<<

Reformation in von Bernhard Müller und Jörg Spahmann

Eine kommentierte Materialsammlung für Schule und Erwachsenenbildung „...bewegt durch das klar und hell Wort“

ein Leseheft zur in Heilbronn und ihre Auswirkungen von Bernhard Müller und Jörg Spahmann 4 Reformation in Heilbronn Vorwort

Mit dieser Materialsammlung für Schule und Erwachse- nenbildung möchten wir für Pädagoginnen und Päda- gogen, die in Schule, Kirche und Bildung Verantwortung tragen, einen Impuls geben, sich mit der kirchlichen Tradi- tion und der damit verbundenen Glaubenspraxis der ehe- mals freien Reichsstadt Heilbronn zu beschäftigen. Unser Anliegen ist es, im Rückblick auf längst vergangene Zeiten die reichen Wurzeln kirchlicher Arbeit in katholischer und evangelischer Tradition ins Bewusstsein zu rufen. Dass di- es nötig ist, zeigen Veränderungen in der Bevölkerungs- struktur der Stadt und der damit zwangsläufi g verbun- dene Wandel in der religiösen Orientierung, aber auch zufällig gesammelte Schüleräußerungen: „Wer war Hans Riesser? Wer ist denn das? Ist die Kilianskirche ein evan- gelisches oder katholisches Gotteshaus? Woran sieht man das? Augsburger Bekenntnis - nie gehört! Wo kümmert sich die Kirche heute um die Menschen?“ Leitmotiv dazu ist für uns ein Wort des früheren Bun- despräsidenten Johannes Rau (+2003). Er hat das „Was unser Leben trägt und im Innersten zusammenhält“ bei einer Bibelarbeit auf dem evangelischen Kirchentag in 2001 so zusammengefasst: „Wenn Menschen meiner Generation mich fragen, was sie denn weitergeben sollten, dann sage ich ihnen dies: Sagt Euren Kindern, dass euer Leben verdankt ist von dem Lebenswillen Gottes, sagt ihnen, dass euer Mut geliehen war von der Zuversicht Gottes, sagt ihnen, dass eure Ver- zweifl ung geborgen war in der Gegenwart des Schöpfers, sagt ihnen, dass wir auf den Schultern unserer Mütter und Väter stehen, sagt ihnen, dass ohne Kenntnis unserer Geschichte und unserer Tradition eine menschliche Zu- kunft nicht gebaut werden kann“.

In diesem Sinne möchten wir die Leser dieser Text- und Bildersammlung dazu motivieren, sich mit der kirchlichen Geschichte und Gegenwart der Stadt Heilbronn in Wort und Bild zu beschäftigen, um daraus zu erfahren und zu erkennen, wie sich heute christliches Leben und Glau- benspraxis gestalten kann. Besonderer Dank gilt dem Archiv der Stadt Heilbronn für das großzügige Überlassen und Bearbeiten von Bildern, Dokumenten und Texten.

Heilbronn, im Herbst 2008 Auf der Internetseite des Stadtarchivs Heilbronn Im Auftrag der Evangelischen Schuldekanate (www.Stadtarchiv-Heilbronn.de ) kann das Heilbronn und Materialheft unter dem Link Unterrichtsmaterial ganz oder in Teilen heruntergeladen werden.

Schuldekan Jörg Spahmann

Reformation in Heilbronn 5 Inhaltsverzeichnis

Seite

Vorwort 5

Einleitung 9 - 10

Literaturangaben 10

Baustein A „Gedenket, welche Taten unsere Väter zu ihrer Zeit getan haben“ 11 - 25

Baustein B „Eine neue Ordnung nach dem Winkelmaß des Glaubens“ – die Einführung der Reformation in Heilbronn 1528 - 1531 26 - 36

Baustein C „Das Evangelium predigen – und nichts anders“: Voraussetzungen, Wegbereiter und Gegner der Reformation in Heilbronn 37 - 51

Baustein D „Im Blick auf Gottes Lohn“ Klöster und Deutschordenskommende in Heilbronn vor und nach der Reformation 52 - 67

Baustein E „...keine Alternative zu einem gedeihlichen Zusammenwirken“ – evangelische und katholische Christen heute 68 - 79

Glossar 80

Impressum 81

Reformation in Heilbronn 7 8 Reformation in Heilbronn Einleitung

Im Jahr 1980 erinnerten Stadt und Ev. Gesamt- kirchengemeinde Heilbronn an die Einführung der Reformation vor 450 Jahren. In diesem Zusammenhang hat das Stadtarchiv einen Ka- talog herausgebracht, der Ursachen, Anfänge und Verlauf der Reformation in Heilbronn bis 1555 dokumentiert. 1 Eine Umsetzung dieser wissenschaftlich angelegten Veröffentlichung für Schule und Unterricht erfolgte bis heute nicht. Inzwischen sind mehr als 25 Jahre vergangen – und die Kenntnisse über Luther und die Reformation im allgemeinen und im lokalen Umfeld sind nicht größer, sondern kleiner geworden. Als Beleg genügt es, zufällig gesammelte Schüler- äußerungen zu zitieren: „Hans Riesser? Wer ist denn das? Ist die Kilianskirche evangelisch oder katholisch? Woran sieht man das? Augsburger Bekenntnis – nie gehört!“ Auch bei Erwachse- nen, die sich noch der Landeskirche verbunden fühlen, sieht es nicht besser aus. Ohne in die üblichen Klagen über die Grundlagenkrise der Volks- und Landeskirchen zu verfallen – fest steht, dass es an elementarem Glaubens- und Konfessionswissen fehlt. Vor diesem Hintergrund ist der Plan zu ver- stehen, ein handliches Leseheft zur Reforma- tionsgeschichte in Heilbronn herauszugeben, das die angedeuteten Lücken füllen und im Religionsunterricht sowie in der Erwachsenen- bildung verwendet werden kann. Die unmit- telbare Begegnung mit Quellen sollte nämlich kein Privileg des Geschichts- und Religionsun- terrichts bleiben – auch Erwachsene lassen sich gerne auf diese Lernerfahrung ein, wenn die Materialien entsprechend aufbereitet sind. Ein solches Vorhaben muss sich mit zwei Ein- wänden auseinandersetzen, die im folgenden kurz erwähnt werden sollen. rückgängig machen oder in einem allgemeinen und Glauben ausgeht. Selbstverständlich folgt 1. Werden dadurch nicht alte Gräben aufge- Christentum aufheben. Die Unterschiede im Glaube nicht unmittelbar dem Wissen, aber rissen und längst überwundene Gegen- Verständnis von Amt und Sakramenten sind nach protestantischem Verständnis gibt es sätze zwischen ‚alter’ und ‚reformierter’ trotz Ökumene nach wie vor unüberwindlich. Glauben nicht ohne Wissen - ansonsten han- Kirche belebt? Hat nicht die katholische Darüber kann auch ein medial verstärkter delt es sich (in Luthers Worten) um „Schwär- Kirche längst ihren Frieden mit Luther und Alleinvertretungsanspruch der katholischen merei“. Die lutherische Formulierung von der der Reformation gemacht, plädieren nicht Kirche nicht hinwegtäuschen. „freimachenden Kraft des Wortes“ weist einen prominente protestantische Kirchenführer Gleichwohl handelt es sich bei diesem Heft Weg aus der Bevormundung durch die Institu- für eine Annäherung an die Papstkirche? nicht um eine Absage an die Ökumene auf tion Kirche und eröffnet jedem erwachsenen 2. Wie relevant ist angesichts weltweiter Re- lokaler oder überregionaler Ebene. Im Gegenteil Christen die Möglichkeit, sich in Glaubenssa- ligionskonfl ikte die innerchristliche Konfes- - es versteht sich als Wegbereiter für gegen- chen ein selbständiges Urteil zu bilden. Deshalb sionsbildung im 16. Jahrhundert? Müssen seitiges Verständnis und Toleranz. Aber wer müssen auch die Glaubensgrundlagen für nicht angesichts der fortschreitenden Brücken bauen will, muss wissen, an welchem den mündigen Christen immer neu vermittelt Säkularisierung einerseits, der Renais- Ufer und auf welchen Fundamenten er steht. werden. sance der Religionen andererseits (von der Es geht auch nicht um innerchristliche Profi - Ein solcher „Vermittlungsversuch“ ist auch das Herausforderung durch den Islam ganz zu lierung, sondern um Klärung der kirchlichen vorliegende Heft, das (wie eingangs erwähnt) schweigen) die christlichen Kirchen zusam- Positionen und Stärkung des christlichen Mili- die in vielen wissenschaftlichen Veröffent- menstehen und Trennendes zurückstellen? eus allgemein in einem weitgehend säkularen lichungen enthaltenen Kenntnisse über die Bei den Einwänden kann mit ähnlichen Ar- Umfeld. Reformation in Heilbronn für Schule und gumenten begegnet werden. In der gegen- Ein weiterer Einwand muss noch erwähnt wer- Erwachsenenbildung aufbereiten möchte. wärtigen Auseinandersetzung mit dem Islam den: führt Orientierungswissen zum Glauben? Der lokalhistorische Ansatz bietet sich bei wird immer wieder betont, dass es „den“ Handelt es sich hier nicht um einen typisch diesem Thema geradezu an: „die im Religiösen Islam gar nicht gibt, sondern verschiedene protestantischen Ansatz, der an den religi- fundierte, tiefgreifende Wandlung der Gesell- Ausprägungen islamischer Tradition. Entspre- ösen Erwartungen unserer Zeit nach Erleben schaft, die wir Reformation nennen“ (Bernd chendes gilt auch für das Christentum: die und Gefühl, nach Spiritualität und Ritualen Möller) vollzog sich zuerst in den damaligen konfessionelle Pluralisierung des westlichen vorbeigeht? Solche Fragen führen ins Zentrum Reichsstädten. Hier fanden sich die Voraus- Christentums durch die Reformationen des des protestantischen Glaubensverständnisses, setzungen (Bildung und Buchdruck sowie eine 16. Jahrhunderts lassen sich nicht einfach das von der engen Verbindung von Wissen für Reformen aufgeschlossene Bevölkerung),

Reformation in Heilbronn 9 Einleitung

hier lassen sich die ersten Fürsprecher und Kirche auf lokaler Ebene angesprochen: welche Berndt und Walter Kaspar. Heilbronn 1980. Anhänger nachweisen. Und in den Reichsstäd- Gemeinsamkeiten gibt es, wo liegen die Un- (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Nr. 23) ten wurde das neue Glaubensverständnis auch terschiede im Glaubensverständnis und in der zuerst institutionalisiert durch neue Gottes- Glaubnspraxis? 2 siehe dazu: Ulrich Maier, Der Bauernkrieg in Fran- dienstordnungen und Aufhebung der sakralen Was das Materialangebot betrifft, so muss ken. Texte und Materialien zum landesgeschicht- Sonderstellung der Kleriker und Klöster. Nicht man zugeben, dass eine Auswahl für Schule lichen Unterricht Heft 3 1983. alles, aber vieles lässt sich am Heilbronner und Unterricht schwer fällt. Schlüsseldoku- Beispiel belegen und veranschaulichen, so mente, an denen sich ‚alles’ oder zumindest dass die komplizierten Zusammenhänge von Wesentliches ableiten lässt, sind schwer zu Literaturangaben Reichsgeschichte (Kaiser Karl V.) und Reforma- fi nden. Hinzu kommen sprachliche Probleme, tion, von altem und neuem Glaubensverständ- ein für heutige Leser umständlicher Stil Christhard Schrenk u.a.: Von Helibrunna nach Heilbronn. nis für heutige Leser verständlich gemacht mit vielen Verweisen, Wiederholungen und Eine Stadtgeschichte. Stuttgart 1998 (= Veröffentli- werden können. (biblischen) Rechtfertigungen. Deshalb werden chungen des Archivs der Stadt Heilbronn 36) Dazu ist allerdings eine didaktische Reduktion die frühneuhochdeutschen Originalquellen - enthält ein ausführliches Literaturverzeichnis – erforderlich, welche sich schwerpunktmäßig in vereinfachter und modernisierter Fassung auf die Zeit zwischen 1524 und 1531 be- vorgelegt und mit Erläuterungen und Anmer- Christhard Schrenk, Hubert Weckbach: Der Vergangen- schränkt und auf vieles verzichtet, was in einer kungen versehen. heit nachgespürt. Bilder zur Heilbronner Geschichte von wissenschaftlichen Darstellung unentbehr- An Auszügen aus Lachmanns Schriften und an 741- 1803. Stadtarchiv Heilbronn 1993 lich erscheint. So werden beispielsweise der ausgewählten Passagen aus dem Heilbronner Bauernkrieg2 , die theologischen Streitpunkte Katechismus können an Heilbronner Texten die 450 Jahre Reformation in Heilbronn. Ausstellungska- innerhalb der Reformation (Abendmahls- theologischen Grundlagen der Reformation talog 1980 (=Veröffentlichungen des Archivs der Stadt verständnis) sowie die reichsgeschichtlichen erläutert werden. Die institutionelle Neuord- Heilbronn 24) Verwicklungen im Zusammenhang mit dem nung und außenpolitische Absicherung der Schmalkaldischen Krieg und dem Augsburger Reformation in Heilbronn lässt sich aus den Alois Sailer: Das Deutschordenshaus und die Stadt Religionsfrieden nur am Rande berücksichtigt. entsprechenden Ratsbeschlüssen entnehmen. Heilbronn im Mittelalter. In: Festschrift zur Einweihung Auch die Gliederung des Heftes folgt didak- Außer schriftlichen Dokumenten werden auch des Deutschordensmünsters. Heilbronn 1996 tischen Überlegungen: in einem thematischen Bildquellen angeboten, weil die damaligen (und nicht chronologischen) Ansatz werden Auseinandersetzungen teilweise über Bilder Adalbert Ehrenfried: Barfüßer und Klarissen in Heil- zuerst Reformationsjubiläen und Lutherfeiern geführt wurden und weil Bilder in unserem bronn. Bruchsal 1977 von der Gegenwart bis ins 18. Jahrhundert vor- visuellen Zeitalter motivierend und erkennt- gestellt, aus denen sich erste Untersuchungs- nisfördernd wirken. Vor allem für die vorre- Neue Gestalt für das bleibende Wort im 16. Jahrhundert. fragen ergeben: was wird gefeiert? formatorische Frömmigkeit liegen zahlreiche Lesebuch zur Geschichte der Evangelischen Landeskirche Wie ‚erinnert’ man sich dieses für die Stadtge- Bilder vor, die bis jetzt kaum für den Unterricht in Württemberg. Hg. Konrad Gottschick und Gerhard schichte Heilbronns zentralen Vorgangs? aufbereitet wurden. Schäfer. Stuttgart 1992 Danach werden die Ereignisse und Beschlüsse Auf eine Erschließung der Materialien durch dokumentiert, welche eine radikale Verän- Fragen wird bewusst verzichtet, weil das vor- Martin Luther und die Reformation in Deutschland. derung der Kirche und religiösen Praxis in liegende Heft keine Unterrichtsgänge festlegen Austellungskatalog Nürnberg 1983 Heilbronn bewirken. Erst dann wird nach den möchte. Die Auswahl und Reihenfolge der Voraussetzungen und Wegbereitern, aber auch Materialien sowie das methodische Vorgehen Hartmut Boockmann: Der deutsche Orden. München nach den Gegnern der kirchlichen Neuordnung im einzelnen muss vor Ort entschieden und 1982 gefragt. Ein eigenes Kapitel wird den Klöstern den jeweiligen Unterrichtsbedingungen und gewidmet, weil darüber im allgemeinen wenig Lernzielen angepasst werden. Reformation in Württemberg. Ausstellungskatalog bekannt ist und weil mit dem Klarakloster ( 3 Bände) Stuttgart 1984 und Deutschen Orden katholische Inseln in Heilbronn bis 1803 erhalten blieben. 1 450 Jahre Heilbronn in Heilbronn. Bearbeitet von Spezialliteratur wird bei den jeweiligen Materialien Im Schlussteil wird das aktuelle Verhältnis Helmut Schmolz und Hubert Weckbach unter Mitar- genannt zwischen evangelischer und katholischer beit von Karin Peters – mit Beiträgen von Jörg Baur,

10 Reformation in Heilbronn Baustein A „Gedenket, welche Taten unsere Väter zu ihrer Zeit getan haben“ - Luthergedenken und Reformationsfeiern vom 17. – 20. Jh.

Ein Einstieg mit der Erinnerungsgeschichte bie- Die Reformationsfeiern 1928 waren noch stark Die Erinnerungs- und Jubelfeiern zwischen tet viele Vorteile: der zunächst ferne und frem- vom Selbstbewusstsein Heilbronns als evan- 1817 und 1617 (A9 und 10) sind noch von den de Lerngegenstand wird in der Erfahrungs- gelischer Stadt geprägt. In der Festfolge (A langanhaltenden Religionskämpfen geprägt. horizont der Schüler gerückt, weil er andeutet, 2) werden die reformatorischen Wurzeln der Zentrale Ereignisse wie die Augsburger Kon- wie vor 50 oder 100 Jahren mit diesem Thema einstigen Reichsstadt herausgestellt. Auch die fession oder der Augsburger Religionsfrie- umgegangen wurde. Da die Erinnerung stets zahlreichen Aufführungstermine des eigens de sind noch wichtiger als die Person Martin auf klare Daten und eindeutige Interpretation aus diesem Anlass verfassten Schauspiels von Luther. In den Erinnerungsmedaillen wird je- angewiesen ist, wird der komplexe Sachverhalt Tim Klein („Dennoch bleib ich“) weisen auf ein weils versucht, das Reformationsgeschehen in ‚Reformation’ zugleich vereinfacht und perso- breites Publikumsinteresse hin. Speziell für die Heilbronn in Verbindung mit Martin Luther zu nalisiert. Das erleichtert zwar das Vorverständ- evangelische Jugend hat der damalige Stadt- würdigen. nis, provoziert aber zugleich weiterführende pfarrer Matthes eine „Geschichte der Heilbron- Zeitlich nicht exakt einordnen lässt sich das Fragen nach Auswahl und Begründung. Eine ner Reformation“ verfasst (A 3), die das Erbe große Lutherbild (A 8), das sich im Inneren der Antwort darauf setzt wiederum eine intensive beschwört, „das unsere Väter sich und uns er- Peterskirche in Neckargartach befi ndet und Beschäftigung mit dem Thema voraus, an de- kämpft haben und das in dem Schicksal, das erst 1954 wieder freigelegt wurde. Es entstand ren Ende dann die Erinnerungsgeschichte er- auf unserem Volk liegt, unsere Kraft und unser entweder zum Reformationsjubiläum 1817 neut befragt und bewertet werden kann. Friede sein soll.“ Aus dem Reformationsgeden- oder schon Mitte des 18. Jahrhunderts im Zu- Das Reformationsjubiläum im Jahr 1980 war ken soll also Kraft für die Bewältigung aktu- sammenhang mit Neubau und Ausmalung der das erste, das ohne politische Botschaft und eller Notlagen abgeleitet werden. Kirche. eindeutige Wertung auskam. Im Gegenteil- die Was in der Endphase der Weimarer Republik Ausstellung: 450 Jahre Reformation in Heil- nur zaghaft angedeutet wird, setzen die neuen bronn 1530 – 1980 ( mit Katalog und wissen- Machthaber ab 1933 bedenkenlos um: die Ins- schaftlichem Begleitprogramm) war um Aus- trumentalisierung Luthers und der Reformati- gewogenheit und Berücksichtigung (fast) aller on für ihre partei- und machtpolitischen Zwe- Aspekte bemüht. Wenn man so will, kann man cke. Die Ankündigungen der Lutherfeiern im von einer pluralistischen und ökumenischen November 1933 (A 4) – 1933 war ein Luther- Betrachtung der Reformation reden. jahr wegen des 450. Geburtstags des Reforma- Das Titelblatt des Katalogs (A 1) kombiniert ei- tors – sprechen für sich: ne verfremdete Abbildung der Kilianskirche mit „Martin Luther, Gottesfl amme/ Geist und Glau- dem angeblichen Thesenanschlag Luthers an ben dein Panier/ Bester Held aus deutschem der Schlosskirche in Wittenberg und illustriert Stamme/ geh voran, wir folgen dir!“ (- so indirekt den einleitenden Aufsatz mit dem zeitung Nr.96, 1933) Titel: ’Ratlos vor dem Erbe. Die Reformation: „Die neue religiöse Vertiefung des deutschen Last und Chance.’ Die angedeutete Ratlosigkeit Volkes“ wird beschworen, Hindenburg als Kron- hat mit der Grundlagenkrise der evangelischen zeuge bemüht, auf örtlicher Ebene nehmen der Volkskirchen sowie mit der unbefriedigenden neue Oberbürgermeister Gültig sowie eine SA- Entwicklung der Ökumene zu tun. Hinzu ka- Kapelle an den Feiern teil. men die Herausforderungen der Evangelischen Aber schon 1934 (und noch deutlicher 1938) Kirche in Deutschland durch die Aktivitäten der lässt sich im Reformationsgedenken eine ge- damaligen DDR- Führung, die Luther und die wisse Distanzierung gegen die einseitige Ver- Reformation im Zusammenhang mit der „früh- einnahmung Luthers durch den Nationalsozi- bürgerlichen Revolution“ für ihre Legitimation alismus erkennen, weil auf die Wichtigkeit der in Anspruch nahmen. Zu diesem Zweck wurden Bibel und die eigentliche Bedeutung Luthers die Lutherstätten in der DDR aufwendig reno- hingewiesen wird (A 5). viert und eine große Lutherausstellung in Wit- Ganz unbefangen wurde schon 1917, mit- tenberg vorbereitet. ten im Ersten Weltkrieg, Luther heroisiert und In den Begleitveranstaltungen zum Reforma- für die nationale Sache vereinnahmt (A 6). tionsjubiläum 1980 fallen die kirchenmusi- Das hängt mit der Rolle des Protestantismus kalischen Beiträge sowie die Aufwertung von im Kaiserreich zusammen, wo er zu einer Art Themen und Personen (Bauernkrieg und Tho- Staatsreligion aufgestiegen ist und mit der en- mas Müntzer) auf, die früher kaum Beachtung gen Verbindung von Thron und Altar zur Sta- fanden. bilisierung des kaiserlichen Deutschland bei- Heute werden die alljährlichen „Reformati- getragen hat. Auf lokaler Ebene offenbart ein onstage“ in Heilbronn mit Gottesdiensten Spendenaufruf in der Neckarzeitung (A 7) die und Vorträgen begangen, aber die Veranstal- enge Verbindung von evangelischer Kirche und tungen haben eher akademischen Charakter. Besitz- und Bildungsbürgertum in der Stadt- Aus Gründen, die hier nicht aufgeführt wer- ohne zu bedenken, dass durch solche Aktionen den können, hat die Reformation ihre identi- die Kluft zwischen den gesellschaftlichen Klas- tätsstiftende Wirkung für Heilbronn und seine sen sowie zwischen Front und Heimat eher Bürger nach 1945 weitgehend verloren. Ob die vergrößert als verkleinert wurde. in jüngster Zeit von der Evangelischen Jugend Die Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts in volksmissionarischer Absicht durchgeführ- hat auch zur nationalen Aufwertung Luthers ten „-Aktionstage“ („Church- und seiner Bibelübersetzung („Das schönste night“ als Alternative zu den Halloweenparties) Werk des Verewigten“) beigetragen; ein Beleg Bestand haben und den evangelischen Glauben ist die Zeitungsanzeige mit der Ankündigung „neu erlebbar und verstehbar“ machen, sei da- eines Gottesdienstes zum 300. Todestag aus hingestellt. dem Jahr 1846 (A 8).

Reformation in Heilbronn 11 A 1 „Ratlos vor dem Erbe“ – 450 Jahre Reformation in Heilbronn

Titelblatt des Ausstellungskatalogs 1980

12 Reformation in Heilbronn A 1 Erläuterungen

HST vom 28.10.1980 „Reformations- Tage“

Die Ausstellung des Stadtarchivs samt Katalog Die Erinnerung an die Reformation in Heil- sowie das umfangreiche Begleitprogramm zei- bronn im Jahr 1980 kam - wie schon in der gen das große Engagement der damals Verant- Einleitung erwähnt - ohne ausdrücklichen Ge- wortlichen. Entsprechend erfreulich waren das genwartsbezug aus, weil die Reformation als überregionale Presseecho und die Besucher- Grundlage für die Identität der Stadt nicht zahlen. mehr aktuell war. Gleichwohl engagierte sich Indirekt befl ügelte auch die Lutherrezeption in die Stadtverwaltung bei diesem Jubiläum und der damaligen DDR die Heilbronner und andere unterstützte auf vielfältige Weise die dama- Reformationsausstellungen. Unter dem Etikett ligen Veranstaltungen. Das nächste Reforma- „frühbürgerliche Revolution“ wurden nämlich tionsjubiläum ist 2017 (500 Jahre Thesenan- Bauernkrieg und Reformation als Legitimi- schlag). In Wittenberg sind die Vorbereitungen tätsgrundlagen von der DDR beansprucht. Die dafür schon angelaufen. Ob und wie sich Heil- Lutherstätten wurden aufwendig restauriert; bronn daran beteiligt, lässt sich jetzt noch 1983 – zum 500. Geburtstag Martin Luthers nicht absehen. – gab es eine große Ausstellung in Wittenberg; parallel dazu im Westen eine in Nürnberg. Die Heilbronner Veranstaltung lag im Vorfeld, bedingt durch das vorgegebene Jubiläumsjahr 1530, in dem in Heilbronn die Reformati- on eingeführt wurde. Das Jubiläum 1980 war durch zwei Tendenzen gekennzeichnet: ein- mal durch eine gewisse Politisierung im Blick auf die erwähnte DDR- Tradition, zum andern durch eine Theologisierung der Reformation, die besonders im Katalog ihren Niederschlag fand. Aus der Programmfolge lässt sich ent- nehmen, dass durch die Patengemeinde Fran- kenhausen, das ein Zentrum des Bauernkriegs war, diese Thematik auch in Heilbronn eine große Rolle spielte. In Ergänzung der vom Stadtarchiv gestalte- ten Ausstellung hatte das Evangelische Deka- nat auf sechs Tafeln eine Zusatzausstellung zur „Zusammenarbeit der Evangelischen und Katholischen Kirche heute“ angeboten. Man war sichtlich bemüht, die alten Gegensätze zu überwinden und die Fortschritte der Ökumene herauszustellen. Deshalb ist im Katalog auch ein Aufsatz des damaligen Universitätsprofes- sors und heutigen Kurienkardinals Kaspar ent- halten mit dem Titel: „Confessio Augustana in katholischer Sicht“.

Reformation in Heilbronn 13 A 2 „Ein feste Burg ist unser Gott“ - vierhundertjähriges Jubiläum der Reformation

Seite aus Gemeindeblatt September 1928

14 Reformation in Heilbronn A 2 Erläuterungen

Im Evangelischen Gemeindeblatt von Heil- entschieden, obwohl auch 1929 (in Erinnerung nicht von allen akzeptiert. Die tragenden Kräfte bronn ist im September 1928 ein Artikel mit an den seit dem Reichstag von verwen- der Weimarer Republik (Sozialdemokratie und der Überschrift „Warum wir gerade 1928 das deten Namen Protestanten) oder 1930 in Frage Zentrum) waren alles andere als Verbündete Reformationsgedächtnis feiern“ erschienen. Ei- gekommen wäre. Aber ein Bekenntnis sei wich- der Evangelischen Kirche, die mehrheitlich ob- ne Erklärung war deshalb erforderlich, weil bis tiger als ein Protest. rigkeitsstaatlich orientiert blieb und den rech- dahin stets in Erinnerung an den Beschluss von Diese religiöse Erklärung enthält nur die hal- ten Parteien zuneigte. Rat und Bürgerschaft im Jahr 1530, beim Aug- be Wahrheit. Gesellschaftspolitische Überle- Vor diesem Hintergrund war es in Heilbronn sburger Bekenntnis zu bleiben, dieses Datum gungen waren sicher ebenso wichtig. Zehn zu der (vorgezogenen) Reformationsfeier ge- als Ausgangspunkt gewählt worden war. Häu- Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kommen, die mit Gemeindeabenden, Festspie- fi g wurde auch der Thesenanschlag von 1517 und der Monarchie in Deutschland befand sich len und Vorträgen sehr aufwendig begangen als Erinnerungsdatum verwendet. die Evangelische Kirche in Deutschland in einer wurde. Man wollte das reformatorische Erbe Der Verfasser, Stadtpfarrer Schöllkopf, lie- Identitätskrise. Die enge Verbindung von Kirche bewusst machen, die Jugend an die Kirche her- fert eine rein theologische Begründung: „die und (monarchischem) Staat war zerbrochen, anführen und aus einer glanzvollen Vergan- Entscheidung für evangelische Frömmigkeit, die jeweiligen Landesherren als ’natürliche’ Kir- genheit Orientierung für Gegenwart und Zu- wie sie in der Abendmahlsfeier zum Ausdruck chenoberhäupter waren verschwunden. Zwar kunft ableiten. kommt“ – 1528 wurde in der Kilianskirche zum förderte die Weimarer Republik die Selbstän- ersten Mal das Abendmahl in beiderlei Gestalt digkeit der Landeskirchen als Körperschaften gereicht – sei das „Wichtigste und Ausschlag- des öffentlichen Rechts (mit staatlichem Kir- gebende“, nämlich „das Verlangen heilsbe- chensteuereinzug bis heute) – aber mit der gieriger Seelen nach Gemeinschaft mit ihrem Republik selbst hatten sowohl die neuen Kir- Herrn“. Zugleich schaffe jede Abendmahlsfeier chenleitungen als auch das Kirchenvolk ihre „eine Gemeinschaft des Glaubens und der Lie- Schwierigkeiten. Die republikanischen Grund- be“, worauf Lachmann besonderen Wert gelegt werte (Volkssouveränität und allgemeines habe. Deshalb habe man sich für das Jahr 1928 Wahlrecht, Grundrechte und Parteien) wurden

Plakat für das Reformationsfestspiel

Auf dem Werbeplakat für das Reformations- stück „Dennoch bleibe ich“ ist ein seltsames Portrait Lachmanns abgebildet. Das Festspiel wurde von einer Laienspielschar um Pfarrer Völter 1928 dreizehnmal und 1929 dreimal im Stadttheater aufgeführt. Auf das Stück selbst kann an dieser Stelle ebenso wenig eingegan- gen werden wie auf die „Geschichte der Heil- bronner Reformation“, erzählt von Stadtpfarrer Matthes (A 3). Das Titelblatt mit der Kilianskir- che und dem lutherischen Kampfl ied „Ein feste Burg ist unser Gott“ deutet allerdings an, was die Leser erwartet.

