatz 8 2. Fragen an die Überlieferung 15 II. HERKUNFT 1. Politischer Rahmen 18 2. Elternhaus 19 3. Schule und Kirche 21 III. EINTRITT IN DIE ARBEITERJUGENDBEWEGUNG 1. Lehre in Saarbrücken 25 2. Umzug nach Köln 27 IV. ERSTER WELTKRIEG 1. „Burgfrieden“ und Sozialistische Arbeiterjugend 30 2. Kriegsdienst und politische Neuorientierung 31 3. Aufschwung der revolutionären Bewegungen 35 V. REVOLUTION STATT BURGFRIEDE 1. Rückkehr nach Köln 36 2. Im Kölner Arbeiter- und Soldatenrat 37 3. „Sozialistische Republik“ in Köln 40 VI. EINTRITT IN DIE KOMMUNISTISCHE INTERNATIONALE 1. Vereinigung von KPD und USPD 42 2. KPD-Vertreter in Frankreich und Belgien 45 VII. RUHRGEBIET UND AUFSTAND 1. Organisator im Kampf um das Ruhrgebiet 50 2. Aufstandsversuch der KPD 53 VIII. FRAKTIONSKÄMPFE 55 IX. NEUORGANISATION DER KPD 1. Umstellung auf Betriebszellen 59 2. Abteilungsleiter im ZK 61 X. ZWEI „HAUPTFEINDE“ 1. Sozialfaschismusthese 63 2. Revolutionäre Gewerkschaftsopposition 66 XI. TERROR UND ILLEGALITÄT 69 XII. ORGANISATORISCHE UND IDEOLOGISCHE KLÄRUNG 1. Orientierung der Parteiführung durch das EKKI 74

2. Innerparteiliche Klärung 77 3. Brüsseler Konferenz 80 XIII. EINHEITSFRONT VON OBEN 82 XIV. POLITISCHER KOMMISSAR IN SPANIEN 1. Die Entsendung 84 2. Volksfrontpolitik in Spanien 86 3. Kampf gegen innere und äußere Gegner 88 4. Kaderschutz und Kaderausbildung 90 XV. PARTEILEITER IN 1. Walter Ulbrichts Abberufung 92 2. Terror gegen die Komintern 94 3. Leiter des Sekretariats in Paris 97 4. Der „Fall“ Münzenberg 98 5. Die letzte Bastion 100 6. Verbindung zu Thälmann, Konflikt mit Ulbricht 104 7. Orientierungslosigkeit in Paris 106 8. Das Unmögliche 108 9. Reaktion der KPF 111 XVI. REGISTRIERUNG DES SEKRETARIATS DER KPD 1. Erklärung zum Nichtangriffsvertrag 113 2. Beibehaltung der antifaschistischen Parteilinie 116 3. Verhaftungen und Registrierung 122 4. Freiwillige Registrierung des Sekretariats 123 5. Letzte politische Stellungnahme Franz Dahlems 130 6. Stellungnahme der deutschen Vertreter in Moskau 133 XVII. CAMP LE VERNET 1. Verlegung in das Internierungslager 134 2. Kein Asyl in Frankreich 136 3. Registrierung durch die Kundt-Kommission 137 4. Travail allemand 139 5. Asyl in Mexiko? 140 6. Auslieferung oder Ausreise? 143 7. Politische Haltung im Lager 148 XVIII. AUSLIEFERUNG AN DIE SS 1. Gefängnis in Castres 151 2. Übergabe an der Demarkationslinie 154

XIX. IM VERNICHTUNGSLAGER MAUTHAUSEN 1. Einlieferung 158 2. Aufstand oder nicht? 160 3. Kampf ums Überleben 163 4. Flucht nach Wien 164 5. Klärung in Moskau 166 6. Eigene Ziele 167 XX. PARTEIEINHEIT UND DEUTSCHE EINHEIT 1. Einheitspartei 171 2. Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes 177 3. Westarbeit und deutsche Einheit 179 4. Der besondere deutsche Weg zum Sozialismus 183 5. Staatsgründung 185 XXI. FUNKTIONSENTHEBUNG 1. Schauprozesse in und Prag 187 2. Unterstützung Noel Fields 189 3. László Rajk 191 4. Rudolf Slánsky 193 5. „Lehren“ für einen Berliner Prozess? 194 6. Untersuchung vor der ZPKK 199 7. Verurteilung ohne Prozess 201 8. Dahlems Protest 205 9. Verfolgung Dahlems eingestellt 210 XXII. KAMPF UM VOLLE REHABILITIERUNG 1. Löschung der Parteistrafe 212 2. Im Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen 214 3. Memoiren als Mittel zum Zweck 217 XXIII. ABSCHLUSS 220 XXIV. ARCHIVE UND LITERATUR 1. Archive 222 2. Zitierte Literatur 2.1. Veröffentlichte Dokumente 222 2.2. Erinnerungen und Publizistik 224 2.3. Forschungsliteratur 226 XXV. ABKÜRZUNGEN 229 XXVI. ERKLÄRUNG GEM. § 7 (6) PROMOTIONSORDNUNG 231

I. EINLEITUNG

Die Motivation, die Biographie des Mitglieds des Politbüros der KPD und der SED Franz Dahlem zum Gegenstand einer Dissertation zu wählen, lag vor allem darin begründet, dass zu den 89 Jahren seines ereignisreichen Lebens noch keine umfassende politische Biographie vorliegt. Mitglieder des Politbüros waren bisher selten Gegenstand biographischer Forschung. Sammelbiographien konnten diese Aufgabe nicht erfüllen.1

Es liegen zwar bereits wichtige Forschungsergebnisse zu einigen Spitzenfunktionären vor2, aber die Mitglieder des Politbüros bieten noch viel Potential für quellenfundierte vollständige Studien ihres gesamten politischen Lebens. 3 Beispielhaft seien aus Franz Dahlems Umgebung Wilhelm Zaisser, , Anton Ackermann4, , Fritz Heckert5 und genannt, zu denen Teilveröffentlichungen vorliegen, aber keine vollständigen Biographien. Ihre Biographien können aber einen wesentlichen Beitrag auch zu einer Parteigeschichte der KPD und auch der SED leisten. Die Öffnung der Archive der Staaten des Warschauer Vertrags und ihrer kommunistischen bzw. Einheitsparteien bieten der biographischen Forschung die Chance, die vielfach verbundenen Lebenswege national wie international darzustellen. Damit können sie auch einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Versachlichung der Geschichte der SED und der DDR leisten.

Die vorliegende politische Biographie Franz Dahlems soll vor diesem Hintergrund seine Biographie aufgrund der zugänglichen Archivdokumente darstellen. Sie fragt repräsentativ für diese höchste Schicht kommunistischer Funktionäre nach dem Wert des Täter-Opfer- Schemas, das die in Frage stehenden Personen oft ad hoc verurteilt, ohne den biographischen Zusammenhang herzustellen.

1 Vgl. u.a. Jean Maitron, Dictionnaire biographique du movement ouvrier français, Paris 1968-1981. Vgl. auch: Helmut (Hrsg.), Müller-Enbergs, Wer war wer in der DDR? Ein Lexikon ostdeutscher Biographien, 2010. Vgl. auch: , Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 – 1945, Berlin 2008. 2 Vgl. u.a. Ronald Friedmann, Arthur Ewert. Revolutionär auf drei Kontinenten, Berlin 2015. Vgl. auch: Ronald Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann. Eine Gerhart-Eisler-Biographie, Berlin 2007. Vgl. auch: Mario Keßler, Ruth Fischer. Ein Leben mit und gegen Kommunisten (1895-1961), Köln (u.a.) 2013. Vgl. auch: Norbert Podewin, Der Rabbinersohn im Politbüro. Albert Norden. Stationen eines ungewöhnlichen Lebens, Berlin 2003. Vgl. auch: Norbert Podewin, . Eine neue Biographie, Berlin 1995. Vgl. auch: Martin Sabrow, . Das Leben davor. 1912 – 1945, München 2016. 3 Martin Sabrow, Der führende Repräsentant. Erich Honecker in generationsbiographischer Perspektive, in: Zeithistorische Forschungen 10/2013, Heft 1, S. 61-88, hier: S. 64. 4 Frank Schumann (Hrsg.), . Der deutsche Weg zum Sozialismus. Selbstzeugnisse und Dokumente eines Patrioten, Berlin 2005. Die Veröffentlichung ist auf die Wiedergabe von Dokumenten fokussiert. Ihre Thesen müssten in einer eigenen Biographie Ackermanns diskutiert werden. 5 Helga Meyer, Fritz Heckert. Lebensbild eines Zeitgenossen, Berlin 1988. Dieses „Lebensbild“ stellt den ersten Versuch einer Biographie dar, müsste aber aufgrund der jetzt zugänglichen Quellen erweitert und problematisiert werden.

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Der Schematismus hätte auch bei Dahlem zur Folge, er sei in der DDR als Mitglied des Politbüros, Leiter der Kaderabteilung und Leiter der Westarbeit „Täter“ gewesen, wovon drei Jahre Untersuchungsverfahren und Parteistrafe abzuziehen sind. Genauso würde das Urteil auf vor 1945 angewendet werden. Dann wäre er ein „Stalinist“, der die KPD auf Moskauer („Stalins“) Kurs brachte. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit richtet sich hingegen auf die wichtigsten Stationen der Biographie Dahlems, um auf der Basis umfangeicher Quellenstudien ein differenziertes Bild vor dem Hintergrund seiner Zeit zu zeichnen.

1. Forschungsstand und Ansatz

Dahlems ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter Horst Blumberg war der erste, der an einer Gesamtbiographie arbeitete. Er konnte seinen Entwurf aber aufgrund der bestehenden Parteilichkeit in der Geschichtsschreibung der SED nicht vollenden oder veröffentlichen. Zu groß war die Gefahr aus Sicht der Parteiführung, dass eine Thematisierung der „Field-Affäre“ das Bild der KPD und SED beschädigte und dem politischen Gegner in der BRD Propagandamaterial lieferte.

Historiker der DDR beschäftigten sich erst nach 1990 mit bis zu diesem Zeitpunkt tabuisierten Themen, insbesondere mit besonders interessanten biographischen Sachverhalten wie Dahlems Entscheidung von 1939, die Mitarbeiter des Apparats der KPD in Paris bei der französischen Polizei zu registrieren. So gab es bis 1990 die paradoxe Situation, dass grundsätzlich alle DDR-Historiker die veröffentlichten Dokumente aus der Zeit der Vorbereitung eines Schauprozesses in der DDR als gesetzt ansahen, obwohl deren Inhalt durch die Memoiren Dahlems und eine offizielle Grussadresse Erich Honeckers zum 80. Geburtstag von Franz Dahlem im Jahre 1972 zweifelhaft geworden war.

Aber auch die Forschung der Bundesrepublik thematisierte erst nach 1990 die Biographie Dahlems eingehender, weil sie vor 1990 Gegenstand schwerwiegender politischer Auseinandersetzungen war und die entsprechenden Quellen nicht zugänglich waren.

Nach der vollständigen Öffnung der Archive der DDR, insbesondere des Zentralen Parteiarchivs, beschäftigte sich die historische Forschung fast ausschließlich mit zwei Ereignissen aus Dahlems politischem Leben vor dem Hintergrund des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages und der Schauprozesse in Osteuropa, ohne die Rolle Dahlems als leitenden Funktionär einer Sektion der Komintern auf einer breiten Quellengrundlage im Zusammenhang darzustellen. Das führte zu einseitigen und unvollständigen Perspektiven, die

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Dahlem fast zu einem Gegner der Parteipolitik und Querkopf deklarierten, der sich außerhalb der Parteiführung von KPD und SED positioniert habe.

Zum einen ging es um die Registrierung der Emigration, insbesondere des illegalen Sekretariats der KPD in Frankreich 1939 und zum anderen um seine Funktionsenthebung 1953 aufgrund der konstruierten Verbindung zum angeblichen amerikanischen Agenten . Für die Zeit der Registrierung des Sekretariats der KPD fehlten bislang genauere Angaben zur Zusammenarbeit Dahlems mit der KPF und der Komintern, was zu einer Fokussierung auf den durch den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag unter Kommunisten ausgelösten „Schock“ führte, wobei die englisch-französische Appeasement- Politik gegenüber dem deutschen Faschismus zurücktritt oder gar nicht thematisiert wird.

Unumstritten ist, dass die Vorwürfe gegen Dahlem, die zu seiner Funktionsenthebung führten, nicht der Wahrheit entsprachen und Dahlem falsch beschuldigten, um ihn aus dem Politbüro zu drängen. Diese falschen, den berüchtigten Moskauer Prozessen ähnelnden Anklagen wurden aber noch nicht im einzelnen analysiert, da dazu Kenntnisse der politischen Biographie Dahlems der dreißiger Jahre erforderlich sind, die auch nur verstreut greifbar sind.

Insbesondere fehlte eine neuere Darstellung der zweijährigen Internierung Dahlems und deutscher Kommunisten im französischen Internierungslager Le Vernet. Dass Dahlem Teil eines für die DDR geplanten Schauprozesses werden sollte, ist unbestritten. Allerdings bleibt unklar, welche Rolle ihm zugedacht war. Hier fehlte bislang eine zuverlässige Quellengrundlage. Die vorliegende politische Biographie versucht, darauf wenigstens eine Teilantwort zu geben.

Es fehlten bislang Darstellungen zu Dahlems Herkunft, seinem Aufstieg in das Politbüro der KPD und seiner Haltung zur Änderung der Parteilinie in den Fraktionskämpfen der dreißiger Jahre vor dem VII. Weltkongress der Komintern und dem Spanien-Krieg. Aber auch die Funktionsenthebung und Untersuchung gegen Dahlem im Jahr 1953 sollte hier erstmals ausführlich und anhand der Quellen objektiver als bisher dargestellt werden.

Es ist tautologisch bezüglich der in der DDR erschienen Biographien und Erinnerungen der hohen Parteifunktionäre, festzustellen, dass die Biographie von KPD-/SED-Partei-

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funktionären „devait couvrir tout le champ du marxisme-léninisme pour convaincre le lecteur de la supériorité du communisme.“6

Das war ideologischer Konsens aller Parteifunktionäre, die ihre Biographien schrieben. Daneben gab es für die Generation, von der hier die Rede ist, im deutschen Faschismus einen gemeinsamen politischen Feind, der die Vernichtung der Kommunisten mit äußerster Brutalität und rationell-sadistisch betrieb. Der gemeinsame Kampf gegen Hitler und seine Helfershelfer war kein „Mythos“, sondern erlebte Realität.

Als ehemalige KPD-Funktionäre in der DDR höchste Staatsämter besetzten, war es doch gerade vor dem Hintergrund der Systemauseinandersetzung auch für sie klar, dass ihre veröf- fentlichten Erinnerungen der Gegenseite keine Möglichkeit zur argumentativen Ausnutzung gegen die DDR und ihre Politiker geben durften.

In der heutigen biographischen Debatte wird genau das noch nachträglich als Argument gegen die Wissenschaftlichkeit der SED-Biographien angeführt. So habe das Sekretariat des Politbüros der SED 1975 Dahlem die Veröffentlichung seiner Erinnerungen nur genehmigt, wenn er auf die Darstellung von Parteiinterna verzichte.7 Wenn man die Quellen konsultiert dann ist es richtig, dass Tatsachen zurückgehalten wurden, die andere SED-Parteifunktionäre betrafen. Aber diese Tatsachen konnten auch die sogenannten „Tabuthemen“ betreffen, wie z.B. in Dahlems Fall die Registrierung des Sekretariats der KPD in Paris 1939, für die er verantwortlich war.

In seinen Erinnerungen konnte Dahlem keine rückhaltlose Rechtfertigung schreiben, aber breit und oft indirekt seine Haltung erläutern. Natürlich verhinderten das zuständige Mitglied des Politbüros der SED Kurt Hager, das IML und das MfS die ausführliche Darstellung von Dahlems Selbstkritik als Funktionär unter Stalin und die Kritik an der fehlenden Rehabili- tierung der Opfer der Säuberungen, die auch die SED zwischen 1949 und 1953 trafen. Aber ein Großteil der Korrekturwünsche betraf auch ganz allgemeine historische Tatsachen. Das ändert nichts daran, dass Dahlem um die Themen wie Registrierung der Mitglieder der KPD bei der französischen Polizei 1939, Auflösung der Politbüros 1937 und Volksfrontpolitik Ulbrichts intern lange und schwierige Diskussionen, regelmäßig auch mit der Parteispitze, führte.

6 Ulrich Pfeil, Le genre biographique dans l’historiographie de la RDA, in: Coline Defrance (Hrsg.), Le genre biographique dans les historiographies francaise et allemande contemporaines (Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande 33/2001, Heft 4), S. 487-500, hier: S. 492. 7 Ebd., S. 496.

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Es ist allgemein in Bezug auf die Biographie Dahlems festzustellen, dass die bisherigen Veröffentlichungen zu Teilaspekten seines Lebens, insbesondere zur Registrierung des Sekre- tariats der KPD 1939 in Paris, dazu neigen, Dahlems Handlungsmöglichkeiten im Rahmen der Kommunistischen Internationale und seine Intentionen weit zu überschätzen. Er hatte sicherlich ganz eigene politische Vorstellungen. Diese versuchte er allerdings nie selbständig außerhalb der Beschlüsse der KPD, der SED oder der Komintern durchzusetzen oder de facto durchzusetzen.

Die Forschung tendiert dazu, ihn in die Nähe eines Dissidenten zu rücken, der entgegen seiner offiziellen Verlautbarungen, den „vernünftigen“ Weg bevorzugte und immer nur an der hartnäckigen Parteilinie gescheitert sei.

Die folgende Biographie kann zeigen, dass das Gegenteil der Fall war. Dahlem war immer auf Parteilinie. Die Partei war für ihn der politische Handlungsrahmen, den er nicht verließ. Die Entscheidungen, die er scheinbar außerhalb der Parteilinie traf, sind nicht deshalb von ihm getroffen worden, sondern gerade weil er sich durchaus in Übereinstimmung mit der Parteilinie sah. Dass sich daraus im Nachhinein parteiinterne Anschuldigungen ergaben, lag an ganz anderen politischen Gegebenheiten. Diese Anschuldigungen hingen selbst von der Situation der Partei, ihrer Führung und der allgemeinen politischen Situation ab.

Diese Tatsache vernachlässigt zu haben, führte die „herrschende Meinung“ zu Wunsch- vorstellungen, wonach Dahlem vielleicht gern wie ein Politiker in einer parlamentarischen Demokratie gedacht hat und handeln wollte, aber immer wieder an den kommunistischen Parteiinteressen gescheitert sei. Es gilt aber, die Widersprüchlichkeiten der historischen Entwicklung in Verbindung mit der Biographie des Einzelnen in seiner Zeit darzustellen.

Die bisherigen Veröffentlichungen aus Sammelbänden zu Dahlems Biographie werden separat in den jeweiligen Kapiteln zitiert, um sie in den Zusammenhang der vorliegenden ersten Gesamtbiographie zu stellen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, fehlt diesen Aufsätzen fast immer eine eingehende Quellenforschung. Die Biographie Dahlems konnte jedoch nicht ausschließlich aufgrund der vorhandenen Literatur oder bereits veröffentlichter Quellen geschrieben werden. Ohne umfassende Studien in verschiedenen Archiven war diese Aufgabe nicht zu bewältigen. Problematisch war zudem, dass bis heute eine Parteigeschichte der KPD ein anerkanntes Desiderat der Forschung ist. Auch vor diesem Hintergrund war die Benutzung von Archivalien unentbehrlich.

Es ging dabei nicht um die Verteidigung von Sichtweisen Franz Dahlems oder der Geschichtsschreibung der DDR, sondern ganz besonders um die Distanzierung von vereinfachenden Darstellungen und weglassenden Verfälschungen „parteikommunistischer

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Sichtweisen“, die z.B. Hermann Weber und Siegfried Lokatis Anlass für Kritik gegeben und gute Quellenrecherchen und breite thematische Ansätze der DDR-Forschung diskreditiert haben.8

Auf einige Werke, die dem Titel oder Thema nach bei der Erarbeitung der politischen Biografie Franz Dahlems hätten hilfreich sein können, sei hier kurz eingegangen:

Ossip Kurt Flechtheims Veröffentlichung „Die KPD in der Weimarer Republik“ ist nicht ausreichend belegt.9 So bezog sich Flechtheim ausschließlich auf veröffentlichte Literatur, v.a. auf Publizistik und seine eigenen biographischen Erfahrungen. Flechtheim selbst war aber nur kurze Zeit Mitglied der KPD. In dieser Zeit dürfte er keine internen Einblicke in die Politik der deutschen Parteiführung oder der Komintern erhalten haben. Gegen das Buch sprach auch Flechtheims politische Entwicklung. Nach der kurzen Mitgliedschaft in der KPD war er Mitglied der Gruppe „Neu Beginnen“, dann der SPD und vertrat diesen Wandel tagespolitisch auch in dem Buch „Die KPD in der Weimarer Republik“ nach 1945.

Auch die Ergänzung um neuere Literatur in der Ausgabe von 1986 konnte den Mangel an ausgewerteten Primärquellen des Partei- und Kominternarchivs nicht ausgleichen. Insgesamt schätzte ich Flechtheims Veröffentlichung zur KPD als publizistisch ein und habe sie daher nicht als Grundlage einer Parteigeschichte oder für Dahlems Biographie herangezogen. Flechtheim erwähnte Dahlem nur marginal.

Soziologische und kulturgeschichtliche Forschungsansätze zur Geschichte der KPD entsprachen nicht meinem Quellenbefund. Klaus-Michael Mallmanns „Kommunisten in der Weimarer Republik“10 war vor allem regional begrenzt. So gelang es ihm nicht, eine KPD- Geschichte zu schreiben. Dahlem wurde von ihm nur am Rand erwähnt, obwohl er aus der Großregion -Lothringen-Luxemburg stammte. Mallmanns Feststellung, dass die Mitglieder der KPD von der Sozialdemokratie der „Kaiserzeit“ geprägt waren, ist im Prinzip richtig. Allerdings galt das nicht für die gesamte KPD. Der Franz Dahlem der zwanziger Jahre war sicherlich kein „Sozialdemokrat wider Willen“.

Rüdiger Bergiens 2017 erschienene Veröffentlichung „Im Generalstab der Partei. Organisa- tionskultur und Herrschaftspraxis in der SED-Zentrale“ stellte keine Parteigeschichte im Allgemeinen oder zu Dahlem im Besonderen dar. Das soll soziologisch nicht gewertet

8 Hermann Weber, „Weiße Flecken“ in der Geschichte. Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung, /Main 1990. Vgl. auch: Siegfried Lokatis, Der rote Faden. Kommunistische Parteigeschichte und Zensur unter Walter Ulbricht, Köln 2003. 9 Ossip K. Flechtheim, Die KPD in der Weimarer Republik, 1986. 10 Klaus-Michael Mallmann, Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung, Darmstadt 1996.

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werden, historisch entsteht der Eindruck, dass Bergien nicht zu einer klaren Wertung fand. Er bleibt bei allgemeinen Feststellungen wie z.B., dass sich das ZK der Gesellschaft angeglichen habe, was er unter dem schwer verständlichen Begriff der „Isomorphie“ zusammenfasste.11 Franz Dahlem wurde von ihm nur beiläufig erwähnt.

Andreas Malychas strukturgeschichtliche Untersuchung „Geschichte der Stalinisierung der SED“12, die in der Reihe „Diktaturen im Europa des 20. Jahrhunderts“ erschien, basierte auf einem Begriff, der umstritten ist. Zu diesem Begriff schrieb Prof. Reiman von der Freien Universität Berlin: „Der Begriff ‚Stalinismus‘ selbst hat keinen festen Inhalt.“ 13 Auch Andreas Malycha hatte Mühe, ihn in seiner „Geschichte der Stalinisierung der SED“ zu definieren. Er benannte einige Merkmale, v.a. das der leitenden (Staats-)Partei. Seine Definition könnte man auch als Übernahme des sowjetischen Partei- und Staatsmodells durch die SED bezeichnen, nur war sie das auch?

Malycha betrachtete die Geschichte der SED-Gründungsjahre unabhängig vom Ost-West- Konflikt, auch weil sich die „Stalinisierung“ nicht zentral vollzogen habe und erst 1948 manifest geworden sei.

Das waren Behauptungen, die selbst einer oberflächlichen Prüfung nicht standhalten. Die SED ist aus vielen Gründen zustande gekommen. Sicherlich spielte die Ost-West- Auseinandersetzung eine wichtige Rolle dabei. Die Diskussion in der SED um den „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“ schloss eine unmittelbare Überstülpung des sowjetischen Parteimodells aus, zumal die SED sich auch als parlamentarische Partei verstand und es bis 1990 kein Einparteienmodell in der DDR gab.

Zudem ging Malycha auf wesentliche umstrittene Kriterien der Stalinismus-Diskussion, insbesondere in Bezug auf die SED, nicht ein. Dazu gehören die Rolle des Marxismus, die Person Stalins selbst und die Frage nach dem sozialen Träger des Stalinismus.14

Richtig war Malychas Zuordnung Dahlems als „Westemigrant“, aber warum konnte Dahlem dann 1945 Personal und Westarbeit der KPD leiten? Der Begriff des Westemigranten ist

11 Rüdiger Bergien, Im Generalstab der Partei. Organisationskultur und Herrschaftspraxis in der SED-Zentrale (1946-1989), Berlin 2017. Vgl. auch: Christian Rau, Rezension von Rüdiger Bergien, Im „Generalstab der Partei“. Organisationskultur und Herrschaftspraxis in der SED-Zentrale (1946-1989), Berlin 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 1 [15.01.2019], URL: http://www.sehepunkte.de/2018/01/30801.html : Christian Rau, ein Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte, bemerkte, dass er sich bei Bergien mehr „Tiefenschärfe und einen kritischeren Umgang mit dem Quellenmaterial (insbesondere mit der Überlieferung des MfS) gewünscht“ habe. 12 Andreas Malycha, Die SED. Geschichte ihrer Stalinisierung 1946-1953, Paderborn 2000. 13 A.W. Sidorow, Stalinismus. Erfahrungen und Lehren der Interpretation, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 33/1991, Heft 2, S. 246–254, hier: S. 249. 14 Ebd., S. 250ff.

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nicht umfassend genug. Dahlem selbst war in einem – in den Grenzen von 1938 nach der Okkupation Österreichs betrachtet – innerdeutschen KZ inhaftiert. Bis 1939 war er mehrfach an entscheidender Stelle in Moskau. Seine Kontakte zu Dimitroff und seine Mitgliedschaft im Exekutivkomitee der Komintern können auch ihn als „Moskaukader“ erscheinen lassen. Nur war auch für mich der Terminus „Moskaukader“ zu unbestimmt. Es hing sicherlich viel davon ab, an welcher Stelle die Person in der Sowjetunion tätig war.

Bei Catherine Epsteins Monographie „Die letzten Revolutionäre“ handelt es sich um eine biographische Darstellung einzelner führender Mitglieder der KPD, u.a. Franz Dahlems. „Die Letzten Revolutionäre“ enthält keine vollständige Biographie Dahlems. Epstein schloss mit dieser Veröffentlichung an ihre Dissertation 15 der „Kollektivbiographie“ 16 von „Altkommunisten in Ostdeutschland“ an. Die Abschnitte zu Dahlem in „Die Letzten Revolutionäre“ enthalten paraphrasierend einiges Neues aus Quellen, was bisher noch nicht veröffentlicht wurde. Das, was Epstein der Memoirenliteratur entnahm, prüfte sie meist nicht anhand weiterer Quellen, die ihr auch zugänglich waren. Es entsteht der Eindruck, dass Epsteins Faktenauswahl einseitig blieb. Das führte sie auch zu Fehldarstellungen der Biographie Dahlems.

Einige Beispiele dafür sind:

Epstein behauptete, Dahlems Eltern hätten entschieden, dass er arbeiten gehen solle, anstatt die Schule zu beenden.17 Den veröffentlichten Erinnerungen Dahlems, den „Jugendjahren“, sowie dem Schriftwechsel im Nachlass Dahlems hätte Epstein entnehmen können, dass den Eltern das Geld fehlte, um ihren drei Söhnen Abitur und Studium zu finanzieren.

Epstein zitierte aus Dahlems „Jugendjahren“, dass er nach der Gründung der KPD 1919 an einer neuen organisatorischen Spaltung der Arbeiterbewegung gezweifelt habe18 und „fast zwei Jahre“ gebraucht habe, „seinen Weg zur KPD“ zu finden. 19 Die Hintergründe der späteren Abspaltung der USPD-Linken erläuterte Epstein nicht. Auch nicht, dass Ernst Thälmann, Wilhelm Florin u.a. erst 1920 in die KPD eintraten.

Weiter unterstellte Epstein dem ausgebürgerten Dahlem und anderen hohen KPD- Funktionären, die Verleihung der sowjetischen Staatsangehörigkeit sei ein Beleg dafür, dass

15 Catherine Epstein, The Last Revolutionaries. The Old Communists of East 1945-1989, Cambridge (Massachusetts) 1998. 16 Catherine Epstein, The Last Revolutionaries. German Communists and Their Century, Cambridge (Massachusetts)/ London (England) 2003, S. 3. 17 Epstein, Revolutionaries (2003), S. 17. 18 Franz Dahlem, Jugendjahre. Vom katholischen Arbeiterjungen zum proletarischen Revolutionär, Berlin 1982, S. 793. 19 Epstein, Revolutionaries (2003), S. 19.

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die Sowjetunion ihre wahre Heimat („true home“) gewesen sei. Sie nannte den Mai 1941 noch als Datum der Verleihung.20 Unerwähnt blieb jedoch, dass Dahlem im französischen Internierungslager Le Vernet festgehalten wurde und die große Gefahr bestand, an die ausgeliefert zu werden, die seit 1933 nach ihm fahndete, eine Gefahr, die später zur Realität wurde. Diese Tatsache war Pieck bekannt, der bei Dimitroff und Molotow für die Verleihung der Staatsangehörigkeit eintrat, um Dahlem vor der Auslieferung an die Gestapo zu bewahren.

Als letztes Beispiel nenne ich Epsteins Feststellung, dass die „Moskauer KPD-Führung keine Strafen (Maßnahmen) gegen Franz Dahlem und Paul Merker (1940) ergriff, sondern erst später – viel später in Ostdeutschland.“21 Epstein erwähnte nicht, dass Dimitroff und Pieck Dahlem 1940 schützten und ging nicht auf die Rolle Ulbrichts ein. Auch im späteren Kapitel zu „Ostdeutschland“ wertete sie die Verteidigungsschriften Dahlems nicht aus. Damit reduzierte sich ihr Urteil über das Verhältnis Ulbrichts zu Dahlem auf den Begriff des „Langzeitrivalen“22.

Statt eines Literaturverzeichnisses wies Epstein alle Belege als Endnoten nach. Epstein hat fast ausschließlich deutsche Archive, v.a. den Bestand des Zentralen Parteiarchivs benutzt, aber auch hier bleiben wichtige Aktengruppen und Literatur ungenutzt oder nicht genügend berücksichtigt, so z.B. die Erinnerungen der Mauthausen-Häftlinge, die Kaderakten und Dahlems Nachlass. Es fehlen aber auch der Bestand des Moskauer Archivs der Komintern, das dortige Archiv der neuesten Zeit sowie französische Archivbestände.

2. Fragen an die Überlieferung

Die Überlieferung zu Dahlem ist aufgrund seiner herausgehobenen politischen Position außerordentlich umfangreich.

Erste Adresse ist das Zentrale Parteiarchiv der SED, dessen Bestände in die Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) gelangten. Die dort erhalten gebliebenen Akten der KPD und der SED, vor allem des Sekretariats, des Politbüros und des Zentralkomitees ermöglichen die Rekonstruktion der Karriere und des Handelns als Parteifunktionär vor dem Hintergrund der Parteigeschichte.

20 Ebd., S. 36. 21 Ebd., S. 70. 22 Ebd., S. 11.

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Die SAPMO verwahrt für Biographien kommunistischer Funktionäre die äußerst interessanten Nachlässe und Kaderakten, die das Parteischriftgut ergänzen und Rückschlüsse auf Tatsachen zulassen. Auch das persönliche Archiv Franz Dahlems 23 und seine Kaderakten24 aus dem Zentralen Parteiarchiv der SED sowie Dahlems Nachlass25 mit einer von ihm selbst angelegten umfangreichen Materialsammlung sind erhalten.

Von besonderer Bedeutung für seine politische Biographie war das unveröffentlichte Manuskript 26 seiner Erinnerungen „Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges“. Dieses Manuskript enthält die vollständige Version seiner Erinnerungen und ermöglichte einen Blick auf die Biographie jenseits der Rücksichten, die Dahlem für die veröffentlichte Version nehmen musste.

Das heißt aber nicht, dass diese Quelle unkritisch übernommen wurde. Natürlich gab Dahlem auch hier seine Version der Geschichte wieder. Das unveröffentlichte Manuskript seiner Erinnerungen ist aber auch eine unerlässliche Quelle, um Tatsachen der Biographie Dahlems zu rekonstruieren oder andere umstrittene Ereignisse besser abwägen zu können. Dabei musste die doppelte Parteilichkeit: Subjektivität des Autobiographen und Anspruch der Staatspartei SED, vertreten durch IML und MfS, berücksichtigt werden.

Das unveröffentlichte Manuskript gibt allerdings einen besonderen Einblick auf Dahlems gesamte Biographie. Diesem Manuskript, dass Dahlem gegen die falschen Anschuldigungen der ZPKK verfasste, lassen sich viele Informationen entnehmen, die mit dem Jahr 1939 und dem Jahr 1953 nicht immer etwas zu tun haben, aber für die Gesamtbiographie von Interesse sind. Die Jahre 1939 und 1953 waren persönlich entscheidende Jahre für Dahlem, aber beide Jahre hatten eine bestimmende biographische Vorgeschichte.

Die Prüfung der Angaben Dahlems zu den Anschuldigungen Materns in der Zentralen Parteikontrollkommission der SED war durch die Rückgabe der Verhörprotokolle der ZPKK an das Parteiarchiv (SAPMO) erstmals möglich.27 Quellenkritisch waren diese von beson- derer Bedeutung, weil sie mit den Stellungnahmen Dahlems korrespondierten.

Der Nachlass Dahlems und die Akten der SAPMO finden ihr Pendant in den Russischen Staatsarchiven für sozialpolitische Geschichte und die Geschichte der neuesten Zeit in

23 SAPMO DY 30/9970-10000. 24 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 5280, Bd. 1-3. 25 Nachlass Franz und Käthe Dahlems SAPMO NY 4072. 26 SAPMO NY 4072/114-115. 27 2018 in der Zentrale der Partei Die Linke im Karl-Liebknecht-Haus gefunden, wohin sie nach 1990 zur erneuten Überprüfung des Falls Dahlem geschickt wurden. Zitiert mit der Bestandsbezeichnung „ZPKK“ und der Angabe des Schriftstücks, da die SAPMO beim Abschluss dieser Arbeit noch keine endgültigen Signaturen für die Abgabe vergeben hatte.

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Moskau, die für diese politische Biographie teilweise erstmals benutzt werden konnten. Insbesondere erwähnenswert sind das Archiv der Komintern und Aktengruppen, die die Reaktion auf Dahlems Funktionsabsetzung 1953 wiedergeben.

Im französischen Nationalarchiv und den Archiven des Ministeriums des Innern in Paris konnten Akten ermittelt werden, die insbesondere Dokumente zu Dahlems Inhaftierung im französischen Internierungslager Le Vernet zwischen 1939 und 1942 enthalten, die noch nicht im Nachlass oder in den noch in Familienbesitz befindlichen Unterlagen enthalten waren.

Besonders hilfreich waren auch Akten des Ministeriums für Staatssicherheit, insbesondere die Verhörprotokolle Paul Merkers aus den fünfziger Jahren und Stellungnahmen des Ministeriums zu umstrittenen Fragen der Erinnerungen Dahlems.

Die Arbeit mit den Originaldokumenten war der Ansatz, diese Biographie zu schreiben, da nur durch sie überhaupt biographische Thesen zu Franz Dahlem möglich sind. Letztendlich ging es darum, der historischen Wahrheit dieses außergewöhnlichen Lebens annähernd gerecht zu werden. Es ging nicht um eine Identifikation des Biographen mit dem Politiker Franz Dahlem, sondern darum, durch eine quellenbezogene Darstellung seiner Biographie gerecht zu werden. Franz Dahlem war weder ein „Held“ noch eine Identifikationsperson, sondern eine vielschichtige und sehr interessante historische Persönlichkeit, der von der Geschichtswissenschaft bisher nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Seine Biographie ist chronologisch gegliedert, um einzelne Ereignisse nicht überzubewerten und den Zusammenhang der komplizierten und vielfach verschränkten Ereignisse zu wahren. So erwiesen sich Überlegungen, mit den fingierten Vorwürfen der ZPKK oder Dahlems Kampf um die Veröffentlichung seiner Memoiren zu beginnen und von dort aus die Biographie abzuhandeln, als unpraktikabel. Es stellte sich heraus, dass in Dahlems Biographie jede Periode seines Lebens von der vorhergehenden abhängt, was nicht bedeutet, dass Dahlems Biographie ohne Brüche verlaufen wäre.

In Dahlems Biographie fehlte ein besonderes Datum, das sich als Ausgangspunkt anbot, wie bei seinem Zeit- und Parteigenossen Willi Münzenberg. Dessen Biograph Harald Wessel begann sein Projekt einer mehrbändigen Münzenbergbiographie mit der Klärung von Münzenbergs Tod.28

28 Harald Wessel, Münzenbergs Ende. Ein deutscher Kommunist im Widerstand gegen Hitler und Stalin. Die Jahre 1933-1940, Berlin 1990.

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Die besondere Schwierigkeit der Biographien von Mitgliedern der KPD ist, dass vieles nicht dokumentiert wurde, in Parteiverfahren verfälscht wurde und auch später von den Betroffenen aus „Parteidisziplin“ selten richtiggestellt wurde. Codenamen, Metaphern und Anspielungen in Literatur und Quellen bedeuten für den Historiker eine Herausforderung.

Das Erkenntnisinteresse des Historikers bestand in folgenden Fragen:

1. Wie bildete Franz Dahlem seine Überzeugung, sein gesamtes Leben dem kommunistischen Teil der Arbeiterbewegung zu widmen? Wie wurde er „Marxist, Leninist, Stalinist“? 2. Wie beeinflusste er die Beziehungen zur französischen kommunistischen Partei? Wie war sein Verhältnis zur Sowjetunion, besonders zu Stalin? 3. Welchem „Flügel“ der KPD gehörte er in den zwanziger Jahren an? Waren die Fraktionskämpfe und die Parteikarriere sein politisches Hauptgeschäft? 4. Wie stand Dahlem zur politischen Neuausrichtung der KPD nach der Errichtung des faschistischen Terrors in Deutschland? 5. Welche neuen Erkenntnisse bieten die Quellen zu seiner Funktion als politischer Kommissar der Internationalen Brigaden in Spanien? 6. Sollte Dahlem Teil eines „Säuberungsprozesses“ in der DDR werden? Waren die Vorwürfe, die 1953 gegen ihn öffentlich zu seiner Zeit im Exil und in faschistischer Haft erhoben wurden, gerechtfertigt? 7. Welchen Anteil hat Franz Dahlem an der Vereinigung von KPD und SPD, an Westarbeit, Kaderpolitik und Gründung der DDR? 8. Wurde Franz Dahlem nach Funktionsenthebung und Parteistrafe voll rehabilitiert? 9. War Dahlems politische Biographie die eines typischen „stalinistischen Apparatschiks“?

II. HERKUNFT

1. Politischer Rahmen

Zum Geburtstag Franz Dahlems am 14. Januar 1892 war das Deutsche Reich gerade 21 Jahre alt. 1871 hatte Bismarck den preußischen König Wilhelm I., vom Großherzog von Baden zum „Deutschen Kaiser“ im Spiegelsaal von Versailles ausrufen lassen. Damit vollendete der brandenburgische Junker Bismarck seine „Revolution von oben“.

Die wirtschaftliche Macht des neuen Deutschen Reiches beruhte auf dem Großgrundbesitz, vor allem Preußens, und der industriellen Macht, vor allem der rheinischen Provinzen. Grundlage für einen maximalen Profit der Industrieunternehmungen und der Latifundien

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waren die „industrielle Reservearmee“ der städtischen freien Arbeiter und die kleinen bäuerlichen Tagelöhner, die sich noch oft in feudaler Abhängigkeit befanden und beispielsweise in Preußen der Gesindeordnung unterworfen blieben. Politischer Ausdruck der weitgehend Rechtlosen und Ausgebeuteten war eine mächtige Arbeiterbewegung, deren Mandate im Reichstag trotz Ausgrenzung und Unterdrückung immer mehr zunahmen. Im Geburtsjahr Franz Dahlems war das Sozialistengesetz bereits aufgehoben und Bismarck entlassen. Nach seiner Entlassung verlängerte der Reichstag das ohnehin weitgehend wirkungslose Sozialistengesetz nicht mehr. Es hatte nicht zu einem Verschwinden der Arbeiterbewegung und ihrer Organisation geführt. Die SPD repräsentierte die Arbeiter- bewegung politisch und erschloss immer weitere Wählerschichten jenseits der regierenden Eliten.

Neben den sozialen Problemen, die sich nach der Reichsgründung weiter verschärften, belastete die Annexion Elsass-Lothringens das Verhältnis Preußen-Deutschlands zu Frankreich schwer. Franz Dahlems Geburtsort Rohrbach-lès-Bitche lag in diesem neuen „Reichsland“, in dem preußische Statthalter mit einer aus dem Altreich stammenden Verwaltungsoberschicht regierten. Die einheimische Bevölkerung empfand das als Fremdherrschaft. Sie waren französische Bürger, keine preußischen Untertanen. Rohrbach lag in Ostlothringen. Hier wurde Lothringer Platt gesprochen, sodass die Besatzer schon 1872 Deutsch ohne Überleitung zur Amtssprache deklarieren konnten.29

2. Elternhaus

Franz, und seine Brüder Robert 30 und Jakob, stammten aus bäuerlichen Familien 31 . Die Mutter Maria Dahlem, geb. Wagner und der Vater Peter Dahlem gaben dem am 14. Januar 1892 geborenen Sohn als Ausdruck ihrer Sympathien für Frankreich einen französischen Vornamen. Schon das weist daraufhin, dass die Eltern, auch nach der Annexion Franzosen blieben. Sie wollten das auch durch die Namensgebung demonstrieren. Obwohl von den deutschen Besatzern gesetzlich verboten, nannten Maria und Peter Dahlem ihren Erstgeborenen: François bzw. in deutscher Form: Franz.32

29 François Roth, La Lorraine annexée. Étude sur la Présidence de Lorraine dans l’Empire allemand (1870- 1918), Nancy 1976, S. 81. 30 Jakob Dahlem, geb. 22. Jan. 1895. Robert Dahlem, geb. 10. Jan. 1897. 31 RGASPI, F. 495, O. 205, D. 133, fol. 148. Franz Dahlem. Lebenslauf vom 21. Juni 1945. 32 Roth, Lorraine, S. 85. Franz I. (1494-1547), König von Frankreich war der erste „nationale“ König, der durch seine Zentralisierungspolitik und seine anhaltende Kriegsführung gegen den Habsburger Kaiser Karl V. in Erinnerung blieb.

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Der nationale Stolz der eingesessenen Bevölkerung als Franzosen und als Lothringer gewann durch die katholische Religion an Schärfe. 96% der Lothringer waren Katholiken.33 Diese 96% waren in der Regel keine Sozialdemokraten. Die Arbeiterbewegung fasste erst später Fuß in Elsass-Lothringen, aber dennoch betrachteten die Herrschenden sie im doppelten Sinn als „Reichsfeinde“: eine dem „Erbfeind“ ergebene nationale Minderheit, die nicht dem Protestantismus angehörte und auf Seiten des Papstes stand, der Bismarck herausforderte.

Eigentlich eine unbegründete Sorge des neuen Reiches. Der Klerus blieb zwar französisch und damit im Gegensatz zur übrigen Verwaltung des Reichslandes dem Zugriff preußisch- deutscher Bürokraten entzogen. Aber grundsätzlich akzeptierte die Kirche auch in Elsass- Lothringen die herrschende Gewalt als angeblich von Gott gegebene. Zudem distanzierte sich die katholische Kirche unter Leo XIII. vom Sozialismus und insbesondere der Klerus der Reichslande war später erleichtert, den in der französischen Republik ausgetragenen Streit um die Laizität in Elsass-Lothringen vermieden zu haben.

Maria Dahlem, die Mutter, war sehr religiös und ließ alle Kinder katholisch taufen und erziehen. Religion bedeutete für sie Halt im Leben, das für die Eltern schwer zu meistern war. Maria Dahlem sorgte für den Haushalt, die Kinder, für die für die Existenz essentielle Gartenwirtschaft und die nötige Sparsamkeit. Es ist davon auszugehen, dass sie über den Lebensweg der Kinder maßgeblich entschied.

Der Vater, Peter Dahlem, übte den Beruf des Eisenbahnweichenstellers im Schichtdienst aus. Mit seinem Einkommen musste die Familie Dahlem auskommen. Zwar konnte er als Beamter nicht entlassen werden, aber er gehörte den unteren Chargen der Hierarchie an, die mit wenig Geld leben mussten und für die als Lothringer kein wesentlicher Aufstieg in höhere Chargen möglich war.

Die Deutsche Reichsbahn galt als nationales Symbol34 des neuen Reiches insbesondere in Elsass-Lothringen, wo Einheimische grundsätzlich von politischen und bürokratischen Leitungsfunktionen ausgeschlossen blieben.35 Zwar entliessen die neuen preußisch-deutschen Herren niemand, aber Peter Dahlem war kein Aufstieg möglich. Er blieb, wenn auch verbeamtet, Arbeiter mit einer überlangen Arbeitszeit im Schichtdienst und kärglichen

33 Ebd., S. 130. 34 Trotz bestehender Reservatsrechte einzelner Bundesstaaten des Deutschen Reichs, die mehr symbolischen Charakter hatten. 35 Roth, Lorraine, S. 82.

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Bezügen. Das enttäuschte ihn, stimmte ihn hoffnungslos und verstärkte natürlich seine französisch-republikanische Haltung.36

Die Besatzer verspielten mit dieser Politik eine Chance, deutschsprachige Lothringer in die Verwaltung einzubinden und damit eine gewisse Identifikation mit den neuen Verhältnissen herzustellen. Maria und Peter Dahlem mussten also mit den geringen Bezügen eines Eisenbahnweichenstellers auskommen. Um die Zeit von Franz Dahlems Geburt betrugen Peter Dahlems Bezüge nicht mehr als 70 Reichsmark.37 Zudem hatte er ständig verfügbar zu sein. Die Eisenbahnverwaltung versetzte ihn nach Ihrem Bedarf häufig. 1895 erhielt er die Abordnung nach Vic-sur-Seille, das im französischsprachigen Westen Lothringens lag und „allen deutschen Assimilationsversuchen widerstand“38. In dieser Umgebung galt die Familie Dahlem als „deutsch“.

Die ersten Worte hatte Franz im Lothringer Platt gehört, in Vic lernte er auch Französisch und wuchs zweisprachig auf, was ihm später bei der Pflege der Beziehungen zur Kommunistischen Partei Frankreichs und als Parteileiter in Paris sehr nutzte. Ab Ostern 1898 besuchte Franz die Volksschule in Vic, bis sein Vater vier Jahre später erneut in das sechs Kilometer nördlich gelegene Château-Salins versetzt wurde. Ab Ostern 1904 besuchte Franz die Mittelschule in Château-Salins, wo der „Deutschenhass besonders ausgeprägt“ 39 war. Mitschüler und Klassenkameraden hänselten auch den jungen Franz Dahlem in diesem Sinne. Das änderte aber nichts an der Ablehnung der preußisch-deutschen-protestantischen Fremdherrschaft. Dennoch war es eine Erleichterung, als der Vater wegen einer erneuten Versetzung zum 1. Mai 1905 40 wieder in den deutschsprachigen Teil Lothringens nach Sarralbe am Eisenbahnknotenpunkt - Bitche umzog.

3. Schule und Kirche

Ein Jahr später, 1906 konnte Franz in die Realabteilung des Gymnasiums in Sarreguemines eintreten, das 15 Kilometer von Saaralbe entfernt lag. Das Gymnasium war kostenpflichtig. Das Schulgeld bedeutete eine schwere Belastung für die Familienkasse. Zwar verdiente Vater Peter Dahlem jetzt mit drei Kindern 150 Reichsmark monatlich, aber jedes Vierteljahr ver-

36 SAPMO NY 4072/190, fol. 2. Robert Dahlem sprach von der allgemeinen „Unzufriedenheit“ Peter Dahlems. 37 Ebd. fol. 13: „Kommandogeld hat Vater erst später erhalten, als er Vertretungen auf kleinen Bahnhöfen machte.“ 38 Roth, Lorraine, S. 172. Vgl. auch: Dahlem, Jugendjahre, S. 66. 39 Roth, Lorraine, S. 131. 40 AN 19890464/1, Akte 332.

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langte der Steuereinnehmer die Zahlung des Schulgeldes, das für Franz und Jakob „ein Drittel eines Monatsgehaltes“ entsprach.41 Zudem verfügte die Familie über keine Rücklagen.42

Ein Stipendium gewährte der Staat in der Regel nur Kindern von Beamten aus dem „Altreich“. 43 Die Söhne Dahlem mussten also auch aus der Familienkasse ernährt und gekleidet werden. Es war eine Hilfe, dass die Familie in der Eisenbahnkolonie wohnen durfte und einen kleinen Garten44 zur Selbstversorgung zur Verfügung hatte, aber eine größere Ausgabe konnte die Kalkulation bereits obsolet werden lassen.

Vermutlich durch die Erkrankung der Mutter musste Franz vor dem Abitur die Schule abbrechen und eine Ausbildung beginnen. Die dadurch entstandenen Kosten belasteten die Familienkasse so schwer, dass das Schulgeld nicht mehr aufgebracht werden konnte. Denn mit dem Abitur wäre auch ein Schulwechsel auf eine Schule im 35 km entfernten Forbach nötig geworden. Von dort hätte Franz aber nicht mehr jeden Tag nach Sarralbe fahren können.45

Franz Dahlem schrieb in seinem Lebenslauf für die Jahre 1908 bis 1911, dass er seine „erste politische Schulung durch Teilnahme als Hilfsarbeiter an den politischen Sitzungen der lothringischen katholischen Kapläne“46 erfahren habe. Sein erstes politisches Engagement begann während seiner Gymnasialzeit durch Eintritt in den katholischen Jünglingsverein, da Franz Dahlem in einem streng katholischen Elternhaus aufwuchs.

In Sarralbe, wo er den Großteil seiner Jugend verbrachte, wählten noch im Jahr 1907 mehr als 60% der Bevölkerung die Zentrumspartei.47 Die katholische Kirche galt auch für die Eltern als letzte französische Institution, da der Klerus dort nicht aus Beamten bestand, die aus dem „Altreich“ kamen. Franz Dahlem identifizierte sich selbstverständlich mit der Institution, die die nationale und religiöse Haltung des Elternhauses widerspiegelte. Deshalb trat er dem katholischen Jünglingsverein in Sarralbe bei.

Allerdings war der katholische Jünglingsverein selbst lediglich „eine in Lothringen aus dem Altreich adaptierte Form des organisierten [deutschen] Katholizismus“.48 Katholische Jüng- lingsvereine sollten garantieren, dass die Jugend unter dem Dogma der katholischen Kirche

41 SAPMO NY 4072/190, fol. 11. 42 Ebd. „Ersparnisse waren keine da.“ 43 Roth, Lorraine, S. 168. 44 SAPMO NY 4072/190, fol. 12a: Es hatte „jeder Bewohner der Eisenbahnkolonie einen kleinen Stall mit Heuschober.“ 45 Dahlem, Jugendjahre, S. 182. 46 RGASPI, F. 495, O. 205, D. 133, fol. 148. Eine Rolle spielte er auf diesen Sitzungen nicht. 47 Roth, Lorraine, S. 534. 48 Ebd., S. 471.

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blieb und sie davon abhalten, Dogma und Sittenlehre den Rücken zuzuwenden, um sich den modernen geistigen Strömungen anzuschließen, die die Kirche als „Irrtümer“ brandmarkte: Pantheismus, Rationalismus, Sozialismus. Insbesondere sollten die katholischen Jugend- vereine die noch gläubige Jugend davon abhalten, der im „Altreich“ sehr erfolgreichen Arbeiterjugendbewegung beizutreten.

In Lothringen, insbesondere in Sarralbe spielte die SPD und die von ihr organisierte Arbeiterjugendbewegung noch kaum eine Rolle. Hier ging es dem Klerus vor allem darum, der Jugend das Dogma beizubringen und sie im Dogma zu halten. Gegen die Arbeiter- bewegung, soweit sie nicht im kirchlichen Rahmen agierte, sollte deshalb direkt vorgegangen werden. Auch in Lothringen nahm der Klerus und das ihn repräsentierende Zentrum die SPD als Gefahr wahr. Dabei ergab sich die vordergründig groteske Situation, dass der „Reichsfeind“ lothringischer katholischer Klerus gegen den „Reichsfeind“ SPD zu Felde zog. Preußisch-deutsche Eliten und Klerus in Lothringen vereinte der Kampf gegen eine Bewegung, die sich die Änderung der bestehenden Verhältnisse auf ihre Fahnen geschrieben hatte: nationale Selbstbestimmung, Meinungs- und Gewissensfreiheit, soziale Gleichheit. Sowohl die preußisch-deutschen Eliten als auch die katholische Kirche repräsentierten feudale Reste, denen es um Macht- und Privilegienerhalt ging.

Franz stand unter dem bestimmenden Einfluss der katholischen Kirche und identifizierte sich mit ihr. Er trat aus Überzeugung dem katholischen Jünglingsverein in Sarralbe bei und vertrat dessen fanatische Ansichten offensiv. So manipuliert wurden Franz und einige andere Mitglieder vom Leiter des Katholischen Jünglingsvereins, Vikar Hugo Kantz beuftragt, vor den Reichstagswahlen am 25. Januar 1907 eine Wahlversammlung des SPD-Kandidaten in Sarralbe zu stören, um damit ein Eingreifen der Polizei zu provozieren.49 Das Vorhaben des Vikars gelang.

Auch wenn Franz zu der Zeit noch besonders stolz auf die erfolgreiche Ausführung seines Auftrags war, löste sich der Heranwachsende in den nächsten Jahren doch langsam vom Dogma der katholischen Kirche.

1910 verprügelte ihn ein Religionslehrer wegen eines geringen Anlasses mit bloßen Fäusten.50 In der Bibliothek des Jünglingsvereins, im Schoß der Kirche, fand er Bände der französischen Enzyklopädie und Vikar Kantz tadelte ihn dafür, darin gelesen und den Fund nicht gleich angezeigt zu haben. 51 In der Folge kam er mit der klassischen Literatur in

49 Dahlem, Jugendjahre, S. 135. 50 Ebd., S. 145. 51 Ebd., S. 148.

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Kontakt, deren Hauptthemen oft die Säkularisation des Menschen und seinen Ausbruch aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ betrafen.

Die endgültige Lösung von der Kirche erfolgte, als der 24-jährige52 Vikar Kantz, mit dem Franz befreundet war, den Jünglingsverein dominierte und den „Zweiten Vorsitzenden“ Franz Dahlem auch wegen Banalitäten bloßstellte. Anstoß für Franz, den Jünglingsverein zu verlassen 53 , war ein Bericht des Vikars Kantz an den ihm vorgesetzten Priester der Gemeinde, dass Franz Dahlem nicht wie geplant zu Weihnachten 1910 ein Kirchenspiel aufführen wollte und es auch im Jünglingsverein per Mehrheitsbeschluss durchgesetzt hatte, ein weltliches Stück aufzuführen. Der Erzpriester ging darauf in seiner Predigt unter namentlicher Nennung Franz Dahlems als „Sünder“ ein, so dass die Mutter ihren Ehrenplatz und mit der Familie die Kirche verließ.54

Maria Dahlem war im Gegensatz zum Klerus von wirklich tiefem Mitgefühl für das Leid und die Schwere des Daseins erfasst und in diesem Sinn ohne Hintergedanken oder auf den persönlichen Vorteil bedacht zu sein „religiös“. Als sie von der Ausbeutung der Arbeiter durch die „Freiherren“ von Stumm in Neunkirchen erfuhr, wo Franz seine Ausbildung absolvierte, äußerte sie: „Das ist ja ein Unmensch, kein Christ.“55 Nichtsdestotrotz blieb sie kirchengläubig und versuchte in diesem Sinn Franz zu beeinflussen.

Franz Dahlem nahm an den Sitzungen des Jünglingsvereins nicht mehr teil. Das Dogma und die kirchliche Autorität beeindruckten ihn nicht länger, die landfremde weltliche Obrigkeit im „Reichsland“ oder Wilhelm II. schon gar nicht.

Was er früh lernte und wofür er Interesse aufbrachte, war Organisation. In dieser Hinsicht war der katholische Jünglingsverein seine „erste politische Schulung“. Das bewies er nach seinem Austritt durch die Gründung des Fußballvereins „Mars“, der direkt mit dem katholischen Jünglingsverein konkurrierte. Auch die versuchte Korrumpierung durch die eigentlichen Herren in Sarralbe, die Direktion des Werks Solvays, verfing nicht mehr. Die Leiter des Werks wollten den Fussballverein „Mars“ finanziell unterstützen und ihm die werkseigenen Sportanlagen zur Verfügung stellen. Franz Dahlem lehnte ab, weil er missbilligte, wie offensiv das Unternehmen seine Profitinteressen gegen Freunde von ihm gerichtlich durchsetzen ließ, deren Baumschule wegen der giftigen Abgase einging. Zudem wusste er aus seinen Gesprächen mit Streikenden, wie die Direktion Solvays mit der Polizei

52 Ebd., S. 115. 53 RGASPI, F. 495, O. 205, D. 133, fol. 148: „wegen seines undemokratischen Verhaltens Ausscheiden aus dem katholischen Jünglingsverein“. 54 Dahlem, Jugendjahre, S. 165. 55 Ebd., S. 234.

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gegen Streikposten vorgegangen war.56 Er stand also schon zu diesem frühen Zeitpunkt nicht auf der Seite des Kapitals.

Ging er mit dem Eintritt in den katholischen Jünglingsverein „klassenmäßig vorerst in die falsche Richtung“ 57 , so stand am Ende die Lösung von geistlichen und weltlichen Autoritäten. Die Ablehnung des Korrumpierungsversuches Solvays bezeichnete Dahlem als „die erste klassenmäßig richtige Entscheidung“58.

III. EINTRITT IN DIE ARBEITERJUGENDBEWEGUNG

1. Lehre in Saarbrücken

Grundsätzlich strebten Maria und Peter Dahlem für Franz, Jakob und Robert den sozialen Aufstieg in die Angestelltenschicht an. Das wird schon am Wechsel der Brüder auf das Realgymnasium nach der Volksschule und die anschließende Ausbildung im mittleren Bürodienst deutlich. Die Realschule, die sie alle besuchten, sollte „auf eine Ausbildung für den mittleren und gehobenen Angestelltendienst in Wirtschaft und Verwaltung vorbereiten“59.

Nach seinem aus ökonomischen Gründen erzwungenen Schulabbruch musste Franz Dahlem eine bezahlte Ausbildung beginnen. Der Wunsch der Mutter, ihn auf das Priesterseminar zu schicken, schied nach dem „skandalösen“ Verlassen des katholischen Jünglingsvereins aus. Zudem respektierten die Eltern, dass Franz nicht Priester werden wollte. Auch für ihre zweite Option Lehrer60 hätte Franz Dahlem studieren und finanziell unterstützt werden müssen. Er selbst war technisch interessiert und hätte gern an der Technischen Hochschule in Strasbourg studiert, um Landvermesser zu werden.61

Franz Dahlem war auch noch im letzten Jahr seiner Schulzeit durch „antipreußische“ Äußerungen aufgefallen und fand in Lothringen deshalb keine Arbeit. Maria Dahlem bat die katholischen Honoratioren Sarralbes um Hilfe. Ende 1911 vermittelten sie ihrem Sohn eine Lehrstelle bei der Handelsfirma Arnold Becker & Co. in Saarbrücken.

56 Ebd., S. 124. Vgl. auch: SAPMO NY 4072/197, fol. 12. 57 Dahlem, Jugendjahre, S. 101. 58 Ebd., S. 172. 59 Roth, Lorraine, S. 165. 60 SAPMO NY 4072/190, fol. 12. 61 Dahlem, Jugendjahre, S. 183.

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Arnold Becker bot den Eltern, da Franz noch nicht volljährig war, eine Lehrstelle für ihren Sohn an. Die Ausbildung sollte zwei Jahre dauern und Franz ein weiteres Pflichtjahr in der Firma arbeiten. Dafür erhielt er einen kärglichen Lohn, von dem er Kost und Logis bestreiten musste.62

Der Eigentümer Arnold Becker der Saarbrücker „Großhandlung in Garnen, Kurz-, Woll-, Weiß- und Manufakturwaren, Arbeiterkonfektion“, war selbst streng katholisch. Der Antritt der Lehrstelle sollte der „Rettung der Seele“ des 19-jährigen Dahlems dienen. 63 Das Gegenteil geschah. Anstatt dankbar, arbeitsam und gehorsam seine Lehre zu absolvieren, befreundete er sich mit dem protestantischen Pfälzer Karl Leonhard. Sein Ausbildungsleiter Karl Leonhard war Mitglied der SPD. Durch ihn kam Franz Dahlem erstmalig direkt in Kontakt mit der organisierten Arbeiterbewegung: Gewerkschaft und Partei.

Schon früher, als Vikar Hugo Kantz ihn mit der Störung einer SPD-Wahlversammlung in Saaralbe beauftragte, geriet Dahlem, wie er später schrieb, in den „Bann der überzeugenden Ausführungen“ des dortigen SPD-Kandidaten.64 Besonders überzeugend wirkte der Einfluss des im Freien Handlungsgehilfenverbands und der SPD organisierten Karl Leonhard in Saarbrücken.

Franz Dahlems Jugendfreund Willi Korbmacher beschrieb Karl Leonhard als einen Menschen mit Humor, der „Verständnis für die Jugend […] im überreichen Maße“ zeigte.65 Franz Dahlems politisches Leben begann in Saarbrücken bei der Firma Arnold Becker unter dem Einfluss des sozialdemokratischen Angestellten Karl Leonhard. Karl Leonhard führte lange Gespräche mit Dahlem und klärte ihn darüber auf, dass Arnold Becker dem Zentrum angehörte und seine Profitinteressen politisch im Stadtausschuss von Saarbrücken vertrat.66 Anhand der Reichstagswahlen 1912 erläuterte Leonhard dem jungen Franz Dahlem den Scheinwahlkampf zwischen Nationalliberalen und Zentrum, um die Wahl des SPD- Kandidaten zu verhindern. Er führte ihn an Klassiker der Arbeiterliteratur heran. Franz Dahlem begann Wilhelm Liebknechts und August Bebels Werke zu lesen.67 Die Empathie

62 FA Mappe XI Franz und über ihn: Im ersten Lehrjahr 300 Reichsmark, im zweiten Lehrjahr 450 Reichsmark und bei Übernahme 900 Reichsmark. 63 SAPMO NY 4072/197, fol. 18. 64 Dahlem, Jugendjahre, S. 135. 65 SAPMO NY 4072/137, fol. 61. 66 Dahlem, Jugendjahre, S. 199. 67 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133, fol. 148.

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Karl Leonhards für die Jugend, insbesondere die weniger vermögende, trug entscheidend dazu bei, dass Franz Dahlem den Freien Gewerkschaften beitrat.68

Dahlem warb in der Firma Arnold Becker bei den im Frühjahr 1913 stattfindenden Sozialwahlen für den Spitzenkandidaten Karl Leonhard. Karl Leonhard gewann diese Wahlen und wurde daraufhin unter einem Vorwand von Arnold Becker entlassen. Zur Strafe für seine Solidarität mit dem gemaßregelten Freund versetzte Arnold Becker Franz Dahlem für die verbleibende Zeit der Ausbildung in das Kaufhaus eines Geschäftspartners nach Neunkirchen. 69 Die Beschwerde des Vaters Peter Dahlem bei Arnold Becker wegen des nichteingehaltenen Lehrvertrags, der eine Ausbildung im Export vorsah, beantwortete Arnold Becker patriarchalisch. Er verbat sich den Protest, „der jeden Anstand verletzt“, und stellte Peter und Franz Dahlem vor die erpresserische Alternative, nach Neunkirchen zu gehen oder die Lehre abzubrechen.70 Franz Dahlem war also gezwungen nach Neunkirchen zu gehen, um zu existieren und nicht ohne Ausbildung auf den „Arbeitsmarkt“ zu kommen. Zumindest etwas Positives hatte die Versetzung nach Neunkirchen, weil er hier die Zustände kennenlernte, unter denen die Arbeiter der „Freiherren“ von Stumm ihren Lebensunterhalt bestreiten mussten: Ausbeutung „personifiziert“71 in den Stumms. Alles hing in Neunkirchen von ihnen ab. Freie Gewerkschaften gab es nicht, niemand wagte Kritik zu äußern.

2. Umzug nach Köln

Arnold Becker erließ Franz Dahlem das Arbeitspflichtjahr, das dieser nach der Ausbildung noch in seiner Firma gemäß Lehrvertrag verbringen sollte, um einen „Rebellen“72 loszu- werden. Zum 31. Oktober 1913 endete das Lehrverhältnis. Durch die Vermittlung von Karl Leonhard, mit dem Franz weiter in Briefkontakt stand, fand er Arbeit - nun doch in einer Exportfirma - in Köln am Rhein.73

In Köln angekommen, schloss er sich der SPD an und lernte den Kölner Ortsvorstand Wilhelm Sollmann kennen, der sich in der Jugendarbeit engagierte und das Jugendheim der SPD durchsetzte. „Auf seinen Rat hin“74 trat er der Partei bei. Der zuständige Parteisekretär

68 Ein Beitritt zur SPD war zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich, da Franz Dahlem noch nicht volljährig war. 69 Dahlem, Jugendjahre, S. 222ff. 70 FA Mappe XI Franz und über ihn. Schreiben Arnold Beckers an Peter Dahlem vom 5. April 1913. Abgedruckt in: Dahlem, Jugendjahre, S. 225. 71 SAPMO NY 4072/124, fol. 46. 72 Dahlem, Jugendjahre, S. 242. 73 RGASPI, F. 495, O. 205, D. 133, fol. 228. 74 Dahlem, Jugendjahre, S. 251.

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der SPD in Köln, Karl Zörgiebel, händigte ihm das Mitgliedsbuch aus. Damit war Franz Dahlem offiziell Mitglied der Partei.

Der Eintritt in die SPD bildete den Abschluss seiner Kindheit und Jugend. Der 21-jährige volljährige Dahlem hatte das Dogma der katholischen Kirche und die Bindung an weltliche Autoritäten aufgegeben, um nach seinen schlechten Erfahrungen in der Firma Arnold Beckers und seinen Beobachtungen der Lage der Arbeiter in Saaralbe und insbesondere in Neunkirchen aktiv in der Arbeiterbewegung mitzuarbeiten. In der Arbeiterbewegung erschloss sich für ihn erst jetzt der eigentliche „Sinn des Lebens“75.

Nach Herkunft und Bildung fiel Franz Dahlem im Kölner Jugendhaus der SPD aus dem Rahmen. Die „1000 Jungs und Mädels“ waren meist Lehrlinge, die nichts weiter als „Handlanger ihrer Meister“ 76 , d.h. billige Arbeitskräfte waren, oder arbeiteten in den Fabriken.

Die Jugendfreundin Dahlems Emma Tromm erinnerte sich, dass Franz Dahlem und Karl Leonhard schon durch ihre Kleidung als „kleinbürgerliche Angestellte“ im Jugendheim auffielen.77 Sie verdienten als Angestellte weitaus besser als die meisten Jugendgenossen. Zudem verfügten sie über eine bessere Schulbildung. So erschien Franz Dahlem den Jugend- freunden in Köln als gebildet, strebsam und gutsituiert, aber als zu ernst.78 Auf seine spätere Frau Käthe Weber wirkte er zuerst gar wie ein „Kaplan“79. Tatsächlich dürfte er noch viel vom katholischen Habitus gehabt haben. Es kam die Entfernung zur Familie, insbesondere von der Mutter hinzu sowie die gerade überstandenen Querelen mit Arnold Becker. Das Jugendheim „ersetzte mit seinen Bildungsmöglichkeiten und der herrlichen Atmosphäre der Freundschaft und Herzlichkeit die Wärme des Elternhauses“80 auch für Franz Dahlem. Auf Wanderungen in die nähere Umgebung Kölns, bei Diskussionen im Jugendheim und in der Bibliothek traf sich die gleichaltrige Jugend. Im Gegensatz zur Ausbeutung in den Fabriken und Handwerksbetrieben und Büros war das Jugendheim eine Insel der Freiheit, der Perspektive und der sinnvollen Freizeitgestaltung.

Der „Kaplan“ Franz Dahlem konnte in der Sozialistischen Arbeiterjugend an seine Vorstellungen von Gerechtigkeit aus der Ideenwelt der Religion und der humanistischen Aufklärung anknüpfen. In der SAJ kümmerte er sich um viel Jüngere, gab seine Erfahrungen

75 Ebd., S. 283. 76 SAPMO TonY 1/2330. 77 SAPMO NY 4072/137, fol. 20. 78 Ebd., fol. 28. 79 Dahlem, Jugendjahre, S. 253. 80 SAPMO NY 4072/137, fol. 23.

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und seine Bildung weiter. Er lernte eine Gemeinschaft kennen, in der tatsächlich alle gleich sein sollten. In der Kölner SPD entwickelte er sich unter dem Einfluss Walter Stoeckers endgültig zum revolutionären Marxisten. Er las die damaligen theoretisch aktuellen Schriften von Karl Marx, August Bebel und dem führenden Parteitheoretiker nach dem Tod Friedrich Engels: Karl Kautsky. Man darf Franz Dahlems Schilderung in seinen Jugenderinnerungen glauben, dass das „Manifest der Kommunistischen Partei“ und die „Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ sein Weltbild grundlegend formte.

Franz Dahlem trat bereits in Neunkirchen in Briefkontakt zum stellvertretenden Leiter der Kölner SAJ Walter Stoecker, der ihm Literatur nach Neunkirchen schickte. Walter Stoecker und sein Kreis waren gegen die Politik Wilhelm Sollmanns und Engelbert Grafs, die ihrer Meinung nach die Kölner SAJ auf eine „vom bürgerlich-idealistischen Geist erfüllte Bildungsbewegung“ beschränken wollten. Sollmann und Graf vertraten die Auffassung, dass die Arbeit der SAJ im Deutschen Reich besonders gefährdet war, weil Jugendlichen Politik bis zum 21. Lebensjahr verboten war. Es handelte sich dabei um einen politischen Dissens zwischen Wilhelm Sollmann und Walter Stoecker.

Stoecker trat gegen besonders undemokratische Erscheinungen des preußisch-deutschen Obrigkeitsstaates auf, wie zum Beispiel das Dreiklassenwahlrecht.81 Die Propagierung des Massenstreiks sollte zur Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts und weiter zur Demokra- tisierung Preußens und des Reichs mit seinen 22 Fürsten, drei „Freien Städten“ und dem „Reichsland“ führen.

Wilhelm Sollmann wollte auf der Generalversammlung der Kölner Sozialdemokraten dem bevorstehenden Parteitag in Jena lediglich empfehlen, über Dreiklassenwahlrecht und Massenstreik zu diskutieren.82 Er vertrat damit eine „Kompromiss- und Dämpfungspolitik“83, die letztendlich nur über die Parlamentsvertretung zu Ergebnissen führen sollte.

Auch mit seiner „radikalen“ Ausrichtung, den Massenstreik als Mittel des Klassenkampfs zu propagieren, war Walter Stoecker wesentlich verantwortlich für den Aufschwung, den die Arbeiterjugendbewegung in Köln nahm. Sein Verdienst ist umso höher, als in dieser besonders katholisch geprägten Region die katholische Kirche in trauter Einigkeit mit der protestantischen Regierung „von Gottes Gnaden“ alles tat, um eine Ausbreitung der organisierten Arbeiterbewegung von der Kanzel und durch die Polizei zu verhindern. Auch

81 SAPMO NY 4196/37, fol. 77. 82 Helmuth Stoecker, Walter Stoecker. Die Frühzeit eines deutschen Arbeiterführers 1891-1920, Berlin 1970, S. 59. 83 Gruppe Arbeiterpolitik (Hrsg.), Die Bremer Linksradikalen. Aus der Geschichte der Bremer Arbeiterbewegung bis 1920, 1979, S. 15.

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Franz Dahlem sprach die „überzeugende Argumentation“84 Stoeckers mehr an als der SPD- Ortsverein, in dem es ein „aktives, reges politisches Leben“ im Unterschied zur Jugend- bewegung nicht gegeben hat.85

Walter Stoecker sorgte dafür, dass Karl Leonhard und Franz Dahlem noch Ende 1913 in die Leitung des Kölner Jugendvereins der SPD aufgenommen wurden.86 Der 21-jährige Franz Dahlem übernahm sein erstes politisches Amt in der SAJ als Unterkassierer und 2. Bezirksführer. Er wurde Vorsitzender der 18- bis 21-jährigen Jungsozialisten.87

IV. ERSTER WELTKRIEG

1. „Burgfrieden“ und Sozialistische Arbeiterjugend

Bestand bereits vor Kriegsbeginn 1914 eine latente Spannung zwischen der Leitung der Kölner SPD um Meerfeld und Sollmann und ihrem Jugendverband um Stoecker, Leonhard und Dahlem, so führte der Beitritt der SPD zum kaiserlich-bürgerlichen Burgfrieden, insbesondere die Zustimmung zu den Kriegskrediten nicht nur in der deutschen SPD, sondern auch in Köln zum offenen Konflikt. Später bezeichnete Franz Dahlem den Kölner Partei- vorstand als „nur praktisch, nicht theoretisch opportunistisch“, durch Wilhelm Sollmann seien ihm die Begriffe des Opportunismus und des Reformismus vermittelt worden.88 Klar ist, dass Wilhelm Sollmann die SPD Köln stark prägte und gegen die undemokratischen und sozial ungerechten Verhältnisse im Deutschen Reich auftrat.

Umso schwerer war es für Franz Dahlem und die ganze Kölner Jugend zu verstehen, warum leitende Funktionäre jetzt den Kriegskurs der Reichsleitung durch die Zustimmung zu den Kriegskrediten unterstützten. Bereits nach der Massenkundgebung der SPD in Köln am 28. Juli 1914 rief auch Franz Dahlem - entgegen der Aufforderung der Parteileitung zur Auflösung der Kundgebung - zu einer Manifestation für den Frieden auf.89 Berittene Polizei trieb diese Antikriegsdemonstration der SAJ auseinander. Die Junggenossen wurden für diese Aktion „zusammengestaucht“90, obwohl sie bewiesen hatten, dass sie antimilitaristisch im Sinne der linken SPD, insbesondere um Rosa Luxemburg und gegen die

84 SAPMO NY 4072/124, fol. 12. 85 Ebd., fol. 52. 86 SAPMO NY 4072/137, fol. 21. 87 RGASPI, F. 495, O. 205, D. 133, fol. 228. 88 SAPMO NY 4072/124, fol. 48, 54. 89 Dahlem, Jugendjahre, S. 361. Vgl. auch: Stoecker, Frühzeit, S. 82. 90 SAPMO NY 4072/137, fol. 34.

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chauvinistische Hetze der Regierenden aufgetreten waren. Das „Augusterlebnis“ blieb Franz Dahlem und seinen Freunden unvergessen.

Zwar betonten die Befürworter des Krieges in der reichsdeutschen SPD und der Kölner SPD gern, dass man die legale Parteiorganisation rettete und dass man wahrscheinlich durch die Zustimmung zu den Kriegskrediten wesentliche demokratische Forderungen durchsetzen konnte, aber die Realität sah anders aus. Burgfrieden - das hieß Militärdiktatur, also gewaltsame Herrschaft der feudal-bürgerlichen Eliten. Die SPD war nicht verboten, aber Restriktionen, wie der Zensur, ausgesetzt. Auch Streiks fanden vorläufig nicht mehr statt.

Für Walter Stoecker, Karl Leonhard, Franz Dahlem und ihre Freunde bedeutete der Kriegsbeginn das Ende der freien Betätigung in der SAJ. Ihre Treffen konnten nur noch heimlich in Wohnungen stattfinden, „da der zuständige Jugendleiter [Wilhelm Sollmann] gegen solche Versammlungen im Jugendheim gewesen wäre“91. Emma Tromm wurde sogar aus der Jugendgruppe ausgeschlossen, weil sie Kontakte zum Kölner Spartakusbund um pflegte.92 Noch schwerer als die Disziplinierungsversuche durch die Parteileitung wogen die Einberufungen zum Kriegsdienst. Dadurch verlor die SAJ ihre wich- tigsten Köpfe: Karl Leonhard fiel nicht lange nach Kriegsbeginn, Walter Stoecker und Franz Dahlem wurden eingezogen und an verschiedene Fronten versetzt.

2. Kriegsdienst und politische Neuorientierung

Franz Dahlem hatte seine Vorbereitung auf den Kriegsdienst in der preußischen Armee noch nicht abgeleistet, da er trotz des erzwungenen vorzeitigen Schulabbruchs über das Einjährigenzeugnis verfügte, das ihn von der unmittelbaren Teilnahme entband und die Grundausbildung auf ein Jahr begrenzte.

Die Grundausbildung musste er nun beim achten Armeekorps am Ort des Oberpräsidiums der Rheinprovinz in Koblenz nachholen. Von dieser Garnison aus schickte der preußisch- deutsche Obrigkeitsstaat gern seine aktiven Gegner insbesondere aus Parteien und Gewerkschaften an die Front.93 So war auch Franz Dahlem gezwungen, sich vor seinem Kriegseinsatz dem menschenunwürdigen Exerzieren und den damit verbundenen Schikanen zu unterziehen.94 Nachdem ihm auf diese Weise der Kadavergehorsam eingehämmert werden sollte, setzte der preußisch-deutsche Militarismus den sozialdemokratischen Kölner mit

91 Ebd., fol. 36. 92 Ebd., fol. 53. 93 Ebd., fol. 75. 94 Dahlem, Jugendjahre, S. 394ff.

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lothringischen Wurzeln in dem Land ein, dem seit der Kindheit seine Sympathie galt. In jeder Weise rücksichtslos verblutete die deutsch-französische Jugend in diesem für sie sinnlosen Krieg. 1914/15 musste Dahlem am Krieg an der Westfront, insbesondere an der Winter- schlacht in der Champagne, teilnehmen.95 Dort erlebte er die Grausamkeit des Material- und Stellungskrieges an vorderster Front.

