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NGFH_Mai-Ausg 07 Archiv.qxd 09.05.2008 09:52 Seite 41 Karl-Heinz Baum Stasi und Bundestag Karl-Heinz Baum Stasi und Bundestag Weitere Ex-Abgeordnete im Blickpunkt Im letzten Herbst hat die Bundesbehörde für Stasi-Unterlagen erste umfassende Erkenntnisse über Kontakte des MFS in den Bonner Bundestag veröffentlicht. Sie betreffen die spannende Legislaturperiode von 1969 bis zur Neuwahl 1972, als Brandts Mehrheit dahinbröckelte und Barzel mit seinem konstruktiven Miss- trauensvotum scheiterte. Unser Autor, ein langjähriger Korrespondent in der DDR, hat sich die Akten angeschaut und ist dabei nicht nur auf die üblichen Abschöp- fungspraktiken, sondern auch auf ein paar Merkwürdigkeiten gestoßen. Am 4. Juni 1975 legte der DDR-Geheim- oder nur Quelle war, wusste meist nur der dienst eine Karteikarte an. Ein Stempel Führungsoffizier. Genau das macht die »Dokument« belegt, dass die Daten für Einordnung nach dem Stasi-Unterlagen- einen Ausweis benutzt wurden. Die Kar- Gesetz in Täter und Opfer schwierig. 49 teikarte gehört zu einem von über 1.500 der 50 Abgeordneten – Ausnahme Eppler Blättern, die die Bundesbeauftragte für die – hat die Stasi als »Inoffizielle Mitarbeiter Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, über mit Arbeitsakte« (IMA) geführt. 32 gehör- 50 Abgeordnete des 6. Deutschen Bundes- ten der SPD an, also gut drei Fünftel. Der tags (Wahlperiode 1969-1972) der Öffent- Kontakt zu SPD-Leuten mag für die Stasi lichkeit im zweiten Halbjahr 2006 vorge- leichter gewesen sein, SPD-MDBs waren legt hat. aber schon deshalb interessant, weil sie Welche Kontakte hatte die Stasi in den zur Regierungsfraktion gehörten. Bundestag? Zu jener Zeit gab es 556 Ab- Nicht jeder in den Rosenholz-Dateien geordnete, Kontakt hatte die Stasi also zu auftauchende Name ist Beleg für einen jedem elften. Zu dieser Erkenntnis tragen Stasi-Kontakt. Die Stasi notierte auch viele die so genannten Rosenholz-Dateien und Personen aus dem Umfeld. Einige MDBs die Sira-Datei bei. »Rosenholz« sind Mik- hatten wenig Kontakte, andere mehr, eini- roverfilmungen von Dateien der für das ge ahnten, die Stasi könnte dahinter westliche Ausland zuständigen Abteilung stecken, andere waren ahnungslos. Einige der Staatssicherheit, der Hauptverwal- MDBs wollte man anwerben, andere wur- tung A. Die HVA hatte als einzige Abtei- den »abgeschöpft«, andere wiederum lung 1990 ihre Unterlagen vernichten nutzten den Kontakt als »Kanal«, um der dürfen. Eine Kopie von Karteikarten DDR-Führung bundesdeutsche Absichten gelangte auf Umwegen in die Hände des zu vermitteln. Aber dann gibt es da noch US-Geheimdienstes und kam erst vor ei- einige Abgeordnete, deren Kontakte mit nigen Jahren zurück. Die Sira-Datei ist der Stasi mehr als merkwürdig sind. eine Art Inhaltsverzeichnis eingegange- Die Bundesbeauftragte ließ bisher nur ner Informationen. die 6. Wahlperiode untersuchen. Es ist die Bundestagsabgeordnete waren der HVA spannendste seit 1945. Dieser Bundestag wichtig. Sie unterschied nicht zwischen wählte Willy Brandt zum Kanzler. Nach Angeworbenen (Stasi-Jargon: »Inoffiziel- zweieinhalb Jahren im April 1972 musste le Mitarbeiter« – IM), und denen, über die sich