Reformation in Heilbronn 15 A 3 „Gedenket, welche Taten unsere Väter zu ihrer Zeit getan haben“

Titelblatt der Erzählung von Stadtpfarrer Matthes

16 Reformation in Heilbronn A 4 „Ein großes, schönes Ereignis für unsere Stadt“ – Lutherfeiern 1933

Der Luthertag (Neckarzeitung vom 14.10. 1933)

Lutherfeier in Heilbronn (Evang. Gemeindeblatt für Heilbronn November 1933))

Bekanntmachung der Evang. Kirchengemeinde 20.11.1933

Reformation in Heilbronn 17 A 4 Erläuterungen

1928 war die Reformationsfeier noch eine rein Im September 1934 fand anlässlich des Be- nehmen, wie die damaligen Pfarrer unter Beru- kirchliche Angelegenheit.1933 war wieder ein suchs von Reichsbischof Müller in Heilbronn fung auf Luther versuchten, sich der ‚Umar- Lutherjahr wegen des 450. Geburtstags des eine Kundgebung auf dem Marktplatz statt, bei mung’ durch die NSDAP zu entziehen. In den Reformators. Und jetzt sollte aus dem kirch- der der von den Nationalsozialisten eingesetz- Artikeln wird deutlich, dass Luther und die lichen sogar ein „bürgerlicher Feiertag werden, te Oberbürgermeister Gültig behauptete, ein Reformationsfeiern auch dazu dienten, den ein Feiertag des gesamten Protestantismus im echter Nationalsozialist müsse ein guter Christ eigentlichen Auftrag der Kirche und ihre Un- Sinne der Reformation und der neuen religi- sein. Deshalb bat er den anwesenden Reichsbi- abhängigkeit zu betonen. Das schloss nicht ösen Vertiefung des deutschen Volkes“. Auffal- schof, „uns über unseren politischen Glauben aus, dass viele Pfarrer (auch in Heilbronn) „ein lend war, dass „dem Festausschuß außer den an den Führer Kraft aus Gottes Wort zu geben“. klares und freudiges Bekenntnis zum national- Geistlichen der Oberbürgermeister, der Kreislei- Kreisleiter Drautz drohte unverblümt: „Wenn sozialistischen Staat und zum Führer“ ablegten, ter, Landesgerichtsrat Widmann und Vertre- wir vom positiven Christentum reden, so reden zugleich aber an einer „an Schrift und Be- ter der Presse“ angehörten. Das kann man als wir nicht nur davon, sondern wir handeln auch kenntnis gebundenen Kirche“ festhielten. Beleg für den nationalen Aufschwung seit der danach.(...) Wir dulden nicht, dass das deutsche Zur Verdeutlichung sei auf die Vorgänge in Machtübertragung an Hitler und die National- Volk noch einmal auseinandergerissen werden Neckargartach verwiesen. Zum „Luthertag“ sozialisten ansehen, weil mit Glockengeläut, soll. Heute bieten wir ihnen noch die Hand. Es 1933 beschließt der Kirchengemeinderat, 600 Fahnenschmuck sowie Kundgebungen mit SA- kann aber eine Zeit kommen, in der wir das Festabzeichen (die Lutherrose) zu bestellen und Kapelle die alte Ordnung mit dem Einklang von nicht mehr tun werden.“1 Damit spielte er auf zu verkaufen; nach dem Gottesdienst für die (Evangelischer) Kirche und Staat wiederzukeh- den Widerstand einzelner Landeskirchen und 715 Schüler eine Brezel zu spendieren und ei- ren schien. Oder aber als Beginn der Gleich- Pfarrer (auch in Heilbronn) an, die sich gegen nen Festgottesdienst mit Festspiel anzubieten. schaltung der evangelischen Kirche, die 1934 den von Hitler eingesetzten Reichsbischof und Und das in einer Kirchengemeinde, deren Pfar- zu heftigen Konfl ikten geführt hat. Hinter- die „Deutsche Kirche“ wehrten. rer zu den religiösen Sozialisten gehörte und grund sind die Bestrebungen der „Deutschen Es ist hier nicht der Ort, über den damaligen SPD- Mitglied war! Christen“ und der NSDAP, eine evangelische Kirchenkampf im einzelnen zu berichten. Aber Welcher Art die Befl aggung war, zu der in Un- Reichskirche mit einem Reichsbischof an der es verdient festgehalten zu werden, dass alle tergruppenbach am Luthertag aufgerufen wur- Spitze einzurichten. Ihre Parole lautete: „Mit Heilbronner Pfarrer (mit Ausnahme des De- de, geht aus dem Dokument nicht hervor. Ver- Luther und Hitler, für Glaube und Rasse“. Dage- kans) den Besuch des Reichsbischofs boykot- mutlich war es die Hakenkreuzfahne. gen regte sich in der württembergischen Pfar- tierten und nicht an den erwähnten Veranstal- rerschaft und Kirchenleitung Widerstand, vor tungen teilnahmen. Aus den Ankündigungen 1 Zitate nach dem Bericht im Heilbronner Tagblatt vom allem als versucht wurde, den Landesbischof im Gemeindeblatt für die Reformationsfeiern 1.10. 1934 Wurm abzusetzen. der Jahre 1934 und 1939 (A 5) kann man ent-

18 Reformation in Heilbronn A 5 „Wozu hat Luther nein, wozu hat er ja gesagt? Reformationsfeiern 1934 – 1939

Lutherfeier 1939 ( Aus dem Bericht im Gemeindeblatt)

Das Gedächtnis Luthers konnten wir in diesem Jahr leider nicht dem Herkommen entspre- chend in der festlichen Kilianskirche begehen. Da die der Kirche zugewiesenen Luftschutzräu- me abends nicht zur Verfügung stehen, lud

die Gesamtkirchengemeinde in das Christli- che Hospiz ein. Professor D. Bornkamm aus sprach über „Luther und die deutsche Volksordnung“. Luther hatte eine lebensvolle Anschauung von seinem Volk.(...)Er lehnte ins- tinktmäßig das Fremde ab, wenn auch sein

Gegensatz gegen die Juden in erster Linie im Glauben begründet war, weil sie Christus ver- worfen hatten und weil seine Bemühungen, sie doch noch für den Herrn zu gewinnen, fehlge- schlagen waren.(...)

Reformation in Heilbronn 19 A 6 „Martin Luther ist und bleibt ein religiöser Held“ (1917)

„Zum 400jähr. Gedächtnis der Reformation“ - Neckarzeitung vom 30. Oktober 1917

Reformation. Martin Luther. Von Dekan H. Eytel (Heilbronn) Von Theodor Heuß Nicht Jubelfeste wollen wir feiern. Dazu ist die Der Sohn eines einfachen sächsischen Berg- Zeit zu schwer. Aber Tagen hoher, großer Er- manns zerschlägt die Tafeln der Weltgeschich- innerung gehen wir entgegen. Und diese mit te. Aus einer kärglichen Kindheit, aus einer vollem Bewusstsein und mit dankbarem Her- Mönchszelle, die Kasteiung und Entbehrung zen zu erleben, ist heilige Pfl icht jedes evange- gesehen, bricht die wunderbare Macht und lischen Deutschen, ja wir dürfen hinzufügen, Kraft, die Völker umgestaltet. Keines Menschen unbestreitbares Recht jedes Deutschen. Wirkung war, seit Jesus Tagen, so groß wie die Fraglos ist die Reformation in erster Linie ein Luthers. Die Staatengeschichte kennt Crom- religiöses Ereignis gewesen. Es wäre völlig ver- well, Friedrich, , Bismarck; aber ihre fehlt, wollte man sie [...] in ein dem Grundsatz Leistung ist vielmehr in ihre Zeit gebunden, nach kulturelles Vorkommnis verwandeln. Das war Abschluß. Luthers Werk ist immer neu, le- hieße ihr das Herz herausreißen. [... ] Martin bendig, immer Anfang. Luther ist und bleibt ein religiöser Held, der re- Wenn man von der Weltmission des Deutsch- ligiöse Heros des deutschen Volkes. [...] Gerade tums redet, steht keiner so eindringlich vor in der Kirche von Luther war das Christentum unserem Auge. Er ist freilich im Wesen und mit viel fremdartigem Wesen und Treiben ver- Temperament ganz und gar deutsch, nur auf mengt. Der jahrhundertelange Sehnsuchtsruf deutschem Boden so denkbar; aber seine ent- nach Reinigung der Kirche hat zu manchem scheidende Tat hängt nicht am Nationalen.[...] vergeblichen Versuch getrieben. Gelungen ist das Werk erst der deutschen Reformation. [...] Der deutsche Zusammenhalt im Weltkrieg, der die konfessionelle Kluft überbrückt und uns wieder einmal dartut, dass die Glaubensspal- tung unseres Volkes nicht so sehr der Refor- mation als der undeutschen Polemik Karls V. zur Last zu legen ist, gestattet uns Protestan- ten, uns der Erinnerung an Luther und sein weltgeschichtliches Werk mit Dank gegen Gott zu erfreuen, ohne unsere katholischen Brüder zu verletzen. [...]

20 Reformation in Heilbronn A 7 „Nicht Feste sind not, aber Taten“ - Anzeige 1917

An unsere evangelischen Volksgenossen in der Mädchenrealschule Raith; Seminarrek- Stadt und Bezirk tor Dr. Reinöhl; Schulrat Remppis; Kaufmann Rieleder; Geheimer Kommerzienrat Rümelin, Still und ohne größere Veranstaltungen wird Mitglied der I. Kammer; Verlagsbuchhänd- im Kriegsjahr 1917 das Reformationsge- ler Salzer; Pfarrer Schlaich; Rentner Schmutz; dächtnis gefeiert werden. Um so mehr soll es Kommerzienrat Schneider; Stadtpfarrer fruchtbar werden für den inneren Ausbau und Schöllkopf; Professor Dr. Schopf; Bäckermeis- Wiederaufbau unseres Volks. Nicht Feste sind ter Schurr; Stadtvikar Schuster; Stadtpfarrer not, aber Taten. In friedlichem Wetteifer mit Stein; Kaufmann Stieler; Kirchenpfl eger Stro- allen, sich für das Wohl des deutschen Volkes bel; Schmiedemeister Veigel; Oberstleutnant einsetzen, gilt es die Gaben und Erkenntnisse, von Voigt; Hauptlehrer Weil; - die uns in Luthers Werk geschenkt sind, für sämtliche Heilbronn. die Gegenwart mit ihren besonderen Bedürf- nissen und Aufgaben zu nützen, zu beleben, [es folgt eine ähnlich lange Liste von Lehrern, zu vertiefen. Die Zeit ruft zu ernster Arbeit. Pfarrern, Kirchengemeinderäten u.a. aus den Die mannigfachen Fragen des sittlichen und Nachbarorten Böckingen, Sontheim, Großgar- religiösen Volkslebens sollen in evangelischem tach, Bonfeld, , Talheim u.a.] Geist sachlich durchgearbeitet, schlummernde Kräfte angeregt, tätige besser ausgebildet, zersplitterte Bestrebungen geeinigt werden. In den mannigfach bewährten Unternehmungen des Evangelischen Pressverbandes ist bereits ein Anfang gemacht. Eine

Reformationsdankspende die wie in den anderen Teilen des deutschen Reiches so auch in unserem Land während der nächsten Monate ersammelt werden wird, soll weiterführen. Beträchtliche Mittel sind erforderlich. Trotz der gesteigerten Ansprüche an die all- gemeine Opferwilligkeit erlauben wir uns im Hinblick auf die geschilderten hohen Ziele unsere evangelischen Volksgenossen in Stadt und Bezirk zu reger Beteiligung an der Spende einzuladen. Gaben nehmen entgegen die Pfarrämter sowie die Bezirkssammelstelle: Heilbronner Gewer- bekasse A.-G.

Metalldrücker Boß; Baurat Bürklen; Frau Sa- nitätsrat Dr. Buttersack, Vorstandsdame des Evang. Frauenbundes; Rektor der Realschule Dangel; Rektor des Realgymnasiums und der Oberrealschule Diez; Prälat Dr. Dopffel; Mis- sionsprediger Ebert; Dekan Eytel; Stadtvikar Fick; Stadtpfarrer Fischer; Landtagsabgeord- neter Fischer, Dr. med. Förg; Mittelschulrektor Freudenberger; Sanitätsrat Dr. Fulda; Stadt- pfarrer Gauß; Silberschmied Geiger; Volks- schulrektor Glaß; Oberlehrer Göhring; Ober- lehrer Gönnenwein; Medizinalrat Dr. Haag; Weingärtner Haag, Lantagsabg.; Fabrikant Ludwig Hahn; Hauptschriftleiter Dr. Heuß; Stadtpfarrer Hinderer; Schiffahrtskommissär Hoffmann; Bankdirektor Hottmann; Redakteur Kienzle; Weingärtner Kistenmacher, Gemein- derat; Rechtsanwalt und K.öff.Notar Köstlin; Kommerzienrat Link; Erhard von Marchtaler; Stadtpfarrer Matthes; Fabrikant Ernst May- er; Landgerichtspräsident von Mayer; Pfarrer Mayer, Stadtpfarrverweser; Stadtmissionar Messner, Regierungsrat Mögling; Architekt Regierungsbaumeister Moosbrugger; Postrat Müller; Gymnasialrektor Dr. Nestle; Rektor

Reformation in Heilbronn 21 A 8 „...gedrungen gefühlt, diesen Tag kirchlich zu feiern...“

aus: Intelligenzblatt von Heilbronn vom 16. Februar 1846

Amtliche Bekanntmachung gefühlt, diesen Tag kirchlich zu feiern. Auch die Ober und das Opfer andiesem Tage der Verbreitung der deut- Heilbronn. Am nächsten Mittwoch, den 18. Februar sind – Kirchenbehörde unseres Vaterlandes hat die evang. schen Bibel- Übersetzung, dem schönsten Werke des es gerade 300 Jahre, dass der Gründer der evangelischen Kirchen daran erinnert, und der hiesige Kirchenkonvent Verewigten bestimmt werden. Kirche, Dr. Martin Luther sein Tagwerk beschloß. Viele hat nun – auf Antrag des Stadtrats – beschlossen, diesen Den 14. Febr. 1846 Kirchen- Konvent evang. Kirchen Deutschlands haben sich durch das An- Tag durch einen besonderen Gottesdienst zu feiern. Es denken an seine Verdienste um die Kirche gedrungen wird derselbe um ½ 10 Uhr seinen Anfang nehmen

„Gottes Wort bleibt in Ewigkeit“ - Lutherbild in der Pe- terskirche Neckargartach

22 Reformation in Heilbronn Erläuterungen A 6 – A 8

Die Aufwertung Luthers und der Reformati- In dem Aufruf zu einer Reformationsdankspen- um die „Verbreitung der deutschen Bibelüber- on im Zusammenhang mit der Nationalstaats- de ( A 7) bleibt unklar, was eigentlich Sinn und setzung“ – also um kirchlich- religiöse Angele- bildung in Deutschland wurde schon in der Zweck des Spendenaufrufs war. Vermutlich genheiten. Offensichtlich war der Oberkirchen- Einleitung angesprochen. Im Ersten Weltkrieg sollte über die Pressearbeit der Evangelischen behörde 1846 noch bewusst, dass es in der nahm die Heroisierung Luthers teilweise pein- Kirche auch den Durchhaltewillen des deut- Evangelischen Kirche keine Heiligenverehrung liche Züge an- die beiden Textauszüge (A 6) schen Volkes gestärkt werden- die Reforma- gibt und dass Luther die Personalisierung der vermitteln davon einen ungefähren Eindruck. tionsdankspende als Teil der Kriegspropagan- Reformation entschieden abgelehnt hätte. Wenn man die Kriegslage in Deutschland und da sozusagen. Möglicherweise sollten auch Gleichwohl wird Luther schon zu Lebzeiten in Europa Ende 1917 bedenkt, berührt einen die volksmissionarische Bestrebungen und soziale allen möglichen Variationen abgebildet und Rede „von der Weltmission des Deutschtums“ Hilfsprojekte unterstützt werden. propagandistisch ausgewertet. In der Sakris- etwas merkwürdig. , der spätere Weil in dem Aufruf, der von vielen, die in Heil- tei der Kilianskirche hängt eine Kopie des be- Bundespräsident, war seit 1912 Chefredak- bronn Rang und Namen hatten und sich mit rühmten Cranachportraits neben dem seiner teur der liberalen Neckarzeitung in Heilbronn. der Evangelischen Kirche verbunden fühlten, Ehefrau . Und in der Neckargartacher Kirche ist Politisch stand der überzeugte Demokrat dem unterzeichnet wurde, die „allgemeine Opfer- ein Großportrait Luthers zu sehen, das direkt sozialliberalen Friedrich Naumann nahe. Sie- willigkeit“ angesprochen wird, muss daran er- auf die Kirchenwand gemalt wurde. Es wur- geszuversicht und Nationalismus kommen innert werden, dass Politik und Gesellschaft in de erst 1954 wieder entdeckt und freigelegt; während des Ersten Weltkriegs in vielen seiner Deutschland auf einen langen Krieg überhaupt Maler und Auftraggeber sind nicht bekannt, Leitartikel vor. Heuss war wegen einer Armver- nicht vorbereitet waren. Unzählige Sammel- auch nicht der Zeitpunkt der Entstehung (ver- letzung vom Militärdienst freigestellt und er- und Spendenaktionen sollten dazu beitragen, mutlich 18. Jahrhundert beim Neubau des füllte seine vaterländische Pfl icht gewisserma- den Krieg und seine Folgekosten zu fi nanzie- Kirchenschiffes). Der auffallende Schwan zu ßen am Schreibtisch. ren. Das meiste erfolgte über Krieganleihen, Füßen Luthers ist eine Anspielung auf einen Über die Erwartung des Dekans, der Weltkrieg d.h. über Schulden. Vieles wurde privater Initia- angeblichen Ausspruch von Johan Hus (tsche- werde die konfessionelle Kluft in Deutschland tive überlassen. chisch = Gans), der auf dem Konstanzer Konzil verkleinern, kann man streiten. In weiten Be- Im Vergleich mit der nationalen Überhöhung 1415 als Ketzer verurteilt und verbrannt wurde völkerungskreisen war eher eine Abkehr von und politischen Instrumentalisierung Luthers und gesagt haben soll: „Heute bratet ihr eine Kirche und Christentum die Folge. Auffallend und der Reformation in der ersten Hälfte des Gans; aus meiner Asche wird in 100 Jahren ein ist, wie der Kirchenvertreter versucht, Luthers 20. Jahrhunderts liest sich die Bekanntma- Schwan erstehen, den werdet ihr ungebraten religiöse und nationale Wirkung zu verbinden chung zu seinem 300. Todestag 1846 (A 8) lassen.“ und die Konfessionsspaltung der „undeut- wohltuend bescheiden. Es geht um die Ankün- schen“ Politik Kaiser Karls V. anzulasten. digung eines Gedächtnisgottesdienstes und

Reformation in Heilbronn 23 A 9 Jubelfeiern der Reformation 1617 – 1817

Mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 1634 Eroberung der Stadt durch die Kaiser- 1 In der katholischen Kirche seit 1300 jedes 50. waren die Konfessionskämpfe keineswegs be- lichen; 1647 – 1650 Heilbronn in den oder 100. Jahr, in dem ein besonderer Ablass endet. In Heilbronn ziehen sich die Auseinan- Händen der Franzosen erreicht werden konnte. Das ‚Jubeljahr’ 1600 dersetzungen mit dem Bischof von Würzburg wurde von der wiedererstarkten katholischen wegen „Kirchengefälle und Pfründen“ bis 1596 1648 Die Segnungen des Friedens brechen für Kirche mit besonderem Prunk begangen. Das hin. Auch mit dem Deutschen Orden gab es die vielgeprüfte Stadt noch nicht an. evangelische Jubeljahr 1617 ist gewisserma- immer wieder Streitigkeiten. Während des ßen die Antwort darauf. Dreißigjährigen Kriegs (1618 – 1648) kam es 1717 28.- 31. Oktober Feier des evang. Jubel- 2 Erlass des Kaisers von 1629, wonach alle seit zu Rückforderungen von Seiten der Klöster, festes der Reformation. Die Hauptpredigt 1552 von den Protestanten eingezogenen Heilbronn wurde belagert, von schwedischen hält Pfarrer Schubert(...) Die Stadt lässt Stifte und Kirchengüter den Katholiken und französischen Truppen besetzt. Diese hier in Nürnberg Erinnerungsmedaillen auf zurückerstattet werden sollten. Außerdem nur angedeuteten Vorgänge beeinfl ussen auch dieses Fest prägen.3 wurde den katholischen Reichsständen die ‚Erinnerungskultur’ dieser Zeit, wie aus erlaubt, ihre Untertanen zu rekatholisieren. folgenden Einträgen der Heilbronner Chronik 1730 Jubelfeier der Übergabe der Augsburger 3 Siehe A 10. 1719 ist ein umfangreiches Werk hervorgeht. Konfession mit zahlreichen Predigten erschienen, das sämtliche Festlichkeiten zum und Abendmahl Jubiläum 1717 im Reich aufzeichnet. Über Heilbronn heißt es: „So bezeigte auch die 1617 Den 2. Juli ist das evangelische Jubeljahr1 1817 31. Oktober. Jubelfeier der Reformation, Freie Reichsstadt Heilbronn ihre Schuldigkeit gehalten worden, da man in allen Kir- worauf eine silberne Münze von Peter gegen Gott, und feierte solches Fest nicht chen Gott gedankt. Bruckmann geprägt wird. Kirchgang der allein aufs solenneste zwei Tage hinterein- Honoratioren vom Rathaus aus. ander, sondern ließ auch zum Andenken des 1628 8. April. Es soll in den Kirchen das Lied Auf einer kolorierten Lithografi e aus dem anderen Evang. Jubiläums folgende Me- „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ Jahr 1817 ist vermerkt: „den 31. Oktober daillen (...) ans Licht stellen(...)“. Vgl. Hubert allweg gesungen werden, wenn es auch wurde auch das 3. Reformations- oder Weckbach, Reformationsjubiläum anno 1717 den Papisten in die Augen sticht. Jubelfest gefeiert. Welches alle hundert in Heilbronn. In: Schwaben und Franken, Jahre gefeiert wurde. Welches das 3. Februar 1981 1630 Die Stadt feiert das Jubelgedächtnis der Saeculo war. Und haben dabei die Schul- Übergabe der Augsburger Konfession. kinder Denkmunz erhalten.“ Den ersten November hat man ange- fangen, das erstemal die große Glocke um 12 Uhr zu läuten, weil die Papisten sehr rumorten wegen des vom Kaiser erlassenen Restitutionsedikt.2

24 Reformation in Heilbronn A 10 Gedenkmünzen und Medaillen

Erläuterungen

1. die lateinische Umschrift lautet: Manat adhuc saliens fonte salutis aqua. Übersetzt: Das Heilwasser ( möglicherweise Wortspiel: das Wasser des Heils) fl ießt bis heu- te aus diesem Springbrunnen. (Anspielung auf den Ortsnamen Heilbronn = Brunnen des Heils und den abgebildeten Siebenröhrenbrunnen). Der Satz wurde von einem Lateinlehrer am Städtischen entworfen und in dem klassischen Versmaß eines Pentameters abgefasst. Wenn man die Großbuchstaben im Original genau betrachtet, sieht man, dass diejenigen Buchstaben, die auch als lateinische Zahl gelesen werden können, größer sind und zusammengezählt die Jahreszahl 1717 ergeben. MANAT ADHVC SALIENS FONTE SALVTIS AQVA [ M=1000, D = 500, V =5 ; C =100, L = 50, I =1] 1 Andere Seite der Medaille: Mem(oriae) Jubilaei II( secundi) Heilbr.(onnensis) d.h. zweites Jubelfest der Reformation - unter Verwendung der alten Tradition, nur alle hun- dert Jahre ein „Jubiläum“ zu begehen.

2. Abb. D.(oktor) Martin Luther; Eine feste Burg ist unser Gott (dieser von Luther verfasste Choral gilt als Kampfl ied der Reformation); unter der Abbildung der Wartburg: drittes Jubelfest der Reformation. Heilbronn 1817

3. Auf der Vorderseite ist der Heilbronner Reformator Lachmann abgebildet – in Gestalt einer Steinfi gur am heutigen Käthchenhaus- Erker, die den Propheten Habakuk darstellen soll(vgl. C 1). Die Rückseite zeigt das Wappen der Reichs- stadt, gehalten von zwei Engeln. Original an einem Pfeiler der Kilianskiche neben der Kanzel.

1 Diese Hinweise stammen von meinem Kolle- gen Klaus Dieter Bihrer, ehemals Lateinlehrer am Robert- Mayer-Gymnasium Heilbronn.