Die Kölner Jugendgenossen riss der Krieg auseinander, aber der Kontakt brach nicht ab. Franz Dahlem korrespondierte insbesondere mit Walter Stoecker und dessen Freundin Elfriede Bayley. Immer intensiver wurde auch der Kontakt zu seiner Freundin und späteren Lebensgefährtin Käthe Weber. Über Elfriede Bayley und Käthe Weber erhielt Franz Dahlem politische Zeitschriften und Broschüren, die sie ihm in Paketen übersandten. Walter Stoecker wurde erst am 1. März 1915 eingezogen und war vorher in der Schweiz politisch tätig, womit er einen exklusiven Zugang zu Informationen hatte, die er auch Franz Dahlem zukommen ließ.

Die Kölner linken Jugendgenossen lasen gern die Bremer „Arbeiterpolitik. Wochenschrift für wissenschaftlichen Sozialismus“ und sympathisierten stark mit den Bremer Linken.96 Die Bremer Linken sprachen klar gegen die , die aus ihrer Sicht bereits in der Vorkriegssozialdemokratie begründet lag. Sie waren für die Fortführung des revolutionären Klassenkampfes in einer neuen Arbeiterpartei.97 Die Bremer Linken hörte man reichsweit. Ihnen war Franz Dahlem verbunden. In ihren Veröffentlichungen konnte er erstmalig Artikel von namhaften Vertretern der russischen Bolschewiki, insbesondere von Lenin und Radek lesen.98 Franz Dahlem erhielt auch Kenntnis von der Juniusbroschüre Rosa Luxemburgs.

Das deutsche Militär zensierte jeden Brief Franz Dahlems. Seine dort gemachten politischen Äußerungen gegen den Krieg führten zu seiner Versetzung, weil er für den Frontbereich als „unzuverlässiges Element“99 - zum Glück für ihn - nicht taugte. Das Militär entschied, ihn in das ostpreußische Allenstein zu versetzen.

Dorthin gelangte er Anfang April 1915 und nahm im Sommer an Operationen im Narew- gebiet teil. Während dieser Kämpfe wurde er durch Splitter an der Schulter verletzt. Am 23. August 1915 bedankte er sich schriftlich aus einem Stettiner Lazarett bei Elfriede Bayley für die neuen Broschüren. Die in diesem Schreiben ausgedrückte Hoffnung, bald nach Köln

95 Ebd., S. 407ff. 96 SAPMO NY 4072/138, fol. 21. 97 Arbeiterpolitik, Die Bremer Linksradikalen, S. 28f. 98 Ebd., S. 24. 99 Dahlem, Jugendjahre, S. 435.

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verlegt zu werden, erfüllte sich nicht.100 Seine Vorgesetzten schlugen ihn für die Verleihung des Eisernen Kreuzes vor. Tatsächlich konnte er am 21. September 1915 nach Köln melden: „Heute erhalte ich das Eiserne Kreuz aus dem Felde zugeschickt, aus verschiedenen Gründen befriedigt mich das.“101

Entscheidend war, dass er jetzt sicher vor den schlimmsten Schikanen seiner Vorgesetzten war.102 Hinzu kam die seltsame Situation, dass ein sozialdemokratischer Lothringer einen preußischen Orden für seine Verdienste erhielt.

Wollte das Feudalregime hier auch „Reichsfeinde“ integrieren, so scheiterte dieser Versuch bei Franz Dahlem. Während seines Aufenthalts Anfang 1916 zu Hause erfuhr er vom Inhalt der Charlottenburger Resolution Karl Liebknechts, der schon am 2. Dezember 1914 gegen die Bewilligung der Kriegskredite im Reichstag gestimmt hatte und als aktiver Kriegsgegner auftrat. In der Charlottenburger Resolution machte Karl Liebknecht deutlich, wer die Schuld am Weltkrieg trug: „der deutsche Imperialismus, die deutsche Kriegspartei, die deutsche Geheimdiplomatie.“103

Immer stärker war Franz Dahlem gegen das Absegnen aller Vorlagen der Reichsleitung zur Verlängerung des Krieges, der vom deutschen Boden ausging und in dem die einfache Bevölkerung am meisten entbehren musste, während es den feudal-bürgerlichen Eliten noch besser ging als vorher: „Der Krieg bekommt mir wie eine Badekur.“ (Generalfeldmarschall Paul von Beneckendorff und von Hindenburg)

Franz Dahlem wollte unbedingt den Frieden. 104 Vorläufig beobachtete er genau die Reaktionen in der SPD-Reichstagsfraktion und in Preußen, in denen immer mehr Abgeordnete gegen die Kredite stimmten oder sich der Stimme enthielten. Er begrüßte die deutliche Distanzierung der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft von der Partei- rechten, die blindlings der kaiserlichen Reichsleitung folgten:

„Im Preußenparlament machen sie ja jetzt Schluss mit den Sitzungen, den einen Wert haben sie wenigstens gehabt, dass man jetzt weiß, woran man ist und was man von der Umorien- tierung zu halten hat. In unserer Fraktion gibt es jetzt endlich Klärung. Ich glaube, es gab keine andere Lösung mehr, als die scharfe Scheidung in rechts und links, wie wir sie jetzt im Reichstag haben.“105

100 SAPMO NY 4196/26. 101 Ebd. 102 Dahlem, Jugendjahre, S. 460. 103 Ebd., S. 463. 104 SAPMO NY 4196/26. Franz Dahlem nach Köln, 9. Mai 1916: „Schon denke ich wieder an den Frieden.“ 105 Ebd. Franz Dahlem an Walter Stoecker, 27. März 1916.

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Die gegensätzlichen Positionen auch in der SPD-Opposition, vertreten durch Karl Liebknecht und Hugo Haase waren ihm noch nicht bewusst.106 Aber er hörte von einem begeisterten Walter Stoecker und später im Zusammenhang mit der Kienthaler Konferenz, dass Lenin die Burgfriedenspolitik der II. Internationale als Verrat an den Prinzipien der Sozialdemokratie, die sie noch auf der Baseler Konferenz beschworen hatte, brandmarkte.107

Anfang Juni 1916 versetzte man Franz Dahlem in das Sumpfgebiet des Prypjat. Im August bekam er endlich Heimaturlaub. In Köln freute er sich, seine Freundin Käthe Weber und die verbliebenen Jugendfreunde zu treffen, die ihn mit den Spartakusbriefen vertraut machten.108 Diese boten eine Innensicht auf den Konflikt in der SPD-Reichstagsfraktion und den Stand der unabhängigen Friedenspolitik der Oppositionellen in der Partei, aber auch Informationen zur Kriegspolitik der Reichsleitung, die Karl Liebknecht hinterfragte, was weder die bürgerlichen und konservativen noch die Parteizeitungen der SPD taten. Franz Dahlem konnte im Spartakusbrief vom 27. Januar 1916 lesen, dass Liebknecht über Kleine Anfragen die Reichsleitung zu sofortigen Friedensverhandlungen aufgefordert hatte.109

Liebknecht stellte die berechtigte Frage, was denn nun aus der von der Reichsleitung versprochenen Demokratisierung geworden sei. Fakt sei, dass die Reichsleitung ein uner- hörtes Annexionsprogramm verfolge. 110 Auch innenpolitisch bestehe keine Neuorientierung, der Belagerungszustand werde im Deutschen Reich unvermindert aufrecht erhalten. Die eigene SPD-Fraktion kritisierte Liebknecht scharf für die Anwendung des „im englischen Parlamente längst erprobten Mittels der Geschäftsführung“.111 Karl Liebknecht dürfte Franz Dahlem aus dem Herzen gesprochen haben, als er auf diese Angriffe bemerkte:

„Mein Kampf gilt nicht mehr der Kreditbewilligung allein, sondern Ihrer Gesamtpolitik, die in der Kreditbewilligung gipfelt, Ihrer Politik der Regierungsunterstützung und Klass- enharmonie, des parlamentarischen und außerparlamentarischen Burgfriedens.“112

Dem SPD-Genossen Frontsoldaten Franz Dahlem, den das eigene Militär bei einem „Erkundungsauftrag“ 113 in den gegnerischen Stellungen loswerden wollte, waren die ehrlichen Friedensabsichten und die Prinzipienfestigkeit Karl Liebknechts verständlicher als

106 Dahlem, Jugendjahre, S. 469. 107 Ebd., S. 462, 473. 108 Ebd., S. 486. 109 Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg.), Spartakusbriefe, Berlin 1958, S. 95. 110 Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschlands 1914/18, Düsseldorf 1967. 111 Spartakusbriefe, S. 94. 112 Ebd., S. 103. 113 Dahlem, Jugendjahre, S. 456.

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die Beschwörungsformeln zum Durchhalten derjenigen, die auch weiterhin im warmen Reichstag saßen und Diäten erhielten.

„Um aus dem ungesunden Sumpfklima herauszukommen und nicht weiter unmittelbar an diesem Krieg teilnehmen zu müssen“, so Dahlem, nahm er Ende 1916 das Angebot seiner Vorgesetzten an, im Truppenübungsplatz Warthelager an einem Reserveoffiziers- anwärterkurs teilzunehmen. Ohne die ernste Absicht, Offizier zu werden, widmete er sich ausgiebig der Lektüre der noch erlaubten Zeitungen, aus denen er vor allem Informationen über die innerparteiliche Opposition entnahm. 114 Er begrüßte die Haltung der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft und die Rede Hugo Haases auf der Reichskonferenz der SPD im September 1916, der auch gegen die Bewilligung der Kriegskredite und die deutsche Annexionspolitik eintrat.

Er konnte zu dieser Zeit noch nicht erkennen, dass auch die Richtung Haase-Kautsky keine grundlegende Alternative darstellte. Zu sehr hing auch die Sozialdemokratische Arbeits- gemeinschaft an der Parteidisziplin, die aufgrund der Kriegspolitik der SPD-Reichstags- fraktion obsolet war. Erst Ostern 1917, als im Zaristischen Russland die erste Revolution bereits vorüber war, gründeten Mitglieder der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft in die USPD, der sich Walter Stoecker und Franz Dahlem „sofort […] zugehörig fühlten.“115

Die lang ersehnte organisatorische Verselbständigung war endlich da. Stoecker und Dahlem glaubten, dass in der USPD die alte Bebelsche Sozialdemokratie wiederhergestellt sei. Der Spartakusbund verselbständigte sich nicht, sondern verblieb im Rahmen der USPD. Sie konnten der USPD aber offiziell als Militärangehörige noch nicht beitreten.

3. Aufschwung der revolutionären Bewegungen

Es schien für Stoecker und Dahlem möglich und wünschenswert, auch im Deutschen Reich dem Sozialismus zum Sieg zu verhelfen. Voller skeptischer Hoffnung, ob auch die soziale Revolution gelingen würde, begrüßten sie die Revolution im zaristischen Russland. Franz Dahlem schrieb von der Front in Mazedonien an Elfriede Bayley: „Was denkst Du von Russland? Hoffentlich machen sie dort nicht halbe Arbeit.“116

114 Ebd., S. 488ff. 115 Ebd., S. 529. 116 SAPMO NY 4196/26.

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Vorläufig blieb die eigene revolutionäre Tätigkeit für Franz Dahlem auf das Militär beschränkt. In Mazedonien infizierte er sich mit Malaria, so dass er im Lazarett in Zeithain und Allenstein die Zeit nutzte, um sich intensiv dem Literaturstudium117 zu widmen, aber auch vorsichtig zu agitieren und Verbindungen zu knüpfen, insbesondere an seinem Standort und nach Köln, wo Walter Stoecker bereits erfolgreich Front, Garnison und Lazarette miteinander verband. 118 Als Soldat konnte Franz Dahlem der USPD noch nicht offiziell beitreten, obwohl bereits im Mai 1917 eine Kölner Ortsgruppe bestand119, der auch die bereits aus der SPD ausgeschlossenen Anhänger des Spartakusbundes um Henriette Ackermann angehörten.120 Erst im Sommer 1918 trat Franz Dahlem bei einem Besuch in Köln trotz des Verbots der politischen Betätigung für Militärangehörige in die USPD ein. Er erhielt einen Einblick in den Kampf um den Aufbau der USPD und die Verhältnisse in den Fabriken.121

V. REVOLUTION STATT BURGFRIEDE

1. Rückkehr nach Köln

Den Ausbruch der deutschen Revolution erlebte Franz Dahlem im ostpreußischen Allenstein im Lazarett. Bestand in der Allensteiner Garnison bereits eine latente revolutionäre Stimmung, so wussten die Soldaten nicht, wie die Vorgesetzten und die Behörden auf einen Aufstandsversuch reagieren würden.

Auch in Allenstein gaben Matrosen das Signal zum Aufstand. Einer von ihnen war Franz Dahlem aus Köln bekannt. Die Erzählung des Matrosen vom gelungenen Aufstand ermutigte Franz Dahlem und seine Kameraden, sich wie geplant am 9. November 1918 auf dem Remontemarkt in Allenstein zu treffen. Dort wurde auch Franz Dahlem in den Soldatenrat des XX. Armeekorps gewählt.122 Eine Revolution fand in Allenstein nicht statt.

Der preußische König entzog sich der Verantwortung durch Flucht in die Niederlande, aber die Junker und Industriellen wurden nicht enteignet und die ostpreußischen Räte konnten die Exekutive des Regierungsbezirks nicht übernehmen. In Berlin bildete der Vorsitzende der USPD Hugo Haase mit dem Revolutionsgegner Friedrich Ebert (SPD) den „Rat der

117 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133, fol. 148. In diese Zeit fällt die Rezeption des „Kapitals“. 118 Ebd., fol. 228. Vgl. auch: Stoecker, Frühzeit, S. 132, 139. 119 SAPMO NY 4072/139, fol. 232. 120 SAPMO NY 4072/137, fol. 16: „Bäckerdutzend“ (Wilhelm Sollmann). 121 Dahlem, Jugendjahre, S. 623. 122 Ebd., S. 709ff. Vgl. auch: RGASPI, F. 495, O. 205, D. 133, fol. 228.

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Volksbeauftragten“. Der Allensteiner Soldatenrat war ernüchtert, als er von Ebert und Haase den Befehl erhielt die beschlagnahmte bürgerliche „Allensteiner Zeitung“ an die Eigentümer zurückzugeben. Ebert und Haase betonten in ihrem Befehl insbesondere den „Schutz des Eigentums“ 123 . Vielleicht erinnerte sich Franz Dahlem, als er von diesem Telegramm Kenntnis erhielt daran, dass sein Parteivorsitzender Hugo Haase auch gegen die Nieder- schlagung der Matrosenaufstands 1917 und die Ermordung von Albin Köbis und Max Reichpietsch nicht nachdrücklich protestiert hatte.124 Kurz danach erreichte Franz Dahlem ein Telegramm Walter Stoeckers, in dem er ihn bat nach Köln zu kommen, um „die Leitung der USPD“125 und seinen Platz im Aktionsausschuss des Arbeiter- und Soldatenrates von Köln zu übernehmen. Walter Stoecker war sicher, dass Franz Dahlem in seinem Sinne handeln würde.

2. Im Kölner Arbeiter- und Soldatenrat

In Köln war der Vertreter der SPD Wilhelm Sollmann gegen die Besetzung der Tageszeitung, der „Kölnischen Zeitung“. Natürlich war auch für Sollmann die Übernahme der königlich- preußischen und der kommunalen Verwaltung sowie der rheinischen Industrie durch die Arbeiter- und Soldatenräte „ganz lächerlich“126.

Als Franz Dahlem Köln Anfang Dezember 1918 erreichte, bot sich ihm ein noch hoffnungsloseres Bild als in Allenstein. Dahlem erinnerte sich:

„Die Arbeiter- und Soldatenräte haben die Macht mehr oder minder gehabt, aber in Köln nicht. In Köln war die Reaktion schon an der Spitze.“127

Verantwortlich dafür waren die Leitung der SPD: Sollmann, Meerfeld und Zörgiebel sowie der Kölner Oberbürgermeister: . Diese Politiker waren von Anfang an zur Zusammenarbeit entschlossen. Sie lenkten die Ereignisse in die „richtigen“ Bahnen.

Schon die Entschließung, die Wilhelm Sollmann am 6. November 1918, auf einer Parteiversammlung der SPD verabschieden ließ, lief darauf hinaus, in Köln nur „halbe Arbeit“128 zu machen. Darin forderte die SPD, dass die „revolutionäre Bewegung unblutig in geordneten Bahnen verläuft“, die Freilassung der politischen Gefangenen, die Abdankung der

123 Ebd., S. 748. 124 Ebd., S. 558. Vgl. auch: Christoph Regulski, Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen. Albin Köbis, Max Reichpietsch und die deutsche Matrosenbewegung, Wiesbaden 2014, S. 274f.: Dahlem war nicht bekannt, dass Hugo Haase „Untersuchungen gegen die USPD“ seitens der Militärregierung befürchtete, wenn er nachdrücklich die Matrosen unterstützt hätte. 125 Ebd., 750. Vgl. auch: Stoecker, Frühzeit, S. 169. 126 Wilhelm Sollmann, Die Revolution in Köln. Ein Bericht über Tatsachen, Köln 1918, S. 17. 127 SAPMO NY 4072/139, fol. 164. 128 SAPMO NY 4196/26.

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Hohenzollern und die Einberufung einer Nationalversammlung. 129 Das war in etwa die Vorstellung, die Sollmann von einer glücklicher ablaufenden Februarrevolution gehabt haben dürfte - ohne den Erfolg der Bolschewiki.

Ein Mitglied des Kieler Revolutionskomitees teilte Sollmann am 7. November auf der Massenkundgebung am Hauptbahnhof mit, dass er bereits Truppenteile unter seiner Kontrolle habe und sofort die politischen Gefangenen befreien wolle, um dann einen Soldatenrat zu bilden. Sollmann lehnte dieses „selbständige Vorgehen“ ab und behauptete, der Matrose könne nur im Einvernehmen mit der SPD handeln.130 Der Matrose „Genosse Walther“ ließ sich überzeugen, obwohl Wilhelm Sollmann tatsächlich sein Vertrauen in erfolgreiche Verhandlungen der SPD mit den staatlichen und kommunalen Eliten Kölns und der Obersten Heeresleitung setzte.

Auf Versammlungen am 8. November wählte die Menge einen Arbeiter- und Soldatenrat, dem jeweils sechs Vertreter von SPD und USPD angehörten. Am 10. November 1918 kooptierte der Arbeiter- und Soldatenrat noch weitere sechs Mitglieder aus den freien Gewerkschaften. Damit gewann die SPD gegenüber der USPD weiter an Gewicht, zumal auch staatliche und kommunale Stellen die SPD als Verhandlungspartner bevorzugten. Der Arbeiter- und Soldatenrat bildete einen paritätisch zusammengesetzten Aktionsausschuss als Vollzugsorgan, dem auch Walter Stoecker angehörte. Doch nur scheinbar übte der Aktions- ausschuss die Macht für die Kölner aus. Wichtige Entscheidungen, die auch von reichsweiter Bedeutung waren, fasste Sollmann mit den alten Eliten, insbesondere Adenauer und Hindenburg, hinter verschlossenen Türen.

Zu Hindenburg reiste Wilhelm Sollmann in das „Große Hauptquartier“, mit Adenauer handelte er täglich in Köln. Als Wilhelm Sollmann Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrates wurde, ernannte er Adenauer zum Sicherheitsbeauftragten des Arbeiter- und Soldatenrates! Der nutzte seine Chance und ließ den von der zusammengebrochenen Front zurückflutenden Soldaten für eine warme Mahlzeit die Waffen abnehmen.131 Adenauer hatte bereits frühzeitig die Engländer unter dem „Vorwand von Plünderungen“132 um die schnelle Besetzung Kölns gebeten.

Der Aktionsausschuss des Arbeiter- und Soldatenrats war auch deshalb unbedeutend, weil schon kurze Zeit später, am 10. November 1918 Adenauer einen „Wohlfahrtsausschuss“

129 Sollmann, Köln, S. 5. Vgl. auch: Ebd., S. 10. Die Forderungen wurden von den Ereignissen überholt und konnten somit überhaupt nicht mehr Verhandlungsgegenstand werden. 130 Ebd., S. 7. 131 Anneliese Poppinga, Meine Erinnerungen an Konrad Adenauer, Stuttgart 1971, S. 141f. 132 SAPMO NY 4072/139, fol. 168. Erinnerung Gertrud Meyers.

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bildete, dem neben Mitgliedern des Arbeiter- und Soldatenrats diejenigen angehörten, die vier Jahre lang vom Krieg profitiert und dafür gesorgt hatten, dass die Heimatfront hielt und denen die „Revolution“ in Köln nichts anhaben konnte: Generaldirektor Becker als Vertreter der Arbeitgeber, der Befehlshaber des Militärbezirks Generalleutnant Kruge und der preu- ßische Regierungspräsident Kölns. Bezeichnenderweise gehörten diesem „Wohlfahrts- ausschuss“ keine Vertreter der USPD-Linken an: Walter Stoecker nicht und Franz Dahlem auch nicht. Oberbürgermeister Adenauer saß diesem „Wohlfahrtsausschusses“ vor, der sofort eine „Bürgerwehr“ zur Niederhaltung jeglicher revolutionären Bewegung einrichtete. 133 Franz Dahlem konnte bei seiner Ankunft in Köln feststellen, dass Adenauer und die alten Eliten weiterhin die Macht durch den „Wohlfahrtsausschuss“ mit einer „besoldeten gegen- revolutionären […] Bürgerwehr“134, für die „keine Proleten“135 rekrutiert wurden, ausüben konnten. Besonders wichtig dabei blieb, dass Adenauer Vorgesetzter aller kommunalen Beamten, Angestellten und Arbeiter blieb. Er behielt gerade auch durch seine kluge Einbindung in die unvermeidlichen „revolutionären“ Institutionen eine entscheidende Position. So überbrückte Adenauer die Zeit bis zur Ankunft der englischen Besatzungs- truppen in Köln am 6. Dezember 1918. Franz Dahlem erinnerte sich: „Der Soldatenrat blieb als formelle Sache bestehen, aber war politisch vollständig ohnmächtig.“136

Bereits vor Ankunft der englischen Truppen schloss der Aktionsausschuss und der Arbeiter- und Soldatenrat sein Mitglied Franz Dahlem aus. Franz Dahlem hatte sich einem von Konrad Adenauer lancierten Beschluss137 widersetzt, der die Besetzung der Kölner Innenstadt mit regulärer Truppe vorsah. Dahlem wurde damit beauftragt, die Soldaten zu begrüßen und einzuweisen. Er stellte ihnen hingegen Entlassungsscheine aus.138 Hinsichtlich der Bedeutung des Arbeiter- und Soldatenrats Kölns war der Verlust der Mitgliedschaft in diesem Gremium für Dahlem unerheblich. Er blieb vorübergehend ohne politisches Amt und entschied sich, in Köln zu bleiben und nicht für die französische Staatsangehörigkeit zu optieren. Zwar betrachtete ihn die französische Regierung als ihren Staatsangehörigen, doch seinen Lebensmittelpunkt hatte Franz Dahlem in Köln.139 Hier befanden sich seine Freunde, seine

133 Sollmann, Köln, S. 17. 134 SAPMO NY 4072/139, fol. 234. 135 Ebd., fol. 322. 136 Ebd., fol. 167. 137 Dahlem, Jugendjahre, S. 760, 762. 138 SAPMO DY 30/IV 2/1/276. 139 NDP, Mappe XI enthält die Urkunde der Wiederverleihung der französischen Staatsangehörigkeit aufgrund des Vertrags vom 28. Juni 1919, 1. März 1920.

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neue politische Heimat - die USPD Köln und seine Verlobte Käthe Weber, die er am 20. März 1919 heiratete.140

3. „Sozialistische Republik“ in Köln

Schon vier Tage nach seinem Ausschluss aus dem Arbeiter- und Soldatenrat am 10. Dezember 1918 wurde Franz Dahlem in den Vorstand der USPD gewählt.141 Er war damit maßgeblich am Aufbau dieser neuen Alternative zur SPD beteiligt. Die USPD konnte der Revolution nicht zum Sieg verhelfen. Das hatte, wie oben gesagt, äußere Gründe, lag aber auch an ihrer schwachen Organisation. Insbesondere mangelte es an einer eigenen Kölner und regionalen Parteizeitung der USPD, mit der weite Schichten der Bevölkerung, insbesondere der Arbeiter erreicht werden konnten.

Die Mitglieder der USPD Köln gründeten die „Sozialistische Republik“. Der Titel der Zeitung war eine Anspielung auf die von Karl Liebknecht ausgerufene „Sozialistische Republik“142. Mit der Wahl dieses Titels distanzierte sich die USPD von der „deutschen Republik“ Scheidemanns, die dieser gegen den Willen Friedrich Eberts ausrief. Der Berufswechsel Franz Dahlems vom Handlungsgehilfen und Soldaten zum Redakteur war von Walter Stoecker beeinflusst.143 Daneben hatte Franz Dahlem schon vor dem Krieg für die Zeitschrift „Arbeiter-Jugend“ geschrieben.

Während des Krieges hatte er sich fast ausschließlich über die veröffentlichte Presse informieren müssen. Erste Erfahrungen mit Organisation, Druck und Vertrieb sammelte er in Allenstein. Für die „Sozialistische Republik“ sammelte er Geld und ließ sich als Verleger eintragen.144 Im Januar 1919 erreichte sie eine Auflage von 3000 Stück und war nicht nur in Köln, sondern auch in der Region bis nach Koblenz, in die und ins Moselgebiet verbreitet.145 Die Zeitung hatte im Gegensatz zu den etablierten bürgerlichen und sozial- demokratischen Zeitungen finanzielle Probleme, die eine gleiche Verbreitung verhinderten. So versuchte der Industrielle Bley die Geldknappheit der Neugründung für seine gegen- teiligen politischen Zwecke auszunutzen und bot Franz Dahlem finanzielle Unterstützung an,

140 Kinder: Luise, geb. 18. Okt. 1919 und Robert, geb. 11. März 1922. Vgl. zu Robert Dahlem: Michael Heinz, Funktionär, Revolutionär, Republikflüchtling. Das tragische Leben des Robert Dahlem, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, 20/2016, Heft 1, S. 5-22. 141 Dahlem, Jugendjahre, S. 773. 142 SAPMO TonY 1/2330. 143 SAPMO NY 4072/138, fol. 89. 144 Horst Blumberg, Entwurf einer Biographie Franz Dahlems, S. 56, in: NDP. 145 SAPMO NY 4072/139, fol. 301, 306.

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wenn die Zeitung künftig den Anschluss des Rheinlands an Frankreich propagiere.146 Dieses Angebot wies Franz Dahlem zurück.

Die „Sozialistische Republik“ war das alternative Sprachrohr der USPD Kölns gegen die Linie der „Rheinischen Zeitung“, dem Parteiorgan der SPD. Viele Leitartikel der „Sozialistischen Republik“ verfasste Franz Dahlem. Er stellte bereits am 8. Januar 1919 fest, dass das alte Regime in der neuen Republik fortbestehen wollte und in demokratischer Repräsentation, der Nationalversammlung, einen „Rettungsanker“ 147 gefunden zu haben meinte. Die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Kapital bestand nach wie vor. Deshalb trat Franz Dahlem für die Rätedemokratie ein, deren Grundlage er im Betrieb sah. Die Einberufung der Nationalversammlung am 19. Januar 1919 in Weimar bezeichnete das Ende der Revolution auf Basis der Räte.148 Die SPD in Köln setzte ihre Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien, insbesondere mit dem alten und neuen Oberbürgermeister Konrad Adenauer, nach der Novemberrevolution in der Stadtverordnetenversammlung fort. Walter Stoecker und Franz Dahlem hingegen zählte der politische Gegner von Anfang an zur linken USPD:

„Leute die bei der USPD nur untergekrochen sind, weil sie sich scheuten, öffentlich ihre Spartakusideen zu bekennen, oder weil sie glauben, die Massen verwirren zu können“149 so Wilhelm Sollmann. Der politische Gegner konnte jedoch nicht verhindern, dass auch diese Vertreter in der Stadtverordnetenversammlung, im preußischen Landtag und sogar im preußischen Staatsrat150 ihre Ideen verteidigten.

Am 5. Oktober 1919 wurde Franz Dahlem als Stadtverordneter gewählt und nahm an den Sitzungen des Gremiums unter der Leitung Konrad Adenauers teil. Dort trat er gegen die Mehrheit unter Adenauer auf, die, wie vor dem Krieg, Politik für die besitzenden Schichten machte. Dahlem kritisierte die Erhöhung der Gas-, Wasser-, Strom- und Bahnpreise vor dem Hintergrund der Zurückstellung der Grund-, Gebäude- und Kanalsteuer. 151 Er setzte die sozialen Ziele der USPD in konkrete Forderungen für Köln um: Streichung aller Kosten für religiöse Zwecke im städtischen Haushalt, die Einheitsschule und Kommunalisierung statt

146 Ebd., fol. 155. 147 Sozialistische Republik, 8. Jan. 1919. 148 Sozialistische Republik, 15. Feb. 1919. 149 Stoecker, Frühzeit, S. 168f. 150 RGASPI, F. 495, O. 205, D. 133, fol. 148: Franz Dahlem gab an, dass er „vorübergehend Mitglied des preußischen Staatsrats als Vertreter des rheinischen Provinzialausschusses“ war. 151 SAPMO NY 4072/53. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung Köln am 15. April 1920.

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Privatisierung. Zudem lehnte er das Lieblingsprojekt Adenauers ab: die Universität, weil in ihr „die schärfsten Gegner des Proletariats aufwachsen“152 würden.

Dahlems Teilnahme an den Sitzungen und der geringe Einfluss der USPD insgesamt reichte jedoch nicht aus, um die Politik grundlegend zu ändern, diente jedoch der öffentlichen An- prangerung von Missständen wie zum Beispiel in der Debatte zur Milchversorgung. Bei dieser Gelegenheit deckte Franz Dahlem die Bevorzugung der großen Milchlieferanten auf.153

VI. EINTRITT IN DIE KOMMUNISTISCHE INTERNATIONALE

1. Vereinigung von KPD und USPD

Neben seiner Tätigkeit als Stadtverordneter und Redakteur gehörte Franz Dahlem zu den Befürwortern einer Vereinigung von USPD und KPD zu einer reichsweiten Einheitspartei. Von der Gründung der KPD (Spartakusbund) erfuhr er aus der Zeitung und hatte vorher keine Kenntnis davon. 154 Eine unmittelbare Vereinigung kam jedoch für die linken USPD- Mitglieder nicht in Frage.

Bereits im Dezember 1918, also unmittelbar bei der Gründung der KPD, schlug Rosa Luxemburg Wilhelm Koenen als Repräsentantem der linken USPD den Beitritt der USPD zur KPD vor. Wilhelm Koenen lehnte ab, weil die KPD die Wahlen zur Nationalversammlung (gegen den Willen Rosa Luxemburgs) boykottierte.155 Neben der Beteiligung an repräsen- tativen Wahlen nahm die USPD und insbesondere ihre Mitglieder, die fast alle aus der SPD kamen und in sozialdemokratischen Traditionen verhaftet blieben, eine positive Haltung zur Arbeit in den Gewerkschaften ein.

Die KPD hingegen war der Meinung, dass die freien Gewerkschaften wie auch die SPD seit 1914 Teil des Burgfriedens waren und den Krieg und seine Millionen sinnloser Opfer nicht verhindert hätten. Daher erübrigte sich für sie eine Mitarbeit in den Gewerkschaften.

Diese konträren Haltungen in der ersten Jahreshälfte 1919 zur Beteiligung an Parlaments- wahlen und Gewerkschaftsarbeit verhinderten eine unmittelbare Vereinigung von USPD und KPD zu einer reichsweiten Einheitspartei.

152 Ebd. Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung Köln Juni/ Juli 1920. 153 Ebd. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung Köln am 12. August 1920. 154 SAPMO NY 4072/124, fol. 223. 155 SAPMO NY 4072/138, fol. 22.

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Die USPD nahm an den Wahlen zur Nationalversammlung teil. Franz Dahlem saß in der Stadtverordnetenversammlung Kölns, obwohl er überzeugt war, dass die USPD damit nicht den Sozialismus bewirken konnte.

Auch die anderen Repräsentanten des linken Flügels der USPD arbeiteten in bürgerlichen Gremien mit, da das die einzige formelle Möglichkeit nach dem Ausscheiden der Arbeiter- und Soldatenräte war, um politisch tätig zu sein und öffentlich wahrgenommen zu werden. Wilhelm Koenen war Mitglied der Stadtverordnetenversammlung in , Ernst Thälmann in der Hamburger Bürgerschaft und Walter Stoecker war Mitglied der verfassungsgebenden preußischen Nationalversammlung.

Weiterer Streitpunkt in der USPD war das Verhältnis zur kommunistischen Internationale, weil der rechte Flügel der USPD die Verschmelzung mit der KPD im Rahmen der Kommu- nistischen Internationale ablehnte. Für den rechten Flügel der USPD unterstand die KPD nur der kommunistischen Internationale in Moskau und war von ihr finanziell abhängig. Von den russischen Genossen trennte die rechte USPD auch die Parteitheorie Lenins, seine Kritik an den Zentristen in der USPD und seine konsequente Berufung auf die Schriften von Karl Marx.

Die Differenzen bestanden auch in der Kölner USPD. Gertrud Meyer stellte im Parteihaus die Schriften von Lenin aus, u.a. „Staat und Revolution“. Bruno Runowski wollte das verhindern. Franz Dahlem sorgte dafür, dass Lenins Schriften wieder ausgestellt wurden. Er legte auch „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky“ wieder aus, was daraufhin deutet, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits auch theoretisch weder der alten Sozialdemokratie noch den Zentristen der USPD angehörte.156

Er folgte dem Aufruf Lenins zur Bildung einer Partei von Berufsrevolutionären, die allein der Revolution zum Sieg verhelfen sollten. Die russischen Bolschewiki hatten keine „halben Sachen“ gemacht und sich auch nicht von den alten Eliten übervorteilen lassen. Für Franz Dahlem spielte dabei vor allem deren Organisation immer eine entscheidende Rolle. Dass diese in Deutschland nicht existierte, war für ihn ein Grund, warum die Novemberrevolution scheiterte.157 In diesem Sinn kämpfte Franz Dahlem für die Vereinigung der USPD mit der KPD und den Anschluss an die Kommunistische Internationale.

Die KPD vertrat nach ihrer Gründung linksradikale Auffassungen, war aber in dieser Haltung nicht einheitlich. Auf dem Heidelberger Parteitag im Oktober 1919 überwand sie ihre

156 SAPMO NY 4072/139, fol. 173, 343. 157 SAPMO NY 4072/124, fol. 82, 229.

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sektiererischen „Kinderkrankheiten“ und war damit für die USPD wieder ein ernstzu- nehmender politischer Partner. Ziel der linken USPD-Führer Thälmann, Koenen, Stoecker und Dahlem, die für die Vereinigung beider Parteien eintraten, war es, möglichst viele USPD-Mitglieder und Gewerkschaftsmitglieder in die neue Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands zu führen. In Köln war es für die Sympathisanten einer Vereinigung vergleichsweise leicht, da die USPD dort mehrheitlich links stand. Franz Dahlem:

„Ich kann mich nicht erinnern, dass der Parteivorstand in Köln, hauptsächlich von Zentristen besetzt war, denn dort tobte eine scharfe Diskussion […] gegen die Politik der Dittmann und Crispien.“158

Auch wenn die Gegner eines Anschlusses an die Komintern um Dittmann und Crispien in Köln schwach waren, gab es dennoch Auseinandersetzungen, beispielsweise über die Kontrolle der erst gegründeten Parteizeitung „Sozialistische Republik“. Im Januar 1920 wurde sie in eine Druckereigenossenschaft umgewandelt. Deren Anteilsscheine verblieben in linker USPD-Hand. Übernahmeversuche rechter USPD-Führer wurden abgewiesen.159 Franz Dahlem trat nach der Änderung der KPD-Linie weiter besonders publizistisch für den „Zusammenschluss aller auf sozialistischem Boden stehenden revolutionären Kräfte“160 ein.

In der zweiten Jahreshälfte 1920 stand eine weitere entscheidende Frage zur Debatte, die eine unmittelbare Vereinigung vorerst verhinderte: die Annahme der 21 Bedingungen, die der II. Weltkongress der Komintern den Parteien gestellt hatte, bevor sie Mitglied der Komintern werden konnten.

Die Reichs-USPD entschied über diese 21 Bedingungen auf ihrer Reichskonferenz in Berlin Anfang September 1920. Franz Dahlem hielt dort am 2. September eine Rede, in der er für den Anschluss an die Komintern eintrat, d.h. die Annahme der 21 Bedingungen akzeptierte. In der Rede tadelte er insbesondere die Haltung Wilhelm Dittmanns und Arthur Crispiens, die sich gegen den Beitritt zur Komintern und die Vereinigung mit der KPD aussprachen. Franz Dahlem kritisierte in seiner Rede, dass Crispien und Dittmann die Situation in Russland falsch darstellten.

Hier zahlte sich für Dahlem erstmalig politisch aus, dass er Französisch muttersprachlich beherrschte. Dahlem zitierte Artikel des französischen Kommunisten Marcel Cachin, der ebenso wie Crispien und Dittmann am II. Weltkongress der Komintern teilgenommen hatte. In den zitierten Passagen lobte Cachin die russischen Revolutionäre für ihren ersten Erfolg

158 SAPMO NY 4072/139, fol. 125f. 159 Ebd., fol. 300. Vgl. auch: Sozialistische Republik, 17. Jan. 1920. 160 Sozialistische Republik, 24. Apr. 1920.

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und verwies darauf, dass man daraus lernen müsse. Dabei bezog sich Cachin auf die „Diktatur der Arbeiter und Bauern“161 in Sowjetrussland, deren Propagierung eine der 21 Bedingungen der Komintern war. Franz Dahlem kritisierte weiter, dass Arthur Crispien Vertretern der SFIO gegenüber signalisierte, dass die USPD der Komintern nicht beitreten werde. Dahlem bezog sich dabei auf ein Gespräch, dass Crispien mit Louis Frossard auf dem Strasbourger Parteitag der SFIO führte.162 Damit zeigte Dahlem, dass Crispien und Dittmann zu den zentristischen Führern der USPD gehörten, deren Ausschluss ebenfalls eine der 21 Bedingungen der Komintern war.

Erst im Oktober 1920 stimmte die Mehrheit der Delegierten des USPD-Parteitag in Halle für den Anschluss an die Komintern. Auf einem Foto der Delegierten im Tagungsraum ist auch Franz Dahlem zu sehen, der in Halle keine Rede hielt, aber dem Antrag Walter Stoeckers und Ernst Däumigs zustimmte, die 21 Bedingungen zu akzeptieren und sich der Komintern anzuschließen. Die Vereinigung mit der KPD war nur noch eine Formalität. Franz Dahlem hatte ein starkes Mandat in Berlin und in Halle. 92% der USPD Mitglieder des Bezirks Mittelrhein stimmten auf einem Bezirksparteitag für die Vereinigung mit der KPD und den Anschluss an die III. Internationale.163 Das war auch Dahlems Verdienst, da er auf allen Versammlungen die Linie des Beitritts, beispielsweise auch gegen Rudolf Breitscheid, vertrat. Anfang Dezember 1920 fand der Vereinigungsparteitag in Berlin statt, auf dem Franz Dahlem auch in den Zentralausschuss der VKPD gewählt wurde.164 Der Hauptkassierer der USPD Köln übergab der VKPD eine leere Parteikasse und ging zurück zur SPD.165

2. KPD-Vertreter in Frankreich und Belgien

Auch international vertrat Dahlem die Vereinigung von KPD und USPD und den Anschluss an die III. Kommunistische Internationale, insbesondere in Frankreich. Dieser Teil seiner Biographie ist bislang noch nicht dargestellt worden. Es geht hier darum, mit ersten Thesen anhand der Dokumente diesen Teil der Biographie Dahlems, insbesondere im Gegensatz zum üblichen deutsch-nationalen Hass dieser Periode darzustellen.

Wegen seiner Sprachkenntnisse wurde er immer wieder mit Parteiaufträgen in Frankreich betraut. Es ist nicht übertrieben, wenn er selbst über sich sagte, dass die „Hauptthese meiner

161 Franz Dahlem, Ausgewählte Reden und Aufsätze 1919-1979. Zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Berlin 1980, S. 30. 162 Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 31. 163 SAPMO NY 4072/139, fol. 305. 164 RGASPI, F. 495, O. 205, D. 133, fol. 149. 165 SAPMO NY 4072/138, fol. 101.

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Arbeit in Weimarer Zeit“ in der „besonderen Neigung zur Zusammenarbeit des deutschen und französischen Volkes“ 166 bestand. Nicht nur sprachlich und politisch, sondern auch familiär konnte Franz Dahlem Brücken in die frankophone Welt bauen, denn sein Bruder Robert entwickelte sich ebenfalls zu dieser Zeit zum Kommunisten.

Robert Dahlem blieb französischer Staatsangehöriger und wohnte weiterhin in Lothringen. Die Brüder arbeiteten seit den ersten Missionen Franz Dahlems in Frankreich und Belgien zusammen. Robert Dahlem war für KPF und KPD ein wichtiger Stützpunkt an der Grenze zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich. 167 Beide Parteien arbeiteten als größte Sektionen der Komintern außerhalb der Sowjetunion immer eng zusammen. Anfang der zwanziger Jahre war eine gute Zusammenarbeit für die Komintern besonders wichtig, um die Gründungen der französischen und deutschen Sektion zu fördern. Daran nahm Franz Dahlem teil. Bereits in seiner Diskussionsrede auf der Reichskonferenz der USPD am 2. September 1920 in Berlin rühmte er sich, den Kongress der SFIO in Strasbourg im Februar 1920 von dem Willen der USPD überzeugt zu haben, der III. Kommunistischen Internationale beizutreten.168 Folgendes war geschehen:

Ende Februar 1920 fand der XVII. Parteitag der SFIO in Strasbourg statt, auf dem die Delegierten über die Haltung der Partei zur II. und III. Internationale diskutierten. Frossard gab den französischen Delegierten die Position der USPD wieder, wie sie ihm Arthur Crispien vom rechten Flügel der USPD vermittelte.169 Es habe auf dem Leipziger Parteitag der USPD drei Anträge gegeben: für den Anschluss an die II. Internationale, für eine Verständigung aller nationalen Parteien auf einem von der USPD auszurichtenden Kongress und den Anschluss an die III. Internationale. Der Leipziger Parteitag habe sich nicht für einen unmittelbaren Anschluss an die III. Internationale entschieden, sondern nur von der II. Internationale distanziert. Frossard fragte Crispien, was passiere, wenn die sozialistischen und kommunistischen Parteien den geplanten Verständigungskongress boykottieren? Cris- pien antwortete ihm, dass sich die USPD keinesfalls bedingungslos der III. Internationale anschließen werde.170

Nachdem Frossard diese Falschinformation über die angeblich einheitliche Haltung in der USPD an die Delegierten des Parteitags der SFIO weitergegeben hatte, sprach Franz Dahlem

166 SAPMO DY 30/9972, fol. 53. 167 SAPMO TonY 1/2339. 168 Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 31. 169 Parti Socialiste (Section Française de l’Internationale Ouvrière), 17ième Congrès National tenue à Strasbourg. Compte rendu sténographique, Paris 1920, S. 290ff. 170 Ebd., S. 293.

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mit Frossard und sagte ihm im Namen des linken Flügels der USPD, dass der Leipziger Parteitag der USPD der III. Internationale keine Bedingungen gestellt und diese auch nicht vorgesehen habe.171

Frossard gab die Information an Fernand Loriot weiter, der sein Referat zu den internationalen Beziehungen der SFIO hielt. Loriot gab die von Franz Dahlem vermittelte Auffassung an den Parteitag weiter. Das stenographische Protokoll vermerkte an dieser Stelle: „Bruits et interruptions.“ Loriot ergänzte, dass der linke Flügel der USPD und mit ihm die Mehrheit der Partei für einen sofortigen und bedingungslosen Anschluss an die III. Internationale eintrete. Das Protokoll vermerkte hier: „Applaudissements.“ 172 Loriot, von Dahlem instruiert, legte nach und warf dem Parteivorstand der USPD vor, sich über die Beschlüsse des Parteitages zu stellen.173

Der Parteivorstand der USPD um Arthur Crispien und Wilhelm Dittmann versuchte alles, um eine Entfaltung des linken Flügels und den Anschluss an die III. Internationale zu verhindern. Franz Dahlem erwies den Linken in der USPD einen guten Dienst, als er die Lage in Strasbourg richtig darstellte und für die Gegenposition des linken Flügels der USPD eintrat. Damit gewannen auch die Linken in der SFIO an Auftrieb gegenüber dem rechten Flügel. Franz Dahlems Bekanntschaft mit Louis Frossard, Raymond Lefebvre und Fernand Loriot datierte aus dieser Zeit. Übrigens bezeichnete Frossard die Linken der USPD bereits Ende Februar 1920 als „Kommunisten“174.

Franz Dahlem war auch am Gründungsprozess der Kommunistischen Partei Belgiens beteiligt. In einem Artikel175 schrieb er noch vor der Vereinigung der USPD mit der KPD über die Lage der Belgischen Arbeiterpartei, die eine Koalitionsregierung eingegangen war, um Verbesserungen für die arbeitende Bevölkerung zu erreichen. Dahlem bezog sich auf den Parteitag der Belgischen Arbeiterpartei im April 1920, auf dem diese beschloss, die Regierungsbeteiligung zu beenden, sofern wesentliche politische Forderungen und Rechte erfüllt seien. Dazu gehörten insbesondere der Achtstundentag, das unbeschränkte Streikrecht sowie die Besteuerung von Kapitalerträgen und Kriegsgewinnen in Belgien. Nichts passierte. Die Belgische Arbeiterpartei setzte die Regierungsbeteiligung fort „und die Massen haben erst in geringem Maße erkannt, dass die Führer schuld daran sind“176, so Dahlem.

171 Ebd., S. 407. 172 SFIO, Strasbourg, S. 408. 173 Ebd., S. 409. 174 SFIO, Strasbourg, S. 291. 175 Die Internationale. Zentralorgan der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei, 30. Okt. 1920. 176 Ebd.

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In der Belgischen Arbeiterpartei bestanden zwei schwache linke Oppositionsströmungen. Zum einen die linksradikale Gruppe um das Journal „Ouvrier Communiste“. Zum Anderen eine Gruppe um den „L’Exploité“, deren Redakteur Joseph Jacquemotte 177 war. Franz Dahlem unterstützte die Gruppe um Joseph Jacquemotte, da diese die Regierungsbeteiligung beenden wollte und für einen Beitritt zur Komintern eintrat. Dazu beobachtete Dahlem die Lage der Belgischen Arbeiterpartei und arbeitete in der Redaktion des „L’Exploité“ mit.

Am 23. Mai 1921 empfahl Dahlem der Zentrale der VKPD die „nutzlosen Anrempeleien des „Ouvrier Communiste“ [gegen „L’Exploité“ und die Gruppe Jacquemotte zu] unter- binden“178. Vielmehr sollten die Führer der verschiedenen Gruppierungen zusammenarbeiten, um die Bildung einer starken KPB zu ermöglichen. Des Weiteren sollte man die Linie vertreten, die Gewerkschaften von der Belgischen Arbeiterpartei zu trennen. Dahlem empfahl, das Journal „L’Exploité“ finanziell zu unterstützen. Er hielt den Zeitpunkt für die Abspaltung von der Belgischen Arbeiterpartei für gekommen.

Vom Kongress ihres linken Flügels konnte er einige Tage später an die deutschen Delegierten des EKKI berichten, dass sich die Gruppe um Jacquemotte „fast einstimmig“ für die Gründung einer KPB ausgesprochen habe. Er bat die Zentrale der VKPD dringend, „eine schnelle Einigung mit den kommunistischen Gruppen in Belgien herbeizuführen“, zumal die BAP besonders auf ihrem rechten und zentristischen Flügeln über die Sanktionen stritt, die Deutschland treffen sollten, wenn es seinen Reparationsverpflichtungen nicht nachkomme.

Brouckère war für die Vorschläge der Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale, wohin- gegen Brunet vom rechten Flügel der BAP mit einer Spaltung drohte, sollten die Londoner Beschlüsse der Alliierten nicht unterstützt werden. Die Reichsregierung nahm die Beschlüsse an, so dass es nicht zu einer rechten Abspaltung kam.179

In einem weiteren Bericht aus Belgien vom 6. Juni 1921, der an die Zentrale der VKPD, aber auch an die Komintern weitergeleitet wurde, setzte sich Franz Dahlem für eine Koordi- nierung der „internationalen Verbindungen im Westen“180 ein. Seine bisherigen Missionen im französischsprachigen Raum machten ihm bewusst, wie aussichtsreich eine solche inter- nationale Zusammenarbeit für den Erfolg der Revolution in Deutschland sein müsse, weil in der Grenzregion, aus der er stammte, die bedeutendsten Industrien Europas lagen. Von deren

177 Joseph Jacquemotte (1883-1936). 178 RGASPI F. 495, O. 93, D. 8. Der gesamte Abschnitt zur KPB-Gründung bezieht sich auf diese Signatur. 179 Sozialistische Republik, 21. Juni 1921 180 RGASPI F. 495, O. 93, D. 8.

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Revolutionierung, nicht Kartellierung, erwartete Franz Dahlem die Beendigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen:

„Als ich dieser Tage mich in dem Gebiet bewegte, wo die Eisenindustrie Luxemburgs angrenzt an das Kohlenbecken der Saar, an das Erzbecken von Longwy-Briey, wo in der Nähe die Industrie von Belgien und von Lothringen sich befindet, kam mir die Gewissheit […] die Arbeiterbewegung in diesem äußerst wichtigen Industriezentrum Westeuropas zu einheitlichem Handeln zusammenzufassen.“181

Dahlems Einsätze in Strasbourg und Belgien waren die ersten bedeutenden Missionen für die Kommunistische Internationale. Jedenfalls hatte er die Aufmerksamkeit der Zentrale und durfte die Abgesandten der Komintern Dmitri Manuilski, Mauro Scoccimarro, Jules Humbert-Droz auf deren Reise von Juli bis Oktober 1922 durch Frankreich begleiten und auf dem II. Parteitag der KPF in Paris sprechen.182 In seiner Rede auf dem Parteitag setzte er sich für die volle Eingliederung der KPF in die Komintern ein und unterstützte mit Manuilski den linken Flügel. In einem Artikel für die „Internationale Presse-Korrespondenz“ forderte er von der KPF „eiserne, internationale Disziplin“183. Seine Vorstellung von der Komintern bezog sich aber nicht auf eine bloße übergeordnete Zentrale, der die Ländersektionen als voneinander separate Abteilungen unterstehen, sondern er war für eine Vernetzung und einen intensiven Austausch der „Bruderparteien“ untereinander. Dazu sollte jede nationale kommunistische Partei über eine „auswärtige Abteilung beim Zentralkomitee“184 verfügen. Damit sollten Länder- und Sprachgrenzen überwunden und die Arbeit erfolgreicher werden. Er betonte insbesondere die Erfahrungen der KPD, von denen auch andere Sektionen der Komintern profitieren sollten.

Die internationale Zusammenarbeit sollte erfolgreiche Streiks ermöglichen. Internationale Verbindungen der besitzenden Klasse hatte es immer gegeben. Auch im und nach dem Ersten Weltkrieg, von dem sie maximal profitierte, blieben diese Verbindungen bestehen. Mit dem Sieg der Oktoberrevolution in Russland war es erstmals auch für die Vertreter der nichts besitzenden Schichten möglich, dieser geballten Kapitalmacht etwas entgegenzusetzen: die Komintern und ihr weltweites Netz. Die Komintern ist in der Forschung umstritten. Sicher ist, dass sie seit der Gründung bis zu ihrer Auflösung 1943 ganz unterschiedlich bewertet

181 Ebd. 182 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133, fol. 149, 229. Vgl. auch: SAPMO TonY 1/2339. Nach seiner Rede auf dem Parteitag der KPF 1922 wurde Franz Dahlem von der französischen Polizei verhaftet und nach Deutschland abgeschoben. 183 Internationale Presse-Korrespondenz, Nr. 206, S. 1408. 184 Ebd., Nr. 218, S. 1558.

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werden muss. 1921 war sie für viele Vertreter der Arbeiterbewegung die gegebene Alternative zur II. Internationale.

Franz Dahlem dachte bei seinen Artikeln in der „Internationalen Presse-Korrespondenz“ auch an die internationalen Aktionskomitees, die zur Zeit des Ruhrkampfes gerade bei der Zusammenarbeit von KPD und KPF bedeutend waren.

VII. RUHRGEBIET UND AUFSTAND

1. Organisator im Kampf um das Ruhrgebiet

An den Absprachen zwischen KPD und KPF zur Ruhrbesetzung nahm Franz Dahlem von Anfang an teil. Bereits am 26. August 1922 fand während der Verhandlungen deutscher und französischer Schwerindustrieller die Kölner Konferenz statt, auf der sich Vertreter von KPD und KPF trafen. 185 Diese Konferenzen dienten dem gemeinsamen Vorgehen im inter- nationalen Ruhrkonflikt. Franz Dahlem war Teilnehmer der internationalen und nationalen Konferenzen, der Meetings sowie der Aktionskomitees. Schon am 6. Dezember 1922 schrieb er an Albert Treint von der KPF, dass die KPD an einem gemeinsamen Aktionsprogramm der westeuropäischen Parteien arbeite.186 Als Abgeordneter des preußischen Landtags187 konnte er leichter zwischen Deutschland und Frankreich reisen.

In seinen Artikeln für „L’Humanité“ und im Rahmen der Debatten des Landtags wies er wiederholt daraufhin, dass es sich beim Ruhrkonflikt nicht um einen nationalen Konflikt handelte, sondern um einen Interessenkonflikt der deutschen und französischen Kohle- und Stahlindustrie vor dem Hintergrund der von Deutschland zu leistenden Reparationen und dem französischen Hegemoniestreben in Europa.

Die KPD war die einzige Partei im Landtag, die nicht mit einer einseitig nationalen Rhetorik denjenigen, die die Zeche bezahlen sollten, Sand in die Augen streute. Der Abgeordnete Dr. Schreiber (DDP) steht repräsentativ für diese falsche Einstellung. Kurz nach der - besetzung sprach er „gegen den verbrecherischen Gewaltstreich der Franzosen und Belgier“188, die mit der Besetzung der Ruhr einen „brutalen Vertragsbruch“189 begangen

185 Heinz Köller, Kampfbündnis an der Seine, Ruhr und Spree. Der gemeinsame Kampf der KPF und KPD gegen die Ruhrbesetzung 1923, Berlin 1963, S. 50. 186 Köller, Kampfbündnis, S. 56. 187 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 5280, Bd. 2, fol. 123. Franz Dahlem war Mitglied des preußischen Landtags 1921-1924 und Sprecher der KPD-Fraktion. 188 Sitzungsprotokolle des Preußischen Landtags, 204. Sitzung am 25. Jan. 1923, Sp. 14540. 189 Ebd.

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hätten. Sein Vorredner Franz Dahlem hatte die Situation unmittelbar nach dem französisch- belgischen Einmarsch differenzierter erklärt. Er sprach von einer „nationalistischen Komödie“, bei der es im Hintergrund um ein „ganz gewöhnliches Geschäft“190 gehe. Die KPD unterzog den Konflikt als einzige Partei einer fundierten Analyse, während die anderen Parteien des Hauses eine Aggression Frankreichs und Belgiens gegen Deutschland propagierten. Das war eine undifferenzierte Sicht, weil sie die Mitschuld Deutschlands ausblendete.

Der Grundgedanke der Rede Dahlems am 25. Januar 1923 im preußischen Landtag, den er in zahlreichen Artikeln in der deutsch-französischen kommunistischen Presse und in seinen Reden als Abgeordneter weiterentwickelte, war, dass es auf französischer Seite um die Durchsetzung der Kriegsziele gehe, d.h. um den Zusammenschluss der deutschen (Rhein- Ruhr) und der französischen (Longwy-Briey) Kohle- und Stahlindustrie unter der Vorherrschaft des französischen Hüttenkomitees.191 Die deutsche Kohle- und Stahlindustrie sei im Ersten Weltkrieg mit dem gleichen Versuch, wirtschaftliche Dominanz und damit politische Hegemonie in Europa zu erreichen, gescheitert. Vor dem Ruhrkonflikt habe ihr Vertreter Hugo Stinnes erstmals seit Kriegsende wieder versucht, durch die Sabotage der Reparationslieferungen eine Revision des Versailler Vertrags zu erreichen.192 Beide Seiten könnten sich, so Dahlem, im Grunde nicht einigen, wer die Dominanz in einem Trust haben solle.193 Der eigentliche Feind sei nicht das französische Volk, sondern das nationale und internationale Kapital.194

Die KPD, die KPF und der Oberbezirksleiter West der KPD195, Franz Dahlem, folgerten daraus, dass die kommunistischen Parteien Westeuropas für eine „proletarische Erfüllungspolitik auf Kosten der Besitzenden“196 eintreten sollten, die nur durch die „Bildung einer internationalen Kampffront“ 197 durchsetzbar sei. Deswegen nahm Franz Dahlem Anfang Januar 1923 mit , Walter Stoecker, Fritz Heckert, Heinrich Brandler und August Thalheimer an der Essener Konferenz kommunistischer Parteien teil.198

190 Ebd., Sp. 14526f. 191 Beispielsweise im Artikel „Um die Zukunft des Rheinlandes. Die Ziele der Politik Frankreichs, wie sie von seinen einflussreichsten Staatsmännern und Militärs verfolgt werden“, in: Internationale Presse- Korrespondenz vom 6. Aug. 1923, S. 1123-1124. 192 Franz Dahlem, Der Ruhrkampf 1923, Berlin 1953, S. 12. 193 Preußischer Landtag, Sp. 14530. 194 Ebd., S. 14539. 195 Köller, Kampfbündnis, S. 100: unter dem Oberleiter Walter Stoecker. Vgl. auch: Blumberg, Biographie, S. 123: „Kampf gegen den Separatismus als Oberberater an der Saar und in der Pfalz“. 196 Rote Fahne, zitiert nach Köller, Kampfbündnis, S. 97. 197 Köller, Kampfbündnis, S. 60. 198 Ebd., S. 61.

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Auf der im März folgenden Frankfurter Konferenz kommunistischer Parteien teilte Dahlem am 20. März die Verhaftung des Vertreters der KPD in Paris, Emil Höllein mit, weil er sich gegen die Sicherheit Frankreichs vergangen hätte.199 Auch auf dieser Konferenz forderten u.a. Delegierte der britischen, bulgarischen, deutschen, französischen, indischen und sow- jetischen Sektionen der Komintern,

„die kommunistische Abwehrfront gegen die aus dem Ruhrabenteuer erstehende Kriegsgefahr in einer Einheitsfront des internationalen Proletariats aller Richtungen zu erweitern“200.

Neben seiner Teilnahme an internationalen Aktionen gegen die Ruhrbesetzung entlarvte Dahlem als Sprecher der kommunistischen Fraktion im preußischen Landtag und als Journalist für die von Alpari geleitete Internationale Presse-Korrespondenz die eigentlichen Intentionen der Ruhrindustrie. Er konstatierte ihre Verständigungsbereitschaft trotz des „passiven Widerstands“ und ihren verstärkten Kampf gegen die Arbeiterschaft. Diese litt am stärksten unter den steigenden Lebenshaltungskosten und der immer geringeren Kaufkraft ihres ohnehin kärglichen Lohnes. Die deutschen Behörden unterdrückten die Streiks in Kollaboration mit den französischen Behörden.201 Auch die deutsche Industrie war bereit, trotz des „nationalen passiven Widerstands“ weiter Profit zu erzielen, weil der wirtschaftliche Stillstand für sie zu kostspielig wurde.

In seiner Rede am 20. Juni 1923 wies Franz Dahlem Beschuldigungen zurück, die KPD sei eine antinationale Partei und prangerte an, dass die deutschen Industriekapitäne ihr Kapital in sicheren Devisen anlegten.202 Während des „passiven Widerstands“ lieferten sie Haldenkohle an die Okkupanten. 203 Dahlem stritt im preußischen Landtag gegen deren separatistische Bestrebungen, insbesondere im Rheinland, die aus der Politik des „passiven Widerstands“ der Reichsregierung resultierten. Deswegen wurde Dahlem im Landtag zum Ende des Ruhr- kampfes zur Ordnung gerufen.204

Wegen seines Widerstands gegen die Separatistenbewegung im Rheinland und die Ruhr- okkupation wies die Interalliierte Hohe Kommission Franz Dahlem aus dem Rheinland aus. Im Lebenslauf seiner Kominternkaderakte schrieb Franz Dahlem für die Jahre 1919-1923:

199 Internationales Aktionskomitee gegen Kriegsgefahr und Faschismus (Hrsg.), Der Internationale Kampf des Proletariats gegen Kriegsgefahr und Faschismus. Protokoll der Verhandlungen der internationalen Konferenz in Frankfurt am Main vom 17. bis 21. März 1923, Berlin 1923, S. 23. 200 Ebd., S. 6. 201 Köller, Kampfbündnis, S. 226. 202 Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 58. 203 Köller, Kampfbündnis, S. 237. Vgl. auch: Dahlem, Ruhrkampf, S. 25. 204 SAPMO NY 4072/154, fol. 181. Rede am 18. September 1923.

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„Durchkreuzung der Korruptionsversuche innerhalb unserer Partei seitens der Besatzungsmächte. Säuberung der Partei von englischen und französischen Spionen, dabei starker Zusammenstoß mit dem französischen Oberkommandierenden.“205

Der Ausweisungsbeschluss existiert wohl nicht mehr. Als Vergleich kann man jedoch die Ausweisung des Kölner Parteimitglieds Willy Korbmachers heranziehen. Darin droht die Interalliierte Hohe Kommission mit der Hinrichtung, falls der Ausweisungsbefehl missachtet wird:

„[…] falls Sie während der Besatzungszeit in das […] besetzte Gebiet zurückkehren, so werden Sie sich einer gerichtlichen Untersuchung und, falls schuldig befunden, der Todesstrafe aussetzen.“206

Auch Franz Dahlems Anwesenheit im Rheinland bedeutete für die Interalliierte Hohe Kommission wie auch für die Reichsregierung eine „Gefahr zur Aufrechterhaltung der Ordnung“207.

2. Aufstandsversuch der KPD

Die Reichsregierung beendete den nicht länger haltbaren „passiven Widerstand“ an der Ruhr Ende September 1923, aber ihre Politik hatte eine Inflation unvorstellbaren Ausmaßes provo- ziert. Diese führte in Verbindung mit einer hohen Arbeitslosigkeit zur Verarmung der lohnabhängig Beschäftigten, insbesondere der Arbeiter. In Sachsen und Thüringen bildeten SPD und KPD erstmals Arbeiterregierungen. Damit war für die Komintern in Deutschland erneut eine revolutionäre Situation gegeben, die sie für den bewaffneten Aufstand ausnutzen wollte.

Das ZK der KPD ernannte Franz Dahlem zum Instrukteur in den Bezirken Hessen, Baden, Pfalz und an der Saar, um u.a. die Organisation von Waffen für diese Bezirke sicherzustellen. Seine Fronterfahrungen waren ihm als Weltkriegsteilnehmer für die Mobilmachung der Kommunisten dieser Bezirke nützlich. Vor dem geplanten Aufstand sollte Dahlem im Auftrag des ZK der KPD Kontakt zur KPF herstellen, die den Einmarsch französischer Truppen verhindern bzw. zumindest erschweren sollte.208 In Paris hielt er sich illegal auf und nahm an der Tagung des Nationalrats der KPF Mitte Oktober 1923 teil, der über praktische Maßnahmen zur Unterstützung der deutschen Revolution entscheiden sollte. KPD und KPF

205 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133, fol. 149. 206 SAPMO NY 4072/139, fol. 273. 207 Ebd. 208 SAPMO DY 30/IV 2/1/333.

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wollten eine Intervention Frankreichs vor allem durch illegale Zellen in den Besatzungs- truppen verhindern.209

Dahlem sprach mit Semard. Semard erklärte, dass die KPF auch die französischen Eisenbahner organisieren wollte 210 , um eine französische Intervention gegen die Sowjetunion, wie 1920 in Polen, zu verhindern. Den Beschluss des Zentralkomitees, ihn nach Paris zu entsenden, bezeichnete Dahlem im Nachhinein als „voreilig“211. Tatsächlich äußerte er gegenüber den französischen Genossen Zweifel an den Erfolgsaussichten des Aufstands. In Paris habe er die hohen Erwartungen „gebremst“212. Semard und Monmousseau gingen aber von einem Erfolg der KPD aus. Der Aufstand scheiterte jedoch. Der Reichsinnenminister Wilhelm Sollmann (SPD) verfügte die Reichsexekution gegen die sächsische und thüringische Koalitionsregierung.

Nach dem Misserfolg, von dem Dahlem „bestürzt“ in der Redaktion der „L’Humanité“ erfuhr, riefen ihm die enttäuschten Mitglieder der KPF zu: „Vous nous avez bluffés!“213 Für Dahlem waren aber die linken Sozialdemokraten Schuld, die „nicht mitmachten“214. Die Reichsregierung verbot die KPD. Nach seiner Rückkehr wurde er in Saarbrücken „als Rechter abgestempelt“215.

Am 5. Dezember 1923 hielt Dahlem in einer Rede im preußischen Landtag den bürgerlichen Parteien und der SPD vor, dass die Ruhrindustrie mit dem französischen Imperialismus ihren Frieden in Form der MICUM-Verträge gemacht habe. Er warf ihnen vor, dass sie trotz hohler nationaler Phrasen, die sie während des „passiven Widerstands“ von sich gaben, nicht entschieden genug gegen den rheinischen Separatismus Stellung bezögen.216 Franz Dahlem war im Recht, als er von einer „Offensive gegen die deutsche Arbeiterschaft“217 sprach, durch die die Industrie die wenigen Errungenschaften der Novemberrevolution 1918 wieder aufhob.

209 Köller, Kampfbündnis, S. 268. 210 SAPMO TonY 1/2339. 211 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133, fol. 229. 212 SAPMO TonY 1/2339. 213 Ebd. 214 Ebd. 215 Ebd. 216 Sitzungsprotokoll des preußischen Landtags, 5. Dez. 1923, S. 20060. 217 Ebd., S. 20058.

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VIII. FRAKTIONSKÄMPFE

Aus der Zeit nach dem gescheiterten Aufstandsversuch der KPD 1923 datierte Franz Dahlems Zusammenarbeit mit Walter Ulbricht, den er nach seiner Ausweisung aus dem Rheinland kennenlernte. 218 Mit ihm und Wilhelm Florin arbeitete er „im Büro eines befreundeten Architekten“ für die Organisationsabteilung des ZK weiter.219 Dahlem, Florin und Ulbricht gehörten der sogenannten „Mittelgruppe“ der KPD an, die sich seit 1922/1923 herausbildete und gegen die ultralinke Führung um Ruth Fischer kämpfte. Franz Dahlem war nie deren Anhänger. Nach der Gründung der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale) Ende 1920 gehörte er dem Zentralausschuss der VKPD und der Leitung des Bezirks Mittelrhein an.

Auf dem ersten Bezirksparteitag in Köln am 8. Januar 1921 zählte Dahlem zu den „Rechten“ um und Clara Zetkin. Sie traten aus der Zentrale aus, weil sie die Spaltung der Sozialistischen Partei Italiens verurteilten, die Mitglied der Komintern war. Eine Resolution, die Walter Stoecker und August Thalheimer durchsetzten, verlangte jedoch von der Komintern, dass sie die KPI - den ehemals linken Flügel der SPI - als einzige italienische Sektion anerkannte.

Die Spaltung der SPI hatte eine Diskussion um die Taktik der KPD zur Folge, in der Franz Dahlem die Auffassung Levis und Zetkins vertrat, wonach eine Revolution in Deutschland nur erfolgreich sein könne, wenn die KPD über die Sympathie der Massen verfüge. Dahlem kritisierte im ersten Artikel seiner Serie „Zur Taktik der Partei“ das EKKI, nicht genug getan zu haben, um die Gruppe um Giacinto Serrati in die KPI „herüberzuziehen“ 220 . Damit distanzierte er sich auch von Walter Stoecker und der Mehrheit in der Zentrale. Dahlem sah die Gefahr, dass die KPD Schaden nehmen müsse, wenn sie dazu überging, einen erfolg- reichen Aufstand offensiv nur durch eine fortschrittliche kommunistische Minderheit durchzuführen. Die Befürchtungen Dahlems und der Gruppe um Zetkin und Levi bestätigten sich.

Die „Märzaktion“ in Mitteldeutschland scheiterte. Franz Dahlem schrieb danach, dass die KPD „bei jeder ihrer Angriffsaktionen wenigstens der Sympathie großer Arbeiterschichten sicher sein“221 sollte. Der vor dem Aufstand veröffentlichte Aufruf sei falsch gewesen, weil

218 SAPMO SgY 30/1078, fol. 35. 219 Ebd., fol. 42. Vg. auch: RGASPI F. 495, O. 205, D. 133, fol. 229. 220 Sozialistische Republik, 26. Feb. 1921. 221 Ebd., 16. Apr. 1921.

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die Massen ihm nicht folgten und 14 Genossen der Zentrale dagegen waren.222 Gleichzeitig kritisierte er Mátyás Rákosi, der auf dem Parteitag der SPI anwesend war, die Übertragung der falschen Taktik auch auf die KPD versucht zu haben und damit scheiterte. Rákosi hätte „vor dem Widerstand, auf den seine Spaltereitheorie stieß, einen Rückzieher machen“223 müssen, wie Dahlem in der „Sozialistischen Republik“ schrieb.

Das war auch eine Kritik an der Zentrale der KPD, die den Märzaufstand in Mittel- deutschland als Voraussetzung für den künftigen Erfolg sah. In einem Aufruf hatte sie betont, die Taktik nicht ändern zu wollen und Paul Levis Ausschluss „wegen groben Disziplinbruchs und schwerer Parteischädigung“ bekannt gegeben. Die Zentrale lehnte die Einberufung eines außerordentlichen Parteitags ab, den Clara Zetkin, Otto Brass und Curt Geyer forderten. Die Minderheit um diese Genossen rief die Zentrale auf, ihre Reichstagsmandate bis zur Klärung des Streits ruhen zu lassen. Mit den Gemaßregelten solidarisierte sich Franz Dahlem und warf der Zentrale vor, sie handele falsch, weil sie:

„die notwendige Klärung verhindern wolle, indem sie die Wortführer der Opposition durch Ausschluss mundtot macht oder wegen ihrer politischen Stellung maßregelt“224.

Für ihn bedeutete diese Art der Parteidisziplin eine „Abwürgung der Diskussion“225. Auch er forderte einen Parteitagsbeschluss, der die falsche Taktik verurteilen sollte.

Bereits im ersten Artikel vom 16. April 1921 zitierte Dahlem ausführlich aus Lenins Schrift „Kinderkrankheiten“226, das sein Denken über kommunistische Strategie und Taktik formte. Lenins Linie vertrat Franz Dahlem als Mitglied des Zentralausschusses und stand mit dem Bezirk Mittelrhein gegen die Zentrale, deren Mitglied Ernst Meyer wegen der oppositionellen Einstellung der KPD Ende April 1921 in einer Vertrauensmännerversammlung der Ortsgruppe Köln der KPD auftrat.

Die „Sozialistische Republik“, deren Redakteur Dahlem war, vermerkte lapidar, dass Ernst Meyer zugegeben habe, dass die Politik der „Märzaktion“ nicht kommunistischen Grundsätzen entsprochen habe und die Massenbasis für einen erfolgreichen Aufstand gefehlt habe.227 Ob Ernst Meyer das tatsächlich so deutlich gesagt hat, bleibt dahingestellt, da die Kritik genau die Position der Opposition wiedergab, der Franz Dahlem angehörte. Der

222 Ebd., 18. Apr. 1921. 223 Ebd., 16. Apr. 1921. 224 Ebd., 22. Apr. 1921. 225 Ebd. 226 Wladimir Iljitsch Lenin, Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus, Berlin 1971. 227 Sozialistische Republik, 25. Apr. 1921.

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Meldung über Meyers Besuch in Köln war aber auch zu entnehmen, dass die Kölner Funktionäre jede Abweichung von der taktischen Linie weiter bekämpfen wollten.

Ernst Meyer hingegen war in Köln, um die Kölner Funktionäre, insbesondere Franz Dahlem und auf die Linie der Zentrale zu bringen. Ernst Meyer setzte die Autorität der Zentrale durch und setzte Franz Dahlem und Philipp Fries als Parteileiter ab.228 Philipp Fries nahm daraufhin eine führende Rolle in der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft um Paul Levi wahr. Fries und die Anhänger der KAG versuchten, Druckerei und Redaktion der „Sozialistischen Republik“ unter ihre Kontrolle zu bringen. Wie Clara Zetkin verblieb auch Franz Dahlem in der KPD und verteidigte gemeinsam mit Wilhelm Florin und ihren Anhängern die „Sozialistische Republik“229, die in der Hand der KPD verblieb. Auf dem Parteitag des Bezirks Mittelrhein der KPD wurde Dahlem zum Stellvertreter von Peter Mieves gewählt, der dem linken Parteiflügel angehörte.230 Künftig verlegte Franz Dahlem den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die internationalen Beziehungen der KPD, d.h. von der Bühne des preußischen Landtags nach Belgien, Frankreich und an Rhein und Ruhr. Er mied die Flügelkämpfe soweit wie möglich.

Dahlem schrieb weiterhin für die „Sozialistische Republik“. Nach eigner Aussage zog ihn Julius Alpari zur Mitarbeit an der Internationalen Presse-Korrespondenz heran231, wo er seine journalistischen Fähigkeiten einbringen und ausbauen konnte.

Das Ende der Märzkämpfe und des Kölner Konflikts wegen Paul Levis Parteiausschluss bedeutete auch die Verlegung des Schwerpunkts der Parteiarbeit Dahlems von Köln weg. Nach der Kölner Konferenz von KPD und KPF war er viel unterwegs: Teilnahme an der Gründung der KPB, Reise durch Frankreich von Juli bis Oktober 1922 und der anschließende Ruhrkampf. Das Gebiet der internationalen Beziehungen, insbesondere zu den westeuro- päischen Sektionen war seit dieser Zeit für ihn lebenslang von besonderem Interesse. Dahlems politisches Leben blieb insbesondere mit der französischen Partei mehr oder minder verbunden. In dieser Hinsicht war seine Entmachtung in Köln fruchtbar. Denn die internationalen Beziehungen einer kommunistischen Partei wurden von ihren Zentralen und vom EKKI geleitet. Er verlegte seinen Lebensmittelpunkt im Januar 1923 endgültig nach Berlin. Käthe Dahlem zog mit den Kindern Luise und Robert nach.

228 Blumberg, Biographie, S. 86. 229 Ebd., S. 113. Ebensowenig geht er mit Levi und der KAG zur SPD. 230 Weber, Wandlungen, Bd. 2, S. 91. 231 Franz Dahlem, Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, Bd. 1, Berlin 1977, S. 26.

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Franz Dahlem zählte auf dem VIII. Parteitag der KPD in Berlin Ende Januar 1923, auf dem er Gastdelegierter war, zur „Mittelgruppe“. Ihre Mitglieder gehörten oft zum Parteiapparat, standen nicht in Opposition zur Komintern und waren für eine Arbeit in den bestehenden Gewerkschaften. Die Mittelgruppe trat für die Reorganisation nach dem Vorbild der KPdSU ein, da für sie die Revolution 1923 am „[Nicht-]Bestehen einer bolschewistischen Partei“232 gescheitert sei. Zur „Mittelgruppe“ gehörten auch Wilhelm Florin und Walter Ulbricht, mit denen Dahlem während des Verbots der KPD ab November die Reorganisation der KPD auf der Basis von Betriebszellen durchführen wollte. Auf der einen Seite war diese notwendig geworden, weil, wie Dahlem 1926 in Moskau sagte:

„nach dem Oktober 1923, als die Partei illegal wurde, die Wohnorganisation zum Teil zerschlagen war, zum Teil von selbst verschwunden war; was aber das Schlimmste war: die Parteileitungen hatten keinerlei Verbindungen mit den Betrieben, d.h. mit den breiten Massen.“233

Auf der anderen Seite opponierten die Angehörigen der Mittelgruppe, die in der für die Betriebszellen zuständigen Abteilung arbeiteten, gegen die neue ultralinke Parteivorsitzende Ruth Fischer. Dahlem war ihr unversöhnlicher Gegner:

„Von der Abteilung Zelle aus führten wir einen hartnäckigen Kampf gegen die verhängnisvolle Linie dieser ultralinken Mehrheitsgruppe in der Parteizentrale.“234

Die Ultralinken setzten sich auf dem IX. Parteitag in Frankfurt am Main im April 1924 durch. Der ultralinke Iwan Katz entzog Franz Dahlem das Delegiertenmandat.235 Dahlem wurde nicht wiedergewählt. Auch als Obersekretär West setzte ihn die neue Parteiführung ab und schob ihn als Ersatz für Theodor Neubauer als politischen Leiter nach Thüringen ab. Dort lag er vorübergehend mit dem ultralinken Alexander Abusch im Streit.236

Aber auch wegen seines fortgesetzten Widerstands, insbesondere gegen die Gewerkschafts- politik der Ultralinken, setzte die Parteiführung ihn auch als politischen Leiter des Bezirks Thüringen ab. 237 Er kehrte in die Organisationsabteilung zurück und arbeitete an der Reorganisation der KPD auf Grundlage der Betriebszellen weiter.

232 Dahlem, Ruhrkampf, S. 35. 233 Kommunistische Internationale (Hrsg.), 6. Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale, 17. Febr. bis 15. März 1926. Protokoll, Hamburg 1967, S. 522. 234 SAPMO SgY 30/1078, fol. 43. 235 DY 30/9983, fol. 18. 236 Blumberg, Biographie, S. 130. 237 BArch DC 20/7868, fol. 19.

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IX. NEUORGANISATION DER KPD

1. Umstellung auf Betriebszellen

In einem Bericht vom 31. Dez. 1924 gab Dahlem den Stand der Reorganisation der KPD wieder. Darin ging er von der These aus, dass die Umstellung der Parteiorganisation notwendig geworden sei, weil nur sie die „Vorbereitung und Führung der wirtschaftlich- politischen Kämpfe der Arbeiter“238 ermögliche.

Zum einen setzte die KPD um, was der V. Weltkongress der Komintern beschloss. Zum anderen sah die deutsche Sektion in der Umstellung auf Betriebszellen den Weg, um doch noch zu einer erfolgreichen Revolution zu kommen. Der KPD war bewusst, dass die beiden aussichtsreichsten Erhebungen, die Märzaktion 1921 und der deutsche Oktober 1923 nicht zum Ziel geführt hatten. Hinzu kam, dass sich das Deutsche Reich nach der Währungsreform, der Rücknahme sozialer Rechte und den Dollarhilfen im Rahmen des Dawesplans wirtschaftlich erholte. Eine revolutionäre Situation war nicht unmittelbar gegeben, weil die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr unter Inflation und Hunger litt. Es galt also diejenigen, die nicht profitierten zu organisieren - Arbeiter und Erwerbslose.

