SPD und Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland 1959 – 1989

Die Kommunikation zwischen einer politischen Partei und professionellen Historikern

Dissertation am Fachbereich III – Neuere und Neueste Geschichte der Universität Trier

vorgelegt von Dingliang Fan

Erster Berichterstatter: Prof. Dr. Lutz Raphael Zweiter Berichterstatter: PD Dr. Morten Reitmayer

Mündliche Prüfung: 19. Juli 2012

August 2012

Zusammenfassung

Seit dem Godesberger Programm 1959 entwickelte sich aus dem Umgang der SPD mit Geschichte und Geschichtswissenschaft eine sozialdemokratische Geschichtskultur. Sie manifestierte sich in zweierlei Hinsicht. Zum einen wurde auf geschichtspolitischer Ebene das national-konservative Geschichtsbild und insbesondere die staats- und kontinuitätszentrierten Vorstellungen von Nation und Nationalstaat kritisiert und die Stellung des Nationalsozialismus in der deutschen Geschichte neu bewertet. Zum anderen wurde auf geschichtswissenschaftlicher Ebene das Forschungsfeld der Geschichte der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie erfolgreich etabliert. Parallel dazu entstand eine große Gruppe akademischer Historiker, die der SPD angehörten oder ihr nahestanden. Sie beschäftigten sich mit Themen der Partei-, der Arbeiter- und der Sozialgeschichte, unterstützten die Geschichtspolitik der SPD, kümmerten sich um Geschichtsbewusstsein dieser Partei und nahmen – zuweilen auch kritisch – an den Diskussionen ihrer Tagespolitik teil. Aus diesen beiderseitigen Aktivitäten bildeten sich vielfältige Kommunikationswege und personelle Netzwerke zwischen SPD und Historikern. Von 1959 bis 1969 vermied die SPD im Zuge ihrer Strategie der Regierungsbeteiligung eine deutliche Profilierung ihrer eigenen Geschichtspolitik, gleichzeitig lenkte nur eine kleine und fachlich eher marginale Gruppe von Historikern die Aufmerksamkeit auf die sozialdemokratische Geschichtsschreibung und ihre Themen. Aber inzwischen wurden seitens der SPD die organisatorischen Rahmenbedingungen für die Intensivierung der Kommunikation gelegt und wurden Kontakte zu einer wachsenden Zahl jüngerer Historiker geknüpft. Trotzdem waren die damaligen Kommunikationsnetzwerke räumlich und personell beschränkt. Seit 1969 erweiterten sich die Verbindungen zwischen beiden Seiten dank des politischen Aufschwungs der Sozialdemokratie und des Generationswechsels der Historikerschaft. Bis 1982 kommunizierten SPD und Historiker miteinander über viele aktuelle Themen: das Spektrum reichte von den historischen Gedenktagen über den Geschichtsunterricht in den Schulen bis hin zur Neuen Ostpolitik der sozialliberalen Koalition. Parallel dazu erlebte die sozialdemokratische Historiographie eine Konjunktur der Arbeiterbewegungsgeschichte, eine sozialgeschichtliche Neuorientierung und einen Erfolg der Sonderwegsthese. Die Kommunikationsnetzwerke umfassten immer mehr jüngere Fachhistoriker. In den Jahren 1983 bis 1989 wurden die Verbindungen der Sozialdemokratie mit den ihr nahestehenden Historikern auf politischer Ebene wegen ihrer geschichtspolitischen Auseinandersetzung mit der Christdemokratie immer enger, während die sozialdemokratische Geschichtsschreibung vor allem von der Strömung der Alltagsgeschichte und »Geschichte von unten« gefördert wurde. Haupttendenzen der dreißigjährigen Entwicklung der Kommunikation zwischen SPD und Geschichtswissenschaft waren wechselseitiger Austausch und Zusammenarbeit. Dabei darf jedoch nicht vernachlässigt werden, dass nicht nur die Historiker, die der Sozialdemokratie nahestanden, sondern auch die, die sich von ihr entfremdeten bzw. kritisch gegenüberstanden, Einfluss auf die Kommunikationslandschaft ausübten.

II

Abstract

Since the Godesberg Program in 1959 the Social Democratic Party of (SPD) has developed her own historical culture changing her approach to history and historical studies. On the historical-political level, the party critized the national-conservative view of history, especially the state-centered notion of nation and the conservative view of the German nation- state since Bismarck. In particular, the position of National Socialism in German history was re- evaluated. On the historiographical level, the research fields of the history of labor movements and of social democracy were successfully established within the party creating her own research institutions. In parallel, a larger group of academic historians who belonged to the SPD or were close to her emerged. They dealt with topics on party history, labour history and social history, they supported the historical politics of the SPD, and they were concerned with historical consciousness of this party and participated – sometimes critically – in the discussions of her politics of the day. From this interaction various ways of communication and personal networks between the SPD and historians began to take shape. From 1959 to 1969, the SPD avoided a high profile of her own historical politics because of her general political strategy to get participated in a governmental coalition. During the same period, only a small and professionally marginal group of historians was engaged in studying the social democratic history and its themes. But in the meantime the SPD set up the organizational framework for the intensification of communication and established relationships with a growing number of younger historians. Nevertheless, the communication networks at that time were limited in space and personnel. Since 1969 the liaisons between the two sides were extended owing to the political rise of Social Democracy and the generation’s change of historians in FRG. Till 1982 the SPD and historians communicated with each other on many current issues: the spectrum ranged from the historical commemoration days, to history teaching in schools, and to the "new eastern policy" of the SPD- FDP coalition. In parallel, the social democratic historiography experienced a boom in labor movement history, in social-history and a success of the Sonderweg thesis. The communication networks included more and more young professional historians. In the years 1983 to 1989, because of the historical-political confrontation between Social and Christian Democracy, the relationship between the SPD and her affiliated historians became still closer on the political level. Meanwhile the social democratic historiography was mainly promoted by the trends of "Alltagsgeschichte" and "history from below". Therefore, the growing of mutual exchange and cooperation can be identified as the main trends during the thirty-years of communication between the SPD and historians. However, it must not be forgotten, that not only the historians who were close to the party, but also those who were estranged from her or critical of her, exerted their influence on the communication landscape.

III

Inhalt

Einleitung ...... 7

1. Forschungsgegenstand, Fragestellung und historiographischer Kontext ...... 9 2. Begriffe und Methoden ...... 20 3. Perspektiven und Gliederung ...... 30 4. Forschungsstand und Quellen ...... 35

I. Organisatorischer Kommunikationsrahmen, Kommunikationsarten und Kommunikationsakteure ...... 40

1. Organisatorischer Kommunikationsrahmen ...... 41 1.1 Institutionen ...... 41 1.1.1 Historische Institutionen bei der Friedrich-Ebert-Stiftung ...... 42 1.1.2 Institut für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig – ...... 45 1.1.3 Historische Kommission beim SPD-Parteivorstand ...... 47 1.2 Zeitschriften ...... 50 1.2.1 Archiv für Sozialgeschichte ...... 50 1.2.2 Die Neue Gesellschaft ...... 53 2. Messung kommunikativer Zusammenhänge zwischen SPD und Historikern ...... 54 2.1 Statische und dynamische Kommunikationsbeziehungen ...... 55 2.2 Positive und negative Kommunikationsbeziehungen ...... 57 3. Kommunikationsakteure ...... 58 3.1 Verschiedene Personenkreise ...... 58 3.2 Kommunikationsbestimmende Historiker...... 62 3.3 Regionale Verteilung ...... 68

II. Kommunikation 1959 – 1968: Eine Phase der Systematisierung ...... 70

1. Verbindung von Politik und Geschichtswissenschaft ...... 71 1.1 Neues politisch-historisches Denken ...... 71 1.2 Politische Ausrichtung der Historikerschaft ...... 75 2. Politischer Umgang der SPD mit Geschichte und Geschichtswissenschaft ...... 78 2.1 Stellung der SPD zu deutscher Vergangenheit ...... 79

4

2.2 Sozialdemokraten und Nationalbewusstsein ...... 81 3. Sozialdemokratische Historiographie: Kontinuität und Neuansatz ...... 84 3.1 Anfang der Akademisierung des Geschichtsmodells aus »Opposition« ...... 85 3.2 Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung ...... 91 4. Charakterisierung der Netzwerke zwischen Sozialdemokratie und Geschichtswissenschaft 96 4.1 Begrenzter Kommunikationsraum ...... 96 4.2 Verflechtung durch führende Persönlichkeiten ...... 98 4.3 Ansatz einer neuen Generation sozialdemokratischer Historiker ...... 100 4.4 Einwirkung der Studentenbewegung ...... 102

III. Kommunikation 1969 – 1982: Aufstieg und Akademisierung ...... 105

1. Veränderungen des Verhältnisses zwischen Politik und Geschichtswissenschaft ...... 107 1.1 Konflikte und neue Beziehungen ...... 108 1.2 Politische Stellungen der westdeutschen Historiker ...... 113 2. Umgang der SPD mit Geschichte und Geschichtswissenschaft im Spiegel ihrer Politik .... 115 2.1 Sozialdemokratisches Geschichtsbild ...... 116 2.2 Geschichtsunterricht als Streitpunkt ...... 123 2.3 Die Neue Ostpolitik als Katalysator neuer Kommunikationsbeziehungen zwischen SPD und Historikerschaft ...... 127 2.4 Tendenzwende und deutsche Identität ...... 135 3. Aufschwung der sozialdemokratischen Historiographie ...... 137 3.1 Arbeiterbewegungs-, Sozial- und Parteigeschichte ...... 138 3.2 Neuer »Deutscher Sonderweg« ...... 142 4. Erweiterung und Verdichtung der Netzwerke zwischen SPD und Historikerschaft ...... 146 4.1 Akademisierung der personellen Struktur ...... 147 4.2 Generationswechsel mit neuen Pionieren ...... 153

IV. Kommunikation 1983 – 1989: Verstärkung während der Defensive ...... 158

1. Dynamischer Kontakt der Geschichtswissenschaft mit der Politik ...... 159 1.1 Enge Verbindung zwischen Geschichtswissenschaft und Politik ...... 160 1.2 Politische Spaltung und Pluralismus der Historikerschaft ...... 173 2. Umgang der SPD mit Geschichte gegen neokonservativen Geschichtsdiskurs ...... 176 2.1 Divergenz zum 8. Mai und Ablehnung gegen »Geistig-moralische Wende« ...... 176

5

2.2 Sozialdemokratische Kritik an den Museumsprojekten ...... 181 2.3 Sozialdemokratisches Lager im Historikerstreit ...... 188 3. Vielfalt der sozialdemokratischen Historiographie ...... 193 3.1 Sozialgeschichte und Parteigeschichte ...... 194 3.2 Auftrieb für die »Geschichte von unten« ...... 196 4. Stabilität und Umwandlung der Netzwerke zwischen SPD und Historikerschaft ...... 202 4.1 Die Historische Kommission als neuer Kommunikationsraum ...... 202 4.2 Kräftigung, Veränderung und Grenze ...... 208

Schluss ...... 215

Quellen- und Literaturverzeichnis ...... 225

Abkürzungsverzeichnis ...... 246

Anhang ...... 247

Lebenslauf der Verfasserin ...... 269

Versicherungserklärung ...... 270

6

Einleitung

»Je nach Disziplin und Wissenschaftsgebiet hat die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik eine unterschiedlich große Bedeutung. Wer in diese Kommunikation wann und wie eingebunden werden sollte, lässt sich nicht generell beantworten, sondern hängt von Themengebiet ab.«1

Die Beziehung zwischen Geschichte und Politik ist ein ständig umstrittenes Thema, das über viele Diskussionszweige verfügt. Sie manifestiert sich vor allem in zwei unterschiedlichen, aber in enger Wechselwirkung stehenden Ebenen. Auf der theoretischen Ebene werden die Fragen aus dem epistemologischen Blickwinkel gestellt. Man geht auf die Fragen ein, wie die Objektivität und Wertneutralität der wissenschaftlichen historischen Arbeit und die politische Haltung der Historiker in ihrer Geschichtsschreibung koexistieren, in welcher Verbindung historiographische Ansätze mit dem öffentlichen historisch-politischen Bewusstsein stehen und welche Rolle die Geschichtswissenschaft für die politisch-gesellschaftliche Bildung spielen. Auf der praktischen Ebene stellt sich die Frage, auf welche Art und Weise die Politik mit der Geschichte umgeht, wie die politische Entwicklung direkt oder indirekt Einfluss auf die Produktion des historischen Wissens ausübt, und inwieweit Historiker sich politisch engagieren. Dabei sind die Selbstplatzierung von Historikern zwischen Wissenschaft und Politik und der Umgang politischer Akteure mit Geschichte und Geschichtsforschung von besonderem Interesse. Die weltweit zu beobachtende Professionalisierung der historischen Forschung läßt sich nicht allein vom unterschiedlichen historisch-politischen Zeitgeist in den jeweiligen Staaten trennen, aber auch aus den spezifischen Rahmenbedingungen der (Innen)Politik erklären. Für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist eine Veränderung der Geschichtswissenschaft von einer Disziplin im Dienst der Nation und des Staats zu einer Wissenschaft jenseits des Nationalstaats erkennbar. Aber die enge Verbindung zwischen Geschichte und Politik ist damit nicht verschwunden, sondern hat sich tiefgreifend verändert. Eine Beziehung, die früher von bestimmten politischen Ideologien abhängig war, ist nun geprägt von Kommunikationsformen, die auf der Autonomie beider Seiten

1 Zitat nach Hiltrud Nieberg, Wissenskommunikation zwischen Wissenschaft, Administration und Politik im Bereich der Landwirtschaft – Möglichkeiten und Probleme, in: Cordula Kropp/Frank Schiller/Jost Wagner (Hrsg.), Die Zukunft der Wissenschaftskommunikation. Perspektiven für einen reflexiven Dialog von Wissenschaft und Politik – am Beispiel des Agrarbereichs, 2007, S.79-102, hier S.99. 7

beruhen. In diesem großen und vielfältigen Forschungsfeld zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Politik folgt die vorliegende Studie einer Perspektive, welche die theoretischen und die praktischen Aspekte der Beziehungen zwischen Geschichte und Politik eng miteinander verbindet. Die Kommunikation zwischen beiden Bereichen beruht zum einen auf einer allgemeinen Ebene auf dem politischen Rollenverständnis der Historikerschaft und dem historisch-politischen Bewusstsein der Öffentlichkeit und zeigt sich zum anderen konkret im praktischen Handeln als politisches Engagement von Historikern und im Umgang politischer Parteien mit der Vergangenheit. Die deutsche Geschichtswissenschaft, die im Verlauf ihrer Verwissenschaftlichung und ihrer theoretischen und methodischen Entwicklung im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Vorbild für die moderne Geschichtswissenschaft großen Einfluss in vielen europäischen und asiatischen Staaten ausgeübt und damit internationale Anerkenung erworben hatte, ist von dem politischen Bewusstsein ihrer führenden Repräsentanten, aber auch auffälliger Außenseiter geprägt worden. Dies schlug sich nicht nur darin nieder, dass die Politikgeschichte als eine der wichtigsten Teildisziplinen der historischen Forschungen galt, sondern auch in der Tatsache, dass die wissenschaftliche Geschichtsforschung stets bewusst oder unbewusst eng auf die aktuelle Politik bezogen blieb. Innerhalb der traditionellen deutschen Geschichtswissenschaft wurde das »Objektivitätsideal« mit einer Orientierung an Staat und Nation als »positiven« historischen Großen gleichgesetzt. Daraus ergaben sich die Ablehnung von Parteigebundenheit einerseits und die Annahme eines nationalpolitischem Wächteramts andererseits. Die politischen Rahmenbedingungen und persönliche politische Neigungen einzelner Historiker haben in diesem Sinne großen Einfluss auf die historische Fachwelt ausgeübt; gleichzeitig ist historisches Wissen immer wieder für aktuelle, oft parteipolitische oder kulturhegemoniale Zwecke instrumentalisiert worden. Die an Objektivität und Wertneutralität orientierte Trennung von Politik und historischer Forschung unterbrach keineswegs die Kommunikation zwischen beiden Seiten. Geschichtsforschung ist in der Tat eine gesellschaftlich-politische Aktivität und Politik kommt ohne ein politisch-historisches Bewusstsein nicht aus. Eine Trennung von Politik und Wissenschaft bedeutet also keine absolute Abschirmung der historischen Forschung von politischen Bezügen oder parteipolitischen Verbindungen. In der alten und neuen Bundesrepublik Deutschland, in der die Historiker über ihr eigenes politisches Selbstverständnis angesichts der jüngsten Vergangenheit nachdachten und in der die Parteien eigene Verbindungen zur Geschichtsforschung knüpften, um ihre Haltung gegenüber der Vergangenheit zu klären, wurde

8

die Kommunikation zwischen den Parteien und der Historikerschaft allmählich immer wichtiger für den öffentlichen Umgang mit der Geschichte. Der Blick auf die Kommunikation zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Historikerschaft in der Bundesrepublik in den Jahren von 1959 bis 1989 richtet sich darauf, sowohl die neue politische Orientierung und das vielfältige politische Engagement der Historikerschaft in der Nachkriegszeit und als auch den sozialdemokratischen Umgang mit Geschichte und Geschichtsforschung im Spiegel ihrer Verbindung mit Historikern darzustellen.

1. Forschungsgegenstand, Fragestellung und historiographischer Kontext

Die Kommunikationen zwischen Parteien und der Geschichtswissenschaft waren mal direkt, aktiv und öffentlich, mal fanden sie aber auch eher im Privaten und Verborgenen statt. Einleitend sollen die langfristigen Entwicklungslinien in der Kommunikation zwischen Politik bzw. politischen Parteien und der Historikerschaft in der deutschen Geschichte betrachtet werden. Verbindungen zwischen Historikern und Parteien bestanden seit Beginn ihrer Entstehung haben eine nicht zu vernachlässigende Rolle für das politische und in gewissem Maße auch das wissenschaftliche Leben der Historiker gespielt. Dabei ist nicht beabsichtigt, eine detaillierte Beschreibung der Kommunikationsstrukturen zu geben, sondern die folgenden Ausführungen beschränken sich darauf, einige Grundtendenzen in der politischen Ausrichtung der Historikerschaft bzw. von wichtigen Vertretern des Faches zu beleuchten. Im langen 19. Jahrhundert war die deutsche Geschichtswissenschaft vor allem am Nationalismus orientiert. Dementsprechend gehörten fast alle namhaften Historiker Deutschlands trotz einiger Abweichung nach links oder rechts zum nationalliberalen bzw. nationalkonservativen Lager. Viele waren politisch aktiv und einige waren seit 1848 als Parlamentarier tätig. Damit kamen sie auch in engeren Kontakt mit den modernen politischen Parteien, die sich in Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts formierten. Wichtige Antriebskraft für die Entstehung der Parteien war vor allem die Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49 als erstes gesamtdeutsches Parlament. Historiker gehörten als Abgeordnete sowohl zum Kreis der regierungstreuen Konservativen als auch zur Gruppe der oppositionellen Liberalen. Im Frankfurter Parlament sahen die Historiker die Schaffung eines Nationalstaates die Erfüllung eines langen Ziels von Deutschen und waren vor allem dem »rechten Zentrum« mit breitem liberal-konservativen Spektrum zuzurechnen. Johann Gustav Droysen (1808-1884), der die Geschichte mit einer tagespolitischen Aufgabe für den Staat sah,

9

war 1848 Vertreter der provisorischen Regierung in Kiel beim in Frankfurt am Main, später Abgeordneter der Nationalversammlung 1948/49, in der er sich der Casino-Fraktion anschloss. Die Casino-Fraktion war die größte und einflussreichste Fraktion der Frankfurter Nationalversammlung und repräsentierte den konstitutionellen Flügel des Liberalismus bzw. den Nationalliberalismus. Ihr gehörten neben Droysen als weitere Historiker Friedrich Christoph Dahlmann (1785-1860), Georg Waitz (1813-1886) und Max Duncker (1811-1886) an. Heinrich von Sybel (1817-1895), der sich davon selbst bekannt hatte: »Ich bin zu 4/7 Professor und zu 3/7 Politiker«2, und für das enge »Bündnis zwischen Geschichte und Politik« und den »gesteigerten Fortschritt in dem Bewusstsein der Nation«3 plädierte, wurde Mitglied des Frankfurter Vorparlaments zwischen 31. März und 3. April 1848. Dabei hatte er sich den gemäßigten Liberalen, oder genauer, den »Liberal-Konservativen«, angeschlossen. Im Unterschied zu solchen nationalliberalen Vertretern der Historikerschaft gab es auch linksliberale Historiker. Deren bekanntester Vertreter und Wortführer war Theodor Mommsen (1817-1903). Mommsen blieb »bis in seine letzten Tage der kämpferische politische Professor, der sich den bürgerlichen Tugenden der 48er Revolution verschrieben hatte«. 4 Er lehnte die kritiklose Verherrlichung Preußens ab und war der Meinung, dass die demokratischen Forderungen wie zum Beispiel die nach dem allgemeinen Wahlrecht in einer konstitutionellen Monarchie auch erfüllbar seien. Schließlich ist mit Julius Ficker (1826-1902) ein prominenter zeitgenössischer deutscher Historiker zu nennen, der als katholischer Historiker, die zu dieser Zeit in der Historikerschaft ganz selten waren, für die großdeutsche Lösung kämpfte. In den 1860er und 1870er Jahren bildete sich das Fünfparteienspektrum heraus, das die gesamte Zeit des Kaiserreiches weiter Bestand haben sollte. Das Lager des Linksliberalismus vertrat zunächst die Deutsche Fortschrittspartei (1861), später dann die Deutsche Freisinnige Partei (1884). Neben ihm etablierte sich das Lager des Nationalliberalismus mit der Nationalliberalen Partei (1867). Als dritte Parteiengruppe ist die Sozialdemokratie zu nennen, bis zu ihrer Vereinigung 1875 vertreten durch den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (1863) und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (1869). Daneben organisierte die Zentrumspartei

2 Zit. nach Thomas Brechenmacher, Wieviel Gegenwart verträgt historisches Urteilen? Die Kontroverse zwischen Heinrich von Sybel und Julius Ficker über die Bewertung der Kaiserpolitik des Mittelalters (1859-1862), in: Ulrich Muhlack (Hrsg.), Historisierung und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland im 19. Jahrhundert, Berlin 2003, S.87-112, hier S.87. 3 Heinrich von Sybel, Über den Stand der neueren deutschen Geschichtsschreibung, in: ders., Kleine historische Schriften, München 1863, S. 343-359. 4 Stefan Rebenich, Theodor Mommsen und Adolf Harnack. Wissenschaft und Politik im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Berlin/New York 1997, S.571. 10

(1870) den politischen Katholizismus und die Deutschkonservative Partei (1876) das Konservative Lager. Seit Gründung dieser Parteien entwickelten sich Verbindungen zwischen ihnen und Teilen der deutschen Historikerschaft. Zunächst standen viele Historiker der Nationalliberalen Partei nahe. Erwähnenswert ist der Fall Heinrich von Treitschkes (1834-1896), da er für die politische Entwicklung vieler Historiker der zweiten und dritten Generation typisch war. In seiner Jugend vertrat er liberale Positionen. Aber im Lauf der Zeit wurde er immer konservativer. Er verschärfte seine Angriffe vor allem sowohl auf Sozialisten, Sozialdemokraten und Juden, wie auch auf liberale Befürworter der Parlamentarisierung des Reiches sowie Vertreter der freigeistigen Bewegung. Von 1871 bis 1884 war Treitschke Mitglied des Reichstages, bis 1879 als Angehöriger der Nationalliberalen Partei, später parteilos. Als die Deutsche Forschrittspartei im Jahr 1861 begründet wurde, gewann sie die Unterstützung von Theodor Mommsen. Den national- oder linksliberalen Historikern gegenüber standen nur wenige Historiker mit Nähe zur Sozialdemokratie. Generell war bei der Historikerschaft die Skepsis gegen die Sozialdemokratie weit verbreitet, auch wenn Theodor Mommsen Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem Bündnis zwischen Linksliberalen und Sozialdemokraten aufrief. Als bekanntester Vertreter der sozialdemokratischen Historiographie kann Franz Mehring (1846- 1919) gelten, dessen historische Arbeit über die preußische politische und kulturelle Geschichte einen Einfluss auf die Organisationen der Arbeiterbewegung und ihre Geschichtsschreibung ausübte. Er trat im Jahr 1891 der SPD bei und widmete sich in der Folgezeit aktiv der politischen Arbeit innerhalb der deutschen Sozialdemokratie. Daneben wurden Wilhelm Blos (1849-1927) durch seine Werke zur französischen und deutschen Revolutionsgeschichte im 18. und 19. Jahrhundert sowie Eduard Bernstein (1850-1932) und Karl Kautsky (1854-1938) durch ihre Standardwerke zur Geschichte des Sozialismus zu den erfolgreichsten Geschichtsschreibern der deutschen Sozialdemokratie im Kaiserreich. Aber diese Historiker waren keine universitären bzw. professionellen Historiker. Sie wurden und werden eher als Publizisten, Schriftsteller, Intellektuelle oder Politiker der SPD betrachtet. Diese politischen Traditionen der deutschen Historikerschaft und ihr Verständnis des Verhältnisses zwischen Geschichtsschreibung und Politik, wie es sich im 19. Jahrhundert entwickelte, hatten auch auf die Fachhistorie der Weimarer Republik tiefgreifenden Einfluss. Die damalige Historikerschaft fühlte sich als »der Hüter der Schatzkammern der Vergangenheit besonders des eigenen Volks« und »der Hüter des heiligen Feuers auf den Altären der

11

Vergangenheit«.5 Deswegen funktionierte im Allgemeinen die Fachhistorie der Weimarer Zeit politisch als Disziplin, die in besonderem Maße konservativ und national gesinnt war, sich den politisch-gesellschaftlichen Werten der Vergangenheit verpflichtet fühlte und in der angesichts der demokratischen Entwicklungen seit 1918 viele eindeutig dem rechten nationalistsichen Lager zuneigten. Der Hamburger Historiker Otto Westphal charakterisierte die geistige Entwicklung nach 1918 mit den Worten: »Die Kunst nach links, die Wissenschaft nach rechts.« 6 Aber Dominanz dieses national-konservativen Lagers bedeutete nicht Konsens oder Einheit des Faches. Klar ist, dass eine »Zweiteilung«7 in der deutschen historischen Zunft seit dem Ersten Weltkrieg zu Tage trat. Bereits während des Ersten Weltkrieges hatte sich die deutsche Historikerschaft in der Diskussion über die deutschen Kriegsziele in eine radikale und eine relativ gemäßigte Gruppe gespalten. Die Historiker, die im Ersten Weltkrieg für Siegfrieden und Annexionen eingetreten waren und sich in den »Dienst des Vaterlandes« stellen wollten, gehörten nach 1918 meist zur national-konservativen Opposition gegen Weimar, während sich die Anhänger eines Verständigungsfriedens entschlossen, als verfassungstreue Hochschullehrer bzw. »Vernunftrepublikaner« die Republik zu unterstützen. Zu der eher konservativen Gruppe gehörten beispielsweise Georg von Below (1858-1927), Johannes Haller (1865-1947), Max Lenz (1850-1932), Erich Marcks (1861-1938), Franz Hartung (1883-1967), Willy Andreas (1884- 1967), Otto Westphal (1891-1950), Hans Rothfels (1891-1976) und Egmont Zechlin (1896-1992). Politisch nationalkonservativ ausgerichtet war auch Albert Brackmann (1871-1952), der von 1919 bis 1925 Mitglied der nationalliberalen bzw. rechtsliberalen Deutschen Volkspartei (DVP), später Mitglied der nationalkonservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) war, und Martin Spahn (1875-1945), der von 1921 bis 1933 Mitglied zur DNVP war und für diese Partei von 1924 bis 1933 dem Reichstag angehörte. Gerhard Ritter (1888-1967), der in seiner historisch-politischen Grundposition national-konservativ blieb, war seit 1929 Mitglied der DVP, die 1918 die Nachfolge der Nationalliberalen Partei angetreten hatte. Wortführer des liberalen Lagers waren vor allem Friedrich Meinecke (1862-1954) und Hermann Oncken (1869-1945). Meinecke war 1918 Mitbegründer der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP)

5 Justus Hashagen, Historikerpflichten im neuen Deutschland, in: Eiserne Blätter 1, 1920, S. 706-710, hier S. 708 f., zit. nach Bernd Faulenbach, Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 1980, S. 437 f.. 6 Otto Westphal, Feinde Bismarcks. Geistige Grundlagen der deutschen Opposition 1848-1918, München-Berlin 1930, S.233. 7 Bernd Faulenbach, Deutsche Geschichtswissenschaft zwischen Kaiserreich und NS-Diktatur, in: ders. (Hrsg.), Geschichtswissenschaft in Deutschland. Traditionelle Positionen und gegenwärtige Aufgaben, München 1974, S. 66- 85, hier S. 68. 12

und ihr Mitglied bis zur Auflösung dieser Partei in der NS-Diktatur. Darüber hinaus bildeten die linksliberalen Außenseiter des Faches eine andere kleine Gruppe. Dazu gehörten Historiker wie Max Lehmann (1845-1929), Ludwig Quidde (1858-1941), Johannes Ziekursch (1876-1945), Franz Schnabel (1887-1966), Veit Valentin (1885-1947), sowie unter den Nachwuchshistorikern dieser Zeit Hajo Holborn (1902-1969), Wilhelm Mommsen (1892-1966) und Eckart Kehr (1902- 1933). Weiter links stand vor allem Arthur Rosenberg (1889-1843). Als marxistischer Althistoriker gehörte er seit 1918 zunächst der Unabhängigen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) an und engagierte sich dann seit 1920 für die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), von der er sich seit 1927 abwandte. Gustav Meyer (1871-1948) versuchte, sozialdemokratische Traditionen in der frühen deutschen Arbeiterbewegung als politisches Innovationspotential und Bestandteil der deutschen Geschichte zu etablieren. Er wird zusammen mit Hans Rosenberg (1904-1988) als wichtigster Anhänger der SPD unter den Historikern erachtet. In der Weimarer Zeit war die Verbindung zwischen den linksliberalen und sozialdemokratischen Historikern enger als zuvor. Die politisch linksliberal orientierten Historiker wie Dietrich Gerhard (1896-1985), Felix Gilbert (1905-1991) und Hedwig Hintze (1884-1943) publizierten zum Beispiel in der von dem sozialdemokratischen Politiker und Theoretiker Rudolf Hilferding herausgegebenen Zeitschrift »Die Zukunft« historische Abhandlungen und Rezensionen. 8 Das Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und deutscher Historikerschaft war kompliziert und widerspruchsvoll. Auf der einen Seite hat die nationalsozialistische Diktatur keinen tiefgehenden Einfluss auf die deutsche Geschichtswissenschaft ausgeübt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es keine offizielle nationalsozialistische Geschichtstheorie gab, die vom NS-Regime eindeutig definiert worden wäre und in der Geschichtsforschung und im Geschichtsunterricht durchgesetzt worden wäre. Eine weitere Ursache bestand darin, dass Hitler kein besonderes Interesse an der Umgestaltung der traditionellen deutschen Geschichtswissenschaft zeigte.9 Deswegen konnte von einer Nationalsozialisierung der deutschen Geschichtswissenschaft keine Rede sein. Auf der anderen Seite gibt es aber kein Zweifel daran,

8 Bemerkenswert ist, dass die historische Arbeit der politischen Organisationen als parteiliche Geschichtsschreibung wie in der Parteihochschule der SPD, der Marxistischen Arbeiterschule der KPD, dem politische Kolleg der DNVP oder der Gewerkschaftshochschule in Bernau bei Berlin bislang kaum etwas bekannt ist. Vgl. Peter Th. Walther, Zur Entwicklung der Geschichtswissenschaften in Berlin: Von der Weimarer Republik zur Vier-Sektoren-Stadt, in: Wolfram Fischer (Hrsg.), Exodus von Wissenschaften aus Berlin, Berlin/New York 1994, S.153-183, hier S.163 f.. 9 Karen Schönwälder, Historiker und Politik. Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1992, S.79-82. 13

dass eine große Gruppe von Historikern den Nationalsozialismus aktiv unterstützte. Johannes Haller, ein großer Bewunderer Bismarcks und ein deutschnationaler Kritiker der Weimarer Republik, hatte als einer der wenigen Historiker das Aufkommen des Nationalsozialismus mit Hitler schon vor 1933 begrüßt. 10 Walter Frank (1905-1945) als Präsident des nationalsozialistischen Reichsinstituts für Geschichte des Neuen Deutschlands gehörte zu den »parteilosen« Nationalsozialisten. Vor der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler Ende Januar 1933 war keiner der 89 Professoren im Fach Geschichte Mitglied der NSDAP gewesen11, aber danach traten auch professionelle Historiker in wachsender Zahl der Partei bei. Karl Alexander von Müller trat der NSDAP im Mai 1933 bei; Otto Westphal und Martin Spahn wurden zum Beispiel jeweils im April und Juni 1933 Parteigenossen. Vor allem jüngere Historiker folgten dem allgemeinen Trend: So trat der junger Fritz Fischer (1908-1999) 1937 auch der Partei bei12; Theodor Schieder und Werner Conze sind von scharfen Kritikern als »Vordenker der Vernichtung« gebrandmarkt worden13. Nach den militärischen Siegen im Westen im Mai und Juni 1940 schrieb Friedrich Meinecke im Juli 1940 in einem Brief an den österreichischen nationalsozialistischen Historiker Heinrich von Srbik, dass er den Sieg des deutschen Militärs gleichfalls »mit tiefer Bewegung, Stolz und Freude« erlebt hatte. 14 Hans Rothfels kam in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass sich in 101 der 339 Aufsätze, die in der Historischen Zeitschrift unter der Leitung Karl Alexander von Müllers von 1935 bis 1943 veröffentlicht wurden, der nationalsozialistische »Ungeist« eingefressen habe.15 Nach Rothfels' Ansicht war dies aber auch im Umkehrschluß ein Hinweis dafür, dass die Historische Zeitschrift nur zum kleinen Teil vom Nationalsozialismus beeinflusst worden sei, während Hans-Ulrich Wehler und Georg G. Iggers demgegenüber dies als überzeugenden Nachweis für eine relativ

10 Vgl. Karin Schönwalder, »Lehrmeisterin der Völker und der Jugend«. Historiker als politische Kommentatoren, in: Peter Schöttler (Hrsg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945, Frankfurt a. M. 1997, S.128-165, hier S.129. 11 Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989, S.34. 12 Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt a. M. 2005, S. 152. 13 Götz Aly/Heim Susanne, Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Hamburg 1991. 14 Brief von Friedrich Meinecke an Heinrich von Srbik am 8. Juli 1940, in: Jürgen Kämmerer (Hrsg.), Heinrich Ritter von Srbik. Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers 1912-1945, Boppard am Rhein 1988, S.516f., hier S.517. 15 Hans Rothfels, Die Geschichtswissenschaft in den 30er Jahren, in: Andreas Flitner, Deutsches Geistesleben und Nationalsozialismus, Tübingen 1965, S.90-302. 14

große Ausbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts in diesem historischen Fachorgan hielten.16 In der NS-Zeit wurden zweifellos die jüdischen Historiker und die linksliberalen bzw. sozialdemokratischen Historiker scharf angegriffen und verfolgt. Wegen ihrer jüdischen Herkunft musste Hedwig Hintze 1933 die Mitarbeit in der Redaktion der Historischen Zeitschrift aufgeben. 1935 wurde Friedrich Meinecke gezwungen, die Herausgabe der Historischen Zeitschrift abzugeben, während Hermann Oncken in der Zwischenzeit die Historische Reichskommission verlassen musste. Viele oben genannten linksliberalen bzw. sozialdemokratischen Historiker in der Weimarer Republik, zu denen fast alle jüngere Schüler von Friedrich Meinecke gehörten, emigrierten ins Ausland, vor allem in die USA. Ein besonderer Fall war der nationalkonservative Historiker und Wortführer einer neuen national-völkischen Strömung Hans Rothfels, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft als Hochschullehrer entlassen wurde und 1939 über in die USA emigrierte. Weil die linksliberalen bzw. sozialdemokratischen Historiker zu dieser Zeit entweder Außenseiter der Zunft waren oder zu einer jüngeren Generation gehörten, die noch nicht im Zentrum des Fachs stand, betrafen die Verfolgungen durch das NS-Regime den Kern der traditionellen deutschen Geschichtswissenschaft weder wissenschaftlich noch organisatorisch. Nach 1945 stellte sich die Frage des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik bzw. Parteilichkeit aufgrund der Spaltung Deutschlands in Ost und West weit komplexer dar. In der kommunistischen Deutschen Demokratischen Republik war die Historikerschaft ganz eng mit Politik und Partei verbunden. Einige Jahre nach dem Kriegsende wurde die konventionelle Vielfalt der Geschichtsschreibung in der Sowjetischen Besatzungszone rasch abgebaut. Nach der Gründung der DDR mussten sich die Historiker den ideologischen Vorgaben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) unterstellen und sollten einen Beitrag zur politischen Zielsetzung leisten. Viele Historiker, die gegen solche Orientierung der Fachhistorie waren, verließen die DDR in den 1950er Jahren. Zu den Historikern der älteren Generation, die sich sowohl wissenschaftlich als auch politisch in der DDR engagierten, gehörten zum Beispiel Jürgen Kuczynski (1904-1997), Ernst Engelberg (1909-2010) und Ingrid Mittenzwei (1929-). Sie traten anfangs in die KPD ein und wurden wegen der Vereinigung von KPD und Ost-SPD im Jahr 1946 Mitglied der SED. Hartmut Zwahr (1936-) war auch von 1967 bis 1990 Mitglied der SED. Bis 1989 waren rund 17 Historiker zeitweise im Parteiapparat des SED-Zentralkomitees

16 Hans-Ulrich Wehler, Geschichtswissenschaft heute, a.a.O., S.715-717; Georg G. Iggers, Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart, Wien 1997, S.318-328. 15

tätig.17 Die Verbindung zwischen Historikern und SED in der DDR war einerseits anders als die in der Kaiserzeit, Weimarer Republik und BRD, weil in Ostdeutschland die politische Standortgebundenheit der Historiker gewissermaßen zwangsläufig war und es ein gemeinsames großes politisches Ziel der Geschichtsschreibung für den Staat gab.18 Andererseits war sie ebenso wenig mit den Verbindungen in der NS-Zeit gleichzusetzen, weil die SED organisatorisch und institutionell mehr Einfluss auf Geschichtswissenschaft und Historikerschaft ausübte als die NSDAP. Im Vergleich zur Parteilichkeit der Historiographie in der DDR war die politische Positionsbestimmung der Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland in dem Sinne offen, dass die Historiker die Möglichkeit zu vielfältigen wissenschaftlichen Zugängen zur Geschichte einerseits und zu unterschiedlichen, manchmal gegensätzlichen Neigungen zu verschiedenen politischen Kräften andererseits hatten. Vor diesem Hintergrund war die Kommunikation zwischen Historikern und Parteien nicht einseitig vorgeprägt. Unterschiede und Spannungen zwischen politisch linken und rechten Positionen und Personen in der Geschichtswissenschaft waren seit 1949 offensichtlich. Dennoch ist es schwer, ein eindeutiges und ganz genaues Bild vom politischen Spektrum der Historikerschaft in Westdeutschland zu zeichnen, weil es zwischen linksliberaler und rechtsliberaler, national-konservativer und liberal- konservativer Grundrichtung immer Übergangszonen und vielfältige Gemeinsamkeiten gab. Die wichtigsten Parteien in der Geschichte der Bundesrepublik wie CDU/CSU, SPD, FDP und seit 1980 dann die Grünen konnten jeweils ein positives Echo in der Historikerschaft finden. Es fällt auf, dass durchgängig in der Geschichte der Bundesrepublik eine Gruppe von Historikern von sich aus das Gespräch mit der Politik und den Parteien suchten. Besonders die »Historiker der Bundesrepublik«, wie Paul Nolte die »lange Generation« der um 1930 Geborenen bezeichnete19, haben immer wieder die Rolle von »public intellectuals« übernommen und sich mit fachlicher und moralischer Autorität in die Kontroversen um die deutsche Vergangenheit eingemischt bzw. diese mit getragen. Innerhalb dieser Gruppe wurde allmählich eine Spaltung zwischen konservativen bzw. neokonservativen Politikhistorikern und linksliberalen bzw. sozialdemokratischen Sozialhistorikern immer deutlicher. Dementsprechend umfasst die Jahre

17 Lothar Mertens, Priester der Klio oder Hofchronisten der Partei? Kollektivbiographische Analysen zur DDR- Historikerschaft, Göttingen 2006, S.84f. 18 Über den Charakter der DDR-Historiographie siehe z.B.: Martin Sabrow, Das Diktat des Konsenses. Geschichtswissenschaft in der DDR 1949-1969. München 2001. 19 Paul Nolte, Die Historiker der Bundesrepublik. Rückblick auf eine »lange Generation«, in: Merkur 53 (1999), S.413-432. 16

von 1945 bis 1989 aus der Perspektive von Tendenz und Kräfteverhältnis eine Wende-Periode, in der sich die führende Orientierung der Stellung von Historikern zu Politik und Partei wesentlich veränderte. Im Rückblick auf die historisch-politische Kommunikationsgeschichte ist es aus der Vogelperspektive ersichtlich geworden, dass die Mehrheit der Historikerschaft über einen langen Zeitraum hinweg politisch konservative Positionen bezogen hat und linke (sozialistsiche oder demokratische) Orientierungen nur eine Randexistenz innerhalb der historischen Zunft führten. Aus diesem Grund spielte die Kommunikation mit Parteien des linken Spektrums keine so bedeutsame Rolle wie die mit konservativen bzw. nationalistischen Parteien. Diese allgemeine Lage wandelte sich erst, als die Sozialdemokratie seit Mitte der sechziger Jahre ihren Aufstieg begann und immer mehr Historiker mit dieser Partei in Verbindung traten. In diesem Sinne leistet die folgende Untersuchung über die Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft in der Bundesrepublik auch einen Beitrag dazu, dieser epochalen Veränderung eine ausführlichere Darstellung zu widmen. Im Hinblick auf die Kommunikationsprozesse folgt die vorliegende Studie einer doppelten Perspektive. Zum einen versucht sie, die Stellungnahmen einer politischen Partei, hier der SPD, zu Fragen und Themen von Geschichte, Geschichtsforschung, Geschichtswissenschaft, Geschichtsunterricht und nicht zuletzt Geschichtsbewusstsein genauer zu untersuchen. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Zusammenbruch des nationalsozialistsichen Regimes musste jede politische Partei in Deutschland über einen eigenen Standpunkt zur Vergangenheit verfügen und diese Position auch in der Öffentlichkeit darstellen. Dazu gehörte nicht nur die Beschäftigung mit der Geschichte der eigenen Partei bzw. politischen Strömung, sondern auch der Umgang mit der jüngeren deutschen Vergangenheit, insbesondere mit dem Nationalsozialismus. Seit den sechziger Jahren waren sowohl die Historikerzunft als auch die politische Öffentlichkeit an mehreren historischen Kontroversen beteiligt, die sich keineswegs allein auf Sach- und Methodenfragen der historischen Erkenntnisse bezogen, sondern aufs engste mit den Interessen der verschiedenen politischen Kräfte an der Deutung von Gegenwart und Vergangenheit verbunden waren. In dieser Situation traten die demokratischen Parteien mit Fachhistorikern in engere Verbindung. Die SPD bietet ein gutes Beispiel dafür, welche Initiativen eine Partei ergriff, um die Kommunikation mit der Historikerschaft zu entwickeln. Im einzelnen ist zu fragen: Wie widmete sich die SPD der Parteigeschichte, zu der aber auch das weitere Feld der Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung zählte? Wie berücksichtigte die SPD die Fachhistorie? Wie

17

ging sie auf der politischen bzw. geschichtspolitischen Ebene mit der deutschen Vergangenheit um? Wie gestaltete sie die Konkurrenz mit den anderen Parteien, vor allem mit CDU/CSU, um den eigenen Einfluss in der Politik und der politischen Öffentlichkeit zu vergrößern? Auf welche Art und Weise organisierte diese Partei ihre Aktivitäten zu Fragen der Geschichte und wie ihre Verbindungen mit Historikern? Gleichzeitig fragt die Untersuchung in umgekehrter Perspektive nach der Beziehung der bundesrepublikanischen Historiker zur SPD, konkret zu dieser Partei, ihren Politikern und ihren Mitgliedern. Bei der politischen Ortsbestimmung der Geschichtswissenschaft in Westdeutschland spielte ihr Verhältnis zur SPD eine wichtige Rolle. Dabei geht es nicht nur um den Einfluss der Sozialdemokratie innerhalb der Fachhistorie. Viel wichtiger ist die generellere Frage, wie sich Historiker individuell und die Fachwelt generell gegenüber einer Partei verhielten. Dabei geht es auch um die Suche nach öffentlicher Anerkennung und geschichtspolitischem Einfluss seitens der Fachhistorie einerseits und die Abwehr des Missbrauchs historischer Erkenntnisse in der Politik oder von Eingriffen der politischen Kräfte in die Geschichtswissenschaft andererseits. In dieser Perspektive wird die Kommunikation der Historikerschaft mit der SPD anhand folgender Fragen untersucht: Welche Historiker standen mit der SPD in Verbindung? Wann, warum und auf welche Art und Weise traten sie mit dieser Partei in Kontakt? Wie engagierten sie sich für die sozialdemokratische Historiographie und die Politik der SPD? Wie setzten sie sich der Partei in anderen Fällen entgegen? Wie übten sie durch ihre unterschiedlichen kommunikativen Handlungen Einfluss auf das Verhältnis zwischen beiden Seiten aus? An welcher Stelle stand die Kommunikation mit der SPD im Spektrum der Kommunikation zwischen Historikern und Parteien in der Bundesrepublik? Aus diesen Fragen zur SPD und Historikerschaft ergibt sich ein weiteres Untersuchungselement, bei dem es um die Netzwerke der Kommunikation geht. Mit Blick auf die Verflechtung zwischen der SPD und den professionellen Historikern besteht das Ziel der folgenden Untersuchung darin, die personelle und regionale Struktur der Kommunikation, die interne Differenzierung der Kommunikationsakteure, vor allem aus der Geschichtswissenschaft, und nicht zuletzt die Positionen der Akteure bzw. der unterschiedlichen Akteursgruppen in der Landschaft der Kommunikation zu beschreiben und zu analysieren. Eine solche Untersuchung muss die Geschichte der Kommunikation zum einen auf die Geschichte der Geschichtswissenschaft und die Parteigeschichte der SPD rückbeziehen, aber sie

18

muss gleichzeitig in die Geschichte der bundesrepublikanischen Politik und insbesondere der Geschichtspolitik eingebettet sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat das Interesse der Historiker in Westdeutschland an der Geschichte ihres eigenen Faches immer mehr zugenommen, wie bereits 1951 Gerhard Ritter irritiert zu beobachten glaubte, als er monierte, jüngere Kollegen neigten dazu, »sich vorzugsweise mit der Geschichte der Geschichtsschreibung statt mit der Geschichte selbst zu beschäftigen« 20 , um sich mit der Entwicklung seines eigenen Fachs und mit der Lebensgeschichte ihrer Kolleginnen und Kollegen auseinanderzusetzen. Parallel zum Aufstieg des Interesses an der Geschichte der Geschichtswissenschaft veränderte sich der Fokus der Historiographiehistoriker seit dem Ende des 20. Jahrhunderts. Nun wurden nicht nur Vertreter und Außenseiter der Zunft untersucht, sondern seitdem stehen auch Auseinandersetzungen, Institutionen und Zeitschriften sowie Schulenbildung und Generationswechsel im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Statt Studien zu ideengeschichtlichen Fragestellungen, die vor allem Argumente, Inhalte und Methoden der Meisterwerke berühmter Autoren erforschten, erschienen immer mehr »Mikro-Studien zur Alltagsgeschichte der historischen Gelehrsamkeit«21, die die Erfahrungen der Historiker in ihren wissenschaftlichen bzw. professionellen Rahmenbedingungen in den Mittelpunkt stellen und eine Zusammenführung von Ideen- und Gesellschaftsgeschichte der Historikerschaft anstreben. Außerdem widmen sich immer mehr Arbeiten wissenschaftssoziologischen Untersuchungen. Ihr Forschungsschwerpunkt besteht vor allem in der Untersuchung der wissenschaftsfernen Faktoren für die Entwicklung der Geschichtswissenschaft, zu denen insbesondere Politik, Öffentlichkeit, Medien, Verlage und Arbeitsmarkt gehören. Methodisch nutzt die neueste Geschichte der Geschichtswissenschaft zuallererst Ansätze der Feldtheorie, der Diskursanalyse und der Netzwerktheorie. Sie verwandelt sich damit allmählich in eine mehrdimensionale Sozialgeschichte, in der die ganze Lebenswelt der Historiker zum Objekt wissenschaftlicher bzw. historiografischer Fragestellungen geworden ist. All diesen neueren Bemühungen ist gemeinsam, dass sie die Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft viel enger an die allgemeine deutsche Geschichte heranrücken. In diesem Zusammenhang kommt eben auch die Kommunikation zwischen Politik und Historikerschaft in

20 Gerhard Ritter an Hermann Heimpel, 20.11.1951, zit. nach Peter Schumann, Gerhard Ritter und die deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Mentalitäten und Lebensverhältnisse. Beispiele aus der Sozialgeschichte der Neuzeit. Rudolf Vierhaus zum 60. Geburtstag, Göttingen 1982, S. 399-415, hier S. 415. 21 Lutz Raphael, Die Erben von Bloch und Febvre. »Annales«-Geschichtsschreibung und »nouvelle histoire« in Frankreich 1945-1980, Stuttgart 1994, S.38. 19

den Blick der Historiographiehistoriker. Es ist nicht mehr abwegig, dem politischen Engagement eines Historikers Aufmerksamkeit zu schenken und die Position eines Historikers zwischen Wissenschaft und Politik zu bestimmen. Eine solche historiographische Arbeit ist normalerweise individuell biographisch angelegt. Neu ist, über die Beziehung zwischen Politik und Geschichtswissenschaft mit Blick auf Gruppen, Organisationsformen und Kommunikationsmedien nachzudenken. Die Beschäftigung mit solchen kollektiven Beziehungen umfasst zum Beispiel den institutionellen Rahmen, Fragen der Medien ebenso wie individuelle oder generationelle Aspekte. Der Blickwinkel erweitert sich schließlich auch, da solche Kommunikationsprozesse immer zwei Seiten umfassen, also neben den Aktivitäten der Historiker auch die Parteien in den Blick genommen werden müssen. Die Untersuchung der Kommunikationsformen einer Partei mit der Historikerschaft erweitert sowohl die Perspektiven der Parteiengeschichte als auch der Geschichte der Geschichtspolitik. Auf der einen Seite konzentriert sich die Geschichtsschreibung politischer Parteien normalerweise auf deren Entstehung und Entwicklung im politischen System, den Wandel ihrer Programmatik, ihre konkrete Politik sowie ihre führenden Vertreter und ihre Mitglieder. Dem Umgang der Parteien mit Geschichte, Geschichtsforschung und Geschichtswissenschaft werden häufig nur einige kurze Abschnitte in den Darstellungen der Parteiengeschichtsschreibung gewidmet. In dieser Hinsicht ergänzt und erweitert eine systematische Untersuchung der Kommunikation zwischen Parteien und Historikerschaft auch die Perspektiven der Parteiengeschichtsschreibung. Auf der anderen Seite liefert sie einen Beitrag zur Untersuchung der Geschichtspolitik, indem sie Positionen und Initiativen der Parteien und die Rolle, die die Kommunikation der Partei mit Historikern dabei spielte, genauer untersucht.

2. Begriffe und Methoden

Menschen sind als Angehörige von Familien, Mitglieder von Institutionen und Vereinen oder Bürger von Staaten in verschiedenen alltäglichen oder beruflichen Lebenswelten verankert. Solche Lebenswelten kann man mit Hilfe der Sozialtheorie von Jürgen Habermas theoretisch genauer definieren: »Indem sich Sprecher und Hörer frontal miteinander über etwas in einer Welt verständigen, bewegen sie sich innerhalb des Horizonts ihrer gemeinsamen Lebenswelt; die bleibt den Beteiligten als ein intuitiv gewusster, unproblematischer und unzerlegbarer holistischer

20

Hintergrund im Rücken.«22 Er unterscheidet weiterhin drei Aspekte der Lebenswelt, die je nach der Handlungs- oder der Sprechsituation jeweils als Kultur, als Gesellschaft und als Persönlichkeit erscheinen: »Kultur nenne ich den Wissensvorrat, aus dem sich die Kommunikationsteilnehmer, indem sie sich über etwas in einer Welt verständigen, mit Interpretationen versorgen. Gesellschaft nenne ich die legitimen Ordnungen, über die die Kommunikationsteilnehmer ihre Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen regeln und damit Solidarität sichern. Unter Persönlichkeit verstehe ich die Kompetenzen, die ein Subjekt sprach- und handlungsfähig machen, also instandsetzen, an Verständigungsprozessen teilzunehmen und dabei die eigene Identität zu behaupten.«23 In diesem Sinne konstituiert sich in einer Lebenswelt eine kommunikative Umwelt, die gemeinsame Hintergrundinformation oder Perspektiven der Akteure für kommunikative Handlungen bezeichnet. Wissenschaftler werden in diesem Rahmen als Angehörigen der »wissenschaftlichen Lebenswelt« betrachtet, deren Grenze im Wesentlichen durch das jeweilige Fach gezogen wird. Eine fachlich geprägte Historikerschaft ist also in eine Lebenswelt eingebunden, aus der historische Produktion entsteht. Aber die geschichtswissenschaftliche Lebenswelt deckt nur zum Teil das Arbeitsfeld der Historiker ab. Es betrifft auch andere wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Lebenswelten, so dass das kommunikative Handeln von Historikern nicht allein auf die rein historiographische Arbeit beschränkt ist, sondern immer über die fachliche Grenze hinausgeht. Die Lebenswelt eines Historikers setzt sich aus unterschiedlichen Lebenswelten zusammen. Forschungsschwerpunkte, politische Tendenzen, Lehrer-Schüler-Beziehungen und persönliche Vorlieben üben gemeinsam großen Einfluss auf die Struktur der Lebenswelt von Historikern aus. Gleichzeitig werden ihr Arbeitsfeld und Diskursraum auch immer durch interdisziplinäre Forschungszusammenarbeit, durch neue Forschungsprojekte und neue Fördermittel für Forschungsthemen, sowie durch die Teilnahme an den aktuellen politischen Diskussionen verändert und erweitert. Je mehr Kommunikation mit Kollegen und Organisationen ein Historiker vollzieht, desto größer wird die Lebenswelt, in die er eingebettet ist.

Abbildung 0-1: Einordnung der Kommunikation der Geschichtswissenschaft24

22 Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt a. M. 1985, S. 348. 23 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2: Zur Kritik der funtionalistischen Vernunft, Frankfurt a. M. 1997, S. 209. 24 Die hier vorliegende Kategorisierung beruht sich auf der Definition des Begriffs »Wissenschaftskommunikation«. Über Wissenschaftskommunikation sehe: Svenja Hagenhoff/Lutz Seidenfaden/Björn Ortelbach/Matthias Schumann (Hrsg.), Neue Formen der Wissenschaftskommunikation. Eine Fallstudienuntersuchung, Göttingen 2007. 21

Kommunikation der Geschichtswissenschaft

Externe Kommunikation der Interne Kommunikation der Geschichtswissenschaft Geschichtswissenschaft (science communication) (scholarly communication)

Kommunikation Kommunikation Kommunikation Kommunikation Kommunikation mit mit Politik mit Öffentlichkeit mit Gesellschaft innerhalb der anderen Wissenschaften Geschichtswissenschaft

Kommunikative Handlungen sind konstitutiv für das sachliche, soziale und kulturelle Funktionieren von Lebenswelten und spielen bei der Entwicklung der Wissenschaften und den Aktivitäten der Wissenschaftler eine entscheidende Rolle. Unter dem Begriff »Kommunikation« versteht man den Austausch von Information plus die Herstellung sozialer, kultureller Bedeutung und der Sinnzusammenhänge, ohne die die Lebenswelten nicht existieren könnten. Reine »Information« bedeutet statischen und gesonderten Sachgehalt, während »Kommunikation« Prozesse meint, die in Lebenswelten vollzogen werden und mit deren sozialen und kulturellen Hintergünden eng verbunden sind. Die Abbildung 0-1 zeigt die Landschaft der Kommunikation im Fach Geschichte. Historiker pflegen neben der Kommunikation innerhalb der Geschichtswissenschaft auch ihre Verbindung mit den anderen Geisteswissenschaften, mit den Sozialwissenschaften, und mit dem politischen Feld sowie der Öffentlichkeit. Auf der einen Seite lassen sich Forschungen über die Kommunikation innerhalb der Wissenschaft anstellen. Institute und Fachzeitschriften als wesentlicher Kommunikationsraum der Wissenschaft spielen bei der professionellen Entwicklung wie z.B. Spezialisierung, Schulenbildung und Einbettung neuer Forschungsansätze eine wichtige Rolle. Auf der anderen Seite wird die Aufmerksamkeit auf die Kommunikation außerhalb des Faches gelenkt. Im Zentrum stehen die Verbindungen der Historikerschaft mit Politik, Öffentlichkeit und Gesellschaft. Die Kommunikation zwischen den Historikern und den politischen Parteien stellt dabei, wie oben gezeigt, zweifellos einen

22

interessanten Bestandteil der geschichtswissenschaftlichen Kommunikation mit Politik dar. Die Parteizugehörigkeit, die Stellung zur eigenen Geschichte der Parteien, die Dienste in den jener Partei nahestehenden politischen oder wissenschaftlichen Organisationen und nicht zuletzt die politische Neigung oder Entfremdung auf Grund der Innen- und Außenpolitik der Parteien bestimmen zusammen die Beziehungen der Historiker zu unterschiedlichen Parteien. Für die Historikerschaft bedeuteten die historisch-politischen Kommunikationen eine Erweiterung ihrer professionellen Lebenswelt, während sie für die politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland ein neuartiges Kraftfeld darstellten. Eine Kommunikationsgeschichte ist nun nicht allein eine Presse- und Mediengeschichte, sondern zeigt sich als Darstellung der Interaktion, die durch Sprache, Schrift oder Handeln geschehen. Unter Historikern stellt nicht nur jeder unmittelbar interpersonaler Austausch zwischen Kollegen oder Freunden, sondern auch jeder Kongressbesuch, jede Teilhabe an Forschungscommunites und jede Publikation »Kommunikation« dar. Bemerkenswert ist, dass sich kommunikative Handlungen in der Geschichtswissenschaft unterscheiden von solchen in den Sozialwissenschaften und den Naturwissenschaften. Dies resultiert vor allem aus den unterschiedlichen Arbeitsweisen dieser Disziplinen. Naturwissenschaftler arbeiten gewöhnlich in Labors oder Büros zusammen und kommunizieren sehr häufig miteinander, um neueste Laborexperimente- und Forschungsergebnisse auszutauschen. Sozialwissenschaftler stehen häufig bei ihrer Arbeit (wie z.B. Umfragen und Experimenten) in engem Kontakt mit Kollegen und anderen Menschen. Demgegenüber können die Historiker allein am Schreibtisch im Archiv oder zu Hause arbeiten, ohne unmittelbar mit Kollegen oder anderen Menschen zu kommunizieren. Im Rahmen eines Forschungsprojekts sind normalerweise Naturwissenschaftler und Sozialwissenschaftler enger miteinander verbunden als Historiker. Vor diesem Hintergrund legt die Beschäftigung mit der Kommunikation der Geschichtswissenschaft das Schwergewicht nicht nur auf die direkt vermittelten Kontakte zwischen Akteuren, sondern auch auf die mittelbaren Verbindungen durch Medien. Beim Thema der Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft stehen beispielsweise zum einen Briefwechsel und Gespräche zwischen einem Historiker und einem sozialdemokratischen Politiker und zum anderen Veröffentlichungen bzw. Auftritte eines Historikers in der dieser Partei nahestehenden Organisationen und Zeitschriften im Zentrum. Um Kommunikation besser zu analysieren, lassen sich die kommunikativen Beziehungen verschiedenen Kategorien zuordnen. Jaana Eichhorn hat in ihrer Studie zur bundesdeutschen

23

Frühneuzeitforschung fünf Dimensionen von Beziehungen voneinander unterschieden: In einer ersten Dimension fasst sie alle dauerhaften Verbindungen, die auf »ererbten« wie etwa Verwandtschaft oder Landsmannschaft beziehungsweise zugeschriebenen Beziehungen beruhen, zusammen. Für die Strukturierung wissenschaftlicher Kommunikation sind dabei Kontakte bedeutsamer, die über die gemeinsame Mitgliedschaft in wissenschaftlichen Gesellschaften, die gemeinsame Mitarbeit in Zeitschriftenredaktionen oder über Lehrer-Schüler-Verhältnisse entstehen. Eine zweite Dimension betrifft die Aktualität von Vernetzungen: es lassen sich potentielle und bei Bedarf aktualisierbare Beziehungen einerseits, und ständig »aktuelle« Verbindungen andererseits unterscheiden. Die dritte Dimension ist die Stärke von Beziehungen: hier besteht ein Spektrum, das von engen, vielfach wiederkehrenden »starken« Bindungen bis zu einmaligen bzw. seltenen, punktuellen »schwachen« Verbindungen reicht. Viertens kann man vertikale Beziehungen, wie sie etwa im Lehrer-Schüler-Verhältnis ihren Ausdruck finden, und horizontale Verbindungen unterscheiden, zu denen Freundschaften, aber auch die Gemeinschaft von Kollegen an einem Institut zählen. Fünftens differenzieren sich schließlich die Beziehungen gemäß ihrer Formalität: formelle (bzw. formale) Beziehungen einerseits, die durch eine organisatorische Struktur vorgegeben sind und etwa zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten oder zwischen Kollegen bestehen, und informelle Kontakte andererseits, die von diesen Strukturen unabhängig sind, oft über die die Arbeit betreffende Kommunikation hinausgehen und meist sowohl zwischenmenschliche Sympathie als auch die Instrumentalisierbarkeit der Beziehung für den eigenen beruflichen Erfolg voraussetzen.25 Mit Hilfe einer solchen differenzierten Klassifikation von Beziehungen lassen sich Netzwerke besser beschreiben und analysieren. Aus solchen Beziehungen und den damit verbundenen Kommunikationen bilden sich die Kommunikationsnetzwerke heraus. Für die Geschichtswissenschaft treten die Netzwerke zwischen Institutionen und Personen innerhalb des Faches einerseits und die Netzwerke zwischen dem Fach und den mit ihr in Wechselbeziehung stehenden Bereichen andererseits in den Vordergrund. Die Berücksichtigung dieser Kommunikationsnetzwerke und ihrer Eigenschaften sollen im Folgenden dabei helfen, die Position von einzelnen Historikern in der akademischen Welt besser zu bestimmen, verschiedene Historikergruppen zu differenzieren, und weiterhin das Erscheinungsbild der Geschichtswissenschaft in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft präziser nachzuzeichnen.

25 Janna Eichhorn, Geschichtswissenschaft zwischen Tradition und Innovation. Diskurse, Institutionen und Machtstrukturen der bundesdeutschen Frühneuzeitforschung, Göttingen 2006, S.61f. 24

Damit nutzt die Studie auch das Konzept des »Netzwerkes«. Formal läßt sich ein Netzwerk mathematisch definieren »als eine abgegrenzte Menge von Knoten oder Elementen und der Menge der zwischen ihnen verlaufenden sogenannten Kanten«. 26 »Knoten« bezeichnen in unserem Fall Akteure wie Einzelpersonen oder Institutionen. »Kanten« repräsentieren die Verbindungen dieser unterschiedlichen Akteure miteinander und die unterschiedlichen Ausprägungen. Dieser »Kante« kann als ein Maß für die Stärke, aber auch die Qualität der Beziehungen zwischen den Akteuren genutzt werden. In dieser Arbeit werde ich keine systematische quantitative Darstellung einer solchen Netzwerkanalyse vorlegen, die durch Knoten und Kanten die Beziehungen zwischen SPD und Historikerschaft zeigt, und auch keine systematische quantitative Netzwerkanalyse einzelner oder mehrerer Modi der Verbindungen zwischen beiden Akteursgruppen durchführen. Stattdessen soll das für einen bestimmten Zeitpunkt theoretisch vorausgesetzte Gesamtnetzwerk zum Teil mit Hilfe quantitativer Auswertungen zur Anzahl ausgewählter Verbindungen und zum Teil mit Hilfe qualitativer Angaben aus persönlichen Informationen der Akteure genauer analysiert und interpretiert werden. Der Schwerpunkt der Netzwerkanalyse liegt in der vorliegenden Arbeit also darauf, anhand von Definitionen und Analysekategorien dieser Methode qualitative Aussagen über die Beziehungen machen zu können, welche den konkreten Kommunikationsprozessen zugrunde lagen. Auf die Gestalt- und Wandelbarkeit von Netzwerken hat Laura Polexe in ihrer Untersuchung über Netzwerke und Freundschaftsbeziehungen von Sozialdemokraten hingewiesen: »Netzwerke sind nicht statisch, sondern wandeln sich in vielfacher Hinsicht im Laufe der Zeit. Sie sind Gebilde mit einem mittleren Grad an Stabilität, Formalität sowie Kohäsion und außerdem von mittlerer Dauer. Sie verändern sich in ihrer Zielsetzung und in ihrer Wirkung. Ebenfalls kann der partizipierende Personenkreis aufgrund von unterschiedlichen Umständen (politischer, sozialer oder rein persönlicher Natur) variieren; ferner werden die Inklusions- und Exklusionsmechanismen umgeformt. Es gibt Akteure, die das Spielfeld verlassen und andere, die es betreten. Verbindungen werden durch politischen und persönlichen Wandel auf die Probe gestellt, sie verändern sich oder werden beendet. Wenn Beziehungen zwischen Akteuren sich dramatisch wandeln oder gar verschwinden, hat dies auch Konsequenzen für das Netzwerk und die verbleibenden Personen – es können beispielsweise gewisse Kontakte nicht mehr genutzt

26 Dorothea Jansen, Einführung in die Netzwerkanalyse. Grundlagen, Methoden, Forschungsbeispiele, Opladen 20063, S.58. 25

oder aufrecht erhalten werden; die Kommunikation erfolgt auf anderen Ebenen.«27 Die folgende Untersuchung versucht diese Einsichten in die Spezifika von Netzwerken zu berücksichtigen. Konkret werden die Entstehung unterschiedlicher Netzwerke zwischen SPD und Historikerschaft im Zeitraum von 1959 bis 1989, deren Funktionen, und deren personellen und strukturellen Veränderungen untersucht. Der Verfasserin ist durchaus bewußt, dass es große Probleme bei der konkreten Erforschung dieser Netzwerke oder Verflechtungen gibt. Wer die Kommunikationsvernetzungen zwischen der SPD und der bundesdeutschen Historikerschaft systematisch erfassen will, sieht sich mit der Tatsache konfrontiert, dass eine vollständige totale Datenerhebung, aber auch die eindeutige Identifizierung informeller Verflechtungen vor unüberwindlichen Schwierigkeiten steht. Forschungspraktisch unmöglich ist es beispielsweise, Lehrer-Schüler-Verhältnisse oder freundschaftlich-kollegiale Beziehungen umfassend zu erfassen. Zudem können solche Phänomene wie die gemeinsame Durchführung von Tagungen oder die Planung von Buchprojekten nur als Indikator für einen kleinen Teil der Kontakte dienen. Wer waren die Akteure in der Kommunikation zwischen Politik und Geschichtswissenschaft? Mit Blick auf die Genese der deutschen Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert erscheint eine besondere Gruppe von Professoren dabei eine hervorragende Rolle zuzukommen: dem »politischen Historiker« . »Politischer Historiker« ist gewissermaßen die spezifische Variante des »politischen Professors« im Fach Geschichte. Der Begriff »politischer Professor« ist in Abgrenzung zum direkt politisch engagierten Gelehrten zu verstehen. »Nicht jeder, der als Professor politisch Einfluss zu nehmen trachtete oder gar ohne direkte politische Zielsetzungen durch seine akademische Tätigkeit politisch wirkte«, so Peter Wende, darf »den Titel eines politischen Professors für sich in Anspruch nehmen«.28 Dieser Titel meint »nicht einen Professor, der – gewissermaßen im Nebenberuf – Politik trieb«, sondern er meint jemanden, »der als Professor politisch war«.29 Ein politischer Professor verbindet nicht nur wissenschaftlichen Beruf und politisches Mandat, sondern er definiert das wissenschaftliche Selbstverständnis seines Faches aus der Perspektive politischer Zielsetzungen. So bezeichnet der Begriff des »politischen Historikers« in der Historiographiegeschichte des 19. Jahrhunderts Fachvertreter, »deren Anliegen die ausschließliche Erforschung von Staat und Politik war«. 30 Sie hielten bei der

27 Laura Polexe, Netzwerke und Freundschaft. Sozialdemokraten in Rumänien, Russland und der Schweiz an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, Freiburg 2011, S.50f. 28 Peter Wende, Der politische Professor, in: Ulrich Muhlack (Hrsg.), Historisierung und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland im 19. Jahrhundert, Berlin 2003, S.21-29, hier S.21. 29 , Politik der praktischen Vernunft, 1969, S.23. 30 Luise Schorn-Schütte, Historische Politikforschung. Eine Einführung, München 2006, S.154. 26

inhaltlichen Ausrichtung ihrer Forschungsgebiete Treue zu einer Geschichtsschreibung, in der das Politische – und zwar der Staat – der Fokus aller Fragen blieb, und sie stellten ihre Geschichtsschreibung bewusst in den Dienst übergreifender staatspolitischer Ziele. Wichtige Vertreter dieses Typs in Deutschland sind Friedrich Christoph Dahlmann, Johann Gustav Droysen, Heinrich von Treitschke und Heinrich von Sybel. Diese Tradition des »politischen Historikers« hat sich aber über Georg von Below und Hermann Oncken bis hin zu Gerhard Ritter fortgesetzt. Die politischen Historiker kommunizierten normalerweise sehr aktiv mit der Politik. Innerhalb der Historikerzunft stand niemand enger als sie sowohl auf Grund des epistemologisch politischen Rollenverständnisses als auch durch ihre wissenschaftliche Praxis mit der Politik in Verbindung. Aber sie waren nicht die einzige Akteursgruppe in der Kommunikation zwischen Geschichte und Politik. Bereits seit der Weimarer Republik, dann aber vor allem nach 1945 entwickelte sich eine andere Position, die von Historikern vertreten wurde, die sich nicht an einen bestimmten (partei)politischen Standpunkt gebunden fühlten, sich aber entweder punktuell politisch engagierten bzw. ihre eigene Forschungs- und Lehrpraxis als genuin politikbezogen verstanden. Sie äußerten sich zu politischen Tagesfragen und verteidigten aber die Selbständigkeit der Geschichtswissenschaft und die Trennung zwischen Politik und Historiographie. Insbesondere nach 1945 haben sich die Teilnehmer aus der bundesrepublikanischen Historikerschaft an der Kommunikation zwischen Geschichtswissenschaft und Politik bzw. Partei immer mehr der politisch ideologischen Gebundenheit und Sperrung entledigt. Ziele und Resultate der Kommunikationsprozesse zwischen SPD und Historikerschaft im Untersuchungszeitraum waren eng mit der »sozialdemokratischen Geschichtskultur« verbunden. Auf Seiten der Sozialdemokratischen Partei entstand ihr Bedarf an Kommunikation mit der Historikerschaft aus der Notwendigkeit, eine der Gegenwart entsprechende Geschichtskultur ihrer eigenen Partei auf der Grundlage der professionellen Leistungen der Geschichtswissenschaft und mit der Hilfe der akademisierten Historiker weiterzuentwickeln, während auf Seiten der Historiker ein Antrieb für ihren Dialog mit der SPD darin zu finden ist, dass sie wesentliche Positionen und Inhalte dieser sich herausbildenden sozialdemokratischen Geschichtskultur teilten. Der Begriff »Geschichtskultur« wird von Jörn Rüsen als »das Gemeinsame und Übergreifende« des gesellschaftlichen Umgangs mit der Vergangenheit definiert. Sie sei die

27

»praktisch wirksame Artikulation von Geschichtsbewusstsein im Leben einer Gesellschaft«.31 Mit Rüsen kann man dabei eine kognitive, eine politische und eine ästhetische Dimension unterscheiden. Bei der kognitiven Dimension geht es um die Wahrheit der Vergangenheit bzw. das historische Wissen aus der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung. Bei der politischen Dimension der Geschichtskultur setzen vor allem im deutschsprachigen Raum die Konzepte der Vergangenheitspolitik32, der Geschichtspolitik33 und der Erinnerungspolitik34 an. Die ästhetische Dimension wird im Zusammenhang mit den medialen Vermittlungsformen von Geschichte in der Gesellschaft und Öffentlichkeit betont. Im Unterschied zu Jörn Rüsen hat Bernd Schönemann eine vier Dimensionen umfassende Beschreibungsmatrix vorgelegt, die andere Akzente setzt und den Vermittlungsprozess in den Mittelpunkt rückt. 35 Die institutionelle Dimension wie z.B. Archive, Museen und Akademie beschreibt den Rahmen geschichtskultureller Praxis. Die professionelle Dimension bezeichnet die spezifischen Akteure wie z.B. Lehrer und Wissenschaftler. Die mediale Dimension beschäftigt sich mit den Vermittlungsformen. Die adressatenspezifische Dimension widmet sich schließlich den Adressaten geschichtskultureller Phänomene. Dabei kommt der institutionellen Dimension eine herausgehobene Stellung zu, insofern sie den Rahmen für die anderen drei erst bereitstellt. Mit sozialdemokratischer Geschichtskultur in der Bundesrepublik wird in der vorliegenden Arbeit der wissenschaftlichen und politischen Umgang mit der Vergangenheit sowie die historische Identität der sozialdemokratischen Partei Deutschlands bezeichnet. Die Kategorisierungen von Rüsen und Schönemann können genutzt werden, um die verschiedenen Aspekte der Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft zu unterscheiden. Folgt man Rüsens Differenzierungsvorschlag, so sind in unserem Untersuchungsfall die historiographische und die politische Dimension von besonderer Bedeutung. Die historiographische Dimension, die der kognitiven Dimension bei Rüsen entspricht, findet ihren konkreten Ausdruck erstens in der historischen Arbeit von Sozialdemokraten zur Geschichte der Sozialdemokratie, der eigenen Partei und der deutschen (sozial)demokratischen Tradition, zweitens in der Geschichtsforschung

31 Jörn Rüsen, Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art, über Geschichte nachzudenken, in: ders./Theo Grütter/Klaus Füßmann (Hrsg.), Historische Faszination. Geschichtskultur heute, Köln u. a. 1994, S. 3–26, hier S.5. 32 Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München 1996. 33 Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948–1990, Darmstadt 1999. 34 Peter Reichel, Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, München u. a. 1995. 35 Bernd Schönemann, Geschichtsdidaktik und Geschichtskultur, in: ders./Bernd Mütter/Uwe Uffelmann (Hrsg.), Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik. Weingarten 2000, S. 26–58, hier S.44ff. 28

von sozialdemokratischen bzw. linksliberalen Historikern in der Bundesrepublik und drittens in der Umwandlung und Aufnahme von neuen historiographischen Ansätzen innerhalb der Geschichtswissenschaft seitens der Sozialdemokratie. Der wissenschaftliche Umgang mit der Vergangenheit ist damit eine der grundlegenden Ressourcen für die historische Identitätsbildung der SPD und stellte damit für die sozialdemokratische Geschichtskultur zum Teil auch die entscheidenden Weichen. Als politische Dimension kann die sozialdemokratische Geschichtspolitik und die Auseinandersetzung der Partei vor allem mit der christdemokratischen bzw. konservativen Geschichtspolitik gelten. Ein solcher politischer Umgang mit der Vergangenheit präsentiert der Öffentlichkeit die historische Identität und das Geschichtsbewusstsein der SPD. Schönemanns Kategorien können genutzt werden, um die verschiedenen Bereiche der Produktion- und Zirkulation von historischem Wissen zu unterscheiden. Zwei von ihnen sind für die Kommunikationsanalyse zwischen SPD und Historikerschaft von besonderem Interesse. Der institutionellen Dimension zuzuordnen sind die der SPD nahestehenden Institute für Geschichte und Geschichtsforschung. Diese Institutionen sicherten gewissermaßen die Selbstständigkeit, Kontinuität und Systematik sozialdemokratischer Geschichtskultur und stellten die wesentlichen organisatorischen Rahmenbedingungen für die Kommunikation, die von den Historikern hervorgebracht wurde, die an einer Institution oder in einem Projekt eng zusammenarbeiteten, oder die als Redakteure oder Autoren einer der Zeitschriften dieser Einrichtungen tätig waren. Neben der institutionellen Dimension sozialdemokratischer Geschichtskultur gilt der professionellen Dimension besondere Aufmerksamkeit: Als »Produzenten« und »Verbreiter« der Geschichtskultur spielten Sozialdemokraten und Historiker, die sich durch ihr politisches und wissenschaftliches Engagement dem sozialdemokratischen Geschichtsbewusstsein widmten, gemeinsam eine wichtige Rolle bei der Herausbildung und Entwicklung der sozialdemokratischen Geschichtskultur. Wer sich mehr auf die Geschichtskultur der SPD konzentrierte, nahm normalerweise lebhafter an der Kommunikation zwischen Partei und Geschichtswissenschaft teil. Wer bei dieser Kommunikation aktiver war, übte in der Regel auch einen größeren Einfluss auf die Geschichtskultur aus. Der Begriff »sozialdemokratische Geschichtskultur« und die eben vorgestellten Modelle werden im folgenden als Bezugsrahmen für die Analyse der Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft in dieser Arbeit benutzt. Entstehung und Entwicklung der sozialdemokratischen Geschichtskultur sind aufs engste mit der Geschichte der Kommunikation der Partei mit der

29

Geschichtswissenschaft und der Historikerschaft verknüpft. Aber thematisch erfasst die Kommunikation einen größeren Bereich: so gehören etwa die Diskussionen über die aktuelle Innen- und Außenpolitik selbstverständlich auch dazu. Auch hinsichtlich der Akteure sind »Geschichtskultur« und »Kommunikation« nicht identisch. Neben »Produzenten« und »Verbreitern« gab es auch »Repräsentanten« der sozialdemokratischen Geschichtskultur, die im allgemeinen führende sozialdemokratische Politiker waren. Sie förderten ihrerseits die Kommunikation der Partei mit Geschichte und Geschichtswissenschaft und stellten häufig auch die Weichen für ihre künftige Weiterentwicklung. Sie konnten auch persönlich bzw. brieflich mit den Historikern kommunizieren. Aber bei der Vernetzung spielten sie häufig keine zentrale Rolle. Außerdem war nicht jedes kommunikative Handeln darauf ausgerichtet, einer wie immer definierte sozialdemokratischen Geschichtskultur zu dienen. Darin besteht ein weiterer Unterschied zwischen einer bloßen Beschreibung sozialdemokratischer Geschichtskultur, die die positiven Ergebnisse des Dialogs zwischen Politik und Geschichte darstellt, und einer Untersuchung der Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft, die nicht nur den kommunikativen Erfolg wie Übereinstimmung, Zusammenarbeit und Zuneigung zeigt, sondern auch die negative Seite wie Divergenz, Konflikt und Entfremdung, die eben auch wichtige Ergebnisse von Kommunikation sein können.

3. Perspektiven und Gliederung

Der Forschungszeitraum der vorliegenden Arbeit wird von zwei bedeutsamen Ereignissen in der Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bestimmt. Nach der vierjährigen alliierten Besatzung von 1945 bis 1949 und dem Gründungsjahrzehnt von 1949 bis 195936 trat die Bundesrepublik Deutschland in den späten 1950er Jahren in eine neue Entwicklungsphase. Für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands markierte das 1959 auf ihrem Godesberger Parteitag verabschiedete neue Programm ganz konkret einen solchen Beginn einer neuen Entwicklungsphase. Sie hat damit offiziell auf eine weltanschauliche Festlegung in der Begründung des Sozialismus verzichtet, sich den religiös gebundenen Kreisen wie z.B. Katholiken nicht mehr verschlossen und sich vom Modell einer sozialistischen Arbeiterpartei abgewandt sowie nicht zuletzt sich als eine von verschiedenen Schichten wählbare Volkspartei

36 Zu dieser zeitlichen Gliederung der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland siehe: Edgar Wolfrum, Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 2006. 30

verstanden. Dies war mit dem Abschied vom Marxismus verbunden und bedeutete wirtschaftspolitisch die Akzeptanz des freien Marktes und des Wettbewerbs. Gleichzeitig begrüßte sie programmatisch die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Zusammenarbeit der westeuropäischen Staaten. 37 Trotz der Gegenmeinungen der Marxisten und des linken Parteiflügels innerhalb der Partei38 und der Kritik der CDU und FDP hat die neue Orientierung zu Wahlerfolgen der SPD, aber grundsätzlicher noch zu wachsendem Einfluss dieser Partei in der westdeutschen Öffentlichkeit beigetragen und kann als symbolischer Ausgangspunkt jenes Weges gedeutet werden, der die SPD dann zur Regierungspartei gemacht hat. Die SPD entwickelte sich in den programmatischen Bahnen des Godesberger Programms, bis es im Zuge der Wiedervereinigung im Jahr 1989 symbolträchtig vom Berliner Programm abgelöst wurde, ohne dass dem neuen Programm bis heute eine entsprechende epochenprägende Wirkung zugesprochen werden kann. Das Jahr 1989 bedeutet sowohl eine erneute Veränderung in der Grundlinie der SPD als auch einen neuen Ausgangspunkt für die deutsche Geschichtswissenschaft, die vor der Herausforderung der Wiedervereinigung von BRD und DDR stand. In den dreißig Jahren zwischen 1959 und 1989 wurde die Kommunikation zwischen der SPD und der Geschichtswissenschaft allmählich enger und vielfältiger. In der Anfangsperiode der Nachkriegszeit in Westdeutschland kommunizierte die SPD ganz wenig mit der akademischen Geschichtswissenschaft – und verblieb damit in einer Situation, wie sie im Kaiserreich und in der Weimarer Republik bestanden hatte. Mit der Gründung ihres ersten eigenen historischen Forschungsinstituts im Jahr 1959, d.h. mit der Einrichtung der Forschungsabteilung für Sozial- und Zeitgeschichte in der Friedrich-Ebert-Stiftung, hat sie mit der systematischen Kommunikation mit Berufshistorikern begonnen. Aber obwohl sich einige professionelle Historiker und Doktoranden bereits in den fünfziger und sechziger Jahren mit der Geschichte der Sozialdemokratie und der Arbeiterbewegung beschäftigten, hielt die universitäre Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik bis Anfang der siebziger Jahre im ganzen genommen große Distanz zur sozialdemokratischen Geschichtsschreibung. Die Lage der sozialdemokratischen Geschichtsschreibung in der Fachwelt veränderte sich in der Zwischenzeit

37 Vgl. Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Beschlossen vom Außerordentlichen Parteitag der SPD in Bad Godesberg vom 13.-15. November 1959 [gekürzt], in: Heinrich Potthoff/Susanne Miller, Kleine Geschichte der SPD 1848-2002, Bonn 20028, S.492-503. 38 Vgl. Helga Grebing (Hrsg.), Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland. Sozialismus – katholische Soziallehre – protestantische Sozialethik. Ein Handbuch, Wiesbaden 20052, S.447-451. 31

aber dank der Gründung einer Reihe neuer Universitäten und der Expansion von Stellen im Fach Geschichte in der Bundesrepublik. Bei Gründung der Universität Bremen im Jahr 1971 wurde Hans-Josef Steinberg Inhaber eines historischen Lehrstuhls, dessen Schwerpunkt zum ersten Mal in Westdeutschland auf die Geschichte der Arbeiterbewegung und ihre Theorien gerichtet war. In den siebziger und achtziger Jahren kam es dann zu einem Höhepunkt in der Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft. Die Kommunikation zwischen der SPD und der bundesrepublikanischen professionellen Historikern von 1959 bis 1989 wird im Folgenden aus zwei wesentlichen Perspektiven beobachtet: Zum einen geht es um die formale Ausgestaltung dieser Kommunikation, zu der vor allem die institutionellen Rahmenbedingungen und die Entwicklung der Netzwerke zwischen Sozialdemokratie und Geschichtswissenschaft untersucht werden. Im Zentrum stehen erstens die Herausbildung und Entwicklung von Kommunikationsräumen und zweitens die Vernetzungen der verschiedenen Kommunikationsteilnehmer aufgrund ihrer Mitgliedschaft in Organisationen und ihre Teilhabe an institutionell verfestigten kommunikativen Aktivitäten sowie aufgrund ihres wissenschaftlichen und politischen Engagements. Zum anderen ist der Blickwinkel auf die Inhalte des Informationsaustausches gerichtet, die Gegenstand der verschiedenen Kommunikationsprozessen waren. Dabei konzentriert sich die Beobachtung zunächst auf konkrete Themen. Diese Themen lassen sich der politischen oder der wissenschaftlichen Sphäre zuordnen. Auf der politischen Ebene beschäftigte sich die Kommunikation inhaltlich hauptsächlich mit zwei Bereichen. Inhaltlich ging es zum einen um die politische Dimension der sozialdemokratischen Geschichtskultur, zum andern um innen- und außenpolitische Fragen aktueller sozialdemokratischer Politik. Auf der wissenschaftlichen Ebene geht es einfach um die historiographische Dimension der sozialdemokratischen Geschichtskultur. Solchen thematischen Unterscheidungen entsprechen auch unterschiedliche Antriebskräfte für die Kommunikation zwischen beiden Seiten. Erstens war ein Teil der Kommunikation vom Interesse der SPD an historischen Themen verursacht. Zweitens wurden aber Kommunikationsprozesse auch vom innerfachlichen Forschungsinteresse der Historikerseite ausgelöst. Drittens resultierte ein anderer Teil der Kommunikation aus dem politischen Engagement von Historikern. Kommunikatives Handeln eines Akteurs wurde normalerweise von einer leitenden Antriebskraft hervorgerufen. Aber während der Kommunikation über ein Thema brachten die verschiedenen Akteure jeweils ihre eigenen Motivationen und Antriebskräfte ins Spiel. Entsprechend dieser methodischen und theoretischen Vorüberlegungen ist die Arbeit in vier Kapitel gegliedert. Die

32

Kommunikationsgeschichte zwischen der sozialdemokratischen Partei und der bundesrepublikanischen Historikerschaft muss erstens vor dem Hintergrund der institutionellen Entwicklung betrachtet werden. Das I. Kapitel untersucht deshalb den organisatorischen Kommunikationsrahmens, mißt die Kommunikationsbeziehungen und stellt das Personenspektrum des Kommunikationsnetzwerks aus der Vogelperspektive dar. In diesem Kapitel wird nicht nur untersucht, wie die der SPD nahestehenden Institutionen der Partei und den sozialdemokratischen Historikern einen Raum für ihren Umgang mit Geschichte und Geschichtsforschung und die davon hervorgebrachte Kommunikation schafften, sondern es werden auch weitere Effekte dieses Organisationsrahmen untersucht. Die strukturellen und administrativen Veränderungen der Institute übten ihrerseits großen Einfluss auf die Kommunikationsmuster aus. Im zweiten Teil dieses Kapitels wird dann die Differenzierung der kommunikativen Zusammenhänge genauer analysiert. Abschließend werden die verschiedenen Personengruppen betrachtet, welche an der Kommunikation zwischen sozialdemokratischer Partei und Geschichtswissenschaft beteiligt waren. Die drei folgenden chronologisch geordneten Kapitel sind darum bemüht, die Spezifika der Kommunikation zwischen SPD und westdeutscher Historikerschaft in ihrer zeitlichen Abfolge herauszuarbeiten und unterteilt die Gesamtentwicklung zwischen 1959 und 1989 in drei Phasen. Diese drei Kapitel umfassen jeweils vier Teile bzw. vier Elemente des Kommunikationsprozesses: 1) die Beziehung zwischen SPD und Historikern vor dem Hintergrund der Veränderungen im Verhältnis zwischen Politik und Geschichtswissenschaft in dem jeweiligen Zeitraum, 2) die Kommunikation auf politischer Ebene, 3) die Kommunikation auf historiographischer Ebene, 4) die Netzwerke zwischen SPD und professionellen Historikern. Das II. Kapitel beschäftigt sich mit den Jahren von 1959 bis 1968. In den zehn Jahren zwischen der Verabschiedung des Godesberger Programms und dem Beginn der »sozialdemokratischen Jahrzehnts« sozial-liberaler Koaltionsregierungen befand sich die SPD in der Situation, sich von einer Oppositionspartei hin zu einer Regierungspartei zu wandeln. In dieser Phase dominierten in der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft sowohl wissenschaftlich als auch politisch konservative Positionen. Aber in der Öffentlichkeit und in der Fachhistorie begann die Suche nach neuen Orientierungen im Umgang mit der Vergangenheit und in der Geschichtspolitik. Vor allem bei jüngeren Historikern war eine Verschiebung politischer Orientierungen nach links unverkennbar. Vor dem Hintergrund solcher Trends werden einerseits die Beschäftigung der SPD mit der Fischer-Kontroverse und mit dem

33

Nationalbewusstsein in Westdeutschland analysiert. In diesem Kapitel geht es des weiteren darum, wie sich die Position der sozialdemokratischen Historiographie mit ihrem traditionellen Schwerpunkt auf der Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung gegenüber der universitären Geschichtswissenschaft veränderte. Die personellen Verflechtungen zwischen SPD und Historikerschaft war in diesem Zeitraum noch sehr eingeschränkt, wuchsen aber vor allem in den Reihen des Nachwuchses. Die Studentenrevolte der Jahre 1967/1968 beschädigte zum Teil die Verbindung zwischen beiden Seiten, auch wenn die Partei politisch kurzfristig davon profitierte. Im III. Kapitel geht es um das »sozialdemokratische Jahrzehnt« der Bundesrepublik von 1969 bis 1982, in der parallel zum politischen Aufstieg der Sozialdemokratie die Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft ebenso thematisch und persönlich sowohl vergrößert, als auch professionalisiert wurde. Zunächst wird das Verhältnis zwischen Politik und Geschichtswissenschaft in den Blick genommen und die Debatten um die »Krise« der Geschichtswissenschaft und die Verschiebung des politischen Kräfteverhältnisses innerhalb der Historikerschaft analysiert. Der Schwerpunkt der sozialdemokratischen Kommunikation mit der Geschichtswissenschaft betraf nun vor allem Diskussionen über das sozialdemokratische Geschichtsbild, die von SPD-Regierungen geplanten Reformen des Geschichtsunterrichts, die Neue Ostpolitik und die Suche nach deutscher Identität. Aus der historiographischen Perspektive handelt es sich um die Konjunktur der Geschichte der Arbeiter und Arbeiterbewegung, die Erweiterung der Sozialgeschichte und den Aufstieg der deutschen Sonderwegsthese. Die Analyse der Netzwerke zwischen SPD und Historikerschaft zeigt, wie immer mehr akademische Historiker auf unterschiedliche Art und Weise an diesen Netzwerken teilnahmen und eine jüngere Historikergeneration dabei ins Zentrum dieser Netzwerke aufrückte. Thema des IV. Kapitels ist die Kommunikation im Zeitraum zwischen 1983 und 1989. Vor allem die Initiativen von christdemokratischer Seite für eine neue Geschichtspolitik veränderten die Beziehungen zwischen Politik und Geschichtswissenschaft. In diesen größeren Zusammenhang werden die verstärkten Bemühungen der SPD um die Kommunikation mit der Historikerschaft als zunächst defensive Reaktionen und Antworten auf die»geistig-moralische Wende« eines (neo)konservativen Geschichtsdiskurs analysiert. Mit Blick auf die sozialdemokratische Historiographie geht es vor allem um die wachsende thematische und methodische Breite, in der sowohl eine sozial- und gesellschaftsgeschichtlich ausgerichtete Arbeitergeschichtsschreibung wie auch eine Parteigeschichte von unten ihren entsprechenden Platz fanden. Die Politisierung der historisch-politischen Debatten führten zu einer Festigung der

34

etablierten Netzwerke einerseits, aber zugleich auch zu deren wachsender Exklusivität andererseits. Im Schlusskapitel werden die Ergebnisse dieser Studie zusammengeführt. Gefragt wird dabei nach den zentralen Entwicklungstendenzen, nach Charakteristika und Einflussfaktoren in der Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg.

