1 5. 17. Januar 1973: Fraktionssitzung
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
SPD – 07. WP Fraktionssitzung: 17. 01. 1973 (Tonbandtranskript) 5. 17. Januar 1973: Fraktionssitzung (Tonbandtranskript) AdsD, SPD-BT-Fraktion 7. WP, 6/TONS000017. Titel: »Fraktionssitzung vom 17. 01. 1973«. Beginn: 15.00 Uhr. Aufnahmedauer: 03:42:03. Vorsitz: Wehner. Sitzungsverlauf: A. TOP 1: Politischer Bericht von Bundeskanzler Brandt (Krieg in Vietnam; Lage in Na- host; Berlin-Abkommen, Status von Berlin (West) und Bindungen an die Bundesrepu- blik; Regierungserklärung). B. TOP 2: Informationen (Personeller Zuschnitt der Bundesministerien; Freibeträge in der Rentenversicherung nach der Rentenreform ’72; unseriöser Fragebogen zur Atomener- gie). C. Vorbereitung der Plenarsitzung: TOP 3: Tagesordnung und Ablauf der Plenarsitzung. – TOP 4: Zur Abgabe einer Regierungserklärung. – TOP 5: Erste Aussprache über die Re- gierungserklärung. D. Sonstiges: TOP 6: Besetzung der Ausschüsse. – TOP 7: Bericht der Rechnungsprü- fungskommission. – TOP 8: Festsetzung des Fraktionsbeitrages. – TOP 9: Vorschlag des Vorstandes für die Wahl zum Fraktionsvorstand am 24. und 25. Januar in der Mittags- pause von 13–15 Uhr. – TOP 10: Nächste Termine. – Verschiedenes. [A.] Wehner: Vor Beginn dieser ersten Sitzung im neuen Jahr wünsche ich jedem und uns allen zusammen eine gute Fortsetzung des begonnenen Jahres, aber den dreien, die heute ihren Geburtstag haben, die es also so genau angepasst haben, wünsche ich noch einiges dazu. Das ist Elfriede Eilers, (Beifall.) Walter Arendt (Beifall.) und Alwin Kulawig. (Beifall.) Da es drei auf einmal sind, {…} bei der Größe der Sträuße gespart, nehmt es mir nicht übel. Jetzt zur Tagesordnung. Wird das Wort gewünscht, Genossen? Wenn nicht, dann rufe ich auf Punkt 1 und bitte den Bundeskanzler, das Wort zu nehmen. Brandt (Berlin): Liebe Freunde, ich möchte auch meinerseits alles Gute wünschen fürs neue Jahr und um gute Zusammenarbeit bitten, die meinerseits, soweit ich dazu in der Lage bin, in Aussicht stellen, und was hat es für einen Sinn, wenn dieser Punkt auf der Tagesordnung steht, wie ein Lamm zu reden. Das Vernünftigste ist, um das sich zu- nächst zu kümmern, was am meisten Kritik hervorgerufen hat in den Wochen, in denen wir nicht beieinander waren, und ich möchte zu diesem Punkt, also zu dem, was mit dem Krieg in Vietnam und den Bomben der Amerikaner zusammenhängt1, folgende Feststellungen treffen: Ich kann mich dazu verständlicherweise etwas deutlicher äußern, 1 Die USA dehnten vom 18. bis 30. Dezember 1972 ihre Bombenangriffe auch auf Gebiete Nordviet- nams nördlich des 20. Breitengrades aus. Durch die schwersten Luftangriffe seit Beginn des Krieges wurden die Städte Hanoi und Haiphong schwer zerstört, tausende von Zivilisten wurden verwundet oder starben. Vgl. EUROPA-ARCHIV 1973, Z 20 f. Copyright © 2020 KGParl 1 SPD – 07. WP Fraktionssitzung: 17. 01. 