Grundsätzlich fürchtete die bestehende Ordnung die Betriebszellen, weil sie den wirtschaft- lichen Kern des deutschen Kapitalismus betrafen. Der Reichskommissar für die öffentliche Ordnung warnte davor, dass die Betriebszellen „im Falle der Revolution eine machtvolle Schlüsselstellung“239 inne haben würden.

Franz Dahlem wies auf mehrere Organisationsprobleme der KPD hin. Das größte war nicht die politische Polizei, sondern das System der innerbetrieblichen Denunziation, Gesinnungs- schnüffelei und Unterdrückung. Trotz der wirtschaftlichen Erholung konnten es sich die wenigsten erlauben, wegen Mitgliedschaft in einer Betriebszelle der KPD entlassen zu werden, gerade in Großbetrieben, wo der Lohn etwas besser war. Die KPD war aber leider zum größten Teil in kleineren Betrieben organisiert. Dahlem stellte richtig fest, dass erst die Kontrolle der Betriebsräte durch die Parteizellen „wirksam unternehmerfreundliche Entscheidungen verhindern“ 240 kann. Dahlem ging es um den Erfolg der Revolution in Deutschland.

Als Angehöriger der kominterntreuen „Mittelgruppe“ (mit , Hugo Eberlein, Fritz Heckert, Hermann Remmele) verband sich für ihn damit die Parteinahme für den

238 SAPMO RY 1/I 2/4/26, fol. 59. 239 Ebd. 240 Ebd.

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Generalsekretär der KPdSU Stalin im Gegensatz zu dessen profiliertesten Konkurrenten. Auch wenn ihn die Absetzung Ruth Fischers durch Stalin, bei der er persönlich anwesend war241, beeindruckte, Personenkult oder Hörigkeit war für ihn nicht damit verbunden, eher eine realistische Alternative zu den bisherigen Fraktionskämpfen, die der KPD Stabilität verleihen sollte. Dahinter stand der ideologische Anspruch, dass „sowohl gegen die rechte Gefahr als auch gegen die ultralinke Abweichung gekämpft werden muss“242 und damit der Partei zu dienen. Seinen Anteil daran sah Franz Dahlem im Auf- und Ausbau der Betriebszellen sowie gleichzeitig im Kampf gegen die Parteiführung um Ruth Fischer.

Ruth Fischer und ihr Anhänger Werner Scholem versuchten auf dem X. Parteitag der KPD in Berlin im Juli 1925 die Umstellung auf Betriebszellen zu sabotieren243, nicht weil sie grund- sätzlich dagegen waren, sondern weil die Vertreter einer Umstellung gegnerischen Gruppen angehörten. Franz Dahlem hatte als Gastdelegierter des Parteitags die Unterstützung des EKKI-Vertreters Dimitri Manuilski, der ihn „zur Ausarbeitung der Resolution zur Umstellung der Partei auf Betriebszellen“ 244 herangezogen hatte. Ein Beweis, dass die Gruppe um Stalin ihn als ihren Anhänger anerkannte und förderte. Ideologische Überzeugung und persönlicher Einfluss fanden zueinander. Mit diesem politischen Rückhalt konnte Dahlem den Kampf gegen die Ultralinken auch in den Bezirken fortsetzen.

Im August 1925 fuhr Dahlem zu einer Organisationsbesprechung nach Dresden, um die Umstellung auf Betriebszellen durchzusetzen. Zu diesem Zweck übernahm die KPD- Bezirksleitung die Stadtorganisation Dresden.245 Kurz darauf fuhr er nach Hannover, wo der Ultralinke Iwan Katz noch großen Einfluss hatte. Franz Dahlem griff hier die Hausmacht der Ultralinken und einen persönlichen Feind an. Iwan Katz hatte ihm ein Jahr zuvor das Delegiertenmandat auf dem Frankfurter Parteitag entzogen. Jetzt hielt Dahlem einen Vortrag auf der Funktionärs-versammlung. Offensichtlich stieß er dabei auf so viel Widerstand, dass er in seinem Reisebericht empfahl, den Ortsgruppenvorsitzenden abzusetzen und den Ortsvorstand aufzu-lösen.246 Franz Dahlem rechnete es sich später auch an, die ultralinke Bastion Berlin auf Betriebs- und Straßenzellen umgestellt zu haben.247

241 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133, fol. 149. 242 Blumberg, Biographie, S. 136. 243 SAPMO DY 30/1078, fol. 43. 244 SAPMO DY 30/9983, fol. 18. 245 SAPMO RY 1/I 2/4/66, fol. 42. 246 Ebd. 247 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133, fol. 149.

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2. Abteilungsleiter im ZK

Nach dem offenen Brief des EKKI vom 1. September 1925 gegen die Parteiführung Ruth Fischers, dem Dahlem zustimmte248, leitete er die neue Organisationsabteilung beim ZK unter dem neuen Parteivorsitzenden Ernst Thälmann. 249 Auf der ersten Konferenz der Organisationssekretäre Anfang Oktober 1925 bestand er auf der Durchsetzung der Betriebszellen:

„mit aller Rücksichtslosigkeit dort, wo Widerstände sich entgegenstellen […] Es gibt einen Unterschied zwischen sachlicher Höflichkeit und Geschicklichkeit und Waschlappigkeit“250.

Mit letzterem meinte er die nicht durchsetzungsfähigen Bezirkssekretäre. Die Rede Dahlems spiegelte auch Probleme und Ziele der Zellen wieder. Sie waren noch nicht selbst- verständlich und lebendig. Ihre Illegalität war nicht immer gewährleistet. Illegalität der Betriebszellen war aber ein wichtiges Prinzip, um ihre Arbeit überhaupt zu ermöglichen.251

Das größte Organisationsproblem bestand in der parallelen Existenz von Wohnorganisation und Betriebszelle, von Dahlem als „Kalamität der Organisationsabteilung“ 252 bezeichnet. Auch weil er die Wohnorganisation für Zentren der parteiinternen Opposition hielt.253

Die besondere Aufmerksamkeit Dahlems galt den Instrukteuren der Parteizentrale. Sie konnten das Prinzip des demokratischen Zentralismus in der Praxis durchsetzen. Sie hatten an ihn als Organisationsleiter zu berichten. Zum einen sollten sie ihm regelmäßig Berichte liefern254, zum anderen konnte die Linie des ZK und der Parteiführung an der Basis über Instrukteure durchgesetzt werden, die von ihm angeleitet wurden. Jetzt konnte er seine Ziele wirksam an die Bezirksorganisationen weitergeben. In Hannover bedeutete das die Fortsetzung des Kampfes gegen Iwan Katz. Die Betriebszelle bei Continental arbeitete mit einer neuen Bezirksleitung zusammen. 255 Dahlem nahm auch selbst auf seinen häufigen Inspektionsreisen Einfluss auf Organisation und Politik der Betriebszellen. Dennoch bestanden Ende 1925:

248 Ebd., fol. 189. 249 SAPMO DY 30/1078, fol. 45. 250 SAPMO RY 1/I 1/2/4/5, fol. 171. 251 SAPMO RY 1/I 1/2/4/5, fol. 23. 252 Ebd., fol. 28. 253 Ebd. Vgl. auch: 6. Erweiterte Exekutive der Kommunistischen Internationale 17. Febr. - 15. März 1926 in Moskau, Berlin 1926, S. 522. 254 SAPMO RY 1/I 1/2/4/4, fol. 45. 255 SAPMO RY 1/I 1/2/4/5, fol. 177.

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„in der KPD […] sehr wenig wirkliche Zellen […], d.h. Parteikörper, die in den Betrieben alle, aber auch jede politische Arbeit leisten“. Sie waren eher mit „Betriebsfraktionen“256 zu vergleichen.

Als Organisationsleiter nahm Dahlem eine einflussreiche Schlüsselstellung im Parteiapparat ein. Auf der zweiten internationalen Orgberatung am 11. März 1926 im Rahmen der 6. Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale in Moskau referierte er zum Aufbau der Betriebszellen. In seinem Referat verband er den Aufbau der Betriebszellen mit der Bildung von Fraktionen in den nichtkommunistischen Gewerkschaften, d.h. insbesondere des ADGB und wies die Kritik zurück, wonach die Betriebszellen eine für deutsche Verhält- nisse unpassende Adaptation des russischen Modells seien. Vielmehr seien sie „die zweck- mäßigste Organisationsform auch für unsere Sektionen in Westeuropa“257. Er dachte hierbei vermutlich neben der KPD an die KPF, über die er jederzeit bestens informiert war.

In seinem Referat befürwortete er die Arbeit in den bestehenden Gewerkschaften. Die kommunistischen Gewerkschaftsfraktionen waren auch dort nach dem Prinzip des demokra- tischen Zentralismus zu organisieren. 258 Sie sollten die Linie der Komintern, d.h. die „Schaffung der Einheitsfront des linken Flügels in der Arbeiterbewegung“259 ermöglichen. Diese richtete sich gegen die SPD, die noch immer über maßgeblichen Einfluss auf die Gewerkschaften verfügte. Der Politiker Franz Dahlem erinnerte sich noch sehr gut daran, dass die Gewerkschaften 1914, ebenso wie die SPD, in die Phalanx des kaiserlichen Burgfriedens eingetreten waren. 1926 kam hinzu, dass mit der wirtschaftlichen Stabilisierung Streiks nur zustandekommen konnten, wenn die SPD-freundliche Gewerkschafts- und damit oft genug regierungsfreundliche Bürokratie zum durch kommunistischen Einfluss initiierten Streik gezwungen werden konnte.260

Wegen seines Anteils an der Betriebszellenorganisation und der Gewerkschaftsfraktionsarbeit wurde Dahlem auf dem XI. Parteitag der KPD in Anfang März 1927 Mitglied des ZK und Leiter der Gewerkschaftsabteilung. 261 Weiterhin setzte sich Dahlem für die Betriebszellen und die Zentralisierung der Partei gegen innerparteiliche Widerstände ein.

Beispielsweise beschwerte sich der ultralinke Kassierer einer Neuköllner Zelle Johann Olschewski bei Wilhelm Pieck über eine angebliche Falschdarstellung Dahlems, wonach

256 SAPMO RY 1/I 1/2/4/66, fol. 1. Bericht vom 5. Dez. 1925 vermutlich von Dahlem. 257 6. Erweiterte Exekutive 1926, S. 524. 258 Ebd., S. 530. 259 Ebd., S. 522. 260 Ebd., S. 524. 261 SAPMO RY 1/I 1/1/23, fol. 1126.

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Dahlem behauptet haben sollte, dass Clara Zetkin die Betriebszellen als „falsch und verhängnisvoll“262 bezeichnet habe. Franz Dahlem wandte sich daraufhin an die ihm aus den Verbindungen zur KPF und aus den Kölner Fraktionskämpfen bekannte Clara Zetkin mit der Bitte um Richtigstellung. Sie protestierte „entschieden gegen den Unfug“263 Olschewskis und stellte klar, dass sie für eine Erfassung auch der Schichten, wie z.B. Hausfrauen, Kleinbauern und Heimarbeiterinnen eingetreten sei, die in den Betriebszellen nicht repräsentiert werden konnten. 264 Clara Zetkin ließ sich nicht von den Ultralinken instrumentalisieren. Solche Erfahrungen konnte Franz Dahlem auch in der KPD-Zeitschrift „Parteiarbeiter“ verwenden, deren Redakteur er war. Der „Parteiarbeiter“ diente der Beratung aller an Aufbau und Leitung der Betriebszellen beteiligten Genossen.

Das Verhalten Franz Dahlems in der „Wittorf-Affäre“ war eher machtpolitisch begründet, weil es das Bild der Partei in der Öffentlichkeit erschütterte. Ernst Thälmanns Schweigen zu den Unterschlagungen John Wittorfs nutzten Gerhart Eisler und Artur Ewert zum letzten aussichtsreichen Absetzungsversuch des Parteivorsitzenden und organisierten im ZK eine Mehrheit gegen Thälmann.265 Den entsprechenden Aufruf unterschrieb auch Franz Dahlem, gehörte allerdings zu denjenigen, die nach dem Votum Stalins für Thälmann wieder umschwenkten und Thälmann weiter unterstützten. Geschadet hat es ihm nicht, zumal er auch nicht zur „Gruppe der Rechten und Versöhnler“ zählte. Im Gegenteil brachten ihn sein Anteil an der Durchsetzung der Politik Thälmanns und der Komintern als Kandidaten ins Politbüro. Gleichzeitig wählte ihn das ZK im Oktober 1928 in das Sekretariat, dem er jetzt mit Ernst Thälmann, Hermann Remmele, Fritz Heckert und Leo Flieg angehörte. 266 Der XII. (Weddinger) Parteitag der KPD bestätigte im Juni 1929 die Wahl Franz Dahlems in Politbüro und Sekretariat. Franz Dahlem wurde zuständig für Massenarbeit, Kader und Organisation.267

X. ZWEI „HAUPTFEINDE“

1. Sozialfaschismusthese

Neben der Abwendung von sozialdemokratischen Organisationsprinzipien bekämpfte die KPD die SPD bereits vor dem VI. Weltkongress als ihren „Hauptfeind“. Immerhin trat die

262 RGASPI F. 528, O. 2, D. 284. Schreiben Johann Olschewskis an Wilhelm Pieck, 15. Sept. 1927. 263 RGASPI F. 528, O. 2, D. 286. 264 Ebd. 265 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 749. 266 Blumberg, Biographie, S. 152. 267 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133, fol. 229.

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KPD vehement für den Sozialismus in Deutschland ein. Die SPD rückte von sozialistischen Forderungen immer weiter ab, vor allem auch durch ihre Regierungsbeteiligung und die von ihr nachhaltig seit 1919 unterstützten blutigen Kommunistenverfolgungen, insbesondere sobald sie über leitende Stellungen in den Polizeibehörden insbesondere Preußens verfügte. Auch das erklärt den radikalen Linkskurs der KPD. Franz Dahlem arbeitete auf einer Tagung des ZK der KPD Anfang September 1927 einen Resolutionsentwurf gegen die „Bürgerblockregierung“ aus. Darin schrieb er:

„[…] bei der Mobilisierung dermaßen gegen den Bürgerblock ist der Hauptgegner und das Haupthindernis die Sozialdemokratie und die reformistische Gewerkschaftsbürokratie, die auf das energistische und entschiedenste bekämpft werden muss.“268

Leider schien die SPD die hier mit Franz Dahlems Worten wiedergegebene Haltung der KPD zu bestätigen, als Hermann Müller Reichskanzler wurde. Die Entscheidung der SPD, den Bau des Panzerkreuzers A mitzutragen, erschwerte die Zusammenarbeit.269 Die toten Demon- stranten am 1. Mai 1929 bedeuteten die offene Konfrontation. Franz Dahlem konstatierte eine „radikale Schwenkung“270 der SPD nach dem 1. Mai 1929.

Wilhelm Pieck warnte Franz Dahlem für die am 11. August geplante Demonstration, „mit starken Überfällen der Reichsbannerleute und auch mit aggressivem Vorgehen der Schutz- polizei“271 zu rechnen. Franz Dahlem schlug deshalb auf der ZK-Sitzung am 13. August 1929 vor, „den Selbstschutz der Zellen, die antifaschistische Wehrorganisation als Einheitsfront- organe aufzubauen“, d.h. die Betriebszellen und den Roten Frontkämpferbund als Aufnahme- und Abwerbeorganisationen gegen die sozialdemokratische Basis einzusetzen. Franz Dahlem und die KPD insgesamt gingen davon aus, dass die von der SPD initiierten und mitgetragenen Maßnahmen gegen die KPD „faschistischen Methoden“272 gleich kamen. Die KPD warf der regierenden SPD die „Vorbereitung der offenen faschistischen Diktatur“273 vor. Franz Dahlem teilte diese Auffassung.

268 Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg.), Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Bd. 8, Jan. 1924 - Oktober 1929, Berlin 1975, S. 581ff. 269 Die SPD-Reichstagsfraktion brachte wegen des Protests in der Partei 1928 einen Antrag gegen den Bau des Panzerkreuzers A im Reichstag ein. Wilhelm Keil kommentierte dessen Ablehnung: „Die anderen Regierungsparteien ersparten uns die Verlegenheit, in die sie uns gebracht hätten, wenn sie sich teilweise der Abstimmung entzogen hätten. Sie sorgten für ein beschlussfähiges Haus und lehnten den Antrag ab.“ Vgl. Wilhelm Keil, Erlebnisse eines Sozialdemokraten, Bd. 2, Stuttgart 1948, S. 340. 270 SAPMO RY 1/I 2/1/73, fol. 141. 271 SAPMO NY 4036/536, fol. 62. 272 SAPMO RY 1/I 2/1/73, fol. 281. ZK-Sitzung vom 13. - 14. Aug. 1929. 273 Ebd.

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Auf der ZK-Tagung Ende November 1929 sah er eine „stärkere Entwicklung der Sozialdemokratie zum Sozialfaschismus“ 274 . Er rief dazu auf, auf SPD-Versammlungen, insbesondere die linke Sozialdemokratie anzugreifen. 275 Ende März 1930 engte Franz Dahlem die „Sozialfaschismusthese“ ein. Er kritisierte, dass die KPD zu schematisch vorgegangen sei und „nicht genug differenziert“ habe „zwischen SPD-Führerschaft, den unteren SPD-Funktionären und einfachen SPD-Arbeitern“276.

Den Ausdruck „sozialfaschistisch“ gebrauchte Dahlem nur für führende SPD-Funktionäre. Damit distanzierte er sich theoretisch wie politisch von Paul Merker, der wegen seines Wortes von den „kleinen Zörgiebeln“ auch für die unteren Funktionäre durch Beschluss des Sekretariats abgesetzt wurde.277 Vorher trug Dahlem diese Politik jedoch mit. Im Entwurf zu seinen Erinnerungen „Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs“ vermerkte er selbstkritisch, dass die Haltung Merkers der „offiziell noch allgemein anerkannten Auffassung der Komintern“ folgte, wonach sich „die Sozialdemokratie in einem Prozess der Faschisierung befände“278. Er kritisierte weiter, dass die Linie des Kampfes insbesondere gegen den linken Flügel der Sozialdemokratie einer unzeitgemäßen Übertragung gegen den von Lenin propa- gierten Kampf gegen den Zentrismus während und nach dem Ersten Weltkrieg gewesen sei. Er versuchte auch Paul Merker nachträglich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und würdigte dessen Arbeit „in den Jahren der Nazidiktatur“279.

Die KPD hat frühzeitig vor dem deutschen Faschismus gewarnt. Bei den Kommunalwahlen 1929 rief sie zum „Vernichtungskampf gegen den NS-Faschismus“ auf. Franz Dahlem war von Anfang an ein unerbittlicher Gegner des Faschismus. Er sah die Gefahr, dass die NSDAP nach dem Beginn der Weltwirtschaftskrise in den USA und dem Ende einer stabilen Phase auch in Deutschland, auch bei Arbeitern aufgrund der „antikapitalistischen Phraseologie“280 punkten konnte. Er problematisierte, dass die KPD diese Wähler nicht überzeugen konnte und auch viele Wähler unter den Erwerbslosen verlieren könnte.281 Dahlem identifizierte die NSDAP mit bürgerlichen Parteien, die „im selben Fahrwasser“282 schwimmen würden.

274 SAPMO RY 1/I 2/1/75, fol. 183. 275 Ebd., fol. 226, 395. 276 SAPMO RY 1/I 2/1/76, fol. 317. 277 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 801. 278 SAPMO NY 4072/114, fol. 181. Vgl. auch: Dahlem, Vorabend, Bd. 1, S. 179. 279 Ebd. 280 SAPMO RY 1/I 2/1/75, fol. 186. 281 Ebd., fol. 218. 282 Ebd., fol. 392.

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Zwar sah Franz Dahlem auch noch 1976 in Hermann Müller den „Steigbügelhalter von Hitler“283. Er distanzierte sich jedoch im Entwurf zum „Vorabend des Zweiten Weltkriegs“ von der Sozialfaschismusthese der KPD in den zwanziger Jahren. In seinen Erinnerungen, die er für das IML schrieb, bezeichnete er es als „strategischen Hauptfehler“, gegen die SPD und die NSDAP gleichzeitig gekämpft zu haben. Zu diesen Einsichten konnte er aber erst gelangen, nachdem der deutsche Faschismus ohne Rücksicht auf die bereits erreichten moralischen und gesellschaftlichen Standards auch in der deutschen bürgerlichen Republik seine „offene terroristische Diktatur“ (Dimitroff) errichtete.

2. Revolutionäre Gewerkschaftsopposition

Nach der Absetzung Paul Merkers wurde Franz Dahlem zuständig für Gewerkschaftsfragen in der Parteiführung. Die „offiziell noch allgemein anerkannte Auffassung der Komintern“284 schloss auch eine andere Position der KPD zu den Gewerkschaften ein.

Zum einen schlossen die Gewerkschaften unliebsame Mitglieder aus, die der KPD nahe standen und Streiks vehement befürworteten, zum anderen hatte der V. Kongress der Roten Gewerkschaftsinternationale in Moskau im August 1930 den Aufbau eigner kommunistischer Gewerkschaften als Konkurrenzorganisationen zu den bestehenden Gewerkschaften auch für Deutschland beschlossen. Das bedeutete die Umwandlung der kommunistischen Revolu- tionären Gewerkschaftsopposition, d.h. der Fraktionen in den bestehenden Gewerkschaften in eine unabhängige kommunistische Gewerkschaftsorganisation.

Franz Dahlem war als Delegierter der KPD auf dem entscheidenden V. Kongress der RGI in Moskau, wo er sich im Namen der KPD am 19. August 1930 für die Fortsetzung und den Ausbau der Arbeit in den bestehenden Gewerkschaften neben dem Aufbau neuer roter Verbände aussprach. Er betonte, dass die Arbeit der RGO seit anderthalb Jahren stagniere und teilweise zum Stillstand gekommen wäre, weil die KPD die Parole „Hinein in die Gewerkschaften!“ nicht mehr offensiv vertrat. Die Gründung von eigenen Gewerkschaften hielt er für problematisch und allenfalls für bestimmte Industriegruppen für sinnvoll. Hauptsache blieben für ihn und die KPD vor allem der ADGB und die christlichen Gewerkschaften:

„Was die Arbeit in den reformistischen Gewerkschaften angeht, müssen wir ganz klar und stark unterstreichen, dass dort die oppositionelle Arbeit verstärkt werden muss, wozu in

283 SAPMO DY 30/9995, fol. 79. 284 SAPMO NY 4072/114, fol. 181.

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konkreten Fällen von der RGO oppositionelle Arbeiter in diese Verbände überführt werden können.“285

Auf dem V. Kongress der RGI hatte Franz Dahlem den Rückhalt Ernst Thälmanns. Für die achtbändige Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung hatte er folgenden Formulierungs- vorschlag:

„Nach dem Kongress schlug Ernst Thälmann vor, dass ich selbst die Leitung der RGO übernehmen sollte.“286

Thälmann soll wörtlich gesagt haben:

„Franz, übernehme das und sieh zu, dass das Ärgste vermieden werden kann.“287

Als Reichsleiter der RGO vertrat Franz Dahlem auch aus persönlicher Überzeugung die geschilderte Auffassung auf Parteiversammlungen und in Artikeln. Schon einen Monat nach dem V. Kongress der RGI interpretierte er dessen Beschlüsse in der „Roten Fahne“ abweichend von der RGI. Er forderte die

„Zusammenfassung aller klassenbewussten Kräfte in den reformistischen Gewerkschaften unter Führung der RGO. […] Sie [die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter] sollen ebenso wie alle Kommunisten und Mitglieder der RGO nicht freiwillig aus den reformistischen Gewerkschaften austreten, sondern im Gegenteil - trotz des verstärkten Faschisierungs- prozesses der Verbände - einen zähen, unermüdlichen Kampf zur Gewinnung der Mitgliedermassen der freien Gewerkschaften für die RGO führen.“288

Im November 1930 endete der Berliner Metallarbeiterstreik mit einem Vergleich. Der Vertreter des Deutschen Metallarbeiterverbandes Max Urich (SPD) vereinbarte, die Arbeit unter den alten Bedingungen wieder aufzunehmen. Nach dem Abbruch des Streiks traten organisierte Arbeiter aus und gründeten einen eigenen Metallarbeiterverband im Rahmen der RGO. Zur Gründung kam es aus der Unzufriedenheit der Arbeiter. Sie war keine Phantomgewerkschaft ohne Mitglieder. Auf der Reichskonferenz der RGO Mitte November 1930 gab Franz Dahlem zwar den „Sekretären und Funktionären der Reformisten“ die Schuld am negativen Ausgang des Streiks.289 Er bemängelte aber auch eigene Fehler. Trotzdem, so erklärte er vor den 340 Delegierten, war die Gründung des roten Einheitsverbandes [des Metallarbeiterverbandes in Berlin] im jetzigen Augenblick durchaus richtig. Er bezog sich dabei auf den Vertreter der RGI Michael Niederkirchner und empfahl den Aufbau eines

285 Blumberg, Biographie, S. 185. 286 SAPMO DY 30/9995, fol. 65. 287 Blumberg, Biographie, S. 188. 288 vom 18. Sept. 1930. 289 LArch Berlin, A Pr.Br.Rep. 030/21798.

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Bergarbeiterverbandes im Ruhrgebiet, wofür er „großen Applaus“ 290 erhielt. Auch dort konnte Dahlem davon ausgehen, dass eine Massenbasis für die Gründung vorhanden war. In diesem Sinne empfahl er: „Unsere Perspektive muss sein, über und durch die RGO zur Schaffung von Klassenverbänden zu kommen.“291

Übrigens lehnte Paul Merker auch unter der Bedingung eines ausreichenden Massen- einflusses, die Gründung roter Verbände ab. Dahlem meinte auf dem Kongress, Merker „müsse eines anderen belehrt werden.“ 292 Tatsächlich musste Dahlem als RGO-Leiter einerseits die Position der RGI vertreten und andererseits die deutsche Situation berücksichtigen, die eine Arbeit auch in den bestehenden Gewerkschaften nötig machte. Ein halbes Jahr nach dem RGO-Kongress in Berlin lehnte er „die künstliche Gründung von Gewerkschaften“ 293 weiterhin ab und skandierte: „Wir greifen den konterrevolutionären Apparat des ADGB von außen und innen an.“294

Warum wurde Dahlem trotzdem als Reichsleiter der RGO im Juni 1932 durch Fritz Schulte ersetzt? Der Grund lag in den Auseinandersetzungen zwischen Ernst Thälmann und Heinz Neumann um Führung und Linie der KPD. Franz Dahlem gehörte zur Gruppe um Heinz Neumann, der den Rückhalt Stalins und der Komintern verlor und Mitte des Jahres 1932 nach Moskau abgeschoben wurde. 295 Wilhelm Florin vermerkte später, dass Dahlem von der Neumann-Gruppe „beeinflusst“ 296 war und gute Beziehungen zu Willi Münzenberg unterhielt. Daneben stand der ideologische Konflikt. Heinz Neumann versuchte „hinter dem Rücken der Komintern seine Politik durchzuführen“ 297 . Dahlem hatte nicht gegen die Komintern gehandelt, aber er stand der Gruppenbildung Neumanns im Politbüro positiv gegenüber. Zum Beispiel sah Dahlem in der Beteiligung der KPD am Volksentscheid des Stahlhelms zur Auflösung des preußischen Landtags im August 1931 einen schweren Fehler in der „Einheitsfrontpolitik der KPD“ gegen den Faschismus.298 Stalin und Molotow wiesen die KPD an, sich daran zu beteiligen.

Franz Dahlem stand Neumann nah, der den zähen Kampf gegen die deutschen Faschisten mit dem Motto „Schlagt die Faschisten, wo Ihr sie trefft!“ propagierte. Dahlem distanzierte sich

290 Ebd. 291 Ebd. 292 Ebd. 293 Die Rote Fahne vom 30. Juni 1931. 294 Ebd. 295 Margarete Buber-Neumann, Kriegsschauplätze der Weltrevolution. Ein Bericht aus der Praxis der Komintern 1919-1943, Stuttgart 1967, S. 336. 296 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133, fol. 189. 297 Margarete Buber-Neumann. Von Potsdam nach Moskau. Stationen eines Irrweges, Köln 1981, S. 275. 298 SAPMO SgY 30/1078, fol. 83.

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aber auf der dritten Reichsparteikonferenz von Heinz Neumann und warf ihm all das vor, was die Konferenz Neumann undifferenziert und unberechtigt ankreidete:

„sektiererische Gewerkschaftslinie, falsche Einschätzung des Faschismus, Merkerismus, Spontanismus und Fraktionsbildung“299.

Dahlem blieb im Politbüro, schied aber aus dem Sekretariat aus und war bereits ab Juni 1932 wieder Abteilungsleiter (Organisation) der KPD.

XI. TERROR UND ILLEGALITÄT

Trotz ihrer fehlerhaften Einheitsfrontpolitik bezeichnete die Komintern die NSDAP als die „Hitler-Partei als die Terror- und Streikbruchorganisation des Finanzkapitals“ 300 . Die deutschen Kommunisten gehörten daher zu den ersten Opfern des deutschen Faschismus, waren aber auch deren erbittertste und zäheste Gegner. Die sofort einsetzende brutale Verfolgung der KPD durch die Nazis, insbesondere nach dem Brand des Reichstags, traf die Partei in Berlin und den Bezirken empfindlich.

Seit Januar 1933 hielt sich Franz Dahlem nicht mehr in seiner Wohnung auf301. Im Februar 1933 sprach er auf einer Wahlkampfveranstaltung in Berlin- gegen Joseph Goebbels und konnte nur unter dem Schutz von Mitgliedern des RFB den Saal verlassen.302

Der Reichstagsbrand und die Ausschreibung zur Fahndung im Deutschen Kriminal- polizeiblatt vom 1. März 1933303 mit Bild neben Ernst Thälmann zwangen ihn in die Illega- lität. Die Gestapo durchsuchte seine Wohnung.304 Er blieb weiterhin für Organisationsfragen zuständig und versuchte auszuloten, was von der Parteiorganisation übrig blieb und wie weitere Arbeit überhaupt noch möglich war.305 Treffs mit Mitgliedern des Politbüros oder des Sekretariats fanden nur noch konspirativ statt. Regelmäßig traf Dahlem Wilhelm Pieck zwischen März und Mai 1933 im Berliner Tiergarten.306

299 SAPMO RY 1/I 1/2/7, fol. 285. 300 Ebd., fol. 587. 301 SAPMO DY 30/9985, fol. 28. Er nahm an der ZK-Sitzung in Ziegenhals teil. Schriftliche Aufzeichnungen aus dieser Zeit fehlen. Vgl. auch: Blumberg, Biographie, S. 1. 302 Blumberg, Biographie, S. 236. 303 Deutsches Kriminalpolizeiblatt vom 1. März 1933, S. 290. 304 Blumberg, Biographie, S. 240. 305 , Zeugnis. Persönliche Notizen 1929-1942, Halle 1990, S. 75. 306 SAPMO SgY 30/1078, fol. 112.

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Stellvertreter für den verhafteten Parteivorsitzenden Ernst Thälmann wurde . Auf Beschluss des Politbüros trennte sich die Führung der KPD nach dem 1. Mai 1933 307 räumlich, blieb aber formell ein ungeteiltes Führungsgremium. Eine Inlandsleitung blieb in Berlin. Ihr Vorsitzender war John Schehr. Der Inlandsleitung gehörten neben Schehr Hermann Schubert, Fritz Schulte und Walter Ulbricht an.308

Franz Dahlem, Wilhelm Pieck und Wilhelm Florin emigrierten Ende Mai309 nach Paris, wo sie die Exilorganisation der KPD aufbauten. Wegen seiner Verbindungen zur KPF und seiner frankophonen Herkunft war Franz Dahlem der ideale Kandidat, um nach Paris zu gehen. Dort erhielt er als Organisationsleiter den Auftrag zur Bildung des Internationalen Dimitroff- Verteidigungskomitees, das unter der Leitung von Hans Schrecker stand.310 Bis Februar 1934 verblieb Franz Dahlem im Ausland. Dann kehrte er zur illegalen Arbeit nach Deutschland zurück und übernahm die Inlandsleitung der KPD. Die bestehende Inlandsleitung unter der Leitung von Herbert Wehner, Siegfried Rädel und Wilhelm Kox hatte, gemäß den Erinnerungen Philipp Daubs, das Politbüro dafür kritisiert nur noch von außen die Partei zu leiten und den Kontakt zur deutschen Realität verloren zu haben. Deshalb beauftragte das Politbüro Franz Dahlem, die Tätigkeit der Landesleitung vor Ort zu kontrollieren und nach Deutschland illegal einzureisen.311

Vor ihrer Verhaftung durch die Gestapo begann die KPD unter John Schehrs Leitung, ihren Apparat wegen hoher Verluste zu dezentralisieren und damit besser zu schützen, um unter den Bedingungen des Naziterrors weiterarbeiten zu können. Franz Dahlem meldete sich nach der Ermordung John Schehrs, Erich Steinfurths, Eugen Schönhaars und Rudolf Schwarz' freiwillig zum Einsatz in Berlin, wo er Ende Februar 1934 eintraf.312

In einem Brief an das Politbüro rechtfertigte der militärpolitische Apparat der KPD offensichtlich den Auftragsmord an Alfred Kattner, den er selbständig in Auftrag gegeben hatte313. Vorwürfe seien unberechtigt, weil der militärpolitische Apparat der KPD „auf der Grundlage eurer Beschlüsse [gehandelt habe] und darüber hinaus sofort versucht [habe],

307 SAPMO DY 30/9985, fol. 28. Franz Dahlem: Am 1. Mai „waren wir noch alle hier.“ 308 Ebd., fol. 29. 309 RGASPI F. 495, D. 205, O. 133. 310 Franz Dahlem, Dimitroff, in: Wochenpost 21/1972, S. 10. 311 SAPMO SgY 30/1089, fol. 114. 312 SAPMO RY 1/I 2/3/260, fol. 26: Die Inlandsleitung meldete am 28. Februar 1934 an die Auslandsleitung: „Freund Jean [Franz Dahlem] ist vor drei Tagen hier eingetroffen.“ 313 Bernd Kaufmann, Der Nachrichtendienst der KPD 1919-1937, Berlin 1993, S. 343.

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nachträglich Eure Zustimmung zu erhalten“ 314 . Der danach in Berlin eintreffende Franz Dahlem hat diese Haltung auch nach 1945 unterstützt:

„Dieser Akt der Selbstjustiz war ein legitimes Kampfmittel, um das Leben weiterer Hunderter Kader retten zu helfen, da er [Alfred Kattner] viele illegal arbeitende Funktionäre von Berlin und den Bezirken kannte.“315

Die Faschisten, die jetzt über alle Recherchen der politischen Polizei zur KPD vor 1933 verfügen konnten, trafen den Parteiapparat der KPD empfindlich. Die Brutalität gegenüber verhafteten Kommunisten nahm ein bis dahin unbekanntes Ausmaß an. Franz Dahlem hatte den Auftrag des Politbüros, „den zum großen Teil zerstörten zentralen Apparat vollständig zu dezentralisieren“316. Dabei stand er vor dem Problem illegale Arbeitsmethoden im Reichs- gebiet durchzusetzen und die Bezirksleitungen wieder zu aktivieren. Zudem sollte er die Literaturversorgung an die Bezirksleitungen wieder in Gang bringen, um eine weitere Präsenz der KPD in der deutschen Öffentlichkeit zu ermöglichen.317 In Berlin arbeitete er unter anderen mit Herbert Wehner318, Paul Merker und Wilhelm Kox zusammen. Nachdem Herbert Wehner im Mai 1934 das Land verlassen hatte, unterstand ihm die neue Landes- leitung, die mit Philipp Daub, Adolf Rembte und Otto Wahls besetzt wurde. 319 Seine Verbindung zum Parteiapparat hielt Dahlem über den Leiter des militärpolitischen Apparats der KPD Leo Roth und Irene Wosikowski aufrecht.320

Komintern, KPD im allgemeinen und Franz Dahlem im besonderen sahen in der Machtübergabe an Adolf Hitler die Reaktion auf eine weitere Verschärfung der Weltwirtschaftskrise, die die Bedingung für eine erfolgreiche Revolution schaffen könnte: eine ausreichende Massenbasis. Sie dachten dabei an die für sie politisch prägenden Jahre 1919 bis 1923. Wilhelm Florin und Franz Dahlem hielten das Ergebnis der Reichstagswahlen vom 12. November 1933 für den „Vorabend entscheidender Klassenschlachten“ wegen 3,5 Millionen Gegenstimmen. Sie vermuteten durch die anhaltende Wirtschaftskrise eine weitere „Radikalisierung der Massen aufgrund der weiteren Verschärfung ihrer materiellen Lage“321. Zum 1. Mai 1934 forderte das Politbüro von Dahlem, dass der Tag der Arbeit „durch unseren Kampf gegen die faschistische Diktatur zu einem entscheidenden Wendepunkt werden“ muss. Aufgabe sei es, wieder zu allen Großbetrieben Verbindung aufzunehmen zur Organi-

314 SAPMO RY 1/I 2/3/260, fol. 5. 315 SAPMO DY 30/9994, fol. 132. 316 SAPMO DY 30/9985, fol. 74. 317 SAPMO RY 1/I 2/3/260, fol. 26. 318 Wehner, Zeugnis, S. 107. 319 SAPMO SgY 30/1089, fol. 118. 320 Blumberg, Biographie, S. 264. Vgl. auch: Kaufmann, Nachrichtendienst, S. 317. 321 SAPMO RY 1/I 2/3/260, fol. 1.

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sation von Streiks. 322 Entsprechend führte Franz Dahlem auch die RGO illegal in Zu- sammenarbeit mit Roman Chwalek, und Werner Eggerath weiter.

Im März 1934 richtete die RGO sogar eine illegale Reichskonferenz in Berlin aus. Die Arbeit in der RGO erschien ihnen jetzt noch sinnvoller als vor dem 1. Mai 1933, da der ADGB tatsächlich vor den Faschisten kapituliert hatte. Die RGO war die einzige Massen- gewerkschaft in Deutschland, die nach der Machtübergabe Hindenburgs an Adolf Hitler nicht kapitulierte. Franz Dahlem berichtete gegenüber dem Politbüro, dass die Schaffung der revolutionären Vertrauensleute und der illegalen Gruppen der Klassengewerkschaften die vordringlichste Arbeit der Parteiorganisation im Bezirk und im Betrieb ist“.

Allerdings befürwortete er bereits während seines Aufenthalts in Deutschland zwischen Februar und Juli 1934 die Übernahme von Aufgaben in der „Deutschen Arbeitsfront“ und kritisierte die sektiererische Haltung, die gegen eine Mitarbeit in der DAF waren, als „falschen revolutionären Stolz“323.

Franz Dahlem und die KPD im Reichsgebiet arbeiteten vorerst nicht in größerem Umfang mit SPD-Arbeitern zusammen, weil sie selbst erst ihre Kräfte sammeln und neu aufbauen mussten. Von einer „Einheitsfront von oben“ war sowieso erst im Spätsommer 1934 die Rede. Aus der ebenfalls stark getroffen Organisation der SPD ließen sich am ehesten die Verluste der KPD an erfahrenen Parteiarbeitern auffüllen, zumal es nach seiner Erinnerung erst im Juni 1934 wieder eine SPD-Parteiorganisation gab.324 In seinen Berichten an das Politbüro konstatierte Franz Dahlem die innenpolitische Krise des Deutschen Reichs, vor allem auch die Unzufriedenheit in der SA. Er unterschätzte allerdings die Möglichkeit eines frühen Endes der faschistischen Diktatur, als er die Parteiorganisation anwies, dass eine „Militärdiktatur nichts besseres sei […] als die Hitlerdiktatur“.

Franz Dahlem sah im Kampf der KPD, eventuell mit DNVP und Stahlhelm zum Sturz von Hitler, eine Kräfteverschwendung der KPD im Interesse der Bourgeoisie. 325 Letztlich vermutlich auch für die SPD, die ja auf die Reichswehr gegen den Faschismus hoffte.326

Spätere Kritik an dieser Haltung ist insofern unberechtigt, als der Kontakt zum Politbüro schwierig war. Die Nachrichtenübermittlung dauerte lange oder es erreichten Dahlem gar

322 Ebd., fol. 88. 323 Ebd., fol. 152. 324 SAPMO SgY 30/1078, fol. 86. Es handelt sich um einen Erinnerungsbericht Dahlems, der nur für die Hinterlegung im Zentralen Parteiarchiv der SED bestimmt war. Der Erfolg einer „Einheitsfrontpolitik“ Dahlems und die Bereitschaft der SPD 1934 zu dieser sind umstritten. 325 SAPMO RY 1/I 2/3/16, fol. 140. 326 SAPMO DY 30/9989, fol. 1. Insbesondere Otto Wels hoffte auf eine Zusammenarbeit mit der Reichswehr.

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keine Mitteilungen. Zum 30. Juni 1934 („Röhm-Putsch“) hat er nach eigener Aussage keine Direktiven bekommen.327

Kurz vor seiner Abreise organisierte die KPD-Landesleitung ein Treffen Franz Dahlems mit dem Oberberater von Hessen-Frankfurt Walter Strüwe bei Berlin.328 In diesem Gespräch befürwortete Dahlem die enge Zusammenarbeit mit der SPD:

„mit dem Ziel der Bildung gemeinsamer Gewerkschaftsgruppen […] und auch nicht vor dem Abschließen gemeinsamer Aktionsprogramme zurückzuschrecken.“329

Walter Strüwe half der damalige Rückhalt des Politbüromitglieds sehr für die tägliche Arbeit. Noch 1973 erinnerte sich Strüwe:

„Ich entsinne mich, noch sehr gut, dass ich von dieser Aussprache mit dem Gefühl [nach Frankfurt] zurückkehrte, endlich einen Weg aufgezeigt bekommen zu haben, der uns aus der Isolierung führen und uns gleichzeitig vor den Zugriffen der Gestapo in wirkungsvollerer Weise behüten kann wie bisher.“330

Franz Dahlem war also während seines illegalen Aufenthalts im Land gegenüber der SPD kompromissbereit und nicht ausschließlich auf die irreale Abwerbung aller Mitglieder der SPD bedacht. Er kann somit ideologisch nicht zur Gruppe um Hermann Schubert und Fritz Schulte im Politbüro gehört haben, die durch einen das Frankfurter Aktionsabkommen ablehnenden Artikel in „Der Roten Fahne“ die Vereinbarung desavouierten. Walter Strüwe erinnerte sich:

„Der Höhepunkt der sektiererischen und schädlichen Haltung von Schubert und Schulte gipfelte darin, dass sie ohne mich davon in Kenntnis zu setzen, in der nächsten illegalen Nummer „Der Roten Fahne“ in einem Leitartikel unser Abkommen in Grund und Boden donnerten und als Opportunismus bezeichneten, was einem Dolchstoß in den Rücken von uns illegal kämpfenden Genossen gleichkam.“331

Der Konflikt Franz Dahlems im Politbüro war vielmehr persönlicher Natur und gegen Walter Ulbrichts Ambitionen gerichtet, die Parteiführung zu übernehmen. Hinzu kamen auch ideologische Bedenken, eine Zusammenarbeit mit der SPD zu weit zu führen, zumal Komintern und Sowjetunion erst allmählich ihr System der kollektiven Sicherheit erkennen ließen.

327 SAPMO RY 1/I 2/3/16, fol. 187. 328 SAPMO DY 30/9985, fol. 36: Besprechung bei Werder sei die „entscheidungsvollste Aussprache, weil da ging [es] um die Frage der Änderung unserer Politik in der Frage unseres Verhältnisses zur Sozialdemokratie.“ Dazu gehören auch die einheitsfrontpolitischen Verhandlungen in Hessen-Frankfurt. 329 SAPMO SgY 30/1663, fol. 5. 330 Ebd. 331 Ebd., fol. 8.

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XII. ORGANISATORISCHE UND IDEOLOGISCHE KLÄRUNG

1. Orientierung der Parteiführung durch das EKKI

Im Juli 1934 verließ Franz Dahlem Deutschland als letztes Politbüromitglied, da die Gestapo von seinem Aufenthalt Kenntnis erhielt. 332 Im Politbüro verschärfte sich die Ausein- andersetzung, wer Parteivorsitzender der KPD bzw. Stellvertreter Thälmanns werden sollte. Nach dessen Verhaftung am 3. März 1933 war die KPD ohne ihren Vorsitzenden und ohne Leitung geblieben, die über genügend Autorität verfügte, um sich durchsetzen zu können und vom Apparat und den Mitgliedern anerkannt zu werden. Den „ungesunden Zustand“ im Politbüro erahnte Franz Dahlem während seines Aufenthalts in Berlin im Schriftwechsel mit Moskau und zwischen den Zeilen aus der KPD-Presse.333

Dahlem selbst wollte und konnte den Vorsitz nicht übernehmen, aber er gehörte zur Gruppe um Hermann Schubert, Fritz Schulte und Wilhelm Florin, „welche den Kampf darum führte, die Parteiführung zu übernehmen, obwohl sie nicht das genügende Vertrauen der Parteimitgliedschaft besaßen“ (Paul Merker)334.

Der Gruppenkampf im Politbüro war allerdings zuerst ein politischer Streit um die richtige Linie der KPD nach der Machtübernahme und Machtverfestigung der Faschisten in Deutschland. Es ging insbesondere um das Verhältnis zur SPD und die Bildung einer Volksfront gegen den Faschismus vor dem Hintergrund der von der Sowjetunion vertretenen kollektiven Sicherheitspolitik. Die neue Linie der Komintern war aber erst schwer erkennbar, zumal Dahlem nie längere Zeit in deren Moskauer Apparat arbeitete oder über direkte Informationen verfügte.

Das XIII. EKKI-Plenum vom Dezember 1933 hatte die Linie des VI. Weltkongresses der Komintern bestätigt. Diese Linie galt für ihn weiter. Die neue Einheitsfrontpolitik, die auf die Anwerbung von SPD-Mitgliedern für die KPD verzichtete, gar eine „Einheitsfront von oben“ oder die Zusammenarbeit mit bürgerlichen Kreisen waren für Dahlem und die Mehrheit der Parteimitglieder unvorstellbar. Diese Mehrheit wollten Florin, Schubert, Schulte und Dahlem vertreten, die sich als legitime Vertreter der Linie Ernst Thälmanns sahen. Allerdings gab es auch Differenzen in dieser Gruppe. Schubert arbeitete mit Schulte und Dahlem mit Florin zusammen, der wie er aus Köln kam. Gemeinsam war ihnen, dass sie den Führungsanspruch

332 SAPMO SgY 30/1078, fol. 107. 333 SAPMO RY 1/I 2/3/16, fol. 186. 334 BStU, MfS, AU 192/56, fol. 114.

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Walter Ulbrichts zurückwiesen. 335 Hermann Schubert und Fritz Schulte lehnten die von Dahlem bei seinem Aufenthalt im Lande verhandelten Einheitsfrontabkommen mit der SPD auf Bezirksebene ab. Diese Differenzen waren aber nicht unüberwindbar. Einig war sich die Gruppe darin, dass Ulbricht und Pieck der KPD ein „opportunistisches Kuckucksei [ins] Nest“336 legten.

Im Herbst 1934 eskalierte der Streit, als Ulbricht nach einem Gespräch mit Siegfried Aufhäuser einen Artikel über die Aktionseinheit mit der SPD verfasste und ohne Beschluss des Politbüros veröffentlichte. Auf der Sitzung des Politbüros im Oktober 1934 griff Dahlem Ulbricht und Pieck an und legte seinen Standpunkt ausführlich dar. Nach seiner Meinung gehe „der revolutionäre Aufschwung“ in Deutschland weiter, was der 30. Juni bewiesen habe: „Deutschland kann also nicht zu einem Italien werden.“337 Die SPD hielt Dahlem weiterhin für die „soziale Hauptstütze der Bourgeoisie“, was die Anordnung des SPD- Parteivorstandes beweise, alle Kontakte zur KPD zu beenden.338 Aufgabe der KPD müsse es sein, den Parteivorstand zu entlarven, der über die Reichswehr noch immer mit der Bourgeoisie verbunden sei: „Zur Zeit kommt eine Einheitsfront mit dem Parteivorstand [die Einheitsfront von oben] absolut nicht infrage.“339

Franz Dahlem und Wilhelm Florin unterstellten Walter Ulbricht, dass er nur eine Einheitsfront von oben, also die ausschließliche Verständigung mit dem SPD-Parteivorstand anstrebe. Das war für sie eine „opportunistische Anwendung der Einheitsfronttaktik“340. Der Vorwurf war unberechtigt.341

Zum einen negierte Dahlem den Fortbestand der sozialdemokratischen Organisation in Deutschland. Dahlem meinte, dann brauche die KPD auch keine Einheitsfront mit der SPD- Parteiführung: „weil wir [die Parteiführung der KPD] keinen Anlass haben, als ob die Sozialdemokratie in Deutschland noch als zentrale Organisation existiere“342.

Zum anderen waren seine Forderungen nach Übernahme der noch bestehenden SPD-Gruppen durch die KPD eine Mischung aus der alten Einheitsfrontpolitik von unten und der von ihm

335 Blumberg, Biographie, S. 283. 336 SAPMO RY 1/I 2/3/16, fol. 154. 337 SAPMO RY 1/I 2/3/16, fol. 136-138. 338 Ebd., fol. 144. Damit hat die SPD das Frankfurter Einheitsabkommen torpediert. 339 Ebd., fol. 148. 340 Ebd., fol. 172, 179. 341 So auch Blumberg, Biographie 1933-1945, S. 3. 342 SAPMO RY 1/I 2/3/16, fol. 157.

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im Land beobachteten „Lebensnotwendigkeit“343 die schweren Verluste der KPD aufzufüllen und in der Fläche weiterhin präsent zu sein.

Walter Ulbricht war im Gegensatz zu Franz Dahlem frühzeitig über die sich andeutende Änderung der Linie des VI. Weltkongresses durch den VII. Weltkongress informiert. Das stellten Dahlem und die anderen Politbüromitglieder mit Ausnahme von Wilhelm Pieck erst viel später fest. Dahlem erinnerte sich:

„Walter Ulbricht überraschte alle mit seinem Artikel, den er schreiben konnte, weil er Kenntnis von der geänderten Linie des EKKI hatte.“344

Folgerichtig hatte Ulbricht in seinem Artikel „Für die Aktionseinheit gegen den Hitler- faschismus“ den gegenseitigen Verzicht auf „verleumderische Angriffe“ gefordert und zum obersten Ziel den gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus erklärt. 345 Dahlem war offensichtlich weniger gut informiert. Er schrieb:

„Es ist nach den Aussagen von Paul [Walter Ulbricht] keine Differenz mehr. Paul versucht hier mit viel Demagogie zu [zeigen], wir hätten unsere Taktik geändert. Wo das?“346

Dahlem sprach in seiner Rede auf der Politbürositzung im Oktober 1934 lediglich von einer Aktionseinheit mit der SPD auf Bezirksebene und in der „gewerkschaftlichen Aktions- einheit“347.

Der Konflikt war auch nach der Politbürositzung nicht gelöst. Wilhelm Pieck, Hermann Schubert, Fritz Schulte, Walter Ulbricht und Franz Dahlem reisten im Dezember aus Paris nach Moskau zu Besprechungen mit dem EKKI-Präsidium.348 Dort war das Politbüro bis nach dem VII. Weltkongress ansässig. Franz Dahlem hielt dort auch an seiner Ablehnung der neuen Einheitsfrontpolitik fest. Er orientierte wieder auf eine Vereinigung mit den noch bestehenden SPD-Gruppen in Deutschland und die Rätemacht anstatt auf unmittelbaren Sturz der faschistischen Diktatur.349 Das Politsekretariat des EKKI musste also die Mehrheit im Politbüro, die sich gegen die neue Linie aussprach dazu drängen, eine andere Haltung einzunehmen. Palmiro Togliatti kritisierte Dahlem in einer Rede am 9. Januar 1935:

343 Ebd., fol. 166, 170. 344 SAPMO NY 4072/114, fol. 115. 345 Walter Ulbricht, Für die Aktionseinheit gegen den Hitlerfaschismus, in: Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung 55/1934, S. 2412. 346 SAPMO RY 1/I 2/3/16, fol. 156. 347 Ebd., fol. 159, 161. 348 SAPMO NY 4036/538. 349 Erwin Lewin, Neue Dokumente zur Kursänderung 1934/1935 in der KPD, in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung 1993, S. 174.

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„Genosse Dahlem hat hier in seiner Rede in versteckter Form aufgrund dieser Erfahrungen seine falsche Linie in der Einschätzung der Sozialdemokratie im allgemeinen verteidigt.“350

Franz Dahlem hat dann seine Position im Januar 1935 geändert. Er erinnerte sich:

„Doch die Klärung erfolgte bereits vor dem VII. Weltkongress in einer Sitzung des Politsekretariats des EKKI. Hier wurde uns verdientermaßen allen, auch Walter ordentlich der Kopf gewaschen, was er wohl nicht erwartet hatte, wie sein inzwischen veröffentlichter Brief an Genossen Dimitroff verrät.“351

Diese Anspielung im unveröffentlichten Manuskript seiner Erinnerungen bezieht sich auf ein Schreiben Walter Ulbrichts an Georgi Dimitroff vom 1. November 1934. Daraus geht hervor, dass Ulbricht trotz seiner frühen Information über die Änderung der Kominternlinie weitgehend die alten Positionen verfolgte, wenn auch mit der Taktik der Aktionseinheit.

Ulbricht ging es darum, durch die Aktionseinheit die Differenzierung der häufig gerade in Deutschland weit links stehenden SPD-Mitglieder zu erreichen, da keine unmittelbare Vereinigung für ihn möglich schien. Deshalb war er verwundert, dass sein Aufhäuser-Artikel „grundsätzlich falsch sei“. Georgi Dimitroff hat Walter Ulbricht wohl auch den Kopf im Hinblick auf die ohne Politbürobeschluss erfolgte Veröffentlichung dieses Artikels „gewaschen“.352

2. Innerparteiliche Klärung

Franz Dahlem folgte auf jeden Fall ab dem 30. Januar 1935 der Kominternlinie und unterstützte die Januarresolution des ZK der KPD „Proletarische Einheitsfront und antifaschistische Volksfront zum Sturz der faschistischen Diktatur“. Sie gibt er auch als Beginn seiner Zusammenarbeit mit Walter Ulbricht an.353 Die Politkommission des EKKI und das Politbüro der KPD beschlossen eine Arbeitsteilung im Politbüro der KPD. Die Parteiführung blieb in Moskau (Wilhelm Pieck, Wilhelm Florin, Hermann Schubert, Fritz Schulte, Fritz Heckert) und sollte eine Kampagne für den neuen Kurs der Partei beginnen. Walter Ulbricht und Franz Dahlem sollten von Prag aus, dem Sitz des Parteivorstands der SPD, die Landesleitung der KPD unterstützen und mit den Abschnittsleitungen

350 Ebd., S. 181. 351 SAPMO NY 4072/114, fol. 116. 352 Walter Ulbricht, Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Aufsätzen, Bd II: 1933- 1946. Zusatzband, Berlin 1966, S. 9-16. 353 SAPMO RY 1/I 2/3/18b, fol. 497.

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zusammenarbeiten.354 1953 stellte Dahlem für die überzeugten Nachzügler auf der Linie des EKKI, wie ihn, lakonisch fest: „Als wir zurückkamen aus Moskau waren auch wir schlauer.“355

Ein halbes Jahr arbeiteten Franz Dahlem und Walter Ulbricht in Prag zusammen. Kurz vor dem VII. Weltkongress der Komintern erstatten beide am 15. und 16. Juli 1935 dem Politbüro der KPD Bericht. Aus Franz Dahlems Bericht geht hervor, dass beide hofften über regionale Einheitsfrontabkommen zwischen SPD und KPD, besonders für Berlin, ein zentrales Einheitsfrontabkommen auszuhandeln. Als problematisch erwies sich aber, dass die meisten linken Sozialdemokraten in Deutschland nicht zur KPD übertreten wollten, sondern „für den Wiederaufbau der Sozialdemokratie [waren] bzw. für eine neue sozialistische Par- tei“356. Das hielt Dahlem für vorgeschoben, um die „Einheitsfront zu sabotieren“357. Um den Vorwürfen zu entgegnen, er propagiere jetzt, wie angeblich Walter Ulbricht, ausschließlich die Einheitsfront von oben, betonte Dahlem, dass der Schwerpunkt der Einheitsfront unten liege.358 Damit versuchte er auch Wilhelm Florin, Fritz Schulte und Hermann Schubert vom neuen Kurs zu überzeugen. Diese schlossen sich den Berichten von Dahlem und Ulbricht jedoch nicht an. In einer Sitzung des Politbüros am 30. Juli 1935, knapp eine Woche nach Beginn des VII. Weltkongresses der Komintern, stimmten sie gegen den Antrag von Wilhelm Pieck:

„Das Politbüro billigt die politische Arbeit der Genossen Dahlem und Ulbricht zur Durchführung der Januarbeschlüsse in der Wendung der Partei zur Massenarbeit“359.

Zu groß war noch die Skepsis, die KPD damit auf eine opportunistische Linie zu bringen bzw. auch die Zweifel daran, dass sich dieser Kurs als Linie der Komintern durchsetzen würde.

Dahinter stand aber nicht nur die Skepsis der Politbüromitglieder, sondern auch die Haltung der KPD-Mitglieder. Wie Franz Dahlem in seiner Rede vor dem Politbüro am 16. Juli 1935 bemerkte, waren „unsere Leute […] sehr stolz auf ihr Sektierertum“ 360 . Es war den Mitgliedern der KPD verständlicherweise schwer klar zu machen, sich wieder für Gewerk- schaftsgruppen mit SPD/ADGB-Mitgliedern einzusetzen, die sie vor 1933 oft im Betrieb

354 SAPMO RY 1/I 2/3/18a, fol. 11. 355 SAPMO ZPKK, Verhör Franz Dahlems am 14. Nov. 1953. 356 SAPMO RY 1/I 2/3/18b, fol. 404. 357 Ebd., fol. 439. 358 Ebd., fol. 422. 359 Ebd., fol. 556. 360 Ebd., fol. 452.

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denunziert, aus den bestehenden Gewerkschaften ausgeschlossen hatten und 1933 kampflos vor dem Faschismus kapitulierten.361

In seiner Rede vor dem VII. Weltkongress „Warum konnte der Faschismus in Deutschland siegen?“362 am 27. Juli gab Dahlem zwar auf dieser Bühne des Weltkommunismus der SPD die „geschichtliche Verantwortung“363 für den Sieg des Faschismus, zählte aber auch die Fehler der KPD auf, die nach seiner Meinung, nicht hauptsächlich in den Gewerkschaften gearbeitet habe, die Rätemacht nur abstrakt propagierte und das „Hauptfeuer“ zu spät gegen den Faschismus gerichtet habe.

Diese Rede richtete er auch an den Parteivorstand der SPD, um ein zentrales Einheitsfront- abkommen zu erreichen. So gab er „Fehler der Führung unserer Partei“ zu und kritisierte, dass die Einheitsfront nur zur Abwerbung von SPD-Mitgliedern für die KPD gebraucht worden war. Er ging auf die Linken im Parteivorstand der SPD zu, als er es ablehnte sie weiterhin als „Agenten des Parteivorstands“ zu bezeichnen.364 Damit wich er wesentlich von einer Grundüberzeugung der KPD der zwanziger Jahre ab. Viele Mitglieder und Teile der Führung der KPD wollten dieser Linie nicht folgen. Dahlem umwarb geradezu die Linken im Parteivorstand der SPD, um ein erstes offizielles Gespräch anzubahnen und die Verhandlungen über ein gemeinsames Vorgehen gegen den Faschismus mit dem „Augenmerk auch auf zentrale Abkommen mit dem SPD-Parteivorstand“ 365 zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.

Das tat er auch in seinen Beiträgen auf dem Parteitag der KPD in Moskau, der sogenannten Brüsseler Konferenz, im Oktober 1935. In seiner Diskussionsrede am 11. Oktober, dem 9. Sitzungstag, knüpfte er an seine Rede, die er auf dem Weltkongress der Komintern gehalten hatte, an und fragte erneut, warum der Faschismus siegen konnte. Auf dem Parteitag der KPD stellte er auch unmissverständlich klar, dass nicht nur eine „teilweise falsche taktische Linie unserer Partei“, sondern auch die Parteiführung verantwortlich seien.366 Natürlich musste er auf der Brüsseler Konferenz vor der Parteiführung und den aus der Illegalität kommenden Delegierten erklären, warum er seine Haltung änderte, nachdem er lange auf Seiten der Politbüromehrheit um Florin und Schubert gestanden habe. Dahlem übte in seiner

361 SAPMO SgY 30/1663, fol. 6. 362 Franz [Dahlem], Warum konnte der Faschismus in Deutschland siegen?, in: Kommunistische Internationale. Organ des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale 16/1935, S. 1302-1317. 363 Ebd., S. 1303. 364 Ebd., S. 1314. 365 Ebd., S. 1315. 366 Erwin Lewin, Elke Reuter, Stefan Weber (Hrsg.), Protokoll der „Brüsseler Konferenz“ der KPD 1935. Reden, Diskussionen und Beschlüsse, Moskau vom 3.-15. Oktober 1935, München 1997, S. 608.

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Diskussionsrede Selbstkritik und gab offen zu, dass er am Gruppenkampf teilnahm und auf den Artikel Walter Ulbrichts falsch reagierte. Dahlem sagte:

„Wir blieben hängen an der Einschätzung von den Linken als den gefährlichsten. Ich habe das genauso geschrieben wie auch Florin.“367

Zu Recht warf ihm Hermann Schubert vor, sich hinter Florin zu verstecken. Dahlem übte zwar Selbstkritik, war auch von der neuen Linie überzeugt, auch weil sie ihm den Platz in der Parteiführung sicherte und ihn an der Leitung teilhaben ließ, aber er sah die Verantwortung bei allen. Er distanzierte sich von Schubert, der Wilhelm Pieck als Vorsitzenden habe absetzen wollen, was er selbst nicht unterstützt habe.368 Früher als die übrigen Kritiker der neuen Linie im Politbüro hatte er die Wendung vollzogen und mit der Sicherheit eigener Selbstkritik rief er den Beharrlichen zu:

„Für Euch, die ihr bisher den Mut nicht habt, diese Selbstkritik zu machen, gibt es nur eine hundertprozentige Abrüstung. Solange ihr das nicht macht, glaubt Euch kein Mensch, das ihr den Willen habt, eine Änderung zu vollziehen.“369

Es waren sicherlich alle Delegierten überzeugt, dass Dahlem den Willen habe, Änderungen tatsächlich durchzusetzen, als er seine Zusammenarbeit mit Walter Ulbricht schilderte, die bisher immer im latenten Streit miteinander standen. Franz Dahlem erklärte den Anwesenden:

„Wir hatten zwar vorher Auseinandersetzungen, Walter und ich, aber wir hatten jetzt eine politische Plattform, die gemeinsam war. Zuerst haben wir uns, ich sage das ganz offen, gegenseitig kontrolliert. (Zuruf Walter: Wir hatten miteinander alte Erfahrungen.)“370

3. Brüsseler Konferenz

Franz Dahlem arbeitete nach seiner Wendung im Januar 1935 zur neuen Kominternlinie mit Walter Ulbricht in Prag zusammen. Zum einen leiteten sie direkt die KPD im Deutschen Reich an. Dazu gehörte die weitere Dezentralisierung der Inlandsorganisation der KPD und die Verfolgung von Gestapospitzeln. Nach ihrem eigenen Bericht wurde von Ulbricht und Dahlem im Grenzapparat „rabiat aufgeräumt“371.

367 Ebd., S. 613. 368 Ebd. 369 Ebd., S. 620. 370 Ebd., S. 619. 371 SAPMO RY 1/I 2/3/18b, fol. 489.

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Sie werteten den Grenzapparat auf, über den die Arbeit im Land angeleitet werden sollte.372 Das war sinnvoll, da die Gestapo regelmäßig die Inlandsleitungen der KPD verhaftete und nur in den im Ausland liegenden Grenzstellen eine kontinuierliche Arbeit möglich war. Letztlich setzten sie sich formell damit nicht durch, weil im Politbüro beschlossen wurde, dass die Grenzstellen keine Parteileitungen seien, sondern lediglich technische Unter- stützer.373 In der Praxis blieb der KPD aber nichts anderes übrig, als das Schwergewicht bei den Grenzstellen zu belassen, da seit Anfang 1935 keine Landesleitung der KPD mehr bestand. Der faschistische Terror durch die Gestapo war zu groß.

Ulbricht und Dahlem versuchten auch über die KPD-Presse Einfluss auf die Linie der KPD im Lande zu nehmen. Sie wollten ihre Artikel der Genehmigungspflicht durch das Politbüro entziehen.374

Zum anderen wollten Dahlem und Ulbricht unbedingt den Nachrichtenapparat unter ihre alleinige Kontrolle bringen. Der Nachrichtenapparat unterstand dem Politbüro und unter der Leitung Hans Kippenbergers, der dem von Dahlem und Ulbricht vertretenen neuen Kurs kritisch gegenüberstand. So teilte Hans Kippenberger dem Politbüro mit, die beiden würden zu viel Einheitsfront von oben machen.375 Das geht auch aus einer Mitteilung Dahlems auf der Brüsseler Konferenz hervor, wonach Kippenberger dies auch unter den KPD-Mitgliedern im Lande verbreitete.376 Die Haltung des bedeutenden Nachrichtenapparates behinderte ihr Bemühen zu einer Verständigung mit der SPD insbesondere auf zentraler Ebene zu kommen.

Auf der Brüsseler Konferenz wurden die Leitungsorgane nach dem Ende des Gruppen- kampfes neu strukturiert und Franz Dahlem und Walter Ulbricht dabei besonders berücksichtigt. Franz Dahlem stellte fest, dass der Parteitag:

„mit der Erarbeitung der neuen Strategie und Taktik und nach Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland weitgehend den damit verbundenen innerparteilichen Klärungs- prozess“ abschloss: „Das galt vor allem insoweit, wie dieser Prozess mit einer Auseinandersetzung um die Führung der Partei begleitet gewesen war.“377

372 Ebd., S. 487. 373 Ebd., fol. 656. 374 SAPMO RY 1/I 2/3/18a, fol. 273. 375 Ebd. 376 Lewin, Protokoll, S. 620. Vgl. auch: vom 4./5. Okt. 1997, S. 13: Franz Dahlem setzte sich trotzdem gegen eine einseitige Verurteilung Kippenbergers ein. 377 SAPMO NY 4072/114.

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Auf der ersten Sitzung des Zentralkomitees am 15.Oktober 1935 wurden Franz Dahlem, Ernst Thälmann, Wilhelm Pieck, Wilhelm Florin, Fritz Heckert, Walter Ulbricht und Paul Merker als Mitglieder und Herbert Wehner und Anton Ackermann als Kandidaten des Politbüros gewählt. Gleichzeitig schieden der sich weiterhin in Gestapohaft befindende Ernst Thälmann, und die Kominternfunktionäre Pieck, Florin und Heckert aus der operativen Leitung der KPD aus. Die operative Leitung sollte das Tagesgeschäft der KPD erledigen:

„Die bei der Kommunistischen Internationale arbeitenden Mitglieder des Politbüros unterstützen fortlaufend die Arbeit der operativen Leitung im Ausland, die ihrerseits die Genossen fortlaufend über die Arbeit der operativen Leitung und über die Berichte aus dem Lande zu informieren haben.“378

Diese Konstruktion konnte natürlich nur zu neuen Gruppenkämpfen um die Leitung führen. Die operative Leitung war schon wegen ihrer Lage im Ausland nicht nur eine bloße Routine- einrichtung. Sie musste wesentlich mehr Einfluss besitzen. Es war zwar vorgesehen, dass einmal im Quartal „oder bei besonderen Anlässen“379 eine gemeinsame Sitzung mit den in Moskau verbliebenen Kominternvertretern stattfinden sollte, aber aufgrund der Charaktere der Mitglieder der operativen Leitung, der Entfernung und den Schwierigkeiten der illegalen Einreise in die Sowjetunion war abzusehen, dass diese Bestimmung die kollektive Führung der KPD nicht sichern konnte. Die operative Leitung nahm ihren Sitz, wie auch der Parteivorstand der SPD, in Prag. Das Zentralkomitee der KPD hatte weiterhin beschlossen: „Im Namen des Zentralkomitees soll sofort ein Einheitsfrontangebot an den Prager SPD- Vorstand gemacht werden.“380

XIII. EINHEITSFRONT VON OBEN

Walter Ulbricht und Franz Dahlem führten dieses Gespräch mit den Vertretern der SPD Hans Vogel und Friedrich Stampfer im November 1935 in Prag. Der Parteivorstand der SPD beschloss allerdings bereits vor dem Gespräch, dass eine gemeinsame Erklärung von KPD und SPD nicht in Frage kommt.381 Die SPD selbst hatte kein Interesse an einer Einheitsfront mit der KPD und das nicht nur aus alter Feindschaft. So soll auch Friedrich Stampfer gegenüber Böschel geäußert haben:

378 SAPMO RY 1/I 2/1/89, fol. 1. 379 Ebd. 380 Ebd., fol. 2. 381 Ursula Langkau-Alex, Deutsche Volksfront 1932-1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. Erster Band: Vorgeschichte und Gründung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront, Berlin 2004, S. 302.

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„Lassen Sie man Genosse, ehe ein Jahr vergeht, haben wir im Bunde mit Reichswehr, Zentrum und Schwerindustrie das ganze Hitlerregime gestürzt!“382

Der SPD-Parteivorstand sah die Möglichkeit des Sturzes des Faschismus in seiner gewohnten Weimarer Koalitionspolitik und einem Übereinkommen mit dem Militär. Dementsprechend verlief auch das Gespräch mit der KPD auf gewohnten Gleisen. Hans Vogel zweifelte an der Ernsthaftigkeit des Einheitsfrontangebots und befürchtete, dass der faschistischen Propa- ganda neue Nahrung gegeben werden würde, weil diese dann Gelegenheit hätte, wieder das „bolschewistische Schreckgespenst“383 heraufzubeschwören! Franz Dahlem bewies in diesem Gespräch, dass er die Einheitsfront tatsächlich ernst nahm und ging freundlich auf die Vertreter der SPD zu und war sogar charmant:

„Die Einheitsfrontbewegung ist elementar. KPD und SPD sind die einzigen wirklichen Kräfte. Alles andere ist Qualle. […] Es würde wie ein Schlag, wie ein Ruck durch sie gehen, wenn [die Massen] wüssten, Sozialdemokraten und Kommunisten gehen zusammen.“384

Dahlem stellte die Rätemacht einer Volksabstimmung anheim, beklagte, dass die KPD nicht früher ernsthafte Verbindung zur SPD gesucht habe und hielt eine Verständigung gerade auch wegen der gelungenen Übereinkunft der „Front Populaire“ in Frankreich für möglich.385 Ulbrichts Vorschlag eines gemeinsamen Aufrufs lehnte Vogel trotzdem brüsk ab:

„Wir halten das nicht für notwendig, wenn Ihr schon glaubt, dass es sein muss, dann berichtet lediglich, dass die Aussprache stattgefunden, aber mit einem negativen Ergebnis abgeschlossen habe.“386

In einem Artikel für die Zeitschrift „Kommunistische Internationale“ zum Jahreswechsel 35/36 kritisierte Dahlem trotzdem die Haltung der SPD. Dazu gehörte für ihn, dass der Partei- vorstand kein zentrales Einheitsfrontabkommen unterzeichnen wollte, dass eine reichsweite Zusammenarbeit erst ermöglicht hätte. Gleichzeitig lehnte der SPD-Parteivorstand auch Ab- sprachen zwischen KPD und SPD bei aktuellen Tagesfragen, insbesondere bei der Hilfe für politische Gefangene und gegen die Lebensmittelknappheit ab. 387 Tatsächlich verbot der Parteivorstand der SPD allen Mitgliedern Kontakte zu Kommunisten. Dieses Verbot

382 SAPMO RY 1/I 2/3/18b, fol. 422. 383 Erich Matthias (Hrsg.), Mit dem Gesicht nach Deutschland. Eine Dokumentation über die sozialdemokratische Emigration. Aus dem Nachlass von Friedrich Stampfer, Düsseldorf 1968, S. 244. 384 Ebd., S. 248. 385 Ebd., S. 249. 386 Ebd., S. 250. 387 Franz Dahlem, Der Kampf um die Einheitsfront. Zu den Verhandlungen zwischen den Zentralen der KPD und SPD, in: Kommunistische Internationale. Organ des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale Dez./Jan. 35/36, S. 20-27.

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versuchte er durch Sanktionen durchzusetzen.388 Nichtsdestotrotz bedeutete das Gespräch für Franz Dahlem die Grundlage für die späteren Verhandlungen zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront.389

Obwohl keine Aktionsgemeinschaft zwischen KPD und SPD erzielt werden konnte, nahmen KPD-Vertreter an den Verhandlungen zur Bildung einer deutschen Volksfront im Pariser Hotel Lutetia teil, um nicht nur mit einzelnen Vertretern der SPD eine Aktionseinheit zu bilden, sondern auch Druck auf den Parteivorstand auszuüben.390 Georgi Dimitroff schickte Walter Ulbricht und Franz Dahlem zu den Verhandlungen nach Paris „mit der eindringlichen Mahnung, die Einheit der Parteiführung wie [ihren] Augapfel zu hüten“391. Offensichtlich arbeiteten beide nicht reibungslos zusammen. Das lag an alten Konflikten, dem Gruppen- und Machtkampf im Politbüro des Jahres 1935, aber auch an der gemeinsamen Arbeit in der operativen Anleitung der KPD. Im Volksfrontausschuss verschärfte sich dieser Konflikt. Es war Ulbricht daran gelegen, Dahlem los zu werden und seinen Einfluss zu minimieren. Im Frühjahr 1936 warf Dahlem Ulbricht dessen polemischen Umgang mit Breitscheid in einer Sitzung des Volksfrontausschusses unter vier Augen vor. Ulbricht berichtete dem EKKI, dass Dahlem auf die „Verteidigung der Partei“ verzichtet habe.392

Das gespannte Verhältnis zwischen Dahlem und Ulbricht wurde gemildert, als die Komintern auf Vorschlag Georgi Dimitroffs Franz Dahlem in die Politische Kommission der Interna- tionalen Brigaden nach Spanien delegierte.393

XIV. POLITISCHER KOMMISSAR IN SPANIEN

1. Die Entsendung

Die Sowjetunion unterstützte die spanische Republik gegen die meuternden faschistischen Generäle, sodass auch Spanien für die Komintern Operationsgebiet war.

Nach dem Tod des KPD-Vertreters Hans Beimler Anfang Dezember 1936 bat das Parteiaktiv der deutschen Interbrigadisten das Politbüro der KPD einen deutschen Parteivertreter nach Spanien zu entsenden.394

388 Langkau-Alex, Volksfront I, S. 305. 389 SAPMO SgY 30/1078, fol. 89. 390 Blumberg, Biographie, S. 324. 391 SAPMO SgY 30/1078, fol. 90. 392 SAPMO RY 5/I 6/3/266. Rechtfertigungsschreiben Franz Dahlems an Palmiro Togliatti vom 4. Juni 1936. 393 SAPMO SgY 30/1078, fol. 90f.

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Das Sekretariat des EKKI entschied im Spätherbst 1936 über Dahlems Entsendung nach Madrid in die zentrale politische Kommission der Internationalen Brigaden.395 Franz Dahlem gehörte als Kandidat des EKKI zu den höchsten Funktionären in Spanien. Hans Hugo Winkelmann erinnerte sich, dass alle Soldaten Franz Dahlem als „den ersten Repräsentanten der deutschen Interbrigadisten“396 anerkannten und respektierten.

Militärisch war es für Dahlem wichtig, wie es auch Linie der Komintern war, aus den verschiedenen politischen und regionalen spanischen Milizen eine disziplinierte Berufsarmee aufzubauen, die allein fähig war, dem deutschen und italienischen Faschismus wirksamen Widerstand entgegenzusetzen. Nicht nur seine muttersprachlichen Französischkenntnisse, sondern auch seine Fronterfahrung im Ersten Weltkrieg prädestinierten ihn für die Aufgabe in den Interbrigaden politische Kontrolle auszuüben. Als Weltkriegsteilnehmer konnte er die militärische Seite des Kampfes beurteilen, um auch von den Berufsmilitärs auf republika- nischer Seite anerkannt zu werden. Den Respekt aller Kämpfenden erhielt er, weil er oft nicht ungefährliche Frontabschnitte inspizierte und auch mit einem gewissen militärischen Sach- verstand Einfluss auf die Kampfhandlungen nehmen konnte.397

In Spanien war Dahlem im Wortsinne „ständig auf Achse“ und zwischen den verschiedenen Fronten, Madrid, Albacete und Valencia unterwegs, um sich mit Vertretern des Zentral- komitees der KPS, staatlichen spanischen Stellen und den Interbrigaden auseinanderzusetzen und sich für die Soldaten einzusetzen. Vor den Kämpfenden konnte er glaubhaft verkünden, dass der Erfolg der republikanischen Armee und der Internationalen Brigaden die Niederlage des Faschismus oder den Beginn des Zweiten Weltkriegs bedeutete.398 Mit stimmte er überein: „nichts kann den Glanz dieser Zeit verdecken“399.

Am 13. November 1936 reiste Franz Dahlem als Belgier Josef Weber nach Moskau400, wo Besprechungen auch zu Spanien stattfanden. Einen ersten Eindruck von der Lage in Spanien und der Interbrigaden insbesondere erhielt er bei einem Besuch mit Walter Ulbricht an der Basis der Interbrigaden in Albacete. 401 Seine endgültige Abreise nach Spanien am 29.

394 Horst Kühne, Revolutionäre Militärpolitik 1936-1939. Militärpolitische Aspekte des national- revolutionären Krieges in Spanien, Berlin 1969, S. 189. 395 Dahlem, Vorabend, Bd. 2, S. 44. 396 SAPMO DY 30/9986, fol. 9. 397 Ebd., fol. 19. Norbert Kugler berichtete entsprechend von einem Frontbesuch Dahlems am Jarama. 398 SAPMO SgY 11/V 237/5/108: Rede vor Offizieren, Politkommissaren und Delegierten der XI. Internationalen Brigade über die internationale Lage am 14. September 1937. 399 SAPMO DY 30/9987, fol. 12. 400 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133. 401 SAPMO NY 4072/154, fol. 39.

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Dezember 1936 402 stellte also keine parteipolitische Degradierung dar, weil diese Politabteilung eine Kommission des EKKI 403 war, der neben Franz Dahlem auch die Kominternfunktionäre (KPI) und André Marty (KPF) angehörten.

Undatierte Notizen aus dem Nachlass Dahlems zeigen, von welchen politischen Prämissen Franz Dahlem ausging, als er nach Spanien abreiste. Er war der Meinung, dass dort eine bürgerlich-demokratische Revolution „auf neue Art und Weise“404 stattgefunden habe. Er stimmte mit Palmiro Togliatti überein, den er vorher in Moskau getroffen haben kann, dass diese Revolution mit dem Scheitern des Militärputsches im Juli 1936 die politische und wirtschaftliche Macht des Großgrundbesitzes und der Kirche aber auch der Großbetriebe und Banken gebrochen habe.