4. Forschungsstand und Quellen

Zum Thema der Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft in der Bundesrepublik gibt es noch keine systematische Untersuchung. Aber mehrere der oben entwickelten Fragestellungen haben bereits die Aufmerksamkeit der Geschichtswissenschaftler auf sich gezogen. Zu den mit meiner Arbeit in Zusammenhang stehenden Themen gehören zunächst die Untersuchungen über die Geschichtspolitik der SPD. Deutsche Geschichtspolitik als Forschungsgegenstand wurde zuallererst von Nobert Frei in seiner Habilitationschrift zur Vergangenheitspolitik in den Anfangsjahren der Bundesrepublik thematisiert. 39 Edgar Wolfrum hat dann einen weiteren wichtigen Beitrag geliefert. In seinen Publikationen wird die Geschichtspolitik in der BRD und der DDR ausführlich analysiert.40 Seit Anfang des 21. Jahrhunderts nahm die Forschung über dieses Thema einen weiteren Aufschwung. Im Zentrum stehen meistens Einzelfall-Studien über bestimmte historische Ereignisse und deren Erinnerung und Deutung in der politischen Öffentlichkeit. Statt einer ausführlichen Beschreibung der umfangreichen Forschungsergebnisse im einzelnen sollen hier nur einige Monographien und Sammelbände exemplarisch genannt werden. Harald Schmid hat eine Studie über die »Reichskristallnacht« in der Geschichtspolitik gemacht. 41 Claudia Klemm hat die politische und öffentliche Erinnerung an die Revolution 1848/49 geforscht.42 Heinrich August Winkler hat zwei Sammelbände mit Einzelstudien zum

39 Norbert Frei, Vergangenheitspolitik, a.a.O.. 40 Vgl. z.B. Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O.; ders, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1989. Phasen und Kontroversen, in: Petra Bock/ders. (Hrsg.), Umkämpfte Vergangenheit. Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich, Göttingen 1999, S.55-81; ders., Geschichte als Waffe. Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung, Göttingen 2001; ders., Das westdeutsche »Geschichtsbild« entsteht. Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und neues bundesrepublikanisches Staatsbewusstsein, in: Matthias Frese/Julia Paulus/Karl Teppe (Hrsg.), Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik, Paderborn 2003, S.227-246. 41 Harald Schmid, Erinnern an den »Tag der Schuld«. Das Novemberpogrom von 1938 in der deutschen Geschichtspolitik, 2001. 42 Claudia Klemm, Erinnert – umstritten – gefeiert. Die Revolution von 1848/49 in der deutschen Gedenkkultur, Göttingen 2007, insbes. S.319-536. 35

Thema Geschichtspolitik herausgegeben: Bei dem einen geht es um das Geschichtsbild der Weimarer Republik in der BRD und DDR, während es sich bei dem anderen um die historische Erinnerung an neuere »Wendepunkte« der deutschen Geschichte handelt.43 In einem von Beatrix W. Bouvier und Michael Schneider herausgegebenen Sammelband haben Dieter Dowe, Bernd Faulenbach, Dieter Langewiesche, Klaus Schönhoven, Klaus Tenfelde und Rüdiger Zimmermann Beiträge über die Geschichtspolitik der Sozialdemokratie und ihren (politisch)öffentlichen Umgang mit historischen Erinnerungen veröffentlicht. 44 In diesen Arbeiten wird die geschichtspolitische Beschäftigung der SPD als ein Bestandteil des Umgangs der bundesrepublikanischen Parteien mit Geschichte untersucht. Außerdem ist insbesondere erwähnenswert der Vortrag von Bernd Faulenbach auf der 46. Linzer Konferenz der International Conference of Labour and Social History im September 2010, bei dem er den Blick auf das grundlegende Verhältnis der bundesrepublikanischen Sozialdemokratie zur Geschichte in den 1970er und 1980er Jahren und die Auswirkungen der Zäsur 1989/90 lenkte, um Kontinuitäten und Diskontinuitäten sozialdemokratischer Geschichtspolitik zu veranschaulichen.45 Damit wird die sozialdemokratische Geschichtskultur auf Grund der Stellung dieser Partei zu Geschichte und Geschichtserinnerung dargestellt. Die anderen Themen in der geschichtspolitischen Forschung wie z.B. die Fischer-Kontroverse, die öffentliche Debatte um die deutsche Identität, die Auseinandersetzung über die »geistig-moralischen Wende« und den Historikerstreit, die alle in der vorliegenden Arbeit mitbehandelt werden, sind gut erforscht.46 Was jedoch fehlt, ist eine Beobachtung der damaligen Verbindungen und Interaktivitäten zwischen SPD und Historikerschaft aus der Perspektive der »Kommunikation«. Ein weitere Teilfrage, die in der vorliegenden Studie berührt wird, betrifft die Geschichte der Sozialgeschichte und der Geschichte der Arbeiter und Arbeiterbewegung. Viele Historiker wie

43 Heinrich August Winkler (hrsg.), Weimar im Widerstreit. Deutungen der ersten deutschen Republik im geteilten Deutschland, München 2002; ders. (hrsg.), Griff nach der Deutungsmacht. Zur Geschichte der Geschichtspolitik in Deutschland, Göttingen 2004. 44 Beatrix W. Bouvier/Michael Schneider (Hrsg.), Geschichtspolitik und demokratische Kultur. Bilanz und Perspektiven, 2008. 45 Bernd Faulenbach, Die deutsche Sozialdemokratie in den geschichtspolitischen Auseinandersetzungen der 1970er und 1980er Jahre, in: Jürgen Mittag/Berthold Unfried (Hrsg.), Arbeiter- und soziale Bewegungen in der öffentlichen Erinnerung. Eine globale Perspektive, Leipzig 2011, S.95-110. 46 Die Publikation über diese Themen ist zahlreich. Insbesonder erwähnenswert für mein Thema sind zum Beispiel: Imanuel Geiss, Die Fischer-Kontroverse. Ein kritischer Beitrag zum Verhältnis zwischen Historiographie und Politik in der Bundesrepublik, in: ders., Studien über Geschichte und Geschichtswissenschaft, Frankfurt a. M. 1972, S.108- 198; Charles S. Maier, Die Gegenwart der Vergangenheit. Geschichte und die nationale Identität der Deutschen, Frankfurt a. M. 1992; Moritz Mälzer, Ausstellungsstück Nation. Die Debatte um die Gründung des Deutschen Historischen Museums in Berlin, Bonn 2005; Steffen Kailitz, Die politische Deutungskultur im Spiegel des »Historikerstreits«. What’s right? What’s left?, Wiesbaden 2001. 36

z.B. Jürgen Kocka, Gerhard A. Ritter oder Günther Schulz haben jeweils Rückblicke zur Entwicklung der deutschen sozialgeschichtlichen Geschichtsschreibung verfasst und dabei die sozialdemokratische Historiographie, vor allem die sozialdemokratische Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung, mit der Entwicklung der sozialgeschichtlichen Forschung in Verbindung gebracht.47 Dabei ist in der Regel die Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft auf der historiographischen Ebene zwar nicht zum Gegenstand der Untersuchung gemacht worden, aber deren Ergebnisse sind bilanziert und kommentiert worden. Die kommunikativen Handlungen der Akteure werden in den Biographien, Erinnerungsreden und -aufsätze sowie vielen anderen biographischen Untersuchungen über Sozialdemokraten und Historiker in verschiedenem Maße geforscht. Zum einen bieten die Werke von Peter Merseburger über Willy Brandt48, von Hartmut Soell über Helmut Schmidt49, von Andreas Vogtmeier über Egon Bahr50 und von Wolfgang R. Langenbucher über 51 zahlreiche Hinweise auf die Kontakte solcher SPD-Politiker mit Historikern. Zum anderen werden die Verbindungen einzelner Historiker mit der SPD deutlich. In den Darstellungen von Bernd Faulenbach über Susanne Miller 52 , von Robert Multhoff und Hans-Peter Harstick über Georg Eckert 53 , von Kathrin Lüssi über Golo Mann54, von Hermann Lübbe und Martin Baumeister über Thomas

47 Jürgen Kocka, Sozialgeschichte in Deutschland seit 1945. Aufstieg – Krise – Perspektiven: Vortrag auf der Festveranstaltung zum 40-jährigen Bestehen des Instituts für Sozialgeschichte am 25. Oktober 2002 in Braunschweig, Bonn 2002; ders., Sozialgeschichte. Begiff – Entwicklung – Probleme, Göttingen 19962; Gerhard A. Ritter, Die neuere Sozialgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland, in: Jürgen Kocka (Hrsg.), Sozialgeschichte im internationalen Überblick. Ergebnisse und Tendenzen der Forschung, Darmstadt 1989, S.19-88; Günther Schulz, Sozialgeschichte, in: ders./Christoph Buchheim/Gerhard Fouquet/Rainer Gömmel/Friedrich-Wilhelm Henning/Karl Heinrich Kaufhold/Hans Pohl (Hrsg.), Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Arbeitsgebiete – Probleme – Perspektiven, München 2005, S.283-303. 48 Peter Merseburger, 1913-1992. Visionär und Realist, Stuttgart 2002. 49 Hartmut Soell, . Band 1: Vernunft und Leidenschaft. 1918–1969, München 2003; ders., Helmut Schmidt. Band 2: Macht und Verantwortung. 1969 bis heute, München 2008. 50 Andreas Vogtmeier, und die deutsche Frage. Zur Entwicklung der sozialdemokratischen Ost- und Deutschlandpolitik vom Kriegsende bis zur Vereinigung, Bonn 1996. 51 Wolfgang R. Langenbucher, Peter Glotz 60 Jahre, in: Publizistik 44 (1999), S.218-222. 52 Bernd Faulenbach, Susanne Miller als Vorsitzende der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD, in: Dieter Dowe (Hrsg.), Begegnungen. Susi Miller zum 90. Geburtstag, Bonn 2006, S.35-41. 53 Robert Multhoff, Rede auf der Trauerfeier für Georg Eckert am 14. Januar 1974, in: In memoriam Georg Eckert (1912-1974), Braunschweig 1974, S.24f.; Hans-Peter Harstick, Georg Eckert (1912-1974). Wegbereiter einer neuen Konzeption von Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, in: Ursula A. J. Becher/Rainer Riemenschneider (Hrsg.), Internationale Verständigung. 25 Jahre Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig, Hannover 2000, S.105-115. 54 Kathrin Lüssi, Golo Mann. »Ich schere mich den Teufel um rechts oder links!«, in: ders./Sibylle Birrer/Reto Caluori/Roger Sidler (Hrsg.), Nachfragen und Vordenken. Intellektuelles Engagement bei Jean Rudolf von Salis, Golo Mann, Arnold Künzli und Nikolaus Meinenberg, Zürich 2000, S.89-138. 37

Nipperdey55, von Thomas Etzemüller über Werner Conze56 sowie von Jan Eckel über Hans Rothfels 57 kommen deren Stellung zur Sozialdemokratie und deren Beschäftigung mit der sozialdemokratischen Geschichtsschreibung mehr oder weniger ausführlich zur Darstellung. Zum Thema Netzwerke existiert inzwischen eine kaum mehr zu überschauende Fülle an soziologischer, seltener jedoch historischer Literatur. Einen bahnbrechenden Beitrag zur Verwendung der Netzwerktheorie in der Historiographiegeschichte hat vor mehr als vier Jahrzehnten Wolfgang Weber geleistet. Durch Beschreibung und Analyse der Lehrer-Schüler- Enkelschüler-Verhältnisse führte er die lange Vorherrschaft des Historismus in der deutschen Geschichtswissenschaft auf die Kommunikationssteuerung und Positionsbestimmung einer eng verbundenen Historikergruppe zurück.58 Auch mit Hilfe der Netzwerktheorie analysiert Jaana Eichhorn die Entstehung historischer Diskurse in der Frühneuzeitforschung. 59 Die Gemeinsamkeit beider Studien besteht darin, dass sie die Netzwerkanalyse zur Beobachtung der theoretischen und thematischen Entwicklung der Fachhistorie nutzen. Außerdem ist der Beitrag von Olaf Blaschke zu nennen, der die Netzwerke kirchenloyaler Katholizismusforscher, die vor allem in der organisatorischen Rahmenbedingung der Kommission für Zeitgeschichte hergestellt wurden, netzwerkanalytisch untersucht.60 Dabei ist es bemerkenswert, dass er solche Netzwerke durch graphische Darstellungen anschaulich zeigt. Um die private und öffentliche Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft vielseitig darzustellen, ist eine Untersuchung auf der Grundlage von den verschiedenen Quellen notwendig. Nicht nur Archivalien wie Protokolle und Briefwechsel, sondern auch Veröffentlichungen wie Reden, Zeitungsartikel und Geschichtsbücher werden in dieser Arbeit als Quellen genutzt. Im Archiv der sozialen Demokratie in Bonn befinden sich die wichtigsten Archivakten, zu den vor

55 Hermann Lübbe, Die politische Verantwortung des Gelehrten, in: Wulf Steinmann/Hans Günter Hockerts/Wolfgang Hardtwig/Sten Nadolny/Hermann Lübbe, Im Memoriam Thomas Nipperdey. Reden gehalten am 14. Juni 1993 bei der Akademischen Gedenkfeier der Philosophischen Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München, München 1994, S.37-43; Martin Baumeister, Thomas Nipperdey (1927-1992), in: Katharina Weigand (Hrsg.), Münchner Historiker zwischen Politik und Wissenschaft. 150 Jahre Historisches Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität, München 2012, S.309-328. 56 Thomas Etzemüller, Sozialgeschichte als politische Geschichte. Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, Tübingen 2000. 57 Jan Eckel, Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2005. 58 Wolfgang Weber, Prester der Klio. Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft 1800-1970, Frankfurt a.M. 1984. 59 Jaana Eichhorn, Geschichtswissenschaft zwischen Tradition und Innovation, a.a.O.. 60 Olaf Blaschke, Geschichtsdeutung und Vergangenheitspolitik. Die Kommission für Zeitgeschichte und das Netzwerk kirchenloyaler Katholizismusforscher 1945-2000, in: Thomas Pittrof/Walter Schmitz (Hrsg.), Freie Anerkennung übergeschichtlicher Bindungen. Katholische Geschichtswahrnehmung im deutschsprachigen Raum des 20. Jahrhunderts. Beiträge des Dresdener Kolloquiums vom 10. bis 13. März 2007, Freiburg/Berlin/Wien 2010, S.479-521. 38

allem die Dokumente über die Organisationen der SPD wie z.B. die Historische Kommission beim Parteivorstand und die Nachlässe der Sozialdemokraten wie z.B. Willy Brandt, Georg Eckert, Susanne Miller und Hartmut Soell gehören. Leider sind Archivbestände der Friedrich- Ebert-Stiftung, die weitere Details über die Entstehung und Entwicklung der Forschungsabteilung der Forschungsabteilung Sozial- und Zeitgeschichte der Friedrich-Ebert- Stiftung, dem Institut für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig-Bonn und dem Jahrbuch Archiv für Sozialgeschichte enthalten, nach wie vor nicht zugänglich. Um diesen Mangel zu kompensieren, wurden Zeitzeugengespräche mit dem Historiker Dieter Dowe und der Historikerin Beatrix W. Bouvier geführt. Beide standen im Untersuchungszeitraum in enger Verbindung mit der SPD und haben in den entsprechenden Institutionen der Partei gearbeitet. Schließlich steht ein riesiger Bestand an publizierten Quellen wie Erinnerungen und Autobiographien, Gespräche und Interviews, sowie schließlich Zeitungen und Zeitschriften, Publikationen über historische Forschungen und aktuelle politische Themen zur Verfügung und ist in dieser Studie genutzt worden. Das Sample der untersuchten Kommunikationsakteure setzt sich erstens aus den Mitarbeitern der historischen Institutionen bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, des Instituts für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig-Bonn und der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand, zweitens den Autoren der Schriftenreihen dieser Organisationen und den Teilnehmern dort veranstalteter Kolloquien und Tagungen, sowie drittens den Autoren der Aufsätze zu historiographischen und (geschichts)politischen Fragen für die Zeitschriften Archiv für Sozialgeschichte und die Neue Gesellschaft zusammen. Im Anfang befinden sich die Namensliste dieser Akteure. Wegen der Lückenhaftigkeit der Quellen konnte keine vollständige und systematische Datenbank der Akteure erstellt werden, aber dieses Sample kann auf Grund der Mannigfaltigkeit der Akteursbeziehungen und der Erfassung zentraler Aspekte für sich beanspruchen, die daraus entwickelten qualitativen Analysen auf eine breitestmögliche empirische Grundlage zu stellen.

39

I. Organisatorischer Kommunikationsrahmen, Kommunikationsarten und Kommunikationsakteure

»Wir glauben, dass wir mit unserer Tätigkeit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Sozialgeschichtsschreibung geleistet haben.«61

Um die konkreten Vorgänge und Ergebnisse der Kommunikation zwischen der SPD und der bundesrepublikanischen Historikerschaft von 1959 bis 1989 zu analysieren, müssen vor allem die organisatorischen Voraussetzungen für die Kommunikation, die unterschiedlichen Arten der Kommunikation und das Kommunikationsakteuren analysiert werden. Historisch-politische Kommunikation konnte unabhängig von organisatorischen Rahmenbedingungen ablaufen, sofern Historiker und Politiker sich gegenseitig wahrnehmen. Jeder Antrieb für solche Kommunikation kann anders sein. Die personenbezogenen Verbindungen zwischen Sozialdemokratie und Geschichtswissenschaft, die auf dem politischen Engagement einzelner Historiker oder dem historischen Interesse einzelner Sozialdemokraten beruhten, wie bereits in der Definition des Begriffs »Kommunikation« in der Einleitung erwähnt, wurden wesentlich von den Profilen der Akteure und weniger von der systematischen Organisation der Kommunikation beeinflusst. Aber ein Hauptteil der Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft war in der Nachkriegszeit eingebettet in eine vielfältige organisatorische Umgebung. Die Organisation regelmäßiger Kommunikation legte dabei die Grundlagen für den konkreten geschichtswissenschaftlichen Informationsaustausch und kann deshalb als wichtigste Rahmenbedingung für die historisch- politische Kommunikation gelten. Erst als die Kommunikation organisatorisch, systematisch und langfristig angelegt wurde, konnten sich persönliche Netzwerke zwischen sozialdemokratischer Partei und Historikerschaft bilden, die ein Ausmaß erreichten, das über marginale Kontakte und Einzelfälle hinauswuchs. Ein weiteres Element für Kommunikationsanalyse besteht in den unterschiedlichen Erscheinungsarten der kommunikativen Handlungen. Auf welche Art und Weise ein Historiker oder ein Sozialdemokrat an dieser Kommunikation teilnahm, bestimmte in großem Maße seine Position im Kommunikationsnetzwerk. Auf Grund von der Abgrenzung des Kommunikationsraums, der Messung der Kommunikationsbeziehung und nicht zuletzt der

61 Dieter Dowe, Vorwort, in: ders (Hrsg.), 40 Jahre Institut für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig-Bonn: 1962 – 2002, Bonn 2003, S.7-8, hier S.7. 40

sozialen, wissenschaftlichen und politischen Positionierung der Kommunikationsakteure unterschieden sich Historiker und Sozialdemokraten in verschiedenen Kreisen. Diese Kreise spielten bei der Kommunikation jeweils entscheidende, milde oder ergänzende Rollen.

1. Organisatorischer Kommunikationsrahmen

Institutionen und Zeitschriften sind die beiden wichtigsten Räume für systematische organisatorische Kommunikation zwischen der Sozialdemokratischen Partei und der Historikerschaft. Sie zeigen an, worin solche Kommunikation in Westdeutschland bestand und wie ihre zentrale Bühne im Vergleich zur Kommunikation zwischen anderen bundesrepublikanischen Parteien und Historikerschaft gestaltet wurde. Parteieigene bzw. parteinahe Institutionen, die regelmäßige Veranstaltungen organisieren und Publikationen veröffentlichen, sind die aktivsten Plattformen der hier untersuchten Kommunikation. Ihr Vorteil besteht darin, dass sie über große organisatorische Kapazitäten verfügen und ein breites Interessenspektrum einbeziehen können. Aus diesem Grunde können sie sich an vielen verschiedenen Themen der Geschichte und Geschichtswissenschaft beteiligen. Zeitschriften, die entweder eher fachwissenschaftlich oder eher am intellektuellen Meinungsfeld ausgerichtet sind, richten dagegen die Aufmerksamkeit auf zwangsläufig begrenzte Themenfelder, aber gerade wegen ihrer deutlichen Interessenschwerpunkte ziehen sie bestimmte Historikergruppen an. Die Entstehung und Entwicklung des Kommunikationsraums wurde von vielen politischen, wissenschaftlichen, administrativen und finanziellen sowie personellen Faktoren beeinflusst und eingeschränkt. Seine Entwicklung, zu der konkret die Entstehung von spezifischen Organisationen mit entsprechenden Zielen und Aufgaben, die Zusammensetzung, des daran beteiligten Mitgliedsensemble und deren Aktivitäten gehörten, stellte in gewissem Sinne die Weichen für die inhaltliche Kommunikation zwischen der SPD und der Historikerschaft.

1.1 Institutionen

Während der Jahre 1959 bis 1989 hat die SPD nacheinander insgesamt fünf Institutionen begründet, die sich historischen Themen bzw. der Kommunikation mit Historikern widmeten. Drei davon gehören zur Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die 1925 in Berlin entstand und 1954 in Bonn wiedergegründet wurde. Es sind die 1959 gegründete Forschungsabteilung Sozial- und Zeitgeschichte, das 1968 in die FES eingegliederte Karl-Marx-Haus mit Museum und Studienzentrum, und das 1969 gegründete Archiv der sozialen Demokratie. 1992 wurden sie mit 41

der Bibliothek der FES zum »Historischen Forschungszentrum« in seiner jetzigen Form zusammengeschlossen. Die FES leitete mit diesen Einrichtungen eine neue Ära für die Forschung, Vermittlung und Rezeption der Geschichte der Arbeiterbewegung ein und nutzte »ihre personellen und finanziellen Kapazitäten zur Förderung der Geschichtswissenschaft und historischer Kenntnisse«.62 Die anderen zwei Institutionen sind das 1962 gegründete Institut für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig-Bonn und die 1982 gegründete Historische Kommission beim SPD-Parteivorstand. Diese Institutionen wurden vor allem eingerichtet, weil die Partei der Geschichte der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung großes Interesse schenkte. Weil »diese Bewegung selber als eine Kraft von historischer Dimension« wirkte und es vielen ihrer Anhänger ein besonderes Anliegen war, dafür zu sorgen, dass »diese Erkenntnis in der Geschichtsschreibung ihren adäquaten Niederschlag finde[t]«, mussten nach der Meinung von Susanne Miller »die entsprechenden Einrichtungen geschaffen werden«. 63 Diese Institutionen gerieten in ihrer Entwicklung unter den Einfluss unterschiedlicher Richtlinien und ihrer jeweiligen Institutsleiter und folgten zugleich auch Forschungstendenzen der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft. Im Ergebnis wuchs mit Gründung und Entwicklung dieser Institutionen zugleich auch der Kommunikationsraum von Partei und Historikerschaft. Er wurde mit der Zeit immer größer und vielschichtiger.

1.1.1 Historische Institutionen bei der Friedrich-Ebert-Stiftung

Früher als bei CDU, CSU, FDP und anderen Parteien begann die organisatorische parteieigene historische Forschung in der Bundesrepulik durch die Initiative der SPD im Jahr 1959. In diesem Jahr gerieten Probleme der Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung »zum ersten Mal« in der Nachkriegszeit ins Blickfeld der Führung der Sozialdemokratischen Partei. 64 Parteinahe Historiker bzw. Parteiintellektuelle hatten sich bereits vor 1959 mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und der Geschichte der SPD beschäftigt.65 Aber ihre Arbeiten

62 Susanne Miller, Geschichtsbewusstsein und Sozialdemokratie, in: NG 41 (1994), S.307-311, hier S.310. 63 Ebd., S.307. 64 Horst Heidermann, Vorbedingung und Überlegungen bis 1969, in: Das gedruckte Gedächtnis der Arbeiterbewegung: Festschrift zum 30-jährigen Bestehen der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1999, S.15-21, hier S.15. 65 Vgl. z. B. Friedrich Feldmann, Geschichte des Ortsvereins Hannover der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom Gründungsjahr 1864 bis 1933, Hannvoer 1952; Ulrich Böttcher, Anfänge und Entwicklung der Arbeiterbewegung in Bremen von der Revolution 1848 bis zur Aufhebung des Sozialistengesetztes 1890, Bremen 1953; Helmut Breuer, Kleine Geschichte der Arbeiterschaft, Hannover 1957. 42

wurden in der Regel persönlich durchgeführt, und sie verfügten über keinerlei organisatorische Unterstützung seitens der Partei. Die Friedrich-Ebert-Stiftung begründete zu dieser Zeit eine sozial- und zeitgeschichtliche Forschungsabteilung, die sich in den sechziger Jahren vor allem einer damals von der historischen Wissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland kaum berücksichtigten Thematik zuwandte: der Forschung über den Widerstand der deutschen Arbeiterbewegung gegen den Nationalsozialismus.66 Nach und nach hat sie aber auch weiter ausgreifenden sozialgeschichtlichen Themenstellungen Aufmerksamkeit geschenkt und sich verstärkt der Zeitgeschichte insgesamt zugewandt, um ihrem Namen als »sozial- und zeitgeschichtliches Forschungszentrum« zu entsprechen. In dieser Forschungsabteilung werden zwei große Schriftenreihen redaktionell betreut. In der Reihe »Politik- und Gesellschaftsgeschichte« werden die von der Forschungsabteilung erarbeiteten Monographien und die ausgewählten Studien externer Wissenschaftler publiziert, während die zweite Reihe eine Gesamtgeschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zum Gegenstand hat. Bis 1989 wurden insgesamt 24 Bände vorgelegt. Als man am Ende der achtziger Jahre auf die Entwicklung der eigenen Forschungsabteilung zurückblickte, war man mit der Dynamik dieser Entwicklung offensichtlich ganz zufrieden:

»Den Mitarbeitern geht es in ihren jeweiligen Untersuchungen um die Einordnung politik-, organisations- und ideengeschichtlicher Probleme in umfassende gesellschaftsgeschichtliche Zusammenhänge. Sie nehmen an der sozialhistorischen Methoden- und Problematisierungsdiskussion teil, wie sie sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland entfaltet hat, sind jedoch an einer offenen und flexiblen Rezeption interessiert, ohne blickverengende Fixierung auf bestimmte sozialhistorische Schulen.«67

Seit Mitte der sechziger Jahre bildet historische Forschung und Dokumentation einen der Schwerpunkte in der wissenschaftlichen Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung. Einen wichtigen Einschnitt markierte 1968/69 die Gründung des »Archivs der sozialen Demokratie« und die Übernahme des Karl-Marx-Hauses in Trier. Seit 1968 entwickelte sich das Karl-Marx-Haus unter der Leitung der Stiftung mehr und mehr zu einer sozialgeschichtlichen Forschungsstelle. Von 1969 bis 1989 wurden insgesamt 41 Hefte vor allem über Marx-Engels-Forschung, Sozialismus,

66 Vgl. Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1965, S.16; ders. (Hrsg.), Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung 1970, Bonn 1970, S.21. 67 Presse- und Informationsstelle der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Ein europäisches Zentrum der historischen Forschung und Dokumentation, Bonn 1987, S.5. 43

Kommunismus und Arbeiterbewegung im Rahmen der Schriftenreihe des Karl-Marx-Hauses veröffentlicht. Die Eröffnung des »Archivs der sozialen Demokratie« am 6. Juli 1969 stand in der Tradition des ehemaligen Parteiarchivs der SPD und war der Beginn einer neuen Phase für die historische Forschung der SPD. Die Idee zur Einrichtung eines Archivs der sozialen Demokratie kam den sozialdemokratischen Spitzenpolitikern im Jahr 1962. Willy Brandt, damaliger Regierender Bürgermeister von Westberlin, hatte am 4. Juni 1962 in einem Schreiben an den Parteivorsitzenden Erich Ollenhauer, den Stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD und den Mitglieder des Bundesvorstands der SPD Alfred Nau vorgeschlagen:

»Im Parteihaus wird eine den Erfordernissen unserer Arbeit entsprechende Handbibliothek eingerichtet. Hierzu wird der geeignete Bestand der bisherigen Bibliothek eingebracht. Im übrigen wird mit der Ebert-Stiftung ein Vertrag geschlossen, der das Archivmaterial der Partei in deren Hände bringt – unter der Voraussetzung, dass in geeigneten Räumlichkeiten die Gewähr fachlicher Betreuung ebenso gewährleistet ist wie die Möglichkeit wissenschaftlicher Arbeit.«68

Zwei Wochen später wies Erich Ollenhauer in einer Sitzung des SPD-Präsidiums bei den Überlegungen zur Vorbereitung der Aktivitäten der Partei anlässlich deren 100-jährigen Bestehens im Jahr 1963 darauf hin, dass die »Grundsteinlegung für ein Archiv Soziale Demokratie in Deutschland« nun »in Aussicht genommen« sei.69 1969, anlässlich der Eröffnung des Archivs der sozialen Demokratie, definierte Alfred Nau das Sammelgebiet der neuen Institution:

»Hier geht es um eine der umfangreichsten Sammlungen von Quellenmaterial über Geschichte und Entwicklung der sozialen Bewegungen Deutschlands im weitesten und besten Sinne des Begriffes. Dazu gehört nicht nur die Entwicklung und Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, sondern auch die Entwicklung und Geschichte der Gewerkschaften einschließlich der Gewerkschaften Weimarer Prägung, der Christlichen Gewerkschaften, der Hirsch-Dunckerschen und auch der sozialen Bewegungen.«70

Mit einer solchen Zielsetzung der Bestandsaufnahme, die weit über das Sammelgebiet der deutschen Sozialdemokratie hinausgewachsen ist, dauerte aber die Abgabe der Bibliotheks- und

68 Schreiben Willy Brandt an Erich Ollenhauer, Alfred Nau und Herbert Wehner am 4.6.1962, in: AdsD, Bestand Parteivorstand, 2/PVAH000042. 69 Sitzung des Präsidiums am 18.6.1962, in: AdsD, Bestand Parteivorstand, Protokolle des Präsidiums, 18.6.1962, S.4. 70 Alfred Nau, SPD-Pressemitteilungen und informationen, 6.6.1969, in: AdsD, Bestand Pressemitteilungen. 44

Archivbeständen der anderen Gewerkschaften an das neu gegründete AdsD länger als erwartet. Darüber hinaus kümmerte sich das Archiv in den nächsten Jahren ebenso um die Materialien der internationalen Gewerkschaften, die Archivalien einer Reihe von linken und sozialistischen Organisationen sowie umfangreiche Nachlässe von Persönlichkeiten der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften. Die Einrichtung des Archivs zeigt, dass die Partei dem wissenschaftlichen Charakter ihrer Beschäftigungen mit der Geschichte besondere Beachtung schenkte. Hinter den sozialgeschichtlichen Forschungen der Geschichte der Arbeiterbewegung stehe – so Willy Brandt – »kein Parteiinteresse, sondern die Erkenntnis, dass deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert nicht mehr dargestellt werden kann, wenn nicht die überragende Rolle, die die Arbeiterbewegung gespielt hat, entsprechend mit berücksichtigt wird«. 71 Zu der Einweihungsfeier dieses Archivs hat Willy Brandt sein Selbstverständnis dargestellt:

»Dieses Archiv, für dessen Einrichtung ich mich als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nachdrücklich eingesetzt habe, versteht sich zunächst als Sammelstelle von Quellenmaterial zur Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Es soll darüber hinaus Forschungen anregen und selber betreiben. Seine Bemühungen sind damit Teil der sozialgeschichtlichen Forschung in unserem Lande.«72

In der Folgezeit ist das Archiv zu einem einflussreichen Kommunikationsraum nicht nur für die Forschung der Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, des Erbes von Sozialdemokratie und Gewerkschaften, sondern auch allgemein für die Geschichts- und Sozialwissenschaften geworden.

1.1.2 Institut für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig – Bonn

1962 wurde das »Institut für Sozialgeschichte e.V.« in Braunschweig gegründet, ohne dass es an diesem Ort zur Anstellung eines festen wissenschaftlichen Mitarbeiterkreises kam. Seine Aufgabenstellung »bezog und bezieht sich auf die Erforschung der modernen Gesellschaftsgeschichte, insbesondere der politisch-sozialen Emanzipationsbewegungen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, und hat sich zunehmend stärker auf Gegenwartsprobleme

71 Willy Brandt, Ansprache anlässlich der Grundsteinlegung des Archivs der sozialen Demokratie, 12. Dezember 1967, in: Auf dem Weg zum digitalen Dienstleistungszentrum. 30 Jahre Archiv der Sozialen Demokratie und Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1999, S.27-31, hier S.27. 72 Willy Brandt, Festrede zur Eröffnung des Archivs der sozialen Demokratie, 6. Juni 1969, in: Auf dem Weg zum digitalen Dienstleistungszentrum, a.a.O., S.32-36, hier S.32. 45

verlagert«. 73 Es begann 1970 mit der Herausgabe einer eigenen Schriftenreihe »Veröffentlichungen des Instituts für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig-Bonn«, die zunächst vorwiegend der Geschichte der Arbeiterbewegung gewidmet war, in späteren Jahren stärker allgemeine sozialgeschichtliche Themen auf regionaler (auch regional vergleichender) Ebene behandelte.74 Seit 1974 ist das Institut neben der Friedrich-Ebert-Stiftung Mitherausgeber des Jahrbuches Archiv für Sozialgeschichte. Seit 1985 hat es (vor allem in Zusammenarbeit mit der TU Braunschweig) auch historische Tagungen und Konferenzen veranstaltet. Mit solcher Tätigkeit hat dieses Institut einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Sozialgeschichtsschreibung geleistet. Im Hinblick auf die personelle Änderung kann sein Entwicklungsgeschichte bis 1989 in zwei Etappen eingeteilt werden. Die erste Etappe umfasst den Zeitraum von 1962 bis Anfang 1974, wo es unter der Leitung von Georg Eckert stand. Nach Eckerts Tod verlagerte das Institut im gleichen Jahre seinen Hauptsitz nach Bonn und begann mit seiner zweiten Entwicklungsphase unter der Leitung von Kurt Klotzbach bis 1989. Georg Eckert75, der sozialdemokratische Historiker, Völkerkundler und Pädagoge, drückte bis zu seinem Tode diesem Institut seinen Stempel auf. Zunächst verband er während der Jahre seiner Leitung das sozialhistorische Institut administrativ eng mit dem gleichfalls von ihm geführten »Internationalen Schulbuchinstitut« (seit 1975: Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung). Eckert – als Leiter des Instituts für Sozialgeschichte Braunschweig-Bonn und Mitbegründer der Internationalen Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung in Linz, zudem in Verbindung mit dem Internationalen Institut für Sozialgeschichte Amsterdam – zählte zu den »rührigsten Pionieren für ein Fachgebiet«: die Erforschung der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 76 Dieses wissenschaftliche Interesse von Eckert prägte das zentrale Arbeitsthema der Anfangsjahre des Instituts maßgeblich. Während der Leitungszeit von Georg Eckert lag das Wirkungsgebiet des Instituts nicht in eigenständiger Forschung, d.h. in der Bearbeitung von Forschungsprojekten durch Angestellte des Instituts, sondern in der Förderung von Studien externer Wissenschaftler.77 Gute Beispiele dafür sind die erste fünf Bände seiner

73 Dieter Dowe, Das Institut für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig-Bonn, Aufgabenstellung, Entwicklung, Arbeitsergebnisse, in: ders. (Hrsg.), 40 Jahre Institut für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig-Bonn, a.a.O., S.13-28, hier S.13. 74 Ebd., S.14. 75 Eine kurze Biographie von Eckert befindet sich im Teil 3.2 Kommunikationsbestimmende Historiker dieses Kapitels. 76 Dieter Dowe/Kurt Klotzbach/Hans Pelger, In memoriam Georg Eckert, in: AfS, 14 (1974), S.XI-XIII, hier S.XII. 77 Dieter Dowe, Das Institut für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig-Bonn, a.a.O., S.13f.; auch Jürgen Kocka, Sozialgeschichte in Deutschland seit 1945, a.a.O., S.11. 46

Schriftenreihe: es handelt sich bei ihnen um die Biographie Ferdinand Lassalle des israelischen Sozialhistorikers Shlomo Na’aman (1970), die Studie zur Partisanenrepublik Ossola von Hubertus Bergwitz (1972), und den Briefwechsel und die Biographie Johann Jacobys des Jerusalemer Historikers Edmund Silberner (1974, 1976 und 1978). Ein anderer Niederschlag der engen Verbindung zur jüdischen bzw. israelischen Geschichtsforschung lässt sich in der Unterstützung der Archivstudien zur Geschichte der Juden in Niedersachsen von Zvi Asaria finden. Unter der Leitung Kurt Klotzbachs von 1974 bis 1989 konzentrierte sich das Institut »zunehmend auf selbständige, von Institutswissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen bearbeitete Forschungsprojekte«78: von den »Massenbewegungen in Niedersachsen 1906-1920« (1981) über »Französische Revolution und deutsche Arbeiterbewegung« (1982) bis zum »Jugendprotest und Generationenkonflikt in Europa im 20. Jahrhundert. Deutschland, England, Frankreich und Italien im Vergleich« (1986). Auf der Festveranstaltung zum 40-jährigen Bestehen dieses Instituts 2002 hat Jürgen Kocka seine Entwicklungsgeschichte kurz zusammengefasst:

»Die Geschichte des Instituts reflektiert den typischen Ausweitungsprozess, den die Sozialgeschichte seit ihren Anfängen genommen hat: Es ist einem breiten Begriff von Sozialgeschichte verpflichtet, der den Bereich des Staats und der Politik nicht ausgrenzt und die Gesellschaft in ihrer Vielfalt einbezieht. Gleichzeitig ist die Arbeit des Instituts weiterhin durch die Weichenstellungen seiner Anfangsjahre geprägt. Das Interesse an Arbeitergeschichte, sozialen Bewegungen, Sozial- und Reformpolitik bleibt zentral. Eben dadurch gewinnt das Institut sein spezifisches Profil und sein besonderes Gewicht.«79

Die Entwicklungslinie des Instituts für Sozialgeschichte, die mit der Arbeiterbewegungsgeschichte aus sozialdemokratischer Perspektive begann und zu einer professionellen Sozial- und Gesellschaftsgeschichte führte, zeigt in aller Deutlichkeit, dass dieser Kommunikationsort, der auf Initiative der Partei begründet worden war und der Partei immer nahestand und nahesteht, maßgeblich von der Fachhistorie beeinflusst worden ist.

1.1.3 Historische Kommission beim SPD-Parteivorstand

Die Historische Kommission, die vom Parteivorstand der SPD 1982 begründet wurde, hatte die

78 Jürgen Kocka, Sozialgeschichte in Deutschland seit 1945, a.a.O., S.11. 79 Ebd., S.12. 47

Aufgabe, geschichtliche Erfahrungen und Erkenntnisse stärker als vorher in die politische Alltagsarbeit einzubringen. Im Unterschied zu den anderen historischen Institutionen, die trotz deren sozialdemokratischen Neigung aber keine Parteieinrichtungen waren, stand die Kommission direkt unter der Führung der Partei. Sie wurde ins Leben gerufen, weil in der ersten Linie die Sozialdemokratische Partei ihre eigenen Kräfte durch eine Besinnung auf die Geschichte stärken wollte:

»Die Historische Kommission wurde vom Parteivorstand eingesetzt, weil es ihm notwendig erscheint, sich in einer neuen Anstrengung der eigenen Geschichte zuzuwenden. Die Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung vermittelt Kenntnisse der Bedingungen, aus denen heraus die gegenwärtige politische und gesellschaftliche Situation verstanden werden kann. Verständnis für Tradition und Geschichte der Partei kann zum Zusammengehörigkeitsgefühl und Selbstbewusstsein beitragen sowie eine Argumentationshilfe in der politischen Auseinandersetzung bedeuten. In der Praxis geht es der Historischen Kommission nicht darum, neue wissenschaftliche Forschung zu betreiben, sondern in der Partei vorhandene Aktivitäten zu fördern und anzuregen. Sie will Tatsachen und Zusammenhänge der Parteigeschichte vermitteln, thematische Felder angeben und didaktische Hilfestellungen und Erfahrungen zur praktischen Umsetzung anbieten. Die Parteiorganisation soll auf Daten und Entwicklungen hingewiesen und zu eigenen Aktionen angeregt werden, bereits vorhandenes Interesse und Arbeit an regionaler soweit lokaler SPD-Geschichte soll verstärkt werden.«80

Am 5. Februar 1982 fand die erste Sitzung der Historischen Kommission in Bonn statt. Willy Brandt, der damalige Parteivorsitzender, eröffnete diese Sitzung und erläuterte Sinn und Zweck der Historischen Kommission. Er regte drei Aufgabenbereiche an:

»Meine erste Bitte: Betrachten Sie kritisch und wachsam das Verhältnis von SPD und Geschichte – Geschichtsforschung und -pflege, Geschichtsbewusstsein, politische Geschichtsdiskussion. Geben Sie der Partei Ratsschläge und Hilfen. Und tragen Sie Wünsche und Bedürfnisse der Partei, soweit dies statthaft ist, in Ihre Arbeitsfelder - Hochschulen und Institute, Archive, politische und Erwachsenenbildung. An dieser Stelle zwei kleine Anmerkungen. Erstens: Die Historische Kommission wird sicher kein Forschungsunternehmen sein können, sondern nur Anregungen für Forschungsunternehmen geben können. Zweitens: sie soll und kann keine Schiedsstelle für Parteigeschichte sein. Die Festschreibung eines bestimmten Geschichtsbildes – auch der eigenen Partei – widerspräche – dies wissen Sie selbst – nicht nur den Prinzipien der Historie als einer Wissenschaft, sondern auch dem Selbstverständnis unserer Partei. Nirgends, in der Fachwelt oder anderswo, darf der Eindruck entstehen, hier würde etwas dogmatisch festgelegt. Derlei wollen wir denen überlassen, die vor der Freiheit der Forschung und der Vielheit der Deutung aus ihrer eigenen

80 Vorschlag für eine Presseerklärung zur 1. Sitzung der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand, in: AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000006. 48

Gründen Angst haben. – Aber andererseits: Wachen Sie durchaus über das Geschichtsbild der Partei, wenn es verfälscht wird. Die Geschichte nicht verschlampen zu lassen, dazu gehört auch: sich zu wehren, wenn die Geschichte der Partei in den Schmutz gezogen wird. […] Zweite Bitte: Wecken Sie und pflegen Sie das Geschichtsbewusstsein der Partei. Prüfen Sie, welche historischen Themen oder Anlässe die Partei wo und in welcher Form sich zu eigen machen sollte. Der Bundesgeschäftsführer wird Ihre Vorschläge umsetzen bzw. in die Organisation hinein vermitteln. Und die Friedrich-Eber-Stiftung, den Vorwärts, und alle, die es sonst betreffen mag, bitte ich dabei gleichfalls um Hilfe bei der Untersetzung. Dritte Bitte: Koordinieren Sie die historischen Aktivitäten der Partei. Die Kommission bzw. ihre Sekretäriat sollte auch eine Vermittlungs- und Clearingstelle für die Arbeit draußen sein. Und geben Sie dabei verallgemeinerbare Hilfen.«81

Peter Glotz, damals Bundesgeschäftsführer der SPD, auf dessen Initiative hin die Historische Kommission vom Parteivorstand einberufen wurde, wies auf ihrer zweiten Sitzung ebenfalls auf drei wichtige Aufgabengebiete der Kommission hin: Erstens den Kontakt mit dem »Historischen Milieu« zu pflegen, zweitens das Geschichtsbewusstsein in der Partei zu unterstützen, und drittens Forschungen anzuregen und den Parteivorstand zu beraten. Er zeigte weiterhin auf, dass »der Beschäftigung mit Geschichte in der SPD und damit der Historischen Kommission eine Außen- und Innenfunktion zugemessen« wurde:

»Zur Innenfunktion gehört die Anregung an die Partei, sich mit ihrer eigenen Geschichte zu beschäftigen, die konsens- und identitätsstiftenden Funktion zu nutzen. Wenngleich bei der Nutzung historischer Anlässe immer gefragt werden muss, was man damit anreichen will (z.B. Geschichte als Hilfsmittel des Aufeinanderzugehens in der innerparteilichen Auseinandersetzung). Aber genügt es, Geschichte als Geschehene in Erinnerung zu rufen oder sollen damit politische Akzente gesetzt werden? Dazu ist es sicherlich notwendig, Materialien für die historische Bildungsarbeit herzustellen, aber auch die vorhandenen Unterlagen der Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung und der Friedrich-Ebert- Stiftung besser bekanntzumachen. Die Koordinierungsaufgaben (z.B. 40 Jahre 20.7.44) sind dabei langfristig anzulegen. […] Zur Außenfunktion gehört sicherlich die Anregung zu verschiedenen Forschungsvorhaben (Sozialgeschichte der Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland, Frauen etc.), die Einbeziehung der Gewerkschaftsgeschichte, die Analyse und Diskussion des Geschichtsunterrichts an Gymnasien und Haupt-, Real- und Berufsschulen, die Information und Schulung sozialdemokratischer Lehrer und Elternvertreter, die Kooperation von

81 Protokoll der 1. Sitzung der Historischen Kommission in Bonn, am 5.2.1982, in: AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000006. 49

Gutachtergremien, Medien und zum Historikertag (ev. Einladung der Sozialdemokratischen Historiker im Vorfeld).«82

Unter der Leitung von Susanne Miller, der ersten Vorsitzenden der Historischen Kommission, organisierte dieses Gremium zwischen 1982 und 1989 eine Reihe von Veranstaltungen zu Themen der jüngeren deutschen Geschichte und publizierte eine Reihe entsprechender Broschüren: das Forum »Die Sozialdemokratie und der 20. Juli 1944« 1984, die Tagung »Geschichte in der demokratischen Gesellschaft« 1985, die Tagung »Spuren im Alltag suchen – Geschichte in der politischen Praxis« 1986, das Forum »Erben deutscher Geschichte – Bundesrepublik und DDR« 1987, das Forum »Gesellschaftlicher Wandel - Soziale Demokratie, 125 Jahre SPD« 1988, und das Forum »Soziale Grundlagen der parlamentarischen Demokratie  40 Jahre Bundesrepublik« 1989.

1.2 Zeitschriften

»Wissenschaftliche Zeitschriftensysteme können als Kommunikationsnetze aufgefasst werden, in welchen ein ständiger Informationsaustausch zur Weiterentwicklung des jeweiligen Faches beträgt.« 83 In diesem Sinne boten die der SPD nahestehenden Zeitschriften die Möglichkeiten, Plattformen für die historisch-politische Kommunikation zu etablieren und damit enge Verbindungen mit der Historikerschaft herzustellen.

1.2.1 Archiv für Sozialgeschichte

1958 erläuterte Georg Eckert seinen Plan, in der Nachfolge des von Karl Grünberg von 1911 bis 1930 herausgegebenen Periodikums Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung ein Jahrbuch Archiv für Sozialgeschichte zu gründen. Eine vorbereitende Sitzung hatte in diesem Jahr bereits stattgefunden. 84 1961 wurde der erste Band »unter der wissenschaftlichen Verantwortung«85 von Eckert der Öffentlichkeit vorgelegt. Seit 1974 wurde die Zeitschrift in Verbindung mit dem zunächst ebenfalls von ihm geleiteten »Institut für Sozialgeschichte« herausgegeben.

82 Protokoll der Sitzung der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand am Donnerstag, dem 25.05.1982, in Bonn, in: AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE000006. 83 Albert Nußbaum/Hubert Feger, Analyse des deutschensprachigen psychologischen Zeitschriftensystems, in: Psychologische Rundschau 29 (1978), S.91-112, hier S.91. 84 Horst Heidermann, Vorbedingungen und Überlegungen bis 1969, a.a.O., S.15. 85 Gerhard Weisser, Vorwort, in: AfS 1 (1961), S.5-7, hier S.5. 50

Das Archiv für Sozialgeschichte war von Anfang an interdisziplinär angelegt und stellte sich das Ziel, die sozialgeschichtliche Teildisziplin der Historie »mit der Soziologie und jener soziologischen Spezialdisziplin, die als Wirtschaftswissenschaft international besonders weit ausgebaut ist«, zu verbinden.86 Es hat sich aber de facto zunächst vor allem der Geschichte der Arbeiterbewegung gewidmet, seit den siebziger Jahren dann zum Teil der allgemeinen Sozialgeschichte geöffnet, aber doch der Geschichte der politisch-sozialen Emanzipationsbewegungen seit dem 18. Jahrhundert weiterhin besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Der Anspruch der Interdisziplinarität ist tatsächlich in den achtziger Jahren durch die Abschwächung der Arbeiterbewegungsgeschichte und das zunehmende Gewicht der allgemeinen Sozialgeschichte und Gesellschaftsgeschichte eingelöst worden. Anerkannt ist, dass das Archiv für Sozialgeschichte zuallererst das Werk Georg Eckerts war. Von 1961 bis 1969 trug er die alleinige redaktionelle Verantwortung. Eckert war es zu danken, dass das Archiv für Sozialgeschichte in jenen Jahren zu einer die Grenze der Bundesrepublik überschreitenden Plattform für Historiker der Arbeiterbewegung wurde. Dafür erbringt die internationale Struktur der Autorengruppe den Nachweis. Die wichtigsten Akzente setzten damals ideen- und organisationsgeschichtliche Untersuchungen der frühen Arbeiterbewegung und Beiträge zur Marx-, Lassalle-, Moses-Hess- und Johann-Jacoby-Forschung. 1970 expandierte die Redaktion des Jahrbuchs. Kurt Klotzbach, Hans Pelger und Dieter Dowe traten in die Redaktion ein. In den siebziger Jahren, nachdem der Aufsatzteil durch die Einführung von Leitthemen gestrafft und ein umfangreicher Rezensionsteil geschaffen worden war, stieg das Archiv für Sozialgeschichte rasch zu einem der führenden sozialhistorischen Periodika innerhalb der Fachhistorie auf. Aus der Tabelle I-1 geht deutlich die Veränderung des Forschungsschwerpunktes von Afs in den 1970er und 1980er Jahren hervor. Diese Zeitschrift weitete ihren Blick auf eine umfassende politische Gesellschaftsgeschichte, die sich offen hielt und hält für neuere Zugriffe wie Struktur- und Alltagsgeschichte, lingustic turn etc. Die gesamte Breite der Gesellschaftsgeschichte wird insbesondere in Forschungsberichten, Sammel- und Einzelrezensionen ausführlich vorgestellt und kritisch erörtert.87

Tabelle I-1: Leitthemen der einzelnen Bände von Archiv für Sozialgeschichte 1974 – 1989

86 Ebd.. 87 Dieter Dowe, Das Institut für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig-Bonn, a.a.O., S.19. 51

Jg. Thema Thematik* 1974 Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung als Kultur- und Bildungsbewegung dAb bis 1933 1975 Anfänge der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung in dAb Deutschland auf lokaler und regionaler Ebene 1976 Geschichte der Arbeit und der Arbeiter (nicht ihrer Organisationen) im Zeitalter dAb, iAb der Industrialisierung (u. a. international vergleichend) 1977 Sozialgeschichte der NS-Zeit SG 1978 Politische und soziale Geschichte der Bundesrepublik PG, SG 1979 Arbeits- und Lebensbedingungen im vorindustriellen und industriellen Zeitalter GG 1980 Gewerkschaften in Deutschland und England von 1890 bis zum Beginn der dAb, iAb 1930er Jahre 1981 Arbeitsverhältnisse und Betriebsverfassung in der deutschen Industrie des 19. GG Jahrhunderts 1982 Lebensbedingungen der Arbeiterschaft außerhalb des Betriebes im 19. und 20. GG Jahrhundert 1983 Ancien régime – Revolution – Restauration PG, SG 1984 Ausländische Arbeitskräfte und fremdsprachige Minoritäten auf dem deutschen GG Arbeitsmarkt im 19. und 20. Jahrhundert 1985 Sozialdemokratie und Kommunalpolitik seit dem Ende des 19. Jahrhunderts PG 1986 Sozialgeschichte der Weimarer Republik SG 1987 Soziale, wirtschaftliche und politische Aspekte von Unterbeschäftigung und SG, PG, GG Arbeitslosigkeit seit Beginn der Industrialisierung 1988 Arbeitswelt und technologischer Wandel in Vergangenheit und Gegenwart: SG, GG Erfahrungen und Reaktionsweisen 1989 Von der Arbeiterpartei zur Volkspartei. Strukturelle Bedingungen, soziale PG Voraussetzungen und politische Perspektiven der Entwicklung europäischer Parteien im 20. Jahrhundert

* Abkürzungen: dAb = deutsche Arbeiterbewegung iAb = internationale Arbeiterbewegung SG = Sozialgeschichte PG = Politikgeschichte GG = Gesellschaftsgeschichte

52

1985, anlässlich der Festveranstaltung zum Erscheinen des XXV. Jahrbuchbandes Archiv für Sozialgeschichte, nannte es der Berkeley-Professor Gerald D. Feldman einen »Spiegel […] der dynamischen Tendenzen in der modernen sozial- und wirtschaftshistorischen Forschung« und ein »Forum für eine Wissenschaft, die modern, pluralistisch, innovativ und humanistisch ist«.88

1.2.2 Die Neue Gesellschaft

Die Neue Gesellschaft, das »heute vielleicht [das] lebendigste politische Periodikum«89 ist, kann als ein weiteres Organ für die Kommunikation zwischen der SPD und der Historikerschaft gelten, auch wenn sie nicht historisch-fachwissenschaftlich angelegt ist, sondern dem Typus einer politisch-intellektuellen Zeitschrift entspricht. Im September 1953 erlitt die SPD eine verheerende Schlappe bei der Bundestagswahl. Innerhalb der Partei entbrannte ein intellektueller Streit um den Charakter der SPD als Volkspartei und ihr Verhältnis zu Staat, Demokratie und Verfassung. Forderungen nach einer programmatischen Neubesinnung und Öffnung für weitere Wählerschichten wurden laut. Willi Eichler, damals Kulturreferent beim Parteivorstand und Vorsitzender der Kommission zur Vorbereitung des Godesberger Programms, gab auf dem Berliner Parteitag der SPD 1954 die Gründung der Neuen Gesellschaft bekannt:

»Die Diskussion darf nicht abreißen, sie muss vertieft werden und sie muss öffentlich geführt werden. Dazu haben wir die Zeitschrift ›Die Neue Gesellschaft‹ begonnen. Sie wird von Genossen herausgegeben, aber sie ist nicht das Sprachrohr des Parteivorstandes oder überhaupt einer organisierten Körperschaft. Ein großer und vielseitiger Redaktionsbeirat sorgt für die notwendige Weite. [...] Die Zeitschrift steht auch Nicht- Sozialdemokraten offen: Denn wir sind der Meinung, die sozialistischen Grundsätze können Anhänger finden und haben das bereits getan, weit über den Rahmen der organisierten Sozialdemokratie hinweg. Wir müssen unsere Tore nicht nur organisatorisch, sondern vor allem auch geistig öffnen.«90

Die Öffnung gelang. Die Neue Gesellschaft hat in der Folgezeit »den reflektierten Austausch zwischen Wissenschaft, Intellektuellen, politisch Verantwortlichen und Bürgern darüber, wie den Ideen der sozialen Demokratie für die überschaubare Zeit konkrete Gestalt und praktische

88 Presse- und Informationsstelle der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Ein europäisches Zentrum der historischen Forschung und Dokumentation, a.a.O., S.7. 89 Hermann Rodolf, Mit Ideen Politik bewegen, in: Der Tagesspiegel, 9.7.2004. 90 Zitat nach Thomas Meyer, »Wir müssen unsere Tore geistig öffnen«. Erinnerung an den Gründer Willi Eichler, in: NG 51(2004), S.10f., hier S.10. 53

Geltung verschafft werden kann«91 zum Erfolg geführt. 1985 verbanden sich Neue Gesellschaft und die linkskatholischen Frankfurter Hefte zu einer Zeitschrift. Anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens im Jahre 2004 sah der Herausgeber Hermann Rudolph vom Tagesspiegel die Neue Gesellschaft als »Forum eines liberalen Freundeskreises der Sozialdemokratie«.92 Aber die Neue Gesellschaft stellte sich nicht von Anfang an der Beschäftigung der Partei mit Geschichte zur Verfügung. In den fünfziger und sechziger Jahren schenkt die Zeitschrift der Geschichte und den historisch-politischen Problemen keine große Aufmerksamkeit, während in den siebziger und achtziger Jahren ihre historischen Interessen rasch wuchsen. Die in der Neuen Gesellschaft publizierten historischen Artikel bestehen im Wesentlichen aus zwei Teilen: Zum Teil sind es Aufsätze, die sich mit der Geschichte der Sozialdemokratie, des Geschichtsbewusstseins der Gesellschaft, des Geschichtsunterrichts und der Geschichtspolitik beschäftigen; zum anderen Teil handelt es sich um Rezensionen, die historische Werke diskutieren und kritisieren. Im Vergleich zum Archiv für Sozialgeschichte bildet die Neue Gesellschaft keinen speziellen, thematisch festgelegten Raum zur historisch-politischen Kommunikation, sondern ist nur eine Plattform, welche historische Forschung enger mit den allgemeinen Debatten im intellektuellen Umfeld der Sozialdemokratischen Partei verband.

2. Messung kommunikativer Zusammenhänge zwischen SPD und Historikern

In der Einleitung dieser Arbeit wurden die unterschiedlichen Kategorien der Kommunikationsbeziehungen im Allgemeinen definiert. Im Zusammenhang mit einer solchen Zuordnung und auf der Grundlage der obengenannten organisatorischen Rahmenbedingungen lassen sich vor allem zwei wesentliche Kategorien bei der Messung kommunikativer Zusammenhänge zwischen SPD und bundesdeutschen Historikern unterscheiden. Aus der Erscheinungsperspektive differenzieren sich die Kommunikationsformen zwischen zwei Beziehungsarten: Die eine trat statisch im Schriftlichen auf, während die andere dynamisch als funktionelle Tätigkeit und/oder Beteiligung der Veranstaltungen in Erscheinung trat. Aus der Wirkungsperspektive unterscheiden sich positive kommunikative Zusammenhänge einerseits, die die untersuchte Kommunikation förderten oder dabei halfen, und negative andererseits, die Reibung, Enttäuschung und Misserfolg während der Kommunikation produzierten. Diese zwei

91 Ebd., S.11. 92 Hermann Rodolf, Mit Ideen Politik bewegen, a.a.O.. 54

Unterscheidungen tragen entweder zur Beschreibung der Kommunikationsvorgänge oder zur Bewertung der Kommunikationsergebnisse bei.

2.1 Statische und dynamische Kommunikationsbeziehungen

Als verlässlichstes Indiz für kommunikative Beziehungen gilt das Schriftliche, in dem sich zuallererst ein formales und inhaltliches Kommunikationsergebnis statisch spiegelt. Anhand von Veröffentlichungen lassen sich sowohl die inhaltliche wie die personelle Dimension von Kommunikation untersuchen. Mit der Publikation von Zeitschriften, Beiträgen zu Sammelbänden, Monographien oder Schriftenreihen bildeten sich zwischen der SPD und den jeweiligen sozialdemokratisch bzw. linksliberalen Historikern Verbindungen und damit Kommunikationsnetzwerke, die sich voneinander unterscheiden, aber auch zugleich miteinander verflechten lassen. Außerdem gab es auch eine andere Art von Veröffentlichung, die die kritische Haltung von Historiker während ihrer Kommunikation mit der SPD über historische und/oder politische Themen zeigt. In diesem Zusammenhang besteht insbesondere eine bedeutende Rolle der Zeitschriften darin, dass sie sich als Trägerin von Netzwerken präsentiert. Die Kommunikation zwischen den Autoren und den Redaktionen der Zeitschriften spiegelt sich in den publizierten Beiträgen deutlich wider. Der Kommunikationskreis einer Zeitschrift gestaltet sich zum einen unter dem Einfluss ihrer Publikationsstrategie und zum anderen unter dem des persönlichen Kommunikationsnetzwerks ihrer Redakteure. Dabei kann mit Hilfe der Breite des Redaktion- Autoren-Kommunikationskreises die »Struktur« des Netzwerks ermittelt werden. Daneben liefern die Zahl und die thematische Zuordnung der Beiträge, die von den Historikern im Archiv für Sozialgeschichte und in der Neuen Gesellschaft veröffentlicht wurden, weitere wichtige Hinweise für die Art des Kommunikationsnetzwerks. Ein weiteres statisches Indiz für die Kommunikationsbeziehungen sind die Korrespondenzen zwischen der SPD und der Historikerschaft. Inhaltlich handelt es sich zum einen um den konkreten Informationsaustausch über historische und/oder politische Fragen, zum anderen um die Organisation der Kommunikation. Zum Ersteren gehören zum großen Teil die privaten Briefwechsel zwischen den politisch sozialdemokratisch ausgerichteten Historikern und den führenden Politikern der Partei, während zum Letzteren die Korrespondenzen zwischen Historikern, historischen Organisationen und den der SPD nahestehenden Instituten zählen. Im Vergleich zu den Veröffentlichungen, die der Öffentlichkeit die Stellung der Historiker zur

55

Sozialdemokratie bzw. die Haltung der Partei zur Geschichte und Geschichtswissenschaft deutlich anzeigen, lassen sich in den Korrespondenzen weniger die Inhalte von Kommunikation als vielmehr deren Existenz nachweisen. Im Unterschied zur statischen Kommunikationsbeziehung bewegen sich Akteure der SPD und der Geschichtswissenschaft beim Vorgang der dynamischen Kommunikation, die normalerweise nur eine bestimmte Zeitdauer in Anspruch nimmt, aktiv aufeinander zu. Zu dieser Form gehörten erstens die Tätigkeiten der Historiker in den der SPD nahestehenden Organisationen als Leiter, Mitglieder, Berater oder wissenschaftliche Mitarbeiter und zweitens die Aktivitäten der Historiker für die historisch-politische Beschäftigung der SPD wie zum Beispiel Unterstützung für den Wahlkampf der SPD und Teilnahme an Veranstaltungen der Partei. Darüber hinaus war in den dynamischen kommunikativen Zusammenhängen eine Gruppe von Akteuren beteiligt, deren Kontakt mit der SPD nicht auf ihre Neigung zu dieser Partei zurückgeführt werden kann, sondern von ihrer Expertise für bestimmte historisch-politische Themen ausging, für die sich die SPD interessierte. Solche Kommunikationsbeziehungen basierten auf einer Einladung seitens der SPD und waren in der Regel einmalig. Die Akteure von Netzwerken, die sich aus dem dynamischen kommunikativen Zusammenhang ergaben, kommunizierten meistens enger, schneller und aktiver miteinander als die Teilnehmer der Netzwerke im statischen Kommunikationsraum, denn sie hatten mehr Möglichkeiten, die Kommunikation mit der Partei face to face durchzuführen. In diesem Sinne konnten diese Historiker eine wichtigere Rolle innerhalb des Kommunikationsraums von SPD und Historikern spielen – auch wenn diese Rolle nur kurzfristig war – als Historiker, die nur durch interne Korrespondenz mit der Sozialdemokratie in Verbindung standen. Statische und dynamische Kommunikationsbeziehungen zu unterscheiden, leistet einen Beitrag zur Zuordnung der Kommunikationsakteure und Analyse der Gestaltung der Netzwerke. Aber bemerkenswert ist, dass diese zwei Kommunikationsformen miteinander in Zusammenhang stehen. Ein Historiker konnte entweder nur statisch mit der Partei kommunizieren oder sowohl statisch wie dynamisch. Ein Netzwerk zwischen SPD und Historikern konnte sich entweder innerhalb des statischen Kommunikationsraums herausbilden oder auf dem Bündnis zwischen schriftlicher Kommunikation und Tätigkeiten bzw. Aktivitäten der Akteure beruhen.

56

2.2 Positive und negative Kommunikationsbeziehungen

Im Hinblick auf ihre formale Funktion sind alle Kommunikationsbeziehungen positiv, denn sie zeigen auf jeden Fall einen Dialog zwischen zwei Seiten an. Aber mit Bezug auf ihre inhaltliche Funktion lassen sich positive und negative Verbindungen unterscheiden. Die »statischen« publizierten Stellungnahmen für die historisch-politische Kommunikation können entweder positiv oder negativ sein, was vor allem von der politischen Orientierung und der sachbezogenen Haltung der Historiker abhängig ist. Gleichfalls handelt es sich im Fall der »dynamischen« Kommunikationsbeziehungen nicht immer um positive Ereignisse der Kommunikationsprozesse, wenn sich die Aktivitäten der Akteure als (kritische) Reaktionen auf das Verhalten der SPD präsentierten. Deswegen gewinnt die Unterscheidung der kommunikativen Zusammenhänge angesichts deren Effekte an Bedeutung, um die untersuchte Kommunikation weitergehend zu analysieren. Erstens sind dadurch die Einflüsse der Kommunikationsfälle bzw. der Kommunikationen über das jeweilige Thema auf die Entwicklungstendenz der Kommunikation im Einzelnen erklärbar. Eines der wichtigsten Kennzeichen der Kommunikation zwischen SPD und Historikern besteht gerade darin, dass positive Beziehungen als Antriebskraft und negative Beziehungen als Verhinderung von 1959 bis 1989 trotz unterschiedlicher Wichtigkeiten aber von Anfang bis Ende bestanden. Eine der auffälligsten Leistung der Kommunikation, dass sich die Verbindungen zwischen SPD und Historikerschaft nach und nach vergrößern, vertiefen und verstärken ließen, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass positive Beziehungen im Großen und Ganzen für die Kommunikation die Weichen stellten. Aber im Einzelfall der Kommunikation war das Kräfteverhältnis zwischen positiven und negativen Beziehungen nicht feststehend. Daraus ergab sich eine Krümmung des Kommunikationswegs. Zweitens lassen sich die Kommunikationsteilnehmer nach dem Kriterium ihrer Stellung zur SPD generell in Freunde und Kritiker einteilen. Historiker, die wissenschaftliche Aufgaben im Kommunikationsraum der SPD übernahmen, oder sich an Veranstaltungen der Partei beteiligten, leisteten einen großen Beitrag zu positiven Kommunikationsbeziehungen und konnten dann im weiteren Sinne als »sozialdemokratisch« bezeichnet werden. Im Vergleich dazu lassen sich Historiker, die in den meisten Fällen die Partei (geschichts)politisch oder wissenschaftlich kritisierten und Abstand von ihr hielten, als politisch sozialdemokratisch-fern bzw. anti-sozialdemokratisch betrachten. Außerdem ist auch eine Gruppe der Historiker erwähnenswert, deren Stellungen zur

57

Sozialdemokratie in diesen dreißig Jahren eine Wandlung zeigen. Drittens ist die Grenze des Einflussbereichs der Kommunikation im Rahmen dieser Unterscheidung zu ziehen. Solche Grenzziehung ist nicht auf die Zahl und die persönliche Herkunft der Akteure, die in die Kommunikation einbezogen wurden, gerichtet, sondern darauf, inwieweit die SPD für Kritiker zugänglich war. Mit einem Wort: die qualitative Erforschung der Kommunikationsbeziehungen gemäß ihrer positiven oder negativen Wirkung erlaubt es, für jeden Akteur und jeden Fall eine eigene entsprechende Stelle in den Kommunikationsnetzwerken zu finden.

3. Kommunikationsakteure

Aus den beiderseitigen Bemühungen von SPD und sozialdemokratischen bzw. liberalen Historikern um wechselseitigen Kontakt ist eine breite Kommunikationslandschaft entstanden. Aus der Vogelperspektive ist vor allem erkennbar, dass sich mehrere Gruppen von Historikern, die mit der SPD zwischen 1959 bis 1989 dynamisch kommunizierten, deutlich voneinander unterscheiden lassen. Nicht nur der Generationsunterschied, die Ortsverteilung und die Verschiedenheit der fachlichen Forschungsschwerpunkte der Historiker, sondern auch die Häufigkeit und die räumliche bzw. institutionelle Grenze der Kommunikation führten zu individuell sehr unterschiedlichen Beziehungsmustern. Sie lassen sich am besten als ein Spektrum von Netzwerken beschreiben, das die persönliche Vielfältigkeit, die zeitliche und regionale Konzentration, sowie die thematischen Schwerpunkte dieser historisch-politischen Kommunikation bündig und anschaulich darstellt.

3.1 Verschiedene Personenkreise

Je nach Grad der Differenzierung verlaufen die Grenzziehungen zwischen den Personenkreisen innerhalb der westdeutschen Historikerschaft, die mit der SPD kommunizierten, selbstverständlich anders. Um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beteiligten Historikern in gleicher Weise Rechnung zu tragen, werden vier wesentliche Differenzkategorien unterschieden: Alter, Forschungsschwerpunkt, Kommunikationshäufigkeit und kommunikationsräumliche Priorität.

Tabelle I-2: Geburtsjahrgang und Generation der SPD-kommunizierenden Historiker

58

Geb. Zahl der Teil Generation Jahrgang Historiker 1890-1909 7 5% – 1910-1919 6 4% Weltkrieg-Generation 1920-1924 0 0% – 1. 1925-1929 11 7% Flakhelfer-Generation »lange Nachkriegsgeneration 1930-1934 17 11% – Generation« (45er) 1935-1939 28 18% 2. Nachkriegsgeneration 1940-1944 46 30% 1945-1949 23 15% 3. Nachkriegsgeneration 1950-1959 16 10% Summe 154 100 –

Die in Tabelle I-2 dargestellte Altersverteilung führt zu einem klaren Ergebnis.93 Die während der Jahre von 1959 bis 1989 mit der SPD kommunizierende Gruppe von Historikern besteht überwiegend aus den in den Jahren 1925 bis 1944 Geborenen. Bekannte Historiker dieser Altersgruppe sind Hermann Weber (Jahrgang 1928), Eberhard Jäckel (Jahrgang 1929), Gerhard A. Ritter (Jahrgang 1929), Helga Grebing (Jahrgang 1930), Hans Mommsen (Jahrgang 1930), Hans-Ulrich Wehler (Jahrgang 1931), Imanuel Geiss (Jahrgang 1931), Reihard Rürup (Jahrgang 1934), Heinrich August Winkler (Jahrgang 1938), Kurt Klotzbach (Jahrgang 1940), Jürgen Kocka (Jahrgang 1941), Bernd Faulenbach (Jahrgang 1943), Dieter Dowe (Jahrgang 1943) und Klaus Tenfelde (Jahrgang 1944). Sie lassen sich entweder zur »langen Generation« der Historiker der Bundesrepublik 94 oder zur zweiten Nachkriegsgeneration zählen, alle verbrachten ihre Kinder- und Jugendzeit unter der Herrschaft des Nationalsozialismus bzw. in den vom Krieg geprägten Nachkriegsjahren, haben persönliche Erinnerungen an die Kriegsjahre und begannen erst nach dem Kriegsende ihr Studium. Ihr zahlenmäßiges Übergewicht bei der historisch- politischen Kommunikation ist einerseits auf die zeitliche Entwicklung des Interesses der SPD an der Geschichtswissenschaft, und andererseits auf den Generationswechsel innerhalb der

93 Zum Sample dieses Statistik gehören folgende Gruppen: 1) Historiker, die Beiträge im AfS oder in der NG von 1959 bis 1989 veröffentlichten; 2) Historiker, die zur Sozialdemokratischen Wählerinitiative 1969 oder Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand von 1983 bis 1989 angehörten; 3) Historiker, die an den historischen bzw. politisch-historischen Veranstaltungen der SPD teilnahmen. 94 Vgl. Paul Nolte, Die Historiker der Bundesrepublik, a.a.O.. 59

bundesdeutschen Geschichtswissenschaft von der Weltkriegsgeneration zur Nachkriegsgeneration zurückzuführen. Die Phase organisierter Kommunikation zwischen Partei und Historikerschaft begann im Jahre 1959, war aber während der ersten Phase bis 1968 personell und thematisch auf einen kleinen Themenbereich und Personenkreis begrenzt. Entsprechend klein ist der Anteil von Historiker im Netzwerk, die vor 1920 geboren wurden. Erst seit dem Ende der sechziger Jahre wendete die Partei allmählich ihre Aufmerksamkeit weiteren historischen Themen und einer größeren, in der Geschichtswissenschaft mehr im Mittelpunkt stehenden Historikerschaft zu. Die 1925 bis 1944 geborenen Historiker waren damals gerade mit ihre Promotion und/oder Habilitation fertig geworden, begannen ihre Karriere in der Fachwelt und nahmen Schritt für Schritt wichtige Leitpositionen innerhalb der westdeutschen Geschichtswissenschaft ein. In diesem Zusammenhang ist die Historikergruppe, die im weiteren Sinne als sozialdemokratisch bzw. linksliberal zu bezeichnen ist, eine neue Kraft in der Kommunikation zwischen SPD und Geschichtswissenschaft geworden. Eine Ausnahme bilden Georg Eckert (Jahrgang 1912) und Susanne Miller (Jahrgang 1915), die beide zur Weltkriegsgeneration gehörten, aber in den unterschiedlichen Perioden zwischen 1959 und 1989 eine wichtige Rolle bei der historischen Forschung von der SPD spielten. Zweitens kann der jeweilige Forschungsschwerpunkt dazu dienen, zwischen verschiedenen Historikergruppen zu unterscheiden. Obwohl jeder Historiker, der mehrere Forschungsschwerpunkte verfolgt, nicht einfach einer Gruppe zugeordnet werden kann, wird im Folgenden der Themenschwerpunkt herangezogen, der während der Kommunikation im Mittelpunkt stand, um auf diese Weise die unterschiedliche Personenkreise deutlich zu profilieren. Eine erste Gruppe bilden die Historiker, die sich mit der Arbeiterbewegung, der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften sowie der Geschichte der SPD beschäftigten. Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise Georg Eckert, Susanne Miller, Dieter Dowe und Helga Grebing. Eine zweite Gruppe sammelte sich um den Forschungsschwerpunkt der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Prominente Vertreter dieser Gruppe sind Jürgen Kocka, Hans-Ulrich Wehler, Gerhard A. Ritter, Klaus Schönhoven und Klaus Tenfelde. Der dritte aktive Historiker-Kreis bildet sich aus den Geschichtsdidaktikern und den Forschern zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, z.B. Karl- Ernst Jeismann, Wilhelm van Kampen und Paul Leidinger, während der Forschungsschwerpunkt der vierten Historikergruppe, zu der vor allem Eberhard Jäckel, Hans Mommsen, Heinrich August Winkler und Irmgard Wilharm gehören, in der Geschichte der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der Bundesrepublik liegt. Schließlich gibt es auch einen Personenkreis

60

von Historikern, die sich mit der Alltagsgeschichte beschäftigten und meistens nicht Universitätshistoriker waren. Als eine weitere wichtige Differenzkategorie kann die Kommunikationshäufigkeit der Historiker genutzt werden. Aus den Historikern, die SPD-Parteimitglied waren und ganz häufig mit der SPD kommunizierten, wie Georg Eckert, Susanne Miller, Kurt Klotzbach, Dieter Dowe und Helga Grebing, lässt sich zunächst eine Historikergruppe bilden, die mit Blick auf die Stärke ihrer Beziehung zur Partei eine Kernzone in Hinblick auf die Kommunikationshäufigkeit bildet. Sie gewann bei politisch-organisatorischen Weichenstellungen für die weitere Entwicklung der historischen Forschung in der SPD besondere Bedeutung und schlug generell eine Brücke zwischen der Partei und der Geschichtswissenschaft. Eine andere bedeutsame Gruppe setzt sich aus den Historikern mit mittlerer Kommunikationshäufigkeit zusammen, die unregelmäßig in Kontakt mit der SPD standen. Dies sind beispielsweise Hartmut Soell, Jürgen Kocka, Hans Mommsen, Heinrich August Winkler, Eberhard Jäckel, Gerhard A. Ritter, Klaus Schönhoven, Hermann Weber, Klaus Tenfelde, Reinhard Rürup, Bernd Faulenbach usw. Obwohl dieser Gruppe im Vergleich zu der ersten nicht am engsten mit der SPD in Verbindung stand, prägte sie die Ergebnisse der Kommunikation aber nachhaltig, weil die Mehrzahl ihrer Mitglieder über große Reputation nicht nur in der Geschichtswissenschaft, sondern auch in der politischen Öffentlichkeit verfügte. Innerhalb der kommunizierenden Historikerschaft ist darüber hinaus eine unterschiedliche Gruppe der Historiker zu beobachten, die selten mit der Partei kommunizierten. Solche Historiker wie z.B. Alf Lüdtke und Lutz Niethammer, übten zwar keinen großen Einfluss auf die ganze Kommunikationslandschaft der SPD und der Geschichtswissenschaft aus, aber sie spielten im Einzelfall eine bedeutende Rolle. Schließlich hilft die räumliche Priorität bei der Unterscheidung der kommunizierenden Historikergruppen. Vor allem sind Historiker zu berücksichtigen, die in mehreren der SPD nahestehenden Institutionen eine Funktion ausübten, wie Georg Eckert, Kurt Klotzbach, Dieter Dowe, Susanne Miller und Helga Grebing. Sie gewannen auf der einen Seite durch ihre Aktivität persönliches Terrain bei der Kommunikation, und verknüpften auf der anderen Seite im gewissen Sinne die Institutionen miteinander. Eine andere Rolle spielten wiederum Historiker, bei denen eine Institution bestimmend war: Edmund Silberner, Friedhelm Soll und Beatrix W. Bouvier hatten enge Verbindungen mit dem Institut für Sozialgeschichte Braunschweig-Bonn, während sich Ulrich Borsdorf, Heinrich Potthoff, Wilhelm van Kampen und Irmgard Wilharm für die Arbeit der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand engagierten. Bei manchen

61

Historikern ist die Bevorzugung des Veröffentlichungsorts ebenfalls erkennbar: Gerhard Beier, Dieter Langewiesche, Alf Lüdtke und Hagen Schulze veröffentlichten ihre Arbeiten eher im Archiv für Sozialgeschichte, während Eberhard Jäckel, Hans Mommsen und Reinhard Rürup eher in der Neuen Gesellschaft publizierten.

3.2 Kommunikationsbestimmende Historiker

Aus der Differenzierung der Kommunikationsakteure ergibt sich, dass im dreißigjährigen Kommunikationszeitraum von 1959 bis 1989 eine führende Historikergruppe erkennbar wird, die sich mit den die SPD interessierenden historischen Themen beschäftigten, langfristig und häufig mit der Partei kommunizierten und über einen vielseitigen organisatorischen Kommunikationsraum verfügten. Diese Historiker gelangten zum Teil bei der Ausgestaltung der Organisationsformen dieser Kommunikation zu entscheidendem Einfluss, und zum Teil bei den inhaltlichen Kommunikationsergebnissen. Stellungnahmen der SPD zu vielen historischen und geschichtswissenschaftlichen Problemen orientierten sich an den Positionen dieser Gruppierung, auch wenn nicht alle immer einer Meinung waren und die inneren Differenzen und Einwände nicht zu vernachlässigen sind. Die Gruppe der leitenden Persönlichkeiten veränderte und vergrößerte sich in den verschiedenen Entwicklungsphasen der Kommunikation. Manche verließen diesen Kreis altersbedingt oder in Todesfolge. Manche entfernten sich, weil sie historisch-politisch auf Abstand zur SPD gingen. Manche nahmen als noch relativ junge Historiker daran teil, als sie mit ihren Karrieren begannen und dabei waren, sich Anerkennung und Reputation zu verschaffen. Georg Eckert, 1912 in Berlin geboren, wuchs in einer sozialdemokratisch geprägten Familie auf. Er studierte Völkerkunde mit den Nebenfächern Geographie und Geschichte und wurde 1935 mit der Arbeit »Der Einfluss des Geschichts- und Familienlebens auf die Bevölkungsbewegung mikronesischer Inseln« promoviert. Anfang der vierziger Jahre erwarb Eckert sich bereits mit seinen wirtschaftsgeographischen und kulturanthropologischen Schriften »einen ausgezeichneten wissenschaftlichen Ruf«. 95 Ende 1943 habilitierte er sich mit einer Studie zu einem religionsanthropologischen Thema »Totenkult und Lebensglaube im Caucatal« in Westkolumbien. Politisch trat Eckert schon in den beginnenden dreißiger Jahren während seiner Studienzeit der Sozialdemokratischen Partei bei und gehörte mehreren der ihr nahestehenden Organisationen an. Nach dem Zweiten Weltkrieg schloss er sich der wiedergegründeten

95 Dieter Dowe/Kurt Klotzbach/Hans Pelger, In memoriam Georg Eckert, a.a.O., S.XI. 62

Sozialdemokratie an und wirkte bis 1959 als Mitglied der zentralen Programmkommission an der Arbeit des Godesberger Programms der Partei mit. Wissenschaftlich engagierte er sich nach 1945 hauptsächlich für die Belange der Geschichtsdidaktik, die internationale Schulbuchforschung und insbesondere die Sozialgeschichte. Im historiographischen Rückblick wird Eckert zum »Wegbereiter«96 sozialgeschichtlicher Forschung nach 1945, vor allem der fachhistorischen Beschäftigung mit der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts. In dieser Hinsicht hatte er großen Einfluss auf die historiographischen Schwerpunkte der Partei und leistete einen außerordentlichen Beitrag zur Kommunikation der Partei mit der Geschichtswissenschaft in den sechziger Jahren und der ersten Hälfte der siebziger Jahre. Die wichtigste Leistung Eckerts auf diesem Sektor besteht darin, dass er 1961 als Vorsitzender der historischen Kommission der Friedrich-Ebert-Stiftung das Archiv für Sozialgeschichte gründete. Dann erwies es sich als notwendig, der Redaktionsarbeit für die Zeitschrift, seiner wissenschaftsorganisatorischen Tätigkeit und der eigenen verzweigten Forschung auf dem Feld der Sozialgeschichte eine institutionelle Basis in Braunschweig zu geben: so wurde im folgenden Jahr 1962 das Institut für Sozialgeschichte ins Leben gerufen. Die besondere Lebensleistung von Georg Eckert lag »in der Verbindung der Haltung des politischen Menschen mit dem wissenschaftlich gebildeten Historiker«97. Susanne Miller, 1915 in Bulgarien geboren, kann als weitere wichtige führende Kommunikationsakteurin gelten. Sie engagierte sich bereits in ihrer Jugend in der sozialistischen Arbeiterbewegung und trat 1946 in die wiedergegründete SPD ein. In den 1950er Jahren wirkte Miller bei der Vorbereitung und Erstellung des Godesberger Programms mit. Diese Arbeit ist für sie in der Rückschau zu einem Schlüsselerlebnis für die folgenden wissenschaftlichen Aktivitäten geworden. Bezüglich ihrer Hinwendung zur Geschichtsforschung, in der später vor allem die Parteigeschichte der SPD und die Geschichte der Arbeiterbewegung im Mittelpunkt standen, äußerte sie sich folgendermaßen:

»Nachdem im November 1959 das Godesberger Programm der SPD beschlossen worden war, hatte ich sozusagen meinen Anteil an der Programmarbeit beendet, und zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich daran, etwas tun, woran ich ein unmittelbares persönliches Interesse hatte: weiter Geschichte zu studieren. Bei der Entwicklung des Godesberger Programm hatte ich bemerkt, dass die Menschen, die an diesem Programm arbeiteten, über die Art, wie früher Programme gemacht wurden, wie überhaupt die Programme entstanden

96 Hans-Peter Harstick, Georg Eckert (1912-1974), a.a.O., S.112. 97 Robert Multhoff, Rede auf der Trauerfeier für Georg Eckert am 14. Januar 1974, a.a.O.. 63

waren, nur wenig wussten. [...] Ich fand, wenn man in einer historisch so wichtigen Partei, in einer politisch wichtigen Partei, ein Programm diskutiert und beschließt und dazu noch eines, das Einschnitte im Theoretischen, im Historischen und in der Politik dieser Partei bedeutet, dann muss man auch wissen, wie dieses Programm zur vorherigen programmatischen Tätigkeit der SPD passt. Also zuerst galt es, dieses Vakuum an historischer, politischer und theoretischer Unkenntnis, das in der Nazi-Zeit entstanden war, zu überbrücken. Für mich bildete das den unmittelbaren Anlass, mich mit der Geschichte früherer SPD-Programme zu beschäftigen. Außerdem bestand mitten im Kalten Krieg wenig Interesse an der Geschichte der Arbeiterbewegung oder an den Theorien der Sozialdemokratie. Alle Aufmerksamkeit und auch alle intensiven Arbeiten beschäftigten sich mit dem Kommunismus und mit dem Marxismus. Die Sozialdemokratie wurde eigentlich als eine quantité negligeable betrachtet. Und ich meinte, dass müsste geändert werden.«98

Deutlich ist, dass der Impuls für ihre historischen Studien zur Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung und zur Geschichte der sozialdemokratischen Partei vor allem von ihrer persönlichen Erfahrung bei der Vorbereitung des Godesberger Programms ausging. Nach ihrer Promotion 1963 in Bonn arbeitete sie am Internationalen Schulbuchinstitut in Braunschweig (bei Georg Eckert) und wurde 1964 Angestellte der »Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien«, für die sie bis 1978 arbeitete. Von Anfang der 1970er Jahre bis Ende der 1990er Jahre betätigte sich Susanne Miller auch als Vertrauensdozentin der Friedrich-Ebert-Stiftung und als Mitglied des Ausschusses, der entschied, welcher der Stipendienanträge bewilligt wurden. In Veranstaltungen dieser parteinahen Stiftung war sie oft als Seminarleiterin und Referentin tätig. 1982 machte Peter Glotz, der damalige Bundesgeschäftsführer der SPD, Susanne Miller zur Vorsitzenden der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand, wo sie ihre Vermittlungsrolle zwischen Partei und Geschichtswissenschaft entsprechend zur Wirkung bringen konnte. Den großen Beitrag zur Entwicklung dieser Kommission, den Miller geleistet hat, beurteilte ihr Nachfolger Bernd Faulenbach: »Susanne Miller hat die Aufgabe dann sehr engagiert wahrgenommen, ihr gelang es, auch sehr individuelle Historikerpersönlichkeiten zu integrieren, die Kommission sowohl an den Anforderungen der Wissenschaft als auch an denen der Partei auszurichten, d.h. Brücken zu bauen zwischen Wissenschaft und Politik, wenn man so will, zwischen zwei doch recht unterschiedlichen Kulturen.«99 Bei Susanne Millers 70. Geburtstag im Jahr 1985 sagte Willy Brandt über ihre damaligen wissenschaftlichen und politischen Aktivitäten:

98 Susanne Miller, So würde ich noch einmal leben. Erinnerungen, Bonn 2005, S.145. 99 Bernd Faulenbach, Susanne Miller als Vorsitzende der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD, a.a.O., S.36. 64

»Sie [Susanne Miller] forscht und bildet nach wie vor [sic!], demnächst gibt sie ein Lexikon des Sozialismus heraus. Die Genossinnen und Genossen im Ortsverein kennen sie nicht bloß aus der Zeitung, und die Freunde der Historischen Kommission, denke ich, achten sie auch dafür. Denn das ist ja nicht so häufig: dass jemand mit Verstand und Verständnis Wissenschaft und Politik verbindet; in der Politik nicht nur die sogenannten Großen kennt, sondern auch die sogenannten Kleinen; in der Wissenschaft nicht nur auf Zugewinn an spezieller Erkenntnis aus ist, sondern auch auf das Allgemeinbildende und den interessierten Laien Anregende.«100

»Susanne Miller hat die Aufgabe der Historikerin und das Engagement für die Sozialdemokratie nicht als Gegensatz aufgefasst«, so Bernd Faulenbach zur Veranstaltung aus Anlass des 90. Geburtstages von Susanne Miller, »im Gegenteil: Sie verband beides in einer Weise, dass lebendiges sozialdemokratisches Geschichtsbewusstsein gefördert wurde.«101 Kurt Klotzbach, 1940 in Duisburg geboren, leistete ebenfalls einen großen Beitrag zur Kommunikation zwischen der Sozialdemokratischen Partei und der bundesdeutschen Historikerschaft. Nach der Promotion 1966 trat er in das Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert- Stiftung ein, wo er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit 1968 bereits mit 28 Jahren als Leiter der Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte arbeitete. Die Erforschung der sozialen Emanzipationsbewegungen Deutschlands und Mitteleuropas seit der Französischen Revolution in dieser Stiftung ging ganz maßgeblich auf seine Anregungen zurück und blieb von seiner begleitenden Kritik und Beschäftigung geprägt.102 1974 wurde er nach dem Tode von Georg Eckert Leiter des Instituts für Sozialgeschichte. Neben seinen Tätigkeiten als Abteilungs- und Institutsleiter sowie als Forscher der Arbeiterbewegung und des Widerstandes widmete er einen großen Teil seiner Arbeitskraft der Herausgabe zweier Schriftenreihen, in denen Publikationen zur Geschichte der deutschen und mitteleuropäischen Arbeiterbewegung sowie zu allgemeinen politik- und sozialgeschichtlichen Themen veröffentlicht wurden. Unter seiner Ägide erschienen sieben Bände der »Veröffentlichung des Instituts für Sozialgeschichte Braunschweig-Bonn« sowie 21 Bände der »Reihe: Politik- und Gesellschaftsgeschichte« des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung. Eine seiner außerordentlichen Wirkungen auf die historische Forschung der Partei liegt auch darin, durch seine organisatorische Arbeit frischen Wind in die junge

100 Willy Brandt, Die Vorsitzende der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD, Susanne Miller ist gestern 70 Jahre alt geworden, in: Service der SPD für Presse, Funk, TV vom 15.5.1985. 101 Bernd Faulenbach, Susanne Miller als Vorsitzende der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD, a.a.O., hier S.40. 102 Dieter Dowe/Hans Pelger, In memoriam Kurt Klotzbach, in: AfS 29 (1989), S.XXXIII-XXXV, hier S.XXXIII. 65

Forschung zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung gebracht und neue Forschungsfelder erschlossen zu werden. Er hatte ebenfalls maßgeblichen Anteil an der thematischen Öffnung des Archivs für Sozialgeschichte, dessen Redaktion er seit 1970 angehörte. Mit seiner Arbeit wurde die Sozialgeschichtsschreibung in den der SPD nahestehenden Institutionen, die bis dahin vorwiegend als Geschichte der Arbeiterbewegung interpretiert wurde, zunehmend in einem immer breiteren gesellschaftlichen Kontext gesehen. Im Vergleich zu den vorstehenden führenden Kommunikationsakteuren, die alle wichtige Positionen in der Partei inne hatten, übten Helga Grebing und Hans Mommsen ihre einflussreichen Rollen mehr von der Seite der Historikerschaft aus. Helga Grebing, 1930 in Berlin-Pankow geboren, trat im Jahr 1948 der SPD bei. Ihr Beitritt war vor allem durch ihre Ablehnung des Kommunismus motiviert:

»Im Wintersemester 1947/48 habe ich an der Humboldt-Universität angefangen zu studieren, da war ich 17. Wir hatten schon in der Zeit der Vorstudienanstalt politische Probleme und eine politisch gespannte Situation. Ältere, die Wehrdienst oder Gefangenschaft hinter sich hatten, ließen nicht alle Indoktrinierungsversuche lautlos an sich vorübergehen. Für mich war klar: Indoktrination – nicht mehr braun, jetzt rot – kommt nicht in Frage. Deswegen entschied ich mich für die SPD.«103

Als Forscherin der Sozialgeschichte und der Geschichte der Arbeiterbewegung motivierte sie vor allem die Überzeugung, dass »Geschichtswissenschaft geradezu die Aufgabe hat, zur Stabilisierung der Demokratie beizutragen«104 , zu einer entsprechend aktiven Rolle in den Beziehungen zwischen Geschichtswissenschaft und Partei. Grebing war Mitglied der Friedrich- Ebert-Stiftung und der Historischen Kommission beim Parteivorstand und engagierte sich besonders stark in der historisch-politischen Kommunikation. Hans Mommsen, 1930 in Marburg geboren, war ab 1960 SPD-Mitglied. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehörte vor allem die deutsche Geschichte von 1918 bis 1945, insbesondere der Nationalsozialismus. Daneben schenkte er der Geschichte der Arbeiterbewegung, der Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsbewegung besondere Aufmerksamkeit. 1979 wurde er Direktor des von ihm maßgeblich mitgegründeten »Instituts zur Erforschung der europäischen Arbeiterbewegung« an der Ruhr-Universität Bochum

103 Helga Grebing, »Für mich war klar: Indoktrination – nicht mehr braun, jetzt rot – kommt nicht in Frage.«, in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart 2000, S.144-162, hier S.48. 104 Ebd., S.161. 66

(ursprünglicher Name »Institut zur Geschichte der Arbeiterbewegung, seit 1999 Institut für sozialen Bewegungen«), das sich der Tradition und Geschichte der Arbeiterbewegung und Gewerkschaften widmete. Nach wie vor ist Mommsen ein eminent politischer Historiker, der die Impulse seiner Arbeit aus den Spannungsfeldern von Geschichte, Politik und Gesellschaft empfängt und die öffentliche Verantwortung für die politische Willensbildung zu zeitgeschichtlichen Fragen für eine wichtige Aufgabe des Historikers hält. Deshalb hat er sich nicht nur immer wieder zu historischen, sondern auch zu politischen Diskussionen und Auseinadersetzungen geäußert. Er war es zum Beispiel, der 1971 auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung über die Neue Ostpolitik einen Aufruf zur Unterstützung der Politik Willy Brandts verfasste, der von 200 Historikern und Politikwissenschaftlern unterzeichnet wurde.105 Seit ihrer Gründung Anfang der 1980er Jahre gehört er der Historischen Kommission beim SPD- Parteivorstand an. Angesichts des Wirkungsraums der Kommunikationsakteure ist der Heidelberger Historiker Hartmut Soell insbesondere auffallend, der zu seiner Zeit in der Bundesrepublik einer der Ausnahmefälle von Wissenschaftlern war, die zugleich auch als Parlamentarier tätig waren. Soell stand damit in engem Kontakt mit dem Führungskreis der SPD und repräsentierte ein außerordentliches Modell der Kommunikation zwischen Sozialdemokratie und Historikerschaft. Er wurde 1963 mit seiner Arbeit über »Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung im Reichsland Elsaß-Lothringen 1871–1918« vom Pionier der westdeutschen Sozialgeschichtsschreibung Werner Conze in Heidelberg promoviert. 1974 habilitierte er sich mit einer politischen Biographie über Fritz Erler, den langjährigen Vorsitzenden der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und führenden sozialdemokratischen »Modernisierer« der 1950er Jahre. Seit 1977 war er zugleich ordentlicher Professor für neuere Geschichte an der Universität Heidelberg. In seiner historiographischen Arbeit war erkennbar, dass er immer wieder die Geschichte der Arbeiterbewegung, der Sozialdemokratischen Partei und sein Engagement als Sozialdemokrat verband. Parallel zu seiner wissenschaftlichen Karriere begann Soell zwei Jahre nach seiner Promotion mit seiner politischen Karriere. Er war Assistent der SPD- Bundestagsfraktion von 1965 bis 1968 und persönlicher Assistent von Helmut Schmidt während dessen Amtszeit als SPD-Fraktionschef von 1967 bis 1969. Ab 1977 war er stellvertretender Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Heidelberg. 1980 zog er als Abgeordneter in den

105 Dieser Aufruf wurde in der FAZ vom 15.4.1972 veröffentlicht. Siehe auch: Karl Dietrich Erdmann, Die falsche Alternative, in: GWU 23 (1972), S.353-363, hier S.354-356. 67

Deutschen Bundestag ein. Hartmut Soell erreichte in Heidelberg ein Direktmandat – was damals in 37 baden-württembergischen Wahlkreisen nur fünf anderen sozialdemokratischen Kandidaten ebenfalls gelang. Im Bundestag, dem er bis 1994 angehörte, widmete er sich vor allem Fragen über Außen- und Verteidigungspolitik sowie Jugend, Familie, Gesundheit, Recht und Finanzen. Außerdem war Soell von 1987 bis 1994 bei der Westeuropäischen Union zuerst als Vizepräsident und dann als Leiter der Deutschen Delegation tätig. 106 Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag widmete sich Soell verstärkt der Lehre am Historischen Seminar und der Forschung an seinem großen Projekt einer Biografie des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt. Solches Engagement für Geschichtswissenschaft einerseits und Politik andererseits zeigt, dass er »auf für ihn charakteristische Weise wissenschaftliches Schaffen und politisches Engagement zusammen« zusammenführte.107

3.3 Regionale Verteilung

Um ein vollständiges Bild der Kommunikationslandschaft zu erhalten, ist ein Blick auf die regionale Verteilung der historisch-politischen Kommunikation nicht zu vernachlässigen. Wenn man die regionalen Kommunikationszentren mit der räumlichen Verteilung der Sozialgeschichtsforschung und den lokalen historisch-politischen Traditionen der Universitäten und Forschungsinstitutionen in Zusammenhang bringt, werden rasch die regionalen Schwerpunkte der Vernetzung zwischen SPD und Geschichtswissenschaft sichtbar. Es gab mehrere Standorte von Forschungseinrichtungen bzw. Universitäten, an denen Personen tätig waren, die für die Kommunikation in den jeweiligen Perioden wichtiger waren als andere. Auffällig ist, dass die regionale Verteilung der Kommunikation zwischen der SPD und der Geschichtswissenschaft zum Teil mit den sozialgeschichtlichen Forschungszentren übereinstimmt. Bielefeld mit Jürgen Kocka und Hans-Ulrich Wehler, Göttingen mit Helga Grebing und Rudolf von Thadden, Bochum mit Hans Mommsen und Bernd Faulenbach, Heidelberg mit Hartmut Soell und Barbara Vogel, Berlin mit Reinhard Rürup und Hartmut Kaelble sowie München mit Gerhard A. Ritter und Klaus Tenfelde zählen zu den lokalen Zentren der Geschichtswissenschaft, an denen politisch sozialdemokratische Orientierung und

106 Biographie von Hartmut Soell, in: Rudolf Vierhaus/Ludolf Herbst (Hrsg.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages 1949-2002, München 2002, S.824f. 107 Oliver v. Mengersen/Matthias Frese/Klaus Kempter/Heide-Marie Lauterer/Volker Schober, Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Personen – Soziale Bewegungen – Parteien. Beiträge zur Geschichte. Festschrift für Hartmut Soell, Heidelberg 2004, S.9-12, hier S.10. 68

sozialgeschichtliche Forschungsschwerpunkte zusammentrafen. Bonn bildet als Ort der politischen Aktivitäten und der Forschungsinstitutionen der Partei ein weiteres Zentrum und Freiburg ist auf Grund der historisch-politischen Aktivitäten von Heinrich August Winkler ebenfalls wichtig für die Kommunikation. Braunschweig spielte auch bei der Kommunikation bis 1974 eine bedeutsame Rolle, als sich der Hauptsitz des Instituts für Sozialgeschichte dazwischen dort befand. Zudem taucht Münster wegen der dortigen Forschungen zur Geschichtsdidaktik in den 1980er Jahren unter diesen regionalen Zentren des Kommunikationsnetzwerks auf.

69

II. Kommunikation 1959 – 1968: Eine Phase der Systematisierung

»Nach dem Zeiten Weltkrieg gehörte Geschichte nur selten zu den Themen, mit denen sich die SPD befasst. Das hat sich in den letzten Jahren geändert, und zwar sehr wesentlich durch ein vielerorts an der Parteibasis erwachtes und betätigtes Interesse an Geschichte.«108

In der ersten Phase von 1959 bis 1968 setzte die systematische Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft ein. Zu dieser Zeit wandelte sich die Sozialdemokratische Partei Deutschlands erfolgreich zur Volkspartei und nahm durch die Bildung der ersten Großen Koalition mit CDU/CSU 1966 erstmals an der Regierung in Nachkriegsdeutschland teil. Parallel dazu beschäftigte sich die Partei mit der Gründung der ihr nahestehenden historischen Instituten und Zeitschrift aktiver als zuvor mit der Geschichtsforschung – vor allem mit der Geschichte der Arbeiterbewegung. Aber andererseits spielten ihre Aktivitäten in der historisch-politischen Öffentlichkeit wegen ihrer gewissermaßen begrenzten Wirkung und ihrer eigenen Zurückhaltung noch keine entscheidende Rolle bei den Diskussionen über historische Fragen. Die Verbindungen von professionellen Historikern mit der SPD wurden vor diesem Hintergrund in der jüngeren Generation allmählich immer deutlicher. 1967/68 erreichte die Studentenbewegung in Westdeutschland ihren Höhepunkt und brachte zugleich einen gesellschaftlichen Wandel mit. Inzwischen profilierte sich die SPD im Großen und Ganzen als Partei, die auf Bewegung und Reform ausgerichtet war, während einige politisch sozialdemokratisch orientierte Historiker unter dem Einfluss dieser Studentenrevolte seitdem Abstand zur SPD hielten. Trotzdem wies die Haupttendenz der Kommunikationsentwicklung in diesem Zeitraum darauf hin, dass eine breite Plattform für den Dialog zwischen SPD und Historikerschaft hergestellt wurde und die Kräfte für einen mannigfaltigeren, lebhafteren und weitgehenderen Kontakt in den nächsten Jahrzehnten auf beiden Seiten bestimmt waren.

108 Susanne Miller, Anmerkungen zum Geschichtsverständnis der SED und der SPD, in: NG 36 (1989), S.258-264, hier S.262. 70

1. Verbindung von Politik und Geschichtswissenschaft

Die Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, die sich 1951 in Bonn konstituierte, plante, »bei reinlicher Scheidung zwischen Geschichte und handelnder Politik doch Wissenschaft und Politik in Verbindung« zu setzen.109 Ihre Gründung bezeichnete einen wichtigen neuen Ausgangspunkt für die Kommunikation zwischen Politik, Parteien und Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber diese neue institutionelle Verbindung manifestierte sich mehr auf der Ebene der fachwissenschaftlichen Forschung zu einem Teilgebiet der Politikgeschichte. Auf der politischen Ebene wurde in den fünfziger Jahren trotz der bereits laufenden gesetzlichen und judikativen Vergangenheitspolitik 110 wenig über die Fragen der deutschen Geschichte diskutiert und die Mehrheit der Historiker vermied eine Beschäftigung mit der Geschichtspolitik der Parteien und dem Geschichtsbewusstsein der Öffentlichkeit. Von 1959 bis 1968 entstanden dann neue Ansätze der Verbindung zwischen Politik/Parteien und Geschichte/Historikern.