Reformation in Heilbronn 25 Baustein B „Eine neue Ordnung nach dem Winkelmaß des Glaubens“ – die Einführung der Reformation in Heilbronn 1528 - 1531

Dieser Baustein befasst sich mit der forma- Was den neuen Glauben inhaltlich ausmacht, Weil die Originaltexte selbst in normalisierter len (rechtlichen) Einführung der Reformati- lässt sich aus Gräters Catechismus von 1528 Form heutigen Lesern nicht mehr zuzumuten on in Heilbronn sowie mit ihrer theologischen herausarbeiten (B2), der in dem damals be- sind, wurden die ausgewählten Passagen ver- Grundlegung und reichsrechtlichen Absiche- liebten Frage- Antwort- Verfahren abgefasst einfacht, in modernes Deutsch übertragen und rung. Wie der Baustein A gezeigt hat, ist die Er- ist. Die Vermittlung der Kernelemente des neu- mit Erläuterungen versehen. Dennoch stellt innerung auf exakte Daten und bekannte Per- en Glaubens ist eine beachtliche Leistung Grä- dieses Kapitel hohe Anforderungen, die ohne sonen angewiesen, mit deren Hilfe komplexe ters, weil sein Katechismus noch vor demje- zusätzliche Hilfen vermutlich nicht bewältigt Ereignisse und langwierige Prozesse verankert nigen von Martin Luther erschienen ist und werden können. Nur bei der Vorstellung Hans werden können. somit einen eigenständigen Beitrag Heilbronns Riessers (B7) sind optische Hilfen möglich, Für die Reformation in Heilbronn sind dies die zur Reformation darstellt. wenn auch die Abbildung Riessers auf dem Jahre 1528 (Zulassung des Abendmahls in bei- Lachmann ist ein überzeugter „Lutheraner“, Weißenburger Gemälde sicher nicht realistisch derlei Gestalt – B1) und 1530 (Beschluss des sein Glaubensverständnis lässt sich am ehesten ist. Wichtiger ist die Darstellung der Kernele- Rats und Befragung der Bürgerschaft „beim in der von ihm verfassten umfangreichen mente des evangelischen Glaubens (Abend- Wort zu bleiben...“ B4 +B8). Die maßgeblichen Rechtfertigungsschrift des Rats für den Kai- mahl, Predigtgottesdienst, Unterweisung) in Personen sind Hans Lachmann, der die theo- ser auf dem Augsburger Reichstag greifen der rechten Bildhälfte, die sich so ähnlich in logische Grundlegung der Reformation lie- (B3). Entscheidend ist die mehrfach wiederhol- vielen Gemälden der Zeit fi ndet. In einer spä- fert, sowie Hans Riesser, der für die politische te Überzeugung, keine „Neuerung“, sondern teren Abbildung wird Heilbronn neben andere Absicherung nach innen und außen verant- nur eine Wiederherstellung des alten, wahren Reichsstädte, die das Augsburger Bekenntnis wortlich ist ( B6 +B7).Ihm sind die entspre- Glaubens vorgenommen zu haben, wie er in unterschrieben haben, gestellt - in betonter chenden Ratsbeschlüsse zu verdanken, die der Bibel überliefert und bezeugt sei. Weil Kai- Nähe zu Luther! hier dokumentiert werden. Er vertritt auch die ser und Papst bis jetzt jede Reform verhindert Reichsstadt Heilbronn auf den entscheidenden haben, müsse die städtische Obrigkeit gemäß 1 Damit ist der Zusammenschluss der Fürsten und Städ- Reichstagen und Bundesversammlungen des dem erkannten göttlichen Willen selbst han- te der Augsburger Konfession gemeint (1531 –1546). Schmalkaldischen Bundes.1 deln und der Gewissensverwirrung ihrer Un- Heilbronn trat mit Rücksicht auf den Kaiser und die tertanen Einhalt gebieten: „nachdem wir die Habsburger Herrschaft im benachbarten Württem- unleugbare göttliche Wahrheit erkannt, haben berg erst 1538 bei. 1546 entscheidende Niederlage des wir uns genötigt gesehen, den Zorn Gottes zu Bundes gegen Kaiser Karl V. Zu den Mitgliedern im ein- vermeiden, Friede und Einigkeit herzustellen zelnen siehe beigefügte Karte. und eine neue Ordnung aufzurichten“.

26 Reformation in Heilbronn Protestantische Territorien und Reichsstädte 1531

Karte aus: Glaube und Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit. Ausstellungskatalog 2004. S. 118 Reformation in Heilbronn 27 B 1 „...das Abendmahl in beiderlei Gestalt christlich reichen“

aus der Ratsverkündigung Es geht also um die Sonderstellung der Pries- iese theologischen Erläuterungen müssen noch von Anfang Mai 1528 ter oder um das „allgemeine Priestertum der durch einen Verweis auf Max Weber ergänzt Gläubigen“, und damit um das Verständnis von werden. Dieser hat in seinen Untersuchungen Wir, Bürgermeister und Rat der Stadt Heil- Kirche allgemein. Luther hat bekanntlich das zur mittelalterlichen Stadt deren wesentliche bronn, tun kund jedermann, dass wir im Sakrament der Priesterweihe als nicht biblisch Neuerungen im Blick auf die Gegenwart her- ganzen Rat und Großer Versammlung be- verworfen, während die ‚alte’ (katholische) Kir- vorgehoben: Trennung von privater und öf- schlossen, das Abendmahl, so wie es zu Wit- che bis heute darauf beharrt, dass nur sie und fentlicher Sphäre, Privateigentum an Grund tenberg, Nürnberg, Nördlingen und mehr Städ- die geweihten Priester die allein gültige Kirche und Haus und das damit verbundene Erwerbs- ten des Reichs christlich gehalten und gereicht Jesu Christi verkörpern und die Eucharistie fei- leben, Selbstverwaltung der rechtlich gleichen wird, auch reichen zu lassen und jetzund einen ern dürfen. Bürger durch Magistrate und Gerichte. Und Priester zu bekommen, der sich erbietet, das schließlich „das im gemeinsamen Abendmahl Abendmahl in beiderlei Gestalt zu reichen, da- Die Abendmahlsfrage trennt bis heute die Pro- erlebte und gepfl egte Gottesverhältnis dieser neben auch die Kranken, so seiner begehren, testanten von den Katholiken: die katholische Bürger“, die Selbstvergewisserung der Bürger zu trösten und mit dem Abendmahl Chris- Kirche untersagt ihren Mitgliedern die Teilnah- im Rückgriff auf die Schrift. Das Abendmahl ti zu versehen, auch am Sonntag abends nach me am evangelischen Abendmahl – ebenso in beiderlei Gestalt gehört also zur horizonta- der Vesper die Kinderlehr zu predigen und zu wie sie Mitgliedern anderer Konfessionen die len Grundstruktur der städtischen Bürgerge- halten; dieser [Priester] wird auf nächstkom- Teilnahme an der katholischen Eucharistie ver- sellschaft im Gegensatz zur vertikalen (hierar- menden Donnerstag [7. Mai] morgens nach bietet. chischen) der Adelsgesellschaft. der Predigt das Abendmahl in beiderlei Gestalt In diesem Zusammenhang muss darauf hin- christlich reichen und am Abend davor dieje- gewiesen werden, dass die Abendmahlsfrage nigen, so sich dessen teilhaftig machen wol- auch innerhalb der protestantischen Konfessi- 1 Heiko Oberman, Luther. Mensch zwischen Gott und len, verhören und unterweisen und auch einen onen lange umstritten war. Nach lutherischer Teufel. 1981, S.247 christlichen Sermon und Vermahnung tun. Auffassung ist Christus in den Elementen Brot 2 In Anlehnung an einen Artikel von Reinhard Mawick und Wein real zugegen, die Reformierten in in: chrismon 11/2009, S. 23 Urkundenbuch der Stadt Heilbronn, der Tradition Zwinglis und Calvins sehen dage- Bd. 4, S. 418 gen im Abendmahl ein reines Gedächtnismahl. Seit 1973 ist dieser Streit in der Leuenberger Erläuterungen Konkordie beigelegt worden. Die protestan- Wie kann den heutigen Lesern, denen die Re- tischen Konfessionen laden sich gegenseitig formation als Ganzes fremd geworden ist und zum Abendmahl ein, weil sie davon überzeugt die möglicherweise der Kirche insgesamt fern sind, dass nicht die einheitliche Auffassung des stehen, die Bedeutung dieser Ratsverkündung Mahls entscheidend ist, sondern der Glaube, verständlich gemacht werden? Vielleicht hilft dass Jesus Christus selbst der Einladende ist, der Hinweis weiter, dass mit diesem und dem der alle bestehenden Differenzen im Verständ- 1531 folgenden Beschluss, „die päpstliche Mes- nis des Mahls aufhebt.2 se abzuschaffen“ (B 8), eine jahrhundertealte kirchliche Tradition beendet wird. Innerhalb von drei Jahren erfolgte die Einführung einer „neuen Ordnung nach dem Winkelmaß des Glaubens“, so wie ihn Lachmann und Luther verstanden und vertreten haben. Das Verständ- nis des Abendmahls ist dabei der Kernpunkt: „die Offenlegung der Abendmahlsposition macht deutlich, wo man stehen wollte: auf der Seite der privilegierten ‚Großen Hansen’ und ihren Pfaffen oder in der Reihe der im Glauben geeinten Bürger“. 1

28 Reformation in Heilbronn B 2 „Was ist die Tauf? Was ist der Glaube?“ aus: Kaspar Gräter, Catechesis oder Unter- Frag: Glaubst du auch, dass das Brot des Was 1528 für Kinder geschrieben und gedacht richt der Kinder wie er zu Heilbronn gelehrt Nachtmahls und der Wein der Leib und das war, müsste eigentlich auch heutigen Lesern und gehalten wird (1528) wahrhaftig Blut Christi sei? Antwort: warum unmittelbar verständlich und einleuchtend sollt ich’s nit glauben, da es doch der sagt, der sein. Gleichwohl werden einige Passagen aus weder lügen noch trügen kann. Ich glaube es einer wissenschaftlichen Abhandlung als Ver- gänzlich, nit des Brots und Weins halben, son- ständnishilfe zitiert: dern des Worts halben, welchs von dem Brot „Indem der Glaube als Vertrauen und Zuver- zu mir gesagt wird: Das ist mein Leib usw. sicht bestimmt wird, ist ein Verständnis des Frag: Sagen aber nit etlich, man müss diese Glaubens abgewehrt, das in ihm nur einen in- Worte anders verstehen? Antwort: Die laß ich tellektuellen Akt des Für- Wahr- Haltens sieht. sagen und glossieren, bis sie müd werden. Ich Er ist Hinwendung der ganzen Person zu Gott weiß, dass Christus die Wahrheit ist, und alle und ohne Liebe nicht zu denken. Luther be- Menschen Lügner Römer 3,4. So ist das Wort tont immer wieder, dass aus diesem lebendigen klar und hell genug, bedarf keines Glossie- Glauben die guten Werke der Nächstenliebe rens, von welchem Wort, einfältig geglaubt, freiwillig hervorquellen(...). Der Mensch wird niemand mag betrogen werden. Davon würde durch gute Werke nicht vor Gott gerecht, aber ich mich (wenn Gott will) von niemand lassen der von Gott Gerechtfertigte kann nicht anders abtreiben. Ich steh in meim Vorteil: treibt man als gute Werke tun.(...) mich heraus, so hab ich verloren. Angesichts der oft vertretenen These, daß Lu- Frag: Was soll einer tun, nachdem er zum ther von kaum einem seiner Anhänger wirklich Nachtmahl gangen ist? Antwort: Er soll recht verstanden worden ist und dass die reforma- leben, wie einem Christen und Sohn Gottes torische Bewegung in den deutschen Landen gebührt, denn es muß hierin gehen nach dem mit seiner theologischen Entdeckung der Ge- gewöhnlichen Sprichwörtlein: „Des Brot ich rechtigkeit aus Glauben herzlich wenig zu tun eß, des Liedlein ich sing“. Nun wir in dem hatte, ist hervorzuheben, dass die Reformation Nachtmahl von des Herrn Tisch, darum gebührt in Heilbronn von Männern getragen worden es sich auch, dass wir uns nach des Herren ist, die die Mitte christlicher Freiheit mit Luther Frag: Bist du auch ein Christenmensch? Ant- Willen schicken und sein Liedlein singen. als die befreiende Kraft der göttlichen Zusa- wort: Ja, ich bin einer. Frag: Welches ist sein Liedlein und Will? Ant- ge ausgelegt haben. ‚Die Schrift allein’ – diese Frag: Woher weißt du es? Antwort: Aus der wort: Er will, Johannes 13.34, dass wir einander Formel hat in Heilbronn immer den Sinn: allein Tauf, durch welche wir in die Güter und Pos- lieben, wie er uns geliebt hat. Wo solche gött- im äußeren, gepredigten Wort erreicht uns das seß [Besitz] Christi gesetzt und zu Bürgern des liche Lieb ist, hört Neid, Haß, Empörung, eige- rechtfertigende Handeln Gottes.“1 Himmelreichs angenommen werden. ner Nutz auf. Da geht es an das recht Almo- Frag: Was ist die Tauf? Antwort: Ein neu Ge- sen, das recht Fasten und das recht inbrünstig Weil in dem Auszug auch die Abendmahlsfrage burt und Wasserbad durchs Wort Gottes, Eph. Gebet gegen Gott, dass er ihn in seiner Gnad angesprochen wird (vgl. B 1), sei auf die enge 5, 26 erhalten wolle, nach seinem göttlichen Willen Anlehnung an Luthers Verständnis des Abend- Frag: Was ist Not zum Vordersten, einem jeden und Befehl zu leben. mahls hingewiesen. „Luther weigerte sich Getauften zu wissen? Antwort: Drei Ding. Das grundsätzlich, Gottes Anordnung im Abend- erst: Daß er wisse, was er tun und lassen solle, Aus: Lesebuch zur Geschichte der Evangeli- mahl mit rationalen Argumenten stichhaltig zu welches ihm anzeigen die zehn Gebot. Das an- schen Landeskirche, Stuttgart 1992, S.191- begründen. Die leibliche Speise sollen wir nicht der: Daß er wisse, worin solchs Tun und Lassen 192, mit Ergänzungen aus anderen Ausgaben. begreifen, sondern gehorsam ergreifen(...) Das bestehe, das lehret ihn der Glaub. Das dritt: Wunder des Abendmahls kann ausgesagt und Durch welche Mittel er zum Glauben komme, Erläuterungen zu B 2 bedacht, aber nicht ergründet werden(...)“2 das fi ndet er im Gebet. Luthers Taufverständnis, dem Gräter hier folgt, Frag: Was ist der Glaube? Antwort: Der Glaube Der Verfasser, Kaspar Gräter, kam 1527 auf ist auch im Hinblick auf die Mönchsorden und ist ein wahrhaftiges, herzliches Vertrauen auf Empfehlung von nach Heil- Mönchsgelübde wichtig: nur mangelndes Ver- die Zusage Gottes allein, die uns durch Chris- bronn und war bis 1534 Lateinschulmeister, trauen in die Taufe bringt Gelübde und Orden tus Jesus gegeben ist, oder eine lebendige Zu- später Hofprediger in Stuttgart. Er war neben hervor. Die Aufl ösung der Klöster ist deshalb versicht in die Barmherzigkeit Gottes, uns ver- Lachmann maßgeblich an der Einführung der zwingende Folge dieses Bibelverständnisses. heißen und reichlich erzeigt in Christus Jesus. Reformation in Heilbronn beteiligt. Sein um- Im Ende des Mönchtums und der Klöster (vgl. Frag: Werden wir durch den Glauben fromm fangreicher, noch vor Luthers Kleinem Kate- Baustein D) wird heute übereinstimmend eine und selig, wozu bedürfen wir dann der Werke? chismus entstandener Katechismus ist in die der wichtigsten Auswirkungen der Reformati- Antwort: Viel, denn durch die Werke der Liebe typischen Frage- Antwort- Form gekleidet, die on gesehen. gegenüber dem Nächsten wird der rechtschaf- auf die Situation des Abhörens und Prüfens fende Glauben im Menschen angezeigt wie ein zielt. guter Baum durch seine Früchte (...) In der Verbindung von theologischen Aussa- 1 Bernd Hamm, Die Schrift allein – allein aus Glauben. Frag: Welches sind die Werke, die aus dem gen und praktischen Handlungsanweisungen Die Botschaft der Reformation. In: 450 Jahre Reforma- Glauben fl ießen? enthält der Text die Kernelemente des neuen tion in Heilbronn. Ausstellungskatalog 1980, S. 30 Antwort: Die Werke der Liebe, als da sind: den Glaubens, der sich in einer gott- und schrift- 2 Obermann a.a.O. S.258 Nächsten kleiden, den Hungrigen speisen, den gemäßen Lebensführung äußert. Er folgt dem Durstigen tränken u. dgl., von welchen Christus klassischen Dreischritt von hören- verstehen- redet Math.26, Jesaias 55 (...) handeln. Frag: Woraus kommt der Glaube? Antwort: Aus dem Gehör durchs Wort Gottes, Römer10, daraus man abermals merkt, dass kein Werk gut sein möge, es werde denn durch Gottes Wort uns zu tun empfohlen (...) Reformation in Heilbronn 29 B 3 „...in Sachen des Glaubens eine neue Ordnung und Änderung“

aus der Verantwortung Heilbronns vor Untertanen nicht verwirrt werden, wenn in der Singen teilt der Prediger den Segen aus.(...) Kaiser Karl V. auf dem Reichstag zu Kirche in der Praxis und im Gottesdienst nicht Nachmittags hält er wieder eine Predigt (...) 1530 eingehalten wird, was die Lehre und das Wort weil e.k.mt. verordnet hat, das hl. Evangelium ausweisen. (...) ohne menschlichen Zusatz klar zu predigen, Vorbemerkungen: wie bei uns geschehen. (...) Kaiser Karl V. wollte auf dem Reichstag zu Aug- Warum die Messe ein Gräuel vor Gott ist (...) sburg 1530 den Glaubensstreit im Reich beile- zum ersten durch die Hinzufügungen der Men- Warum wir nicht auf ein künftiges Konzil war- gen. In seiner Einladung an die Reichsstände schen ten konnten erklärte er sich bereit, „eines jeden Gutbedün- zum zweiten wegen des Opfers Hätten wir noch länger mit der christlichen ken, Opinion und Meinung“ anzuhören. Dazu zum dritten durch Anbeten und Suchen in der Neuordnung gewartet, so wäre das ewige Wort dient die folgende Schrift: von Hans Lachmann Messe, wo doch Gott allein in seinem ewigen für eine Fabel gehalten worden, deshalb schien im Auftrag des Rats der Stadt verfasst, war sie Wort gesucht werden soll es uns nicht geziemend, länger still zu halten zugleich Glaubensbekenntnis und Rechtferti- zum vierten, weil sie in fremder unverständli- und das göttliche Wort zu verkleinern, haben gung der kirchlichen Neuordnung in Heilbronn. cher Sprache [gehalten wird]. doch e.k.m. selbst zugestanden, dass man das Der Gesandte Heilbronns auf dem Augsburger Auch der hl. Paulus lehrt (Römer 12, 1.Korin- göttliche Wort nicht nur predigen, sondern Reichstag, Bürgermeister Riesser, hat die Schrift ther 2, 2.Korinther 10, 12, 13) wenn man in der auch danach leben und handeln soll, wie auch dem Kaiser wohl nicht überreichen können. Kirche zusammenkommt, soll man miteinander der hl. Paulus in 1. Korinther 4 schreibt: das Heilbronn schloss sich vielmehr dem von Me- reden durch Psalmen, Lobgesängen, zur Erbau- Reich Gottes besteht nicht aus Worten, son- lanchthon verfassten Glaubensbekenntnis – der ung und zum Trost der ganzen Versammlung. dern in der Kraft oder Tat.(...) confessio - an, die schon drei Wochen zuvor Demgegenüber ist die Messe ein Gräuel, da dem Kaiser im Auftrag zahlreicher Reichsstände alles in fremder latein. Sprache ohne Erbau- Nach allem, gnädigster Kaiser etc. trösten wir übergeben worden war. ung geschieht, in prächtigen Ornaten, mit de- uns damit, dass e.k.mt. aus der Anzeige unserer Der „allergnädigste Kaiser“ und „eure kaiserliche nen man sich bekleidet hat und Anerkennung Beweggründe bemerken, das unsere Trennung Majestät“ werden in der Heilbronner Schrift un- sucht, während man den Tod des Herrn ver- von der hl. Christlichen Kirche nicht aus Unge- mittelbar angesprochen, weil die Verfasser (in kündigen und die Erlösungstat Christi predi- horsam, Abfall oder Widerspenstigkeit gegen falscher Einschätzung der Rolle des Kaisers) in gen sollte, um uns an die brüderliche Liebe un- e.k.m. als unserer natürlicher Obrigkeit gerich- ihm einen neutralen Schiedsrichter im Glau- tereinander zu erinnern. (...) So spricht Paulus tet ist. Denn wir bezeugen bei unserem See- bensstreit sehen. Karl V. sah aber die von den (Römer 4.): er ist gestorben um unserer Sün- lenheil, dass wir nichts anderes suchen und evangelischen Reichsständen vorgelegte Con- de willen. Hier haben wir das klare Wort, dass von Gott Erhörung erhoffen, als seine göttliche fessio durch die katholische Confutatio als wi- Christus unsere Sünden schon getragen hat Ehre, Preis, Lob und Heiligung seines Namens derlegt an. und nicht, dass er sie noch tragen werde in der (...) Desgleichen soll bei uns in der Kirche eine Der folgende Textauszug ist gekürzt und Messe. Wer in der Messe opfern will, bekennt göttliche Ordnung und unter unseren Unter- sprachlich vereinfacht. öffentlich und glaubt, dass Christus am Kreuz tanen eine gute christliche Verwaltung, Friede nicht genug bezahlt habe – das aber ist ein und Einigkeit [herrschen] und wir dem Zorn Allerdurchlauchtigster, großmächtiger Fürst Gräuel und eine Lästerung. (...) Gottes entfl iehen.(...) und Herr. Eure kaiserliche Majestät geruhen Ist nun ein Leib, ein Haupt, ein Geist, ein Herr, E.k.mt. und des Hl. Reichs untertänigste und gnädiglich zu vernehmen...dass wir in etlichen ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater, der gehorsamste Bürgermeister und Rat der Stadt Sachen des Glaubens eine neue Ordnung und über uns ist, so soll keine Trennung oder Un- Heilbronn. Änderung vorgenommen [haben]. Doch wir terschied gemacht werden im Empfang des Sa- haben nichts unternommen, was wir nicht ge- kraments. (...) genüber e. kay. mt. (= eure kaiserliche Majes- tät) als einem christlichen Kaiser auf grund Allergnädigster Kaiser, wie es nach göttlichem des göttlichen Worts glauben verantworten zu Wort in unserer Kirche geordnet wurde, geruhe können. e.k.m. gnädig zu vernehmen. Christus hat gesagt (Lukas 11): „Der Knecht, Das hl. Abendmahl wird allgemein alle 14 Tage der den Willen des Herrn weiß und den nicht gehalten nach den Einsetzungsworten Christi. tut, der wird mit viel Schlägen getroffen“(... ) Am Samstag Abend läutet eine Glocke und er- Um den großen Zorn Gottes zu verhindern mahnt, sich auf das hl. Abendmahl vorzuberei- nach Erkenntnis seiner Wahrheit und seines ten zur Besserung des Lebens (...) Willens, auch [um] Gnade und Friede zu errei- Am Sonntag singt man einen Psalm, die chen, haben wir eine neue Ordnung nach dem Schüler im Chor in Latein, damit das Latein Winkelmaß seines göttlichen Worts aufgerich- in Übung bleibt, das gemeine Volk deutsch. tet – in der untertänigsten und tröstlichen Zu- Danach Predigt eine Stunde, nach der Pre- versicht auf e.k.mt. als eines christlichen Herr- digt bekennt man den Glauben (latein und schers und Oberherrn auf Erden, dem wir auch, deutsch),danach wendet sich der Prediger mit was unser Leib und Gut betrifft, gehorsam un- seinen zwei Diakonen an das Volk [die Gemein- tertan bleiben werden.(...) de], verkündigt den Tod Christi, was man su- Weil aber e.k.m. ein Mandat verkünden ließ, chen soll im Abendmahl (...) Danach spricht der das klar und deutlich beinhaltet, dass das rei- Prediger die Worte Christi über das Brot und ne Wort Gottes nach der Hl. Schrift gepredigt den Wein und dann reichen die Diakone das werden soll, was wir unseren Predigern mit Sakrament vor dem Altar denen, die es begeh- Nachdruck eingeschärft haben, so haben wir ren, zunächst den Frauen, dann den Männern. es für nötig gehalten, das Evangelium nicht Danach singt man den Lobgesang Gottes (...), allein ein bloßes Wort sein zu lassen, sondern danach wendet sich der Prediger wieder an die ihm auch in der Lehre und Ermahnung in der Gemeinde, ermahnt sie, an die Guttat Christi Kirche Raum zu geben, damit die Gewissen der zu denken und einander zu lieben. Nach dem

30 Reformation in Heilbronn B 3 Erläuterungen

Nach alter Tradition war Kaiser Karl V. zu- Im einzelnen muss noch der Widerspruch zwi- Die einzelnen Maßnahmen (Abschaffung der gleich „Vogt der Kirche“; als „oberster Vogt der schen den Gehorsamsbezeugungen gegenü- Messe, Verständnis der Sakramente usw.) kön- Christenheit“ und „Schützer des Glaubens“ ber dem Kaiser und der (eigenmächtigen) Um- nen hier nicht kommentiert werden. Wichtig ist bezeichnet ihn der päpstliche Gesandte auf gestaltung der kirchlichen Verhältnisse erklärt vor allem der Schlüsselsatz, der den Kern des dem Augsburger Reichstag 1530. Deshalb ist werden. Das hängt mit der Doppelrolle des neuen Glaubens enthält und aus dem alles an- er auch befugt, in die Auseinandersetzungen Rats der Stadt zusammen, der einerseits dem dere abgeleitet werden kann: um den Glauben einzugreifen, obwohl deren Kaiser „als unserer natürlichen Obrigkeit“ Ge- „Ist nun ein Leib, ein Haupt, ein Geist, ein Herr, Regelung eigentlich Sache des Papstes und horsam schuldet, andererseits aber selbst Ob- ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater, der eines Konzils wäre. Da aber letzteres nicht zu- rigkeit für seine (städtischen) Untertanen ist über uns ist, so soll keine Trennung oder Un- stande kommt und der Papst sich als relativ und für „eine gute christliche Ordnung“ in der terschied gemacht werden im Empfang der Sa- handlungsunfähig erweist, werden seit 1521 Stadt Verantwortung trägt. Deshalb hat der Rat kramente...“. in Worms Glaubensfragen auf dem Reichstag eine „neue Ordnung nach dem Winkelmaß des verhandelt (z.B. Reichsacht gegen Luther im göttlichen Worts“ aufgerichtet und alles be- Wormser Edikt). Auf einem Reichstag in Speyer seitigt, was dem „reinen Wort Gottes nach der 1526 wurde den Reichsständen zugestanden, Heiligen Schrift“ widerspricht. Grundsätzlich „mit ihren Untertanen also leben, regieren und hat Lachmann wie die anderen evangelischen sich halten, wie ein jeder solches gegen Gott Reichsstände darauf geachtet, die getroffenen und kaiserliche Majestät hofft und vertraut zu Änderungen als Abstellung von Missbräuchen verantworten“. Diese Formulierung nutzen die zu begründen und die Glaubenseinheit mit der Anhänger des neuen Glaubens für die Umge- alten Kirche nicht in Frage zu stellen. Allerdings staltung der kirchlichen Verhältnisse; 1529 auf spricht er deutlicher von „Neuordnung“ und dem 2. Reichstag in Speyer „protestieren“ sie „Trennung“ als die von Melanchthon verfasste gegen einseitige Beschlüsse des Reichstags in Confessio, die jede Schärfe vermeidet. Deshalb Religionssachen. Heilbronn schließt sich der werden auch entscheidende Konfl iktpunkte wie Speyrer Erklärung und später auch dem Bünd- die Rolle des Papstes oder die Heiligenvereh- nis der Protestanten gegen den Kaiser an. rung gar nicht angesprochen, obwohl Luther Diese Hintergrundinformationen sind unent- hierzu eindeutig Stellung bezogen hat. behrlich für das Verständnis der Heilbronner Vorgänge und ihrer Rechtfertigung in der vor- liegenden Schrift.

Reformation in Heilbronn 31 B 4 „Leib und Gut setzen in besonderem Vertrauen gegen Gott“

Nachdem auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 die erhoffte Anerkennung der evan- gelischen Konfession ausbleibt und den An- hängern des Augsburger Bekenntnisses die kaiserliche Ungnade droht, kommen am 18. November in Heilbronn beide Räte zusam- men, um sich bedingungslos zum neuen Glauben zu bekennen. Die Ratsmitglieder geloben und schwören Mann für Mann die- sen Eid: „Es solle ein jeder geloben und schwören, was Stadt und Rat im Blick auf das Evangelium angehe, bei der Mehrheit bleiben, Leib und Gut daransetzen und nach bestem Vermögen zum Nutzen der Stadt handeln.“ Von den 52 Mitgliedern beider Räte fehlen bei dieser wichtigen Abstimmung zehn – als Gegner des neuen Glaubens sicherlich mit Absicht. Mit Ausnahme von Altbürgermeis- ter Konrad Erer holen sie allerdings wenig später – zweifellos in der Erkenntnis, dass sich der Sieg des neuen Glaubens nicht auf- halten lassen wird – den Eid nach. Um auch der Bürgerschaft sicher zu sein, lässt ihr der Rat am 24. November die Fra- ge vorlegen, ob sie in der Stunde der Gefahr beim Evangelium bleiben und zum Rat ste- hen wolle. Über diese Befragung schreibt der Rat zwei Tage später nach Weissenburg: Er habe die Gemeinde in vier Haufen geteilt, beisam- men gehabt und ihr den Reichsabschied von Augsburg vorlesen lassen. Darauf ha- be er sie „gut und willig gefunden, das sie bei dem Wort Gottes, dem Evangelium und uns bleiben wollen, Leib und Gut setzen in besonderem Vertrauen gegen Gott, dass er seine Gnade und Hilfe mitteilen werde und dass wir bis an das Ende beständig bleiben werden.“ Eine förmliche Abstimmung scheint danach also nicht stattgefunden zu haben.