der erste SPD-Kanzler einem – fehlge- man mehr erfahren wollte. Viele erhielten schlagenen – Konstruktiven Misstrauens- so genannte IM A-Akten (= IM mit Arbeits- votum stellen; ein halbes Jahr später stan- akte). Wer wirklich IM, Kontaktperson den Neuwahlen an. 13 Abgeordnete wech- 5|2OO7 NG|FH 41 [Limberg Box Patch : TrimBox [0] BleedBox [3] MediaBox [10] Patch : Page 41] NGFH_Mai-Ausg 07 Archiv.qxd 09.05.2008 09:52 Seite 42 Kontrovers selten – meist wegen Brandts Ostpolitik – und Helmut Wendelborn, Lübeck, beide die Fraktion; so viel Abtrünnige gab es CDU sowie Rudi Lotze (SPD), Nienburg sonst nicht. (Weser), werden als »IM-Vorlauf« geführt. Noch immer sind die Rätsel ungelöst, Jeder dieser Versuche schlug fehl. Zu Wen- warum der damals siegessichere Rainer delborn (Deckname »Schwalbe«) wurde Barzel (CDU) um zwei Stimmen die Mehr- kein Material übergeben, der 1964 eröffne- heit der Stimmen im Bundestag verfehlte. te Vorgang wanderte 1971 ins Archiv. Lotze Die jetzt zugänglichen Akten lösen Rätsel (Decknamen »Idur« und »Harz«) sollte nicht. »Bei keinem der Parlamentarier wegen positiver Haltung zur DDR gewon- konnte anhand der Stasi-Unterlagen eine nen werden; nach dem Godesberger Par- wissentliche und willentliche Zusammen- teitag 1959, an dem er teilnahm, sprach er arbeit mit dem Staatsicherheitsdienst sich gegen offizielle Kontakte zur DDR aus. nachgewiesen werden. Alle Abgeordneten Schon 1965 wurde der Vorgang archiviert: gelten deshalb im Sinne des Stasi-Unter- »die Perspektive der Werbung ist nicht lagen-Gesetzes als Betroffene.« Das erklär- mehr gegeben.« Sein IM (»Ehlert«) kam te Marianne Birthler in einer Stellungnah- aus seinem Umfeld. me zur zweiten Tranche der von ihrer Be- Die größte Gruppe unter den 50 MDBs hörde herausgegebenen Akten zu 34 Mit- bilden 28 Abgeordnete (19 SPD, 7 CDU/CSU gliedern des Bundestags. Zur ersten Tran- und 2 FDP), die zu Stasi-Leuten irgendeine che mit 16 MDBs hatte sie nichts gesagt, Art Kontakt hatten: Prominente Namen wohl aus gutem Grund, da waren Abge- sind darunter: der spätere SPD-Bundes- ordnete dabei, deren Stasi-Verstrickung kanzler Helmut Schmidt, CDU/CSU-Oppo- längst mehr oder weniger klar als erwiesen sitionsführer Rainer Barzel, der damalige gilt: CDU-Bundesgeschäftsführer Bruno Heck, So stand FDP-MDB William Borm, ver- der spätere Innenminister Friedrich Zim- storben 1987, im engen Verhältnis zu ei- mermann (CSU), Wirtschaftsminister Karl nem Stasi-Offizier, die Sira-Datei ver- Schiller (SPD), SPD-Bundesgeschäftsführer merkt, zu ihm wurden in Ost-Berlin 12 Hans-Jürgen Wischnewski oder Wilhelm Ordner (einer hat rund 300 Seiten) ange- Dröscher, später SPD-Schatzmeister, und legt, 395-mal soll er Informationsmate-rial Björn Engholm, später Kieler SPD-Minis- geliefert haben. Julius Steiner (CDU) hat terpräsident. nach eigenen Angaben beim Misstrauens- Weitere MDBs sind: Von der SPD: votum nicht für Barzel gestimmt, zu ihm Friedrich Beermann (Kiel), Klaus Dieter verzeichnet Sira nur fünf Informationen. Arndt (Berlin), Hans Bardens (Ludwigs- HVA-Chef Markus Wolf behauptete, Steiner hafen). Lenelotte von Bothmer (Hanno- 50.000 DM gegeben zu haben, Steiner will ver), Hugo Brandt (Mainz), Erhard Epp- das Geld von SPD-Mann