1.1 Neues politisch-historisches Denken

Die Wechselbeziehungen zwischen Politik und Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland traten seit Ende der fünfziger Jahre ausgeprägter in Erscheinung als in der vorausgegangenen Wiederaufbauperiode. Dies ist erstens darauf zurückzuführen, dass das damalige gesellschaftliche, politische und intellektuelle Klima in allen westdeutschen Parteien ein neues politisch-historisches Denken über die deutsche Vergangenheit herausforderte.111 Viele antisemitische politische Skandale in der Bundesrepublik – die Skandalfälle des früheren SD- Angehörigen Ludwig Zind und des ehemaligen KZ-Arztes Dr. Hans Eisele (1958), der Skandal um Friedrich Nieland und die Schändung der Kölner Synagoge (1959)112 – führten am Ende der fünfziger Jahre in einer größeren Öffentlichkeit nicht nur zur ersten Debatte nach 1945 über das Problem des Antisemitismus, sondern auch zur beachtlichen Veränderung des geistigen

109 Martin Schumacher, Gründung und Gründer der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, in: Karl Dietrich Bracher u. a. (Hrsg.), Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag, Berlin 1992, S.1029-1054, hier S.1033. 110 Vgl. Norbert Frei, Vergangenheitspolitik, a.a.O.. 111 Vgl. Detlef Siegfried, Zwischen Aufarbeitung und Schlussstrich. Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten 1958 bis 1969, in: ders./Axel Schildt/Karl Christian Lammers (Hrsg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000, S.77-113. 112 Peter Reichel, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz, München 2007², S.138-152. 71

Klimas.113 Intellektuelle begannen sich kritisch mit der NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Seit Beginn der 60er Jahre bis zur Studentenbewegung 1968 setzten sich die bundesdeutsche Politik und Öffentlichkeit in wachsendem Maß mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinander. Die langjährigen Verjährungsdebatten des Deutschen Bundestages seit 1960 und die großen NS-Prozesse in der ersten Hälfte der 60er Jahren, insbesondere der Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1965, ließen die Kriegsverbrechen ins öffentliche Bewusstsein treten und weckten das Interesse der Öffentlichkeit. Das politische System überdachte deshalb die bisher durch Schweigen und Vermeidung gekennzeichnete eigene Vergangenheitspolitik und begann in diesen Jahren der nationalsozialistischen Vergangenheit größere Aufmerksamkeit zu schenken. Außerdem trug der Berliner Mauerbau im Sommer 1961 dazu bei, einem neuartigen politisch-historischen Diskurs über die deutsche nationale Frage den Weg zu ebnen. Ein weiterer Impuls zur Veränderung der Kommunikation zwischen Politik und Geschichtswissenschaft in diesem Zeitraum ist die »Fischer-Kontroverse« um die politische Strategie des Deutschen Kaiserreichs vor und in dem Ersten Weltkrieg und die deutschen Verantwortung für den Kriegsausbruch 1914. Diese Kontroverse, die 1959/60 mit der Veröffentlichung eines Artikels von Fritz Fischer 114 und eines Gegenartikels von Hans Herzfeld115 in der Historischen Zeitschrift begann, verbreitete sich schnell nach dem Erscheinen von Fischers Buch Griff nach der Weltmacht116 im Oktober 1961 sowohl in der Historikerzunft als auch in der Öffentlichkeit. Zum einen entstanden danach die Abwehrreaktionen von Repräsentanten der westdeutschen Historiographie, zu deren Hauptkritikern vor allem Gerhard Ritter, Ludwig Dehio und Hans Herzfeld gehörten. Zum anderen rief dieses Buch einen Wendepunkt der nationalen Geschichtskultur hervor. Es herrscht zwar keine Übereinstimmung darüber, ob diese Kontroverse als wirklicher Wendepunkt in der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft nach 1945 anzusehen ist.117 Aber unumstritten ist, dass diese Debatte

113 Vgl. Bernd-A. Rusinek, Von der Entdeckung der NS-Vergangenheit zum generellen Faschismusverdacht – akademische Diskurse in der Bundesrepublik der 60er Jahre, in: Axel Schildt/Detlef Siegfried/Karl Christian Lammers (Hrsg.), Dynamische Zeiten, a.a.O., S.114-147. 114 Fritz Fischer, Deutsche Kriegsziele, Revolutionierung und Separatfrieden im Osten 1914–1918, in: HZ 188 (1959), S. 249–310. 115 Hans Herzfeld, Zur deutschen Politik im Ersten Weltkriege. Kontinuität oder permanente Krise? in: HZ 191 (1960), S. 67-82. 116 Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Düsseldorf 1961. 117 Die Befürworter vgl. z.B. Wolfgang J. Mommsen, Gegenwärtige Tendenzen in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik, in: GG 7 (1981), S.149-188, hier S.159f.; Werner Conze, Die deutsche Geschichtswissenschaft seit 1945. Bedingungen und Ergebnisse, in: HZ 225 (1977), S.1-28, hier S.13f.; Hans Ulrich-Wehler, Geschichtswissenschaft heute, a.a.O., S.709f., 723f., 727ff; Georg G. Iggers, Neue Geschichtswissenschaft. Vom 72

einen großen Beitrag zur Entwicklung des politisch-historischen Bewusstseins in der Bundesrepublik leistete.118 Am Ende der fünfziger Jahre dominierte in der Bundesrepublik ein »apologetisches«119 Geschichtsbild, das mit der konservativen, preußisch-deutschen Tradition der Geschichtsschreibung stark verbunden war.120 Dementsprechend wurde in der Öffentlichkeit die deutsche Politik im Ersten Weltkrieg eher verteidigt und die Verantwortlichen des Kaiserreichs wurden scharf unterschieden von Hitler und dessen Entfesselung des Zweiten Weltkrieges. Fritz Fischer und seine Unterstützer brachen diesem Geschichtskonsens auf und zeigten der politischen Öffentlichkeit einen neuen Weg zur Vergangenheitsbewältigung auf. Die westdeutsche konservative politische Öffentlichkeit war darüber irritiert und widersetzte sich heftig. Das Auswärtige Amt zog 1964 die Mittel für eine Vortragsreise Fischers in die USA kurzfristig zurück, weil sich Gerhard Ritter, einer der stärksten Kritiker Fischers, an den damaligen Außenminister Gerhard Schröder (CDU) wandte, um gegen die Vertretung der »völlig unreifen Thesen« von Fischer in Amerika zu protestieren. 121 Eugen Gerstenmaier (CDU), damaliger Präsident des Deutschen Bundestages, richtete öffentliche Angriffe gegen Fischer. 122 Franz Josef Strauß, damaliger Vorsitzender der CSU und stellvertretender CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender, attackierte Fischer in einer Rede 1965 scharf, indem er die Regierung aufforderte, »alle ihr zu Gebote stehenden Mittel und Möglichkeiten zu verstärken, aufeinander abzustimmen und auf diesen einen Schwerpunkt auszurichten, dass die gewohnheitsmäßigen, fahrlässigen, absichtlichen und manchmal bewusst in den Dienst der Auflösung der westlichen Gemeinschaft gestellten Verzerrungen der deutschen Geschichte und des Deutschenlandbildes von heute

Historismus zur Historischen Sozialwissenschaft. Ein internationaler Vergleich, München 1978, S.109ff. Die Kritiker vgl. z.B. Gerhard A. Ritter, Die neuere Sozialgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.33f.. 118 Vgl. Arnold Sywottek, Die Fischer-Kontroverse. Ein Beitrag zur Entwicklung des politisch-historischen Bewusstseins in der Bundesrepublik, in: Imanuel Geiss/Bernd Jürgen Wendt (Hrsg.), Deutschland in der Weltpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts, Düsseldorf 1973, S.19-47; Imanuel Geiss, Die Fischer-Kontroverse, a.a.O., insbesondere S.195-198; auch vgl. Edgar Wolfrum, Die geglückte Demokratie, a.a.O., S.280f.; ders., Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.235f.. 119 Wolfgang Jäger, Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland. Die Debatte 1914-1980 über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, Göttingen 1984, S.132-157. 120 Zu diesem Geschichtsbild zählte folgende unterschiedliche Strömung innerhalb der westdeutschen Historikerschaft: die Gruppierung um Gerhard Ritter, die um Hans Rothfels, die um Golo Mann, die Ranke- Gesellschaft und die neofaschistische Strömung. Vgl. Winfred Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, a.a.O., S.203ff.; Werner Berthold/Gerhard Lozek/Helmut Meier, Entwicklungstendenzen im historisch-politischen Denken in Westdeutschland, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 12 (1964), S.585-602. 121 Gerhard Ritter, Brief an Gerhard Schröder, Freiburg, 17.1.1964. Er schrieb, »Sie werden begreifen, verehrter Herr Bundesminister, dass wir deutschen Historiker aufs schwerste bestürzt sind über die Aussicht, dass Herr Fischer seine völlig unreifen Thesen [...] in Amerika vertreten soll«. in: Klaus Schwabe/Rolf Reichardt (Hrsg.), Gerhard Ritter. Ein politischer Historiker in seinen Beriefen, Boppard am Rhein 1984, S.585-588, hier S.587. 122 Vgl. Eugen Gerstenmaier, Die Last des Vorwurfs. Zweimal deutsche Kriegsschuld?, in: Christ und Welt, 2.9.1964. 73

bekämpft und beseitigt werden«.123 Aber obwohl sich die westdeutsche Regierung Fritz Fischer entgegenstellte, war diese Kontroverse »der Türöffner für ein Überdenken der deutschen Frage, für eine ›Bundesrepublikanisierung‹ des Geschichtsbildes von linksliberaler Seite«.124 Anders als die Regierung standen die Massenmedien eher auf Seiten Fischers. Sie verhinderten, dass dessen Deutung von Julikrise 1914 und imperialen Kriegszielen des Deutschen Reiches marginalisiert werden konnte. Journalistische Rezensionen zu Fischers Buch erschienen in allen großen Tageszeitungen und Wochenzeitschriften. 125 Dabei überwogen insgesamt die positiven Bewertungen. In allen führenden deutschen überregionalen Zeitungen und Zeitschriften lobten die Rezensenten Fischers Werk. Von der Zeit, über den Spiegel und die Welt, bis hin zur Süddeutschen Zeitung, übernahmen die Autoren die These der Kontinuität der Kriegsziele.126 Nur die Autoren der konservativen Christ und Welt polemisierten gegen Fischers Thesen. Die Unterstützung von Fischer durch die Massenmedien weist darauf hin, dass die Öffentlichkeit inzwischen bereit war, ein neues historisch-politisches Bewusstsein aufzunehmen. Drittens kommunizierten westdeutsche Historiker stärker mit Politikern, um das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Politikwissenschaft, von Geschichte und Gegenwartsproblemen zu klären. 1958 machte der Göttinger Historiker Reinhard Wittram auf das Verhältnis zwischen Geschichte und Gegenwart in der modernen Zeit aufmerksam.127 Ein Jahr später sprach sein Kollege Alfred Heuss von einem gefährlichen Verlust der Geschichte.128 Danach gab es immer mehr Historiker, die über die Positionierung der Geschichtswissenschaft in der Gesellschaft und Öffentlichkeit diskutierten. 129 Um die Herausforderung des Aufstiegs der politischen Wissenschaft in Nachkriegsdeutschland anzunehmen, sollte die Geschichtswissenschaft in den mit der Politikwissenschaft verzahnten zeitgeschichtlichen und politikgeschichtlichen

123 Zitat nach Thomas Dalberg, Franz Josef Strauß. Porträt eines Politikers, Gütersloh 1968, S.235. 124 Edgar Wolfrum, Die geglückte Demokratie, a.a.O., S.279. 125 Eine ausführliche Auflistung der bis Frühjahr 1964 erschienenen Rezensionen findet sich in: Ernst Graf Lynar (Hrsg.), Deutsche Kriegsziele 1914-1918, Frankfurt a. M. 1964, S. 195-198. 126 Vgl. Paul Sethe, Als Deutschland nach der Weltmacht griff. Professor Fischers These von der Alleinschuld am Ersten Weltkrieg wird noch viele Diskussionen auslösen, in: Die Zeit, 17.11.1961; Wilhelm der Eroberer, in: , 49 (1961), S.54-58; Bernd Nellessen, Deutschland auf dem Weg zum »Platz an der Sonne«. Das provozierende Buch eines Historikers: Fritz Fischers »Griff nach der Weltmacht«, in: Die Welt, 08.11.1961; Bernhard Knauss, Deutschlands imperialistische Ziele im Ersten Weltkrieg, in: Süddeutsche Zeitung, 28.11.1961. 127 Reinhard Wittram, Das Interesse an der Geschichte. Zwölf Vorlesungen über Fragen des zeitgenössischen Geschichtsverständnisses, Göttingen 1958. 128 Alfred Heuss, Verlust der Geschichte, Göttingen 1959. 129 Vgl. Hans Mommsen, Zum Verhältnis von politischer Wissenschaft und Geschichtswissenschaft in Deutschland, in: VfZ 10 (1962), S.341-372; Waldemar Besson, Geschichte als politischer Wissenschaft. Zum Verhältnis von nationalstaatlichem und historischem Denken, in: ders./Friedrich Frhr. Hiller v. Gaertringen (Hrsg.), Geschichte und Gegenwartsbewusstsein. Historische Betrachtungen und Untersuchungen, Göttingen 1963, S.66-85; Arnold Bergstraesser, Geschichtliches Bewusstsein und politische Entscheidung. Eine Problemskizze, in: a.a.O., S.9-28. 74

Forschungsbereichen einen neuen Weg finden. Seit Beginn der 1960er Jahre war so ein tiefgreifender Wandlungsprozess in der westdeutschen Historie insbesondere in der konventionellen Politikgeschichte erkennbar.130 Auch dies trug zur Veränderung des politisch- historischen Bewusstseins bei und intensivierte die Kommunikation zwischen Politik und Geschichtswissenschaft.

1.2 Politische Ausrichtung der Historikerschaft

Das Selbstverständnis der deutschen Historiker ist immer wieder eng mit ihrer politischen Selbstplatzierung verbunden gewesen. »Wer Geschichte, insbesondere Geschichte der Gegenwart schreibt«, so Theodor Mommsen, »hat die Pflicht politischer Pädagogik; es soll denen, für die er schreibt, ihre künftige Stellung zum Staat weisen und bestimmen helfen«.131 Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte die Mehrheit der linksliberalen und sozialdemokratischen Historiker, wie z.B. Hans Rosenberg, Felix Gilbert und Hajo Holborn, die nach 1933 ins Ausland – vor allem in die USA – emigriert waren, nicht nach Deutschland zurück. Der Tod Friedrich Meineckes im Jahre 1954 führte zur Abwesenheit des führenden Vertreters aus der linken Seite der westdeutschen Geschichtswissenschaft in der Folgezeit bis zum Ende der sechziger Jahre. Deshalb dominierte im Fach Geschichte »eine Gruppe von überwiegend konservativ eingestellten Hochschullehrern«.132 Dies bestimmte die Haupttendenz der Stellung der Historiker zu Politik und Parteien. Nach Auffassung Gerhard Ritters, eines der wichtigen Vertreter der Geschichtswissenschaft in der frühen Bundesrepublik, sollten sich westdeutsche Historiker als »politische Historiker« fühlen, die in erster Linie die politische Gegenwart verständlich machen sollten und ihre Arbeitsgebiete dementsprechend auswählten. Gerade nach dem Zweiten Weltkrieg forderte Gerhard Ritter erneut, dass Geschichte wieder »Bildungsmacht« sein sollte.133 Ende 1949, auf dem ersten Historikertag der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg, verlangte er wiederum von seinen Kollegen, als politischer Historiker »neue, vertiefte Einsichten in das Wesen der Gesellschaft und des modernen Staates« zu gewinnen, um die eigene Zeit geschichtlich deuten zu können, denn »Klärung und Reinigung des nationalen Selbstbewusstseins

130 Hans Mommsen, Die Herausforderung durch die modernen Sozialgeschichtswissenschaften, in: Bernd Faulenbach (Hrsg.), Geschichtswissenschaft in Deutschland, a.a.O., S.138-146, hier S.140f.. 131 Zitat nach Lothar Wickert, Theodor Mommsen. Eine Biographie. Bd.4: Größe und Grenzen, Frankfurt a. M. 1980, S.239. 132 Hans Mommsen, Haupttendenzen nach 1945 und in der Ära des Kalten Krieges, in: Bernd Faulenbach (Hrsg.), Geschichtswissenschaft in Deutschland, a.a.O., S.112-120, hier S.113. 133 Gerhard Ritter, Geschichte als Bildungsmacht. Ein Beitrag zur historisch-politischen Neubesinnung, Stuttgart 1946. 75

ist eine der politischen Aufgaben wissenschaftlicher Historie«, und »niemals war unsere politische Verantwortung größer«.134 Zur Fischer-Kontroverse schrieb Gerhard Ritter: »In der rücksichtslosen Erforschung der geschichtlichen Wahrheit darf sich der politische Historiker nicht beirren lassen, denn für ihn gilt das Gebot absoluter Aufrichtigkeit. Aber er wird sich doch immer der großen Verantwortung bewusst bleiben, die auf seiner Arbeit ruht: durch das Geschichtsbild, das er entwirft, mitzugestalten am politischen Selbstbewusstsein der Nation.«135 Hier wies Ritter auf zwei Dinge deutlich hin: Auf der einen Seite verfüge die Geschichtswissenschaft über die Verantwortung für Wahrheit in historischen Fragen. Dennoch sollten sich Historiker gleichzeitig um die politischen Folgen ihrer Forschungsergebnisse kümmern. In diesem Sinne meinte Ritter, dass Wahrheitssuche und politische Historie vereint werden könnten. Der Zusammenhang von Geschichtswissenschaft und Politik war nun bei den Historikern selbstverständlich. Solche Deutung des politischen Mandats der Geschichtswissenschaft blieb bis zur Mitte der sechziger Jahre in der westdeutschen Historikerschaft vorherrschend. In einer solchen national-konservativ geprägten Atmosphäre bevorzugten die meisten westdeutschen Historikerschaft Kontakte zu christlich-konservativen Parteien. Viele zu dieser Zeit an der Spitze der westdeutschen Geschichtswissenschaft stehenden Historiker – wie z.B. Gerhard Ritter, Hans Rothfels, Theodor Schieder und Werner Conze – blieben in ihrer politisch- historischen Grundposition konservativ, neukonservativ oder volkskonservativ.136 Im Vergleich dazu zählten zur Gruppe, die von 1959 bis 1968 für die sozialdemokratische Partei eintrat oder mit ihr kommunizierte, nur wenige Historiker aus dem Kern der Fachwelt. Ein prominenter sozialdemokratisch-linksliberal orientierter Historiker-Kreis, der nicht nur in der politischen Öffentlichkeit sondern auch in der geschichtlichen Wissenschaft über große Reputation verfügte, bildete sich in diesem Zeitraum noch nicht heraus. Im Großen und Ganzen wurden die damals der SPD nahestehenden Historiker entweder als »Außenseiter« der fachlichen Historikerschaft erachtet, wie Georg Eckert, oder es handelte sich um Nachwuchshistoriker, die in diesem Jahrzehnt noch ihre Promotionen und/oder Habilitationen abschlossen, wie Hans Mommsen (Promotion 1959 und Habilitation 1967), Hans-Ulrich Wehler (Promotion 1960 und Habilitation

134 Gerhard Ritter, Gegenwärtige Lage und Zukunftsaufgaben deutscher Geschichtswissenschaft. Eröffnungsvortrag des 20. Deutschen Historikertages in München am 12. September 1949, in: HZ 170 (1950), S.1-22, hier S.7, 16f.. 135 Gerhard Ritter, Der Erste Weltkrieg. Studien zum deutschen Geschichtsbild, Bonn 1964, S.11. 136 Vgl. Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Versäumte Fragen, a.a.O.; Ingo Haar, Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der »Volkstumskampf« im Osten, Göttingen 2000; Thomas Etzemüller, Sozialgeschichte als politische Geschichte, a.a.O.. 76

1968), Heinrich August Winkler (Promotion 1963 und Habilitation 1970) oder Jürgen Kocka (Promotion 1968 und Habilitation 1972). 137 Jenseits der Mehrheit der konservativen Fachvertreter wuchs dennoch in den sechziger Jahren also eine jüngere Historikergeneration heran, deren politisch-historische Selbstverortung erstmals deutlich weiter links im Parteienspektrum der Bundesrepublik angesiedelt war. Diese Veränderungen in der politischen Ausrichtung der Nachwuchshistoriker in Westdeutschland war eng mit der neuen theoretischen und methodischen Entwicklung der Geschichtswissenschaft, und zwar der Etablierung bzw. Durchsetzung der kritischen Sozialgeschichte, verbunden. Zur Vorgeschichte der kritischen Sozialgeschichte gehört die politische Sozialisationsgeschichte einer jüngeren Genration von Historikern, die sich politisch linksliberal bzw. sozialdemokratisch orientierten. Die aktivsten Akteure der politisch links stehenden Historiker der siebziger und achtziger Jahre waren zum großen Teil auch Vertreter einer neuen politischen Sozialgeschichte. Diese kritische Sozialgeschichte hatten hauptsächlich zwei Ursprünge: Zum einen war sie in der Volksgeschichte der NS-Zeit aufzuspüren und wurde auf der institutionellen Ebene von dem im Jahre 1957 von Werner Conze begründeten »Heidelberger Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte« gefördert. Zum anderen wurde sie vor allem auf der methodischen Ebene von Hans Rosenberg inspiriert. Dessen Monographie Große Depression und Bismarckzeit war zugleich eine Kritik der deutschen konservativen Historiographie, ein Beispiel für die Verwendung sozialwissenschaftlicher Methoden und für die integrierte Untersuchung von Strukturen und Prozessen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. So war die akademische Herkunft der jüngeren Sozialhistoriker heterogen. Auf der einen Seite wurde eine Gruppe der jüngeren linken Historiker von den konservativen Vorläufern der Sozialgeschichte gefördert. Wolfgang Schieder und Dieter Groh waren Schüler von Werner Conze; Hans-Ulrich Wehler, Wolfgang J. Mommsen und Helmut Berding waren Schüler von Theodor Schieder; Wolfram Fischer gehörte zur Schülerkreis von Hans Rothfels. Auf der anderen Seite knüpfte aber eine Gruppe der prominenten Sozialhistoriker an den linksliberalen Emigrant Hans Rosenberg an. Hans Rosenberg lehrte 1949 und 1950 zwei Sommersemester an der Freien Universität Berlin. Inzwischen nahm er mit Hans Herzfeld, einem der wenigen Historiker, welche nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Emigration nach Westdeutschland zurückkehrten, Kontakt auf und übte Einfluss auf dessen Schüler aus, zu denen vor allem Helga Grebing und Gerhard A. Ritter zählten. Helga Grebing, die 1952 bei Hans Herzfeld promoviert wurde, erinnerte sich an

137 Eine genaue Analyse dieser neuen Historikergeneration befindet sich in Teil 4.3 dieses Kapitels. 77

Rosenberg: »Hans Rosenberg, der methodisch ganz anders orientiert war, nicht mehr im wesentlichen an Politik-, Organisations- und Institutionengeschichte, warf dann sozialgeschichtliche Fragestellungen auf – was mir ja nun nicht fremd war. Ich kam aus einem solchen Milieu. Ich wusste, was Arbeiterbewegung, was soziale Bewegung war. Rosenberg war für mich am anregendsten, das ist gar keine Frage.«138 Als Schüler von Gerhard A. Ritter standen dann insbesondere jüngere Sozialhistoriker wie Jürgen Kocka, Hans-Jürgen Puhle, Hartmut Kaelble und Klaus Tenfelde in den sechziger und siebziger Jahren unter dem Einfluss von Hans Rosenberg. Als »Mittelmann« zwischen dem älteren Pionier und der jüngeren Generation hat Ritter deswegen eine bedeutsame Rolle bei der Entwicklung der westdeutscher Sozialgeschichte gespielt. »Die Einflüsse, die über Gerhard A. Ritter gekommen sind«, so Jürgen Kocka, sind »mindestens so wichtig für die Sozialgeschichte in der Bundesrepublik geworden«, wie die, die Werner Conze darauf ausgeübt hat. 139 In diesem Sinne ist es richtig, dass sich die Sozialgeschichte als neues Forschungsbereich vor allem dank der Initiativen von Werner Conze verbreitete, aber die theoretischen und methodischen Weichenstellungen sind eher von Hans Rosenberg in den fünfziger Jahren und der ersten Hälfte der sechziger Jahre beeinflusst worden. Ihrer kritischen wissenschaftlichen Ortsbestimmung entsprechend war die Mehrheit der jüngeren Sozialhistoriker dann politisch linksliberal bzw. sozialdemokratisch ausgerichtet. Aus diesem Grund kann das Zeitraum zwischen 1959 bis 1968 als Wendezeit der politisch-historischen Kommunikation gesehen werden.

2. Politischer Umgang der SPD mit Geschichte und Geschichtswissenschaft

Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Sozialdemokratie in der Bundesrepublik vor der Aufgabe, eine sozialdemokratische Geschichtskultur zu entwickeln bzw. die eigenen historischen Traditionen wieder zu beleben. Aber ihre Haltung zu der deutschen Geschichte und den historisch-politischen Fragen war aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung nicht in allen Punkten einhellig. Nichts desto trotz war bei den Akteuren, die die sozialdemokratische Geschichtspolitik und Geschichtsbild in der Nachkriegszeit prägten, ein deutlicher Unterschied

138 Helga Grebing, »Für mich war klar: Indoktrination – nicht mehr braun, jetzt rot – kommt nicht in Frage.«, a.a.O., S.150. 139 Jürgen Kocka, »Wir sind ein Fach, das nicht nur für sich selber schreibt und forscht, sondern zur Aufklärung und zum Selbstverständnis der eigenen Gesellschaft und Kultur beitragen sollte.«, in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Versäumte Fragen, a.a.O., S.383-403, hier S.392. 78

zu Christdemokraten erkennbar. Im Zeitraum von 1959 bis 1968, als die sozialdemokratische Partei auf dem Weg zur Regierungsbeteiligung war und seit 1966 erstmals in der Nachkriegszeit Regierungsmitglieder im Rahmen der Großen Koalition stellte, trieben führende Sozialdemokraten Diskussionen über das deutsche Nationalbewusstsein, die deutsche Einheit sowie über die nationalsozialistische Vergangenheit voran. Damit sind drei zentrale Themen deutscher »Geschichtspolitik« genannt. Zwar kann am Beginn dieser Periode keineswegs davon gesprochen werden, dass diese Themen in der Bundesrepublik bereits populär waren, aber die Bemühungen um eine neue Interpretation der deutschen Geschichte verbreiteten die sozialdemokratische Geschichtskultur weiter in der Öffentlichkeit und legten die Grundlage für die Umsetzung dieser Geschichtspolitik durch die SPD Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt.

2.1 Stellung der SPD zu deutscher Vergangenheit

Die Welle des Antisemitismus in der Bundesrepublik während des Jahreswechsels 1959/60, die sich in Schändungen jüdischer Friedhöfe und antisemitischen Schmierereien manifestierte, löste unterschiedliche Reaktionen bei der CDU/CSU und SPD aus. Der CDU-Politiker Gerhard Schröder, der damals Innenminister war, legte die Ursachen dafür vor allem ins Fehlen »eines allgemeingültigen deutschen Geschichtsbildes« und eines »allgemeinen verbindlichen pädagogischen Leitbilds«. 140 Deswegen plädierte er für das öffentliche Beschweigen der Verantwortung der Deutschen für den Holocaust:

»Vom 30. Januar 1933 trennen uns nunmehr 27 Jahre. Vom Zeitpunkt des Zusammenbruchs beinahe 15 Jahre. 15 Jahre, das sind bereits drei Jahre mehr, als das ganze sogenannte tausendjährige Reich gedauert hat. Es ist, wie mir scheint, an der Zeit, dass wir nun endlich ein ausgeglicheneres Verhältnis zu unserer Vergangenheit gewinnen.«141

Demgegenüber betonten Sozialdemokraten die Notwendigkeit einer intensiveren pädagogischen und historischen Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit. Carlo Schmid, Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und Vizepräsident des Deutschen Bundestages, übte nach der Schändung der Kölner Synagoge vehemente Kritik an der konservativen Denkrichtung:

140 Zitat nach Helmut Dubiel, Niemand ist frei von der Geschichte. Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages, München/Wien 1999, S.82. 141 Zitat nach ebd., S.83. 79

»Hier liegt für uns alle eine Aufgabe, und wenn wir mit dieser Aufgabe nicht fertig werden, wird unser Volk nicht gesunden. Solange bei uns einer sagen kann, ohne fürchten zu müssen, dass man ihm den Rücken kehrt: Das Verhalten des Dritten Reiches den Juden gegenüber sei eine schlimme Dummheit gewesen, habe es doch uns die ganze Welt zu Feinden gemacht, solange bei uns in der Absicht zu exkulpieren darüber diskutiert werden kann, ob sechs Millionen oder ›nur‹ drei Millionen Juden ermordet worden sind, solange bei uns nicht jedes Kind darüber belehrt worden ist und begriffen hat, dass das Problem nicht ist, ob sechs oder drei Millionen, sondern ob null oder einer ermordet worden sind, solange haben wir — auch jene in unserem Volke, die in der verruchten Zeit saubere Hände behielten — versagt.«142

In diesem Sinne lehnte Carlo Schmid Schröders Auffassung ab und forderte das Parlament und die Öffentlichkeit zu einer fundamentalen und umfangreichen Auseinandersetzung mit der Geschichte des Dritten Reichs auf. Trotz dieser eindeutigen Stellungnahmen schenkte die Partei der Fischer-Kontroverse aber kaum größere Aufmerksamkeit oder anders ausgedrückt, hielt sie zu dieser Zeit Abstand zu den zeitgenössischen Historikerkontroversen. Während die Regierungsstellen und die CDU/CSU als Regierungspartei aus ihrem konservativen Selbstverständnis in diesem Streit als einzige politische Institution unverkennbar gegen Fritz Fischer Partei ergriffen, zeigte sich die SPD nur teilweise sympathisierend143, obwohl Imanuel Geiss, einer der Schüler von Fritz Fischer und sein konsequentester Unterstützer, zu dieser Zeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung eng in Verbindung stand. Es gab nur einige positive Rezensionen des Fischer-Buches in der Parteipresse144 und die Edition der Julikrisen-Dokumentation von Geiss im Deutschen Taschenbuch Verlag für Literatur und Zeitgeschehen145. Darüber hinaus druckten die Gewerkschaftliche Monatshefte 1964 einen Aufsatz von Walter Fabian über den Ausbruch der ersten Weltkrieg aus seinem im Jahr 1925 erschienenen Buch Die Kriegsschuldfrage – Grundsätzliches und Tatsächliches zu ihrer Lösung

142 Wortlaut der Carlo Schmids Erklärung vor dem Bundestag am 20.1.1960: Das die Gespenster weichen ..., in: Die Zeit, 22.1.1960. 143 Vgl. Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.234; Arnold Sywottek, Die Fischer-Kontroverse, a.a.O., S. 45. 144 Vgl. Helga Grebing, Ein Tabu verletzt?, in: NG 10 (1963), S.70f.; Helmut Lindemann, Monument deutscher Maßlosigkeit. Eine notwendige Berichtigung unseres Geschichtsbildes, in: GMH 13 (1962), S.285-290; Christian Wolf, Deutschland über alles, in: Vorwärts Nr.4, 24.1.1962, S.14; J. Bock, Die Kriegsziele der kaiserlichen Regierung, in: Geist und Tat 17, S.114-119; Imanuel Geiss, Das makabre Doppeljubiläum, in: Vorwärts, 19.7.1964; ders., Angst vor der Wahrheit. Giselher Wirsing und seine Geschichtsklitterung, in: Vorwärts, 26.8.1964. 145 Imanuel Geiss, Juli 1914. Die europäische Krise und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, München 1964. 80

wieder ab, denn dieser Historiker führte darin einen wissenschaftlichen Kampf gegen die »Kriegsschuldlüge«.146 Eine solche Zurückhaltung bei den offiziellen Stellungnahmen der Sozialdemokratischen Partei wurde von vielen Faktoren beeinflusst. In erster Linie wollte die Partei ihre Regierungsfähigkeit beweisen und wollte sich deshalb kaum in einem Streit engagieren, in dem etablierte Positionen des Geschichtsbildes über den Ersten Weltkrieg und damit vermeintlich sensible Aspekte des Nationalgefühls vieler Deutscher in Frage gestellt wurden. Sie hatte gerade im Godesberger Programm 1959 die Balance zwischen einem überkommenen und einem neuen programmatischen politisch-ideologischen Traditionsverständnis gefunden, und wollte auf keinen Fall das mühsam balancierte Problem wegen eines starken Engagements in dieser Debatte wiederum in Gefahr bringen. Außerdem war die Stimmung zu Fischers Thesen bei den Sozialdemokraten nicht einheitlich. Während die wichtigste Parteizeitung, der Vorwärts, diesen Historiker unterstützte, waren Georg Eckert und das von ihm geleitete Internationale Schulbuchinstitut in Braunschweig gegen Fischers Thesen 147 , weil ihr Standpunkt zur Kriegsschuldfrage während der internationalen Verständigung der fünfziger Jahre sich um relative Neutralität bemühte. Darüber hinaus waren die Sozialdemokraten in akademischen historischen Kreisen damals fast kaum vertreten. Aus all diesen Gründen fiel das sozialdemokratische Echo auf die Fischer-Kontroverse so leise aus.

2.2 Sozialdemokraten und Nationalbewusstsein

Seit Beginn der Bundesrepublik profilierte sich die sozialdemokratische Partei im Unterschied zur CDU /CSU als die Partei, die der deutschen Einheit den allerhöchsten Rang zuwies.148 Aber der immer heftiger werdende Ost-West-Konflikt, dessen Höhepunkt dann der Mauerbau im Sommer 1961 darstellte, ließ in der politischen Öffentlichkeit die Hoffnungen auf die baldige Überwindung der Teilung Deutschlands schwinden und führten zu Versuchen, ein spezifisch westdeutsches Nationalbewusstsein zu schaffen. Die FDP äußerte schon 1959 ihre nationale

146 Walter Fabian, So brach 1914 aus, in: GMH 15 (1964), S.466-480. 147 George F. Hallgarten, Deutsche Selbstschau nach 50 Jahren. Fritz Fischer, seine Gegner und Vorläufer, in: ders., Das Schicksal des Imperialismus im 20. Jahrhundert. Drei Abhandlungen über Kriegsursachen in Vergangenheit und Gegenwart, Frankfurt a. M. 1969, S.57-135, hier S.109. 148 Die Position der SPD in der deutsch-nationalen Frage zwischen 1949 bis 1955 siehe Jörg Gabbe, Parteien und Nation. Zur Rolle des Nationalbewusstseins für die politischen Grundorientierung der Parteien in der Anfangsphase der Bundesrepublik, Meisenheim am Glan 1976, S.214-219; auch Fritz René Allemann, Bonn ist nicht Weimar, Köln 1956, S.274f.. 81

Position: »Über den Parteiinteressen steht das Vaterland«.149 Die CDU/CSU rief 1962 dazu auf, Patriotismus und Nationalismus zu unterscheiden und den letzteren abzulehnen. 1966 stellte Franz Josef Strauß, damals Vorsitzender der CSU, das Staatsziel der Wiedervereinigung in Frage.150 1967 löste Burghard Freudenfeld in der katholischen Zeitschrift Hochland eine lebhafte Diskussion über deutsches Nationalbewusstsein aus, als er forderte, dass sich die Bundesrepublik definitiv als Staatsnation konstituieren und ihren Provisoriumsvorbehalt preisgeben solle.151 Solche Ideen riefen auf sozialdemokratischer Seite Widerspruch hervor. Die führenden Sozialdemokraten bemühten sich dementsprechend um eine abgewogene und fundierte Formulierung des nationalen Selbstverständnisses. Willy Brandt mahnte bereits auf dem Parteitag der SPD im November 1960 in Hannover nach seiner Nominierung als Kanzlerkandidat ein einheitliches deutsches Bild an:

»Das, was heute Deutschland ausmacht, stammt aus vielen Quellen. Otto von Bismarck und August Bebel, Friedrich Ebert und Gustav Stresemann, Julius Leber und Graf Stauffenberg, Ernst Reuter und Theodor Heuss, sie alle gehören zu diesem Volk. Kein Schweigen aber kann das Schreckliche vergessen machen, das sich an den Namen Hitler knüpft. Das alles gehört zu unserer Geschichte. Wir müssen sie als Einheit sehen.« 152

Brandts Standpunkt zeigt, dass sich die Sozialdemokraten weiter als Hüter der nationalen Frage profilierten. Ihr Nationalbewusstsein, das auf die Bewältigung der deutschen Teilung zielte, verlor zwar in der erste Hälfte der sechziger Jahre – einhergehend mit dem Scheitern des Kultes um den deutschen Nationalstaat in der westdeutschen Geschichtswissenschaft153 – seine Geltung in der politischen Öffentlichkeit. Aber die Bedeutung und die Einheit der deutschen Nation standen bei den Sozialdemokraten noch außer Frage. Fritz Erler, damals Vorsitzender der SPD- Bundestagsfraktion, betonte 1965 in einer außenpolitischen Broschüre die Notwendigkeit eines »gesunden, gelassen in sich ruhenden nationalen Selbstbewusstseins« auf der Grundlage des universell gültigen Selbstbestimmungsrechts. Die Deutschen müssten endlich die Spaltung in vermeintliche »Nationalgesinnte und Reichsfeinde« überwinden, die seit einem Jahrhundert

149 Vgl. Friedrich Klingl, »Das ganze Deutschland soll es sein!« – Thomas Dehler und die außenpolitischen Weichenstellungen der fünfziger Jahre, München 1987. 150 Franz Josel Strauß, Entwurf für Europa, Stuttgart 1966, S.50f.. 151 Burghard Freudenfeld, Das perfekte Provisorium. Auf der Suche nach einem deutschen Staat, in: Hochland 59 (1967), S.421-433. Die ausführliche Analyse der Hochland-Debatte 1967/68 siehe Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Band 2, München 2001², S.243-246. 152 Willy Brandt, Der neue Stil, in: ders., Plädoyer für die Zukunft. Beiträge zur deutschen Politik, Frankfurt a. M 1972², S.17-29, hier S.23f.. 153 Vgl. Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.124-257. 82

vergiftend und lähmend wirke. 154 1966 stellte Willy Brandt in Dortmund weiter fest, »Patriotismus« zeige sich nicht in Obrigkeitstreue und Untertanenverhalten, sondern im Kampf um eine lebendige Demokratie, »auch im Wirtschaftlichen und Sozialen« und damit lasse sich keine Nation verdrängen:

»Kein Volk kann auf die Dauer leben, […] wenn es nicht ja sagen kann zum Vaterland. [...] Auch wenn der Nationalstaat als Organisationsform gewiss nicht das letzte Ziel politischer Ordnung bleibt, die Nation bleibt eine primäre Schicksalsgemeinschaft. Sie bleibt die Hülle unserer inneren Ordnung wahrscheinlich noch für lange Zeit, selbst im Zeitalter der Großraumverbände. […] Die Nationen werden in überschaubarer Zeit ebenso wenig verschwinden, wie die Staaten absterben.«155

1968 argumentierte Helmut Schmidt, damals aufgrund der Erkrankung Fritz Erlers Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, für ein einheitsorientiertes Nationalbewusstsein und trat der in der Hochland-Debatte sich artikulierenden Strömung entgegen, ein westdeutsches Staatsbewusstsein an die Stelle des Nationalbewusstseins zu setzen:

»Aber sollten verantwortliche Politiker diese Stimmung fördern, indem sie einerseits dem geschichtlich gewordenen Nationalbewusstsein jede Hoffnung und jede Daseinsberechtigung zu nehmen trachten? Sollten sie andererseits durch die ausschließliche Intensivierung eines bundesrepublikanischen Staatsbewusstseins unter den heutigen und zukünftigen Bürgern der Bundesrepublik den Eindruck der Klitterung aufkommen lassen, als habe die deutsche Geschichte erst im Jahre 1945 oder im Jahre 1949 begonnen und als könne man den Verstrickungen der Deutschen mit der Vergangenheit und ihrer Verantwortung für die ganze Nation auf billige Weise entkommen? Ich hielte das für gefährlich. [...] Aus der gemeinsamen Geschichte der Nation können sich weder die Deutschen in der DDR noch die in der Bundesrepublik durch die Propagierung eines jeweils eigenen Nationalgefühls fortstehlen. Wir müssen immer wieder daran erinnern, dass eine Mitverantwortung für das politische Schicksal unserer Landsleute in der DDR sich verpflichtend aus der Tatsache ergibt, dass die Deutschen in der DDR fast allein - und stellvertretend für uns – in unverhältnismäßig hohem Maße den von allen Deutschen gemeinsam verlorenen Krieg bezahlen. [...] Es ist notwendig und legitim, in der Bundesrepublik das Staatsbewusstsein zu stärken – aber es wäre eine riskante Vergewaltigung der Geschichte unserer Nation, auf den Geltungsbereich dieses Staatsbewusstseins auch das Nationalbewusstsein reduzieren zu wollen. Darum werde ich mich gegen die Flucht in die Idylle einer bundesdeutschen Nation.«156

154 Fritz Erler, Unser Platz unter den Völkern, Bonn 1965, S.4,7. 155 Willy Brandt, Parteitagsrede vom 1.6.1966, in: Werner Krause/Wolfgang Gröf (Hrsg.), Willy Brand. ... auf der Zinne der Partei ... Parteitagsreden 1960 bis 1983, Berlin/Bonn 1984, S.111-138, hier S.116. 156 Helmut Schmidt, Bundesdeutsches Nationalbewusstsein?, in: Hochland 60 (1967/68), S.558-562, hier S.561f. 83

Die Sozialdemokraten hingen nicht nur am stärksten der Idee von der Wiederherstellung eines Nationalstaates an, sondern sie verbanden diese Idee auch mit der Idee einer vergangenheitspolitischen Aussöhnung des deutschen Volkes. Das deutsche Volk, so Willy Brandt, müsse »sich selbst aussöhnen« und die Deutschen müssten gewiss »zwischen Schuld und Irrtum« unterscheiden und mit ihrer Geschichte »ins reine Kommen«. Er kam der Kriegsgeneration deswegen entgegen:

»Für das Gesindel um den Verführer reichen die strengsten Normen der Strafgesetze nicht aus. Aber die millionenfache Opferbereitschaft der Bevölkerung kann nicht verachtet wurde. Viele, die einem Irrglauben nachhingen und dafür mit dem Opfer der besten Jahre ihres Lebens bestraft wurden, hatten mit den Verbrechen gewiss keine Gemeinsamkeiten.«157

Im Jahre 1965 konstatierte Brandt weiterhin: »Zwanzig Jahre sind genug – genug der Spaltung, genug der Resignation und genug des bloßen Rückwärtsschauens.«158 Seine Formulierung entsprach der Bemerkung Ludwig Erhards. Dieser zweite christdemokratische Bundeskanzler sprach auch davon, dass nunmehr die Nachkriegzeit zu Ende sei und die Deutschen eines klaren Bewusstseins ihrer eigenen Geschichte bedürften, um auch die Zukunft nach den eigenen Vorstellungen gestalten zu können.159

3. Sozialdemokratische Historiographie: Kontinuität und Neuansatz

Parallel zur Herausbildung der sozialdemokratischen Geschichtskultur auf der politischen Ebene entwickelte sich in der Bundesrepublik von 1959 bis 1968 eine sozialdemokratische geschichtswissenschaftliche Praxis, die sich in erster Linie der Geschichte der Arbeiterbewegung widmete. Diese Historiographie führte so einerseits die Tradition der sozialdemokratischen Geschichtsschreibung seit Ende des 19. Jahrhunderts weiter, die thematisch immer noch die Aufmerksamkeit auf die herkömmlichen Forschungsgegenstände lenkte, und entwickelte andererseits neue theoretische und methodische Ansätze, die von neuen Tendenzen innerhalb der westdeutschen Geschichtswissenschaft beeinflusst wurden. Mit der Tendenz zur Akademisierung des sozialdemokratischen Geschichtsmodells vollzog sich gleichzeitig eine andere neuartige

157 Willy Brandt, Der neue Stil, a.a.O., S.24. 158 Willy Brandt, Zwanzig Jahre sind genug, in: FAZ, 3.5.1965; ders., Zwanzig Jahre sind genug, in: Die Welt, 8.5.1965. 159 Ansprache des Kanzlers auf der Hauptversammlung des Deutschen Industrie- und Handelstages siehe , Wir brauchen ein klares Bewusstsein unserer Geschichte, in: Die Welt, 7.5.1965. 84

Entwicklung: die Geschichtsschreibung der Sozialdemokratie wurde in die allgemeine deutsche Geschichtsschreibung integriert.

3.1 Anfang der Akademisierung des Geschichtsmodells aus »Opposition«

Wegen der Dominanz der konservativen und nationalistischen Historiographie im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und in der NS-Zeit wurde »die Geschichte der Arbeiterbewegung außerhalb der ›Zunft‹ geschrieben, und die anerkannte Geschichtsschreibung der ›Zunft‹ wurde von Sozialdemokraten abgelehnt«. 160 Inzwischen spiegelte das Verhältnis der deutschen Sozialdemokratie zur Geschichte eine eigene historiographische Kultur der SPD wider. 161 Offensichtlich gab es in der deutschen Sozialdemokratie ein vielfältiges Interesse an der Geschichte. Dabei ging es nicht primär um die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Vergangenheit, sondern das Interesse an Geschichte war vielmehr ein wesentliches Element der politischen Bildung und des Weltbildes der Partei. Das konventionelle sozialdemokratische Geschichtsmodell war von Anfang an als politische Volksaufklärung konzipiert worden. Eine sozialistische bzw. sozialdemokratische Populargeschichtsschreibung befriedigte parallel zum politischen Aufschwung der sozialistischen Arbeiterbewegung seit den 1890er Jahren das wachsende Bedürfnis nach eigener historischer Traditionsbildung. Fast alle Werke der sozialdemokratischen Populargeschichte waren durch ihre politisch-didaktische Schwungkraft gekennzeichnet. Aus diesem Grund grenzten sich die sozialdemokratischen Historiker sowohl scharf gegenüber einer ihrer Meinung nach herrschaftsabhängigen akademischen Fachhistorie als auch gegenüber den »bürgerlichen« populärwissenschaftlichen Werken ab, denen sie eine entstellende Fiktionalisierung der Geschichte vorwarfen. 162 Dementsprechend zielten ihre Geschichtswerke allgemein auf einen breiten Leserkreis, der sich im Umfeld der sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Arbeiterbewegung herausbildete und außerhalb der Fachwissenschaft

160 Susanne Miller, Zum Selbstverständnis der Historischen Kommission der SPD, in: ders. (Hrsg.), Geschichte in der demokratischen Gesellschaft. eine Dokumentation, Düsseldorf 1985, S.11-15, hier S.11f. 161 Vgl. Thomas Nipperdey, Sozialdemokratie und Geschichte, in: Hannelore Horn/Alexander Schwan/Thomas Weingärtner (Hrsg.), Sozialismus in Theorie und Praxis. Festschrift für Richard Läwenthal zum 70. Geburtstag am 15. April 1978, Berlin/New York 1978, S.493-517. 162 Vgl. Franz Mehring, Zur bürgerlichen Geschichtsschreibung, in: Die Neue Zeit 10 (1891-92), S.449-453; Paul Kampffmeyer, Historische Volksaufklärung, in: Die Neue Zeit 40(1922), S.329-334; Siegmund Neumann, Geschichte, in: Sozialistische Monatshefte 70 (1930), S.397; Heinrich Cunow, Eine neue Lassalle-Biographie, in: Die Neue Zeit 41(1923), S.242-245. 85

stand.163 Angesichts der engen sozialen und politischen Einbindung der Autoren und deren Werke in das sozialdemokratische Organisationsmilieu ist es nicht verwunderlich, dass diese Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung fast ausnahmslos von aktiven Politikern und Intellektuellen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in den der SPD nahestehenden Zeitungen, Zeitschriften, populären Literaturen und Volksschulen durchgeführt wurden. Die meisten wichtigen Autoren wie Wilhelm Blos, Paul Kampffmeyer oder Hermann Wendel waren hohe Funktionäre und Reichstagsabgeordnente der SPD und arbeiteten in herausgehobener Position als Parteijournalisten. Vor 1933 verharrte die sozialdemokratische Historiographie in Opposition zur Mehrheit der bürgerlichen Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung und es bildete sich ein gewissermaßen geschlossenes Geschichtsbild der SPD heraus, das sich auf die ideologische parteiliche Kritik an den anderen konservativen, nationalliberalen oder katholischen Geschichtsbildern konzentrierte. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ging diese Tradition sozialdemokratischer Volksgeschichtsschreibung zu Ende. Unter grundlegend veränderten politischen und kulturellen Rahmenbedingungen fanden nach 1945 bei der SPD die unterschiedlichen Bemühungen um die Anknüpfung an die Traditionen der Zwischenkriegszeit statt, um ein solches sozialdemokratisches Geschichtsmodell in der Bundesrepublik erneut herzustellen. Als der langsame Aufstieg der SPD von der Opposition bis zur Regierungspartei seit Ende der 1950er Jahre begann, veränderte sich die Herangehensweise der Partei: ein sozialdemokratisches Geschichtsmodell sollte jetzt durch die Organisation und Koordination eigener Initiativen und eine Öffnung hin zur akademischen Geschichtswissenschaft weiter entwickelt werden. So widmete sich die Parteiführung von 1959 bis 1968 nicht nur dem Selbstverständnis der SPD, sondern sie war auch auf der Suche nach Anerkennung durch die universitäre Geschichtswissenschaft. In diesem Sinne können diese zehn Jahren als eine Phase gelten, in der das sozialdemokratische Geschichtsmodell, das vorher gänzlich in »Opposition« zur professionellen Geschichtsschreibung gestanden hatte, sich professionalisierte und allmählich Teil der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft wurde. Seit Ende der 1950er Jahre schenkte die sozialdemokratische Partei ihrer historisch- politischen Bildungsarbeit mehr Aufmerksamkeit. Dabei spielten zwei unterschiedliche Zusammenhänge eine wichtige Rolle: Auf der einen Seite war den wissenschaftlichen Aktivitäten im Umfeld der Partei ein wichtiger Impuls durch den Stuttgarter Parteitag im Mai 1958 gegeben

163 Vgl. Till Kössler, Zwischen Milieu und Markt. Die populare Geschichtsschreibung der sozialistischen Arbeiterbewegung 1890-1933, in: Wolfgang Hardtwig/Erhard Schhütz (Hrsg.), Geschichte für Leser. Populäre Geschichtsschreibung in Deutschland im 20. Jahrhundert, München 2005, S.259-286. 86

worden.164 Waldemar von Knoeringen, einer der führenden sozialdemokratischen Politiker in Nachkriegsdeutschland, forderte damals ein konkretes Bündnis zwischen Politik und Wissenschaft und präsentierte das Programm der Partei Die Zukunft meistern.165 Mit diesem Plan legte die SPD im Rahmen der Gesellschaftspolitik »das Schwergewicht auf die bisher vernachlässigte Seite der Erziehung und Bildung, der Wissenschaft und Forschung«, denn die Überwindung der gesellschaftlichen Bedrohungen sei »ohne die Förderung von Wissenschaft, Technik und Erziehung nicht mehr denkbar«. 166 Zu dieser wissenschaftlichen Orientierung gehörte gleichfalls die Förderung der politischen bzw. gesellschaftspolitischen Bildung, bei der das Geschichtsbewusstsein eine entsprechende Funktion hatte. In diesem Sinne profitierte von diesem Programm auch die historische Arbeit der Partei, die u.a. auf institutionelle und systematische Kommunikation mit der Geschichtswissenschaft gerichtet war. Auf der anderen Seite beschäftigte sich die SPD immer mehr mit der Geschichtsforschung der deutschen Arbeiterbewegung, weil die Kommunisten in der DDR seit 1956 mit beträchtlichem Aufwand begonnen hatten, die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung zu dokumentieren, zu erforschen und im Sinne gegenwärtiger politischer Interessen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) diese Vergangenheit zu modellieren. 167 Die Grundauffassung der SED wurde klar ausgesprochen, nämlich »dass sich die Geschichtswissenschaft in der gesamten Arbeit jederzeit von den politischen Erfordernissen des gegenwärtigen Kampfes leiten lässt und daher von den Beschlüssen der Partei ausgehen muss«.168 Mit der historiographischen Konzentration auf das Feld der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung versuchte die SED sich historisch zu legitimieren. Ihr Bemühen ziehte vor dem Hintergrund des marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes darauf ab, einerseits ihre Geschichte in die Tradition der deutschen Arbeiterbewegung einzuordnen169, und andererseits die DDR »als Krönung und Verkörperung

164 Vgl. Vorstand der Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Hrsg.), Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1958/59, Bonn 1959, S.497-506. 165 Vgl. Parteivorstand der SPD (Hrsg.), Die Zukunft meistern. Arbeitsmaterial zum Thema: Wissenschaft und Forschung, Erziehung und Bildung in unserer Zeit, Berlin 1959; Waldemar von Knoeringen, Der Plan »Zukunft«. Gedanken zu einer zeitgerechten sozialisierten Politik, in: NG 5 (1958), S.413-417. 166 Waldemar von Knoeringen, Der Plan »Zukunft«, a.a.O., S.417. 167 Vgl. Beschluss zur Erarbeitung eines Lehrbuches zur Parteigeschichte am 29.7.1956. Dieses Lehrbuch konnte allerdings erst 1962 als »Grundriss zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung« vorgelegt werden. Vgl. auch Martin Sabrow, Auf der Suche nach dem materialistischen Meisterton. Bauformen einer nationalen Gegenerzählung in der DDR, in: Konrad H. Jarausch/ders. (Hrsg.), Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S.33-77. 168 So äußerte Kurt Hager 1962 auf der 16. ZK-Tagung. Zitat nach: Ebd., S.38. 169 Vgl. Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED (Hrsg.), Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 1-8, Berlin 1966. 87

des politisch-historischen Wirkens der Arbeiterklasse« anzusehen170. In diesem Zusammenhang wurde eine durchgehende Entwicklungslinie von den Anfängen der deutschen Arbeiterbewegung zur SED und zu ihrem Staat in Ostdeutschland gezogen. Zum 15. Jahrestages der Gründung der SED im Jahr 1961 behauptete diese Partei, dass die Zwangsvereinigung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und Ost-SPD im Jahr 1946 »die größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung seit der Verkündigung des ›Manifests der kommunistischen Partei‹« sei und die SED die »Erbin der besten Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung« sei.171 Die SPD ging zwar nicht so weit auf dem Weg zur politischen Legitimation durch Geschichte wie die SED, aber sie verfolgte auch das Ziel, Forschung über die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und die Parteigeschichte organisatorisch anzuregen. Ihr Interesse an Geschichtsschreibung war ideologisch anders als das der SED. Im Gegensatz zur kommunistischen Partei hatte sich die SPD seit Ende der fünfziger Jahre offiziell vom Marxismus abgekehrt. Ihr Verständnis über Grundwerte des Sozialismus wurde im Godesberger Programm 1959 folgendermaßen formuliert:

»Der demokratische Sozialismus, der in Europa in christlicher Ethik, im Humanismus und in der klassischen Philosophie verwurzelt ist, will keine letzten Wahrheiten verkünden – nicht aus Verständnislosigkeit und nicht aus Gleichgültigkeit gegenüber den Weltanschauungen oder religiösen Wahrheiten, sondern aus der Achtung vor dem Glaubensentscheidungen des Menschen, über deren Inhalt weder eine politische Partei noch der Staat zu bestimmen haben.«172

Mit solchen Worten grenzte sich die Sozialdemokratische Partei von der marxistischen Vergangenheit ab. Vor diesem Hintergrund begann sie damit, die Geschichte der Arbeiterbewegung aus eigener Perspektive und auf eigene Weise zu schreiben. Im ersten Band des Archivs für Sozialgeschichte im Jahr 1961 wies Gerhard Weisser, Vorsitzender der Friedrich- Ebert-Stiftung und einer der Gründerväter des Godesberger Programms darauf hin:

»Hierbei wird auch der bedrohlichen Verfälschung der geistigen Vorgänge im Leben der deutschen Arbeiterschaft entgegenwirkt werden, die heute mit einem erheblichen Aufwand in dem unter Sowjeteinfluss

170 Alexander Fischer/Günther Heydemann (Hrsg.), Geschichtswissenschaft in der DDR. Bd.1: Historische Entwicklung, Theoriediskussion und Geschichtsdidaktik, Berlin 1988, S.23. 171 Die Gründung der SED – ein historischer Sieg des Marxismus-Leninismus. Thesen des Politbüros des ZK zum 15. Jahrestages der Vereinigung von KPD und SPD, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Sonderheft anläßlich des 15. Jahrestages der Gründung der SED, Berlin 1961, S.3ff. 172 Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Beschlossen vom Außerordentlichen Parteitag der SPD in Bad Godesberg vom 13.-15. November 1959 [gekürzt], a.a.O., S.493. 88

stehenden Teil Deutschlands betrieben wird. In gleichem Maße werden solche Verfälschungen Gegenstand der Kritik dieses Archivs sein.«173

Bei der Grundsteinlegung des Archivs der sozialen Demokratie im Jahr 1967 hat Willy Brandt die Wichtigkeit der Forschung der Arbeiterbewegungsgeschichte formuliert:

»In einem anderen aktuellen Sinne ist die Arbeit an der Geschichte der Arbeiterbewegung eine Aufgabe, die gerade der Geschichtsforschung in der Bundesrepublik Deutschland gestellt ist. In Ostberlin wird der Anspruch auf die gültige Darstellung und Interpretation der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung erhoben. Dort versucht man mit allen Mitteln, sich als legitime Erben der Tradition der Arbeiterbewegung zu beweisen. Es ist nicht damit getan, diesen Anspruch zurückzuweisen, sondern es muss auch wissenschaftlich deutlich gemacht werden, wie sehr etwa die konkreten Erscheinungsformen eines SED-Regimes von dem verschieden sind, was Ursprung, Ziel und Anliegen der Arbeiterbewegung war.«174

Bei der Eröffnung des Archivs der sozialen Demokratie 1969 hatte Willy Brandt die historiographische Aufgabe der westdeutschen Sozialdemokratie gegen den ostdeutschen Kommunismus wieder betont:

»Die Geschichtsschreibung der Kommunisten über die Entwicklung der Arbeiterbewegung ist gefälscht. Unter der Parole der ›Parteilichkeit‹ werden Politik und Erfolge der Sozialdemokraten in einem schwarzen Bild gemalt, das seinesgleichen sucht. Wir haben also auch auf dem Gebiet der Geschichtsforschung festzustellen, dass die Sozialdemokraten von ihren Gegnern auf der rechten wie auf der sogenannten linken Seite verteufelt werden.«175

In diesem Sinne lag eine der Zielsetzungen der systematischen Beschäftigung der SPD mit der Geschichtsforschung darin, die Erklärung zur Geschichte der deutschen Sozialdemokratie und Arbeiterbewegung in die Hand zu nehmen. Ein solches sozialdemokratisches Geschichtsmodell, das über bewusst außer- bzw. antiakademisches Selbstverständnis und ausgeprägt politisch-didaktische Orientierung verfügte und deswegen kein hohes Ansehen in der akademischen Geschichtswissenschaft genoss, leitete seit 1959 seine eigene Akademisierung in die Wege. Dies schlug sich zuallererst in der Gründung und dem Ausbau SPD-naher historischer Forschungs- und Bildungsinstitutionen nieder. 1959 wurde die Forschungsabteilung Sozial- und Zeitgeschichte der Friedrich-Ebert-Stiftung

173 Gerhard Weisser, Vorwort, a.a.O., S.3. 174 Willy Brandt, Ansprache anlässlich der Grundsteinlegung des Archivs der sozialen Demokratie, a.a.O., S.28. 175 Willy Brandt, Festrede zur Eröffnung des Archivs der sozialden Demokratie, 6. Juni 1969, a.a.O., S.35. 89

gegründet, in deren Forschungsprojekten der 1960er Jahre es um den Widerstand der deutschen Arbeiterbewegung gegen den Nationalsozialismus176 und um den Wiederaufbau der deutschen Verwaltung nach 1945 177 ging. 1962 folgte dann das Institut für Sozialgeschichte e.V. in Braunschweig, das sich vor allem unter der Leitung von Georg Eckert der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung zuwandte. Gleichzeitig wurde innerhalb der Friedrich-Ebert- Stiftung die Gründung eines parteieigenen Archivs vorbereitet (des späteren Archivs der sozialen Demokratie), um die Quellen der Geschichte der Arbeiterbewegung für die sozialgeschichtliche Forschung »zu sammeln, sie sachgemäß zu archivieren, sie in wissenschaftlichen Arbeiten auszuwerten« und die daraus gewonnenen Erkenntnisse in politische Bildungsarbeit umzusetzen.178 Mit diesen organisatorischen Anstrengungen wurde ein großer Schritt in Richtung auf die Akademisierung der sozialdemokratischen Geschichtsforschung getan, und gleichzeitig löste sie sich ein Stückweit von ihrer direkten parteilichen Gebundenheit. Auch wenn diese Institutionen finanziell, personell und administrativ noch unter der Leitung und Kontrolle der SPD (durch die FES) standen, war die Beschränktheit des traditionellen sozialdemokratischen Geschichtsmodells, nämlich die starke eindeutige ideologisch-politische Zweckdienlichkeit der Geschichtsschreibung, gewissermaßen durchbrochen. Mit der Schaffung verschiedener historischer Organisationen fing die Sozialdemokratie an, ihre eigene Geschichte wissenschaftlicher zu untersuchen. Eine weitere Erscheinung dieser akademisierenden Tendenz ist die Herausgabe des Archivs für Sozialgeschichte. Das AfS entwickelte sich rasch seit seinem erstmaligen Erscheinen 1961 zu einer der führenden wissenschaftlichen Einrichtungen für die Forschung der Arbeitergeschichte in der Bundesrepublik. Bis 1968 erschienen insgesamt 8 Bände. Mit seiner kritischen, keineswegs parteilichen Forschungsrichtung bot dieses Jahrbuch Geschichtsforschern in- und außerhalb Westdeutschlands 179 eine Plattform vor allem für Untersuchungen zur Ideen- und Sozialgeschichte der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert. Allerdings ist es anzumerken, dass der moderne sozialgeschichtliche Ansatz in der Anfangsphase des Archivs eher postuliert als konkret umgesetzt wurde, wie man bei Beiträgen seiner ersten Bände in den 1960er Jahren leicht erkennen kann. Trotz seines anfänglich relativ eingeschränkten Themenfeldes kennzeichnet das

176 Vgl. Helmut Esters/Hans Pelger, Gewerkschafter im Widerstand, Hannover 1967. 177 Vgl. Ilse Girndt (geb. Haßenpflug), Zentralismus in der britischen Zone: Entwicklungen und Bestrebungen beim Wiederaufbau der staatlichen Verwaltungsorganisation auf der Ebene oberhalb der Länder 1945-1948, Bonn 1971. 178 Willy Brandt, Ansprache anlässlich der Grundsteinlegung des Archivs der sozialen Demokratie, a.a.O., S.30. 179 Die detaillierte Analyse der Netzwerke von Autoren und Mitarbeitern im Archiv für Sozialgeschichte siehe Kapitel II.4. 90

Archiv auf jeden Fall einen Trend, in dem das sozialdemokratische Geschichtsmodell ein eigenes, wissenschaftlich offenes »Schlachtfeld« zur Verfügung hatte und damit allmählich immer enger mit der Fachwelt der Geschichtswissenschaft in Kontakt kam und stand. Obwohl dieses Jahrbuch politisch und organisatorisch zur Sozialdemokratie neigte, profilierte es seine fachwissenschaftliche Selbstständigkeit immer deutlicher. Das Archiv für Sozialgeschichte wird heute zusammen mit dem Institut für Sozialgeschichte Braunschweig-Bonn von professionellen Historikern als wichtiger Bestandteil der westdeutschen Sozialgeschichtsschreibung betrachtet, oder anders ausgedrückt, beide sind von der »Zunft« als akademische Forschungsinstitutionen akzeptiert worden.180 Mit einer solchen Verwissenschaftlichung der ursprünglich sozialistischen Arbeiterbewegungsforschung, und insbesondere unter den neuen organisatorischen Rahmenbedingungen, welche die Institutionen und die Zeitschrift schufen, konnte die Kommunikation der Sozialdemokratie mit solchen Historikern intensiviert werden, die in der akademischen Geschichtswissenschaft auf dem »linken« Flügel standen, oder trotz eigenen politischen Abstandes von der sozialdemokratischen Partei auch Interesse an einer Sozialgeschichte der sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Arbeiterbewegung hatten. Als das sozialdemokratische Geschichtsmodell seit 1959 akademisiert wurde, wurde damit nicht nur die Anerkennung durch die professionelle Historikerschaft angestrickt, sondern auch ein weiterer Diskursraum eröffnet, der für den Aufstieg der sozialdemokratischen Geschichtskultur in der Bundesrepublik nützlich war.

3.2 Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung

»In den fünfziger Jahren wurde in der Bundesrepublik«, so Susanne Miller, »das historiographische Vakuum, das zum Thema Arbeiterbewegung geherrscht hatte, allmählich überwunden«.181 Vor 1968 hatte die »Hochzeit« der Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung in der Bundesrepublik noch nicht angefangen. Sie setzte erst in den letzten beiden Jahren der 1960er Jahre und dann vor allem in den 1970er Jahren ein.182 Obwohl der sich herausbildende Schülerkreis um Werner Conze schon in den 1950er Jahren begann, einen neuen Schwerpunkt

180 Vgl. Günther Schulz, Sozialgeschichte, a.a.O., S.290; Jürgen Kocka, Sozialgeschichte in Deutschland seit 1945, a.a.O., S.9-12. 181 Susanne Miller, Geschichtsbewusstsein und Sozialdemokratie, a.a.O., S.309. 182 Georg Fülberth/Jürgen Harrer, Operative Geschichtsschreibung. Literatur zur Geschichte der Arbeiterbewegung aus dem Institut für Politikwissenschaft, in: Wolfgang Hecker/Joachim Klein/Hans Karl Rupp (Hrsg.), Politik und Wissenschaft. 50 Jahre Politikwissenschaft in Marburg, Band 1, Münster 2001, S.230-238, hier S.230. 91

einer aus volksgeschichtlichen Ansätzen weiterentwickelten Struktur- und Sozialgeschichte zu etablieren, der aus eher bürgerlich-konservativer Sicht auch die Geschichte der Arbeiterschaft, der Arbeiterbewegung und damit von SPD und der Gewerkschaften zum Thema hatte183, fand eine umfassende und gründliche Erarbeitung der Geschichte der Arbeiterbewegung bis Ende der sechziger Jahre nur in Ansätzen statt. Dies kann auch damit belegt werden, dass es weder auf Seiten der SPD eine völlige eigene Geschichtsschreibung noch eine parteiübergreifende Gesamtgeschichtsschreibung der Arbeiterbewegung gab. Trotz der »Entdeckung« der Arbeiterbewegung als Objekt der akademischen Geschichtsschreibung blieb die Beschäftigung mit der Geschichte der Arbeiterbewegung vor allem eine Aufgabe der sozialdemokratischen Partei. Seit der Annahme der Godesberger Grundsatzprogramms im Jahre 1959 strebten die Führungskräfte der SPD danach, ein parteieigenes Geschichtsbewusstsein zu fördern, das eine Linie der Kontinuität von der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert bis zur Sozialdemokratie in der Bundesrepublik herstellte. Sie suchten in der Geschichte der Arbeiterbewegung die historische Grundlagen der Partei: Die Arbeiterbewegung sollte »in Übereinstimmung mit ihren demokratisch-sozialen Traditionen«, so Helga Grebing, »ein phantasievoller Initiator einer Politik sein, die den Völkern […] eine Alternative zu Kapitalismus und Kommunismus bietet«184. In diesem Sinne kann die Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung zunächst als Variante der sozialdemokratischen Parteigeschichtsschreibung gelten. Für die deutsche Arbeiterbewegung existierte hierbei vor allem die »Sozialdemokratische Hausgeschichtsschreibung« in Westdeutschland, zu der es parallel eine »DDR-Staatsgeschichtsschreibung« in Ostdeutschland gab: Ihr wesentliches Kennzeichen war die Legitimation der Politik der Partei bzw. von Partei und Staat. 1963 fand die 100-jährige Jubiläumsfeier der SPD statt. In diesem Jahre wurden mehrere wichtige historische Publikationen über Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie veröffentlicht.185 Wegen des engen Zusammenhangs von Arbeitergeschichte und Parteigeschichte ergab sich für viele professionelle Historiker das Dilemma, dass, so Gerhard Beier 1966, die

183 Vgl. Werner Conze, Die Stellung der Sozialgeschichte in Forschung und Unterricht, in: GWU 3 (1952), S. 648- 657. Zur Forschung über Sozialdemokratie und Arbeiterbewegung von Conze siehe insbesondere ders./Dieter Groh, Die Arbeiterbewegung in der nationalen Bewegung. Die deutsche Sozialdemokratie vor, während und nach der Reichsgründung, Stuttgart 1966. 184 Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Überblick, München 1966², S.14. 185 Vgl. Karl Anders, Die ersten hundert Jahre. Zur Geschichte einer demokratischen Partei, Hannover 1963; Frolinde Balser, Aufbruch zur Freiheit 1863-1963. Wege zu Mitverantwortung und sozialer Sicherheit, Hannover 1963; Helga Grebing, Hundert Jahre SPD. Zwischen Tradition und Fortschritt, in: Politische Studien, München 1963; Klaus Peter Schulz, Proletarier, Klassenkämpfer, Staatsbürger. 100 Jahre deutsche Arbeiterbewegung, München 1963. 92

eigene Studie »einerseits eine möglichst interessante allgemeinverständliche Darstellung und andererseits eine möglichst zuverlässige Untersuchung sein« sollte.186 Diese Spannung zwischen »Allgemeinverständlichkeit« und »Wissenschaftlichkeit« verschärfte sich noch in den siebziger Jahren angesichts der sozialgeschichtlichen Neuorientierung der Arbeiterbewegungsgeschichte, die »ein wissenschaftlichen Kriterien genügender Zweig der modernen Sozialgeschichte«187 werden wollte. Methodisch und konzeptionell war die Geschichtsschreibung von Arbeiterbewegung in der Bundesrepublik bis 1968 im wesentlichen Organisations- und Ideengeschichte. Das schlug sich nicht nur in den Monographien, sondern auch in den Zeitschriftenaufsätzen insbesondere beim Archiv für Sozialgeschichte nieder. Sowohl spezifische Organisationsformen der Bewegung, wie Gewerkschaften und Betriebsräte, als auch Persönlichkeiten, voran die frühen Führer der Sozialistischen Arbeiterbewegung, standen damals im Mittelpunkt der Forschung. Erich Matthias untersuchte das Verhältnis von Sozialdemokratie und Nation 1933-1938 und analysierte den »Kautskyanismus« der Zeit vor 1914 als einen Scheinradikalismus, der eine innerparteilich unverzichtbare Funktion hatte, gesellschafts- und allgemeinpolitisch aber steril war.188 Susanne Miller beschäftigte sich mit dem Weg der Sozialdemokratie in den demokratischen Verfassungsstaat.189 Gerhard A. Ritters Forschungsprogramm orientierte sich am Beitrag von Sozialdemokratie, Gewerkschaften und Genossenschaften zum Aufbau des Sozialstaats in Deutschland. 190 Eine populäre Geschichte der Arbeiterbewegung in Form einer integrativen Geschichte aller Strömungen – also auch ihrer christlichen und liberalen Flügel – legte Helga Grebing vor. 191 Im Jahre 1967 veröffentlichten Helmut Esters und Hans Pelger ihr Buch »Gewerkschafter im Widerstand«, die erste größere, selbständige westdeutsche Studie über Teilfragen des gewerkschaftlichen Widerstand gegen den Faschismus192, während Peter von

186 Gerhard Beier, Schwarze Kunst und Klassenkampf. Bd. 1. Vom Geheimbund zum königlich-preußischen Gewerkverein, Frankfurt a. M. 1966, S.15. 187 Gerhard A. Ritter/Klaus Tenfelde, Der Durchbruch der Freien Gewerkschaften zur Massenbewegung im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, in: Gerhard A. Ritter, Arbeiterbewegung, Parteien, Parlamentarismus. Aufsätze zur deutschen Sozial- und Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 1976, S.55-101, hier S.328, Anm.9. 188 Erich Matthias, Sozialdemokratie und Nation. Zur Ideengeschichte der sozialdemokratischen Emigration 1933- 1938, Stuttgart 1952; ders., Kautsky und der Kautskyanismus. Die Funktion der Ideologie in der deutschen Sozialdemokratie vor dem ersten Weltkriege, in: Iring Fetscher (Hrsg.), Marxismusstudien, 2. Folge, Tübingen 1957, S.151-197. 189 Susanne Miller, Das Problem der Freiheit im Sozialismus, Frankfurt a. M. 1964. 190 Gerhard A. Ritter, Die Arbeiterbewegung im Wilhelminischen Reich. Die sozialdemokratische Partei und die Freien Gewerkschaften 1890-1900, Berlin 1959. 191 Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Überblick, München 1966². 192 Helmut Esters/Hans Pelger, Gewerkschafter im Widerstand, a.a.O.. 93

Oertzen und Eberhard Kolbs Studie eine neue historische Einschätzung der Rätebewegung in und nach der Novemberrevolution vorlegten. 193 Der Marburger Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth führte die primär selbstbezügliche Perspektive der meisten dieser Forschungen darauf zurück, dass Arbeiterbewegungshistoriographie notwendig »Oppositionswissenschaft« sei und von daher in ihren »materiellen Forschungschancen beschränkt« werde.194 Aber bemerkenswert ist, dass die Veränderung der SPD zur Volkspartei und die Akademisierung des sozialdemokratischen Geschichtsmodells seit Ende der 1950er Jahren eine Wendung zu einer sozialgeschichtlichen Neufundierung der Arbeiterbewegungsgeschichte zur Folge hatte. In diesem Sinne muss diese Wendung seit den 1970er Jahren nicht nur als das Resultat methodischer und theoretischer Erwägungen in der westdeutschen Geschichtswissenschaft allgemein, sondern auch als Antwort auf die Grenzen verstanden werden, auf die eine bloße Organisations- und Ideengeschichte bei ihren Erklärungen der inneren Entwicklung der Sozialdemokratie gestoßen war. Die Entwicklung der linken Strömung in der Sozialdemokratie während der 1950er und 1960er Jahren sowie der Studentenbewegung führte zu einer wachsenden Divergenz zwischen links- und rechtssozialdemokratischen Historikern und Politikern. Für die Linken in der SPD war die Diskussion über Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung in der Hauptsache eine Kritik der Entwicklung von SPD und Gewerkschaften. Besonders bei Debatten zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung von 1914 bis 1933 wurde die Politik der sozialdemokratischen Führung von links kritisiert. Im beträchtlichen Maße sind die Geschichtsauffassungen linkssozialdemokratischer Kräfte durch die Arbeiten des Marburger Politikwissenschaftlers, Historikers und Repräsentanten der westdeutschen Linksopposition, Wolfgang Abendroth beeinflusst worden. Den historisch-politischen Schriften Abendroths liegt eine klare, sehr ambitionierte Zielstellung zugrunde: »Nur die Besinnung auf den geschichtlichen Gesamtprozess der Arbeiterbewegung kann helfen, [...] sich über die Situation unserer gegenwärtigen Welt Klarheit zu verschaffen.«195 Abendroths Forschung gingen vor allem von der Existenz der kapitalistischen Klassengesellschaft, den Klassenkämpfen und der daraus resultierenden Notwendigkeit einer autonom handelnden Arbeiterbewegung aus. Er war mit seinen historisch-

193 Vgl. Eberhard Kolb, Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik 1918-1919, Bonn 1962; Peter von Oertzen, Betriebsräte in der Novemberrevolution, Bonn 1963. 194 Wolfgang Abendroth, Zur Auseinandersetzung um Spontaneität und Organisationsentwicklung, in: Das Argument 108 (1978), S.224. 195 Wolfgang Abendroth, Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung, Frankfurt a. M. 1965, S.8. 94

politischen Schriften bemüht, auf eine sozialistische Erneuerung der westdeutschen Arbeiterbewegung und eine Überwindung der historischen Spaltung zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus hinzuwirken. Seine 1964 publizierte Schrift »Aufstieg und Krise der deutschen Sozialdemokratie« war ein Gegenstück zu den zahlreichen Publikationen, die aus seiner Sicht immer wieder den Versuch unternommen haben, die Geschichte »den gegenwärtigen Auffassungen der Führung der SPD anzupassen und jeden Bruch in der Entwicklung der Sozialdemokratie nachträglich zu rechtfertigen«. 196 Eine weitere historisch fundierte Kritik lieferte Theo Pirker. Pirker setzte sich in seinen Werken mit der Geschichte der SPD und mit der Politik der deutschen Gewerkschaften nach dem Zweiten Weltkrieg auseinander. Sein Hauptkritikpunkt war dabei die restaurative, systemimmanente Rolle der Gewerkschaftsführer. Er plädierte stattdessen für eine umfassende Vetoposition der Gewerkschaften gegenüber dem kapitalistischen System. Dem stand eine andere Linie gegenüber, die Arbeiterbewegung in den bürgerlichen Staat zu integrieren und damit eine Aussöhnung mit diesem Staat voranzutreiben. Werner Conzes Anstrengungen – zusammen mit Dieter Groh, der damals wissenschaftlicher Assistent bei Conze war und sich dann intensiv mit der Geschichte der Sozialdemokratie im Kaiserreich beschäftigte197 – waren von der Frage nach der Integration der Arbeiterbewegung in bürgerliche Gesellschaft und Nationalstaat geleitet. 198 Dies entsprach in gewissem Sinne den politischen Zielsetzungen der damaligen Führer der SPD und wurde deshalb von ihnen unterstützt. Dabei erhob die Sozialdemokratie gegenüber der CDU den Anspruch, als Partei eine größere, entscheidendere Rolle bei der »Demokratisierung bei Staat und Gesellschaft« gespielt zu haben. Dies kommt ganz deutlich in Willy Brandts Rede anlässlich der Grundsteinlegung für ein »Archiv der sozialen Demokratie« in Bad Godesberg am 12.12.1967 zum Ausdruck, während die christdemokratische Historiographie die Gewichte stärker zugunsten der bürgerlichen Klassen oder der von ihr direkt beeinflussten Teile der christlichen Arbeiterbewegung verlagerte.

196 Wolfgang Abendroth, Aufstieg und Krise der deutschen Sozialdemokratie, Frankfurt a. M. 1964, S.7. 197 Vgl. insbesondere Dieter Groh, Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Berlin 1973; ders./Peter Brandt, »Vaterlandslose Gesellen«. Sozialdemokratie und Nation 1860–1990, München 1992. 198 Werner Conze/Dieter Groh, Die Arbeiterbewegung in der nationalen Bewegung, a.a.O.. 95

4. Charakterisierung der Netzwerke zwischen Sozialdemokratie und Geschichtswissenschaft

Längst nicht alle Historiker, die sich zwischen 1959 und 1968 mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und Gewerkschaften, mit der sozialdemokratischen Parteigeschichte sowie mit der Geschichte der Sozialismus und Sozialdemokratie beschäftigten, zählten zu den Kommunikationsnetzwerken zwischen der Sozialdemokratie und der westdeutschen akademischen Geschichtswissenschaft. Das ist einerseits darauf zurückzuführen, dass sich mehrere Politikwissenschaftler und Soziologen an der damaligen sozialdemokratischen Geschichtsschreibung beteiligten und keine Rolle in der historischen Fachwelt spielten. Andererseits waren für einige wissenschaftlich einflussreiche Historiker ihre auf die Sozialdemokratie bezogenen Studien nur ein kleiner Teil und kein Schwerpunkt ihrer eigenen historischen Arbeiten. Sie hatten deswegen an der Kommunikation mit der SPD kein großes Interesse. Die Historiker, die sowohl mit der Partei in Verbindung standen, als auch in der Geschichtswissenschaft Karriere machten, waren damals noch jung und nicht in der Lage, ihre Fähigkeit bei der Herstellung und Vergrößerung der Netzwerken zur Entfaltung zu bringen. Aus diesen Gründen waren die sozialdemokratisch-historischen Netzwerke in dieser Zeit aus der inneren Perspektive klein, eher locker geknüpft und regional beschränkt, während sie aus der Außenperspektive akademisch einflussschwach blieben.

4.1 Begrenzter Kommunikationsraum

Die Kommunikation zwischen der SPD und der Geschichtswissenschaft fand im Zeitraum von 1959 bis 1968 vor allem in einem begrenzen Raum statt, zu dem die Friedrich-Ebert-Stiftung, das Institut für Sozialgeschichte in Braunschweig und das Archiv für Sozialgeschichte gehörten. Die Begrenztheit schlug sich vor allem darin nieder, dass für diejenigen, die Tätigkeiten in diesen Organisationen ausübten, es einfacher war, an den sozialdemokratisch-historischen Kommunikationsnetzwerken teilzunehmen und die Plattformen für solche Kommunikation zu benutzen. Umgekehrt waren die Zugänge zu diesen Netzwerken für die Historiker, die keinen Kontakt mit der Partei oder mit der Stiftung hatten, zu dieser Zeit schwierig zu finden. Neben Georg Eckert, damals sowohl Vorsitzender der Historischen Kommission der FES als auch Begründer und Leiter des Instituts für Sozialgeschichte in Braunschweig und des Archivs für Sozialgeschichte, übernahm Hans Pelger auch mehrere Tätigkeiten in den historischen

96

Organisationen der Stiftung. Er widmete sich in der ersten Hälfte der sechziger Jahren – zusammen mit Helmut Esters, der zunächst wissenschaftlicher Assistent und seit 1963 Leiter der Forschungsabteilung Sozial- und Zeitgeschichte war – dem Forschungsprojekt »Widerstand der deutschen Arbeiterbewegung gegen den Nationalsozialismus«. 1965 wurde Pelger auch Redaktionssekretär des AfS. Er schrieb für das Jahrbuch vor allem Beiträge über die regionale sozialdemokratische Bewegung.199 Ein auffälliger Einzelfall ist der politisch kritische, links orientierte Historiker Imanuel Geiss, der mit der Friedrich-Ebert-Stiftung Anfang der 1960er Jahren eng zusammenarbeitete, aber danach von ihr abrückte. Geiss trat schon im Jahre 1955, damals 24 Jahre alt, in die SPD ein. 1960, ein Jahr nach seiner Promotion bei Fritz Fischer über die deutschen Kriegsziele im Ersten Weltkrieg gegenüber Polen begann er mit seiner Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der FES. Es schrieb 1959 einen Aufsatz über Tocqueville und Karl Marx für die Neue Gesellschaft200 und 1961 einen Aufsatz über die industrielle Revolution für den ersten Band des Archivs für Sozialgeschichte201. Aber später wurde er dort »praktisch rausgeworfen«, weil er die DDR und die Oder-Neiße-Grenze anerkannte. Obwohl die Anerkennung der Ostgrenzen und der DDR am Ende der 1960er Jahren zum Ausgangspunkt der Neuen Ostpolitik von Willy Brandt wurde, galt Geiss einige Jahre vorher noch als »kommunistenverdächtig«. Größere Divergenz bestand weiter während der Fischer-Kontroverse, wo die vorsichtige Position der SPD und die ausdrückliche Unterstützung von Geiss für Fischers Thesen aufeinanderprallten. Wegen des Nichterscheinens seiner Dokumentation »Julikrise 1914 und Kriegsausbruch« bei der FES war Geiss sogar bereit auszuscheiden, aber er hatte noch einen zweijährigen Werkvertrag.202 Diese Dokumentation wurde schließlich durch die Stiftung veröffentlicht. 203 Aber das Verhältnis zwischen Geiss und der Stiftung war nachhaltig beeinträchtigt. Imanuel Geiss, der angesichts seines politischen Engagements und seiner Aktivitäten innerhalb der akademischen Geschichtswissenschaften eigentlich einen großen Beitrag zur Verbesserung der Kommunikation

199 Hans Pelger, Zur sozialdemokratischen Bewegung in der Rheinprovinz vor dem Sozialistengesetz, in: AfS 5 (1965), S.377-406; ders., Zur demokratischen und sozialen Bewegung in Norddeutschland im Anschluss an die Revolution 1848, in: AfS 8 (1968), S.161-245. 200 Imanuel Geiss, Tocqueville und Karl Marx. Eine vergleichende Analyse anlässlich des 100. Todestages von Alexis de Tocqueville, in: NG 6 (1959), S.237-240. 201 Imanuel Geiss, Zur Struktur der industriellen Revolution, in: AfS 1 (1961), S.177-200. 202 Imanuel Geiss, »Unsere ›Neue Orthodoxie‹ ist heute viel illiberaler als ihre akademischen Väter nach 1945.«, in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Versäumte Fragen, a.a.O., S.218-239, hier S.225. 203 Imanuel Geiss, Juli 1914, a.a.O.. 97

zwischen beiden Bereichen hätte leisten können, spielte in der Tat bei der Entwicklung der zeitgenössischen Netzwerke keine wichtige Rolle.

4.2 Verflechtung durch führende Persönlichkeiten

Die Herstellung der sozialdemokratisch-historischen Kommunikationsnetzwerke von 1959 bis 1968 wurde von einigen Persönlichkeiten als »Schlüsselfiguren« tief beeinflusst. Keiner spielte dabei eine so entscheidende Rolle wie Georg Eckert. Seine persönlichen Netzwerke übten große Wirkung auf die regionale Struktur der Partei-Historikerschaft-Netzwerke aus. Im Vergleich dazu konnten diese Netzwerke aus dem marginalisierten Standpunkt von Eckert zur akademischen Historikerschaft in der Bundesrepublik keinen Profit ziehen. Georg Eckert war zu dieser Zeit Inhaber eines historischen Lehrstuhls an der Pädagogischen Hochschule in Braunschweig, Vorsitzender der Deutschen UNESCO-Kommission und Vorsitzender der Sozialistischen Hochschulgemeinschaft, eines Zusammenschlusses von Hochschulangehörigen, die der SPD nahe standen oder ihr angehörten. Außerdem war Eckert Vorsitzender der von ihm gegründete Historischen Kommission in der FES, zu der vor allem Freunde von Georg Eckert, die er aus seiner internationalen Arbeit kannte, wie z. B. Jaques Droz aus Paris, Edmund Silberner aus Jerusalem, Shlomo Na’aman aus Tel Aviv und Carl Landauer aus Berkeley gehörten. Allerdings blieb diese Kommission ohne nachhaltige Bedeutung für die Kommunikation zwischen der Partei und der westdeutschen Historikerschaft. Diese internationalen Verflechtungen schlugen sich auch in der Redaktionsarbeit des Archivs für Sozialgeschichte nieder. 14 der insgesamt 35 Autorinnen und Autoren, die zwischen 1961 bis 1968 Aufsätze – abgesehen von den Literaturberichten – in diesem Jahrbuch veröffentlichten, kamen, wie die Tabelle II-1 und II-2 zeigen, aus dem Ausland.204 32 von den 77 Aufsätzen in diesen acht Jahren wurden von ihnen geschrieben. Dazu zählten Bert Andréas aus Mailand, Abraham Ascher aus New York, Jacques Droz aus Paris, Erich Gruner aus Bern, Helmut Hirsch aus Ohio, Jiří Kořalka und Zdenĕk Šolle aus Prag, Julien Kuypers aus Belgien, J. P. Mayer aus , Miklós Molnár und Marc Vuilleumier aus Genf, Shlomo Na’aman aus Tel Aviv, Roman Rosdolsky aus Wayne (USA), Erdmund Silberner aus Jerusalem sowie Herbert Steiner aus Österreich. Die hohe Beteiligung ausländischer Beiträger resultierte im Wesentlichen aus Eckerts internationalen Kontaktens, z.B. er lernte Julien Kuypers in der UNESCO kennen.

204 Für ein Mitarbeiter, Georg Garvy, gibt es außer dem Geburtsjahr keine persönliche Information. 98

Tabelle II-1: Ortsverteilung der Aufsatz-Autoren des AfS 1961 – 1968

ohne Datum 1 3% Deutschland

Ausland

ohne Datum Ausland 14 40% Deutschland 20 57%

Tabelle II-2: Ortsverteilung der Aufsatz-Autoren des AfS 1961 – 1968 außerhalb der BRD

Staat Zahl der Autoren Teil (%) Schweiz 3 21 USA 2 14 Israel 2 14 Tschechien 2 14 Anderes 5 37 Summe 14 100

Nicht nur die ausländischen, sondern auch die deutschen Mitarbeiter standen mit Georg Eckert in verschiedenen Verbindungen. Bonn und Braunschweig waren deswegen, wie die Tabelle II-3 darstellt, zwei wichtigste Städte für das AfS. Wolfgang Birkenfeld war Eckerts Kollege an der Pädagogischen Hochschule in Braunschweig. Otto-Ernst Schüddekopf und Hans-Joachim Torke waren Eckerts Kollegen im Internationalen Schulbuchinstitut in Braunschweig. Heinrich Heffter arbeitete auch in Braunschweig an der Technischen Universität. Imanuel Geiss, Kurt Müller und

99

Hans Pelger arbeiteten zusammen mit Eckert an der FES. Eckert hatte auch persönlichen Kontakt zu Rudolf Rothe, dem Bibliothekar und Archivar beim Parteivorstand der SPD von 1947 bis 1962, und zu dessen Nachfolger Paul Mayer.205 So lässt sich sagen, dass ein Großteil der Autoren des Archivs aus dem persönlichen Freundes- bzw. Bekanntenkreis von Georg Eckert stammte.

Tabelle II-3: Ortsverteilung der Aufsatz-Autoren des AfS 1961 – 1968 innerhalb der BRD

Stadt Zahl der Autoren Teil (%) Bonn 6 30 Braunschweig 5 25 Berlin 2 10 Marburg 2 10 Anderes 5 25 Summe 20 100

4.3 Ansatz einer neuen Generation sozialdemokratischer Historiker

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands erzielte mit dem Kanzlerkandidaten Willy Brandt im Bundestagswahlkampf 1961 beträchtliche Erfolge. Neue Schichten, die der Partei bis dahin noch fernstanden, fühlten sich durch die programmatisch neu positionierte Sozialdemokratie angezogen. Die SPD galt nun für eine wachsende Zahl von westdeutschen Wählern als eine echte Alternative zur herrschenden bürgerlichen Koalitionsregierung. Der Wechsel im politischen Stimmungsklima hatte unmittelbaren Einfluss auf die Verbindung zwischen Sozialdemokratie und der jüngeren Generation der westdeutschen Historikerschaft. Ein wichtiges Merkmal ist, dass sich junge Historiker in wachsender Zahl der Geschichte der Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie widmeten und SPD-Mitglieder wurden. Heinrich August Winkler, der 1963 bei Hans Rothfels mit einer Arbeit zur Geschichte der Deutschen Fortschrittspartei promoviert wurde, erinnerte sich daran, dass eine Reihe der Schüler von Hans Rothfels »zu Beginn der 60er Jahre in die SPD eintraten«. »Ich habe das auch getan«, so Winkler, »nachdem ich mich zuvor als Schüler in der CDU betätigt hatte. Aber ich brach dann aufgrund

205 Ihre Korrespondenzen siehe z.B. AdsD, Bestand Parteivorstand, Archiv/Bibliothek, Nr.02280. 100

des Wahlkampfes von 1961, in dem Willy Brandt als Emigrant diffamiert wurde, diese Bindung ab und bin im Frühjahr 1962 in die SPD eingetreten.«206 Als Schüler von Hans Rothfels wurde Hans Mommsen 1959 mit der Arbeit »Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im Habsburger Vielvölkerstaat 1867-1907« promoviert. Er trat 1960 in die SPD ein. Einige andere prominente Beispiele belegen dies: Hans-Ulrich Wehler wurde 1960 bei Theodor Schieder mit der Arbeit »Sozialdemokratie und Nationalstaat (1840–1914)« promoviert. Gerhard A. Ritter habilitierte sich 1961 mit einer Schrift über die Sozialdemokratische Partei und die Freien Gewerkschaften zwischen 1890 bis 1900. Hans-Josef Steinberg, der 1962 Mitglied der SPD wurde, wurde 1967 mit der Schrift »Sozialismus und deutsche Sozialdemokratie. Zur Ideologie der Partei vor dem Ersten Weltkrieg« promoviert. Helga Grebing, der seit 1948 SPD- Mitglied war, begann 1967 mit ihrem Habilitationsprojekt zum Thema »Konservative Kritik an der Demokratie in der Bundesrepublik nach 1945«. Mit diesen Namen sind zugleich auch einflussreiche und renommierte Vertreter einer neuen Generation junger Hochschullehrer genannt, die ihrerseits durch richtungweisende neue Projekte die Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung entscheidend stimulieren sollten. Dementsprechend wurden die Partei-Historikerschaft-Netzwerke besonders durch die Quellenarbeit jüngerer aufstrebender Sozialhistoriker und verdienter sozialdemokratischer Geschichtsforscher, und zwar durch ihre Nutzung der Parteibibliothek der SPD, hergestellt. Die Mitarbeiterin des Heidelberger Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Ursula Hüllbüsch, schrieb an Rudolf Rothe: »Da die deutschen Bibliotheken, wie so häufig, das von mir am dringendsten gebrauchte Material leider nicht besitzen, wage ich es heute noch einmal, Sie um ihre Hilfe zu bitten.«207 Hans-Ulrich Wehler erbat 1958 für seine Dissertation »Sozialdemokratie und Nationalstaat« Rothes Auskünfte über die einschlägigen Nachschlagewerke: »Ich weiß, Herr Rothe, dass diese Fragen für Sie wahrscheinlich viel Arbeit bedeuten. Die üblichen Handbücher und Nachschlagewerke sind aber nicht präzise genug, so dass ich Sie um diesen Rat bitten muss.«208 Wolfgang Abendroth und Erich Matthias zählten ebenso zu denen, die sich für ihre Untersuchungen an die Parteibibliothek wandten.209 Daneben lassen sich folgende Namen auf der Namenliste der Korrespondenzpartner mit der Parteibibliothek stehen: Kurt Koszyk, Dieter Groh,

206 Heinrich August Winkler, »Warum haben wir nicht den Mut gehabt, kritische Fragen zu stellen?«, in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Versäumte Fragen, a.a.O., S.369-382, hier S.373. 207 AdsD, Bestand Parteivorstand, Archiv/Bibliothek, Nr. 02282. 208 AdsD, Bestand Parteivorstand, Archiv/Bibliothek, Nr. 02280. 209 Rüdiger Zimmermann, Das gedruckte Gedächtnis der Arbeiterbewegung bewahren: Die Geschichte der Bibliotheken der deutschen Sozialdemokratie, Bonn 2008³, S.46. 101

Wilhelm Matull, Hedwig Wachenheim und Henryk Skrzypczak. Diese Namen stehen für viele andere. Das Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1966/67 nennt mehr als 100 Dissertationen, die mit Hilfe von Parteiarchiv und Bibliothek geschrieben wurden. Davon kam ein großer Teil aus der Geschichtswissenschaft. Dies kann sicherlich als Hinweis für die wachsende Anziehungskraft der SPD auf junge Historiker interpretiert werden.