Aus: 450 Jahre Reformation in Heilbronn. Ausstellungskatalog S. 234

Die Vertreter der Reichsstädte, die das Augs- Es handelt sich um einen 1784 nach einem al- burger Bekenntnis unterschrieben haben, als ten Konfessionsgemälde entstandenen Stich, ‚Bekenner’ neben Luther. eine frühe Form der „Montage“, weil die Abge- Aus: Angela Marsch, Bilder zur Augsburger bildeten in Wirklichkeit nie mit Luther zusam- Konfession und ihre Jubiläen. Weißenborn mengetroffen sind. 1980.

32 Reformation in Heilbronn B 5 „...zum Schwert zu greifen gebührt dem Christen nicht“ aus dem Gutachten Lachmanns für den Rat Erläuterungen: der Stadt im Dezember 1529 Wenn der Kaiser, unser natürlicher Oberherr, Lachmann ist als Prediger entschieden für das zu den üblichen Rücksichten einer Reichsstadt sich nicht an christliche Verantwortung halten „reformatorische“ Verständnis des Evangeliums gegenüber dem Kaiser kam noch die Bedro- würde, sondern uns trotz aller Bitten zu einem und den entsprechenden Gottesdienst in Heil- hung durch das unter habsburgischen Verwal- pharisäischen Glauben zwingen wollte, gebührt bronn eingetreten. Die politische Absicherung tung stehende benachbarte Württemberg. .. es sich für uns, unseren Glauben öffentlich der Reformation nach innen und nach außen Außerdem spielten noch Erinnerungen aus zu bekennen und dem Kaiser nicht zu gehor- ist aber hauptsächlich Hans Riesser zu verdan- dem Bauernkrieg eine Rolle, als Heilbronn in chen. Aber mit Gewalt dürfen wir ihm nicht ken, der 1529 zum Bürgermeister der Stadt ge- den Verdacht geraten war, mit den aufstän- widerstehen, weil er unser Oberherr ist und die wählt wurde. dischen Bauern zu sympathisieren. ganze Stadt seine Untertanen sind. Hier gilt Riesser fördert die Annäherung an die ande- der Spruch: Bekennet, leidet, gebt Gott die Ra- ren protestantischen Reichsstände. Heilbronn che. Die Rache und Strafe steht Gott zu, nicht schließt sich 1529 auf dem Reichstag in Spey- einem Menschen. Wenn wir uns gegen den er den 14 Reichsstädten an, die dagegen pro- Kaiser als unsere natürliche Obrigkeit stellen testieren, dass ihnen die Zugeständnisse des würden, handelten wir nicht allein gegen Got- Kaisers von 1526 wieder genommen werden tes Ordnung, sondern auch gegen natürliches sollten. Damals gestand ihnen Kaiser Karl V. zu, Recht und Billigkeit. dass sie „mit ihren Untertanen also leben...wie Angenommen, der Kaiser wollte uns das Evan- ein jeder ein solches gegen Gott und kaiser- gelium nehmen und sich zu einem Herrn über liche Majestät vertraue zu verantworten“. Die- unsere Seel und Gewissen machen, ziemte es ser Beschluss hatte die kirchlichen Neuerungen sich dann, stillzusitzen und sich zu schützen? ermöglicht. Wegen des für die Protestan- Kein Christ, weder Obrigkeit noch Unterta- ten enttäuschenden Ablaufs des Augsburger nen, sollten dem zustimmen, auch die christ- Reichstags 1530 und wegen der konsequent lichen Prediger nicht abschaffen und die alten katholischen Haltung des Kaisers schließen sich gottlosen Bräuche nicht wieder aufrichten, 1531 die protestantischen Reichsstände zum sondern dem Kaiser sagen, dass er sich seiner Schmalkaldischen Bund zusammen, um ihre Pfl icht als Obrigkeit nicht ordnungsgemäß un- Sache gemeinsam vertreten und gegebenen- terziehe und dass das einem Rat als christli- falls auch militärisch verteidigen zu können. chen Leuten, die sich zu Christus und seinem In diesen Zusammenhang gehört das obige Wort bekennen, um ihrer Seele und um ihres Gutachten Lachmanns, der von einem sol- Gewissens willen keineswegs gebühre. Das wä- chen Schritt ausdrücklich abrät. Er argumen- re eine Verleugnung Gottes. Man muß Gott tiert ganz im Sinne Luthers und seiner 1523 mehr gehorchen als den Menschen und Leib erschienenen Schrift „Von weltlicher Obrigkeit und Leben dabei lassen. Aber darüber hinaus wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“. Der zu gehen und zum Schwert zu greifen, gebührt Rat folgt Lachmann in dieser Frage aber nicht. dem Christen nicht. Was geht es uns an, wenn Riesser nimmt an dem vorbereitenden Treffen der Kaiser Unrecht tut; ich darf deshalb nicht für das protestantische Bündnis im November ebenfalls Unrecht tun. 1529 teil; der Beitritt erfolgte aber erst 1538. Dies hatte mit der schwierigen Lage Heilbron- Zit. nach Lesebuch zur Geschichts der Ev. Lan- ns zu tun: deskirche, S.189 –190

Reformation in Heilbronn 33 B 6 „alle weiteren Neuerungen vermeiden“ – „hernach genannte Städte haben dagegen protestiert“

Liste der 14 Reichsstädte, die sich vom Beschluß des Reichstags von Speyer 1529 „beschwert“ fühlen

Die Namen der Städte sind

Straßburg, Nürnberg, , (Costnitz)

Lindau, , Kempten,

Nördlingen, Heilbronn,

Isny (Yßnau), Sankt Gallen,

Weißenburg und Windsheim

Der Nachsatz lautet: Diese haben (am) 22. April ihren Protest wie die Kurfürsten und Fürsten von Sachsen, Hessen, Brandenburg usw. dem Mainzischen Kanzler vorgetragen und überge- ben. Im Jahr 1529 in Speyer.

34 Reformation in Heilbronn B 7 „ein Mann von wahrer Frömmigkeit und überzeugter Anhänger Luthers“ (M. v. Rauch) – Bürgermeister Hans Riesser

Die politische Durchsetzung der Reformati- Erläuterungen on in Heilbronn ist ganz wesentlich dem Bür- gersohn Hans Riesser (um 1488 – 1552 oder Das einzige Bildnis Riessers ist auf einem Ge- 1554) zu verdanken. Aus einfachen Verhältnis- mälde im Rathaus von aus sen stammend, besuchte der junge Riesser die dem Jahr 1601 erhalten. Ob diese Abbildung Heilbronner Lateinschule. 1522 verheiratete Ähnlichkeit mit Riesser hat, kann bezweifelt er sich mit der Ratsherrntochter Barbara Win- werden. Schließlich ist das Gemälde zum Ge- ter, wurde im gleichen Jahr in den Rat gewählt denken an die Übergabe der Augsburger Kon- und zum Richter bestellt. Weitere Ämter wie fession an Kaiser Karl V. erst 70 Jahre später die eines Rechners, Spital- und Pfarrpfl egers entstanden. kamen hinzu. Als Nachfolger des altgläubigen, In der linken Bildhälfte wird diese Übergabe hochangesehenen Patriziers Konrad Erer wurde dargestellt: hinter dem sächsischen Kurfürs- er 1528 zum Bürgermeister gewählt. Zusam- ten knien 12 Reichsstände, darunter in der men mit dem ebenfalls neugläubigen Bürger- letzten Reihe Riesser als Vertreter Heilbronns. meister Jörg Diemar gelang Riesser in kurzer Die rechte Bildhälfte stellt die Kernelemente Zeit die politische Durchsetzung der Reforma- des evangelischen Glaubens dar: Abendmahl tion in Heilbronn. Der Anschluss der Reichs- in beiderlei Gestalt, den auf die Predigt ausge- stadt 1529 an die protestierenden Stände in richteten Gottesdienst sowie die Unterweisung Speyer, der Beitritt zum Augsburger Bekennt- der Gemeinde, besonders der Jugend. nis 1530, die Abschaffung der Messe 1531 sind im wesentlichen seinem politischen Durchset- Nach: Ausstellungskatalog S. 226 zungsvermögen im Rat zu verdanken. Bei allen wesentlichen Reichs- und Städtetagen sowie den Bundesversammlungen ist Riesser der Ver- treter Heilbronns.

Nach Ausstellungskatalog S.226

Reformation in Heilbronn 35 B 8 „entschlossen, die päpstliche Messe abzuschaffen und beizulegen...“

aus der Instruktion des Rats der Stadt Erläuterungen Heilbronn für die Bürgerbefragung am 8.12.1531 Weil sich die Präsenzherren (d.h. die dem Würzburger Kirchenherrn unterstehenden „Ehrsame, liebe und gute Freunde. Ein weit- Priester, die in einem gemeinsamen Haus, der sichtiger und ehrsamer, weiser Rat dieser Stadt Präsenz, wohnten) lange Zeit den Forderungen Heilbronn hat euch zusammenrufen lassen und des Rats nach evangelischer Predigt und Got- angeordnet, folgendes vorzubringen. Ihr er- tesdienst widersetzen, gab es in Heilbronn ein innert Euch noch an die Mitteilung vor einem Neben- und Durcheinander von altem und Jahr, die Beschlüsse des Speyrer und Augsbur- neuem Gottesdienst. Erst im Dezember 1531 ger Reichstags betreffend (nämlich die alte entschließt sich der Rat, die Abschaffung der verderbliche Lehre wieder einzurichten), dass Messe in der Stadt durchzusetzen. Dazu dient wir mit den anderen dem Evangelium anhän- obige Bürgerbefragung. Die Geistlichen der genden Reichsständen dagegen protestiert Pfarrkirche- es gibt noch vier altgläubige Pries- haben (...) und dass ihr dem Rat bei seinem ter - fügen sich, der Bischof von Würzburg gottgefälligen Tun beigepfl ichtet habt. Des- belässt es bei Protesten gegen die Verletzung wegen hat der Rat nichts unterlassen, was der seiner Rechte als Kirchenherr. Förderung guter christlicher Ordnung diente. Auch diese zweite Bürgerbefragung (vgl. B 4) Da aber noch immer einige Missbräuche nicht dient der Absicherung des Rats und kommt abgestellt sind (die der Rat im Blick auf das dem Drängen des „gemeinen völklins“ nach kommende Konzil oder eine Nationalversamm- Predigtgottesdienst und Abendmahl in bei- lung geduldet hat) und weil in dieser Richtung derlei Gestalt entgegen. Man darf sich unter immer noch nichts geschehen ist, hat der Rat, der Bürgerbefragung keine demokratische Ab- damit der Zorn und die Strafe Gottes nicht stimmung im heutigen Sinn vorstellen, aber es größer werde, wenn er die dem Wort Gottes handelt sich um eine zukunftsweisende Form abträglichen Missbräuche länger zuließe (...), der Mitbestimmung und Bürgerbeteiligung in beschlossen, die päpstliche Messe und die Vi- den Reichsstädten. gilien abzustellen und beizulegen(...). Ob Ihr im Mit diesem hier dokumentierten Vorgang ist Glauben an Gottes Wort bestätigt, dass diese das vorläufi ge Ende eines langen Prozesses Abschaffung für Euch kein Ärgernis, sondern erreicht, der schon 1521 mit der verzögerten eine Pfl anzung ist, wollen wir von jedem hö- Bekanntgabe des Wormser Edikts durch den ren“ (...). Rat begonnen hat. Dies erfolgte mit Rücksicht auf die damals schon vorhandenen Sympathi- Als einziger hat nach dem Ratsprotokoll Pe- santen mit Luther in der Stadt, über deren Zahl ter Herrenschmied öffentlich bekannt, dass er und Auftreten wir aber im einzelnen nicht un- „die Meß nit dannen tun wolle“. Darauf wird terrichtet sind. er vom Rat aufgefordert, innerhalb von vier Die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung Wochen aus der Stadt wegzuziehen. Dies wird war zweifellos Lachmann, der sich früh gegen am 12. Dezember widerrufen, weil der betref- die „gestifteten“ Messen und das Messelesen fende Bürger seine erste Antwort bereut und als vorherrschende Gottesdienstform gewandt geantwortet hat, er wolle sich (wie die übrigen hat. Nur das Predigen stifte der Gemeinde und Bürger) mit Leib, Ehr und Gut für den Ratsbe- den Menschen „Friede“ und Trost. Näheres zu schluss einsetzen. den Vorläufern und Wegbereitern der Refor- mation in Heilbronn in Baustein C. Heilbronner Urkundenbuch IV Nr. 3399 (ge- kürzt, vereinfacht, sprachlich modernisiert).

36 Reformation in Heilbronn Baustein C „Das Evangelium predigen – und nichts anders“: Voraus- setzungen, Wegbereiter und Gegner der Reformation in Heilbronn

Der Reformation geht eine langanhaltende Auf die Erfi ndung des Buchdrucks sowie auf Mit dem Schreiben des ausgetretenen Franzis- Krise der Kirche voraus. Sie betraf sowohl das die Einrichtung einer Reichspost (seit 1490) kanermönchs Güttenberg an die Gesellschaft Papsttum in Rom als auch den höheren und sei nur am Rande hingewiesen, weil sie zu den der Schuhmacher ( C 6) besitzt Heilbronn ein niederen Klerus im Reich. Beklagt wurden vor eher organisatorischen Bedingungen für die aufschlussreiches Zeugnis für den Einfl uss lu- allem die Mängel an seelsorgerlicher Fürsor- Durchschlagskraft der Reformation gehören. therischen Denkens und eine ‚Bekehrung’ zum ge, die geringe theologische Bildung sowie der Alle genannten Faktoren lassen sich auch in neuen Glauben. Das „Auslaufen der Mönche“ anstößige Lebenswandel einzelner Kleriker. Der Heilbronn nachweisen und werden in diesem und die Aufhebung der Klöster gehören zu den hohe Klerus, also Bischöfe, Domkapitel und Baustein vorgestellt, soweit es die Quellenla- folgenreichsten Wirkungen der Reformation in Äbte der großen Reichsklöster, stammte aus- ge zulässt. Deutschland. schließlich aus dem Adel; die Kirchenstellen Sichtbare Zeichen der Kirchenkritik in Heil- Erstaunlich schwach war in Heilbronn die Ge- mit ihren Einnahmen dienten der Versorgung bronn sind heute noch am Figurenschmuck des genwehr von altgläubiger Seite (C 7) – oder adliger Familien. Im Blick auf Rom wurde vor Turms der Kilianskirche zu erkennen (C5+9), umgekehrt: die Anhängerschaft und die Wir- allem der enorme Geldbedarf und das päpst- während der Hochaltar von Hans Seyffer (1498 kung des lutherischen Glaubensverständnis- liche Geldbeschaffungssystem in Form des vollendet) als Beleg für die Frömmigkeit und ses waren so groß, dass auch die Proteste des Ablasses kritisiert. Es ging um die Majorisie- Stiftungsbereitschaft der Bürger gelten kann. Würzbürger Bischofs nichts mehr bewirkten. rung und Ausbeutung der „deutschen“ Kirche In der Heilbronner Lateinschule (C 8) wurde Erst als auf Reichsebene mit dem Sieg Kaiser durch Rom, die über den Adel und die Stellung nicht nur Latein gelernt, sondern in Ansätzen Karls V. über die evangelischen Reichsstände des Kaisers als oberster Schutzherr der Kirche auch humanistische Bildung vermittelt. Zu ih- die katholische Seite vorübergehend gestärkt eng mit der Politik verbunden war. Der Ruf ren Schülern gehörten außer Lachmann auch wurde, änderten sich auch in Heilbronn noch- nach Reformen betraf Kirche und Reich glei- die späteren Reformatoren Johann Ökolampad mals die Verhältnisse. Aber die Durchsetzung chermaßen, Kirchenverfassung und Reichs- aus und aus Heil- der Reformation wurde dadurch nicht aufge- verfassung hingen eng zusammen. Das ganze bronn. halten. 15. Jahrhundert hindurch beschäftigten sich Humanistisch gebildete Prediger und die Prä- Konzilien und Publizistik mit dem Problem der dicantenstelle an der Kilianskirche (C 1 + C 2) Reform. Die Sehnsucht nach einer „Reforma- gelten als Einfallstor für die Reformation in tion an Haupt und Gliedern“ ist allgemein. Es Heilbronn. gab viele Vorschläge und lange Diskussionen Die kirchlichen Verhältnisse in Heilbronn wer- 1 Vgl. Helga Schnabel – Schüle: Die Reformation 1495 – aber geschehen ist so gut wie nichts. Nur auf den in C 3 erläutert: der Würzburger Bischof –1555. Stuttgart 2006 Reichsebene gelang mit der Landfriedensord- als Kirchenherr, die von ihm eingesetzten Kle- nung von 1495 ein erster Schritt zur Reichsre- riker sowie die einheimischen und auswärti- form. Deshalb setzt die moderne Forschung die gen Klöster mit ihren Kapellen und Pfl eghöfen Reformation auch auf den Zeitraum von 1495 bieten ein für heutige Betrachter verwirrendes bis 1555 an. 1 Bild. Die vorreformatorische Zeit ist aber nicht nur Mit drei Abbildungen (C 4) lässt sich die er- durch die erwähnte Kritik an der Kirche ge- wähnte Frömmigkeit der Zeitgenossen illus- kennzeichnet, sondern auch durch eine zu- trieren: das Gnadenbild Maria in den Nes- nehmende Frömmigkeit der Gläubigen in Form seln im Karmeliterkloster besuchten zahlreiche von Wallfahrten, Heiligenverehrung und Stif- Wallfahrer; der Heilbronner Bürgermeister Erer tungen aller Art, mit denen das Seelenheil ge- stiftete ein Altarbild für die Fleiner Kirche und sichert werden sollte. Allerdings häuften sich lässt sich darauf selbst mit seiner Familie ab- auch hier die Klagen über eine zunehmende bilden. Der Hochaltar in der Kilianskirche stellt Kommerzialisierung; die Zweifel am Sinn sol- nicht nur Christus, Maria und Heilige in den cher Glaubensübungen nahmen zu. In den Mittelpunkt, sondern weist mit den diskutie- Städten waren die Bettelorden oft bürgernäher renden Kirchenvätern in der Predella auch auf als die Geistlichen der Pfarrkirchen; sie bemüh- den erwähnten humanistischen Einfl uss hin. ten sich um Seelsorge und Predigt und öffne- Aus den Ratsprotokollen lassen sich viele Kla- ten ihre Kirchen für die Bevölkerung. gen über die Geistlichen der Stadt entnehmen Zu den langfristigen Voraussetzungen der Re- (C 5). Dabei geht es nicht nur um deren Le- formation gehört auch die als Humanismus benswandel, sondern auch um ihre Unbildung bezeichnete geistige Richtung, die sich an der und bürgerferne Vermittlung der christlichen christlichen und heidnischen Antike orientierte Botschaft. und durch die Erneuerung von Kunst und Wis- senschaft eine Verbesserung der sittlichen und religiösen Zustände erreichen wollte. Haupt- vertreter in Deutschland war Erasmus von Rot- terdam(1466 – 1536).

Reformation in Heilbronn 37 C 1 „Johan Lachman – Prediger wie Mitbürger“

Der Heilbronner Reformator Johann Lach- mann wurde als Sohn des Glocken- und Ge- schützgießers Bernhard Lachmann d.Ä. 1491 in Heilbronn geboren. Sein Vater war ein sehr er- folgreicher Handwerker und seit 1479 Mitglied im Rat der Stadt. Er verfügte über ein beträcht- liches Vermögen und konnte deshalb seinen Sohn Johann studieren lassen. Dieser besuchte die Heilbronner Lateinschule, 1505 bezog er die Universität , 1507 wurde er dort Bakkalaureus, 1508 Magister der Künste. 1 Da- nach wandte er sich der Rechtswissenschaft zu. 1514 erhielt Lachmann vom Kirchenherrn in Würzburg die Pfarrverweserschaft an der Pfarrkirche seiner Heimatstadt übertragen und verfügte dadurch über eigene Einkünfte. Bis dahin wurde er von seinem Vater fi nan- ziell unterstützt. In demselben Jahr empfi ng er die höheren Weihen. 1521 betraute ihn der Rat mit dem Predigeramt, kurz darauf erwarb Lachmann in Heidelberg das Licentiat beider Rechte und das Doktorat. In dem vom Kirchen- herrn unabhängigen Predigeramt näherte sich Lachmann rasch der lutherischen Lehre, seine Predigten fanden großen Zulauf. Während des Bauernkriegs verfasste er drei „Ermahnungen an die Bauern“, in denen er zur Besonnenheit und Mäßigung aufrief. Erst danach konnte er seine reformatorischen Bestrebungen schritt- weise bis 1531 durchsetzen, als mit der Ab- schaffung der Messe der letzte Schritt zum evangelischen Glauben getan wurde. Schon 1529 führte er Taufen und Eheschließungen in deutscher Sprache durch. Gestorben ist Johann Lachmann, der seit 1526 mit Barbara Wissborn verheiratet gewesen ist, in den ersten Tagen des Jahres 1539. Sein Bildnis ist in der Haba- kuk- Figur des Käthchenhauserkers auf die Nachwelt gekommen.

Nach: Schrenk/Weckbach/ Schösser: Von He- librunna nach Heilbronn. Eine Stadtgeschichte. Stuttgart 1998, S. 71 (mit Ergänzungen)

Inschrift am Haus Klostergasse 4

1 Zum Verständnis muß die damalige Universitätsord- nung erläutert werden: man bezog die Universität viel früher als heute, oft schon mit 15 Jahren. Voraussetzung waren gute Lateinkenntnisse, die Unterrichtssprache war nämlich Latein. Zuerst musste man in der Philosophen- oder Artistenfakultät eine Art Grundstudium absolvieren. Nach dem Studium von Grammatik, Rhetorik, Dialektik und Mathematik konnte man den Grad eines Bakkalau- reus erwerben; nach dem Studium der Logik, Metaphy- sik, Ethik, Politik, Astronomie und Geometrie denjenigen eines Magisters. Erst danach konnte man sich in einer der höheren Fakultäten einschreiben (Theologie, Jura oder Medizin) und den Doktorgrad erreichen. Die Pries- terweihe war vom Studium unabhängig und setzte kein Theologiestudium voraus.

38 Reformation in Heilbronn C 1 Erläuterungen

„Euer untertäniger Johan Lachman, Prediger Was die Lebensverhältnisse Lachmanns im Zu der Abbildung samt Umschrift ist folgendes wie Mitbürger“ – so hat Lachmann eine Ein- einzelnen betrifft, so ist darüber nicht viel be- anzumerken1: gabe an den Rat der Stadt unterschrieben. In kannt. Das stattliche Haus in der Klostergas- Die lateinische Inschrift lautet: dieser knappen Formulierung steckt die grund- se, an dem die Inschrift angebracht war, hat Habacuc primum caput legende Änderung der kirchlichen Verhältnisse sein Vater erworben. Ob Lachmann darin gelebt Inpius arcet in Heilbronn durch die Reformation. Jahrhun- hat (oder in der gegenüberliegenden Prädica- atque circun derte lang waren die Priester eben keine Mit- tur) ist ebenso umstritten wie die angebliche dat pium. bürger, sondern Beauftragte des Würzburger Abbildung als Habakus am Erker des Käthchen- Übersetzt : Habakuk, erstes Kapitel Bischofs, der sie einsetzte, abberief und besol- hauses. Unstrittig aber ist sein Verdienst um Der Gottlose bedrängt und umgarnt den From- dete. Sie gehörten nicht zur städtischen Ge- die Einführung der Reformation in Heilbronn. men. sellschaft und Rechtsordnung, sie waren von „Sein Lebensweg ist von tiefer Frömmig- In der Lutherübersetzung: „Der Gottlose über- Steuern und Abgaben befreit und wohnten keit und festem Gottvertrauen beseelt gewe- vorteilt den Frommen.“ abgesondert in der „Präsenz“ (siehe Glossar). sen, sein Glaube wurzelte in der Wahrheit des Hinzu kam ihre Sonderstellung durch die Pries- Evangeliums. Als ein Mann des praktischen Ob in der Gestalt des Habakuk der Heilbron- terweihe, auf die in anderem Zusammenhang Christentums war Lachmann seinen Mitbür- ner Reformator Lachmann porträtiert wird, schon eingegangen wurde. gern stets ein echtes Vorbild.“ (Schmolz) ist fraglich. Allerdings deuten die Kopfbede- Das alles änderte sich durch die von Lachmann Ergänzend muss auf seine Hauptrolle als Pre- ckung und die Kleidung sowie das aufgeschla- durchgesetzte Reformation: das „allgemei- diger hingewiesen werden. Wie in vielen Städ- gene Buch auf einen Gelehrten oder Doktor ne Priestertum der Gläubigen“ beseitigte die ten ist auch in Heilbronn die Reformation eine hin. Doktor Lachmann war laut Ratsprotokoll Sonderstellung der Kleriker, die evangelischen Predigtbewegung gewesen. Die Prediger waren tatsächlich an der Ausgestaltung des Erkers Pfarrer werden normale Mitbürger, sie werden wichtiger als alle Schriften und Bücher, weil am damaligen ‚Steinhaus’ beteiligt.2 Das Haus vom Rat der Stadt angestellt und mit Bargeld ihre Verkündigung alle sozialen Schichten der gehörte seiner Schwiegermutter, er selbst legt sowie Naturalien besoldet und waren nicht Stadt erreichte und selbst bei den Bewohnern Pläne für einen Umbau des einsturzgefähr- mehr vom Ertrag der Kirchengüter abhängig. der umliegenden Dörfer Anklang fand. deten Erkers vor. Vermutlich hat er auch die Außerdem können sie heiraten, sie leben mit „Lachmanns Gestalt steht in der Heilbronner vier Propheten und die Textstellen ausgewählt. ihrer Familie in der Stadtgemeinde – kurz: sie Reformationsgeschichte um so größer da, als Ausgeführt wurden die Steinmetzarbeiten von werden normale Menschen mit allen Fehlern unter den damaligen Geistlichen weder auf der der Bauhütte des Baumeisters von St. Kilian, und Versäumnissen. neugläubigen noch auf der altgläubigen Seite Hans Schweiner. Langfristig werden die evangelischen Pfarr- ein ihm auch nur einigermaßen Ebenbürtiger Warum aber Lachmann ausgerechnet mit dem häuser zur Keimzelle der bürgerlichen Welt, sie vorhanden war.“ (Moritz von Rauch) Propheten Habakuk in Verbindung gebracht tragen wesentlich zu der späteren Identifi zie- wird, lässt sich nur theologisch erklären. Bei rung von Protestantismus und bürgerlicher Habakuk 2,4 fi ndet sich die entscheidende Stel- Bildung bei. le: „der Gerechte wird aus dem Glauben leben.“ Darauf nimmt Paulus (Römer 1, 17) Bezug, und auf ihn wiederum stützt sich Luther mit seiner zentralen reformatorischen Erkennt- nis: „die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, kommt aus dem Glauben“. Und damit ist der Bezug zu Lachmann klar, der in Heilbronn dieses Glau- bensverständnis gepredigt hat, das bis heute in der Kurzformel sola fi de – sola gratia zusam- mengefasst wird.