Karl Wienand ler (Dornstetten), Brigitte Freyh (Frank- erhalten haben. Wienand wurde wegen furt/M), Helmut Kater (Wetzlar), Edith Agententätigkeit verurteilt; zu ihm waren Krabbe (Berlin), Kurt Mattick (Berlin), in Ost-Berlin 24 Ordner angelegt und 432 Adolf Scheu (Wuppertal), Richard Tamblé Informationen verbucht. Auch Gerhard (Westerland), Heinrich Welslau (Bad Flämig aus der hessischen SPD war wegen Salzuflen), Lothar Wrede (Hagen). Spionage angeklagt, der Prozess wurde Von der CDU/CSU: Georg Kliesing aus Krankheitsgründen eingestellt. Flämig (Bonn-Land), Herbert Schneider (Bremer- hat eine dicke Stasi-Akte: 26 Ordner mit haven), Leo Wagner (Neu-Ulm). 870 Informationen. Und von der FDP: Ernst Achenbach (Es- Drei Abgeordnete wollte die Stasi an- sen) und Alexander Menne (Frankfurt). werben. Die MDBs Uwe Looft, Ratzeburg, Die Akte Helmut Schmidt beginnt im 42 NG|FH 5|2OO7 [Limberg Box Patch : TrimBox [0] BleedBox [3] MediaBox [10] Patch : Page 42] NGFH_Mai-Ausg 07 Archiv.qxd 09.05.2008 09:52 Seite 43 Karl-Heinz Baum Stasi und Bundestag Herbst 1969. »Nicht ohne Widerspruch sei »Kompromittierendes« das Verhältnis zwischen Brandt und über Willy Brandt Schmidt«, lautet eine »streng geheime« Dann gibt es neun Sonderfälle. Das sind Bewertung der Stasi. Dabei pfiffen das Politiker, die die Stasi für besonders wich- damals die Spatzen von Bonns Dächern. tig hielt. Willy Brandt, damals Kanzler Ein »ehrgeiziger, karrieristischer Politi- und SPD-Chef; CSU-Chef Franz Josef ker« ist er in einer »Kurzeinschätzung«. Strauß, einst Verteidigungs- und Finanz- Er habe »den Kurs der SPD-Führung nach minister; der FDP-Vorsitzende Erich Men- rechts« mit durchgesetzt und vertrete de, bis 1966 Vizekanzler, die »graue Emi- konsequent politische und militärpoliti- nenz« der SPD, Herbert Wehner, seit 1969 sche Auffassungen Washingtons. Die SPD-Fraktionschef, zuvor Minister für Ge- entscheidende Frage ist, wer da eigentlich samtdeutsche Fragen; Carlo Schmid, über ihn berichtet hat. Aber das steht Mannheim, und Erwin Schöttle, Stutt- nicht in der Schmidt-Akte. Das bleibt gart, beide Bundestagvizepräsidenten der auch bei Björn Engholm unklar, der seit SPD; Gerhard Schröder (CDU), einst Minis- 1971 abgeschöpft wurde. ter für Inneres, Äußeres und der Verteidi- Bei Wilhelm Dröscher, Spitzname »Der gung; Will Rasner, Parlamentarischer Ge- gute Mensch von Kirn«, gibt es dazu einen schäftsführer der Unionsfraktion, und der Hinweis. Zu ihm sind über 150 Informa- weniger bekannte Georg Schulhoff, als tionen verzeichnet. An einer Stelle wird Vizepräsident des ZENTRALVERBANDES DES deutlich, dass SPIEGEL-Journalist Diet- DEUTSCHEN HANDWERKS für die Stasi inte- helm Schröder mit ihm in Verbindung ressant. stand. Der 1992 als Spion verurteilte Bei Brandt hat die Stasi in 26 Jahren Schröder könnte also dessen Informatio- gerade mal vier Arbeitsakten angelegt. nen an die Stasi weitergeleitet haben. Es Vor allem »kompromittierende Angaben« liegt ein Bericht über Bonns Beziehungen wollte sie wissen und trug, bei Geheim- zu Dänemark und einer über die Vorberei- diensten üblich, alles Gerede zusammen: tung der Olympischen Spiele 1972 vor. Zi- Im Wahlkampf 1965 habe die CDU be- tiert wird NOK-Präsident Willi Daume