4.4 Einwirkung der Studentenbewegung

Unter der Studentenbewegung in der Bundesrepublik 1968 hatten in der Historikerschaft nicht nur konservative Hochschullehrer wie Werner Conze, Andreas Hillgruber und Ernst Nolte zu leiden, sondern ebenso gestandene Sozialdemokraten.210 Die Reaktionen von Thomas Nipperdey und Imanuel Geiss zeigen, wie sich sozialdemokratische Historiker unter dem Einfluss der Studentenrevolte von der Sozialdemokratie entfernten. 1967 wechselte Nipperdey an das Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin. Ein Jahr später, gerade 1968, trat er der SPD in den Ortsverein im Berliner Bezirk Zehlendorf ein. Über dieses politische Engagement von Nipperdey sagte Hermann Lübbe: »Das geschah keineswegs in der Absicht, damit den ersten Schritt einer politischen Karriere zu setzen. Um einen Beitrag zur Erneuerung einer alten Partei aus dem Geiste irgendeiner kritischen Theorie sollte es sich auch nicht handeln, um die Verschaffung einer parteipolitischen Basis zur Politisierung der Hochschulen erst recht nicht. Der Gelehrte, der sich an der Parteibasis betätigt – das ist ein Fall von Vermittlung akademischer und politisch-bürgerlicher Welt in der Einheit einer Person, und der nötige Sinn dessen erfüllt sich unabhängig von der Reichweite innegehabter Ämter.«211 Als Dekan der Philosophischen Fakultät stieß er in demselben Jahr mit den protestierenden Westberliner Studenten zusammen. Er wurde – ähnlich wie Conze in Heidelberg – von Studenten mit Farbeiern beworfen. 212 Als die SPD der 68er Studentenbewegung auf halbem Wege entgegengekommen war, grenzte Nipperdey sich als Sozialdemokrat gegen die neue Linke ab, polemisierte gegen deren »pseudorevolutionäre Indoktrination« und geriet dann in ein gespanntes Verhältnis zu seiner Partei. Um dieser Bewegung angesichts ihrer Beschädigung der akademischen Freiheit zu widersprechen, fand er schließlich im »Bund Freiheit der Wissenschaft« (BFW), der Ende 1970 von konservativen Hochschullehrern als überregionale

210 Vgl. Klaus Große Kracht, Die zankende Zunft. Historische Kontroversen in Deutschland nach 1945, Göttingen 2005, S.71, 73f.. 211 Hermann Lübbe, Die politische Verantwortung des Gelehrten, a.a.O., S.38. 212 Uwe Wesel, Die verspielte Revolution. 1968 und die Folgen, München 2002, S.203. 102

Interessengemeinschaft ins Leben gerufen wurde, eine gemeinsame organisatorische und publizistische Plattform. Die Differenz zwischen Nipperdey und SPD, die sich aus der 68er Studentenbewegung ergab, war einer der bedeutendsten Gründe für seinen Austritt aus der SPD Anfang der 80er Jahre. Imanuel Geiss, der noch wenige Jahre zuvor während der Fischer-Kontroverse als linker Flügelmann von der Historikerzunft erachtet wurde, kritisierte die Agitation sozialistischer Linken aus der Studentenbewegung: »Sie nennen sich zwar ›sozialistisch‹ oder ›kommunistisch‹, gebärden sich auf jeden Fall revolutionär, aber ihr bisher gezeigter Mangel an intellektuellen und politischen Qualitäten lässt das Schlimmste befürchten, sollten sie je entscheidenden Einfluss in unserer Gesellschaft gewinnen. Wer sie aus nächster Nähe an Hochschulen und Universitäten beobachten konnte, ihre aus Ignoranz und Arroganz gespeiste Intoleranz und Brutalität der Argumentation selbst erfahren hat, kann vor solchen pseudo-sozialistischen Elementen nur nachdrücklich warnen.«213 Geiss sprach vielmals im kritischen Sinne von einer linken »Neuen Orthodoxie«214 des politisch-ideologischen Elements in der deutschen Geschichtswissenschaft, die vor dem Hintergrund der Studentenbewegung 1967/68 mit der Durchsetzung der Bielefelder Gesellschaftsgeschichte begann. In den siebziger und achtziger Jahren löste er sich allmählich von der sozialdemokratischen Lage und befand sich manchmal in der rechten Ecke. Im Unterschied zu Thomas Nipperdey und Imanuel Geiss fehlt es in der sozialdemokratischen Historikergruppe nicht an Versuchen, mit den Studenten und Studentinnen ins Gespräch zu kommen. Hans Ulrich-Wehler, damals noch Privatdozent in Köln, erinnerte sich, nach seiner morgendlichen Vorlesung häufig mit den Studenten weiterdiskutiert zu haben: »Im entscheidenden Moment hatte ich immer noch ein Marx-Zitat parat. Solange Wolfgang Mommsen, Helmut Berding und ich in Köln waren, war das Klima relativ entspannt, da wir in die Fachschaftssitzungen gingen und noch ein Seminar über Marx, den Nationalsozialismus oder den Historismus anboten, wenn es gewünscht wurde. Da musste aber hart gearbeitet werden, was die Studenten auch taten. Deshalb gab es keine explosive Stimmung wie in Frankfurt oder

213 Imanuel Geiss, Was wird aus der Bundesrepublik? Die Deutschen zwischen Sozialismus und Revolution, Hamburg 1973, S.126f.. 214 Vgl. Imanuel Geiss, Von der Rechts- zur Linksorthodoxie. Das politisch-ideologische Element in der deutschen Geschichtsschreibung seit 1871, von Treitschke zu Wehler, in: Thomas Stamm-Kuhlmann/Jürgen Elvert/Birgit Aschmann/Jens Hohensee (Hrsg.), Geschichtsbilder. Festschrift für Michael Salewski zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2003, S.410-431; ders., »Neubeginn und Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft in den 1950/60er Jahren«, a.a.O.. 103

Berlin.« 215 Bei vielen Historikern, die der Sozialdemokratie nahestanden, spielten die Studentenunruhen keine negative Rolle bei ihren Verbindungen mit der SPD. Als ein Aufschwung der SPD nach der Studentenbewegung begann, profitierte davon auch die Verbindung zwischen dieser Partei und den sozialdemokratischen bzw. linksliberalen Historikern.

215 Hans-Ulrich Wehler, »Historiker sollten auch politisch zu den Positionen stehen, die sie in der Wissenschaft vertreten.«, in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Versäumte Fragen, a.a.O., S.240-266, hier S.252f.. 104

III. Kommunikation 1969 – 1982: Aufstieg und Akademisierung

»Es trifft zu, dass ein Gutteil der Historiker der mittleren und jüngeren Generation politisch weiter liberal-sozialdemokratische Positionen der linken Mitte unterstützt.«216

In den 1960er und 1970er Jahren entwickelten sich die verschiedenen Strömungen der »neuen Linken« in der europäischen und amerikanischen Welt sehr schnell und fanden ein breites Echo in der universitären Welt (der Geistes- und Sozialwissenschaften) und unter Intellektuellen. Die Spuren in der Geschichtswissenschaft der westlichen Welt waren deutlich erkennbar: In Großbritannien verbreitete sich eine Strömung der intellektuellen »New Left«, die politisch und wirtschaftlich neomarxistisch ausgerichtet war, und verstärkte die bereits seit den 1950er Jahren etablierte linke unorthodox marxistische bzw. sozialistische Geschichtsschreibung, die sich um die Gruppe der Zeitschrift past and present herum entwickelt hatte. In den 1970er Jahren erreichten die verschiedenen Richtungen dieser breiten Strömung ihren Höhepunkt. In Frankreich und Italien kritisierten die neo-marxistischen Neuen Linken nicht zuletzt die etablierte marxistische Geschichtsschreibung, die sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in enger Verbindung zu den kommunistischen bzw. sozialistischen Parteien entwickelt hatte. Auch in den USA gab es zu dieser Zeit eine »New Left«-Historiographie, deren Vertreter durch ihre Kritik am amerikanischen Gesellschaftssystem, insbesondere durch ihre diplomatiegeschichtliche Kritik der Weltgendarmenrolle der USA in Geschichte und Gegenwart, das politisch-öffentlichen Geschichtsbild ihres Staates beeinflussten. 217 Der Einfluss der Neuen Linken auf die Geschichtswissenschaft war demgegenüber in der Bundesrepublik deutlich schwächer und ganz anders als der in anderen europäischen Ländern und in den USA. Im Vergleich zu englischen linken Historikern hatten die westdeutschen linken Historiker keine enge Verbindung mit den marxistischen Theorien. In Großbritannien waren Historiker der »New Left« stark vom Marxismus beeinflusst. Diese linke Historikerschaft umfasste vor allem zwei Gruppen: Eine Gruppe, zu der vor allem Eric Hobsbawm und Rodney Hilton angehörten, nahm das klassische marxistische Modell und den historischen Materialismus auf und hob die gesellschaftlichen und

216 Hans-Ulrich Wehler, Geschichtswissenschaft heute, a.a.O., S.750. 217 Rainer Schnoor, Die New Left history in den USA. Studien zur historisch-politischen Konzeptionen und zum konkret-historischen Geschichtsbild, Dissertation an der Pädagogischen Hochschule »Karl Liebknecht« , 1984. 105

wirtschaftlichen Beziehungen hervor. Eine andere Gruppe der Historiker wie E. P. Thompson und Christopher Hill betonte vielmehr die Funktion der Kultur bzw. des »Überbaus« der Gesellschaft und akzentuierte die Rolle der Akteure für Klassenidentität und Kulturbildung, um den Marx' Wirtschaftsdeterminismus zu überwinden. Aber solche Anknüpfungspunkte in der universitären Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik existierten angesichts des traditionellen Anti- Marxismus und Antikommunismus kaum. Im Unterschied zur New Left-Historiographie in den USA, die eine »größere Abwehrhaltung gegenüber den systematischen Sozialwissenschaften«218 hatte, hatte die bundesrepublikanische Geschichtswissenschaft eine viel stärkere Verankerung in der Soziologie und den benachbarten Sozialwissenschaften und knüpfte hier an die Traditionen der Kritischen Theorie und des Frankfurter Instituts für Sozialforschung an. So konnte seit Ende der sechziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland eine Gruppe von linksliberal- sozialdemokratischen Historikern breite Wirkung auch ins Lager der Neuen Linken entfalten und nach und nach in den Mittelpunkt der Bühne politisch-historischer Kommunikation treten. Im Gegenzug intensivierte die Sozialdemokratische Partei dementsprechend in unterschiedlicher Weise ihren Dialog mit der westdeutschen Geschichtswissenschaft. Zwischen 1969 und 1982 stieg die westdeutsche Sozialdemokratie nicht nur zur politisch und gesellschaftlich zentralen politischen Kraft in der Bundesrepublik auf, sondern verstärkte in gleicher Weise auch ihre Kommunikation mit der Geschichtswissenschaft. Dabei knüpfte sie immer mehr Kontakte in die akademische Welt der Historiker. Die »Historische Sozialwissenschaft«, die sich in den siebziger Jahren in der Bundesrepublik herausbildete, ist vor diesem Hintergrund oft als »linksliberal- sozialdemokratisch« bezeichnet worden. Aber die konkrete Kommunikation zwischen der Sozialdemokratischen Partei und der Geschichtswissenschaft war komplexer, als dieses einfache Bild einer direkten Überstimmung zwischen Sozialdemokratie und »historischer Sozialwissenschaft« suggeriert. Es blieb auch in dieser Phase ambivalent: In sachlicher Hinsicht gab es immer sowohl Unterstützer als auch Gegner aus der Historikerschaft für oder gegen die Innen- und Außenpolitik der sozialliberalen Koalition. In personeller Hinsicht war es auch nicht selten, dass ein Historiker, der sich früher eng mit der Sozialdemokratischen Partei verbunden hatte, später auf Abstand zu ihr ging. Zu beobachten war auch, dass ein Historiker, der in einer politischen Kontroverse hinter der Partei stand, bei einer anderen Streitfrage gegen die SPD auftrat. Richtig ist, dass diese Kommunikation

218 Besser Jürgen Kocka, Theorien in der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte. Vorschläge zur historischen Schichtungsanalyse, in: GG 1 (1975), S.9-42, hier S.11. 106

von 1969 bis 1982 vielseitiger wurde, an viel mehr Orten stattfand und viel mehr Beteiligte umfasste. Im Ergebnis spielten Geschichtsbilder und Geschichtsschreibung aus sozialdemokratischer Perspektive sowohl in der Öffentlichkeit und als auch in der Geschichtswissenschaft eine wichtigere Rolle als zuvor.

1. Veränderungen des Verhältnisses zwischen Politik und Geschichtswissenschaft

In der zeitgeschichtlichen Rückschau ist das ereignisreiche Doppeljahr 1967/68 als Ende der »Nachkriegszeit« der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet worden. 219 Danach veränderten sich sehr rasch die parteipolitischen Kräfteverhältnisse, aber parallel dazu auch die intellektuellen Konstellationen. So gibt es gute Gründe für die These, dass das Verhältnis zwischen westdeutscher Politik und Geschichtswissenschaft von dem Machtwechsel 1969 bis zum Bruch der sozialliberalen Koalition 1982 eine neue Phase durchlaufen hat. Die westdeutsche Historikerschaft, die bis 1968 trotz vereinzelter kritischer Stimmen zum Status quo des Faches im Großen und Ganzen an dem Deutungsanspruch der Geschichtswissenschaft als Orientierungspunkt für die aktuelle Politik und als Sinnstifterin und Bildungsgut für die Gesellschaft festhielt, verlor sichtlich nach und nach an Vertrauen in die eigene Erklärungskraft und begann seit Ende der sechziger Jahre über den politischen Nutzen der Geschichte bzw. die politische Funktion der Geschichtswissenschaft zu diskutieren und zu streiten. Diese Kontroversen hielten die siebziger Jahre über unvermindert an und so war die Beziehung zwischen Politik und Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik konfliktreicher als die in den fünfziger und sechziger Jahren. Das ist erstens darauf zurückzuführen, dass die westdeutsche Historikerschaft bei der Antwort auf die Frage über die Ortsbestimmung der Geschichtswissenschaft in der Politik und gleichfalls in der Gesellschaft in zwei unterschiedliche, manchmal in scharfem Gegensatz zueinander tretende Gruppen zerfiel: Die eine hielt Abstand von einer »Funktionalisierung« der Geschichtsschreibung und lehnte entschlossen ab, gegenwärtigen »praktischen Nutzen« für die Geschichtswissenschaft zu suchen. Für sie bedurfte Geschichtswissenschaft keiner Rechtfertigung und keines Nachweises einer speziellen Nützlichkeit.220 Im Gegensatz dazu verstand die andere Gruppe sich als kritische Historiker und

219 Anselm Doering-Manteuffel, Deutsche Zeitgeschichte nach 1945. Entwicklung und Problemlagen der historischen Forschung zur Nachkriegszeit, in: VfZ 41 (1993), S.1-29, hier S.1. 220 Golo Mann, Ohne Geschichte leben? (Rede auf dem Historikertag in Regensburg 1972), in: Die Zeit, 13.10.1972. 107

definierten das Fach als eine nicht politisch instrumentalisierte, aber »praktische engagierte« Geschichtswissenschaft. 221 Diese zwei unterschiedlichen Stellungnahmen innerhalb der Historikerschaft führten dazu, dass parallel zur Intensivierung der Kommunikation zwischen Politik und Geschichte der Vorwurf wuchs, die Geschichtsschreibung lasse sich durch die Verbindung zur Politik instrumentalisieren, sie diente allein Politik und beschädige deswegen die Wissenschaftlichkeit der Geschichtswissenschaft. Ein zweiter Grund für die zahlreichen Konflikte ist darin zu suchen, dass sich in der Bundesrepublik das Kräfteverhältnis zwischen politisch christdemokratisch ausgerichteten und sozialdemokratisch ausgerichteten Historikern seit 1969 veränderte: Letztere verbesserten nach und nach ihre Stellung in der akademischen Fachwelt und in der politischen Öffentlichkeit. Sie konnten deshalb mit ersteren ernsthaft in Konkurrenz treten und dem Verhältnis zwischen Politik und Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik ihren Stempel aufdrücken. Während der Jahre 1959 bis 1968 hatten konservative Positionen in den politisch-öffentlichen Diskussionen über das deutsche Geschichtsbild letztlich ihre Dominanz verteidigt; in den siebziger Jahren dagegen profitierte die linksliberal-sozialdemokratische Seite von dem Aufbruch und der Neuorientierung, die zum Teil von der Fischer-Kontroverse in der ersten Hälfte der sechziger Jahre ausgelöst worden war. Dank dieser »liberal-sozialdemokratischen Strömung« 222 innerhalb der bundesrepublikanischen Historikerschaft verschoben sich der Kräfteverhältnisse im Kommunikationssystem zwischen Politik und Geschichtswissenschaft in den siebziger Jahren allmählich von rechts nach links.

1.1 Konflikte und neue Beziehungen

Gegen Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre kam die etablierte Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik in Bedrängnis. Ihre Standortbestimmungen im Rahmen des Wissenschaftssystems und der modernen Gesellschaft wurden in Frage gestellt. Während der gesamten Dauer der siebziger Jahre wurde nicht nur Kritik an ihrer traditionellen wissenschaftstheoretischen Verortung und ihrem gesellschaftlichen Rollenverständnis, sondern vor allem auch an ihrem bildungspolitischen und pädagogischen Selbstverständnis geübt. Geschichte allgemein, Geschichtswissenschaft, Geschichtsunterricht und historisches Wissen als Bildungswert schienen in der westdeutschen Wissenschaft und Gesellschaft nicht mehr die

221 Jürgen Kocka, Theorien in der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte, a.a.O., S.11. 222 Hans-Ulrich Wehler, Geschichtswissenschaft heute, a.a.O., S.752. 108

Bedeutung zu besitzen, die ihnen traditionell beigemessen wurden. In diesen Kontroversen nahm die westdeutsche Historikerschaft unterschiedliche Positionen ein, die mit den beiden gegensätzlichen Polen Anerkennung des Eigenwerts der Geschichte und der Geschichtswissenschaft einerseits und Verteidigung ihrer gesellschaftlich-politischen Funktion und Bedeutung andererseits beschrieben werden können. In fachwissenschaftlicher Hinsicht befand sich die Geschichtswissenschaft in Westdeutschland zu dieser Zeit in »eine[r] entscheidende[n] Umbruchphase«223 , in der der traditionelle Historismus »als verstehende Geisteswissenschaft mit konservativ-staatstreuer Inklination«224 in eine Krise geriet und die moderne Geschichtswissenschaft in einer neuen Position »jenseits des Historismus« platziert wurde.225 Vorschläge zu einer neuen Einteilung der Wissenschaften jenseits der etablierten Zweiteilung der akademischen Welt in Natur- und Geisteswissenschaften stellten auch den etablierten Platz der Geschichtswissenschaft in Frage. In seiner Frankfurter Antrittsvorlesung von 1965 unterschied Jürgen Habermas drei unterschiedliche Gruppen von Wissenschaften: Während die Naturwissenschaften auf die technische Verfügung über die äußere Welt und die Geisteswissenschaften auf den Erhalt und die Erweiterung von Verständigung hin angelegt seien, zielten die systematischen Handlungswissenschaften, nämlich Ökonomie, Soziologie und Politik, auf die Veränderung bestehender sozialer Verhältnisse.226 Für die Geschichtswissenschaft stellte sich damit aber die Frage, zu welchem Wissenschaftstyp sie eigentlich gehörte oder gehören sollte: War sie Teil der hermeneutischen Geisteswissenschaften oder der kritisch-emanzipatorischen Sozialwissenschaften? Angesichts der wachsenden Kritik durch die Sozialwissenschaften gestand eine Gruppe von jüngeren Historikern ein, dass die Geschichtswissenschaft »ohne die Hilfe der benachbarten Sozialwissenschaften nicht mehr auskommen«227 könne. Dementsprechend begannen sie, sich kritisch mit den eher traditionell ausgerichteten Historikern auseinanderzusetzen und die vorherrschenden theoretisch- methodologischen Orientierungen des Faches zu kritisieren. Ein Teil von ihnen schlug den Weg ein, die Geschichtswissenschaft nunmehr als »Historische Sozialwissenschaft« zu definieren und

223 Wolfgang Jäger, Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland, a.a.O., S.157. 224 Johannes Heinssen, Die frühe Krise des Historismus 1870-1900. Das Beispiel der Kunsttheorie, in: Otto Gerhard Oexle (Hrsg.), Krise des Historismus – Krise der Wirklichkeit. Wissenschaft, Kunst und Literatur 1800-1932, Göttingen 2007, S.117-146, hier S.117. 225 Wolfgang J. Mommsen, Die Geschichtswissenschaft jenseits des Historismus, Düsseldorf 1971. 226 Jürgen Habermas, Erkenntnisse und Interesse, in: ders., Technik und Wissenschaft als »Ideologie«, Frankfurt a. M. 1969², S.146-168, hier S.155-159. 227 Wolfgang J. Mommsen, Die Geschichtswissenschaft in der modernen Industriegesellschaft, in: VfZ 22 (1974), S.1-17, hier S.12. 109

neu zu begründen. Parallel zur Auseinandersetzung um Theorien- und Methodenprobleme der historischen Forschung vertiefte sich die Debatte um das gesellschaftliche Selbstverständnis und das Selbstbild der akademischen Geschichtswissenschaft. Fragen nach Bedeutung, Aufgaben, Zweck und Funktion der Geschichte in einer modernen freiheitlich-demokratischen Gesellschaft wurden nun fachintern intensiv diskutiert. 228 Ein Indiz dafür ist die außergewöhnlich starke Zunahme von Vorträgen und Publikationen, die Titel wie »Wozu noch Historie?«, »Wozu noch Geschichte«, »Geschichte – wozu?« tragen 229 und sich der Frage nach der »Relevanz« geschichtswissenschaftlicher Forschung für die Probleme der Gegenwart oder nach der »Funktion der Geschichte in unserer Zeit« zuwenden230, um die früher mehr oder weniger als selbstverständlich akzeptierte Arbeit des Historikers theoretisch zu rechtfertigen und die Geschichtswissenschaft als ein wissenschaftliches »Fach« zu legitimieren. Die Debatte üb er die Bedeutung des von der Geschichtswissenschaft produzierten Wissens für die Orientierung der gesellschaftlichen Praxis war nicht neu. In den fünfziger Jahren hatte die Geschichtswissenschaft bereits ihren Bildungsanspruch und ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit diskutiert.231 Aber Anfang der siebziger Jahre war die Situation insofern eine andere, als es sich nun nicht mehr nur um Klagen über die schwierige Lage außerhalb der Fachwelt handelte, sondern der Streit sich ganz grundsätzlich am Wissenschaftskonzept der Geschichtswissenschaft entzündete.232 Die »Krise der Geschichte« war deswegen nicht nur eine Krise des geschichtlichen Bewusstseins und eine Geltungskrise des geschichtlichen Wissens, sondern auch eine Krise der Geschichtsforschung.

228 Vgl. Wolfgang J. Mommsen, Die Geschichtswissenschaft jenseits des Historismus, a.a.O.; ders., Die Geschichtswissenschaft in der modernen Industriegesellschaft, a.a.O.; Dieter Groh, Kritische Geschichtswissenschaft in emanzipatorischer Absicht. Überlegungen zur Geschichtswissenschaft als Sozialwissenschaft, Stuttgart 1973; Jürgen Kocka, Zu einigen sozialen Funktionen der Geschichtswissenschaft, in: Hellmut Becker/Wolfgang Edelstein/Jürgen Gidion/Hermann Giesecke/Hartmut von Hentig (Hrsg.), Geschichte und Sozialwissenschaften. Ihr Verhältnis im Lehrangebot der Universität und der Schule, Göttingen 1972, S.12-17; Géza Alföldy/Ferdinand Seibt/Albrecht Timm (Hrsg.), Probleme der Geschichtswissenschaft, Düsseldorf 1973; Gerhard Schulz (Hrsg.), Geschichte heute. Positionen, Tendenzen und Probleme, Göttingen 1973. 229 Reinhart Koselleck, Wozu noch Historie?, in: HZ 212 (1971), S.1-18; Thomas Nipperdey, Wozu noch Geschichte?, in: Wolfgang Hardtwig (Hrsg.), Über das Studium der Geschichte, München 1990, S.366-388; Jürgen Kocka, Geschichte – wozu?, in: ders., Sozialgeschichte. Begriff – Entwicklung – Probleme, Göttingen 1977, S.112- 131; Willi Oelmüller (Hrsg.), Wozu noch Geschichte?, München 1977; Arnold Sywottek, Geschichtswissenschaft in der Legitimationskrise. Ein Überblick über Diskussion um Theorie und Didaktik der Geschichte in der Bundesrepublik Deutschland 1969-1973, Bonn-Bad Godesberg 1974. 230 Thomas Nipperdey, Über Relevanz, in: GWU 23 (1972), S.577-596; Eberhard Jäckel/Ernst Weymar (Hrsg.), Die Funktion der Geschichte in unserer Zeit, Stuttgart 1975. 231 Vgl. Hermann Heimpel, Kapitulation vor der Geschichte? Gedanken zur Zeit, Göttingen 1956; Reinhard Wittram, Das Interesse an der Geschichte, a.a.O.; Alfred Heuss, Verlust der Geschichte, a.a.O.. 232 Vgl. Friedrich Jaeger/Jörn Rüsen, Geschichte des Historismus. Eine Einführung, München 1992, S.181f; Klauß Große Kracht, Die zankende Zunft, a.a.O., S.83. 110

In bildungspolitischer Hinsicht sah sich die bundesdeutsche Geschichtswissenschaft in den 1970er Jahren »in die Defensive« 233 , als sie sich durch einen »Strukturwandel des Erkenntnisinteresses in der Gesellschaft« und insbesondere durch »die Zurückdrängung des Geschichtsunterrichts« an Schulen in Hessen und Nordrhein-Westfalen in eine Krise ihrer Reputation und ihrer praktischen Relevanz im schulischen Bildungskanon gestürzt sah.234 Gerade von Seiten radikaler Reformer und im Anschluss an den Studentenprotest wurde der Geschichtswissenschaft ihr Anspruch als leitende »Bildungsmacht« abgesprochen. Die öffentliche Reputation des Faches schien rapide zu sinken. Die Leitanspruch der »Historie« als »Lehrmeisterin der sozialen Wirklichkeit«235 ging spätestens Anfang der siebziger Jahre auf die systematischen, theoriegeleiteten Sozialwissenschaften über. 236 Geschichtswissen und geschichtliche Bildung wurden sogar in einigen Bundesländern »nicht mehr als selbstverständlicher Bestandteil des Bildungskanons«237 empfunden. Die Beschäftigung mit der Geschichte musste sich nunmehr durch den »Nachweis ihrer Beziehung zu den jeweils relevanten 238 politisch-gesellschaftlichen Problemen« legitimieren. So musste die Geschichtswissenschaft ein Jahrzehnt lang in für sie ganz unerwarteter Härte um ihr Überleben als schulrelevantes Lehramtsfach und in Verbindung damit um ihre disziplinäre Selbstbehauptung an der Universität kämpfen. In einer Zeit, als die Geschichtswissenschaft in eine wissenschaftliche Legitimationskrise geraten war, ihre »Bildungsmacht« für die Gesellschaft in Frage gestellt wurde und sie nicht zuletzt ihre Deutungshoheit in der politischen Öffentlichkeit verloren hatte, musste sie ihr Verhältnis zur Politik überprüfen. Auf der einen Seite profilierte sich ein Teil der jüngeren Historiker als Vertreter einer neuen »Historischen Sozialwissenschaft« und beschäftigte sich intensiv mit geschichtswissenschaftlicher Verwendung sozialwissenschaftlicher Theorien. Sie zielten damit darauf, das Berufsverständnis des Historikers grundlegend zu verändern und gleichzeitig Ansehen und politische Funktion der Geschichtswissenschaft in der Öffentlichkeit

233 Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hrsg.), Aufgaben und Finanzierung V. 1976-1978, Bonn-Bad Godesberg 1976, S.86. 234 Rodulf Vierhaus, Zur Lage der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Arbeitergemeinschaft außeruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland 1974, Stuttgart 1974, S.17-32, hier S.17-21. 235 Gerhard Ritter, Geschichte als Bildungsmacht, a.a.O., S.15. 236 Klauß Große Kracht, Die zankende Zunft, a.a.O., S.83. 237 Eugen Lemberg, Zur gesellschaftlichen Funktion der historischen Bildung. Aus Anlass der umstrittenen Rahmenrichtlinien, in: GWU 25 (1974), S.321-335, hier S.323. 238 Der Hessische Kulturminister, Rahmenrichtlinien. Sekundarstufe I Gesellschaftslehre, Wiesbaden 1973, S.18f. 111

wieder herzustellen. Vor allem Hans-Ulrich Wehler machte sich zum Wortführer der Versuche, Geschichtswissenschaft als eine »kritische Gesellschaftswissenschaft« zu etablieren. Er hoffte, der Geschichtswissenschaft so ihre alte Orientierungsfunktion, wenn auch unter kritischem Vorzeichen, zurückgeben zu können und die von Theodor Mommsen überlieferte »Pflicht politischer Pädagogik« des Historikers zu erneuern.239 »Von den Reformbewegungen der späten 60er und frühen 70er Jahre und deren weiter zurückliegenden intellektuellen Vorbereitungen nicht unbeeinflusst und meist an linksliberalen bis radikaldemokratischen Perspektiven orientiert«, so schrieb Jürgen Kocka im ersten Heft von Geschichte und Gesellschaft im Jahr 1975, »plädierten diese Historiker [von Historischer Sozialwissenschaft] für eine Geschichtswissenschaft, die ihre Pflicht zur politisch-gesellschaftlichen Pädagogik in emanzipatorischer Absicht und ihren ›moralischen Beruf‹ zur praktisch relevanten Selbstaufklärung der gegenwärtigen Gesellschaft ernst nähme – ernster als bisher.«240 Mit dieser bewussten und offenen Politisierung der Geschichtswissenschaft als »Historischer Sozialwissenschaft« etablierte sich erstmals eine selbstbewusste linke Position in der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft. Als Kritiker und Gegenpol dieser Position gruppierten sich nicht minder prominente Neuzeithistoriker wie Thomas Nipperdey, Andreas Hillgruber und Klaus Hildebrand, die unablässig vor einer Politisierung der Wissenschaft warnten und seit Mitte der 70er Jahre offen den konservativen Widerstand gegen den Vormarsch der »Historischen Sozialwissenschaft« formulierten. Auch wenn außerwissenschaftliche Kräfte für die Generierung von Fragestellungen eine wichtige Rolle spielten, so argumentierte Thomas Nipperdey, sei die »Geltung« wissenschaftlicher Thesen und Ergebnisse von ihrer »Genese« doch unabhängig: Das Interesse der Praxis sei nicht die Norm geschichtlicher Erkenntnis. Die Objektivität der Erkenntnis werde allein durch die intersubjektive Überprüfbarkeit verbürgt, nicht durch den politischen Standort des Forschers. Die pädagogische Bedeutung eines geschichtlichen Gegenstandes sei nicht vorher abzusehen und nur die von ihrer praktischen Verwendbarkeit und ihrer moralischen Relevanz abgesehene Geschichtserkenntnis könne der Praxis einen wirklichen Dienst leisten.241 Es gebe keine »reaktionären« oder »fortschrittlichen« Forschungsergebnisse, so erklärte Andreas Hillgruber: Ein Forschungsergebnis könne eine tatsächlich oder vermeintlich »reaktionäre«

239 Hans-Ulrich Wehler, Krisenherde des Kaiserreichs 1871-1918. Studien zur deutschen Sozial- und Verfassungsgeschichte, Göttingen 1970, S.9. 240 Jürgen Kocka, Theorien in der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte, a.a.O., S.11. 241 Thomas Nipperdey, Über Relevanz, a.a.O., S.89-93. 112

politische Position stützen und dennoch richtig sein, so wie umgekehrt ein noch so »reaktionär« klingendes oder im Sinne politischer Reformen liegendes Ergebnis sachlich unhaltbar sein könne. Deswegen meinte er, »die Bedingung der Möglichkeit freier wissenschaftlicher Forschung geht verloren, wenn Doktrinen, die eine totale Politisierung der Wissenschaften postulieren und diese sich dienstbar zu machen suchen, die Oberhand gewinnen.«242 Während Hans-Ulrich Wehler die Existenz von »reaktionär« oder »liberal« gefärbten Forschungsergebnissen und Lehrveranstaltungen nach Erkenntnisinteresse, Begriffswelt und politischen Implikationen behauptete 243 , warnte Klaus Hildebrand davor, »die Freiheit der Wissenschaft inhaltlicher Bevormundung durch politische Institutionen zu opfern«244. Er sprach sich ebenso wie Andreas Hillgruber für eine eigenständige politik- und diplomatiegeschichtliche Forschung aus und prangerte Hans-Ulrich Wehlers Modell der Gesellschaftsgeschichte als einen neuen, politisch links orientierten »Herrschaftsanspruch« in der deutschen Geschichtswissenschaft an. 245 In diesem Sinne wurde den Vertretern der »liberal-sozialdemokratischen Strömung« sogar vorgeworfen, aus der »Historischen Sozialwissenschaft« eine »Überwissenschaft« machen zu wollen und zudem zu einen großen Teil neomarxistisches Gedankengut zu verbreiten, wozu die politische Ausrichtung der »Historischen Sozialwissenschaft« ihren Teil beitrug.246 Die theoretischen und methodischen Konflikte innerhalb der Historikerschaft und die politischen Konflikte außerhalb der Fachhistorie übten direkten und indirekten Einfluss auf das Rollenverständnis und die Ortsbestimmung der westdeutschen Geschichtswissenschaft in der politischen Sphäre aus.

1.2 Politische Stellungen der westdeutschen Historiker

In einem positiven Sinne war die Historikerschaft in der Bundesrepublik in den 1970er Jahren »heterogener« geworden. 247 Das bezieht sich nicht nur darauf, dass die Themen der

242 Andreas Hillgruber, Politische Geschichte in moderner Sicht, in: HZ 216 (1973), S.529-552, hier S.549f. 243 Hans-Ulrich Wehler, Moderne Politikgeschichte oder »Große Politik der Kabinette«, in: GG 1 (1975), S.344-369, hier S.352. 244 Klaus Hildebrand, Geschichte oder »Gesellschaftsgeschichte«? Die Notwendigkeit einer politischen Geschichtsschreibung von den internationalen Beziehungen, in: HZ 223 (1976), S.328-357, hier S.351, Anm.58. 245 Ebd., S.335. 246 Zur Debatte über die »Historische Sozialwissenschaft« siehe Winfried Baumgart, Deutschland im Zeitalter des Imperialismus 1890-1914, Berlin 1971, S.12; Andreas Hillgruber, Deutsche Geschichte 1945-1972, Berlin 1974, S.182 ff.; Walther Hubatsch, Kaiserliche Marine, München 1975, S.76ff; Hans-Ulrich Wehler, Geschichte als Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung. Studien zu Aufgaben und Traditionen deutscher Geschichtswissenschaft, Göttingen 1980, S.35-40. 247 Hans-Ulrich Wehler, Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung, a.a.O., S.40. 113

geschichtswissenschaftlichen Forschung vielfältiger geworden waren, sondern auch darauf, dass das Spektrum der politischen Neigungen innerhalb der Historikerschaft breiter geworden war. Zwischen Ende der 1960er und Anfang der 1980er Jahre blieb das Gewicht des konservativen Lagers noch groß. Aber die konservativen Historiker waren seit diesem Zeitpunkt nicht mehr die dominante, meinungsführende Strömung innerhalb der westdeutschen Geschichtswissenschaft. Eine junge Generation von linksliberal-sozialdemokratischen Historikern war inzwischen herangewachsen, welche auf alle Grundsatzfragen des wissenschaftlichen und politischen Selbstverständnisses Alternativen zum konservativen Lager formulierten. Der Grund für diese Veränderung lag vor allem in dem ersten Generationswechsel der westdeutschen Historikerschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwei der prominentesten Vertreter einer konservativen Geschichtsschreibung Gerhard Ritter (Jahrgang 1888) und Hans Rothfels (Jahrgang 1891) verstarben im Juli 1967 und im Juni 1976. Theodor Schieder (Jahrgang 1910), Karl Dietrich Erdmann (Jahrgang 1910) und Werner Conze (Jahrgang 1910) wurden jeweils 1976 an der Universität Köln, 1978 an der Universität Kiel und 1979 an der Universität Heidelberg emeritiert. Parallel dazu gewannen jüngere Vertreter einer konservativen bzw. gemäßigten Richtung an Einfluss. 1965 wurden Ernst Nolte (Jahrgang 1923) und Andreas Hillgruber (Jahrgang 1925) als Professor an der Universität Marburg berufen. 1972 wurde Klaus Hildebrand (Jahrgang 1941) Professor an der Universität Bielefeld. Diese jüngeren Historiker führten die konservative Tradition der deutschen Geschichtswissenschaft weiter und standen politisch in der Nähe der Christdemokratie und des Neokonservatismus. Im Vergleich zum langsameren Generationswechsel der konservativen Historiker war das schnelle Anwachsen einer jüngeren linken Gruppe auf einen kürzeren Zeitraum zwischen Ende der 1960er und Mitte der 1970er Jahre konzentriert. Dank der Gründung neuer Universitäten und der Universitätsreform, die dem Fach Geschichte mehr Stellen bot248, erhielten inzwischen viele Historiker, die in den 1930er Jahren geboren und politisch linksliberal bzw. sozialdemokratisch orientiert waren, Lehrstühle an den Universitäten. 1967 wurde Eberhard Jäckel (Jahrgang 1929) zum Professor an der Universität Stuttgart berufen. 1968 wurde Hans Mommsen (Jahrgang 1930) Professor an der Ruhr-Universität Bochum, Wolfgang J. Mommsen (Jahrgang 1930) Professor an der Universität Düsseldorf und Rudolf von Thadden (Jahrgang 1932) Professorin an der Universität Göttingen. 1970 begannen die Laufbahnen als Professor von Wolfgang Schieder

248 Die Stellenexpansion der historischen Fakultät von 1960 bis 1975 siehe z.B.: Hans-Ulrich Wehler, Geschichtswissenschaft heute, a.a.O., S.739-741. 114

(Jahrgang 1935) und Eberhard Kolb (Jahrgang 1933) jeweils in Trier und Würzburg. Im gleichen Jahr wurde Reinhard Rürup (Jahrgang 1934) im Friedrich-Meinecke-Institut an der Freien Universität Berlin zum Professor ernannt. Hans-Ulrich Wehler (Jahrgang 1931) erhielt 1971 einen Lehrstuhl an der Universität Bielefeld. 1972 wurde Helga Grebing (Jahrgang 1932) zur Professorin an der Universität Göttingen und Heinrich August Winkler (Jahrgang 1938) zum Professor an der Universität Freiburg berufen. 1973 wurde Jürgen Kocka (Jahrgang 1941) Professor an der Universität Bielefeld und Lutz Niethammer (Jahrgang 1939) Inhaber eines Lehrstuhls an der Universität/Gesamthochschule Essen. 1974 wurden Dieter Groh (Jahrgang 1932) und Hartmut Soell (Jahrgang 1939) Professoren jeweils in Konstanz und Heidelberg. Hermann Weber (Jahrgang 1928) wurde 1975 Inhaber eines Lehrstuhls an der Universität Mannheim. Die wissenschaftlichen Karrieren solcher jüngeren Historiker stellten die erfolgreiche Einbettung der linksliberal-sozialdemokratischen Ausrichtung in der akademischen Welt dar.

2. Umgang der SPD mit Geschichte und Geschichtswissenschaft im Spiegel ihrer Politik

Ende der sechziger Jahre war im gesellschaftlichen Klima der Bundesrepublik nicht zuletzt unter dem Einfluss der Studentenbewegung ein Wandel eingetreten. Die NS-Vergangenheit und die »konservative Demokratie« in Nachkriegsdeutschland wurden kritisch hinterfragt. »Politisch schlug sich dieser kritische, antikonservative Trend zu Gunsten der SPD nieder«.249 Am 5. März 1969 wurde Gustav Heinemann zum ersten sozialdemokratischen Bundespräsidenten in Deutschland gewählt. Im Oktober desselben Jahres stand die neue sozialliberale Koalitionsregierung aus SPD und FDP unter Bundeskanzler Willy Brandt. Nach dem Rücktritt Willy Brandts als Kanzler wurde Helmut Schmidt im Mai 1974 sein sozialdemokratischer Nachfolger. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands bestimmte maßgeblich die Politik in der Bundesrepublik, bis im Jahr 1982 die sozialliberale Koalition zerbrach und Helmut Schmidt als Bundeskanzler zurücktrat. Mit einigem Recht kann man sogar von einem »sozialdemokratischen Jahrzehnt« für diesen Zeitraum sprechen.250 In den Jahren von 1969 bis 1982 intensivierten sich zugleich auch die Kommunikation der Sozialdemokratie mit der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft und die Beschäftigung der Partei im Umgang mit der deutschen Vergangenheit und in der Kommunikation mit den bundesrepublikanischen

249 Heinrich Potthoff/Susanne Miller, Kleine Geschichte der SPD 1848-2002, a.a.O., S.228. 250 Vgl. Bernd Faulenbach, Die Siebzigerjahre – ein sozialdemokratisches Jahrzehnt?, a.a.O.. 115

Historikern. Beides veränderte die Beziehungen zwischen der SPD und der westdeutschen Geschichtswissenschaft. Zum einen schenkte die sozialdemokratische Partei als dominierende Regierungspartei der Geschichtspolitik mehr Aufmerksamkeit als während der Jahre in der Opposition. Zum andern spielte die Geschichtswissenschaft zwar wie andere Geisteswissenschaften im Vergleich zu den Natur- und Ingenieurwissenschaften und ab Mitte der siebziger Jahre auch zu den Sozialwissenschaften keine besondere Rolle in der Wissenschaftspolitik der Bundesrepublik251, aber der Geschichtsunterricht in Schulen wurde im Rahmen der Kontroversen um die schulische Bildungsreform zu einem wichtigen Thema der Kommunikation zwischen der SPD und der Geschichtswissenschaft.

2.1 Sozialdemokratisches Geschichtsbild

»Ein eigenes sozialdemokratisches Verhältnis zur Geschichte scheint nicht mehr gegeben, scheint nicht mehr notwendig«, so Thomas Nipperdey im Jahr 1978 über die Verbindung zwischen Sozialdemokratie und Geschichte, »und darüber hinaus ist unter dem Einfluss des allgemeinen Trends unserer Gesellschaft das selbstverständliche und positive Verhältnis zur Geschichte, zur eigenen wie zur allgemeinen, wesentlich abgeschwächt. Auch sozialdemokratische Politiker beklagen gelegentlich das problematische oder gar fehlende Verhältnis zur Geschichte, aber darin unterscheiden sie sich nicht von Politikern der beiden anderen demokratischen Parteien«.252 Mit dieser Bemerkung über die nachlasende Bedeutung der Geschichte für die ideologische Sinnstiftung und Abgrenzung der SPD hat Nipperdey zweifellos Recht. Parallel zur oben genannten »Krise« der Geschichtswissenschaft war in der SPD in den siebziger Jahren ein »ahistorischer Progressismus« verbreitet, der der Meinung war, dass Geschichte nicht mehr »nützlich« für die Zunkunftsorientierung der Partei sei. 253 Aber im Vergleich zu Politikern anderer Parteien ist es nicht zu übersehen, dass sozialdemokratische Spitzenpolitiker nach wie vor eine andere Haltung zur Beschreibung und Erklärung der deutschen Geschichte einnahmen als ihre christdemokratischen Konkurrenten. Seit dem Machtwechsel im Jahr 1969 entwickelte sich zunächst das sozialdemokratische Geschichtsbild weiter zu einem Gesamtbild, das einen kritischen Gegenentwurf zu den nach wie

251 Peter Weingart/Wolfgang Prinz/Maria Kastner/Sabine Massen/Wolfgang Walter, Die sogenannten Geisteswissenschaften: Außenansichten. Die Entwicklung der Geisteswissenschaften in der BRD 1954-1987, Frankfurt a. M. 1991, S.53. 252 Thomas Nipperdey, Sozialdemokratie und Geschichte, a.a.O., S.503. 253 Ebd., S.504ff. 116

vor weitverbreiteten, »offiziösen« nationalkonservativen Deutungen der deutschen Geschichte formulierte und sich explizit an den Verfassungswerten der Freiheit und der Demokratie orientierte. Willy Brandt, der mit seinem Kniefall vor dem Warschauer Ghetto-Ehrenmal am 7. Dezember 1970 an die Verantwortung und Schuld der Deutschen für die Verbrechen der NS- Regime bewusst erinnerte, machte bereits in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 klar, dass der nationale Verrat durch das Hitler-Regime die Wurzel des deutschen Unglücks und der deutschen Frage sei.254 Dieses Geschichtsbild vereinigte zwei entscheidende Dimensionen in sich: Zum einen setzte sich die sozialdemokratische Geschichtspolitik mit der Wurzeln der »deutschen Katastrophe« auseinander, die nicht erst 1933 bei Hitler sondern früher in den Strukturproblemen des Deutschen Kaiserreiches gesucht wurden. Im Zusammenhang der Neuen Ostpolitik der sozialliberalen Koalition führte diese Verschiebung des Fluchtpunktes sowohl zur Zurückhaltung gegenüber den Traditionen des Deutschen Reich als auch zur Überprüfung des deutschen Nationalbewusstseins. Für die Sozialdemokratie stellte die Teilung Deutschlands das durch Deutsche selbstverschuldete Resultat ihrer Geschichte dar. Das Unheil begann nicht erst 1945 mit den Entscheidungen der Allliierten, sondern 1933, und dieses Katastrophendatum stand in der Kontinuität der deutschen Geschichte seit 1870/1871. Das war eine der kognitiven Bedingungen für die sozialliberale Neue Ostpolitik und ihrer Politik gegenüber der DDR. Gleichzeitig führte die neue sozialdemokratische Geschichtspolitik zu einer geschichtlichen Neubegründung und Bewertung der Bundesrepublik, zu der gehörte, den 8. Mai 1945 als ein positives Geschichtsdatum zu betrachten, »Mehr Demokratie« hierzulande zu »wagen« und die deutsche freiheitlich-demokratische Tradition neu zu bewerten. Ein wichtiger Ausgangspunkt für das sozialdemokratische Geschichtsbild ist ein kritisches Verhältnis zu Bismarck und dem von ihm gegründeten Deutschen Reich, beide konnten nun »kein Vorbild«255 mehr sein. Die Zurückhaltung der Sozialdemokratie gegenüber Otto von Bismarck war nicht neu. An der Feier am 1. April 1965, dem 150. Geburtstag von Bismarck, hatte kein einziger führender Sozialdemokrat teilgenommen.256 Aus Anlass des 100. Jahrestages

254 Willy Brandt, Regierungserklärung vom 28.10.1969, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 132 (1969), S.1121-1128, hier S.1122. 255 Willy Brandt, Erklärung des Bundeskanzlers zum Reichsgründungstag, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 5 (1971), S.35, hier S.35. 256 Sebastian Schubert, Abschied vom Nationalstaat? Die deutsche Reichsgründung 1871 in der Geschichtspolitik des geteilten Deutschlands von 1965 bis 1974, in: Heinrich August Winker (Hrsg.), Griff nach der Deutungsmacht, a.a.O., S.230-265, hier S.232. 117

der Reichsgründung 1871 erinnerte der Bundespräsident Gustav Heinemann 257 in einer Fernsehansprache am 17. Januar 1971 daran, dass 1871 nur »eine äußere Einheit ohne volle innere Freiheit der Bürger«258 erreicht worden sei:

»Bismarck erzwang 1871 den kleindeutschen fürstlichen Bundesstaat unter Ausschluss auch der Deutschen in Österreich – das ist richtig. Aber Bismarck gehört nicht in die schwarz-rot-goldene Ahnenreihe derer, die mit der Einheit des Volkes zugleich demokratische Freiheit wollten. […] Die Reichsgründung hatte die Verbindung von demokratischem und nationalem Wollen zerrissen. Sie hat das deutsche Nationalbewusstsein einseitig an die monarchisch-konservativen Kräfte gebunden, die in den Jahrzehnten vorher dem demokratischen Einheitswillen hartnäckig im Wege gestanden hatten.« 259

Mit dieser kritischen Betrachtung zur Reichsgründung bewertete Heinemann »Hundert Jahre Deutsches Reich« als eine bittere Geschichte, in der vor allem nach den Ursachen für den Nationalsozialismus zu suchen sei:

»Wo vom Ersten Weltkrieg als einem bloßen Unglück ohne deutsche Mitschuld und wo vom Unrecht des Versailler Friedensvertrages von 1919 als Entschuldigung für die nationalsozialistische Machtergreifung gesprochen wird, ist man immer noch nicht mit den Ursachen des Zusammenbruchs von 1918 fertig geworden. Hundert Jahre Deutsches Reich - dies heißt eben nicht einmal Versailles, sondern zweimal Versailles, 1871 und 1919, und dies heißt auch Auschwitz, Stalingrad und bedingungslose Kapitulation von 1945.«260

Niemals zuvor hatte ein Bundespräsident auf dieser Weise mit der deutschen Geschichte abgerechnet. Dies rief eine heftige Debatte in der politischen Öffentlichkeit hervor.261 Am Grabe Bismarcks in Friedrichsruh betonte der CDU-Vorsitzender , dass die Reichsgründung zwar nicht mit demokratischen Mitteln geschehen sei, gleichwohl aber dem Willen des deutschen Volks entsprochen habe.262 Gustav Heinemanns Kontinuitätsthese vom Deutschen Kaiserreich zum »Dritten Reich« sei eine »sozialdemokratische Geschichtsklitterung«, so kritisierte der CDU/CSU-Oppositionspolitiker Franz Josef Strauß, ein vehementer Kritiker der

257 Matthias Rensing, Geschichte und Politik in den Reden der deutschen Bundespräsidenten 1949-1984, Münster 1996. 258 Gustav W. Heinemann, 100. Jahrestag der Reichsgründung des Deutschen Reiches. Ansprache des Bundespräsidenten zum 18. Januar 1871, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 5 (1971), S.33-35, hier S.34. 259 Ebd., S.33f. 260 Ebd., S.34. 261 Über die Auseinandersetzung um Gustav Heinemanns Haltung zum Deutschen Reich siehe: Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.258-267. 262 Vgl. Deutsche Rückblicke auf die Reichsgründung, in: Neue Zürcher Zeitung, 19.1.1971. 118

Neuen Ostpolitik. Für diesen »Polit-Essay« müssten sich die Deutschen schämen. Der Bundespräsident betreibe »Amtsmissbrauch« und verfälsche die Vergangenheit, um die neue Deutschland- und Ostpolitik zu rechtfertigen. 263 Obwohl der Standpunkt Heinemanns zur deutschen Geschichte umstritten war, war es nicht zu leugnen, dass er »einen Paradigmenwechsel in der deutschen Erinnerungsgeschichte«264 markierte und mit seinen öffentlichen Auftritten ganz wesentlich zur Entwicklung des neuen sozialdemokratischen Geschichtsbildes beitrug. Ein anderes Hauptthema des sozialdemokratischen Geschichtsbildes bestand darin, was die Deutschen mit der Durchsetzung des Grundlagenvertrages mit der DDR unter dem Begriff von »Nation« verstehen sollten und konnten. Für die CDU/CSU-Opposition, die die Anerkennung der faktischen Zweistaatlichkeit ablehnte, bedeutete der Grundlagenvertrag von 1972 die Liquidierung des Bismarckreiches im 101. Jahre seines Bestehens. Im sozialdemokratischen Verständnis von Nation verschwinde »die scharf umrissene Gestalt der deutschen Nation in dem wallenden Nebel der ›Kulturnation‹«.265 Die Opposition forderte ein Festhalten an der deutschen Staatsnation, wie sie sich seit 1871 entwickelt habe. Die Koalition argumentierte dagegen mit einem anderen Begriff von Nation. »Nation ist eine Frage von Bewusstsein und Willen«, so betonte Willy Brandt gegenüber dem konservativen Nationsverständnis, das sich im Wesentlichen auf die staatliche Kontinuität stütze. 266 Carlo Schmid, der zu den Vätern des Grundgesetzes und des Godesberger Programms der SPD gehörte und eine »breite Verwurzelung des nationalen Gedenkens in der Tiefe und Vielfalt deutscher Geschichte und kultureller Tradition«267 vertrat, erklärte dem Begriff von Nation so:

»Nation ist ein Produkt des Willens und nicht nur der gleichen Sprache, nicht einmal nur ein Produkt des Wissens um gleiche geschichtliche Herkunft von alters her. Sie ist ein Produkt des Willens der Menschen, die dieses Gefühl, deutscher Nation zu sein, auszusprechen oder kund zu tun, bereit sind – also auch und gerade der Menschen in der DDR.«268

263 Franz Josef Strauß, Bismarck, die Erben und Heinemann, in: Bayernkurier, 23.1.1971. 264 Sebastian Schubert, Abschied vom Nationalstaat?, a.a.O., S.248. 265 W.Hertz-Eichenrode, Brandt Abschied von der Staatsnation, in: Die Welt, 17.2.1973. 266 Willy Brandt, Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1971. Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Deutschen Bundestag am 28. Januar 1971, S.13. 267 Florian Roth, Die Idee der Nation im politischen Diskurs. Die Bundesrepublik Deutschland zwischen neuer Ostpolitik und Wiedervereinigung (1969-1990), Baden-Baden 1995, S.100. 268 Carlo Schmidt, Staatsrechtliche Komponenten der deutschen Frage, am 15.1.1970 vor dem Deutschen Bundestag., in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 8 (1970), S.77f., hier S.77. 119

In seinem ersten Bericht zum Lage der Nation formulierte Willy Brandt die entscheidenden Elemente seines Nationsverständnisses:

»25 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation des Hitler-Reiches bildet der Begriff der Nation das Band um das gespaltene Deutschland. Im Begriff der Nation sind geschichtliche Wirklichkeit und politischer Wille vereint. Nation umfasst und bedeutet mehr als gemeinsame Sprache und Kultur, als Staat und Gesellschaftsordnung. Die Nation gründet sich auf das fortdauernde Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen eines Volks. Niemand kann leugnen, dass es in diesem Sinne eine deutsche Nation gibt und geben wird, soweit wir vorauszudenken vermögen.«269

In diesem Sinne wurden die historischen Wurzeln für das demokratische Nationalverständnisses der Deutschen im Jahr 1848, kaum dagegen im Datum der Reichsgründung gesehen. 1848 war in dieser Sicht bedeutsam, weil erstmals die deutsche Nation als politische Willensgemeinschaft in Erscheinung getreten war. Mit diesem nunmehr klar formulierten sozialdemokratischen Verständnis von Nation wurde zugleich auch ein neues Selbstverständnis für die westdeutsche Demokratie formuliert. In diesem Sinn kann man auch von einer geschichtlichen Neugründung der Bundesrepublik sprechen. Der neue Bundeskanzler Willy Brandt, der im Exil aktiven Widerstand gegen das »Dritte Reich« geleistet hatte, verstehe sich »als der Kanzler nicht mehr eines besiegten, sondern eines befreiten Deutschland«.270 Am 8. Mai 1970, dem 25. Jahrestages der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation, nahm erstmals eine Bundesregierung im Deutschen Bundestag offiziell zum Ende des Zweiten Weltkrieges Stellung. Die politische Ordnung in Westdeutschland nach 1945 sei »die freiheitlichste Verfassung […] in der deutschen Geschichte« und »der gemeinsame Treue zum Grundgesetz« könne die Demokratie in Westdeutschland sichern. Der Kanzler äußerte seine Hoffnung am Ende: »Erst eine europäische Friedensordnung wird den Schlussstrich der Geschichte ziehen können unter das, was sich für uns Deutsche mit dem Jahr 1945 verbindet.«271 Die CDU/CSU-Opposition versagte wiederum ihre Zustimmung zu dieser »Kapitulationswürdigung«: Niederlagen könne man nicht feiern, und der 8. Mai sei für Deutschen kein Feiertag.272

269 Zitat nach Willy Brandt, Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1971, a.a.O., S.10. 270 Willy Brandt, Erinnerungen, Frankfurt a. M. 1989, S.186. 271 Willy Brandt, Verpflichtung zum Frieden und Wahrung von Freiheit und Recht, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 63 (1970), S.591f., hier S.592. 272 Peter Reichel, Politik mit der Erinnerung, a.a.O., S.278. 120

Die zwischen 1969 und 1974 vorangetriebene sozialliberale Neuorientierung der Bundesrepublik grenzte sich nicht nur von der nationalstaatlichen Vergangenheit Deutschlands deutlich ab, sie bezog sich mit dem Slogan »Mehr Demokratie wagen« zugleich auch auf die Tradition der Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte. Die Unterschiede im Demokratieverständnis zwischen den beiden großen Parteien hatte Willy Brandt schon vor dem Machtwechsel deutlich zu machen versucht. »Für die CDU/CSU«, so führte er in seinem Aufsatz »Die Alternative« im Maiheft 1969 der Neuen Gesellschaft aus, »bedeutet Demokratie eine Organisationsform des Staates. Für die SPD bedeutet Demokratie ein Prinzip, das alles gesellschaftliche Sein des Menschen beeinflussen und durchdringen muss«. 273 Zum Regierungsprogramm erhoben wurde die bald populäre Formel »Mehr Demokratie wagen« dann 1969. Dies schlug sich auch im sozialdemokratischen Umgang mit Geschichte und Geschichtswissenschaft nieder. So forderte der Staatsoberhaupt Gustav Heinemann während seiner Rede Geschichtsbewusstsein und Tradition in Deutschland bei der Schaffermalzeit im Bremer Rathaus am 13. Februar 1970, die Freiheitsbewegung neu zu bewerten. Es fehle in Deutschland keine »freiheitlich und sozial gesinnte Männer und Frauen«, sondern die historischen Forschungen darüber. Er führte das Beispiel der Salpeterer-Unruhen an:

»Ich denke an die sogenannten Salpeterer, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Hotzenwald bei Säckingen und Waldshut im Südschwarzwald in mehreren Aufständen insbesondere gegen den Fürstabt von St. Blasien für ihre bäuerliche Freiheit fochten. […] Kennzeichnend für unser mangelhaftes Geschichtsbewusstsein scheint mir, dass auch Einwohner des Südschwarzwaldes so gut wie nichts von den Kämpfen der Salpeterer wissen, obwohl sie sich praktisch vor ihren Hoftüren abgespielt haben und in machen Fallen die eigenen Urahnen daran beteiligt gewesen sind. Dabei müssten ihnen solche Ereignisse weit mehr bedeuten als jene Kriege, die Kaiser und Könige zur Ausweitung ihrer Macht geführt haben. Eine demokratische Gesellschaft, so meine ich, steht es schlecht zu Gesicht, wenn sie auch heute noch in aufständischen Bauern nichts anders als meuternde Rotten sieht, die von der Obrigkeit schnell gezähmt und in Schranken verwiesen wurden. So haben die Sieger die Geschichte schreiben. Es ist Zeit, dass ein freiheitlich- demokratisches Deutschland unsere Geschichte bis in die Schulbücher hinein anders schreibt.«274

Das Echo auf Heinemanns geschichtspolitische Initiativen in der Geschichtswissenschaft war zwiespältig. Konservative bzw. liberale Historiker, wie Thomas Nipperdey, Theodor Schieder

273 Zitat nach Bernd Faulenbach, Die Siebzigerjahre – ein sozialdemokratisches Jahrzehnt?, a.a.O., S.15. 274 Gustav Heinemann, Geschichtsbewusstsein und Tradition in Deutschland, in: ders., Allen Bürgern verpflichtet. Reden des Bundespräsidenten 1969-1974, Frankfurt a. M. 1975, S.30-35, hier S.34. 121

und Golo Mann waren irritiert von Heinemanns demokratiehistorischen Aktualisierungen und wandten sich gegen die politische Nutzbarmachung von Geschichte und Geschichtswissenschaft.275 Von rechtskonservativer Seite erschallte gar die Klage, der Präsident kümmere sich nur um Linksradikale und demontiere die deutsche Nationalgeschichte; Geschichte sei kein »Versandhaus, aus dem Liberale und Sozialisten beliebig Traditionen beziehen können«.276 Theodor Schieder antwortete auf Heinemanns Rede so:

»Niemand leugnet, dass noch viel zu tun ist, um die deutsche Geschichtswissenschaft im Austausch mit der Geschichtswissenschaft anderer Länder an die großen Themen der internationalen Forschung heranzuführen […]. Doch ist damit noch wenig oder gar nichts zu der den Bundespräsidenten bewegenden Frage gesagt, ob das Geschichtsbewusstsein in der ganzen deutschen Öffentlichkeit an der richtigen Werten orientiert ist, ob es den Notwendigkeiten einer freiheitlichen Demokratie genügt und nicht noch die falschen Götter angebetet werden statt der unbekannten Helden, die aus unserem Gedächtnis in sträflicher Weise verbannt seien.«277

Im Gegensatz zu den vehementen Kritikern sahen sich Vertreter einer kritischen Geschichtswissenschaft durch die Anstöße von den Bundespräsidenten ermutigt. Imanuel Geiss schrieb in seiner Beobachtung über Heinemann:

»Keineswegs soll die Skizze der Wirkungen, die von Gustav Heinemanns intellektuellen Provokationen als Bundespräsident auf Darstellungen und Verständnis von Geschichte ausstrahlten, den Eindruck erwecken, als sie er der Vater der jüngeren Geschichtswissenschaft. Davon kann natürlich keine Rede sein. […] Gustav Heinemanns emanzipatorische Wirkung als Bundespräsident liegt daher woanders: Durch seinen geraden Weg vor und in seiner Präsidentenschaft hat er direkt oder indirekt einen erheblichen Teil der politischen und intellektuellen Rahmenbedingungen mit geschaffen, die die Ansammlung und wissenschaftliche Umsetzung des in den letzten Jahren produktiv gewordenen kritischen Potentials überhaupt erst ermöglichten. Dass dies nicht mehr in wachsender Distanz zu einer sich autoritär gebenden ›Obrigkeit‹ geschah, sondern in unserer ›schwarz- goldenen Republik‹ zum ersten Mal in der deutschen Geschichte mit öffentlicher Ermunterung von einem sozialdemokratischen Bundespräsidenten als Höhepunkt und Abschluss seiner konsequent demokratischen Entwicklung, trug erheblich zur Überprüfung unserer allseits reformbedürftigen politischen und gesellschaftlichen Strukturen bei.«278

275 Vgl. Thomas Nipperdey, Über Relevanz, a.a.O., S.593ff.; Golo Mann, Ohne Geschichte leben?, in: Die Zeit, 13.10.1972. 276 Vgl. Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.284f. 277 Theodor Schieder, Hat Heinemann recht? Zu einer Rede über unser mangelhaftes Geschichtsbewusstsein, in: Christ und Welt, 27.1.1970. 278 Imanuel Geiss, Geschichte bis in die Schulbücher, in: Heinrich Böll/Helmut Gollwitzer/Carlo Schmid (Hrsg.), Anstoß und Ermutigung, Frankfurt a. M. 1974, S.37-56, hier S.51f. 122

Bei der Eröffnung der »Erinnerungsstätte« in Rastatt am 26. Juni 1974 hat Gustav Heinemann seine Antwort auf die Kritik formuliert:

»Man sagt gelegentlich, und ich habe es auch getan, die Geschichte werde vom Sieger geschrieben. Wahr daran ist, dass die deutsche Erhebung von 1848/49 wie so manche andere Freiheitsbewegung niedergeschlagen wurde, und wahr ist auch, dass sich die Sieger mit den Fürstenkronen und ihre Diener nach Kräften darum bemüht haben, das Bild der Erinnerung daran bis in die Geschichtsschulbücher hinein zu schmähen, zu verdunkeln, ja nach Möglichkeit ganz zu tilgen. Genau dies hat meine Bemühungen um ein ausgeglichenes Geschichtsbild angetrieben. [...] Meine manchmal hierzu gemachten Äußerungen sind bisweilen missverstanden, wohl auch von der einen oder anderen Seite bewusst missdeutet worden, so als wollte ich der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung Tadel und Ratschläge erteilen. [...] Der Bundespräsident ist nicht der Geschichtslehrer der Nation. Mir geht es darum, bestimmte Bewegungen in unserer Geschichte, die unsere heutige Demokratie vorbereitet haben, aus der Verdrängung hervorzuholen und mit unserer Gegenwart zu verknüpfen. Um es positiv auszudrücken: Mir liegt daran, bewusst zu machen, dass unsere heutige Verfassung durchaus eigenständige Wurzeln hat und nicht nur eine Auflage der Sieger von 1945 ist. [...] Freiheitlich-demokratische und rechtsstaatliche Sozialordnung war ein alter Traum auch in unserem Land.«279

Dennoch blieben unterschiedliche Gewichtungen erkennbar: Während es für Historiker entscheidend war, die Deutung früherer Freiheitsbewegungen aus den moralisch-politischen Instrumentalisierungen zu befreiten, war es für das sozialdemokratische Geschichtsbild bedeutsam, eine Linie von den Bauernkriegen bis zur sozialliberalen Koalition zu ziehen. Auf der letzteren Ebene schätzte Johannes Rau den Beitrag Heinemanns: »Mit Gustav Heinemann stellen wir uns nicht die Frage, ob wir Tradition wollen oder nicht, sondern welche, und in welchem Sinn wir an diese anknüpfen wollen.«280

2.2 Geschichtsunterricht als Streitpunkt

»In der Schulpolitik einiger Bundesländer hat die SPD«, so führte Rolf Schörken aus, Geschichtsdidaktiker und ab 1970 langjähriger Vorsitzender der Richtlinienkommission für politische Bildung des Kultusministers Nordrhein-Westfalen, am 28. Februar 1985 in Bonn bei

279 Gustav Heinemann, Die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte. Ansprache des Bundespräsidenten aus Anlass der Eröffnung der Erinnerungsstätte in Rastatt am 26. Juni 1974, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 78 (1974), S.777-779, hier S.78f.. 280 Johannes Rau, Sozialdemokratie und Geschichte, in: Susanne Miller/Wilhelm van Kampen/Horst Schmidt (Hrsg.), Geschichte in der demokratischen Gesellschaft. eine Dokumentation, Düsseldorf 1985, S.17-26, hier S.25. 123

der von der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand organisierten Tagung Geschichte in der demokratischen Gesellschaft, »ein problematisches Verhältnis zum Fach ›Geschichte‹ gehabt; als Folge davon hat die CDU zu diesem Fach ein Hätschelverhältnis aufgebaut«.281 Wegen der Reform des Geschichtsunterrichts bzw. des Schulfaches Geschichte in einigen sozialdemokratisch regierten Bundesländern kam es zu Spannungen zwischen der Sozialdemokratie und der Historikerschaft. Dies manifestierte sich deutlich nach der Ausarbeitung der neuen »Rahmenrichtlinien« für die hessischen Schulen im Jahre 1972/73. Der Frankfurter Soziologieprofessor und Sozialdemokrat Ludwig von Friedeburg, der seit 1966 gemeinsam mit Theodor W. Adorno das Institut für Sozialforschung leitete und im Oktober 1969 Hessischer Kultusminister wurde, legte 1972/73 die Hessischen Rahmenrichtlinien für die Grund- und Mittelstufe und die Gymnasien vor, in welchen dem Geschichtsunterricht nur noch eine sekundäre Position innerhalb eines mehrere sozialwissenschaftliche Teilbereiche umfassenden Unterrichtsfachs »Gesellschaftslehre« zugewiesen wurde.282 Wenig später tauchten die »Rahmenlehrpläne« in Nordrhein-Westfalen auf, die den Geschichtsunterricht ins Fach »Gesellschaft/Politik« integrierte.283 Diese beiden schulpolitischen Reformen, insbesondere die Hessischen Rahmenrichtlinien, weckten nicht nur massiven Widerspruch seitens der CDU-Opposition284, sondern sie stießen auch bei den Historikern, den Geschichtsdidaktikern, dem »Verband der Historiker Deutschlands« sowie dem »Verband der Geschichtslehrer Deutschlands« auf einhellige Ablehnung. 285 Wenige Historiker hielten wie Hans Mommsen den in den Rahmenrichtlinien

281 Rolf Schörken, Geschichte in der Schule, in: Susanne Miller/Wilhelm van Kampen/Horst Schmidt (Hrsg.), Geschichte in der demokratischen Gesellschaft, a.a.O., S.27-36, hier S.27. 282 Vgl. Der Hessische Kulturminister, Rahmenrichtlinien Sekundarstufe I: Gesellschaftslehre, a.a.O., insbes. S.28-43. 283 Vgl. Informations- und Dokumentationsstelle des Gesamtschulversuchs Nordrhein-Westfalen, Rahmenlehrplan für den Lernbereich Gesellschaft/Politik an den Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen 1973. 284 Der spätere Ministerpräsident Roland Koch (CDU) meinte: »Ludwig von Friedeburg hat der CDU in Hessen wahrscheinlich mehr neue Mitglieder zugeführt als jeder andere.« (Zitat nach: Hugo Müller-Vogg, Beim Wort genommen. Roland Koch im Gespräch mit Hugo Müller-Vogg, Frankfrut a. M. 2002, S.132.) Im Hessischen Landtag wurde am 22. März 1979 ein CDU-Gesetzentwurf über die Widerherstellung des Geschichtsunterrichts in Hessen eingebracht. Der Gesetzentwurf forderte kontinuierlichen Geschichtsunterricht für alle weiterführenden Schulen von der 5. Jahrgangsstufe an und die Darstellung der Geschichte in ihren universalen Bezügen, nicht nur als politische Geschichte, sondern auch als Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte. Dieser Gesetzentwurf war untergegangen. 285 Vgl. Thomas Nipperdey/Hermann Lübbe, Gutachten zu den Rahmenrichtlinien Sekundarstufe I. Gesellschaftslehre des Hessischen Kultusministers, Bad Homburg 1973; Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht. Lageanalyse – Folgerungen – Empfehlungen. Stellungnahme des Verbandes der Historiker Deutschlands im Zusammenwirken mit dem Verband der Geschichtslehrer Deutschlands, in: GWU 23 (1972), S.1- 13; Karl-Ernst Jeismann/Erich Kosthorst, Geschichte und Gesellschaftslehre. Die Stellung der Geschichte in den Rahmenrichtlinien für die Sekundarstufe I in Hessen und den Rahmenlehrplänen für die Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen – Eine Kritik, in: GWU 24 (1973), S.261-288; Erklärung des Verbandes der Historiker 124

eingeschlagenen Weg für plausibel. 286 Für ihn entspreche mindestens das oberste Lernziel »Befähigung zur Selbst- und Mitbestimmung« in den Rahmenrichtlinien dem damaligen Selbstverständnis der wissenschaftlichen Historie. Anders als Mommsen gingen konservative Gegner mit den Hessischen Rahmenrichtlinien ganz heftig ins Gericht und sahen darin eine »Kulturrevolution mit administrativen Mitteln«.287 Thomas Nipperdey, der 1973 Vorsitzender des »Bundes Freiheit der Wissenschaft« geworden war, bekannte sich als Sozialdemokrat zu Gegnern der Reform. Er legte der Öffentlichkeit mit Hermann Lübbe auf Bitten des Hessischen Elternvereins im Frühjahr 1973 ein kritisches Gutachten zu den Rahmenrichtlinien vor. 288 Mit besonderer Gründlichkeit analysierten Nipperdey und Lübbe die ideologiekritische Position der Rahmenrichtlinien. Dabei bezogen sie sich auf den Vorwurf des »Objektivismus«, den die Richtlinienverfasser gegen die traditionelle Geschichtsbetrachtung erhoben, und auf die massive Vergröberung der Habermas’schen Theorie vom Erkenntnisinteresse. »Die Tendenz der in den RR [Rahmenrichtlinien] vorgelegten kritischen Aufarbeitung von Sozialisationserfahrungen«, so lautete sie, »richtet sich gegen unsere soziale und kulturelle Ordnung«.289 Neben Thomas Nipperdey gehörte Golo Mann zu den entschiedenen Kritikern der neuen Lehrpläne. Er nahm am 2. Hessenforum am 6. Dezember 1973, einer von Eugen Kogon geleiteten Diskussionsveranstaltung über die Rahmenrichtlinien zur Gesellschaftslehre, teil.290 Bei dieser Gelegenheit nannte er diese Rahmenrichtlinien einen »naturfremden, geschichtsfeindlichen, kalten, überkritischen, stoffarmen, freudlosen« Lehrentwurf.291 In seinem Brief vom 19. Januar 1974 an Hartmut Wolf, der als Lehrer und Lehrerausbilder des Fachs

Deutschlands, Gesellschaftliche Aufgaben der Geschichtswissenschaft in der Gegenwart, in: GWU 24 (1973), S.354- 356; Schreiben der Verbände der Geschichtslehrer und der Historiker an die Kultusminister aller Bundesländer und die zuständigen Ministerien vom März 1973, in: GWU 25 (1974), S.50-52; Erklärung des Verbandes der Historiker Deutschlands zum Studium des Fachs Geschichte an den Hochschulen (14.10.1975), in: GWU 27 (1976), S.223-225; Teil II, S.297-304; Teil III, S.566-569; Werner Conze, Zur Lage der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsunterrichts, in: GWU 26 (1975), S.71-78. 286 Hans Mommsen, Die Hessischen Rahmenrichtlinien für das Fach »Gesellschaftslehre« in der Sicht des Fachhistorikers, in: Gerd Köhler/Ernst Reuter (Hrsg.), Was sollen Schüler lernen? Die Kontroverse um die hessischen Rahmenrichtlinien für die Unterrichtsfächer Deutsch und Gesellschaftslehre, Frankfurt a. M. 1973, S.88- 91. 287 Hermann Lübbe, Die politische Verantwortung des Gelehrten, a.a.O., S.40. 288 Thomas Nipperdey, Konflikt – Einzige Wahrheit der Gesellschaft? Zur Kritik der hessischen Rahmenrichtlinien, Osnabrück 1974. 289 Ebd., S.75. 290 Eugon Kogon (Hrsg.), Rahmenrichtlinien Gesellschaftslehre. Konflikt und Konsens in der Gesellschaft der Gegensätze – Protokolle der Veranstaltungen in der Reihe Hessen-Forum, Frankfurt a. M. 1974. 291 Golo Mann, Sinnloser Bruch, in: Die Zeit, 14.12.1973. 125

Geschichte den hessischen Lehrplan für das Fach Gesellschaftslehre konzipiert hatte, schrieb Mann, »von Habermas habe ich für mein Handwerk rein gar nichts lernen können«.292 Während die schulpolitische Innovation vielen Historikern und ihren Verbandsvertretern ganz falsch erschien, fühlten sich ihrerseits sozialdemokratische Bildungsreformer missverstanden.

»Sozialdemokratische Bildungspolitiker haben keine Reserven gegenüber dem Geschichtsunterricht, wohl aber gegenüber bestimmten Auffassungen und Positionen. Abgelehnt haben sie einen Geschichtsunterricht, - dessen Blick nur ›von oben‹ auf die Geschichte gerichtet war; der den Staat einseitig gegenüber der Gesellschaft bevorzugte; der in einer nationalistischen und konservativen Tradition stand; - der sich den Bedrohungen von Freiheit und Menschlichkeit gerade auch in der Zeitgeschichte nicht angemessen widmete; - der zu unverbindlicher Kontemplation oder zu passiver Übernahme sogenannter traditioneller Werte führte.«293

»Dass der Geschichte nicht abgesagt«, so schrieb Ludwig von Friedeburg noch in der Rückschau 1989, »sondern der herkömmliche Geschichtsunterricht, wie auch der in Sozial- und Erdkunde, in Frage gestellt werden sollte, war vielfach nicht zu vermitteln«.294 Aber für die Historiker war die drohende »Abschaffung« des Geschichtsunterrichts eine der vielen Facetten in der Konkurrenz zwischen Geschichtswissenschaft und Sozialwissenschaft in den siebziger Jahren. Die Auseinandersetzung um das Schulfach Geschichte wurde jedoch zu einer Belastungsprobe für die sich verbessernde und intensivierende Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft. Ein Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofs vom 30.12.1981 erklärte die Integration des Fachs Geschichte in die Gesellschaftslehre als verfassungswidrig und schrieb einen kontinuierlichen, eigenständigen und uneingeschränkten Geschichtsunterricht bis zum Abitur fest. Damit war die Abschaffung des selbstständigen Geschichtsunterrichts und die Eingliederung des Fachs Geschichte in eine neue »kritische Gesellschaftslehre« endgültig »gescheitert«.295 Ende der achtziger Jahre erwähnte Willy Brandt sein Unverständnis für diese Reform: »Dass auf der Ebene der zuständigen Länder unter der Verantwortung von Parteifreunden […] Geschichte aus den Lehrplänen verschwand [gemacht werden konnte], will mir noch heute nicht gefallen«.296

292 Tilmann Lahme/Kathrin Lüssi (Hrsg.), Golo Mann. Briefe 1932-1992, Göttingen 2006, S.215-218, hier S.216. 293 Rolf Schörken, Geschichte in der Schule, a.a.O., S.34f. 294 Ludwig von Friedeburg, Bildungsreform in Deutschland. Geschichte und gesellschaftlicher Widerspruch, Frankfurt a. M. 1989, hier S.456. 295 Rolf Schörken, Geschichte in der Schule, a.a.O., S.35. 296 Willy Brandt, Erinnerungen, a.a.O., S.279. 126

2.3 Die Neue Ostpolitik als Katalysator neuer Kommunikationsbeziehungen zwischen SPD und Historikerschaft

Das Konzept für eine neue sozialdemokratische Ost- und Deutschlandpolitik war von Willy Brandt und Egon Bahr297 schon seit den fünfziger Jahren nach und nach entwickelt worden. Aber erst 1969 wurde der neue, auf Verständigung hin ausgerichtete Umgang der Bundesrepublik Deutschland mit den sozialistischen Staaten unter der Bezeichnung der »Neuen Ostpolitik«, in die auch die Normalisierung des Verhältnisses der Bundesrepublik zur DDR eingebettet war, umgesetzt. Nach Unterzeichnung der Verträge von Moskau und Warschau 1970 und der Paraphrasierung der Vier-Mächte-Abkommen über Berlin 1971 stand 1972 die Ratifizierung der Moskauer und Warschauer Verträge vor der Tür. Zu dieser Zeit wuchs aber die konservative Ablehnung der von Willy Brandt propagierten Politik. Wegen ihrer Opposition gegen die Neue Ostpolitik wechselten mehrere SPD-Mitglieder zur CDU. 298 Der Christdemokrat Gerhard Schröder schrieb am 4.1.1972 in der Zeit unter der Überschrift »›Nein‹ zu den Ostverträgen«, dass die Neue Ostpolitik »eine unheilvolle Linksverschiebung« eröffnet habe. 299 In dieser zugespitzten Situation erschien am 15. April 1972, einen Monat vor den entscheidenden Abstimmung im Bundestag für den Moskauer Vertrag und Warschauer Vertrag, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine »Erklärung zur Ostpolitik«300, die der Historiker Hans Mommsen verfasst hatte, unter Hinweis auf die öffentliche Verantwortung an Kollegen verschickt hatte und die von insgesamt 203 westdeutschen Historikern und Politikwissenschaftlern unterzeichnet wurde:

»Die Abstimmung über die Ostverträge stellt den Deutschen Bundestag vor eine Entscheidung von historischer Tragweite. Erst wenn es gelingt, die mit dem Namen Konrad Adenauers verbundene Verständigung mit der westlichen Welt durch die Normalisierung der Beziehungen der Bundesrepublik zur UdSSR und zu Polen zu ergänzen, wird die Erinnerung an die verhängnisvolle Gewaltpolitik Hitlers im Bewusstsein der Völker zurücktreten und das Gefühl des Misstrauens und der Feindseligkeit nicht länger ihre Beziehungen zur deutschen Nation belasten. Die Ostverträge stellen einen wichtigen Schritt auf diesem Wege dar, der aus eigenem Antrieb, aber im Einklang mit den westlichen Verbündeten erfolgt. Es ist eine Illusion zu glauben, die

297 Egon Bahr gilt als »Vordenker, Ideenlieferant, Chefdenker, Inspirator, Achitekt der Ostpolitik«. Vgl. Andreas Vogtmeier, Egon Bahr und die deutsche Frage. Zur Entwicklung der sozialdemokratischen Ost- und Deutschlandpolitik vom Kriegsende bis zur Vereinigung, Bonn 1996. 298 Oliver Schmolke, Revision. Nach 1968 – Vom politischen Wandel der Geschichtsbilder in der Bundesrepublik Deutschland, Dissertation (FU Berlin) 2007, S.151. 299 Gerhard Schröder, »Nein« zu den Ostverträgen, in: Die Zeit, 4.1.1972. 300 Aufruf, in: FAZ, 15.4.1972. 127

in Potsdam 1945 getroffenen territorialen Regelungen könnten in irgendeiner Beziehung rückgängig gemacht werden, und es ist gefährlich, sie neu zu beleben. Die deutsche Demokratie von Weimar ist vor allem daran gescheitert, dass die Nation nicht bereit war, die Konsequenzen der Niederlage hinzunehmen, und dass sie – statt aufrichtiger Verständigung und dem Willen zum Ausgleich mit den Nachbarvölkern – einer Politik nationaler Wunschbilder verhaftet blieb. Das klare Eingeständnis, dass der in Osteuropa geschaffene Status quo von außen her nicht abzuändern ist, muss jeder deutschen Außenpolitik als Richtschnur dienen, die die volle Integration der Bundesrepublik in das demokratische Staatensystem des Westens ernsthaft betreibt. Nur die Anerkennung der Ostverträge verschafft ihr die Glaubwürdigkeit, die Forderung des Selbstbestimmungsrechts der geteilten deutschen Nation wirksam vertreten zu können. Den ›Tatsachenmut‹, den Gustav Stresemann für die Politik von Weimar forderte, gilt es mehr denn je in einer Situation zu beweisen, von der die Geschichte lehrt, dass sich in ihr nur der bewährt, der mit dem Willen zur Zukunft die Last der Vergangenheit von sich abstreift. Die unterzeichneten Historiker und Politologen fordern daher die Mitglieder des Deutschen Bundestages dazu auf, den Ostverträgen ihre Zustimmung zu geben.«301

301 Aufruf, in: FAZ, 15.4.1972. Hier zit. nach Karl Dietrich Erdmann, Die falsche Alternative, a.a.O., S.354f.. Dieser Aufruf haben – mit einigen Korrekturen – unterzeichnet: Wilhelm Abel (Göttingen), Wolfgang Abendroth (Marburg), Wilhelm Alff (Braunschweig), Erich Angermann (Köln), Franz Ansprenger (Berlin), Karl Otmar Freiherr v. Aretin (Mainz), Ino Arndt (IfZ, München), Hellmuth Auerbach (IfZ, München), Siegfried Bahne (Bochum), Arnulf Baring (Berlin), Heinz Becker (Bochum), Wolfgang Benz (IfZ, München), Udo Bermbach (Hamburg), Viola Gräfin v. Bethusy-Huc (Münster), Klaus v. Beyme (Tübingen), Günter Birtsch (Trier), Heinz Boberach (Koblenz), Helmut Böhme (Darmstadt), Carl Böhret (Berlin), W. A. Boelcke (Stuttgart-Hohenheim), Ingomar Bog (Marburg), Reinhard Bollmus (Trier), Knut Borchardt (München), Karl Dietrich Bracher (Bonn), L. Bress (Bremen), Martin Broszat (IfZ, München), Hans Dietrich Cahl (Gießen), Karl Christ (Marburg), Ernst-Otto Czempiel (Frankfurt), Klaus Dammann (Berlin), Frank Deppe (Marburg), Günther Doeker (Berlin), Martin Drath (Karlsruhe), Georg Eckert (Braunschweig), Walter Eder (Berlin), Thomas Ellwein (München), Heinrich End (Trier), Theodor Eschenburg (Tübingen), Walter Euchner (Göttingen), Karl-Georg Faber (Saarbrücken), Erwin Faul (Bochum), Iring Fetscher (Frankfurt), Jürgen Fijalkowski (Berlin), Alexander Fischer (Frankfurt), Fritz Fischer (Hamburg), Wolfram Fischer (Berlin), Heiner Flohr (Köln), Ernst Fraenkel (Berlin), Klaus Friedland (Kiel), Manfred Friedrich (Lüneburg), Walther P. Fuchs (Erlangen), Otto Heinrich von der Gablentz (Berlin), Klaus Jürgen Gantzel (Frankfurt), Jürgen Gebhard (Bochum), Imanuel Geiss (Hamburg), Dietrich Geyer (Tübingen), Hermann Graml (IfZ, München), Rolf Grauhahn (Bremen), Helga Grebing (Göttingen), Tilemann Grimm (Bochum), Dieter Groh (Heidelberg), K. D. Grothusen (Hamburg), Lothar Gruchmann (IfZ, München), Manfred Hahn (Bremen), Reimer Hansen (Berlin), Hans H. Hartwich (Berlin), K. G. Hausmann (Kiel), Alfred Haverkamp (Trier), Hermann Heimpel (Göttingen), Manfred Hellmann (Münster), Otto Herding (Freiburg), Walter Hertz (Mannheim), Dieter Hertz-Eichenrode (Berlin), Dietrich Herzog (Berlin), Ernst Hinrichs (MPIfG, Göttingen), Wolfgang Hirsch-Weber (Berlin), Jörg K. Hoentsch (Tübingen), Irmgard Höß (Nürnberg), Hans Hubert Hofmann (Würzburg), Karl Holl (Bremen), Hannelore Horn (Berlin), Wolfgang Jacobmeyer (IfZ, München), H. A. Jacobsen (Bonn), Eberhard Jäckel (Stuttgart), Hartmut Jäckel (Berlin), Gotthard Jasper (Münster), Karl-Ernst Jeismann (Münster), Werner Jochmann (Hamburg), Kurt Jürgensen (Kiel), Hartmut Kaelble (Berlin), Friedrich Kahlenberg (Koblenz), Karl Kaiser (Saarbrücken), Dieter Kappe (Hagen), Hagen Kelber (Freiburg), Jürgen Kocka (Münster), Henning Köhler (Berlin), Eugen Kogon (Frankfurt), Eberhard Kolb (Würzburg), Wilhelm Koppe (Kiel), Reinhard Koselleck (Heidelberg), Christian Graf v. Krockow (Göttingen), Klaus Kröger (Gießen), F. A. Krummacher (Mainz), Erich Küchenhoff (Münster), Reinhard Kühnl (Marburg), Annette Kuhn (Bonn), Dietrich Kurze (Berlin), Horst Kuss (Göttingen), Horst Lademacher (Bonn), Karl Lange (Braunschweig), Manfred Laubig (Bielefeld), Hartmut Lehmann (Kiel), Gerhard Lehmbruch (Heidelberg), Hans Lemberg (Köln), Kurt Lenk (Erlangen), Joachim Leuschner (Hannover), Werner Link (Kassel), Richard Löwenthal (Berlin), Richard Lorenz (Marburg), Karl Heinz Ludwig (Bremen), Wolfgang Mager (Bielefeld), Hella Mandt (Trier), Golo Mann (Kilchberg, Schweiz), Erich Matthias (Mannheim), Walter Mertineit (Flensburg), Felix Messerschmid (München), Eugen Meyer (Saarbrücken), Klaus Meyer (Berlin), Jürgen Miethke (Berlin), Bernd Moeller (Göttingen), Hans Mommsen (Bochum), Wolfgang J. Mommsen (Düsseldorf), Arndt Morkel (Trier), Klaus Jürgen Müller (Hamburg), Wolf-Dieter Narr (Berlin), Frieder Naschold (Konstanz), Herbert Nesselkauf (Konstanz), Helmut Neubauer (Heidelberg), Thomas Nipperdey (München), Günther van Norden (Wuppertal), Dietmar Petzina (Bochum), Werner 128

Eindrucksvoll ist, dass dieses Manifest über ein breites Spektrum von Unterstützern verfügte, das von Marxisten über linken Demokraten bis hin zu rechten Demokraten reichte. Die Unterzeichner der Geschichtswissenschaft kamen aus unterschiedlichen Denkrichtungen und verschiedenen Forschungsbereichen. Die »Erklärung zur Ostpolitik« hatte vor allem eine große Gruppe unterschrieben, in der neben dem Verfasser Hans Mommsen viele hervorragende linksliberale bzw. sozialdemokratische Historiker eingeschlossen waren. Sozialhistoriker und Wortführer einer neuen Gesellschaftsgeschichte wie Hans-Ulrich Wehler, Jürgen Kocka, Heinrich August Winkler, Wolfgang Schieder und Reinhard Rürup befürworteten diese Erklärung, ebenso die der sozialdemokratischen Partei nahestehenden Historiker Helga Grebing, Hermann Weber und Wolfgang J. Mommsen. Dabei waren auch Dieter Groh, der sich damals mit der Geschichte der Sozialdemokratie und der Arbeiterbewegung beschäftigte, Hans-Josef Steinberg, der 1971 auf die erste Professur für die Geschichte der Arbeiterbewegung in der Bundesrepublik berufen worden war, der Nationalsozialismus-Forscher Eberhard Jäckel, der im Jahr 1967 in die SPD eingetreten war und sich im Wahlkampf 1969 in der von Günter Grass begründeten Sozialdemokratischen Wählerinitiative engagiert hatte sowie die Hamburger Historiker Fritz Fischer und Imanuel Geiss, die durch ihre Positionen in der Fischer-Kontroverse bekannt geworden waren. Aus dem Max- Planck-Institut für Geschichte in Göttingen hatten sein Direktor Rudolf Vierhaus und seine Mitarbeiter Ernst Hinrichs und Hans-Christoph Schröder diesen Aufruf unterzeichnet, während eine große Gruppe von Mitarbeitern des Instituts für Zeitgeschichte in München dabei war, an deren Spitze gewissermaßen der in diesem Jahr neu gewählte Direktor Martin Broszat stand: dazu gehörten Wolfgang Benz, Hermann Graml, Thilo Vogelsang, Luthar Gruchmann, Ino Arndt,

Philipp (Berlin), Helmuth Plessner (Erlenbach-Zürich), Günter Plum (IfZ, München), Ludwig Preller (Rossert), Horst Rabe (Konstanz), Thilo Ramm (Gießen), Georg von Rauch (Kiel), Heinrich Rodenstein (Braunschweig), Werner Röder (IfZ, München), Karl Rohe (Essen), Hans Roos (Bochum), Dietmar Rothermund (Heidelberg), Hans Rothfels (Tübingen), Reinhard Rürup (Berlin), Karl Heinz Ruffmann (Erlangen), Horst Schallenberger (Duisburg), Alexander Scharff (Kiel), Fritz Scharpf (Konstanz), Wolfgang Schieder (Trier), Manfred Schlenke (Mannheim), Mathias Schmitz (Osnabrück), Gottfried Schramm (Freiburg), Rodolf Schridde (Hagen), Hans-Christoph Schröder (MPIfG, Göttingen), Ernst Schulin (Berlin), Eberhard Schulz (DGAP, Berlin), Hans-Gerd Schumann (Darmstadt), Klaus Schwabe (Freiburg), Alexander Schwan (Berlin), C. C. Schweitzer (Bonn), Ferd. Seibt (Bochum), Peter Seibt (Bremen), Kurt Sontheimer (München), Theo Stammen (München), Otto Stammer (Berlin), Winfried Steffani (Hamburg), Hans-Josef Steinberg (Bremen), Dolf Sternberger (Heidelberg), Günther Stökl (Köln), Michael Stürmer (Darmstadt), Hans Süssmuth (Neuss), Rudolf von Thadden (Göttingen), Peter Thielen (Bonn), Heinz-Josef Varain (Gießen), Michael Vester (Hannover), Rudolf Vierhaus (MPIfG, Göttingen), Thilo Vogelsang (IfZ, München), Hermann Weber (Mannheim), Hans-Ulrich Wehler (Bielefeld), Karl Weingärtner (Reutlingen), Christoph Weisz (IfZ, München), Bernd Jürgen Wendt (Hamburg), Bernhard Willms (Bochum), Hans-Joachim Winkler (Hagen), Heinrich August Winkler (Berlin), Reinhard Wittram (Göttingen), Rainer Wohlfeil (Hamburg), Gerhard Wuthe (Dortmund), Gerda Zellentin (Köln), Klaus Zernack (Frankfurt), Gilbert Ziebura (Berlin), Hans-Günter Zmarzlik (Freiburg). 129

Hellmuth Auerbach, Wolfgang Jacobmeyer, Günter Plum, Werner Röder und Christoph Weisz. Aus dem Kreis der gemäßigten bzw. konservativen Historiker fanden sich Hans Rothfels, Thomas Nipperdey und Michael Stürmer. Auf der Namenliste der Unterzeichner standen weiter mit Golo Mann, Reinhard Koselleck, Ernst Schulin, Rudolf von Thadden, Hermann Heimpel, der Wirtschaftshistoriker Wolfram Fischer, dem Osteuropahistoriker Reinhard Wittram und dem Geschichtsdidaktiker Karl-Ernst Jeismann weitere anerkannte und angesehene Vertreter des Faches. Es ist nicht überraschend, dass die linksliberalen bzw. sozialdemokratischen Historiker diese Erklärung für die Unterstützung von Brandts Ostpolitik unterschrieben. Beachtlich ist, dass mehrere der Unterzeichner politisch der SPD fern oder distanziert gegenüberstanden. Thomas Nipperdey, der trotz seiner SPD-Mitgliedschaft nach 1968 immer deutlicher bildungs- und wissensschaftspolitische Positionen vertrat, die sich gegen die SPD richteten und auch fachintern sich deutlich als Kritiker der neuen »Historischen Sozialwissenschaft« artikulierte, stand entschieden für Willy Brandts Ostpolitik ein. Der konservative Zeithistoriker Hans Rothfels hatte bereits einen Beitrag zur »Bewältigung der Gegenwart« mit einem Plädoyer für eine Neuorientierung im Verhältnis zum Osten publiziert302, als die sozialliberale Koalition gerade an die Macht gekommen war. Darauf hatte Heinrich August Winkler in der Rückschau noch einmal ausdrücklich aufmerksam gemacht:

»Man darf nicht vergessen, dass dieser konservative Historiker als einer der ersten für die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie votierte und zu denjenigen Historikern gehörte, die die sozialliberale Ostpolitik offensiv verteidigten. Er hat eine von Hans Mommsen formulierte Resolution mitunterzeichnet, in der die Brandtsche Außenpolitik gegen die konservative Kritik der Unionsparteien verteidigt wurde.«303

Unter den Unterzeichnern fiel auch Golo Mann sofort auf. Er wurde hauptsächlich wegen seines Engagements für die Neue Ostpolitik »rasch dem linken Spektrum, sogar der Sozialdemokratie zugeordnet«.304 Auch bei ihm reicht dieses Umdenken in der Deutschland- und Ostpolitik weiter zurück: Bereits in den fünfziger und sechziger Jahren kritisierte Mann in zahlreichen Artikeln in der öffentlichen Zeitungen und Zeitschriften die Außenpolitik Adenauers, beschäftigte sich mit

302 Hans Rothfels, Die Bewältigung der Gegenwart und die Geschichte, in: Saeculum 21 (1970), S.264-273. 303 Heinrich August Winkler, »Warum haben wir nicht den Mut gehabt, kritische Fragen zu stellen?«, a.a.O., S.373. 304 Tilmann Lahme/Holger R. Stunz, Der Erfolg als Missverständnis? Wie Golo Mann zum Bestsellerautor wurde?, in: Wolfgang Hardtwig/Erhard Schütz (Hrsg.), Geschichte für Leser. Populäre Geschichtswissenschaft in Deutschland im 20. Jahrhundert, München 2005, S.371-398, hier S.385. 130

der Vorbreitung einer auf Entspannung ausgerichteten Ostpolitik, plädierte für die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Grenze zwischen Deutschland und Polen und forderte ein verbessertes Verhältnis zwischen West und Ost.305 Dass er im Februar 1964 anlässlich eines Vortrags im Goethe-Institut in Rom die deutschen Grenzen von 1937 als »Phantom«306 bezeichnet hatte, hatte eine von der CDU/CSU geschürte Debatte darüber entfacht, ob ein deutscher Professor im Ausland eine andere Meinung zur Oder-Neiße-Linie äußern dürfe als die Bundesregierung.307 Von Anfang an unterstützte er Willy Brandt und dessen neue Ost- und Entspannungspolitik. Er betätigte sich außerdem gelegentlich als Ghostwriter für Brandt. 308 Einige Tage vor der Veröffentlichung der »Erklärung« lobte er die Ostverträge als »ein Werk des Mutes und der Klugheit«. 309 Aber 1974 distanzierte sich Golo Mann allerdings von der weiterführenden Ostpolitik der sozialliberalen Koalition, denn sein Verständnis zum Ostpolitik als eine reine politische Normalisierung des Verhältnisses der BRD zum Osten und zur DDR machte eine deutliche Trennung von der Ostpolitik Brandts als eine vielseitige gesamteuropäische Frieden- und Entspannungspolitik. Obwohl Mann nach Ratifizierung der Ostverträge wieder auf Distanz zu Willy Brandt ging, stand er in also in diesen entscheidenden Jahren hinter dem Kurs der Sozialdemokratischen Partei. Diese »Erklärung zur Ostpolitik« blieb in der bundesrepublikanischen Historikerwelt nicht unwidersprochen. Einige Vertreter des Faches, zu denen Theodor Schieder und Werner Conze gehörten, lehnten diese Erklärung ab. Sie erhoben zum einen Einspruch gegen die Form der kollektiven Äußerung in der Öffentlichkeit, zum andern aber inhaltlich auch gegen die Zustimmung zu den Verträgen. Theodor Schieder, Ordinarius für Neuere Geschichte an der Universität Köln, antwortete am 5. April 1972, kurz vor seinem 64. Geburtstag, in einem persönlichen Brief an Hans Mommsen auf dessen »Aufforderung [...], eine ›Erklärung zur Ostpolitik‹ zu unterschreiben«, um seine Ablehnung zu rechtfertigen.310 »Ich könnte es mir leicht machen«, schrieb er, »mit der Feststellung, dass ich aus Prinzip noch nie eine Kollektiv-

305 Vgl. z.B. Golo Mann, Das Ende der Bonner Illusionen, in: Die Zeit, 18.8.1961; ders., Die Rechnung für den verlorenen Krieg, in: Die Zeit, 22.9.1961; ders., Die Stunde der Wahrheit ist gekommen, in: Stuttgarter Nachrichten, 30.12.1961; ders., Das Ende der Ära Adenauer. Der Staatsmann und sein Werk, in: Sonderbeilage der Zeit, 18.10.1963; ders., Mit den Polen Frieden machen, in: Stern, 12.7.1964. 306 Golo Mann, Die Ära Adenauer, in: Römische Reden. Zehn Jahre Deutsche Bibliothek Rom. Goethe-Institut 1955- 1965, München 1965, S.48-67, hier S.57. 307 Vgl. Golo Mann, Das A.A. und die Wetterkarte, in: Die Zeit, 13.3.1964. 308 Urs Bitterli, Golo Mann. Instanz und Außenseiter. Eine Biografie, Berlin 2004, S.304f., 347. 309 Golo Mann, Die Verträge von Moskau und Warschau sind ein Werk des Mutes und der Klugheit, in: Neue Hannoversche Presse, 12.4.1972. 310 Karl Dietrich Erdmann, Die falsche Alternative, a.a.O., S.361-363. 131

Erklärung unterschrieben habe, da ich meine, ein Wissenschaftler sollte mit seinem eigenen Wort für die Sache eintreten, die er für gut hält«.311 Aber eine Ablehnung der offenen Unterstützung der Ostpolitik war keineswegs den einzigen Grund für Schieders Zurückhaltung. Hans-Ulrich Wehler erinnerte sich an sein »kühles Verhältnis« zu Schieder, weil sie politisch ganz unterschiedliche Meinungen vertraten:

»Ich erinnere mich noch, als ich einen Aufruf von Golo Mann für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze unterzeichnete. Damit ging ich zu Schieder und sagte ihm, es gehe nicht an, dass nur die Assistenten unterzeichneten. Der zweite totale Krieg sei verloren, da sei nichts mehr zu verhandeln, oder wie die Amerikaner sagen: ›Cut your losses.‹ Das war eine Gelegenheit, bei der er sagte, er sähe das - vom Kopf her - völlig ein, aber er könne es gefühlsmäßig noch nicht öffentlich einräumen. Er, der bis Dezember 1944 in Königsberg mit seiner Frau, die aus Westpreußen kam, gelebt habe und wo seine vier Kinder geboren seien, könne das nicht unterschreiben und damit eingestehen, dass das Land endgültig verloren sei. […] Oder es gab den ewigen Streit, inwieweit man Wahlaufrufe für die SPD unterschrieb, obwohl wir alle keine Mitglieder waren. «312

Schieders Haltung zur Sozialdemokratie und zur neuen Ostpolitik Willy Brandts spiegelte sich also deutlich in seiner Absage an die »Erklärung« wider. Die Ostverträge waren Schieders Meinung nach zwar vernünftig, kämen aber zu früh; man würde nicht oberflächlich die Zurückhaltung gegenüber den Ostverträgen mit der Leugnung der Ergebnisse der deutschen Niederlage gleichsetzen:

»Ich frage mich [...], ob es nötig war, im Sommer 1970 Verträge abzuschließen, für die man nicht von vornherein eine breitere Basis in den offiziellen Gremien unseres Staates voraussetzen konnte. Ob dies aus innenpolitischen Gründen geschehen ist, will ich nicht entscheiden. Jedenfalls kann ich bei intensiven Bemühungen, die Lage von 1970 zu analysieren, nicht erkennen, dass irgendwelche unüberwindliche außenpolitische Notwendigkeiten bestanden, in übereilter Form Verträge abzuschließen. [...] Was mich an der Erklärung stört, ist vor allem der Eindruck, den sie erweckt, als ob es auf der einen Seite nur den Willen zum Frieden und Entspannung und auf der anderen den zur Revision der Grenzen und den mangelnden Willen, die Ergebnisse der deutschen Niederlage zu akzeptieren, gäbe. So einfach liegen die Dinge nicht. Ich möchte nicht leugnen, dass es Leute gibt, die von einer Revision der jetzigen deutschen Grenzen als einer realen Möglichkeit träumen; aber es wäre verhängnisvoll, wenn der Anschein entstünde, als ob dies das

311 Ebd., S.362. 312 Hans-Ulrich Wehler, »Historiker sollten auch politisch zu den Positionen stehen, die sie in der Wissenschaft vertreten.«, a.a.O., S.250f. 132

Motiv für die skeptische Haltung aller derer wäre, die sich heute nur mit großer Zurückhaltung gegenüber den Verträgen verhalten können. [...] Es war sicherlich Ihre von mir durchaus anerkannte Absicht, eine Erklärung zu formulieren, die keine einseitige Interpretation zulässt. Ob Ihnen dies aber gelungen ist, möchte ich bezweifeln. Ich fürchte, dass jetzt eine Situation entsteht, die in der Öffentlichkeit den Eindruck der Trennung der Böcke von den Schafen erweckt und damit in unser Fach schwere Dissonanzen hereinträgt.«313

Anders als Theodor Schieder hatte Werner Conze gegen die »Erklärung zur Ostpolitik« den Ethos wissenschaftlicher Genauigkeit und Objektivität entgegensetzt. Wenige Tage nach der Veröffentlichung der »Erklärung zur Ostpolitik« erschien in der Tageszeitung Die Welt eine Replik von sieben Historikern und Politikwissenschaftlern, zu den die Historiker Werner Conze und Richard Nürnberger zählte314:

»Die von einer größeren Anzahl westdeutscher Historiker und Politologen unterschriebene ›Erklärung zur Ostpolitik‹, die am 15.4.1972 als Anzeige veröffentlicht wurde, gibt zu so schweren Bedenken Anlass, dass wir uns als Vertreter der gleichen Fächer zu einer Stellungnahme aufgefordert sehen. Die Unterzeichner der ›Erklärung‹ äußern sich nicht als Angehörige einer Partei oder als Anhänger einer bestimmten Position. Sie erwecken vielmehr den Eindruck, als ob sie auf Grund ihrer wissenschaftlichen Zuständigkeit die historische Legitimation der dem Bundestag zur Ratifizierung vorliegenden Ostverträge geben könnten. Der kritische Leser ist erstaunt, wie hier trotz des fachwissenschaftlichen Anspruchs nicht sachliche Argumente abgewogen werden, sondern Andersdenkenden apodiktisch Illusionen unterstellt werden. Es ist besorgniserregend, in welchem Ausmaß hier politische Parteinahme durch den Fachverstand bestimmter Disziplinen gerechtfertigt werden soll, ohne dass die Aussagen über bloße Behauptungen oder Meinungen herausgeben. Außenpolitische Entscheidungen können bekanntlich noch lange nach ihrer Ausführung oder Verhinderung politisch strittig bleiben; weder der Historiker noch der politische Wissenschaftler können dabei von ihrem Fach her Richtigkeit oder Falschheit attestieren. [...] Wieweit geschichtliche Erinnerungen oder Analogien für die gegenwärtige Lage sinnvoll herangezogen werden können, ist eine Ermessensfrage. Selbst so weit zurückliegende Probleme wie die deutsche Außenpolitik der zwanziger Jahre werden in beiden Fachwissenschaften noch durchaus verschieden beurteilt. So entspricht etwa die Pauschalabwertung, ›das deutsche Volk‹ sei als solches der Verständigung mit den Nachbarvölkern abgeeigt gewesen, keineswegs einer allgemein anerkannten Auffassung der Historiker; und ob gar der ›Tatsachenmut‹ Stresemanns zugunsten einer Vertragsratifizierung des heutigen Tages beschworen werden kann, ist – vorsichtig gesagt – fragwürdig.«315

313 Karl Dietrich Erdmann, Die falsche Alternative, a.a.O., S.362f. 314 Die andere sind: Hans Joachim Arndt aus Heidelberg, Hans Buchheim aus Mainz, Hans-Peter Schwarz aus Hamburg, Willhelm Hennis und Dieter Oberndörfer aus Freiburg und Richard Nürnberger aus Göttingen. 315 Die Welt, 19.4.1972. Hier zit. nach Karl Dietrich Erdmann, Die falsche Alternative, a.a.O., S.360f.. 133

Deutlicher als Theodor Schieder und Werner Conze wies der Kieler Historiker und CDU- Mitglied Karl Dietrich Erdmann, der die »Erklärung zur Ostpolitik« nicht unterschrieb, auf die politische Zielsetzung der Erklärung hin. In seinem Kommentar zu der von ihm als Herausgeber initiierten Dokumentation dieser Auseinandersetzung über die »Erklärung zur Ostpolitik« in der Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht schrieb er, dass der Adressat dieser Erklärung »weniger der Abgeordnete des Deutschen Bundestages als der Wähler in Baden- Württemberg« sei, weil Historiker und Politologen nicht so illusionär denken würden, dass sie glauben könnten, ihrer Erklärung könne »die Motivation dieser noch Schwankenden beeinflussen«. Es handelte sich also »im Effekt bei diesem Aufruf um eine Wahlhilfe zum Zweck der Errichtung einer liberal-sozialen Koalition in Baden-Württemberg«.316 Er schrieb weiter:

»Ich glaube aber aus Gesprächen mit Unterzeichnern des Aufrufs entnehmen zu können, dass das leitende Motiv weniger in der Absicht lag, mit dieser Anzeige überhaupt etwas bewirken zu wollen, als in dem Bedürfnis, ein Bekenntnis abzulegen. Die Tatsache, dass so viele und gewichtige Namen unter dem Aufruf zu finden sind, wird bei historisch Interessierten die berechtigte Frage nahelegen, wie es die anderen mit den Ostverträgen halten.«317

In diesem Sinne sei »ein kompliziertes Problem der Außenpolitik« durch diese Erklärung »zur Frage nach dem status confessionis der Historiker geworden«. 318 Mit seiner persönlichen Erfahrung legte Erdmann dar, »dass durch diese Erklärung die deutschen Historiker und Politologen nicht notwendigerweise in Schafe und Böcke eingeteilt werden müssen, obwohl die Erklärung im Ergebnis gerade dies bewirken könnte«.319 Typischerweise haben sich die beiden Herausgeber der Zeitschrift GWU gegenüber der Aufforderung unterschiedlich verhalten und der zweite Mitherausgeber, der Münchener Historiker Felix Messerschmid gehörte ebenfalls zum Kreis der Unterstützer Willy Brandts. Angesichts dieses tiefen Risses innerhalb der westdeutschen Historikerschaft schien es Erdmann wichtig zu betonen, dass sie beide nach wie vor ein »sachlich und menschlich ungetrübtes Freundschaftsverhältnis« verbinde.320

316 Karl Dietrich Erdmann, Die falsche Alternative, a.a.O., S.353f.. 317 Ebd., S.354. 318 Ebd., S.354. 319 Ebd., S.354. 320 Ebd., S.354. 134

Wie groß auch immer der Anteil parteipolitischen oder sachbezogenen Engagements bei diesen öffentlichen Stellungnahmen war, sie sind ein deutliches Anzeichen dafür, dass die Ostpolitik die Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft deutlich intensiviert hat.