1 Entzifferung und Übersetzung: Klaus Dieter Bihrer, Flein

2 Gerhard Heß: Der Erker am Käthchenhaus – ein reformatorisches Denkmal. In: Schwaben und Franken, Mai 1955

Reformation in Heilbronn 39 C 2 „Heilger Schrift Doctor“ – die Prädicantenstelle in Heilbronn als Einfallstor der neuen Lehre

In vielen Städten führt der steigende Bedarf Epithaph für den Prediger Dr. Kröner Der Text lautet: „Am 16. September des Jahres nach gehobener Predigt zur Stiftung von Prä- in der Kilianskirche 1520 starb der hochgelehrte und ehrwürdige dikaturen. Über die Verhältnisse in Heilbronn Herr Johann Kröner aus Scheiding, Doktor der informiert das Urkundenbuch: Heiligen Schrift. Er war 27 Jahre Prediger in dieser Stadt. Gott sei ihm gnädig.“ „Anna Mettelbächin, Hans Ruxingers Witwe, Bürgerin zu Heilbronn, stiftet 880 Gulden zu Gunsten der Stadt und trifft folgende Bestim- mungen: 1.Das Geld soll weltliches Gut bleiben, steu- erpfl ichtig sein und vom Rat bzw. durch zwei Pfl eger verwaltet werden. 2.Die beiden Pfl eger, die beiden Bürgermeister und die vier Stadtrechner sollen einen Welt- geistlichen als Prediger, nicht lebenslänglich, sondern auf beliebige Kündigung anstellen, um in der Pfarrkirche oder wo es sonst not wäre, an den nachher bestimmten Tagen zu predi- gen, und dafür die Einkünfte von der Stiftung bezahlen(...)“

Ergänzend heißt es dazu im Katalog:

„Im Jahre 1426 erhält der verfolgte sächsische Adlige und Hussit Johannes von Drändorf, der 1417 in Prag die Priesterweihe empfangen hat- te, bei der verwitweten Heilbronner Patrizierin Anna Mettelbach Unterkunft. Drändorf predigt im Hauskreis, liest vor allem aus dem Evangeli- um vor. Wir vergessen aus heutiger Sicht leicht, dass damals nur ganz wenige Begüterte eine Handschrift der Bibel besitzen und auch lesen können. Das breite Volk war gleichsam auf den Vermittler, den Priester, angewiesen, der in sei- ner Doppelstellung als Mittler zwischen Gott und dem Gläubigen und als Lehrer eine privile- gierte, beherrschende Stellung besaß. Die Wit- we Mettelbach will dieses Gut des Schöpfens aus der Quelle und der predigenden Auslegung freilich nicht für sich allein behalten. Deshalb stiftet sie die bedeutende Summe von 880 Gul- den Kapital für die Errichtung einer Prädikatur, also eines Predigtamtes, für einen Weltgeistli- chen an der Pfarrkirche St. Kilian. Die Mettel- bachin verbindet mit der Stiftung den Auftrag zum Predigen im Winterhalbjahr an jedem Freitag, im Sommerhalbjahr an jedem Samstag abends nach der Vesper (...) und sie bestimmt, dass der Prediger allein vom Rat zu wählen und zu bestellen ist. Damit ist der Kirchherr in Würzburg, die Amtskirche, für diese wichtige geistliche Stelle ausgeschaltet. Diese Sonder- stellung hat die Durchführung der Reforma- tion in Heilbronn wesentlich erleichtert. Aus dieser Position heraus konnte Lachmann, seit 1521 auf dieser Stelle, den entscheidenden He- bel zur Änderung der kirchlichen Verhältnis in unserer Stadt ansetzen.“

40 Reformation in Heilbronn C 2 Erläuterungen

Die in vielen Städten vorhandenen Prädika- Das Geld aus der Mettelbachschen Stiftung Von Kröners Bibliothek hat sich sein Bücher- turen dienten dazu, den Bürgern den christli- reichte zunächst nicht für das Jahresgehalt zeichen (Ex libris) erhalten. Im Stadtarchiv chen Glauben auch durch Predigten (in deut- eines gelehrten Predigers. Deshalb wurde die werden noch Bücher aus seinem Besitz auf- scher Sprache) und geistlichen Zuspruch zu Stelle nur zeitweilig, eben für die Predigt- bewahrt. Durch aufwendige Nachforschungen vermitteln. Das passive Mitfeiern der Messe (in zeiträume im Jahr, besetzt. Außerdem legte der konnte der Bestand seiner Bibliothek teilweise unverständlichen Messtexten) genügte vielen Rat der Stadt notwendiges Geld dazu, auch rekonstruiert werden. Auffallend sind die vielen Bürgern nicht mehr, das Ansehen (oder An- vermögende Bürger wie z.B. Bürgermeister Erer griechischen und römischen Autoren (Aristote- beten) der Hostie sollte durch das Hören der gaben Zuschüsse. les, Caesar, Cicero, Horaz, Ovid, Sallust, Seneca). Schrift und ihre Auslegung ergänzt werden. Auch Kröner benötigt zu seiner Besoldung von Insofern gehört Kröner zu den Humanisten im Das Hören hat Vorrang vor dem Auge – in die- 80 Gulden im Jahr (‚normale’ Priester erhal- Vorfeld der Reformation, wird aber kein An- ser Kurzformel wird gelegentlich der Unter- ten unter 50) noch Nebeneinkünfte, außer- hänger Luthers. Er war der letzte katholische schied zwischen altem und neuem Glauben zu- dem wird er zunächst auf Bewährung für ein Geistliche an der Kilianskirche. sammengefasst. Jahr angestellt, erst dann lebenslänglich. Die Bei der Bestätigung der Mettelbachschen Stif- Erhöhung des Gehalts auf 130 Gulden erlaubte tung durch den Bischof von Würzburg wurde ihm schließlich ein auskömmliches Leben, er denjenigen, die die Predigten anhörten, ein konnte sich eine wertvolle Bibliothek anschaf- Ablass von 40 Tagen verliehen. fen. Außerdem zieht er Ende des 15. Jahrhun- An die Prediger wurden meistens hohe An- derts in das für den Prediger gekaufte Haus in forderungen in Bezug auf Ausbildung und Le- der Klostergasse, in dem später auch Lach- benswandel gestellt. Ein Musterbeispiel dafür mann wohnte. ist der Prediger Dr. Kröner. Die Abbildung auf dem Epithaph (in einer Seitennische im Chor der Kilianskirche links neben dem Hochaltar erhalten) zeigt ihn als Geistlichen mit Doktor- hut und mit Kelch und Buch in seinen Händen. Damit wird auf seine Funktion und seine Bil- dung verwiesen – er stammt aus Bayern und hat an der Universität studiert und promoviert

Reformation in Heilbronn 41 C 3 Kirchenherr und „schlechte Gesellen“ – die kirchlichen Verhältnisse um 1500

Heilbronn gehörte kirchlich zum Bistum Würz- Der Bischof von Würzburg bestellte als Kir- Der als Deutschhof bezeichnete umfang- burg. Die Grenze zum Bistum Worms bildete chenherr einen Stellvertreter aus seinem reiche Komplex gehörte dem Deutschen Or- der Neckar, so dass die drei reichsstädtischen Domkapitel, dem die kirchlichen Einkünfte zu- den, dessen in Heilbronn lebende Angehöri- Dörfer links des Neckars dem Bischof von standen. Dieser residierte aber nicht selbst in gen weder dem Bischof von Würzburg noch Worms unterstanden. Heilbronn, sondern ließ sich durch nieder be- dem Rat der Stadt unterstanden. Sie bildeten soldete Vikare und Kaplane vertreten, die in eine eigenständige Rechtsgemeinschaft, ihre Bistumsgrenzen der „Präsenz“ zusammengefasst waren und im Beziehungen zur Stadt waren vertraglich ge- Pfarrhof wohnten. Ihr Verhältnis zur Stadtbe- regelt (vgl. Baustein D). Ähnliches gilt auch für völkerung ist im einzelnen nicht bekannt; ihr die zahlreichen Höfe auswärtiger Klöster in Ansehen war – wie das Zitat in der Überschrift Heilbronn; in diesen Klosterhöfen wurden die nahelegt- umstritten. Ernteerträge aus den Weingütern sowie wei- tere Naturalabgaben gesammelt und gelagert. „Jeweils mit einer Pfründe ausgestattet sind an Manche Klosterhöfe besaßen eine kleine Kapel- der Heilbronner Kilianskirche z.B. der Marienal- le. Über die in Heilbronn ansässigen Klöster in- tar, der Leonhardsaltar, der St. Katharinenaltar, formiert Baustein D. der St. Martinsaltar, der Nikolaus- und Marga- retenaltar, der Heiligkreuzaltar, der Sebastians- altar, der Altar der Apostel Peter und Paul usw. Insgesamt handelt es sich in der Kilianskirche um 1507 um 28 Pfründen, aber nur wenige 1 Christhard Schrenk Hg.), Der Kiliansturm. Heilbronn Pfründner residierten tatsächlich auch in Heil- 2006. S. 20 bronn. Der Würzburger Pfarrverweser bildete mit den anderen etwa 15 Geistlichen an der Kilianskir- che die „Präsenz“. Die Präsenz verwaltete das Vermögen und die Einkommen der zugehö- rigen Pfründen und Stiftungen. Sie besitzt ein eigenes Haus in der nach ihr benannten Prä- senzgasse.“1

Kirchen, Klöster und Pfl eghöfe in Heilbronn

42 Reformation in Heilbronn C 4 Frömmigkeit um 1500

Predella des Altars in Flein

Gnadenbild Maria in den Nesseln;

Schnitzaltar in der Kilianskirche

Reformation in Heilbronn 43 C 4 Frömmigkeit um 1500

Erläuterungen Veit, der das Kind segnet. Zeitweise war die tig. Sie sind so dargestellt, als ob sie über eine Fleiner Kirche Wallfahrtsort, wobei der Heilige Bibelstelle (beide halten ein Buch in der Hand) Das Gnadenbild „Maria von den Nesseln“ aus St. Veit bei ausbleibendem Kindersegen und bei im Gespräch wären. Augustin fand durch die dem Karmeliterkloster, eine der vielen Pietàdar- Fallsucht (dem sog. Veitstanz) angerufen wur- Predigten des Mailänder Bischofs Ambrosi- stellungen ( Maria mit dem Leichnam Chris- de. Die Abbildung des Stifters auf dem Altar us zum christlichen Glauben. In seiner um 400 ti auf den Knien), wird hier im Blick auf die kann als Ausdruck des Dankes und der Fröm- verfassten Schrift De doctrina christiana („Von Frömmigkeit vor der Reformation vorgestellt. migkeit gewertet werden; zugleich aber wird der christlichen Lehre“) entwickelt er das für Die Menschen in Deutschland um 1500 fühlten der Stifter selbst Teil der kirchlichen Verehrung, das Mittelalter und die Neuzeit wegweisende sich durch Krankheit, Krieg und Tod bedroht. wenn die Gläubigen vor dem Altar knien müs- Bildungsprogramm, nämlich die Verbindung Ihr Verlangen nach kirchlichem Trost wur- sen. Bis zu seinem Tod 1539 bleibt Erer altgläu- von heidnischer Wissenschaft und christlichem de durch die übliche Gottesdienstpraxis nicht big und Gegner der Reformation in der Stadt. Glauben. Dieser Ansatz war im Zeitalter des ausreichend erfüllt. Deshalb kamen Buß- und Vermutlich gehört Erer auch (neben Johann Humanismus wieder aktuell, und die Aufnah- Betübungen sowie Wallfahrten hinzu. Von der Kröner, vgl. C 2) zu den Stiftern und Förderern me gerade dieser Kirchenväter in das Figuren- Betrachtung solcher Bilder und dem mysti- des Schnitzaltars in der Kilianskirche. Aller- programm des Altars beweist den Einfl uss des schen Versenken in das Leiden Christi erhoffte dings wissen wir nicht, wer Auftraggeber und damaligen Zeitgeistes. sich der in seiner Heilsgewissheit verunsicher- wer für das Figurenprogramm verantwortlich te Gläubige Trost und Stärkung. war. Nur der Künstler, Hans Seyfer, und das 1 Einzelheiten in dem von Andreas Pfeiffer und Rein- Die Darstellung der Maria in Anbetung, Fürsor- Jahr der Fertigstellung (1498) sind bekannt. 1 hard Lambert Auer herausgegebenen Buch über den ge oder Verzweifl ung ist ein beliebtes Motiv in Für unseren Zusammenhang sind die beiden Heilbronner Schnitzaltar: Stuttgart 1998, sowie in dem der damaligen Kunst und auf vielen Altar- oder vollplastische Halbfi guren der Kirchenväter kleinen Kunstführer „Kilianskirche Heilbronn“ (Schnell Andachtsbildern zu sehen. Neben künstlerisch Ambrosius und Augustin in der Predella wich- + Steiner, 2007) hochwertigen Darstellungen gibt es auch viele volkstümliche, zu der die Heilbronner Figuren- gruppe gehört. Das Original ist nicht mehr er- halten; eine um 1550 verfertigte Kopie befi ndet sich heute in der Karmeliterkirche in Straubing. Im Deutschordensmünster fi ndet sich in einer versteckten Nische eine moderne Nachbildung mit einem sehr erbaulichen Begleittext. Wer in den damaligen Reichsstädten Rang und Namen hatte, wollte in der Kirche präsent sein – sei es als Toter mit einem entsprechenden Grabmal, als Stifter von Altären und Altarge- räten oder als Angehöriger einer Bruderschaft, die für einzelne Altäre oder Glasfenster ver- antwortlich war. In der Heilbronner Kilianskir- che ist davon heute fast nichts mehr zu seh- en. In der Fleiner Kirche dagegen hat sich ein Altar erhalten, der vom damaligen Patrizier und Bürgermeister Erer im Jahr 1517 gestiftet wurde. Erer war von 1494 – 1528 Bürgermeis- ter in Heilbronn und zwischen 1503 und 1526 gleichzeitig Vogt von Flein. Zusammen mit sei- ner zweiten Frau und einem Kind ist er auf der Predella abgebildet, sie knien vor dem Heiligen

44 Reformation in Heilbronn C 5 „Mägde, die in der Pfaffen Häuser gehen...“ – Klagen über Missstände in der Kirche

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts beginnen Einzelfälle werden aus dem Jahr 1524 berich- Der Missbrauch des Ablasswesens und die be- sich die Klagen über Pfarrer und andere Geist- tet, als der Rat den Priestern verordnet hat, rechtigten Klagen im Zusammenhang mit den liche zu häufen. Im Heimatbuch Flein lesen „ihre Mägde hinweg zu tun“. Im Juni 1524 wird Bauernunruhen wurden hier noch gar nicht wir 1: der Fall des Karmeliterpriors Seitzenweiler er- berücksichtigt. „Die Mönche des Heilbronner Karmeliterklos- wähnt, der ins Gefängnis gebracht wird, weil er ters liefern ebenfalls viel Grund zur Klage: sie als Beichtvater einer Heilbronner Bürgerin die- 1 Flein. Flein, du edler Fleck. 1988, S.102 verlassen das Kloster eigenmächtig, essen, trin- se geschwängert hat. 2 nach Boockmann, Kirche und Frömmigkeit vor der Re- ken, feiern und vernachlässigen ihre geistli- In vielen Städten wird über die „ungebildeten formation. In: Lutherkatalog 1983, S. 42 chen Aufgaben vollständig, wie der Karmeliter- Geistlichen“ geklagt. „Die Kompetenz vieler Al- prior Köttler, der aus dem Kloster zum Pfarrer tarpriester reichte gerade zum Messelesen. Zu von Erlenbach und Flein geht und lange bei der einer darüber hinausgehenden seelsorgerlichen ‚Pfaffenkellerin’ bleibt.(...) Dieses Verhalten des Tätigkeit waren sie weder verpfl ichtet noch in Klerus hat viel zum Ausbruch des Bauernkriegs der Lage, und so konnte die allgemeine Bildung und zum Erfolg der Reformation beigetragen, der Laien von ihrer Seite auch nicht gefördert der einzelne Bauer verlor jede Achtung vor sei- werden.“2 nem Pfarrer, für den er arbeiten musste, dem er Abgaben schuldig war und der betrunken zur Diesen Beispielen ließen sich noch viele ande- Messe kam (...).“ re anfügen. Auf der anderen Seite muss man Auch aus dem Urkundenbuch der Stadt Heil- bedenken, dass in der Zeit um 1500 die Pu- bronn lassen sich viele Klagen entnehmen. blizistik und Propaganda beginnt, in der mit Schon im Jahr 1465 lässt der Rat mit Erlaubnis Flugblättern, Holzschnitten u.a. schnell ein des Papstes eine Reform der beiden örtlichen großes Publikum erreicht werden konnte. Über Klöster (Barfüßer und Klarakloster) durchfüh- rechtschaffene Priester und fromme Klosteran- ren, weil die Mönche bzw. Nonnen einen aus gehörige wird dabei kaum berichtet, wohl aber Sicht der Stadtspitze anstößigen Lebenswan- über Missbräuche aller Art. Gleichwohl ist an del führen. der generellen Tendenz nicht zu zweifeln: der Mönch mit gespaltener Zunge

Reformation in Heilbronn 45 C 6 „bewegt durch das klar und hell Wort“

– aus dem Schreiben des ausgetretenen Es ist euch bekannt, dass ich früher ein eif- auf den Felsen Jesu Christi bauen, sondern auf Franziskanermönchs Johannes Güttenberg riger Prediger in Heilbronn bei meinen Brüdern, menschliche Fähigkeiten, Satzung und Ord- in Heilbronn an die Gesellschaft der Schuh- den Franziskanern, gewesen und häufi g mit nung. Gott möge sich ihrer erbarmen und sie macher 7.Oktober 1524 (gekürzt, sprachlich großem Eifer für die Sache Gottes eingetre- zur rechten Erkenntnis führen. Deshalb, meine vereinfacht und modernisiert) ten bin, freilich noch im alten Sinn und mit viel lieben Herren und Brüder, während ich früher Unverstand. Mehrfach habe ich die lutherisch bei Euch als Werkzeug von Gottes Zorn gewirkt Den ehrsamen, weitsichtigen und weisen Gesinnten übel angegriffen und sie ermahnt, habe, so bitte ich nun, lasst mich ein Werkzeug Herren, die in der Schuhmacherstube versam- beim alten Glauben zu bleiben, vor allem we- göttlicher Gnade an Euch sein und lasst euch melt sind, meinen lieben Herren und Brüdern gen des freien Willens, wegen der Anrufung meine Schrift zu Herzen gehen und lasst durch in Christo (...) der Heiligen, wegen der guten Werke und an- Gottes Wort eine neue Kreatur aus euch ma- Wir müssen alle, durch das Wort Gottes ge- derer Gewohnheiten. chen, weil Gott alles in uns und durch uns be- zwungen, unsere Sinne und Gedanken unter Nachdem ich dies einige Zeit getrieben habe, wirkt, weil man seinen Worten nichts hinzu fü- den Gehorsam gegen Christus stellen und be- empfand ich heftige Gewissensbisse; es ist eine gen soll. Ärgert euch nicht über mein Abtreten, kennen, das wir alle wie irrende Schafe geirrt geistige Erleuchtung über mich gekommen, als das weiß Gott nicht aus Mutwillen erfolgt ist, haben und jeder sich nach seinem Gutdünken ob ich von Christus ermahnt würde wie einst sondern bewegt durch das klar und hell Wort. eingerichtet hat. Ich gehöre auch dazu – und Paulus („Warum verfolgst du mich?“). Deshalb Haltet fest am emsigen Hören auf das gött- muss nun- durch mein Gewissen veranlasst- habe ich mich von meinen Brüdern entfernt liche Wort, damit ihr wachset im Glauben, in in kurzen Worten euch, meinen allerliebsten und an einen anderen Ort begeben [ er reist der Liebe, in der Hoffnung. Gott befohlen! Ge- Brüdern, meine Bekehrung anzeigen und euch nach Wittenberg, um sein neues Glaubensver- schrieben in Wittenberg, Freitag nach Francisci bitten, dass ihr mich nicht verachtet, sondern ständnis zu vertiefen] – weil sie nicht anno 24. Johannes Güttenberg mein Schreiben aufmerksam lest(...)

Nikolaikirche Heilbronn

46 Reformation in Heilbronn C 6 Erläuterungen

Das vorliegende Schreiben ist nicht nur wegen Vor diesem Hintergrund wird es verständlich, Die vielen einfachen Handwerker fühlten sich seines Inhalts und seines Verfassers interes- warum sich der Franziskanermönch Gütten- benachteiligt, sie hatten ihre Mitbestimmung sant, sondern auch im Blick auf die Adressaten. berg in diesem Schreiben für seinen Weggang in der Stadt weitgehend eingebüßt. Hinzu ka- Es erlaubt einen unmittelbaren Einblick in die aus Heilbronn rechtfertigt und seinen „Über- men wirtschaftliche und verwandtschaftliche Wirkung der von Luther ausgehenden refor- tritt“ zum Luthertum bekannt gibt. Beziehungen zu den Bauern der Umgebung, matorischen Botschaft. „Bewegt durch das klar Ob sich auch bei den Schuhmachern schon die noch in direkter Abhängigkeit von Adel und und hell Wort“ – mit großem Selbstbewusst- reformatorisches Gedankengut breitgemacht Kirche standen. Daher rührt auch die zeitwei- sein schildert der Verfasser seine „Bekehrung“ hat, lässt sich nicht feststellen. Der Verfasser lige Unterstützung der Forderungen der Bau- und scheut dabei nicht vor biblischen Paral- spielt in seinem Brief aber darauf an, dass er ern 1524/25. Einzelheiten zum Bauernkrieg im lelen (Paulus) zurück. Er verlässt seien bishe- versucht habe, sie von „irriger Lehre“ abzuhal- Unterland können hier nicht angeführt werden. rigen Wirkungsort und geht einer ungewissen ten. Aus anderen Quellen wissen wir, dass die Immerhin öffnete die Stadt den Bauern ihre Zukunft entgegen. Leider kennen wir keine Handwerker und Weingärtner, die im unteren Tore, es kam zu Ausschreitungen und Plün- weiteren biographischen Einzelheiten. Viertel um die Nikolaikirche wohnten, zu den derungen der Klöster, wenn auch die „Ermah- Der Absender wendet sich an die „Gesellschaft frühen Anhängern der neuen Lehre gehörten. nungen“ Lachmanns das Schlimmste verhin- der Schuhmacher“, mit denen er offensichtlich Zur Zeit des Bauernkriegs wird berichtet, dass dert haben. kirchlich und persönlich verbunden war. Damit in der Bürgerschaft „Zerrüttung der neuen Re- ist eine „Bruderschaft“ gemeint, in der- nach ligion halber“ geherrscht habe und dass in der Aufl ösung der Zünfte in Heilbronn – die un- um 1450 errichteten Nikolaikirche ein Prediger selbständigen Handwerksgesellen zusammen- mit dem Namen Hans aufgetreten sei und vom geschlossenen waren. Ihre Aufgabe bestand Rat die Erlaubnis erhalten habe, „das evangeli- u.a. darin, sich um die wirtschaftlichen und um zu predigen und nichts anderes“. sozialen Belange ihrer Mitglieder zu kümmern, Warum in Reichsstädten wie Heilbronn die aber auch um deren Begräbnis und das Toten- einfachen Bürger (Handwerker und Weingärt- gedenken. Ihr Versammlungsraum (die „Stub“) ner) eher als die Oberschicht für die neue Lehre lag im Barfüßerkloster selbst oder in unmittel- empfänglich waren, hängt mit den politischen barer Nähe. Obwohl Einzelheiten nicht bekannt und sozialen Spannungen in den Städten zu- sind, ist anzunehmen, dass der Verfasser der sammen. Obwohl in Heilbronn seit der Stadt- zuständige Priester gewesen ist. Die Franzis- verfassung von 1371 ein paritätisches Stadt- kaner oder Barfüßer waren als Seelsorger be- regiment (aus Patriziat und Handwerkern) sonders in den unteren Schichten der Städte vorgesehen war, hatte die alte Oberschicht (zu- beliebt, sie orientierten sich bewusst auf die- sammen mit einigen Aufsteigern aus der Kauf- se Gesellschaftsschichten und sprachen sie in mannschaft und wenigen Handwerksmeistern) ihren Predigten direkt an. Seit 1410 sind die die Macht inne. Das Stadtpatriziat bestimmte Schuhmacher in Heilbronn mit den Barfüßern nicht nur das Stadtregiment, es war teilwei- auch dadurch verbunden, dass sie Kerzen für se auch verwandtschaftlich mit dem Adel der den Altar stiften – als „Trost und Hilfe“ sowie Umgebung verbunden und verteidigte deswe- „für das Seelenheil“. gen den alten Glauben und die alte Ordnung.

Reformation in Heilbronn 47 C 7 „...gegen die verbotene und verworfene Lehre und ketzerische Sekte“ – altgläubiger Widerstand in Heilbronn

1. Philipp Erer, der Sohn des altgläubigen Heil- 3. Der Bischof Konrad von Würzburg beklagt In einem Antwortschreiben wehren sich die bronner Bürgermeisters Konrad Erer, warnt in sich beim Rat am 16. März 1525, dass der Verdächtigten (u.a. Lachmann) und bekräftigen, einem Schreiben an seinen Vater vom 4. Mai Pfarrverweser Peter Dietz von Bürgern der „nur das reine und lautere Wort Gottes“ gepre- 1522 vor denen, „die des Luthers Partei sind, Stadt gedrängt werde, „ihnen nach der digt zu haben. Sie berufen sich auf ihren bei denn es ist großer Schaden zu befürchten.“ lutherischen Lehre das Sakrament in beider der Priesterweihe empfangenen Auftrag, „das Gestalt zu reichen“. Da dies gegen kaiserliches Evangelium aller Kreatur zu verkünden“ und Um die Tragweite dieser Warnung einschätzen Gebot sowie Brauch und Ordnung der Kirche weigern sich, nach Würzburg zu kommen. zu können, muss man wissen, dass Philipp Erer sei, bitte er, „der Rat solle ernstlich anordnen, als Rat im Dienst der österreichischen Regie- dass von solch verbotenen Ansinnen Abstand Die Einsprüche und Anfragen des Würzburger rung in Stuttgart stand, welche dort anstel- genommen werde“ und der Pfarrverweser nicht Bischofs waren maßvoll und am kirchlichen le des vertriebenen Herzogs Ulrich amtierte. In weiter bedrängt und genötigt werde. Recht orientiert. Sie konnten so wenig bewir- der Zeit der Habsburger Herrschaft in Würt- Der Rat antwortete dem Bischof, er wisse ken wie die zahlreichen kaiserlichen Ge- und temberg (bis 1534) wurden in Anwendung des nichts von einer Nötigung des Geistlichen. Verbote. Über den Widerstand der Klöster in- Wormser Edikts strenge Maßnahmen gegen die formiert Baustein D. lutherische Lehre und ihre Anhänger ergrif- 4. Mit der Androhung des Banns ging der Bi- fen. So wurden beispielsweise die Prediger der schof von Würzburg gegen Lachmann vor, als neuen Lehre aus den unter württembergischer dieser am 20. April 1526 bekannt machte, dass Herrschaft stehenden Nachbarorten Weins- er Barbara Wissman heiraten werde. Der Rat berg und vertrieben. Heilbronn musste antwortete, wenn Lachmann vorgeworfen wer- als Reichsstadt und unmittelbarer Nachbar zu de, dass er in den Ehestand treten werde, der Württemberg besondere Rücksichten auf den vor Gott und den Christen zulässig sei, so sei Kaiser und das Haus Habsburg nehmen, zumal zu bedenken, dass er dazu durch das bisher aus dem Umland Anhänger der lutherischen von den Priestern geübte schamlose, unsitt- Lehre nach Heilbronn zum Gottesdienst kamen. liche und ärgerliche Leben bewogen worden sei. Danach unternahm der Bischof keine wei- 2. Die Heilbronner Barfüßermönche bitten in teren Schritte. einem Schreiben vom 9. März 1525 an den Rat, sie zu beschützen und zu beschir- 5. Der Bischof beklagt sich in einem weiteren men, weil sie auch Christen seien und Schreiben vom 5. Mai 1526, er habe von etli- gegenwärtig unter großer Verachtung und chen Priestern der Stadt gehört, die die ver- Schmähung leiden, von jung und alt in der worfene und verbotene lutherische Lehre ge- Stadt verspottet würden „ganz wie die Juden“. predigt hätten und dessen ketzerischer Sekte anhingen. Er werde diese durch seine Beauf- tragten auffordern, nach Würzburg zu kom- men.