Besonders wichtig für ihn als politischen Kommissar der Internationalen Brigaden war die Annahme, dass Armee und Polizei nicht mehr in den Händen der alten Eliten waren. Dadurch weise diese Revolution „den proletarischen Stempel“ deutlich auf. Illusionen über eine erfolgreiche Revolution, in der das Proletariat die Herrschaft übernimmt, hatte er nicht. Er ging davon aus, dass Spanien eine bürgerliche Republik blieb und dass der Sieg im Krieg gegen die spanischen Faschisten und ihre deutschen und italienischen Verbündeten der Durchsetzung sozialistischer Ziele unterzuordnen war.405

2. Volksfrontpolitik in Spanien

Dementsprechend führte Franz Dahlem, orientiert an der französischen und kommunistischen Pariser Volksfrontpolitik, den Kampf gegen den deutschen, italienischen und spanischen Faschismus zur Verteidigung der legitimen Republik in Spanien.

Eine seiner ersten Maßnahmen in diesem Zusammenhang war die Umsetzung eines „Spezialauftrags“406 des Politbüros. Der Radiosender 29,8 der KPD sendete in Absprache mit dem spanischen Informationsministerium künftig nicht nur Beiträge von KPD-Vertretern nach Deutschland, sondern stand auch dem Pariser Volksfrontausschuss zur Verfügung.

402 SAPMO NY 4072/207, fol. 2. 403 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 5280 Bd. 2, fol. 49. 404 SAPMO NY 4072/205, fol. 266. 405 Ebd., fol. 268. 406 SAPMO SgY 30/1078, fol. 90f. Vgl. auch: SAPMO NY 4072/207, fol. 2.

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Dieser Radiosender hatte auch in Deutschland erheblichen Einfluss im Vergleich zu Möglichkeiten, die politischer Opposition unter dem faschistischen Terror blieben.407

Georgi Dimitroff mag auch an einem EKKI-Vertreter in Spanien gelegen gewesen sein, der weniger polarisierend als Walter Ulbricht auf die Vertreter der Sozialistischen Arbeiterinternationale (SAI) und der Kommunistischen Parteien in Spanien wirkte. In Franz Dahlem hatte er sicherlich einen geeigneten Diplomaten gefunden, der in der Lage war, die Interbrigaden „als Bestandteile der spanischen Volksarmee in Zusammenarbeit mit dem Politbüro der KPS sowie die Volksfront aller Kämpfenden zu organisieren“408.

Die These Horst Blumbergs, wonach Franz Dahlem in Paris Druck auf den Prager Vorstand der SPD ausüben sollte, um zu einem offiziellen Bündnis mit der SPD zu kommen, bestätigt sich anhand der Quellen auch für Spanien. Walter Ulbricht spricht in einem Brief an Franz Dahlem vom 10. Januar 1937 von der „Aktivierung der in Spanien anwesenden Sozialdemokraten, um die SPD im Land unter Druck zu setzen“409.

Vertreter der SPD und der SAI besuchten in Spanien insbesondere die Internationalen Brigaden, in denen auch Sozialdemokraten für die Einheits- und Volksfront und gegen den Faschismus gemeinsam mit Kommunisten kämpften, um ihre Verantwortung abzu- schwächen. Sozialdemokratische Parteien in England und in Frankreich hatten sich auf eine Politik der Nichtintervention zurückgezogen, obwohl es offensichtlich war, dass sich Deutschland und Italien nicht an die Nichtintervention hielten.

Franz Dahlem nahm an den Verhandlungen in Annemasse (Schweiz) zwischen Vertretern der SAI und der Komintern im Juni 1937 teil, um die Hilfsmassnahmen für die spanische Republik zu koordinieren. 410 Die Verhandlungen führten jedoch nicht zu einer engeren Zusammenarbeit. Franz Dahlem fasste sie zusammen:

„Ich konstatiere, wie der Kamerad de Brouckère, dass wir in Annemasse festgestellt haben, dass wir in den allgemeinen Linien eins waren.“411

Ursache war die öffentliche Distanz, die die nationalen englischen und deutschen Parteiführungen zur Komintern halten wollten.412 Bei einem Besuch in Spanien im September

407 Elisabeth Kohlhaas, „Die Flamme des Weltbrandes an ihrem Ursprung austreten…“ Der kommunistische Deutsche Freiheitssender 29,8, in: Exilforschung 8/1990, S. 46-60, hier: S. 46. 408 SAPMO SgY 30/1078, fol. 90. 409 Walter Ulbricht, Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Aufsätzen, Bd. II: 1933- 1946, 2. Zusatzband, Berlin 1968, S. 78. 410 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133, fol. 150. Vertreter der SAI: Louis de Brouckère, Friedrich Adler. Vertreter der Komintern: Florimond Bonte, Marcel Cachin, Pedro Checa, Franz Dahlem, Luigi Longo. 411 SAPMO SgY 11/V 237/5/104. Vgl. auch: Ursula Langkau-Alex, Deutsche Volksfront 1932-1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. Zweiter Band: Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront, Berlin 2004, S. 166.

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1937 vertrat Louis de Brouckère diese Haltung. Franz Dahlem empfing ihn in Valencia und berichtete Walter Ulbricht nach Paris, dass diese sozialdemokratischen Besuche in Spanien allenfalls für die kommunistische Propaganda nützlich sind, weil nach Dahlems Auffassung Sozialdemokraten413 in der „spanischen Atmosphäre Lieder pfiffen, die nicht im Einklang mit ihren späteren Handlungen standen“414.

Louis de Brouckère beschwor öffentlich die „internationale Volksfront gegen den Faschismus“415, nannte aber gegenüber Franz Dahlem und später gegenüber General Deutsch im persönlichen Gespräch die Vereinigte Sozialistische Partei Kataloniens (PSUC) unter dem Einfluss der Komintern und das entstandene Übergewicht der Kommunisten in der spanischen Regierung als Hauptursachen für die Distanz der englischen Regierung. 416 Deshalb versuchte de Brouckère Largo Caballero und den rechten Flügel der spanischen Sozialisten und Gewerkschaften zu unterstützen.417 Das diente auch dazu, die von der SAI nicht gewollte Vereinigung der spanischen Sozialdemokraten und Kommunisten zu einer Einheitspartei zu verhindern, für die Franz Dahlem im August 1937 eine „wirkliche Massenbewegung bei den sozialistischen Arbeitern“418 sah.

3. Kampf gegen innere und äußere Gegner

In Spanien sah sich Franz Dahlem aber auch politischen Gruppen gegenüber, die für die Komintern als Parteifeinde galten, vor allem Anhängern der POUM („Trotzkisten“) und Anarchisten. Das betraf auch die deutschen Gegner in SAP und KPD-O. So forderte Ulbricht von Dahlem kurz nach dessen Ankunft in Spanien im Januar 1937:

„Es ist notwendig, für die internationale Presse mehr Material gegen die trotzkistische Politik in Spanien zu veröffentlichen und in diesem Zusammenhang zu zeigen, die Übereinstimmung der trotzkistischen Kräfte der POUM mit der trotzkistischen Unterstützung durch die SAP- Führung und Brandler-Thalheimer.“419

Die „trotzkistischen Kräfte“ blieben, wie in den gleichzeitig ablaufenden Schauprozessen und „Säuberungen“ in der Sowjetunion auch die Hauptfeinde in Spanien. In seinen Berichten an das Sekretariat in Paris und damit an das EKKI in Moskau unterstrich Dahlem die Schuld der

412 SAPMO SgY 30/1078, fol. 91. 413 Beispielsweise Friedrich Adler, Walther Schevenels, . 414 SAPMO NY 4072/207, fol. 60. 415 Ebd. 416 Ebd., fol. 63. 417 SAPMO NY 4072/114. Unveröffentlichter Teil des Manuskripts zu Dahlem, Vorabend, Bd. 1, S. 61. 418 SAPMO NY 4072/207, fol. 48, 57. 419 Ebd., fol. 12.

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POUM vor allem am militärisch ungünstigen Verlauf des Krieges und am geringen Produktionsniveau der Kriegsindustrie:

„Es hat sich verhängnisvoll ausgewirkt, dass man der POUM, dieser Franco-Agentur, allzu lange freies Spiel ließ, dass der Einfluss der POUM auch in der Führung der CNT sich so aus- wirkte, dass entgegen den Anforderungen, die der Krieg stellte, die Kriegsindustrie nicht auf Hochleistung umgestellt wurde.“420

In seinen Berichten gab Dahlem regelmäßig an, wie der Stand der Bekämpfung der „Trotzkisten“ war, den er scheinbar auch aktiv unterstützt hat. Seinem Schreiben vom 12. Oktober 1937 an das Sekretariat nach Paris legte er den verschlüsselten Gesamtbericht über die „Trotzkisten“, insbesondere der SAP und der KPD-Opposition, bei: „Er wird Euch und uns jetzt die Möglichkeit geben, frontal diese Bande anzugreifen.“ Dahlem meldete auch, dass „eine ganze Reihe gefährlicher Nester liquidiert“ wurden.421 Dieser Bericht bedeutete auch das Ende des politischen und militärischen Einflusses dieser Gruppen in den Augen Franz Dahlems:

„Da es jetzt gelungen ist, die feindliche Gruppe zu liquidieren, die uns sehr im Wege stand, ist die Aussicht vorhanden, dass die Konzerte [Kampfoperationen] jetzt bald wieder besser durchgeführt werden können. Die Instrumente [Waffen, Rüstungsgüter] sind vollzählig zur Stelle.“422

Als zuständiger höchster Politkommissar der deutschen Interbrigadisten sorgte Dahlem umfassend für die KPD-Kader, die Parteilosen und die Sozialdemokraten, aber ehemalige Mitglieder der KPD, „Renegaten“ und Abweichler, hatten das Nachsehen.

Die Zusammenarbeit mit den Anarchisten in Spanien hingegen war anfangs wesentlich besser, auch wenn es von Anfang an ideologische Konflikte gab. Das lag zum einen an ihrem erfolgreichen militärischen Einsatz für die spanische demokratische Republik und andererseits an ihrer Massenbasis im spanischen Volk. Ulbricht forderte Dahlem Anfang 1937 auf, die Zusammenarbeit mit den Anarchisten besonders hervorzuheben. 423 Im Kriegsverlauf und mit dem Ausbau der Massenbasis der KPS wurden auch die Anarchisten immer mehr in den Hintergrund gedrängt.

Zu den Überprüfungen, die Franz Dahlem in Spanien durchführte, zählten auch ganz normale Schutzmaßnahmen, die wirkliche Gegner in den eigenen Reihen finden und ausschließen

420 Ebd., fol. 24. Vermutlich Bericht von Franz Dahlem, Ende März 1937. Vgl. auch: Ebd., fol. 31. Bericht von Franz Dahlem an die Parteiführung der KPD zur inneren Lage in Spanien, 1. Aug. 1937. 421 Ebd., fol. 68. 422 Ebd. 423 Ulbricht, Arbeiterbewegung, Bd. II, 2. Zusatzband, S. 78.

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sollten. Dazu gehörte die routinemäßige Überprüfung von Neuankömmlingen. So forderte Dahlem von Walter Ulbricht:

„Ebenso solltet ihr uns konkrete Mitteilung machen, wenn solche Freunde hierher kommen wie Gladewitz, Keller usw. Bis jetzt müssen wir immer davon ausgehen, da man sie hierher schickt, dass gegen sie nichts vorliegt.“424

Auch in seinem Abschlussbericht an die Komintern spricht er von der „Liquidation der aufgedeckten Gestapoagenten“425. Näheres entzieht sich bislang der Kenntnis des Historikers, weil andere Quellen nicht vorhanden sind.

4. Kaderschutz und Kaderausbildung

In erster Linie ging es Franz Dahlem um den Schutz der Kader. Die erste Pflicht der KPD in Deutschland war der Sturz Hitlers und des Faschismus, ihr Hauptkampfgebiet lag also dort im illegalen Widerstandskampf. Vor seiner Abreise nach Spanien Ende Dezember 1936 schrieb er an das Politbüro, dass „wir jene Kader, auf denen die Arbeit im Lande beruht, unter keinen Umständen für die Hilfe in Spanien in Anspruch nehmen“426. Abgesehen von dieser Linie, die die KPD auch gegenüber den anderen kommunistischen Parteien vertrat und ihre eigene Glaubwürdigkeit bewies, wollte die KPD und insbesondere Franz Dahlem die an der Waffe ausgebildeten und im Kampf erprobten Kader vor Gefahren schützen, zumal die Internationalen Brigaden insgesamt hohe Verluste verzeichneten und der Anteil von Spaniern in ihnen spätestens im Mai 1937 höher war als der der internationalen Kämpfer. Um die verbliebenen Kämpfer für den Widerstand in Deutschland zu erhalten, wollte er bereits nach der Schlacht am Jarama Ende Februar 1937 in Absprache mit sowjetischen Instrukteuren:

„die Internationalen nur noch als Kader in den spanischen Verbänden verwenden: als Instrukteure, in gemischten MG-Kompanien, Aufklärungskompanien, Stosstruppen und anderen technischen Kommandohöhen“427 sowie Kriegsbetrieben. Diese Linie führte aber oft zu Konflikten mit André Marty, der im Gegenteil gerade Deutsche an den gefährlichsten Orten eingesetzt sehen wollte.

424 SAPMO NY 4072/207, fol. 68. Vgl. auch: SgY 11/V 237/4/87: Franz Dahlem bittet Richard Stahlmann und Kurt Hager um sorgfältige Prüfung der Schülerlisten für die Parteikurse. 425 SAPMO NY 4072/207, fol. 97. 426 SAPMO NY 4072/207, fol. 2. 427 Ebd., fol. 14.

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Als Franz Dahlem Fritz Rettmann beauftragte, der Parteiführung der KPD in Paris von den schweren Verlusten des Bataillons Edgar André zu berichten, wollte Marty Rettmann als Deserteur anklagen.428 Solange das politische Schwergewicht Dahlem in Spanien auf die KPD-Kader aufpasste, liefen solche Konflikte glimpflich ab und konnte das Schlimmste vermieden werden. Dahlems Nachfolger Karl Mewis hingegen hatte gegen den mächtigeren Marty oft genug das Nachsehen.

Franz Dahlem empfahl dem Sekretariat des ZK der KPD die „neue großzügige Mobilisierung von Freiwilligen in den verschiedenen Ländern“ und meinte damit vor allem Freiwillige aus Frankreich, Italien und Polen. 429 Dass die deutsche Partei keinen Spielraum für weitere opferreiche Einsätze vor dem Hintergrund der eignen unermesslichen Verluste an Kadern im Deutschen Reich hatte, war für Dahlem auch deshalb klar, da er den monatlich personellen Ersatz der Internationalen Brigaden im August 1937 auf 700 bis 800 Mann schätzte.430 Franz Dahlem wollte vielmehr die eigenen Kader retten, was Linie der Parteiführung der KPD war.

Dazu gehörte auch die Errichtung eines Sanitätsdienstes, der militärisch als eigene Waffen- gattung dient. Dieser Sanitätsdienst der Internationalen Brigaden sollte für alle Nationen zuständig sein. Seine Aufgabe war ursprünglich als Auskunftsdienst gedacht, der den Angehörigen melden sollte, welcher Interbrigadist in Spanien verwundet oder gefallen war.431 Die Politische Kommission der Internationalen Brigaden beauftragte auf Vorschlag Franz Dahlems Gustav Gundelach mit der Bildung eines Sanitätsdienstes, der neben der Registrierung aller Brigadisten in spanischen Hospitälern auch den Aufbau der eigenen Infrastruktur vorsah. Gustav Gundelach erinnerte sich nach dem Krieg:

„Dahlem begründete seinen Vorschlag mit dem Hinweis auf die nicht zu verantwortende Lage vieler Verwundeter der Internationalen Brigaden. Notwendig sei die Schaffung weiterer eigener Hospitäler und der Ausbau der bereits vorhandenen.“432

Dahlems Plan sah nicht nur die Registrierung der Interbrigadisten in spanischen Hospitälern vor, sondern auch deren Versorgung und Betreuung. Dazu zählten grundlegende Dinge wie die Auszahlung der Löhnung, Post- und Literaturversorgung der Erschöpften und Verwundeten.

Dem Sekretariat des EKKI schlug Dahlem vor, einen Verantwortlichen der Kommunistischen Partei Spaniens zu benennen, der beurteilen sollte, wer aus den Brigaden herausgenommen

428 SAPMO NY 4072/154, fol. 177. 429 SAPMO NY 4072/207, fol. 39. Schreiben an das ZK der KPD vom 2. August 1937. 430 Ebd., fol. 50. 431 SAPMO NY 4066/3, fol. 190. 432 Ebd., fol. 194.

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werden sollte. 433 Damit wollte Dahlem nach seiner Ablösung durch Karl Mewis den deutschen Kaderschutz dauerhaft gegen André Marty durchsetzen.

Den Aufenthalt in Spanien nutzte Dahlem auch zu Ausbildung und Übung des Kadernachwuchs. Er eröffnete in Benicàssim die deutsche Parteischule. Franz Dahlem hatte selbst in den zwanziger Jahren regelmäßig an der Parteischule bei Berlin Vorträge gehalten. Die deutschen Faschisten hatten die Schule natürlich geschlossen. Ein Ersatz bot sich nun in Spanien, wo die Mitglieder der KPD theoretisch und praktisch auf den Kampf gegen den Faschismus vorbereitet werden und gleichzeitig die Erholung am Mittelmeer genießen konnten.434

XV. PARTEILEITER IN PARIS

1. Walter Ulbrichts Abberufung

Während Dahlems Spanienaufenthalt leitete Walter Ulbricht die Auslandsgruppe des Politbüros der KPD in Paris allein. 435 Er profitierte kurz nach dem Beginn des Spanienaufenthalts Dahlems von der am 28. Februar 1937 in Absprache mit dem EKKI beschlossenen Auflösung des Politbüros. Seine Funktionen wurden einem Sekretariat übertragen, dessen Mitglieder Ulbricht, Dahlem und Merker waren, „wobei Ulbricht verantwortlich für die Leitung des Sekretariats gemacht [wurde]“ 436 . Dieser Beschluss bedeutete die Übernahme der Leitung der KPD durch Walter Ulbricht und einen Bedeutungsgewinn gegenüber Franz Dahlem, mit dem er die Auslandsleitung nach der politischen Wende vor dem VII. Weltkongress im Rahmen des Politbüros gleichberechtigt, ähnlich der zweier römischen Konsuln, übernommen hatte.

Franz Dahlem war in Spanien weit weg und Walter Ulbrichts Wort, obwohl das Sekretariat formell ein kollektives Organ blieb, entscheidend. Paul Bertz trat als Kandidat in das Sekretariat ein. Er übernahm die Kaderfragen und die Leitung des Apparats des Sekretariats. Walter Ulbricht hatte den Rücken frei, um sich allein auf die politische Leitung, „ins- besondere mit der Arbeit nach dem Lande und Verstärkung der Initiative der Schaffung der Einheitsfront und Volksfront“437 zu konzentrieren.

433 SAPMO NY 4072/207, fol. 97. 434 SAPMO NY 4072/154, fol. 1. 435 SAPMO DY 30/9970, fol. 87. 436 SAPMO RY 1/I 2/3/20. 437 Ebd.

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Walter Ulbricht führte auch die Verhandlungen für die KPD im Volksfrontausschuss in Paris. Sein Status wurde dort also ebenfalls aufgewertet. Allerdings verschärfte sich der Konflikt zwischen den Vertretern der KPD unter Ulbrichts Leitung und den übrigen Vertretern, insbesondere Heinrich Mann, Max Braun und Rudolf Breitscheid. Verstärkt wurde dieser Konflikt durch die einzige Konkurrenz, die für Ulbricht in Paris noch geblieben war: Willi Münzenberg.

Im Oktober 1937 eskalierte die Situation, als einige Mitglieder des Volksfrontausschusses einen Beschwerdebrief an den stellvertretenden Parteivorsitzenden Wilhelm Pieck richteten. Im Verlauf des Konflikts wurden Walter Ulbricht aus Paris und Franz Dahlem aus Spanien nach Moskau berufen. Franz Dahlem reiste als Luxemburger Charles Pointek438 nach Paris, wo er erstmals nach einem Jahr direkt ein Bild vom Ernst der Lage im Volksfrontausschuss und von der Lage im Sekretariat bekam. Franz Dahlem beschrieb die Situation in Paris, die er Anfang Dezember 1937 vorfand, im unveröffentlichten Teil des Manuskripts seiner Lebenserinnerungen:

„keineswegs war ich davon zu überzeugen, dass die von Heinrich Mann und Rudolf Breitscheid zu jener Zeit eingenommene Fronttellung unter klarer Federführung von Max Braun gegenüber unserer operativen Leitung, ja gegenüber Genossen Ulbricht persönlich, unvermeidbar gewesen wäre. […] Jetzt war mir auch bewusst, dass diese Lage im Pariser Volksfrontausschuss bei den baldigen Beratungen in Moskau, also beim EKKI eine beachtliche Rolle spielen und wohl auch nicht ohne Folgen bleiben würde.“439

Ende Januar 1938 trafen Walter Ulbricht und Franz Dahlem in Moskau ein, wo eine Aussprache mit der Leitung der Komintern stattfand. Franz Dahlem erinnerte sich:

„Am heftigsten äußerte sich damals Genosse Dimitroff selbst, der […] gegenüber Genossen Ulbricht sehr drastisch wurde und von dessen sattsam bekannten preußischen Feldwebelmethoden sprach, an denen der Ausschuss in Paris zugrunde gegangen wäre. […] So war bereits am Ende dieser Beratung voraussehbar, dass Walter wohl kaum als Leiter des Sekretariats nach Paris zurückkehren würde.“440

Warum entschied sich die Komintern, d.h. Georgi Dimitroff, für Franz Dahlem als Leiter des Sekretariats der KPD in Paris und schob Ulbricht als deutschen Vertreter an das EKKI ab?

438 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133. 439 SAPMO NY 4072/114, fol. 64, 65. 440 Ebd., fol. 156.

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Von welchen Erwartungen Dimitroffs sprach Herbert Wehner, die Dahlem dann in Paris nicht erfüllt habe?441 Dahlem selbst meinte, dass er die

„höchste Auszeichnung für [seine] Arbeit in Spanien erhielt [, als er] vom Sekretariat des EKKI und durch die Kommandierung als Leiter der Arbeit für Deutschland und als Sekretär der Auslandsleitung in Paris“442 nach Frankreich geschickt wurde. Diese Aussage ist grundsätzlich richtig. Georgi Dimitroff kannte Dahlem schon länger. Er schätzte vermutlich sein diplomatisches Geschick, das er in Spanien im Umgang mit Vertretern der SAI, aber auch allen einfachen SPD-Mitgliedern bewiesen hatte. Er sollte an diese Kontakte anknüpfen und sie in Paris ausbauen, um den Volksfrontausschuss wieder zu beleben. Für die Arbeit nach Deutschland konnte Dahlem sowohl seine illegale Arbeit in und nach dem Reichsgebiet als auch seine spanischen Erfahrungen einbringen. Dahlem besaß genaue Kenntnis der politischen und militärischen Lage, aber auch von der deutschen Intervention in Spanien, die von der faschistischen Reichsregierung abgestritten wurde. Nicht unbeachtlich dürfte bei der Vergabe des Sekretärspostens in Paris an Dahlem auch der „Fall“ Münzenberg gewesen sein. Mit Münzenberg arbeitete Dahlem einige Jahre früher noch eng zusammen.

2. Terror gegen die Komintern

Der Fall Münzenberg stand mit den innerparteilichen „Säuberungen“ in Moskau in Verbindung, die bei Dahlems Moskauer Aufenthalt einen neuen beschämenden Höhepunkt im „Prozess über die Strafsache des antisowjetischen Blocks der Rechten und Trotzkisten“ im März 1938 erreichten. Während des Prozesses gegen (Leo Trotzki), Karl Radek und andere ein Jahr zuvor war Dahlem in Spanien und soll „damals nur vom Krieg in Spanien gesprochen haben“443.

Vom 2. bis 13. März 1938 nimmt er offiziell für die KPD am Schauprozess gegen Bucharin und andere teil. Seine Eindrücke von diesem Prozess wollte er in seinen Lebenserinnerungen veröffentlichen. Sie wurden aber erst nach seinem Tod in den „Beiträgen zur Geschichte der Arbeiterbewegung“444 zugänglich. Darin gab er zu, beim Prozess:

441 Wehner, Zeugnis, S. 239. 442 SAPMO DY 30/9970, fol. 56. 443 Wehner, Zeugnis, S. 182. 444 Franz Dahlem, Nachgelassenes. Ausgelassenes. Über einen Prozess und die Schwierigkeiten seiner richtigen Beurteilung, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 32/1990, Heft 1, S. 17-25.

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„aufgrund der Anklagen und vor allem der eigenen umfassenden Geständnisse der Angeklagten innerlich davon überzeugt [gewesen zu sein], dass sie zu Verrätern herabgesunken“445 waren. Diese Überzeugung spiegelt sich auch in den Artikeln wieder, die Dahlem und der mit ihm zum Prozess abgeordnete Bohumír Šmeral (KPTsch) schrieben.446 Die beiden kurzen Artikel sind sich ähnlich, weil Dahlem und Šmeral den Wahrheitsgehalt der Geständnisse der Angeklagten, insbesondere gegen die Kritik seitens der Sozialdemokraten, verteidigten. Die Angeklagten hatten in den Augen Dahlems und Šmerals eine faire Chance: „wie im lebendigen Spiel von Frage und Antwort alle Angeklagten auf die kleinsten Details eingingen“447.

Die Zweifel der Sozialisten rührten angeblich von deren eigener Schuld an der Machtübernahme der Faschisten her. Diese unsachliche Argumentation beschädigte das Verhältnis zur SAI und zu den deutschen Sozialdemokraten insbesondere. Diese Politik der Komintern belastete die Arbeit an der Einheitsfront und im Volksfrontausschuss. Die Schuld am Scheitern der Pariser Verhandlungen lag also nicht allein bei Walter Ulbricht.

Selbst wenn anzunehmen ist, dass sich für Franz Dahlem ein abgerundetes Bild der Schuld im „Prozess gegen die Rechten und Trotzkisten“ vor dem Hintergrund seiner spanischen Erlebnisse ergeben hat, ist es fraglich, ob Dahlem erst 1950 beim Beginn des Schauprozesses in Ungarn und kurz darauf in der Tschechoslowakei „von schwerwiegenden, nicht mehr verstummenden inneren Zweifeln [an Wahrheitsgehalt der Aussagen und Rechtmäßigkeit der Verfahren] erfasst“448 wurde.

Denn kurz nach seiner Rückkehr aus Spanien zu Beginn des Jahres 1938 erzählte ihm Wilhelm Pieck in „großer Erregung“ und mit „Tränen in den Augen“ von den jüngsten Verhaftungen sowohl von Mitgliedern der KPdSU und anderer Kominternparteien:

„Jedoch wären gewiss einige Genossen in diesem Zusammenhang fälschlich beschuldigt worden. Das würde auch für einige unserer Genossen zutreffen. Deshalb habe er [Wilhelm

445 Ebd., S. 18. 446 Franz Dahlem, Nach dem Prozess gegen die Verschwörer des „Blocks der Rechten und Trotzkisten“. Wer gegen die Sowjetunion ist, hilft dem Faschismus, in: Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung 7/1938, Nr. 18, S. 571-573. Vgl. auch: Bohumír Šmeral, Eine internationale konterrevolutionäre Verschwörung gegen Frieden zerschmettert, in: Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung 7/1938, Nr. 16, S. 484-485. 447 Dahlem, Prozess, S. 572. 448 Dahlem, Ausgelassenes, S. 21.

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Pieck] sich persönlich in Briefen an Genossen Stalin gewandt und gemeinsam mit Genossen Dimitroff in einigen Fällen Einspruch erhoben.“449

Franz Dahlem hatte bereits in Moskau direkten Einblick in die Verfolgung der eigenen Genossen. Auch die Allgegenwart des Terrors und die Spuren, die er im gesellschaftlichen Leben hinterließ, können Dahlem nicht unberührt gelassen haben. Da aber auf Dimitroffs und Piecks Initiative zur Rettung der Verhafteten nur wenige Unschuldige freikamen, ist es unwahrscheinlich, dass Franz Dahlem mehr für deren Rettung hätte tun können.

Nichtsdestotrotz belastete der Terror in der Sowjetunion den Kampf gegen den tatsächlichen Hauptfeind: den deutschen Faschismus, insbesondere in der Emigration, schwer. Aber auch der Arbeit in Deutschland wurde Schaden schon allein deshalb zugefügt, weil bewährte Genossen der KPD in diesem Kampf fehlten, die Opfer des Terrors Stalins und seiner Helfer wurden.

Franz Dahlems politische Verantwortung liegt nicht nur darin, als Mitglied des ZK der KPD und als Mitglied des Politbüros der KPD alle Beschlüsse zur Unterstützung der „Säube- rungen“ mitgetragen zu haben, sondern darin, immer auch aktiv gegen die vermeintlichen „Parteifeinde“ gekämpft zu haben: "„[…] wann und wo sie auftraten, habe ich sie erledigt.“450 Dahlem hat das später bedauert und aus den Zeitumständen sowie seiner eigenen Überzeugung zu erklären versucht. Er fand zu einem kritischen Verhältnis zu den Prozessen und zu Stalin. Wie bei vielen „Stalinisten“ bedeutete die eigene Kritik niemals die völlige Abkehr von Stalin. Maurice Thorez, Generalsekretär der KPF, mit dem Franz Dahlem in Paris zusammenarbeitete, formulierte es für die Zeit nach dem XX. Parteitag der KPdSU wie folgt:

„Que de boue ce Khrouchtchev à fait retomber sur nous tous! Il a sali un passé éclatant, lumineux, héroïque. Quelle honte! Staline avait commis des erreurs, violé la légalité, sévi contre des bons camarades. Qu'on le critique, même très durement s'il le faut mais de la à le couvrir de boue […] C'est avec lui qu'a été gagnée la plus terrible des guerres et si l'Union soviétique est ce qu'elle est, c'est grâce au Parti Bolchevique dirigé par Staline.“451

Bei Dahlem heißt es weniger scharf, aber in der Aussage ähnlich:

„Das Bild Stalins in der historischen Wertung ist aufgrund dieser Tatsachen [der Parteitagsrede Chruschtschows] differenzierter geworden, aber das bedeutet für mich weder, dass ich mich des grenzenlosen Vertrauens heute schämen würde, welches ich dem

449 SAPMO NY 4072/114, fol. 99. 450 SAPMO ZPKK, Verhör Franz Dahlems am 14. Nov. 1953. 451 Giulio Ceretti, À l’ombre de deux T. 40 ans avec Maurice Thorez et Palmiro Togliatti, Paris 1973, S. 343.

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Generalsekretär der KPdSU damals entgegenbrachte, noch, dass ich es zurücknehmen möchte.“

Für Franz Dahlem, wie für die meisten Funktionäre seiner Generation, wogen die „unerschütterliche Treue zur Sowjetunion und zur KPdSU […] um die Verwirklichung der Ziele des Kommunismus“452 als Alternative zu Kapitalismus und Faschismus die Verbrechen Stalins auf.

3. Leiter des Sekretariats in Paris

Jedenfalls war, wie Dahlem richtig feststellte,

„die Ablösung von Walter Ulbricht als Leiter des Sekretariats des ZK im Mai 1938 und die Übernahme der Parteivertretung bei der Komintern in Ablösung von kein einfacher Funktionswechsel“453, sondern eine Funktionsenthebung Ulbrichts, der durch Dahlem ersetzt wurde. Franz Dahlem dachte in seinen Erinnerungen an seine eigene spätere Funktionsenthebung 1953. Auch Ulbricht wurde seiner Funktionen 1938 enthoben, nur geriet er nicht in das „Räderwerk“ der „Säuberungen“, sondern tauchte in der deutschen Kommission des EKKI ab. Im höchsten Gremium der KPD, dem Sekretariat in Paris, war Ulbricht nicht mehr vertreten. Erst nach dem Sieg über den deutschen Faschismus war Ulbricht wieder, wie Franz Dahlem, Mitglied des Politbüros. Horst Blumberg beschrieb es korrekt, dass Franz Dahlem nach seiner Abreise von Moskau am 14. Juni 1938 „faktisch wie zuvor in Paris Walter Ulbricht die Funktion eines Generalsekretärs der Partei“ 454 versah. Franz Dahlem befand sich jetzt auf dem Höhepunkt seiner Parteikarriere.

Als er in Paris ankam, übernahm er die direkte Anleitung der KPD. Die unmittelbar wichtigste Aufgabe bestand darin, den Volksfrontausschuss wieder zu aktivieren. Wenn Georgi Dimitroff Erfolge „erwartete“, dann sicherlich von der flexibleren und diplomatischen Weise, in der Dahlem verhandelte. Diese hatte sich schon in dem Einheitsfrontgespräch mit Hans Vogel und Friedrich Stampfer im November 1935 gegenüber Ulbricht angedeutet. 1936 führten die „grundverschiedenen Konzeptionen“ 455 Ulbrichts und Dahlems zum Konflikt. Walter Ulbricht wollte über Abkommen mit den Parteiführungen, insbesondere mit der SPD

452 Dahlem, Ausgelassenes, S. 21. 453 SAPMO DY 30/9994, fol. 79. 454 Blumberg, Biographie, S. 8. 455 Langkau-Alex, Volksfront II, S. 46.

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zu einer Einheits- und Volksfront gelangen. Noch nach seiner Abberufung aus Paris verteidigte er die Einheitsfront als Verständigung über den gemeinsamen Kampf, der „in Deutschland zu einer Aktionsplattform führen“456 sollte. Franz Dahlem wollte mehr über persönliche Verbindungen erreichen, weil er für diese Abkommen keine Chance sah. Seiner Meinung nach musste man die SPD-Vertreter unterstützen, weil sie nur inoffiziell in Paris verhandelten und der Parteivorstand der SPD den Verhandlungen nicht zustimmte.

Das Ziel die KPD als führende Oppositionskraft zur Geltung zu bringen und ihr im Deutschland nach Hitler einen führenden, wenn nicht den führenden Platz zu sichern, war dasselbe, der Weg ein anderer:

„Unsere Politik bestand darin als unermüdliche Initiatoren der Einheitsfront und Volksfront der Partei eine anerkannte Autorität bei allen oppositionellen Gruppen, Kreisen, Persön- lichkeiten der Politemigration zu schaffen, um auf einer Basis des Vertrauens die Form der politischen Zusammenarbeit zu finden.“457

Mit der „Form“ spielte Dahlem auf Ulbrichts Priorität für Abkommen an. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass Walter Ulbrichts Taktik der Abkommen der Außenpolitik der Sowjetunion näherstand und sie widerspiegelte, da die sowjetische Außen- politik die Option für ein kollektives Sicherheitssystem mit England und Frankreich noch nicht ad acta gelegt hatte.

4. Der „Fall“ Münzenberg

Dahlem konnte gut mit Willi Münzenberg zusammenarbeiten458, auch wenn das Verhältnis nie „persönlich-freundschaftlicher Art“459 [1935/36] war. Nach seiner Ankunft in Paris 1938 forderte Dahlem Willi Münzenberg auf, zur Untersuchung nach Moskau zu fahren. Dieses letzte Gespräch führte Dahlem nur ungern. In seinen Erinnerungen sprach er davon, dass er sich dieses Auftrags des ZK der KPD „entledigt“460 habe.

Das mag stimmen, aber 1938 arbeitete Dahlem sehr aktiv an dem Ausschluss Münzenbergs, wie er auch jeden anderen „Parteifeind“ bekämpfte. Dahlem musste aus eigener Anschauung

456 SAPMO RY 1/I 2/3/288, fol. 189. 457 SAPMO NY 4036/515, fol. 191. 458 Langkau-Alex, Volksfront II, S. 49. 459 Dahlem, Vorabend, Bd. 1, S. 227. 460 Ebd., S. 225.

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wissen, was Münzenberg erwartete. In der Vernehmung vor der ZPKK gibt Dahlem 1953 zu Protokoll:

„Ich habe Münzenberg ausgeschlossen, ich habe auch den Ausschlussantrag für Münzenberg eingebracht und versucht, ihn nach Moskau zu bringen.“461

Bekanntlich weigerte sich Münzenberg, da er in Moskau unter falschen Anschuldigungen ermordet worden wäre. Dahlem würdigte zwar in seinen Erinnerungen Münzenbergs Verdienste, hielt ihn aber immer noch für einen „gewissenlosen Denunzianten, der mit der französischen Polizei zusammenarbeitete“ 462 . Er gab ihm insbesondere die Schuld an Verhaftungen von KPD-Emigranten, die die französische Polizei bei Kriegsbeginn durchführte.463

Willi Münzenberg war für die KPD und für Dahlem in Paris 1938 zum zusätzlichen Problem bei den Volksfrontverhandlungen geworden. Willi Münzenberg vertrat konsequent eine anti- faschistische Linie, die auf den Anspruch der KPD, führende Kraft nach dem Sturz Hitlers zu werden, verzichtete. Der Sturz Hitlers und dessen faschistischen Regimes hatten für ihn Prio- rität. Dafür war Münzenberg bereit, mit allen antifaschistischen politischen Gruppen bedingungslos zusammenzuarbeiten, was in Bezug auf das Ausmaß der Grausamkeit der deutschen Faschisten politisch geboten war. Mit dieser Politik geriet er in Konflikt zur KPD. Franz Dahlem gab es prägnant wieder, als er schrieb, dass Münzenberg den Zusammenschluss der deutschen Opposition auch ohne die KPD oder als deren bloßes „Anhängsel“464 wollte. Es gelang Dahlem, Münzenberg weitgehend zu isolieren, der aber ein Störfaktor für die KPD in den Pariser Verhandlungen zur Einheits- und Volksfront blieb. Ein Bericht aus Paris nach Moskau macht es deutlich:

„Das Verhältnis von [Franz Dahlem] und der gesamten Leitung zu den sozialistischen Freunden wurde […] immer schlechter durch die Unterbrechung der Volksfrontverhandlung in Paris. Natürlich war die Triebkraft dieser Verschlechterung der Münzenberg.“465

Als Erfolg verbuchte Dahlem für die KPD, dass sein enger Mitarbeiter Otto Katz (André Simone) sich von Münzenberg lossagte, was Münzenberg empfindlich traf.466

461 SAPMO ZPKK, Befragung Franz Dahlems am 20. April 1953. 462 SAPMO NY 4036/515, fol. 190. 463 Dahlem, Vorabend, Bd. 1, S. 231. 464 SAPMO NY 4036/515, fol. 190. 465 SAPMO RY 1/I 2/3/288, fol. 238. 466 Dahlem, Vorabend, Bd. 1, S. 234.

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5. Die letzte Bastion

Einen großen politischen Erfolg bei den neuerlichen Verhandlungen zur Volksfront verdankte Dahlem gerade Otto Katz, dem es gelang, Thomas Mann im September 1938 zur Gründung eines Ausschusses zu bewegen, mit dem dieser „eine Leitung der deutschen Opposition in der Emigration“467 schaffen wollte.

Dahlem stellte fest, dass der Thomas-Mann-Ausschuss „aufgrund der bestehenden Diffe- renzen in der Frage des gemeinsamen Auftretens […] noch zu keiner politischen Arbeit“ kam. Das wiederum, weil sich drei Mitglieder (Friedrich Stampfer, Max Braun und Hermann Rauschning) weigerten, einen von Thomas Mann entworfenen Aufruf zu unterschreiben.468 Die Politik der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ Willi Münzenbergs und Franz Dahlems zeitigte nur begrenzte Erfolge. Zu einem Zusammenschluss der deutschen Opposition führte sie nicht.

In seinem Lebenslauf in der Kaderakte der Komintern vermerkte Franz Dahlem für seine Tätigkeit als Verantwortlicher des Sekretariats auch: „Ausbau der deutschen Volkszeitung Paris zu einer Volksfrontzeitung“469. Tatsächlich war seine Bedeutung als Redakteur, was auch sein „bürgerlicher“ Beruf war, nie so groß wie 1938/1939 in Paris. Leitender Redakteur war er 1919/1920 für die „Sozialistische Republik“. Als solcher hatte er einen Anteil am Beitritt der USPD Köln zur Komintern und ihrer Vereinigung mit der KPD.

1938/1939 versuchte Dahlem über das KPD-Organ „Deutsche Volkszeitung“ Einheits- und Volksfront zu verwirklichen. Dabei gab er ihr in Bezug auf die Berner Konferenz, den Parteitag der KPD in Paris, eine neue Ausrichtung.

Er setzte sich, nachdem alle Verhandlungen mit bürgerlichen und sozialdemokratischen Gruppen gescheitert waren, nachdrücklich für den Sturz Hitlers und die Vermeidung des imperialistischen Krieges ein. Er ging in seinen Artikeln für die DVZ davon aus, dass sich der Krieg zuerst gegen Frankreich richten würde, weil dort die Beute für die Faschisten größer sei und das faschistische Deutschland die Kriegsziele von 1914 verfolge.470

Zu Beginn des Jahres 1939 versuchte er, nachdem Einheits- und Volksfrontverhandlungen gescheitert waren, wenigstens den politischen Kontakt aufrecht zu erhalten und eine Diskussion in Gang zu setzen. Gemeinsam mit Paul Merker übersandte er am 23. Februar

467 SAPMO NY 4036/515, fol. 191. 468 Langkau-Alex, Volksfront II, S. 451. 469 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133, fol. 150. 470 SAPMO NY 4072/59, fol. 1. Artikel vom 12. Feb. 1939.

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1939 den „werten Kameraden“ den Beitrag Wilhelm Piecks von der Berner Konferenz und bat um Stellungnahme.471 Der Parteivorstand der SPD lehnte Absprachen aber ab.472

Franz Dahlem hoffte auf ein gemeinsames Auftreten mit Friedrich Stampfer und Julius Deutsch. Er kannte den Sozialdemokraten Julius Deutsch aus Spanien, wo dieser General war und an den Verhandlungen Dahlems mit der SAI teilnahm. Das gemeinsame Erlebnis internationaler Solidarität gegen den deutschen und italienischen Faschismus im Krieg führte auch in Paris zu einer erfolgreichen persönlichen Zusammenarbeit „bei der Betreuung und Unterbringung der Spanienkämpfer“ und der Fühlungnahme mit der SAI „nach dem Beispiel unserer Zusammenarbeit in Spanien“473.

Mit Julius Deutsch erreichte Dahlem Ende März 1939 einen gemeinsamen Aufruf der KPD, der KPÖ, des Arbeitsausschusses deutscher Sozialisten und der Revolutionären Sozialisten Österreichs. Der Aufruf an die deutschen und österreichischen Arbeiter warnte vor dem künftigen Krieg und seinen Auswirkungen, rief zum Kampf für die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei und zum solidarischen passiven Widerstandskampf auf.474

Da nur ein sehr begrenzter persönlicher Kreis das Dokument entwarf und der Aufruf kein gemeinsames organisatorisches Vorgehen, etwa im Rahmen einer Einheitspartei der Arbeiter, vorsah, konnte Dahlem ihn auch in seinen Erinnerungen nur als „halben Schritt zur Einheitsfront“475 bezeichnen.

Der Aufruf vom März 1939 erschien bereits, nachdem England und Frankreich im Münchener Abkommen nach Spanien auch die Tschechoslowakei dem faschistischen Deutschland und seinem Terror geopfert hatten. Für Sowjetunion und Komintern stellte sich die Frage nach der Perspektive ihrer Bemühungen um ein System der kollektiven Sicherheit. Sie kehrten zur alten Einheitsfrontpolitik zurück.

Wilhelm Pieck, stellvertretender Vorsitzender der KPD, war zwischen September 1938 und Februar 1939 in Paris.476 Auf dem dort stattfindenden Parteitag, der Berner Konferenz, sagte er, nachdem er die Begünstigung des Faschismus durch England und Frankreich konstatierte, dass die KPD die „sozialdemokratischen Massen von ihren Führern“ trennen und zur Einheitsfront mit der KPD zu führen habe.477 Den „Massen“ sei der „elementare Unterschied

471 Ebd., fol. 8. 472 Ebd., fol. 10. 473 SAPMO NY 4036/515, fol. 191. 474 Dahlem, Vorabend, Bd. 2, S. 86. 475 Ebd., S. 88. 476 SAPMO DY 30/9994, fol. 77. 477 SAPMO RY 1/I 1/1/44, fol. 16.

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zwischen den kapitalistischen Staaten und der Sowjetunion“ 478 aufzuzeigen. Die Einheitspartei der Arbeiterklasse sollte das Ziel sein, aber Wilhelm Pieck sah für sie auf der Berner Konferenz „keine ernsthaften Ansätze“479.

Zwar gab Franz Dahlem die Aussicht auf Einheits- und Volksfront nicht auf, aber ihm muss bewusst gewesen sein, wie ernst die internationale Situation tatsächlich war. Er schätzte die Kriegsgefahr, die von Hitler und seinen Anhängern ausging, richtig ein, als er die deutsche Opposition in einem Artikel in der DVZ vom 2. April 1939 aufrief:

„Der Feind des deutschen Volkes heißt Hitler. Einigen wir uns im Kampf gegen den gemeinsamen Feind, das personifizierte nationale Unglück Deutschlands.“480

Franz Dahlem benannte richtig den Schuldigen an der bedrohlichen internationalen Situation und dem Terror in Deutschland: Adolf Hitler. Entsprechend richtete er auch den politischen Kontakt zum Parteivorstand der SPD aus. Zu Händen Hans Vogels forderte er am 23. April 1939 erneut eine Verständigung, „um parallel einheitliche Schritte im Kampfe der deutschen Antifaschisten gegen die […] Kriegspolitik Hitlers“ 481 einzuleiten. Dabei waren dem Sekretariat der KPD, insbesondere Franz Dahlem, zwei Dinge wichtig.

Zum einen der Sturz des Faschismus. Dieser sollte im Kriegsfall „durch das Umdrehen der Waffen“ gewaltsam erfolgen. Zum anderen sollten die Arbeiter die Betriebe durch Streiks übernehmen, sollten sie bereits in die faschistische gepresst worden sein durch die Übernahme der „Befehlsgewalt in den Formationen“.482 Diese Vorschläge waren seitens des Sekretariats kein „Manöver“, sondern ernst gemeint. Sie forderten genau das, was Adolf Hitler am meisten fürchtete: „ein neues 1918“. Also der kurze Zeitraum, in dem die deutsche Arbeiterklasse tatsächlich die Chance einer sozialen Revolution hatte und insbesondere in der Armee über soviel Macht verfügen konnte, dass selbst die Kriegstreiber Wilhelm II., Hindenburg und Ludendorff keine weitere Offensive mehr wagten. Diese Vorstellung Dahlems war im Jahr 1939 zu idealistisch, zu sehr von seinen eigenen Erfahrungen 1918/19 geprägt. Soldaten und Arbeiter im faschistischen Deutschland vertraten kaum diese Ansichten, zudem hatte gerade der faschistische Terror der KPD schwere Verluste zugefügt, sodass diese Politik nicht hätte umgesetzt werden können. Trotzdem bleibt es das Verdienst der Strukturen der KPD im In- und Ausland, den Widerstand nicht aufgegeben zu haben und auf die Beseitigung des Regimes in Deutschland hingearbeitet zu haben.

478 Ebd., fol. 17. 479 Ebd., fol. 20. 480 SAPMO NY 4072/59, fol. 42. 481 Ebd., fol. 46. 482 Ebd., fol. 48.

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Der Parteivorstand der SPD scheute in letzter Konsequenz davor zurück, gemeinsam mit der KPD den Faschismus zu stürzen und schob entweder „die Verhältnisse in der Sowjetunion“ oder die unklaren Konturen der von der Berner Konferenz der KPD geforderten „neuen demokratischen Republik“ gegen eine engere Zusammenarbeit vor. Selbst eine Anfrage Franz Dahlems an Max Braun, den Vertreter der SPD in Frankreich, die alten Verein- barungen zwischen KPD und SPD wieder zu aktivieren, blieb unbeantwortet.483

Im selben Artikel zur „Aktionseinheit“ in der DVZ vom 14. Mai 1939 zitierte Dahlem Georgi Dimitroff, der davon ausging, dass die Einheitsfront unter dem Druck der Massen zustandekommen würde. Diese Annahme findet sich auch in der Rede Wilhelm Piecks auf der Berner Konferenz wieder. Für Wilhelm Pieck war die Antikriegsstimmung in Deutschland vor der Münchener Konferenz dafür bezeichnend.484 Das Sekretariat des ZK der KPD in Paris unter der Leitung von Franz Dahlem erhielt dazu die Verbindung nach Deutschland ständig aufrecht.

Größtes Interesse hatte das Sekretariat deshalb an den Streiks der Bergarbeiter und bei den Bauarbeiten am „Westwall“. Die Gestapo vermerkte in ihrem Lagebericht im Juli 1939 ausdrücklich, dass diese Ereignisse nicht von den „Auslandsleitungen“ der KPD ausgingen, sondern „Elemente“ vor Ort dafür verantwortlich waren.485 Gleichwohl musste sie der KPD zugestehen, dass die „Arbeitsniederlegungen“ und „Sabotageakte“ am Westwall und im Bergbau Erfolge der Kommunisten waren, weil die KPD die „Lohn- und Preisfrage als Ausgangspunkt der Betrachtung und Verhetzung“ nahm.486

Schon 1938 konnte die Gestapo nicht von einer bloßen „Abwehr- oder Verteidigungsstellung der KPD“ sprechen, obwohl deren einheitliche Organisation zerstört war. Sie sprach ihr viel- mehr weiterhin „aggressiven zersetzenden Charakter“ zu.487 Der Parteileiter der KPD in Paris Franz Dahlem hielt diesen „aggressiv zersetzenden Charakter“ aufrecht und verstärkte ihn noch dadurch, dass er, wie auf der Berner Konferenz beschlossen, die Arbeit nach Deutschland durch Instrukteure verstärken wollte, die möglichst in den Betrieben aktiv sein sollten, da im Kriegsfall eine Verbindung nach Deutschland aus dem Ausland nicht mehr möglich war.488

483 Ebd., fol. 55. 484 SAPMO RY 1/I 1/1/44, fol. 13. 485 Margot Pikarski, Elke Warning (Hrsg.), Gestapo-Berichte über den antifaschistischen Widerstandskampf der KPD 1933-1939, Berlin 1989, S. 209. 486 Ebd., S. 208. 487 Ebd., S. 187. 488 Ebd., S. 197.

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Der politische Leiter der Deutschen in Spanien Franz Dahlem schickte ehemalige Interbri- gadisten als Instrukteure nach Deutschland.489 Sie waren militärisch, politisch und für den illegalen Kampf gegen Hitler, teilweise von ihm selbst, ausgebildet. Zudem hatten sie Kenntnis von den neusten Beschlüssen der KPD. Wenn die Beobachtungen der Gestapo richtig waren, begann das Sekretariat der KPD unter Dahlems Leitung damit, ehemalige Interbrigadisten auch in das „Protektorat Böhmen und Mähren“ zu schicken, um dort durch „die Auslösung von Unruhen und Verübung von Sabotageakten eine besondere Wirkung auf die westlichen Demokratien“490 zu erzielen. Interessant ist dieser Vermerk auch, weil die KPD versuchte, gerade in dem nichtdeutschsprachigen Gebiet den legitimen nationalen Befreiungskampf zu unterstützen.

6. Verbindung zu Thälmann, Konflikt mit Ulbricht

Ein weiterer deutlicher Beweis dafür, dass die KPD unter Franz Dahlems Leitung von Paris aus direkt in Deutschland aktiv war, war die dauernde Verbindung zu Ernst Thälmann, der seit 1933 ohne Anklage und ohne Prozess von Adolf Hitler als eine Art Hausgefangener in Haft gehalten wurde.

Als Kurier zu Thälmann fungierte Walter Trautzsch („Edwin“), der nach der Übernahme des Sekretariats der KPD von Franz Dahlem angeleitet wurde. Im Februar 1939 bemerkte die Gestapo den falschen Pass „Edwins“ und verhaftete ihn. Walter Trautzsch erklärte der Gestapo Militärspion zu sein. Franz Dahlem hatte ihm für den Fall einer Verhaftung empfohlen, auf ein Angebot zur Mitarbeit für die Gestapo einzugehen, um zum Bericht nach Paris zurückzukehren.491

Zwar bestätigten nach dem Krieg gefundene Gestapo-Akten, dass Trautzsch tatsächlich nur zum Schein auf das Angebot einging492, aber der Vorfall führte zum Abriss der Verbindung zu Ernst Thälmann und zum anderen zu einem weiteren Konflikt mit den KPD-Vertretern in Moskau. Insbesondere Walter Ulbricht kritisierte Dahlems Entscheidung nachträglich:

489 Ebd., S. 198. Die meisten Spanienkämpfer wurden nach dem Ende des Spanienkrieges in den französischen Lagern St. Cyprien, Gurs und Argelès-sur-Mer interniert. Das Sekretariat der KPD in Paris betreute ca. 1500 deutsche und österreichische Spanienkämpfer. Vgl. dazu: SAPMO DY 30/9986, fol. 36. 490 Ebd., S. 216. 491 Eberhard Czichon, Heinz Marohn, Ralph Dobrawa, Thälmann. Ein Report, Bd. 2 1933-1944, Berlin 2010, S. 807. Vgl. auch: SAPMO NY 4072/114, fol. 327. 492 SAPMO NY 4072/114, fol. 329.

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„Die Mitteilung über Edwin ist außerordentlich peinlich, zumal noch nicht ganz Klarheit darüber ist, wie lang dieser Mensch [Walter Trautzsch] ein Spiel mit uns getrieben hat.“493

Der Umgang mit dem Thälmann-Kurier Walter Trautzsch blieb aber nicht die einzige Streitfrage zwischen Paris und Moskau. Walter Ulbricht versuchte, anderthalb Jahre nach seiner Funktionsenthebung als Parteileiter wieder entscheidenen Einfluss auf die Partei- führung zu nehmen. Er gab dem Sekretariat der KPD in Paris „Ratschläge“, z.B. zur Popularisierung der „Geschichte der KPdSU(B)“494 und zur Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes der vom Faschismus unterdrückten Völker, die „uns Hitler selbst als Bundesgenossen zu seinem Sturz zugeführt hat“495.

Walter Ulbricht ließ nichts unversucht, um wieder die Leitung der Partei zu übernehmen. Er wollte, dass „fortlaufend Informationen über die im Land tätigen Instrukteure und leitenden Kader“ 496 nach Moskau gesandt wurden. Er ging so weit, eigene Broschüren und Druckschriften von Moskau nach Deutschland schicken zu wollen, an denen das Sekretariat in Paris nicht beteiligt werden sollte.497 Damit stellte er die Autorität der Parteiführung in Paris, d.h. Franz Dahlems in Frage.

Selbst der geduldige und zurückhaltende Dahlem war über die Angriffe verärgert. Am 20. Juni 1939 schrieb er an Walter Ulbricht: „Deine Bemerkungen über die Linie der Parteiführung [d.h. Franz Dahlems] und die Rolle der Mitarbeiter hauen daneben.“498 In einer Sekretariatssitzung im Juli 1939 verlas Dahlem die Ratschläge Ulbrichts, wobei er süffisant im nichtveröffentlichten Teil seiner Erinnerungen feststellt, dass

„bei einigen Sätzen Paul Bertz [Kaderleiter] seine Stirn in Falten legte und Paul Merker [Emigration, Gewerkschaften, Einheitsfront, ‚Stellvertreter Dahlems’] einige bissige Zwi- schenrufe nicht unterdrücken konnte. Mit seinem Sarkasmus schoss der zu allen Zeiten recht ‚respektlose‘ Gerhart Eisler den Vogel ab, als er zum Abschluss lächelnd äußerte: ‚Münch- hausens Waldhorn ist da unter der Junisonne Moskaus aufgetaut, so dass wir jetzt seine vom Frost befreiten Töne zu hören bekommen.“499

Diese Erzählung Dahlems zeigt, dass er mit den Mitarbeitern gut zusammenarbeitete und dass beispielsweise die Erinnerung Hermann Axens, wonach: „Für jeden Genossen in der Pariser Emigration […] war klar, dass die entscheidende Führung der Partei von den

493 SAPMO NY 4036/504, fol. 1. Walter Ulbricht an Franz Dahlem, 9. April 1939. 494 Ebd., fol. 5, 16. 495 SAPMO NY 4072/115, fol. 376. 496 SAPMO NY 4036/504, fol. 19. Walter Ulbricht an Franz Dahlem, 13. Juni 1939. 497 Ebd., fol. 25. Walter Ulbricht an Franz Dahlem, 25. Juni 1939. 498 SAPMO NY 4036/504, fol. 24. 499 SAPMO NY 4072/115, fol. 378.

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Genossen in Moskau ausging.“500 nicht der Realität entsprach. Die Leitung der Partei im Westen und nach Deutschland lag bei Franz Dahlem in Paris. Das wurde von seinen engsten Mitarbeitern sowie von den Parteimitgliedern vor Ort nicht in Frage gestellt. Walter Ulbricht stellte das in Frage.

7. Orientierungslosigkeit in Paris

Die persönlichen Ambitionen Ulbrichts sind nur ein Aspekt des Konflikts zwischen Moskau und Paris, aber nicht der entscheidende. Abgesehen von den persönlichen Konflikten, standen die Moskauer Genossen und insbesondere Walter Ulbricht dem Zentrum der kommu- nistischen Macht näher. Entscheidend war die politische Differenz zwischen der besser informierten KPD-Gruppe und dem viel zu spät auf die neue Moskauer Linie reagierenden Sekretariat in Paris.

Für die KPD-Funktionäre Franz Dahlem, Paul Merker, Paul Bertz und Gerhart Eisler und mit ihnen für die gesamte KPD-Emigration war immer noch die Linie des VII. Weltkongresses der Komintern Richtschnur ihres Handelns. Diese war ja auch offiziell nicht durch einen Beschluss des EKKI, eines Weltkongresses oder Parteitags geändert worden. Diese Linie von Volks- und Einheitsfront spiegelt sich auch noch in den Beschlüssen des letzten Parteitags der KPD vor dem Krieg, der Berner Konferenz, wieder. Die Berner Konferenz bedeutete nicht, wie Ulrich Pfeil annimmt, eine Abkehr von der Volksfrontpolitik und eine „Rückorientierung zu der 1935 aufgegebenen Sozialfaschismus-Verketzerung und einen völligen Abbruch der Bündnisangebote an die SPD“ 501 , sondern enthielt im Gegenteil Postulate, die der Politik der Sowjetunion im Verlauf des Jahres 1939 entgegengesetzt waren.

Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht konnten in Moskau annehmen, dass sich die Politik der Sowjetunion ändern würde, weil sie dort besser informiert waren. Denn nach dem Münchener Abkommen und der Annexion des noch bestehenden Staatsterritoriums der Tschechos- lowakei im März 1939 war es nicht mehr undenkbar, dass Stalin für ein Abkommen mit Deutschland eintreten würde. Diese ungeheuerliche Vorstellung für den Weltkommunismus konnten Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht natürlich nicht offen aussprechen.

Allerdings zeigt die Korrespondenz zwischen Paris und Moskau deutlich, dass sie sich diesem Umschwung anpassten. So wies Ulbricht immer wieder auf ein Lieblingsprojekt

500 SAPMO DY 30/9996, fol. 6. 501 Ulrich Pfeil, Das Pariser Auslandssekretariat der KPD im August/September 1939. Ein neuralgischer Punkt in der Geschichte des deutschen Kommunismus, in: Anne Saint Sauveur-Henn (Hrsg.), Fluchtziel Paris. Die deutschsprachige Emigration 1933-1940, Berlin 2002, S. 137-152, hier: S. 143.

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Stalins, die „Geschichte der KPdSU(B)“, hin, das vom Sekretariat verbreitet werden sollte, um „einen breiten Meinungsaustausch im Lande über die Grundfragen des Aufbaus und des Kampfes der illegalen kommunistischen Partei zu entwickeln“502.

Diese Druckschrift vertritt die politische Auffassung Stalins vom Kampf gegen angebliche Abweichler und Verräter und sie steht konträr zu einem Kompromiss mit dem bürgerlichen Parlamentarismus und der Sozialdemokratie. Ulbricht passte sich der Linie sofort an, aber Dahlem nicht. Franz Dahlem fühlte sich durch die offiziellen Verlautbarungen sowjetischer Politiker, wie z.B. die Forderung Molotows nach einem konkreten Abkommen mit England und Frankreich vom 31. Mai 1939, in der Linie des breiten Antifaschismus bestätigt.503

Aber Wilhelm Pieck versuchte, das Sekretariat zu einer Änderung der Linie zu bewegen. Bereits am 7. Mai 1939 schrieb Pieck an Dahlem, die Resolution der Berner Konferenz der KPD erst nach dem Abschluss der Bündnisverträge mit England und Frankreich zu veröffentlichen, weil bei diesen Ländern „große Schwankungen“ festzustellen seien. Der stellvertretende Parteivorsitzende Pieck drängte auch darauf, dass in dem Entwurf der Resolution die Bedeutung der Sowjetunion „als eine selbstständige Kraft gegenüber den faschistischen Aggressoren und zur Sicherung des Friedens“504 herausgestellt werden sollte. Vor diesem Hintergrund kam es Pieck darauf an, Frankreich und England für ihr Zögern zu kritisieren und in der Parteipresse nicht von einem unmittelbar bevorstehenden Abschluss der Bündnisverträge auszugehen.

Die Resolution der Berner Konferenz sollte nach Piecks Auffassung das Monopolkapital als „Auftraggeber des Hitlerfaschismus“ benennen und auf die bürgerrechtlichen Forderungen der neuen demokratischen Republik verzichten.505 Zu diesen Forderungen zählte auch eine „Wirtschaftspolitik, die der Hebung des Volkswohlstandes und dem Frieden dient“ und die den „Schutz des bäuerlichen und mittelständischen Eigentums“ garantiert.506 Der Begriff der „Volksfront“ wurde im Entwurf der Resolution als „Unterordnung der Sonderinteressen aller Hitlergegner unter das Gesamtinteresse der deutschen Nation“507 definiert. Die Einheitsfront von SPD und KPD sollte die Massenbewegung gegen den deutschen Faschismus leiten, um

502 Ulbricht, Aus Reden und Aufsätzen, Bd. II: 1933-1946, 2. Zusatzband, S. 193. 503 SAPMO DY 30/9970, fol. 111. 504 SAPMO NY 4036/504, fol. 5. 505 Ebd., fol. 6. 506 Klaus Mammach (Hrsg.), Die Berner Konferenz der KPD (30. Januar - 1. Februar 1939), Berlin 1974, S. 138. 507 Ebd., S. 129.

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ihn zu stürzen. Pieck empfahl Dahlem aber, die „Mobilisierung der Massen“ durch die KPD zu propagieren.508

Mit den Postulaten zu Einheits- und Volksfront wollte die KPD ursprünglich ihre Bündnis- fähigkeit stärken, damit sie weiterhin mit bürgerlichen und anderen sozialistischen Parteien erfolgreiche Verhandlungen über eine Volksfront führen konnte. Stattdessen empfahl Pieck die Rückkehr zur alten Parteilinie der KPD und brachte damit die KPD in Paris mit Dahlem an der Spitze in Bedrängnis. Die KPD selbst und ihr Gastgeber, die KPF, waren auf „Front populaire“ orientiert, auch ihre Mitglieder waren von der alten Linie gerade nach der Niederlage in Spanien und den Eroberungen Deutschlands und Italiens überzeugt.

Dahlem scheint sich nicht darüber klar gewesen zu sein, warum Pieck und Ulbricht aus Moskau das Gegenteil von dem wollten, was doch offensichtliche Linie sein musste. Vermutlich sah er die Moskauer Empfehlungen als Einmischung des zurückgesetzten Ulbricht an. Dimitroff, der Dahlem in Paris einsetzte, gehörte ja nach wie vor zu denjenigen, die eine offene kommunistische Bündnispolitik vertraten. Franz Dahlem konnte sich der Unterstützung des Generalsekretärs der Komintern sicher sein.

Der Konflikt mit der deutschen Vertretung in Moskau setzte sich fort. Pieck fragte Dahlem mit Schreiben vom 3. Juni 1939, wieso das Manifest der Berner Konferenz entgegen seinen Einwänden doch veröffentlicht wurde.509 Dahlem widersprach in einem Schreiben an Walter Ulbricht vom 20. Juni 1939, das Manifest in der Parteipresse veröffentlicht zu haben. Tatsächlich findet es sich in den Ausgaben der „Deutschen Volkszeitung“ (Paris) zwischen dem ersten Schreiben Piecks vom 7. Mai und seinem zweiten vom 3. Juni 1939 nicht. Franz Dahlem plante im Gegenteil die Herausgabe einer überarbeiteten Version. 510 Von einer grundsätzlichen Differenz oder gar dem Ausscheren Dahlems kann keine Rede sein.

8. Das Unmögliche

Auch außenpolitisch stritten die deutschen Vertreter in Moskau und das Sekretariat in Paris. Anlass war das Münchener Abkommen, in dem England und Frankreich dem deutschen und italienischen Faschismus wieder den großen Krieg erspart und ihnen die Tschechoslowakei ausgeliefert hatten. Stalin orientierte auf eine Verständigung mit dem Deutschen Reich,

508 SAPMO NY 4036/504, fol. 6 509 SAPMO NY 4036/504, fol. 12. 510 SAPMO NY 4036/504, fol. 24.

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obwohl er davon ausging, dass Hitler jede vertragliche Vereinbarung brechen würde, um die Sowjetunion anzugreifen. Der Zeitgewinn war für Stalin entscheidend.

Dass es zu einem Krieg zwischen der Sowjetunion und dem faschistischen Deutschland kommen würde, war jedem führenden Politiker klar. Die deutschen Genossen, insbesondere Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht, passten sich dem an. Wilhelm Pieck forderte das Sekretariat auf, in der Parteipresse herauszustellen, dass die Sowjetunion „eine selbständige Kraft gegenüber den faschistischen Aggressoren und zur Sicherung des Friedens“511 war, weil England und Frankreich im Münchener Abkommen Hitler nachgegeben hätten.

Es gab schon Mitte 1939 Differenzen über die Einschätzung des kommenden Krieges, wobei die deutschen KPD-Vertreter in Moskau von einem imperialistischen Krieg ausgingen, wohingegen Dahlem, aber auch Thorez und Togliatti in Paris, mit denen er eng zusammen- arbeitete, von einem antifaschistischen Krieg sprachen.512

Wegen des Abbruchs der Verbindung zu Thälmann513 und seines flexiblen Umgangs mit den Regeln der Konspiration sollte Dahlem vermutlich bereits im März 1939 nach Moskau zum Bericht reisen. In Moskau wäre auch über den Kurs des Sekretariats der KPD entschieden und eventuell Dahlem ersetzt worden. Aber Dahlem erklärte seine verzögerte Abreise aus Paris mit Schwierigkeiten bei der Ausstellung seines Passes, d.h. einer illegalen Identität. Das fiel auf. So berichtete [Anton Ackermann] am 21. März 1939 nach Moskau:

„Es fällt auf, dass Jean [Franz Dahlem] seit dem 23. Februar 1939 mit seiner Frau ohne Buch [Pass] ist. Obwohl er es schon öfter zu neuer Bestätigung weiterleiten musste, hat die Sache doch noch nie so lange gedauert.“514

Aber es war nicht ungewöhnlich, dass illegale Pässe schwierig herzustellen waren und gerade bei einem Spitzenfunktionär wie Franz Dahlem, den problemlosen Grenzübertritt ermöglichen sollten. Gerade war der Thälmann-Kurier Walter Trautzsch wegen eines falschen Passes von der Gestapo an der Grenze verhaftet worden und ihr nur sehr schwer wieder entkommen. Franz Dahlem konnte also auf die Probleme der Passabteilung verweisen und hat auch später immer wieder unterstrichen, dass er deswegen nicht unmittelbar nach Moskau zum Bericht vor dem Sekretariat des EKKI515 fahren konnte.

511 Ebd., fol. 5. 512 SAPMO DY 30/9980, fol. 113. 513 SAPMO NY 4036/504, fol. 9. Moskauer Genossen an Sekretariat in Paris am 8. Mai 1939: „Schickt schnellstens Untersuchungsergebnis über Edwin.“ 514 SAPMO RY 1/I 2/3/288, fol. 239. Vgl. auch: Wehner, Notizen, S. 185. Wehner erinnerte sich: „Merker und Dahlem kommen wegen Passschwierigkeiten nicht nach Moskau.“ 515 SAPMO NY 4072/115, fol. 489.

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Die Probleme mit der Ausstellung seines Passes, selbst wenn vorgeschoben, sind wahr- scheinlich der Grund, nicht schon früher nach Moskau gefahren zu sein. Über kurz oder lang hätte Dahlem fahren müssen. Für die Zeit nach dem 21. August 1939 ist festzustellen, dass er über einen gültigen Pass verfügte und alle Vorbereitungen zur Abreise getroffen waren.

Das geht aus einem Schreiben Käthe Dahlems aus Paris an ihre Tochter in Kopenhagen hervor, in dem sie die Ankunft des Vaters für den 31. August avisiert, der offensichtlich über Kopenhagen nach Moskau wollte. 516 Dahlem ging sogar als Handwerker verkleidet zur Beschleunigung der Passausstellung direkt in die Zentrale der KPF zum zuständigen Sekretär Marcel Gitton. 517 Es ist vor dem Hintergrund des Abschlusses des deutsch-sowjetischen Handelsvertrags und der innerparteilichen Probleme wahrscheinlich, dass Dahlem dringend nach Moskau reisen wollte. Erst am 28. August, nach Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, waren auch Paul Bertz und Paul Merker „unter diesen Umständen“518 mit einer Verschiebung der Reise nach Moskau einverstanden.

Eine direkte Reise nach Moskau kam nicht mehr in Frage, aber Dahlem ließ über Paul Bertz einen weiteren Pass mit einem „unverdächtigen Reiseziel“ für sich vorbereiten.519 Ihm zu unterstellen, er hätte die Reise seit Bestehen der Passschwierigkeiten, also seit Februar 1939, verzögert, um nach Abschluss eines Nichtangriffspaktes zwischen der Sowjetunion und Deutschland eine antifaschistische Linie der kollektiven Sicherheit umzusetzen, überschätzt die Voraussicht Dahlems, sein Wissen im August 1939 und seinen Charakter als überzeugter Kominternspitzenfunktionär. Die Abreise war vorerst auch gar nicht dringlich, denn keine kommunistische Partei in Frankreich oder England rechnete mit dem Abschluss des deutsch- sowjetischen Nichtangriffsvertrages.

Es gab zwar Gerüchte, aber niemand in Paris hielt es für wahrscheinlich, dass es zu einer Verständigung zwischen Hitler und Stalin kommen könnte. Franz Dahlem berichtete im unveröffentlichten Teil seiner Erinnerungen, dass Walter Ulbricht „damals alle Gerüchte über den bevorstehenden Abschluss als ‚Naziparolen‘ zurückgewiesen“ 520 hätte, auch wenn Ulbricht es besser gewusst haben dürfte.

Die KPF unter der Leitung von Maurice Thorez, das KPD-Sekretariat und die Parteiapparate waren auf einen antifaschistischen Krieg eingestellt. Sollte dieser Krieg ausbrechen, würde die Sowjetunion, so nahmen sie an, auf Seiten Englands und Frankreichs stehen. Die

516 Ebd., fol. 487. 517 Ebd. 518 Dahlem, Vorabend, Bd. 2, S. 407. 519 Ebd., S. 397. 520 SAPMO NY 4072/115, fol. 425.

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kommunistischen Parteien könnten legal bleiben und aktiv an diesem Krieg gegen den deutschen Faschismus teilnehmen. Deshalb war die Meldung über den Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags am 23. August 1939 nicht nur ein „choc" (Wolfgang Leonhard), sondern „un coup de massue sur la tête comme ceux qu‘on donne aux bœufs à l’abattoir“ (Giulio Ceretti) 521 , bei dem blindes Vertrauen, von Stalin als Probe sicherlich so gewollt, entscheidend war.

Franz Dahlem hat sich auf Giulio Ceretti bezogen, mit dem er in Paris zusammenarbeitete und dessen Eindruck er bestätigte. Dahlem erzählte gern die Begegnung seiner Frau Käthe Dahlem mit einem einfachen Genossen der KPF, der die Richtigkeit des Abschlusses des Nichtangriffsvertrages auf die höhere Einsicht Stalins zurückführte. Auch Franz Dahlem dürfte zuerst wie diesen Genossen:

„nur seine unerschütterliche Treue zur Partei und sein unerschütterlicher Glaube an die Sowjetunion und ihre kommunistische Partei aufrecht“522 gehalten haben.

Auch die KPF war vom Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages überrascht und auf die veränderte politische Lage nicht vorbereitet. Die Funktionäre rechneten mit einem erfolgreichen Abschluss der englisch-französisch-sowjetischen Militär- verhandlungen 523 , die zu einer Einkreisung Deutschlands wie zu Beginn des Ersten Weltkriegs geführt hätten. Das bestätigten Raymond Guyot und François Billoux gegenüber Franz Dahlem nach dem Zweiten Weltkrieg.524 François Billoux schickte am 29. August 1939 einen Brief an den Präsidenten der Französischen Republik Albert Lebrun, um ihm mitzuteilen, dass der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag kein Hindernis für die KPF sei, gegen Hitler zu kämpfen.525

9. Reaktion der KPF

Das Ziel der Mehrheit der führenden Kader der KPF nach dem Abschluss des Nichtangriffsvertrages war der Erhalt der Legalität der Partei, um den antifaschistischen

521 Ceretti, À l’ombre, S. 196. 522 SAPMO NY 4072/115, fol. 472. Vgl. auch: Ceretti, À l’ombre, S. 196. 523 Maurice Thorez schrieb in „L’Humanité“ vom 25. August 1939: „Les accords militaires restent encore possible si Paris et Londres le veulent.“ Charles Tillon, On chantait rouge. Mémoires pour l’histoire d’un ouvrier breton devenu révolutionnaire professionnel, chef de guerre et ministre, Paris 1977, S. 279. 524 SAPMO NY 4072/212, fol. 72. 525 Maitron, Jean, Claude Pennetier, Dictionnaire biographique du mouvement ouvrier français, Quatrième Partie 1914-1939, Paris 1983, S. 185.

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Widerstandskampf im Rahmen der Strukturen der Französischen Republik fortführen zu können. Von den leitenden Funktionären der KPF waren nur Jacques Duclos und Benoît Frachon für einen schnellen Übergang in die Illegalität. Das bestätigten Georges Gosnat und Arthur Ramette auch gegenüber Franz Dahlem.526

In einem Nachkriegsgespräch mit Vertretern der KPF erfuhr Dahlem, dass es im August 1939 nur einen Plan für die Illegalität im Fall eines faschistischen Putsches gab, wie er vor Entstehung der Front Populaire drohte.527 Ein faschistischer Putsch fand aber in Frankreich nicht statt. Da Maurice Thorez entschieden hatte, dass die KPF legal bleiben sollte, galt dasselbe auch „hinsichtlich der nach Frankreich emigrierten Kader der Bruderparteien“528, wie Georges Cogniot Franz Dahlem berichtete.

Die Linie der Legalität der KPF führte politisch zur Zustimmung zu den Kriegskrediten in der Nationalversammlung am 1. September 1939. Zwei Tage später folgte Maurice Thorez, wie viele andere Kommunisten dem Gestellungsbefehl und begab sich zu seiner Armeeeinheit. Die Mobilisierung führte zu einer weiteren Desorganisation der französischen Partei. Giulio Ceretti sprach von fast allen Föderationssekretären, den Sektionssekretären, 1000 Leitern und einer Anzahl von Mitgliedern des Zentralkomitees. Er kritisierte die Haltung von Maurice Thorez als zu optimistisch. 529 Hinzu kam noch, dass der deutsch-sowjetische Nichtan- griffspakt zu einer Austrittswelle aus der KPF führte und 22 KPF-Abgeordnete von 60 die Parlamentsfraktion verließen.

Die französische Regierung belohnte den Kurs der KPF auf den gemeinsamen Kampf gegen Deutschland nicht. Am 25. August 1939 wurde bereits das Zentralorgan der KPF „L’Humanité“ verboten. Zudem machten in der Nationalversammlung am 29. August 1939 Gerüchte die Runde, wonach die französische Regierung ein Verbot der KPF plane.530

Maurice Thorez scheiterte am Unvereinbaren. Er wollte und musste mit Rücksicht auf die Stimmung der Mitglieder der KPF und der Stimmung in Frankreich den antifaschistischen Kampf öffentlich fortsetzen.

Er schrieb in der letzten legalen „L’Humanité“:

526 SAPMO NY 4072/212, fol. 69, 76. 527 Ebd., fol. 77-79. 528 Ebd., fol. 70. 529 Ceretti, À l’ombre, S. 200. 530 Tillon, On chantait rouge, S. 280.

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„Mais si la guerre éclate contre l’Allemagne les communistes seront au premier rang pour la défense de la sécurité nationale.“531

Andererseits bestand von Seiten der Daladier-Regierung kein Interesse an einer Zusammen- arbeit mit den Kommunisten. Eine Volksfrontregierung, unter der das möglich gewesen wäre, bestand nicht mehr. Léon Blum bedauerte, dass die französische Regierung die Kommunisten nicht in die Landesverteidigung einband. Blum schätzte zu diesem Zeitpunkt Führung und Mitgliedschaft der KPF richtig ein, als er schrieb: „On sait bien qu’ils [les communistes] mourront comme les autres.“532 Bei einem direkten Waffengang gegen Hitlers Wehrmacht hätten die Kommunisten die gleiche Opferbereitschaft wie bei der Verteidigung Madrids gezeigt. Aber eine Volksfront bestand nicht mehr. Der Fehler der KPF bestand in der Unter- schätzung der französischen Regierung, die die Kommunisten auch im Hinblick auf die chauvinistische Stimmung im Land als Verräter und Agenten einer fremden Macht behandelte.

XVI. REGISTRIERUNG DES SEKRETARIATS DER KPD

1. Erklärung zum Nichtangriffsvertrag

Franz Dahlem, Paul Merker, Paul Bertz und Johann Koplenig (KPÖ) trafen sich einen Tag nach dem Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages. Anwesend waren auch Gerhart Eisler und Anton Ackermann, die einen Resolutionsentwurf ausgearbeitet hatten, mit dem das Sekretariat der KPD seinerseits auf die veränderte politische Lage reagieren musste. Natürlich waren sich alle Anwesenden der Bedeutung des Vertragsabschlusses bewusst.