2.4 Tendenzwende und deutsche Identität

Im Frühjahr 1974 löste zuerst Helmut Schmidt Willy Brandt als Bundeskanzler und dann Gustav Heinemann als Bundespräsident ab. Mit dieser politischen Wende standen Wirtschafts- und Konjunkturkrise, Zweifel an der Reformpolitik sowie Kritik am Fortschrittsdenken in Verbindung. Die damalige »konservative Tendenzwende«, die seit der Tagung »Tendenzwende«, die im November 1974 in der Bayrischen Akademie der schönen Künste in München stattfand, im politischen und gesellschaftlichen Diskurs verbreitet war, stellte zunächst den konservativen Gegenentwurf zur sozial-liberalen Reformpolitik dar und beeinflusste dann die Vermittlung von Geschichte und Geschichtsbewusstsein in der Öffentlichkeit. Parallel dazu machte es sich auf dem Feld der Geschichtsbilder und Geschichtsdiskurse in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre bemerkbar, dass nun die Frage nach der Identität der Deutschen zum Thema wurde und der Geschichte bei der Beantwortung dieser Frage eine wichtige Funktion zugewiesen wurde. Der neokonservative, vormals der SPD nahestehende Philosoph Hermann Lübbe sprach von der »Identitätspräsentationsfunktion von Historie«. Er wies professioneller Historiographie in der öffentlichen Kultur die Aufgabe zu, historische Kenntnisse bereitzustellen, die insbesondere nationalen Identitäten zur Anschauung zu bringen. Sein Verständnis zur Funktion der Geschichtsschreibung formulierte Lübbe so: »Wir schreiben unsere Geschichte und die Geschichten anderer ›immer wieder neu‹, weil die Präsentation eigener und fremder Identität eine Funktion unserer Geschichte ist, durch die wir, mit dieser sich ändernd, unsere eigene Identität haben.«321 Franz Josef Strauß sagte:

»Die Frage nach dem Geschichtsverständnis habe ich immer als eine Kernfrage unseres Gemeinschaftslebens angesehen. Deshalb spreche ich auch stets von der Notwendigkeit, in geschichtlichen Maßstäben und Zusammenhängen zu denken. Kein Mensch und kein Volk kann seiner Vergangenheit entkommen. Wer aus der Geschichte emigrieren will, wird von ihr eingeholt. Man kann deshalb die eigene Geschichte auch nicht einfach ›bewältigen‹, wie man etwa eine schwierige Mathematikaufgabe bewältigt.«322

321 Hermann Lübbe, Identitätspräsentationsfunktion von Historie, in: Odo Marquard/Karlheinz Stierle (Hrsg.), Identität, München 1979, S.277-292, hier S.291. 322 Franz Josef Strauß, Zur Lage, Stuttgart 1979, S.38. 135

Parallel zur Diskussion über die Identitätsfunktion der Geschichtswissenschaft setzten sich Christdemokraten und Sozialdemokraten miteinander über die Funktion des Geschichtsunterrichts für deutsche Identität auseinander. Der Hessener CDU-Politiker legte im Jahre 1977 seine Stellung zu Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht vor, in der die Suche nach der angeblich verlorenen Identität im Zentrum stand:

»Wir sehen in der Geschichte vor allem das Bezugsfeld, in dem wir unsere Identität finden. Das gilt auf allen Ebenen, angefangen bei der Gemeinde. Dem Identitätsverlust in der Massengesellschaft entgegenzutreten, gehört zu den vornehmsten Aufgaben unserer Zeit. Es handelt sich dabei um eine eminent politische Aufgabe.«323

Demgegenüber behauptete die SPD in Nordrhein-Westfalen 1980:

»Der Geschichtsunterricht trägt wesentlich dazu bei, dem Lernenden durch historische Aufklärung zu einer rationalen politisch-sozialen Identität zu verhelfen. Eine solche Identität darf nicht starr und unbeweglich, sie muss vielmehr belastbar sein und auch in Konflikten und Krisen noch stabil bleiben. Nur so kann der Lernende davor geschützt werden, Heilsbringern oder Führern das politische Feld zu überlassen. Eine Identität, die dies leistet, wird nicht durch Vermittlung eines einheitlichen Geschichtsbildes erzeugt, sondern durch die Fähigkeit, gegenwärtige Probleme und Konflikte historisch zu begreifen. Identifikation mit der eigenen Gruppe, der eigenen Nation, gelingt nicht durch Konsens über eine vermeintlich ›heile‹ Vergangenheit, sondern nur dann, wenn man auch das bislang Umstrittene nicht verschweigt.«324

Die pädagogisch-politische Klimaverschiebung schlug sich in einer Renationalisierung der deutschen Geschichtsdebatten nieder. Der Bundestagsausschuss für innerdeutsche Beziehungen veranstaltete zwischen 1977 und 1981 große öffentliche Anhörungen zur deutschen Frage in der Geschichte. Ihr Tenor lautete: »Suche nach der verlorenen Identität«. 325 Im Herbst 1978 beschloss die Kultusminister-Konferenz der Bundesrepublik, dass die deutsche Frage, der

323 Zitat nach: Gerhard Beier, Arbeiterbewegung in Hessen. Zur Geschichte der hessischen Arbeiterbewegung durch 150 Jahre (1834–1984), Frankfurt a. M. 1984, S.10. 324 Geschichtsunterricht im demokratischen Staat. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Schule und Kultur des Landtags von Nordrhein-Westfalen vom 26.3.1980 (Landtagsdrucksache 8/5730), in: Susanne Miller/Wilhelm van Kampen/Horst Schmidt (Hrsg.), Geschichte in der demokratischen Gesellschaft, a.a.O., S.159- 166, hier S.160f. 325 Die Themen waren z.B. 1977: Deutschlandpolitik, in: Zur Sache 1977, Nr. 4; 1978: Die deutsche Frage in der politischen Bildung, in: Zur Sache 1978, Nr. 2; 1981: Deutsche Geschichte und politische Bildung, in: Zur Sache 1981, Nr. 2. 136

nationale Zusammenhalt und die Wiedervereinigung künftig in größerem Umfang im Schulunterricht diskutiert werden sollten.326 Im Umfeld der am Ende der 70er Jahre und Anfang der 80er Jahre sich bildenden Friedensbewegung gegen den NATO-Doppelbeschluss formierte sich auch ein linker Nationalismus. Sein Einfluss blieb jedoch sehr gering und innerhalb der Geschichtswissenschaft gewann er nur wenige Anhänger, wie etwa die linksnationalistischen Historiker Peter Brandt327 und Herbert Ammon. 328 Die Mehrheit linksliberaler, sozialdemokratischer oder weiter links stehender Fachvertreter lehnte aber eine solche Wiederbelebung nationaler Diskurse in der Geschichtsschreibung entschieden ab. Auch die wachsende Zahl von Nachwuchshistorikern stand lagerübergreifend dieser Welle einer Renationalisierung kühl distanziert oder im linken Meinungsfeld des Faches vehement ablehnend gegenüber.

3. Aufschwung der sozialdemokratischen Historiographie

»Zum erstenmal ist die moderne Sozialgeschichte und Wirtschaftsgeschichte ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der westdeutschen Geschichtswissenschaft geworden. Zum erstenmal besitzen Vertreter der liberal-sozialdemokratischen Strömung an ca. 25 von rund 60 westdeutschen Hochschulen eine sichere Stellung«, so schrieb Hans-Ulrich Wehler im Jahr 1979 zur Lage der Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik, »in einem positiven Sinn ist die Historikerschaft heterogener geworden. Mit diesem Pluralismus konkurrierender Richtungen muss sie auf liberale Weise zu leben lernen«. 329 Parallel zum politischen Erfolg der Sozialdemokratie vollzog sich auch der Aufschwung der sozialdemokratischen Historiographie. Inhaltlich favorisierte sie zunächst die bereits in den 60er Jahren gepflegten Themen der Geschichte von Arbeitern und der Arbeiterbewegung, der Sozialdemokratie und sozialdemokratischer Politik. Im Verlauf der schnellen Entwicklung in den siebziger Jahren

326 Die Deutsche Frage im Unterricht. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 23. November 1978, in: GWU 30 (1978), S.343-356. Zur Kritik siehe: Karl-Heinz Janßen, Chauvinismus in der Schule. Die deutsche Frage im Unterricht. Schablonen aus Bonn, in: Die Zeit, 8.12.1978; Hans Mommsen, Geschichtsunterricht und Identitätsstiftung der Bundesrepublik, in: Geschichtsdidaktik 3 (1978), S. 291-312. 327 Peter Brandt als Sohn Willy Brandts war Mitglied der SPD. Er war von 1975 bis 1986 Wissenschaftlicher Assistent bzw. Hochschulassistent bei Professor Reinhard Rürup am Institut für Geschichtswissenschaft der Technischen Universität Berlin, der auch seine Habilitationsschrift zum Thema »Studentische Bewegungen und Frühnationalismus um 1800« betreute. 328 Peter Brandt/Herbert Ammon (Hrsg.), Die Linke und die nationale Frage. Dokumente zur deutschen Einheit seit 1945, Hamburg 1981; dies., Patriotismus von links, in: Wolfgang Venohr (Hrsg.), Die deutsche Einheit kommt bestimmt, Bergisch-Gladbach 1982, S.118-159. 329 Hans-Ulrich Wehler, Geschichtswissenschaft heute, a.a.O., S.752. 137

wurde die sozialdemokratische Geschichtsschreibung, die sich lange Zeit in der Opposition zur »offiziellen« Geschichtswissenschaft befunden hatte und die sich, wie wir gesehen haben, seit dem Ende der fünfziger Jahren langsam durch der Gründung eigener Forschungsinstitutionen und Zeitschriften im Berufsfeld der akademischen Historikerschaft eine bescheidende Position am Rande gesichert hatte, nun von der Fachwelt vollständig akzeptiert, auch wenn dies vom konservativen Flügel in der Historikerschaft anfangs nur widerwillig und widerstrebend akzeptiert wurde. Eine Darstellung von deutscher Geschichte aus dem sozialdemokratischen Blickwinkel versuchte, sich mit der nationalen Tradition in der deutschen Geschichtsschreibung auseinanderzusetzen und eine neue Erklärung über deutsche Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert zu geben.

3.1 Arbeiterbewegungs-, Sozial- und Parteigeschichte

»Die Geschichte der Arbeiterbewegung war bis in die unmittelbare Nachkriegszeit hinein ein Stiefkind der historischen Disziplinen und blieb vorwiegend die Sache von Außenseitern. Das ist heute grundsätzlich anders«, so schrieb Hans Mommsen im Februar 1974, »die Geschichte der Arbeiterbewegung ist eine immer wichtigere Spezialdisziplin des historischen Faches. Sie nimmt einen festen Platz in Lehre und Forschung an den wissenschaftlichen Hochschulen der Bundesrepublik ein und begegnet wachsendem Interesse von seiten der Studierenden.«330 Als Beleg für die Richtigkeit dieser Bestandsaufnahme kann gelten, dass die Geschichte der Arbeiter und Arbeiterbewegung ein Diskussionsthema auf den Historikertagen wurde. Auf dem Historikertag in Regensburg vom 3. bis 8. Oktober 1972, eine Woche vor dem SPD Parteitag, wurde über die Sozialdemokratie und die Arbeiterbewegung diskutiert331, während es auf dem Historikertag in Mannheim 1976 eine Sektion »Arbeiterfragen im Industrialisierungsprozess« gab332. Die vielfältigen Beschäftigungen mit sozialdemokratischer Historiographie, insbesondere mit der Parteigeschichte, führten dazu, dass es nun »mehr SPD-Historiker als -Mitglieder«333 gab. Die traditionelle sozialdemokratische Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung, der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie erhielt mit der Eröffnung des Archivs für soziale

330 Hans Mommsen, Vorwort des Herausgebers, in: ders. (Hrsg.), Sozialdemokratie zwischen Klassenbewegung und Volkspartei. Verhandlungen der Sektion »Geschichte der Arbeiterbewegung« des Deutschen Historikertages in Regensburg, Oktober 1972, Frankfurt a. M. 1974, S.7-9, hier S.7. 331 Vgl. Hans Mommsen (Hrsg.), Sozialdemokratie zwischen Klassenbewegung und Volkspartei, a.a.O. 332 Hans Pohl (Hrsg.), Forschungen zur Lage der Arbeiter im Industrialisierungsprozess, Stuttgart 1978. 333 Hans-Ulrich Wehler, Die Sozialgeschichte zwischen Wirtschaftsgeschichte und Politikgeschichte, in: ders., Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung, Göttingen 1980, S.136-150, hier S.147. 138

Demokratie im Jahr 1969, mit den Forschungsprojekten der Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte der FES und des Instituts für Sozialgeschichte in Braunschweig-Bonn vielfältige institutionelle Unterstützung. Die Leitthemen des Archivs für Sozialgeschichte in den siebziger Jahren wiederum regten weitere Forschungsarbeiten auf diesem Feld an. Eine wachsende Zahl von universitären Qualifikationsarbeiten, voran Dissertationen widmete sich Themen der Arbeiterbewegungs- bzw. der Arbeitergeschichte. So erschienen nun Biographien über Ferdinand Lassalle334, einen der Wörterführer der frühen deutschen Arbeiterbewegung und der Gründerväter der SPD, oder über Johann Jacoby335, einen frühen deutschen Sozialdemokraten. Es erschienen eine Organisationsgeschichte der freien und liberalen deutschen Gewerkschaften im Zeitraum von 1870 bis 1890, die sich besonders der Herausbildung von Fachvereinen, Berufsgewerkschaften und Zentralverbänden widmete336, und eine Studie über Programmatik, Organisation und politische Praxis der christlichen Gewerkschaften von 1894 bis 1933337. Einer Aufwertung des sozialdemokratischen und allgemein des Arbeiter-Widerstandes gegen die NS- Diktatur diente z.B. auch die Untersuchung über die Emigration und Widerstand im Saargebiet 1933 bis 1935 338 . Als Kultur- und Bildungsbewegung wurde die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bis 1933 erforscht339, während die Anfänge der deutschen politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung auf lokaler und regionaler Ebene beobachtet wurden340. Friedhelm Boll legte 1981 einen regionalen Vergleich der Massenbewegungen in Niedersachsen von 1906 bis 1920 in Braunschweig und Hannover vor341. Beatrix W. Bouvier publizierte 1982 ihre Monographie über die Rezeption der französischen Revolution in der deutschen Arbeiterbewegung von den 1839er Jahren bis 1905.342 Nach gut 15 Jahren intensiver Forschungsarbeit auf diesem Feld fand im November 1982 das Seminar Haben wir aus unserer Geschichte gelernt? statt, das von der Historischen Kommission

334 Shlomo Na'aman, Lassalle, Hannover 1970. 335 Edmund Silberner, Johann Jacoby. Politiker und Mensch, Bonn 1976. auch ders. (Hrsg.), Johann Jacoby. Briefwechsel 1816-1849, Hannover 1974; ders. (Hrsg.), Johann Jacoby. Briefwechsel 1850-1877, Bonn 1978. 336 Willy Albrecht, Fachverein – Berufsgewerkschaft – Zentralverband. Organisationsprobleme der deutschen Gewerkschaften 1870-1890, Bonn 1982. 337 Michael Schneider, Die Christlichen Gewerkschaften 1894-1933, Bonn 1982. 338 Patrik von zur Mühlen, »Schlagt Hitler an der Saar!«. Abstimmungskampf, Emigration und Widerstand im Saargebiet 1933-1935, Bonn 1979. 339 Vgl. Aufsätze in: AfS 14 (1974). 340 Vgl. Aufsätze in: AfS 15 (1975). 341 Friedhelm Boll, Massenbewegungen in Niedersachsen 1906-1920. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung zu den unterschiedlichen Entwicklungstypen Braunschweig und Hannover, Bonn 1981. 342 Beatrix W. Bouvier, Französische Revolution und deutsche Arbeiterbewegung. Die Rezeption des revolutionären Frankreich in der deutschen sozialistischen Arbeiterbewegung von den 1830er Jahren bis 1905, Bonn 1982. 139

beim SPD-Parteivorstand in Bonn veranstaltet wurde. Hans Mommsen, Helga Grebing, Heinrich Potthoff und Susanne Miller hielten Vorträge über die Arbeiterbewegung im Widerstand und im Exil, die Tradition der deutschen Arbeiterbewegung, die Behandlung der Geschichte der Arbeiterbewegung in den Schulunterricht und die Bedeutung der Lokalgeschichte für das Geschichtsbewusstsein der deutschen Arbeiterbewegung.343 Außerdem hatten sozialdemokratische Historiker wie z.B. Susanne Miller regelmäßig an der 1964 in Wien gegründeten Internationalen Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung (heute: Internationale Tagung der Historiker der Arbeiter und anderer sozialer Bewegungen) teilgenommen, deren jährliche »Linzer Konferenzen« als weltweite Plattform für Wissenschaftsgemeinschaften von Arbeiterhistorikern galten. Der Aufschwung der Geschichte der Arbeiterbewegung in den siebziger Jahren hat ihren Niederschlag in den umfangreichen Bibliographien gefunden, die von Dieter Dowe, Klaus Tenfelde, Gerhard A. Ritter und Kurt Klotzbach als Beihefte des Archivs für Sozialgeschichte erschienen. 344 Dennoch litt die westdeutsche Geschichtsschreibung über die (meist) deutsche Arbeiterbewegung darunter, dass ihre Untersuchungen die sozialen und wirtschaftlichen Hintergründe, vor dem und unter dessen Einflüssen sich Arbeiter politisch engagierten, nur ansatzweise einbezogen. So schrieb Dieter Dowe selbstkritisch im Jahr 1976: »Eine wirklich integriert sozialgeschichtliche Darstellung zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ist ein dringendes Desiderat der Forschung, das vorläufig wohl noch nicht eingelöst werden kann, da dazu noch ein Reihe von regionalen, sektoralen und berufsspezifischen Vorarbeiten notwendig ist.«345 Seit Mitte der siebziger Jahre wurde die Geschichte der Arbeiter und Arbeiterbewegung nicht nur weiterhin aus der herkömmlichen Perspektive als Politik- und Organisationsgeschichte geschrieben, sondern ihre Vertreter versuchten auch den Brückenschlag zur Sozialgeschichte. Unter der Leitung von Kurt Klotzbach, Dieter Dowe und Hans Pelger wurde es Leitidee des Archivs für Sozialgeschichte, Untersuchungen über Arbeiter und Arbeiterbewegung stärker aus einer sozialgeschichtlichen Perspektive durchzuführen. Damit schälte sich ein neuer Schwerpunkt

343 AdsD, Bestand Historische Kommission 2/PVAE0000006. 344 Dieter Dowe, Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, sozialistischen und kommunistischen Bewegung von den Anfängen bis 1863, Bonn-Bad Godesberg 1976; Klaus Tenfelde/Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung 1863-1914, Bonn 1980; Kurt Klotzbach, Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1914-1945, Bonn-Bad Godesberg 1974. 345 Dieter Dowe, Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, sozialistischen und kommunistischen Bewegung von den Anfängen bis 1863, a.a.O., S.31. 140

der sozialdemokratischen Historiographie heraus. Werner Conze hatte 1966 anläßlich des Erscheinens des 3. Bandes bissig bemerkt, diese Zeitschrift unter dem Titel »Archiv für Sozialgeschichte« solle »besser den Titel eines Archivs zur Geschichte der Arbeiterbewegung tragen, da ›Sozialgeschichte‹ wahrlich umfassender zu verstehen ist«. 346 Aber seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre stand die traditionelle Geschichtsschreibung über Arbeiterbewegung in diesem Jahrbuch nicht mehr im Zentrum. Dieses Archiv setzte sich immer mehr für die sozialgeschichtlichen Themen ein, die sich nicht auf Geschichte der Arbeiter und Arbeiterbewegung beschränkten. Aspekte der Lebensverhältnisse von Arbeitern wie Wohngeographie und -qualität, Berufsqualifikation, Arbeiterlektüre und Freizeit wurden 1976 in verschiedenen Aufsätzen im AfS von Historikern wie Lutz Niethammer, Franz Brüggemeier, Dieter Langewiesche, Klaus Schönhoven, Jürgen Reulecke oder Peter N. Stearns behandelt.347 Zu seinen Leitthemen im Aufsatzteil zählten im Zeitraum 1977 bis 1982 die Sozialgeschichte jeweils in der NS-Zeit 348 und in der Bundesrepublik 349 , die Arbeits- und Lebensbedingungen im vorindustriellen und industriellen Zeitalter350 und Arbeitsverhältnisse und Betriebsverfassung in der deutschen Industrie des 19. Jahrhunderts 351 sowie Lebensbedingungen der Arbeiterschaft außerhalb des Betriebes im 19. und 20. Jahrhundert352. Zum einen war die Etablierung der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte in der sozialdemokratischen Historiographie, die mit der »Erweiterung«353 der Sozialgeschichte und dem programmatischen Aufbruch der »Historischen Sozialwissenschaft« in den siebziger Jahren im Zusammenhang stand, Ergebnis deren Integration in die Fachwelt. Zum anderen hat die sozialdemokratische Historiographie mit ihren eigenen Arbeiten dazu beigetragen, dass die neue Richtung der Sozialgeschichte in relativ kurzer Zeit einen anerkannten Rang innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft eingenommen hat. Parallel zur Aufschwung der Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung gab es gleichfalls viele neue Forschungsergebnisse zur Sozialdemokratie. Dieter Groh argumentierte, dass die Sozialdemokratie durch den Sonderweg der deutschen Arbeiterbewegung im Kaiserreich effektiv

346 Werner Conze, Rezension Archiv für Sozialgeschichte. 3. Bd., in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 53 (1966), S.575f., hier S.575. 347 Alle Aufsätze erschiennen in: AfS 16 (1976). 348 Vgl. Aufsätze in: AfS 17 (1977). 349 Vgl. Aufsätze in: AfS 18 (1978). 350 Vgl. Aufsätze in: AfS 19 (1979). 351 Vgl. Aufsätze in: AfS 21 (1981). 352 Vgl. Aufsätze in: AfS 22 (1982). 353 Werner Conze, Sozialgeschichte in der Erweiterung, in: Neue Politische Literatur 19 (1974), S.501-508. 141

isoliert worden wäre und in die deutsche Gesellschaft »negativ integriert« worden sei.354 Susanne Miller veröffentlichte Studien zur Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg 355 und zu den ersten, sozialdemokratisch geführten Regierungen in der Weimarer Republik356. Die Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte der FES legte Ende der 1970er Jahre auf der Ebene der Zeitgeschichte eine Darstellung über den sozialdemokratischen Beitrag zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland357 und eine Studie zur Erörterung innerparteilicher und gesamtstaatlicher Demokratieprobleme von 1946 bis 1966358 vor. Für die politische Bildung und die politische Öffentlichkeit, zumal der eigenen Partei war aber sicherlich am wichtigsten, dass Susanne Miller, die zwischen 1964 bis 1978 wissenschaftliche Angestellte der »Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien« war, 1974 zusammen mit Heinrich Potthoff, ihrem Kollegen in dieser Kommission, eine Kleine Geschichte der SPD veröffentlichte. 359 Diese Schrift war in Umfang und Anlage für die innerparteiliche Bildungsarbeit angelegt.360 1991 erschien ihre 7. Auflage und 2002 ihre komplett überarbeite 8. Auflage. Sie ist zum Standardwerk für die Geschichte der Sozialdemokratie geworden.

3.2 Neuer »Deutscher Sonderweg«

In den 1970er Jahren war die »Umakzentuierung der Sonderweg-These«361 in der westdeutschen Geschichtswissenschaft in vollem Gang: vom »deutschen Weg«362 zum »deutschen Sonderweg«, von der positiven zur negativen Wertung der Besonderheiten in der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Die sozialdemokratische Historiographie außerhalb der Fachhistorie hatte eine solche kritische Umdeutung des deutschen Sonderwegs bereits im Kaiserreich und in der Weimarer Republik vorweggenommen. Die deutsche Geschichte als einen demokratisch

354 Dieter Groh, Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkrieges 1909-1914, Berlin 1972. 355 Susanne Miller, Burgfrieden und Klassenkampf. Die deutsche Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg, Düsseldorf 1974. 356 Susanne Miller, Die Bürde der Macht. Die deutsche Sozialdemokratie 1918–1920, Düsseldorf 1978. 357 Kurt Thomas Schmitz, Deutsche Einheit und Europäische Integration. Der sozialdemokratische Beitrag zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des programmatischen Wandels einer Oppositionspartei, Bonn 1978. 358 Klaus Günther, Sozialdemokratie und Demokratie 1946-1966. Die SPD und das Problem der Verschränkung innerparteilicher und bundesrepublikanischer Demokratie, Bonn 1979. 359 Susanne Miller/Heinrich Potthoff, Kleine Geschichte der SPD, Bonn 1974. 360 Detlef Lehnert, Sozialdemokratie zwischen Protestbewegung und Regierungspartei 1848 bis 1983, Frankfurt a. M. 1983, S.14. 361 Helga Grebing, Der »Deutsche Sonderweg« in Europa 1806-1945. Eine Kritik, Stuttgart 1986, S.12. 362 Vgl. Bernd Faulenbach, Ideologie des deutschen Weges, a.a.O.. 142

defizitären Sonderweg in die Moderne zu sehen, durchzog früh das sozialdemokratische Geschichtsdenken.363 Wilhelm Keil, engagierter Politiker der SPD im Kaiserreich und Weimarer Republik, stellte bereits in der Weimarer Nationalversammlung 1919 ein sozialdemokratisches Geschichtsbild dar, in dem er eine direkte Linie von 1848 bis 1918 zog, um den Ersten Weltkrieg und ihre Niederlage zu erklären. 364 Er nahm mit seinem im großen Maße auf Modernisierung gestimmtem sozialdemokratischen Geschichtsbild ein zentrales Wertungskriterium der Sonderwegsthese nach 1945 vorweg.365 Aber es hatte faktisch keinen Einfluss auf die Fachhistorie gehabt. Eine linke »Sonderwegsgeschichte« akademischer Historiker bildete sich erst 25 Jahre nach dem Kriegsende heraus. Sie war fachpolitisch eng mit den Neuansätzen einer »Historischen Sozialwissenschaft« verbunden und beide Positionen können zusammengenommen als Versuche interpretiert werden, für die Geschichtswissenschaft eine überzeugende Antwort auf die in der Aufbruchs-, Reform- und Modernisierungsstimmung zwischen 1965 und 1973 gängige Frage »Wozu noch Historie?« zu formulieren366. Auf der politischen Ebene war die Sonderwegsthese »an einer umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft« orientiert367. Unter dem Einfluss der englischen und us-amerikanischen Modernisierungstheorie verfestige der linksliberale Soziologe Ralf Dahrendorf Mitte der sechziger Jahre in seinem einflussreichen Buch über »Gesellschaft und Demokratie in Deutschland« die neuartige Sonderwegtheorie, als er auf die Frage nach den Ursachen für den Nationalsozialismus damit antwortete, dass Hitlers Machtergreifung auf die »Unnormalität« der deutschen Modernisierung zurückzuführen sei.368 Weil die technisch-ökonomische Modernisierung und die politisch-sozialstrukturelle Modernisierung in Deutschland im 19. Jahrhundert nicht gleichzeitig durchgeführt wurden, weil Deutschland wegen des Misserfolgs der Revolution 1848 keine Chance hatte, sich von Politik über Wirtschaft bis zu Gesellschaft total zu modernisieren und weil die Deutschen wegen der

363 Dieter Langewiesche, Die Geschichtsschreibung und ihr Publikum. Zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Geschichtsmarkt, in: ders., Zeitwende. Geschichtsdenken heute, Göttingen 2008, S.85-100, hier S.88f. 364 Eine ausführliche Untersuchung der Keils Rede siehe: Dieter Langewiesche, 1848 und 1918 - zwei deutsche Revolutionen, Bonn 1998. 365 Die Analyse von Keils Vorbild für Sonderwegshistorie in der Bundesrepublik siehe: Dieter Langewiesche, Der »deutsche Sonderewg«. Defizitgeschichte als geschichtspolitische Zukunftskonstruktion nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, in: ders. Zeitwende. Geschichtsdenken heute, Göttingen 2008, S.164-171, insbes. S.167ff. 366 Thomas Welskopp, Identität ex negativo. Der »deutsche Sonderweg« als Metaerzählung in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft der siebziger und achtziger Jahre, in: Konrad H. Jarausch/Martin Sabrow (Hrsg.), Die historische Meistererzählung, a.a.O., S.109-139, hier S.115. 367 Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.353 368 Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965. 143

Schwäche der bürgerlichen Kräfte hierzulande keinen kapitalistisch-demokratischen Weg eingeschlagen hatten, kam es zum Nationalsozialismus. Seitdem wurde die Sonderwegthese sozialgeschichtlich vielfach untermauert und zu einer Art Grundaxiom der deutschen Geschichtsforschung entwickelt. Jürgen Kocka, Hans-Ulrich Wehler und Heinrich August Winkler hatten sich Ende der sechziger Jahre der Sonderwegsthese zugewandt. Die Sonderwegsforschung wirkt aus der Rückschau wie ein Verfahren geschichtswissenschaftlicher Kriminalistik: es ging darum, die langfristigen Ursachen für den Erfolg des NS-Regimes und für seine politischen Ziele zu finden. Für Wehler war die NS-Diktatur eine Konsequenz aus einer Entwicklung, die Deutschland nach der gescheiterten Revolution 1848 eingeschlagen habe. 369 Die besondere Entwicklung Deutschlands nach 1918 und damit auch die Etablierung des Nationalsozialismus 1933 führte Winkler auf den Faktor zurück, dass »Deutschland vor 1918 nicht parlamentarisch, sondern autoritär regiert wurde«.370 Als Kocka 1977 die Geschichte der Angestellten Deutschlands mit jener der USA verglich, galt auch ihm die deutsche Entwicklung hin zum Nationalsozialismus als Sonderweg, jene der USA hingegen als Vorbild.371 Die Anhänger der Sonderwegsgeschichte schrieben ihr keineswegs nur eine wissenschaftliche, sondern vor allem eine politische Funktion zu. Sie war Teil sozialdemokratischer Vergangenheitspolitik. Sie bedeutete einen entscheidenden Einschnitt für die westdeutsche Geschichtskultur, weil sie den Weg für eine erstmals von »links« ausgehende positive Bewertung der Bundesrepublik bahnte, die mit der »Bundesrepublikanisierung« der sozialdemokratischen Deutschland- und Außenpolitik seit 1960 begonnen hatte und dann in der zweiten formativen Phase dieses Staates bis 1974 ihre volle Gestalt annehmen sollte.372. Wolfgang J. Mommsen sprach der Sonderwegthese die »Funktion einer Leitidee für Forschung und Lehre«373 zu. Heinrich August Winkler diktierte: »Aber wer den deutschen Sonderweg nicht wahrhaben will, wird erneut in die Irre gehen.«374 Kurt Sontheimer nannte sie »eine notwendige Funktion des politischen Selbstverständnisses der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg«. Wer die Sonderwegthese eliminiere, breche »dem deutschen politischen Bewusstsein das Rückgrat«. Nur

369 Hans-Ulrich Wehler, Das deutsche Kaiserreich 1871-1918, Göttingen 1973. 370 Heinrich-August Winkler, Der deutsche Sonderweg. Eine Nachlese, in: Merkur 35 (1981), S.793-804, hier S.802; auch ders., Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus, Köln 1972. 371 Jürgen Kocka, Angestellte zwischen Faschismus und Demokratie, Göttingen 1977. 372 Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.353. 373 Wolfgang J. Mommsen, Gegenwärtige Tendenzen in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik, a.a.O., S.151. 374 Heinrich August Winkler, Der deutsche Sonderweg, a.a.O., S.804. 144

mit dem Glauben an das Theorem brächten die Deutschen die moralische Kraft auf, den nach 1945 eingeschlagenen »Weg der Umkehr und Erneuerung fortzusetzen«. Von dieser Position aus attackierte er Tendenzen, das »Büßerhemd der Geschichte« abzustreifen und sich der historischen Haftung für den im Nationalsozialismus mündenden deutschen Sonderweg zu entziehen.375 Anfang der 1980er Jahre geriet die Sonderweg-These zusehends in die Kritik, und sie verlor vor allem ihre politische Relevanz – da inzwischen auch das Eingeständnis des Demokratiedefizits in der jüngeren deutschen Geschichte und die Distanz zum nationalkonservativen Staatskult innerhalb des Faches, vor allem aber auch in der politischen Öffentlichkeit bis weit ins Lager der bürgerlichen Parteien Anerkennung und Verbreitung gefunden hatten. Seitdem nahmen manche ihrer sozialdemokratischen Vertreter Abschied von der Sonderweg-These oder forderten zumindest einige Veränderungen und Korrekturen ein. Zum Beispiel formulierte Bernd Faulenbach seine begrenzte Übernahme der Sonderwegskategorie deutlich. Er betonte die problematischen Züge der Sonderwegsthese, weil die Definition eines »Normalwegs« als Interpretationsgrundstein des Sonderwegsmodells umstritten sei und die Sonderwegsthese dazu führe, erstens »die deutsche Geschichte zu isolieren« und »die Einzigartigkeit der Ereignisse der deutschen Geschichte zu überschätzen«, zweitens »die in sich vielschichtige und widersprüchliche Vergangenheit« zu leicht auf eine Kontinuitätslinie zu verengen, drittens »Vergangenheitsinterpretation, Gegenwartsorientierung und Zukunftserwartung bzw. -hoffnung« in sich problematisch zu verschränken und schließlich die anfechtbare Überlegenheit von Nation und Staat in der Geschichtsschreibung zu verstärken.376 Solche Kritik kann als eine Zusammenfassung der vielseitigen Gegenmeinungen zur Sonderwegsthese gelten. Neben Faulenbach schließt Helga Grebing ihre Bilanz der Diskussion über den Sonderweg damit, eine »weiße Linie« in der deutschen Nationalgeschichte, der die Arbeiterbewegung zugeordnet werde, als Abweichung des deutschen Sonderwegs zu ziehen.377 Aber es ist nicht zu leugnen, dass die »Sonderwegsgeschichte« einen erfolgreichen Beitrag dazu geleistet hat, Geschichtsbewusstsein in Westdeutschland neu zu wecken, wie Bernd Faulenbach formulierte und auf deren positive Funktion hinwies: »Es lässt sich gewiss nicht bestreiten, dass die neuere Geschichte in wesentlichen Zügen anders verlaufen ist als die englische,

375 Kurt Sontheimer, Referat, in: Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.), Deutscher Sonderweg – Mythos oder Realität, München 1982, S.27-33, hier S.31.f. 376 Bernd Faulenbach, »Deutsche Sonderweg«. Zur Geschichte und Problematik einer zentralen Kategorie des deutschen geschichtlichen Bewusstseins, in: APuZ 39 (1981), S.3-21, hier S.20f. 377 Helga Grebing, Der »deutsche Sonderweg« in Europa 1806-1945, a.a.O.. 145

amerikanische oder französische: Die späte Nationalstaatsbildung, die besondere Rolle des Staates gegenüber der Gesellschaft oder der Sieg des Faschismus markieren die angenfälligsten Unterschiede. Und gegenüber allen Versuchen, den Nationalsozialismus aus dem Kontext der deutschen Geschichte herauszulesen und die Problematik der preußisch-deutschen Traditionen zu verharmlosen, ist die Sonderwegsthese in ihrer kritischen Funktion zu verteidigen«. 378 Mit dem Deutungsmodell deutscher Sonderweg gelang der Sozialgeschichte der 1960er und 1970er Jahre ein politisch wirkungsmächtiges Umschreiben der Geschichte. Es war eine Innovation, die ein Geschichtsbild wiederfand und gesellschaftlich durchsetzte: ein Geschichtsbild, dass zuvor nur oppositionelle Milieus, vor allem das sozialdemokratische, akzeptiert hatten, rückte nun ins Zentrum der öffentlichen Debatte über die deutsche Geschichte und die Folgerungen, die daraus zu ziehen seinen. Dass die Erzählung eines Sonderwegs zur Erklärung der deutschen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert »von einer sozialdemokratischen Außenseiterperspektive zur Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik mit Hilfe der Sozialgeschichte der 1960er Jahre zum wissenschaftlich nobilitierten vergangenheitspolitischen Grundkonsens der Bundesrepublik«379 aufstieg, ist darauf zurückzuführen, dass die Sonderweggeschichtsschreibung die deutsche Katastrophe in der ersten Hälfte der 20. Jahrhundert als eine historisch verstehbare Entwicklung halten und die Bundesrepublik von der Geschichtslast befreien konnte. Zugleich entsprach die implizite Orientierung an den Westen bei der Sonderwegsdeutung der Westbindung der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit. Alle diese Gründe führten zur politischen und gesellschaftlichen Legitimation der Sonderwegthese und trugen zu deren großen Erfolg in der westdeutschen Öffentlichkeit in den siebziger Jahren bei.

4. Erweiterung und Verdichtung der Netzwerke zwischen SPD und Historikerschaft

Die Kommunikationsnetzwerke zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der westdeutschen Historikerschaft, die bis 1968 sowohl räumlich als auch personell beschränkt waren, wurden zwischen 1969 und 1982 nach und nach weiter und dichter. Dazu trug zum einen die Häufung von Kommunikationsanlässen bei: es gab eine wachsende Zahl parteipolitischer,

378 Bernd Faulenbach, »Deutsche Sonderweg«, a.a.O., S.20. 379 Dieter Langewiesche, Über das Umschreiben der Geschichte. Zur Rolle der Sozialgeschichte, in: ders. Zeitwende. Geschichtsdenken heute, Göttingen 2008, S.56-68, hier S.61. 146

geschichtspolitischer sowie historiographischer Gelegenheiten zum Austausch zwischen beiden Seiten; verursacht wurden sie sowohl durch die neue Stellung der SPD im westdeutschen politischen System und als auch die Lage der Geschichtswissenschaft. Zum zweiten führten immer mehr Kommunikationen von der Partei in die universitäre Welt, die Kommunikationsnetzwerke wurden gewissermaßen akademisiert. Dabei spielte die Vergrößerung der universitären Historikerschaft und ihre thematische, methodische und politische Erweiterung eine wesentliche Rolle. Die Ausweitung des Kommunikationsnetzwerkes resultierte ganz wesentlich aus dem nun sich rasch vollziehenden Generationswechsel innerhalb der Geschichtswissenschaft und dem Aufstieg von parteinahen Forschungsschwerpunkten.

4.1 Akademisierung der personellen Struktur

Die Namen von Historikern, die auf der Liste der Kommunikationsnetzwerke zwischen SPD und westdeutscher Historikerschaft von 1959 bis 1968 standen, waren für die Zunft häufig fremd oder noch neu. Seit 1969 veränderte sich dies. Es gab mehr prominente Historiker, die wegen ihres Engagements für sozialdemokratische Politik und Politiker mit der Partei in Verbindung kamen. Immer mehr Universitätshistoriker wurden aufgrund ihres Interesses für Themen der sozialdemokratische Historiographie Teil der Netzwerke, welche die Partei mit der Geschichtswissenschaft verbanden. Es gab außerdem auch mehr Historiker, die organisatorische Aufgaben in diesen Netzwerken übernahmen. Im Ergebnis kam es zu einer Akademisierung des Personenkreises, der die sozialdemokratisch-historische Kommunikation maßgeblich gestaltete. Vor 1969 waren die leitenden Akteure in diesen Netzwerken in erster Linie als Sozialdemokraten und dann erst als Historiker aktiv gewesen. Nun waren es ihrem Selbstverständnis nach primär Historiker, die politisch eher zur Sozialdemokratie tendierten. Einen ersten Hinweis auf diese Veränderungen lieferte der Wahlkampf 1969. Ein neues Instrument, das von Willy Brandt gefördert wurde und einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auch auf das Wahlergebnis der SPD hatte, war die »Sozialdemokratische Wählerinitiative«380 (SWI), ein breites Bündnis aus Intellektuellen, Künstlern und Bürgern, die sich für die Wahl der SPD, für Brandt als Bundeskanzler organisierten und damit für einen wirklichen

380 Vgl. Wigbert Löer, Ausflug zur Macht, noch nicht wiederholt. Die Sozialdemokratische Wählerinitiative und ihre Rudimente im Bundestagswahlkampf 1998, in: Tobias Dürr/Franz Walter (Hrsg.), Solidargemeinschaft und fragmentierte Gesellschaft. Parteien, Milieus und Verbände im Vergleich, Opladen 1999, S.379-393; Daniela Münkel, Intellektuelle für die SPD. Die sozialdemokratische Wählerinitiative, in: Thomas Hertfelder/Gangolf Hübinger (Hrsg.), Kritik und Mandat. Intellektuelle in der deutschen Politik, Stuttgart 2000, S.222-238; Kurt Sontheimer, So war Deutschland nie. Anmerkungen zur politischen Kultur der Bundesrepublik, München 1999. 147

Regierungswechsel in Bonn engagierten. Auf der Namensliste der SWI kann man gleich zwei Historiker finden. Eberhard Jäckel gehörte zu den Initiatoren der SWI.381 Er folgte im Dezember 1967 dem Aufruf von Günter Grass und traf sich mit ihm, Kurt Sontheimer und Erdmann Linde, um eine »Sozialdemokratische Wählerinitiative« ins Leben zu rufen, die sich dann Anfang 1969 der Öffentlichkeit präsentierte. Golo Mann, der 1968 Willy Brandt den bislang besten Außenminister der Bundesrepublik nannte, hoffte öffentlich darauf, Brandt möge der nächste Kanzler werden, um »seine eigene Politik zu führen«.382 Als 1969 Wahlen anstanden, hielt Mann die »Zeit für einen Wechsel« gekommen, setzte sich in mehreren Artikeln für die SPD und Brandt ein und ließ seinen Namen auch auf die Liste der Initiatoren der SWI setzen.383 Wie groß der Einfluss der in der SWI engagierten Historiker auf die Inhalte der Politik der SPD und der sozialliberalen Koalition tatsächlich war, ist schwer abzuschätzen. Im Rückblick hat Eberhard Jäckel bedauert, dass es nicht gelungen sei, die Initiative als »brain trust« fest in der SPD zu verankern. 384 Aber jedenfalls lässt sich die Kommunikation zwischen beiden Seiten auf der parteipolitischen Ebene in wesentlich stärkerem Maße als in anderen Phasen der Geschichte der Bundesrepublik nachweisen. Neben Eberhard Jäckel und Glolo Mann stand auch Hartmut Soell, der sein sozialdemokratisch-politisches und geschichtswissenschaftliches Engagement so eng wie möglich verband, wie in Kapitel I.3 bereits dargestellt worden ist, zu dieser Zeit in engem Kontakt mit dem Führungskreis der SPD. Die Netzwerke zwischen Sozialdemokratischer Partei und Historikerschaft auf dieser politischen Ebene waren inzwischen zwar größer und professioneller geworden, aber ihre Stabilität unterschied sich in Bezug auf Antrieb und Ausgangspunkt. Wer Sozialdemokratie für einen beständigen politischen Standpunkt hielt, wie Eberhard Jäckel und Hartmut Soell, dessen Kontakt mit der Partei war stabil. Im Gegensatz dazu konnte sich die Verbindung auf längere Sicht verändern. Golo Manns Lebensgeschichte stellt deutlich dar, inwieweit die wesentliche Identifikation und die taktische Neigung Einfluss auf die politische Orientierung der Historiker ausüben. Golo Mann verstand sich »konservativ als Instinkt, demokratisch aus Verstand«. 385 Auch wenn sich dieser Historiker, wie oben genannt, für den Wahlkampf Willy Brandts 1969

381 Eberhard Jäckel, Sozialdemokratische Wählerinitiative, in: NG 16 (1969), S.197-200. 382 Tilmann Lahme, Golo Mann. Biographie, Frankfurt a. M. 2009, S.327. 383 Vgl. Golo Mann, Zeit für einen Wechsel, in: Dafür. Sozialdemokratische Wählerhilfe 2 (1969), S.117. 384 Wigbert Löer, Ausflug zur Macht, noch nicht wiederholt, a.a.O., S.388. 385 Golo Mann, Die Ostpolitik ist im Bismarckschen Sinn Realpolitik. Antwort von Golo Mann auf Artikel von Walter Görlitz, in: Die Welt, 17.1.1972. 148

engagierte und in seiner Regierungszeit von 1969 bis 1974 seiner Neuen Ostpolitik widmete386, schlossen beide keine Freundschaft.387 Manns Unterstützung für die Neue Ostpolitik ging von dem grundlegenden Konsens über die Deutschland- und Ostpolitik zwischen ihm und Brandt aus, während seine Stimme für die Sozialdemokratische Partei darauf beruhte, dass er Ende der sechziger Jahre die SPD als Reformpartei ansah, die sich zu den damaligen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen durchringen wollte und konnte. Aus diesen beiden Gründen ergaben sich die Berührungspunkte zwischen Golo Mann und der SPD, die in einem relativ kurzen Zeitraum von 1969 bis 1974 entstand und gewissermaßen zerbrechlich war. Als die Divergenz über die Ostpolitik entstand und der Streit um den ultralinken Flügel innerhalb der SPD heftiger wurde, distanzierte sich Mann nach und nach von Brandt und seiner Partei. Nachdem die SPD 1974 in mehreren Landtagswahlen ihre Überlegenheit verloren hatte, was der Meinung Manns nach auf die Nachgiebigkeit der SPD- Führung gegenüber dem linken Flügel der Partei und der Jungsozialisten zurückzuführen war, brach Mann dann Ende März dieses Jahres sein Engagement für Brandt ab.388 Obwohl Brandt einige Tage zuvor den Historiker darum bat, »unser politisches Denken und Wirken weiterhin recht oft durch Ihre geistigen Impulse zu bereichern« 389 , kam nun ihre (briefliche) Kommunikation fast vollständig zum Ende. Der Historiker entzog danach der SPD die Unterstützung. Er begann Ende der siebziger Jahre seine Zusammenarbeit mit der CDU und engagierte sich im Wahlkampf 1980 für den CSU-Politiker Franz Josef Strauß als Kanzlerkandidat der Unionsparteien, weil er nun die Politik von Strauß für die bessere hielt, obwohl er nur wenige Jahre zuvor in der Nähe der Sozialdemokratie stand. 390 Der Orientierungswechsel von Mann von der Sozialdemokratie zur Christdemokratie erwies, dass die zwischen SPD und einem Historiker direkt verlaufende Kommunikation, die nur auf der

386 Willy Brandt schrieb in seinem Brief an Golo Mann am 29.11.1972: »Ihre Gedanken zur Außenpolitik waren mir wieder eine große Hilfe, und ich hoffe, dass ich auch in Zukunft gelegentlich auf Ihre Hilfsbereitschaft zurückgreifen darf.« Zit. nach ein Kommentar zum Manns Brief an Brandt am 8.12.1972, in: Tilmann Lahme/Kathrin Lüssi (Hrsg.), Golo Mann. Briefe 1932-1992, a.a.O., S.424. 387 Mann hatte in seinem Tagesbuch geschrieben, dass Willy Brandt »an intelligent, wellmeaning man, but without humour, without literature, and without any impressive personality« sei. Bei einem Inteview hatte Mann auch gesagt: »Freunde waren wir nie, ich hab ihm nur ein bisschen geholfen.« Beide Zitate nach: Kathrin Lüssi, Golo Mann. »Ich schere mich den Teufel um rechts oder links!«, a.a.O., S.103f. 388 Vgl. Golo Manns Berief an Willy Brandt am 26.3.1974, in: Tilmann Lahme/Kathrin Lüssi (Hrsg.), Golo Mann. Briefe 1932-1992, a.a.O., S.221f. 389 Vgl. Willy Brandts Brief an Golo Mann am 22.3.1974. Zit. nach ein Kommentar zum Manns Brief an Brandt am 26.3.1974, in: Tilmann Lahme/Kathrin Lüssi (Hrsg.), Golo Mann. Briefe 1932-1992, a.a.O., S.430. 390 Eine ausführliche Darstellung des politischen Engagements Manns für CDU/CSU siehe: Kathrin Lüssi, Golo Mann. »Ich schere mich den Teufel um rechts oder links!«, a.a.O., S.121-129. 149

Grundlage eines gemeinsamen Ziels in der aktuellen Politik entstand, keine stabile Basis hatte. Deswegen war der Beitrag vom sich damit herausbildenden Netzwerk zur ganzen Verflechtung zwar unübersehbar, aber häufig kurzfristig. Die Akademisierung der Netzwerke zwischen Sozialdemokratie und Historikerschaft lässt sich auch ablesen an der wachsenden Zahl von professionellen Historikern, die wissenschaftlichen Beiträge und Monograpien in den der SPD nahestehenden Institutionen und Zeitschriften publizierten. Kennzeichnend dafür war die Vergrößerung des Autoren-Kreises im Archiv für Sozialgeschichte. Von 1969 bis 1982 schrieben 119 Autoren insgesamt 148 Beiträge für diese Zeitschrift, während von 1961 bis 1968 nur 35 Autoren 75 Artikel veröffentlichten. Die ausländischen Autoren, zu den vor allem Edmund Silberner aus Jerusalem, Walter Grab aus Tel Aviv, Gerald Crompton aus England, Jacques Grandjonc aus Frankreich, Michael Mitterauer aus Österreich, Gerald D. Feldman, Peter N. Stearns und Vernon L. Lidtke aus den USA gehörten, waren nach wie vor ein wichtiger Bestandteil des Mitarbeiterkreises dieses Jahrbuches. Aber ihr relativer Anteil an der Gesamtzahl der Autoren sank, wie ein Vergleich zwischen Tabelle III-1 mit der Tabelle II-1 im Kapitel II.4.2 zeigt. Die USA und Israel waren immer noch die wichtigsten Herkunftsländer ausländischer Mitarbeiter, während britische Forscher, wie die Tabelle III-2 darstellt, eine neue dritte Mitarbeitergruppe wurden.

Tabelle III-1: Ortsverteilung der Aufsatz-Autoren des AfS 1969 – 1982

ohne Datum 1 1% Ausland Deutschland 28 24% Ausland

ohne Datum

Deutschland 90 75%

150

Tabelle III-2: Ortsverteilung der Aufsatz-Autoren des AfS 1961 – 1968 außerhalb der BRD

Nr. Staat Zahl der Autoren Teil (%) 1 USA 7 25 2 England 5 18 2 Israel 5 18 4 Niederlande 4 14 5 Österreich 2 7 Summe 5 23 82

Geringer wurde auch das Gewicht der Historiker, die als Mitarbeiter bei der Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte der Friedrich-Ebert-Stiftung oder beim Institut für Sozialgeschichte in Braunschweig-Bonn tätig waren, wie Willy Albrecht, Hans Peter Ehni, Rosemarie Leuschen- Seppel, Arnold Sywottek, Klaus Günther, Michael Schneider, Friedhelm Boll, Beatrix W. Bouvier und Klaus Tenfelde. Sie nahmen nach wie vor privilegierte Positionen innerhalb der Kommunikationsnetzwerke zwischen SPD und Geschichtswissenschaft ein, aber ihr Anteil an den Mitarbeitern des Archivs für Sozialgeschichte war in den siebziger Jahren kleiner als vorher. Im Vergleich dazu schrieben für dieses Jahrbuch mehr Historiker, die zu dieser Zeit an den bundesrepublikanischen Universitäten und Forschungsinstitutionen außerhalb des sozialdemokratischen Organisationsraums arbeiteten. Dazu zählten erstens engagierte Parteimitglieder dieser Partei wie Susanne Miller, Heinrich Potthoff und Hermann Weber. Zweitens gehörten zu dieser Gruppe die Historiker Jürgen Kocka, Gerhard A. Ritter, Heinrich August Winkler, Wolfgang Schieder, Klaus Saul, Dieter Langewiesche und Klaus Schönhoven, die dabei waren, sich einen Namen als Sozialhistoriker und Historiker der deutschen Arbeiterbewegung in der westdeutschen akademischen Geschichtswissenschaft zu machen. Außerdem gehörten zu den besonders produktiven Autoren dieses Archivs Gerhard Beier, der seit 1971 in einer von der DFG geförderten Forschungsgruppe zur Nachkriegsgeschichte der deutschen Gewerkschaften unter Leitung von Karl Dietrich Erdmann in Kiel tätig war, Ulrich Linse, der sich auf die Geschichte sozialer Bewegungen konzentrierte, und Horst Landemacher, der damals in Amsterdam arbeitete.

151

Tabelle III-3: Ortsverteilung der Aufsatz-Autoren des AfS 1969 – 1982 innerhalb der BRD

Nr. Stadt Zahl der Autoren Teil (%) 1 Bonn 17 19 2 Bochum 7 8 2 Hamburg 7 8 4 Bielefeld 6 7 4 Münster 6 7 6 München 5 6 7 Berlin 4 4 7 Heidelberg 4 4 7 Kiel 4 4 7 Trier 4 4 Summe 10 64 71

Für diese akademische Erweiterung liefert die universitäre Geographie der Autoren in der Bundesrepublik einen weiteren Nachweis. Bonn war wegen ihrer politischen und organisatorischen Position immer noch die Stadt, aus der die größte Mitarbeitergruppe des Jahrbuchs kam. Aber im Vergleich zum Zeitraum von 1961-1968 gehörte Braunschweig nun nicht mehr zu den wichtigen Orten. Mehr als ein Drittel der Wissenschaftler, wie die Tabelle III-3 zeigt, arbeitete nun an den Universitäten in Bochum, Hamburg, Bielefeld, Münster und München. Je mehr westdeutsche Historiker Beiträge für dieses Jahrbuch schrieben, desto schneller und besser vernetzte es sich innerhalb der universitären Geschichtswissenschaft. Neben der Akademisierung der Gruppe von Aufsatz-Autoren gab es im Archiv für Sozialgeschichte aufgrund seines größeren Rezensionsteils seit 1970 gleichfalls eine Vergrößerung und Heterogenität der Rezensentengruppe. Auf der Rezensentenliste stand neben vielen obengenannten Historikern sowohl Sozialdemokraten wie Hartmut Soell, Barbara Vogel und Lutz Niethammer, als auch die Historiker, die politisch nicht (mehr) so eng mit der SPD oder sogar im Gegensatz dazu standen, wie Alf Lüdtke, Hagen Schulze und nicht zuletzt Michael Stürmer. Dies Jahrbuch war parteipolitisch nicht festgelegt und öffnete seine Seiten für Fachhistoriker, die nicht den etablierten Netzwerken der sozialdemokratisch orientierten Historikerschaft im engen Sinne angehörten. Bei den Rezensionen kamen typischerweise gerade 152

auch die rasch wachsende Zahl von Nachwuchshistorikern als Autoren zum Zuge. Insgesamt erweiterte sich damit der Einzugsbereich des Netzwerkes, das von der FES aus in die universitäre Historikerschaft geknüpft wurde, erheblich. Die intensivierte Diskussion über das sozialdemokratische Selbstverständnis Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre beeinflusste zugleich die Kommunikation zwischen der Partei und der Historikerschaft. Peter Glotz, der am 12. Dezember 1980 als Nachfolger Egon Bahrs neuer Bundesgeschäftsführer geworden war, trug in der Folgezeit »zur geistigen Ortsbestimmung der SPD« bei und verstärkte »ihre Kommunikationsfähigkeit«. 391 Zu seinen Aktivitäten, mit denen er »die Geschichtslosigkeit der deutschen Demokratie« überwinden und das Geschichtsbewusstsein der Sozialdemokratie fördern wollte392, zählte die Einrichtung einer Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand. Am 15. Oktober 1981 schlug Glotz vor, eine solche Organisation zu bilden, um den Parteivorstand in Fragen des Umgangs mit der Vergangenheit zu beraten, das Geschichtsbewusstsein der Sozialdemokraten zu stärken, die Geschichtsarbeit in der Partei anzuregen und sich in geschichtspolitische Auseinandersetzungen einzumischen.393 Obwohl diese Kommission der Partei zu Dienst stand, sah sie von Anfang an ihre Aufgabe nicht darin, ein festes sozialdemokratisches Geschichtsbild zu konstruieren, sondern sich »die Geschichte der Sozialdemokratie und die neueste Geschichte im Hinblick auf Partei und Öffentlichkeit kritisch anzueignen und in den immer wichtiger werdenden geschichtspolitischen Auseinandersetzungen Stellungen zu beziehen«.394 Die Gründung der Historischen Kommission stand mit der deutlichen Zunahme des historischen Interesses in der Partei und in der Öffentlichkeit sowie mit dem Aufschwung der Geschichtspolitik vor allem rund um die NS- Vergangenheit im Zusammenhang. In den nächsten Jahren manifestierte sich die Kommunikation der SPD mit Geschichte, Geschichtswissenschaft und Historikerschaft auf der Führungsebene der Partei und in der Arbeit der Kommission bedeutsam und bemerkenswert.

4.2 Generationswechsel mit neuen Pionieren

Unter den veränderten geistigen und politischen Rahmenbedingungen wuchs in der Bundesrepublik eine neue Historikergeneration heran. Auf dem 31. Deutschen Historikertag in

391 Bernd Faulenbach, Das sozialdemokratische Jahrzehnt. Von der Reformeuphorie zur neuen Unübersichtlichkeit. Die SPD 1969-1982, Bonn2011, S.687f.. 392 Vgl. Wolfgang R. Langenbucher, Peter Glotz 60 Jahre, a.a.O.. 393 Vorstand der Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Hrsg.), Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1979-1981, Bonn 1981, S.230. 394 Bernd Faulenbach, Das sozialdemokratische Jahrzehnt, a.a.O., S.689. 153

Mannheim 1976 sagte Werner Conze: »Die Entwicklung der westlich-deutschen Geschichtswissenschaft seit etwa 1960 ist in hohem Maße durch den quantitativen Sprung und die durch ihn ausgelöste ruckartige Generationsverlagerung bedingt worden.«395 Der weitere Ausbau der Hochschule in den 1970er Jahren gab der Historiographie wie vielen anderen Wissenschaften die Möglichkeit, ihr Spektrum zu erweitern. Die Phase der Umorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft war zugleich auch eine Phase beispielloser Expansion universitärer und außeruniversitärer Stellen für Historiker. Diese allgemeine Ausweitung der akademischen Stellen schuf gerade für die neuen, vom Mainstream des Faches nach wie vor misstrauisch bzw. skeptisch beäugten Richtungen die Möglichkeit, trotzdem eine akademische Karriere einzuschlagen. Dies führte nicht nur zur Veränderung und Erweiterung des Arbeitsfeldes der Historiker, sonder auch zur Verschiebung der politischen Orientierung der gesamten Historikerschaft. So lässt sich beobachten, dass die neuen Kommunikationsstrukturen zwischen SPD und Geschichtswissenschaft, die sich seit Ende der sechziger Jahre entwickelten, personell vor allem von einer jüngeren Generation getragen wurden, von denen die meisten zwischen 1925 und 1940 geboren worden waren und die dann sehr rasch durch noch jüngere Nachwuchshistoriker ergänzt wurde. In den fachwissenschaftlichen Organisationen der SPD bzw. der FES vollzog sich dieser Generationenwechsel besonders spektakulär, als die Redaktion des Archivs für Sozialgeschichte erweitert und die Leitung des Instituts für Sozialgeschichte wechselte. Der Pionier Georg Eckert (Jahrgang 1912), auf den sich in sechziger Jahren fast alle Kommunikationsnetzwerke in diesen Organisationen konzentrierten, wurde nun von einer viel jüngeren Gruppe von Historikern ersetzt. Die Teilnahme von Kurt Klotzbach (Jahrgang 1940), Hans Pelger (Jahrgang 1938) und Dieter Dowe (Jahrgang 1943) an der Redaktion des AfS im Jahr 1970 hatte die alleinige redaktionelle Verantwortung von Georg Eckert bereits beendet und redaktionelle und thematische Umwandlungen mitgebracht. Die Vergrößerung des Rezensionsteils seit 1970, die Einführung von Leitthemen des Aufsatzteils seit 1971 und die Publikation der Beihefte seit 1974 trugen erheblich zur Wandlung dieses Jahrbuches von einer Zeitschrift, die vor allem die Arbeiterbewegungsgeschichte behandelte, zu einem sozialgeschichtlichen Periodikum bei. Für den Generationswechsel der sozialdemokratisch-geschichtswissenschaftlichen Kommunikationsnetzwerke war das Jahr 1974 ebenfalls wichtig. In diesem Jahre starb Georg

395 Werner Conze, Die deutsche Geschichtswissenschaft seit 1945, a.a.O., S.20. 154

Eckert. Kurt Klotzbach wurde Eckerts Nachfolger in der Leitung des Instituts für Sozialgeschichte. Einen weiteren Hinweis auf den Generationswechsel ist darin zu sehen, dass wichtige Akteure der Kommunikation zwischen SPD und Geschichtswissenschaft Anfang der 1970er Jahre noch Nachwuchshistoriker waren und zwischen 30 und 45 Jahre alt waren. Andreas Hillgruber redete von einer »linke Tendenzhistorie«396 der westdeutschen Geschichtswissenschaft in den siebziger Jahren, als nun »ein Gutteil der Historiker der mittleren und jüngeren Generation politisch weiter liberal-sozialdemokratische Positionen der linken Mitte unterstützt[e]«397. Die Historiker, die in den sechziger Jahren durch ihre Dissertations- oder Habilitationsprojekte über Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie bei der Kommunikation mitwirkten, hatten in den siebziger Jahren während ihrer akademischen Karriere zentrale Stellen in den Partei-Historiker- Netzwerken inne. Die Veränderung der Altersstruktur der Aufsatz-Autoren des Archivs für Sozialgeschichte zeigt diesen Generationswechsel deutlich auf. Im Zeitraum von 1961 bis 1968 wurde fast die Hälfte der Mitarbeiter in den 1910er und 1920er Jahren geboren waren. Ein anderes Drittel der Autoren gehörte zu den vor dem Jahr 1910 Geborenen. Es gab niemanden, der nach 1940 geboren wurde und für das Jahrbuch einen Beitrag schrieb.

Tabelle III-4: Jahrgang der Aufsatz-Autoren des AfS 1961 – 1968

1930-1939 17%

1890-1909 34% 1890-1909

1910-1929

1930-1939

1910-1929 49%

396 Andreas Hillgruber, Deutsche Großmacht- und Weltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert, Düsseldorf 1977, S.7. 397 Hans-Ulrich Wehler, Geschichtswissenschaft heute, a.a.O., S.750. 155

Tabelle III-5: Jahrgang der Aufsatz-Autoren des AfS 1969 – 1982

ohne Datum 1% bis 1909 1950-1959 4% 8% 1910-1929 15% bis 1909 1910-1929 1930-1939 1940-1949 1950-1959 ohne Datum

1940-1949 44% 1930-1939 28%

Im Vergleich dazu wurde die Altersstruktur des Autorenkreises des AfS in der Phase von 1969 bis 1982 vielfältiger und ihr Schwerpunkt verlagerte sich hin zur jüngeren Generation. Nun bildete die 1940er Generation, wie die Tabelle III-5 zeigt, die größte Gruppe unter den Aufsatzautoren, gefolgt von der in den 1930er Jahren Geborenen. Auf Grund des wissenschaftlichen und politischen Aufstiegs der jungen sozialdemokratisch- linksliberalen Historiker lief der Generationswechsel dieser Netzwerke parallel mit der Begründung der »Historischen Sozialwissenschaft«. Die Netzwerke zwischen der Sozialdemokratischen Partei und der Geschichtswissenschaft überschnitten sich teils mit dem Netzwerk, das sich um die »Bielefelder Schule« innerhalb der westdeutschen Historikerschaft herausbildete. Während einerseits viele Historiker wie z.B. Hans Mommsen, Wolfgang J. Mommsen, Heinrich August Winkler, Gerhard A. Ritter, Reinhard Rürup und Wolfgang Schieder im engen Arbeits- und Diskussionskontakt mit Jürgen Kocka und Hans-Ulrich Wehler standen398,

398 Vgl. Jürgen Kocka, Sozialgeschichte, a.a.O., S.165; Gerhard A. Ritter, Die neuere Sozialgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.40. 156

wurden andererseits ihre Verbindungen mit der SPD durch ihre historische Arbeit und ihr politisches Engagement verstärkt.

157

IV. Kommunikation 1983 – 1989: Verstärkung während der Defensive

»Gerade in Deutschland, wo die Vergangenheit besonders lastet, sind wir auf eine kritische Aufklärung unserer Geschichte angewiesen, die nichts ausklammert, beschönigt und ›harmonisiert‹. Erinnerungsarbeit, die individuelle Lebensgeschichte und kollektive Erfahrung verbindet und beides mit den gesellschaftlichen Zusammenhängen vermittelt, bildet einen wichtigen Bestandteil der demokratischen Kultur eines Volkes, auch wenn dabei unbequeme und schmerzhafte Einsichten nicht ausbleiben können. Die Sozialdemokratie verzichtet auf diese Erinnerungsarbeit nicht.«399

In den 1980er Jahren stand die Entwicklung der Kommunikation zwischen der sozialdemokratischen Partei und der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft in enger Verbindung einerseits mit der Konkurrenz zwischen unterschiedlichen historisch-politischen Diskursen und andererseits mit den neuen historiographischen Forschungsansätzen. Der Rücktritt des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Helmut Schmidt im Herbst 1982 und der Wahlsieg der christdemokratisch-liberalen Koalition im Frühjahr 1983, die mit dem Anspruch einer grundlegenden politischen wie auch »geistig-moralischen Wende« ihre Amtsgeschäfte aufnahm, hat die Beziehungen zwischen Parteien und Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik verändert. Die vom Regierungswechsel erwartete neokonservative Herausforderung intensivierte die Kommunikation zwischen beiden Akteuren und Handlungsfeldern. Dies betraf auch den Dialog zwischen der SPD und der Historikerschaft. Die konservative Tendenzwende, die sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre vor allem in der Neuorientierung der Debatten in der gesellschaftlich-politischen Öffentlichkeit von »Emanzipation« hin zu »Identität« manifestierte, hat die Diskussionen in den achtziger Jahren dann ganz wesentlich auf die geschichtspolitische Ebene gelenkt. Ein Ergebnis dieser diskursiven Verschiebung war, dass die SPD durch eine Intensivierung ihrer Kommunikation mit den sozialdemokratischen bzw. linksliberalen Historikern versuchte, der CDU/CSU die Hegemonie in der Geschichtspolitik streitig zu machen und sich eine günstige Position in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zu verschaffen. Zugleich

399 Willy Brandt, Zum Geleit, in: Susanne Miller (Hrsg.), Geschichte in der demokratischen Gesellschaft. eine Dokumentation, Düsseldorf 1985, S.7f., hier S.7. 158

stand die sozialdemokratische Historiographie auch vor großen und neuartigen Herausforderungen. Ihr traditionellster und wichtigster Zweig – die Geschichtsforschung der Arbeiterbewegung – musste seine herkömmlichen Themen und Methoden verändern und versuchte, in Alltagsgeschichte und Kulturgeschichte neue Grundlagen zu finden. Beides, die Verteidigung der sozialdemokratischen Geschichtskultur gegen den neuen konservativen Zeitgeist und die Aufnahme neuer Perspektiven für die sozialdemokratische Historiographie, hat die Kommunikationsnetzwerke zwischen SPD und Historikerschaft zwischen 1983 und 1989 verstärkt.

1. Dynamischer Kontakt der Geschichtswissenschaft mit der Politik

In den späten sechziger und den siebziger Jahren hatte die Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland in den öffentlichen Debatten deutlich hinter den Sozialwissenschaften zurückgestanden. In den achtziger Jahren wurde dies anders. Seit Ende der 1970er Jahre konnte keine Rede mehr vom »Verlust der Geschichte« in Gesellschaft und Öffentlichkeit sein. In historischen Ausstellungen, in der Neugestaltung und Neugründung historischer Museen und Fernsehserien zu historischen Themen manifestierte sich ein wachsendes Interesse an Geschichte. Parallel dazu wurden Veränderungen in der politisch- kulturellen Haltung zur Geschichte deutlicher. Die Bundesrepublik suchte einen neuen Umgang mit der eigenen Vergangenheit, insbesondere mit der NS-Zeit. Politiker verlangten, dass die Deutschen die Normalität der »ganzen« deutschen Geschichte zurückgewinnen und das Dritte Reich nur als eine Episode ihrer Geschichte wahrnehmen sollten. Angesichts solcher Forderungen und Tendenzen wurde der Kontakt zwischen Geschichtswissenschaft und Politik immer intensiver. Auf der einen Seite wandten sich Regierung und Parteien bei ihrer Beschäftigung mit der Geschichte an die Historikerschaft. Als unmittelbarer Kommunikationsraum zwischen der Fachhistorie und dem politischen Erinnerungsdiskurs nahm die Geschichtspolitik in der Bundesrepublik im Zeichen des von konservativer Seite angestrebten politisch-kulturellen Paradigmenwechsel in den 1980er Jahren einen Aufschwung. Die westdeutsche Historikerschaft engagierte sich in besonderem Maße an den nun ausgelösten Diskussionen über die Vergangenheitsbewältigung und die Geschichtspolitik der CDU/CSU- FDP-Koalition. Sie setzte sich inzwischen mit der politischen und öffentlichen Funktion der Geschichte auseinander und stritt intern über die Aufgaben und das Selbstverständnis des Faches sowie die Aufgaben des Historikers in der Politik und Wissenschaft.

159

1.1 Enge Verbindung zwischen Geschichtswissenschaft und Politik

»Geschichte in der Öffentlichkeit«400 und »Wiedereinzug der Geschichte in das politische Bewusstsein der Bundesrepublik«401 wurden seit Ende der 1970er Jahre als bedeutsame Themen in der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen. Damit wurde die Deutung der Vergangenheit wieder deutlich als ein Politikum wahrgenommen und die Geschichtsforschung »wieder zur spannenden und umkämpften öffentlichen Angelegenheit« 402 . Der Regierungswechsel im Herbst 1982 brachte dann eine noch heftigere Kontroverse um den politischen Umgang mit der Geschichte und einen neuen Schritt in der Entwicklung des öffentlichen politisch-historischen Bewusstseins. Die unterschiedlichen Kontroversen um Geschichte, die sich in den achtziger Jahren mal innerhalb, mal außerhalb der akademischen Historikerschaft entzündeten, stellten sich immer als Auseinandersetzung um die Vorherrschaft eines spezifischen Geschichtsbildes und damit um die kollektive Identität dar. »Geschichtsbewusstsein«, verstanden als die unmittelbare Verbindung von politischem Selbstverständnis der Gegenwart und Deutung der Vergangenheit, war damals ein lebendiges, vielfach umstrittenes Diskussionsthema. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre befand sich die Bundesrepublik dann in einer Situation, in der sich »wieder ein Geschichtsbewusstsein regen zu wollen« schien und »auch Geschichtspolitik getrieben« wurde. 403 In diesem Zusammenhang trat die Verbindung zwischen Geschichtswissenschaft und Politik in eine Phase ein, in der die politischen »Trendsetter« eines neuen Geschichtsbildes Verbündete in der Historikerschaft suchten. Schon aus diesem Grund konnten sich Historiker nicht von den Diskussionen über die öffentliche Funktion der Historie sowie über die Beziehungen zwischen Geschichtswissenschaft und Geschichtspolitik abwenden. Diese Jahre förderten also das öffentliche Nachdenken von Historikern über Themen wie den Zeitgeist der eigenen Gegenwart, über historische Erfahrungen der Deutschen sowie über Autonomie und Vielfalt historischer Forschung. Erneut stand die Zeit des Nationalsozialismus im Mittelpunkt der politisch-historischen Auseinandersetzungen der 1980er Jahre. Nun entwickelten sich in der Bundesrepublik Deutschland zwei unterschiedliche Tendenzen im Umgang mit der NS-Vergangenheit. Zum einen

400 Wilhelm van Kampen/Hans-Georg Kirchhoff (Hrsg.), Geschichte in der Öffentlichkeit, Stuttgart 1979. 401 Karl-Ernst Jeismann, »Identität« statt »Emanzipation«? Zum Geschichtsbewusstsein in der Bundesrepublik, in: der., Geschichte und Bildung. Beiträge zur Geschichtsdidaktik und zur Historischen Bildungsforschung, München u.a. 2000, S.122-146, hier S.125. 402 Ebd., S.131. 403 Christian Meier, Gesucht: Ein modus vivendi mit uns selbst, in: Reinhard Kühnl (Hrsg.), Streit um Geschichtsbild. Die »Historiker-Debatte«. Darstellung, Dokumentation, Kritik, Köln 1987, S.111-116, hier S.112. 160

»hatte die Erinnerung an die NS-Zeit in der Bundesrepublik Konjunktur wie nie zuvor«.404 Die Öffentlichkeit begegnete mittlerweile dem Nationalsozialismus mit wachsendem kritischem Interesse. Die NS-Zeit war nun im Fernsehen, im Film, in den Tages- und Wochenzeitungen sowie in den populären Zeitschriften präsent. Zum anderen wurde mit dem Antritt des konservativen Regierungsbündnisses 1982 allmählich »ein tragendes Element der politischen Kultur der Bundesrepublik aufgegeben«405 , das auf die Bewahrung der Erinnerung an den Nationalsozialismus zielte. Die Geschichtspolitik der konservativen Regierung zielte darauf, einen normalisierten Umgang mit der NS-Vergangenheit und eine Wiederentdeckung der anderen deutschen Geschichte ein Gang zu setzen. Der Begriff »Normalisierung« selbst ist keineswegs eindeutig. Zum einen weist er auf eine kritische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit hin, zum anderen zielt er auf ein Entkommen aus dem Nationalsozialismus ab. Die Strategie der konservativen Normalisierung, die NS-Zeit zu relativieren und ihre gegenwärtige Relevanz in gewissem Sinne zu beschränken, hatte als Vorsitzende der Christdemokraten schon in den siebziger Jahren geäußert. Sie bedeutet »die Vermeidung jeglicher Dramatisierung zeitgenössischer Konflikte durch Konstruktionen historischer Kontinuitäten mit der NS-Zeit«406. Hier war der Versuch erkennbar, einer Überbetonung des Kapitels zur NS-Zeit im großen Buch deutscher Geschichte zu entkommen und die Aufmerksamkeit stärker auf andere Kapitel dieses Buchs zu lenken. Bereits 1977 hatte Helmut Kohl seine kritische Stellung zur Betonung der NS- Vergangenheitsbewältigung formulierte: »Ich bin der letzte – ich habe das oft gesagt –, der die Last der deutschen Geschichte leugnet. Wir haben mit Auschwitz, Majdanek und Treblinka zu leben. Das ist nicht zu vergessen. Aber wir alle, auch die Jungen, die nachgewachsen sind, mehr als 50 Prozent der Deutschen sind nach Hitler geboren, haben das Recht, aufrecht durch die Geschichte in die Zukunft zu gehen.«407 Nachdem Kohl 1982 Bundeskanzler geworden war, wurde der Öffentlichkeit sein Bedürfnis nach einer nicht auf jene zwölf Jahre unter nationalsozialistischer Herrschaft, sondern auf die Gesamtgeschichte der Deutschen historisch gerichteten Sinnstiftung der Bundesrepublik deutlicher vorgelegt. Als »Vertreter eines neuen Deutschland«, als »erster Bundeskanzler aus der Nachkriegsgeneration« und als »einer, der in der

404 Rupert Seuthe, »Geistig-moralische Wende«? Der politische Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Ära Kohl am Beispiel von Gedenktagen, Museums- und Denkmalprojekten, Frankfurt a. M. 2001, S.10. 405 Wolfgang Benz, Zum Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Bundesrepublik, in: Jürgen Danyel (Hrsg.), Die geteilte Vergangenheit. Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten, Berlin 1995, S.47-60, hier S.56. 406 Helmut Dubiel, Niemand ist frei von der Geschichte, a.a.O., S.150. 407 Zitat nach ebd., S.152. 161

Nazizeit nicht in Schuld geraten konnte, weil er die Gnade der späten Geburt und das Glück eines besonderen Elternhauses gehabt hat«408 , versuchte der 1930 geborene christdemokratische Bundeskanzler Helmut Kohl im Vergleich zu den zwei sozialdemokratischen Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt einen veränderten Umgang mit Geschichte in Gang zu setzen. Helmut Kohl wies in seiner ersten Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 13. Oktober 1982 mit dem Thema »Für eine Politik der Erneuerung« darauf hin, dass es eine »geistig-politische Krise« in der Bundesrepublik gebe und zur Erneuerung »die Besinnung auf die deutsche Geschichte« gehörte.409 In seiner Regierungserklärung am 4. Mai 1983 behauptete er weiter, dass die Bundesrepublik »an einem Wendepunkt ihrer Geschichte« stehe und »geistige[n] Erneuerung« brauche. 410 »Wir, die Deutschen«, so Kohl, »müssen uns unserer Geschichte stellen, mit ihrer Größe und ihrem Elend, nichts wegnehmen, nichts hinzufügen. Wir müssen unsere Geschichte nehmen, wie sie war und ist: ein Kernstück europäischer Existenz in der Mitte des Kontinents.«411 Seitdem begann dieser Bundeskanzler, der 1958 im Fach Geschichte beim Historiker Walther Peter Fuchs promoviert worden war, die Bundesrepublik aus dem Schatten des Zeitraums 1933 bis 1945 zu befreien, die Bemühungen um eine Historisierung und Relativierung des »Dritten Reichs« zu fördern, und durch die stärkere Berücksichtigung der positiven Faktoren der deutschen Geschichte die junge Generation dazu zu bewegen, auf ihr Vaterland stolz zu sein statt davon beschämt zu sein. Dies ist der Bezugspunkt der »geistig- moralischen Wende«, auf die die rechtsdemokratischen Politiker und Intellektuellen in den achtziger Jahren ihre Kräfte wandten und die die seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre entwickelnde »Tendenzwende« intensivierte. Diesem Ziel dienten eine Reihe spektakulärer Initiativen in den ersten drei Amtsjahren der Regierungszeit von Helmut Kohl. An erster Stelle standen zwei Geschichtsmuseumsprojekte. In der Regierungserklärung Kohls vom 13. Oktober 1982 hatte der Bundeskanzler das Bonner Museumsprojekt zum ersten Mal angekündigt: »Unsere Republik entstand im Schatten der Katastrophe; sie hat inzwischen ihre eigene Geschichte. Die Bundesregierung wird darauf hinwirken, dass in der Bundeshauptstadt Bonn eine Sammlung zur deutschen Geschichte seit

408 Helmut Kohl, Der Besuch des Bundeskanzlers im Staate Israel vom 24. bis 29. Januar 1984, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 13 (1984), S.109-120, hier S.109, 113. 409 Helmut Kohl, Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag am 13. Oktober 1982, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 93 (1982), S.853-868, hier S.855, 866. 410 Helmut Kohl, Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag am 4. Mai 1983, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 43 (1983), S.397-412, hier S.397, 412. 411 Ebd., S.412. 162

1945 entsteht, gewidmet der Geschichte unseres Staates und der geteilten Nation.«412 In der ersten Regierungserklärung nach der Wahl 1983 vom 4. Mai 1983 bekräftigte Kohl diese Absicht noch einmal: »Wir wollen auch dieses Vorhaben bald auf den Weg bringen, wie wir überhaupt alles tun wollen, um der Stadt Bonn zu helfen, damit sie ihrer Funktion als Bundeshauptstadt gerecht werden kann.«413 Danach begann das Vorhaben der Einrichtung des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn. Am 4. Mai 1983 kündigte Helmut Kohl auch an, dass die Regierung plane, ein Deutsches Historisches Museum in Berlin zu fördern: »1987 blickt Berlin auf 750 Jahre seiner Geschichte zurück. In der alten Reichshauptstadt soll ein Deutsches Historisches Museum errichtet werden. Wir, die Regierung, wollen bei der Verwirklichung helfen, und wir wünschen, dass das neue Museum im Jubiläumsjahr seine Tore öffnen kann.«414 In seinem Bericht zur Lage der Nation vom 27. Februar 1985 erläuterte Kohl noch einmal:

»Als Geburtstagsgeschenk der Bundesrepublik Deutschland wollen wir in Berlin das Deutsche Historische Museum bauen und einrichten. Ein solches Haus gehört nach Berlin, in die alte Hauptstadt der Deutschen. Das Projekt selbst ist eine nationale Aufgabe von europäischem Rang. Es geht um die Schaffung einer Stätte der Selbstbesinnung und der Selbsterkenntnis, wo nicht zuletzt junge Bürger unseres Landes etwas davon spüren können – und sei es zunächst auch nur unbewusst –, woher wir kommen, wer wir als Deutsche sind, wo wir stehen und wohin wir gehen werden.«415

Diese zwei Museumsprojekte stellten den Oppositionsparteien und der Öffentlichkeit dar, dass die Regierung Kohls den Ehrgeiz hatte, ein neues nationales Geschichtsbewusstsein in der Bundesrepublik zu wecken. In der Folgezeit wurde eine heftige Kontroverse darüber in erster Linie sowohl zwischen CDU/CSU und SPD wie zwischen christ- und sozialdemokratischen Historikern hervorgerufen.416 Am 8. Mai 1985 jährte sich zum 40. Mal der Tag der Kapitulation des Großdeutschen Reiches und des Kriegsendes. In den Veranstaltungen und Reden zum diesem Gedenktag manifestierte sich gleichfalls der Wendekurs der Regierung. Im Frühling 1985 plante der US- amerikanische Präsident Ronald Reagan, aus Anlass des Wirtschaftsgipfels der sieben führenden

412 Helmut Kohl, Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag am 13. Oktober 1982, a.a.O., S.866. 413 Helmut Kohl, Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag am 4. Mai 1983, a.a.O., S.412. 414 Ebd., S.412. 415 Helmut Kohl, Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation im geteilten Deutschland, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 24 (1985), S.197-204, hier S.204. 416 Eine genaue Darstellung und Analyse der sozialdemokratischen Haltung befindet sich in Kapitel IV.2.2. 163

westlichen Industrienationen in Bonn einen anschließenden Aufenthalt in der Bundesrepublik und in diesem Zusammenhang den Besuch des Soldatenfriedhofs in Bitburg. Die Regierung Kohls wollte aus Anlass dieses Besuchs »am Vorabend des 40. Jahrestages der deutschen Kapitulation über Gräber hinweg eine Geste für Frieden und Aussöhnung«417 inszenieren. Aber es stellte heraus, dass der Bitburger Friedhof auch 49 Angehörigen der Waffen-SS als letzte Ruhestätte diente. Dennoch schrieb Alfred Dregger, damals Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Deutschen Bundestag, an US-Senatoren, eine Absetzung des Besuchs vom Programm wäre ein Affront, und betonte später vor deutschen Zuhörern, alle Gefallenen hätten ein Recht darauf, in gleicher Weise geehrt zu werden.418 Am Ende besuchten Reagan und Kohl am 5. Mai 1985 gemeinsam das Konzentrationslager Bergen-Belsen und den Soldatenfriedhof Bitburg. Der amerikanischer Präsident Reagen äußerte, dass die in Bitburg begrabenen deutschen SS-Soldaten ebenso Opfer des Faschismus seien wie die Opfer in den Konzentrationslagern. 419 Ähnlich behauptete auch Ernst Nolte etwas später, »dass auch die SS-Mannschaften der Todeslager auf ihre Art Opfer sein mochten«. 420 Diese Bitburg-Affäre, insbesondere die Behauptung, die Verbrecher der NS-Zeit seien auch als Opfer des Weltkriegs zu betrachten, verstärkte die Sorge der linksliberalen bzw. sozialdemokratischen Öffentlichkeit um Relativierung und Normalisierung des Nationalsozialismus. In der obengenannten geschichtspolitischen Lage versuchte dann eine Gruppe von konservativen Politikern den Fokus auf die NS-Vergangenheit abzuwenden und durch ihre Argumentation mit der Geschichte, die verlorengegangene nationale Identität wiederzubeleben. 421 Alfred Dregger, Vertreter nationalkonservativer Positionen innerhalb der CDU, engagierte sich seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre besonders stark für eine Normalisierung des Geschichtsbewusstseins in der Bundesrepublik und ging darauf aus, die nationalsozialistischen Verbrechen im gewissen Sinne zu relativieren und die historisch-

417 Erklärung der Bundesregierung über die Vorbereitung des Besuchs von Präsident Reagan, in: Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (Hrsg.), Erinnerung, Trauer und Versöhnung. Ansprachen und Erklärung zum vierzigsten Jahrestag des Kriegsendes, Bonn 1985, S. 25-35, hier S.26. 418 Vgl. Geoffrey H. Hartman (Hrsg.), Bitburg in moral and political perspective, Bloomington 1986, S.xv. 419 Remarks of President Reagan to Regional Editors, White House, April 18, 1985, in: ebd., S.239f.. 420 Ernst Nolte, Vergangenheit, die nicht vergehen will. Eine Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte, in: FAZ, 6.6.1986. 421 Thomas Schnabel, Geschichte und Wende. Vom heutigen Gebrauch der Vergangenheit bei konservativen Politikern und Publizisten, in: Gernot Erler/Rolf-Dieter Müller/Ulrich Rose/Thomas Schnabel/Gerd R. Ueberschär/Wolfram Wette, Geschichtswende? Entsorgungsversuche zur deutschen Geschichte, Freiburg 1987, S.9- 34. 164

politische Aufmerksamkeit auf eine positive nationale deutsche Identität zu lenken. Er schrieb bereits 1981:

»Sagen wir unserer Jugend, dass die Geschichte unseres Volkes nicht zwölf, sondern zwölfhundert Jahre ausmacht, dass die übrigen elfhundertachtundachtzig Jahre mindestens ebenso gut waren wie die Geschichte anderer Völker und dass in den zwölf braunen Jahren die Verbrechen weniger nicht der Wille aller waren.«422

Neben der Abkehr vom Thema NS-Vergangenheit ging es in dieser »geistig-moralischen Wende« auch darum, ein neues historisches Selbstbewusstsein zu erwecken. So erklärte Alfred Dregger im Bundestag am 10. September 1986:

»Besorgt machen uns Geschichtslosigkeit und Rücksichtslosigkeit der eigenen Nation gegenüber: Ohne einen elementaren Patriotismus, der anderen Völkern selbstverständlich ist, wird auch unser Volk nicht überleben können. Wer die sogenannte ›Vergangenheitsbewältigung‹, die gewiss notwendig war, missbraucht, um unser Volk zukunftsunfähig zu machen, muss auf unseren Widerspruch stoßen.«423

Franz Josef Strauß, damaliger Vorsitzender der CSU, hielt am 4. Januar 1987 bei der Wahlkampf- Großveranstaltung der CDU/CSU in der Dortmunder Westfalenhalle eine Rede, in der er »mehr aufrechten Gang« forderte. Für ihn sei es »höchste Zeit, dass wir aus dem Schatten des Dritten Reichs und aus dem Dunstkreis Hitlers heraustreten und wieder eine normale Nation werden«. Er unterstützte eine »Entsorgung der Geschichte«, weil er meinte:

»Man kann nicht die deutsche Geschichte verkürzen auf zwölf Jahre oder höchsten auf die Jahre von 1914 bis 1945. Man kann nicht die deutsche Geschichte als eine endlose Kette von Fehlern und Verbrechen darstellen und damit der Jugend die Möglichkeit nehmen, ein echtes Rückgrat innerhalb unseres Volkes und draußen zu erhalten.«424

Mit Bundeskanzler Helmut Kohl und seinen Unterstützern begann nicht nur ein neues Kapitel in der Geschichte des politischen Umgangs mit der NS-Vergangenheit, sondern auch ein neues in der Geschichte der Kommunikation zwischen Politik und Geschichtswissenschaft. Die

422 Zit. nach Edgar Wolfrum, Geschichte als Waffe, a.a.O., S.114. 423 Zit. nach Hans Mommsen, Neues Geschichtsbewusstsein und Relativierung des Nationalsozialismus, in: Die Zeit, 3.10.1986. 424 Franz-Josef Strauß, Mehr aufrechten Gang, in: Frankfurter Rundschau, 14.1.1987. Zit. nach Joachim Garbe, Deutsche Geschichte in deutschen Geschichten der neunziger Jahre, Würzburg 2002, S.127. 165

Geschichtspolitik seiner Regierung bekam starke Unterstützung, stieß aber auch auf heftige Ablehnung und Kritik unter Historikern. Einerseits forderten Historiker, die der neuen Regierung nahe standen, ein neues Leitbild für die Geschichtspolitik. Vor allem Michael Stürmer machte sich für eine neue Geschichtspolitik stark.425 In seinem kurzen, breit aber auch kritisch rezitierten Artikel »Geschichte in geschichtslosem Land« in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 25. April 1986 formulierte er:

»es zeigt sich jetzt, dass jede der heute in Deutschland lebenden Generationen unterschiedliche, ja gegensätzliche Bilder von Vergangenheit und Zukunft mit sich trägt. Es erweist sich auch, dass die technokratische Geringschätzung der Geschichte von rechts und ihre progressive Erwürgung von links die politische Kultur des Landes schwer schädigen. Die Suche nach der verlorenen Geschichte ist nicht abstraktes Bildungsstreben: sie ist moralisch legitim und politisch notwendig. Denn es geht um die innere Kontinuität der deutschen Republik und ihre außenpolitische Berechenbarkeit. In einem Land ohne Erinnerung ist alles möglich.«426