48 Reformation in Heilbronn C 8 Schulen und gelehrte Bildung als Voraussetzung der Reformation

Die Schulverhältnisse in Heilbronn Leider sind wir über das vorreformatorische Und wenn es zwei Uhr schlägt, soll man Logik Schulwesen schlecht unterrichtet. Alle Schü- examinieren oder lesen bis drei Uhr; danach „Schon früh im 15. Jahrhundert hat eine latei- ler müssen Schulgeld bezahlen, die Einnahmen soll der Schulmeister oder sein Helfer Latein nische Schule hier bestanden. Ein Schulmeister des Schulmeisters werden durch Erlöse aus sei- unterrichten. fi ndet erstmals 1431 Erwähnung und mußte nen kirchlichen Verpfl ichtungen verbessert. In Im Winter soll man morgens um sechs Uhr be- damals wie später mit seinen Schülern bei den Heilbronn erhielt er ein Sechstel der Einkünfte, ginnen und ansonsten fortfahren wie oben be- Gottesdiensten mitwirken. Einem Laufchor un- die der Präsenz zur Verfügung zustanden. schrieben..“2 bemittelter Schüler war das Umsingen in der Man schätzt, dass in den Städten bis zu einem Stadt erlaubt, ebenso Gesang bei Hochzeiten Drittel der männlichen Bevölkerung lesen und Lateinisch reden, schreiben und verstehen war und Leichen. Unter den Schulmeistern des aus- schreiben konnte. Nur so lässt sich die rasche die Voraussetzung für jede weiterführende Bil- gehenden Mittelalters nimmt Konrad Költer die Verbreitung der Flug-und Streitschriften wäh- dungslaufbahn an der Universität. hervorragendste Stellung ein. Zu seiner Zeit rend der Reformation erklären. Weil Infor- wurde die Schule zu einer Pfl egestätte des Hu- mationen und Meinungen (aber auch Luthers Unter dem Einfl uss des Humanismus wurden manismus, fi nden aber auch deutsche Schüler Bibelübersetzung) massenhaft und schnell ver- in der Schule auch antike Dichter und Philo- Erwähnung. 1514 wies man den Knaben und breitet werden konnten, kann man die Refor- sophen gelesen. In ausgebauten städtischen Mädchen eigene Schulmeister zu. 1531 wurde mation auch als Medienereignis bezeichnen. Lateinschulen wurden neben Grammatik auch die deutsche Schule von der lateinischen ge- Rhetorik und Dialektik sowie die Anfänge des trennt. Schulzwang bestand nicht, doch emp- Aus der Schulordnung der ersten Latein- Fächerkanons der Universitäten gelehrt. fahl der Rat den Schulbesuch.“1 schule (um 1470) 1 Aus: Heilbronn. Eine Stadtgeschichte (1998), S. 41 „...im Sommer soll der Schulmeister morgens 2 Zitat naxh: 350 Jahre Gymnasien Heilbronn um fünf Uhr eine Stunde Grammatik exami- nieren und danach lesen und danach sollen die kleinen Knaben ihre Lektion aufsagen. Danach soll man Latein examinieren und Deklination, danach sollen die Knaben erneut ihre Lektion aufsagen und dann muß der Schulmeister in „Lateinisch Reden, schreiben und verstehen die Kirche gehen. Währenddessen soll der Hel- ist Grundfeste, Fundament und Weg, ohne fer (baccalarius) nach dem Lehrbuch exami- die die Schüler andere Künste nicht überkom- nieren. Ebenso soll der Schulmeister nach dem men mögen. Deshalb soll die Schule jeden Tag Frühstück von zwölf bis ein Uhr ein Kapitel aus ein- oder zweimal durchverhört werden. Und dem Evangelium oder eine Epistel examinieren wer Deutsch redet, soll mit dem Esel bestraft oder lesen und dann sollen die kleinen Knaben werden.“ wieder ihre Lektion aufsagen.

Reformation in Heilbronn 49 C 9 „Bösewicht bis in den Himmel“ – der Kiliansturm und die Reformation

Große Gründungsinschrift (1513) Große Vollendungsinschrift (1529) Kleine Vollendungsinschrift (vereinfacht und sprachlich modernisiert) (in lateinischer Sprache; übersetzt nach Fried- rich Dürr) An(no) dom(in)i M.D.XIII. sub D(omino) „kund sei und offenbar/ als man gezählt hat Max(imiliano) Caes.(are) construi cepta. An- fürwahr/ nach der Geburt unseres Herrn Dieses schöne Kunstwerk, unter günstigen Vor- no D. M.D.XXIX. sub D(omino) Carol(o) V. fünfzehnhundert und dreizehn Jahr/ zeichen unter Kaiser Maximilian begonnen, Imper(atore) absoluta. unter dieser Schrift gegraben ein festes Fun- welches der fromme Künstler Hans Schweiner = Im Jahr 1513 unter Kaiser Maximilian zu dament/ ( im Original: Janus Porcius!), ein Mann von er- bauen angefangen. Im Jahr 1529 unter Kaiser das den großen Bau tragen soll...zu Nutzen und fi ndungsreichem Geist, mit treuer Meisterhand Karl V. vollendet. Ehre der Stadt Dir, Karl, gegen das zehnte Jahr deines Kaiser- hat das ein löblicher Rat beschlossen. Hans tums vollendet (hat), ist unter jenem Meister Schweiner heißt der Baumeister. begonnen und vollendet worden. Gott vergebe uns unsere Sünden.“

Oberer Teil des Turms

Baumeister Hans Schweiner Wasserspeier

50 Reformation in Heilbronn C 9 Erläuterungen

In der Heilbronner Stadtgeschichtsschreibung Im Blick auf die geistige Situation der Zeit sind Über den „Steinernen Mann an der Spitze des wird seit dem 19. Jahrhundert eine enge Bezie- die Gründungs- und Vollendungsinschriften Kiliansturms“ ist schon viel geschrieben und hung zwischen dem Bau des Kiliansturms und fast interessanter als der Figurenschmuck. In gerätselt worden. Die weltliche Figur an der der Reformation hergestellt. Das Jahr seiner der Großen Gründungsinschrift von 1513 (an Spitze eines Kirchturms hängt mit Bau und Fi- Fertigstellung (1529) und die endgültige Ein- der Westseite des Turms in ca. 6 Meter Höhe nanzierung der „Bürgerkirche“ zusammen: der führung der Reformation (1530) liegen nahe erkennbar) wird auf Gott verwiesen und um Rat und die Bürger sind gewissermaßen Ei- beieinander. Dem Baumeister Hans Schweiner Nachlass der Sünden gebeten. 1529 – in den gentümer des Baus, der nicht nur kirchlichen werden Beziehungen zum Luthertum (vielleicht Vollendungsinschriften – fehlt jeder Gottes- Zwecken diente. Türmerstube und Tanzboden sogar zu Lachmann) unterstellt. Das Zitat in bezug. Auffallend ist dagegen das Bekenntnis weisen auf andere Funktionen hin. Deshalb der Überschrift wird einem altgläubigen Bürger zum (streng katholischen) Kaiser und Stadt- ist auch die Deutung der Figur durch Andre- und schroffen Gegner der reformatorischen herrn Karl V. – mitten in der Reformation. Die- as Pfeiffer überzeugend: es handelt sich nicht Lehre zugeschrieben. Hintergrund ist der Figu- se Inschriften auf der Turmspitze waren für die um einen Landsknecht, sondern um einen „ge- renschmuck des Turms, in dem antikirchliche Öffentlichkeit kaum erkennbar; heute befi ndet wappneten Heilbronner Bürger, der das Selbst- Aussagen erkennbar sind . sich der entsprechende Stein als Unterbau für bewusstsein der Reichsstadt Heilbronn zur Zeit In der neueren Forschung wird aber ein di- die Originalfi gur des „Männle“ im Rathausfoy- der Reformation verkörpert“. Mit anderen Wor- rekter Zusammenhang mit dem neuen Glauben er. Dort kann man auch die lateinische Inschrift ten: “Ein Symbol reichsstädtischer bürgerlicher oder gar ein reformatorisches Bildprogramm entziffern( lassen); die lateinische Sprache so- Gewalt“. 1 am Turm abgelehnt. Der Baumeister verwendet wie die Latinisierung des Namens Schweiner Stilelemente aus der Romanik, Gotik und Re- gehören zur humanistischen Mode der Zeit. 1 Vgl. Andreas Pfeiffer in: Der Kiliansturm (2005), S. naissance und lässt ansonsten seiner Phantasie 107f.; sowie den schon erwähnten Kunstführer über freien Raum. Der Antiklerikalismus in einzel- die Kilianskirche (Regensburg 2007) nen Figuren bedeutet zweifellos Kritik an den kirchlichen Verhältnissen, aber das muss nicht zwangsläufi g auf Reformation und Kirchen- spaltung hinweisen. Karikaturen des Klerus gibt es schon früher auch an anderen Kirchen. Auch die gängige Interpretation des Wasserspeiers – heute im Städtischen Museum- als Mönch und Nonne ist abwegig, weil der „Mönch“ keine Tonsur hat und auch die Haartracht der Frau nicht zu einer „Nonne“ passt. Es handelt sich vielmehr um eine Tiergestalt mit zwei (fratzen- haften?) Köpfen, wie sie seit Jahrhunderten im Kirchenbau vorkommen.

Reformation in Heilbronn 51 Baustein D „Im Blick auf Gottes Lohn“ - Klöster und Deutschor- denskommende in Heilbronn vor und nach der Reformation

Wer nur die jeweilige Haupt- oder Pfarrkirche Lange wurde der Deutschhof mit dem frän- Das Ende der Reichsstadt und die Einglie- einer Stadt betrachtet, bekommt ein einsei- kischen Königshof in Heilbronn und damit derung Heilbronns in das Königreich Würt- tiges und unvollständiges Bild von den kirch- mit der Gründungsgeschichte Heilbronns in temberg wirkte sich auch auf die Kosterland- lichen und religiösen Verhältnissen vor der Verbindung gebracht. Inzwischen steht aber schaft (oder das, was von ihr übriggeblieben Reformation. Für die Bevölkerung waren die fest, dass es sich um eine Neugründung auf war) aus. Die noch bestehenden Konvente der Kirchen und Kapellen der Klöster genau so bisher unbebautem Gebiet im Zusammen- Klaranonnen und Karmeliter wurden aufge- wichtig wie die einem Bischof oder Domkapi- hang mit der Stadterweiterung der Stauferzeit löst (1804 bzw. 1810), ebenso der Deutschor- tel unterstehenden Pfarrkirchen. „Das Laufen zwischen 1220 und 1230 handelt. Leider wis- den. Seine Gebäude gehen in den Besitz des in die Klöster“ – zur Beichte oder zur Predigt, sen wir nicht genau, von wem die Kommende Königreichs Württemberg über und werden als zur Taufe oder zum Begräbnis – wurde von den Heilbronn gegründet und woher der Baugrund Kaserne benutzt. Im ehemaligen Klarakloster etablierten Priestern häufi g beklagt. Die Bet- und die Erstausstattung stammen. Vermutlich wird ein Frauenzuchthaus eingerichtet; wegen telorden in den Städten waren deshalb beliebt, handelt es sich um ehemaliges Königsgut, das des schlechten Zustands der Anlage werden weil sie (zumindest ihrer Grundidee nach) mehr als Reichslehen über die Grafen von Lauffen am Ende des 19. Jahrhunderts die Gebäude ver- „Bürgernähe“ suchten und in ihrem Äuße- an die Familie von Dürn gelangt war. Durch kauft und abgerissen. ren (Kirchenbau) und Inneren (Lebensführung) Schenkungen des stauferfreundlichen Adels Weil immer wieder behauptet wird, die Ein- glaubwürdiger wirkten als die Pfarrherren mit kam schnell beträchtlicher Landbesitz zusam- führung der Reformation in den Städten und ihren Pfründen. Die Niederlassungen der Bet- men, der von Heilbronn aus verwaltet wurde Territorien sei vor allem aus wirtschaftlichen telorden in den Städten sind Teil der religiösen (D1-3). Mitglieder im Deutschen Orden waren Interessen am Kirchengut erfolgt, muß darauf Bewegung im Hochmittelalter, die eine Reform ausschließlich Adlige (D4). hingewiesen werden, das dies für Heilbronn – der westlichen Kirche anstrebten. Vom ehemaligen Barfüßerkloster ist heute nur im Gegensatz etwa zum Herzogtum Württem- Welche klösterlichen Einrichtungen es in Heil- noch ein kleiner Überrest des Kreuzgangs hin- berg oder Städten wie Nürnberg - nicht zu- bronn gab, kann man dem Stadtplan (C 3) ter dem Hafenmarktturm zu sehen. Das Kloster trifft. Außer dem Barfüßerkloster hat die Stadt entnehmen. Allerdings wissen wir über die wurde im Zusammenhang mit der Reforma- keinen Gebäude- oder Landzuwachs erreicht. Niederlassung der Franziskaner (meist Barfü- tion aufgelöst, die Gebäude wurden bis ins 20. ßer genannt), über das Klarakloster und das Jahrhundert als Schule benutzt und im Zweiten Karmeliterkloster relativ wenig, weil die Quel- Weltkrieg zerstört (D 6-8). lenlage schlecht ist. Das gilt auch für den Vom Klarakloster steht nur noch ein Teil der Deutschhof, wie die Deutschordenskommende einstigen Umfassungsmauer hinter der Com- in Heilbronn vereinfachend genannt wird. Au- merzbank. Das Gnadenbild, dem das Karmeli- ßerdem war die Stadtgeschichtsschreibung in terkloster seine Entstehung verdankt, wurde Heilbronn lange Zeit ‚reformatorisch’ geprägt schon erwähnt (C 4). Ansonsten erinnert nur und an den Klöstern und Klosterhöfen weniger noch der Name Mönchsee und eine Straße an interessiert. Inzwischen liegen aber viele Spe- dieses Kloster, das außerhalb der Stadtmauern zialuntersuchungen vor, die etwas Licht in das auf dem Gelände des alten Friedhofs lag. Seine Dunkel der Heilbronner Klostergeschichte brin- Gebäude wurden im 30-jährigen Krieg zerstört gen. Außerdem lassen sich die Erkenntnisse der und abgetragen, eine kleine Klostergemein- allgemeinen Stadtgeschichtsforschung über schaft überlebte in ihrem Stadthaus neben der die Rolle der Klöster und geistlichen Immu- Nikolaikirche bis 1804. nitäten mit aller Vorsicht auch auf Heilbronn Über die wirtschaftlichen Verhältnisse der ge- übertragen. nannten Einrichtungen sind wir besser infor- Weil von den drei ehemaligen Klöstern in Heil- miert, weil sich einige Güterverzeichnisse er- bronn fast keine Überreste mehr vorhanden halten haben, aus denen sich Besitz und Ertrag sind, muss man sich mit Rekonstruktionen und ableiten lassen. Abbildungen aus späterer Zeit behelfen. Eine Was das Innenleben der Klöster und ihr Wir- gewisse Hilfe stellen heute noch einige Stra- ken in der Stadt betrifft, so sind wir auf spä- ßennamen dar (Klarastraße, Klosterhof usw.) tere Darstellungen angewiesen(D7, D11). Nur Am besten steht in wörtlichem und übertra- im Zusammenhang mit der Reformation lassen genen Sinn die Niederlassung des Deutschen sich in den Ratsprotokollen einige Einzelfälle Ordens da, das heutige Deutschordensmüns- greifen, die einen Blick hinter die Klostermau- ter und das katholische Stadtpfarramt sind die ern erlauben. Auf diese Weise wird etwas von sichtbarsten Zeichen der katholischen Vergan- der Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit genheit in Heilbronn. im Klosterleben der damaligen Zeit sichtbar.

52 Reformation in Heilbronn D 1 Die Deutschordenskommende in Heilbronn

Ausschnitt aus Schlehenried 1658

heute

Reformation in Heilbronn 53 D 2 Bauliche Entwicklung der Deutschordenskirche Heilbronn

54 Reformation in Heilbronn D 3 Besitz und Einkünfte der Deutschordenskommende Heilbronn

Karte 1

Es handelt sich um Streubesitz und Besitzan- teile. Der Deutschorden erreicht kein geschlos- senes Territorium, u.a. wegen der Konkurrenz anderer Herrschaften und deren Einfl ussnah- me( z.B. Stadt Heilbronn, aber auch Deutschor- denskommende Horneck u.a.)

Geld- und Naturaleinkünfte 2 Die Einkünfte stammen aus dem in der Kar- 1 Aus: Gerhard Heß, Gründung und Besitz der Deutsch- 1524 verfügte die Heilbronner Kommende te ablesbaren Landbesitz, der damals immer ordenskommende Heilbronn. In: Hist. Verein1954, S.23 jährlich über 238 fl . Geldeinkünfte, dazu 611 „Land mit Leuten“ bedeutet, d.h. abgabepfl ich- 2 Nach: Michael Diefenbacher, Territorienbildung des Malter Getreide und 16 Eimer Wein, dazu ca. tige Bauern, die das Land bewirtschaften. Da Deutschen Ordens am unteren Neckar im 15. und 16. 2000 Stück Federvieh. die damaligen Bauern immer mehreren Herren Jahrhundert. Heilbronn 1985 (= Veröffentlichungen Fl. ist die Abkürzung für Gulden der Währungs- unterstanden, kam es zu einer verwirrenden des Stadtarchivs 26) einheit im 16. Jahrhundert. Der Wert ist schwer Abgabenvielheit. So standen dem Deutschen zu bestimmen, 1 Gulden sind mehrere hundert Orden in den einzelnen Dörfern nur Anteile zu, Euro und zwar vom Groß- und Kleinzehnten bei- Malter ist ein altes Getreidemaß (wie Schef- spielsweise in Hausen 5/12, in Nordheim 1/3, fel) und bedeutet ca. 150 Liter ; ein Eimer = in Horkheim alles. Vom gesamten Weinzehnten 290 Liter. erhielt der Deutschorden in Hausen und Dür- renzimmern je 5/12, in Nordheim 7/27, in Fran- kenbach 2/3, in Sontheim alles. Insgesamt waren dem Deutschorden 3810 Morgen Äcker und 276 Morgen Wiesen zins- pfl ichtig.( 1 Morgen = ca. 500 ha)

Reformation in Heilbronn 55 D 4 „teutsche Herren“ – der Deutschorden als Adelsverein

Deutschordensritter und Deutschordenspriester1 Epitaph Eberhards von Ehingen, Komtur von Heilbronn 1521- 1537) Foto: Eberhard Zwicker, Mainfränkisches Museum Würzburg

1 Aus einer Handschrift 1606; entnommen aus Hartmut Boockmann, Der Deut- sche Orden.München 1982, Abb.30+31

56 Reformation in Heilbronn D 1 – D 4 Erläuterungen

Im Zusammenhang mit den Kreuzzügen wur- Sontheim, 54 Bürger zu Degmarn, 2 zu Biber- gleichzeitig entstanden. Der Deutsche Orden den Organisationen gegründet, die sich dem ach und über den Ganerbenteil zu Talheim; profi tierte von dem päpstlichen Kreuzzugsab- Schutz und der Betreuung der Pilger und das Jagdrecht zu Sontheim ganz, zu Degmarn lass, der nicht nur für die Teilnahme an einem Kreuzfahrer verschrieben haben. Die ältes- halb(...); der Groß- und Kleinzehnt zu Sontheim Kreuzzug, sondern auch für die Unterstützung ten waren die Templer und die Johanniter; der ganz“ ... Einzelheiten siehe D 3 2 einer Kreuzfahrerorganisation gewährt wurde. 3 Deutsche Orden ist 1190 als kleines Zeltspital Sowohl die Baugeschichte als auch die Gü- Nur so lassen sich die zahlreichen Zuwen- im deutschen Kreuzfahrerlager vor Akkon ent- terverzeichnisse und die Liste der Komturen dungen und Stiftungen an den Orden erklären. standen. 1198 wurde die Hospitalgemeinschaft zeigen die Kontinuität des Deutschen Ordens Der Ritterorden verfügte dank der Möglichkeit, in einen geistlichen Ritterorden umgewan- in Heilbronn vom 13. bis zum Anfang des 19. Kreuzzugsablässe zu verkaufen, über beträcht- delt. Auf die Frühzeit des Deutschen Ordens im Jahrhunderts. Seit dem Anfang des 16. Jahr- liche Bargeldbeträge, die es ihm erlaubten, Heiligen Land braucht hier nicht näher einge- hunderts haben sich die Besitzverhältnisse auf dem Kreditmarkt aktiv zu werden und als gangen zu werden. Für unser Thema ist sein kaum verändert. Der Reformation schließt Landkäufer aufzutreten. Aufstieg im Reich unter dem Staufer Friedrich sich der Deutsche Orden im Reich und in der Wer kam als Schenker für den Deutschen Or- II. (1215 – 1250) und dem 4.Hochmeister Her- Stadt Heilbronn nicht an – im Gegensatz zum den in Frage, wer konnte ihm beitreten? Ganz mann von Salza wichtiger, weil in diese Zeit die Deutschordensstaat, der 1525 von dem Hoch- allgemein kann man feststellen, dass sich die Gründung der Niederlassung in Heilbronn im meister Albrecht von Brandenburg in ein welt- Mitglieder des Deutschen Ordens vorwiegend Jahr 1225 fällt. liches Herzogtum verwandelt und in dem die aus dem stauferfreundlichen Adel in bestimm- In einer verlorengegangenen Inschrift war von Reformation eingeführt wird. Gleichwohl be- ten Regionen des Reichs rekrutierten, vor allem einem „domus in Hailprun“ die Rede. Wie aus deutet das Jahr 1525 für die Heilbronner Kom- in Mittel- und Südwestdeutschland. In diesem dem Stadtplan (D 1) hervorgeht, entwickelte mende einen tiefen Einschnitt, weil die Stadt Zusammenhang muß nochmals auf den schon sich daraus ein stattlicher Komplex von 1,5 ha Heilbronn den aufständischen Bauern, die in erwähnten Ulrich von Dürn eingegangen wer- Größe mit Kirche, Herren- und Wohnhäusern der Stadt großen Anhang hatten, die Tore öff- den. Er wird in der Heilbronn- Literatur häufi g sowie Wirtschaftsgebäuden. Der abgeschlos- nete und ihnen die Klöster, die Klosterhöfe und als Gründer der Heilbronner Kommende ge- sene Charakter wird durch die Mauer und den das Haus der wenig beliebten Deutschordens- nannt, weil er 1225 in den Deutschen Orden Straßenverlauf sichtbar. Die Bauetappen der ritter zur Plünderung überließ. Dabei wurden eingetreten ist und der Kommende Heilbronn Kirche lassen sich rekonstruieren (D2). Der ro- sämtliche Urkunden und Akten vernichtet, was Siedlungsland geschenkt haben soll. Aller- manische Unterbau des Kirchturms und die die mehrfach erwähnte schlechte Quellenla- dings lässt sich das nicht belegen. Über seine heutige Taufkapelle mit Altar bilden die ältes- ge erklärt. Nur durch den Beitritt des Deutsch- Motive, in den Deutschen Orden einzutreten, ten erhaltenen Teile. Im 18. Jahrhundert er- meisters zum Schwäbischen Bund, dessen Heer lässt sich nur spekulieren: Frömmigkeit und die folgten aufwendige Umbauten im Barockstil. den Bauernaufstand blutig niederschlug, konn- Sorge um das Seelenheil waren das eine, Auf- Über das Innenleben der Heilbronner Kom- te der Fortbestand des Deutschen Ordens im stiegschancen in einem Sozialverband, in dem mende 1 sind wir schlecht unterrichtet. Im 13. Reich und in Heilbronn gesichert werden. alte Standesunterschiede eingeebnet wurden, Jahrhundert gab es ca. 25 Ordensbrüder, aus- Zum Verständnis der angedeuteten Entwick- waren das andere. schließlich Adelige. Dazu kam eine unbekannte lung seien noch ein paar allgemeine Informa- Äußerlich erkennbar waren die Ordensbrü- Zahl von Priestern und dienenden Brüder. Weil tionen angeführt, vor allem was die Struktur der an ihrer Kleidung (D4): weißer Man- die Mitglieder des Deutschen Ordens nicht an und das Selbstverständnis des Ordens betrifft. tel mit einem schwarzen Kreuz. Das Wappen eine Niederlassung gebunden waren, sondern Wie schon der Name „Ritterorden“ andeutet, (schwarzes Kreuz in weißem Schild) sowie häufi g versetzt und mit neuen Aufgaben be- handelt es sich um einen Zusammenschluss die Farben schwarz-weiß fi nden sich heute traut wurden, herrschte eine große Fluktuati- adliger Herren, die zwar die mönchischen noch an zahlreichen Gebäuden im Heilbronner on. Zwar sind die Namen sämtlicher Komturen Hauptgelübde (Armut, Keuschheit, Gehorsam) Raum, die früher dem Deutschen Orden gehört überliefert, aber über die sonstigen Bewohner ablegten, aber kein klösterliches Leben führten. haben. wissen wir wenig. Besser steht es um den Be- Es handelt sich gewissermaßen um die religi- sitz und die Einkünfte des Deutschen Ordens öse Spielart des allgemeinen Rittertums, das – aus zwei erhaltenen Güterverzeichnissen sich im 13. Jahrhundert herausgebildet hat. lassen sich die wirtschaftlichen Verhältnisse Zu der ursprünglichen Aufgabe ( Pfl ege und 1 Kommende meint sowohl das Ordenshaus als auch die rekonstruieren (D 3). Im Wesentlichen war die Schutz der Kreuzfahrer) kam später die Hei- kleinste Verwaltungseinheit, die von einem Komtur ge- Heilbronner Kommende über Jahrhunderte denmission. In der Verbindung von Kreuz und leitet werden. Mehrere Kommenden bilden eine „Bal- ein Wirtschafts- und Verwaltungsmittelpunkt, Schwert zeigt sich das Selbstverständnis des lei“, an der Spitze der 12 Balleien im Reich stand der unabhängig von der Stadt Heilbronn. Das Ver- Ritterordens. Deutschmeister. hältnis zur Reichsstadt wird im einzelnen in D Unter dem Hochmeister Hermann von Sal- 2 Nach Michael Diefenbacher, Territorienbildung des 5 erläutert. za wurde der Deutsche Orden mit kaiserlicher Deutschen Ordens ... S. 21 f. Weil die militärischen, missionarischen und Unterstützung und päpstlicher Billigung seit 3 nach Hartmut Boockmann, Der Deutsche Orden, Mün- karitativen Aufgaben des Ordens im Laufe der 1226 im Kampf gegen die heidnischen Pruzzen chen 1982, S. 35 und 43 f. Zeit in den Hintergrund traten, änderte sich eingesetzt, wozu ihn der polnische Herzog von auch die Lebensweise der Ordensritter, wie es Masowien gerufen hatte. Auf diesen Teil seiner folgender Spottvers ausdrückt: Geschichte, die in der Errichtung des Deutsch- „Kleider an, Kleider aus, ordensstaats gipfelte, kann hier nicht einge- Essen, Trinken, Schlafen gan, gangen werden. Wichtig ist, dass der Deut- Ist die Arbeit, so die Deutschherrn han.“ sche Orden sowohl im Heiligen Land als auch Zu Beginn des 18. Jahrhunderts lassen sich in Preußen von der Aufwertung des Kampfes Rechte und Besitzstand der Kommende Heil- gegen die Ungläubigen als „Heiliger Krieg“ pro- bronn folgendermaßen umschreiben: in der fi tiert hat. Das Verständnis des Kriegerberufs Stadt Heilbronn 12 Gebäude, 265 Morgen als „verdienstliches Werk“ fördert das Standes- Äcker, 212 Morgen Wiesen und 2 Fischwasser bewusstsein der mittelalterlichen Ritter. Hinzu im Neckar; die hohe und niedere Obrigkeit über kommt die Verbindung mit dem Ablasswesen: 107 Bürger, 6 Beisassen und 7 Schutzjuden in der Kreuzzug und die Lehre vom Ablass sind

Reformation in Heilbronn 57 D 5 „Eines ehrsamen Rats jederzeit dienstwillige Nachbarn“

Zum Verhältnis von Deutschordenskom- mende und Rat der Stadt Heilbronn

Die Formulierung der Überschrift stammt aus kam es auch wegen des Asylrechts, das dem und Gebäude wurden vom württembergischen dem 17. Jahrhundert, als sich das Verhältnis Deutschorden wie den anderen kirchlichen Ein- Staat eingezogen und als Kaserne benutzt. Im zwischen der evangelischen Reichstadt und richtungen zustand,1 zu Konfl ikten mit dem Gegenzug wurde die Gleichberechtigung aller den katholisch gebliebenen „teutschen Herren“ Rat, dem die Gerichtsbarkeit zustand. christlichen Glaubensbekenntnisse verfügt. entspannt hatte. Es kam zu förmlichen (heute Nach der Reformation, der sich der Deutschor- Katholiken können von nun an das Bürgerrecht würde man sagen: diplomatischen) den im Reich nicht anschloss, wurden teilweise erwerben und erhalten ein katholisches Stadt- Beziehungen in Form von gegenseitigen Besu- schikanöse Bestimmungen vom Rat erlassen. pfarramt. chen und Einladungen, von Beratung und Hilfe Diese bezogen sich auf den Gottesdienstbe- bei Rechtsgeschäften. In den Jahrhunderten such durch altgläubige Heilbronner Bürger davor gab es dagegen viele Spannungen und (was verboten wurde), das Glockenläuten oder 1 Seit 1209 haben alle Ordenshäuser durch päpstlichen Reiberein, die durch die Reformation verstärkt die Begräbnisrechte auf dem Friedhof nördlich Erlass das Recht erhalten, Verfolgte aufzunehmen und wurden, aber in der „Immunität“ des Deutsch- der Kirche. Außerdem besaßen die Deutschher- vor einer schnellen Verurteilung zu schützen. Das galt ordens ihren Ursprung hatten. Damit ist die ren teilweise noch Patronatsrechte an Kirchen aber nur für Leute, die wegen Schulden, Totschlags kirchliche und rechtliche Selbständigkeit der von Dörfern, die inzwischen zur Reichsstadt oder anderer Delikte angeklagt waren, nicht für vor- Deutschordensniederlassung gemeint, unab- Heilbronn gehörten und evangelisch geworden sätzlich verübte Verbrechen. Der Asylschutz war zeit- hängig davon, dass sie mitten im Gebiet der waren (z.B. Neckargartach). lich begrenzt. Der Deutsche Orden gewährte auch Ju- Stadt Heilbronn lag. Insgesamt bildete die Deutschordenskom- den Asyl, sehr zum Leidwesen der Stadt. Obwohl die Wirtschaftsgüter, die der Deutsch- mende mit ihren ausschließlich adeligen orden aus seinem weitverzweigten Landbesitz Komturen und ca. 50 Untertanen stets einen erhielt, in seinem Hof in Heilbronn gelagert Fremdkörper in der Stadt. Mit dem Aufkommen und verkauft wurden, war er von allen Zöllen der Bettelorden hatten sich die kirchlichen Be- befreit. Auch mussten die Deutschherren keine ziehungen und bürgerlichen Stiftungen dort- Steuern bezahlen, obwohl sie von der Schutzla- hin verlagert (vgl. D 14), eine alte Wallfahrt zur ge innerhalb der Stadtmauern profi tierten. Die Marienkapelle in der Kirche des Deutschordens Nutzung des Neckars für Mühlen und Fisch- kam zum Erliegen. fang führte spätestens seit 1371 zu Konfl ikten, Das Ende der Reichsstadt und die Eingliede- als die Stadt Heilbronn vom Kaiser das Privileg rung Heilbronns in das Königreich Württem- erhalten hat, den Neckar „zu kehren und wen- berg (1802) brachten auch das Ende des Deut- den, wie es ihr beliebt“. Gelegentlich schen Ordens in Heilbronn. Seine Besitzungen

Der Deutschhof im 19. Jahrhundert als Kaserne

58 Reformation in Heilbronn D 6 „für den Franciscaner Orden ein ansehnliches Closter erbauet“ – eine Spurensuche

Rest vom ehemaligen Kreuzgang

Lateinische Bauinschrift, die noch 1944 an einem Gebäuderest (Gartenportal) erhalten war und sich heute im Städtischen Museum be- fi ndet:

„Im Jahre des Herrn 1314 ist diese Kirche zu Ehren der hl. Jungfrau (Maria) und des hl. Franz (von Assisi) geweiht worden.