1973 (Tonbandtranskript) als das morgen, ob das nun der Einzelne würdigen mag oder nicht, als ich das aus mei- ner Stellung als Bundeskanzler morgen im Plenum tun kann2, wiederum nicht ganz so deutlich, wie heute früh im Vorstand3. Das ist auch wieder nur eine Abstufung, aber vielleicht keine große. Das, was ich sagen möchte, ist Folgendes liebe Genossen. Erstens versteht es sich von selbst, dass ich mich in der Regierungserklärung morgen, und zwar nicht an irgendeiner Stelle in irgendeinem eingepackten Zusammenhang, sondern her- ausgehoben, zu Vietnam äußern werde, und ich bin sicher, was es sonst an vielleicht nicht nur Nuancen, vielleicht auch an deutlichen Meinungsverschiedenheiten geben mag. Ich bin sicher, für uns alle steht dabei im Vordergrund, dass der schreckliche Krieg in Vietnam endlich zu Ende geht. Für mich ist das jedenfalls noch wichtiger, als was es sonst an Forderungen zu dem Thema gibt.4 Zweitens, falsch ist der Eindruck, als ob die Bundesregierung sich in den letzten Wo- chen nicht zu Vietnam geäußert habe. Der Eindruck ist falsch. Ich erinnere, auch wenn Weihnachtsferien waren, an die Erklärung der Bundesregierung vom 21. Dezember5, das war nicht der Zeitpunkt, wo demonstriert wurde, sondern wo gebombt wurde, das war auch der richtige Zeitpunkt, noch für eine Regierung, 21. Dezember, abgewogener in der Veröffentlichung als in dem, was den amtlich beteiligten Stellen mitgeteilt wor- den ist, allen sag’ ich hier mal in Klammern. Und Egon Bahr hat auch nicht nur Anfang Januar für mich in Washington Gespräche geführt6, wir waren am zweiten Weihnachts- tag zum Beispiel mit denen drüben in Verbindung. Wir waren vorgestern mit denen in Verbindung, und um mal so eine praktische Frage einzufügen, ich weiß natürlich auch man hier gewesen wäre, hätte ich meine Neujahrsansprache anders gehalten als die, die ich vor Weihnachten habe aufnehmen lassen.7 Andererseits als ich in Urlaub, und An- spruch auf Urlaub hatte ich auch mal nach den Monaten, die vorausgegangen waren, also ich mir überlegt habe, ziehst du es zurück, da war in demselben Augenblick, wo ich wusste, der Bombenstopp tritt ein. Soll ich nun, nachdem ich weiß, dass das noch nicht in der Öffentlichkeit war, der Bombenstopp tritt ein, ihn fordern, dann bin ich doch nicht mehr ein ernstzunehmender Partner für den, der es mich grade hat wissen lassen, dass der Bombenstopp eintritt, auch wenn es erst ein paar Tage später raus ist. Und dann war Helmut Schmidt, war ja jetzt auch schon wieder über eine Woche her, denke ich, hat in seiner Rede an der Hochschule, die ihm ihren Ehrendoktor verliehen hat, wozu ich ihm gratuliere, denke für uns alle, (Beifall.) 2 Gemeint ist die Regierungserklärung am 18. Januar 1973. Vgl. Anm. 4. 3 Gemeint ist die Fraktionsvorstandssitzung am selben Tag. 4 Zur Regierungserklärung vgl. BT Plenarprotokoll 07/7, S. 121–134. Zum Teil, der Vietnam betraf, vgl. die S. 121 f. 5 Das Auswärtige Amt veröffentlichte am 21. Dezember 1972 eine Mitteilung, in der Besorgnis über die Lage in Vietnam ausgedrückt und eine politische Lösung, die dem Willen der vietnamesischen Bevölkerung Rechnung tragen solle, befürwortet wurde. Vgl. EUROPA-ARCHIV 1973, Z 15. 6 Egon Bahr weilte vom 4. bis zum 6. Januar 1973 in den USA, um dort an der Trauerfeier für den verstorbenen ehemaligen US-Präsidenten Harry S. Truman teilzunehmen. Er traf sich dort auch mit US-Außenminister William P. Rogers und Sicherheitsberater Henry Kissinger und trug beiden die Auffassung der Bundesregierung zur Vietnam-Frage vor. Vgl. den Artikel »Bahr bringt in den USA auch Vietnam zur Sprache«; »Die Welt« vom 5. Januar 1973, S. 2. 