Abgesehen von der grundsätzlichen Zustimmung, die die Resolution zum Ausdruck bringen sollte, war die Meinung im Sekretariat geteilt. Es ist nicht zu belegen, aber auch nicht unwahrscheinlich, dass Paul Merker gesagt haben soll: „Nun machen uns die Russen wieder unsere ganze Politik kaputt.“533 Das zeigte aber nicht seine angeblich antisowjetische Ein- stellung, sondern bezog sich auf die Hoffnung, dass die Sowjetunion, England und Frankreich doch noch zu einem Bündnis kämen, in das sich die deutschen Kommunisten in Westeuropa einordnen konnten. Anton Ackermann, der das Merker-Zitat überliefert hat,

531 Ebd., S. 279. 532 Ebd. 533 BStU, MfS, AU Nr. 192/56, fol. 45.

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bestätigte, dass die Anwesenden auf der Sekretariatssitzung den Abschluss eines Dreierbündnisses noch erwarteten.534

Franz Dahlem hatte mit Maurice Thorez und Palmiro Togliatti gesprochen. In seinen für das Institut für Marxismus-Leninismus geschriebenen Erinnerungen stellt er fest, dass er mit Togliatti und Thorez

„eine einheitliche Politik gegen den Hitlerfaschismus entwickelt [habe], der auch die Entschließung der Auslandsleitung zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt […] entsprach.“535

Der Entwurf536 zur Resolution des Sekretariats der KPD in Paris verteidigte den Vertrag mit der gleichen Argumentation, wie das die KPF in der französischen Nationalversammlung und in „L’Humanité“ vom 24. August 1939 tat. Am Morgen des 24. August 1939 hatten alle Anwesenden der Sekretariatssitzung in „L’Humanité“ sicher die Haltung der KPF zur Kenntnis genommen. Demnach heißt es sowohl in „L’Humanité“ als auch in dem Entwurf des Sekretariats, dass der Nichtangriffsvertrag den Frieden gesichert und die faschistische Aggression aufgehalten habe.537 Wie im Zentralorgan der KPF, so ging auch der Entwurf der KPD von einer Spaltung des „Antikomintern“-Paktes aus.538

Sowohl „L’Humanité“ als auch das Sekretariat zitierten Teile der Rede Stalins vom XVIII. Parteitag.539 In dieser Rede ging Stalin von einem begonnenen „imperialistischen Krieg“ aus. Beobachter nahmen aufgrund dieser Rede im März 1939, als Hitler auch das restliche Staatsgebiet der Tschechoslowakei besetzte, an, dass Stalin einen Kurswechsel ernsthaft in Betracht zog.

Auch Stalins Feststellung, dass sowohl die Politik der Nichtintervention als auch die Absicht der kapitalistischen westeuropäischen Staaten, die faschistische Aggression gegen die Sowjetunion zu lenken, gescheitert seien, fehlte weder in „L’Humanité“ noch im Entwurf des Sekretariats.540 Auch Hitlers Bitte um schnellen Abschluss des Nichtangriffsvertrages wer-

534 SAPMO RY 1/I 2/3/20, fol. 76. 535 SAPMO SgY 30/1078, fol. 92, 93. 536 Vollständig abgedruckt in: Jan Foitzik, Die Kommunistische Partei Deutschlands und der Hitler-Stalin- Pakt. Die Erklärung des Zentralkomitees vom 25. August 1939 im Wortlaut, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 37/1989, Heft 3, S. 499-514. 537 L’Humanité vom 24. Aug. 1939, S. 1. Vgl. auch: Foitzik, Erklärung, S. 504. 538 L’Humanité vom 24. Aug. 1939, S. 1. Vgl. auch: Foitzik, Erklärung, S. 505. 539 L’Humanité vom 24. Aug. 1939, S. 3. Vgl. auch: Foitzik, Erklärung, S. 505. 540 L’Humanité vom 24. Aug. 1939, S. 1. Vgl. auch: Foitzik, Erklärung, S. 507.

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tete „L’Humanité“ als Schwäche, das Sekretariat der KPD sogar als „Kapitulation“. 541 „Kapitulation“ war ein Hitler besonders verhasstes Reizwort. Franz Dahlem und mit ihm die am 24. August anwesenden Sekretariatsmitglieder folgten politisch dem Kurs der KPF.

Der anwesende Gerhart Eisler erinnerte sich: „Wir haben überhaupt nicht für oder gegen den Vertrag diskutiert, sondern nur darüber, wie wir ihn verständlich machen können.“542

Damit spielt er zum einen auf den „Keulenschlag“, den der Nichtangriffsvertrag für die meisten Mitglieder bedeutete an, zum anderen enthält die Stellungnahme des Sekretariats der KPD einen Teil, der auf Deutschland bezogen war. In ihm findet man keinerlei von der bisherigen Linie der KPD abweichende Thesen. Im Gegenteil enthielten die Ergänzungen Angriffe gegen die SAI und den SPD-Parteivorstand sowie Bemerkungen zur NS-Ideologie. Sie forderten die Reichsregierung auf die politischen Gefangenen zu befreien.543 Insofern ist Franz Dahlems Feststellung in seinen veröffentlichten Lebenserinnerungen richtig, dass das Sekretariat diese Stellungnahme in „voller Übereinstimmung“ 544 beschloss. Ebenso hatte Togliatti, der Vertreter des EKKI nichts gegen die Resolution einzuwenden.545

Letztlich druckte die „Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung“ in Basel erst am 31. August 1939 den letzten Teil des Pariser Entwurfs vom 25. August, der auf die Begrüßung des Nichtangriffspakt als „erfolgreiche Friedenstat von Seiten der Sowjetunion“ und einige Forderungen zur nationalen Selbstbestimmung der vom Faschismus unterdrückten Völker und des deutschen Volkes beschränkt wurde. Die Redaktion der „Rundschau“ wies in einer Bemerkung daraufhin, dass nur die „Schlussfolgerungen, die sich auf Deutschland be- ziehen“ veröffentlicht wurden.546

Die „Rundschau“, die in Basel erschien, druckte die Erklärung des Sekretariats nicht vollständig ab, weil in Paris eine gefährliche Lage für die KPF und damit auch für die KPD entstanden war. Trotz der Rücksicht, die man damit auch auf die französische Politik mit der Kürzung noch Ende August 1939 nahm 547 , verhaftete die französische Polizei kommu-

541 L’Humanité vom 24. Aug. 1939, S. 2. Vgl. auch: Foitzik, Erklärung, S. 506. 542 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 749. 543 Foitzik, Erklärung, S. 506-511. 544 Dahlem, Vorabend, Bd. 2, S. 353. 545 SAPMO DY 30/9972, fol. 48. Vgl. auch: SAPMO DY 30/9983, fol. 4: Über die Registrierung konnte Dahlem mit Togliatti (Parteiname Ercoli) nicht mehr sprechen. 546 „Erklärung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands zum Abschluss des Nichtangriffspaktes zwischen der Sowjetunion und Deutschland“, in: Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung 8/1939, Nummer 46, vom 31. Aug. 1939, S. 1323-1324. 547 SAPMO NY 4072/149. Schreiben von Anton Ackermann an Franz Dahlem vom 5. März 1968.

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nistische Emigranten in Paris bereits unmittelbar nach dem Abschluss des Nichtan- griffsvertrages.548

2. Beibehaltung der antifaschistischen Parteilinie

Der Großteil der kommunistischen Emigration war bereits vor Dahlems Ankunft in Paris legal und damit der Polizei bekannt. Schon am 24. August 1939 verhaftete die französische Polizei auch die leitenden Funktionäre Siegfried Rädel, den Leiter der Emigration, und den von Franz Dahlem schon in Spanien sehr geschätzten Redakteur Gerhart Eisler.549 Zudem waren die deutschen und österreichischen Kommunisten der aggressiven „französischen Xenophobie“ kurz vor Kriegsbeginn besonders ausgesetzt, die von Regierungsstellen noch befeuert wurde. 550 Für viele Franzosen, waren sie auf der einen Seite als Kommunisten angeblich im Bündnis mit Hitler und auf der anderen Seite als Deutsche Agenten Hitlers.551 Sie waren also doppelt gefährdet.

Die Verfolgung richtete sich auch direkt gegen den Parteiapparat der KPD. Wie die „L’Humanité“ so besetzte die Polizei auch die Redaktionsräume der „Deutschen Volkszeitung“ und verbot das Erscheinen der Zeitung.552

Paul Merker erinnerte sich:

„Legale Propagandamöglichkeiten gab es jedoch schon wenige Tage später nicht mehr. […] Die Druckereien nahmen von uns keine Aufträge mehr an.“553

Der Apparat der KPD in Paris verlor auch seine Büros, weil die Räume „entmietet“554 wurden und die KPF selbst keine Ausweichquartiere zur Verfügung stellen konnte. Dadurch konnte auch die Registratur des Sekretariats aufgrund der Größe der Emigration und der Bedeutung des Sekretariats nicht mehr untergebracht werden. Lotte Kann kam am Sonntag, den 27. August mit dem ersten Koffer voller Materialien zu Franz und Käthe Dahlem. Es war

548 Dahlem, Vorabend, Bd. 2, S. 379. Vgl. auch: Barbara Vormeier, Dokumentation zur französischen Emigrantenpolitik (1933-1944). Ein Beitrag, in: Hanna Schramm, Menschen in Gurs. Erinnerungen an ein französisches Internierungslager (1940-1941), Worms 1971, S. 157-245, hier: S. 222-223. 549 SAPMO DY 30/9970, fol. 91. Vgl. auch: SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 749. zu den Verhafteten zählten u.a. auch: Walter Beling, Philipp Daub, Erich Jungmann, Ernst Melis und Heinrich Rau. 550 Arthur Koestler, Abschaum der Erde, Berlin 1993, S. 318. Koestler stellte die Xenophobie massenpsychologisch mit dem deutschen Antisemitismus gleich. 551 Vormeier, Emigrantenpolitik, S. 214: Besonders die konservative Presse befeuerte die nationalistische Stimmung. „Bereits seit Frühjahr 1939 wurde in Frankreich in jedem deutschen Flüchtling oder Touristen ein potentieller Geheimagent gesehen.“ 552 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 5400. Die französische Polizei verhaftete Ernst Melis bei dieser Gelegenheit „in den Redaktionsräumen der Deutschen Volkszeitung“. Also schon am 25. August 1939. 553 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 801. 554 Ebd.

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ein großes Problem, die Materialien zu vernichten. 555 Es standen auch keine Ausweich- unterkünfte zur Verfügung.

Die KPF stand selbst unter Druck und konnte nur in Ausnahmefällen helfen. Ihre Mitglieder hatten Angst „Volksfeinden“ zu helfen und sich damit der Gefahr auszusetzen, selbst verhaftet zu werden. Es kam auch vor, dass der Nationalismus „mitunter selbst französische Genossen berührte“556, wie Franz Dahlem nach dem Krieg andeutete.

Hinzu kam, dass der Kurs der Komintern unbestimmt war. Franz Dahlem und das Pariser Sekretariat richteten sich nach der KPF. In der Ausgabe der „Rundschau“ vom 31. August 1939 druckte sie nicht nur die verkürzte Stellungnahme zum Nichtangriffspakt, sondern auch einen Auszug der Rede Maurice Thorez ab, die er am 25. August 1939 vor der französischen Nationalversammlung gehalten hatte. Darin sagte er der französischen Regierung die Unterstützung bei der Landesverteidigung „in den vordersten Reihen“ zu und erklärte die Zustimmung zu den Kriegskrediten. 557 Der Abdruck sollte auch ein Signal der KPD in Frankreich an die Regierung des Gastgeberlandes sein, dass die deutschen Kommunisten auch die antifaschistische Linie fortsetzten und damit für Frankreich kämpfen würden.

Mit der Fortsetzung der antifaschistischen Linie verstieß Franz Dahlem nicht gegen die Linie der Komintern. Denn eine offizielle neue „Linie“ gab es zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht. Georgi Dimitroff und Dmitri Manuilski fragten bei Stalin am 27. August 1939 schriftlich an, ob es richtig sei, dass die französische [und damit auch die deutsche] und englische Partei trotz Verfolgungen durch ihre Regierungen die antifaschistische Linie fortsetzen sollten. Auf diese Anfrage erhielten Dimitroff und Manuilski von Stalin keine Antwort. 558 Georgi Dimitroff schrieb an Stalin:

„We think that the communist party must maintain its position of resistance to the aggression of fascist Germany. It must support the measures aimed at strengthening the defensive capacity of but, at the same time, condition its support of those mesaures by demanding that the party be allowed to express its views openly and to promote its activities.“559

555 Dahlem, Vorabend, Bd. 2, S. 401. 556 SAPMO DY 30/9995, fol. 41. 557 Rundschau vom 31. Aug. 1939, S. 1319. 558 Alexander Dallin, Dimitrov and Stalin 1934-1943. Letters from the Soviet Archives, New Haven 2000, S. 149. 559 Ebd., S. 150.

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Diesen Kurs gab Dimitroff der KPF und der KPG und empfahl Franz Dahlem die Orientierung daran.560 Das tat Franz Dahlem vermutlich erleichtert, weil es die Möglichkeit bot, dass die französische Regierung gegenüber der KPF und der KPD einlenken würde und weil damit der Nichtangriffsvertrag besser in Deutschland gegenüber den Mitgliedern der KPD vermittelt werden konnte. In einem Nachkriegsgespräch erklärte Erwin Dammerow gegenüber Franz Dahlem, dass:

„wir in Deutschland verbliebenen organisierten Kommunisten, die wir noch am Leben waren […] uns [nach Bekanntwerden des Vertragsabschlusses] völlig verraten und verkauft [fühl- ten].“561

Auch wegen dieser anfänglichen Haltung der Kommunisten in Deutschland rief die in der „Rundschau“ abgedruckte Stellungnahme des Sekretariats vom 25. August alle Deutschen im Kriegsfall auf, „für die Niederlage des Naziregimes im Kriege und für den Sturz der Nazis zu kämpfen“ 562 . Insofern kann nicht davon die Rede sein, dass die Stellungnahme des Sekretariats „den vorläufigen Höhepunkt des Eiertanzes, um die ‚Kontinuität‘ der kommunistischen antifaschistischen Linie“563 bedeutete. Franz Dahlems Kurs blieb vorerst mit Zustimmung der Kominternspitze (Dimitroff, Togliatti), der KPF und des Sekretariats der KPD antifaschistisch.

Deshalb stimmt auch die Behauptung nicht, dass der Artikel „Die europäische Tragödie“564 von Hermann Budzislawski: „weitgehend die offizielle Parteilinie und nicht die Meinungs- äußerung eines Einzelgängers“565 wiedergab. Mag Budzislawski das wiedergegeben haben, was auch viele Funktionäre der KPD dachten, niemand hätte Stalin namentlich kritisiert, wie er das tat.566 Sein Artikel lag keinesfalls auf der Linie irgendeiner offiziellen Äußerung. Daher wies das Sekretariat den Beitrag entschieden zurück.567 Der Artikel wurde jedenfalls nicht mit der Genehmigung oder Zustimmung Franz Dahlems veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt vertrat er nach wie vor die „Genialität Stalins“ aus Überzeugung. Im Entwurf zur Stellungnahme vom 25. August 1939 sandte er „dem genialen Führer Genossen Stalin die

560 SAPMO DY 30/9995, fol. 42. 561 SAPMO NY 4072/149, fol. 59. 562 Rundschau vom 31. Aug. 1939, S. 1324. 563 Langkau-Alex, Volksfront II, S. 459. 564 Hermann Budzislawski, Die europäische Tragödie, in: Die neue Weltbühne 35/1939, Nummer 35 vom 31. Aug. 1939, S. 1081-1086. 565 Foitzik, Erklärung, S. 502. 566 Budzislawski, Tragödie, S. 1085f. 567 Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, , Ingrid Kirschey-Feix (Hrsg.), Wer war wer in der DDR? Ein Lexikon ostdeutscher Biographien, Berlin 2010, S. 189.

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heißesten Grüße“568, was nicht nur eine bloße Formel war, die man in jedem bedeutenderen Parteidokument erwähnen musste.

Franz Dahlem und die übrigen Mitglieder des Sekretariats der KPD richteten sich weiterhin nach dem antifaschistischen Kurs, worin sie durch zwei bedeutende Nachrichten unterstützt wurden. Zum einen übermittelte ihnen Gaston Cornavin am 2. September 1939 die Nachricht, dass die Fraktion der KPF den Kriegskrediten in der Nationalversammlung zustimmen und damit ihren Beitrag zur Landesverteidigung leisten würde. 569 Zum anderen konnte das Sekretariat das Manifest der KPG vom 2. September 1939 im „Daily Worker“ zur Kenntnis nehmen. Darin stellte sich die KPG unter Vorsitz Harry Pollitts ebenfalls auf die Seite der Regierung ihrer Majestät, wenn auch ohne Neville Chamberlain. Im Manifest der KPG las das Sekretariat:

„We are in support of all necessary measures to secure the victory of democracy over fascism. […] Now that the nightmare of war is upon us we communists cannot stand aside.“570

Das Sekretariat diskutierte weiter die eigenen Maßnahmen der KPD, d.h. für die deutschen Kommunisten in Frankreich, insbesondere die Spanienkämpfer in den Internierungslagern und die kürzlich Verhafteten. Der SPD-Parteivorstand lehnte eine Einheitsfront, in welcher Form auch immer, weiter ab571, worüber sich der im Sekretariat zuständige Paul Merker in einem Artikel für die „Die Welt“572 äußerte.

Es folgte der Beschluss, sich in Bezug auf die KPD in Frankreich schriftlich an den französischen Premierminister Édouard Daladier zu wenden.573 Über diesen Schritt hatte das Sekretariat bereits am 26. August nach der ersten Verhaftungswelle der französischen Polizei diskutiert 574 , um die eigenen Parteimitglieder wieder frei zu bekommen. Dies war kein ungewöhnlicher Schritt. Im Gegenteil - die Briefpolitik war ein übliches Mittel der Verständigung. So veröffentlichte die Rundschau in Basel einen offenen Brief von Marcel Cachin an Léon Blum.575 Francois Billoux und Jean Cristofol von der KPF schrieben am 29. August 1939 direkt an den Präsidenten der Republik Albert Lebrun, in dem sie sich für

568 Foitzik, Erklärung, S. 504. 569 SAPMO DY 30/9970, fol. 94. 570 John Attfield, Stephen Williams (Hrsg.), 1939. The Communist Party of Great Britain and the War. Proceedings of a Conference held on 21 April 1979. Organised by the Communist Party History Group, London 1984, S. 147, 151. 571 Dahlem, Vorabend, Bd. 2, S. 418. 572 Paul Merker, Die Kommunistischen Parteien und der imperialistische Krieg. Für den Sturz des Naziregimes, für die Volksrevolution, in: Die Welt. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung 1/1939, Nummer 1, 18.-24. Sept. 1939, S. 16-17. 573 SAPMO DY 30/9972, fol. 30. 574 SAPMO RY 1/I 2/3/20, fol. 110. 575 Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung vom 31. August 1939, S. 1319.

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Landesverteidigung und Demokratie gegen den Hitlerfaschismus aussprachen und den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag verteidigten.576

Das Sekretariat wandte sich auf Initiative Dahlems, der als einziger über muttersprachliche Französischkenntnisse verfügte, an Daladier. Der vom 4. September 1939 datierte Brief ist nicht überliefert und konnte bis jetzt nicht in den Archiven ermittelt werden. Kenntnis des Inhalts hatten wohl nur Paul Merker und Paul Bertz.577 Im Brief an Daladier forderte er die Freilassung der kommunistischen Gefangenen und die Möglichkeit zu eigenständiger politischer Betätigung der KPD in Frankreich. Das geht aus einer unveröffentlichten Passage seiner Erinnerungen hervor:

„Wir folgten dem Rat und der Taktik der französischen Partei, als wir den Beschluss fassten, uns in einem Brief an den französischen Ministerpräsidenten zu wenden und ihn beim Wort zu nehmen. In diesem Brief forderte ich als ehemaliger Abgeordneter des Deutschen Reichstages zugleich im Namen meiner politischen Freunde die Freilassung der inzwischen zu hunderten verhafteten Politemigranten deutscher Nationalität und das Recht für eine eigenständige politische Betätigung im Kampf gegen das Naziregime und seinen Krieg."578

„Eigenständige politische Betätigung im Kampf gegen das Naziregime“ meinte jedoch nicht eigene Politik des Pariser Sekretariats außerhalb der Komintern ohne Bindung an die Sowjet- union!

Als das Sekretariat am 26. August erstmalig über den Vertrag diskutierte, hatte Daladier im Radio verkündet, dass es zu gefährlich sei, Hitler erneut nachzugeben, weil ein dominantes Deutschland dann Frankreich bedrohe. Allerdings und das war den Sekretariatsmitgliedern nicht bekannt, suchten Daladier und einzelne Minister, wie z.B. Bonnet den Krieg durch diplomatische Schritte zu vermeiden, die durchaus zu einem erneuten Nachgeben England und Frankreichs hätten führen können. Am selben 26. August 1939 appellierte Daladier in einem persönlichen Schreiben an Adolf Hitler, die Friedensgespräche wieder aufzu- nehmen. 579 So ist das Bedauern Dahlems glaubhaft, Daladiers öffentlichen Erklärungen geglaubt zu haben.580

576 Maitron, Jean, Claude Pennetier, Dictionnaire biographique du mouvement ouvrier français, Quatrième Partie 1914-1939, Paris 1983, S. 185. Franz Dahlem kannte Francois Billoux persönlich. Möglich ist es, dass er auch von dieser Initiative erfuhr. 577 SAPMO RY 1/I 2/3/20, fol. 111. 578 SAPMO NY 4072/115, fol. 554. Vgl. auch: SAPMO DY 30/9970, fol. 269. 579 Fabrice Grenard, La drôle de guerre. L’entrée en guerre des Français. Septembre 1939 - Mai 1940, Paris 2015; S.86f. Vgl. auch: Walther Hofer, Die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs, Berlin 2007, S. 299f. 580 SAPMO RY 1/I 2/3/20, fol. 112.

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Bereits am 31. August 1939, Franz Dahlem war noch immer ohne klare Anweisungen aus Moskau, hatte er bei Maurice Thorez auch schriftlich angefragt, welche Direktiven es für den Kriegsausbruch gab, welche Schritte unternommen werden könnten, gegen den Bruch des Asylrechts zu protestieren und welche Haltung die bei Kriegsausbruch „noch illegal lebenden Mitglieder des Sekretariats und einige seiner Mitarbeiter einnehmen“ sollten?581

Die erste Frage bezog sich auf eine mögliche militärische Beteiligung deutscher Kommu- nisten am kommenden absehbaren Krieg. Immerhin waren Thorez und viele andere Funktionäre der KPF den Gestellungsbefehlen gefolgt. Die zweite Frage bezog sich auf die Lage der kürzlich Verhafteten und wurde von Dahlem mit dem Brief an Daladier am 4. September 1939 beantwortet. Die letzte Frage nach der Haltung der noch illegal lebenden Mitglieder der KPF bezog sich auf den Status der Illegalen. Es war die Frage nach der Reaktion der KPD auf einen Aufruf der französischen Regierung, wonach sich Ausländer an bestimmten Sammelstellen in Paris einzufinden hatten, um sich registrieren zu lassen. Es war absehbar, dass in diesen Sammelstellen über die Freilassung oder dauernde Internierung entschieden werden sollte.

Franz Dahlem erhielt am 1. September, dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, durch Gaston Cornavin den Rat der KPF, auch das Sekretariat und seine Mitarbeiter registrieren zu lassen. 582 Diese „Mahnung“ sei, so Franz Dahlem, von Maurice Thorez direkt ausgegangen.583 Das lag an der antifaschistischen unbedingten Unterstützung der eigenen Regierung durch die KPF. Für Franz Dahlem war diese Richtungsentscheidung verbind- lich.584

Rosa Michel, die im angloamerikanischen Sekretariat des EKKI arbeitete, erinnerte sich, dass Georgi Dimitroff Thorez empfahl, sich nach der KPG zu richten, die im „Daily Worker“ vom 2. September 1939 die Bereitschaft verkündete, das eigene Land an der Seite der Regierung gegen den Faschismus zu verteidigen.585 Die KPG stellte dafür einen ganzen Katalog von Bedingungen, z.B. den Rücktritt Neville Chamberlains, Verzicht auf Notverordnungen, Gleichberechtigung der unterdrückten kolonialen Völker und die Nationalisierung der Kriegsindustrie. Der Katalog umfasst genau 14 Punkte, wie der Friedensappell Woodrow Wilsons vom Januar 1918.586 Der Umfang und die bedingte Unterstützung, die die KPG

581 SAPMO NY 4072/115, fol. 539. Dieser Brief an Maurice Thorez wird inhaltlich nur im unveröffentlichten Manuskript der Erinnerungen erwähnt. 582 Dahlem, Vorabend, Bd. 2, S. 413. 583 SAPMO DY 30/9970, fol. 94. Vgl. auch: DY 30/9972, fol. 43. 584 SAPMO DY 30/9995, fol. 40. 585 SAPMO NY 4072/115, fol. 552. 586 Attfield, 1939, S. 148-149.

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damit ihrer Regierung anbot, lassen die Aussage Rosa Michels wahrscheinlich erscheinen. Denn Georgi Dimitroff sah in der Stellungnahme der KPG die Möglichkeit, den antifaschistischen Kurs fortzusetzen, dafür aber gewisse Bedingungen zu stellen. Die KPF hatte keine Bedingungen gestellt, sondern sich recht schnell bedingungslos eingereiht. Dafür kritisierte sie schon am 1. September 1939 das EKKI-Sekretariat.587

3. Verhaftungen und Registrierung

Franz Dahlem erhielt von Gaston Cornavin die Aufforderung zur freiwilligen Registrierung, worüber das Sekretariat der KPD am 4. und 5. September 1939 diskutierte. Franz Dahlem und Paul Merker empfahlen die Registrierung. Paul Merker sagte,

„dass alle Genossen sich der französischen Polizei stellen sollen. Etwas anderes war auch gar nicht möglich, denn niemand hätte uns irgendwo unterbringen können.“588

Zum einen war der Übergang in die Illegalität für die KPF selbst schwierig und zu dieser Zeit auch gar nicht vorgesehen. Zum anderen waren ihre Organisation und ihre Kader der Beschlagnahme durch die französische Regierung, Verhaftungen oder Stellungsbefehlen ausgesetzt.

Die KPD selbst war auf die Illegalität des gesamten Apparats, der Genossen und oft auch ihrer Familien ebensowenig vorbereitet wie die KPF. Der bereits verhaftete Gerhart Eisler schrieb: „Wir wussten doch, dass der Krieg ausbrechen würde, aber es gab bei uns keine Vorbereitung auf die Illegalität.“589

Abgesehen davon trafen die Verhaftungen der legalen Emigration durch die französische Polizei die KPD in Frankreich empfindlich. Trotzdem folgten noch „Hunderte von Kommunisten“590 dem Befehl zur Registrierung. Es blieb ihnen aber tatsächlich wenig übrig, wie ein Vergleich der Lebensläufe der Kaderakten des Zentralen Parteiarchivs der SED bestätigt.

Dem Beschluss folgten viele deutsche Kommunisten nur aus Disziplin, so z.B. Lex Ende.591 Hans Marum ging nicht zur Sammelstelle, sondern direkt zur französischen Polizei und

587 Dallin, Dimitrov and Stalin, S. 151. 588 BStU, MfS, Allg. S 251/56, Bd. 14, fol. 34. 589 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 749. 590 BStU, MfS, AU Nr. 192/56, fol. 215. Aussage Erich Jungmanns. 591 SAPMO DY 30//IV 2/11/v. 82.

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wurde trotzdem in das Internierungslager Le Vernet deportiert. 592 Manche Genossen weigerten sich und mussten überzeugt werden, wie z.B. Walter Hähnel. Die Lebensgefährtin Anton Ackermanns Elli Schmidt überzeugte ihn schließlich, weil:

„es keinerlei Möglichkeiten und Verbindungen mehr gäbe und meine Quartierleute Angst hatten, [Walter Hähnel] weiter bei ihnen wohnen zu lassen.“593

Es gab Genossen, die sich der Registrierung entziehen wollten, „weil sich kein Kommunist freiwillig der Polizei stellt“594 wie Wilhelm Knigge in seinem Lebenslauf schrieb. Aber auch er meldete sich schließlich doch bei der Sammelstelle der französischen Polizei:

„Die Angst der Franzosen und Chauvinismus gegen uns Deutsche zwang mich dazu, in das Stadion Colombes zu gehen, wo sich alle Ausländer melden mussten.“

Eine Illegalisierung ohne organisatorische Unterstützung der KPF oder der KPD, womöglich ohne Französischkenntnisse, war nahezu unmöglich. Es bestand sogar eine Chance für die unteren Funktionäre und die einfachen Mitglieder der KPD nach korrekter Registrierung wieder freigelassen zu werden.

Zum einen konnten sie nicht „als deutsche Naziagenten angesehen und behandelt werden“595, zum anderen konnten einige vermeiden, interniert oder nach Deutschland ausgeliefert zu werden, wie z.B. Wilhelm Knigge.596 Alexander Abusch war mit einer französischen Staats- angehörigen verheiratet und konnte deshalb Colombes verlassen. Anton Ackermann durfte wegen eines ärztlichen Attests das Lager verlassen.

4. Freiwillige Registrierung des Sekretariats

Bleibt die Frage der leitenden Funktionäre, also der Mitglieder des Sekretariats der KPD in Paris. An seinen Sitzungen nahm auch der Vorsitzende der KPÖ Johann Koplenig teil. Da die KPD für die Unabhängigkeit Österreichs eintrat, war auch die KPÖ nach der Annexion nicht einfach in der KPD aufgegangen. Johann Koplenig sprach sich nicht gegen die Registrierung aus, beschloss aber, mit seinem norwegischen Pass nach Moskau zu fahren.597 Vermutlich

592 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 2553. 593 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 2539. 594 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 5553. 595 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 801. 596 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 5553. 597 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 801.

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sollte er dort vor dem EKKI berichten. Deshalb traf er Franz Dahlem nochmals am 4. September. Seine Flucht gelang mit Hilfe der KPF.598

Schwieriger war es für Franz Dahlem, Paul Bertz zu überzeugen, der lieber auf seine Verhaftung warten wollte, anstatt sich registrieren zu lassen.599 Er stimmte dann doch zu und ließ sich registrieren. Da Paul Bertz als Kaderleiter des Sekretariats illegal lebte, hätte ihn die Polizei schwerlich finden können. Davon konnte er ausgehen, als er vorschlug, auf die Polizei lieber zu „warten“ als selbst zu ihr zu gehen. Mit Dahlems Zustimmung hätte er wohl auch die Hilfe der KPF erhalten. Er ließ sich schließlich doch von Franz Dahlem und von Paul Merker überzeugen.

Paul Merker verteidigte die Registrierung als einzige Möglichkeit des Sekretariats zu Kriegsbeginn in Frankreich. Da Franz Dahlem und Paul Merker im Pariser Sekretariat sehr gut zusammenarbeiteten, ist anzunehmen, dass der Beschluss im Gespräch zwischen diesen beiden höchstrangigen Funktionären getroffen wurde. Franz Dahlem und Paul Merker waren Mitglieder des am 28. Februar 1937 aufgelösten Politbüros des ZK der KPD600, alle anderen nicht. Damit kann von einem schuldhaften Handeln Franz Dahlems gegenüber Bertz nicht die Rede sein, zumal Paul Bertz später die Flucht in die Schweiz gelang. Auch Paul Merker gelang, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, die Flucht nach Mexiko. Perspektivisch wurde nur Franz Dahlem selbst für seine Weigerung, nach Moskau zu fahren „bestraft“, weil ihm die Flucht nicht gelang und er fast sechs Jahre im französischen Internierungslager und deutschen Konzentrationslager verbringen musste.

Die entscheidende Frage betrifft also Dahlem selbst. Warum verstieß Franz Dahlem gegen die Aufforderung nach Moskau zu fliehen? Das Sekretariat der Komintern empfahl den führenden Kadern der KPF und der Bruderparteien sowie den Verantwortlichen für die Spanienhilfe, sich in Sicherheit zu bringen und sich dafür vorerst in Belgien zu sammeln.601 Franz Dahlem gehorchte602 absichtlich nicht, was als sicher gilt. Es ist aber ganz klar, dass er sich nicht grundsätzlich weigerte nach Moskau zu fahren. Er wäre Mitte 1939 nach Moskau gekommen, hätte es nicht die belegten Passschwierigkeiten gegeben. Die „Weigerung“ nach

598 SAPMO DY 30/9995, fol. 43. 599 SAPMO RY 1/I 2/3/20, fol. 110. 600 SAPMO RY 1/I 2/3/20. 601 Ceretti, À l’ombre, S. 200. Die Komintern griff also hier behelfsweise auf einen Plan zurück gemäß dem die Führung der KPF und die wichtigsten ausländischen Funktionäre im Falle eines faschistischen Putsches nach Belgien abreisen sollten. 602 Ebd., S. 195. Ceretti schrieb, dass er sich vor die Wahl „obéir ou rester“ gestellt nur wegen der Unvermeidlichkeit des Krieges für die Abreise entschied.

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Moskau zu kommen, bezog sich auf die Sicherheit der Parteileiter überhaupt noch in die Sowjetunion über das deutsch dominierte Mitteleuropa einzureisen.

Zu dieser Zeit noch in Paris zu bleiben, war tatsächlich Dahlems alleinige Entscheidung, für die er einen gewissen Spielraum hatte. Sie hatte aber nichts mit der geplanten Reise nach Moskau zur Behebung grundsätzlicher parteipolitischer Differenzen zu tun. Das bestätigen Aussagen, die Dahlem Dritten gegenüber, wahrscheinlich Horst Blumberg, gemacht haben soll.603

Wie die bisherige Forschung annahm, handelte es sich nicht darum, eine persönliche antifaschistische Linie durchzusetzen oder an Seiten der Westmächte gegen Hitler zu kämpfen.604 Besonders abwegig ist es, von einem „antifaschistischen Ursprungsreflex“605 zu sprechen und Dokumente so auszuwählen und ohne Erläuterungen als „neu“ zum Beweis dieser These zu nehmen. Franz Dahlem hatte bis zu seiner Registrierung den Parteirahmen und die von Dimitroff, Pollitt und Thorez verteidigte Parteilinie nicht übertreten. Noch am 5. September 1939 hat er im „Daily Worker“ eventuell den Leitartikel der KPG gelesen. In diesem stand:

„One aim only: the destruction of fascism and the repulse of all attacks upon democracy […] You will find us helping to win this war.“606

Die KPG, die KPD wie auch die KPF hielten weiter an diesem Kurs fest. Sie alle konnten überhaupt keine Fehler zu diesem Zeitpunkt begehen, weil keine neue Generallinie von Stalin, eines VIII. Weltkongresses der Komintern oder vom Parteivorsitzenden der KPD Wilhelm Pieck einging. Ein treu ergebener und überzeugter Funktionär der Komintern und der UdSSR wie Franz Dahlem verließ nicht eigenmächtig den Kurs. Das wäre auch gar nicht möglich gewesen. Denn niemand wäre ihm gefolgt. Noch 1972 maß Dahlem der späten Änderung der Kominternlinie die entscheidende Bedeutung bei, nicht Reflexen oder

603 Foitzik, Erklärung, S. 502. 604 Ebd. Vgl. auch: Hans-Albert Walter, Das Pariser KPD-Sekretariat, der deutsch-sowjetische Nichtan- griffsvertrag und die Internierung deutscher Emigranten in Frankreich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 36/1988, Heft 3, S. 483-528. Vgl. auch: Klaus Sator, Das kommunistische Exil und der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch 8/1990, S. 28-45, hier: S. 40. Vgl. auch: Bernhard H. Bayerlein, „Der Verräter, Stalin, bist Du!“ Vom Ende der linken Solidarität. Komintern und kommunistische Parteien im Zweiten Weltkrieg 1939- 1941, Berlin 2008, S. 130-144. Erst Erwin Lewin berücksichtigte das vertrauliche Archivmanuskript und kommt bereits 1992 zu einer anderen Einschätzung. Vgl. auch: Erwin Lewin, Der Konflikt zwischen der Moskauer Parteiführung und dem Sekretariat des ZK der KPD in Paris 1939/1940, in: Hermann Weber, Dietrich Staritz (Hrsg.), Kommunisten verfolgen Kommunisten. Stalinistischer Terror und ‚Säuberungen‘ in den kommunistischen Parteien Europas seit den dreißiger Jahren, Berlin 1993, S. 275-291, hier: S. 285. 605 Bayerlein, Verräter, S. 130ff. Trotz der neuen Dokumente folgt Bayerlein der bisherigen Forschung. 606 Attfield, 1939, S. 154.

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Rebellion gegen die Zentrale in Moskau. In einem Brief vom 12. November 1972 schrieb Dahlem an Alonzo Elliot, einen britischen Spanienkämpfer:

„Es handelt sich darum für mich, genau die Gründe kennen zu lernen, warum die ursprüngliche Linie vom 25. August so spät verändert wurde […] Warum die Direktiven so spät zu diesen Veränderungen eintrafen, warum die Artikel, die die nunmehr falsch gewordene Linie kritisierten, so spät erschienen?“607

Es ist davon auszugehen, dass er nicht nach Colombes zur Registrierung gegangen wäre, wäre ihm die geänderte Linie, nämlich die Einschätzung des Krieges als imperialistischer Krieg, nach Kriegsausbruch bis etwa 4. September 1939 bekannt gewesen. Aber selbst in Moskau waren die Funktionäre der Komintern unschlüssig, was nach dem Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages richtig war. Stalin äußerte sich lange nicht.

Erst am 7. September, Franz Dahlem war bereits registriert, empfing Stalin Dimitroff und legte die neue Linie dar. Stalin sagte, es handle sich um einen imperialistischen Krieg um die Neuaufteilung der Welt. Es wäre für die Sowjetunion gut, wenn die imperialistischen Staaten sich gegenseitig schwächten. 608 Deshalb sollten die kommunistischen westeuropäischen Parteien ihre Aktivitäten gegen die eigene Regierung und gleichzeitig gegen den Krieg richten. Ein entsprechender Entwurf Dimitroffs für eine Resolution des EKKI wurde nicht veröffentlicht.609

Raymond Guyot von der KPF kehrte am 8. September 1939 aus Moskau zurück und überbrachte im Auftrag von Dimitroff und Manuilski den Befehl, gegen die eigene Regierung und den imperialistischen Krieg zu kämpfen.610 Dahlem konnte das vor der Registrierung nicht wissen und erklärte seinen „Fehler“ folgerichtig aus der „verworrenen“611 Situation. Nach dem 8. September 1939 stellte er sofort auf die neue Linie um.

Franz Dahlem muss die Entscheidung zur Registrierung nach reiflicher Überlegung getroffen haben. Hauptsächlich ist diese Entscheidung ein Spiegel der Mobilisierung von Maurice Thorez. So wie dieser sich zu seiner Einheit begab, so begab sich Franz Dahlem zu „seiner Einheit“, und das waren die Kader der KPD und zwar diejenigen, die sich auf seine Anweisung registrieren ließen sowie die Spanienkämpfer, bei denen er selbst sehr beliebt war

607 SAPMO NY 4072/149, fol. 99 608 Dallin, Stalin and Dimitrov, S. 151. 609 Ebd., S. 152. 610 Maitron, Jean, Claude Pennetier, Dictionnaire biographique du mouvement ouvrier français, Quatrième Partie 1914-1939, Paris 1986-1989, S. 186 verzeichnete sogar erst den 20. September 1939. Vom 8. September 1939 geht die aktualisierte Ausgabe aus. Vgl. auch: URL: http://maitron-en-ligne.univ-paris1.fr, Artikel „Raymond Guyot“, Abruf: 6. Aug. 2017. 611 SAPMO DY 30/9970, fol. 100.

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und die seit Februar 1939 in Frankreich unter menschenunwürdigen Bedingungen interniert waren.

Die Spanienkämpfer nahmen wie Walter Janka fälschlicherweise an, dass die Kriegserklä- rungen Englands und Frankreichs „den ersten großen Schritt zu einer weltweiten Verstän- digung über den Kampf gegen den Hitlerfaschismus“ 612 bedeutete. So wie die Interbri- gadisten in Frankreich behandelt wurden und aufgrund der antikommunistischen Stimmung, war damit aber nicht zu rechnen.

Dass Franz Dahlem hoffte, England und Frankreich eine deutsche kommunistische Brigade „entgegen den Moskauer Intentionen“ 613 zu stellen, ist unwahrscheinlich und kann auch durch keinerlei Dokument belegt werden. Im September 1937 während des Spanien-Krieges verlangte Franz Dahlem von Julius Deutsch, dem Verbindungsmann des spanischen Kriegs- ministeriums zu den Internationalen Brigaden eine direkte Verbindung zur spanischen Regierung: „[Die internationalen Brigaden] sind keine Fremdenlegionärstruppe, sondern internationale Freiwillige.“ 614 Diese Selbstständigkeit hätten sie in Frankreich 1939 nicht gehabt, ganz abgesehen davon, dass die Komintern dem nicht zugestimmt hätte, weil auch für sie ein Dienst von Kommunisten in der Fremdenlegion nicht in Frage kam. Franz Dahlem hatte also eher Maurice Thorez vor Augen bei der Registrierung, ohne zu wissen, was die französische Regierung genau mit ihm vorhatte.

Aus dem Manuskript seiner unveröffentlichten Erinnerungen gehen die Gedanken hervor, die ihn zur Entscheidung führten, die so umstritten war. Es war möglich, die illegale Arbeit nach Deutschland zu verlegen.615 Das war das erklärte Ziel der gesamten KPD. Nur waren alle Inlandsleitungen seit der Verhaftung Ernst Thälmanns von der Gestapo verhaftet worden. Auch nach dem Abschluss des Nichtangriffsvertrags und nach der Registrierung des Sekretariats in Paris verlegte die deutsche Vertretung der KPD in Moskau ihren Sitz nicht wieder nach Berlin. Das wäre auch von den deutschen Faschisten nicht toleriert worden.

Ein weiteres Ziel war Skandinavien. Dorthin waren die Tochter Luise und der Schwiegersohn Karl Mewis emigriert. Auch das EKKI empfahl im Dezember 1938 Skandinavien als neuen Exilort. Aber im Kriegsfall war es fraglich, ob Schweden neutral bleiben würde. Zudem war die Kommunistische Partei Schwedens zu schwach, um auch die deutschen Genossen in großem Umfang zu unterstützen. Letztlich war Paris Anfang 1939 wesentlich günstiger. In

612 SAPMO DY 30/9987, fol. 26. 613 Walter, Nichtangriffsvertrag, S. 494. 614 SAPMO NY 4072/207, fol. 63. 615 SAPMO NY 4072/115, fol. 502.

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Frankreich befanden sich auch die meisten Kader, die nicht alle nach Schweden umziehen konnten. Im Kriegsfall allerdings war Schweden das einzige Land für eine Teilemigration. Wegen der angeführten Argumente verzichtete Franz Dahlem allerdings auf diese Möglichkeit.616

Die KPD hatte auch eine Abschnittsleitung in der Schweiz. Die Schweiz war neutral und Dahlem konnte damit rechnen, dass sie das auch wie im Ersten Weltkrieg bleiben würde. Aber für ihn wäre die Leitung der Partei dort auf Dauer nicht zu halten gewesen, weil fast alle Geheimdienste sich dort trafen und die Regierung antikommunistisch eingestellt war.617

Auch England kam nicht in Frage. Die konservative Regierung hatte in den letzten Jahren Hitler immer wieder nachgegeben und das als Friedenspolitik verkauft. Sie stand der Sowjet- union feindlich, wenn auch nicht offen kriegerisch, gegenüber.

Dahlem hätte auch nach Belgien gehen können. Nur bei einem Angriff Hitlers wäre Belgien vermutlich wie 1914 das erste Opfer gewesen. Außerdem, das wusste Dahlem bei seinen Überlegungen noch nicht, empfahl die KPB dem deutschen KPD-Abschnittsleiter Otto Niebergall, wie die KPF Franz Dahlem, sich bei Kriegsbeginn registrieren zu lassen.618

Auch die Rückkehr „nach Hause“, also nach Moskau, verwarf Dahlem. Zwar befanden sich dort die meisten übrigen deutschen Funktionäre außerhalb Frankreichs, aber Dahlem ging davon aus, dass ein Antrag bei der französischen Regierung oder direkt in Moskau um Abzug der Kommunisten, die Sowjetunion gefährde, weil Hitler das zum Anlass dienen konnte, um den Nichtangriffsvertrag zu brechen und die Sowjetunion bereits in nächster Zeit zu überfallen. Da aber ein Militärbündnis mit England und Frankreich nicht abgeschlossen worden war, kam auch diese Möglichkeit nicht in Betracht.619

Er entschied sich für die EKKI-Variante vom Frühjahr 1939 und gab dem Schwiegersohn Karl Mewis in Schweden den Auftrag die Arbeit nach Deutschland weiter zu leiten. Die Orientierung auf Skandinavien geht auch aus dem Befehl an Erich Glückauf hervor, die Deutsche Volkszeitung in Oslo weiter herauszugeben.620

Dahlem selbst folgte dem Beispiel von Maurice Thorez und ließ sich in Paris registrieren, nur dass es ihm nicht mehr gelang, wie dieser nach Moskau zu „desertieren“. Maurice Thorez hat

616 Ebd., fol. 505. 617 Ebd. 618 SAPMO SgY 30/1262, fol. 63 619 SAPMO NY 4072/115, fol. 507. 620 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 2525.

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seine Moskauer Untätigkeit bedauert. Er hätte lieber am Kampf gegen den Faschismus in Frankreich teilgenommen.

Der entscheidende Grund für Dahlem, sich registrieren zu lassen und nicht eine der Optionen außerhalb Frankreichs wahrzunehmen, war der Kaderschutz. Wie in Spanien sah er seine wichtigste Aufgabe in der persönlichen Verteidigung der deutschen Genossen, um sie im Kampf gegen den Faschismus zu erhalten und in Frankreich „bereitzuhalten“. In Frankreich waren die bedeutendsten kommunistischen deutschen Kader interniert, verhaftet oder „untergekommen“. Gerhart Eisler schrieb im Lebenslauf nach dem Krieg: „In Frankreich waren damals die stärksten Kader der Partei.“621 In Frankreich bestand noch eine Chance, diese Kader dem antifaschistischen Kampf zu erhalten und zu gegebener Zeit gegen den Faschismus einzusetzen.

Die stärkste Stütze für die These bildet eine Aussage seiner Frau Käthe Dahlem. Demnach habe er ihr gesagt, dass „er […] die Kameraden nicht im Stich“622 lasse. Franz Dahlem nahm ihrer Aussage nach an, dass man gemeinsam „eine Arbeit gegen Hitler machen kann“623. Das konnte Dahlem annehmen, weil der offizielle Kurswechsel von Sowjetunion und Komintern noch nicht erfolgt und selbst die KPF durch Raymond Guyot frühestens ab 8. September 1939 informiert war. Er bewertete den Nichtangriffsvertrag weiterhin als Chance für die Sowjetunion, vorübergehend vor einem Überfall des deutschen Faschismus sicher zu sein.

Mit einer grundsätzlichen Änderung der Linie, der Orientierung auf einen imperialistischen Krieg, der von England und Frankreich ausgegangen sein sollte, rechnete Dahlem nicht. Das geht auch aus dem Inhalt des Briefes an Daladier vom 4. September 1939 hervor, soweit er bekannt ist. Darin soll Dahlem um eine freie politische Betätigung gebeten haben. Das heißt Dahlem ging unmittelbar vor der Registrierung davon aus, weiterhin in Frankreich politisches Asyl „unter den Bedingungen, die der Kriegssituation angepasst sind“624, zu finden. Zudem gehörte Daladier einem Kabinett des ehemaligen Ministerpräsidenten Léon Blum zur Zeit der „Front Populaire“ an und arbeitete mit der KPF zusammen. Warum sollte Daladier nicht wieder mit Blum und den Kommunisten zusammenarbeiten? Insofern war Dahlems Handeln nicht illusorisch, sondern ging von der Lage in Frankreich aus, soweit sie ihm bekannt war. Die politische Situation in Frankreich ließ einen antifaschistischen Kampf im September 1939 zwar nicht zu, aber Dahlem konnte annehmen, dass Frankreich auf jeden Fall

621 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 749. Vgl. auch: Dahlem, Vorabend, Bd. 2, S. 437. 622 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 1847. 623 Ebd. 624 SAPMO NY 4072/115, fol. 586.

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Deutschland angreift. Darin bestand die eigentliche langfristige Fehlkalkulation Franz Dahlems.

5. Letzte politische Stellungnahme Franz Dahlems

Am 7. September 1939 rief die französische Regierung nochmals Männer zwischen 17 und 50 Jahren durch Anschläge und Aufrufe in Zeitungen zur Registrierung in den Pariser Sammellagern auf. 625 Am selben Tag meldeten sich auch Dahlem, Merker, Bertz, Ackermann, Beling und Abusch im Stade Olympique „Yves-du-Manoir“ in Colombes.

Die französischen Behörden isolierten Franz Dahlem auf einem sogenannten „îlot“ hinter Stacheldraht, von wo es ihm gleichwohl gelang, Anweisungen an die im Stadion gefangenen Genossen über den Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf zu geben. 626 Das Stadion in Colombes war nur teilweise überdacht, durch die Sitze regnete es und die Nächte Anfang September wurden kühl.

In Übereinstimmung mit Paul Merker und Paul Bertz 627 richtete Franz Dahlem am 12. September 1939 einen zweiten Brief an Édouard Daladier.628 Aus diesem zweiten Brief, der sich inhaltlich auf den ersten bezieht, geht hervor, dass Franz Dahlem noch immer mit der Möglichkeit rechnete, seine politische Tätigkeit in Frankreich fortsetzen zu können. Er ging davon aus, dass die französische Regierung keinen Unterschied zwischen den Vertretern der deutschen Opposition machen würde. Seine Vermutung stützte er auf Erklärungen der französischen Regierung, wonach „der Krieg gegen das Hitlerregime“ 629 und nicht das deutsche Volk bzw. die von Franz Dahlem repräsentierten deutschen Arbeiter geführt werde. Vor dem Hintergrund der schlechten Behandlung im Stadion in Colombes forderte er eine politische Entscheidung über die „Rolle der deutschen politischen Emigranten in der gegenwärtigen Situation des Krieges“630. Im letzten Brief an Daladier ging er nicht auf den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag ein.

Am 16. September 1939 wurde er in der Pariser Präfektur von der Polizei zu seiner Haltung befragt. Aus einem späteren Schreiben Franz Dahlems an das französische Innenministerium, Abteilung Fremdenpolizei, ist eine Rekonstruktion möglich, welche Haltung er gegenüber

625 Vormeier, Emigrantenpolitik, S. 223. 626 Dahlem, Vorabend, Bd. 2, S. 443. 627 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 801. Vgl. auch: NY 4072/115, fol. 585. 628 SAPMO DY 30/9975, fol. 73f. Vgl. auch: Bayerlein, Verräter, S. 135. 629 Ebd., fol. 73. 630 SAPMO NY 4072/115, fol. 587.

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den französischen Behörden bei diesem Gespräch vertrat. Diese Haltung blieb grundlegend für die fast dreijährige Internierung und war seine letzte politische Stellungnahme vor 1945.

Was Dahlem sagte, entsprach seiner Politik vor der Registrierung und dem Willen zur eigenständigen Fortsetzung dieser Politik nach Kriegsbeginn und freiwilliger Registrierung der deutschen kommunistischen Emigration. Er gab zu Protokoll, dass das deutsche Volk Hitler stürzen müsse und er gegen einen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich sei.

Dahlem begrüßte ausdrücklich den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag, weil er den Frieden insbesondere für die Sowjetunion erhalten habe. Der Friede könnte seiner Meinung nach auch im Westen durch diesen Vertrag erhalten werden.

Dahlems politisches Ziel war eine Allianz zwischen einem freien Deutschland, der Sowjet- union und Frankreich, die die nationale Unabhängigkeit der unterdrückten Völker garantieren würde.631 Diese Erklärung verbreitete Franz Dahlem im Stadion und später im Internierungs- lager als Linie der KPD in Frankreich.632 Sie kann als programmatisch gelten.

Eine Zusammenarbeit mit der französischen Regierung aufgrund dieser Deklaration war allerdings außen- und innenpolitisch für die französische Regierung undenkbar. In seiner Erklärung sprach er von deutsch-sowjetischer Freundschaft und der Hinweis auf die „unterdrückten Völker“ war ein feiner Hinweis auf die französisch-englische Beschwichti- gungspolitik, die ihren Höhepunkt im Münchener Abkommen und in der Besetzung der Tschechoslowakei erreichte.

Die von Dahlem postulierte Eigenständigkeit der KPD bedeutete auch die Weigerung; in die Fremdenlegion einzutreten, was Franz Dahlem über Friedrich Wolf allen deutschen Kommu- nisten verbot.633 Damit war Dahlem für die französische Regierung von keinerlei Wert, die militärisch über Finnland der Sowjetunion drohte und ein Verbot der KPF vorbereitete. Offensichtlich war gerade mit dem Verbot Dahlems, der Fremdenlegion beizutreten, eine Einbindung des kommunistischen militärischen Potentials der bereits internierten Spanien- kämpfer unmöglich. Die Annahme, Dahlem habe der französischen Regierung die militärische Unterstützung angeboten, ist illusorisch und abwegig in Bezug auf Franz Dahlem. Zudem ist sie nicht einmal andeutungsweise durch Quellen belegt.634

631 MdI, No. 1.788.109. Schreiben Franz Dahlems vom 20. März 1940. 632 SAPMO NY 4072/59, fol. 113. 633 SAPMO DY 30/9970, fol. 210. 634 Walter, Nichtangriffsvertrag, S. 517. Vgl. auch: Frank Schumann (Hrsg.), Anton Ackermann. Der deutsche Weg zum Sozialismus. Selbstzeugnisse und Dokumente eines Patrioten, Berlin 2005, S. 85.

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Hans-Albert Walter vertrat dennoch diese These. Er bezog sich auf Walter Janka. Tatsächlich hat es unter den Interbrigadisten, die bereits seit Februar 1939 in französischen Lagern unter sehr schlechten Bedingungen interniert waren, die Bereitschaft gegeben,

„als Freiwillige aber gleichberechtigte Soldaten oder Offiziere, in den Reihen der französischen Armee - im Rahmen einer internationalen Einheit, ähnlich den Internationalen Brigaden in Spanien - gegen Hitler zu kämpfen“635.

Aber Walter Janka bezog seine hier zitierte Aussage auf den unmittelbaren Kriegsbeginn, als eine französisch-englische Offensive gegen die Westgrenze des Deutschen Reichs bevorzu- stehen schien. Auch nach heutiger Quellenlage gibt es für die These Hans-Albert Walters keinen Beleg.

Die deutschen Interbrigadisten in die französische Armee einzugliedern wäre auch gar nicht möglich gewesen. Denn der Kominternfunktionär Dahlem hätte nicht ohne Zustimmung der deutschen Parteivertreter und der Komintern in Moskau mit der französischen Regierung verhandeln können.

Voraussetzung solcher Verhandlungen wäre der Abschluss eines Bündnisvertrages Englands, Frankreichs und der Sowjetunion gewesen. Der kam aber nicht zustande. Zudem waren die Internierten mit zunehmender Dauer der Haft unter menschenunwürdigen Bedingungen und der abwartenden Haltung der französischen Armee nicht mehr bereit, für Frankreich zu kämpfen.

Franz Dahlem bot der französischen Regierung keine militärische Hilfe an, auch weil ihm jetzt deutlich geworden war, dass die Komintern und Stalin den Krieg als „imperialistisch“ einstuften.

Die Ansicht, dass es später eine „Allianz zwischen einem freien Deutschland, der Sowjet- union und Frankreich, die die nationale Unabhängigkeit der unterdrückten Völker“ garantiere, geben könne, konnte Dahlem weiter vertreten. Dadurch dachte er, den Wider- spruch zwischen Treue zur Komintern und der Stellungnahme für Frankreich auszugleichen. Die französische Regierung verfolgte ihn trotzdem als Feind, weil er für sie die Politik Moskaus personifizierte. Sie internierte Franz Dahlem 636 und diejenigen, die ihn als politischen Leiter weiterhin anerkannten und ihm folgten.

Gegen die Internierung protestierte Dahlem mit dem Hinweis, dass seine positive politische Haltung zur Sowjetunion nur ein Vorwand sei.

635 SAPMO DY 30/9987, fol. 14. 636 SAPMO NY 4072/183, fol. 180.

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Das war sein Protest gegen den Bruch des in Frankreich eigentlich garantierten politischen Asylrechts.637

6. Stellungnahme der deutschen Vertreter in Moskau

Am 3. Oktober 1939 erhielt Otto Niebergall die Nachricht, dass „alle Rechte“ 638 [des Sekretariats] an die KPD-Vertreter in Moskau übertragen worden sind. Am 9. Oktober 1939 bildeten die höchsten Funktionäre der KPD in Moskau eine neue Leitung. Sie untersuchten das Verhalten des Sekretariats und schoben die Verantwortung für die zu spät vollzogene Änderung der Parteilinie der KPD auf die Politik des Sekretariats vor 1939.639 „Wehner und Ulbricht [sollten] ein Memorandum zur Politik des Pariser Sekretariats wie auch einen Entwurf über die neuen Aufgaben der Partei ausarbeiten“ 640 . Dieser Entwurf war die Grundlage für die Stellungnahme des ZK der KPD in Moskau „bei Ausbruch des zweiten imperialistischen Krieges“641 vom 12. August 1940. Sie enthielt eine vernichtende Kritik und war das erste offizielle Parteidokument für die ab 1939 dauernd gegen Franz Dahlem erhobenen Vorwürfe.

Grundlage für die Kritik an Dahlem war der Bericht des in der ersten Jahreshälfte nach Moskau zurückgekehrten Anton Ackermanns, der die Politik des Sekretariats als abweichend von der Moskauer Linie denunzierte und dem Sekretariat „primitiven Antifaschismus“642 vorwarf. In der Stellungnahme vom 12. August 1940 warfen ihm die deutschen Vertreter in Moskau:

„ein Verlassen des proletarischen Klassenstandpunktes und eine Kapitulation vor dem Klassenfeinde in einer für die Partei und die deutsche Arbeiterklasse äußerst ernsten Situation“ vor, die „Folge einer opportunistischen Einstellung zur Klassenpolitik“ gewesen sei.643

Franz Dahlem hörte schon in Le Vernet von dieser Stellungnahme der Moskauer Genossen, was ihn bis zum Ende seiner Haft im französischen Internierungs- und deutschen Konzentrationslager beschäftigte, so dass er nach der Befreiung sofort nach Moskau zur

637 MdI, No. 1.788.109. Schreiben Franz Dahlems vom 20. März 1940. Vgl. auch: Franz Dahlem, Unsere internationale Politik des Kampfes gegen den Faschismus, in: Unser Appell vom 12. Sept. 1948, S. 118- 121, hier: S. 120. 638 SAPMO SgY 30/1262, fol. 67. 639 Lewin, Parteiführung 1939/1940, S. 279. 640 Reinhard Müller, Die Akte Wehner. Moskau 1937 bis 1941, Berlin 1993, S. 174. 641 SAPMO DY 30/9975, fol. 68-72. Vgl. auch: Bayerlein, Verräter, S. 136. 642 SAPMO RY 1/I 2/3/20, fol. 69, 75. 643 SAPMO DY 30/9975, fol. 71f.. Vgl. auch: Bayerlein, Verräter, S. 137.

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Klärung seiner Angelegenheit reisen wollte. Vorerst spielte diese Stellungnahme keine Rolle.644 Jedenfalls gab es keinerlei Parteistrafen.

Walter Ulbricht leitete faktisch wieder die Zentrale der KPD in Moskau, bedauerte aber, dass Georgi Dimitroff und der Parteivorsitzende Wilhelm Pieck Franz Dahlem weiter schütz- ten. 645 Pieck und Dimitroff wussten, dass die Vorwürfe haltlos waren. Gerade Georgi Dimitroff hatte der KPF den Kampf gegen den deutschen Faschismus an der Seite der französischen Regierung noch am 2. September 1939 nach dem Modell der KPG empfohlen. Daher setzten sich Georgi Dimitroff und Wilhelm Pieck 646 nach der Internierung Franz Dahlems für seine Freilassung ein. Sie sorgten beispielsweise bei Stalin und Molotow dafür, dass er die sowjetische Staatsangehörigkeit erhielt, um ihm so die Ausreise zu ermög- lichen.647

XVII. CAMP LE VERNET

1. Verlegung in das Internierungslager

Seit 11. Oktober 1939 war Franz Dahlem mit ca. 3000 deutschen und internationalen Funk- tionären und Mitgliedern der Internationalen Brigaden im Lager Le Vernet interniert.648 Die Unterbringungsbedingungen in Le Vernet am Fuße der Pyrenäen im Herbst 1939 waren katastrophal. Die ausreichende Versorgung der Internierten durch Pakete hing von den Angehörigen und Parteimitgliedern außerhalb des Lagers ab. Im Lager gab es kein sauberes Wasser, keine Medikamente und keine Krankenpflege, aber Arbeitspflicht. Über den Verbin- dungsmann Paul Grasse veranlasste Wilhelm Pieck Überweisungen aus Moskau an die Internierten.649 Die Internierten wollten so schnell wie möglich ausreisen.

644 SAPMO DY 30/37731. Schreiben vom 21. Nov. 1967 an das IML. Vgl. auch: SAPMO DY 30/9995, fol. 2, 20-24. 645 SAPMO NY 4072/114, fol. 241. Vgl. auch: Lewin, Parteiführung 1939/1940, S. 291. 646 SAPMO DY 30/9990, fol. 15. Vgl. auch: SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 5280, Bd. 2, fol. 35. Wilhelm Pieck bemerkte untertreibend in einem Bericht an das EKKI vom 23. Nov. 1939, dass er politisch „bis auf die Zeit des Kriegsausbruchs keinerlei Abweichungen“ beim Pariser Sekretariat fest-stellen konnte. 647 SAPMO SgY 30/1078, fol. 93. 648 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133, fol. 150. Vgl. auch: SAPMO DY 30/9986, fol. 37. Am 11. Mai 1940 wurden deutsche Spanienkämpfer von Gurs nach Vernet verlegt. Zur Geschichte des Lagers und der internierten Kommunisten in Frankreich gibt es bis dato keine umfangreiche abschließende Forschungsliteratur. Eine Pionierarbeit ist Sibylle Hinzes veröffentlichte Dissertation. Vgl. auch: Sibylle Hinze, Antifaschisten im Camp Le Vernet. Abriss der Geschichte des Konzentrationslagers Le Vernet 1939 bis 1944, Berlin 1988. 649 SAPMO NY 4036/560, fol. 10, 15. Franz Dahlem wurde auf einer Liste namentlich genannt. Vgl. auch: SAPMO RY 1/I 2/3/20, fol. 114. Bericht Anton Ackermanns vom 4. Mai 1940. Darin erwähnt Ackermann,

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Dahlem war mit Luigi Longo der höchste Funktionär im Lager und leitete den passiven Widerstand im Lager und soweit möglich auch die deutschen Parteigruppen, vor allem im nördlich von Vernet gelegenen sowie in und Paris.

Im Lager leitete Franz Dahlem die deutsche Parteigruppe mit den Spitzenfunktionären des Sekretariats und seines Apparats. Dazu gehörten vor allem: Paul Merker, Gerhart Eisler, Siegfried Rädel und Heinrich Rau.

Dahlem organisierte auch die „Gesamtleitung für das ganze Lager“650. Das Lager Le Vernet bestand aus drei Teilen A, B und C. Verbindungen zwischen den Lagerabschnitten bestanden über Häftlingskuriere. In Quartier C waren die meisten Spanienkämpfer interniert. Dort befand sich anfangs auch Franz Dahlem. Der Kommandant des Lagers hielt Dahlem schon nach kurzer Zeit für „einen authentischen Deutschen, der umso gefährlicher ist, da er sich als ein besonders aktiver politischer Führer erwies“651. Die daraufhin erfolgte Verlegung in das Quartier B für „Extremisten“ hielt Dahlem offensichtlich nicht von seiner politischen Tätigkeit ab.

Franz Dahlems Kontakt zur Außenwelt war seine Frau Käthe Dahlem, die ihn mit Lebens- mitteln und politischen Informationen versorgte. Vor ihrer Heirat 1919 hatte er ihr gesagt: „Das erste in meinem Leben ist immer die Partei, darüber musst Du Dir klar sein.“ Käthe Dahlem erwiderte ihm damals: „Ich kann mir mein Dasein ohne die Liebe zu Familie und Partei […] nicht vorstellen.“652 Es war schmerzlich, dass sie für die Parteiarbeit jahrelang auf ihre Kinder verzichten musste, die wegen des in Deutschland herrschenden Faschismus entweder in Moskau, beim Bruder Franz Dahlems in Lothringen bzw. in Schweden untergebracht werden mussten.

Überhaupt waren es die Frauen der Parteimitglieder, die nach der Internierung der Männer deren Versorgung übernahmen und sie oft auch in Parteifunktionen ersetzten. So leitete bei- spielsweise , die Lebensgefährtin des ebenfalls in Le Vernet internierten Siegfried Rädel mit Martha André-Berg 653 den verbliebenen Teil der kommunistischen Emigration und betreute die Internierten.654

dass Franz Dahlem, Paul Merker, Paul Bertz und Siegfried Rädel Geld „aus einem zentralen Fonds der Pariser Leitung“ erhielten. 650 SAPMO DY 30/9987, fol. 21. 651 FA, Mappe VI. 652 SAPMO NY 4072/245, fol. 4. 653 Frau des am 4. November 1936 von den deutschen Faschisten ermordeten norddeutschen KPD-Funktionärs Edgar André. 654 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 533.

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Es war kennzeichnend für Kommunisten, dass sie insbesondere in der Illegalität oder in den Lagern die Parteiarbeit über familiäre und persönliche Beziehungen aufrechterhalten konnten. Ohne Käthe Dahlem wäre Franz Dahlem im Lager fast völlig isoliert geblieben.655 Familiäre Unterstützung leistete auch sein Bruder, der KPF-Funktionär Robert Dahlem, der nach dem Ersten Weltkrieg in Lothringen wohnen blieb und die französische Staatsangehörigkeit annahm.

Käthe Dahlem galt für die französischen Stellen als französische Staatsangehörige, da sie anfangs davon ausgingen, dass Franz Dahlem seine Staatsangehörigkeit gemäß Versailler Vertrag nicht verloren hatte.656 Das erleichterte ihre Besuche im Lager. Franz Dahlem selbst beanspruchte die deutsche Staatsangehörigkeit, um politisch die deutschen Kader aus dem Asyl schützen zu können. Seinen zweiten Brief an Daladier vom 12. September 1939 unterzeichnete er mit Franz Dahlem, ehemaliger Abgeordneter des Preußischen Landtags und des Deutschen Reichstags. Gegenüber der französischen Polizei beanspruchte er die deutsche Staatsangehörigkeit.657 Seine Situation wurde bizarr. Die französische Regierung wies ihn, wie auch die übrigen Insassen aus Frankreich als „unerwünscht“ aus, gestattete ihnen aber gleichzeitig nicht die Ausreise, sondern bestand auf der Residenz im exterritorialen Internierungslager.658

2. Kein Asyl in Frankreich

Im Oktober 1939 wurde auch den Internierten bewusst, dass die Sowjetunion, den Kurs geändert hatte. Eine politisch-militärische Allianz zwischen den Westmächten und der Sowjetunion würde nicht mehr zustande kommen. Gleichzeitig ergriffen England und Frankreich keinerlei Initiative, um das Deutsche Reich, dem sie den Krieg erklärt hatten, anzugreifen, obwohl die faschistische Wehrmacht in Polen gebunden war, für das England und Frankreich eigentlich den Krieg begonnen hatten.

Für Franz Dahlem begann ein zweijähriges Ringen mit den französischen Behörden, um seine Freilassung zu erreichen und eine Auslieferung an die Gestapo zu verhindern. Am 2. November 1939 versuchte Dahlem Asyl in Frankreich zu beantragen. Er lebte bisher als

655 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 1847. Käthe Dahlem ging erst Anfang 1943 in die Illegalität wegen eines Auslieferungsersuchens der Gestapo. 656 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 1847. Vgl. auch: SAPMO DY 30/9970, fol. 59. Die französische Polizei bot Dahlem schon im Oktober 1939 an, seine französische Staatsangehörigkeit anzuerkennen. 657 AN 20120156/29. 658 MdI, No. 1.788.109: „expulsion et assignation de résidence au camp du Vernet“.

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Leiter des Sekretariats der KPD illegal. Nach der Aufforderung zur Registrierung und Dahlems freiwilliger Meldung war sein Asylantrag konsequent. Denn theoretisch stand ihm dieser Schutz jetzt zu.

Aber die französischen Behörden betrachteten Dahlem seit der Registrierung bis zur Auslieferung an die Gestapo als „dirigeant communiste actif, haineux, dangereux et très intelligent“ 659 . Auch seine Äußerung zur Begrüßung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages schloss die Gewährung des Asyls in Frankreich aus.660 Deshalb lehnte eine interministerielle Kommission Dahlems Asylantrag ab.661

Daraufhin protestierte Dahlem am 20. März 1940 schriftlich beim französischen Innen- minister gegen die willkürliche Internierung und sah in ihr eine Verletzung des Asylrechts. Er erhob den Anspruch, Frankreich verlassen zu dürfen, da gegen ihn ein offizieller Ausweisungsbeschluss vorlag.662 Das wurde ihm wieder nicht gewährt. Das unaufhaltsame Vorrücken der faschistischen Wehrmacht intensivierte die Bemühungen der Internierten, einen Ausbruch vorzubereiten. Als sie erfuhren, dass der Süden Frankreichs unbesetzt bleiben würde, gaben sie diese Pläne auf.663 Nach dem Waffenstillstand von Compiègne beauftragte Franz Dahlem Erich Jungmann, „Listen von besonders gefährdeten Genossen für die Beschaffung von Visa anzulegen“664. Franz Dahlem übergab seiner Frau eine Liste, die dann an das mexikanische Generalkonsulat und die sowjetische Botschaft in Vichy gelangten.665

3. Registrierung durch die Kundt-Kommission

Die Internierten blieben auch nach dem Waffenstillstand und trotz ihres Aufenthalts in der unbesetzten Südzone sehr gefährdet. Franz Dahlem konnte annehmen, dass die deutschen Sieger Auslieferungen beantragen. Er selbst stand bereits auf einer Auslieferungsliste des Reichssicherheitshauptamtes.666 Am 11. August 1940 berichtete er seiner Frau Käthe Dahlem und damit über die Lagerzensur der französischen Regierung wie auch den Genossen

659 MdI, No. 1.788.109. 660 MdI, No. 308.290. 661 MdI, No. 1.788.109. 662 Ebd. 663 SAPMO DY 30/9986, fol. 49-50. 664 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 4273. 665 SAPMO NY 4072/114, fol. 330. 666 Regina M. Delacor, „Auslieferung auf Verlangen“? Der deutsch-französische Waffenstillstandsvertrag und das Schicksal der sozial-demokratischen Exilpolitiker Rudolf Breitscheid und Rudolf Hilferding, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 47/1999, Heft 2, S. 217-241, hier: S. 223.

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außerhalb des Lagers vom Besuch der „Kundt-Kommission“, der auch drei Vertreter des Reichssicherheitshauptamtes angehörten.667

Diese deutsche Kommission unter der Leitung des Vertreters des Auswärtigen Amtes Ernst Kundt suchte in den französischen Internierungslagern nach „Deutschen“668, die die franzö- sische Regierung an das Deutsche Reich ausliefern sollte. Wegen der Todesgefahr, die eine Auslieferung für die deutschen Internierten bedeutete, vertraten Franz Dahlem und die deutsche Parteileitung die Auffassung, dass die deutschen Interbrigadisten sich vor der Kommission weigern sollten, zurück nach Deutschland zu gehen. Die deutsche kommunistische Politemigration sollte die Registrierung verweigern, weil sie vom Deutschen Reich ausgebürgert wurde. Deshalb könne das Deutsche Reich keinen Auslieferungsanspruch geltend machen.669

Viele Internierte hatten das Angebot zur freiwilligen Rückkehr nach Deutschland vor allem auch wegen der katastrophalen Lebensbedingungen in Le Vernet angenommen. Franz Dahlem konnte kurz vor der Visite der Kundt-Kommission feststellen:

„Nach und nach bleibt also zurück, was antihitlerische, antifaschistische Politemigranten und Spanienfreiwillige der verschiedenen Nationalitäten darstellt“670.

Dass diese sich nicht meldeten, hatten sie vor allem Franz Dahlem zu verdanken, der ihnen empfahl, sich nicht zu melden.

Diese Linie der deutschen Parteileitung in Le Vernet widersprach derjenigen der deutschen Funktionäre in Moskau, die in völliger Verkennung der Tatsachen meinten, dass sich „weniger belastete Genossen mit Hilfe von in Frankreich residierenden Nazistellen ins Land“671 begeben sollten. Walter Ulbricht, Wilhelm Florin und Herbert Wehner672 wollten eine freiwillige Registrierung nicht nur bei einem autoritären Regime im Kriegszustand, sondern beim faschistischen deutschen Todfeind.

Dieser Beschluss entsprang der Annahme, dass „eine längere Phase der Zusammenarbeit von Sowjetunion und Deutschem Reich begonnen habe“ 673 , die die politische Arbeit nach Deutschland erleichtere. Sie hat sie nicht nur nicht erleichtert, sondern erschwert.

667 Vormeier, Emigranten, S. 234. 668 Art. 19 (2) deutsch-französischer Waffenstillstandsvertrag vom 22. Juni 1940. 669 SAPMO NY 4072/183, fol. 110. Schreiben von Franz an Käthe Dahlem vom 11. Aug. 1940. 670 Ebd., fol. 106. Schreiben Franz an Käthe Dahlem vom 4. August 1940. 671 SAPMO NY 4072/115, fol. 503. 672 Ebd., fol. 503. Diese Namen nennt Franz Dahlem selbst. 673 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 749.

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Deutsche Genossen wurden von der Sowjetunion sogar an das faschistische Deutsche Reich ausgeliefert, so beispielsweise auch eine Jugendfreundin Franz Dahlems aus der Sozialistischen Arbeiterjugend Kölns, Gertrud Meyer, die sich in Moskau seines Sohnes angenommen hatte.674

Wie Walter Janka bezeugte, hat die Führung der KPF die Anweisung zur Rückkehr nach Deutschland aus Moskau weitergegeben.675 Die Empfehlung zur Rückkehr nach Deutschland sollte nur für „leichte Fälle“ gelten, d.h. „Totschlag, Sprengstoffgeschichten sowie leitende Tätigkeit im Land und in Spanien“ 676 . Aber die Spanienkämpfer waren sicherlich im Deutschen Reich nicht weniger gefährdet. Folter der Gestapo, Volksgerichtshof, Konzen- trationslager oder Henker konnten sie dort erwarten. Dass man in Moskau damit rechnete, zeigte auch die Einschränkung, dass die Rückkehrer nicht mit den illegalen Organisationen der KPD in Kontakt treten sollten.677 Franz Dahlem schützte vor allem die Politemigranten und Spanienkämpfer, die diszipliniert seinem Rat folgten und sich nicht zurückmeldeten. Im Gegenteil organisierten sie den passiven Widerstand gegen die Lagerleitung und die Schikanen der garde mobile, die das Lager bewachten.

4. Travail allemand

Franz Dahlem konnte sogar Einfluss auf die KPD-Gruppen in Frankreich und die Organisation der französischen Widerstandsbewegung im Rahmen der Travail allemand (TA) nehmen.

Die KPF stellte sich auf den illegalen Kampf ein, nachdem sie Ende September 1939 verboten wurde. Die französische Parteileitung beauftragte Käthe Dahlem und Marguerite Montré („Kitty“) nach der Niederlage Frankreichs, dauernd mit Franz Dahlem in Le Vernet in Verbindung zu bleiben.678 Käthe Dahlem nahm dazu ihren Wohnsitz im nahegelegenen Toulouse, wo sich auf Veranlassung von Franz Dahlem eine deutsche Parteiorganisation bildete, die von der KPF anerkannt wurde. Der Kontakt zur KPF und zu deutschen Parteigruppen außerhalb des Lagers bestand erst wieder seit Mitte 1940.679

674 Matthijs C. Wiessing (Hrsg.), Gertrud Meyer, Die Frau mit den grünen Haaren. Erinnerungen von und an Gertrud Meyer, Hamburg 1978. 675 SAPMO DY 30/9987, fol. 34. 676 SAPMO SgY 30/1262, fol. 69. 677 Ebd. 678 SAPMO DY 30/9972, fol. 32. 679 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 4479.

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Dahlem beauftragte Walter Beling, Otto Niebergall und Alexander Abusch in Toulouse mit der dortigen Leitung. Walter Beling schrieb im Lebenslauf seiner Kaderakte: „Wir begannen damit buchstäblich aus dem Nichts, ohne Geld, ohne Papiere, ohne Verbindungen, ohne Wohnungen.“680

Die Parteileitung in Toulouse hatte mehrere Aufgaben. Sie sollte die Versorgung der Internierten sicher stellen und deren Freilassung unterstützen. Dazu war Lex Ende in Marseille mit den „Auswanderungsangelegenheiten“ 681 betraut. Gleichzeitig sollte die Parteileitung in Toulouse mit der KPF zusammenarbeiten und unter den deutschen Besatzungstruppen arbeiten. Franz Dahlem selbst sah darin seine Hauptaufgabe nach der Besetzung Frankreichs durch die faschistische Wehrmacht und Gestapo: „Wenn ich [aus dem Camp Le Vernet] herauskomme, gehe ich nach Paris und mache die Arbeit unter den Deutschen“682.

Die Arbeit unter den Deutschen war einer Abteilung der Main-d’œuvre immigrée (MOI) der KPF als Travail Allemand unterstellt. Als Begründer der TA galt Franz Dahlem. 683 Sie konnte allerdings erst im Dezember 1940 beginnen, als Walter Beling mit dem Einverständnis Franz Dahlems nach Paris zur Abstimmung der Travail allemand mit der KPF fuhr.684

5. Asyl in Mexiko?

Von der Niederlage Frankreichs und der Ankunft einer deutschen Kommission alarmiert, stellten die internierten Politemigranten und Spanienfreiwilligen immer wieder Asylanträge, um das für sie exterritoriale Lager und danach Frankreich verlassen zu können. Es erwies sich als günstig, dass der internationale Druck auf die französische Regierung in Vichy hoch blieb, das Asylrecht zu respektieren und die Internierten besser zu behandeln. Schritte um die Ausreise der kommunistischen Internierten zu ermöglichen, unternahm die KPD-Emigration in Mexiko.685

680 Ebd. 681 SAPMO SgY 30/1262, fol. 72. 682 BStU, MfS, Allg. S 251/56, Bd. 13, fol. 369. 683 SAPMO NY 4072/4, fol. 198. 684 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 4479. Vgl. auch: SgY 30/1262, fol. 83. 685 SAPMO NY 4559/KK 38. Beispiel für die Unterstützung Franz Dahlems durch die mexikanische KPD- Emigration ist ein Schreiben Bodo Uhses an Lombardo Toledano mit der Bitte um Verlängerung der Gültigkeit der Ausreisevisa für Franz und Käthe Dahlem, 10. Feb. 1941.