Deshalb plädierte Stürmer dafür, eine neue nationalhistorische Identität solle sich auf die Suche nach älteren Epochen der deutschen Geschichte machen, also hinter der Epoche von 1914 bis 1945 zurückgehen, weil »in geschichtslosem Land die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet«427. Auf Grund von »viel jüngste[r] Geschichte und wenig aufrechte[m] Gang«428 verlange die Bundesrepublik seiner Meinung nach ein neues Geschichtsbewusstsein. Sein vielfältiges Engagement für die geistig-moralische Wende und eine neue Geschichtspolitik ist ein besonders sprechendes Beispiel für die enge Verbindung zwischen Historikern und Politik in diesen Jahren. Neben Michael Stürmer haben aber auch Historiker, deren politische Standpunkte nicht mit der CDU/CSU deckungsgleich waren, an der Diskussion mit der Regierung über Ziele und Inhalte einer neuen Geschichtspolitik teilgenommen. Helmut Kohls Appell für ein neues Geschichtsbewusstsein und die konkreten Pläne für die neuen nationalgeschichtlichen Museen in Bonn und Berlin lösten zwar einen Streit aus, führten jedoch auch zu konstruktiver Beteiligung konservativer und sozialdemokratischer Historiker. Ihre Verbindungen mit der Politik waren

425 Michael Stürmer, Weder verdrängen noch bewältigen. Geschichte und Gegenwartsbewusstsein der Deutschen, in: Schweizer Monatshefte (1986), S.689-694. 426 Michael Stürmer, Geschichte in geschichtslosem Land, in: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S.36-38, hier S.38. 427 Ebd., S.36. 428 Michael Stürmer, Was Geschichte wiegt, in: »Historikerstreit«, a.a.O., S.293-295, hier S.294. 166

keineswegs bloß parteibezogen, sondern können eher als sachbezogene Beiträge gelesen werden. Die Kontakte zwischen ihnen und der Politik zeigen an, in welchem Maße die bundesrepublikanische Historikerschaft geschichtspolitisch aktiv wurde. Der Zeithistoriker Klaus Hildebrand war seit Frühjahr 1983 Mitglied der Sachverständigenkommission für die Konzeption des in Bonn geplanten Hauses der Geschichte der Bundesrepublik. Ebenfalls wirkten daran die regierungsnahen bzw. konservativen Historiker Andreas Hillgruber, Horst Möller, Hans-Peter Schwarz und Rudolf Morsey mit. Weitere Mitglieder dieser Kommission waren Karl Dietrich Bracher und Lothar Gall429. Der Sachverständigenkommission für die Konzeption des Deutschen Historischen Museums in Berlin gehörten neben Michael Stürmer, Hans-Peter Schwarz und Lothar Gall als weiterer der CDU nahestehender Historiker Karl Dietrich Erdmann an, sowie, der Mediävist Hartmut Boockmann, der Historiker für Neuere Geschichte Rudolf Vierhaus und der der SPD nahestehende Historiker Jürgen Kocka an.430 Parallel zu solchen praktischen geschichtspolitischen Aktivitäten der Historiker führte der neuartige Umgang mit der Geschichte seitens der Regierung Kohl auch zur theoretischen Auseinandersetzung innerhalb der Historikerschaft über die außerwissenschaftliche Standortbestimmung der Historie. Es wurde heftig diskutiert über die Notwendigkeit der Geschichte für die Gesellschaft, für Öffentlichkeit und Politik; die Rolle erörtert, welche die akademische Geschichtswissenschaft in der politischen Kultur der modernen Gesellschaft spielen sollte und die Frage gestellt, in welcher Art und Weise die Zeit des Nationalsozialismus im öffentlichen Leben behandelt werden sollte. In diesem Debattenklima wurde die politische Beschäftigung mit der Geschichte generell für legitim oder mindestens für unvermeidbar gehalten. Das »Bedürfnis der Politiker«, so Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei der Eröffnung des 16. Internationalen Kongresses der Geschichtswissenschaften im Jahr 1985 in Stuttgart, »Geschichte für Zwecke der Gegenwart zu mobilisieren und zu ideologisieren«, scheine »unausrottbar«. Das Bild von Geschichte besitze »großen politischen Einfluss«, deshalb zeigten

429 Lothar Gall verstand sich politisch »im Bereich Mitte-Links«. Über seine politische Orientierung hat Gall durch Vergleich mit Hans-Ulrich Wehler erklärt: »dass Wehler und ich uns zwar nicht aus dem Wege gegangen sind, aber Wehler und ich haben persönlich und wissenschaftlich eher weniger miteinander zu tun«. Vgl. ders., »Aber das sehen Sie mir als Individuum nach, wenn ich die Rolle des Historikers und die des Staatsanwalts auch heute noch als die am stärksten auseinander liegenden ansehe.«, in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hrsg), Versäumte Fragen, a.a.O., S.300-318, hier S.310. 430 Namenliste der Mitglieder dieser Sachverständigenkommission siehe: Konzeption für ein Deutsches Historisches Museum. Erster Entwurf der Sachverständigenkommission vom 21. April 1986, in: Christoph Stölzl (Hrsg.), Deutsches Historisches Museum. Ideen - Kontroversen - Perspektiven, Frankfurt a. M./Berlin 1988, S.310-332, hier S.310. 167

Politiker immer wieder Interesse daran, »auf Verständnis und Darstellung der Geschichte ihrerseits Einfluss zu nehmen«.431 Aber die offensive politische Nutzbarmachung der Geschichte seitens der konservativ- liberalen Regierung wurde von den politischen Linken unter den generellen Verdacht des Missbrauchs gestellt. »Instrumentalisierung«, »Misshandlung«, »Missbrauch von Geschichte« und »Entsorgung der deutschen Geschichte« wurden zu häufig benutzten Schlagwörtern über den politischen Umgang mit der Geschichte. Karl-Ernst Jeismann wies darauf hin, dass »Machthaber immer zugleich auch Rechthaber im Hinblick auf die Geschichte« seien und »der öffentliche Gebrauch von Geschichte zugleich zum Instrument der Machterhaltung oder des Machterwerbs« gerate. In diesem Sinne folge der öffentliche Gebrauch von Geschichte »nicht den Regeln der Logik der Forschung, sondern denen der politischen Rhetorik«.432 Zur Funktion der Geschichte als Wissenschaft im politischen Kampf war Jeismann der Meinung:

»Die oft beschworene politische Funktion der Aufklärung können historische Wissenschaft und Geschichtsunterricht nur wahrnehmen, wenn sie nicht in die politische Rhetorik mit historischen Argumenten einstimmen. [...] Wie kann historische Wissenschaft und Lehre gleichzeitig politisch belangvoll und wissenschaftlich verantwortbar sein? Indem sie zeigt, wie sich unterschiedliche Auffassungen auf dem gemeinsamen Boden methodischer Vernunft auseinandersetzen. So kann sie vielleicht ihren bescheidenen Teil dazu beitragen, dass der politische Gebrauch historischer Argumente sich prüfen lassen muss – nicht an seiner Funktionalität im politischen Kampf, sondern daran, ob er den Erkenntnissen der Wissenschaft entspricht. Ich sehe keinen anderen Weg, aus der Geschichte zu lernen.«433

Hans-Ulrich Wehler warnte auch vor dem »durch und durch politisierten Umgang mit der Geschichte«:

»In diesem leicht durchschaubaren manipulatorischen Gebrauch von einigen Versatzstücken aus dem Steinbruch der Geschichte, aus dem Arsenal historischer Begriffe darf das eine Interesse an der Geschichte nicht ein klägliches Ende finden. Der kleinen ›Kulturrevolution von rechts‹, die seit einiger Zeit mit dem Ruf nach ›Identität‹ und positivem Nationalismus, mit der Berufung auf die ›Mittellage‹ und vermeintliche geopolitische Sachzwänge das öffentliche Bewusstsein zu verbiegen sucht, muss vielmehr entschieden entgegengetreten werden. Wohlverstandene Geschichte und nüchtern betriebene Geschichtswissenschaft kann

431 Richard von Weizsäcker, Geschichte, Politik und Nation. Anspräche des Bundespräsidenten zur Eröffnung (des 16. Internationalen Kongresses der Geschichtswissenschaften), in: GWU 37 (1986), S.67-70, hier S.67. 432 Karl-Ernst Jeismann, Die deutsche Geschichte als Instrument im politischen Streit, in: NG 34 (1987), S.362-369, hier S.363. 433 Ebd., S.368. 168

über die Vergangenheit aufklären und daher in einem sehr vermittelten Sinn auch gegenwärtiges politisches Handeln durch die Schärfung des Bewusstseins für Handlungsspielräume und gesellschaftliche Barrieren, für Risiken und verschüttete Chancen anleiten. Für die Zementierung einer neokonservativen ›Wende‹ eignet sie sich indes gewiss nicht.«434

Während Hans-Ulrich Wehler die geschichtspolitischen Handlungen der christdemokratischen Regierung und Politiker kritisierte, war Lothar Gall in diesem Punkt anderer Meinung. Bei den Frankfurter Römerberggesprächen 1986 erkannte er zwar auch »eine zunehmende Neigung, Politik mit Geschichte zu inszenieren«. Nicht die wirkliche Geschichte, sondern ein relativ willkürlich zusammengestelltes Geschichtsbild stehe im Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Aber Gall meinte, dies geschehe vielleicht in dem richtigen Bewusstsein, dass die Geschichte als solche irrelevant sei. Er kam zu dem Schluss, »die Historiker seien froh, wenn sie nicht Lehrmeister sein müssten.«435 Die Bundeszentrale für politische Bildung zog Mitte Mai 1986 in ihrer Zeitung Das Parlament mit einem Schwerpunktheft zum Thema »Lust und Leid an der Geschichte« eine Art Zwischenbilanz der Debatten um Geschichtsbewusstsein und den politischen Umgang mit der Vergangenheit.436 Darin schrieben Michael Stürmer, Hans-Ulrich Wehler, Rudolf von Thadden, Jörn Rüsen, Volker Ulrich, Wolfgang Benz, Lothar Gall, Helga Grebing, Jürgen Kocka und Karl- Ernst Jeismann. Im Rückblick auf Entstehung und Entwicklung des deutschen Geschichtsbewusstseins wies Hans-Ulrich Wehler auf die »Realkonkurrenz zwischen dem nach 1945 zeitgemäß veränderten konservativen und dem liberaldemokratischen Geschichtsbewusstsein« in der Bundesrepublik seit Anfang der sechziger Jahre hin und äußerte: »Unser Geschichtsbewusstsein muss den rationalen Argumenten standhalten können, die aus den bitteren Erfahrungen deutscher Geschichte abgeleistet werden können. Alles andere ist auf längere Sicht verhängnisvolle Selbsttäuschung.«437

434 Hans-Ulrich Wehler, Das neue Interesse an der Geschichte, in: ders., Aus der Geschichte lernen?, München 1988, S.26-33, hier S.33. 435 Dieter Kramer, Die Diskussion der »Römerberggespräche« 1986, in: Hilmar Hoffmann (Hrsg.), Gegen den Versuch, Vergangenheit zu verbiegen. Eine Diskussion um politische Kultur in der Bundesrepublik aus Anlass der Frankfurter Römerberggespräche 1986, Frankfurt a. M. 1987, S.105-139, hier S.106. 436 Lust und Leid an der Geschichte. Vom Umgang mit der Vergangenheit: Meinungen, Tendenzen, Analysen, in: Das Parlament, 20-21 vom 17./24.5.1986. 437 Hans-Ulrich Wehler, Den rationalen Argumenten standhalten. Geschichtsbewusstsein in Deutschland: Entstehung, Funktion, Ideologisierung, in: Das Parlament, 20-21 vom 17./24.5.1986. 169

Im Sommer 1986 begann dann der Historikerstreit 438 , der »Teil und Höhepunkt der umfassenden kultur- und geschichtspolitischen Auseinandersetzung der achtziger Jahre«439 war. Am 6. Juli 1986 wurde ein Aufsatz von dem Berliner Spezialisten des Faschismus Ernst Nolte unter dem Titel »Vergangenheit, die nicht vergehen will« in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. Darin plädierte er dafür, einen »Schlussstrich« unter die Zeit des Nationalsozialismus zu ziehen. Deshalb stellte er zwei Thesen auf: Zum einen seien die Verbrechen des Nationalsozialismus und dessen Judenvernichtung im Vergleich zu anderem Terror im 20. Jahrhundert nicht einzigartig, während zum anderen der Holocaust eine Reaktion auf die Bedrohung durch den Bolschewismus gewesen sei.440 Der Kölner Historiker Andreas Hillgruber beschäftigte sich zu dieser Zeit auch mit den Nationalsozialismus. Er behauptete, dass der Holocaust eine Katastrophe des europäischen Judentums sei, während der Zusammenbruch der Ostfront eine Katastrophe der Deutschen. Beide Katastrophen würden seiner Meinung nach zusammen gehören.441 Am 11. Juli 1986 publizierte der linke Philosophe und Soziologe Jürgen Habermas in der Zeit seinen Aufsatz Eine Art Schadensabwicklung, dessen Untertitel »Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung« die kritische Ausrichtung von Habermas deutlich zeigte. Hier warf er vier Historikern – Ernst Nolte, Andreas Hillgruber, Michael Stürmer, der wie oben genannt an ein neues bundesrepublikanisches Geschichtsbewusstsein appellierte, und Klaus Hildebrand, der die Methode von Nolte für wegweisend hielt – vor, dass ein von ihnen empfohlener »Revisionismus« versuche, eine gefährliche Historisierung des Nationalsozialismus herbei zu führen. 442 Die Veröffentlichung dieses Beitrags bezeichnet den definitiven Startpunkt der Kontroverse. Seitdem gruppierten sich viele bundesrepublikanische Historiker, Soziologen, Politikwissenschaftler und Publizisten in zwei einander gegenüberstehende Lager und setzten sich miteinander über die Art und Weise der Überprüfung des nationalsozialistischen Geschichtsbildes auf der Ebene der historischen Tatsache und Forschungsmethode einerseits und auf der Ebene der wissenschaftlichen Moral und

438 Eine genaue Darstellung und Analyse von der Stellung der SPD im Historikerstreit befindet sich in Kapitel IV.2.3. Hier stehen vor allem der rohe Verlauf und der wichtigste Charakter dieser Kontroverse im Mittelpunkt, um die Verbindung zwischen Geschichte und Politik, die Veränderung von historischer Kontroverse nach geschichtspolitischer Auseinandersetzung und die unterschiedlichen politischen Selbstverständnisse der Historiker zu dieser Zeit zu erklären. 439 Andreas Wirsching, Abschied vom Provisorium. Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1982 - 1990, München 2006, S.489. 440 Ernst Nolte, Vergangenheit, die nicht vergehen will, a.a.O.. 441 Andreas Hillgruber, Zweierlei Untergang. Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums, Berlin 1986. 442 Jürgen Habermas, Eine Art Schadensabwicklung. Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung, in: Die Zeit, 11.7.1986. 170

der Vorgehensweise in einer Kontroverse andererseits auseinander. Auf der einen Seite stellten sich hinter Jürgen Habermas vor allem Eberhard Jäckel, Martin Broszat, Hans Mommsen, Heinrich August Winkler und Jürgen Kocka, während auf der anderen Seite neben Nolte, Hillgruber, Stürmer und Hildebrand auch Thomas Nipperdey, Hagen Schulze, Joachim Fest und Imanuel Geiss standen. Im Frühsommer 1987 erschien eine Sammlung der wichtigsten Aufsätze im Historikerstreit im Münchner Piper Verlag und darin wurden deren führende Persönlichkeiten eingeladen, eine Schlussanmerkung für diese Debatte zu schreiben.443 Damit endete die direkte Auseinandersetzung und begann die Historisierung des Streits.444 Im Historikerstreit ging es inhaltlich um zweierlei: Zum einen ging der Kern der Debatte um die historische Einordnung des Ereignisses der Judenvernichtung und um die Forschungsmethode des historischen Vergleichs. Damit eng verbunden war die Frage, »ob der Nationalsozialismus in eine historische Perspektive zu rücken ist, inwieweit er sich als Phänomen singulär ausnimmt oder vergleichbar erscheint«445. Zum anderen ging es um die »politische Umsetzung des in der Zeitgeschichtsschreibung aufgenommenen Revisionismus«. Die Kernfrage war die nach der wissenschaftlichen Moral der Historiker und nach dem öffentlichen Gebrauch der Historie. Dies spitzte sich in der Frage zu, »auf welche Weise die NS-Periode im öffentlichen Bewusstsein historisch verarbeitet wird«. 446 Im Verlauf dieser Auseinandersetzung versuchten sozial- und liberaldemokratische Intellektuelle, eine klare Trennung zu ziehen zwischen guter, politikfreier Geschichtswissenschaft und illegitimen politischen Intentionen. Sie vermuteten, einige ihrer Debattengegner »möchten eine revisionistische Historie in Dienst nehmen für die nationalgeschichtliche Aufmöbelung einer konventionellen Identität«. 447 Auf dieser Seite glaubten Historiker: »Wer Stalin und Pol Pot heranzieht, um Hitler zu ›relativieren‹, der betreibt

443 »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987. 444 Konkretere Literatur zum Historikerstreit siehe: Helmut Donat/Diether Koch/Martin Rohkrämer, Bibliographie zum »Historikerstreit«, in: Helmut Donat/Lothar Wieland (Hrsg.), »Auschwitz erst möglich gemacht?«. Überlegung zur jüngsten konservativen Geschichtsbewältigung, Bremen 1991, S.150-214; Steffen Kailitz, Die politische Deutungskultur im Spiegel des »Historikerstreits«. What’s right? What’s left?, Wiesbaden 2001. Die bedeutende Analyse seit einigen Jahren siehe: Klaus Große Kracht, Der »Historikerstreit«: Grabenkampf in der Geschichtskultur, in: ders., Die zankende Zunft, a.a.O., S.115-138; Ulrich Herbert, Der Historikerstreit. Politische, wissenschaftliche, biographische Aspekte, in: Martin Sabrow/Ralph Jessen/Klaus Große Kracht (Hrsg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945, München 2003, S.94-113. Die Sammlungen zum 20. Jahrestag dieser Kontroverse siehe: Steffen Kailitz (Hrsg.), Die Gegenwart der Vergangenheit. Der »Historikerstreit« und die deutsche Geschichtspolitik, Wiesbaden 2008; Volker Kronenberg (Hrsg.), Zeitgeschichte, Wissenschaft und Politik. Der »Historikerstreit« – 20 Jahre danach, Wiesbaden 2008. 445 Klaus Hildebrand, Wer dem Abgrund entrinnen will, muss ihn aufs genaueste ausloten, in: »Historikerstreit«, a.a.O., S.281-292, hier S.287. 446 Jürgen Habermas, Vom öffentlichen Gebrauch der Historie, in: »Historikerstreit«, a.a.O., S.243-255, hier S.243. 447 Jürgen Habermas, Eine Art Schadensabwicklung, a.a.O.. 171

keine Geschichtswissenschaft, sondern Geschichtspolitik. Er instrumentalisiert Geschichte für politische Zwecke und tut damit von ›rechts‹, was die Ideologen der Studentenbewegung von 1968 von ›links‹ getan haben.« 448 Aber zur Zeit des Historikerstreits wies nicht nur die Kritik über die Gefährlichkeit des Missbrauchs von Geschichte und die Vermischung von Geschichtswissenschaft und Politik bei Historikern darauf hin, dass das Verhältnis zwischen Historikerschaft und Politik nun in Bewegung geriet. Auch in der Formulierung von zwei Ebenen dieser Kontroverse selbst manifestierte sich die Konfrontation zwischen unterschiedlichen Auffassungen über die Verbindung zwischen Geschichtswissenschaft und Politik. Wieso gab es bei einer Auseinandersetzung zwei Kernfragen? Wieso erschien diese Auseinandersetzung den linksdemokratischen Historikern als ein Streit um die außerwissenschaftliche Funktion der Geschichtswissenschaft, während er für das konservativ-rechte Lager ein Streit um die richtige wissenschaftliche Vorgehensweise zu sein schien? Eine Antwort auf diese Fragen ist darin zu finden, dass die am Streit Beteiligten ganz unterschiedliche Positionen zum politischen Selbstverständnis der Geschichtswissenschaft bezogen. Während Jürgen Habermas den öffentlichen Gebrauch der Historie hervorhob449 und seine Unterstützer vor der Tiefenwirkung und der potenziellen Gefahr einer revisionistischen Geschichtsschreibung für die demokratische Öffentlichkeit warnten450, hielt eine Gruppe, zu der Klaus Hildebrand, Thomas Nipperdey, Hagen Schulze und andere, in der Regel konservative Historiker gehörten, fest: »Wissenschaftliche Aussagen dürfen nicht an ihrer politischen Funktion gemessen werden.«451 Es gebe keine direkte Verbindung zwischen wissenschaftlicher Praxis und politischem Standpunkt der Historiker.452 Diese Divergenz in der Wahrnehmung zwischen beiden Gruppen resultierte aus ihren unterschiedlichen Sichtweisen des Verhältnisses zwischen Geschichtswissenschaft und Politik und führte dazu, dass der Historikerstreit nicht als Kontroverse um historische Sachverhalte, sondern vielmehr als geschichtspolitische Auseinandersetzung geführt wurde. Diese Differenz

448 Heinrich August Winkler, Auf ewig in Hitlers Schatten? Zum Streit über das Geschichtsbild der Deutschen, in: »Historikerstreit«, a.a.O., S.256-263, hier S.262. 449 Jürgen Habermas, Vom öffentlichen Gebrauch der Historie, a.a.O., S.251f.. 450 Vgl. Joachim Perels, Wer sich verweigerte, ließ das eigene Land im Stich. In der Historiker-Debatte wird auch der Widerstand umbewertet, in: »Historikerstreit«, a.a.O., S.367-372, hier S.368; Hanno Helbling, Suchbild der Vergangenheit. Was vom deutschen Geschichtsbuch erwartet wird, in: »Historikerstreit«, a.a.O., S.151-155, hier S.152. 451 Thomas Nipperdey, Unter der Herrschaft des Verdachts. Wissenschaftliche Aussagen dürfen nicht an ihrer politischen Funktion gemessen werden, in: »Historikerstreit«, a.a.O., S.215-219. 452 Vgl. Hagen Schulze, Fragen, die wir stellen müssen. Keine historische Haftung ohne nationale Identität, in: »Historikerstreit«, a.a.O., S.143-150, hier S.143f.. 172

bestimmte auch den unversöhnlichen Gegensatz zwischen beiden Seiten, weil die Konfrontation hauptsächlich im historisch-epistemologischen Bereich lag. Obwohl im Historikerstreit »keine einzige neue Quelle erschlossen, keine Tatsache der Vergangenheit neu erforscht und keine neuen methodischen Zugriffsweisen erprobt« wurden453, ging von der Auseinandersetzung auf jeden Fall ein wichtiger Impuls für die Debatte um das öffentliche Geschichtsbewusstsein aus, und sie schärfte innerhalb der Fachcommunity der Historiker den Blick für den politischen Umgang mit der Geschichte. Danach wurde Geschichtspolitik als notwendiger Bestandteil einer demokratischen Öffentlichkeit akzeptiert und gleichzeitig auch als Gegenstand kritischer Reflexion und Forschung neu etabliert. Geschichtspolitik als politisches Handeln mit intentionalem Bezug auf historische Erfahrung gilt nicht mehr als illegitim.

1.2 Politische Spaltung und Pluralismus der Historikerschaft

Die bundesrepublikanische Geschichtswissenschaft und Historikerschaft hatte seit Ende der 1960er Jahre oder spätestens Anfang der 1970er Jahre eine dauerhafte Spaltung entlang der parteipolitischen Linien in ein links-sozialliberales und ein (neo)konservatives Lager erlebt. Die primär fachwissenschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen der historischen Sozialwissenschaft und ihren traditionellen Dissidenten um Methoden und Theorien waren in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zu ihrem vorläufigen Ende gekommen. Aber die Spannungen zwischen diesen zwei Strömungen hatten sich nicht grundsätzlich aufgelöst. Während der 1980er Jahre wurde der Gegensatz angesichts der Geschichtspolitik der neuen Regierung wiederbelebt. Die politische Lagerbindung der Historiker gewann zu dieser Zeit sogar noch an Bedeutung. Der politische Standpunkt der Historiker wurde in unterschiedlicher Art und Weise betont, mit der Analyse ihrer wissenschaftlichen Arbeit eng verbunden, als Kriterium auch für fachinterne Einteilungen benutzt und diente zugleich als Waffe für gegenseitige Angriffe während geschichtspolitischer Polemiken. Auffallend war vor allem der Auftritt des von seinen Kritikern als »Wendehistoriker«454 oder »Regierungshistoriker«455 apostrophierten Geschichtswissenschaftlers Michael Stürmer. Er machte sich zum Wortführer der politisch mit der christdemokratisch-liberalen Koalition

453 Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.340. 454 Horst Möller, Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Plädoyer für die Versachlichung der Kontroverse über die Zeitgeschichte, in: »Historikerstreit«, a.a.O., S.322-330, hier S.329. 455 Jürgen Habermas, Eine Art Schadenabwicklung, a.a.O.. 173

verknüpften und zum konservativen oder neokonservativen Lager angehörenden Gruppe von Historikern. 456 Ein Kommentator der zeitgenössischen Historikerkontroversen hat ihn als »eine Schlüsselfigur in der Geschichtswende-Politik und einer der schärfsten Polarisierer innerhalb der Geschichtswissenschaft«457 bezeichnet. Stürmer war 1965 in Marburg bei dem der SPD nahestehenden Historiker Erich Matthias458 über Probleme von Koalition und Opposition in der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik promoviert worden. 459 Als Matthias im Wintersemester 1965/66 von Marburg nach Mannheim übersiedelte, folgte Stürmer ihm und begann seine Habilitation zu Fragen der Parlaments- und Parteiengeschichte der Bismarck- Zeit.460 Er lernte durch Matthias Helmut Kohl kennen und nahm engen Kontakt mit ihm auf.461 Seit den späten 1970er Jahren distanzierte Stürmer sich historisch-methodisch von der kritischen Gesellschaftsgeschichte, rückte die Staatengeschichte und die Machtpolitik in den Mittelpunkt und wandte sich politisch-ideologisch von links nach rechts.462 In den 1980er Jahren wurde er politischer Berater von Helmut Kohl und konsequenter Unterstützer seines Wendekurses. Stürmer war zu dieser Zeit nicht allein. Zur Gruppe der politisch christdemokratisch orientierten Historiker zählten gleichfalls Klaus Hildebrand, Horst Möller und nicht zuletzt der der Interviewpartner von Bundeskanzler Helmut Kohl und CDU-Mitglied Andreas Hillgruber463. Hagen Schulz, der die Sozialdemokratie untersuchte, neigte politisch in den achtziger Jahren insbesondere im Historikerstreit auch der CDU zu.464 Parallel zu der Wiederbelebung der politisch christdemokratisch orientierten Historiker war die weitere Blüte der sozialdemokratischen Flügel der Historikerschaft erkennbar. Die sozialdemokratischen Historiker wie z.B. Hans Mommsen, Hans-Ulrich Wehler, Heinrich August Winkler und Jürgen Kocka waren in den 1980er Jahren wissenschaftlich und politisch weiterhin aktiv und standen immer noch in engen Kontakt mit der SPD. So machte Jürgen Kocka die

456 Stürmer gab sich auf einer Skala, bei der 1 ein wenig rechts und 5 ganz weit rechts bedeutete, den Wert 2. Vgl. Steffen Kailitz, Die politische Deutungskultur im Spiegel des »Historikerstreits«, a.a.O., S.32f., Anm. 9. 457 Rolf-Dieter Müller, Geschichtswende? Gedanken zu den Ursachen, Dimensionen und Folgen des »Historikerstreits«, in: Gernot Erler/Rolf-Dieter Müller/Ulrich Rose/Thomas Schnabel/Gerd R. Ueberschär/Wolfram Wette, Geschichtswende? Entsorgungsversuche zur deutschen Geschichte, Freiburg 1987, S.128-147, hier S.135. 458 Ein Rückblick über die Arbeit von Matthias in Marburg siehe: Hermann Weber, Erich Matthias in Marburg, in: Wolfgang Hecker/Joachim Klein/Hans Karl Rupp (Hrsg.), Politik und Wissenschaft. 50 Jahre Politikwissenschaft in Marburg, Band 1: Zur Geschichte des Instituts, Münster 2001, S.77-85. 459 Michael Stürmer, Koalition und Opposition in der Weimarer Republik 1924-1928, Düsseldorf 1967. 460 Michael Stürmer, Regierung und Reichstag im Bismarckstaat 1871-1880, Düsseldorf 1974. 461 Hans-Ulrich Wehler, Entsorgung der Vergangenheit? Ein polemischer Essay zum »Historikerstreit«, München 1988, S.31. 462 Volker Berghahn, Geschichtswissenschaft und Große Politik, in: APuZ 11 (1987), S.25-37, hier S.33. 463 Vgl. Steffen Kailitz, Die politische Deutungskultur im Spiegel des »Historikerstreits«, a.a.O., S.37, Anm. 47. 464 Vgl. Ebd., S.48, Anm. 140. 174

Beobachtung, dass »das Feld der Geschichtswissenschaft derzeit viel komplexer ist und es wichtig ist, Proportionen zu bewahren. Es könnte sein, dass diese programmatisch neokonservativen Äußerungen mehr im Feld der Politik – wichtig genug – und in Leitartikeln der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorkommen als in der Realität der Forschung und des Schreibens der Geschichte in der Profession, die im Augenblick die Gewichte ganz anders verteilt.«465 Solches Kräfteverhältnis zwischen beiden Seiten – der Aufstieg der konservativen Historiker in der Öffentlichkeit und die Vorherrschaft der sozialdemokratischen bzw. linksliberalen Historiker in der Fachwissenschaft – verstärkte die Konfrontation innerhalb der Zunft. Mitte der achtziger Jahre erreichte diese Spaltung durch den Historikerstreit ihren Höhepunkt. Auf dem Trierer Historikertag im Oktober 1986 weigerten sich einige Historiker, »Räume zu betreten, in denen bestimmte andere Historiker sich aufhalten – um nicht in die Versuchung zu kommen, ihnen die Hand zu geben«. Sie lehnten ab, an Veranstaltung dieses Historikertages teilzunehmen, denn »damit würde eine Liberalität vorgespiegelt, die es in Wirklichkeit nicht gäbe«. 466 Das wissenschaftliche Alltagsleben der Historiker wurde von politischen Faktoren negativ beeinflusst. Im Unterschied zu Politikhistorikern, die oft als konservativ oder neokonservativ tituliert wurden, und zu Sozialhistorikern, die häufig für sozialdemokratisch bzw. linksliberal gehalten wurden, waren Historiker der neuen Kulturgeschichte politisch weniger eindeutig zuzuordnen. Einige unter ihnen waren »Vertreter der nicht-orthodoxen Linken«467 . Diese Historiker, die vor allem in Hans Medick, Lutz Niethammer und Alf Lüdtke ihre Mentoren bzw. theoretischen und methodischen Wortführer fanden, beschäftigten sich vor allem mit der Alltagsgeschichte, der Oral History, der historischen Anthropologie, der »Geschichte von unten« oder der Frauengeschichte. Ganz ähnlich wie die in diesem Jahrzehnt entstehende Partei DIE GRÜNEN, deren interne Strömungen »vom konservativen Naturschutz über unterschiedliche Konzepte eines ›Dritten Weges‹ bis hin zu dogmatischen und undogmatischen Gruppen aus der Erbmasse

465 »Kernpunkt des Streits ist der Umgang mit Geschichte in der und durch die Demokratie«. Protokoll der Anhörung zum Deutschen Historischen Museum, veranstaltet von der SPD-Bundestagfraktion in Bonn am 2. Juli 1986, in: Christoph Stölzl (Hrsg.), Deutsches Historisches Museum. Ideen - Kontroversen - Perspektiven, Frankfurt a.M./Berlin 1988, S.333-385, hier S.346. 466 Christian Meier, Eröffnungsrede zur 36. Versammlung deutscher Historiker in Trier, 8. Oktober 1986, in: »Historikerstreit«, a.a.O., S.204-214, hier S.207. 467 Mary Fulbrook, Wissenschaftler und Parteigänger. Ost- und westdeutsche Historiker in den 1970er und 1980er Jahren, in: Christoph Cornelißen (Hg.), Geschichtswissenschaft im Geist der Demokratie. Wolfgang J. Mommsen und seine Generation, Berlin 2010, S.293-307, hier S.299. 175

der ›Neuen Linken‹ nach 1968«468 reichten, hielten diese Historiker häufig Distanz zum Links- Rechts-Schema. Mobilisierung der rechtsdemokratischen Politikhistoriker, Gegenoffensive der sozialdemokratischen bzw. linksliberalen Sozialhistoriker und Zurückhaltung der Kulturhistoriker: Dies zeigt an, dass die westdeutsche Geschichtswissenschaft in den 1980er Jahren bewegte Jahre erlebte.

2. Umgang der SPD mit Geschichte gegen neokonservativen Geschichtsdiskurs

Vom 1983 bis 1989 befand sich die sozialdemokratische Partei in der Bundesrepublik geschichtspolitisch in einer defensiven Lage, in der sie dem Anprall eines neokonservativen Geschichtsdiskurses von Seiten rechtsdemokratischer Intellektueller und Politiker der Regierung standhielt. Die von der »geistig-moralischen Wende« geleitete Umorientierung des politischen Umgangs mit der deutschen Geschichte insbesondere mit der NS-Vergangenheit wurde von den Sozialdemokraten entschieden abgelehnt. Sie appellierten an die politisch sozialdemokratisch bzw. linksliberal orientierten Historiker, diese Geschichtsrevision vom Neokonservatismus zu kritisieren und damit der Wiederbelebung der gefährlichen Tradition vom rechten Nationalismus zu wehren.

2.1 Divergenz zum 8. Mai und Ablehnung gegen »Geistig-moralische Wende«

In den achtziger Jahren gerieten das sozialdemokratische Geschichtsbild und das christdemokratische Geschichtsbild in vielen historischen Fragen in Konflikt. Zunächst gab es mit Blick auf die Bewertung des Kriegsendes eine Differenz zwischen SPD und CDU/CSU, die sich in den Jahren 1984/85 anlässlich des 40. Jahrestages der Beendigung des Zweiten Weltkriegs und wegen der Bitburger Kontroverse entlud.469 Während die Mehrheit der Sozialdemokraten den 8. Mai positiv als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus sah 470 , sah ein Großteil der Christdemokraten darin auch den Anfang der Vertreibung von Deutschen aus Osteuropa und der

468 Silke Mende, »Nicht rechts, nicht links, sondern vorn«. Eine Geschichte der Gründungsgrünen, München 2011, S.483. 469 Die Auseinandersetzung darüber in den 1970er Jahren siehe Kapitel III. 2.1. 470 Innerhalb der SPD gab es auch Politiker, die den 8. Mai 1945 wesentlich negativ bewerteten. Beispielsweise äußerte Egon Bahr 1984: »Ein Faktor des 8. Mai ist, daß er für eine Mehrheit des Volkes eine Niederlage, für eine Minderheit eine Befreiung war.« Zit. nach: 8. Mai: Eine Wunde beginnt zu schmerzen, in: Der Spiegel 52 (1984), S.19-23, hier S.23. 176

deutschen Teilung. Ende Dezember 1984 verwahrte sich Alfred Dregger in einem Interview stark gegen Feierlichkeiten zum 8. Mai. Aus seiner Sicht war dieser Tag für Deutschen primär eine Katastrophe:

»der 8. Mai 1945 steht als historisches Datum für eine der größten, wenn nicht überhaupt die größte Katastrophe der deutschen und europäischen Geschichte. [...] der 8. Mai 1945 besiegelte auch die Teilung Deutschlands und seiner alten Hauptstadt Berlin, die bis heute andauert. Mit diesem Datum begann auch die Vertreibung von 14 Millionen Deutschen aus den Ostgebieten des ehemaligen Deutschen Reiches, in deren Verlauf zwei Millionen Menschen umgekommen sind. [...] dies alles war eine ungeheure Katastrophe, die zum Feiern nicht den geringsten Anlass bietet.«471

Demgegenüber formulierte die SPD im »Nürnberger Manifest« ihre eigene Position zu diesem Tag. Dabei wies diese Partei darauf hin, dass »am 8. Mai 1945 die meisten Deutschen ein Gefühl der Erleichterung, ja der Befreiung« bewegte. 472 In diesem Punkte stimmte der christdemokratische Bundespräsident Richard von Weizsäcker mit den Sozialdemokraten überein, als er zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges die deutliche Bemühung um moralische Verantwortung und um die Wahrung eines angemessenen Respekts gegenüber der Vergangenheit betonte:

»Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. […] Wir haben wahrlich keinen Grund uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg.« 473

Eine solche Formulierung erhielt großes Lob von sozialdemokratischer Seite, allerdings widersprach dieser Rede ein großer Teil der CDU/CSU. Die gegensätzlichen Bewertungen des 8. Mai 1945 spiegelten einen wesentlichen Unterschied zwischen SPD und CDU/CSU wider, der mit den anderen Differenzen zwischen beiden Parteien in der Bewertung der NS-Vergangenheit und Ostpolitik in engem Zusammenhang stand.

471 Zitat nach: Die frechste Frage des Monats. 8. Mai 1945 und/oder 12. November 1955? 472 Wortlaut des »Nürnberger Manifest«, in: Pressemitteilung der SPD, 30.4.1985. 473 Richard von Weizsäcker, 40. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Ansprache des Bundespräsidenten am 8. Mai 1985, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 52 (1985), S.441-446, hier S.441f.. 177

Nach dem Regierungsantritt der CDU/CSU-FDP-Koalition 1982 herrschte auf der geschichtspolitischen Ebene bei vielen linken Intellektuellen eine verunsicherte Atmosphäre. Wie oben genannt, mit der Durchsetzung der »geistig-moralischen Wende« von der christlich- liberalen Koalition in den achtziger Jahren versuchte die Regierung – so sahen es ihre Kritiker – zum einen die ermahnungsvolle Bedeutung der NS-Zeit für die politische Kultur der Bundesrepublik zu historisieren und zu relativieren, zum anderen die Verbreitung eines positiven nationalen Geschichtsbildes zu fördern. Diese Tendenz lehnten die SPD und die sozialdemokratischen Historiker nachdrücklich ab. Mit der These Michael Stürmers von der neuen Geschichtslosigkeit in der BRD setzte sich , der Obmann der Arbeitsgruppe »Kunst und Kultur« der Sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, auseinander. Er verstand dies als »das überhöhte Selbstwertgefühl deutscher Historiker, die sich trotzig als neue Sinndeuter anbieten«.474 Gegen die Behauptung von Michael Stürmer, dass »in geschichtslosem Land die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet«475 und »dass der Partei Kurt Schumachers unlängst, es war der 40. Jahrestag der deutschen Kapitulation, der Kampf gegen die gesellschaftlichen Grundlagen des Faschismus in der Bundesrepublik als politische Hauptaufgabe von ihren Vordenkern zugewiesen wurde, kann nicht auf Unkenntnis der historischen Verhältnisse beruhen, sondern verrät verborgene Gedanken über die Zukunft«476, kritisierte Freimut Duve: »In dieser Deutlichkeit haben wir Sozialdemokraten der Bundesregierung nie unterstellt, sie wolle politischen Nutzen ziehen, wenn sie sich um staatlich initiierte historische Einrichtungen kümmert. Dieser Kommentar von Michael Stürmer lässt sich wie ein Programm lesen: Lasst uns die Erinnerung okkupieren und sie gewinnen, wenn nicht die Zukunft, so doch die Wahl.« Duve war damit auch nicht einverstanden, dass das Interesse an Geschichte gering und Deutschland ein geschichtsloses Land sei. »Wer Geschichte vermisst und Geschichtsbewusstsein mobilisieren möchte, wer die Identität beschwört«, so Duve, »will doch etwas anderes: Es geht nicht um Geschichte, sondern um die Nation, um die Geschichte des Nationalstaats und seiner Symbole, Die Restauration eines Nationalgefühls [...] scheint die treibende Kraft hinter dem Beschreien unserer Geschichtslosigkeit«. Er nahm weiterhin Stellung dazu: »Wir wollen uns gerne streiten über Geschichtsbewusstsein und die neu/alte sinnstiftende Priesterrolle der Historiker, auch jener,

474 Freimut Duve, Tapfer im Sattel des Karussellgauls. Gelegentliche Gedanken zum Vorwurf unserer Geschichtslosigkeit, in: Das Parlament, 20-21 vom 17./24.5.1986. 475 Michael Stürmer, Geschichte in geschichtslosem Land, a.a.O., hier S.36. 476 Ebd., S.38. 178

die sich als Volks- und Regierungsberater hervortun. Aber das sollte mit offenen Karten geschehen. Wer Geschichtsbewusstsein sagt, aber Nationalbewusstsein meint, wer von Geschichtskenntnissen spricht, aber den künstlichen Seelenschauer auf der Rückenhaut meint, wer Gefühle vermisst, aber von mangelnden Kenntnissen spricht, der spielt mit falschen Karten.«477 Mit seiner Geschichtspolitik habe der Bundeskanzler »in den letzten Jahren bewusst die Tabugrenze gesenkt«, so Peter Glotz vor dem Bundestag im Jahr 1986, »um durch politische Ansprache den rechten Wählerrand besser zu erreichen«.478 Die wachsende Bedeutung von Geschichte für das politische Bewusstsein und die politische Kultur der Bundesrepublik veranlasste die Historische Kommission beim SPD-Parteivorstand, eine Tagung zum Thema »Geschichte in der demokratischen Gesellschaft« im Frühjahr 1985 zu veranstalten, um deutlich zu machen, »dass die SPD ein eigenes Verhältnis zur Geschichte hat«479 . In dieser Tagung wurde der Versuch unternommen, die Herausbildung des neokonservativen Geschichtsbewusstseins zu analysieren und selbstkritisch gefragt, was die Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten im Umgang mit Geschichte und dem historischen Bewusstsein der Bürger versäumt habe. Dabei kritisierte der sozialdemokratische Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Johannes Rau »eine spezifisch rückwärts gewandte Beschäftigung mit Geschichte«:

»Konservative Politiker berufen sich in solchem Sinn gern auf die Geschichte. [...] Berufung auf Geschichte wird in solchem Kontext nicht selten zu einem rhetorischen Mittel von Politikvermittelung. Konservativer Umgang mit Geschichte scheint mir auch in der Gegenwart oft durch den Willen geprägt zu sein, Einmütigkeit und Grundkonsens auf der Basis des gesellschaftlichen Status quo zu stiften. Dabei werden die Schattenseiten deutscher Geschichte oft genug vernachlässigt oder einfach ausgelassen. Nationale Geschichte wird auf diese Weise einer durchaus nicht ungeliebten Tendenz zur Harmonisierung unterworfen. Das wird im Hinblick auf unsere jüngste Geschichte deutlich. Zu einfach sind mir jene Versuche, unter Hinweis auf Alter und Generationszugehörigkeit etwa die Last deutscher Geschichte im Verhältnis zum jüdischen Volk abschütteln zu wollen. Und zu hilflos will mir auch der Umgang mancher Konservativer mit dem Inhalt jenes Gedenktages erscheinen, über den sich nicht nur deutsche Öffentlichkeit seit einigen Wochen Gedanken macht.«480

477 Freimut Duve, Tapfer im Sattel des Karussellgauls, a.a.O. 478 Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages, 10. Wahlperiode, Nr. 253, S.19662. 479 Vgl. das Ergebnisprotokoll der Vorbereitungssitzung der Historischen Kommission für diese Tagung in Bonn am 6./7.9.1984, in: AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000043. 480 Johannes Rau, Sozialdemokratie und Geschichte, a.a.O., S.22f.. 179

Auf sozialdemokratischer Seite trat kein Akteur energischer als Hans Mommsen gegen das geschichtliche Interesse christdemokratischer Politiker und Intellektueller auf. Das »Geschichtsbild der Wende«481 gefährde den pluralistischen Konsens. Er warnte auf dieser Tagung vor »einer neuen Polarisierung des Geschichtsbildes in der Bundesrepublik Deutschland«:

»Inhaltlich stellt die ›geistige Wende‹ darauf ab, das durch den Nationalsozialismus und die ›linke‹ Vergangenheitsbewältigung geschädigtes deutsches Selbstbewusstsein wieder zu reparieren. […] In historisch- politischer Beziehung stellte sich die vielbeschworene ›geistige Wende‹ in erster Linie als Enttabuisierung von ideologischen Positionen dar, die zuvor von der Mehrheit der Demokraten von rechts bis links abgelehnt und zum Teil in die Nähe des Postfaschismus gestellt wurden.«482

Mommsen konstatierte, dass verschiedene wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme zum Versuch der konservativen Parteien geführt hätten, seit einiger Zeit »durch den Rekurs auf die nationalgeschichtliche Tradition eine erhöhte Konsensstiftung zu erreichen«. Diese Tendenz ziele darauf ab, »sozial-emanzipatorische Elemente im westdeutschen historischen Diskurs« zugunsten einer Wiederanknüpfung an nationalstaatliche Traditionen des 19. Jahrhunderts zurückzudrängen. Eine veränderte Haltung zum Nationalsozialismus sei damit verbunden. Diese »Rückkehr zur ›Normalität‹ der deutschen Geschichte« beabsichtige eine Reduzierung einerseits der deutschen Verantwortung für die Entstehung des Zweiten Weltkrieges und andererseits eine Relativierung des Erfolges des Nationalsozialismus in der Gesellschaft.483 Neben Hans Mommsen machte Eberhard Jäckel Anfang 1986 in einer Sendung der ARD »Nichts dazugelernt? – Über Deutsche und Juden 1986« zudem die »Wende« für das Aufkommen einer »Schlussstrichmentalität« und von Antisemitismus verantwortlich.484 Susanne Miller kritisierte, dass der »Minimalkonsens« der Bundesrepublik bei der Behandlung von Fragen der jüngeren deutschen Vergangenheit, zu dem vor allem die Übereinstimmung zählte, »dass ein einheitliches oder gar ›regierungsoffizielles‹ Geschichtsbild in der Demokratie nicht geben kann«, wegen des Wendekurses geschwunden sei.485

481 Vgl. Hans Mommsen, Geschichtsbild der Wende, in: Journal für Geschichte (1985), S.6f.. 482 Hans Mommsen, Stehen wir vor einer neuen Polarisierung des Geschichtsbildes in der Bundesrepublik Deutschland?, in: Susanne Miller (Hrsg.), Geschichte in der demokratischen Gesellschaft. Eine Dokumentation, Düsseldorf 1985, S.71-83, hier S.77, 80. 483 Ebd., S.82f.. 484 Werner Bergman, Antisemitismus in öffentlichen Konflikten. Kollektives Lernen in der politischen Kultur der Bundesrepublik 1949-1989, Frankfurt a. M./New York 1997, S.446, Anm.181. 485 Susanne Miller, »Wende«-Zeichen auf dem Gebiet der Geschichte, in: NG 33 (1986), S.836-840, hier S.836. 180

Die Kritik der sozialdemokratischen Politiker und Historiker an dem konservativen Standpunkt zeigte, dass die historischen bzw. geschichtspolitischen Orientierungen der Sozialdemokratie und des Neokonservatismus in den achtziger Jahren keineswegs zur Übereinstimmung kommen konnten.

2.2 Sozialdemokratische Kritik an den Museumsprojekten

Wie bereits gezeigt, waren die zwei Geschichtsmuseumsprojekte die beiden wichtigsten Bestandteile der Geschichtspolitik der liberal-konservativen Regierung. Die sozialdemokratische Opposition und die ihr nahestehenden Historiker setzten sich intensiv mit den Plänen für das »Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland« in Bonn und das »Deutsches Historisches Museum« in Westberlin auseinander und sahen beides als »Zeugnisse einer bewusst angestrebten historischen Selbstdarstellung und -repräsentation«486 . Bei ihrer Kritik daran ging es vor allem um die Verdrängung der Sozialdemokratie aus diesen Projekten einerseits und die einseitigen bzw. mangelhaften Konzepte der Ausstellungen andererseits. Die Sachverständigenkommission des Bonner Museums wurde aus drei Historikern Lothar Gall, Klaus Hildebrand und Horst Möller sowie einem Museumsfachmann Ulrich Löber gebildet. Im Dezember 1983 lag die erste Fassung ihres Gutachtens vor. Eine solche Zusammensetzung dieser Kommission wurde nicht nur von der sozialdemokratischen Partei, sondern auch von anderen, dem linksdemokratischen Spektrum zuzuordnenden Historikern kritisiert. Zum einen führte die Nichtbeteiligung der Oppositionsparteien »zum Vorwurf einer Sinnstiftung im Parteiinteresse und einer unzureichenden Repräsentation der in der Bundesrepublik vertretenen historisch-politischen Position«. 487 Freimut Duve betonte in seinem Brief an den damaligen Bundesinnenminister (CSU) vom 22. Februar 1984, dass »öffentliche Diskussion, auch kontroverse Positionen, der ganz demokratische Disput« die Gründungen der Geschichtsmuseen begleiten müssten, aber »die nötige große öffentliche Diskussion über unsere jüngste Zeitgeschichte, an der alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte beteiligt werden müssen«, fehle nun noch. 488 Zum anderen wurde die Gutachterkommission von vielen linksdemokratischen Historikern abgelehnt. Sie war für Hans Mommsen »unter

486 Hans Mommsen, Stehen wir vor einer neuen Polarisierung des Geschichtsbildes in der Bundesrepublik Deutschland?, a.a.O., S.79. 487 Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.337. 488 Das Schreiben siehe Freimut Duve (Hrsg.), »Soll es dem Volk dienlich sein, muss das Volk in ihm vorkommen.«: Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion zum Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Protokoll vom 9. Mai 1984, Bonn 1984, S.195f.. 181

Richtungsgeschichtspunkten sehr einseitig«489. Hildebrand und Möller seinen »eindeutig dem ausgesprochen konservativen Flügel des Faches zuzurechnen« und »eine stärker sozialhistorische Ausrichtung« des Gremiums, die »dem Projekt sicherlich nützlich sein können« hätte, existiere nicht. 490 Martin Broszat hielt diese Kommission gleichfalls als »nicht repräsentativ für die Geschichtswissenschaft und Zeitgeschichtsforschung in der Bundesrepublik«491, während Jürgen Kocka meinte, »das Gremium so zu erweitern, dass auch andere Strömungen unter den gegenwärtigen Zeithistorikern berücksichtigt werden«.492 Helga Grebing wies gleichfalls darauf hin, dass die Planer dieses Projekts »zwar wissenschaftlich hoch angesehene Historiker, jedoch einer historiographischen Richtung zuzuordnen« seinen, »die man wohl ohne Anstoß zu erregen als liberal-konservativ kennzeichnen« könne. »Jedenfalls bilden sie«, so Grebing, »keinen repräsentativen Ausschnitt aus der Forschung zur neuesten Geschichte«.493 Im Mai 1984 veranstaltete die SPD-Bundestagsfraktion in Bonn eine Anhörung zur Konzeption des Projektes zum Haus der Geschichte der Bundesrepublik, an der die Gutachter Lothar Gall, Klaus Hildebrand und Ulrich Löber sowie über achtzig Historiker, Politiker und andere Interessierenden teilnahmen.494 Aus der Historikerzunft kamen Helga Grebing, Hartmut Soell, Martin Broszat, Eberhard Kolb, Bernd Faulenbach, Susanne Miller, Kurt Klotzbach, Dieter Dowe, Ulrich Borsdorf und der damalige Vorsitzende des Verbands der Geschichtslehrer Deutschlands Gustav A. Süß. Das Museumsprojekt wurde dort wesentlich kritisiert. Neben der Kritik an der einseitigen Zusammensetzung der Kommission stand die Kritik an der Konzeption des Gutachtens, insbesondere die Gewichtung der Vorgeschichte der Bundesrepublik im Mittelpunkt. 495 Helga Grebing bemängelte die Linie der Kommission, die Geschichte der

489 Hans Mommsen, Stellungnahme zum Gutachten »Überlegungen und Vorschläge zur Einrichtung eines ›Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland‹ in Bonn« des Bundesministerium des Innern vom Juni 1983, in: Freimut Duve (Hrsg.), Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion zum Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.157-160, hier S.157. 490 Hans Mommsen, Verordnete Geschichtsbilder. Historische Museumspläne der Bundesregierung, in: GMH 37 (1986), S.13-24, hier S.15. 491 Freimut Duve (Hrsg.), Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion zum Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.106. 492 Jürgen Kocka, Stellungnahme zum Gutachten des »Hauses der Geschichte der Bundesrepublik in Deutschland«, in: Freimut Duve (Hrsg.), Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion zum Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.153-155, hier S.155. 493 Helga Grebing, Mut zu kontroversen Selbstdarstellung. Der Bau des Museums gehört in die Hände des Parlament, in: Das Parlament, 20-21 vom 17./24.5.1986. 494 Freimut Duve (Hrsg.), Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion zum Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O.. 495 Zusammenfassung der wichtigen Kritikpunkte siehe Ulrich Rose, Geschichte, zur Schau gestellt in Vitrinen: Die Diskussion um zwei Museen und ein Mahnmal, in: Gernot Erler/Rolf-Dieter Müller/Ulrich Rose/Thomas 182

Bundesrepublik nach 1945 möglichst schnell in die Normalität der westlichen Demokratien zu integrieren und deswegen ihre Vorgeschichte als »Last« möglichst schnell abzuhandeln. Gegenüber der Vereinfachung der deutschen Geschichte in zwei allgemeinen abstrakten getrennten Kontinuitätslinien, von der eine in den Schatten des Nationalsozialismus führe, und eine andere, die positive Traditionen darstelle und nach 1945 als Fundament der Bundesrepublik aktualisiert worden sei, wies Grebing darauf hin, dass die deutsche Geschichte vor allem zwei Dimensionen zugeordnet wurden. In ihrem zweidimensionalen Schema wurde eine »weiße« Linie als Darstellung der Vielzahl von demokratischen, liberalen und emanzipatorischen Alternativen der deutschen Gesellschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert definiert, während eine »schwarze« Linie eine Kontinuität von bestimmten Denkstilen der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus wie das Sonderwegsmodell beschreibt. Anstelle einer einfachen Ausstellung der deutschen Geschichte vor 1945 in diesem Museum plädierte Grebing für mehr Aufmerksamkeit und genauere Erklärung darüber. Ein Konsens über die Vorgeschichte der Bundesrepublik erschien Helga Grebing »jedenfalls notwendiger und dringender als ein Konsens über manche Fragen der Geschichte der Republik selbst, für die manches halt durchaus im Kontroversen verbleiben mag, kann oder auch wahrscheinlich muss«. 496 Martin Broszat kritisierte ebenfalls den Beginn der Ausstellung mit dem Jahr 1945, denn erst vor dem Hintergrund der historischen Voraussetzungen durch die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus sei die bundesrepublikanische Geschichte als relativ »heile« und »glücklicher« Phase der deutschen Geschichte zu erklären und mache verständlich, »welche Bedeutung der unsensationellen Stabilität dieser Bundesrepublik-Geschichte zukommt«.497 Aus der Perspektive eines »Sonderwegs« wies Bernd Faulenbach darauf hin, dass in diesem Haus »man sicher einerseits die problematische Vorgeschichte aufgreifen muss, andererseits aber auch die andere Geschichte, [...] was Gustav Heinemann für besonders wichtig hielt, thematisieren muss«. Dabei müssten nicht nur die Geschichte des Parlamentarismus, sondern auch zum Beispiel die Tradition des Sozialstaates eine Rolle spielen.498 Alle diese Kritiken, die aus Anlass des SPD-Hearings von durchaus prominenten Historikern geäußert wurden, gewannen keinen großen Einfluss auf die Planung der Bundesregierung. Die Veranstaltung diente also vor allem

Schnabel/Gerd R. Ueberschär/Wolfram Wette, Geschichtswende? Entsorgungsversuche zur deutschen Geschichte, Freiburg 1987, S.35-61, hier S.50f.. 496 Freimut Duve (Hrsg.), Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion zum Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S.64. 497 Ebd., S.110f.. 498 Ebd., S.42. 183

als Forum für den Dialog zwischen der sozialdemokratischen Opposition und den linksdemokratischen Historikern. Ihre Ergebnisse haben aber »keine nennenswerte Berücksichtigung«499 seitens der Regierung gefunden. Im Vergleich zum Museumsplan in Bonn war das Berliner Museumsprojekt älter. Der damalige Westberliner Bürgermeister hatte bereits 1978 die Idee, ein historisches Museum in Berlin einzurichten. Der große Erfolg der Berliner Preußen-Ausstellung 1981 motivierte den von Richard von Weizsäcker geleiteten Westberliner Senat, diesen Museumsplan voranzutreiben. Die Historiker Michael Stürmer, Hagen Schulze, Hartmut Boockmann und Eberhard Jäckel, die aus unterschiedlichen politischen Richtungen kamen, wurden vom Berliner Senat als Gutachter bestellt. Dieser »von dessen mehrheitlich sozialdemokratischen Befürwortern stärker regional orientierte«500 ursprüngliche Plan des Berliner Kultursenators zum »Forum für Geschichte und Gegenwart« musste 1983 durch das Vorhaben der christlich-liberalen Koalition einem Nationalmuseum weichen. Die Einrichtung »eines in erster Linie auf die Gewinnung nationaler Identität ausgerichteten historischen Museums« 501 weckte Sorge und Ärger bei den Sozialdemokraten, die sich bereits von der Planung für das »Haus der Geschichte« in Bonn ausgeschlossen sahen. Am 28. Mai 1985 berief die SPD-Fraktion des Berliner Senats eine Kommission zur Erarbeitung einer Konzeption für ein »Museum für Geschichte und Kultur« in Berlin, um noch einen gewissen Einfluss auf die Gründung des »Deutschen Historischen Museums« nehmen zu können. Ihr gehörten u.a. Hans Mommsen und Reinhard Rürup an. Mitte November 1985 veröffentlichte diese SPD-Arbeitsgruppe in Berlin einen Bericht. Darin vertrat sie die Meinung, dass die Forum-Idee weit eher der aktuellen deutschen Lage entspreche, und warnte davor, dass das geplante Museum trotz der Versicherungen der Sachverständigen »einem primär nationalen Geschichtsbild zur Wirkung verhelfen« könne.502 Am 7. Oktober 1985 trat dann die 16köpfige Sachverständigenkommission des Berliner Museums zu ihrer konstituierenden Sitzung in Bonn zusammen. Wie bereits erwähnt gehörten ihr neben Hartmut Boockmann, Karl-Dietrich Erdmann, Lothar Gall, Hans-Peter Schwarz, Michael Stürmer auch der liberale Historiker Rudolf Vierhaus und als Wortführer sozialdemokratischer

499 Hans Mommsen, Zum Projekt eines »Deutschen Historischen Museums« in West-Berlin, in: Christoph Stölzl (Hrsg.), Deutsches Historisches Museum. Ideen - Kontroversen - Perspektiven, Frankfurt a. M./Berlin 1988, S.296- 310, hier S.296. 500 Charles S. Maier, Die Gegenwart der Vergangenheit, a.a.O., S.156. 501 Hans Mommsen, Zum Projekt eines »Deutschen Historischen Museums« in West-Berlin, a.a.O., S.297. 502 Zitat nach ebd., S.297. 184

und sozialgeschichtlicher Positionen Jürgen Kocka an. Aber Kockas Beteiligung allein konnte nicht alle seine sozialdemokratischen Kollegen beruhigen. Selbst manche seiner Freunde warnten im privaten Kreise, die Neokonservativen würden dieses Projekt ihren eigenen Absichten dienlich machen. Auch Jürgen Kocka selbst war im Zweifel über die Verwirklichung ihres konkreten Konzepts der Sachverständigenkommission. »Die Mitglieder der Sachverständigenkommission, die sehr verschiedene Richtungen vertreten, sich aber zu einer am Ende einstimmigen Entscheidung zusammengerauft haben«, so Kocka, »können nur hoffen, dass sich die Regierungen nun auch an das Konzept wirklich halten. Am Ende wird entscheidend sein, welche Personen die Sache in die Hand nehmen und wie sie die Ideen und Themen des Konzepts in einzelne Exponate übersetzen«.503 Freimut Duve hatte mit Bezug auf beide Museen im Februar 1986 in einem Antrag der SPD im Bundestag festgehalten:

»Einrichtungen, die das Verständnis für die eigene und die Geschichte der Nachbarn fördern sollen, müssen in einer parlamentarischen Demokratie durch öffentliche Diskussion auf der Basis eines breiten Konsenses entstehen. Solche Einrichtungen müssen auch durch die Form ihrer Entstehung den demokratischen Charakter unserer Republik spiegeln. Sie dürfen sich in keiner Phase dem Verdacht aussetzen, eine Regierung verordne bestimmte Geschichtsbilder.«504

Hans Mommsen beurteilte die Zusammensetzung dieser Kommission so: »Unverkennbar trachtet die Bundesregierung danach, die grundlegenden Personalentscheidungen ohne die Hinzuziehung der Oppositionsparteien zu fällen.«505 Er wies bei den Frankfurter Römerberggesprächen im Juni 1986506 darauf hin:

»Die entscheidende Fehlleistung ist, dass die Wissenschaft diese Aufträge angenommen hat, ohne zu garantieren, dass sie unabhängig von der Regierung arbeiten kann. Und wer sitzt im Bonner Haus der Geschichte? Herr [Klaus] Hildebrand, ein sicher kompetenter, wenn auch nicht unumstrittener Fachhistoriker, Herr [Christoph] Stölzl als Museumsmann und acht Ministerialräte. Die wählen die ständigen Mitarbeiter aus. Wo ist denn dabei

503 Jürgen Kocka, Ein Jahrhundertunternehmen zum 750. Geburtstag. Berlin bekommt 1987 ein Deutsches Historisches Museum, in: Das Parlament, 20-21 vom 17./24.5.1986. 504 Zitat nach Moritz Mälzer, Ausstellungsstück Nation, a.a.O., S.113. 505 Hans Mommse, Verordnete Geschichtsbilder, a.a.O., S.18. 506 Bei den Frankfurter Römerberggesprächen 1986 richtete sich die Auseinandersetzung erneut auf die Museumspläne der Bundesregierung. Beispielsweise sahen die meisten sozialdemokratischen Teilnehmer wie Peter Merseburger in den Museumsplänen den offiziellen Versuch, Geschichte zu besetzen. Auch Jürgen Habermas verkündete, eine »regierungsamtlich einflussreiche Gruppe von Historikern« betreibe die »Schaffung von positiven, ›zustimmungsfähigen‹ Vergangenheiten«. Vgl. Dieter Kramer, Die Diskussion der »Römerberggespräche« 1986, a.a.O., S.117; Jürgen Habermas, Eine Diskussionsbemerkung, in: Hilmar Hoffmann (Hrsg.), Gegen den Versuch, Vergangenheit zu verbiegen, a.a.O., S.140-144, hier S.141. 185

die Autonomie der Wissenschaft? [...] Wo sind denn dann die Professoren, die die deutsche Fachwissenschaft gegenüber dem Herrn Bundeskanzler vertreten? ... Diese Professoren sind bereits Werkzeuge geworden, solange sie noch immer der Auffassung sind, sie arbeiteten überparteilich und keineswegs in direktem Auftrag der Regierung. Das ist die Wahrheit der politischen Kultur der Bundesrepublik.«507

»Ich habe gar keine Sorge vor dem Deutschen Historischen Museum in Berlin«, so äußerte sich Karl-Ernst Jeismann, »wenn es entsteht, wird es sicher sehr viel Regierungen und sehr viel gegensätzliche Legitimationsbedürfnisse überdauern. Ich habe eher Sorgen um das politische System, wenn ich höre, dass bei der Entwicklung der Konzeption wesentliche Kräfte und Strömungen unserer politischen und geistigen Gegenwart aus dem Diskussionsprozess ausgeschlossen bleiben.«508 Am 2. Juli 1986 veranstaltete die Arbeitsgruppe »Kunst und Kultur« der SPD- Bundestagsfraktion in Bonn eine öffentliche Anhörung zum Deutschen Historischen Museum, an der die Historiker und Geschichtsdidaktiker Hans Mommsen, Jürgen Kocka, Eberhard Kolb, Ulrich Borsdorf, Susanne Miller, Wolfgang Ruppert, Karl-Ernst Jeismann und Gustav A. Süß teilnahmen. 509 Darin hielt Jürgen Habermas einen Vortrag gegen den neokonservativen Revisionismus, der eine Woche später mit leichten Änderungen in der Zeit erschien und so den Historikerstreit in Gang brachte. Er war der Meinung, man solle das Museumsprojekt lieber aufzugeben als dadurch neokonservative Tendenzen zu unterstützen. 510 Hans Mommsen formulierte aus einer anderen Perspektive seine Kritik gegen die inhaltliche Konzeption der Sachverständigenkommission. Ein Beispiel für die falsche Tendenz war für ihn, dass der Widerstand der NS-Zeit nicht genug berücksichtigt werde.511 Ein weiteres Beispiel bestand darin:

»Das Konzept des ›deutschen Sonderweg‹, so strittig es sein mag, ist ebenso an den Rand gedrängt wie jenes der ›deutschen Mittellage‹; es bleibt allenfalls bei einer wenig zugespitzten Modernisierungstheorie, ohne dass

507 Dieter Kramer, Die Diskussion der »Römerberggespräche« 1986, a.a.O., S.108. 508 »Kernpunkt des Streits ist der Umgang mit Geschichte in der und durch die Demokratie«. Protokoll der Anhörung zum Deutschen Historischen Museum, veranstaltet von der SPD-Bundestagfraktion in Bonn am 2. Juli 1986, a.a.O., S.347f.. 509 Vgl. ebd., S.333-385. Die ursprüngliche Veröffentlichung der Protokoll dieser Anhörung siehe: Freimut Duve (Hrsg.), Anhörung der SPD-Bundestgsfraktion zum Deutschen Historischen Museum Berlin. Protokoll vom 2. Juli 1986, Bonn 1986. 510 Jürgen Habermas, Zum neokonservativen Geschichtsverständnis und zur Rolle der revisionistischen Geschichtsschreibung in der politischen Öffentlichkeit (bei der Anhörung zum Deutschen Historischen Museum, veranstaltet von der SPD-Bundestagfraktion in Bonn am 2. Juli 1986), in: Christoph Stölzl (Hrsg.), Deutsches Historisches Museum. Ideen - Kontroversen - Perspektiven, Frankfurt a.M./Berlin 1988, S.336-339. 511 »Kernpunkt des Streits ist der Umgang mit Geschichte in der und durch die Demokratie«. Protokoll der Anhörung zum Deutschen Historischen Museum, a.a.O., S.358. 186

die sozialen und ökonomischen Triebkräfte in diesen Teilen anschaulich hervortreten, obwohl der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ein vergleichsweise großer Raum zugemessen wurde, während unversehens ein Defizit an Politikgeschichte, das heißt an handelnden Individuen, aber auch konkreten politischen und sozialen Verbänden, aufzutreten scheint. Der Triumph der Sozialgeschichte ist jedoch durch die Aufstülpung eines chronologischen Epochenprinzips ein Pyrrhussieg geblieben.«512

Im Herbst 1986 veranstalteten die konservative Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung und die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung jeweils eigene Tagungen im Berliner Reichstag. Auf der ersten Veranstaltung erhob Michael Stürmer den Vorwurf, dass die Kampagne gegen das Museum ein diffamierender Schauprozess sei. Auf der Gegenveranstaltung machte Freimut Duve, der ein Jahr zuvor die SPD-Anhörung in Bonn organisiert hatte, den Historikern, die mit der Regierung zusammengearbeitet hatten, den Vorwurf, dass sie ihre intellektuelle Unabhängigkeit geopfert hätten.513 »Der Streit um das Historische Museum, so viel ist klar«, behauptete Konrad Adam in der Frankfurter Allgemeiner Zeitung vom 9.10.1986, »ist primär keine Angelegenheit der Wissenschaft, kein Kampf zwischen Aufkläreren und Obskuranten. Statt um die Wissenschaft geht es um Politik; Machtfragen stehen an, nicht Fragen der Erkenntnis«.514 Das stimmt teilweise. Die Trennlinie der Kontrahenten verlief eindeutig entlang der Parteipräferenzen. Auf der einen Seite waren die christdemokratisch-liberale Regierung und ihre Unterstützer aus der Geschichtswissenschaft. Auf der anderen Seite standen die sozialdemokratische Opposition und »ihre« Historiker. Das gegenseitige Misstrauen zwischen beiden Seiten konnte trotz der Mitwirkung weniger sozialdemokratischer Historiker auf keinen Fall verhindert werden. Die Sozialdemokraten wollten die akademischen Gegner der Museumsprojekte aus der Historikerschaft um sich versammeln und setzten darauf, dass die eigene Positionen der Fachwissenschaft näher stünden, ganz wie Johannes Rau einmal gesagt hatte: »Mit einer unkritischen eindimensionalen ›Erfolgsgeschichte‹ der Bundesrepublik können wir uns nicht abfinden, und wir vertrauen darauf, dass große Teile der Öffentlichkeit, auch der historischen Fachöffentlichkeit, uns dabei mit Kritik zur Seite stehen.«515 In gewissem Sinne ist dies gelungen. Mehrere Historiker übten an der Seite der SPD Kritik an der Regierung. Insbesondere Hans

512 Ebd., S.359. 513 Sibylle Wirsing, Die unerlöste Nation. Deutsche Geschichte im Museum. Nachtrag zu einer Berliner Tagung im Reichstagsgebäude, in: FAZ 14.10.1986. 514 Konrad Adam, Wo bleiben die Verschwörer?, in: FAZ, 9.10.1986. 515 Johannes Rau, Sozialdemokratie und Geschichte, a.a.O., hier S.24. 187

Mommsen fungierte als treibende Kraft dabei. Die sozialdemokratische Partei und die linksdemokratischen Historiker wurden durch ihre Kommunikation und Kooperation während der Auseinandersetzung um die beiden Museumsprojekte enger verbunden.

2.3 Sozialdemokratisches Lager im Historikerstreit

Die bundesdeutsche Kontroverse um das Geschichtsbewusstsein und die moralisch angemessene Form nationaler Identität erreichte ihren Höhenpunkt im Historikerstreit 1986/87, der, wie oben dargestellt, »allerseits je länger desto mehr als Auseinandersetzung um die Grundlagen der politischen Kultur und um die politisch-kulturelle Hegemonie in der Bundesrepublik begriffen wird«. 516 Die Hauptkonfliktlinie des Historikerstreits verlief – grob gesagt – zwischen sozial- und christdemokratischen Intellektuellen.517 Diese Aussage stimmt aber nur teilweise. Es ist zwar nicht zu leugnen, dass die Parteibildung in dieser Auseinandersetzung um die NS-Vergangenheit mit der politischen Links-Rechts-Spaltung innerhalb der Historikerschaft weitgehend übereinstimmte und zum Teil davon beeinflusst wurde. Dennoch waren an der Szene ebenso Historiker wie Christian Meier, Adelheid von Saldern und Alf Lüdtke beteiligt, die sich politisch im engeren Sinne weder sozialdemokratisch noch christdemokratisch orientierten, auch wenn sie die entscheidende Gegnerschaft während der Kontroverse nicht verändern konnten. Die unlösbare Konfrontation zwischen unterschiedlichen politischen Lagern als eines der wichtigsten Kennzeichen des Historikerstreits ist besser auf die enge Verbindung der Kernfrage dieses Streits mit dem historisch-politischen Klima zurückzuführen als auf die rein politische Differenzierung der Historikerschaft. Es zeigte sich zum Beispiel darin, dass Historiker meistens ganz bewusst mit einer dezidiert »linken« oder »rechten« Stellungnahme an diesem Streit teilnahmen. Die politische Konfliktdimension zeigte sich auch darin, dass sich die Richtung der Auseinandersetzung schnell änderte und die Frage nach der Beziehung zwischen Geschichte und Politik in den Vordergrund trat, bevor die Diskussion über historische Sachverhalte und Forschungsmethoden tiefergehend erfolgt oder gar zu einem Ergebnis geführt worden wäre. So

516 Bernd Faulenbach, Die Bedeutung der NS-Vergangenheit für die Bundesrepublik – Zur politischen Dimensionen des »Historikerstreits«, in: ders./Rainer Bölling, Geschichtsbewusstsein und historisch-politische Bildung in der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zum »Historikerstreits«, Düsseldorf 1988, S.9-38, hier S.32. 517 Steffen Kailitz, Die politische Deutungskultur im Spiegel des »Historikerstreits«, a.a.O., S.83; Eckhard Jesse, Der sogenannte Historikerstreit. Ein deutscher Streit, in: Thomas M. Gauly (Hrsg.), Die Last der Geschichte. Kontroversen zur deutschen Identität, Köln 1988, S.9-54, hier S.16; Josef Joffe, Vergangenheitsbereinigung und Historikerstreit. Oder: Alle Geschichte ist rückwärtsgewandte Politik, in: Schweizer Monatshefte 12 (1987), S.1025- 1041, hier S.1038. 188

mussten sich die Teilnehmer im Verlauf der Debatte für einen »linken« oder »rechten«, »progressiven« oder »konservativen« Standpunkt entscheiden. In diesem Sinne hatten die Frontstellungen während des Historikerstreits mit der Konfrontation des Geschichtsbewusstseins zwischen sozial- und christdemokratischen Historikern zu tun. Bereits Anfang 1985 hatte Hans Mommsen eine »Polarisierung des Geschichtsbildes« in der Bundesrepublik Deutschland konstatiert. 518 Damit waren von ihm zwei unterschiedliche Modalitäten der Deutung der jüngsten deutschen Vergangenheit gemeint, zwei verschiedene historiographische Programme mit entsprechenden politischen Denkmustern. Dabei ging es vor allem um zwei Zugänge zum historischen Verständnis und um zwei unterschiedliche Vorstellungen vom Begriff der historischen »Normalisierung«. Ihr Unterschied wurde im Verlauf des Historikerstreits zu einer grundlegenden Divergenz, als die Historiker sich mit der Einzigartigkeit und der Vergleichbarkeit der Judenvernichtung im Nationalsozialismus auseinandersetzten. Für die Konservativen wie z.B. Ernst Nolte bedeutete »Normalisierung«, den Nationalsozialismus nüchtern und ohne Schuldbesessenheit ebenso zu behandeln wie die terroristischen Episoden anderer Nationen. Demgegenüber bedeutete für Martin Broszat519 und Hans Mommsen »Normalisierung«, den Nationalsozialismus nicht als außergewöhnliches, der Geschichte entrücktes Ereignis zu behandeln, nicht als zufällige Entgleisung, sondern als wesentlichen Bestandteil der deutschen Geschichte. Aus dem erstgenannten Verständnis von »Normalisierung« entstammte der synchrone Vergleich von Auschwitz mit dem Archipel GULag, während mit der letzteren »Normalisierung« ein diachroner Vergleich des Dritten Reiches mit anderen Perioden der deutschen Geschichte in Hinblick auf Kontinuität und radikalen Bruch verbunden war. Die »Normalisierung«, die Ernst Nolte vorschlug, traf gewissermaßen mit der »geistig-moralischen Wende« der Christdemokratie zusammen, während die »Normalisierung« von Hans Mommsen und Martin Broszat der »Sonderwegsthese« sozialdemokratischer Provenienz entsprach.

518 Hans Mommsen, Stehen wir vor einer neuen Polarisierung des Geschichtsbildes in der Bundesrepublik Deutschland?, a.a.O.. 519 Martin Broszat war einer der wichtigsten Urheber und Vertreter für die die »Historisierung« der Zeit des Nationalsozialismus. Zur Zeit des Historikerstreits geführte eine historiographische Auseinandersetzung darum zwischen Martin Broszat und Saul Friedländer. Vgl. Martin Broszat, Plädoyer für eine Historisierung des Nationalsozialismus, in: Merkur 39 (1985), S.373-385; ders., Was heißt Historisierung des Nationalsozialismus?, in: HZ 274 (1988), S.1-14; ders./Saul Friedländer, Um die »Historisierung des Nationalsozialismus«. Ein Briefwechsel, in: VfZ 36 (1988), S.339-372; Saul Friedländer, Überlegungen zur Historisierung des Nationalsozialismus, in: Dan Diner (Hrsg.), Ist der Nationalsozialismus Geschichte? Zu Historisierung und Historikerstreit, Frankfurt a.M. 1987, S.34-50; ders., Martin Borszat und die Historisierung des Nationalsozialismus, in: Klaus-Dietmar Henke/Claudio Natoli (Hrsg.), Mit dem Pathos der Nüchtenheit. Martin Broszat, das Institut für Zeitgeschichte und die Erforschung des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M./New York 1991, S.155-171. 189

Am 6. Juni 1986 begannen die Frankfurter Römerberggespräche zum Thema »Politische Kultur – heute?«. Michael Stürmer griff in seinem Vortrag die antifaschistische Orientierung des sozialdemokratischen Geschichtsbilds heftig an.520 Am selben Tag veröffentlichte Ernst Nolte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den umstrittenen Beitrag »Vergangenheit, die nicht vergehen will«, den er für diese Römerberggespräche geschrieben, aber dort nicht gehalten hatte. 521 Im Hinblick auf die NS-Geschichte wollte Nolte »diesem Nichtvergehen der Vergangenheit« entgegentreten und »einen ›Schlussstrich‹ gezogen wissen«; er vertrat die Position, dass »die deutsche Vergangenheit sich nicht mehr grundsätzlich von anderen Vergangenheiten« unterscheide.522 Unter dem Einfluss von Jürgen Habermas’ Aufsatz »Eine Art Schadensabwicklung«523, der auf Ernst Nolte, Michael Stürmer, Andreas Hillgruber und Klaus Hildebrand gerichtet war und sich als »Kampfansage«524 gegen den Neokonservatismus verstand, konzentrierte sich die sozialdemokratische Kritik ganz schnell auf die Art und Weise, wie die Regierung Helmut Kohls die Vergangenheitsbewältigung betrieb und identifizierte die Thesen der Historikergruppe um Ernst Nolte mit dieser Geschichtspolitik. Sozialdemokraten glaubten einfach daran, dass es einen heimlichen Zusammenhang zwischen dem wissenschaftlichen Standpunkt dieser konservativen Historiker und der politischen Intention der christlich-liberalen Regierung gäbe. Neben sozialdemokratischen Historikern wie z.B. Hans Mommsen, Jürgen Kocka, Heinrich August Winkler und Eberhard Jäckel übten auch viele andere Sozialdemokraten heftige Kritik an den neokonservativen Historikern. Susanne Miller, die damalige Vorsitzende der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand, machte Ernst Nolte zum Exempel einer ganzen Denkrichtung in der deutschen Geschichtswissenschaft. 525 Die SPD-Bundestagsabgeordnete Renate Lepsius warnte in der Debatte um Kulturpolitik des Bundestages am 4. Dezember 1986 vor einer neuen Situation in der Bundesrepublik: »Seit Bitburg werden Täter und Opfer auf eine Ebene gestellt. Heute kann gefragt werden, war Auschwitz keine deutsche, sondern eine ›asiatische‹ Tat? [...] Seit Hillgrubers Buch über ›Zweierlei Untergang‹ können der 20. Juli 1944 als eine bloß ›gesinnungsethische‹ Tat relativiert, aber militärische Aktionen der deutschen

520 Michael Stürmer, Weder verdrängen noch bewältigen. Geschichte und Gegenwartsbewusstsein der Deutschen, in: Schweizer Monatshefte (1986), S.689-694, hier S.690. 521 Dass dieser Beitrag bei der Frankfurter Römerberggespräche verboten war, wurde von ihren Organisatoren geleugnet. 522 Ernst Nolte, Vergangenheit, die nicht vergehen will, a.a.O.. 523 Jürgen Habermas, Eine Art Schadensabwicklung, a.a.O.. 524 Karl-Heinz Janßen, Kampfansage, in: Die Zeit, 11.07.1986. 525 Susanne Miller, »Wende«-Zeichen auf dem Gebiet der Geschichte, a.a.O., S.836. 190

Wehrmacht im Osten als verantwortungsethisch verklärt werden.«526 Weitergehend kritisierte sie führende Politiker und rechte Intellektuelle:

»Sie haben den demokratischen Nachkriegskonsensus, der antifaschistisch begründet war, aufgekündigt. [...] Ich halte die Vorstellung für unverantwortlich, man müsse die deutsche Geschichte wieder in Ordnung bringen und müsse eine künstlich konstruierte, ja ausgewählte Geschichte anbieten, die Verbrechen des Nationalsozialismus und die Ausrottung des europäischen Judentums relativieren, um damit der Bundesrepublik eine neue nationale Identität zu geben.«527

Ihr Parteigenosse Freimut Duve beklagte auch in dieser Sitzung, im Historikerstreit werde eine Neigung zur Beendigung der Vergangenheitsbewältigung sichtbar. Als Motiv von Joachim Fest und Ernst Nolte vermutete er einen »erbärmlichen Neid gegenüber der angeblichen Normalität anderer Nationen«.528 »Was die Herren Nolte und Fest da geritten haben«, so Duve, »kann ich nur mit Mangel an historischer Selbstgewissheit erklären«.529 Am 8. Oktober 1986 veranstaltete die SPD in Bonn das Forum »Erziehung – Aufklärung – Restauration«. Ernst Nolte war von Peter Glotz zu einer Diskussion über seine Thesen eingeladen worden. Zu den Teilnehmern zählten ausschließlich sozialdemokratische Intellektuelle wie Helga Grebing, Susanne Miller, Tilman Fichter, Ludwig von Friedeburg und Peter von Oertzen. Der Geschichtsphilosoph stieß mit seinen Ausführungen auf einhellige Ablehnung.530 Aber dies schien den Sozialdemokraten noch nicht genug. Bei dem Forum »Erben deutscher Geschichte« der Historischen Kommission Mitte März 1987 in Bonn beklagte der SPD-Parteivorsitzende Willy Brandt einen »Mangel an einem breiteren öffentlichen Interesse« am Historikerstreit, weil »vielen nicht bewusst wurde, um wie – gerade aus sozialdemokratischer Sicht – vitale Fragen es sich handelt«.531 Er verkündete dann die SPD-Linie bei der Vergangenheitsbewältigung:

526 Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages, 10. Wahlperiode, Nr. 253, S.19670. 527 Ebd., S.19670. 528 Ebd., S.19651. 529 Ebd., S.19651. 530 Hier sollte darauf hingewiesen, dass es keine Veröfffentlichung über diese Veranstaltung seitens der SPD gibt. Die Zusammenfassung von Ernst Nolte über seine Äußerungen darin siehe: Ernst Nolte, SPD-Forum »Erziehung – Aufklärung – Restauration« am 8. Oktober 1986, in: ders., Das Vergehen der Vergangenheit. Antwort an meine Kritiker im sogenannten Historikerstreit, S.68-78. Ein Bericht darüber in Massenmedien siehe: Martin Süskind, Zwischen Empörung und Resignation. Auf einem SPD-Forum ist der Historiker Ernst Nolte erneut in das Kreuzfeuer der Kritik geraten, in: Süddeutsche Zeitung, 12.10.1986. 531 Willy Brandt, Die SPD in der deutschen Geschichte, in: Susanne Miller/Malte Ristau (Hrsg.), Erben deutscher Geschichte. DDR-BRD: Protokolle einer historischen Begegnung, Hamburg 1988, S.13-24, hier S.23. 191

»[Es] sollte nicht verwischt werden dürfen, dass die »deutsche Trägodie« nicht am verlorenen, sondern am systematisch vorbereiteten und gewissenlos begonnenen Zweiten Weltkrieg festzumachen ist. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass von (nationaler) Identität gesprochen wird, während eine (in der Wirkung: nebulös-reaktionäre) Kontinuität gemeint ist. [...] Ganz und gar gegen Vernunft und Moral wäre es, die historische Verantwortung für den Mord am Millionen Menschen jüdischer Herkunft herabzustufen oder verwischen zu lassen. Die spezifische Einmaligkeit der nazistischen Verbrechen lässt sich, durch welche Vergleiche auch immer, nicht aus der Welt reden.«532

Anfang Sommer 1987 begann die bundesrepublikanische Historikerschaft sich zu beruhigen. Der Historikerstreit trat aus der Phase der Spannung in die der Historisierung ein. Aber für die Sozialdemokraten war diese Kontroverse noch nicht Vergangenheit, denn ihr Kampf gegen den Neokonservativismus ging weiter. Das Kulturforum der SPD organisierte im Dezember 1987 den Kongress »Zukunft der Aufklärung«, zu dem dreißig Wissenschaftler, darunter an erster Stelle Jürgen Habermas, aufgerufen hatten, um die Äußerungen der angegriffenen Historiker in Erinnerung zu rufen. 533 Daran nahmen über 400 Intellektuelle, die fast ausnahmslos sozialdemokratisch oder grünalternativ orientiert waren, teil. Jürgen Kocka hielt hier einen Vortrag über die Frage, ob Geschichte als Stifterin von Identität funktionieren könne.534 , die damalige Bundesgeschäftsführerin der SPD, wertete die Tagung als Signal: »Die intellektuelle Linke der Bundesrepublik rückt zusammen und geht in die Offensive gegen die bröckelnde Meinungsführerschaft des Neokonservatismus.« Sie könne sich sicher sein, »dass die Sozialdemokratie als große politische Kraft die Substanz ihrer Forderungen unterstützen« werde. Und damit komme die Bundesrepublik in eine Phase, in der »die Sprachlosigkeit der Linken überwunden« werde.535 Die aktive Beteiligung der SPD am Historikerstreit war Teil ihres Engagements für die Beschäftigung mit Geschichte und Geschichtsbewusstsein. Susanne Miller nannte die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit »einen wichtigen Beitrag zur politischen und sozialen Orientierung der Staatsbürger in der Gegenwart und zur Gewinnung von Perspektiven für die

532 Ebd., S.23f. 533 Vgl. Jörn Rüsen/Eberhard Lämmert/Peter Glotz (Hrsg.), Die Zukunft der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1988; Matthias Greffrath, Ein behutsamer Marschbefehl. Kongress »Zukunft der Aufklärung«, in: Die Zeit, 18.12.1987; Frank Schirrmacher, Allzu klar? »Zukunft der Aufklärung«, in: FAZ, 15.12.1987. 534 Jürgen Kocka, Geschichte als Aufklärung?, in: Jörn Rüsen/Eberhard Lämmert/Peter Glotz (Hrsg.), Die Zukunft der Aufklärung, a.a.O., S.91-98. 535 Anke Fuchs, Die SPD begrüßt den neuen Schwung der linken Intelligenz, in: Service der SPD für Presse, Funk, TV vom 14.12.1987. 192

Zukunft«.536 »Ohne die Kenntnis der Geschichte und ihre kritische, vorurteilslose, wenn auch nicht unparteiische Interpretation«, so Peter von Oertzen, »wird man sich im politischen Handeln auch wieder verlaufen, weil man wesentliche Bestandteile der gegenwärtigen Situation, nämlich ihre geschichtlichen Bestandteile, verkennt«. 537 In diesem Sinne erklärte Freimut Duve im »H istorikerstreit«, die Frage, wie Demokraten mit Geschichte umgingen, spiele für die politischen Zentralfragen eine Rolle. 538 Aus diesen Gründen bestand das Ziel von Sozialdemokraten während des Historikerstreits vor allem in der Verteidigung der politisch- kulturellen Hegemonie gegen Neokonservative. Die meisten linksdemokratischen Teilnehmer und Beobachter sahen den »Historikerstreit« als eine politische Auseinandersetzung, als einen Kampf um die kulturelle Hegemonie an. Deshalb fand Andreas Hillgruber, dass Jürgen Habermas »sich der SPD für den Wahlkampf [habe] andienen wollen«.539 Unleugbar ist, dass die SPD von dieser Auseinandersetzung profitierte. Die Kräfteverhältnisse im »Historikerstreit« waren eindeutig. Die Äußerungen und Veranstaltungen auf der sozialdemokratischen Seite zeigten, dass es dem linken Lager besser gelang, seine intellektuellen Repräsentanten zu mobilisieren als ihren konservativen bzw. rechten Gegnern.

3. Vielfalt der sozialdemokratischen Historiographie

Hans Mommsen hat darauf hingewiesen, dass »innerhalb der SPD ein hinreichender Konsensus über historiographische Grundorientierungen« nicht zu finden sei.540 Man kann dies als Hinweis darauf lesen, dass der sozialdemokratische »Geschichtsdiskurs« nach dem Aufschwung der 60er und 70er Jahre eine Vielfalt von Perspektiven entwickelt hatte, von denen aus er seinen Hauptgegenstand, die deutsche Geschichte, zu erzählen und zu erklären versuchte. Dieser Pluralismus entfaltete sich in den achtziger Jahren. Als unerlässliche Grundlage der sozialdemokratischen Historiographie entwickelte sich insbesondere die Untersuchung der Arbeiterbewegung zu einem produktiven Forschungszweig weiter, der sich theoretisch und methodisch sowohl an der nun bereits etablierten Sozialgeschichte und als auch an der noch jungen Kulturgeschichte orientierte.

536 Susanne Miller, Zum Selbstverständnis der Historischen Kommission der SPD, a.a.O., hier S.14. 537 Zitat nach ebd., S.14. 538 Steffen Kailitz, Die politische Deutungskultur im Spiegel des »Historikerstreits«, a.a.O., S.85. 539 Andreas Hillgruber, Jürgen Habermas, Karl-Heinz Janßen und die Aufklärung Anno 1986, in: »Historikerstreit«, a.a.O., S.331-351, hier S.345. 540 Hans Mommsen, Sozialdemokratie und Geschichte, in: NG 29 (1982), S.578-582, hier S.580. 193

3.1 Sozialgeschichte und Parteigeschichte

In den siebziger Jahren hatte sich die Sozialgeschichte der Arbeiter Themen wie dem Arbeitsmarkt, der Entwicklung des Lohns, der soziale Schichtung und Ungleichheit sowie der Klasse und Arbeitskultur zugewandt und damit wichtige Perspektiven für die Analyse des Konfliktverhaltens von Arbeitern entwickelt. Statt der reinen Ideen-, Organisations- und Personengeschichte der Arbeiterbewegung bildete diese breite Gesellschaftsgeschichte der Arbeiter und Arbeiterbewegung auch in den achtziger Jahren die Haupttendenz der sozialdemokratischen Arbeiterhistoriographie. Die Forschungsabteilung Sozial- und Zeitgeschichte in der Friedrich-Ebert-Stiftung betreute die Schriftreihe »Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts«, die eine sozialgeschichtlich fundierte Gesamtdarstellung der Geschichte von Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung vorlegte. Im Rahmen dieser Reihe veröffentlichte Heinrich August Winkler von 1984 bis 1987 sein dreibändiges Werk Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. 541 Das Archiv für Sozialgeschichte wählte entsprechende Leitthemen für seine Jahresbände: »Ausländische Arbeitskräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt im 19. und 20. Jahrhundert« (1984), »Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit seit Beginn der Industrialisierung« (1987) sowie »Arbeitswelt und technologischer Wandel« (1988). Der Begriff »Klasse« wurde seit den 1970er Jahren wieder in der Arbeitergeschichte genutzt.542 Insgesamt nahm in den 1980er Jahren die Zahl der Publikationen zur Sozialgeschichte der deutschen Arbeiterklasse weiter zu.543 »Die Geschichte der Arbeiterbewegung, die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie«, so betonte der damaligen Vorsitzende der SPD Hans-Jochen Vogel 1988, »das ist nicht die Geschichte einer Sekte oder einer längst vergangenen alternativen Bewegung, das ist nicht ein Rinnsal am Rande der deutschen Entwicklung. Es ist ein Strom und auf nicht wenigen Gebieten der Hauptstrom der deutschen Geschichte! Ein Strom, der an Kraft nicht verloren hat.«544 Eine solche Formulierung verdeutlicht ein wesentliches Ziel der sozialdemokratischen

541 Heinrich August Winkler, Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918-1924, Berlin 1984; ders, Der Schein der Normalität. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1924 bis 1930, Berlin 1985; ders., Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930 bis 1933, Berlin 1987. 542 Vgl. Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Klassen in der europäischen Sozialgeschichte, Göttingen 1979. 543 Jürgen Kocka, Lohnarbeit und Klassenbildung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in Deutschland 1800-1875, Berlin/Bonn 1983. 544 Hans-Jochen Vogel, Ein Strom, der an Kraft nicht verloren hat, in: Susanne Miller/Malte Ristau (Hrsg.), Gesellschaftlicher Wandel, soziale Demokratie: 125 Jahre SPD, Köln 1988, S.11-25, hier S.14. 194

Geschichtsarbeit in den achtziger Jahren. Sie war darauf gerichtet, der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie in der deutschen Geschichte einen festen Platz und eine angemessene Beachtung zu verschaffen. Die Historische Kommission beim SPD-Parteivorstand hat 1984 in Bonn zum 40. Jahrestag des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 eine Sammlung von Texten und Materialien über den sozialdemokratischen Widerstand in der Nazi-Zeit vorgelegt. Darin wird darauf hingewiesen, dass es von Anbeginn der Nazi-Herrschaft Opposition gegeben habe. Sie sei im Wesentlichen von der Arbeiterbewegung getragen worden. Die Rolle der konservativen Elite in der Widerstandsbewegung werde oftmals überschätzt.545 1988 war das 125jährige Jubiläum der Sozialdemokratischen Partei. Zur Feier veranstaltete die Historische Kommission beim SPD-Parteivorstand am 3. und 4. März 1988 das Forum »Gesellschaftlicher Wandel – Soziale Demokratie – 125 Jahre SPD«, das historische Forschung und die Diskussion aktueller Politik sinnvoll miteinander verbinden sollte. Auf diesem Weg sollte die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte noch mehr zum Bestandteil der politischen Kultur in der SPD werden. In der Aufarbeitung der eigenen Nachkriegsgeschichte war die SPD inzwischen durch Einzelstudien von Michael Schneider über den Konflikt um die Notstandsgesetzte 1958 bis 1968 546 , von Tilman Fichter über die Entwicklung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes und der SPD547, von Hans-Jürgen Heß über innerparteiliche Gruppenbildung am Beispiel der Berliner SPD 1963 bis 1981 548 und von Sabine Lemke-Müller über Willi Eichlers Konzeption von sozialen Demokratie 549 ein großes Stück weitergekommen. Diese Forschungen zeigten, dass die Aufmerksamkeit der Parteigeschichte nunmehr vor allem der Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg galt.