7 Bundeskanzler Brandt hatte in seiner Neujahrsansprache die US-amerikanischen Bombenangriffe in Nordvietnam nicht kritisiert, was ihm scharfe Kritik von Seiten der Jungsozialisten einbrachte. Vgl. den Artikel »SPD weist Vorwürfe der Jusos gegen Brandt scharf zurück«; »Die Welt« vom 6. Januar 1973; BT Pressedokumentation Sachordner Jungsozialisten (Nr. 76). Copyright © 2020 KGParl 2 SPD – 07. WP Fraktionssitzung: 17. 01. 1973 (Tonbandtranskript) aber den hat er nicht für diese paar Tage gekriegt8, (Heiterkeit.) sondern die hat da außerdem noch an den Mann gebracht, die haben gesagt, damit gibt er unsere Auffassung wieder, und jetzt nicht auf Regierung nur bezogen, sondern auf Bundesrepublik Deutschland. Der Bundespräsident9 hat in seiner Weihnachtsansprache sich geäußert, die Bundestagspräsidentin10 zum 1. Januar. Die Welt hat also über die Meinung und die Stellung der Bundesrepublik Deutschland nicht zu rätseln brauchen. Drittens, die Auffassung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands war für meine Begriffe ohnehin klar. Ich habe sie zum Beispiel wiederholt, nicht zum ersten Mal for- muliert, sondern zum Beispiel wiederholt, als ich Ende Juni des zurückliegenden Jahres auf dem Kongress der Sozialistischen Internationale mich geäußert habe11. Nicht hinter verschlossenen Türen, sondern schwarz auf weiß und jeder konnte es ja damals lesen oder, wenn es ihm heute noch Spaß macht, nachlesen und zuletzt auf unserem Partei- präsidium noch am Montag dieser Woche eine Erklärung abgegeben. Viertens, dass ich nicht selbst unmittelbar vor und nach Weihnachten öffentlich, ich unterstreiche öffentlich, mich geäußert habe, das ist von vielen nicht verstanden wor- den, und ich kann das sehr wohl verstehen, dass es viele nicht oder nur schwer haben verstehen können. Das Schweigen ist mir selbst auch nicht leichtgefallen, aber ich musste, wenn ich mal die Sache außen vorlasse, die ich ja hier offen geklärt habe mit {…}, wenn man an Ort und Stelle gewesen wäre, hätte das vielleicht noch etwas anders ausgesehen. Wenn ich das mal außen vorlasse, das hätte nämlich nicht viel an der Sache selbst geändert, ein Satz oder zwei, es sei denn, man nimmt ein oder zwei Sätze wichti- ger in großen Zusammenhängen, als ich das tue. Wenn ich das außen vorlasse, dann musste ich diesmal in Kauf nehmen, egal ob das jeder gleich versteht oder nicht, dass mich erhebliche, und zwar nicht nur unsachliche, Kritik treffen sollte. Das musste in Kauf genommen werden, weil das Interesse der Bundesrepublik Deutschland, so wie ich es erkenne und in voller Verantwortung zu vertreten habe, für mich den eindeutigen Vorrang hatte, haben musste, aus meinem Verständnis, aus dem heraus kann ich mich nur äußern – persönliche Neigungen und innenpolitische Opportunität hätten das Ein- steigen in den verständlichen und in weiten Teilen auch sympathischen Chor, ich sage in weiten Teilen sympathischen Chor des Protestes, leicht gemacht, aber ich musste andere, sag’ ich noch einmal, andere Erwägungen schwerer wiegen lassen. Fünftens, ich habe Verständnis, auch wenn ich nicht so gut verstanden werde, ich habe Verständnis für die meisten,