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Die mexikanische Regierung hatte die spanische Republik von Anfang an gegen die rebel- lierenden Generale um Franco unterstützt. Mexiko gewährte Flüchtlingen nach der Niederlage gegen den spanischen Faschismus Asyl. Präsident Lazaro Cárdenas schickte dafür Gilberto Bosques bereits Anfang 1939 als mexikanischen Konsul nach Marseille.

Gilberto Bosques erhielt von Cárdenas am 9. August 1940 den Auftrag, Franz Dahlem und andere Internierte als politische Emigranten zu behandeln. 686 Damit die Asylsuchenden Frankreich verlassen konnten, stellte Bosques ihnen nicht nur die mexikanischen Visa aus, sondern bat die französischen Behörden, dass sich die Internierten bei ihm im Konsulat in Marseille meldeten.687 Franz Dahlem spielte in einem Brief gegenüber seiner Frau vom 4. August 1940 auch auf die Schritte an, die in Mexiko sowie in Frankreich selbst für seine Freilassung unternommen wurden als er ihr schrieb:

„Was in aller Welt angekurbelt werden konnte, ist geschehen und man muss das Resultat abwarten […] Es wäre gut, weitere persönliche Schritte für mich vorläufig zu stoppen und die Antworten auf die alten Schritte abzuwarten.“688

Gilberto Bosques forderte Franz Dahlem mit Schreiben vom 29. August auf, nach Marseille zu kommen, da ihm seine Einreiseerlaubnis vorliege. 689 Der französische Innenminister verweigerte Franz Dahlem daraufhin die Abreise mit der Begründung, dass er an den deutsch-französischen Waffenstillstandsvertrag gebunden wäre.690 Der bestimmte zwar, dass „Deutsche“ an das Deutsche Reich auszuliefern wären, aber Franz Dahlem beanspruchte jetzt zu Recht, dass er die Staatsangehörigkeit verloren habe und also Franzose sei. Die französischen Behörden behandelten ihn jedoch als Ausländer „unbestimmter Nationalität die deutschen Ursprungs ist“691.

Es begann ein zähes Ringen der Internierten mit den französischen Behörden um die Ausreise. Franz Dahlem verfolgte jetzt die Linie, dass er Franzose sei, was die Behörden nach der Registrierung 1939 auch behaupteten, nach dem Abschluss des Waffenstillstands aber nicht mehr anerkannten. Auch Franz Dahlem hatte 1939 das Gegenteil behauptet, nämlich deutscher Staatsangehöriger zu sein. Für ihn war aber damit im Jahr 1940 nach dem deutsch-französischen Waffenstillstand die Gefahr verbunden, völlig legal direkt an die Gestapo ausgeliefert zu werden.

686 SAPMO NY 4559/KK 38. 687 Wolfgang Kießling, Partner im „Narrenparadies“. Der Freundeskreis um Noel Field und Paul Merker, Berlin 1994, S. 221. 688 SAPMO NY 4072/183, fol. 106. 689 MdI, No. 1.788.109. 690 SAPMO NY 4072/183, fol. 120. 691 Ebd.

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Hätte die französische Regierung seine französische Staatsangehörigkeit anerkannt, hätte sie ihm theoretisch nicht nur Asyl gewähren, sondern ihn auch als ihren Staatsangehörigen vor dem Zugriff der Deutschen schützen müssen. Franz Dahlem wollte mit der Beanspruchung der französischen Staatsangehörigkeit erreichen, dass die Vichy-Funktionäre „die künst- lichen Hindernisse aus dem Wege [räumen], die man meiner Ausreise entgegenstellt“692.

Bei den französischen Amtsträgern gab es verschiedene Meinungen, wie mit Franz Dahlem umgegangen werden sollte. Lagerkommandant und Präfekt lehnten eine Entlassung ab. Der Kommandant des Lagers Le Vernet schrieb an den Präfekten des Departements Ariège nach Foix am 16. Oktober 1940:

„[Il] est non seulement indésirable en France, mais dangereux. En aucun cas par conséquent, il ne doit être liberé, même provisoirement en France.“693

Der Präfekt seinerseits ergänzte drei Tage später in seinem Bericht an den Innenminister in Vichy:

„Il s’est révélé, en effet, comme un chef particulièrement actif ayant sur ses camerades un ascendant et une autorité indiscutable.“694

Diese Aussagen des Lagerkommandanten und des Präfekten belegen, dass Franz Dahlem den Widerstand gegen das Lagerregime organisierte. Zum anderen deutete die entschiedene Ablehnung selbst eines vorübergehenden Aufenthalts in Frankreich daraufhin, dass den französischen Behörden sein Einfluss auf die Travail Allemand bekannt geworden war.695

Aber der Lagerkommandant und auch der Präfekt hatten grundsätzlich nichts gegen eine Ausreise nach Mexiko einzuwenden, sofern er nicht als deutscher Staatsangehöriger behandelt werden müsste: „Il peut émigré au Mexique puis qu’il est en possession des pieces et moyens nécessaires.“696

Dahlem war also schon Mitte Oktober 1940 im Besitz der mexikanischen Dokumente.697 Die französischen Behörden verweigerten ihm jedoch die Durchreise und hielten ihn aus Angst vor den Deutschen und auch als politisches Pfand weiter gefangen. Deshalb behaupteten sie, er sei „Deutscher“ im Sinne des Art. 19 (2) des deutsch-französischen Waffenstillstands- vertrages.

692 Ebd., fol. 183. Schreiben an Käthe Dahlem vom 4. Oktober 1940. 693 MdI, No. 1.788.109. 694 Ebd. 695 SAPMO NY 4072/4, fol. 199. Joseph Chaumeils erinnerte sich, dass es der Vichy-Polizei gelang, diese Tätigkeit aufzudecken. 696 MdI, No. 1.788.109. 697 MdI, No. 308.290.

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In einem Gespräch im Lager Ende Oktober 1940 sagte der Präfekt des Departements Ariège Franz Dahlem die Ausreise zwar zu, die jetzt auch der Lagerkommandant befürwortete.698 Das Innenministerium, ihre vorgesetzte Behörde, war jedoch besorgt, die Deutschen mit einer Reiseerlaubnis zu verärgern. Es erkundigte sich seinerseits, ob Franz Dahlem der Kundt- Kommission bekannt geworden war699, was der Präfekt bejahen musste.700

Franz Dahlem wurde immer ungeduldiger, nachdem auf seine letzte Anfrage vom 15. November 1940 keine Antwort eingegangen war. Die Ungewissheit war schwer erträglich. 12 Tage später teilte der Innenminister aus Vichy dem Präfekten in Foix mit, dass es „inopportun“701 sei Franz Dahlem freizulassen.

6. Auslieferung oder Ausreise?

Aus dem Camp Le Vernet zu entkommen, war schwierig, da es keinerlei aussichtsreiche Fluchtmöglichkeiten gab. Es war bis 1941 einfach aus dem Lager zu fliehen, aber in der Umgebung oder in anderen Landesteilen die entsprechende Unterstützung für eine gelungene Flucht zu finden, um nicht wieder zurückgebracht zu werden, war nahezu unmöglich. Auf legalem Weg blieb also nur noch, die französischen Behörden zu zwingen, Franz Dahlem als Sowjetbürger ausreisen zu lassen.

Die Sowjetunion unterhielt weiterhin diplomatische Beziehungen zu Vichy. In Moskau setzte sich der KPD-Vorsitzende Wilhelm Pieck dafür ein, Franz Dahlem durch Verleihung der sowjetischen Staatsbürgerschaft zu befreien. Am 17. Oktober 1940 bat er im Namen der deutschen ZK-Vertreter der KPD in Moskau Dimitri Manuilski, der Franz Dahlem persönlich kannte,

„ob es nicht möglich ist, die Genossen Franz Dahlem und Paul Merker für Sowjetbürger zu erklären und durch die sowjetische Vertretung bei der französischen Regierung die Entlassung der beiden Genossen aus dem Flüchtlingslager in Vernet und ihre Ausreiseerlaubnis aus dem nicht okkupierten Teil Frankreichs zu betreiben. […] Die Lage der beiden Genossen wird immer schwieriger und es steht für beide Genossen die ernste Gefahr

698 SAPMO NY 4072/183, fol. 177. 699 MdI, No. 1.788.109. 700 Ebd. 701 Ebd.

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ihrer Auslieferung an die deutsche Regierung, was für beide die Verurteilung zum Tode bedeuten würde.“702

Franz Dahlem und Paul Merker waren tatsächlich die gefährdetsten Kommunisten in Le Vernet. Die Wahrscheinlichkeit dem Lager und den deutschen Faschisten zu entkommen, war für sie am geringsten.

Als KPD-Spitzenfunktionäre vor 1933, in der Illegalität nach 1933 und an exponierter Stelle in der Emigration wollte die Gestapo diese beiden Kommunisten unbedingt ergreifen. Es ist anzunehmen, dass ihr der Aufenthalt von Dahlem und Merker schon bekannt war, zumal drei Vertreter des Reichssicherheitshauptamtes der Kundt-Kommission angehörten.

Franz Dahlem erfuhr von den Bemühungen Piecks und wahrscheinlich auch Dimitroffs von dem ebenfalls internierten Spanienkämpfer Luigi Longo703, der offensichtlich über einen Kontakt zur Komintern aus dem Lager heraus verfügte.

Am 2. Dezember 1940 wandte sich Wilhelm Pieck auch an Molotow, Franz Dahlem und Paul Merker die sowjetische Staatsbürgerschaft zu verleihen und dann ihre Auslieferung zu verlangen. Er schrieb an Molotow: „Ich sehe nur noch diese Möglichkeit, die beiden Genossen zu retten.“704

Wahrscheinlich hatten ihm Manuilski oder Dimitroff geraten, sich auch an Molotow zu wenden. Die verstärkten Bemühungen in Moskau zu Dahlems Befreiung korrespondierten mit dem Versuch, Dahlem, wenn sich die Gelegenheit ergab, die Flucht aus dem Lager zu ermöglichen. Dazu entsandte die KPF einen Beauftragten nach Toulouse, der die Möglichkeiten einer Flucht prüfen sollte.705

Dahlem selbst drängte die französischen Behörden, ihn ausreisen zu lassen. Dafür hatte er die Unterstützung Gilberto Bosques, der sich ebenfalls in regelmäßigen Abständen an den Präfekten mit der Bitte um Entlassung Dahlems wandte. Genauso regelmäßig standen Schiffspassagen oder Flugtickets bereit, die eine sofortige Abreise Franz und Käthe Dahlems ermöglicht hätten. Alle nötigen Unterlagen hatte Dahlem vermutlich über seinen Bruder Robert Dahlem erhalten.

Aber auch die Bemühungen des mexikanischen Generalkonsuls waren nicht erfolgreich. Im Januar 1941 wollte ihm der Präfekt mitteilen, dass Franz Dahlem Reichstagsabgeordneter war

702 SAPMO NY 4036/560, fol. 56. 703 Ebd., fol. 163. Vgl. auch: FA, Mappe VI, Schreiben des Lagerkommandanten Praxt an den Präfekten, dass er die Überführung Franz Dahlems in das Durchgangslager Les Milles befürworte. 704 SAPMO NY 4036/560, fol. 58. 705 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 4479.

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und der Innenminister seine Ausreise verboten habe.706 Franz Dahlem im Lager Le Vernet wusste nicht genau, weshalb man ihn länger festhielt. Er hatte mit Vertretern der Kundt- Kommission gesprochen, die ihm gegenüber erklärten, dass sie „an den Ausgebürgerten kein Interesse“ haben und das „allein die französischen Autoritäten angehe“707. Dahlem nahm an, dass „die Deutschen die französischen Behörden als ihre Gefangenenwärter für mich benutzen“708.

Dieser Eindruck verstärkte sich, als er im Februar 1941 erfuhr, dass Paul Merker, Georg Stibi, Adolf Deter und Philipp Daub in das Durchgangslager Les Milles reisen dürfen.709 Präfekt und Lagerkommandant wollten jedenfalls nicht die „Gefangenenwärter“ sein. Sie hatten ein Interesse daran, dass Franz Dahlem aus dem Lager verschwand, weil sie ihn als „Aufrührer“ loswerden wollten.

Franz Dahlem hatte insbesondere bei den deutschen Internierten die Disziplin aufrecht erhalten und übereilte Reaktionen auf Provokationen durch die Lagerautoritäten verhindert. Selbst nach dem Aufstand Ende Februar 1941 mussten sie ihn als Ansprechpartner akzeptieren, auch wenn sie in ihm einen Anstifter sahen. Er war auch im Lagergefängnis und wurde dort geschlagen.710 Der französische Sonderbeauftragte Lindmann urteilte nach einem persönlichen Gespräch über Dahlem:

„Sa présence y est d’autant plus nuisible qu’il sait agir sans se mettre en avant pour éviter toute pousuite judicaire.“

Auch Lindmann befürwortete die Abreise Dahlems.711 Im März 1941 erhielt Dahlem auch einen Pass, der ihm die Einreise in die Sowjetunion ermöglichte.712 Dort hatten Pieck und Dimitroff entschieden, Dahlem und andere noch in Frankreich internierte Kader durch den amerikanischen Kommunisten Noel Field retten zu lassen.713 Wilhelm Pieck ließ Noel Field dazu eine Liste der Gefährdeten durch Jules Humbert-Droz in der Schweiz zukommen.714

Noel Fiel leitete die europäische Niederlassung des Unitarian Service Commitees, einer Hilfsorganisation der Quäker. Noel Field half den Internierten, indem er ihnen Hilfspakete schickte und den Kontakt zu französischen Behörden, dem mexikanischen Generalkonsul

706 MdI, No. 1.788.109. Vgl. auch: FA, Mappe VI. 707 SAPMO NY 4036/560, fol. 64. Vgl. auch: SAPMO NY 4072/184, fol. 11f. 708 SAPMO NY 4072/184, fol. 17. 709 Ebd., fol. 30. 710 SAPMO NY 4036/560, fol. 145. Vgl. auch: Hinze, Le Vernet, S. 205. 711 MdI, No. 1.788.109. 712 MdI, No. 308.290. 713 Bernhard H. Bayerlein (Hrsg.), Georgi Dimitroff. Tagebücher 1933-1943, Berlin 2000, Bd. 1, S. 356. 714 Flora Lewis, Bauer im roten Spiel. Das Leben des Noel H. Field, Berlin 1965, S. 130.

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Gilberto Bosques, ihren Familien und den kommunistischen Parteien aufrecht erhielt. Wenn ihm Franz Dahlem nicht schon aus seiner Arbeit für den Völkerbund in Spanien bekannt war, so lernte er ihn spätestens in Vernet kennen. Im Februar 1941 war eine „Kommission der Quäker“715 in Franz Dahlems Baracke. Ihr kann Noel Field angehört haben. Beide waren sich vermutlich schon aus Spanien bekannt.716 Franz Dahlem bat die Lagerleitung, dass sie die Hilfe des USC für die Internierten zulässt.717

Stalin und Molotow stimmten der Verleihung der sowjetischen Staatsangehörigkeit an Dahlem, Rädel und Rau zu. Im April 1941 teilte der sowjetische Konsul in Vichy ihnen mit, dass ihnen die sowjetische Staatsbürgerschaft verliehen worden ist.718 Für die Ausreise von Dahlem, Merker und Rädel stellte das EKKI 25 000 Dollar zur Verfügung.719

Franz Dahlem hatte jetzt gegenüber den französischen Behörden eine neue Argumentations- grundlage. Nachdem er nacheinander vergeblich versucht hatte, als Deutscher, Franzose und Ausgebürgerter die französischen Autoritäten davon zu überzeugen, ihn frei zu lassen, konnte er erneut versuchen, die Behörden unter Druck zu setzen bzw. ihnen die Entscheidung zu erleichtern. Umgehend forderte Franz Dahlem vom Präfekten erneut, nach Les Milles verlegt zu werden, was die Ausreise nach Mexiko bedeutet hätte.720 Auch den sowjetischen Konsul in Vichy wollte Dahlem um entsprechende Schritte beim französischen Außenministerium bitten.721

Aber schon am 19. April 1941 notierte der Präfekt, dass Dahlem weiter in Le Vernet inhaftiert bleiben sollte.722 Dafür plädierte Admiral François Darlan, der vom Präfekten über die Verleihung der sowjetischen Staatsbürgerschaft an Franz Dahlem informiert wurde.723 Darlan sagte dem Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Vichy Hugo Geissler724 bereits am 21. April 1941 eine weiterhin enge Zusammenarbeit zu. Darlan meinte zu Geissler, „dass Kriminelle, Kommunisten […] gefährlich für die Sicherheit beider Länder“725 sind.

715 SAPMO NY 4072/184, fol. 23. 716 BStU, MfS, AU Nr. 192/56, Bd. 5, fol. 57. 717 MdI, No. 308.290. 718 SAPMO DY 30/9970, fol. 113. Vgl. auch: AN 201020156/29. 719 SAPMO NY 4036/560, fol. 92. 720 MdI, No. 308.290. Vgl. auch: AN 20120156/29. 721 MdI, No. 1.788.109. 722 Ebd. 723 MdI, No. 308.290. 724 Siegfried Grundmann, Hugo Geissler. Vom Dresdner SA-Mann zum Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Vichy, Berlin 2012. 725 Delacor, Auslieferung, S. 238.

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Die Regierung in Vichy räumte den Beziehungen zum Deutschen Reich Vorrang ein. Eine Ausreise Dahlems kam für sie nicht in Betracht. Anfang Mai 1941 reagierte sie auf die Verleihung der sowjetischen Staatsbürgerschaft mit der Verhängung von Besuchs- und Sprechverbot für Franz Dahlem.726 Auch die internationale Kampagne für die Befreiung der in Vernet internierten Kommunisten, insbesondere Franz Dahlems, konnte nicht genügend Druck aufbauen, um eine Freilassung zu erreichen.

Die Schritte Mary Laughtons, Jennie Chakins, Cyrus Porters, Gilberto Bosques und Schreiben mexikanischer Parlamentarier und Regierungsstellen 727 waren vergebens. Das waren beeindruckende Manifestationen, aber bereits vor dem Überfall der deutschen Faschisten auf die Sowjetunion ordnete der Generalsekretär der Polizei in Vichy an, dass Franz Dahlem weiter interniert bleiben sollte.728 Nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 und der Flucht Paul Merkers Anfang Juli 1941 aus dem Lager Les Milles sank die Chance einer Freilassung weiter. Paul Merker hatte die letzte Möglichkeit zur Flucht genutzt.729 Schon am 12. August 1941 verlangte der Gestapo-Vertreter in Frankreich Hugo Geissler offiziell seine Auslieferung.730

Einen Tag später verlangte er auch offiziell die Auslieferung Franz Dahlems an die deutsche Polizei, weil Dahlem wegen Straftaten gesucht und seine Gefangennahme „sehr wichtig für die deutschen Behörden“ 731 sei. Natürlich hatten „die deutschen Behörden“ mit Franz Dahlem eine besonders wichtige Festnahme in Aussicht, da er als aktives Mitglied des Politbüros die Arbeit nach Deutschland mitbestimmte. Seine Gefangennahme war von unschätzbarem Wert, weil die deutschen Faschisten die Kommunisten als ihren Hauptfeind betrachteten, über den das Reichssicherheitshauptamt noch immer regelmäßig berichtete.

Vorerst lieferte Vichy Franz Dahlem aber nicht aus. Die Auslieferungsprozedur verzögerten die französischen Behörden, weil sie annahmen, dass Franz Dahlem als sowjetischer Staatsbürger gegen französische Zivilinternierte in der Sowjetunion ausgetauscht werden könnte. 732 Da sie aber im August 1941 nicht wussten, ob und wieviel französische Staatsangehörige in der Sowjetunion nach dem Überfall der faschistischen deutschen

726 SAPMO NY 4072/184, fol. 77. Vgl. auch: SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 1847. 727 MdI, No. 308.290. Mitteilung Rudolf Feistmanns an Franz Dahlem vom 21. Aug. 1941, dass sich vier mexikanische Senatoren für ihn einsetzen. Vgl. ebd.: Mitteilung des mexikanischen Parlamentspräsidenten Alessandro Carillo an Franz Dahlem vom 24. Aug. 1941, dass er den Präfekten um seine Abreise gebeten habe. 728 MdI, No. 1.788.109. 729 MdI, No. 364.767. 730 Ebd. 731 MdI, No. 1.788.109. 732 Ebd. Schreiben des Staatssekretärs des Innern an den Staatssekretär des Äußeren vom 19. Aug. 1941.

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Wehrmacht und ihrer Verbündeten interniert waren, verzögerten sie die Auslieferung Franz Dahlems.

7. Politische Haltung im Lager

Franz Dahlem konnte vom ministeriellen Entscheidungsprozess nichts wissen. Er stellte nach dem Überfall auf die Sowjetunion fest, dass Hitler als „Bannerträger des deutschen Imperialismus, wieder voll auf das Geleise von ‚Mein Kampf‘ umgestellt“ hatte. Er ging in dem Brief an seine Frau, der von der französischen Zensur mitgelesen wurde, davon aus, dass nach diesem:

„schrecklichen Krieg […] die Völker etwas zu sagen haben und siegend sich ihre Freiheit und Unabhängigkeit wieder nehmen. […] Ich habe die ruhige Zuversicht, dass Hitler sich an der Sowjetunion den Kopf einrennen wird.“733

Nach dem Überfall auf die Sowjetunion zweifelte Dahlem erneut an seiner Befreiungs- strategie und änderte seine Linie gegenüber den französischen Gefangenenwärtern. An Käthe Dahlem schrieb er: „Wie sich meine Lage als Sowjetbürger gestalten wird, kann ich nicht voraussehen.“734

Im August 1941 beansprucht er den Status als Staatenloser mit französischen Wurzeln, um doch noch freigelassen zu werden. Er berief sich auf den deutschen Reichsanzeiger. Darin hatte die Reichsregierung bereits am 25. Juli 1936 den Entzug seiner deutschen Staats- angehörigkeit bekannt gemacht.

Es kam Dahlem nicht darauf an, auf die gerade erworbene sowjetische Staatsbürgerschaft zu verzichten, sondern die französischen Behörden davon zu überzeugen, dass er kein Deutscher im Sinne des deutsch-französischen Waffenstillstandsvertrages sei. Deshalb berief er sich auch wieder auf seine französische Herkunft. 735 Über das Auslieferungsbegehren der deutschen Polizei war Dahlem bereits informiert.736 Eine aussichtsreiche Chance auszureisen, war jetzt nur noch über die Verbindungen Noel Fields möglich.737 Franz Dahlem schrieb in

733 SAPMO NY 4072/184, fol. 132. 734 Ebd. 735 MdI, No. 308.290. 736 MdI, No. 1.788.109. 737 Barth, Bernd-Rainer, Werner Schweizer (Hrsg.), Der Fall Noel Field. Schlüsselfigur der Schauprozesse in Osteuropa. Gefängnisjahre 1949-1954, Berlin 2005, S. 324: Field sprach für Dahlem beim US- Geschäftsträger in Vichy, S. Pinkney Tuck, vor.

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dieser verzweifelten Situation an Käthe Dahlem: „Hast Du etwas erfahren über die Bemühungen der Quäker um ein Transitvisum zu erhalten?“738

Damit war Noel Field gemeint. Noel Field versuchte nicht nur auf dem Behördenweg Dahlem frei zu bekommen. Er veranlasste auch das USC in den USA, bei der französischen Regierung für Dahlem und die übrigen Internierten zu intervenieren. 739 Gemeinsam mit Maria Weiterer, der Lebensgefährtin des immer noch mit Dahlem verhafteten Siegfried Rädel, Lex Ende und Käthe Dahlem versuchte Field, über den Militärgeistlichen von Vichy Dahlem freizubekommen.740

Der Einsatz Fields weckte das Misstrauen der französischen Behörden, auch weil sie die Tätigkeit des US-Amerikaners Field unter Druck setzte. Sie konnten nicht nachvollziehen, warum das USC und die jüdische Hilfsorganisation HICEM für den Kommunisten Dahlem intervenierte. Deshalb schlug der Präfekt dem Innenminister Anfang Oktober 1941 vor, sich bei den Hilfsorganisationen direkt zu beschweren, dass sie ihre Rechte überschreiten, wenn sie sich um diese Internierten kümmerten, die keine Berechtigung haben, ihre Unterstützung anzufordern: „Es wäre angebracht ihre ungewöhnlichen Schritte zu kontrollieren.“741

Die „ungewöhnlichen Schritte“ gehörten zu den letzten Mitteln, Franz Dahlem vor der Auslieferung zu retten. Erneut waren eine Schiffspassage nach Mexiko sowie ein Flug in die USA bezahlt. Gilberto Bosques bat den Präfekten am 10. Oktober 1941 erneut um die Freilassung Dahlems.742 Sogar die Zusage des Botschafters Vichys in den USA Henri Haye, allen Internierten Ausreisevisa auszustellen, war erreicht worden.743

Dieser beeindruckende weltweite Einsatz für die Freiheit Franz Dahlems und aller weiterhin inhaftierten Kommunisten änderte aber nicht die Einstellung Vichys. Franz Dahlem verlor nach zweijähriger Internierung die Hoffnung, dass er der deutschen Polizei doch noch entkommen könnte. Verantwortlich war für ihn die französische Regierung: „Mein Wunsch und Wille ist die volle Verantwortung der französischen Regierung für mein Schicksal festzustellen.“744

738 FA, Mappe VI. 739 BStU, MfS, Allg. S 251/56, Bd. 8a, fol. 25. Aussage Maria Weiterers. 740 BStU, MfS, AU Nr. 192/56, fol. 145. Vgl. auch: BStU, MfS, Allg. S 251/56, Bd. 14n, fol. 4. Aussagen Paul Merkers. Vgl. auch: Wolfgang Kießling, „Leistner ist Mielke“. Schatten einer gefälschten Biographie, Berlin 1998, S. 78. 741 FA, Mappe VI. 742 Ebd. 743 MdI, No. 308.290. Vgl. auch: MdI, 1.788.109. Vichy lehnte die Ausstellung der Ausreisevisa Ende Okt. 1941 ab. 744 SAPMO NY 4072/184, fol. 233.

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Diese Feststellung war der letzte moralische Appell, das Asylrecht zu achten. Dahlem war bewusst geworden, dass er für Vichy nur noch ein Mittel zum politischen Zweck war:

„Zur Zeit bin ich absolut rechtlos und könnte morgen, anstatt nach Les Milles, anderswohin abtransportiert werden, trotz internationalem Recht. Dagegen habe ich jetzt kein Rechts- mittel, nur den ausgesprochenen Wunsch und Willen, dass die Politik der Geiselhaltung, wie sie von den französischen Behörden schon vor einem Jahr mir gegenüber begonnen wurde, klar festgestellt bleibt.“745

Für die französische Regierung war er tatsächlich eine Geisel. Ende Oktober 1941 war man in Vichy darüber informiert, dass sich mindestens 76 französische Zivilinternierte in der UdSSR aufhielten. Vichy wollte Dahlem als Preis jedoch nicht zahlen. In einem Polizeivermerk hieß es:

„Quoi qu’il en soit, il semble qu’en aucun cas on ne puisse autoriser ces individues [Franz Dahlem, Siegfried Rädel] à émigrer, tous deux était réclamés par les autorités de leur pays d’origine [durch den Gestapo-Chef in Vichy Hugo Geissler].“746

Vichy gab einer Regelung mit der Gestapo Vorrang, auch wenn es den Austauschplan noch nicht endgültig aufgegeben hatte.

Im November 1941 begannen die französischen Behörden das Lager Vernet aufzulösen. Der Großteil der Internierten wurde nach Algerien in das Lager Djelfa gebracht. Franz Dahlem inhaftierte man im Auslieferungsgefängnis Castres. Am 18. November 1941 wurde er mit Luigi Longo, Siegfried Rädel, Heinrich Rau, Rudolf Leonhard, zwei Mitgliedern der KPÖ und sechs jugoslawischen Interbrigadisten dorthin überführt. 747 Der französische Innen- minister teilte dem Außenminister am Tag der Auslieferung mit, Dahlem und Longo noch nicht an die Deutschen und Italiener zu überführen, weil die Verhandlungen mit der Sowjetunion noch nicht abgeschlossen seien.748

Zum anderen trennte die französische Polizei die bis dato in Le Vernet Internierten von ihren „meneurs“. Sie ermöglichte damit einen reibungslosen Abtransport der übrigen Gefangenen nach Algerien und zeigte der deutschen Gestapo, dass Franz Dahlem, Siegfried Rädel und Heinrich Rau sicher verwahrt waren. Denn SS-Führer Geissler drängte erneut am 20. November 1941 beim Innenministerium in Vichy auf Auslieferung.749 Käthe Dahlem und die Partei erfuhren von der Inhaftierung Franz Dahlems in Castres von Maria Wagner, der

745 Ebd., fol. 252. 746 MdI, No. 1.788.109. 747 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133, fol. 151. 748 MdI, No. 1.788.109. 749 MdI, No. 1.788.109.

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Tochter des ebenfalls in Castres verhafteten Josef Wagners. Maria Wagner konnte zufällig den Kontakt über zwei Wärter zu Josef Wagner herstellen, der ihr mitteilte, dass auch Franz Dahlem im Gefängnis war.750

XVIII. AUSLIEFERUNG AN DIE SS

1. Gefängnis in Castres

Die Inhaftierung in Castres erschwerte Franz Dahlem den Kontakt zu seiner Umgebung und zur Außenwelt. Er wurde in eine Zelle gesperrt und damit isoliert. Die Partei und Käthe Dahlem wussten wochenlang nicht, wo er sich befand. Die französischen Behörden verweigerten darüber auch jegliche Auskunft. Briefe wurden nicht mehr zugestellt.751

Umgehend protestierte Dahlem beim Chef des Camp de St. Sulpice im Namen seiner Mitge- fangenen Longo, Rau und Rädel. Er forderte ihn auf, den Grund für ihre Verhaftung mitzuteilen, das Kontaktverbot aufzuheben und sie ausreisen zu lassen. Auch sollten die Paketlieferungen wieder zugelassen werden „de nos familles et des organisations d’Amérique, de Suisse et du Portugal, qui nous ont toujours honorées de leur aide et assistance“752.

Die französischen Dienststellen waren unsicher, was mit ihm geschehen sollte. Sie sahen in Franz Dahlem einen „suspect au point de vue national. Meneur communiste au camp. Très dangereux“753 und verwiesen ihn am 10. Dezember 1941 des Landes.754 Am selben Tag ließen sie ihn vom Ausweisungserlass durch den Polizeikommissar in Castres René Cantarel in Kenntnis setzen, der ihm mitteilte, dass er zur Vollstreckung der Ausweisung an die Demarkationslinie geführt werden kann, um dort der deutschen Polizei übergeben zu werden.755 Dagegen protestierte Dahlem, da er als sowjetischer Staatsbürger, dem zuvor die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen wurde, nicht ausgeliefert werden dürfe.756 Auch Käthe

750 BArch NY 4072/200, fol. 14. Josef Wagner (Leiter der Grenzstelle Forbach der KPD) war bereits seit Mitte Oktober 1941 in Castres inhaftiert. 751 SAPMO NY 4072/185, fol. 305. 752 MdI, No. 308.290. 753 AN, No. 20100107/21. 754 MdI, No. 308.290. Frankreich begründete das Einreiseverbot für Franz Dahlem auch nach dem Krieg mit diesem Ausweisungsbeschluss vom 10. Dezember 1941, der die formelle Grundlage der Auslieferung an die SS war. 755 MdI, No. 1.788.109. 756 MdI, No. 308.290.

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Dahlem bat Außen- und Innenministerium in Vichy am 23. Dezember 1941, auf die Auslieferung zu verzichten.757

Nachdem Käthe Dahlem wusste, wo Franz Dahlem inhaftiert war, versuchte sie mit Hilfe der KPF und Noel Fields sowie der Tochter des ebenfalls in Castres inhaftierten Josef Wagner Maria Wagner, die Flucht zu organisieren.

Auch die Häftlinge versuchten soweit möglich untereinander in Verbindung zu treten und die Wachen zu bestechen. Noel Field stellte 100 000 Francs für die Flucht zur Verfügung.758 Diese Flucht soll am Verrat des Sozialdemokraten Richard Kirn gescheitert sein, der annahm, nicht mitgenommen zu werden. Es ist wahrscheinlich, dass Kirn die bevorstehende Flucht verraten hat. Denn nach der Aussage Maria Wagners sagten ihr die zwei Wärter, über die sie Verbindung zu den Gefangenen hatte und über die die Flucht organisiert werden musste, dass einer der Gefangenen den Fluchtplan verraten hätte. Sie nannten keinen Namen.

Allerdings erzählte Josef Wagner seiner Mutter nach der Auslieferung an die Gestapo im Gefängnis in Saarbrücken, dass Kirn der Verräter des Fluchtplans gewesen sei. Für diese Annahme spricht, dass die beiden Wärter Josef Wagners Tochter Maria am vereinbarten Treffpunkt warnten. Hätten sie die Gefängnisleitung selbst von der geplanten Flucht in Kenntnis gesetzt, hätte die französische Polizei wohl auch Maria Wagner verhaftet.759

Trotz der neuerlichen Auslieferungsgesuche der Gestapo vom 10. Januar und vom 11. Februar 1942 760 zögerten die französischen Behörden noch immer, Franz Dahlem unter Bruch des Asylrechts zu überstellen. Das hing mit seiner sowjetischen Staatsbürgerschaft und der 1936 bereits entzogenen deutschen Staatsangehörigkeit zusammen.

Aber auch die anhaltende internationale Unterstützung für Franz Dahlem ließ sie weiter zögern. Am 17. November 1941 erhielt Dahlem ein kubanisches Visum. Im Dezember 1941 erkundigte sich Georg Branting aus Schweden auf Initiative des Schwiegersohns, Karl Mewis, nach Franz Dahlem. Branting erhielt die lakonische Mitteilung, dass Dahlem noch immer interniert war.761 Im Mai 1942 konnte Franz Dahlem Käthe Dahlem den Erhalt von Geld des Flüchtlingshilfekomitees aus Stockholm berichten.762

757 MdI, No. 1.788.109. Vgl. auch: FA, Mappe VI. 758 BStU, MfS, AU Nr. 192/56, Bd. 5, fol. 50. 759 SAPMO NY 4072/200. Maria Jacottet (geb. Wagner) an Käthe und Franz Dahlem, 16. Dez. 1969. SAPMO DY 30/37731. Schreiben Franz Dahlems an Heinz Voßke. Vgl. auch: Blumberg, Biographie 1933-1945, S. 9. Vgl. auch: Hinze, Le Vernet, S. 269. Dem widersprechend, wenn auch ohne Beleg: Klaus-Michael Mallmann, Paul Gerhard, Das zersplitterte Nein. Saarländer gegen Hitler, 1989, S. 310. 760 MdI, No. 1.788.109. 761 Ebd. 762 SAPMO NY 4072/185, fol. 357.

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Auch Noel Field hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt. Auf seine Initiative gingen vermutlich die Interventionen des State Departements und der amerikanischen Repräsentanten in Vichy zurück, was Franz Dahlem noch Mitte Juli 1942 Hoffnung gab, dass diese „letzte Inter- vention“763 endlich zur Ausreise führen würde. Das Gegenteil war der Fall.

SS-Hauptsturmführer Hugo Geissler hatte direkt in Vichy auf Auslieferung Franz Dahlems gedrängt. Dazu war Geissler aber gar nicht berechtigt. Aber schon im Fall Breitscheids und Hilferdings verhandelte die französische Polizei direkt mit Geissler und lieferte die SPD- Politiker aus. Geissler hatte behauptet, er hätte die deutsch-französische Waffenstillstands- kommission informiert. Das Auswärtige Amt, das zuständig war, entzog sich der Verant- wortung und behauptete, es sei nicht für die Spanienkämpfer 764 oder Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatten, zuständig. Deshalb akzeptierte die französische Polizei Geisslers gelogene Behauptung, er hätte sich mit den Kollegen vom Auswärtigen Amt abgestimmt. Geissler war überhaupt nicht berechtigt Auslieferungsbegehren nach Art. 19 (2) des deutsch-französischen Waffenstillstandsvertrags zu stellen.765

Wie im Fall Breitscheids und Hilferdings, so ging Geissler auch im Fall Dahlem vor und gelangte zum Ziel. Geissler selbst war sich der Illegalität seines Handelns bewusst. Er fragte zwar immer wieder nach und drängte auf Auslieferung. Doch schränkte er seine Forderungen ein, indem er schrieb, dass Dahlem und Genossen in französischer Haft bleiben sollten, sofern noch keine Auslieferung möglich wäre.766 Er erleichterte der französischen Polizei die Kollaboration und den Bruch des Asylrechts, als er zugab, dass die sowjetische Staatsbürgerschaft die Auslieferung von Dahlem und Rau verhindere, dass sie aber weiter als deutsche Staatsangehörige angesehen werden und Rädel sowieso noch die deutsche Staatsangehörigkeit besitze.767

Eine erneute Lüge des SS-Hauptsturmführers. Denn das Deutsche Reich selbst hatte Dahlem 1936 ausgebürgert.

Die Behauptung, er sei nun doch noch Deutscher, erleichterte Vichy die Auslieferung. Jetzt konnte man dort einfach annehmen, dass Dahlem als deutscher Staatsangehöriger unter den Art. 19 (2) des Waffenstillstandvertrages falle und legal ausgeliefert werden kann. Die Form war gewahrt. Aber selbst wenn man die deutsche Staatsangehörigkeit bei Siegfried Rädel zur

763 SAPMO NY 4072/185, fol. 394. 764 Delacor, Auslieferung, S. 224. 765 Ebd., S. 236. 766 MdI, 1.788.109. 767 Ebd. Schreiben des Chefs der deutschen Polizei Geissler an den Generalsekretär der Polizei beim Ministerium des Innern in Vichy vom 11. Feb. 1942.

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Grundlage der Auslieferung nimmt. Das Auslieferungsverfahren gegen Franz Dahlem war illegal und von Seiten der französischen Regierung auch unmoralisch, da sie wusste, dass die nach Frankreich geflüchteten Kommunisten in Deutschland der Tod erwartete.

Franz Dahlem hatte während der gesamten Zeit in französischer Haft, seit der Registrierung in Colombes seine politische Linie aufrechterhalten. In den Briefen an seine Frau äußerte er sich gegenüber den französischen Behörden in der Art historischer Analogien. Diese Briefe waren auch an die deutsche Partei, die KPF und die Komintern gerichtet. Aus den Briefen geht hervor, dass er nicht der Meinung war, dass die Kommunisten die bürgerliche Demokratie um ihrer selbst willen verteidigten, sondern lediglich, um den Faschismus zu bekämpfen. Im „drôle de guerre“ und der anschließenden Kollaboration Frankreichs mit dem Faschismus sah er die Thesen von Marx und Engels bestätigt, dass „jede neue Gesellschafts- ordnung im Leibe der alten Ordnung wächst“768.

Das Rad der Geschichte auf die Zeit vor der Großen Französischen Revolution zurückzudrehen, hielt er für unmöglich. Den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag begrüßte er vor diesem Hintergrund als persönliche Leistung Josef Stalins. Im Dezember 1940 berichtete er aus Le Vernet an seine Frau, dass er bei sowjetischen Internierten Stalins Geburtstag gefeiert habe, „des weisen Führers […], der [uns] aus dem Chaos des Krieges ferngehalten hat.“769

Dahlem ging davon aus, dass der Überfall der faschistischen Wehrmacht unter Bruch des Nichtangriffsvertrages sicher erfolgen würde und dass Hitler dann scheitern musste.770 Noch vor der ersten Niederlage der faschistischen Wehrmacht in der Schlacht bei Moskau im Winter 1941 sagte er die Niederlage voraus, die Frankreich wie 1812 auf der falschen Seite erleben werde. 771 Es war mutig, die französische Regierung als ihr Inhaftierter so zu kritisieren und zum Seitenwechsel aufzufordern.

2. Übergabe an der Demarkationslinie

Die französische Auslieferungsverfügung für Franz Dahlem, Siegfried Rädel und Heinrich Rau datierte vom 28. Juli 1942. Die drei Genossen wurden mit Joseph Wagner an die Demarkationslinie nach Moulins zwischen der von Vichy verwalteten Südzone und dem von

768 SAPMO NY 4072/183, fol. 97. Schreiben an Käthe Dahlem vom 29. Juli 1940. 769 Ebd., fol. 232. Schreiben an Käthe Dahlem vom 23.12.1940. 770 SAPMO NY 4072/184, fol. 132. Schreiben an Käthe Dahlem vom 22. Juni 1941. 771 Ebd., fol. 252. Schreiben an Käthe Dahlem vom 28. Okt. 1941.

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der Wehrmacht besetzten Nordfrankreich gebracht. Von dort aus brachte sie die Gestapo am 4. August 1942 in das Gefängnis Rue Cherche-Midi in Paris, wo sie unter direkter deutscher Polizeikontrolle standen.772

Nach kurzem Aufenthalt überstellte man die wertvollen Gefangenen Dahlem und Rau Mitte August 1942 in das „Hausgefängnis“773 der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße Berlin.774

Ihr ehemaliger Mitgefangener Siegfried Rädel 775 wurde direkt vom Volksgerichtshof abgeurteilt. Er war noch deutscher Staatsangehöriger. Aber schon aus seinem Antrag sowjetischer Staatsbürger werden zu wollen, schloss der Volksgerichtshof auf seine „staatsfeindliche Einstellung“. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass seine „konspirative Tätigkeit […] auf gewaltsame Beseitigung der nationalsozialistischen Regierungsform in Deutschland gerichtet“776 war. Darin sah das Gericht den Tatbestand „der Vorbereitung zum Hochverrat“ erfüllt. Dafür wurde Siegfried Rädel von den deutschen Faschisten hingerichtet.

Für die trotz aller Willkür sehr bürokratischen Faschisten bei der Gestapo erwies sich die sowjetische Staatsbürgerschaft Franz Dahlems und Heinrich Raus als juristisches Hindernis. Sie selbst hatten ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen. Rein rechtlich waren sie Zivilinternierte, auf die die Sowjetunion Anspruch erheben konnte. Um sie nach Lesart der Gestapo legal weiter in Gewahrsam zu halten, wurde am 16. September 1942 ein Schutz- haftbefehl ausgestellt.777 Es sollte darüber entschieden werden, ob man sie noch brauchte, welche Informationen zu erhalten waren und wie man sie dann ermordete. Franz Dahlem und Heinrich Rau behandelte die Gestapo theoretisch als deutsche Staatsangehörige.

Gefährlich wurde es für Dahlem, weil der Ermittlungsrichter des Reichsgerichts Lösche die Gestapo bereits mit Beschluss vom 18. Mai 1934 (also vor der Ausbürgerung) ersucht hatte, Franz Dahlem wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu finden und festzunehmen.778 Der Verdacht der „Vorbereitung zum Hochverrat“ konnte sich wie bei Siegfried Rädel nur bestätigen. Zumal Dahlem seit dem 1. März 1933, also unmittelbar nach dem Reichstags-

772 MdI, No. 308.290. Vgl. auch: SAPMO DY 30/9970, fol. 61, 65, 135. 773 Johannes Tuchel, Reinhold Schattenfroh, Zentrale des Terrors. Prinz-Albrecht-Str. 8. Das Hauptquartier der Gestapo, Berlin 1987. 774 SAPMO DY 30/9970, fol. 141. 775 Margot Pikarski, Elke Warning (Hrsg.), Gestapo-Berichte über den antifaschistischen Widerstandskampf der KPD 1939-1943, Berlin 1989, S. 269: Meldung des Reichssicherheitshauptamtes über die Festnahme Siegfried Rädels vom 1. Sept. 1942. 776 BArch R 3017/5711. 777 SAPMO DY 30/9983, fol. 32. Ausgehändigt am 12. Januar 1943. 778 BArch R 3003/540, fol. 147. Az: 14a/8 J 560/29.

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brand, wegen „Hochverrat“ zur Fahndung ausgeschrieben war.779 Als Politbüromitglied war er per se für die deutschen Faschisten schuldig. Das alles war der Gestapo in Berlin bekannt.

Leider ist der Ermittlungsvorgang nicht mehr im Bestand des Reichssicherheitshauptamtes erhalten, sodass weitere Informationen über das Verfahren nur aus Dahlems Aussagen, denen seiner Mitgefangenen und dem Schriftwechsel der Gestapo in Vichy hervorgehen.

Hugo Geissler hatte bereits in der Begründung seines Auslieferungsersuchens an das Innenministerium in Vichy angemerkt, dass Dahlem einer der Führer der KPD und Haupt- verantwortlicher der Komintern in Frankreich war. 780 Franz Dahlem schwebte in Todes- gefahr, denn der Volksgerichtshof verurteilte den mit ihm von Frankreich ausgelieferten Siegfried Rädel für den „Ausbau und maßgebliche Betreuung deutscher kommunistischer Emigrantenorganisationen im Ausland“781 zum Tod. Franz Dahlem war Rädels Vorgesetzter, worauf die Kennzeichnung als „Hauptverantwortlicher“ in Geisslers Auslieferungsforderung hindeutete. Dahlem hatte in Frankreich schon 1933 begonnen eine KPD-Organisation aufzubauen. Dahlem leitete in Prag und Paris die Arbeit nach Deutschland. Auch seine führende Rolle in den Internationalen Brigaden und seine Beteiligung an den Verhandlungen zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront waren der Gestapo bekannt. Der „Hauptver- antwortliche“ Dahlem konnte in der einfachen Logik der Gestapo auf gar keinen Fall mit einer leichteren Strafe als Rädel rechnen.

Um Dahlem nachzuweisen, dass er wirklich schuldig sei, versuchte die Gestapo, ihn durch Gegenüberstellungen und durch die Konfrontierung mit Aussagen anderer Gefangener zu überführen. Geschickt versuchte sie Dahlem zu provozieren, indem sie ihm Angaben über den innerparteilichen Machtkampf 1934/35782 und eine Aussage Walter Ulbrichts vorlegte, der gesagt haben sollte, dass er „ein erledigter Mann ist“783. Tatsächlich gab Dahlem später an, dass eine Gegenüberstellung mit dem technischen Sekretär Stegmann, „Mischa“, der Gestapo den Beweis seines Aufenthalts und seiner politischen Tätigkeit in Berlin vor der Ausbürgerung erbracht hätte. Die Gestapo hatte Stegmann zur Zeit des Verhörs aber bereits ermordet.784

Dahlems Bedeutung als Mitglied des Politbüros und vermutlich auch seine sowjetische Staatsbürgerschaft halfen ihm, nicht unmittelbar in ein Konzentrationslager deportiert oder

779 Deutsches Kriminalpolizeiblatt vom 1. März 1933, S. 290. 780 MdI, 1.788.109. 781 BArch R 3017/5711. 782 SAPMO NY 4072/162, fol. 19. Es handelte sich um die unter Folter erpresste Aussage des Kurierleiters des ZK Stegmann (Deckname: Mischa). 783 SAPMO DY 30/9983, fol. 45. 784 SAPMO ZPKK, Verhör Dahlems vor der ZPKK am 14. Nov. 1953.

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erschossen zu werden. Hinzu kam, dass die SS als Hitlers Weltanschauungstruppe Gegner nicht nur liquidierte, sondern auch quälte. Der Nachfolger Reinhard Heydrichs als Leiter des Reichssicherheitshauptamtes Kaltenbrunner sagte zu Dahlem vor seiner Deportation nach Mauthausen:

„Glauben Sie, wir werden Ihnen das Vergnügen bereiten, Sie hier in diesen Kellern sterben zu lassen? Nein, Sie werden sterben, wenn alle Ihre Ideale zerbrechen, wenn Sie selbst Ihre volle Niederlage eingestehen.“785

Der „geeignete“ Ort für die Zerstörung der Persönlichkeit war das Todeslager Mauthausen.

Trotz der wahrscheinlich langwierigen Verhöre wurde Dahlem erst über ein halbes Jahr nach dem Beginn der Haft von der Gestapo in das Konzentrationslager Mauthausen geschickt. Eine Nachricht über seine „Adressänderung“ schrieb Dahlem aus dem Konzentrationslager Mauthausen erst am 25. April 1943 an seine Schwiegermutter Luise Weber.786

Die Verzögerung resultierte wahrscheinlich aus der Hoffnung des faschistischen Regimes, eventuell doch Generalfeldmarschall Friedrich Paulus auszutauschen, der sich nach der Niederlage der faschistischen Wehrmacht bei Stalingrad am 31. Januar 1943 in sowjetische Kriegsgefangenschaft begab. Diese These kann nicht durch Akten der Reichsregierung, der Wehrmacht oder der NSDAP bestätigt werden, da sie aber nicht unwahrscheinlich ist, soll sie hier der Vollständigkeit halber anhand der Angaben Heinrich Raus, Franz Dahlems und Kurt Zimmermanns, eines Mitgefangenen im „Hausgefängnis“ wiedergegeben werden.

Demnach teilte die Gestapo Franz Dahlem und Heinrich Rau ihr Todesurteil mit, wobei Heinrich Rau durch Zufall bei der Verkündung bekannt wurde, dass der Kaufmann Kurt Zimmermann freigelassen werden sollte. Diesen Mitgefangenen kannten Dahlem und Rau. Kurt Zimmermann wurde gebeten, nach seiner Freilassung mit der schwedischen Botschaft in Kontakt zu treten. 787 Zimmermann bat die schwedische Botschaft der Sowjetunion mitzuteilen, dass Heinrich Rau und Franz Dahlem noch am Leben waren. Die schwedische Botschaft sollte Moskau vorschlagen, beide gegen Paulus auszutauschen. In diesem Sinne benachrichtigte Zimmermann auch Paulus’ Ehefrau, die bei Wehrmachtsdienststellen entsprechend vorstellig gewesen sein soll. 788 Die schwedische Botschaft war bereits von Moskau aus, d.h. vermutlich von Pieck, mit Nachforschungen zu Dahlem und Rau beauftragt

785 Wladimir S. Semjonow, Von Stalin bis Gorbatschow. Ein halbes Jahrhundert in diplomatischer Mission 1939-1991, Berlin 1995, S. 227. 786 SAPMO NY 4072/187. 787 SAPMO NY 4072/162, fol. 87. 788 Ebd., fol. 38. Eidesstaatliche Erklärung Kurt Zimmermanns vom 28. Sept. 1943, die auch Walter Ulbricht für wahr hielt.

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worden.789 Bekanntlich wollte Stalin Paulus nicht austauschen, auch nicht gegen seinen Sohn oder Ernst Thälmann. Hatte die Spitze des „Dritten Reiches“ das erwogen, so verloren auch Thälmann, Dahlem und Rau nach der Moskauer Absage ihren Wert als politisches Tauschobjekt.

XIX. IM VERNICHTUNGSLAGER MAUTHAUSEN

1. Einlieferung

Ende März 1943 teilte die Gestapo Dahlem seine Verlegung in das Konzentrationslager Mauthausen mit, dass er Ende April „körperlich heruntergekommen [ich wog noch 105 Pfund]“ erreichte. „Stundenlanges Stehen im kalten Zug des Hofes vor und nach dem Baden bewirkten, dass ich völlig erschöpft war und wie ein Sack in der Krankenbaracke niederfiel“. Sein Glück war es, dort von Josef „Sepp“ Kohl (KPÖ) empfangen zu werden und Medikamente zu erhalten.790

Das Konzentrationslager Mauthausen in Österreich war wie Auschwitz ein Konzentrations- lager der Stufe III mit Gaskammer, dass aus der Perspektive des Reichssicherheitshauptamtes der letzte Aufenthaltsort für „schwerbelastete, insbesondere gleichzeitig auch kriminell vorbestrafte und asoziale, d.h. kaum noch erziehbare Schutzhäftlinge“791, also als Qual- und Hinrichtungsstätte diente.

Die dem KZ Mauthausen übermittelten Dokumente enthielten oft den Vermerk „R.u.“ - „Rückkehr unerwünscht“, d.h. die Häftlinge sollten durch Arbeit oder auf anderem Weg ermordet werden. Das verdeutlichte Dahlem auch der Lagerkommandant Franz Ziereis in einem Gespräch in Anwesenheit seiner unmittelbaren Untergebenen: „[…] und hier gibt es für Sie nur eins, abschwören oder hängen.“

Schon mehrmals wurde Dahlem von den Herrschenden mit dem Tod bedroht. 1911 erlaubte sich Arnold Becker dem Auszubildenden Dahlem den Strang vorauszusagen.792 1923 wies ihn die Alliierte Rheinlandkommission aus und drohte ihm für den Fall der Rückkehr mit Hinrichtung. 1933 entkam er der Gestapo, die ihm wegen „Hochverrats“ nach dem Leben trachtete und 1943 mit dem Ziel der Ermordung nach Mauthausen schickte. Als er zu Ziereis

789 Ebd., 43. 790 SAPMO NY 4072/4, fol. 102. 791 Runderlass des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 2. Jan. 1941. Zitiert nach: Adalbert Rückerl, NS-Verbrechen vor Gericht. Versuch einer Vergangenheitsbewältigung, 1982, S. 30. 792 Dahlem, Jugendjahre, S. 242.

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gerufen wurde, fürchtete Dahlem um sein Leben. Da die SS politische Kommissare der Roten Armee wöchentlich gruppenweise erschoss und sie vor ihrer Ermordung noch zur Politischen Abteilung mussten, nahm auch Franz Dahlem an, seine Liquidierung stehe unmittelbar bevor. Daher erlaubte er sich eine für ihn ungewöhnlich undiplomatische Antwort. 793 Dahlem antwortete Ziereis: „Dann gleich hängen.“794

In Mauthausen erlebte Dahlem den allgegenwärtigen grausamen und willkürlichen Tod durch die SS-Mörder. Er war unter den schlimmsten Bedingungen in Colombes und in Le Vernet inhaftiert, aber er war im französischen Internierungslager nicht ständig der Gefahr ausgesetzt, ermordet zu werden. In Frankreich konnte er Beschwerdebriefe schreiben, seine Frau treffen und Pakete empfangen, die die Versorgung und das Überleben sicherten. Es war sogar möglich den Widerstand im Lager zu organisieren und mit den Kommunisten außerhalb in Verbindung zu treten.

Völlig anders war die Situation in Mauthausen. Pakete wurden meist nicht ausgehändigt. Briefe durften nur in ganz geringem Umfang versandt werden und Belanglosigkeiten enthalten. Ein Entkommen aus dem Lager war wegen der i.d.R. den Häftlingen gegenüber feindlich eingestellten Bevölkerung nahezu unmöglich und wurde mit dem Tod bestraft. Franz Dahlem erlebte die Vernichtung durch Arbeit im berüchtigten Steinbruch und das egoistische Regime der Kapos, die als Kriminelle der SS einen Großteil des Mordgeschäfts abnahmen, um sich auf Kosten der übrigen Häftlinge zu versorgen.795

Er erlebte hier die besondere Willkür der faschistischen Mordbanden an den europäischen Juden. Er erlebte z.B. auch, dass nach den im Lager zu hörenden Rundfunkbeiträgen Hans Fritzsches, eines engen Mitarbeiters von Joseph Goebbels, „regelmäßig Juden oder slawische insbesondere sowjetische Kriegskommissare ermordet wurden.“796

Der ständigen Bedrohung durch willkürlichen Mord an Unschuldigen konnte ein Häftling nur durch Organisation von Solidarität entgehen. Teil dieser Solidarität war Franz Dahlem in Mauthausen.

In extremer Form galt für Dahlem in Mauthausen die politische Linie des Kaderschutzes, d.h. denjenigen, die noch lebten das Überleben zu sichern. Ein erstes Ziel war es, Lager- funktionen, die die SS durch Häftlinge besetzte, selbst zu übernehmen. Von allen

793 SAPMO NY 4072/4, fol. 102. 794 Lagergemeinschaft Mauthausen in der BRD (Hrsg.), Aktenvermerk R.u. Ein Bericht über die Solidarität und den Widerstand im Konzentrationslager Mauthausen von 1938 bis 1945, Stuttgart 1998, S. 35. 795 Ebd., S. 57. 796 Franz Dahlem, Zum Nürnberger Urteil. Rückblick auf die Zeit im KZ, in: Neues Deutschland vom 6. Okt. 1946.

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kommunistischen Häftlingen wurde er als leitender Funktionär im Lager sofort anerkannt. Es gelang, Franz Dahlem im Baubüro unterzubringen797, wo er einigermaßen sicher war.798 Im Baubüro fertigte er mit anderen Kommunisten Vermessungskladden an, die chiffrierte Nachrichten enthielten.799 Zudem hatte er in dieser Schlüsselstellung direkten Zugang zu den Plänen des Lagers Mauthausen und seiner Nebenlager.

Abgesehen von der Solidarität, die die Kommunisten untereinander im Lager, aber auch gegenüber den anderen Häftlingsgruppen bewiesen, gab es unter ihnen Differenzen, die sie zwar für den Kampf gegen die faschistischen Mordbanden im Konzentrationslager Maut- hausen zurückstellten, die aber auch nach dem Krieg noch eine Rolle spielten und das politische Denken aller Häftlinge prägten. Dazu zählten die fortgesetzten Diskussionen „im Lagerkomitee“ über den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag, aber auch um den „Scheinkrieg der Westmächte“.800 Dazu gehörte die Frage der internationalen Kommunisten an die deutsche Gruppe der kommunistischen Häftlinge, warum sie als Deutsche den Faschismus nicht verhindert hatten. Dazu gehörte auch die Frage über die auf der Konferenz von Jalta Anfang Februar 1945 beschlossene Ostgrenze Deutschlands. Franz Dahlem erinnerte sich, dass „die Deutschen und die Polen, manche Diskussion darüber“801 [hatten].

2. Aufstand oder nicht?

Der zur Zeit der Haft schärfste Streit ging um die Art des Widerstands und einen möglichen Aufstand im Konzentrationslager Mauthausen. Es ist Dahlem nach dem Krieg vorgeworfen worden, sich der internationalen kommunistischen Widerstandsbewegung nur auf äußeren Druck und erst nach langem Zögern angeschlossen zu haben.

Urheber dieser Vorwürfe war Heinrich Dürmeyer (KPÖ), der aber „erst fünf Minuten vor Schluss“802 im Januar 1945 von Auschwitz nach Mauthausen kam. Dahlem konnte Dürmeyer nicht gleich in die konspirative Arbeit einbinden. Das entsprach auch nicht Dahlems Taktik, da er immer skeptisch und zurückhaltend war, bevor eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zustande kam. Außerdem war Dürmeyer in Auschwitz Lagerältester des Stammlagers.

797 SAPMO DY 30/9970, fol. 157. 798 Iakovos Kambanellis, Die Freiheit kam im Mai, Wien 2010, S. 84, 231: „Die Arbeit im technischen Büro ergab eine sorgenfreie Atmosphäre und einen netten Chef.“ 799 Lagergemeinschaft Mauthausen, Aktenvermerk R.u., S. 166f. 800 Dahlem, Unsere internationale Politik des Kampfes gegen den Faschismus, S. 119. 801 Dahlem, Franz, Wir werden einen gemeinsamen Weg gehen. Artikel zur Aufnahme der VVN in die FIAPP vom 8. Juni 1948, in: Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 318. 802 SAPMO NY 4072/4, fol. 181.

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Dürmeyers sofortige Einbindung in die illegalen Strukturen in Mauthausen wäre von Dahlem grob fahrlässig gewesen.803

Tatsache ist, dass Dahlem unmittelbar nach seiner Ankunft Teil der illegalen kommuni- stischen Lagerorganisation wurde. Es war natürlich, dass Dahlem nur denen vertraute, die er persönlich kannte. Das waren vorerst die Kommunisten Rabaté (KPF), Luft (KPTsch), Josef Kohl (KPÖ) und „ein spanischer Jugendgenosse“804. Dahlem bildete mit den Genossen Kohl (KPÖ), Hoffmann (KPTsch), Manuel (KPS) eine Viererleitung mit einer Arbeitsteilung vom Herbst 1943 bis Anfang 1945. Dahlem selbst musste sich „im Hintergrund“ halten und sprach täglich mit dem Sekretär der Leitung Manuel.805

Seine Zurückhaltung resultierte aus seiner Bekanntheit. Dahlem musste damit rechnen, dass die SS ihn durch ihre Spitzel besonders beobachten ließ, die sich nur zu gern bei der Lager- leitung andienten. Dem Lagerkommandanten Ziereis hatte er seine politische Unwandel- barkeit sowie seine Siegesgewissheit verdeutlicht. Ziereis drohte Dahlem daraufhin mit Mord: „Sie werden das [den Sieg der Roten Armee] unter keinen Umständen erleben […] Ein Wort der Propaganda von Ihnen, und Sie fliegen aus dem Schornstein.“806

In Mauthausen war Franz Dahlem vielen Häftlingen bekannt. Iakovos Kambanellis hielt ihn sogar für den „Generalsekretär der Komintern“807. Der gleichzeitig in Mauthausen inhaftierte Bruno Baum erinnerte sich, dass die SS einige Häftlinge zwang, einen roten Punkt auf der Häftlingskleidung zu tragen. Es war den anderen Häftlingen verboten mit ihnen zu sprechen. Ihre Rückkehr war „unerwünscht“808 - R.u. Selbst wenn das bei Franz Dahlem nicht der Fall gewesen sein sollte, war er verhältnismäßig bekannt. Daher ist die Zurückhaltung verständlich, die Dahlem gerade gegenüber ihm unbekannten, auch kommunistischen, Neuankömmlingen zeigte. So entstand bei diesen der falsche Eindruck, als ob Dahlem den organisierten Widerstand nicht oder erst sehr spät unterstützt hätte. Die Vorwürfe entstanden auch aus einer abweichenden Meinung über die Art des Widerstands. Dahlem war von Anfang an skeptisch, was die Chancen eines zu frühen Aufstands anging. Aufgrund der Bedeutung und Entfernung Mauthausens von den Fronten waren Ende März 1945 fast 10 000 SS-Angehörige und Ende April 1945 noch immer 6000 SS-Männer im KZ Mauthausen

803 Ebd., 804 Lagergemeinschaft Mauthausen, Aktenvermerk R.u., S. 140. 805 Ebd., S. 141. Vgl. auch: Manuel Razola, Mariano Constante, Triangle bleu. Les républicains espagnols à Mauthausen 1940-1945, Paris 2002, S. 108. 806 Lagergemeinschaft Mauthausen, Aktenvermerk R.u., S. 35. 807 Kambanellis, Freiheit, S. 84. 808 Bruno Baum, Die letzten Tage von Mauthausen, Berlin 1965, S. 42.

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stationiert.809 Am ersten März 1945 verfügte der illegale Militärapparat des internationalen Widerstandskomitees aber nur über 619 Mann 810 , die zwar militärisch erfahren, aber unterernährt und schlecht bewaffnet waren. Waffen mussten gestohlen und dann sicher versteckt werden.

Ein sofortiger Aufstand kam also nur dann in Frage, wenn die Lagerleitung die Liquidierung des Lagers befohlen hätte, damit wenigstens einige wenige Überlebende das Grauen in Mauthausen bezeugen konnten. Eine solche Situation trat für die Gefangenen des Blocks 20 Anfang Februar 1945 ein. Sie sollten ermordet werden und wagten daraufhin mit primitiven Mitteln den Ausbruch. Die Forschung schätzt, dass von den 500 Häftlingen nur etwa 10 den SS-Häschern und ihren Helfern in der ansässigen Bevölkerung entkamen. Das wäre vielleicht auch die Chance eines kollektiven Ausbruchs gewesen. Der Preis war noch zu hoch, zumal die Widerstandsorganisation und Franz Dahlem selbst über den Frontverlauf informiert waren811 und mit einer Befreiung durch die Rote Armee rechnen konnten.

Wie Dahlem damals argumentierte, geht aus der Schilderung Manuel Razolas hervor. Dessen Darstellung könnte Dahlems Haltung fast wörtlich wiedergeben:

„À l’exeption de quelques allemand qui le [den sofortigen Aufstand] considérer comme une aventure insensée. Selon eux, cela entraînerait beaucoup trop de morts et, en particulier, au camp russe.“812

Um zu illustrieren, was Dahlem erwarten konnte, wenn die SS ihn verdächtigte, den Widerstand zu leiten, sei an die Ermordung des Generalleutnants der Roten Armee Dmitri Michailowitsch Karbischew erinnert. Die SS übergoss den entkleideten 65-jährigen Karbischew in der Nacht vom 17. auf den 18. Februar 1945 mit kaltem Wasser, bis er starb und verbrannte ihn dann im Krematorium des Lagers.

Franz Dahlem hatte politisch analog als Mitglied des Politbüros der KPD und Kommissar der Internationalen Brigaden ebenfalls Generalsrang. Die SS hätte auch ihn bestialisch ermordet. Trotz der Todesgefahr nahm Dahlem von Anfang an am Widerstandskampf im Rahmen der Gegebenheiten leitend teil.

809 Wolfgang Benz, Barbara Distl, Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager Bd. 4. Flossenbürg. Mauthausen. Ravensbrück, München 2006, S. 297. 810 Razola, Triangle bleu, S. 154. 811 Valentin Sacharow, Aufstand in Mauthausen, Berlin 1962, S. 17. Vgl. auch: DY 30/9999, fol. 38: Das Buch erschien ohne Rücksprache mit Franz Dahlem und kann auch deshalb als besonders zuverlässig gelten. 812 Ebd., S. 134.

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Wolfgang Benz geht von der fragwürdigen These aus, dass Franz Dahlem „eine Internationalisierung der Hilfeleistung ablehnte“813. Das Gegenteil war der Fall. Der Offizier der Roten Armee; Valentin Sacharow, bezeugte, dass ihn Franz Dahlem nicht nur mit Informationen versorgte, sondern auch an der Verpflegung für neuangekommene Häftlinge Anteil nahm.814 Es wäre auch theoretisch schwer vorstellbar, dass er das als Kommunist für Kommunisten nicht getan hätte. Unterschiede gab es nur insoweit, wie die SS die einzelnen kommunistischen Parteien behandelte. Die sowjetischen Gefangenen behandelte die SS besonders schlecht.

Die Hilfeleistung aller anderen Kommunisten war auch deshalb größer, besonders auch, da alle kommunistischen Parteien außerhalb der Sowjetunion auf diese orientiert waren. Franz Dahlem sorgte dafür, dass Offiziere und Politkommissare der Roten Armee aus Straf- und Arbeitskommandos in Positionen gelangten815, die ihnen eventuell das Überleben und ihre Teilnahme an einem Aufstand sichern konnten. Das war vorausschauend und ein Beweis internationaler Solidarität, der es wahrscheinlicher machte, dass auch die nichtkommu- nistischen Häftlinge durch einen Aufstand gerettet werden konnten.

3. Kampf ums Überleben

Aufgrund der Niederlagen der faschistischen Wehrmacht, der Waffen-SS und ihrer Verbündeten an allen Fronten wurde die Liquidierung des Lagers zu einer realen Gefahr. Dahlem stimmte zu, das Internationale Lagerkomitee zu reorganisieren. Ihm gehörten jetzt Josef Kohl, Hans Maršálek, Heinrich Dürmeyer (KPÖ), der Tscheche Hoffmann, der Franzose Rabaté, der Spanier Razola, der Pole Józef Cyrankiewicz, der Russe Pirogow und Franz Dahlem (KPD) an.816 Die verschiedenen militärischen kommunistischen Häftlings- gruppen wurden unter den Befehl dieses Lagerkomitees gestellt.

Verschiedene Pläne für den Aufstand, insbesondere bei einer Liquidierung des Lagers, wurden ausgearbeitet.817 Von den Plänen der SS, die verbliebenen Häftlinge auf einmal zu ermorden, erfuhr die Internationale Lagerleitung erst Anfang April 1945 von Manuel

813 Benz, Mauthausen, S. 327 814 Sacharow, Mauthausen, S. 30. 815 Lagergemeinschaft Mauthausen, Aktenvermerk R.u., S. 156. 816 Razola, Triangle bleu, S. 136. 817 Lagergemeinschaft Mauthausen, Aktenvermerk R.u., S. 181.

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Azaustre, dem Diener des Lagerkommandanten Ziereis.818 Der Lagerkommandant setzte die Pläne jedoch nach der Einkreisung und Hitlers Selbstmord nicht mehr um.

Ein „höherer SS-Offizier“, der Angst um sein Leben hatte, vertraute Dahlem an, dass die Ermordung aller Häftlinge vorerst nicht geplant sei. Dieser SS-Hauptsturmführer im Stab des Kommandanten kam auf Dahlem zu, da er ihn aus der Prinz-Albrecht-Straße kannte.819 Der SS-Hauptsturmführer wollte nach dem Abzug der SS das Lager an Dahlem übergeben, wenn Dahlem ihm das Leben garantiere. Dazu kam es zwar nicht, aber Dahlem erhielt so direkt Mitteilungen über die Absichten des Kommandanten Ziereis. So erfuhr Dahlem auch von der geplanten Übergabe an die Wiener Feuerwehr, die der kommunistische Widerstand dann entwaffnete, als die SS das Lager verlassen hatte.

Der Aufstand in Mauthausen wurde durch das Auftauchen eines amerikanischen Panzers in der Nähe des Lagers beschleunigt. Den unter der Leitung des Internationalen Lagerkomitees organisierten Häftlingen gelang es, sich von ihren Bewachern zu befreien und das Lager zu besetzen und zu halten, solange die Kampfhandlungen in der Umgebung noch andauerten.

4. Flucht nach Wien

Nach der Besetzung des Lagers durch amerikanische Panzer wollte Franz Dahlem nicht als Gefangener unter den neuen Bewachern bis zu seiner offiziellen Abreise warten. Der amerikanische Kommandant lehnte „eine sofortige Freilassung der kommunistischen Häftlinge“820 ab. Dahlem konstatierte, dass die:

„ersten Maßnahmen aber darin bestanden, uns zu entwaffnen, die antifaschistischen Plakate und Fahnen abzureißen [und den ehemaligen Häftlingen] das Verlassen des Lagers verboten [wurde, so dass wir] nunmehr in amerikanischer Gefangenschaft [waren].“821

Offensichtlich versuchte die amerikanische Besatzung des Lagers, den kommunistischen dominierenden Einfluss zu neutralisieren, indem sie versuchte, die selbstgewählten nationalen Komitees aufzulösen und andere Häftlinge an ihre Stelle zu setzen.822

Die Differenzen zwischen den ungleichen Alliierten waren Dahlem während seiner Haft immer bewusst. Vor dem Hintergrund der grundsätzlichen politischen Ablehnung der

818 Razola, Triangle bleu, S. 141. 819 SAPMO ZPKK, Verhör Franz Dahlems am 20. Apr. 1953. 820 Franz Dahlem, „Mit uns steh’n Kameraden ohnegleichen“ Erinnerungen an Heinrich Rau, Apr. 1961, in: Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 443-446, hier: S. 441. 821 SAPMO NY 4072/61, fol. 25. 822 Dahlem, Unsere internationale Politik, S. 119.

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Sowjetunion rechnete Dahlem mit einem baldigen Ende dieser durch den Kampf gegen den Faschismus erzwungenen Allianz. Deshalb und weil er Klarheit über seine politische Zukunft erlangen wollte, begab er sich so schnell wie möglich nach Moskau. Zu diesem Zweck erhielt Dahlem vom Internationalen Lagerkomitee den Auftrag, zur Roten Armee überzugehen823, um so schnell wie möglich die Freilassung der Häftlinge zu ermöglichen. Um von den Soldaten der Roten Armee erkannt zu werden, legitimierte der sowjetische Offizier Valentin Sacharow Dahlem: „Genosse Rotarmist! Bring den Genossen Dahlem zum nächsten Vorgesetzten! Es lebe unsere große sowjetische Heimat!“824

Unter dem Vorwand außerhalb des Lagers Lebensmittel beschaffen zu wollen, gelang Dahlem mit einem von Heinrich Rau ausgestellten Passierschein die Flucht aus dem Lager zur Ukrainischen Front der Roten Armee.825 Dort setzte Dahlem sich tatsächlich erfolgreich dafür ein, „die kommunistischen und antifaschistischen internationalen Kader zusammen mit den bisherigen sowjetischen Häftlingen zu befreien“826.

Insbesondere schlug Dahlem vor, die KPD-Mitglieder schnell nach Berlin in die Sowjetische Besatzungszone zurückkehren zu lassen, was das amerikanische Oberkommando verweigerte. 827 Die Reaktivierung aller Überlebenden und ihr politischer Einsatz war unumstrittenes Ziel aller überlebenden hohen KPD-Funktionäre.

Tatsächlich gelang es Dahlem auch, mit Hilfe der Roten Armee und der KPÖ eine „Vertretung der KPD“ in Wien einzurichten, die er selbst, Bruno Leuschner und Fritz Grosse leiteten. Die „Vertretung der KPD“ hatte ihren Sitz auf Schloss Wilhelminenberg, wo sie die ehemaligen Häftlinge aus Mauthausen aufnahm. Nach seiner Rückkehr nach Berlin schlug Dahlem in der Sitzung des Sekretariats der KPD am 8. Juli 1945 vor, die überlebenden KPD- Mitglieder in die Sowjetische Besatzungszone zu bringen. Walter Ulbricht schlug vor, die Überlebenden nach Dresden zu schicken und dann zu verteilen. Das Sekretariat des ZK der KPD löste seine Vertretung in Wien erst nach der Abreise aller Parteimitglieder mit Beschluss vom 11. März 1946 auf.828

823 RGASPI F. 495, D. 205, O. 133, fol. 151. 824 Sacharow, Mauthausen, S. 103. 825 Blumberg, Biographie 1939-1945, S. 10. Vgl. auch: Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 441. 826 SAPMO NY 4072/61, fol. 27. 827 RGASPI F. 495, O. 205, D. 133. 828 Günter Benser (Hrsg.), Protokolle des Sekretariats des Zentralkomitees der KPD, Juli 1945 bis April 1946, (Dokumente zur Geschichte der kommunistischen Bewegung in Deutschland 1), München 1993, S. 35, 186. Vgl. auch ebd., S. 42: Namensliste aus Wien abreisenden KPD-Mitglieder, die im Konzentrationslager Mauthausen inhaftiert waren vom 25. Juli 1945.

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5. Klärung in Moskau

Die sofortige Flucht war auch für Dahlems politisches Schicksal entscheidend. Sie resultierte tatsächlich aus einem „Ursprungsreflex“. Es ging ihm um Klarstellung und um Richtig- stellung vor der höchsten Instanz für ihn: der Partei.

Dahlem wollte unbedingt nach Moskau, um zu erfahren, ob ihm die führenden Funktionäre noch vertrauten, was die Grundlage für eine weitere politische leitende Tätigkeit in der KPD war. Bereits in Pariser Polizeigewahrsam erfuhr er von der geänderten Linie, die seiner, der der KPF und der KPG widersprach. Bei der Gestapo erfuhr er, dass man ihn dort für einen „erledigten Mann“ hielt. Und tatsächlich soll seine ZK-Mitgliedschaft 1942 suspendiert worden sein.829

In Moskau angekommen sprach er deswegen persönlich mit Georgi Dimitroff, der ihm bestätigte, dass sein Handeln in Paris 1939 vom EKKI nicht verurteilt wurde und dass er sein Vertrauen nach wie vor besäße. Dimitroff soll durchaus auch selbstkritisch angemerkt haben: „Es sind in diesem Krieg viele Fehler unterlaufen. Darüber zu diskutieren ist zwecklos; jetzt sind ganz andere Fragen zu lösen.“830

Eine nähere Erläuterung erhielt Dahlem von Dimitroff nicht! Georgi Dimitroff erklärte ihm also nicht, dass er selbst bei Kriegsbeginn die Linie von KPF, KPG und Pariser KPD- Führung guthieß. Vielmehr sagte Dimitroff zu Dahlem: „Du kannst ohne Sorge mit Genossen Pieck nach Berlin zur Arbeit in die Parteiführung fahren!“831

Auch das persönliche Gespräch mit Wilhelm Pieck hat wohl nichts Konkreteres ergeben. Wilhelm Pieck zeichnete den schriftlichen Bericht Dahlems „Politische Orientierung im Gestapogefängnis Prinz-Albrecht-Str. Berlin und Parteiarbeit im Konzentrationslager Maut- hausen“832 ab und zerstreute seine Bedenken. Auch Wilhelm Pieck war klar, dass Dahlem kein „Verräter“ sein konnte. Von den Hilfeleistungen Noel Fields war auch Pieck informiert. Die politische Unterstützung der beiden Funktionäre machte Dahlem unangreifbar. Von Versuchen Ulbrichts oder Ackermanns, ihn anzugreifen, ist nichts bekannt.

Bevor Dahlem mit Wilhelm Pieck nach Berlin zurückkehrte, veranlasste vermutlich Pieck Georgi Dimitroff, Dahlems Unterschrift unter den Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 setzen

829 Kaufmann, Nachrichtendienst, S. 306. 830 SAPMO NY 4072/115, fol. 604. 831 Ebd. 832 SAPMO DY 30/9970, fol. 45, 135, 217.

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zu lassen. Dimitroff wies Walter Ulbricht über Generalmajor Gadjelow in der Sowjetischen Besatzungszone an, Dahlems Namen aufzunehmen.833

6. Eigene Ziele

Abgesehen von diesen formellen Klärungen stellt sich die Frage nach Dahlems politischem Denken nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager und vor dem Wiedereintritt in die Parteiführung der KPD. Sein politisches Denken spiegelt sich in einer Rede834 wieder, die Dahlem Anfang Mai 1945 vor einer Gruppe aus dem Konzentrationslager Mauthausen befreiter KPD-Mitglieder in Wien, Schloss Wilhelminenberg, gehalten hat.835

Die Rede war von Dahlem als Lageanalyse und als Anleitung für den Neubeginn konzipiert. Dahlem bezeichnete sie später sogar als „Programm“. Mit der Autorität des höchstrangigen Parteileiters der KPD gab er mit dieser Rede den Überlebenden die Linie für den weiteren politischen Kampf vor. Allerdings hat Dahlem diese Rede u.a. mit Heiner Rau besprochen, so dass man aus ihr auch die Haltung der KPD-Gruppe in Mauthausen herauslesen kann. Sie spiegelt damit auch den politischen Anspruch dieser Gruppe kommunistischer Opfer des Faschismus.

Franz Dahlem forderte vom deutschen Volk nach der Erfahrung des faschistischen Regimes, jetzt endlich „mit seiner verhängnisvollen Vergangenheit“836 zu brechen. Er meinte „alle Reste militaristischen, preußischen Geistes und faschistischer Ideologie“ müssten zerstört werden, um ein „neues Deutschland“ zu errichten.837

Er ging also von seiner politischen Grundüberzeugung aus, die sich bei ihm als Kind, Auszubildender in Saarbrücken und als Funktionär der sozialistischen Jugendbewegung ausgeprägt hatte. Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die die deutsche Sozialdemokratie bekämpfte, waren für Dahlem die Ursache, die zur nationalen Katastrophe 1945 führte. Vor diesem Hintergrund war die NSDAP nur das

833 Bayerlein, Dimitroff. Tagebücher, S. 482. Vgl. auch: Schumann, Anton Ackermann, S. 89: Anton Ackermann trug Franz Dahlems Namen handschriftlich nach. 834 Franz Dahlem, Einige Probleme unserer künftigen Arbeit in Deutschland. Rede vor ehemaligen Häftlingen des KZ Mauthausen, Mai 1945, in: Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 251-269. 835 SAPMO NY 4072/60, fol. 48. 836 Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 251. 837 Ebd.