545 Vgl. Broschüre: Die Sozialdemokratie und der 20. Juli 1944, in: AdsD, Bestand Historische Kommission 2/PVAE0000035. 546 Michael Schneider, Demokratie in Gefahr? Der Konflikt um die Notstandsgesetze: Sozialdemokratie, Gewerkschaften und intellektueller Protest (1958-1968), Bonn 1986. 547 Tilman Fichter, SDS und SPD. Parteilichkeit jenseits der Partei, Opladen 1988. 548 Hans-Jürgen Heß, Innerparteiliche Gruppenbildung. Macht- und Demokratieverlust einer politischen Partei am Beispiel der Berliner SPD in den Jahren von 1963 bis 1981, Bonn 1984. 549 Sabine Lemke-Müller, Ethischer Sozialismus und soziale Demokratie. Der politische Weg Willi Eichlers vom ISK zur SPD, Bonn 1988. 195

3.2 Auftrieb für die »Geschichte von unten«

Als die historische Sozialwissenschaft und die Alltagsgeschichte sich in den 1980er Jahren heftig innerhalb der westdeutschen akademischen Historikerschaft auseinandersetzten 550 , wurde die sozialdemokratische Geschichtsschreibung auch von der Forschungstendenz der »Geschichte von unten« tief beeinflusst. Die Untersuchungen der Alltagsgeschichte der Arbeiter und Arbeiterbewegung sowie der lokalen und regionalen Parteigeschichte, die vor allem in Geschichtswerkstätten und Ortsvereinen vorgenommen wurden, öffneten der sozialdemokratischen Historiographie eine neue Welt. Der Ansatz der Alltagsgeschichte in der Bundesrepublik verbreitete sich seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre.551 Sozialdemokraten nutzten diesen Ansatz, um die eigene Suche nach den positiven Traditionen der Arbeiter- und Freiheitsbewegungen voranzubringen. Ein wichtiger Impulsgeber war Anfang der siebziger Jahre Gustav Heinemann. Er, der 1969 bis 1974 Bundespräsident war, hatte 1973 den »Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte« ins Leben gerufen und wollte damit die Erforschung der oft vernachlässigten oder verdrängten demokratischen Tradition in der deutschen Geschichte fördern. Aus diesem Grund widmete sich dieser Geschichtswettbewerb am Anfang der 1848er Revolution und der Novemberrevolution. Seit 1977 ging es vor allem um die Geschichte des Alltags. Sein Themenspektrum reichte von den Veränderungen der Arbeitswelt und des Wohnens über Feierabend und Freizeit im Wandel bis zum Alltag im Nationalsozialismus und im Nachkriegsdeutschland. In den achtziger Jahren war ein Merkmal des wachsenden historischen Interesses der Sozialdemokraten an Alltagsgeschichte die »Hinwendung zur Lokalgeschichte«552, die sich meist auf die Erforschung der örtlichen Arbeiterbewegung konzentrierte und an der großenteils

550 Vgl. Deutscher Historikerverband (Hrsg.), Bericht über die 35. Versammlung der Historiker Deutschlands, Berlin 1984. 551 Ein wichtiger Impuls zur Entstehung der Alltagsgeschichte im deutschen Sprachraum stellt das Mitte der siebziger Jahre am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen begonnene Forschungsprojekt zur ländlichen Protoindustrialisierung dar, an dem Hans Medick und andere beteiligt waren. 1976 erschien der Aufsatz von Lutz Niethammer und Franz Brüggemeier über Wohnverhältnisse der Arbeiter im Kaiserreich. Dies waren zwei bemerkenswerte frühe Forschungsergebnisse der Alltagsgeschichte. 1977 gab Alf Lüdtke ein Heft der Zeitschrift Sozialwissenschaftliche Information für Unterricht und Studium zum Thema »Bedürfnisse, Erfahrung und Verhalten« heraus, das zum ersten Mal systematisch zusammenfasste, was die neue Orientierung auf das Alltagsgeschichte beinhaltete. Vgl. Peter Kriedte/Hans Medick/Jürgen Schlumbohn, Industrialisierung vor der Industrialisierung. Gewerbliche Warenproduktion auf dem Land der Formationsperiode des Kapitalismus, Göttingen 1977; Lutz Niethammer/Franz-Josef Brüggemeier, Wie wohnten die Arbeiter im Kaiserreich?, in: AfS 15 (1976), S.61-134; Themenheft: Bedürfnisse, Erfahrung und Verhalten, in: Sozialwissenschaftliche Informationen für Unterricht und Studium 6 (1977), S.147-196. 552 Susanne Miller, Zum Selbstverständnis der Historischen Kommission der SPD, a.a.O., S.13. 196

historisch interessierte Laien beteiligt waren, weil viele regional- bzw. lokalgeschichtlichen Themen wie die Geschichte lokaler Einrichtungen und Initiativen der SPD, das Verhalten und die Lebensumstände der Arbeiterschaft und deren Widerstand während der NS-Diktatur zu dieser Zeit noch nicht genügend untersucht wurden. Susanne Miller erinnerte sich an dem damaligen Aufschwung der »kleinen Geschichte«: »Wir hatten Glück, denn ›Geschichte von unten‹ war damals zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Deshalb hatten Institutionen, die sich mit der Geschichte der Arbeiterbewegung befassten, einfach Konjunktur, was uns zu Gute kam.«553 Diese »Arbeitergeschichte von unten«554 wurde befürwortet, um die abstrakten Thesen zur sozialen und politischen Entwicklung zu überprüfen die Akteure sich selbst mit ihrer Geschichte auseinandersetzen zu lassen. Johannes Rau wies darauf hin:

»das neu erwachte Interesse an Geschichte gilt nicht nur der ›großen‹ nationalen und internationalen Geschichte, sondern auch der Geschichte der vielen, der ›kleinen Leute‹, deren Arbeit und Alltag und Kultur früher und heute. Das ist gewiss eine in sich heterogene Geschichtsbewegung, die sich auf weit verzweigte Initiativen stützt, ob nun in Ortsvereinen, Gewerkschaftsgruppen, Kirchengemeinden, Frauen- und Jugendgruppen. Aber ich denke, diese Versuche, Geschichte gleichsam ›von unten‹ zu erforschen und zu verstehen, also aus der Sicht derer, die sie erlebt und erlitten haben, sind eine gute Sache.«555

Horst Schmidt, der damalige Sekretär der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand, unterstützte diese neue Tendenz der Geschichtsforschung:

»Das Neue an dieser ›Renaissance der Geschichte‹ (Hans-Jochen Vogel), [...] ist die stärkere Berücksichtigung der ›Geschichte von unten‹, aber auch der ›Geschichte vor Ort‹. Das bedeutet, dass die Regional-, Stadt- und Ortsgeschichte, die Erforschung der Geschichte der Partei in den Ortsvereinen und den Unterbezirken, das Endecken der Lokalgeschichte nicht von professionellen Historikern geleistet werden, sondern von sogenannten ›Laienhistorikern‹.«556

Peter von Oertzen erkannte gleichfalls die Wichtigkeit der Alltagsgeschichte für die sozialdemokratische Historiographie an:

553 Susanne Miller, So würde ich noch einmal leben, a.a.O., S.182. 554 Hans Safrian, Geschichte der Arbeiterbewegung und der Arbeiterkultur. Über Möglichkeiten, dem »schweigen der Basis« zu begegnen, in: Hubert Ch. Ehalt (Hrsg.), Geschichte von unten. Fragestellungen, Methoden und Projekte einer Geschichte des Alltag, Wien/Köln/Graz 1984, S.285-294, hier S.291. 555 Johannes Rau, Sozialdemokratie und Geschichte, a.a.O., S.22. 556 Horst Schmidt, »Heißhunger auf Geschichte«. Ortsvereine entdecken ihre Vergangenheit, in: NG 30 (1983), S.900-906, hier S.900. 197

»Es gibt [...] keinen prinzipiellen Vorrang etwa von sozialer oder politischer Geschichte, von Ideen- oder Personengeschichte, und meiner Meinung nach auch keine Maßstäbe, nach denen man beantworten könnte, welche der verschiedenen Spezialisierungen und Ausdifferenzierungen der Geschichte, der Geschichtswissenschaft und des geschichtlichen Bewusstsein unter sozialdemokratischen Verständnissen und Interessen Vorrang verdienen.«557

Aber diese sozialdemokratische Neigung zur »Geschichte von unten« stieß bei den sozialdemokratischen Sozialhistorikern auf Ablehnung. Vom Anfang an gab es Spannungen zwischen Sozialhistorikern und Alltagshistorikern. »Das Programm einer Geschichte ›von unten‹«, so der Historiker und Publizist Volker Ullrich, »richtet sich gleichermaßen gegen die traditionelle staats- und herrschaftsfixierte Politikgeschichte wie gegen die moderne Sozialgeschichtsschreibung«. 558 Bereits im Jahr 1981 warnte Hans-Ulrich Wehler vor »romantisch verklärendem Pseudorealismus«, der sich »liebevoll-borniert« in »antiquarische Details der Proletarierexistenz« vertiefe und dabei unscharf, unsystematisch »auf der Jagd nach Exzerpten« verzettelte.559 Jürgen Kocka erhob den Vorwurf, die neuen Alltagshistoriker neigten zur »nostalgischen Idyllisierung der vorindustriellen Lebenswelt« und befänden sich mehr oder weniger auf der »Flucht vor der Anstrengung des Begriffs«.560 Hans Mommsen hielt es für nötig, der Sozialgeschichte den Vorrang zu geben:

»Ich stimme mit Peter von Oertzen nicht überein, dass Sozialgeschichte, Personengeschichte und Kulturgeschichte in unserer Situation gleichsam austauschbar sind, auch wenn es methodologisch unabweislich richtig ist, dass jeder Ansatz der Geschichtsschreibung sein eigenes Recht in sich hat. Aber wenn etwa der damalige Bundespräsident Scheel in einem Gespräch, das ich nicht vergesse, die Meinung vertreten hat, dass die Entstehung des Terrorismus letzten Endes eine Folge der Mode der Sozialgeschichtsschreibung in der Bundesrepublik gewesen sei und man diese dringend abbauen müsse; und wenn in unserer Gesellschaft Vorurteile gegen Sozialgeschichte in so breitem Umgang vorhanden sind, wie das sich allenthalben nachweisen lässt, wird man den Akzent auf die Sozialgeschichte stärker setzen müssen und in diesem Falle auch parteilich sein.«561

557 Peter von Oertzen, Geschichte und politisches Bewusstsein, in: NG 29 (1982), S.571-577, hier S.573. 558 Volker Ullrich, Geschichte von unten. Die neue Bewegung zur Erforschung des Alltags, in: Journal für Geschichte 2 (1984), S.2-16, hier S.13. 559 Hans-Ulrich Wehler, Der Bauernbandit als neuer Heros, in: Die Zeit, 18.9.1981. 560 Jürgen Kocka, Klassen oder Kultur? Durchbrüche und Sackgassen in der Arbeitergeschichte, in: Merkur 36 (1982), S.955-65. 561 Hans Mommsen, Sozialdemokratie und Geschichte, a.a.O., S.581. 198

Mommsen wies weiter auf die Rolle der sozialgeschichtlichen Konzeption bei der Forschung der Lokalgeschichte hin:

»Die Impulse der sozialgeschichtlichen Forschung, die sich bemüht, die organisierte Arbeiterbewegung mit der realen Lage der Arbeiterschaft und den allgemeinen sozio-ökonomischen Bedingungen in Beziehungen zu setzen, sind gerade für lokalgeschichtliche Studien nützlich und anregend.«562

Dagegen stimmte eine andere Gruppe von Historikern, die mehr oder weniger in Verbindung mit der SPD standen, der neuen Form zu, das Forschungsinteresse der Geschichte der Arbeiter und Arbeiterbewegung auf das Thema Arbeiteralltag zu lenken. Zu ihnen gehörten vor allem die Historiker, die sich zuvor im sozial- und gesellschaftsgeschichtlichen Rahmen der Lebensgeschichte der Arbeiter widmeten. Mit seinem Begriff von der Arbeiterkultur stellte Gerhard A. Ritter dar, wie die Beschäftigung mit der Arbeiterkultur zwangsläufig zur Geschichtsschreibung des Arbeiteralltags führen konnte.563 Nach der Meinung Lutz Niethammers legte die Entwicklung der Historiographie der Arbeitergeschichte einen Weg zurück, der mit der Organisationsgeschichte der Arbeiterbewegung beginne und schließlich zur Untersuchung der Arbeiterleben und Arbeiterkultur vorstoße.564 Anders als Hans Mommsen urteilte sein Schüler Detlev Peukert 565 : »Eine Geschichte des Arbeitervereinswesens ist allein noch keine Sozialgeschichte. Dazu müsste sie die Organisationsperspektive überwinden und nach der alltäglichen Rolle der Vereine für die Freizeit von Arbeitern fragen, die Bedürfnisse darstellen, denen sie entsprechen, und die Formen, in denen sie solche alltäglichen Bedürfnisse realisieren oder kanalisieren.«566 Martin Broszat plädierte bei seiner Replik auf Kocka dafür, nicht

562 Ebd., S.580. 563 Gerhard A. Ritter definierte die »Arbeiterkultur« den »Gesamtzusammenhang einer schichtenspezifischen Lebensweise, die ihren Ausdruck nicht nur und nicht vor allem in künstlerischen Manifestationen der Arbeiterschaft und ihren Bildungsbestrebungen, sondern im sozialen und politischen Verhalten, in Wertvorstellungen und eigenen Insitutionen findet. Zur arbeiterkultur gehören daher neben den Organisationen der Arbeiterschaft, die in ihren Funktionen als kollektive Interessenvertretungen und Instrumente politischer Partizipation auch Aufgaben einer industriegellschaftlichen Sozialisation der Arbeiterschaft wahrnahmen, auch das Freizeit- und Geselligkeitsverhalten der Arbeiterschaft, ihre Wohn-, Ess- und Trinkkultur, die Gebärden und Gewohnheiten am Arbeitsplatz, das Kommunikationsverhalten der Arbeiter im Betrieb, in Nachbarschaft und Kommune, die Struktur und das Beziehungsgeflecht der Arbeiterfamilie und hier vor allem das Rollenverständnis von Mann und Frau sowie das Verhältnis der Eltern zu den Kindern und zu den sonst zur Wohngemeinschaft gehörenden Personen«. Vgl. ders., Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Arbeiterkultur, Königstein 1979, S.1. 564 Lutz Niethammer, Anmerkungen zur Alltagsgeschichte, in: Geschichtsdidaktik 5 (1980), S.231-242, hier S.237. 565 Detlev Peukert (1950-1990) promovierte 1979 bei Hans Mommsen mit der Arbeit »Die KPD im Widerstand«. Seine Forschungsschwerpunkte bestanden in der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus. Bis 1978 war er Mitglied der KPD und danach Mitglied der SPD. 566 Detlev Peukert, Arbeiteralltag – Mode oder Methode?, in: Heiko Haumann (Hrsg.), Arbeiteralltag in Stadt und Land, Neue Wege der Geschichtsschreibung, Berlin 1982, hier S.20. 199

»Alltagsgeschichte der Arbeiterbewegung in die Schranken zu weisen, sondern sie zu ermutigen und anzuregen«. Die Geschichtswissenschaft, obwohl seit 20 Jahren verstärkt dem Thema Arbeiterbewegung zugewandt, wisse noch immer viel zu »wenig darüber, wie die Ärmsten der Armen, die am meisten abhängen, wie die benachteiligten nichtorganisierten Volksmassen, kurz: wie das ganze Proletariat aussah«.567 Nicht zuletzt wies Susanne Miller dann darauf hin:

»Wie in jeder Wissenschaft gibt es auch in der Historiographie nicht nur eine Methode, die zu gültigen Ergebnissen führt. Die Vielfalt von Methoden, die auch durch die Heranziehung anderer Wissenschaftszweige hergestellt wird, kann die Geschichtsforschung bereichern und auch dazu beitragen, ihren Ergebnissen eine bereite Beachtung zu verschaffen. Einen prinzipiellen Vorrang kann keine Methode für sich beanspruchen. Offenheit gegenüber neuen Methoden ist geboten. [...] Es ist zu begrüßen, dass sich in den letzten Jahren sowohl die akademische Geschichtswissenschaft als auch die nicht von ausgebildeten Historikern betriebene Erforschung der Geschichte in einem früher nicht gekannten Maße mit den ›kleinen Leuten‹ der Vergangenheit befasst und verschüttete Emanzipationsbewegungen wiederentdeckt. Dies trägt zur Erkenntnis sozialer Entwicklung und zur Identifizierung mit demokratischen Traditionen bei.«568

Mit der Beschäftigung mit Alltagsgeschichte, Lokalgeschichte und Geschichtswerkstätten der SPD ging »seit kurzem ein kräftiger Schub für Vergangenheit durch die Partei«.569 Darin wurde Geschichtsbetrachtung als zentrales politisches Arbeitsfeld verstanden, weil ihre Forschungen sich auf die Lokalgeschichte der Partei und das Verbinden der historischen Dimensionen mit dem gegenwärtigen Alltag konzentrierten. Die neue Forschungstendenz dürfe »nicht Selbstzweck sein, keine ›in sich gekehrte Betriebsamkeit‹«570, so Horst Schmidt, sondern habe wichtige politische Bedeutung:

»Die Kenntnis der Geschichte der Organisation der Arbeiterbewegung, in denen man selber tätig ist, verstärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl mit ihnen: Man weiß sich einer langen und bedeutenden Tradition verpflichtet. […] Verfolgt man die Bemühungen und die Leistungen der Mitglieder der Arbeiterbewegung ›vor Ort‹, die meist ›kleine Leute‹ waren, dann wird man sich der Bedeutung und des Wertes ihrer Organisation bewusst.«571

567 Martin Broszat, Plädoyer für Alltagsgeschichte. Eine Replik auf Jürgen Kocka, in: ders., Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte, München 1986, S.239-244, hier S.242-244. Originale abgedruckt in: Merkur 36 (1982), S.1244-1248. 568 Susanne Miller, Zum Selbstverständnis der Historischen Kommission der SPD, a.a.O., S.14f. 569 Zitat von Horst Schmidt, in: »Ein kräftiger Schub für die Vergangenheit«. Spiegel-Report über die neue Geschichtsbewegung in der Bundesrepublik, in: Spiegel 23 (1983), S.36-42, hier S.40. 570 Horst Schmidt, »Heißhunger auf Geschichte«, a.a.O., S.904. 571 Ebd., S.901f. 200

Wegen des außeruniversitären Engagements dieser neuen Geschichtsbewegung wurde die Beschäftigung der SPD mit »Geschichte von unten« vor allem von sozialdemokratischen Mitgliedern, die keineswegs professionelle Historiker waren, getragen. Im April 1986 fand die Tagung »Spuren im Alltag suchen – Geschichte in der politischen Praxis« von der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand in Oldenburg statt, denn die »SPD als lebendige, kreative Partei« mochte »sich kritisch mit ihrer Geschichte« beschäftigen und »sich den neuen Bedürfnissen ›an Geschichte‹« stellen.572 Danach publizierte die Kommission einen Leitfaden für die lokale oder regionale (Partei-)Geschichtsforschung. 573 Beides gehörte zur parteilichen Unterstützung von oben. Die zweite Hälfte der achtziger Jahre war die kurze Blütezeit der Geschichtswerkstätten-Bewegung der SPD. Es ist aber schwierig, die genaue Anzahl der der SPD nahestehenden Geschichtswerkstätten und der daran beteiligten SPD-Ortsvereine zu erfassen. Typische Themen der sozialdemokratischen Bemühungen um Lokalgeschichte reichten von der Geschichte der NS-Zeit über die Frauenbewegung bis hin zur Stadtgeschichte. Einige Beispiele sollen dies illustrieren. Der Ortsverein Norden und die Jusos im Bezirk Weser-Ems organisierten z.B. 1985 aus Anlass des 40. Jahrestages des 8. Mai 1945 eine Ausstellung über Sozialdemokraten und Gewerkschaftler unterm Hakenkreuz. In demselben Bezirk fand dank der Zusammenarbeit der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen der SPD und des Ortsvereins Delmenhorst-Ost eine Ausstellung statt, die vor allem die Veränderung der Stadt Delmenhorst im 19. und 20. Jahrhundert aufzeigte. Die Sozialdemokraten des Ortsvereins Fischbek in Hamburg untersuchten in mehreren Jahren die Geschichte des Frauenaußenlagers Neugraben des KZ Neuengamme. In einer Ausstellung zeigten die Karlsruher Sozialdemokraten den Widerstand der SPD und der Gewerkschaften von 1933 bis 1945. Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen im Ortsverein Kronberg des Bezirks Hessen-Süd arbeitete im Rahmen eines großen Ausstellungsprojektes die Frauenbewegung von 1865 bis 1935 auf. Anlässlich der 700. Jahrfeier der Stadt Brühl beschäftigten sich die SPD-Mitglieder mit der Geschichte der Brühler SPD.574 Mit Hilfe der zahlreichen Ausstellungen, die als wichtigste Repräsentationsform der Forschungsergebnisse galten, zeigten die lokalen Geschichtsarbeitskreise nicht nur den SPD- Mitgliedern, sondern auch der Öffentlichkeit die eigene Geschichte.

572 AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000058. 573 Historische Kommission beim SPD-Parteivorstand (Hrsg.), Historische Spurensuche in der politischen Praxis: Leitfaden, Bonn 1986. 574 Vgl. ebd., S.83-90. 201

4. Stabilität und Umwandlung der Netzwerke zwischen SPD und Historikerschaft

Die Kommunikationsnetzwerke zwischen SPD und Historikerschaft in der Bundesrepublik waren während der achtziger Jahre mit dem damaligen politischen und wissenschaftlichen Klima ganz eng verbunden und stellten sich unterschiedlicher als vorher dar. Erstens wuchsen diese Netzwerke sowohl auf der organisatorischen Ebene als auch auf der personenbezogenen Ebene weiter. Zweitens wurden sie durch die Kooperation zwischen der sozialdemokratischen Partei und den sozialdemokratischen Historikern in ihrer Defensive angesichts der neokonservative geschichtspolitische Herausforderung befestigt. Der personelle Kern der Verflechtung zwischen Sozialdemokratie und Geschichtswissenschaft trat nun besonders deutlich hervor. Gleichzeitig lässt sich drittens beobachten, dass Historiker, sich angesichts der sozialdemokratischen Stellungnahmen in diesen historisch-öffentlichen Auseinandersetzungen ausdrücklich von diesen Netzwerken entfernten.

4.1 Die Historische Kommission als neuer Kommunikationsraum

Im Frühjahr 1982 wurde die Historische Kommission (HiKo) vom Parteivorstand der SPD ins Leben gerufen. Die Kommissionsmitglieder und der Vorsitzende der Kommission wurden – wie in den anderen Kommissionen beim Parteivorstand – vom Parteivorstand ernannt. Die Kommission hatte insgesamt zwölf Mitglieder. Auf Wunsch des Kommissionsvorsitzenden wurden zu den Arbeiten und Sitzungen der Kommission regelmäßig Berater hinzugezogen, die vom Vorsitzenden vorgeschlagen wurden und deren Anzahl zwischen neun bis sechzehn Personen schwankte. Bei Neuwahlen der Kommission, die alle zwei Jahre nach der Wahl des Parteivorstandes durch den Parteitag erfolgten, wurden die Vorschläge des Vorsitzenden berücksichtigt. Das Arbeitsprogramm der Kommission wurde zum Teil vom Vorsitzenden selbst bestimmt, zum Teil ergab es sich aus Aufträgen, die diese Kommission vom Parteivorstand erhielt. Die Mitglieder und Berater der Kommission waren großenteils ausgebildete Historiker, die in Hochschulen, in Forschungsinstituten oder in der politischen Bildung als Bildungssekretäre der SPD wirkten. Der Sekretär der Kommission Horst Schmidt, der Referent für Schulung und Bildung beim Parteivorstand war, hatte in seinem Brief vom August 1982 an den sozialdemokratischen Politiker Erdmann Linde, die Gründe und Ziele dieser Kommission folgendermaßen erklärt: »In der Praxis geht es uns nicht darum, wissenschaftliche Forschung zu

202

betreiben, sondern in der Partei vorhandene Aktivitäten zu fördern und anzuregen. Wir wollen Tatsachen und Zusammenhänge der Parteigeschichte vermitteln, thematische Felder angeben und didaktische Hilfestellungen und Erfahrungen zur praktischen Umsetzung anbieten.«575 In diesem Sinne hatte diese Kommission anders als die Forschungsabteilung Sozial- und Zeitgeschichte der Friedrich-Ebert-Stiftung, das Archiv der sozialen Demokratie und das Institut für Sozialgeschichte Braunschweig-Bonn, die sich trotz ihrer sozialdemokratischen Bindung als Organisationen wissenschaftlicher Geschichtsforschung etablierten, das Ziel, eine unmittelbare Verbindung zwischen der Partei und den Fachhistorikern herzustellen. Durch ihren engen Kontakt mit sozialdemokratischen Historikern wirkte die HiKo von 1983 bis 1989 als Kommunikationsraum sehr stark auf die Entwicklung der personellen Netzwerke zwischen SPD und professionellen Historikern ein. Beide Seiten waren durch das Engagement in der HiKo eng miteinander verbunden. Die Kommission leistete damit insbesondere einen Beitrag zur Stabilität dieser Netzwerke. Vor allem manifestierte sich die Funktion der HiKo für die Kommunikation zwischen Sozialdemokratie und Geschichtswissenschaft darin, ein neues Netzwerk zwischen ihren Mitgliedern und Beratern herzustellen. Am 5. Februar 1982 trafen zum ersten Mal die zwölf Mitglieder und elf Berater der Kommission zusammen. Ihre erste Vorsitzende wurde Susanne Miller, die vom Anfang an als wichtiger Akteur im Rahmen dieser Kommission fungierte. Sie hatte bis September 1989 den Vorsitz der HiKo inne und trug erheblich dazu bei, ihre Reichweite in der Historikerschaft zu vergrößern. Neben drei Mitgliedern aus dem Parteivorstand – , Peter von Oertzen und Hans-Jochen Vogel – gehörten zu ihren weiteren Mitgliedern Fachhistoriker im Sinne der »Zunft« an: Helga Grebing, Hans Mommsen, Heinrich August Winkler, Klaus Schönhoven, Kurt Klotzbach, Dieter Dowe und Ulrich Borsdorf576. Die Historiker Heinrich Potthoff, Klaus Tenfelde und Gerhard Beier nahmen daran als Berater teil. 577 Mit Ausnahme von Heinrich August Winkler, der seit Mai 1983 wegen Arbeitsüberlastung nicht mehr als Mitglied in der HiKo aktiv war578, wirkten die anderen Historiker, die zur primären Zusammensetzung zählten, meistens bis 1989 in der Kommission mit. Bernd Faulenbach,

575 AdsD, Bestand Historische Kommission 2/PVAE0000013. 576 Ulrich Borsdorf (1944) ist ein Historiker mit Schwerpunkt Sozial- und Gesellschaftsgeschichte und Geschichte der Gewerkschaften, insbesondere die Geschichte im Ruhgebiet. Von 1986 bis 2007 war er Direktor des Ruhrlandmuseums in Essen. Von 2008 bis 2011 war er Direktor des Ruhr Museums in Essen. 577 AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000006. 578 Vgl Brief von Heinrich August Winkler an Susanne Miller vom 17.5.1983, in: AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000015. 203

Reinhard Rürup, Hartmut Soell, Hermann Weber, Irmgard Wilharm579 und Heide Wunder580 wurden in den nächsten Jahren in die HiKo gewählt. Ihre Beteiligung reicherte das Netzwerk zwischen HiKo und Historikerschaft an. Ein weiteres Indiz für die zentrale Stelle der HiKo in den Kommunikationsnetzwerken in den achtziger Jahren ist in ihren historischen Veranstaltungen zu finden. Da die Veranstaltungen den Rahmen und die Bedeutung reiner Parteiveranstaltungen überstiegen, trugen sie zur Kommunikation zwischen Partei und Geschichtswissenschaft bei. Zur Tagung »Geschichte in der demokratischen Gesellschaft« 1985 kamen fast 400 Teilnehmer. Neben der Organisatorin Susanne Miller traten die Historiker Hans Mommsen, Helga Grebing, Rudolf von Thadden, Hermann Weber, Reinhard Rürup, Peter Steinbach581 und Lutz Niethammer als Referentinnen und Referenten auf. Außerdem nahm Christian Meier auch als Referent daran teil, der nun Lehrstuhlinhaber für »Alte Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte« in München und zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender des Verbandes der Historiker Deutschlands war. Die Teilnahme von Christian Meier zeigte an, dass auch Historiker, die nicht zur sozialdemokratischen Historikergruppe zählten, mit der sozialdemokratischen Partei kommunizierten. Susanne Miller erinnerte sich an der Bereitwilligkeit von Christian Meier:

»Im Laufe der Zeit lud die Historische Kommission auch viele bekannte Historiker ein, die nicht zu ihr zählten. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir Christian Meier. Er lehrt Alte Geschichte und ist durch seine Bücher über Cäsar und die Athener über Fachkreise hinaus bekannt geworden. Als ich ihn zu einem Podiumsgespräch eingeladen hatte, dachte ich, er wird womöglich beleidigt sein, weil es ihm nicht genügt, einfach nur vorn zu sitzen. Aber er war gar nicht beleidigt. Als ich ihn fragte, ob er dabei sein wolle, sagte er: ›Es ist mir eine Ehre, zum sozialdemokratischen Historikertag zu kommen.‹ Da dachte ich: Heute sagt sonst keiner mehr: ›Es ist mir eine Ehre, mit Sozialdemokraten zu diskutieren.‹ Nun muss man wissen, dass der ›Historikertag‹ das größte jährliche Ereignis unter deutschen Historikern ist. Es war also ein Ehrentitel, wenn Christian Meier vom ›sozialdemokratischen Historikertag‹ sprach, ein Zeichen dafür, dass uns Gewicht und Bedeutung beigemessen wurde, die die Geschichtsarbeit von Sozialdemokraten bis dahin nicht gefunden hatte.«582

579 Irmgard Wilharm (1940) ist ein Professor an der Universität Hannover. Seine Forschungsschwerpunkte sind Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik. 580 Heide Wunder (1939) war von 1977 bis 2004 Professorin für Sozial- und Verfassungsgeschichte der Frühen Neuzeit an die Universität Kassel. 581 Peter Steinbach (1948) befasst sich in seinen Forschungen vor allem mit der Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus und mit der vergleichenden Diktaturforschung. Er war von 1982 bis 1992 Professor für historische und theoretische Grundlagen der Politik an der Universität Passau. 582 Susanne Miller, So würde ich noch einmal leben, a.a.O., S.186. 204

Auf dieser Tagung wurden die Fragen lebhaft diskutiert, wie sozialdemokratische Perspektiven im Umgang mit Geschichte in der Schule umzusetzen und welche Ziele eine sozialdemokratische Schulpolitik für den Geschichtsunterricht verfolgen sollte. Dazu wurde eine Gruppe prominenter Geschichtsdidaktiker eingeladen, zu den Rolf Schörken, Wilhelm van Kampen 583 , Klaus Bergmann 584 , Margarete Dörr 585 , Karl-Ernst Jeismann gehörten. Außerdem standen Bernd Faulenbach, Wolfgang Schieder, Dieter Groh, Jürgen Reulecke und Winfried Schulze auf der Redner- und Referentenliste. Die HiKo hatte auch Einladung zu dieser Tagung an Jürgen Kocka, Hans-Ulrich Wehler und Jörn Rüsen geschickt. Wegen Auslandsreise oder Urlaub nahmen sie nicht daran teil.586 »Die Tagung ›Geschichte in der demokratischen Gesellschaft‹ weist [darauf] hin«, so schrieb Gerd Hardach 1985 in seinen Brief an Susanne Miller, »dass die SPD verstärkt Interesse nicht nur an der Geschichte der eigenen Partei, sondern auch an Geschichte und Geschichtswissenschaft insgesamt zeigt.«587 Im März 1987 veranstaltete die HiKo in Bonn die Tagung »Erben deutscher Geschichte – Bundesrepublik und DDR«, an der acht bekannte Historiker aus der DDR und neun profilierte Historiker aus der Bundesrepublik gemeinsam über Geschichtsinterpretation und Geschichtsbewusstsein in Ost und West, über Bismarck und die Reichsgründung sowie über Chancen und Scheitern der Weimarer Republik diskutierten. Zum ersten Mal wurde hier ein Dialog zwischen den Historikern aus der BRD und der DDR in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit geführt; zum ersten Mal schlossen sich hier Historiker aus der DDR den Kommunikationsnetzwerken zwischen Sozialdemokratie und Geschichtswissenschaft an. Zu den DDR-Historikern gehörten der durch seine Bismarck-Biographie bekanntgewordene Ernst Engelberg, der Direktor des Zentralinstituts für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften Walter Schmidt und dessen Leiter des Wissenschaftsbereichs Deutsche Geschichte 1789-1917 Gustav Seeber, der Spezialist für Widerstand und Parteiengeschichte Manfred Weißbecker, sowie die wichtigen Vertreter zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Dieter Fricke und Walter Wimmer. Die bundesrepublikanische Seite war mit Historikern vertreten, die in der

583 Wilhelm van Kampen (1934) war von 1979 bis 1983 Vorsitzender der Konferenz für Geschichtsdidaktik. Seit 1983 bis zu seiner Pensionierung war er Leiter der Abteilung Berlin-Archive und -Information in der Landesbildstelle Berlin. 584 Klaus Bergmann (1938-2002) war ein Professor für Geschichtsdidaktik an der Universität Gießen. Er war Mitherausgeber der Zeitschrift Geschichtsdidaktik. 585 Margarete Dörr (1928) ist eine Geschichtsdidaktikerin. Von den 1960er bis 1980er Jahren war sie Fachleiterin für Geschichte am Staatlichen Seminar in Heilbronn und Lehrbeauftragte für Fachdidaktik Geschichte an der Universität Stuttgart. 586 AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000058. 587 AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000044. 205

Fachöffentlichkeit sämtlich dem sozialdemokratisch bzw. sozialliberalen »Milieu« zugeordnet waren. Zu den zählten Bernd Faulenbach, Jürgen Kocka, Rudolf von Thadden, Reinhard Rürup, Helga Grebing, Dieter Langewiesche, Klaus Schönhoven, Hans Mommsen und Eberhard Kolb. Durch dieses »historische Historikertreffen«588, zu dem sich 600 Zuhörer drängten, fand die sozialdemokratische Geschichtsarbeit ein großes Echo in der gesellschaftlichen und fachwissenschaftlichen Öffentlichkeit. Im März 1988 fand das Forum »Gesellschaftlicher Wandel – Soziale Demokratie. 125 Jahre SPD« statt, um über Arbeiterbewegung, Sozialstaat, Arbeiter- und Massenkultur zu diskutieren. Das Thema dieser Tagung bestimmte die Struktur der Teilnehmer, die hauptsächlich aus Politikwissenschaftlern und sozialdemokratischen Historikern bestanden. Zu den Historikern gehörten Helga Grebing, Jürgen Kocka, Hans Mommsen, Hartmut Kaelble, Klaus Tenfelde, Irmgard Wilharm, Bernd Faulenbach und Heinrich Potthoff. Eric Hobsbawm, der berühmte englische Sozialhistoriker und Spezialist für Arbeiterbewegung, beteiligte sich auch daran. Zur Tagung »Soziale Grundlagen der parlamentarischen Demokratie – 40 Jahre Bundesrepublik« im Jahr 1989 schickte die Kommission die Einladung an Historiker, die politisch nicht nur sozialdemokratisch orientiert waren. Nicht nur Helga Grebing, Hans Mommsen, Heinrich August Winkler, Jürgen Kocka und Hans-Ulrich Wehler erhielten eine Einladung, sonder auch Arnulf Baring, Hans-Peter Schwarz, Michael Stürmer und Klaus Hildebrand.589 Mitglieder, Berater und Teilnehmer dieser Veranstaltungen bildeten die Basis und den Kern der Netzwerke zwischen HiKo und Historikerschaft. Aber in den Namenslisten der Korrespondenz sind auch andere Historiker zu finden. Sie standen zwar am Rand der Netzwerke zwischen HiKo und Historikerschaft, aber ihre Kontakte mit der Kommission machen deutlich, dass diese Netzwerke nicht auf eine bestimmte Historikergruppe begrenzt waren. Alf Lüdtke und Horst Schmidt, der Sekretär der Kommission, korrespondierten beispielsweise miteinander über die Alltagsgeschichte und die Geschichtswerkstätten. 590 Mit der HiKo standen ebenfalls der Historiker, Geschichtsdidaktiker und Teilnehmer der deutschen-polnischen Schulbuchgesprächen Paul Leidinger, der Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte in München Hartmut Mehringer

588 Karl-Heinz Janßen, Im Schatten der Vergangenheit. Die SPD brachte DDR-Historiker mit ihren westdeutschen Kollegen an einen Tisch, in: Die Zeit, 20.3.1987. 589 AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000067. 590 AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000014. 206

und der Wissenschaftler des Militärgeschichtlichen Forschungsamts in Freiburg Hans-Erich Volkmann im Briefwechsel.591 Obwohl die Historische Kommission seit ihrer Gründung ihre eigenen Kommunikationsnetzwerke knüpfte und durch ihre öffentlichen Veranstaltungen und Publikationen vielen Historikern nicht fremd war, war ihr Wirkungsbereich trotzdem begrenzt. Gerd Hardach, Historiker aus Marburg, schrieb 1985 an Susanne Miller: »Gestern habe ich zufällig mit meinem Kollegen Hans Karl Rupp über die Tagung ›Geschichte in der demokratischen Gesellschaft‹ gesprochen. Er hatte zu meiner Überraschung weder von der Tagung noch überhaupt von der Existenz einer Historischen Kommission der SPD etwas gehört. Es scheint, dass die Kommission und die Tagung bei den sozialdemokratischen Kollegen nicht ganz so bekannt sind, wie sie eigentlich sein sollten.«592 Es war unvermeidbar, dass die Kommission als eine Einrichtung des Parteivorstandes bevorzugt in Kontakt mit solchen Historikern stand, die über große oder mindestens gewisse Reputation in der historischen Zunft bzw. in der politischen Öffentlichkeit verfügten oder politisch für die Sozialdemokratie aktiv waren. Sozialdemokratische Historiker, die sich nicht im Zentrum des Fachs befanden oder in der Parteiöffentlichkeit bekannt waren, wurden von der HiKo nicht gezielt adressiert, auch wenn die Kommission im Zuge ihrer Entwicklung immer mehr offener für die Historikerschaft wurde. Kann die HiKo als ein Raum gelten, der die Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft in diesem Zeitraum mit Leben füllte und intensivierte, so dürfen jedoch auch die Spannungen in den Beziehungen zwischen Historikern und sozialdemokratischen Politikern in dieser Zeit nicht unterschätzt werden. Klaus Suchanek, ein sozialdemokratischer Politiker, schrieb nach einer Sitzung der HiKo im Dezember 1984 an Susanne Miller über die Funktion der Historischen Kommission für die Partei: Das Verständnis der Kommission zu ihrer Arbeit dürfe »nicht dahin gehen, sich losgelöst von politischen Konstellationen wissenschaftlich interessanten Fragestellungen zu widmen«. Von einer solchen Kommission müsse »auch der Einbezug politologischer Arbeitsweisen gefordert werden können. Positiv definiert bestünde die Funktion mithin dahin, der Partei, ausgehend von der konkreten politischen Situation, Hinweise zu einem sinnvollen Vorgehen in Bereichen zu geben, die die Berücksichtigung historischer Aspekte und deren Einbezug erfordert«. 593 »Mir und anderen läge sehr daran«, so schrieb Walter Buder gleichfalls an Susanne Miller nach der Tagung »Geschichte in der demokratischen Gesellschaft«,

591 AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000044, 2/PVAE0000045. 592 AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000044. 593 AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000045. 207

»dass der historisch-politische Aspekt stärker in die Parteiarbeit miteinbezogen würde«.594 Aber je mehr akademische Historiker über einen beständigen Platz innerhalb der Historischen Kommission verfügten, desto weniger parteipolitische Orientierung hatte die Kommission. Die Partei setzte die Ziele der Kommission. Aber ob sie tatsächlich erreicht wurden, dies hing letztlich von der konkreten Kommunikation zwischen der Kommission und der Historikerschaft ab und dort bestimmte vor allem die Historikerseite Themen und Inhalte. Eine der Erwartungen der Partei am Anfang der Gründung der HiKo, die darauf ausging, Geschichtsbewusstsein der Partei durch den Kontakt mit professionellen Historikern in der »Zunft« zu pflegen, ging in der Folgezeit durch die organisatorischen Aktivitäten der Kommission und das Engagement der sozialdemokratischen bzw. linksliberalen Historiker in großem Maße in Erfüllung. Dennoch gab es auch Beschäftigungen, die kein erwartetes Ergebnis fanden. Beispielsweise fand die Arbeit der Kommission über Geschichtsunterricht an Schulen kein großes Echo bei den Geschichtslehrern, weil deren sozialdemokratische Orientierung aufgrund der heftige Kritik erweckenden Schulreform in den siebziger Jahren keine Reputation innerhalb der Fachhistorie hatte. Die vielfältige Reaktion der Historiker auf die unterschiedlichen Aktivitäten der Kommission wies darauf hin, dass die Unterstützung der Historiker den Grund zur Funktion der HiKo für die Partei legte.

4.2 Kräftigung, Veränderung und Grenze

»Gerade als der Stern der Sozialdemokratie wieder zu sinken begann«, so schrieb Alfred Georg Frei 1988, »sollte die Beschäftigung mit der Geschichte Kraft für die aktuellen Auseinandersetzungen bringen«. 595 In den 1980er Jahren stand der sozialdemokratische Geschichtsdiskurs deutlich unter dem neokonservativen Angriff, der im Zeitraum der Nachkriegszeit über drei Jahrzehnten nie so heftig war. Hans Mommsen hielt es deswegen nicht nur für legitim, sondern für notwendig, dass »die SPD sich vermehrt über ihren historisch- politischen Standort Rechenschaft zu geben bemüht ist und der Bedeutung des historischen Bewusstseins für die politische Willensbildung größeres Gewicht beimisst«. 596 Die Sozialdemokraten und die sozialdemokratischen bzw. linksliberalen Historiker verbanden sich deswegen vor diesem Hintergrund immer enger miteinander. Auf Grund ihrer Aktivitäten auf den

594 AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000044. 595 Alfred Georg Frei, Geschichte aus den »Graswurzeln«? Geschichtswerkstätten in der historischen Kulturarbeit, in: APuZ 2 (1988), S.35-46, hier S.40. 596 Hans Mommsen, Sozialdemokratie und Geschichte, a.a.O., S.578. 208

Veranstaltungen der SPD zu geschichtswissenschaftlichen oder geschichtspolitischen Themen bildeten vor allem Hans Mommsen, Jürgen Kocka, Helga Grebing, Bernd Faulenbach, Klaus Tenfelde, Klaus Schönhoven, Reinhard Rürup, Hermann Weber und Rudolf von Thadden eine Gruppe, die sich im Kern der Kommunikationsnetzwerke zwischen SPD und Historikerschaft befand. Heinrich August Winkler, Hans-Ulrich Wehler und Eberhard Jäckel standen auch im Zentrum der Verflechtungen, hatten aber im Vergleich zu der ersten Gruppe relativ wenige Möglichkeiten, mit der Partei direkt zu kommunizieren. Hartmut Soell, der sich in den achtziger Jahren ziemlich aktiv im Bundestag als SPD-Politiker engagierte, war inzwischen auch mit seiner Tätigkeit bei der Historischen Kommission und seiner Teilnahme an den Veranstaltungen der Partei an diesem intensivierten Netzwerk zwischen der Partei und dem Fachbereich beteiligt. Aber bemerkenswert ist, dass er in seinem Engagement für die Kommunikation zwischen Sozialdemokratie und Geschichtswissenschaft immer noch den Schwerpunkt mehr auf die politische Sphäre legte als auf den Umgang der Partei mit der Geschichte. Sein Engagement spielte deswegen keine entscheidende Rolle beim Netzwerk auf der geschichtspolitischen Ebene, sondern zeigte dessen Vergrößerung und Verstärkung an. In diesem Sinne verfügte Hartmut Soell im Vergleich zu seinen sozialdemokratischen Kollegen im Fach Geschichte immer wieder über einen besonderen Charakter bei der untersuchten Kommunikation. Diese Verstärkung der Kommunikationsbeziehungen spiegelte sich nicht nur auf der politischen Ebene, sondern auch auf der historiographischen Ebene wider. Das Netzwerk des Archivs für Sozialgeschichte, das sich aus den Mitarbeitern des Aufsatzteils und Rezensionsteils zusammensetzt, umfasste eine große Gruppe von Historikern, die hohes Ansehen im Fach Geschichte genossen. Helga Grebing, Adelheid von Saldern, Klaus Tenfelde und Gerald D. Feldmann veröffentlichten zum einen Beiträge für die Jahrgangsleitthemen, und zum anderen viele Rezensionen für dieses Archiv. Zu den besonders produktiven Rezensentinnen und Rezensenten zählten auch die langjährig der SPD zugehörenden oder ihr nahestehenden Historiker wie Susanne Miller, Beatrix W. Bouvier, Dieter Langewiesche, Heinrich August Winkler, Jürgen Kocka, Bernd Faulenbach, Klaus Schönhoven, Eberhard Kolb und Hartmut Kaelble. Ute Frevert (Jahrgang 1954), die zur zweiten Generation der »Bielefelder Schule« gehörte, schrieb von 1983 bis 1989 gleichfalls eine Vielzahl von Rezensionen. Außerdem standen bekannte deutsche und ausländische Historiker wie Gerhard A. Ritter, Wolfgang J. Mommsen, Fritz Fischer, Walter Grab und Richard J. Evans auf der Namenliste der Mitarbeiter des Rezensionsteils. Dieses hohe wissenschaftliche Niveau der Mitarbeiter, insbesondere der

209

Rezensentengruppe, basierte auf der Akademisierung dieses Jahrbuchs in den siebziger Jahren und belegte die breite Anerkennung durch die Fachcommunity in den achtziger Jahren. Das AfS war nun zu einer der wichtigsten deutschsprachigen Fachzeitschrift im Bereich der Neueren und Neuesten Geschichte aufgerückt. Während der Kräftigung des Netzwerks zwischen SPD und Historikerschaft lässt sich in der Entwicklung des Netzwerks um den Kreis der Aufsatz-Autoren beim Archiv für Sozialgeschichte ein Wandel feststellen, der von 1983 bis 1989 drei Tendenzen beinhaltete. Erstens wurde die Struktur der Zusammensetzung der Netzwerksakteure beweglicher. In diesem Zeitraum wurden insgesamt 73 Aufsätze von 77 Historikern veröffentlicht. Im Vergleich zur Phase von 1961 bis 1968 und von 1969 bis 1982 reduzierte sich inzwischen deutlich die Zahl der Autoren, die für das Archiv produktiv schrieben. Nur drei Historiker, und zwar Gerald D. Feldman aus California, der seit Ende der siebziger Jahre mit der Redaktion in Verbindung stand, Arno Herzig aus Hamburg, dessen Forschungsschwerpunkte zum Beispiel in der deutsch-jüdischen Geschichte und Reformationsgeschichte in der Frühen Neuzeit bestanden, und Dieter Rebentisch, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte in der FES, hatten in diesem Jahren jeweils zwei Aufsätze beim AfS veröffentlicht. Im Vergleich dazu gab es in den Jahren von 1969 bis 1968 17 Historiker und von 1969 bis 1982 13 Historiker, die mindestens zwei Beiträge in diesem Jahrbuch publizierten. Andere Autoren veröffentlichten nur einmal im Jahrbuch. Die der SPD nahestehenden Institutionen wie die Friedrich-Ebert-Stiftung und das Institut für Sozialgeschichte in Braunschweig-Bonn stellten nicht mehr den Großteil der Autoren. Zu ihnen gehörten nur drei Personen: Dieter Rebentisch, der Leiter des Trierer Karl-Marx-Hauses Hans Pelger und die Stipendiatin der FES Anneliese Kreitmeier. Hauptsächliche Akteure kamen von den Universitäten in Berlin, Göttingen, Bielefeld, München, Trier, Hannover, Gießen und so weiter sowie außeruniversitären Forschungsinstituten wie z.B. dem Institut für Zeitgeschichte in München und dem Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen. Daneben waren ausländische Historiker vertreten, wie Gerald D. Feldman, Maurizio Degl’Innocenti aus Italien, Janusz Zarnowski aus Warschau, Kenneth O. Morgan aus Wales, W. R. Garside, Steven Tolliday und Jonathan Zeitlinaus aus England sowie Michael Geyer, Linda A. Heilman und Rebecca Boehling aus den USA.

210

Tabelle IV-1: Fachliche Herkunft der Aufsatz-Autoren des AfS 1961 – 1968, 1969 – 1982 und 1983 – 1989597

Zeitraum 1961-1968 1969-1982 1983-1989 AA Fach Zahl Teil Zahl Teil Zahl Teil

Geschichtswissenschaft 26 74% 98 82% 52 68% Andere Geisteswissenschaften 5 14% 7 6% 1 1% Politikwissenschaft 2 6% 5 4% 13 17% Soziologie 1 3% 6 5% 6 8% Wirtschaftswissenschaft 0 0% 2 2% 4 5% Anderes 0 0% 1 1% 1 1% Ohne Datum 1 3% 0 0% 0 0% Gesamt 35 100% 119 100% 77 100%

Die zweite Entwicklungstendenz des Netzwerks war die Diversifizierung der Autoren in unterschiedliche Forschungsfelder. Die Tabellen IV-1 zeigt, dass die Proportion der Historikerschaft im Zeitraum von 1983 bis 1989 offensichtlich abnahm, auch wenn sie immer noch an der ersten Stelle der Autorenliste stand und über eine deutliche Überlegenheit verfügte. Von Anfang an waren Historiker nicht die einzige Mitarbeitergruppe im AfS gewesen. Aber andere Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften im weitesten Sinne waren von 1961 bis 1982 noch nicht so präsent. Wegen der Verschiebung des Forschungsschwerpunkts dieses Jahrbuchs von der klassischen Arbeitergeschichte zu einer thematisch breit angelegten Sozial- und Gesellschaftsgeschichte hatten Wissenschaftler aus Nachbarfächern mehr Möglichkeiten, eigene Aufsätze hier zu veröffentlichen. Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft wurden die drei wichtigste Nachbardisziplinen der Geschichtswissenschaft im Archiv. Zu dessen Mitarbeitern, die nicht im Fach Geschichte arbeiteten, gehörten vor allem Ali Wacker und Harald Welzer aus der Sozialpsychologe, Jürgen Fijalkowski, Walter Euchner und Jochen August aus Fach Politikwissenschaft, Hans Braun als Professor für Soziologie und Sozialpolitik sowie Albrecht Lehmann als Professor für Volkskunde.

597 Abkürzung AA bedeutet Aufsätze-Autoren. 211

Tabelle IV-2: Jahrgang der Aufsatz-Autoren des AfS 1983 – 1989

ohne Datum vor 1929 9% 1% 1930-1939 22%

nach 1950 vor 1929 24% 1930-1939 1940-1949 nach 1950 ohne Datum

1940-1949 44%

Drittens war es auffallend, dass eine jüngere Generation nach und nach wichtiger wurde. Neben den bereits in der Fachöffentlichkeit anerkannten Historikerinnen und Historikern wie Helga Grebing, Adelheid von Saldern, Klaus Tenfelde, Kurt Klotzbach, Heinrich Potthoff, Michael Schneider, Alf Lüdtke und Hans Medick bestand die Gruppe der Autoren gleichermaßen aus den nach dem Jahr 1950 Geborenen, die Doktoranden und wissenschaftliche Mitarbeiter waren und deren wissenschaftliche Karrieren gerade erst begannen. Abgesehen von den Autoren ohne Geburtsdatum fasst dieser jüngere Kreis insgesamt 19 Personen wie Ulrich Herbert (Jahrgang 1951), Rüdiger Hachtmann (Jahrgang 1953), Detlef Lehnert (Jahrgang 1955), Friedrich Lenger (Jahrgang 1957) und Helmuth Trischler (Jahrgang 1958). Die Gruppe der Autoren, die in den 1940er Jahren geboren wurden, bliebt die größte Mitarbeitergruppe des AfS. Aber auf dem zweiten Platz rückte nun die jüngere Gruppe der Autoren, die nach 1950 geboren worden waren. Sie war ein bisschen größer als die ältere Gruppe der Jahrgänge 1930 bis 1939, die in der Phase 1969 – 1982 noch den zweitgrößten Anteil hatte. Diese Verschiebungen zeigen zum einen die Ankunft einer neuen Generation von Sozialhistorikern, zum andern sind sie aber auch als Beleg zu interpretieren, dass das Jahrbuchs von der jüngeren Generation anerkannt wurde und sich eine

212

neue treibende Kräfte für die Kommunikation zwischen Sozialdemokratie und Historikerschaft bildete. In den 1980er Jahren sind die Verbindungen zwischen SPD und sozialdemokratischen bzw. linksliberalen Historikern enger geworden. Gleichzeitig gab es aber auch Historiker, die angesichts der Konfrontation zwischen Sozialdemokratie und Christdemokratie Abstand von der SPD hielten. Imanuel Geiss rückte – so seine Selbstverortung – von den 1960er bis 1980er Jahren allmählich von links in die politische Mitte. Er hat seine Absage zu der Tagung »Geschichte in der demokratischen Gesellschaft« gegenüber der Historischen Kommission so begründet:

»Da in der Ankündigung die Frage gestellt wird, ›was die Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten im Umgang mit Geschichte und dem historischen Bewusstsein der Bürger versäumt hat‹, möchte ich bei dieser Gelegenheit mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg halten: Ich glaube, die SPD hat in der letzten Zeit so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte – das ›progressive‹ Missverständnis über Geschichte hat durch Schul- und Universitätsreformen u. a. dazu geführt, dass wir heute riesige Wissenschluchten bei den meisten Geschichtsstudenten feststellen müssen, wenn sie von der Schule kommen. Geschichtsbewusstsein ohne Geschichtskenntnisse ist nicht möglich. Ignoranz ist nicht ›progressiv‹, sondern einfach dumm.«598

Diese Ablehnung ist vor allem auf die Rückdrängung des Geschichtsunterrichts durch die Sozialdemokratie in den siebziger Jahren zurückzuführen. Im Gefolge des Historikerstreits lockerte sich die Bindung von Geiss an die SPD noch weiter, denn er stellte sich inzwischen hinter die angegriffenen Wortführer der konservativen Gruppe. Der Historikerstreit hat auch die Beziehung von Thomas Nipperdey zur SPD beschädigt. Er hat es selbst aus Anlass seiner Absage einer Teilnahme am Forum »Erben deutscher Geschichte – Bundesrepublik und DDR« so beschrieben:

»Ich könnte es mir ja einfach machen und sagen, dass ich an dem 13. März nicht kann. Ich habe aber gar nicht nachgesehen. Ich möchte den Vortrag nämlich aus sachlichen und politischen Gründen nicht halten. Die Art, wie im Augenblick die Mehrheit der in der Partei aktiven und dieser zugehörigen Historiker sich in der Diskussion gegenüber Andersdenkenden verhält, man denke nur an die Konferenz mit Herrn Nolte, ermutigt mich nicht, im Rahmen Ihrer Kommission zu sprechen. Ich finde, im Moment ist die Atmosphäre derart in Gefahr, aus dem

598 AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000041. 213

Rahmen einer wissenschaftlichen und zivilen Diskussion herauszufinden, dass ich mich da nicht hineinmengen will. Auch möchte ich keine Alibifigur darstellen. Bitte haben Sie für meinen Standpunkt Verständnis.«599

Nipperdeys Entfremdung von der SPD manifestierte sich zu dieser Zeit stärker als in den siebziger Jahren. Obwohl sein Eintritt in die Partei »aus taktischen Gründen«600 keine engere Anbindung zwischen ihm und Sozialdemokratie brachte, beschäftigte er sich in den siebziger Jahren noch mit dem Verhältnis der Partei zur Geschichte und Geschichtswissenschaft, wie z.B. den hessischen sozialdemokratischen Rahmenrichtlinien, um die »Verirrungen und Verzerrungen« der Haltung »unter der Flagge der Sozialdemokratie«601 zu kritisieren und verändern. Aber in den achtziger Jahren hatte er angesichts seines Austritts aus der Partei und seiner Enttäuschung über ihren Umgang mit den geschichtspolitischen Auseinandersetzungen kein Interesse mehr, mit der Partei weiter zu kommunizieren. Die Fälle von Imanuel Geiss und Thomas Nipperdey weisen darauf hin, dass negativen Reaktionen der Historiker auf das geschichtspolitische Engagement der SPD eine Rolle bei der Kommunikation spielten und die Grenze der Kommunikation sich angesichts den Veränderungen der Umgebung der politischen Öffentlichkeit verschob. Die vielfältigen Auseinandersetzungen um Geschichte und Geschichtspolitik in den achtziger Jahren, insbesondere die defensive Haltung der Sozialdemokratie verstärkten die Freund-Feind-Bilder innerhalb der Historikerschaft und beschädigten gewissermaßen die offene diskursive Atmosphäre zwischen Sozialdemokraten und Konservativen.

599 AdsD, Bestand Historische Kommission, 2/PVAE0000054. 600 Martin Baumeister, Thomas Nipperdey (1927-1992), a.a.O., S.318. 601 Thomas Nipperdey, Sozialdemokratie und Geschichte, a.a.O., S.517. 214

Schluss

Von 1959 bis 1989 hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands einen Weg zurückgelegt, der sie zunächst zu den größten politischen Erfolgen ihrer Geschichte führte, bevor dann eine Phase des Machtzerfalls und schließlich die Rückkehr in eine mehr als 16jährige Oppositionsphase folgte. Im Verlauf dieser allgemeinen politischen Entwicklung rückte die sozialdemokratische Geschichtskultur allmählich von einer oppositionellen Minderheitsströmung zur Hauptströmung der bundesrepublikanischen Geschichtskultur auf, während sich das anfangs kleine, auf wenige Orte und Personen begrenzte Kommunikationsnetzwerk zwischen dieser Partei und der Historikerschaft zu einer großen, einflussreichen und manchmal über den linksliberalen Kreis der Historiker hinausgehende Verflechtung entwickelte. In diesem Sinne kann eine Haupttendenz in der Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft darin gesehen werden, dass sich parallel zu Entwicklungen der sozialdemokratischen Geschichtskultur und der sozialdemokratischen Historikergruppe persönliche Netzwerke zwischen beiden Seiten bildeten, sich diese Kommunikation akademisierte, auf vieler breiterer Grundlage sich vollzog und auch in zeitlicher und personeller Hinsicht verfestigte. Hans Mommsen, Helga Grebing, Heinrich August Winkler, Jürgen Kocka und Hans-Ulrich Wehler können so als hervorragende biographische Beispiele gelten, die diesen allgemeineren Trend verkörpern. Im ersten Zeitraum von 1959 bis 1968 befand sich die Kommunikation in einer Phase, in der sich ihre organisatorische Systematisierung und erste Schritte zur Akademisierung vollzogen. Mit der Gründung der der SPD nahestehenden historischen Forschungsinstitutionen rückte die sozialdemokratische Geschichtskultur von ihrer bloßen Oppositionsrolle gegenüber der dominanten konservativ geprägten Geschichtswissenschaft ab. Diese Jahre bereiteten also den Boden für die Dynamik der Jahre zwischen 1969 bis 1982, die von Bernd Faulenbach als »sozialdemokratisches Jahrnzehnt« bezeichnet worden sind, und in der die Kommunikation dank des politischen Aufstiegs der SPD und der linksliberal-sozialdemokratischen Strömung innerhalb der westdeutschen Geschichtswissenschaft einen Aufschwung erfuhr. Professionelle Historiker wurden in dieser Zeit zur treibenden Kraft in der Kommunikation zwischen SPD und Geschichtswissenschaft. Die Kräfteverhältnisse im Kommunikationssystem zwischen Politik und Geschichtswissenschaft verschoben sich gleichzeitig von rechts nach links. In der dritten Epoche von 1983 bis 1989, als die SPD wieder als Oppositionspartei gegen die neokonservativen Geschichtsdiskurse arbeitete, verstärkten sich ihre Verbindungen zum linken bzw. linksliberalen

215

Lager innerhalb der Historikerschaft noch einmal. Nun war es die sich vertiefende politische Spaltung innerhalb der westdeutschen Historikerschaft, welche die Verbundenheit zwischen SPD und sozialdemokratischen Historikern begünstigte.

Neben solchen übergreifenden Trends lassen sich für die unterschiedlichen Aspekte der Kommunikationsgeschichte zwischen sozialdemokratischer Partei und Geschichtswissenschaft jedoch spezifische Entwicklungslinien erkennen, die der allgemeinen Haupttendenz zum großen Teil entsprachen, aber von ihr nicht vollständig dargestellt werden. 1) Die Beziehung zwischen SPD und professionellen Historikern ist nur vor dem Hintergrund des Verhältnisses zwischen Politik und Geschichtswissenschaft zu verstehen. Das Selbstverständnis der Geschichtswissenschaft hinsichtlich ihrer politischen Rolle in der westdeutschen Demokratie war eine ganz wesentliche Grundvoraussetzung für die konkrete Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft. Die seit Ende der fünfziger Jahre geführte Diskussion über die Beziehung zwischen Politik und Geschichte erreichte Anfang der siebziger Jahre mit den heftigen Theorien- und Methodendebatten zwischen traditioneller Geschichtsschreibung und neuer »Historischer Sozialwissenschaft« und Mitte der achtziger Jahre während des Historikerstreits zwei Höhepunkte. Unterschiedliche Antworten auf die Frage nach dem politischen und gesellschaftlichen Rollenverständnis der Geschichtswissenschaft schufen deutliche Trennlinien innerhalb der bundesrepublikanischen Historikerschaft. Bemerkenswert ist, dass diese fachinterne Spaltung auch ihren Niederschlag im Kreis der hier untersuchten Kommunikationsakteure gefunden hat. Historiker wie Thomas Nipperdey, Andreas Hillgruber und Klaus Hildbrand betonten die Freiheit der Wissenschaft, warnten vor der Politisierung der Geschichtsforschung und lehnten deshalb eine vorrangig moralisch oder politisch ausgerichtete Geschichtswissenschaft ab. Ein Grund für Thomas Nipperdeys Entfremdung von der SPD bestand darin, dass er gegen die Art und Weise des Umgangs der SPD mit akademischer Freiheit war. Im Gegensatz dazu glaubte eine Gruppe der Historiker »an die pädagogischer Funktion der Geschichte, an die Relevanz der Geschichte für die Öffentlichkeit, an Geschichte als Aufklärung und an das für notwendig erkannte moralisch-politische Engagement der Wissenschaft«.602 Zu dieser Gruppe gehörten vor allem Hans Mommsen, Heinrich August Winkler, Jürgen Kocka und Hans-Ulrich Wehler, die als wichtigste Akteure in der Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft gelten können. Wehler hat in einem Interview einmal erklärt: »Historiker sollen

602 Paul Nolte, Die Historiker der Bundesrepublik, a.a.O., S.427. 216

sich öffentlich äußern, wobei sie sich nicht in der Arena der Wissenschaft, sondern in einer anderen Arena, mit anderen Regeln, bewegen. Ich habe so oft als Junge von Amerikanern gehört: Wenn Eure Väter und Großväter früher gesprochen hätten, wäre die ›braune Pest‹ nicht über euch gekommen. Daher habe ich mir oft gesagt: Lieber einmal zu viel die Klappe auftun, als einmal zu wenig. Das ist eine Generationserfahrung, die man bei vielen anderen auch findet. [...] Historiker sollten auch politisch zu den Positionen stehen, die sie in der Wissenschaft vertreten.«603 Aus diesem Grund engagierte sich diese Historikergruppe besonders in der Politik oder der politischen Öffentlichkeit. 2) Der Umgang mit dem deutschen Nationalbewusstsein, mit der deutschen Spaltung und der Frage nationaler Einheit sowie mit der nationalsozialistischen Vergangenheit waren drei zentrale Themen der sozialdemokratischen Geschichtspolitik im Untersuchungszeitraum. Aus den Diskussionen darüber bildete sich ein sozialdemokratisches Geschichtsbild, in dem ein Konsens über die Erzählung und Erklärung der bitteren Erfahrung der deutschen Geschichte zwischen den Sozialdemokraten einerseits und den linksliberal-sozialdemokratischen Historikern andererseits entstand. Zu diesem sozialdemokratischen Geschichtsbild gehörten zwei wesentliche Elemente: Erstens gab es für Sozialdemokraten trotz der Teilung Deutschlands ein einheitliches Bild der deutschen Geschichte und eine deutsche Nation. Während die konservative Christdemokratie an Staatsnation und Staatspatriotismus glaubte, die Neue Ostpolitik ablehnte und versuchte, durch die »Tendenzwende« in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre und die »geistig-moralische Wende« in den achtziger Jahren die nationale Identität der Deutschen mit einem neuen Geschichtsbild zu stärken, bekräftigte die Sozialdemokratie ihr einheitsorientiertes Nationsverständnis und eine bundesrepublikanische Geschichtskultur, die ganz eng mit der kritischen Beschäftigung mit den Schattenseiten der deutschen Geschichte verbunden war. Zweitens lag für Sozialdemokraten der Schlüssel zum Verständnis der deutschen »Katastrophen« bereits in Bismarcks Kaiserreich. Sie kritisierten deswegen die Reichsgründung 1871, die die deutsche Geschichte auf einen demokratiefernen Weg gebracht hatte, erhoben den 8. Mai zum symbolischen Gründungstag einer demokratischen Neugründung der Nation und betonten die Suche nach den verschütteten freiheitlich-demokratischen Traditionen in der deutschen Geschichte. In diesem Sinne stimmte das sozialdemokratische Geschichtsbild mit der Sonderwegs-These der Historischen Sozialwissenschaft überein. Auch wenn der Sonderwegs-

603 Hans-Ulrich Wehler, »Historiker sollten auch politisch zu Positionen stehen, die sie in der Wissenschaft vertreten.«, a.a.O., S.261. 217

These und die dahinterstehende Modernisierungstheorie innerhalb der Historikerschaft immer wieder mit Kritik und Misstrauen entgeggengetreten wurde und sich Schwächen und Einseitigkeit schon im Verlauf der Fachdiskussionen in den achtziger Jahren bestätigten, hatten sie für die Entwicklung der sozialdemokratischen Geschichtskultur und der bundesrepublikanischen politischen Geschichtskultur eine wichtige Bedeutung. Dieser Erklärungsansatz für die neuere und neueste deutsche Geschichte förderte wie kein anderer Ansatz einen kritischen Umgang mit der deutschen Vergangenheit. Auf geschichtspolitischer Ebene war die Kommunikation zwischen SPD und Historikerschaft mit der durchgreifenden Politisierung der historischen Debatten von der Fischer-Kontroverse bis zum Historikerstreit verbunden. Sie trug zur politischen Profilierung des geschichtlichen Faches und der Historiker in der Bundesrepublik bei. In den frühen sechziger Jahren war die sozialdemokratische Partei auf dem Weg zur Regierungspartei und lenkte deswegen keine große Aufmerksamkeit auf die Fischer-Kontroverse. Aber an dem Historikerstreit 1986/87 war die SPD aktiv beteiligt. Dieser Rollenwechsel muss zum einen mit dem Interesse dieser Partei in Verbindung gebracht werden, die eigene Diskurskraft in der politischen Öffentlichkeit zu erhalten, und ergibt sich zum anderen aus der beachtlichen Vergrößerung ihrer Verbindungen mit der Historikerschaft. Über die radikalen Schulreformen der SPD in Hessen und Nordrhein-Westfalen setzten sich die Historiker von Konservativen bis Sozialdemokraten mit der Partei heftig auseinander. Diese Schulpolitik machte auf die Historiker den Eindruck, dass die sozialdemokratische Partei einen Angriff gegen das Fach Geschichte richtete. So erhielt die Partei von fast allen Historikern und Geschichtslehrern ein negatives Echo auf ihre Reformpläne. Eine noch größere Gruppe der Historiker aller politischer Couleur nahm Stellung zur Neuen Ostpolitik. Die SPD wurde in diesem Falle von vielen politisch sowohl links wie rechts stehenden Repräsentanten der westdeutschen Geschichtswissenschaft unterstützt. Diese beiden Fälle, deren Wirkungen auf die Politik der SPD im Gegenteil standen, zeigen aber gleichfalls, dass die Kommunikation über tagespolitische Fragen vor allem sachbezogen war und die politische Lagerbildung eine geringere Rolle spielte. 3) Die sozialdemokratische Geschichtsschreibung bildete eine weiteres Themenfeld der Kommunikation zwischen SPD und Historikern. Dabei spielten die Parteigeschichte und die Geschichte der Arbeiter und Arbeiterbewegung eine zentrale Rolle. Die sozialgeschichtlichen Forschungen zu Arbeitern und zur Arbeiterbewegung blieben im Untersuchungszeitraum mit der

218

Sozialdemokratie eng verbunden, auch wenn nicht jeder Arbeiterbewegungshistoriker politisch sozialdemokratisch bzw. linksliberal ausgerichtet war. Der Grund für die enge Verbindung ist nicht zuletzt in der Geschichte des Teilgebeits der Neueren Geschichte zu suchen. Bevor die Arbeiter- und Arbeiterbewegungsgeschichte als eigenständiger Zweig in der akademischen Welt verankert wurde, war sie im wesentlichen nur von der Partei bzw. parteinahen Historikern untersucht worden. Bei ihr ging es in den sechziger Jahren hauptsächlich um die traditionelle Organisations-, Ideen- und Personengeschichte der Arbeiterbewegung. Durch die Förderung der linksliberalen Strömung innerhalb des historischen Faches seit Ende der sechziger Jahre wurde die Arbeiterbewegungsgeschichte fachwissenschaftlich entdeckt. Damit wurde diese sozialdemokratische historiographische Tradition in die westdeutsche professionelle Geschichtsschreibung integriert. Die Intensivierung der Kommunikation in den siebziger und achtziger Jahren führte dann auf Seiten der Partei dazu, dass die konventionelle Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung zu sozialgeschichtlichen Erforschung der Arbeitergeschichte und Arbeiterbewegungsgeschichte erweitert wurde, die parteiliche Färbung der sozialdemokratischen Historiographie allmählich schwand und deren wissenschaftliche Orientierung stärker in den Mittelpunkt rückte. Neben der Tendenz der Verwissenschaftlichung hatte aber auch die Nachfrage nach politischer Bildung seitens der Partei Einfluss auf die sozialdemokratische Historiographie. Dies betraf vor allem die Forschung und Darstellung der Parteigeschichte und der Geschichte der Arbeiterbewegung für die interne parteiliche Bildungsarbeit. Das Interesse und der Antrieb der historiographischen Arbeit seitens der SPD ging im wesentlichen darauf, intern das historische Selbstverständnis der Partei zu stärken und extern mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung für die Parteigeschichte zu bekommen. Für die Mehrheit der professionellen Historiker war dagegen ihr Interesse Ausschlag gebend, solche Themen in wissenschaftlicher Art und Weise zu beleuchten. Der Aufschwung der Geschichte der Arbeiterbewegung in der Fachhistorie war in den sechziger Jahren zunächst darauf zurückzuführen, dass Konsens zwischen der SPD und einer Gruppe der Historiker über die Notwendigkeit und Wichtigkeit dieses Forschungsgebiets herrschte. Dies führte dazu, dass die sozialdemokratische Historiographie einerseits immer wissenschaftlicher wurde und andererseits gleichzeitig nützlich für die Sinnstiftung der Partei war. Langfristig wurden so – unter Beteiligung von Partei und akademischer Historikerschaft – die Weichen für eine Akademisierung der Parteigeschichtsschreibung gestellt. Die bald einsetzende

219

sozialgeschichtliche Neufundierung der sozialdemokratischen Historiographie verstärkte diesen Trend. In den achtziger Jahren eröffnete die Partei ein großes Betätigungsfeld für die neuen Geschichtswerkstätten. Nun kam es zu Kontroversen zwischen Partei und Sozialhistorikern darüber, wie die Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung im Rahmen der Alltagsgeschichte und der »Geschichte von unten« erforscht werden sollte. Hier prallten unterschiedliche Erwartungen und Motivlagen aufeinander. Aus politischer Perspektive begrüßte die SPD, Arbeiterbewegung und Parteigeschichte auf lokaler Ebene zu erforschen. Sie setzte Erwartung bzw. Hoffnung darauf, damit mehr Geschichtsbewusstsein und Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Partei zu wecken. Aus ihrer wissenschaftlichen Perspektive lehnten aber viele der sozialliberalen Sozialhistoriker die alltagsgeschichtliche Methode ab. Faktisch kam es zu einer Art parteiinterner Arbeitsteilung: Trotz dieser fachlichen Kritik entwickelte sich die Beschäftigung der SPD mit der Alltagsgeschichte und Regionalgeschichte auf der Ebene der Ortsvereine und der lokalen Geschichtswerkstätten schnell und breit. Dagegen stand die »Geschichte von unten« – sieht man von einigen Aktivitäten der Historischen Kommission beim Parteivorstand ab – nicht im Mittelpunkt der Aktivitäten der SPD nahestehenden Forschungseinrichtungen. 4) Die Entwicklung der personellen Netzwerke zwischen Sozialdemokratie und Historikerschaft stellt deutlich dar, wie sich die Struktur ihrer Kommunikation veränderte. Sie läßt auch erkennen, worin der Kern und wo die Grenze der Kommunikation bestanden und welche Kommunikationstypen die Akteuren benutzten. Die Analyse der Verflechtungen von 1959 bis 1989 zeigt ein Netzwerk von Netzwerken, bei dem zwei Ebenen zu unterscheiden sind. Auf der ersten Ebene traten die Historiker auf Grund persönlicher politischer Aktivität wie z.B. ihrer Parteizugehörigkeit, der Unterstützung oder Ablehnung einer bestimmten politischen Entscheidung mit der Partei in Verbindung. Aauffallende Beispiele sind hierfür die Historiker Hartmut Soell, Eberhard Jäckel und nicht zuletzt Golo Mann. Auf der zweiten Ebene kommunizierten die Akteuren nicht unmittelbar mit der Partei, sondern miteinander. Diese zweite Ebene verfügte über unterschiedliche Kommunikationsorte. Zu ihnen gehörte im Jahr 1959 nur ein kleines Netzwerk innerhalb der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dieses Netzwerk wurde im Lauf der der sechziger Jahre um zwei neue Netzwerke ausgehend von der Zeitschrift Archiv für Sozialgeschichte und vom neugegründeten Institut für Sozialgeschichte in Braunschweig-Bonn erweitert. Anfang der achtziger Jahre trat mit der Historischen Kommission beim SPD- Parteivorstand eine weitere Institution hinzu, die Ausgangspunkt eines spezifischen Netzwerks

220

wurde. Alle diese Netzwerke waren zwar unabhängig voneinander, aber sie waren gleichzeitig miteinander verbunden und überlagerten sich teilweise. Die Kommunikation auf dieser zweiten Ebene war in historiographischer Perspektive wichtiger, weil die Historiker hier nicht nur einen wesentlichen Einfluss auf die sachlich- inhaltliche Ebene der Kommunikation ausüben konnten, sondern weil sie auch in der Lage waren, bei der Strukturierung und Gestaltung des Netzwerks eine aktive Rolle zu spielen. In diesem Sinne kann man die Wichtigkeit der Netzwerke einzelner sozialdemokratischer Historiker nicht hoch genug einschätzen – so das von Georg Eckert in den sechziger Jahren, dessen privater Freundeskreis die Ausgangskonstellation des Netzwerks tiefgreifend beeinflusste; oder wie die Vernetzungen von Kurt Klotzbach in den siebziger Jahren, dessen historiographische Orientierung sehr viel zur Vergrößerung und Akademisierung des Netzwerks beitrug; und die Kontakte von Susanne Miller in den achtziger Jahren, unter deren Leitung die Historische Kommission zum wichtigsten Kommunikationsort für Partei und Historiker wurde. Dabei erfuhr das Gesamtnetzwerk im Lauf der dreißigjährigen Kommunikation drei bemerkenswerte Umwandlungen. Erstens wurde der Hauptteil der Akteure immer professioneller bzw. universitärer. Universitätshistoriker und prominente Vertreter des Faches standen zusehends im Mittelpunkt. Zweitens vollzog sich ein Generationswechsel parallel zur akademischen Karriere der »langen Generation« bzw. der zweiten Generation der bundesrepublikanischen Historiker. Drittens wurde die Beziehungsstärke des Netzwerks in der Phase sozialdemokratischer Abwehr christdemokratischer Geschichtspolitik bekräftigt. Diejenigen Historiker, die bei diesen Umwandlungen eine besondere Rolle spielten, können auch als der fachwissenschaftliche Kern dieses Netzwerks bezeichnet werden. Zu ihm zählten Hans Mommsen, Helga Grebing, Heinrich August Winkler, Jürgen Kocka, Reinhard Rürup, Wolfgang Schieder und Hans-Ulrich Wehler. Diese personelle Konstellation führte dazu, dass sich der Kern des Kommunikations-Netzwerks zwischen SPD und professionellen Historikern teils mit dem Netzwerk innerhalb des Forschungszweigs der Arbeiterbewegung, teils mit dem Netzwerk der »Historischen Sozialwissenschaft« und nicht zuletzt teils mit dem Netzwerk des »linken«, soziallbieralen Flügels der westdeutschen Historikerschaft überschnitt.

Im Hinblick auf die Verbindung zwischen der SPD und der bundesrepublikanischen Historikerschaft von 1959 bis 1989 sind zwei wesentliche Merkmale hervorzuheben. Dass Historiker keine einfachen Parteigänger waren, zeigte sich in den konkreten

221

Kommunikationsprozessen immer wieder. Dialog, Konsens, Kooperation lassen sich ebenso gut beobachten wie Auseinandersetzung, Divergenz, Entfremdung und Ablehnung. Georg Eckert und Susanne Miller haben sich als »unerschütterliche« Sozialdemokraten für die Organisation des Umgangs der SPD mit Geschichte und Geschichtswissenschaft außerordentlich engagiert und so einen beachtlichen Beitrag zum Aufbau der vielfältigen Verbindungen zwischen Partei und Historikerschaft geleistet, dabei aber auf keinen Fall die Wissenschaftlichkeit der Historie durch ihre organisatorischen Intervention beschädigt. Durch die individuelle Förderung von Kurt Klotzbach, Dieter Dowe, Hans Pelger, Michael Schneider und Beatrix W. Bouvier, die bei den der SPD nahestehenden Instituten lange tätig waren, machte die sozialdemokratische Historiographie große Fortschritte und wurde inhaltlich und methodisch vielseitig, ohne dass die Geschichtsschreibung aus sozialdemokratischern Perspektive durch den parteilichen Standpunkt in ihrer Fachlichkeit eingeschränkt worden wäre. Mit der Integration der sozialdemokratischen Geschichte und Geschichtsschreibung in die Fachhistorie blieben Historiker wie Gerhard A. Ritter, Hans-Josef Steinberg, Dieter Langewiesche, Wolfgang Schieder, Hartmut Kaelble und Ute Frevert vor allem durch ihre wissenschaftlichen Beschäftigungen mit Sozialgeschichte, zu der auch die Geschichte der Arbeiter und Arbeiterbewegung gehörte, mit dem Archiv für Sozialgeschichte und/oder der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand in Berührung. Sie untersuchten die Geschichte der Sozialdemokratie, aber nicht für die Sozialdemokratie. Helga Grebing, Hans Mommsen, Jürgen Kocka, Hans-Ulrich Wehler, Heinrich August Winkler, Bernd Faulenbach, Hermann Weber, Klaus Schönhoven, Klaus Tenfelde, Reinhard Rürup, Eberhard Kolb, Eberhard Jäckel, Martin Broszat und Karl-Ernst Jeismann, zu deren eigenen historiographischen Schwerpunkten nicht unbedingt die Geschichte der Sozialdemokratie zählte, standen auf der geschichtspolitischen Ebene normalerweise hinter der SPD, aber setzten sich mit der Partei bei anderen historischen oder politischen Fragen wie zum Beispiel Geschichtsunterricht oder Alltagsgeschichtsschreibung kritisch auseinander. Historiker wie Imanuel Geiss, Thomas Nipperdey, Golo Mann und Michael Stürmer wiederum neigten in einer Phase ihres Lebens politisch zur SPD, wandten sich aber in der Folgezeit eher konservativen Positionen zu. Diese verschiedenen Ausprägungen der Verbindungen zwischen Historikern und SPD zeigen, dass keiner der genannten Historiker als Parteihistoriker zu bezeichnen wäre, der nur aus der Horizont der SPD die Geschichte schrieb oder durch seine historische Arbeit primär die programmatische oder ideologischen Identität der Partei stärken wollte.

222

Die dreißigjährige Geschichte der Kommunikation macht deutlich, dass Historie und Politik zwei heterogene Sphären waren und sind, die jeweils über eigene Herangehensweisen, Vorgehensweisen und Wertungskriterien verfügen. Wer in jener Domäne links und »progressiv« war, verhielt sich in anderen Fragen eher konservativ und umgekehrt. Ein linksliberaler Historiker konnte zuweilen auf Abstand zur SPD gehen, während ein konservativer Kollege gelegentlich zu dieser Partei neigen konnte. Deswegen stimmten auf der einen Seite die Gruppierungen der Historiker, die der SPD nahestanden oder sich davon fernhielten, nicht immer mit dem Links-Rechts-Schema innerhalb der westdeutschen Historikerschaft überein. Auf der anderen Seite war das intellektuell-politische Engagement einzelner Historiker nicht von ihrer Parteizugehörigkeit bzw. seiner politisch-ideologischen Position festgelegt. Fragt man danach, wer Richtung und Inhalt der Kommunikation maßgeblich steuerte, so ergeben sich wiederum sehr unterschiedliche Befunde. Auf der historiographischen Ebene wurde die Kommunikation nicht zuletzt aufgrund der Akademisierung stärker von der Historikerschaft beeinflusst und bestimmt. Dies galt sowohl für die Professoren wie auch für die vielen Nachwuchswissenschaftler, die an der sozialdemokratischen Historiographie interessiert waren. Im Unterschied dazu verlief die Kommunikation auf der politischen Ebene entsprechend der Logik politischen Handelns. Politisches Handeln ist im Wesentlichen praktisch und strategisch orientiert. Dies gilt auch für die Kommunikation zwischen SPD und Historikern in der politischen Sphäre. Die Partei suchte hier schnelle und kurzfristige Wirkungen zu erzielen und Zustimmung für aktuelle Politik zu erhalten. Aus diesem Grund hatten die Historiker, mit den die SPD in Verbindung trat und stand, in der Regel gewisse Reputation in der fachlichen und/oder politischen Öffentlichkeit.

Auch wenn es nicht möglich ist, systematisch so etwas wie eine eindeutige sozialdemokratisch parteipolitische Standortgebundenheit bei Historikern zu definieren und dann auch empirisch zu verifizieren, so ließ sich doch bei der Untersuchung der Kommunikationsprozesse eine Gruppe von sogenannten »SPD-Historikern« oder »sozialdemokratischen Historikern« identifizieren, die politisch wesentlich sozialdemokratisch ausgerichtet waren und mit der SPD auf wissenschaftlichen und politischen Ebene eng in Verbindung standen. Sie haben die Kommunikation im Untersuchungszeitraum nachhaltig geprägt. Dabei ist das Label »sozialdemokratisch« weder pejorativ noch exklusiv. Die dreißigjährige Kommunikation beruhte hingegen darauf, dass die sozialdemokratische Partei einerseits und die Historikerschaft

223

andererseits sowohl gemeinsame Ziele als auch eigene Interessen und Bedürfnisse verfolgten. Die Kommunikation zwischen ihnen wurde auf keinen Fall nur von einer Seite gesteuert oder kontrolliert. Sie blieb offen, und führte zu Ergebnissen, die manchmal für beide Seiten Partei und die Geschichtswissenschaft neu und überraschend waren.

224

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Archivalien

AdsD, Bestand Historische Kommission AdsD, Bestand SPD-Parteivorstand AdsD, Bestand Pressemitteilungen

2. Gedruckte Quellen

Der Hessische Kulturminister: Rahmenrichtlinien. Sekundarstufe I Gesellschaftslehre, Wiesbaden 1973. Dowe, Dieter (Hrsg.): 40 Jahre Institut für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig-Bonn: 1962 – 2002, Bonn 2003. Duve Freimut (Hrsg.): »Soll es dem Volk dienlich sein, muss das Volk in ihm vorkommen.«: Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion zum Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Protokoll vom 9. Mai 1984, Bonn 1984. ders. (Hrsg.): Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion zum Deutschen Historischen Museum Berlin. Protokoll vom 2. Juli 1986, Bonn 1986. Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert- Stiftung, Bonn 1965. ders. (Hrsg.): Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung 1970, Bonn 1970. Geschichtsunterricht im demokratischen Staat. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Schule und Kultur des Landtags von Nordrhein-Westfalen vom 26.3.1980 (Landtagsdrucksache 8/5730), in: Susanne Miller/Wilhelm van Kampen/Horst Schmidt (Hrsg.), Geschichte in der demokratischen Gesellschaft: eine Dokumentation, Düsseldorf 1985, S.159-166. Informations- und Dokumentationsstelle des Gesamtschulversuchs Nordrhein-Westfalen, Rahmenlehrplan für den Lernbereich Gesellschaft/Politik an den Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen 1973. »Kernpunkt des Streits ist der Umgang mit Geschichte in der und durch die Demokratie«. Protokoll der Anhörung zum Deutschen Historischen Museum, veranstaltet von der SPD- Bundestagfraktion in Bonn am 2. Juli 1986, in: Christoph Stölzl (Hrsg.), Deutsches Historisches Museum. Ideen - Kontroversen - Perspektiven, Frankfurt a.M./Berlin 1988, S.333-385. Konzeption für ein Deutsches Historisches Museum. Erster Entwurf der Sachverständigenkommission vom 21. April 1986, in: Christoph Stölzl (Hrsg.), Deutsches Historisches Museum. Ideen - Kontroversen - Perspektiven, Frankfurt a. M./Berlin 1988, S.310-332. Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages, 10. Wahlperiode, Nr. 253. Presse- und Informationsstelle der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Ein europäisches Zentrum der historischen Forschung und Dokumentation, Bonn 1987. Vorstand der Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Hrsg.), Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. ders. (Hrsg.): Die Zukunft meistern. Arbeitsmaterial zum Thema: Wissenschaft und Forschung, Erziehung und Bildung in unserer Zeit, Berlin 1959.

225

3. Reden, Briefe, Erinnerungen und Interviews

Brandt, Willy: Regierungserklärung vom 28.10.1969, in: Bulletin des Press- und Informationsamtes der Bundesregierung 132 (1969), S.1121-1128. ders.: Verpflichtung zum Frieden und Wahrung von Freiheit und Recht, in: Bulletin des Press- und Informationsamtes der Bundesregierung 63 (1970), S.591f. ders.: Erklärung des Bundeskanzlers zum Reichsgründungstag, in: Bulletin des Press- und Informationsamtes der Bundesregierung 5 (1971), S.35. ders.: Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation 1971. Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Deutschen Bundestag am 28. Januar 1971. ders.: Der neue Stil, in: ders., Plädoyer für die Zukunft. Beiträge zur deutschen Politik, Frankfurt a. M 1972², S.17-29. ders.: Zum Geleit, in: Susanne Miller (Hrsg.), Geschichte in der demokratischen Gesellschaft. eine Dokumentation, Düsseldorf 1985, S.7f. ders.: Die SPD in der deutschen Geschichte, in: Susanne Miller/Malte Ristau (Hrsg.), Erben deutscher Geschichte. DDR-BRD: Protokolle einer historischen Begegnung, Hamburg 1988, S.13-24 ders.: Erinnerungen, Frankfurt a. M. 1989. ders.: Ansprache anlässlich der Grundsteinlegung des Archivs der sozialen Demokratie, 12. Dezember 1967, in: Auf dem Weg zum digitalen Dienstleistungszentrum. 30 Jahre Archiv der Sozialen Demokratie und Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1999, S.27-31. ders.: Festrede zur Eröffnung des Archivs der sozialen Demokratie, 6. Juni 1969, in: Auf dem Weg zum digitalen Dienstleistungszentrum. 30 Jahre Archiv der Sozialen Demokratie und Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1999, S.32-36. Gall, Lothar: »Aber das sehen Sie mir als Individuum nach, wenn ich die Rolle des Historikers und die des Staatsanwalts auch heute noch als die am stärksten auseinander liegenden ansehe.«, in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hrsg), Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart 2000, S.300-318. Geiss, Imanuel: »Unsere ›Neue Orthodoxie‹ ist heute viel illiberaler als ihre akademischen Väter nach 1945.«, in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart 2000, S.218-239. Grebing, Helga: »Für mich war klar: Indoktrination – nicht mehr braun, jetzt rot – kommt nicht in Frage.«, in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart 2000, S.144-162. Heinemann, Gustav W.: 100. Jahrestag der Reichsgründung des Deutschen Reiches. Ansprache des Bundespräsidenten zum 18. Januar 1871, in: Bulletin des Press- und Informationsamtes der Bundesregierung 5 (1971), S.33-35. ders.: Die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte. Ansprache des Bundespräsidenten aus Anlass der Eröffnung der Erinnerungsstätt in Rastatt am 26. Juni 1974, in: Bulletin des Press- und Informationsamtes der Bundesregierung 78 (1974), S.777-779. ders.: Geschichtsbewusstsein und Tradition in Deutschland, in: ders., Allen Bürgern verpflichtet. Reden des Bundespräsidenten 1969-1974, Frankfurt a. M. 1975, S.30-35. Kocka, Jürgen: »Wir sind ein Fach, das nicht nur für sich selber schreibt und forscht, sondern zur Aufklärung und zum Selbstverständnis der eigenen Gesellschaft und Kultur beitragen sollte.«, in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart 2000, S.383-403.

226

Kohl, Helmut: Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag am 13.Oktober 1982, in: Bulletin des Press- und Informationsamtes der Bundesregierung 93 (1982), S.853-868, hier S.855, 866. ders.: Regierungserklärung des Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag am 4.Mai 1983, in: Bulletin des Press- und Informationsamtes der Bundesregierung 43 (1983), S.397-412. ders.: Der Besuch des Bundeskanzlers im Staate Israel vom 24. bis 29. Januar 1984, in: Bulletin des Press- und Informationsamtes der Bundesregierung 13 (1984), S.109-120. ders., Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation im geteilten Deutschland, in: Bulletin des Press- und Informationsamtes der Bundesregierung 24 (1985), S.197-204. Krause, Werner/Wolfgang Gröf (Hrsg.), Willy Brandt. ... auf der Zinne der Partei ... Parteitagsreden 1960 bis 1983, Berlin/Bonn 1984. Lahme, Tilmann/Kathrin Lüssi (Hrsg.), Golo Mann. Briefe 1932-1992, Göttingen 2006. Miller, Susanne: Zum Selbstverständnis der Historischen Kommission der SPD, in: ders. (Hrsg.), Geschichte in der demokratischen Gesellschaft. eine Dokumentation, Düsseldorf 1985, S.11- 15. ders.: So würde ich noch einmal leben. Erinnerungen, Bonn 2005. Mommsen, Hans: Stehen wir vor einer neuen Polarisierung des Geschichtsbildes in der Bundesrepublik Deutschland?, in: Susanne Miller (Hrsg.), Geschichte in der demokratischen Gesellschaft. eine Dokumentation, Düsseldorf 1985, S.71-83. Rau, Johannes: Sozialdemokratie und Geschichte, in: Susanne Miller/Wilhelm van Kampen/Horst Schmidt (Hrsg.), Geschichte in der demokratischen Gesellschaft. eine Dokumentation, Düsseldorf 1985, S.17-26. Ritter, Gerhard: Brief an Gerhard Schröder, Freiburg, 17.1.1964, in: Klaus Schwabe/Rolf Reichardt (Hrsg.), Gerhard Ritter. Ein politischer Historiker in seinen Beriefen, Boppard am Rhein 1984, S.585-588. Schmidt, Carlo: Staatsrechtliche Komponenten der deutschen Frage, am 15.1.1970 vor dem Deutschen Bundestag., in: Bulletin des Press- und Informationsamtes der Bundesregierung 8 (1970), S.77f. Schörken, Rolf: Geschichte in der Schule, in: Susanne Miller/Wilhelm van Kampen/Horst Schmidt (Hrsg.), Geschichte in der demokratischen Gesellschaft. eine Dokumentation, Düsseldorf 1985, S.27-36. Vogel, Hans-Jochen: Ein Strom, der an Kraft nicht verloren hat, in: Susanne Miller/Malte Ristau (Hrsg.), Gesellschaftlicher Wandel, soziale Demokratie: 125 Jahre SPD, Köln 1988, S.11-25. Wehler, Hans-Ulrich: »Historiker sollten auch politisch zu den Positionen stehen, die sie in der Wissenschaft vertreten.«, in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart 2000, S.240-266. Weizsäcker, Richard von: 40. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Ansprache des Bundespräsidenten am 8. Mai 1985, in: Bulletin des Press- und Informationsamtes der Bundesregierung 52 (1985), S.441-446. ders.: Geschichte, Politik und Nation. Anspräche des Bundespräsidenten zur Eröffnung (des 16. Internationalen Kongresses der Geschichtswissenschaften), in: GWU 37 (1986), S.67-70. Winkler, Heinrich August: »Warum haben wir nicht den Mut gehabt, kritische Fragen zu stellen?«, in: Rüdiger Hohls/Konrad H. Jarausch (Hrsg.), Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart 2000, S.369-382. Wortlaut der Carlo Schmids Erklärung vor dem Bundestag am 20.1.1960: Das die Gespenster weichen ..., in: Die Zeit, 22.1.1960.

227

4. Presse- und Zeitschriftenartikel, zeitgenössische publizistische Beiträge und Monographien

8. Mai: Eine Wunde beginnt zu schmerzen, in: Der Spiegel 52 (1984), S.19-23. Abendroth, Wolfgang: Aufstieg und Krise der deutschen Sozialdemokratie, Frankfurt a. M. 1964. ders.: Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung, Frankfurt a. M. 1965. ders.: Zur Auseinandersetzung um Spontaneität und Organisationsentwicklung, in: Das Argument 108 (1978), S.224. Adam, Konrad: Wo bleiben die Verschwörer?, in: FAZ, 9.10.1986. Albrecht, Willy: Fachverein – Berufsgewerkschaft – Zentralverband. Organisationsprobleme der deutschen Gewerkschaften 1870-1890, Bonn 1982. Anders, Karl: Die ersten hundert Jahre. Zur Geschichte einer demokratischen Partei, Hannover 1963. Archiv für Sozialgeschichte 1 (1961) – 29 (1989) Aufruf, in: FAZ, 15.4.1972. Balser, Frolinde: Aufbruch zur Freiheit 1863-1963. Wege zu Mitverantwortung und sozialer Sicherheit, Hannover 1963. Beier, Gerhard: Schwarze Kunst und Klassenkampf. Bd. 1. Vom Geheimbund zum königlich- preußischen Gewerkverein, Frankfurt a. M. 1966. Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Sonderheft anläßlich des 15. Jahrestages der Gründung der SED, Berlin 1961. Bock, J.: Die Kriegsziele der kaiserlichen Regierung, in: Geist und Tat 17, S.114-119. Boll, Friedhelm: Massenbewegungen in Niedersachsen 1906-1920. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung zu den unterschiedlichen Entwicklungstypen Braunschweig und Hannover, Bonn 1981. Bouvier, Beatrix W.: Französische Revolution und deutsche Arbeiterbewegung. Die Rezeption des revolutionären Frankreich in der deutschen sozialistischen Arbeiterbewegung von den 1830er Jahren bis 1905, Bonn 1982. Brandt, Peter/Herbert Ammon (Hrsg.), Die Linke und die nationale Frage. Dokumente zur deutschen Einheit seit 1945, Hamburg 1981. dies..: Patriotismus von links, in: Wolfgang Venohr (Hrsg.), Die deutsche Einheit kommt bestimmt, Bergisch-Gladbach 1982, S.118-159. Brandt, Willy: Zwanzig Jahre sind genug, in: FAZ, 3.5.1965. ders.: Zwanzig Jahre sind genug, in: Die Welt, 8.5.1965. ders.: Die Vorsitzende der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD, Susanne Miller ist gestern 70 Jahre alt geworden, in: Service der SPD für Presse, Funk, TV vom 15.5.1985. Broszat, Martin: Plädoyer für eine Historisierung des Nationalsozialismus, in: Merkur 39 (1985), S.373-385. ders.: Plädoyer für Alltagsgeschichte. Eine Replik auf Jürgen Kocka, in: ders., Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte, München 1986, S.239-244. ders.: Was heißt Historisierung des Nationalsozialismus?, in: HZ 274 (1988), S.1-14. ders./Saul Friedländer: Um die »Historisierung des Nationalsozialismus«. Ein Briefwechsel, in: VfZ 36 (1988), S.339-372. Conze, Werner: Die Stellung der Sozialgeschichte in Forschung und Unterricht, in: GWU 3 (1952), S. 648-657. ders.: Rezension Archiv für Sozialgeschichte. 3. Bd., in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 53 (1966), S.575f..

228

ders./Dieter Groh, Die Arbeiterbewegung in der nationalen Bewegung. Die deutsche Sozialdemokratie vor, während und nach der Reichsgründung, Stuttgart 1966. ders.: Sozialgeschichte in der Erweiterung, in: Neue Politische Literatur 19 (1974), S.501-508. ders.: Zur Lage der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsunterrichts, in: GWU 26 (1975), S.71-78. Cunow, Heinrich: Eine neue Lassalle-Biographie, in: Die Neue Zeit 41(1923), S.242-245. Dahrendorf, Ralf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965. Deutsche Rückblicke auf die Reichsgründung, in: Neue Zürcher Zeitung, 19.1.1971. Die Deutsche Frage im Unterricht. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 23. November 1978, in: GWU 30 (1978), S.343-356. Dowe, Dieter: Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, sozialistischen und kommunistischen Bewegung von den Anfängen bis 1863, Bonn-Bad Godesberg 1976. Duve, Freimut: Tapfer im Sattel des Karussellgauls. Gelegentliche Gedanken zum Vorwurf unserer Geschichtslosigkeit, in: Das Parlament, 20-21 vom 17./24.5.1986. Erdmann, Karl Dietrich: Die falsche Alternative, in: GWU 23 (1972), S.353-363. Erhard, Ludwig: Wir brauchen ein klares Bewusstsein unserer Geschichte, in: Die Welt, 7.5.1965. Erklärung der Bundesregierung über die Vorbereitung des Besuchs von Präsident Reagan, in: Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (Hrsg.), Erinnerung, Trauer und Versöhnung. Ansprachen und Erklärung zum vierzigsten Jahrestag des Kriegsendes, Bonn 1985, S. 25-35. Erklärung des Verbandes der Historiker Deutschlands zum Studium des Fachs Geschichte an den Hochschulen (14.10.1975), in: GWU 27 (1976), S.223-225; Teil II, S.297-304; Teil III, S.566-569. Erklärung des Verbandes der Historiker Deutschlands, Gesellschaftliche Aufgaben der Geschichtswissenschaft in der Gegenwart, in: GWU 24 (1973), S.354-356. Erler, Fritz: Unser Platz unter den Völkern, Bonn 1965. Esters, Helmut/Hans Pelger: Gewerkschafter im Widerstand, Hannover 1967. Fabian, Walter: So brach 1914 aus, in: GMH 15 (1964), S.466-480. Faulenbach, Bernd: Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 1980. ders.: »Deutsche Sonderweg«. Zur Geschichte und Problematik einer zentralen Kategorie des deutschen geschichtlichen Bewusstseins, in: APuZ 39 (1981), S.3-21. Fischer, Fritz: Deutsche Kriegsziele, Revolutionierung und Separatfrieden im Osten 1914–1918, in: HZ 188 (1959), S. 249–310. ders.: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Düsseldorf 1961. Freudenfeld, Burghard: Das perfekte Provisorium. Auf der Suche nach einem deutschen Staat, in: Hochland 59 (1967), S.421-433. Friedländer, Saul: Überlegungen zur Historisierung des Nationalsozialismus, in: Dan Diner (Hrsg.), Ist der Nationalsozialismus Geschichte? Zu Historisierung und Historikerstreit, Frankfurt a.M. 1987, S.34-50. ders.: Martin Borszat und die Historisierung des Nationalsozialismus, in: Klaus-Dietmar Henke/Claudio Natoli (Hrsg.), Mit dem Pathos der Nüchtenheit. Martin Broszat, das Institut für Zeitgeschichte und die Erforschung des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M./New York 1991, S.155-171. Fuchs, Anke: Die SPD begrüßt den neuen Schwung der linken Intelligenz, in: Service der SPD für Presse, Funk, TV vom 14.12.1987. 229

Gabbe, Jörg: Parteien und Nation. Zur Rolle des Nationalbewusstseins für die politischen Grundorientierung der Parteien in der Anfangsphase der Bundesrepublik, Meisenheim am Glan 1976. Geiss, Imanuel: Tocqueville und Karl Marx. Eine vergleichende Analyse anlässlich des 100. Todestages von Alexis de Tocqueville, in: NG 6 (1959), S.237-240. ders.: Zur Struktur der industriellen Revolution, in: AfS 1 (1961), S.177-200. ders.: Das makabre Doppeljubiläum, in: Vorwärts, 19.7.1964. ders.: Angst vor der Wahrheit. Giselher Wirsing und seine Geschichtsklitterung, in: Vorwärts, 26.8.1964. ders.: Juli 1914. Die europäische Krise und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, München 1964. ders.: Was wird aus der Bundesrepublik? Die Deutschen zwischen Sozialismus und Revolution, Hamburg 1973. ders.: Geschichte bis in die Schulbücher, in: Heinrich Böll/Helmut Gollwitzer/Carlo Schmid (Hrsg.), Anstoß und Ermutigung, Frankfurt a. M. 1974, S.37-56. Gerstenmaier, Eugen: Die Last des Vorwurfs. Zweimal deutsche Kriegsschuld?, in: Christ und Welt, 2.9.1964. Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht. Lageanalyse – Folgerungen – Empfehlungen. Stellungnahme des Verbandes der Historiker Deutschlands im Zusammenwirken mit dem Verband der Geschichtslehrer Deutschlands, in: GWU 23 (1972), S.1-13. Girndt (geb. Haßenpflug), Ilse: Zentralismus in der britischen Zone: Entwicklungen und Bestrebungen beim Wiederaufbau der staatlichen Verwaltungsorganisation auf der Ebene oberhalb der Länder 1945-1948, Bonn 1971. Grebing, Helga: Ein Tabu verletzt?, in: NG 10 (1963), S.70f.. ders.: Hundert Jahre SPD. Zwischen Tradition und Fortschritt, in: Politische Studien, München 1963. ders.: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Überblick, München 1966². ders.: Mut zu kontroversen Selbstdarstellung. Der Bau des Museums gehört in die Hände des Parlament, in: Das Parlament, 20-21 vom 17./24.5.1986. ders.: Der »Deutsche Sonderweg« in Europa 1806-1945. Eine Kritik, Stuttgart 1986. Groh, Dieter: Kritische Geschichtswissenschaft in emanzipatorischer Absicht. Überlegungen zur Geschichtswissenschaft als Sozialwissenschaft, Stuttgart 1973. ders.: Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkrieges 1909-1914, Berlin 1972. Günther, Klaus: Sozialdemokratie und Demokratie 1946-1966. Die SPD und das Problem der Verschränkung innerparteilicher und bundesrepublikanischer Demokratie, Bonn 1979. Habermas, Jürgen: Eine Art Schadensabwicklung. Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung, in: Die Zeit, 11.7.1986. ders.: Eine Diskussionsbemerkung, in: Hilmar Hoffmann (Hrsg.), Gegen den Versuch, Vergangenheit zu verbiegen. Eine Diskussion um politische Kultur in der Bundesrepublik aus Anlass der Frankfurter Römerberggespräche 1986, Frankfurt a. M. 1987, S.140-144. ders.: Vom öffentlichen Gebrauch der Historie, in: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S.243-255. Helbling, Hanno: Suchbild der Vergangenheit. Was vom deutschen Geschichtsbuch erwartet wird, in: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S.151-155. Hertz-Eichenrode, W.: Brandt Abschied von der Staatsnation, in: Die Welt, 17.2.1973.