Seit 1544 wurde das ehemalige Kloster als Schulgebäude benutzt. In der Kirche, die zu- gleich Aula der Schule war, fand am 25. Okto- ber 1620 der feierliche Festakt der Eröffnung des städtischen Gymnasiums statt. Der heu- tige Hafenmarktturm wurde erst in den Jahren 1698 – 1727 erbaut.

Reformation in Heilbronn 59 D 7 „Männer des Volkes“ – die Barfüßer in Heilbronn

Mit dem Namen Barfüßer verbinden viele Heil- Da die Franziskaner (im Gegensatz zu den Übergang zur strengeren Richtung der Obser- bronner heute eine Gaststätte mit Bierbrauerei, Mönchsorden alten Stils) nicht auf Grundbesitz vanten beschlossen. Ob die Vorwürfe zutrafen die sich in der Nähe des ehemaligen Barfüßer- und Landwirtschaft angewiesen und deshalb und welche Interessen hinter den Vorgängen oder Franziskanerklosters befi ndet. Ob sich nicht ortsgebunden waren, kam es zu häufi gen steckten, kann man nicht mehr klären. Immer- Betreiber und Besucher der Tradition bewusst Orts- und Personalwechseln. Im Gegensatz zu hin wurde der Immobilienbesitz samt Einkünf- sind, auf die der Name anspielt, sei dahinge- den Zisterziensern mit ihrer strengen hierar- te dem Klarakloster zugesprochen und einem stellt. chischen Ordnung waren die Franziskaner eher städtischen(?) Pfl eger unterstellt.2 Die Franziskaner, meist Barfüßer genannt, ka- lose organisiert. Deshalb sind auch nur we- Während der Reformationszeit widersetzten men 1272 nach Heilbronn. Ob der Rat der nige Franziskaner von Heilbronn namentlich sich die Barfüßer mehrmals den Befehlen Stadt oder wohlhabende Patrizier ihnen den bekannt. Um 1465 soll es 9 Brüder (patres) ge- des Rats, die Messe abzuschaffen und sich Bauplatz „an der Straße“ (der heutigen Sül- geben haben; die Zahl der Novizen, Laienbrü- der evangelischen Ordnung anzuschließen. merstraße) zur Verfügung gestellt haben, lässt der und Hausknechte ist nicht bekannt. In einer 1538 verbietet der Rat die Neuaufnahme von sich nicht mehr feststellen. Zumindest wird sie 1977 erschienenen Schrift eines Kapuzinerpa- Mönchen und Novizen, nach dem Tod des letz- dieses großzügige Angebot veranlasst haben, ters, der ordensgeschichtliche Unterlagen aus- ten Mönchs hat der Rat das Kloster aufgeho- schnell mit den erforderlichen Baumaßnahmen gewertet hat, werden die Barfüßer in Heilbronn ben und in eine Schule verwandelt. zu beginnen: 1314 wird die Kirche geweiht. so charakterisiert: 1 “Pfl ege der Gemeinschaft, Die Franziskaner waren ein Bettelorden in der freiwillig gelebte Einfachheit und gewollte An- Nachfolge Franz von Assisis, die das christliche spruchslosigkeit waren die Quellen ihres Froh- 1 Adalbert Ehrenfried: Barfüßer und Klarissen in Heil- Armutsgebot ernst nahmen: „die Brüder sollen sinns und ihrer Freude (...) Die franziskanische bronn, Bruchsal 1977 nichts zu eigen haben, weder ein Haus, noch Predigtweise war an der Hl. Schrift orientiert, 2 Karl Heinz Mistele,Das Franziskanerkloster in Heil- einen Ort, noch irgend etwas anderes“. Ihr Klos- hat aber das Ziel der Belehrung und Bekehrung bronn. In: Blätter für württ. Kirchengeschichte 1987 ter war die Welt, besonders die der aufstre- der Gläubigen.(...) Die Brüder kannten die Men- benden Städte. Sie wollten ihren Mitmenschen schen, sie waren keine weltfremden Gelehrten, nahe sein und wandten sich mit Predigt und sondern Männer des Volkes. Sie verstanden ih- Seelsorge dem aufstrebenden Bürgertum re Mitmenschen, und das Volk liebte seine Bar- zu, das sich mit Almosen und Stiftungen er- füßer, die schlicht und einfach lebten(...)“ kenntlich zeigte. Aber nicht nur die einzelnen Gleichwohl haben es die Barfüßer in Heilbronn Mönche, auch die Klostergemeinschaft insge- zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Das samt durfte eigentlich kein Eigentum erwer- lässt sich daran ablesen, dass Anfang des 14. ben. Schenkungen und Grundbesitz waren mit Jahrhunderts ein Kaiseraufenthalt und poli- päpstlichen Ausnahmegenehmigungen nur er- tische Verhandlungen in ihrem Kloster statt- laubt, wenn sie zum Lebensunterhalt erforder- fanden. Auch mehrere Provinzialkapitel fanden lich waren. Formal blieb der Stifter Eigentümer, in Heilbronn statt. Auf Veranlassung des Rats so dass man Grundstücke dem Orden überge- wurde 1465 wegen gravierender Missstände ben und dadurch der städtischen Steuerpfl icht sogar eine Reform des Barfüßerklosters veran- entziehen konnte, was vom Rat der Stadt nicht lasst und gegen den Willen der Insassen der gerne gesehen wurde.

60 Reformation in Heilbronn D 8 „Klöster sind eigentlich Schulen“ – die Verwendung des Barfüßerklosters als Schulhaus

Hafenmarkt 1830 (Lithografi e der Gebr. Wolff) Obwohl kein unmittelbarer Einfl uss von Brenz auf die Heilbronner Entwicklung nachweisbar ist, so können solche Abhandlungen dem Rat der Stadt als Rechtfertigung gedient haben, in dem seit 1540 leerstehenden Barfüßerkloster die Lateinschule unterzubringen. Fünf (später sechs) Klassen der Lateinschule, der Schulmeis- ter und sein Gehilfe sowie die Bibliothek wur- den in den Klosterräumen untergebracht. 1620 wurde sie in ein „städtisches Gymnasium“ um- gewandelt.

1 Zit. nach: Neue Gestalt für das bleibende Wort im 16. Jahrhundert. Hrsg. von Gerhard Schäfer u.a. Stuttgart 1992 (= Lesebuch zur Geschichte der Evangelischen Landeskirche Württemberg) S. 101 - 103

Johannes Brenz, der Reformator von Schwä- Nachdem nun die Stifte oder Klöster von ihrem bisch Hall und Württemberg, unterscheidet in natürlichen Ursprung her dahin verordnet einer Abhandlung aus dem Jahr 15291, aus der gewesen sind, dass sie deren Zucht- und Lehr- die Überschrift stammt, zwischen Gottesdienst schulen waren, die zu des gemeinen Volkes Un- und Kirchendienst. Gottesdienst ist der weitere terweisung oder anderen vortreffl ichen Ämtern Begriff und meint gottgefällige Lebensführung berufen werden sollten, wird es für christlich allgemein. Kirchendienst ist die Vorbereitung angesehen, dass in einem Kloster oder Stift die darauf, und zwar in einem doppelten Sinn: ganze Bibel in lateinischer Sprache vor Hand „Kirchendienst ist die Ordnung, die in der wird genommen und alle Jahr einmal ausgele- Christen Versammlung zur Lehre, Zucht und sen werde.“ Unterricht des genannten Gottesdienstes ge- Im folgenden fordert Brenz, anstelle der alten, halten wird, den man an allen Orten zu allen „vom Papst regierten“ Klöster Schulen einzu- Zeiten vollbringen soll, so dass also der Kir- richten, in denen begabte Kindern des Landes chendienst nichts anderes ist als der Christen unterrichtet und erzogen werden sollen, damit Zuchtschule, darin sie lernen sollen, unserem sie später als „Räte, Pfarrer, Prediger, Stadt- Herrn Gott allwegen zu dienen.(...) schreiber, Schulmeister und andere“ verwendet Deshalb zum Kirchendienst zweierlei Kirchen werden können. oder Versammlungsstätten verordnet seien. Zum ersten die Pfarrkirchen, darin Jung und Schulhaus und Kreuzgang vor dem Abriss 1925 Alt, Weib und Mann, Gelehrt und Ungelehrt, ja allerlei Volks versammelt wird. Zum andern die Klöster oder Stifte, darin diejenigen allein versammelt werden sollen, die ihres Verstan- des und göttlicher Gaben halben andere Leute zu lehren auferzogen wurden. Und demnach muss man auch in beiden Versammlungen un- terschiedliche Ordnung halten. In einer Pfarr- kirche (...) muss alles in der gemeinsten und verständlichsten , bei uns also in deutscher Sprache ordentlich geschehen. Aber in einem Stift oder Kloster soll die lateinische Sprache beibehalten werden. Denn ob man wohl ohne die lateinische Sprache kann fromm und selig werden, so kann man doch ohne dieselbe nicht wohl gelehrt und kunstreich sein, was doch samt der Frömmigkeit und dem Glauben auch bei einem solchen gefordert wird, der dazu ge- widmet ist, andere Leute zu lehren.

Reformation in Heilbronn 61 D 9 „die gottesfürchtigen Frauen vom Orden der hl. Klara sind umgezogen“ – aus einer Urkunde 13021

„Wir, Mangold von Gottes Gnaden Bischof Deshalb stimmen wir den frommen Wünschen Anmerkung: von Würzburg, rufen mit vorliegender Schrift und gerechten Bitten der Nonnen huldvoll Die Anfänge des Klaraklosters gehen auf ei- in Erinnerung und bekunden öffentlich: Die zu.(...) Wir gewähren den Nonnen nach reif- ne Stiftung der Herren von Thalheim zurück. gottesfürchtigen Frauen, die Äbtissin und der licher Überlegung mit diesem Schreiben unse- Offensichtlich war der zunächst vorgesehene Konvent ihres Klosters vom Orden der heiligen re Vollmacht und Zustimmung, und nehmen Platz in Flein nicht geeignet. Durch die Verle- Klara in Flein, einem Ort unserer Diozöse, na- sie selbst und ihr neues Kloster in unseren und gung nach Heilbronn kam zum „besonderen he der Stadt Heilbronn, sind nach sorgfältiger unserer Nachfolger besonderen Schutz und Schutz und Schirm“ durch den Bischof von Prüfung umgezogen und haben ihr Kloster Schirm, damit sie um so unbeschwerter an die- Würzburg noch der wirkungsvollere durch die vom genannten Orte Flein in die Stadt Heil- sem Ort dem ewigen Herrn und Gott zu die- Stadtmauern hinzu. Wie alle geistlichen Ein- bronn, einem Ort unserer Diozöse, verlegt. Sie nen vermögen. (...) Damit aber das hier Gesagte richtungen war das Kloster rechtlich selbstän- haben sich in dieser Stadt neu einen Wohnsitz fortdauernd gültig und unverletzlich bleibe, dig und unabhängig; es war aber vertraglich zu und ein Kloster erbaut und errichtet. Danach geben wir vorliegendes Schreiben den Nonnen Steuerleistungen für die Erlöse aus seinen Gü- wurde von der Äbtissin an uns die demütige und ihrem Kloster zum Beweis dafür, bekräftigt tern verpfl ichtet. Bitte gerichtet, dass wir der von ihnen durch- mit dem Schutz unseres Siegels. Gegeben im geführten Erbauung des Klosters unsere Voll- Jahr des Herrn 1302 am 3. Januar, im 14. Jahr macht und Zustimmung gewähren möchten, unseres Pontifi kats.“ im Blick auf Gottes Lohn, wir wollen, dass die 1 HUB I Nr. 62; zit. nach Zimmermann/Schrenk: Neue Verehrung Gottes in unserer Zeit zunimmt, und Forschungen zum Heilbronner Klarakloster, 1993, S. 14 sind bestrebt, die heilige Religion auf alle Art zu fördern, wie es unsere Amtspfl icht verlangt.

Das Klarakloster – aus der Lithografi e von Schlehenried 1658

62 Reformation in Heilbronn D 10 Besitz und Einkünfte des „Ordens der Armen Frauen“ in Heilbronn

Ein Leben in Armut und in Besitzlosigkeit ver- Nach einem noch vorhandenen Lagerbuch von 1 Zit. nach Zimmermann/Schrenk, Neue Forschungen langte die Regel des von Franz von Assisi ge- 1513 besaß es damals schon in über 40 Or- zum Heilbronner Klarakloster. Heilbronn 1993 (=kleine gründeten „Zweiten Ordens der Armen Frau- ten der näheren und weiteren Umgebung von Schriftenreihe des Archivs Nr. 26). en“ von den Klarissen. Päpstliche Dispense Heilbronn über 800 ha Land – Höfe, Ackerland, milderten vielfach diese strenge Ordensre- Wiesen, Baumgärten, Weinberge, Wald, Häu- gel. Das Heilbronner Klarakloster lebte in einer ser, ein Fischwasser, eine Mühle – was jähr- solch gemilderten Ordnung. Nach einer vom lich über 500 Malter Roggen, Dinkel und Hafer Papst Urban VI. den Klarissen besonders be- erbrachte, dazu viele Geldzinsen und andere stätigten Regel war ein beschränkter Güterge- Naturalgefälle, wie Wein, Hühner, Gänse, Eier brauch erlaubt. Doch nicht die einzelne Nonne, und Öl. sondern nur das Kloster durfte Eigentum besit- Durch Kauf, Stiftungen und Schenkungen, zu- zen. Das Klarakloster galt immer als wenig be- meist vom niederen Land- und Stadtadel und gütert und arm. von vermögenden Bürgern, hatte das Kloster Doch die Wirklichkeit zeigt, dass das Kloster vor allem in den ersten zwei Jahrhunderten nach einer Erstausstattung mit einem großen seinen Besitzstand immerfort vermehrt. Es war Hof bei seiner Gründung in Flein in den ersten in allem, was man zum Leben brauchte, Selbst- zweihundert Jahren danach schon zu großem versorger geworden. Und, obwohl ein Bettelor- Besitz und Reichtum gekommen war. den, betteln brauchten die Heilbronner Klaris- sen nicht. 1

Karte mit Besitzungen des Klaraklosters im Raum Heilbronn

Reformation in Heilbronn 63 D11 „Einsamkeit, Gebet und Schweigen“ – Lebensweise der Klarissen 1

„Was Franziskus für seine Söhne im fünften Tages.(..) In der Kirche, auf dem Dormitor, also „Anfänglich kamen die Schwestern des Klosters Regelkapitel vorschreibt, gilt sinngemäß auch den Schlafräumen, sowie im Speiseraum wäh- aus dem niederen Land- und Stadtadel sowie für den zweiten Orden „Der Armen Frauen“: sie rend des Essens, war immer Stillschweigen ge- aus dem Stadtpatriziat. Ab dem 15. Jahrhun- sollen treu und andächtig arbeiten. boten. Was unumgänglich zu sagen war, durfte dert waren immer mehr der etwa 30 Nonnen Die Tagesordnung umfasst nach dem Vor- nur mit leiser Stimme in wenigen Worten oder von einfacher bürgerlicher Herkunft. bild der Benediktinerregel ora et labora – Ge- mit Zeichen ausgedrückt werden. Stille ermög- Eine gelockerte Armutsauffassung sowie bet und Arbeit. Entsprechend diesem Grund- licht das Gebet und die Betrachtung. (...) Reichtum und Wohlhabenheit führten zur gesetz gab es bei den Klarissen zwei Klassen Zurückgezogenheit, Einsamkeit, Gebet und Missachtung der Ordensregel. Um 1416 wird von Schwestern, die Chor- und die Laien- Schweigen trennen nicht von der Welt, son- geklagt, dass die Klarissen ein ungeistliches Le- schwestern. Den Laien oblag die Besorgung dern lassen mit dem Blick auf Gott die Not der ben führten. Die Mahlzeiten seien zu üppig ge- der Hausarbeiten in Küche, Garten, Waschkü- gehetzten und friedlosen Menschen leidens- worden und mehr und mehr verschafften sich che und Schneiderei, sowie der Pfortendienst. voll erfahren. (...) Ausgang war den Schwestern die Schwestern persönliches Eigentum und Die Chorschwestern pfl egten den lateinischen nicht erlaubt. Besuche von Weltleuten bei den trugen die vorgeschriebene Ordenskleidung Chorgesang und den festlichen Gottesdienst, Schwestern bedurften der Erlaubnis der Äbtis- nicht mehr.“2 oblagen dem Studium und verrichteten die sin und waren nur in den eigens eingerichte- feinen Handarbeiten durch Sticken und Näh- ten mit einem Gitter versehenen Sprechzimmer en von Paramenten (= Messgewänder und erlaubt. Von Martini (11. November) bis Weih- 1 Aus: Adalbert Ehrenfried, Barfüßer und Klarissen in Altartücher).Sicher werden sie auch für die nachten und in der Fastenzeit waren Besuche Heilbronn. Bruchsal 1977, S. 41 umliegenden Pfarreien die Hostien und Ker- verboten. (...)“1 2 Zimmermann/Schrenk, Neue Forschungen...1993, S. 29 zen bereitet haben. Für beide Klassen war das betrachtende Gebet vorgeschrieben, ohne das ein Gottesdienst nicht möglich ist. Was heu- te so ersehnt und geschätzt wird, die Stille, die Meditation, war mit ein Hauptanliegen der Klarissenregel. Das sogenannte klaustrale Still- schweigen war vorgeschrieben von der abend- lichen Komplet bis zur Terz des folgenden

64 Reformation in Heilbronn D 12 „beim Glauben der heiligen christlichen Kirche bleiben“ – vom Widerstand und Überleben der Klaranonnen in Heilbronn

Von den Klaranonnen in Heilbronn sind kaum Über die Vorgänge in Heilbronn steht in der Trotz dieser harten Einschränkungen blieben schriftliche Quellen überliefert. Ersatzweise schon mehrfach zitierten Schrift von Adalbert die Klarissen in der Stadt, erhielten bis zur Auf- wird aus einer Schrift der Äbtissin des Nürn- Ehrenfried aus dem Jahr 1977: lösung Nachwuchs und waren ihres Glaubens berger Klaraklosters, Caritas Pirckheimer, zitiert, „Seitdem die ersten reformierten Prediger in froh. Als 1730 die Stadt das zweihundertjähri- in der sie sich gegen die angeordneten Re- Heilbronn auftraten, hatte auch der Rat im- ge Jubiläum der Annahme der Reformation fei- formmaßnahmen der Stadt zur Wehr setzt.1 mer neue Vorstöße gemacht, die Schwestern erte(...) hielten die Schwestern Betstunden zum „Nun wissen wir sehr wohl, dass es einige Pre- aus dem Kloster zu bringen und zum Übertritt Dank für die Erhaltung des Glaubens.(...) Bürger diger gibt, die uns für unchristlich halten und zu bringen. Den Schwestern wird 1525 befoh- und Stadt nahmen die Existenz des Klaraklos- uns unter dem Vorwand des h(eiligen) klaren len, weltliche Kleider anzulegen, die Predigt in ters in den kommenden Jahren doch hin.(...)“ Evangeliums auf offener Kanzel angreifen und der Pfarrkirche zu besuchen, sie sollen zu ihren sagen, sie geben nicht Ruhe, bis sie die Mönche Bekannten und Verwandten gehen. Mit herz- Am 23. April 1810 wird das Klarakloster aufge- und Nonnen aus der Stadt gepredigt haben lichen und eindringlichen Worten schreiben die hoben. Die Nonnen, Äbtissin, Priorin, 10 Chor- (...). Alle Bestrebungen sind darauf gerichtet, Schwestern an den Rat und weisen hin „wie frauen und 6 Laienschwestern erhalten lebens- dass wir uns freiwillig der neuen Sekte an- viel Widerwärtigkeit, Angst und Not wir in der längliche Pension. Später wurde das Gebäude schließen sollen, was aber keine Mitschwester vergangenen Zeit erfahren haben und welchen in ein Zuchthaus verwandelt. vor ihrem Gewissen gegen Gott verantworten Schaden wir an unseren Gütern erlitten ha- kann. Mit seiner Hilfe wollen wir beim Glauben ben“ (...) Auf ein kaiserliches Mandat von 1531, der h(eiligen) christlichen K(irche) bleiben und die Klarissen in ihrem Gottesdienst und Glau- 1 Zit. nach Deutsche Geschichte in Quellen und Darstel- uns solange nicht davon abbringen lassen, bis ben nicht zu hindern, reagiert der Magistrat lungen Bd. 3, Stuttgart 2001, S. 316f. die derzeitige Zwietracht in der Kirche wieder überhaupt nicht. Den Schwestern wird 1535 Obwohl keine direkten Beziehungen zu Heilbronn zur Eintracht gebracht wird. Aber nicht eher, das Angebot gemacht, das Kloster verlassen nachweisbar sind, ist es denkbar, dass die Heilbronner weil wir nach eindringlicher Anrufung Got- zu dürfen, man werde ihnen ihre Mitgift zu- Klarissen von diesem Widerstand Kenntnis hatten. tes es nicht mit unserem Gewissen vereinba- rückgeben, und wer ohne solche gekommen 2 Mönche sind deswegen leichter „aus den Klöstern ge- ren können, dass wir glauben und leben sollen, sei, würde von der Stadt unterhalten.2 Der Rat laufen“, weil sie auch außerhalb der Klostermauern was andere wollen und guter Gewohnheit der lässt die Kirche verschließen(...), das Inventar leben und eine Existenz aufbauen konnten. Für ehe- Christenheit widerspricht.“ der Sakristei wird beschlagnahmt und versie- malige Nonnen war das viel schwieriger, weil sie mit gelt. Erlaubt wird nur, bei verschlossenen Türen Eintritt ins Kloster auf alles verzichtet haben und beim den Gottesdienst zu halten, wobei jedoch „alles Austritt buchstäblich vor dem Nichts standen. Ungöttliche“ zu vermeiden sei. Das bisher ge- währte Recht auf Befreiung von Mühlzoll und Bodengeld wird dem Kloster entzogen.(...)

Reformation in Heilbronn 65 D 13 Vom Gnadenbild zum Kloster – das Karmeliterkloster vor den Toren der Stadt

Ein von Brennnesseln überwuchertes Marien- Anlage mit Kirche, Konvents- und Wirtschafts- Nikolaikirche und der „Mönchsee“ mit Fisch- bild, das an der Straße nach Weinsberg gefun- gebäuden an der Straße nach Weinsberg (heu- zucht. 1632 wurde das Kloster von schwe- den wurde, löste in der Mitte des 15. Jahr- te auf dem Gelände des Alten Friedhofs). Der dischen Truppen im Einverständnis mit der hunderts eine starke Wallfahrtsbewegung aus. Karmeliterorden wurde deshalb ausgewählt, Stadt „niedergelegt“, nachdem es schon im Der Legende nach hatte eine Bauersfrau „eine weil er sich besonders der Marienverehrung Bauernkrieg 1525 schwer beschädigt worden wunderbare Erscheinung“, es ist von Wun- widmete. Obwohl das Kloster nur für 6 Mönche war. Die Karmeliter zogen in ihr Stadthaus, wo dern und Heilungen die Rede. Der Pilgerstrom und 3 Novizen angelegt war, wurde es zur eine kleine Gemeinschaft (3 Mönche, 2 Lai- brachte „viel gelt, wachs, silber, gold, ge- wichtigsten und einträglichsten Einrichtung enbrüder) bis 1804 verblieb und den (katho- schmeide, kleinodt“ und andere Opfergaben. vor der Reformation. Aus den Einnahmen der lischen) Gottesdienst im Deutschhof versah. Deshalb wurde vom Rat der Stadt der Bau ei- Wallfahrer konnten nicht nur der Klosterbau, ner Kapelle veranlasst. Der Würzburger Bischof sondern teilweise auch der Umbau der Kilians- gewährte 1445 einen Ablass beim Besuch der kirche fi nanziert werden. Die Aufsicht über den Kapelle, 1447 schließlich wird (mit päpstlicher Bau und die wirtschaftlichen Belange des Klos- Genehmigung) die Gründung eines Klosters ters lagen nämlich bei der Stadt. Zum Kloster beschlossen. Die Abbildung zeigt die fertige gehörte noch ein Stadthaus neben der

Karmeliterkloster um 1580 (Hauptstaatsarchiv Stuttgart)

66 Reformation in Heilbronn D 14 „öffentlich der Ketzerei bezichtigt“ – die Karmeliter beklagen sich beim Rat 1524

In einem Schreiben wenden sich die Karmeliter vgl. C 4) sogar umgestoßen und öffentlich als zu bewahren. (...) Obwohl wir um Christi willen an den Rat der Stadt (gekürzt und sprachlich Ketzerei bezeichnet. Die Wunderzeichen, die üble Nachrede ertragen müssen – die Ehre und modernisiert): bisher geschahen, seien Teufelswerk – man das Lob der Jungfrau Maria wollen wir retten „Ehrbare und weise Herren, unser Gebet und solle das Bild verbrennen. Solche und ande- und bewahren. (...) angemessene Dienstbarkeit vorweg(...) Uns re Schimpfworte hat der fremde, unbekann- Kaplan, Prior und Konvent „zu unser frauen kommt glaubhaft zu Ohren, dass hier in eurer te Mann öffentlich vorgetragen und das Volk Carmeliten ordens“ Stadt jemand in der Nikolaikirche gepredigt gegen uns und unser Gotteshaus aufgehetzt. und dabei unser Gotteshaus mit Schimpfwor- Wir armen Brüder tragen dies dem ehrwür- Im Ratsprotokoll ist vermerkt: „Ist fast alles ten bedacht hat. Zuvor hat er es an Ehrerbie- digen Rat vor mit der Bitte, uns den zustehen- erlogen.(...)Der Rat hat beschlossen, ihm das tung gegenüber der Mutter Gottes fehlen las- den Schutz zu gewähren und uns vor solchen Predigen nicht zu verbieten, solange er das sen und dieses (gemeint ist das „Gnadenbild“, Schmähungen und unchristlichen Zumutungen Evangelium predigt, aber ihm zu untersagen, die Gottesmutter zu schmähen.“

Votivbild der Erers (Mitte 15. Jahrhundert)

Der stark beschädigte Reliefstein stammt aus Familienbegräbnis hatte. Auf Veranlassung von dem Karmeliterkloster und wird heute in den Konrad Erer, dem langjährigen und altgläu- Städtischen Museen aufbewahrt. Links ist das bigen Bürgermeister in Heilbronn (von 1494 Erersche Wappen (ein halber Bär) zu erkennen; – 1528) wird 1519 von Kardinal Albrecht von der Mann in Andachtshaltung vor der Gottes- ein zusätzlicher Ablass beim Besuch des mutter wird ein Angehöriger der Patrizierfami- Gnadenbilds gewährt. lie Erer sein, die im Karmeliterkloster ihr