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„Instrument […] der raubgierigen, imperialistischen deutschen Industrie- und Finanzkapitalisten und der kriegstreibenden Militärkaste der deutschen Junker und Großagrarier.“838

Deren auf den Maximalprofit gerichtete Politik hätte Dahlem mehrmals fast mit dem Leben bezahlen müssen. Es ist für ihn also nach wie vor Aufgabe den genannten gesellschaftlichen Schichten ihre wirtschaftliche Grundlage zu entziehen und sie damit politisch zu entmachten. Nur das konnte für Dahlem den Aufbau eines „in der Welt sich Achtung erringenden neuen Deutschlands“839 ermöglichen.

Diese seine politische Grundüberzeugung ergänzte Dahlem um verschiedene Aspekte, die in der KPD und ihren verschiedenen Opfergruppen nicht unumstritten waren. Unter dem Eindruck der Befreiung ging er davon aus, dass der verlorene Krieg und die Besetzung Deutschlands zum „Zusammenbruch der entscheidenden Teile des Trust- und Finanz- kapitals“840 geführt hätten. Wie die Nachkriegsgeschichte zeigte, war das Gegenteil der Fall. Allerdings konnte Dahlem das wegen des „unermesslichen […] Schuldkontos [der deutschen Faschisten] zu Lasten des deutschen Volkes“841 1945 nicht annehmen.

Dahlem ging von der „Kollektivschuld Deutschlands“ bzw. „Mitschuld des deutschen Volkes“ 842 aus, weil es Zwangsarbeit tolerierte und von ihr profitierte und weil es „die Ausrottung von Millionen Juden aus ganz Europa durch Gestapo und SS ertragen“ hat. Das deutsche Volk war an den Verbrechen gegen die Kriegsgefangenen, insbesondere gegen die sowjetischen beteiligt, deren Behandlung „ein Hohn auf alle völkerrechtlichen Abmachungen“ war.

Dahlem kritisierte in seinem Grundsatzreferat auch, dass das deutsche Volk die Kommu- nisten in ihrem Kampf gegen das faschistische Regime nicht unterstützte843, aber er nahm die deutschen Arbeiter von der Schuld nicht aus. Auch sie haben sich durch fleißige Arbeit für die Angriffskriege eines verbrecherischen Regimes oder als Antreiber der Zwangsarbeiter „kompromittiert“.844 Dahlem warf sogar der Partei „Versagen“ vor, weil sie es nicht geschafft habe, durch eine erfolgreiche Widerstandsbewegung in der Bevölkerung den Sturz des

838 Ebd., S. 253. 839 Ebd., S. 251. 840 Ebd., S. 254. 841 Ebd. 842 Ebd., S. 257. 843 Ebd., S. 258. 844 Ebd., S. 257.

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Faschismus herbeizuführen. 845 Aus dieser Situation ergaben sich für Dahlem vier Konsequenzen.

Erstens: Das deutsche Volk muss seine Schuld „sühnen“846. Dazu gehört materieller Ersatz für die Verwüstungen, die der faschistische Vernichtungskrieg in ganz Europa und insbesondere in der Sowjetunion hinterlassen hat.

Zweitens: Dahlem verknüpfte die „Sühne“ für die moralische Schuld des deutschen Volkes mit einem politischen Anspruch der Opfer des Faschismus. Diesen Anspruch formulierte er nie wieder so deutlich und so umfassend wie in der Rede nach seiner Befreiung aus dem Vernichtungslager Mauthausen. So leitete er aus der Schuld ein moralisches Recht zur politischen Gestaltung der

„Kräfte […] denen der Hass gegen den Faschismus in Fleisch und Blut übergegangen ist und für die es keinerlei Kompromiss mit irgendwelchen faschistischen Überbleibseln gibt […] die Verantwortung zu übernehmen, um diese Kollektivschuld Deutschlands zu tilgen und an Unrecht und Schaden gutzumachen, was menschenmöglich ist.“

Nur die ehemaligen deutschen politischen Häftlinge, vor denen er redete, gehörten für Dahlem zu den politisch Legitimierten, weil sie in Mauthausen von allen anderen Opfern, die dort mit ihnen eingekerkert waren als „das andere Deutschland“847 letztendlich anerkannt wurden. Dabei war natürlich unbestritten, dass Dahlem auch den Verfolgten aus den anderen Gefängnissen und Lagern sowie den Antifaschisten der Emigration diesen moralischen Kredit zubilligte.

Dahlems dritte Folgerung aus der Schuld des deutschen Volkes für den Faschismus waren Bedingungen für den Neuanfang. Dazu zählten die Festnahme und Bestrafung aller faschistischen Verbrecher, die „aktiven Träger des Nationalsozialismus“. Ihr Vermögen sollte beschlagnahmt werden und sie sollten arbeiten, nur dass „wir sie nicht schinden werden.“848 Zu seiner Vorstellung von Entnazifizierung zählte er auch „volle Enthüllung der Verbrechen des Naziregimes“849, über die nach 1945 fast niemand mehr reden wollte.

In seiner Rede kam er auf die Forderung der Berner Konferenz zurück und forderte viertens die Einheitspartei, die einen politisch sauberen Neuanfang garantiere. Wie sehr er dabei

845 Ebd., S. 256. 846 Ebd., S. 258. 847 Ebd., S. 252. 848 Ebd., S. 260. 849 Ebd.

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trotzdem der KPD und ihrem Führungsanspruch verpflichtet war, zeigt, dass die KPD dafür die Initiative ergreifen sollte.850

Diese Gedanken nahm Dahlem als sein Programm auf der Flucht zur Roten Armee mit, um es im Politbüro zu diskutieren. Im Politbüro erwartete ihn jedoch schon der fertig ausgearbeitete Aufruf der KPD an das deutsche Volk, an dessen Entwurf er wegen seiner Haft in Mauthausen nicht mitarbeiten konnte.

Zwar hörte er auch in Mauthausen den Moskauer Rundfunk, über den u.a. auch Wilhelm Pieck, Wilhelm Florin und Walter Ulbricht sprachen, aber wie für alle anderen politischen Gruppen muss der Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945, auch für Dahlem neu gewesen sein, da er an dessen Entwurf nicht beteiligt werden konnte. Ihm dürfte der Aufruf allerdings bekannt gewesen sein, bevor Wilhelm Pieck seinen Namen ergänzen ließ. Dadurch wurde Dahlem wieder offiziell Mitglied der Parteiführung und gewann ideologischen und politischen Anschluss an die Politik der KPD. Wesentliche Forderungen seiner Wiener Rede konnte er auch im Aufruf vom 11. Juni wiederfinden: die Verurteilung der Verbrechen des Hitlerregimes, die Mitschuld des deutschen Volkes und die Verpflichtung zur Wieder- gutmachung. Die Abweichungen vom offiziellen Aufruf zur Rede vor ehemaligen Häftlingen waren der Situation geschuldet.

Dahlem konnte sich vor befreiten KPD-Mitgliedern weitgehender äußern als die Moskauer Parteiführung. Auch war seine Rede an die ausgemergelten, dem Tode entronnenen kommu- nistischen Deutschen gerichtet gewesen, die für einen Neuanfang gewonnen werden mussten. Seine Rede enthielt ein ausdrückliches Bekenntnis zur Einheit Deutschlands, das Eingeständnis der unermesslichen Verbrechen gegen die Sowjetunion und die Juden Europas, deren Ermordung er im Konzentrationslager Mauthausen aus eigener Anschauung bezeugen konnte. Seine Rede trug internationalen Charakter, weil er in den faschistischen Verbrechen, für die Deutschland als Ganzes eine „Kollektivschuld“ trage, die Grundlage für den berechtigten „Hass gegen alles Deutsche“ 851 erkannte. Diesen Hass bekamen auch die deutschen kommunistischen Häftlinge in Mauthausen zu spüren.

Dahlem hatte am Ende seiner Wiener Rede an die Berner Konferenz und damit an den letzten Parteitag der KPD angeknüpft, als er feststellte, dass die KPD „die Initiative zur Schaffung einer einheitlichen Partei der deutschen Arbeiterklasse ergreifen“852 würde. In der Resolution der Berner Konferenz hieß es, dass die Grundorganisationen der SPD und der KPD, die die

850 Ebd., S. 269. 851 Ebd., S. 255. 852 Ebd., S. 269.

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Vereinigung wollten, unmittelbar „auch einheitliche Organisationen der zukünftigen Einheitspartei der deutschen Arbeiterklasse“853 bilden sollten.

Im Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 war überhaupt nichts von derlei Zielen zu lesen. Vielmehr knüpfte sie an die Forderung der KPD nach einer neuen demokratischen Republik854 an. Die politische Verständigung über ihr Programm wollte die KPD nach der Befreiung vom Faschismus in einem Block der „antifaschistischen, demokratischen Parteien (der Kommunistischen Partei, der Sozialdemokratischen Partei, der Zentrumspartei und anderer)“ erreichen.

XX. PARTEIEINHEIT UND DEUTSCHE EINHEIT

1. Einheitspartei

„Völlig ausgezehrt, mit einem Körpergewicht von nur 43kg“855 kehrte Franz Dahlem an der Seite Wilhelm Piecks nach Berlin zurück. Die Stadt und das Land waren durch die Schuld der deutschen Faschisten zerstört und durch fremde Truppen besetzt. Die Bevölkerung litt vor allem an Unterernährung und Obdachlosigkeit. Millionen deutscher Soldaten waren tot oder kriegsgefangen. Millionen Flüchtlinge aus den östlichen Provinzen Deutschlands mussten westlich von Oder und Neiße untergebracht werden.

Unter diesen Bedingungen hatten die überlebenden Funktionäre der KPD die schwierige Aufgabe, den Sozialismus in ganz Deutschland aufzubauen. Von Anfang an war Franz Dahlem daran als Mitglied des Politbüros der KPD entscheidend beteiligt. Auf den Sitzungen im Juli und August 1945 verteilte das Sekretariat der KPD seine Zuständigkeiten neu. Organisationsarbeit, Bodenreform in Mecklenburg-Vorpommern und die Arbeit nach Westdeutschland bildeten künftig die Schwerpunkte für Dahlems Parteiarbeit bis zu seiner Funktionsenthebung 1953.

Franz Dahlem sollte die Bodenreform in Mecklenburg-Vorpommern verantworten. Im Land Mecklenburg-Vorpommern sammelten sich auch die aus der schwedischen Emigration zurückkehrenden Pariser Mitarbeiter Franz Dahlems wie z.B. Hans Kahle, Richard Stahlmann, Erich Glückauf und der Schwiegersohn Karl Mewis. Dieses Land verfügte über die KPD-Organisation, die ihm auch persönlich eng verbunden war.

853 Mammach, Berner Konferenz, S. 142. 854 Ebd., S. 137. 855 Semjonow, Von Stalin bis Gorbatschow, S. 227.

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Als politisch Verantwortlicher der Parteiführung instruierte er die Parteiorganisation mit Sitz in Schwerin für Vorbereitung und Durchführung der Bodenreform. Die Parteien des antifaschistischen Blocks stimmten der Bodenreform zu. Sie entzog den Trägern des Feudalismus in der Sowjetischen Besatzungszone die wirtschaftliche Grundlage und entmachtete sie politisch.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern verfügte über ein Drittel des Landes der Großgrund- besitzer, das durch die Bodenreform neu verteilt werden sollte. 856 Das ehemalige Land Mecklenburg, das aus den Fürstentümern Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz hervorging, war jahrhundertelang durch die Konzentration des Bodens in den Händen der Großgrundbesitzer geprägt. Es war daher auch politisch besonders rückschrittlich.

Schon am 5. August 1945 sprach Dahlem auf der Parteiarbeiterkonferenz der KPD Mecklen- burg-Vorpommerns. Er erinnerte sich vermutlich an seine Einberufung im Ersten Weltkrieg, als er sagte, dass mit der Bodenreform „dem preußischen Militarismus seine soziale Grundlage, der Großgrundbesitz, entzogen“857 werde. Die Bodenreform war für ihn auch ein Akt der Gerechtigkeit, da die Bauern das Land, das ihnen durch die Adelskaste gestohlen worden sei, zurückerhielten. 858 Aber mit der Bodenreform wollte die KPD auch die Versorgung im Land sichern und den in das zerstörte Land geströmten 2 Millionen Flücht- lingen 859 aus den preußischen Ostprovinzen eine Existenzmöglichkeit geben. Auch das betonte Dahlem in seiner Rede.

Als politisch Verantwortlicher war er auch an der Verordnung über die Bodenreform im Lande Mecklenburg-Vorpommern vom 5. September 1945 beteiligt. Die Verordnung wies Analogien zu seiner Rede auf der Parteiarbeiterkonferenz auf. So mahnte Dahlem in seiner Rede eine gründliche Vorbereitung in der Presse an und die Umsetzung auf dem Verordnungswege.

Ergänzt wurde die Bodenreform durch eine Verstaatlichung großer Konzerne, eine Schul- und Justizreform, die die Sowjetische Besatzungszone im Gegensatz zu den Westzonen poli- tisch weit voranbrachte.

856 Siegfried Kuntsche, Dokumente zur Bauernbefreiung. Quellen zur Geschichte der demokratischen Bodenreform und sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft im Bezirk Schwerin, Schwerin 1975, S. 106. 857 Ebd., S. 17. 858 Ebd. 859 Günter Benser (Hrsg.), Protokolle der erweiterten Sitzungen des Sekretariats des Zentralkomitees der KPD, Juli 1945 bis Februar 1946 (Dokumente zur Geschichte der kommunistischen Bewegung in Deutschland 2), München 1994, S. 31.

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Am 8. Juli 1945 legte das Sekretariat fest, dass er an den Blockberatungen der antifa- schistischen, demokratischen Parteien teilnehmen und zum Parteiaufbau referieren solle.860 Damit knüpfte Dahlem an seine alten Aufgaben an, als er Leiter der Organisationsabteilung der Vorkriegs-KPD gewesen war. Nach dem VII. Weltkongress und vor allem als Parteisekretär in Paris führte er die Gespräche mit allen Parteien der Emigration, insbesondere den Sozialdemokratischen. Neu für ihn waren die Kontrolle der Bodenreform im Land Mecklenburg und der Auftrag, einen Instruktionsplan für Westdeutschland auszuarbeiten.861

Die politisch wichtigste Frage der KPD und für Franz Dahlem war nach der Befreiung vom Faschismus nach wie vor die Frage des Verhältnisses zur Sozialdemokratie. Das Verhältnis war historisch belastet. 1914 die Zustimmung der Sozialdemokratie zu den Kriegskrediten der kaiserlichen Reichsleitung. 1918 die Sozialdemokratie beendete die Novemberrevolution. 1933 Niederlage von KPD und SPD bei der Verhinderung Hitlers als Reichskanzler. 1945 die Befreiung von außen ohne entscheidende oder zumindest unterstützende Widerstands- bewegung.

Der Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 orientierte nicht auf unmittelbare Vereinigung mit der SPD, ja nicht einmal auf ein Aktionsprogramm, sondern auf die Zusammenarbeit im Block der Antifaschisten, was aber die Übernahme politischer Verantwortlichkeit der KPD bedeutete. Im Gegensatz zur KPD vor 1945, die im wesentlichen eine von hauptamtlichen Kadern geleitete Oppositionspartei blieb, wurde die KPD nach 1945 zu einer Massenpartei aufgebaut, die politisch zu entscheiden hatte und dazu zur Zusammenarbeit mit anderen Parteien bereit war. Paul Merker stellte zu der Zeit fest, dass gerade die Gründung der kommunistischen Massenpartei aus der Befreiung von außen resultiere. 862 Der Organisa- tionsleiter der Partei Franz Dahlem orientierte daher auf die Gewinnung neuer Mitglieder und wies die Partei an, „sich nirgends in eine negative Oppositionsstellung drängen zu lassen.“863

Das hieß für ihn eben auch Zusammenarbeit mit der SPD, wenn auch nicht die sofortige Vereinigung mit ihr. Daran dachte Dahlem im ideologischen Sinne als er feststellte, dass:

„wir kein Interesse daran haben, die linken Sozialdemokraten aus der SPD herauszuziehen, um damit das Entstehen einer rechten sozialdemokratischen Organisation zu fördern.“864

860 Benser, Sitzungen des Sekretariats, S. 34. 861 Ebd., S. 54, 64. 862 Günter Benser, Die KPD im Jahre der Befreiung. Vorbereitung und Aufbau der legalen kommunistischen Massenpartei (Jahreswende 1944/1945 bis Herbst 1945), Berlin 1985, S. 130. 863 Ebd., S. 192, 213. 864 Ebd., S. 127.

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Diese Gefahr sah Dahlem, weil er davon ausging, dass das Postulat des Prager Manifests der SPD: „Die Einigung der Arbeiterklasse wird zum Zwang, den die Geschichte selbst auferlegt.“ 865 der damaligen gefestigten Herrschaft des Terrorapparates der deutschen Faschisten geschuldet war.

Sofern ideologische Klärung der Gründung der Einheitspartei vorausgehen sollte, hielt auch Dahlem die marxistisch-leninistischen Theorie für die ideologische Grundlage einer solchen Partei, wie seine Anmerkungen zum Aufruf der SPD vom 15. Juni 1945 zeigen. Darin markierte er die Zustimmung der SPD zur Einheit, aber bemerkte zu deren Feststellung, dass „die militaristische Raubgier des deutschen Imperialismus für alle Zeiten vernichtet“ wurde: „Unterschätzung der Gefahr der Restauration der imperialistischen Herrschaft!“

Zur Forderung der SPD nach „Demokratie in Staat und Gemeinde, Sozialismus in Wirtschaft und Gesellschaft!“ stellte Dahlem fest: „Verkennung der dialektischen Einheit von Demokratie und Sozialismus als Resultat der reformistischen Ideologie; Sozi- aldemokratismus.“

Die Gemeinsamkeit zur SPD bestand für Dahlem neben den gemeinsamen Erfahrungen von SPD- und KPD-Genossen in faschistischen deutschen Konzentrationslagern und Zucht- häusern in dem von Otto Grotewohl zum Ausdruck gebrachten Willen:

„auf dem Wege guter Zusammenarbeit in allen Fragen des antifaschistischen Kampfes und des Wiederaufbaus die Voraussetzungen für die politische Einheit des werktätigen Volkes zu schaffen.“

Ausdrücklich vermerkte Dahlem auch die Bemerkung der SPD, Gegnern der Demokratie politischen Einfluss zu versagen. Anmerkung Dahlems: „Neue Position. Abkehr von sogenannter, reinen Demokratie.“866

Die ideologische Klärung war für die KPD-Führung nach ihrem Treffen mit General Bokow am 25. September 1945 abgeschlossen. Denn dort beschlossen die Teilnehmer, von der Aktionseinheit mit der SPD auf den Zusammenschluss mit ihr zu orientieren.867 Dahlem forderte die „Herstellung ihrer [der Arbeiterklasse] vollen politischen und organisatorischen Einheit“ auf einer gemeinsamen Funktionärskonferenz von KPD und SPD in Berlin-Neukölln

865 Wolfgang Runge (Hrsg.), Das Prager Manifest von 1934, Hamburg 1963, S. 27. Vgl. auch: Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 460. 866 SAPMO NY 4072/60: „An die Arbeit! Aufruf der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 15. Juni 1945 und Begrüßungsrede ihres Vorsitzenden Otto Grotewohl“, Berlin 1945. 867 Günter Benser, Die Gründung der SED aus heutiger Sicht, in: Geschichtskorrespondenz 22/2016, Nr 3, S. 4-20, hier: S. 10.

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am 20. Oktober 1945 und trat gegen die „parlamentarische Wahltaktik“ für „eine höhere Form der Demokratie“ ein.868

Sein Ideal, mit dem er auch die SPD-Mitglieder von der Vereinigung überzeugen wollte, ist zu der Zeit eine Betriebsrätedemokratie, deren Grundlage Einheitsausschüsse von KPD und SPD in den Betrieben bilden sollten.869 Dabei stellte Dahlem in einer erweiterten Sitzung des Sekretariats der KPD fest, dass „unsere Betriebspositionen sterben“ 870 , weil die alten Funktionäre in den kommunalen und in den Landesverwaltungen zur Reinigung von Nazis und zum Neuaufbau einer loyalen demokratischen Verwaltung eingesetzt worden sind, um als regierende Partei auch tatsächlich politische Entscheidungen umsetzen zu können. Aus seinen Erfahrungen als Organisationsleiter der KPD vor 1933 war sich Dahlem bewusst, dass „oft reaktionäre Bürokraten in allen entscheidenden Positionen uns [der KPD-Mehrheit Berlins] auf die Nase gesetzt wurden.“871

Auf der erweiterten Sitzung des Sekretariats des ZK der KPD am 19. Nov. 1945 kam Dahlem auf die auch von ihm geforderte „Liquidierung aller Gruppen der sozialdemokratischen Ideo- logie“ zurück.872 Dazu wollte er Lehrmaterial herausgeben, das die Fehler der SPD in den Jahren 1914 bis 1933 aufarbeiten sollte. Dabei sollte auch die Politik der KPD soweit kriti- siert werden, dass der „Hauptstoß“ gegen die deutsche faschistische Bewegung und insbesondere gegen ihre Organisationen zu spät erfolgt sei.873 Dieses Versagen der KPD und der SPD 1933 bedingte für Dahlem ein parlamentarisch-demokratisches Regierungssystem für Deutschland, also einen „besonderen Weg zum Sozialismus“, wie er auch im Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 gefordert wurde. Gerade dieser Punkt sollte die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten erleichtern. Dahlem sagte auf der erweiterten Sitzung des Sekretariats der KPD: „Die soziale Gesellschaftsordnung der Sowjetunion ist für uns das Ideal, auf das wir losstreben.“874

Widerstand gegen die Vereinigung musste der Personal- und Organisationsleiter Dahlem mit den „mittleren Kadern der SPD“ und den „Sektierern in der KPD auf mittlerer Ebene“ über- winden.875 Jede Gruppe beharrte auf ihren programmatischen Vorstellungen und historischen

868 Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 275. 869 Ebd., S. 275. 870 Benser, Erweiterte Sitzungen des Sekretariats, S. 305. 871 Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 277 872 Benser, Erweiterte Sitzungen des Sekretariats, S. 227. 873 Ebd., S. 228. 874 Ebd., S. 300. 875 Ebd., S. 227, 304.

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Erfahrungen. Deshalb empfahl Dahlem, dass die SPD „selber Bilanz ziehen“ sollte und die KPD intern die „Sektierer“ bekämpfen müsse.

Besonders die Parteimitglieder, die schon vor 1933 Mitglied der KPD waren, sollten geschult und überzeugt werden.876 Das galt für die KPD insgesamt, d.h. in ganz Deutschland. Er trat für den Parteiausschluss dafür ungeeigneter Kader ein.877 Der Vereinigung von SPD und KPD stand dieses Problem nicht mehr entgegen.

Auf dem Vereinigungsparteitag, dem letzten Parteitag der KPD, im April 1946 sprach Dahlem in seinem Referat zur Organisationspolitik von der „Volkspartei der Werktätigen“.878 Er meinte damit die politische Führung durch die SED in der Sowjetischen Besatzungszone über ihre Betriebsgruppen. Aus diesen heraus sollten Wirtschaft und Verwaltung gelenkt werden.

Um die Forderungen der SED: Entnazifizierung der Betriebe, politische Mitbestimmung der Betriebsräte, Verbesserung der sozialen Bedingungen der Arbeiter und Angestellten durch- setzen zu können, hatte die SED für Franz Dahlem „die vorherrschende und allein führende Partei“ zu sein.879 Dieses Ziel strebte die SED auch in den westlichen Besatzungszonen an. Dort scheiterte allein schon die Vereinigung an der Behinderung durch die westlichen Besatzungsmächte, die in ihren Zonen bürgerliche Politiker und SPD-Politiker unterstützten, die von Anfang an gegen die KPD eingestellt waren und auch den Zusammenschluss mit Teilen der SPD zur SED wie in der Sowjetischen Besatzungszone verhinderten. Die westlichen Besatzungsmächte und ihre deutschen Politiker behinderten auch die Entwicklung der KPD zu einer legalen kommunistischen Massenpartei, die die Voraussetzung für eine wesentliche politische Einflussnahme und die Durchsetzung des reichsweiten Anspruchs der SED gewesen wäre.880

876 Günter Benser (Hrsg.), Protokolle der Reichsberatung der KPD 8./9. Januar 1946 (Dokumente zur Geschichte der kommunistischen Bewegung in Deutschland 3), München 1995, S. 27. 877 Ebd. 878 Günter Benser (Hrsg.), Protokolle des 15. Parteitags der KPD, 19./20. April 1946 (Dokumente zur Geschichte der kommunistischen Bewegung in Deutschland 5), München 1996, S. 57. 879 Ebd., S. 68. 880 Benser, Die KPD im Jahre der Befreiung, S. 333.

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2. Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes

Dahlem gebührt das Verdienst, in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes881 eine Organisation mitbegründet zu haben, die das Potential hatte, Sozialdemokraten, Kommu- nisten und andere politische Opfer reichsweit zu repräsentieren. Die VVN war auch in den westlichen Besatzungszonen zugelassen. Der gemeinsam erlebte Kampf gegen den faschistischen Terror war die einigende Erinnerung, die ein zonenübergreifendes und überpolitisches Zusammengehörigkeitsgefühl aller „antifaschistischen Widerstands- kämpfer“882 zu schaffen schien. In dieser Hinsicht konnte Dahlem auch in den Westzonen Einfluss zum Aufbau einer SED-Organisation und einer antifaschistischen Politik nehmen.

Dahlems Westpolitik war 1946/1947 darauf gerichtet, die SED auch in diesen Besatzungs- zonen zu gründen und mit ihr dann in einem Block mit den bürgerlichen Parteien, wie in der Sowjetischen Besatzungszone, reichsweit sozialistische und antifaschistische Politik zu ermöglichen.

Von Anfang an ging es Dahlem aber nicht nur darum, den politischen Anspruch der SED insgesamt zu verteidigen, sondern insbesondere den der Opfer des Faschismus. Schon kurz nach der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen formulierte Dahlem das moralische Recht zur politischen Gestaltung der:

„Kräfte […], denen der Hass gegen den Faschismus in Fleisch und Blut übergegangen ist und für die es keinerlei Kompromisse mit irgendwelchen faschistischen Überbleibseln gibt.“883

Diese Kräfte sollten das einigende Band über Besatzungs- und politische Grenzen sein. Im September 1946 stellte Dahlem fest, dass die Träger des faschistischen Regimes den Schutz der westlichen Besatzungsmächte suchten, weil sie die kapitalistischen Grundlagen des Naziregimes nicht zerstörten.884

Von der Erfüllung der Bedingungen, die Dahlem in seiner Wiener Rede für einen Neuanfang stellte, waren 1946 in Deutschland die meisten nicht erfüllt. Dazu zählte zuerst nach wie vor die faschistische Ideologie, die in der deutschen Bevölkerung verankert war. Dazu zählten Antisemitismus und Antikommunismus. Das ist ein Vorwurf, den Dahlem nicht nur auf Reden zu Gedenktagen, sondern auch in tagespolitischen Reden und Artikeln erhebt, z.B. auf

881 Elke Reuter, Detlef Hansel, Das kurze Leben der VVN von 1947 bis 1953. Die Geschichte der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR, Berlin 1997. 882 SAPMO NY 4072/76. Die Westmächte lehnten die Bezeichnung „Vereinigung der antifaschistischen Widerstandskämpfer“ ab. 883 Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 257. 884 Ebd., S. 304: „Ihr Klasseninstinkt trieb sie nach dem Westen.“

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der VVN-Tagung im Februar 1947: „Breiteste Schichten wollen das nicht wahrhaben oder möchten es [die Mitschuld des deutschen Volkes] vergessen.“885

Diese allgemeine Lage führte ihn auch in der Sowjetischen Besatzungszone zu Kompro- missen. Schon im Mai 1946 verzichtete er auf seine Forderung, Nazis zur Zwangsarbeit heranzuziehen. Die SED insgesamt ging dazu über, Mitglieder der NSDAP ebenfalls „in den demokratischen Neuaufbau“ einzubeziehen, auch damit es „der Reaktion unmöglich gemacht wird, diese Millionen ständig gegen uns [die SED] ins Spiel zu führen“886, wie Dahlem auf der Sekretariatssitzung des Landesvorstands der SED in Mecklenburg-Vorpommern deutlich machte. Die VVN war also auch Dahlems Versuch, das politische Programm der Häftlinge und Emigranten zu behaupten.

Breiten Raum widmete er in seiner Rede und seinem Schlusswort auf der Zonendele- giertenkonferenz der VVN im Februar 1947 der Forderung, „in jedem Großbetrieb die Frage der Geschichte der illegalen Bewegung zu stellen.“887

Zur Geschichtsschreibung zählte auch der Kampf um die Deutungshoheit, wer zum Widerstand zählte. Für Dahlem waren die Hauptträger des Widerstands:

„die deutsche Arbeiterschaft und an ihrer Spitze die Funktionäre und Mitglieder der Kommunistischen Partei, die christlichen Arbeiter, letztere besonders an Rhein und Ruhr. Neben ihnen waren es die Aktivisten der Gewerkschaften und der linken Massen- organisationen.“

Andere Widerstandsgruppen, wie z.B. die militärischen beurteilte Dahlem nach ihren Plänen, insbesondere ihrer Haltung zur Sowjetunion.888

Den politischen Anspruch begründete Dahlem für die VVN auch mit der internationalen Dimension des Widerstands gegen den deutschen Faschismus. Im Konzentrationslager Mauthausen waren es Häftlinge sowohl aus Ost- als auch aus Westeuropa, deren berechtigter Hass gegen alles Deutsche durch Vertrauen abgebaut werden sollte, das ein wirklich demokratisches entnazifiziertes Deutschland ihnen geben sollte. Dieses Vertrauen konnte für Dahlem nur die Politik der SED in der Sowjetischen Besatzungszone gewinnen.889

885 SAPMO NY 4072/62, fol. 66. 886 SAPMO NY 4072/61, fol. 20. 887 SAPMO NY 4072/62, fol. 52, 66. 888 Ebd. 889 Ebd.

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3. Westarbeit und deutsche Einheit

Franz Dahlem erfuhr nach eigener Aussage noch im Konzentrationslager Mauthausen, dass von den westlichen Besatzungsmächten USA, England und Frankreich, die:

„antifaschistischen Ausschüsse aufgelöst, die eroberte Macht der Betriebsräte weitgehend eingeschränkt, die Betriebsleitungen wieder mit faschistischen Werkleitern besetzt wurden.“890

Jedenfalls war Dahlem früh klar, dass die verschiedenen Besatzungsmächte ihre Interessen und ihre Politik in ihren Zonen durchsetzen würden. Das zeigte sich auch am Verhalten des amerikanischen Oberkommandos in Mauthausen.

Der 8. Mai 1945 war für Dahlem keine „Stunde Null“ in der Systemauseinandersetzung. Nach der Gründung der SED in der Sowjetischen Besatzungszone bestimmte der Kampf für die Deutschlandpolitik der SED und der Sowjetunion sein Handeln als Leiter der Westarbeit, der Organisations- und Personalabteilung der SED.

Es war nach dem Vereinigungsparteitag der SED offen, welche Entwicklung die Auseinan- dersetzung über Deutschland nehmen würde. Zwar nannte das Potsdamer Abkommen einige Bedingungen, wie z.B. den Erhalt der Einheit des Landes und die Entnazifizierung, aber nur die sowjetische Außenpolitik war daran wirklich interessiert und zu Kompromissen bereit. Dahlem verteidigte den Anspruch der SED „sozialistisch“ und „Einheitspartei“ Deutschlands zu sein.

Aber „sozialistisch“ hieß für Dahlem die Verteidigung und den Ausbau gemeinsamer Ziele in Ost und West, vor allem Bodenreform, Verwaltungsreform und Verstaatlichung der Betriebe von Kriegs- und Naziverbrechern.891

Zur Einheit der beiden Arbeiterparteien konnte es im Westen nicht kommen, weil die SPD in den westlichen Besatzungszonen unter ihrem Vorsitzenden die Politik des SPD-Emigrationsvorstandes einer Zusammenarbeit mit den Kommunisten vorzog. Kurt Schumachers Politik orientierte eher auf eine Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien, die zu dieser Zeit teilweise Sozialisierungsprogramme auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Mit dieser Politik konnte die SPD jedoch nicht zur Verwirklichung ihres Programms gelangen, was von Dahlem schon im Mai 1946 anläßlich des Berliner Parteitags der SPD festgestellt wurde. Dort warf er der SPD vor, „ins Lager des ausländischen Monopolkapitals

890 SAPMO NY 4072/61, fol. 26. 891 Ebd., fol. 47.

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[übergegangen] zu sein und Verrat an der Arbeiterklasse“ durch die Blockbildung mit den bürgerlichen Parteien begangen zu haben.892

Daraus folgte für Dahlem im Westen der Ausbau der KPD, die Ende 1946 über 250 000 Mitglieder verfügt haben soll. Dazu prangerte die KPD die Koalitionspolitik der SPD an, sollte aber gleichzeitig eine „kluge Politik gegenüber der SPD [verfolgen], sie überall unterstützen, wo sie Anträge einbringt im Interesse der Arbeiter und Werktätigen.“893

In diesem Zusammenhang stand auch der förmliche Erhalt der Parität in der SED, deren Apparat durch die Vereinigung von KPD und SPD vergrößert wurde. Andererseits aber dem Anspruch, führende Partei zu sein, gerecht werden musste.

Dieser Anspruch war durch einen hohen Mitgliederzuwachs gesichert, der aber auch die Parität irgendwann überflüssig machte. Dahlem wollte die Parität nur solange aufrecht er- halten „bis die Partei so steht, dass das nicht mehr nötig ist.“894

Die Vorwürfe, die die SPD erhob, wonach die Vereinigung eine „Zwangsvereinigung“895 gewesen sei, maß Dahlem an den Zielen, die die SPD nicht durchgesetzt hatte und hielt ihr vor, an ihre Politik von 1918 anzuknüpfen, d.h. Sozialisierungen zu versprechen, aber doch nur Anhängsel bürgerlich-kapitalistischer Politik zu sein.896 Tatsächlich schien die SPD auf alle wirklichen Veränderungen zu verzichten. Das wurde beispielsweise an dem Unterschied zwischen den Beschlüssen des Parteivorstands der SPD und der aktiven Mitarbeit führender Sozialdemokraten in den Ländern deutlich. Zudem zeichnete sich ein erneuter „Bruder- kampf“ zwischen den beiden Arbeiterparteien ab.

Die internationale Anerkennung der SED-Politik bildete für Dahlem die Garantie der Einheit Deutschlands. Dahlem zog den Vergleich zum Jahr 1923, als die KPD und die KPF solidarisch gegen die französisch-belgische Besetzung des Ruhrgebiets kämpften.

Auch im Jahr 1947 sah er in der KPF den solidarischen Partner, mit dem gemeinsam unter dem direkten Schutz der Sowjetunion die Einheit Deutschlands erhalten werden konnte.897 Dazu zählte die territoriale Integrität, die an Saar, Rhein und Ruhr sowie durch die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen insgesamt bedroht war. Gleichzeitig wies die SED und auch Franz Dahlem Angriffe des politischen Gegners wegen der deutschen Ostgrenze zurück,

892 Ebd., fol. 30. 893 Ebd., fol. 124. 894 Ebd., fol. 132. 895 SAPMO NY 4072/62, fol. 18. Replik Franz Dahlems auf Vorwürfe Franz Neu-manns, in: Vorwärts vom 10. Feb. 1947. 896 Franz Dahlem, Die SED und die Zukunft Deutschlands, in: Neues Deutschland vom 14. Jan. 1947. 897 Franz Dahlem, Zum Problem Deutschland-Frankreich, in: Neues Deutschland vom 30. März 1947.

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die von allen vier Alliierten beschlossen worden war. Die SED erkannte die Oder-Neiße- Grenze als endgültige Grenze sehr früh an.

Franz Dahlem formulierte auf einer Landesdelegiertenkonferenz der SED in Thüringen Ende 1948:

„Für uns ist die als Resultat der Hitlerschen Kriegsverbrechen auf Beschluss der vier alliierten Großmächte geschaffene Oder-Neiße-Grenze eine vollendete Tatsache.“898

Da sich 1947 abzeichnete, dass die vier Alliierten nicht mehr zu einer Regelung über Deutschland als Ganzes kommen, ergriff die SED in Übereinstimmung mit der sowjetischen Deutschlandpolitik die Initiative zum Erhalt der deutschen Einheit über die überparteiliche Volkskongressbewegung. Dahlem garantierte deren Propagierung mit unterschiedlichem, aber letztendlich propagandistischem Erfolg auch in den Westzonen.

Er betonte in einer Rede im März 1948, dass die „Kampfmethoden“ der Volkskongress- bewegung:

„unter keinen Umständen auf den Gedanken einer getrennten selbständigen Politik in der Westzone führen dürfen, auch nicht in dem Fall, wenn eine gewaltsame künstliche Trennung herbeigeführt würde.“899

Es kann also keine Rede davon sein, dass Franz Dahlem und die Parteiführung schon seit dem XV. Parteitag der KPD 1946 versucht haben, eine DDR zu gründen, wie Ilko-Sascha Kowalczuk behauptete.900 Ilko-Sascha Kowalczuk zitierte folgenden Passus der Rede Franz Dahlems auf dem XV. Parteitag:

„Unsere Partei hat seit der ersten Stunde ihres legalen Auftretens nach dem Zusammenbruch des Hitler-Regimes als ihre Überzeugung kundgetan, dass nunmehr nach dem Bankrott der großkapitalistischen Herrschaft in unserem Land die Arbeiterklasse das Schicksal Deutschlands in ihre Hände nehmen und dass sie den neuen Staat aufbauen und führen muss. Die Partei hat dementsprechend sofort ihre Tätigkeit als eine staatsaufbauende Partei begonnen […].“901

„Tätigkeit als eine staatsaufbauende Partei“ setzte Ilko-Sascha Kowalczuk kursiv. Franz Dahlem und die gerade gebildete SED hatten zum Zeitpunkt sicherlich nicht die Gründung einer separaten ostdeutschen Republik im Sinne, sondern vertraten einen reichsweiten Anspruch in einem geschichtlichen Prozess, der offen war und in dem es die Möglichkeit für

898 Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 340. 899 SAPMO NY 4072/63, fol. 118. 900 Ilko-Sascha Kowalczuk, Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Berlin 2003, S. 232. 901 Ebd.

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die Westmächte wie auch für die Sowjetunion gab, sich über Deutschland einig zu werden. Wie oben gezeigt ist der Begriff „staatsaufbauende Partei“ vielmehr als Abkehr von der alten Oppositionsrolle der KPD und hin zu einer regierenden Massenpartei zu verstehen.902

Franz Dahlem ging Ende Mai 1946 dementsprechend von ganz anderen Voraussetzungen für den Westen aus. Auf einer Sekretariatssitzung des Landesvorstands Mecklenburg- Vorpommern der SED sagte er, dass:

„die alten imperialistischen Gegensätze zwischen den Westmächten jetzt noch schärfer zum Ausdruck kommen, dass Deutschland der Boden geworden ist, auf dem der Kampf geführt wird.“903

Offensichtlich meinte er damit die Differenzen der Westmächte in den westlichen Besatzungszonen. Aus seinen internen Reden und Artikeln der Nachkriegszeit können keine Spaltungsabsichten herausgelesen werden. Den sich zuspitzenden internationalen Konflikt beurteilte Dahlem mit der ideologischen Überzeugung der SED, wonach in den Westzonen: „der Anschluss an das großkapitalistische System durchgeführt“904 wurde.

Dieses Zitat von Anfang 1947 zeigt, dass Dahlem sehr schnell seine Illusionen über einen vollständigen Zusammenbruch des kapitalistischen Wirtschaftssystems aufgegeben hatte. Auch in der Sowjetischen Besatzungszone konnte nicht sofort der Sozialismus aufgebaut werden. Wenn Dahlem in seiner Rede auf dem XV. Parteitag von „Staat“ und „Land“ sprach, so meinte er Deutschland als ganzes.

Ilko-Sascha Kowalczuk leitete aus dem kursiv gesetzten Zitat Dahlems „Tätigkeit als eine staatsaufbauende Partei“ ab, dass Dahlem die SED als Organisation neuen Typs schon auf dem XV. Parteitag propagiert habe. Das ist schon wegen der ideologischen und formellen Rücksichtnahme auf die SPD-Mitglieder in der gerade gebildeten SED unwahrscheinlich. Die Linie der Parteiführung der SED, einschließlich der dort paritätisch vertretenen Sozialde- mokraten ging auf Integration. Allerdings entfernten sich KPD und Sowjetunion von der Propagierung eines besonderen demokratischen Weges zum Sozialismus in Deutschland, je schneller die bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse in Westdeutschland wieder-

902 Gerhard Wettig, Neue Aufschlüsse über Moskauer Planungen für die politisch-gesellschaftliche Ordnung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung 1995, S. 151-172, hier: S. 170: „Aus Moskauer Sicht war der Versuch aussichtsreich, auf eine sowjetsozialistische Ordnung in dem besiegten Land zuzusteuern, ohne deswegen deren Beschränkung auf sowjetisch beherrschtes Territorium zu provozieren und die Vorteile eines politischen Zusammenwirkens mit den westlichen Besatzungsmächten preiszugeben.“ 903 SAPMO NY 4072/61, fol. 15. 904 Franz Dahlem, Die SED und die Zukunft Deutschlands, in: Neues Deutschland vom 14. Januar 1947.

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hergestellt waren und desto unüberwindlicher die Differenzen der ehemaligen Alliierten über Deutschland und international wurden.

4. Der besondere deutsche Weg zum Sozialismus

Die SED und Franz Dahlem, die formell nicht der Kominform angehörten, propagierten bis zum Verdikt gegen Jugoslawien den besonderen deutschen Weg zum Sozialismus.

Auf der erweiterten Sekretariatssitzung am 19. November 1945 nahm Dahlem ausdrücklich Abstand von der Übernahme des Sowjetsystems und begründete das mit der Niederlage der Arbeiterklasse gegen den Faschismus: „Die soziale Gesellschaftsordnung der Sowjetunion ist für uns das Ideal, auf das wir losstreben.“905

Diese Linie vertrat Dahlem auch vor der KPD. Zur Linie des „ultralinken“ Kurses der zwanziger Jahre, wie das manchmal angenommen wurde, kehrte Dahlem nach 1935 nicht zurück. Wilhelm Pieck vermerkte auf der Reichskonferenz der KPD Anfang März 1946:

„Wenn man kritisch die Diskussionsreden prüft, so sind bei den meisten Genossen die große Frage der Besonderheit des deutschen Weges zum Sozialismus der Zukunft gekommen, die von den Genossen Karl Mewis, Dahlem, Wandel, Oelsner erfreulicherweise sehr gut behandelt wurden.“906

Dahlem war sich klar darüber, dass dieser Weg keine Abkehr von kommunistischen Prinzipien sein konnte, weil die Sowjetunion im Gegensatz zur Weimarer Republik jetzt direkt bestimmenden Einfluss in Deutschland ausübte. Das versuchte er auch den Mitgliedern der SED klar zu machen. Den Delegierten der Landeskonferenz der SED in Schwerin Ende September 1946 sagte er, dass unter dem Schutz der Sowjetarmee der demokratische Weg nach dem Zusammenschluss von KPD und SPD möglich sei.907 Noch im März 1948 zitierte er auf einer Organisationskonferenz Walter Ulbricht, der von der „Realität des demokra- tischen Weges zum Sozialismus“ 908 ausging. Mit dem Ausschluss Jugoslawiens aus der Kominform und der Propagierung der Partei neuen Typus endete auch die Politik des besonderen Weges zum Sozialismus.

905 Benser, Erweiterte Sitzungen des Sekretariats, S. 300. 906 Günter Benser (Hrsg.), Protokolle der Reichskonferenz der KPD, 2./3. März 1946 (Dokumente zur Geschichte der kommunistischen Bewegung in Deutschland 4), München 1996, S. 694. 907 SAPMO NY 4072/61, fol. 61. 908 SAPMO NY 4072/63, fol. 158.

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Franz Dahlem brachte den Kurswechsel, wie im Jahr 1939, in Verbindung mit dem besonderen Studium der „Geschichte der KPdSU (B)“. Er sah in deren Lektüre die Möglichkeit, die Parteimitgliedschaft auf eine einheitliche Parteiideologie einzuschwören und sie „von opportunistischen Elementen zu säubern.“909

Der von Stalin nach dem Ausscheren Jugoslawiens angeordnete Kurswechsel spiegelte sich in Franz Dahlems folgenden Reden und Artikeln in einer Rückkehr zur kommunistischen Ideologie der zwanziger Jahre.

Dazu gehörte die ideologische Vereinheitlichung z.B. durch die „Geschichte der KPdSU (B)“, aber auch der Kampf gegen die rechten SPD-Führer unter Ausnahme der SPD- Mitgliedschaft. In seinem Schlusswort auf der Landesdelegiertenkonferenz der SED Thüringens bezeichnete er die SPD-Führung „als wichtigste Hilfstruppe des Weltimpe- rialismus.“910 In einem Artikel, der am gleichen Tag erschien, nahm er die „große Masse der einfachen SPD-Mitglieder und Anhänger“ 911 davon aus. Die „wirkliche“ 912 Führung von Politik und Wirtschaft sollte bei den Betriebsgruppen liegen. Sie sollten „alle Gebiete von Politik, Wirtschaft, Erziehung, Kultur beherrsch[en].“913

Seine Abkehr vom besonderen Weg zum Sozialismus sprach Dahlem in seinem Vortrag „Über die Lehre vom Klassenkampf“ an der Parteihochschule im November 1948 aus:

„Fest steht aber, dass es keinen besonderen Weg zum Sozialismus gibt, der die Errichtung dieses historischen Zieles der Arbeiterklasse ohne Anwendung der revolutionären Gewalt garantiert.“914

Deutlich distanzierte er sich in seinem Vortrag vom profiliertesten Theoretiker des besonderen Weges zum Sozialismus Anton Ackermann, ohne dessen Namen zu erwähnen. Seine Vorschläge und die anderer „Genossen der SED“ seien „oberflächliche Betrachtungen“ gewesen: „Ich meine, sie verstehen es nicht, im marxistisch-leninistischen Sinne zu analysieren.“915

In seiner Analyse setzte Dahlem die politische Situation der Volksdemokratien mit denen der Sowjetischen Besatzungszone gleich. Boden-, Wirtschafts- und Verwaltungsreform waren

909 Franz Dahlem, Zum Studium der Geschichte der KPdSU (B). Bei der siegreichen Partei in die Schule gehen, in: Tägliche Rundschau vom 1. Okt. 1948. 910 Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 338. 911 Franz Dahlem, Rechte SPD-Führer als neue Kriegsverbrecher, in: Neues Deutschland vom 9. Dez. 1948. 912 SAPMO NY 4072/65, fol. 64. Resolution des Parteivorstandes der SED vom 21. Okt. 1948 zur Verbesserung der Arbeit der Parteibetriebsgruppen in den Großbetrieben. 913 SAPMO NY 4072/65, fol. 56. Schlusswort auf der Tagung des Parteivorstands am 21. Okt. 1948. 914 Ebd., Vorlesung an der Parteihochschule „Über die Lehre vom Klassen-kampf“ [Nov. 1948], fol. 91. 915 Ebd., fol. 100.

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demnach Teil der „nationalen Volksrevolutionen.“ Diese waren abgeschlossen. Dahlem rief die „sozialistische Revolution“ aus. 916 Dieser Weg musste natürlich zu gänzlich anderen Formen in der Sowjetischen Besatzungszone als in den westlichen Besatzungszonen führen.

5. Staatsgründung

Internationale Lage, Volkskongress und Wirtschaft ließen auch für die Sowjetische Besatzungszone ein eigenes Staatswesen wahrscheinlicher erscheinen. Das Streben westdeutscher Politiker und der westlichen Besatzungsmächte, insbesondere der USA zur Gründung eines Separatstaates war sehr weit fortgeschritten, so dass Dahlem die Westzonenverwaltung in Frankfurt am Main als „de-facto-Regierung Westdeutschlands“ be- zeichnen konnte.917

In dieser Hinsicht wiederholte sich für ihn, was 1923 versucht worden war. Auch die Gründung der Bundesrepublik und ihre Westintegration beruhte für Dahlem auf dem „nationalen Verrat der Bourgeoisie“ und wurde sogar von denselben Politikern in Szene gesetzt.918 Gerade der Eindruck, die Spaltung bewirkt zu haben, sollte von der SED peinlichst vermieden werden.

An entscheidender organisationspolitischer Stelle und als Leiter der Westarbeit war Dahlem mit der Resolution zur Nationalen Front beauftragt. Noch vor dem „Abfall“ pries er Jugoslawien im März 1948 als das Land, dessen Nationale Front „einheitlich das Land führt.“919 Nun arbeitete er selbst an ihrer Gründung in der Sowjetischen Besatzungszone, um der entstehenden Deutschen Demokratischen Republik eine repräsentative Grundlage jenseits der SED zu geben.

Die Nationale Front war auch als Mittel der Westpolitik gedacht, um doch noch die Gründung einer Bundesrepublik und deren Westintegration zu verhindern. Dahlem führte mit der Ausarbeitung der Resolution über die Nationale Front eine „Anregung“ Stalins an die Parteiführung der SED aus. 920 Nach der Rede Wilhelm Piecks auf der Tagung des Parteivorstands der SED am 4. Oktober 1949 erläuterte Dahlem den Inhalt der Resolution zur

916 Ebd., fol. 91. 917 SAPMO NY 4072/63, fol. 127. 918 SAPMO NY 4072/66, fol. 25. Protokoll der 1. Parteikonferenz der SED 25. bis 28. Jan. 1949. 919 SAPMO NY 4072/63, fol. 96 920 Rolf Badstübner, Wilfried Loth (Hrsg.), Wilhelm Pieck. Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik 1945- 1953, Berlin 1994, S. 299.

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Nationalen Front des demokratischen Deutschland als Konsequenz der Gründung der Bundesrepublik.921

Er wiederholte die bisherige Argumentation der SED und der Sowjetunion, wonach die alten Wirtschafts- und Militäreliten im Westen unter Bruch des Potsdamer Abkommens einen Separatstaat gründeten und einen neuen Krieg gegen die Sowjetunion planten. Interessant war Dahlems Formulierung für die Resolution:

„Die nationale Frage ist zur wichtigsten politischen Lebensfrage des deutschen Volkes geworden. Die Schaffung und Festigung der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands ist eine der Hauptaufgaben aller deutschen Patrioten, unabhängig von ihrer Klassenzugehörigkeit, ihrer politischen Überzeugung und religiösen Anschauung.“922

Dieser Linie folgte Dahlem in seiner Politik als Leiter der Westabteilung bis zu seiner Funktionsenthebung.

Die Frage der deutschen Einheit war jedoch nach der zweiten Parteikonferenz 1952 unmöglich aufrecht zu erhalten. Die Grundlagen des Sozialismus waren nur in der Deutschen Demokratischen Republik zu erreichen. Damit musste Dahlem auch zur Partei und dem realistischer denkenden Ulbricht in Konflikt geraten. Zwar bekannte sich Dahlem zur 2. Parteikonferenz, aber anstatt das dort gestellte Ziel des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus hauptsächlich zu propagieren, bezeichnete Dahlem den „Kampf um den Frieden und die Einheit Deutschlands nach wie vor [als] die oberste Aufgabe aller Deutschen […], der alle anderen Aufgaben untergeordnet sind.“923

Beide Richtungen politischen Wollens waren schwerlich auf Dauer zu vereinen. Das zeigte sich auch an der von Dahlem verteidigten Auflösung der VVN, die eine gesamtdeutsche Organisation darstellte. Tatsächlich betrachtete Dahlem die VVN mit dem Prozess des Kampfes um nationale Einheit als ein Mittel der Westpolitik. So gab er auf der dritten Haupt- konferenz der VVN am 11. Juni 1949 als Linie die:

„Konzentration unserer Aktivität auf die Beeinflussung und Gewinnung aller Menschen, auch wenn sie früher im Nazilager und selbst in der Nazipartei gewesen waren, mit Ausnahme der Kriegsverbrecher und Aktivisten“924 aus. Warum brauchte die SED-Westpolitik dann noch die VVN im eigentlichen Sinne? Aus der Tatsache des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus in der DDR folgte die Bildung des

921 SAPMO NY 4072/66, fol. 236. 922 Ebd., fol. 247. 923 SAPMO NY 4072/73, fol. 282. 924 SAPMO NY 4072/66, fol. 100.

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Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer, weil die „programmatischen Forde- rungen des Gründungskongresses der VVN aus dem Jahre 1947 restlos erfüllt“925 wären.

Die nach der Auflösung der VVN in der DDR weiterbestehende Organisation Westdeutschlands hatte dort den Kampf weiter zu führen, da in der DDR für die SED und auch für Dahlem die Beseitigung des Faschismus und der Weg zum Sozialismus gelöste politische Aufgaben waren.

Dahlem verteidigte auch den Aufbau eigner Streitkräfte der DDR und die damit verbundene erneute außerordentliche Belastung der DDR-Wirtschaft. So vertrat er auch hier nur die Linie der Parteiführung zur Produktivitätssteigerung, die Normen zu erhöhen. 926 Von einer besonderen grundlegenden politischen Gegnerschaft zu Ulbricht, die zu seiner Funktions- enthebung führte, kann also keine Rede sein.

XXI. FUNKTIONSENTHEBUNG

1. Schauprozesse in Budapest und Prag

Franz Dahlems Machtstellung wurde durch die Schauprozesse in den osteuropäischen Volksdemokratien, insbesondere in Ungarn gegen László Rajk und in der Tschechoslowakei gegen Rudolf Slánsky, erschüttert. Die Prozesse führten 1953 zu seinem Ausschluss aus Politbüro und Zentralkomitee der SED sowie einer „strengen Rüge“, also beinahe zum Parteiausschluss.

Die Schauprozesse in Ungarn und der Tschechoslowakei wurden für ihn gefährlich, da er mit einigen der dort fälschlich Beschuldigten persönlich bekannt war. Insbesondere die Bekannt- schaft mit Noel Field, dem Direktor des europäischen USC, der zum „Superspion“ erklärt und verurteilt wurde, bedeutete Lebensgefahr. Die Prozesse in Budapest und Prag zeigten, dass bei erwiesener „Kontaktschuld“ mit Noel Field Folter, Tod, Parteiausschluss und die „damnatio memoriae“ drohten.

Auf Stalins Geheiß sollte durch diese Prozesse gegen bekannte und bewährte treue Kommunisten verhindert werden, dass sich die osteuropäischen Volksdemokratien aus dem sowjetischen Einflussbereich lösten. In der Sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR, waren Schauprozesse vergleichbaren Ausmasses für Stalin nicht wünschenswert.

925 SAPMO NY 4072/76, fol. 26. 926 Ebd., fol. 76.

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Die DDR war von der Sowjetarmee besetzt. Die Sowjetische Militäradministration bzw. die Sowjetische Kontrollkommission war an allen wesentlichen politischen Entscheidungen direkt beteiligt. Sowjetische Vertreter nahmen an den Sitzungen des Politbüros der SED teil. Stalin selbst war daran interessiert, mit den ehemaligen Verbündeten der Anti-Hitler- Koalition doch noch zu einer Lösung über ein vereinigtes Deutschland zu kommen. Seine Verhandlungsbereitschaft kulminierte in der Note von 1952.927 Vor diesem Hintergrund hatte er wenig Interesse, auch in der DDR einen großen Schauprozess zu inszenieren.

Trotzdem gab es Planungen des Ministeriums für Staatssicherheit in Zusammenarbeit mit sowjetischen Beratern, auch in der DDR einen Schauprozess stattfinden zu lassen. Ob es ein Prozess oder zwei Prozesse geben sollte und wer die Angeklagten sein sollten, ist umstritten. Sicher ist, dass Franz Dahlem neben Paul Merker einer der Hauptangeklagten hätte sein können. Zumindest deuten die erhalten gebliebenen und zugänglichen Quellen daraufhin.

Der Schauprozess in der DDR wäre ähnlich verlaufen wie in Budapest und Prag. Im wesentlichen folgte er dem typischen Schema der stalinistischen Prozesse, in denen die Angeklagten als „Verräter“ überführt wurden, um sie danach physisch zu vernichten und aus dem politischen Gedächtnis zu löschen.

Auch die Vorwürfe, die Matern in der ZPKK und öffentlich Dahlem gemacht hat und die Grundlage einer Anklage hätten werden können, liefen darauf hinaus, ihn zum „Verräter“ abzustempeln. Insbesondere die Hauptanklage aller stalinistischen Schauprozesse findet sich bei Matern als Untersuchungspunkt wieder: Verrat durch Zusammenarbeit mit nicht- kommunistischen Geheimdiensten, insbesondere dem deutschen faschistischen Geheimdienst Gestapo, deren „Agent“ der Angeklagte geworden sei.

Die Verhöre Materns des seiner Funktionen enthobenen Politbüromitglieds Dahlem insistierten immer wieder auf diesem Punkt. Das äußert sich in der geschmacklosen und zynischen Verdächtigung, Dahlem habe während seiner Haft im Reichssicherheitshauptamt und im Vernichtungslager Mauthausen mit der Gestapo zusammengearbeitet. In diesem Zusammenhang wären Dahlem zwei Ereignisse seiner Biographie beinahe zum Verhängnis geworden: die Registrierung in Paris 1939 und seine Bekanntschaft mit dem angeblich überführten „Agenten“ Noel Field.

927 Wilfried Loth, Die Sowjetunion und die deutsche Frage. Studien zur sowjetischen Deutschlandpolitik von Stalin bis Chruschtschow, Göttingen 2007.

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2. Unterstützung Noel Fields

Unmittelbar nach Kriegsende stand für Franz Dahlem der Wiederaufbau der KPD im Vordergrund, wofür jedes überlebende Parteimitglied gebraucht wurde. Die kommunistischen deutschen Emigranten, die aus aller Welt zurückströmten, sollten überprüft werden, sodass ein verlässlicher, nicht belasteter Parteiapparat die Arbeit wiederaufnehmen und der KPD eine führende politische Rolle sichern konnte.

Dahlems eigenes Schicksal ist dafür exemplarisch. Anstatt vor einem Parteigericht erscheinen zu müssen, wie es nach der Stellungnahme der in Moskau verbliebenen Genossen vom Januar 1940 zu erwarten gewesen wäre, konnte er durch den Schutz Dimitroffs und Piecks seinen Platz im Politbüro wieder einnehmen. Analog verfuhr der Kaderleiter der KPD Franz Dahlem in den ersten Monaten nach seiner Rückkehr. Grundsatzdiskussionen stellte er zurück, soweit die Vorwürfe nicht gravierend waren. Ähnlich lag die Sache bei Noel Field, „dieses unserer sozialistischen Sache stets treu ergebenen, standhaften und selbstlosen Genossen"928.

Vorwürfe, wonach Noel Field angeblich „Trotzkisten“ bei der Flucht aus Frankreich geholfen habe, musste er, nachdem er ihn in Berlin wiedersah, vermerken.929 Glauben schenkte er diesen Vorwürfen nicht, da er es besser wusste.

Vermutlich traf Franz Dahlem Noel Field als Vertreter der CRALOG930 zu Beginn des Jahres 1946 wieder.931 Fields Mitarbeiterin Herta Jurr-Tempi vermittelte das Gespräch über den persönlichen Referenten Wilhelm Piecks Walter Bartel, in dessen Wohnung es auch stattfand.932

Es ging um Hilfssendungen in der Sowjetischen Besatzungszone an die Opfer des Faschismus. Franz Dahlem lehnte diese Hilfe im Namen der SED ab, auch weil das Politbüro im Juli 1945 in Übereinstimmung mit der Sowjetunion beschlossen hatte, den Kontakt zu den Besatzungsmächten in den Westzonen und ihren Diensten abzubrechen.933

Änne von Fischers Denunziation Noel Fields als „Trotzkist“ widersprach Paul Merker in seinem Bericht „Noel Field und seine Verbindungen“ an Franz Dahlem vom 26. November

928 Beileidsschreiben Franz und Käthe Dahlems an Herta Field zu dessen Tod 1970 in: SAPMO NY 4072/204, fol. 17. 929 SAPMO DY 30/9970, fol. 2. Vermerk Franz Dahlems vom 13. Febr. 1946 „diesen Komplex zu überprüfen“. 930 Ebd., fol. 21. Vermerk Walter Bartels vom 5. Okt. 1949. 931 Ebd., fol. 2, 21. 932 Kießling, Leistner ist Mielke, S. 105. Vgl. auch: Barth, Der Fall Noel Field, S. 490. 933 SAPMO DY 30/9970, fol. 66.

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1946.934 Paul Merker kannte Noel Field noch besser als Franz Dahlem. Er betonte ausführlich die Verdienste und lebensrettenden Hilfeleistungen Fields in Frankreich. Er wies den Vorwurf, Field habe „trotzkistische Organisationen“ unterstützt zurück. Field habe sich vom Fry-Komitee (Emergency Rescue Committee) immer distanziert. Die Rettung von Kommunisten sei aus dieser Quelle nicht finanziert worden. Damit bestand auch für Dahlem kein Grund mehr, die Angelegenheit weiter zu überprüfen, zumal er seinem engsten Mitarbeiter im Pariser KPD-Sekretariat Paul Merker vertraute.

Das USC entließ seinen Direktor für Europa Noel Field im Oktober 1947, weil ihm seine politische Haltung bekannt wurde.935 Beschäftigungslos hielt er sich in der Schweiz auf und bat Paul Merker um Hilfe, der im Gegenzug für die erwiesenen Wohltaten Noel Fields jetzt etwas für Field tun wollte und ihn Franz Dahlem am 10. Januar 1948 als Hochschullehrer einer „sozialwissenschaftlichen Fakultät“ vorschlug.936

Dahlem war dem nicht abgeneigt und forderte Merker auf, in einem weiteren Vermerk über Fields „bekannte Tätigkeit“ zu informieren, damit er die Bitte an die „zuständige Stelle“, d.h. die sowjetischen Vertreter und die Parteiführung weiterleiten könne.937

Field sah sich in Gefahr, als er Mitte Oktober 1948 in Prag von den Untersuchungen des Komitees „für unamerikanische Umtriebe“ des US-Repräsentantenhauses erfuhr. Sein Name wurde als Kopf einer kommunistischen Zelle im State Departement genannt. Deswegen wollte Field nicht mehr in die Schweiz zurückkehren. Dafür brauchte er allerdings eine Aufenthaltsbewilligung für Prag und bat Bedrich Gminder (KPTsch) ihm eine Aufenthalts- bewilligung zu beschaffen. und Paul Merker sollten für ihn bürgen.938

Paul Merker informierte Franz Dahlem über die neueste Entwicklung um Noel Field am 30. Oktober 1948 und erwähnte auch, dass Noel Field durch das Komitee für „unamerikanische Umtriebe“ enttarnt worden war.939

Franz Dahlem schrieb daraufhin persönlich an Bedrich Gminder:

„Wir wären Dir deshalb dankbar, wenn Du veranlassen würdest, dass Noel Field [eine] Aufenthaltsbewilligung durch die tschechoslowakische Regierung erhält, damit er in Prag bleiben kann.“940

934 BStU, MfS, AU Nr. 192/56, Bd. 5, fol. 50f. 935 Lewis, Noel Field, S. 150. 936 Ebd., fol. 52. 937 Ebd. 938 Ebd., fol. 53-55. 939 Ebd., fol. 56. 940 Ebd., fol. 57. Schreiben Franz Dahlems an Bedrich Gminder vom 8. November 1948.

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Noel Field war inzwischen verhaftet worden und wurde in Budapest unter der Folter von der ungarischen Polizei und sowjetischen Beratern verhört. Fields Freunde in Berlin wussten nicht, wo Noel Field war, auch Franz Dahlem nicht. Dahlem wandte sich am 15. Dezember 1948 schriftlich an Sergej Tjulpanow von der SMAD: „Ich bitte um Mitteilung, inwieweit wir von uns aus, nachdem wir uns in dieser Sache stark engagiert haben, Stellung nehmen sollen oder nicht.“941 Auch seine erneute Anfrage, die auch Wilhelm Pieck kannte, beantwortete Tjulpanow nicht.942

3. László Rajk

Gefährlich wurde es für Franz Dahlem, als die von Noel Field erpressten Behauptungen als „Geständnisse“, er wäre ein amerikanischer Superspion im Prozess gegen den ungarischen Außenminister László Rajk verwendet wurden und schon der bloße Kontakt zu Field ausreichte, um schuldig zu sein und zum Tod verurteilt zu werden.

László Rajk war wie Dahlem in Le Vernet inhaftiert worden. Eventuell kannten sie sich daher. Am 3. Oktober 1949 übersandte Dahlem dem Leiter der Zentralen Parteikontroll- kommission der SED Unterlagen zu Noel Field, nachdem er mit Walter Ulbricht gesprochen hatte.

Darin behauptete Dahlem, dass er nicht gewusst habe, mit wem er das von Walter Bartel vermittelte Gespräch führte und verwies auf Paul Bertz, der „bis in die letzte Zeit persön- liche Beziehungen zu Noel Field“943 hatte.

Eine direkte Folge dieser absehbaren Verstrickung in den Fall Noel Field war die Entbindung von der Leitung der Kaderfragen durch Beschluss des Politbüros vom 18. Oktober 1949. Im Protokoll ist zu lesen:

„Genosse Franz Dahlem wird auf eigenen Wunsch von der Verantwortung für Kaderfragen der SED befreit, um sich ganz seinen Aufgaben für den Westen [die Arbeit nach West- deutschland] widmen zu können. Die Kaderfragen werden im Politbüro vom Vorsitzenden des Sekretariats, Genossen Ulbricht vertreten.“944

941 SAPMO DY 30/9970, fol. 12. 942 Ebd., fol. 14. Schreiben an die Tochter Wilhelm Piecks Elli Winter vom 20. Februar 1949. 943 Ebd., fol. 17. 944 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 5280.

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Vorerst passierte Dahlem nichts, aber im Ministerium für Staatssicherheit forderte ein sowjetischer Vernehmer von dem verhafteten Kurt Müller: „Sie müssen über Dahlem eine solche Aussage machen, dass er morgen Abend hier bei uns sitzt.“945

Franz Dahlem war vermutlich zu diesem Zeitpunkt schon als einer der Hauptangeklagten eines Schauprozesses in der DDR vorgesehen. Die Forderung an Kurt Müller deutet daraufhin, Dahlem der „Neumann-Münzenberg-Gruppe“ zuzuordnen.946 Franz Dahlem als Angeklagter hätte jedenfalls eine annähernd gleiche hohe politische Position wie Rajk oder Slánsky gehabt und wäre insofern „geeignet“ gewesen. Außerdem war es leicht ihn mit Noel Field in Verbindung zu bringen.

Dazu gehörte auch Paul Merker, der nicht mehr Mitglied des Politbüros war und den die Staatssicherheit verhaftete. Auch Merker wurde zu Dahlem ausführlich befragt. 947 Franz Dahlem schickte von sich aus die Unterlagen, die er an Hermann Matern (ZPKK) übersandte, auch an .948

Ein Schock muss es für Dahlem gewesen sein, an der 2. Tagung des ZK der SED und im Politbüro am Ausschluss bzw. der Funktionsenthebung von Genossen entscheidend beteiligt zu sein, mit denen er zusammengearbeitet hatte. Betroffen waren beispielsweise Paul Merker, Willy Kreikemeyer, Lex Ende und Maria Weiterer sowie Hans Teubner und Walter Beling. Sie alle waren Westemigranten, die mit Noel Field „auf Anweisung Washingtons“ in Kontakt gestanden haben sollten. Die zugehörige Stellungnahme des ZK zur „Verbindung von Funktionären der SED mit amerikanischen Agenten“ vom 24. August 1950 betraf Dahlems Politik in Frankreich vor der Internierung und aus dem Lager Le Vernet heraus, für die er die Verantwortung trug. Auch wenn er selbst nicht namentlich genannt wurde.949 Bis Ende 1952 gab es keine erneuten Vorwürfe an ihn. Zu seinem 60. Geburtstag am 14. Januar 1952 verlieh ihm Wilhelm Pieck den Titel „Held der Arbeit“. Das „Neue Deutschland“ veröffentlichte eine Glückwunschadresse des ZK am 13. Januar 1952 und zeigte in seiner Ausgabe vom 15. Januar 1952 ebenfalls auf der Titelseite die Verleihung des Titels durch Wilhelm Pieck im

945 SAPMO BY 1/690. Vgl. auch: SAPMO ZPKK, Verhör Franz Dahlems am 20. Apr. 1953. Hermann Matern versuchte Franz Dahlem mit Kurt Müller in Verbindung zu bringen und ihm die Verantwortung für den Einsatz dieses angeblichen Trotzkisten zuzuschieben. 946 SAPMO DY 30/9975, fol. 71, 72. Bereits die maßgeblich von Ulbricht entworfene Stellungnahme von 1940 rückte Dahlem in die Nähe von „Parteifeinden“. So habe Dahlem „Abmachungen mit trotzkistisch beeinflussten, parteifeindlichen Gruppierungen“ getroffen“ und „Auf den Inhalt und die Herausgabe der Parteipublikationen konnten solche Mitarbeiter, die früher zu den Versöhnlern oder zur Neumann-Gruppe gehörten, maßgebenden Einfluss ausüben.“ 947 BStU, MfS, Allg. S 251/56, Bd. 14n. 948 SAPMO DY 30/9970, fol. 36. 949 Zentralkomitee der SED (Hrsg.), Das ZK der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zur Verbindung von Funktionären der SED mit amerikanischen Agenten, in: Einheit. Zeitschrift für Theorie und Praxis des Wissenschaftlichen Sozialismus 5/1950, Heft 9, S. 799-809.

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Bild. Franz Dahlem war unangefochten, aber immer noch ungewiss, was mit Noel Field geschehen war.

4. Rudolf Slánsky

Die trügerische Ruhe wurde durch die Meldung über den Prozess gegen den Generalsekretär der KPTsch Rudolf Slánsky jäh beendet. Der Prozess begann am 20. November 1952. Wieder wurde Paul Merker ausführlich am 17., 19. und 20. Dezember 1952 zu Franz Dahlem verhört.950 Offensichtlich sollten Paul Merker und Franz Dahlem zu den Hauptangeklagten eines geplanten Schauprozesses gehören, wobei es umstritten ist, welche Rolle für wen tatsächlich vorgesehen war.

Die Aussage Paul Merkers, wonach er im Ministerium für Staatssicherheit als Hauptzeuge gegen Franz Dahlem vorbereitet wurde, ist vor dem Hintergrund der gemeinsamen Entscheidung zur Registrierung der Auslandsleitung im September 1939 plausibel951.

Das Politbüro diskutierte über den Prager Prozess am 20. Dezember 1952. In Abwesenheit von Franz Dahlem wurde die Stellungnahme „Einige Lehren aus dem Prozess gegen das Ver- schwörerzentrum Slánsky“ bestätigt und zur Veröffentlichung bestimmt. Die darin vorgetra- genen Anklagen, insbesondere auch gegen Franz Dahlem, waren in der beschlossenen Fassung noch weitgehender als in der Druckfassung. Denn der Protokollant dieser Sitzung vermerkte:

„Das Politbüro stellt zum Dokument fest, dass im Dokument einige Fragen nicht aufgenommen wurden, da sie einer gründlichen Untersuchung bedürfen.“952

Auf jeden Fall sah sich Franz Dahlem direkt angegriffen, auch wenn sein Name im Beschluss nicht genannt wurde. Nach seiner Rückkehr führte er deshalb eine „stundenlange Unter- haltung“ mit Hermann Matern, Mitglied des Politbüros und Vorsitzender der ZPKK, über den „Fehler vom September 1939“953.

Franz Dahlem erklärte seine Entscheidung wahrheitsgemäß mit dem Verhalten von Maurice Thorez und wies den Vorwurf des „kapitulantenhaften Verhaltens“ zurück.954

950 BStU, MfS, AU Nr. 192/56. 951 SAPMO DY 30/9979, fol. 123. 952 SAPMO DY 30/IV 2/2/254. 953 SAPMO DY 30/9970, fol. 37. 954 Ebd., fol. 84.

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Walter Ulbricht behauptete wider besseren Wissens in der Außerordentlichen Politbüro- sitzung vom 2. Januar 1953, an der auch Dahlem wieder teilnahm, dass „diese Stellung der französischen Partei ihre eigene Sache sei“955. Damit griff er den seit Beginn der Noel-Field- Affäre geschwächten Dahlem direkt im Politbüro an. Walter Ulbricht sah hier noch vor Stalins Tod und nach dem Slánsky-Prozess die Möglichkeit, den innerparteilichen Konkurrenten Dahlem, der in der SED über eine beachtliche Hausmacht durch die Spanienkämpfer, in der VVN und in der KPD-West verfügte, loszuwerden.

5. „Lehren“ für einen Berliner Prozess?

Die Veröffentlichung der Stellungnahme des ZK zum Prager Prozess am 4. Januar 1953 im „Neuen Deutschland“ und in der Februarausgabe der Zeitschrift „Einheit“ richtete sich nicht nur gegen Mitglieder der von Dahlem geleiteten Westkommission, sondern erwähnte die Registrierung des Pariser Sekretariats in unsachlicher Weise unvermittelt neben Noel Field und den Prager Angeklagten, die im September 1939 gar nicht in Paris waren und auch in keiner Weise Beteiligte waren.

Der Entwurf des Beschlusses enthielt noch, wie Dahlem vermerkte, einen Absatz, „in der der Fehler der Auslandsleitung der KPD in Zusammenhang mit einer angeblichen Verbindung mit dem amerikanischen Agenten Noel Field gebracht worden war“956.

Zwar wurde Franz Dahlem nicht genannt, aber für die Registrierung 1939 trug er die Verantwortung. Dahlem stellte fest:

„Ursprünglich bestand die Absicht, auch die Untersuchung der in der Hitlerzeit in den KZs gewesenen Genossen in der Resolution zu erwähnen.“957

Neben Franz Dahlem wären dann auch alle Überlebenden der französischen Internierungs- lager, insbesondere Le Vernets, Angeklagte gewesen, da fast alle wissentlich oder unwis- sentlich von den Hilfeleistungen Noel Fields profitierten. Die Aufnahme dieser ebenso falschen Vorwürfe verhindert zu haben, war ein kleiner Erfolg und Dahlems Verhandlungs- geschick im Politbüro zuzuschreiben. Er wurde sicherlich von Wilhelm Pieck unterstützt. Zudem vermerkte das Protokoll auch die Anwesenheit Heinrich Raus, der mit Dahlem in Le Vernet inhaftiert war. Am ehesten ließ sich für Uneingeweihte eine glaubwürdige

955 SAPMO DY 30/J IV/2/2/255. 956 SAPMO DY 30/9971, fol. 17. 957 SAPMO DY 30/9971, fol. 20.

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Verbindung Franz Dahlems und der Internierten zu Noel Field aus dem Kontakt in Le Vernet konstruieren.

Die Vorwürfe der „Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörerzentrum Slánsky“ trafen hauptsächlich Franz Dahlem als politisch verantwortlichen Leiter des Sekretariats der KPD. Der Druck erhöhte sich auf ihn, da sein engster Mitarbeiter in Paris, Paul Merker, seit November 1952 in Untersuchungshaft des Ministeriums für Staatssicherheit war. Die SED- Mitglieder konnten am 4. Januar im „Neuen Deutschland“ und in der Februarausgabe der „Einheit“ über die Registrierung 1939 lesen:

„Sehr ernste Lehren muss die SED aus dem kapitulantenhaften Verhalten der Pariser Emigrationsleitung der KPD zur Zeit des Beginns des zweiten Weltkrieges ziehen. Unsere Partei muss alle Fragen im Zusammenhang aufrollen.

Unmittelbar nach dem Überfall des faschistischen Deutschlands auf Polen beschloss die Leitung der Auslandsgruppe der KPD in Frankreich, alle deutschen Emigranten aufzufordern, sich den französischen Behörden zu stellen. Sie wurden ohne Ausnahme interniert, sodass auf diese Weise die Leitung der Auslandsgruppe in Frankreich die Parteigruppen der KPD in Frankreich selbst liquidierte.

Die Ursache dieses Beschlusses ist in dem ungenügenden Vertrauen zur Sowjetunion und der darauf beruhenden falschen Einschätzung des Nichtangriffsvertrages zwischen der Sowjet- union und Hitler-Deutschland zu suchen. Der Beschluss zeigt weiter eine falsche Einschätzung der imperialistischen Westmächte, insbesondere Frankreichs, von denen diese Leitung einen ernsthaften Kampf gegen den Hitler-Faschismus erhoffte. Dieser Beschluss war nur möglich, weil diese Leitung aus dem Münchener Abkommen zwischen den imperia- listischen Westmächten und Hitler keine richtigen Schlussfolgerungen gezogen hat. Sie sah nicht, dass das Ziel der Westmächte darin bestand, Deutschland und die Sowjetunion tief in einen Krieg zu verstricken, damit sie sich gegenseitig schwächten.

Nach der Okkupation Frankreichs wurde die Liquidationspolitik fortgesetzt, indem man deutsche Emigranten nach dem amerikanischen Kontinent evakuierte. Merker floh nach Mexiko.

Der Verlauf und die Ereignisse des zweiten Weltkriegs beweisen eindeutig, dass die freiwillige Internierung den Interessen der imperialistischen Westmächte Vorschub leistete. Die Liquidation der deutschen Parteigruppen schwächte den Widerstandskampf im okkupierten Frankreich und verhinderte vor allem die Entfaltung einer wirksamen Agitation unter den deutschen Besatzungstruppen. Es ist kein Zufall, dass die gleiche Liquidations- politik auch in Dänemark betrieben wurde. Überall, wo die imperialistischen Westmächte ihren Einfluss in der Emigration geltend machen konnten, zeigten sich mehr oder weniger

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starke Tendenzen des Verzichts auf die Entfaltung der antifaschistischen Widerstands- bewegung.

Die Auslandsleitung der KPD in Frankreich hat mit ihrer Liquidationspolitik nicht nur schwere Schuld gegenüber den französischen Werktätigen auf sich geladen, sondern auch die nationalen Interessen Deutschlands geschädigt, denn der Kampf gegen den Faschismus mit allen Mitteln und an allen Orten würde die antifaschistischen Kräfte in Deutschland gestärkt und die Zerschlagung des Hitler-Faschismus beschleunigt haben.“958

Dieser Abschnitt aus den „Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörerzentrum Slánsky“ basiert auf der von Walter Ulbricht entworfenen Stellungnahme des ZK der KPD von 1940 und ergänzt diese wesentlich. War dort der Schuldvorwurf der freiwilligen Registrierung bei den französischen Behörden auf das „Auslandssekretariat, bestehend aus den Genossen Dahlem, Merker und Bertz“ beschränkt, sollte das Sekretariat im „Slánsky-Beschluss“ für die Registrierung „aller deutscher Emigranten“ verantwortlich gemacht werden.