230

Herzfeld, Hans: Zur deutschen Politik im Ersten Weltkriege. Kontinuität oder permanente Krise? in: HZ 191 (1960), S. 67-82. Heß, Hans-Jürgen: Innerparteiliche Gruppenbildung. Macht- und Demokratieverlust einer politischen Partei am Beispiel der Berliner SPD in den Jahren von 1963 bis 1981, Bonn 1984. Heuss, Alfred: Verlust der Geschichte, Göttingen 1959. Hildebrand, Klaus: Geschichte oder »Gesellschaftsgeschichte«? Die Notwendigkeit einer politischen Geschichtsschreibung von den internationalen Beziehungen, in: HZ 223 (1976), S.328-357. ders.: Wer dem Abgrund entrinnen will, muss ihn aufs genaueste ausloten, in: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S.281-292. Hillgruber, Andreas: Deutsche Großmacht- und Weltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert, Düsseldorf 1977. ders.: Politische Geschichte in moderner Sicht, in: HZ 216 (1973), S.529-552. ders.: Deutsche Geschichte 1945-1972, Berlin 1974. ders.: Zweierlei Untergang. Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums, Berlin 1986. »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987. Historische Kommission beim SPD-Parteivorstand (Hrsg.), Historische Spurensuche in der politischen Praxis: Leitfaden, Bonn 1986. Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED (Hrsg.), Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 1-8, Berlin 1966. Jäckel, Eberhard: Sozialdemokratische Wählerinitiative, in: NG 16 (1969), S.197-200. ders./Ernst Weymar (Hrsg.): Die Funktion der Geschichte in unserer Zeit, Stuttgart 1975. Janßen, Karl-Heinz: Chauvinismus in der Schule. Die deutsche Frage im Unterricht. Schablonen aus Bonn, in: Die Zeit, 8.12.1978. ders.: Kampfansage, in: Die Zeit, 11.07.1986. ders.: Im Schatten der Vergangenheit. Die SPD brachte DDR-Historiker mit ihren westdeutschen Kollegen an einen Tisch, in: Die Zeit, 20.3.1987. Jeismann, Karl-Ernst/Erich Kosthorst, Geschichte und Gesellschaftslehre. Die Stellung der Geschichte in den Rahmenrichtlinien für die Sekundarstufe I in Hessen und den Rahmenlehrplänen für die Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen – Eine Kritik, in: GWU 24 (1973), S.261-288. ders.: Die deutsche Geschichte als Instrument im politischen Streit, in: NG 34 (1987), S.362-369. ders.: »Identität« statt »Emanzipation«? Zum Geschichtsbewusstsein in der Bundesrepublik, in: der., Geschichte und Bildung. Beiträge zur Geschichtsdidaktik und zur Historischen Bildungsforschung, München u.a. 2000, S.122-146. Kampen. Wilhelm van/Hans-Georg Kirchhoff (Hrsg.): Geschichte in der Öffentlichkeit, Stuttgart 1979. Kampffmeyer, Paul: Historische Volksaufklärung, in: Die Neue Zeit 40(1922), S.329-334. Klotzbach, Kurt: Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1914-1945, Bonn-Bad Godesberg 1974. Knauss, Bernhard: Deutschlands imperialistische Ziele im Ersten Weltkrieg, in: Süddeutsche Zeitung, 28.11.1961. Knoeringen, Waldemar von: Der Plan »Zukunft«. Gedanken zu einer zeitgerechten sozialisierten Politik, in: NG 5 (1958), S.413-417.

231

Kocka, Jürgen: Zu einigen sozialen Funktionen der Geschichtswissenschaft, in: Hellmut Becker/Wolfgang Edelstein/Jürgen Gidion/Hermann Giesecke/Hartmut von Hentig (Hrsg.), Geschichte und Sozialwissenschaften. Ihr Verhältnis im Lehrangebot der Universität und der Schule, Göttingen 1972, S.12-17. ders.: Theorien in der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte. Vorschläge zur historischen Schichtungsanalyse, in: GG 1 (1975), S.9-42. ders.: Geschichte – wozu?, in: ders., Sozialgeschichte. Begriff – Entwicklung – Probleme, Göttingen 1977, S.112-131. ders.: Angestellte zwischen Faschismus und Demokratie, Göttingen 1977. ders.: Klassen oder Kultur? Durchbrüche und Sackgassen in der Arbeitergeschichte, in: Merkur 36 (1982), S.955-65. ders.: Lohnarbeit und Klassenbildung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in Deutschland 1800- 1875, Berlin/Bonn 1983. ders.: Ein Jahrhundertunternehmen zum 750. Geburtstag. Berlin bekommt 1987 ein Deutsches Historisches Museum, in: Das Parlament, 20-21 vom 17./24.5.1986. ders.: Geschichte als Aufklärung?, in: Jörn Rüsen/Eberhard Lämmert/Peter Glotz (Hrsg.), Die Zukunft der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1988, S.91-98. Kogon, Eugon (Hrsg.): Rahmenrichtlinien Gesellschaftslehre. Konflikt und Konsens in der Gesellschaft der Gegensätze – Protokolle der Veranstaltungen in der Reihe Hessen-Forum, Frankfurt a. M. 1974. Kolb, Eberhard: Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik 1918-1919, Bonn 1962. Kramer, Dieter: Die Diskussion der »Römerberggespräche« 1986, in: Hilmar Hoffmann (Hrsg.), Gegen den Versuch, Vergangenheit zu verbiegen. Eine Diskussion um politische Kultur in der Bundesrepublik aus Anlass der Frankfurter Römerberggespräche 1986, Frankfurt a. M. 1987, S.105-139. Kriedte, Peter/Hans Medick/Jürgen Schlumbohn: Industrialisierung vor der Industrialisierung. Gewerbliche Warenproduktion auf dem Land der Formationsperiode des Kapitalismus, Göttingen 1977. Lehnert, Detlef: Sozialdemokratie zwischen Protestbewegung und Regierungspartei 1848 bis 1983, Frankfurt a. M. 1983. Lemberg, Eugen: Zur gesellschaftlichen Funktion der historischen Bildung. Aus Anlass der umstrittenen Rahmenrichtlinien, in: GWU 25 (1974), S.321-335. Lemke-Müller, Sabine: Ethischer Sozialismus und soziale Demokratie. Der politische Weg Willi Eichlers vom ISK zur SPD, Bonn 1988. Lindemann, Helmut: Monument deutscher Maßlosigkeit. Eine notwendige Berichtigung unseres Geschichtsbildes, in: GMH 13 (1962), S.285-290. Lübbe, Hermann: Identitätspräsentationsfunktion von Historie, in: Odo Marquard/Karlheinz Stierle (Hrsg.), Identität, München 1979, S.277-292. Lynar, Ernst Graf (Hrsg.): Deutsche Kriegsziele 1914-1918, Frankfurt a. M. 1964. Mann, Golo: Das Ende der Bonner Illusionen, in: Die Zeit, 18.8.1961. ders.: Die Rechnung für den verlorenen Krieg, in: Die Zeit, 22.9.1961. ders.: Die Stunde der Wahrheit ist gekommen, in: Stuttgarter Nachrichten, 30.12.1961. ders.: Das Ende der Ära Adenauer. Der Staatsmann und sein Werk, in: Sonderbeilage der Zeit, 18.10.1963. ders.: Das A.A. und die Wetterkarte, in: Die Zeit, 13.3.1964. ders.: Mit den Polen Frieden machen, in: Stern, 12.7.1964. ders.: Die Ära Adenauer, in: Römische Reden. Zehn Jahre Deutsche Bibliothek Rom. Goethe- Institut 1955-1965, München 1965, S.48-67. 232

ders.: Die Ostpolitik ist im Bismarckschen Sinn Realpolitik. Antwort von Golo Mann auf Artikel von Walter Görlitz, in: Die Welt, 17.1.1972. ders.: Die Verträge von Moskau und Warschau sind ein Werk des Mutes und der Klugheit, in: Neue Hannoversche Presse, 12.4.1972. ders.: Ohne Geschichte leben? (Rede auf dem Historikertag in Regensburg 1972), in: Die Zeit, 13.10.1972. ders.: Sinnloser Bruch, in: Die Zeit, 14.12.1973. Matthias, Erich: Sozialdemokratie und Nation. Zur Ideengeschichte der sozialdemokratischen Emigration 1933-1938, Stuttgart 1952. ders.: Kautsky und der Kautskyanismus. Die Funktion der Ideologie in der deutschen Sozialdemokratie vor dem ersten Weltkriege, in: Iring Fetscher (Hrsg.), Marxismusstudien, 2. Folge, Tübingen 1957, S.151-197. Mehring, Franz: Zur bürgerlichen Geschichtsschreibung, in: Die Neue Zeit 10 (1891-92), S.449- 453. Meier, Christian: Eröffnungsrede zur 36. Versammlung deutscher Historiker in Trier, 8. Oktober 1986, in: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S.204-214. ders.: Gesucht: Ein modus vivendi mit uns selbst, in: Reinhard Kühnl (Hrsg.), Streit um Geschichtsbild. Die »Historiker-Debatte«. Darstellung, Dokumentation, Kritik, Köln 1987, S.111-116. Miller, Susanne: Das Problem der Freiheit im Sozialismus, Frankfurt a. M. 1964. ders.: Burgfrieden und Klassenkampf. Die deutsche Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg, Düsseldorf 1974. ders./Heinrich Potthoff: Kleine Geschichte der SPD, Bonn 1974. ders.: Die Bürde der Macht. Die deutsche Sozialdemokratie 1918–1920, Düsseldorf 1978. ders.: »Wende«-Zeichen auf dem Gebiet der Geschichte, in: NG 33 (1986), S.836-840. ders.: Anmerkungen zum Geschichtsverständnis der SED und der SPD, in: NG 36 (1989), S.258- 264. Möller, Horst: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Plädoyer für die Versachlichung der Kontroverse über die Zeitgeschichte, in: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S.322-330. Mommsen, Hans: Zum Verhältnis von politischer Wissenschaft und Geschichtswissenschaft in Deutschland, in: VfZ 10 (1962), S.341-372. ders.: Die Hessischen Rahmenrichtlinien für das Fach »Gesellschaftslehre« in der Sicht des Fachhistorikers, in: Gerd Köhler/Ernst Reuter (Hrsg.), Was sollen Schüler lernen? Die Kontroverse um die hessischen Rahmenrichtlinien für die Unterrichtsfächer Deutsch und Gesellschaftslehre, Frankfurt a. M. 1973, S.88-91. ders.: Vorwort des Herausgebers, in: ders. (Hrsg.), Sozialdemokratie zwischen Klassenbewegung und Volkspartei. Verhandlungen der Sektion »Geschichte der Arbeiterbewegung« des Deutschen Historikertages in Regensburg, Oktober 1972, Frankfurt a. M. 1974, S.7-9. ders.: Geschichtsunterricht und Identitätsstiftung der Bundesrepublik, in: Geschichtsdidaktik 3 (1978), S. 291-312. ders.: Sozialdemokratie und Geschichte, in: NG 29 (1982), S.578-582. ders.: Verordnete Geschichtsbilder. Historische Museumspläne der Bundesregierung, in: GMH 37 (1986), S.13-24. ders.: Neues Geschichtsbewusstsein und Relativierung des Nationalsozialismus, in: Die Zeit, 3.10.1986. 233

ders.: Zum Projekt eines »Deutschen Historischen Museums« in West-Berlin, in: Christoph Stölzl (Hrsg.), Deutsches Historisches Museum. Ideen - Kontroversen - Perspektiven, Frankfurt a. M./Berlin 1988, S.296-310. Mommsen, Wolfgang J.: Die Geschichtswissenschaft jenseits des Historismus, Düsseldorf 1971. ders.: Die Geschichtswissenschaft in der modernen Industriegesellschaft, in: VfZ 22 (1974), S.1- 17, hier S.12. ders.: Gegenwärtige Tendenzen in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik, in: GG 7 (1981), S.149-188. Mühlen, Patrik von zur: »Schlagt Hitler an der Saar!«. Abstimmungskampf, Emigration und Widerstand im Saargebiet 1933-1935, Bonn 1979. Na'aman, Shlomo: Lassalle, Hannover 1970. Nellessen, Bernd: Deutschland auf dem Weg zum »Platz an der Sonne«. Das provozierende Buch eines Historikers: Fritz Fischers »Griff nach der Weltmacht«, in: Die Welt, 08.11.1961. Neumann, Siegmund: Geschichte, in: Sozialistische Monatshefte 70(1930), S.397. Niethammer, Lutz/Franz-Josef Brüggemeier: Wie wohnten die Arbeiter im Kaiserreich?, in: AfS 15 (1976), S.61-134. ders.: Anmerkungen zur Alltagsgeschichte, in: Geschichtsdidaktik 5 (1980), S.231-242. Nipperdey, Thomas: Über Relevanz, in: GWU 23 (1972), S.577-596. ders./Hermann Lübbe: Gutachten zu den Rahmenrichtlinien Sekundarstufe I. Gesellschaftslehre des Hessischen Kultusministers, Bad Homburg 1973. ders.: Konflikt – Einzige Wahrheit der Gesellschaft? Zur Kritik der hessischen Rahmenrichtlinien, Osnabrück 1974. ders.: Sozialdemokratie und Geschichte, in: Hannelore Horn/Alexander Schwan/Thomas Weingärtner (Hrsg.), Sozialismus in Theorie und Praxis. Festschrift für Richard Läwenthal zum 70. Geburtstag am 15. April 1978, Berlin/New York 1978, S.493-517. ders.: Unter der Herrschaft des Verdachts. Wissenschaftliche Aussagen dürfen nicht an ihrer politischen Funktion gemessen werden, in: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S.215-219. ders.: Wozu noch Geschichte?, in: Wolfgang Hardtwig (Hrsg.), Über das Studium der Geschichte, München 1990, S.366-388. Nolte, Ernst: SPD-Forum »Erziehung – Aufklärung – Restauration« am 8. Oktober 1986, in: ders., Das Vergehen der Vergangenheit. Antwort an meine Kritiker im sogenannten Historikerstreit, S.68-78. Oelmüller, Willi (Hrsg.): Wozu noch Geschichte?, München 1977. Oertzen, Peter von: Betriebsräte in der Novemberrevolution, Bonn 1963. ders.: Geschichte und politisches Bewusstsein, in: NG 29 (1982), S.571-577. Pelger, Hans: Zur sozialdemokratischen Bewegung in der Rheinprovinz vor dem Sozialistengesetz, in: AfS 5 (1965), S.377-406. ders.: Zur demokratischen und sozialen Bewegung in Norddeutschland im Anschluss an die Revolution 1848, in: AfS 8 (1968), S.161-245. Perels, Joachim: Wer sich verweigerte, ließ das eigene Land im Stich. In der Historiker-Debatte wird auch der Widerstand umbewertet, in: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S.367-372. Peukert, Detlev: Arbeiteralltag – Mode oder Methode?, in: Heiko Haumann (Hrsg.), Arbeiteralltag in Stadt und Land, Neue Wege der Geschichtsschreibung, Berlin 1982.

234

Pohl, Hans (Hrsg.): Forschungen zur Lage der Arbeiter im Industrialisierungsprozess, Stuttgart 1978. Reinhart Koselleck, Wozu noch Historie?, in: HZ 212 (1971), S.1-18. Ritter, Gerhard A.: Die Arbeiterbewegung im Wilhelminischen Reich. Die sozialdemokratische Partei und die Freien Gewerkschaften 1890-1900, Berlin 1959. ders./Klaus Tenfelde: Der Durchbruch der Freien Gewerkschaften zur Massenbewegung im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, in: Gerhard A. Ritter, Arbeiterbewegung, Parteien, Parlamentarismus. Aufsätze zur deutschen Sozial- und Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 1976, S.55-101. Ritter, Gerhard: Geschichte als Bildungsmacht. Ein Beitrag zur historisch-politischen Neubesinnung, Stuttgart 1946. ders.: Gegenwärtige Lage und Zukunftsaufgaben deutscher Geschichtswissenschaft. Eröffnungsvortrag des 20. Deutschen Historikertages in München am 12. September 1949, in: HZ 170 (1950), S.1-22. ders.: Der Erste Weltkrieg. Studien zum deutschen Geschichtsbild, Bonn 1964. Rothfels, Hans: Die Bewältigung der Gegenwart und die Geschichte, in: Saeculum 21 (1970), S.264-273. Safrian, Hans: Geschichte der Arbeiterbewegung und der Arbeiterkultur. Über Möglichkeiten, dem »schweigen der Basis« zu begegnen, in: Hubert Ch. Ehalt (Hrsg.), Geschichte von unten. Fragestellungen, Methoden und Projekte einer Geschichte des Alltag, Wien/Köln/Graz 1984, S.285-294. Schieder, Theodor: Hat Heinemann recht? Zu einer Rede über unser mangelhaftes Geschichtsbewusstsein, in: Christ und Welt, 27.1.1970. Schirrmacher, Frank: Allzu klar? »Zukunft der Aufklärung«, in: FAZ, 15.12.1987. Schmidt, Helmut: Bundesdeutsches Nationalbewusstsein?, in: Hochland 60 (1967/68), S.558-562. Schmidt, Horst: »Heißhunger auf Geschichte«. Ortsvereine entdecken ihre Vergangenheit, in: NG 30 (1983), S.900-906. ders.: in: »Ein kräftiger Schub für die Vergangenheit«. Spiegel-Report über die neue Geschichtsbewegung in der Bundesrepublik, in: Spiegel 23 (1983), S.36-42. Schmitz, Kurt Thomas: Deutsche Einheit und Europäische Integration. Der sozialdemokratische Beitrag zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des programmatischen Wandels einer Oppositionspartei, Bonn 1978. Schneider, Michael: Die Christlichen Gewerkschaften 1894-1933, Bonn 1982. ders.: Demokratie in Gefahr? Der Konflikt um die Notstandsgesetze: Sozialdemokratie, Gewerkschaften und intellektueller Protest (1958-1968), Bonn 1986. Schreiben der Verbände der Geschichtslehrer und der Historiker an die Kultusminister aller Bundesländer und die zuständigen Ministerien vom März 1973, in: GWU 25 (1974), S.50-52. Schröder, Gerhard: »Nein« zu den Ostverträgen, in: Die Zeit, 4.1.1972. Schulz, Gerhard (Hrsg.): Geschichte heute. Positionen, Tendenzen und Probleme, Göttingen 1973. Schulz, Klaus Peter: Proletarier, Klassenkämpfer, Staatsbürger. 100 Jahre deutsche Arbeiterbewegung, München 1963. Schulze, Hagen: Fragen, die wir stellen müssen. Keine historische Haftung ohne nationale Identität, in: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S.143-150. Sethe, Paul: Als Deutschland nach der Weltmacht griff. Professor Fischers These von der Alleinschuld am Ersten Weltkrieg wird noch viele Diskussionen auslösen, in: Die Zeit, 17.11.1961.

235

Silberner, Edmund: Johann Jacoby. Politiker und Mensch, Bonn 1976. auch ders. (Hrsg.), Johann Jacoby. Briefwechsel 1816-1849, Hannover 1974; ders. (Hrsg.), Johann Jacoby. Briefwechsel 1850-1877, Bonn 1978. Soell, Hartmut: Helmut Schmidt. Band 1: Vernunft und Leidenschaft. 1918–1969, München 2003. ders.: Helmut Schmidt. Band 2: Macht und Verantwortung. 1969 bis heute, München 2008. Sontheimer, Kurt: Referat, in: Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.), Deutscher Sonderweg – Mythos oder Realität, München 1982, S.27-33. Strauß, Franz Josel: Entwurf für Europa, Stuttgart 1966. ders.: Bismarck, die Erben und Heinemann, in: Bayernkurier, 23.1.1971. ders., Zur Lage, Stuttgart 1979. Stürmer, Michael: Koalition und Opposition in der Weimarer Republik 1924-1928, Düsseldorf 1967. ders.: Regierung und Reichstag im Bismarckstaat 1871-1880, Düsseldorf 1974. ders.: Weder verdrängen noch bewältigen. Geschichte und Gegenwartsbewusstsein der Deutschen, in: Schweizer Monatshefte (1986), S.689-694. ders.: Geschichte in geschichtslosem Land, in: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S.36-38. ders.: Was Geschichte wiegt, in: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S.293-295. ders.: Die Grenzen der Macht. Begegnung der Deutschen mit der Geschichte, Berlin 1992. Süskind, Martin: Zwischen Empörung und Resignation. Auf einem SPD-Forum ist der Historiker Ernst Nolte erneut in das Kreuzfeuer der Kritik geraten, in: Süddeutsche Zeitung, 12.10.1986. Tenfelde, Klaus/Gerhard A. Ritter (Hrsg.): Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung 1863-1914, Bonn 1980. Themenheft: Bedürfnisse, Erfahrung und Verhalten, in: Sozialwissenschaftliche Informationen für Unterricht und Studium 6 (1977), S.147-196. Ullrich, Volker: Geschichte von untern. Die neue Bewegung zur Erforschung des Alltags, in: Journal für Geschichte 2 (1984), S.2-16. Wehler, Hans-Ulrich: Krisenherde des Kaiserreichs 1871-1918. Studien zur deutschen Sozial- und Verfassungsgeschichte, Göttingen 1970. ders.: Das deutsche Kaiserreich 1871-1918, Göttingen 1973. ders.: Moderne Politikgeschichte oder »Große Politik der Kabinette«, in: GG 1 (1975), S.344-369. ders.: Geschichtswissenschaft heute, in: Jürgen Habermas (Hrsg.), Stichworte zur »Geistigen Situation der Zeit«, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1979, Bd.2, S.709-753. ders. (Hrsg.): Klassen in der europäischen Sozialgeschichte, Göttingen 1979. ders.: Geschichte als Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung. Studien zu Aufgaben und Traditionen deutscher Geschichtswissenschaft, Göttingen 1980. ders.: Der Bauernbandit als neuer Heros, in: Die Zeit, 18.9.1981. ders.: Das neue Interesse an der Geschichte, in: ders., Aus der Geschichte lernen?, München 1988, S.26-33. ders.: Den rationalen Argumenten standhalten. Geschichtsbewusstsein in Deutschland: Entstehung, Funktion, Ideologisierung, in: Das Parlament, 20-21 vom 17./24.5.1986. ders.: Entsorgung der Vergangenheit? Ein polemischer Essay zum »Historikerstreit«, München 1988. Weisser, Gerhard: Vorwort, in: AfS 1 (1961), S.1-3. Wilhelm der Eroberer, in: Der Spiegel, 49 (1961), S.54-58. Winkler, Heinrich-August: Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus, Köln 1972. 236

ders.: Der deutsche Sonderweg. Eine Nachlese, in: Merkur 35 (1981), S.793-804. ders.: Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918-1924, Berlin 1984. ders.: Der Schein der Normalität. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1924 bis 1930, Berlin 1985. ders.: Auf ewig in Hitlers Schatten? Zum Streit über das Geschichtsbild der Deutschen, in: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S.256-263. ders.: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930 bis 1933, Berlin 1987. Wirsing, Sibylle: Die unerlöste Nation. Deutsche Geschichte im Museum. Nachtrag zu einer Berliner Tagung im Reichstagsgebäude, in: FAZ, 14.10.1986. Wittram, Reinhard: Das Interesse an der Geschichte. Zwölf Vorlesungen über Fragen des zeitgenössischen Geschichtsverständnisses, Göttingen 1958. Wolf, Christian: Deutschland über alles, in: Vorwärts, Nr.4, 24.1.1962, S.14.

5. Sekundärliteratur

Alföldy, Géza/Ferdinand Seibt/Albrecht Timm (Hrsg.): Probleme der Geschichtswissenschaft, Düsseldorf 1973. Allemann, Fritz René: Bonn ist nicht Weimar, Köln 1956. Aly, Götz/Heim Susanne, Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Hamburg 1991. Baumeister, Martin: Thomas Nipperdey (1927-1992), in: Katharina Weigand (Hrsg.), Münchner Historiker zwischen Politik und Wissenschaft. 150 Jahre Historisches Seminar der Ludwig- Maximilians-Universität, München 2012, S.309-328. Baumgart, Winfried: Deutschland im Zeitalter des Imperialismus 1890-1914, Berlin 1971. Beier, Gerhard: Arbeiterbewegung in Hessen. Zur Geschichte der hessischen Arbeiterbewegung durch 150 Jahre (1834–1984), Frankfurt a. M. 1984. Benz, Wolfgang: Zum Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Bundesrepublik, in: Jürgen Danyel (Hrsg.), Die geteilte Vergangenheit. Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten, Berlin 1995, S.47-60. Berghahn, Volker: Geschichtswissenschaft und Große Politik, in: APuZ 11 (1987), S.25-37. Bergman, Werner: Antisemitismus in öffentlichen Konflikten. Kollektives Lernen in der politischen Kultur der Bundesrepublik 1949-1989, Frankfurt a. M./New York 1997, S.446, Anm.181. Bergstraesser, Arnold: Geschichtliches Bewusstsein und politische Entscheidung. Eine Problemskizze, in: Waldemar Besson/Friedrich Frhr. Hiller v. Gaertringen (Hrsg.), Geschichte und Gegenwartsbewusstsein. Historische Betrachtungen und Untersuchungen, Göttingen 1963, S.9-38. Berthold, Werner/Gerhard Lozek/Helmut Meier: Entwicklungstendenzen im historisch- politischen Denken in Westdeutschland, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 12 (1964), S.585-602. Besson, Waldemar: Geschichte als politischer Wissenschaft. Zum Verhältnis von nationalstaatlichem und historischem Denken, in: ders./Friedrich Frhr. Hiller v. Gaertringen (Hrsg.), Geschichte und Gegenwartsbewusstsein. Historische Betrachtungen und Untersuchungen, Göttingen 1963, S.66-85.

237

Bitterli, Urs: Golo Mann. Instanz und Außenseiter. Eine Biografie, Berlin 2004. Blaschke, Olaf: Geschichtsdeutung und Vergangenheitspolitik. Die Kommission für Zeitgeschichte und das Netzwerk kirchenloyaler Katholizismusforscher 1945-2000, in: Thomas Pittrof/Walter Schmitz (Hrsg.), Freie Anerkennung übergeschichtlicher Bindungen. Katholische Geschichtswahrnehmung im deutschsprachigen Raum des 20. Jahrhunderts. Beiträge des Dresdener Kolloquiums vom 10. bis 13. März 2007, Freiburg/Berlin/Wien 2010, S.479-521. Bouvier, Beatrix W./Michael Schneider (Hrsg.), Geschichtspolitik und demokratische Kultur. Bilanz und Perspektiven, 2008. Brechenmacher, Thomas: Wieviel Gegenwart verträgt historisches Urteilen? Die Kontroverse zwischen Heinrich von Sybel und Julius Ficker über die Bewertung der Kaiserpolitik des Mittelalters (1859-1862), in: Ulrich Muhlack (Hrsg.), Historisierung und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland im 19. Jahrhundert, Berlin 2003, S.87-112 Conze, Werner: Die deutsche Geschichtswissenschaft seit 1945. Bedingungen und Ergebnisse, in: HZ 225 (1977), S.1-28. Dalberg, Thomas: Franz Josef Strauß. Porträt eines Politikers, Gütersloh 1968. Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hrsg.), Aufgaben und Finanzierung V. 1976-1978, Bonn-Bad Godesberg 1976. Deutscher Historikerverband (Hrsg.), Bericht über die 35. Versammlung der Historiker Deutschlands, Berlin 1984. Doering-Manteuffel, Anselm: Deutsche Zeitgeschichte nach 1945. Entwicklung und Problemlagen der historischen Forschung zur Nachkriegszeit, in: VfZ 41 (1993), S.1-29. Donat, Helmut/Diether Koch/Martin Rohkrämer: Bibliographie zum »Historikerstreit«, in: Helmut Donat/Lothar Wieland (Hrsg.), »Auschwitz erst möglich gemacht?«. Überlegung zur jüngsten konservativen Geschichtsbewältigung, Bremen 1991, S.150-214. Dowe, Dieter/Kurt Klotzbach/Hans Pelger: In memoriam Georg Eckert, in: AfS, 14 (1974), S.XI- XIII. ders./Hans Pelger: In memoriam Kurt Klotzbach, in: AfS 29 (1989), S.XXXIII-XXXV. ders.: Vorwort, in: ders (Hrsg.), 40 Jahre Insitut für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig-Bonn: 1962 – 2002, Bonn 2003. Dubiel, Helmut: Niemand ist frei von der Geschichte. Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages, München/Wien 1999. Eckel, Jan: Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2005. Ehmke, Horst: Politik der praktischen Vernunft. Aufsätze und Referate, Frankfurt a. M. 1969. Eichhorn, Janna: Geschichtswissenschaft zwischen Tradition und Innovation. Diskurse, Institutionen und Machtstrukturen der bundesdeutschen Frühneuzeitforschung, Göttingen 2006. Etzemüller, Thomas: Sozialgeschichte als politische Geschichte. Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, Tübingen 2000. Faulenbach, Bernd: Deutsche Geschichtswissenschaft zwischen Kaiserreich und NS-Diktatur, in: ders. (Hrsg.), Geschichtswissenschaft in Deutschland. Traditionelle Positionen und gegenwärtige Aufgaben, München 1974, S. 66-85. ders.: Die Bedeutung der NS-Vergangenheit für die Bundesrepublik – Zur politischen Dimensionen des »Historikerstreits«, in: ders./Rainer Bölling, Geschichtsbewusstsein und historisch-politische Bildung in der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zum »Historikerstreits«, Düsseldorf 1988, S.9-38. ders.: Die Siebzigerjahre – ein sozialdemokratisches Jahrzehnt?, in: AfS 44 (2004), S.1-37.

238

ders.: Susanne Miller als Vorsitzende der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD, in: Dieter Dowe (Hrsg.), Begegnungen. Susi Miller zum 90. Geburtstag, Bonn 2006, S.35-41. ders.: Die deutsche Sozialdemokratie in den geschichtspolitischen Auseinandersetzungen der 1970er und 1980er Jahre, in: Jürgen Mittag/Berthold Unfried (Hrsg.), Arbeiter- und soziale Bewegungen in der öffentlichen Erinnerung. Eine globale Perspektive, Leipzig 2011, S.95- 110. ders.: Das sozialdemokratische Jahrzehnt. Von der Reformeuphorie zur neuen Unübersichtlichkeit. Die SPD 1969-1982, Bonn 2011. Fichter, Tilman: SDS und SPD. Parteilichkeit jenseits der Partei, Opladen 1988. Fischer, Alexander/Günther Heydemann (Hrsg.): Geschichtswissenschaft in der DDR. Bd.1: Historische Entwicklung, Theoriediskussion und Geschichtsdidaktik, Berlin 1988. Frei, Alfred Georg: Geschichte aus den »Graswurzeln«? Geschichtswerkstätten in der historischen Kulturarbeit, in: APuZ 2 (1988), S.35-46. Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS- Vergangenheit. München 1996. Friedeburg, Ludwig von: Bildungsreform in Deutschland. Geschichte und gesellschaftlicher Widerspruch, Frankfurt a. M. 1989. Fülberth, Georg/Jürgen Harrer: Operative Geschichtsschreibung. Literatur zur Geschichte der Arbeiterbewegung aus dem Institut für Politikwissenschaft, in: Wolfgang Hecker/Joachim Klein/Hans Karl Rupp (Hrsg.), Politik und Wissenschaft. 50 Jahre Politikwissenschaft in Marburg, Band 1, Münster 2001, S.230-238. Fulbrook, Mary: Wissenschaftler und Parteigänger. Ost- und westdeutsche Historiker in den 1970er und 1980er Jahren, in: Christoph Cornelißen (Hg.), Geschichtswissenschaft im Geist der Demokratie. Wolfgang J. Mommsen und seine Generation, Berlin 2010, S.293-307. Garbe, Joachim: Deutsche Geschichte in deutschen Geschichten der neunziger Jahre, Würzburg 2002. Geiss, Imanuel: Die Fischer-Kontroverse. Ein kritischer Beitrag zum Verhältnis zwischen Historiographie und Politik in der Bundesrepublik, in: ders., Studien über Geschichte und Geschichtswissenschaft, Frankfurt a. M. 1972, S.108-198. ders.: Von der Rechts- zur Linksorthodoxie. Das politisch-ideologische Element in der deutschen Geschichtsschreibung seit 1871, von Treitschke zu Wehler, in: Thomas Stamm- Kuhlmann/Jürgen Elvert/Birgit Aschmann/Jens Hohensee (Hrsg.), Geschichtsbilder. Festschrift für Michael Salewski zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2003, S.410-431. Grebing, Helga (Hrsg.): Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland. Sozialismus – katholische Soziallehre – protestantische Sozialethik. Ein Handbuch, Wiesbaden 2005. Greffrath, Matthias: Ein behutsamer Marschbefehl. Kongress »Zukunft der Aufklärung«, in: Die Zeit, 18.12.1987. Groh, Dieter /Peter Brandt: »Vaterlandslose Gesellen«. Sozialdemokratie und Nation 1860–1990, München 1992. Haar, Ingo: Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der »Volkstumskampf« im Osten, Göttingen 2000. Habermas, Jürgen: Erkenntnisse und Interesse, in: ders., Technik und Wissenschaft als »Ideologie«, Frankfurt a. M. 1969², S.146-168. ders.: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt a. M. 1985. ders.: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2: Zur Kritik der funtionalistischen Vernunft, Frankfurt a. M. 1997. Hagenhoff, Svenja/Lutz Seidenfaden/Björn Ortelbach/Matthias Schumann (Hrsg.): Neue Formen der Wissenschaftskommunikation. Eine Fallstudienuntersuchung, Göttingen 2007. 239

Hallgarten, George F.: Deutsche Selbstschau nach 50 Jahren. Fritz Fischer, seine Gegner und Vorläufer, in: ders., Das Schicksal des Imperialismus im 20. Jahrhundert. Drei Abhandlungen über Kriegsursachen in Vergangenheit und Gegenwart, Frankfurt a. M. 1969, S.57-135. Harstick, Hans-Peter: Georg Eckert (1912-1974). Wegbereiter einer neuen Konzeption von Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, in: Ursula A. J. Becher/Rainer Riemenschneider (Hrsg.), Internationale Verständigung. 25 Jahre Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig, Hannover 2000, S.105-115. Hartman,Geoffrey H. (Hrsg.): Bitburg in moral and political perspektive, Bloomington 1986. Heidermann, Horst: Vorbedingung und Überlegungen bis 1969, in: Das gedruckte Gedächtnis der Arbeiterbewegung: Festschrift zum 30-jährigen Bestehen der Bibliothek der Friedrich- Ebert-Stiftung, Bonn 1999, S.15-21. Heimpel, Hermann: Kapitulation vor der Geschichte? Gedanken zur Zeit, Göttingen 1956. Heinssen, Johannes: Die führe Krise des Historismus 1870-1900. Das Beispiel der Kunsttheorie, in: Otto Gerhard Oexle (Hrsg.), Krise des Historismus – Krise der Wirklichkeit. Wissenschaft, Kunst und Literatur 1800-1932, Göttingen 2007, S.117-146. Herbert, Ulrich: Der Historikerstreit. Politische, wissenschaftliche, biographische Aspekte, in: Martin Sabrow/Ralph Jessen/Klaus Große Kracht (Hrsg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945, München 2003, S.94-113. Hohls, Rüdiger/Konrad H. Jarausch (Hrsg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart 2000. Hubatsch, Walther: Kaiserliche Marine, München 1975. Iggers, Georg G.: Neue Geschichtswissenschaft. Vom Historismus zur Historischen Sozialwissenschaft. Ein internationaler Vergleich, München 1978. ders.: Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart, Wien 1997. Jaeger, Friedrich/Jörn Rüsen: Geschichte des Historismus. Eine Einführung, München 1992. Jäger, Wolfgang: Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland. Die Debatte 1914-1980 über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, Göttingen 1984. Jansen, Dorothea: Einführung in die Netzwerkanalyse. Grundlagen, Methoden, Forschungsbeispiele, Opladen 20032. Jesse, Eckhard: Der sogenannte Historikerstreit. Ein deutscher Streit, in: Thomas M. Gauly (Hrsg.), Die Last der Geschichte. Kontroversen zur deutschen Identität, Köln 1988, S.9-54. Joffe, Josef: Vergangenheitsbereinigung und Historikerstreit. Oder: Alle Geschichte ist rückwärtsgewandte Politik, in: Schweizer Monatshefte 12 (1987), S.1025-1041. Kailitz, Steffen: Die politische Deutungskultur im Spiegel des »Historikerstreits«. What’s right? What’s left?, Wiesbaden 2001. ders. (Hrsg.): Die Gegenwart der Vergangenheit. Der »Historikerstreit« und die deutsche Geschichtspolitik, Wiesbaden 2008. Kämmerer, Jürgen (Hrsg.): Heinrich Ritter von Srbik. Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers 1912-1945, Boppard am Rhein 1988. Klee, Ernst: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt a. M. 2005. Klemm, Claudia: Erinnert – umstritten – gefeiert. Die Revolution von 1848/49 in der deutschen Gedenkkultur, Göttingen 2007. Klingl, Friedrich: »Das ganze Deutschland soll es sein!« – Thomas Dehler und die außenpolitischen Weichenstellungen der fünfziger Jahre, München 1987. Kocka, Jürgen: Sozialgeschichte. Begiff – Entwicklung – Probleme, Göttingen 19962.

240

ders.: Sozialgeschichte in Deutschland seit 1945. Aufstieg – Krise – Perspektiven: Vortrag auf der Festveranstaltung zum 40-jährigen Bestehen des Instituts für Sozialgeschichte am 25. Oktober 2002 in Braunschweig, Bonn 2002. Kössler, Till: Zwischen Milieu und Markt. Die populare Geschichtsschreibung der sozialistischen Arbeiterbewegung 1890-1933, in: Wolfgang Hardtwig/Erhard Schhütz (Hrsg.), Geschichte für Leser. Populäre Geschichtsschreibung in Deutschland im 20. Jahrhundert, München 2005, S.259-286. Kracht, Klaus Große: Die zankende Zunft. Historische Kontroversen in Deutschland nach 1945, Göttingen 2005. Kronenberg, Volker (Hrsg.): Zeitgeschichte, Wissenschaft und Politik. Der »Historikerstreit« – 20 Jahre danach, Wiesbaden 2008. Lahme, Tilmann/Holger R. Stunz: Der Erfolg als Missverständnis? Wie Golo Mann zum Bestsellerautor wurde?, in: Wolfgang Hardtwig/Erhard Schütz (Hrsg.), Geschichte für Leser. Populäre Geschichtswissenschaft in Deutschland im 20. Jahrhundert, München 2005, S.371- 398. ders.: Golo Mann. Biographie, Frankfurt a. M. 2009. Langenbucher, Wolfgang R.: Peter Glotz 60 Jahre, in: Publizistik 44 (1999), S.218-222. Langewiesche, Dieter: 1848 und 1918 – zwei deutsche Revolutionen, Bonn 1998. ders.: Über das Umschreiben der Geschichte. Zur Rolle der Sozialgeschichte, in: ders. Zeitwende. Geschichtsdenken heute, Göttingen 2008, S.56-68. ders.: Die Geschichtsschreibung und ihr Publikum. Zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Geschichtsmarkt, in: ders., Zeitwende. Geschichtsdenken heute, Göttingen 2008, S.85- 100. ders.: Der »deutsche Sonderewg«. Defizitgeschichte als geschichtspolitische Zukunftskonstruktion nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, in: ders. Zeitwende. Geschichtsdenken heute, Göttingen 2008, S.164-171. Löer, Wigbert: Ausflug zur Macht, noch nicht wiederholt. Die Sozialdemokratische Wählerinitiative und ihre Rudimente im Bundestagswahlkampf 1998, in: Tobias Dürr/Franz Walter (Hrsg.), Solidargemeinschaft und fragmentierte Gesellschaft. Parteien, Milieus und Verbände im Vergleich, Opladen 1999, S.379-393. Lübbe, Hermann: Die politische Verantwortung des Gelehrten, in: Wulf Steinmann/Hans Günter Hockerts/Wolfgang Hardtwig/Sten Nadolny/Hermann Lübbe, Im Memoriam Thomas Nipperdey. Reden gehalten am 14. Juni 1993 bei der Akademischen Gedenkfeier der Philosophischen Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians- Universität München, München 1994, S.37-43. Lüssi, Kathrin: Golo Mann. »Ich schere mich den Teufel um rechts oder links!«, in: ders./Sibylle Birrer/Reto Caluori/Roger Sidler (Hrsg.), Nachfragen und Vordenken. Intellektuelles Engagement bei Jean Rudolf von Salis, Golo Mann, Arnold Künzli und Nikolaus Meinenberg, Zürich 2000, S.89-138. Maier, Charles S.: Die Gegenwart der Vergangenheit. Geschichte und die nationale Identität der Deutschen, Frankfurt a. M. 1992. Mälzer, Moritz: Ausstellungsstück Nation. Die Debatte um die Gründung des Deutschen Historischen Museums in Berlin, Bonn 2005. Mende, Silke: »Nicht rechts, nicht links, sondern vorn«. Eine Geschichte der Gründungsgrünen, München 2011. Mengersen, Oliver v./Matthias Frese/Klaus Kempter/Heide-Marie Lauterer/Volker Schober, Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Personen – Soziale Bewegungen – Parteien. Beiträge zur Geschichte. Festschrift für Hartmut Soell, Heidelberg 2004, S.9-12. 241

Merseburger, Peter: Willy Brandt 1913-1992. Visionär und Realist, Stuttgart 2002. Mertens, Lothar: Priester der Klio oder Hofchronisten der Partei? Kollektivbiographische Analysen zur DDR-Historikerschaft, Göttingen 2006. Meyer, Thomas: »Wir müssen unsere Tore geistig öffnen«. Erinnerung an den Gründer Willi Eichler, in: NG 51(2004), S.10f. Miller, Susanne: Geschichtsbewusstsein und Sozialdemokratie, in: NG 41 (1994), S.307-311. Müller, Rolf-Dieter: Geschichtswende? Gedanken zu den Ursachen, Dimensionen und Folgen des »Historikerstreits«, in: Gernot Erler/Rolf-Dieter Müller/Ulrich Rose/Thomas Schnabel/Gerd R. Ueberschär/Wolfram Wette, Geschichtswende? Entsorgungsversuche zur deutschen Geschichte, Freiburg 1987, S.128-147. Müller-Vogg, Hugo: Beim Wort genommen. Roland Koch im Gespräch mit Hugo Müller-Vogg, Frankfrut a. M. 2002. Münkel, Daniela: Intellektuelle für die SPD. Die sozialdemokratische Wählerinitiative, in: Thomas Hertfelder/Gangolf Hübinger (Hrsg.), Kritik und Mandat. Intellektuelle in der deutschen Politik, Stuttgart 2000, S.222-238. Multhoff, Robert: Rede auf der Trauerfeier für Georg Eckert am 14. Januar 1974, in: In memoriam Georg Eckert (1912-1974), Braunschweig 1974, S.24f. Nieberg, Hiltrud: Wissenskommunikation zwischen Wissenschaft, Administration und Politik im Bereich der Landwirtschaft – Möglichkeiten und Probleme, in: Cordula Kropp/Frank Schiller/Jost Wagner (Hrsg.), Die Zukunft der Wissenschaftskommunikation. Perspektiven für einen reflexiven Dialog von Wissenschaft und Politik – am Beispiel des Agrarbereichs, Berlin 2007, S.79-102. Nolte, Paul: Die Historiker der Bundesrepublik. Rückblick auf eine »lange Generation«, in: Merkur 53 (1999), S.413-432. Nußbaum, Albert/Hubert Feger: Analyse des deutschensprachigen psychologischen Zeitschriftensystems, in: Psychologische Rundschau 29 (1978), S.91-112. Polexe, Laura: Netzwerke und Freundschaft. Sozialdemokraten in Rumänien, Russland und der Schweiz an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, Freiburg 2011. Potthoff, Heinrich /Susanne Miller, Kleine Geschichte der SPD 1848-2002, Bonn 20028. Raphael, Lutz: Die Erben von Bloch und Febvre. »Annales«-Geschichtsschreibung und »nouvelle histoire« in Frankreich 1945-1980, Stuttgart 1994. Rebenich, Stefan: Theodor Mommsen und Adolf Harnack. Wissenschaft und Politik im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Berlin/New York 1997. Reichel, Peter: Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, München u. a. 1995. ders.: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz, München 2007². Rensing, Matthias: Geschichte und Politik in den Reden der deutschen Bundespräsidenten 1949- 1984, Münster 1996. Ritter, Gerhard A.: Die neuere Sozialgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland, in: Jürgen Kocka (Hrsg.), Sozialgeschichte im internationalen Überblick. Ergebnisse und Tendenzen der Forschung, Darmstadt 1989, S.19-88. Rodolf, Hermann: Mit Ideen Politik bewegen, in: Der Tagesspiegel, 9.7.2004. Rose, Ulrich: Geschichte, zur Schau gestellt in Vitrinen: Die Diskussion um zwei Museen und ein Mahnmal, in: Gernot Erler/Rolf-Dieter Müller/Ulrich Rose/Thomas Schnabel/Gerd R. Ueberschär/Wolfram Wette, Geschichtswende? Entsorgungsversuche zur deutschen Geschichte, Freiburg 1987, S.35-61.

242

Roth, Florian: Die Idee der Nation im politischen Diskurs. Die Bundesrepublik Deutschland zwischen neuer Ostpolitik und Wiedervereinigung (1969-1990), Baden-Baden 1995. Rothfels, Hans: Die Geschichtswissenschaft in den 30er Jahren, in: Andreas Flitner (Hrsg.), Deutsches Geistesleben und Nationalsozialismus. Eine Vortragsreihe der Universität Tübingen mit einem Nachwort von Hermann Diem, Tübingen 1965, S.90-302. Rüsen, Jörn/Eberhard Lämmert/Peter Glotz (Hrsg.): Die Zukunft der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1988. ders.: Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art, über Geschichte nachzudenken, in: ders./Theo Grütter/Klaus Füßmann (Hrsg.), Historische Faszination. Geschichtskultur heute, Köln u. a. 1994, S. 3–26. Rusinek, Bernd-A.: Von der Entdeckung der NS-Vergangenheit zum generellen Faschismusverdacht – akademische Diskurse in der Bundesrepublik der 60er Jahre, in: Axel Schildt/Detlef Siegfried/Karl Christian Lammers (Hrsg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000, S.114-147. Sabrow, Martin: Das Diktat des Konsenses. Geschichtswissenschaft in der DDR 1949-1969. München 2001. ders.: Auf der Suche nach dem materialistischen Meisterton. Bauformen einer nationalen Gegenerzählung in der DDR, in: Konrad H. Jarausch/ders. (Hrsg.), Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S.33-77. Schmid, Harald: Erinnern an den »Tag der Schuld«. Das Novemberpogrom von 1938 in der deutschen Geschichtspolitik, 2001. Schmolke, Oliver: Revision. Nach 1968 – Vom politischen Wandel der Geschichtsbilder in der Bundesrepublik Deutschland, Dissertation (FU Berlin) 2007. Schnabel, Thomas: Geschichte und Wende. Vom heutigen Gebrauch der Vergangenheit bei konservativen Politikern und Publizisten, in: Gernot Erler/Rolf-Dieter Müller/Ulrich Rose/Thomas Schnabel/Gerd R. Ueberschär/Wolfram Wette, Geschichtswende? Entsorgungsversuche zur deutschen Geschichte, Freiburg 1987, S.9-34. Schnoor, Rainer: Die New Left history in den USA. Studien zur historisch-politischen Konzeptionen und zum konkret-historischen Geschichtsbild, Dissertation an der Pädagogischen Hochschule »Karl Liebknecht« Potsdam, 1984. Schönemann, Bernd: Geschichtsdidaktik und Geschichtskultur, in: ders./Bernd Mütter/Uwe Uffelmann (Hrsg.), Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik. Weingarten 2000, S. 26–58. Schönwalder, Karen: »Lehrmeisterin der Völker und der Jugend«. Historiker als politische Kommentatoren, in: Peter Schöttler (Hrsg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945, Frankfurt a. M. 1997, S.128-165. Schönwälder, Karen: Historiker und Politik. Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1992. Schorn-Schütte, Luise: Historische Politikforschung. Eine Einführung, München 2006. Schubert, Sebastian: Abschied vom Nationalstaat? Die deutsche Reichsgründung 1871 in der Geschichtspolitik des geteilten Deutschlands von 1965 bis 1974, in: Heinrich August Winker (Hrsg.), Griff nach der Deutungsmacht. Zur Geschichte der Geschichtspolitik in Deutschland, Göttingen 2004, S.230-265. Schulz, Günther: Sozialgeschichte, in: ders./Christoph Buchheim/Gerhard Fouquet/Rainer Gömmel/Friedrich-Wilhelm Henning/Karl Heinrich Kaufhold/Hans Pohl (Hrsg.), Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Arbeitsgebiete – Probleme – Perspektiven, München 2005, S.283-303. Schulze, Winfried: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989. 243

Schumacher, Martin: Gründung und Gründer der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, in: Karl Dietrich Bracher u. a. (Hrsg.), Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag, Berlin 1992, S.1029-1054. Schumann, Peter, Gerhard Ritter und die deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Mentalitäten und Lebensverhältnisse. Beispiele aus der Sozialgeschichte der Neuzeit. Rudolf Vierhaus zum 60. Geburtstag, Göttingen 1982, S. 399-415. Seuthe, Rupert: »Geistig-moralische Wende«? Der politische Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Ära Kohl am Beispiel von Gedenktagen, Museums- und Denkmalprojekten, Frankfurt a. M. 2001. Siegfried, Detlef: Zwischen Aufarbeitung und Schlussstrich. Der Umgang mit der NS- Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten 1958 bis 1969, in: ders./Axel Schildt/Karl Christian Lammers (Hrsg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000, S.77-113. Sontheimer, Kurt: So war Deutschland nie. Anmerkungen zur politischen Kultur der Bundesrepublik, München 1999. Sybel, Heinrich von: Über den Stand der neueren deutschen Geschichtsschreibung, in: ders., Kleine historische Schriften, München 1863, S. 343-359. Sywottek, Arnold: Die Fischer-Kontroverse. Ein Beitrag zur Entwicklung des politisch- historischen Bewusstseins in der Bundesrepublik, in: Imanuel Geiss/Bernd Jürgen Wendt (Hrsg.), Deutschland in der Weltpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts, Düsseldorf 1973, S.19- 47. ders.: Geschichtswissenschaft in der Legitimationskrise. Ein Überblick über Diskussion um Theorie und Didaktik der Geschichte in der Bundesrepublik Deutschland 1969-1973, Bonn- Bad Godesberg 1974. Vierhaus, Rodulf: Zur Lage der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Arbeitergemeinschaft außeruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland 1974, Stuttgart 1974, S.17-32. Vogtmeier, Andreas: Egon Bahr und die deutsche Frage. Zur Entwicklung der sozialdemokratischen Ost- und Deutschlandpolitik vom Kriegsende bis zur Vereinigung, Bonn 1996. Walther, Peter Th.: Zur Entwicklung der Geschichtswissenschaften in Berlin: Von der Weimarer Republik zur Vier-Sektoren-Stadt, in: Wolfram Fischer (Hrsg.), Exodus von Wissenschaften aus Berlin, Berlin/New York 1994, S.153-183. Weber, Hermann: Erich Matthias in Marburg, in: Wolfgang Hecker/Joachim Klein/Hans Karl Rupp (Hrsg.), Politik und Wissenschaft. 50 Jahre Politikwissenschaft in Marburg, Band 1: Zur Geschichte des Instituts, Münster 2001, S.77-85. Weber, Wolfgang: Prester der Klio. Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft 1800-1970, Frankfurt a.M. 1984. Wehler,Hans-Ulrich: Die Sozialgeschichte zwischen Wirtschaftsgeschichte und Politikgeschichte, in: ders., Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung, Göttingen 1980, S.136- 150. Weingart, Peter/Wolfgang Prinz/Maria Kastner/Sabine Massen/Wolfgang Walter: Die sogenannten Geisteswissenschaften: Außenansichten. Die Entwicklung der Geisteswissenschaften in der BRD 1954-1987, Frankfurt a. M. 1991. Welskopp, Thomas: Identität ex negativo. Der »deutsche Sonderweg« als Metaerzählung in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft der siebziger und achtziger Jahre, in: Konrad H. 244

Jarausch/Martin Sabrow (Hrsg.), Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S.109-139. Wende, Peter: Der politische Professor, in: Ulrich Muhlack (Hrsg.), Historisierung und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland im 19. Jahrhundert, Berlin 2003, S.21-29. Wesel, Uwe: Die verspielte Revolution. 1968 und die Folgen, München 2002. Westphal, Otto: Feinde Bismarcks. Geistige Grundlagen der deutschen Opposition 1848-1918, München-Berlin 1930. Wickert, Lothar: Theodor Mommsen. Eine Biographie. Bd.4: Größe und Grenzen, Frankfurt a. M. 1980. Winkler, Heinrich August: Der lange Weg nach Westen. Band 2, München 2001². ders. (hrsg.): Weimar im Widerstreit. Deutungen der ersten deutschen Republik im geteilten Deutschland, München 2002. ders. (hrsg.): Griff nach der Deutungsmacht. Zur Geschichte der Geschichtspolitik in Deutschland, Göttingen 2004. Wirsching, Andreas: Abschied vom Provisorium. Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1982 - 1990, München 2006. Wolfrum, Edgar: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1989. Phasen und Kontroversen, in: Petra Bock/ders. (Hrsg.), Umkämpfte Vergangenheit. Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich, Göttingen 1999, S.55-81. ders.: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948–1990, Darmstadt 1999. ders.: Geschichte als Waffe. Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung, Göttingen 2001. ders.: Das westdeutsche »Geschichtsbild« entsteht. Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und neues bundesrepublikanisches Staatsbewusstsein, in: Matthias Frese/Julia Paulus/Karl Teppe (Hrsg.), Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik, Paderborn 2003, S.227-246. ders.: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 2006. Wortlaut des »Nürnberger Manifest«, in: Pressemitteilung der SPD, 30.4.1985. Zimmermann, Rüdiger: Das gedruckte Gedächtnis der Arbeiterbewegung bewahren: Die Geschichte der Bibliotheken der deutschen Sozialdemokratie, Bonn 2008³.

245

Abkürzungsverzeichnis

AdsD Archiv der sozialen Demokratie AfS: Archiv für Sozialgeschichte APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte BRD Bundesrepublik Deutschland CDU: Christlich Demokratische Union Deutschlands CSU: Christlich-Soziale Union Deutschlands DDR Deutsche Demokratische Republik FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDP: Freie Demokratische Partei FES: Friedrlich-Ebert-Stiftung GG Geschichte und Gesellschaft GMH Gewerkschaftliche Monatshefte GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht HiKo Historische Kommission beim SPD-Parteivorstand HZ Historische Zeitschrift IfS Institut für Sozialgeschichte e.V. Braunschweig-Bonn NG Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SPD: Sozialdemokratische Partei Deutschlands SWI Sozialdemokratische Wählerinitiative VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte

246

Anhang

1. Namenlisten von Aufsatz-Autoren des Archivs für Sozialgeschichte 1961-1989 * Abkürzungen: Jg. Geburtsjahrgang Publi.-Jg. Publikationsjahrgang BW Bibliothekwissenschaft ET Evangelische Theologie GL Geschichtliche Landeskunde GM Germanistik GW Geschichtswissenschaft LW Literaturwissenschaft MW Medienwissenschaft Phi. Philosophie PÖ Politische Ökonomie PS Politische Soziologie PW Politikwissenschaft RW Rechtswissenschaft Soz. Soziologie SPC Sozialpsychologie SPW Sportwissenschaft VK Volkskunde WW Wirtschaftswissenschaft

1.1 Namenliste von Aufsatz-Autoren des Archivs für Sozialgeschichte 1961-1968

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. 1962, 1963, wiss. Mitarbeiter des Istituto 1 Andréas, Bert 1914 GW Italien 1965, 1966/67, G. G. Feltrinelli 1968 Associate Professor of History und Vorsitzender der 2 Ascher, Abraham 1928 GW USA Historischen Abteilung am 1966/67 Brooklyn College der City University of New York Birkenfeld, Dozent an der PH 3 1932 GW Braunschweig 1965 Wolfgang Braunschweig 4 Droz, Jacques 1909 GW Frankreich Prof. an der Sorbonne 1963

247

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. Vorsitzender der wissenschaftlichen 1962, 1963 (3), Kommission der FES; Leiter 5 Eckert, Georg 1912 GW Braunschweig 1964 (2), 1965, des Internationalen 1968, Schulbuchinstituts in Braunschweig usw. 6 Garvy, Georg 1913 - - - 1965 7 Geiss, Imanuel 1931 GW Bonn Wiss. Mitarbeiter der FES 1961 o. Prof. für Sozialgeschichte und Soziologie der 8 Gruner, Erich 1915 GW Schweiz 1966/67 schweizerischen Politik an der Uni Bern 9 Heffter, Heinrich 1903 GW Braunschweig Prof. an der TH Braunschweig 1963 Seit 1959 Arbeiter an der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der Hellfaier, Karl- 1961, 1962, 10 1918 GW Bonn politischen Partei; seit 1961 im Alexander 1963, 1965 wissenschaftlichen Dienst der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund In Stellvertretung Leiter der Historischen Arbeitung des Lake Erie College, 11 Hirsch, Helmut 1907 GW Düsseldorf Painesville/Ohio; 1958 bis 1963 1971 Lehraufträgen an der Düsseldorfer Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie 1961, 1963, 12 Klein, Johannes 1904 LW Marburg o. Prof. an der Uni Marburg 1965 wiss. Mitarbeiter des Historischen Instituts der 13 Kořalka, Jiří 1931 GW Tschechien Tschechoslowakischen 1965, 1968 Akademie der Wissenschaften in Prag

248

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. Leiter des Westfälisch- Niederrheinischen Instituts für 1961, 1962, 14 Koszyk, Kurt 1929 MW Dortmund Zeitungsforschung der Stadt 1965, 1968 Dortmund Präsident des Belgischen Instituts für Radio und 15 Kuypers, Julien 1892 LW Belgien 1963, 1965 (2) Fernsehen; Mitglied des Excutive Board der UNESCO Prof. an der London School of 16 Mayer, J. P. 1903 PW England Economics and Political 1961, 1966/67 Science Wiss. Referentin bei der Kommission für Geschichte 17 Miller, Susanne 1915 GW Bonn 1964 des Parlamentarismus und der politischen Parteinen außerordentlicher Prof. am 18 Molnár, Miklós 1918 GW Schweiz Genfer Institut Universitair des 1964 Hautes Etudes Internationales o. Prof. an der Uni Marburg 19 Mommsen, Wilhelm 1892 GW Marburg 1963 (emeritiert) Mönke: Mitarbeiter der 1968 (mit Bert 20 Mönke, Wolfgang 1927 Phi. Berlin Deutschen Akademie der Andréas Wissenschaften zu Berlin zusammen) Mitglied des Statistischen Landesausschusses Rheinland- RW, 21 Monz, Heinz 1929 Trier Pfalz, 1968 Leiter des 1965, 1968 (2) Soz. Statistischen und Wahlamtes der Stadt Trier Wiss. Mitarbeiter bei der 22 Müller, Kurt 1903 GW Bonn Abteilung Außenpolitik und 1961 DDR-Forschung der FES 1962, 1963, 23 Na'aman, Shlomo 1912 GW Israel Dozent an der Uni Tel Aviv 1964, 1965 Kulturreferent beim 24 Osterroth, Franz 1900 GW Kiel Landesverband Schleswig- 1963, 1964 Holstein der SPD

249

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. 1964, 1965, 25 Pelger, Hans 1938 GW Bonn Wiss. Mitarbeiter der FES 1968 vormals Mitglied der 1963, 1964, 26 Rosdolsky, Roman 1898 GW USA Historischen Abteilung der 1966/67 Wayne University Archivar und Bibliothekar 27 Rothe, Rudolf 1897 BW Bonn 1961 beim Parteivorstand der SPD Direktor des Instituts für Politische Wissenschaft an der 28 Schmid, Carlo 1896 PW Frankfurt a.M. Uni Frankfurt a. M., 1963 Vizepräsident des Deutschen Bundestages 29 Schraepler, Ernst 1912 GW Berlin Oberassistent an der TU Berlin 1962, 1963 (2) Dozent für vergleichende Schulbuchkunde am Schüddekopf, Otto- 1961, 1962, 30 1912 GW Braunschweig Internationalen Ernst 1963 Schulbuchinstitut der Kant- Hochschule 1963, 1964, 31 Silberner, Edmund 1910 GW Israel an der Uni Jerusalem tätig 1965, 1966/67 Dozent für neuzeitliche 32 Šolle, Zdenĕk 1924 GW Tschechien 1966/67 Geschichte an der Uni Prag Sekretär des Österreichischen 33 Steiner, Herbert 1923 GW Österreich Dokumentationsarchivs des 1964, 1966/67 Widerstandskampfers Mitarbeiter des Internationalen Torke, Hans- 34 1938 GW Braunschweig Schulbuchinstituts, 1964 Joachim Braunschweig Assistent an der Faculté des 35 Vuilleumier, Marc 1930 GW Schweiz 1964, 1965 Lettres in Genf

250

1.2 Aufsatz-Autoren des Archivs für Sozialgeschichte 1969-1982

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. wiss. Mitarbeiter am Lehrstuhl Adamsen, Heiner für Sozial- und 1 1948 GW Bochum 1978 R. Wirtschaftsgeschichte an der Uni Bochum wiss. Mitarbeiter des 2 Albrecht, Willy 1938 GW Bonn 1979 Forschungsinstituts der FES Privatdozent am Institut für Erlangen- 3 Bade, Klaus J. 1944 GW Geschichte der Uni Erlangen- 1980 Nürnberg Nürnberg Leiter der Abteilung für die Geschichte der politischen 4 Batscha, Zwi 1922 PW Israel 1972 Theorien an der Universität Haifa seit 1971 Arbeit an einer von der DFG geförderten Nachkriegsgeschichte der 1973, 1975, 5 Beier, Gerhard 1937 GW Kiel deutschen Gewerkschaften 1977 unter Leitung von Karl Dietrich Erdmann, Kiel. 6 Blänsdorf, Agnes 1940 GW Kiel Studium 1969 Blessing, Werner wiss. Assistent an der Uni 7 1941 GW Bamberg 1979 K. Bamberg wiss. Angestellter des IfS 8 Boll, Friedhelm 1945 GW Bonn 1977, 1979 Braunschweig-Bonn Privatdozent für Sozial- und 9 Borscheid, Peter 1943 GW Münster Wirtschaftsgeschichte an der 1982 Uni Münster 1974-75 Mitarbeiter im Bouvier, Beatrix Forschungsinstitut der FES, seit 10 1944 GW Bonn 1976, 1979 W. 1976 wiss. Mitarbeiter im IfS Braunschweig-Bonn Prof. für Soziologie an der Uni 11 Braun, Hans 1941 SW Tübingen 1978 Tübingen

251

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. Prof. of political science at the 12 Braunthal, Gerard 1923 PW USA 1978 University of Massachusetts Prof. für politische Ökonomie 13 Bress, Ludwig 1933 PÖ Bremen 1973 an der Uni Bremen 1976 (mit Lutz Brüggemeier, wiss. Mitarbeiter im Fach 14 1951 GW Essen Niethammer Franz Geschichte der Uni Essen zusammen) Leiter des Referats für 15 Busch, Rolf 1943 PW Berlin 1974 Weiterbildung der FU Berlin 16 Callesen, Gerd 1940 GW Kiel Studium 1969 Stipendiatin an der Wiener Uni 17 Cattaruzza, Marina 1950 GW Hamburg 1980 und Uni Hamburg Lecturer in Economic and Crompton, Gerald Social History in the School of 18 1941 GW England 1980 W. Economic and Social Studies, University of East Anglia 19 Dandois, Bernard 1939 GW Belgien Realschullehrer für Geschichte 1970 M.A. an der University of 20 Diehl, James M. 1938 GW USA 1971 California Mitarbeiter an einem Projekt 21 Ditt, Karl 1950 GW Bielefeld über Bildungsgeschichte im 19. 1981 Jh. Mitarbeiter im 22 Dowe, Dieter 1943 GW Bonn 1972 Forschungsinstitut der FES 23 Ebeling, Dietrich 1950 GW Bielefeld Assistent an der Uni Bielefeld 1979 Mitarbeiter im 24 Ehni, Hans Peter 1941 GW Bonn 1971, 1973 Forschungsinstitut der FES Mitarbeit der »Stimme Amerikas« und des RIAS 25 Eliasberg, Georg 1906 GW Berlin 1970 Berlin, augenblicklich wiss. Mitarbeiter der FES Privatdozent an der Uni 26 Engelhardt, Ulrich 1940 GW Heidelberg 1981 Heidelberg Feldman, Gerald Prof. of History at the 27 1937 GW USA 1978, 1980 D. University of California

252

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. Studium, seit 1974 wiss. 28 Flemming, Jens 1944 GW Hamburg Mitarbeiter an der Uni 1971, 1974 Hamburg 29 Goebel, Klaus 1934 GW Bonn Lehrer 1969 aus Österreich, 1965 Promotion bei Fritz Fischer in 30 Grab, Walter 1919 GW Israel Hamburgan, 1965/70 Dozent 1969, 1970 und seit 1970 Prof. der Uni Tel Aviv Oberassistent für Germanistik in Lyon und Dozent an der 1969, 1970, 31 Grandjonc, Jacques 1933 GW Frankreich Universität Aix-Marseille 1. 1972, 1975 Forschungschwerpunkt: Deutsche Arbeiterbewegung 1969-1973 wiss. Mitarbeiter im Forschungsinstitut der FES, seit 32 Günther, Klaus 1941 PW Bonn 1973 Akademischer Rat am 1973 Seminar für politische Wissenschaft der Uni Bonn Direktor der Uni-Bib. der Guttsman, Willi 33 1920 SW England University of East Anglia, 1982 Leo Norwich Prof. für neuere Haupt, Heinz- 34 1943 GW Bremen Sozialgeschichte an der Uni 1982 Gerhard Bremen Henderson, Teacher in mehreren Uni in 35 1904 GW England 1976 William Otto England wiss. Assistent am Institut für Sozial- und 36 Hentschel, Volker 1944 GW Heidelberg 1978 Wirtschaftsgeschichte der Uni Heidelberg wiss. Hauptmitarbeiter bei der Fachgruppe Neueste 37 Heß, Jürgen C. 1943 GW Niederlande 1978 Geschichte an der FU Amsterdam

253

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. 1967-74 wiss. Assistent am Institut für Sozial- und Hippel, Wolfgang 38 1936 GW Mannheim Wirtschaftsgeschichte der Uni 1979 von Heidelberg, seit 1974 wiss. Rat und Prof. an der Uni Mannheim 39 Hirsch, Helmut 1907 GW Köln Projektleiter an der Uni Köln 1969 o. Prof. in Trier für 40 Irsigler, Franz 1941 GL Trier 1979 Geschichtliche Landeskunde Kaiser, Jochen- 41 1948 GW Münster 1979 Promotion 1982 Christoph Assistent für Wirtschafts- und 42 Karner, Stefan 1952 GW Österreich 1981 Sozialgeschichte der Uni Graz 43 Kater, Michael H. 1937 GW Kanada o. Prof. an der York University 1977 1975 PhD an der University of 44 Keck, Timothy 1928 SW USA 1975 Wisconsin wiss. Rat und Prof. an der Kleßmann, Fakultät für 45 1938 GW Bielefeld 1977 Christoph Geschichtswissenschaft der Uni Bielefeld Leiter der Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte der FES, 46 Klotzbach, Kurt 1940 GW Bonn 1973, 1976 Leiter des AdsD, seit 1974 Leiter des IfS 47 Kocka, Jürgen 1941 GW Bielefeld o. Prof. an der Uni Bielefeld 1975 o. Prof. für Sozial- und Köllmann, Wirtschaftsgeschichte und 48 1925 GW Bochum 1975 Wolfgang Demographie an der Uni Bochum wiss. Mitarbeiter an der 49 Krieger, Wolfgang 1947 GW München Hochschule der Bundeswehr 1980 München Akademischer Rat an der PH Krohn, Claus- 50 1941 GW Hamburg Niedersachsen und der Uni 1977 Dieter Hamburg ord.Prof. an der Kirchlichen 51 Kupisch, Karl 1903 GW Berlin 1971 Hochschule Berlin

254

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. 1975 Promotion (Alte Geschichte), seit 1974 Studium 52 Labisch, Alfons 1946 GW Aachen 1976 der Medizin an der RWTH Aachen Deutsch. o. Prof. für Neuerste Geschichte an der Vrije 53 Lademacher, Horst 1931 GW Niederlande Universität, Amsterdam, seit 1975, 1978 1978 o. ö. Prof. an der FU Amsterdam wiss. Mitarbeiter bei der Langeveld, Fachgruppe Neueste 54 1949 GW Niederlande 1978 Herman J. Geschichte an der FU Amsterdam wiss. Assistent am Institut für Langewiesche, Würzburg, Geschichte der Uni Würzburg; 1975, 1976, 55 1943 GW Dieter Hamburg 1979 Promotion, seitdem Prof. 1982 an der Uni Hamburg Lehrbeauftragter für Politische Lehmann, Hans 56 1935 PÖ Bonn Ökonomie an der PH 1973 Georg Rheinland wiss. Mitarbeiterin der Leuschen-Seppel, 57 1948 GW Bonn Abteilung Sozial- und 1979 Rosemarie Zeitgeschichte der FES Prof. of History an der Johns 58 Lidike, Vernon L. 1930 GW USA 1974 Hopkins University 1971, 1972, 59 Linse, Ulrich 1939 GW - 1968 Promotion 1974 60 Lorenz, Eckehart 1945 ET Heidelberg Studentenpfarrer in Heidelberg 1976 61 Luban, Ottokar 1937 GW Berlin Studium 1971 (2) wiss. Mitarbeiter an der Uni 62 Machtan, Lothar 1949 GW Bremen 1981 Bremen Dozent an der Uni Tel Aviv. Forschungschwerpunkt: 63 Margalith, Eklana 1913 GW Israel 1970 Geschichte und Probleme der Arbeiterbewegung in Israel

255

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. Generalsekretär der Kommission für Geschichte 64 Milatz, Alfred 1916 GW Bonn 1972 des Parlamentarismus und der politischen Parteinen wiss. Referentin bei der Kommission für Geschichte 65 Miller, Susanne 1915 GW Bonn 1971 des Parlamentarismus und der politischen Parteien in Bonn Mitterauer, Prof. für Sozialgeschichte an 66 1937 GW Österreich 1979 Michael der Uni Wien Dozent für neuere deutsche 67 Möbius, Hanno 1941 LW Marburg 1974 Literatur an der Uni Marburg Mohrmann, Ruth- wiss. Mitarbeiter an der Uni 68 1945 VK Münster 1979 E. Münster wiss. Angestellter beim 69 Mosser, Josef 1946 GW Bielefeld Arbeitskreis für moderne 1979 Sozialgeschichte e.V. 70 Na'aman, Shlomo 1912 GW Israel o. Prof. an der Uni Tel Aviv 1975 wiss. Mitarbeiter an der Uni 71 Niehuss, Merith 1954 GW München 1982 München o. Prof. für Neuere Geschichte 72 Niethammer, Lutz 1939 GW Essen 1976 an der Uni Essen seit 1966 wiss. Assistent am 73 Pankoke, Eckart 1939 SW Bochum Institut für Soziologie der Uni 1971, 1972 Bochum, 1970 Habilitation seit 1968 Leiter des Karl-Marx- 74 Pelger, Hans 1938 GW Trier 1973 -Hauses in Trier o. Prof. für Sozial- und 75 Petzina, Dietmar 1938 GW Bochum Wirtschaftsgeschichte an der 1980 Uni Bochum wiss. Mitarbeiter der Kommission für Geschichte 76 Potthoff, Heinrich 1938 GW Bonn 1972 des Parlamentarismus und der politischen Parteinen wiss. Ass. an der 77 Reif, Heinz 1941 GW Bielefeld Geschichtswissenschaft der Uni 1982 Bielefeld

256

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. wiss. Mitarbeiter bei der Fachgruppe Neueste 78 Reitsma, Henk 1946 GW Niederlande 1978 Geschichte an der FU Amsterdam wiss. Assistent an der Abteilung für 79 Reulecke, Jürgen 1940 GW Bochum 1976, 1982 Geschichtswissenschaft der Uni Bochum 80 Ritter, Gerhard A. 1929 GW München Prof. an der Uni München 1982 vormals an der Wayne 81 Rosdolsky, Roman 1898 GW USA 1969 University wiss. Mitarbeiter an der Uni 82 Roth, Klaus 1939 VK Münster 1979 Münster Rüdenhausen, wiss. Ass. an der 83 Adelheid Gräfin zu 1938 GW Bochum Geschichtswissenschaft der 1982 Castell RUB wiss. Rat und Prof. an der Uni 84 Rudzio, Wolfgang 1935 PW Oldenburg 1978 Oldenburg Akademischer Oberrat an der 85 Rülcker, Christoph 1936 SW Duisburg 1974 Gesamthochschule Duisburg 1964-1972 wiss. Assistent, seit 1973 wiss. Rat und Prof. für Sozialgeschichte des 19. und 86 Saul, Klaus 1939 GW Hamburg 1972, 1975 20. Jahrhunderts am Historischen Seminar der Uni Hamburg wiss. Assistent am Lehrstuhl für Wirtschafts- und 87 Schäfer, Hermann 1942 GW Freiburg 1981 Sozialgeschichte der Uni Freiburg Lektor am German Department 88 Scherer, Herbert 1945 LW England 1974 der University of Warwick Prof. für Neuere Geschichte an Schieder, 89 1935 GW Trier der Uni Trier-Kaiserslautern in 1974 Wolfgang Trier Akademischer Oberrat an der 90 Schildt, Gerhard 1937 GW Braunschweig 1981 TU Braunschweig

257

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. wiss. Referent am Max-Planck- Schlumbohm, 91 1942 GW Göttingen Institut für Geschichte in 1979 Jürgen Göttingen 1969-1972 wiss. Mitarbeiter im Schmitz, Kurt Forschungsinstitut der FES, seit 92 1940 GW Bonn 1973 Thomas 1972 wiss. Assistent der PH Rheinland wiss. Mitarbeiter im 93 Schneider, Michael 1944 GW Bonn 1973, 1979 Forschungsinstitut der FES wiss. Assistent am Institut für Geschichte der Uni Würzburg, 94 Schönhoven, Klaus 1942 GW Würzburg 1976, 1980 seit 1979 Privatdozent an der Uni Würzburg Dozent am Internationalen Schüddekopf, 95 1912 GW Braunschweig Schulbuchinstitut der Kant- 1969 Otto-ernst Hochschule, Braunschweig wiss. Hauptmitarbeiterin und Abteilungsleiterin im Institut 96 Siklós-Vincze, Edit 1927 GW Ungarn für Parteigeschichte des ZK der 1971 Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei 97 Silberner, Edmund 1910 GW Israel an der Uni Jerusalem tätig 1969, 1970 1965-68 Assistent der SPD- Fraktion im Deutschen 98 Soell, Hartmut 1939 GW Heidelberg Bundestag, seit 1968 Assistent 1972 am Historischen Seminar an der Uni Heidelberg 99 Šolle, Zdenek 1924 GW Tschechien wiss. Arbeiter in Prag 1969 Managing Editor of Journal of 100 Stearns, Peter N. - GW USA 1976 Social History Mitarbeiter bei Prof. Dieter 101 Steffens, Horst 1950 GW Konstanz 1981 Groh an der Uni Konstanz

258

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. wiss. Assistent am Historischen Seminar der Uni Hamburg (Lehrstuhl Prof. Fritz Fischer), 1972, 1973, 102 Stegmann, Dirk 1941 GW Hamburg seit 1974 Prof. für Geschichte 1977 und ihre Didaktik an der PH Niedersachsen Privatdozent an der TU 103 Steininger, Rolf 1942 GW Hannover 1978 Hannover wiss. Assistentin am Institut für 104 Steinisch, Irmgard 1946 GW München Neuere Geschichte der Uni 1978, 1980 München wiss. Mitarbeiter des Forschungsinstituts der FES 105 Sywottek, Arnold 1942 GW Bonn 1973 und der Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte wiss. Mitarbeiter der FES und Bonn, 106 Tenfelde, Klaus 1944 GW des Instituts für Neuere 1976, 1979 München Geschichte der Uni München wiss. Assistent an der PH 107 Teppe, Karl 1943 GW Münster 1977 Westfalen-Lippe o. Prof. für Neuere und Neueste Sozial- und 108 Teuteberg, Hans J. 1929 GW Münster Wirtschaftsgeschichte und 1979 Direktor des Historischen Seminars der Uni Münster wiss. Oberrat am Seminar für 109 Trautmann, Günter 1941 SW Hamburg Sozialwissenschaften der Uni 1975 Hamburg Doktorand an der London 110 Trotnow, Helmut 1946 GW England School of Economics and 1973 Political Science Prof. für Sportwissenschaft an 111 Ueberhorst, Hosrt 1925 SPW Bochum 1974 der Uni Bochum wiss. Angestellter am Institut 112 Voges, Michael 1952 LW Kiel für Literaturwissenschaft der 1981 Uni Kiel

259

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. Prof. für Neuere und Neueste Geschichte an der Uni Mainz Volkmann, Hans- 113 1938 GW Mainz und wiss. Direktor am 1977 Erich Militärgeschichtlichen Forschungsamt Freiburg Dozent an der Uni Mannheim, seit 1975 Prof. für Politische 114 Weber, Hermann 1928 GW Mannheim Wissenschaft und 1971, 1975 Zeitgeschichte an der Uni Mannheim o. Prof. für Mittlere und Neuere Geschichte mit bes. Wendt, Bern- 115 1934 GW Hamburg Berücksichtigung der 1980 Jürgen Zeitgeschichte an der Uni Hamburg 116 Wiedner, Hartmut 1951 GW München Studium an der Uni München 1982 117 Winker, Dörte 1948 GW Trier 1976 Promotion in Trier 1977 o. Prof. an der Uni Freiburg, Winkler, Heinrich 118 1938 GW Freiburg Mitherausgeber von Geschichte 1977 August und Gesellschaft Privatdozent für Mittlere und Wittwer, Wolfgang 119 1944 GW Hannover Neuere Geschichte an der Uni 1980 W. Hannover

260

1.3 Aufsatz-Autoren des Archivs für Sozialgeschichte 1983-1989

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. Bremen, Lehraufträge an den Unis 1 Andersen, Arne 1951 GW 1988 Hamburg Bremen, Hamburg 2 August, Jochen 1954 PW Berlin Doktorand an der FU Berlin 1984 3 Bade, Klaus J. 1944 GW Osnabrück Professor in Osnabrück 1984 GW u. Oberstudienrätin am 4 Beck, Dorothea 1945 Greven 1986 GM Gymnasium in Greven 5 Berding, Helmut 1930 GW Gießen Prof. an der Uni Gießen 1983 Erlangen- wiss. Mitarbeiterin an der 6 Beyer, Jutta 1955 Soz. 1985 Nürnberg Uni Erlangen-Nürnberg Doktorandin an der 7 Boehling, Rebecca 1955 GW USA University of Wisconsin- 1985 Madison 8 Bölling, Rainer 1944 GW Essen Lehrer an der Uni Essen 1987 9 Braun, Hans 1941 Soz. Trier o. Prof an der Uni Trier 1989 Degl'Innocenti, 10 1946 GW Italien Prof. an der Uni Florenz 1985 Maurizio Lehrstuhlvertreter an der 11 Dipper, Christof 1943 GW Düsseldorf Uni Düsseldorf (Bei W.J. 1983 Mommsen) 12 Döring, Herbert E. – PW Mannheim Prof. an der Uni Mannheim 1989 wiss. Mitarbeiter im 13 Engeli, Christian – GW Berlin Deutschen Institut für 1985 Urbanistik, Berlin ord. Prof. an der Uni 14 Euchner, Walter 1933 PW Göttingen 1986 Göttingen 15 Falter, Jürgen W. 1944 PW Berlin Prof. an der FU Berlin 1986 Prof. an der Uni 16 Fehrenbach, Elisabeth 1937 GW Saarbrücken 1983 Saarbrücken Prof. an der University of 17 Feldman, Gerald D. 1937 GW USA 1986, 1987 California, Berkeley 18 Fijalkowski, Jürgen 1928 PW, PS Berlin o.Prof. an der FU Berlin 1984 Mitarbeiter an einem 19 Forberg, Martin 1957 GW Steinfurt 1987 lokalhistorischen Projekt

261

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. Hochschulassistent an der 20 Fremdling, Rainer 1944 WW Berlin 1984 FU Berlin Reader an the University of 21 Garside, W. R. – GW England 1987 Birmingham Prof. an der University of 22 Geyer, Michael – GW USA 1986 Chicago wiss. Mitarbeiterin an der 23 Gorzka, Gabriele 1949 GW Kassel 1985 Uni Kassel 24 Grebing, Helga 1930 GW Bochum Prof. an der Uni Bochum 1989 25 Grossmann, Anton 1949 GW München wiss. Mitarbeiter am IfZ 1984 26 Hachtmann, Rüdiger 1953 GW Berlin Assistent an der TU Berlin 1987 wiss. Assistent an der Uni 27 Hahn, Hans Henning 1947 GW Köln 1983 Köln wiss. Tätigkeit in Zusammenarbeit mit dem Händler-Öachmann, 28 1948 GW, PW Hessen Hessischen Institut für 1985 Barbara Bildungsplanung und Schulentwicklung wiss. Mitarbeiter an der FU 29 Hänisch, Dirk 1954 Soz. Berlin 1986 Berlin 30 Haupt, Heinz-Gerhard 1943 GW Bremen Prof. an der Uni Bermen 1986 Doktor an der University of 31 Heilman, Linda A. – GW USA 1987 California at Berkeley wiss. Mitarbeiter an der Uni 32 Heinelt, Hubert 1952 PW Hannover 1987 Hannover wiss. Angestellter an der 33 Herber, Ulrich 1951 GW Hagen 1984 Fernuni. Hagen Akademischer Rat am 34 Herrmann, Klaus 1947 WW Hohenheim Institut für 1988 Sozialwissenschaften 35 Herzig, Arno 1937 GW Hamburg Prof. an der Uni Hamburg 1983, 1988 Leiter der Verwaltung des 36 Heß, Hans-Jürgen 1935 PW Berlin Deutschen Bundestages im 1985 Reichtagsgebäude Erlangen- wiss. Mitarbeiter an der Uni 37 Holtmann, Everhard 1946 PW 1985 Nürnberg Erlangen-Nürnberg

262

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. wiss. Mitarbeiterin an der 38 Homburg, Heidrun 1948 GW Bielefeld 1985 Uni Bielefeld Kaufhold, Karl 39 1932 GW Göttingen Prof. an der Uni Göttingen 1983 Heinrich Projektsleiter am Amerika- 40 Keil, Hartmut 1942 GW München 1984 Institut der Uni München wiss. Mitarbeiter am Georg- 41 Klepsch, Rudolf 1949 GW Braunschweig Eckert-Institut in 1986 Braunschweig Lehrbeauftragter an der Uni 42 Kopitzsch, Franklin 1947 GW Hamburg 1983 Hamburg 43 Kreitmeier, Anneliese 1954 GW Bonn Stipendiatin der FES 1985 wiss. Referent am MPI für 44 Kriedte, Peter 1940 GW Göttingen 1983 Geschichte in Göttingen 45 Lehmann, Albrecht 1939 VK Hamburg Prof. in Hamburg 1984 Privatdozent an der FU 46 Lehnert, Detlef 1955 PW Berlin 1989 Berlin wiss. Angestellter an der 47 Lenger, Friedrich 1957 GW Tübingen 1989 Uni Tübingen 48 Lösche, Peter 1939 PW Göttingen Prof. an der Uni Göttingen 1989 wiss. Referent im MPI für 49 Lüdtke, Alf 1943 GW Göttingen 1987 Geschichte in Göttingen Mitarbeiter des Maderthaner, österreichischen 50 1954 GW Österreich 1985 Wolfgang Forschungsförderungsfonds in Wien wiss. Referent am MPI für 51 Medick, Hans 1939 GW Göttingen 1983 Geschichte in Göttingen 52 Metz, Karl Keinz 1946 GW Erlangen Prof. an der Uni Erlangen 1987 53 Morgan, Kenneth O. 1934 GW England fellow in Oxford 1989 wiss. Angestellter an der 54 Muhs, Rodulf 1952 GW Freiburg 1986 Uni Freiburg 55 Ott, René 1948 GW – Doktorin 1988

263

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. Prof. an der Uni Osnabrück, wiss. Direktor des 56 Otten, Dieter 1943 Soz. Osnabrück Deutschen Instituts zur 1988 Erforschung der Informationsgesellschaft Leiter des Karl-Marx- 57 Pelger, Hans 1938 GW Trier Hauses in Trier, Redakteur 1983 des AfS 58 Pierenkemper, Toni 1944 GW Münster Prof. an der Uni Münster 1988 Historiker bei der Kommission für Geschichte 59 Potthoff, Heinrich 1938 GW Bonn 1986 des Parlamentarismus und der politischen Parteien Hochschulassistent an der 60 Prinz, Michael 1952 GW Bielefeld 1989 Uni Bielefeld wiss. Mitarbeiter in der Abteilung Sozial- und Bonn, 61 Rebentisch, Dieter 1941 GW Zeitgeschichte der FES, 1985, 1988 Frankfurt dann Privatdozent an der Uni Frankfurt 62 Saldern, Adelheid von 1938 GW Hannover Prof. an der Uni Hannover 1985 Lehrbeauftragter an der Uni 63 Schneider, Michael 1944 GW Bonn 1986 Bonn 64 Seifert, Eberhard K. 1945 WW – Doktor 1987 Hochschulassistentin am 65 Steinisch, Irmgard 1946 GW München John F. Kennedy Institut für 1988 Nordamerikastudien 66 Stollberg, Gunnar 1945 Soz. Bielefeld Prof. an der Uni Bielefeld 1988 67 Tenfelde, Klaus 1944 GW Innsbruck Prof. an der Uni Innsbruck 1988 research fellows in 68 Tolliday, Steven – WW England 1988 Cambridge wiss. Angestellter an der 69 Trischler, Helmuth 1958 GW München 1988 Uni München Hochschulassistent an der 70 Ullmann, Hans-Peter 1949 GW Gießen 1983 Uni Gießen 71 Wacker, Ali 1942 SPC Hannover Prof. an der Uni Hannover 1987

264

Nr. Name Jg. Fach Ort Tätigkeit Publi.-Jg. Akademischer Rat am Seminar für 72 Walter, Franz 1956 PW Göttingen 1989 Politikwissenschaft der Uni Göttingen wiss. Mitarbeiter an der Uni 73 Welzer, Harald 1958 Soz., PW Hannover 1987 Hannover Historiker im 74 Wette, Wolfram 1940 GW Freiburg Militärgeschichtlichen 1986 Forschungsamt Freiburg 75 Winkler, Jürgen 1955 PW Berlin Graduiertenstipendiat 1989 76 Żarnowski, Janusz 1932 GW Polen Prof. in Warschau 1988 research fellows in 77 Zeitlin, Jonathan – PW England 1988 Cambridge

265

2. Namenlisten von Historikern für die Neue Gesellschaft 1959-1989 Nr. Name Jg. Ort Publi.-Jg. 1 Beier, Gerhard 1937 Kronberg 1981 2 Faulenbach, Bernd 1943 Recklinghausen 1987 3 Geiss, Imanuel 1931 Bremen 1959, 1974 (2) 4 Grebing, Helga 1930 Göttingen 1959, 1976, 1985 5 Jäckel, Eberhard 1929 Stuttgart 1969 (2), 1971 6 Jeismann, Karl-Ernst 1925 Münster 1987 7 Kocka, Jürgen 1941 Bielefeld 1983 1973, 1974, 1975, 1979, 1980, 1981, 8 Miller, Susanne 1915 Bonn 1982, 1985 (2), 1987, 1989 9 Mommen, Hans 1930 Bochum 1982, 1985 10 Rürup, Reinhard 1934 Berlin 1984, 1989 11 Schönhoven, Klaus 1942 Trier/Göttingen 1977, 1979 12 Soell, Hartmut 1939 Heidelberg 1967 13 Steinbach, Peter 1948 Passau 1983 14 Thadden, Rudolf von 1932 Göttingen 1989 1970, 1971 (3), 1972, 1973, 1975, 15 Weber, Hermann 1928 Mannheim 1976 16 Winkler, Heinrich August 1938 Freiburg 1989

266

3. Namenliste der Mitarbeiter der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand 1982-1989 * Abkürzungen: B = Berater, M = Mitglied, V = Vorsitzender, SV = Stellvertretende Vorsitzender

Mitarbeit in der HiKo Nr. Name Tätigkeit Zeitraum Tätigkeit 1 Beier, Gerhard Historiker für Gewerkschaftsgeschichte 1982-1989 B Historiker, Gewerkschafter, Direktor 1982-1986 B 2 Borsdorf ,Ulrich des Ruhrlandmuseums in Essen 1987-1989 M 3 Dertinger, Antje Journalistin 1982-1988 B 4 Dohnanyi, Klaus von Jurist, SPD-Politiker 1989 M 5 Dowe, Dieter Historiker 1982-1989 M 6 Eilers, Elfriede Bundesseniorenbeauftragte 1982-1988 B 1984-1985 B 7 Faulenbach, Bernd Historiker 1986-1989 M 1989 V 1982-1986 B 8 Geis, Manfred Parteisekretär 1987-1989 M 1982 M 9 Grebing, Helga Historikerin 1983-1989 SV 1982-1988 B 10 Grubmüller, Margit Erwachsenenbildnerin 1989 M 11 Hamer, Kurt SPD-Politiker 1987-1989 M Chefredakteur der Gewerkschaftlichen 12 Hemmer, Hans-Otto 1987-1989 M Monatshefte 13 Huber, Antje Mitglied des Deutschen Bundestages 1982-1985 M 14 Irsfeld, Franz Erwachsenenbildner 1982-1989 B 15 Kampen, Wilhelm van Historiker, Geschichtsdidaktiker 1984-1989 B Historiker, Leiter des Instituts für 1982-1986 M 16 Klotzbach, Kurt Sozialgeschichte Braunschweig-Bonn 1987-1989 B 17 Krause, Werner Archivar der FES 1982-1989 B 18 Linde, Erdmann WDR-Studio 1984-1986 B Losseff-Tillmanns, Soziologe an der Fachhochschule 19 1987-1988 B Gisela Düsseldorf Politikwissenschaftler, Mitglied der 20 Meyer, Thomas 1982-1986 B Grundwerkekommission

267

Mitarbeit in der HiKo Nr. Name Tätigkeit Zeitraum Tätigkeit 1982-1989 V 21 Miller, Susanne Historikerin 1989 M 22 Mommsen, Hans Historiker 1982-1989 M 23 Oertzen, Peter von Parteivorstand 1982-1983 M 1982-1986 B 24 Potthoff, Heinrich Historiker 1987-1988 M 1989 SV 25 Putzrath, Heinz SPD-Politiker, Vorsitzender der AvS 1984-1989 B Reporter, Mitglied der Historischen 26 Rexin, Manfred 1989 B Kommssion der Berliner SPD 27 Ristock, Harry SPD-Politiker 1984-1988 M 28 Rürup, Reinhard Historiker 1984-1989 M Geschäftsführer des August Bebel 29 Schattenfroh, Reinold 1984-1988 B Instituts in Berlin 30 Schmidt, Horst SPD-Politiker 1987-1989 B 31 Schönhoven, Klaus Historiker, Praktiker 1982-1989 M 32 Schultheiß, Franklin Bundeszentrale 1982-1986 B 33 Soell, Hartmut Historiker, SPD-Politiker 1984-1989 M 1982-1988 B 34 Tenfelde, Klaus Historiker 1989 M 35 Vogel, Barbara Historikerin 1989 M 36 Vogel, Hans-Jochen SPD-Parteivorstand 1982-1983 M 37 Weber, Hermann Historiker 1984-1989 M 38 Wilharm, Irmgard Historiker 1987-1989 M Winkler, Heinrich Historiker 39 1982-1983 M August 40 Witt, Freidrich-Wilhelm Studienförderung der FES 1982-1985 B 41 Wunder, Heide Historikerin 1987-1989 M

268

Lebenslauf der Verfasserin

Persönliche Angaben Name, Vorname: Fan Dingliang Geburtstag, Geburtsort 18. April 1983 Zhejiang Staatsangehörigkeit Volksrepublik China Semesteranschrift PLZ, Ort 54295 Trier Straße Pluwiger Str.14, Nr.10 Telefon: 017683231210 e-mail: [email protected] Heimatanschrift: 315300 Cixi, Zhejiang Jinmian 6-401, Jinshan Road, Province, P. R. China Hushan Telefon: +86 574 63814412 e-mail: [email protected] (bitte immer funktionierende e-mail)

Schulische Laufbahn Schule Abschluss (von bis) Zentrale Grundschule ähnlich wie die deutsche 09.1990 – 06.1996 Hushan (China) Grundschule Zentrale Mittelschule ähnlich wie die Mittelstufe 09.1996 – 06.1999 Hushan (China) des Gymnasiums National vereinheitlichte Hochschulaufnahmeprüfung 09.1999 – 06.2002 Oberschule Cixi (China) (VR China) im Jahr 2002 (ähnlich wie das Abitur)

Studium (von bis) Hochschule(n) Abschluss Zhejiang University 10.2002 – 06.2006 (China), History Bachelor of Arts in History Department Zhejiang University Master of Arts in World 09.2006 – 06.2008 (China), Institute for History World History Universtiät Trier, 09.2008 bis jetzt Fachbereich III – Neuere Promotion (voraussichtlich) und Neueste Geschichte

Trier, den 1. August 2012 Dingliang Fan

269

Versicherungserklärung

Hiermit versichere ich, 1) dass ich die vorliegende Dissertation selbst angefertigt und alle benutzten Hilfsmittel angegeben habe; 2) dass ich diese Dissertation nicht als Prüfungsarbeit für eine andere wissenschaftliche Prüfung eingebracht habe; 3) dass ich die gleiche oder eine Arbeit ähnlichen Inhalts nicht an einer anderen Hochschule als Dissertation eingereicht habe.

Trier, den 1. August 2012 Dingliang Fan

270