Reformation in Heilbronn 67 Baustein E „...keine Alternative zu einem gedeihlichen Zusammenwirken“ – evangelische und katholische Christen heute

Im Schulalltag spielen Konfessionsunterschiede Die Grundrisse der Kilianskirche und des In der Ansprache des katholischen Dekans bei keine große Rolle mehr. Zwar wird der Reli- Deutschordensmünster Peter und Paul ( E1+E2) der Amtseinführung seines evangelischen Kol- gionsunterricht noch getrennt erteilt, aber es werden ohne Beschriftung angeboten, weil legen Friedrich (E 6) wird etwas von der Öku- gibt viele Formen der Zusammenarbeit und sie vom Fachlehrer den jeweiligen Lerngrup- mene „von unten“ sichtbar, die sich auch in Übereinstimmungen im Lehrplan und in den pen und Unterrichtsbedingungen angepasst den zahlreichen Sozialeinrichtungen und kirch- Unterrichtszielen. werden müssen. Man kann charakteristische lichen Diensten der beiden christlichen Kir- Fragt man evangelische oder katholische Schü- Konfessionsmerkmale eintragen (lassen), die chen in Heilbronn (E 7) widerspiegelt. Durch ler nach Wesensmerkmalen ihrer Konfession, Rolle wichtiger Symbole oder die Stellung der Erkundungen und Befragungen vor Ort kann so erhält man oft oberfl ächliche Antworten, Pfarrer/Priester und der Gläubigen hervorhe- festgestellt werden, auf welche Bereiche sich meistens die Glaubenspraxis oder die Rolle des ben. Wer eher kunstgeschichtlich vorgehen will der diakonische Auftrag der Kirchen erstreckt Papstes betreffend. Inhaltliche und dogma- oder selbständige Lernformen bevorzugt, kann und welche Angebote von welcher Konfession tische Unterschiede sind kaum bekannt. den Plan als Groborientierung austeilen und stammen. Zu dieser Angleichung im Alltag hat natürlich mit entsprechenden Anmerkungen und Ar- In der Reformationszeit war das Thema ‚Recht- die zunehmende Zahl konfessionsloser und beitsanweisungen versehen. fertigung’ ein zentraler Streitpunkt, der heu- muslimischer Schüler beigetragen. Die Trennli- Das Bild von einer katholischen Messe in der tigen Christen nur noch schwer zu vermitteln nien verlaufen nicht mehr zwischen den christ- Kilianskirche – zusammen mit der nicht ganz ist und eher akademische Bedeutung hat. In lichen Konfessionen, sondern eher zwischen korrekten Bildunterschrift (E3) - bietet zusätz- der gemeinsamen Erklärung der beiden Kirchen den verschiedenen weltanschaulichen Orientie- liche Impulse für das Thema dieses Bausteins. vom 31. Oktober 1999 in Augsburg zu diesem rungen. Anders gesagt: die Konfessionszuge- An zwei vorreformatorischen Kunstwerken in Thema werden die Gemeinsamkeiten betont hörigkeit hat keine identitätsstiftende Wirkung der Kilianskirche können weitere Unterschiede und Unterschiede eher behutsam artikuliert( mehr. Gleichwohl besuchen christliche Schüler im Glaubensverständnis und in der Gottes- E8). In dem Kirchenlied von 1523, das heute sonntags verschiedene Kirchen und nehmen dienstordnung verdeutlicht werden. Die im noch in Evangelischen Gottesdiensten gesun- am evangelischen Gottesdienst teil oder feiern Krieg schwer beschädigten Sakramentsschreine gen wird („Es ist das Heil uns kommen her“), die Heilige Messe. im Nordchor (E 4) und im Hauptchor gehören wird dagegen der Gegensatz zwischen „altem“ Was unterscheidet also, was verbindet evange- zu dem Sakramentsschrein, der nur noch für und „neuem“ Glauben deutlich ausgesprochen. lische und katholische Christen heute – in Heil- die katholische Messe Bedeutung hat. „Konfessionelle Kooperation im Religionsunter- bronn und anderswo? Das ist das Thema dieses Die Figurengruppe im Mittelschrein des Hoch- richt“ (E9) – mit diesem Modellprojekt wird ein letzten Bausteins, der selbstverständlich diese altars von Hans Seyfer ( E 5) ist für das katho- zukunftsweisender Schlusspunkt gesetzt, was Thematik nur andeuten und aus der lokalen lische Glaubensverständnis wichtig, nicht aber die ökumenische Offenheit der Kirchen betrifft. Perspektive ergänzen kann. für das evangelische.

68 Reformation in Heilbronn E 1 „Mittelpunkt der Stadt“ – die Kilianskirche

Reformation in Heilbronn 69 E 2 „unser Gotteshaus – eine heilige Stätte“ – Deutschordensmünster St. Peter und Paul

70 Reformation in Heilbronn E 3 Erste Messe in der Kilianskirche seit der Reformation

Heilbronner Stimme vom 24.1.1994

Reformation in Heilbronn 71 E 3 Erläuterungen 1

1. Das Abendmahl 2. Ökumenisches Gespräch zum Thema 3. Gegenseitiges Annähern der Konfessionen Abendmahl und Amt

Abendmahl ist der Name für die Feier im Im ökumenischen Gespräch besteht Einigkeit Die Messe als Opfer war seit der Reformation Namen Jesu und zu seiner Erinnerung mit darüber, dass Jesus Christus selbst Grund und Anlass zu Streitigkeiten zwischen den Kon- Brot und Wein; Kommunion ist die Be- Inhalt des Abendmahls ist. Beträchtliche Diffe- fessionen. Die Reformatoren lehnten die Vor- zeichnung für die Mahlgemeinschaft. Dieses renzen zwischen den Konfessionen liegen al- stellung einer Wiederholung des Opfers Jesu Wort wird vor allem in der katholischen lerdings in dem Verständnis, wie das im Abend- Christi in der Messe ab.2 Kirche für die Gemeinschaft der Gläubigen mahl geschenkte Gut den Gläubigen zukommt. In den ökumenischen Gesprächen fand eine bei der Eucharistie verwendet. In der evan- Für die römisch-katholische und die orthodoxe deutliche Annäherung in dieser Frage statt. gelischen Kirche darf grundsätzlich jeder Kirche ist es unverzichtbar, dass der Feier der Die Eucharistie wird als Gedächtnis eines ein- Christ die Einsetzungsworte sprechen, wie Eucharistie ein geweihter Priester vorsteht. Am maligen unwiederholbaren Opfers Jesu Christi es nach der Ordnung der Kirche geschieht. Priesteramt wird deutlich, dass die Eucharistie gefeiert. Durch dieses eine Opfer sind erneute Nach katholischem Verständnis kann nur eine Gabe ist, die auf radikale Weise die Voll- Opfer ausdrücklich ausgeschlossen. Auch die ein geweihter Priester durch das Sprechen macht der Gemeinde überragt. Das Sakrament weitere Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl der Einsetzungsworte Brot und Wein in der Eucharistie ist ausschließlich dem mit dem war Gegenstand von Auseinandersetzungen. den Leib und das Blut Jesu verwandeln (= Sakrament der Weihe versehenen Priester an- Die römisch-katholische Tradition hat die Prä- Transsubstantation). Damit wird vor Gott vertraut, der es als Vertreter Christi der Ge- senz des Leibes Jesu Christi unter den Gestal- das Opfer wiederholt, das Jesus durch sei- meinde vermittelt. Die evangelische Tradition ten von Brot und Wein betont, die in der Lehre nen Tod für die Menschen gebracht hat. Die teilt die Ansicht, dass das Abendmahl eine Ga- von der Transsubstantation ihre Begründung Gläubigen nehmen es mit Danksagung an be Jesu Christi an seine Kirche ist. Die gesamte und Verankerung erhielt. Die reformatorischen (= Eucharistie). Auch für Luther ist Brot Gemeinde trägt die Verantwortung dafür, dass Kirchen lehnen diese Lehre ab. Der ökume- und Wein Christus selbst; aber nicht so, das Evangelium in Wort und Sakrament ver- nische Dialog hat auch in diese Frage zu einer dass die Christen ihn in einer geweihten kündigt wird. Jedes Mitglied der christlichen deutlichen Annäherung geführt. Weil das Ge- Hostie anbeten, aufbewahren und in Prozes- Kirche ist durch die Taufe zum Dienst an Wort heimnis der Präsenz Jesu Christi das Verste- sionen herumtragen. und Sakrament grundsätzlich befähigt. Für hen der Kirche überragt, verzichten die Kirchen den öffentlichen Dienst an Wort und Sakra- darauf, sie entweder allein räumlich, als an die ment beruft die Kirche aus ihrer Reihe begabte eucharistischen Gestalten gebunden, oder al- und ausgebildete Frauen und Männer und be- lein erinnernd und geistlich zu beschreiben. auftragt sie durch die Ordination. Nach der Die Frage nach der Art und Weise der Gegenart evangelischen Überzeugung ist Jesus Christus Jesu Christi ist deutlich hinter die Feststellung allein der Mittler zwischen Gott und Mensch. getreten, dass er im Abendmahl tatsächlich Eines geweihten Priesteramtes bedarf es nicht. präsent ist.

1 Die Erläuterungen zu E3 +E7 stammen von Jörg Spahmann 2 Vgl. B 3: „Warum die Messe ein Gräuel vor Gott ist“ (Lachmann)

72 Reformation in Heilbronn E 4 „Das ist mein Haus“ - das Sakramentshaus im Chor der Kilianskirche

Aus Martin Luthers Abhandlung Erläuterungen: über die Messe1 Der Sakramentsschrein hat zwei Zugänge, ei- Bei der Kommunion werden die Hostien aus nen vom Hauptchor und einen vom Nordchor dem Sakramentshäuschen geholt und den „Wollen wir recht Messe halten, so müssen aus. Die dazu gehörenden Sakramentshäus- Gläubigen gereicht. wir alles fahren lassen, was die Augen und al- chen wurden im Zweiten Weltkrieg stark be- le Sinne in dieser Sache zeigen und vorbringen schädigt und sind nur noch bruchstückhaft können, sei es Kleid, Klang, Gesang, Schmuck erhalten. Ihr kunstvoller Aufbau und der Figu- (...)Zuerst müssen wir die Worte Christi fassen renschmuck lassen sich nur noch schwer er- und wohl bedenken, mit denen er die Messe kennen. Das Hugenottenkreuz ist eine moderne vollzogen und eingesetzt hat (...) Nehmet hin Zugabe und ein Geschenk der französischen und esset. Das ist mein Leib, der für euch ge- Partnerstadt Beziers. geben wird. Nehmet hin und trinket daraus Gegenüber der Sakramentsnische im Haupt- allesamt. Das ist der Kelch des neuen und ewi- chor befanden sich die ebenfalls kunstvoll ge- gen Testaments und mein Blut, das für euch arbeiteten Sitzgelegenheiten der Geistlichkeit, und für viele vergossen wird zur Vergebung die heute nicht mehr erhalten sind. Das weist der Sünde (...) Dieses Wort Gottes ist das ers- auf den besonderen liturgischen Rang des Sa- te, der Grund,der Fels, auf dem hernach alle kramentsschreins hin. Er diente zur Aufbe- Werke, Worte, Gedanken des Menschen bauen. wahrung der geweihten Hostie, des Brotes der (...) Dieses Vertrauen und dieser Glaube ist An- Abendmahlsfeier und sinnbildlichen Verkör- fang, Mitte und Ende aller Werke und Gerech- perung des Leibes Christi. Bei der Kommunion tigkeit. (...)“ werden die Hostien aus dem Sakramentshäus- chen geholt und den Gläubigen gereicht. 1 Ein Sermon von dem neuen Testament, das ist von der Während der Umbaumaßnahmen in der Peter- hl. Messe ( 1520) zit. Nach: Ausgewählte Schriften, und Pauls - Kirche erhielten die katholischen Bd. 2, 1983, S.78f Christen Gastrecht in der Kilianskirche. Bei der Messe erfüllte das Sakramentshäuschen seine alte Funktion.

Reformation in Heilbronn 73 E 5 Heilige und Märtyrer – die Figuren im Mittelschrein des Hochaltars von Hans Seyfer (1498)

Erläuterungen: Im Mittelpunkt der Figurengruppe steht – Links außen sieht man den Heiligen Laurentius, Rechts neben Maria (vom Betrachter aus links) leicht erhöht – Maria mit dem Jesuskind. Auf- erkennbar an dem Rost in Anspielung auf sei- steht Petrus, erkennbar an der Papstkrone und fallend ist das Mondsichelgesicht zu Füßen der nen grausamen Tod bei der Christenverfolgung dem Schlüssel. Links Kilian mit dem Schwert Maria. Damit wird auf ihre symbolische Bedeu- in Rom 258.Auf der anderen Seite der Heilige vor dem Bischofsstab, der Schutzpatron des tung (nach einer Bibelstelle in der Offenba- Sebastian, der wegen seines christlichen Glau- Bistums Würzburg und der Heilbronner Pfarr- rung) hingewiesen. Sie ist nicht nur Mutter Je- bens gesteinigt wurde. Beide Märtyrer wurden kirche. su, sondern auch die ‚neue Eva’, welche die alte im Mittelalter sehr verehrt. Als ‚Gnadenver- Eva mit der Schlange durch die Geburt Jesu mittler’ und religiöse Vorbilder spielen sie in überwindet und so zur Gnaden- und Heilsver- der katholischen Kirche heute noch eine Rolle. mittlerin wird. Seit dem 12. Jahrhundert nimmt die Marienverehrung im Abendland immer mehr zu, Maria gilt als Verkörperung der Kirche auf Erden.

74 Reformation in Heilbronn E 6 „keine Alternative zu einem gedeihlichen Zusammenwirken“ aus der Ansprache des katholischen Dekans Dieser Botschaft sind wir als evangelische und Es gibt keine Alternative zum Zusammenwir- Dr. Scharfenecker bei der katholische Christen verpfl ichtet, von hierher ken der Kirchen, um Gottes und der Menschen Amtseinführung des evangelischen Dekans haben unsere beiden Kirchen ihr Existenzrecht. willen gibt es sie nicht. Nur wenn wir im Auge Friedrich am 17. Februar 2008 Und die Menschen dieser Erde und dieser Stadt behalten, wem wir verantwortlich sind, können haben ein Recht darauf, dass wir als Kirchen- wir uns auf Gott berufen und hat unsere Rede Am zweiten Sonntag der Passionszeit treten leute diese Botschaft leben und mit ihr auf die von Gott ihr Recht und ihren Sinn. Sie, lieber Herr Dekan Friedrich, Ihr neues Amt Not und Sorge vieler Amtwort zu geben ver- Das wünsche ich mir, dass wir als evangelische als Dekan des Evangelischen Kirchenbezirks suchen. und katholische Christen hier im Unterland mit Heilbronn an. Es ist die Zeit imKirchenjahr, die Auf diesem Hintergrund gibt es für unsere einer Stimme von Gott und für die Menschen uns vielleicht mehr als andere zeigt, worauf es Kirchen keine Alternative zu einem gedeih- sprechen, dass wir Profi l zeigen als Christen in ankommt, worum es geht in unserem Glauben. lichen Zusammenwirken, wenn wir uns denn einer Welt, die sich oft selbst genug ist und ih- Um einen teuren Preis seid ihr erkauft, schreibt nicht vor Gott versündigen und vor der Welt re Verantwortung vor Gott vergisst.(...) Paulus im ersten Brief an die Korinther( 6,20). lächerklich machen wollen. Wenn wir uns als Das Leiden und Sterben Jesu verdeutlicht uns Kirchen um uns selber drehen, vernachlässigen in aller Schärfe, wie viel Gott einbringt, um wir, ehrlicherweise muss man sagen, verraten uns zu erlösen, wie hoch sein Einsatz ist. Die wir unsere eigene Sendung. Hingabe Jesu am Kreuz ist der Preis unserer Das macht katholische Alleinvetretungsansprü- Befreiung, offenbart uns, dass unsere Schuld che, wie sie in Rom formuliert werden, und nicht automatisch zum Gericht wird, das wir evangelische Abgrenzungsstrategien, wie sie gerettet sind. Gott geht es um uns Menschen, aus Berlin zu vernehmen sind, so schmerzlich er liebt uns bis aufs Blut. und verderblich.

Reformation in Heilbronn 75 E 6 Ergänzungen aus evangelischer Sicht

Vielfältige Möglichkeiten der ökumenischen Zusammenarbeit

Im Blick auf die Gestaltung der konkreten ökumenischen Literaturhinweise: Zusammenarbeit sind evangelische und katholische - Das Abendmahl. Eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis des Christen dazu ermutigt, alle Freiräume intensiv zu nutzen Abendmahls in der evangelischen Kirche, vorgelegt von dem Rat der und weiterhin in ökumenischer Weise aufeinander zuzuge- evangelischen Kirche in Deutschland hen. Ökumene ist keine Nebensache, sondern der Auftrag Gütersloh 2003 Jesu Christi an alle Christinnen und Christen. Dies betonte auch Dekan Dr. Uwe Scharfenecker bei der Investitur von - Lehrverurteilungen – Kirchen trennen? Hg. von Karl Lehmann und Wolfhard Pannenberg (Dialog der Kirchen: Dekan Otto Friedrich am 17.02.2008 bei seinem Grußwort Veröffentlichungen des ökumenischen Arbeitskreises evangelischer in der Heilbronner Kilianskirche. und katholischer Theologen) 4 Bände /Göttingen 1986-1994

Angesichts der drängenden Fragen der Gegenwart sind wir - Wolf-Dieter Hauschild: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. München 2005 2 Bände als Christen gemeinsam Antworten schuldig und müssen zu einem gemeinsamen Zeugnis kommen, der verschie- denen christlichen Kirchen großes Gewicht gibt. Dazu gehört:

- Der apostolischen Mahnung des Epheser-Briefes zu fol- gen und uns beharrlich um ein gemeinsames Verständnis der Heilsbotschaft Christi im Evangelium zu bemühen

- In der Kraft des Heiligen Geistes auf die sichtbare Einheit der Kirche Jesu Christi in dem einen Glauben hinwirken

- Auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens gemeinsam handeln

- Für einander und für die christliche Einheit beten

- Die Gottesdienste und die weiteren Formen de geistlichen Lebens anderer Kirchen kennen und schätzen lernen

- Dem Ziel der eucharistischen Gemeinschaft entgegengehen

- Den Dialog zwischen unseren Kirchen auf verschiedenen Ebenen gewissenhaft fortzufahren

- Bei Kontroversen, besonders wenn bei Fragen des Glaubens und der Ethik eine Spaltung droht, das Gespräch suchen und diese Fragen gemeinsam im Licht des Evangeliums zu erörtern.

76 Reformation in Heilbronn E 7 „Lichtblicke für Menschen, die auf der Schattenseite unserer Gesellschaft stehen“

Angebote der beiden christlichen Kirchen in Heilbronn (Auswahl, nicht nach Konfessionen getrennt!)

Aus den Leitsätzen Angebote (Auswahl)

Unsere Arbeit ist gelebter Glaube an Jesus - Sozialberatung (u.a. Ehe-, Familien- und Schwangerenberatung) Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts - Erwachsenenbildung Wir orientieren uns am christlichen Menschenbild - Secondhand- und Tafelläden (Lebensmittel für Den Menschen helfen zu leben und zu ganzem Menschsein Bedürftige) zu gelangen, Solidarität zu zeigen mit den sozial Benach- teiligten, mit denen, die arm sind an Lebenschancen – darin - Betriebsseelsorge verwirklicht die Kirche einen Grundauftrag - Psychologische Beratungsstelle, Angebote für Wir sind eine christliche Dienstgemeinschaft Suchtkranke

Wir setzen uns ein für eine gerechte und solidarische - K-Punkt Cityseelsorge Gesellschaft - Angebote für Jugendliche, u.a. soziales Lernen, Welche Leitsätze lassen sich der evangelischen, welche der Hausaufgabenbetreuung, Jugendtreff ‚Come in’ katholischen Kirche zuordnen? - Angebote für Ältere, z.B. Begegnungscafe, Seniorengarten

- Beratung für Migranten, Aussiedler, werdende Mütter

- Telefonseelsorge

- Angebote für Familien und Paare

- Notfallseelsorge

- Arbeitskreis Leben

Reformation in Heilbronn 77 E 8 „Wir bekennen gemeinsam...“-

aus der ‚Gemeinsamen Erklärung zur Recht- fertigungslehre’ vom 31.10.19991

Rechtfertigung durch Glauben und Gnade

Wir bekennen gemeinsam, dass der Sünder Nach katholischer Auffassung tragen die gu- durch den Glauben und das Heilshandeln Got- ten Werke, die von der Gnade und dem Wirken tes in Christus gerechtfertigt wird; dieses Heil des Heiligen Geistes erfüllt sind, so zu einem wird ihm vom Heiligen Geist in der Taufe als Wachstum der Gnade bei, dass die von Gott Fundament seines ganzen christlichen Lebens empfangene Gerechtigkeit bewahrt und die geschenkt.(...) Dieser Glaube ist in der Liebe tä- Gemeinschaft mit Christus vertieft werden. tig, darum kann und darf der Christ nicht ohne Werke bleiben. Aber alles, was im Menschen Wenn Katholiken an der ‚Verdienstlichkeit’ der dem freien Geschenk des Glaubens vorausgeht guten Werke festhalten, so wollen sie sagen, und nachfolgt, ist nicht Grund der Rechtferti- dass diesen Werken nach biblischem Zeugnis gung und verdient sie nicht. (...) ein Lohn im Himmel verheißen ist. Sie wol- len die Verantwortung des Menschen für sein Wir bekennen gemeinsam, dass gute Werke- Handeln herausstellen, damit aber nicht den ein christliches Leben in Glaube, Hoffnung und Geschenkcharakter der guten Werke bestreiten, Liebe- der Rechtfertigung folgen und Früchte geschweige denn verneinen, dass die Recht- der Rechtfertigung sind. Wenn der Gerechtfer- fertigung selbst stets unverdientes Gnadenge- tigte in Christus lebt und in der empfangenen schenk bleibt. (...) Gnade wirkt, bringt er, biblisch gesprochen, gu- te Frucht. (...)

1 Zitiert nach der Internetveröffentlichung des Vatikans (www.vatican.va) Es ist das Heil uns kommen her- 1523- (Evangelisches Gesangbuch 1996 Nr. 342)

Es ist das Heil uns kommen her / von Gnad und lauter Güte; /die Werk, die helfen nimmer mehr,/ sie können nicht behüten. / Der Glaub sieht Je- sus Christus an, / der hat für uns genug getan, / er ist der Mittler worden.

Es ist gerecht vor Gott allein, / der diesen Glau- ben fasset, / der Glaub gibt einen hellen Schein, / wenn er die Werk nicht lasset, / mit Gott der Glaub ist wohl daran, / dem Nächsten wird die Lieb Guts tun, / bist du aus Gott geboren.

Die Werk, die kommen g’wisslich her / aus einem rechten Glauben; / denn das nicht rech- ter Glaube wär, / wollst ihn der Werk berauben. / Doch macht allein der Glaub gerecht; /die Werk, die sind des Nächsten Knecht, / dran wir den Glauben merken.

78 Reformation in Heilbronn E 9 „…die ökumenische Offenheit der Kirchen erfahrbar zu machen...“

Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht

Konfessionelle Kooperation im Religionsunter- Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht Vollständige Vereinbarung der vier Kirchen von richt an Grund- und Hauptschulen, Realschu- zielt darauf, 2005: Ev. OKR Stuttgart, Dezernat Kirche und len und allgemein bildenden Gymnasien Bildung, unter www.kirche-und-bildung.elk- „ein vertieftes Bewusstsein der eigenen Kon- wue.de In den vergangenen drei Schuljahren hat eine fession zu schaffen, Reihe von Schulen, vor allem im Bereich der Grundschulen, die Genehmigung erhalten, den die ökumenische Offenheit der Kirchen er- Religionsunterricht in bestimmten Klassen- fahrbar zu machen stufen in gemischt-konfessionellen Klassen zu erteilen. Grundlage dieser Genehmigung war und den Schülerinnen und Schülern beider die “Vereinbarung der Evangelischen Landeskir- Konfessionen die authentische Begegnung che in Baden, der Evangelischen Landeskirche mit der anderen Konfession zu ermöglichen.“ in Württemberg, der Erzdiözese Freiburg und der Diözese Rottenburg-Stuttgart zur konfes- sionellen Kooperation im Religionsunterricht an allgemein bildenden Schulen vom 1. März 2005“.

Reformation in Heilbronn 79 Glossar

Abendmahl Katechismus Sakrament Das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern, bei Lehrbuch des christlichen Glaubens, in dem die heilige Handlung, in der Gnade und Heil ver- dem er ihnen Brot und Wein als seinen Leib Hauptstücke (zehn Gebote, Taufe, Abendmahl mittelt werden. Der Modus der Vermittlung ist und sein Blut reichte. Die in fast allen christli- usw.) erklärt werden zwischen den Konfessionen theologisch um- chen Glaubensgemeinschaften gefeierte Wie- stritten, ebenso die Zahl der Sakramente. Wäh- derholung heißt in der katholischen Kirche Ketzer rend sich in der mittelalterlichen Kirche seit Messe, in den protestantischen Kirchen Abend Einer, der eine von der päpstlichen abwei- dem 12. Jahrhundert die Siebenzahl durch- mahl(gottesdienst). chende Theologie vertritt und darauf beharrt setzte ( Taufe, Firmung, Abendmahl, Buße, letzte Ölung, Priesterweihe und Ehe), ließ die Ablass Orden Reformation nur Taufe und Abendmahl als Sa- Erlass der Strafe für Sünden aufgrund guter Zusammenschluss von Mönchen und Nonnen kramente gelten. Werke (Almosen, Gebete, Pilgerfahrten). Ein nach einer vom Ordensgründer festgelegten Ablass setzt Reue und Sündenvergebung vor- Regel; Observanten: der Zweig eines Ordens, Schmalkaldischer Bund aus. der für strenge Einhaltung der Regeln eintritt 1531 gegründetes Verteidigungsbündnis der protestantischen Territorien zur Sicherung der Augsburger Religionsfriede Pfründe Reformation 1555 auf dem Reichstag in Augsburg werden Kirchenamt, das mit Grundstücken, Vermögen die Anhänger des Augsburger Bekenntnisses und laufenden Einnahmen verbunden ist, die Wormser Edikt (also die Lutheraner) als gleichberechtigt mit zum Lebensunterhalt des Amtsinhabers dienen Verhängung der Reichsacht gegen Luther den Katholiken anerkannt durch Kaiser Karl V. 1521 Confessio Augustana (Augsburger Bekenntnis) Prädikatur Glaubensartikel der Protestanten, die auf dem Predigtamt, das von einem vermögenden Bür- Augsburger Reichstag dem Kaiser Karl V. vor- ger gestiftet wurde, häufi g in großen Städten gelegt, aber nicht anerkannt werden. Prälaten Eucharistie Hohe geistliche Würdenträger, die wie Adlige Bezeichnung für das heilige Abendmahl, das und Reichsstädte auf dem Reichstag Sitz und den Mittelpunkt der katholischen Messe bildet. Stimme haben Durch die Transsubstantation (= Wandlung) wird Jesus in Gestalt des Brotes und Weines Protestanten gegenwärtig. In der Kommunion nehmen die Seit 1529 verwendete Bezeichnung für die Gläubigen durch den Verzehr des geweihten Reichsstände, welche den Beschluss des Brotes, die Hostie, den Leib Christi in sich auf. Reichstags ablehnen, keine kirchlichen Re- formen durchzuführen.

80 Reformation in Heilbronn Impressum

Herausgeber: Arbeitskreis Kirchengeschichte in Verbindung mit den Ev. Schuldekanaten Heil- bronn und Öhringen sowie der Evangelischen Erwachsenenbildung Heilbronn

Verantwortlich für Bild- und Textauswahl: Bernhard Müller (geb.1940), Studiendirektor und Fachleiter für Geschichte (bis 2003) Jörg Spahmann (geb.1956), Pfarrer und Oberstudienrat, Schuldekan in Öhringen Verfasser der Einleitungstexte und Erläuterungen: Bernhard Müller

Gestaltung: Ideengut Markus Berroth, www.berroth-i.de

Druck: Hochschule Heilbronn

Aufl age: 250

Fotografi e: Titel: Roland Schweizer, Collage Markus Berroth Seiten ...... Jörg Spahmann alle übrigen: Stadtarchiv Heilbronn

Gedruckt mit Unterstützung der Evangelischen Erwachsenenbildung Heilbronn sowie der Sparkassenstiftung Heilbronn und der Volksbank Heilbronn

Evangelische Erwachsenenbildung Heilbronn

S Sparkassen-Stiftung Kreissparkasse Heilbronn

Reformation in Heilbronn 81