Wie 1940 so wurde auch jetzt die Ursache in einer falschen Haltung zu den Westmächten nach dem Münchener Abkommen gesucht und um den schweren Vorwurf ergänzt, den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag falsch beurteilt zu haben. 1940 sprach Ulbricht von „Kapitulation“, 1953 „Liquidation“. Die wiederverwendeten, jetzt monströsen Vorwürfe in den „Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörerzentrum Slánsky“ mussten nur noch mit dem Namen Franz Dahlem in Verbindung gebracht werden, um ihn ebenfalls wie Paul Merker zu verhaften und seine jahrzehntelange Arbeit in der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung durch falsche und konstruierte Vorwürfe zu diskreditieren.

Walter Ulbricht gelang es in Abwesenheit von Wilhelm Pieck die Freistellung Franz Dahlems von allen Aufgaben durchzusetzen. Auf der Politbürositzung am 17. März 1953 durfte Franz Dahlem nur noch zu Punkt 2 „Maßnahmen zur Abwehr feindlicher Tätigkeit in der Partei und zur Erhöhung der Wachsamkeit“ erscheinen, zu dem die Untersuchung gegen ihn vor der ZPKK eingeleitet wurde:

„Das Politbüro beauftragt die Zentrale Partei-Kontroll-Kommission, die Verbindungen des Genossen Dahlem zu Field und alle damit im Zusammenhang stehenden Fragen zu untersuchen. Bis zum Abschluss der Untersuchung ruhen alle Funktionen des Genossen Dahlem.“959

958 Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörerzentrum Slánsky, in: Einheit. Zeitschrift für Theorie und Praxis des Wissenschaftlichen Sozialismus 8/1953, Heft 2, S. 203-216, hier: S. 211f. 959 SAPMO DY 30/J IV 2/2/270, fol. 12.

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Hier war Dahlem erstmals mit Field genannt. Nach dem Vorbild der Schauprozesse in Budapest und Prag konnte der Weg über die vom Politbüro beschlossene Untersuchung durch die ZPKK und Übergabe der Ergebnisse zu weiteren Ermittlungen an das MfS zur Anklagebank führen.

Noch in der Politbürositzung am 17. März 1953 stimmte Franz Dahlem der Untersuchung seiner der Partei angeblich verschwiegenen Verbindungen zu Noel Field zu, die der Anlass waren ihn seiner Funktionen zu entbinden. Dass Dahlem gegenüber der Parteiführung und gegenüber der ZPKK bereits am 3. Oktober 1949 über Noel Field informiert hatte, durfte er nicht zu seiner Verteidigung gelten lassen.960 Erwähnenswert ist, dass ihm Otto Grotewohl Rechtfertigung grundsätzlich zubilligte.961 Das wurde ihm aber vor Politbüro und Zentral- komitee verwehrt. An den ihm aus Spanien als General Gomez bekannten Wilhelm Zaisser schrieb er, dass ihn die Funktionsenthebung am 17. März 1953 „wie noch nie etwas in meinem Leben im innersten aufgewühlt“962 hat.

Aber nicht nur, sich nicht verteidigen zu können, sondern auch die Anschuldigungen selbst erschütterten Dahlem, dem die führenden Genossen der KPU und der KPTsch, die auf den Anklagebänken in Budapest und Prag sassen, teilweise selbst bekannt waren. Das war auch ein wesentlicher Unterschied zu den Verfolgungen in der Sowjetunion, die Dahlem bis nach dem Zweiten Weltkrieg rechtfertigte und an die Anklagen und Verurteilungen glaubte. So übergab er 1946 seinem aus der SPD kommenden Kollegen Erich Gniffke auf dessen Frage, was denn mit Trotzki und Bucharin geschehen sei, die Gerichtsprotokolle des Prozesses gegen den „Block der Rechten und Trotzkisten“, den er als Beobachter 1938 selbst verfolgte.963 Erst bei den Säuberungsprozessen ab 1950 war er von der Unrechtmäßigkeit der Anschuldigungen überzeugt, wie er später eingestand:

„Volle Gewissheit über diese Vorgänge erhielt ich jedoch erst, als in unserer eigenen Partei unvermittelt gegen mich ebensolche ungeheuerlichen Anschuldigungen erhoben wurden.“964

Das deckt sich nicht ganz mit den Quellen. Noch im Dezember 1949 pries Dahlem Stalin zwar als „großes Genie der Menschheit, Führer und Freund der friedliebenden Menschheit.“ 965 Aber 1938 in Moskau erfuhr er von Pieck, dass KPD-Mitglieder unge- rechtfertigterweise verhaftet und ermordet wurden. Sehr zweifelhaft ist auch, dass Dahlem

960 SAPMO DY 30/9970, fol. 34. 961 Ebd., fol. 189. 962 SAPMO DY 30/9976, fol. 1. 963 Erich W. Gniffke, Jahre mit Ulbricht, Köln 1966, S. 178. 964 Dahlem, Nachgelassenes. Ausgelassenes, S. 21f. 965 SAPMO NY 4072/66, fol. 205: Stalin. Genius und Führer der Menschheit. Rede von Franz Dahlem vor der Belegschaft der Borsig-Werke, Dez. 1949.

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annehmen konnte, dass die gesamte Spitze der Komintern, die die Oktoberrevolution maß- geblich zum Erfolg führte, Verrat beging.

Als Dahlem Stalins Intrigen dann doch noch selber trafen, musste er auch persönlich damit fertig werden, da es seinen Überzeugungen von sozialistischer Rechtlichkeit zuwiderlief. Es musste Dahlem zuallererst um die Verteidigung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe gehen.

Alle Anschuldigungen der Slánsky-Resolution waren verdrehte Tatsachen. Er hatte nicht in Paris vor dem Gegner kapituliert! Zur Registrierung hatte nicht er, sondern die französische Regierung aufgefordert. Der Politik von KPF und Komintern folgend, rief auch er dazu auf.

Es handelte sich auch nicht um eine „Liquidation“ der kommunistischen Emigration, da Dahlem selbst der Registrierung Folge leistete, um die Kader besser schützen zu können. Den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag begrüßte er von Anfang an und nahm irrtümlicher- weise an, dass ihm wahrscheinlich doch noch ein Militärbündnis der Sowjetunion mit den Westmächten folgen werde.

Die Ausreisen aus dem Internierungslager waren keine „fortgesetzte Liquidation“, sondern rettete vor allem exponierte Parteimitglieder vor Gestapo und Tod. Den Widerstand leitete Franz Dahlem unter den gegebenen Bedingungen erfolgreich. Die Parteigruppen wurden reorganisiert. Sie erkannten ihn als Leiter für Frankreich an.

Auch die Travail allemand geht auf Franz Dahlem zurück, die jedoch erst mit dem Erstarken der Résistance wirken konnte. Durch den deutsch-französischen Krieg 1940 war es ausge- schlossen, noch länger direkt nach Deutschland illegal wirken zu können. Daher war es völlig unberechtigt, von einer Liquidation des Widerstands zu sprechen, den auch die Moskauer Genossen trotz einer gemeinsamen deutsch-sowjetischen Grenze nicht leisten konnten und auch erst entfalteten, als diese Grenze zur Frontlinie wurde. Nicht unbeachtlich ist auch die Bezeichnung als „Auslandsleitung“ oder „Emigrationsleitung“, weil sie dem SED-Partei- mitglied suggerierte, es handle sich um eine KPD-Gruppe in Frankreich, die einem Moskauer Politbüro unterstand und dessen Anweisungen nicht befolgte. Das Gegenteil war der Fall. Es handelte sich um die Parteileitung der KPD für Deutschland und Franz Dahlem war deren leitender Sekretär!

Das alles sagte er sicherlich auch Hermann Matern Ende Dezember 1952, aber alle Verteidigungsreden waren nutzlos. Dahlem schied aus der Parteiführung de facto aus. Um sich gegen die folgende Kampagne gegen ihn zu verteidigen, schrieb er Protestbriefe, in denen er alle Vorwürfe zurückwies und sein Handeln zwischen 1939 und 1945 rechtfertigte.

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Besonders wichtig war ihm die Haltung der Sowjetunion zu seinem Fall. Bereits einen Tag nach seiner Vorführung im Politbüro forderte er von Semjonow, dass „auch meine Bezie- hungen […] bis zu Ende untersucht werden“ und ließ Semjonow sein Protestschreiben an Walter Ulbricht, Hermann Matern, Wilhelm Zaisser, Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl zukommen, das die Kernanschuldigung des geheimen Kontakts zu Noel Field entkräften sollte.966

6. Untersuchung vor der ZPKK

Gegen die Anschuldigungen musste Dahlem sich jetzt auch detailliert vor der ZPKK äußern. Zusammen mit Hermann Matern befragte ihn Herta Geffke am 26. März und am 20. April 1953 zu seinen Beziehungen zu Noel Field. Herta Geffke erinnerte sich:

„In diesen Untersuchungen gegen den Genossen Dahlem ergaben sich konkrete Anhaltspunkte für ein nicht immer richtiges parteimäßiges Verhalten, während seiner französischen Emigration, der Haftzeit in Frankreich und Deutschland, Prinz-Albrecht-Str. und Mauthausen. Bei der Einschätzung dieses Verhaltens gab es einige Überspitzungen, die dann später korrigiert wurden.“967

Die „Überspitzungen“ waren eine Fülle von Suggestivfragen und Unterstellungen, die Dahlems Schuld beweisen sollten, dem das aber inzwischen bewusst war. Äußerst geschickt und selbstbewusst antwortete er auf die Fragen Materns in der ZPKK. Die Protokolle wurden erst Ende 2018 im Karl-Liebknecht-Haus wieder aufgefunden. Sie bestätigen die persön- lichen Schilderungen Dahlems, die Aussagen seiner Protestbriefe und Rechtfertigungs- schreiben.

Allgemein kann festgestellt werden, dass Dahlem, der bei dem Prozess gegen Bucharin 1938 persönlich in Moskau anwesend war und sicher alle Verlautbarungen zu den Budapester und Prager Prozessen aufmerksam verfolgte, von Anfang an die Richtung der Vorwürfe Materns in der ZPKK durchschaute und vehement zurückwies und ableugnete. Nichts anderes blieb ihm übrig, wollte er nicht wie die Angeklagten in Osteuropa ermordet werden. Er rechnete auch damit, nach den Befragungen der Staatssicherheit übergeben zu werden, was mit Haft,

966 SAPMO DY 30/9970, fol. 33f. Vgl. auch eine Information an die KPdSU vom 21. März 1953 in: SAPMO DY 30/9972, fol. 19. Die Schreiben an Wilhelm Zaisser persönlich dienten der Klärung der Haltung der Sowjetunion zu den Anschuldigungen. 967 SAPMO SgY 30/0257/2.

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Erpressung falscher Aussagen und vermutlich anschließendem Prozess verbunden gewesen wäre.968

Es ging der ZPKK vor allem darum, Franz Dahlem die Zusammenarbeit mit dem „Agenten“ Noel Field seit dem Krieg in Spanien nachzuweisen.969 Die ersten Fragen sollten beweisen, dass Dahlem für Field bereits in Spanien deutsche Genossen angeworben habe.

Wahrheitsgemäß wies Dahlem alle Vorwürfe zurück. Dahlem verlangte eine Gegenüber- stellung mit Field und behauptete ihn nicht zu kennen. Wesentlich schwieriger war es, die Fragen nach der Pflegetochter Fields Erika Glaser zu parieren, die ebenfalls verhaftet und befragt wurde. Auch sie will Dahlem nicht in Spanien gesehen haben. Von der Frage nach der Aussprache mit einem Amerikaner in Le Vernet lenkte Dahlem ab. Er habe versucht, mit einer Delegation Journalisten in Verbindung zu kommen, außerdem haben die französischen Behörden ihm mehrmals die Besuchserlaubnis entziehen wollen und zudem habe er später in Castres in Isolationshaft gesessen.

Nach der Unterstellung, nicht aus Le Vernet oder Castres geflohen zu sein, obwohl das möglich gewesen wäre, fragte Matern nach dem Verbleib des Geldes der Parteileitung. Aber auch diese Frage führte zu nichts. Käthe Dahlem war Kassenwart der KPD in Frankreich seit November 1939 und hatte alles korrekt abgerechnet. Hier wurde die suggestive Befragung absurd. Sollte Noel Field die Flucht seines Verbindungsmannes Franz Dahlem verhindern?

Für die Zeit nach 1945 fragte Matern erneut nach Erika Glaser, die Dahlem in amerikanischer Uniform ohne Vorankündigung besuchte. Sie schlug ihm vor als Mitglied des OSS für die KPD und die Sowjetunion zu arbeiten. Dahlem sagte ihr, den Kontakt abzubrechen und in die KPD einzutreten.970 Dahlem verwies Matern darauf, dass er zu Erika Glasers Besuch einen Vermerk hinterlegt und diesen bereits im September 1949 an die ZPKK schickte.

Hermann Matern konnte Dahlem das Treffen mit Noel Field aus dem Jahre 1946 beweisen. Dahlem mauerte tief und distanzierte sich. Das Gespräch habe Walter Bartel vermittelt. Er habe erst hinterher erfahren, mit wem er gesprochen hatte. Das Gespräch sei „kühl und kurz“971 gewesen. Die angebotene Hilfe habe er abgelehnt. Matern konterte, dass er Gminder gebeten habe, Noel Field den Aufenthalt in Prag zu verlängern und somit für ihn gebürgt

968 SAPMO ZPKK, Verhör Franz Dahlems am 14. Nov. 1953. 969 SAPMO DY 30/9970, fol. 47ff. 970 Lewis, Noel Field, S. 155. Vgl. auch: Benser, Reichsberatung, S. 40. Auf der Reichsberatung der KPD am 8./9. Januar 1946 forderte auch Dahlem den Abbruch der Verbindungen zu den Militärbehörden der Westzonen: „Wer damit nicht einverstanden ist, muss aus der Partei ausscheiden. Separatisten werden in unserer Partei nicht geduldet.“ 971 SAPMO DY 30/9970, fol. 69.

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habe. Dann müsste Dahlem also Field gekannt haben. Auch diesen Vorwurf versuchte Dahlem zu entkräften, indem er auf Paul Merkers Stellungnahme verwies, der zu dieser Zeit noch nicht verhaftet war. Außerdem hielt er Noel Field für einen „getarnten Mitarbeiter der Freunde“972, d.h. der Sowjetunion und an sowjetische Stellen hatte er sich ja tatsächlich gewandt.

Die Art der Befragung durch die ZPKK verstärkten die Zweifel Dahlems an der Objektivität des Verfahrens. Deshalb wandte er sich über Tschuikow direkt an das Präsidium des ZK der KPdSU mit der Bitte, sowjetische Beobachter zu schicken. Gleichzeitig ließ er dem Politbüro „Meine Antworten auf die Anschuldigungen der ZPKK“ zugehen.973 Jetzt sah Dahlem klar, worum es ging:

„Ich habe einen politischen Fehler begangen, weil ich die Politik der französischen Partei durchgeführt habe. Im Slánsky-Dokument wird die Schuld einseitig auf die deutsche Aus- landsgruppe gelegt. Das ist falsch. Mich mit Field in Zusammenhang zu bringen, ist die Arbeit des Komplotts.“974

Deshalb bat er Walter Ulbricht am 18. April 1953, eine spezielle Kommission des Politbüros einzurichten, die die Registrierung des Sekretariats 1939 in Paris unabhängig von Noel Field untersuchen sollte. 975 Dahlem versuchte durch die sachliche Trennung die auch bei der zweiten Vernehmung am 20. April 1953 von Matern erhobene Hauptanschuldigung zu ent- kräften, mit Noel Fiel und der französischen Polizei zusammengearbeitet zu haben.

7. Verurteilung ohne Prozess

Was die Vorwürfe bezweckten, sah Dahlem ein, nämlich aus ihm einen „deutschen Rajk oder Slánsky“976 zu machen. Was konnte er dagegen tun? Er wies die Vernehmungsprotokolle der ZPKK zurück. Auf der Außerordentlichen Politbürositzung vom 6. Mai 1953 wurde er trotzdem aller Parteifunktionen enthoben. Im Protokoll der Sitzung steht:

„1) Zur Sicherung der Parteiführung wird Genosse Dahlem aus dem Zentralkomitee und damit aus dem Politbüro und dem Sekretariat des Zentralkomitees ausgeschlossen.

972 Ebd., fol. 73. 973 SAPMO DY 30/9970, fol. 42ff. Vgl. auch: SAPMO DY 30/J 2/2/275. Das ZK der KPdSU erklärte die Sache Dahlem zu einer internen Angelegenheit der SED. 974 SAPMO NY 4090/303, fol. 23. 975 SAPMO DY 30/9974, fol. 189. 976 SAPMO DY 30/9970, fol. 215.

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2) Die gegen die Zentrale Parteikontrollkommission erhobenen Vorwürfe werden vom Politbüro als unbegründet zurückgewiesen.

3) Genosse Matern wird beauftragt, dem Politbüro die endgültige Formulierung zur nächsten Sitzung vorzulegen.“977

Auf der folgenden Sitzung am 12. Mai 1953 wies Ulbricht Dahlems Protest erneut zurück und sagte, dass die frühere Haltung der KPF „ihn jetzt nicht interessiere“978.

Einen Tag später fand die 13. Tagung des ZK der SED statt, das den Ausschluss seines Mitglieds durch das Politbüro wegen „politischer Blindheit“ 979 bestätigte, ohne Dahlem gehört zu haben. Dahlem hatte darauf gewartet, reden zu können und hatte am zweiten Verhandlungstag Otto Grotewohl schriftlich gebeten, ihn zu hören.980 Dahlem durfte sich nicht vor dem Zentralkomitee verteidigen. Walter Ulbricht gelang jetzt, was 1940 Wilhelm Pieck und Georgi Dimitroff verhindert hatten, der Ausschluss des langjährigen innerpartei- lichen Konkurrenten Franz Dahlem, der ihn bei seiner Funktionsenthebung 1938 als Parteileiter in Paris ersetzte.

Dahlem sah sich auf der Titelseite des „Neuen Deutschland“ vom 20. Mai 1953 namentlich mit den Vorwürfen aller Field-Beschlüsse in Verbindung gebracht: „Das Zentralkomitee hat selbstkritisch festgestellt, dass bereits in den vergangenen Jahren deutlich gewordene Schwächen und Fehler des Genossen Dahlem nicht rechtzeitig prinzipiell diskutiert wurden.“

Auf Seite 3 der Berliner Ausgabe druckte „Neues Deutschland“ den Beschluss der 13. Tagung des ZK der SED ab, das die „Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörer- zentrum Slánsky“ zitierte und bestätigte. 981 Der Beschluss des Zentralkomitees brachte Dahlems angeblich „nichtparteimäßiges Verhalten […] zur Kritik und Selbstkritik“ mit seinen politischen Entscheidungen nach 1945 in Zusammenhang, was das Politbüro veranlasst habe, die ZPKK mit einer Untersuchung seines „gesamten Verhaltens“, d.h. seiner gesamten politischen Biographie zu beauftragen.

Vorläufig stellte der Beschluss des Zentralkomitees fest, dass Dahlem „völlig blind“ gegenüber den „imperialistischen Agenten“ Field und Merker gewesen sei und deren Versuch unterstützt habe, Field die Aufenthaltserlaubnis in Prag zu beschaffen. Von Glück konnte

977 SAPMO DY 30/J 2/2/279. 978 SAPMO DY 30/9970, fol. 204. 979 SAPMO DY 30/IV 2/1/116. 980 SAPMO DY 30/9970, fol. 131. 981 Über die Auswertung des Beschlusses des ZK der SED zu den „Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörerzentrum Slánsky“. Beschluss der 13. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands am 14. und 15. Mai 1953, in: Neues Deutschland. Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei. Berliner Ausgabe „Vorwärts“ 8 (64)/1953, Nr. 116, S. 3-4.

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Dahlem sagen, vorläufig nur in Verbindung mit Merker und Field gebracht und nicht selbst als „Agent“ bezeichnet worden zu sein.

Offensichtlich hatte er der ZPKK in den Verhören überzeugend klar gemacht, Field für einen Kommunisten gehalten zu haben, denn der ZK-Beschluss wies diese einzige Tatsache zurück. Für ZPKK und ZK handelte es sich bloß darum, dass die „Hauptspione“ ein Alibi brauchten und sich dafür als Verfolgte des Komitees für unamerikanische Umtriebe ausgaben.

Gefährlich für Dahlem war der Vorwurf des ZK, er habe auch dem „jugoslawischen Agenten Norbert Kugler“ blind vertraut, weil diese Behauptung ihn in die Nähe des „Titoismus“ rückte. Dahlem kannte den völlig unbescholtenen Norbert Kugler bereits aus Spanien, wo dieser sich besonders ausgezeichnet hatte.

Wieder wurden mehrere Ebenen mit der Registrierung vermischt. Denn angeblich könnten all diese Vorwürfe nicht „zufällig“ sein und bloßer „politischer Blindheit“ Dahlems zuge- schrieben werden. Von hier war es nur ein kleiner Schritt, Dahlem selbst schuldig zu sprechen und zum Agenten Noel Fields zu erklären. Daher sollte die Untersuchung von der ZPKK weitergeführt werden.

Das Sprachrohr Walter Ulbrichts, Hermann Matern, erläuterte vor dem Zentralkomitee in Abwesenheit Dahlems ebenfalls dessen angebliches Fehlverhalten. Sein Referat war ebenfalls in Auszügen im „Neuen Deutschland“ vom 20. Mai 1953 erschienen. 982 In seiner Rede nannte Matern drei „Hauptverfehlungen“ Dahlems: die „Liquidierung der Auslandsleitung“, seine Verbindung zu Field und sein Verhalten bei der Gestapo.

Die Registrierung der Auslandsleitung 1939 hielt die ZPKK für falsch, weil die Daladier- Regierung bereits auf antisowjetischem Kurs war, die KPF verfolgte und Emigranten ver- haften ließ. Das war alles nicht falsch und klang schlüssig, entsprach jedoch nicht der Situation Anfang September 1939, als Franz Dahlem keine andere Möglichkeit als die der Registrierung sah, der Merker und letztlich auch Paul Bertz zustimmten. Die KPF und die Komintern orientierten zu diesem Zeitpunkt weiter auf eine Zusammenarbeit mit der französischen Regierung.

Das lässt Matern unerwähnt und führt vermeintliche Zeugen an. Johann Koplenig (KPÖ) mag „gewarnt“ haben, aber er sprach sich, wie Paul Merker berichtete, nicht gegen die

982 Vom 13. Plenum des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Über die Durchführung des Beschlusses des ZK der SED zu den „Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörerzentrum Slánsky“. Aus dem Referat des Genossen Hermann Matern. Mitglied des Politbüros und Vorsitzender der Zentralen Parteikontrollkommission, in: Neues Deutschland. Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei. Ausgabe A 8/1953, Nr. 116, S. 4-5.

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Entscheidung aus.983 Koplenig sagte Dahlem zu, in Moskau über die Situation in Paris zu berichten.984

Palmiro Togliatti wurde 1939 selbst verhaftet und konnte nur durch die Diplomatie aus der Haft entkommen und nach Moskau reisen. Er sprach Ende August 1939 mit Dahlem und stimmte der Resolution der KPD zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag zu.985

Matern führte auch gegen die Registrierung angeblich protestierende Mitarbeiter des Pariser Sekretariats an, die Dahlem „gewarnt“ hätten. Nur Elli Schmidt, Anton Ackermann, Ernst Melis und Walter Hähnel waren eben nur Mitarbeiter, keine entscheidungsbefugten Mitglieder des Sekretariats der KPD mit Sitz und Stimme.

Hinzu kommt, dass sie alle den Beschluss befolgten. Elli Schmidt überzeugte Walter Hähnel von Dahlems Entscheidung. Walter Hähnel erinnerte sich, nach Colombes zur Registrierung gegangen zu sein,

„nachdem mir die Genossin Elli Schmidt mitgeteilt hatte, dass es keinerlei Möglichkeiten und Verbindungen mehr gäbe und meine Quartierleute Angst hatten, mich weiter bei ihnen illegal wohnen zu lassen.“986

Ackermann selbst kam aus gesundheitlichen Gründen sofort aus Colombes frei, blieb noch einige Monate in Frankreich und floh dann nach Moskau, wo er zur Stellungnahme gegen das Sekretariat und Dahlem beitrug. Das alles verschwieg Hermann Matern in seinem Referat vor dem Zentralkomitee. Er ging in Anknüpfung an den früheren Slánsky-Beschluss dazu über die Linie des Sekretariats nach dem Münchener Abkommen als falsch zu kritisieren. Die kommunistische Parteipresse habe Daladier als den „Vollstrecker des antifaschistischen Willens der Völker gefeiert“, was zur falschen Einschätzung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages geführt habe. Diese Behauptungen waren übertrieben.

Denn selbstverständlich musste sich die Parteipresse in Frankreich zurückhalten. Ihre offizielle Linie folgte dem letzten VII. Weltkongress der Komintern, kritisierte aber auch das Münchener Abkommen. Matern gab selbst die Aussage Dahlems richtig wieder, dass er mit einer größeren militärischen Auseinandersetzung zwischen Frankreich und der faschistischen Wehrmacht rechnete und zudem die KPF auch davon ausging.

Keinen Einwand ließ Matern in seiner Rede vor dem Zentralkomitee gelten. Er machte Dahlem voll verantwortlich und bezeichnete die Registrierung und die Weigerung nach

983 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 801. 984 SAPMO DY 30/9995, fol. 43. 985 SAPMO DY 30/9972, fol. 48. 986 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 2539.

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Moskau zu kommen als „Fahnenflucht“. Dahlem tat genau das Gegenteil. Er hatte 1939 nach seinem politischen Ermessen entschieden, bei der Fahne, d.h. den Parteimitgliedern, zu bleiben. Für Dahlem überwog die Wahrscheinlichkeit, dass England und Frankreich entschlossen auf den Überfall Polens reagieren würden. Doch diese Annahme, die durch seine eigenen Erfahrungen von 1914 bestärkt wurde, erwies sich als falsch. In seiner Vernehmung vor der ZPKK bedauerte Dahlem:

„Ich konnte doch nicht annehmen, dass sie [England und Frankreich] nur Krieg spielen, da sie doch ganze Armeen an die Front warfen. Heute hat sich ergeben, dass sie doch acht Monate gespielt haben.“987

Den Kontakt zu Noel Field konstruierte Matern aus Treffen Dahlems mit Erika Glaser und Herta Jurr-Tempi und belegte ihn mit einem persönlichen Treffen. Den Kontakt wies Matern auch über die Angaben Käthe Dahlems nach, die diese schon 1950 gegenüber der ZPKK machte. Ausführlich zitierte Matern Dahlems Brief an Gminder, in dem er sich für Field einsetzte. Es folgten ausführliche Zitate aus dem Protokoll des Slánsky-Prozesses, die den Kontakt Dahlems über Merker zu Slánsky andeuteten, obwohl Merker schon Ende 1952 aussagte, „dass mir dieser Slánsky persönlich überhaupt unbekannt ist“988.

Genauso versuchte Matern eine Verbindung Dahlems über den Jugoslawen Norbert Kugler zu Rajk und Noel Field zu konstruieren.

8. Dahlems Protest

Das Referat Hermann Materns veranlasste Franz Dahlem, Matern politisch und persönlich anzugreifen und seine Objektivität in Frage zu stellen.989 Nachdem Franz Dahlem all seiner Funktionen vor der Partei enthoben war, beschloss das Politbüro, ihn „innerhalb von 14 Tagen“990 nach Weimar abzuschieben. Dahlem weigerte sich, die Reise in die thüringische Provinz anzutreten und verlangte in einem Schreiben an das Politbüro vom 25. Mai 1953 die „volle Rehabilitierung“991 gegen das Verdikt der 13. Tagung des Zentralkomitees. Diese zu erreichen war zu der Zeit unmöglich. Das Komplott ging weiter und die einzigen, die sich offen für ihn einsetzten, waren Käthe Dahlem und der Sohn Robert Dahlem. Robert Dahlem

987 SAPMO, ZPKK, Befragung vom 20. Apr. 1953. 988 BStU, MfS, Allg. S 251/56, Bd. 9c, fol. 2. Schreiben Paul Merkers an Wilhelm Pieck vom 30. Nov. 1952. Walter Ulbricht hatte von diesem Schreiben Kenntnis. 989 SAPMO DY 30/9970, fol. 183. 990 SAPMO DY 30/J 2/2/281. 991 SAPMO DY 30/9970, fol. 187.

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sprach von „zusammengestoppelten Anwürfen Hermann Materns“ 992 und Käthe Dahlem verlas drei Seiten eines Protestschreibens Franz Dahlems in der Mitgliederversammlung ihrer Grundorganisation mit der Bemerkung „Der Bericht des Genossen Matern ist gefälscht und unwahr.“993

Die dauernden Proteste Dahlems bewirkten erstmal, dass Ulbricht und Matern gegenüber dem Politbüro und der Partei unter Druck gerieten. Walter Ulbricht hatte sein Ziel erreicht. Dahlem wäre in Weimar ein gelöstes Problem gewesen. Da mit einer Rückkehr des erkrankten Wilhelm Piecks zu rechnen war und Heinrich Rau die Tatsachen kannte, war eine Wiedereinsetzung Dahlems nicht völlig ausgeschlossen. Matern sah sich plötzlich selber Vorwürfen ausgesetzt, die er in einem Schreiben an Walter Ulbricht und Otto Grotewohl zu entkräften suchte.994 Franz Dahlem warf Matern vor, dass er selbst von seiner Tätigkeit in der Roten Hilfe in der holländischen Emigration entbunden und „beschäftigungslos“ nach Norwegen abgeschoben worden sei.995

Ulbricht und Matern begegneten Dahlems Gegenwehr mit wiederholten und neuen Anschuldigungen. Zum einen wiederholten sie in der Juni-Ausgabe der „Einheit“ den Vorwurf von Dahlems „kapitulantenhaften Verhalten“ in Paris und der unterlassenen Information des Politbüros über seine Kontakte zu Field.996 Hinzu kam eine neue Anklage. In den Jahren 1934/1935 habe „Genosse Dahlem aus politischer Blindheit […] Parteifeinde unterstützt“997.

Damit konstruierte Ulbricht, der angeblich nur mit Pieck „einen richtigen Standpunkt“998 eingenommen habe, nebenbei eine Gruppe Schubert-Dahlem, die es 1934/35 so überhaupt nicht gab. Er wollte Dahlem damit Fraktionsbildung anhängen. Ein Vorwurf, der nur mit einem Parteiausschluss und schlimmer enden konnte, wie alle Schauprozesse bisher gezeigt hatten.

Walter Ulbricht nahm den Vorwurf der Fraktionsbildung deshalb auch in der Juli-Ausgabe in den Glückwünschen wieder auf, die er anstelle des erkrankten Wilhelm Pieck zum eigenen 60. Geburtstag schrieb. Damit wollte Ulbricht Dahlem gegenüber verdeutlichen, dass er auf

992 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 2057. 993 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 1847. 994 SAPMO DY 30/9975, fol. 57. 995 RGANI F. 5, O. 28, D. 59, fol. 200. 996 [Walter Ulbricht, Hermann Matern], Die Partei wird stärker, wenn sie ihre Reihen säubert!, in: Einheit. Zeitschrift für Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus 8/1953, Heft 6, S. 761-769, hier: 766. 997 Ebd., 768 998 Ebd.

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Wilhelm Piecks Schutz nicht mehr hoffen konnte. Walter Ulbricht ließ Wilhelm Pieck über sich selbst sagen:

„Hartnäckig und konsequent führte er den Kampf gegen die falsche Einschätzung der Situation und gegen das Sektierertum der Gruppe von ZK-Mitgliedern, deren Wortführer Schubert, Schulte und Dahlem waren.“999

Dahlems Protest und Richtigstellung erfolgten umgehend. Am 11. Juli 1953 schrieb er an Pieck, Grotewohl, Ulbricht, Zaisser sowie die Vertreter der KPdSU Semjonow und Judin. Er wies darauf hin, dass er auf Seiten Wilhelm Florins gestanden habe, der für seine Haltung niemals verurteilt worden war und 1944 verstarb.1000

Besonders erschütternd muss es für Dahlem gewesen sein, auch im „Neuen Deutschland“ zu lesen, dass Matern an seiner Haltung im „Hausgefängnis“ der Gestapo und im KZ Mauthausen zweifelte.

Entsprechende Zweifel an Dahlems Haltung in Mauthausen äußerten jetzt Inhaftierte, die damals von Dahlem nicht eingeweiht waren und sich ausgeschlossen fühlten.

Prominentes Beispiel ist Heinrich Dürmeyer, der am 3. Juni 1953 einen entsprechenden Bericht schrieb, um mit Dahlem abzurechnen.1001 Denn Dürmeyer gehörte zu denjenigen, denen Dahlem in Le Vernet die freiwillige Rückkehr nach Deutschland mit Wissen und Anweisung der Moskauer Genossen befahl. Heinrich Dürmeyer stellte den Antrag vor der Kundt-Kommission am 18. August 1940. 1002 Die Rückmeldung endete für Dürmeyer im Konzentrationslager Auschwitz. Seine Kritik an Dahlem wird auch daher verständlich.

Heinrich Rau bürgte zwar gegenüber Hermann Matern für Dahlem1003, aber den Ausschluss aus dem Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer konnte Rau nicht mehr ver- hindern.1004 Die ZPKK konnte Dürmeyers Aussage nicht verwenden, weil Walter Ulbricht 1940 die Auffassung vertrat, dass weniger belastete Genossen sich zurückmelden, d.h. bei den Nazis registrieren lassen sollten, was Dahlem richtig in seiner Verteidigungsschrift anmerkte.1005

999 [Walter Ulbricht], Wilhelm Pieck, Zum 60. Geburtstag des Genossen Walter Ulbricht, in: Einheit. Zeitschrift für Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus 8/1953, Heft 7, S. 858-871, hier: S. 869. 1000 SAPMO DY 30/9970, fol. 252. 1001 SAPMO DY 30/9975, fol. 20. 1002 AA R/127573a. 1003 SAPMO DY 30/9975, fol. 49. 1004 SAPMO NY 4072/4, fol. 186. 1005 SAPMO DY 30/9970, fol. 209.

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In einer Außerordentlichen Politbürositzung am 9. Juni 1953 wurde beschlossen, das ZK der KPdSU zu bitten, Dahlems Briefe an Daladier, die Berichte des Sekretariats und den Polit- bürobeschluss über dessen Fehler zu beschaffen.1006

Dahlem seinerseits bat das Präsidium des ZK der KPdSU, dass die Angelegenheit Dahlem zu einer internen Angelegenheit der SED erklärt hatte, im Juli 1953 erneut um Hilfe. Das ZK der KPdSU verfügte bereits über die Verteidigungsschriften über die Zeit von 1937 bis 1945 einschließlich seines Kontakts zu Noel Field. 1007 Nach dem 17. Juni 1953 war Walter Ulbrichts Stellung im Politbüro selbst so sehr erschüttert, dass über seine Ablösung spekuliert wurde. Für Franz Dahlem war das der richtige Moment, bei der KPdSU etwas zu erreichen.

Dort regte er an, eine Untersuchung gegen Hermann Matern einzuleiten, da es nicht um die Aufklärung von politischen Fehlern ging, sondern Matern ihn diskreditieren wolle, um ihn aus der Parteiführung ausschließen zu können.1008 Seine Perspektive der Registrierung von 1939 verknüpfte Dahlem mit Angriffen gegen Walter Ulbricht, der die Registrierung der eigenen Genossen 1940 empfohlen hatte. Das war insofern wichtig, weil Ulbricht und Matern versuchten, die Schuld für diese von Ulbricht selbst geforderten freiwilligen Registrierungen vor deutschen faschistischen Dienststellen in Le Vernet Franz Dahlem zuzuschieben.

Die Konstruktion lief darauf hinaus, dass Dahlem erst sich und die gesamte deutsche kommunistische Emigration in Zusammenarbeit mit der Gestapo 1939 registrieren ließ und der Gestapo dann noch die in französischen Internierungslagern auslieferte, indem er ihnen empfohlen habe, sich auch bei der Gestapo zu registrieren. Das war eine Unterstellung, die widersprüchlich war, stellten doch die Slánsky-Beschlüsse fest, dass Dahlem angeblich blind der Daladier-Regierung folgte. Warum hätte er dann der Hitler-Regierung gezielt die eigenen Leute zuspielen sollen? Dahlem konterte diesen Vorwurf mit der Anmerkung gegenüber dem ZK der KPdSU, dass Ulbricht den als „angloamerikanischen Hilfsagenten“ entlarvten Herbert Wehner mit allen Vollmachten 1940 nach Schweden geschickt habe.1009

Diese und ähnliche Anklagen hätten Ulbricht auch zu einem geeigneten Kandidaten für einen Schauprozess in der DDR gemacht, zumal in Prag der Generalsekretär der KPTsch vor Gericht gestanden hatte und hingerichtet wurde. Die Gegenwehr Dahlems blieb letztlich erfolglos, da Walter Ulbricht die Ereignisse des 17. Juni 1953 im Politbüro der SED nahezu

1006 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 1847. 1007 RGANI F. 5, O. 28, D. 59, fol. 176-181. 1008 Ebd., fol. 198. 1009 Ebd., fol. 200.

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unbeschadet überstanden hatte und jetzt dazu überging, auch seine gefährlichsten Kritiker Rudolf Herrnstadt und Wilhelm Zaisser kaltzustellen.

Auf der 15. Tagung des ZK im Juli 1953 warf Ulbricht Zaisser vor, mit Dahlem konspiriert zu haben und das Politbüro über dessen Kontakte nicht informiert zu haben, obwohl er seiner Funktionen bereits enthoben war.1010 Hinzu kam, dass das ZK der KPdSU seine Haltung vom April, den „Fall Dahlem“ weiterhin als eine interne Angelegenheit der SED zu behandeln, beibehielt. Semjonow sollte Dahlem das mitteilen.1011 Damit war Dahlem angreifbar. Am 12. Januar 1954 beschloss das Politbüro:

„Genosse Franz Dahlem erhält wegen fortgesetzter Versuche, die Parteiführung zu spalten und ihre Mitglieder gegeneinander auszuspielen, auch wegen der Unterstützung Zaissers in seiner parteifeindlichen Tätigkeit eine strenge Rüge.“1012

Das Verdikt wurde von der 17. Tagung des ZK der SED Mitte Januar 1954 nach einem entsprechenden Bericht Materns bestätigt und betont, dass Franz Dahlem keine Parteifunk- tionen mehr ausüben dürfe. Matern ergänzte alle bestehenden falschen Vorwürfe um den der Fraktionstätigkeit, der in der Parteipresse durch die Konstruktion einer Gruppe Schubert- Schulte-Dahlem vorbereitet und jetzt auf die Gruppe Herrnstadt-Zaisser-Dahlem übertragen wurde.1013

Auch auf der 17. Tagung des ZK der SED konnte sich Dahlem statutenwidrig nicht verteidigen. Sein unmittelbar vorher Pieck, Grotewohl, Ulbricht, Matern und der KPdSU übersandter Antrag, sich entweder persönlich oder schriftlich vor dem ZK verteidigen zu können, blieb unbeantwortet.1014

Damit war die höchste Parteistrafe vor dem Parteiausschluss („Strenge Rüge“) ausge- sprochen, den Dahlem künftig riskierte, zumal er auch schriftlich den Beschluss der 13. Tagung des ZK der SED vom Mai in Frage stellte. Walter Ulbricht sagte Dahlem im Januar 1954: „Wärst Du damals [aus der französischen Internierung] freigekommen und nach Moskau gekommen, wärst Du aus der Partei ausgeschlossen worden.“1015

Doch der 62-jährige „Rentner“ Dahlem verlangte auch nach der 17. Tagung des ZK die „volle Rehabilitierung“. Da in der SED-Führung, mit Ausnahme von Pieck der Kampf

1010 BStU MfS, HA IX/11 SV Nr. 5/76, fol. 37. Das 15. Plenum des Zentralkomitees der SED vom 24. bis 26. Juli 1953. Parteiinternes Material, S. 108. 1011 RGANI F. 5, O. 28, D. 59, fol. 197. 1012 SAPMO DY 30/J 2/2/341. 1013 SAPMO DY 30/IV 2/1/126. 1014 SAPMO DY 30/9972, fol. 15ff. 1015 SAPMO DY 30/9983, fol. 3.

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zwecklos war, wandte er sich wiederholt an die KPdSU und namentlich an Molotow sowie an Semjonow, dem er Unterlagen übersandte, die der auf dem IV. Parteitag der SED an die Vertreter der KPdSU weiterleiten sollte.

Das war insofern geschickt, als Dahlem vordergründig akzeptierte, dass sein Fall eine bloße Angelegenheit der SED sei. Auf der anderen Seite hatte er aber die sowjetischen Freunde im Rahmen der SED beteiligt.1016 Er wollte seine Angelegenheit vor das höchste Gremium der Partei stellen und wandte sich direkt an dieses, weil er sich vor dem Zentralkomitee nicht ver- teidigen durfte.1017 Über den Parteitag der SED hinaus richtete Dahlem auch Anfragen an die internationalen Delegierten. Er als ehemaliges Mitglied des EKKI und Sekretär der KPD in Paris wandte sich an die leitenden Funktionäre der Komintern, mit denen er zusammengearbeitet hatte.

Anfragen ergingen insbesondere an Maurice Thorez, Jacques Duclos und Johann Koplenig, die seine Lageeinschätzung vom September 1939 mit Ausnahme der Registrierung der Auslandsleitung, für die er die Verantwortung trage, bestätigen sollten.1018 Die Weiterleitung dieser Anfragen wurde von Matern verhindert.

9. Verfolgung Dahlems eingestellt

Am 21. Mai 1954 wies die KPdSU zwar erneut daraufhin, dass es sich beim „Fall Dahlem“ um eine „interne Angelegenheit“ der SED handeln würde, aber sie räumte ihm die Möglichkeit der Rechtfertigung ein und gestattete, dass von ihm benannte Zeugen befragt werden sollten.1019 Die KPdSU, vor allem Semjonow in Berlin, hatten den Parteiausschluss und die Verhaftung Dahlems durch das Ministerium für Staatssicherheit verhindert und Dahlem das Schicksal Paul Merkers erspart. Ein großer Schauprozess in der DDR mit Dahlem als Hauptangeklagten war damit ausgeschlossen.

Ulbricht und Matern ruderten zurück. Die 21. Tagung des ZK der SED bestätigte einen Beschluss des Politbüros:

„Das Politbüro hält die Zeit für gekommen, das Leben des Genossen Dahlem zu normalisieren, um ihm bei der Revidierung seines früheren Standpunktes zu helfen. Der Beschluss auf Erteilung einer strengen Rüge wird in eine Rüge umgewandelt und das

1016 SAPMO DY 30/9972, fol. 26. 1017 SAPMO DY 30/9975, fol. 191. 1018 SAPMO DY 30/9972, fol. 31, 42. 1019 SAPMO DY 30/9997, fol. 197.

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ausgesprochene Funktionsverbot für beendet erklärt. Dadurch wird dem Genossen Dahlem die Möglichkeit gegeben, eine seiner Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Arbeit zu übernehmen.“1020

Eine bloße „Normalisierung“ war aber nicht in Dahlems Sinn. Er brauchte auch keine Hilfe vom Politbüro bei der Klarstellung von Vorgängen, die es ebenso wie er beurteilen konnte oder von denen es gar nichts wusste. Ihm eine Aufgabe nach „Fähigkeiten und Neigungen“ zu übertragen, hieß, ihn weiterhin aus der Parteiführung auszuschließen und abzuschieben.

Dahlem hingegen nahm „Kurs auf volle Rehabilitierung“ und „Fortsetzung der alten Tätigkeit“, d.h. Wiederaufnahme in ZK, Politbüro und Sekretariat, um dort möglichst für internationale Aufgaben, insbesondere nach Westdeutschland und Frankreich eingesetzt zu werden. Doch Ulbricht war es endlich gelungen, aus der jahrzehntelangen Auseinander- setzung mit Dahlem als Sieger hervorzugehen. Er hatte ihn vor der Partei soweit beschädigt, dass eine Rehabilitierung Dahlems die eigene Schuld offenbart hätte. Das wollte auch die KPdSU nicht. In Moskau entschied Chruschtschow, dass Ulbricht auch nach dem 17. Juni weitermachen sollte. Dahlem war der erste einer Reihe von alten Genossen, die Ulbrichts Alleinherrschaftsanspruch im Politbüro immer kritisierten und zu einer mehr kollektiven Arbeit kommen wollten.1021

Zudem bedeutete die Funktionsenthebung Dahlems, dass Ulbricht auch politisch Sieger über Dahlem blieb. Dahlem war ein Hindernis für den von Ulbricht 1952 eingeleiteten Aufbau des Sozialismus in der DDR. Dahlem trat im Politbüro für einen verlangsamten Aufbau und eine enge Zusammenarbeit mit bürgerlichen Gruppen in der DDR und in Westdeutschland ein, die bereit waren die Führung der Partei anzuerkennen. Dieser Gedanke ging zurück auf die Berner Konferenz, die von Pieck und Dahlem in Paris im Januar 1939 geleitet wurde.

Der Gegner des Kommunismus in Gestalt der CIA, der gerade während der fünfziger Jahre in den osteuropäischen Schauprozessen eine entscheidende Rolle spielte, konstatierte:

„Dahlems call from favor had been attributed to his western residence and his alleged association with the view that the transfer „soviet-style communism" to should be delayed. His purge again pointed to the dominant position of Ulbricht.“1022

1020 SAPMO DY 30/IV 2/1/139. 1021 Wilhelm Zaisser, Rudolf Herrnstadt, Anton Ackermann. Vgl. auch: Nadja Stulz-Herrnstadt, Das Herrnstadt-Dokument. Das Politbüro der SED und die Geschichte des 17. Juni 1953, Reinbek bei Hamburg 1991. 1022 Central Intelligence Agency, Lageeinschätzung vom 16. Juli 1953, C02921293.

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Um was es im einzelnen ging, ist einem Schreiben Dahlems an die KPdSU vom Juli 1953 zu entnehmen. Darin beklagte Dahlem, dass er zu harte Direktiven zur Blockarbeit in der Nationalen Front entschärfen wollte.

Dahlem hielt Kontakt zu bürgerlichen und christlichen Kreisen, die auch im Widerstand gegen den deutschen Faschismus gestanden hatten, wie z.B. Joseph Wirth oder Martin Niemöller. Dahlem trat vor diesem Hintergrund auch dafür ein, ein Gesprächsangebot Gustav Heinemanns anzunehmen, um der starren Haltung Adenauers zur DDR etwas entgegen zu setzen. Die „Genossen Ulbricht und Grotewohl“ lehnten seine Vorschläge ab. Dahlems Initiative beschränkten sie auf Organisationsfragen und die Aktivierung der Friedens- bewegung.1023

In dem Schreiben an die KPdSU führte Dahlem die einzige konstruktive Selbstkritik an, nämlich dass er nicht stark genug Zaisser, Herrnstadt und Pieck in ihrem Aufbegehren gegen Ulbrichts Personenkult unterstützt habe. Zum Schluss des Schreibens brachte er eigene Vorschläge zur Reorganisation der Partei vor. Demnach sollte das Zentralkomitee ein echtes kollektives Führungsorgan werden, das sich ebenso wie das Politbüro aus vorbildlichen gewählten Arbeiterfunktionären zusammensetzen sollte, die den Kontakt zu den Massen nicht verloren haben. Der Posten des Generalsekretärs sollte abgeschafft werden und allen als Agenten inhaftierten Bürgern ein fairer Prozess gemacht werden.1024

XXII. KAMPF UM VOLLE REHABILITIERUNG

1. Löschung der Parteistrafe

Dahlem blieb aus der Parteiführung ausgeschlossen. Er nahm daher eine staatliche Stelle als Leiter der Hauptabteilung Lehre und Forschung im Staatssekretariat für Hochschulwesen der DDR in Berlin1025 an und begann den Kampf um die „volle Rehabilitierung“ seiner Person und aller zu Unrecht aus der Partei Ausgeschlossenen, Inhaftierten und Verurteilten. Am 27. Februar 1956 wandte er sich dazu an Walter Ulbricht: „Eine kalte und teilweise Rehabilitierung und Anerkennung für erfolgreiche Arbeit lösen meine Fragen nicht.“

1023 RGANI F. 5, O. 28, D. 59, fol. 200. 1024 Ebd., fol. 204f. 1025 BArch DC 20/7868, fol. 44. Personalakte des Staatssekretariats für Hochschulwesen. Vgl. auch: Franz Dahlem, Reden und Aufsätze zur Hochschulpolitik, Berlin 1977.

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Dahlem bat Ulbricht, seine Parteistrafe zu begründen und um „Rat“, wie seine „volle Rehabilitierung“ erreicht werden könne. 1026 Es war schon bemerkenswert, dass ein Abteilungsleiter im Ministerrat der DDR ernannt wurde, gegen den eine Parteistrafe ausgesprochen worden war. Deshalb wurde diese am 19. April 1956 gelöscht1027, was von der 28. Tagung des ZK der SED bestätigt wurde. Am 31. Juli 1956 war im „Neuen Deutschland“ zu lesen, dass die Parteistrafe „aufgehoben“ und Genosse Dahlem „rehabilitiert“ sei.

Eine Rehabilitierung Dahlems fand allerdings gar nicht statt, weil er weder in das ZK noch in das Politbüro aufgenommen wurde. Daher beschwerte sich Dahlem bei Ulbricht, Grotewohl und Schirdewan über den Beschluss der 28. Tagung des ZK der SED. Dahlem forderte nicht nur die Wiedereinsetzung in seine früheren Funktionen, sondern auch die „volle öffentliche Revision aller gegen mich erhobenen falschen Anklagen“1028, d.h. der in den ZK-Beschlüssen von 1950, 1952 und 1953 genannten Konstruktionen sowie des Vorwurfs, einer Fraktion Zaisser-Herrnstadt angehört zu haben.

Die Stellungnahme zur 28. Tagung des ZK der SED schickte Dahlem auch an Chruschtschow1029, der auf dem XX. Parteitag der KPdSU angekündigt hatte, sich von den Verbrechen Stalins distanzieren zu wollen. Dahlem gelang es, seine zuständige SED- Grundorganisation im Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen von seiner Unschuld zu überzeugen, so dass auch sie die „Wiederherstellung seiner Parteiehre und Wiederein- setzung“ in seine früheren Funktionen vom ZK forderte.1030 Es gelang Dahlem also, sich in kürzester Zeit im Staatssekretariat für Hochschulwesen, eine neue bescheidene basisdemo- kratische Hausmacht zu schaffen. Alle diese Bemühungen waren Ende Januar 1957 mit Dahlems Wiederaufnahme in das ZK erfolgreich.

Seinen Wunsch, vollständig rehabilitiert zu werden, verband Dahlem mit der Forderung nach der Rehabilitierung aller Parteimitglieder, die als „imperialistische Agenten diffamiert“1031 worden waren. Eine Woche nach seiner Kooptation in das ZK der SED bat er , auch Mira und Norbert Kugler zu rehabilitieren.1032 Norbert Kugler war als „titoistischer Agent“ 1952 direkt in Zusammenhang mit Dahlem gebracht worden. Dazu gehörte auch die Unterstützung Marthe Kreikemeyers, die noch immer nichts vom Schicksal

1026 SAPMO DY 30/9972, fol. 69. 1027 Josef Gabert, Zur Entlassung werden vorgeschlagen. Wirken und Arbeitsergebnisse der Kommission des ZK zur Überprüfung von Angelegenheiten von Parteimitgliedern 1956. Dokumente, Berlin 1991, S. 15. 1028 SAPMO DY 30/9972, fol. 128. 1029 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 5280, Bd. 3. 1030 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 5280, Bd. 2, fol. 106. Vgl. auch: SAPMO DY 30/9972, fol. 114. 1031 SAPMO DY 30/9972, fol. 128. 1032 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 2722.

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Willi Kreikemeyers wusste. Dahlem selbst kämpfte weiter um seine eigene „volle Rehabi- litierung“. Er wurde jetzt wieder regelmäßig in das Zentralkomitee gewählt, aber die vorherige Bedeutung erreichte er nicht mehr.

2. Im Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen

Anstelle der Wiederaufnahme in das Politbüro der SED erreichte Dahlem nur die Funktion des 1. Stellvertreters des Staatssekretärs für Hoch- und Fachschulwesen. Diesen Posten hatte er ursprünglich nur als Durchgang in die Parteiführung betrachtet. Annehmen wollte er ihn erst nicht, weil er selbst aus finanziellen Gründen keine Hochschulbildung erhalten hatte.

Im Gegensatz zu anderen endete Dahlem nicht im Staatsarchiv der DDR, sondern hat als Staatssekretär letztendlich doch eine verantwortungsvolle Funktion übernommen und wurde wieder in das ZK der SED kooptiert. Ideologisch war er als Staatssekretär für das Hochschulwesen in die Parteistrukturen fest eingebunden.

Seine Haltung in diesen Fragen wich nicht von seinen Grundüberzeugungen ab, die sich beispielsweise an einer Rede aus dem Jahr 1957 ablesen lassen.1033 Darin geht Dahlem, der selbst aus finanziellen Gründen weder das Abitur ablegen noch ein technisches Studium absolvieren konnte, davon aus, dass das Bildungsprivileg der Besitzenden in der DDR gebrochen sei. Um diese Errungenschaft dauerhaft zu garantieren, müsse die fachliche Qualifikation an einer höheren Schule immer von ideologischer Erziehung begleitet sein.1034 Für die SED und besonders für Dahlem war dabei die Ausrichtung der Hochschulbildung auf die sozialistische Planwirtschaft entscheidend, um dieser die qualifizierten Kräfte zuzuleiten, die sie benötige, um der DDR das wirtschaftliche Überleben zu sichern und in der System- konkurrenz zu bestehen. 1035 Dahlem wandte sich dazu auch direkt an Ulbricht, um die Besetzung aller Studienplätze zu garantieren oder um dessen Bemühungen zur Schaffung einer neuen staatstragenden loyalen und ideologisch geschulten Intelligenz zu unter- stützen.1036

Wirkliche Schwierigkeiten durch massive Studentenproteste wie in Westeuropa hat es in der DDR nicht gegeben. Die Proteste an der Veterinärmedizin der Humboldt-Universität im

1033 Franz Dahlem, Das Beispiel der Sowjetunion wird uns stets Vorbild und Leitstern sein. Aus der Rede im Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen der DDR zum 40. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution am 6. Nov. 1957, in: Dahlem, Reden und Aufsätze, S. 410-419. 1034 Ebd., S. 415. 1035 Ebd., S. 417. 1036 Kowalczuk, Hochschulpolitik, S. 218, S. 284.

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Dezember 1956, zu denen Dahlem und Schirdewan als Mediatoren der SED gingen, endeten als studentische Forderungen, nicht als politische. Im „Neuen Deutschland“ wurde die Veterinärmedizin der Humboldt-Universität zum „Agentennest“ stilisiert. Franz Dahlem wusste vom damaligen Prodekan Tankred Koch, dass sich dahinter nicht der Beginn einer politischen Protestwelle der Studenten verbarg.1037 Proteste, die zu gesellschaftlichen Ver- änderungen geführt hätten, blieben aus. Die „volle“ Rehabilitierung war das übergeordnete Ziel von Dahlems staatlicher Tätigkeit im Staatssekretariat, dem er sich dort auch widmen konnte.

Seit seinem Dienstantritt als Leiter der Hauptabteilung Lehre und Forschung im Staats- sekretariat für Fach- und Hochschulwesen am 10. Juli 19561038 hat Dahlem versucht von dieser Funktion aus seine Rehabilitierung voranzutreiben. In seiner SED-Kaderakte ist ein Bericht einer SED-Mitgliederversammlung vom 20. Juli erhalten, die die Wiederherstellung der Parteiehre und seine Wiedereinsetzung in die alten Rechte, d.h. als Mitglied der Parteiführung, forderte. 1039 Tatsächlich lief der Prozess seiner formellen Rehabilitierung weiter.

Ende Juli 1956 fasst das ZK der SED 1040 den Beschluss über die beabsichtigte Rehabilitierung, die im „Neuen Deutschland“ am 31. Juli 1956 veröffentlicht wird. Walter Ulbricht teilt ihm die Aufhebung der „Rüge“ persönlich mit.1041 Franz Dahlem ist das nicht genug. Die Grundorganisation der SED im Staatssekretariat für Fach- und Hochschulwesen erklärte am Mitte September: „Wir sind der Ansicht, dass […] er in das ZK kooptiert und wieder in das Politbüro gewählt werden sollte.“ 1042 Dahlem behauptete, in der Grundorganisation nicht in eigener Sache gehandelt zu haben.

Er selbst beschwerte sich einige Tage später bei Ulbricht, Grotewohl und Schirdewan, dass der ihm von Ulbricht mitgeteilte Beschluss nicht vollständig im „Neuen Deutschland“ vom 31. Juli 1956 veröffentlicht wurde. In der Ausgabe stehe nur „rehabilitiert wird“. Er forderte erneut die Rehabilitierung durch die „volle öffentliche Revision aller gegen mich erhobenen falschen Anklagen“.1043

Er wollte ausdrücklich vom Vorwurf, ein „imperialistischer Agent“ zu sein, freigesprochen werden. Seine Rehabilitierung verband Dahlem mit der „gleichzeitigen öffentlichen Rehabili-

1037 SAPMO NY 4072/170, fol. 79. Vgl. auch: Kowalczuk, Hochschulpolitik, S. 541. 1038 Personalakte unter der Signatur BArch DC 20/7868. 1039 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 5280, Bd. 2, fol. 106. 1040 SAPMO DY 30/J 2/2/548. 1041 SAPMO DY 30/9972, fol. 113. 1042 Ebd., fol. 114. 1043 Ebd., fol. 120ff.

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tierung aller [zu Unrecht Verfolgten der Jahre 1949-1953].“1044 Eine Stellungnahme schickte er auch an Chruschtschow. Das führte aber nicht weiter, denn Hermann Matern teilte ihm brüsk Ende September 1956 mit, dass:

„weitere Beschlüsse, Maßnahmen oder Veröffentlichungen nicht […] erforderlich“ sind, […] es „in unserer Partei […] nicht zu schwerwiegenden und tragischen Verletzungen […] gekommen ist.“1045

Mit der Antwort seines Vernehmers gab sich Dahlem natürlich nicht geschlagen.

Am 6. November 1956 tritt erneut die Grundorganisation der SED beim Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen beim ZK der SED für Franz Dahlem ein.1046 Es bleibt allerdings bei der formellen Rehabilitierung.

Das 30. Plenum des ZK der SED kooptierte ihn auf Vorschlag des Politbüros.1047 Das war für Dahlem Anlass, sich am 17. Febr. 19571048 nochmals an Walter Ulbricht zu wenden und seine Wünsche künftiger Parteiarbeit zu äußern. Die Hochschulfunktion wollte er nur vorüber- gehend wahrnehmen, um nach der Wiederaufnahme in das ZK wieder „gesamtdeutsch“ und an der Aktionseinheit mit den SPD-Arbeitern zu arbeiten. International sah er seine Zuständigkeit nach wie vor bei der Zusammenarbeit mit der KPF und dem Ausbau der hervorragenden Beziehungen zur Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei, war ihm doch der polnische Ministerpräsident Cyrankiewicz aus dem gemeinsamen Kampf in Mauthausen bekannt. Erstmals schlägt er vor über „Episoden“ aus der Parteigeschichte schreiben zu wollen.

Wenn eine Chance, nochmals Teil der Parteiführung zu werden, für Dahlem bestand, dann nach seiner Wiederaufnahme in das Zentralkomitee. In seinem 65. Lebensjahr betrachtete er die Zeit zwischen der Funktionsenthebung 1953 und 1957 als erzwungenes Rentnerdasein. Sein Kampf galt der Rückkehr zur Tätigkeit als Rechtfertigung mit dem Ziel der öffentlichen Rehabilitierung. Die Chance war dafür politisch günstig, weil er durch die Intervention sowjetischer Stellen vor Parteiausschluss und Haft beim MfS verschont worden war. Man kann deshalb auch nicht davon sprechen, dass Dahlem einer „stalinistischen Säuberung“ im engeren Sinne unterlag.1049

1044 SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 5280, Bd. 3. 1045 SAPMO DY 30/9972, fol. 129-130. 1046 SAPMO DY 30/9975, fol. 200. 1047 SAPMO DY 30/J 2/2/548. 1048 SAPMO NY 4090/303. 1049 Pfeil, Le genre biographique, S. 494: „epuré“.

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Abgesehen davon, dass Ulbricht nicht daran dachte, Dahlem wieder in das Zentralkomitee aufzunehmen, fiel Dahlems Name im Prozess gegen , in dessen Kreis er als Nachfolger Ulbrichts gehandelt wurde. Wenn Dahlem solche Ambitionen auch fern lagen, so konnte er leicht wieder in den Fokus eines aus falschen Behauptungen zusammengestellten Parteiverfahrens geraten. Er widersprach deshalb in einem Schreiben vom 9. März 1957 an Walter Ulbricht, Otto Grotewohl und Karl Schirdewan der Darstellung des „Neuen Deutschland“ und stellte fest, immer gegen Harich gewesen zu sein und Bernhard Steinberger nur flüchtig gekannt zu haben. 1050 In der Politbürositzung vom 9. Juli 1957 wurde ihm klargemacht, dass die von ihm „noch gestellten Fragen als erledigt zu betrachten“1051 waren. Vorläufig akzeptierte Dahlem diese Vorgabe und musste sich mit der ordentlichen Wahl in das ZK der SED auf dem V. Parteitag 1958 zufriedengeben.

3. Memoiren als Mittel zum Zweck

Spätestens nach einer Aussprache mit Walter Ulbricht am 15. Mai 1963 fasste Dahlem den Entschluss, auch durch die Abfassung eigener Erinnerungen für seine Rehabilitierung zu kämpfen.1052 In diesem Gespräch schlug Walter Ulbricht selbst ihm vor, seine Erinnerungen zu schreiben. Vielleicht auch in der Hoffnung, Dahlem damit zu beschäftigen und von einer politischen öffentlichen Rehabilitierung abzulenken.

Die Hinwendung zur Geschichtsschreibung ging auch auf die Arbeit an den umfangreichen Projekten Walter Ulbrichts „Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ zurück, die Dahlem aufmerksam verfolgte.

Walter Ulbricht war tatsächlich sehr an den Erinnerungen seiner ehemaligen Mitkämpfer interessiert und forderte auch Dahlem persönlich auf, an dem Projekt mitzuwirken. Von Anfang an stand Dahlem dazu auch in Kontakt mit Erich Honecker. Dahlem interessierte sich zuerst besonders für die „Field-Affäre“. Er hatte die Möglichkeit dazu, noch lebende Zeitzeugen zu befragen, die ihm vertrauten, weil er Teil ihrer Geschichte war. Am 12. Dezember 1964 fand sogar ein einstündiges Gespräch mit Noel und Herta Field in Budapest statt. 1053 Seine Recherchen ermöglichten Dahlem ein genaues Bild der Hintergründe der Säuberungsprozesse in Osteuropa. Er wusste, dass die „Vernichtungsaktionen gegen die

1050 SAPMO DY 30/9975, fol. 210. Vgl. auch: SAPMO DY 30/IV 2/11/v. 5280, Bd. 2, fol. 93. 1051 SAPMO DY 30/J 2/2/548. 1052 SAPMO DY 30/9972, fol. 132. 1053 SAPMO DY 30/9978, fol. 84.

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Kader der Parteien“ von Budapest ausgingen und für die SED, welche Anklagen aus Moskau, welche von Rákosi „und was in der eigenen Küche hinzukam“1054.

In der DDR sprach er u.a. mit Paul Merker und Anton Ackermann. Dahlem richtete mehrere Rundbriefe an alle ihm bekannten Zeitzeugen, ihn bei der Abfassung seiner Erinnerungen zu unterstützen. Daraus ergab sich oft ein umfangreicherer Briefwechsel.

Dahlem wurde bei der Abfassung seiner Erinnerungen von seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter, Prof. Horst Blumberg, wesentlich unterstützt, der nicht aus dem Parteiapparat, insbesondere nicht aus dem IML kam. Mit ihm verfolgte Dahlem das Ziel, erst einmal Quellen zu sammeln und diese dann für seine Erinnerungen zu verwenden. Es sollte sich ursprünglich um einen Bericht über seine Haft in Le Vernet und in Mauthausen handeln, bei dem „gleichzeitig - sozusagen nebenbei - einige frühere Anklagen“1055 entkräftet werden sollten. Solange Walter Ulbricht und Hermann Matern lebten und in ihren Funktionen waren, war das ausgeschlossen. Darüberhinaus berührte dieses Ansinnen ein Tabu, das in der DDR nicht thematisiert wurde, um dem politischen Gegner, d.h. insbesondere in der Bundesrepublik, nicht in die Hände zu spielen.

Dahlem wandte sich bereits zwei Monate nach Walter Ulbrichts Rücktritt an Erich Honecker, um eine Klarstellung in einer Glückwunschadresse zu seinem 80. Geburtstag am 14. Januar 1972 zu erreichen. Honecker ließ sich überzeugen und ging in seiner Glückwunschadresse zu Dahlems 80. Geburtstag bis zum Tabubruch, indem er Walter Ulbrichts Ablehnung des Entwurfs ignorierte.1056 In der im „Neuen Deutschland“ veröffentlichten Adresse heißt es:

„Unwandelbar blieb diese Treue [zur Sowjetunion und ihrer kommunistischen Partei] auch in den Jahren, in denen Du aufgrund falscher Anklagen aller gesellschaftlichen Funktionen enthoben wurdest.“

Diese Glückwunschadresse wurde u.a. von Brigitte Reimann als Tabubruch wahrgenommen. Sie schrieb am 19. Januar 1972 an Christa Wolf:

„Glückwunsch und Würdigung für Dahlem, auf der ersten Seite - ich traute meinen Augen nicht: zum erstenmal las ich im Parteiorgan von falschen Anschuldigungen…“1057

Die noch lebenden kommunistischen Westemigranten in der DDR wussten bereits 1953, dass man Dahlem „mit einem groß angelegten Schwindel ausbooten“1058 wollte. Die Verfolgten

1054 SAPMO DY 30/9972, fol. 146. 1055 SAPMO DY 30/9989, fol. 29. Schreiben an Erich Honecker vom 18. Mai 1970. 1056 SAPMO DY 30/9990, fol. 92. 1057 Angela Drescher (Hrsg.), Brigitte Reimann, Christa Wolf, Sei gegrüßt und lebe. Eine Freundschaft in Briefen und Tagebüchern 1963-1973, Berlin 2016, S. 191.

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hofften, doch noch rehabilitiert zu werden. Eine grundlegende Erforschung und historische Darstellung der Ereignisse der fünfziger Jahre in der DDR folgte daraus nicht. Die Stellungnahme Honeckers blieb singulär.

Franz Dahlem versuchte weiter, durch die Arbeit an seinen Erinnerungen, für die er die Unterstützung Erich Honeckers und Kurt Hagers hatte, die falschen Konstruktionen, insbesondere aus dem Slánsky-Beschluss zu widerlegen, die sich hauptsächlich auf die Registrierung 1939 in Paris bezogen. So bildete auch dieses Ereignis den Rahmen der parteigeschichtlichen Erinnerungen Dahlems „Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs“.

Bis diese 1977 endlich erscheinen konnten, mussten wesentliche Abschnitte des Manuskripts auf Rat des IML weggelassen werden. Dazu gehörten insbesondere die Auflösung des Politbüros 1937, ein Abschnitt über die Schauprozesse in Moskau und die „Field-Affäre“ sowie alle Hinweise auf Fehler Walter Ulbrichts.

Dennoch gelang es Dahlem und Blumberg ein zweibändiges Werk zu veröffentlichen, das die Registrierung der Auslandsleitung 1939 in Paris aus Dahlems Sicht verständlich macht. Im „Vorabend“ wird allerdings nicht deutlich, dass der unerwartete deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag und die Reaktion der Komintern, der KPG und der KPF zu Dahlems Entscheidung führten, die KPD-Emigration bei den französischen Behörden zu legalisieren.

Letztendlich erklärte sich Dahlem mit allen Sperrungen vor dem Druck einverstanden, „weil sie im Interesse der Partei und zugleich von der politischen Lage her unvermeidlich sind“1059.

Das entsprach auch der Haltung Erich Honeckers und Kurt Hagers, die sich mehrfach mit Dahlem trafen und sich für seine Sicht interessierten. Sie überwiesen die Überprüfung haupt- sächlich dem IML. Beiden Überprüfungsinstanzen IML und MfS ging es nicht nur um die politische Überprüfung, sondern auch um die wissenschaftliche Haltbarkeit der Erinnerungen Dahlems. Die Vertreter des MfS beispielsweise wollten Mielkes Zustimmung, weil Dahlem seinen Aufenthalt in Spanien erwähnte. Andererseits waren IML und MfS bemüht Tatsachen festzustellen und gelangten zu der Erkenntnis, dass einzelnen „Darstellungen des Autors […] historische Feststellungen entgegen [stehen].“1060

Das entschuldigt nicht die Einmischung in die Herausgabe persönlicher Erinnerungen. Aber Maßstäbe von heute anzulegen, wie das bei der Beurteilung der Biographien von SED- Funktionären immer wieder festzustellen ist, berücksichtigt nicht, dass diese selbst die

1058 SAPMO DY 30/9986, fol. 26. Hans Hugo Winkelmann an Franz Dahlem, Juni 1972. 1059 SAPMO DY 30/9995, fol. 1. 1060 BStU, HA IX/11, SV 5/76, Bd. 1, fol. 142.

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Genehmigung ihrer Partei erhalten wollten, bevor sie veröffentlichten. Es ist ausgeschlossen, dass Dahlem sich über alle Parteiinstanzen einschließlich des Generalsekretärs hinwegsetzen konnte und wollte, um wortörtlich seinen Entwurf zu veröffentlichen.

Schicksal der Biographie Dahlems war es bisher, dass die meisten Teildarstellungen zur Herausgabe seiner Erinnerungen, zur Funktionsenthebung 1953 und zur Registrierung in Paris 1939 genau dort ansetzten, wo sie meinten, individuelle Opposition gegen die Partei zu erblicken und dann zu einer falschen Interpretation und Gewichtung der Tatsachen ge- langten. Dahlem war 1945 53 Jahre alt und verbrachte davon die letzten sechs Jahre im Internierungslager bzw. Vernichtungslager für seine politischen Ideen, von denen er überzeugt war. Wenn man davon ausgeht, dass ihn die Zeit nach 1945 in politisch „regierende“ Verantwortung hob, waren es nur noch 18 Jahre bis zur Rente. Der überwiegende Teil seiner Biographie liegt in den Jahren davor, in denen die Arbeiterbewegung als Ganzes ihn prägte und sein Handeln bestimmte.

XXIII. ABSCHLUSS

Die eingangs gestellten biographischen Fragen können aufgrund der Quellen beantwortet werden. Franz Dahlem kam aus sehr einfachen Verhältnissen. Der Katholizismus und der nationale Konflikt der Jahrhundertwende im deutsch besetzten Lothringen prägte seine Persönlichkeit.

Zur Arbeiterbewegung kam er durch die Einsicht in die Klassengegensätze der kapitalistischen Gesellschaft. Karl Leonhardt vermittelte ihm diese während seiner Ausbildung und ersten Berufsjahre. Der Erste Weltkrieg bestätigte diese Einsicht als Teil des radikalen kapitalistischen Systems. Die politische Antwort war der Kommunismus, wobei sich derjenige sowjetischer Prägung durchsetzte.

Dahlem war von der Rolle Stalins als Stabilisator und Retter des internationalen Kommu- nismus überzeugt. Das Handeln Dahlems wurde trotzdem auch durch innere Überzeugung und frühe Prägungen, insbesondere vor dem Hintergrund der einheitlichen Arbeiterbewegung bestimmt. Diese Überzeugungen erleichterten ihm letztendlich den von der Komintern der KPD empfohlenen Kurswechsel.

Die Einheits- und Volksfront entsprach diesen Vorstellungen. Mit der Waffe konnte er diese Politik in Spanien aktiv leiten. Der Krieg in Spanien war daher für ihn und seine Mitkämpfer die „revolutionärste“ politische Tat. Die Politik der Einheits- und Volksfront wurde

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spätestens zum Problem der KPD, als ein Pakt der Westmächte mit der Sowjetunion unwahrscheinlich wurde und Stalin mit Hitler zu einer begrenzten Zusammenarbeit fand.

Dahlem vollzog auch diesen Kurswechsel nach. Er stellte ihn als Parteileiter in Paris vor das unlösbare Problem die politische Arbeit der KPD aufrecht zu erhalten. Seine Reaktion auf den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt und die Kriegserklärung der Westmächte an das Deutsche Reich ging von der Voraussetzung aus, dass England und Frankreich das Reichs- gebiet tatsächlich angreifen würden. Für diesen Fall sah er eine Chance, die Politik der Zusammenschließung der deutschen und französischen antifaschistischen Kräfte fortzusetzen.

Trotz einer sechsjährigen Haft und dem dort geleisteten Kampf bestimmte die Entscheidung zur Registrierung des Sekretariats der KPD 1939 seine folgende Biographie.

Dahlem konnte erfolgreich an der Vereinigung von KPD und SPD arbeiten und im Politbüro einige Jahre die Westarbeit leiten, aber mit dem Beginn der Verfolgung angeblicher „Agenten“ Noel Fields drohte auch ihm eine Rolle in einem typischen Schauprozess Stalins, der in der DDR geplant war. Der Unterschied zwischen der Außenpolitik der Sowjetunion gegenüber den Volksdemokratien und ihrer Deutschlandpolitik ließen den Prozess nicht stattfinden. Letztendlich wurden die Untersuchungen auf sowjetische Intervention abgebrochen.

Eine politische Rehabilitierung fand allerdings nur in Ansätzen statt. Dahlems Memoirenwerk „Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs“ konnte nicht ungekürzt und unzensiert erscheinen. In ihm setzte er sich teilweise auch mit seiner Haltung gegen Parteifeinde auseinander und fand zu einer kritischen Einschätzung der Moskauer Prozesse und der eigenen Biographie, auch wenn die Kritik an Stalin weniger konsequent als bei anderen ausfiel. Auch hier muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Formulierungen so gewählt waren, dass sie in der DDR eine Chance auf Veröffentlichung gehabt hätten.

Von einem seelenlosen „Apparatschik“ und „Stalinisten“ kann also keine Rede sein. Vielmehr passt zu Dahlem der Begriff des „Parteiarbeiters“. Das bedeutete, das ganze Leben in den Dienst der Partei zu stellen und leider viel zu oft Untragbares mitzutragen.

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XXIV. ARCHIVE UND LITERATUR 1. Archive

AA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes AN Archives nationales, Paris BArch Bundesarchiv, Abteilung Deutsches Reich, Berlin BStU Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR FA Familienarchiv (Abgabe Horst Blumbergs an die Familie 2016) RGANI Russisches Staatsarchiv für neueste Geschichte RGASPI Russisches Staatsarchiv für sozialpolitische Geschichte, Moskau SAPMO Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Berlin

2. Zitierte Literatur 2.1. Veröffentlichte Dokumente

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2.2. Erinnerungen und Publizistik

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2.3. Forschungsliteratur

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Walter, Hans-Albert, Das Pariser KPD-Sekretariat, der deutsch-sowjetische Nichtangriffs- vertrag und die Internierung deutscher Emigranten in Frankreich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 36/1988, Heft 3, S. 483-528 Weber, Hermann, Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 – 1945, Berlin 2008 Weber, Hermann, „Weiße Flecken“ in der Geschichte. Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung, Frankfurt/Main 1990 Wessel, Harald, Münzenbergs Ende. Ein deutscher Kommunist im Widerstand gegen Hitler und Stalin. Die Jahre 1933-1940, Berlin 1990 Wettig, Gerhard, Neue Aufschlüsse über Moskauer Planungen für die politisch- gesellschaftliche Ordnung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung 1995, S. 151-172

XXV. ABKÜRZUNGEN

ADGB Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund AN Archives nationales, Paris BAP Belgische Arbeiterpartei CNT Confederación Nacional de Trabajo CRALOG Council of Relief Agencies Licensed to Operate in Germany DAF Deutsche Arbeitsfront DDP Deutsche Demokratische Partei DMV Deutscher Metallarbeiterverband DVZ Deutsche Volkszeitung EKKI Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale F. 495, O. 205, D. 133 Fond, Opis, Dela IML Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands Kominform Kommunistisches Informationsbüro Komintern Kommunistische Internationale KPB Kommunistische Partei Belgiens KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPD-O Kommunistische Partei Deutschlands-Opposition KPF Kommunistische Partei Frankreichs KPG Kommunistische Partei Großbritanniens KPI Kommunistische Partei Italiens KPÖ Kommunistische Partei Österreichs KPS Kommunistische Partei Spaniens KPTsch Kommunistische Partei der Tschechoslowakei MdI République Française, Ministère de l’Intérieur MfS Ministerium für Staatssicherheit MICUM Mission interalliée de Contrôle des Usines et des Mines NDP Nachlass Dahlem (Privatbesitz)

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POUM Partido Obrero de Unificación Marxista RGI Rote Gewerkschaftsinternationale RGO Revolutionäre Gewerkschaftsopposition SAJ Sozialistische Arbeiterjugend SAP Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands SAI Sozialistische Arbeiterinternationale SFIO Section Française de l’Internationale ouvrière SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland SPI Sozialistische Partei Italiens TA Travail Allemand USC Unitarian Service Committee VKPD Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale) VVN Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes ZK Zentralkomitee ZPA Zentrales Parteiarchiv der SED ZPKK Zentrale Parteikontrollkommission

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XXVI. ERKLÄRUNG GEM. § 7 (6) PROMOTIONSORDNUNG

Erklärung gemäß § 7 (6) Promotionsordnung der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen vom 18. Januar 2016

„Hiermit versichere ich an Eides statt, dass ich die vorliegende Dissertation selbstständig und ohne unzulässige Inanspruchnahme Dritter verfasst habe. Ich habe dabei nur die angegebenen oder unveröffentlichten Quellen und Hilfsmittel verwendet und die aus diesen wörtlich, inhaltlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche den wissenschaftlichen Anforderungen entsprechend kenntlich gemacht. Die Versicherung selbständiger Arbeit gilt auch für Zeichnungen, Skizzen oder graphische Darstellungen. Die Arbeit wurde in gleicher oder ähnlicher Form weder derselben noch einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Mit der Abgabe der elektronischen Fassung der endgültigen Version der Arbeit nehme ich zur Kenntnis, dass diese mit Hilfe eines Plagiatserkennungsdienstes auf enthaltene Plagiate überprüft und ausschließlich für Prüfungszwecke gespeichert wird. Es ist mir bekannt, dass wegen einer falschen Versicherung bereits erfolgte Promotionsleistungen für ungültig erklärt werden und eine bereits verliehene Doktorwürde entzogen wird.“

Sven Devantier, M.A.

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